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Führen und führen lassen in der Praxis

2016
978-3-8385-8657-1
UTB 
Bernd Blessin
Alexander Wick

In Anlehnung an das erfolgreiche Handbuch "Führen und führen lassen" werden in dieser Fallstudiensammlung unterschiedliche Probleme aus der Personalführung lösungsorientiert aufbereitet. Dabei kommen Praktiker aus verschiedenen Branchen, aus kleinen und mittleren Unternehmen sowie Großkonzernen zu Wort. Sie beschreiben unterschiedlichste Führungsansätze sowie Diversity, Führungswirksamkeit, Führung in Veränderungsprozessen und virtuellen Teams im heutigen Führungsalltag.

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol Waxmann · Münster · New York utb Bernd Blessin / Alexander Wick (Hrsg.) Führen und führen lassen in der Praxis Fallbeispiele UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/ Lucius · München Dr. Bernd Blessin ist als Leiter Personal und Organisation bei den VPV Versicherungen tätig. Darüber hinaus ist er im Gesamtvorstand des BPM (Bundesverband der Personalmanager e.V.). Dr. Alexander Wick ist Professor für BWL, insb. Personalwirtschaft an der Internationalen Berufsakademie Darmstadt. Seine Forschungsschwerpunkte sind Personalauswahl, Mitarbeiterbindung, virtuelle Kooperation sowie Kompetenzdiagnostik und -entwicklung. Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts-gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2016 Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandmotiv: © iStockfoto, 4FR Druck und Bindung: Pustet, Regensburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Nr. 8657 ISBN 978-3-8252-8657-6 uvk-lucius.de Vorwort Das Buch „Führen und führen lassen“ erschien zum ersten Mal 1984 und ist durch Oswald Neuberger über sechs Auflagen hinweg zu einem Klassiker der Führungsforschung geworden. Für uns war es damit zugleich Ehre und Ansporn, die 7. Auflage erarbeiten zu dürfen. Diese ist 2014 erschienen. Bereits in der 7. Auflage haben wir zahlreiche Fallbeispiele aus der Praxis zur Unterstützung der Vermittlung verschiedener Aspekte der Führungstheorie eingebracht. In ihnen wird Führung an Beispielen aus kleinen und mittleren Unternehmen sowie auch DAX-Konzernen oder etwa der NASA/ ESA aufgezeigt. Es gab zahlreiche Anfragen zu den Fallbeispielen und wertvolle Diskussionen dazu. Das hat uns bewogen, entlang der neun Kapitel von „Führen und führen lassen“ weitere Fallbeispiele anzubieten, die die vermittelten Inhalte des Buchs illustrieren. Von der positiven Resonanz auf unseren „Call for Papers“ waren wir überwältigt und sehr erfreut. Unser Ziel, zwei Beiträge pro Kapitel, konnten wir bei weitem übertreffen. Die Sichtweisen und Interpretationen aus der Praxis, die unüberschaubar vielfältig ist, bringen dementsprechend viele verschiedene Handlungsweisen und Prozesse hervor. Diese sind in unterschiedlichem Maße mit den Erkenntnissen der Führungsforschung verbunden - teils bauen sie explizit darauf auf, teils machen sie erkennbare Anleihen, teils sind sie unberührt davon und lassen sich als Exempel dafür nehmen, wie intuitiv gestaltete Führung durch Modelle und Konzepte der Führungsforschung beschrieben und analysiert werden kann. Die geschilderten Fälle sind beispielhaft - weniger in dem Sinne, dass sie die bestmöglichen Herangehensweisen und größten Fehler darstellen - das zu beurteilen ist häufig eher perspektivisch und interessengesteuert möglich als „neutral“ und „wahrheitsgemäß“. Sie sind es in dem Sinne, dass sie das volle Spektrum des „prallen Lebens“ der Praxis bieten. Das Ihnen vorliegende Buch ist für Theorie, Studium und Praxis gleichermaßen geeignet. Ob als ForscherIn, StudentIn oder PraktikerIn, Sie können an den Führungsbeispielen aus der Praxis interessante Einsichten für Ihre Zwecke Erkennen, Ihr Lernen und Handeln gewinnen. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie wertvolle Impulse für Ihre Forschung, Ihre eigene Entwicklung oder die Ihres Teams bzw. Ihres Unternehmens darin finden. Sie finden Beispiele in jeder Unternehmensgröße, von 150 bis über 280.000 Mitarbeiter, und damit erneut aus kleinen und mittleren Unternehmen sowie aus DAX- Konzernen. Neben Automobilunternehmen (Daimler), Stahl (Salzgitter) sind zahlreiche weitere Branchen vertreten, wie IT- und Kommunikationsunternehmen (Hewlett- Packard, SAP, Unitymedia KabelBW), Maschinenbau- und Technologieunternehmen (ifm, Felss, STIHL, Thales, TRUMPF), Banken und Versicherungen (AOK BW, Berliner Sparkasse, ERGO, Sparkasse Zollernalb, Wüstenrot und Württembergische), Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen (Atreus, icas, Schwäbisch Hall Kreditservice, SYNK, v. Rundstedt & Partner, VPV), aber auch öffentliche Verwaltungen bzw. Unternehmen (Hochbahn Hamburg, Stadt Sindelfingen, Verkehrsbetriebe Zürich) oder eine kirchliche Einrichtung u.v.m. 6 Vorwort Wir danken unseren Autorinnen und Autoren für die spannenden und hoffentlich für unsere Leser inspirierenden Fallbeispiele zur Führung, Herrn Dr. Jürgen Schechler vom Verlag und unseren Familien für ihre Geduld mit uns. Stuttgart und Darmstadt im März 2016 Bernd Blessin und Alexander Wick IInhaltsübersicht Vorwort.......................................................................................................................................... 5 Kapitel 1 Der Führungsbegriff .................................................................................................................13 Kapitel 2 Personalistische Führungsansätze ...........................................................................................29 Kapitel 3 Verhaltensorientierte Führungsansätze ..................................................................................53 Kapitel 4 Kontingenzansatz der Führung...............................................................................................71 Kapitel 5 Konstruktivistische Ansätze.....................................................................................................91 Kapitel 6 Führung wirkt.......................................................................................................................... 167 Kapitel 7 Vielfalt führen - vielfältig führen ......................................................................................... 215 Kapitel 8 In, durch und mit Veränderungen führen .......................................................................... 279 Kapitel 9 Für oder gegen wen und was führen? ................................................................................. 339 Index ......................................................................................................................................... 383 uvk-lucius.de/ fuehren Inhaltsverzeichnis Vorwort..........................................................................................................................................5 Kapitel 1: Der Führungsbegriff ..........................................................................................13 1.1 J. Menno Harms (Interviewpartner), Bernd Blessin und Anita Prongratz (Interviewer) Führung und Führungsverständnis .............................................................................. 15 1.2 Frank Gießelmann und Martina Neuhäuser Die Rolle der Führungskräfte im Reorganisationsprogramm SZAG 2015 ........... 21 Kapitel 2: Personalistische Führungsansätze ............................................................... 29 2.1 Udo Krauß und Christine Baur Wer sich kennt, kann (sich) führen ............................................................................... 31 2.2 Harald Smolak Onboarding von Führungskräften bei Atreus Interim Management ..................... 41 2.3 Martin Rugart Personalistische Führungsansätze in der Führungskräfteentwicklung ................... 48 Kapitel 3: Verhaltensorientierte Führungsansätze ...................................................... 53 3.1 Franziska Lottenbach Führungskultur im Fahrbetrieb - eine notwendige Kurskorrektur ........................ 55 3.2 Kimberly Maucher-Lynch Leadership Strategy & Transformational Leadership Style: The SAP MENA Growth Journey ............................................................................................................... 66 Kapitel 4: Kontingenzansatz der Führung......................................................................71 4.1 Stephanie Danhof und Manfred Lund Neue Anforderungen des Marktes bedingen einen neuen Führungsstil in Unternehmen ................................................................................................................... 73 4.2 Rupert Felder Wandel des Führungsansatzes: Erfolgreich führen vor und nach der Krise ......... 81 Kapitel 5: Konstruktivistische Ansätze.............................................................................91 5.1 Dirk A. Kochan und Claudia M. Fürst Wie reife Managementteams mit Spannungsfeldern umgehen und sich untereinander in der Führung stärken................................................................................... 96 5.2 Klemens Steiner und Frank Kübler Vorbild prägt Leitbild - Führungskräfte-Qualifizierung im Change .................... 107 5.3 Christine Kienhöfer Entwicklung eines Werte-integrierten Führungsverständnisses bei Felss............ 115 5.4 Birgit Labling Konsequent Führen bei TRUMPF............................................................................. 131 10 Inhaltsverzeichnis uvk-lucius.de/ fuehren 5.5 Scherin Beuther und Marcus Benfer Zukunftsweisende Unternehmenskultur gestalten - Ein systemisches Veränderungsprojekt ................................................................................................................... 142 5.6 Anna Dollinger PEPSYS: Ein systemisches Führungskräfteentwicklungsprojekt.......................... 156 Kapitel 6: Führung wirkt ....................................................................................................167 6.1 Anna-Maria Fritsch Wandel der Basis von Führungserfolg in einem Nachfolge- und Veränderungsprozess............................................................................................................................. 170 6.2 Kinga Janisch Projektbeispiel VPV- Leadershipwerkstatt - ein Werkstück für ein neues Führungsverständnis ............................................................................................................ 182 6.3 Michael Prochaska Verbesserung von Führung und Führungsleistung durch die Entwicklung und Einführung eines neuen Kompetenzmodells ................................................... 190 6.4 Oliver Grafeneder und Frank Edelkraut Kompetenzbasierte Führungskräfteentwicklung bei der SIHI Group................. 198 6.5 Matthias Pawlowski Interkulturelle Führung (Lloyds Banking Group).................................................... 207 Kapitel 7: Vielfalt führen - vielfältig führen..................................................................215 7.1 Anika Badock, Jutta Rump und Silke Eilers Sensibilisierung der Führungskräfte für alternsgerechte Personalentwicklung... 219 7.2 Thorsten Thoma und Malina Braun Das Mentoring-Programm für weibliche Führungskräfte der AOK Baden- Württemberg .................................................................................................................. 226 7.3 Anita Pongratz Konkret und nachhaltig - das X-Company Network unterstützt Karrierewege von Frauen in Managementpositionen mit unternehmensübergreifendem Mentoring-Programm................................................................................................... 235 7.4 Katrin Schuler Die Initiative „Gender Diversity“ - Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen ..................................................................................... 239 7.5 René Marchand und Deborah Marit Löffler Die leistungsgesunde Führung .................................................................................... 248 7.6 Steffen Fischer Ist das betriebliches Gesundheitsmanagement oder schon Führungskräfteentwicklung? - Ein Praxisbeispiel aus der ifm electronic Essen ........................... 261 7.7 Petra Rühle „Gesund und leistungsförderlich Führen“ bei der Stadtverwaltung Sindelfingen ............................................................................................................................... 270 Inhaltsverzeichnis 11 Kapitel 8: In, durch und mit Veränderungen führen ................................................ 279 8.1 Stefan Eberhardt Eine neue Führungsphilosophie für Daimler TSS wird entwickelt und implementiert ................................................................................................................. 284 8.2 Yasmin Kurzhals Führen in einer Netzwerkorganisation - Wie hochqualifizierte Teams in einem organisatorischen Wandel ein verändertes Führungsverständnis erfordern ................................................................................................................................ 292 8.3 Udo Krauß und David Liebnau Stärkenorientiertes Führen von Hochleistungsteams.............................................. 303 8.4 Kimberly Maucher-Lynch Leading a Global Recruiting Project within a Virtual Team Structure................. 312 8.5 Dirk Bestmann und Aldona Kihl Führung im Wandel durch Veränderungen der Aufbau- und Ablauforganisation im Vertriebsbereich der Hamburger Hochbahn AG....................................... 316 8.6 Karl-Heinz Reitz und Roman Schachtsiek Führung als wesentlicher Faktor zur Gestaltung eines Wandels der Unternehmenskultur ............................................................................................................... 329 Kapitel 9: Für oder gegen wen und was führen? ........................................................ 339 9.1 Claudia Wörner Das „Leadership Model“ von Thales......................................................................... 344 9.2 Markus Warode Das Franziskanische Führungskonzept ..................................................................... 353 9.3 Hans Habeg ger und Dieter Winkler Gegenläufige mikropolitische Taktiken behindern Projekterfolg ......................... 366 9.4 Nadine Sukowski und Uwe Steinwender Integrität im Führungshandeln - Das weltweite Talentprogramm für Senior Manager der Daimler AG ............................................................................................ 374 Index ........................................................................................................................................ 383 uvk-lucius.de/ fuehren Kapitel 1 Der Führungsbegriff „Führung ist ein viel diskutiertes Thema, bei dem kalte Kognitionen und heiße Emotionen oft unentwirrbar vermengt werden. Die Einschätzungen schwanken zwischen Vergötterung und Heroisierung (Personenkult), Banalisierung und Trivialisierung (Führung ist ‚nichts als‘ der Lückenbüßer von Organisation und eine verdinglichende Technik), emotionalisierte Verklärung und nüchterne Verwissenschaftlichung und schließlich Dämonisierung oder Diabolisierung (Verführung und Beherrschung der unschuldigen, unwissenden, widerstrebenden Massen).“ „Führen und führen lassen“ (S. 23) Das lange erste Kapitel im Buch zeigt ebenso wie der Blick in die weitere einschlägige Literatur, dass eine griffige, knappe Definition von Führung schwierig ist und insbesondere, einen Konsens zwischen den verschiedenen Sichtweisen zu erlangen. Dass daraus Beliebigkeit folgen müsste, wäre ein vorschnelles Urteil. Allerdings ist zu bedenken, dass das, was in der Praxis aus der Forschung „ankommt“, nicht eben griffig ist - und dazu noch, je nach theoretischer Ausrichtung der Definition, sehr unterschiedlich. Für Praktiker - sei es Unternehmensführung, operative Führungskräfte oder Führungskräfteentwickler - ist es aber trotzdem zentral, was sie unter Führung, guter und schlechter Führung und dem Erfolg von Führung verstehen, damit ihre Betrachtung des Gegebenen und mögliche Interventionen hin zur Optimierung, gezielt und effizient angegangen werden können. In Anerkenntnis der Vielfalt von Theorien, Modellen, Konzepten und Perspektiven zur Führung sind auch in der Praxis unterschiedliche Vorstellungen dessen zu erwarten, was Führung eigentlich ist. Wir präsentieren eine typische Ansicht. Der Interviewbeitrag mit Jörg Menno Harms liefert eine typische Auseinandersetzung mit dem Begriff und Thema Führung in ihrer individuellen Konstruktion durch den reflexiven Praktiker. Führung ist Vieles, aber nichts Einfaches. Führung ist konkret, aber auch ein Konzept. Und Führung ist verschieden. Je nach Kontext, je nach Zeitpunkt, je nach Betrachter. Oft ist die Grundlage das eigene Erleben in der ersten Führungsposition - zumeist eine sehr spezielle Ausgangsbasis, weil die operativen Anforderungen des Alltags oftmals den Blick auf das Prinzipielle verstellen. Weitere Erfahrungen und Erlebnisse ergänzen diese ersten Führungseindrücke. Reflexion findet bei Praktikern häufig unter Anwendung von Metaphern, Analogismen oder mentalen Modellen statt, die die Funktionsweise des betrachteten (hier von Führung) mit der anderer Phänomene oder Gegenstände vergleicht, in diesem Fall die Resonanz. Das ist anschaulich und kann im Alltag hilfreich sein, führt aber hin und wieder auch zu charakteristischen Überzeichnungen und Verkürzungen, eben entlang des eigenen „Erfolgsmodells“. Insofern erklärt dies einerseits die vollkommene Klarheit, die die Betreffenden empfinden einerseits und die große Unterschiedlichkeit der Vorstellung zwischen verschiedenen Praktikern andererseits. 14 Kapitel 1: Der Führungsbegriff Frank Gießelmann und Martina Neuhäuser stellen in ihrem Beitrag eine Verbindung zwischen einer notwendigen Entwicklung des Unternehmens und der Suche nach einem neuen Führungsbegriff dar. Dies wird dann zu einer besonderen Herausforderung, wenn es sich wie in diesem Fall um ein traditionsreiches Industrieunternehmen handelt, welches sich einerseits als Ganzes in einem tiefgreifenden Strukturwandel befindet und sich andererseits als Konzern wiederum aus unterschiedlichen Teilunternehmen mit eigenen Traditionen und Führungsverständnissen zusammensetzt. In diesem Kontext einen allgemeingültigen Begriff von Führung, also eine allgemeingültige Führungsdefinition zu finden, scheint fast unmöglich. Die Autoren lösen dies, indem sie den Prozess beschreiben, wie das Unternehmen im Zuge des Veränderungsprozesses ein neues Führungsleitbild in Form eines sog. Wertediamanten, einer Anleihe an die systemische Organisationsberatung, entwickelt. Die den Wertediamant gestaltenden Begriffsdimensionen wurden dann in Bezug zur Führung gesetzt und es wurde herausgearbeitet, wie Führung konzernübergreifend verstanden und gelebt werden soll. uvk-lucius.de/ fuehren 1.1 Führung und Führungsverständnis von J. Menno Harms (Interviewpartner), Bernd Blessin & Anita Prongratz (Interviewer) Ein Interview mit Prof. Jörg Menno Harms, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Hewlett Packard GmbH und Mitbegründer der Initiative Zukunftsfähige Führung (IZF) e.V., Stuttgart Bernd Blessin (BB): Herr Prof. Harms, wir sind heute zusammengekommen, Sie, Frau Anita Pongratz und meine Person, um uns einige Themenkreise rund um das Thema Führung, Personalführung anzuschauen. Wenn Sie gestatten, würde ich gleich mit der ersten Frage beginnen: Wie definieren Sie ganz allgemein Personalführung? J. Menno Harms (MH): Personalführung ist für mich zunächst einmal der Einsatz von Mitarbeitenden als Energiequelle einer Organisation. Ich spreche bewusst nicht nur von Unternehmen. Einsatz von Mitarbeitenden, das ist Anleitung, Entwicklung, Motivation, Belohnung, also das Miteinander von Arbeitenden in einer Organisation. So nennt man sie ja dann auch “die Mit-Arbeitenden“. Das scheint mir eine gute Definition von Personalführung insgesamt zu sein. Nun gehört ja zur Führung noch mehr als „nur“ Personalführung. Führung bedeutet, dass wir die Gesamtheit der Mitarbeitenden auf gesetzte Ziele führen, dass die Organisation einen kommunizierten Zweck erfüllt, so dass allen die Sinnhaftigkeit der eigenen Organisation verständlich wird. Dazu gehört, dass diese erfolgreich ist wenn sie den gesetzten Zielen entspricht und wenn nicht, den Markt- und Kundenanforderungen angepasst wird. Dazu müssen die Mitarbeitenden ‚mitgenommen‘ werden. Ferner gehören natürlich auch gelebte Werte dazu und keine Dogmen. Alles dieses beinhaltet m.E. der Begriff Führung. BB: Woher kommt dieses Führungsverständnis? Wie haben Sie sich dieses erarbeitet? MH: Ich habe das primär on the job gelernt und dazu leider im fachlichen Studium überhaupt nichts mitgeteilt bekommen. Allerdings habe ich praktische Führungsgrundlagen bei den Pfadfindern, in der Bundesmarine und in einer Studentenverbindung erfahren, und dann natürlich in jahrzehntelanger beruflicher Erfahrung bei HP. In einem Unternehmen, das eine Unternehmenskultur lebt, die ich von Anfang an sehr geschätzt habe, weil sie mir als Mitarbeitenden sehr entgegen kommt. Das Miteinander in diesem Unternehmen und die durch das Management vorbildlich vorgelebte Werteorientierung haben mich fasziniert. Erfahrungen als Mitarbeitender und Erfahrungen in unterschiedlichen Führungsaufgaben haben mir einen Erfahrungsschatz gegeben, den ich heute als Führungswissen umsetze. BB: Als verbindendes Element habe ich in Ihren Ausführungen bei den Pfadfindern, bei der Bundeswehr und auch bei HP das Thema „Miteinander“ herausgehört. Gibt es davon abgesehen noch andere Aspekte der Führung, die Sie kennengelernt haben? MH: Eigentlich nicht. Beim Führen geht es immer um Orientierung, um Kompetenz, um Glaubwürdigkeit der Führenden und das Vertrauen derjenigen, die geführt werden in diejenigen die führen. Das ist immer das Gleiche. Ich habe das natürlich nicht im- 16 J. Menno Harms uvk-lucius.de/ fuehren mer sofort gesehen. Aber ex post kann ich sagen, es ist so gewesen. Ex ante bin ich lernend in die entsprechende Situation hineingegangen. BB: Es gibt gute oder wirksame und schlechte oder unwirksame Personalführung. Wenn dem so ist, was ist Ihre Einschätzung, wodurch lassen diese sich charakterisieren? MH: Gute Mitarbeiterführung zeigt sich beispielsweise darin, dass diejenigen, die mit mir arbeiten in Resonanz mit ihren eigenen Fähigkeiten sind, zum anderen in Resonanz mit der Richtung, in die ihre geführte Organisation will. D. h., sie stimmen dieser Orientierung zu. Und wenn das der Fall ist, dann „fließt“ die Arbeit. Mihály Csíkszentmihályi beschrieb das Flow-Erleben. Das kenne ich auch aus einer musikalischen Betätigung. Ich bin Gitarren- und Banjo-Spieler und habe in einer kleinen Jazzband mitgewirkt. Wenn ich allein vor mich hin spiele, mag das schon befriedigen. Aber wenn ich im Zusammenspiel mit anderen merke, das Ganze stimmt, ich komme mit einer Gemeinschaft beim Musizieren in Resonanz. Dann gelingt vieles besser und macht Freude. Genau dies kann ich auf meine Arbeit übertragen. Und in diesem Sinne sind wirksame Führungsmechanismen jene, die Arbeitsbedingungen so gestalten, dass sie einen „Flow“ ermöglichen. Dies gilt beispielsweise gleichermaßen für Mitarbeiter in F&E-Abteilungen wie auch in der Fertigung. Und es gibt immer auch Mitarbeitende, die überhaupt nicht für eine gemeinsame Arbeit und Identifikation motivierbar sind, vielleicht 2 bis 3% einer Belegschaft. An deren Verhalten sollte man sich aber nicht orientieren. Im Gegensatz dazu gibt es unwirksame Führung vor allem bei denjenigen Führungskräften, die zwar über die Werte wirksamer Führung reden, es aber nicht tun. Fassadenmanagement! Dann kommt es zu Enttäuschungen, zu Frust und letztlich zur inneren Kündigung der Geführten. Wie Umfragen verschiedener Institutionen zeigen, gibt es in der Wirtschaft und in Organisationen der Zivilgesellschaft bei den Mitarbeitenden immer noch hohe Raten innerer Kündigung. Unwirksame Führung führt leider zu solchen Ergebnissen. BB: Können Sie unseren Leserinnen und Lesern, zumeist angehende Führungskräfte, junge Führungskräfte aber auch Führungsforscher konkrete Hinweise geben, wie Sie in Führungssituationen in dieser Hinsicht gute von schlechter Personalführung unterscheiden können? MH: Auf der einen Seite gibt es wirksame Führung durch Führungskräfte die verstehen, wie man Resonanz herstellt und auf der anderen Seite solche, die das eben nicht verstehen, die letztlich - wie gesagt - glauben machen wollen, dass sie gute Führung betreiben, aber im Grunde genommen überhaupt nicht bei denen ankommen, die mit ihnen arbeiten. Leider gibt es von den letzteren zu viele, von den ersteren zu wenige. Selbstverständlich gibt es neben dieser Schwarz-Weiß-Darstellung auch Graubereiche. BB: Sie sprechen viel von zukunftsfähiger Führung. Was zeichnet diese gegenüber anderer, vielleicht ebenfalls wirksamer Führung aus? MH: Zukunftsfähig ist für mich Führung, die nachhaltig für die nächsten Jahre wirkt. Zukunftsfähige Führung beinhaltet wichtige Elemente wie beispielsweise Vertrauen, Sinnhaftigkeit, Orientierung aber auch Ethik, Ressourceneinsatz, Leistungsbereitschaft, Verantwortung und Haftung. Sie sind Grundlage zum erfolgreichen Führen eines Unternehmens oder einer Organisation, mit allen Konsequenzen, auch mit schmerzlichen Führung und Führungsverständnis 17 uvk-lucius.de/ fuehren Veränderungsentscheidungen. Nachhaltige, zukunftsfähige Führung hält Organisationen langfristig erfolgreich. BB: Impliziert zukunftsfähige Führung eher andere Aufgaben für dieselben Führungskräfte oder müssen Führungskräfte ganz Anderes können als bisher? MH: Die überwiegende Anzahl heutiger Führungskräfte besitzt im Grunde genommen das Führungswissen, das ihnen eine nachhaltige Führung ermöglichen würde. Das Problem ist: Sie setzen es nicht so um wie erforderlich. Wir haben im Grunde kein Erkenntnis-, sondern eher ein Umsetzungsproblem. BB: Woran könnte das liegen? MH: Es gibt dazu einige Analysen und Umfragen. Meine Erfahrung ist, dass sich Führungskräfte eher scheuen, starke Kulturveränderungen in einer Organisation vorzunehmen. Sie greifen dann zu Argumenten wie „das geht hier nicht“ und „die Lebensumstände sind hier so, dass ich das, was ich eigentlich verändern würde, nicht umsetzen kann“. Bestätigt wird dies durch eine Umfrage der Bundesanstalt für Arbeit aus 2014, deren Ergebnisse in ‚Der Zeit‘ veröffentlicht wurden. Hier wird deutlich, dass die befragten Führungskräfte die eigene Führungskultur eigentlich gerne zum Besseren verändern würden, allein sie wagen es nicht. Grundlagen, wie heute und morgen geführt werden sollte, werden weltweit durch Führungsakademien, Business Schools, Hochschulen usw. gelehrt. Doch schauen Sie sich um, in den Organisationen der öffentlichen Verwaltung, der Universitäten, der Unternehmen, im Mittelstand, in den Konzernen. Teilweise wird noch geführt wie vor 70 Jahren… Doch es gibt auch gute Umsetzungsbeispiele. Aber das sind vielleicht 20 bis 30%, in denen wirksame Führung angewandt wird und leider nicht 90%. Das ist schon ernüchternd. BB: Ist es ein Problem unserer Universitäten bzw. Ausbildungen, dass wir Manager ausbilden und eben keine Führungskräfte, dass wir unternehmerisches Denken und Handeln nicht lehren und nicht einfordern, sondern eher Absicherungsmentalität? MH: Ja, in der Ausbildung muss sicher noch deutlicher auf die entscheidenden Führungselemente hingewiesen werden, vor allem auch in der Ausbildung von MINT- Berufen. Ich glaube aber nicht, dass wir Führung in der ganzen Breite in Hochschulen lernen können. Man kann Grundlagen, Einstellungen, Haltungen vermitteln. Gute Business-Schulen tun das auch. Praktisches Führen lernt man jedoch on the job und nicht im Seminar. Wichtig ist für mich, dass wir hier nicht über neuartige Themen reden, sondern darüber, wie wir durch Dialog und Reflexion mit den Führungsverantwortlichen die konkrete Umsetzung von bestehendem Führungswissen erreichen. Auch dafür haben wir die Initiative Zukunftsfähige Führung (IZF) gegründet. BB: Was könnte einen Vorstand, einen Geschäftsführer oder eine Führungskraft davon abhalten, erfolgreich, unternehmerisch zu führen? MH: Jeder möchte gerne erfolgreich führen. Aber es gibt Situationen, in denen Menschen an Grenzen stoßen, sei es an eigene Fähigkeitsgrenzen oder an Grenzen, die durch die Organisation oder durch Kollegen aufgebaut werden. Man möchte sich nicht blamieren, nicht das Risiko eingehen, etwas Neues zu machen. Persönliche Eigenschaften, ja der eigene Charakter können die Führungsqualität beeinflussen. Dem Einen oder dem Anderen gelingt das schneller und effizienter. Bei anderen dauert es etwas länger oder es gelingt nie. 18 J. Menno Harms uvk-lucius.de/ fuehren BB: Kann Personalführung auch negativ sein, zum Schlechten führen? Ändert sich das Image von Führung derzeit? MH: Ich sehe hierzu zwei Aspekte, zum einen den, dass ich als Führungskraft nicht in der Lage bin, meine Mitarbeitenden ‚in Resonanz‘ zu bringen und kompetente und willige Mitarbeitende durch mein Missmanagement, beispielsweise durch Mikromanagement demotiviere. Zum anderen gibt es die Ver-Führer. Das kann bis zur kriminellen Situation gehen; denn wenn ich in der Lage bin, andere Menschen für falsche Werte und Ziele zu begeistern, dann kommt es auch zu falscher Umsetzung. Im Übrigen ist das Image von Führungskräften in unserer Gesellschaft heute wohl eher zweifelhaft. Die bekannt gewordenen Führungsfehler und ein persönliches Fehlverhalten bekannter Führungskräfte in Wirtschaft und Politik werden durch die Medien transparent dargestellt, teilweise leider auch verallgemeinert. Führung muss angesichts der vor uns liegenden Herausforderungen Glaubwürdigkeit und Vertrauen zurückgewinnen! BB: Zunehmend wird über die Demokratisierung von Unternehmen geschrieben und diskutiert. Sind aus Ihrer Sicht erfolgreiche Unternehmen denkbar, in denen es keine Führungskräfte gibt? Falls ja, wie sähe das dann aus? MH: Nun ja, die gibt es. Ich habe einige kennengelernt. Bei der Diskussion mit den Mitarbeitenden dieser Organisationen hinterfragt man kritisch, ob das real und nicht nur Theater ist. Meine Einschätzung ist, dass so etwas derzeit nur in relativ kleinen Organisationen stattfinden kann. In größeren Organisationen mit mehr als 100 Mitarbeitern braucht es sicher Strukturen und Mitarbeitende, die Führungsverantwortung übernehmen. Damit etabliert sich schon eine gewisse Führungsstruktur, die aber durchaus flach sein kann. Eine andere Frage ist, wer diese Mitarbeitenden aussucht und ihnen Verantwortung gibt. Auch da gibt es unterschiedliche Erfahrungen. Kürzlich hörte ich einen Vortrag des Arbeitsdirektors der IBM Deutschland GmbH, Herrn Scholz, der über Personalführung in vernetzten Organisationen sprach und zeigte, dass wir durch die Digitalisierung und Vernetzung in eine Situation kommen, in der es eben notwendig wird, mehr dezentrale Führungskompetenz, mehr lokale Gestaltungsfreiheit, mehr Eigenverantwortung anzustreben. Alles Themen, die ich dick unterstreiche. Anita Pongratz (AP): Gibt es Teilbereiche in einem Konzern, in denen man sich demokratische Strukturen vorstellen kann, wie z.B. Innovationshubs? MH: Sicher, ich würde aber den Begriff „demokratisch“ nicht wählen. Eine demokratisch gewählte Führung in Organisationen der Wirtschaft und Zivilgesellschaft: da müssen wir noch länger zuwarten. Da wage ich keine Prognose. Wir sollten eher von einer dezentralen Netzwerkkultur sprechen, die durch ihre schnellen horizontalen Kommunikationsmöglichkeiten eine deutlich produktivere Alternative zu den tradierten hierarchischen Aufbaustrukturen darstellt. In der Initiative Zukunftsfähige Führung (IZF) ermuntern wir den Dialog über begleitende neue Führungskonzepte. Für mehr Innovation und Kreativität werden wir zukünftig eine sehr viel freiheitlichere Gestaltung der Arbeitsbedingungen ermöglichen müssen, so dass Mitarbeitende eigenverantwortlicher gestalten können, ohne dass man ihnen ständig ‚Stöcke zwischen die Beine‘ wirft. Ich unterstütze das aus Überzeugung und sehe auch die Auflösungserscheinungen ausgeprägter hierarchischer Strukturen. Führung und Führungsverständnis 19 uvk-lucius.de/ fuehren BB: Lassen Sie uns einen Blick auf die andere Seite der Führungsbeziehung werfen. Führen bedeutet auch immer, dass andere sich führen lassen. Warum tun sie das Ihrer Meinung nach? Wir diskutieren breit über Generationen Y und Z, die es ablehnen, Führungsverantwortung zu übernehmen. Warum lehnen Menschen Führung ab oder lassen sich gerne führen? MH: Zum einen gibt es diejenigen, die Führung noch lernen. Oder es gibt diejenigen die tun, was ihre Eltern sie gelehrt haben zu tun, und dann jene, die aus Work-Life- Balance-Gründen einfach nicht mehr Verantwortung auf sich nehmen wollen. Darüber hinaus gibt es diejenigen, die gerne einer Führungskraft folgen, weil sie ihr vertrauen, weil diese Kompetenz und Begeisterung ausstrahlt und eben genau die von der Generation Y nachgefragte Sinnhaftigkeit gibt sowie die Interessen der Geführten gut berücksichtigt. AP: Sehen Sie, dass sich der Führungsbegriff bei der Generation Y und Z signifikant ändern könnte? MH: Eindeutig! Sicherlich nicht bei allen, denn es gibt auch unter den jungen Führungskräften solche, die führen und Verantwortung tragen wollen. Ein Trend ist aber klar auszumachen. Es gibt genügend Beispiele von 40-Jährigen, die beispielsweise die ihnen angebotene nächste Führungsposition nicht mehr annehmen wollen, weil sie eine andere Einstellung zum Leben und zur Arbeit haben als beispielsweise die Generationen vor ihnen. Das kann für die Gesellschaft eine Herausforderung werden, wenn Menschen mit dem Willen zu führen und Verantwortung zu tragen knapp werden. AP: Wie sehen Sie den Begriff Führung im internationalen Vergleich? MH: Asiatische aber auch amerikanische KollegInnen sind m.E. insgesamt leistungs- und führungsmotivierter als wir in Deutschland. Bei uns gibt es eine zunehmende kritische Einstellung zur Leistungsorientierung. Dies ist so nicht der Fall beispielsweise in Korea, China oder Vietnam. In den 1990er Jahren gab es mal eine Umfrage unter Chinesen, was diese in ihrem Leben anstreben. 70% antworteten: Work hard and get rich! Chinesen haben im Übrigen eine andere Führungskultur als wir. Die Initiative Zukunftsfähige Führung (IZF) ist sehr interessiert herauszufinden, worin die Unterschiede liegen und versucht Brückenschläge. BB: Komplexität und Dynamik nehmen zu. Die Digitalisierung und Vernetzung schaffen neue Rahmenbedingungen und Möglichkeiten. Wie muss sich Führung vor diesem Hintergrund verändern? MH: Angesichts dieser Veränderungen, die sich stark auf die Wirtschaft und auf die Zivilgesellschaft auswirken, müssen wir uns fragen, welche neuen und alten Führungsfähigkeiten wir einsetzen sollten? Die Automatisierung im Rahmen der Industrie 4.0- Entwicklung, vor allem aber die Digitalisierung standardisierbarer Arbeitsprozesse, die wir über das Web auslagern oder einkaufen können, wird die weltweiten Wertschöpfungsketten weiter kräftig verändern, letztlich auch einen Großteil der öffentlichen Dienste, möglicherweise auch universitäre Aktivitäten. Weitere Fragen entstehen, wie die stark wachsenden alten und neuen Arbeitsformen, wie Zeitarbeit, Temps, Subs, Crowd Worker oder geographisch verteilte Teams geführt werden sollen. Diese Entwicklung vernünftig und erfolgreich zu gestalten, wird zukünftige Führung in Wirtschaft und Zivilgesellschaft ebenfalls ausmachen. Gefragt 20 J. Menno Harms sind Aktivitäten, welche die Fähigkeiten der Mitarbeitenden mit und ohne Führungsverantwortung stärken. Offenheit für Veränderungen und Veränderungswissen, flexibles Handeln, Kooperation mit Partnern, das Umgehen mit Unsicherheiten und die eigene, sichere Selbstführung werden wichtig werden. Ich bin überzeugt, dass angesichts dieser Anforderungen sich Führungsverantwortliche fragen müssen, wie sie sich selbst, ihre Organisation und ihre Mitarbeitenden auf die zukünftige Arbeitswelt vorbereiten! Meine Überzeugung und Handlungsweise in den Jahren, in denen ich im Unternehmen Hewlett Packard und in anderen Organisationen geführt habe ist: Erfolgreiche Führungsverantwortliche arbeiten vertrauensvoll mit ihren Mitarbeitenden, in einem Miteinander, das durch Führungskultur und Werte beschrieben ist. Die Werte müssen durch das Management aber auch vorbildlich umgesetzt werden und sich nicht in Lippenbekenntnissen erschöpfen. Im übrigen halte ich mich an einen unserer Firmengründer, Bill Hewlett, der 1982 sagte: We must invest in the human side of Management. Dass ein menschliches Miteinander möglich ist, zeigen viele leistungsstarke und kreative Organisationen. Dies wird in den nächsten Jahrzehnten noch wichtiger werden. Die nächsten Generationen werden sich mit Schlechterem nicht abfinden. BB: Herr Prof. Harms, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch. Interview vom 16.6.2015 KKurzprofile Prof. Jörg Menno Harms, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Hewlett-Packard GmbH, Mitbegründer und Vorsitzender der Initiative Zukunftsfähige Führung (IZF) e.V., Stuttgart. Anita Pongratz ist beim IT Konzern HP Inc. für globale Vertriebsprogramme für PC und Drucker Dienstleistungen verantwortlich, nachdem sie im selben Unternehmen internationale Vertriebs- und Marketingpositionen bekleidete. Sie ist Dozentin an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg im Fachbereich Wirtschaftsinformatik und leitet die Arbeitsgruppe X-Company Network bei der HP Deutschland GmbH. Dr. Bernd Blessin ist Leiter Personalmanagement und Organisation der VPV Lebensversicherungs-AG in Stuttgart. Er war zuvor als Personalleiter bei der Coca-Cola Erfrischungsgetränke AG und im Gerling-Konzern tätig. Seit 2010 ist er bei der VPV für den Personalbereich verantwortlich und im Aufsichtsrat der Vereinigte Post. Die Makler-AG. Daneben ist er im Gesamtvorstand des BPM (Bundesverband der Personalmanager e.V.) sowie als Co-Autor des Buches „Führen und führen lassen“ aktiv. uvk-lucius.de/ fuehren 1.2 Die Rolle der Führungskräfte im Reorganisationsprogramm SZAG 2015 von Frank Gießelmann und Martina Neuhäuser Wohlfeil formulierte und theoretisch durchdachte Strategien, Roadmaps und Leitbilder finden sich in nahezu allen großen Organisationen. Je größer die Flughöhe, desto mehr erscheinen sie nachvollziehbar und vollkommen aus einem Guss. Nach der Analyse von Zielen und aktuellen Hürden wird die Lösung dann mustergültig ausgeführt, schließlich ist das gemeinsame Ziel allen klar. Soweit die Situation, wie sie sich jeder Akteur in einer großen Organisation wünschen würde. Die Wirklichkeit ist zweifelsohne wesentlich mühsamer. Im vorliegenden Text möchten wir einen detaillierten Blick auf die Salzgitter AG werfen, die als eines der traditionsreichsten deutschen Industrieunternehmen vor wenigen Jahren in eine Phase tiefgreifender Veränderungen eintrat. Diese Veränderungen, welche wir zu Beginn skizzieren wollen, setzten den Konzern einem hohen Druck aus, Antworten auf die Herausforderungen des Marktes zu finden. Sie bereiteten darüber hinaus den Boden für einen Kulturwandel in der Organisation, den der Vorstand mittlerweile als unabdingbar ansieht, um den anstehenden Herausforderungen gewachsen zu sein. Erprobte Lösungen - auch in der Personalentwicklung - konnten in dieser Situation nicht mehr zum Erfolg führen, was wiederum Spielräume dafür schuf, vieles zu hinterfragen und das eine oder andere Muster zu durchbrechen. Die Führungskräfte des Unternehmens mehr als je zuvor für das gemeinsame Ziel zu motivieren und zu begeistern, sie in die Verantwortung zu nehmen, die erforderlichen Maßnahmen umzusetzen und auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diesem Weg mitzunehmen und einzubinden, waren wesentliche Anforderungen, die wir im Folgenden genauer darlegen. Dies schließt die Reflexion über Gelungenes und weniger Gelungenes mit ein. Die Salzgitter AG Die Salzgitter Gruppe ist mit über 200 nationalen und internationalen Tochter- und Beteiligungsgesellschaften und circa 25.000 Mitarbeitern ein bedeutender und weltweit agierender Stahl- und Technologie-Konzern. Unter Führung der Salzgitter AG als Management-Holding ist der Konzern in die fünf Geschäftsbereiche Flachstahl, Grobblech/ Profile, Handel, Energie und Technologie untergliedert. Durch nachhaltiges internes und externes Wachstum hat sich das Unternehmen zu einem der führenden Stahltechnologie- und Anlagenbau-Konzerne Europas entwickelt - mit einem Außenumsatz in 2014 von 9 Mrd. Euro, einer Rohstahlkapazität von mehr als 7 Mio. t. Der Konzern betreibt hochmoderne und ressourceneffiziente Produktionsstätten im In- und Ausland, mit deutlichem Fokus auf Deutschland und Europa. Das Produktprogramm beinhaltet Flachstahlprodukte in vielen Varianten, Träger, Grobbleche sowie nahtlose und geschweißte Rohre in allen Dimensionen. Die Salzgitter AG stellt zudem weiterverarbeitete Produkte für die Automobil- und Bauindustrie her. Der Geschäftsbereich Technologie umfasst mehrere Spezialmaschinenbauunter- 22 Frank Gießelmann und Martina Neuhäuser uvk-lucius.de/ fuehren nehmen, unter anderem einen der weltweit führenden Hersteller von Abfüll- und Verpackungsanlagen für die Getränke-, Food- und Non-Food-Industrie. Die Aktie der Salzgitter AG ist Bestandteil des MDAX-Index der Deutsche Börse AG. Programm SZAG 2015: Reorganisation in bewegten Zeiten Die Salzgitter AG stand 2011/ 2012 unter einem deutlich härter werdenden Wettbewerbsdruck. Die Gründe hierfür sind vielfältig: seinerzeit weltweit erhöhte Rohstoffpreise, schwache Märkte in Europa, verbunden mit hohen Kosten für Energie sowie die Sicherung hoher Umwelt- und Sozialstandards in Deutschland. Bedingt war und ist der erhöhte Wettbewerbsdruck insbesondere durch eine Strukturkrise der europäischen Stahlindustrie. Anhaltende Rezession und eine damit verbundene rückläufige Nachfrage betrafen das gesamte Marktumfeld des Salzgitter-Konzerns, zahlreiche, insbesondere südeuropäische Hersteller waren und sind unterausgelastet und müssen sich mit den ungenutzten Kapazitäten auseinandersetzen, welche die stahlproduzierenden Gesellschaften unter einen hohen wirtschaftlichen Druck setzen. Die Ergebnisse der anderen Unternehmensbereiche können den dort erzielten Verlust nicht ausgleichen. Während sich die Rohstoff- und Energiekosten auf einem konstant hohen Niveau bewegen, erschweren stark schwankende Preise auf den Absatz- und Beschaffungsmärkten eine langfristige Planung. Das Missverhältnis von Angebot und Nachfrage drückt infolgedessen die Marge. Da externe Einflussgrößen auf die Marge (z.B. die Kapazität am Markt) kaum beeinflussbar sind, können und müssen unternehmensinterne Einflussgrößen verändert werden, um die Marge wieder zu steigern. Zu den unternehmensinternen, beeinflussbaren Faktoren zählen beispielsweise Kosten, Effizienz, adäquate Wertschöpfung oder optimierte Rohstoffbeschaffung. Von der Strukturkrise am härtesten betroffen ist das Feld der Profilstahlprodukte, welche von der Bauindustrie verarbeitet werden und somit auch die Peiner Träger GmbH, die diesen Bereich innerhalb des Salzgitter-Konzerns abdeckt. Die Branche des Profilstahls befindet sich in vielen südeuropäischen Ländern in einer tiefen Rezession. Doch auch andere bedeutende Abnehmerbranchen, wie die Automobilindustrie, besonders in den südeuropäischen Ländern Italien, Spanien sowie Frankreich, leiden unter einem Absatz- und Produktionsrückgang, der erhebliche Auswirkungen auf die zuliefernden Unternehmen hat. Ferner zeigen sich die geänderten Rahmenbedingungen auch in der gesunkenen Rentabilität und Liquidität des Salzgitter-Konzerns. Auch Wettbewerber sind betroffen und reagieren auf die akute Lage. Sie steuern mit umfassenden Maßnahmen wie Stellenstreichungen oder Kosteneinsparungen und Effizienzsteigerungen gegen. Ein leichter Aufwärtstrend wird derzeit erneut marktseitig aufgezehrt. Massive chinesische Überkapazitäten drängen auf den europäischen Markt, eine tiefgreifende Erholung der Konjunktur in der Eurozone ist in absehbarer Zeit aber wenig wahrscheinlich. Das eigentliche strukturelle Problem in der Stahlindustrie besteht zudem weiterhin. Folglich mussten auch im Salzgitter-Konzern umfassende Maßnahmen ergriffen werden. Das Programm SZAG 2015 zielte darauf ab, den Konzern wesentlich wettbewerbsfähiger zu gestalten - denn durch die gegebenen Umstände auf dem Markt wird Die Rolle der Führungskräfte im Reorganisationsprogramm SZAG 2015 23 uvk-lucius.de/ fuehren deutlich aufgezeigt, dass eine externe Unterstützung durch verbesserte Rahmenbedingungen illusorisch ist. Was waren und sind die Kernpunkte von SZAG 2015? Auf dem Prüfstand standen die Strukturen des Konzerns und der Gesellschaften, die Balance von Dezentralität und notwendiger Zentralität, vor allem aber auch der Führungsbegriff. Auf Konzernebene stand das Zusammenspiel Holding und Gesellschaften im Fokus, abgebildet im Zusammenwirken von Vorstand und Geschäftsführungen, im individuellen Führungsverständnis dagegen das Einfordern von Verbindlichkeit, die Übernahme von Verantwortung und die Mitnahme der Mitarbeiter im Veränderungsprozess. Es geht um die Zusammenführung einzelner Konzerngesellschaften, eine Umorganisation von Unternehmenseinheiten mit Blick auf Kunden und Wertschöpfungsketten, die Hebung von Synergien, auch durch Personalabbau, und in bestimmten Fällen eine Reduzierung der Produktionsmengen (Bsp. Peiner Träger). Des Weiteren erfolgen Schnittstellenreduktionen. Die Verfolgung von Zukunftsthemen in Bezug auf alternative Geschäftsmodelle bekommt einen wichtigeren Stellenwert, neue Produkte (u.a. Verpackungssysteme wie das „Nature Multi Pack“) werden bereitgestellt und Prozessoptimierungen, z.B. bei konzerninternen Kunden-Lieferanten-Beziehungen in der Stahlsparte, werden initiiert und durchgeführt. Leitbild YOUNITED Der gesamte Veränderungsprozess des Salzgitter-Konzerns wird begleitet durch das neue Leitbild YOUNITED (implementiert 2014), welches das erklärte Ziel eines Kulturwandels verfolgt und damit auch einen neuen Führungsbegriff einfordert. YOUNITED benennt das „Wesen“ der Salzgitter AG, ihre Aufgaben, Werte, Besonderheiten, Prinzipien. Gleichzeitig verkörpert es als Unternehmensleitbild den Zielzustand, den unser Unternehmen anstrebt. Damit dient YOUNITED als Ausgangspunkt und Zieldefinition für angestrebte Veränderungen, es bietet als „Unternehmensphilosophie” eine Orientierung. YOUNITED setzt sich aus drei verschiedenen Elementen zusammen: den Zielen, den Wegen und den Werten. In diesem Sinne gibt das Leitbild den Rahmen vor für Strategie, Führung und operatives Handeln. Die Ziele (auch „Vision“ genannt) formulieren die grundsätzliche Ausrichtung eines Unternehmens für die kommenden Jahre. Mit den Zielen werden Fragen wie diese beantwortet: „Wie soll unser Unternehmen in zehn Jahren aussehen? Was wollen wir erreichen? “ Entwickelt wurden die Ziele durch den Vorstand der Salzgitter AG. Die Wege als zweites Element (auch „Auftrag“ oder „Mission“ genannt) beschreiben, worin die Existenzberechtigung eines Unternehmens besteht: „Welchen Mehrwert bieten wir unseren Zielgruppen? “ ist die Frage, die gestellt werden muss. Die Wege stellen einzelne, konkretere Beiträge dar, um die langfristigen Ziele zu realisieren. In diesem Sinne entsteht auch so etwas wie ein allgemeiner Handlungsrahmen für alle Mitarbeiter. Die Wege wurden grundsätzlich entwickelt durch eine Gruppe von Führungskräften aus dem gesamten Konzern. Wo Ziele und Wege eine Antwort auf das „Was“ geben, beschreiben die Werte das „Wie“: „Wie machen wir es? Welche Prinzipien sollen unser Handeln leiten? “ Die Werte des Salzgitter-Konzerns wirken mit einem starken Einfluss auf Themen wie 24 Frank Gießelmann und Martina Neuhäuser uvk-lucius.de/ fuehren Zusammenarbeit, Führung oder Verhalten gegenüber Externen. Die Gemeinsamkeit aller Werte bildet in einem Unternehmen die Unternehmenskultur. Und Unternehmenskultur muss aus dem Unternehmen selbst heraus geprägt werden. Deshalb wurden die Werte, welche zukünftig handlungsleitend sein sollen, maßgeblich in zwei Großgruppenveranstaltungen entwickelt (s. nachfolgende Abbildung) - dank der engagierten Arbeit von rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Salzgitter- Konzerns, gesellschafts-, hierarchie- und konzernübergreifend. Das UmsetzungsTeam Leitbild - eine Gruppe von leitenden Angestellten aus dem Konzern sowie zwei Vertreter des Konzernbetriebsrates - entwickelte und realisierte im weiteren Verlauf die Ideen für die Umsetzung in den Gesellschaften. Wertediamant Wandel im Führungsverständnis Zusammenfassend sah das Programm SZAG 2015 der Salzgitter AG eine Zweigleisigkeit vor: kurz- und mittelfristig durch Restrukturierung und Prozessoptimierung im Zusammenhang mit zahlreichen Einzelmaßnahmen der Krise wirkungsvoll begegnen, langfristig die Notwendigkeit eines Kulturwandels mit neuem Führungsbegriff verdeutlichen und dies mit YOUNITED einleiten und konsequent weiterführen. Dies war insbesondere notwendig, da sich Führungsverständnis und Führungsbegriff im Konzern nahezu ausschließlich am Prinzip der Dezentralität orientierten. War eine Gesellschaft und damit eine Geschäftsführung erfolgreich, hatte sie innerhalb der Gesellschaft nahezu vollständige Freiheit im Blick auf Markt und Kunden, das Geschäftsmodell, den Umgang mit Mitarbeitern und Führungskräften. Der Vorstand monitorte lediglich den Prozess. Auch die Führungskräfte in den Gesellschaften hatten keine (konzern-)übergreifenden Anforderungen oder Vorgaben. Die Auffassung, dass fachliche Expertise auch die Auswahl und daran anschließend das Handeln von Führungskräften bestimmt, war weit verbreitet. Mit dem Veränderungsprozess ergab sich die Notwendigkeit, neue Anforderungen an den Führungsbegriff zu formulieren, denn den Führungskräften kam in diesem Veränderungsprozess eine besondere Rolle zu. Wurde in der Vergangenheit dem Thema Führungsfähigkeit und Führungskompetenz auf Konzernebene wenig Bedeutung beigemessen, galten nunmehr die Werte des Leitbildes auch als Fundament für Anforderungen an Führungskräfte. In diesem Zusammenhang hat der Vorstandsvorsitzende Die Rolle der Führungskräfte im Reorganisationsprogramm SZAG 2015 25 uvk-lucius.de/ fuehren der Salzgitter AG einmal sehr zutreffend formuliert, dass es einen großen Unterschied gäbe zwischen dem Bewahren eines angestammten Geschäfts und dem Steuern eines Veränderungsprozesses. Die Führungskräfte der Gesellschaften der Salzgitter AG hatten über viele Jahre sehr wohl ihre Bereiche beständig optimiert. In den Programmen der Führungskräfteentwicklung waren Themen wie kooperatives Führen, Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit intensiv trainiert worden. Es hatte jedoch nicht unbedingt den Anspruch gegeben, das Verhalten und die Kompetenzen entsprechend auch durch die nächsthöhere Führungskraft einzufordern. Dies änderte sich nun für die Führungskräfte in besonderem Umfang: Beginnend bei den Geschäftsführern der Gesellschaften forderte der Vorstand die Umsetzung der Verbesserungsmaßnahmen und der neuen Werte ein. So gilt es in der konzernweiten Zusammenarbeit, Konkurrenz der Gesellschaften untereinander nach innen als auch nach außen zu vermeiden. Mit dem Wert Zuverlässigkeit wird das Einhalten gemachter Zusagen in besonderem Maße eingefordert. Fairness und partnerschaftliches Miteinander fordert die Führungskräfte dazu auf, einen offenen und wertschätzenden Umgang zu praktizieren und seitens der Mitarbeiter einzufordern, diese in ihren Fähigkeiten aber auch Potenzialen ernst zu nehmen und gegenseitiges Lernen zu fördern. Der Vorstand hat die Rolle der Führungskräfte in diesem Prozess wiederholt als Vorbildfunktion definiert. In Bezug auf das Programm SZAG 2015 sollten sie in der Lage sein, die notwendigen Veränderungen gezielt und mit Erfolg umzusetzen und vor allem die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen darin mitzunehmen, Unsicherheiten abzubauen, aber auch den notwendigen Optimismus zu vermitteln. Dazu gehört eine dauerhafte Veränderungsbereitschaft. Sie steht nicht nur in unmittelbarem Zusammenhang mit unserem Wert Innovation, sondern sie erfordert vielfach einen Abschied von überkommenen Strukturen und Verfahren und einen offenen positiven Blick für Neuerungen in einem Konzern, der sich selbst immer wieder gerne als traditionsreiches Unternehmen darstellt. Mit Führungskräften, die aus der Gewohnheit heraus sehr stark bewahrend agieren, ist dies durchaus ein anspruchsvolles Ziel. Wege zum geänderten Führungsbegriff Bereits früh wurde klar, dass der bislang bewährte Rahmen der direkten, jedoch eindimensionalen Kommunikation und Information (Vorträge) in Konzernforen, Geschäftsführer- und Führungskräftetagungen nicht ausreichen würde - es sollte ein tiefergehender Prozess angeleitet werden. Der Anspruch war vielmehr, alle Aspekte der anstehenden Umbrüche nicht nur jeder Führungskraft zu präsentieren, sondern die handelnden Führungskräfte stärker zu erreichen und ihre geforderte aktive Rolle im Prozess zum Thema zu machen. Erstmals konzernweit einheitlich und gesellschaftsübergreifend kamen folgende Maßnahmen zum Einsatz: Diskussionsveranstaltungen zwischen Vorstand und Geschäftsführungen: der Vorstand lud die Geschäftsführer mehrfach zu Informations- und Diskussionsveranstaltungen ein. Er erläuterte die Notwendigkeit und die Details des Programms und diskutierte dies intensiv mit den Teilnehmern. 26 Frank Gießelmann und Martina Neuhäuser uvk-lucius.de/ fuehren Um gegenüber Führungskräften, Belegschaft und Betriebsrat einheitlich auftreten zu können, wurden Argumentationshilfen zur Verfügung gestellt; diese waren verbindlich zu nutzen. Der neue Führungsbegriff wurde den Führungskräften in zwei mehrtägigen, verbindlichen Change-Workshops nahe gebracht, auch Handlungskompetenz wurde hier intensiv trainiert. In der Zielvereinbarung für Geschäftsführer und Leitende Angestellte, die auch die Höhe der variablen Vergütung steuert, wurde die Umsetzung der Maßnahmen aus SZAG 2015 zum verbindlichen Bestandteil gemacht. Die konzernweiten Förderprogramme für Führungskräfte und Experten wurden um Inhalte zu den Themen Innovationsfähigkeit und -bereitschaft, Leistungsorientierung und Kreativität ergänzt. Führungskräfteveranstaltungen haben nunmehr Workshop-Charakter mit der Möglichkeit, offene Fragen und Themenstellungen mit Vorstand und Konzerngeschäftsleitung in kleinen Gruppen zu diskutieren. Die Initiativen zur Umsetzung des Leitbildes wurden und werden genutzt, um die Führungskräfte zu adressieren und in die Verantwortung zu nehmen: Vom Bewahrer zum Motor der Veränderung ist hier das Motto. Um das Leitbild im gesamten Konzern bekannt zu machen und mit Leben zu füllen, steht seit 2014 jedes Jahr einer der sechs Werte besonders im Mittelpunkt, der „Wert des Jahres“. Zugehörige Initiativen widmen diesem Wert des Jahres besondere Aufmerksamkeit, sie machen ihn konzernweit erlebbar. Passend zum ersten Wert des Jahres „Innovation“ entstand die Initiative „Meine Idee“: Es wurde ein Ideenwettbewerb ins Leben gerufen, in dem die Führungskräfte für die Bewertung der Ideen verantwortlich waren und ebenso selbst einen Beitrag leisten konnten. Dass es im Salzgitter Konzern eine Vielzahl guter Ideen gab, war unzweifelhaft. Exakt 3.933 Ideen fanden Eingang in den Wettbewerb. Ein Meilenstein zu innovativer Veränderung im Konzern war gelegt. WerteSchöpfer: Der Verschwendung auf der Spur Im folgenden Aktionsjahr zum Wert des Jahres 2015/ 2016 »Nachhaltigkeit« haben sich alle Konzerngesellschaften zum Ziel gesetzt, gemeinsam den großen und kleinen Verschwendungen im Salzgitter-Konzern auf die Spur zu kommen. Dafür sind die Führungskräfte aufgefordert, konzernweit Team-Maßnahmen ins Leben zu rufen, mit denen gemeinsam Potenziale für nachhaltigeres Wirtschaften gesucht und ausgeschöpft werden. Die verantwortlichen Führungskräfte, vom Meister bis zum Leitenden Angestellten, werden erstmals konzernweit verbindlich in die Pflicht genommen, den Erfolg der Initiative durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen. Haben wir unsere Ziele zum neuen Führungsbegriff erreicht? Im Detail angestrebt wurde eine Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Führungskräfte durch Information, Dialog und Kompetenzaufbau. Alle Führungskräfte sollten „eine Sprache sprechen“, ein einheitliches und abgestimmtes Vorgehen im Konzern implementieren. Jede Führungskraft sollte sich ihres Commitments bewusst sein, ebenso wie ihrer Rolle in den verschiedenen Phasen des Veränderungsprozesses. Die Rolle der Führungskräfte im Reorganisationsprogramm SZAG 2015 27 Wie oben beschrieben, hat die Salzgitter AG viele Ressourcen in die Führungskräfteentwicklung nach modernen Prinzipien investiert. Die daraus erforderliche Handlungskompetenz wurde bis zum Beginn des Veränderungsprozesses jedoch nicht unbedingt nachhaltig eingefordert und abgefragt. Die Notwendigkeit der Umsetzung der Inhalte und Maßnahmen aus dem Restrukturierungsprogramm SZAG 2015 hat deutlich gemacht, dass die Führungskräfte hier großen Unterstützungsbedarf hatten. Dieser bezog sich zum einen auf gezielte Information und Kommunikation, zum anderen auf die konkreten Anforderungen an sie selbst, an ihre Rolle als Treiber des Prozesses und Vorbild für die Umsetzung anstehender Veränderungen gegenüber ihren Mitarbeitern und Teams. Die zweiphasigen Change-Workshops haben dazu einen wertvollen Beitrag geleistet. Sie lieferten in einer Phase von Unsicherheit die fehlende Orientierung bei gleichzeitiger Einforderung aktiven Handelns. Für viele Führungskräfte war dies neu. Rückblickend kann daher kritisch angemerkt werden, dass wir in einer vergleichbaren Situation zukünftig der angemessenen Kommunikation des Prozesses eine größere Bedeutung beimessen würden, ebenso wie der großen Anforderung an die Führungskräfte in einer Rolle mit deutlich geändertem Anforderungsprofil. Nicht unterschätzt werden darf in Prozessen wie diesem die Herausforderung bei Führungskräften als auch Mitarbeitern, die angestammte Komfortzone zu verlassen und sich neuen Aufgaben zu stellen und den Veränderungen darüber hinaus positiv zu begegnen. Die vielfältigen, unterschiedlichen Maßnahmen haben dazu gute und wertvolle Akzente gesetzt. Für uns gilt es, gerade dieses Thema dauerhaft in unserer Unternehmenskultur zu verankern, denn die Salzgitter AG befindet sich zweifelsfrei in einer der spannendsten Phasen ihrer langen Geschichte: Veränderungsbereitschaft und Führungskompetenz sind dabei für uns außerordentlich entscheidende Themen. Einen Ausblick auf die Entwicklung seit dem Anstoß des Prozesses wird die Zukunft bieten können - Change Management zum Anfassen, sozusagen. Autor-Kurzprofile Martina Neuhäuser arbeitet seit mehr als 15 Jahren in Führungspositionen im Personalbereich, zunächst bei der Techniker Krankenkasse Hamburg, anschließend bei der Salzgitter AG. Seit 2012 ist sie Leiterin Führungskräfte und Prokuristin der Salzgitter AG und zeichnet u.a. für die nationale und internationale Führungskräfteentwicklung, das Personalmarketing sowie Compensations & Benefits verantwortlich. Frank Gießelmann ist seit 2005 Referent in der Salzgitter Flachstahl GmbH sowie der Holding der Salzgitter AG. In seiner aktuellen Funktion als Senior Referent der Abt. Führungskräfte liegt sein Aufgabenschwerpunkt in der nationalen und internationalen Personalentwicklung sowie in der Organisationsentwicklung, insbesondere im Leitbild-Prozess. uvk-lucius.de/ fuehren Kapitel 2 Personalistische Führungsansätze „Führung ist ein multifaktorielles Geschehen, zu dessen Verständnis bei jedem dieser Faktoren (Führer, Geführte, Aufgaben, Organisation, Umwelt etc.) angesetzt werden kann. Um komplexe Zusammenhänge angemessen verarbeiten zu können, bietet sich an, sie zunächst zu vereinfachen. Eine besonders große Reduktionsleistung liegt vor, wenn die Vielzahl der Bedingungsgrößen so radikal verringert wird, dass nur noch ein Faktor für eigentlich bedeutsam erklärt wird. Der klassische Eigenschaftsansatz formuliert eine solche Einseitigkeit: Es kommt vor allem anderen auf den Führer oder die Führerin an! “ „Führen und führen lassen“ (S. 47) Dies kann auf sehr unterschiedliche Art geschehen: Man kann nach der Wahrheit vorliegender realer Eigenschaften in Personen suchen, die sie in Führungskonstellationen erfolgreich oder nicht sein lassen. Das ist ein veralteter, aber in der Praxis nach wie vor beliebter Ansatz - gerade dann, wenn über Führung weniger nachgedacht als vielmehr intuitive Vorstellungen über die Natur des Menschen als Grundlage genommen werden. Andererseits können in aktuellerer Lesart im Bewusstsein, dass Eigenschaften eher Zuschreibungen von außen sind und sich häufig nur in der vorgefundenen Situation sozial konstituieren Eigenschaften als Hilfskonstrukte zur Wahrnehmung und Beurteilung von Akteuren in komplexen Zusammenhängen gesehen werden. Dann relativiert sich einerseits die Vorstellung von der absoluten Wirkung dieser Eigenschaften, es bleibt aber das Bewusstsein, dass diese Konstrukte hilfreich sind, um in komplexen Zusammenhängen handlungsfähig zu bleiben. Sie sind vorläufige Annahmen, die als Grundlage für Interpretationen und Einflussnahmen dienen können, die neben anderen Faktoren und Annahmen als relevant im Führungskontext gelten. Wir haben drei solcher Interpretationen zu Führungseigenschaften zusammengestellt, die die eigentümliche Verwebung traditioneller und moderner Vorstellungen von persönlichen Merkmalen und ihrer Relevanz in sozialen Konstellationen illustrieren. Über eine Perspektive persönlichkeitsorientierter Führungskräfteentwicklung, die Forschungsergebnisse nutzt und selbst empirisch diagnostiziert, berichten Udo Krauß und Christine Baur. Der Ansatz orientiert sich an „Talenten und Stärken“ von Führungskräften, die sich dieser bewusst werden sollen, um sie erfolgreich in ihrem Führungswirken umzusetzen. Im Prinzip wird dabei auf den Eigenschaftsansatz rekurriert, wobei eine Modifikation darin besteht, dass im klassischen Ansatz die Eigenschaften per se da sind und wirken, während hier davon ausgegangen wird, dass es sich um günstige Dispositionen handelt, die zunächst gefunden, dann ggfs. entwickelt werden müssen, um sich optimal erfolgsbezogen auszuwirken. Insofern wird auch das Problem des klassischen Eigenschaftsansatzes aufgefangen, das Untersuchungsergebnisse stört, wenn Führungskräfte mit Nicht-Führungskräften verglichen werden: In der letzten Gruppe sind auch diejenigen, die noch nicht, aber zukünftig Führungskräfte sind und durch deren bereits voll wirksamen Führungseigenschaften die beiden Untersuchungs- 30 Kapitel 2: Personalistische Führungsansätze gruppen so aneinander annähert, dass verwertbare Unterschiede verwischen. Damit findet sich hier eine typische moderne Lesart der klassischen Grundidee der Führungseigenschaften. Episodische Reaktionen von Führungskräften und Schlussfolgerungen werden berichtet. Der Beitrag von Harald Smolak zeigt einen Eigenschaftsansatz mit einer Anpassungskomponente. Persönliche Merkmale gelten im beschriebenen Unternehmen als zentrale Grundlage von Auswahl und Erfolg von Führungskräften. Auf dieser Grundlage wird für neu ins Unternehmen eintretende Führungskräfte ein Einführungsprozess ins Unternehmen konzipiert, der an diese Eigenschaften anknüpft und mit dessen Unterstützung die neuen Führungskräfte sozial an die Bedürfnisse und Gepflogenheiten des Unternehmens Anschluss finden sollen, um die erfolgsrelevanten Merkmale voll zum Tragen bringen zu können. Martin Rugart nimmt sich des Themas aus einer bemerkenswerten Perspektive heraus an: Personalistisches Führungsverständnis als Teil der Führungskräfteentwicklung. Diese lässt sich einerseits einnehmen, wenn die betrachteten persönlichen Merkmale als prinzipiell entwickelbare Kompetenzen statt als starre Eigenschaften gesehen werden. Ferner - und das ist der Punkt in dem Fallbeispiel - wenn diese Merkmale weniger als diagnostische Kategorien zur Selektion von Führungskräften als vielmehr als solche zur (Selbst-)Reflexion gesehen werden. Damit ist eine bemerkenswerte Verknüpfung klassischer und konstruktivistischer Ansätze verbunden: Im Bewusstsein dessen, dass das, was traditionell als feste Eigenschaften aufgefasst wird, eher Wahrnehmungs- und Beurteilungskategorien sind, werden die traditionellen Begriffe verwendet, um die Reflexion strukturieren zu können. Wichtig ist dabei, nicht in die traditionelle Eigenschaftsannahme zurückzufallen, sondern sich bewusst zu sein, dass damit vor allem ein Bild verwendet wird, das für viele Praktiker besser anschlussfähig ist, als in korrekter wissenschaftlicher Terminologie formulierte aktuelle Konzepte. Es wird anhand von Seminarsequenzen illustriert, wie ein solcher Ansatz umgesetzt werden kann, bevor Vorteile und Grenzen skizziert werden. Dabei wird darauf hingewiesen, dass ein so konzipierter Reflexionsansatz nicht jeder Führungskraft zugänglich ist. Insofern ist vorab zu klären, inwieweit unternehmensweite Seminare nach dieser Technik anstrebenswert sind oder ob eher die Einzelberatung, für die der Ansatz entwickelt wurde, das zu bevorzugende Setting darstellt. uvk-lucius.de/ fuehren 2.1 Wer sich kennt, kann (sich) führen von Udo Krauß und Christine Baur Die SYNK GROUP mit Standorten in Stuttgart, Berlin, Hamburg und München begleitet seit 2001 DAX-Konzzzzzerne und mittelständische Unternehmen in Leadership- und Development-Prozessen. In nationalen und internationalen Projekten haben die SYNK Berater bereits über 20.000 Führungskräfte und Mitarbeiter erfolgreich qualifiziert und begleitet. Seit vielen Jahren arbeitet die SYNK GROUP in ihren Leadership-Qualifizierungsprogrammen mit dem Ansatz der Stärkenorientierung. Basierend auf den Erkenntnissen der positiven Psychologie dient der Ansatz der Stärkenorientierung dazu, die Merkmale, Eigenschaften und Motive eines Menschen zu fördern, die ihn auszeichnen und durch die er zu überdurchschnittlichen Ergebnissen gelangen kann. Im Führungskontext bringt der Ansatz Führungskräfte in eine neue Form der Selbstreflexion und kann den Blick und die Haltung gegenüber sich selbst und seinen Mitarbeitern verändern. Damit knüpft dieses Vorgehen grundsätzlich an die „Eigenschaftstheorie der Führung”, „als Sammelbezeichnung für alle Ansätze, die der Persönlichkeit des oder der Führenden ausschlaggebende Bedeutung beimessen“, (Blessin & Wick, 2014: 49) an. Die Ausgangssituation Mithilfe einer qualitativen Studie wurden die in der Praxis erlebten Erfahrungen und Beobachtungen untersucht und es konnten weitergehende Erkenntnisse im Hinblick auf den Einsatz der Stärkenorientierung in der Führungskräfte-Entwicklung gewonnen werden. Als Fallbeispiele wurden Führungskräfte von zwei Unternehmen, die eine stärkenorientierte Führungskräfte-Entwicklungsmaßnahme durchlaufen haben, befragt und beobachtet. Fallbeispiel 1 - Terumo Deutschland: Die Besonderheit dieses Fallbeispiels liegt darin, dass die komplette Führungsmannschaft mit dem CEO Deutschland, Sales Manager, HR Manager sowie den Regionalleitern am Führungskräfte-Entwicklungsprogramm teilgenommen hat. Zudem wurden bereits relativ früh die Mitarbeiter zum Beispiel durch Kick-off-Veranstaltungen zur neuen stärkenorientierten Unternehmensaufstellung, stärkenorientierte Stellenbeschreibungen sowie in stärkenorientierte Vertriebstrainings einbezogen. Im Rahmen der „Great Place to Work Deutschland Mitarbeiterbefragung Deutschlands bester Arbeitgeber 2014“ wollte die Terumo Deutschland GmbH mit dem stärkenorientierten Führungskräfte-Entwicklungsprogramm daran anknüpfen, die Beziehung zwischen Mitarbeitern und Führungskräften, Beziehung zwischen Mitarbeitern und ihrer persönlichen Arbeit wie auch ihrem Unternehmen insgesamt zu stärken. 32 Udo Krauß und Christine Baur uvk-lucius.de/ fuehren Fallbeispiel 2 - BWM Group: Mit der Strategie „Number ONE“ richtet sich die BMW Group auf ein verändertes Umfeld aus - technologisch, strukturell und kulturell. Teil dieses Programms ist auch ein die gesamte BMW Group umfassendes einheitliches Verständnis von Führung und der Notwendigkeit einer nachhaltigen Führungskräfteentwicklung. Den Ausgangspunkt bildet dabei das Management Haus der BMW Group mit seinen Säulen Managing Business, Leading People und Leading Yourself. Es fußt auf 12 Grundüberzeugungen, die dem gemeinsamen Grund- und Werteverständnis der Organisation entsprechen. Auch hier bildet die Stärkenorientierung die Basis und zieht sich als Grundhaltung durch das Programm. Die Besonderheit dieses Fallbeispiels liegt darin, dass neben den Interviews der Teilnehmer zum Start des Entwicklungsprogramms auch Ex-post-Interviews integriert wurden und Teamrunden vor Ort beobachtet, Mitarbeiter der Führungskräfte interviewt sowie Führungskräfte der Teilnehmer interviewt worden sind. Im Rahmen der von Juni 2014 bis Februar 2015 durchgeführten qualitativen Fallstudien haben insgesamt 49 telefonische und persönliche Tiefeninterviews in zwei Befragungsrunden in Deutsch und Englisch stattgefunden. Über einen vorstrukturierten Interviewleitfaden mit 15 offenen Fragen wurden Führungskräfte zum Stärkenfokus und zur Effektivität in ihrer Führung befragt. Alle Interviews wurden auditiv aufgezeichnet, transkribiert und codiert. Die Besonderheit der SYNK-Studie liegt darin, dass die Aussagen mit den Antworten der jeweiligen Mitarbeiter und Vorgesetzten verglichen wurden, sie sich insgesamt über einen Zeitraum von neun Monaten erstreckte und zudem am Arbeitsplatz der Führungskräfte Beobachtungen durchgeführt wurden. Das Ziel der Studie war es, den jeweiligen Führungskontext zu verstehen und somit die Komplexität der untersuchten Fallbeispiele zu betrachten. Hier genau steckt auch die Limitierung für eine mögliche Abstraktion oder Generalisierung in andere Führungskontexte. Hinsichtlich des Lerntransfers ist zu bedenken, dass die Teilnehmer der Studie freiwillig teilgenommen haben. Es kann also davon ausgegangen werden, dass es sich hier um Führungskräfte handelte, die eine hohe intrinsische Motivation aufwiesen, um das im Führungskräfte-Entwicklungsprogramm Erlernte auch in ihren Alltag zu transferieren. Die Hypothesen der Studie [1] Die Identifikation individueller Stärken durch Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion wird einen positiven Einfluss auf die Selbstwirksamkeit, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten der Führungskräfte, haben. [2] Die Integration von Stärken und die Wahrnehmung eigener Schwächen in wichtigen Führungssituationen werden Führungskräften helfen, in einer effektiven und effizienten Art und Weise zu agieren. [3] Ein geändertes Führungsverhalten durch das Nutzen eigener Stärken wird den Führungskräften helfen, ihr neues Verständnis auf ihre Mitarbeiter zu transferieren. [4] Durch die persönliche Weiterentwicklung wird sich eine positive Wirkung auf die Wer sich kennt, kann (sich) führen 33 uvk-lucius.de/ fuehren Effektivität in der Führung zur Erreichung der Unternehmensziele einstellen. [5] Eine stärkenorientierte Unternehmenskultur wird sich entwickeln. Der Ansatz der Stärkenorientierung in der Führungskräfte-Entwicklung Der Ansatz der Stärkenorientierung setzt auf das Identifizieren und Reflektieren der eigenen Talente und Stärken. Dies gelingt mithilfe von Testverfahren, die anhand von Fragebögen die Führungskraft mit verschiedenen Handlungsfeldern und Situationen konfrontieren, die diese in kurzer Zeit intuitiv für sich einschätzen soll. Abgeleitet aus Konzepten der Positiven Psychologie können daraus Talente und Stärken der Führungskraft identifiziert werden. Die Arbeit mit dem Ansatz der Stärkenorientierung knüpft an die Vorstellung an, dass jede Person eine individuelle „charakteristische Komposition aus Grundeigenschaften“ - hier als Talent und Stärken bezeichnet - besitzt (Blessin & Wick, 2014: 50). In diesem Verfahren liegt keine Definition einer idealen Kombination an Stärken für eine Führungskraft und es ist damit auch kein Idealtypus für eine Führungskraft ableitbar. Dies entspricht den Erkenntnissen der personalistischen Führungstheorie, die „keine hohe Korrelation zwischen sogenannten Führungs-Eigenschaften und Führungsbzw. Nicht-Führungspersonen herstellen“ kann (Blessin & Wick, 2014: 65). Peterson und Seligman (2004) identifizieren 24 Charakterstärken, die sich in die sechs folgenden Tugenden eingruppieren lassen: Weisheit und Wissen: Neugier, Lernen, Kritisches Denken, Kreativität, Weitsicht; Mut: Tapferkeit, Ausdauer, Authentizität, Tatendrang; Menschlichkeit: Bindungsfähigkeit, Großzügigkeit, soziale Intelligenz; Gerechtigkeit: Teamfähigkeit, Fairness, Führungsvermögen; Mäßigung: Vergebungsbereitschaft, Demut, Selbstregulation, Vorsicht; Transzendenz: Exzellenz, Dankbarkeit, Optimismus, Humor, Glaube. Mit dem Einsatz der einzelnen Charakterstärken könnten die Tugenden gelebt werden. Dies führe zu mehr Wohlbefinden, positiven Erfahrungen am Arbeitsplatz und persönlichem Wachstum. Der Clifton StrengthsFinder (Clifton & Harter 2003, Rath 2007) identifiziert 34 Talente, die in die folgenden vier thematischen Säulen gruppiert sind: Einfluss, Durchführung, Beziehungen und strategisches Denken. Werden die Talente mit den passenden Aufgaben zusammen gebracht, sprechen die Autoren von Stärken. Der Clifton StrengthsFinder basiert auf einem semi-strukturierten Onlinefragebogen mit hoher Reliabilität und Validität (Asplund et al. 2007). Rath (2007), Rath und Conchie (2008) behaupten, dass konstante hohe Arbeitsleistung dann erbracht werden könne, wenn mehr in die Stärken jedes Einzelnen investiert werden würde. Die Verwendung solcher Testverfahren ist nicht zwingend notwendig. Der Zugang zu den eigenen Stärken und Talenten kann auch über eine intensive Reflexion der Tätigkeiten, die besonders leicht fallen und kraftspendend sind, erschlossen werden. Der Vorteil der Testverfahren ist der Erwerb einer definierten Ausdrucksmöglichkeit, eines Alphabets der Stärken und Talente. Gleichzeitig besteht die Gefahr der Schematisierung. Dies wird allerdings durch einen reflexiven Umgang mit dem Wert und Nutzen der Talente und der intensiven Profilerstellung relativiert. 34 Udo Krauß und Christine Baur uvk-lucius.de/ fuehren und Kollegen haben den Begriff PsyCap für Psychologisches Kapital mit den Kapazitäten Widerstandskraft, Optimismus, Selbstwirksamkeit und Hoffnung geprägt (Luthans et al. 2006, Luthans et al. 2007). Diese Kapazitäten sind modifizierbar und für die Herausforderungen der heutigen Zeit wie Schnelligkeit und Flexibilität entwickelbar. Des Weiteren ist der Zusammenhang zwischen PsyCap und individuellem Leistungsvermögen gut erforscht (Chemers et al. 2000, Luthans et al. 2001). Bandura & Locke (2003) verbinden Selbstwirksamkeit und das Erreichen persönlicher Ziele mit Effektivität. Entsprechend Riggio (2008) kann der stärkenorientierte Ansatz angewendet werden, um zum einen individuelle Bedürfnisse zu berücksichtigen und zum anderen effektive Führungsfähigkeiten im Allgemeinen zu entwickeln. Dies kann sich positiv auf das PsyCap auswirken. Die SYNK GROUP knüpft an diese These aus Überzeugung an und nutzt die Ergebnisse als Startpunkt und Hypothese für die maßgeschneiderte Konzeption stärkenorientierter Entwicklungsprogramme. Nachdem eine Führungskraft ihre Talente mithilfe der Testverfahren verbalisieren kann, setzt sie sich intensiv mit Zusammenhängen und Möglichkeiten auseinander, die sie durch ihre Talentkombination hat. Es wird beleuchtet, wie diese Talente zusammenhängen können, wie diese gemeinsam aktiviert werden und wie diese gewinnbringend in der aktuellen Rolle genutzt werden können. Die Entwicklungsmaßnahme wird damit der Forderung gerecht, dass „vielmehr Strukturen und Profile ermittelt“ werden müssten, da je nach „Einbettung der Eigenschaften“ diese etwas anderes bedeuten (Blessin & Wick, 2014: 54). Das stärkenorientierte Entwicklungsprogramm erstreckt sich über einen Zeitraum von 9 Monaten, findet in 3 Präsenzblöcken à 2 (3) Tagen statt, startet mit einem Stärkentest zur Standortbestimmung, baut auf existierenden Führungsstandards auf, beinhaltet die Herausforderungen des aktuellen Unternehmenskontextes, arbeitet mit Führungskräften, die bereits in Funktion sind und beinhaltet eine telefonische und digitale Begleitung zwischen den Modulen. Aussagen der Führungskräfte und Erkenntnisse In Hinblick auf die Förderung der eigenen Selbstreflexion als Führungskraft geben folgende Aussagen der Führungskräfte von Terumo und BMW einen Überblick. Die Aussagen der im Englischen geführten Interviews wurden nicht ins Deutsche übersetzt, damit die Originalaussagen erhalten bleiben. „Viele Dinge sind mir bewusster geworden, über die man sonst vielleicht hinwegsieht oder die man als selbstverständlich erachtet.“ „So I would say they have a more conscious behavior I would say.” „Eine andere Sichtweise einnehmen, sich selbst zu reflektieren, sich selbst besinnen auf die Talente oder Stärken, die man hat.“ „Nicht mehr darüber nachzudenken, wie man seine Schwächen wegbringt oder vertuscht. Einfach ehrlich sein, offen sein. Auch eingestehen, dass man Sachen nicht kann.“ Wer sich kennt, kann (sich) führen 35 uvk-lucius.de/ fuehren „But it takes much more time and in-depth thoughts to identify what is great, what is excellent.” „But it's easier to take sometimes the break-in to reflect, take the helicopter view and to re-mirror somehow the situation and then to focus on different things.” „To think about it, so to build it up I think it's very useful so.” „I also try to reflect and try to find out what was good, what was not so good. Then I try to compare it with the things I have heard on the workshop.” „Ja, man denkt eben daran in der täglichen Führungsaufgabe. Man beobachtet sich ganz anders oder viel besser. Man sieht sich selbst anders. Seine eigenen Reaktionen oder seine eigenen Verhaltensweisen kann man viel besser einordnen.“ „Sich dessen bewusst zu sein, bei dem einen oder anderen Thema auch mal zurücknehmen und den Mitarbeiter mehr machen lassen.“ Aus vielen Aussagen konnte abgeleitet werden, dass mit dem stärkenorientierten Ansatz die Selbstreflexion der Teilnehmer erleichtert und vertieft wird. Die Führungskräfte erhalten einen Reflexionsrahmen, der die Wahrnehmung schärft, andere Perspektiven einnehmen lässt, qualitativ hochwertig ist und den Transfer im Blick hat. Der Ansatz der Stärkenorientierung wird grundsätzlich positiv bewertet. „Es ist ein guter Ansatz, den Fokus auf die Stärken zu legen, sozusagen auf diesen positiven Ansatz bei den Menschen zu achten.“ „Man gewinnt mehr positive Gedanken.“ „Mitarbeitern nicht Verhaltensänderungen aufpressen oder aufzwingen, zu denen sie gar nicht innerlich stehen.“ „Zum stärkenorientierten Führen war für mich auch interessant mich in Kategorien einzuordnen. Dadurch bekomme ich eine Orientierung , woran ich mich halten kann.“ „By times so most in general a more positive view, more solution oriented and the possibility oriented rather than thinking.“ Allerdings werden auch seine Grenzen dargestellt: „...schwierig wird's tatsächlich in solchen Themen, wie z.B. in einem Konfliktgespräch mit einem Mitarbeiter oder einem Budgetgespräch. Hier kann ich mir schlecht vorstellen, wie der strengths-based approach funktionieren soll ...“. Kritik am stärkenorientierten Ansatz wird insbesondere beim Nutzen im Umgang mit schnellen Veränderungen laut: „... die Konzentration auf Stärken ist nicht besser geeignet, eine schnellere Geschwindigkeit in der Zielerreichung , in der kulturellen wirtschaftlichen Entwicklung von Organisation zu finden als der klassische Stärken-Schwächen Ansatz ...“. „... wenn ich an eine unerfreuliche Situation denke, dann wüsste ich nicht, wie ich mit diesem Ansatz jetzt die Situation besser hätte meistern können ...“. Diese Einwände machen es notwendig, die kontextabhängige Effektivität in der Führung näher zu betrachten. Effektivität wird von einem Teilnehmer beispielsweise wie folgt definiert: „I can also get the same information to everyone in a short period of time, so it's very efficient. But if I know that some people do not have the strengths to adapt very good to new situations for example I should pick up the phone and call them individually to give them a better understanding , to give them the chance to ask some questions and to give them a better feeling about the new situation. This is effective.“ Effektivität ist demnach von den im Folgenden dargestellten Elementen abhängig: 36 Udo Krauß und Christine Baur uvk-lucius.de/ fuehren Darstellung von Effektivität im Kontext, SYNK GROUP 2015. Der Nutzen der Effektivität kann aus insgesamt 49 Beobachtungspunkten wie folgt nach Kategorien geclustert werden. Dabei bildet die Reihenfolge die Häufigkeit der Nennungen ab. Nutzen der Effektivität Typische Antworten Nennungen n = 49 Veredelung „Umso größer ist die Chance, Dinge noch besser zu machen.“ „Das heißt, es werden noch ein paar Prozente rausgekitzelt, auf die ich mich zukünftig noch stärker fokussieren werde.“ 15 ökonomisches Wachstum „Ein Großteil des wirtschaftlichen Wachstums.“ „Um dieses Persönlichkeits- und unternehmerische Wachstum zu generieren.“ „Um mich stärker noch mit den Zielen des Unternehmens, mit dem Weg der Erreichung dieser Ziele in dem entsprechenden Rahmen auseinanderzusetzen - durch den Einsatz meiner Stärken und die meiner Mitarbeiter.“ 9 Höchstleistung „Aufgrund meiner Erfahrung ist es essentiell, um neue High Performance Dienste aufzubauen, dass man sich auf die Talente, auf die Stärken konzentriert, diese nutzt und konsequent ausbaut.“ „Um über und mit Menschen Höchstleistungen zu generieren und parallel dazu Freude und Spaß an der Arbeit zu haben.“ 7 Qualität „High quality products.” „Yeah, to achieve and this is to be successful and to give a very good quality.” 6 Wissen „Then you know I think this company is slowly learning one of the best assets the company has is actually its knowledge base.” 6 Wettbewerbsvorteil „Unternehmenskultur habe ich bisher immer als einen riesengroßen Wettbewerbsvorteil empfunden.“ „Wettbewerbsdruck: Strategien müssen einfach viel schneller ankommen und in die Umsetzung gelangen als das noch vor zehn Jahren der Fall war.“ 4 Nachhaltigkeit „If there‘s a problem, we talk to the engineering team. We talk to designing team. We talk to people at all different levels. So, I would say that what we do is very keen in terms of introducing sustainable jobs in plant.” 2 Wer sich kennt, kann (sich) führen 37 uvk-lucius.de/ fuehren Ergebnisse und Herausforderungen Im Hinblick auf die Kenntnis und Reflexion der eigenen Stärken als Führungskraft prägt die Studie die metaphorische Ableitung von „Heimspiel“ und „Auswärtsspiel“ in der Führungsarbeit. Nur wenn auf beiden Plätzen die Führungskraft sicher und erfolgsversprechend auftritt, kann die Meisterschaft im bildlichen Sinne erreicht werden. Wenn die Führungskraft sich darüber klar ist, worin sie exzellent ist und dieses Wissen situationsbezogen anwenden kann, so kann dies als „Heimspiel“ verstanden werden. Durch das Bewusstsein der eigenen Staärken, der eigenen Wirkung und der Einzigartigkeit wird das Psychologische Kapital (PsyCap) gestärkt. In den Teilnehmeräußerungen wird dieser Zustand in folgenden Aussagen deutlich: „Ja. Ja. Natürlich, weil viele Dinge bewusster geworden sind, die man sonst als selbstverständlich erachtet.“ „Ja, man denkt eben daran in der täglichen Führungsaufgabe. Man beobachtet sich ganz anders oder viel besser. Man sieht sich ganz anders, man kann das, was man gehört hat, viel besser einschätzen.“ „Ich kann mir vorstellen, dass dieser Ansatz viel stärker hilft, Herausforderungen anzunehmen und Entscheidungen zu treffen.“ In der Ex-post-Betrachtung sowie in der Analyse des Datenmaterials wird deutlich, was „Auswärtsspiele“ sein können. Was hilft, wenn eine Führungskraft mit ausgeprägten beziehungsorientierten Stärken analytische Tätigkeiten wahrnehmen sollte? Hier sind effektive „Auswärtsspiele“ gefragt. Die richtige Strategie, um als Führungskraft die gesteckten Ziele zu erreichen. Das Spielen auf anderen Plätzen, sich auf andere Begebenheiten einstellen, mit der Nicht-Vorhersehbarkeit umgehen, das kennzeichnet bei „Auswärtsspielen“ eine erfolgreiche Führungskraft. Je nach eigenen Stärken, individuellem Führungskontext und davon abgeleiteter Effektivität in der Führung beschreiben Führungskräfte ihr „Auswärtsspiel“. Beispielsweise sagt eine Führungskraft, dass sie stark in der eigenen Einflussnahme und im Durchsetzen der Themen sei, beschreibt aber gleichzeitig, dass sie gelernt habe, sich an der ein oder anderen Stelle etwas zurückzunehmen: „I’m less directive.“ Eine Führungskraft, die ausgeprägte Stärken im strategischen Denken hat und gerne faktenorientiert agiert, beschreibt für effektives Führungsverhalten die personalen Aspekte als unerlässlich: „I was looking to act different in the future and that for example is a relator strength which leads into more personal and individual talks.“ Und eine Führungskraft, für die die Berücksichtigung individueller Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter im Vordergrund steht, spricht nach mehrmals erfolglos durchgeführten Einzelgesprächen die Unpünktlichkeit eines Mitarbeiters in der Teamrunde an: „Das hätte ich vorher vielleicht nicht gemacht. Ich hätte wahrscheinlich noch das fünfte Gesprach mit meinem Mitarbeiter gesucht. Jetzt sagte mir meine Intuition: Schluss! Ich habe die Unpünktlichkeit des Kollegen vor versammelter Mannschaft angesprochen. Das war nicht einfach, aber im Nachhinein der richtige Weg.“ 38 Udo Krauß und Christine Baur uvk-lucius.de/ fuehren Förderliche Rahmenbedingungen für stärkenorientierte Führungskräfte-Entwicklungsprogramme; SYNK GROUP 2015. Fazit und Ausblick I. Stärkenorientierung ermöglicht und vertieft Selbstreflexion Durch die kompromisslose Fokussierung auf eigene Stärken wird die Selbstwahrnehmung, Selbstreflexion und Selbstwirksamkeit gestärkt. Führungskräfte haben Freude daran, sich im aktuellen Führungskontext mit sich selbst auseinanderzusetzen. Dies ist eine unabdingbare Voraussetzung für Führungskräfte, um Mitarbeiter zeitgemäß führen zu können. II. Stärkenorientierung ist Krisenmanagement Stärkenorientierung bringt gerade in Führungssituationen, die anspruchsvoll und herausfordernd sind, die notwendige Orientierung. Fokussierung auf eigene Stärken bringt Stabilität in das Führungsverhalten und schafft Orientierung. Gerade in Zeiten des Wandels greift der Ansatz der stärkenorientierten Führungskräfteentwicklung. III. Stärkenorientierung erweitert das Führungsrepertoire Im Wesentlichen ist zu erkennen, dass es nicht ein Entweder-Oder gibt. Vielmehr setzen Führungskräfte in herausfordernden Führungssituationen auch bewusst auf Kompetenzen und Verhaltensweisen, die nicht zu ihren Stärken zählen. Die Komfortzone wird erweitert und die Effektivität in der Führung gesteigert. IV. Selbstwirksamkeit fördert Effektivität Da in den Programmen die Führungskräfte der Teilnehmer wie auch die Mitarbeiter nicht anwesend sind, kann nicht auf andere verwiesen werden. Effektivität in der Führung kann dadurch gesteigert werden, dass Stärken gestärkt werden und die Teilnehmer ihren eigenen Beitrag kennen und diesen umsetzen. Stärkenorientierung erzeugt eine positive Wechselwirkung auf die Mitarbeiterführung. Wer sich kennt, kann (sich) führen 39 uvk-lucius.de/ fuehren V. Stärkenorientierung fördert langfristig Kulturentwicklung Gerade wenn alle Führungskräfte an der stärkenorientierten Führungskräfteentwicklung beteiligt sind, führt das zu einem positiven Beitrag im Rahmen der Kultur- und Organisationsentwicklung. Ein einheitliches Führungsverständnis über einen langfristigen Zeitraum ist unabdingbar für den Transfer und führt schließlich zur jeweils unternehmensspezifischen stärkenorientierten Kulturentwicklung. Die Studie zeigt, dass sowohl eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den eigenen Stärken und deren Implikationen auf den eigenen Handlungsspielraum als Führungskraft als auch die Konfrontation mit dem Fremden, dem „Auswärtsspiel“ die Effektivität von Führung steigern können. Aus der Studie wurde eine Trainingsmethode abgeleitet: das SYNK Stärkenmischpult. Es bringt die Führungskraft in die Anwendung seines Stärkenprofils auf die aktuelle Führungssituation: Dieser Prozess wird mittels eines Arbeitsblattes initiiert: Beschreiben Sie Ihre aktuelle Führungssituation: Was wäre für Sie ein gutes Ergebnis? Welche zwei Stärken sollten Sie voll ausspielen? I. II. Welche TOP-Stärken sollten Sie zurückfahren? III. IV. Ihr Auswärtsspiel für diese Führungssituation: V. DURCHLAUF 1: Trainieren Sie jetzt bitte in einer 3er-Runde die aktuelle Führungssituation. Lassen Sie sich bitte Feedback geben, ob Ihr Mischpult richtig eingestellt war. Stellen Sie Ihr Mischpult nach dem Durchlauf 1 passend ein. DURCHLAUF 2: Erneute Simulation in der 3er-Runde auf Basis Ihres Feedbacks. Holen Sie sich ein Feedback ein, was Ihnen gut gelungen ist. Umsetzung in meiner Führungspraxis: Wann? Wie belohne ich mich, wenn es gut gelungen ist? Um die Maßnahme zu erläutern, wird die Metapher eines „Mischpults“ verwendet. Ein Mischpult dient in der Tontechnik der Zusammenführung verschiedener Signale, damit ein Musikstück hörenswert ist und seine individuelle Note bekommt. Überträgt man dieses Bild auf die Anwendung des Ansatzes der Stärkenorientierung in Führungssituationen, könnte jede Führungssituation eine individuelle Note erhalten in Abhängigkeit von der Situation, der Führungskraft und den beteiligten Mitarbeitern. Mischt die Führungskraft jedoch nur ihre TOP-Stärken mit in das Führungsverhalten, können Wohlbefinden, Sicherheit und Freude erreicht werden. Das mag für einfache Führungssituationen ausreichend sein. Wie ist es aber mit komplizierten oder gar komplexen Führungssituationen? Es wird 40 Udo Krauß und Christine Baur Auswärtsspiele in der täglichen Führungsarbeit geben, die Führungskräfte dazu anregen, ihr Handlungsrepertoire zu erweitern. Die Führungskraft verlässt ihre Komfortzone durch das Beimischen weiterer Handlungen, die nicht zu den persönlichen Stärken zählen. Das kann je nach Führungssituation zu mehr Effektivität in der Führung führen. Verweise und Literatur Asplund, J., S. J. Lopez, T. Hodges & J. Harter (2007). „The Clifton StrengthsFinder® 2.0 Technical Report: Development and Validation.“ The Gallup Organization, Princeton, NJ. Blessin, B. & Wick, A. (2014). Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK. Chemers, M. M., C. B. Watson & S. T. May (2000). „Dispositional affect and leadership effectiveness: A comparison of self-esteem, optimism, and efficacy.“ Personality and Social Psychology Bulletin 26(3): 267-277. Clifton, D. O. & J. K. Harter (2003). „Investing in strengths.“ Positive organizational scholarship: 111-121. Krauß, U. (2015). SYNK Studie Stärken entwickeln - Effektivität in der Führung steigern, University of Gloucestershire (GB). Luthans, F., K. W. Luthans, R. M. Hodgetts & B. C. Luthans (2001). „Positive approach to leadership (PAL) implications for today's organizations.“ Journal of Leadership & Organizational Studies 8(2): 3-20. Luthans, F., J. B. Avey, B. J. Avolio, S. M. Norman & G. M. Combs (2006). „Psychological capital development: toward a micro intervention.“ Journal of Organizational Behavior 27(3): 387-393. Luthans, F., B. J. Avolio, J. B. Avey & S. M. Norman (2007). „Positive psychological capital: Measurement and relationship with performance and satisfaction.“ Personnel Psychology 60(3): 541-572. Peterson, C. & M. E. P. Seligman (2004). Character strengths and virtues: A handbook and classification, Oxford University Press, USA. Rath, T. (2007). Strengths Finder 2.0, Gallup Press New York, NY. Rath, T. & B. Conchie (2008). Strengths based leadership: Great leaders, great teams, and why people follow, New York: Gallup Press. Riggio, R. E. (2008). „Leadership development: The current state and future expectations.“ Consulting Psychology Journal: Practice and Research; Consulting Psychology Journal: Practice and Research 60(4): 383. Autor-Kurzprofile Udo Krauß ist Dipl.-Betriebswirt und seit 15 Jahren geschäftsführender Gesellschafter der SYNK GROUP GmbH & Co. KG. Sein Schwerpunkt liegt auf der Geschäftsprozessoptimierung, dem Qualitätsmanagement und der Vertriebsorganisation. Vor Gründung der SYNK GROUP war er über 10 Jahre in leitender Funktion im Dienstleistungsbereich tätig. Christine Baur, MBA Communication & Leadership/ M.A., leitet seit 2013 die Kommunikation der SYNK GROUP und der SYNK Business School. Zuvor war sie in der politischen Kommunikation als Referentin im Deutschen Bundestag tätig. uvk-lucius.de/ fuehren 2.2 Onboarding von Führungskräften bei Atreus Interim Management von Harald Smolak Unternehmenssituation Atreus Interim Management ist Marktführer im Personaldienstleistungsbereich für interimistische Managementbesetzungen in schwierigen Unternehmenssituationen. Seit der Gründung im Jahr 2006 ist Atreus mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 40% deutlich schneller gewachsen als der Markt. Unter den 45 Mitarbeitern befinden sich 15 Direktoren, die für die Akquisition und Geschäftsentwicklung des Unternehmens verantwortlich sind. Derzeit generiert Atreus einen Jahresumsatz von 35 Mio. Euro, welcher bis 2020 auf 100 Mio. Euro wachsen soll. Um in dieser Größenordnung zu wachsen, sind jährlich fünf bis sieben neue Direktoren für das Unternehmen zu gewinnen. Daraus ergeben sich drei wesentliche Herausforderungen. [1] Finden der passenden Direktoren [2] Intensive Einarbeitung durch einen professionellen „Onboarding-Prozess“ [3] Langfristige Bindung exzellenter Führungskräfte an das Unternehmen Als Marktführer für die Besetzung von Top-Führungskräften auf Zeit ist der Anspruch an hochqualifizierte Mitarbeiter bei Atreus sehr hoch. Der Auswahlprozess umfasst mehrere qualifizierte Einzel- und Gruppeninterviews, eine Managementpräsentation und eine Personaldiagnostik als flankierende Maßnahme. Gesucht werden charismatische Führungspersönlichkeiten, die nach Trucker (1968) gekennzeichnet sind durch: visionäres Denken und Zukunftsorientierung, rhetorische und kommunikative Begabung, Sendungsbewusstsein, Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein, Intelligenz, hohe Erwartungen an die Geführten. Darüber hinaus sind für den Erfolg neuer Direktoren akquisitorische Fähigkeiten und fundiertes Branchen-Know-how in den gängigen Industrien erforderlich. Ist der ideale Kollege gefunden, haben sowohl er als auch das Unternehmen großes Interesse daran, möglichst schnell in der neuen Aufgabe zu reüssieren. Ein professionelles Onboarding für neue Vertriebsdirektoren unterstützt eine zügige Einarbeitung. Dabei geht es Atreus nicht nur um eine intensive Einarbeitung im Sinne von spezifischen Prozessabläufen, sondern um das „Learning by doing“ durch erfahrene Kollegen. Diese üben eine Funktion als Mentor aus und bieten neuen Mitarbeitern durch regelmäßige Treffen oder gemeinsame Kundenbesuche eine Möglichkeit des fachlichen Austausches an. Der HR-Verantwortliche prüft diesen Prozess regelmäßig hinsichtlich seiner Effizienz und passt ihn bei Bedarf an. Seit 2014 wurde der Prozess erweitert. 42 Harald Smolak uvk-lucius.de/ fuehren Während der Fokus in der Vergangenheit auf der Fachkompetenz lag, hat sich das Onboarding seither in Richtung der Förderung von sozialen Stärken neuer Kollegen erweitert. Ziel dieser Neuausrichtung ist eine wertschätzende Einarbeitung von Leistungsträgern mit großer Erfolgserwartung und gleichzeitig hohem Wohlbefinden der neuen Kollegen. Onboarding durch die Unterstützung eines Mentors Wie gelingt der Spagat zwischen Erfolgsdruck und Wohlbefinden in der Anfangsphase einer neuen Aufgabe? Wie bereits erwähnt, wird jedem neuen Direktor ein Mentor für die Einarbeitung zugeordnet. Sie haben die Aufgabe den neuen Kollegen mit Rat und Tat durch ihre Erfahrung in ihrer neuen Funktion als Akquisiteur zu unterstützen und seine Lernkurve zu verkürzen. Erfahrene Kollegen, die ihr Geschäft in dieser Branche seit vielen Jahren erfolgreich aufgebaut haben, neigen jedoch häufig zu der Annahme, ihr Weg zum Erfolg sei der einzig richtige und ein neuer Kollege könne nur mit exakt der gleichen Herangehensweise ebenso erfolgreich werden. Je nach Reaktion eines Mentees gegenüber einer derartigen Haltung fühlt sich die Führungskraft in ihrer Mentorenrolle bestätigt oder bedroht. Die Führungskräfte, die als Mentoren im Unternehmen ausgewählt wurden, können nach Raskin & Terry (1988) sieben Persönlichkeitsfaktoren aufweisen: Autorität (Beispiel: „Ich bin ein geborener Führer“), Unabhängigkeit („Ich brauche niemanden, um etwas zu schaffen“), Überlegenheit („Ich bin eine außergewöhnliche Person“), Exhibitionismus („Bescheidenheit bekommt mir nicht“), Durchsetzungsstärke („Mir fällt es leicht, Menschen zu manipulieren“), Eitelkeit („Ich sehe mich gern im Spiegel“), Anspruchshaltung („Ich erwarte viel von anderen Leuten“) Der Erfolg dieses Ansatzes ist wesentlich davon abhängig, wie sich die Beziehung zwischen Mentor und Mentee entwickelt. Noch entscheidender ist die innere Haltung des neuen Kollegen zu seinem Mentor und wie er diese Situation für seine Einarbeitungsphase nutzen kann. Ist der neue Mitarbeiter jedoch verdeckt mit Selbstzweifeln behaftet, verändert sich ein zuvor als selbstbewusst erlebter Manager psychisch in einen altersregressiven pubertären 16-Jährigen mit größter Unsicherheit, dem Erwartungsdruck genügen zu können. So entsteht aus dem im Unternehmen gewollten Wohlbefinden ein Angstempfinden bei den Neuen, die unter hoher Anspannung ihre eigentlichen Potentiale nicht entfalten können. In der Reflexion in der Zusammenarbeit zwischen Mentor und Mentee gab es Situationen, die zu einer Abkoppelung in diesem Setting führte. Der neue Mitarbeiter stieg aus der Rolle Mentee aus, indem er die Führung durch den Mentor ablehnte. Es kam zu einem Aufeinandertreffen der sieben Persönlichkeitsfaktoren nach Raskin & Terry. Beide hatten ähnlich ausgeprägte Attribute und waren relativ beratungsresistent gegenüber den Ideen und Ratschlägen des anderen. Man ging sich gegenseitig aus dem Wege. Die gutgemeinte Unterstützung für einen effizienten Einarbeitungsprozess veränderte sich zu gegenseitigen Unverständnis und Kritik gegenüber dem Persönlichkeitsverhalten in der effektiven Zusammenarbeit. Onboarding von Führungskräften bei Atreus Interim Management 43 uvk-lucius.de/ fuehren Onboarding durch Wohlbefinden Seligman beschreibt Wohlbefinden als Konstrukt mit fünf messbaren Elementen unter der Bezeichnung PERMA (Seligman, M. (2011)). Positives Gefühl (Positive Emotions) Engagement Beziehung (Relationship) Sinn (Meaning) Zielerreichung (Accomplishment) Keines dieser Elemente alleine definiert das individuelle Wohlbefinden. Subjektiv werden diese Elemente in dem eigenen Wahrnehmungsfokus unterschiedlich betrachtet. Vergleicht man das Wohlbefinden mit der Theorie des authentischen Glücks, welches sich durch die Aspekte: Positives Gefühl Engagement Sinn definiert, so hat Seligman „Wohlbefinden“ durch die Elemente Beziehung und Zielerreichung ergänzt. Atreus versucht diese fünf Elemente im Onboarding-Prozess in den Wahrnehmungsfokus zu rücken und durch Erhebungen bezüglich der Messbarkeit zu dokumentieren. Dazu wird der neue Mitarbeiter unterstützt, in seinen Gefühlen positive Wahrnehmungen in der Einarbeitung zu erleben. Ziel ist es, eine Balance zwischen den spezifischen Anforderungen und den eigenen Fähigkeiten im Sinne eines Flow-Erlebnisses zu fördern Csikszentmihalyi, M. (2004). Flow im Beruf. Stuttgart: Klett-Cotta. Zur Verdeutlichung der eigenen Stärken wird jedem neuen Mitarbeiter, die Charakterstärken Analyse nach Peterson und Seligman angeboten. Diese Analyse entwickelte eine Gruppe von 55 Sozialpsychologen in den Jahren 2001 bis 2004, sie entwickelten ein Modell der Charakterstärken, welche sich unter den verschiedensten Kulturen als „Stärke“ oder „Wert“ in 24 Charakterstärken abbilden. (Seligman, 2004) Die individuell ermittelten am stärksten ausgeprägten ersten fünf Stärken bilden die Top-Stärken. „Sie sind in ihrer persönlichen Kombination und Ausprägung ebenso individuell wie der eigene Fingerabdruck.“ (Blickhan, 2014) Um den Transfer dieser Analyse für neue Direktoren zu gewährleisten, wird das Ergebnis in einem Stärkengespräch mit einem Coach in einer Eins-zu-eins-Beziehung besprochen. In diesem Setting sollen die individuellen Stärken bezogen auf die Aufgabe und im Umgang mit Kunden, sowie Kollegen in der Zusammenarbeit herausgestellt werden. Diese Spiegelung der eignen Stärken wird nur selektiv bei neuen Kollegen gewünscht. Einige neue Mitarbeiter überlegen sich diese Analyse ggf. zu einem späteren Zeitpunkt der Betriebszugehörigkeit durchzuführen. Andere sind hingegen neugierig auf das Ergebnis und der möglichen Abweichung zwischen den antizipierten Stärkenschwerpunkten. 44 Harald Smolak uvk-lucius.de/ fuehren Persönliche Stärken wahrnehmen durch ein geführtes Stärken-Feedback „Teams von stärkenorientierten Managern bringen bessere Ergebnisse. Wer seine Stärken einsetzt, ist im Job produktiver, leistungsfähiger und zufriedener.“ Ruch, W. (2012). Stärken-Feedback Atreus hat als unterstützende Maßnahme der bewussten Wahrnehmung eigener Stärken für alle Mitarbeiter einen Stärken-Feedback-Workshop eingeführt. Die Zielsetzung dieses Workshops ist nicht nur spezifisch den neuen Mitarbeitern, die Möglichkeit zu bieten, bewusst ihre Stärken wahrzunehmen, sondern auch in der Gemeinschaft mit Kollegen und Kolleginnen, die bereits schon länger im Unternehmen tätig sind. Dieser ½-Tages-Workshop hat eine Maximalteilnehmerzahl von sechs Mitgliedern. Jeder Teilnehmer ist aufgefordert, jedem Gruppenmitglied sein Feedback zu seinen Stärken zu geben. Man fängt mit einem Gruppenmitglied an, bis alle fünf Mitarbeiter ihr Feedback jeweils dem Feedbacknehmer gegeben haben. Dabei ist das Wording vorgegeben. Jeder Feedbackgeber hat mindestens drei Beschreibungen wahrgenommener Stärken dem Feedbacknehmer mitzuteilen. Zum Beispiel „Max (fiktiver Vorname des neuen Kollegen), ich schätze an dir deine strukturierte, souveräne Vorgehensweise in unserer Zusammenarbeit. Du bist klar in deinen Anforderungen und ich wünsche mir, dass dies weiterhin so bleibt.“ Der Feedbackgeber kann zusätzlich durch einen Appell seine Stärke für die zukünftige Zusammenarbeit einbringen. Dadurch erhält jeder Teilnehmer mindestens 5 × 3 = 15 Rückmeldungen seiner Stärken, die er aus seinem unmittelbaren Arbeitsumfeld gespiegelt bekommt. Alle Rückmeldungen werden auf Flipchart dokumentiert und an die Teilnehmer über ein Flipchart-Protokoll übergeben. Diese Übung fördert eine positive und offene Haltung gegenüber Kollegen und deren Gedanken in der Zusammenarbeit unter diesen Teammitgliedern. Diese Veranstaltung sollte jeder Mitarbeiter inklusive der Geschäftsleitung besucht haben. Im Zeitraum von 18 Monaten war jedoch festzustellen, dass leider die Geschäftsleitung und vier weitere erfahrene Atreus Partner dieser Veranstaltung ferngeblieben sind. Begründet wurde dies durch zeitliche Engpässe, bzw. dem Wissen über Feedback und besuchten Veranstaltungen aus der längeren Vergangenheit. Wertschätzung im Arbeitsalltag und in der Zusammenarbeit In einem System des messbaren Erfolgs durch Umsatzzahlen eines jeden Direktors entsteht Wettbewerbsdruck unter Kollegen. Formen der Wertschätzung - wie eine gute Zusammenarbeit unter Kollegen, Freude, Dankbarkeit, Humor oder freundschaftliches Miteinander - treten in Zeiten eines harten Wettbewerbs zurück. Barbara Fredrickson und Lahnna Catalino bezeichnen es als Priorisierung von Positivität (Fredrickson B. , 2013). Je eingeschränkter die eigene Positivität wahrgenommen wird, umso geringer verwandeln sich gute Ereignisse in gute Gefühle. Reduziert sich gutes Gefühl in der singulären Wahrnehmung von hohen Umsatzzahlen, tritt Missgunst gegenüber Kollegen auf, die bessere Zahlen vorweisen können. Neue Kollegen werden bei Atreus deshalb durch Coaching bei Bedarf in ihrer Selbstwertschätzung unterstützt. Mruk gliedert Selbstwertschätzung in vier Cluster (Mruk, 2013): [1] Defensive Selbstwertschätzung 1: Persönlichkeiten mit der Wahrnehmung der erlebten Inkompetenz und der Suche nach externer Bestätigung um die suggerierte Inkompetenz zu leugnen bzw. anderen die Schuld zu geben. Diese Haltung ist sehr wertebasierend und instabil. Onboarding von Führungskräften bei Atreus Interim Management 45 uvk-lucius.de/ fuehren [2] Niedrige Selbstwertschätzung: Persönlichkeiten mit einer vorsichtigen, ängstlichen Wahrnehmung, um Gefahren eher zu vermeiden. Eine eher stabile Haltung mit dem Ziel des Selbstschutzes. [3] Defensive Selbstwertschätzung 2: Persönlichkeiten, die Herausforderungen übererfüllen möchten. Sogenannte „Leistungs-Junkies“. Sie sind getrieben durch sich selbst und ihre Haltung ist durch ihre Kompetenz sehr instabil. [4] Hohe Selbstwertschätzung: Persönlichkeiten mit einem sehr offenen, proaktiven, engagierten Verhalten. Sie genießen hohe Akzeptanz, Sicherheit und Lebenszufriedenheit. Ihre innere Haltung ist sehr stabil positiv. Je nach dem Verhalten neuer Kollegen im unternehmerischen Kontext können im Coaching bestimmte Schwerpunkte der spezifischen Selbstwertschätzung herausgearbeitet werden. Hierbei geht es ausschließlich darum, dem Kollegen deutlich zu machen, wie seine Haltung nach außen wirken kann. Diese sehr vertrauliche Zusammenarbeit ermöglicht es neuen Kollegen, mit ihren etwaigen Ängsten in dieser neuen Verantwortung offener umzugehen. Als flankierende Maßnahme zu diesem Coaching-Ansatz bietet Atreus seinen Direktoren eine Kollegiale Beratung, die durch professionelle Berater moderiert wird. Dieses Setting erlaubt es jedem Teilnehmer, seine momentane Situation im Business-Kontext zunächst einem Teilnehmerkreis von bis zu fünf Direktoren vorzutragen. Danach entwickeln die Zuhörer Hypothesen aus den Beschreibungen des Fallgebers: Sie agieren als kollegiale Berater. Der Fallgeber nimmt in dieser Phase des Prozesses nicht an der Diskussion teil, hört jedoch aufmerksam seinen Kollegen zu. Im nächsten Schritt bestimmt der Fallgeber, an welchen Hypothesen der Kollegen aus seiner Sicht der Fokus für die Lösungsszenarien durch die Berater liegen sollte. Diese werden unter den Beratern auf Augenhöhe und mit großer Wertschätzung gegenüber dem Fallgeber gemeinsam entwickelt. Der Fallgeber entscheidet, welche Ideen für ihn persönlich besonders zieldienlich waren und wie er diese zukünftig nutzen möchte. Alle Teilnehmer haben die Möglichkeit, ein Feedback zum Prozess und dessen Wirkung abzugeben. Diese Form des gemeinsamen Lernens ermöglicht es den Teilnehmern, unterschiedliche Perspektiven und deren Wirkungen zu erleben. Es entsteht Verständnis über Reaktionen im Umgang miteinander und verstärkt nicht nur den gegenseitigen Kontakt, sondern auch die Beziehung. Der Blick auf individuelle Situationen und deren Wahrnehmung wird breiter und der „Blinde Fleck“ kleiner. Es entsteht Toleranz gegenüber den Kollegen und sich selbst. Das Wohlbefinden steigt und der Druck auf schnelle Erfolge nimmt ab. Charaktervolles Führen Atreus verfolgt sehr ambitionierte Wachstumsziele. Diese lassen sich nur mit hochprofessionellen und vor allem hochmotivierten Mitarbeitern erreichen. Dazu hat sich die Geschäftsleitung bereit erklärt, einen „Senior Team Audit“ nach Kiel (2015) durchzu- 46 Harald Smolak uvk-lucius.de/ fuehren führen. Ziel dieser Befragung aller Mitarbeiter ist eine sehr detaillierte Auswertung, wie das Executive Team seitens der Mitarbeiter nach vier Hauptkategorien wahrgenommen wird. Die Befragung gliedert sich auf vier moralische Grundprinzipien: Integrität Verantwortung Vergebung Mitgefühl Das Konzept basiert auf einer Studie von Fred Kiel über das Verhalten von CEOs, die sich ethisch korrekt und integer verhalten. Dazu stellt er einen Vergleich zu denjenigen her, die es mit der Moral nicht ganz so genau nehmen. Kiel hatte in seiner Studie 84 amerikanische Unternehmen über einen Zeitraum von zwei Jahren bezogen auf diese vier Prinzipien analysiert. Leadership Teams mit sehr hohen Werten in diesen vier Kategorien wurden als „Virtuoso Leaders“ bezeichnet und hatten gegenüber „Selbstfokussierten Leaders“ mit schlechten Charakternoten eine fast fünffach höhere Gesamtkapitalrendite (Return on Assets, RoA) von 9,35%. Fred Kiel: Return on Character „The Real Reason Leaders and Their Companies Win”, 2015. Atreus verfolgt mit dieser Erhebung das Ziel, größere Transparenz über die Führungswahrnehmung durch die Mitarbeiter zu erfahren und die Selbstwahrnehmung des Führungsteams zu spiegeln. Diese Entscheidung für eine solche Erhebung ist unserem Executive Team nicht leicht gefallen. Es war ein Prozess über vier Monate. Es erforderte Mut und Souveränität, diese Ergebnisse zuerst als Wahrnehmung der Mitarbeiter in einer Gap-Analyse sehr strukturiert präsentiert zu bekommen und danach den Mitarbeitern diese offen mitzuteilen. Der wesentliche Teil liegt noch in der Zukunft. Das Arbeiten an spezifischen Themen der identifizierten Abweichungen im gespiegelten Führungsverhalten. Das erfordert nicht nur Wille zur Veränderung, sondern auch den Glauben daran. Steht der Glaube in Konkurrenz zum Wollen, gewinnt meist der Glaube in der Umsetzung von Absichten. Um diszipliniert und konsequent an der Veränderung zu arbeiten entwickelt das Unternehmen mit Unterstützung externer Berater einen Umsetzungsplan, um die wesentlichen „Gaps“ im Laufe des Folgejahres zu schließen. Fazit Atreus hat über drei Jahre erkannt, dass erfolgreiches Wachstum nicht nur durch das Rekrutieren von hochqualifizierten Talenten entsteht, sondern Mitarbeiter in das Unternehmen erfolgreich zu integrieren und nachhaltig in ihren Talenten zu entwickeln sind. Dazu braucht es einen professionellen Einarbeitungsprozess, der durch eine professionelle Führung durch charakterstarke Führungskräfte begleitet wird. Diese prägen maßgeblich die Unternehmenskultur. Alle Mitarbeiter brauchen Rahmenbedingungen, die Leidenschaft in der individuellen Verantwortung und in der Zusammenarbeit erzeugen. Leidenschaft als Katalysator für den überdurchschnittlichen Einsatz mit hoher Kompetenz. Eine Bewertungskultur über die individuelle Performance von Mitarbeitern und dem Benchmark ausschließlich an Unternehmenskennzahlen, sowie Sales Push Initiativen, haben nicht den erwarteten Erfolg gebracht. Der Vergleich von Ver- Onboarding von Führungskräften bei Atreus Interim Management 47 triebskollegen ausschließlich an Umsatzzielen baut Druck auf, schränkt jedoch die Kreativität für innovative Wachstumsideen bzw. Akquisitionsansätze im Team ein. Durch den neuen Onboarding-Prozess und die Auditierung des Executive Boards durch alle Mitarbeiter sind die ersten Weichen für eine moderne Führung gestellt. Es wird eine gemeinsame Reise mit vielen Höhen und Tiefen. Die Versuchung, zurückzufallen in alte Muster ist sehr groß, die Erklärungen von Ohnmacht durch andere sehr leicht. Es ist ein gemeinsames Lernen und individuelles Verlernen existierender Gewohnheiten, verbunden mit großer Unsicherheit. Dazu braucht es Vertrauen, Offenheit, Toleranz und Fehler machen zu dürfen, um daraus zu lernen. Eine große Herausforderung für diejenigen die Führen und denen, die sich führen lassen im Spannungsfeld von hohen Leistungszielen. Das Gelingen wird maßgeblich durch das Vorleben von einer integeren Führungskultur abhängen. Das erfordert Disziplin mit hohem Durchhaltevermögen verbunden mit der Akzeptanz von Rückschritten auf dem Weg einer wirkungsvolleren Zusammenarbeit und besseren Ergebnissen. Literatur Blickhan, D. (2014). Handbuch zur Ausbildung Angewandte Positive Bad Aibling. Cameron, K. (2012). Positive Leadership. San Francisco: Berrett-Koehler. Csikszentmihalyi, M. (2004). Flow im Beruf. Stuttgart: Klett-Cotta. Fredrickson, B. (2013). Die Macht der Liebe. Frankfurt: Campus. Kiel, F. (2015). Return on Character “The Real Reason Leaders and Their Companies Win”. Boston: HRB Press Mruk, C. (2013). Self-esteem and positive psychology. Research, theory, and practice (4th ed.). New York: Springer Pub. Company. Neff, K. (2011). Self-Compassion, Self-Esteem, and Well-Being. Social & Personality Psychology Compass, 1-12. Raskin, R., Terry, H. (1988). Sieben Persönlichkeitsanforderungen Stärken-Feedback. Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik, VIA-IS, Universität Zürich, Report Psychologie S. 62. Ruch, W. (2012). Stärken-Feedback. Stärken-Feedback., Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik, VIA-IS, Universität Zürich, Report Psychologie S. 62 Seligman, M. (2011). Flourish. New York: Kösel. Trucker, R.C. (1968). The Theory of Charismatic Leadership. Daedalus, 97, 731-756. Autor-Kurzprofil Harald Smolak ist seit 2013 Partner & HR-Director bei Atreus Interim Management in München. Seit 2006 arbeitet er im Bereich der Integration von internationalen Organisationen. Seine langjährige Erfahrung in verschiedenen Geschäftsführungsaufgaben und im Human Capital Management verbindet er mit langjähriger Erfahrung in der Beratung von Führungskräften. Er ist Diplom-Wirtschaftsingenieur der Hochschule München und ausgebildet in integrativer, psychodynamischer und systemorientierter Arbeit mit Menschen in Veränderungsprozessen. Darüber hinaus ist Herr Smolak zertifiziert in Positiver Psychologie und Hypnotherapeutischer Kommunikation. uvk-lucius.de/ fuehren 2.3 Personalistische e Führungsansätze in der Führungskräfteentwicklung von Martin Rugart Personalistische Führungsansätze beschäftigen sich u.a. mit der Frage, welche Persönlichkeitseigenschaften Menschen zu erfolgreichen Führungskräften machen. Je nach Modell werden diese Eigenschaften als mitzubringende Voraussetzung oder als zu erlernende Kompetenzen definiert. Im ersten Fall versuchen Personalentscheider im Rahmen eignungsdiagnostischer Verfahren Führungskräfte mit den als positiv definierten Eigenschaften für Führungspositionen auszuwählen. Im zweiten Fall geht es eher um die Frage, wie diese hilfreichen Eigenschaften gestärkt oder trainiert werden können. Beide Ansätze sind - wie nahezu alle monokausalen Theorien der Führung - aus mehreren Blickwinkeln kritisch zu sehen, so z.B.: Mangelnde Validität der Messmethoden von Persönlichkeitseigenschaften Erklärung des Führungserfolgs alleine aus den Eigenschaften des Führenden negiert sonstige Umwelteinflüsse und das Handeln der Geführten Anforderungen an Führungskräfte in unterschiedlichen Branchen, Hierarchien, (Unternehmens-)Kulturen werden nicht berücksichtigt. Verlässt man jedoch die Betrachtungsebene, auf der versucht wird, richtige oder günstige Persönlichkeitseigenschaften zu diagnostizieren oder zu trainieren zu Gunsten einer individuellen Reflexionsebene, verlieren die genannten Kritikpunkte an Bedeutung. Die Fragestellung wandelt sich von einer diagnostischen Sichtweise (Welche Eigenschaften benötigt eine erfolgreiche Führungskraft? ) in eine reflektierende (Welche meiner Persönlichkeitseigenschaften wirken in unterschiedlichen Führungssituationen erfolgsfördernd oder hemmend? ). Die folgende Praxisschilderung bezieht sich auf zahlreiche Führungskräfteseminare, in denen sich Führungskräfte - teilweise im Rahmen und zu Beginn einer mehrmoduligen Führungskräfteschulung - intensiv mit ihren Persönlichkeitseigenschaften und deren Auswirkungen auf „Führung“ auseinander gesetzt haben. Konzeptioneller Ansatz Eine Beschäftigung mit der eigenen Persönlichkeit bzw. den Persönlichkeitseigenschaften als Führungskraft ist aus mehreren Blickwinkeln sinnvoll: Führungskräfte reflektieren ihre Ressourcen hinsichtlich der Anforderungen ihrer individuellen Führungssituation und definieren daraus persönliche Lern- und Entwicklungsbedarfe. Sie erkennen dabei ihre individuellen Wertestrukturen als Teil ihrer Persönlichkeit, aus denen heraus sie Rollenverständnis, Grundannahmen über Führung bilden und letztlich ihr Verhaltensrepertoire in Führungssituationen bestimmen. Aus der Reflexion unterschiedlicher Persönlichkeitsstrukturen und den daraus folgenden unterschiedlichen Wertestrukturen, Grundannahmen und präferierten Verhaltensweisen erkennen Führungskräfte Konfliktpotenziale in der Zusammenarbeit mit Einzelpersonen und Teams. Personalistische Führungsansätze in der Führungskräfteentwicklung 49 uvk-lucius.de/ fuehren In der Beschäftigung mit einem komplexen und gleichzeitig abstrakten Begriff wie „Persönlichkeit“ sind in der Führungskräfteentwicklung Modelle wie z.B. das DISG- Persönlichkeitsprofil, der Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI) oder das Big-Five- Modell verbreitet. Obwohl diese Modelle zurecht in der wissenschaftlichen Kritik bezüglich ihrer Validität und Objektivität stehen, sind sie doch geeignet, um eine gemeinsame Begrifflichkeit im Rahmen der Beschäftigung mit Persönlichkeit zu bilden, die in angemessener Zeit durch die Führungskräfte erlern- und anwendbar ist. Praxisbeispiele Die folgenden Anwendungsbeispiele beschreiben mehrfach durchgeführte Seminarbzw. Trainingsmodule in denen sich Führungskräfte mit ihrer Persönlichkeitsstruktur bzw. mit ihren daraus entwickelten individuellen Wertesystemen, Rollenverständnissen und Verhaltenspräferenzen auseinandersetzen. Die beschriebenen Module sind sowohl einzeln durchführbar als auch kombinierbar. Grundsätzlich kann es beim Thema Persönlichkeit in der Führungskräfteentwicklung in jedem Fall lediglich um eine Reflexion und die Entwicklung persönlicher Lernansätze gehen. Eine analytische Sichtweise, die in therapeutische Interventionen mündet, ist davon klar abzugrenzen. Persönlichkeit und künftige Anforderungen Alle Organisationen unterliegen Veränderungen. Diese verliefen bereits in der Vergangenheit je nach Branche unterschiedlich schnell bzw. in einigen Organisationen kontinuierlich und in anderen eher sprunghaft - häufig ausgelöst durch externe Einflüsse oder gravierende Unternehmensentscheidungen (z.B. Merger). Aus diesen Veränderungen entstehen häufig neue Anforderungen an Führungskräfte, welche die Teilnehmer im Training mit Hilfe der folgenden Fragestellungen erarbeiten: Welche Veränderungen kommen auf unsere Organisation in den nächsten 2 bis 4 Jahren zu? Welche Anforderungen entstehen daraus an Führung und Führungskräfte (neu)? Welche Anforderungen werden abnehmen / zurückgehen? Häufig und branchenübergreifend werden Veränderungen wie: zunehmende Flexibilisierung, steigende Komplexität und wachsende Beschleunigung bzw. Geschwindigkeit beschrieben. Als daraus abzuleitende Anforderungen werden meist genannt: Veränderungsbereitschaft, Innovation, Flexibilität, Kooperation, Vertrauen, Lernen usw. Als Anforderungen, die eher zurückgehen werden genannt: Fachwissen und -erfahrung, Kontrolle, Einzelarbeit und -entscheidung usw. Das daraus entstehende Anforderungsprofil spiegeln die Führungskräfte an ihrer persönlichen Kompetenzeinschätzung. Methodisch sortieren sie hierzu die Anforderungen in drei Kategorien (z.B. Experte - Senior - Junior), mit deren Hilfe sie einerseits vorhandene Ressourcen und andererseits persönliche Lernbedarfe bzgl. der veränderten Anforderungen definieren. Im Anschluss stellen die Teilnehmer ihr persönliches Portfolio der Trainings(teil)gruppe vor und erhalten Feedback von dieser. Dieses kann sich auf den Inhalt beziehen und beinhaltet Tipps und Ratschläge zu den genannten Lernfeldern oder eigene Erfahrungen (Sharing) der Feedbackgeber. Das Feedback im Bezug auf die genannten Ressourcen und Lernfelder kann ausgeweitet werden auf das Erleben des Präsentierenden in der Seminargruppe oder - bei organisationsinternen Veranstaltungen - das Erleben in der täglichen Zusammenarbeit. 50 Martin Rugart uvk-lucius.de/ fuehren Persönlichkeit und individuelle Entwicklung Aufbauend auf einer Reflexion sich verändernder Anforderungen an Führung (s.o.), aber auch ausgehend von persönlichen Veränderungen (z.B. erste Übernahme einer Führungsaufgabe) oder individuellen Fragestellungen einer Führungskraft (z.B. Wie löse ich das Problem mit Mitarbeiter XY? ) definieren Führungskräfte im Training oder Einzelcoaching Lernschritte zur persönlichen Entwicklung. Dabei wird der Fokus nicht in erster Linie auf die Situation der Mitarbeiter gelegt, sondern die Führungskraft beschäftigt sich aus einem systemischen Ansatz heraus zunächst mit ihrem „eigenen Anteil“ an der Situation. Hierzu werden folgende Fragestellungen betrachtet: Welche Verhaltensweisen sind in der vorliegenden Situation hilfreich bzw. hemmend? Welche hilfreichen Verhaltensweisen (Ressourcen) besitze ich und kann diese zur Lösung der Situation nutzen? Welche will ich erlernen? Welche hemmenden Verhaltensweisen kann ich lassen / verabschieden, bzw. in weniger hemmenden Form anders leben? Hinter diesen Fragestellungen steht die Haltung, dass auch hemmenden Verhaltensweisen einen Nutzen haben und somit nicht einfach „gelassen“ werden können und vor allem - wollen. Ein vereinfachtes Beispiel: Eine Sachbearbeiterin wird aufgrund ihrer Expertise, ihrem hohen Qualitätsstandard und persönlichen Engagement zur Teamleiterin der Sachbearbeitung befördert. Nach einiger Zeit zeigt sich, dass ihr Fokus auf Qualität zu einer überzogenen und damit demotivierenden Kontrolle ihrer Mitarbeiter führt. Aus einer rein verhaltensorientierten Betrachtung ist die Empfehlung klar: „Lassen Sie los und vertrauen Sie Ihren Mitarbeitern mehr. Kontrollieren Sie weniger“. Erarbeitet die betroffene Führungskraft jedoch im Training oder Coaching die ihrem Verhalten zu Grunde liegenden Werte, Rollenverständnis und Grundannahmen, wird ihr deutlich, welche wichtige Funktion dieses vordergründig kontraproduktive Verhalten für sie hat. Das gezeigte Verhalten (Kontrolle) wird sich basierend auf: Kümmere Dich und behalte die Kontrolle! (Werte) Chefs müssen wissen was läuft! (Rollenverständnis) Vertrauen ist gut - Kontrolle ist besser (Grundannahme) nicht nachhaltig verändern oder - soweit die Teamleiterin gezwungen wird es zu verändern - mit einem schlechten Gewissen verbunden sein, den Job nicht richtig zu machen. Aus dieser Erkenntnis heraus ergeben sich andere Entwicklungsschritte, wie z.B.: Wie kann ich mein Bedürfnis nach Kontrolle mitteilen und akzeptabel machen? Was hilft mir, Kontrolle abzugeben? (z.B. Ausbildung der Mitarbeiter) usw. Persönlichkeit und Zusammenarbeit Ein drittes Anwendungsbeispiel des persönlichkeitsorientierten Ansatzes der Führung ist die Reflexion der Zusammenarbeit mit Einzelnen oder im Arbeitsbzw. Projektteam. Personalistische Führungsansätze in der Führungskräfteentwicklung 51 uvk-lucius.de/ fuehren Hierzu ist es sinnvoll, sich eines Persönlichkeitsmodells zu bedienen, um schnell eine gemeinsame Begrifflichkeit zu Persönlichkeitseigenschaften zu bilden. In der Seminarpraxis haben sich hier Modelle wie das DISG-Persönlichkeitsprofil, der Myers-Briggs- Typenindikator (MBTI) oder das Big-Five-Modell etabliert. Diese stehen zwar bezüglich ihrer Validität durchaus in der Kritik, sind für den Einsatz in der Führungskräfteentwicklung insofern hilfreich, als sie einerseits in einer angemessenen Zeit erlern- und somit nutzbar und andererseits hinreichend inhaltlich fundiert sind. Geht es bei den vorgenannten Praxisbeispielen in erster Linie um die Beziehung von Persönlichkeitseigenschaften zu den Anforderungen einer Arbeits- oder Veränderungssituation, steht hier die Wechselwirkung unterschiedlicher Persönlichkeitsstrukturen in der Zusammenarbeit im Vordergrund. Die meisten Modelle basieren auf der Einschätzung der Persönlichkeitspräferenzen auf einem Kontinuum zwischen zwei Begriffspaaren, wie z.B. Extraversion Introversion in Bezug auf den präferierten Umgang mit der Umwelt (MBTI) oder stressig nicht stressig zum Erleben der Umwelt (DISG). Im Führungstraining dienen diese Modelle dazu, sich selbst einzuschätzen und zu reflektieren, Andere einzuschätzen, Chancen und Konflikte im Kontakt mit anderen zu erkennen, die sich aus einer gleichen oder unterschiedlichen Persönlichkeits- oder Verhaltenspräferenz ergeben (können). Erfahrungen und Rückmeldungen Aus zahlreichen Durchführungen der vorgenannten Module lassen sich folgende Erfahrungen und Rückmeldungen zusammenfassen: I.d.R. sind Teilnehmer an Selbsterkenntnis interessiert, auch wenn zu Beginn durchaus mit Vorbehalten darüber, sich zu „zeigen“. Diese können jedoch durch eine behutsame Einführung und durch Belassen der Entscheidungshoheit beim Teilnehmer, wie viel er wann „zeigen“ möchte, gut bearbeitet werden. Das Erkennen unterschiedlicher Persönlichkeitsstrukturen und -präferenzen als Ursache von Konflikten oder Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit wirkt entlastend, da Vorsatz oder böser Wille des Anderen als bisher vermutete Triebfeder seines Verhaltens wegfallen. Teilnehmer erkennen, dass sie in der Zusammenarbeit mit anderen deren Persönlichkeits- und Wertestruktur als Basis für eine erfolgreiche Kommunikation und Kooperation erlernen und nutzen können. Teilnehmer erkennen Ursachen (Werte, Rollenverständnis, Grundannahmen) ihres Verhaltens und damit deren Bedeutung für sie und ihr Handeln. Neue Verhaltensweisen werden nicht nur antrainiert oder formal vollzogen, sondern in das bestehende „Mindset“ eingefügt oder eben das „Mindset“ - soweit möglich - geändert oder erweitert. Dies bringt die Chance auf eine nachhaltige und zur Persönlichkeit passenden Verhaltensänderung oder -erweiterung mit sich. Die absolute Definition von Verhaltensweisen als „Stärken“ oder „Schwächen“ - und somit als gut oder schlecht - an sich wird durch eine situative Betrachtung von Eigenschaften in bestimmten Situationen betrachtet, die dann situationsabhängig förderlich oder hemmend sein können. 52 Martin Rugart NNutzen und Grenzen Die Beschäftigung mit der Persönlichkeit des Führenden in den beschriebenen unterschiedlichen Trainings- oder Seminarformen bietet Führungskräften die Möglichkeit, durch eine intensive Selbstreflexion Verhaltensänderungen oder -erweiterungen nachhaltig in Gang zu setzen und damit mit bestehenden und künftigen Führungsanforderungen und -situationen (besser) klar zu kommen. Darüber hinaus reflektieren die Führungskräfte evtl. Diskrepanzen zwischen Anforderungen an ihr Verhalten und ihrem Wertesystem oder Rollenverständnis. Eine solche Diskrepanz führt in vielen Fällen zu Stress, da der Führungskraft permanent ein subjektiv nicht-werte- oder rollengerechtes Verhalten abverlangt wird. Gelingt es diese Diskrepanz durch eine Veränderung des „Mindset“ zu schließen, ermöglicht dies eine höhere Zufriedenheit und letztlich eine bessere Leistung. Die Beschäftigung mit der eigenen Persönlichkeitsstruktur kann nicht verordnet werden. D.h. es kann sich immer nur um eine Einladung an Führungskräfte handeln, verbunden mit dem Hinweis, dass sich dadurch nachhaltig bessere Kooperationsstrukturen bilden können. Klar ist die Grenze zu Analyse und Therapie zu ziehen - sowohl von Seiten des Anbieters bzw. Trainers als auch gegenüber evtl. Wünschen der Teilnehmer danach. Zuletzt ist bei allem Nutzen immer im Auge zu behalten, dass die zugrunde liegenden Modelle lediglich Erklärungsansätze für Phänomene sind, die eine Auseinandersetzung mit konkreten Situationen nicht ersetzen. Eine „Schubladisierung“ von Menschen und deren Verhalten ist sicherlich kontraproduktiv. Fazit Aus nahezu 20 Jahren Erfahrung mit dem Einsatz personalistischer Ansätze in der Führungskräfteentwicklung ziehe ich eine positive Bilanz. Die reflektierende Beschäftigung mit der eigenen Persönlichkeit unterstützt Führungskräfte eindeutig darin, ihren eigenen und ihrer Persönlichkeit angemessenen und somit authentischen Weg in ihrer Rolle zu definieren und zu verfolgen. Im Austausch mit anderen Führungskräften bewirkt diese Beschäftigung eine Entspannung für den Einzelnen und im Kontakt mit anderen Führungskräften, da an Stelle eines absoluten gut-schlecht-Bildes von Führung ein situatives Bild von eher hemmenden und förderlichen Verhaltensweisen tritt. Letztlich ermöglichen diese Ansätze Führungskräften, sich einen Begriff von erlebten Verhaltensweisen bei sich und anderen zu machen und diese somit im wörtlichen Sinne zu begreifen. Autor-Kurzprofil Martin Rugart ist Bankbetriebswirt und Sozialwissenschaftler. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Bereichsleiter Personal ist er seit 2009 als selbständiger Berater, Trainer und Coach tätig. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Change Management, Leadershiptraining und Coaching. Zu seinen Kunden zählt er Banken, mittelständische Produktions- und (IT-)Dienstleistungsunternehmen, öffentlichen Verwaltungen und Non-Profit-Unternehmen. Lehraufträge und Autorentätigkeiten runden sein Tätigkeitsspektrum ab. uvk-lucius.de/ fuehren Kapitel 3 Verhaltensorientierte Führungsansätze „Nachdem sich die Eigenschaften als weniger geeignete Erklärung für Führungserfolg gezeigt hatten, wie das erhofft war, kam eine Perspektive in Mode, die sich nicht auf quasi naturgegebene Unterschiede in der Person des Führenden konzentrierte, sondern sich auf die Beschreibung von Verhalten konzentrierte und vom Verhalten auf Erfolg zu schließen suchte. Dass dieses Verhalten (ausschließlich) auf Eigenschaften oder sonstigen festen Merkmalen der Führungskraft basierte, wurde nicht mehr als Voraussetzung gesehen. Vielmehr wurde die Quelle dieses Verhaltens offen gelassen, also auch dafür, wer und wie es zu erlernen oder zu entwickeln sein könnte. Es wurden verschiedene Konzepte und Modelle entwickelt, die gemeinsam haben, dass nach identifizierbaren Verhaltensmustern gesucht wurde, die [1] intersituativ wie interindividuell einigermaßen stabil und [2] erfolgsrelevant sind. Die entsprechenden Verhaltensmuster werden als Führungsstile bezeichnet und unter verhaltensorientierten Führungsansätzen werden zumeist diese Führungsstilansätze subsumiert.“ „Führen und führen lassen“ (S. 87) Verhaltensorientierte Ansätze sind zumeist sehr demokratisch und pragmatisch: Jede oder jeder kann an sich arbeiten, um spezifische Verhaltensweisen an den Tag zu legen, die als erfolgreich gelten. Der eine muss sich nicht anstrengen, da er - warum auch immer - die entsprechenden Verhaltensweisen ohnehin beherrscht, der andere kann unter Einsatz von Zeit und Mühe ebenfalls viel erreichen. Welche Verhaltensstile, welche Verhaltensweisen anzustreben sind, ist zunächst am erkennbaren Erfolg orientiert - sei es anhand von Forschungsergebnissen, die optimale Stile ausarbeiten oder anhand der eigenen Situation im eigenen Unternehmen, wo auf der Basis von Selbstbeobachtungen und Erfolgseinschätzungen die eigenen Verhaltensweisen geformt werden können. Die wissenschaftlich erarbeiteten Führungsstile bieten nach wie vor Orientierung, aber unternehmensinterne Konstruktionen erwünschter Führungsstile und -verhaltensweisen sind ebenso Realität. Wir bieten ein Beispiel für ein selbst erarbeitetes und eines für die Umsetzung eines wissenschaftlich ausgearbeiteten Führungsstilkonzepts. Franziska Lottenbach schildert Relevanz und Ausprägungen von spezifischen Verhaltensweisen und -mustern an einem Entwicklungsprojekt eines Nahverkehrsbetriebes, in dem viele MitarbeiterInnen allein und damit ohne ständige Anwesenheit von Führungskräften zu agieren haben. Das ist eine Situation, in der Führungsverhalten über den unmittelbaren Kontakt von Führungskraft und Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterin hinauswirken muss, da sie ihre Arbeit weitgehend selbständig und situativ eigenverantwortlich ausüben, hier noch in einem Gefüge aus Kundenorientierung, unmittelbar gesundheitsrelevanter Sicherheit für Passagiere und andere Verkehrsteilnehmer sowie Zuverlässigkeit in Umfang und Pünktlichkeit der Leistung. Die Vermittlung von Leitlinien, die Wirkung als Vorbild durch entsprechendes Handeln und die Unterstützung von Verantwortungsbewusstsein und Selbständigkeit durch entsprechende Gesprächs- und Interaktionssequenzen, die Wertschätzung und Unterstützung einerseits und Er- 54 Kapitel 3: Verhaltensorientierte Führungsansätze wartungen wie Grenzziehungen andererseits glaubhaft ausdrücken, sind dabei wichtige Perspektiven des konzipierten und entwickelten Führungsverhaltens, das seine Orientierung und Einbettung in einer entsprechenden Führungskultur findet. Der Beitrag von Kimberly Maucher-Lynch fokussiert mit der transformationalen Führung einen Dauerbrenner unter den modernen Führungskonzepten. Erfolgreiche Führungskräfte, zumeist der obersten Führungsebene, denen es gelingt, bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Begeisterung hervorzurufen, dem zu folgen, was sie ihnen vermitteln - eine Vision, eine Mission. Das muss nicht immer und überall die Handlungen durchdringen, gibt aber die Möglichkeit zur Identifikation und damit Orientierung. Dabei wird in diesem Fall besser als in vielen anderen klar gemacht, dass abgehobenes Schweben über dem Weltlichen nicht das ist, was gemeint ist, sondern dass eine Erdung der transformationalen Führung auf transaktionaler Basis notwendig ist. Konkrete Maßnahmen werden benannt, die zeigen, dass transformationale Führung hier nicht als intuitive Umsetzung aus einer persönlichen Begabung gesehen wird, sondern als umsichtige, aktive Bearbeitung einer ambitionierten Strategie unter Einsatz ausgefeilter Techniken. uvk-lucius.de/ fuehren 3.1 Führungskultur im Fahrbetrieb - eine notwendige Kurskorrektur von Franziska Lottenbach Die Verkehrsbetriebe Zürich VBZ Die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) bieten den Menschen der Stadt Zürich und der umliegenden Regionen eine qualitativ hochstehende Versorgung mit dem öffentlichen Nahverkehr, während 365 Tagen im Jahr, mindestens 20 Stunden am Tag. Dabei legen die Fahrzeuge der VBZ Züri-Linie täglich 90.000 Kilometer zurück und bringen fast 900.000 Fahrgäste täglich pünktlich und zuverlässig an ihr Ziel. Zu Spitzenzeiten sind mehr als 400 Fahrzeuge gleichzeitig auf dem Zürcher Netz unterwegs. Der öffentliche Verkehr ist noch immer eine Wachstumsbranche. So entwickelt sich auch das Netz der Stadt Zürich laufend. Für die Erbringung dieser Fahrleistungen braucht es kompetente und motivierte Fahrerinnen und Fahrer. Der grösste Unternehmensbereich bei den VBZ ist der Betrieb, wo der Einsatz von über 1.300 Fahrerinnen und Fahrer organisiert wird. In dieser Fallstudie wird dargestellt, wie sich das Führungskader dieses Unternehmensbereichs intensiv mit ihren Führungswerten und ihrem Führungshandeln auseinandergesetzt hat, und das auch weiter tun will, mit der Absicht, die Zufriedenheit beim Fahrdienst deutlich zu verbessern. Die Welt verändert sich und damit die Anforderungen an die Führung Busfahrerinnen und Trampiloten Wenn die Autorin Fahrdienstmitarbeiterinnen und -mitarbeiter fragt, was ihnen an ihrem Job gefällt, erhält sie sehr unterschiedliche Antworten. Die einen spornt die grosse Verantwortung an oder sie schätzen ihre grosse Selbständigkeit. Andere motiviert der direkte Kontakt zu Fahrgästen und sie freuen sich, wenn sie Auskunft geben oder an Touristen ihre Fremdsprachenkenntnisse beweisen können. Als Vorteil wird oft die Schichtarbeitszeit genannt, sowie die gute Zusammenhalt untereinander, die Kollegialität und Hilfsbereitschaft. Der Fahrberuf hat auch seine Schattenseiten. Es ist eine Herausforderung, sich im komplexen Liniennetz auszukennen. Vor allem im Stossverkehr braucht es die volle Konzentration. Nur zu oft sind die Fahrdienstmitarbeitenden gefordert, Unachtsamkeit oder Fehler anderer Verkehrsteilnehmer aufzufangen, um Unfälle zu vermeiden. Dies, ohne abrupt zu bremsen, um die Fahrgäste nicht zu gefährden. Die Fahrgäste erwarten, dass die Trams und Busse pünktlich sind, damit sie ihre S-Bahnanschlüsse erreichen, und zeigen manchmal wenig Verständnis dafür, dass auch ein Bus im Stau stecken bleiben kann. Diese Situationen fordern unsere Fahrdienstmitarbeitenden. Für die einen bedeutet das genau den Reiz an ihrer Aufgabe, anderen kann das auch mal ziemlich zusetzen. Der Termindruck, die ständig wiederkehrenden Arbeitsvorgänge, bei denen kleine Fehler jedoch verheerende Auswirkungen haben, ja gar Menschenleben gefährden kann, können viel Stress ausüben. 56 Franziska Lottenbach uvk-lucius.de/ fuehren Unfallverhütung, Kundenzufriedenheit, Leistungs- und Qualitätsziele: die Führungsleute müssen alles daran setzen, diese Ziele mit ihren Teams zu erreichen. Aus erklärlichen Gründen sind daher die Aufgaben der Fahrdienstmitarbeitenden stark normiert und reglementiert. Heterogenität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Fahrdienst Ein überwiegender Teil der Fahrdienstmitarbeitenden bleiben der VBZ ihr Leben lang treu. So setzt sich die Belegschaft denn auch aus den verschiedenen Generationen zusammen, mit ihren unterschiedlichen Weltanschauungen und Werten. Es ist überraschend zu erfahren, mit welchen beruflichen Hintergrund Menschen zu Bus- oder Trams finden. Da sitzen ehemalige Köche, Geschäftsführerinnen, Journalisten, Lehrerinnen, Frisöre oder Mechanikerinnen am Steuer, die Liste könnte unendlich weiter geführt werden. In den letzten Jahren konnten immer mehr Frauen für den Fahrdienst gewonnen werden. Viele von ihnen sind Mütter und schätzen den Schichtdienst. Aber nicht nur sie, auch viele Väter wollen sich bei der Kinderbetreuung engagieren. Der Wunsch nach regelmässigen oder berechenbaren Arbeitszeiten ist bei Familienmenschen besonders gross. Die Belegschaft des Fahrdiensts repräsentiert die schweizerische Gesellschaft in ihrer multikulturellen Zusammensetzung, mit all ihren verschiedenen Biografien, den unterschiedlichen Lebensentwürfen, mit den verschiedenen Erwartungen und Bedürfnissen, die Menschen eben haben. Die Führungsleute des Unternehmensbereichs sehen sich laufend mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen und Problemen konfrontiert. Gesellschaftlicher Wandel Lebensformen und Lebensstile ändern sich. Traditionen und gesellschaftliche Normen werden laufend hinterfragt, Werte verlieren an Bedeutung und werden durch neue ersetzt. Vor allem bei den jüngeren Fahrdienstmitarbeiterinnen lässt sich beobachten, dass früher Selbstverständliches hinterfragt wird. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass Mitarbeitende heute - auch der Führung gegenüber - selbstbewusster und fordernder auftreten. Wo die Stelle als Busfahrer oder Trampilotin früher als sichere Lebensstelle betrachtet wurde, wollen die Jüngeren heute Entwicklungsmöglichkeiten haben. Für viele ist es jedoch nach einigen Jahren im Fahrdienst nicht immer einfach auf einen gelernten Beruf zurückzukehren oder etwas ganz Neues anzupacken. In der VBZ selber gibt es wohl Veränderungsmöglichkeiten, allerdings ist die Anzahl dieser Funktionen beschränkt. Der gesellschaftliche Trend hin zur Individualisierung zeigt sich auch bei der Belegschaft der VBZ. Man kann sicherlich nicht mehr (wenn man das überhaupt je konnte) vom „typischen“ Trampiloten, der „typischen“ Busfahrerin sprechen. Von den Führungsleuten verlangt dies, mit diesen Veränderungen umzugehen, die Bedürfnisse ihrer unterschiedlichen Mitarbeitenden zu respektieren und zu antizipieren. Führungskultur im Fahrbetrieb - eine notwendige Kurskorrektur 57 uvk-lucius.de/ fuehren Führung im Unternehmensbereich Betrieb Der Fahrdienst teilt sich in die Abteilungen Bus und Tram auf, geleitet von jeweils einem Abteilungsleiter. Beim Bus gibt es acht Gruppenleiter, beim Tram neun Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter, sie sind die direkten Vorgesetzten der Mitarbeitenden im Fahrdienst. Jedem dieser Führungsleute sind zwischen 70 und 90 Mitarbeitende zugeteilt. Die Führungsaufgabe ist anspruchsvoll. Die Führung soll erreichen, dass die Mitarbeitenden ihre Arbeit mit absoluter Zuverlässigkeit, Fahrroutine, Sicherheit und exzellentem Kundendienst verrichten. Und das bei Mitarbeitenden, die während ihrer Arbeitszeit in ihren Fahrzeugen unterwegs sind. Ein direkter Kontakt zwischen Mitarbeitenden und Führungsleuten ist unter diesen Bedingungen erschwert. Die Führungskultur beim Betrieb VBZ war lange Zeit auf Kontrolle, Restriktion und Sanktion ausgelegt. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, dass die geforderte Qualität konstant erhalten bleibt. Die Resultate gaben der Führung (zumindest teilweise) Recht. Die Pünktlichkeit war gut, die Änderungen im Fahrplan wegen Baustellen und Veranstaltungen wurden umgesetzt und Störungen im Betrieb rasch behoben. Allmählich kamen jedoch die Schwächen dieser Führungskultur zutage. Nicht zuletzt, weil neue und jüngere Fahrdienstmitarbeitende andere Erwartungen an ihre Führung stellten und auch äusserten. Die Stimmung im Corps war schlecht, viele waren unzufrieden. Sie fühlten sich mit ihren Bedürfnissen nicht wahrgenommen. Der Dialog mit den Gewerkschaften war ebenfalls an einem Tiefpunkt angelangt. Die Blockade vom Tramdepot Irchel im Mai 2011 brachte diese Unzufriedenheit deutlich zum Ausdruck. Beiträge von frustrierten und resignierten Fahrdienstmitarbeitenden in Blogbeiträgen des VPOD (schweizerischer Verband des Personals öffentlicher Dienste) häuften sich. Im Juni 2012 trat der neue Unternehmensbereichsleiter seine Stelle beim Betrieb bei den VBZ an. Nachdem er sich ein Bild über die Situation in seinem Bereich gemacht hatte, entschloss er sich, sich zusammen mit seinen Führungskräften auf den Weg zu einer neuen Führungskultur aufzumachen. «Führend unterwegs» - das Führungskulturentwicklungsprogramm Die Bereichsleitung hat zusammen mit der Personal- und Organisationsentwicklung ein Programm entwickelt mit dem Ziel, die Führungskultur dahin zu entwickeln, dass sich die Zufriedenheit im Fahrdienst merklich verbessert. Mit dem Namen «führend unterwegs» sollten zwei Perspektiven des Programms ausgedrückt werden: «führend» spricht die Zielgruppe, also die Führungsleute an und damit ihre Führungsfunktion und -verantwortung. Mit dem Begriff «unterwegs» soll ausgedrückt werden, dass sich die Führungskader auf einem gemeinsamen Weg hin zu einer neuen Führungskultur befinden. Die Hypothese, dass zufrieden(er)e Mitarbeitende motivierter sind und mehr Freude an ihrer Arbeit haben, darum die Leistungsbereitschaft und Dienstleistungsqualität zunimmt und schliesslich auch weniger (Kurzzeit-)Krankheitsabsenzen aufweisen, war Ausgangspunkt für die Initiative. Dass es nicht darum gehen konnte, einen für den Unternehmensbereich Betrieb geltenden Führungsstil zu indoktrinieren, war von Anfang an klar. Die oben geschilderte Gruppe von Mitarbeitenden ist so heterogen, dass sie nicht kollektiv und auf gleiche Art geführt werden kann. 58 Franziska Lottenbach uvk-lucius.de/ fuehren Das Menschenbild des „Complex Man“ von Edgar Schein (1980) geht auf die hohe Komplexität der menschlichen Motivstruktur ein. Laut Schein gilt es demnach zu berücksichtigen, dass Mitarbeitenden vielfältige, situationsabhängige und miteinander interagierende Motive besitzen, die je nach Lebenssituation und -erfahrung individuell sind. Das Ziel war dementsprechend, mit den Führungsleuten zu reflektieren, welche Vorgehensweisen geeignet sind, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Im Kontakt mit ihnen soll es den Führungsleuten gelingen, auf ihre Mitarbeitenden einzugehen, ihre verschiedenen Persönlichkeiten mit ihren Erfahrungen, Motiven und Bedürfnissen zu erkennen und in ihrem Umgang mit ihnen zu integrieren. Die Rahmenbedingungen sollen, wo möglich, so gestaltet werden, dass die Mitarbeitenden ihre individuellen Fähigkeiten nutzen und entwickeln können und weniger Druck verspüren. Das war eine weitere Absicht der Führungskulturentwicklung. „Führend unterwegs“ wurde bewusst als Programm angelegt. Es sollte kein Projekt oder Lehrgang mit einem festgelegten Endpunkt sein, sondern die kontinuierliche Auseinandersetzung mit Führungswerten und Führungshandeln ermöglichen und von den Bedürfnissen der Teilnehmenden gesteuert werden. Kontext von Führung Die Führungskulturentwicklung will dabei vier Aspekte berücksichtigen: Die Menschen: die Führungspersonen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Kolleginnen und Kollegen aus allen Unternehmensbereichen - in ihrer Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit. Der Auftrag: welcher sich aus der VBZ-Vision, ihren strategischen Schwerpunkten und den Zielen ableitet sowie die Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden berücksichtigt. Aus diesem Auftrag leitet sich die tägliche Arbeit ab und die Art und Weise, in welcher Qualität, die Arbeit geleistet werden soll. Die Rahmenbedingungen: das Umfeld, in dem Führungskräfte und Mitarbeitende sich bewegen, die Verhältnisse, die sie schaffen und beeinflussen, die Regeln und wie diese durchgesetzt werden. Im Zentrum dieses Dreiklangs stehen die VBZ-Werte. Diese sind formuliert im Leitbild, die drei Grundwerte der VBZ lauten: Kreativität, Freiheit, Ethik, Verantwortung. Als Interpretationshilfe für die Führungsrollen sind Führungsleitsätze formuliert. Weiter gibt es für alle VBZ-Mitarbeitenden sechs Spielregeln der Zusammenarbeit, welche das Miteinander beschreiben. Aspekte der Führungskulturentwicklung Führungskultur im Fahrbetrieb - eine notwendige Kurskorrektur 59 uvk-lucius.de/ fuehren All diese Aspekte sollen im Programm, aber auch ausserhalb des Programms, berücksichtigt, also reflektiert und wo es sinnvoll erscheint, verändert werden. Mit Respekt und Wertschätzung führen Zu Beginn des Programms wurde der Schwerpunkt auf die Dimension Mensch gesetzt. Das Motto des ersten Jahres «führend unterwegs» drückte das Ziel aus, miteinander respektvoll und wertschätzend umzugehen. Dieses Ziel sollte nicht nur das Verhältnis von Vorgesetzten und Mitarbeitenden beschreiben, sondern die allgemeine Umgangsform, wie sie im Unternehmensbereich Betrieb gewünscht ist. Zum Einstieg in das Programm hatten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer Gelegenheit, sich mittels dem „Golden Profiler of Personality (GPOP)“ nach Golden et al. (2014) besser kennenzulernen. Die vier Dimensionen dieses Testverfahrens messen Wahrnehmungs- und Urteilspräferenzen im Sinne der Persönlichkeitstheorie von C.G. Jung. Es sind dies: Extraversion / Introversion Sinneswahrnehmung / Intuition analytisches Entscheiden / wertorientiertes Entscheiden Strukturierung / Wahrnehmungsorientierung Die fünfte Dimension - Anspannung/ Gelassenheit - beschreibt den aktuellen Stressgrad und deren Auswirkung auf das Verhalten. Jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer hat diesen Test ausgefüllt und das gewonnene Profil mit dem Leiter Diagnostik des Human Resources Management der Stadt Zürich reflektiert. Mich selber und andere besser verstehen In einem eintägigen Workshop vertieften die Teilnehmenden ihre persönlichen Erkenntnisse. Die Ziele des Workshops waren: sich selber und andere besser verstehen, eigene Verhaltenspräferenzen und Abneigungen erkennen und sich über deren Auswirkungen auf Führung und Zusammenarbeit bewusst werden, um daraus Schlüsse für die Gestaltung der eigenen Führungsarbeit abzuleiten. Die Auseinandersetzung mit den Unterschiedlichkeiten soll die Toleranz gegenüber anderen Persönlichkeitsstrukturen, Antreibern und Motivationsfaktoren stärken. Auch die Sensibilisierung gegenüber Zuschreibungen und Diskriminierung soll damit gefördert werden. Neben der Selbstreflexion wollte dieser Tag viel Gelegenheit geben, sich miteinander auszutauschen und einander besser kennen zu lernen. Obwohl alle Kaderleute im selben Unternehmensbereich tätig sind, haben sie bei der täglichen Arbeit doch meistens mit den Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Abteilung Kontakt. Wie auch bei allen anderen Programmsequenzen sollte hier die Teamentwicklung gefördert werden. 60 Franziska Lottenbach uvk-lucius.de/ fuehren Führung der Situation und den Menschen anpassen Die nächste Sequenz war ein zweitägiges Seminar, in welchem die Teilnehmenden einerseits ihre unterschiedlichen Führungssituationen reflektierten, auf der anderen Seite ihre Erkenntnisse über die Vielseitigkeit der Menschen in ihrem Führungs- Verhaltensrepertoire berücksichtigen lernten und übten. Früher waren die Führungshandlungen stark vorgeschrieben. Damit wollte eine Gleichbehandlung aller sichergestellt werden. Da die Fahrleistung den Verkehrsvorschriften unterliegen, sind die Aufgaben der Fahrdienstmitarbeitenden stark reglementiert. Dazu kommen interne Vorschriften, welche eine hohe Dienstleistungsqualität bezwecken. Es sind dies beispielsweise Kleidungsvorschriften oder Vorschriften im Umgang mit beeinträchtigten Fahrgästen u.v.m. Geregelt war auch, wie mit Abweichungen und Fehlern umgegangen wird. Wie oben beschrieben, können Fahrfehler fatale Auswirkungen haben. Dass die Führung Fehlleistungen mit allen Mitteln zu verhindern sucht, versteht sich. So lässt sich erklären, dass die interne Regeldichte immer grösser und Kontrollsysteme immer ausgefeilter wurden. Die Wirkung war bei den Mitarbeitenden aber nicht die gewünschte. Anstatt fehlerfreies Verhalten zu erzielen, lösten diese Bedingungen bei vielen Unsicherheit oder gar Angst aus, und bei einigen heftige Widerstände. Vorstellbar, dass einige Fehler gerade deshalb erst passierten. Die neue Führungskultur zielt darauf ab, die Mitarbeitenden optimal bei ihrer Aufgabe zu unterstützen. Natürlich können auch heute (Fahr-)Fehler nicht toleriert oder ignoriert werden. Fehler sollen jedoch so verfolgt werden, dass diese künftig bestmöglich verhindert werden. Die Führungskräfte stehen dazu mit ihren Mitarbeitenden im Dialog. Im Gespräch sollen Ursachen und Hindernisse bei der Person selber (gesundheitliche Problemen, fachliche Mängel oder Wissenslücken etc.) erfasst und behandelt werden. Aber auch äussere Störfaktoren sollen im Gespräch entdeckt und möglichst beseitigt, oder ein guter Umgang damit gefunden werden. Im Seminar wurde in verschiedenen Situationen alternative Verhaltensweisen ausprobiert und abgewogen. Mit gegenseitigen Feedbacks wurden Absicht und Wirkung verglichen. Diese Übungen sollen im Alltag helfen, Führungssituationen zu analysieren, um das weitere Handeln bewusst zu gestalten. Um das Netzwerk und den Zusammenhalt im Betriebskader weiter zu fördern, fand diese zweitägige Sequenz in einem Seminarhotel, mit Übernachtung, statt. So war auch genügend Zeit für den informellen Austausch gegeben. Diese Kader (das Seminar wurde in zwei Gruppen durchgeführt) aus dem Betriebsalltag hinauszunehmen ist wegen des Schichtbetriebs selten und dementsprechend kostbar. Auch dies ein bewusster Entscheid, um deutliche Signale einer neuen Betriebskultur zu geben. Top down Ein wichtiger Ansatz des Programms ist das bewusste „Top-down“-Vorgehen. Die oberste Führungsebene, das Betriebsleitungsteam, soll sich intensiv mit den angestrebten Führungswerten auseinandersetzen, diese bewusst wählen und sich dafür committen. Ihr Vorbild soll wegweisend sein. Die meisten der beschriebenen Workshops und Seminare wurden in abteilungsübergreifenden und hierarchisch gemischten Gruppen durchgeführt. Ganz bewusst wurde jedoch der unten beschriebene Schritt mit dem Leitungsteam alleine durchgeführt. Führungskultur im Fahrbetrieb - eine notwendige Kurskorrektur 61 uvk-lucius.de/ fuehren Im eintägigen Workshop „WIR VBZ - Unsere Spielregeln“ etablierten die Mitglieder des Leitungsteams ihre Leitsätze und erprobten diese an praktischen Situationen. Dazu wurde mit professionellen Schauspielern zusammengearbeitet, die in unterschiedlichen Szenen entweder Mitarbeitende verkörperten oder sich in einer Situation so verhielten, wie sie von einem Seminarteilnehmer angewiesen wurden. So konnte die jeweilige Führungsperson live erleben (ob als Zuschauer oder in der Rolle des Mitarbeitenden), welche Wirkungen ihre Anweisungen erzeugten. Derart reflektierte das Leitungsteam gemeinsam ihr Kommunikationsverhalten, erkannten Verbesserungsbedarf und setzten sich individuelle und gemeinsame Ziele. Die gewonnenen Erkenntnisse und Vereinbarungen gaben die Leitungspersonen in weiteren Workshops ihren Kaderleuten weiter. Dort erläuterten sie, welche Gesprächskultur im Betrieb angestrebt wird in ihren eigenen Worten. Jetzt wurde greifbar, was mit dem Jahresmotto „Mit Respekt und Wertschätzung führen“ gemeint war. Diese Werte wurden weiter in unterschiedlichen, anspruchsvollen und aus der Praxis der Teilnehmenden entnommenen Situationen geübt. Ein Teilnehmer hatte jeweils die Rolle des Mitarbeiters inne, ein zweiter diejenige der Führungsperson. Eine dritte Teilnehmerin war Beobachterin und gab der Führungsperson im Anschluss ein strukturiertes Feedback. So wurden in rotierenden Gruppen mehrere Situationen durchgespielt. Wichtige Erkenntnisse wurden am Schluss ausgetauscht und den Teilnehmenden später als „Take aways“ abgegeben. Üben, üben, üben Zwei weitere Workshops vertieften die neue Gesprächskultur. Beim ersten Workshop wurden besonders herausfordernde Konfliktsituationen besprochen und Konfliktgespräche geübt. Hier arbeitete die betriebsinterne Sozialberaterin mit und erklärte den Führungsleuten, wie die ideale, sich ergänzende Zusammenarbeit zwischen Führung und Sozialberatung gestaltet werden kann. Im zweiten Workshop wurden die jährlichen Mitarbeitendengespräche vorbereitet (ZBG Zielvereinbarungs- und Beurteilungsgespräche). Es war ein wichtiges Ziel der Führungskulturentwicklung, diese deutlich zu verändern. Aus diesem Grund wurden die früher als ausführlicher Kriterienkatalog daher kommenden Beurteilungsbögen dramatisch gestrafft. Diese Zielvereinbarungs- und Beurteilungsgespräche sind wertvolle und seltene Gelegenheiten für ausführliche und ungestörte Gespräche. Dort kann der Gruppenleiter auf seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingehen, sie können sich Gehör verschaffen. Es ist evident, dass sich diese Möglichkeit im Alltag der Fahrdienstmitarbeitenden selten bietet. Gelerntes und Erfahrenes weitergeben Zum Abschluss des ersten «führend unterwegs»-Jahres sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Rolle der Führungsentwickler schlüpfen. In der Abteilung „Netz“ wurde die neue Funktion des „Serviceleiters mit Führungsfunktion“ geschaffen. Die Serviceleiterinnen und Serviceleiter sind auf Zürichs Strassen die Störungsmanager. Dabei führen sie auch die Teams der Kundenberater, die in den Trams und Bussen die Ticketkontrollen durchführen. Diese Kollegen sollten im Kreis des Kaders aufgenommen und ihnen die wichtigsten Führungswerte und -grundsätze vermittelt 62 Franziska Lottenbach uvk-lucius.de/ fuehren werden. Den Teilnehmenden wurde die Aufgabe gestellt, sich zu überlegen, wie sie ihre neuen Kollegen für die neue Führungskulturentwicklung gewinnen wollen und dazu ein eintägiges Seminarprogramm zu entwickeln. Die Arbeitsgruppen wurden dabei von Leitungsteammitgliedern beobachtet und erhielten im Anschluss Rückmeldungen. Ziel der Beobachtung war festzustellen, inwiefern die neuen Werte in der Zusammenarbeit sichtbar wurden. Aus den in den Gruppenarbeiten entwickelten Vorschlägen hat die Personalentwicklung ein Seminarprogramm zusammengestellt. Dieses wurde dann in Zusammenarbeit mit von den Gruppen ausgewählten Kaderleute durchgeführt. Zum Seminarabschluss kamen viele der übrigen Kaderleute zum Seminarort, wo sie bei einem Aperitif ihre neuen Kameraden im führungskreis willkommen hiessen. Das Programm mitgestalten Im ersten Jahr „führend unterwegs“ wurden die Schwerpunkte und das Jahresprogramm durch den Unternehmensbereichsleiter und die Personal- und Organisationsentwicklung gesetzt, entwickelt und definiert. So wurde initial die Ausrichtung des Programms in erster Linie auf die Anforderungen und Bedürfnisse der obersten Führung ausgelegt. Für das zweite Jahr konnten bereits die ersten Rückmeldungen der Teilnehmerinnen, sowie die Bedürfnisse der Abteilungsleiter in die weitere Programmgestaltung aufgenommen werden. Als neues Element wurde eine strukturierte Evaluation mit Handlungsplan ins Programm aufgenommen. Die Rückmeldungen der Teilnehmenden, aber auch die eigenen Wahrnehmungen wurden im Leitungsteam (selbst-)kritisch diskutiert und Schwerpunkte für das weitere Vorgehen festgelegt. In einem halbtägigen Workshop haben die Mitglieder des Bereichsleitungsteam (oberste Führungsebene) sich ihre Beobachtungen und Wahrnehmungen bewusst gemacht und ausgetauscht. Dazu haben sie zusammengetragen, was sie in letzter Zeit in Gesprächen mit Mitarbeitenden erlebt und erfahren haben. Worüber erzählen die Leute? Welche Beschwerden äussern sie? Worüber freuen sie sich? Alltägliche Begegnungen sowie Erfahrungen aus den Betriebsversammlungen wurden ausgewertet. Das Leitungsteam stellte positive Entwicklungen fest. Wurde früher beispielsweise eine Information bekanntgegeben, wurde von den Mitarbeitenden viel in die Ankündigung hineininterpretiert. Heute würden die Mitarbeitenden mit ihren Fragen oder Befürchtungen viel schneller auf ihre Vorgesetzten zukommen, stellte man fest. Verunsicherungen würden jedoch offensichtlich weniger vorkommen, glaubt man zu beobachten und vermutet, dass dies an der verbesserten, direkten und transparenten Kommunikation liegt. Grundsätzlich scheint sich die Grundstimmung im Personalkörper verbessert zu haben. Wo sich früher Mitarbeitende viel über ungerechtfertigtes Verhalten von Führungskräften beschwerten, schien sie heute viel mehr die Belastungen des Fahrdienstberufes an sich zu beschäftigen. Die gesammelten Erzählungen liessen den Schluss zu, dass das Vertrauen der Mitarbeitenden in die Führung deutlich gestiegen war. Dieses sei jedoch noch labil, da war man sich sicher und fand dafür ebenfalls Beispiele. Es wurde festgestellt, dass es noch lange nicht in allen Führungssituationen gelingt, einen guten Umgang und faire Lösungen zu finden. Alte Muster wie Rechtfertigung Führungskultur im Fahrbetrieb - eine notwendige Kurskorrektur 63 uvk-lucius.de/ fuehren und Rechthaberei drangen immer wieder durch. Es ging ja nicht lediglich um das Erlernen von neuen Techniken. Viel mehr waren es fundamentale Haltungen, wie die Interpretation der eigenen Führungsrolle, die sich im Verhalten der Führungskräfte äusserten. Daran musste weiter gearbeitet werden. Dass solche Veränderungen jedoch nicht im Seminarraum passieren, war allen klar. Als oberstes Führungsgremium waren sie verantwortlich, ihre unterstellten Führungsleute bei der täglichen Arbeit zu beobachten, ihnen laufend Rückmeldungen zu geben und zu unterstützen, war sich das Leitungsteam bewusst. Sie selber musste sich ihrer Vorbildfunktion noch besser bewusst sein. Ihr eigenes Verhalten würde sehr genau beobachtet und mit den angestrebten Führungswerten verglichen werden. Es wurde entschieden, dass die Themen für das folgende Jahr Vorbild und Vertrauen sein würden. Weiter wurden die Feedbacks aller Betriebskader auf die vergangenen Seminare und Workshops ausgewertet. So konnte im dritten Jahresprogramm noch stärker auf deren teils unterschiedlichen Anliegen eingegangen werden. Dies, ohne die ursprünglichen Absichten und Zielsetzungen aus den Augen zu verlieren. Die Ergebnisse der auf Frühjahr 2016 angelegten Wirkungsanalyse werden wesentlichen Einfluss auf den weiteren Programmverlauf haben. Je nach Ausprägung und Bewertung der Auswirkungen von «führend unterwegs» wird das Anschlussprogramm ausgelegt werden. Auch künftig soll die intensive Auseinandersetzung im Betriebsleitungsteam bestehen, um die Management Attention für den Führungsentwicklungsprozess hoch zu halten und der Gefahr, wieder in alte Muster zurückzufallen, vorzubeugen. Anpassungen der Rahmenbedingungen Wie im Konzept von «führend unterwegs» beschrieben, müssen sich die Rahmenbedingungen verbessern, in denen Führung und Mitarbeitende sich bewegen, wenn sich die Führungskultur und die Kultur der Zusammenarbeit nachhaltig verbessern soll. Dysfunktionale Regelungen und Sanktionen mussten neu gestaltet werden. Hier einige wichtige Beispiele dafür: Lockerung von Sanktionen bei Falschfahrten. Nicht die Bestrafung ist im Fokus, sondern die Frage, wie Falschfahrten künftig vermieden werden. Zielvereinbarungs- und Beurteilungsgespräch ZBG. Die Beurteilungskriterien wurden reduziert. Der Schwerpunkt der Gespräche liegt auf dem Dialog. Teilzeitarbeit ist bereits während der Fahrausbildung möglich. Information über VBZ-interne bzw. betriebsinterne Laufbahnen. Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten sind bekannt, die Anforderungskriterien sind transparent. Gestaltung der jährlichen Betriebsversammlungen; weg von der Einwegkommunikation hin zu offener Information, Transparenz, Austausch und Dialog. Regelmässige, transparente Kommunikation und Stellungnahmen durch den Betriebsleiter, um auf aktuelle Themen und Fragen einzugehen. Konsequenter Einbezug der Sozialpartner und von Vertreterinnen und Vertreter nicht organisierter Mitarbeiter bei der Einführung der „Individuellen Dienstplanung“. 64 Franziska Lottenbach uvk-lucius.de/ fuehren Natürlich braucht es noch immer Regeln und Vorschriften. Gestaltet werden kann, wie diese vermittelt und deren Einhaltung kontrolliert werden und wie mit Verfehlungen umgegangen wird. Diese Führungshandlungen machen den Unterschied in der Führungskultur aus. Wir sind und bleiben «führend unterwegs» - ein erstes Fazit Das Programm läuft nun im dritten Jahr. Das diesjährige Jahresmotto lautet „Ich bin Vorbild und baue Vertrauen auf“. In Bezug auf die Vorbildrolle und die Aspekte von Vertrauen schenken und vertrauenswürdigem Verhalten werden immer wieder Werte bewusstgemacht, Absichten und Wirkung reflektiert und überprüft. Gespräche mit Mitarbeitenden und Führungsleuten, die notabene ebenfalls unter der restriktiven früheren Führungskultur gelitten hatten, ergeben heute ein hoffnungsvolles Bild: „Das Fundament für Vertrauen ist aufgebaut, wenn auch noch auf wackeligen Füssen. Wir müssen dran bleiben“, so die Aussage einer Kaderfrau. Auch Führungsleute brauchen Wertschätzung für ihre anspruchsvolle Aufgabe und die regelmässige Möglichkeit, ihr Tun zu reflektieren. Wichtig sind die Unterstützung und die volle Rückendeckung ihrer eigenen Vorgesetzten, aber auch die ehrlichen, offenen Feedbacks. Definierte Werte müssen einheitlich sein und über alle Ebenen konsequent gelebt werden, damit sie ihre Wirkung bei den Mitarbeitenden erzielen können und sich nachhaltig und spürbar zu einer neuen Kultur verfestigen. Mit der geplanten Wirkungsanalyse soll sichtbargemacht werden, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Auswirkungen der geänderten Führungskultur in ihrem Unternehmensbereich erleben und bewerten. Lessons learned Die permanente Reflexion und der Abgleich von Absicht und Wirkung sind Voraussetzung für persönliche Entwicklung. Dazu braucht es wertschätzende und ehrliche Feedbacks. Dabei spielt die Bereitschaft der obersten Führungsebene, sich selbstkritisch zu betrachten, eine wichtige Rolle. Insofern ist das Resultat der Kulturentwicklung auch ein Abbild des Commitments der obersten Führungsebene. Die Entwicklungsmassnahmen müssen kompromisslos auf die Stärkung der Führungskraft zielen. Es geht nicht darum den Menschen zu verändern, sondern ihn dabei zu unterstützen, seine dysfunktionalen Handlungsweisen mit guten Alternativen auszutauschen. Selbstbewusste und in Bezug auf ihre Rolle, Aufgabe und Wirkung klare Führungsleute begegnen ihren Mitarbeitenden offen und angstfrei. Die Veränderung einer Führungskultur braucht Zeit. Alte (Kommunikations-)Muster müssen verlernt, Alternativen erkannt und eingeübt werden. Es braucht im Alltag viele positive Beispiele, damit sich das Neue durchsetzen kann. Die Entwicklung der Führungskultur ist ein Unterfangen ohne Enddatum und benötigt Kondition und Durchhaltewillen. Der Top-down-Ansatz ist enorm wichtig. „Sagen was wir tun und tun was wir sagen“ muss sich in den alltäglichen (Führungs-)Handlungen beweisen. Die oberste Führungsebene, aber auch die Referentinnen und Moderatorinnen der Personalentwicklung spielen hier eine wichtige Vorbildrolle. Durch Vorleben und konsequente Franziska Lottenbach leitet seit 2008 bei den Verkehrsbetrieben Zürich die Personal- und Organisationsentwicklung. Schwerpunkte sind Führungs(kultur)entwicklung, Konzipierung und Organisation von massgeschneiderten Entwicklungsmassnahmen sowie die Begleitung von Veränderungsprozessen. In ihrem beruflichen Werdegang war sie Berufsbildungsverantwortliche und verantwortlich für Nachwuchsentwicklung, leitete Personalentwicklungsabteilungen und war als Führungscoach und Trainerin tätig. Ihre unterschiedlichen Rollen in Fusions- und Veränderungsprozessen schärften ihr Profil als Organisationsentwicklerin und Beraterin. Sie besitzt einen Master in Ausbildungsmanagement (ZHAW/ IAP) sowie ein Master in Supervision und Organisationsberatung (PHSG). Führungskultur im Fahrbetrieb - eine notwendige Kurskorrektur 65 Integration in die täglichen Prozesse, kann sich die Führungskultur nachhaltig entwickeln. Keine Änderung ohne Veränderung - Einige machen augenblicklich mit, während Andere abwarten und erst nach einiger Zeit die Neuerungen übernehmen und unterstützen. Wenige werden sich nicht identifizieren können und dem Unternehmen den Rücken zukehren. Die Bereitstellung von Budget und Ressourcen über längere Zeit ist evident. Wie beschrieben, ist die Führung einer derart grossen Organisationseinheit eine Herausforderung. Man will bestmöglich die Bedürfnisse der Mitarbeitenden berücksichtigen, in der Vielfalt und Unterschiedlichkeit, wie sich diese gestalten. Man will jedoch auf den Auftrag erfüllen, den eigentlichen Zweck des gesamten Unternehmensbereichs. Es gibt keine immer gelingenden Rezepte dafür, wie sich eine Führungskraft in einer bestimmten Situation zu verhalten hat. Es gilt vielmehr, das eigene Verhalten ständig zu überprüfen und Alternativen entwickeln. Dazu gehört aber auch der Dialog mit den Geführten, denn wenn Absicht mit Wirkung verglichen werden soll, kann dies nur in Auseinandersetzung mit den Menschen geschehen, auf welche sich das Führungshandeln „auswirkt“. Und es gehört die laufende kritische Überprüfung der Rahmenbedingungen, ob diese sich mit den Veränderungen im Umfeld mit bewegt haben. Daher soll «führend unterwegs» ein kontinuierliches Programm sein, bei dem das Ziel einer „idealen“ Führungs- und Unternehmenskultur angestrebt, aber niemals als erreicht betrachtet wird. Ein erfolgskritischer Faktor bleibt der glaubwürdige, einheitliche Auftritt der obersten Führungsebene. Wenn hier nicht alle die neue Führungskultur überzeugend und sichtbar leben, wird sich diese schwer durchsetzen können. Der Betriebsleiter wird sich dafür weiterhin mit aller Kraft einsetzen müssen. Literatur Golden, J. P., Bents, R., Blank, R., Diergarten, D. (2014). Deutsche Adaptation des Golden Personality Type Profiler™ (2.A.). Hogrefe Verlag, Göttingen. Schein, E. H. (1980). Organizational Psychology. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall Inc. Autor-Kurzprofil uvk-lucius.de/ fuehren 3.2 Leadership Strategy & Transformational Leadership Style: The SAP MENA Growth Journey by Kimberly Maucher-Lynch As market leader in enterprise application software, SAP (NYSE: SAP) helps companies of all sizes and industries run better. Founded in 1972, SAP (which stands for “Systems, Applications and Products in Data Processing”) has a rich history of innovation and growth as a true industry leader. Today, SAP is present in more than 180 countries. SAP applications and services enable more than 253,500 customers worldwide to operate profitably, adapt continuously and grow sustainably. Introducing the SAP MENA Growth Journey A subsidiary of SAP SE, SAP Middle East and North Africa (MENA), focuses on one of the fastest growing markets for SAP globally and is a key investment area for the company. Since establishment in late 2007, SAP MENA expanded operations and now has twelve offices across the region; Saudi Arabia (3), Dubai (2), Oman, Kuwait, Bahrain, Qatar, Pakistan and Cairo as well as a regional Training and Development Institute in Dubai dedicated to supporting job growth for regional youth in the SAP ecosystem. Today, the company has more than 1,350 customers and continues to build capacity across the eco system with more than 1,688 qualified SAP consultants and 120 business partners to support the MENA market in 16 countries across the region. SAP’s presence in the Middle East began as a franchise, SAP Arabia, which was managed by an external partner. After recognizing the opportunity to run its own organization, SAP purchased back the rights from the SAP Arabia partner in 2007 and embarked on its own journey to claim the region’s market for itself. At the time, local players, including Oracle, were already present as competition for SAP. SAP MENA started with approximately 30 employees and expanded to approximately 298 people in 2011. By 2015, SAP was a company with more than 630 employees. The strategy and focus of Sam Alkharrat, who was President of SAP Middle East and Africa (MENA) from 2010-2015 are key to understanding the success and growth of SAP MENA in this phase. During this time period, SAP MENA delivered double-digit growth and quadrupled its revenues and its organization size. At the same time, SAP MENA shone as a region with an extraordinarily high understanding of the SAP strategy as per regular SAP employee strategy surveys. This case shares insight into his role as driver and catalyst for this success story. In particular, the case will explore Alkharrat’s leadership style and approach to rallying people to deliver as a team to buy-in to a collective vision. In the content which follows, concrete examples of the strategy around this goal will be demonstrated within the framework of transformational leadership and leading through personal charisma. Commentary from Claire McPeak, Head of Communications, SAP MENA and Nelly Boustany, Head of HR, SAP MENA provide additional perspective on the direction and focus of the growth strategy lead by Mr. Alkharrat. Transformational leadership is a method used to enable groundbreaking change within an organization. By combining collaborative working styles with visionary thinking, Leadership Strategy & Transformational Leadership Style 67 uvk-lucius.de/ fuehren leaders create and support momentum while identifying champions within the organization to help drive change processes. This approach harnesses the collective power of the leader’s own charisma and the motivation of the staff while offering stakeholders at various levels of the organization the opportunity to take ownership for their contribution to the success of the transformation. Mr. Alkharrat’s approach to building the market for SAP entailed three concrete points of emphasis which employed the essence of transformational leadership. These are: [1] Demonstrate the Vision and Opportunity [2] Empower the People [3] Measure, Track and Reward Performance Demonstrate the Vision and Opportunity The first step to realizing the growth journey was to solidify the SAP MENA growth goal and to make it tangible to the team. In 2012, SAP announced a four-year plan worth US $450 million aimed to expand on SAP’s presence in the Middle East and to drive innovation across the region. In keeping with this vision, SAP announced plans to expand the SAP partner ecosystem and to support job creation. A dedicated SAP Training and Development Institute (SAP TDI) under the leadership of Marita Mitschein was charged with supporting this growth and fostering employment opportunities in MENA. To better serve the MENA market, a focus on increased localized solutions and services was also announced. For SAP MENA employees, the MENA Growth Plan presented a challenge and an opportunity in one. Mr. Alkharrat worked closely with his management to define the milestones and created a plan to share these accordingly. In keeping with these milestones, he presented his team with a yearly motto, which encapsulated the focus for the coming year’s drive for market share. In 2011, the “Better Rhythm Faster Beat” campaign emphasized collaboration and momentum gathering. The following year, the call to action “Are you Ready? ” furthered this drive for collective action. The 2013 motto “Believe it to Achieve it” focused on intensifying the inroads made and identifying opportunities to fine-tune and build on initial wins. Speed and agility were the inspiration for teamwork. 2014’s “Teamwork makes the Dream Work” theme and 2015’s “Simple Wins” built on SAP’s global marketing message to “Run Simple”. For each step of the MENA Growth Journey, Mr. Alkharrat introduced a cohesive messaging to inspire the employee group. Together with MENA Communication Director Claire McPeak, Mr. Alkharrat developed a communications strategy to transport information about the Growth Journey throughout the organization. This included a regular newsletter, management updates, and emails announcing key deals won, in addition to event-based communications promotions. These communications employed strong and arresting imagery such as the “Blue Angels” show pilots or the athlete Usain Bolt. One of these initiatives entailed the development of an executive app on the occasion of SAP CEO Bill McDermott’s visit to the MENA offices. The app allowed employees to ask the CEO questions in advance of his visit and employees had the opportunity to leave comments and feedback on topics they wished to raise. This app, which was later adopted by other SAP organizations as a best practice, also allowed the CEO to connect with the employees and exchange content directly. Through such activities, Mr. Alkharrat encouraged dialogue with himself and other stakeholders. This exchange further pro- 68 Kimberly Maucher-Lynch uvk-lucius.de/ fuehren moted understanding of the strategy and fostered open communication between management and the employees. This app differed from many conventional feedback apps, in that there was no check function to edit employees’ comments before they appeared to the wider SAP MENA community. Claire McPeak explained that the uniquely open culture of SAP MENA allowed for this kind of trust. An analysis of employee’s app contributions following the CEO’s visit showed that the open culture was used for constructive purposes only. Communication of the vision began immediately at the start of an employees’ experience with SAP MENA. New hires were invited to monthly onboarding sessions, in which Mr. Alkharrat personally shared the SAP MENA strategy and presented the corporate overview to new hires. Employees attending these sessions thus had the opportunity to connect immediately with the SAP MENA head. Many new hires over the years have credited these sessions to offering a unique chance to understand their role and an opportunity to contribute to SAP MENA’s goals. The quality of these meetings emphasized a personal onboarding experience for employees and enabled Mr. Alkharrat to connect in small groups and also 1: 1 with new hires. SAP MENA HR Head Nelly Boustany recalled continual “check-in” meetings for employees, including employee three-month anniversary breakfast events and quarterly luncheons, which were additional forums for Mr. Alkharrat to share updates and changes to current topics around the growth strategy. Periodic “All-Hands” meetings, where all employees assembled, further served as a platform to update all stakeholders on the newest opportunities and to celebrate current wins and deals. Mr. Alkharrat employed a twopronged approach to communicating new deals and celebrating successes in line with the communicated vision. First, the “All-Hands” meetings acted as forums for recognition. During these, Mr. Alkharrat honored teams and individuals for contributions and spectacular performance. In addition, employees also were given license to announce their own successes via a standard email template. This channel was used not only to promote one’s own successes, but also widely utilized to honor and recognize other colleagues. Colleagues thus became catalysts of Mr. Alkharrat’s vision and built on his messaging to create additional momentum in the team. SAP MENA colleagues who were present during the founding years of recalled a “special charisma” and energy that Mr. Alkharrat brought to the organization, and which encouraged team members to harness and realize opportunities and build on the vision he had set out. Empower the People A second key focus point for the SAP MENA Success Story lay in the structuring of the vision and to empower the people with skills, instruments, and structure to compete in the Middle East/ Africa market against competitors. To support this goal, Mr. Alkharrat established a set of characteristics for success which he shared with his organization. These were: trust, accessibility, energy-level, passion, dedication and authenticity. With these characteristics in mind, Mr. Alkharrat worked with his management team to establish best practices to prepare, upskill and mobilize the people to execute on the vision. Together with SAP MENA HR Head Nelly Boustany, he addressed the topics of organizational design, HR strategy and fostering a culture of collective energy. In keeping with the principles of transformational leadership, structures were put in place to empower managers to take leadership. Managers received access to training pro- Leadership Strategy & Transformational Leadership Style 69 uvk-lucius.de/ fuehren grams aimed at equipping leaders with the skills needed to excel as managers. Talent management structures entailed 90-day plans and a yearly review with mid-year performance discussions between managers and their teams. Periodic team feedback sessions were conducted by managers from other teams instead of their own. Such „skiplevel“ meetings allowed employees to be more open with commentary than some would be with their manager present, whereby all managers received feedback on their own team’s sessions. Managers and employees alike commented that these crossdepartment feedback sessions helped foster a learning culture. The entire structure around these transformational leadership behaviors was supported by an “open door policy” by which Mr. Alkharrat and Mrs. Boustany communicated their availability to connect with colleagues as needed. The MENA region includes a variety of different cultures and employees from around the world. Mr. Alkharrat and his team invested a great deal of energy in supporting a collective winning culture across the region. As a sales organization, many SAP MENA employees are often traveling or at customer sites. Because of this, it was particularly important to establish a collective call to action and momentum even without a constant onsite communication opportunity. To respond to this need, Mr. Alkharrat established regional presidents in the various MENA markets and empowered these to run their business accordingly. This solution strengthened SAP’s opportunity to react to local needs while retaining strong ties to the strategy of the overall MENA region. Mr. Alkharrat and the Human Resources organization partnered to ensure performance talks took place across MENA. Mr. Alkharrat employed not only onsite visits, but also technology to drive performance. As sales teams won the first deals, Mr. Alkharrat often answered Deal Announcement Mails with enthusiastic praise for the team members-and-encouragement to continue with the vision and goals to be met. Such emails often were the catalyst for a flurry of congratulatory emails from team members and stakeholders and were only one of many examples of how Mr. Alkharrat could mobilize the people to collective action. Many SAP MENA employees credited this unique culture of collective recognition with promoting an additional burst of motivation which further fueled their energy to pursue and win the next deals. Measure, Track and Reward Performance As mentioned earlier, the complex and diverse nature of the organization required a complex solution to manage and guide its success toward realizing the growth journey. Compensation structures followed a “pay for performance” rationale and a clear execution framework. In partnership with the Head of HR for SAP MENA, key deliverables in the market units were mapped and cascaded to the employee body accordingly. Additionally, a charter to “deliver on commitments, align as a team and celebrate one SAP” was espoused. Quarterly team collaboration awards, for which all employees could nominate colleagues, honored cross-team collaboration instead of solo performance. Since 2013, KPIs and goals were also specifically linked to SAP’s global Human Resources People Agenda. This connection of individual goals to the overall SAP 70 Kimberly Maucher-Lynch strategy helped employees understand Mr. Alkharrat’s goals for SAP MENA and to internalize their contribution to a larger, company-wide plan. Trust was an integral part of empowering performance, as Mr. Alkharrat emphasized individual and team responsibility. Furthermore, he encouraged employees to take “intelligent risks” instead of only executing on “sure leads” to achieve a sales quota. Recognition for conscious risk-taking was also part of ensuring a viable and market-savvy sales team. Motivation and reward were thus closely aligned to a strategy of trust in the employees’ intrinsic drive for success. Mr. Alkharrat worked closely with his sales managers to identify key deals and to keep aware of current developments. One important aspect of Sam’s leadership style was his presence and guidance in closing key deals. Mr. Alkharrat quickly gained a reputation as a hands-on manager who joined sales discussions wherever needed and won critical deals alongside his team. Many employees from the earlier years recall his willingness to lead the charge on crucial sales initiatives, which further solidified his role as a manager to follow and trust. As a certified coach, Mr. Alkharrat emphasized crossteam collaboration. Cross-functional successes were regularly celebrated in MENAwide communications and had an integral place in bi-yearly performance talks. SAP Leader Behaviors, a set of distinct points for collaborative and effective management, provided additional structure to measure success as a leader. In January 2015, SAP’s global CEO Bill McDermott visited the SAP MENA offices to congratulate SAP MENA on a strong performance and to visit with customers. As a welcome and a nod to Bill’s love of basketball, Sam and his communications team organized a scrimmage in the meeting location, a converted sport hall. Tricots proclaiming “MENA 2015-Making Simple Real” were set out on each spectator seat for the SAP MENA employees. Hundreds of colleagues streamed in the hall as a video played showing the success story of the past few years. Sam pumped his fist energetically to energize the crowd, which many enthusiastically reciprocated. The SAP MENA Success Story was tangible, with Sam Alkharrat at the helm. AAuthor Kimberly Maucher-Lynch is a Senior Talent Advisor and Talent Acquisition Lead at SAP SE in Walldorf, Germany. In this role, she drives recruitment initiatives in the technology space and advises management on talent topics across SAP. In 2014 and 2015, Ms. Maucher-Lynch moved to the SAP MENA offices in Dubai, where she focused on training and development programs in Saudi Arabia, Oman, Jordan, the United Arab Emirates and Kenya. Prior to this, Ms. Maucher-Lynch spearheaded large-scale recruitment projects in an international personnel consultancy focusing on the telecommunications and IT sectors. Outside of her role as Talent Acquisition Lead, Ms. Maucher-Lynch is a mentor for social start-ups and runs a cross-company mentoring program for current and aspiring managers. She holds a B.A. from Colgate University, New York, USA, and an M.B.A. from the University of Mannheim, Germany. uvk-lucius.de/ fuehren Kapitel 4 Kontingenzansatz der Führung „Vor allem in der Führungsstilforschung wurde der Einfluss situativer Faktoren als so stark anerkannt … dass die These von der situationsunabhängigen Überlegenheit eines Führungsstils nicht aufrechtzuerhalten war: Der als erfolgreichster Führungsstil angesehene konnte sich unter gewissen Bedingungen auch als unterlegen herausstellen. Von dieser Bilanz aus wandte sich die Führungsforschung auf der Basis des erfolgversprechenden Anfangs mit den Führungsstilen denjenigen situativen Faktoren zu, die auf den Erfolg verschiedener Führungsstile moderierend wirken. … Das Bewusstsein, dass es nicht ausreichen wird, einzelne Situationsfaktoren einzubeziehen und unmöglich … ist, alle Situationsfaktoren in ihrer moderierenden Wirkung sowie ihren Wechselwirkungen untereinander zu erfassen, führt für diese Modellgruppe zu der Bezeichnung „Kontingenzansatz“, d.h. bei Vorliegen bestimmter Situationsparameter solle ein bestimmter Führungsstil anderen vorgezogen werden, um die Erfolgswahrscheinlichkeit des Führungsverhaltens möglichst zu erhöhen“ „Führen und führen lassen“ (S. 127) Kontingenzansätze kommen einerseits der Vorstellung entgegen, dass es doch den besten Weg geben müsse, um erfolgreich zu sein, andererseits der breiten Erfahrung, dass nicht alle Fälle gleich gelagert sind und man gewisse Umstände berücksichtigen sollte, um nicht vorhersehbar hinter seinen Möglichkeiten zurückzubleiben. Es wird also ein bisschen differenziert, aber trotzdem an der großen Linie, die zum Erfolg führen müsse, festgehalten. Der Kontingenzansatz ist der Ansatz des einfachen „es kommt drauf an“ - worauf allerdings ist auch nach vielen Forschungsbemühungen nicht eindeutig zu erkennen. Umso weniger sind der Praxis Grenzen gesetzt. Für sie kommt es darauf an, worauf die Entscheider es ankommen lassen wollen. Dabei kann es sich um wirklich relevante Faktoren handeln, aber auch um den Ausdruck von Modeerscheinungen, deren Erkenntnisgehalt (noch) sehr gering ist oder auch schlicht um fixe Ideen. Der zweite Aspekt des Kontingenzansatzes ist die Frage des optimal zur Ausprägung des als zentral angesehenen Situationsparameters passenden Führungsverhaltens oder -stils. Hier ist die traditionelle Forschung Einiges schuldig geblieben: die Nachweise beziehen sich zumeist auf den Vergleich von maximal zwei unterschiedlichen Stilen bzw. Verhaltensdimensionen - insofern wird das Spektrum möglicher Stile und Dimensionen damit keinesfalls ausgeschöpft. Folglich wäre auch bei genauer Übernahme eines wissenschaftlich definierten der Situation am besten angemessenen Stils nicht sicher davon auszugehen, dass er wirklich der optimale für die gegebene Situation ist. Andererseits sind natürlich die Vorstellungen der Praxis sehr viel individueller und durch andere Faktoren bedingt als die von der traditionellen Forschung angelegten Kriterien, die hochaggregierte Abstraktionen von Führungsstilen konzipierte. Insofern stehen Praktiker, die entsprechend dem Kontingenzansatz vorgehen wollen, bereits bevor sie die ersten Modifikationen vornehmen können vor den beiden konkreten Fragen [1] Was definiert die gegebene Situation so eindeutig, dass das Führungsverhalten darauf ausgerichtet werden sollte und 72 Kapitel 4: Kontingenzansatz der Führung [2] Wie sieht dieses der Situation kontingente Führungsverhalten optimaler Weise aus? Unsere beiden Fälle beschreiben typische Vorgehensweisen, wenn auf der Basis von unternehmensinternen oder aus dem Umfeld wirkenden Veränderungen die bisherigen Führungsvorstellungen und das darauf aufbauende Führungsverhalten im Unternehmen als bereits jetzt oder erwartbar in naher Zukunft als nicht mehr angemessen und wenig Erfolg verheißend erkannt und versucht wird, einen neuen, den aktuellen oder zukünftigen Gegebenheiten angemessenen unternehmensweiten Führungsstil zu entwickeln und zu implementieren. Stephanie Danhof und Manfred Lund schildern ein mehrjähriges Projekt, das das Führungshandeln auf allen Ebenen des Unternehmens von einem früheren, damals erfolgreichen und angemessenen Unternehmensführungsstil, der sehr mitarbeiterorientiert war, aber darüber Ziel- und vor allem Innovationsorientierung nicht so pointiert fixierte, in einen neuen Führungsstil im Unternehmen überführt. Der neue Führungsstil orientiert sich stärker an der Komplexität, Dynamik und Wandelbarkeit der aktuellen Marktsituation und unterstützt deshalb eine Verantwortungsübergabe nach unten bei gleichzeitiger Verpflichtung auf stärkere wirtschaftliche Zielorientierung. Dabei wird die Führungskultur oder der Führungsstil nicht als Set konkreter Handlungen verstanden, sondern eher als eine Einstellung oder Perspektive, Aufgaben in einer bestimmten Art anzugehen, was sich in verschiedenen Fällen recht unterschiedlich äußern kann - und am Kriterium des Erfolgs orientiert auch äußern soll. Insofern stellt das Beispiel den Übergang eines Unternehmensführungsstils zu einem anderen dar, der sich an den sich verändernden Kriterien für Erfolg und paradigmatischen Veränderungen des Settings in dem agiert wird, orientiert. Anhand eines Restrukturierungsprozesses in einem weltweit aktiven Unternehmen schildert Rupert Felder den Wandel von Anforderungen an Führungswirken bei starken Veränderungen in den Märkten und den Unternehmen. Aus einer soliden Marktführerschaft auf der Basis hoher Produktqualität und anerkannter Dienstleistungen gerät das Unternehmen durch Turbulenzen im Markt in den freien Fall, verliert Umsätze, ganze Märkte und Standorte, erhebliche Teile der Belegschaft, insbesondere auch Leistungsträger und Führungskräfte. Unterschiedliche individuelle Notfallstrategien führen dazu, dass sehr disparate Vorstellungen dazu sprießen, wie das Unternehmen in die Zukunft geführt werden kann. Es musste sehr schnell zu einem neuen Weg der Führung finden, um den Aderlass an Know-how, Stringenz im Handeln, Marktpräsenz und Wettbewerbsfähigkeit aufzufangen. Der bislang erfolgreiche Führungsduktus für stetiges Wachstum und Expansion auf der Basis starken Selbstbewusstseins, das auf traditionellen Stärken und Stolz gründet, erweist sich in der turbulenten Phase als unzweckmäßig und die Fliehkräfte lassen um den Bestand des Unternehmens fürchten. Mit den verbliebenen Führungskräften, eilig ergänzt durch Neuzugänge muss dem Strudel entronnen werden und ein neuer Führungsansatz aufgebaut werden, da der alte auch nachdem die Krise gemeistert ist, nicht mehr tragfähig ist. Es werden die Notfallmaßnahmen zu Beginn der Veränderung geschildert, die zunächst einen einsatzfähigen Führungsstamm erhalten sollen, danach die Initiativen zur Neuausrichtung und Entwicklung des Führungsansatzes des Unternehmens. uvk-lucius.de/ fuehren 4.1 Neue Anforderungen des Marktes bedingen einen neuen Führungsstil in Unternehmen von Stephanie Danhof und Manfred Lund Die Schwäbisch Hall Kreditservice GmbH (SHKS) ist 100%-ige Tochter der Bausparkasse Schwäbisch Hall AG und damit Teil der genossenschaftlichen Finanzgruppe, zu der auch die Volks- und Raiffeisenbanken gehören. Die SHKS ist der führende Kreditservicer in der industriellen Bearbeitung von Immobilienkrediten und Bausparprodukten und wickelt für die Bausparkasse Schwäbisch Hall AG und die DZ BANK AG jährlich ca. 8 Millionen Darlehens- und Bausparverträge ab. Am Unternehmenssitz in Schwäbisch Hall sind auch ca. 3.500 von 7.500 Mitarbeitern der Unternehmensgruppe beschäftigt. Die Ausgangssituation Die Anforderungen des Marktes ändern sich: exzellente (und detailliert dokumentierte) Beratung, hohe Erreichbarkeit über alle Kommunikationskanäle und schnelle Reaktionsfähigkeit sowohl bei Anfragen, Abschlüssen oder Änderungswünschen zeichnen das Bild von den Ansprüchen des heutigen Kunden. Eine Kulturanalyse im Jahr 2010 machte deutlich: die Führungskräfte handeln prozessorientiert und setzen Änderungen konsequent um, jedoch tun sie sich eher schwer, Prozesse komplett zu hinterfragen und unkonventionelle Wege zu gehen. In der Mitarbeiterführung verstehen sich viele Teamleiter eher als Fürsprecher ihrer Mitarbeiter, die die Interessen ihrer Mitarbeiter vertreten und dabei Erwartungen hinsichtlich Leistungen oder Veränderungsbedarf zu undeutlich adressierten. Über die letzten Jahrzehnte hat sich die Unternehmensgruppe hierdurch zum Marktführer und mehrfach ausgezeichneten Arbeitgeber entwickelt. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Kosten- und Wettbewerbsdrucks in der Finanzdienstleistung benötigt es jedoch schnelleres Agieren am Markt und die Erhöhung der Produktivität in den Geschäftsprozessen, die die SHKS verantwortet. Führungskräfte sollen den Lean-Management-Gedanken, der verbindlich im Processing verankert werden soll, konsequent fördern. Dazu gehört, dass hierarchisches Denken von crossfunktionaler Interaktion und Kommunikation abgelöst wird. Prozessverbesserungen oder neue IT-gestützte Bearbeitungsansätze sollen durch die Personen entwickelt werden, die vor Ort mit der täglichen Umsetzung betraut sind. Dazu müssen Mitarbeiter befähigt werden, selbst entsprechende Schritte einzuleiten, um kontinuierlich Verbesserungen umzusetzen. Initialzündung für den beschriebenen Veränderungsprozess ist ein Top-Management-Workshop im Februar 2011, in dem die Ergebnisse der Kulturanalyse umfassend diskutiert wurden. Ein Moderator begleitete das neue formierte Managementteam dabei, sich durch narrative Interviews näher persönlich kennen zu lernen. Ergebnis des Workshops war ein gemeinsames Commitment zur systemati- 74 Stephanie Danhof und Manfred Lund uvk-lucius.de/ fuehren schen Unternehmensentwicklung, die schließlich über mehrere Jahre projekthaft organisiert wird. Sinnbild für den Aufbruch und den Change-Prozess wird eine Geschichte „Der lange Marsch“, in der eine Gruppe von Bergbewohnern einen anstrengenden Marsch über einen Berggipfel erfolgreich unternimmt. Roter Faden für den Veränderungsprozess Unternehmerischer nachhaltiger Erfolg basiert auf dem professionellen Managen der strategischen Ausrichtung, der Übersetzung in adäquate Prozesse und Strukturen und der Schaffung einer Kultur, die auf Leistung, Verantwortung und Wirksamkeit ausgerichtet ist. Daher sendet das Managementteam der SHKS 2011 eine klare Botschaft: (Quelle: Malik 2013) Der Veränderungsprozess der SHKS sollte dieser Überzeugung folgend die Elemente Strategie - Struktur - Kultur von Anfang an verzahnen. Unter Einbindung der nächsten beiden Führungsebenen, Bereichs- und Abteilungsleiter, entstanden folgende konkrete Zielvorstellungen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken: Mit der neu zu erarbeitenden strategischen Ausrichtung sollen sich möglichst alle Mitarbeiter identifizieren. Die Strukturen und Prozesse sollen überprüft und optimiert werden. Das Handeln der Menschen in der SHKS soll sich auszeichnen durch unternehmerisches (Mit-)Denken und Handeln, einen hohen Anspruch an Qualität und eine vertrauensvolle Führung und Zusammenarbeit. Basis eines vertrauensvollen Miteinanders ist gelebtes Feedback als ein angemessener Umgang mit Fehlern und eine „Esgeht-Haltung“. Im initialen Management-Workshop legte das Topmanagement für sich fest, in diesem Veränderungsprozess als Vorbilder sichtbar in die Verantwortung und in den intensiven, persönlichen Dialog zu gehen. Dies war insofern zentral, da ein in der Kulturanalyse aufgezeigtes Handlungsfeld die in manchen Einheiten stark ausgeprägte Hierarchieorientierung war, die durch Begegnungen „auf Augenhöhe“ abgebaut werden sollte. Neue Anforderungen des Marktes bedingen einen neuen Führungsstil in Unternehmen 75 uvk-lucius.de/ fuehren Daraus entstand der „rote Faden“ für die Gestaltung des Veränderungsprozesses: durch neue Erlebnisse in der Führungsmannschaft hierarchie- und bereichsübergreifend Vertrauen aufbauen. In der Architektur des Veränderungsprozesses standen neben inhaltlich ausgerichteten Maßnahmen zur Strategieumsetzung folgende Elemente im Fokus: Dialog- und Workshop-Formate zur Verbesserung der Führungskultur in den bilateralen Führungsbeziehungen und in bereichsübergreifenden Führungsrunden (z.B. Führungsgespräche, Netzwerkgruppen, Workshops, siehe hierzu „Führungskräftebefähigung“). Großgruppenveranstaltungen zur Einbindung aller Hierarchien und Bereiche (z.B. Frühstücksrunden mit dem Vorstand, Skip-Level-Workshops) Ergänzende Dialogrunden und Workshop-Formate innerhalb der Bereiche (z.B. Bereichsleiter besucht Teamrunden, Newsletter, Jahresabschlussevents). Führungskräftebefähigung Ein kleiner Exkurs, denn: „Zukunft hat Herkunft“ Führungskultur ist spätestens seit Anfang des neuen Jahrtausends in der Schwäbisch Hall-Gruppe ein „Dauerbrenner“ (Danhof, 2013). Unsere Erfahrungen zeigen: Führungskultur kann nicht „von oben“ verordnet werden, sie entsteht aus dem Zusammenwirken aller Beteiligten. In den Führungsleitlinien ist das Führungsverständnis Schwäbisch Hall dokumentiert: „Führung heißt, mit Offenheit, Mut und unternehmerischer Verantwortung die wichtigen Dinge zu entscheiden, gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umzusetzen, und mit der Veränderung bei sich selbst zu beginnen. Führungskräfte in der Schwäbisch Hall-Gruppe verhalten sich als „Mit- Unternehmer“, „Veränderungsmanager“ und „Teamleader“. 76 Stephanie Danhof und Manfred Lund uvk-lucius.de/ fuehren In den 2011 durchgeführten Führungs-Workshops wurden neben den Erwartungen des Managements auch die Sorgen, Ängste und Fragen der Führungskräfte thematisiert. Dabei wurde deutlich, dass die seit 2004 dokumentierten Führungsleitlinien zwar alle relevanten Inhalte auf einer hohen Flughöhe beschreiben, das konkrete Führungsverhalten und -verständnis stark durch unterschiedliche Bereichskulturen und situative Führungsherausforderungen geprägt war. Drei Beispiele, in denen die aktuellen Managementaufgaben geschärft werden sollten: Mitunternehmer: Aufgabe der Führungskraft muss es sein, bei Lösungsentwicklung das Gesamtinteresse vor das Eigen- oder Fachbereichsinteresse zu stellen und noch stärker die Mitarbeiter dahin gehend zu befähigen, dies ebenfalls zu tun. Veränderungsmanager: In der Kommunikationskaskade darf keine wesentliche Information verloren gehen, Mitarbeiter müssen mehr Gelegenheit für Nachfragen und Dialog erhalten, um die Tragweite der Veränderung und den eigenen Beitrag ableiten zu können. Teamleader: Aufgabe der Führungskraft muss es sein, den Mitarbeitern auch vermeintlich widersprüchliche Entscheidungen zu vermitteln, um die Mitarbeiter auch von zunächst unbequemen oder die Individualität einschränkenden Maßnahmen zu überzeugen. Ausfluss dieser Workshops war u.a. die Entscheidung, ein aus vier zweitägigen Modulen bestehendes Programm für alle Führungskräfte auf der dritten Ebene (Teamleiter und Manager der SHKS) durchzuführen, das im Folgenden vorgestellt wird. Steckbrief „Führung im Change leben“ [1] Ziele Transparenz schaffen über die existierenden Standards - Kontinuierliche praktische Arbeit an der Umsetzung der Standards und Best - Practice teilen Kompetenzaufbau in Bezug auf im Veränderungsprozess besonders relevante - Herausforderungen, wie z.B. schwierige Gespräche führen oder Umgang mit Widerständen [2] Rahmen und Inhalte Grundlage: gemeinsames Führungsverständnis - 4 Module à 2 Tage, d.h. 8 Tage je Gruppe, mit je 2 externen Trainern - Insgesamt liefen 6 Gruppen à 20 bis 25 Führungskräften aus allen Fachberei- chen parallel bzw. leicht zeitversetzt. [3] Ergänzende Elemente Zusätzlich wurden Netzwerkgruppen von 5 bis 7 Teilnehmern gebildet, die sich zwischen den Modulen einbis zweimal trafen und mithilfe der „kollegialen Fallberatung“ Themen aus dem Führungsalltag bearbeiteten. Um die Kommunikation hierarchieübergreifend sicher zu stellen, wurden regelmäßig alle Führungskräfte zu den Modulergebnissen und wesentlichen Diskussionspunkten informiert. Zudem wurden Vertreter der Teamleiterebene zu Top-Management-Workshops eingeladen bzw. Top-Management-Vertreter waren Gesprächspartner in einzelnen Modulen. Neue Anforderungen des Marktes bedingen einen neuen Führungsstil in Unternehmen 77 uvk-lucius.de/ fuehren Für die Akzeptanz der Trainings bei den Teilnehmern war die Ausgestaltung der Trainings erfolgskritisch. Bereits im Vorfeld führte das Wort „Qualifizierung“ bei der Zielgruppe zu Gesprächsbedarf, hatten doch viele Teilnehmer damit das Gefühl, dass sie nochmal die Schulbank drücken sollten. Die Inhalte und die Trainer konnten letztlich überzeugen durch einen Mix aus kurzen Inputs verknüpft mit Erfahrungsaustausch zur Umsetzung in der Praxis sowie die Möglichkeit, aktuelle Fragestellungen der Teilnehmer zu integrieren. Im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung wurden die Motiv- Struktur-Analyse (MSA) und intensive Feedbacksequenzen eingesetzt. Nicht zuletzt förderte Erfahrungslernen anhand kurzweiliger und aufschlussreicher Lernsituationen (z.B. über eine KultuRallye) den Erkenntnisgewinn und den Spaß am Mitmachen. Effekte der Führungsqualifizierung Bereichsübergreifende Zusammenarbeit: Die Modulgruppen wurden von den Teilnehmern als sehr hilfreich für Erfahrungsaustausch und bereichsübergreifende Netzwerkintensivierung bewertet. Führungseffektivität: Führung wurde auf Basis der Führungsleitlinien kritisch hinterfragt (Machen wir eigentlich die richtigen Dinge? ) und die gemeinsame Haltung weiter entwickelt. Führungseffizienz: Der inhaltliche Fokus (im ersten Jahr auf Führungshandeln im Change, im zweiten und dritten Jahr auf den Umgang mit Arbeitsbelastung) war aus Sicht aller Beteiligten ein wichtiger Beitrag zum erfolgreichen Gelingen der flächendeckenden Umsetzung. Ergebnisse und Lessons Learned Hat sich die Führungskultur nachhaltig verändert? Im Rahmen des Change-Prozesses der SHKS wurden laufend in Workshops und Dialogrunden und über Mitarbeiterbefragungen differenzierte Feedbacks eingeholt. Insbe- 78 Stephanie Danhof und Manfred Lund uvk-lucius.de/ fuehren sondere die Mitarbeiterbefragungen 2009, 2012 und 2014 liefern sehr brauchbare Indikatoren: Veränderungsziele Zustimmung der Mitarbeiter (Auszüge aus der Mitarbeiterbefragung) Trend Mittelwerte* 2014 (2012) (2009) Identifikation mit der strategischen Ausrichtung Die Kernaussagen der strategischen Ausrichtung der SHKS sind mir bekannt und für mich nachvollziehbar. 1,9 (1,9) (2,1) unternehmerisches (Mit-)Denken und Handeln, hoher Anspruch an Qualität Ideen und Vorschläge werden - soweit sinnvoll und möglich - in meiner Einheit auch umgesetzt. 1,7 (2,0) (2,1) Meine Führungskraft überträgt nicht nur Aufgaben und Verantwortung, sondern auch Entscheidungsbefugnisse an mich. 1,8 (2,0) (2,1) In meiner Einheit bewerten wir regelmäßig Projekte oder Prozesse, um daraus Verbesserungen abzuleiten. 1,9 (2,1) (2,3) vertrauensvolle Führung und Zusammenarbeit: gelebte Feedback- und Fehlerkultur Die Führungskräfte in meinem Bereich begegnen ihren Mitarbeitern mit Wertschätzung und Respekt. 1,7 (2,0) (2,0) Die Zusammenarbeit zwischen meinem und anderen Bereichen ist partnerschaftlich und vertrauensvoll. 2,0 (2,2) (2,2) Ein Austausch in meiner Einheit findet regelmäßig durch Meetings etc. statt. 1,4 (1,6) (1,8) Die Führungskräfte in meinem Bereich begegnen ihren Mitarbeitern mit Wertschätzung und Respekt. 1,7 (2,0) (2,0) *Antwortkategorien: von 1 = trifft voll und ganz zu bis 4 = trifft nicht zu Zwischen 2009 und 2014 stieg die Gesamtzufriedenheit der Mitarbeiter in allen abgefragten Themenfeldern, also Arbeitgeber, Arbeitssituation, Verhalten der Führungskräfte und der disziplinarischen Führungskraft. In der abschließenden Führungskräfteveranstaltung haben viele Führungskräfte den vollzogenen Wandel im Umgang miteinander thematisiert. Viele erinnerten sich an die Vorbehalte in den ersten Treffen, offen die eigene Meinung auszusprechen und in den persönlichen Kontakt zugehen. Ein Blick zurück: Was hat aus Projektsicht die Verhaltensänderung ermöglicht? Das Top-Management ist wichtiger Bestandteil des Gesamtprozesses: Vorbild in Professionalität, Glaubwürdigkeit in der Person und Rolle, aktives Mitmachen Klare Projektstruktur mit entsprechenden Rollen, Aufgaben und Kompetenzen Kommunikationskonzept, das unterschiedliche Zielgruppen auf unterschiedlichen Ebenen anspricht und beteiligt Neue Anforderungen des Marktes bedingen einen neuen Führungsstil in Unternehmen 79 uvk-lucius.de/ fuehren Verbindlichkeit und Konsequenz Offenheit und Transparenz von allen Seiten (klare Erwartungen, aktiver Umgang mit Widerständen, über Ängste und Bedenken sprechen) Was konnten wir und können andere daraus lernen? Was würden wir beim nächsten Mal wieder, anders oder besser machen? Wieder machen: Veränderungsnotwendigkeit von Beginn an breitflächig in das Unternehmen tragen (um auch den subjektiven Veränderungsdruck zu erhöhen) Wieder machen: Verzahnung Strategie - Struktur - Kultur, da es den Wirkungsgrad deutlich erhöht Besser machen: Stimmungslagen schneller transparent machen (hilfreich hierfür ist die Nutzung interaktiver, webgestützter Prozesse) Besser machen: Bei der Führungskräftebefähigung darauf achten: alle Führungsebenen einbeziehen und auf konkrete erfolgskritische Aufgaben fokussieren, damit die Mitarbeiter schnell einen Effekt spüren. Anders machen: noch effizientere und agile Beteiligungsstrukturen quer durchs Unternehmen organisieren. Kommentierung und Fazit Reale Veränderungsprozesse basieren auf Überzeugungen der handelnden Akteure und auf Erfolgsmodellen, die sich in der Organisation bewährt haben. Untersucht man die Entwicklung des Führungsverständnisses der Schwäbisch Hall-Gruppe der letzten 20 Jahre, lässt sich erkennen, dass das Top-Management das Führungsverständnis immer wieder aufgrund von Markt- und Umweltveränderungen kritisch hinterfragt und weiterentwickelt hat. Im Abgleich zu den gängigen Führungstheorien finden sich Gemeinsamkeiten zum Konzept der situativen Führung, bei der das optimale Vorgehen der Führungskraft von konkreten situativen Bedingungen bestimmt wird. Zudem findet sich eine Parallele im Führungsverständnis Schwäbisch Hall, das in den ausführlich beschriebenen Managementaufgaben als eine wesentliche Aufgabe das Entscheiden nennt, für das die Kenntnis des Ziels, der aktuellen Situation und weiterer relevanter Parameter erforderlich ist. Auch die Durchführung von Führungstrainings unterstellt implizit, dass es relevantes Führungswissen zu erfolgreichen Methoden und Vorgehensweisen gibt, das gelehrt und gelernt werden kann. Eine deutliche Abweichung des beschriebenen Praxisfalles zur Theorie der situativen Führung ist dort zu erkennen, wo es um die Frage des „Wie“ geht. Die in der situativen Führung vertretene Auffassung, dass es einen oder wenige beste Wege zur Zielerreichung oder Problemlösung gäbe, berücksichtigt das komplexe reale Führungsgeschehen nicht ausreichend. In der beschriebenen Führungskräftebefähigung der SHKS war es vielmehr das Ziel, die Führungskräfte dazu zu befähigen, sich einen möglichst umfassenden (und nicht nur auf rationalen Fakten basierenden) Lösungsraum zu erschließen und dann unter den gegebenen Rahmenbedingungen eine bestmögliche Entscheidung treffen zu können. Denn genau darin liegt der Schlüssel für auch zukünftig erfolgreiche Führung: sich eben nicht auf die eigene vergangenheitsgerichtete Erfahrung, Theorien oder gute Ratschläge zu verlassen, sondern bei der Problemlö- 80 Stephanie Danhof und Manfred Lund sung mit einem erweiterten Methodenkoffer unterschiedliche Wahrnehmungsebenen und die Perspektiven anderer zu nutzen. So enthält das gewählte Vorgehen letztlich Anknüpfungspunkte zu mehreren Theorien: Die Überzeugung, dass ein in der Organisation erarbeitetes und dokumentiertes Führungsverständnis eine tragfähige Basis für eine bewusst gestaltete Führungskultur ist. Die Überzeugung, dass Führung erlernt werden kann, jedoch nicht durch das Training einiger weniger Handlungsoptionen, sondern durch eine veränderte Haltung und durch den Zugewinn an neuen Methoden und Wahrnehmungsebenen. Die Überzeugung, dass eine gute Führungskraft auch mit ihrer Person wirkt und daher Führungsarbeit immer auch eigene Persönlichkeitsentwicklung darstellt. Die durch diesen Change-Prozess gewonnene Erkenntnis, dass das Reflektieren gelebter Führung, das gemeinsame „Entlernen“ oder „Loslassen“, und dann das damit verbundene „Neu Lernen“ eine notwendige Voraussetzung für eine gelingende Unternehmenstransformation ist. Literatur Danhof, S. (2014). Veränderungserfolg durch „gute Führung“ am Beispiel Schwäbisch Hall. In: B. Rosenberger, Modernes Personalmanagement: Strategisch - operativ - systemisch, S. 202ff., Springer Fachmedien, Wiesbaden. Malik, F. (2013). Management: Das A und O des Handwerks (2.A.), S. 125ff. Campus Verlag, Frankfurt am Main. Autor-Kurzprofile Stephanie Danhof verantwortet als Abteilungsleiterin im Personalmanagement der Bausparkasse Schwäbisch Hall AG das Talent Management, Personal- und Führungskräfteentwicklung sowie die Ausbildung mit etwa 220 Auszubildenden und Studenten. Sie leitete in der Vergangenheit eine Reihe von Organisationsentwicklungsprojekten von der Einführung eines Unternehmensleitbildes bis zur Integration neuer Führungsleitlinien, zuletzt begleitete sie die Neupositionierung der Tochter Schwäbisch Hall Kreditservice GmbH. Manfred Lund verantwortete zwischen 2010 bis 2015 als CFO das Ressort Unternehmenssteuerung und Beteiligungen in der Schwäbisch Hall Kreditservice. Seit 2003 hatte er verschiedene Führungspositionen innerhalb der Schwäbisch Hall Kreditservice inne. Davor verantwortete Herr Lund von 1997 bis 2003 den Bereich Personal und Controlling bei der Lombardkasse AG, einer auf das Maklergeschäft spezialisierten Wertpapierbank. Seit November 2015 hat er die kaufmännische Geschäftsführung der CardProcess GmbH, das Kompetenzzentrum der Genossenschaftlichen FinanzGruppe für das bargeldlose Bezahlen, übernommen. uvk-lucius.de/ fuehren 4.2 Wandel des Führungsansatzes: Erfolgreich führen vor und nach der Krise von Rupert Felder Die Heidelberger Druckmaschinen AG ist international aufgestellter Marktführer im Bereich der Bogen-Offsetmaschinen und ist Partner der Druckindustrie. Nicht nur die Maschinen kommen von Heidelberg, fast die Hälfte des Umsatzes wird mit Service und Verbrauchsmaterialien erzielt. Knapp 12.000 Mitarbeiter, davon zwei Drittel in Deutschland, beschäftigt das Unternehmen mit Sitz in Heidelberg; 2008 waren es noch fast 20.000 Mitarbeiter. Service- und Vertriebsniederlassungen sowie ein Produktionsstandort in China sorgen für eine weltweite Präsenz. Im Zuge der Finanzkrise sind auch die Aufträge für Druckmaschinen dramatisch zurückgegangen. Alle Druckmaschinenhersteller waren davon betroffen und mussten deutlich Personal reduzieren. Damit nicht genug: Die strukturelle Veränderung in der Druckbranche führte zu weiteren Restrukturierungsprogrammen, verbunden mit weiterem Personalabbau. Im Frühjahr 2012 wurde mit „focus2012“ bei Heidelberger Druckmaschinen ein Restrukturierungsprogramm aufgelegt, weitere sollten folgen, da sich die Auftragslage in einem kontinuierlich zurück gehenden Markt nur schwer prognostizieren ließ. Nach Jahren mit erheblichem operativen Verlust konnte im Geschäftsjahr 2013/ 14 erstmals wieder eine „schwarze Null“ geschrieben werden. Für das Geschäftsjahr 2015/ 16 ist bei 2,3 Milliarden Euro Umsatz die Rückkehr zu nachhaltiger Profitabilität angestrebt. Das Unternehmen hat sich in den Jahren seit 2008 massiv gewandelt: von rund 20.000 Mitarbeitern auf unter 12.000, verbunden mit der Stilllegung ganzer Produktlinien und Standorte sowie Veränderung in der strategischen Ausrichtung. Auf die Konsolidierung der Druckbranche und Märkte wurde reagiert. Im Verpackungsdruck steigt das Druckvolumen kontinuierlich, die Anforderungen an Verpackungen und Druckprodukte steigen; damit die Anforderungen an eine industrielle Produktion. Die Prozessoptimierung durch webbasierte Workflows ist in kaum einer anderen Branche so exemplarisch. Die kritische Unternehmenslage als Anforderung an Führung Auswirkungen auf Mitarbeiter und Führungskräfte Der massive Stellenabbau betraf alle Ebenen: die Schließung ganzer Produktionsstandorte, aber auch die Reduzierung von Führungskräften und Austausch des Managements. Dieser unternehmerische Zustand definierte die Herausforderung an Führung: Orientierung geben in kritischen Unternehmensphasen, Sicherheit in Zeiten der Unsicherheit, Bindung für die Leistungsträger in volatilem Umfeld, Sicherung von Knowhow in Zeiten drastischer Budgetkürzung - um nur einige Parameter zu nennen. Die Zumutung der unternehmerischen Situation bestimmt die Aufgabe an die Leitungsebene. Das Beenden einer kritischen Unternehmenssituation fordert den Wechsel heraus: Treiber sein statt Getriebener; Handelnder statt passivem Erdulden situativer Umstände, und perspektivisch auf die „Zeit danach“ vorbereitet sein. Der Stellenabbau und die betriebsverfassungsrechtlichen Instrumente hierzu prägten die Führungskultur: die Durchführung einer Sozialauswahl zur Vorbereitung betriebs- 82 Rupert Felder uvk-lucius.de/ fuehren bedingter Kündigungen verändert die Kultur im Unternehmen. Die massive Ansprache durch die betrieblichen Vorgesetzten an Mitarbeiter, Abfindungsprogramme oder Frühpensionierungen zu nutzen, wirkt auf die Art der Zusammenarbeit. Die arbeitsrechtliche „ultima ratio“ eines Kündigungsprogrammes führt die Perspektivlosigkeit drastisch vor Augen. Und das in einem zeitlichen Kontext, der eigentlich den Weg nach vorne, den Kampf gegen rote Zahlen und das Besiegen der Marktkritik in den Mittelpunkt stellen müsste. Das Unternehmen Heidelberg war mit sich, seinen Mitarbeitern und den sozialen Komponenten einer Umstrukturierung beschäftigt. Schwankend zwischen aktivem Handeln zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben und passivem zur Kenntnis Nehmen von Marktveränderungen, finanziellen Eckdaten und Quartalsbilanzen führt die Anforderung an Führungskräfte zu unterschiedlichen Aggregatszuständen: eigene Betroffenheit und Inanspruchnahme durch Dritte (Kunden, Mitarbeiter, Familie, persönliches Umfeld) sind das eine, die Suche nach Alternativen und möglichen Szenarien das andere. Es ist eine 360-Grad-Betroffenheit; vom betrieblichen Alltag spannt sich der Bogen ins Private. Der Beitrag zur familiären Existenzsicherung ist genauso betroffen wie die Reputation des beruflichen Alltags. Negativschlagzeilen über das eigene Unternehmen wirken sich nun einmal unmittelbar wie mittelbar auf das berufliche Selbstwertgefühl aus. Und dieses wiederum hemmt Energien zur Veränderung der Situation. Anders formuliert: Krise ist wie Mehltau, der sich auf die Pflanze der Veränderung legt. Das „Biotop“ für Führungskulturen Dabei ist die existenzielle Bedrohung eines Personalabbaus, zumindest die Erwägung der abstrakten Möglichkeit dazu, verbunden mit dem Vertrauen in die Zukunftsperspektive des Unternehmens eine ganz elementare Herausforderung für jeden Einzelnen - unabhängig vom hierarchischen Level und von betrieblicher Funktion. Die Möglichkeit des Scheiterns nicht nur als Individuum, sondern als kollektives Unternehmen schafft ein einzigartiges Biotop für Führungskultur. Insofern stellt die Unternehmenssituation eine ganz eigene, durch die wirtschaftliche Lage bedingte Herausforderung für Führungskultur dar. Anders gesagt: ohne ein aktives Managen von Führung in dieser Situation entsteht ein „Biotop“, in dem unterschiedliche Führungspersönlichkeiten sich entfalten. Im Zweifel nach eigenen Regeln und Richtungen. Daher ist in solchen Situationen entscheidend, dass auch Führungskräfte eine Orientierung erhalten, sich an Führungsgrundsätzen ausrichten und eine gemeinsame Haltung erzeugen. Retention - der Versuch einer Brandmauer gegen die Flucht der Guten Der vom Unternehmen gewollte Abbau von Personal wird durch aktive Instrumente wie Abfindungen, Wechsel in Transfer- und Qualifizierungsgesellschaften oder Frühpensionierungen gefördert. Gleichzeitig nehmen aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr berufliches Schicksal zum Teil selbst in die Hand und suchen nach Alternativen. Diese natürliche Fluktuation nimmt in kritischen Unternehmensphasen zu, weil das Vertrauen in die unternehmerische Entwicklung und damit auch in die persönlichen Chancen schwindet. Ein Unternehmen, das Personal abbaut und gegen rote Zahlen kämpft, wird nicht verbunden mit eignen, persönlichen beruflichen Perspektiven. Im Gegenteil: Entgeltzuwachs, Beförderungen und das aktive Nutzen von Verteilungs- Führung 83 uvk-lucius.de/ fuehren spielräumen sind ausgesetzt oder werden zumindest so subjektiv eingeschätzt. Nicht erst, wenn die genannte aktive Abbauphase mit Restrukturierungen umgesetzt wird, schon weit vorher, wenn die Diskussionen darüber geführt und erste Szenarien diskutiert werden, beginnt die Phase, dass Mitarbeiter das Unternehmen verlassen und sich anderweitig orientieren. Dabei sind doch gerade in kritischen Unternehmensphasen kreative und engagierte Köpfe gefordert. Besondere Umstände erfordern besondere Lösungen. In kaum einer anderen Unternehmensphase kommt es auf das aktive Nutzen von Gestaltungsmöglichkeiten an. Dazu braucht es fähige Könner, die in der Lage sind, die Chancen zu definieren und zu nutzen. Das ist die Stunde für das Personalinstrument „Retention“. Die Guten müssen gehalten werden. Doch Bleiben alleine reicht nicht, sie müssen in die Lage versetzt werden, Ideen umzusetzen und Handlungsspielräume zu nutzen. Heidelberg hat dieses Instrument aktiv eingesetzt. Zeitgleich zum Beschluss der Restrukturierungen und Personalabbauinstrumente wurde, quasi als Rückseite der gleichen Medaille, ein Retentionprogramm beschlossen. Das Retentionprogramm sollte die Absetzbewegung der „Guten“, der Leistungsträger verhindern, zumindest mildern. Fluktuation sollte nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden, vielmehr sollte der notwendige Verbleib von Schlüsselpersonen aktiv angegangen werden. Zielsetzung der Aktion war, die definierten Führungskräfte dem Unternehmen zu erhalten, sie in ihrer Loyalität zu stärken und sie zu einem Baustein des Führungsteams werden zu lassen. Ohne personelle Ressource ist das Meistern der Krise nicht möglich. Nur mit einem gestärkten Führungsteam ist notwendiges Handeln möglich. In einem ersten Schritt wurden „Schlüsselpersonen“, also Leistungsträger identifiziert. In jedem Vorstandsbereich wurden mit einer simplen A-B-C-Kategorisierung die zentralen Personen identifiziert, die für eine aktive Rolle einer Vorwärtsstrategie unverzichtbar erschienen. Erfahrung, Energie, Einsatzbereitschaft und das Zutrauen, als Leistungsträger aktiv die Herausforderungen zu managen waren dabei Kriterien, wie auch eine unverzichtbare fachliche Expertise. Dabei ging es nicht nur um die Frage einer individuellen Unersetzbarkeit, sondern auch um die Option, eine Führungsrolle sichtbar zu verkörpern. In einem zweiten Schritt wurde dann die individuelle Fluktuationsbereitschaft eingeschätzt und die damit verbundene Gefahr für das Unternehmen. Die Einschätzung erfolgte subjektiv durch den zuständigen Vorstand, ergänzt durch eine kollegiale Integrationssicht durch Offenlegen der Personen und Diskussion im vertraulichen Kreis. Persönliche Umstände, familiäre und regionale Bindungen, berufliche Entwicklung und Perspektive am Arbeitsmarkt waren Gesichtspunkte einer Erwägung, die zu einer wiederum simplen A-B-C-Einschätzung führten. Diese Einschätzung konnte natürlich nur auf Annahmen und subjektiven Bewertungen beruhen, zum Teil sind ja persönliche Umstände, die zur Einschätzung einer beruflichen Mobilität führen, nicht oder nur unzulänglich bekannt. Die jahrelange Kollegialität und gemeinsame Unternehmensbiografie spielt dabei eine Rolle, die zur Verschiebung der Einschätzung führen kann und daher bei der Einschätzung berücksichtigt wurde. Die offene Diskussion im engen Kreis des Vorstandes brache eine Validierung der Ergebnisse und eine ressortübergreifende Sicht auf Zielsetzung und Wirkungsmöglichkeit des Instrumentes Retention. 84 Rupert Felder uvk-lucius.de/ fuehren In einem dritten Schritt wurden die Retentionmaßnahmen festgelegt. Die Schnittmenge der A-Personen (aus beiden Perspektiven) führte zur Liste der Kandidatinnen und Kandidaten für Retentionmaßnahmen. Diese Instrumente sollten die Bleibebereitschaft fördern und im Bestfall garantieren. Dabei wurde ein ganzer Strauß an möglichen Instrumenten und Ausprägungen definiert und in die Vergabeoption eingespielt: Bildungsangebote (etwa eine mehrjährige Zusatzqualifizierung), aber auch finanzielle Anreize („pay to stay“-Komponente) wurden festgelegt und in einem individuellen Schreiben ausgelobt und zugesichert. Die finanzielle Zusage als Auslobung eines definierten Betrages war gekoppelt an die Bedingung, dass zum Ende der Laufzeit das Arbeitsverhältnis ungekündigt sein muss. Dabei wurden diese Schreiben als Zusage des Unternehmens persönlich übergeben, angeboten und erläutert. Die damit verbundene und zum Ausdruck zu bringende individuelle Wertschätzung war dabei zentrale Botschaft. Das Schreiben diente damit nicht nur der Dokumentation, sondern auch dem Ausdruck der Wertschätzung und individuellen Zugehörigkeit zum Retentionprogramm. Die finanzielle Zusage wurde abhängig von der definierten Verweildauer im Unternehmen und in Relation zum persönlichen Einkommen festgelegt. Das dafür notwendige Budget wurde unternehmensweit zentral definiert und eingeplant. Die Maßnahmen wurden im Personalbereich erfasst, administriert und verfolgt. Im vierten Schritt wurden schließlich Integrationsrunden als Schlüssel der Verteilungsgerechtigkeit durchgeführt. Dabei war in allen Phasen entscheidend: die Einschätzung und Vergabe wurde nicht durch eine einzelne Führungskraft vorgenommen, sondern oblag einer Einschätzung im Vorstand als Kollektivorgan. Diese Integrationsrunden führten zum Kalibrieren der Einzelmeinung und zur Prüfung der Angemessenheit von Anzahl und Umfang der Maßnahmen je Vorstandbereich. Der Anspruch war: aus subjektiven Einschätzungen eine vom Kollegialorgan getragene Entscheidung zu machen. Der Diskussionsprozess war getragen von der gemeinsamen Aufgabe, die Handlungsfähigkeit des Unternehmens an Schlüsselpositionen zu gewährleisten. Ressort- Egoismen und Quotierungsideen wurden durch eine gemeinsame Einschätzung und Integration überwunden. Unabhängig von der Notwendigkeit und den Erfolgsaussichten der Retentioninstrumente war allein dieser Prozess eine Investition in die Teambildung des obersten Leitungsgremiums. Die Unternehmensführung hat damit die Voraussetzungen für die personelle Unterstützung der Neuausrichtung und Durchführung des Sanierungskurses gesichert. Kommunikation - das Vehikel im Veränderungsprozess Regionale Relevanz der Unternehmenssituation als Führungsinstrument In kritischen Unternehmenssituationen sprießen Gerüchte wie Pilze bei Regenwetter. An Einzelpunkten aufgehängte Verallgemeinerungen, an Ausschnitten festgemachte Interpretationen geben den Ton an. Ergänzt um Drittmeinungen aus der Öffentlichkeit. Die besondere Unternehmenssituation am Stammsitz ist geprägt von einer regionalen Dichte der Belegschaftsherkunft. Dabei spielt die Regionalität bei der Heidelberger Druckmaschinen AG am Sitz des größten Produktionswerkes (Wiesloch) mit rund 5.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine große Rolle. Rund 80% der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist in einem Radius von 30 Kilometern beheimatet und teilweise in ganzen Familiendynastien beim Unternehmen beschäftigt. Ganze Generationen, 85 uvk-lucius.de/ fuehren ganze Clans gehören zur Belegschaft und sorgen daher dafür, dass auch in einem privaten Umfeld die Lage des Unternehmens erörtert wird. Die Unternehmenskommunikation hat daher besondere regionale Relevanz. Ergänzend zu den Börsen- und Wirtschaftsmedien kommt - ganz unüblich - die Lokalzeitung und ihre eigene Sprache und Themenwelt hinzu. Ob bei Familienfesten, im Verein, beim Austausch in der Nachbarschaft: es findet sich immer im direkten Umfeld eine von der Restrukturierung betroffene Person. Damit sind auch alle unternehmensinternen Aktivitäten einem Monitoring im privaten Umfeld der Region unterworfen. Die Lokalzeitung übernimmt dabei eine besondere Rolle der Kommunikation und Information. Darauf wurde bei der Platzierung von Botschaften Rücksicht genommen. Mehr noch: dieser Umstand wurde aktiv berücksichtigt. So gibt es einmal jährlich eine Zusammenkunft der Betriebsrentner. 600 bis 700 Pensionäre sind zum Mittagessen eingeladen und erhalten Informationen zum Unternehmen. Auch in den Jahren der Restrukturierung wurde diese Veranstaltung beibehalten, um so einen wichtigen Kommunikationskanal offen zu halten. Das Beispiel ist einfach, aber es zeigt die Wirkungsmöglichkeit regionaler Aspekte: die zur Neuausrichtung des Unternehmens notwendigen Botschaften können so gezielt gesetzt werden und wirken dann wiederum „von außen“ ins Unternehmen. Das gilt für Führungskräfte wie Mitarbeiter. Die kritische Unternehmenssituation erfährt so eine Flankierung durch gezielte Kommunikation. Kanalisierung der Fragen und Befindlichkeiten Gerüchte, Vermutungen, Interpretationen von Wahrnehmungen können in Phasen der Unsicherheit ein explosives Gemisch bilden. Entscheidend sind jedoch Fakten und Tatsachen. Das gilt für Mitarbeiter wie Führungskräfte. Nicht alle Fragen und Informationsbedürfnisse der Mitarbeiter können von den Führungskräften in dieser Phase zuverlässig, sprich zutreffend beantwortet werden. Es ist nicht möglich, dass das Unternehmen „mit einer Stimme“ spricht und in zentralen Fragen eine allgemein verständliche, zutreffende Antwort gibt. Daher wurde eine Intranet-basierte Plattform eingerichtet, um zu den einzelnen Restrukturierungsprogrammen Fragen und Antworten zur Verfügung zu stellen. So konnten alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichzeitig und mit einer gemeinsamen Informationsbasis zu den relevanten Fakten erreicht werden. Konditionen, Voraussetzungen und Abwicklung der einzelnen Personalinstrumente wurden so erläutert. Die Führungskräfte konnten insoweit entlastet und mit einheitlichen Unterlagen versorgt werden. Neben der Plattform, teilweise mit zeitlichem Vorlauf haben die Führungskräfte diese „Q&A“ zugeschickt und erläutert bekommen, um sie so in die Lage zu versetzen, Antworten geben zu können. Dennoch bleiben weitere, persönliche Fragen und die Notwendigkeit, einen Kanal für individuelle Besorgnisse einzurichten. Daher wurde diese Plattform auch für anonym eingereichte Fragen geöffnet, die dann vom Unternehmen (Personalbereich und Interne Kommunikation) beantwortet wurden. Seltsame Blüten - aber immerhin von individueller Bedeutung - bis hin zu Fragen von allgemeiner Bedeutung wurden hier gestellt und beantwortet. In Themenbereich geclustert konnte so die Befindlichkeit in der Belegschaft wie mit einem Seismografen erfasst werden. Häufigkeit (zeitlich und thematisch), Themen (Schwerpunkte und Exotik) wie auch der Duktus der Fragestellung (von Vorwurf bis Zynismus) gaben Anhaltspunkte für die Gefühlslage im Unterneh- 86 Rupert Felder uvk-lucius.de/ fuehren men, die sich wohl nur über ein anonymes Tool unmittelbar eröffnet. Dabei wurden von der Redaktion (aus Personalleitung und Interne Kommunikation) Grenzen gezogen. Äußerungen ohne Fragestellung und beleidigende Inhalte wurden nicht veröffentlicht. In den Erläuterungen zu dem Tool wurde darauf hingewiesen und als Grundlage für die Teilnahme bedungen. Manche Fragestellungen und deren tagesaktuelle Häufigkeit ließen Rückschlüsse auf die Bedeutung eines Themas zu und wie sich die Belegschaft damit beschäftigt. Mit den Antworten konnte so eine für alle sichtbare Reaktion des Unternehmens gegeben werden. Die Führungskräfte wurden so von Fragestellungen zur allgemeinen Unternehmenslage und zur generellen Bedeutung von einzelnen Maßnahmen entlastet. Sie waren - wie alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch - in gleicher Weise Konsumenten der Themenplattform. Dadurch wurde ihre Führungsrolle nicht beeinträchtig, die Aufgabe konkretisierte sich, die individuelle Interpretation und persönliche Bedeutung für die Führungsbeziehung zu klären. In vielen anderen Fällen jedoch war es wichtig, die Führungskräfte vorab einzubinden, Instrumente und Vorgehensmodelle der Restrukturierung zu erläutern. Der Versuch, die Führungskräfte vorab von zentralen Ereignissen einzubinden und zu informieren war dabei situationsbedingt nicht immer möglich. Denn auch für den Betriebsrat und die Gewerkschaft war die Kommunikation an die Belegschaft - etwa durch Flugblätter oder Betriebsversammlungen - ein zentrales Element, um die eigene Sichtweise darzustellen. Die Führungssituation ist damit auf dem Prüfstein, ob sie den Kommunikations- und Erklärungsbedarf für den Einzelnen erfüllen kann. Kommunikation im mitbestimmten Unternehmen Dabei ist gerade bei einem starken Betriebsrat und einem hohen Organisationsgrad (IG Metall) die von dieser Seite kommende Botschaft an die Belegschaft wichtig. Manchmal ist es daher für das Unternehmen opportun, Ergebnisse oder gar „Verhandlungserfolge“ einer Veröffentlichung durch Betriebsrat oder Gewerkschaft zu überlassen. Dabei dürfen die Führungskräfte nicht außen vor gelassen werden: es muss klar sein, dass die teilweise Passivität des Unternehmens - oder zumindest das Empfinden als solche - Teil einer Gesamtstrategie ist. Die Führungskräfte finden sich also in einer Mitarbeiterbeziehung wieder, die unterstützt wird durch Argumentation und Aktion eines Betriebsrates und einer Gewerkschaft. Das Kümmern um die individuellen Anforderungen und Lösung aus der kritischen Unternehmenssituation hat daher auch eine kollektive Seite. Die Neuausrichtung Mit Abschluss der Maßnahmen zum Personalabbau relativiert sich die kollektive wie auch die individuelle Sichtweise. Die Betroffenheit einer Personalreduzierung übertönt alles. Existenzielle Sorgen lassen kaum Raum für andere Befindlichkeiten. Auch in der Führungsbeziehung reduziert sich Vieles auf die Frage nach dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. So wurde dann der Abschluss der Abbaumaßnahmen auch formal verkündet, ein „Aufatmen“ als Folgeeffekt. Damit rücken aber auch andere Themen wieder mehr in den Vordergrund, die latent während dieser Phase begleitet wurden oder sogar durch die Abbaumaßnahmen beschleunigt worden sind. Das Demografiethema ist eines, was immer vorhanden, aber durch die Restrukturierung mit einer Art „Turbo“ versehen wurde. 87 uvk-lucius.de/ fuehren Demografieorientierte Führung Ausgangslage und Problemstellung Die Veränderungen des Unternehmens durch Personalabbau und die gleichzeitige Nicht-Einstellung von neuem Personal führten zu einer demografischen Schieflage. Ein Blick auf die Altersstruktur zeigt: Der durchschnittliche Heidelberg-Mitarbeiter ist rund 47 Jahre alt, acht von zehn Mitarbeitern sind älter als 40 Jahre, es sind mehr Mitarbeiter über 50 Jahren als darunter. Eine Möglichkeit zur kurzfristigen Verjüngung der Belegschaft durch Neueinstellungen ist im Moment nicht absehbar. Nach der Anforderung an Führung durch die Restrukturierung kommt die Anforderung an Führung in demografischer Schieflage. Die zentrale Frage für Führung ist: Wie können wir die Stärken unserer stabilen, erfahrenen, engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nutzen? Wie den Herausforderungen eines Beschäftigtenstamms mit Schwerpunkt im letzten Drittel des Arbeitslebens begegnen? In einer gemeinsamen Initiative von Personalbereich, Betriebsrat und Management wurde das Projekt „Wandel gestalten“ auf den Weg gebracht. Es wurde sozialpartnerschaftlich aufgesetzt, unterstützt durch den Europäischen Sozialfonds und begleitet von IG Metall und Arbeitgeberverband Südwestmetall. Die Ziele des Projekts reflektieren die genannten unternehmerischen Herausforderungen: Wandel in den Köpfen: WIR sind Heidelbergs Zukunft Stärkung der Arbeitsfähigkeit einer älter werdenden Belegschaft Förderung von Flexibilität und Innovationskraft Realisierung einer Demografie-konformen Führungskultur Maßnahmen und Zeitrahmen Die leitende Grundüberzeugung: die Ziele können nur dort erreicht werden, wo die zuständige Führungskraft persönlich von der Handlungsnotwendigkeit überzeugt ist. Im Juli 2013 startete die Abfrage des Unterstützungsbedarfs. Folgende Maßnahmenpakete wurden bis Sommer 2015 realisiert: Workshops in Managementrunden zur Identifizierung des Unterstützungsbedarfes für Führungskräfte Expertenkreise zur Ausbildung von Multiplikatoren Beratung und Umsetzungsbegleitung für Fachbereiche mit besonderer Konstellation Einbindung in Regelprozesse Breit angelegte Bewusstseinsbildung und konkrete Teamaktionen (Demografiearena) Nachhaltigkeit herstellen Die Führungskraft als zentraler Bezugspunkt demografieorientierter Führung Ausgehend von der Entwicklung der Altersstruktur, der Fehlzeiten und weiterer struktureller Analysen wurden „Demografielandkarten“ erarbeitet: Wo steht das Unterneh- 88 Rupert Felder uvk-lucius.de/ fuehren men, vor allem aber die konkrete organisatorische Einheit mit der verantwortlichen Führungskraft in den vier definierten Handlungsfeldern Gesundheit, Qualifizierung, Führung und Zusammenarbeit, Arbeitsgestaltung? Der Ist-Zustand wurde mit den erwarteten Entwicklungen der Aufgaben des Bereichs in Zusammenhang gebracht und daraus Aktionen abgeleitet. Diejenigen mit der größten Hebelwirkung wurden umgesetzt. Vier Expertenkreise zu den Themen Wissensmanagement, Kennzahlen, Betriebliches Gesundheitsmanagement, Arbeitsfähigkeitscoaching erarbeiteten unter fachkundiger Anleitung die Grundlage, um selbstständig als Multiplikator und Fachexperte für die jeweiligen Themen in ihren Fachbereichen tätig zu werden. Die lokale Führungskraft konnte sich anschließend der Unterstützung der Experten bedienen. Zwei Bereiche mit mehreren hundert Beschäftigten sowie einige kleinere Fachbereiche machten sich auf den Weg, die in den „Workshops in Managementrunden“ beschriebenen Schritte ausführlich und mit Berücksichtigung der komplexen Zusammenhänge durchzuführen. In einem partizipativ angelegten Prozess wurde die komplette Belegschaft der Logistik in die Ideenfindung für nachhaltige Verbesserungen eingebunden. Erste Ergebnisse sind u.a. ergonomische Verbesserungen beim Ersatzteilversand und ein speziell auf Servicetechniker zugeschnittenes Fitnessprogramm. Weitere Aktionen sind im Entscheidungsprozess. Um der Gefahr einer Strohfeuer-Aktion zu begegnen, machten sich Arbeitsgruppen daran, die Stärkung der Arbeitsfähigkeit dauerhaft in Regelprozesse einzubinden. Aktionen zur Stärkung der Arbeitsfähigkeit, Förderung der Flexibilität und Offenheit für Neues wurden inzwischen in das Heidelberg-Produktionssystem und die Jahresziele der Bereiche übernommen. Demografiethemen wurden im Führungssystem „Balanced Scorecard“ verankert und im jährlichen Regelprozess evaluiert. Der Leitfaden zum Mitarbeitergespräch wurde so überarbeitet, dass Arbeitsfähigkeit, Flexibilität und Eigenverantwortung dauerhaft in der Aufmerksamkeit von Führungskräften und Mitarbeitern bleiben. In der zentralen Führungsbeziehung sollen die Demografieaspekte berücksichtigt und im jährlichen Mitarbeitergespräch verankert werden. Als die bei weitem umfassendste und tief ins Bewusstsein des Unternehmens hinein greifende Maßnahme erwies sich die Demografiearena: ein kombinierter Prozess aus Bewusstseinsbildung und konkreten Aktivitäten auf Teamebene. Mit „Demografiearena“ wurde eine Situation aus vier Räumen bezeichnet : „Gesundheit“, „Arbeitsfähigkeit“, „Führung“ und „Qualifizierung“ - auf diesen vier Themen basiert das „Haus der Arbeitsfähigkeit“. Rund 2.500 Mitarbeiter und 250 Führungskräfte erarbeiteten sich in der 2 bis 3 Stunden dauernden interaktiven Ausstellung, der Demografiearena, die wesentlichen Kenntnisse zur Notwendigkeit des Handelns und zu den Möglichkeiten, die Entwicklung der eigenen Gesundheit, des Könnens, des Miteinander und der Arbeitsumgebung positiv zu gestalten. In einem zweiten Schritt erarbeiteten sie auf Teamebene eine oder mehrere Aktionen, die in der aktuellen Situation des Teams besonders hilfreich sind. Über 100 Aktionen wurden durchgeführt, von Sport über Ernährung und Achtsamkeitskurse bis hin zu Schnittstellen-Workshops, ergonomischen Verbesserungen und Teambildungsaktionen. Symbolische Führung 89 uvk-lucius.de/ fuehren Beachtliche Außenwirkung: weit über 200 Vertreter anderer Firmen und Institutionen besuchten die Demografiearena persönlich oder informierten sich in Vorträgen und nahmen Anregungen für die aktive Gestaltung des demografischen Wandels im eigenen Umfeld mit. Entscheidend dabei ist jedoch, dass die jeweilige betriebliche Führungskraft die Aufgabe übernommen hat, die Mitarbeiter auf den Besuch der Demografiearena vorzubereiten und den workshopartigen Durchlauf zu moderieren. Damit ist der betriebliche Vorgesetzte sichtbar Verantwortlicher für den Prozess. Gleiches gilt für die verbindlichen nachbereitungen in der Linienfunktion. Ausblick Demografiethema - Verantwortung der Führungskräfte „Wir bleiben am Ball“ war das Motto, als Bilanz aus der ersten Projektphase gezogen wurde. Nur nette Worte für die Presse? Die Umsetzungsprojekte werden weitergeführt, der Steuerkreis sorgt für Kontinuität auf oberster Managementebene und mit starker Beteiligung des Betriebsrates. Im Herbst startete eine mehrere tausend Beschäftigte ansprechende Auffrischungsaktion der Demografiearena. Weiterhin werden sich die Führungskräfte in einem mehrstufigen Prozess mit „gesunder Führung“ auseinandersetzen. Eine Plakatserie wird die wichtigsten Aussagen im Bewusstsein halten, die Demografiearena mit anschließenden Teamaktionen wird auch an anderen Standorten durchgeführt. Und selbstverständlich werden die laufenden Demografieprojekte und -maßnahmen mit Nachdruck weitergeführt. Nachhaltiges, kontinuierliches Dranbleiben wird Selbstvertrauen, Arbeitsfähigkeit und Innovationskraft dauerhaft stärken. In weiteren personalpolitischen Instrumenten, etwa dem Mitarbeitergespräch oder der Balanced Scorecard wurden Elemente aufgenommen, um den Führungsprozess zu stärken. Die zweite große Herausforderung des demografischen Wandels wird die „Wachablösung“ sein, wenn sich die in den 1960er Jahren geborenen geburtenstarken Jahrgänge dann in den Ruhestand verabschieden und dadurch innerhalb von zehn Jahren die Hälfte der Mitarbeiter und Führungskräfte weggehen. Das wird dann ein weiterer Praxisbeitrag. Zusammenfassung Sowohl die Herausforderung durch die unmittelbare Durchführung von Restrukturierung wie auch die nachgelagerte Notwendigkeit, die demografischen Entwicklungen zu bewältigen sind kritische Phasen für Führung. Gerade die Beteiligung, Ausrichtung und Unterstützung für Führungskräfte, diese kritischen Phasen zu meistern, ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung. 90 Rupert Felder AAutor-Kurzprofil Dr. Rupert Felder ist seit 2012 Leiter Personal der Heidelberg Gruppe. Davor war Felder in verschiedenen Positionen für den Daimler-Konzern in Rastatt, der Zentrale in Stuttgart (verantwortlich für die corporate HR-Prozesse) und Mannheim (Personalleiter der Omnibusfabrik) tätig. Rupert Felder ist Vizepräsident des „Bundesverbandes der Arbeitsrechtler in Unternehmen“ (BVAU. de) und hat einen Lehrauftrag für Personalmanagement an der Hochschule RheinMain. Ehrenamtlich ist er im Mitgliederrat des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall. Das „Personalmagazin“ hat ihn in 2013 und 2015 zu den führenden Köpfen des Personalmanagements in Deutschland gewählt. uvk-lucius.de/ fuehren Kapitel 5 Konstruktivistische Ansätze „Angesichts des Scherbenhaufens mehrerer Jahrzehnte Führungsforschung differenzierten sich die Bemühungen auf. Einerseits in solche, die die alten Erkenntnisse in neuer Lesart kombinierten oder integrierten, sich den alten Fragen mit gleichen Zielen, aber neuen Methoden und Konzepten näherten. … Andererseits in Richtung alternativer Erklärungen, die die Komplexität des Führungsphänomens (erst noch) besser verstehen wollten und sich von den als Irrlichter erkannten konkreten Optimallösungen emanzipieren. Diese bauen verstärkt auf einer neuen Sicht von Realität auf - einer sozial konstruierten Wirklichkeit, die verhandelbar oder zumindest sozial beeinflussbar ist. … Konstruktivistische Ansätze der Führung … sind ein frontaler Angriff auf das Heldenverständnis von Führung, in der bestimmt auftretende Führungskräfte durch ihr Sein und Tun allein über die Koordination der Aufgaben, MitarbeiterInnen und den Erfolg ihres Verantwortungsbereichs bestimmen. Andere Gegebenheiten und Akteure gewinnen an Kontur und sogar die Klarheit darüber, was Führung ist und was ihr primärer Aufgabenbereich ist verschwimmt scheinbar zugunsten psychologisch und sozial konstruierter Deutungen.“ „Führen und führen lassen“ (S. 151f.) Wir bringen hierzu Praxisbeispiele aus den Ansätzen der Rollentheorie der Führung, der symbolischen und der systemischen Führung. Rolle und Identität Die Rollentheorie stellt einen starken Kontrast zu den traditionellen Heldenvorstellungen von Führungskräften dar. Sie beschreibt und analysiert die Beobachtung, dass eine Führungskraft, die üblicherweise als eine eigene Entität, eine klar definierte und für sich stehende Person gesehen wird, in dem sozialen Umfeld, in dem sie agiert, sehr unterschiedlich wahrgenommen wird und sehr unterschiedliche Erwartungen an sie herangetragen werden. Diese Erwartungen und der Umgang der Führungskraft damit konstituieren aus der jeweiligen Perspektive „unterschiedliche“ Führungskräfte aus einer Person. Die unterschiedlichen Rollen können miteinander im Wettbewerb oder sogar dramatischen Konflikt stehen, sodass schließlich für die Führungskraft selbst die Frage nach der eigenen Identität, nach dem „Ich“ und der eigenen Wirkung zum Problem, zum Konflikt werden kann. So ist aus dieser Perspektive die Frage nach den Erwartungen und den sich daraus ergebenden Rollen einer Führungskraft und ihrem Umgang damit relevanter als die Frage nach ihren „wirklichen“ Eigenschaften und den objektiv optimalen Verhaltensweisen. Aus Perspektive der Rollentheorie bringen wir einen Beitrag. Dirk A. Kochan und Claudia M. Fürst setzen auf die soziale Konstruktion des Handlungs- und Führungssettings ab. Einfache Bilder wie eine außerhalb der Handelnden existierende unumstößliche und eindeutige Realität auf der einen Seite und die Natur des Menschen als homo oeconomicus auf der anderen sehen sie als wirkmäch- 92 Kapitel 5: Konstruktivistische Ansätze uvk-lucius.de/ fuehren tig, aber auch als problematisch an und fokussieren in ihrer Darstellung eines umfassenden Veränderungsprozesses auf diese Einsicht. So setzen sie sich mit den der Managementtradition widersprechenden Aspekten von Komplexität und Perspektivität auseinander. Das Sein (Identität und Eigenschaften) und Sollen (Handlungsanleitungen) von Führungskräften wird entwickelt zu einem offeneren Rollenverständnis, das Vielfalt aufnimmt, um gemeinsamen Ziele koordiniert folgen zu können. Die individuelle Konzeption des Forderns und Förderns in diesem Fallbeispiel zeigt nicht nur, dass ein „sowohl-als-auch“ gegenüber einer eher unzweckmäßigen Trennung dieser Rollen und der sich daraus ergebenden Frontstellung des „entweder-oder“ gerade bei gegebener Vielfalt in organisationalem Herkommen und persönlichem Ansatz der Führung bevorzugt werden kann, sondern auch, wie das umgesetzt werden kann. Symbolische Führung „Symbolische Führung ist eine Anleitung zum Dialog mit dem Subjekt Mitarbeiter. Dieser Dialog wird nicht frei geführt, weil viele Voraus-Setzungen (Fakten) unausgesprochen bleiben. Betrachtet man das Führungsgeschehen nicht mehr nur von der Führungsperson, sondern von den Geführten aus (und jede Führungsperson ist auch eine geführte), dann erschließen sich neue Einsichten. Die alltägliche Mehrdeutigkeit, Intransparenz, Widersprüchlichkeit, Instabilität etc. muss man dann nicht als zu beseitigende Störungen eines ansonsten durch und durch rationalen Prozesses begreifen, sondern als Chance zur Nutzung und Erweiterung von bislang unausgeschöpften Handlungsmöglichkeiten. Alle Führungssubstitute wie Führungsgrundsätze, ein 360°- Feedbacksystem, eine Balanced Scorecard, die Möblierung eines Büros oder ein (in-) offizieller Dresscode, ein sorgfältig inszenierter Vorstandsauftritt oder lancierte Heldengeschichten funktionieren analog. Sie sind Beispiele für den Versuch ‚mentaler Programmierung‘ durch Symbolisierung.“ „Führen und führen lassen“ (S. 201f.) Symbolisierung ist nichts was an sich moralisch betrachtet zu werden braucht. Menschen sind zutiefst symbolische Wesen: Sprache, Gebräuche, Kunst, auch trivial erscheinende Dinge wie Kleidung, Speisen und Getränke haben starken Symbolgehalt. Wer könnte leugnen, dass man bei Markenprodukten auch die Zusatzbedeutung, die die Marke transportiert, nutzt und konsumiert? Es stellt sich also nicht die Frage nach dem ob, sondern nur dem wie der Symbolisierung. Bleibt man Objekt der Symbolisierung oder kann man sie für sich instrumentalisieren - oder sogar selbst neue Symbolisierungen schaffen, die Vorteile mit sich bringen? Genau diese Frage stellt sich für Führung und Führungskräfte. Wenn Symbole und Symbolisierungen wirkmächtig sind: Wie kann - sollte - muss eine Führungskraft damit umgehen, wenn sie die Kategorie des Sinns, der in den Dingen steckt oder ihnen gegeben werden kann, nutzt? Entsprechend der unbeschränkten Vielfalt und teilweise Subtilität symbolischer Führung bringen wir drei Beiträge zu diesem Feld. Anhand eines organisationalen Integrationsprozesses zeigen Klemens Steiner und Frank Kübler, dass Führung nicht aus den Tatsachen (allein) wirkt, sondern Bedeutung, Sinn und Interpretation die Bestimmungsstücke eines sozialen Kontextes sind. Symbolische Führung 93 uvk-lucius.de/ fuehren Nicht Aktionismus und geschäftiges Handeln sind der Kern der Führung, sondern eher die glaubhafte Vermittlung und Vergabe von Bedeutungen für das was ist, geschieht und geschehen soll. Sowohl das Bedürfnis nach Erklärung als auch das Verständnis für verschiedene Erklärungsmuster sind sowohl bei Führungskräften wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterschiedlich ausgeprägt und so ist es eine wichtige Aufgabe der Führungskräfte, in dieser Hinsicht die Bedürfnisse zu erkennen und gemäß dem eigenen Führungsauftrag damit umzugehen - symbolisch zu führen. Das hier beschriebene Programm zeigt aber auch prototypisch, dass in dieser Hinsicht im Unternehmensalltag von Führungskräften noch wenig Bewusstsein für diese konstruktivistische Perspektive der Führung besteht. Christine Kienhöfer erläutert anhand der Übergabe der Geschäftsführung eines Unternehmens vom Eigentümer zu einem angestellten Geschäftsführungsteam die Veränderung der Dynamik von einer auf eine Person zugeschnittenen Führungskultur, die unter der ordnenden Vorstellung des Inhabers eine Vielzahl von unternehmenskulturellen Unterströmungen zuließ hin zu einem geordneten, strukturierten Ansatz, der Transparenz und Effizienz als extern überprüfbare Kriterien setzt. Wurde zuvor mit Charisma und in Auseinandersetzung mit einzelnen Initiativen aus dem Unternehmen geführt, kam schnell die Erkenntnis, dass dies mit einem angestelltem Geschäftsführungsteam sowohl für die Inhaberin als auch die Mitarbeiter kaum befriedigend gelingen kann. Ein Weg aus der Krise fand sich darin, eine konstruktivistische Sicht auf Führung zu fokussieren und sich der Deutungen und Vorstellungen der Gesellschafterin, der MitarbeiterInnen und des sich formierenden Geschäftsführungsteams anzunehmen. Es wird detailliert beschrieben, wie ein Führungsverständnis auf der Basis von unternehmensspezifischen Werten entwickelt und implementiert wurde und wie sich seine Wirkung entfalten konnte. Die Destillation und durchdringende Implementierung von Werten in ihrer gleichzeitig bindenden wie flexiblen Potenz, Verhalten zu orientieren wurden der Durchsetzung detailliert ausgefeilter Strukturen und Regelungen vorgezogen, wodurch wichtige Vorstellungen der Gesellschafterin über Identität und Entwicklung des Unternehmens durch die Professionalisierungs- und Integrationsphase des Unternehmens bewahrt werden konnten. Birgit Labling zeigt in ihrem Beitrag den Ansatz der Symbolisierung mittels einer konsistenten Etikettierung eines differenzierten Führungsverständnisses auf. Es wurde ein Begriff gestaltet („Konsequentes Führen“), der Verschiedenes, sogar Vieles bedeuten könnte, hier aber nur dieses eine Führungsverständnis benennt und das auch prüfbar und bewertbar macht. Sie stellt dar, wie dieses Verständnis unternehmensumfassend für alle Führungskräfte verankert und die konsequente Umsetzung in Verhalten entwickelt wurde. Damit es nicht „ein weiteres wohlklingendes“ Programm wird, wurden Umsetzung und Nachhaltigkeit über ein follow-up zum Programm und die Integration in die Führungsinstrumente und Personalsysteme gesichert. Somit geht es für Führungskräfte über den Auftrag in entsprechendem Sinne Führung nicht nur zu verstehen hinaus, sondern auch entsprechend zu handeln. Das Symbolisierende wird plakativ herausgearbeitet an der beispielhaft genannten perplexen Frage von Teilnehmern, ob man das, was jetzt gewünscht sei, nicht bisher ohnehin alles so getan habe: Ein Wort ist eine Hülse, die mit Bedeutung gefüllt werden kann. Und umsichtig gefüllt werden muss, damit es zu einem Konzept wird. Kapitel 5: Konstruktivistische Ansätze 94 uvk-lucius.de/ fuehren Systemische Führung „Führung im Rahmen einer ‚Systemischen Führungstheorie‘ kann … auf abstraktem Niveau beschrieben und reflektiert werden. Konkrete und allgemein gültige Handlungsanweisungen kann man von ihr jedoch entsprechend ihres Ansatzes und ihrer Kernkonzepte nicht erwarten… Dieses Resultat ist für PraktikerInnen polarisierend: Einigen erschließt sich der Hype um Systemtheorie nicht für ihr Alltagshandeln und sie verabschieden sich gedanklich von dieser für sie nicht anschlussfähigen Theorie mit ihren seltsamen Fachbegriffen. Andere sehen darin die Bestätigung ihrer Erfahrungen, nämlich, dass einfache Kausalitäts-Interpretationen und triviale Interventionen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu hinreichend vorhersagbaren Ergebnissen führen und bemühen sich darum, systemtheoretische Überlegungen in ihr Reflektieren, Planen und Handeln zu übernehmen. Und es gibt auch einen dritten Weg, den Neuberger (2007) in einem Artikeltitel markig fasst: ‚Ach wie gut, dass niemand weiß, was man so systemisch heißt‘, in dessen Verlauf er die notwendige Loslösung der systemtheoretisch orientierten Praxis von der Systemtheorie (luhmannscher Prägung) feststellt. (Auch) darin identifiziert er einen Grund des Erfolgs der Systemtheorie bei PraktikerInnen: Die Praxis braucht sich nur wenig an der Theorie zu orientieren, einen Bezug zu behaupten ist zumeist ausreichend: Systemisch ist, was so genannt wird.“ „Führen und führen lassen“ (S. 226) Wir bringen zwei Beiträge, die typische praktische Ansätze in Auseinandersetzung mit systemtheoretischen Führungsvorstellungen demonstrieren. In dem von Scherin Beuther und Marcus Benfer beschriebenen organisationalen Lernprozess erarbeitet das Unternehmen sich eine systemische Vorstellung von Führung. Die Führungskräfte sollen Selbstorganisation organisieren, Autopoiese fördern. Es wird ein Ansatz geschildert, der das verständlich einleiten kann: Der traditionell lineare strategische Zielpfad wird transformiert und begleitet durch ein breiter aufgestelltes Zielbild, in dem andere Konfigurationen vorkommen können und werden. Dieses Zielbild wird gemeinsam mit und unter den operativen Führungskräften entwickelt. Das ist vom traditionellen Zielkaskaden- und Delegationsprinzip völlig abweichender Prozess, ein veränderter Umgang mit strategischen Vorgaben und Zielen. Die Angst vor einer selbstorganisierten Ausgestaltung der Zielvorstellungen wird überwunden und die Ausgestaltung ein Gutteil denen übertragen, die es dann auch umsetzen werden. Dadurch können eigene Funktionslogiken, der „Eigensinn“ des operativen Systems einerseits akzeptiert und andererseits aktiviert werden. Umgesetzt wird das im Beispiel in einem Prozess, in dem viele mitdenken und mitreden dürfen, sodass am Schluss möglichst alle einbezogen sind und schlussendlich das System operiert und nicht traditionell heroische Führungsinterventionen dieses Funktionieren des Systems behindern und schädigen. Ganz im Sinne der Systemtheorie schiebt sich dabei die Komponente der Kommunikation weiter in den Vordergrund. Die Beschreibung des Prozesses als zäh und mühsam zeigt auf, dass Systeme sich nicht einfach so ändern lassen, wenn sie bereits bestehen. Aber man kann sie „stören“ und das ist zäh und mühsam. In der Entwicklung zeigen sich neue Bedürfnisse und Forderungen aus dem gestörten System, die aufgenommen werden müssen, um Akzeptanz zu schaffen. Folg- Systemische Führung 95 lich verändern sich Systeme - aber eher nicht einfach dahin, wohin man sie haben will, sondern auch nach ihren eigenen Regeln, die zu berücksichtigen sind. Anna Dollinger stellt ein Veränderungsprojekt vor, das eine stark praktisch orientierte Anlehnung an systemische Ansätze - hier auch der Führung - zeigt. Solche Anlehnungen basieren in der Regel auf den individuellen Vorstellungen der handelnden Person(en) über Systemik und einem systemischen Ansatz. So können Nähe und Entfernung zu wissenschaftlichen systemischen Ansätzen in solchen praktischen Ansätzen ganz unterschiedlich ausfallen. Hier wird ein Entwicklungsprojekt für Führungskräfte vorgestellt, das aus den üblichen Bahnen der Personalentwicklung schon deshalb ausbricht, da andere Lern- und Reflexionssettings mit einbezogen werden, hier das Aikido. Die moderne japanische Kampfkunst mit ausgeprägt friedlichem geistigen Ansatz zur Abwehr von (körperlichen) Angriffen unter Einsatz von Kontakt und Position durch Nutzung der Kraft des Angreifers zur Abwehr und Sicherung des Angegriffenen sollte für ein Veränderungsprojekt im Führungskontext nutzbar gemacht werden. Einen wichtigen Aspekt systemischer Arbeit stellt das integrierte Entwickeln von Führungskräften und Mitarbeitern, wodurch die übliche Trennlinie zwischen „Weiterbildung für die Mitarbeiter“ und „Führungskräfteentwicklung“ aufgehoben, zumindest aufgeweicht wurde und nicht einzelne Personen innerhalb des Arbeitssystems und seiner Subsysteme getrennt, sondern integriert gefördert werden sollten. Insofern sind hier die beiden Rollen der Führungskräfte als Objekte wie als Subjekte von Veränderungsprozessen nachvollziehbar. uvk-lucius.de/ fuehren 5.1 Wie reife Managementteams mit Spannungsfeldern umgehen und sich untereinander in der Führung stärken von Dirk A. Kochan und Claudia M. Fürst Das Unternehmen Berliner Sparkasse und die Herausforderung Vorstand und Eigentümer der Landesbank Berlin Holding AG (LBBH) beschließen im Dezember 2012 den Umbau der LBB zur Berliner Sparkasse. Daraus entsteht ein neues Geschäftsmodell, das mit einem neuen Zielbild unterlegt ist. Die Berliner Sparkasse wird ihren fast 2 Millionen Privatwie Geschäftskunden ein attraktives Leistungsangebot anbieten und fokussiert sich auf ein reines Sparkassengeschäft, fest eingebettet im Verbund der S-Finanzgruppe. Dieser Umbau ist ein Paradigmenwechsel, wenngleich die Berliner Sparkasse seit ihrer Gründung am 15. Juni 1818 als erste Sparkasse Preußens schon prägende Veränderungen bewältigt hat: In den 1920er Jahren fusionierte sie mit den eingegliederten Gemeinden, mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten erfasste sie die Gleichschaltung, die Teilung der Stadt in der Nachkriegszeit vollzog auch die Sparkasse und nach dem Mauerfall vereinigten sich auch die beiden Sparkassen wieder. Durch den Zusammenschluss der Landesbank Berlin einschließlich der Berliner Sparkasse sowie der Berliner Bank und der Berliner Hypotheken- und Pfandbriefbank entstand ab 1994 die Bankgesellschaft Berlin. Sie musste durch eine schwere Krise ab 2001 umfassend saniert werden. Daraus entstand wiederum die LBB mit einem „Vier- Säulen-Modell“, bestehend aus Private Kunden, Firmenkunden, Immobiliengeschäft (Berlin Hyp) und Kapitalmarktgeschäft. Mit der Entscheidung vom Dezember 2012 wird sich die Berliner Sparkasse nun auf das reine Kundengeschäft einer Sparkasse fokussieren. Eine Besonderheit noch: Die LBBH befindet sich seit 2007 im Besitz der Sparkassenfinanzgruppe. Worin liegt der Paradigmenwechsel, also der Wechsel in grundlegenden Denkmodellen? Auf der Hand liegt, dass sich das Geschäftsmodell einer Landesbank deutlich von dem einer Sparkasse unterscheidet. Sich wieder auf den Kern einer Sparkasse zu besinnen ist ein hoher Anspruch. Der Anspruch liegt ganz besonders darin, sich mit den breiten Erfahrungen einer Landesbank wieder auf die Themen einer reinen Sparkasse zu fokussieren. Komplexität, die überregionale Geschäftstätigkeit sowie die Bilanzsumme werden drastisch reduziert. Der notwendige Umbauprozess betrifft das Gesamtsystem und seine Teilsysteme, wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß. Allein diese Differenzierung ist schon eine sehr relevante Einflussgröße für das Funktionieren des neuen Geschäftsmodells. Der Paradigmenwechsel und der nachfolgende Umbauprozess berühren zutiefst die Identität des Unternehmens und aller seiner Mitarbeitenden. Die Führungskräfte haben die Rolle, diesen tiefgehenden Prozess zu unterstützen - oft genug bei eigener Betroffenheit. Wie reife Managementteams mit Spannungsfeldern umgehen 97 uvk-lucius.de/ fuehren Ein neues Managementteam mit viel Erfahrungswissen entsteht Gesamtsystem und Teilsysteme müssen aufeinander abgestimmt sein, ganz nach dem Bild der russischen Puppe: Die Grundstrukturen und Muster, die Prinzipien und Designkriterien für das Zusammenwirken müssen gleichbedeutend sein für die gesamte Berliner Sparkasse wie für die Bereiche, Abteilungen und operativen Leistungseinheiten, die mit den Kunden an der Wertschöpfung arbeiten. Die Autoren beschreiben in diesem Fallbeispiel einen Teilbereich der Berliner Sparkasse, der die Wertschöpfungsprozesse unterstützt. Eine große Herausforderung im Umbau ist die Zusammenlegung der vier bislang getrennten Bereiche IT, Organisation, Einkauf und Business Management zum neuen Bereich Organisations- und Produktivitätsmanagement (OPM). Aufgabe von OPM ist es: als zentraler IT- und Organisationsbereich der Berliner Sparkasse zu agieren, Methoden und Verfahren zu überlegen, damit die Produktivitätsziele der neuen Berliner Sparkasse gehoben werden können, die operativen Einheiten beratend zu unterstützen und Einfluss zu nehmen. Das OPM-Führungsteam rekrutiert sich im Kern aus den bisherigen Bereichen und weiteren Teilen der ehemaligen LBB. Im neu zu schaffenden Bereich OPM kommt über die meist langjährigen Mitarbeitenden viel Erfahrungswissen zusammen. Sie sind in der Lage, aus den unterschiedlichsten Perspektiven ihre Beobachtungen und Positionen einzubringen. Die Mitarbeitenden verbindet zudem eine hohe Loyalität zu ihrem Unternehmen. Und: Sie sind Profis im Umsetzen. Das ist die Chance. Die Gefahr lauert - ungeachtet der Gesamtkomplexität - in den gemachten Vorerfahrungen und damit Überzeugungen, in den eigenen Bildern und Filtern bis hin zu den eigenen Interessen. Begrenzungen durch die eigenen Filter und Bewertungskriterien Normative und strategische Leitplanken bilden den Gestaltungsrahmen für das neue Managementteam. Konzeptionell sind interne und externe Schnittstellen sowie die Aufgaben und Rollen gut beschrieben. Die Erwartungen an OPM sind hoch, auch untereinander. Das betrifft in vergleichbaren Prozessen insbesondere die Frage nach der angemessenen Geschwindigkeit und die Frage nach den Prioritäten oder einer auch emotional mitgetragenen Road-Map. Rational betrachtet sind beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung geschaffen. Nur: Das alleine reicht nicht, der homo oeconomicus als Denkmodell ist zu eng. Wie bereits erwähnt, kommen die Führungskräfte mit ihren eigenen Überzeugungen in neue Prozesse hinein. Sie haben sich längst ihre ganz eigene Realität konstruiert. Sie sind im täglichen Managerleben so konditioniert, dass sie die Dinge aus ihrer Verantwortung und Perspektive heraus schnell bewerten können. Nach und nach wird klar, dass komplexe Sachverhalte bedingen, auch auf emotionale Komponenten zu achten und weitere Wahrnehmungssinne in das (Entscheidungs-)Verhalten mit einzubeziehen. Die Rolle von Führungskräften verändert sich damit. 98 Dirk A. Kochan und Claudia M. Fürst uvk-lucius.de/ fuehren Spannungsfelder als Folge von Komplexität und Begrenzungen Die Komplexität der Aufgabe liegt schon darin, bei laufendem Betrieb den Rückbau auf den Kern einer Sparkasse zu bewerkstelligen, wissend, dass im Zielzustand der eigene Bereich nur noch ein Drittel der Personalstärke bei Startaufstellung haben wird. Hinzu kommen die Ungewissheiten, die sich durch die Trendfelder wie Digitalisierung, weiter zunehmende Regulierung und die anhaltende Niedrigzinsphase ergeben. In den internen Diskussions- oder auch Verhandlungsprozessen wirken nun ergänzend die Begrenzungen durch die Denk- und Fühlgewohnheiten massiv auf Folgeentscheidungen und Folgeprozesse ein. Sie beeinflussen die Beziehungen und Interaktionen in der vertikalen wie horizontalen Führungspraxis. So entstehen vielfältige Spannungsfelder, die den Führungskräften und Managementteams bewusst werden müssen. Diese besprechbar zu machen, ist die Verantwortung der Führungskräfte, sonst entstehen Blockaden und das Unternehmen oszilliert. Mit Spannungsfeldern meinen wir Pole, die sich im komplexen Kontext nicht einseitig auflösen lassen. Beispielhaft: Die einen wollen schnell Pflöcke einhauen, die anderen behutsam erste Schritte einleiten. Die einen wollen Kosten sparen, die anderen in die Zukunft investieren. Die einen wollen zentral steuern, die anderen dezentrale Verantwortung fördern. Wie entstehen Spannungsfelder? Unternehmen verfolgen mehrere Ziele. Wenn die Zielehierarchie nicht klar ist entstehen strukturelle Fallen. Der Rollenbegriff wird vielfältig benutzt und oft nicht gut differenziert zwischen Funktion und Rolle. Hier liegen Verwechselungen vor, speziell dann, wenn der Rollenbegriff mit der persönlichen Linienwie Gesamtverantwortung synchronisiert werden muss. Die Rollenanforderung an den Bereich insgesamt umfasst mehrere Rollen. Oft bleibt unklar, was wann an beobachtbaren oder gar messbaren Verhalten von wem gewünscht wird. Die Rollenanforderungen an Führungskräfte sind vielfältig und nicht abschließend festlegbar. Führungskräfte müssen oft Pole aushalten oder zwischen Polen variieren. Beispiele: Wann wird schnell umgesetzt und wann ist es gut, nochmals zu reflektieren? Wann wird autark umgesetzt und wann ist es gut, sich zu vernetzen? Der Anspruch an die eigene Ambiguitätstoleranz ist hoch. Führungskräfte diskutieren in Meetings auf unterschiedlichen Ebenen mit unterschiedlichen Entscheidungspräferenzen. Diese Unterschiede sind oft nicht bewusst und können deshalb auch nicht lösungsorientiert genutzt werden. Neben den artikulierten Rollenanforderungen gibt es weitere Wirkkräfte, die nicht immer gleich transparent und sichtbar sind. Gemeint sind persönliche Annahmen, Glaubenssätze, Überzeugungen, Interessen und Bedürfnisse. Und diese Aspekte wirken nicht nur singulär, sondern verstärken sich durch ihre Wechselwirkungen. Wie reife Managementteams mit Spannungsfeldern umgehen 99 uvk-lucius.de/ fuehren Sich auf Neues einlassen ist Kern des Lösungsansatzes Wie gelingt es nun einem neu zusammengesetzten Führungsteam, diese Vielfalt auf die gemeinsame Aufgabe hin auszurichten und schnell Kraft für das Arbeiten in den neuen Strukturen aufzubauen? Die erste Antwort lautet: Die Führungskräfte müssen sich auf einen gemeinsamen Prozess einlassen, in dem beispielsweise die unterschiedlichen Erkenntnisse, Sichtweisen, Interessen und Überzeugungen ausgetauscht werden. Dies mit dem Ziel, dass durch den Dialog die Erkenntnisse gemeinsam reifen. Mit diesem erweiterten Verständnis wie Bewusstsein werden die eigene Rolle wie Verantwortung in einer höheren Qualität abgeleitet. Das Managementteam investiert Zeit in einen gemeinsamen Erkenntnisprozess in der Überzeugung, dass im Anschluss eine andere Qualität an Trägerschaft für die Folgeentscheidungen entsteht. Nur so gelingt es, die oft gebräuchlichen „Entwederoder“-Diskussionsmuster in Nutzen stiftende „Sowohl-als-auch“-Lösungen zu überführen und gut zu differenzieren, wann welcher Ansatz passt. Die zweite Antwort lautet: Für einen effizienten wie zielorientierten Dialog ist ein gemeinsamer Bezugsrahmen hilfreich. Spannungsfelder ergeben sich auf unterschiedlichen Ebenen oder auch weil aus unterschiedlichen Ebenen heraus argumentiert wird. In OPM wird ein Vorgehen aufgesetzt, das immer wieder die drei sozialen Ebenen in ihrem Zusammenspiel ganzheitlich betrachtet: Soziale Ebenen im Unternehmen [1] Die Perspektive der Organisation bedeutet: Stringent aus Sicht der Organisation die zu lösende Aufgabe verstehen, gestalten und verantworten und entsprechende Entwicklungswie Entscheidungsprozesse initiieren. [2] Die Perspektive der Teams und Netzwerke bedeutet: Die Interaktionsmuster in den verschiedenen Teams und Netzwerken verstehen. [3] Die Perspektive der Person in Funktion und Rolle bedeutet: Die persönliche Funktion und Rolle sowohl differenziert als auch als Einheit sehen und bereit sein, dies zu reflektieren. 100 Dirk A. Kochan und Claudia M. Fürst uvk-lucius.de/ fuehren Werden alle drei sozialen Ebenen betrachtet, stärkt sich das Team in seiner organisationalen Urteilsfähigkeit und -kraft. Ein Vorgehen in vier Phasen mit seinen kritischen Aspekten Phase I: Den Bezugsrahmen herstellen und ein Verständnis entwickeln, was im Kern die gemeinsame Aufgabe von OPM ist. Bereits erwähnt wurde die Bedeutung, dass beim Umbau von Geschäftsmodellen schnell die Verantwortungen, speziell an den Schnittstellen, geklärt werden müssen. Normative wie strategische Leitplanken bilden hierfür den Gestaltungsrahmen: Auszug Zielbild der Berliner Sparkasse In dieser Phase gibt es drei kritische Aspekte: [1] Oft klingen die Leitplanken eingängig. In der weiteren Detaillierungen zeigen sich dann auf der „Wie“-Ebene die Unterschiede. Hier muss ein gemeinsames Verständnis zu den Inhalten vertieft werden. Die „Flughöhe“ darf nicht zu abstrakt oder generisch sein. [2] Wichtig ist Klarheit zu den drei Zielen: Kosten senken, Wachsen und Zukunftsfähigkeit herstellen. Das ist dann kein Problem, wenn zuerst eines der Ziele im Fokus steht. Aber auch dann ist ein ganzheitliches Verständnis notwendig und die anderen Ziele dürfen nicht verloren gehen. Hier hilft eine Road-Map, unterlegt mit einer Zielehierarchie oder Vorfahrtsregeln. [3] Trotz aller Bemühungen können auch innerhalb eines Bereiches nicht alle Schnittstellen überschneidungsfrei geregelt werden. Typischerweise entstehen dadurch Situationen, die als Positions- oder Machtkämpfe erlebt werden. Wenn diese Aspekte diskutiert sind und Wege bzw. Lösungen gefunden wurden, sind die Voraussetzungen gut, dass die Rollen besprochen werden können. Phase II: Die Rollen des Führungsteams definieren und ausgestalten OPM ist gleichzeitig Impulsgeber, Dienstleister und Steuerer (beispielsweise in zentralen Budgetverantwortlichkeite) in der Berliner Sparkasse. Hier sind die Rollen angesprochen, wenn die Teilnehmer im Auftrag des Gesamtbereiches auftreten: Die Bereichsrollen Wie reife Managementteams mit Spannungsfeldern umgehen 101 uvk-lucius.de/ fuehren Da drei Rollen beschrieben sind, entsteht hier Klärungsbedarf, um Vermischungen zu vermeiden. Erfolgskritisch ist in dieser Phase, dass die mit der Rolle verknüpfte Verantwortung gut ausgehandelt ist, also „gekauft wird“. Was bedeutet das für OPM konkret? Die Dienstleisterrolle ist gekoppelt mit einer Architektur- und Kostenverantwortung: Die Methoden müssen passen, für die Berliner Sparkasse finanziell tragbar sind und dürfen dem Zielbild nicht widersprechen. Das ist eine Rolle und Verantwortung, die OPM eigenständig erbringen kann. Die Impulsgeberrolle ist eine beraterisch unterstützende Rolle. Die Verantwortung von OPM ist hier Perspektiven einzubringen und Formate anzubieten, die idealerweise so nicht von den internen Auftraggebern gesehen werden. Dies kann OPM wiederum eigenständig einbringen. Die (Umsetzungs-)Verantwortung bleibt beim Auftraggeber. Die Steuererrolle über Budget- und Architekturverantwortung bedeutet konkret Einfluss nehmen und hat die unmittelbarste Verbindung zum Ziel der Produktivität. Hier geht es um das Aushandeln von Primär- und Sekundärverantwortung. Wer ist wofür verantwortlich? Wer bleibt wann in seiner Autonomie und wann hat die Zentrale die Hoheit? Kritisch in dieser Phase sind zwei Aspekte: [1] Kann jeder gut zwischen den Rollen differenzieren sowie wechseln und ist klar, wann wer welche Rolle übernimmt? [2] Oft entsteht noch mehr Komplexität, weil in der Linienverantwortung noch andere Rollen gefordert sind. Sind sich die Mitglieder des Führungsteams darüber im Alltag bewusst? Phase III: Die Stärken und blinden Flecken im Führungsteam besprechbar machen Führungskräfte agieren oft aus einem Rollenverständnis heraus, das sie aus ihrer Linienfunktion mitbringen. Aus diesem Modus abgeleitet entstehen in Managementmeetings schnelle Positionierungen, die scheinbar unversöhnlich anderen Positionen gegenüberstehen. Je nach Linienaufgabe stehen die OPM-Führungskräfte eher auf der einen oder anderen Seite des Pols folgender Spannungsfelder (vgl. links): Mögliche Spannungsfelder 102 Dirk A. Kochan und Claudia M. Fürst uvk-lucius.de/ fuehren Der kritischste Aspekt ist, diese Spannungsfelder nicht nur aus Sicht der eigenen Linie zu sehen, sondern auch aus Sicht der gemeinsamen Aufgabe von OPM. Um eine gemeinsame Perspektive zu bekommen, ist es notwendig, neugierig für die Position des Anderen zu sein und diese verstehen zu wollen. Nur dann sind „Sowohl-als-auch“- Lösungen möglich. Das Verstehen der anderen Position geht umso leichter: je klarer wird, aus welchen Präferenzen heraus die Kolleginnen und Kollegen disku- tieren - völlig unabhängig von der eigenen Rolle; wenn sich das Team die eigenen Ressourcen bewusst macht; - wenn sich das Team die eigenen blinden Flecken klar macht. - Als Ergebnis dieser Phase entstehen Erkenntnisse und ein gemeinsames Bild, auf das Vertreter des Managementteams achten. Auch das sind Varianten innerhalb des Rollenkonzeptes. Chancen und Gefahren durch das Teamprofil Wie reife Managementteams mit Spannungsfeldern umgehen 103 uvk-lucius.de/ fuehren Phase IV: Das Bewusstsein der Linien- und Netzwerkverantwortung in den Alltag übernehmen Linie und Netzwerk, Endres, Opp & Sutrich, 2011, S. 12 Erfolgsentscheidend ist, dass die Führungskräfte zwischen den beiden Modi differenzieren und entsprechend agieren. Hier gilt es, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass in der Linienlogik andere Aspekte und auch Gesetzmäßigkeiten gelten als im Netzwerkmodus. Und mit Netzwerkmodus sind nicht die klassischen Managementsitzungen gemeint, in der strategische oder operative Fragen entschieden werden. Mit Netzwerkmodus ist gemeint, sich in den Treffen bewusst Zeit für ein Hinterfragen und gemeinsames Lernen zu nehmen. „Wie erklären wir uns, dass es so ist wie es ist“ „welche Erkenntnisse wollen wir uns festigen“, sind beispielhafte Fragen, um nicht gleich dem bekannten Optimierungs- oder Lösungsreflex zu erliegen. Der gemeinsame Erkenntnisprozess ist leitend. Kritischster Aspekt in dieser Phase ist es, einen guten Rhythmus zwischen Linien- und Netzwerkmodus herzustellen und gerade im Netzwerkmodus auf die Effektivität zu achten. Was ist damit gemeint? Die gemeinsamen Suchbewegungen und Entschleunigung im Prozess sind ungeübt in einer auf Optimierung ausgerichteten Produktions- 104 Dirk A. Kochan und Claudia M. Fürst uvk-lucius.de/ fuehren gesellschaft. Das wiederum lädt ein, aus den unterschiedlichsten Perspektiven und damit auch Ebenen seine eigenen Beobachtungen einzubringen auch ohne jegliche Verbindung zu den Vorrednern. Anders ausgedrückt: Bei komplizierten Aufgaben gibt es ein „richtig oder falsch“. Da muss geradezu effizient gemanagt werden. In komplexen Aufgaben gibt es im Moment der Diskussion nicht die eine Lösung. Es wird abgewogen und das ist - insbesondere zu Beginn dieser Prozesse - immer wieder eine Geduldsprobe. Speziell wenn „man“ doch selber längst weiß, worauf es im Grunde hinauslaufen sollte. Ergebnisse und Ausblick Das Erkennen von Spannungsfeldern und das sich Einlassen auf andere Perspektiven klappt in OPM und auch in der gesamten Berliner Sparkasse beobachtbar besser. Das Führungsteam achtet mehr und mehr auf die Interaktion im Team und damit auf ein professionelles Miteinander. Als kontinuierliches Lernfeld bleibt bestehen, die Fortschritte so zu reflektieren und zu verankern, dass die Teammitglieder immer weniger in ihre gewohnten Verhaltensmuster zurückfallen. Damit das gut gelingt fokussiert sich das Managementteam auf wenige Vereinbarungen, an deren Einhaltung sie sich gegenseitig erinnern: Vereinbarungen des Führungsteams Solche Vereinbarungen werden dann zur gelebten Kultur, wenn sie nicht als isoliert erlebt werden, sondern stringent aus dem Prozess abgeleitet sind. Unterstützend werden weitere Mitarbeitende in die notwendigen Veränderungen mit einbezogen. Es werden Mitarbeiter benannt, die darauf achten, was im Umbau gut und was weniger gut gelingt. Sie beschränken sich nicht nur auf die Beschreibung von Phänomenen, sondern sie lernen, sich die Phänomene hypothesengeleitet zu erklären und Interventionen zu planen. Dazu treffen sie sich in einem Kommunikationsteam. Doch das Führungsteam von OPM geht noch weiter: Die Mitarbeiter eines Teilbereiches von OPM nehmen an einem vernetzten, rollierenden Qualifikationskurs zu Orga- Wie reife Managementteams mit Spannungsfeldern umgehen 105 uvk-lucius.de/ fuehren nisationsentwicklern über einen Zeitraum von 18 Monaten teil. Hier wird das Handwerk des Veränderungsmanagements vertieft und mit der eigenen Persönlichkeitsentwicklung verbunden. Das ist der Grundstein, um Punkt 4 der obigen Vereinbarung auch glaubwürdig umzusetzen. Ohne Hinterfragen der eigenen Bilder und Filter entsteht keine Veränderung, es sei denn es sind nur die Anderen, die sich verändern sollten. Mahatma Gandhi hat schon sehr eindeutig appelliert: „Du musst die Veränderung sein, die du in der Welt sehen willst.“ Durch das eigene Nadelöhr der Erkenntnisse und Veränderung zu gehen, muss nicht schmerzhaft sein. Zugegeben: Nicht jede Selbsterkenntnis steigert die eigene Freude, aber mit der passenden Einstellung, mit etwas Humor oder auch Selbstironie kann der eigene Reifeprozess auch recht amüsant werden, speziell, wenn wir uns selber ein bisschen aus der Distanz betrachten. Üblich und gewohnt sind persönliche Entwicklungsprozesse außerhalb des Unternehmens. In OPM gehen die Mitarbeiter erfolgreich einen neuen Weg: Sie gehen gemeinsam durch den Prozess. Das ist im eigenen Unternehmen und unter Kollegen zu Beginn mutig und hat den unermesslichen Vorteil, dass Lernen, Reflektieren und sich Rückmeldung geben, sich schnell zu einem vorteilhaften Verhaltensmuster entwickelt. Fazit Der Ansatz, über eine Rollendiskussion und -klärung, Spannungsfelder in Unternehmen in konstruktive und der Komplexität angemessene Diskussionsfelder zu überführen, hat sich als fruchtbar erwiesen. Das Wissen darüber, dass Spannungsfelder nicht auflösbar sind, sondern durch ein gutes Rollenbewusstsein immerhin austariert werden können, erleichtert bereits ungemein. Positions- und Machtkämpfe nicht als psychologisch bedingte Gegebenheiten, sondern als Interessensunterschiede zu verstehen, die aus unterschiedlichen Rollenauffassungen resultieren, hilft ebenso. Und gleichzeitig hat auch dieser Ansatz seine Grenzen: Menschen sind ganzheitliche Wesen, die sich zu Recht nicht in Rollen aufspalten lassen wollen. Und: Menschen sind versucht, sich hinter Rollenabgrenzungen ihrer Verantwortung zu entziehen. So ist es unserer Erfahrung nach wie mit allem: Im Übermaß genossen ist es Gift, in Maßen ist es Medizin. Welchen Transfer empfehlen die Autoren für andere Unternehmen? Wir empfehlen: Sich die Phänomene strukturell-systemisch und aus den Funktionen heraus zu erklären, ist hilfreicher als psychologisierende Eigenschaftszuschreibungen. Positionen, die sich aus Spannungsfeldern ergeben, können dann von der persönlichen Ebene auf die Strukturen des Unternehmens gezogen werden. Dadurch wird der Reflex des Verteidigens weniger und die Themen werden strukturell besprechbar. Der Rollenbegriff hat seine Vor- und Nachteile. Er wird inflationär und wenig differenzierend benutzt. Von daher empfehlen wir Ihnen, zwischen der Funktionsklarheit und Rollenflexibilität zu unterscheiden. Wir machen die Erfahrung, dass Menschen auf ihre Rolle pochen und sich dabei ihrer Funktion nicht klar sind. Andersherum wird ein Schuh daraus. Stellen Sie sich der Komplexität, die sich aus der Bearbeitung von Spannungsfeldern ergibt. Differenzieren Sie explizit zwischen Linien- und Netzwerkmodus. 106 Dirk A. Kochan und Claudia M. Fürst Erkennen Sie an, dass es rationale Entscheidungen nicht gibt. Ohne die eigenen Denk- und Fühlgewohnheiten zu hinterfragen, werden Sie der Komplexität nicht Herr. Und: Es gibt nicht die Welt, wir erschaffen die Welt. Im Kern geht es um die gemeinsame Wirklichkeitskonstruktion. Literatur Endres, E ; Opp, B ; Sutrich, O (2011): . In: Profile - Internationale Zeitschrift für Veränderung, Lernen, Dialog, Jg. 2011, Heft 21, S. 10-20. Autor-Kurzprofile Claudia M. Fürst und Dirk A. Kochan sind Gesellschafter bzw. Partner bei Management Partner GmbH. Beide begleiten die Berliner Sparkasse in einem breit angelegten Veränderungsprozess und den Vorstand sowie Führungsteams in den Bereichen. Claudia M. Fürst studierte Diplom-Psychologin war insgesamt 13 Jahre lang Manager Sales Operation Motorrad bei HONDA bzw. Prokuristin und Bereichsleiterin Organisation, Kommunikation, Recht und Mergers & Acquisitions bei der Emil Frey Gruppe Deutschland. Als Partnerin bei Management Partner kann Frau Fürst beide Stränge, die des Managements und die der Psychologie, verbinden. Sie verantwortet großangelegte Change-Prozesse aller Branchen und leitet die 2012 neugegründete Management Partner Akademie. Diese hat sich das Thema „Professionalisierung von Entscheidungsprozessen in Organisationen“ zum Schwerpunkt gewählt. Dirk A. Kochan studierte Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Banken und Versicherungen an der Universität Mannheim. Als Referent für Konzernfinanzierung der Schering AG betreute er Tochtergesellschaften in Europe und Lateinamerika. Hier rundete er seine Expertise im internationalen Finanzmanagement ab und bereitete Vorstandsentscheidungen vor. Heute begleitet er Unternehmen und Vorstandsgremien wie Managementteams in strategischen Entscheidungssowie Veränderungsprozessen. Er verzahnt die strategischbetriebswirtschaftliche Seite mit der Werte- und Verhaltensebene. Langjährige systemische Weiterbildungen und die kontinuierliche eigene Persönlichkeitsentwicklung machen dies möglich. uvk-lucius.de/ fuehren 5.2 Vorbild pprägt LLeitbild - F Führungskräfte-Q Qualifizierung im Change von Klemens Steiner und Frank Kübler ERGO ist eine der großen Versicherungsgruppen in Deutschland und Europa. Weltweit ist die Gruppe in über 30 Ländern vertreten und konzentriert sich auf die Regionen Europa und Asien. Rund 43.000 Menschen arbeiten als angestellte Mitarbeiter oder als hauptberufliche selbstständige Vermittler für die Gruppe. 2014 nahm ERGO 18 Mrd. Euro an Beiträgen ein und erbrachte für ihre Kunden Versicherungsleistungen in annähernd gleicher Höhe. Die ERGO ist ein Tochterunternehmen der Munich Re. Die SYNK GROUP mit Standorten in Stuttgart, Berlin, Hamburg und München begleitet seit 2001 DAX-Konzerne und mittelständische Unternehmen in Leadership und Development Prozessen. In nationalen und internationalen Projekten haben die SYNK Berater bereits über 20.000 Führungskräfte und Mitarbeiter qualifiziert und begleitet. Ihre Vision WE CHANGE LEADERSHIP setzt die SYNK GROUP durch konstante, digitale Begleitung im Prozess mit der prämierten Online-Plattform SYN- LIFE um. Die Ausgangssituation Die Wurzeln von ERGO gehen auf ehemals eigenständige Marken und Unternehmenskulturen zurück. 2010 positioniert sie sich als Versicherer neu und vertritt dies einheitlich unter der Gesamtmarke und öffentlich mit dem Claim „ERGO - versichern heißt verstehen“. Das Unternehmen bindet bereits im Vorfeld Mitarbeiter intensiv in die Neupositionierung ein und entwickelt für ihre Führungsmannschaft ein neues „Leitbild Führung“, welches einfach und verständlich Orientierung geben soll. Damit etabliert die ERGO 2011 erstmals für alle Unternehmensbereiche einheitliche Leitlinien. Das „Leitbild Führung“ beschreibt Werte in Form von Führungsgrundsätzen. Sie zielen auf Wirksamkeit und regulieren das Handeln der Führungskräfte im Unternehmen. Sie sind zugleich eine Erwartung an die Haltung, mit der Führungskräfte agieren und bieten zugleich Freiraum in der konkreten Umsetzung der beschriebenen Grundsätze. Mit der Kommunikation des Leitbildes Führung wird eine Identifikation und Umsetzung in den Führungsalltag initiiert und erwartet. Durch ihr Handeln sollen die Führungskräfte bei ERGO das Leitbild Führung leben und es für die Mitarbeiter erlebbar machen. Im Leitbild wird das Führungsverständnis der ERGO verbalisiert und Führung somit symbolisiert (Blessin & Wick, 2014: 187) Über das ERGO Leitbild definiert das Unternehmen Führung einheitlich. Führung steht dabei für Verantwortung übernehmen, Individualität und Vielfältigkeit schätzen, Vertrauen schaffen, klare Worte finden, sich auf Augenhöhe begegnen, Feedback einfordern und geben, Erwartungen vorleben und formulieren, 108 Klemens Steiner und Frank Kübler uvk-lucius.de/ fuehren Rückendeckung bei Fehlern geben, Veränderung als Chance sehen und dafür begeistern, das eigene Führungsverständnis hinterfragen. Mitarbeiter und Führungskräfte nehmen nach Einführung des Leitbilds Führung eine Diskrepanz zwischen Anspruch und täglichem Erleben wahr. Der Umgang mit Veränderungen und Belastungen, eine Fehler-, Vertrauens- und Feedbackkultur werden als wesentliche Entwicklungs- und Handlungsfelder erkannt. Im Change der Führungskultur liegt der zentrale Hebel bei den Führungskräften des Unternehmens. Selbstreflexion jeder Führungskraft und Dialog zur eigenen Rolle und zur persönlichen Haltung sind der Einstieg in die Veränderung der Führungskultur. Eine Führungskräfteentwicklung mit nur einigen wenigen Personen hat somit keine nachhaltige Kulturentwicklung zur Folge. Es bedarf vielmehr einer gezielten und ganzheitlichen Qualifizierung, um das Leitbild Führung im Unternehmensalltag wirksam und erlebbar werden zu lassen. Ein breites Verständnis der im Leitbild Führung formulierten Grundsätze ist notwendig, um den Transfer in den Führungsalltag sicherzustellen. Denn „Gleichsinnigkeit (! ) der Interpretation ist kein Zufall, sondern Ergebnis absichtlicher Steuerung und Bemühung“ (Blessin & Wick, 2014: 194). Die Führungskraft soll eine eigens erkannte Interpretation, die sie vor allem über (Selbst-)Reflexion und Dialog erlangt, in ihrem Führungsalltag umsetzen. Führung ist kein Selbstläufer und sie entfaltet ihre Wirksamkeit nicht über die Position, sondern über die Haltung der Führungskraft. Sie entscheidet darüber, inwieweit vorhandene Führungsfähigkeiten eingesetzt werden und in welchem Maße die Entwicklung von Führungskompetenzen überhaupt stattfindet, zum Beispiel um Motivation bei Mitarbeitern gerade in schwierigen Zeiten zu erhalten und zu fördern. Deshalb gilt die Qualifizierung der Führungsmannschaft oft als „A und O“ eines erfolgreich agierenden Unternehmens. Veränderte wirtschaftliche und demografische Rahmenbedingungen stellen neue, zum Teil veränderte und gegebenenfalls auch höhere Anforderungen an die Führungskräfte als früher. Vor allem in Zeiten von Unsicherheiten ist eine konsequente Führung von Mitarbeitern wichtig, um ihnen Orientierung und Stabilität zu geben. Mitarbeiter brauchen eine stabile Führung, die situativ angemessen und auf der Grundlage eines breiten Verhaltensrepertoires agiert. Reines Fachwissen leistet dabei nicht den zentralen Beitrag zu erfolgreicher Führung. Es geht vielmehr darum, in Menschen die Bereitschaft entstehen zu lassen, dass sie der Führungskraft in einem komplexen System folgen. Führung ist ein kontinuierlicher, auf Vertrauen basierter Prozess, der in hohem Maße von der Führungskraft selbst bestimmt werden kann. Diese ganzheitliche Qualifizierung leistet seit 2013 der ERGO Führungskräfte- Triathlon. Das Programm integriert erstmals konzernweit die Führungskräfte aller Bereiche und Ebenen in einem Qualifizierungsprozess - vom Gruppenleiter bis zum Vorstand. Es stellt einen Sinnzusammenhang her, betrachtet Führung ganzheitlich und praxisnah und verzahnt das Zielbild der Führung mit der Realität. Das Thema Führung bekommt Raum zur Reflexion, zum bereichsübergreifenden Dialog und zum gemeinsamen Training. Eine zentrale Rolle spielt die intensive Einbindung des Vorstands. Die Vorstandsmitglieder bekennen sich - live oder medienunterstützt - klar Vorbild prägt Leitbild - Führungskräfte-Qualifizierung im Change 109 uvk-lucius.de/ fuehren zum Qualifizierungsprozess. In Videobotschaften verdeutlicht der Vorstand seine Interpretation von Führung und erläutert diese dann im Dialog mit den ERGO Führungskräften. Dadurch wird Zielsetzung und Notwendigkeit des Programms vermittelt - eben jene „natürliche Vermittlung“ von Sinn (Blessin & Wick, 2014: 200). ERGO investiert mit dem ERGO-Führungskräfte-Triathlon in seine Führungskräfte und damit in die Zukunft des Unternehmens. Die Herausforderung Die Führungskräfteentwicklung will die Führungskräfte aller Ebenen und Bereiche erreichen und begeistern sowie gleichermaßen Verbindlichkeit und Nachhaltigkeit in der Auseinandersetzung mit Führung sicherstellen. Dabei steht das Leitbild Führung für ein Zielbild der Führung, nicht für einen Ist- Zustand. Jede Führungskraft ist in der Verantwortung für sich zu prüfen: Was ist schon da? Worauf kann ich aufbauen? Woran gilt es jetzt zu arbeiten? Die Sinnvermittlung basiert auf der gemeinsamen Arbeit an konkreten Führungssituationen aus der Praxis. Damit werden Anspruch und Wirklichkeit im Führungsalltag zusammengebracht. Der Prozess entspricht dem Angebots- und Aushandlungsprozess, der für die symbolisch verbalisierte Führung notwendig ist, damit eine Deutung als sinnvoll von den Führungskräften nachvollzogen werden kann (Blessin & Wick, 2014: 196). Die Ziele Die ganzheitliche Maßnahme zielt darauf ab, die Führungskräfte dort zu erreichen, wo sie jeweils stehen. Davon ausgehend sollen sie die Möglichkeit zur individuellen Entwicklung erhalten, um die dynamischen und komplexen Anforderungen der Gegenwart handhaben zu können und sich ihrer Verantwortung für das Unternehmen, die Menschen im Unternehmen und für sich selbst bewusst zu werden. Auf dieser Grundlage soll die Kompetenz zur Führung in einer aktiven und treibenden Rolle gestärkt und das Verhaltensrepertoire in der Führung erweitert werden. Der bereichs- und hierarchieübergreifende Dialog zu praktischen Führungsthemen schafft ein besseres Verständnis füreinander und für die aktuellen Herausforderungen. Er unterstützt ein gemeinsames „Mindset“ als Fundament eines Kulturwandels in der Führung. Individuelle Potenziale werden durch Reflexion und Erfahrungsaustausch erkannt und durch persönliche Zielformulierungen und Maßnahmenpläne konkretisiert. Der ERGO-Führungskräfte-Triathlon: das Trainingskonzept Triathlon ist ein Ausdauersport. Er besteht aus den Disziplinen Schwimmen, Radfahren und Laufen. Das besondere Merkmal des Triathlons ist das unmittelbare Aufeinanderfolgen der drei Disziplinen und die damit verbundene Umstellung und Beanspruchung der Muskulatur. Die Disziplinen sind durch Wechselzonen miteinander verbunden. Während des Mehrkampfs erfolgt eine ununterbrochene Zeitmessung. Das Bild des Triathlons steht auf metaphorische Weise, dafür, was Führung in der Praxis charakterisiert und macht gleichzeitig deutlich, welche Chancen in dem Entwicklungsprogramm liegen: 110 Klemens Steiner und Frank Kübler uvk-lucius.de/ fuehren Überwindung und Mut durch den gemeinsamen „Sprung ins kalte Wasser“, Ausdauer und Durchhalten, Wechselzonen zur Reflexion und für den Tausch der Ausrüstung, Einzigartigkeit des Weges, Einheitliche Regeln und ein gemeinsames Zielbild, Individuell abgestimmte Einzelziele, Durchgehende Begleitung und Unterstützung durch Vor- und Nachbereitung in SYNLIFE. Im Fokus der über drei Jahre laufenden Führungskräfteentwicklung stehen das Dranbleiben und die Sicherung der Nachhaltigkeit in der Umsetzung des Erlernten. Struktur und Aufbau des sportlichen Triathlons werden als gedanklicher Anker genutzt und auf den Führungskräfte-Triathlon übertragen, der sich ebenfalls in drei Disziplinen (zweitägige Präsenzmodule) mit zwei Wechselzonen (Praxisphasen zwischen den Modulen) plus Vor- und Nachbereitung gliedert. Während der gesamten Maßnahme wird jeder Teilnehmer über die Digital HR Development-Plattform SYNLIFE aktiv begleitet. Das entsprechende Dokument finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. Bereits vor Beginn der ersten Präsenzveranstaltung werden alle Führungskräfte digital in den Qualifizierungsprozess aufgenommen und haben die Möglichkeit, sich in SYN- LIFE auf den Führungskräfte-Triathlon vorzubereiten. Sie erhalten dort eine erste Orientierung zum Ablauf und zur Struktur des Programms. Mit Hilfe von Fragen reflektieren sie ihre eigene Erwartungshaltung und ihr Verständnis an und von Führung. Damit findet eine erste Fokussierung auf die Rolle als Führungskraft statt. Disziplin 1 erfolgt bereichs- und hierarchieübergreifend. Gemeinsam starten Führungskräfte aller Ebenen und lernen die Bedeutung und Relevanz der Maßnahme kennen: Was hat Triathlon mit Führung zu tun? Im Dialog mit dem ERGO Vorstand und untereinander sowohl in Kleingruppen als auch im Plenum werden die aktuelle Situation und damit verbundenen Führungsherausforderungen diskutiert. Eine erste Reflexion des eigenen Verhaltens sowie ein Erfahrungsaustausch finden statt. Der Austausch über Führung erhält Raum und Bedeutung. Es wird deutlich: ERGO meint es ernst mit Führung. Alle sind Teil der Entwicklung, vom Vorstandsmitglied bis zum Gruppenleiter. Ein Bewusstsein für die wahrgenommene Diskrepanz zwischen erlebter Führung und Führungsanspruch wird über den Dialog zu aktuellen Praxisthemen deutlich. Die Bedeutung von Führung nach einheitlichen Führungsgrundsätzen wird geschärft und die Teilnehmer erleben eine erste Sensibilisierung für den Wandel der Führungskultur. Das Verständnis des Wirkzusammenhangs zwischen Führungsverhalten und emotionaler Mitarbeiterbindung wird verankert. Vorbild prägt Leitbild - Führungskräfte-Qualifizierung im Change 111 uvk-lucius.de/ fuehren Im Anschluss an diesen ersten Präsenz-Auftakt der Qualifizierung arbeitet die Führungskraft individuell in ihrem Führungsalltag mit SYNLIFE. Die Wechselzone 1 sichert das Dranbleiben über die Reflexion der Erkenntnisse aus Disziplin 1, dem Festlegen eigener Ziele und der Auseinandersetzung mit Führungsthemen in Vorbereitung auf die Disziplin 2. Die Transfer-Plattform hält das Erlernte im Bewusstsein und sorgt für eine kontinuierliche Beschäftigung mit dem Thema Führung. Disziplin 2 findet bereichs- und standortübergreifend mit Führungskräften der jeweils gleichen Berichtsebene statt. „Erfolg durch Methode“ stärkt die jeweilige Methoden- und damit Handlungskompetenz der Führungskraft. Im Fokus steht, Klarheit für die eigene Rolle als ERGO Führungskraft und damit verbundene Erwartungen zu gewinnen. Selbstreflexion als Kernkompetenz von Führungskräften stärkt die mentale Fitness, die sich durch Selbst-Vertrauen statt Fremdbestimmung konstituiert: „Leading self“ als Voraussetzung für „Leading others“. Die Führungskräfte lernen, die persönliche Veränderungskompetenz wahrzunehmen und eigene Entwicklungspotenziale zu erkennen. In einem Dreiklang aus Methoden, Reflexion und Praxis wird der Transfer von theoretischem Input und Wissen in praktische Erfahrungen und Erlebnisse gesichert. Dabei sind insbesondere der Austausch in der Gruppe und die kollegiale Beratung in einer offenen Atmosphäre von zentraler Bedeutung. Die Führungskräfte einer Berichtsebene erleben und reflektieren Herausforderungen aus dem Alltag in Simulationen. Über intensive Reflexionen wird die Haltung, die in den Führungsleitlinien beschrieben ist, in die Praxis transportiert. Im gegenseitigen Feedback wird Führung systemisch durch eine Sicht 2. Ordnung ins Bewusstsein gebracht. Im Anschluss an den methodischen Qualifizierungsschwerpunkt des Triathlons dient die Wechselzone 2 dazu, das Erlernte zu vertiefen und in seiner Relevanz für den eigenen Führungskontext zu reflektieren sowie einen passenden Umsetzungsrahmen zu finden und ein effizientes persönliches Zeit- und Ressourcenmanagement festzulegen. Ein individuelles Coachinggespräch und die SYNK Leadership-Analyse, die einen Überblick über die derzeitigen Führungskompetenzen und Impulse für das eigene Führungsverhalten liefert, runden diesen Reflexionsteil ab. Das entsprechende Dokument finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. Disziplin 3 bringt die Führungskräfte eines Ressorts unter der Überschrift „Führung vernetzen“ inklusive des Vorstandes zusammen. Dieser Teil hat zum Ziel, das gelernte Instrumenten- und Methodenwissen in simulierten Praxissituationen zu trainieren und dient somit der realen Standortbestimmung im Ressort. Konsequenz und Nachhaltigkeit im Führungsalltag sichern und verankern, ist das Ziel. Als ein Team gilt es in den Zieleinlauf zu kommen und die Umsetzung der Führungsleitlinien über alle Führungsebenen innerhalb des eigenen Ressorts sicherzustellen. Dabei beleuchten die Führungskräfte den eigenen Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung der Unternehmensstrategie. Als persönlicher Konditions-Check beschäftigt sich 112 Klemens Steiner und Frank Kübler uvk-lucius.de/ fuehren jede Führungskraft mit der Fragestellung: „Wie setze ich das Leitbild Führung in meinem Verantwortungsbereich um? “ Glaubwürdigkeit und Authentizität in der Führung werden über alle Ebenen hinweg gesichert. Damit wird eine Kongruenz zwischen den Worten der Führungsleitlinien und dem täglichen Führungshandeln hergestellt (Blessin & Wick, 2014: 200). Auf individueller Ebene wird der Erhalt der eigenen Leistungsfähigkeit und Regeneration trainiert und gesunderhaltendes Führen vermittelt. Im abschließenden Zieleinlauf in SYNLIFE werden die Erkenntnisse und Erfahrungen aus Disziplin 3 reflektiert. Es findet ein weiteres Coachinggespräch statt und die SYNK FIT-Analyse gibt jeder Führungskraft einen Überblick über die individuelle Leistungsfähigkeit und -bereitschaft am Ende des Triathlons. Das entsprechende Dokument finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. Zeitlicher Überblick zu den 3 Teilnehmerwellen Erfolgsfaktor: Begleitung durch Digital HR Development in SYNLIFE Die Digital HR Development Plattform SYNLIFE unterstützt, begleitet und evaluiert das gesamte Programm vor, während und nach den Präsenzveranstaltungen. Die Lücke zwischen den einzelnen Etappen wird geschlossen, Lernbereitschaft sowie Lernmotivation bleiben auf einem konstant hohen Niveau. Die Inhalte der Trainings verzahnen sich mit dem Führungsalltag. Die Nachhaltigkeit des gesamten Programms wird sichergestellt. Feedback-Schleifen und Selbstreflexion können jederzeit wahrgenommen werden. Die Teilnehmer reflektieren die Trainingsinhalte und transferieren sie auf ihren eigenen Wirkungsbereich. SYNLIFE erfordert, dass die Wissenseinheiten zusammengesetzt und zu einem „Großen Ganzen“ synthetisiert werden. Neue Inhalte werden gründlicher in bereits vorhandenes Wissen eingegliedert. Vorbild prägt Leitbild - Führungskräfte-Qualifizierung im Change 113 uvk-lucius.de/ fuehren Das interaktive Konzept des Triathlons bindet SYNLIFE in den laufenden Seminarprozess mit ein und schlägt so die Brücke zum persönlichen Lernerfolg. Im Training arbeiten die Führungskräfte an Tablets in SYNLIFE. Alle Erkenntnisse und persönlich wichtige Informationen werden in der jeweiligen Trainingssequenz im persönlichen Account festgehalten. Leadership- und FIT-Analyse schaffen darüber hinaus zusätzlich Wertschätzung und implementieren eine persönliche Beratung in den Gesamtprozess. Vor- und Nachbereitung sind noch individueller auf die Teilnehmer abgestimmt. In SYNLIFE sind Entwicklungsprozesse erkenn- und evaluierbar. Verzahnung der Disziplinen und des Gesamtprozesses durch SYNLIFE. Herausforderungen und Ergebnisse Im Prozess wird bislang deutlich: Führung im Unternehmen zu implementieren und zu leben, ist ein Veränderungsprozess, der von innen nach außen wirkt. Die einfache Verordnung neuer Führungs-Leitlinien würde ihre Wirkung verfehlen. Kultur kann nicht verordnet werden. Sie muss erlebt werden. So implementiert der Triathlon neue Wege und Chancen insbesondere bei Führungskräften, die bislang im Alltag eine andere Führungspraxis leben. Gute Führung braucht Vorbilder, auf allen Führungsebenen: Sinnvermittlung in Zeiten der Veränderung wird von Führungskräften und Mitarbeitern als sehr wichtig erachtet. So geht es auch darum, die Kommunikation der Botschaften dahingehend zu prüfen, was diese beim Empfänger jeweils auslöst. Erst im Dialog und der eigenen Reflexion kann ein gemeinsames Verständnis der symbolisch in den Leitlinien festgeschriebenen Führung entwickelt und verfestigt werden. Der in unterschiedlichen Gruppenzusammensetzungen und Größen geführte Dialog wird als offener und ehrlicher wahrgenommen, je kleiner und homogener die Gruppe ist. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Teilnehmer die Inhalte aus den Disziplinen bereits in ihren Arbeitsalltag integrieren können und nach ihrer Einschätzung das Erlernte bei der Umsetzung ihrer beruflichen Aufgaben zum Erfolg wesentlich beiträgt. Die ERGO Führungskräfte beschäftigen sich zusätzlich zu den Präsenzphasen 2,5 h pro Monat via SYNLIFE mit den Inhalten des Führungskräfte-Triathlons. Das durchgängige Reflektieren und Trainieren in SYNLIFE sichert das Dranbleiben in der Veränderung und erhöht messbar die Motivation. 99% der ERGO-Führungskräfte bewerten das persönliche Coachinggespräch auf Basis der Leadership-Analyse als hilfreich bis sehr hilfreich. „Ent- und Verschlüsselungen von Sinn können nicht ... auferlegt werden, sondern müssen angeboten ... ausgehandelt werden, denn Sinn wird letztlich vom Empfänger gemacht, weil es um die Einordnung in seine Bezugssysteme geht.“ (Blessin & Wick, 114 Klemens Steiner und Frank Kübler 2014: 196). Jene „einheitliche Entzifferung“ (Blessin & Wick, 2014: 194) des schriftlich fixierten und vervielfältigten Anspruchs an Führung wird mit dem ERGO Führungskräfte-Triathlon in besonderer Weise Rechnung getragen. 2014 wurde der ERGO Führungskräfte-Triathlon mit dem 2. Platz des HR Excellence Awards ausgezeichnet. Literatur Blessin, B. & Wick, A. (2014): Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK. Autor-Kurzprofile Klemens Steiner ist Diplom-Volkswirt und Head of Learning & Development bei ERGO. Vor seiner Zeit bei ERGO war er als Senior Manager bei der Unternehmensberatung A.T. Kearney sowie hat in unterschiedlichen Positionen der AMB Aachen und Münchener Beteiligungs-AG gearbeitet. Frank Kübler ist Betriebswirt, Gesellschafter der SYNK GROUP GmbH & Co. KG und CEO der Leada AG. Vor der Gründung der SYNK GROUP war er viele Jahre in unterschiedlichen Funktionen in Führungspositionen in Banken und Unternehmensberatungen tätig. uvk-lucius.de/ fuehren 5.3 Entwicklung eines Werte-integrierten Führungsverständnisses bei Felss von Christine Kienhöfer Die Felss-Gruppe ist ein mittelständisches Familienunternehmen mit Hauptsitz in Königsbach- Stein, Baden-Württemberg. Das Unternehmen wwwwwwwwwwurde 1905 als Maschinenbau-Unternehmen in Pforzheim gegründet und befindet sich seit 1969 im Besitz der Familie Kienhöfer. Mit fünf operativen Unternehmen, die seit 2001 unter einer Holding angeordnet sind, erwirtschaftete das Unternehmen mit 580 Mitarbeitern im Geschäftsjahr 2014 einen Umsatz von ca. 105 Mio. Euro. Die Felss-Gruppe bietet ihren Kunden eine „make and buy“-Entscheidung an: Felss produziert einerseits umformende Werkzeugmaschinen und ist zusätzlich seit 1985 auch im Bereich der Komponentenfertigung tätig und fertigt in diesem Geschäftsbereich Werkstücke in Klein-, Mittel- und Großserie im Kundenauftrag (Felss Holding GmbH, 2015). Als Felss 1969 von Klaus Kienhöfer übernommen wurde, beschäftigte das Unternehmen fünf Mitarbeiter und befand sich kurz vor der Liquidation. Das Rundknetverfahren war im Unternehmen als Produkt bereits vorhanden und bildete den Kern des kontinuierlichen Wachstums der folgenden Jahrzehnte, um den herum weitere Technologien und Produkte ergänzt wurden. Seit 1990 bin ich als zweite Generation der Eigentümerfamilie im Unternehmen aktiv und mit dem Tod meines Vaters 1998 wurde ich Alleingesellschafterin und Allein- Geschäftsführerin der Gruppe. Fallbeschreibung Die Geschichte von Felss seit 1969 ist geprägt durch kontinuierliches, nur durch Konjunkturschwankungen zeitweilig gebremstes Wachstum und eine flankierende Expansion in den Technologien, den Produkten und in der internationalen Präsenz. Nach der Umsatzentwicklung Felss-Gruppe 116 Christine Kienhöfer uvk-lucius.de/ fuehren Übernahme des Unternehmens durch meinen Vater Klaus Kienhöfer entwickelte und lebte das Unternehmen alle typischen Eigenschaften der Pionierphase (Werther & Jacobs, 2014, S. 27 f.): charismatisch-autokratische Führung, der Kunde als Treiber der Innovation, Sonderlösungen statt Standard, Kreativität, Nähe zu den Mitarbeitern, keine Formalisierung in der Aufbaustruktur, Fokussierung auf Allround-Funktionen, Improvisation, sowie eben auch Beweglichkeit und Schnelligkeit. Auswahlkriterium für die Führungskräfte war in erster Linie die Fachkompetenz. Für meinen Vater, ein Unternehmer, Ingenieur und Entwickler, war dies eine Organisationsform, in der er sich wohl fühlte und deshalb auch entsprechend erfolgreich war. Organisatorische (Hilfs-)Mittel, egal, ob im Sinne von Regelungen, Controlling oder IT-Unterstützung, waren lästige Kosten- und Zeitfresser. Er hatte jedoch den unternehmerischen Weitblick, zu erkennen, dass es für diese von ihm bevorzugte Art von Unternehmensführung eine kritische Größe gibt, die Felss gegen Ende der 1980er Jahre des letzten Jahrhunderts zu überschreiten begann. Diese Schwelle wird häufig auch als Übergang vom Handwerkbetrieb zum Industrieunternehmen wahrgenommen. Diese Phase fiel - allerdings eher zufällig - zusammen mit meinem Eintritt ins Unternehmen und meinen Schwerpunkten. Deshalb war die Überführung der Organisation in die Differenzierungsphase (Werther & Jacobs, 2014, p. 27 f.) für mich eine Aufgabe, die in guter Übereinstimmung zu meiner damaligen Wahrnehmung sinnvoller Organisationsformen im Allgemeinen und der aktuellen Notwendigkeiten für Felss im Speziellen passte. Dementsprechend wurden in den 1990er Jahren bei Felss betriebswirtschaftliche Strukturen aufgebaut, die die Grundlage für Plan- und Steuerbarkeit sowie Transparenz schufen. Der Schwerpunkt der Aufgabenstellung der Führungskräfte lag im fachkompetenten Managen, also Verwalten, Erhalten, Imitieren sowie dem Fokus auf Systeme und Kontrolle (Blessin & Wick, 2014: 114). Mit dieser Veränderung wandelte sich das Führungsverhalten. Es wurde formalistischer und der Kontakt zu den Mitarbeitern wurde insbesondere von altgedienten Schlüsselpersonen oftmals als distanziert und kühl empfunden. Die veränderten Unternehmensprozesse und -strukturen waren auf Optimierung des Status quo im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) ausgelegt, nicht auf mutige Erneuerung und Wandelbarkeit. Die Veränderungsbereitschaft und geschwindigkeit schwand. Der Strukturaufbau wurde mit einem Verlust an Flexibilität, Schnelligkeit und „atmender Anpassungsfähigkeit“ erkauft. In einer sich verändernden Unternehmensrealität wurde dies zunehmend zur Bürde. Zum einen war bedingt durch das Wachstum die Komplexität innerhalb der Gruppe gestiegen: Es galt, zwei Geschäftsbereiche auf drei Kontinenten in vier Ländern mit fünf operativen Unterneh- Entwicklung eines Werte-integrierten Führungsverständnisses bei Felss 117 uvk-lucius.de/ fuehren men und sechs Standorten zu entwickeln, zu koordinieren und zu steuern. Auf der anderen Seite hatte sich das externe Umfeld geändert und war komplexer und volatiler geworden. Durch die Globalisierung der Märkte war es schwieriger, „am Puls“ des Kunden zu bleiben. Darüber hinaus sind Technologie- und Konjunkturveränderungen schneller und zunehmend häufiger disruptiv (Horváth, 2014). Wenn wir in diesem veränderten Umfeld weiterhin erfolgreich sein wollten, dann brauchte die Organisation eine weitere tiefgreifende Veränderung. Es war Zeit, in die nächste Entwicklungsphase der Organisation einzutreten: die Integrationsphase (Werther & Jacobs, 2014, p. 27 f.). Für jede Phase des Unternehmens gibt es eine spezifisch „passende“ Führung. Bei Felss wurde dies mit dem Übergang von meinem Vater auf mich und den jeweiligen Schwerpunkten der Entwicklung der Unternehmen sehr deutlich. Wo allerdings setzt man an, um eine „Veränderung der Führung“ zu erreichen? Und was bedeutet das konkret? Eine Verhaltensänderung, neue Führungskräfte mit einem neuen Stellenprofil, eine neue Führungsstruktur oder sogar eine Veränderung der Unternehmens- und Führungskultur? Wie weit will/ soll/ muss man gehen und wie weit kann man gehen, ohne den Kern der Unternehmenskultur zu verändern? Natürlich haben solche Veränderungen mit all ihren sichtbaren und unsichtbaren, bewussten und unbewussten Treibern und Antagonisten eine hohe Komplexität. Letztendlich geht es, wenn man die Kultur verändern will, auch um die Frage: Welches Element versetzt man im „Mobilé der Unternehmenskultur“ (Werther & Jacobs, 2014, pp. 8-10) in Bewegung, um den Veränderungsprozess zielgerichtet zu starten? Denn dieser erste Impuls ist entscheidend für den Erfolg. Das entsprechende Dokument „Mobilé der Unternehmenskultur“ finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. Für solch radikale Change-Prozess e gibt es viele Wege und Verfahren, jedoch kein allgemeingültiges Patentrezept. Deshalb benötigten wir für Felss einige Jahre mit etlichen Schleifen und bedauerlichen Irr-Wegen, um den für uns richtigen, weil funktionierenden Weg, zu finden. Irr-Wege Der Durchbruch zum letztlich erfolgreichen Weg gelang uns Mitte 2011. Doch bis dahin gab es eine Reihe von Fehlversuchen, die die Unternehmen ebenso wie die Mitarbeiter und Führungskräfte erheblich auf die Probe stellten. Da die Unternehmensentwicklung in dieser Zeit weiterhin positiv war und ich mich keinen weiteren Gesellschaftern gegenüber zu verantworten hatte, kann ich mir den Luxus leisten, es hier mit Thomas A. Edison zu halten und vor allem den Aspekt der Lessons Learned betonen: „Ein Misserfolg war es nicht. Denn wenigstens kennt man jetzt 2.000 Arten, wie ein Kohlefaden nicht zum Leuchten gebracht werden kann.“ Wo aber lagen nun die Fehler? Grundsätzlich hatte ich die Tragweite der angestrebten Veränderung und die sich hieraus ergebenden Notwendigkeiten in der Begleitung des Prozesses unterschätzt (Gai- 118 Christine Kienhöfer uvk-lucius.de/ fuehren ring, 2008, pp. 110-131, Werther & Jacobs, 2014, p. 53f.). Es ging eben nicht nur um eine Anpassung der Führungsstruktur an die gestiegene Komplexität der Gruppe, sondern um nichts Geringeres, als erstmals in der Unternehmensgeschichte von Felss die Verantwortung an der Spitze der Gruppe zu teilen und nicht alleine durch den geschäftsführenden Gesellschafter ausüben zu lassen. Im Rückblick lassen sich darüber hinaus im Wesentlichen zwei Gründe für das Scheitern der ersten beiden Versuche ausmachen: Halbherzigkeit und ein unbedarfter Idealismus bei der Besetzung der neuen Teams. Die mangelnde Konsequenz oder auch Halbherzigkeit äußerte sich darin, dass Führungsverantwortung nicht nachhaltig an andere Personen oder Positionen abgegeben wurde, sondern lediglich Aufgaben delegiert wurden (z.B. im Rahmen von Strategieprojekten oder Lenkungskreisen). Das bestärkte viele Mitarbeiter in der Wahrnehmung, dass es mir als geschäftsführende Gesellschafterin mit der Teilung der Verantwortung nicht wirklich ernst war - und vielleicht hatten sie damit zu diesem Zeitpunkt auch nicht ganz Unrecht. Ein zweiter (Fehl-)Versuch hatte aufgrund der Besetzung des Teams nur geringe Erfolgschancen. Die Ursachen hierfür lagen einerseits in der - sich nicht ergänzenden sondern behindernden - Unterschiedlichkeit der Charaktere. Andererseits brachte ein Teil des Teams zwar das Rüstzeug für den Übergang zur neuen Phase der Organisationsentwicklung mit, hatte aber nicht das Vermögen, an den aktuellen Status der Unternehmen erfolgreich anzudocken („Lead the parade or loose the parade“) Letztendlich fehlte mir als Führungsverantwortliche für dieses Team jedoch auch die Fähigkeit, die Kollegen zu führen und in ihrer Unterschiedlichkeit zur Wirkung kommen zu lassen. Ich wollte zu diesem Zeitpunkt also mehr für mein Unternehmen, als ich selbst unterstützen konnte. Lessons Learned: Einführung eines Geschäftsführerteams Nach den gescheiterten Versuchen implementierte ich Anfang 2012 auf der Ebene der Holding-Geschäftsführung ein mehrköpfiges Führungsteam und manifestierte damit ernsthaft und sichtbar den Schritt der Übergabe von Verantwortung. Darüber hinaus erfolgte die Vorbereitung und Begleitung des Prozesses dieses Mal durch ein erfahrenes Beraterteam mit Expertise in Change Management, Recruiting und persönlicher Entwicklung. Neben Stellenbeschreibungen für die einzelnen Positionen (Chief Financial Officer, Chief Operating Officer, Chief Market & Technology Officer) wurden entsprechende Soll-Persönlichkeitsprofile erarbeitet. In deren Unterschiedlichkeit liegt der Vorteil eines Teams - auch in der Entscheidungsfindung, in der sich die Teammitglieder nicht nur mit ihren Expertisen, sondern auch z.B. ihren unterschiedlichen Risikoprofilen ergänzen können. Zunächst war ich davon ausgegangen, dass ich in diesem neuen Geschäftsführungsteam die Position des CFO einnehmen würde. In einem nicht leichten Erkenntnisprozess musste ich allerdings feststellen, dass die vorgenannten Vorteile und der Mehrwert des Teams am wirksamsten zum Tragen kommen konnten, wenn alle Teammitglieder jederzeit auf Augenhöhe sind. Ist ein Mitglied der Geschäftsführung jedoch gleichzeitig Alleingesellschafterin, wie in meinen Fall, so ist dies - insbesondere mit dem Background von ca. 15 Jahren als Allein-Geschäftsführerin - bei allem guten Willen eine Illusion. Bei meiner Entscheidung galt es also abzuwägen, wie ernst ich meine Zielsetzung nahm, Felss eine für die neue Organisationsphase passende Führung zu geben, Entwicklung eines Werte-integrierten Führungsverständnisses bei Felss 119 uvk-lucius.de/ fuehren und zu welcher persönlichen Veränderung ich bereit war. An diesem wichtigen Punkt nicht den vermeintlich einfachen Weg zu gehen, sondern einen konsequenten Schritt zu wagen, hat mir und Felss mit großer Wahrscheinlichkeit einen weiteren Misserfolg erspart. Damit hatten sich meine persönliche zukünftige Aufgabe und Perspektive nochmals gründlich gewandelt. Es war klar, dass ich in den Verwaltungsrat wechseln und Felss in absehbarer Zeit durch ein aus Fremd-Geschäftsführern bestehendes Management Board geleitet würde. Die Werte als zentrales Element einer neuen Unternehmenskultur „Welche Werte sollen die Geschäftsführer für Sie als Gesellschafterin ins Unternehmen tragen? “, war eine zentrale Frage im Recruiting-Prozess der Geschäftsführung. Bereits durch die Fragestellung wird klar, dass es einen expliziten, veröffentlichten geschweige denn verbindlichen Felss-Wertekanon zu diesem Zeitpunkt nicht gab. Zwar waren wir im Rahmen unserer vorangegangenen Strategieprozesse schon mehrmals an dem Punkt, wo das Thema Werte als Pfeiler einer Unternehmenskultur eingefordert wurde. Allerdings konnte ich diesem Thema zu diesem Zeitpunkt noch keine große Bedeutung beimessen. Ich war der Meinung, dass ich als geschäftsführende Gesellschafterin die Werte, die mir für das Unternehmen wichtig erscheinen, vorlebe und diese damit für jeden ersichtlich sind. Ohne Frage war diese Einstellung überaus realitätsfern. Bei mehreren Hundert Mitarbeitern, noch dazu in verschiedenen Ländern und Kulturen, kommen Werte nur noch bruchstückhaft, gefiltert und verzerrt an. Abgesehen davon ist das, was Führende tun, nie eindeutig. Es wird gefiltert, bewertet, interpretiert (Blessin & Wick, 2014, p. 187). Doch wir überließen diese Interpretation der Mitarbeiter dem Zufall und förderten damit ein fruchtbares Biotop für die Entwicklung verschiedenster - teils unbewusster und unerkannter - kultureller Unterströmungen, die als Gegenteil von Klarheit und Orientierung jeden Veränderungsprozess erschweren. Die erstmalige Implementierung eines ausschließlich mit Fremd-Geschäftsführern besetzten Management Boards war der perfekte Zeitpunkt, um für die Felss-Gruppe Unternehmenswerte explizit zu formulieren. Es gab einen konkreten Anlass, der auch Dringlichkeit erzeugte: die Gelegenheit, die neue Führungsmannschaft gleich auf die Werte zu verpflichten. Wie aber sollten sie entstehen, die neuen Unternehmenswerte für Felss? Grundsätzlich stehen - glaubt man den einschlägigen Change-Konzepten - zwei wesentliche Vorgehensweisen zur Verfügung: Bottom-up oder Top-down. Recherchiert man zu diesem Thema, kann der Eindruck entstehen, dass Bottom-up, also die Erarbeitung der Werte aus und mit der Belegschaft, die gängigere Methode ist. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass dies die Vorgehensweise ist, die vor allem größere Unternehmen wählen und diese wahrscheinlich auch häufiger zu Werten publizieren als kleine und mittelständische Unternehmen. Vermutlich ist diese Vorgehensweise für große Unternehmen mit einem anonymen, kleinsegmentierten Gesellschafterkreis aber auch der gangbarere Weg, denn woher sollte die (Fremd-)Geschäftsführung in diesem Fall die ungeteilte und akzeptierte Legitimation bekommen, Werte zu formulieren? 120 Christine Kienhöfer uvk-lucius.de/ fuehren Darüber hinaus ist Bottom-up eine Vorgehensweise, die es den Gesellschaftern und/ oder den Geschäftsführern erlaubt, „in Deckung zu bleiben“. Mit Herzblut formulierte Werte sind etwas sehr Persönliches und die Perspektive, dass diese im Unternehmen kritisch, ja vielleicht sogar abfällig und belächelnd kommentiert und diskutiert werden, kann durchaus angsteinflößend sein. Das war auch mir persönlich sehr bewusst. Dennoch habe ich mich für einen Topdown-Ansatz entschieden. Grund hierfür war zum einen die Befürchtung, dass die Ergebnisse ansonsten prozessbedingt zu sehr nur das „Hier und Jetzt“ abbilden und zu wenig Gestaltungskraft für die Zukunft haben. Darüber hinaus sah ich darin das Risiko, dass mögliche Ergebnisse aufgrund des mehrstufigen Konsensprozesses zu „weichgespült“ würden, um kraftvoll zu sein. Der weitaus wichtigere Grund war jedoch der, dass ich das Resultat eines ernstgemeinten ergebnisoffenen Bottom-up-Prozesses natürlich nicht im Vorfeld kennen und damit auch nicht sicher sein konnte, ob ich als Gesellschafterin zu dem Ergebnis in jedem Fall voll und ganz hätte stehen können. Damit hätte ich den weiteren Prozess nicht unterstützen können. Der Prozess der Einführung der Werte bei Felss lässt sich in zwei grundsätzliche Etappen unterteilen. Am Anfang standen die Definition der Werte und die Rekrutierung der Geschäftsführung der Holding auf dieser Basis. In einer zweiten Etappe, die ca. 12 Monate später startete, erfolgte das Deployment in die Organisation und die Partizipation der Mitarbeiter in der Auslegung/ Deutung der Werte. Die Vorbereitung, Konzeption sowie Ausgestaltung und Umsetzung von Maßnahmen und Kommunikation in beiden Etappen wurden eng durch ein Beraterteam begleitet, mit einer Ausnahme: der Entwicklung der Werte an sich. Nach der Entscheidung für eine Top-down-Vorgehensweise sah ich mich als Gesellschafterin persönlich in der Verantwortung, Werte für Felss zu formulieren. Die Werte zu finden, stellte sich als überraschend einfach heraus. Dabei war es gut, dem ersten Impuls, „gängige“ Unternehmenswerte zu scannen, zu widerstehen. So blieb Raum, einen eigenständigen Wertekanon entstehen zu lassen, der weder in den einzelnen Begriffen noch in seiner Gesamtheit alltäglich ist. Entlang der Eigenschaften bzw. der DNA, die die Unternehmen zukünftig aufweisen sollten, um nachhaltig erfolgreich zu sein, manifestierten sich die sechs Werte und konnten zusammen mit meiner Deutung der einzelnen Begriffe formuliert werden. Danach wurden die Werte mit den begleitenden Beratern kritisch hinterfragt, die mögliche Orientierungswirkung antizipiert und denkbare (Fehl-)Interpretationen diskutiert. Der erste Schritt zur Einbindung der Organisation in den Werteprozess war ein Workshop gemeinsam mit dem neu besetzten Management Board, um die Werte - erstmals gemeinsam - zu diskutieren, das gemeinsame Verständnis der einzelnen Werte und deren Bedeutung zu erarbeiten und sie zwischen Gesellschafterin und der Geschäftsführerin der Holding letztendlich verbindlich zu vereinbaren. Das Ergebnis war einerseits die inhaltlich sehr wesentliche Änderung von zwei Begriffen. Darüber hinaus ergab die Diskussion, dass alle Werte per se den gleichen Stellenwert haben sollten. Sie sollten also hierarchielos sein, was allerdings nicht bedeutet, dass situativ nicht ein Wert wichtiger sein kann als ein anderer. Aus dieser Feststellung entwickelte sich die Darstellung des Werte-Rads (siehe unten). Entwicklung eines Werte-integrierten Führungsverständnisses bei Felss 121 uvk-lucius.de/ fuehren Führung ist eine moralische Übung, die den Standard menschlichen Verhaltens hebt Förderung und Ermächtigung der Geführten Anliegen der Gemeinschaft fördern, nicht individuelle Vorhaben Die Mitarbeiter identifizieren sich mit „ihrer“ Organisation Mitarbeiter verstehen sich als „Organisationsbürger“ Lernen und Veränderung werden zur Selbstverständlichkeit, Fehler sind Lernchance (lernende Organisation) Zudem waren wir uns einig, dass die Werte Orientierungswirkung und große Gestaltungskraft entfalten sollten. Felss sollte zu einem Wert-vollen Unternehmen werden. Daraus resultierte der Entschluss, dass wir Vorbild sein wollten für das (Vor-)Leben der Werte und eine kontinuierliche persönliche Entwicklung. Implizit hatten wir damit die Entscheidung getroffen, zukünftig den Ansatz der transformationalen Führung zu verfolgen (Bass & Avolio, 1994). In unserem Führungsverständnis finden sich viele der Merkmale dieses Führungsansatzes wieder (Blessin & Wick, 2014: 120f.). Mit den Werten war nach meiner Einschätzung das wesentliche, alles in Bewegung versetzende Teil des „Change Mobilé“ für Felss gefunden, das sowohl für die Unternehmenskultur als auch für Maßnahmen der Organisationsentwicklung eine orientierende, sinnstiftende Unterstützung geben konnte. Voraussetzung dafür war jedoch, dass die Werte im nun nachfolgenden Prozess so verankert werden, dass sie für Führungskräfte und Mitarbeiter akzeptabel und klar sind und damit Handlungs- und Alltagsrelevanz entfalten können. Im Januar 2013 startete die zweite Etappe, deren Schwerpunkt die Entfaltung in den Unternehmen und die Partizipation der Mitarbeiter sein sollte, indem die Werte in einer Impuls-Veranstaltung allen Mitarbeitern der deutschen Werke vorgestellt wurden. Neben den Informationen zu den Beweggründen für die Einführung der Werte wurden antizipierte FAQs in einer Podiumsdiskussion adressiert und die nächsten Prozess- Schritte aufgezeigt. Diese Veranstaltung war das eigentliche „coming out“ der Werte- Strategie und der erste wirkliche Gradmesser für ihre Akzeptanz in der Belegschaft. Die spontanen Reaktionen waren verhalten positiv und neugierig, jedoch auch leicht skeptisch, welche tatsächlichen Veränderungen sich hieraus ergeben sollten. Merkmale transformationaler Führung Felss-Werte, finale Version 10/ 2012 122 Christine Kienhöfer uvk-lucius.de/ fuehren Nach dieser Einführungsveranstaltung entwickelte sich in den darauf folgenden Monaten eine Vielzahl von Aktivitäten und Instrumenten, von denen nachfolgend nur auf die im Kontext zum Führungsverständnis wesentlichsten näher eingegangen werden soll. Insgesamt ergab sich die Chronologie aus dem Fluss des Prozesses, es gab keinen starren Masterplan. Zu Beginn wurden revolvierend Road Maps mit einem Zeithorizont von jeweils drei bis sechs Monaten erarbeitet, dannach wurden anhand der sich im Prozess ergebenden Notwendigkeiten die nächsten Aufgaben definiert. Das Ziel war klar, die Route jedoch wurde den jeweiligen Gegebenheiten angepasst. So entstanden zunächst Inseln der neuen Unternehmenskultur, die nach und nach zu einem integrierten Ganzen zusammenwuchsen. Diese Vorgehensweise ermöglichte eine sehr hohe Umsetzungsgeschwindigkeit. Die latente Gefahr, einen inkonsistenten Flickenteppich zu schaffen, wurde dadurch vermieden, dass die Werte zu jedem Zeitpunkt als Leitstern für die Schaffung von Strukturen, Prozessen und Tools diente. Das Kulturmanifest: Um auch die Mitarbeiter ernsthaft und frühzeitig in den Prozess einzubinden, wurde ihnen die wesentliche Rolle der Deutung der Werte übertragen. Es galt festzulegen, was z.B. „Mut“ heute und in Zukunft für uns bei Felss bedeuten soll und durch handlungsanleitende Beschreibungen zu präzisieren (siehe Abbildung unten). Die Erarbeitung des Kulturmanifests erfolgte im Februar 2013 im Format eines eintägigen Redaktions-Workshops. Es wurden 15 Mitarbeiter aus allen deutschen Werken eingeladen, die, inklusive Arbeitnehmervertretung, einen repräsentativen Querschnitt der Belegschaft darstellten. Das so gemeinsam entwickelte Kulturmanifest ist eine überaus ambitionierte Willenserklärung zum Erfolg, skizziert den Handlungsrahmen für den Kulturwandel, setzt aber auch klare Prioritäten für das Wirken der Führungskräfte. Es ist gelungen, die Zukunft mit der Gegenwart zu verbinden. Damit wird auch klar, dass das Kulturmanifest im Kontext der aktuellen Unternehmenssituation verfasst wurde und diese damit abbildet. Im Sinne eines gelebten Wertesystems ergibt sich daraus die Notwendigkeit, das Kulturmanifest in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und zu überarbeiten. Das Dokument „Kulturmanifest“ finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR- Codes. Auszug aus dem Felss-Kulturmanifest Entwicklung eines Werte-integrierten Führungsverständnisses bei Felss 123 uvk-lucius.de/ fuehren Felss-Kulturthermometer Name des Mitarbeiters Das Kulturthermometer: Im März 2013 fand mit allen deutschen Führungskräften ein erster Workshop zum Thema Werte statt. Es war schnell klar geworden, dass die Führungskräfte - losgelöst davon, ob sie dem Prozess eher ängstlich oder erwartungsvoll entgegensahen - das dringende Bedürfnis hatten, zu klären, was die Werte für sie konkret bedeuteten. Die praktische Bedeutung des Themas wurde mit den ca. 70 Teilnehmern unter Beteiligung der Arbeitnehmervertretung gemeinsam erarbeitet. Dabei konnten die Führungskräfte vor allem auch formulieren, wo und in welcher Form sie sich weitergehende Unterstützung bei der Überführung in den Alltag wünschten. Wenig überraschend wurde bei diesem Workshop der Bedarf nach Schulung, Information und einer Rollenklärung formuliert. Spannend war, dass auch der Wunsch geäußert wurde, die Ergebnisse des Werteprozesses messbar zu machen. Es sollten also nicht nur Führung und Zusammenarbeit der Mitarbeiter transformational werden, sondern wir wollten die Veränderung dieses Verhaltens zusätzlich transparent und nachvollziehbar machen. Aus dem Teilnehmerkreis nahmen sich zwei Führungskräfte und zwei Betriebsräte der Aufgabenstellung an und entwickelten, unterstützt durch die Personalentwicklung, ein Kultur-Messinstrument. Durch eine jährliche Befragung, die mit direkt aus dem Kulturmanifest abgeleiteten und über einen längeren Zeitraum unverändert bleibenden Fragen wird ein Monitoring der Entwicklung des gelebten Wertesystems im Zeitverlauf gewährleistet und gleichzeitig Verbesserungspotenzial ermittelt. Obwohl das Instrument die anonyme Teilnahme ermöglicht, hat bei der ersten Durchführung im Herbst 2013 bei einer Teilnahmequote von ca. 75% nur etwa ein Drittel die Anonymität gewählt. Wir werten dies als mutiges Bekenntnis der Belegschaft zum gemeinsamen Prozess. Das zweite Element des Instruments, das eigentliche Kulturthermometer, wurde erstmals im Februar 2014 eingesetzt. Es unterstützt sowohl bei den Geführten als auch bei den Führungskräften einen offenen, konstruktiven und angstfreien Umgang mit dem eigenen Befinden und Befindlichkeiten. Das Format fördert einen Wechsel von der 124 Christine Kienhöfer uvk-lucius.de/ fuehren Problemzur Lösungsorientierung und vom Übereinanderzum Miteinanderreden. Das Kulturthermometer leistet damit einen wesentlichen Beitrag, die neue Unternehmenskultur in das tägliche Miteinander zu integrieren. Das Kulturthermometer wird inzwischen zweimal im Jahr zu vereinbarten Terminen in allen Abteilungen durchgeführt, auf Wunsch moderiert und die Ergebnisse werden dokumentiert. Auf der linken Seite eines Whiteboards, das in jedem Fachbereich möglichst gut sichtbar dauerhaft angebracht sein soll, zeigt jeder Mitarbeiter durch einen mit seinem Namen versehenen Magnet-Pin seine persönliche Stimmungs- und Zufriedenheits-„Temperatur“. Auch die Führungskräfte einschließlich des Management Boards haben „ihr“ Kulturthermometer. Anhand der gepinnten Ergebnisse tritt die Führungskraft mit jeweils allen geführten Mitarbeiter in Teamsitzungen in den Dialog. Auf der rechten Seite werden gemeinsam Maßnahmen vereinbart, die die Situation verbessern und deren Umsetzung nachverfolgt wird. Die Felss-Werte kommen auch hier zum Einsatz, indem sie Aktivitäten unter eine gemeinsame Überschrift stellen können und damit verdeutlichen, welcher Wert aktuell in diesem Unternehmensbereich fokussiert werden sollte. Das entsprechende Dokument finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. Seine wesentliche, wenn auch ungeplante Wirkung entfaltet das Thermometer jedoch dadurch, dass es mittlerweile von den Mitarbeitern laufend genutzt wird, um ihren Kollegen und ihrem Vorgesetzten mitzuteilen, dass sie z.B. mit ihrer Temperatur nicht mehr im grünen Bereich sind. Diese Vorgehensweise reduziert offenbar trotz - oder vielleicht wegen der Öffentlichkeit - die Hemmschwelle zur Kommunikation und gibt die Möglichkeit, Themen umgehend zu adressieren und damit oftmals, bevor sie zu einem Problem werden. Entwicklung und Einführung des Führungsverständnisses Je erfolgreicher der Werte-Prozess auf einer tatsächlichen Ebene im alltäglichen Umgang ankam, desto höher wurde die Notwendigkeit für die Mitarbeiter mit Führungsverantwortung, ihren Fokus vom fach- und sachorientierten Managen auf das Führen zu verlegen (siehe Abbildung oben). Naturgemäß fiel das einigen leichter als anderen. Bei allen war jedoch die Unsicherheit zu spüren, ob das, was sie in der Vergangenheit für sich als „richtiges“ Führungsverhalten identifiziert hatten, im Kontext des Veränderungsprozesses noch den Erwartungen entsprach. Um den Führungskräften hier eine Orientierung im Sinne eines selbstverpflichtenden Verhaltenskodex zu geben, wurde ein Führungsverständnis entwickelt. Charakteristika von Führerenden, ergänzt in Anlehnung an Blessin & Wick, 2014, p. 114 f. Entwicklung eines Werte-integrierten Führungsverständnisses bei Felss 125 uvk-lucius.de/ fuehren Da wir die Werte als zentrales Element des Kulturwandels gewählt hatten, war es selbstverständlich, dass diese auch bei der Entwicklung des Führungsverständnisses den Rahmen setzten. Darüber hinaus hatte es sich in den vorangegangenen Monaten gezeigt, dass es - gerade aufgrund der Vielzahl der Veränderungen - entscheidend für die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter war, immer wieder einen gemeinsamen Kontext herzustellen. Damit wurde zum einen die Wahrnehmung unterstützt, dass der Werteprozess kontinuierlich voranschritt. Zum anderen kann auch vermutet werden, dass diese Vorgehensweise die Wahrnehmung zur Vielzahl der Veränderungen und Neuerungen bei den Mitarbeitern reduzierte und sie deshalb besser damit zurecht kommen konnten. Also eher „… eine zusätzliche Facette von …“ als „… schon wieder was Neues“. Das Felss-Führungsverständnis wurde bewusst Top-down - Bottom-up entwickelt. Es wurde dementsprechend im Januar 2014 gemeinsam vom Management Board und mir als Gesellschafterin eine Diskussionsvorlage erstellt, die für jeden einzelnen Wert Erwartungen an Haltung und Verhalten definierte. Diese wurde in den nachfolgenden Monaten in den deutschen Unternehmen in begleiteten Workshops vom jeweiligen Vorgesetzten mit den nachgeordneten Führungskräften diskutiert und Änderungen Auszug aus dem Felss-Führungsverständnis zum Wert Mut 126 Christine Kienhöfer uvk-lucius.de/ fuehren vorgeschlagen. Dabei wurde auch ein besonderes Augenmerk auf die individuelle Relevanz im Alltag gelegt: „Was ändert sich konkret für mich.“ Einer der wesentlichsten Diskussionspunkte war dabei die Unsicherheit im Umgang mit dem vermeintlichen Kontrollverlust. Dieser resultierte in den Augen einiger Führungskräfte daraus, dass ihre Mitarbeiter ermächtigt wurden und zunehmend mehr die Rolle des Managers einnahmen. Dabei war die Angst hinsichtlich des eigenen Vermögens, in die neue Rolle des primär Führenden hineinzuwachsen, sicherlich bei den betreffenden Führungskräften ebenso groß wie die Zweifel, ob die nachgeordneten Führungskräfte oder Mitarbeiter in der Lage waren, die resultierende Verantwortung zu übernehmen. Dennoch entstand in ca. sechs Monaten ein Führungsverständnis, das im Führungskreis auf allen Ebenen eine breite Basis der Zustimmung hatte. Die Führungskräfte wollten in großer Mehrheit diesen Weg gehen, auch wenn vielen von ihnen bewusst war, dass dies für sie eine Herausforderung in ihrer persönlichen Entwicklung bedeutete. Das entsprechende Dokument finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR- Codes. Die vorgeschlagenen Änderungen wurden nach oben kaskadiert, konsolidiert und nach Prüfung durch das Management Board eingearbeitet. Das danach verabschiedete Führungsverständnis wurde kommuniziert und für verbindlich erklärt. Vor dem Hintergrund der oben genannten Aussagen zu Ängsten und Sorgen ist es umso erfreulicher, dass sich so viele Führungskräfte authentisch und engagiert zum neuen Führungsverständnis bekannt haben. Offensichtlich waren die Vorteile der Veränderung für sie attraktiver als die Alternative des Verharrens. Unterstützt hat hier sicherlich das offenbar vorhandene Vertrauen der Führungskräfte in die rechtzeitige Bereitstellung passender Maßnahmen zu ihrer Unterstützung. Damit standen die obersten Führungsebenen allerdings auch in der Bringschuld, diese Unterstützung zu leisten, und deren Bereitstellung war die wesentliche Komponente für den Erfolg des Einführungsprozesses. Einführung und flankierende Maßnahmen Ebenso, wie sich aus den Werten und dem Kulturmanifest das Führungsverständnis ergab, so entwickelte sich aus diesem die Notwendigkeit, ein werteorientiertes, durchgängiges Qualifizierungs- und Trainingsprogramm für Führungskräfte zu konzipieren und zügig umzusetzen. Bevor das Programm gestartet werden konnte, war es notwendig, eine Bedarfsermittlung durchzuführen, in die die Führungskräfte wie auch die jeweils Geführten eingebunden wurden Hieraus entwickelte sich ein durchgängiges und konsistentes Trainingsprogramm für Führungskräfte, das 2015 zur Gründung der Felss-Akademie führte. Begleitet wird das Trainingsprogramm für Führungskräfte durch persönliches Coaching, das Mitarbeiter mit und ohne Führungsverantwortung auf Empfehlung ihrer Vor- Entwicklung eines Werte-integrierten Führungsverständnisses bei Felss 127 uvk-lucius.de/ fuehren gesetzten oder der Personalentwicklung in Anspruch nehmen können. Coaching wird von den Mitarbeitern als Investition in ihre Person verstanden und damit als Angebot, das die Mehrzahl begeistert in Anspruch nimmt. Die in Zusammenarbeit mit Felss entwickelten Horse Mirrors sind eine Kombination aus persönlichem Coaching und pferdegestütztem Führungskräfte-Training. Dieses Konzept stellt einen wichtigen und sehr wirkungsvollen Teil unseres Programms zur Führungskräfteentwicklung dar. Die sichtbaren Erfolge und die Begeisterung der Teilnehmer ermutigen uns, dieses Konzept nicht nur weiter anzubieten, sondern weiterzuentwickeln und auszubauen. Dabei kann uns auch der Umstand nicht beirren, dass die Wirksamkeit von pferdegestütztem Führungskräftetraining in der HR-Fachwelt mehrheitlich sehr umstritten ist. Die Tatsache, dass die Horse Mirrors bei Felss zu den - gemessen am Zeiteinsatz und den Kosten - wirksamsten Trainings gehören, zeigt allerdings, dass es auch anders geht. Das entsprechende Dokument finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. Das Führungsverständnis im Kontext symbolischer Führung Das Führungsverständnis ebenso wie das Kulturmanifest sind bei Felss verbindlich vereinbarte Deutungen der Unternehmenswerte. Sie reduzieren damit Unsicherheit sowohl bei den Führenden als auch bei den Geführten. Bei Führungskräften reduziert sich die Unsicherheit dadurch, dass sie nicht länger über eine mögliche Diskrepanz zwischen ihrer persönlichen Deutung und den Erwartungen spekulieren müssen. Den Bausteine der Führungskräfte-Entwicklung nach der Bedarfsermittlung 128 Christine Kienhöfer uvk-lucius.de/ fuehren Geführten geben sie Sicherheit, denn sie klären einerseits, was sie von ihren Führenden erwarten dürfen, und reduzieren andererseits die Angst vor bedrohlichem, unfairem, unangemessenem Verhalten ihrer Führungskraft, das sie (persönlich) zwar noch nicht erlebt haben, allerdings als latente Möglichkeit nicht ausschließen konnten. Da es eine der übergeordneten strategischen Zielsetzungen ist, dass sich die Unternehmen der Felss-Gruppe schneller an Veränderungen anpassen können, soll das Führungsverständnis lediglich Handlungsräume beschreiben. Es soll eine Orientierung sein, keine starre Handlungsanweisung. Dennoch ist das Führungsverständnis ebenso wie das Kulturmanifest eine „Verfestigung“ der Werte bzw. der Unternehmenskultur. Es repräsentiert die symbolisierte (sinnbindende) Komponente symbolischer Führung (Blessin & Wick, 2014, p. 191 ff.). Es ist ein Führungssubstitut, ein Lenkungsmittel, das personenunabhängig wirken kann und soll. Deshalb bietet es - gerade bei hoher Veränderungsgeschwindigkeit - für Führende und Mitarbeiter Orientierung, gibt ihnen so die Basis, um auch in unbekannten Situationen selbständig zu handeln, und schafft damit die notwendigen freien Kapazitäten bei den jeweils Vorgesetzten. Eine durchgängige Orientierung funktioniert jedoch nur dann, wenn der „Sinn“, dem sowohl Sinn-Bildung als auch -Bindung zugrunde liegt, in allen wesentlichen Führungsinstrumenten konsistent ist. Unternehmenswerte können dazu dienen, einen durchgängigen Kontext zu schaffen. Auch die symbolisierende (sinnbildende) Komponente symbolischer Führung kann am Führungsverständnis gut verdeutlicht werden. Hier geht es darum, verfestigte Sichtweisen auf bestimmte Handlungen oder Fakten, in unserem Fall im Licht der Werte, neu zu deuten. Als Beispiel kann hier eine Diskussion dienen, die um unseren Wert „Wertschätzung“ entbrannte. Mussten die Vorgesetzten ihre Mitarbeiter nämlich auf ein Fehlverhalten oder eine nicht den Zielsetzungen entsprechende Leistung ansprechen, so kam häufig als Reaktion, dass dies nun aber nicht mit den Werten vereinbar sei und sie sich nicht wertgeschätzt fühlten. Natürlich hatte diese Aussage vielschichtige Gründe (mangelnde Kritikfähigkeit der Mitarbeiter, verbesserungsfähige Kommunikation der Vorgesetzten, Vernebelungstaktik, Opposition zum Werteprozess), dennoch waren viele Vorgesetzte zunächst ratlos. Es galt also, diesen Gesprächssituationen den tadelnden Charakter zu nehmen und den Fokus darauf zu lenken, dass die Führungskraft ihre Wertschätzung dadurch zeigt, dass sie dem Mitarbeiter Zeit widmet, Verbesserungspotenzial aufzeigt und ihn unterstützt, dieses zu realisieren. Es erfolgte eine sinnbildende Umdeutung dieser Gesprächssituation von Fehlern bzw. Schuld zur Verbesserung und von der Vergangenheitszur Zukunftsorientierung. Auszug aus dem Felss-Führungsverständnis zum Wert Wertschätzung Entwicklung eines Werte-integrierten Führungsverständnisses bei Felss 129 uvk-lucius.de/ fuehren In der Folge wurde das Mitarbeitergespräch nicht nur in Qualifikationsgespräch umbenannt, sondern vor allem neu strukturiert, verbindlich in einer Regelmäßigkeit vereinbart und um ein Feedback ergänzt, das der Mitarbeiter dem Vorgesetzten gibt. Aus der sinnbildenden Neuinterpretation zu Lob und Kritik wurde also wiederum die sinnbindende Neudefinition des Qualifikationsgespräches abgeleitet. Gerade deshalb liegt eine große Chance zu einem ernsthaft gelebten Prozess darin, unterschiedliche Diskussions- und Partizipationsplattformen zu bieten (Kulturkreis, Kulturthermometer, Führungskräfte-Training), um Fragen aber z.B. auch Unzufriedenheiten mit Interpretationen zu diskutieren. Geschäftsleitung, Personalentwicklung und Kulturkreis sollten ein offenes Ohr für Irritationen haben, die im Unternehmensalltag entstehen, und stehen in der Verantwortung, dieses klärend oder regelnd zu adressieren. Ergebnisse und Ausblick Ohne die Werte und den Werteprozess gäbe es das Felss Führungsverständnis in seiner heutigen Form so sicher nicht. Die Werte bewirkten eine Fokussierung, ohne die das Ergebnis deutlich weniger mutig, ambitioniert und wertschätzend gegenüber Mitarbeitern und Führungskräften, hinsichtlich ihres möglichen und gewollten Beitrages im Unternehmen, gewesen wäre. Insofern haben die Werte ihre gestaltende Kraft im doppelten Sinne entfaltet. Zum einen haben sie Orientierung gegeben und zum anderen haben sie die Ergebnisse im Einzelnen, aber vor allem auch in der Summe der Dinge, die entstanden sind, kraftvoller gemacht. Felss ist bereits einen guten Teil des Weges gegangen, um ein Wert-volles Unternehmen zu werden. Die Unternehmenskultur in all ihren Facetten hat sich deutlich im Sinne der Zielsetzung verändert. Dies ist intern spür- und messbar, wird aber auch von außen gespiegelt. Gerade Letztgenanntes spricht für ein überzeugendes und authentisches Auftreten der Mitarbeiter, da eine Kommunikation der Werte nach außen noch nicht aktiv begonnen wurde. Weiterhin gibt es konkrete Anzeichen dafür, dass sich auch die Arbeitgeberattraktivität bereits deutlich erhöht hat. Die nächsten konkreten Schritte der Weiterentwicklung der Unternehmenskultur sind bereits definiert: Internationalisierung des Führungsverständnisses in die ausländischen Felss-Werke (2015/ 16). Analog zur Vorgehensweise beim Kulturmanifest wird das in den deutschen Unternehmen der Felss-Gruppe entwickelte Führungsverständnis als „Entwurf“ eingebracht. Als Pendant zum Führungsverständnis soll ein Mitarbeiterverständnis entwickelt werden und weiterhin ein Verhaltenskodex für den Umgang mit Kunden, aber auch Lieferanten und anderen Geschäftspartnern (2016). Im Wandel zum Wert-vollen Unternehmen soll nun zukünftig besonders die Facette des Ideen-reichen Unternehmens herausgearbeitet und gestärkt werden (2016). Ohne Frage haben wir sowohl im Werteprozess als auch in der Organisationsentwicklung große Fortschritte gemacht. Die wesentliche Herausforderung, deren Gelingen noch unter Beweis zu stellen sein wird, ist in beiden Fällen die kontinuierliche Erneuerung aus der Organisation selbst heraus. 130 Christine Kienhöfer Führungsverständnis, Kulturmanifest, aber letztendlich auch die Werte an sich, müssen noch in einen Prozess eingebettet werden, der es ermöglicht, sie in einer gewissen Regelmäßigkeit in Frage zu stellen. Dabei liegt gerade in der Tatsache, dass wir etwas Außergewöhnliches mit großer Strahlkraft geschaffen haben, womöglich die zukünftige Gefahr. „Imposante Monumente“ haben die Tendenz zu erstarren. Sie werden in der Regel konserviert, selten erneuert und schon gar nicht abgerissen. Deshalb ist es wichtig, die „Verflüssigung“ der sinn-bindenden Elemente vorzudenken, um dies zu verhindern. Diese Erkenntnis ist handlungsleitend für die weiteren Aktivitäten. Dieselbe Herausforderung stellt sich bei der laufenden Erneuerung und Weiterentwicklung der Organisation. Hier handelt es sich nicht um eine Aneinanderreihung von beliebigen Change-Projekten, sondern um den Prozess einer permanenten Organisationsentwicklung mit langfristiger Perspektive und Zielsetzung. Literatur Bass, B. & Avolio, B. (1994). Improving Organizational Efffectiveness through TransformationalLleadership. _: SAGE Publications. Blessin, B. & Wick, A. (2014). Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK. Felss Holding GmbH (2015). www.felss.com/ unternehmen/ [Online] [Zugriff am 23. September 2015]. Gairing, F. (2008). Organisationsentwicklung als Lernprozess von Menschen und Systemen. (4.A.) Hrsg. Weinheim: Beltz-Verlag. Griseldis, E. (2015). www.griseldis-ellis.com/ horse-mirror/ . [Online] [Zugriff am 11. September 2015]. Horváth, P. (2014). Unternehmensführung in einer volatilen Welt. Zeitschrift für Familienunternehmen und Stiftungen Sonderausgabe 2013/ 2014, pp. 3-6. Werther, S. & Jacobs, C. (2014). Organisationsentwicklung - Freude am Change. Berlin/ Heidelberg: Springer. Autor-Kurzprofil Christine Kienhöfer ist Vorsitzende des Verwaltungsrates und Gesellschafterin der Felss Holding GmbH. Die studierte Betriebswirtin trat 1990 in das elterliche Unternehmen ein und führte es von 1998 bis 2012 als Allein-Geschäftsführerin. uvk-lucius.de/ fuehren 5.4 Konsequent Führen bei TRUMPF von Birgit Labling Das Verhalten von Führungskräften im Unternehmen ist geprägt von gemeinsamen Werten, Normen und Symbolen. Die Weiterentwicklung der Führungskultur in einem Unternehmen ist deshalb ein langfristiger Prozess. Das folgende Beispiel zeigt, wie die Führungskultur sowie das Führungsverhalten bei TRUMPF weltweit weiterentwickelt wurden und sich der Begriff „Konsequent Führen“ als Symbol für dieses gemeinsame Verständnis etabliert hat. Das Unternehmen Das Hochtechnologieunternehmen TRUMPF bietet Fertigungslösungen in den Bereichen Werkzeugmaschinen, Lasertechnik und Elektronik. Sie kommen bei der Herstellung unterschiedlicher Produkte zum Einsatz, von Fahrzeugen und Gebäudetechnik über mobile Endgeräte bis hin zur modernen Energie- und Datenspeicherung. TRUMPF ist Technologie- und Marktführer bei Werkzeugmaschinen für die flexible Blechbearbeitung und bei industriellen Lasern. 2014/ 15 erwirtschaftete das Familienunternehmen mit knapp 11.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 2,72 Milliarden Euro. Mit rund 70 Tochtergesellschaften ist die Gruppe in fast allen europäischen Ländern, in Nord- und Südamerika sowie in Asien vertreten. Produktionsstandorte befinden sich in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Mexiko, Österreich, Polen, in der Schweiz, in Tschechien, China und in den USA. TRUMPF sieht in seiner besonderen Unternehmens- und Führungskultur einen wesentlichen Erfolgsfaktor. Die Kultur des Unternehmens ist das anerkannte Werte- und Zielsystem für alle Beschäftigten des Unternehmens. Dabei haben insbesondere die Mitglieder der Geschäftsführung und die Führungskräfte weltweit eine wichtige, kulturprägende Vorbildfunktion, und folglich sind Unternehmens- und Führungskultur ein wichtiges Führungsinstrument bei TRUMPF. Die Unternehmenskultur von TRUMPF ist gekennzeichnet durch mittelständische Prägung sowie das Verständnis eines traditionellen Familienunternehmens, welches sich in der Kontinuität der Inhaberfamilie und dem Bekenntnis zu einer christlichen Werthaltung widerspiegelt. Daraus abgeleitet werden Grundüberzeugungen wie Loyalität, Leistungsbereitschaft, Wertschätzung, Vertrauen, Hilfsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Offenheit und Mitarbeiterorientierung bei TRUMPF gelebt. Die Führungskultur ist geprägt durch diese Werteorientierung, und die ethische Führung wird durch Traditionen und die Vorbildfunktion der Inhaberfamilie gelebt (vgl. Blessin & Wick, 2014: 436). Die Unternehmensgrundsätze und Führungsleitlinien bei TRUMPF beinhalten die grundlegend gemeinsame Werthaltung des Unternehmens und die Anforderungen an die Führungskräfte. Die Unternehmensgrundsätze bieten sowohl den Führungskräften als auch den Mitarbeitern Orientierung in Bezug auf das grundlegende Unternehmensverständnis, die Unternehmensziele, Anforderungen an Mitarbeiter sowie Führungskräfte und die Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. Nachfolgend werden zwei Beispiele dargestellt, wie der Führungsstil in den Unternehmensgrundsätzen erläutert wird. 132 Birgit Labling uvk-lucius.de/ fuehren Zur Werteorientierung des Führungsverhaltens: „Unsere Führungskräfte vermitteln die Werte von TRUMPF durch ihr tägliches Tun.“ Zur Wichtigkeit des Führungsverhaltens: „Das Verhalten unserer Führungskräfte soll als Vorbild für die anvertrauten Mitarbeiter dienen. Führungskräfte verlangen nichts von ihren Mitarbeitern, wozu sie nicht selbst bereit sind. Die Kommunikation zwischen Führungskräften und Mitarbeitern ist von Höflichkeit, Respekt und Vertrauen geprägt.“ Die Anforderungen an die Führungskräfte sind in verschiedenen Systemen und Instrumenten im Unternehmen verankert, um die Anwendung in der betrieblichen Praxis zu gewährleisten. Das TRUMPF-Zielesystem, mit welchem der Zieleprozess im gesamten Unternehmen weltweit gesteuert wird, beinhaltet „gute Unternehmenskultur“ als eine prägende Säule, und jährlich werden Ziele in Bezug auf die Unternehmenskultur definiert. Die Anforderungen an Führungskräfte sind in den Personalinstrumenten wie Potenzialanalyse und Leistungsbeurteilung verankert. Es gibt eine Veranstaltungsreihe für alle Führungskräfte weltweit, in welcher ein intensiver Austausch zu aktuellen Themen des Unternehmens stattfindet. Die Geschäftsführung definiert dafür das Thema und das Ziel. Unternehmenskultur und Führung stehen regelmäßig im Fokus dieser Veranstaltungsreihe. So wird ein einheitliches Kulturverständnis bei TRUMPF weltweit vermittelt. Ausgangslage TRUMPF ist geprägt durch das permanente Streben nach Verbesserungen und insbesondere bei Veränderungsprojekten ist der PDCA-Zyklus die Grundlage des organisationalen Handelns. Der PDCA-Zyklus ist eine Managementmethode, welche sich in vier Phasen gliedert, wobei jeder Buchstabe eine Phase bezeichnet: P - Plan: Veränderungen planen: Die Ist-Situation analysieren, Verbesserungspotenziale erkennen, ein Konzept und dessen Umsetzungsprozess entwickeln. D - Do: Veränderungen umsetzen: Konzepte umsetzen und implementieren. C - Check: Veränderungen überprüfen: Funktionsfähigkeit überprüfen und Verbesserungsbedarf identifizieren. A - Act: Veränderungen anpassen: Maßnahmen ableiten und Verbesserungen umsetzen. Nachfolgend ist der PDCA-Zyklus dargestellt. PDCA-Zyklus Konsequent Führen bei TRUMPF 133 uvk-lucius.de/ fuehren Bei TRUMPF wurde festgestellt, dass der Fokus bei Veränderungsprojekten insbesondere auf den Phasen „Plan“ und „Do“ liegt. Die Phasen „Check“ und „Act“ wurden bisher tendenziell vernachlässigt. Das zeigte sich darin, dass die konsequente Nachverfolgung, das Feedback und das ggf. erforderliche Nachjustieren eine eher untergeordnete Rolle spielten. Dies führte dazu, dass Projekte nicht in letzter Konsequenz erfolgreich umgesetzt wurden. Diese Fakten wurden basierend auf fortlaufenden Beobachtungen und Rückmeldungen sowohl von Projektgruppen als auch von externen Experten und der internen Mitarbeiterbefragung erkannt. Des Weiteren stellte die Finanzkrise 2008/ 09 die Führungskräfte vor neue Herausforderungen. Die Geschäftsführung entschied, keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen. Dennoch mussten die Führungskräfte in dieser Phase schwierige Entscheidungen treffen und umsetzen (bspw. die Einführung von Kurzarbeit). Betrachtet man diese Fakten im Kontext der beschriebenen Führungskultur, welche im Besonderen durch eine hohe Mitarbeiterorientierung geprägt ist, waren die Anforderungen an Führungskräfte in Bezug auf Kommunikation und konsequentes Handeln hoch. Aus den beiden dargestellten Anlässen diskutierte die Geschäftsführung Optimierungspotenziale in Bezug auf Veränderungsprojekte und Führungskultur und identifizierte daraus Handlungsbedarf in der Führung bei TRUMPF. Die Initiative „Konsequent Führen“ wurde 2010 ins Leben gerufen und als strategisches Ziel für die Unternehmenskultur (siehe Abschnitt „Das Unternehmen“) festgelegt. Diese Initiative sollte in den genannten Themenfeldern eine nachweisliche Weiterentwicklung im weltweiten Führungsverhalten sicherstellen. Die Umsetzung erfolgte im Rahmen der oben genannten, weltweit regelmäßig stattfindenden Veranstaltungsreihe zur Führungskräfteentwicklung. Zielsetzung Diese Veranstaltungsreihe „Konsequent Führen“ hat die Weiterentwicklung der Führungskultur weltweit fokussiert. Konkrete Zielsetzung der Initiative war eine verbesserte Nachverfolgung von Veränderungsprojekten, eine erhöhte Feedbackkultur und eine verbesserte Konfliktfähigkeit. Das Ergebnis dieser Initiative sollte eine nachhaltige Veränderung im weltweiten Führungsverhalten bei TRUMPF sein. Die Zielgruppe dieses Projektes waren alle Führungskräfte. Es wurden bewusst alle Hierarchieebenen in diesen Prozess eingebunden, da insbesondere die unteren Hierarchieebenen in der direkten Mitarbeiterführung gefordert sind und auf allen Ebenen eine Verhaltensänderung erreicht werden sollte. Was bedeutet „Konsequent Führen“ bei TRUMPF? In einer Kultur von gegenseitigem Vertrauen, von Wertschätzung und Verlässlichkeit das bekannte „Soll“ gemeinsam zuverlässig richtig machen und aktiv weiterentwickeln. Konkret bedeutet dies: die TRUMPF Kultur leben vorhandene Führungsprinzipien, -instrumente und -methoden richtig anwenden Erwartungen klar äußern, Abweichungen zum Soll-Zustand feststellen und umgehend beseitigen eine eigene Meinung bilden 134 Birgit Labling uvk-lucius.de/ fuehren Veränderungen vorantreiben Prioritäten setzen Mut haben und Verantwortung übernehmen unangenehme Folgen tragen und Anderen zumuten den Dialog suchen und eigene Entscheidungskriterien erläutern. Diese Definition soll den Führungskräften ein einheitliches Verständnis zu „Konsequent Führen“ ermöglichen und ihnen in der Umsetzung von neuen Führungsfakten Orientierung geben. Die Definition beinhaltet Ausprägungen von Führungsverhalten, welche für das dargestellte Optimierungspotential von Bedeutung und relevante Verhaltensmerkmale für erfolgreiches Führungsverhalten bei TRUMPF sind. Der Begriff „Konsequent Führen“ steht symbolisch für diesen weiterentwickelten Führungsansatz (vgl. Blessin & Wick, 2014: 195). Verlauf Die TRUMPF-Initiative erstreckte sich auf einen Zeitraum von über zwei Jahren. Ausgangspunkt war die Auswahl eines Beratungs- und Trainingsinstituts, da die Konzeption und Umsetzung mit externer Unterstützung erfolgen sollte. Kritische Entscheidungskriterien bei der Auswahl waren Kulturpassung, Philosophie und Führungsverständnis des Dienstleisters. Die hohe Passung von Unternehmens- und Führungskultur war ein Schlüsselkriterium für eine erfolgreiche Zusammenarbeit, da das Thema Kultur im Hause TRUMPF einen hohen Stellenwert hat (siehe Abschnitt „Das Unternehmen“). Bei der Auswahl wurden zunächst die Grundsätze des Beratungs- und Trainingsinstituts geprüft. In einem weiteren Schritt wurde der Fokus auf die persönliche Passung der Trainer zur Unternehmenskultur gelegt. Das Konzept „Konsequent Führen“ basierte auf drei Phasen: Phase 1: Sensibilisierung der oberen und mittleren Führungskräfte Phase 2: Schulung aller Führungskräfte weltweit Phase 3: Reflexion und Sicherstellung der Nachhaltigkeit. Bei der Konzeption wurde besonderer Wert auf das Thema Nachhaltigkeit und Transfer in den Führungsalltag gelegt. Unter der Annahme, dass Verhalten erlernbar und trainierbar sei (vgl. Blessin & Wick, 2014: 87), wurde das Konzept an Bedingungen zur Veränderung von zeitstabilen Verhalten ausgerichtet. Nachhaltige Verhaltensänderungen bedürfen einer systematischen und langfristigen Vorgehensweise. Folgende Aspekte wurden daher bei der Konzeption fokussiert: Verständnis für Fragestellung und Motivation für Veränderung schaffen Verankerung durch Wiederholung und verschiedene Lernmodule Involvieren aller Betroffenen. Im Laufe der Initiative wurden kontinuierliche Anpassungen im Sinne eines ganzheitlichen Change Managements vorgenommen, sofern hierzu Bedarf bestand. Konsequent Führen bei TRUMPF 135 uvk-lucius.de/ fuehren Phase 1 Workshops Phase 2 Seminare Phase 3 Reviews Ziel Sensibilisierung der Führungskräfte und Erarbeitung der Inhalte weltweite Schulung der Inhalte Reflexion der Umsetzung und Sicherstellung der Nachhaltigkeit Zielgruppe obere und mittlere Führungskräfte, bereichs- und länderübergreifend alle Führungskräfte weltweit, bereichs- und länderübergreifend alle Führungskräfte weltweit, bereichsspezifische Gruppen PDCA Plan Do Check & Act Verlauf von „Konsequent Führen“ im Überblick Die Gruppengeschäftsführung war von Beginn an und über die gesamte Initiative eng in den Prozess involviert. Insbesondere in der Vorbereitung von „Konsequent Führen“ war die Gruppengeschäftsführung intensiv eingebunden, bei der Auswahl des Instituts und der Trainer, bei der Klärung der Erwartungshaltung, bei der Gesamtkonzeption und Definition der Inhalte. Die Gruppengeschäftsführung hatte mit dem Dienstleister das eigene Verständnis zu „Konsequent Führen“ am Anfang der Initiative intensiv diskutiert, sich persönlich mit dem Thema auseinander gesetzt und ein gemeinsames Verständnis erarbeitet. Diese Ergebnisse waren inhaltlicher Ausgangspunkt für alle Veranstaltungen mit den TRUMPF Führungskräften. Des Weiteren war die Gruppengeschäftsführung in allen Phasen involviert: Zum einen als Diskussionspartner am Ende der Workshops in Phase 1 und der Seminare in Phase 2. Zum anderen führte die Gruppengeschäftsführung die Reviews gemeinsam mit den Führungskräften aus den verantworteten Bereichen durch. Sensibilisierung der oberen und mittleren Führungskräfte Phase 1 diente der Sensibilisierung der oberen und mittleren Führungskräfte sowie der Erarbeitung eines gemeinsamen Führungsverständnisses zu „Konsequent Führen bei TRUMPF“. Im Sinne eines ganzheitlichen Change Managements sollten die oberen Führungskräfte den Auftrag für „konsequentes Führen“ verstehen und gemeinsam die Relevanz bzw. den Veränderungsbedarf aufgrund dieses Themas diskutieren. Der symbolische Begriff „Konsequent Führen“ sollte in Bezug auf Fakten, Inhalte und Verbesserungspotenzial diskutiert werden. Zudem sollten die Inhalte für die folgende Schulungsphase erarbeitet werden. Im PDCA-Zyklus ist diese Phase dem „Plan“ zuordenbar. In bereichs- und länderübergreifenden Workshops wurde die TRUMPF Führungskultur diskutiert, wobei ihre Stärken und Schwächen herausgearbeitet wurden. Diskussionsgrundlage war unter anderem eine Führungskräfte-Befragung. Zentrale Fragestellung der Workshops war, was an Strukturen und Rahmenbedingungen zu verbessern sei, um eine ganzheitliche, verhaltensorientierte Veränderung im Unternehmen zu bewirken und „Konsequent Führen“ zu leben. Ein Mitglied der Gruppengeschäftsfüh- Workshops der Gruppengeschäftsführung (Diskussion Status, weiteres Vorgehen), 136 Birgit Labling uvk-lucius.de/ fuehren rung besuchte zum Abschluss jede Workshop-Gruppe, um die Ergebnisse zu besprechen und offene Fragen zu beantworten. Inhalte der Workshops Die Führungskultur bei TRUMPF Ergebnisse der Führungskräftebefragung Veränderungsbedarfe bei TRUMPF Inhalte für die Seminare „Konsequent Führen“ erarbeiten Diskussion mit einem Geschäftsführer Definition von Maßnahmen, Inhalten und persönlichen Verhaltensänderungen Zum Abschluss der Phase 1 wurden die Ergebnisse aller Führungskräfte-Workshops der Gruppengeschäftsführung vorgestellt und die zukünftigen Inhalte diskutiert. Zudem wurden Ableitungen für das weitere Vorgehen vereinbart, um das Thema langfristig zu verankern. Jeder Gruppengeschäftsführer erhielt in einem persönlichen Gespräch von den Trainern eine individuelle Rückmeldung, wie das Führungsverhalten des jeweiligen Geschäftsführers von den eigenen Führungskräften wahrgenommen wird. Das Ergebnis dieser Phase war die konkrete Definition zu „Konsequent Führen“ und damit zum weiterentwickelten Führungsverständnis bei TRUMPF (siehe Abschnitt „Zielsetzung“). Die Erhebung dieser Verhaltensmerkmale erfolgte folglich durch Diskussionen der Gruppengeschäftsführung und der Führungskräfte. Diese Definition bildete die Grundlage für die folgenden Aktivitäten. Sie beinhaltete die relevanten Verhaltensmerkmale für den Führungserfolg bei TRUMPF, und die Führungskräfte leiteten erste konkrete Schritte für sich ab. Zudem wurde eine Aufbruch- und Veränderungsstimmung erzeugt und die Führungskräfte auf den folgenden Veränderungsprozess eingestimmt. Der Begriff „Konsequent Führen“ symbolisierte von Beginn dieser Initiative das weiterentwickelte Führungsverständnis (vgl. Blessin & Wick, 2014: 188). Schulung aller Führungskräfte weltweit In Phase 2 wurden alle Führungskräfte weltweit geschult und die Führungskräfte diskutierten „Konsequent Führen“. Die Botschaft an alle Führungskräfte weltweit war, den Fokus auf ihre Führungsarbeit zu legen. Diese Phase entspricht dem „Do“ im Sinne des PDCA-Zyklus. Die enge Einbindung der Gruppengeschäftsführung auch in dieser Phase war ein wichtiges Erfolgskriterium, da die Vorbildfunktion von „ganz oben“ vorgelebt wurde. Zum einen hatte die Gruppengeschäftsführung die Inhalte der Trainings in kompakter Form selbst erlebt und das eigene Führungsverhalten reflektiert. Zum anderen wurden der Status quo der Initiative, Eindrücke der Geschäftsführung aus dem Alltag und Rückmeldungen der Trainer aus den Veranstaltungen besprochen. Konsequent Führen bei TRUMPF 137 uvk-lucius.de/ fuehren In den Seminaren wurde die Definition von „Konsequent Führen bei TRUMPF“ und die Erwartungen der Geschäftsleitung vorgestellt. Der theoretische Input bildete die Grundlage für Selbstreflexion, Übungen, Rollenspiele und Diskussionen. Die Weiterentwicklung des Führungsverhaltens wurde dahingehend erreicht, dass wichtige Aspekte eines wirksamen Führungshandelns wie Beziehungen, Kommunikation und die generellen Auswirkungen auf Führungsinstrumente behandelt wurden. Die Kommunikation ist das entscheidende Transportmittel im allgemeinen und auch im speziellen für „Konsequent Führen“ bei TRUMPF (vgl. Blessin & Wick, 2014: 93). Übungen und Feedback waren ein Schwerpunkt dieser Seminare, um den Transfer in die Praxis zu ermöglichen. Zum Abschluss einer jeden Veranstaltung diskutierte ein Mitglied der Geschäftsführung das Thema mit der Gruppe von Führungskräften. Inhalte der Seminare „Konsequent Führen bei TRUMPF“ Beziehungen als Basis für wirksames Führungshandeln Beziehungsorientierte Kommunikation als grundlegendes Führungsinstrument: Feedback und konsequent zuhören im Alltag Zeit für das Führen schaffen Transfer in die Praxis Diskussion mit einem Mitglied der Gruppengeschäftsführung Die Teilnahme der Führungskräfte erfolgte nach unterschiedlichen Hierarchieebenen absteigend. Die Zusammenstellung der Teilnehmer war bereichs- und standortübergreifend. So sollte eine Vielfalt der Diskussion in Bezug auf die Führungskultur und das eigene Führungsverhalten ermöglicht werden. Ergebnis dieser Phase war, dass alle Führungskräfte weltweit die Definition von „Konsequent Führen“ verinnerlicht hatten und der Transfer in die Praxis vorbereitet war. Diese Phase war Grundvoraussetzung dafür, dass sich Führung in der Organisation veränderte und „Konsequent Führen“ weltweit verfestigte (vgl. Blessin & Wick, 2014: 196). Reflexion und Sicherstellung der Nachhaltigkeit Ziel dieser Phase war die Reflexion des Führungsverhaltens einige Wochen bzw. Monate nach Seminarteilnahme (individuell und in den jeweiligen Bereichen). Außerdem sollten weitere Maßnahmen zur Sicherstellung der Nachhaltigkeit vereinbart werden. Dies erfolgte einerseits durch sogenannte Reviewtage und andererseits durch die Integration von „Konsequent Führen“ in bestehende Systeme und Instrumente. Diese Phase fokussierte im Sinne des PDCA-Zyklus das „Check“ und „Act“. In Phase 3 wurden Reviewtage in den jeweiligen Unternehmensbereichen mit dem verantwortlichen Geschäftsführer und den Führungskräften durchgeführt. Nachhaltigkeit in Bezug auf das weiterentwickelte Führungsverständnis war der Fokus dieser Phase. In verschiedenen Runden wurde das ggf. veränderte Führungsverhalten reflektiert: Individuell, in Tandems und mit dem gesamten Bereich. Um die Verankerung 138 Birgit Labling uvk-lucius.de/ fuehren von „Konsequent Führen“ sicherzustellen, wurden die Inhalte der Phase 1 und 2 zusammengefasst und wichtige Teile wiederholt. Bei Bedarf konnten einzelne Inhalte nochmals vertieft werden. Inhalte eines Reviewtages Vertiefung: „Konsequent Führen“ bei TRUMPF Persönliche Reflexion zu „Konsequent Führen“ und Austausch Umsetzungsstand „Konsequent Führen“ im Bereich Ableitung und Vereinbarung von konkreten Maßnahmen zur Sicherstellung der Nachhaltigkeit Die Ergebnisse der Reviews (in Form von Feedbacks und vereinbarten Maßnahmen), wurden zentral gebündelt und der Gruppengeschäftsführung zur Verfügung gestellt. Des Weiteren wurde „Konsequent Führen“ direkt in bestehende Führungsinstrumente und Personalsysteme integriert, um die Inhalte in der Führungskultur und im Verhalten der Führungskräfte weltweit nachhaltig zu etablieren. Beispielsweise wurden die Führungsleitlinien angepasst und die Leistungsbeurteilung um entsprechende Kriterien ergänzt. Der symbolische Begriff „Konsequent Führen“ wurde wann immer sinnvoll verwendet und nachhaltig verankert. Außerdem wurden weitere Bedarfe für das Führungskräfteentwicklungsprogramm abgeleitet und neue Themen und Methoden aufgenommen. Die regelmäßig durchgeführte Mitarbeiterbefragung wird in Bezug auf „Konsequent Führen“ im Besonderen diskutiert, sei es durch die Gruppengeschäftsführung oder durch die Führungskräfte in den jeweiligen Bereichen. Ergebnisse Zu dieser Initiative wurden weltweit 720 Führungskräfte in insgesamt 136 Veranstaltungen geschult. An über 2.600 Teilnehmertagen wurde das Thema „Konsequent Führen“ in den offiziellen Veranstaltungen bearbeitet. Der Begriff „Konsequent Führen“ entwickelte sich innerhalb der zwei Jahre zu einem Markennamen bei TRUMPF und das Wort „Konsequent“ hat sich im Laufe der Initiative als Symbol für das weiterentwickelte Führungsverständnis bei TRUMPF etabliert (vgl. Blessin & Wick, 2014: 188). Der Begriff „Konsequent Führen“ ist aktiver Wortschatz der Führungskräfte und versinnbildlicht für die Führungskräfte die Anforderungen an das weiterentwickelte Führungsverständnis. „Konsequent Führen“ wurde schrittweise umgesetzt, und während der Initiative waren nach und nach neue Aspekte im Führungsverhalten zu erkennen. Sowohl die Mitarbeiter als auch die Führungskräfte erfahren Veränderungen in der Konsequenz von Führung durch die höheren Hierarchieebenen. Mehr als 75% der Führungskräfte beschäftigen sich im Alltag aktiv mit den Themen von „Konsequent Führen“. Die jährliche Mitarbeiterzufriedenheitsbefragung bestärkte diese Beobachtungen und die Bewertung der Führungskräfte wurde von Befragung zu Befragung noch besser. Zu Beginn der Initiative wurde „Konsequent Führen“ von einigen Führungskräften kritisch hinterfragt und indirekt als Kritik am eigenen Führungsverhalten wahrgenom- Konsequent Führen bei TRUMPF 139 uvk-lucius.de/ fuehren men. Im Laufe der Initiative hat sich dies zum Positiven verändert: Die Führungskräfte haben die Botschaft, den Fokus auf ihre Führungsarbeit zu legen, als Zugewinn angenommen. Sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter erleben eine weiterentwickelte Führungskultur. Die Initiative „Konsequent Führen“ war Auslöser für ein verändertes Führungskräfteentwicklungsprogramm. Des Weiteren war die Initiative ein Katalysator für weitere Projekte wie beispielweise die Einführung von Shopfloor Management. Dies ist eine Managementmethode aus der Produktion, welche durch wirksame Führungsarbeit am Ort des Geschehens eine Optimierung der Prozesse und Abläufe ermöglicht. Das aus „Konsequent Führen“ geforderte Verhalten der Führungskräfte entsprach den Anforderungen aus dem Shopfloor Management. Lessons learned und Fazit Die Erfolgsgaranten einer Veränderung des Führungsverständnisses weltweit sind vielfältig. Generell ist zu sagen, dass dieses Projekt hohe Priorität bei der Gruppengeschäftsführung hatte und diese Initiator und Wegbereiter von „Konsequent Führen“ war. Wie dargestellt, war die Gruppengeschäftsführung während des gesamten Verlaufs eng involviert, diskutierte in regelmäßigen Abständen die Ergebnisse der Phasen das weitere Vorgehen und reflektierte das eigene Führungsverständnis und -verhalten. Zudem war die Gruppengeschäftsführung bei den Führungskräfteveranstaltungen präsent und diskutierte kritische Themen und offene Fragen mit den Führungskräften. Die Geschäftsführung überzeugte insbesondere in ihrer Vorbildfunktion durch Veränderungen des eigenen Führungsverhaltens und setzte vielfältige symbolische Zeichen durch ihr konsequentes Agieren in diesem Prozess. Dies war eines der entscheidenden Erfolgskriterien. Der mehrstufige Prozess war bedeutend, um Veränderungen in der Führungskultur nachhaltig zu etablieren. Die Führungskräfte hatten die Möglichkeit, sich in mehreren Phasen mit dem Thema zu beschäftigen und ihr eigenes Führungsverhalten zu reflektieren. Dies war essenziell, da eine Veränderung von zeitstabilem Verhalten nur in mehreren Stufen erfolgen kann. Die gesamte Laufzeit der Initiative war erforderlich, damit das weiterentwickelte Verständnis aktiv eingeübt und gelebt wird. Die frühzeitige Einbindung der oberen Führungskräfte in Phase 1 zur Sensibilisierung und Erarbeitung eines gemeinsamen Verständnisses war wichtig für die Akzeptanz. Die Inhalte wurden nicht von der Geschäftsführung vorgegeben, sondern die mittleren und oberen Führungskräfte wurden in diesen Prozess aktiv mit eingebunden und konnten sich einbringen. Im Sinne des Change Managements wurde durch das frühzeitige Involvieren ein hoher Zuspruch der Führungskräfte erzielt. Die Teilnahme der Führungskräfte in Phase 2 erfolgte nach Führungsebenen absteigend, das bedeutet die oberen Führungsebenen nahmen vor ihren Mitarbeitern aus der mittleren und unteren Führungsebene an den Veranstaltungen teil. Die Führungskräfte hatten folglich die Möglichkeit in ihrer Vorbildfunktion direkt zu überzeugen und erste Veränderungen vorzunehmen, bevor ihre Mitarbeiter der unteren Führungsebenen in den Prozess involviert wurden. 140 Birgit Labling uvk-lucius.de/ fuehren Wichtig für die internationale Festigung dieses Führungsverständnisses war zudem, dass die Ziele von „Konsequent Führen“ in allen Veranstaltungen weltweit einheitlich waren. Die Umsetzung wurde bei Bedarf an die Kulturen der Länder angepasst. Die Berücksichtigung unterschiedlicher Kulturen und kulturspezifischer Gegebenheiten war gleichermaßen eine große Herausforderung, da verschiedene inhaltliche Aspekte in unterschiedlichen Kulturen nicht umsetzbar waren wie bspw. direktes Feedback im asiatischen Raum. Die weltweite Weiterentwicklung der Führungskultur bedarf der Balance zwischen Konsequenz in der Umsetzung und Berücksichtigung kritischer kultureller Aspekte. Eine weitere Herausforderung bei einem solchen Veränderungsprojekt ist die erforderliche Ausdauer und Sicherstellung der weltweiten Nachhaltigkeit. Das weltweite Verständnis auch für nachfolgende Führungskräfte, welche einerseits intern entwickelt und andererseits von extern rekrutiert werden, kann nicht in der gleichen Intensität transportiert werden wie während dieser Initiative. Zu Beginn der Initiative war zudem die Überzeugung der langjährigen Führungskräfte eine Herausforderung, da die Führungskräfte teilweise irritiert reagierten: „Haben wir bisher nicht konsequent geführt? “ Das Verständnis zu schaffen, dass eine Weiterentwicklung der Führungskultur erforderlich ist, erforderte insbesondere bei langjährigen Führungskräften Überzeugungskraft. Zudem war die Ausgangslage bei den Führungskräften weltweit sehr unterschiedlich und die individuellen Voraussetzungen in Bezug auf Führungsverhalten, Reflexion und Veränderungsbereitschaft variierten. Eine objektive Auswertung zum Kosten-Nutzen-Verhältnis dieser Initiative wurde nicht durchgeführt, da nur schwer umsetzbar. Die entstandenen Kosten wurden anhand der externen Kosten für die Trainer und der internen Kosten, verursacht durch Kapazitäten der Führungskräfte und der Personalentwicklung (Konzept, Betreuung und Koordination), gemessen. Die subjektive Einschätzung zum Nutzen dieser Initiative ist sehr positiv unter Berücksichtigung verschiedener Perspektiven. Die Rückmeldung der Führungskräfte war überaus positiv: Der Fokus auf Führung, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Führungsverhalten und der Austausch mit den Kollegen wurden als Mehrwert für die Organisation und für die Führungskräfte selbst gesehen. Aus Perspektive der Personalentwicklung hat diese Initiative großen Mehrwert für die Weiterentwicklung der Führungskultur, der Führungskräfte und des weltweiten Führungskräfteentwicklungsprogramms geschaffen. Ausblick TRUMPF arbeitet weiter an der Nachhaltigkeit: „Konsequent Führen“ hat noch heute Einfluss beispielsweise bei der Weiterentwicklung von Personal- und Führungsinstrumenten. Aktuell wurde eine moderne Potenzialanalyse eingeführt. Diese soll die Identifikation von zukünftigen Führungskräften noch weiter optimieren. Die erfolgskritischen Verhaltensmerkmale von „Konsequent Führen“ sind wichtige Kriterien für dieses neue Instrument. Über zwei Jahre nach Abschluss der Initiative ist festzustellen, dass „Konsequent Führen“ ein feststehender Begriff und ein Symbol für Führung bei TRUMPF ist. Die Wirkung auf das Führungsverhalten ist nachhaltig und insbesondere das Geben von direktem, kritischem aber auch positivem Feedback ist nachhaltig im Unternehmen etabliert. Konsequent Führen bei TRUMPF 141 Der Kreisprozess der Symbolischen Führung (vgl. Blessin & Wick, 2014: 196) ist bei TRUMPF ebenso ein permanenter Prozess und ist durch verschiedenste Impulse geprägt. Aktuell ist die „Marke TRUMPF“ unter Fokussierung auf vier zentrale Werte des Unternehmens ein strategisches Thema. LLiteratur Blessin, B. & Wick, A. (2014): Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK. Autor-Kurzprofil Birgit Labling studierte Internationale Betriebswirtschaftslehre und absolvierte ein Masterprogramm in Personalmanagement. Sie ist bei TRUMPF als Gruppenleiterin in der Personalentwicklung im Besonderen für das Thema Führungskräfteentwicklung zuständig. Sie ist zudem Dozentin an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (im Fachbereich Industrie). uvk-lucius.de/ fuehren 5.5 Zukunftsweisende Unternehmenskultur gestalten - Ein systemisches Veränderungsprojekt von Scherin Beuther und Marcus Benfer Führung verändert sich. In Zeiten zunehmender Komplexität und Unsicherheit, globaler Märkte und hochinformierter Kunden, die ihre Präferenzen kontinuierlich wechseln, stehen Unternehmen mehr denn je unter Innovations- und Veränderungsdruck. Das gilt auch im Banken- und Finanzsektor. Der klassische hierarchisch-heroische Führungsansatz, bei dem einige wenige Manager an der Spitze denken und lenken und Mitarbeiter vor allem umsetzen, ist mit den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft überfordert. Unternehmen geraten ins Hintertreffen, wenn sie sich allein auf die Intelligenz weniger verlassen (siehe Blessin & Wick, 2014, Kap. 5.4.3 zum sog. Macher-Mythos). Unternehmen, die immer nur so klug sind wie ihr Management, entwickeln selten innovative Lösungen. Dementsprechend zeichnet sich gegenwärtig ein Führungsansatz ab, der auf einem anderen mentalen Modell von Führung basiert. Statt genau zu wissen, wo es lang geht und den entsprechenden Weg zu instruieren, wird Führung stärker zu einer Tätigkeit, die „Mehr-Hirn-Denken“ und Selbstorganisation organisiert und damit die Intelligenz, Kreativität und (Selbst-)Verantwortung von Mitarbeitern in den Mittelpunkt rückt. Führung fokussiert darauf, einen Kontext oder Rahmen zu kreieren und zu steuern, in dem Innovation und Veränderung stattfinden kann (siehe Blessin & Wick, 2014, Kap. 5.4.4 zum systemischen Konzept der Kontextsteuerung). Wesentliche Elemente eines solchen Rahmens sind es, mehr Fragen zu stellen als Antworten zu geben und Mitarbeiter wie Führungskräfte dazu zu ermutigen, Neues zu erproben und sie aktiv in die Gestaltung des organisationalen Wandels einzubeziehen. Denn nur dort, wo Mitarbeiter und Führungskräfte den Wandel mitgestalten, erproben und reflektieren können, werden sie ihn wirklich mittragen. Ein derart partizipativer Ansatz, der auch die Entscheidungsstrukturen in Organisationen nicht unberührt lässt, ist eine Herausforderung und ein Lernprozess für (Top-) Manager, Führungskräfte und Mitarbeiter. Die Umschichtung eines deutlichen Mehr an (unternehmerischer) Verantwortung in Richtung Führungskräfte der mittleren und unteren Ebene sowie der Mitarbeiter fordert auf allen Seiten ein Umdenken und eine kontinuierliche Reflexion der eigenen Rolle(n). Die folgende Fallstudie spiegelt diese Herausforderung und diesen Lernprozess mit seinen Möglichkeiten und Grenzen anhand eines konkreten organisationalen Veränderungsprozesses wider. Ausgangslage und Auftrag Die Sparkasse Mittelthüringen ist die größte Sparkasse Thüringens. Rund 930 Mitarbeiter, davon ca. 100 Führungskräfte, arbeiten gemeinsam für den Erfolg des Unternehmens. Die Führungsmannschaft ist in drei Hierarchieebenen unterteilt: vier Vorstände, ca. 20 Führungskräfte der Ebene 1 sowie ca. 75 Führungskräfte der Ebene 2. Betriebswirtschaftlich ist das Unternehmen gesund. Die vergangenen Geschäftsjahre verliefen sehr erfolgreich. Als Zielmarke für Zukunftsweisende Unternehmenskultur gestalten 143 uvk-lucius.de/ fuehren die betriebswirtschaftliche Weiterentwicklung des Unternehmens in den kommenden Jahren hat der Vorstand einen langfristigen „strategischen Zielpfad“ formuliert. Dieser dient Führungskräften und Mitarbeitern mittels Zahlen, Daten und Fakten als Orientierung und ermöglicht eine Fokussierung der Aktivitäten. Er gibt Antwort auf die Frage, welche strategischen und ökonomischen Ziele die Sparkasse im Jahr 2020 erreicht haben will. Neben dieser langfristigen Ausrichtung gibt es Jahresziele. In Anbetracht der sich wandelnden Anforderungen an Kreditinstitute im Allgemeinen und Sparkassen im Speziellen sucht der Vorstand über bisherige Mittel und Wege hinaus Möglichkeiten, den Geschäftserfolg weiterhin sicherzustellen und gleichzeitig ein „attraktives“ Arbeitsumfeld für die Mitarbeiter zu schaffen. In diesem Zusammenhang beauftragt der Vorstand die Firma fuehrungsimpuls einen organisationalen Wandlungsprozess zu begleiten. Als Antreiber dieses 2011 begonnenen Wandlungsprozesses fungiert der genannte Zielpfad. Eines der ersten Ergebnisse der Beratung des Gesamtvorstands durch fuehrungsimpuls war die Überlegung, dem nüchtern-faktischen Zielpfad ein visionär-organisationales Zielbild zur Seite zu stellen. Das Zielbild soll sinnstiftende und emotional verankerte Antworten auf folgende Fragen geben: Wie muss in unserer Organisation Führung und Entscheidung gelebt, reflektiert und konzeptualisiert werden, um die Ziele des Zielpfads zu erreichen? Wie müssen wir in unserer Organisation Mitarbeiter gewinnen und halten und wie müssen wir als Mitarbeiter dieser Organisation miteinander kooperieren, um den Zielen des Zielpfads Rechnung zu tragen? Wie müssen wir den Kunden und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt unseres Agierens stellen, um wahrhaft kundenorientiert zu agieren und die Ziele des Zielpfads zu realisieren? Das Zielbild dient den Führungskräften und in der Folge den Mitarbeitern als Reflexions- und Planungsgrundlage für alle weiteren im Wandlungsprozess notwendigen Schritte. Es soll eine klare Richtung weisen und gleichzeitig keine instruierende Vorgabe sein. Es wird vielmehr im Prozess gemeinsam erarbeitet und konkretisiert. So entsteht eine gemeinsame handlungsgenerierende und -lenkende mentale Landkarte. Dabei findet automatisch (und gleichzeitig gewollt) die Auseinandersetzung mit den in der 144 Scherin Beuther und Marcus Benfer uvk-lucius.de/ fuehren Organisation dominanten mentalen Modellen, Narrativen und Verhaltensmustern statt. Konkret: Jede gemeinsame Arbeit am Zielbild thematisiert zum Beispiel immer die Frage: „Soll so, wie aktuell in der Organisation geführt wird, auch 2020 geführt werden? Welche Veränderungsnotwendigkeiten in punkto Führung sehen wir? Von welchen Verhaltensweisen müssen wir uns trennen, um diesen Veränderungsnotwendigkeiten gerecht zu werden? Was müssen wir anders und neu tun? “ Das Zielbild besteht aus fünf Zielbilddimensionen, die alle zum Gelingen der Organisation beitragen. Jede der Dimensionen hat Einfluss und Auswirkungen auf die jeweils anderen. In dem von 2011 bis 2013 stattfindenden Beratungsprozess wurde zunächst die Dimension „Führung“ (2011) später die Dimensionen „Mitarbeiter“ (2012) und „Kunde“ (2013) bearbeitet. Der Faktor „Mitbewerber“ ergab sich automatisch bei der Betrachtung der Kundendimension. Die Dimension „Träger“ stellte sich in Anbetracht der vom Vorstand formulierten Ziele als weniger erfolgskritisch dar, so dass diese im Rahmen der gemeinsamen Arbeit nicht näher beleuchtet wurde. Zielsetzung Als Teil seiner Visionsarbeit zu Beginn des Wandlungsprozesses formuliert der Gesamtvorstand seine (Wunsch-)Vorstellung zu Führung in der Sparkasse im Jahr 2020. Diese Vorstellung bleibt für den gesamten Prozess - auch über die Bearbeitung der Zielbilddimension Führung hinaus - handlungsleitend: „Auch in Zeiten zunehmender Komplexität, sich ändernder Vertriebswege hoher Leistungsanforderungen arbeiten motivierte, leistungsfähige, resiliente Führungskräfte gemeinsam am Geschäftserfolg ihrer Sparkasse Mittelthüringen. Die Führungskräfte agieren weitgehend selbständig und emanzipiert als „Unternehmer im Unternehmen“. Die jeweils vorgesetzte Führungshierarchie beteiligt die ihr nachgeordnete, wo immer es nützlich und zielführend ist, an Entscheidungsprozessen. Handlungsspielräume werden verantwortungsvoll genutzt und zum Wohl der Sparkasse verwendet. Die Mitarbeiter (im speziellen die Führungskräfte) setzen sich leidenschaftlich für die Geschicke ihres Hauses ein.“ Im Beratungssystem - dem gemeinsamen Nachdenken und Agieren von Gesamtvorstand und Beratern - wird schnell klar, dass dieses Führungsverständnis nicht vorgegeben, sondern unter hierarchieübergreifender Beteiligung der Führungskräfte gemeinsam erarbeitet werden muss. Dazu gehört auch und gerade die Auseinandersetzung mit bestehenden mentalen Modellen zum Thema „Führung“ bei den Führungskräften aller Ebenen, Gesamtvorstand eingeschlossen. Im Laufe der Arbeit an der Dimension „Führung“ rücken verschiedene Facetten in den Blickpunkt, eine der zentralen ist immer wieder die Frage nach dem Umfang und der Gestaltung von Entscheidungsspielräumen für die einzelnen Führungskräfte. Im Fortgang des Wandlungsprozesses konturieren sich für die Zielbilddimensionen „Mitarbeiter“ und „Kunde“ ähnlich handlungsleitende Zielsetzungen wie für die Zielbilddimension „Führung“ heraus. Zu den Zielen im Rahmen der Mitarbeiter-Dimension gehören u.a. eine klare Identität als Mitarbeiter der Sparkasse Mittelthüringen auszuprägen, das Handeln nach innen und außen an den zu erarbeitenden Kernwerten der Sparkasse zu orientieren, auch in Zukunft Mitarbeiter zu gewinnen und zu binden sowie die Zukunftsweisende Unternehmenskultur gestalten 145 uvk-lucius.de/ fuehren hierarchieübergreifende Kooperation voranzutreiben. Ziele im Rahmen der Kunden- Dimension sind u.a., sich nicht als Vertriebssondern als Kundensparkasse zu verstehen und zu agieren und so die Kundenzufriedenheit (Qualität, Erreichbarkeit, Aufgehobensein, Fortschritt) in den Mittelpunkt des Handelns zu stellen. Beratungsansatz Insbesondere folgende systemtheoretisch-konstruktivistisch geprägte Überlegungen leiten die Konzeption und Realisierung des Prozesses: Als ‚operational geschlossene‘ Systeme prägen Organisationen im Laufe ihrer Entwicklung einen typischen sozialen „Eigensinn“ aus: bewusste und unbewusste Denk- und Verhaltensmuster sowie eingespielte Rituale. Dieser Eigensinn macht die Identität des Systems aus und grenzt es von seiner Umwelt ab. Er beeinflusst das Handeln und Entscheiden der in der Organisation tätigen Personen maßgeblich. Will ein Kulturprozess für eine nachhaltige Veränderung sorgen, müssen diese selbstorganisiert entstandenen Denk- und Verhaltensmuster thematisiert, als weiterhin hilfreich befunden oder gegebenenfalls verändert bzw. ersetzt werden. Es gilt, nützliche wie hinderliche Verhaltens-, Kommunikations- und Entscheidungsroutinen zu erkunden und ggf. neue Muster zu etablieren. Eine der wesentlichen Möglichkeiten, vorhandene Muster bewusst zu machen und gleichzeitig durch „Probehandeln im geschützten Raum“ einen Musterwechsel vorzubereiten, besteht aus Sicht der Berater in der Methodik „Das Thema ins Thema einführen“. Dem systemischen Konzept der Selbstreferenz (siehe Blessin & Wick, 2014: Kap. 5.4.4.) folgend sucht diese Methodik das ‚System‘ so zu ‚irritieren‘, dass selbstbezügliche Lernprozesse ausgelöst werden. Ein Beispiel: Ein Ziel und damit Thema des Kulturprozesses der Sparkasse Mittelthüringen ist die verstärkte hierarchie- und bereichsübergreifende Zusammenarbeit. Im Verlauf des Beratungsprozesses wird daher immer wieder bewusst in hierarchie- und bereichsübergreifender Form zusammengearbeitet: in Workshops, Klausuren und Großgruppenveranstaltungen. Es geht darum, das Zielverhalten bereits jetzt zu erproben - und dies bewusst zu reflektieren. „Und wie hat heute in diesem Workshop ihre hierarchie- und bereichsübergreifende Zusammenarbeit funktioniert? Was kam Ihnen so vor wie immer? Und was war neu? Und wie soll es in Zukunft sein? “ Mit Fragen wie diesen wird die Zusammenarbeit zum gemeinsamen Reflexionsgegenstand, typische Muster und Routinen werden bewusst. Und wo etwas bewusst wird, ergibt sich auch die Möglichkeit, es zu verändern. Wichtig ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Erkenntnis, dass es organisationsweit geteilte Denk- und Verhaltensmuster gibt. „So ticken wir eben“ bringt es auf den Punkt. Will Veränderung nachhaltig und wirksam sein, geht es vor allem um die Thematisierung dieser organisationalen Ebene. Will sich eine Organisation wie die Sparkasse Mittelthüringen auf den Weg machen, dann genügt in der Regel die im Gesamtvorstand getroffene Entscheidung „Ja, da wollen wir hin“ nicht aus. Es bedarf immer einer besonderen Aktivierung der Organisation, mit der sie sich gegen ihre eigenen Beharrungskräfte stellen muss. Eine mögliche Form der Aktivierung liegt in der gemeinsamen Bewertung des „Gaps“ zwischen Zielbild und aktuell erlebter Wirklichkeit und der Ableitung von Handlungsnotwendigkeiten daraus. 146 Scherin Beuther und Marcus Benfer uvk-lucius.de/ fuehren Die Blickrichtung während der einzelnen Veranstaltungen verläuft vor diesem Hintergrund in aller Regel zunächst nach vorn („Wie wäre es idealerweise? “) über den aktuellen Status Quo („Wie ist es jetzt? “) auf das Delta („Was ist denn dann zu tun, um diesen Wunschzustand zu erreichen? “ oder „Wenn wir wissen, dass es so nicht mehr funktional ist (dunkler Kasten) - wie wollen wir es stattdessen? (heller Kasten). Und wie kommen wir am besten dorthin? “ Durch die Veranstaltungen entsteht eine gemeinsame ‚Wirklichkeitskonstruktion‘, die handlungsorientierend wirken und zu Folgeentscheidungen führen soll. Ausgehend von der Erfahrung, dass Organisationen zunächst die Tendenz haben, ihre eingeschliffenen Muster zu wiederholen und sich dadurch in ihrer bisherigen Gestalt zu erhalten (‚Autopoiese‘, siehe Blessin & Wick, 2014: Kap. 5.4.4), geht es im Prozess darum, die Veränderungsthemen immer wieder einzuführen und Neues entstehen zu lassen. Nur so lassen sich Routinen nachhaltig ‚stören‘ bzw. ‚irritieren‘. Wesentlich für den Beratungsansatz ist es also, einen iterativen Prozess aus Impulsen und Umsetzungsphasen zu gestalten. „Beirat Unternehmenskultur“ oder „Das Prinzip der Resonanzgruppe“ Veränderung braucht Partizipation. Nur dort, wo Menschen zur ‚Konstruktion‘ von Zukunft in ihrer Organisation beitragen können, werden sie den Wandel auch aktiv mittragen. Gleichzeitig können und wollen sich nicht sofort alle Führungskräfte und Mitarbeiter einbringen. Im Kulturprozess der Sparkasse Mittelthüringen hat diese Überlegung von Beratern und Gesamtvorstand dazu geführt, ein „resonanz- und empfehlungsgebendes Gremium“ zu bilden, den „Beirat Unternehmenskultur“. Repräsentativ besetzt mit Führungskräften aller hierarchischen Ebenen bildet diese 12 bis 14 Personen große Gruppe das Gesamtsystem „im Kleinformat“ ab. Der Beirat Unternehmenskultur steht für die Interessen- und Führungsvielfalt in der Sparkasse Mittelthüringen, gleichzeitig bilden sich in ihm auch die typischen Denk- und Verhaltensmuster der Organisation ab. Die Zusammenarbeit zwischen Gesamtvorstand, Beirat Unternehmenskultur und Beratern bildet die operative Achse des Kulturprozesses. Begleitet von den Beratern bereitet der Beirat Unternehmenskultur (in der Grafik BUK) inhaltlich die einzelnen Veranstaltungen (z.B. Führungskräfteklausuren) im Rahmen des Kulturprozesses vor und nach. Im Vorfeld sorgt er für die Erhebung der Fragestellungen, Themen, Erfolgskriterien und Handlungsnotwendigkeiten für die Zukunftsweisende Unternehmenskultur gestalten 147 uvk-lucius.de/ fuehren Klausuren. Im Nachgang dient er als Reflexionsorgan und Empfehlungsgeber in Richtung Vorstand. Er unterbreitet dem Gesamtvorstand Vorschläge und gibt Resonanz zu dem, was in punkto Kulturprozess im Unternehmen „läuft“. Doch der Beirat Unternehmenskultur ist noch mehr: Er ist Erprobungs- und Reflexionsraum für hierarchie- und bereichsübergreifende Kommunikation, ein Ort, wo die Organisation ihre gemeinsamen Verhaltensmuster kennenlernen und reflektieren und gleichzeitig über Handlungsalternativen nachdenken kann. „So, wie wir heute in diesem halbtägigen Workshop miteinander gearbeitet und diskutiert haben - soll es so zukünftig sein? Ist das der Weg, wie wir miteinander reden und umgehen müssen, um die Sparkasse noch weiter nach vorne zu bringen? Oder brauchen wir Handlungsalternativen? Und welche Empfehlungen ergeben sich für uns daraus für den Vorstand? “ Mit selbstreferentiellen und unterschiedsbildenden Fragen wie diesen setzen sich die Mitglieder des Beirats immer wieder auseinander - und prägen so die Inhalte und die Richtung des Veränderungsprozesses maßgeblich mit. Der „Rhythmus“ des organisationalen Wandels Das Kernelement des organisationalen Wandels besteht - abstrakt gesprochen - im kontinuierlichen Zusammenspiel von Intentionsbildung, Reflexion und Entscheidung in Form einer Schleife. Für die partizipative (und innovative Dimension) in dieser Schleife sorgen der Beirat Unternehmenskultur sowie die verschiedenen Führungskräfteklausuren und Vernetzungs-Workshops, an denen Gesamtvorstand sowie Führungskräfte der ersten und zweiten Ebene beteiligt sind. Nach der auf der folgenden Seite abgebildeten Schleife laufen so gut wie alle im Rahmen des organisationalen Wandlungsprozesses durchgeführten Maßnahmen. Die Schleife [GV für Gesamtvorstand] ist somit das architektonische Grundelement des Lern- und Veränderungsprozesses in der Organisation. Wichtig ist hier die Betonung der Prozesshaftigkeit. Veränderung wird nicht linear verstanden, sondern iterativ und zirkulär (vgl. Blessin & Wick, 2014: Kap. 5.4.3). Aufgabe von fuehrungsimpuls als Berater ist hierbei sowohl die Konzeption der einzelnen Schritte (z.B. Kurz-Workshop Beirat Unternehmenskultur, Kurz-Workshop Gesamtvorstand, Gesamtvorstands-/ Führungskräfte Ebene-1-Klausur usw.) als auch deren moderierende und beratende Durchführung. Zur Moderation der einzelnen Schritte gehört häufig der Einbau eines selbstbezüglichreflexiven Elements, mit dem die Akteure in die Lage versetzt werden, ihr Handeln „auf dem Spielfeld“ im Nachhinein von der „Tribüne“ aus zu reflektieren bzw. zu ‚rekonstruieren‘. Dazu werden zum Ende einer Sitzung des Beirats Unternehmenskultur Fragen gestellt wie z.B. 148 Scherin Beuther und Marcus Benfer uvk-lucius.de/ fuehren „Wie ist es uns heute gelungen, hierarchieübergreifend zusammenzuarbeiten? “ „Welche typischen Verhaltensmuster haben sich gezeigt? “ „Was war anders (und wirksam) und wie können wir das beibehalten? “ Für alle am Prozess Beteiligten besteht in der konsequenten Anwendung dieser Schleife eine große Herausforderung: Für den Gesamtvorstand, der sich nun nicht nur mit einem Resonanz-, Empfehlung- und Feedback gebenden Gremium wie dem Beirat Unternehmenskultur konfrontiert sieht, sondern auch immer wieder von der Tribüne beobachten und reflektieren soll, wie er auf den Spielfeldern der vorstandsinternen Kooperation und des Auftretens innerhalb Organisation agiert und wahrgenommen wird. Für die Führungskräfte der Ebene 1 und 2, die hierarchieübergreifende Kooperation zunächst wirklich einüben und sich gleichzeitig in die neue Rolle einfinden müssen, als Unternehmer im Unternehmer mehr Verantwortung für die Mitgestaltung der Zukunft der Sparkasse zu übernehmen. Für die Mitglieder des Beirats Unternehmenskultur, die in den Workshops des Beirats an sich selbst den Konflikt zwischen eingeübten Routinen und der Erprobung neuer Verhaltensweisen erleben und sich gleichzeitig in der ungewohnten Rolle befinden, Geschehnisse im Unternehmen auf einer Metaebene zu reflektieren und gleichzeitig dem Gesamtvorstand gegenüber Empfehlungen aussprechen und Feedback geben. Im Zusatzdokument Erarbeitung und Einführung von Unternehmenswerten (2012) wird das Architekturprinzip an einem Beispiel aus dem Veränderungsprozess konkretisiert. Zukunftsweisende Unternehmenskultur gestalten 149 uvk-lucius.de/ fuehren Das entsprechende Dokument finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. Ergebnisse des Gesamtprozesses 2011-2013 Aus Sicht des Kunden Die Sparkasse Mittelthüringen formulierte u.a. folgende Ergebnisse des Kulturprozesses: „Zwischen allen Führungsebenen wurden im Rahmen des Veränderungsprojekts Diskussionen über Rolle, Auftrag und Selbstverständnis von Führung initiiert. Hierdurch konnte das gegenseitige Verstehen unmittelbar gefördert werden. Gleichzeitig wurden weitere regelmäßige Anlässe im Sparkassenalltag für hierarchie- und fachübergreifenden Dialog etabliert: beispielsweise wurde der Neujahrsempfangs als ein Forum des gemeinsamen Rückblicks aller Führungskräfte auf das vergangene Geschäftsjahr in Verbindung mit einer Würdigung des Erreichten neu etabliert, der Geschäftspolitische Dialog als eine Regelveranstaltung, die den Führungskräften Raum für geschäftspolitische und strategische Gespräche schafft, eingeführt und die Klausuren der Führungsebene 2 ermöglicht. Letztere fördert die Vernetzung der Führungskräfte der 2. Ebene untereinander und eröffnet ein Forum für Austausch und Beteiligung. Sämtliche Klausuren wurden auf Grundlage des Feedbacks der verschiedenen Bedürfnisgruppen geplant - insbesondere mit Rückgriff auf die hierarchieübergreifende Arbeit des Beirats Unternehmenskultur, der dem Vorstand gegenüber als resonanz- und empfehlungsgebendes Gremium diente. Darüber hinaus wurden Vorstandsbesuche vor Ort als ebenenübergreifende Identifikations- und Diskussionsplattform für Führungskräfte und Mitarbeiter eingesetzt. Beobachtbar war die zunehmende Selbstverantwortung der Führungskräfte der 1. Ebene in Bezug auf die Mitgestaltung von Veränderungsvorhaben. Dies zeigte sich z.B. in Form der Verantwortung für die Gestaltung der Führungskräfte 1-Klausur oder des aktiven Feedbackgebens in der Führungskräfte1-Sitzung dem Vorstand gegenüber. Der Handlungsspielraum für Beteiligung von Führungskräfte der 2. Ebene durch die Führungskräfte der 1. Ebene wurde vergrößert und schriftlich fixiert. Von Seiten der Personalentwicklung wurde neben der Planung und Begleitung des Veränderungsvorhabens gemeinsam mit dem Beraterteam die Entwicklung weiterer Führungsinstrumente eingeleitet und die operative Führung in ihren Aufgaben unterstützt, die sich durch den Verlauf des Kulturprozesses ergaben.“ Aus Sicht der Berater Die Ergebnisse sind insbesondere auf zwei Ebenen erzielt worden. Auf einer normativen, rahmengebenden Ebene wurden die Zielbilddimensionen Führung, Mitarbeiter und Kunde mittels Sichtung und Reflexion bestehender Routinen, mentaler Modelle und Materialen vergegenwärtigt, diskutiert, bestätigt oder hinterfragt und um neue Überlegungen ergänzt. Sowohl Beirat Unternehmenskultur und Gesamtvorstand als auch die Klausuren der Führungskräfte der Ebenen 1 und 2 beschäftigten sich mit Fragen wie „Wie erleben wir Führung, Mitarbeiter- und Kundenorientierung 150 Scherin Beuther und Marcus Benfer uvk-lucius.de/ fuehren gegenwärtig? “ (IST), „Wie müssten Führung, Mitarbeiter- und Kundenorientierung gelebt werden, um die Ziele des strategischen Zielpfads angemessen und wirksam zu realisieren? “ (SOLL) und „Wie schließen wir die Lücke zwischen IST und SOLL? “ Auf einer prozessualen Ebene wurde - beim Erarbeiten der jeweiligen Zielbilddimension - das mögliche Führungs-, Entscheidungs- und Kommunikationsverhalten der Zukunft bereits erfahren und reflektiert. In diesem Zusammenhang ist die Arbeit des Beirat Unternehmenskultur und deren Wirkung besonders hervorzuheben: Der Beirat Unternehmenskultur hat die in den Geschäftspolitischen Dialogen und Führungskräfte-Klausuren entstandenen Themen systematisiert, mit Feedback und Handlungsempfehlungen an den Vorstand versehen und diesem zunehmend selbstsicher und konstruktiv-kritisch präsentiert. Daraufhin hat sich der Gesamtvorstand mit nahezu allen vom Beirat empfohlenen Themen befasst und in der Folge entsprechend notwendige Entscheidungen getroffen und kommuniziert. So haben beispielsweise die Geschäftspolitischen Dialoge sowie Klausuren der Führungsebenen 1 und 2 zu Themenfeldern wie Beteiligung der Führungskräfte, Zielsystem, Personalentwicklung, Information und Kommunikation, Vergütung etc. geführt, die nach der Aufarbeitung durch den Beirat Unternehmenskultur und der Präsentation derselben vor dem Gesamtvorstand in konkrete Maßnahmen und Entscheidungen überführt wurden. Der Beirat hat sich im Prozessverlauf zunehmend als Gremium innerhalb der Sparkasse etabliert und war gleichzeitig Experimentierraum sowie Empfehlungsgeber für den Gesamtvorstand. Bemerkenswerte Entwicklungen waren auch hinsichtlich der Führungskultur festzustellen: Zunächst einmal wurden die Rolle der Führungskräfte und deren Selbstverständnis bewusst wahrgenommen, kritisch reflektiert und neuerlich bestimmt (Zielbilddimension Führung). Ein gemeinsames Werteverständnis, das allen bei der Sparkasse beschäftigen Mitarbeitern als Handlungsrahmen und Orientierungsgröße dient, wurde von den Führungskräften gemeinsam entwickelt und eingeführt (Zielbilddimension Mitarbeiter). Die Bedürfnisse und Anforderungen der Kunden der Sparkasse Mittelthüringen wurden in Relation zum Leistungsversprechen gestellt (Zielbilddimension Kunde). Die Bearbeitung sämtlicher Zielbilddimensionen (Führung, Mitarbeiter, Kunde) erfolgte hierarchieübergreifend in unterschiedlichsten Konstellationen. Durch wiederholten Perspektivwechsel, durch Reflektieren der eigenen Kommunikations- und Handlungsmuster und durch das Hinterfragen der etablierten Entscheidungs- und Zusammenarbeitsmodi im Rahmen des Gesamtprozesses veränderte sich die Kommunikation innerhalb der Führungsmannschaft zusehends. Das Dialogische, die Betonung des WIR, die bewusste Auseinandersetzung mit Unterschieden und Gemeinsamkeiten beim Führungshandeln hinsichtlich Mitarbeiterorientierung und Ausrichtung auf den Kunden sowie die stärkere Beteiligung der Führungsmannschaft an konzeptionellen und strategischen Überlegungen waren im Beirat Unternehmenskultur, beim Neujahrempfang, bei den Geschäftspolitischen Dialoge und in den Führungskräfte-Klausuren beobachtbar. Zukunftsweisende Unternehmenskultur gestalten 151 uvk-lucius.de/ fuehren Fazit zum organisationalen Wandlungsprozess Aus Sicht des Kunden Zusammenfassend reflektiert die Sparkasse Mittelthüringen den Prozess wie folgt: „Die Anforderungen an adressatengerechte Kommunikation der Führungskräfte, um die Motivation und Identifikation unserer verschiedenen Mitarbeitergruppen zu erhalten, sind in den letzten Jahren gestiegen. Nicht immer gelang es uns, diesen Anforderungen gerecht zu werden und unseren Mitarbeitern die Bedeutung ihrer Arbeit für den Gesamterfolg zu erklären. Strategische Zielgrößen haben dabei eine grundlegende Orientierung jedoch nur eine geringe motivierende Wirkung erzeugen können. Die Situation wurde dadurch verschärft, dass unsere Führungskräfte in ihrem Selbstverständnis von Führung sehr unterschiedlich aufgestellt waren. Abteilungs- und hierarchieübergreifende Zusammenarbeit wurde nicht von allen Führungskräften als nützlich angesehen. Ein Konsens über die zu erreichenden Ziele sowie eine gemeinsame Vorstellung über das „Wie erreichen wir unsere Ziele? “ bestand nicht. Wir haben erlebt, dass infolge der verschiedenen Veränderungen das Zugehörigkeitsgefühl zu unserer Sparkasse bei Führungskräften und Mitarbeitern in den vergangenen Jahren schrittweise abgenommen hat. Das hat uns sehr beunruhigt, ist doch Mitarbeitermotivation und -identifikation wesentlich für nachhaltigen Geschäftserfolg. Und nimmt doch die Führungskraft mit ihrem Verhalten wesentlichen Einfluss auf Mitarbeitermotivation und -identifikation. Der von uns daraufhin gemeinsam mit fuehrungsimpuls eingeleitete Kulturprozess sollte der Weiterentwicklung unserer Führungskultur dienen, die Identifikation aller Führungskräfte über alle Führungsebenen der Sparkasse stärken und die Zusammenarbeit zwischen den Führungskräften fördern, um auch künftig dem Anspruch einer vertriebsorientierten, schlagkräftigen, selbstbewussten und nachhaltig zukunftsfähigen „Top-Sparkasse“ gerecht zu werden. Im Laufe dieses stellenweise sehr zähen und mühsamen Prozesses haben wir ein besonderes Augenmerk auf eine stärkere Beteiligung unserer Führungskräfte insbesondere unserer Gruppen- und Geschäftsstellenleiter sowie die Institutionalisierung eines hierarchie- und fachübergreifenden Dialoges zwischen Vorstand und Führungskräften gelegt. So haben wir u.a. den Geschäftspolitischen Dialog etabliert. Hier haben alle Führungskräfte die Gelegenheit sich über strategische Themen dialogisch auszutauschen. Dieses Angebot wird von unseren Führungskräften recht unterschiedlich angenommen und wir lernen und arbeiten noch an einer nützlichen Form des Dialoges. In unsere Führungsklausuren sind wir mit unseren Führungskräften in die Diskussion über Rolle, Auftrag und Selbstverständnis von Führung gekommen. Die Ergebnisse dieser Diskussion haben wir in den Leitlinien des Personalmanagements aufgenommen. Die konsequente Umsetzung der formulierten Ansprüche ist knochenharte Tagesarbeit, die noch nicht von jeder Führungskraft verinnerlicht wurde. Ein wesentliches Ergebnis des Dialoges ist der Wunsch unserer Führungskräfte nach mehr Beteiligung. So haben wir noch keine abschließende Sicherheit darin, wie und in welcher Tiefe strategische Themen gerade mit unseren Gruppen- und Geschäftsstel- 152 Scherin Beuther und Marcus Benfer uvk-lucius.de/ fuehren lenleitern diskutiert werden sollen. Zudem fordert uns die eindeutige und verbindliche Kommunikation von Entscheidung immer wieder heraus. Haben unsere Führungskräfte Entscheidungen verstanden, heißt das nicht gleichzeitig, dass sie mit diesen auch einverstanden sind und die Umsetzung erfolgt. Darauf einzugehen verlangt Geduld und Konsequenz von uns, die sind wir nicht gewohnt. Schnell und konkret konnten wir jedoch den Rahmen der Beteiligung unserer Gruppen- und Geschäftsstellenleiter gerade bei ihren ureigenen Führungsthemen neu stecken. Dabei hat uns das Bewusstmachen unserer bereits existierenden Führungsinstrumente unterstützt. Die Diskussionen zur Dimension „Führung“ haben unseren Blick für die Bedeutung von Führung für die Mitarbeiteridentifikation und -motivation und damit für den Unternehmenserfolg wieder geschärft. Wir haben die Ergebnisse des Prozesses dokumentiert, haben Spielräume unserer Führungskräfte ausdehnt. Wir haben jedoch auch erkannt, dass ein gemeinsames Führungsverständnis ein Ergebnis von dauerhaftem Austausch, kritischer Reflexion, Feedback, dem aktiven Zuhören, der Bereitschaft unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und der konsequenten Umsetzung von Vereinbartem ist. Besonders förderlich für unseren Kulturprozess ist die Begleitung durch externe Berater. Die Berater von fuehrungsimpuls sensibilisierten uns für die im Führungsalltag immer wieder auftretenden nützlichen und weniger nützlichen Muster in Kommunikations- und Entscheidungsprozessen. Mit ihrer Unterstützung haben wir Neues ausprobieren und die Erfahrungen daraus in eine Routine überführen können Dabei hat sich der Beirat für Unternehmenskultur als besonders nützlich erwiesen.“ Aus Sicht der Berater Mit zeitlichem Abstand betrachtet zeigt sich, wie sehr Organisationen sich gegen Impulse und Einflussnahme auf eingespielte Routinen, langjährig angewendete Verhaltensweisen und etablierte mentale Modelle (insbesondere durch Außenstehende) wehren. Die Selbsterhaltungskräfte (vgl. ‚Autopoiese‘, Blessin & Wick, 2014: Kap. 5.4.4) sorgen für die Konstanz der etablierten Kommunikations-, Entscheidungs-, Kooperations- und Denkmuster. Nur durch permanente selbstreferentielle Wiederholungsschleifen, in denen Themen, Denkanstöße und Verhaltensalternativen in Erinnerung gerufen, erlebt und erprobt werden, wird die Brille in Frage gestellt, durch die Welt gesehen wird und werden Muster thematisiert, die sich im Business nicht mehr als funktional erweisen. Und dies geschieht um so wahrscheinlicher je besser es gelingt, die sich in der Umwelt des Systems abspielenden Veränderungen in die ‚Sprache der Organisation‘ zu übersetzen, so dass Handlungsdruck entsteht. Im besten Fall bewegt sich die Organisation auf ein anziehendes Zukunftsbild hin, dazu muss es allerdings von möglichst vielen der Organisationsmitglieder als reizvoll erlebt werden - eine hohe Kunst bei der Unterschiedlichkeit der Handlungsmotive. Ein partizipativer Führungsansatz bietet an dieser Stelle sowohl das Nutzbarmachen der kollektiven Intelligenz zur gemeinsamen ‚Konstruktion‘ einer Zukunftsaussicht als geteilter mentaler Landkarte als auch die Reduktion antizipierter und in jeder Verände- Zukunftsweisende Unternehmenskultur gestalten 153 uvk-lucius.de/ fuehren rung auftretender Widerstände. Voraussetzung hierfür ist ein im Vorfeld der Partizipation getroffenes bewusstes Ja der Entscheider zu den Folgen dieses Ansatzes. Grundsätzlich bedarf es der Entschiedenheit und des Durchhaltevermögens auf Seiten der Veränderungsinitiatoren sowie des fortwährenden Informierens, Feinjustierens, Erklärens, Vereinbarens und Nachhaltens, um das beharrende System zu einem Richtungswechsel zu ‚ver-führen‘. Zusätzlich ist das rollenmodellhafte Verhalten der Promotoren bezüglich der angestrebten Veränderung und damit die eigene Veränderungs- und Selbstreflexionsbereitschaft vonnöten, um die erforderliche Glaubwürdigkeit und Energetisierung in der Organisation zu erzeugen. Im Einzelnen waren nachfolgende Faktoren für die erfolgreiche Realisierung der o.g. Ergebnisse ausschlaggebend: Die Verständigung des Gesamtvorstands zu Beginn des Prozesses über das Warum und Wohin der Veränderung (und somit die Formulierung des Ist- und Zielbildes) ist von grundlegender Bedeutung. Sie erfolgte zunächst aus Sicht der Einzelpersonen und anschließend mit Blick auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Gesamtvorstand. Dieses Vorgehen ermöglichte den Initiatoren das bewusste Wahrnehmen ihrer eigenen mentalen Modelle, ein Klärung des persönlichen Rollenverständnisses, das Formulieren von Anforderungen an den Veränderungsprozess, so dass eine gemeinschaftliche Basisentscheidung bezüglich der gewünschten Veränderung getroffen werden konnte. Die fortwährende zum Teil auch anstrengende, nervenaufreibende Revision, Reflexion und Auswertung der einzelnen Prozessschritte erforderte von Seiten des Vorstandes Folgeentscheidungen bezüglich der Feinjustierung und weiteren (Neu-)Ausrichtung des Veränderungsprozesses. Kulturentwicklung wurde als ein (auch über die Beratungsbeziehung hinaus) fortlaufender Prozess erlebt. Die Einbindung des Vorstands in sämtliche Veranstaltungen sorgte für eine konstante Einordnung des jeweiligen Prozessschrittes in den Gesamtkontext. Der Vorstand wurde als „Owner“ und Promotor des Veränderungsprozesses sichtbar und erzeugte so „Veränderungsenergie“. Erst die Vernetzung der Ziele des Kulturprozesses mit den betriebswirtschaftlichen „hard facts“ und den strategischen Zielen des Unternehmens, machte den Prozess zu einem sinnvollen und in den betrieblichen Ablauf integrierten Handlungsstrang. Der gesamte Kulturprozess diente der Erreichung des Unternehmenszieles. Auf diese Weise konnte sukzessive eine Bereitschaft geschaffen werden, sich abseits der zu erreichenden „hard facts“ verbunden mit zusätzlichem Zeitaufwand mit den kulturellen „soft facts“ auseinanderzusetzen. Im Sinne einer Eindeutigkeit und Einheitlichkeit im Kommunizieren und Handeln gegenüber der Führungsmannschaft war die im Prozessverlauf entstandene stärkere Vernetzung der Vorstandsmitglieder und fortgesetzte ausführlichere Verständigung über die Zielbilder der einzelnen Vorstandsmitglieder von großem Wert. Der Vorstand wurde zunehmend als Einheit unterschiedlicher Persönlichkeiten wahrgenommen. Dies führte auf Seiten der angesprochenen Führungskräfte zu mehr Sicherheit und Orientierung. Die Stärkung der Reflexionskompetenz vor allem im Vorstand und im Beirat Unternehmenskultur durch Spiegelung, Rückfragen, Selbstbeobachtung, Perspektivwechsel, 154 Scherin Beuther und Marcus Benfer Bewusstmachen mentaler Modelle und Erprobung von Musterwechseln während der gemeinsamen Sitzungen und Klausuren ermöglichte der Organisation auch außerhalb der begleiteten Prozessabschnitte sich als lernende Organisation selbst zu betrachten. Gleichwohl zeigte sich gerade hier eine der größten Herausforderungen des Gesamtprozesses. Neben der Bewältigung der Anforderungen und Stressoren des Tagesgeschäfts galt es, dem Veränderungsgeschehen und hier insbesondere der Etablierung neu erlernter mentaler Modelle und kommunikativer Vorgehensweisen angemessene Übungs- und Umsetzungszeit einzuräumen. Der partizipative Ansatz brachte diverse Vorteile für den Beratungsprozess und gleichermaßen Herausforderungen für das Klientensystem mit sich. Die Integration der gesamten Führungsmannschaft führte von Anfang an zu einer Perspektivvielfalt in allen drei Zielbilddimensionen. Allein die Menge der geäußerten Ansichten und Erfahrungen führte naturgemäß zu einer immensen Steigerung der Komplexität und gleichzeitig zu einem differenzierten Blick auf ein Thema. Hier galt es, einen Balanceakt zwischen Erweiterung und Reduktion der Komplexität zu wagen. Nachdem die Sparkasse Mittelthüringen (wie andere Organisationen auch) diverse Veränderungsprozesse mit und ohne externe Begleitung absolviert hatte, die (wie in anderen Organisationen auch) nicht immer zum gewünschten Erfolg führten oder bis zum Ende durchgehalten wurden, stieß das Beteiligungsangebot nicht sofort und bei allen Beteiligten auf Interesse. Mit Aufmerksamkeit wurde beobachtet, wie die in Aussicht gestellten Versprechen eingelöst und die als notwendig identifizierten Entscheidungen getroffen wurden. Bis zum Ende des Beratungsprozesses blieb eine gewisse Form von „Ungläubigkeit“ an der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Partizipation bestehen. Das Konzept „Beirat Unternehmenskultur“ als „Systemabbild im System“ diente sowohl Reflexionsals auch Erprobungsraum (Exploration). Hier konnten eingespielte Denk- und Verhaltensmuster erkannt, unterbrochen und neue erprobt werden. Alle durch den Veränderungsprozess betroffenen und am Geschehen beteiligten Führungsebenen (Vorstand, 1. und 2. Führungsebene) arbeiteten im Beirat Unternehmenskultur zusammen, erlebten und identifizierten an sich selbst organisationale mentale Modelle und Routinen (Isomorphie) und probierten Musterwechsel miteinander aus. Hier eröffnete sich umgehend ein Spielfeld, auf dem neue Spielzüge erlebt, reflektiert und auf Nützlichkeit für die Organisation hin bewertet werden konnten. Zu Beginn sorgte die gefühlte Reduktion des Arbeitstempos im Vergleich zu den bewährten Alltagsroutinen für Ungeduld und Zweifel an der Wirksamkeit dieser Institution. Das prozessuale, selbstbeobachtende Vorgehen stand zunächst der Outputgetriebenheit gefühlt im Weg. Diese Irritation hatte zur Folge, dass dieses zentrale Gremium im Verlauf des Beratungsprozesses grundlegend in Frage gestellt und in Zusammenhang damit auch der Beratungsansatz hinterfragt wurde. Der Gesamtvortand entschloss sich nach einem Grundsatzgespräch den Beirat Unternehmenskultur weiterzuführen. Literatur Blessin, B. & Wick, A. (2014): Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK. Zukunftsweisende Unternehmenskultur gestalten 155 AAutor-Kurzprofile Scherin Beuther berät Organisationen in Veränderungsprozessen, coacht Managementteams und Führungskräfte und entwickelt Führungskräfte-Entwicklungsprogramme. Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ist die Unterstützung bei der Realisierung von Veränderungsvorhaben. Sie begeleitet seit über 20 Jahren Führungskräfte, Teams und Organisationen auf ihrem Weg zum Erfolg. Scherin Beuther verfügt über eine mehrjährige Ausbildung und langjährige Erfahrung als systemische Organisationsberaterin und als systemischer Coach. Sie ist Geschäftsführererin von fuehrungsimpuls. Das Unternehmen ist spezialisiert auf die Begleitung von Organisationen und Einzelpersonen in Veränderungsprozessen. fuehrungsimpuls stellt je nach Beratungsziel, -inhalt und -umfang spezielle Beraterteams zusammen. Marcus Benfer berät Organisationen in Veränderungsprozessen, coacht Managementteams und Führungskräfte und entwickelt Führungsprogramme für internationale Unternehmen. Einer seiner Schwerpunkte ist die konkrete Umsetzung strategischer Veränderungsentscheidungen als Prozess, in dem gemeinsam Musterwechsel im Denken und Verhalten initiiert und erprobt werden. Er begleitet seit über 10 Jahren Organisationen, Führungskräfte und Teams in ihrer Entwicklung. Er verfügt über eine mehrjährige Ausbildung als systemischer Organisationsberater und Coach. Mit fuehrungsimpuls arbeitet Marcus Benfer seit Jahren als freier Berater eng zusammen. uvk-lucius.de/ fuehren 5.6 PEPSYS: Ein systemisches Führungskräfteentwicklungsprojekt von Anna Dollinger Aus einer systemischen Perspektive reflektiert, sind die Elemente eines Systems stets für einander Ursache und Wirkung zugleich. Wer wann wie miteinander welchen Unterschied erzeugt, lässt sich auch im Nachhinein nicht feststellen. Im Sinne der systemischen Schleife können wir immer nur Annahmen treffen, welche Maßnahmen möglicher Weise welche Wirkungen erzeugen werden und anschließend prüfen, wieweit wird ein gewünschtes Ergebnis erreicht haben. Der Eigensinn der Organisationen, Bereiche und Teams allein entscheidet, wie welche Angebote aufgenommen werden. Umso beglückender ist es, wenn, wodurch letztlich auch immer, sich gewünschte Ergebnisse einstellen. Im Sinne dieser Sichtweise zeigt das folgende Praxisbeispiel, wodurch die Bereitschaft für Wandel und Veränderung im System möglicher Weise wachsen kann. Zunächst wird im folgenden Praxisbeispiel genauer auf die Ausgangssituation eingegangen, bevor im Anschluss der theoretische Hintergrund und die praktische Umsetzung geschildert werden. Ausgangssituation und Zielsetzung des Projektes PEPSYS In dem betreffenden Bereich eines Software-Unternehmens mit insgesamt ca. 8.000 Mitarbeitern, arbeiten etwa 700 hochqualifizierte Mitarbeiter, die mittels verschiedenster Medien (Telefon, Chat, Internet, Email…) alle Anfragen von Kunden rund um das Softwareportfolio des Unternehmens beantworten. Der Bereich ist besonders wichtig für die Außenwirkung des Unternehmens, da hier im direkten Kundenkontakt Probleme der Kunden entgegengenommen und gelöst werden müssen. In diesem Service-Bereich wurden in den vergangenen Jahren top down sehr viele sowohl strukturelle als auch die Aufgabeninhalte betreffende Änderungen initiiert. Zum Beispiel die teilweise Umstellung von persönlichen Support-Lösungen für Kunden hin zu internetspezifischen sowie die Definition neuer Aufgabenschwerpunkte für den Bereich. Ziel war es auch, effizienter und kostensparender zu agieren. Entsprechend waren alle Mitarbeiter und Führungskräfte gefordert, nach neuen Wegen zu suchen, um Energien zu bündeln und bisher ungenutzte Ressourcen zu schöpfen. Auch in den kommenden Jahren werden die Themen „Veränderungsmanagement“ und „Ressourcenmanagement“ permanente Begleiter des Unternehmens sein. Hierbei sollen die Veränderungschancen verstärkt aus den Reihen der Mitarbeiter und Führungskräfte initiiert werden (bottom-up). Aus diesem Grund startete der Leiter des Bereiches das Führungskräfteentwicklungsprojekt PEPSYS, das die Wahrnehmung der Führungskräfte und Mitarbeiter für diese Themen schärfen, ihr Handlungswissen verbreitern und sie für Umsetzungsinitiativen öffnen soll. Da auch aus Sicht der Bereichsleitung die Führungsarbeit beziehungsweise deren Führungsarbeit eine erfolgskritische Rolle bei Veränderungsprozessen spielt, sollte insbesondere auch das Thema Führungskräfteentwicklung eine zentrale Funktion im Transformationsprozess einnehmen. Denn das Vorgesetztenverhalten und deren Haltung sind entscheidend dafür, wieweit Mitarbeiter den Veränderungsvorstellungen folgen und der Führungsarbeit vertrauen (vgl. Dollinger, 2014, sowie Blessin & Wick, 2014: Kap. 8.3.2) PEPSYS : Ein systemisches Führungskräfteentwicklungsprojekt 157 uvk-lucius.de/ fuehren Für PEPSYS wurden von Seiten des Unternehmens folgende Zielsetzungen definiert: Den Wissens- und Erfahrungsaustausch zu den Themen „Veränderungsmanagement“ und „Ressourcenmanagement“ fördern Das konkrete Wissen vor allem der Führungskräfte zu den Themen „Veränderungsmanagement“ und „Ressourcenmanagement“ und zu entsprechenden Handlungstechniken ausbauen Die Bereitschaft und die Motivation der Mitarbeiter und Führungskräfte für Veränderungen erhöhen Die Aktivitäten zur Initiierung von Verbesserungsprozessen, Strukturveränderungen und zur Optimierung des Ressourceneinsatzes stärken Die Führungskräfte im Umgang mit eigenen und den Emotionen anderer stärken und das Bewusstsein für die Bedeutung ihrer Führungsarbeit schärfen Der Erfolg des Projektes wurde anhand der Mitarbeiterzufriedenheit, der Bereitschaft zur Umsetzung von Neuerungen und der Anzahl der mitarbeiter- (führungskräfte-) initiierten Veränderungsimpulse gemessen. Theoretischer Hintergrund des Projektes PEPSYS Im Rahmen des Projektes PEPSYS haben wir versucht, verschiedene systemische Erkenntnisse für den Führungskräfteentwicklungsprozess zu nutzen. In unserer systemischen Perspektive (siehe auch Blessin & Wick, 2014: Kap. 5.4) verstehen wir Organisationen, Bereiche beziehungsweise Teams als soziale, nichttriviale Systeme, welche über einen ausgeprägten Eigensinn (Eigendynamik) verfügen. Führungserfolg hängt entsprechend keineswegs nur von der Führungsperson ab. Entsprechend ist der Erfolg von Interventionen das Ergebnis eines Zusammenspiels von vielfältigen Faktoren wie zum Beispiel Unternehmensstrukturen, Erfahrungen des Systems und entsprechende Werte und Glaubenssätze. Diese gilt es möglichst umfassend und wertschätzend einzubeziehen, um eine gute Anschlussfähigkeit zu gewinnen und ein Beratungssystem aufzubauen. Dies sehen wir als Möglichkeit, den von Rudolf Wimmer bezeichneten Ansatz, Führen als „das gezielte Gestalten von sozialen Situationen innerhalb eines größeren, sinnstiftenden Ganzen“ (Wittener Ansatz, vgl. Wimmer, 2007) zu realisieren, um die Ziele der Organisation zu erfüllen. Um entsprechend systemisch ausgerichtete Impulse mit den Führungskräften und in der Führungsarbeit zu setzen, haben wir versucht, in Netzwerken von Handlungen, Wirkungen und Folgewirkungen zu denken und zu handeln und Rückkopplungsschleifen in unser Konzept einzubauen. Somit fokussieren wir stark auf die Kommunikationsprozesse, in welchen jedes Systemmitglied Ursache und Wirkung für Ergebnisse zugleich ist. Jeder Steuerungsimpuls kann als Resultat der Rückwirkung vergangener Steuerungsversuche angesehen werden. Dabei sehen wir erfolgversprechende Führungsinterventionen im systemischen Sinne nicht im Sinne eines Rezeptes, sondern immer im Sinne einer Anregung für das jeweilige System. Diese Anregung kann dann Effekte einer gewünschten Weise erzielen oder eben auch nicht. Werden keine gewünschten Effekte erzielt, kann dies wiederum als eine wichtige Information über die Bedürfnisse, Werte und Glaubenssätze dieses Systems betrachtet werden (vgl. Schmidt, 158 Anna Dollinger uvk-lucius.de/ fuehren 2004), was wiederum Ideen für weitere Interventionen liefert. Dies haben wir in unserem iterativ aufgebauten und somit nach jedem Schritt neu überarbeiteten Modul berücksichtigt. Zudem gehen wir bei unserem Konzept davon aus, dass jeder Mensch und jede Unternehmung prinzipiell entwicklungsfähig ist und sich entwickeln möchte. Solche Prozesse haben dann die besten Erfolgschancen, wenn die Betroffenen die Veränderungsprozesse (mit-)gestalten. Dadurch, dass die Betroffenen zu Beteiligten gemacht werden, lassen sich das Wissen und die Fähigkeiten derjenigen, die die betreffende Situation vermutlich am allerbesten kennen, sowohl schöpfen als auch mehren. Zudem werden die Umsetzungswiderstände deutlich verringert und die Veränderungsmotivation wird wesentlich erhöht (Doppler & Lauterburg, 2002). Weiterhin war uns wichtig, mit ungewohnten Elementen der Prozessarchitektur („Expeditionen“, Einbauen von Aikido-Elementen) Wahrnehmungsroutinen in positivem Sinn zu irritieren. Menschen sollen nicht nur kognitiv, sondern auch aktional und vor allem emotional angesprochen werden, denn „die wirkungsvollsten Interventionen sind die, die Herzen öffnen“ (Schmidt, 2004). Auch die Bezeichnungen für die Veranstaltungen sowie die Sprache sollten die Wahrnehmung schärfen und zum Assoziieren bestimmter emotionaler Kontexte anregen. So sollten zum Beispiel die Titel der Workshops „Forschungsauftrag definieren“, „Themenlandschaften ausloten“ und „Teamexpedition“ darauf aufmerksam machen, dass hier kein „normales“ Seminar stattfindet, sondern eben eine Art „Forschungsprojekt“. Ein Forschungsprojekt über Themen zu denen alle schon viele Erfahrungen gesammelt haben, viel wissen und zugleich auch noch viel voneinander lernen können. So steht hinter dem Titel „Themenlandschaften ausloten“ der Gedanke, „dass wir alle gemeinsam bei diesen Themen viel Wissen zur Verfügung haben, dass jedoch diese Wissensschätze und Erfahrungen bei Weitem noch nicht ausgeschöpft und in Handlungswissen umgesetzt sind“. Dies voranzutreiben ist unter anderem ein großes Ziel von PEPSYS. Aufbau und Inhalte des Projektes PEPSYS In einem ersten Schritt, dem Modul „Forschungsauftrag definieren“, stellte die jeweilige Führungskraft ihrem Team das Projekt vor, erläuterte die drei Themenbereiche („Veränderungsmanagement“, „Ressourcenmanagement“, „Führung“), moderierte die Themendiskussion und wählte demokratisch mit dem Team ein spezifisches Thema aus, welches aus Sicht des Teams in der vertieften Bearbeitung den größten Nutzen für das Team versprach. In dem zweiten Modul, „Themenlandschaften ausloten“, bearbeiteten die Führungskräfte, deren Teams jeweils das gleiche Thema gewählt hatten, dieses Thema in einem zweitägigen Workshop. Im dritten Modul, „Teamexpedition“, wurden die Ergebnisse des Workshops „Themenlandschaften ausloten“ anhand eines ausgearbeiteten Fotoprotokolls, welches „Logbuch“ hieß, wiederum im eigenen Team präsentiert und diskutiert. Zudem wurden weitere vorbereitete themenrelevante Fragen gemeinsam mit dem eigenen Team diskutiert und mündeten in einem entsprechenden Handlungsplan. PEPSYS : Ein systemisches Führungskräfteentwicklungsprojekt 159 uvk-lucius.de/ fuehren Wie die Ausgestaltung der Module zeigt, ist die Erwartung an die Führungskräfte und ihre tragende Rolle im gesamten Prozess von PEPSYS recht hoch. Sie sind immer wieder als Präsentator, als Moderator von Teamveranstaltungen, als „Wissenserarbeiter“ und Wissensvermittler und als Koordinator eingebunden. Dies ist einerseits anspruchsvoll, stärkt aber gleichwohl die Rolle der Führungskraft auch im Sinne Wimmers, der Führen als das gezielte Gestalten von sozialen Situationen innerhalb eines größeren, sinnstiftenden Ganzen sieht. Uns war wichtig, während des gesamten Projekts als Partner und Coach ansprechbar zu sein, um stets lösungs- und ressourcenorientiert zu begleiten. Unsere Philosophie ist auch, dass wir interne Partner stärken wollen und keineswegs einen Mythos von „ohne die Berater hätten wir das nicht geschafft“ aufbauen wollen. Die begleitenden Aikido-Elemente Die ungewohnten Elemente der Prozessarchitektur sollten insbesondere auch durch das Einbauen der Aikido-Elemente aktional und vor allem emotional verstärkt werden (Schmidt, 2004) Aikido als asiatische Kampfsport-Art setzt besonders auf drei Wirkfaktoren: Die geschärfte Wahrnehmung des Umfeldes (Was genau geschieht? Was bewegt sich wie? Was sind die Intentionen? ) Die geschärfte Wahrnehmung für das eigene Sein und Tun (Wo liegen meine eigenen Schwerpunkte in meiner (Körper-)Haltung? Was sind meine Intentionen, was will ich erreichen? Wie bewege / verhalte ich mich entsprechend zieldienlich? ) Die Kenntnis um die größte Hebelwirkung (Wie kann die Energie des Umfeldes / Gegners genutzt werden? Wie erzielt man mit dem geringsten Energie-Einsatz die größte Wirkung? ) Diese Aspekte wurden in Analogien Veränderung, Ressourcenmanagement und (Selbst-)Führung beziehungsweise Metaphern zu den Inhalten der Workshops gefasst und in konkreten Körperübungen erfahren. Insbesondere wurde viel Aufmerksamkeit in Reflexion und Transferarbeit gelegt. Dabei haben wir mit einer Modifikation des After Action Review gearbeitet. Diese Form der Auseinandersetzung mit erzielten Ergebnissen basiert auf einem lösungsorientierten Ansatz, der aus unserer Erfahrung deutlich größere Akzeptanz bei den Beteiligten erreicht, als dies bei den üblichen Best- Practice-Ansätzen möglich ist. Diese erzeugen oft Reaktanz, weil sie all zu leicht zur Ursachen- und Schuldigensuche verführen. Die Art der Fragestellungen, „Was war unser Ziel? Wieweit haben wir unser Ziel erreicht? Was haben wir getan, damit wir unsere Ziel entsprechend erreichen konnten? Was hätten wir noch tun können? , ermöglichte uns sehr offene und lerndienliche Auswertungen der Arbeitsergebnisse. Die einzelnen Projektschritte PEPSYS Zum Start des Projektes lud der Bereichsleiter alle Führungskräfte des Bereiches zu einer Kick-off-Veranstaltung ein. Ziel dieser Veranstaltung war es, den Führungskräften, die das Projekt und die Themen mit-initiiert hatten, die Projekt-Skyline (vgl. Dollinger, 2011) vorzustellen, sie über die konkreten Module und Inhalte des Projekts zu informieren und über Fragen, Anregungen und konkrete Durchführungsaspekte zu diskutieren. Die Veranstaltung wurde vom Bereichsleiter eröffnet, der sich als Prozess- 160 Anna Dollinger uvk-lucius.de/ fuehren eigner und -verantwortlicher unbedingt für das Projekt einsetzte. Insbesondere die partizipativen (demokratisch ausgerichteten) Vorgehensweisen und die aktive Rolle der Führungskräfte im Rahmen des Projekts entfachten eine lebhafte und auch skeptische Diskussion unter den Teilnehmern. Bei den vorgestellten Präsentationen, die die Führungskräfte wiederum für ihre eigenen Mitarbeiter halten sollten, wünschten sich die Führungskräfte Veränderungen in der Darstellung und bezüglich der Sprache, um die Verständlichkeit für die Mitarbeiter zu sichern. Diesen Wünschen wurde entsprochen. Weiterhin drehten sich Vorbehalte der Führungskräfte vor allem auch um die eigene Rolle im Rahmen des Projekts und darum, dass sie zum Beispiel die Rolle des Moderators und Workshop-Leiters möglicherweise nicht angemessen ausfüllen könnten. Diese Start-Phase des Projekts war die einzig kritische im gesamten Verlauf. Für das erfolgreiche Durchschreiten waren das Engagement des Bereichsleiters sowie sein sehr umfassendes Pacing enorm wichtig. Den Führungskräften wurde versichert, dass sie ausführliche Unterlagen („Train the Trainer-Leitfaden“, Präsentationen) und auch Coachings erhalten würden, die ihren Erfolg sicherstellen würden und, dass sie mit Sicherheit in ihrer Rolle gestärkt aus dem Projekt gehen würden. Ferner wurde zugesagt, dass auch die externen Berater die Ermächtigung hatten und danach streben würden, weitere Unterstützung zu liefern, die den Führungskräften als nützlich und wünschenswert erschien. Diese Aussagen wurden vom Bereichsleiter bestärkt und in der Umsetzung auch eingehalten. Die Aspekte des „in die Rolle des Moderators und Workshop-Leiters schlüpfen“, die Rollenflexibilität und die Selbststeuerung des Teams waren aus unserer Sicht Erfolgshebel des Projekts. Sie erzeugten sowohl bei den Führungskräften als auch in den Teams ein bewusstes Gefühl von Selbstwirksamkeit und Gestaltungsmöglichkeiten das Widerstände gegenüber den Zielen des Projekts verflüssigte und die Ressourcenorientierung gezielt anregte und stärkte. Die Team-Workshops „Forschungsauftrag definieren“: Mitarbeiter delegieren Die Mini-Workshops „Forschungsauftrag definieren“ (Dauer ca. drei Stunden) dienten dazu, den Mitarbeitern Mitwirkungsmöglichkeiten zu bieten, sie über PEPSYS zu informieren und gemeinsam im Team zu entscheiden, welches der drei Themen „Veränderungsmanagement“, „Ressourcenmanagement“ oder „Führung“ im Team sowie von der Führungskraft vertieft bearbeitet werden sollte. Die Themen, die entsprechend der Wünsche der Führungskräfte umbenannt (und auch teilweise umstrukturiert) worden waren, lauteten nun: Wie man die richtige Balance zwischen Bewahren und Verändern finden kann. Kreativität und Innovation: Wie wir Ressourcen entdecken. Über den Mehrwert von Führung und Selbstführung. Die Teammitglieder diskutierten anhand verschiedener Fragestellungen über diese Themen sowie über den möglichen Nutzen einer vertieften Bearbeitung und entschieden demokratisch und gleichberechtigt mit der Führungskraft (auch diese hatte nur eine Stimme) über die Auswahl eines Themas. Weiterhin hatte das Team die Aufgabe, ihrer Führungskraft drei konkrete Fragestellungen beziehungsweise Lernziele zum jeweiligen Themenbereich in den Workshop „Themenlandschaften ausloten“ mitzugeben („Mitarbeiter delegieren“). Dieses Verfahren wurde über die drei Führungskräfte- PEPSYS : Ein systemisches Führungskräfteentwicklungsprojekt 161 uvk-lucius.de/ fuehren Ebenen des Bereiches hinweg durchgeführt. So entschieden auch die sogenannten „direktberichtenden Führungskräfte“ des Bereiches, zu welchem Workshop der Bereichsleiter gehen sollte. Zur Durchführung dieses Schrittes hatten die Führungskräfte eine entsprechende Präsentation sowie einen Leitfaden zur Vorgehensweise zur Verfügung. Die Führungskräfte-Workshops „Themenlandschaften ausloten“ Schwerpunkt des zweitägigen Workshops war einerseits die Reflexion der verschiedenen Theorien und Techniken zum jeweiligen Themenbereich sowie andererseits die Beantwortung der mitgebrachten Fragestellungen und die Erreichung der Lernziele. Zu allen drei Workshops gab es vorzubereitende spezifische Inhalte, die mit Hilfe der zirkulären Fragetechnik zu Beginn reflektiert wurden. Weiterhin wurden in allen Workshops drei Sequenzen mit Aikido-Übungen durchgeführt. Ein Aikido-Meister führte entsprechend in die Kunst des Aikido ein und arbeitete dann, gemeinsam mit der Workshop-Leiterin Anna Dollinger, anhand verschiedener Körper- und Partnerübungen die Parallelen zum Themenbereich heraus (siehe Beispiele in den beiden nachfolgenden Abbildungen). Die Sequenzen dauerten je nach Vertiefungsinteresse der Teilnehmer zwischen 45 und 90 Minuten. Die Inhalte der Workshops am Beispiel „Wie man die richtige Balance zwischen Bewahren und Verändern finden kann“ Im ersten Teil dieses Workshops war der Schwerpunkt die Erstellung einer „Wirkfeldanalyse“ (Doppler & Lauterburg, 2002). In Arbeitsgruppen erstellten die Teilnehmer je ein Wirkfeld: eines auf der Ebene des Unternehmens, eines auf der Ebene des Bereiches und eines auf der Ebene eines Teams. Anschließend wurden diese „Wirkfelder“ im Plenum diskutiert. Die Teilnehmer stellten fest, dass sie sich die „Wirkfelder“ bisher noch nicht in dieser Weise vergegenwärtigt hatten und dass dies für sie sehr beeindruckend war. Es war unübersehbar, an welchen Stellen sich das Unternehmen verändern musste und dass „Balance halten“ in Veränderungsprozessen nicht primär eine Frage der persönlichen Werthaltungen sein kann, sondern stark in Abhängigkeit zum jeweiligen „Wirkfeld“ steht. In Kleingruppen wurde diskutiert, welche persönlichen Konsequenzen hier jeweils sichtbar wurden und welche konkreten auch stärkenden Maßnahmen hier angegangen werden konnten. Abgerundet wurde der Workshop-Teil mit einem Lehrgespräch und verschiedenen auch situativ ausgewählten Techniken zum Beispiel zu Fragestellungen wie: „Wie man sich selbst und andere im Veränderungsprozess stärken kann“ (Senge et al., 1994), „Die persönliche Gewinn-Verlust-Bilanz“ (Dollinger et al., 2009) und „Partizipative Tools in Veränderungsprozessen“ (Berner, 2002). Der zweite Teil dieses Workshops stand unter dem Themenschwerpunkt „Umgang mit Widerständen“. Im „Intro“ diskutierten die Teilnehmer im Plenum, wann sie selbst Widerstände in Veränderungsprozessen entwickelt hatten und was diese verstärkt beziehungsweise gemindert hatte. Das Fazit war eindeutig: Mangelnde Information über die Notwendigkeit der Veränderung, mangelnde Mitwirkungsmöglichkeiten und Sorge um das „Werde-ich-das-Schaffen-können“ wirkten widerstandsfördernd, wohingegen Mitwirkungsmöglichkeiten, klare Zielvorstellungen und umfassende Information widerstandsminimierend wirkten. Anschließend wurden die möglichen Rollen von Be- 162 Anna Dollinger uvk-lucius.de/ fuehren troffenen in Veränderungsprozessen (Rehnmann & Härnwall, 1991), die „Klimakurve“ (Dollinger, 2011) und der „Sanddünen-Effekt“ (Dollinger, 2011) im Veränderungsprozess diskutiert. Die Teilnehmer lernten, verschiedene Formen von Widerstand zu unterscheiden (sachgeleiteter, emotionaler und machtgeleiteter Widerstand (Berner, 2002) und befassten sich mit Techniken zum Umgang mit Widerstand („4-K“, Sprungbrett- Rede, Veränderungsformel Dollinger, 2011). Informationscharts für die Teilnehmer des Workshops „Wie man die richtige Balance zwischen Bewahren und Verändern finden kann“ und „Kreativität und Innovation: Wie wir Ressourcen entdecken“ zum Thema Aikido Sowohl der erste Teil („Wirkfelder“) als auch der zweite Teil („Umgang mit Widerstand“) wurden mit entsprechenden Aikido-Übungen umrahmt. „Wirkfelder“ wahrnehmen, also seine Aufmerksamkeit bewusst und intensiv auf das jeweilige Umfeld und die Verbindungen mit diesem zu lenken, bedeutet im Aikido „das Gegenüber und seine Position im Bezug zur eigenen Person und Position wahrzunehmen“ und entsprechend darauf zu reagieren. Dies wurde in entsprechenden Körperübungen bewusst durchgeführt und diskutiert. PEPSYS : Ein systemisches Führungskräfteentwicklungsprojekt 163 uvk-lucius.de/ fuehren Im dritten Teil des Workshops wurden die aus den Team-Workshops mitgebrachten Fragestellungen bearbeitet. Dies geschah mit Hilfe der „Galerie-Technik“: Paarweise bearbeiteten und ergänzten die Teilnehmer an Metaplan-Wänden die mitgebrachten Fragestellungen. Anschließend wurden die Ergebnisse in einer „Konsensrunde“ im Plenum besprochen. Das heißt, die Antworten, bei denen im Team Uneinigkeit bestand, wurden diskutiert und gegebenenfalls umformuliert. Die Intention war, die Uneinigkeiten aufzuzeigen und diese in der Teamexpedition teamindividuell zu klären sowie sie anhand der Logbücher in einer führungskräfteinternen Runde aufzuarbeiten. Zum Abschluss des Workshops entwickelte jeder Teilnehmer einen persönlichen Leitsatz zum Thema „Umgang mit Veränderungen“ (Covey, 1992) und las diesen im Plenum vor. Die Führungskräfte wurden gebeten, ihren Leitsatz in der Teamexpedition dem eigenen Team vorzustellen und hier zu diskutieren. Die Team-Workshops „Forschungsergebnisse zurück ins Team tragen“: Führungskräfte berichten Die von den Teilnehmern bearbeiteten Fragen wurden von den Metaplan-Wänden abgeschrieben und in einer PowerPoint-Präsentation aufgearbeitet. Die Präsentationen hatten starken „Arbeitscharakter“. Das bedeutet, dass darauf geachtet wurde, möglichst wenig von der authentischen Darstellungsform abzuweichen und dafür zu sorgen, dass keine Inhalte verloren gingen. Für alle neun Workshops wurde somit ein „Logbuch“ erstellt, welches von den Führungskräften, insbesondere hinsichtlich der Beantwortung der eigenen Teamfragen, im Team präsentiert und diskutiert wurde. In einem Überblick wurden damit die ersten Forschungsergebnisse zurück ins Team getragen („Führungskräfte berichten“) und bilden nun die Basis für weitere themenspezifische Forschungen im Team. Das Team entscheidet dann, welche Teilaspekte und Fragestellungen in der Teamexpedition weiter vertieft werden sollten, wann die Teamexpedition stattfinden soll und ob, welche und wann „Themenbotschafter“ (siehe unten) ins Team eingeladen werden sollen. Die Team-Workshops „Forschungsergebnisse zurück ins Team tragen“ dauern ca. zwei Stunden. Themenbotschafter einladen Damit die Teams sich auch über die jeweils anderen beiden Themen, die nicht von ihnen zur Vertiefung ausgewählt worden waren, informieren konnten, wurden sogenannte „Botschafter-Präsentationen“ bereitgestellt. Jedes Team konnte eine Führungskraft eines anderen Teams, die bei einem anderen Themen-Workshop mitgearbeitet hatte, zu sich einladen und sie bitten, über diesen Workshop zu berichten. Jede Führungskraft die mochte, konnte „Themenbotschafter“ sein. Hierfür wurden bewusst keine Führungskräfte definiert, damit die Teams die Führungskräfte, die sie kennen und akzeptieren, selbst ansprechen konnten. Gleichzeitig wurde hiermit die Akzeptanz für die Inhalte erhöht. Auch ist dieser Teil des Workshops nicht als „Pflicht“ definiert, sondern zielt darauf, die Selbststeuerungskräfte (und die Neugierde) der Beteiligten anzuregen. Dies gelang sehr erfolgreich. Die Teamexpeditionen Abschließend erforschten die Teammitglieder gemeinsam mit ihrer jeweiligen Führungskraft in einem eintägigen Workshop die Themen-Landschaften weiter. Die jeweiligen Workshop-Inhalte waren teilweise identisch mit den Inhalten der Führungskräfte- 164 Anna Dollinger uvk-lucius.de/ fuehren Workshops, teilweise aber auch verkürzt und modifiziert. Dies wurde durch das jeweilige Team selbst und die spezifischen Fragestellungen des Teams bestimmt. Die eigene Führungskraft war Workshop-Leiter und führte das Team durch die „Themen- Landschaft“. Auch war Zielsetzung, den Informations- und Erfahrungsaustausch unter den Teammitgliedern zu fördern, ihre Fähigkeiten zur Initiierung von Verbesserungsprozessen, Strukturveränderungen und zur Optimierung des Ressourceneinsatzes zu entwickeln und die Selbstorganisations- und Steuerungsfähigkeiten zu stärken. Wir sind sicher, dass so auch die Selbstwirksamkeit bei allen Beteiligten positiv erlebt wurde. Zur Durchführung wurden den Führungskräften sowohl Präsentationscharts, zum Beispiel mit den Informations-Inputs zu den neuen Techniken, als auch ein ausführlicher Workshop-Leitfaden („Train the Trainer“) zur Verfügung gestellt. Fazit und Ausblick Die Resonanz (Feedbackbogen) auf das Projekt war positiv bis sehr positiv. Die Teilnehmer (also Mitarbeiter und Führungskräfte) betonten im Feedback stets, dass sie aus den Modulen viele neue Impulse für ihre tägliche Arbeit mitnehmen konnten, und neue Einsichten sowie neues „Werkzeug“ hatten gewinnen können. Die Impulse und Ideen zum Thema Veränderungen und Selbstführung wurden als höchst zufriedenstellend, die zum Thema Ressourcenmanagement als mittel zufriedenstellend wahrgenommen. Die Aikido-Übungen wurden zu ca. 65% von den Teilnehmern als dem Themenbereich und der Erkenntnis sehr förderlich für ihre Transfer-Arbeit betrachtet, etwa 5% konnten den Aikido-Übungen keine Impulse für die Themen abgewinnen und fanden keinen Gefallen an diesen. Die übrigen Teilnehmer bewerteten die Aikido-Übungen als förderlich. Der Bereichsleiter war bezüglich der aus seiner Sicht wahrgenommenen Veränderungsbereitschaft seiner Mannschaft sehr zufrieden. In der Führungsarbeit wurde dies zum Beispiel erkennbar anhand der deutlich erhöhten Sinnstiftung durch die Führungskräfte: wenn sie Veränderungen initiierten, wurde dies mit der Veränderungsformel und entsprechenden Sprungbrett-Reden hinterlegt, der wesentlich stärkeren partizipativen Ausrichtung bei Vorgehensweisen der Führungskräfte: Beispielaussage „nicht jeder muss bei uns überall persönlich mitdiskutieren, aber es gibt Foren und Blogs zu speziellen Themen, die wir bzw. ich sehr ernst nehme“ und einer deutlich positiveren Haltung der Führungskräfte gegenüber Veränderungen. Letzteres wirkte sich aus unserer Sicht wiederum spürbar auf die Haltung der Mitarbeiter gegenüber Veränderungen aus, die auch von der Bereichsleitung als wesentlich offener und konstruktiver als vor dem Projekt bewertet wurde. Die Mitarbeiterbefragung für den Bereich ergab eine (im Vergleich zu den Vorjahren) deutlich gesteigerte Mitarbeiterzufriedenheit. Dies betraf insbesondere konkrete Aussagen hinsichtlich der Führungsarbeit des direkten Vorgesetzten. Andererseits zeigte sich dies auch in der sinkenden (internen) Fluktuationsrate und der wachsenden Zahl an internen Bewerbungen in Richtung des Service-Bereichs. PEPSYS : Ein systemisches Führungskräfteentwicklungsprojekt 165 Als eine Bestärkung unserer Arbeit sowie insbesondere der gewählten Vorgehensweisen erleben wir die derzeitigen Diskussion um das Thema Leadership (R-)Evolution (vgl. ManagerSeminare 2014; Hamel, 2011; OrganisationsEntwicklung, 2015 sowie diverse Kongresse im Jahr 2015 wie zum Beispiel „Führungsautorität“ in Heidelberg). Es wird deutlich, dass wir an den Themen „Führen auf Augenhöhe“, Mitwirkung, Sinnstiftung und Rollenflexibilität der Führungskräfte in der Arbeitswelt 4.0 entsprechen müssen, wenn wir das Engagement und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden erhalten wollen. Anforderungen, denen wir aus unserer Sicht mit dem Vorgehen im Projekt PEPSYS entsprechen. Literatur Berner, W. (2002): Zur Psychologie der Fusion: Post-Merger-Integration als angewandte Sozial- und Massenpsychologie, Wirtschaftspsychologie 3/ 2002. Blessin, B. & Wick, A. (2014): Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK. Covey, S. (1992): Die sieben Wege zur Effektivität. Campus Verlag GmbH, Frankfurt/ Main. Dollinger, A., Müller-Kalthoff, B. & Schmidt, G. (2009): Gut beraten in der Krise: Konzepte und Werkzeuge für ganz alltägliche Ausnahmesituationen. Bonn: managerSeminare Verlags GmbH. Dollinger, A. (2011): Veränderungskompetenz ausbauen [CD-ROM]. Bonn: managerSeminare Verlags GmbH. Dollinger, A. (2014): Change-Trainings erfolgreich leiten: Bonn: managerSeminare Verlags GmbH. Doppler, K. & Lauterburg, C. (2002): Change Management - Den Unternehmenswandel gestalten. Frankfurt am Main: Campus Verlag GmbH. Hamel, G. (2011): First, let’s fire all the managers. Harvard Business Review, 12/ 2011. ManagerSeminare (2014) Nr. 195; Juni 2014. OrganisationsEntwicklung (2015) Führen ohne Macht, Nr. 1, 2015; 34. Jg. Rehnmann, K. & Härnwall, E. (1991): The Process of Change, Attitudes to change within an organisation, Trygg Hansa SPP, Vortragsmanuskript. Senge, P. M. & Kleiner & Smith, B. (Hrsg.) (1994): Das Fieldbook zur ‚Fünften Disziplin‘. Stuttgart: Klett-Cotta. Schmidt, G. (2004): Liebesaffairen zwischen Problem und Lösung. Heidelberg: Carl-Auer. Wimmer, R.(2007): Führung und Zusammenarbeit. Eine unternehmerische Führungslehre. Köln: Luchterhand. 166 Anna Dollinger Autor-Kurzprofil Dipl.-Psych. Anna Dollinger arbeitet seit 20 Jahren selbstständig in den Bereichen Führungskräfteentwicklung, Teamentwicklung, Veränderungsmanagement und Coaching. Mit ihrem Beratungs- und Trainingsinstitut noesis gewann sie verschiedene Awards, unter anderem zwei Mal den MUWIT-Award und den BDVT-Trainingspreis in Gold. Lösungsorientierte Beratungsansätze und systemische Konzepte bilden ihren fachlichen Hintergrund. Als Partner im Bereich der Mitarbeiter-, Team- und Organisationsentwicklung begleitet sie Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen von der Automobilindustrie bis zum Life-Style-Konzern. uvk-lucius.de/ fuehren Kapitel 6 Führung wirkt „Es würde eine Vergeudung von Ressourcen bedeuten, Führungskräfte für Aufgaben einzusetzen, die genauso gut und billiger von anderen erfüllt werden können. Führung ist deshalb auf Aufgaben oder Probleme spezialisiert, die schlecht strukturiert (komplex und kompliziert, mehrdeutig, widersprüchlich, instabil) und zeitkritisch sind. Weil solche Aufgaben oftmals nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand zu routinisieren sind, lohnt sich der Einsatz (interaktionaler) Führung. Allerdings setzt das auf Seiten der Führenden voraus, dass sie über die für solche Aufgaben erforderlichen Qualifikationen verfügen und dass sie die Werte und Ziele des Systems oder der Auftraggeber verinnerlicht haben und loyal verfolgen.“ „Grundvoraussetzungen dafür, dass Führung (durch Vorgesetzte) überhaupt erfolgreich sein kann - allgemeiner formuliert: dass sie überhaupt erfolgt - sind: [1] die Anerkenntnis, dass es Führung gibt (und auch geben sollte) und dass die vorgesetzte Person diejenige sein soll, die führt: … Dabei geht es um die Zuschreibung von Führungskraft auf die Führungsperson. Es handelt sich einerseits um das, weswegen eine vorgesetzte Person geeignet sein sollte, zu führen: also Merkmale der Führungskraft, traditionell als Eigenschaften oder Führungsqualitäten, aktuell als Führungskompetenzen konzipiert. … [2] die Gewissheit, dass das, was sich leichthin als Führung bezeichnen lässt, nachhaltig Einstellungen, Interpretationen und Handeln derer, die geführt werden, beeinflussen lässt: Hierbei stellt sich die Überlegung, wie - durch welche Art der Tätigkeit - Führende Geführte führen oder genauer: wie sie den Geführten Führung vermitteln. Dabei hat sich (eine recht weite Auffassung von) Kommunikation als ein so zentraler Faktor herausgestellt, dass er in praktisch keiner ernstzunehmenden Definition von Führung fehlt. … So muss schwerpunktmäßig Kommunikation die Beeinflussung der Geführten bewerkstelligen.“ „Führen und führen lassen“ (S. 229 bzw. S. 250f.) Also sind die Deutung dessen, was Führung eigentlich ist, wer diese ausüben darf und warum zentrale Aspekte einerseits dafür, dass Mitarbeiter sich führen lassen, durch wen und wie und andererseits, dass, in welchem Maße und wofür Führungserfolg erkannt und gewürdigt werden. Das geht weit über eine abstrakte Amtseinsetzung hinaus und fokussiert auf die Wahrnehmung von Führung und Führungsverhalten durch verschiedene Anspruchsgruppen. Allerdings sehen diese auch eine persönliche Grundlage in den Führungspersonen - sei sie ererbt, erlernt oder sonstwie erworben. Unsere Fallbeispiele zielen auf einen Perspektivwandel von einer traditionellen auf eine konstruktivistische Sichtweise auf Führung, auf die Zuschreibung und Modellierung von Führungskompetenzen und auf das unmittelbarste und mächtigste Führungsmittel - die zielgerichtete Kommunikation und ihre Gestaltung. Anna-Maria Fritsch fokussiert auf zwei besonders kritische Phasen für die Führung und den Führungserfolgs in Familienunternehmen: einerseits dem Übergang eher traditionell-handwerklicher Organisation zum modernen mittelständischen Unternehmen und 168 Kapitel 6: Führung wirkt uvk-lucius.de/ fuehren andererseits dem der Unternehmensleitung von der aktuellen auf die nächste Generation. Das wurde u.a. mittels interimistischer Übernahme der Geschäftsführung durch einen angestellten Manager bei gleichzeitiger Restrukturierung der Organisation vollzogen. Die Restrukturierung des noch traditionell aufgestellten Unternehmens wurde unter umfassender Transparenz für Führungskräfte und Mitarbeiter gestaltet und gedieh zunächst planmäßig. Der Restrukturierungsprozess blieb dann aber vorübergehend stecken. Das wurde z.T. darauf zurückgeführt, dass die Anforderungen gerade an die mittleren Führungskräfte sich stark verändern sollten: Das was die Basis der Führung darstellt und wodurch sie wirkt, wurde durch die Restrukturierung ganz anders modelliert. Der Wandel erfolgte vom verdienten technischen Experten, der in eine Führungsposition aufgestiegen ist, hin zur modernen Führungskraft mit im Kern kommunikativen und organisatorischen Aufgaben. Es wurde also ein traditionelles „realistisches“ Bild erfolgreicher Führung, durch in technischer Expertise und operativer Erfahrung Überlegene, transformiert in ein konstruktivistisches Bild von Führung. Gute und erfolgreiche Führung sollte nun weniger auf eine allzu konkret verstandene Führung durch harte strukturierende, fachliche Anweisungen fokussieren, sondern mehr auf weichen Faktoren aufbauen, die die Mitarbeiter in die Lage versetzen, motiviert und zielorientiert zu arbeiten. Einige der bisherigen Führungskräfte konnten oder wollten diese Veränderung nicht mitgehen, andere wurden in Führungskräfteentwicklungsmaßnahmen überzeugt und gefördert. Dazu wurden neue Führungskräfte von extern gewonnen. Kinga Janisch zeigt auf, wie ein Unternehmen eine andere Sicht auf Führung einnehmen und glaubhaft machen kann. In Anerkenntnis der hohen Aufmerksamkeit, die regelmäßig auf den Personen in Führungspositionen liegt, wird dabei der gedankliche Kurzschluss vermieden, dass diese quasi allein, nur in der möglichst exakt angewiesenen Umsetzung von Mitarbeitern unterstützt, das Unternehmen betreiben. Als Personen im Fokus der Aufmerksamkeit kommt Führungskräften die Möglichkeit zu, Einfluss zu nehmen - aber Einfluss durch Planung, Anweisung, Kontrolle und Feedback allein, wird zu suboptimalen Ergebnissen führen. Einerseits der vergeudeten Ideen und Kompetenzen der Mitarbeiter wegen, andererseits deshalb, weil dieser zwingende Einfluss sich bei Menschen mit eigenen Vorstellungen nicht durchsetzen lässt und deshalb mit Widerständen, Opportunismus und verstärkter Eigeninteresseorientierung zu rechnen ist. Folgerichtig liegt der Fokus in dem Beitrag darauf, traditionelle Führungsvorstellungen zu überwinden zugunsten eines Führungsansatzes, der vielmehr auf die Kompetenzen, Motivationen und Möglichkeiten der operativ Arbeitenden setzt. Transparenz durch entsprechende Kommunikation zählt dabei als Qualitätsmerkmal von Führung mehr als forsche, verknappte Anweisungen, deren Bedeutung häufig nicht verstanden wird oder die Mitarbeiter unter Erfüllungszwang setzt, statt sie zu besten Leistungen anzustiften und zu unterstützen. Die Erkenntnis, dass das „machbar“ sich nicht auf das Wirken der Führungskräfte bezieht, sondern auf das aller Beteiligten, ist dabei als besonderer Gewinn hervorzuheben. Michael Prochaska fokussiert in seinem Fallbeispiel auf die zugrundeliegenden Ideen eines angestrebten unternehmensspezifischen Kompetenzprofils und seine Entwicklung. Eine breit zusammengesetzte Arbeitsgruppe entwickelte aus den im Unternehmen vorliegenden Vorstellungen und aus anderen Unternehmen bekannten Modellen ein allgemeines Kompetenzmodell für die Mitglieder des Unternehmens. Dieses erhielt für unterschiedliche Tätigkeitsbereiche und hierarchische Rollen - so auch für Führungskräfte - spezifische Ausformulierungen in Form von idealtypischen Verhaltensankern. Insofern wurde ein allgemeingültiges Kompetenzmodell, das allen bekannt war Kapitel 6: Führung wirkt 169 uvk-lucius.de/ fuehren und somit zur Grundlage unterschiedlichster Interventionen werden konnte entwickelt, das dabei trotzdem die Spezifität unterschiedlicher Aufgaben und Rollen berücksichtigen sollte. Es werden Erfolgsfaktoren für die Entwicklung und erfolgskritische Umsetzung eines Kompetenzmodells geschildert. Es wird darauf eingegangen, warum das Modell pragmatisch und nicht wissenschaftlich erarbeitet wurde, was schlaglichtartig das Feld häufig wahrgenommener Unvereinbarkeiten zwischen wissenschaftlichen Konzepten und praktischen Interventionen beleuchtet. Danach wird skizziert, in welche Verhaltens- und Organisationsbereiche das Kompetenzmodell integriert werden soll - und bei entsprechender Nutzung auch Wirkung entfalten kann. Die Auswahl und Entwicklung der Führungskräfte und Mitarbeiter entsprechend des Kompetenzmodells und eine Evaluation der sich daraus ergebenden konkreten Vorteile hinsichtlich des Führungserfolgs können wegen der Aktualität des Prozesses noch nicht berichtet werden, aber klar ist, dass ein solches gemeinsames Kompetenzmodell für Führungskräfte und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, diesen auf jeden Fall die Möglichkeit gibt, Führung - insbesondere „gute“ Führung - auf der Basis des Modells für sich und ihre Vorgesetzten eindeutig (an) zu erkennen. Die Suche nach kompetenten Führungspersonen beschäftigt jedes Unternehmen. Auch stellt sich für jedes Unternehmen die Frage, ob sich die gewünschten Führungskompetenzen bei den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern finden lassen oder ob diese extern rekrutiert werden müssen. Oliver Grafeneder und Frank Edelkraut beschreiben in ihrem Praxisbeispiel ein reflexives Herangehen an diese grundlegende Herausforderung. Da es in der Unternehmensgruppe unterschiedliche Führungsverständnisse gab, lag der erste Fokus auf der Erarbeitung eines gemeinsamen Kompetenzmodells der Führung. Die Autoren stellen die Handlungskompetenz ins Zentrum und orientieren sich dabei an einem renommierten Kompetenzmodell. Sie thematisieren ferner Möglichkeiten, Grenzen und Risiken dieses Weges für das Unternehmen und schildern ausführlich das Entwicklungsprogramm und dessen Umsetzung in die Unternehmenspraxis. Ein Beispiel aus dem kommunikativ besonders herausfordernden interkulturellen Setting beschreibt Matthias Pawlowski. In der Konstellation einer internationalen Unternehmensübernahme beschreibt er einen scheinbar flüssigen Übergang, der nach einiger Zeit zum großen Knall führt. Das wird unter Bezug auf unterschiedliche Rollenkonzepte zur Führung und Kriterien zum Führungserfolg in deutscher und USamerikanischer (Führungs-)Sozialisation erklärt. Besonders fokussiert wird auf unterschiedliche Bewertungen dessen, was kommunikativ expliziert wird und was nicht - also ein potenzielles Transparenzproblem in der Kommunikation. Das deutsche Kommunikationsmuster erscheint direkter und offener, damit aber auch stärker an Transparenz orientiert als das aus der Zentrale kommende, das zunächst wenig explizit erscheint, keine Kriterien, Bedingungen und konkrete Ziele kommuniziert, dann aber am Ende undurchschaubar und hart Anweisungen zur Durchführung weitergibt, ohne Erklärungsansätze zu liefern, die in Deutschland als legitim wahrgenommen würden. Dabei trifft eine sehr enge Vorstellung von Führungserfolg als Steigerung von Verkaufszahlen und Kostenreduktion auf der einen Seite auf umfassende Qualitäts-, Leistungs-, Entwicklungs- und Verantwortungskonzepte auf der anderen Seite. Lösungsansätze unter Rückgriff auf das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun und interkulturell sensible Kompetenzentwicklung werden beschrieben. Für das Fallbeispiel zeigte sich eine Lösung, die angesichts der hierarchischen Verhältnisse nahe lag, wenn auch nicht das Optimum darstellt: Die deutsche Unternehmensführung richtet sich an den Kommunikationsstandards des CEO aus, um nach dessen Kriterien bessere Erfolge zu erzielen. uvk-lucius.de/ fuehren 6.1 Wandel der Basis von Führungserfolg in einem Nachfolge- und Veränderungsprozess von Anna-Maria Fritsch Die Firma FRITSCH GmbH ist ein mittelständisches, international agierendes Unternehmen des Sondermaschinenbaus. Mit rund 600 Mitarbeitern fertigt FRITSCH in Deutschland qualitativ hochwertige Maschinen und komplette Produktionslinien zur Herstellung von Premium-Backwaren sowohl für Handwerksbäcker als auch für Industriebetriebe und vertreibt diese weltweit. Durch seine ausgeprägte technologische Kompetenz hat sich das Unternehmen in vielen Produktbereichen eine führende Marktposition erarbeitet. Mit einem Umsatz von 100 Mio. Euro fertigt FRITSCH zu einem hohen Anteil kundenspezifische Sonderlösungen. Der Anteil des Projektgeschäftes ist mit 80% dominierend. Ausgangssituation Das 1926 gegründete Unternehmen befindet sich aktuell im Besitz der 3. Familiengeneration und ist in den letzten Jahren organisch stark gewachsen. Wie häufig im Mittelstand, wurden die Strukturen, Prozesse und Führungskultur nicht in gleichem Maße an das überproportionale Wachstum angepasst. Somit stand eine nach wie vor handwerklich geprägte Organisation von mittelständischer Größe vor der Herausforderung, immer komplexer werdende Projekte für oftmals bereits stark industrialisierte und professionell agierende Kunden abzuwickeln. Sonderabschreibungen führten dazu, dass FRITSCH für das Geschäftsjahr 2012 erstmals einen Verlust ausweisen musste. Diese Verlustsituation und strukturelle Defizite forderten die Eigentümerfamilie zu konsequentem Handeln auf. In dieser Situation trat Anfang 2013 die älteste Tochter des Firmeninhabers, Anna-Maria Fritsch, in das Familienunternehmen ein. Mit ihr übernahm nun auch in der 4. Generation ein Familienmitglied Verantwortung für das Geschäft. Gemeinsam erkannte die Familie die Notwendigkeit der Transformation der Unternehmensstrukturen und Prozesse, um wieder langfristig erfolgreich im Markt agieren zu können. Ziel war es dabei, FRITSCH in ein modernes und professionelles Mittelstandsunternehmen mit den Werten und Stärken eines Familienunternehmens zu transformieren. Auf dieser Basis soll in den nächsten Jahren der begonnene Generationswechsel erfolgreich weitergeführt werden. Zur Umsetzung dieser Vision entschied sich die Eigentümerfamilie grundsätzlich zur Etablierung einer externen Geschäftsführung, welche die notwendigen Veränderungen bewirken und gleichzeitig den wichtigen „Blick von außen“ einbringen soll. Darüber hinaus soll sie die 4. Generation bei ihrer Entwicklung im Nachfolgeprozess begleiten. Erstmals in der Firmengeschichte wurde somit Mitte 2013 ein externer Geschäftsführer, zunächst in Form eines Interim Managements, eingestellt. Die entscheidenden Auswahlkriterien waren: nachweisliche Erfolge in Veränderungsprozessen ein technisch-betriebswirtschaftlicher Ausbildungshintergrund mit tiefgehenden Erfahrungen im Projektgeschäft die Affinität zu Familienunternehmen Wandel der Basis von Führungserfolg in einem Nachfolge- und Veränderungsprozess 171 uvk-lucius.de/ fuehren In diesem Zuge wechselt die 3. Familiengeneration von der Geschäftsführung in den Aufsichtsrat. Als operatives Bindeglied zwischen dem Fremdgeschäftsführer und der Eigentümerfamilie übernahm Anna-Maria Fritsch die Verantwortlichkeit für die Koordination der Restrukturierung. Eine Unternehmensnachfolge an sich stellt oft bereits eine große Herausforderung für ein Unternehmen dar, da die Eltern- und Kindergeneration differierende Führungsstile, Herangehensweisen und Einstellungen haben können. Auch eine Restrukturierung bringt große Herausforderungen an die Führungskultur in einem Unternehmen mit sich. Zum einen müssen Veränderungen vollzogen und mitgetragen werden. Zum anderen liegen zusätzliche Belastungen vor, die nur getragen werden können, wenn eine entsprechende Motivation und das notwendige Vertrauen vorliegen. Beide Situationen zusammen bilden ein komplexes Konstrukt, das vielschichtig ineinander greift. Aus diesem Grund werden die Herausforderungen hinsichtlich der Führungsnotwendigkeit und -wirkung in der Nachfolgesituation voneinander getrennt betrachtet. Führungsnotwendigkeit und -wirkung in der Restrukturierung Übersicht über die Restrukturierungsfelder Mit der Einstellung des Interim Managers wurden die, von der Familie und den Bereichsleitern der Firma FRITSCH im Vorfeld identifizierten Handlungsfelder plausibilisiert, ergänzt und systematisiert, bis ein umfassendes Restrukturierungsprogramm mit Maßnahmen unterschiedlicher Wertigkeit aufgesetzt war. Wie in der folgenden Grafik dargestellt, wurden die Maßnahmen fünf Kategorien zugeordnet - Strategie, Prozess, Organisation, Finanzen, Produkt. Restrukturierungsfelder nach Themenblöcken Anhand der Anzahl der definierten Maßnahmen innerhalb der einzelnen Kategorien wird der Fokus der Restrukturierung aufgezeigt, der eindeutig im Bereich der Prozesse, Organisation und Finanzen lag. Gemessen an dem Auftragseingang und der geringen Anzahl verlorener Projekte sowie dem Feedback von Kunden hatte FRITSCH produkt- und marktseitig nach wie vor eine sehr gute Position. Deshalb wurden weniger Maßnahmen in den Bereichen Produkt und Strategie aufgesetzt. 172 Anna-Maria Fritsch uvk-lucius.de/ fuehren Die Phasen einer Restrukturierung (eigene Darstellung in Anlehnung an Faulhaber & Grabow, 2009, S. 20) Wandel der Basis von Führungserfolg in einem Nachfolge- und Veränderungsprozess 173 uvk-lucius.de/ fuehren Jede Maßnahme wurde priorisiert, ein Projektleiter und ein Projektteam festgelegt, Abarbeitungszeiträume mit hinterlegten Meilensteinen definiert und ein Projektsteckbrief mit Zielen, Maßnahmen und einem Fortschrittsbericht entwickelt, der monatlich aktualisiert wurde. Führungsnotwendigkeit in der Restrukturierung Wie von Blessin & Wick beschrieben, sollte Führung auf spezifische Rahmenbedingungen und Führungskontexte so abgestimmt sein, dass diese effektiv und zielgerichtet erfolgen kann (vgl. , 2014: 251). In einer Restrukturierung, die nach Faulhaber & Grabow (2009) grundsätzlich in vier Phasen unterteilt werden kann, werden besondere Ansprüche an die Führungskompetenz gestellt, um die zur Umsetzung einer Veränderung notwendige Motivation zu erzeugen. Dieser Zusammenhang wird in der vorstehenden Grafik verdeutlicht. Pha se 1: Ana lysepha se Die Entscheidung der Eigentümerfamilie einen externen Manager mit der Umsetzung der Restrukturierung zu betrauen, war ein zentraler Erfolgsfaktor des Veränderungsprozesses. Für den Inhaber von FRITSCH, der stark mit den Mitarbeitern und der Region verwurzelt ist, wäre es schwierig geworden, seinen durch eine hohe soziale und emotionale Kompetenz geprägten Führungsstil, auf die teilweise auch mit personellem Abbau verbundenen Anforderungen der Restrukturierung anzupassen. Dennoch stellte diese Entscheidung eine große Herausforderung dar, da zum einen ein Manager gefunden werden musste, der strukturiert und umsetzungsstark professionelle Strukturen schaffen kann und dabei gleichzeitig die positiven Werte eines Familienunternehmens erhält. Ein rein rational geprägter „Controller“ hätte in der vertrauensgeprägten Unternehmenskultur schwieriger Anschluss und Rückhalt gefunden. Zum anderen mussten sich die Mitarbeiter und der Markt daran gewöhnen, dass erstmalig in der Firmengeschichte eine externe Führung mit der Ankündigung von strukturellen und organisatorischen Veränderungen installiert wird. FRITSCH agiert in einem klassischen Oligopol in einer kleinen Branche, wo die Marktteilnehmer gut miteinander vernetzt sind. Die beschriebene Veränderung führte zu vielen Gerüchten im Markt, ob und wie es bei FRITSCH weitergeht. Dies war für die Inhaberfamilie und vor allem für den Eigentümer eine schwierige und ernsthafte Situation, da er sich bei vielen Kunden und anderen Stakeholdern persönlich hinsichtlich der Gerüchte rechtfertigen musste. Auch wenn sich diese Unsicherheiten im Markt nach den ersten Monaten zunehmend legten, kamen in der ganzen Restrukturierung immer wieder Gerüchte über einen Verkauf des Unternehmens auf, obwohl diese durch die Eigentümerfamilie plausibel widerlegt wurden. Dazu wurden proaktiv Artikel in den relevanten Fachzeitschriften und Interviews zu den geplanten Veränderungen veröffentlicht. Eine weitere Herausforderung war die Schaffung des Verständnisses bei den Mitarbeitern über die Notwendigkeit deutlicher Veränderungen ohne eine Abwanderung von Fachkräften herbeizuführen. Nachdem FRITSCH selbst die Weltwirtschaftskrise in 2008/ 2009 ohne größere Einschnitte überstanden hatte, existierte ein großes Vertrauen in die Führung sowie eine enge Verbindung zu dem Unternehmen. Somit gingen viele Mitarbeiter in eine „Abwartungshaltung“, aber wanderten nicht ab. 174 Anna-Maria Fritsch uvk-lucius.de/ fuehren Um die internen Unsicherheiten und Gerüchte möglichst gering zu halten, wurden die Änderungen in einer Betriebsversammlung offen kommuniziert. In diesem Zuge wurde den Mitarbeitern versprochen, in regelmäßigen Abständen transparent über die Restrukturierung zu berichten. Das gemeinsame Auftreten des Inhabers und des Interim Managers war ein symbolischer Akt, der öffentlich ausgesprochenes Vertrauen signalisierte (vgl. Blessin & Wick, 2014: 258f.). Dies führte bei vielen Leistungsträgern des Unternehmens, die seit einiger Zeit den Veränderungsbedarf im Unternehmen sahen, zu einer positiven Grundstimmung. Pha se 2: Beg inn der Restrukturierung Zu Beginn der Restrukturierung wurde umfassende Transparenz über die finanzielle Situation des Unternehmens geschaffen. Daraus ergab sich, dass mit der Umsetzung weniger Maßnahmen, wie z.B. einem konsequenten Forderungsmanagement und einer strikten Kostenkontrolle, eine Verbesserung des Cash Flows und der Liquidität erzielt werden konnten. Somit war kein zusätzlicher Finanzierungsbedarf erforderlich. Gleichzeitig wurden die oben aufgeführten Maßnahmen definiert und in eine Finanzplanung für die nächsten zwei Geschäftsjahre überführt. Die 1. Führungsebene in Form der Bereichsleiter sowie die Projektleiter wurden in die Planung eingebunden und über die Zielsetzungen entsprechend informiert. Maßgeblich wurde hierbei auf die Gewinnung von Multiplikatoren gezielt, um die Mitarbeiter für die Veränderungen zu begeistern. Hier wurden Führungsdefizite im Unternehmen ersichtlich. Auch auf der Leitungsebene gab es teilweise Widerstand gegen die geplanten Veränderungen. Da einige Versuche, die Bereichsleiter mit ins Boot zu holen nicht gelangen, wurden teilweise Trennungsvereinbarungen geschlossen. Dies war wichtig, da Führungskräfte als Meinungsbildner die Motivation und die Mitwirkung der Mitarbeiter wesentlich beeinflussen. Als Konsequenz folgte ein zeitaufwendiger Recruiting-Prozess, der das Unternehmen die ersten 1,5 Jahre der Restrukturierung begleitete. Eingegrenzt wurde das Problem durch die Erhöhung der Direct Reports des Geschäftsführers und die Übertragung von Projektverantwortungen auf einige Abteilungsleiter, denen die notwendige Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz zugeschrieben wurde (vgl. Blessin & Wick, 2014: 260). Wie Neilson & Wulf aufführen, ist eine Anzahl von mehr als zehn Direct Reports auf der obersten Führungsebene als kritisch anzusehen (vgl. Neilson & Wulf, 2012: 112). Zur Entlastung der Geschäftsführung wurde ein Project Management Office geschaffen, das von Anna-Maria Fritsch geführt wurde. Anders wäre die Steuerung einer derartig großen Anzahl an Projekten, in Anbetracht der sich verändernden und damit fragilen Führungsstruktur, kaum möglich gewesen. Neben dem Aufbau der grundlegenden Organisationsstruktur für den Transformationsprozess war der Aufbau von Vertrauen in der Belegschaft in die Sinnhaftigkeit der Veränderungen von essentieller Bedeutung (vgl. Blessin & Wick, 2014: 258f.). In einer erneuten Betriebsversammlung wurden den Mitarbeitern die aufgesetzten Maßnahmen und Handlungsfelder vorgestellt. Dabei wurde vor allem auf drei Punkte geachtet. [1] Verständlichkeit der Problematik und Zielsetzung: FRITSCH hat einen hohen Anteil Facharbeiter, die keine alltäglichen Berührungspunkte mit finanziellen Begrifflichkeiten haben, d.h. selbst einfache Finanzkennzahlen wie EBIT sind für viele nicht greifbar. Die Inhalte wurden somit sprachlich bewusst vereinfacht sowie ohne Anglizismen und Fremdwörter kommuniziert. Des Weiteren wurden die Hand- Wandel der Basis von Führungserfolg in einem Nachfolge- und Veränderungsprozess 175 uvk-lucius.de/ fuehren lungsfelder, wie beispielsweise die Notwendigkeit der Reduktion von Kosten und Durchlaufzeiten, bildlich verdeutlicht. Folie aus einer Mitarbeiterversammlung Somit wurde die Kommunikation auf die jeweilige Zielgruppe ausgerichtet (vgl. Blessin & Wick, 2014: 264). [2] Klare Kommunikation der Erwartungshaltung: Gemäß dem Grundsatz „es ist nur möglich sich zu verändern, wenn klar ist, was erwartet wird“ wurde den Mitarbeitern klar kommuniziert, dass im nächsten Jahr eine zusätzliche Belastung auf sie zukommen wird und die Erwartungshaltung besteht, dass sie ihre eigene Arbeitsweise hinsichtlich ihrer Effektivität und Effizienz kritisch hinterfragen. Es wurde zudem aufgezeigt, dass die Projekte nur durch die Kooperation und Mithilfe der Mitarbeiter umgesetzt werden können. [3] Einsatz von Metaphern: Zur Verdeutlichung der Inhalte setzte der Interim Manager zusätzlich Metaphern ein (vgl. Blessin & Wick, 2014: 256f.), wie z.B. zur Untermauerung der Wichtigkeit von Teamarbeit: „Eine Fußballmannschaft, die nur erstklassige Spieler hat, muss nicht zwingendermaßen gewinnen. Wenn jeder dabei nur für sich spielt und versucht alleine die meisten Tore zu schießen, kann sie von einer mittelmäßigen Mannschaft, die zusammen als Team spielt, geschlagen werden.“ Damit wurde den Führungskräften und Mitarbeitern aufgezeigt, dass das vorherrschende Abteilungsdenken aufgebrochen und zu einem „wir sind eine Firma“- Denken umgewandelt werden muss. Insgesamt war es in dieser Phase wichtig, die Bereitschaft für Veränderungen bei einer kritischen Anzahl von Mitarbeitern zu erzeugen und sie für die gemeinsame Umsetzung zu begeistern. Dies wurde vor allem dadurch erreicht, dass das Grundbedürfnis des Erhaltens des eigenen Arbeitsplatzes in den Köpfen einiger Mitarbeiter mit dem 176 Anna-Maria Fritsch uvk-lucius.de/ fuehren Überleben des Unternehmens gekoppelt werden konnte (vgl. Blessin & Wick, 2014: 265). Pha se 3: Um setzung der Restrukturierung Die Umsetzung der Restrukturierungsmaßnahmen wurde in den ersten Monaten planmäßig erfüllt. Die notwendigen prozessualen und organisatorischen Veränderungen wurden eingeleitet und im Rahmen der kapazitativen Möglichkeiten umgesetzt. In dieser Phase war eine intensive Führungsarbeit zur Vermittlung von strukturierten Herangehensweisen, wie der Problem- und Ursachenanalyse, der zielorientierten Gestaltung von Meetings und der Ergebnisorientierung erforderlich. Dies führte dazu, dass der Interim Manager viele operative Workshops selbst leitete, um den Mitarbeitern die Methodik aufzuzeigen. Damit wurde eine klassische Personalentwicklungsarbeit, die oft von externen Beratungsunternehmen durchgeführt wird, intern gezielt in Projektarbeiten eingesteuert, um die Fachkompetenz des Unternehmens strukturiert zu systematisieren. Nach den anfänglichen Erfolgen gab es zentrale strukturelle und führungsrelevante Faktoren, die die Umsetzungsgeschwindigkeit der Maßnahmen deutlich verlangsamten. Oftmals tauchten bei der Suche nach der Lösung für ein Problem weitere Probleme auf, die nicht kurzfristig gelöst werden konnten. Viele Probleme resultierten aus den Strukturen und Prozessen innerhalb des vorhandenen integrierten Enterprise-Ressource-Planning-Systems (ERP-Systems), das vor einigen Jahren suboptimal mit vielen Anpassungen an der Standardlösung eingeführt worden war. Des Weiteren war die Notwendigkeit der hohen Führungsintensität nur sehr schwer zu stemmen, da es nicht möglich war, die normalerweise innerhalb mehrerer Jahre durchgeführten Personalentwicklungsmaßnahmen, in dieser kurzen Zeit nachzuholen. Nach wie vor fehlte die kritische Anzahl an Multiplikatoren im mittleren Management, dem hauptsächlich historisch bedingt die besten Fachleute angehörten. Nun wurden grundlegend andere Anforderungen hinsichtlich Führungskompetenzen wie organisatorisches Geschick, Kommunikationsstärke und Ergebnisorientierung an die Führungskräfte gestellt, die nicht alle erfüllen konnten (vgl. Blessin & Wick, 2014: 259ff.). Viele Abteilungsleiter verbrachten viel Zeit in Meetings, die durch eine geringe Effizienz und Effektivität viel Zeit in Anspruch nahmen und nicht genügend Raum für die eigentliche Führungsarbeit ließen. Folglich wurde die Einhaltung der neu definierten Prozesse nicht in dem notwendigen Maß eingefordert. Erschwerend wirkte diese Situation auf die Weitergabe von Inhalten von der obersten Führungsebene zu den einzelnen Mitarbeitern. Viele Inhalte wurden nicht oder nicht richtig in die Organisation transferiert. Dies führte dazu, dass es Monate gab, in denen den Mitarbeitern keine greifbaren Erfolge aufgezeigt werden konnten. Folglich war es in dieser Situation am schwierigsten, die Motivation in der Belegschaft aufrecht zu erhalten. Als Konsequenz wurde bereits in dieser Phase der Restrukturierung der Fokus auf die langfristige Stabilisierung und Entwicklung der Führungsstruktur sowie die gezielte Schaffung von Kapazitäten für die Optimierung der Stammdatenqualität und der ERP- Landschaft gelegt. Wandel der Basis von Führungserfolg in einem Nachfolge- und Veränderungsprozess 177 uvk-lucius.de/ fuehren Dafür wurde ein Entwicklungskonzept für die internen Führungskräfte in Form von Führungskräftetrainings, der Implementierung von Mitarbeitergesprächen u.ä. sowie die gezielte Einstellung externer neuer Führungskräfte vorgenommen, um eine gute Mischung aus Fach- und Führungskompetenz in den nächsten Jahren zu erreichen. Zudem wurde eine neue, für die Stammdatenqualität verantwortliche Abteilung geschaffen und die Implementierung einer neuen ERP-Software mit einer zielgerichteten Projektorganisation beschlossen. Da die beiden Themen stark miteinander vernetzt sind und zudem alle Prozesse des Unternehmens betreffen, wurden viele Kapazitäten in die Erstellung einer unternehmensübergreifenden Ist-Prozess-Analyse und Soll- Prozess-Landschaft investiert. Zudem wurde eine detaillierte Stakeholder-Analyse innerhalb des Unternehmens durchgeführt und die Projektorganisation so aufgebaut, dass alle relevanten und meinungsbildenden Personen integriert wurden. Ein zentraler Faktor war zudem, dass einige zentrale Personen für das ERP-Projekt größtenteils oder komplett von den operativen Tätigkeiten befreit wurden. Dieses Projekt mit dem Titel „Team Prozesse Systeme“ integriert die meisten mittelfristigen strukturellen und prozessualen Problematiken der Firma FRITSCH. Auch hier ist neben der Kompetenz der beteiligten Projektmitarbeiter die Kommunikation innerhalb der Organisation der zentrale Erfolgsfaktor. Dafür wurde ein eigenes Projektportal geschaffen, in dem die Meilensteine, Workshop-Inhalte, Workflows und sonstige relevante Themen abgebildet sind. Parallel dazu gelang es FRITSCH in 2015 die letzten vakanten Positionen in der Bereichsleitungsebene zu besetzen, wodurch die Durchsetzungskraft des Managements zur Umsetzung der notwendigen Maßnahmen nochmals deutlich erhöht wurde. Wichtig ist, dass sich die neuen Führungskräfte als interne Personalentwickler für ihre Abteilungsleiter verstehen und diesen so schneller durch „leading by example“ helfen, ihre Führungsqualitäten weiter auszubauen. Letztendlich gelang es FRITSCH in dieser Situation seine Stärke, die technologische Kompetenz und Qualität der Maschinen, nicht aus den Augen zu verlieren. Parallel zu der Arbeit an den internen Themen wurde an der Verbesserung der Kundenorientierung und maßgeblichen Innovationen im Produktbereich gearbeitet. Dies war nicht nur für die Zufriedenstellung der Kunden und einen hohen Auftragseingang essentiell, sondern auch für die Überzeugung der Mitarbeiter und deren Identifikation mit dem Unternehmen und seinen Produkten. Pha se 4: Sicherstellung der Neua usrichtung Nachdem FRITSCH innerhalb von zwei Jahren wieder deutlich stabilisiert und organisatorisch sinnvoll aufgestellt war, entschloss sich die Familie das Interimsmanagement zu beenden und langfristig einen festangestellten Geschäftsführer einzustellen, der die eingeleiteten Änderungen nachhält und verankert, sowie FRITSCH auf ein stabiles und profitables Wachstum ausrichtet. Die generelle Entscheidung, der Eigentümerfamilie FRITSCH von einem externen Geschäftsführer führen zu lassen, ist zudem mit dem Ziel verbunden, die 4. Familiengeneration bei dem Hineinwachsen in eine Führungsrolle zu unterstützen. Dies wurde von allen Beteiligten für die Zukunftssicherung des Unternehmens als sinnvoll betrachtet. Die genaue Begründung hierfür wird weiter unten erläutert. 178 Anna-Maria Fritsch uvk-lucius.de/ fuehren Zusammenfassung der Erkenntnisse Rückblickend können einige Lernfelder festgehalten werden, die zentrale Erfolgsfaktoren darstellen. Sicherstellung einer funktionierenden Führungs- und Projektstruktur Eine Restrukturierung erfordert eine authentische, durchsetzungsstarke und stringente Führung, die nicht nur durch die oberste, sondern auch die zweite und dritte Führungsebene erfolgen muss. Die Stärkung der Führung stellte in der vorliegenden Fallstudie ein maßgebliches Erfolgskriterium dar und hätte rückblickend mit noch größerer Priorität angegangen werden müssen. Die Führungsspanne auf der obersten Management Ebene war zeitweise deutlich zu hoch, so dass die einzelnen Personen nicht die notwendige Führungsaufmerksamkeit bekommen konnten. Gleiches gilt für den Erfolg von Projekten. Selbst wenn dies die Schaffung von zusätzlichen Kapazitäten in einem von Kostendruck geprägten Umfeld bedeutet, ist es essentiell, Führungskräfte, die Projektleiter für mehrere große Projekte sind, von ihren operativen Tätigkeiten maßgeblich zu entbinden. Dies wurde nicht konsequent genug verfolgt und führte zu Projektverzögerungen, andauernden Überlastungssituationen und Unzufriedenheit bei den relevanten Mitarbeitern durch das Ausbleiben sichtbarer Erfolge. Kommunikation und Motivation der Mitarbeiter In der Restrukturierungssituation trat ein deutlich erhöhter Kommunikationsbedarf auf. Deshalb ist es notwendig, die Veränderungen von einer zentralen Stelle aus zu koordinieren. Dies trägt maßgeblich dazu bei, den Überblick über eine Vielzahl an Maßnahmen zu behalten und die Kommunikation an die Mitarbeiter zielgerichtet auszurichten. Es wurde ersichtlich, dass Kommunikation der zentrale Erfolgsfaktor für das Verständnis und die Motivation der Belegschaft ist Veränderungen mehrfach klar und umfassend kommuniziert werden müssen, dass sie von der kritischen Masse an Mitarbeitern entsprechend verstanden und verinnerlicht werden die Kommunikation zu einem hohen Anteil zukunftsgerichtet ausgelegt sein sollte und greifbare Erfolge/ Verbesserungen beinhalten muss, um eine andauernde Motivation zu unterstützen Veränderung des Notwendigen bei gleichzeitiger Bewahrung des Guten: Die Identifikation der Mitarbeiter mit FRITSCH basiert größtenteils auf den Werten des Familienunternehmens, wie Kundenorientierung, Liebe zum Produkt und Vertrauen, sowie der strategischen Positionierung als Premiumhersteller von Bäckereimaschinen und technologischer Problemlöser. Diese Identifizierungsmerkmale für Mitarbeiter sowie für Kunden dürfen während einer Restrukturierung nicht verloren gehen. Dies bedeutet, dass Altes und Bewährtes nicht pauschal als veränderungsnotwendig betrachtet werden sollte. Es sollte, kombiniert mit neuen Methoden, bestärkt und bekräftigt werden, wenn es zur Wahrung der Stärken des Unternehmens beiträgt. Dies ist nicht nur für die Mitarbeiter, sondern auch für die Identifikation der Unternehmerfamilie mit den eingesteuerten Änderungen von essentieller Bedeutung. Wandel der Basis von Führungserfolg in einem Nachfolge- und Veränderungsprozess 179 uvk-lucius.de/ fuehren Führungsspezifische Besonderheiten im Hinblick auf die Unternehmensnachfolge in der Restrukturierungssituation Die 4. Generation trat im Januar 2013 mit dem gezielten Auftrag der Durchführung einer Projektarbeit im vertrieblichen Bereich in das Familienunternehmen ein. Gemäß Jäkel-Wurzer & Ott ist es für die meisten Nachfolgerinnen ein üblicher Weg über ein eigenes Projekt in das Unternehmen einzusteigen, um sich so die Akzeptanz und den Respekt der Mitarbeiter zu sichern (vgl. Jäkel-Wurzer & Ott, 2014: 42f.). Aufgrund des Restrukturierungsbedarfes ergaben sich jedoch schnell andere und dringlichere Themenfelder, wie z.B. die gezielte Analyse der Problemfelder und die Suche nach einem Interim Manager. Somit wurde das gestartete Vertriebsprojekt nicht finalisiert und die Arbeitsfelder verlagerten sich auf im Hintergrund stattfindende Tätigkeiten, die sehr wichtig waren, aber von dem Großteil der Belegschaft nicht wahrgenommen wurden. Das erste halbe Jahr verbrachte die Nachfolgerin somit ohne einen für die Mitarbeiter sichtbaren Auftrag im Unternehmen. Mit dem Eintritt des Interim Managers und dem Wechsel der 3. Familiengeneration in den Aufsichtsrat konkretisierte sich der Auftrag der 4. Generation wieder. Die Intention, FRITSCH in den nächsten Jahren an die nächste Generation zu übergeben, wurde den Mitarbeitern gegenüber konkretisiert und die Rolle von Anna-Maria Fritsch, als Bindeglied zwischen dem Interim Manager und der Familie klar hervorgehoben. Die schwierigste Phase im Hinblick auf die Nachfolgesituation waren die darauffolgenden zwei Jahre. Im Rahmen der Restrukturierung fehlte es der Eigentümerfamilie und dem Interim Manager an Zeit und Muße für die Ausarbeitung eines konkreten Nachfolgeplans. Dieser sollte neben den wichtigsten Meilensteinen zur fachlichen Weiterentwicklung der Nachfolgerin bis hin zur Geschäftsführung, den Aufbau/ Ausbau der benötigten Führungskompetenzen auch einen konkreten Zeitplan zur Übergabe von Anteilen beinhalten. Im Detail führte dies maßgeblich zu den folgenden beiden Problematiken: [1] Kein gezielter Ausbau der Führungskompetenzen Für eine Nachfolgerin ist es wichtig, dass die Mitarbeiter Vertrauen in ihre Persönlichkeit und Führungskompetenz aufbauen. Dieses Vertrauen, das durch Interaktionen und persönliche Erlebnisse aufgebaut wird (vgl. Blessin & Wick, 2014: 258f.), konnte durch die Projektarbeiten in der Restrukturierung, die eher im prozessualen administrativen und kaufmännischen Bereich angesiedelt waren, nur selektiv bei den Bereichsleitern sowie einigen Abteilungsleitern und Mitarbeitern aufgebaut werden. Die Visibilität bei den Mitarbeitern in der Produktion und Konstruktion, welche die Mehrheit der Belegschaft darstellen, war nicht gegeben. Des Weiteren wurde in der Restrukturierung wenig Augenmerk auf die Entwicklung der notwendigen Sozialkompetenzen und Selbstkompetenzen der Nachfolgerin gelegt (vgl. Blessin & Wick, 2014: 260). Die Weiterentwicklung der Fach- und Methodenkompetenz erfolgte maßgeblich indirekt durch die Zusammenarbeit mit dem Interim Manager. Innerhalb ihrer Projekttätigkeiten war die Nachfolgerin bereits selbst stark gefordert, den anderen Projektmitarbeitern Methodenkompetenz zu vermitteln. Dies führte dazu, dass sie sich selbst um ein regelmäßiges externes Coaching für die Entwicklung ihrer Führungskompetenzen bemühte und an relevanten Seminaren teilnahm. 180 Anna-Maria Fritsch uvk-lucius.de/ fuehren [2] Kommunikation innerhalb der Familie Bei vielen Übernahmen in Familienunternehmen findet eine Phase statt, in der die Väter das Unternehmen zusammen mit den Töchtern als Tandem führen. Dies hat viele Vorteile, da sich die Familie langsam an den Wechsel gewöhnen kann, ein Wissenstransfer auf die nächste Generation stattfindet und oft eine gezielte Ergänzung der Tätigkeitsbereiche erfolgt (vgl. Jäkel-Wurzer & Ott, 2014: 1ff.). Diese Phase wurde aufgrund der Restrukturierung übersprungen und führte dazu, dass die Kommunikation zwischen der 3. Und 4. Familiengeneration zu kurz kam, da der Fokus auf dringlichen operativen Themen lag. Auch war das Arbeitspensum der Nachfolgerin in der Restrukturierung so hoch, dass kaum Zeit für Gespräche mit dem Vater zur Entwicklung von Strategien und einem gezielten Wissenstransfer über die Produkte, Märkte und Kunden des Unternehmens blieb. In dieser Umbruchsituation brauchte die Familie Zeit, sich an die neuen Rollen zu gewöhnen. Gleichzeitig bewegte sich die Nachfolgerin in der „Anerkennungsfalle der Töchter“ (siehe Jäkel-Wurzer & Ott, 2014: 11) und forderte die gezielte Nachfolgeplanung nicht in dem nötigen Ausmaß ein, da sie ihrem subjektiven Empfinden nach den Anforderungen der Eltern noch nicht ausreichend Rechnung getragen hatte. Mit der Zeit konnte diese Problematik gelöst werden, indem sich die 3. und 4. Generation gezielt, außerhalb des Firmenumfeldes, Freiräume zur Besprechung der nachfolgerelevanten Themengebiete nahmen. Zusätzlich arbeitete die Nachfolgerin in ihrem Coaching entsprechend daran, ihre Kommunikationsdefizite gegenüber der Elterngeneration zu beseitigen. Ende 2014 entschied sich die Nachfolgerin für den Schritt von der fachlichen zur disziplinarischen Führung als weiteren notwendigen Entwicklungsschritt zum Ausbau ihrer Führungskompetenzen und übernahm im April 2015 die Verantwortung für den Aufbau und die Leitung einer neu geschaffenen Abteilung mit dem Ziel, diese mittelfristig als eigenen Geschäftsbereich auszubauen. Neben dem Aufbau von praktischer Führungserfahrung, wurde die Sichtbarkeit der Nachfolgerin in den operativen Prozessen deutlich erhöht, da die Abteilung Schnittstellen zu fast allen anderen Unternehmensbereichen hat. Durch ein gezieltes Auseinandersetzen mit ihren Stärken und Schwächen, reifte der Entschluss der Nachfolgerin, auch langfristig eine Tandem-Führung zur gezielten Ergänzung der eigenen Fähigkeiten anzustreben. Da dies im Einklang mit den Interessen der Elterngeneration stand, wurdeim Frühjahr 2015 die Suche nach einem festangestellten externen Geschäftsführer gestartet und erfolgreich mit einer Besetzung zum 01. Oktober 2015 abgeschlossen. Für ein Unternehmen von einer Größe wie FRITSCH, das maßgeblich im internationalen Projektgeschäft tätig ist, ist diese Führungsvariante eine große Chance, externes Know-how mit den Stärken eines Familienunternehmens zu kombinieren. Zudem hat die Nachfolgerin Zeit, in die Führungsrolle hineinzuwachsen, ihre Familienplanung zu integrieren und ihre Stärken auszubauen (Vgl. Jäkel-Wurzer & Ott, 2014: 12). Ausblick Im Hinblick auf die Weiterentwicklung von FRITSCH wird der Fokus weiterhin auf der Implementierung und Entwicklung von Führungskompetenzen liegen. Dafür wird aktuell ein Projekt aufgesetzt, das neben der Forcierung einer effizienten Meeting- Wandel der Basis von Führungserfolg in einem Nachfolge- und Veränderungsprozess 181 Kultur, die Förderung von Nachwuchsführungskräften, die Förderung einer konstruktiven Feedback-Kultur und die gezielte Schulung der bestehenden Führungskräfte beinhaltet. Zudem wird eine Beschleunigung des Lernprozesses durch Konsequenz (vgl. Blessin & Wick, 2014: 271), durch die stringente Einforderung der Umsetzung noch offener Themen, herbeigeführt. Des Weiteren werden Maßnahmen für die strategische Ausrichtung von FRITSCH mit dem Fokus auf die Kunden, Märkte und Produkte mit Priorität entwickelt und umgesetzt. Gleichzeitig entwickelt die Familie unter der Moderation des externen Geschäftsführers einen Nachfolgeplan. Ziel ist es, diesen im Laufe des Jahres 2016 zu verabschieden. Neben der fachlichen und persönlichen Weiterentwicklung der Nachfolgerin beinhaltet dieser einen konkreten Zeitraum für den Eintritt in eine Mitgeschäftsführung, die Regelungen zur zukünftigen Anteilsverteilung sowie eine definierte Rollenverteilung innerhalb der Familie. Maßgebliches Erfolgskriterium ist hierbei die Identifizierung aller Beteiligten mit den festgelegten Inhalten und die Festlegung eines konkreten Ausstiegzeitpunktes der 3. Generation, da jede Übernahme irgendwann ein verbindliches Ende haben sollte, dass die nächste Generation unabhängig und erfolgreich agieren kann (vgl. Jäkel-Wurzer & Ott, 2014: 4f.). Damit dies gelingt, arbeitet die Familie weiterhin an ihrer Kommunikation und dem konstruktiven Umgang mit natürlichen Konflikten, die bei einer Nachfolge entstehen. Ziel aller Beteiligten ist es, gemeinsam das 100jährige Firmenjubiläum in 2026 zu feiern. LLiteratur Blessin, B. & Wick, A. (2014): Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK. Faulhaber, P. & Grabow, H.J. (2009): Tournaround-Management in der Praxis, Umbruchphasen nutzen - neue Stärken entwickeln, 4. aktualisierte und erweiterte Auflage des Standardwerks, Campus. Jäkel-Wurzer, D. & Ott, K. (2014): Töchter im Familienunternehmen, wie die weibliche Nachfolge gelingt und Familienunternehmen erfolgreich verändert, Springer Gabler. Neilson, G. L. & Wulf, J. M. (2012): How Many Direct Reports? in: Harvard Business Review 90 (4), S. 112-119. Autor-Kurzprofil Anna-Maria Fritsch trat nach ihrem Studium des Internationalen Managements und mehrjähriger Berufserfahrung in Beratungsunternehmen Anfang 2013 in das Familienunternehmen ein, wo sie zunächst zwei Jahre als fachliche Assistenz des Geschäftsführers mit für die Umsetzung der Restrukturierung verantwortlich war. Seit April 2015 führt sie die im Rahmen der Restrukturierung neu gegründete Abteilung Werkzeugbau. uvk-lucius.de/ fuehren 6.2 Projektbeispiel VPV-Leadershipwerkstatt - ein Werkstück für ein neues Führungsverständnis von Kinga Janisch Was bedeutet Führung heute? Wer führt eigentlich wen? Und worin liegt bei den heutigen bisher geltenden Führungsmodellen noch der Mehrwert der Führung? Die Internetrevolution erreichte mittlerweile alle Branchen und Unternehmen und veränderte drastisch nicht nur die Spielregeln des Marktes und unsere Kommunikation, sondern auch die Rolle der Führungskräfte in der Organisation. Auch die Versicherungsbranche ist davon nicht verschont geblieben. Als einer der ältesten Versicherer in Deutschland standen wir vor den Fragen: Wie gestalten wir bewusst einen guten Übergang von einer Sicherheit gebenden Führungskultur, hin zu einem reflektierenden „Impulsgeber- Modell“? Wie ermutigen wir unsere Führungskräfte bei derartiger Machtverlagerung in und außerhalb des Unternehmens, ihren Verstand, ihre Intuition und die kollektive Intelligenz von Gruppen in der Führung zu nutzen, um auf dem Markt überlebensfähig und erfolgreich zu sein? Unsere Antwort darauf war die VPV-Leadershipwerkstatt-Reihe. In unserem Training wechselten stetig drei Betrachtungspunkte ab: die der Teilnehmer, die Sicht der internen Personal- und Organisationsentwicklung und der allparteiische Blick der externen Begleitung eines externen Beratungs- und Trainingsinstituts (noesis). Der Held ist tot - die Abkehr vom Führungsverständnis als einseitige Handlung Am Anfang jedes Führungskräfte-Programms steht die Frage, welche Führungsdefinition und Philosophie diesem zugrunde liegt. Diese ist abhängig vom aktuellen Kontext, Trends in und außerhalb des Unternehmens sowie dem Reifegrad des Unternehmens und seiner über die Jahre gewachsenen Unternehmenskultur. Die VPV ist ein mittelständisches, deutschlandweit aktives Finanzdienstleistungsunternehmen mit nun bald 190-jähriger Tradition. Ursprünglich als Sterbekasse für Postbeamte gegründet, ist unsere Identität stets stark vom Anspruch nach Unabhängigkeit und Eigenständigkeit geprägt. Mit dem Wirtschaftswunder in den 1950er Jahren setzte sich die Erfolgsgeschichte der VPV als Selbsthilfeeinrichtung der Postbediensteten fort. Das Unternehmen ist im Laufe der Jahre mit einigen Fusionen zu einem Konzern weiter gewachsen. Im Rahmen der Post- und Telekomprivatisierung öffnete sich das Unternehmen für Kunden des allgemeinen Marktes, was in die Gründung der VPV Lebensversicherungs-AG zu Beginn der 1990er Jahre mündete. Zu Beginn des neuen Jahrtausends passte der Konzern mit der Gründung der VPV Holding AG auch die Konzernstruktur den modernen Anforderungen an. Die strategische Ausrichtung der VPV folgt heute dem Grundsatz: Wir sind anders - wir sind besser. Entsprechend diesem Leitbild sind wir als Unternehmen bei allem unserem Tun auf der Suche nach den „wahren Treibern“ der Zukunft. Das heißt, wir konzentrieren uns auf das Wesentliche bzw. Wertschöpfende in unserem Tun und versuchen dabei stets die wichtigsten Treiber der Zukunft zu identifizieren und uns als Projektbeispiel VPV-Leadershipwerkstatt 183 uvk-lucius.de/ fuehren Organisation darauf auszurichten. Das Ziel der VPV für die Zukunft: in einem sich ständig verändernden Finanzdienstleistungsmarkt frühzeitig Chancen erkennen und nutzen. Unsere Herausforderungen als Unternehmen: Wir möchten im Versicherungsmarkt einen echten erlebbaren Unterschied zu unseren Wettbewerbern generieren. Dabei müssen wir die lange Tradition und Geschichte der VPV gleichzeitig mit Innovation, Flexibilität und Agilität verbinden, um uns auf die veränderten Marktforderungen anzupassen. Für die Führungskräfteentwicklung bedeutet das, dass wir Führungskräfteprogramme anbieten, die einen guten Diskussionsraum schaffen, um bewusst im Unternehmen mit allen Beteiligten drei spannende Fragen zu reflektieren: Wofür, für wen aber auch auf wessen Kosten derzeit geführt wird? Unserem Leadership-Programm lag die Idee der Abkehr von einem klassischen Führungsverständnis zur Grunde. Nicht die Führung als ein Prozess der zieldienlichen Beeinflussung der Anderen oder Methoden, wie Führungskräfte ihre Mitarbeitern dazu bringen können, etwas zu wollen, wovon sie selbst überzeugt sind, dass es getan werden soll, standen im Fokus (Blessin & Wick, 2014: 28). Auch die neueren Definitionen von Führung, die immer wieder die Asymmetrie der Beziehung zwischen Über- und Untergeordneten betonten, fanden wir für unsere Führungskräfteentwicklung zu einseitig und wenig hilfreich. Wir wollten uns mit diesem Programm bewusst von gewisser Ideologisierung und Rechtfertigung der Führung befreien. Wir fanden die Überbetonung der Führung als einziger Dreh- und Angelpunkt des Unternehmens, oft gekoppelt mit der These, dass Menschen geführt werden müssen, zu wenig differenziert. Diese Ideologie implizierte, dass alle Handlungen der Führungskraft sich darauf richten sollen, den Mitarbeitern möglichst schnell und am besten mit Nachdruck eine Willenserklärung und Handlung zu entlocken, mit der sie die von der Führungskraft definierten Ziele reibungslos verfolgen. Eine derartige Haltung erzeugt ein Bild vom Mitarbeiter, in dem dieser zu einem mehr oder weniger beeinflussbaren Objekt definiert wird, an dem sich Führungskräfte im Alltag „abarbeiten“ können, sollen und dürfen. Die Führung wurde somit zu einer einseitigen Handlung reduziert, bei der eine Führungskraft andauernd versucht, das Objekt - den Mitarbeiter - zieldienlich zu beeinflussen. Unsere Erfahrungen aus der Praxis waren jedoch ganz anders. Als Personalentwickler sehen wir bei der Beratung und Begleitung unserer Führungskräfte eine Beziehung, in der beide Seiten, also sowohl die Führungskraft als auch der Mitarbeiter sich wechselseitig durch ihr Tun oder Unterlassen immer wieder beeinflusst haben. Und genau dieses, fanden wir, sollte in unserem neuen Leadership-Programm miteinander reflektiert werden. Leadershipwerkstatt bedeutet für uns, dass wir einen Ort ins Leben rufen, an dem unsere Führungskräfte über die Veränderungen ihrer Führungsarbeit und über die Unternehmensentwicklung gemeinsam nachdenken und ihre aktuelle und zukünftige Rolle gezielt reflektieren und bei Notwendigkeit auch in Frage stellen. Uns war bewusst, dass wir für das neue Leadership-Programm ein Führungsverständnis brauchen, das statt einer Asymmetrie der Führungspartner eher die gegenseitige Abhängigkeit und Wechselwirkung bei der Zielerreichung in den Vordergrund rückt. Wir wollten bewusst einen Impuls setzen, mit dem im Unternehmen klar wird, dass die 184 Kinga Janisch uvk-lucius.de/ fuehren Legitimation der Führungskraft aufgrund ihrer hierarchischen Stellung ihr langfristig keine nachhaltige Macht über den Willen und/ oder die Leistung ihrer Mitarbeiter gewährt. Unsere Botschaft stattdessen war: Als Führungskraft hat man lediglich den Vorteil, dass man immer wieder im Aufmerksamkeitsfokus der Mitarbeiterschaft steht. Ob sich die Führungskräfte dessen bewusst oder nicht bewusst sind: Sie stehen im Mittelpunkt der Beobachtung und sollen daher lernen, sich selbst und die Reaktionen ihrer Umwelt auf ihr Tun und Lassen gut zu beobachten, getreu unserem Programmmotto „wir wirken immer“. Was lösen sie mit ihren Einstellungen, Sagen und Tun bei anderen aus? Wann treten das gewünschte Verhalten oder Reaktion der Mitarbeiter auf, wann gehen sie wieder zurück? Was muss beibehalten und was neu gestaltet werden, um dem unternehmerischen Auftrag gerecht zu werden? All diese Fragen bildeten den roten Faden für unser neues Trainingsprogramm. Das Programm basierte auf der Definition der Führung als dynamischer und gegenseitiger wechselseitiger Prozess, der aus vielen individuellen Aktionen und Reaktionen beider Partner besteht und dessen Ziel es ist, neben der Existenzsicherung der Beteiligten die Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu gewährleisten. Dieser Auftrag und der Marktkontext, übersetzt auf die einzelnen Organisationseinheiten, bildet für uns eine gemeinsame Klammer, die beide Seiten dazu bewegen, bewusst in Interaktionen miteinander zu treten. Ziele der Leadershipwerkstatt Unserer Ansicht nach liegt bisher der Fokus in der Führung nicht auf der Operationalisierung des Unternehmensauftrags, auf systematischen Kennzahlen und der effektiven Organisation der Ressourcen, sondern im Anstoßen bestimmter Aktionen innerhalb des Unternehmens, die die Aufmerksamkeit der Beteiligten auf die gewünschten Ziele immer wieder fokussieren. Im Zentrum stehen daher bewusste Kommunikationsprozesse und das Schaffen einer Kultur der Transparenz und Fairness in der Belegschaft. Diese hilft uns miteinander zu klären, was hilfreich und weniger hilfreich ist, um die definierten Unternehmensziele zu erreichen. Die Module erstrecken sich über einen Zeitraum von ca. 16 Monaten. So ist ausreichend Transferzeit zum Vorbereiten, Nachbereiten und Üben des Gelernten in der Praxis gegeben. Projektbeispiel VPV-Leadershipwerkstatt 185 uvk-lucius.de/ fuehren Der didaktische Rahmen Wir haben uns dabei sehr eindeutig von der Idee distanziert, dass eine Führungskraft jederzeit und andauernd aufgrund ihrer übergeordneten Stellung im Unternehmen oder ihrer individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten andere gezielt beeinflussen kann. Die Führungskraft „als Held“, der immer alles im Griff hat und retten kann, ist für uns als Unternehmen im heutigen Kontext obsolet geworden. Mit unserem neuen Leadership-Programm traten wir in die Ära der sog. postheroischen Führung ein (ein Begriff, der von Dirk Becker und Fritz Simon geprägt wurde, Becker, 2015. Unsere Mini-Max-Ziele Das Minimalziel unseres Programms war, dass unsere Führungskräfte lernen, die Wirkung ihrer Aktionen und/ oder ausgebliebenen Entscheidungen, Reaktionen selbst wahrzunehmen und einzuschätzen. Der Führungserfolg tritt aus unserer Sicht dann ein, wenn alle Beteiligten im Unternehmen sich selbst fachlich und persönlich gut reflektieren und miteinander synchronisieren. Die Basis für diese Synchronisation ist die Eigenständigkeit und Überlebensfähigkeit des Unternehmens. Wir arbeiteten viel in dem Programm an der Verbesserung der Anschlussfähigkeit der Führungskräfte an den Kontext in dem sie tagtäglich agieren und wirken. An vielen Stellen des Leadership-Programms gab es die Möglichkeiten, einzeln oder innerhalb des Führungsteams gemeinsam zu überprüfen, mit welchen Haltungen, Ideen, Aktionen, in welchen Situationen, welche Wirkungen erzielt wurden. Unsere Anforderung in dem Programm an die Führungskräfte: Sie sollen nicht nur situativ und inkrementell in ihrem Alltag vorgehen, sondern sind verpflichtet, die Wirkungen ihrer Entscheidungen und die Signale des Umfelds sehr genau zu beobachten und zu reflektieren. 186 Kinga Janisch uvk-lucius.de/ fuehren Sie sorgen für die Schaffung von organisationalen und kommunikativen Strukturen im Unternehmen, die das Wissen und Können aller Mitarbeiter abrufen, bündeln und koordinieren sowie in den entscheidenden Situationen verfügbar machen. Sie kümmern sich in ihrem persönlichen Wirkungskreis darum, dass unsere Entscheidungsstrukturen es den Mitarbeitern leicht machen, für das Unternehmen Verantwortung zu übernehmen. Wir luden daher im Laufe des Programms gezielt unsere Führungskräfte ein, in ihrem Alltag zu improvisieren und prozessorientiert oder ergebnissoffen vorzugehen. Dabei wurde der Paradigmenwechsel weg von der „heldenhaften Führungskraft“ hin zu einem „Segeln auf Sicht“ in Programminhalten und Methoden fest verankert. Dieser Ansatz bedingte auch die zweite wesentliche Konsequenz. Uns war klar, dass nicht nur die Führungskräfte im Fokus des Programms stehen, sondern auch unsere Mitarbeiter, als wirksame Partner der Führung. Deswegen entschieden wir uns, bereits beim Start des Leadership-Programms alle Mitarbeiter der dort beteiligten Führungskräfte in die Entwicklung aktiv und mitverantwortlich einzubeziehen. Bereits vor dem offiziellen Programmstart fanden Dialogveranstaltungen mit den Mitarbeiter und Führungskräften statt, um einerseits das Ziel des Trainingscurriculums zu erläutern und andererseits die Mitarbeiter zu aktivieren, sich selbst in das Programm und die Entwicklung ihrer Führungskraft einzubringen. Wir baten sie daher, bereits im Vorfeld der Veranstaltung zu überlegen und zu operationalisieren, welche Themen sie persönlich für wichtig halten, an denen ihre Führungskräfte arbeiten sollten, um das Unternehmen VPV aktuell und zukünftig zu stärken und auf dem Markt gut zu positionieren. Die Mitarbeiter erhielten von uns auch die Aufgabe zu definieren, wie und wodurch sie persönlich oder als Team im Alltag während der Leadership-Reihe ihre Führungskräfte konkret unterstützen könnten und möchten. Die Führungskräfte baten wir wiederum, diese Rückmeldungen und Impulse ihrer Mitarbeiter zu reflektieren und in ihre Entwicklungsziele mit aufzunehmen. Nach dem Ablauf der jeweiligen Trainingsreihe erhielten unsere Führungskräfte einen Selbst- und Fremdevaluationsbogen, in dem sie ihre persönlichen Entwicklungsschritte Projektbeispiel VPV-Leadershipwerkstatt 187 uvk-lucius.de/ fuehren im Laufe des Programms selbst und im Dialog mit ihren Vorgesetzen und Mitarbeitern reflektieren konnten. Die Ergebnisse boten allen Beteiligten dann die Grundlage für den Transfer des Gelernten in den Alltag und flossen in die inhaltliche Gestaltung der nächsten Trainingsmodule ein. Die ersten Ergebnisse und Nebenwirkungen Mit unserem Leadership-Programm haben wir im Unternehmen eine Lern-Plattform etabliert, auf der unsere unternehmenseigenen, nirgendwo aufgeschriebenen Kommunikationsregeln und Rituale systematisch beobachtet und gemeinsam reflektiert werden können. Es wurde innerhalb der Führungsmannschaft transparent, wie sich solche Spielregeln entwickeln und auch koordinieren lassen. Es ist uns dabei gelungen, im Unternehmen besprechbar zu machen, wer was von wem erwartet und welche Entscheidungen und/ oder Verhaltensweisen, in welcher Situation eine eher förderliche oder hinderliche Wirkung entfalten. Das Programm schärfte bei den Führungskräften und Mitarbeitern den Fokus auf die Machbarkeitsgrenzen der Führung und wurde somit zu einer guten Burnout- Prophylaxe. Es ist im Unternehmen klarer geworden, dass beide Seiten gemeinsam den Prozess verantworten und Mehrwert stiften, in dem sie ihre Bedürfnisse mitteilen und respektieren und gemeinsam definieren, welche Rahmenbedingungen notwendig sind und zu welchem emotionalen Preis das geschehen darf. Wir haben von vielen Teilnehmern die Rückmeldung bekommen, dass sich ihre eigene kommunikative Arbeit im Führungsalltag in einigen entscheidenden Details wirksam verbessert hat. Durch kleine Feinheiten und Korrekturen des Verhaltens oder einzelner Einstellungen, konnten sie in Summe ihre eigene Qualität als Führungspartner steigern und sich erheblich besser mit den einzelnen Mitarbeitern und innerhalb der Teams synchronisieren. Die Wirkung des Programms lässt sich schön am folgenden Beispiel illustrieren. Im ersten Jahr der Leadershipwerkstatt, gab es in vielen Gruppen immer wieder den gleichen Wunsch: „die VPV sollte doch das oder jenes tun…“. Auf meine Frage, wer damit konkret gemeint ist, entwickelte sich der Satz zu einem sog. „running gag“, bei dem allen Teilnehmern und Mitarbeitern klar wurde, dass jeder Einzelne von uns mit seinen Einstellungen, Entscheidungen und seinem Verhalten die VPV ist und prägt. Es ist uns somit gelungen, in Rahmen dieser Leadership-Reihe die Gesamtkultur ein Stück zu verändern. Das Managementteam und die Mitarbeiter lernten einiges voneinander und auch übereinander, um sich besser zu verstehen. Sie erkannten im Verlauf des Programms, dass ihr Verhalten stark voneinander abhängig ist und wie sie mit ihren Interaktionen das Geschehen im Gesamtunternehmen positiv beeinflussen können. Wir haben überraschenderweise im Laufe des Programms entdeckt, dass es in vielen Sequenzen des Programms, sowohl bei den Führungskräften als auch Mitarbeitern nicht um Lernen sondern um Ver-lernen ging. Wir waren überrascht, wie die bestehenden, oft über die Jahre gemeinsam entwickelten Überzeugungen und Meinungen, darüber was bei der VPV machbar und nicht machbar ist, eine Entwicklung bei den Mitarbeitern und Führungskräften manchmal regelrecht behindert haben. Dieses aktive Umlernen ist eine der wichtigsten Formen des Lernens, um alte oder überflüssige Verhaltensweisen zu korrigieren und ursprünglich erlernte, aber nicht mehr gültige 188 Kinga Janisch uvk-lucius.de/ fuehren Information anzupassen. Wie geht das? Mit Hilfe des sog. Extinktionslernens. Dieses wird zur Zeit durch die Forschung nun intensiver beleuchtet. Anders als der Begriff vermuten lässt, werden beim Umlernen bestehende Gedächtnisinhalte jedoch im Gehirn nicht gelöscht, sondern durch ein neues Muster abgelöst. Das „kollektive Gehirn“ im Unternehmen muss dafür zunächst lernen, die bisherigen Reaktionen zu unterdrücken. Das Programm hat im Unternehmen einen Bedarf nach gezielten und bewussten Regelbrüchen bzw. einem Musterwechsel geweckt. Das war nach der Rückmeldung unserer Teilnehmer und ihrer Mitarbeiter ein wesentliches Kriterium, um erfolgreich (zusammen-)wirken zu können. Nicht alle Musterwechsel vollzogen sich reibungslos. Gut eingespielte Verhaltensmuster, auch wenn sie wenig konstruktiv sind, geben in der Regel beiden Seiten gewisse Sicherheiten und Berechenbarkeiten. Die Veränderung dieser Muster erfordert im Alltag von beiden das Verlassen ihrer Komfortzone. Beide müssen sich somit umstellen und trotzdem noch miteinander synchronisieren können. Diese Verlern-Phase gezielt zu gestalten und zu begleiten waren unsere Lernschleifen beim sog. „After Action Review“. Wenn man die Zeit zurück drehen könnte … - After Action Review Das Programm hat in den letzten Jahren innerhalb des Unternehmens eine positive Wirkung entfaltet und leistet somit - entlang unserer Unternehmensstrategie - einen positiven strategischen Beitrag auf dem Weg zu einem florierenden und unangreifbaren Unternehmen. Wir sind mit unserer Leadershipwerkstatt einige Schritte auf dem Weg zur Verankerung eines neuen Führungsverständnisses gegangen. Aber dieses langfristig zu verankern steht noch aus. Dies geschieht durch kontinuierliche weitere Trainings im Rahmen der Leadershipwerkstatt. Erstens: Es hätte uns gut geholfen, wenn wir parallel zu unserer Leadershipwerkstatt gleichzeitig ein systematisches und flächendeckendes Entwicklungsprogramm mit allen Mitarbeitern aufgesetzt hätten. Einige der Ideen und Interventionen aus unserem Führungskräftetraining wurden ambivalent im Unternehmen aufgenommen und bewertet. Bei unseren Resonanzveranstaltungen mit den Mitarbeitern im Laufe des Programms zeigten sich Risiken „nicht anschlussfähig“ zu sein, auf. Wir hätten es sicherlich leichter gehabt, wenn wir von Anfang an gezielt eine kritische Masse für das neue Führungs- und Zusammenarbeit-Verständnis bei den Mitarbeitern aufgebaut hätten. Zweitens: Es fehlt uns heute noch die Verankerung des neuen Führungs- und Zusammenarbeit-Bildes, das im Laufe des Programms ausgehandelt wurde in unseren bestehenden internen Beurteilungs-, Feedback- und Anreizsystemen. Wir müssen im Zuge des Programms auch unsere Rekrutierungs- und Auswahlverfahren auf den Prüfstand stellen. Hier müssen wir die bestehenden Instrumente kritisch hinterfragen, inwiefern diese eine verantwortliche Partnerschaft zwischen den Führungskräften und Mitarbeitern tatsächlich fördern. Und drittens: Für manche Führungskräfte wäre es sicherlich leichter, wenn parallel zu der Leadership Reihe auch ein individueller Coaching-Prozess zum Thema Selbstführung stattgefunden hätte. Dort könnten sie gezielt, im geschützten Raum, ihre persönlichen Barrieren und Blockaden leichter bearbeiten. Projektbeispiel VPV-Leadershipwerkstatt 189 Literatur Blessin, B. & Wick, A. (2014). Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK Becker, D. (1994). Postheroisches Management. Ein Vademecum. Berlin: Merve Verlag Becker, D. (2015). Postheroische Führung: Vom Rechnen mit Komplexität (essentials), Wiesbaden: SpringerGabler Verlag Kruse, P. (2015). Entscheider können nur auf Sicht segeln. Haysworld Magazin 01/ 2015 DFG-Forschungsprojekt zum Extinktionslernen; URL: http: / / gepris.dfg.de/ gepris/ projekt/ 179167628 [Stand 23.09.2014] Autor-Kurzprofil Kinga Janisch, Juristin, ausgebildete Master of Business and Administration, systemischer Coach und Therapeutin, begleitet seit bald 20 Jahren lösungsorientiert Menschen und Unternehmen auf dem Weg zu ihren Ressourcen. Als Leiterin Personalentwicklung und -marketing der VPV Lebensversicherungs-AG entwickelt und implementiert sie mit quergedachten und praxisnahen Werkzeugen Führungkräfte, Mitarbeiter, Teams sowie das Unternehmen. Treu ihrem Motto „einfach anders“ arbeitet sie direkt mit den Anwendern der Führungsinstrumente an neuen, inspirierenden und sinnstiftenden Ideen für das Unternehmen. uvk-lucius.de/ fuehren 6.3 Verbesserung von Führung und Führungsleistung durch die Entwicklung und Einführung eines neuen Kompetenzmodells von Michael Prochaska Das Unternehmen STIHL ist ein familiengeführtes, mittelständisch geprägtes Unternehmen mit Sitz in Waiblingen bei Stuttgart. Es wurde 1926 von Andreas Stihl gegründet, dessen Vision es war, den Menschen das Arbeiten mit und in der Natur zu erleichtern. Insbesondere sein Sohn Hans Peter Stihl, der persönlich haftende Gesellschafter, prägte das Unternehmen sehr stark und machte es zu dem, was es heute ist: Eine global erfolgreiche Unternehmensgruppe mit einem starken Stammhaus und starken operativen Länderorganisationen. Im Jahr 2002 hatte die Unternehmerfamilie beschlossen, sich aus der operativen Geschäftsführung zurückzuziehen und sie einem externen Vorstand zu übertragen. Die Familiengesellschafter übernehmen seither ihre Rolle im Bei- und Aufsichtsrat mit enger Bindung zum Unternehmen. Als Weltmarktführer bei Motorsägen ist STIHL ein Begriff; mittlerweile wird allerdings die Hälfte des Umsatzes mit anderen Produkten erwirtschaftet. Mit 14.500 Mitarbeitern weltweit erlöste das Unternehmen im Jahr 2015 in über 140 Ländern mehr als 3 Mrd. Euro Umsatz. Wesentliche Produktionsstandorte befinden sich in Deutschland, den USA, Brasilien, China, Österreich und der Schweiz. Der Vertrieb wird u.a. durch 36 eigene Landesgesellschaften unterstützt. Eine besondere Herausforderung ist die Weiterentwicklung der Führungskultur und die Unterstützung der Führungsarbeit bei STIHL. Auf allen Ebenen scheiden langjährige Führungskräfte aus dem Unternehmen in den Ruhestand aus. Im Vorsitz des Beirats und Aufsichtsrats erfolgte der Wechsel auf die dritte Generation im Jahr 2012. Im selben Jahr wurde der fünfköpfige Vorstand auf drei Positionen neu besetzt und auf allen nachgelagerten Ebenen finden ebenfalls viele Wechsel statt. Um diese Veränderungen zu unterstützen, wurde das Thema „Führung“ ab 2012 gezielt zum Gegenstand gemacht. Wesentliche Maßnahmen dabei waren eine Führungskräftebefragung, eine Initiative „Führung@STIHL“, die Erarbeitung neuer Leitlinien der Zusammenarbeit und die Entwicklung eines Kompetenzmodells, das im folgenden Fallbeispiel beschrieben wird. Die Entstehungsgeschichte Da die systematische Weiterentwicklung des Themas „Führung“ wiederholt als Handlungsbedarf benannt wurde, sollte als ein wichtiger Baustein ein neues Kompetenzmodell erarbeitet werden. In der Unternehmenskultur ist beschrieben, wie die Gesamtorganisation „tickt“; die Leitlinien der Zusammenarbeit fokussieren Teams und beschreiben die gewünschte Art der Kooperation. Das Kompetenzmodell schließlich soll auf individueller Ebene die Erwartungen und Anforderungen an jeden Einzelnen beschreiben, um die optimale Passung und Weiterentwicklung von Mitarbeitern und Führungskräften zu ermöglichen (s. folgende Abbildung). Verbesserung von Führung und Führungsleistung durch ein neues Kompetenzmodell 191 uvk-lucius.de/ fuehren Einordnung des STIHL-Kompetenzmodells Anfang 2014 erhielt die Personalabteilung im Stammhaus vom Vorstand den Auftrag, ein neues Kompetenzmodell zu konzeptionieren, um Prozesse und Instrumente der Personalauswahl, -beurteilung und -entwicklung zu unterstützen und damit die Führungsarbeit zu optimieren. Einen Katalog mit Schlüsselqualifikationen gab es zwar bereits seit Anfang 2000, er war jedoch mit 32 Seiten zu unhandlich sowie im Unternehmen nicht transparent. Dies war der Startschuss für die Ausarbeitung des neuen Kompetenzmodells. Die wesentlichen Zielsetzungen waren: den Katalog der Schlüsselqualifikationen abzulösen, ein allgemeingültiges und spezifisch anwendbares Modell zu entwickeln, neue Anforderungen zu berücksichtigen, einen Rahmen für Auswahl, Beurteilung und Entwicklung zu schaffen, die Verankerung in wichtigen Führungsprozessen zu gewährleisten, die Anwendbarkeit in der STIHL Gruppe zu sichern. Das Kompetenzmodell sollte nicht am „grünen Tisch“ entstehen. In seine Ausarbeitung sollten von Beginn an alle wichtigen internen Vertreter, wie z.B. HR-Verantwortliche, Führungskräfte, Geschäftsführer und Vorstand, involviert sein. Damit sollten unterschiedliche Erfahrungen und Sichtweisen genutzt und Akzeptanz geschaffen werden. Zudem wurde ein externer Experte einbezogen. Das Vorgehen stellte sich wie folgt dar: internes und externes Benchmarking, Interviews mit Schlüsselpersonen, Ableitung eines Grobkonzepts, 192 Michael Prochaska uvk-lucius.de/ fuehren Beschreibung jeder Kompetenz nach vorgegebener Zielstruktur, Umsetzung. Zum Kick-off traf sich ein Team mit Vertretern der Personalbereiche, um vorhandene Kompetenzmodelle zu analysieren und zu bewerten. Diskutiert wurden als sog. „Good Practices“ die Ansätze verschiedener Gesellschaften innerhalb der STIHL Gruppe, aber auch von anderen Unternehmen, wie z.B. von Daimler, Bosch, Trumpf, Festo, Haniel etc. Sie dienten als Anschauungsmaterial und Basis, um das „Universum“ der Kompetenzen abzustecken. Im nächsten Schritt wurden Interviews mit Schlüsselpersonen, z.B. dem Beiratsvorsitzenden, Vorständen und Führungskräften, über künftige Herausforderungen geführt sowie die Ergebnisse eines Zukunfts-Workshops Führung einbezogen. Letztlich extrahierte die Projektgruppe für das Grobkonzept acht Kompetenzen. Um Vollständigkeit, Verständlichkeit, Anwendbarkeit und Akzeptanz zu sichern, fanden wiederholt Rückkopplungen mit Entscheidungsträgern und künftigen Nutzern statt, z.B. Workshops mit Führungskräften oder auch Diskussionen mit Vorständen. Das Kompetenzmodell Da das neue Kompetenzmodell einerseits allgemein gültig, andererseits jedoch spezifisch einsetzbar sein sollte, war ein wichtiger Arbeitsschritt, die Kompetenzen entlang einer definierten Grundstruktur auszuarbeiten (s. nachstehende Abbildung). Die Grundstruktur zur Beschreibung der Kompetenzen Zunächst wurde eine Kompetenz auf Basis der zugeordneten Merkmale ausführlich beschrieben. Für die Kompetenz Ergebnisorientiert Arbeiten lauten die Merkmale unabhängig von einer bestimmten Rolle im Unternehmen Erfolgsstreben und Engagement, Zielklärung und -orientierung, Leistungsfähigkeit, Arbeitsorganisation und Prozesssicherheit, Zeitmanagement und Belastbarkeit. Am resultierenden Beschreibungssatz der Kompetenz lässt sich bereits sehr gut erkennen, welche inhaltliche Bedeutung sie hat (s. nachstehende Abbildung). Verbesserung von Führung und Führungsleistung durch ein neues Kompetenzmodell 193 uvk-lucius.de/ fuehren Beispiel für die Beschreibung einer Kompetenz Es ist leicht nachvollziehbar, dass sich die Erwartungen und Anforderungen an eine Führungskraft von denen eines Sachbearbeiters unterscheiden. Um das Kompetenzmodell spezifisch anwenden zu können, mussten rollenspezifische Verhaltensanker erarbeitet werden. Das Projektteam hat sich darauf geeinigt, zunächst die drei Rollen Führungskraft, Referent und Sachbearbeiter zu beschreiben. Mit der Rolle Führungskraft sind z.B. die in der folgenden Abbildung aufgeführten Verhaltensweisen für die Kompetenz Ergebnisorientiert Arbeiten verbunden. Beispiel für Verhaltensanker für Führungskräfte bezüglich der Kompetenz „Ergebnisorientiert Arbeiten“ 194 Michael Prochaska uvk-lucius.de/ fuehren Sicher war es nicht Anliegen, das neue Kompetenzmodell wissenschaftlich zu entwickeln; der Aufwand für die Konstruktion wäre ungleich höher gewesen. Viel wichtiger war es, von Beginn Akzeptanz und praktische Relevanz zu schaffen. Daher war der Ausarbeitungsprozess stark partizipativ, erfahrungsbasiert und anwendungsorientiert. Folgende Fragen standen im Vordergrund: Welche Kompetenzen sind heute und künftig erforderlich? Welche Rolle erfordert welche Kompetenzen? Wie können Kompetenzen im Arbeitsverhalten beobachtet werden? Wie kann das Kompetenzniveau gemessen werden? Mit welchen Maßnahmen können Kompetenzen entwickelt werden? Das letztlich verabschiedete neue STIHL Kompetenzmodell setzt sich aus acht Kompetenzen (s. folgende Abbildung) zusammen, die das gesamte für den Erfolg erforderliche Bündel an Fertigkeiten, Fähigkeiten, Erwartungen und Anforderungen unternehmensspezifisch beschreiben. Es umfasst sämtliche relevante Aspekte beruflichen Leistungsverhaltens. Dabei werden sowohl personale, soziale, methodische und fachliche als auch aktivitäts- und handlungsrelevante Facetten berücksichtigt. Das neue STIHL Kompetenzmodell In den Verhaltensbeispielen für Führungskräfte sind je Kompetenz insbesondere diejenigen Facetten beschrieben, die für eine erfolgreiche Führungsarbeit und einen erfolgreichen Geschäftsverlauf maßgeblich sind. Dadurch wird es möglich, das neue Kompetenzmodell zum gemeinsamen und einheitlichen Maßstab zur Bewertung von Führungsanforderungen und -leistungen zu machen. So erhalten Führungskräfte ein klares Bild der Anforderungen, Verhaltenserwartungen und Leistungen können abglichen werden, die Führungsarbeit wird erleichtert. Das Modell wird nach und nach auf wesentliche Führungsprozesse in der Gruppe angewendet. Dabei wird es insbesondere für die Auswahl, Beurteilung und Entwicklung von Führungskräften zum Einsatz kommen. Das Dokument Verhaltensbeispiele für Führungskräfte finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR- Codes. Verbesserung von Führung und Führungsleistung durch ein neues Kompetenzmodell 195 uvk-lucius.de/ fuehren Der Anspruch, ein für die gesamte STIHL Gruppe einsetzbares Kompetenzmodell zu schaffen, bestand von Anfang an. Wann und in welcher Tiefe es in den Verbundenen Unternehmen der STIHL Gruppe einzuführen ist, entscheiden die beteiligten Vertreter der Verbundenen Unternehmen und das Stammhaus allerdings unabhängig voneinander. Die Anwendungsbeispiele Die Anwendungsmöglichkeiten des Kompetenzmodells sind vielfältig. Einerseits ist es Maßstab zur Reflexion der eigenen Führungsleistung, andererseits unterstützt es jede Führungskraft in ihrer Führungsarbeit. Aufgabe der Führungsperson ist es also, sich immer wieder zu fragen, ob sie die definierten Anforderungen selbst erfüllt und in ihrem eigenen Verantwortungsbereich stets diejenigen Kompetenzen vorhält oder entwickelt, die für den Geschäftserfolg erforderlich sind. Im Folgenden werden wichtige Anwendungen des Kompetenzmodells näher beschrieben: Strategische Personalplanung: Im Rahmen der jährlichen Planungsrunden werden Fragen gestellt, wie z.B. Welche Kompetenzen haben wir im Unternehmen und in den Bereichen? Welche Kompetenzen benötigen wir künftig? Was kann ich als Führungskraft tun, um fehlende Kompetenzen aufzubauen? Damit werden die Kompetenzanforderungen des Unternehmens und der Bereiche transparent und es wird abgeglichen, welche Handlungsbedarfe es gibt. Rekrutierung: Das Kompetenzmodell kommt im Rahmen der Personalauswahl zum Einsatz. Es ist Maßstab, um die Qualität eingehender Bewerbungen zu beurteilen. In Interviews und Assessment Centers wird dann ausführlich geprüft, ob die Kandidaten den formulierten Anforderungen entsprechen. Jahresgespräche: Führungskraft und Mitarbeiter tauschen sich dabei über Aufgaben, Ergebnisse, Erwartungen, Zusammenarbeit und Perspektiven aus. Es wird besprochen, welche Kompetenzen individuell auf- oder auszubauen sind, konkrete Entwicklungsmaßnahmen werden festgelegt. Aufgrund des einheitlichen Maßstabs sind Bewertungen aus Jahresgesprächen vergleichbar; Potenzialträger lassen sich leicht identifizieren. Damit schaffen Kompetenzmodell und Jahresgespräch die Voraussetzung für eine systematische Nachfolgeplanung sowie für ein zielgerichtetes Talentmanagement. Leistungsbeurteilung: Regelmäßige Reviews über die Leistungen eines Mitarbeiters sind sehr hilfreich, um berufliches Leistungsverhalten positiv beeinflussen zu können. Leistungsbeurteilung verbunden mit einem förderlichen Feedback hilft, Ergebnisse positiv zu beeinflussen und die individuelle Leistung zu steigern. Das Gespräch über vorhandene und erforderliche Kompetenzen ist die Basis dafür Maßnahmen festzulegen, mit denen die Leistungserbringung zu erweitern ist. Entwicklung: Bei STIHL gibt es eine Reihe sehr guter Angebote für alle Zielgruppen im Unternehmen. Die Programme zur Entwicklung von Führungskräften, wie z.B. der STIHL Führungsführerschein für Nachwuchskräfte oder das STIHL Kolleg für das Top Management orientieren sich mit ihren Inhalten konsequent am Kompetenzmodell. Im STEP, dem STIHL Entwicklungsprogramm, sowie im Einzel- Assessment vor Besetzungsentscheidungen für Top-Führungsfunktionen kommt das Kompetenzmodell potenzialdiagnostisch zum Einsatz. 196 Michael Prochaska uvk-lucius.de/ fuehren Potenzialplanung: Ziel ist die Sicherung der Bestbesetzung der Schlüsselfunktionen. Hierbei werden Kompetenzprofile erstellt und Talentpools definiert. Die Potenzialplanung ist ein dynamischer Prozess und beinhaltet nicht nur das Erstellen von Nachbesetzungslisten, sondern hat stets die Kompetenzentwicklung von Talenten für heutige und künftige Anforderungen zum Ziel. Es ist ein wichtiges Instrument zur Sicherung der Leistungsfähigkeit der Organisation und des Erfolges im Unternehmen. Mit den genannten Beispielen sind längst noch nicht alle Möglichkeiten der Anwendung des neuen STIHL Kompetenzmodells ausgeschöpft. Wichtig ist die konsequente Umsetzung in möglichst vielen Personal- und Führungsprozessen, um es nachhaltig im Unternehmen zu verankern. Die Erfolgsfaktoren Für die Entwicklung und Umsetzung eines Kompetenzmodells gibt es folgende Erfolgsfaktoren: Anforderungsanalyse: Bei der Erarbeitung eines Kompetenzmodells sollten auf jeden Fall bewährte Verfahren der Anforderungsanalyse zum Einsatz kommen, wie z.B. Benchmarking, Interviews, Workshops etc., die sich auf heutige und künftige Anforderungen beziehen. Sie sichern die Qualität der erarbeiteten unternehmensspezifischen Kompetenzen. Berücksichtigung des Unternehmenskontextes: Faktoren wie Strategie, Markt, - Kunden, Wettbewerb, Unternehmens- und Führungskultur bestimmen, welche Anforderungen heute und künftig wichtig sind oder werden. Wenn man sie berücksichtigt, sind Kompetenzen klarer abzuleiten. Einbezug wichtiger Zielgruppen: Weil das Top-Management am ehesten weiß, welchen Herausforderungen das Unternehmen ausgesetzt sein wird, sollte es auf jeden Fall in die Ausarbeitung einbezogen werden. Wenn das Kompetenzmodell in der Unternehmensgruppe zum Einsatz kommen soll, ist es notwendig, Führungskräfte und HR-Verantwortliche dieser Einheiten zu berücksichtigen. Dies sichert vor allem die Akzeptanz. Zielstruktur: Die Kompetenzen sollten möglichst klar, verständlich und verhaltensnah beschrieben werden, um die Praxisanwendungen zu erleichtern. Rollenspezifische Kompetenzprofile erreichen für alle Anwendungszwecke die höchste Qualität. Die Zugrundelegung einer Zielstruktur ist hierfür sehr hilfreich. Umsetzung: Die Anwendungsmöglichkeiten eines Kompetenzmodells sind vielfältig, z.B. Personalplanung, Rekrutierung, Jahresgespräche etc. Letztlich profitiert das ganze Unternehmen, da mit dem Kompetenzmodell eine Vereinheitlichung der Sprache über Leistung und Potenzial resultiert und somit eine gemeinsame Förder-, Feedback- und Entwicklungskultur geschaffen wird. Wichtig ist der unbedingte Umsetzungswille der Verantwortlichen, das Kompetenzmodell in allen wichtigen Personal- und Führungsprozessen konsequent zu verankern. Veränderungsprojekt: Alle Phasen des Projekts vom Benchmarking bis hin zur Umsetzung sind sehr sorgfältig und unter Berücksichtigung der Anforderungen der verschiedenen Zielgruppen zu planen. Wichtig sind ein hoher Partizipationsgrad sowie permanente Rückkopplungsschleifen, um die Akzeptanz zu sichern und Wi- Verbesserung von Führung und Führungsleistung durch ein neues Kompetenzmodell 197 derstände möglichst gering zu halten. Zudem hilft ein klares Kommunikationskonzept (Intranet, Broschüren, Veranstaltungen etc.) bei der Einführung. FFazit Zur Stärkung der Führungskultur und zur besseren Unterstützung der Führungskräfte wurde ein neues Kompetenzmodell ausgearbeitet. Seine Entwicklung war ein aufwändiger Prozess, da von Beginn an Vorstand, Führungskräfte, Mitarbeiter, HR-Verantwortlichen und ein externer Experte involviert waren. Der Aufwand hat sich jedoch gelohnt, da jetzt in einer einheitlichen Sprache über Kompetenzen gesprochen wird. Die ersten Erfahrungen mit dem neuen Kompetenzmodell sind durchweg positiv. Es schafft den gemeinsamen Rahmen für viele Anwendungsfelder, z.B. die Auswahl, Beurteilung und Entwicklung von Führungskräften. Durch den Einbezug der wesentlichen Interessengruppen in den Ausarbeitungsprozess von Beginn an ist die Akzeptanz des neuen Kompetenzmodells hoch. Durch die konsequente Verknüpfung mit wichtigen Personal- und Führungsprozessen gelingt es, eine kompetenzbasierte Personalarbeit umzusetzen. Das neue Modell ist ein gemeinsamer und verbindlicher Standard und hilft, Personal- und Führungsprozesse gruppenweit aktiv zu gestalten. Es erhöht die Führungsleistung, denn Führungskräfte haben nicht nur einen Leitfaden, mit dem sie Leistung und Potenzial ihrer Mitarbeiter einschätzen können, sondern darüber hinaus die Möglichkeit, eigenes Führungsverhalten zu erkennen und zu optimieren. Autor-Kurzprofil Dr. Michael Prochaska ist seit 2012 Mitglied des Vorstands und Arbeitsdirektor der Andreas Stihl AG & Co. KG in Waiblingen. Davor war er in leitenden Funktionen tätig als Direktor Personal der Franz Haniel & Cie. GmbH und Geschäftsführer der Haniel Akademie in Duisburg, Leiter Personalentwicklung und -strategie Konzern sowie Personalleiter Healthcare der Linde AG in Wiesbaden und München sowie als Leiter Personal- und Führungskräfteentwicklung der Dr. Ing. h. c. F. Porsche AG in Stuttgart. Er begann seine professionelle Karriere an der Universität Hohenheim als Hochschulassistent und Berater. Er hat an den Universitäten Trier und Tübingen Psychologie studiert und an der Universität Hohenheim promoviert. uvk-lucius.de/ fuehren 6.4 Kompetenzbasierte Führungskräfteentwicklung bei der SIHI Group von Oliver Grafeneder und Frank Edelkraut Seit über 80 Jahren ist die SIHI-Group mit circa 1.800 Mitarbeitern einer der führenden Hersteller von innovativen Technologien für Flüssigkeitspumpen, Vakuumpumpen und kompletten Systemen, die in allen Segmenten der Prozessindustrie eingesetzt werden. Wo immer in der Welt Flüssigkeiten und Gase gefördert werden, können auch Aggregate und Anlagen von SIHI eingesetzt werden. Flüssigkeits- und Vakuumpumpen sowie komplette Anlagen für die unterschiedlichsten Anwendungen in der Chemie, der Pharmazie, der Energiewirtschaft, der Wasserwirtschaft, der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, der Kunststoffindustrie, der Stahlindustrie, der Papierindustrie, und für den allgemeinen Anlagenbau werden angeboten. Hintergrund Im Rahmen einer strukturierten Personalanalyse und -planung Anfang 2011 erkannte SIHI, dass weltweit auf mittlere Sicht interne Kandidaten für Positionen im oberen und obersten Management fehlen könnten. Die Analyse zeigte auch, dass es kein einheitliches Bild einer idealen Qualifikation für diese Positionen gab. Der Prozess war von dem Ende 2009 neu eingesetzten CEO initiiert und unterstützt worden. HR hatte den klaren Auftrag, Instrumente zur Verfügung zu stellen, die diese offenen Fragen des Top Managements einer Klärung zuführen würden. Ferner war unklar, ob geeignete Kandidaten für Executive und Top Positionen eventuell schon im Unternehmen vorhanden sind. Insbesondere gab es eine Unsicherheit im Hinblick auf die Leadership-Fähigkeiten der Mannschaft. Dabei kam es dem Top Management gerade auf die konkrete Unterscheidung zwischen Manager, Leader und Fachexperte mit Führungsfunktion an. Man wollte Klarheit, wem man mehr Verantwortung - insbesondere international - geben könne, bevor konkrete Schritte zur Umsetzung ergriffen würden. Eine scheinbar einfache Methode wäre es gewesen, ein Development Center mit allen in Betracht kommenden Führungskräften durchzuführen, die Ergebnisse zu bewerten und dann in die Umsetzung von empfohlenen Entwicklungsmaßnahmen zu gehen. Jedoch waren damit Bedenken verbunden, dass die Mannschaft nicht mehr das Vertrauen des Executive Boards genießt. In den vergangenen Jahren war nur vereinzelt mit personaldiagnostischer Unterstützung rekrutiert worden. Die Personalentwicklung war nicht international aufgestellt und konzentrierte sich auf Mitarbeiter und mittlere Führungskräfte. Somit gab es im Unternehmen kaum substantielles auf dem HR hätte aufbauen können. Ein flächendeckender Assessment Prozess hätte die Organisation sehr verunsichert. Selbst bei noch so guter Absicht und Kommunikation kann das Verhältnis zwischen Führendem und Geführtem in so einer Situation erheblich leiden. Außerdem hätte ein solches Vorgehen einfach nicht zur damaligen Führungs- und Unternehmenskultur gepasst. Die Analyse der Mitarbeiterstruktur in den verschiedenen Landesgesellschaften, Standorten und Hierarchieebenen hatte folgendes Bild: Ein relativ hohes Durchschnittsalter Kompetenzbasierte Führungskräfteentwicklung bei der SIHI Group 199 uvk-lucius.de/ fuehren bei langjähriger Betriebszugehörigkeit. Hochspezialisierte Ingenieure und Produktionsmitarbeiter bilden das Rückgrat der Organisation. In der Produktion reichten die Anforderungen - länderspezifisch - von einfacher Montage bis zu einer sehr hohen Fertigungstiefe. Es gab keine gemeinsame Vorstellung von Führung sowie eine uneinheitliche, ausbaufähige Basis an Führungsinstrumenten. Die Zahl potenzieller verfügbaren Nachfolger für Führungsfunktionen erschien unzureichend. Deshalb war es dem Top Management besonders wichtig, den absehbaren Bedarf mit einem Horizont von bis zu fünf Jahren zu decken. Ein wesentliches Thema ergab sich aus dem fehlenden gemeinsamen Führungsverständnis. Europaweit standen grundsätzlich ausreichend geeignete Personen zur Verfügung. Außerhalb Deutschlands sind demographische Themen zwar ebenfalls relevant, aufgrund der lahmenden Wirtschaft war dies Anfang 2011 jedoch zu vernachlässigen (insbes. Spanien, Frankreich, Italien). Die Einschätzung war, dass diese Situation innerhalb der nächsten fünf Jahre keine Kehrtwende erfahren würde. Aus dem uneinheitlichen Führungsverständnis ergab sich auch, dass es zu unterschiedlichen Einschätzungen innerhalb des europäischen Managements kam, wer Potenzialträger ist und ggf. als Nachwuchsführungskraft bzw. schon heute für die nächste Führungsebene in Frage kommen würde. Es herrschte allerdings die Meinung vor, der Nachwuchs sei insgesamt „nicht bereit“. Deshalb fiel die Entscheidung für einen international angelegten „Talentmanagementprozess“, der alle obersten Führungsebenen der europäischen Tochtergesellschaften umfasste, im ersten Durchgang insgesamt zunächst 35 Personen. Zielsetzung für HR Vor dem Hintergrund der gelebten Führungskultur war es dem Top Management und HR wichtig, entscheidende Impulse zu geben und ein insgesamt robusteres Verhältnis zwischen der Unternehmensspitze und seinen direkten Mitarbeitern zu etablieren. HR sollte einen Beitrag leisten, der folgende Zielsetzungen beinhaltete: [1] Schaffung eines einheitlichen Verständnisses der Führungs-/ Leadershipkultur in Europa, [2] Klarheit im Top Management über die aktuellen und potenziellen Führungs-/ Leadershipfähigkeiten des Managementteams, [3] Schaffung eines standardisierten Feedback-Instruments, um die ersten beiden Punkte auf europäischer Managementebene zu vereinheitlichen [4] Entwicklung eines Programms zur Unterstützung der Weiterentwicklung der Top Führungskräfte. Es war von Anfang an klar, dass dies als international ausgerichteter Change-Prozess zwischen Führenden und Geführten verstanden werden musste. Mit der Schaffung eines standardisierten Feedback- und Entwicklungsprozesses und dem Signal „Wir investieren in Euch“, sollte das nötige Vertrauen zwischen Führenden und Geführten gestärkt werden, um auch kritischere Entwicklungen in einem härteren Wettbewerbsumfeld zu bestehen und den Change-Prozess zu unterstützen. Damit war auch klar, dass der angestoßene Prozess vor allem aus dem Unternehmen gespeist sein sollte. Ein von extern aufgesetztes Entwicklungs-Programm würde nicht alle Zielfelder optimal abdecken können. 200 Oliver Grafeneder und Frank Edelkraut uvk-lucius.de/ fuehren Das Vorgehen Der vom HR-Bereich entwickelte Weg, zunächst ein eigenes Kompetenzmodell zur Führung in der SIHI Group zu entwickeln, wurde einhellig als die günstigste Alternative angesehen (vgl. zum theoretischen Hintergrund der Führungskompetenzen ausführlich Blessin & Wick, 2014: 258ff.). Aus Sicht von HR kann ein Kompetenzmodell auf alle vorgenannten Ziele einzahlen, insbesondere ein einheitliches Verständnis zur Führungskultur in einer international aufgestellten Unternehmensgruppe schaffen. Verhaltensanker dienen als Maßstab und Handlungsaufforderung gleichermaßen. Führungskräfte und Mitarbeiter können quasi ablesen, welches Verhalten von Führungskräften ausdrücklich im Unternehmen gewünscht ist. Die Bewertung der Verhaltensanker gibt einen Überblick zum Reifegrad der Führungskraft und macht deren Entwicklungspunkte deutlich. Dies ist in einem Feedback- und Entwicklungsgespräch zu thematisieren. Möglichkeiten, Grenzen und Risiken dieses Weges waren für die SIHI Group neu und bedeuteten einen größeren Entwicklungsschritt auch im Top Management. Zwar gab es die üblichen MbO-Prozesse, jedoch keine gezielten Entwicklungsgespräche. Damit fehlte es an der entsprechenden Erfahrung bezüglich möglicher Entwicklungsinstrumente und -gespräche, was letztlich die Frage aufgeworfen hat, auf was die konkrete Umsetzung evtl. aufbauen könne. Aus dem aktuellen Führungsverständnis der SIHI Group heraus entschied sich das Top Management, ein Kompetenzmodell Top/ Down vorzugeben, anstatt dies mit maßgeblichen Führungskräften gemeinsam zu entwickeln. Aus Sicht des Top Managements war Zeit ein entscheidender Faktor. Maßnahmen und Erfolge sollten möglichst schnell greifen und sichtbar werden. Das Dokument finden Sie online unter http: / / www.uvklucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. Das Kompetenzmodell wurde mit dem Top Management in mehreren Workshops erarbeitet. Die Verhaltensanker sind anschließend im HR-Management entstanden und in einem weiteren Workshop mit dem Top Management diskutiert, verfeinert und abgestimmt worden. Es diente als Einstieg und Basis für das Entwicklungsprogramm. Das entsprechende Dokument finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. Das Entwicklungsprogramm Das Entwicklungsprogramm sollte parallel zum Kompetenzmodell potenzielle Nachfolger für die erste und zweite Führungsebene qualifizieren und die gewünschten Verhaltensanker implementieren. Das Top Management wollte gleich nach der Einführung der Kompetenzen erkannte Qualifizierungsdefizite angehen. Das übergeordnete Ziel Kompetenzbasierte Führungskräfteentwicklung bei der SIHI Group 201 uvk-lucius.de/ fuehren wurde so formuliert: “We have motivated and well trained people ready to take over more responsibility in SIHI Group”. In der Kombination aus Motivation und größerer Verantwortungsübernahme steckte sowohl ein Anspruch als auch ein Versprechen. Verantwortung zu übernehmen bedeutet schließlich auch, dass diese Verantwortung wahrgenommen werden darf. Das Entwicklungsprogramm sollte so konzipiert sein, dass folgende Ziele erreicht werden: Identifikation potenzieller Geschäftsführer und Mitarbeiter, die im Rahmen einer Task Force weltweit in Führungspositionen einsetzbar sind. Bindung der Teilnehmer des Programms an das Unternehmen. Unterstützung einer Leistungs- und Förderungskultur in der SIHI Group, indem der hohe Anspruch an die Führungskräfte und die Qualität ihrer Arbeit im Programm abgebildet werden. Vernetzung der Landesgesellschaften und Hierarchieebenen Schaffung einer einheitlichen Führungskultur über die Einführung des Kompetenzmodells Grundlage des bei der SIHI Group umgesetzten Entwicklungsprogramms ist ein Konzept für die Führungskräfteentwicklung von Edelkraut & Sauter (2011), das auf folgenden Thesen basiert: Führungskräfteentwicklung muss kompetenzbasiert sein, das heißt, die individuelle Kompetenzentwicklung der Teilnehmer ist primäres Ziel der Maßnahme. Die Teilnehmer sind für ihren Lernerfolg selbst verantwortlich, das Programm stellt die notwendigen Mittel (Materialien, Instrumente etc.) zur Verfügung. Die Definition strategischer Lernziele liegt in der Verantwortung der Vorgesetzten und des Topmanagements, da eine zusätzliche Wirkung in der Organisation angestrebt wird. Notwendige Rahmenbedingungen für die Umsetzung von Lerninhalten sind bereits im Vorfeld zu definieren und rechtzeitig zu realisieren. Lernprozesse finden überwiegend in Netzwerken von Lernpartnern, Trainern, Projektteams statt. Im Programm wird an realen Fragestellungen des Unternehmens gearbeitet, um einen zusätzlichen Wert für die Organisation zu realisieren. Das Programm basierte somit auf den folgenden drei Instrumenten: den Kompetenzen mit ihren Verhaltensankern als Leitlinie, der Bearbeitung von strategisch relevanten Unternehmensprojekten und einem theoretischen Lerninput bzgl. Leadership, Strategie und Finance. Kernstück waren operativ die vier Projekte, die durch ca. je acht Teilnehmer bearbeitet worden sind. Eine Lernplattform und Peer-Learning unterstützten die Teilnehmer in ihrer Weiterentwicklung. Dabei wurde eine Interpretation des 70: 20: 10-Modells genutzt, das davon ausgeht, dass die Entwicklung von Führungskompetenzen primär aus praktischer Führungsarbeit (70%) und sozialem Lernen (20%) resultiert und formale Inhalte nur 10% des Aufwandes der Teilnehmer ausmachen sollen. Hierzu wurden vom Top Management vier strategisch relevante Projekte definiert, die den Teilnehmern zur eigenverantwortlichen Bearbeitung übertragen wurden. Die Teilnehmer waren dazu in zwei Gruppen eingeteilt worden. So gab es die EDP- und TMP-Teilnehmer. EDP - Executive Development Program. In dieses Programm wurden Führungskräfte aufgenommen, die bereits über mehrere Jahre Führungserfahrung ver- 202 Oliver Grafeneder und Frank Edelkraut uvk-lucius.de/ fuehren fügten und als potenzielle Kandidaten für das Top-Management oder strategisch besonders relevante Führungsaufgaben angesehen wurden. Das Programm fokussierte vor allem auf die besonderen Herausforderungen strategischen Arbeitens und eine intensive Vernetzung der Führungskräfte im internationalen Verbund der Gruppe. TMP - Talent Management Program. Hierin wurden angehende Führungskräfte und Führungskräfte mit wenigen Jahren Führungserfahrung aufgenommen. Das Programm fokussierte insbesondere auf die Vorbereitung einer Rolle im (internationalen) Mittelmanagement und die professionelle Steuerung von Projekten. Die Fokussierung der Programme auf reale Projekte hat wesentliche Vorteile. Die Teilnehmer konnten echte Businesserfahrung sammeln. Das Unternehmen profitiert durch die geleistete Arbeit und verfügt anschließend über Erkenntnisse, die sonst nicht verfügbar gewesen wären. Weitere Ressourcen der Organisation konnten genutzt werden, wenn dies sinnvoll war. Es kamen keine artifiziellen Case-Studies zum Einsatz, sondern die Teilnehmer konnten ihr Wissen aus der Organisation einbringen und mit den anderen Teilnehmern teilen. Dadurch war eine nie da gewesene Verzahnung von Spezialwissen und internationale Vernetzung gegeben. In den vier Projekten ging es inhaltlich um: Prüfung der Optionen für einen Markteintritt in einem bestimmten Land Restrukturierung einer Unternehmenseinheit weltweite Strategie zur Absatzförderung einer Produktgruppe kundenzentriertes Account Management Die personelle Besetzung der einzelnen Projekte erfolgte derart, dass jeweils ein Mitglied aus dem Top Management als Sponsor aktiv an dem Projekt mitarbeitete. Zwei Teilnehmer des Executive Programms (EDP) fungierten als Projektleiter und rund sechs Teilnehmer des Talent-Programmes (TMP) als Teammitglieder. Die Besetzung erfolgte so, dass eine möglichst große fachliche und regionale Heterogenität in den Projekten erreicht werden sollte. Auf diese Weise sollte eine möglichst große Vernetzung in der SIHI Group gefördert werden. Gleichzeitig wurde versucht, die individuellen Lernziele der Teilnehmer aufzunehmen. So hatte ein Werksleiter für sich definiert, seine Fach- und Methodenkompetenz im Bereich Finance auszubauen. Er wurde dem Projekt zugeordnet, das am stärksten durch Finance-Themen geprägt und durch einen erfahrenen Leiter Finanzen als Projektleiter geführt wurde. Auf diese Weise wurden Bedarfe und vorhandene Kompetenzen zusammengeführt. Alle Teilnehmer wurden ermuntert, sich gegenseitig zu unterstützen, die eigenen Lernziele zu erreichen. Für die Trainer war dies eine dauerhafte Aufgabe, denn neben der Projektarbeit konstant an der eigenen Weiterentwicklung zu arbeiten fiel den Teilnehmern erwartungsgemäß nicht leicht. Die Arbeit in den Projekten wurde durch folgende Programmelemente wie Lernplattform als Kollaborationsplattform für die Projekte und e-Learning-Plattform für formalen Input (Case Studies, Literatur etc.), Kompetenzprofile auf Basis von KODEx, (s.u.) und Themen-Workshops zur gemeinsamen Projektarbeit und Vertiefung der theoretisch vermittelten Inhalte unterstützt. Das Kompetenzmodell KODEx, das von Erpenbeck, Heyse und Max (2004) entwickelt wurde, basiert auf einem Kompetenzatlas mit 64 Schlüsselkompetenzen. Diese Kompetenzbasierte Führungskräfteentwicklung bei der SIHI Group 203 uvk-lucius.de/ fuehren sind in vier Schlüsselbereiche unterteilt, den personellen Kompetenzen, Aktivitäts- und Handlungskompetenzen, Fach- und Methodenkompetenz und sozial-kommunikativen Kompetenzen. Aus diesem Kompetenzkatalog wurden diejenigen Kompetenzen ausgewählt, die Führungskräften erlauben, die strategischen Ziele der Gruppe zu erreichen. Die vier Kompetenzbereiche sind in den finalen Kompetenzprofilen annähernd gleichmäßig vertreten. Zu jeder ausgewählten Kompetenz wird ein Ausprägungsgrad angegeben. Grafische Darstellung des Konzeptes, mit dem das Entwicklungsprogramm bei der SIHI Group gestaltet wurde. Die Kompetenzprofile für die beiden Zielgruppen wurden anhand eines Soll-Profils definiert, in dem die besonders relevanten Kompetenzen für das anstehende Geschäft aufgenommen wurden. Als besonders relevant für die Teilnehmer des Executive Development (EDP) Programms wurden holistisches Denken (persönliche Kompetenz), andere zu inspirieren und zielorientierte Führung (Handlungskompetenzen), konzeptionelle Stärke (Methodenkompetenz) und Konflikt- und Kommunikationskompetenz (Sozialkompetenzen) eingeschätzt. Auf der Ebene der Talente Talent Management Programm, TMP) wurde holistisches Denken niedriger gewichtet, während die Fähigkeit zur persönlichen Weiterentwicklung höher gewichtet wurde. In Kombination mit der praktischen Arbeit an den Projekten schaffte das Kompetenzmodell ein hohes Maß an Transparenz. Es erlaubte den Teilnehmern zu erkennen, was die Erwartungen der obersten Führungsebene waren, aber auch wie ihre eigene Motivation und Karriereplanung aussehen könnte. Auf Basis der Profile wurden die Feedbacks der eigenen Vorgesetzten vor und nach der Programmteilnahme, aber auch durch die Trainer im Verlauf des Programms, vorgenommen. So wurden die einzelnen Kompetenzen und Kompetenzstufen noch konkreter mit der eigenen Arbeits- und Führungsleistung verknüpft und Entwicklungspotenziale erkannt. 204 Oliver Grafeneder und Frank Edelkraut uvk-lucius.de/ fuehren Die UUmsetzung Die praktische Arbeit in den Programmen begann mit einer intensiven Vorbereitung mit dem Top Management. Dieser definierte, neben den Projekten, Kompetenzprofile für die Positionen, auf die die Teilnehmer vorbereitet werden sollten. Weiterhin wurden eine personelle Zuordnung zu den Projektteams (Teilnehmer) und die Projektsponsoren (Vorstände) festgelegt. Die elektronische Plattform war so gestaltet, dass die vier Projekte eigene Projekträume benutzten und für die beiden Gruppen (EDP, TMP) jeweils eigene Räume für die theoretischen Inhalte nutzten. Zu den sozialen Lernformaten gehörten Lerntandems, die zwischen Teilnehmern gebildet wurde, die intensive Betreuung der Projektteams durch je ein Top Managementmitglied, kollegiale Beratung in den Workshops und einzelne Coachings. Das Kompetenzmodell KODEx war das erste Modell, das im Unternehmen zum Einsatz kam. Neben dem Einsatz in den beiden Programmen sollte es zukünftig die Basis für Mitarbeitergespräche und Entwicklungsgespräche bilden. Die Vorgesetzten der Teilnehmer spielten ebenfalls eine Rolle, da sie in ihren Gesprächen mit den Teilnehmer (als Mitarbeiter) auf das Modell zurückgreifen sollten. So wurden auch sie schnell an das neue Modell herangeführt. Insgesamt hatten in sehr kurzer Zeit über 30% aller Führungskräfte im Unternehmen praktische Erfahrung mit dem Kompetenzmodell gesammelt, die weitere Einführung war dann relativ einfach zu realisieren. Die Workshops für beide Gruppen fanden gleichzeitig am gleichen Ort statt und teilten sich grob in einen Projektteil und einen Qualifizierungsteil. Die Qualifizierungen wurden durch zwei Trainer in parallelen Gruppen durchgeführt, die Projektarbeit in den vier Teams. Die Trainer dienten in der Projektarbeit als Beobachter, Unterstützer, Coach und Feedbackgeber. Teilweise wurden noch in den Workshops Materialien für die Projektarbeit beschafft oder spontan Rollenspiele, kollegiale Beratungsrunden etc. zu aufkommenden Fragen / Schwierigkeiten organisiert. Erfahrungen und Empfehlungen Die Bilanz nach einem Jahr Programmlaufzeit fiel unter dem Strich sehr positiv aus und es gab einige messbare Erfolge: 1 Auslandseinsatz eines Spezialisten durch Vernetzung 3 Projekte werden in vollem Umfang umgesetzt, eines teilweise 3 Positionen zur Besetzung durch Teilnehmer geschaffen 50% der Führungskräfte in der Gruppe sind bereits mit dem Kompetenzmodell vertraut und die Unternehmenskultur wurde in Richtung Kompetenzorientierung und Personalentwicklung nachhaltig verändert. Hinsichtlich der ursprünglichen Zieldefinition war bereits zum Programmende festzustellen, dass die Vernetzung der Teilnehmer untereinander aber auch ihrer Vorgesetzten, zu einer deutlich intensiveren Kommunikation und Kollaboration unter den Standorten geführt hat. Es war klarer zu erkennen, wer für weitergehende Aufgaben im Unternehmen in Frage kam und wer nicht. Daraus resultierte auch eine klarere Vorstellung davon, wie die weitere Entwicklung der Führungskräfte gruppenweit er- Kompetenzbasierte Führungskräfteentwicklung bei der SIHI Group 205 uvk-lucius.de/ fuehren folgen soll. Die Führungskultur hatte sich erkennbar in Richtung größerer Freiheitsgrade und Selbstverantwortung bewegt, obwohl hier noch ein deutlicher Weg zu gehen ist. Aus unterschiedlichen Ebenen wurde zurück gespiegelt, dass sich sowohl die Teilnehmer, als auch deren Vorgesetzte zunehmend intensiv um die eigene Entwicklung und die ihrer Mitarbeiter/ Teams kümmerten. So stieg die Intensität der Kommunikation zu Entwicklung und Lernerfahrungen an. Gemeinsame Erfahrungsauswertungen (Lessons Learned) und Bestrebungen zur kontinuierlichen Verbesserung wurden als „ehrlicher“ und ehrgeiziger wahrgenommen. Die Vorgesetzten der Teilnehmer nutzen erkennbar häufiger die verschiedenen Instrumente der Mitarbeiterführung und Kompetenzentwicklung als Führungskräfte, die nicht über Programmteilnehmer mit diesen Instrumenten in Berührung gekommen waren. Teilnehmer berichteten, dass die Zusammenarbeit zwischen einzelnen Teilen der Gruppe deutlich intensiver war, weil - im Gegensatz zu früher - keine Scheu bestand, die Zusammenarbeit proaktiv zu suchen. Das Fazit des CEO lautete: „It was more than worth! “. Bei differenzierter Betrachtung der Wirkung, die das Programm entfaltete, sind mehrere Aspekte hervorzuheben. Diese zeigten unterschiedliche Wirkung und können wie folgt als Handlungsempfehlung formuliert werden. + Top-Management Die intensive Mitarbeit an Projekt- und Kompetenzdefinition sowie eine hohe Verfügbarkeit für die Projektarbeit wurde von allen Seiten positiv bewertet. Die Teilnehmer schätzten die Wertschätzung aber vor allem die intensiven Einblicke in die Denk- und Handlungswelt eines Top Managements. Top-Management in Verantwortung einbinden und aktive Rolle zuweisen. + Projekte Relevanz und Anspruch der Projekte erzeugten eine intensive Lernumgebung, die hochmotiviert genutzt wurde. Das Gefühl, etwas Relevantes für das Unternehmen zu leisten, hat die Leistungsbereitschaft der Teilnehmer signifikant angespornt. Die Auseinandersetzung mit den Inhalten war ebenso intensiv, wie die Notwendigkeit, auftretende Schwierigkeiten zu lösen. Nutzen erzeugen! (und ROI der Personalentwicklung) +/ - Zeit Ambivalent bewertet wurde der Faktor Zeit. Für die Projektarbeit und individuelle Entwicklung stand in der Wahrnehmung der Teilnehmer zu wenig Zeit zur Verfügung. Auf der anderen Seite musste das Aufwand-/ Nutzen-Verhältnis auch aus Sicht des Unternehmens betrachtet werden, zumal das operative Tagesgeschäft der Teilnehmer weiterlaufen musste. Ein typischer Konflikt, dessen intensives Erleben die Fähigkeit verbessert, im Arbeitsalltag damit umzugehen. Je nach Ausgangssituation „Zeit-Räume“ schaffen und Zeit sehr bewusst planen + Standards und Prozesse Die vorgelagerten Entscheidungen, ein Kompetenzmodell und eine allgemeinverbindliche Projektmanagement-Methodik einzuführen, waren hilfreich und wirkten im Alltag des Unternehmens weiter. Der Aufwand war zwar belastend für den ohnehin vollen Kalender der Teilnehmer, auf der anderen Seite wurde über die Teilnehmer und ihre 206 Oliver Grafeneder und Frank Edelkraut Vorgesetzten ein relevanter Teil der Führungskräfte direkt erreicht und die unternehmensweite Nutzung der beiden neuen Methoden massiv gefördert. Operative Arbeit fördern, indem Entwicklungsprogramm als Prototypen bzw. Keimzellen für neue Prozesse, Methoden usw. genutzt werden. +/ - Rahmenbedingungen Wie in jedem anderen Entwicklungsprogramm auch wurden verschiedene Rahmenbedingungen unterschiedlich intensiv wahrgenommen. Teilweise wirkten sich auch Kleinigkeiten stark aus, wenn etwa die Unterbringung im Hotel nicht optimal war und Teilnehmer in den Workshops müde waren. Auch hier zeigte sich ein gängiger Konflikt zwischen Kostenbewusstsein und optimalen Bedingungen für die Arbeit auch in diesen Programmen. Intensive Kommunikation, nutzbare Instrumente wählen, schnelle Reaktion auf Feedbacks. Das Erwartungsmanagement spielt eine große Rolle. Fazit: Bei der SIHI Group ist man überzeugt, ein anspruchsvolles und nachhaltig wirksames Programm der Führungskräfteentwicklung realisiert zu haben. Die Teilnehmer haben signifikante Entwicklungen gezeigt, viel für den Erfolg des Unternehmens geleistet und das Management hat die Gewissheit, dass Nachfolgefragen nun schnell und kompetent geregelt werden können. Literatur Blessin, B. & Wick, A. (2014). Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK. Edelkraut, F., Sauter, W. (2011). Lernziel Führungskompetenz - Kompetenzentwicklung von Führungskräften, Personalführung 9/ 2011. Heyse, V., Erpenbeck, J., Max, H. Hrsg. (2004). Kompetenzen erkennen, bilanzieren, entwickeln. Münster: Waxmann. Autor-Kurzprofile Oliver Grafeneder, Director HR SIHI Group (bis 2014), Sterling Fluid Systems Holding GmbH (ein Teil der Flowserve Corporation), Itzehoe. Dr. Frank Edelkraut ist Geschäftsführender Gesellschafter der Mentus GmbH, Hamburg. uvk-lucius.de/ fuehren 6.5 Interkulturelle Führung (Lloyds Banking Group) von Matthias Pawlowski Führung findet überwiegend durch Kommunikation statt (Blessin & Wick, 2014: 263). Kommunikation ist kein Selbstzweck, sondern Mittel zur Erreichung von Unternehmens-, Abteilungs- und Gruppenzielen. Das vorliegende Fallbeispiel greift das Anliegen vieler Unternehmen auf, die Fähigkeiten vorhandener Führungs-, Kommunikations- und Fachkompetenzen um interkulturelle Fähigkeiten zu erweitern. Es werden Lösungsansätze aufgezeigt und versucht, eine Handlungsanleitung zu erstellen, damit Führungskräfte ihr Führungsverhalten im interkulturellen Umfeld ändern, neu wahrnehmen, anders interpretieren und folglich kompetent reagieren können. Im Rahmen von Kooperationen und Fusionen in Unternehmen wie Thyssen-Krupp, Allianz, Siemens, Daimler und Deutsche Bank gehören internationale Führungsaufgaben zum Unternehmensalltag. Es ist jedoch vermehrt festzustellen, dass bewährte Führungsstile im interkulturellen Kontext nicht erfolgreich sind. Sie können sogar kontraproduktiv wirken. Ausgehend davon werden anhand von non-verbaler Kommunikation zweier Führungskräfte aus unterschiedlichen Kulturkreisen, eines deutschen und eines englischen mit US-Sozialisation, die Besonderheiten der interkulturellen Kommunikation als Mittel der Führung und Beurteilung von Ergebnissen dargestellt. Die Lloyds Banking Group ist eine weltweit führende börsennotierte britische Großbank mit Sitz in England und über 50.000 Mitarbeitern, die aus einer Fusion mit der Halifax Bank of Scotland (HBOS) hervorgegangen ist. Die englische Clerical Medical Investment Limited (CM) ist ein Produzent von Finanzdienstleistungen mit einer über 185-jährige Tradition und Standorte in England, Österreich, Deutschland, Italien, Holland und Luxemburg. Das deutsche Unternehmen Heidelberger Lebensversicherungen AG (HD), vorher MLP Lebensversicherungen AG, ist als Produzent kürzer am Markt und hat seinen Hauptstandort in Heidelberg. Insgesamt haben CM und HD über 1.000 Mitarbeiter. Ausgangslage Der Unternehmenssprecher und zugleich Leiter der Presse- & Öffentlichkeitsarbeit sowie Werbung der Unternehmen Clerical Medical Investment Limited und der Heidelberger Lebensversicherungen AG erhält nach einer Übernahme durch die Lloyds Banking Group vom neuem CEO den Auftrag, die beiden Unternehmen im deutschen Markt neu zu positionieren. Mitarbeiter mit unterschiedlicher Herkunft und Arbeitsplätzen an den verschiedenen Standorten sollen zusammen arbeiten und den Neuauftritt unterstützen. Die Konzernmutter führt gleichzeitig ein neues Beurteilungs- und Entlohnungssystem ein. Der Unternehmenssprecher, seit rund einem Jahr an Bord, bringt umfangreiches Kommunikations-, Marketing- und Produktwissen sowie Erfahrungen in der Führung von europäischen Teams mit. Der neue CEO der Lloyds Banking Group ist eine Führungskraft mit US-Sozialisation. 208 Matthias Pawlowski uvk-lucius.de/ fuehren Geschehen Die Zusammenarbeit gestaltet sich - trotz der Entfernung - gut: der CEO überlässt die Vorgehensweise, die Fragen der Produktstrukturierung, der Unternehmensdarstellung und der medialen Präsentation am deutschen Markt vollständig dem Unternehmenssprecher und seinen Kollegen. Der Unternehmenssprecher erarbeitet daraufhin über Wochen eine neue Positionierungsstrategie, sortiert mit seinen Kollegen die Produkte, erstellt einen Krisenkommunikationsplan und präsentiert das Konzept den Medien und Vertriebspartnern. Die Neupositionierung der beiden Unternehmen wird von seinen unabhängigen Vertriebspartnern und von den Medien wohlwollend angenommen. In einem Bericht an den neuen CEO werden die positiven Ergebnisse wie folgt dargestellt: Die überschneidungsfreie Platzierung der Unternehmen CM und HD, inkl. deren Produkte und Zielgruppen, in den Fachmedien als selbständige Marken sei gelungen. Die Fach- und Wirtschaftsmedien berichten über die beiden Unternehmen und die Produkte fünfmal mehr und positiver als ein Jahr zuvor. Die Publikumsmedien konnten für eine positive Berichterstattung gewonnen werden. Der erwartete sogenannte „Shitstorm“ zu CM und deren Produkten, aufgrund nicht eingetroffener Renditeprognosen bei bestimmten älteren Anlageprodukten, konnte verhindert werden. Zudem konnte durch die veränderte Darstellungsweise und Produktkomprimierung das finanzielle Risiko vermindert und erreicht werden, dass die finanzielle Stärke der jeweiligen Unternehmen durch eine sehr gute Bewertungen aller relevanten internationalen Rating-Agenturen unterstrichen wurde. Durch die Erreichung der Publikumsmedien wird die Chance für eine zielgerichtete direkte Kundenansprache eröffnet. Es wird angekündigt, eine Online-Plattform zu entwickeln, um die jeweiligen Produkte der Kundenzielgruppe direkt anbieten zu können. Der Verkauf der Produkte soll damit auf eine breitere Basis gestellt werden (aktuell nur Business to Business, jetzt auch zusätzlich Business to Customers). Der Unternehmenssprecher ist mit der Leistung seiner Mitarbeiter zufrieden. Ein paar Tage später kündigt der CEO dem Unternehmenssprecher an, dass das Kommunikations- und Marketingbudget gekürzt wird. Der Sprecher wird gebeten intern zu kommunizieren, dass fünfzehn Prozent der Mitarbeiter des Gesamtkonzerns entlassen werden sollen. Die Bereichsleiter des Unternehmens sollen Mitarbeiter benennen. Einzig aus der Vertriebsmannschaft soll niemand gekündigt werden. Als Begründung werden die „schlechten“ Verkaufszahlen der Produkte der drei Unternehmen herangeführt. Aus den vorgelegten Zahlen ergibt sich eine Stagnation der Produktverkäufe. Zudem soll das neue internationale A-B-C-Bewertungssystem zur Begründung für die Entlassungen herangezogen werden. Gleichzeitig wird der Unternehmenssprecher gebeten, ein internes und externes Personalmarketingkonzept zu erarbeiten, um die „Unternehmenswerte“ in den Vordergrund zu stellen. Der Sprecher ist irritiert. Ist das Führungsverhalten des CEO willkürlich? Hat der Unternehmenssprecher seinen Auftrag nicht vorbildlich erledigt? Was ist passiert? Fallanalyse Um das zu beurteilen und künftige Führungsprobleme zu vermeiden, ist es wichtig, die unterschiedlichen nicht ausgesprochenen Erwartungen an das Führungsverhalten aufzuzeigen. Was verstehen der neue CEO und der Unternehmenssprecher eigentlich Interkulturelle Führung (Lloyds Banking Group) 209 uvk-lucius.de/ fuehren unter einer ergebnisgerechten Führung? In jeder Organisation befinden sich mehr oder minder verteilte Rollen, Beziehungen und Zuständigkeiten. Dabei stehen Führungskräfte untereinander und die Mitarbeiter im Hinblick auf die zu verrichtenden Aufgaben in Beziehung. Es besteht eine unausgesprochene Akzeptanz über Rolle und Funktion und Abhängigkeiten. Die Führungskraft delegiert zur Zielerreichung Arbeitsaufgaben an die Mitarbeiter innerhalb bestimmter Kontextbedingungen. Es gilt grundsätzlich: Zwischen Managern aus gleichen Kulturkreisen unterscheiden sich die - nicht ausgesprochenen - Erwartungen nicht so sehr, wie bei Managern aus fremden Kulturkreisen. Im obigen Fall waren die - nicht ausgesprochenen - Erwartungen die Herausforderung. Der CEO verstand unter seiner Anweisung, die Unternehmen am Markt neu zu positionieren, um eine zeitnahe Erhöhung der Verkaufszahlen zu erreichen. Der Unternehmenssprecher interpretierte die Aufgabe als „strategische Vorbereitung“ auf eine mittelfristige Umsatzsteigerung. Erst durch die angekündigten Stellenstreichungen erkennt der Unternehmenssprecher die „wahre Botschaft“ des CEO. Er versetzt sich in die Lage des CEO und beschließt den aktuellen und die zukünftigen Berichte umsatzorientiert oder kostenoptimiert mit Zeithorizonten zu präsentieren. Er erkennt, dass der CEO eine Führungskraft mit US-Sozialisation ist, die seinen Kommunikations- und Führungsstil prägt. Der Unternehmenssprecher macht sich klar, dass dieser Stil tendenziell beinhaltet, jedes Tun und Handeln auf Verkaufssteigerungspotenzial zu überprüfen. Der Unternehmenssprecher ordnet seine Beobachtungen und die Formulierungen des CEO neu zu. Schließlich hat sich der CEO immer erst die Verkaufszahlen erläutern lassen und Fragen nach der Entwicklung gestellt. Unterschiede des US- Sozialisierten und des deutschen Führungsstils wurden schon in der Sprache deutlich. Der CEO verwendete immer die Begriffe „big Business“ oder „Business Manager“. Der Mitarbeiter in den US-sozialisierten Kulturkreisen weiß, dass die lässig nebenher gestellte Frage nach dem Wohlbefinden nicht wirklich das Wohlbefinden meint, sondern das jeweilige Engagement am Verkaufserfolg erforschen möchte. Das erklärt auch das neu eingeführte A-B-C-Beurteilungssystem für die Mitarbeiter. Die Mitarbeiterbewertungen erfolgen in Ranglisten. Die Mitarbeiter werden in drei Kategorien eingeteilt: A steht für Top-Leute, B für benötigtes Bestandspersonal und C für „Ausschuss“. In vielen Unternehmen mit diesem Bewertungssystem wird jemand, der nicht zur Umsatzsteigerung beiträgt (A) oder an betriebserhaltenden Stellen sitzt (B), aussortiert (C). Nicht selten bekommt der gekündigte C-Mitarbeiter zu hören, dass er selber an seiner Entlassung schuld sei, er habe sich selbst, und damit das Unternehmen, zu sehr vernachlässigt. Es wird erwartet, selbständig profitabel zu arbeiten und das jederzeit unter Beweis zu stellen. So wird man es in einem US-sozialisierten Unternehmen nicht erleben, dass ein Manager sich mit einem Mitarbeiter zusammensetzt und kritisch seine Situation analysiert, damit dieser zukünftig bessere Ergebnisse erreicht. Oberste Pflicht jedes Arbeitnehmers ist, eine Umsatzsteigerung für die Aktionäre zu erreichen. Die deutsche und meist auch englische Führungskultur ist von klar definierten und abgegrenzten Verantwortungsgraden und Hierarchie-Ebenen geprägt. Das bedeutet, dass die Beurteilung der Medien- und Marketingaufgabe nicht direkt den Produkt- Verkaufszahlen unterliegt. Ziel ist die erhöhte Messung der Medien- und Marketingaufmerksamkeit an sich. Wie in den US-Sozialisierten Unternehmen können die Mitarbeiter innerhalb des Rahmens frei handeln. Der Unterschied liegt aber im non-verbalen Kontext. Aufgaben mit weitreichenden Folgen werden in beiden Kulturkreisen auch 210 Matthias Pawlowski uvk-lucius.de/ fuehren ohne Rücksprache mit einer übergeordneten Autorität eigenverantwortlich erfüllt. Nur mit dem Unterschied, dass die Verantwortung für das Ergebnis im US-Sozialisierten Raum dabei aber vollumfassend dem jeweils handelnden Mitarbeitern obliegt, im zugrunde liegenden Fall also dem Unternehmenssprecher, seinen Kollegen und jedem einzelnen Mitarbeiter von CM und HD. Der CEO möchte zielführende Ergebnisse präsentiert bekommen, er möchte zufriedenstellende Endresultate. Gute Endresultate sind aber in diesem Sinne nur eine Steigerung der Verkaufszahlen oder Kostenreduktionen. Einzig und allein das interessiert ihn und daran müssen die Berichte und Ergebnisse orientiert sein. Bleibt dieser Ansatz außen vor, ist er unzufrieden. Schlechte Umsatzsteigerungen entziehen dem CEO Macht und Einfluss gegenüber den Aktionären und mindern seinen Bonus, der in der Regel zusätzlich zum Gehalt nochmals weit mehr als ein Viertel beträgt. Interkulturalität ist immer dann im Spiel, wenn ein ähnliches Verhalten in unterschiedlichen Kontexten zu entgegengesetzten Konsequenzen führen kann - Missverständnisse sind dann vorprogrammiert. Eins wird deutlich: Eine objektive Wirklichkeit gibt es nicht. Standpunkte, Perspektiven und Interpretationen der Beteiligten bestimmen die Wahrnehmung - insbesondere in interkulturellen Führungssituationen. Lösungsansätze Besondere Anforderungen an eine Kommunikation sind immer dann gegeben, wenn Führungskräfte mit anderem „Erfahrungshintergrund“ beteiligt sind (siehe dazu auch Blessin & Wick, 2014: 264). Es ist dann wichtig, eine Brücke der Kommunikation zu bauen und eine gemeinsame Sprach- und Verstehensebene zu finden. Es ist wichtig, sich klar zu machen: „Gedacht ist noch nicht gesagt. Gesagt ist noch nicht gehört. Gehört ist noch nicht verstanden. Verstanden ist noch nicht einverstanden. Einverstanden ist noch nicht angewendet. Angewendet ist noch nicht beibehalten.“ Die Komfortzone muss verlassen und eine neue Kommunikationsebene gefunden werden. Wer als CEO und Führungskraft seine Kollegen und Mitarbeiter nicht „mitnimmt“, wird wahrscheinlich kurz oder lang mit Wettbewerbsnachteilen im internationalen Markt rechnen müssen. Es muss eine Antwort auf die folgende Frage gefunden werden: „Welches sind die relevanten internen und externen Touchpoints für die interkulturelle Kommunikation und wie muss diese zielführend (s.o. Sprichwort) gestaltet werden? “. Am beschriebenen Fall ersehen wir deutlich die bestehenden Systemunterschiede zwischen den Kulturen und Personen. Um gewünschte Ergebnisse zu erreichen, müssen die Funktionsweisen der interkulturellen Aspekte begriffen und angenommen werden. Ermöglicht wird dadurch eine Kombination des unterschiedlichen Führungsverhaltens. Erreicht wird eine zufriedenstellende Arbeits- und Beurteilungsweise für alle Beteiligten. Interkulturelle Führung (Lloyds Banking Group) 211 uvk-lucius.de/ fuehren Was sorgt nun genau für ein besseres Verständnis des unterschiedlichen Führungsverhaltens? Wie können sich Beteiligte auf interkulturelle Führungssituationen vorbereiten? Nach dem im deutschsprachigen Raum häufig benutzten Modell von Schulz von Thun (1981, S. 25) findet Kommunikation auf vier Ebenen statt: Der Sachebene, der Selbstoffenbarungsebene, der Beziehungsebene und der Appel-Ebene. In dem Modell senden und empfangen der Sender und der Empfänger auf allen vier Ebenen. Wie kann sichergestellt werden, dass die Nachrichten richtig verstanden werden? Die vier Seiten einer Nachricht (Modell von Schulz von Thun) Sachebene: Worüber informiere ich - welche Information hört der Empfänger? Selbstoffenbarungsebene: Was erzähle ich von mir - wie beurteilt mich daraufhin der Empfänger? Beziehungsebene: Was halte ich vom Gesprächspartner - was hält dieser von mir? Appel-Ebene: Was möchte ich veranlassen - wozu fühlt der Empfänger sich aufgefordert? Nach Schulz von Thun ist eine aktive Feedbackkultur ein sicheres Mittel, um Missverständnissen in der Kommunikation rechtzeitig entgegenzuwirken. Hier einige weitere Ansätze dazu: [1] Bewusstsein entwickeln: Nicht nur für Gemeinsamkeiten, sondern gerade auch für Unterschiede in der Darstellung von Aufträgen, Erwartungen beim Delegieren und den unterschiedlichen Selbstverständnissen. [2] Konfliktfähigkeit stärken: Mut zum offenen Austausch über Merkmale und Stärken der jeweiligen Führungsstile, aber ohne diese zu bewerten. [3] Mehrwert in den Vordergrund stellen: Herausarbeiten der Kombination von Stärken und gemeinsamer Ziele in Führungssituationen und Managementprozessen. Was ist zu tun? Die Führungskräfte sind aufgefordert, ihre Erfahrungen und Anregungen an die internationalen Personalentwickler weiterzugeben. Auf dieser Grundlage gilt es, eine Kombination von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu erstellen und regelmäßig durch Führungskräfte überprüfen zu lassen. Im beschrieben konkreten Fall wurde das kulturell unterschiedlich geprägte Führungsverhalten noch erkannt und es konnte die Kommunikationsebene korrigiert werden. Der Unternehmenssprecher konnte seinen Kommunikationsstil gegenüber dem CEO noch verändern. Er wusste jetzt um den Kontext, seine Rolle und kannte die Auswirkungen. Er legte plausibel dar, dass durch die vollbrachte Neupositionierung Kosten eingespart und dem Vertrieb eine Umsatzsteigerung ermöglicht wurde, falls nicht andere unbeeinflussbare Faktoren hinzukommen. Durch die Veröffentlichung dieses neuen Berichts sowie eines Vortrages über die Ergebnisse wurden die Kollegen und Mitarbeiter für die Überprüfung ihrer Handlungsweisen sensibilisiert. Die Darstellungsweise - ausgerichtet auf den Führungsstil des CEO mit US-Sozialisierung erleichterte den Mitarbeitern aus anderen Kulturkreisen den Umgang mit ihm sowie miteinander, da diese die Grundtendenz „Verkaufserfolge zu generieren“ verstanden hatten. 212 Matthias Pawlowski uvk-lucius.de/ fuehren Damit schärft er den Blick bei den Mitarbeitern fürs Geschäft („big Business“). Die Mitarbeiter glichen daraufhin selbständig ihr jeweiliges Handeln noch stärker mit dem Vertriebszielen ab. Die Folge war, dass das Kommunikations- und Marketingbudget nicht gekürzt wurde. Dem Unternehmenssprecher wurde eine sehr gute Arbeit bescheinigt. Aus- und Weiterbildungsansatz Führungskräftekommunikation unter interkulturellen Bedingungen kann zum großen Teil auf bewährte Führungsinstrumente zurückgreifen, wie sie vor allem im Human Ressource Management zur Verfügung gestellt werden. Diese Instrumente und Vorgehensweisen sind von Wertesystemen geprägt (Blessin & Wick, 2014: 42). Insofern können sie sich im Einsatz unter interkulturellen Einfluss als wirkungslos erweisen. Das aufzubauende Wissen und Können sollte freiwillig, dialog- und beteiligungsorientiert im beruflichen Umfeld umgesetzt werden. Im Rahmen einer Einführung einer Personal- und Organisationsentwicklung, unter multikulturellen Bedingungen, sollten durch verschiedene Projekte wie Leitbild und Führungskräfteentwicklung sowie Mitarbeiterbeurteilung die Kompetenzen aufgebaut und erweitert werden. Projektbeteiligte sind die Geschäftsführung und die Führungskräfte des Unternehmens unter Anleitung von einem externen Moderator. Im Führungskräftetraining sollten Kompetenzprofile (Blessin & Wick, 2014: 154f.) erarbeitet werden. Die Beschreibung verschiedener Kommunikationsfacetten soll jeder Führungskraft helfen, sich ein umfassendes Bild der eigenen Rolle im Unternehmen zu machen. An drei Führungsthemen sollte gearbeitet werden: [1] Sensibilisierung: Führen und Leiten von Teams unter Berücksichtigung interkultureller Anforderung an Führungsarbeit. Ziel: Förderung von kultursensibler Wahrnehmung, Entwicklung von Problem- bewusstsein für Personal- und Organisationsprozesse Methoden: Seminare, Theorie-Inputs, Beschreibung kritischer Ereignisse aus dem Arbeitsalltag. [2] Konfliktmanagement in multikulturellen Teams mit dem Ziel der Verhaltensänderung (s.u.) [3] Interkulturelle Basis-Workshops (WS): Wissensvermittlung: Ziel: Verarbeitung von neuen Informationen und Aufnah- me in seinen individuellen Wissensstand. Methoden: Workshops, Gruppenarbeit) Verhaltensänderung: Ziel: Wissen, Erkenntnisse und Methoden auf konkrete Si- tuationen im Arbeitsalltag übertragen und anwenden. Handlungsrahmen erweitern. Methoden: Informeller und moderierte Austausch unter Führungskräften; Entwicklung von Lösungsstrategien für kritische Ereignisse im Arbeitsalltag Interkulturelle Führung (Lloyds Banking Group) 213 Phasenbezogene Trainingsfunktionen Trainings: Umsetzung: Organisation: Unternehmensleitbild Leitmotiv Bearbeiter Team Leitbildprozess Beurteilungssystem WS Mitarbeiter- Beurteilung WS Mitarbeiter- Gesprächsführung Einführung Beurteilungssystem Führungskräfte- Training: Konfliktmanagement WS Konfliktbearbeitung Führen und Leiten von Teams Das o.g. Beispiel aus dem Bereich „Führen und Leiten von Teams“ zeigt, wie Führungskräfte für die Anforderungen der Kommunikation zu sensibilisieren sind, indem sie beobachtete Verhaltensweisen sammeln und daraus Konsequenzen für ihr eigenes Führungsverhalten ziehen. Das „Lernen im Prozess der Arbeit“ könnte ein „Türöffner“ sein, der Führungskräfte für die neu formulierten Anforderungen an professionelle Kommunikation mit interkulturellen Teams bereit macht. Literatur Blessin, B. & Wick, A. (2014). Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK. Schulz von Thun, F. (1981). Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen: Allgemeine Psychologie der Kommunikation. Reinbek bei Hamburg: rororo Autor-Kurzprofil Matthias Pawlowski ist Jurist, Betriebswirt und Journalist. Er ist Partner sowie Director Marketing and Communications einer internationalen Unternehmensberatung. Er hat Erfahrungen als Pressesprecher und Büroleiter im Deutschen Bundestag sowie als Unternehmenssprecher und Leiter der Presse- & Öffentlichkeitsarbeit und Werbung von nationalen und internationalen Wirtschaftsunternehmen, wie zum Beispiel der Dresdner Bank AG und der Lloyds Banking Group. uvk-lucius.de/ fuehren Kapitel 7 Vielfalt führen - vielfältig führen „Da sich Menschen nicht nur unterscheiden und individuell verändern können, sondern auch ganze Gesellschaften, besteht die Aufgabe der Führungskräfte und der Führungsforschung nicht nur darin, „jetzt endlich“ angemessene Führungsmodelle und techniken zu entwickeln, sondern auch mit Tendenzen und Prozessen umzugehen, die bekannte Zustände real verändern und dementsprechend eine an einem imaginierten Status Quo orientierte Forschung und Praxis hinsichtlich der anstehenden Aufgaben für die Zukunft zum Scheitern bringen können.“ „Führen und führen lassen“ (S. 281) Wenn die Vielfalt sowohl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, als auch in den Aufgabenkonstellationen und -anforderungen anerkannt wird, führt das zu einem Verständnis von Führung, das ebenfalls Vielfalt und Vielgestaltigkeit aufweist. Die traditionelle Vorstellung der Kontingenzansätze, dass für eine bestimmte Situation eine bestimmte Führung optimal ist, also bei unterschiedlichen Situationen insgesamt auch unterschiedliche Führungsstile, ist dabei nur der Ausgangspunkt. Nicht nur die Anforderungen an das Verhalten von Führungskräften an sich ändert sich, sondern auch die Kriterien dessen, was als Führungserfolg angesehen wird - und der Kreis derer, die diese Kriterien definieren. So rücken die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren Vorstellungen, Bedürfnissen und Möglichkeiten stärker ins Zentrum der Betrachtung. Und auch den Führungskräften selbst wird eine andere Aufmerksamkeit zuteil als traditionell üblich. Wir präsentieren einen Strauß an Praxisbeispielen zu den Feldern demographische Veränderungen, Frauen in Führungspositionen sowie Führung und Gesundheit. Individualisierung und Vielfalt: Diversity „Seit einigen Jahrzehnten sichtbar und in jüngerer Zeit spürbar werdende Veränderungen auf Seiten der Angebotsseite des Arbeitskräftemarkts stellen Unternehmen vor charakteristische Anpassungsaufgaben. Dabei geht es um die Ausbildung oder Suche und Attraktion geeigneter Arbeitskräfte, aber auch um deren Motivierung, Bindung sowie ihren effizienten und nachhaltigen Einsatz, sofern es gelungen ist, sie für das Unternehmen zu verpflichten.“ „Führen und führen lassen“ (S. 282) Der sehr allgemeine Begriff der Veränderung umfasst ein gewaltiges Spektrum von Domänen und Prozessen. Nicht alle sind so offenkundig und medienwirksam wie die Entwicklung der modernen Kommunikationsmittel und das „Zusammenwachsen“ der Kulturkreise überall auf der Welt zum „globalen Dorf“. Wir präsentieren ein Fallbeispiel, das Aspekte der Veränderung von Lebensgewohnheiten und Demographie in Deutschland beleuchtet, die eher selten mediale Aufmerksamkeit erlangen, aber trotzdem sehr weitreichende Folgen haben, mit denen das Unternehmen konstruktiv umzugehen versucht: nicht nur, dass die Altersrelation in der Bevölkerung sich weiter zu einer älteren Gesellschaft entwickelt, sondern auch die Bewegung gerade der jüngeren Bevölkerung aus dem ländlichen Raum in die größeren Städte. 216 Kapitel 7: Vielfalt führen - vielfältig führen uvk-lucius.de/ fuehren Die Herausforderungen durch die Veränderungen der Arbeitswelt sowie spezifische demographische Tendenzen der regionalen ländlichen Gegebenheiten thematisieren Anika Badock, Jutta Rump und Silke Eilers. Das beschriebene Programm fokussiert alternsgerechte Personalentwicklung zum Erhalt und Ausbau von Leistungsfähigkeit. Ausgehend von der Idee, demographisch bedingte Personalengpässe mittels Personalentwicklung für diejenigen Mitarbeitergruppen, die oft altersmäßig bereits aus den üblichen Programmen herausfallen, aufzufangen. Sie werden hier als „Erfahrene“, als entwicklungswürdige Gruppe definiert. Für das Programm entwickelte eine demographisch gemischte Arbeitsgruppe ein Kompetenzmodell, das alternsgerechte Entwicklung der beruflichen Leistungsfähigkeit für das Unternehmen abbildet und dessen Kompetenzen über die alternsgerechte Personalentwicklung entsprechend gefördert werden sollen. Es wird auf die Rolle der Führungskräfte für eine solche alternsgerechte Personalentwicklung fokussiert. So wurde zur Unterstützung des Konzepts eine spezifische Seminarreihe für die Führungskräfte aufgelegt, die deren themenbezogene Reflexion fördern, sie in ihren Aufgaben unterstützen und ihre Umsetzungskompetenz steigern soll. Erste Ergebnisse aus den Maßnahmen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Führungskräfte werden berichtet, die zur weiteren Verbesserung des Programms führen können. Unmittelbar messbare Ergebnisse in der Leistungsfähigkeit und Abdeckung des Kompetenzbedarfs stehen in Anbetracht der Aktualität des Themas noch aus. Die Intention das Programm fest zu institutionalisieren, wenn sich positive Effekte nachweisen lassen, spricht für die Anerkenntnis, dass Diversity ein Dauerthema und damit mehr als Anlass für ein zeitlich begrenztes Projekt ist. Frauen und Führung „Über Frauen schreiben heißt über Männer schreiben - und umgekehrt. Dieser Satz gewinnt im Lichte der Diskussion um Diversity in besonderer Weise an Gewicht. Diversity Management zielt in der operationalen Ausrichtung auf erhöhte Problemlösefähigkeit heterogener Gruppen. Und gerade wegen dieser beiden Aspekte ist es eine zwingende Notwendigkeit auch über einen zunehmenden Anteil von Frauen in Führungspositionen zu diskutieren.“ „Es bringt … wenig Gewinn zu fragen, ob männliche oder weibliche Führungskräfte sich in ihren Eigenschaften oder Verhaltensweisen signifikant unterscheiden. Viel wichtiger ist es herauszufinden, warum diese Frage gestellt wird, durch welche Praktiken und Institutionen Unterschiede erzeugt oder aufrechterhalten werden, wie sie gerechtfertigt werden und wie auf Versuche ihrer Nivellierung reagiert wird.“ „Führen und führen lassen“ (S. 307 bzw. S. 318) Unsere drei Fallbeispiele lassen die sehr grundlegende Entscheidung, ob weibliche Führungskräfte im Prinzip erwünscht sind hinter sich und wenden sich der konkreten Entwicklung weiblicher Führungskräfte zu - aus demographischer, Förderungs- und Gleichstellungsperspektive. Ein Mentoring-Programm, das auf weibliche Führungs(nachwuchs)kräfte fokussiert, beschreiben Thorsten Thoma und Malina Braun. Dieses beachtet umsichtig die Gegebenheiten, die Frauen in ihrer Entwicklung zur (höheren) Führungskraft beeinträchtigen oder fördern können. Es nehmen ausschließlich Frauen an dem Programm Frauen und Führung 217 uvk-lucius.de/ fuehren teil, sowohl als Mentorinnen als auch als Mentees. Unter Berücksichtigung dessen, dass die Mentorinnen eine umfassende Vorbereitung und Begleitung ihrer Rolle erhalten, kann das Programm neben der Förderung der Mentees auch die weitere Entwicklung der Mentorinnen selbst betreiben. Der Erfolg des Programms wird anhand verschiedener Kriterien (u.a. hierarchischer Aufstieg, Zufriedenheit mit dem Programm, Wahrnehmung von eigener Kompetenzentwicklung) beleuchtet. Anita Pongratz berichtet über eine unternehmensübergreifende Initiative zur Förderung von Frauen für und in Führungspositionen. Genauer wird ein Mentoring- Programm der Initiative vorgestellt. Das Besondere ist die Teilnahme von Mentorinnen und Mentees aus den verschiedenen teilnehmenden Unternehmen, womit die Teilnehmerinnen einerseits nicht im „eigenen Saft“ ihres Unternehmens schmoren und deshalb auch andere Möglichkeiten der Führung von Frauen kennenlernen können und andererseits auch Mentees teilnehmen können, die im eigenen Unternehmen keine relevante Mentorin auffinden oder an keinem unternehmensinternen Förderprogramm teilnehmen. Katrin Schuler schildert eine Unternehmensinitiative, die auf Gleichstellung mit einem Fokus auf die Erhöhung der Frauenquote in Führungspositionen abhebt, um damit die angestrebten gemischtgeschlechtlichen Führungsteams breit zu etablieren. Zu Beginn wurde die Umsetzung im Rahmen eines konventionellen Projekts zur Gleichstellung und Frauenförderung organisiert. Dabei wurde auf konsequente, sichtbare Unterstützung durch die Unternehmensleitung geachtet und die angestoßenen Maßnahmen nach Abschluss des Projekts fortgeführt, um den Ansatz als dauerhaftes Programm zu verstetigen und zu entwickeln. Sensibilisierungs- und Reflexionsgelegenheiten, konkrete Maßnahmen zur Schaffung der organisatorischen Grundlagen für eine Führungsaktivität von Frauen und der persönlichen Förderung und Begleitung der Teilnehmerinnen sowie die Integration des Anliegens in betriebliche Bewertungs- und Anreizsysteme verankerte das Unterfangen breit und trug dazu bei, dass innerhalb relativ kurzer Zeit wichtige Ziele bei der Erhöhung der Frauenquote in Führungspositionen erreicht werden konnten. Gesund führen „Belastungen am Arbeitsplatz gibt es in vielerlei Gestalt. Sie müssen dabei nicht für jeden Arbeitsplatz objektiv gegeben oder subjektiv wahrnehmbar sein. Auch kann das Ausmaß zwischen und auch innerhalb der Stelle sehr unterschiedlich sein. Es gibt körperliche Belastungen (wie schweres Heben oder ungünstige Körperhaltung), Belastungen durch Umgebungsbedingungen (wie Hitze/ Kälte, Geruchs-/ Schadstoffexposition), psychische Belastungen (durch Aufgabe, Organisation und Tätigkeitsbedingungen) und soziale Belastungen (durch Interaktionen und Begleiterscheinungen von Kooperationsformen). Das Themenfeld Führung und Gesundheit befasst sich vor allem mit psychosozialen Belastungen, wenn auch die Gesundheitsgefährdungen durch physikalische Umgebungsfaktoren nicht dem Blick entschwunden sind. Ziel der Forschungsbemühungen ist nachhaltige Arbeitsfähigkeit … und die entsprechende Teilhabeentscheidung der MitarbeiterInnen für die Perspektive der Unternehmen und Gesundheit und Wohlbefinden für die Perspektive der MitarbeiterInnen.“ „Führen und führen lassen“ (S. 325) 218 Kapitel 7: Vielfalt führen - vielfältig führen Wir bieten drei Fallbeispiele, die sich mit der Rolle der Führung und von Führungskräften im Hinblick auf die Gesundheit und nachhaltige Leistungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befassen. René Marchand und Deborah Marit Löffler beschreiben das Konzept der „leistungsgesunden Führung“. Sie soll die in der Praxis häufig wahrgenommene Diskrepanz oder sogar Gegensätzlichkeit zwischen Leistungseffizienz und Gesundheitsförderung überwinden, indem explizit und konsequent die Gesundheitsförderung (hier „Prävention“) mit der Leistungskomponente der Führung integriert wird. Dabei werden Beeinträchtigungspotenziale und eingetretene Beeinträchtigungen für Wohlbefinden, Gesundheit und Leistungserbringung in drei Stufen kategorisiert und analysiert, um spezifisch angegangen zu werden. Die Anwendung in einem mittelständischen Unternehmen wird präsentiert, wobei die Analysephase und die Auswahl von Einzelmaßnahmen fokussiert werden. Ein reizvolles Integrationsprojekt von betrieblichem Gesundheitsmanagement und Führungskräfteentwicklung in Richtung gesundem Führen beschreibt Steffen Fischer. Ausgangspunkt war ein üblicher Satz gesundheitsbezogener Einzelmaßnahmen und eine eher unkoordinierte Führungskräfteentwicklung, die die oberen Entscheidungsträger im Unternehmen als prinzipiell ausreichend sahen. Über die Wahl eines überzeugenden Diagnoseinstruments konnte dort nicht nur Verständnis, sondern Commitment in der oberen Führungsebene gewonnen werden, um den angestrebten integrativen Ansatz umzusetzen. Die Ergebnisse einer ersten Diagnoserunde führten unmittelbar zu umfassenden Diskussionen zum Bezug von Gesundheit und Leistung sowie der Rolle des Unternehmens und der Führungskräfte dabei, die schließlich einen Großteil der Betroffenen von der Idee überzeugte. Ausgehend von dieser guten Grundlage und einigen Einsichten zur Umsetzung, die in dieser Phase gewonnen werden konnten, hat sich die Idee einer integrierten gesunden Führung im Unternehmen etablieren können. Die wichtige Rolle der Führungskräfte bei der Einführung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements beschreibt Petra Rühle in ihrem Beitrag. In einem Programm mit Schwerpunkt auf psychische Beanspruchung und Stress wurden die Führungskräfte für den Zusammenhang von Gesundheit und Leistungsfähigkeit sensibilisiert und sollten als Unterstützer, Promotor und Handelnde für das Thema aktiviert werden. Ferner sollten auch ihre persönlichen Ressourcen gestärkt werden. Einen Schwerpunkt bildete die Vermittlung von Möglichkeiten zur Stärkung der Ressourcen der Mitarbeiter zum Umgang mit Belastungen mittels aktiver sozialer Unterstützung durch die Führungskraft. Diese wurde breit aufgesetzt und gezielt auf Aspekte der Gesundheit (insb. Wertschätzung und Transparenz) wie der Leistungsermöglichung (Umgang mit Belastungen und Beanspruchungen sowie Ressourcenaufbau) ausgerichtet. Es werden auch typische Probleme berichtet, wie die Schwierigkeit der Führungskräfte beim Transfer der off-the-job erarbeiteten Handlungsweisen in den beruflichen Alltag - gerade dann, wenn Belastungen und Beanspruchungen sich verdichteten. Somit brachen sich gerade in solchen kritischen Situationen die traditionellen Prioritäten wieder Bahn. Hier könnten weitere Begleitmaßnahmen oder eine Überarbeitung des Programms hilfreich sein. Einschränkend wird in diesem Kontext aber darauf verwiesen, dass es auch diesem Projekt wie vielen ging, die nicht unmittelbar auf die Kernleistung bezogen sind: Es wurde nicht komplett zu Ende geführt, sodass davon auszugehen ist, dass das Potenzial des Programms in der Organisation nicht ausgeschöpft wurde. uvk-lucius.de/ fuehren 7.1 Sensibilisierung der Führungskräfte für alternsgerechte Personalentwicklung von Anika Badock, Jutta Rump und Silke Eilers Die Sparkasse Zollernalb wurde im Jahr 1836 gegründet und gehört dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) e.V. an. Sie ist der führende Finanzdienstleister im Zollernalbkreis und bezeichnet sich als Vertriebssparkasse. Ende 2014 waren 804 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Sparkasse Zollernalb tätig. Der demografische Wandel machte sich bereits damals bemerkbar und wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken. So ist zum einen der Zollernalbkreis von Abwanderung und einer überdurchschnittlichen Alterung der Bevölkerung betroffen. Zum anderen zeigen die Zahlen des Betriebsvergleichs 2014, dass damals bereits 17,2% der aktiven bankspezifischen Beschäftigten 55 Jahre und älter waren. 42,9% waren Frauen zwischen 20 und unter 40 Jahren, bei denen vielfach Phasen der Teilzeitbeschäftigung oder temporäre Auszeiten anstehen. Es droht ein Fachkräftemangel, wenn zu wenige qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachrücken, die neues Wissen in das Unternehmen bringen und vermehrt ältere Beschäftigte ausscheiden, die aufgrund langjähriger Erfahrungen ein enormes Wissen mit sich nehmen. Ausgangslage Neben der demografischen Entwicklung gehören weitere Veränderungen in der Arbeitswelt zur Tagesordnung. Eine geringere Anzahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, weniger Fachkräfte, zunehmend ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Beschäftigte mit unterschiedlichen Wertevorstellungen müssen sich vermehrt Neuerungen und somit einer erhöhten Arbeitsmenge stellen. Diese sich ändernden Arbeitsanforderungen führen nicht selten zu einer hohen psychischen Belastung der gesamten Belegschaft, die wiederum zu einer geringeren Leistungsfähigkeit führen kann. Auf Basis dieser Entwicklungen wurde, abgeleitet aus der Geschäftsstrategie, als Schwerpunktthema der Personalabteilung für das Jahr 2013 folgende These definiert: „Steigenden Arbeitsanforderungen aufgrund zukünftiger Trends wird mit der alternsgerechten Personalentwicklung entgegnet, um psychische Belastung zu reduzieren und eine Leistungsfähigkeit sowie Produktivität zu erhalten bzw. zu steigern.“ Die Geschäftsstrategie der Sparkasse Zollernalb leitet sich von der jeweils gültigen Vision ab, die alle fünf Jahre neu entwickelt wird. Momentan gilt die Vision 2016, in der es unter anderem heißt: „Wir sind ein attraktiver und moderner Arbeitgeber, der seine Mitarbeiter fördert und fordert“ (Sparkasse Zollernalb, Gesamtvorstand 2011, S. 3). Die Sparkasse Zollernalb sieht demnach die fachliche Qualität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Basis ihres Erfolgs an (ebd., S. 3). Die Geschäftsstrategie wird jährlich im Rahmen des Strategieprozesses geprüft. Eine wichtige Aussage ist hier: „Die Geschäftspolitik der Sparkasse Zollernalb orientiert sich am Erfolgsfaktor ‚Mitarbeiter‘, denn die Menschen machen den Unterschied.“ (Sparkasse Zollernalb Gesamtvorstand 2013, S. 3). 2013 wurde aus der Geschäftsstrategie die Personalausrichtung der Personalabteilung abgeleitet. Sie umfasst Leitlinien, u. a. zur Personalentwicklung. Hier heißt es „Ganzheitliche Personalentwicklung sichert unsere Qualitätsführerschaft“ (Sparkasse Zollernalb, Personalabteilung 2013, S. 50). 220 Anika Badock, Jutta Rump und Silke Eilers uvk-lucius.de/ fuehren Das Projekt „alternsgerechte Personalentwicklung“ bezieht sich auf die Entwicklung eines Kompetenzmodells, welches wiederum die Entwicklung der definierten Kompetenzen mit sich zieht. Zielgruppe des Konzepts ist in einem ersten Schritt die sogenannte „Generation E“, worunter die erfahrenen und etablierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sparkasse Zollernalb verstanden werden. Idee/ Bezug zum Kapitel des Lehrbuchs/ Eingesetztes Modell/ Methode Die in Blessin & Wick, 2014: Kapitel 7.1 beschriebenen Implikationen des demografischen Wandels bedingen auch für die Sparkasse Zollernalb eine proaktive Auseinandersetzung mit einer alternden Belegschaft und der Herausforderung, alle vorhandenen Potenziale so gut wie möglich und so lange wie möglich zu nutzen. Da das Bewusstsein dafür bestand, dass strukturierte Personalentwicklung bislang primär auf die Gruppe der unter 45-Jährigen abzielte, ergab sich ein starker Handlungsbedarf mit Bezug auf die immer größer werdende Gruppe der ab 45-Jährigen. Für diese wurden zuvor eher einzelfallbezogene Entwicklungsmaßnahmen umgesetzt. Aber der adäquate Umgang mit Vielfalt - in diesem Fall mit der Fokusgruppe „Generation E“ - kann einen erheblichen Mehrwert für die Organisation schaffen. Der Sparkasse Zollernalb ist bewusst, dass es in hohem Maße von den Führungskräften abhängt, das Konzept zur alternsgerechten Personalentwicklung, das nachfolgend im Detail beschrieben wird, mit Leben zu füllen und zum Erfolg zu führen. Sie für die Notwendigkeit zu sensibilisieren und ihnen konkrete Umsetzungshilfen an die Hand zu geben, nimmt daher eine hohe Priorität im Gesamtprozess ein. Dies wird nicht zuletzt durch die eigens für Führungskräfte aufgelegte Seminarreihe unter wissenschaftlicher Begleitung des Instituts für Beschäftigung und Employability IBE deutlich. Vorgehen und Verlauf Der Gesamtprozess ist gekennzeichnet durch eine gründliche und strukturierte Aufbereitung der Ausgangslage sowie eine auf Vorstandsebene abgestimmte Gesamtstrategie. Die einzelnen Bestandteile werden nachfolgend erläutert. Dabei liegt der Fokus auf der Einbeziehung der Führungskräfte. Bereits im Jahr 2013 begannen die Projektvorbereitungen, die sich zunächst auf eine Analyse bereits vorhandener unternehmensinterner und unternehmensexterner Daten basierend auf der Ausgangslage (u. a. Forschungsergebnisse) stützten. Hieran schloss sich die Bildung einer repräsentativen Arbeitsgruppe an, die sowohl aus Vertreterinnen und Vertretern beider Geschlechter und unterschiedlicher Altersgruppen als auch aus Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus verschiedenen Tätigkeitsfeldern (Führung, Markt und Stab) sowie drei Kundengruppen (Arbeitgeber, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie „Kundinnen und Kunden“) bestand. Es fanden sowohl eine schriftliche Befragung als auch Besprechungen statt. Entwicklung und Einbindung des Kompetenzmodells Das von der Arbeitsgruppe zu entwickelnde Kompetenzmodell baute auf der Erkenntnis auf, dass im Kontext lebenslanger Leistungsfähigkeit ein Bündel an fachlichen und überfachlichen Kompetenzen erforderlich ist, das Menschen dazu befähigt, eine bestehende Beschäftigung zu erhalten oder einen neuen Einsatz zu ermöglichen. Als Sensibilisierung der Führungskräfte für alternsgerechte Personalentwicklung 221 uvk-lucius.de/ fuehren zentrale Kompetenzen wurden für die Beschäftigten der Sparkasse Zollernalb die folgenden identifiziert, die zusammen die individuelle demografische Arbeitsleistung (IDeAl) darstellen: Veränderungsbereitschaft Lernfähigkeit EDV- und digitale Medienkenntnisse vernetztes Denken Effizienz Konzentrationsfähigkeit Selbstwertgefühl psychische Widerstandsfähigkeit emotionale Intelligenz Diese Kompetenzen zu erhalten und zu fördern, liegt zum einen in der Eigenverantwortung jedes bzw. jeder Einzelnen, gekoppelt mit der Einschätzung durch die Führungskraft: „Jede/ r muss selbst beleuchten, wie es bei ihm um die neun Kriterien steht.“ (Sparkasse Zollernalb 2014) Dazu wird ein Selbsttest angeboten, der Gelegenheit zur kritischen Selbstreflektion bietet. Darüber hinaus werden die Kriterien einmal jährlich im Personaljahresgespräch zwischen Vertreterinnen bzw. Vertretern der Personalabteilung und den Führungskräften besprochen, woraus sich Impulse für die Personalentwicklung ergeben. Zudem finden die Kriterien Berücksichtigung im SMiLE- Gespräch (SMiLE steht für Sparkassen-Mitarbeiter Leistungs- und Entwicklungsgespräche) zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Führungskräften - im Abschnitt „Entwicklungsgespräch“ - in dem ein Austausch dazu stattfindet, ob die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter sich Unterstützung wünscht und in welchem Bereich die Führungskraft Ansätze sieht. Auf diese Weise sollen Lösungsmöglichkeiten gemeinsam erarbeitet werden, die in den täglichen Arbeitsablauf eingebettet werden können, flankiert durch konkrete Personalentwicklungsmaßnahmen (IDeAl-Seminar) zu jedem der neun Kriterien bei Bedarf. Die Führungskräfte sind angehalten, bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ab 45 Jahren die alternsgerechte Personalentwicklung zu thematisieren. Erkennen sie jedoch bei Beschäftigten unter 45 Jahren einen entsprechenden Bedarf, so sind die Altersgrenzen fließend. Das heißt, es besteht durchaus die Möglichkeit, auch mit diesen entsprechende Ziele und Maßnahmen zu vereinbaren. Darüber hinaus wird die Einbindung des Kompetenzmodells durch flankierende allgemeine Maßnahmen, die jedes Jahr unter einem anderen der neun Kriterien als Motto stehen, unterstützt. Dazu gehört ein jährlicher Impulsvortrag ebenso wie jährliche Berichte jeweils zu einem der neun IDeAl-Kriterien. Einbeziehung der Führungskräfte Im Rahmen einer ganzheitlichen Vorgehensweise wurden die Führungskräfte von Anfang an in den Prozess einbezogen. Dabei ging es insbesondere darum, dass diese vermehrt das Verständnis für die überfachlichen Kompetenzen bekommen sollten, d.h. dass zukünftig nicht nur die Fachkompetenz im Fokus stehen sollte, sondern der Mensch als Ganzes. Die Führungskräfte sollten nicht zuletzt dafür sensibilisiert werden, dass die Zukunft geprägt ist von stetigen Veränderungen und steigenden Anfor- 222 Anika Badock, Jutta Rump und Silke Eilers uvk-lucius.de/ fuehren derungen. Denn hier gilt es als Führungskraft, vermehrt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter individuell (u. a. bezogen auf die Kompetenzen und Werte der Generationen) in Veränderungsprozessen zu begleiten und zu entwickeln und als Vorbild voranzuschreiten. Diese Schritte wurden dazu im Einzelnen vollzogen und werden nachfolgend genauer vorgestellt: Thematisierung der alternsgerechten Personalentwicklung im Kreis der Führungskräfte Zweitägige Seminare für Führungskräfte aller Ebenen (außer Vorstand) Unterstützung der Führungskräfte bei der Informationsweitergabe an ihre Mitarbeiter Thematisierung der alternsgerechten Personalentwicklung im Kreis der Führungskräfte Im Rahmen des jährlich stattfindenden „Impulsvortrags für Führungskräfte“ wurden mit externer Unterstützung seitens des Instituts für Beschäftigung und Employability IBE die zentralen Trends und Entwicklungen in der Arbeitswelt vorgestellt. Hieraus wurden die Anforderungen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sparkasse Zollernalb, aber auch an Führung und Personalentwicklung, abgeleitet. Ziel war es, die Notwendigkeit für die Auseinandersetzung mit alternsgerechter Personalentwicklung zur Sicherung der Fachkräftebasis, aber auch der Attraktivität als Arbeitgeber aufzuzeigen. An diesem Impulsvortrag nahmen 53 Führungskräfte teil. In der ebenfalls jährlich stattfindenden Veranstaltung „Aktuelles/ Relevantes aus der Personalabteilung“ wurden die Führungskräfte über die Maßnahmenplanung informiert und darauf vorbereitet, eine aktive Rolle im Zuge des Konzeptes „IDeAl“ zu übernehmen. Das Dokument Aktuelles und Relevantes aus der PA_Alternsgerechte PE finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. Seminare für Führungskräfte Insgesamt 53 Führungskräfte aller Ebenen unterhalb des Vorstands nahmen im Jahr 2014 an zweitägigen Seminaren teil, die sie auf ihre Aufgaben im Rahmen des Konzeptes IDeAl vorbereiten sollten. Diese Seminare, konzipiert und durchgeführt in enger Abstimmung mit dem Institut für Beschäftigung und Employability IBE, umfassten die folgenden Themenstellungen: Die demografische Entwicklung und weitere Trends Sensibilisierung der Führungskräfte für die Notwendigkeit eines proaktiven Umgangs mit alternden Belegschaften und Sicherung der Potenziale der Mitarbeitergruppe ab 45 Jahren. Sensibilisierung der Führungskräfte für alternsgerechte Personalentwicklung 223 uvk-lucius.de/ fuehren Organisationsentwicklung zum Erhalt von Produktivität Erläuterung moderner Organisationsformen und -modelle sowie kritische Reflektion der Prozess- und Ablaufgestaltung im eigenen Führungsbereich. Führung im Veränderungsmanagement Darstellung der Anforderungen an und der Rolle von Führungskräften im Veränderungsmanagement sowie Vermittlung von Strategien zum Umgang mit Widerständen. Die Kriterien der individuellen demografischen Arbeitsleistung Erläuterung des Modells der lebenslangen Leistungsfähigkeit sowie Ansatzpunkte zum Umgang mit der individuellen demografischen Arbeitsleistung im eigenen Führungsbereich. Alternsgerechte Personalentwicklung Vermittlung von Grundlagen zu altersspezifischen Kompetenzmodellen, gängigen Stereotypen und deren Entkräftung. Generationen-Management Erläuterung von Generationsunterschieden bezogen auf bestimmte Fragestellungen (Mitarbeiterbindung und -motivierung, Kommunikation, Erwartungen an Führung etc.). Wissenstransfer Vorstellung zentraler Handlungsfelder sowie Barrieren im Kontext des Wissenstransfers. Führung und Motivation Aufzeigen zentraler Aufgaben von Führungskräften zum Erhalt von Leistungsfähigkeit und Motivation. Unterstützung der Führungskräfte bei der Informationsweitergabe Nach den zweitägigen Seminaren bestand die Aufgabe der Führungskräfte darin, die erworbenen Kenntnisse in die Breite zu tragen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Teambesprechungen das Konzept IDeAl näher zu bringen. Hierzu bot die Personalabteilung den Führungskräften Unterstützung in mehrfacher Hinsicht an. Zum einen bestand die Möglichkeit, die Projektleiterin aus der Personalabteilung zu Teambesprechungen auf der Führungsebene I hinzuzuziehen. Darüber hinaus wurde eine Broschüre erstellt, in der die relevanten Daten und Fakten zum Projektverlauf und Konzept noch einmal zusammengefasst dargestellt sind und die allen Beschäftigten frei zugänglich ist, um bestimmte Aspekte und Hintergründe noch einmal nachzulesen. Parallel fand eine eigene Informationsveranstaltung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seitens der Personalabteilung statt, um wesentliche Informationen nochmals zu betonen und aufgekommene Fragen aus erster Hand zu beantworten. Ergebnis und Ausblick Auch wenn der Prozess noch nicht vollständig abgeschlossen war, war das „ideale“ Personalentwicklungskonzept bereits im Juli 2015 in einem Kurz-Workshop der Veranstaltung „Aktuelles/ Relevantes aus der Personalabteilung“ Thema. 224 Anika Badock, Jutta Rump und Silke Eilers uvk-lucius.de/ fuehren Hier wurde den Führungskräften ein erstes Fazit vorgestellt und es wurde über bisher gemachte Erfahrungen diskutiert. Hauptaussage war, dass bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern großes Interesse bezüglich der alternsgerechten Personalentwicklung besteht. Dies kann durch die hohe Anzahl an Anmeldungen zu der Informationsveranstaltung sowie zu den IDeAl-Seminaren bestätigt werden. Im Gegensatz dazu wurde der Impulsvortrag im Rahmen der allgemeinen Maßnahmen wenig besucht. Ein Grund hierfür könnte sein, dass dieser in der Freizeit stattfand. Die Integration in bereits bestehende Strukturen und Instrumente (SMiLE) bewies sich als sehr förderlich für die Akzeptanz und die Umsetzung. Vereinzelt hatten die Führungskräfte jedoch Schwierigkeiten mit der Gesprächsführung bzw. mit der Abgrenzung zwischen der Persönlichkeit (IDeAl) und der Privatsphäre. Hierzu wurden individuelle Gespräche mit der Personalabteilung geführt. Zudem wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in SMiLE hauptsächlich auf die IDeAl-Seminare angesprochen. Eine Ziel- und Maßnahmenvereinbarung darüber hinaus fand nicht statt. Die IDeAl-Seminare an sich waren sehr erfolgreich. Hier kamen durchweg positive Feedbackbögen zurück. Die Trainer meldeten zurück, dass es genau zu diesem Zeitpunkt richtig war und zukünftig wichtig ist, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alternsgerecht zu entwickeln. Bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern waren Ängste bezüglich Veränderung, steigender Anforderungen und Burnout deutlich zu spüren. Das betont die Relevanz der Transfersicherung über die persönlichen Umsetzungspläne. Allerdings konnten die Führungskräfte bisher noch keine Tendenz abgeben, inwieweit „IDeAl“ gesteigert wurde, geschweige denn inwieweit die Maßnahmen zu einer Steigerung von „IDeAl“ geführt haben. Eine Umfrage bei den Führungskräften bestätigte die bisherigen Ergebnisse. Ende 2015 wurde das „ideale“ Personalentwicklungskonzept nochmals durch einen Erfahrungsaustausch der Arbeitsgruppe sowie vereinzelter Führungskräfte und/ oder Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter evaluiert, wobei auch Verbesserungsideen eingeholt wurden. Diese wurden dem Vorstand vorgestellt, der entschied, dass die alternsgerechte Personalentwicklung ab 2016 in der Sparkasse Zollernalb fest verankert wird. Empfehlenswert wäre für die Zukunft, die alternsgerechte Personalentwicklung auf alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszudehnen. Die Transfersicherung ist stets durch die jährliche Thematisierung der Führungskräfte in den Mitarbeitergesprächen und die allgemeinen Maßnahmen sichergestellt. Kommentierung und Fazit Das Beispiel der Sparkasse Zollernalb zeigt sehr deutlich, dass Handlungsbedarf besteht, wenn es darum geht, die Leistungsfähigkeit vor dem Hintergrund des demografischen Wandels aufrecht zu erhalten - eine Herausforderung, vor der viele Arbeitgeber stehen und die sich durch eine alternsgerechte Personalentwicklung und durch konsequenten Einbezug der Führungskräfte proaktiv gestalten lässt. Die Maßnahmenvielfalt, die strukturierte und auf Nachhaltigkeit ausgelegte Vorgehensweise im Verlauf des Projekts „IDeAl“ sowie das Mitwirken der Führungskräfte sind dabei entscheidende Pfeiler für eine erfolgreiche Umsetzung. Die bislang umgesetzten Maßnahmen sind jedoch nur der erste Schritt. Wie geschildert, wurden noch weitere Ansatzpunkte er- Sensibilisierung der Führungskräfte für alternsgerechte Personalentwicklung 225 kannt, die im Jahr 2016 und den Folgejahren aufgegriffen werden. So beispielsweise die Unterstützung der Führungskräfte bei der Gesprächsführung und die Gewährleistung des Praxistransfers konkret an den einzelnen Arbeitsplätzen, um eine nachhaltige Verhaltensänderung zu erwirken. LLiteratur Blessin, B. & Wick, A. (2014): Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK. Sparkasse Zollernalb, Gesamtvorstand (Hrsg., 2011): Vision 2016. Balingen. Sparkasse Zollernalb, Gesamtvorstand (Hrsg., 2013): Geschäftsstrategie der Sparkasse Zollernalb. Balingen. Sparkasse Zollernalb, Personalabteilung (Hrsg., 2013): Personalausrichtung. Balingen. Sparkasse Zollernalb (2014): Broschüre „‘IDeAl‘ Das alternsgerechte Personalentwicklungskonzept“ der Sparkasse Zollernalb. Autor-Kurzprofile Anika Badock hat in Konstanz Psychologie mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie studiert. Sie ist als Personalentwicklerin bei der Sparkasse Zollernalb tätig. Ihr Aufgabengebiet umfasst den Prozess rund um die Mitarbeitergespräche, die Betreuung von Förderkreisen, die Konzeption von Auswahlverfahren, die Entwicklung von Führungskräften sowie die Anwendung von Eignungsdiagnostik. Sie leitet interne Projekte und arbeitet zu großen Teilen konzeptionell. Dr. Jutta Rump ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule Ludwigshafen. Daneben leitet sie das Institut für Beschäftigung und Employability, das den Schwerpunkt seiner Forschungsarbeit auf personalwirtschaftliche, arbeitsmarktpolitische und beschäftigungsrelevante Fragestellungen legt. Das Institut ist eine wissenschaftliche Einrichtung der Hochschule. Sie hat darüber hinaus zahlreiche Mandate auf regionaler und nationaler Ebene inne. Silke Eilers ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin am Institut für Beschäftigung und Employability. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Trendscanning, Employability Management und die Generationendiversität. Sie ist Co-Autorin zahlreicher Publikationen und arbeitet aktiv in unterschiedlichen Arbeitskreisen mit. uvk-lucius.de/ fuehren 7.2 Das Mentoring-Programm für weibliche Führungskräfte der AOK Baden-Württemberg von Thorsten Thoma und Malina Braun Die AOK Baden-Württemberg ist mit über vier Millionen Versicherten Marktführer unter den gesetzlichen Krankenversicherungen in Baden-Württemberg. Bei der AOK Baden-Württemberg sind ca. 10.000 Mitarbeiter/ innen beschäftigt, welche zu einer der 14 Bezirksdirektionen bzw. der AOK-Hauptverwaltung gehören. In rund 230 KundenCentern sind wir für unsere Kunden vor Ort da. Die AOK Baden-Württemberg steht für Gesundheit, Sicherheit, Nähe und Innovation. Dies wirkt nach außen gegenüber unseren Kundinnen und Kunden und Partnerinnen und Partnern genauso wie nach innen gegenüber unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Hintergründe der Einführung des Mentoring-Programms Bei der AOK Baden-Württemberg liegt der Frauenanteil der Beschäftigten bei rund 75%. Bereits ab der mittleren Führungsebene nimmt dieser hohe Anteil ab und spiegelt sich auch in den oberen Führungsebenen proportional nicht wider. Dieses Phänomen wird in der Literatur als „gläserne Decke“ bezeichnet, mit welcher sich heute viele Unternehmen konfrontiert sehen. Als Grund hierfür hat die AOK Baden-Württemberg in einer groß angelegten Umfrage vier Hauptkriterien identifiziert: mangelnde Karriereplanung, Doppelbelastung, mangelnde Förderung und Unsicherheit. Zur mangelnden Karriereplanung gehören die Unklarheit über angestrebte Karriereziele, die mangelnde Proaktivität bei der Karriereplanung und die Entscheidung, sich zugunsten der Familie aus dem Berufsleben zurückzuziehen. Die meisten der befragten Mitarbeiterinnen hatten kein klares Karriereziel definiert und konnten keine genaue Angabe zu ihrer geplanten beruflichen Entwicklung machen. Nur ein Viertel der Mitarbeiterinnen verfolgte einen rein karriereorientierten Lebensentwurf. Für die meisten Frauen war eine Karriereperspektive nur denkbar, wenn die Voraussetzungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschaffen sind. Zur Doppelbelastung zählte die mentale Doppelbelastung, das heißt die empfundene hohe Arbeitsbelastung und die empfundene Schwierigkeit der Vereinbarkeit von Familie und beruflicher Belastung. Darüber hinaus wirkte sich die strukturelle Doppelbelastung durch eingeschränkte Mobilität, eingeschränkte Möglichkeiten der Kinderbetreuung und einem Mangel an flexiblen Karrierepfaden aus. Erkenntnisse der Umfrage sind auch, dass gerade in den unteren Funktionsebenen die Doppelbelastung durch Arbeit und Familie bzw. Haushalt abschreckend wirken kann. Eine höhere Führungslaufbahn streben nur die Frauen an, welche die Doppelbelastung für bewältigbar halten. Mangelnde Förderung wird durch einen Mangel an Vorbildern, Das Mentoring-Programm für weibliche Führungskräfte der AOK Baden-Württemberg 227 uvk-lucius.de/ fuehren durch fehlende Netzwerkbildung, mangelnde Unterstützung durch Vorgesetzte bei der Karriereplanung und Defiziten bei der Potenzialförderung erlebt. Frauen über alle Funktionsebenen wünschen sich mehr Unterstützung bei der Karriereplanung. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die AOK Baden-Württemberg als wichtigste wahrgenommene Karrierehindernisse die Doppelbelastung aus Beruf und Familie sowie wenig flexible Karrierepfade identifizieren konnte. Daneben spielen auch Faktoren der Unternehmenskultur sowie ein wahrgenommener Mangel an gezielter Förderung eine Rolle. Daher hat die AOK Baden-Württemberg beschlossen, ihre „Aktivitäten zur Frauenförderung zu intensivieren und in nachhaltige Strukturen zu verankern“ (Dr. Christopher Hermann, Vorsitzendes des Vorstandes der AOK Baden-Württemberg) und somit „einen ausgewogenen Anteil von Frauen in Führungsebenen stärker zu fördern“ (Thorsten Thoma, Referatsleiter Führungskräfteentwicklung). Zur Erreichung dieser Ziele wurden in verschiedenen Dimensionen Veränderungen und Neuentwicklungen initiiert. Hierzu zählen gezielte Förderungsmaßnahmen für weibliche Führungskräfte insbesondere das Mentoring-Programm, die Optimierung von Personalprozessen und Grundsätzen sowie eine frauenfördernde Infrastruktur und Kultur. Ein breites Spektrum an Maßnahmen wie z.B. die Einführung flexibler Arbeitszeit- und Arbeitsplatzmodelle (z.B. Telearbeit) oder die Veränderung von Auswahlverfahren wurden umgesetzt. Die Erkenntnisse der Umfrage stützt die bei Blessin & Wick, 2014, in Kapitel 7.2.2.1 beschriebene Gleichheitstheorie. Mit den eingeleiteten Maßnahmen soll die Voraussetzung geschaffen werden, dass Frauen und Männer unter Berücksichtigung von individuellen Bedingungen die gleichen Chancen offen stehen. Um langfristig erfolgreich zu bleiben gilt es für die AOK Baden-Württemberg, wie die ebd. in Kapitel 7.2.2.2 beschriebene Differenztheorie beschrieben, das Potenzial, welches mit dem hohen Frauenanteil einhergeht, für sich zu nutzen. Als eines der bedeutendsten und wirksamsten Instrumente der Personalentwicklung zur Förderung von Frauen in Führung und zur Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen, gilt innerhalb der AOK Baden-Württemberg das Mentoring- Programm, welches nachfolgend näher beschrieben wird. Das Mentoring-Verständnis der AOK Baden-Württemberg Mentoring wird bei der AOK Baden-Württemberg im engeren Sinne als „unabhängiger Rat“ angesehen, bei welchem Mentorin und Mentee in keinerlei beruflicher Abhängigkeit stehen. Die Mentorin ist eine neutrale, persönliche und professionelle Ansprechpartnerin bei unterschiedlichen Fragestellungen. Es besteht die Möglichkeit, mit der Mentorin konkrete Situationen zu besprechen und zu reflektieren oder sich Ratschläge für den Führungsalltag einzuholen. Durch den Erfahrungsvorsprung besitzt die Mentorin dabei eine Vorbildfunktion und ist somit in der Lage, unterstützend bei unterschiedlichen fachlichen oder auch persönlichen Fragestellungen zu wirken. Somit besteht das Rahmenkonzept des Mentorings aus einer individuellen, langfristigen und bedarfsorientierten Beziehung. Mentees Die Mentees befinden sich in einer Führungsposition, welche mindestens in der Managementstufe vier angesiedelt ist. Dies können Teamleiterinnen (Führung) oder Teamkoordinatorinnen mit besonderen Aufgaben (Fachspezialistin) sein. Sie haben Interesse 228 Thorsten Thoma und Malina Braun uvk-lucius.de/ fuehren an ihrer persönlichen Entwicklung und möchten sich in ihrer Position festigen und/ oder streben eine höhere Position an und/ oder möchten Familie und Karriere miteinander vereinbaren oder stehen vor der Familienplanung. Um an dem Programm teilnehmen zu können ist es nicht erforderlich, dass die Teilnehmerinnen in einem Vollzeitbeschäftigtenverhältnis stehen. Sie können in Teilzeit arbeiten oder sich auch in Elternzeit befinden. Die Teilnahme erfolgt auf eigenen Wunsch und ist freiwillig. Mentorinnen Die Mentorinnen haben mindestens drei Jahre Führungsverantwortung und befinden sich in der Regel eine Führungsebene über der der Mentees. Sie haben Interesse an der Weiterentwicklung von Kolleginnen und zeichnen sich durch ein hohes Maß an Empathie aus. Sie haben die Fähigkeit und die Kompetenz, Führungssachverhalte gemeinsam mit der Mentee zu reflektieren. Sie sind bereit, auch von ihren - teils persönlichen - Erfahrungen Wissen an die Mentees zu geben. Um die Qualität des Mentorings sicherzustellen, sind die Mentorinnen umfassend geschult. Ziel der Qualifizierung ist es, zum einen, Informationen zum Mentoring- Programm und dessen strategische Hintergründe zu erhalten und zum anderen Klarheit über die Rolle als Mentorin zu gewinnen und Fachwissen aufzubauen. Inhalte der Schulung sind folgende Themen: Chancen und gezielte Förderung von Rollenvielfalt, die Aufgaben einer Mentorin und die prozessdienliche Haltung, die vertrauensvolle Beziehung zur Mentee, die Struktur einer Sitzung, Gesprächsführung und -techniken, Kommunikationsmodelle (z.B. Eisbergmodell, aktives Zuhören), sowie das systemische lösungsorientierte Vorgehen im Mentoring. Zur Unterstützung werden der Mentorin folgende Materialien zu Verfügung gestellt: Checkliste für Mentorinnen Standard-Agenda für das erste Gespräch Vorbereitungsmemo für Mentorinnen Katalog möglicher beruflicher Entwicklungsziele Übung Basistechniken für Mentorinnen zum Selbststudium/ Nachschlagewerk o Fragetechniken o Vertrauensvolle Gesprächsführung o Feedback Darüber hinaus finden regelmäßige Supervisionen, in Form von jährlich stattfindenden Erfahrungsaustauschen mit allen Mentorinnen, statt. Ziele aus Unternehmenssicht sowie aus Sicht der Mentees und der Mentorinnen Ziele des Unternehmens Die AOK Baden-Württemberg verfolgt mit dem Mentoring-Programm das Ziel, weibliche Führungskräfte an das Unternehmen zu binden und die Kapazitäten/ Potenziale langfristig zu sichern. Frauen in Führungspositionen sollen in ihrer aktuellen Position gestärkt und in ihrer beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung unterstützt werden. Vor allem aber sollen sie dazu ermuntert werden, sich für die nächsthöhere Karrierestufe zu bewerben. Das Mentoring-Programm für weibliche Führungskräfte der AOK Baden-Württemberg 229 uvk-lucius.de/ fuehren Ziele für die Mentees Ziel ist es insbesondere, dass die Mentees sich als Führungskraft weiterentwickeln und ihre eigenen Stärken und Entwicklungsfelder mit einer unabhängigen Person reflektieren können. Sie sollen in der derzeitigen Position und in den Führungsqualitäten gestärkt werden und in der eigenen Karriereplanung nach vorne kommen. Im Besonderen soll das sichere Auftreten routinierter und leichter fallen. Darüber hinaus sollen zielgerichtete Verhaltensweisen in Konfliktsituationen gefestigt, das Selbstbewusstsein insgesamt gestärkt und Einblicke in andere Bereiche ermöglicht werden. Die Mentees erhalten Unterstützung bei der Vorbereitung auf Auswahlverfahren und bauen ihre Netzwerke unternehmensweit aus. Die Mentees profitieren von den Erfahrungen der Mentorinnen z.B. indem Karriereoptionen ganz praktisch auch mit Blick auf das System gemeinsam analysiert werden oder ein Austausch über Konflikte, Mitarbeiter/ innen sowie die Organisation stattfindet. Die Evaluation des Mentoring-Programms ergab im Ergebnis, dass die Mentees insbesondere folgende Erwartungen haben: persönliche und berufliche Weiterentwicklung und Ideen für berufliche Richtungswechsel auf der gleichen Managementebene, Unterstützung bei der gezielten Vorbereitung auf Auswahlverfahren, nächsthöhere Positionen kennenlernen - insbesondere mit Blick darauf ob eine Vereinbarkeit mit der familiären Situation möglich ist, die persönliche Weiterentwicklung und Kompetenzentwicklung als Führungskraft. Darüber hinaus soll allgemein der Austausch mit einer erfahrenen Kollegin, die Unterstützung bei der Lösung konkreter Situationen und der Austausch von Erfahrungen ermöglicht werden, um daraus für sich selbst lernen zu können. Damit decken sich die Ziele mit den Erwartungen der Mentees an das Programm. Ziele für die Mentorinnnen Die Mentorinnen sollen das Unternehmen bei der Förderung von Frauen in Führungspositionen und der Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen unterstützen. Des Weiteren sollen eigene Erfahrungen als Führungskraft weitergegeben und Beispiele für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, als praktisches selbstgelebtes Modell, gegeben werden. Die Netzwerke der Mentorinnen sollen gezielt genutzt werden, um die Mentees bei der Karriereplanung zu unterstützen. Darüber hinaus liegt die Entwicklung der eigenen Kompetenzen, z.B. „Mitarbeiterentwicklung“ im Fokus. Die Mentorinnen entwickeln sich durch ihre Tätigkeit als Mentorin selbst in folgenden Bereichen als Führungskraft weiter: sie reflektieren bzw. erkennen Stärken und Entwicklungsfelder und geben gezieltes Feedback an Mitarbeiter/ innen und Kollegen/ innen. Des Weiteren unterstützen sie Mitarbeiter/ innen (speziell weibliche Führungskräfte) bei deren motiv- und kompetenzorientierte Entwicklung und fördern die Eigenverantwortung bei Mitarbeiter/ innen. Zudem profitieren die Mentorinnen von dem Einblick in andere Organisationseinheiten und können ebenfalls ihr Netzwerk erweitern. Selbstverständlich ist die Mentorinnen-Tätigkeit auch 230 Thorsten Thoma und Malina Braun uvk-lucius.de/ fuehren ein wertvoller Beitrag zur eigenen beruflichen Vita und wirkt sich positiv auf eigene Karriereambitionen aus. Die Evaluation des Mentoring-Programms ergab im Ergebnis, dass die Mentorinnen insbesondere folgende Erwartungen haben: sie möchten ihre Erfahrungen/ ihr Wissen weitergeben, Kolleginnen bei der Entwicklung unterstützen und Frauen ermuntern den nächsten Karriereschritt zu gehen und damit selbst aktiv dazu beitragen den Anteil von Frauen in Führungspositionen im Unternehmen auszubauen und sie möchten sich selbst persönlich weiterentwickeln, ihr eigenes Netzwerk ausbauen und andere Organisationseinheiten kennenlernen. Die Evaluation ergab auch eine hohe Identifikation der Mentorinnen mit dem Programm und dessen Zielen. Als wichtigste Voraussetzungen wurden die Qualifizierung, die theoretischen Impulse zu Beginn und die Betreuung der Mentorinnen durch die Organisatoren hervorgehoben. Ablauf und Inhalte des Mentoring-Programms Das Mentoring-Programm erstreckt sich über einen Zeitraum von insgesamt einem Jahr und beinhaltet die vier Elemente Auftaktveranstaltung, Mentoring-Treffen, Peergroup-Treffen und Erfahrungsaustausch. Die Mentees erhalten bei dem Programmstart ein persönliches Tagebuch, welches sie bei der Weiterentwicklung unterstützen soll. Das Tagebuch ist ein Instrument zur Selbstreflexion und zur Transfersicherung. Neben den Reflexionsfragen zur Vor- und Nachbereitung der Gespräche, der Dokumentation von Erkenntnissen und Maßnahmen sind Anregungen und Ideen enthalten, die über die Gespräche hinausgehen, z.B. um bestimmte Stärken auszubauen. Auftaktveranstaltung Die Auftaktveranstaltung ist eine Großgruppenveranstaltung zu der sowohl alle am Mentoring-Programm teilnehmende Mentees wie auch alle eingesetzte Mentorinnen eingeladen werden. Die Veranstaltung dient dazu, das Programm, dessen Sinn und Hintergünde, sowie die einzelnen Bestandteile zu präsentieren. Ein weiteres Ziel ist es, dass sich die Mentees und Mentorinnen untereinander kennenlernen. Gezielt eingesetzte Instrumente tragen so bereits zur ersten Netzwerkbildung bei. Mentoring-Treffen Zwischen Mentorin und Mentee finden regelmäßige, in aller Regel bis zu zehn persönliche oder telefonische Kontakte statt. Die Frequenz sowie die Inhalte werden dabei in Abstimmung zwischen den beiden Akteuren selbst und eigenverantwortlich bestimmt. Mögliche Gesprächsthemen sind aktuelle Themen wie z.B. Konflikte mit Mitarbeitern/ Mitarbeiterinnen im eigenen Team, mit Kollegen/ Kolleginnen oder auch mit dem Vorgesetzten bzw. der Vorgesetzten. Allgemeine Themen können die Möglichkeiten von Networking, die Reflexion der Organisation und der Umgang, sowie die eigene Work-Life-Balance insbesondere mit Blick auf die Doppelbelastung Beruf und Familie sein. Auch die Weiterentwicklung der Soft Skills, Feedback über Kompetenzen wie z.B. Das Mentoring-Programm für weibliche Führungskräfte der AOK Baden-Württemberg 231 uvk-lucius.de/ fuehren das Führungsverhalten oder die Wirkung, Tipps/ Erfahrungen für die Vorbereitung auf Auswahlverfahren und Klarheit über Selbst- und Rollenverständnis können thematisiert werden. Maßnahmen und Instrumente zur Förderung der Mentees sind zum Beispiel Gesprächsführungstechniken und -simulationen, spezielle Weiterbildungen und Seminare für Frauen und/ oder Seminare und Programme zur Stärkung der Management- / Führungskompetenzen. Des Weiteren können die Vermittlung von Kontakten und Hospitationen z.B. um die angestrebte nächsthöhere Führungsposition inhaltlich kennenzulernen und einen Blick über den Tellerrand zu ermöglichen zielführend sein. Auch Maßnahmen um auf Auswahlverfahren vorzubereiten sowie Maßnahmen zur Vorbereitung auf die nächsthöhere Führungsposition wie z.B. Kontakte zu Mitarbeiterinnen, welche die Führungsebene inne haben oder zu Führungskräften, welche die angestrebte Führungsfunktion führen, um aus erster Hand Informationen zu den Erwartungen erfahren etc haben einen großen Mehrwert für die Mentees. Darüber hinaus entstehen Erfahrungsaustausche auch zu privaten Themen und es werden Tipps gegeben und Strategien zum Umgang mit Lampenfieber insbesondere bei Auftritten vor Kunden, Vertragspartnern, Kollegen/ Kolleginnen oder Mitarbeitern/ Mitarbeiterinnen oder im Auswahlverfahren, vermittelt. Peergroup-Treffen Parallel zum Mentoring-Programm finden selbstorganisierte Peergroup-Treffen, an denen entweder nur die Mentees, nur die Mentorinnen oder beide Gruppen gemischt teilnehmen, statt. Dabei geht es nicht nur um den Ausbau der persönlichen Netzwerke, sondern auch darum, Erfolgsstrategien auszutauschen und zu reflektieren. In den Peergroups werden darüber hinaus konkrete Fälle aus dem Arbeitsalltag bearbeitet und gelöst. Die Mentoren können dabei zu Rate gezogen werden. Erfahrungsaustausch Um dem qualitativen Anspruch an das Programm gerecht zu werden, findet ein Treffen der Mentorinnen in der zeitlichen Mitte des Programms statt. Dort werden die bisherigen erzielten Ergebnisse vorgestellt, Erfahrungen ausgetauscht, besonders erfolgreiche Strategien weitergegeben und Unsicherheiten besprochen. Durch den Erfahrungsaustausch haben die Organisatoren die Möglichkeit, rechtzeitig einzugreifen, sofern die Ziele des Programms - im Einzelnen oder Gesamten - gefährdet sind. Kritische Aspekte des Mentoring-Programms Besonders herausfordernd stellt sich die Akzeptanz für die einseitig wahrgenommene Förderung von Frauen dar. Insbesondere von männlichen Kollegen wird dies immer noch teilweise missgünstig beobachtet. Vereinzelt fehlt im Unternehmen noch das Verständnis für die besondere Situation der Vereinbarkeit von Familie und Karriere, welche überwiegend bei Frauen vorzufinden ist. Einige Mentorinnen berichten, dass sie sich selbst in den Anfängen ihrer Karriere auch ein Mentoring in dieser Form gewünscht hätten. Somit hätten sie nicht jede der vielen Herausforderungen, z. B als Führungskraft mit Kind, alleine bewältigen müssen. Das lässt darauf schließen, dass die AOK Baden-Württemberg mit dem Mentoring-Programm den richtigen Nerv trifft. Ein anderer kritischer Aspekt stellt die punktuell nicht vollkommene Freiwillig- 232 Thorsten Thoma und Malina Braun uvk-lucius.de/ fuehren keit der Teilnahme an dem Programm dar. Die Mentee soll die Teilnahme nicht nur von dem/ der Vorgesetzte/ n nahegelegt bekommen haben, sondern auf vollkommen freiwilliger Basis stattfinden. Erfolgt die Teilnahme nicht aus eigenem Antrieb und eigener Motivation und ohne konkretes Ziel ist die Effektivität des Mentorings in Frage zu stellen. Ergebnisse und Ausblick Seit dem Start haben schon über 200 Kolleginnen als Mentees das Programm für sich genutzt. Die im Jahr 2014 durchgeführte Evaluation zeigt, dass das Mentoring-Programm überwiegend mit „sehr gut“ (46% Mentees, 52% Mentorinnen) und „gut“ (46% Mentees, 48% Mentorinnen) bewertet wird. Rund 20% der Frauen sind im Anschluss an das Mentoring-Programm in eine höhere Führungsebene gewechselt. Über 70% der Befragten geben an, dass sie darin bestärkt wurden, ihren persönlichen Karriereweg weiter zu verfolgen. Auf die Frage, welchen Mehrwert das Mentoring-Programm den Teilnehmerinnen generiert hat, gaben 73% der Befragten an, eine Stärkung des Selbstbewusstseins zu erleben, und 61% bestätigen, dass nachweislich die Netzwerkkompetenz gefördert werden konnte. Andere Antworten waren: der Ausbau der Konfliktfähigkeit, Selbstreflexion und die Förderung des Verhandlungsgeschicks. Der Ausbau dieser Fähigkeiten führte dazu, dass die Mentees in ihrer aktuellen Position gestärkt wurden, die Motivation gesteigert werden konnte und neue Blickwinkel aufgezeigt wurden. Mentees berichten, dass sie während bzw. nach dem Mentoring-Programm ihren eigenen „Marktwert“ erkannt haben. Eine weitere Auswirkung des Mentoring-Programms stellt eine Bewerbung einer Mentee für eines der Talenmanagement-Programme dar. In der folgenden Abbildung sind die verschiedenen Bereiche, welche konkret durch das Mentoring-Programm gestärkt werden nochmals übersichtlich abgebildet. Bereiche, welche konkret durch das Mentoring-Programm gestärkt wurden (Quelle: interne Evaluation) Fast alle Mentees (93%) würden nochmals am Mentoring-Programm teilnehmen und nahezu alle Mentorinnen (97%) konnten das Mentoring-Programm mit einem guten Gefühl abschließen. 26 % 50 % 61 % 46 % 73 % 0 10 20 30 40 50 60 70 80 Verhandlungsgeschick Konfliktfähigkeit Netzwerkkompetenz Selbstreflexion Stärkung des Selbstbewusstseins Das Mentoring-Programm für weibliche Führungskräfte der AOK Baden-Württemberg 233 uvk-lucius.de/ fuehren Die Mitarbeiter/ innen der AOK Baden-Württemberg werden seit zwei Jahren regelmäßig im Rahmen des „Mitarbeiterbarometers“ zu verschiedenen Unternehmenskulturthemen befragt. Im Rahmen der Befragung haben weibliche Mitarbeiterinnen und Führungskräfte (m/ w) die gute Vereinbarkeit beruflicher Ziele und privater Belange in diesem Jahr unternehmensweit im Durchschnitt besser bewertet als im Jahr 2013. Dies ist als Indiz zu bewerten, dass die weiteren Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie neben dem Mentoring erfolgreich greifen. Ausblickend besteht noch Optimierungspotenzial bei der Intensität des Marketings für das Mentoring-Programm: z.B. in der Unternehmenszeitschrift, dem Mitarbeiterportal und somit eine bessere Durchdringung des Unternehmens. Weiter sollen potenzielle und tatsächliche Teilnehmerinnen noch umfassender über die Ziele und Inhalte des Programms informiert werden. Außerdem wurde Verbesserungspotenzial in der Bildung des Mentoring-„Tandems“ identifiziert - beispielsweise durch eine geringere räumliche Entfernung von Mentorin und Mentee aus Zeitersparnisgründen für Fahrtwege. Selbstverständlich gilt es, das Programm weiterzuentwickeln und inhaltlich zu schärfen, um in den Bereichen z.B. Umgang mit Konflikten, Selbstreflexion und Stärkung des Selbstbewusstseins noch höhere Werte zu erreichen. Auch müssen die Angebote und Möglichkeiten, die das Unternehmen anbietet, um Beruf und Familie besser zu vereinbaren noch stärkeres Gewicht innerhalb des Programmes erhalten. Das Programm könnte noch mehr auch als Dialogmöglichkeit zwischen den weiblichen Führungskräften und der Organisation genutzt werden, z.B. um ein Feedback zu den angebotenen Maßnahmen und Produkten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erhalten. Fazit Das Unternehmen AOK Baden-Württemberg kann nur langfristig erfolgreich sein, wenn es das gesamte Potenzial der Mitarbeiter/ innen des Unternehmens nutzt und den Führungskräftenachwuchs nicht nur aus dem Männeranteil - der 25% beträgt - gewinnt. Insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung. Darüber hinaus trägt das Mentoring zur Stärkung der Arbeitgebermarke bei weiblichen Interessentinnen und Bewerberinnen bei. Das Programm stärkt die Kompetenz und Persönlichkeit sowohl bei den Mentees als auch bei den Mentorinnen und ist somit eine „Win-win-Situation“ für alle Teilnehmerinnen. Die Evaluation zeigt, dass das Programm maßgeblich zur Frauenförderung beiträgt. Es stärkt die Frauen: in ihrer Führungsposition, darin nach der Elternzeit in ihre Führungsfunktion zurückzukehren, Klarheit über die Angebote der AOK Baden- Württemberg zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erhalten (z.B. verbindliche Elternzeitkonzepte zum Wiedereinstieg), sich als Person zu stärken und den Wechsel in die nächsthöhere Führungsebene gezielt voranzubringen. Somit ist es eine wertvolle Ergänzung des Portfolios zur Frauenförderung. Literatur Blessin, B. & Wick, A. (2014): Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK 234 Thorsten Thoma und Malina Braun AAutor-Kurzprofile Thorsten Thoma arbeitete nach seinem Betriebswirtschaftsstudium zunächst einige Jahre im Vertrieb, um dann im Jahr 2002 den Weg in die Personalentwicklung einzuschlagen. Er ist zertifizierter Coach und hat ein Leadership-Spiel, welches ein innovatives Instrument zur Führungskräfteentwicklung darstellt, mitentwickelt. Als Referatsleiter „Führungskräfteentwicklung“ hat er erstmals ein professionelles Talentmanagement zur Identifizierung und Förderung von Potenzialträgern/ innen bei der AOK Baden-Württemberg eingeführt. Er verantwortet aktuell die Durchführung und Weiterentwicklung der Entwicklungsprogramme sowie die Personalentwicklungsangebote zur Weiterentwicklung der Führungskräfte. Malina Braun studierte Betriebswirtschaftslehre in Mannheim und konnte während des Studiums schon erste Praxiserfahrungen im Human Resources-Bereich sammeln. Im Rahmen ihrer Bachelorarbeit evaluierte sie bereits das Entwicklungsprogramm für das Topmanagement eines Industrieunternehmens. Aktuell ist sie Referentin in der Führungskräfteentwicklung und zuständig für die Umsetzung und Weiterentwicklung des Mentoring-Programms und des ersten Orientierungs- und Entwicklungsprogramms im Rahmen des Talentmanagements der AOK Baden-Württemberg sowie Spezialistin für die Identifizierung, Entwicklung und Bindung junger Talente. uvk-lucius.de/ fuehren 7.3 Konkret und nachhaltig - das X-Company Network unterstützt Karrierewege von Frauen in Managementpositionen mit unternehmensübergreifendem Mentoring-Programm von Anita Pongratz Für viele Unternehmen ist die Förderung von Frauen wie auch die Förderung von Diversität in der gesamten Mitarbeiterschaft von zentraler Bedeutung. „Mehr Frauen in die Führung! “ Das ist nicht erst seit der Frauenquote ein Hauptthema in vielen Unternehmen. Denn gemischte Führungsteams erwirtschaften laut einer Studie der Credit Suisse (2014) bessere und nachhaltigere Unternehmensergebnisse. Die Quote hat eindeutig für mehr Bewegung gesorgt, kann sie aber den Durchbruch und dauerhafte Zielerreichung garantieren? Die richtigen Rahmenbedingungen - sowohl in Wirtschaft, Politik als auch in der Gesellschaft - zu schaffen, sind ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Die nachfolgend beschriebene Initiative zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungsteams ist auf Initiative der Frauennetzwerke namhafter Unternehmen mit Unterstützung der jeweiligen Vorstände und Geschäftsleitungen entstanden. Das X-Company Network Das X-Company Network ist eines der größten deutschen unternehmensübergreifenden Businessnetzwerke für Frauen. Gegründet im November 2009, vereinigt es derzeit Netzwerke der Hewlett-Packard GmbH, HP Deutschland GmbH, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Mercedes-Benz Bank/ Daimler Financial Services AG, SAP SE, Stadt Stuttgart, VPV Lebensversicherungs-AG sowie Wüstenrot & Württembergische AG. 30 aktive Frauen vertreten ca. 9.600 Frauen in ihren Unternehmen. Das X-Company Network erarbeitet Maßnahmen, um den Frauenanteil auf allen Führungsebenen in den beteiligten Organisationen signifikant anzuheben und nimmt dabei auf höchster Unternehmens- und Managementebene aktiven Einfluss auf den Wandel des etablierten Karriereverständnisses. Um mehr Frauen zu fordern und zu fördern, wurden unternehmensübergreifende Gremien wie die „Arbeitsgruppe 20/ 20konkret! “, ein firmenübergreifendes Mentoring-Programm und Diskussionsforen für Personaler der beteiligten Organisationen etabliert. Ziel ist es, den Dialog mit der Geschäftsleitung, dem Vorstand und dem mittleren Management aufzunehmen und unternehmensinterne Maßnahmen anzustoßen, die nicht nur bottom up initiiert werden, sondern auch top down unterstützt werden. Das entsprechende Dokument finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. 236 Anita Pongratz uvk-lucius.de/ fuehren X-Company Mentoring für weibliche Führungskräfte - eine Initiative des X- Company Network Seit November 2010 organisiert das X-Company Network das unternehmensübergreifende Mentoring-Programm für weibliche Führungskräfte. Weibliche Mentees aus dem unteren und mittleren Management sowie „High Potentials“ werden jeweils von einem Vorstand, einem Mitglied der Geschäftsleitung oder einem Senior Manager einer der anderen teilnehmenden Firmen als Mentorin bzw. Mentor begleitet, mit dem/ der die Mentee konkrete Fragestellungen bezüglich Führungsalltag, Projektmanagement, Positionierung, Netzwerken u.a. diskutiert. Mentoring setzt dabei einen persönlichen Entwicklungsprozess in Gang, der seine Stärke aus der Besonderheit und der Wechselseitigkeit einer beratenden Beziehung zwischen Mentor und Mentee bezieht. Die Beziehung ist freiwillig, vertraulich, außerhalb der Unternehmenshierarchie und ohne Weisungsbefugnis. Die Mentees erhalten Unterstützung zur Schärfung ihres Persönlichkeitsprofils, Impulse für die persönliche Zielkonkretisierung und Feedback zu Führungs- und Konfliktlösungsthemen. Ziel des Programms ist auf Seiten der Mentees der Aufbau und die Erweiterung der Methoden- und Führungskompetenz für den nächsten Karriereschritt. Auf Seiten der Mentorinnen und Mentoren steht der Austausch zwischen unterschiedlichen Unternehmen und Unternehmenskulturen ebenso wie Erkenntnisse für die Umsetzung der unternehmensinternen Diversity-Ziele im Fokus. Hinzu kommen ein beidseitiger Ideen- und Methodenaustausch, der Austausch zwischen unterschiedlichen Fachbereichen und Branchen, die gegenseitige Reflexion des Führungsverständnisses und eine Qualitätskontrolle der eigenen Führungsarbeit. X-Company Mentoring ermöglicht allen Teilnehmenden, Botschafterinnen und Botschafter des eigenen Unternehmens zu werden, eigene Unternehmenswerte durch Erfahrung mit anderen Unternehmenskulturen zu reflektieren und auf diese Weise die berufliche und persönliche Weiterentwicklung mit einem Perspektivwechsel zu fördern. Welchen Mehrwert erwarten die Teilnehmer vom unternehmensübergreifenden Mentoring? Die Mentees erwarten durch die Teilnahme an dem Mentoring Programm einen Mehrwert in dreierlei Hinsicht: Zunächst einen karrierebezogenen Mehrwert, Unterstützung bei der Karriereplanung und Erreichung des nächsten Karriereschritts. Daneben wird ein entwicklungsbezogener Mehrwert, das Erlernen von neuen Fähigkeiten und Kenntnissen und letztlich ein sozialbezogener Mehrwert durch sozialen Austausch und Anerkennung angestrebt. Die Mentorinnen und Mentoren erwarten sich einen „diversity“-bezogenen Mehrwert, durch die Förderung weiblicher Führungskräfte ihres Unternehmens und der Stärkung des Images als attraktiver Arbeitgeber für Frauen. Feedback zum eigenen Führungsstil ist der entwicklungsbezogene Mehrwert, Anerkennung und Vernetzung über Unternehmensgrenzen hinweg der sozialbezogene Mehrwert. Programmablauf Die Vertreterinnen der teilnehmenden Firmen in der Arbeitsgruppe X-Company Mentoring führen firmenintern die Anwerbung von Mentorinnen und Mentoren und Men- X-Company Network unterstützt Karrierewege von Frauen in Managementpositionen 237 uvk-lucius.de/ fuehren tees durch. Sie leiten in der Bewerbungsrunde Einzelinterviews mit den Mentee- Interessentinnen. Zusammen mit den Bewerbungsunterlagen wird daraus ein Profil der Bewerberin entwickelt, das später bei der Bildung der Mentoring Tandems von zentraler Bedeutung ist. Im Anschluss an die Bewerbungsrunde führt die Arbeitsgruppe X-Company Mentoring das “Matching“, also die Zuteilung einer Mentee zu einer Mentorin bzw. einem Mentor durch. Kriterien für das Matching sind fachliche und thematische Schwerpunkte sowie Persönlichkeitsprofile bei Mentees und den Mentorinnen und Mentoren. Mentoring Tandems können aus wettbewerbsrechtlicher Sicht nicht aus Vertretern der Unternehmen der gleichen Branche gebildet werden. Bei der Einführungsveranstaltung wird das X-Company Mentoring Programm offiziell gestartet und die Tandempartner werden sich vorgestellt. Daran anschließend finden regelmäßige, von den Mentees initiierte (monatliche) Treffen der Tandems statt. Die inhaltliche Gestaltung erfolgt in Eigenverantwortung durch Mentee und Mentorin bzw. Mentor gemeinsam. Ein Zwischenreview nach jeweils zwei Monaten wird angeregt. Begleitend wird von der Arbeitsgruppe X-Company Mentoring für die Mentees ein Persönlichkeitstraining nach Myers-Briggs angeboten. Die Organisation der Zwischenveranstaltung zum Erfahrungsaustausch und aktiven Netzwerken für alle beteiligten Mentorinnen, Mentoren und Mentees nach der ersten Hälfte des Programms ist Verantwortung der Mentees und unterstützt das unternehmensübergreifende Netzwerken. Zeitrahmen Das X-Company Mentoring-Programm läuft über mindestens sechs Monate und kann danach auf beidseitiger freiwilliger Basis weiter bestehen. Die Personalabteilungen der einzelnen Unternehmen sind über die Teilnahme der Mentees unterrichtet, was eine verbesserte Visibilität der Mentees für firmeninterne Talentprogramme bedeutet. Sabine Vogel, die mit Angela Kraning und Victoria Nasdal für Hewlett-Packard GmbH die Arbeitsgruppe X-Company Mentoring bis Oktober 2015 leitete, ist mit der Entwicklung hoch zufrieden: „Die Tatsache, dass das Mentoring so gut nachgefragt wird und wir in sechs Jahren 123 Tandems bilden konnten, zeigt, dass das Programm eine sinnvolle Unterstützung in der Karriereentwicklung von weiblichen Führungspersönlichkeiten ist.“ So sieht eine Teilnehmerin den Mehrwert des Programms: „Das entgegengebrachte Vertrauen sorgte für einen einzigartigen Informationsaustausch. Mein Mentor unterstützte mich durch neue Impulse und seine Erfahrungen, meine eigenen Ziele strukturiert zu definieren. Ich konnte meine beruflichen Ziele klar erarbeiten. Für meinen Lebenslauf ist meine Teilnahme an dem Programm ein wertvolles Plus! ” Innerhalb der ersten vier Jahre des Programms schafften von 92 Teilnehmerinnen 17 Mentees den nächsten Karrierreschritt in eine Führungsrolle oder in der Fachlaufbahn. Fazit Viele Unternehmen haben sich, geleitet vom unternehmerischen Erfolgsdruck, selbst zur Förderung von Frauen im Unternehmen verpflichtet. Dennoch hat sich in den vergangenen zehn Jahren der Frauenanteil in Führungspositionen kaum verbessert. 238 Anita Pongratz Auf der mittleren Managementebene und in der Geschäftsführung sind Frauen deutlich unterrepräsentiert. Durch den demographischen Wandel und dem Fehlen von qualifizierten Fach- und Führungskräften, wird es für Unternehmen immer wichtiger, talentierten weiblichen Führungsnachwuchs zu akquirieren, langfristig zu entwickeln und an sich zu binden. Um den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen, ist in vielen Unternehmen ein Kulturwandel notwendig. Führung durch Frauen ist keine Frage des Könnens oder Dürfens. Verschiedene Denk- und Verhaltensweisen in Unternehmen machen Frauen (aber auch Männern) das Wollen schwer. Beispiele sind: Präsenzstatt Ergebniskultur, ungenügende flexible Arbeitszeitgestaltung und Machtspiele in den Führungsetagen. Wirkungsvolle Maßnahmen um den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen, sind neben Mentoring vor allem flexible Arbeitszeitmodelle und faire, gleichberechtigte Einstellungskriterien. Eine erfolgreiche Umsetzung der gewählten Maßnahmen zur Erreichung der unternehmensinternen Ziele in Bezug auf Frauen in Führung setzt die Einbindung aller Führungsebenen voraus. Frauen, Männer und Unternehmen profitieren gemeinsam von gemischten Führungsteams und einer gleichberechtigten, leistungsorientierten Arbeitskultur. Das X- Company Network unterstützt dieses Ziel und bietet teilnehmenden Unternehmen inhaltlichen Austausch über die Unternehmensgrenzen hinweg, einen jährlichen Benchmark und wichtige Impulse zur Umsetzung der unternehmensinternen Diversity-Ziele. LLiteratur Credit Suisse (2014). Women's Positive Impact on Corporate Performance. In: The CS Gender 3000: Women in Senior Management, Credit Suisse AG, Zürich. Autor-Kurzprofil Anita Pongratz ist seit 19 Jahren beim IT Konzern Hewlett- Packard in internationalen Vertriebs- und Marketingpositionen tätig. Sie ist Dozentin an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg im Fachbereich Wirtschaftsinformatik und leitet seit 2013 die Arbeitsgruppe X-Company Network bei HP. uvk-lucius.de/ fuehren 7.4 Die Initiative „Gender Diversity“ - Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen von Katrin Schuler Die Wüstenrot & Württembergische- Gruppe ist „Der Vorsorge-Spezialist“ für die vier Bausteine moderner Vorsorge: Absicherung, Wohneigentum, Risikoschutz und Vermögensbildung. Im Jahr 1999 aus dem Zusammenschluss der Traditionsunternehmen Wüstenrot und Württembergische entstanden, verbindet der börsennotierte Konzern mit Sitz in Stuttgart die Geschäftsfelder BausparBank und Versicherung als gleich starke Säulen und bietet auf diese Weise jedem Kunden die Vorsorgelösung, die zu ihm passt. Die rund sechs Millionen Kunden der W&W-Gruppe schätzen die Service-Qualität, die Kompetenz und die Kundennähe des Vorsorge-Spezialisten, für den rund 13.000 Menschen arbeiten. Dank eines weiten Netzes aus Kooperations- und Partnervertrieben sowie Makler- und Direkt-Aktivitäten kann die W&W-Gruppe mehr als 40 Millionen Menschen in Deutschland erreichen. Die W&W-Gruppe setzt auch künftig auf Wachstum und hat sich bereits heute als größter unabhängiger und kundenstärkster Finanzdienstleister Baden-Württembergs etabliert. Hintergründe und Idee Als modernem und familienfreundlichem Unternehmen liegt der W&W-Gruppe das Thema Diversity Management am Herzen - die Führung und Förderung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unabhängig von deren Alter, Geschlecht, Bildung oder sexueller Orientierung. Gerade in der Finanzdienstleistungsbranche, die einen hohen Anteil an Frauen in der Belegschaft aufweist, der sich jedoch nicht auf den Führungspositionen wiederspiegelt (vgl. AGV, 2013, sowie Holst & Kirsch, 2014), steht dabei die Förderung gemischtgeschlechtlicher Führungsteams in besonderem Fokus. Deshalb hat sich die W&W-Gruppe bereits Ende 2010, also schon lange vor der Diskussion und Einführung der gesetzlichen Quote zum Ziel gesetzt, bis Ende 2015 eine Zielquote von 30% Frauen in Führungspositionen zu erreichen. In der Vergangenheit hatte die W&W-Gruppe hierfür bereits gute Grundlagen geschaffen und mit der in diesem Artikel beschriebenen Initiative fortgeführt und ausgebaut. Im Folgenden wird die Vorgehensweise bei der Entwicklung und Implementierung der Initiative „Gender Diversity“ beschrieben und die weiterführenden Maßnahmen in den Folgejahren sowie die bisherigen Ergebnisse dargestellt. Aktivitäten bezogen auf die Vereinbarkeit Familie & Beruf und Initialisierung des Programms „Gender Diversity“ In der Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist die W&W-Gruppe schon lange aktiv und bot bereits vor dem Start der Initiative „Gender Diversity“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zum Beispiel Eltern-Kind-Büros, Notfallbetreuung im Eltern-Kind-Zentrum (EKiZ), Beratung in Fragen der Kinderbetreuung und Pflege sowie Ferienbetreuung an. Maßnahmen zur Förderung von Vereinbarkeit Familie und Beruf im W&W-Konzern waren außerdem z.B. Seminarangebote, individuelle Verein- 240 Katrin Schuler uvk-lucius.de/ fuehren barungen zum mobilen Arbeiten und Ermöglichung von Teilzeit in Führungspositionen sowie Planungen zur Einrichtung einer eigenen Betriebskindertagesstätte auf dem Firmengelände in Stuttgart („Die Feuerseepiraten“). Durch diese Maßnahmen war es gelungen, mehr qualifizierte Frauen auch während oder nach einer familienbedingten Unterbrechung im Unternehmen zu halten. Dennoch waren zum Zeitpunkt der ersten Überlegungen zur Initiative Frauen im Verhältnis zu ihrem Anteil in der Belegschaft (rd. 50%) in Führungspositionen wenig vertreten: Ende 2010 waren 18,8% aller Führungspositionen (Vorstand/ GF, F1, F2/ F3) im W&W-Innendienst mit Frauen besetzt. In verschiedenen Studien wurde nachgewiesen, dass Unternehmen mit einem höheren Frauenanteil an der Spitze im Vergleich zum Branchenschnitt bessere Ergebnisse, höhere Renditen und einen stärkeren Anstieg des Aktienkurses aufweisen sowie Krisen besser bewältigen (vgl. McKinsey, 2007, 2009; Ernst & Young, 2012). Aufgrund dessen und der guten Erfahrungen mit gemischten Führungsteams wurde das Ziel, den Anteil an Frauen in Führungspositionen bis Ende 2015 auf 30% zu erhöhen, in der Personalstrategie der W&W-Gruppe verankert. Die Konzernpersonal Entwicklung wurde beauftragt, Maßnahmen zu erarbeiten, die das Erreichen dieses ehrgeizigen Ziels unterstützen. Strategische Überlegungen vor Projektstart Bei den internen Überlegungen, wie das Thema im Unternehmen anzugehen sei, wurde eine ganzheitliche Lösung unter Beteiligung verschiedener Stakeholder und mit regelmäßiger kommunikativer Begleitung angestrebt. Als wichtiger Baustein zur Umsetzung der personalstrategischen Zielsetzung wurde außerdem die Verankerung in den Zielvereinbarungen der Führungskräfte gesehen, um die notwendige Verbindlichkeit und Nachhaltigkeit im Konzern zu erzeugen. Das vorhandene und sichtbare Commitment seitens des Vorstandsvorsitzenden und des Personalvorstands z.B. im Rahmen von internen Veröffentlichungen war sehr hilfreich, weshalb das Ziel auch war, andere Vorstände nach und nach bei Veranstaltungen hinzuzuziehen und als Unterstützer zu gewinnen. Durch das Einbeziehen einflussreicher Personen im Projektteam „Gender Diversity“ sowie Schlüsselpersonen aus relevanten Bereichen (z.B. Konzernvorstandsstab, Konzernkommunikation) sollten außerdem die Ideen anderer Bereiche (außerhalb des Personalbereichs) berücksichtigt und Multiplikatoren gewonnen werden. Eine weitere wichtige Überlegung war, bei der Diskussion des Themas und der Erarbeitung von Maßnahmen die Relevanz des Themas für Männer und Frauen aufzuzeigen (z.B. Arbeitszeit in Führungspositionen, Attraktivität von Führungspositionen, Vereinbarkeit Familie und Beruf) und dadurch Vorbehalte abzubauen und eine einseitige Personalpolitik zu vermeiden. Es sollte außerdem deutlich werden, dass das Unternehmen einen wirtschaftlichen Nutzen von mehr Vielfalt in Führungspositionen hat, wie es bereits in verschiedenen Studien (s.o.) beschrieben wurde. Durch die Mitarbeit im X-Company Network Region Stuttgart (einem Zusammenschluss der Frauennetzwerke verschiedener Unternehmen im Raum Stuttgart; vgl. Beitrag von Anita Pongratz im gleichen Band) sollte außerdem der Austausch und auch ein gewisser Wettbewerbsdruck zwischen den Unternehmen gefördert werden. Die Initiative „Gender Diversity“ 241 uvk-lucius.de/ fuehren Vorgehen und Verlauf Vorgehensweise bei der Erarbeitung und Ableitung des Maßnahmenpakets Um die Ideen und Meinungen aus dem Unternehmen aufzunehmen und wichtige Unterstützer für das Thema zu gewinnen, wurde 2011 ein interdisziplinäres, gemischtgeschlechtliches Projektteam zusammengestellt, das Führungskräfte und Fachleute anderer Konzerngesellschaften und Fachbereiche außerhalb des Personalbereichs umfasste. Das Projektteam erhielt den Auftrag, im Rahmen des Projekts „Gender Diversity“ ein Maßnahmenpaket zu erarbeiten, um das Ziel, bis Ende 2015 30% Frauen in Führungspositionen zu bringen, voranzutreiben. Die folgende Abbildung stellt die Vorgehensweise im Projekt dar: Vorgehensweise im Projekt Um Maßnahmen zu erarbeiten, die zum Unternehmen passen, und um eine erste Sensibilisierung im Unternehmen zu erreichen, wurde im April 2011 eine Kulturerhebung in Form einer Großgruppenveranstaltung mit dem Titel „Führen durch Vielfalt - Mit Weitblick unsere Unternehmenskultur gestalten“ durchgeführt. An dieser Veranstaltung nahmen rund 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Nachwuchs- und Führungskräfte, Vorstände sowie Betriebsräte teil. Sie diskutierten verschiedene Fragen wie „Was hindert Männer und Frauen daran, bei der W&W Karriere zum machen? “, „Schließen sich Teilzeit und Karriere aus? “ oder „Wie könnte die W&W die Positionierung weiblicher Führungskräfte stärken? “. Aus den Ergebnissen der Veranstaltung und einer begleitenden Kennzahlenanalyse wurden Handlungsfelder abgeleitet sowie ein Maßnahmenpaket vorgeschlagen, das im Juli 2011 durch das Vorstandsgremium (Gesamtboard) verabschiedet wurde. Die Maßnahmen wurden in 2012 entwickelt und die Umsetzung gestartet. Ziel war es dabei, an drei Handlungsfeldern anzusetzen, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen (s. nachfolgende Abbildung): an den Führungskräften, die Frauen mit Potenzial für Führungsaufgaben ansprechen und entwickeln sollen, an den Frauen, um diese in ihrer beruflichen Orientierung und Vernetzung im Unternehmen stärker zu unterstützen 242 Katrin Schuler uvk-lucius.de/ fuehren an den Rahmenbedingungen, um die Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch in Führungspositionen zu stärken und diese dadurch für Nachwuchskräfte attraktiver zu machen. Handlungsfelder Ansatzpunkt Führungskräfte Das Ziel dieser Maßnahmen war, die gezielte Einstellung und Beförderung weiblicher Führungskräfte zu fördern. Deshalb wurde die Nachwuchsförderung mit besonderem Fokus auf die Förderung weiblicher Nachwuchs- und Führungskräfte in den Zielvereinbarungen aller Vorstände bzw. Geschäftsführer und obersten Führungskräfte verankert. Die Einführung der sog. Short-List-Vorgabe in der internen und externen Personalbeschaffung regelte außerdem neu, dass mindestens eine Frau bei der Besetzung von Führungspositionen auf der Liste der drei Top-Kandidaten im Auswahlprozess sein muss. Es wurde außerdem beschlossen, dass an den Personalvorstand regelmäßig über die Besetzungsquote und den jeweils aktuellen Ist-Stand der Frauen in Führungspositionen berichtet wird. Darüber hinaus sollte jährlich in der Sitzung des Vorstandsgremiums (Gesamtboard) ein detaillierter Bericht erfolgen. Durch Verankerung in das laufende Entwicklungsprogramm für Führungskräfte wurden diese für das Thema sensibilisiert und erhielten dort Hinweise zur Potenzialerkennung und -förderung. Ansatzpunkt Frauen Ziel dieser Maßnahmen war es, dass Frauen Karriere einfordern und im Top- Management sichtbarer werden. Um die Karriereentscheidungen von Frauen für die Führungslaufbahn zu fördern, wurde das Angebot einer individuellen Karriereberatung mit professionellen Karriereberaterinnen eingeführt. Zielgruppe sind weibliche Führungs- und Führungsnachwuchskräfte, bei denen die Führungskräfte Potenzial für eine (höhere) Führungsposition sehen, die aber selbst zweifeln, ob sie der Aufgabe gewachsen sind. Die Etablierung eines W&W-Frauennetzwerks sollte zur Förderung der Sichtbarkeit von Frauen im Top-Management beitragen. Für das interne Mento- Die Initiative „Gender Diversity“ 243 uvk-lucius.de/ fuehren ring-Programm, in dem Vorstände Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Potenzial im Laufe eines Jahres in ihrer Entwicklung begleiten, wurde eine Quote von 50% vorgegeben. Gezielte Seminarmaßnahmen für Frauen zum Thema Eigenmarketing und Karriereplanung sollten Frauen ermöglichen, sich mit anderen Frauen im Konzern auszutauschen und zu vernetzen und wertvolle Tipps zur eigenen Weiterentwicklung von erfahrenen Trainerinnen zu erhalten. Ansatzpunkt Rahmenbedingungen Durch Angebote zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollte es Frauen erleichtert werden, frühzeitig in den Beruf zurückzukehren und dort verantwortungsvolle Positionen, z.B. in der Führungslaufbahn, zu übernehmen. Die gezielte Förderung von Teilzeit und mobilem Arbeiten in Führungspositionen sollte erreichen, dass Führungspositionen für interne Potenzialkandidatinnen und externe Bewerberinnen attraktiver werden, da eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatem ermöglicht wird. Wichtige Rahmenbedingungen für Frauen, um sich für eine Führungslaufbahn zu entscheiden, ist auch das Thema Kinderbetreuung. Die Einrichtung der Betriebskindertagesstätten war mit der Tagestätte „Feuerseepiraten“ auf dem Firmengelände in Stuttgart bereits gestartet und sollte nun zügig vorangetrieben und ausgebaut werden. Außerdem wurde die Beratung zum Thema Kinderbetreuung und Pflege bundesweit ausgebaut. Durch interne Kommunikation und Einbeziehung des Top-Managements sollte außerdem verstärkt für das Thema sensibilisiert werden. Ziel war es, bei Mitarbeitern und Führungskräften ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen und Möglichkeiten im Unternehmen aufzuzeigen. Dafür wurde in gezielten internen Informationsformaten (z.B. Artikel in der Mitarbeiterzeitschrift, Intranet-Meldungen) und Marketingmaßnahmen regelmäßig über das Thema, Aktionen und Entwicklungen im Unternehmen berichtet. Es wurde außerdem ein Intranet-Auftritt zum Thema aufgesetzt, in dem interne und externe Aktionen angekündigt und veröffentlicht werden. Die W&W wirkt außerdem seit 2010 aktiv im X-Company Network Region Stuttgart mit und forciert den Austausch mit anderen Unternehmen. Folgeaktivitäten ab 2013 In den Folgejahren nach Start der Initiative wurden die angestoßenen Maßnahmen fortgeführt und durch flankierende und weiterführende Aktivitäten seitens der Abteilung Konzernpersonal unterstützt: Ansatzpunkt Führungskräfte In den jährlichen Nominierungs- und Zielvereinbarungsprozessen wird das Ziel forciert, weibliche Potenzialkandidatinnen für die Führungslaufbahnen zu entwickeln. Die Führungskräfte erhalten ebenso Hinweise und Tipps, was sie bei der Erreichung des Ziels unterstützen könnte. Die Vorgaben in der Personalbeschaffung wurden mit der sog. "Comply or Explain-Regelung" verschärft: Um die Short-List-Vorgabe verbindlicher zu gestalten, müssen Führungskräfte nun schriftlich begründen, warum sie eine Führungsposition nicht mit einer Frau besetzt haben. 244 Katrin Schuler uvk-lucius.de/ fuehren In Kontakt mit Führungskräften im Konzern (Konferenzen, Sounding Boards, Führungskräfteentwicklung, Jahresauftaktgespräche zwischen Konzernpersonal und F1- Führungskräften) wurden die Themen Gender, Präsenzkultur und Lebensphasenorientiertes Arbeiten immer wieder aufgegriffen, um dafür zu sensibilisieren und die Führungskräfte als Multiplikatoren eines neuen Mindsets zu nutzen. Seit 2014 wird das Thema verstärkt auf Diversity ausgeweitet und hier ein besonderer Fokus auf das Thema „Unconscious Bias“ gelegt. In verschiedenen Veranstaltungen wurden Führungskräfte und Top-Manager hierfür sensibilisiert. Ein besonders erwähnenswertes Beispiel sind die sog. „Küchentischgespräche“ im benachbarten Eltern-Kind-Zentrum (EKiZ). Vorstände, Führungskräfte und Vertreter des EKiZ (Kuratoren, Ehrenamtliche, Mitarbeiter, Vertreter der Ministerien der Stadt Stuttgart etc.) mit verschiedensten kulturellen Hintergründen diskutieren hier gemeinsam zum Thema „Unconscious Bias“. Ansatzpunkt Frauen Um das Interesse an der Führungslaufbahn bei allen Nachwuchskräften (Männern und Frauen) zu forcieren, wurden weitere Angebote zur Orientierung (z.B. Orientierungsseminar „Führen kann man lernen“, Führungskräfteseminar „Führungspotenzial erkennen und fördern“ sowie Nutzung von Stellvertreterpositionen zur Potenzialentwicklung) entwickelt und seither durchgeführt. Maßnahmen des autarken, jedoch finanziell unterstützten Frauennetzwerks FiT („Frauen in Top-Positionen“) flankieren die Maßnahmen seitens Konzernpersonal. Erwähnenswert ist zum Beispiel das Hospitanzprogramm für führungsinteressierte Frauen, bei denen Frauen für drei Wochen die Möglichkeit gegeben wird, in der Begleitung einer Führungskraft außerhalb der eigenen Abteilung oder des eigenen Konzernunternehmens Führungsaufgaben zu erleben und ggf. auch eigene erste Führungstätigkeiten auszuprobieren. Durch das Frauennetzwerk wurden auch Dialogrunden ins Leben gerufen, in denen weibliche Führungsnachwuchskräfte mit Vorständen zu aktuellen Themen im Unternehmen diskutieren und somit im Management sichtbar werden. Ansatzpunkt Rahmenbedingungen Mit der Checkliste „Führen in Teilzeit“ wird bei Neu- oder Wiederbesetzung einer Führungsposition geprüft, ob diese auch in Teilzeit besetzt werden könnte. Somit wird verstärkt für das Thema sensibilisiert und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben auch in Führungspositionen gefördert. Hinsichtlich der Vereinbarkeit Beruf und Privatleben wurden insbesondere die Beratungsleistungen zur Pflege von Angehörigen stark ausgebaut. Im April 2014 hat außerdem ergänzend zu Stuttgart die Kindertagesstätte Seepferdchen am Standort Ludwigsburg ihren Betrieb aufgenommen. Neu hinzugekommen ist auch das Angebot eines Lebenslagencoachings, das in privaten und/ oder beruflichen Belastungssituationen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern konkret Unterstützung bietet. Schließlich werden sukzessive in den Einzelunternehmen der W&W-Gruppe Betriebsvereinbarungen zum fallweisen mobilen Arbeiten unterzeichnet. Die Initiative „Gender Diversity“ 245 uvk-lucius.de/ fuehren Ergebnisse Die Aufnahme des Themas in Zielvereinbarungen von Vorständen und Geschäftsführern wurde trotz anfänglicher Bedenken umgesetzt. Das Thema ist seit Januar 2012 in den Zielvereinbarungen aller Vorstände und Führungskräfte der obersten Führungsebene verankert. Dies hatte eine stark sensibilisierende Wirkung und u.E. große Auswirkung auf die nachfolgend beschriebenen Ergebnisse und Erfolge. Vor allem das Bewusstsein der Führungskräfte für das Thema und seine Bedeutung wurde geschärft. In internen Potenzialentwicklungs-Workshops und Gesprächen wird das Thema immer wieder „von selbst“ angesprochen. Frauen mit Potenzial werden von Führungskräften vermehrt gesehen. Die interne Diskussion des Themas - positiv, aber durchaus auch manchmal kritisch - wurde auch aufgrund der kontinuierlichen, internen Öffentlichkeitsarbeit im Unternehmen in Gang gesetzt. Dadurch ist das Thema im Unternehmen präsent und eine Veränderung der Unternehmenskultur wurde angestoßen. Die Quote neu mit Frauen besetzter Führungspositionen konnte von 20% (4. Quartal 2011) über 29% (2012) auf rund 44,2% im Jahr 2014 gesteigert werden. Da die meisten Besetzungen (2014: 83%) der Führungspositionen mit internen Kandidaten erfolgte und verstärkt interne Kandidatinnen entwickelt werden (s.u. Nominierungen), dürfte sich die Besetzungsquote in den kommenden Jahren weiter erhöhen. Die Shortlist- Vorgabe (Mindestens eine Frau unter den drei Top-Kandidaten) konnte jedoch in vielen Fällen nicht umgesetzt werden. Die Gründe sind vor allem in fehlenden Bewerberinnen bzw. fehlenden Bewerberinnen mit ausreichendem Profil zu sehen. In einigen Fällen erfolgt außerdem eine Nachbesetzung mit schon länger vorgesehenen und gezielt aufgebauten (männlichen) Nachfolgern. Der Anteil der Frauen in Führungspositionen konnte von 18,8% (Dezember 2010) über 20,6% (September 2012) auf 24,3% (Juli 2015) gesteigert werden. Nicht erreicht wird jedoch das ursprüngliche Ziel 30% bis Ende 2015. Dies liegt unter anderem daran, dass häufig nur wenige weibliche Kandidatinnen - bei externen wie internen Ausschreibungen - zur Verfügung stehen. Zu beobachten ist, dass die Bereitschaft von Frauen, Führungsverantwortung zu übernehmen, auf den unteren Ebenen relativ hoch ist, mit höher werdender Führungsebene jedoch deutlich abnimmt. Dies zeigt sich auch darin, dass die Anzahl der Nominierungen weiblicher Nachwuchsführungskräfte seit Start der Initiative auf der Einstiegsebene für Führungspositionen (insbesondere F3-Positionen) deutlich gesteigert wurde, allerdings in der obersten Führungsebene im ersten Jahr nach der Einführung zwar sehr hoch war, aber in den Folgejahren stark abnahm. Die Aktionen des W&W Frauennetzwerk „FiT - Frauen in Top-Positionen“ stoßen auf positive Resonanz. Ein Kernteam engagierter Frauen gestaltet Ziele, Vorgehensweise und Inhalte des Netzwerks. Das Frauennetzwerk bringt Gleichgesinnte zusammen, die mit verschiedenen Aktionen und Maßnahmen daran arbeiten, mehr Frauen in verantwortliche Positionen zu bringen. Auch die Karriereberatung für weibliche Führungs- und Nachwuchsführungskräfte wurde bereits vielfach mit sehr positiver Resonanz durchgeführt. Rückmeldungen der Teilnehmerinnen sind zum Beispiel: „Der Austausch mit meiner Karriereberaterin hilft mir sehr! Sie unterstützt mich, Antworten auf die Fragen zu finden: Was macht mich aus? Wo kann ich mich einbringen? Was hindert mich bisher, "in Führung" zu gehen? Und: Wie kann ich diese Hindernisse überwinden? Besonders wertvoll finde ich, 246 Katrin Schuler uvk-lucius.de/ fuehren dass wir einen konkreten Karriereplan ausarbeiten, um meinen Wunsch, eine Führungsposition zu übernehmen, in die Tat umzusetzen.“ Zur Umsetzung der seit 2015 eingeführten gesetzlichen Vorgabe wird für die kommenden Jahre eine differenzierte Quote für Frauen in Führungspositionen festgesetzt: Auf Führungsebene F1 wird eine 25%-Quote angestrebt, auf Führungsebene F2 eine 30%-Quote. Kommentierung und Fazit Die Förderung von Frauen in Führungspositionen ist als ein langfristiger Prozess anzusehen, der von verschiedenen Faktoren abhängig ist. Somit muss das Thema auch an mehreren Stellen angepackt werden, was mit der vorgestellten Vorgehensweise gelungen ist. Die Besonderheiten des Ansatzes sind gleichzeitig auch die wesentlichen Erfolgsfaktoren für eine nachhaltige Veränderung im Unternehmen. Ganzheitlicher Ansatz: Das Programm „Gender Diversity“ des W&W-Konzerns zeichnet sich insbesondere durch den ganzheitlichen Ansatz aus, indem in der Maßnahmenumsetzung sowohl Führungskräfte, die Frauen selbst sowie die Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. Veränderung der Unternehmenskultur: Die Vorgehensweise sowie die Maßnahmen selbst haben einen großen Einfluss auf die Unternehmenskultur, und damit bestehen große Chancen, dass wirklich eine Veränderung erfolgt. Zum Beispiel wird die Forcierung des Themas „Führen in Teilzeit / mobiles Arbeiten“ einen Einfluss auf die Präsenzkultur in Führungspositionen haben. Allerdings braucht eine solche Veränderung natürlich auch Zeit. Durch stetige interne und externe Kommunikation während der Programmerarbeitung und der Maßnahmenumsetzung wurde eine Diskussion auf allen Ebenen angestoßen, die bereits Auswirkungen auf die Benennung von weiblichen Nachwuchsführungskräften zeigt. Konzernweite Beteiligung: Bei der Erarbeitung und Umsetzung der Maßnahmen wurden verschiedene interne „Stakeholder“ auf Vorstands- und Mitarbeiterebene beteiligt, was dazu geführt hat, dass speziell für die W&W stimmige und bedarfsgerechte Maßnahmen abgeleitet wurden und außerdem Vorbehalte abgebaut werden konnten. Auch hier zeigt sich die Ganzheitlichkeit des Projekts und der kulturverändernde Charakter. Sicherung der Nachhaltigkeit: Die Aufnahme des Themas in Zielvereinbarungen, die Vorgaben für interne und externe Personalbeschaffung sowie das regelmäßige Reporting und Rückspiegelung der Entwicklungen in das Vorstandsgremium (Gesamtboard) sichern ebenso wie der regelmäßige Austausch mit einem unternehmensübergreifenden Netzwerk in der Region Stuttgart die Nachhaltigkeit in der Umsetzung. Literatur AGV (2013). „Frauen in Führung“ http: / / www.agv-vers.de/ projekte/ frauen-in-fuehrung/ kenn zahlen/ erhebung-frauen-in-fuehrung-2013.html Holst, E. & Kirsch, A. (2014). Finanzsektor: Verbesserungen beim Frauenanteil in Spitzengremien allenfalls in Trippelschritten. DIW Wochenbericht Nr. 3.2014 https: / / www.diw.de/ documents/ publikationen/ 73/ diw_01.c.435172.de/ 14-3-3.pdf Die Initiative „Gender Diversity“ 247 Ernst & Young (2012). Kernergebnisse der Analyse „Mixed Leadership“. http: / / www.ey.com/ Publication/ vwLUAssets/ Mixed_Leadership_2012/ $FILE/ Kernergebnisse%20Mixed%20 Leadership.pdf McKinsey&Company, Inc (2007). Woman Matter. Gender Diversity, a corporate performance driver. http: / / www.mckinsey.com/ ~/ media/ McKinsey/ dotcom/ client_service/ Organiza tion/ PDFs/ Women_matter_oct2007_english.ashx McKinsey&Company, Inc (2009). Woman Matter 3. Women Leaders, a competitive edge in and after the crisis. http: / / www.mckinsey.com/ ~/ media/ McKinsey/ dotcom/ homepage/ 2015 %20September_Gender/ Women_matter_dec2009_english.ashx Autor-Kurzprofil Katrin Schuler, Wüstenrot & Württembergische AG, ist Diplom-Psychologin. Als stv. Leiterin Konzernpersonal Entwicklung - Instrumente hat sie das Programm „Gender Diversity“ entwickelt und implementiert. Zuvor war sie in verschiedenen Unternehmen in Industrie und Finanzdienstleistung in Personalentwicklung und Personalmanagement tätig. Als selbständige Trainerin und Coach war ein Schwerpunkt die Beratung und Entwicklung von Frauen hinsichtlich ihrer beruflichen Orientierung. uvk-lucius.de/ fuehren 7.5 Die leistungsgesunde Führung von René Marchand und Deborah Marit Löffler Einführung und Definition Eine hohe Arbeitsleistung und die gute Gesundheit des Mitarbeiters dürfen nicht im Gegensatz zueinander stehen, sondern sollten sich gegenseitig stützen oder gar stärken. So weit der idealistische Anspruch. Die Praxis jedoch kennt die Zunahme von Burnout, stressbedingten Rückenschmerzen und Hörstürzen, von Depressionen und Sinnverlusten in der Arbeit - die Liste der psychischen und physischen Gesundheitsdefizite in der Schweiz verlängert sich zunehmend (OECD, 2014, S. 39). Zu allem Übel schwappen diese negativen Auswirkungen ins Privatleben der Mitarbeitenden hinüber und wieder zurück in die eigene Arbeitswelt. Schliesslich verlangt die stetig anspruchsvoller werdende Zukunft der Arbeitswelt eine gute physische und psychische Gesundheit als Voraussetzung für eine nachhaltige Leistungsfähigkeit. Bruch und Kowalevski (2013) haben in einer Studie der Universität St. Gallen den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Führung bestätigt: Die Unternehmensleistung und die Bindung der Mitarbeitenden an das Unternehmen sind bei gesunden Mitarbeitenden deutlich erhöht, während Kündigungsabsicht und Anzeichen von Burnout verringert sind. Dabei wird der Mitarbeiterführung eine zentrale Rolle beigemessen. Dass diese sich mit Blick auf die gegenwärtige Situation und auf die zunehmenden Herausforderungen der Zukunft verändern muss, zeigt auch der mehrheitlich geforderte Paradigmenwechsel in der Führungskultur (Initiative Neue Qualität der Arbeit, 2014). Die leistungsgesunde Führung unterscheidet sich von der «gesunden Führung» (Blessin & Wick, 2014: 325) durch eine stärkere Hinwendung zur Leistungserhaltung beziehungsweise -steigerung seitens der Mitarbeitenden und der Organisation. Die Schwerpunktbildung des klassischen betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) in der Gesundheitsförderung im Sinne der Primärprävention (siehe unten) für Mitarbeitende greift hier zu kurz. Wo heutzutage hohe Arbeitsleistungen verlangt und erbracht werden, steigen auch die Krankheitsrisiken. Sobald Risiken möglich sind, müssen die korrektiven Massnahmen deutlich verstärkt und der Übergang zu rehabilitativen Massnahmen vereinfacht werden. Die leistungsgesunde Führung zielt auf ein Gleichgewicht in den Massnahmen zwischen den Mitarbeitenden und der handelnden Organisation ab. Sie baut auf der «gesunden Führung» auf, führt aber diese wieder zurück an den Ursprung des Leistungssinns der Organisation. Die Zielsetzungen der leistungsgesunden Führung sind die Erbringung hoher Leistung durch die Mitarbeitenden bei hoher Eigenmotivation im betrieblichen Umfeld und die Erhaltung oder gar Stärkung (durch die Resilienz) der Mitarbeitergesundheit, der Abbau von Ängsten, physischen und psychischen Krankheiten, von Demotivation und Identifikationsverlusten als Leistungshindernissen. Die leistungsgesunde Führung muss strategisch auf die Verhinderung und Behebung von Fehlzuständen gleichzeitig bei der Organisation wie auch bei den Mitarbeitenden ausgerichtet sein. Somit steht eine umfassend verstandene Prävention im Zentrum des Interesses. Die leistungsgesunde Führung 249 uvk-lucius.de/ fuehren Als Definition der leistungsgesunden Führung kann darum die konsequent präventionsgerichtete Führungsarbeit verstanden werden, die sowohl die Gesundheit der Organisation und ihrer Mitarbeitenden als auch die Leistung der Mitarbeitenden und der Organisation im Fokus hat. Sie verkettet Gesundheit mit Leistung und Leistung mit Gesundheit - bei Person und Organisation. Bei Menschen können drei Präventionsstufen unterschieden werden: [1] Stufe: Primärprävention. Informationen, Ausbildung und Bewusstseinsstärkung in gesundheitsrelevanten Themen (zum Beispiel: Ernährungsberatung, Fitness, Umgang mit Stress, Einflussfaktoren der individuellen Resilienz, Gefährdungselemente für Burnout) für alle Mitarbeitenden. [2] Stufe: Sekundärprävention. Korrigierende Massnahmen zur Verhinderung von sich abzeichnenden Fehlzuständen (physische und psychische Krankheiten) für betroffene Risikogruppen. [3] Stufe: Tertiärprävention. Nach Ausbruch einer Krankheit oder Eintritt eines Schadens geht es hier um die Heilung der negativen Auswirkungen, sodass die Leistungsfähigkeit wiedererlangt werden kann. In der Folge wird dieser umfassende Präventionsansatz auch auf die Organisation übertragen. Fallbeispiel: Hohe Leistung und überdurchschnittliche Gesundheit der ICAS- Mitarbeitenden Das entsprechende Dokument finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. Das Beispielunternehmen ICAS (Schweiz) AG ist mit 50 festangestellten und 205 freien Mitarbeitenden ein Kleinunternehmen. ICAS erbringt eine Palette von unterstützenden Dienstleistungen für ein Volumen von mehreren hunderttausend Menschen (Mitarbeitende und ihre direkten Familienangehörigen) in fünf Ländern (Deutschland, Schweiz, Österreich, Luxemburg und Italien) rund um die Uhr und in vier Sprachen. Die Dienstleistungen liegen in der Beratung und Begleitung grösserer Unternehmen und ihrer Mitarbeitenden in 85 Themenkategorien, die sowohl arbeitsbezogen wie auch privater Natur sein können. Im Fokus steht die Ermöglichung einer Hilfestellung für den Kundenmitarbeiter auf seine eigene Initiative hin: Er entscheidet, wann und zu welchem Thema er eine Beratung oder Begleitung will, die konkrete Umsetzung beziehungsweise Lösung der Situation bleibt jedoch in seiner Eigenverantwortung. Die psychologische Unterstützung der Kundenunternehmen in Krisen- und Traumasituationen bildet einen weiteren Bestandteil der Dienstleistungspalette von ICAS. Sie kann bei betrieblichen Unfällen mit Todesfolge, Entlassungen oder schwerwiegenden Konflikten im Betrieb notwendig werden. Die Mitarbeitenden von ICAS sind Wissensarbeiter (Drucker 2004: xvii), zu 65% weiblich, und der Anteil der akademisch ausgebildeten Mitarbeitenden liegt bei 73%. Das 250 René Marchand und Deborah Marit Löffler uvk-lucius.de/ fuehren Unternehmen wurde im Jahre 1999 «auf der grünen Wiese» gegründet. Ein Teil der Mitarbeitenden ist, wie in einem Schichtbetrieb üblich, auch nachts und an Wochenenden sowie an Feiertagen im Einsatz, da die Mitarbeitenden der Kundenunternehmen aus ihrer eigenen Arbeitsbelastung heraus oft erst abends oder an Wochenenden eine Beratung und Begleitung in Anspruch nehmen wollen oder können. Zudem erfordert die Kundenbetreuung vor Ort in den fünf Ländern eine intensive Reisetätigkeit, auch ausserhalb der regulären Arbeitszeit. Da Weltkonzerne zu den Kunden gehören, bewegen sich die Leistungen auf höchster fachlicher Qualitätsstufe. Messung der Leistungsgesundheit bei ICAS Idee Bei den beschriebenen hohen Arbeitsansprüchen an die ICAS-Mitarbeitenden stellt sich die Frage, inwieweit das Wohlbefinden als Person und die Leistungsfähigkeit als Mitarbeitender miteinander vereinbart werden können. Das Konzept der leistungsgesunden Führung dient diesen als Referenz und Zielsetzung. Es wird angestrebt, dass ICAS-Mitarbeitende in diesem Sinne ein kohärentes System an Angeboten vorfinden und mitgestalten. Ziel und Interesse der Analyse galten dem Vorhandensein von Belastungsfaktoren, die einen reduzierenden Einfluss auf das Wohlbefinden sowie auf die Leistungsmotivation der Mitarbeitenden haben und damit einen erlebbaren negativen Stress erzeugen könnten. Diese Analyse bildet das Fundament, auf welchem konkrete Aktivitäten zur Erhöhung der Leistungsgesundheit erarbeitet werden. Denn nicht zuletzt gelten die ICAS- Mitarbeitenden als Mass für die angebotenen Dienstleistungen. Authentisch können Beratung und Unterstützung in persönlichkeitsnahen und auch gesundheitsbezogenen Bereichen nur dann geleistet werden, wenn das Selbstverständnis des anbietenden Unternehmens ebenfalls Rahmenbedingungen stellt, in denen die Mitarbeiter gute Leistung in guter Gesundheit erbringen. In diesem Sinne war auch angestrebter Nebeneffekt des Projekts, die Mitarbeiter für die eigene Leistungsgesundheit anhaltend zu sensibilisieren. Und zu einem bewussten Umgang sowie zur Mitgestaltung einflussnehmender Faktoren anzuhalten. Analysewerkzeug Als Befragungswerkzeug wurde das Work Experience Scan (WES) (van de Loo et al. 2015) gewählt, weil es einerseits auf die Leistungsvoraussetzungen bei der Organisation und dem Individuum sowie andererseits auf ein ganzheitliches Verständnis der persönlichen Gesundheit fokussiert. Sogar die Auswirkungen der Arbeitserfahrung auf das private Umfeld werden mit berücksichtigt. Ein weiterer wichtiger Grund für das WES ist die Möglichkeit, unternehmensspezifische Resultate direkt mit einer Bezugsgruppe vergleichen zu können, die sowohl geografisch wie auch funktional interessant ist. Das WES kennt drei Themen-Cluster [1] Ursachen der Belastungen / von Stress Die leistungsgesunde Führung 251 uvk-lucius.de/ fuehren Die Themen sind: interne Organisation und Unterstützung (8 Items), Reorganisation (2 Items), Anerkennung (4 Items), Belästigung (4 Items), Arbeitsdruck (8 Items), Arbeitsumgebung (7 Items), private Stressfaktoren (5 Items). [2] Persönlichkeitsmerkmale und Bewältigung Die Themen sind: Entspannung und die Fähigkeit, Probleme auszutauschen (6 Items), Selbstsicherheit (6 Items), Extrovertiertheit (4 Items), Typ-A-Verhaltensmerkmale (7 Items) [3] Auswirkungen der Belastungen / von Stress Die Themen sind: körperliche und psychische Gesundheit (3 Items), körperliche und psychische Beschwerden (7 Items) Projekt Das entsprechende Dokument finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. Projektführung: Die Leitung der Befragung wurde der SCG St. Gallen Consulting Group übertragen, weil sie einerseits auf die Implementierung der Leistungsgesundheit spezialisiert ist und andererseits über die notwenige WES-Akkreditierung verfügt. Auch die Moderation der Ergebnispräsentation wie auch der Veränderungs-Workshops lag bei der SCG. Analysephase: Nach der Information der Mitarbeitenden von ICAS wurde im August 2015 mittels eines elektronischen Fragebogens, der direkt an die externe auswertende Institution ging, die Leistungsgesundheit der ICAS-Mitarbeitenden (anonyme Befragung, n = 48) gemessen und mit derjenigen einer Bezugsgruppe (n = 1840) mit Personen aus den Funktionen Support, Administration und Management in der Schweiz und in Deutschland in verschiedenen Industriezweigen verglichen. Berichtsphase: Nach einer ersten Präsentation der Ergebnisse vor dem Kader von ICAS wurden alle Ergebnisse sämtlichen Mitarbeitenden in identischer Form präsentiert. In allen Erklärungen wurde vollständige Anonymität garantiert und eingehalten. Konklusionsphase: Im WES-Prozess wird aufgrund der präsentierten Resultate gemeinsam in der Mitarbeiterschaft entschieden, in welchen Items oder Themen welche Verbesserungsmassnahmen beantragt oder beschlossen werden sollen. Zentral ist da die konkrete Verbesserung des Arbeitsumfeldes aus eigenem Antrieb. Das heisst, dass hier eine Bottom-up-Aktivierung von Verbesserungsinitiativen seitens der Mitarbeitenden erfolgt. Denn letztlich sind WES-Resultate individuelle Reaktionen auf mehrere Verhaltens- und Verhältniskomponenten am Arbeitsplatz. Einige Komponenten können dann auch selbst verändert werden, andere müssen gemeinsam festgelegt werden und die dritte Kategorie sind diejenigen, die ausserhalb der Reichweite der Mitarbeiterschaft liegen und mehrheitlich als Antrag zur Verbesserung an die Geschäftsleitung gestellt werden. Während des Projekts gab es keine bemerkenswerten kritischen Phasen. Jedoch hätte sich die Projektleitung eine noch höhere Beteiligung der Belegschaft in der Konklusi- 252 René Marchand und Deborah Marit Löffler uvk-lucius.de/ fuehren onsphase erhofft. Verbesserungsmassnahmen wurden vorgeschlagen, jedoch war das Engagement der Mitarbeitenden hierbei nicht so hoch wie erwartet. Dadurch dass ICAS bereits zahlreiche Angebote zur Leistungsgesundheit bereitstellt, ist gegebenenfalls die persönlich wahrgenommene Notwendigkeit gering, nochmals zusätzliche Massnahmen zu implementieren oder bestehende Massnahmen anzupassen. Aus dieser Perspektive kann auch eine mangelnde Beteiligung als positives Zeichen gedeutet werden. Es wurde daraus für den weiteren Verlauf des Projekts geschlossen, dass auf operationaler Ebene Bedarfe nicht weiter systematisch abgefragt werden als dass dies so oder so in den installierten Angeboten zur Leistungsgesundheit vorgesehen ist. Es werden vorerst keine weiteren Befragungen durchgeführt. Anstelle dessen wird der Fokus stärker auf den Aspekt gelegt werden, der als Nebeneffekt des Projekts angestrebt wurde, nämlich die periodische Sensibilisierung der Mitarbeitenden für ihre eigene Gesundheit und für die darauf bezogene aktiv wahrgenommene Einflussnahme auf den Ebenen von Unternehmen und Individuum. Durch weitere Kommunikationsmassnahmen und eine anhaltende Thematisierung der mit dem Projekt verbundenen Möglichkeiten und Aktivitäten soll auch in Zukunft sichergestellt werden, dass die ICAS-Mitarbeitenden ein authentisches Zusammenspiel zwischen Dienstleistungsangebot für den Kunden und Selbstverständnis im eigenen Unternehmen erleben. Ergebnisse Die Auswertungen der WES-Befragung zeigten pro Themen-Cluster folgendes Bild: [1] Ursachen für die Belastungen bzw. von Stress: In 6 von 7 Themen haben die Mitarbeitenden von ICAS weniger Probleme als die Bezugsgruppe, einzig bei den privaten Stressfaktoren sind sie mit ihr identisch. [2] Persönlichkeitsmerkmale und Bewältigung: Im ersten Thema (Entspannung und die Fähigkeit, Probleme auszutauschen) zeigen die Befragten weniger Schwierigkeiten, bei den anderen Themen bewegen sie sich mit einer grossen Streuung auf der Höhe der Bezugsgruppe. [3] Auswirkungen der Belastungen bzw. von Stress: In beiden Themen zeigen die Befragten weniger Probleme als die Bezugsgruppe (siehe folgende Abbildung). Bei 20 von 71 Items waren die Befragten signifikant positiver als die Bezugsgruppe (Signifikanz als Wahrscheinlichkeit, dass die Differenz auf Zufall beruht <5%). Darunter waren Items wie Anerkennung in der Arbeit, Hilfe und Unterstützung durch Arbeitskollegen und alle Formen von Diskriminierung. Dies kann die Folge der konsequenten Umsetzung des Unternehmenswertes «Wertschätzung» sein. In 42 Items lagen die ICAS-Mitarbeitenden in einer Bandbreite von +/ -5% mit der Bezugsgruppe gleichauf. In 8 Items zeigten sich die ICAS-Mitarbeitenden ausserhalb der Bandbreite positiver als die Bezugsgruppe. Die grosse Abweichung in negativer Hinsicht auf der Item-Ebene war mit 70,8% der Befragten (gegenüber der Bezugsgruppe mit 41,8%) einzig bei «Ich werde schnell ungeduldig, wenn andere langsam arbeiten» auszumachen. Dieses Resultat könnte von einer auf Produktivität (Effizienz und Effektivität) ausgerichteten internen Leistungskultur abgeleitet werden. Die leistungsgesunde Führung 253 uvk-lucius.de/ fuehren Resultatzusammenfassung im 3. Themen-Cluster aus 10 Items. ICAS-Mitarbeitende weisen relativ zur Bezugsgruppe (waagrechte Linie) in Bezug auf die physische und psychische Gesundheit sowie auf Beschwerden bessere Werte auf. Konklusion der Studie war, dass der systematischen Berücksichtigung der verschiedenen Stufen und Arten der Prävention - vor allem auch bei der Organisation - eine deterministische Rolle zukommt (Blessin & Wick, 2014: 340). Die erörterten Verbesserungsvorschläge betrafen alle vier Aspekte der Prävention (siehe Abbildung auf Seite 254). In Anlehnung an das Konzept des gesunden Führens und der bei Blessin & Wick, 2014: 333, diesbezüglich dargestellten Ansatzebene und -richtung war es aus den WES- Ergebnissen wichtig, sowohl bei der Organisation wie auch bei den Mitarbeitenden zwischen der Verhaltens- und der Verhältniskomponente in der Prävention zu unterscheiden. Dabei kommt der Verhaltensprävention der Führungskräfte beziehungsweise der Organisation als Ganzem eine überragende Bedeutung für das Wohlergehen der Mitarbeitenden zu. Wohl werden mit der Verhältnisprävention die Beeinflussung und Veränderung der Einflussfaktoren in der betrieblichen Realität gestaltet, doch entscheidet das kollektive (oder kulturelle) Verhalten der Organisation über die Glaubwürdigkeit der beschlossenen und angekündigten Massnahmen. Hier ereignen sich die häufigsten Führungsfehler in der Praxis, wenn die erlebbaren Taten der Organisation nicht ihren kommunizierten Worten entsprechen und somit intern die Glaubwürdigkeit und damit das Vertrauen verloren geht, was seitens der Mitarbeitenden fast zwangsläufig mit der Zeit zu psychischen Belastungen führt. Andererseits kommt der Verhältnisprävention auf Seiten der Mitarbeitenden vor allem in der Sekundär- und Tertiärprävention eine matchentscheidende Rolle zu, wenn ein Weg zurück zum individuellen leistungsorientierten Wohlbefinden gefunden oder dieses erhalten werden soll. körperliche und psychische Gesundheit körperliche und psychische Beschwerden weniger Probleme mit der Gesundheit mehr Probleme mit der Gesundheit Bezugsgruppe Bezugsgruppe ICAS 5,9 ICAS 3,0 254 René Marchand und Deborah Marit Löffler uvk-lucius.de/ fuehren Es besteht eine starke Wechselwirkung zwischen dem Verhalten und den Verhältnissen, so dass für die beispielhafte Darstellung eines möglichen Handlungsrahmens für die Verbesserung der leistungsgesunden Führung folgende Übersicht in Anlehnung an das Integrierte Management-System (IMS) von Malik (2015) verwendet werden kann, wobei die Primärprävention meist weniger zeitsensibel und die Tertiärprävention ausgesprochen kurzfristig, wenn nicht gar krisenhaft ist. Die Sekundärprävention muss zwar zur Verfügung stehen, wird aber in der Regel nur punktuell nach Bedarf in Anspruch genommen, was jedoch einen bestimmenden Einfluss auf die Leistungsgesundheit haben kann. Sie soll ferner helfen, zu verhindern, dass Massnahmen der Tertiärprävention benötigt werden. Organisation Mitarbeitende Verhaltensprävention Verhältnisprävention Verhaltensprävention Verhältnis prävention Primäre Stufe Glaubwürdigkeit der Org. in Bezug auf «Taten und Worte», Vorbildverhalten der Führungskräfte in Bezug auf Gesundheit, Werte, Kommunikation, Zeit- Management etc. Cafeteria-Ansatz an Arbeitsmöglichkeiten (z.B. Flexibilität auch für Generation Y und ältere Mitarbeitende), Weiterbildungsangebote in Gesundheitsthemen Individuelle Wieterbildung in Themen der physischen und psychischen Gesundheit (klassische Gesunheitsförderung) und Ausbildung zur persönlichen Produktivitätserhöhung Positive physische und psychische Ergonomie am Arbeitsplatz, vor allem auch in Bezug auf die Arbeitsbedingungen sowie die Reduktion von Ängsten und Konflikten Primäre Stufe Sekundäre Stufe «Speak-up Programme», Informationssowie F&A-Veranstaltungen mit der Geschäftsleitung, erhöhte Transparenz und Zeitinvestition des Kaders in Change- Prozesse Unentgeltliche und flexible Beratungs-, Coachingund/ oder Mentoring- Angebote für Führungskräfte und Mitarbeitende, im Idealfall auch für deren Familienmitglieder Zunehmende Eigenverantwortung für die eigene Gesundheit und Bereitschaft Unterstützung zu finden, wenn Risiken von Präsentismus und Abwesenheit entstehen Möglichkeit, zeitliche Freiräume zur Lösung risikoreicher persönlicher Situationen zu schaffen, Auszeiten zur Erhöhung der individuellen Resilienz finden Sekundäre Stufe Tertiäre Stufe Radikale vertrauensaufbauende Massnahmen, im Sinne der «Flucht nach vorne» mit Schwerpunkt auf der Beweisführung Turnaround-Veränderung in der Organisation, evtl. Ersatz von Führungskräften und Geschäftsleitungsmitgliedern Inanspruchnahme von Massnahmen und Therapien zur Wieder-erlangung der Leistungsfähigkeit und Rückintegration an den Arbeitsplatz Veränderung des Arbeitsplatzes und/ oder der Arbeit ohne Gefahr einer Bestrafung, jedoch in Kooperation mit der Organisation Tertiäre Stufe Beispielhafter Lösungsraster für die Einordnung situationsbedingter Präventionsmassnahmen seitens der Organisation und der Mitarbeitenden. Die leistungsgesunde Führung 255 uvk-lucius.de/ fuehren Mit dem Schema in obiger Abbildung kann für jedes Unternehmen eine massnahmenorientierte Ist-Analyse vorgenommen werden, um anschliessend aufgetretene Lücken systematisch und nach Bedarf zu schliessen. Diskussion über die Führungsmassnahmen zur Erhaltung oder Erlangung der Leistungsgesundheit Die folgende Auswahl an Massnahmen ist bei ICAS umgesetzt. Sie haben zu einem im Vergleich zur WES-Bezugsgruppe sehr positiven Resultat geführt. Gleichzeitig können sie auch als generelle Handlungsempfehlungen verstanden werden. Massnahmen auf Stufe der Organisation Da zwischen der Verhältnisprävention und der Verhaltensprävention beim Unternehmen ein starker Querbezug besteht, werden sie in diesem Beitrag der Einfachheit halber zusammengefasst. Eine Operationalisierung der verschiedenen Präventionsstufen wird jedoch die Unterscheidung zwischen Verhältnis und Verhalten wieder verlangen. Primärprävention Das Konzept der guten Führung (Initiative Neue Qualität der Arbeit 2014) kann grundsätzlich als ein aktiver Beitrag zur Primärprävention verstanden werden, da es auch zum Ziel hat, Führungsfehler zu verhindern. Diese Führungsfehler können absichtlich, unabsichtlich oder systembedingt entstehen. Die ersten beiden Ursachen sind im Verhalten begründet, die dritte Ursache deutet auf die Verhältnisse - im Sinne betrieblicher Rahmenbedingungen - hin. Kohärentes Leitungsteam (Lencioni 2012: 19): Die leitende Gruppe von Personen bei ICAS kennt nicht nur die gegenseitigen Arbeitspräferenzen (aus Profilen wie Myers- Briggs, Insights Discovery, Team Management Systems etc.), sondern sie tritt konsequent intern wie auch extern als Einheit auf. Erleichtert wird dies dadurch, dass die Kadermitglieder gegenseitig die persönlichen Werte als individuelle Antriebskräfte (Boëthius, Ehdin und Marchand 2000: 15) kennen und im Umgang miteinander berücksichtigen. Diese aus diesem gegenseitigen Kennen resultierende Einheit beweist sich im Verhalten dadurch, dass (i) die Teamziele über individuellen Partikularzielen stehen, (ii) gegenseitiges Vertrauen anstatt die Angst vor Verletzlichkeit herrscht (Lencioni 2012: 27) und (iii) die Konfliktaustragung auf die Resultate und nicht auf Machtpositionen ausgerichtet ist. Die erweiterte Geschäftsleitung von ICAS spricht inhaltlich immer nur mit einer Stimme. Die Gesamtverantwortung vor der Teilverantwortung führt zum Gesamtinteresse vor dem Egoismus von Einzelpersonen. Dies verlangt die gegenseitige Rücksichtnahme unter den Kollegen und Kolleginnen im Kader, wie dies bei den Musketieren von Alexandre Dumas der Fall war. Dies verunmöglicht es auch, dass Silo-Denken und -Handlungen in der Organisation entstehen - was dem Gedanken der Leistungsgesundheit der Organisation diametral entgegenstehen würde. Klare Mission (Drucker 2010: 35 ff.): Als Basis für die Identifikation und das Leistungsengagement der Mitarbeitenden muss vollkommene Klarheit bezüglich der Daseinsberechtigung des Unternehmens im Markt herrschen. Die Mission hat in der Regel als sinnstiftendes Element für die Selbstmotivation der Mitarbeitenden eine hohe Wirkkraft. Die Mission von ICAS ist stark auf Hilfestellungen für Menschen und Unternehmen in schwierigen Situationen und mit thematischen Fragestellungen ausgerichtet. 256 René Marchand und Deborah Marit Löffler uvk-lucius.de/ fuehren Gelebtes Leitbild: Notwendig ist das Bewusstsein, dass ICAS als werteorientiertes Unternehmen die drei Unternehmenswerte Qualität, Wertschätzung und Engagement täglich immer wieder durch die Führungskräfte und Mitarbeitenden nach innen und nach aussen durch konkretes Verhalten beweisen oder bestätigen muss. Auch hier gilt: Taten statt nur Worte. In Konfliktfällen werden bei ICAS die drei Unternehmenswerte als Leitplanken für Entscheidungen herangezogen. Verheerend negativ für die Glaubwürdigkeit der Organisation als Ganzes, aber auch für die Führungsmannschaft ist es, wenn eine Lücke zwischen den kommunizierten und den erlebten Unternehmenswerten besteht. Ein glaubwürdiges Unternehmen zu sein, ist ein wichtiges Element zur Erhöhung der organisatorischen Robustheit oder inneren Resilienz in Veränderungssituationen (Välikangas 2010: 108) und bildet das Fundament, auf dem Vertrauen entstehen kann. Vertrauen ist die Voraussetzung für eine Beschleunigung organisatorischer Prozesse (Covey 2010: 47) und ist darum ein zentrales Anliegen der Geschäftsleitung von ICAS im Führungsalltag. Denn die Kehrseite der Medaille «Vertrauen» ist die Angst, die einen geschwindigkeitsreduzierenden und damit - im übertragenen Sinne - krankmachenden Effekt hat. Transparente und nachvollziehbare Unternehmensstrategie: Alle Strategien und Ziele müssen «überkommuniziert» (Lencioni 2012: 141), das heisst systematisch wiederholt und detailliert werden. Dazu dienen bei ICAS ergänzend auch interne Newsletters bei einer Mitarbeiterzahl von nur 50 Personen. Denn generell gilt, dass die Schriftlichkeit (die Geschäftsleitung) verpflichtet. Wie bei jedem Veränderungsprozess ist einer der Schlüsselfaktoren ein schlüssiges Kommunikationskonzept, das auf Schnelligkeit und weitgehender Vollständigkeit beruht. Ad-hoc-Informationen, Gerüchte und fremdbestimmte Nachrichten verunsichern die Mitarbeitenden. ICAS ist durch die Wertschätzung den Mitarbeitenden gegenüber dazu verpflichtet, «überzukommunizieren». Aktive Gesundheitsförderung: Kostenlose Zurverfügungstellung gesunder Nahrungsmittel und Getränke, Bildung von Teams für sportliche Wettbewerbe, interne Kurse über Themen der physischen und psychischen Gesundheit und des Wohlbefindens sind Teil der Unternehmenskultur bei ICAS. Sekundärprävention Allen Mitarbeitenden von ICAS stehen nach Bedarf Beratungs-, Begleitungs- und Coaching-Dienstleistungen unentgeltlich rund um die Uhr an 365 Tagen pro Jahr kostenlos zur Verfügung. Sie können anonym in Anspruch genommen werden und sollen in schwierigen arbeitsbezogenen und/ oder privaten Situationen weiterhelfen. Diese Dienstleistungen führen zu einer Belastungsreduktion durch Gespräche mit Fachkräften und zur Erhöhung der Konzentration bei der Arbeit. Die Kosten für das Angebot werden bereits kurzfristig durch die Reduktion des Präsentismus mehr als aufgewogen (positiver Return-on-Investment) und werden darum durch das Unternehmen getragen. Die unternehmerische Resilienz wird häufig in Veränderungsprozessen getestet. Der Tatsache, dass die Organisation und das Kader in Übergangsphasen der Veränderung angezweifelt werden können, wird bei ICAS mit der Wiederholung der Erkenntnisse von Bridges (2011: 39) und der internen Diskussion darüber Rechnung getragen. Die leistungsgesunde Führung 257 uvk-lucius.de/ fuehren Tertiärprävention Bisher wurden bei ICAS keine Massnahmen dieser Kategorie benötigt. Immerhin ist es jedoch Sinn und Zweck der Erhöhung der organisatorischen Resilienz, dass Massnahmen in diesem Bereich nicht oder dann nur als grosse Ausnahmen notwendig sind. Massnahmen auf Stufe der Mitarbeitenden Beispielhaft folgen einzelne Massnahmen, die einen bestimmenden Einfluss auf die Leistungsgesundheit der Mitarbeitenden haben. Da diese jedoch sehr individuell sein kann, sollten nach Bedarf aus einer breiten Palette Präventionsprioritäten gesetzt werden. Primärprävention Wohlbefinden bei der Arbeit: Den persönlichen Sinn in der Arbeit zu kennen und untereinander kommunizieren zu können, ist ein aktiver Beitrag zum persönlichen Wohlbefinden bei ICAS. Die Inhalte können sich da je nach Altersgruppe stark unterscheiden: Typischerweise können dabei Missverständnisse zwischen der Generation X und Y entstehen (Bund 2014: 84). Transformationale Führung: Dieses neuere Führungskonzept wird bei ICAS konsequent angewendet, indem die Sinnstiftung durch Arbeit, die Pflicht zur Vorbildfunktion und das Investieren von Zeit zur Unterstützung von Kollegen sowie die individuelle Entwicklungsorientierung Teil des Berufsalltages sind. Diese Veränderung der Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden schafft die Basis für eine noch offenere und freundschaftlichere, weil mitarbeiterorientiertere Kommunikation. Damit wird der Grundstein für ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis gelegt, das bei einer Notwendigkeit von Sekundärprävention in der Regel tragfähig bleibt. Mentalität der knappen Ressourcen: So wie die eigene Gesundheit eine knappe und darum wertvolle Ressource ist, besteht in der Regel in jeder Organisation eine Knappheit an Produktionsmitteln oder Ressourcen. Mit weniger Ressourcen mehr Leistung erbringen zu können, ist eine typische Leistungsforderung der heutigen Zeit (Covey 2010: 75). Dies verlangt klare Prioritäten, effizientes Zeit-Management, den Verzicht auf unnötige Arbeiten und eine systematische «Müllabfuhr» (Malik 2014: 365), die nicht ausschliesslich durch die Hierarchie gesteuert ist, was bei ICAS einen direkten Beitrag zur Leistungsgesundheit bildet. Sekundärprävention Individuelle Resilienz: Die Abgrenzung zwischen Arbeit und privatem Leben kann bekanntlich einen positiven Einfluss auf die Widerstandsfähigkeit des Mitarbeitenden haben (Rao 2010: 25) und bildet einen verstärkten Schutz vor negativen Auswirkungen einer Über-Arbeit. Kenntnisse über die verschiedenen positiven Einflussfaktoren persönlicher Resilienz haben bei ICAS alle Mitarbeitenden. Eine frühzeitige Weiterbildung in diesem Thema ist die aktive Vorbereitung einer Sekundärprävention, wird doch die Resilienz nur durch die risikoreiche und manchmal stürmische Realität getestet und kaum in Zeiten mit ruhigem Fahrwasser. Wahrnehmung von Konflikten: Die richtige Einordnung konfliktträchtiger Situationen ist bereits ein Teil der Lösung. Sie wird bei ICAS durch die Mitarbeitenden auf der Basis 258 René Marchand und Deborah Marit Löffler uvk-lucius.de/ fuehren der Unternehmenswerte durchgeführt, wobei der Respekt gegenüber dem Individuum im Rahmen der Wertschätzung und der Kampf gegen dessen Schattenwert, die Arroganz, den Lösungsansatz zwischen den Mitarbeitenden bilden (Ng 2012: 97). Bereitschaft, Initiative zu ergreifen: Basierend auf einer bewussten Selbstbeobachtung und wissend, dass die Inanspruchnahme professioneller Begleitung und Beratung eine Stärke und keine Schwäche ist, liegt es allein im Eigeninteresse der ICAS-Mitarbeitenden, ob sie das Angebot des Unternehmens ergreifen. Tertiärprävention Diese ist in der Regel eher eine private Angelegenheit und steht mit der Ausnahme rechtlicher Schritte oder von Personal Improvement Programs (PIP, Prozesse zur raschen persönlichen Leistungssteigerung und -überwachung) nicht im Fokus dieser Betrachtungen. Zurzeit sind bei ICAS in diesem Feld keine Massnahmen geplant oder aktiv. Fazit Ist die Anzahl der Führungsfehler in der Primärprävention reduziert worden, muss das Augenmerk auf die Sekundärprävention bei der Organisation und den Mitarbeitenden gerichtet sein. Die gute Qualität der Sekundärprävention reduziert die Notwendigkeit dringender Massnahmen der Tertiärprävention oder macht diese im Idealfall überflüssig. In diesem Falle ist die Leistungsgesundheit im Sinne hoher Leistung mit guter Gesundheit weitgehend erreicht. Denn gesunde Leistung entsteht, wenn die Mitarbeitenden - trotz hoher Leistungsanforderungen - sich am Arbeitsplatz wohl fühlen (Levering 1988: 203). Das leistungsgesunde Führen verbindet medizinische, psychologische und betriebswirtschaftliche Themen in den verschiedenen Stufen der Prävention und in der arbeitsteiligen Kombination zwischen Person und Organisation. Damit ergibt sich ein weites Feld für leistungs- und gesundheitsbezogene Interventionsmöglichkeiten. Im Sinne einer leistungsbezogenen Führung ist hierbei die Frage nach der tatsächlichen Herausforderung und der passenden Interventionsebene dialogisch und lösungsorientiert zu beantworten (Koreng und Rummel: 2012). Denn nur durch zielgerichtete Massnahmen kann ein Unternehmen auf Dauer die Gesundheit der Mitarbeitenden und damit letztlich auch die Organisationsgesundheit erhalten. So wird der Begriff der leistungsgesunden Führung zu einem Extrakt der in diesem Zusammenhang erörterten Themen: Leistung als Bezugspunkt für gesundheitsfördernde und -erhaltende Massnahmen sowie als Referenz für Führungsverhalten Gesundheit als Erfolgs-, aber auch als Risikofaktor in einem umfassenden Verständnis Führung als Steuerungsmittel auf den Ebenen der Person und der Organisation. Literatur Blessin, B. & Wick, A. (2014): Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK. Boëthius, S., Ehdin, M., Marchand, R. (2000): Die Entdeckung der persönlichen Werte. Wie Sie beim Führen Engagement, Vertrauen und Glaubwürdigkeit entwickeln und gleichzeitig mehr Spass haben und bessere Resultate erzielen, Steinmaur: Time/ system Verlag. Die leistungsgesunde Führung 259 Bridges, W. (2011): Managing Transitions. Making the most of change, 3. Aufl., Philadelphia. Perseus Books Group. Bund, K. (2014): Glück schlägt Geld. Generation Y: Was wir wirklich wollen, Hamburg: Murmann Verlag. Bruch, H. & Kowalevski, S. (2013): Wie Unternehmen eine gesunde Performancekultur entwicklen [online], http: / / www.topjob.de/ upload/ presse/ hintergrund/ TJ_13_Studie_ GesundeFuehrung.pdf. Covey, S. R. (2010): Führen unter neuen Bedingungen. Sichere Strategien für unsichere Zeiten, Offenbach: Gabal-Verlag. Drucker, P. (2004): Concept of the Corporation, New Brunswick: Transaction Publishers. Drucker, P. (2009): Die fünf entscheidenden Fragen des Managements, Weinheim: Wiley-Verlag. 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Er ist als Unternehmer sowie als Managementberater bei der SCG St. Gallen Consulting Group seit über 25 Jahren auf die praxisnahe Einführung des werteorientierten Führens und der Glaubwürdigkeitserhöhung von Organisationen spezialisiert. Er arbeitet auf drei Kontinenten. Dabei findet neben dem Topmanagement vor allem das mittlere Management in der Rolle eines Wirkungs-Multiplikators seine besondere Beachtung. Dr. Marchand ist Autor zahlreicher Schriften und Beiträge und Mitglied des Aufsichtsrates von ICAS. Deborah Marit Löffler ist Dipl.-Pädagogin im Bereich Erwachsenenbildung. Nach Tätigkeiten an der Universität Duisburg-Essen und bei einer internationalen Management- Beratung ist sie bei der SCG St. Gallen Consulting Group tätig. Sie leitet die SCG Academy. QR-Codes SCG St.Gallen Consulting Group: http: / / www.scg-stgallen.com/ gesunde_fuehrung Das entsprechende Dokument finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. ICAS: http: / / www.icas-eap.com Das entsprechende Dokument finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. uvk-lucius.de/ fuehren 7.6 Ist das betriebliches Gesundheitsmanagement oder schon Führungskräfteentwicklung? - Ein Praxisbeispiel aus der ifm electronic Essen von Steffen Fischer Führen und Gesundheit bzw. Führungskräfteentwicklung (FKE) und Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) werden in der Personalliteratur zunehmend im Zusammenhang genannt. Zurecht, denn die strategische Auseinandersetzung mit diesen Themenbereichen bietet in Kombination mit der in den letzten Jahren verstärkt aufgekommenen Thematik der psychischen Belastungen im Betrieb gute Ansatzpunkte, das Führungs- und Organisationsverständnis weiter zu entwickeln. Im folgenden Praxisbeispiel wird dargestellt, dass dieser scheinbar sofort einleuchtende Zusammenhang in der operativen Implementierung viel Zeit und Verständnisabklärung insbesondere auf der betroffenen Führungsebene benötigt. Das Bewusstsein der Führungskräfte darüber, dass ihre Art und Weise zu führen Einfluss auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter und ggf. auch die eigene Gesundheut hat, steigt zunehmend. Die international agierende ifm-Unternehmensgruppe beschäftigt sich seit der Firmengründung im Jahr 1969 mit innovativer Automatisierungstechnik und entwickelt, produziert und vertreibt weltweit Sensoren, Steuerungen und Systeme für die industrielle Automatisierung. iHeute zählt das in zweiter Generation geführte Familienunternehmen mit rund 5.400 Beschäftigten in über 70 Ländern zu den weltweiten Branchenführern. Als dezentral aufgestellter Mittelstandskonzern geht es aber nicht nur um innovative Technik (mehr als 600 Beschäftigte aus Forschung und Entwicklung sorgten bislang für 600 Patente bzw. 70 Patentanmeldungen pro Jahr) und um flexible Nähe zum Kunden (ein überdurchschnittlich großes Vertriebs- und Serviceteam von rund 1.200 Beschäftigten reagiert zeitnah auf potenzielle Anforderungen einzelner Branchen). Es geht auch darum, eine Führungs- und Leistungskultur zu erhalten und weiter zu entwickeln, um den steigenden Ansprüchen unter Industrie 4.0-Bedingungen gerecht zu werden. Ausgangslage: Braucht man ein BGM und wie sollte es ausgestaltet sein? Wie auch andere Unternehmen stand die ifm-Gruppe vor der Frage, in welchem Umfang und welcher Tiefe das in ersten Ansätzen bestehende betriebliche Gesundheitsmanagement in der ifm-Unternehmensgruppe weiter ausgebaut werden sollte und welche handfesten Unternehmensbeiträge zu erwarten seien. Die Ausgangslage für die federführend verantwortlichen Personalbereiche schienen zunächst günstig: An einzelnen Standorten gab es bereits eine Reihe von Gesundheitsförderungsmaßnahmen, eingebettet in eine verabschiedete Personalstrategie wie z.B. Gesundheitstage in Zusammenarbeit mit Krankenkassen, Betriebsarzt und Kantine mit Themen zu gesunder Ernährung, Bewegung & Umgang mit Stress aktive Betriebssportgruppen und jährliche Sportfeste physische Sportangebote auch für gewerbliche Mitarbeiter wie z.B. „Fit in der Schicht“ und ein breites Kursangebot in der eigenen Sporthalle an einem der Hauptentwicklungs- und Produktionsstandorte 262 Steffen Fischer uvk-lucius.de/ fuehren Mitarbeiterbefragungen zur Arbeitszufriedenheit bzw. jährliche Mitarbeitergesprächskreise mit dem Vorstand mit Bezug auf eine möglichst positive Arbeitsumgebung und verbesserte Umfeldbedingungen in der Arbeitsorganisation. Das Dokument HR Strategie 2007_2010 Plakat finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR- Codes. Das Dokument HR Strategie 2011_2015 Plakat finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR- Codes. Drei-Säulen-Modell des ifm-Gesundheitsmanagements Das Dokument BGM Konzept ifm finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. Man konnte sich bei der Frage der Neuausrichtung des BGM grundsätzlich auf einen seit ca. 25 Jahren relativ unveränderten und akzeptierten Unternehmenskulturanspruch in Form von 87 Leitsätzen berufen, in dem neben Kunden, Marktauftritt und Produkten usw. auch die Mitarbeiterperspektive eine hohe Wertigkeit hat. Auch im Zusammenhang mit der Erweiterung der arbeitsplatzbezogenen Gefährdungsbeurteilungen um die Dimensionen der psychischen Belastungen gab es erste interessante Berührungspunkte zwischen der traditionell eher auf die Betrachtung physischer Arbeitsbedingungen ausgerichteten Arbeitssicherheit und den Personalentwicklungsverantwortlichen, die bislang das Thema des Einflusses des Führungsverhaltens auf Ist das betriebliches Gesundheitsmanagement oder schon Führungskräfteentwicklung? 263 uvk-lucius.de/ fuehren den Unternehmenserfolg primär „für sich gepachtet hatten“. Zusammen mit den Personalreferenten, die ebenfalls mit den seit kurzem gesetzlich vorgeschrieben BEM- Gesprächen (betriebliches Wiedereingliederungsmanagement) anstatt den klassischen Krankenrückkehrgesprächen Erfahrung gesammelt hatten, war aus HR-Sicht schnell klar: Nur wer als Mitarbeiter nicht nur physisch gesund ist, sondern mental gesund und motiviert ist, trägt nachhaltig am besten zum Unternehmenserfolg bei. Gerade Führungskräfte tragen dafür eine besondere Verantwortung. Alle diese Themenbereiche sollten konzeptionell vernetzt betrachtet werden und das Drei-Säulenmodell des ifm- Gesundheitsmanagements entstand (siehe Abbildung oben). Parallel zum Thema Gesundheit wurden deshalb auch die Führungspotential- und Entwicklungsinstrumente in der ifm neu aufgestellt (Abbildung unten), da ohnehin das Bedürfnis nach noch individuellerer Führungskräfteentwicklung anstatt „breiter Gießkannenprogramme für alle“ ausgemacht war. K8-Kompass (Führungskompetenzmodell ifm) Das Dokument Führungskompetenzmodell ifm 2015 finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR- Codes. Trotzdem - bzw. durchaus folgerichtig - stellten der Vorstand und die Mitglieder des Konzerngeschäftsleitungskreises anlässlich der von Führungskräften und Personalabteilung erfolgten Gründung des Arbeitskreises „betriebliches Gesundheitsmanagement“ die Frage, auf Grund welcher konkreter Bedürfnisse und mit welcher Zielerwartung „noch mehr ins BGM investiert werden sollte“. Schließlich gäbe es bereits eine Reihe von Projekten in Anbetracht knapper - insbesondere zeitlicher - Ressourcen müsse genau abgewogen werden, womit sich die ca. 400 Führungskräfte in Deutschland fokussieren sollen. 264 Steffen Fischer uvk-lucius.de/ fuehren Vorgehensweise: Zahlen- und faktenbasierte Analyse und schrittweiser Ausbau des BGM mit Workshops in enger Abstimmung im Führungskreis Im weiteren Vorgehen wurde verabredet, eine Zahlen-Daten-Fakten basierende Analyse zu starten und dabei das Instrument der Mitarbeiterbefragung zu nutzen. Schnell war klar, dass man nicht nur auf die Ergebnisse der eigenen Mitarbeiterbefragungsmethodik der letzten Jahre zurückgreifen wollte, da diese zu allgemeine Abfragen beinhaltete und man gezielter hinsichtlich „Gesundheit“ agieren wollte. Das BGM-Team schlug eine COPSOQ-Befragung vor, da sich hier die Möglichkeit bot, sich gezielter mit psychosozialen Faktoren bei der Arbeit auseinander zu setzen. Die ursprünglich aus Dänemark stammende COPSOQ-Befragung (COPSOQ = Copenhagen Psychosocial Questionnaire) bietet durch die standardisierte Befragungsmethodik die Möglichkeit, die Messergebnisse als „Screening-Tool zur Gewinnung einer Übersicht über Belastungen einzusetzen und „der Unbestimmtheit des Konstruktes PSYCHISCHE BELASTUNGEN und seiner vielfältigen Operationalisierungen Herr zu werden“, wie es in der Instrumentenbeschreibung heißt. Zudem können die Befragungsergebnisse mit einer Referenzdatenbank in Deutschland abgeglichen werden. Man erhält berufs- und branchenspezifische Auswertungen hinsichtlich Belastungen und Beanspruchungen sowie Belastungsfolgen. Plan war, dass aus der Befragung konkrete und kausale Interventionen - falls angezeigt und als notwendig erachtet - gestartet werden könnten. Der Entscheidungskreis entschied sich für eine Testbefragung im Bereich der oberen Führungskräfte (Vorstand, Geschäftsleitung und Hauptabteilungsleiter) im lokal und arbeitstechnisch relativ homogenen Arbeitskreis Vertrieb, Finanzen und Verwaltung. Begleitet wurde die Befragung von der Freiburger Forschungsstelle Arbeits- und Sozialmedizin und anschließend in der Auswertung und Maßnahmenableitung moderiert vom Geschäftsführer Personal. Die Ergebnisse riefen eine rege Diskussion über „ungünstige Skalenwerte“ hervor und der ursprünglich geplante Zeitrahmen wurde gesprengt. Nicht, dass die zahlreichen Auswertungen und Vergleichswerte „schlecht“ gewesen wären oder a priori dramatische Auffälligkeiten aufgezeigt worden wären. Allein schon, dass man im Führungskreis - der sich vom Selbstverständnis her als funktionierendes Führungsteam begreift - selbst nicht überall Spitze war oder kein einheitliches Interpretationsschema gefunden wurde, führte zum Beschluss, einen eintägigen Folge-Workshop einzuberufen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Dieser Workshop wurde vom BGM-Team und dem geschäftsführenden Gesellschafter konzeptionell detailliert vorbereitet und in Form von Gruppenarbeit umgesetzt. Je Tisch gab es einen zuvor aus dem Kreis geschulten Moderator, der die wichtigsten Erkenntnisse aus den Runden zusammenfasste (siehe Abbildung unten). Die Tische beschäftigten sich thematisch mit quantitativen Anforderungen bei der Arbeit emotionalen Anforderungen bei der Arbeit möglichen Work-Privacy-Conflict - Situationen sozialen Beziehungen im Unternehmen im Hinblick auf Fairness und gerechter Behandlung Ist das betriebliches Gesundheitsmanagement oder schon Führungskräfteentwicklung? 265 uvk-lucius.de/ fuehren Beispiel aus der Führungskräfteklausur (Abstimmung zur BGM-Ausrichtung) Leitfragen waren: Was sind typische ifm-Situationen, in denen dieses Thema eine Rolle spielt? Wie könnte diese Situation professionell gelöst werden? Was sollte bei der Umsetzung beachtet werden? Die Ergebnisse wurden im Workshop zunächst in den Gruppen und dann im Plenum offen und durchaus kritisch besprochen, wobei die beteiligten Führungskräfte die Möglichkeit nutzten, vermeintlich „tabuisierte“ Themenstellungen zu unternehmensstrategischen bzw. operativen Fragestellungen oder auch bilaterale Beziehungsfragen anzusprechen. Aus einer ursprünglich als COPSOQ-Befragung im Führungskreis angelegten Diskussion zur Sinnhaftigkeit der Einführung eines BGM hatte sich eine intensive und aktive Beschäftigung des Managements zur eigenen Führungsverantwortung und zur Unternehmenskultur entwickelt. Der Workshop war insofern spannend, weil nicht alles wie geplant geklappt hatte: Einige skeptische Meinungsführer zur Thematik hielten sich gleich am Anfang nicht mit ihrer Meinung zurück und positionierten sich dahingehend, dass man doch lieber Umsatz machen und sinnvolle Aufgaben erledigen würde und gaben bei der Erwartungsabfrage an, vom BGM und dem Workshop schlichtweg nichts zu erwarten. Das Zeitmanagement drohte ständig aus dem Ruder zu laufen, weil die naturgemäß breiten Diskussionen oft ausuferten und es den Teams schwer fiel, aus erkannten Defiziten mit konkreten Lösungsvorschlägen auf den Punkt zu kommen. Trotz detaillierter Einladung mit der Bitte um Vorbereitung hatten sich viele Teilnehmer sich zuvor nicht wirklich ernsthaft mit der Materie befasst. 266 Steffen Fischer uvk-lucius.de/ fuehren Der Erfolg des Workshops kam letztlich doch zustande, weil in der Vorbereitung auf den Workshop eine enge Abstimmung mit dem Vorstand zur Vorgehensweise stattfand, er hinter dem Thema stand und aktiv mitarbeitete, in den Arbeitsgruppen streng einmoderiert wurde, genug Reservezeit eingeplant war. Im Anschluss wurden letztlich doch erste Maßnahmen gemeinsam verabschiedet: Zunächst gab es ein klares Bekenntnis zum bestehenden Unternehmenskulturanspruch und, dass Konflikte weiterhin offen und ehrlich angesprochen werden müssen, um dauerhaft erfolgreich zu sein. Zudem war jeder aufgefordert, seine eigene Arbeitsorganisation und die seines Verantwortungsbereiches hinsichtlich der besprochenen Themen zu überdenken und konkrete Verbesserungen zu überlegen. Im Zentrum stand die Frage der persönlichen Eigenreflektion als Führungskraft (ständige Klärung der eigenen Verantwortlichkeit und Wirkung im Unternehmen) und der Möglichkeit, sich im Team kollegial beraten zu können oder Feedback zu geben - sollte dies denn von Nöten oder angezeigt sein. Ein Praxisleitfaden für selbstverantwortliche Lebensführung wurde vorgestellt. Externe Coachingangebote zu „work-life-balance“ wurden erläutert. (Wie wird eine Atmosphäre erzeugt, dass man sich trotz hoher Arbeitsbelastung wohl fühlt, um hohe Arbeitsergebnisse zu erbringen? ) Für die nachfolgenden Führungsebenen und die Mitarbeiterebene wurden Seminare oder auch Coachingangebote freigegeben zu den Themenkomplexen Stress erkennen Gesundheitliches Führen Führungsgesundheit Führungskompetenzen. Zudem wurde beschlossen, dass auf Mitarbeiterebene moderierte Fokusgruppen gebildet werden, die sich mit den gleichen Fragestellungen wie zuvor der Führungskreis beschäftigen und dass dann die Ergebnisse dieser Fokusgruppen in einem nachfolgenden Führungskräfte-Workshop im Überblick ausgewertet und abgeglichen werden, um weitere konkrete BGM-Maßnahmen zu beschließen. Nicht erreicht wurde das ursprünglich angestrebte Ziel, die COPSOQ-Befragung so umfassend durchzusprechen und als Werkzeug zu verabschieden, dass es anschließend flächendeckend auf alle Mitarbeitereben ausgerollt werden kann. Ausgeschlossen für die Zukunft wurde es allerdings nicht. Die Diskussion im Führungskreis hatte aber gezeigt, dass man sich zunächst auf die oben genannten Maßnahmen beschränken wollte, um erste Erfahrungen in kleineren Schritten zu sammeln. Eine Reihe von Führungskräften wollten das Thema erst einmal an sich heranlassen - insbesondere wenn es um die Reflektion und offene Besprechung der eignen Befindlichkeit und persönlichen Lernfelder geht. Ist das betriebliches Gesundheitsmanagement oder schon Führungskräfteentwicklung? 267 uvk-lucius.de/ fuehren Als Fazit kann festgehalten werden, dass sich aus einer zunächst eher zurückhaltenden Grundeinstellung zum BGM eine aktive - auch persönliche und eigenreflektive - Auseinandersetzung zunächst auf Führungskräfteebene entwickelte. Konkrete Maßnahmenvorschläge i. S. „einer großen Lösung“ gab es zu Beginn relativ wenige. Aber es gab viele Situationsbeschreibungen, für die bereits oft auch schon Regeln im Unternehmen bestanden (z.B. Einhaltung von Meetingkultur) oder es Wertansprüche in der ifm-Kultur gibt (z.B. ifm-Leitsätze). Die Erkenntnis setzte sich durch, dass das Rad nicht immer neu erfunden werden müsse und dass man an der Thematik BGM als ein selbstverständliches Kulturelement im täglichen Management dran bleiben müsse. In die kommende Personalstrategie wird nun die Verantwortung der Führungskräfte für die eigene Gesundheit ebenso festgeschrieben wie die ihrer Mitarbeiter, damit die (gesunde) Organisation nachhaltig erfolgreich bleibt (s. folgende Abbildung). Es wurde auf der Liste des BGM-Teams auf Maßnahmenebene auch nicht alles aufgenommen, was grundsätzlich ausgehend von neuen Trends denkbar ist. Vielmehr wurde daran erinnert, welche Managementtools bereits bestehen und wie viele Absprachen im Umgang (z.B. Meetingkultur) in den letzten Jahren bereits getroffen wurden. Es kommt darauf an, inhaltlich am Ball zu bleiben. In der Ausarbeitung der neuen HR-Strategie nimmt das BGM eine zentrale Rolle ein 268 Steffen Fischer ZZentrale Erkenntnisse und Lernerfolge bei der Implementierung Die Beschäftigung mit „BGM“ i. S. eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements ist mittlerweile zunehmend ein personalpolitischer Standard für das Management in den Unternehmen, weil es in Zeiten zunehmenden Fachkräftemangels und effizienter Leistungserbringung auf gesunde und motivierte Mitarbeiter ankommt. Zumeist beschäftigt man sich aber primär mit „Gesundheitsförderungsmaßnahmen“ - „gemanagt“ wird oft noch wenig und ein tieferes Eindringen setzt eine aktive Auseinandersetzung mit der Thematik voraus, um nicht nur bei Sportangeboten und Ernährung hängen zu bleiben. Eng mit BGM verbunden sind u. a. Themen wie Unternehmenskultur und Führungskräfteentwicklung. Impulse kommen aber auch durch die Untersuchung psychischer Belastungen aus einem modernisierten Arbeitssicherheitsansatz bei den Arbeitsplatzgefährdungsanalysen. Bei der Frage, wie weit ein BGM-Ansatz gehen sollte und was gerade auf der Maßnahmenebene sinnvoll ist (Unternehmenswertbeitrag), sollte man sich Zeit nehmen und kontroverse Diskussionen in der Führung zulassen. Die Thematik eignet sich hervorragend für Managementklausuren, wenn es um den Faktor Mensch im Wertschöpfungsprozess geht. Eine enge Abstimmung mit dem Vorstand bzw. den oberen Führungskräften zur Vorgehensweise und Inhalt eines modernen BGM sind essentiell. All zu leicht verpuffen mangels Rückendeckung sinnvolle Buttom-up Ansätze aus der Belegschaft oder den Personalabteilungen. Es hat sich bewährt, bei der Implementierung im Führungskreis auf die persönliche Ebene zu gehen und die Entscheidungsträger direkt zu fragen, welche eigenen Erfahrungen sie selbst mit Stress, Überforderung und empfundener ungerechter Behandlung gesammelt haben. Geschieht dies im Rahmen kollektiver Beratung, passiert quasi nebenbei Teamentwicklung im Führungskreis. Letztlich sollte ein BGM- Ansatz mit der HR-Strategie bzw. Gesamtstrategie verzahnt werden und in der alltäglichen Linienarbeit der Führungskräfte ankommen. Ein klares Konzept und aktiver BGM-Arbeitskreis mit Zugang zum Management sind erfolgsentscheidend. Wenn man trotz eines guten Konzeptes merkt, dass man im Führungskreis zur Abstimmung mehr Zeit braucht, sollte man sie sich nehmen und nicht einem starren Zeitplan folgen. Ist das betriebliches Gesundheitsmanagement oder schon Führungskräfteentwicklung? 269 AAutor-Kurzprofil Steffen Fischer ist Zentralgeschäftsführer Personal bei der ifm electronic Tettnang und Mitglied der zentralen Geschäftsleitung der ifm-Gruppe. Zuvor war er Personalleiter bei der MTU Maintenance Berlin-Brandenburg GmbH. Er beschäftigt sich mit ganzheitlichen Ansätzen des Personalmanagements in all seine Facetten und ist Mitautor der BPM- Broschüren „Die Personalstrategie kompakt“ und „Der Personalstratege konkret“. Seit 2014 ist er Leiter der Fachgruppe Strategisches Personalmanagement im Bundesverband der Personalmanager e.V. uvk-lucius.de/ fuehren 7.7 „Gesund und leistungsförderlich Führen“ bei der Stadtverwaltung Sindelfingen von Petra Rühle Bedeutung des Themas Gesunde Führung Steigende Arbeitsverdichtung, zunehmende Komplexität der Arbeitsaufgaben bei gleichzeitiger Zunahme des Zeitdrucks, permanente organisationale Veränderungen und ein steigendes Durchschnittsalter der Belegschaft infolge des demographischen Wandels prägen die heutige Arbeitswelt. Auch Kommunen sind von diesen Veränderungen betroffen. Stetige Anpassung der Organisationsstrukturen an die sich ändernden Rahmenbedingungen führen auch bei der Stadtverwaltung Sindelfingen zu Stellenveränderungen und -reduktionen und somit zunehmend erforderlicher Anpassungsbereitschaft der Mitarbeiter sowie zu Arbeitsverdichtung in vielen Bereichen. Um die Mitarbeiter in dieser Phase des unaufhörlichen Wandels zu unterstützen, wurde das Projekt „Gesund und leistungsförderlich Führen“ ins Leben gerufen. Die Stadt Sindelfingen hat ca. 63.000 Einwohner und liegt mit ihren zwei Teilorten in der Metropolregion Stuttgart. Insgesamt beschäftigt die Stadtverwaltung ca. 1.290 Mitarbeiter und 100 Führungskräfte. Die Stadt Sindelfingen ist ein starker, dynamischer Wirtschaftsstandort in der Region und geprägt durch die Ansiedlung renomierter international agierender Unternehmen. Idee und Zielsetzung des Projekts Die genannten Veränderungen der Arbeitswelt stellen sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber vor große Herausforderungen. In Verbindung mit unzureichenden Ressourcen und Bewältigungsstrategien der Arbeitnehmer, können Fehlbelastungen mit vielfältigen kurz-, mittel- und langfristigen Folgen (siehe Tab. 7.2 in Blessin & Wick, 2014: 328 nach Strobel & v. Krause, 1997) wie z.B. Ermüdung, Konzentrationsproblemen, Unzufriedenheit und Leistungsschwankungen entstehen. Die sich daraus ergebenden negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter sind die gefürchtete und meist folgende Konsequenz. Zum Schutz und zur Förderung der Gesundheit von Arbeitnehmern existieren bereits vielfältige Gesetze und Richtlinien (Arbeitsschutzgesetz, Arbeitsschutzrichtlinien etc.), deren Umsetzung im Bereich Arbeitsschutz sowie zunehmend im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) stattfindet. Eine wichtige Rolle bei der Einführung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements spielen die Führungskräfte in der Organisation. Die Bedeutsamkeit ihrer Unterstützung des Themas ebenso wie die Auswirkungen ihres unmittelbaren Führungsverhaltens auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter wird mittlerweile als gegeben und zentral angesehen. In Anbetracht dieser Entwicklungen war es das Ziel der Stadtverwaltung Sindelfingen, die Führungskräfte für den Zusammenhang von Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu sensibilisieren und sie als Unterstützer, Promotor und Handelnde für das Thema zu aktivieren - aber auch um die persönlichen Ressourcen der Führungskräfte zu stärken. Die Schulungsreihe wurde im Rahmen der Einführung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements ins Leben gerufen und gemeinsam mit der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie (VWA) Stuttgart durchgeführt. Folgende Ziele wurden für das Projekt „Gesund und leistungsförderlich Führen“ definiert: „Gesund und leistungsförderlich Führen“ bei der Stadtverwaltung Sindelfingen 271 uvk-lucius.de/ fuehren optional: Einzelcoaching Integration des Themas „Gesund Führen“ in den Führungsauftrag bei der Stadtverwaltung Reflexion und Unterstützung des individuellen Gesundheitsverhaltens der Führungskräfte Sensibilisierung der Führungskräfte bzgl. der Auswirkungen ihres Führungsverhaltens auf die Gesundheit der Mitarbeiter Aufzeigen konkreter Maßnahmen zur Gestaltung eines gesundheits- und leistungsförderlichen (Selbst-)Führungsstils Projektablauf Die Schulungsreihe war modular aufgebaut, um das Thema über eine erste Sensibilisierung im Kick-off hinaus nachhaltig im Hause der Stadtverwaltung zu etablieren. Projektablauf Die ursprüngliche Konzeption sah drei Module vor, welche teilweise hierarchiedifferenziert und getrennt für Verwaltung und den Regiebetrieb Kindertagesstätte von Juni 2014 bis Mitte 2015 durchgeführt werden sollten. Optional konnten Coachingmaßnahmen prozessbegleitend für einzelne Führungskräfte gebucht werden. Die Teilnahme an der Schulungsmaßnahme war verpflichtend für alle Führungskräfte ab der Amtsleiterebene. Der Fokus der Seminare lag zunächst auf der Führungskraft selbst, um dieser Strategien an die Hand zu geben, die gestiegenen Anforderungen des Arbeitsalltags nachhaltig gut bewältigen zu können und damit einer persönlichen Fehlbelastung vorzubeugen sowie als Vorbild in gesunder Selbstführung voranzugehen. Darüber hinaus sollte auf der Grundlage der Selbstreflexion die Bedeutsamkeit des Themas für die Mitarbeiterführung erkannt werden. Zusätzlich wurde die Rolle als Führungskraft und deren Bedeutung für die Gesundheit der Mitarbeiter vertieft, Führungsstrategien- und methoden für den Führungsalltag vermittelt und konkrete Anwendungsbeispiele trainiert. Das Thema gesunde Führung kann, entsprechend der im BGM üblichen Aufteilung in verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen, somit beiden Bereichen zugeordnet werden. Das Projekt startete mit einer 2-stündigen Kick-off-Veranstaltung im Juni 2014, in welcher alle Führungskräfte der Verwaltung und des Regiebetriebes Kindertagesstätte für den Zusammenhang zwischen Führungsverhalten, Mitarbeitergesundheit und Leis- Kick-off 2 stunden Juni 2014 Modul 1 2 Tage Juli - August 2014 Modul 2 1,5 Tage Oktober - November 2014 Modul 3 1 Tag ca. 3 Monate nach Modul 2 272 Petra Rühle uvk-lucius.de/ fuehren tungsfähigkeit anhand einer ersten Einführung in das Thema sensibilisiert wurden. Die Präsentation gab zum Einstieg einen Überblick über die aktuelle Verortung des Themas Gesundheit bei der Stadtverwaltung, indem bereits durchgeführte gesundheitsrelevante Maßnahmen wie das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM-Verfahren), die Dienstvereinbarung Sucht und bereits angebotene Kurse zur betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) kurz vorgestellt wurden. Neben allgemeinen Daten zu Krankenstatistiken (DAK Gesundheitsreport, 2013) wurden nachfolgend auch unternehmensspezifische Zahlen zu Krankheitsarten und -quoten vorgestellt, um einen Bezug zur Stadtverwaltung herzustellen und damit deren unmittelbare Betroffenheit an den allgemeinen Entwicklungen zu unterstreichen. Die aktuellen Zahlen diverser Krankenstatistiken belegen seit Jahren eine konstante Zunahme psychischer Erkrankungen (vgl. DAK Gesundheitsreport). Insbesondere diese Krankheitsart ist im Zusammenhang mit den zu Beginn genannten Veränderungen in der Arbeitswelt, die oftmals als psychosoziale Stressoren bei den Betroffenen ihre Wirkung entfalten, zu sehen und mittelbar über Führung positiv beeinflussbar. Neben der Einführung in die Thematik über aktuelle Krankenstatistiken mit dem Schwerpunkt psychischer Erkrankungen, wurden im Kick-off die Zusammenhänge von Führungsverhalten, Mitarbeitergesundheit und Leistungsfähigkeit anhand des Belastungs-Beanspruchungs-Konzeptes (Romert & Rutenfranz, 1975), theoretischer Grundlagen zum Thema Stress (Lazarus & Folkman, 1984, Selye, 1953) sowie dem Resilienz- (zit. nach Wellensieck, 2012) und Salutogenesekonzept (Antonovsky, 1979, 1987) vorgestellt und Moderatoren zur Reduktion von subjektiver Beanspruchung, unter anderem das Führungsverhalten, veranschaulicht. Anhand aktueller Theorien und Studien (u.a. Siegrist 2012, INQA, Rowold & Heinitz, 2008; Koole & Jostman, 2004) , wurde der Zusammenhang von Führungsverhalten, Gesundheit und Leistungsfähigkeit konkretisiert und die Rolle der Führungskraft sowohl als potentieller Stressor, als auch hilfreiche Ressource für den Mitarbeiter verdeutlicht. Kurze Selbstreflexionsübungen zum persönlichen Gesundheitsverhalten der Führungskraft, den Themen Stress und Achtsamkeit sowie gesundem Führungsverhalten rundeten den Vortrag ab und bezogen die Teilnehmer aktiv mit ein. Eine Woche nach dem Kick-off starteten die Amtsleiter mit Modul 1. Da die Amtsleiter nach der Verwaltungsspitze die oberste Führungsebene darstellen und in ihrer Funktion unmittelbaren Einfluss auf die Führungskultur der Verwaltung haben, war die Seminargruppe hierarchiehomogen zusammengestellt. Das Ziel war, die Maßnahme „Top Down“ durchzuführen, um den jeweiligen Führungskräften einen nutzbaren Wissensvorsprung zu verschaffen. Alle weiteren Seminare, mit max. 12 Teilnehmern, fanden in teilweise hierarchiedifferenzierten Gruppen im Zeitraum Juni bis August statt. Der Fokus des Moduls 1 (2 Tage) lag zu Beginn auf dem persönlichen Gesundheitsverhalten der Führungskraft und wechselte während des Moduls 1 themenspezifisch in die Führungsrolle. Die interpersonelle Perspektive diente unter anderem der Reflexion des selbstregulierendem Verhaltens im Umgang mit Stress. Die Fähigkeit kritische Lebensereignisse und Stress selbstgesteuert zu bewältigen ist eine wichtige Voraussetzung für subjektives Wohlbefinden und psychische Gesundheit (zit. nach Baumann & Quirin, 2006, vgl. Kuhl & Schwarzer, 2006). Zum Einstieg in das Thema erarbeiteten die Führungskräfte eine individuelle Gesundheitsdefinition, auf welcher aufbauend das salutogene Gesundheitskonzept von Antonovsky und dessen Bedeutung für den Führungsalltag, vertieft wurde. Insbesondere der Faktor der sozialen „Gesund und leistungsförderlich Führen“ bei der Stadtverwaltung Sindelfingen 273 uvk-lucius.de/ fuehren Unterstützung durch die Führungskraft (vgl. Stadtler & Spieß, 2002, Zapf & Semmer, 2004), als Ressource für den Mitarbeiter, wurde thematisiert und anschließend die sechs Dimensionen gesunder Führung nach Matisek (2011) eingeführt: Anerkennung, Lob, Wertschätzung Interesse, Aufmerksamkeit, Kontakt Gesprächsführung, Kommunikation Transparenz, Offenheit, Durchschaubarkeit Betriebsklima, Stimmung Stressabbau, Belastungsabbau, Ressourcenaufbau Die Dimension der Selbstfürsorge der Führungskraft, als grundlegend für alles Führungshandeln, wurde ergänzt. Aufbauend auf dem Begriff der Selbstfürsorge starteten die ersten Selbstreflexionsübungen zu der sechsten Dimension „Stressabbau, Belastungsabbau, Ressourcenaufbau“. Zum Einstieg erfolgte eine theoretische Darstellung des Konstruktes Stress anhand folgender Fragen: Was ist Stress? Wie entsteht er? Was geschieht bei der Stressentstehung körperlich, geistig und emotional? Welche Bewältigungsstrategien gibt es? Im Anschluss erarbeite jeder Teilnehmer für sich persönlich die drei Schritte der Stressbewältigung: Drei Schritte der Stressbewältigung Die individuelle Stressanalyse erfolgte anhand von Selbstreflexions-Übungen zu persönlichen Stresssituationen und -reaktionen sowie einem kurzem Stresstest (TICS, Schultz & Schlotz (2002, 2004)). Es fand ein erster Perspektivenwechsel in die Führungsrolle statt, indem Stresssituationen und -reaktionen der eigenen Mitarbeiter hypothetisch betrachtet wurden. Im 2. Schritt wurden sowohl problemals auch emotionszentrierte Bewältigungsstrategien zur Belastungsreduktion, wie Entspannungs-, Atem- und Bewegungsübungen sowie eine Übung zur kognitiven Umstrukturierung vorgestellt und angewandt (vgl. u.a. Drexler, 2006; Wagner-Link, 2010). Eine aktive Bewegungseinheit in Form eines Waldspazierganges nach der Mittagspause, als praktisches Beispiel zum Belastungsabbau rundete Schritt 2 ab. Am Nachmittag des 1. Seminartages wurde das Thema Burnout anhand von Definitionen, Phasen, Symptomen und Erkennungsmerkmalen (vgl. Bergner 2007, Burisch 2010, Freudenberger 1981, Hedderich 2009, Koch & Broich 2012, Leitner & Maslach 2007, Rösing 2003, Schaufeli & Enzmann 1998) sowohl bezogen auf die eigene Person, als auch bei den Mitarbeitern behandelt und konkrete Vorgehensweisen zur Unterstützung der Mitarbeiter sowie zur Selbsthilfe besprochen und diskutiert. Abschließend wurde in diesem Zusammenhang 1. Individuelle Stressanalyse 2. Bewältigungsstrategien kennenlernen 3. Anwendung der individuell geeigneten Stressbewältigungsstrategien 274 Petra Rühle uvk-lucius.de/ fuehren das Konzept der inneren Antreiber angerissen und den Teilnehmern als freiwillige Selbstreflexionsübung ein Antreibertest (nach Kälin & Müri, 2000) ausgehändigt. Der 2. Seminartag startete mit einer Einführung in das Resilienzkonzept. Es wurden Maßnahmen zu resilientem Führungsverhalten, als Ressource für die Mitarbeiter, erarbeitet und den vorher durch die Gruppe gesammelten krankmachenden Führungsverhaltensweisen gegenübergestellt. Die Dimension „Lob, Anerkennung, Wertschätzung“ als resilienzfördernde Dimension für den Mitarbeiter wurde intensiver betrachtet und der Unterschied von Lob und Wertschätzung konkretisiert sowie Beispiele in Bezug auf den Arbeitsalltag verdeutlicht. Abschließend erfolgte eine Gruppenarbeit zu den Dimensionen „Interesse, Aufmerksamkeit, Kontakt“, „Transparenz, Offenheit, Durchschaubarkeit“, „Betriebsklima und Stimmung“, in welcher drei Gruppen Praxisbeispiele für jeweils eine der Dimensionen sammelten und vorstellten. Der mitarbeiterorientierte Führungsstil (vgl. psyGA), dessen Wirksamkeit in vielen Studien belegt scheint, wurde unter Beachtung der sechs Dimensionen als optimale Gestaltung eines gesundheitsorientierten Führungsstils herausgearbeitet. Zudem wurden weitere wissenschaftliche Erkenntnisse über die Zusammenhänge von Führung und Gesundheit der Mitarbeiter fortlaufend eingeflochten (vgl. u.a. Westermeyer, 2002, Spieß & Stadtler, 2007). Zur Transfersicherung formulierte jeder Teilnehmer ein Ziel zur Optimierung seines persönlichen Gesundheitsverhaltens. Für die Führunsrolle erfolgte eine Zieldefinition zu einer bzw. mehrerer der sechs Dimensionen gesunder Führung, abhängig von der persönlichen Selbsteinschätzung, in welchen Dimensionen die Führungskraft für sich den größten Hebel sieht. Während des gesamten Moduls 1 wechselten konsequent theoretischer Input und praxisrelevante Anwendung, wobei viel Wert auf methodischen Wechsel und ständigen Einbezug der Führungskräfte gelegt wurde, um die Aktivität und damit die Motivation am Thema hoch zu halten. Das Modul 2 (1,5 Tage) wurde nach ca. drei Monaten terminiert, um den Führungskräften ausreichend Zeit zur Umsetzung der vorgenommenen Maßnahmen und zur Erreichung der Zieldefinitionen aus Modul 1 zu geben. Ziel des Moduls 2 war die nachhaltige Etablierung des Themas „Gesunde Führung“ im Führungsalltag. Die Inhalte aus Modul 1 wurden aufgefrischt und erste Erfahrungen reflektiert, indem zum Seminareinstieg jede Führungskraft ihre Erfolge und Hindernisse vorstellte. Fallbeispiele konnten in das Modul 2 eingebracht und bearbeitet werden, was in den verschiedenen Seminargruppen unterschiedlich genutzt wurde. Schwerpunkt des zweiten Moduls war die Führungs-Dimension „Gesprächsführung und Kommunikation“ sowie das Thema Motivation und die Anwendung der Erkenntnisse auf unterschiedliche Persönlichkeitstypen. Als Persönlichkeitsmodell wurde das Persolog®-Persönlichkeitsmodell eingeführt und der jeweilige Persönlichkeitstyp der Führungskraft und der jeweiligen Mitarbeiter im Team eingeschätzt und in Beziehung gesetzt. Die Kommunikation mit den unterschiedlichen Persönlichkeitstypen wurde in einer Gruppenarbeit auf den Kommunikationsalltag übertragen und alltagstaugliche Kommunikationsstrategien entwickelt. Das Thema Motivation wurde sowohl anhand der vorgestellten Persönlichkeitstypen und deren Motive, der Bedürfnispyramide nach Maslow, der Theorie von Herzberg, den 16 Lebensmotiven nach Reiss und dem Reifegradmodell von Hersey und Blanchard praxistauglich und in Bezug auf das konkrete Führungshandeln erarbeitet. Auch das zweite Modul war geprägt von einer Mischung aus Theorie-Input und Praxistransfer-Übungen, wie z.B. der Kommunikationsübung „Gesund und leistungsförderlich Führen“ bei der Stadtverwaltung Sindelfingen 275 uvk-lucius.de/ fuehren „Aktives Zuhören“ und der Übertragung des 4-Ohren-Modells nach Schultz von Thun auf die Alltagskommunikation mit und zwischen den Mitarbeitern. Zum Abschluss des 2. Moduls fand, wie auch beim ersten Modul, ein Praxistransfer in Form individueller Zielsetzungen für die Bereiche Kommunikation und Motivation statt. Das ursprünglich geplante dritte Modul (Erfahrungsaustausch und Reflexion) nach weiteren 4 bis 6 Monaten wurde vorerst zurückgestellt, da vordringliche aktuelle Themen in der Kommune umzusetzen waren. Die Verwaltung plant jedoch auch zukünftig das Thema der gesunden Führung im Blick zu haben und ggf. zu einem späteren Zeipunkt weitere Maßnahmen durchzuführen. Erkenntisse In der Reflexionsphase des Moduls 2 wurde über eine sensibilisierte Wahrnehmung von Überlastung bei sich selbst und den Mitarbeitern und in Folge dessen die Anwendung der in Modul 1 kennengelernten Strategien zu einer gesunden Selbstaber auch Mitarbeiterführung berichtet. Unter anderem wurden folgende konkreten Verhaltensweisen als Erfolge im Führungsalltag genannt: Abläufe und Entscheidungen transparenter gemacht mehr Zeit für Mitarbeiter- und Teamgespräche eingeplant Optimierung der Aufgabenverteilung (stärken- und schwächenzentriert) mehr Lob und Anerkennung ausgesprochen höhere Präsenz vor Ort auf die Pauseneinhaltung bei den Mitarbeitern geachtet den Teamzusammenhalt durch gemeinsame Atkivitäten gestärkt bewusster auf das Befinden, die Belastungen der Mitarbeiter geachtet Die genannten Erfolge sprechen für sich und zeigen ein bewusst verändertes Führungsverhalten in Richtung eines gesunden und leistungsförderlichen Führungsstils auf, in welchem die Wahrnehmung und Wertschätzung der Mitarbeiter im Vordergrund steht. Bezogen auf sich selbst, nannten die Führungskräfte beispielsweise nachfolgende Verhaltensänderungen: mehr Zeit zum durchatmen und mehr Auszeiten genommen mehr Zeit für bewusste Entspannung Prioritäten gesetzt und Grenzen gezogen mehr Achtsamkeit mit sich selbst, auch mal Nein sagen Pausen gemacht und eingehalten mehr Sport Die angestrebte Stärkung der Ressourcen als Stresspuffer (vgl. Udris et al., 1994) bei den Führungskräften durch mehr Selbstfürsorge und eine Erweiterung der Bewältigungsstrategien kann somit, zumindest in einer ersten Umsetzungsphase, als erreicht angesehen werden. Als größte Schwierigkeit bei der Erreichung ihrer vorgenommenen Ziele, nannten die Führungskräfte die Integration des neu erlernten Verhaltens in den laufenden Arbeits- 276 Petra Rühle uvk-lucius.de/ fuehren und Lebensalltag bei unveränderten Rahmenbedingungen. Die von vielen Führungskräften angestrebte Erhöhung der Mitarbeiterorientierung z.B. durch mehr Mitarbeitergespräche, eine höhere Präsenz vor Ort, eine bewusstere Wahrnehmung der Mitarbeiter etc. scheiterte demnach meist an zu knappen Zeitressourcen sowie suboptimalen Rahmenbedingungen. Aber auch persönliche Gründe wie beispielsweise die inkonsequente Umsetzung der vorgenommenen Verhaltensänderung wurden genannt. Zitat: „...der Alltag hat mich überrollt und eingeholt.“ Ein weiteres benanntes Problem auf der persönlichen Ebene war die Fähigkeit sich abzugrenzen und für die persönlichen Bedürfnisse einzustehen. Letztendlich ist der Erfolg der Maßnahme aber auch davon abhängig mit welchen Mitarbeiterpersönlichkeiten die Führungskraft zusammenarbeitet bzw. welche Erkrankungen den Mitarbeiter bereits einschränken. Auch hier werden dem gesunden Führungsverhalten Grenzen gesetzt. Als einen weiteren zu nennender Stolperstein, insbesondere für die Kita- Leitungsebene, erwies sich die aus organisatorischen Gründen entstandene große Zeitspanne von sechs Monaten zwischen Modul 1 und Modul 2. Diese wurde von vielen Kita-Leitungen als suboptimal bewertet, da erarbeitete Inhalte aus Modul 1 bereits zu weit in den Hintergrund gerückt waren. Auf die vorgesehene zeitliche Struktur der Schulungsreihe ist daher besonders Wert zu legen. Fazit In einem ersten Resümee der Stadtverwaltung wurde das Ziel, das Thema „Gesund und leistungsförderlich Führen“ im Hinblick auf dessen gesundheitliche Auswirkungen zu platzieren, als erreicht angesehen. Ein über die Module hinausgehender Austausch zum Thema „Gesunde Führung“ sowie eine Umsetzung der neu gewonnenen Erkenntnisse und Tipps in der täglichen Praxis z.B. bei der Mitarbeiterorientiertung bzw. in der Gesprächsführung werden wahrgenommen. Die Erreichung der im Rahmen des Projektes anvisierten Ziele ist damit auf den Weg gebracht. Das Feedback der Führungskräfte zu der Schulungsreihe war durchweg positiv. Die Inhalte wurden als wertvoll für die eigene Person, als auch für die Führungsrolle bewertet. Dennoch ist die Veränderung langjährig etablierter Verhaltensweisen sowohl der Selbstals auch der Mitarbeiterführung eine Herausforderung für die meisten Führungskräfte und nur durch fortwährende Fokussierung und Reflexion zu erreichen. Um den Erfolg einer Schulungsmaßnahme zum Thema „Gesund und leistungsförderlich Führen“ weiter zu optimieren werden im Nachhinein betrachtet folgende Maßnahmen als zielführend angesehen: Als unterstützend für die Etablierung des Themas „Gesund und leistungsförderlich Führen“ wird die Beteiligung der Verwaltungsspitze am Gesamtprozess sowie die Schaffung eines Arbeitskreises zur Erarbeitung, Umsetzung und Evaluation der Erkenntnisse und daraus resultierender Maßnahmen gesehen Die Anpassung der strukturellen Rahmenbedingungen im Sinne der Verhältnisprävention parallel zu den stattfindenden Seminaren, z.B. mehr Zeit für konkrete Führungsarbeit einräumen, zu hohe Arbeitsverdichtung vermeiden, Arbeitsabläufe hinterfragen und ggf. optimieren, erscheint sinnvoll um die angestrebte Verhaltensänderung zu ermöglichen. „Gesund und leistungsförderlich Führen“ bei der Stadtverwaltung Sindelfingen 277 uvk-lucius.de/ fuehren Um das Thema der gesunden Führung und die begonnenen Veränderungen nachhaltig zu begleiten, sollte weiterhin ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch (Modul 3) mit der Möglichkeit von Fallbesprechungen, als auch zur Selbstreflexion etabliert werden Literatur Antonovsky, A. 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Ihre Schwerpunktthemen liegen im Bereich der Sozial-, Persönlichkeits- und Handlungskompetenz, mit dem Fokus auf gesundheits- und leistungsförderlichen Aspekten. Sie war 13 Jahre in der Personalentwicklungsabteilung eines Kreditinstituts zuständig für die Einführung und Konzeption des Betrieblichen Gesundheitsmanagements sowie die Durchführung von Trainings- und Coachingmaßnahmen in den o.g. Themenbereichen. Ihre Arbeit ist geprägt durch eine systemische und lösungsorientierte Haltung und Perspektive. uvk-lucius.de/ fuehren Kapitel 8 In, durch und mit Veränderungen führen „Entwicklungen und Veränderungen von Menschen, Organisationen und Umwelten führen zu Reaktionen und Anpassungen von Führung. Und Führung selbst kann Entwicklungen und Veränderungen initiieren.“ „Führen und führen lassen“ (S. 345) Wir betrachten in unseren Fallbeispielen die Rolle von Führung und Führungskräften in den neuartigen Kooperationsformen hochqualifizierter (Projekt-)Teams und virtueller Zusammenarbeit und bei organisationalen Veränderungen. Führung von hochqualifizierten (Projekt-)Teams „Unternehmen sehen sich vermehrt Aufgaben- und Problemstellungen gegenüber, die durch traditionelle, abteilungsbezogene Aufbauorganisation nicht (mehr) effizient erledigt werden können. Hohe Komplexität und Dringlichkeit solcher Aufgaben erfordern zu ihrer Bewältigung verstärkt funktionsübergreifend agierende Einheiten, die hohe Expertise mit hoher Effizienz verbinden. Weder die traditionelle Koaktion noch die hergebrachte Delegation an Individuen erbringt die Differenziertheit der Abstimmung von Aktivität und Poolung von Kompetenzen, die notwendig wären, um solche Aufgaben zu erfüllen … Antworten auf diese Anforderungen sind Kooperationsformen, die auf den Punkt hohe spezifische, zumeist interdisziplinäre Expertise und Kompetenzen zusammenbringen, in kooperativer Weise die Aufgabe schneller und effizienter bearbeiten und dabei stets offen für Umweltänderungen (wie der Kundenanforderungen und Rahmenbedingungen) bleiben. Sie werden verstärkt in Projektorganisation und Teamarbeit gesehen und praktiziert. Wer in solchen Einheiten führt und wer geführt wird, ist dabei nicht nur durch weitgehenden Verzicht auf Hierarchie weniger eindeutig, sondern die Rollen verändern sich und können auch wechseln. Dieselben Personen in derselben Gruppe können einmal führen und einmal geführt werden, ggfs. auch einmal beides gleichzeitig.“ „Führen und führen lassen“ (S. 345) Wir bieten zwei Fallbeispiele, die auf die Erhöhung der Spielräume innerhalb von hochqualifizierten Teams und die Veränderung der Rolle von Führungskräften solcher Teams absetzen und eines, das sich über einen stärker selektionsorientierten Ansatz mit der Frage optimierter Leistungserbringung befasst. Auch hierbei werden neu zugeschnittene und dezentralisierte Formen der Führung in Teams als erfolgswirksam angesehen. Stefan Eberhardt thematisiert Führung, die sich vom planen, steuern, kontrollieren wegentwickelt hat und sich eher versteht als entwickeln, fördern, unterstützen von Selbstorganisation. Die Experten, d.h. hoch qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen es sein, die sich mit der Dynamik, Komplexität und mangelnden Durch- 280 Kapitel 8: In, durch und mit Veränderungen führen uvk-lucius.de/ fuehren schaubarkeit moderner Anforderungen, Systeme und Handlungsfelder soweit möglich selbst als schlagkräftige Einheit organisieren und damit ein Stück weit traditionelle Führungsaufgaben im Team oder individuell übernehmen. Dieser Ansatz soll aber im geschilderten Beispiel keinesfalls in einer befürchteten Beliebigkeit mitarbeiterorientierter Verhaltensweisen von einzelnen Führungskräften und damit der Gefahr des Verlusts von ziel- und interaktionsbezogener Orientierung für die Mitarbeiter aufgehen, sondern eine gemeinsame Orientierung der Führungskräfte, die eine Wahrnehmung einheitlichen Führungswirkens ermöglicht, soll gemeinsames, zielorientiertes Handeln der in ihren Kompetenzen und Spielräumen gestärkten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stützen. Die strikte Top-down-Entwicklung des Konzepts und seine Umsetzung in Form eines Implementierungsprozesses wird geschildert und Beispiele für die Integration der neuen Philosophie in Personalinstrumente, z.B. zur Identifikation und Entwicklung von Führungskräften, gegeben. Yasmin Kurzhals schildert ein unternehmensweites Veränderungsprojekt zur verbesserten Ausschöpfung der im Unternehmen vorhandenen Ressourcen, zur verbesserten Ausrichtung auf die relevanten Märkte und zur Optimierung interner Prozesse. In einem Findungs-Workshop aus Unternehmensspitze und Vertretern der Unternehmensbereiche wurde ein für das Unternehmen neues Konzept einer lernenden, intern besser vernetzten Organisation, die die Potenziale und Bedürfnisse hoch qualifizierter, in immer wieder anderen Zusammensetzungen kooperierenden Mitarbeitern mit unterschiedlichen Kompetenzen und Erfahrungshintergründen erfolgsorientierter nutzen kann, entwickelt. Eine Grundidee ist dabei, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihren Handlungs- und Entscheidungsspielräumen zu stärken, um einerseits die stark beanspruchten Führungskräfte zu entlasten und andererseits Entscheidungen schneller, flexibler und operativ optimiert zu fällen. Die Führungskräfte sollen dabei stärker die Rolle von Förderern dieser so gestärkten Mitarbeiter übernehmen und die Ausgestaltung der neuen Spielräume auch einfordern, sich aber aus den unmittelbar operativen Entscheidungen mehr herausnehmen. Im Grunde handelt es sich um ein prototypisches modernes Konzept zur Führung in hochqualifizierten Arbeitseinheiten. Dafür musste nach Einsicht der Unternehmensspitze aber sowohl die Organisationsstruktur als auch die Führungskultur des Unternehmens verändert werden. Es wird die erste Phase des aktuell noch laufenden Gesamtprozesses beschrieben, für dessen Dauer man sich ausreichend Zeit zu nehmen vorgenommen hat. Bei der Intervention für die Führungskräfte wurde eine Orientierung am Konzept der transformationalen Führung vorgenommen. Damit Erfolge der Umsetzung sichtbar gemacht werden können, sind bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Veränderungsmessungen bezüglich des wahrgenommenen Führungskräfteverhaltens vor und nach ihrer Trainingssequenz vorgesehen. Das Fallbeispiel von Udo Krauß und David Liebnau zeigt eine typische Anstrengung, reflektiert und pragmatisch diagnostizierten oder angenommenen Suboptimalitäten der Leistungserbringung in stark unter unmittelbarem Erfolgsdruck stehenden Settings zu begegnen. Es wird die Anwendung des im Kapitel 2 von Krauß und Baur geschilderten personalistischen Ansatzes „stärkenorientierter Führung“ im Rahmen von Teamarbeit beschrieben. Aufbauend auf einer Praxisdefinition hoher Qualifikation und Leistung wird eine Perspektive auf Teamarbeit und Führung entwickelt, die von einer als üblich erachteten „schwächenorientierten“ Herangehensweise abgesetzt wird. Dafür wird zunächst ein Bild der Passung von persönlichen Stärken und bestimmten Führung in virtuellen Teamstrukturen 281 uvk-lucius.de/ fuehren Aufgabenkonstellationen oder auch Teilaufgaben entworfen. Insofern wird ein Kontingenzansatz geschildert, der aber nicht im Sinne der traditionellen Kontingenzmodelle der Führung auf Verhaltensstilen einerseits und Situationsparametern andererseits fußt, sondern auf persönlichen Stärken und ihrer Passung zu bestimmten Situationen. Bereiche geringer ausgeprägter Erfolgsmerkmale werden dabei selektiv ausgeblendet, d.h. in der Regel vermieden. Ein pragmatisches Vorgehen zur Identifikation solcher Kontingenzen wird beschrieben und es wird der für den Ansatz eminent wichtige Aspekt der Arbeit an und mit Stärken genauer betrachtet. Mögliche Schwächen und geringer ausgeprägte Stärken sollen gezielt durch Stärken anderer Mitglieder der Arbeitseinheit kompensiert werden. In dieser Konstellation bietet sich eine Führung an, die diese Stärken koordiniert und so Schwächen nicht zum Tragen kommen lässt. Diese kann, wenn hoch qualifizierte und kompetente Mitarbeiter sich ihrer Stärken bewusst sind, auch stärker dezentralisiert, geteilt oder sogar verteilt sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Teams immer wieder neu zusammengesetzt werden und nicht ständig zusammenarbeiten, insofern die Relevanz umfassender Kompetenzentwicklung geringer ausgeprägt ist als in stetigen Aufgabenzusammenhängen. Führung in virtuellen Teamstrukturen „Die Zusammenarbeit in mediengestützten Arbeitsgruppen ist charakteristisch verschieden von der in traditionellen Arbeitsgruppen: Persönliche Kontakte zu KollegInnen und Führungskräften finden (relativ) seltener statt. Es wird mehr medienvermittelt und asynchron kommuniziert. Die Wahrscheinlichkeit, dass KollegInnen sich nicht persönlich kennen und darüber hinaus aus verschiedenen Kulturkreisen stammen, ist erhöht. Diese Besonderheiten können für MitarbeiterInnen zu eingeschränkter Motivation, Engagement, Vertrauen und verstärktem Konflikt, Überforderung und schließlich zu einer Verminderung der Arbeitszufriedenheit und Gruppenleistung führen. Virtuelle Arbeitsgruppen und Teams sehen sich folglich allen Herausforderungen von Präsenzteams auch gegenüber - zusätzlich aber der, dass die Kooperation routinemäßig ohne mittelbaren Kontakt stattfindet. Daher die häufige Einschätzung, virtuelle Kooperation sei anspruchsvoller und komplexer. Allerdings scheint es auch einige Vorteile im Prozess der Kooperation zu geben, die in lokaler Kooperation erfahrungsgemäß kaum zu erzielen sind.“ „Führen und führen lassen“ (S. 370) Wir präsentieren ein Fallbeispiel, das einen Großteil dieser Herausforderungen anspricht. Kimberly Maucher-Lynch beschreibt eine gesteigerte Form virtueller Führung: Bildung eines medial vermittelt koordinierten Recruiting-Teams, um ein strategisches globales virtuelles Team aufzustellen. Ziel war es, für dieses strategische Team die am besten geeigneten Experten zu gewinnen - unabhängig davon, wo auf der Erde sie leben und auch als Teammitglieder leben wollen. Es wird über vier Kernherausforderungen bei der Konstruktion und Koordination des Recruiting-Teams berichtet: [1] geeignete Personen weltweit zu finden, [2] schnelle und offene Kommunikation über Zeitzonen und mittels Kommunikationsmedien konstruktiv gestalten, 282 Kapitel 8: In, durch und mit Veränderungen führen uvk-lucius.de/ fuehren [3] Umgang mit unterschiedlichen kulturellen und rechtlichen Normen und Standards hinsichtlich Arbeitsgewohnheiten und Rahmenbedingungen der Arbeit und [4] Fortschrittskontrolle und Projektsteuerung im spezifischen Spannungsfeld von Vertrauen und Kontrolle. Die beachteten Aspekte und unternommenen Schritte werden geschildert. Change Management: Führung im organisationalen Wandel „Egal, warum der Wandel betrieben wird, wer ihn initiiert und wie er sich in der Organisation ausweitet: Unter den Akteuren des Wandels befinden sich die Führungskräfte der Organisation. … Allerdings sind die Führungskräfte Schlüsselakteure sowohl im Rahmen ihrer Mitarbeit in Veränderungsprojekten … als auch durch ihre Führungsrolle im Alltag, in der Stabilisierung und Veränderung Kategorien ihrer Tätigkeit im Arbeitssystem sind. Führungskräfte können bei Veränderungen in Organisationen unterschiedlich aktive Rollen einnehmen: [1] Sie müssen sich an Veränderungen in Organisationen anpassen. Wenn z.B. Werte und Kriterien in der Organisation geändert wurden, müssen sie diese nun vertreten und in deren Sinn agieren… [2] Sie spielen eine wichtige Rolle dabei, den geplanten Wandel in Organisationen umzusetzen. Dabei haben sie die Aufgabe, aktiv die Veränderungen zu gestalten und ihre MitarbeiterInnen in dieser Hinsicht anzuleiten. [3] Sie selbst initiieren Veränderungen. Vor allem auf höheren Ebenen können z.B. über transformationale Führung durch die Führungskräfte neue und neuartige Ideen, Werte und Ziele angestrebt und entsprechender Wandel angestoßen werden. Dies kann auch über strategische, politische oder persönliche Entscheidungen geschehen.“ „Führen und führen lassen“ (S. 389) Die zwei gebotenen Fallbeispiele zeigen einen Ausschnitt des Spektrums der Interpretationen zu den Aufgaben und Rollen der Führungskräfte in Veränderungsprozessen. Dirk Bestmann und Aldona Kihl beschreiben einen im Prinzip traditionellen Topdown-Ansatz des Wandels mittels „Bombenwurfstrategie“ (Knall: die alte Struktur ist weg, auf einmal ist eine neue da) mit Veränderungen bzw. Klarstellungen der Führungsrollen auf den unterschiedlichen Führungsebenen. In dem Prozess waren die Führungskräfte einerseits Betroffene der Intervention, auf der anderen Seite die jeweils höheren Führungskräfte zuständig dafür, den Wandel mitzutragen und auch im Angesicht von Widerstand auf niedrigerer Führungsebene zu gestalten. So wurden nicht nur die Rollen der Führungskräfte als solche fokussiert, sondern auch ihre Rolle im Prozess des Wandels. Begleitet und damit für die Betroffenen unterstützt wurde die vorgegebene Veränderung durch umfassende Informations-, Reflexions- und Maßnahmenfindungsphasen in Form von Workshops auf den verschiedenen Ebenen, um die Anpassung der Führungskräfte an ihre neuen Rollen und Aufgaben und das Verständnis für die neuen Erwartungen an ihr Handeln zu vermitteln. Dabei waren die Führungskräfte auch diejenigen, die die neuen Strukturen einzufordern und mit Leben zu füllen hatten. Auf sie kam es in großem Umfang an, ob die Veränderung gelingt oder ob die Change Management: Führung im organisationalen Wandel 283 Organisation sich autopoietisch über „wieder ein Programm“ hinwegsetzen kann. Die Workshops werden detailliert geschildert, auch ein Nachsteuern über Coaching- Prozesse, wo dies erforderlich wurde. Der Umgang mit auftretenden Herausforderungen und der aktuelle Stand werden kritisch betrachtet. Karl-Heinz Reitz und Roman Schachtsiek berichten über die Gestaltung eines Veränderungsprozesses der Kultur eines Unternehmens, das durch das Zusammengehen von zwei großen Unternehmen der Telekommunikationsbranche gerade erst entstanden war. Das „Beste aus beiden Welten“ sollte das neue Unternehmen ausmachen, begonnen bei der Führung und den Führungskräften. Neueinstellungen fanden also nur sehr selektiv statt, die Allokation der bisherigen Führungskräfte wurde sehr genau abgewogen. Bei dem zu gestaltenden Wandel wurde darauf Wert gelegt, dass nicht „ein weiteres“ Projekt die Belegschaft in der ohnehin schwierigen Phase des Zusammenfindens der beiden ehemals selbständigen Unternehmen belastet, sondern ein alltäglicher, stetiger Prozess entsteht, der in das Selbstverständnis und damit die Alltagshandlungen der Betroffenen eingeht. Ansätze der Organisationsentwicklung wurden auf das Unternehmen zugeschnitten und die Mitgestaltung war für Führungskräfte wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Workshops erlebbar, bevor oder während sie im Alltag zur Umsetzung kam. Der Beitrag hebt auf die Rolle der Führungskräfte in dem Prozess ab; sowohl die aktive Rolle der Unternehmensführung als Promotoren und Vorbilder ebenso wie die Rolle der operativen Führungskräfte. Gerade die Arbeit mit den operativen Führungskräften wird detailliert beschrieben und zeigt eine Umsetzung der Ideen des Change Managements als reflexiven, transparenten und partizipativen Ansatz, dem es gelingt, bei den Betroffenen Anschluss, Verständnis und schließlich Motivation zur Mitwirkung zu erlangen. Entsprechend dieser Ideen wurde auch ein neuer Ansatz der Führungskräfteentwicklung implementiert, der im Beitrag ebenfalls beschrieben wird. uvk-lucius.de/ fuehren 8.1 Eine neue Führungsphilosophie für Daimler TSS wird entwickelt und implementiert von Stefan Eberhardt Daimler TSS GmbH ist Spezialist und strategischer Business-Partner für innovative IT- Lösungen im Daimler-Konzern. 1998 als reines Software-Entwicklungsteam gestartet, sind wir heute ein mittelständisches Unternehmen mit mehr als 700 Mitarbeitern. Als 100%ige Daimler-Tochter leben wir die Kultur der Exzellenz mit dem Anspruch der Innovations- und Technologieführerschaft. Der Hauptsitz von Daimler TSS befindet sich in Ulm. Weitere Standorte sind Stuttgart, Leinfelden-Echterdingen und Berlin sowie Kuala Lumpur, Bangalore und Beijing in Fernost. Das Leistungsspektrum reicht von der Erstellung anspruchsvoller IT-Lösungen (Entwicklung komplexer Anwendungsapplikationen auf der Basis von Individual- oder Standardsoftware vor allem im Umfeld vernetzter Fahrzeuge, Mobilitätsdienstleistungen und des digitalen Kundenprozesses) über Analytics und Big-Data-Anwendungen, Information Security (Penetration Tests und Absicherung sowohl für IT-Infrastruktur und -Systeme, aber auch für vernetzte Fahrzeuge und Produktionsanlagen), Shared Services (vor allem Applikations-Tests) bis hin zur hochqualifizierten IT-Beratung (z.B. Prozess- und Architekturberatung). Der eigene Anspruch - und das Versprechen an unsere Kunden - ist eine besonders hohe Qualität aller erbrachten Leistungen und die spezifische Passgenauigkeit auf die Kundenanforderungen im Daimler-Konzern. Unser Anspruch ist es, Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft von Daimler mit marktführenden IT-Lösungen voranzutreiben. Als attraktiver Arbeitgeber wollen wir mit Menschen arbeiten, die durch unser Unternehmen und das menschlich geprägte Umfeld inspiriert sind, ihr Bestes zu geben und mit uns ihr volles Potenzial zu entwickeln. Dieser Anspruch spiegelt sich auch in den Erwartungen an die Mitarbeiter bezüglich ihrer fachlichen Qualifikation, aber auch hinsichtlich Leistung, Motivation und Eigenverantwortung wider. Die allermeisten Mitarbeiter haben einen Hochschulabschluss; vorwiegend in ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen. Herausforderungen In Zeiten der digitalen Transformation stellt sich für das Führungsteam eines Unternehmens speziell in der IT-Branche eine ganze Reihe von neuen externen und internen Herausforderungen. Die Anforderungen an Führung verändern sich dabei so tiefgreifend wie lange nicht: Disruptive Veränderungen sowohl bei Technologien, Prozessen als auch Geschäftsmodellen zunehmende Komplexität des Kundenumfelds und des Leistungsportfolios ständig steigende Dynamik sowie rapide wachsende Anforderungen an time-tomarket Eine neue Führungsphilosophie für Daimler TSS wird entwickelt und implementiert 285 uvk-lucius.de/ fuehren grundsätzlich neue Modelle der agilen Zusammenarbeit über Organisationsgrenzen hinweg gravierende Veränderungen in der Arbeitswelt und den Anforderungen von Mitarbeitern und Bewerbern an einen modernen Arbeitgeber Die weitgehende Vernetzung, die mit der digitalen Transformation einhergeht, führt zu einer Veränderung von Unternehmenskulturen und erfordert damit auch andere Führungskulturen. Erfolgsmuster aus der Vergangenheit funktionieren in Zeiten von Industrie 4.0 nicht mehr zwingend. So werden beispielsweise nicht nur Maschinen untereinander vernetzt. Auch Mitarbeiter haben verstärkt den Anspruch, weniger in klassischen Hierarchien zu arbeiten als vielmehr in weitgehend selbstorganisierten, agilen und gut vernetzten Teams. Dadurch verändert sich die Rolle des Managers: Ziele setzen sich Teams zunehmend selbst (und diese Teamziele ersetzen damit auch individuelle Zielvereinbarungen), strikte Planung und Kontrolle durch die Führungskraft wird ersetzt durch das Schaffen von Transparenz und einem hohen Maß an Selbststeuerung innerhalb eines Teams, Vorgaben, Anordnungen und Weisungen treten in den Hintergrund und werden mehr und mehr abgelöst von der Aufgabe, gute Rahmenbedingungen für erfolgreiches Arbeiten zu schaffen und Hemmnisse zu beseitigen, welche die Teams daran hindern, in ihren Aufgaben erfolgreich zu sein. Das sind nur einige Beispiele, die heute unter dem Schlagwort Management 4.0 (in Anlehnung an den Begriff Industrie 4.0) diskutiert werden und die zunehmend erfolgreiche Unternehmen auszeichnen. Eine weitere, nicht unerhebliche Herausforderung für Führungskräfte ist die Tatsache, dass sich Führungssituationen in zunehmendem Maße immer weniger als deterministisch erweisen. Unter dem englischen Akronym VUCA (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) wird recht zutreffend beschrieben, was in einer immer dynamischer werdenden Welt Rahmenbedingungen für Entscheidungen sind. Dies trifft namentlich auch für Führungssituationen zu: die Zeiten von klar beschreibbaren oder gar „einfachen“ Problemen, von linearen Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, von (vermeintlich) sicheren oder stabilen Rahmenbedingungen für Entscheidungen gehören zunehmend der Vergangenheit an. Aus unternehmerischer Sicht führt dies zu zwei zentralen Fragen: Erstens, wie kann ein adäquates Führungsverständnis (weiter-)entwickelt werden, das zu den Anforderungen an das Unternehmen von innen wie außen passt? Und zweitens, wie kann ein solches Führungsverständnis auf die Führungskräfte übertragen werden, so dass dieses verinnerlicht und schließlich auch gelebt wird, bedeutet es doch in vielen Fällen die Notwendigkeit zur Veränderung von Einstellungen, Verhaltensweisen und auch Skills? Lösungsansätze Symbolische Führung Wie schon beschrieben werden Führungskräfte zunehmend mit Führungssituationen konfrontiert, in denen fest definierte organisatorische Regelungen wie etwa Richtlinien, Weisungen oder konkrete Vorschriften nicht (mehr) dazu geeignet sind, adäquat zu handeln. Die über solcherlei Regelungen angestrebte Standardisierung von Führungsverhalten erweist sich in der Realität oft als untauglich, weil sie der realen Führungs- 286 Stefan Eberhardt uvk-lucius.de/ fuehren situation nicht wirklich gerecht wird. Dies gilt insbesondere in komplexen, widersprüchlichen, instabilen und mehrdeutigen Situationen. Daher ist es umso wichtiger, über eher symbolisierende Elemente den Rahmen für gutes Führungsverhalten zu setzen. Dies kann beispielsweise durch Sprachregelungen oder Denkmuster erfolgen, die einen eher groben Rahmen beschreiben, wie Führung erfolgen soll und damit fixierte, harte Regeln (wie etwa Richtlinien) ersetzen oder zumindest ergänzen. Dies ist ein wichtiger Leitgedanke der sogenannten symbolischen Führung. Führungsphilosophie Um diesem Gedanke gerecht zu werden, wurde bei Daimler TSS GmbH ein aufeinander aufbauendes System einer Führungsphilosophie, von Führungsgrundsätzen sowie Führungsleitlinien entwickelt. Die nachfolgende Abbildung macht diesen Aufbau anschaulich. Die Führungsphilosophie umfasst grundlegende Annahmen über die Art und Weise der Realisierung von Führung im Unternehmen und beinhaltet Annahmen über den Menschen (sogenannte Menschenbilder) und über den Umgang mit den Mitarbeitern. Beispiel: „Wir vertrauen auf die fachlichen und persönlichen Fähigkeiten unserer Mitarbeiter und fördern eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens und eines positiven Miteinanders.“ Die Führungsgrundsätze sind die konkretisierten und formalisierten Annahmen über die Art und Weise der Realisierung von Führung im Unternehmen und liegen häufig in Form von Richtlinien vor. Eine neue Führungsphilosophie für Daimler TSS wird entwickelt und implementiert 287 uvk-lucius.de/ fuehren Beispiel: „Wir vertrauen unseren Mitarbeitern anspruchsvolle Aufgaben an. Dabei übertragen wir ihnen die notwendigen Verantwortungen und Befugnisse.“ Schließlich sollen die Führungsleitlinien als Beispiele zu den Führungsgrundsätzen den Führungskräften zur Orientierung und als „Leitplanke“ dienen. Beispiele: „Ich vereinbare anspruchsvolle Ziele und berücksichtige dabei den unternehmerischen Kontext. Ich delegiere situationsgerecht Aufgaben, die meine Mitarbeiter fordern und statte meine Mitarbeiter mit den notwendigen Befugnissen und Verantwortungen aus. Mit anspruchsvollen Aufgaben fördere ich die persönliche Entwicklung meiner Mitarbeiter und biete Unterstützung , wo notwendig , an.“ Mit der Führungsphilosophie verfolgen wir zwei grundsätzliche Ziele: Zum einen soll dem Management ein Rahmen für sein Handeln und Verhalten gegeben werden. Dabei akzeptieren wir sowohl die Tatsache, dass ein wirklich uniformes Führungsverhalten nicht erreicht werden kann, weil Führungskräfte Individuen sind, und auch, weil es keine Patentrezepte für individuelle Führungssituationen gibt. Stattdessen wollen wir Orientierung im Sinne von Leitplanken für unsere Führungskräfte schaffen, das Bewusstsein für gute Führungsarbeit schärfen und Sensibilität für die Zusammenarbeit innerhalb unseres Unternehmens stärken. Zum anderen ist uns wichtig, dass unsere Mitarbeiter Führung in einer zumindest grundsätzlich ähnlichen Art erleben. Mitarbeiter sollen über die verschiedenen Organisationseinheiten hinweg nach gleichen Grundsätzen geführt werden und dies - insbesondere bei einem Vorgesetztenwechsel - auch so wahrnehmen. Das erhöht die Vorhersagbarkeit von Führungsverhalten, vermeidet falsche Erwartungshaltungen und damit Demotivation. In Summe geht es uns darum, die Qualität unseres Führungshandelns zu verbessern - eines unserer strategischen Ziele. Die äußere Form des Diamanten ist dabei bewusst gewählt als eine prägnante, in sich geschlossene und harmonische Form. Ein Diamant strahlt Reinheit, Schönheit, aber auch Stabilität und Wertigkeit aus. Damit erfüllt er die Anforderungen an ein gutes Symbol und hilft bei der Versinnbildlichung des Anspruchs an Führung bei Daimler TSS. Wie war nun die konkrete Vorgehensweise bei der Erstellung und Einführung der Führungsphilosophie? Daimler TSS hat ein System von internen Verbesserungsprojekten, um Prozesse regelmäßig an geänderte Bedingungen anzupassen oder auch neue Prozesse oder Artefakte zu schaffen. Im Rahmen eines solchen Projekts wurde die Führungsphilosophie erarbeitet. Der Anstoß dazu wurde durch die Geschäftsführung gegeben. Das Projektteam setzte sich aus Führungskräften verschiedener Ebenen und Mitarbeitern zusammen, was typisch für die Beteiligungskultur in unserem Unternehmen ist. Hinzu kamen Experten aus der Personalabteilung sowie externe Berater. Zunächst wurden die wesentlichen Herausforderungen analysiert. Im Kern wurden dabei drei Punkte identifiziert: Unsere bisherigen Führungsprozesse entsprechen nicht mehr in vollem Umfang den Erwartungen. Sie erlauben nur noch bedingt, den Anforderungen an modernes Führungshandeln gerecht zu werden und sind in Teilen inkonsistent und ineffizient. 288 Stefan Eberhardt uvk-lucius.de/ fuehren Insbesondere sind sie nicht hinreichend dafür geeignet, Führung für alle Mitarbeiter gleichartig erlebbar zu machen. Nicht alle unserer Führungskräfte wurden für diese Rolle hinreichend ausgebildet. Damit fehlt ihnen - zumindest in Teilen - das notwendige Handwerkszeug, um gute Führungsleistungen erbringen zu können. Der sich schnell verändernde Arbeitsmarkt führt zu ganz neuen Herausforderungen an einen Arbeitgeber, speziell auch im Hinblick auf Führung. Für Berufseinsteiger ist der Führungsstil mittlerweile einer der wichtigsten Faktoren bei der Arbeitgeberwahl. Insofern ist es auch nicht damit getan, einmal erlernte Führungstechniken einfach weiter anzuwenden. Vielmehr ist eine Anpassung des individuellen Führungsstils auf neue Anforderungen wichtig. In unserem schnell wachsenden, zunehmend komplexer werdenden und mit neuen Herausforderungen konfrontierten Unternehmen wurden somit die Notwendigkeit zur Schaffung eines gemeinsamen Führungsverständnisses und die konsequente Weiterentwicklung unsere Führungskräfte evident. Auf Basis dieser Ist-Analyse wurde das Projekt dann in mehrere Arbeitspakete gegliedert: Erarbeitung der Führungsphilosophie als übergeordneter Rahmen Bewertungsverfahren von Führungspotenzial und -leistung Assessment Center Aus- und Weiterbildung Wichtig war uns dabei, dass nicht (nur) eine Hochglanzbroschüre entsteht, sondern dass der Anspruch, der mit der Führungsphilosophie zum Ausdruck gebracht wird, auch tatsächlich umgesetzt und für die Mitarbeiter nachhaltig erlebbar gemacht wird. Die Implementierung begann mit der Vorstellung der Führungsphilosophie vor den Führungskräften im Rahmen eines Marktplatz-Konzepts. Wichtig war uns dabei vor allem das Verstehen, warum wir diesen Orientierungsrahmen geschaffen haben. Und auch, was wir von unseren Führungskräften erwarten. Im Anschluss wurde die Führungsphilosophie den Mitarbeitern im Rahmen einer Townhall kommuniziert. Dort wollten wir allen Mitarbeitern bewusst machen, was unser Führungsverständnis ist und wie wir Führung in unserem Unternehmen künftig leben wollen - und welchen Anspruch sie damit auch an ihre jeweilige Führungskraft haben dürfen. Neben einer guten Erstkommunikation und der damit verbundenen Schaffung von Transparenz ist aber viel entscheidender, dass eine nachhaltige Verankerung im Unternehmen erfolgt und sich damit das Führungsverhalten auch tatsächlich im gewünschten Sinn ändert. Um dieses Ziel zu erreichen, lernen wir als Organisation gemeinsam. Wir entwickeln unser Führungshandeln über strukturiertes Feedback und Austauschplattformen kontinuierlich weiter. Wo möglich und sinnvoll wird ein einheitliches Führungshandeln durch die Bereitstellung konsistenter Prozesse, Methoden und Werkzeuge nachhaltig und effektiv unterstützt. Deshalb war es uns wichtig, die Gedanken der Führungsphilosophie in den Führungsprozessen und -systemen abzubilden. Dazu haben wir zunächst das Anforde- Eine neue Führungsphilosophie für Daimler TSS wird entwickelt und implementiert 289 uvk-lucius.de/ fuehren rungsprofil an unsere Führungskräfte angepasst, um entsprechende Konsistenz sicherzustellen. Für alle Rollen wurden Skill-Profile erstellt, die für die jeweilige Rolle charakterisierende Anforderungen enthalten. Diese Anforderungen finden Niederschlag zum einen in der Bewertung von Führungsleistung, aber auch bei der Auswahl des Führungsnachwuchses (in diesem Fall bei der Potenzialidentifikation und im Auswahlverfahren). Für die Potenzialidentifikation wurde ein System eingeführt, in dem anhand sogenannter Leadership-Kriterien die Eignung eines Kandidaten für eine Führungsaufgabe beurteilt wird. Die zunächst individuelle Bewertung durch die Führungskraft des Kandidaten wird über Integrationsrunden unter Beteiligung von HR validiert. Wird einem Kandidaten Potenzial bescheinigt, folgt ein Auswahlverfahren in Form eines Assessment Centers. Dort sind die Elemente und Übungen gezielt so gewählt, dass die gewünschten Leadership-Kriterien beobachtbar sind. In Abhängigkeit der beobachteten Ausprägung der Kriterien wird für jeden Kandidaten der etwaige Entwicklungsbedarf festgestellt und eine individuelle Maßnahmenplanung vorgenommen. Diese orientiert sich wiederum an dem gewünschten Führungsverhalten. Je nach dem ist die Abstellung bestimmter Defizite Voraussetzung für eine spätere Ernennung. Damit stellen wir sicher, dass bereits eine bestmögliche Passung von künftigen Führungskräften und unserer Führungsphilosophie et vice versa hergestellt wird. Sind Führungskräfte ernannt, folgt eine jährliche Leistungsbeurteilung nicht nur anhand von Zielen, sondern auch anhand ihrer Aufgabenerfüllung sowie ihres individuellen Verhaltens. Auch hier finden die oben erwähnten Leadership-Kriterien Anwendung. Aufgrund der sich verändernden Voraussetzungen an das Führungshandeln geht es aber auch darum, bestehende Führungskräfte weiterzuentwickeln. Schließlich wurde ein umfassendes Aus- und Weiterbildungsprogramm für alle bestehenden sowie neu ernannten Führungskräfte aufgesetzt. Zentrales Element dabei ist das sogenannte Führungskräfte-Curriculum, das als Inhouse-Seminar konzipiert wurde. Damit im Rahmen der gegebenen Führungsphilosophie möglichst viel Wirkung als erfolgreiches Führungsteam entfaltet werden kann, steht der kollektive Lernerfolg des Führungsteams im Mittelpunkt. Hierfür wurden vorab konkrete Lernziele vereinbart, deren Erfüllung regelmäßig gemessen wird. Das Führungskräfte-Curriculum füllt den Rahmen der Führungsphilosophie mit konkretem „Handwerkszeug“ einer Führungskraft. Neben der reinen Wissensvermittlung dient es vor allem auch dem gemeinsamen Lernen und der fachlich-inhaltlichen Auseinandersetzung der Führungskräfte untereinander. Als besonders wertvoll hat sich dies beispielsweise in der Findung gemeinsamer Beurteilungsmaßstäbe etwa für Zielerreichungsgrade der Mitarbeiter oder für die Beurteilung von Kriterien für Führungspotenziale herausgestellt. Ziel ist es, im zeitlichen Kontext von ohnehin anfallenden Führungsaufgaben Wissen zu vermitteln und dessen Anwendung am konkreten Beispiel zu üben. Die entsprechenden Bausteine des Führungskräfte-Curriculums sind so terminiert, dass eine Verzahnung von theoretisch Gelerntem mit der praktischen Anwendung möglich ist. Wenn etwa im Jahreszyklus die Vereinbarung von Zielen ansteht, sollte mit einem geringen zeitlichen Vorlauf der entsprechende Baustein des Curriculums terminiert werden. Dabei wechselt sich generischer Input mit Fallstudien und Anwendungsbei- 290 Stefan Eberhardt uvk-lucius.de/ fuehren spielen aus dem eigenen Unternehmen ab. So wird beispielsweise ein allgemeingültiger Teil zum „Führen mit Zielen“ ergänzt um die konkreten Abläufe und Vorlagen, wie sie im Führungsalltag des Unternehmens Verwendung finden, um den Wiedererkennungswert zu erhöhen. Der Lernerfolg wird dabei einerseits durch Befragung am Ende jedes Bausteins überprüft. Andererseits erfolgt im Rahmen einer Master-Thesis eine wissenschaftliche Untersuchung mit Hilfe statistischer Methoden. Eine interessante Erkenntnis daraus ist, dass sich die Führungskräfte auch außerhalb der „künstlichen“ Lernsituation über die Inhalte und deren Anwendung austauschen - und so ganz wesentlich den Aspekt des kollektiven Lernens erfüllen und alleine dadurch einen Beitrag zu einem gemeinsamen Führungsverständnis leisten. Zusammenfassende Erkenntnisse Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der nicht unerhebliche Aufwand in die Erarbeitung eines klaren Führungsverständnisses innerhalb des Unternehmens sowie eine entsprechende lern- und austauschorientierte Führungskräfte-Entwicklung einen nachhaltigen Beitrag zur positiven Unternehmensentwicklung leistet. Neben der rein wirtschaftlichen Situation spielen hier die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit eine entscheidende Rolle, denn über diese beiden Kenngrößen lässt sich - wenn auch nur indirekt - die Qualität der Führung beurteilen. Insofern lässt sich für Daimler TSS feststellen, dass seit der Einführung der Führungsphilosophie in einem wettbewerbsintensiven Umfeld bei stabiler Rendite der Umsatz signifikant gesteigert werden konnte, die Kundenzufriedenheit auf hohem Niveau stabil geblieben ist - und das trotz erheblich gestiegenen Anforderungen zum Beispiel im Hinblick auf Agilität und Geschwindigkeit (Ergebnis der jährlich durchgeführten Kundenbefragung), die Attraktivität als Arbeitgeber zugenommen hat (bestätigt durch den Employer Branding Award der Hochschule Neu-Ulm. Dort wird neben der Bekanntheit die Attraktivität eines Arbeitgebers unter Studierenden der Hochschulen Ulm und Neu- Ulm, der Universität Ulm und der Hochschule für Gestaltung Ulm gemessen. 2015 erreichte Daimler TSS GmbH ebenso wie im Vorjahr den zweiten Platz unter 69 befragten Unternehmen der Region mit mehr als 50 Mio. Euro Jahresumsatz), und die Mitarbeiter trotz der eingangs beschriebenen veränderten Ansprüche im Hinblick auf Führungsverhalten uns in Summe ein gutes Führungsverhalten bescheinigen (Ergebnis aus der Teilnahme am Wettbewerb „Great Place to Work®“ in 2013 und 2015.) Dennoch ist das bei Daimler TSS implementierte Konzept der Führungsphilosophie kein Garant für hervorragendes Führungsverhalten. Nicht jede Führungskraft verinnerlicht die Philosophie und handelt jederzeit danach. Individuelle Abweichungen sind in der Realität immer wieder zu beobachten und in gewissem Umfang auch normal. Was bleibt ist daher die Herausforderung - die Anforderungen an Führung werden sich von außen und innen weiter verändern. In der schnelllebigen und komplexen Welt der digitalen Transformation gilt das in besonderer Weise für IT-Unternehmen. Sowohl Kunden als auch Mitarbeiter werden diesbezüglich in zunehmendem Maße anspruchs- Eine neue Führungsphilosophie für Daimler TSS wird entwickelt und implementiert 291 voll. Das macht eine stetige Auseinandersetzung mit diesen Anforderungen und eine adäquaten Anpassung des Verhaltens einer jeden Führungskraft erforderlich. Hierfür ist es unabdingbar, die Rahmenbedingungen immer wieder kritisch zu reflektieren. Das bedeutet auch, dass das heute in Daimler TSS mit dem „Diamanten“ und seinen einzelnen Elementen gewählte Symbol der Führung regelmäßig überprüft und angepasst - oder gar ersetzt - werden muss, wenn notwendig. Das Setzen des richtigen Rahmens für individuelles Führungsverhalten, die Auswahl der dazu passenden Führungskräfte und die intensive Beschäftigung mit dem Thema „gute und richtige Führung“ innerhalb des Führungskreises sind jedenfalls mehr denn je essenziell für den Erfolg eines Unternehmens. AAutor-Kurzprofil Dr. Stefan Eberhardt: Studium der Wirtschaftswissenschaften und Promotion zum Dr. oec. an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Zunächst Geschäftsführer der Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Hohenheim, wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Unternehmensberatungsgesellschaft sowie Dozent der Berufsakademie Baden-Württemberg und der Württembergischen Verwaltungsakademie in Stuttgart. 1998 Eintritt in die damalige DaimlerChrysler AG. Nach verschiedenen Führungsfunktionen in den Bereichen Aftersales und IT zunächst seit 2006 Chief Operating Officer von Daimler TSS GmbH, seit 2013 CEO. uvk-lucius.de/ fuehren 8.2 Führen in einer Netzwerkorganisation - Wie hochqualifizierte Teams in einem organisatorischen Wandel ein verändertes Führungsverständnis erfordern von Yasmin Kurzhals Von Rundstedt ist einer der führenden Experten für Talent- und Karriereberatung. Im Jahr 2015 feiert das familiengeführte Unternehmen sein 30-jähriges Jubiläum. 1985 von Eberhard von Rundstedt gegründet, berät von Rundstedt heute Unternehmen und Einzelpersonen an 20 Standorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die nächsten Kapitel der Unternehmensgeschichte werden von einer neuen Generation geprägt: 2011 hat Sophia von Rundstedt das Ruder übernommen und führt das Unternehmen gemeinsam mit ihrem Geschäftsleitungsteam und 340 Mitarbeitern in die Zukunft. Bei den Beschäftigten handelt es sich zu einem sehr großen Teil um hochqualifizierte Mitarbeiter, insbesondere Berater und Vertriebsmitarbeiter, mit akademischer Qualifizierung und jahrelanger beruflicher Erfahrung. Von Rundstedt steht an der Schnittstelle zwischen Mensch und Unternehmen. Zum einen unterstützt von Rundstedt Unternehmen bei der Suche, Auswahl, Entwicklung und Bindung von Talenten sowie der Trennung von Mitarbeitern und deren Neuorientierung. Zum anderen vertrauen Fach- und Führungskräfte auf von Rundstedt bei ihrem Karrieremanagement, der Weiterentwicklung ihrer Talente sowie in beruflichen Veränderungsprozessen. Dasselbe gilt für Schüler und Studenten, die das Unternehmen bei der Entwicklung erster beruflicher Perspektiven unterstützt. Ausgangslage Vor vier Jahren übernahm Sophia von Rundstedt die Geschäftsführung des Unternehmens. Sie hat die Vision, von Rundstedt zu einer vernetzten und agilen Organisation zu entwickeln, die die Stärken aller Organisationsmitglieder besser zur Entfaltung bringt und mit der hohen Veränderungsgeschwindigkeit der Arbeitswelt Schritt halten kann. Die Notwendigkeit zur organisatorischen und kulturellen Veränderung diskutierte sie erstmals Anfang 2014 in einem Workshop mit der Geschäftsleitung und ausgewählten Mitarbeitern aus allen Unternehmensbereichen. Dabei wurde zunächst eine Bestandsaufnahme gemacht: Wie können wir das Know-how unserer hochqualifizierten Mitarbeiter bestmöglich nutzen? Was sind derzeitige Barrieren und Hindernisse in unserer Organisation? Was müssen wir verändern? Wie können wir diese positiven Veränderungen initiieren? Die Teilnehmer des Workshops kamen zu dem Schluss, dass insbesondere drei Barrieren eine Veränderung der Organisation notwendig machten: [1] Die bisher unzureichende Nutzung der Kompetenzen und Potenziale der Organisationsmitglieder [2] Die veränderten Markt- und Kundenanforderungen [3] Die internen - teils hinderlichen - Kommunikations- und Entscheidungsprozesse Was die erste Barriere betrifft, so kann es sich heute kein Unternehmen mehr leisten, das individuelle und kollektive Know-how, die Erfahrungen und die Potenziale der Führen in einer Netzwerkorganisation 293 uvk-lucius.de/ fuehren Organisationsmitglieder zu vernachlässigen oder gar unberücksichtigt zu lassen. Als Beratungsunternehmen beschäftigt von Rundstedt einen hohen Anteil hochqualifizierter und berufserfahrener Mitarbeiter. Ein Großteil der Belegschaft ist im Vertrieb und der Beratung tätig. Diese Mitarbeiter könnten - so das Diskussionsergebnis aus dem Workshop - durch das Schaffen von Entwicklungs- und Austauschmöglichkeiten sowie eines unterstützenden Führungsverhaltens, ihre individuellen Fähigkeiten noch besser einsetzen. Indem alle Organisationsmitglieder ihre verschiedenartigen und heterogenen Fähigkeiten einbringen, kann die kollektive Intelligenz eines Unternehmens sinnvoll genutzt und damit auf Dauer Höchstleistung erbracht werden. Diese Einschätzung deckte sich mit einer zeitlich nachgelagerten internen Befragung von Mitarbeitern und Führungskräften aus verschiedenen Unternehmensbereichen. Sie ergab, dass die Vielzahl der Mitarbeiter sich wünschen, ihre breit gefächerten Kompetenzen und Talente mehr einbringen zu können, um sich selbst, ihr Team und die Organisation weiterzuentwickeln. Hinsichtlich der zweiten Barriere lässt sich feststellen, dass Kunden in Beratungsprojekten anspruchsvoller werden. Sie haben höhere Erwartungen an die Projektqualität, die Schnelligkeit der Umsetzung und auch an die Kompetenzen der Berater. Das bringt einerseits Herausforderungen für die Zusammensetzung interdisziplinärer und heterogener Berater- und Projektteams mit sich, in denen sich verschiedene Kompetenzen ergänzen sollen. Andererseits müssen sich die Teammitglieder stärker vernetzen und regelmäßig miteinander austauschen, um im Sinne des Kunden schnell und kompetent eine Lösung zu finden. Darüber hinaus vollziehen sich Marktveränderungen immer schneller. Für ein Beratungsunternehmen ist es von zentraler Bedeutung, mit dem Leistungsangebot schnell und beweglich auf diese äußeren Bedingungen zu reagieren und für den Kunden die beste Lösung zu finden. Der dritte identifizierte Grund für die Notwendigkeit einer organisationalen Veränderung lag darin, dass interne Kommunikations- und Entscheidungsprozesse als teilweise hinderlich und langwierig bewertet wurden. So wurden Entscheidungen durch Führungskräfte getroffen, die kompetenter und sogar zeitnaher durch die Mitarbeiter selbst getroffen werden könnten - würde man ihnen mehr Entscheidungskompetenzen und Verantwortung übertragen. Die Annahme war, dass insbesondere Führungskräfte, die eine große Führungsspanne haben oder Mitarbeiter an unterschiedlichen Standorten führen, dadurch entlastet und Entscheidungen schneller getroffen werden können. Das Resultat des Workshops war ein gemeinsames Bild einer vernetzten Organisation, in der die Mitarbeiter und Führungskräfte voneinander lernen, das Know-how der qualifizierten und berufserfahrenen Organisationsmitglieder im Sinne einer Schwarmintelligenz hierarchie- und bereichsübergreifend geteilt wird, die Talente und Erfahrungen des Einzelnen optimalen Einsatz finden und Mitarbeiter bereit und fähig sind, Verantwortung für ihr Denken und Handeln zu übernehmen. Gleichzeitig kamen wir zu dem Schluss, dass es für die Umsetzung einer vernetzten Organisation einer neuen und modernen Führungskultur und veränderter Organisationsstrukturen bedarf, um die derzeitigen Barrieren zu überwinden. Zielsetzung Die Zielsetzung unserer organisationalen Veränderung lag darin, von Rundstedt zu einer funktionierenden Netzwerkorganisation zu entwickeln, in der das umfassende 294 Yasmin Kurzhals uvk-lucius.de/ fuehren Wissen, die ausgeprägten beruflichen Erfahrungen und Kompetenzen der Beschäftigten besser zum Einsatz gebracht und genutzt werden kann. Dafür brauchte es ein verändertes Führungsverständnis und -verhalten im Unternehmen, das alle teilen. Führungsaufgabe sollte es sein, die Mitarbeiter zu „Mitunternehmern und Mitgestaltern“ zu machen und mithilfe eines fordernden und fördernden Führungsverhaltens zu unterstützen, ihr Wissen zu teilen, voneinander und miteinander zu lernen und mehr Verantwortung für ihr Handeln, ihre Entwicklung und das Treffen von Entscheidungen zu übernehmen. Darüber hinaus galt es, Plattformen zu schaffen, die einen unternehmensweiten Wissensaustausch und Mitwirkungsmöglichkeiten für alle Mitarbeiter und Führungskräfte ermöglichen. Nicht zuletzt sollten veränderte Organisationsstrukturen die Realisierung oder oben beschriebenen Ziele optimal unterstützen. Umsetzung und Maßnahmen Wie sind wir nun vorgegangen, um unsere Zielsetzung zu realisieren? Uns war klar, dass wir die Vision einer Netzwerkorganisation nicht mithilfe von Einzelmaßnahmen realisieren können, sondern dass es sich dabei um ein umfassendes Change-Projekt handelt, das ein ganzes Bündel von Maßnahmen zur Weiterentwicklung unserer Unternehmens- und Führungskultur sowie Veränderungen der Organisationsstruktur umfasst. Darüber hinaus war uns bewusst, dass den Führungskräften als Change-Agents aufgrund ihrer Vorbildfunktion eine zentrale Bedeutung zukommt und es unsere Aufgabe ist, sie in ihrer Führungsfunktion noch besser als bisher zu unterstützen, die hochqualifizierten Teams zu führen. Wir wollten die Führungskräfte daher frühzeitig in den Change-Prozess einbinden und durch eine umfassende Führungskräfteentwicklung unterstützen. Dieser Change-Prozess würde also nicht von heute auf morgen abgeschlossen sein, sondern erst über einen kontinuierlichen Organisationsentwicklungsprozess Früchte tragen und sich über mehrere Jahre erstrecken. In dieser Fallbeschreibung sollen aus Gründen der Übersichtlichkeit lediglich die zentralen Maßnahmen der Veränderung anhand von drei Phasen erläutert werden (Abbildung unten): Erzeugen eines einheitlichen Verständnis im Führungskreis für a) die organisationale Veränderung und b) für Führung (Phase 1), gemeinsam mit den Mitarbeitern starten und diese involvieren (Phase 2), Führungskräfte entwickeln und Angefangenes vertiefen (Phase 3). Übersicht über zentrale Maßnahmen der organisationalen Veränderung Führen in einer Netzwerkorganisation 295 uvk-lucius.de/ fuehren Erste Phase des Change-Projektes: Entwicklung eines gemeinsamen Führungsverständnisses In einer ersten Phase des Change-Projektes verfolgten wir zunächst das Ziel, die derzeitigen Barrieren und den Nutzen des organisatorischen Wandels darzustellen und bei allen Führungskräften eine gemeinsame Vision für die neue von Rundstedt Organisation zu verankern. Darüber hinaus sollte ein einheitliches Verständnis aller Führungskräfte für Führung und Zusammenarbeit entwickelt und in einem Leitbild festgeschrieben werden. Wir wählten also eine Kombination aus einem top-down angelegten Vorgehen und einer partizipativen Bottom-up-Initiative. Im Juni 2014 führten die Geschäftsleitung und das Talentmanagement zunächst mit allen Führungskräften einen zweitägigen Workshop durch. Es wurden die bestehenden Barrieren und Hindernisse sowie mögliche Hebel für die Zukunft vorgestellt und diskutiert. Die Führungskräfte hatten die Möglichkeiten, ihre Vision einer vernetzten Organisation zu erarbeiten und dabei ihre Ideen einzubringen. In den Folgemonaten erarbeitete die Geschäftsleitung - unter Berücksichtigung der im Workshop erarbeiteten Inhalte - eine neue Organisationsstruktur, die den Anforderungen einer modernen Netzwerkorganisation entsprechen sollte. Darüber hinaus wurde ein Kommunikationsfahrplan erarbeitet, der die Führungskräfte im Austausch mit ihren Mitarbeitern unterstützen sollte. In einem Führungskräftetraining im September 2014 stellte die Geschäftsführung die neue Organisationsstruktur vor. Das Training sollte neben der Diskussion der neuen Organisationsstruktur dazu dienen, die Führungskräfte auf die anstehende Kommunikation des Change-Prozesses mit ihren Mitarbeitern vorzubereiten und sie dabei zu unterstützen, die jeweils hochqualifizierten Beraters- und Vertriebsteams erfolgreich in die Zukunft zu führen. Dazu wurden die Hintergründe, Ziele sowie der Sinn und Nutzen der Veränderung ausführlich besprochen. Die Führungskräfte erhielten auch die Gelegenheit, im Austausch mit Kollegen und für sich selbst zu reflektieren, welche Anforderungen es bezogen auf die Führung mit sich bringt, die Erfahrungen und Kompetenzen der einzelnen Mitarbeiter noch besser zu nutzen und zur Entfaltung zu bringen sowie die Vernetzung zu fördern. Im November 2014 entwickelten schließlich alle Führungskräfte im Rahmen eines Führungs-Workshops ein „Leitbild für Führung und Zusammenarbeit“. Mit dem Leitbild wollten wir ausdrücken, dass eine nachhaltige Veränderung der Unternehmens- und Führungskultur in die angestrebte Richtung mehr ist, als nur ein Lippenbekenntnis. Es sollte für alle Führungskräfte und Mitarbeiter eine Art Leuchtturm sein, der Orientierung und einen Maßstab für das alltägliche Handeln bietet. Damit das Leitbild von allen Führungskräften akzeptiert wird und sich im konkreten Verhalten widerspiegelt, war uns wichtig, es gemeinsam mit allen Führungskräften zu entwickeln und so ein Commitment im Führungskreis zu erzeugen. Das Leitbild basiert auf unseren vier Unternehmenswerten: Verantwortung, Anstand, Meisterschaft, und Innovation. Pro Wert sollten Werte-Statements, bestehend aus jeweils nicht mehr als zwei Sätzen, formuliert werden. Als Anforderungen definierten wir zusätzlich, dass das Leitbild kurz, prägnant und verständlich und die Statements für die Führungskräfte und Mitarbeiter im Arbeitsalltag handlungsleitend und umsetzbar sein sollten. Darüber hinaus sollte das Leitbild zum neuen Netzwerk-Gedanken der Organisation passen. Dazu mussten die Führungskräfte folgende Leitfragen je Wert beantworten: 296 Yasmin Kurzhals uvk-lucius.de/ fuehren Was bedeutet dieser Wert für unser alltägliches Führungshandeln? Wo sind wir nah am Ansatz und wo nicht? Welche Maßnahmen beschließen wir, um diesen Wert erlebbar zu machen? Beispielhaft seien nachfolgend die Werte-Statements aus dem Leitbild für die Unternehmenswerte Verantwortung und Meisterschaft dargestellt (Abbildung unten). Auszug aus dem von Rundstedt-Leitbild für Führung und Zusammenarbeit Zweite Phase des Change-Projekts: Gemeinsam mit Mitarbeitern starten und diese involvieren In der zweiten Phase der organisationalen Veränderung ging es darum, die Mitarbeiter mit ins Boot zu holen und ihnen die Gelegenheit zu geben, einen aktiven Beitrag zur Umsetzung des Leitbilds im Alltag zu leisten. Zunächst luden die Geschäftsleitung und die Führungskräfte im November 2014 alle 160 festangestellten Mitarbeiter zu einer unternehmensweiten Kick-off-Veranstaltung („Zukunftskonferenz“) ein, um die anstehenden Veränderungen zu kommunizieren. Sie stellten die Vision, die neue Organisation, die angestrebten Veränderungsinitiativen sowie das Leitbild für Führung und Zusammenarbeit vor. Das Ziel der Zukunftskonferenz bestand vor allem darin, die Mitarbeiter von der Dringlichkeit und der Notwendigkeit der Veränderung zu überzeugen sowie Sicherheit und Klarheit zu vermitteln. Alle Teilnehmer sollten die Veränderung innerlich akzeptieren und praktisch unterstützen. Nicht zuletzt wollten wir das neue Leitbild für Führung und Zusammenarbeit vorstellen und Zustimmung erzeugen. Die Zukunftskonferenz war eine Mischung aus Informationsveranstaltung und Workshop. Es ging also nicht nur darum, über anstehende Veränderungen zu informieren und Orientierung zu bieten, sondern auch Gelegenheit zum Austausch zu schaffen, in Arbeitsgruppen zu diskutieren und notwendige Schritte zur erfolgreichen Umsetzung des Change zu erarbeiten. Ein Unternehmenstheater half dabei, die Hintergründe, Ziele und Maßnahmen der Veränderung spielerisch und symbolhaft darzustellen. Zwei Monate nach der Zukunftskonferenz, im Januar 2015, führten wir mit allen 340 festangestellten und freien Mitarbeitern Workshops zum Leitbild („Leitbild Umsetzungs-Workshops“) durch. Dabei blieb jede Abteilung für sich. Wir wollten nun auch den Mitarbeitern die Gelegenheit geben, sich intensiver damit zu beschäftigen und Führen in einer Netzwerkorganisation 297 uvk-lucius.de/ fuehren über ihren eigenen Beitrag zur Umsetzung des Leitbilds im Arbeitsalltag zu diskutieren. Mit den Leitbild-Workshops verfolgten wir vier zentrale Ziele: Wir wollten „Betroffene zu Beteiligten machen“ und alle Mitarbeiter in den Veränderungsprozess einbinden. Die Werte sollten für die Mitarbeiter erlebbar gemacht werden, damit sie nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben. Die Werte sollten in konkretes Verhalten und in Maßnahmen übersetzt werden, um im Arbeitsalltag Ausdruck zu finden. Die Bedeutung der Werte sollte bereichsbezogen diskutiert werden Warum haben wir die Leitbild-Workshops pro Abteilung durchgeführt, anstelle die Abteilungen zu durchmischen? Wir sind davon ausgegangen, dass die Werte je nach Bereich unterschiedliche Bedeutung für den Arbeitsalltag haben. Dies lässt sich am Beispiel des Wertes Verantwortung verdeutlichen: Der Wert „Verantwortung“ ist im Vertrieb sehr stark damit verknüpft, für den externen Kunden die bestmögliche Lösung zu finden und zeitnah umzusetzen, während sich der Begriff „Verantwortung“ in der Buchhaltung eher auf die gewissenhafte Rechnungstellung und Zahlung bezieht und im „Talentmanagement“ unter „Verantwortung“ vor allem das zügige und zuverlässige Feedback an Bewerber verstanden wird. Die Durchführung der Workshops stieß bei allen Mitarbeitern auf positive Resonanz, da sie Gelegenheit hatten, sich mit ihren Kollegen intensiver über die Werte und deren Bedeutung für den Alltag auszutauschen und darüber zu diskutieren. Die Workshop- Teilnehmer erarbeiteten ein gemeinsames Werteverständnis sowie zwei konkrete Maßnahmen pro Wert, wie sie das Leitbild im Arbeitsalltag umsetzen wollen. Bis Ende Juli 2015 waren in allen Bereichen und Abteilungen diese Workshops erfolgreich durchgeführt. Neben den Umsetzungs-Workshops wurden seit Anfang 2015 weitere Möglichkeiten der unternehmerischen Mitgestaltung in Form sogenannter „Boards“ geschaffen. Mit der Implementierung der Boards verfolgten wir die Intention, dass die Mitarbeiter sich im Sinne der Weiterentwicklung des Unternehmens engagieren und mit ihren Talenten und Kompetenzen einbringen können. Insgesamt haben wir vier Boards initiiert, die jeweils einen thematischen Schwerpunkt haben. So beschäftigt sich beispielsweise eines der Boards, das „Growth Board“, mit Ideen rund um Wachstumsmöglichkeiten. Jedes Board hat sechs bis acht Mitglieder, die aus allen Bereichen des Unternehmens kommen, sich für das jeweilige Board beworben haben und dafür ausgewählt wurden. Die Boards treffen sich eigeninitiativ, sie entwickeln und diskutieren - je nach Schwerpunkt der Boards - konkrete Vorschläge für z.B. neue Wachstumsmöglichkeiten, moderne Strategien der Mitarbeiterbindung oder neue technologische Entwicklungen. Haben sie ein entscheidungsreifes Konzept entwickelt, wird es der Geschäftsleitung vorgestellt und entschieden, ob und wenn ja wie es zur Umsetzung kommt. Dritte Phase des Change-Projektes: Führungskräfte entwickeln und Angefangenes fortführen Die dritte Phase unseres Change-Projektes startet im September 2015. Die Führungskräfte werden in dieser Phase weiter an ihrem Führungsverständnis und -verhalten arbeiten. Drei Maßnahmen unterstützen sie dabei in ihrer Weiterentwicklung: 298 Yasmin Kurzhals uvk-lucius.de/ fuehren [1] Führungstrainings in kleinen Gruppen (7 bis 8 Teilnehmer) [2] Führungskräfte-Feedback, das jeweils drei Monate vor und nach den Trainingsmaßnahmen durchgeführt wird [3] Kollegiale Beratung, die eine Austauschmöglichkeit mit Kollegen bietet, um im kleinen Führungskreis reale Führungssituationen aus dem Arbeitsalltag zu reflektieren und Lösungen für die Führungspraxis zu entwickeln. Die Führungstrainings basieren auf dem Konzept der transformationalen Führung. Zusammengefasst zielt ein transformationales Führungsverhalten darauf ab, das Engagement der Mitarbeiter zu fördern, hohe Ziele zu erreichen sowie einen hohen Grad an eigenständigem und eigenverantwortlichem Handeln zu unterstützen (Schröder, 2013). Nach Rowold et al. (2013) ist der transformationale Führungsstil durch sechs zentrale Merkmale gekennzeichnet: Visionen aufzeigen, Vorbild sein, Gruppenziele fördern, hohe Leistungserwartung kommunizieren, individuelle Unterstützung anbieten, geistige Anregung bieten (Abbildung unten). Der transformationale Führungsstil passt aus unserer Sicht optimal zu unserem Werteverständnis, hilft bei der Realisierung unserer Vision und entspricht den Anforderungen an eine Netzwerkorganisation. So ist es beispielsweise für die Umsetzung des Wertes „Meisterschaft“ wichtig, dass wir Gruppenziele anstatt Einzelziele honorieren, die individuellen Talente unserer Mitarbeiter zur Entfaltung bringen und sehr gute Arbeitsleistungen von unseren Mitarbeitern erwarten, um die besten Lösungen für unsere Kunden zu entwickeln. Indem die Führungskräfte durch ihr Führungsverhalten das Erreichen gemeinsamer Ziele fördern, individuelle Unterstützung zur Entfaltung von Talenten leisten und eine hohe Leistungserwartung kommunizieren, wird der Wert „Meisterschaft“ im Alltagshandeln erlebbar und der Grundgedanke einer Netzwerkorganisation umgesetzt. Sechs Merkmale transformationaler Führung nach Rowold et al. (2013) Führen in einer Netzwerkorganisation 299 uvk-lucius.de/ fuehren Drei Monate vor und nach dem Führungstraining (Pre- und Post-Test-Untersuchung) wird ein Führungskräftefeedback durchgeführt. Dazu werden alle festangestellten Mitarbeiter mithilfe eines anonymisierten Fragebogens zum Führungsverhalten ihres Vorgesetzten befragt. Die Führungskräfte haben dadurch Gelegenheit, von ihren Mitarbeitern ein differenziertes Feedback zu ihrem Führungsverhalten zu bekommen und einen Abgleich zwischen ihrer Selbst- und der Fremdeinschätzung vorzunehmen. Darüber hinaus können mithilfe einer Post-Test-Untersuchung der Erfolg des Führungstrainings erfasst sowie Veränderungen im Führungsverhalten sichtbar gemacht werden. Geht man davon aus, dass das Führungstraining erfolgreich sein wird, sollte sich das Führungsverhalten im Sinne der transformationalen Führung nach dem Training im Vergleich zum Pre-Test positiv verändern. Etwa fünf Monaten nach dem Training wird es für alle Führungskräfte das Angebot einer moderierten kollegialen Fallberatung („Kollegiales Teamcoaching“) geben. Das Teamcoaching soll den Austausch und die Beratung der Führungskräfte untereinander fördern indem sie Führungssituationen im Kollegenkreis reflektieren und praktische Lösungen für das Führungsverhalten im Alltag entwickeln. Eine Übersicht über alle Maßnahmen im Rahmen der Führungskräfteentwicklung bietet nachstehende Abbildung. Maßnahmen der Führungskräfteentwicklung Ergebnisse und Ausblick Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir mit der im Juni 2014 begonnen organisationalen Veränderung bereits einiges von dem, was wir uns vorgenommen haben, erreicht haben. Wir haben bis heute alle geplanten Change-Maßnahmen der Phase 1 und Phase 2 des Projektes erfolgreich abgeschlossen. Nachfolgende Abbildung liefert eine Gesamtübersicht über die drei Phasen und zentralen Maßnahmen unserer organisationalen Veränderung. 300 Yasmin Kurzhals uvk-lucius.de/ fuehren Übersicht über alle Phasen der Veränderung und Inhalte Wir haben es geschafft, im Führungskreis ein gemeinsames Verständnis für die Veränderungen zu verankern sowie mit dem Leitbild für Führung und Zusammenarbeit ein gemeinsam geteiltes Werte-Statement zu entwickeln, wie wir bei von Rundstedt führen und zusammenarbeiten wollen. Zu der im November 2014 durchgeführten Zukunftskonferenz, die der Kick-off zum Change-Prozess war, hatten wir alle Mitarbeiter und Führungskräfte eingeladen. Wir konnten die Teilnehmer mitnehmen und sie dafür begeistern, einen aktiven Beitrag zu den anstehenden Veränderungen zu leisten. Das Leitbild für Führung und Zusammenarbeit haben wir seit Anfang 2015 mit allen Mitarbeitern diskutiert und konkrete Maßnahmen abgeleitet, die das Leitbild im Alltag erlebbar machen. Einige dieser Maßnahmen sind bereits in den jeweiligen Bereichen und Abteilungen umgesetzt worden, so dass die Werte-Statements nicht nur Lippenbekenntnisse geblieben sind, sondern in konkretes Handeln übersetzt wurden. Die Herausforderung liegt jetzt darin, dass die jeweils geplanten Maßnahmen von allen Bereichen - eigeninitiativ, eigenverantwortlich und nachhaltig - im Sinne des Leitbilds umgesetzt werden. Auch die geschaffenen Mitgestaltungsmöglichkeiten in Form der Boards wurden von vielen Mitarbeitern begrüßt und es gibt bereits erste Initiativen aus den vier Boards, um konkrete Ideen und innovative Vorschläge zur Weiterentwicklung des Unternehmens umzusetzen. Darüber hinaus haben neben den oben genannten Maßnahmen auch Veränderungen der Organisationsstruktur und -prozesse dazu geführt, dass die Mitarbeiter sich abteilungs- und hierarchieübergreifend enger vernetzen und zusammenarbeiten. Damit konnte erreicht werden, dass Seit Anfang 2015 wurden immer wieder Follow-up- Workshops mit den Führungskräften („Boxenstopps“) durchgeführt, um zu überprüfen, ob wir unsere Ziele der Veränderungen erreichen: unternehmensweite Vernetzung bessere Nutzung der Talente unserer Mitarbeiter Führen in einer Netzwerkorganisation 301 uvk-lucius.de/ fuehren eigenverantwortliches Handeln der Organisationsmitglieder schnellere und vereinfachte operative Prozesse In den Boxenstopps diskutierten die Führungskräfte darüber, inwieweit bestimmte Change-Maßnahmen schon gelingen und welche Anpassungen ggf. vorgenommen werden müssen. In kleinen Projektgruppen wurde und wird von den Führungskräften an den identifizierten Themen weiter gearbeitet, um die geplanten Veränderungsziele zu erreichen. Jetzt gilt es, die angestoßenen kulturellen und organisationalen Veränderungen weiter fortzuführen und die bereits erzielten positiven Auswirkungen weiter zu verstärken. Dazu gehört, im Arbeitsalltag immer wieder einen Bezug zu unserem Leitbild herzustellen und sich gegenseitig - auch bei Verstößen gegen die Werte - daran zu erinnern, worauf sich alle Führungskräfte und Mitarbeiter in ihren Teams festgelegt haben. Führungskräfte müssen weiterhin darin unterstützt werden, ihre Vorbildfunktion und zentrale Rolle als Change-Agents im Alltag wahrzunehmen. Dazu soll die ab September 2015 startende Initiative zur Führungskräfteentwicklung einen zentralen Beitrag leisten. Fazit Das Ziel des beschriebenen Change-Projekts liegt darin, von Rundstedt zu einer funktionierenden Netzwerkorganisation zu entwickeln. Dafür sollten zunächst ein gemeinsames Führungsverständnis und werteorientiertes Führungsverhalten im Unternehmen entwickelt werden. Darüber hinaus sollten die Mitarbeiter zu „Mitunternehmern und Mitgestaltern“ gemacht und darin unterstützt werden, ihr Wissen zu teilen, ihre Talente einzubringen, voneinander und miteinander zu lernen und mehr Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Darüber hinaus galt es, Plattformen zu schaffen, die für alle Mitarbeiter und Führungskräfte ermöglichen, als „Unternehmer im Unternehmen“ die Weiterentwicklung der Organisation mitzugestalten. Nicht zuletzt sollten veränderte Organisationsstrukturen und -prozesse die Realisierung oder oben beschriebenen Ziele optimal unterstützen. Der Change-Prozess lässt sich in drei Phasen unterteilen, die verschiedene Maßnahmen zur Umsetzung der organisationalen Veränderung umfassen. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Artikels waren Phase eins und zwei bereits abgeschlossen und die dritte Phase noch nicht begonnen. Das Ergebnis unserer Veränderungsinitiativen war, dass wir mit allen Führungskräften ein gemeinsames Führungsverständnis und ein Leitbild für Führung und Zusammenarbeit entwickelt haben, welches die Vision einer Netzwerkorganisation widerspiegelt. Mit allen Mitarbeitern wurde das Leitbild im Rahmen von Workshops diskutiert, konkrete Maßnahmen zum Erleben des Leitbilds im Alltag abgeleitet und umgesetzt. Insgesamt können die Leitbild-Workshops als Erfolg bewertet werden, da die Mitarbeiter die Gelegenheit hatten, in ihren Teams sowohl funktionierende als auch kritische Aspekte zu diskutieren und gemeinsam zu überlegen, welche Aktivitäten zu einer Verbesserung in der Zusammenarbeit beitragen. Eine Herausforderung besteht jetzt darin, dass die jeweiligen Teams die geplanten Maßnahmen eigenverantwortlich umsetzen, deren Nachhaltigkeit im Sinne des Leitbilds sicherstellen und mögliche Abweichungen 302 Yasmin Kurzhals vom Leitbild offen gegenüber Kollegen und Führungskräften anzusprechen und zu diskutieren. Über die Leitbild-Initiative hinaus führten organisationsstrukturelle und prozessuale Veränderungen dazu, dass die Mitarbeiter sich zunehmend abteilungs- und hierarchieübergreifend vernetzten und austauschen sowie ihre Kompetenzen besser zum Einsatz bringen konnten. Die zunehmenden Mitwirkungsmöglichkeiten durch Mitarbeiter und Führungskräfte wurden als überaus positiv bewertet, da die Organisationsmitglieder damit die Chance bekommen, ihre Talente weiter zu entwickeln und unternehmerische Entscheidungen mitzugestalten. Eine Herausforderung lag und liegt nach wie vor darin, dass nicht alle Führungskräfte und Mitarbeiter die gleiche Offenheit gegenüber Veränderungen von Prozessen und organisationalen Strukturen besitzen. Daher wird es auch im Laufe des Projektes weiterhin darum gehen, Akzeptanz und Commitment für die Veränderungen zu schaffen sowie Prozesse und Strukturen zu optimieren und zu etablieren. Nicht zuletzt haben die Workshops und Trainings mit den Führungskräften zu einem Bewusstsein und zu einer Klarheit der Führungskräfte für ihre Rolle als Change Agents beigetragen, so dass diese mit ihrem Führungsverhalten im Sinne der angestrebten Veränderungen eine Vorbildfunktion für die Mitarbeiter eingenommen haben. In der anstehenden dritten Phase werden weitere Maßnahmen zur Führungskräfteentwicklung umgesetzt mit dem Ziel, die Führungskräfte aufgrund ihrer wichtigen Rolle im Change-Prozess weiter zu unterstützen und zu stärken. Darüber hinaus gilt es, die begonnen erfolgreichen Initiativen hin zu einer Netzwerkorganisation fortzuführen und im Rahmen von Reviews und Feedback-Schleifen regelmäßig das Erreichen der organisationalen Ziele zu evaluieren. Literatur Rowold, J., Borgmann, L., Abrell-Vogel, C. &, Krisor, S. M. (2013). Führen mit Kick. Personalmagazin, 4, 34-37. Schröder, J.-P. (2013). Entlasten, entgrenzen, entfalten. Transformational leadership. Manager Seminare, 179, 62-66. Autor-Kurzprofil Dr. Yasmin Kurzhals ist Head of Corporate Talentmanagement bei der Unternehmens- und Personalberatung von Rundstedt mit Hauptsitz in Düsseldorf. Sie ist ausgebildete Bankkauffrau, Diplom-Psychologin und systemischer Business-Coach. In den letzten Jahren war Frau Dr. Kurzhals in verschiedenen leitenden Funktionen im Bereich Human Resources tätig, mit Schwerpunkt in den Bereichen Personaleignungsdiagnostik, Recruiting sowie Führungskräfte- und Personalentwicklung. Darüber hinaus ist sie Dozentin an der Hochschule Fresenius in Düsseldorf, engagiert sich aktiv für die Professionalisierung von HR beim BPM (Bundesverband der Personalmanager) und arbeitet nebenberuflich als Business-Coach. uvk-lucius.de/ fuehren 8.3 Stärkenorientiertes Führen von Hochleistungsteams von Udo Krauß und David Liebnau In der Consultingbranche fordern Kunden jederzeit abrufbare und nachhaltige Höchstleistung von Beratern. Sie erwarten, dass der richtige und passende Berater jederzeit verfügbar und hoch motiviert beste Performance bringt. Deshalb ist es nicht mehr ausreichend, nur nach den besten Beratern Ausschau zu halten, sondern diese auch langfristig an das Unternehmen zu binden. Gerade in der Consultingbranche mit einer hohen Wechselrate von Beratern ist dies eine Herausforderung. Die SYNK GROUP mit Standorten in Stuttgart, Berlin, Hamburg und München begleitet seit 2001 als Beratungs- und Coachingunternehmen DAX-Konzerne und mittelständische Unternehmen in Leadership und Development Prozessen. In nationalen und internationalen Projekten haben die SYNK Berater bereits über 20.000 Führungskräfte und Mitarbeiter qualifiziert und begleitet. Dabei setzen wir auf den Ansatz der Stärkenorientierung sowohl in den Kundenprojekten als auch in der Weiterentwicklung unseres eigenen Unternehmens. Der Großteil unserer Mitarbeiter sind Akademiker und arbeiten in stets wechselnden Teamkonstellationen zusammen. Um den Kunden die optimale Begleitung durch die SYNK Berater zu gewährleisten, gilt es die Teamzusammensetzungen so zu wählen, dass diese besonders effizient und effektiv zusammenarbeiten können. Unser Ansatz ist dabei, durch einen stärkenorientierten Führungsstil das Beste in jedem anzusprechen und sozusagen den „Zünder“ zu finden. Gekonnt auf Stärken konzentrieren Was heißt für uns Stärkenorientierung? Wir möchten, dass jeder Mitarbeiter Spaß an seiner Aufgabe hat. Und das erreichen wir nur, wenn der Mitarbeiter zur Aufgabe bzw. die Aufgabe zum Mitarbeiter passt. Was sind hilfreiche Anzeichen dafür? Basierend auf den Erkenntnissen der Forschung und unserer eigenen Praxiserfahrung in zahlreichen Lern- und Entwicklungsprojekten haben wir dafür einen 5-Punkte-Fragenkatalog für unsere Führungskräfte entwickelt, der in jedem Gespräch einsetzbar ist. Dabei müssen nicht immer alle 5 Fragen gleichzeitig gestellt werden. Der Stärken-Wahrnehmungs- Kreislauf - basierend auf den von Gallup identifizierten 5 Anzeichen für Talent 304 Udo Krauß und David Liebnau uvk-lucius.de/ fuehren 1. Fragen nach Wünschen und Bestrebungen: Welche aktuellen Tätigkeiten und Aufgaben ziehen Sie „magisch an“? Von welchen Aufgaben möchten Sie mehr haben? 2. Frage nach rascher Auffassungsgabe: Wenn Sie auf die letzten Monate schauen, welche Tätigkeiten konnten Sie sich besonders rasch aneignen? 3. Frage zum Flow: Bei welchen Aktivitäten sind Ihnen die notwendigen Schritte nur so zugeflogen? Bei welchen Aktivitäten haben Sie das Gefühl „im Tun aufzugehen“? 4. Frage zu überraschenden exzellenten Leistungen: Bei welchen Aktivitäten erbrachten Sie für sich selbst überraschend hervorragende Leistungen frei nach dem Motto: "Wie habe ich das jetzt geschafft? " 5. Frage nach der Zufriedenheit: Welche Aktivitäten erfüllen Sie mit höchster Zufriedenheit? Mittels dieser und ähnlicher Fragen wird es für unsere Führungskräfte und Kollegen leichter, das spezifische und einzigartige „Star-Potential“ ihrer Mitarbeiter und Teammitglieder zu erfahren und zu verstehen. Dies ist ein erster wichtiger Schritt zur Bildung von Hochleistungs-Teams. Auf individueller Ebene gilt es dann, die Talente des einzelnen Mitarbeiters für die Ziele des Unternehmens nutzbar zu machen und dem Mitarbeiter Freiraum, Möglichkeiten und bei Bedarf Unterstützung zu gewähren für seinen individuellen Weg zur Entwicklung von Exzellenz in seiner ganz besonderen Erfolgsnische. Mitarbeiter, die ihre Stärken täglich einsetzen, haben im Durchschnitt eine 12,5% höhere Produktivität. Mitarbeiter, die sich auf ihre Stärken konzentrieren, haben eine sechs Mal höhere emotionale Bindung an ihre Tätigkeit (Asplund et al., 2014). Stärkenorientierung erfordert ein Vokabular für Talente und Stärken. Erst wenn wir eigene Talente und Stärken benennen und differenzieren können, können wir wirksam damit arbeiten. Wenn wir darüber sprechen können, können wir im nächsten Schritt herausfinden, was diese bedeuten und wie diese zusammenspielen können - sowohl bei der einzelnen Person als auch im Team, wenn ich auf die Talente meiner Mitarbeiter in der Verbindung schaue. Dann können Talente auf motivierende und produktive Weise zu Stärken entwickelt und eingesetzt werden. Auf der Team- und Projektgruppen-Ebene bedeutet dies, die Aufgabenverteilung möglichst so individuell zu koordinieren, dass die Stärken des Einen, die Schwächen des Anderen ausgleichen, so wie mehrere „Stars“, wenn sie richtig aufeinander abgestimmt sind, ineinander greifende Zahnräder bilden können. Je nach Kundenprojekt setzen sich die Teams immer wieder neu zusammen, so dass wir vorrangig mit dem Konzept der verteilten Führung arbeiten, bei dem situations- und teamdynamich die Führungsrolle gewechselt wird (vgl. Blessin & Wick, 2014: 356). Das Wissen und die Reflexion über die jeweilige Talentstruktur ermöglicht ein vertieftes gegenseitiges Verständnis, schafft neue Herangehensweisen und erleichtert so die Führung und Arbeit im Team. Stärkenorientiertes Führen von Hochleistungsteams 305 uvk-lucius.de/ fuehren Wie wirkt Stärkenorientierung? Sich auf Schwächen zu konzentrieren bewirkt bestenfalls Schadensbegrenzung, bringt aber keine Motivation und Freude in die Organisation. Die Fokussierung auf Stärken bewirkt eine Erfolgsmaximierung, hat einen multiplizierenden Effekt und verleiht „Schwung und Energie“. Nachdem wir bereits einige Jahre stärkenorientierte Führungskräfte-Entwicklungsprogramme u.a. bei BMW und anderen Kunden mit großem Erfolg konzipiert und geleitet hatten, wollten wir all unsere Erfahrungen und Best Practices endlich auch für unsere eigene Unternehmenskultur in vollem Umfang und konsequent nutzen. Daher haben wir uns in der Geschäftsführung sowie mit unseren Stärkenentwicklungs-Experten zusammengesetzt und nach intensiver interner Beratung für folgendes 5-Punkte- Verfahren zur Förderung eines stärkenorientierten Führungsstil entschieden: [1] Selbsteinschätzung Stärken: Jede Führungskraft und jeder Mitarbeiter führt online einen Stärkentest mittels des StrengthsFinder-Verfahrens (vgl. Buckingham & Clifton, 2011) durch. [2] Stärken-Team-Workshop (2 Tage): Jeder Mitarbeiter bringt seine TOP 5 bzw. TOP 10 Talentthemen mit, stellt vor, wie er diese im Alltag nutzt und zu echten Stärken entwickelt. Schwächen springen sofort ins Auge, weil sie stören und Probleme schaffen. Nach Stärken hingegen muss aktiv gesucht werden. In diesen Workshops findet eine echte „Umfokussierung“, vom konventionellen Blick auf Schwächen und dem, was nicht mit dem anderen stimmt, hin zum für viele neuen Blick auf die Stärken und dem, was mit dem anderen stimmt. Wir nennen das den „Blick der Biene“ statt dem „der Fliege“. Der Blick der Biene sucht nach Blumen, Nektar, Honig, den schönen weiterbringenden Dingen des Lebens. Der Blick der Fliegen sucht hingegen nach den Dingen, die stinken. Wer gezielt den Fokus auf die Stärken legt und dem Wertvollen und Positivem im anderen, kann dadurch authentisch Wertschätzung entwickeln und geben. [3] Ableitung Teammatrix (siehe nachfolgendes Beispiel): Wo liegen besondere Stärken in unserem Team? Was zeichnet uns als Hochleistungsteam aus? In unserem Beispiel wird ersichtlich, dass wir die höchsten Anteile im „strategischen Denken“ haben, die geringsten Anteile als Team in der „Durchführung“ - in anderen Worten: Uns gehen nie hervorragende Ideen aus, aber wir setzen zu wenige davon um. Aus dieser Erkenntnis heraus haben wir eine Schwächen-Management Strategie entwickelt, denn auch das gehört zur Stärkenorientierung. Die Strategie ist, dass ab sofort zu jeder Idee im Alltag ein Umsetzungsvorschlag mit eingebracht werden muss. Falls das nicht der Fall ist, sparen wir uns bei operativen Meetings das Aussprechen und lange Diskutieren der Idee. Das ist unser „Selbst-Commitment“. Und um unsere Stärke des strategischen Denkens weiter auszubauen, planen wir jedes Jahr eine Woche „Retreat“ mit unserem Management Team zum gemeinsamen entwickeln von Ideen und Strategien. [4] Stärkenorientierte Führung: Jede Führungskraft „committed“ sich, durch Beobachtung und vor allem viel Dialog die Stärken ihrer Mitarbeiter immer besser zu verstehen, wertzuschätzen und wertschöpfend zu nutzen. Im Gegenzug streben auch die Mitarbeiter an, die Stär- 306 Udo Krauß und David Liebnau uvk-lucius.de/ fuehren Beispiel für Teammatrix Stärkenorientiertes Führen von Hochleistungsteams 307 uvk-lucius.de/ fuehren ken ihrer Führungskräfte immer besser zu verstehen und sich darauf einzustellen. Das gegenseitige Verständnis wird so immer weiter vertieft. Die Berechenbarkeit und Akzeptanz in beide Richtungen nimmt zu. Auch Verärgerungen über bestimmte Vorkommnisse können jetzt besser nachvollzogen werden. Da wo die ein oder andere Führungskraft früher häufiger über für sie fremdes, d.h. für ihre Talente-Struktur komplementäres Verhalten „mit den Augen gerollt hat“ und dem Mitarbeiter vermitteln wollte, wie „man das macht“, d.h. wie aus ihrer individuellen (und damit begrenzten) Sichtweise heraus der „Königsweg“ aussieht, überlegen wir jetzt häufiger, welche Talente in dem anderen vielleicht noch nicht richtig verstanden und genutzt sein könnten. [5] Jährliches Update zum Thema Stärkenorientierung: Wir widmen einmal jährlich unser Strategietreffen dem Motto „Stärkenorientierung“. Dabei beschäftigen wir uns u.a. mit folgenden Fragen: Was ist uns gelungen? Wie haben wir dies geschafft? Welche Stärken haben wir dabei eingesetzt? Wie können wir diese Stärken zukünftig weiter maximieren? Wo haben wir Grenzen erlebt? Und wie können wir diese Grenzen mittels eines bewussten Einsatzes unserer Stärken oder geeigneter Schwächen-Management Strategie überwinden? Erfahrungen unserer Führungskräfte - das "Wie" ist entscheidend Unser stärkenorientierter Führungsstil basiert auf den folgenden Grundannahmen, die einen klaren Kontrast bilden zu den weit verbreiteten konventionellen, schwächenorientierten Grundannahmen, die wir als Berater in vielen anderen Organisationen vorgefunden haben. Konventionelle Grundannahmen Schwächenorientierung SYNK Grundannahmen Stärkenorientierung 1 Alles ist erlernbar (streng dich jetzt an und du schaffst es - dein Wille ist entscheidend! ). Ein bestimmtes Verhaltensniveau ist erlern- und erreichbar. Exzellenz bedarf aber Talent und Training. 2 Es gibt einen „Königsweg“. Die „best in class“-Menschen haben den gleichen Weg zum Ziel eingeschlagen. Die „best in class“-Menschen erreichen ähnliche Ergebnisse - jedoch auf eine unterschiedliche Art und Weise. 3 Behebe deine Schwächen und du wirst erfolgreich sein. Die Behebung von Schwächen kann bestenfalls nur Misserfolge vermeiden. Die Entwicklung von Talenten und das Ausleben von individuellen Stärken führen zu Erfolg und Erfüllung im Tun. Grundannahmen Die Grundannahmen der Stärkenorientierung machen unsere Führungsarbeit intensiver. Durch den Paradigmenwechsel gibt es keinen einheitlichen Führungsstil. Die jeweilige Führungskraft und ihre Mitarbeiter mit ihren individuellen Stärken bilden eine spezielle Beziehungsqualität. Entsprechend den individuellen Stärken der Teammitglieder lassen sich individuelle Bedürfnisse ableiten. Je besser es Führungskräften, aber 308 Udo Krauß und David Liebnau uvk-lucius.de/ fuehren auch den anderen Teammitgliedern gelingt, sich in der Zusammenarbeit mit anderen, die eigenen Stärken und die damit verbundenen Bedürfnisse zu vermitteln und sich auf die der anderen einzustellen, umso besser ist nicht nur das soziale Miteinander im Team, sondern auch die Performance für die Kunden. Stärkenorientierung bietet sich für die nach Autonomie strebenden Experten an, weil sehr individuell auf die Persönlichkeit und ihre Talente und Stärken eingegangen werden kann und schafft gleichzeitig eine von Vertrauen und positiver Leistungsrückmeldung geprägte Unternehmenskultur (vgl. Blessin & Wick, 2014: 354). Daher haben wir unseren Führungskräften einen kleinen Leitfaden an die Hand gegeben, mit passenden Fragen bzw. Ideen für die tägliche Führungsarbeit und das Miteinander im Team. Dieser Leitfaden basiert auf den durch den StrengthsFinder ermittelten 34 Talentthemen, den für Erfolg im Arbeitsleben maßgeblichen verinnerlichten Denk-, Verhaltens- und Motivationsstrukturen. Hier sehen Sie ein paar Beispiele unseres Führungsstils entlang der TOP 10 Talentthemen unserer Mitarbeiter unter der Berücksichtigung der Grundannahmen der Stärkenorientierung. Pos. Stärken Bedürfnis des Mitarbeiters Passende Fragen/ Ideen im Rahmen der Führungsarbeit 1 Strategie Braucht Zeit, den besten Weg zum Ziel zu finden Welche weiteren Möglichkeiten sehen Sie, um Ihr Ziel zu erreichen? 2 Bindungsfähigkeit Zeit und Gelegenheit, die Kollegen im Rahmen von Einzelgesprächen besser kennenzulernen Haben Sie schon mit allen für Sie wichtigen Kollegen in Ihrem Umfeld darüber gesprochen? 3 Höchstleistung Umfeld, das Qualität ebenso hoch einschätzt wie der Mitarbeiter selbst Was könnten Sie noch zur letzten Perfektion tun? Was könnte die Veredelung sein? 4 Wissbegier Neue Informationen und Erfahrungen Was haben Sie Neues gelernt? Was wollen Sie als Nächstes lernen? 5 Leistungsorientierung Die Freiheit, nach meinem eigenen Tempo zu arbeiten Was können Sie tun, damit Sie es möglichst schnell „vom Tisch haben“? 6 Tatkraft Weniger Diskussionen, mehr Aktivität Mit was werden Sie jetzt gleich nach unserem Gespräch beginnen? 7 Selbstbewusstsein Freiraum, um eigenständig und unabhängig handeln zu können Wie werden Sie es anpacken? 8 Einzelwahrnehmung Individuelle Erwartungen, die speziell auf mich zugeschnitten sind Was könnte speziell für Sie passend sein und grenzt sich von dem grundsätzlichen Vorgehen ab? Stärkenorientiertes Führen von Hochleistungsteams 309 uvk-lucius.de/ fuehren 9 Intellekt Zeit zum Nachdenken Machen Sie sich doch bitte Gedanken dazu! 10 Ideensammler Platz, um Ideen und Dinge aufzubewahren, die ich aus meinem inneren Antrieb heraus sammle Wie werden Sie die Informationen filtern und sammeln? Ideen für stärkenorientierte Führung Was sind die Herausforderungen und Schwierigkeiten im Alltag? Die Herausforderungen liegen zweifellos darin, auf der einen Seite neue Welten mit der stärkenorientierten Brille immer wieder zu entdecken. Das fängt mit der Reflektion über die eigenen Stärken an und geht weiter über das individuelle Potenzial, das in jedem Mitarbeiter steckt und wertgeschätzt werden sollte. Das wird auch untermauert durch unsere Sozialisierung im Rahmen unseres existierenden Schulsystems (x Fehler = Note y). Auf der anderen Seite gibt es nicht akzeptable Schwächen, die zu beheben sind. Dazu gehören beispielsweise Störungen im Umfeld durch ständige provozierte Konflikte. Auch die vermeidbaren Kosten, die immer wieder durch Fehlleistungen der Mitarbeiter entstehen, sind anzupacken. Schon alleine aus dem Blickwinkel heraus, dass keine weitere Energievergeudung stattfindet. Für zukünftige Entwicklungsprogramme, die auf Stärkenorientierung setzen, sollte neben dem Kennenlernen eigener Stärken - gleichzusetzen mit einem Heimspiel im Sinne von „hier fühle ich mich wohl, hier bin ich zuhause“ - auch auf eine Integration nicht so stark ausgeprägter Verhaltensweisen - gleichzusetzen mit einem Auswärtsspiel im Sinne von „das kostet mich Überwindung und ist außerhalb meines gewohnten Rahmens“ - gesetzt werden. Es ist also nicht nur das Heimspiel im Bereich der Stärken wichtig, sondern auch das Auswärtsspiel, die der handelnden Person durch eigene Ausübung noch nicht vertraut sind. Denn: Eine Meisterschaft wird nur dann erreicht, wenn auch Auswärtsspiele gewonnen werden. 310 Udo Krauß und David Liebnau uvk-lucius.de/ fuehren Das kann konkret reflektiert und eingesetzt werden durch das SYNK Stärkenmischpult. Ein Mischpult dient in der Tontechnik der Zusammenführung verschiedener Signale, damit ein Musikstück hörenswert ist und seine individuelle Note bekommt. Überträgt man diesen Ansatz auf die Stärkenorientierung, könnte jeder Mitarbeiter seine individuelle Note erhalten, die jeweils abhängig von der Situation, der Führungskraft und dem beteiligten Mitarbeiter ist. Es wird Herausforderungen außerhalb der Komfortzone in der täglichen Arbeit geben, die Mitarbeiter dazu anregen, ihr Handlungsrepertoire zu erweitern. Sie verlassen ihre Komfortzone durch das Beimischen weiterer Handlungen, die nicht zu den persönlichen Stärken zählen. Das kann je nach Situation zu mehr Effektivität im Tun führen. Es lohnt sich gerade in dem Umfeld von Hochleistungsteams auf die Stärkenorientierung zu setzen. Wir erleben bei einem adäquaten stärkenorientierten Einsatz eine Leichtigkeit im Tun der Mitarbeiter, eine hohe Wirksamkeit ihrer Arbeit und einen „Flow“ der besonderen Art durch eine gute Energiebilanz. Daneben nehmen das Verständnis füreinander, der Respekt und die Anerkennung untereinander zu und die Bindung zum Unternehmen steigt (vgl. Blessin & Wick, 2014: 356-357). Und, was zeichnet Hochleistungsteams letztendlich aus: Sie haben eine hohe Anziehungskraft auf andere. Und das führt in unserem Falle zu weiteren interessanten Bewerbungen. Was sagen unsere Mitarbeiter azu? „Meine tägliche Arbeit mit den Kollegen gewinnt durch den stärkenorientierten Ansatz deutlich an Attraktivität. Ich erlebe die Kreativität jedes Einzelnen. Als Mitarbeiter erlebe ich Wertschätzung und Wertschöpfung durch ein stärkenorientiertes Feedback meiner Führungskraft. Das Ergebnis für alle Beteiligten aus meiner Sicht ist Exzellenz pur - das macht richtig Freude.“ Dr. Martin Friedrich, Senior Manager, SYNK GROUP Stärkenorientiertes Führen von Hochleistungsteams 311 Literatur Asplund, J., Agrowal, S., Lopez, S. J., Hodges, T. & Harter, J. (2014). The Clifton StrengthsFinder® 2.0 Technical Report: Development and Validation. The Gallup Organization, Princeton, NJ. S. 23/ 24. Blessin, B. & Wick, A. (2014). Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK. Buckingham, M. & Clifton, D. C. (2011). Entdecken Sie Ihre Stärken jetzt. (4.A.) Campus- Verlag, Frankfurt am Main, New York. Autor-Kurzprofile Udo Krauß ist Managing Partner der SYNK GROUP mit Sitz in Stuttgart. David Liebnau ist Senior Manager und Managing Director Berlin der SYNK GROUP. uvk-lucius.de/ fuehren 8.4 Leading a Global Recruiting Project within a Virtual Team Structure by Kimberly Maucher-Lynch As market leader in enterprise application software, SAP SE (NYSE: SAP) helps companies of all sizes and industries run better. Founded in 1972, SAP (which stands for “Systems, Applications and Products in Data Processing”) has a rich history of innovation and growth as a true industry leader. Today, SAP is present in more than 180 countries. SAP applications and services enable more than 253,500 customers worldwide to operate profitably, adapt continuously and grow sustainably. Recruiting is intrinsically on the pulse of any strategic initiative. At SAP, talent acquisition is very close to the core of the business since the recruiting function sources and hires the talents who will be developing, selling and improving the company’s software in the future. Each new recruitment initiative drives a project that needs staffing, a new product or an innovative new marketing angle which SAP is taking on. Because of this, every new recruiting project is a behind-the-scenes view of what’s new and in focus for SAP. It is a unique look into the company‘s strategy and how it develops over time. In 2012, SAP management entrusted Talent Acquisition with the building of a new global team to further develop the strategy on products and usability. The challenge: to source, attract and sign 44 top talents globally with a niche profile. The project brief offered total flexibility on the location of the talents and dictated that SAP will hire for the best candidate, wherever they should be. Berlin, New York, Buenos Aires and Singapore were initially defined as likely locations for sourcing the desired talent. Any other location with 2 or more strong candidates would be considered. The start date for all talents: as soon as possible. The customer line of business required project coordination and monitoring across all locations. A global project manager was appointed. Due to the global nature of the project, the project manager assembled a team across several market units and several continents. This case deals with the particularities of running a project with a virtual team. In particular, the following topics will be highlighted: [1] Considerations in assembling a virtual team [2] Managing time differences and ensuring open communication [3] Project time lines and regional labor considerations [4] Reporting and project controlling Considerations in assembling a virtual team The initial task to solve was the building of a team across time zones. Because of the project complexity, the goal was to ensure local recruiting coverage in all relevant markets while optimizing the efficiencies of a global organization. Project staffing followed analog to the focus locations of Berlin, New York, Buenos Aires and Singapore. The project lead divided team tasks and roles into four sectors, which were: Leading a Global Recruiting Project within a Virtual Team Structure 313 uvk-lucius.de/ fuehren Global Project Supervision & Management Operative Recruiting Consultants Shared Service Delivery Topical Experts In connection with these, the following key roles were established to ensure comprehensive project coverage: Client-Facing Recruiters (CFRs), Sourcing Recruiters (SRs) and Shared Service Center Process Specialists (HRSC). Experts from the HR Business Partner (HRBP) community as well as internal compensation and legal experts were consulted on specific hires on an as-needed basis. Each role included specific tasks in the context of the project scope. Sourcing recruiters led attraction activities and drove candidate generation. Consultative recruiting activities, by contrast, were consolidated within the client-facing recruiting function. Client-facing recruiters focused on tasks requiring specific local knowledge of labor law and on consulting hiring managers on topics specific to their regions. Additionally, Client-Facing Recruiters covered tasks associated with interviews, contract negotiation and collaboration with the Works Council in addition to stakeholder management for the hiring manager. Administrative tasks which could be consolidated in one function took place in the Shared Service Center. These included contract creation and interview scheduling logistics. Human Resources Business Partners and topical experts provided guidance and expertise in specific areas which required specialist knowledge including labor law matters or country-specific compensation topics. Global project supervision was covered by the established global project manager. This role included stakeholder and resource management, as well as controlling topics. Sourcing Recruiters, CFRs and the HRSC closely partnered on each project hiring. Project team members in each of the focus locations were gleaned from the already existing global Talent Acquisition organization. One key staffing issue was harmonizing the incoming, project-specific workload to the already-existing work-loads for the recruiters in their home country markets. A requisition load of circa 25 per recruiter was defined as ideal. Varying workloads in the project focus markets emphasized the need to balance project demands with regional recruiting initiatives. A solution was found in leveraging the flexibility of the team’s global structure, as the project lead secured additional resources through “lending” of under-capacity recruiters from other teams and geographical areas. Since recruiting processes were standardized globally, “lent“ recruiters were able to swiftly take on requisitions and contribute to the project. Additionally, the integration of sourcing resources, and increased Shared Service Center (HRSC) involvement, closed the remaining resource gaps to build the complete team. The division of tasks leveraged the benefits of a virtual team and allowed a seamless service delivery across the global organization. This engagement model also allowed for a transparent division of tasks which enabled each project team member to focus intensely on a specific delivery work package and to become a specialist in his or her area of expertise. Because the final hiring locations were to be contingent on the locations of the talent found, it was essential to have a team structure prepared to operate across the globe. Team members could potentially service other geographies than their home market, which offered an additional measure of flexibility to support hiring in other countries, if needed. The virtual integration of HRSC colleagues also brought a positive training effect to the organization, as it offered an opportunity to up-skill shared service colleagues interested in developing their skills toward a client-facing 314 Kimberly Maucher-Lynch uvk-lucius.de/ fuehren recruiter role. Training and guidance was provided to these recruiters-in-training through the project’s head sourcer and the project lead prior to the initiative’s kick-off. Managing time differences and ensuring open communication The time zone difference and distance between the virtual team members’ locations also presented a hurdle to be mastered. Because team members were based on several different continents, specific measures needed to be established to ensure an optimal exchange. Cost of use and flexibility were the principle criteria for selecting a communication strategy. A solution was found in optimizing the benefits of virtual communication and creating options for team members to communicate easily and flexibly. A virtual conferencing platform featuring country-specific dial-in numbers was chosen which offered a speaking platform and desktop-sharing capabilities. A chat function and the option to record a session furnished the team with additional capabilities to conduct constructive meetings without needing to be present in the same room. Following the choice of conferencing equipment, scheduling considerations moved into focus to ensure an optimal exchange structure. Telephone conferences and communications needed to be scheduled at times possible for colleagues in the Americas, APJ (Asia-Pacific-Japan) and in EMEA (Europe, Middle East & Africa). The main challenge was to harmonize planning for virtual meetings between colleagues in the United States and in the APJ (Asia Pacific Japan) region, as this represented the widest time zone distance. The use of “dial-in conferences” helped ease this issue, as colleagues could dial in irrespective of their location via use of a conference code and PIN. Project team members were thus free to work flexibly and to join calls at a location which best fit for them at the appointed time. In every instance, times were set to be as convenient for all parties as possible. In exceptional cases, team members were asked to attend conferences earlier or later than the standard work day in their time zone. The project lead ensured an even distribution of such requests, so that the burden did not fall particularly heavily on one team. Project time lines and regional labor considerations An additional hurdle related to project time lines and regional labor considerations. Candidate notice periods varied by country and each market faced challenges in candidate availability due to holiday periods in those locations. These could be weeks at a time which lengthened the planned time to fill accordingly. The customer line of business needed a seamless opportunity to continue conversations with interested candidates wherever they were available. To achieve this, the project lead developed a global candidate sharing platform, where recruiters could connect with other HR colleagues to organize interviews and drive the process in remote locations. Hiring managers thus enjoyed access to virtual interview opportunities via SAP’s network of offices worldwide. This flexibility significantly lowered the time to hire in several countries and leveraged the benefits of a virtual team structure. Although global in nature, the recruitment project consistently demanded regional expertise on a variety of topics relating to local labor law and employment. Each country had a unique recruitment environment encompassing candidate notice periods, contractual topics and cooperation with worker’s councils. For this reason, it was crucial for recruiters hiring virtually from market units other than their own to have access to local expertise. In this project scenario, regional Human Resources colleagues (Hu- Leading a Global Recruiting Project within a Virtual Team Structure 315 man Resources Business Partners), as well as Mobility and Legal specialists collaborated with the recruiters abroad. In this way, recruiting resources could be flexibly employed wherever needed while ensuring adherence to the local market requirements. RReporting and project controlling An important challenge involved reporting and project controlling. The virtual nature of the project team and its stakeholders made it necessary to keep a constant and transparent flow of communication throughout the initiative. Particularly at the beginning of the initiative, it was necessary to ensure a common understanding of goals, milestones and project scope. To this end, the project lead developed a detailed communication plan including the following elements: A pre-kick-off meeting between the client organization’s executive sponsor and the recruiting Project Lead A kick-off teleconference with all stakeholders from the business and the recruiting organization A weekly “round up” call with all client-facing and sourcing recruiters A weekly call between the project lead and the business executive sponsor A weekly progress report prepared by the project lead for the executive sponsor including candidate pipeline details, progress to date and key updates All stakeholders agreed to the engagement plan and a common communication platform prior to the project start. The kick-off meetings with the executive sponsor and the recruiting project team created a forum for all project participants to connect virtually. Client-facing and sourcing recruiters indicated an interest in a regular exchange with the business. This resulted in a biweekly update call with the business and the recruiting organization and allowed recruiters a unique view into the workings of the department to be built up. In a final debriefing, the customer line of business expressed their support for the virtual global team model and advised that they felt it added value to the quality of the search project. Specifically, business stakeholders advised that having local recruiters with location-specific talent market intelligence was a benefit to them, as was having a global team with the flexibility to cover various talent markets across different continents. Author Kimberly Maucher-Lynch is a Senior Talent Advisor and Talent Acquisition Lead at SAP SE in Walldorf, Germany. In this role, she drives recruitment initiatives across the technology space and advises management on talent topics across SAP. In 2014 and 2015, Ms. Maucher-Lynch moved to the SAP MENA offices in Dubai, where she focused on training and development programs in Saudi Arabia, Oman, Jordan, the United Arab Emirates and Kenya. Prior to this, Ms. Maucher-Lynch spearheaded large-scale recruitment projects in an international personnel consultancy focusing on the telecommunications and IT sectors. Outside of her role as Talent Acquisition Lead, she is a mentor for social start-ups and runs a cross-company mentoring program for current and aspiring managers. Ms. Maucher-Lynch holds a B.A. from Colgate University, New York, USA, and an M.B.A. from the University of Mannheim, Germany. uvk-lucius.de/ fuehren 8.5 Führung im Wandel durch Veränderungen der Aufbau- und Ablauforganisation im Vertriebsbereich der Hamburger Hochbahn AG von Dirk Bestmann und Aldona Kihl Die HOCHBAHN ist ein nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen organisiertes und geführtes Unternehmen, das sich im Besitz der Freien und Hansestadt Hamburg befindet. Mit rund 4.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und über 1,2 Millionen Fahrgästen täglich ist sie das zweitgrößte Nahverkehrsunternehmen Deutschlands sowie das größte Verkehrsunternehmen im Hamburger Verkehrsverbund (HVV). Der Bereich Vertrieb und Verkehrswirtschaft mit rund 200 Mitarbeitern ist innerhalb der Hochbahn für die Information der Fahrgäste sowie den Vertrieb von Nahverkehrstickets über unterschiedliche Kanäle - von der Servicestelle über den Fahrkartenautomaten bis zur App - zuständig und hat die Aufgabe, die Erlöse des Unternehmens durch Maßnahmen des Absatzmarketing und der Produktentwicklung zu steigern. Dabei kommt in den letzten Jahren der Entwicklung innovativer multimodaler Mobilitätsprodukte („switchh“) eine besondere Bedeutung zu. Ein Teil der Aufgaben wird unter der Marke des HVV erbracht. Ausgangssituation Der Bereich Vertrieb und Verkehrswirtschaft wurde durch die neue Unternehmensstrategie „HOCHBAHN 2030“ zu einem Schlüsselbereich bei der Erreichung der neuen Unternehmensvision „Intelligente Mobilität für eine lebenswerte Zukunft“ und der übergreifenden strategischen Zielsetzung „Steigerung der Fahrgastzahlen“. Damit war die Übernahme neuer und die Intensivierung vorhandener Aufgaben verbunden. Dies sowie das erhebliche Wachstum an Nachfrage und Mitarbeiteranzahl machten einen grundlegenden Veränderungsprozess erforderlich, weil die bestehenden Strukturen für diese Herausforderungen nicht ausgelegt waren und zu Problemen insbesondere für die Führungskräfte führten. Diese waren dadurch gekennzeichnet, dass Führungsaufgaben vernachlässigt und die Bearbeitung strategischer Fragestellungen durch operative Anforderungen verdrängt wurden. Ausgehend von den strategischen Anforderungen wurde in einem längeren Analyseprozess die Entscheidung für ein neues Organisationsdesign des Bereiches getroffen. Die neue Bereichsstruktur hat im Ergebnis den Aufbau, wie in der folgenden Grafik gezeigt. Entsprechend des Organisationsdesigns sind in der neuen Bereichsstruktur folgende Führungsrollen abgebildet (Aufzählung in hierarchischer Reihenfolge): Bereichsleitung Fachbereichsleitungen und Stabsstellenleitungen (mit Berichtslinie an die Bereichsleitung) Sachgebietsleitungen (mit Berichtslinie an die Fachbereichsleitung) Teamleitungen (mit Berichtslinie an die Sachgebietsleitung) Führung im Wandel durch Veränderungen der Aufbau- und Ablauforganisation 317 uvk-lucius.de/ fuehren Aufbau Bereichsstruktur Ziele des Change Management-Prozesses Im März 2014 hatte das neue Organisationsdesign im Bereich Vertrieb und Verkehrswirtschaft das „go live“. Die Führungskräfte und Mitarbeiter waren in ihren neuen Rollen, in ihren neuen Fachbereichen, in ihren neuen Teams. Die Veränderung wurde ab diesem Zeitpunkt in der alltäglichen Zusammenarbeit merkbar. Das Alte, die alte Struktur und Form der Zusammenarbeit gehörten ab diesem Tag der Vergangenheit an und das Greifen der neuen Struktur, die neuen Rollen - vor allem in der Führung - die neuen Formen der Zusammenarbeit innerhalb der Fachbereiche und an den Schnittstellen waren in der Entwicklung begriffen. In diese Phase der Implementierung war der gesamte Change Management-Prozess eingebettet. Die Ziele für die Change Management-Begleitung waren folgende: Ausarbeitung der für die strukturelle Veränderung notwendigen Veränderungen auf der Ebene der Zusammenarbeit, u. a. die Bearbeitung der Frage „Welche neuen Formen der Kommunikation braucht die neue Ablauforganisation? “ Ausarbeitung und Schärfung der Anforderungen an Führung; Etablierung neuer Kommunikations- und Kooperationsmuster in der Führung Definition von Schnittstellen der Zusammenarbeit in der neuen Ablauforganisation mit dem Fokus auf die Zusammenarbeit innerhalb der jeweiligen Fachbereiche und der Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichen Verankerung der für die einzelnen Fachbereiche in der neuen Ablauforganisation definierten Kompetenzfelder (Kundenorientierung, Effizienzorientierung, konzeptionelle/ analytische Orientierung) und des Zusammenspiels dieser Kompetenzfelder auf der Bereichsebene Zusammenführung neuer Teams und Verankerung der Notwendigkeit des Bereichsumbaus bei allen Mitarbeitern des Bereiches. 318 Dirk Bestmann und Aldona Kihl uvk-lucius.de/ fuehren Der Beratungsprozess und -ansatz Der Beratungsprozess und somit die Begleitung der Implementierung des Bereichsumbaus erstreckte sich über das gesamte Jahr 2014. Die Themen, die es zu bearbeiten gab, wurden in verschiedenen Workshops in unterschiedlicher Zusammensetzung bearbeitet. Es wurde auf der Ebene der Bereichsleitung gearbeitet, auf der Ebene der Fachbereiche und auf der Ebene der Teams in den jeweiligen Fachbereichen. Ausgehend davon, dass man den Veränderungsprozess eines Organisationsumbaus nicht im Detail durchplanen kann, war die Begleitung des Change-Prozesses so aufgebaut, dass seine Veränderung im zeitlichen Verlauf der Implementierung möglich wurde. Der Fokus war auf das Lernen im Prozess anlegt. Iterativ, im zeitlichen Verlauf und unter Einbeziehung erster Erfahrungen in der Zusammenarbeit in der neuen Bereichsstruktur wurden die Rollenanforderungen - insbesondere die Anforderungen an Führung - ausdifferenziert und die Anforderungen an die Gestaltung der Zusammenarbeit innerhalb und an den Schnittstellen der drei Fachbereiche ausgearbeitet. Der Beratungsansatz im Change und die Rolle der Führungskräfte Organisationen finden ihre Manifestation in gewachsenen Entscheidungsprämissen, die sich in Strategien, organisationalen Strukturen, Ablaufregelungen, personellen Verantwortlichkeiten und kulturellen Mustern wieder. Führung steht vor der Herausforderung, die gewachsenen Entscheidungsprämissen an die zukünftigen Anforderungen ihrer relevanten Umwelten (Markt, Kunden, Wettbewerb, Regulierungen, technologische Anforderungen, gesellschaftliche Trends usw.) anzupassen. Beratung unterstützt die Führung von Organisationen bei diesen Transformationsprozessen durch die Ermöglichung von sinnvollen Alternativen und durch die Unterstützung bei der Implementierung neuer Entscheidungsprämissen. Im Zentrum der Beratung steht die Unterstützung der Führung in drei Dimensionen: In der Sachdimension geht es um die angemessene Ausarbeitung und Klärung der Grundfragen des aktuellen Anliegens, um das strategische Zukunftsbild und um die Klarheit der unternehmerischen und organisationalen Weichenstellungen. In der Sozialdimension geht es um die Frage, wie das Führungssystem hinreichend Stabilität und notwendige Veränderungen im Unternehmen gestalten kann. Welche Kommunikationsarchitekturen und Aushandlungsprozesse sind dafür notwendig? In der Zeitdimension geht es um die Frage einer bewältigbaren Dramaturgie des Gesamtprozesses. Unterschiedliche Intensitäten der Betroffenheit bedürfen ebenso der Synchronisierung wie geschäftliche Unternehmensabläufe mit der Implementierung des Neuen. Change Beratung ist eine Unterstützungsfunktion für die Entwicklung einer „organizational capability“. Sie fokussiert auf das organisationale Lernen und die damit verbundene Erhöhung von Flexibilität und Spannkraft des Unternehmens als Ganzes. Die eigene Leistungsfähigkeit wird durch Routinen stabilisiert und gleichzeitig werden Routinen entwickelt, um diese wieder aufzulösen. Change Beratung zielt vor allem darauf ab, das Führungssystem in wechselseitiger Kooperation und Kommunikation zu entwickeln und dabei Beobachtungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit zu stärken (Wimmer, Glatzel & Lieckweg , 2014). Führung im Wandel durch Veränderungen der Aufbau- und Ablauforganisation 319 uvk-lucius.de/ fuehren Führungskräfte können bei Veränderungen in Organisationen unterschiedlich aktive Rollen annehmen. Sie müssen sich zum einen an die Veränderungen in Organisationen und die veränderten Anforderungen an ihre Rolle anpassen. Des Weiteren spielen sie eine wichtige Rolle dabei, die geplanten Veränderungen umzusetzen. Sie gestalten die Veränderungen zielgerichtet und haben die Aufgabe, ihre Mitarbeiter in dieser Hinsicht anzuleiten und mitzunehmen. Und zuletzt können Führungskräfte diejenigen sein, die Veränderungen initiieren. Sie können Kraft ihrer Funktion den Wandel anordnen und umsetzen lassen (Blessin & Wick, 2014). Mary Beth O’Neill (in Cameron & Green, 2012) identifizierte vier Führungsrollen, die für erfolgreichen und nachhaltigen Change in Organisationen entscheidend sind: [1] Sponsor: ist in seiner Führungsrolle befähigt, die Veränderungen anzustoßen und möglich werden zu lassen. Er hat in seiner Funktion die Kontrolle über die Ressourcen und muss eine klare Vision für die Veränderung haben. Er identifiziert Ziele und messbare Ergebnisse. [2] Implementer: berichten an den Sponsor und sind diejenigen Führungskräfte, die die Veränderung implementieren. Sie sind dafür verantwortlich, dem Sponsor Feedback zum Prozess der Umsetzung zu geben. [3] Change Agents: sind die Umsetzer der Veränderung. Sie unterstützen den Sponsor und die Implementer in der zielgerichteten Ausrichtung des Veränderungsprozesses. [4] Advocate: Führungskräfte, die eine Idee haben und einen Sponsor benötigen, um diese wirksam werden zu lassen. Die Prozessarchitektur Die Architektur des Projektes sollte in erster Linie „fixe Räume für Freiräume“ schaffen (Königswieser & Exner, 2008) und eine Beobachtung der eingespielten Eigendynamik ermöglichen. Sie sollte dafür sorgten, dass während des ersten Jahres der Zusammenarbeit in der neuen Bereichsstruktur fixe Zeiten eingeplant sind, in denen Raum für Beobachtung, Reflexion, neue Sichtweisen und schrittweises Verstehen und Gestalten der Veränderung gegeben waren. Das Ziel war, eine Gesamtentwicklung zu fördern und die Implementierung der neuen Bereichsstruktur sowie die Selbststeuerung zu beschleunigen - auch durch die gezielte Aktivierung der Führungsrollen: Sponsor, Implementer und Change Agent. Jede neue Organisationsstruktur stößt auf bereits über Jahre entstandene Muster der Zusammenarbeit, des Führungshandelns von Führungskräften, der Kommunikationsregeln. Die neue Bereichsstruktur rüttelte an diesen eingefahrenen Mustern des Handelns und stellte neue Anforderungen an die Führungskräfte, die Teams, die Zusammenarbeit an den Schnittstellen. Die Architektur des Projektes stellte sicher, dass auf unterschiedlichen Ebenen über die notwendigen Veränderungen im Handeln, in der Führung, in der Gestaltung von Kernprozessen, in der Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen und Teams gemeinsam auf Grundlage der Anforderungen, die sich aus der neuen Bereichsstruktur ergeben, verhandelt wird. Des Weiteren war eine starke Einbindung der Führungskräfte in der Prozessarchitektur berücksichtigt. Keine Organisationsstruktur ist ohne das konkrete Führungshandeln von Führungskräften denkbar. Führung verbindet und steuert das Zusammenspiel der einzelnen Gestaltungselemente des 320 Dirk Bestmann und Aldona Kihl uvk-lucius.de/ fuehren Designs. Wenn ein Organisationsdesign seitens der Führung nicht unterstützt, beobachtet und korrigiert wird, dann bleibt es ein formales und weitgehend wirkungsloses Konstrukt (Nagel, 2014). In der neuen Bereichsstruktur waren neue Anforderungen an Führung impliziert. Diese wurden sowohl auf der Bereichsebene als auch auf der Fachbereichsebene mit den teilnehmenden Führungskräften bearbeitet. Projektarchitektur In der Implementierung des Change waren die unterschiedlichen Führungsrollen im Change-Prozess in der Architektur berücksichtigt. Der Bereichsleitung war die Rolle des Sponsors zugeschrieben. Er hat den Change möglich gemacht und hatte eine Vision für das zukünftige Agieren in der neuen Bereichsstruktur. Die Fachbereichsleitungen hatten die Verantwortung aus der Rolle der Implementer zu agieren und dem Sponsor während des gesamten Implementierungsprozesses fortlaufend Rückmeldung zum Prozess der Umsetzung zu geben. Die Sachgebietsleitungen und Teamleitungen waren in der Rolle des Change Agents für die schrittweise Umsetzung der Veränderung verantwortlich. In den Workshops auf der Bereichsebene waren der Sponsor und die Implementer vertreten. In den unterschiedlichen Rollen haben sie bei allen Themen, die es zu bearbeiten galt, die Entwicklung des gesamten Bereichs im Blick. Die Teilnehmer dieser Workshops waren: der Bereichsleiter, die Fachbereichsleiter sowie die Stabsstellenleiter. Die Workshops auf der Fachbereichsebene hatten die Entwicklung der neu entstandenen Fachbereiche im Blick. Hier agierten die Fachbereichsleitungen in der Rolle der Implementer und befähigten die Sachgebietsleitungen und die Teamleitungen die Rolle der Change Agents auszuführen. Jede der drei Fachbereiche hat im ersten Abschnitt der Implementierungsphase mit der Führungsmannschaft des eigenen Fachbereiches gearbeitet. Die Teilnehmer des Workshops waren: die jeweilige Fachbereichsleitung, die Sachgebietsleiter sowie die Teamleiter. Die Workshops auf der Teamebene hatten die Entwicklung in den neu zusammengesetzten Teams mit teilweise neuen Führungskräften in allen drei Fachbereichen im Führung im Wandel durch Veränderungen der Aufbau- und Ablauforganisation 321 uvk-lucius.de/ fuehren Blick. Hier waren die Teamleitungen in der Rolle der Change Agents für die Umsetzung der Veränderungsvorhaben auf Mitarbeiterebene verantwortlich. Die Ergebnisse und Erkenntnisse aus den Fachbereichs-Workshops und Team- Workshops wurden in den Bereichs-Workshops vergemeinschaftlicht, so dass während des gesamten Change-Prozesses eine Beobachtung der Gesamtentwicklung möglich wurde und zu unterschiedlichen Zeiten eine Evaluation des Fortschrittes in der Implementierung der neuen Bereichsstruktur stattfand. Zusätzlich wurde der gesamte Prozess durch eine externe Beraterin gesteuert, was sicherstellte, dass die Entwicklung und der Fortschritt in der Umsetzung vom Beratersystem ebenfalls beobachtet werden konnte. Change Management-Prozess - Fokus Führung im Wandel: Workshops & Coaching Workshops auf der Bereichsebene Die Workshops auf der Bereichsebene waren als Intervention an zwei Zielen ausgerichtet. Zum einen ging es um die aktive und prozesshafte Steuerung des Change- Prozesses mit dem Ziel, die Implementierung der neuen Bereichsstruktur zielgerichtet voranzutreiben und alle notwenigen Veränderungen in den Blick zu nehmen und einzuleiten. Zum anderen ging es um die Bildung einer wirksamen Führungskoalition auf der Bereichsebene. Insbesondere die neu geschaffene Rolle der Fachbereichsleitung hat in ihrer Führungsverantwortung eine zweifache Ausrichtung: die Führung des eigenen Fachbereiches auf der einen Seite und Verantwortung für die gemeinsame Entwicklung des Gesamtbereiches auf der anderen. Die Workshops auf der Bereichsebene haben die Anforderungen an die Rolle der Fachbereichsleitung aktiv adressiert und deren Implementer Rolle im Change-Prozess aus der Führungsfunktion heraus fokussiert. Im Workshop 1 auf der Bereichsebene wurde zunächst die aktuelle Situation in der neuen Bereichsstruktur reflektiert und in die Beobachtung genommen. Im nächsten Schritt wurden Messkriterien zur Evaluation der Implementierung der neuen Bereichsstruktur erarbeitet. Es ging um die Beantwortung der Frage: „Was haben wir in einem Jahr erreicht, was ist dann anders und woran messen wir diese gewünschte Entwicklung? “. Ziel war es, Messkriterien für den Weg zu finden, die es möglich machen, während des gesamten Change-Prozesses die Veränderung auf den gewünschten Zustand hin zu steuern. Des Weiteren wurde eine Standortbestimmung für den Bereich auf Kompetenzebene vorgenommen. Ausgehend von den Anforderungen des neuen Organisationsdesigns wurde gemeinschaftlich entwickelt, welche bereits vorhandenen Kompetenzen des Bereiches weiterhin bleiben, weil sie auch in der neuen Organisationsstruktur ihre Wirksamkeit entfalten und eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg des Bereiches bilden. Des Weiteren wurde gemeinschaftlich verhandelt, welche Handlungsfelder, Kompetenzen, Aspekte auf- und ausgebaut werden müssen, damit die neue Bereichsstruktur und die mit ihr verbundenen Optimierungen tatsächlich erreicht werden können. Hier wurde die notwendige Veränderung im Führungshandeln deutlich. In Bezug auf Führung waren die definierten Handlungsfelder folgende: größere Verantwortung in die nachfolgende Führungsebene geben (Ebene der Sachgebietsleitungen), diese in strategische Entscheidungen einbinden und damit mehr strategischer Kompetenz in 322 Dirk Bestmann und Aldona Kihl uvk-lucius.de/ fuehren dieser Führungsebene entwickeln. Ferner galt es, auf gleicher Führungsebene (Sachgebietsleitungen und Teamleitungen) an den Schnittstellen gemeinsam Lösungen aushandeln zu können auch ohne Einbeziehung der nächsthöheren Führungsebene. Es wurden die Erwartungen an Führung für die nachfolgende Führungsebene (Sachgebietsleitung und Teamleitung) ausgearbeitet. Die Anforderungen konzentrierten sich auf drei Dimensionen, die für das Führungshandeln in der neuen Bereichsstruktur entscheidend waren: Verantwortung übernehmen, strategisch denken und handeln sowie Mitarbeiter führen. Diese drei Dimensionen wurden durch zahlreiche Verhaltensbeispiele operationalisiert. Im Workshop 1 der Bereichsebene wurde gemeinschaftlich entschieden, wie die erarbeiteten Themen durch die Fachbereichsleiter in ihrer Rolle als Implementer im Change in die nachfolgenden Workshops auf der Fachbereichsebene transportiert werden. Insbesondere wurden die Erwartungen an Führung und die hier notwendige Veränderung im Führungsverhalten sowie die Messkriterien zur Evaluation der Implementierung in die nächste Führungsebene einheitlich transportiert. Des Weiteren wurde beschlossen, dass der Bereichsleiter in seiner Rolle als Sponsor im Change bei allen Workshops auf der Fachbereichsebene zum Abschluss dazu kommt, um direkt ein Feedback zum Workshop von den teilnehmenden Führungskräften zu erhalten und die Vision des Change auf die nächsten Ebenen zu transportieren. Im Workshop 2 auf der Bereichsebene wurden zunächst die Ergebnisse aus den Fachbereichs-Workshops vergemeinschaftlicht. Auf Grundlage der Ergebnisse wurden erforderliche Maßnahmen für die weitere Implementierung der neuen Bereichsstruktur abgeleitet. Hier waren die Fachbereichsleiter in ihrer Rolle als Implementer aktiv - sie waren dafür zuständig, Feedback an den Sponsor (= Bereichsleiter) zu geben und zu berichten, wie der gesamter Implementierungsprozess der neuen Bereichsstruktur verläuft. Im nächsten Schritt wurden die Messkriterien zur Evaluation der Implementierung der neuen Bereichsstruktur konkretisiert. Hier wurden Instrumente festgelegt, mit denen die jeweiligen Kriterien erhoben werden können und nächste Schritte für die Umsetzung festgelegt. Zum Beispiel wurde gemeinschaftlich beschlossen, eine Rückmeldung von allen Führungskräften zum Thema Arbeitsbelastung einzuholen. Ziel der neuen Bereichsstruktur war, die Arbeitsbelastung der Führungskräfte zu reduzieren. Es wurden zusätzliche Führungsstellen und Funktionen eingeführt, mit dem Ziel, die operative Last zu verteilen, so dass Führungskräfte bestimmter Ebenen sich mehr den strategisch relevanten Themen im eigenen Verantwortungsbereich zuwenden können. Die Erhebung zu der subjektiv empfundenen Arbeitsbelastung hat im Rahmen von Interviews mit einem bereichsfremden Interviewer stattgefunden und ist während der Implementierungsphase mehrmals durchgeführt worden. Ferner ging es um die Schärfung der Anforderungen an Führung. Hier wurde der Fokus auf die Ebene der Bereichsleitung gelegt und gemeinschaftlich die Notwendigkeit zur eigenen Veränderung reflektiert, orientiert an der Frage: Was müssen wir auf unserer Ebene verändern, damit die Erwartungen an die nächste Führungsebene erfüllt werden? Im weiteren Verlauf des Workshops wurde die Kompetenzentwicklung des Bereiches mit Blick auf die drei in der Bereichsstruktur definierten Kompetenzfelder reflektiert: Kundenorientierung, Effizienzorientierung und analytische/ konzeptionelle Orientie- Führung im Wandel durch Veränderungen der Aufbau- und Ablauforganisation 323 uvk-lucius.de/ fuehren rung. Hier wurde die aktuelle Ausprägung dieser Kompetenzen eingeschätzt und die Nutzung dieser Kompetenzfelder für die Gesamtentwicklung des Bereiches diskutiert. Die Fachbereichsleiter waren hier in ihrer Rolle als Implementer angesprochen und ihre „zweifache“ Verantwortung im Umsetzungsprozess der Veränderung wurde explizit herausgearbeitet: Zum einen haben sie die Aufgabe, die ihrem Fachbereich zugeordnete Kompetenz innerhalb des Fachbereiches weiter zu entwickeln und zum anderen in der Gesamtverantwortung des Bereiches den Blick auf alle drei Kompetenzfelder auszuweiten. Bei gemeinsamen Entscheidungen auf Bereichsebene gilt es nicht nur nach den Prämissen der eigenen Orientierung zu handeln, sondern die Widersprüche der Orientierungen zu bedienen, sie gemeinsam auszuhandeln und auf dieser Grundlage eine gemeinsame Entscheidung zu treffen (z.B. Widerspruch/ Paradoxie: Effizienzorientierung vs. Kundenorientierung). Abschließend wurden die aktuellen Kommunikationswege analysiert (Regelkommunikation, Meetings etc.) und eine Anpassung dieser an die neue Bereichsstruktur vorgenommen. Der Workshop 3 auf Bereichsebene war ein Abschluss-Workshop für den gesamten Change-Prozess in der ersten Phase des Bereichsumbaus. In diesem Workshop wurden die Ergebnisse aus den Team-Workshops vergemeinschaftlicht, die erste Phase der Implementierung evaluiert und nächste Schritte in der Umsetzung der neuen Bereichsstruktur vereinbart. Aus den Team-Workshops und den danach stattgefundenen Fachbereichs-Workshops wurde deutlich, dass es im nächsten Schritt vor allem an einigen Schnittstellen zwischen den Fachbereichen Handlungsbedarf gibt. Insbesondere die Zusammenarbeit zwischen zwei Fachbereichen an der Schnittstelle des Kernarbeitsprozesses „Abonnement“ war nicht zufriedenstellend und zeigte erste negative Auswirkungen in der Qualität der Bearbeitung von Kundenanliegen. Aus der Rollenklärung wurde deutlich, dass an dieser Schnittstelle gemeinsame Entscheidungen getroffen werden müssen (um die beiden Orientierungen zu berücksichtigen: Kundenorientierung und Effizienzorientierung). Hier wurden in der nahen Vergangenheit Einzelentscheidungen auf Fachbereichsebene getroffen (auf Grundlage der eigenen Fachbereichsorientierung). Das alte Muster des Führungshandelns - hierarchische Einzelentscheidungen zu treffen, die nur im eigenen Fachbereich mit der nächsthöheren Hierarchieebene abgesprochen werden - hat in der neuen Bereichsstruktur gewirkt und zu einer erheblichen Störung in der Zusammenarbeit geführt. Unterschiedliche Entwicklungsstände in der Umsetzung der Bereichsstruktur, in der Schärfung und Umsetzung der Anforderungen an Führung, in der Wahrnehmung der Rolle als Implementer oder Change Agent im Change-Prozess wurden durch die Rückmeldungen aus den Team-Workshops und den Fachbereichs- Workshops offen gelegt und dadurch im Führungskreis der Bereichsebene besprechbar. Für den weiteren Weg der Implementierung der Bereichsstruktur wurde der Fokus auf die Bearbeitung der Störungen in der Zusammenarbeit an den Schnittstellen gelegt. Hier war die Bereichsleitung wieder in der Rolle des Sponsors tätig und formulierte - im Sinne einer Vision - eine klare Erwartung an das zukünftige Zusammenarbeiten an den Schnittstellen, angelehnt an die Gesamtvision für die Umsetzung der neuen Bereichsstruktur. 324 Dirk Bestmann und Aldona Kihl uvk-lucius.de/ fuehren Workshops auf der Fachbereichsebene Die Workshops mit den Führungskreisen der jeweiligen Fachbereiche hatten zum Ziel: die neue Zusammensetzung der Fachbereiche zu verankern die Rollen der jeweiligen Fachbereiche im Gesamtzusammenspiel des Bereiches zu schärfen ausgehend von den drei Orientierungen: Kundenorientierung, Effizienzorientierung und analytisch/ konzeptionelle Orientierung die Veränderung in den Führungsrollen zu schärfen und die Anforderungen an Führung in der neuen Bereichsstruktur zu verankern (Veränderung der Führungsrolle Sachgebietsleitung, neue Führungsrolle Teamleitung). Die Fachbereichsleitungen waren hier dabei, ihre Implementer Rolle im Change- Prozess aktiv umzusetzen. Sie waren dafür verantwortlich, die Entscheidungen aus dem Bereichs-Workshop zu transportieren und in den Fachbereichen zu verankern. Insbesondere wurden die Messkriterien für die fortwährende Evaluation des Fortschrittes in der Implementierung der neuen Bereichsstruktur sowie die Anforderungen an Führung durch die Fachbereichsleitung an die nächste Führungsebene transportiert. Im Bezug auf die Führungsrolle wurden die auf der Bereichsebene erarbeiteten Anforderungen an Führung gemeinsam mit den Führungskräften des eigenen Bereiches konkretisiert. Vor allem in zwei Fachbereichen wurde die Veränderung der Führungsrolle Sachgebietsleitung im Workshop sehr deutlich und erstmalig in ihrer gesamten Auswirkung reflektiert. Die Sachgebietsleitung in einem Fachbereich hatte vor der Umstrukturierung eine sehr große Führungsspanne und führte ca. 30 bis 70 Mitarbeiter. In der neuen Bereichsstruktur waren die Sachgebietsleitungen für die Führung der Teamleitungen verantwortlich, haben sich ihrer stark operativen Aufgaben „entledigt“ und haben für sich den Change zu leisten, sich den neuen Anforderungen an ihre Führungsrolle zu stellen, d.h. eine mehr strategische Ausrichtung anzunehmen, Führungskräfte zu führen und somit eine andere organisationale Verantwortung in ihrer Führungsrolle zu übernehmen. Zur Stärkung des Führungsteams auf der Fachbereichsebene wurden im Workshop die gegenseitigen Erwartungen an die unterschiedlichen Führungsebenen ausgetauscht und diskutiert, auch die unterschiedlichen Erwartungen an ihre Rolle in der Umsetzung des Change-Prozesses. Des Weiteren wurde in den Fachbereichs-Workshops an dem Selbstverständnis und der eigenen Rolle als Fachbereich in der neuen Bereichsstruktur gearbeitet. Für diese Ausarbeitung wurden die Kompetenzfelder genutzt, die jedem Fachbereich in der neuen Struktur zugeschrieben worden sind. Es wurde daran gearbeitet, wie die jeweils zugeordnete Kompetenz für die anderen Fachbereiche sichtbar wird und welchen Nutzen sie im Gesamtbereich stiftet. Ferner wurde daran gearbeitet wie diese Kompetenz weiter entwickelt werden kann - was ist heute schon da und was fehlt. Ferner wurde die Regelkommunikation beleuchtet, die in der neuen Struktur notwendig ist. Zum Zeitpunkt der Fachbereichs-Workshops waren noch an vielen Stellen Kommunikationsroutinen der alten Bereichsstruktur auffindbar. Die Führungsteams der Fachbereiche haben im Workshop die notwendigen Regelkommunikationen innerhalb des Fachbereiches und an den relevanten Schnittstellen zu den anderen Fachbereichen definiert. Dies diente ebenfalls der stärkeren Verankerung der neuen Bereichsstruktur. Führung im Wandel durch Veränderungen der Aufbau- und Ablauforganisation 325 uvk-lucius.de/ fuehren Die zweite Runde der Workshops auf Fachbereichsebene diente vor allem der Auswertung der Erkenntnisse aus den Team-Workshops und der Bewertung der aktuellen Entwicklung im Prozess der Implementierung der neuen Bereichsstruktur. Workshops auf Teamebene In den Workshops auf Teamebene waren die Teamleitungen aktiv in ihrer Rolle als Change Agents in der Umsetzung der neuen Bereichsstruktur unterwegs. Insbesondere galt es folgende Themen zu bearbeiten: Verankerung der Notwendigkeit zur Veränderung im Bereich Vertrieb und Klärung der Fragen der Mitarbeiter zur neuen Struktur Teamentwicklung: neue Zusammensetzung der Teams verankern; Austausch zur Erwartung an die Zusammenarbeit zwischen der Führungskraft (die teilweise neu war) und den Mitarbeitern Rückmeldung zur Zusammenarbeit auf Mitarbeiterebene abholen: was funktioniert in der neuen Struktur reibungslos und was nicht? - Handlungsfelder für die weitere Verankerung der neuen Bereichsstruktur ableiten. Für die Führung waren die Workshops auf Teamebene eine wichtige Intervention. Viele der neuen Teamleitungen waren herausgefordert, sich in einem anderen Kontext als dem Arbeitsalltag den Fragen der Mitarbeiter zu stellen und ihre Change Agent Rolle aktiv auszuüben. Coaching Sachgebietsleitung - eine Intervention zur Schärfung des Rollenverständnisses Im Ergebnis der Workshops auf Fachbereichsebene wurde im Change-Prozess eine weitere Intervention für zwei Sachgebietsleitungen eingeführt. In einem Coaching- Prozess galt es an folgender Ausgangssituation der beiden Sachgebietsleitungen zu arbeiten: Veränderungen in den Aufgaben und Anforderungen der Rolle: weg vom operativen Tagesgeschäft hin zu einer stärkeren strategischen Führung des Verantwortungsbereiches Führung von Führungskräften anstatt Führung von Mitarbeitern - Sachgebetsleiter führen in der neuen Struktur jeweils drei Teamleiter Ziel des Coaching-Prozesses war die Schärfung der Anforderungen an die Rolle der Sachgebietsleiter in der neuen Bereichsstruktur sowie die Begleitung der Sachgebietsleiter in der Umsetzung der neuen Rollenanforderungen. Der Coaching-Prozess war wie in der folgenden Grafik gezeigt aufgebaut. In den Workshops wurde vor allem an dem Unterschied zwischen den alten und neuen Anforderungen an die Rolle der Sachgebietsleitung gearbeitet. In den Einzelsitzungen ging es um die Umsetzung der neuen Anforderungen an die Führungsrolle, inklusive der Anforderungen an die Rolle des Change Agents im Umsetzungsprozess der neuen Bereichsstruktur. Hier wurde die Veränderung der persönlichen Strategien, Haltungen, Vorgehensweisen im Führungshandeln in den Fokus genommen. 326 Dirk Bestmann und Aldona Kihl uvk-lucius.de/ fuehren Coaching-Prozess Kritische Phasen Im Verlauf des gesamten Change-Prozesses war Widerstand auf den unterschiedlichen Ebenen aufgetaucht: der individuellen Ebene, der Gruppenebene und der organisationalen Ebene (Blessin & Wick, 2014). Individuelle Ebene: In einem Fall wurde eine Nichtakzeptanz der neuen Führungsrolle sichtbar, die zu starken Unruhen im Team und zu erheblichen Störungen der Zusammenarbeit an Schnittstellen führte. In diesem Fall wurde die Change Agent Rolle von der Führungskraft nicht angenommen und entsprechend umgesetzt. Dies gefährdete die Umsetzung des Change Vorhabens enorm. In einem anderen Fall hat eine Führungskraft durch die Coaching-Intervention für sich die Entscheidung getroffen, dass sie die neuen Anforderungen an die Führungsrolle, die im Verlauf des gesamten Change-Prozesses deutlich wurden nicht tragen kann und will. In beiden Fällen wurden Veränderungen in der Besetzung der Führungsposition vorgenommen. Gruppenebene: In einigen Teams hat sich aufgrund von erfolgten Versetzungen und Veränderungen in der Arbeitsumgebung (Arbeitszeit, Inhalte der Arbeit etc.) starker kollektiver Widerstand gegen die neue Bereichsstruktur aufgebaut. Dies wurde vor allem in den Team-Workshops sichtbar. Hier wurde die Führung in ihrer Change Agent Rolle, oft auf der Ebene der Teamleitung, extrem herausgefordert. Teilweise wurden aus dem Gruppendruck heraus nicht über die Fachbereiche hinweg abgestimmte Entscheidungen getroffen, die zu einem späteren Zeitpunkt revidiert werden mussten, was zu enormen Umsetzungsschwierigkeiten führte. Organisationale Ebene: Eine der größten Veränderungen in der neuen Bereichsstruktur war die Veränderung auf der Ebene der Entscheidungsfindung und den darin implizierten Folgen für die Zusammenarbeit an Schnittstellen zwischen den Fachberei- Führung im Wandel durch Veränderungen der Aufbau- und Ablauforganisation 327 uvk-lucius.de/ fuehren chen. Eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Implementierung der neuen Bereichsstruktur war die Veränderung weg von einer hierarchischen Kommunikation und auf Hierarchie beruhenden Entscheidungsfindung hin zur gemeinsamen Lösungsfindung und Aushandlung. Hier wurde im Verlauf des Change-Prozesses deutlich, dass die alten Muster der Entscheidungsfindung sehr stark in der Organisationskultur verankert sind. Diese führten zu Konflikten in der Zusammenarbeit an Schnittstellen. Es wurden keine gemeinsamen Entscheidungen getroffen, obwohl dies notwendig war, was teilweise gravierende Auswirkungen auf die Qualität des Arbeitsprozesses hatte. Ferner wurde die hierarchieübergreifende Kommunikation von einigen Führungskräften und Mitarbeitern nicht akzeptiert und die unterschiedlichen Orientierungen wurden deutlich im Widerstand sichtbar. Insgesamt hat die neue Bereichsstruktur auch einige, seit Jahren in der Organisation verankerte und nicht bearbeitete Konflikte in der Zusammenarbeit offen gelegt und somit die Führung in ihren jeweiligen Change Rollen und der eigenen notwendigen Veränderung extrem herausgefordert. Wie in vielen Veränderungsprozessen zu beobachten, so wurde auch in diesem Prozess deutlich, dass das Steuern von Veränderung die Führungskräfte zeitlich und inhaltlich sehr beansprucht. Die eingeschliffenen Muster und deren Beharrlichkeit werden erst zu einem späteren Zeitpunkt sichtbar. Somit wurde in der intensiven ersten Phase der Implementierung der neuen Bereichsstruktur die Erwartung an Entlastung für die Führung nicht erfüllt. Die Ergebnisse Zum Abschluss des begleiteten Change-Prozesses waren die Anforderungen an die Führung und die durch die neue Bereichsstruktur notwendigen Veränderungen in der Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichen sowie im Prozess der Entscheidungsfindung im Gesamtbereich vergemeinschaftlicht. In den meisten Teams ist es den Führungskräften gelungen, den Gruppenwiderstand zu bearbeiten und eine wirksame und effektive Zusammenarbeit zu etablieren. Die definierten Messkriterien zur fortwährenden Evaluation des Fortschrittes in der Implementierung der neuen Bereichsstruktur haben sich als sehr wirksam erwiesen. Es wurden mehrere Projekte auf Grundlage dieser Messkriterien etabliert, wie z.B. die Prüfung und Neudefinition der Kernarbeitsprozesse des Bereiches unter Berücksichtigung der neuen Rollenanforderungen für die drei Fachbereiche. Die beobachteten Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen zwei Fachbereichen im Kernarbeitsprozess „Abonnement“ wurden aktiv angegangen. Hier hat die Bereichsleitung klare Erwartungen an die beiden Fachbereichsleiter zur Lösung des Problems gestellt und eine entsprechende externe prozessuale Unterstützung bei der Lösungsfindung angeboten. Insgesamt wurde der partizipative Ansatz und die Beteiligung aller im gesamten Change-Prozess als sehr positiv bewertet. Sie ermöglichte einen gemeinsamen Lernprozess und eine fortwährende Beobachtung der Entwicklung sowie der Wirksamkeit der Führungskräfte in ihren unterschiedlichen Change Rollen. Damit wurden Handlungsfelder sichtbar und ihre Bearbeitung möglich. 328 Dirk Bestmann und Aldona Kihl Fazit Die in der Prozessarchitektur des begleitenden Change-Prozesses angelegten „fixen Räume für Freiräume“ in Form der Workshops auf unterschiedlichen Ebenen haben eine zielgerichtete Steuerung des Bereichsumbaus ermöglicht und unterstützt. Es war ein Lernprozess auf unterschiedlichen Ebenen. Es wurde deutlich, dass die Bereitschaft der Führung zur Veränderung (die Selbsttransformation der Führungskräfte), das Zusammenspiel der Führungskräfte auf und zwischen den einzelnen Hierarchieebenen sowie die Annahme und wirksame Umsetzung der unterschiedlichen Führungsrollen im Change-Prozess die Veränderungsfähigkeit des Gesamtsystems stark beeinflusst. Durch die Interventionen im Change-Prozess wurde der Führung und den Mitarbeitern eine adäquate Unterstützung angeboten. Ein Bereichsumbau ist selten ein linearer sozialer Prozess - so auch die Erfahrung in diesem Fall. Es geht im Prozess der radikalen Transformation darum, die eingespielte Eigendynamik zu beobachten (erfolgte in den Workshops), eine Balance zwischen Bewahren und Verändern zu schaffen, die Selbsttransformation der Führungskräfte zu fördern (Workshops und Coaching) sowie wertschätzend und respektvoll mit unvermeidlichen Veränderungen auf der persönlichen Ebene umzugehen (Nagel, 2014). Literatur Blessin, B. & Wick, A. (2014): Führen und führen lassen (7.A.). UVK, Konstanz und München. Cameron, E. & Green, M. (2012): Making sense of Change Management, KoganPage, London Philadelphia New Delhi. Wimmer, R., Glatzel, K. & Lieckweg, T. (Hrsg.) (2014): Beratung im Dritten Modus - Die Kunst, Komplexität zu nutzen, Carl-Auer Verlag, Heidelberg. Königswieser, R. & Exner, A. (2008): Systemische Interventionen - Architekturen und Designs für Berater und Veränderungsmanager, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart. Nagel, R. (2014): Organisationsdesign, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart. Autor-Kurzprofile Dirk Bestmann ist Bereichsleiter Vertrieb und Verkehrswirtschaft bei der Hamburger Hochbahn AG. Dipl.-Psych. Aldona Kihl ist systemische Organisations- und Managementberaterin und Coach. Sie ist Netzwerkpartnerin der osb international consulting. Seit mehreren Jahren begleitet sie Organisationen in folgenden Beratungsfeldern: Change Management, Leadership Development & Personalentwicklung, Potenzialanalyse, Karriereplanung und Laufbahnentwicklung, strategische Positionierung der HR-Funktion in Organisationen, Coaching und Beratung von Führungskräften zu allen Fragen im Zusammenhang mit Rolle-Organisation-Funktion, Organisationsdesign und Strategie. uvk-lucius.de/ fuehren 8.6 Führung als wesentlicher Faktor zur Gestaltung eines Wandels der Unternehmenskultur von Karl-Heinz Reitz und Roman Schachtsiek Unitymedia mit Hauptsitz in Köln ist aktuell mit etwa 2.600 Mitarbeitern nach Umsatz der größte Kabelnetzbetreiber in Deutschland und eine Tochtergesellschaft von Liberty Global. Das Unternehmen erreicht 12,5 Millionen Haushalte in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg mit Breitbandkabeldiensten. Zum 31. Oktober 2015 hatte Unitymedia gut 7 Mio. Kunden. Der Markt für Kabelnetzbetreiber befindet sich in Deutschland zurzeit im Übergang von einer Wachstumsin eine Konsolidierungs-Phase. Die Kabelunternehmen stehen in einem zunehmenden Wettbewerb mit Telefonanbietern, die verstärkt TV-Anschlüsse über Internetverbindungen vermarkten. Die Kabelkonzerne drängen wiederum in das Geschäft mit Telefon- und Internetanschlüssen. Die Erlaubnis des Bundeskartellamts für den Zusammenschluss von Unitymedia und KabelBW im Jahr 2012 und die Fusion von Kabel Deutschland mit Vodafone im Jahr 2014 deuten darauf hin, dass die Wettbewerbshüter den Kabelmarkt nicht mehr wie bislang als abgeschlossen bewerten, sondern als eine Einheit mit dem Telekommunikationsmarkt. Nicht zuletzt ist diese Entwicklung dadurch begründet, dass der Netzausbau zur Realisierung höhere Bandbreiten als internationaler Wettbewerbsfaktor bewertet wird und dies großer Investitionen bedarf, die kleinere Anbieter kaum stemmen können. In den letzten Jahren gewinnen zudem Firmen wie Apple, Amazon oder Netflix, die Inhalte über die Infrastruktur der Telekommunikationsanbieter anbieten, an Bedeutung im Markt. Damit ist mit einer weiteren Konsolidierung des Marktes in den nächsten Jahren zu rechnen. Aus technologischer Sicht stehen der Ausbau der digitalen Infrastruktur sowie die Integration der einzelnen Dienste wie Mobiltelefonie, Festnetztelefonie, Internet, TV und Filme im Vordergrund der Entwicklung. Das Ziel ist es, dem Endverbraucher einen nahtlosen Zugang zu Kommunikation und Unterhaltung zu bieten - unabhängig vom technischen Übertragungsweg (Kabel, Mobilfunk, WiFi). Der Zusammenschluss Kabel BW und Unitymedia: Die Verantwortung der Führungskräfte im Wandel Mitte 2012 hieß es in der Presse: „Unitymedia KabelBW - Zusammenschluss vollzogen“. Nun ist der wirtschaftliche Zusammenschluss etwas anderes als tatsächlich „zusammenzuwachsen“. Damit war auch gleich ein passender Name für die Integration gefunden. Gleichzeitig war es auch das Motto, an dem wir seit einem knappen Jahr arbeiten und das uns auch noch die nächsten Jahre beschäftigen wird: „ZusammenWachsen“. Bevor wir die Herangehensweise beschreiben, hier ein paar zentrale wirtschaftliche Fakten. Mit dem Zusammenschluss hatte sich folgende Situation ergeben: Deutschlands wachstumsstärkster Telekommunikationsanbieter war entstanden. Ein leistungsfähiges Breitbandnetz ermöglicht hohe Bandbreiten bis tief in den ländlichen Raum hinein. Eine starke Marke musste auf- und ausgebaut werden. 330 Karl-Heinz Reitz und Roman Schachtsiek uvk-lucius.de/ fuehren Die nunmehr 2.500 Mitarbeiter, verteilt auf die drei Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hessen, wurden von einem breit aufgestellten Managementteam unter Leitung des CEOs Lutz Schüler geführt. In einem durch externe Experten durchgeführten Management Assessment (Interviews, Persönlichkeits-Assessment und 360°-Feedback) wurden die einzelnen Führungsrollen besetzt. Die letztlich ausgewählten Personen stammen zum überwiegenden Anteil aus den beiden ursprünglichen Unternehmen. Nur sehr selektiv wurden Neueinstellungen vollzogen. Dies galt sowohl für die oberste Führungsebene als auch für die Ebenen darunter. Mit der Auswahl der Führungskräfte sollte ein deutliches Zeichen gesetzt werden, dass es um einen Neuanfang geht: Wir bauen gemeinsam eine neue Firma, mit neuer Vision, Strategie, Marke und Kultur, wobei wir das „beste aus beiden Welten“ erhalten wollen. Wir haben von Anfang an diesen Prozess des Zusammenwachsens als etwas „Organisches“ betrachtet. Theoretische Hintergründe des Ansatzes finden sich also eher in der „systemischen Schule“, wobei neben den Prinzipien „Räume schaffen“, „Impulse geben“ und „entstehen lassen“ auch ganz klassische Vorgehensweisen des „Change Managements“ zum Einsatz kamen (und kommen). Darunter verstehen wir vor allem Verwendung von Standardinstrumenten wie „Stakeholder-Analysen“, „Change Impact Analysen“, „Kommunikationspläne“, „Mobilisierung“ und „Trainings/ WS“. Von Beginn an haben wir nach den Prinzipien von „Appreciative Inquiry (AI)“. Appreciative Inquiry ist ein werteorientierter Ansatz aus der Team- und Organisationsentwicklung, der eine wertschätzende und affirmative Grundhaltung in Teams, Organisationen oder Gemeinwesen fördert, in der die wertschätzende Befragung ein zentrales Element bildet. Der Ansatz wurde in den 1980er Jahren von David Cooperrider von der Case Western Reserve University in den USA entwickelt. Auf dieser Basis haben wir nach dem „positiven Kern“ geforscht, und uns gefragt: Was gilt es zu bewahren? Wo liegen unsere Stärken? Der Veränderungsprozess sollte unbedingt unter positive Vorzeichen gesetzt werden, um Wertschätzung gegenüber den vergangenen Leistungen zu zeigen und Ängste in der unsicheren Übergangsphase abzubauen. Da mit dem Zusammenschluss auch ein Personalabbau verbunden war, mussten wir durch Transparenz und Fairness auch klare Botschaften bezüglich der „negativen“ Aspekte des Wandels senden. Wir haben dann zunächst intern die Ziele des Wandels konkretisiert: Ziele und Annahmen des kulturellen Wandels Führung als wesentlicher Faktor zur Gestaltung eines Wandels der Unternehmenskultur 331 uvk-lucius.de/ fuehren Dabei war uns wichtig, die Initiative nicht wie ein zusätzliches Projekt zu positionieren, sondern als Teil des täglichen Erlebens unserer Mitarbeiter zu verankern. Die Maxime war: „Wir wollen mit vereinter Kraft daran arbeiten, unsere gemeinsame Vision und Kultur zu leben - jeden Tag, in jedem Bereich und auf jedem Level“. Dazu musste zunächst eine gemeinsam getragene Vision geschaffen werden. Die Vision lautete nach mehreren Workshops: „Leidenschaftlich und innovativ erschließen wir den Menschen eine Welt voll Unterhaltung und Kommunikation. Einfach und zuverlässig.“ Wir wollten als nächsten Schritt diese Vision übersetzen und in die Erlebniswelt jedes einzelnen Mitarbeiters bringen. Und zwar auf natürliche Art und Weise, nicht kurzfristig „ge-hyped“ durch irgendwelche Projekte und Hochglanz-Broschüren. Sondern durch das Vorleben und gemeinsame Erleben der Vision und Ableitung zentraler Werte. Auch hier haben wir den kollaborativ-partizipativen Ansatz gewählt und mehr als 120 Führungskräfte eingebunden. In zahlreichen Workshops mit Mitarbeitern aus jeder Business-Unit und auf Führungskräftetagungen wurden in einem mehrwöchigen Prozess fünf Werte definiert, welche das Unternehmen und seine Vision tragen sollen: Die fünf Unternehmenswerte als Fundament für die Unternehmensvision Dabei wurden für jeden der fünf Werte entsprechende Ausprägungen formuliert, sodass es für die Mitarbeiter greifbar und verständlich wurde, wie diese Werte im Alltag Anwendung finden sollen (vgl. folgende Abbildung). Nachdem mittels dieser Ableitung der Zielzustand für die Organisation bestimmt wurde, galt es mit Hilfe einer Fit-Gap-Analyse die Handlungsfelder zu identifizieren, um sich der angestrebten Kultur anzunähern. Dabei wurde allen Beteiligten klar gemacht, dass es sich um einen Prozess handelt, der durchaus einige Jahre dauern kann. In der Kommunikation wurde stets darauf geachtet, dass die Integration der Anstoß für die Neudefinition der gemeinsamen Vision und der gemeinsamen Werte war - ohne die jeweils zuvor bestehenden Kulturen als schlecht oder unzureichend darzustellen. Da es nicht die „eine richtige“ Kultur für alle Unternehmen gibt, waren die Kulturen von Unitymedia und KabelBW auf ihre Weise berechtigt und wertvoll, was nicht zuletzt durch den Erfolg beider Unternehmen am Markt belegt wurde. Doch die reine Definition und Kommunikation von Werten und einer Zielkultur schafft noch keine wirkliche Veränderung. Erst wenn die Werte und die korrespondie- 332 Karl-Heinz Reitz und Roman Schachtsiek uvk-lucius.de/ fuehren renden Verhaltensweisen in den Alltag der Mitarbeiter und damit in die DNA der Organisation übergehen, kann man von einem kulturellen Wandel sprechen. Aus diesem Grund wurde ein breit angelegtes Kulturwandel-Programm aufgesetzt, das an den in den Workshops identifizierten Handlungsfeldern ansetzte. Für jedes identifizierte Handlungsfeld wurden Maßnahmen abgeleitet, die wiederum einer Priorisierung unterzogen wurden. Die insgesamt 32 Maßnahmen wurden thematisch in 13 Versprechen an die Organisation zusammengefasst, die binnen Jahresfrist umgesetzt werden sollten. Jedes Versprechen war wiederum einem der fünf Unternehmenswerte zugeordnet. Das Programm wurde zu einem der drei wichtigsten Vorhaben des Jahres ernannt und so weit oben auf der Agenda des Management Boards platziert. Die 13 Versprechen zur Umsetzung des kulturellen Wandels. Im Folgenden werden wir thematisieren, wie „Führung“ auf zwei unterschiedlichen Ebenen ein zentrales Element für den Erfolg des Kulturwandels Programm war. Einmal als Motor für die Veränderung und den Wandel und einmal als Objekt des Kulturwandels selbst. Führung als Motor des Kulturwandels Kulturprojekte oder -programme haben häufig einen schweren Stand. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Ergebnisse und der angestrebte Return-of-Investment der Programme sind oftmals nicht quantifizierbar und daher fällt eine greifbare Vorteilsargumentation schwer. Zudem wird häufig der Bezug zum Tagesgeschäft nicht unmittelbar deutlich, sodass es primär als „weiches“ HR-Thema wahrgenommen wird. Zuletzt sind die Effekte von Kulturprogrammen nicht unmittelbar messbar, denn eine Veränderung der Kultur braucht Zeit. Führung als wesentlicher Faktor zur Gestaltung eines Wandels der Unternehmenskultur 333 uvk-lucius.de/ fuehren Ein Blick in die Literatur verrät dagegen, dass Unternehmen, die sich mit ihrer Kultur beschäftigen, einen Wettbewerbsvorteil erzielen können (vgl. Schein 2010; Connors/ Smith 2002; Parker 2011). GE und IBM sind zwei Beispiele für solch eine erfolgreiche Strategie. So bestätigt Lou Gerstner, in seiner Funktion als CEO von IBM: „I came to see, in my decade at IBM, that culture isn’t just one aspect of the game - it is the game”. Neben der Skepsis gegenüber Kulturveränderungsprogrammen wird in der (Fach-) Literatur immer wieder die hohe Anzahl an gescheiterten Change Projekten thematisiert (vgl. Kotter 1996, 2007; Kegan/ Lahey 2009; van 't Hek/ van Oss 2011). Einer der am häufigsten aufgeführten Gründe ist die mangelnde Unterstützung der Unternehmensleitung bzw. des mittleren Managements. Im Fall von Unitymedia war die Organisation zudem intensiv mit den Nacharbeiten der Integration beschäftigt, wie der Harmonisierung von Prozessen oder der Konsolidierung der IT-Landschaft. Somit liefen zahlreiche Projekte parallel und die Auslastung der Belegschaft war neben dem Tagesgeschäft intensiv. In diesem Kontext ein Kulturwandel-Programm durchzuführen stellte daher eine besondere Herausforderung dar. Ein klares und starkes Signal der Unternehmensführung und des mittleren Managements sowie eine bedachte Anwendung des bekannten Change-Management-Instrumentariums war notwendig, um die notwendigen Rahmenbedingungen für den Erfolg zu schaffen. Des Weiteren ist bei kulturellen Veränderungsprogrammen die Funktion der Führungskraft als Vorbild und Rollenmodell sehr wichtig, denn nur wenn die gewünschten Verhaltensweisen vorgelebt und gezeigt werden, können sie in der Organisation etabliert werden. Dabei sind symbolische Handlungen ebenso bedeutend wie sichtbare Entscheidungen welche Themen mit Aufmerksamkeit, Lob oder auch Kritik bedacht werden. Um dem Programm die notwendige Wichtigkeit auf der Unternehmensagenda zu verschaffen und das Sponsorship des Management Board zu verdeutlichen, wurde für jedes der 13 Versprechen ein Pate aus dem Management Board benannt. Jeder Pate war für die erfolgreiche Umsetzung der Maßnahmen „seines“ Versprechens verantwortlich. Um diese zu verdeutlichen und in die Organisation zu kommunizieren, wurde ein animiertes Video erstellt, in dem jeder der Management Board Mitglieder sein Versprechen zum Kulturwandel in die Kamera sprach. Das Video wurde über eine unternehmensweite E-Mail und eine eigens kreierte Microsite im Intranet publiziert. Damit war ein klares Bekenntnis für das Programm und seine Inhalte dokumentiert. Zudem wurde eine Erwartungshaltung in der Belegschaft geschaffen, die es nun zu beantworten galt. Im nächsten Schritt verkündete der CEO öffentlich, dass er bis zu 20% seiner verfügbaren Zeit in das Programm des kulturellen Wandels investieren werde und ein vergleichbares Engagement vom oberen und mittleren Management erwartet. Damit war die Relevanz und Wichtigkeit des Programms für das Unternehmen klar formuliert. Im Rahmen der Umsetzung der Maßnahmen waren die Führungskräfte dann doppelt gefordert. Damit die gewünschten Veränderungen durch sie vorgelebt werden konnten, mussten die Führungskräfte sich teilweise erst selber verändern und anpassen. Sie waren also zeitgleich der Motor und auch Objekt des Wandels. 334 Karl-Heinz Reitz und Roman Schachtsiek uvk-lucius.de/ fuehren Führung als Objekt des Kulturwandels Der Peter Drucker zugeschriebene Satz „Culture eats strategy for breakfast“ hat maßgeblich unsere Überlegungen im „ZusammenWachsen“-Projekt beeinflusst, insbesondere im Kontext von Führung und „Leadership“. Das Wort „Führung“ und „Führungskultur“ ist de facto durch die deutsche Geschichte vorbelastet. Und obwohl wir wissen, dass wir uns dem oft zu Recht geäußerten Vorwurf aussetzen, englische Wörter ungefiltert in den deutschen Sprachgebrauch zu übernehmen, benutzen wir „Leadership“ als Überbegriff für Aktivitäten und Prozesse in diesem Kontext. Gleichzeitig benutzen wir aber den Begriff „Führungsleitbild“, „Führungskraft“ oder ähnliches. Als wir uns Gedanken über die Bedeutung von Leadership im Zusammenhang mit Kultur gemacht haben, kam zunächst der Aspekt des „Vorbilds“ bzw. „Rollenmodells“ auf. Erst im zweiten Schritt wurde uns bewusst, wie viel wir unsererseits investieren müssen, um Instrumente zu schaffen, die dieses Rollenmodell und die damit verbundenen Erwartungen überhaupt ermöglichen. Drei zentrale Aspekte greifen wir hier exemplarisch heraus, die jedoch keinesfalls das gesamte Spektrum im Bereich Leadership widerspiegeln: Ein gemeinsames Leitbild, unterstützende Prozesse für eine „kulturell prägende Leadership-Kultur“ und Entwicklungsprogramme. Aufbau eines Führungskräfte-Leitbildes Uns war die Gefahr eines Leitbildes, das lediglich auf Hochglanzbroschüren eine ideale Welt beschreibt von Beginn an bewusst. Doch wie ist das zu verhindern? Nur und ausschließlich durch aktives Einbinden derjenigen, die dieses Führungsleitbild auch leben sollen. Daher war die Erstellung des Leitbildes gleich als aktiver Dialog angelegt. Natürlich gab es eine solide Ausgangslage und bereits bestehende Leitplanken. Die Vision sollte unverändert bleiben. Auch kulturelle Leitlinien waren bereits durch die fünf definierten Werte vorgegeben. Durch den eingangs beschriebenen Prozess, die fünf Werte mit Leben zu füllen, gab es schon unternehmensspezifische Kompetenzen und Verhaltensweisen. Diese haben wir als Startpunkt genommen. Nun standen wir erneut vor der Frage, ob der nächste Schritt durch eine breite partizipative Bottom-up-Initiative oder doch top-down getrieben werden sollte. Wir haben uns letztlich für ein zwar abgemildertes aber doch klar top-down angelegtes Vorgehen entschieden. Hier spielte sicherlich auch der antizipierte Aufwand für einen Bottomup-Ansatz eine Rolle. Aber letztlich hat aus unserer Sicht ein Leitbild auch eine richtungsgebende „Verantwortungs-Komponente“. „Führen“ heißt auch voran gehen. Wir waren überzeugt, dass jede Führungskraft in unserem Unternehmen in der Lage sein muss, sowohl ein aus unserer Kultur abgeleitetes Zielbild zu füllen (also einem Leitbild zu folgen), als auch dieses durch Diskussion mit den Mitarbeitern zu konkretisieren (und selbst zu führen). Diese beiden Aspekte bestimmten dann auch unser Vorgehen. Über moderierte Workshops mit unserem Senior Leadership Team wurden die Kompetenzen und Verhaltensweisen in ein kurzes und prägnantes Leitbild gegossen. Dieses Leitbild war dann die erste Komponente unseres darauf folgenden Leadership Development Programms. Neben den Führungskräften wurden bereits schon früh auch die Betriebsräte eingebunden, um auch aus dieser Perspektive die zentralen Aspekte und Sichtweisen einzubinden. Letztlich ist das Führungsleitbild sowohl eine Beschreibung unserer Ambitio- Führung als wesentlicher Faktor zur Gestaltung eines Wandels der Unternehmenskultur 335 uvk-lucius.de/ fuehren nen (für Mitarbeiter und Führungskräfte gleichermaßen) als auch ein wesentlicher Bestandteil und Startpunkt unserer Weiterbildung. Aufbau einer Führungskräfte-Kultur und Instrumente Rückblickend muss man eingestehen, dass vor dem Kulturpragramm unsere Landschaft für Führungskräfte-Entwicklung vernachlässigt worden war. Es gab die üblichen rudimentären Trainingskurse und formulierten Verantwortlichkeiten bei Standardprozessen (primär bei der Zielvereinbarung und -bewertung). Darüber hinaus gab es weder in die Unternehmensstrategie integrierte Führungskräfte-Instrumente, noch ausformulierte Erwartungen, welchen Beitrag die Führungskräfte zum Unternehmenserfolg leisten oder wie sie dies tun sollen. Aus dem Maßnahmenkatalog seien an dieser Stelle zwei aus unserer Sicht wesentliche Interventionen herausgegriffen: das 360 Grad Feedback Instrument und ein veränderter Performance Management-Prozess. Das 360 Grad Feedback Diese Initiative wurde im Rahmen unseres Wertes „Feedback & Coaching-Kultur“ ins Leben gerufen, um einen wertschätzenden Feedbackprozess im Unternehmen zu etablieren. Ziel war es, eine Kultur zu schaffen, in der wir einander Rückmeldungen zu unserem Verhalten geben, konstruktiv zusammenarbeiten und somit einander helfen, uns stetig zu verbessern. Wie im Namen bereits angelegt, geht es vor allem darum, eine „Rundumsicht“ über das eigene Wirken zu erlangen. Eben von der Führungskraft, den Kollegen und Mitarbeitern den Spiegel vorgehalten zu bekommen, um Stärken zu fördern, „Blinde Flecken“ zu erkennen und über einen Austausch Hinweise zu erhalten, wie man sich verbessern kann. Die Kriterien, auf welcher Basis die Bewertung stattfinden sollte, wurde direkt aus den Unternehmenswerten und Kompetenzen abgeleitet. An dieser Stelle kann keine detaillierte Beschreibung des Prozesses erfolgen. Es sei lediglich erwähnt, dass entgegen mancher Praxis wir das Feedback einzig und allein auf die persönliche Weiterentwicklung ausgerichtet haben und nicht in die Leistungsbewertung einbezogen haben. Zudem wurde in den Berichten sehr großer Wert darauf gelegt, die eigenen Stärken in den Mittelpunkt der Nachbearbeitung zu stellen, nicht die Schwächen oder „Blinden Flecken“. Wir sehen es als essentiell an, dass wir seitens der Personalabteilung Vorreiter sind und in allen HR-Instrumenten, insbesondere im Bereich der Führungskräfte, die Unternehmenskultur glaubhaft und nachhaltig einfließen lassen. Wenn man so will, ist die Kultur-Initiative der hauptsächliche Filter bei der Definition des HR Portfolios und gleichzeitig kommunikativ übergreifend der sinnstiftende Schirm. Performance Management-Prozess Die Art und Weise, wie wir kulturkonform miteinander umgehen wollen, findet sich vermutlich in keinem anderen Prozess so deutlich wieder, wie im Performance Management-Prozess. Wir möchten weg von der Vorstellung, unsere Mitarbeiter durch das sprichwörtliche „Vorhalten einer Karotte“ zu motivieren. Wir glauben hingegen daran, dass jeder Mitarbeiter in seiner Funktion täglich „sein Bestes“ gibt. Gemeinsam mit dem Manager arbeitet jeder Mitarbeiter daran, unser Unternehmen erfolgreich zu machen. Diese Sichtweise alleine ist bereits ein Paradigmenwechsel. 336 Karl-Heinz Reitz und Roman Schachtsiek uvk-lucius.de/ fuehren Unsere Interpretation einer Leistungskultur versucht nicht zwangsläufig alle Mitarbeiter nach dem Verlauf einer „Normal-Verteilung“ in ihrer Leistung zu differenzieren. Die Verantwortung für das Erbringen einer Leistung liegt nach wie vor beim Mitarbeiter - aber genauso beim Manager. Dazu ist ein intensiver und kontinuierlicher Dialog zwischen Führungskraft und Mitarbeiter notwendig, der die Eigenverantwortung und Motivation steigert und der dazu führt, dass jeder einzelne versteht, welchen sinnvollen Wertbeitrag er für das Unternehmen im Kontext der eigenen Funktion leistet. Übergreifende Ziele, wie beispielsweise der „Net Promoter Score“ - ein auf der Befragung von Kunden basierender Indikator, welcher die Wahrscheinlichkeit des Weiterempfehlens unserer Produkte abbildet - bauen zudem die Silomentalität ab und stellen alleine den Unternehmenserfolg in den Mittelpunkt. In letzter Konsequenz haben wir den variablen Anteil des Gehalts aller Mitarbeiter ausschließlich an das Erreichen der gleichen fünf Unternehmensziele gekoppelt sowie die Skalierung in der Bewertung abgeschafft. Dadurch hat die Qualität der Performance- und Entwicklungsgespräche deutlich zugenommen Aufbau einer Führungskräfte-Entwicklung Die wenigsten Leser dürfte überraschen, dass Leadership Development weit mehr ist als Trainingsangebote. Selbst wenn man das Thema Weiterbildung breiter fasst und mit dem bekannten Konzept „70-20-10“ (McCall, Eichinger, Lombardo 1996) operiert, muss die Führungskräfte-Entwicklung noch mehr umfassen. Das 70-20-10 Konzept Der entscheidende Punkt ist, dass die Interventionen so positioniert werden, dass sie sich als natürlicher Bestandteil der Rolle und Aufgabe eines Managers „anfühlen“. Dies war zumindest unser Ziel im Design eines umfassenden Plans. Startpunkt und wesentliches Element war ein professionell vorbereiteter und durchgeführter Workshop im Rahmen der Erstellung des Leitbildes. Wir haben viel Zeit gemeinsam mit unserem Management Board investiert, das Leitbild mit Leben zu füllen und die Frage zu beantworten: „Was bedeutet die Umsetzung der Prinzipien im täglichen Leben? “. Dies Führung als wesentlicher Faktor zur Gestaltung eines Wandels der Unternehmenskultur 337 uvk-lucius.de/ fuehren kann für jeden einzelnen Manager verschiedene Ausprägungen haben, jenseits des prinzipiell schnell erreichten Grundkonsenses über Verhaltensweisen. Nach dem ersten Workshop war es von zentraler Bedeutung, dass wesentliche Elemente der Kaskadierung durch unsere Manager selbst durchgeführt werden. Das Prinzip „Leaders as Teachers“ mag zwar manchen Kompromiss bezüglich Moderationsstil und Präsentationstechniken nötig machen, aber durch die Glaubwürdigkeit des Prozesses wird dies mehr als aufgewogen. Neben diesem stringent durchgeführten Plan, der innerhalb eines Jahres alle Manager im ganzen Unternehmen einbezogen hat, gibt es weiterhin die klassischen Komponenten einer modernen Führungskräfte-Entwicklung: Auf einzelne Level zugeschnittene Programme und individuelle Trainings, Coaching und Mentoring Elemente, Rotationsprogramme etc. Hier wird sich künftig entscheiden, inwiefern wir es geschafft haben, eine sich aktiv einbringende, Verantwortungübernehmende und mündige Führungskultur zu etablieren. Kultur ist nichts Statisches: „Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein“ (Philip Rosenthal). Wir befinden uns nach wie vor in einer Veränderungsphase. Wir müssen nun konsolidieren und Vertrauen aufbauen. Dazu sind wir aus unserer Sicht gut gerüstet und können selbstbewusst die nächsten Schritte tun und jeden Tag ein bisschen besser zu werden. Fazit Der Wandel einer (Führungs-)Kultur ist ein Prozess, der mehrere Jahre andauert. Doch bereits nach zwei Jahren haben die beschriebenen Maßnahmen eine große Wirkung entfaltet. In einem sehr dynamischen Markt gelang es Unitymedia, die eigene Erfolgsgeschichte fortzuschreiben, weiter zu wachsen und Wettbewerbsanteile zu erobern. Die über den „Trust Index“ des Great Place to Work Instituts und A.ON gemessene Zufriedenheit der Mitarbeiter stieg über 12 Prozentpunkte im Verlauf von drei Jahren (jährliche Mitarbeiterbefragung). Bisweilen war es ein schmaler Grat zwischen der nötigen Stimulation der Organisation zur Veränderung durch das Programm und seine vielen Maßnahmen und einer Überlastung der Rezipienten bezüglich der Aufnahmekapazität von neuen Führungskonzepten, -instrumenten und -leitlinien. Doch insbesondere die Einladung an alle „Betroffenen“ den Prozess selber mit zu gestalten, war einer der Erfolgsfaktoren. So wurden beispielsweise seitdem alle großen Veränderungsprojekte im „Co-Creation“ Modus von Mitarbeitern aus allen Ebenen bearbeitet und getragen. Die durch die neuen Werte getragene offene Diskussions- und Feedbackkultur half dabei auch in schwierigen Phasen des Wandels den Dialog konstruktiv zu halten. Literatur Connors, R., Smith, T. (2002): Journey to the Emerald City: Implement the Oz Principle to Achieve a Competitive Edge Through a Culture of Accountability, Prentice Hall Press. Eichinger, R., McCall, M., Lombardo, M. (1996): Center for Creative Leadership in North Carolina. Eichinger, R., Lombardo, M. (1996): The CAREER Architect Development Planner, Lominger. 338 Karl-Heinz Reitz und Roman Schachtsiek Gerstner, L. (2003): Who Says Elephants Can't Dance? : How I Turned Around IBM, Harpercollins UK; Auflage: New Ed. Kegan, R., Lahey, L. (2009): Immunity to Change: How to Overcome it and Unlock the Potential in Yourself and Your Organization (Leadership for the Common Good), Harvard Business Review Press. Kotter, J. P. (1996): Leading Change, Harvard Business Review Press. Kotter, J. P. (2007): Leading Change: Why Transformation Efforts Fail, Harvard Business Review Press. Parker, M. (2011): Culture Connection: How Developing a Winning Culture Will Give Your Organization a Competitive Advantage, McGraw-Hill Professional. Schein, E. H. (2010): Organizational Culture and Leadership, John Wiley & Sons. van 't Hek, J., van Oss, L. (2011): Why Organizational Change Fails: Robustness, Tenacity, and Change in Organizations (Routledge Studies in Management, Organizations and Society), Routledge Chapman & Hall. Autor-Kurzprofile Karl-Heinz Reitz ist seit 1.7.2012 im Personalbereich von Unitymedia tätig und leitet die HR-Business-Partner sowie die Personal- und Organisationsentwicklung. Er ist zudem Fachgruppenleiter „Change Management“ des BPM (Bundesverband der Personalmanager). Roman Schachtsiek leitet den Bereich HR Operation bei Unitymedia. Er startete Anfang 2013 in der Organisationsentwicklung und verantwortete unter anderem als Programm Manager das hier beschriebene Kulturwandel Programm. Zuvor war er über 8 Jahre bei der Accenture GmbH im Bereich Management Consulting, Talent & Organisation tätig, zuletzt als Senior Manager. uvk-lucius.de/ fuehren Kapitel 9 Für oder gegen wen und was führen? „Da Führung reflektiert und hinterfragt werden kann - sowohl in ihren Mitteln, als auch ihrer Legitimation, vielleicht sogar in ihrer Existenz, stellt sich u.a. die Frage wofür und für wen geführt wird; und da es in wirtschaftlichen Kontexten häufig genug um knappe Ressourcen geht, die nicht allen und immer zur Verfügung stehen: wogegen, d.h. auf wessen Kosten? Führt die Führungskraft vor allem, um ihre eigenen Ziele zu erreichen (falls sie sich deren bewusst ist)? Oder die des Unternehmens? Die der Gesellschaft? Die der Menschheit als Ganzes? Oder vielleicht die der MitarbeiterInnen? Oder aller? … Um Führung, Ziele und Handlungen zu legitimieren, werden Begründungen entwickelt und formuliert und diese sind Inhalt des folgenden Kapitels. Sie verweisen ein stückweit darauf, für (und ggfs. gegen) was und wen geführt wird.“ „Führen und führen lassen“ (S. 405) Wir bringen Praxisbeispiele zu den Feldern Ideologische Führungsbegründung, Führungsethik, Mikropolitik und Führungsdilemmata. Ideologie „Als Ideologie wird hier eine zusammenhängende gedankliche Konstruktion verstanden, die als umfassende Rechtfertigung einer bestehenden oder angestrebten/ künftigen Wirklichkeit angeboten wird. Zu ihren sozialen Funktionen gehört es, die AnhängerInnen gegen andere Sichtweisen zu immunisieren, ihnen ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu geben und sie für Auseinandersetzungen zu mobilisieren.“ „Führen und führen lassen“ (S. 405) Der Begriff der Ideologie wird zumeist negativ verwendet, als engstirnige Missachtung der vielseitigen Gegebenheiten. Im Grundsatz braucht Ideologie aber nicht abwertend gesehen zu werden und viele Unternehmen bauen auf expliziten „Ideen“ oder spezifischen Modellen von Führung und insbesondere „guter“ Führung auf, um Führungskräfte auszuwählen, zu entwickeln und Führungsbeziehungen im betrieblichen Alltag interpretierbar und bewertbar zu machen. Damit schaffen Sie sich auch eine Grundlage zur Formung und Ausgestaltung der Führungsbeziehungen im Unternehmen. Dass damit nicht die gesamte Vielfalt der Möglichkeiten abgedeckt wird, mag in Kauf genommen werden zugunsten einer besseren Handhabbarkeit knapper, geradliniger Konzepte gegenüber schwer durchschaubarer Komplexität und unvorhersagbarer Dynamik mit denen umfassend umzugehen als grundsätzlich wünschenswert angesehen werden mag, aber aus pragmatischer Perspektive als aktuell nicht handhabbar akzeptiert wird. Claudia Wörner berichtet in ihrem Beitrag über die Einführung eines weltweit einheitlichen Kompetenzmodells für Führungskräfte, das einem Idealtypen der „erfolgreichen Führungskraft“ entspricht. Dieser wurde trotz Vielfalt in Kulturen, differenzierten Geschichte einzelner Unternehmen im Konzern formuliert. Das Vorgehen mutet wie ein Praxis-Pendant des internationalen GLOBE-Ansatzes an, der globale Kompe- 340 Kapitel 9: Für oder gegen wen und was führen? uvk-lucius.de/ fuehren tenzen für erfolgreiche Führungskräfte modelliert. Hier ist das auf einen Konzern und den Erfolg der Führungskräfte innerhalb dessen bezogen. Die Sammlung von „best practice“-Erzählungen als erfolgreich angesehener Führungskräfte wurde durch Experten in ein Kompetenzmodell integriert. Dieses stellt für den Konzern nun einen - eigenen - Idealtyp der Führung dar, der überall im Konzern angestrebt und entwickelt werden soll. Das neue Ideal wurde mittels Top-down-Ansatz kommuniziert und implementiert. Für die Verstetigung wurden die Kompetenzen in Routineinstrumente integriert und Führungsnachwuchskräfte nach dem Kompetenzmodell für ihre Führungsaufgaben ausgewählt und an sie herangeführt. Dass ein solches allen im Unternehmen klares und in Entwicklungsmaßnahmen wie im täglichen Verhalten leitendes Idealbild zu einer grundsätzlichen Verbesserung des gegenseitiges Verständnisses und damit der Zusammenarbeit führt, bleibt aktiv kommunizierte Überzeugung der Konzernleitung. Darauf aufbauend können auch weiterhin Abweichungen nationaler, kultureller oder historischer Bedingtheit genau den Kriterien des Kompetenzmodells unterworfen werden, um die angestrebte Einheitlichkeit in Führung und Unternehmenskultur zu gewährleisten. Führungsethik „Ganz allgemein ist eine Absicht oder Handlung dann moralisch, wenn sie gut oder richtig ist. Mit diesem Abstraktionsniveau ist noch nicht viel Klarheit geschaffen. Zuweilen wird zwischen Ökonomischer Vernunft (‚Sachgerechtigkeit‘ oder ‚Sachgemäßheit‘) und Ethischer Vernunft (‚Menschengerechtigkeit‘) unterschieden… Diese Differenzierung ist insofern problematisch, als sie dem Ökonomischen eine quasi außerethische Qualität gibt und ihm zugesteht, nach seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten zu funktionieren… Das Gewinnerzielungsdiktat (‚schwarze Zahlen‘) wird dann als unhintergehbare Grenze etabliert, an der selbst noch so wünschenswerte ‚ethische‘ (menschengerechte) Forderungen scheitern müssen, wenn man sich nicht in wirklichkeitsferne Spekulation verlieren will. Ökonomisches Handeln und ökonomische Strukturen sind jedoch Menschenwerk und damit ethisch kritisierbar, sofern man nicht dem naturalistischen oder realistischen Fehlschluss erliegt, das Bestehende zum Notwendigen zu verklären.… Damit aber wird deutlich, dass es unstrittige und klare Ja-Nein- Entscheidungen in Fragen der Moral kaum geben kann; Moral lässt sich nicht digitalisieren.“ „Führen und führen lassen“ (S. 423f.) In gesellschaftlichen Kontexten, in denen Vielfalt einen hohen Wert darstellt und damit einhergehend viele traditionelle normative Vorstellungen an Wert verlieren und neue Formulierungen sich überwiegend durch Relativität und Einräumung von breiten Spielräumen auszeichnen, ist die Suche nach moralischen Leitlinien schwieriger geworden. Das ist auch gut, weil kein Wert unhinterfragt bleibt, da auch positiv formulierte Werte immer auch alternative Konzepte abwerten. Umso schwieriger ist auch die Begründung von Werten und Leitlinien, denen Verhalten folgt, womit der Rückgriff zur ökonomischen Logik Rechtfertigung des Handelns als von der Moral getrennt zu betrachtendem System verlockend bleibt - in der Praxis aber von vielen Stakeholdern so Führungsethik 341 uvk-lucius.de/ fuehren nicht mitgegangen wird. Insofern ist die Suche nach und Begründung von moralischen Leitlinien des Führungshandelns eine Kernaufgabe des Denkens über Führung und ihrer Ausgestaltung. Markus Warode stellt die „franziskanische Führung“ als ein Konzept der Verbindung von Spiritualität und Führungsverhalten vor. Die Ordensregel von Franz von Assisi, getragen von positiver Weltsicht und ausgeprägt theologisch-moralischer Vorstellung des Seins und Handelns wird mittels einer bemerkenswert wirtschaftlichen Sichtweise auf Führungshandeln bezogen. Das wird beflügelt durch den Nachwuchsmangel des Ordens in der westlichen Welt, sodass die Brüder fast nur noch in Führungspositionen der vom Orden getragenen Einrichtungen tätig sind. Die Vermittlung des Konzepts läuft nicht über konkrete Verhaltens- und Techniktrainings, sondern über die Förderung der Reflexion eigenen Wahrnehmens, Fühlens, Urteilens, Entscheidens und Handelns auf der franziskanischen Lesart christlicher Spiritualität, die dann für den Umgang mit Anderen zugrunde gelegt wird. Zentral dabei ist es, den Menschen auch in effizienzorientierten Zusammenhängen als solchen zu sehen, wertzuschätzen und zu behandeln. Die eigene Person, hier in der Rolle der Führungskraft sieht sich als Diener derer, die die operative Arbeit verrichten, also als diejenige, die alles tut, um deren Arbeit effizient, erfolgreich und erfreulich zu machen. Dies ermöglichen demokratische, Eigenverantwortung fördernde, Menschlichkeit respektierende Elemente der Jahrhunderte alten Ordensregel. Zur Übertragung dieser Werte in modernes Führungshandeln sollen sie in ein modernes Kommunikations- und Verhaltensrepertoire übersetzt werden, um in den Einrichtungen und nach außen hin sowohl Glaubwürdigkeit als auch Vertrauen zu gewinnen, dass diese Form der Führung gemessen an aktuellen wirtschaftlichen wie sozialen Kriterien erfolgreich ist. Am Beispiel einer größeren Pflegeeinrichtung wird der Ansatz illustriert. Führung und Mikropolitik „Die Forschung zur Mikropolitik in Organisationen, die seit einiger Zeit verstärkte Beachtung findet, befasst sich genau mit diesem Hier und Jetzt der Führung aus der Perspektive des (zutiefst menschlichen: zoon politikon) Politischen. … Der Akteur ist nicht allein und souverän; er konkurriert mit anderen um knappe Ressourcen, hat keine vollständige zeitgerechte Information und kein konsistentes Zielsystem. Bei diesem Zielsystem spielt zudem neben inhaltlichen Zielen (Anhäufung von Gütern oder Rechten) vor allem ein formales Ziel eine Rolle: Es geht um die Fähigkeit (Potenz), die Durchsetzung wie auch immer gearteter eigener Interessen dauerhaft zu sichern und die Bedingungen dafür zu kontrollieren. … Mikropolitik bezeichnet das Arsenal jener alltäglichen ‚kleinen‘ (Mikro-! )Techniken, mit denen Macht aufgebaut und eingesetzt wird, um den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern und sich fremder Kontrolle zu entziehen.“ „Führen und führen lassen“ (S. 439ff.) Mikropolitik ist die zielorientierte Gestaltung der immer gegebenen Spielräume durch die Unternehmensmitglieder. Ihr Umfang und die Bedeutung für den Unternehmenserfolg können gering oder umfassend sein. Häufig gehen mit steigender hierarchischer Position größere Spielräume einher. Aber auch auf unteren Hierarchieebenen gibt es 342 Kapitel 9: Für oder gegen wen und was führen? uvk-lucius.de/ fuehren sie. Die Mittel und die Felder, in denen diese zum Einsatz kommen können, sind dabei unterschiedlich. Führungskräfte haben die Möglichkeit, durch mikropolitische Taktiken sowohl ihren Einfluss auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszuweiten als auch die Position und Erfolgschancen der von ihr geführten Arbeitseinheit im Gefüge des Unternehmens. Und sie können eigene, persönliche Interessen verfolgen, die einer anderen Logik folgen als die Unternehmensziele. Allerdings zu unterscheiden, ob Mikropolitik vorliegt oder nicht, ist im Einzelfall oft schwierig. Und falls ja, ist es ebenso schwierig zu unterscheiden, ob der Akteur damit Ziele verfolgt, die vorrangig die des Unternehmens sind oder persönliche - zumal diese häufig in enger Interaktion stehen. Der folgende Beitrag zeigt eine typische mikropolitische Konstellation, die für die Betroffenen schwer zu deuten ist und auch ihre Entscheidungen und ihr Handeln beeinträchtigt. Hans Habegger und Dieter Winkler schildern eine typische Episode, die mikropolitische Aktivitäten beleuchtet. Ein Unternehmensvorstand weist eine „Rückbesinnung“ auf eine Führungskultur, in der die Führungskräfte an einem Strang ziehen und ausschließlich gemäß Aufträgen und Vereinbarungen agieren, an. Dazu wird ein durch ein Beratungsunternehmen gestaltetes und begleitetes Entwicklungsprogramm eingerichtet. Ihm wird kommunikativ höchste Priorität eingeräumt. Obwohl er als wichtiger Promoter galt, nahm der Vorstand selbst nicht teil. Auch auf Drängen lässt sich der Vorstand lediglich nach über einem Jahr darauf ein, eine auf kleinstes Format reduzierte Intervention mitzumachen - zu spät - zu wenig. Er unternimmt auch weiterhin nichts in Augen der Skeptiker glaubhaftes, um das Programm zu unterstützen. Die Führungskräfte sind verwirrt - fühlen sich zum Teil brüskiert. Inoffiziell macht sich auch der Verdacht breit, dass der Aufsichtsrat den Vorstand zu dem Programm gezwungen haben könnte. Die Betroffenen vermeinten gerade von den obersten Führungsebenen viele Verstöße gegen die propagierten Werte beobachten zu können. Die Verpflichtung, an dem Programm teilzunehmen, wurde nun als unzweckmäßige Bevormundung wahrgenommen. Da zeitgleich zu diesem Programmes andere frustrierende Organisationsveränderungen stattfanden, wurde aus Perspektive der Führungskräfte die Situation im Unternehmen schlechter, was wiederum auf die Wahrnehmung des Programms negativ wirkte. Schließlich kritisierte der Vorstand den mangelnden Fortschritt des Programms und die Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen wurde schließlich vorzeitig beendet. Dabei wird deutlich, wie mittels mikropolitischen Taktierens auch hoch priorisierte und tatsächlich initiierte Programme und Projekte zu Fall kommen können. Dilemmata der Führung „Handlungen in komplexen sozialen Feldern sind zumeist „richtig und falsch“, indem sie nach verschiedenen Kriterien unterschiedlich bewertet werden können. Diese verschiedenen Kriterien können einander durchaus widersprechen, obwohl sie jedes für sich als relevant anerkannt sind. Maximierung des Einen geht zunächst auf Kosten des Anderen (z.B. das Dilemma „preiswerte Arbeitskraft für das Unternehmen vs. gute Löhne für die MitarbeiterInnen“). Insofern geht es zumeist um ein „sowohl - als auch“, die Optimierung der Gesamtkonstellation, sei es als (fauler? ) Kompromiss oder als echte produktive Lösung. Führungskräfte befinden sich also ständig in Dilemma- Dilemmata der Führung 343 Situationen: Was tun - für wen und damit gegen wen oder was? Und wie viel davon? ... In Entscheidungsfällen der Praxis sind die Alternativen meist komplex und mehrdimensional, mehrdeutig, vage und im Zeitablauf nicht konstant. … Es sind (scheinbar) unvereinbare Positionen, die sich gegenüber stehen, aber in irgendeiner Weise versöhnt oder ‚aufgehoben‘ werden müssen.“ „Führen und führen lassen“ (S. 458f.) Der Umgang mit Dilemmata ist prinzipiell schwierig. Für Führungskräfte bleiben Handlungsfähigkeit und Erfolg die wichtigsten Kriterien, das heißt eine Kapitulation vor solchen Dilemmata führt zu suboptimalen Ergebnissen. Häufig wird dabei zugunsten einer schnell (wieder-)erlangten Handlungsfähigkeit auf Erfolgspotenziale verzichtet, da das Axiom der unbedingten und unmittelbaren Handlungsfähigkeit als Kernkompetenz von Führungskräften nach wie vor weite Verbreitung hat. Um beide Kriterien nicht gegeneinander auszuspielen sind Überlegungen zum Umgang mit Dilemmata hilfreich; Orientierungen, die zeigen, worauf Priorität zu legen ist und wie mit der damit zunächst zurückgewiesenen Alternative umzugehen ist. Solche Orientierungen sollten keine reflexartigen Automatismen auslösen, die eher der Entscheidungssicherheit als der Entscheidungsgüte gelten. Und sie sollten möglichst breit einsatzbar sein, um in vielen, vor allem auch unvorhergesehenen Situationen hilfreich zu sein. Der letzte Praxisfall des Buchs befasst sich mit dem Herangehen einer Organisation, für ihre Führungskräfte solche Orientierungen zu entwickeln. Nadine Sukowski und Uwe Steinwender beschreiben einen Ansatz, der Führungskräften Orientierung im Umgang mit Dilemmata bieten soll. Dilemmata werden als Grundkonstellation für Führung verstanden, die ohne Dilemmata gar nicht denkbar wäre. Dabei wird das Kriterium der Integrität in seiner unternehmensspezifischen Definition als persönliche Stimmigkeit auf die Analyse von Handlungsalternativen und -konsequenzen in Dilemma-Situationen angesetzt. Es wird die Umsetzung in einem Programm für die Entwicklung von Senior Managern, die sich als Talente für höhere Führungsebenen empfohlen haben, geschildert. Dabei werden traditionelle Handlungstrainings und konkrete Managementtechniken, die lediglich ein trügerisches Sicherheitsgefühl für das eigene Handeln vermitteln, vermieden und stattdessen die Ebene der Werte, Haltungen und deren Reflexion fokussiert. Das Programm baut auf dem Ebenenmodell der kulturellen und individuellen Entwicklung und den damit einhergehenden Handlungslogiken von Graves (1970) auf. Es werden Beispiele für die Analyse und Interpretation von typischen Führungsdilemmata gebracht und schließlich auf das Ziel verwiesen, Dilemmata nicht als prinzipiell problembehaftet wahrzunehmen, sondern die Möglichkeit der Balancierung bzw. Wertschätzung beider Pole auch als Potenzial wahrzunehmen und zu behandeln. Dieser Aspekt ist dabei ein Kerngedanke bei der Entwicklung von Stimmigkeit im Angesicht komplexer, widersprüchlicher Situationen und Anforderungen. uvk-lucius.de/ fuehren 9.1 Das „Leadership Model“ von Thales von Claudia Wörner Thales ist ein weltweit führender Technologiekonzern in den Märkten Verteidigung und Sicherheit, Luft- und Raumfahrt und Transport. Im Jahr 2014 erzielte das Unternehmen einen Umsatz in Höhe von 13 Milliarden Euro und beschäftigte 61.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 56 Ländern. Thales verfügt mit seinen über 20.000 Ingenieuren und Forschern über die einzigartige Fähigkeit, Produkte, Systeme und Dienstleistungen zu konzipieren, zu entwickeln und zu installieren, die den komplexesten Sicherheitsanforderungen entsprechen. Thales hat eine herausragende internationale Präsenz und verfügt weltweit über zahlreiche Niederlassungen, welche eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Kunden vor Ort ermöglichen. Thales Deutschland mit Sitz in Ditzingen ist die drittgrößte Landesorganisation im Thales-Konzern und hat rund 3.400 Beschäftigte an insgesamt acht Standorten mit eigener Produktion und Entwicklung. Im Jahr 2014 erzielte Thales Deutschland einen Umsatz von rund 700 Millionen Euro - mehrheitlich aus deutscher Wertschöpfung. Seit über einem Jahrhundert in Deutschland ansässig, steht Thales Deutschland als integriertes deutsches Elektronikunternehmen und Systemhaus in der Tradition deutscher Ingenieurskunst. Als anerkannter Teil der deutschen Hightech-Industrie bietet Thales Deutschland seinen Kunden im In- und Ausland modernste, hochsichere und verfügbare Kommunikations-, Informations- und Steuerungssysteme sowie Dienstleistungen für einen sicheren Land-, Luft- und Seeverkehr sowie für zivile und militärische Sicherheits- und Schutzanforderungen. Darüber hinaus verfügt Thales Deutschland über ein umfassendes Portfolio von IT-Lösungen für Cybersecurity. An seinem Standort Ulm fertigt und entwickelt das Unternehmen zudem Satellitenkomponenten. Thales Deutschland orientiert sich am nachhaltigen Geschäftserfolg seiner Kunden und unterhält weltweit vertrauensvolle Partnerschaften zu Kunden sowie zu lokalen und internationalen Technologie- und Forschungspartnern. Warum ist „Leadership“ konzernweit im Fokus? In dem Technologiekonzern Thales sind bedeutende Namen der Industriegeschichte aufgegangen und führen ihre Tradition unter dem Dach von Thales fort. Die vielfältige Historie des Unternehmens (nicht nur in Deutschland) gepaart mit internationaler Präsenz und Kooperation bringt per se mit sich, dass die Führungskräfte in den verschiedenen Unternehmensteilen ebenfalls mit ganz unterschiedlichen Kompetenzen und Erfahrungswelten ausgestattet sind, während das Unternehmen ähnlich hohe Anforderungen an alle Führungskräfte im Unternehmensverbund stellt. Um dem Anspruch auf stetiges Wachstum auch künftig gerecht zu werden, sind ein gemeinsames Verständnis der Unternehmenskultur und des Umgangs miteinander erforderlich sowie einheitliche Standards für die Entwicklung und Förderung der Beschäftigten zu gewährleisten. Das „Leadership Model“ von Thales 345 uvk-lucius.de/ fuehren Eine Maßnahme, die der Konzernvorstand zu diesem Zweck beschlossen hat, ist die Einführung von einheitlichen und weltweit geltenden Führungsleitlinien, das „Leadership Model“. Unter Führungsleitlinien sind Werte wie Transparenz, Innovation, Wertschätzung, Ergebnisorientierung - um nur wenige zu nennen - zu verstehen, nach denen die Führungskräfte ihr Führungsverhalten orientieren sollen. Aufgrund des Abstraktionsgrades der Werte ist die Feststellung ob eine Führungskraft die Leitlinien einhält oder nicht einhält sehr schwierig. Sie bilden jedoch die Entscheidungsgrundlage, an der gute Führung gemessen wird (Neuberger, 2002: 12 ff.). Viele Unternehmen definieren für sich derartige Leitlinien, anhand derer die Führungskompetenzen entwickelt und ausgebaut werden, wie es für die Bewältigung der heutigen und künftigen Herausforderungen erforderlich ist. Im Folgenden wird auf der Grundlage dieser Definition von Führungswerten und Führungskompetenzen gesprochen. Das Dokument History of Thales finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. Neben den klassischen Zielvorgaben und Unternehmenswerten gab es in der Vergangenheit bereits in einzelnen Ländern, wie z.B. Thales Deutschland spezielle Führungsleitlinien und Kompetenzmodelle. Da diese jedoch nicht in allen Ländern vorlagen und der Konzernvorstand aus o.g. Gründen eine einheitliche Vorgehensweise anstrebte, wurde mit dem Leadership Model ein weltweit einheitliches Kompetenzmodell entwickelt und eingeführt. Welche Führungspersönlichkeiten braucht Thales in der Zukunft? Mit der Einführung des Leadership Models, eines einheitlichen Leadership Kompetenzmodells in allen Thales-Organisationen weltweit wurde die Grundlage für ein gemeinsames Handeln zur Erreichung der Unternehmensziele geschaffen. Um die erfolgsbringenden Führungswerte, die bei Thales erforderlich sind, zu identifizieren, startete die Human Resources Zentrale die Einführung zunächst mit weltweiten Interviews von Führungskräften: Dazu wurden die im Konzern als erfolgreich ermittelten Führungskräfte befragt, welche Verhaltensweisen und Kompetenzen ihrer Meinung nach wichtig für ihren Erfolg waren. Zu den Befragten gehörten Top-Manager aus verschiedenen Ländern, mit verschiedenen professionellen und kulturellen Hintergründen. Daraus abgeleitet ergeben sich im Unternehmenskontext bewährte erfolgreiche Führungskompetenzen, für die man die Annahme trifft, dass sie auch in Zukunft zum Erfolg des Unternehmens maßgeblich beitragen. Im nächsten Schritt wurden die erhobenen Daten und ausgewerteten Erkenntnisse in Workshops verarbeitet und mit weiteren Führungskräften aus verschiedenen Ländern stetig weiterentwickelt. Bei der Entwicklung der für Thales wichtigen Führungskompetenzen war und ist der zukünftige Erfolg des Unternehmens handlungsleitend sowie die Definition von Verhaltensweisen, die diesen maßgeblich unterstützen. Es ist für ein Unternehmen existentiell, seine Vorgaben und Leitlinien so zu gestalten, dass es sich am Markt erfolgreich behaupten kann. Dieser iterative Prozess dauerte mehrere Monate. 346 Claudia Wörner uvk-lucius.de/ fuehren Wie Blessin & Wick (2014) in Kapitel 9 ausführen, gibt es verschiedene ideologische Begründungen für Führung. Dass Führung notwendig ist, steht außer Frage. In einem komplexen Unternehmenskontext wie bei Thales soll Führung auf die gemeinsamen Ziele hin ausgerichtet und transparent nachvollziehbar sein. So gesehen kann das Leadership Model als ideologisch begründet angesehen werden. Es legt zugrunde, dass zur Erreichung von gemeinsamen Zielen ein einheitliches und abgestimmtes Führungsverhalten notwendig ist. Ebenso wird angenommen, dass Verhaltensweisen, die in der Vergangenheit zum Erfolg geführt haben, auch in der Zukunft zum gewünschten Erfolg führen. Thales berücksichtigt zudem den Markt in dem sich das Unternehmen aktuell und prognostiziert bewegt, um neben allgemein gültigen Führungskompetenzen auch diejenigen zu definieren, welche Thales Führungskräfte besonders auszeichnen. Im Folgenden wird das Leadership Model von Thales im Detail erläutert. Wie sieht das „Leadership Model“ von Thales aus? Gemäß des bislang Erläuterten bildet das Leadership Model von Thales das Kompetenzmodell ab, welches die erfolgsbringenden und erfolgsversprechenden Führungswerte beinhaltet. Es sind sechs Kernkompetenzen in der Entwicklungsphase identifiziert und definiert worden, die nachweislich zum Erfolg geführt haben. Damit einhergehend sind beobachtbare Verhaltensweisen und Kompetenzen, die von Führungskräften bei Thales erwartet werden, formuliert worden und dienen als Referenz bei der Einschätzung und Bewertung von gutem Führungsverhalten. Um diese Kernkompetenzen für alle greifbar und nachvollziehbar zu machen, ist in einer Broschüre jede Kompetenz definiert mit beobachtbaren Markern erläutert worden, so dass diese Auflistung von „erwünschten“ und „nicht erwünschten“ Verhaltensweisen den Einzelnen dient, sowohl das eigene als auch das Verhalten der Beschäftigten auf dieser Grundlage zu reflektieren und die nötigen Modifikationen bzw. die erforderlichen Entwicklungsmaßnahmen einzuleiten. Im Folgenden werden die sechs Kernkompetenzen dargestellt und ihre Bedeutung für Thales erläutert: Shape solutions out of complexity (Komplexitätsmanagement): Zum Komplexitätsmanagement gehört aus der Sicht von Thales das Erfassen sowohl des Gesamtbildes als auch der Einzelheiten. Um Situationen auf verschiedenen Ebenen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten zu können, ist eine Grundneugierde sowie ein hohes Maß an Aufmerksamkeit notwendig. Dabei gilt es, die erfasste Komplexität für sich selbst und für andere nachvollziehbar zu reduzieren sowie den Fokus auf das Wesentliche zu lenken, um bei Bedarf schnell und unkonventionell handeln zu können. Be ambitious and accountable (Ambition und Verantwortungsbewusstsein): Unter Ambition und Verantwortungsbewusstsein versteht Thales, dass sich die Einzelnen so zum Handeln mobilisieren, dass sowohl kurzwie mittel- und langfristig erfolgreiche Ergebnisse erzielt werden. Dabei ist es notwendig, angemessene Risiken einzugehen, zeitgerechte Entscheidungen zu treffen und mit einem hohen Anspruch sich selbst und an andere die Aktionen zu leiten und zu steuern. Perform through cooperation (Kooperationsfähigkeit): Die Kooperationsfähigkeit zeigt sich für Thales darin, dass Personen mit anderen Das „Leadership Model“ von Thales 347 uvk-lucius.de/ fuehren Funktionen oder Standorten, national und international, so zusammenarbeiten, dass die Projekte erfolgreich abgeschlossen werden. Individualistische Haltungen werden aufgegeben zu Gunsten von „Win-win“-Verhaltensweisen mit Blick auf den eigenen Beitrag zum gemeinsamen Erfolg. Dabei unterstützt die Weitergabe von nützlichen Informationen und das Suchen nach Synergien zwischen und innerhalb von Einheiten. Influence key stakeholders (Einflussnahme auf wichtige Stakeholder): Bei der Einflussnahme auf wichtige Stakeholder geht es Thales darum, das dynamische Zusammenwirken von Individuen, Teams, Organisationen und Kulturen zu verstehen und das eigene Verhalten darauf einzustellen und im Interesse des Unternehmens auf andere Einfluss zu nehmen. Wichtige Stakeholder können sowohl Kunden, Partner oder Behörden wie auch Thales interne Kontakte sein. Engage and develop teams (Personalsteuerung und -entwicklung): Zu Personalsteuerung und -entwicklung gehört aus der Sicht von Thales die Fähigkeit, ein Team heute zu einem gemeinsamen Ziel zu führen und es gleichzeitig auch auf künftige Herausforderungen vorzubereiten. Die Formulierung und Vermittlung einer Vision ist dabei ebenso wichtig wie die Vergewisserung, dass den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Verantwortung für ihre Aufgaben bewusst ist und sie sich dafür verantwortlich fühlen. Gleichzeitig ist es erforderlich, die Personalentwicklung zu fördern und dabei zu unterstützen, dass sich die Einzelnen mit den Herausforderungen bei Thales auch persönlich und beruflich weiter entwickeln. Manage self (Selbstmanagement): Unter Selbstmanagement versteht Thales, dass sich die Einzelnen ihrer Stärken und Lernfelder bewusst sind sowie die Emotionen kennen, die Einfluss auf die eigene Effektivität haben und sie beim Steuern ihrer Handlungen berücksichtigen. Mit dem Anspruch, in allen Bereichen ein Vorbild zu sein verfolgen sie die eigene Weiterentwicklung und unterstützen damit auch die Verbesserung der Gesamtleistung des Unternehmens. Darum legt Thales bei seinen Führungskräften Wert auf … Komplexitätsmanagement Das Umfeld in dem Thales sich bewegt wird immer komplexer: Es gibt immer mehr und ineinander verwobene Interessensgruppen. Zivile und militärische Technologien überschneiden sich. Der Wettbewerb wird stärker und nimmt neue Formen an. Gesetzliche und behördliche Vorgaben nehmen zu. Dies erfordert Genauigkeit, Weitsicht sowie die Fähigkeit, komplexe Gegebenheiten zu erfassen und notwendige Aktionen daraus abzuleiten. Innovative Ideen sind dabei genauso wichtig wie der ständige Abgleich mit dem Wettbewerb. Ambition und Verantwortungsbewusstsein Diese Kompetenz ist für Thales wichtig, weil neue Märkte erobert oder konsolidiert werden sollen und die Wettbewerbsfähigkeit im militärischen wie im zivilen Geschäft ausgebaut werden soll. Dies macht das Erkennen neuer Risiken und Chancen erforderlich, um im Hinblick auf technologische Innovationen und Spitzenleistung führend zu bleiben. Führungskräfte sollen Initiative und Unternehmergeist zeigen. Sie sollen neue Lösungen in funktionellen und operativen Bereichen vorschlagen und dabei ausgewogene Risiken eingehen und die Umsetzung steuern, mit dem Ziel, beste Leistung in einem schwierigen Umfeld zu gewährleisten. 348 Claudia Wörner uvk-lucius.de/ fuehren Kooperationsbereitschaft Gute Zusammenarbeit innerhalb der Organisation ist notwendig für die Ausarbeitung komplexer Angebote sowie für die erfolgreiche Durchführung von internen Projekten, für die unterschiedliche Kompetenzen erforderlich sind. Die Führungskräfte von Thales sollen deshalb in der Lage sein, die Zusammenarbeit von Menschen aus verschiedenen Kulturen und Geschäftsbereichen auf ein gemeinsames Ziel hin auszurichten sowie die bereichsübergreifende Zusammenarbeit und den Austausch von technischen und wirtschaftlichen Kenntnissen und Fähigkeiten zu fördern. Einflussnahme auf wichtige Stakeholder Diese Kompetenz ist entscheidend im Kontext der Globalisierung von Thales. Die Führungskräfte werden mit einer zunehmenden Bandbreite von unterschiedlichen Interessengruppen und Organisationen zu tun haben und müssen zu ihnen Beziehungen aufbauen. Darüber hinaus erfordert die Identifizierung potentieller Partnerschaften eine gewisse Vertrautheit mit den Verhältnissen vor Ort - ob militärisch oder zivil - sowie entsprechende Kenntnisse über die Interessensgruppen und Märkte, um günstige Gelegenheiten erkennen und nutzen zu können. In diesem Umfeld ist ein kluger und sicherer Umgang mit Menschen und Situationen unabdingbar. Personalsteuerung und -entwicklung In einem sich stetig verändernden Umfeld (Entwicklung neuer Märkte, Globalisierung, vielfältiger Wettbewerb, eingeschränkte Budgets etc.), das sowohl Möglichkeiten als auch Risiken beinhaltet, ist es für eine Führungskraft wichtig, das Personal nicht anzuleiten, sondern es darin zu unterstützen, seine Gewohnheiten zu modifizieren und sich täglich und nachhaltig weiter zu entwickeln. Selbstmanagement Ebenso wichtig für Thales ist es, in einem dynamischen Umfeld einen Schritt zurück treten zu können, sich der eigenen Reaktion bewusst zu werden, sich selbst und seine Emotionen zu verarbeiten, Herausforderungen in Möglichkeiten zu verwandeln, sich trotz potentieller Hindernisse vorwärts zu bewegen und entschlossen und auf die zu erreichenden Ziele ausgerichtet zu bleiben. Umsetzung und erste Ergebnisse Die Einführung dieses Kompetenzmodells erfolgte top-down und weltweit zeitgleich. Damit das Leadership Model im Tagesgeschäft Realität wird, ist die dringende Voraussetzung, dass es von der Führungskraft vorgelebt und aktiv an das Umfeld weitergegeben wird. Führungskräfte können nicht von den Beschäftigten Verhaltensweisen fordern, die sie selbst nicht im mindestens gleichen Maße einbringen. Daher wurde die Implementierung von oben nach unten angesetzt. Um die Wichtigkeit der „neuen“ Führungswerte zu verdeutlichen wurde das Modell als Konzernbotschaft von den Vorstandsmitgliedern in einer Videobotschaft vorgestellt. Darin stellte jedes Mitglied eine Kompetenz vor und erklärte nachvollziehbar, was unter dieser Kompetenz zu verstehen sei. Dabei wurde stets der Bezug zu den geschäftlichen Herausforderungen hergestellt und aufgezeigt, warum die für die Kompetenz beschriebenen Verhaltensweisen bei Führungskräften wichtig für das Unternehmen sind. Die Videobotschaften sowie je ein Geleitvideos des Vorstandvorsitzenden Das „Leadership Model“ von Thales 349 uvk-lucius.de/ fuehren und des Personalvorstandes sind jederzeit im Intranet verfügbar und wurden von den lokalen Human Resources Abteilungen beim „roll out“ aktiv und gezielt genutzt. In Deutschland war der Bereich Personalentwicklung mit der Einführung betraut. Hier wurde mit der Sensibilisierung bei Human Resources und der erweiterten Geschäftsleitung begonnen. Im nächsten Schritt wurden in Kooperation mit den HR Business Partnern die weiteren Leitungskreise in den verschiedenen Geschäftsbereichen und Funktionen geschult. Die Broschüre „Leadership Model“ wurde aufgelegt, in der die sechs Führungskompetenzen mit den beobachtbaren Merkmalen nachvollziehbar und anwendbar veranschaulicht werden. Die Broschüre ist sowohl in deutscher als auch in englischer und französischer Sprache sowie im Intranet als Pdf-Dokument jederzeit verfügbar. Das Dokument LeadershipModel deutsch final.pdf finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR- Codes. Um eine effektive und zielgerichtete Einführung in Deutschland zu gewährleisten, wurde ein „Training Kit“ konzipiert, das in Form eines Workshops zunächst im HR Leitungskreis getestet und später in der erweiterten Geschäftsleitung eingeführt wurde. Bestandteil dieses „Training Kit“ sind u.a. verschiedene Workshop-Formate, die an die jeweilige Zielgruppe angepasst werden können oder sog. „Teaser“ als Kurzbotschaft zur Veranschaulichung von einzelnen Kompetenzen und zur Veröffentlichung über Info-Monitore an zentralen Orten im Unternehmen. Die Moderation des ersten Workshops übernahmen zwei Beschäftigte aus der Personalentwicklung. Ziel dabei ist, dass sich die Teilnehmenden mit den einzelnen Kompetenzen und den dazu beobachtbaren Verhaltensweisen auseinander setzen und sie mit den Anforderungen aus ihrem Tagesgeschäft in Verbindung bringen. Eine Reflektion „Wie kann ich als Führungskraft mit meinem Team die Verhaltensweisen des Leadership Models umsetzen“ folgt zum Abschluss. Das Dokument Ablauf eines Workshops zum Leadership Model.pdf finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. Ähnliche Workshops wurden entsprechend auf die jeweilige Zielgruppe abgestimmt und mit Unterstützung der HR Business Partner in weiteren Leitungskreisen durchgeführt. Dabei war insbesondere wichtig, das Leadership Model nicht nur als Kompetenzmodell zu präsentieren, sondern die Vorstellung und Diskussion der Kompetenzen und Verhaltensweisen anhand konkreter Beispiele in den Abteilungsmeetings in den Fokus zu stellen. Das Dokument Anmoderation einer Diskussion im Rahmen eines Abteilungsmeetings.pdf finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. 350 Claudia Wörner uvk-lucius.de/ fuehren Zusätzlich zu diesen Einführungs-Workshops wird in den Abteilungsmeetings die Möglichkeit genutzt, jeweils eine Kompetenz herauszugreifen und am Ende des Meetings zu diskutieren, in wie weit diese Kompetenz während des Meetings sichtbar war und durch welches Verhalten bzw. durch welche Äußerungen man zu dieser Einschätzung kommt. Abschließend wird vereinbart, was zukünftig der Beitrag der Einzelnen sein wird, um die Umsetzung beim nächsten Meeting zu optimieren. Das Leadership Model ist mittlerweile in allen HR Prozessen integriert und fester Bestandteil der alltäglichen Arbeits- und Führungsweise. Im Rahmen der Personalentwicklung wurden alle Entwicklungsprogramme insbesondere für Führungskräfte dahingehend überarbeitet, dass sie vollständig auf die sechs Führungskompetenzen ausgerichtet sind. Vom „Passport to People Management“, dem Einstiegstraining für neue Führungskräfte bis zum „Senior Leadership Program“, dem 2-modularen internationalen Programm für Top-Manager, spielen die Kompetenzen des Leadership Models eine wesentliche Rolle und stehen im Fokus der Personalführung und -entwicklung. Im Rahmen der Reihe „Führung 2Go“ wird jede der sechs Kompetenzen in einer 2-stündigen Veranstaltung praxisorientiert vorgestellt. Die Moderation übernimmt ein Mitglied der Personalentwicklung in Kooperation mit einer Führungskraft. Es ist Thales wichtig, dass diese Maßnahme nicht als HR Programm wahrgenommen und verstanden wird, sondern dass diese Kompetenzen von den Führungskräften verinnerlicht und langfristig angenommen werden. Das setzt eine aktive und konstruktive Teilnahme bei der Konzeption und Moderation der Veranstaltung sowie bei der Umsetzung im täglichen Handeln voraus, so dass diese Werte auch im Unternehmen sichtbar werden. Der Schwerpunkt liegt zudem auf der Kompetenz „Perform through cooperation“, da die vorbehaltlose Zusammenarbeit, über Abteilungs- und Ländergrenzen hinweg, eine wichtige Grundlage für den internationalen Erfolg von Thales ist. Aus diesem Grund wurde bei allen Senior Managern diese Kompetenz in die individuellen Zielvereinbarungen integriert. Sowohl für die jährlichen Personalentwicklungsgespräche als auch für die Auswahl der passenden Entwicklungsmaßnahmen stehen die Kompetenzen online zur Reflektion zur Verfügung. Die Führungskräfte sind angehalten, die Entwicklungsgespräche nicht nur auf eine fachliche Qualifizierung auszurichten, sondern auch zu den im Leadership Model beschriebenen Verhaltensweisen Feedback zu geben und deren Weiterentwicklung anzuregen. Ebenso spielt bei der Nachfolgeplanung nicht nur die fachliche Eignung eine Rolle sondern gleichermaßen die Umsetzung der Kompetenzen des Leadership Models. Alle personaldiagnostischen Verfahren wurden daher auf die sechs Kompetenzen des Leadership Models hin ausgerichtet. Auf der Basis des Leadership Models wurde darüber hinaus ein Development Center für Nachwuchstalente konzipiert. Führungskräfte nominieren ihre identifizierten Talente, stellen ihre Kandidatinnen und Kandidaten den Führungskollegen vor und treffen die Auswahl der am Development Center Teilnehmenden danach gemeinsam. Im Development Center durchlaufen die Teilnehmenden verschiedene Übungen, in denen die Kompetenzen des Leadership Models anhand von standardisierten Kriterien beobachtet und bewertet werden. Ein dreiköpfiges Team (Führungskraft, Human Re- Das „Leadership Model“ von Thales 351 uvk-lucius.de/ fuehren sources und Profi aus der Diagnostik) beobachtet je drei Personen, um einen möglichst objektiven Eindruck zu gewinnen. Am Ende erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das evaluierte Feedback sowie Hinweise zu Stärken und Entwicklungsfeldern und Vorschläge zu weiteren Entwicklungsmaßnahmen. Auch unser 360°-Feedback-Verfahren wurde auf die sechs Kompetenzen des Leadership Models hin angepasst. Zur weiteren Verbreitung der Inhalte des Leadership Models laufen in regelmäßigen Zyklen Posterkampagnen und Videos auf den Info-Monitoren im Unternehmen. Im Rahmen von Betriebsversammlungen werden die Kompetenzen ebenfalls im Bericht der Geschäftsleitung vorgestellt. Fazit und nächste Schritte Innerhalb des vergangenen Jahres sind die Kompetenzen des Leadership Models in den Führungsebenen von Thales Deutschland etabliert und in alle HR-Prozesse integriert worden. Eignungsdiagnostik und Personalentwicklungsmaßnahmen sind ebenfalls darauf hin ausgerichtet. Allerdings bedeutet die Einführung dieses Kompetenzmodells eine Kulturveränderung, die nicht in einem Jahr vollzogen und abgeschlossen ist. Die wichtigsten Grundlagen auf Führungsebene sind geschaffen und die oben beschriebenen Maßnahmen werden weiterhin angeboten, durchgeführt und weiterentwickelt. Durch den konsequenten Einsatz von angepassten eignungsdiagnostischen Maßnahmen bei der Auswahl von neuen Führungskräften sowie der Integration der Kompetenzen des Leadership Models in alle Führungskräfte Entwicklungsmaßnahmen wird eine stetige Verbreitung und Vertiefung der erwünschten Verhaltensweisen erwartet. Durch die weltweit einheitliche Vorgehensweise sind die Entwicklungsmöglichkeiten für Führungskräfte auch über die lokalen Grenzen hinaus gestiegen. Die Anforderungen sind sicher in den unterschiedlichen Ländern zusätzlich von der nationalen Kultur geprägt, allerdings ermöglicht dieses konzernweite Kompetenzmodell eine gemeinsame Basis und Identifikation mit der gemeinsamen Unternehmenskultur. Blessin & Wick (2014) gehen in Kapitel 9.1 auf die Menschenbilder von Schein und Manager Typen nach Maccoby ein. Analog zum Komplexen Menschen nach Schein oder dem „Spielmacher“ nach Maccoby wird festgestellt, dass nicht jeder Mensch gleich ist und gleich handelt. Das Leadership Model von Thales beschreibt ein Idealverhalten, das für das Unternehmen und somit auch für die Führungskräfte die darin erfolgreich agieren wollen erstrebenswert ist. Dieses Ideal kann wohl nicht zu 100% von einer Person gelebt werden, allerdings kann sie sich dafür entscheiden, diesem Ideal so gut wie möglich gerecht zu werden. Literatur Blessin, B. & Wick, A. (2014): Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK. Neuberger, O. (2002): Führen und führen lassen (6.A.). Konstanz und München: UVK Lucius. 352 Claudia Wörner Autor-Kurzprofil Claudia Wörner ist seit Dezember 2002 im Thales Konzern tätig, seit April 2013 als Direktorin Professional Development & Thales University Germany. In dieser Funktion berichtet sie direkt an den VP Human Resources Thales Deutschland und verantwortet mit ihrem Team sämtliche Aktivitäten der Personal- und Organisationsentwicklung sowie Aus- und Weiterbildung für die Thales Organisation in Deutschland. Bevor Frau Wörner zu Thales wechselte war sie in internationalen Konzernen im Bereich Human Resources in verantwortlichen Positionen tätig. Bei Thales betreute sie zunächst als Personalleiterin eine internationale Business Line und steuerte danach für einige Jahre von der Zentrale in Paris aus weltweite Personalentwicklungsprojekte. uvk-lucius.de/ fuehren 9.2 Das Franziskanische Führungskonzept von Markus Warode Aus welchem Grund sollte die Tradition und Lebensweise des Heiligen Franziskus von Assisi (1182-1226) und seiner heute 800 Jahre alten Ordensgemeinschaft, die zu den sogenannten Bettelorden zählt und Armut als wesentliches Charakteristikum gewählt hat, für dynamische Prozesse in modernen Führungs- und Marktstrukturen nützlich sein? Warum gewinnt ein professionelles Personalmanagement für die franziskanischen Orden und ihre Einrichtungen bspw. in der Alten- und Behindertenpflege, Krankenhäusern oder Bildung immer mehr an Bedeutung? Das Institut für Kirche, Management und Spiritualität (IKMS), eine Einrichtung der PTH Philosophisch-Theologische Hochschule Münster gemeinnützige GmbH, die von der Deutschen Kapuzinerprovinz getragen wird, hat dazu einen Führungsansatz entwickelt. Der Ansatz der Franziskanischen Führungsphilosophie verbindet die franziskanische Spiritualität mit Managementresp. Führungsverhalten. Ziel des Ansatzes ist es, Führungskräfte und Mitarbeiter zu qualifizieren, in der Balance von wertegebundener Identität und wirtschaftlicher Vernunft zu handeln. Der besondere Fokus liegt dabei auf sozialen Organisationen (Gesundheit) in franziskanischer Trägerschaft, wodurch sich das hier beschriebene Konzept primär auf diese Zielgruppe bezieht. Die Ausgangslage in den franziskanischen Einrichtungen Aufgrund der negativen demographischen Entwicklung in den franziskanischen Orden (zumindest in denen der westlichen Welt) sind nur noch wenige bis teilweise keine Ordensmitglieder mehr in den operativen Prozessen der Einrichtungen bspw. im Gesundheitswesen tätig. Zumeist beschränkt sich das franziskanische Engagement auf die Geschäftsführung, den Vorstand oder Aufsichtsrat. Der franziskanische Geist, der die Kultur in den Einrichtungen s.o. geprägt hat, droht zu verschwinden. Gerade in den operativen Führungs- und Managementprozessen der Organisationen rücken so die franziskanischen Werte und Inhalte weiter in den Hintergrund. Dadurch wird das Alleinstellungsmerkmal der franziskanischen Organisationen geschwächt und der Wettbewerbsdruck steigt. Zum einen sehen sich die Einrichtungen wie im Gesundheitswesen überall zu beobachten ist, einem wachsenden Fachkräftemangel ausgesetzt. Zum anderen möchten die franziskanischen Organisationen neben fachlicher Kompetenz auch eine franziskanisch-christliche Kultur und darüber eine transparente Identität wahren. In der Praxis greifen die Einrichtungen mittlerweile auf weltliche und auch andersgläubige Mitarbeiter zurück. Vielleicht auch gerade wegen dieser Vielfalt sind viele Geschäftsführungen interessiert, die franziskanische Ordenskultur als eindeutiges Profil mit Rückbezug zur Tradition lebendig zu halten. Eine Ordenskultur, die die Schwachen und Hilfsbedürftigen in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stellt. Es ist demnach Aufgabe der Mitarbeiter resp. der Führungskräfte dafür zu sorgen, dass nicht nur franziskanisch draufsteht, sondern auch franziskanisch drin ist. Vor diesem Hintergrund wurde ein Führungsprojekt entwickelt, welches das Charisma und die Inhalte des hl. Ordensgründers Franziskus von Assisi (13. Jh.) mit den Anfor- 354 Markus Warode uvk-lucius.de/ fuehren derungen der heutigen Management- und Führungswelt integrativ verbindet und zur Sicherung und Entwicklung der individuellen und organisationalen Leistungsfähigkeit nutzt. Wissenschaftlich-konzeptuelle Grundlagen Der Ansatz basiert auf der wissenschaftlichen Zusammenführung theologischphilosophischer Aspekte mit Inhalten der Management- und Personalführungsforschung bzw. arbeitswissenschaftlichen Grundlagen. Der Transfer in die Praxis ist dabei integriert und zwingend. Bei der wissenschaftlich-theoretischen Zusammenführung ergeben sich mehrere Herausforderungen. Die unterschiedliche Sprache und Kultur führt oft dazu, dass „man sich einfach nicht versteht“ und keine gemeinsame Arbeitsbasis findet. Ebenso fordern die jeweils unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtungen der Disziplinen einen intensiven und offenen Dialog, um Defizite im gegenseitigen Verständnis aufzulösen: So ist es die Hauptaufgabe der Theologie, aktuelle Fragen des Glaubens, Handelns und Lehrens im Rahmen von Kirche und Gesellschaft zu bearbeiten (Kasper, 2006). Die Philosophie will das menschliche Erkenntnisvermögen und seine Grenzen klären, um moralische Maßstäbe des Handelns zu finden und zu begründen sowie den Menschen grundsätzlich verstehen (Prechtl & Burkhard, 2008). Dagegen ist die systematische Analyse, Ordnung und Gestaltung von technischen, organisatorischen und sozialen Bedingungen von Arbeitsprozessen Gegenstand der Arbeitswissenschaft (Schlick, Bruder & Luczak, 2010). Das Management setzt nach seiner funktionalen Definition unmittelbar an den Aufgaben an, die zur Steuerung einer Organisation erfüllt werden müssen (Schreyögg & Koch, 2010) . Die Personalführung zielt auf die bewusste zielorientierte Einbindung der Mitarbeiter durch Vorgesetzte zur Realisierung von Unternehmenszielen (Blessin & Wick, 2014). Auf welcher Grundlage ist nun eine interdisziplinäre Verbindung zu schaffen? Die Vorgehensweise liegt darin, eine gemeinsame Zielperspektive zu finden, die die Identität der einzelnen Disziplinen im Dialog berücksichtigt. Für dieses Prinzip liefert u.a. das franziskanische Ordensleben ein gutes Beispiel. Die Ordensmitglieder sind alle für sich eigenständige Persönlichkeiten mit ihrer jeweiligen Lebenshistorie. In der Ordensgemeinschaft richten sie ihr Leben an Jesus Christus und dem Evangelium aus. Dadurch verfolgen sie ein gemeinsames Ziel. Dieses Grundverständnis ist zudem ein wichtiges franziskanisches Führungsprinzip. Es gilt die Freiheit und den Willen des Einzelnen in der Gemeinschaft zu berücksichtigen. Blessin & Wick (2014) nehmen in Kapitel 9.2. Bezug auf den Aspekt der Führungsethik. Ähnlich wie in der ethischen Perspektive, basiert der franziskanische Führungsansatz auf dem guten und reflektierten Handeln durch den Menschen. Grundlage ist dabei das Sein bzw. die Grundhaltung eines Menschen. Das vorliegende Beispiel konzentriert sich dabei auf den Begriff der christlichen Spiritualität. Spiritualität meint hier eine reflektierte Geisteshaltung, die einen transzendenten Bezug aufweist. Transzendenz bzw. die Beziehung zu Gott ist in einem konfessionellen Unternehmen zentraler Bestandteil der Identität und Kultur. Dagegen bietet sich für den allgemeinen Unter- Das Franziskanische Führungskonzept 355 uvk-lucius.de/ fuehren nehmenskontext eher die Verwendung der Begriffe Ethik und Moral an, da ein religiöser oder spiritueller Wortschatz von Unternehmen i.d.R. abgelehnt wird. Die wissenschaftliche Schnittmenge des Franziskanischen Führungsansatzes liegt in der integrativen Verbindung von Haltung und Handlung im Kontext einer gemeinsamen (zu entwickelnden) Zielsetzung. Inhaltlich wird der Ansatz durch die Tradition, Erfahrungen und Spiritualität bedient. In mehreren qualitativen Interviews mit Funktionsträgern und Brüdern aus verschiedenen franziskanischen Orden, konnten zentrale Aspekte Franziskanischer Führung ermittelt werden. Franziskanische Führung bedeutet in diesem Kontext: sich in den Dienst der Organisation stellen Fähigkeit, Beziehungen zu gestalten jedem Mitarbeiter auf Augenhöhe zu begegnen Potenziale und Ideen aller Mitarbeiter (insb. der Schwächeren) bewusst heben Schwache und Schwächen zulassen Wertvorstellungen und Konzepte gerade bei Widerständen authentisch leben sich für Veränderungen einsetzen flexibel und mobil sein verzeihen können Grenzen erkennen Für die Praxis ist es zentral, keinen blumigen Ansatz zu liefern, der in den Strukturen des beruflichen Alltags untergeht. Dieses beschreibt auch die Erwartungen des Marktes, der keinen verkopften wissenschaftlichen, sondern praktischen Ansatz fordert. Um einen praxisnahen Ansatz auf der Basis franziskanischer Inhalte zu konzipieren, braucht es ein Grundgerüst, das den Rahmen der Organisationen berücksichtigt. Aus diesem Grunde bezieht sich die Franziskanische Führungsphilosophie auf das St. Galler Managementsystem (Rüegg-Sturm, 2004) und auf das Modell zur Kompetenz. Dabei greift der Ansatz speziell bei der Handlungsfähigkeitsentwicklung auf das Bochumer Modell zur Kompetenz zurück. Das Modell beschreibt das Zusammenspiel von Handlungsfähigkeit (Können), wobei neben dem eigentlichen Wissen, die Fähigkeit zur Anwendung und Automatisierung von Routinen verstanden wird, und von Handlungsbereitschaft (Wollen). Beide Aspekte sind darüber eng mit den Persönlichkeitseigenschaften eines Individuums verbunden, der Ebene auf welcher auch eine reflektierte Haltung als Bestandteil von Handlungskompetenz dargestellt werden kann. Für eine praktische Handlungskompetenz entscheidet allerdings erst die organisatorische, technologische und soziale Einbindung (Dürfen) des Menschen darüber, inwiefern die individuelle Handlungskompetenz überhaupt zur Entfaltung kommt (Kriegesmann, Kerka & Kottmann, 2007, S. 179-188). Dadurch wird unterstrichen, dass es letztlich um eine Kompetenzerweiterung der Mitarbeiter und Führungskräfte geht. Das Gelernte oder neu erworbene Wissen soll unmittelbar in der Praxis einen Nutzen haben. 356 Markus Warode uvk-lucius.de/ fuehren Franziskanische Führung In der Franziskanischen Führungsphilosophie geht es nicht um eine Technik, die man aus dem Baukasten der Führungs- und Managementtools herausnehmen kann. Es handelt sich mehr um ein Ideal, das nicht eins zu eins in die Praxis zu übertragen ist. Ziel ist es, für eine Haltung zu sensibilisieren, die sich zunächst mit der Frage auseinandersetzt, „Wie führe ich mich selbst? “. Diese Frage ist wiederum Grundlage für den Führungsauftrag „Wie führe ich andere? “. Erfahrungen in diversen Workshops und Seminaren zeigen, dass gerade die Frage nach der Selbstführung und damit der Verantwortung für das eigene Tun nicht trivial ist. „Irgendeiner wird oder besser noch muss mir doch sagen, was ich tun soll“, ist eine Haltung, die gerade in der mittleren Führungsebene gepflegt wird. Deshalb ist die Selbstreflexion wie weiter unten ausführlicher beschrieben wird, der entscheidende Schritt. Das Dreieck der spirituellen Führung ergänzt letztlich die Frage „Wie lasse ich mich führen? “, die im Besonderen auf die eigene Position gegenüber einer höheren Macht und Dingen, die nicht beeinflussbar sind, hinweist. Dreieck spiritueller Führung, Institut für Kirche, Management und Spiritualität Die franziskanischen Inhalte setzen daher an der Führungsperson selbst an (nicht an der Funktion). Es geht darum, den Unterschied zwischen Person und Funktion bewusst zu machen. „Wer ist eine Person? “ und „was tut eine Person? “, sind gerade in Führungsbeziehungen grundlegende Hebel, die auf eine nachhaltige Führungsqualität ausgerichtet sind. Im Folgenden werden die Aspekte aus der franziskanischen Tradition beschrieben, die sich in der langjährigen Forschung und den Erfahrungen aus akademischen und privatwirtschaftlichen Angeboten als praxisgeeignet herauskristallisiert haben. Kennzeichnend für die Franziskanische Führungsphilosophie ist die dienende Haltung. Franziskus versteht sich als Diener in seiner Gemeinschaft. „Ich bin nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen“, sprach der Herr, ist der zentrale Ausspruch, an dem sich die Franziskanische Führungskultur orientiert. Dieses wird dadurch unterstrichen, dass die Führungskräfte in den franziskanischen Orden die Namen Minister (lat. Diener) und Guardian (lat. Hüter) tragen. Ein weiterer Aspekt Franziskanischer Führung ist der demokratische Charakter, der auf die Einbeziehung aller Mitglieder ausgerichtet ist und im Besonderen die Jüngeren integriert. Dieser Ansatz erfährt heute in der Auseinandersetzung mit der Generation Y und Z, die derzeit in die Unternehmen rücken eine besondere Bedeutung. Es geht darum, Bedürfnisse, Werte und Zielsetzungen des Einzelnen im Kontext organisationaler Ziele sinnvoll einzubinden. Der einzelne Bruder wird demokratisch von der gesamten Gemeinschaft in eine Funktion gewählt. Dabei sieht die Satzung des Ordens vor, dass die jeweilige Führungskraft Das Franziskanische Führungskonzept 357 uvk-lucius.de/ fuehren für zunächst drei Jahre gewählt ist. Ist die Gemeinschaft mit der „Führungsperformance“ zufrieden, kann bspw. der Provinzialminister - Führungskraft einer Ordensprovinz - für weitere drei Jahre im Amt bestätigt werden. Danach wird auch er im Falle einer sehr guten Führungsleistung eine andere Aufgabe im Orden wahrnehmen. „Der chronisch Obere soll vermieden werden“, ist in diesem Zusammenhang ein sehr treffender Beitrag eines Kapuzinerbruders gewesen, der die Absicht, starre und unreflektierte Führungsstrukturen zu verhindern thematisierte. Die Idee der befristeten Leitungsämter liegt darin, dass die Führungskräfte nach einer gewissen Zeit die Möglichkeit wahrnehmen sollen, im Rahmen einer Auszeit über ihre Führungsperiode zu reflektieren. Distanz gewinnen, sachlich über Prozesse und Entscheidungen reflektieren und darüber Impulse zur Entwicklung der Gemeinschaft und sich selbst setzen, beschreibt hier die „Lernende Organisation“ franziskanischer Orden. Für die Unternehmenspraxis auf den ersten Blick wenig geeignet lassen sich bspw. in der Sperrfrist des Wechsels von Regierungspolitikern in die Privatwirtschaft oder des ständigen Weiterwanderns derselben Personen in den Aufsichtsräten zumindest verwandte Bereiche identifizieren. Doch zunächst zurück zur demokratischen Struktur des Ordens. Jegliche Prozesse, über die im Orden entschieden wird, werden demokratisch beraten. Ein aktuelles Thema ist dabei die Aufgabe von Standorten und die Schließung von Klöstern mit entsprechenden Personalwechseln oder Aufgabe von Einrichtungen (in der Gesundheitswirtschaft) mit entsprechenden Personalfreisetzungen. Auch wenn in der letzten Instanz die jeweilige Provinzleitung die formale Entscheidung trifft, basiert der Prozess auf dem demokratischen Quorum aller Brüder. Allerdings liegt bei demokratischen Prozessen, die grundsätzlich die Beteiligung aller Mitglieder beinhalten, die Herausforderung darin, die richtige Balance zu finden. Wird die Ergebnisqualität erhöht oder sind viele Meinungen und ein höherer Zeitaufwand kontraproduktiv? Dieses fordert letztlich die Entscheidung und die Kompetenz der Führungskraft, die die einzelnen Interessen im Kontext der Gemeinschaft berücksichtigen muss. Damit ein Mehr für den Einzelnen und die Gemeinschaft erreicht wird, bedarf es einer reflektierten Haltung, die zwingend Handlungen nach sich zieht. Das ist für sich genommen nicht typisch franziskanisch, sondern Grundlage weiterer Ordenskonzepte und auch verschiedener Managementkonzepte wie der transformationalen Führung (Avolio & Bass, 2004), des Servant Leadership Ansatzes (Greenleaf, 1998; 1977) oder Theorien, die der hellen Seite der Führung zugeschrieben werden (Kellerman, 2004; Weibler, 2012: 626-630). Im Mittelpunkt steht die positive Haltung der Führungskraft, die die Mitarbeiter im Sinne der nachhaltigen Entwicklung des gesamten Unternehmens, einbezieht. (vgl. auch Blessin & Wick, 2014: Kap. 3.2.3.) Daneben berücksichtigt der Franziskanische Ansatz die Anforderungen der Unternehmen, in dem er transaktionale Elemente wie verbindliche Strukturen oder Zielvereinbarungen integriert. Denn ohne verbindliche Ziele ergeben sich i.d.R. keine gewünschten Ergebnisse. Der Anker für einen Franziskanischen Ansatz liegt darin, sein Handeln aus einer inneren Quelle zu bedienen, die in der Handlung selbst umgesetzt wird. Diese Quelle basiert hier auf der Person des Franziskus und seiner 800-jährigen Ordensbewegung. Franziskus lebt eine Haltung, in dem er jedem Menschen auf Augenhöhe begegnet. Damit wird die „geistige Armut“ definiert, die exemplarisch für die Franziskanische 358 Markus Warode uvk-lucius.de/ fuehren Führungskultur ist. Armut ist das wesentliche Kriterium der Franziskanischen Bewegung. (Lehmann, 2012; Schmies, 2012) Auch wenn der traditionelle ursprüngliche Verzicht auf alles Materielle schwer in die Unternehmenspraxis umzusetzen ist, gibt sie trotzdem einen Anreiz für heutige Führungsprozesse. Armut meint ein Sich-Nicht- Festmachen an Dingen und Orten. Das meint u.a. auch das Erkennen von Grenzen. Franziskus selbst hat zu Lebzeiten die Leitung seines Ordens abgegeben (Kuster, 2009). Der freiwillige Verzicht auf eine Führungsposition ist oft genug heute noch ein sensibles Thema, welches sich durch alle Organisationsformen hindurchzieht. Von der FIFA bis zum Mittelstand oder Ortsverein eines Verbandes. Zudem zeigt das Beispiel des aktuellen Papst Franziskus, wie positiv eine entsprechende Haltung und authentisches Handeln wirken kann. Auch wenn die Nutzung eines alten Fahrzeugs ökonomisch und ökologisch nicht empfehlenswert ist, wird die Zeichenhaftigkeit der Handlung in den Vordergrund gestellt. „Ich brauche keinen teuren Dienstwagen, während es an vielen Stellen an Geld mangelt.“ Über dieses tätige Vorbild wird eine Gemeinschaft motiviert und inspiriert, was sich perspektivisch auf die Qualität ihrer Handlungen oder Leistung auswirken kann. Die Haltung auf Basis der sogenannten evangelischen Armut (die Beobachtung des Evangeliums ist die vorderste Aufgabe der franziskanischen Orden) liefert die Ansatzpunkte für eine franziskanisch inspirierte Führungsqualität. Die Franziskanische Haltung zeigt sich in folgenden Themen und Prozessen, die grundsätzlich in jeder Organisation zu finden sind. Aufgabe der Führung bedeutet den Anderen im Inneren zu berühren. Der Mensch an sich ist das höchste Gut und nicht der Mensch als Nutzenfaktor. Schwache und Schwächen zulassen. Alle verfügbaren Potenziale und Perspektiven sind im Sinne der Gemeinschaft einzubeziehen und anzuhören. Kritik und Korrekturen auf sachlicher Ebene kommunizieren, ohne den Anderen zu beschämen oder bloß zu stellen. Erneuern statt Ersetzen. Ein Bewusstsein schaffen für das, was da ist und was für die Zukunft genutzt werden kann. Vorhandendes wie Strukturen, Personal, Historie, Kultur als Fundament einbinden. Vorhandende Dinge wertschätzen und nicht stets nach dem mehr, mehr, mehr fragen. Reflexion der eigenen Person und Rolle. Bin ich bereit und fähig meine Führungsposition gut auszufüllen? Im Schwerpunkt konzentriert sich der Franziskanische Führungsansatz auf die Fähigkeit zur Gestaltung von Beziehungen. Die Wertschätzung des Gegenübers lässt eine nachhaltige Führungsbeziehung erwarten. Durch das ernsthafte Interesse an der anderen Person und aktivem Zuhören ist es möglich, Potenziale und Perspektiven zu erkennen, die positiv für die Gemeinschaft sein können. Das Dokument Die Franziskanische Regel finden Sie online unter http: / / www.uvk-lucius.de/ fuehren oder durch Scannen dieses QR-Codes. Das Franziskanische Führungskonzept 359 uvk-lucius.de/ fuehren Als universelle und zeitlose Grundstruktur ist die Ordensregel des Hl. Franziskus von 1223 als Rahmen für das Leben und das Führungsverständnis der Gemeinschaft elementar. Die Franziskusregel ist mit ihren zwölf Kapiteln eine Grundlage für das spirituelle Leben der Gemeinschaft. Sie ist keine starre Vorschriftensammlung. Im Gegensatz zur Benediktregel, die sehr detailliert und hierarchisch die Rolle des Abtes und Cellerars (ökonomischer Leiter) beschreibt, setzt die franziskanische Regel auf einen breiten Gestaltungsspielraum der Brüder. Die Regel soll die Brüder dazu anleiten in spezifischen Situationen, zu unterschiedlichen Zeiten und innerhalb dem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext den Regeltext selbstverantwortlich anzupassen. D.h., die Regel soll ein Bewusstsein schaffen, dass das Leben allen bisherigen Erfahrungen und Theorien immer voraus ist. Die spirituelle Grundlage (durch das Beobachten des Evangeliums und das Vertrauen in Gott) der Regel liefert eine Orientierung und Sicherheit, sich in unbekannten Situationen zu bewegen sowie zu entscheiden. Damit wird sie zu einer Ressource, die im unternehmerischen Umfeld Belastungen bspw. aus Führungsbeziehungen und Veränderungsprozessen ausbalancieren kann. Im Kontext von Führung setzt die Regel die dienende und menschenorientierte, auch -liebende Haltung in den Vordergrund. In Kapitel 8 ist bspw. von der Abwahl des Generalministers, falls dieser nur unzureichend für die Gemeinschaft wirkt, die Rede. Das Kapitel 10 beschreibt die Ermahnung und Zurechtweisung der Brüder. Heute vergleichbar mit Mitarbeiterentwicklungs- oder Kritikgesprächen. Dazu verfügen die franziskanischen Orden über Satzungen in denen konkrete Aufbau- und Ablaufprozesse der einzelnen Provinzen und Orden geregelt sind (Warode & Gerundt, 2015; 2014; Lehmann, 2012; Schmies, 2012; Berg & Lehmann (Hg.), 2009; Dienberg, 2008; Kuster, 2002). Inhalte und praktische Erfahrungen des Führungsprojektes Am Beispiel einer franziskanischen Einrichtung der Alten- und Pflegewirtschaft mit einigen hundert Angestellten an mehreren Standorten, gilt es einen Fünfschritt vorzustellen, der die strukturelle Vorgehensweise des Konzepts beschreibt. Grundsätzliches Ziel ist es, Inhalte zur Führung auf Basis franziskanischer Tradition so zu vermitteln, dass der franziskanische Geist verstärkt im Alltag der Einrichtungen gelebt wird. Dabei sollen die Teilnehmer befähigt werden: ihre Berufung und Führungsleistung in einer franziskanischen Einrichtung selbstständig zu reflektieren, ihre persönlichen Ressourcen auf Basis ihrer Spiritualität zu identifizieren und die franziskanische Führungskultur als Handlungskompetenz zur Gestaltung von Beziehungen sowie Prozessen zu entwickeln. Auf der organisationalen Ebene werden folgende Ziele angestrebt: die Identifikation der Mitarbeiter mit der Organisation zu stärken, ein transparentes franziskanisches Profil nach innen und außen zu entwickeln, die Attraktivität für Mitarbeiter und Kunden zu erhöhen und die Leistung der Einrichtung kontinuierlich zu reflektieren und zu sichern. In dem vorliegen Beispiel sah das Konzept vor, in Gruppen von ca. zwölf Führungskräften heterogen nach Alter, Dienstzugehörigkeit und Konfession durch mehrtägige 360 Markus Warode uvk-lucius.de/ fuehren Workshops die Teilnehmer für eine franziskanische Führungshaltung zu sensibilisieren. Um beide Disziplinen, franziskanische Theologie und Management/ Führung, zu besetzen, haben wir die Workshops zu zweit inkl. der jeweiligen Professionen (Theologie und Management) durchgeführt. Insgesamt wurden die fünf Schritte des Konzeptes angewandt, die fließend miteinander verbunden sind. [1] Sensibilisierung für die persönliche Haltung [2] Bezug zur Führungsaufgabe [3] Impulse zur Franziskanischen Führung [4] Integration von Managementtechniken [5] Bewusste Zusammenführung von Haltung und Handlung (Technik) Der integrative Charakter des Konzeptes steht dabei im Mittelpunkt. Es soll auf der Basis einer franziskanisch reflektierten Haltung gehandelt werden. Das bloße Nebeneinanderstellen von Werten oder Ethik mit Managementhandeln, wie es in vielen Business Ethics Studienprogrammen kritisiert wird, ist nicht Bestandteil und Ziel des Konzeptes. [1] Sensibilisierung für die persönliche Haltung Wenn nach sehr persönlichen Dingen wie eigene Werthaltungen oder ethische Grundüberzeugen in einer Gruppe gefragt wird, braucht es eine stabile Vertrauensbasis. Mit einem Ordensmann, der seinen Habit trägt, erhält man i.d.R. (gerade in einem konfessionellen Haus) bei einem Großteil der Teilnehmer einen Vertrauensvorschuss. So kommunizieren wir die Workshop-Inhalte als Einladung und Angebot und weisen auf das selbstverantwortliche Handeln der Teilnehmer hin. Ähnlich wie im Business Coaching sind wir hauptsächlich für die Struktur eines Prozesses zuständig, wobei wir zur Reflexion anleiten und immer wieder Dinge in Frage stellen. Damit wollen wir die persönlichen Ressourcen der einzelnen Teilnehmer herausarbeiten und stärken. Inhaltlich wurden die Teilnehmer zunächst unabhängig von franziskanischen Inhalten gebeten, über ihre persönlichen Werte, Erwartungen und Haltung zu reflektieren. In diesem Setting hatten wir den Begriff der Spiritualität gewählt, da in einem konfessionellen Haus der Bezug zum Glauben und Gott zentral ist. Durch offene Fragen, Reflexionsaufgaben, Gruppendiskussion und theoretischen Input ging es darum, die Teilnehmer mit der Frage „Wie führe ich mich selbst? “ in Verbindung zu bringen. „Welche Werte leiten mich in meinem Handeln? “ oder „Was sind meine Ressourcen? “ im Kontext der Führungsaufgabe sind hier die ersten Ansatzpunkte gewesen. Die Teilnehmer sollten erst einmal mit dem Thema Selbstführung in Verbindung gebracht werden. [2] Bezug zur Führungsaufgabe Wie überall konnten einige Teilnehmer sehr gut ihre Haltung und ihr Wertegerüst reflektieren und diese mit konkreten Verhaltensweisen im Beruf und Alltag in Verbindung bringen. Anderen Teilnehmern ist das weniger gut gelungen und man konnte nach dem ersten Schritt den Eindruck gewinnen, dass sie weder interessiert noch motiviert waren, irgendetwas beizutragen. Deshalb haben wir einen direkten Link zum persönlichen Führungskontext der Teilnehmer vorgenommen. „Was heißt für Sie gute Das Franziskanische Führungskonzept 361 uvk-lucius.de/ fuehren Führung? “ und wo finden sich ihrer Einschätzung nach positive und negative Beispiele in ihrem persönlichen Umfeld. Hierbei wurden die Teilnehmer gebeten sowohl aus der Perspektive des Führenden als auch des Geführten zu arbeiten. Diesen Teil haben wir moderiert und im engeren Sinne gecoacht. Bei abstrakten Nennungen wie „für mich spielt Vertrauen eine große Rolle“, wurde nachgehakt, um konkrete Situationen herauszuarbeiten, an denen das Zusammenspiel von Werten und tatsächlichem Handeln transparent gemacht werden konnte. Grundsätzlich nannten die Teilnehmer Beispiele aus konkreten Gesprächssituationen mit Mitarbeitern, Vorgesetzten oder Patienten mit einem hohen emotionalen Bezug. Insgesamt wurden Situationen als negativ wahrgenommen, wenn sich die Teilnehmer ihrer Führungsrolle nicht sicher waren. So erklärte ein ca. vierzigjähriger Teamleiter mit langjähriger Erfahrung, dass er sich in einem konfessionellen Haus nicht berechtigt fühle, Mitarbeiter zu kritisieren auch wenn diese offensichtlich Regeln nicht einhielten. Die Frage nach der Führungsrolle, was darf ich und was darf ich nicht, ist ein zentraler Faktor, den es zu entwickeln gilt. [3] Impulse zur Franziskanischen Führung Auf der Basis der erfolgten Sensibilisierung für eine Verbindung von Haltung und Handlung sind Eckpunkte franziskanischer Führung vorgestellt worden. Dabei haben wir uns an den Inhalten orientiert, die in den Ausführungen zum Franziskanischen Führungsansatz beschrieben sind. Im Kontext der Pflege- und Altenhilfeeinrichtungen ist hier stärker auf die Unterstützung der Schwachen, Kranken und Hilfsbedürftigen eingegangen worden. Damit ist zusätzlich der Aspekt der persönlichen Berufung der Teilnehmer „Warum arbeite ich in dieser Branche und in diesem Haus? “ integriert worden. Auf Basis der vorgestellten franziskanischen Inhalte wurde eine zweistufige Reflexionsübung durchgeführt: Wo finden Sie heute franziskanische Elemente in den operativen Führungsprozessen? Wo vermissen Sie franziskanische Elemente in den operativen Führungsprozessen? Dadurch konnte das Bewusstsein für das Zusammenspiel von persönlicher Haltung und Kultur sowie operativen Prozessen der Organisation erweitert werden. Zum einen wurden positive franziskanische Aspekte beleuchtet. Zum anderen wurden die Teilnehmer selbst in die Position gebracht, Aspekte zu identifizieren, die ihren Erfahrungen nach aus den Kontakten mit Mitarbeitern, Patienten oder Angehörigen fehlten. Die Teilnehmer haben an dieser Stelle bewusst gespürt, dass zwischen franziskanischen Inhalten und ihrer täglichen Führungsarbeit ein positiver Zusammenhang besteht. [4] Integration von Managementtechniken Im Zuge des Workshops haben wir uns auf Methoden der Personalführung und der Kommunikation wie Mitarbeitergespräche und professionelle Gesprächsführung beschränkt. Dabei vermittelten wir eine Technik zum Aufbau von Fachkompetenz und adressierten wiederum die Haltung der Teilnehmer. Die Teilnehmer wurden sensibilisiert, die Techniken nicht einfach zu übernehmen, sondern diese auf Inhalt, Struktur und Zielsetzung kritisch zu reflektieren. „Passt das überhaupt zu mir oder passt das zu den Zielen der Gemeinschaft? “. Dazu wurden die Teilnehmer gebeten, eigene Fälle in 362 Markus Warode uvk-lucius.de/ fuehren die Übungsformate zu integrieren, um alternative Lösungen und Perspektiven direkt für den beruflichen Alltag zu gewinnen. So konnte besonders im Rahmen der professionellen Kommunikation die Haltung im Kontext von Argumentation oder Problemlösung trainiert werden. Die Teilnehmer wurden sensibilisiert, ernsthaft die Bedürfnisse des Gesprächspartners herauszuarbeiten und darüber Interessen, Ideen und auch Sorgen zu bedienen. Im Sinne des Franziskanischen Führungskonzepts sollte der Gesprächspartner inspiriert und überzeugt und nicht überredet oder manipuliert werden. Durch Reflexion in der Gruppe konnte zudem die Perspektive auf die Mitarbeiter- und Organisationsführung gelegt und die Wichtigkeit von verantworteter Führung unterstrichen werden. [5] Bewusste Zusammenführung von Haltung und Handlung (Technik) Abschließend wurden den Teilnehmern Ansatzpunkte für eine Zusammenführung franziskanischer Haltung und Handlung vorgestellt. Dabei wurde die bullierte Ordensregel des Franziskus den Teilnehmern mit der Bitte an die Hand gegeben, diese in Ruhe und aufmerksam zu lesen, genauso wie es für die Ordensmitglieder üblich ist. In Erwartung, dass die Teilnehmer die Regel, die teilweise in einer alten ungewohnten Sprache verfasst ist, außerhalb des Workshops vermutlich nicht lesen würden, haben wir innerhalb des Workshops genügend Zeit zur Verfügung gestellt. Auf dieser Basis sollten die Teilnehmer in Einzel- und Gruppenarbeit die Aspekte herausarbeiten, die für heutige Führungssituationen zu nutzen sind und im weiteren Schritt auf persönliche Führungssituationen beziehen. Nach erfolgter Diskussion haben wir die Teilnehmer gebeten, persönliche Verhaltensregeln in Anlehnung an die franziskanische Tradition für die Führungsarbeit zu dokumentieren. Dadurch stellten wir sicher, dass die erarbeiteten Ergebnisse, Lösungen und Strategien als Orientierung und Reflexionsgrundlage für die Teilnehmer gesichert sind. Kritische Reflexion und Übertragbarkeit auf Unternehmen Mit dem Franziskanischen Führungskonzept werden Inhalte transportiert, die im Ursprung auf religiösen Zusammenhängen beruhen und teilweise ideellen Charakter besitzen. Das Konzept setzt die Haltung in den Mittelpunkt. Gerade in konfessionellen Häusern wird dabei der Glaube der Teilnehmer adressiert, wodurch bei vielen Mitarbeitern positiver Einfluss auf Motivation und Identifikation mit dem Unternehmen zu erkennen ist. Das Bewusstmachen dieser franziskanisch-inspirierten Verbindung mit der Einrichtung in dem Fallbeispiel hat dazu geführt, dass die Teilnehmer unmittelbar über eine stärkere emotionale Bindung zu der Einrichtung berichtet haben. „Auch wenn ich sofort woanders anfangen könnte und auch mehr Geld verdienen würde, gebe ich meine Anstellung hier nicht auf.“ Eine wertschätzende Beziehung durch die aktuelle Geschäftsführung, was auch darüber wahrgenommen wurde, dass man selbst zu Franziskanischen Führungsprinzipien geschult wurde, hat dieses Gefühl noch verstärkt. Ein Aspekt, der zukünftig zu entwickeln ist, ist die Nachhaltigkeit. Im Fallbeispiel verzichtete die Geschäftsführung leider darauf, einen Reflexionstermin durchzuführen. Diese Reflexion wurde nach ein paar Monaten mit einem hausinternen Geistlichen durchgeführt. Grundsätzlich sieht das Konzept zur Franziskanischen Führung vor, nach ca. einem halben Jahr noch einmal für einen Tag in die Gruppen zu gehen und Das Franziskanische Führungskonzept 363 uvk-lucius.de/ fuehren über die Erfahrungen zu reflektieren. „Wo haben Sie versucht franziskanische Elemente in ihrem Führungsalltag einzubringen? “ und „Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht? “, sind mögliche Leitfragen, die eingesetzt werden. In Bezug auf Nachhaltigkeit und Transfer in Unternehmen ist festzustellen, dass die Kompetenzerweiterung der Teilnehmer stärker an konkreten Prozessen oder Aufgaben im Unternehmen orientiert sein muss. Dazu wird im unternehmerischen Kontext die Frage nach einem nachhaltigen und erfolgreichen Konzept damit verbunden, ob positive Effekte zu messen sind. In diesem Punkt wird das Entwicklungspotenzial des Ansatzes deutlich. Für den Transfer in die Praxis vor allem in privatwirtschaftliche Unternehmen braucht es belastbare Kennzahlen. Die Balanced Scorecard (Kaplan & Norton, 1997) oder die Catholic Identity Matrix, die an der University von St. Thomas in Minnesota, USA entwickelt wurde, zeigen, dass weiche Faktoren und Werte auch aus einem konfessionellen Umfeld in die Unternehmenssteuerung einzubinden sind. Die Entwicklung eines solchen Kennzahlenkonzepts wird daher eine der nächsten Aufgaben in der Weiterführung der Franziskanischen Konzeption sein. Dazu fordert das unternehmerische Umfeld einen leicht veränderten Ansatz des Franziskanischen Führungsansatzes. Grundsätzlich liegt auch hier die Zielsetzung darin, die franziskanische Führungstradition in den Kontext von unternehmerischen Führungsverhalten zu stellen. Wo gibt es alternative Impulse zur Selbstführung und zur Führung von Mitarbeitern? Wie geht man bspw. mit den Erwartungen der Generation Y und Z um, die persönliche Werte verstärkt in die Unternehmen einbringen wollen. Wie kann man diese Entwicklungen in die Personalführungs- und Personalmarketinginstrumente einbinden? In der Zusammenarbeit mit Unternehmen kommt es vor allem auf die Personen an, die das Franziskanische Führungskonzept umsetzen. Die Person sollte die „unternehmerische Denke“ kennen und eine Sprache wählen, die die unternehmerischen Zielsetzungen bedient. Es darf hier keine Predigt geben! Auch gilt es mit der Distanz von Mitarbeitern aus Unternehmen zur christlichen Religion oder Orden umzugehen. Unseren Erfahrungen nach gibt es immer Teilnehmer, die klarstellen: An Impulsen und Erfahrungen zur Reflexion meiner Selbstführungskompetenz bin ich interessiert, wenn Sie aber mit Gott anfangen, dann bin ich raus.“ Wie oben beschrieben gilt es hier ein Angebot zu formulieren und nicht selbst die Haltung des „großen Missionars“ auszufüllen. Abschließende Betrachtung Die unmittelbare positive Wirkung zeigte sich in der bewussten Wahrnehmung der Aktualität der franziskanischen Tradition für heutige Führungsprozesse. Die Führungskräfte sind sich bewusst, warum sie in einer Organisation tätig sind und können diese Grundüberzeugung direkt in die Führungsarbeit einfließen lassen. Durch die integrative Zusammenführung mit aktuellen Fachkompetenzen haben sie zudem ein unmittelbares Werkzeug für den Praxisalltag. Dagegen ist die Nachhaltigkeit des Ansatzes weiter auszuarbeiten. Wo sind die Grenzen im praktischen Alltag? Erfahrungen zeigen zudem, dass für einen Transfer in die Privatwirtschaft klare Strukturen und messbare Kennzahlen in das Konzept zu integrieren sind. Allerdings liefert ein Franziskanisches Führungskonzept primär eine Vision, nach der alle Potenziale in einer „Kultur des Teilens“ für den gemeinschaftlichen Erfolg eingesetzt werden und nach welcher zu streben ist. 364 Markus Warode uvk-lucius.de/ fuehren Literatur Avolio, B. J. & Bass, B. M. (2004). Multifactor Leadership Questionnaire. Lincoln: Mind Garden. Berg, D. & Lehmann, L. (2009). Franziskus-Quellen. Die Schriften des heiligen Franziskus, Lebensbeschreibungen, Chroniken und Zeugnisse über ihn und seinen Orden. Kevelaer: Butzon & Bercker. Blessin, B. & Wick, A. (2014). Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK. Dienberg, T. (2008). Das Leben nach dem Evangelium. Modernes Management und die Regel des hl. Franziskus. Wissenschaft und Weisheit, 71/ 2, 196-227. Greenleaf, R. K. (1977). Servant leadership. A journey into the nature of legitimate power & greatness. New York: Paulist Pr. Greenleaf, R. K. (1998). Servant: Retrospect and prospect. In Spears, L. C. (Hrsg.), The power of servant-leadership (S. 17-59). San Francisco: Berrett-Koehler. Kaplan, R. S. & Norton, D. P. (1997). Balanced Scorecard. Strategien erfolgreich umsetzen. Düsseldorf: Schäffer-Poeschel. Kasper, W. (2006). LThK - Lexikon für Theologie und Kirche (3.A.). Freiburg: Herder. Kellerman, B. (2004). Bad leadership. What it is, how it happens, why it matters. Boston: Harvard Business School Press. Kriegesmann, B. & Kerka, F. & Kottmann, M. (2007). Innovationen werden von Menschen gemacht - Kompetenzentwicklung jenseits von Weiterbildung und Wissensmanagement. In Kriegesmann, B. & Kerka, F. (Hrsg.), Innovationskulturen für den Aufbruch zu Neuem. Missverständnisse - praktische Erfahrungen - Handlungsfelder des Innovationsmanagements (S. 177-208). Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. Kuster, N. (2002). Franziskus - Meister der Spiritualität. Freiburg: Herder. Kuster, N. (2009). Chronologie der franziskanischen Frühzeit. In Kuster, N. & Dienberg, T. & Jungbluth, M. (Hrsg.), Inspirierte Freiheit - 800 Jahre Franziskus und seine Bewegung (S. 27-41). Freiburg: Herder. Lehmann, L. (2012). „Arm an Dingen, reich an Tugenden“. Die geliebte und gelobte Armut bei Franziskus und Klara von Assisi. In Heimann, H.-D. & Hilsebein, A. & Schmies, B. & Stiegemann, C. (Hrsg.), Gelobte Armut. Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegenwart (S. 37-65). Paderborn: Schöningh. Prechtl, P. & Burkard, F.-P. (2008). Metzler Lexikon der Philosophie: Begriffe und Definitionen. Stuttgart: Metzler. Rüegg-Sturm, J. (2004). Das neue St. Galler Management Modell. In Dubs, R. & Euler, D. (Hrsg.), Einführung in die Managementlehre (Band 1, S. 65-134). Bern: Haupt. Schlick, C. M. & Bruder, R. & Luczak, H. (2010). Arbeitswissenschaft (3.A.). Berlin u. Heidelberg: Springer. Schmies, B. (2012). Gelobte und gelebte Armut. Mittelalterliche Minderbrüder zwischen Anspruch und Wirklichkeit. 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Autor-Kurzprofil Markus Warode ist Diplom-Sozialwissenschaftler, Diplom-Arbeitswissenschaftler, Business Coach, Geschäftsführer des Instituts für Kirche, Management und Spiritualität der PTH Münster, Dozent, Coach und Speaker für Franziskanische Spiritualität und Management/ Führung, Selbstmanagement sowie werteorientierte Personal- und Organisationsentwicklung. uvk-lucius.de/ fuehren 9.3 Gegenläufige mikropolitische Taktiken behindern Projekterfolg von Hans Habegger und Dieter Winkler Betrachtet wird ein weltweit operierendes Unternehmen mit Produktionsstandorten auf nahezu allen Kontinenten, mit zum Zeitpunkt des hier geschilderten Beispiels insgesamt ca. 15.000 Mitarbeitern. Ursprünglich als Familienunternehmen gegründet, ist die Gründerfamilie auch heute im Aufsichtsrat vertreten und übt in Verbindung mit einer Stiftung einen entsprechend hohen Einfluss auf das Unternehmen aus. Wie für Familienbetriebe typisch ist die Verweildauer der Mitarbeiter im Unternehmen sehr hoch, Führungskräfte und Mitarbeiter mit einer Betriebszugehörigkeit von weit mehr als 20 Jahren sind hier keine Seltenheit. Häufige Umorganisationen im Unternehmen können als Zeichen des Versuchs gewertet werden, der gestiegenen Komplexität und den dynamische Veränderungen in den globalen Märkten gerecht zu werden. Diese ständigen Veränderungen werden wiederum von vielen Mitarbeitern als Unberechenbarkeit der Führung wahrgenommen. Der Sinn der jeweiligen Veränderung wird nicht auf allen Ebenen der Hierarchie verstanden oder sogar abgelehnt. Aus Sicht der Unternehmensleitung wiederum werden Veränderungen nicht in der erforderlichen Geschwindigkeit und Konsequenz umgesetzt. Fallbeschreibung Im Rahmen der Strategieentwicklung wurden vor einigen Jahren drei Handlungsfelder benannt, eines davon war das Thema „Unternehmenswerte“. In einem Prozess, der weltweit Führungskräfte mit einbezog, wurden fünf Werte definiert, die von Führungskräften aus unterschiedlichen Regionen als wesentlich angesehen wurden. In der Folge sollten weltweit alle Führungskräfte im Rahmen der Führungskräfteentwicklung für diese Werte sensibilisiert werden. Der Auftrag war, ein Konzept zu entwickeln/ umzusetzen, mit dem weltweit allen Führungskräften die fünf Werte des Unternehmens bewusst gemacht werden sollten, um auf diese Weise zu professionellerem, konsequenterem, verantwortungsvollerem Führungsverhalten beizutragen und so die Effektivität des Unternehmens zu steigern. Die Formulierung „Kulturwandel“ wurde dabei vom Vorstand zurückgewiesen. Betont wurde, dass dies alte Werte seien, die es im Unternehmen bereits gibt und die in früheren Maßnahmen bereits in ähnlicher Form propagiert worden waren. Es sei also als Rückbesinnung zu verstehen, die der Verbesserung der Effektivität und Effizienz des Unternehmens im Hinblick auf die Umsetzung der langfristigen Unternehmensstrategie dient. Als Anlässe für diese „Rückbesinnung“ wurde beispielhaft herangezogen: In entsprechenden Gremien werden gemeinsam Entscheidungen getroffen, Grad und Geschwindigkeit der Umsetzung lassen aus Sicht des Vorstandes zu wünschen übrig. Getroffene Entscheidungen werden nicht konsequent genug umgesetzt. Es wird zu wenig Verantwortung übernommen. Das Führungsverhalten sollte in Bezug auf Mitarbeiterführung - unter Berücksichtigung der Prinzipien der humanistischen Psychologie - professioneller werden. Gegenläufige mikropolitische Taktiken behindern Projekterfolg 367 uvk-lucius.de/ fuehren Beklagt wird ein Mangel an Wertschätzung, aufgezeigt am Beispiel von Führungskräften, die sich in Meetings mit dem Mobiltelefon/ dem Laptop beschäftigen. Zur Umsetzung wurde ein umfangreiches Seminarprogramm mit mehreren Modulen entwickelt. Die grundsätzliche Beschäftigung/ Auseinandersetzung mit den definierten Werten fand in zwei Seminaren à zwei Tagen unter dem Titel „Führen mit Werten“ Modul I und II statt. Diese beiden Module wurden als Pflichtseminare für alle Führungskräfte weltweit definiert. Die Implementierung fand klassisch nach dem „Top- Down“-Prinzip statt, d.h. die oberste Führungsebene, exklusive Vorstand, nahm als erste an diesen Veranstaltungen teil. Der Vorstand nannte immer wieder „fehlende Zeit“ als Grund für seine Nicht-Teilnahme. Bereits in den ersten Seminaren wurde von Teilnehmern die Frage aufgeworfen, ob der Vorstand an diesen Veranstaltungen bereits teilgenommen habe oder noch teilnehmen werde. Nach einigem Drängen durch das beratende Unternehmen und den verantwortlichen HR-Führungskräften stimmte der Vorstand ca. 18 Monate nach Beginn der Seminarreihe zu, sich mit den angebotenen Inhalten im Rahmen einer auf einen Tag reduzierten Veranstaltung auseinanderzusetzen. Im Vordergrund der für alle anderen Führungskräfte (weltweit) konzipierten 2 × 2 Tage stand die Beschäftigung mit den Werten unter verschiedenen Perspektiven, wie der eigenen Führungs-Biografie, des Abgleichs persönlicher Werte mit den Unternehmens-Werten, Aspekten der Führungspsychologie und deren Anwendung anhand von Praxissimulationen etc. Zur Steigerung der Bewusstheit über diese Werte im Führungsalltag und zur Verbesserung der interpersonellen Kommunikation und Zusammenarbeit, wurde die Methode des persönlichen Feedbacks vorgestellt und mehrfach geübt. Während des 2. Moduls fand (ausschließlich in Deutschland) ein gemeinsames Abendessen mit anschließender Diskussion mit jeweils zwei Vertretern des Aufsichtsrates statt. Ziel war, die Bedeutung dieser Werte aus Sicht des Aufsichtsrats hervorzuheben, offene Fragen zu diskutieren und so den Gesamtprozess zu unterstützen. Dabei wurde deutlich, dass als eigentlicher Initiator/ Treiber dieses Programmes der Aufsichtsrat angenommen werden kann. Auch hier wurde am Folgetag im Seminar immer wieder gefragt, welche Rolle der Vorstand im Gesamtprozess habe und bemängelt, dass diese Diskussionen nicht mit dem Vorstand stattfänden. Trotz aller diesbezüglicher Rückmeldungen an das Unternehmen, sowohl in persönlichen Gesprächen als auch in den jeweils erstellten Seminarprotokollen, änderte sich dies während der Projektdauer nicht. Immer wieder wurden fehlende Zeit und Prioritätensetzungen des Vorstandes als Begründung genannt. Ein später vom Vorstand zusätzlich beauftragter Coach hat diese Begründung gegenüber den Verantwortlichen in der Personalentwicklung ebenfalls vertreten. Eine offizielle kommunizierte Begründung erfolgte nicht. International wurde das Programm mit unterschiedlichen Strategien implementiert. Grundprinzip war dabei, die ersten beiden Module für die oberste Führungsebene zunächst durch das mit der Konzeption und Implementierung beauftragte Unternehmen durchzuführen. In den Ländern mit Produktionsstandorten wurden lokale Beratungsunternehmen in die Veranstaltungen mit eingebunden, die dann für die weitere Umsetzung in den anderen Führungsebenen verantwortlich waren. 368 Hans Habegger und Dieter Winkler uvk-lucius.de/ fuehren Die Relevanz der vom Unternehmen definierten Werte wurde in allen Ländern bestätigt. Unterschiede in der Art und Weise, wie sich diese Werte im alltäglichen Verhalten zeigen dürfen angenommen werden, insbesondere in der hierarchieübergreifenden Kommunikation. Dies in der konkreten Umsetzung in den Ländern zu beachten war Aufgabe der lokalen Beratungsunternehmen. Zu Beginn des ersten Moduls wurde vielfach Unmut darüber geäußert, dass es sich um Pflichtveranstaltungen handelt. Man habe schließlich auch noch anderes, will heißen Wichtigeres zu tun. Diese Haltung wandelte sich im Laufe der Veranstaltung mit durchweg positiven Rückmeldungen zu Inhalt und Ablauf. Nicht selten war das Feedback, es seien die besten Führungsseminare gewesen, die im Unternehmen bisher angeboten wurden. Schwierig für viele Führungskräfte war, Feedback zu persönlichem Verhalten zu geben. Wesentliche Hürde war dabei, auf die bei Leistungs-Feedback üblichen Bewertungen wie „gut“ oder „schlecht“ zu verzichten. Gleichwohl gab es Zustimmung zu der Erläuterung, dass persönliches Feedback eines der wichtigsten „Werkzeuge“ im Zusammenhang mit Werten ist. Zu Beginn des zweiten Moduls zeigte sich erneut, dass der Blick vieler Führungskräfte auf den Vorstand gerichtet war und - aus Sicht der Führungskräfte - auf die Tatsache, dass die Themen des ersten Seminars inkl. des persönlichen Feedbacks sich nicht verändernd auf das Verhalten der Vorstandsmitglieder ausgewirkt hatten. Im Gegenteil, vielfach wurde ein häufiger Verstoß gegen die propagierten Werte des Unternehmens durch Vorstandsmitglieder und die 1. Führungsebene beklagt. Aus Sicht der Autoren zeigt sich hier, dass die eigene Vorbildfunktion den Initiatoren und Multiplikatoren eines solchen Programmes bewusst sein muss. Nehmen sie selbst nicht aktiv und sichtbar an den gewünschten Veränderungen teil, verliert die Veränderung selbst an Wirksamkeit und führt im Gegenteil zu Frustration und fehlendem Engagement. Ergebnis und Ausblick Während des Projektverlaufs wurden Organisationsänderungen im Hinblick auf die langfristige Unternehmensstrategie durchgeführt. Diese organisatorische Änderungen führten bei den Teilnehmern zu hörbaren Frustrationen und der häufigen Feststellung, die Stimmung im Unternehmen sei schlechter als vor Beginn des Programms, eine Berücksichtigung der definierten/ propagierten Werte durch die Unternehmensleitung bei der Umsetzung dieser Reorganisationen sei kaum erkennbar. Versuche, über die Projektverantwortlichen in der Personalentwicklung den Vorstand für die Wahrnehmungen und Empfindungen der Mitarbeiter zu sensibilisieren und zu aktiverem Engagement aufzufordern scheiterten, mit der häufigen Begründung, der Vorstand habe andere Prioritäten. Hierzu zählten insbesondere Umsatz-/ Renditeprobleme in wichtigen Märkten, die weltweite Neustrukturierung des Unternehmens und Probleme bei strategischen Projekten. Zunehmend wurde stattdessen das beratende Unternehmen auf Grund des aus Sicht des Vorstandes fehlenden Fortschrittes kritisiert, am Ende wurde der bestehende Vertrag beendet. Gegenläufige mikropolitische Taktiken behindern Projekterfolg 369 uvk-lucius.de/ fuehren Kommentare der teilnehmenden Führungskräfte lassen den Schluss zu, dass der Vorstand während des Programms in Bezug auf die propagierten Werte an Glaubwürdigkeit deutlich verloren hat. Es darf angenommen werden, dass sich dies auf die Effektivität und Effizienz von Veränderungsprozessen im Unternehmen belastend auswirken wird. Dieser Effekt wird allerdings dann überdeckt, wenn die jeweiligen wirtschaftlichen Unternehmensziele erreicht werden. Interpretation Die Implementation der bereits genannten Führungskräfteentwicklung kann unter folgenden Blickwinkeln als Mikropolitik verstanden werden. Perspektive Passivität (Schiff, 1971) Als „Passivität“ wird in der Transaktionsanalyse das Verhalten einer Person bezeichnet, welches darauf abzielt, Unangenehmes zu vermeiden. Die handelnden Personen sind sich dabei dieses vermeidenden Verhaltens in aller Regel nicht bewusst. Definition: Passivität ist jedes (von anderen anerkannte) Verhalten, mit dem Ziel, etwas (Unangenehmes) zu vermeiden. Dabei werden vier Arten passiven Verhaltens unterschieden: Nichtstun, Über-Detaillierung, Über-Generalisierung Über-Anpassung Agitation Selbst-Verunmöglichung Um in dieser Weise passiv bleiben zu können, werden Aspekte des Problems, um das es geht, „abgewertet“ (missachtet, ignoriert, in der Bedeutung herabgesetzt). Diese Abwertung kann auf einer der nachfolgend beschriebenen Ebenen stattfinden, mit jeweils dem Ergebnis, dass logischerweise Aktionen zur Bearbeitung/ Lösung des eigentlichen Problems unterbleiben. Die Ebene der Existenz: Es herrscht die Überzeugung, das Problem existiere nicht. Die Ebene der Bedeutung: Die Existenz des Problems wird anerkannt, ihm wird allerdings nur eine geringe Bedeutung zugemessen Die Ebene der Änderbarkeit: Es wird anerkannt, dass es sich um ein großes, bedeutsames Problem handelt, allerdings sei es nicht änderbar, niemand könne etwas an diesem Problem ändern Die Ebene der persönlichen Fähigkeit: Die betroffene Person ist überzeugt, dass andere möglicherweise in der Lage sind, etwas zur Bearbeitung/ Lösung des Problems beizutragen, er/ sie selbst jedoch nicht. Die Hypothese ist nun, dass die Absicht, die Werte des Unternehmens wiederzubeleben und bewusster zu machen, als (unbewusste) Passivität im Sinne des Konzepts angesehen werden kann. Dazu sind weitere Hypothesen in Bezug auf das möglicherweise dahinterliegende, „unangenehme“ Problem aufzustellen. Im Weiteren betrachten wir dieses Fallbeispiel unter der Perspektive dieser Hypothese: 370 Hans Habegger und Dieter Winkler uvk-lucius.de/ fuehren Mit der Wiederbelebung der Werte (anerkannte Aktivität) vermeidet der Vorstand (unbewusst) klare Anweisungen zu erteilen, da dies aus der Firmengeschichte heraus als „autoritärer“ Führungsstil im Unternehmen negativ konnotiert wird. Als stützendes Indiz für diese Hypothese ziehen wir diese Begebenheiten heran: Bereits in den ersten Seminaren mit Teilnehmern aus der obersten Führungsebene wurde von Teilnehmern betont, dass der kooperative Führungsstil „der Führungsstil“ des Unternehmens sei, also als prägendes Element des Unternehmens verstanden wird. Entsprechend intensiv war dann die (zunächst ablehnende) Haltung der Führungskräfte bei der Vorstellung und Bearbeitung des Konzepts der „Situativen Führung“ (Hersey & Blanchard, 1996), in dem in Abhängigkeit vom „Reifegrad“ des Mitarbeiters in Bezug auf eine konkrete Aufgabe der Stil S1 als „anweisender“ Führungsstil enthalten ist. Auf diese Weise wird erklärbar, warum in den zuvor als Anlässe beschriebenen Situationen keine klaren Anweisungen wie z.B. „Bitte schalten Sie Ihren Laptop aus“ erteilt werden. Da diese Anweisungen vom Sitzungsleiter vermieden werden, braucht es einen anderen Weg zur Disziplinierung, in diesem Falle „Wertschätzung“ als anerkanntes Prinzip. Nun kann der Sitzungsleiter jene Sitzungsteilnehmer, die sich mit ihrem Laptop beschäftigen, darauf hinweisen, dass er sich nicht wertgeschätzt fühlt. Ebenso kann eine Führungskraft auf den Wert „Konsistenz“ (= widerspruchsfreies Verhalten) verweisen, wenn gemeinsam in einem Meeting getroffene Entscheidungen von einzelnen nicht umgesetzt werden, statt mit klaren Anweisungen auf deren Umsetzung hinzuwirken. Perspektive Wertequadrat (Helwig, 1967, und Schulz von Thun, 1990) Die Folgen der Bewertung des kooperativen Führungsstils als „DER“ Führungsstil des Unternehmens, auch in Bezug auf die geschilderten „Anlässe“ für die Wiederbelebung der Unternehmenswerte, zeigen wir hier anhand des Konzepts des „Wertequadrats“. In diesem Konzept wird aufgezeigt, dass ein positiver „Wert“, der nicht mit einem entsprechenden ebenfalls positiven „Gegenwert“ situativ ausbalanciert wird, zu einer Übertreibung tendiert, die als negativ gesehen wird. Dazu zunächst ein Beispiel: Wenn wir „Sparsamkeit“ als Wert bezeichnen, so kann die Überbetonung von Sparsamkeit (mehr desselben) zu „Geiz“ führen. Die Balance zwischen Sparsamkeit und Großzügigkeit würde die negative Übertreibung hin zu Geiz verhindern. Gegenläufige mikropolitische Taktiken behindern Projekterfolg 371 uvk-lucius.de/ fuehren Andererseits würde die Steigerung von „Großzügigkeit“ ohne den Ausgleich durch „Sparsamkeit“ wiederum zur „Verschwendung“ führen. Befindet sich ein Individuum im Bereich der Übertreibung, ist er/ sie also „geizig“, löst die Entwicklung in Richtung des positiven Gegenwertes, die Idee also, großzügiger zu werden, häufig Angst aus. In der Folge wird der positive Gegenwert mit dessen negativer Übertreibung abgewehrt. Die Aufforderung „sei doch etwas großzügiger“ würde also z.B. mit der Antwort „Man kann doch nicht sein Geld aus dem Fenster werfen“ abgelehnt. Wie sieht nun das Ergebnis aus, wenn wir dieses Konzept auf den kooperativen Führungsstil anwenden? Welche Übertreibungen gibt es da, wie sind sie vermeidbar? Wie sieht die negative Übertreibung des kooperativen Führungsstils (auch „demokratisch“ genannt) in der Praxis aus? Wenn unter „kooperativ“ die Einbeziehung der Mitarbeiter in Entscheidungen verstanden wird, ist als Übertreibung der Anspruch zu sehen, dass ALLE Mitarbeiter in ALLE Entscheidungen einzubeziehen sind. Tatsächlich könnten viele Mitarbeiter dazu neigen, getroffene Entscheidungen deswegen nicht aktiv umzusetzen, weil sie ja nicht gefragt wurden. „Uns fragt ja keiner“ ist aus Sicht der Autoren im Unternehmens-Alltag häufig zu hören. Fehlende Konsequenz in der Umsetzung getroffener Entscheidungen kann also eine negative Folge der Übertreibung des kooperativen Führungsstils angesehen werden. Was ist nun der Gegenwert zum kooperativen Führungsstil, der diese negativen Folgen vermeiden hilft? In der unternehmerischen Praxis ist aus Sicht der Autoren sorgfältig abzuwägen, welche Entscheidung kooperativ getroffen werden können/ sollen und welche ohne Einbeziehung der Mitarbeiter zu treffen und durchzusetzen sind. Daraus folgt, dass der Gegenwert zum kooperativen Führungsstil der „anweisende“ (also „autoritäre“) Führungsstil ist. Als Beispiele können strategische Entscheidungen des Unternehmens dienen, die sicherlich nicht in einem „demokratischen“ Stil unter Einbeziehung vieler Mitarbeiter getroffen werden können, gleichwohl dann aber von allen umzusetzen sind. Die negative Übertreibung wäre hier die ausschließliche Verwendung des autoritären Führungsstils, mit allen Folgen für Motivation und Engagement der Mitarbeiter, die dies zu Recht als „Diktatur“ empfinden würden. Der Einwand „Diktatur“ wurde tatsächlich in vielen Seminaren verwendet, wenn es um den aus Sicht der Autoren angemessenen Einsatz des anweisenden = autoritären Führungsstils ging. Unter dem Blickwinkel der hier verwendeten Modelle (Passivität und Wertequadrat) und der darauf aufgestellten Hypothesen stellt sich die als wesentliches Strategieelement bezeichnete Wiederbelebung der Unternehmenswerte als Mikropolitik insofern dar, als sie Werte, die gesellschaftlich einen hohen Stellenwert besitzen und mehrheitlich mitgetragen werden, als Ersatz für angemessenes Führungshandeln instrumentalisiert. 372 Hans Habegger und Dieter Winkler uvk-lucius.de/ fuehren Kommentierung und Fazit Im beschriebenen Unternehmen wurde der Versuch unternommen, vorhandene Interessensunterschiede und Konflikte (Blessin & Wick, 2014: Interessendivergenz, Kapitel 9.2) mit Maßnahmen zu überwinden, die als Mikropolitik gesehen werden können. Konkret geschah dies durch Appell an höhere verbindende Werte (Kapitel 9.3.1). In ihrer Wirkung konterkariert wurde dies allerdings durch den gleichzeitigen Einsatz von Macht (Machteinsatz, Kapitel 9.3), in dem sich Top-Führungskräfte (aus Sicht der Mitarbeiter) nicht an die selbst propagierten Werte hielten, sondern ihren Führungsanspruch und ihre Durchsetzungsstärke immer wieder durch befehlen, anschnauzen und einschüchtern etc. signalisierten. Andere Taktiken aus dem Repertoire der Mikropolitik mögen hier ebenfalls eine Rolle spielen. Bereits diese beiden Taktiken zeigen jedoch das Risikopotenzial mikropolitischer Vorgehensweisen. Im gezeigten Beispiel führt die widersprüchliche Verhaltensweise der Entscheider dazu, dass nicht das gewünschte positive Ergebnis erzielt, sondern sogar eine negative Wirkung auf Motivation und Engagement der Mitarbeiter die Folge ist. Die beiden Taktiken wirken hier nicht sich komplementär verstärkend, sondern führen zu negativer Umkehr und damit eher zur Verschlechterung der Situation. Auf der Basis der hier geschilderten Erfahrungen ist das Verständnis/ Verhalten eines Vorstandes bei einer solchen Kulturänderung als kritischer Erfolgsfaktor zu betrachten. Fehlendes Verständnis für die durch einen Kulturwandel entstehenden Anforderungen kann als ein KO-Kriterium angesehen werden. Auch wenn, wie im hier beschriebenen Fall, die Werte nicht als für das Unternehmen „neue Werte“ betrachtet werden, sondern deren Bedeutung wieder bewusst gemacht werden soll, handelt es sich um einen Kulturwandel. Denn offensichtlich wird im Unternehmen nicht ausreichend nach diesen Werten gehandelt. Andernfalls bräuchte es diese Bewusstmachung wohl kaum. Wesentlich für den Programmerfolg ist die aktive/ sichtbare Teilnahme des Vorstandes an allen definierten Maßnahmen. Das betrifft im hier vorliegenden Beispiel vor allem die Teilnahme an den vom Vorstand als Pflichtveranstaltungen für alle Führungskräfte definierten Seminaren. Für die Nachhaltigkeit der Maßnahmen wurde Verhaltens-Feedback als wesentliches Instrument in den Seminaren gelehrt und eingeübt. Hier ist der Vorstand in seiner Gegenläufige mikropolitische Taktiken behindern Projekterfolg 373 Vorbild-Funktion besonders gefragt. Feedback zu geben einerseits, andererseits aber auch Feedback von Mitarbeitern einfordern gehört ebenfalls zu den kritischen Erfolgsfaktoren. Nur so können die definierten Werte und ihre individuelle Wirkung in der zwischenmenschlichen Kommunikation immer wieder bewusst gemacht werden. Deren Einhaltung lediglich von anderen einzufordern bzw. deren Nicht-Einhaltung durch Einzelne - im schlechtesten Fall auch noch öffentlich - zu kritisieren, führt dazu, dass das gesamte Programm an Glaubwürdigkeit und damit an Wirkung verliert. Der Erfolg eines solchen Programms hängt darüber hinaus ab von kontinuierlich begleitenden Maßnahmen wie z.B. Wertedialoge, Diskussionen, Projekten, die unternehmensspezifisch zu planen, umzusetzen und in geeigneter Weise zu kommunizieren sind. Auch hier wird die Glaubwürdigkeit des Programms beschädigt, wenn einzelne Maßnahmen begonnen werden, hausintern veröffentlicht werden und dann wieder „einschlafen“. Darüber hinaus ist auch auf eine sinnvolle Reihenfolge der Maßnahmen zu achten. Es erscheint wenig sinnvoll, wenn Wertedialoge implementiert werden, bevor die Werte in den Seminaren behandelt/ diskutiert wurden. Quellen Blessin, B. & Wick, A. (2014). Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK. Helwig, P. (1967). Charakterologie. München, Herder-Verlag, S. 65-68. Hersey, P. & Blanchard, K. (1996). Management of Organizational Behavior. New Jersey, Prentice Hall. Schiff, J. L. (1971). In: Transactional Analysis Journal. Januar 1971, San Francisco, S. 71-78. Schulz von Thun, F. (1989). Miteinander reden 2. Reinbek Rowohlt, S. 43ff. Autor-Kurzprofile Hans Habegger und Dieter Winkler sind Inhaber und Geschäftsführer von mc² mittelstand consult. Sie beraten mittelständische Unternehmen in den Themen Organisations- und Personalentwicklung, designen und konzipieren die erforderlichen Maßnahmen und führen sie teilweise mit ergänzenden Partnern durch. Ihr Fokus liegt dabei insbesondere auf den Themen Mitarbeiterführung und Unternehmenskultur. uvk-lucius.de/ fuehren 9.4 Integrität im Führungshandeln - Das weltweite Talentprogramm für Senior Manager der Daimler AG von Nadine Sukowski und Uwe Steinwender Als erster und bislang einziger Automobilhersteller hat Daimler im Jahr 2011 ein Vorstandsressort für „Integrität und Recht“ eingerichtet. Die vielfältigen Initiativen des Ressorts tragen dazu bei, eine Kultur der Integrität nachhaltig im gesamten Unternehmen zu verankern. Als global agierendes Unternehmen mit den unterschiedlichen Geschäftsfeldern Mercedes Benz Car, Daimler Trucks, Mercedes Benz Vans und Daimler Financial Services gilt es den verschiedenen rechtlichen Regelungen in den unterschiedlichsten Märkten, Ländern und Kundengruppen gerecht zu werden und darüber hinaus auch dem eigenen Werteverständnis treu zu bleiben (Daimler, 2015). Integrität im Führungshandeln Wenn Mitarbeiter befragt werden, was Integrität im Führungshandeln bedeutet, wird die Stimmigkeit einer Person beschrieben. Für Führungskräfte bedeutet integer zu sein: „Ich tue, was ich sage, und ich sage, was ich tue“ (vgl. Sukowski, 2015). Nun agieren Führungskräfte in komplexen sozialen Feldern, in denen Dilemmata zu managen die Funktion der Führung ausmacht. Ohne Dilemmata stellt sich sogar die Frage, ob es Führung bräuchte. „Ein Dilemma beschreibt eine Situation, in der ein Entscheidungsträger vor die Schwierigkeit der Wahl zwischen zwei einander widersprechenden Handlungslogiken gestellt wird“ (nach Müller-Stevens & Fontin in Blessin & Wick, 2014: 459). Wie kann eine Führungskraft in Dilemma-Situationen integer handeln ohne sich weder blind dem Geschehen zu überlassen noch ständig sich damit zu beschäftigen? Diese Fragen stellten wir uns in der Daimler Corporate Academy als Verantwortliche für die weltweite Führungskräfteentwicklung, als es darum ging ein Programm speziell für jene Senior Manager ins Leben zu rufen, welche sich durch besonderes Führungs- Talent auszeichnen. Die Kategorie „Promising Talent“ entstand aus der personalpolitischen Notwendigkeit, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit überdurchschnittlichen Leistungen und Fähigkeiten frühzeitig zu identifizieren, bereichsübergreifend zu kennen und professionell zu begleiten. Anders als in anderen Unternehmen kann jede Führungskraft in jeder Hierarchieebene wieder als Talent für die nächste Ebene identifiziert werden. Einmal Führungskraft zu sein, bedeutet nicht, auf jeder Hierarchieebene als wirksam gesehen zu werden. Mit der Einführung dieser Personalentwicklungskategorie wurde durch den Vorstand auch beschlossen, dass es ein weltweit durchgeführtes Programm für diese Zielgruppe geben sollte. Als Corporate Academy stellten wir uns daher die Frage, was soll ein Programm für einen Senior Manager bewirken, der als Talent identifiziert wird? Unsere Annahme bei der Entwicklung des Programms bestand darin, dass die Komplexität, Unbestimmtheit und Mehrdimensionalität von Entscheidungssituationen zum Integrität im Führungshandeln - Das Talentprogramm für Senior Manager 375 uvk-lucius.de/ fuehren Alltag von Führung gehört. Das Ziel des weltweiten Talentprogrammes für Senior Manager ist es, einen Raum zu öffnen, indem die Dilemmata des Führens diskutiert werden können. In dem Programm erhalten Senior Manager die Möglichkeit ihr Führungshandeln im Kontext der Organisation zu reflektieren und sich mit den Herausforderungen der Zukunft mit dem Ziel auseinanderzusetzen, das persönliche Handlungsrepertoire anzureichern. Zu diesem Zweck treffen sich 20 Senior Manager, um sich abseits des Alltags mit den Paradoxien des Führens auseinanderzusetzen. Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten die Thematik der Führungsparadoxie in einem Trainingsprogramm zu verpacken, je nachdem auf welcher Interventionsebene Impulse vermittelt werden. Die sicherlich naheliegende Ebene ist die des Verhaltens. Auf dieser Ebene der Intervention würden Dilemmata in ihrer Unauflösbarkeit diskutiert und Werkzeuge des alltäglichen Balancierens vermittelt, welche dann im Programm geübt werden können. Ein großer Nachteil der Interventionsebene Verhalten bestand aber darin, dass der Moment der Handlungsunsicherheit ein inhärenter Teil des Führens in Paradoxien ist und ein Programm, welches Werkzeuge des Umgangs übt die Illusion der Sicherheit vermittelt, welche so nicht vorhanden ist. In der Konsequenz wird der Umgang mit Unsicherheit in dieser Interventionsebene nicht reflektiert. Daher entschieden wir uns für die Interventionsebene der Werte und Glaubensmuster, die dem gezeigten Verhalten zugrunde liegen. Der Vorteil dieser Ebene ist den Umgang mit Führungsdilemmata zu reflektieren und förderliche und hinderliche Glaubensmuster und Werte dadurch ins Bewusstsein zu befördern. Der Nachteil ist, dass der Transfer der Reflektion im Programm zwar angesprochen werden, jedoch nicht auf der Ebene des Verhaltens geübt werden kann. Es können Techniken vermittelt werden, wie die eigenen Werte- und Glaubensmuster bewusst werden. Die Tauglichkeit der Anwendung dieser Techniken zeigt sich erst in der konkreten Entscheidungssituation. Wir entschieden uns trotz der Gefahr, dass die Praxistauglichkeit der vermittelten Techniken zwar diskutiert aber nicht geübt werden kann, für das reflektorische Vorgehen, da die Arbeit auf dieser Interventionsebene mit unserer Ausgangshypothese, der Alltagskomplexität und Mehrdimensionalität, für uns stimmig erschien. Und wenn die Frage der Stimmigkeit angesichts aufscheinender Dilemmata der Fokus des Seminars ist, kann und muss die Seminarkonstruktion diesem Ziel folgen. Sonst entstehen auf der didaktischen Ebene Brüche, welche den Fokus des Seminars konterkarieren. Unter zu Hilfenahme eines Organisationsdiagnosemodells von Clare W. Graves, welches den Umgang mit Unterschiedlichkeit beschreibt, werden im Talentprogramm in einem 1,5-tägigen Workshop Dilemmata der Führungskräfte diskutiert und bearbeitet. Das Organisationsmodell von Graves dient dabei als Landkarte. Wohlwissend, dass eine Karte nie die Wirklichkeit in ihrer Vielfältigkeit beschreibt, können daran der Umgang mit unterschiedlichen Handlungslogiken von Führung reflektiert und dadurch bewusst gemacht werden (vgl. Graves, 1970). Im Folgenden wird das Graves-Modell beschrieben, um dann im nächsten Schritt einen Eindruck über die Arbeitsweise im Talentprogramm zu geben. 376 Nadine Sukowski und Uwe Steinwender uvk-lucius.de/ fuehren Das Ebenenmodell von Graves Graves entwickelte in den 1950er/ 1960er-Jahren ein Modell über verschiedene Wertesysteme und damit einhergehenden Handlungslogiken als Antwort auf Nachfragen von Studenten zu den bisherigen psychologischen Modellen (vgl. Graves, 1970). Er ließ Studenten zu bestimmten Themen des Alltagslebens, wie Ökologie, Erziehung, Wirtschaften etc., ihre Standpunkte aufschreiben und dann in kleinen Gruppen mit anderen Studenten diskutieren. Dabei machte er die Beobachtung, dass sich Studenten mit entgegengesetzten Einstellungen und Meinungen zum Thema abwerteten. Graves formulierte dieses Verhalten metaperspektivisch um. Er sah nicht die Abwertung als solche, sondern dass sich offensichtlich die Perspektiven auf die Wirklichkeit unterschieden. Er folgerte, dass es Menschen gibt, die in unterschiedlichen Wertesystemen leben. Aus dieser Erkenntnis entwickelte Graves acht verschiedene Dimensionen von Wertesystemen und den einhergehenden Handlungslogiken (siehe Abbildung). Graves Level of Existence; Quelle: Brauner, Seidel & Wacha, 2014, S. 171 In der Praxis werden meist nur die fünf Dimensionen von Macht bis Integration beschrieben, weil sie am häufigsten in heutigen Organisationen vorkommen. Kaum Beachtung finden die am unteren Ende der Spirale angesiedelten Dimensionen Stamm und Überleben und die am oberen Ende der Spirale befindliche Dimension Ganzheit. Hier an dieser Stelle erfolgt nur ein Überblick der einzelnen Dimensionen. Für eine ausführliche Beschreibung sei das Buch „Change Leader inside“ von Stefan Götz (2014) empfohlen. In der Spiraldarstellung verdeutlicht Graves, dass es zwei Grundorientierungen von Wertesystemen gibt; Wir und Ich. Die Grundfrage lautet: Was schafft für den Menschen Orientierung und Handlungsfähigkeit? In der Perspektive des Ich schafft der Mensch/ das System aus sich heraus Orientierung und Handlungsfähigkeit. In der Wir Perspektive wird Sicherheit und Orientierung aus dem Kollektiv gespeist. Integrität im Führungshandeln - Das Talentprogramm für Senior Manager 377 uvk-lucius.de/ fuehren Beginnen wir mit der Beschreibung auf der rechten, unteren Seite bei dem Wertesystem Macht. Die Werte dieser Dimension sind Stärke, Einfluss, Status und Kontrolle. Die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse steht im Mittelpunkt. Andere werden grundsätzlich mit Misstrauen bedacht. Vertrauen gilt es sich, vor allem mit Loyalität, zu verdienen. Das Ziel ist an der Spitze zu bleiben und potentiellen Gefahren mit Kampfwille zu begegnen. In der Dimension Ordnung wird die Welt als deterministisch und rational gesehen. Ideen, Menschen, Dinge und Ereignisse werden in Kategorien klassifiziert. Das Modell basiert auf der formalen Logik. Befriedigung finden diejenigen, die ihren vorbestimmten Platz finden und auf ihm bleiben. Sie haben klare Zukunftsvorstellungen und einen beständigen Glauben, dass das Leben seinen (vor-)bestimmten Sinn und Zweck hat. Das Ziel besteht darin, sich den Regeln und den übergeordneten Kräften anzupassen. Die Aufmerksamkeit liegt darauf, Stabilität in der Gegenwart zu erhalten und für die Zukunft die Belohnung zu sichern, die das Produkt harter Arbeit und Aufopferung in der Gegenwart ist. In der Dimension Leistung ist die Welt voller natürlicher und menschlicher Ressourcen. Ungeahnte Möglichkeiten eröffnen sich für Individuen und Kulturen. Somit kann erfülltes Leben in materiellem Überfluss vorherrschen. Es geht darum, durch möglichst geschickte (Aus-)Nutzung der (natürlichen und menschlichen) Ressourcen ein besseres Leben für sich und alle zu ermöglichen. Das fatalistische Dogma der Ordnung mit Vorsehung und Bestimmung wird verlassen und durch die Kontrolle des Schicksals durch den Menschen und durch Wissenschaft und Technologie ersetzt. In der Dimension Gemeinschaft steht die Gruppe im Vordergrund, in der man (alles) teilt - von materiellen Gütern bis zu den Gefühlen. Vom wirtschaftlichen Aufstieg der Gruppe kann auch der Einzelne profitieren. Es geht darum, inneren Frieden zu finden und Frieden mit dem Nächsten zu ermöglichen. Man glaubt, dass Menschen sich gegenseitig brauchen. Sie wollen als Gruppe, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beenden, den „Konsumterror“ und die Umweltausbeutung überwinden. Des Weiteren kämpft man um die Beendigung des Hungers auf der Welt, gegen Rassismus, Chauvinismus, soziale Entfremdung und für die Realisierung der weltweiten Brüderlichkeit/ Schwesterlichkeit. In der Dimension Integration wird das Leben als etwas Vielgestaltiges, Paradoxes, Mehrdeutiges gesehen, in dem es darum geht, die Balance zwischen Mensch und Natur wiederzufinden und zu halten. Es gilt in dieser Kultur, wieder mit der Natur in Kontakt treten und sich der Weltprobleme annehmen, unter Berücksichtigung begrenzter Ressourcen und eines labilen Gleichgewichts. Des Weiteren geht es darum, in einer dynamischen und zunehmend komplexen Welt, einer ungewissen Zukunft so funktional wie irgend möglich zu leben und zu handeln. Verändern sich eines oder mehrere der Merkmale eines Wertesystems krisenhaft, so wird der Mensch bzw. die Kultur alle weiteren Merkmale (Werte, Normen, Gefühle, Handlungen etc.) anpassen. Die Spirale als Bild für die Veränderung und Entwicklung von Wertesystemen ist häufig assoziiert mit dem Motto „oben ist besser als unten“. Diese Annahme hat Graves nicht explizit getroffen. Jedoch wird ein Mensch auf einer bestimmten Stufe immer gemäß seiner Werte und Normen zu handeln versuchen und hat damit nur ein einge- 378 Nadine Sukowski und Uwe Steinwender uvk-lucius.de/ fuehren schränktes Repertoire an Verhaltensweisen (die konsistenten Verhaltensweisen der anderen Wertesysteme werden ausgeschlossen). Entscheidend ist für Graves nicht der Status, in welchem die Menschen stehen, sondern die individuelle (ontogenetische/ psychogenetische) und kulturelle (phylogenetische) Entwicklung des Menschen. Das Neue an der Theorie von Graves ist der Weitblick seines Modells. Es vereint anthropologische, ethnologische, neurologische als auch kognitionswissenschaftliche und entwicklungspsychologische Gedanken und argumentiert mit ihnen für sein Modell. Umgang mit Dilemmata Betrachten wir nun im Folgenden zwei der klassischen Führungsdilemmata aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der Wertesysteme (Blessin & Wick, 2014: 461ff.). Das erste Dilemma betrifft die Frage, ob die Führungskraft ihre Mitarbeiter als Mittel oder als Zweck sieht und folglich behandelt. Ist der Mitarbeiter also ein Kostenfaktor, den es zu reduzieren gilt oder ein Partner, dem Entscheidungskompetenzen und Selbstbestimmung zuerkannt werden? Die Erfahrungen zeigen, dass in der Diskussion der Seminarteilnehmer entscheidend eine Rolle spielt aus welchem Bereich - also aus welcher Kultur - sie kommen. In der Produktion, z.B. in der Montage wird der Mensch eher als Kostenfaktor gesehen, den es so effizient wie möglich zu nutzen gilt. Wenn wir uns die Produktion näher anschauen, wird die Perspektive deutlich; am Band sind standardisierte Prozesse einzuhalten. Es gibt kleinteilige Arbeitsanweisungen. Das benötigte Wissen ist einfach zu erlernen. Hier herrscht vor allem die Dimension der Ordnung. In einem anderen Bereich, nehmen wir z.B. die Entwicklung, herrscht eher die Perspektive der Mensch als Zweck vor. Hoch ausgebildete Mitarbeiter entwickeln in ihren Verantwortungsbereichen neue Technologien, z.B. Dieseleinspritzpumpe. Das Knowhow dafür ist über viel Erfahrung aufgebaut und nicht einfach reproduzierbar. Hier herrscht eher die Dimension der Leistung. Der Kontext, in dem die Führungskraft ihre Ziele verantwortet, spielt eine entscheidende Rolle, ob und wie die Polaritäten eines Dilemmas wahrgenommen werden. Letzten Endes darf keiner der beiden Pole vernachlässigt werden (Blessin &Wick, 2014: 462). Also auch wenn - wie im Beispiel der Montage - der Mitarbeiter in erster Linie als Kostenfaktor gesehen wird, dürfen Maßnahmen nicht vernachlässigt werden, die den Mitarbeiter als Zweck sehen, wie z.B. Gruppenarbeit am Band, Know-how Aufbau durch regelmäßige Qualifikation und Kontinuierliche Verbesserung, an die der Mitarbeiter beteiligt ist. Nehmen wir noch ein zweites Beispiel aus den klassischen Führungsdilemmata - Konkurrenz vs. Kooperation. Unternehmen sind grundsätzlich auf das Ziel der Gewinnsteigerung ausgerichtet. Durch die von Taylor eingeführte Arbeitsteilung von Aufgaben verantworten mehrere Bereiche innerhalb einer Organisation das gemeinsame Ziel der Gewinnsteigerung. Wenn Konkurrenz aus der Dimension der Macht betrachtet wird, bestehen die Elemente von Konkurrenz daraus, dass die Ziele der einzelnen für einander intransparent sind Integrität im Führungshandeln - Das Talentprogramm für Senior Manager 379 uvk-lucius.de/ fuehren und dadurch bewusst und unbewusst gegeneinander gearbeitet wird. Es wird dann aus der Perspektive der Selbstoptimierung geführt; nach dem Motto: „Hauptsache, meine Zahlen stimmen“. Ob vielleicht genau dieses Vorgehen sogar dem Ziel der Gewinnsteigerung für das Gesamtunternehmen entgegensteht, spielt in dieser Wertperspektive keine Rolle. Dadurch, dass Intransparenz über die Zahlen in den jeweiligen Bereichen herrscht, ist diese Art der Selbstoptimierung schwer nachzuweisen. So gibt es dann endlose Diskussionen und den Versuch durch Standardisierung von Controllingprozessen aus der Dimension der Ordnung Transparenz zu gewinnen, welches nur kurzfristig Erfolg hat, da die gesamte Logik auf Eigenerfolg basiert. Erfolgsbeteiligung erfolgt an der Zielerreichung des eigenen Bereichs und nicht ausschließlich am Unternehmenserfolg. In der Dimension von Leistung verwenden wir gern den Begriff Wettbewerb statt Konkurrenz, um die Unterschiedlichkeit der Kernelemente zu verdeutlichen. Hier herrscht Transparenz und das Ziel der Gewinnsteigerung für das Unternehmen wird gemeinsam betrachtet. Jeder Bereich innerhalb eines Unternehmens kennt die Ziele der anderen Bereiche und dadurch den Anteil am Gesamtziel. Durch die Transparenz kann nicht über das Motto der Selbstoptimierung geführt werden, weil das dem zweiten Element der gemeinsamen Verantwortung für die Zielerreichung entgegensteht. Die Gewinnbeteiligung orientiert sich am Gesamterfolg und nicht an der Zielerreichung des eigenen Bereichs. Controllingprozesse sind über alle Bereiche einheitlich und ebenfalls einsehbar. Es gibt für alle sichtbare Rangreihen, welche Bereiche innerhalb eines Unternehmens am meisten leisten. So wird der Wettbewerb weiter gesteigert und damit die Wahrscheinlichkeit der Gewinnsteigerung insgesamt. An der Beschreibung der beiden klassischen Dilemmata der Führung aus unterschiedlichen Wertesystemen ist deutlich geworden, wie unterschiedlich die beiden Pole eines Dilemmas wahrgenommen werden können und dementsprechend völlig anderes Führungsverhalten bedingen. Je nachdem aus welcher Wertdimension das Dilemma betrachtet wird, kann es sehr unterschiedliche Folgen haben. Und deutlich geworden ist auch, dass die Wertesysteme kontextabhängig sind und nicht ausschließlich eine persönliche Angelegenheit der Führungskraft. Wichtig ist es daher für jede Führungskraft, die Wertsysteme des eigenen Bereichs und natürlich die persönlichen Werte zu kennen. Denn es geht keineswegs darum, das einzig wahre Wertesystem zu finden. Jedes der Dimensionen hat seine Chancen als auch seine Begrenzungen. Vielmehr steht im Mittelpunkt die jeweils stimmige und wirksame Wertperspektive für das eigenen Führen zu nutzen in Einklang von Kontext, Aufgabe und Person. In der Wertdimension der Integration werden Dilemmata als beständiger Teil komplexer Systeme betrachtet, welches zur Folge hat, dass die negative Bewertung des Umgangs mit Dilemmata wegfällt. Die Polaritäten eines Dilemmas werden je nach Kontext, Aufgabe und Personen flexibel balanciert. Es erfolgt keine Ausgrenzung bzw. Abwertung der anderen Polarität. Die Handlungslogik wechselt in dieser Stufe von der absoluten in die relative Logik. Das ermöglicht einen flexibleren Umgang mit den Gegebenheiten. 380 Nadine Sukowski und Uwe Steinwender uvk-lucius.de/ fuehren Lernchancen und Gefahren im Talentprogramm Durch die Beschreibungen des Umgangs mit Dilemmata in den verschiedenen Wertsystemen ist deutlich geworden, dass das Talentprogramm einen reflektorischen Charakter hat. Es geht im Kern darum die eigenen und kollektiven Wertesysteme zu erkennen und deren Chancen und Gefahren für die jeweilige Führungsaufgabe zu beleuchten. Das Ziel ist dadurch eine Verbreiterung der Handlungsvarietät auf der Ebene des Denk- und Fühlsystems und nicht auf der Ebene des Verhaltens zu erreichen. Das Programm eignet sich daher besonders für Führungskräfte, deren Fokus die Selbstreflexion des eigenen Denkens und Führens ist. Manche unserer Teilnehmer sehen ihr Ziel auf der Erweiterung von neuen Skills - auch horizontales Lernen genannt. Diese Art des Lernens hat seine Berechtigung bei komplizierten Sachverhalten, bei denen wir zunächst das richtige Vorgehen erlernen wollen, wie z.B. eine neue Sprache. Das Talentprogramm ist daran ausgerichtet, vertikales Lernen zu ermöglichen, im Sinne einer Reifung und Bewusstwerdung eigener Denk- und Führungsgewohnheiten, um den Autopiloten des Alltags zu reflektieren, um dann zu entscheiden, wann der Autopilot wirksam ist und wann ein anderes Führungsrepertoire hilfreicher wäre. Diese Reifung ermöglicht einen inneren Raum der Reflexion zu entwickeln, der es der Führungskraft ermöglicht in der Situation einen Abstand vom eigenen Denk-und Fühlsystem zu erhalten (siehe Abbildung). Der Raum der Reflexion; Quelle: Sukowski, 2015: Die entscheidende Frage dabei ist: Wie flexibel kann ich Widersprüche auflösen und andere Facetten der Situation als gleichwertige Wahrheit anerkennen? Denn je mehr Facetten ich in die Reflexion mit einbringen kann, umso eher werde ich eine wirksame Antwort finden können. Es geht darum, einen Moment der Reflexion zwischen die automatisierte Sichtweise auf die Wirklichkeit und die automatische Reaktion auf diese Wirklichkeit zu schieben (vgl. Sukowski, 2015). Dieses Vorgehen sieht einfacher aus als es ist. Denn es bedeutet in der Konsequenz, nicht die eigene Weltsicht als alleinige Wahrheit anzuerkennen, sondern sich von ihr auch distanzieren zu können. Die eigene Sichtweise ist jedoch die, welche uns gerade in widersprüchlichen Situationen Orientierung vermittelt. Im Modell, in welchem zwi- Integrität im Führungshandeln - Das Talentprogramm für Senior Manager 381 uvk-lucius.de/ fuehren schen Reiz und Reaktion ein vielschichtiger kognitiver Prozess in Gang gesetzt wird, ist zugleich auch der Abschied von vermeintlich unumstößlichen Sicherheiten für eine logische Sekunde unumstößlich. Diesen Moment der Unsicherheit auszuhalten, fällt schwer angesichts des Selbstbildes der Führungskraft als Steuermann, der sein Schiff sicher in den Hafen bringt. Die eigene Weltsicht nicht als alleinige Wahrheit zu begreifen und andere Perspektiven in den Reflexionsprozess zu integrieren heißt sich vom klassischen Führungsparadigma des Steuermann, der das Ziel vorgibt und die Mittel bereitstellt, zu verabschieden. Es bedeutet zuzugeben, nicht immer eine Antwort zu haben auch wenn die Verantwortung zu tragen ist (vgl. Sukowski, 2013). Dieser Paradigmenwechsel im Führungsbild wurde in den Seminaren widersprüchlich gesehen und diskutiert. Einerseits ist für viele Führungskräfte angesichts der Vielfalt und Komplexität der Aufgaben es unmöglich alles selbst zu wissen. Anderseits wird gerade dies von der Umgebung erwartet; sei es von Chefs oder Mitarbeitern. Dahinter liegt das Bedürfnis Sicherheit zu kreieren und eben nicht Dilemmata offen anzusprechen und zu balancieren. Denn das kostet Zeit. Angesichts der Tatsache, dass Reflexion und Kommunikation das Mittel der Wahl darstellen; produziert das Programm ein Dilemma auf der Metaebene des Führens; nämlich die Wahl zwischen Einsatz der Mittel und des Zwecks. Fazit Weil sich der Kontext, in dem wir führen deutlich und rasant verändert, stellen sich folgende Fragen: Wie müssen wir Führung der Zukunft neu denken? Was sind die Führungsqualitäten, die uns wirksam sein lassen? Welche Art des Lernens brauchen wir, um diese Fähigkeiten wachsen zu lassen? All diese Fragen stellen wir uns als Entwickler von Führungskräften tagtäglich. Eine mögliche Antwort findet sich in der Beschreibung des Talentprogramms für Senior Manager. Es geht aus unserer Sicht weniger darum neue Verhaltensstandards zu entwickeln, als vielmehr Bewusstheit über die persönliche Art des Führens zu erlangen. Dieses mehr an Bewusstheit schafft Handlungsvarietät, weil ich mich in jeder Situation entscheiden kann, welche Art des Führens in der Situation, in dem Kontext mit den Menschen wirksam erscheint. Denn Dilemmata, Widersprüche und Dynamik sind an der Tagesordnung. Es geht in Zukunft weniger darum den einen richtigen Weg zu finden als vielmehr sich jeden Tag neu zu verorten, zu fokussieren und zu entscheiden. Das verlangt Reife, Demut für die Begrenztheit der eigene Perspektive und Offenheit und Neugier im wieder neu lernen zu wollen. Literatur Blessin, B. & Wick, A. (2014). Führen und führen lassen (7.A.). Konstanz und München, UVK. Brauner, C; Seidel, R.; Wacha, J.(2012). Change Management im Vertrieb. Das Praxishandbuch für Entscheider. Haufe. Daimler AG (Hrsg., 2015). www.daimler.com/ nachhaltigkeit/ integritaet (aufgerufen zuletzt am 05.11.2015). Götz, S. (2014). Change leader inside. Für Menschen, die eine neue Wirtschaftskultur leben. Tao.de 382 Nadine Sukowski und Uwe Steinwender Graves, C. W. (1970). Levels of Existence: An Open System Theory of Values. In: Journal of Humanistic Psychology, November 1970: 10; 131 Sukowski, N. (2013). Führen unter Unsicherheit: eine empirisch fundierte Typologie der Identitätsarbeit von Führungskräften. Springer Gabler. Sukowski, N. (2015). Authentizität im Führungshandeln: vom Mythos zum Werkzeug. Authentisches Führungshandeln ist trainierbar. In: Hollmann, J. & Daniels, K. (2.A.). Anders Wirtschaften - was Erfolgreiche besser machen. Gabler. Autor-Kurzprofile Dr. Nadine Sukowski berät seit 15 Jahren Führungskräfte in organisationalen und persönlichen Veränderungen. Daraus entstand das Interesse sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie Führungskräfte agieren, wenn sie an die Grenze der Rationalität gelangen, sie nicht mehr wissen, was der nächste Schritt ist und sie das Gefühl der Unsicherheit erleben. Seit 2006 ist sie in der Führungskräfteentwicklung der Daimler Corporate Academy für die Entwicklungsprogramme für Senior Manager verantwortlich. Uwe Steinwender arbeitet seit 1989 in unterschiedlichen Verantwortlichkeiten im Personalbereich der Daimler AG und seit 20 Jahren im Feld Führungskräfte- und Organisationsentwicklung. Seit 2004 ist er bei der Daimler Corporate Academy für die Führungskräftequalifizierung weltweit verantwortlich. Herr Steinwender ist Mitglied und im Board of Trustees der Globally Respon- sible Leadership Initiative (GRLI Initiative). uvk-lucius.de/ fuehren Index Aikido-Elemente 159 Altersstruktur 87 Ambition 346 Analysephase 251 Anforderungsanalyse 196 Assessment Center 288 Authentizität 112 Autorität 42 Balanced Scorecard 88, 363 Benchmarking 191 Benediktregel 359 Berichtsphase 251 Betriebsrat 86 Beurteilungsgespräche 61 Bottom-up 119 Budgetverantwortlichkeit 100 Burnout 273 Change Beratung 318 Change Management 27, 139, 317 Change-Prozesse 117 Charakterstärken 33 Charisma 353 Coaching 45 Complex Man 58 Crowd Worker 19 digitale Transformation 284 Dilemma-Situationen 374 Dilemmata 343 Dilemmata der Führungskräfte 375 Diskussionsveranstaltungen 25 Diversity 215, 239 Doppelbelastung 226, 230 Durchsetzungsstärke 42 dysfunktionale Regelungen 63 Eigenverantwortung 237 Employability 220 Engagement 256 Erfahrungsaustausch 231, 237 evangelische Armut 358 Extraversion 59 Fehler 60 Fehlverhalten 18 Fehlzeiten 87 Fit-Gap-Analyse 331 Flow-Erleben 16 Fluktuation 83 Fokusgruppen 266 Förderprogramme 26 Förderung von Frauen 237 Franziskanischer Führungsansatz 358 Frauen in Führungspositionen 227, 238, 239, 246 Frauenanteil 226 Frauenförderung 227 Frauennetzwerk 242 Führen in Teilzeit 244 Führungseffektivität 77 Führungseffizienz 77 Führungsgesundheit 266 Führungsgewohnheiten 380 Führungsklausur 151 Führungskompetenzen 266 384 Index uvk-lucius.de/ fuehren Führungskräfte-Curriculum 289 Führungskräfteentwicklung 52 Führungskräfte-Programm 182 Führungskräftequalifizierung 79 Führungskreis 126 Führungskultur 57, 131 Führungsleitlinien 131 Führungsphilosophie 287 Führungsstil 131 Führungstrainings 298 Führungsverständnis 199 Führungsworkshops 76 Funktionsklarheit 105 Galerie-Technik 163 Gemeinschaft 377 Gender Diversity 239 Generation Y und Z 19, 363 Generationen-Management 223 Gerüchte 85 Gesprächsführung 228 Gesprächskultur 61 Gesundheit 218, 261 gesundheitliches Führen 266 Gesundheitsförderung 248, 256, 272 Gesundheitsmanagement 261 Gewerkschaft 86 Glaubwürdigkeit 112 Gleichstellung 216 Ideologie 339 Impulsgeber 100 Innovationskraft 89 Integration 377 Interkulturalität 210 Introversion 51, 59 Jahresgespräche 195 Karriereentscheidungen 242 Karriereplanung 226 Kernkompetenzen 346 Kick-off-Veranstaltung 296 Kollegialität 83 Kommunikationsbedarf 178 Kommunikationsmodell 169, 228 Kompetenzmodell 191 Kompetenzprofile 203 Komplexitätsmanagement 346 Konklusionsphase 251 Kontingenzansätze 71 Kontrolle 57 Kontrollsysteme 60 Kooperationsfähigkeit 346 Kosten-Nutzen-Verhältnis 140 Krisenmanagement 38 Kritikfähigkeit 128 Kulturprozess 151 Kulturwandel 366 Leadership Model 350 Leadership-Analyse 111 Leadership-Programm 185 Lean Management 73 Leistungsbeurteilung 195 Leistungserhaltung 248 Leistungskultur 336 Leitbild 23, 295, 334 Lernfähigkeit 221 Lernfeld 104 Lernprozess 142 Lob 274 Management 4.0 285 Mentor 42 Mentorin 227 Index 385 uvk-lucius.de/ fuehren Mentoring-Programm 227, 236 Mikropolitik 341 Mitarbeiterentwicklung 229 Mitarbeiterportal 233 Mitarbeiterzeitschrift 243 Mitarbeiterzufriedenheit 157 Motivation 223 Nachfolgesituation 179 Nachhaltigkeit 26, 137, 246 Nachwuchsförderung 242 Networking 230 Netzwerkorganisation 293 Onboarding-Prozess 43 Organisationsentwicklung 212 Organisationsgrad 86 Pausen 275 PDCA-Zyklus 132 Peergroup-Treffen 230 Personalabbau 86, 330 Personalentwicklung 368 Personalsteuerung 347 Podiumsdiskussion 121 Potenzialerkennung 242 Potenzialplanung 196 Prävention 248 Primärprävention 248, 249 Projektverantwortliche 368 Prozessarchitektur 319 Prozessoptimierung 24, 81 Psychologisches Kapital 34 Qualifizierungsprozess 109 Rechthaberei 63 Reflexionsfragen 230 Reflexionskompetenz 153 Rekrutierung 195 Resilienz 256 Resonanzgruppe 146 Respekt 59 Restriktion 57 Restrukturierung 24 Restrukturierungsmaßnahmen 176 Restrukturierungsprogramm 81 Retentionmaßnahmen 84 Rituale 145 Rolle des Managers 285 Rollenflexibilität 105 Rollentheorie 91 Rollenverständnisse 49 Sanktion 57 Schlüsselqualifikationen 191 Sekundärprävention 249 Selbstfürsorge 273 Selbstmanagement 347 Selbstorganisation 94 Selbstreflexionsbereitschaft 153 Selbstvertrauen 89 Selbstwertgefühl 221 Selbstwertschätzung 45 Selbstwirksamkeit 32 situative Führung 79 Sozialauswahl 81 Sport 275 Stakeholder 347 Stärkenorientierung 303 Stellenabbau 81 strategische Personalplanung 195 Stressanalyse 273 Symbole 92 symbolische Führung 127, 285 Symbolisierung 92 386 Index Talent Management Program 202 Talentprogramm 380 Tertiärprävention 249 Top-down 119 Train the Trainer 164 Trainingsprogramm 126 transformationale Führung 257 transformationaler Führungsstil 298 Übernahmen 180 Unternehmensgrundsätze 131 Unternehmenskultur 119, 129, 131, 148, 335 Unternehmenszeitschrift 233 Veränderungsbereitschaft 221 Veränderungsprozess 23 Verantwortung 23, 107, 126, 297 Verantwortungsbewusstsein 346 Vereinbarkeit von Familie und Beruf 239 Verhaltensmuster 145 Verhaltensprävention 253 Verhältnisprävention 253 Vernebelungstaktik 128 Videobotschaften 109 Vielfalt 340 weibliche Führungskräfte 236 Werte 50 werteorientiertes Führungsverhalten 301 Wertequadrat 370 Wertesystem 49, 377 Wertschätzung 44, 59, 256, 274, 305 Wirkfeldanalyse 161 Wohlbefinden 43 Work-Life-Balance 230 Work-Privacy-Conflict 264 Zielstruktur 196 Zielvereinbarungsgespräche 61 zukunftsfähige Führung 16 Zuverlässigkeit 57 www.uvk.de Für die Zukunft gewappnet Wie wird die technische Entwicklung der nächsten Jahre aussehen? Welche Erfindung bringt welche Wettbewerbsvorteile? Fragen wie diese sind für Entscheider in Unternehmen überlebenswichtig. Es gilt, in enger Zusammenarbeit mit der Wissenschaft die Ideen und Produkte hervorzubringen, die im Markt der Zukunft bestehen können. Die Qualität des Innovationsmanagements entscheidet heute mehr denn je über den unternehmerischen Erfolg. Das »Handbuch Innovationsmanagement« erleichtert den Einstieg in das Thema und beleuchtet es aus unterschiedlichen Perspektiven. Forschung und Entwicklungsmanagement werden ebenso erläutert wie das Innovationsmarketing oder die personellen und organisatorischen Rahmenbedingungen des Innovationsprozesses. Wilhelm Schmeisser, Dieter Krimphove, Claudia Hentschel, Matthias Hartmann Handbuch Innovationsmanagement 424 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-421-1 Das richtige Werkzeug für jedes Problem Michael Nagel, Christian Mieke BWL-Methoden Handbuch für Studium und Praxis 1. Auflage 2014, 380 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-8252-8564-7 Die Betriebswirtschaftslehre hält zur Steuerung eines Unternehmens und seiner Bereiche geeignete Hilfsmittel bereit. Aber welche Werkzeuge oder Methoden sind tatsächlich bewährt und wirkungsvoll? Und welcher Ansatz eignet sich in welcher Situation und für welche Aufgabenstellung? Das Handbuch liefert die Antworten. Die Autoren bieten eine Anleitung zur Einordnung, Auswahl und Anwendung der wichtigsten Methoden zur Unterstützung betriebswirtschaftlicher Entscheidungen. Jede Methode wird kurz und präzise vorgestellt. Der Leser kann am Ende jeden Kapitels die Methode unmittelbar anwenden und nützlich im Unternehmen einsetzen. So lassen sich komplexe reale Probleme strukturiert analysieren, auswerten und eine möglichst optimale Lösung bestimmen. Das Buch wendet sich an Studierende der Wirtschaftswissenschaften und verwandter Studiengänge. Es dient darüber hinaus Fach- und Führungskräften in allen Unternehmensbereichen als praktisches Nachschlagewerk. www.utb-shop.de Von Schmalenbach bis zur verhaltenstheoretischen BWL Günther Schanz Eine kurze Geschichte der Betriebswirtschaftslehre 1. Auflage 2014, 150 Seiten ISBN 978-3-8252-4106-3 Bereits in der Antike, im Mittelalter und in der Renaissance beschäftigten sich Gelehrte mit ökonomischen Fragestellungen. Die akademische Betriebswirtschaftslehre ist dennoch eine junge Disziplin, die erst im 20. Jahrhundert aufblühte. Ihre Geschichte wird vom Verfasser anhand der Wissenschaftsprogramme von Eugen Schmalenbach, Wilhelm Rieger, Heinrich Nicklisch, Erich Gutenberg, Edmund Heinen und Hans Ulrich kritisch nachgezeichnet. Dargestellt werden des Weiteren Das Buch richtet sich an Studierende der Betriebswirtschaftslehre, die die Geschichte der BWL verstehen und deren Entwicklungslinien nachvollziehen möchten. Zudem ist es auch für Doktoranden, Habilitanden und Professoren ein unverzichtbarer Lesestoff. www.utb-shop.de www.uvk.de Verhandeln wie professionelle Ein- und Verkäufer Der Erfolg gibt ihnen Recht: die Everest-Methode von Jörg Pfützenreuter und Thomas Veitengruber ist bei Konzernen und Mittelständlern gleichermaßen gefragt. Seit Jahren coachen sie Vertriebler und Einkäufer und lassen die eine Seite in die Karten der anderen schauen. Am Ende entscheidet die strategische, taktische und psychologische Raffinesse, wer als Sieger vom Verhandlungstisch aufsteht. Ein Buch für alle, die im Einkauf oder Vertrieb arbeiten und ihr Verhandlungsgeschick um den alles entscheidenden Gipfelmeter voranbringen wollen. Jörg Pfützenreuter, Thomas Veitengruber Die Everest-Methode Professionelles Verhandeln für Ein- und Verkäufer 2015, 230 Seiten, flex. Einb. ISBN 978-3-86764-549-2 www.uvk.de Der Einfluss der Kirche auf die Wirtschaft Ökonomie und Kirche - das ist kein Widerspruch. Klöster häuften früher durch geschicktes Handeln ein gewaltiges Vermögen an. Heute finden religiöse Werte durch den Corporate-Governance-Kodex Eingang in die Geschäftswelt und christliche Parteien prägen die Wirtschaftspolitik. Auf das Spannungsfeld zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gehen Päpste durch Sozialenzykliken seit dem 19. Jahrhundert ein: Leo XIII. forderte 1891 Lohngerechtigkeit sowie Arbeitnehmerrechte und gab damit der Sozialpolitik in Europa Aufwind. Weitere Sozialenzykliken folgten, wenn das freie Spiel der Marktkräfte zu sozialen Problemen führte. 2009 verwies Benedikt XVI. nach der Finanzkrise darauf, dass Globalisierung von einer »Kultur der Liebe« beseelt sein müsse. Damit brachte er die Globalisierung mit Verteilungsgerechtigkeit und Gemeinwohl in Zusammenhang. Auf die Sozialenzykliken der Päpste gehen die Autoren im Detail ein: Sie beleuchten den geschichtlichen Kontext ebenso wie deren Auswirkungen auf Wirtschaft und Politik. So skizzieren sie einen dritten Weg der Päpste - ein alternatives Wirtschaftskonzept zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Hans Frambach, Daniel Eissrich Der dritte Weg der Päpste Die Wirtschaftsideen des Vatikans 2015, 283 Seiten, Flexcover ISBN 978-3-86764-600-0 19,99 € www.uvk.de Neues Vertrauen schaffen Das Vertrauen in unsere Währungen sinkt: Die Zentralbanken fluten die Finanzmärkte mit billigem Geld. In Deutschland boomt die Wirtschaft, während in anderen Euro-Ländern hohe Arbeitslosigkeit und Staatspleiten drohen. Kann ein System mit Niedrigzins, Deflationsgefahr und geliehenem Wohlstand dauerhaft bestehen oder sollte eine Suche nach alternativen Geldsystemen beginnen? Schließlich haben Menschen seit jeher auch andere Tausch- und Finanzsysteme verwandt. Und: Heute sind Miles & More-Punkte, realer Warentausch oder digitale Währungen wie Bitcoins bereits Realität. Auch die Systemfrage stellt sich: Sollten allein Zentralbanken Geld ausgeben oder auch die Geldausgabe frei für Jedermann möglich sein? Lernen Sie durch das Buch mehr über das aktuelle Geldsystem und seine Alternativen in Form von Ersatz- oder Komplementärwährungen, die neues Vertrauen schaffen könnten. Ottmar Schneck, Felix Buchbinder Eine Welt ohne Geld Alternative Währungs- und Bezahlsysteme in einer immer turbulenteren Finanzwelt 2015, 250 Seiten, Flexcover ISBN 978-3-86764-601-7 19,99 €