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Homer meets Harry Potter: Fanfiction zwischen Klassik und Populärkultur

2021
978-3-8930-8662-7
Attempto Verlag 
Martina Stemberger

Mit Millionen online publizierter Texte stellt die Fanfiction ein oft unterschätztes literarisches Massenphänomen unserer Zeit dar; zu einer Expedition in diese bunte Parallelwelt, in der nicht nur Harry Potter & Co., sondern auch Homer und Shakespeare, Goethe und Tolstoj, ja selbst die Bibel spielerisch fort- und umgeschrieben werden, lädt dieser neue Dialoge-Band ein.

Homer meets Harry Potter: Fan ction zwischen Klassik und Populärkultur Martina Stemberger Homer meets Harry Potter: Fanfiction zwischen Klassik und Populärkultur Martina Stemberger Homer meets Harry Potter: Fanfiction zwischen Klassik und Populärkultur Umschlagabbildung: Sergej Amin Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Entstanden im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald. © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 2626-0697 ISBN 978-3-89308-462-3 (Print) ISBN 978-3-89308-662-7 (ePDF) ISBN 978-3-89308-007-6 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 5 Inhalt Intro 9 „… the Aeneid was a fanfiction too“? Eine Frage der Definition 10 Von Star Trek bis Harry Potter: Fanfiction zwischen Poetik und Politik 12 „La vera storia di…“: Geschichte und Geschichten 15 Von fluktuierenden Figuren und alternativen Welten: Fiktion, Transfiktion, Fanfiction 17 „Das ist eine Riesensache…“: Kartographie einer literarischen Parallelwelt 20 „I appologize for my English“: Fanfiction zwischen den Sprachen und den Kulturen 24 „A Labor of Love“? Fanfiction als kollektive Praxis und sozialer Prozess 28 Exkurs: Fanfiction in Zeiten der Corona-Krise 30 „… women and queer folks“: Fragmente einer Fanfiction-Demographie 32 Text und Paratext: Der fanfiktionale Pakt 34 „these characters aren’t mine…“: Disclaimer-&-Copyright 39 Die „letzte Schlacht zwischen Autor und Leser“: Jenseits von UGO 2 42 6 Von der Subkultur zum Mainstream: Fanfiction heute 45 Ein vernachlässigtes Massenphänomen: Fanfiction und Literaturwissenschaft 49 Zwischen Vergil und Doctor Who: Fanfiction als kulturelles Spannungsfeld 52 „Gibt es Proust-Fans? “ Von Klassikern und Fangirls 53 „… un finale diverso“: Prequels, Sequels, (Un-)Happy Ends 55 „What if the madwoman was not mad? “ Zur Ideologie der Narration 56 „Virgil ended up cutting this part out…“: Von der Lust an der Leerstelle 58 „Macbeth has a thing for Banquo…“: Klassik-Slash 60 „Omaggio al mio classico preferito“: Fanfiction zwischen Hommage und Ikonoklasmus 62 Von Deutschlektüren und anderem „Horror“: Fanfiction im schulischen Kontext 65 Klassik und Kanon: Fanfiction als Text-Ökosystem 69 Wider die Herrschaft der Dead White European Males? Fanfiction, Kanon und Gender 72 Tolstoevskij & Co.: Kanon-Konfigurationen 74 7 Ovid, Orlando, OuLiPo: Meta-Fanfiction und literarische Selbstreflexion 77 Don Quijote & Buffy Summers: Crack, Crossover, Klassik-Crash 80 „… betaing the world“: Fanfiction als Lebensphilosophie? (Conclusio) 87 Quellenverzeichnis 88 9 Intro „Nie wurde so viel gelesen und geschrieben wie heute“: Mit diesem starken Statement beginnt eine Deklaration der Autorengruppe Fiktion aus dem Jahr 2013, die sich mit der „digitalen Zukunft unserer Literatur“ und einer neuen Breitenkultur des „alltägliche[n] Schreiben[s]“ auseinandersetzt. Letzteres „lässt die Schwelle, auch selbst Gedichte, Geschichten und Romane zu verfassen, sinken. Fast jeder kann seine Texte weltweit anbieten und sich über sie austauschen. Wer damit größeren Erfolg hat, kann anschließend auch in traditionellen Verlagen reüssieren“, fügen die Autor*innen optimistisch hinzu (Bremer/ Bußmann et al. 2013). Anstatt jener auditiv dominierten „Kultur des Hörens“, die Welsch (1996) heraufziehen sieht, führt die Digitalisierung derart mitten in eine medientechnisch aktualisierte „Ära Gutenberg“ zurück (Eco/ Carrière 2011: 14). Geht in der Post-Romantik die Demokratisierung bezüglich der Leserschaft mit der Elitarisierung literarischer Produktion einher (Schlanger 2008: 118), so erscheint diese Arbeitsteilung zusehends obsolet; die Konfrontation mit - auch kanonisch-klassischer - Literatur verlagert sich hin zu kreativer Interaktion. Höchst instruktiv hinsichtlich dieser neuen populären Lese- und Schreibpraxis ist die Fanfiction, die - Segment und Symptom einer generelleren Transformation der literarischen Kultur unserer Zeit - Anfang des 21.- Jahrhunderts eine geradezu explosive Dynamik entfaltet; zu einer Expedition in diese bunte Parallelwelt lädt dieser Dialoge-Band ein. 10 „… the Aeneid was a fanfiction too“? Eine Frage der Definition Fanfiction bezeichnet eine Form appropriativ-derivativer bzw. (so der präferable, da neutralere Terminus) transformativer Literatur, die, produziert von in sogenannten Fandoms - heute meist Online-Communities - interagierenden Fans, z.-B. auf Romanen, Theaterstücken, Musicals, Filmen, TV-Serien, Comics, Anime/ Manga oder Videospielen, z.-T. aber auch auf der Geschichte realer historischer und zeitgenössischer Personen beruht. Wie weit ist der Begriff sinnvollerweise zu fassen? Dass Literatur- und Kunstschaffende - Profis wie Amateure - nicht ex nihilo arbeiten, sondern aus früheren Werken Inspiration schöpfen, ist ja alles andere als neu. Wenn Vergil mit Aeneas eine Nebenfigur Homers zum Helden seines eigenen Epos macht, tut er im Prinzip eben das, was Legionen von anobzw. pseudonymen Fanfiction-Autor*innen auf bescheidenerem Niveau betreiben. „Isn’t the Aeneid a Roman-based fanfic of The Iliad? “, fragt Jung (2019): „[…] isn’t that how all forms of literature progress through time? “ Gerade Vergil als früher Fanfic-Writer ist ein populärer Legitimationstopos: „I can only imagine the looks of people when someone would tell them that, technically, the Aeneid was a fanfiction too […]“, bedauert eine Autorin das Negativ-Image von „fanfiction just because it’s called fanfiction these days“ (zit. Aragon/ Davis 2019: 52). Als „fanfiction based on fanfiction“ präsentiert eine andere ihre Aeneis-Reinterpretation (FloatingCowskull: Lavinia’s Stand, AO3, 25.02.2014): „These characters are over 2000 years old, and stolen [from] Virgil, who stole them from Homer […]“ (FFN, 10.09.2013). Verstehen wir Fanfiction als „a form of collective storytelling“, dann dürfen überhaupt die Ilias und die Odyssee als „the earliest versions of fan fiction“ gelten (Hellekson/ Busse 2014: 6). 11 Für Eco (1990: 510) ist der Mensch ein „animale fabulatore per natura“, nach MacIntyre (1999: 216) „essentially a story-telling animal“; Iser (1993: 16) zufolge gehört „Fiktionsbedürftigkeit“ zu unserer anthropologischen Ausstattung. Der Mensch wäre also ein Geschichten erzählendes und erfindendes, aber auch nach-erzählendes und nach-erfindendes, kurz: ein fanfiktionales Tier. „Fandoms are just a basic, human response to stories“, betont Coppa (zit. Drozd 2018), Herausgeberin einer Anthologie von Fanfics als Folk Tales for the Digital Age (2017); insofern ist die heutige Online- Fanfiction eine neue Ausdrucksform jener zutiefst menschlichen, identitäts- und kulturstiftenden Leidenschaft, „the same story over and over in different ways“ zu erzählen (Hutcheon 2006: 9) - und in diesem Nach- und Umerzählen alter Geschichten auch aktuelle Problematiken zu verhandeln; als Form von „recursive literature“ (Tosenberger 2014) bzw. postmodernes Mythos-Surrogat bietet sie Einblicke in individuelle wie kollektive Prozesse narrativer Weltkonstruktion. Auch wenn sich „many, perhaps all, literary and cultural artifacts as fan works and their producers and receivers as fans“ im weitesten Sinne interpretieren lassen (Kahane 2016), ist es natürlich wenig ergiebig, einfach die gesamte Literaturgeschichte - beginnend mit der Ilias, der Odyssee und der Aeneis - unter Fanfiction einzuordnen. Allzu restriktiv definiert umgekehrt der Enzyklopädie-Gigant Larousse, der die Fanfiction erst 2017 lexikalisiert, und zwar als „von einem Fan im Internet angebotene Erzählung, die eine bereits existierende Fiktion (Roman, Manga, Film, TV-Serie, Videospiel) fortsetzt oder eine Variation davon darstellt“. Fanfiction auch im engeren Sinn gibt es schon vor dem Internet- Zeitalter; bis heute aktive Communities bilden sich um das Werk Jane Austens und Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes. Der Begriff wird im Zusammenhang mit den Science-Fiction-Fankulturen der 1930er Jahre gebraucht, wobei „fan fiction“ hier nicht die transformative Dimension der Texte, sondern „original fiction by 12 amateur writers“ (Jamison 2013: 74), alternativ auch „fiction about fans and fandom“ (Andy Sawyer, ibid.: 77) bezeichnet. Der Beginn der Media-Fanfiction nach heutigem Verständnis, d.- h. „in the sense of amateur-authored stories set in an already created universe“ (ibid.: 84), kann in den späten 1960ern verortet werden - und erscheint v.- a. mit einer TV-Kultserie jener Zeit assoziiert: Star Trek alias Raumschiff Enterprise, deren frühe Staffeln in den USA in den Jahren 1966 bis 1969 herauskommen. Dabei gilt es die Geschichte des Genres auch kulturspezifisch zu betrachten; in Russland ist das Gründungswerk der Fanfiction vielmehr The Lord of the Rings bzw. Vlastelin kolec: „Fandomwise, Lord of the Rings was for Russians what Star Trek was for Americans“, wie Prassolova (2007) konstatiert. In Deutschland wiederum ist der Erfolg von Anime und Manga in den 1990ern für die Popularisierung des einstigen „niche phenomenon“ zentral (Cuntz-Leng/ Meintzinger 2015). Von Star Trek bis Harry Potter: Fanfiction zwischen Poetik und Politik Rund um Star Trek entwickelt sich ein Fandom mit eigenen Magazinen - den Fanzines (angefangen mit den legendären Spockanalia), die, postalisch oder bei eigenen Fan-Conventions vertrieben, von der Reichweite her klarerweise nicht annähernd mit der heutigen Internet-Fanfiction zu vergleichen sind. Und dennoch: Auf Star Trek gehen mancherlei nach wie vor gebräuchliche Kategorien der Fanfiction zurück. Diese verfügt über ein elaboriertes internes Organisationssystem, ihren eigenen Jargon - der, für Uneingeweihte obskur, zugleich eine Initiations- und Identifikationsfunktion erfüllt - sowie ihre eigenen Subgenres, darunter der sogenannte Slash: Kirk/ Spock oder auch nur knapp K/ S - so markiert wurden (und werden) Stories, in denen die Star-Trek- 13 Protagonisten ein mehr als freundschaftlich-kollegiales Verhältnis verbindet. Der nach jenem Interpunktionszeichen benannte Slash, bei dem im Ausgangstext nicht - jedenfalls nicht explizit - vorhandene männlich-homosexuelle Beziehungen ausgestaltet werden, erfreut sich bis heute extremer Popularität - und wird ganz überwiegend von weiblichen Autoren für weibliche Leser verfasst: „Pornography By Women For Women, With Love“, titelt Russ 1985. Zum Slash (signalisiert auch als M/ M) gehört - im Rahmen einer symptomatischen Asymmetrie markierter Terminus - der Femslash (bzw. Femmeslash); ein Beispiel für „Roman femslash in epic poem format“ (so selbstironisch die Autorin) bietet die eben zitierte Aeneis-Fic, die die latinische Prinzessin Lavinia - bei Vergil passives Objekt väterlicher Verheiratungspläne - ins Zentrum des Geschehens rückt und sie weder mit ihrem ursprünglichen Bräutigam Turnus noch mit dem seinen Rivalen im Zweikampf tötenden Heros Aeneas, sondern mit Turnus’ Schwester Juturna vereint. Führt eine Fic derart zwei (oder auch mehr) im Ausgangswerk nicht liierte Figuren gleichen Geschlechts zusammen, wird der betreffende Text ‚geslasht‘ (slashed, slashé, slashato…): der Slash, auch ins Russische als слэш oder слеш transliteriert, hat sich im internationalen Fanjargon sowie quer durch alle erdenklichen Fandoms etabliert. Zwar kennt die Fanfiction sehr wohl ein mit dem Kürzel PWP bezeichnetes Subgenre ‚Porn Without Plot‘ (zunächst dechiffriert als ‚Plot? What Plot? ‘); doch handelt es sich bei Slash und Femslash um keine müßige pornographische Spielerei: Die Fankultur, die insgesamt „from a position of cultural marginality and social weakness“ operiert (Jenkins 1992: 26), formiert sich auch als Forum für minoritäre Stimmen, die sich im Mainstream weder zu Star- Trek-Frühzeiten noch heute adäquat repräsentiert sehen. „I began writing because as a queer woman I couldn’t find any representation in literature. Just the fact that I could be gay in this space is what mainly kept me going“, erklärt eine indische Autorin den Reiz 14 eines auch in puncto Gender fluiden Genres (zit. Sarangan 2019). „For me, fanfic is partially a political act“, betont ein anderer Fan: „MGM [d.-h. die US-Filmproduktions- und -vertriebsgesellschaft Metro-Goldwyn-Mayer] is too cowardly to put a gay man in one of their multimillion-dollar blockbusters? And somehow want me to be content with the occasional subtext crumb from the table? Why should I? “ (zit. Grossman 2011). Wie politisch Fanfiction, speziell Slash auch heute noch sein kann, zeigt ein Blick über den westlichen Kontext hinaus. In Russland bietet der Slash angesichts einer weit verbreiteten und von offizieller Seite favorisierten Homophobie ein kreatives Ventil: Eifrig wird neben diversen fiktiven und historischen Figuren auch die zeitgenössische Politprominenz geslasht, im Rahmen lustvoll transgressiver Fics, die pikante Pairings à la Putin/ Medvedev, Putin/ Naval’nyj (etc.) variieren; über die einschlägigen Sites hinaus funktioniert Slash als „discursive device“ in der Debatte über LGBT-Agenden (Rajagopalan 2015). Sehr viel drastischer gestaltet sich die Situation in der Volksrepublik China: Hier gab es mehrfach, so im Jahr 2014, exemplarische Repressionswellen gegen Slash-Autorinnen; Ende Februar 2020 wurde der Internetzugriff auf eines der größten internationalen Fanfiction-Portale blockiert (Romano 2020a). Die westliche Berichterstattung über „China’s Insane Witch Hunt For Slash Fiction Writers“ (Tang 2014) ist freilich von einer gewissen Hypokrisie geprägt; besagte Slash-Affäre wird diskursiv instrumentalisiert, um „human rights issues in China in ways that clearly separate ‚us‘ from ‚them‘“ zu framen (Hampton 2016: 237), unter Ausblendung dessen, dass auch einige der okzidentalen Sphäre angehörige Staaten zeitweise eine sehr restriktive Linie gegenüber tatsächlich oder vermeintlich pornographischer Fanfiction verfolg(t)en: Dies betrifft Kanada (ibid.: 236) und besonders Australien, das sich nach einer größeren Kampagne 2007 - samt „mass deletion of fanfic blogs“, u.- a. Harry-Potter-Slash - mit dem Projekt einer neuen Internet- 15 „filter policy“ auf ein Zensurlevel mit „states such as Iran and Saudi Arabia“ zu begeben drohte (McLelland 2010). „La vera storia di…“: Geschichte und Geschichten International betrachtet stellt Fanfiction derart bis heute ein Politikum dar; das Genre wirft auch anderweitige juristische wie ethische Problematiken auf. Ganz besonders gilt dies für die lange Zeit in der Fan-Community selbst tabuisierte sogenannte RPF (Real Person Fiction oder Real People Fiction) und speziell den Real Person Slash (RPS) bzw. Real-Life Slash (RLS). Wenig überraschend beschäftigt RPF sich oft mit Sportstars (Sportfic), Schauspieler*innen (Actorfic), Boybands (Bandfic) etc.; zum Bestseller schafft es Anna Todds Zyklus After rund um Harry Styles, Sänger der Boygroup One Direction: Die ursprüngliche RPF erreicht auf der Plattform Wattpad bis 2014 über eine Milliarde Aufrufe, wird daraufhin als Romanserie in mehr als 40 Ländern herausgebracht und 2019 verfilmt. RPF wird aber auch zu hochkanonischen ‚Celebrities‘ aus der Kultur- und Literaturgeschichte verfasst, beginnend wiederum mit Homer, den Fanfic-Autorin Scytale gemeinsam mit Euripides und Catull einen klassischen „Gender Change“ vollziehen lässt (The Other Muses, AO3, 16.02.2020). La vera storia di Publio Virgilio Marone verspricht Afaneia auf dem italienischsprachigen Portal EFP (27.04.2011); in der Kategorie ‚18th Century CE RPF‘ erwarten die interessierte Leserin zahlreiche Stories zu Goethe & Schiller, bevorzugt als literarisches Liebespaar: „Was wäre gewesen, wenn Johann doch eines Tages einfach mit Friedrich nach Italien durchgebrannt wäre? “ (SwanFloatieKnight: Kennst du das Land…, AO3, 13.04.2019). ‚Schoethe‘-Fic wird nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch, Russisch oder Mandarin publiziert. 16 Gerade unter RPF figurieren auch mancherlei Texte, die gegen mehr als nur den guten Geschmack verstoßen, etwa Mein-Kampf- Slash; dies nicht auf den deutschsprachigen Sites (die auf dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag basierende virtuelle Hausordnung des Portals FanFiktion.de enthält eine eigene Klausel zum Thema „Rassismus, Nationalsozialismus“); anderswo geht es diesbezüglich weniger streng zu. Unweigerlich hat jene digitale Demokratisierung, an der die Fanfiction partizipiert und von der sie profitiert, ihre Schattenseiten. In dieser literarischen Parallelwelt finden sich auch „die ungeheuerlichsten Texte, die man sich vorstellen kann“; so Setz (2015), der sich auf das Terrain der „Anne- Frank-Fanfiction“ vorwagt: „Wer Narrenfreiheit sehen will, dem fliegt sie hier um die Ohren.“ Mit neuer Virulenz stellt sich in diesem populärkulturellen Kontext die Frage nach der gesellschaftlichen Konstruktion von Geschichte und Geschichten. Kontrovers diskutiert wurde eine britische Enquete aus dem Jahr 2008, der zufolge fast ein Viertel (23-%) der interviewten 3-000 Teenager Winston Churchill - Star eines eigenen RPF-Corpus - für eine fiktive Figur hielt, bei Richard Löwenherz mit 47- % beinahe die Hälfte; von einer Mehrheit als historisch real betrachtet wurden dagegen König Arthur (65- %) und Robin Hood (51-%) (Simpson 2008). Während der Historiker Correlli Barnett „a complete lack of common sense and respect for our greatest heroes of the past“ anprangert (zit. Camber 2008), frohlockt die Sherlock-Holmes-Community, deren Held immerhin 58-% der Respondent*innen als authentische geschichtliche Figur galt (Simpson 2008). 17 Von fluktuierenden Figuren und alternativen Welten: Fiktion, Transfiktion, Fanfiction Das Ganze ist nicht nur eine Frage historischer Unbildung. Ivan Gončarov, Schöpfer des ikonischen Oblomov, meditiert über jene von Don Quijote, Hamlet, Lady Macbeth, Don Juan & Co. bevölkerte „Welt schöpferischer Typen“, die „gleichsam ihr eigenes besonderes Leben“ besitzt (1955: 104). Wie ist der Status derartiger durch die Literatur-, Theater-, Musik- und Filmgeschichte irrlichternder Gestalten zu fassen? Saint-Gelais (2011: 373-383) spricht von der „émancipation transfictionnelle“ literarischer Held*innen gegenüber Autor*in wie Ausgangswerk, Eco (2011: 94) von „‚fluktuierende[n]‘ Figuren“: Wie viele Menschen, die über das Schicksal Anna Kareninas im Bilde sind, haben Tolstois Roman gelesen? Und wie viele von ihnen kennen Anna nur aus Filmen […] oder TV-Serien? Ich weiß keine genaue Antwort, aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass viele fiktive Personen außerhalb der Partitur „leben“, in der sie zur Welt gekommen sind, und sich in einer Zone des Universums bewegen, die sich schwer eingrenzen lässt. Auch Fanfiction beruht sehr häufig nicht exklusiv auf einem konkreten Werk (wie z.-B. Tolstojs Roman), sondern auf einem ganzen intertextuell-intermedialen Konglomerat, das sich rund um den jeweiligen Quell- oder „urtext“ (Sandvoss 2007: 23) entfaltet. Selbst eine „brava classicista“, deklarierter Homer-Fan, gesteht zugleich ihre ‚Verliebtheit‘ in Wolfgang Petersens Hollywood-Troy (2004) samt ‚Achilles‘ Brad Pitt (Elefseya, EFP, 07.04.2009), während ein Kollege anlässlich der Publikation seiner Fic, „esorcismo mentale“, mit Pietro Loprienos Il ritorno di Ulisse (2010) abrechnet und den klassischen Kanon gegen „quell’oscenità televisiva“ verteidigt (Lusio: Kαι σ 'αγαπώ… [Und ich liebe dich…], EFP, 30.12.2014, Kommentar: 11.03.2015). 18 In der Fanfiction ergänzt den ‚Canon‘ - als „the collection of texts considered to be the authoritative source for fan creations“ (Busse 2017: 101) seinerseits ein Konstrukt - der damit dynamisch interagierende ‚Fanon‘, der nachträglich fan-kanonisierte Elemente der Handlung, Figurencharakteristik etc. umfasst: So entsteht das heute etablierte Bild Sherlock Holmes’ - mit Deerstalker-Mütze, Inverness-Mantel, Pfeife und einem souveränen ‚Elementary! ‘ auf den Lippen - erst im Zuge der Bearbeitungsgeschichte von Conan Doyles Werk. Unter AU (Alternate Universe) finden sich Fanfics, die von der kanonischen Diegese des Ausgangstextes abweichen, z.-B. die Figuren beibehalten, diese aber in einen anderen historischen oder kulturellen Kontext versetzen. So etwa, wenn die Autorin einer „Aeneid High School AU“ Vergils als „a former team captain of the Trojan High football team“ reinkarnierten Helden auf die Suche nach einer neuen Heimstatt schickt, nachdem seine Schule „by the deceitful Greek football team“ in Brand gesetzt wurde (puppo530: Aeneid High, AO3, 13.03.2016); oder auch, wenn „Elissa Dido, Captain of the Carthage“ im Rahmen eines „space! AU“ ins Weltall reist und ebendort voll intermedialer Ironie den „stories of daring adventure and perilous travel“ des geflüchteten „Captain Aeneas“ lauscht: „There might […] be quite a profitable career for him on some planet where they liked that sort of thing. A weekly holovid show, perhaps, or a series of movies“ (misura: Trouble Any Which Way, AO3, 05.05.2013). Bei aller gelegentlichen Naivität handelt es sich hier um ein komplexes literarisches System mit seiner eigenen Poetik, Publikations- und Rezeptionsetikette, inklusive standardisierter Triggerwarnungen (Major Character Death, Graphic Depictions of Violence, Underage, Rape/ Non-Con). Stories werden nach Fandoms kategorisiert, neben den drei Hauptrubriken Gen (General Audience, d.-h. ohne speziellen amourös-erotischen Fokus), Het und Slash konkret nach Beziehungskonstellationen (Pairings), sexueller Explizitheit 19 samt korrespondierenden Altersgruppen; thematisch nach dem Grad der Übereinstimmung mit dem Ausgangswerk (Canon, AU) und Subgenres wie Angst, Drama, Fluff (d.- h. leichte Wohlfühl- Happyfic), Humor, Hurt/ Comfort, Romance; formal nach ihrer Machart (Crossover, Songfic etc.) und Länge: Beliebt sind Kurzformen wie Drabbles (Texte von exakt 100 Wörtern, praktiziert auch als Double-, Triple- und Quad-Drabble), Vignettes, alternativ Flashfics oder Ficlets (üblicherweise bis ca. 1- 000 Wörter), One- Shots bzw. Standalones (kurze, aus einem einzigen Kapitel bestehende Fics). Dergleichen funktioniert in der Fanfiction deshalb so gut, weil es sich hier um eine überaus voraussetzungsreiche, mit dem jeweiligen Kanon und Fanon bzw. dem „fan text“ - d.-h. dem gesamten „discursive universe generated by the source text“ (Busse 2017: 107) - vertraute Leser*innen adressierende, allusiv ‚komprimierte‘ Form von Literatur (Stasi 2006: 122), ein zugleich populäres und hochgradig palimpsestuöses Genre handelt. Mit dieser plastischen Metapher des Palimpsests betitelt Genette sein Referenzwerk zur Transtextualität - kurz definiert alles, was einen Text „in eine manifeste oder geheime Beziehung zu anderen Texten bringt“ (1993: 9); mit den Subkategorien u.- a. der Intertextualität (Zitate, Allusionen oder auch Plagiate) und der Hypertextualität, bei der ein Text - der Hypertext - ein früheres Werk - den Hypotext - auf spielerische, satirische oder ernsthafte Weise transformiert oder imitiert. Auf der Odyssee als Hypotext basieren so unterschiedliche Hypertexte wie Vergils Aeneis und James Joyces Ulysses - sowie von allen drei Werken inspirierte Fanfics, in denen z.-B. Joyces Homer-Hypertext seinerseits zum Hypotext und im Rahmen des einen oder anderen Crossover mit Shakespeares Hamlet (chaos_harmony: Aeolus, AO3, 14.03.2012), Sherlock (Kalypso: Ulysses Holmes, AO3, 16.06.2012) oder auch - With Deepest Apologies to James Joyce (lynnmonster, AO3, 31.03.2008) - mit Harry Potter kombiniert wird. Als hypertextuell generiertes Genre illustriert auch und gerade die Fanfiction, wie sehr ein Text 20 zur Entfaltung der vollen „‚palimpsestuousness‘ of the experience“ (Hutcheon 2006: 172) der ko-kreativen Kompetenz der Leserin bedarf. Am anderen Extrem der Fanfic-Skala finden sich Online-Epen, die zumindest quantitativ jederzeit mit Joyces voluminösem Roman rivalisieren können. Im Durchschnitt sind die in literarischen Fandoms publizierten Texte umfangreicher als jene in anderen Kategorien (Aragon/ Davis 2019: 85); eine der bisher längsten Fanfictions beruht allerdings auf dem Nintendo-Computerspiel Super Smash Bros.: Die von einem US-Teenager mit mexikanischem Background verfasste Mega-Fic The Subspace Emissary’s Worlds Conquest (AuraChannelerChris, FFN, 05.03.2008) zählt bis zum letzten Update (12.06.2018) über vier Millionen Wörter und ist damit deutlich mehr als drei Mal so lang wie Marcel Prousts Romanzyklus À la recherche du temps perdu und mehr als sechs Mal so lang wie Lev Tolstojs Krieg und Frieden (Romano 2020b). Getoppt wurde dieses Monsterwerk von der ebenfalls auf einem Computerspiel - der japanischen Kantai Collection - basierenden Fic Ambience: A Fleet Symphony (Hieda no Akyuu, FFN, 09.05.2014; Update: 16.04.2019), die aktuell 443 Kapitel und über viereinhalb Millionen Wörter erreicht. „Das ist eine Riesensache…“: Kartographie einer literarischen Parallelwelt Auch wenn Fanfiction also kein neues Phänomen ist, ist ohne Weiteres nachvollziehbar, warum das Genre Anfang des 21.-Jahrhunderts einen derartigen Aufschwung bzw. eine „véritable explosion“ (Saint-Gelais 2011: 408) erlebt. Mehr denn je präsentiert sich Fanfiction im digitalen Kontext als produktionswie rezeptionsseitig besonders niedrigschwellige „Literatur von unten“ (Mauermann/ Bendel 2012), als „demokratisches Genre“ (Pugh 2005) bzw. als 21 paradigmatische Form „partizipatorischer Kultur“ - so Jenkins (1992), der mit seinen Textual Poachers das Forschungsfeld bis heute prägt. Im selben Jahr 1992 erscheinen neben Jenkins’ ‚Textwilderern‘ (die Metapher entlehnt der Autor bei Michel de Certeau) auch zwei andere Gründungswerke der Fan Fiction Studies, Bacon- Smiths Enterprising Women und Penleys „Feminism, Psychoanalysis, and the Study of Popular Culture“, wieder aufgegriffen in Nasa/ Trek (1997). Why Fanfiction Is Taking Over the World, titelt gut zwei Jahrzehnte später Jamison (2013). In der Tat hat diese literarische Parallelkultur - „the fastest-growing form of writing in the world“, wie Pugh (Backcover) bereits 2005 konstatiert - mittlerweile für noch im Hinblick auf einen traditionellen Buchmarkt sozialisierte Leser*innen verblüffende Dimensionen angenommen; populäre Fics schaffen es zu Reichweiten, von denen viele professionelle Autor*innen nur träumen können. „Haben Sie schon einmal von Fan Fiction gehört? Da nimmt man das Personal des Lieblingsbuches und schreibt mit ihm neue Geschichten oder setzt beim bestehenden Buch fort. Harry Potter zum Beispiel. […] Das ist eine Riesensache - und die Erwachsenenwelt weiß nichts davon. Meine 13-jährige Tochter […] hat mehr Leser als ich! “ - so Christoph Braendle, der über seinen Teenager-Nachwuchs die wunderbare Welt der Fanfiction entdeckt (Mayr/ Mayr 2014). Schon quantitativ ist Fanfiction fürwahr - heute noch mehr als im Jahr 2014 - eine „Riesensache“. Çam (2020) beziffert das aktuell online verfügbare Repertoire mit „50 million free fanfiction stories“; bereits früheren Schätzungen zufolge macht die ob ihrer Fluidität und permanenten Fluktuation kaum exakt zu kalkulierende Fanfiction ca. ein Drittel allen Contents „about books on the web“ aus (Kowalczyk 2014). Auf FanFiction.net (FFN), der 1998 gegründeten größten internationalen Plattform, sind - quer durch die neun Hauptkategorien Anime/ Manga, Books, Cartoons, Comics, Games, Misc (Miscellaneous), Movies, Plays/ Musicals 22 und TV Shows - über zwölf Millionen registrierte User*innen in den unterschiedlichsten Fandoms aktiv, von Homer bis Harry Potter, von Vergil bis zu My Little Pony, dessen „Principessa“ im Rahmen einer weiteren Aeneis-Parodie auf EFP kokett den Unpaarhufer von Troja ersetzt (chiaraviolinista: Il Curioso Caso di Enea il Pio, 18.10.2011). Der derzeit größte Fanfiction-Star ist aber natürlich der Zauberlehrling von Hogwarts: FFN verzeichnet per Ende November 2020 unter ‚Books: Harry Potter‘ rund 827- 000 Stories. Mit großem Abstand folgen Twilight, Percy Jackson and the Olympians, Lord of the Rings, Hunger Games etc. - sowie relativ weit vorne mit Jane Austens Pride and Prejudice und Victor Hugos Les Misérables die Avantgarde der Klassiker-Fraktion, die ihre Popularität nicht zuletzt zahlreichen intermedialen Adaptionen verdankt: Wahre Fehden werden unter den ‚Janeites‘ ausgefochten, welche der neueren Pride-and-Prejudice-Versionen - die BBC-Fassung 1995 oder Joe Wrights Film (2005) mit Keira Knightley in der Rolle der Elizabeth Bennet - als superior zu gelten hat. Gegenüber den früheren, primär auf audiovisuelle Medien fokussierten großen Fandoms verschiebt sich dennoch eben mit Harry Potter die Dynamik stärker in Richtung Literatur (Wagner/ Egger 2019: 443). Am fulguranten Erfolg von J.- K. Rowlings Werk partizipieren mehrere Aspekte. Zunächst handelt es sich um einen Glücksfall medienhistorischer Synchronizität: Die Publikation der ersten drei Potter-Bände (1997-1999) fällt mit dem Beginn der digitalen Explosion des Genres zusammen. Dazu kommt der die Fanfic-Karriere eines Werkes favorisierende Faktor Serialität: Kreative Fans lieben offene bzw. provisorische Enden, die Ergänzung von ‚Missing Scenes‘ und ‚Missing Moments‘ ist eine einschlägige Kernkompetenz - und ein unendliches Unterfangen, ist doch jede fiktive Welt per definitionem inkomplett (Doležel 1998). Not in Harry Potter lautet der Titel einer 2007 auf DeviantArt publizierten und über 190-000 Mal aufgerufenen Fic; hier versam- 23 melt mayleaf diverse „Quotes/ words that should be in Harry Potter but Aren’t“: „‚What are you doing here? ‘ Harry asked, bewildered. Draco spun around, did a double-take, then glared at Harry and made an obscene hand gesture“… Beinahe überflüssig zu bemerken, dass das Subgenre Slash - u.-a. in der Konstellation ‚Drarry‘ - sich auch in diesem Fandom beträchtlicher Popularität erfreut. Eine auf den ersten Blick harmlose Passage gegen Ende des vierten Bandes, da Dumbledore Sirius aufträgt, sich eine Weile bei Lupin bedeckt zu halten („Lie low at Lupin’s for a while […]“), inspiriert unzählige Fans zur Spekulation darüber, was während jenes Sommers zwischen Goblet of Fire und Order of the Phoenix dort so alles getrieben wurde, d.-h. immer wieder aufs Neue variierter Remus/ Sirius-Slash (FL: „Lie Low at Lupin’s“). Wohl wäre, so Coppa (2017: 58), der Erfolg von Harry Potter noch größer gewesen, hätte Rowling auf den Epilog in Band-7 verzichtet - mit dem die Autorin mittlerweile selbst nicht mehr recht glücklich ist (Nordyke 2014). Nicht umsonst bildet sich eine eigene Kategorie sogenannter EWE-Potterfiction, d.- h. ‚Epilogue? What Epilogue? ‘, den zu ignorieren bzw. durch ihre alternative Version zu ersetzen rebellische Fans entschlossen sind; über 7-000 EWE- Potterfics finden sich nach aktuellem Stand allein auf dem Portal Archive of Our Own. Bei besagtem Archive of Our Own (kurz AO3), gegründet 2008, handelt es sich um das nach FFN zweitgrößte, derzeit am stärksten wachsende Fanfiction-Portal mit über drei Millionen registrierten User*innen und an die sieben Millionen ‚Fanworks‘, davon allein zu Harry Potter über 270- 000 Stories, deren populärste es per November 2020 auf weit über eine Million Aufrufe bringt (megamatt09: The Breeding Ground, 25.10.2015). Hinter AO3 steht die seit 2007 aktive Non-Profit-Organization for Transformative Works alias OTW, die auch das Wiki Fanlore und das der Archivierung potentiell bedrohter „fanworks for the future“ gewidmete Open- Doors-Projekt betreibt (FL). 24 Fanfiction findet sich auch auf einer Reihe nicht exklusiv auf das Genre fokussierter Plattformen und Portale (Kowalczyk 2014): Wattpad, das seine Services als „[t]he world’s most-loved social storytelling platform“ bewirbt, verfügt über eine aktive, v.- a. auf Celebrities und Comics konzentrierte Community, auch Quotev bietet eine einschlägige Rubrik; weitere Fanfiction beherbergen FicWad, FictionPad ebenso wie das LiveJournal; DeviantArt -- seiner Selbstpräsentation nach „the largest art community in the world“ - setzt den Fokus auf digitale bzw. digitalisierbare bildende Kunst, bietet aber auch ein reiches Fanfic-Repertoire. Dominieren in den Anfängen der Online-Fanfiction einige zentralisierte Archive, so folgt in der Blütezeit sozialer Medien in den 2000ern eine Phase der Dissemination; angesichts zusehends unüberschaubarer Dimensionen geht der Trend zurück zu großen Multi-Fandom-Archiven wie FFN und AO3. Daneben bestehen weiterhin viel enger definierte Single-Fandom-Formate, so das den X-Files gewidmete Gossamer Project oder die für My Little Pony: Friendship is Magic reservierte FIMFiction. Das Angebot ergänzen Portale wie Asianfanfics, „a digital publishing and crowdfunding platform for works centered around Asian entertainment“ - auch dies auf Englisch wohlgemerkt. „I appologize for my English“: Fanfiction zwischen den Sprachen und den Kulturen Englisch ist natürlich die lingua franca auch der Fanfiction-Welt. Sendlors (2011) bis heute standardmäßig zitierter FFN-Detailstatistik zufolge waren im analysierten Jahr 2010 57-% der identifizierten Accounts in den USA lokalisiert, gefolgt vom UK mit 9,2-% und Kanada mit 5,6-% (Deutschland findet sich nach Australien, den Philippinen, Frankreich, Mexiko, Indonesien, Brasilien und Indien auf Platz 11); angesichts der Werbenetzwerk-Kooperationen 25 des Portals hat diese Distribution konkrete kommerzielle Implikationen. Dennoch wurde auf FFN im selben Jahr aus mindestens 173-Ländern zugegriffen; entsprechend viele User*innen von außerhalb der Anglosphäre sind hier aktiv. „I appologize for my English : PP“ [sic] (contatlooby, FFN, 12.11.2012): Trotz vermeintlich oder tatsächlich defizitärer Kenntnisse bedienen sich auch diese Non-Natives sehr häufig des Englischen, um ein möglichst großes Publikum zu erreichen und nebenbei - oft angeführte Motivation - die eigene Sprachkompetenz zu verbessern. „[…] as you’ll probably suspect by reading my work, I’m Italian […]“, stellt sich unter dem selbstironischen Pseudonym „Master of Fangirling Art“ die Verfasserin zweier Resident-Evil-Fics auf FFN vor: „Being a non native english speaker, my writing may result weird sometimes […]. But I try to do my best and I’m so grateful for this chance to improve my writing skills and my vocabulary as well“ (Profil: 06.03.2019). Bei aller Dominanz des Englischen als Kommunikations- und Literatursprache sollte man - wie es in den stark anglo-amerikanisch geprägten Fan Fiction Studies mit ihrem quasi-exklusiven Fokus auf „Western Anglophone media“ (Hellekson/ Busse 2014: 2) häufig geschieht - allerdings nicht übersehen, dass Fanfiction ein ebenso internationales wie polyglottes Genre ist. „The first thing that should be said about Russian fandom is that it exists“, eröffnet Prassolova (2007) ihre Einführung in das russischsprachige Harry- Potter-Fandom: „It may come as a surprising and as a somewhat baffling statement, but not many people within English-language fandom realize that fandom is an international phenomenon […].“ Von besonderem Interesse sind dabei jene Transformationsprozesse, die mit dem Export englischsprachiger Fankultur und -terminologie einhergehen. Aus dem Star-Trek-Fandom - konkret aus Paula Smiths Parodie A Trekkie’s Tale (1973) - stammt z.-B. der Typus der Mary Sue, Inbegriff der idealisierten Superheldin, die im Rahmen naiver Self-Inserts v.- a. die Produktion jugendlicher 26 Debütantinnen heimsucht und deren Status aus feministischer Perspektive kritisch diskutiert wird: Warum sorgt Mary Sue für so viel mehr Häme als ihr männliches Pendant Gary Stu (bzw. Marty Stu)? Die russische Fankultur übernimmt jedenfalls auch Mary Sue - und macht daraus Maška bzw. Mėris’ja, der bei Akitosan eine Metamorphose zum auch grammatikalisch maskulinisierten Mėrisij widerfährt (Mėris’ja v Zakarman’e [Mėris’ja im Land hinter den Taschen], Ficbook, 19.03.2016). Umgekehrt speisen sich westliche Fandoms aus internationalen Importen: Aus der Manga/ Anime-Tradition stammen Kategorien wie Lemon und Lime zur Bezeichnung sexuell expliziter resp. dezenter erotischer Inhalte; ebenso Subgenres wie Yaoi alias Boys’ Love bzw. - in der manchmal synonym gesetzten Softcore-Variante - Shōnen-ai (weibliches Äquivalent: Yuri bzw. Shōjo-ai), die auf ältere literarische Texte re-projiziert werden. So im Fall einer als „Shojo-aï, lime“ etikettierten Fic zu Colettes Claudine à l’école (Gossip Coco: Contre son corps, FFFRa, 30.06.2013) oder der bereits zitierten Shōnen-ai-RP-Fic La vera storia di Publio Virgilio Marone. Im skizzierten Kontext asymmetrischer Globalisierung entstehen non-anglophone Portale, die von vornherein aus der Defensive agieren - was gelegentlich zu Inkonsequenzen führt. So verbietet FanFiktion.de als „deutschsprachiges Archiv“ im Prinzip „[n]icht in deutsch geschriebene Geschichten und Gedichte“, räumt dabei aber eine Ausnahme für „englische Gedichte“ (und nur solche) ein, „die in der Regel toleriert werden“. Fanfiction- Sites sind nicht national, sondern nach Literatur-/ Kultursprachen organisiert; so adressiert Fanfic Fr die gesamte „communauté francophone“: „Du moment que vous comprenez le français nous vous accueillons avec plaisir! “ Défense et illustration, selbst in der Fanfiction: Die Sprachpflege wird hier auch abseits der literarischen Fandoms auffallend ernst genommen. „Pour l’amour de Dieu, choisissez une langue! “, appellieren die Amateur-Mentor*innen 27 einer Neon-Genesis-Evangelion-Fansite (QCTX) an die Kollegenschaft, sei der Sprachmix doch ‚zum Kotzen‘. Ergänzend gibt es detaillierte Instruktionen nicht nur zu Plot- und Figurengestaltung, sondern auch zu Satzstruktur, Interpunktion und Gebrauch der Verba Dicendi - nicht zu vergessen: „Le correcteur orthographique est votre ami“! Zum Check von „la ortografía y la gramática“ ruft Fanfic Es - Fanfics en español auf, 2007 als für „fanfics de temática heterosexual“ reserviertes Komplement zum Portal Amor Yaoi gegründet; Wert auf möglichst fehlerfreies „italiano corretto“ legt auch das seit 2001 bestehende, bis heute größte italienischsprachige Portal EFP (ursprünglich nach der Webmistress als ‚Erika’s Fanfiction Page‘ benannt). Als mit bis Ende 2017 bereits an die zweieinhalb Millionen Fanfics erfolgreiche Alternative zum US-basierten FFN kreiert wurde 2009 das russische Ficbook (Книга Фанфиков), das sich mit Bezeichnung und Design als spielerisch-anachronistisches ‚Buch der Fanfics‘ inszeniert und seinerseits zu einer gewissen sprachpflegerischen Agenda bekennt: Publikationswillige Autor*innen werden aufgefordert, ihren Beitrag mit den „Regeln der russischen Sprache“ in Einklang zu bringen; Texte in anderen Sprachen sind unerwünscht, einzelne fremdsprachige Passagen erlaubt. Wie sehr Fanfiction eine politische Angelegenheit sein kann, zeigen auch von eher mäßigem Erfolg gekrönte rezente Versuche, eigene Sites für ‚Ukrainian Fanfiction‘ bzw. ‚Фанфіки Українською Мовою‘ zu etablieren. Doch auch auf den großen multilingualen Portalen finden sich zahlreiche Fanfics in anderen Sprachen als Englisch; gerade in sehr großen Fandoms sind auch kleinere und/ oder non-okzidentale Sprachen vielfältig vertreten. Potterfiction bietet FFN z.-B. auch auf Afrikaans, Arabisch, Bulgarisch, Estnisch, Farsi, Finnisch, Hebräisch, Isländisch, Kroatisch, Norwegisch und Slowakisch, auf Vietnamesisch, Thai, Türkisch und Ungarisch, sogar auf Esperanto… nicht zu vergessen auf Latein: Stolz präsentiert ein Fan ein Harry 28 Potter A-Z Poem - In Latin! (PhoenixFire77, 13.09.2015). „Hoc mihi scribere Latine! “, freut sich RosaliePotter1221, samt prophylaktischer Selbstkritik: „Spero non lingua lanio…“ (Amor, 24.11.2010). „Primus expero cum Latinus. Poeta non bene“, entschuldigt sich New Dragon Rider (Aestas Dies, 09.09.2007). „Quale exercitium hoc fuerat! “, so ein augenzwinkerndes Notum auctoris: „Hoc ficium (fic) tepidum fuit et peior conversio. Sed primum generis sui in fanfiction.net ergo, spero, dignum temporis tui“ (Jobey in Error: Fatum Est Optimum Cum Paratum Vicarium, 03.08.2006). Mit Texten „in over 70 languages“ und „roughly 400,000 fanworks in languages other than English“ wirbt AO3, das fanfiktionale Vielsprachigkeit explizit encouragiert („Yes! You can post works in any language“). Seit November 2019 steht ein Set neuer „Language options“ zur Verfügung, in deren Rahmen - kleine, doch symbolträchtige Innovation - Englisch nicht mehr als Sprachwahl „by default“ fungiert. Schon im August 2019 wurde das Archive, das derart auch in sprachlicher Hinsicht seiner Mission als „an open and inclusive place“ gerecht zu werden versucht, mit dem seit 1953 von der World Science Fiction Society vergebenen Hugo Award ausgezeichnet (benannt nach Hugo Gernsback, auf den der Begriff SF zurückgeht), dies in der Kategorie ‚Best Related Work‘ (Romano 2019). Diese euphorisch gefeierte Preisverleihung transzendiert - der Genre-Poetik entsprechend - das Konzept individueller Autorschaft; den Preis erhält AO3 als Millionen-Kollektiv. „A Labor of Love“? Fanfiction als kollektive Praxis und sozialer Prozess Fanfiction kann ein politischer Akt sein; v.-a. aber ist sie - auch dort, wo sie sich nicht kritisch-subversiv, sondern affirmativ positioniert - ein sozialer Prozess (Jenkins 1992: 45), eine kollektiv-kollaborative 29 kreative Praxis. In den Fandoms werden teils an die preziösen Salonspiele früherer Zeiten erinnernde Concours, Prompts und Story Challenges kultiviert; beliebt etwa der Drabble Tree oder der Round Robin, bei dem eine Autorin nach der anderen an einem Text weiterschreibt. Doch auch eine von einer einzelnen Person verfasste Fic funktioniert nicht isoliert, sondern community- und kontextgebunden: „community is key“, resümieren Aragon/ Davis (2019: 15) im Anschluss an Busse (2015) die Logik des Genres. Eine „riesige Familie“ verspricht das russische Ficbook; aber gerade auch kleinere, weniger stabile Sites setzen stark auf diesen Faktor. Mit „¡Una comunidad de escritores! “ lockte das spanische Foro Ficción: „Wir sind eine Gruppe von Verrückten, die schreiben und lesen. Mach mit! “ Ähnlich temperamentvoll wandte sich ein italienisches Total-Drama-Portal an Fans der kanadischen Zeichentrickserie: „Hey du! Ja, genau du! […] Du bist eine sehr kreative und einfallsreiche Person? Du schreibst gerne Geschichten? Dann bist du hier richtig! […] Worauf wartest du noch? Los geht’s! ; )“ Fandoms fungieren als „affinity spaces“ (Gee 2005), als Räume diskursiver Identitätskonstruktion. Im Schutz einer technisch zwar prekären, innerhalb der Online-Fandoms aber intakten Anonymität kann mit literarischen wie sozialen Rollen experimentiert werden. „You’ll find every race, nationality, ethnicity, language, religion, age and sexual orientation represented there, both as writers and as characters“, beschreibt Grossman (2011) die „hyperdiverse“ Fanfic-Szene, die derart auch eine spielerisch-interaktive Schule des Realitäts- und Perspektivenpluralismus konstituiert. Und eben das Internet - nach Luhmann (1997) kein Massenmedium im traditionellen Sinn, da es nicht einseitig operiert und „individuell genutzt“ werden kann - schafft die Voraussetzungen für die volle Entfaltung dieser „culture of reciprocity“ (Aragon/ Davis 2019: 72); nicht zufällig profiliert sich die Fanfiction mit einigen der ersten „high volume, high traffic Internet archives to be built“ (De Kosnik in Jenkins 2016). 30 Zwar gilt es das Genre keinesfalls auf seine sozio-psychologische Komponente zu reduzieren; doch erfüllen Fan-Communities manifest auch quasi-therapeutische Funktionen als „support spaces“ etwa für „LGBTQ teens“, allgemeiner „for marginalized members of society“ (Aragon/ Davis 2019: XIII, 17). Auch bzw. gerade auf pseudonymer Basis zeugt die Kommunikation in den Fandoms oft von erheblichem emotionalem Engagement der Mitglieder; es herrscht eine ausgeprägte Kultur nicht nur der ‚Selbstsorge‘ im Sinne Michel Foucaults (Samutina 2017), sondern auch der Sorge um die anderen, wenn sich z.- B. in der LiveJournal-Rubrik „Musings of a Harry Potter Fan 10 Years Later…“ jemand auf die Suche nach einer „Lost Fanfic Writer“ (30.04.2008) macht oder in diesem Ausnahmejahr 2020 diverse Fanfiction-Portale von wohlmeinenden User*innen zur sanitären Fürsorge zweckentfremdet werden. Exkurs: Fanfiction in Zeiten der Corona-Krise „How to Stay safe in the Cronaviruse“ [sic], instruiert Wonderdogcrater in der offenbar strategisch gewählten Good-Omens- Rubrik auf FFN (16.03.2020). „Restate a casa […] Fatelo per Voi, per i vostri Cari, per Tutti“, appelliert weniger naiv, aber nicht minder eindringlich EFP (16.03.2020) an ein eifrig zustimmendes Publikum. Auch in dieser Extremsituation fungiert Fanfiction für zahlreiche User*innen als Evasionsstrategie und Online-Asyl; für „terribly therapeutic“ befindet das Ganze ein bei Çam (2020) zitierter Star-Wars- und Manga-Fan. „Fanfiction is produced within a community“, betont eine andere sozialen Mehrwert wie Selbstermächtigungsfaktor: „Anyone can take reality into their hands and make it be whatever they want to, right now“ (zit. ibid.). Während des mehr oder minder strikten Frühjahrs-Lockdowns ist in etlichen Ländern ein explosiver Anstieg der Aktivität auf den Fanfic-Portalen zu beobachten: Nachdem die wöchentlichen 31 Seitenaufrufe sich den 300 Millionen nähern, kündigt AO3 Ende März seine eigenen „emergency measures“ an (ibid.). Quer durch die unterschiedlichsten Fandoms bewährt sich das Genre in seiner kathartischen Dimension: Zur Fanfic-Conquest of Coronavirus lässt Stormninja82 (FFN, 14.03.2020) eine eklektische Crossover-Compagnie - bestehend u.- a. aus Sheldon Cooper, Doctor Who, Meredith Grey und dem Minecraft-Enderdrachen - antreten. „It is the autumn of 1812. The UK is going into lockdown. […] how will Mr Darcy and Elizabeth overcome their pride and prejudice in the face of strict social distancing and terrifying coronavirus conspiracy theories? “ (JaneSpeedwell: Pride and Prejudice and Coronavirus, AO3, 26.03.2020): Innerhalb kürzester Zeit sucht SARS-CoV-2 die Romanwelten Jane Austens wie J.-K. Rowlings heim (TFALokiwriter: Hogwarts hears of the Coronavirus, AO3, 27.03.2020), Lord of the Rings (Thalion Estel: The Fellowship of the Quarantine, FNN, 23.04.2020) wie Buffy the Vampire Slayer und Twilight - nunmehr samt „Coronavirus, late capitalism, hot vamps, and probably more! “ (michaelgormanxxx: Before the Fever, FFN, 23.03.2020). Auch der bedauernswerte „Sherlock Gets Coronavirus“ (LauraUriex: Johnlock Oneshots: Issues Of 2020, FFN, 24.02.2020); ebenso wenig verschont bleibt das Personal von Star Wars (Hazel_Redflower: The Knightvirus! , AO3, 11.03.2020) und Star Trek: „Spock contracted the Vulcan flu“… (SaritAadam: For Your Sake, AO3, 30.03.2020). Die Corona-Krise ist, so die Autorin einer polnischsprachigen Fic, auch der „perfekte Zeitpunkt“ für kreative Variationen über einen Epidemie-Klassiker wie Albert Camus’ La Peste, der in der Domäne der Fanfiction aktuell einen kleinen polyglotten Höhenflug erlebt (Kafian, AO3, 24.03.2020). *** Doch auch in Non-Pandemiezeiten herrscht in den meisten Fandoms eine amikale Atmosphäre, „in stark contrast to the vitriol found in many other corners of the internet“, wie Aragon und 32 Davis (2019: 106) hinsichtlich einer „highly supportive community“ konstatieren (ibid.: 5); auf manchen Portalen wurden freilich auch „abuse and harassment“ (ibid.), Trolling und Cyberbullying (Busse 2017: 11) beobachtet. Selbst wenn gegenüber der kompensatorisch idealisierenden Tendenz v.- a. der frühen Fan Studies gewisse Vorsicht geboten ist, stiftet Fanfiction insgesamt nach wie vor ein positives Gegenbeispiel, wie Kommunikation im digitalen Raum auch funktionieren kann; nicht unpathetisch, aber treffend beschreiben Aragon/ Davis (2019: 58) sie als „[a] Labor of Love“. Und wer sind die Millionen Fans, die sich dieser literarischen Liebesmühe widmen? „… women and queer folks“: Fragmente einer Fanfiction-Demographie Angesichts der Spezifik eines überwiegend pseudonym praktizierten Genres sind soziologische Studien mit evidenten Schwierigkeiten konfrontiert. Auch wenn frau Profil und performativer Selbstpräsentation der User*innen nicht prinzipiell misstrauen will, bleibt ein beträchtlicher Unsicherheitsfaktor bezüglich Alter, Gender etc. bestehen. Zweierlei kann zu dieser literarischen Parallelgesellschaft aber doch festgestellt werden: Sie ist erstens im Durchschnitt ziemlich jung, wobei FFN und AO3 über eine klar differenzierte Klientel verfügen: Mit seiner deutlich jüngeren Teenager-Population (Sendlor 2011) fungiert FFN als typisches Einstiegsportal; mit wachsender Expertise wechseln viele Fans zu AO3 (Aragon/ Davis 2019: 20 f.). Zahlreiche Fics werden allerdings pragmatisch parallel - unter u.- U. adaptierten Pseudonymen und Titeln - auf beiden Portalen sowie eventuell noch weiteren Plattformen publiziert. V.-a. aber ist die Fanfiction stark weiblich dominiert, auch dies im Gegensatz zu anderen Internet-Domänen: Wikipedia z.-B. weist eine massive umgekehrte Geschlechter-Disbalance auf (Simonton 33 2018). Wie Jenkins zeigt, geht es bereits im paradigmenstiftenden Star-Trek-Fandom darum, „a fan culture more open to women“ zu schaffen (1992: 48); im Unterschied zu den „traditionally maledominated literary fans“ aus dem SF-Bereich (ibid.) erscheint die Media-Fanfiction von Anfang an als „a female, if not feminist, undertaking“ (Hellekson/ Busse 2014: 75), die dazugehörige Community als nicht nur „largely female“, sondern auch „largely white, largely middle class“ (Jenkins 1992: 1). Neuere Forschungen problematisieren besagte „whiteness of both fandom and fan studies“ (Stanfill 2018: 305); das „Global Media Fandom“ wird auch unter den Aspekten „Racial/ Cultural/ Ethnic Identity“ (Pande 2016) reflektiert. Aufrecht ist nach wie vor die Gender-Distribution: „By and large, the writers are women and queer folks“, resümiert Amanda Firestone (zit. Çam 2020). Sendlor (2011) verzeichnet für FFN 2010 einen weiblichen Anteil von 78-% (wobei nur 10-% der registrierten User*innen ihre Geschlechtsidentität im Profil angeben); als „female or nonbinary gender“ identifizieren sich nach Aragon/ Davis (2019: 20) insgesamt 90-% der Mitglieder von FFN wie AO3. Zu berücksichtigen gilt es freilich, dass männliche Autoren sich in diesem so prononciert weiblich konnotierten und wenig prestigeträchtigen Genre nicht unbedingt deklarieren, wie auch Caruso (2018) auf der Suche nach den verlorenen „ficwriter maschi“ aus der Frühzeit der italienischen Fanfiction vermutet. „When Men Write Fanfiction, It Isn’t Fanfiction […]“, ironisiert Hale-Stern (2018). In stärker als das Englische gendernden Sprachen liefert der Autor-/ Leserdialog aufschlussreiche Hinweise. Auf das Lob eines „Recensore Master“, der davon ausgeht, es mit einem männlichen Kollegen zu tun zu haben („sei davvero bravo“), reagiert die Autorin einer Goldoni-Fic mit erfreutem Dank - und einer kleinen Gender- Korrektur: „Grazie della recensione, sono felicissimA-[…]! “ (ferao: Maschera, EFP, 18.02.2013). 34 Text und Paratext: Der fanfiktionale Pakt In ihrer sozialen Prozesshaftigkeit impliziert Fanfiction eine Redefinition flexibler, interdependenter Autor-/ Leserrollen. Hier gilt ein spezieller Lektüre-Pakt, der für die Leserschaft eine interaktive, konkret ko-kreative Funktion vorsieht; allen voran die in Analogie zu Software-Beta-Testern so benannten ‚Beta Reader‘, die eine Fic noch vor der Publikation im Hinblick auf Orthographie, Grammatik etc. begutachten, oft auch darüber hinaus Ratschläge zur Textgestaltung erteilen. Neben fandomspezifischen Ressourcen wie dem Star Trek Beta Reader Index stellen die großen Portale Beta-Datenbanken für unterschiedliche Fandoms, ggf. Sprachen und Genres zur Verfügung, die Autor*innen bei Ficbook ihrerseits nach Sachkenntnis selektieren können („Nur Betas mit Erfahrung“). Suchen wir z.- B. in der ‚Books‘-Kategorie auf FFN nach Betreuung für eine Odyssee-Story, bietet etwa Goddess of Cliffhangers, selbst Verfasserin etlicher Fics zwischen griechischer Mythologie und Harry Potter, ihre Services als „your guide, mentor, and/ or sounding board“ in den Literatursprachen Englisch und Französisch an: „I’m here to help you write the best story possible. […] I am an old, old lady so I have lots of experience. (OK. Fine. I’m not that old.) […] I am great for proof-reading. […] Please don’t just come to me for proofreading though. […] If you need help with description, emotion, and character depth, I am your girl“ (Beta-Reader-Profil: 28.06.2006). Oft wird die Leserschaft schon aktiv, bevor es ans Schreiben geht. Es gibt Rubriken, in denen Leser*innen Ideen deponieren, Autor*innen sich inspirieren lassen können; so auf Ficbook: „Фанфик по заявке“ („Fanfic auf Anfrage“). Zur Weihnachtszeit findet seit 2003 die Yuletide-Challenge statt, literarisches Online- Wichtelspiel, bei dem sich Fans Texte gezielt zu ‚Rare Fandoms‘ wünschen können - und sich im Austausch verpflichten, eine Story 35 für jemand anderen zu verfassen. Ähnlich funktionieren kleinere saisonale Geschichten-Geschenk-Spiele wie das 2007 begründete, seit 2012 über das Netzwerk Dreamwidth organisierte Fandom Stocking. Bei längeren Projekten begleitet die Interaktion mit den Leser*innen den gesamten Schreib- und Publikationsprozess. Hier erlebt das Feuilletonformat eine digitale Renaissance: Es ist ganz und gar Fanfiction-untypisch, längere, auch eventuell bereits fertig verfasste Texte auf einmal zu veröffentlichen, dies geschieht portionsweise, oft nach fixen Rhythmen, Cliffhanger inklusive - ebenso transparente wie effiziente Strategie zur Spannungserzeugung und Bindung des Publikums. Insofern dürfen WIPs als geradezu exemplarische Fanfiction gelten (Busse 2017: 148); selbst an und für sich schon abgeschlossene Fics bleiben „a work in progress“ (Busse/ Hellekson 2006: 6). Ohne Weiteres werden in diesem - per se und erst recht im digitalen Kontext - fluiden Genre Texte auch nachträglich unter Berücksichtigung des Leser*innen-Feedbacks modifiziert; Autor*innen reagieren auf Anregungen, starten Umfragen, wie es weitergehen soll: „What category (book, movie, TV show) would you like my next story to be based upon? […] Vote Now! “, feuert die uns bereits bekannte Goddess of Cliffhangers die FFN-Community an (Update: 12.07.2020). Kaum weniger wichtig als der eigentliche Text ist hier der Paratext - jene die Rezeption steuernde ‚Umgebung‘ des literarischen Textes, die Genette in seiner Studie zu den Seuils (1987) bzw. zum Beiwerk des Buches (1989) analysiert. Auch die Online-Fanfiction verlangt nach diesem Beiwerk; zu jeder Story gehört ein mehr oder minder elaborierter paratextueller Apparat (Header, Tags bzw. Metadata, Summary, Notes etc.), in dem sich oft schon ein parodistischer Metadiskurs entfaltet. So präsentiert DoreyG eine Fic zu Sophokles’ Elektra (Dreams of Rusty Red, AO3, 28.09.2012) unter scherzhafter Warnung als „a bit dark… If not very dark (very, very dark). And about as fucked up as most things relating to 36 Greek myth/ tragedy are, which is a lot“. Eine eigene Mini-Poetik skizziert der Additional-Tags-Paratext einer Fanfic zu Lafayettes klassischer, 2010 unter der Regie Bertrand Taverniers verfilmter Novelle La Princesse de Montpensier (mywaterloo: if stars shouldn’t shine by the very first time, AO3, 26.06.2018): „historical garbage, j’ai trop lu verlaine et hugo, merci pour tout wikipedia […].“ Zum Paratext gehören ritualisierte Bescheidenheitsgesten an die Adresse potentieller Leser*innen: Hoffentlich kein „disastro totale“, so Austen-Fan Twiggy_Earlgrey, bevor sie „Buona lettura“ wünscht (Eight years later…, EFP, 06.02.2015). „È la mia prima fanfiction in assoluto […]“, ersucht Yuri_Ishtar um Gnade für ihre Variation zu George Orwells 1984 (Tradimento, EFP, 03.07.2013). „[…] meine erste FF hier, Lampenfieber! “, bekennt auch die Verfasserin einer nagelneuen Faust-Fic und bittet „um zahlreiche und freundliche Reviews! “ (TomorrowComes: Wem sein Herz wirklich gehört, FFD, 13.12.2015). Um die gewünschte Interaktion zu forcieren, ist es bei Fortsetzungs-Fics gängige Praxis, die Publikation des nächsten Kapitels an eine gewisse Anzahl von Reviews zu knüpfen; eine besonders eifrig mittextende Leserschaft wird mit dem einen oder anderen Bonus belohnt. Bei Bedarf werden die User*innen nachdrücklich an ihre ko-kreative Aufgabe erinnert: „[…] wenn ihr nicht reviewt, kommt der Gramo und teilt euch entzwei! “, droht die Verfasserin einer Fic zu Italo Calvinos Roman Il visconte dimezzato, dessen Protagonisten nach einer Kriegsverletzung eine Identitätsspaltung in den ‚Buono‘ und den bösen ‚Gramo‘ widerfährt (Cohava: Pamela, EFP, 24.11.2010). Auch für die hier scherzhaft eingeforderten Reviews gelten konkrete diskursive Regeln; demonstrative, oft auch typographisch inszenierte Emotionalität gehört zum guten Ton - ganz besonders natürlich, wenn im Rahmen der Fanfic-„Gift Economy“ (Jenkins et al. 2009) ein Text für eine bestimmte Adressatin verfasst bzw. dieser gewidmet wurde. Paradigmatisch illustriert das Prozedere der 37 Dialog zweier Fans, die einander zur Yuletide 2009 mit --literarisch durchaus respektablen-- Slash-Fics zu Puškins Evgenij Onegin beschenkt haben (Alley_Skywalker: My Better Half, AO3, 18.12.2009; bogged: All The Wine, AO3, 21.12.2009): Omg my god! ! ! *falls over* Thank you so much you are amazing! I loved all the little details that create the atmosphere of the time period. […] this is amazing! You are amazing! Thank you so much *squee* Happy Holidays! (Alley_Skywalker, 25.12.2009) Die Kollegin, der so gehuldigt wird, muss selbstverständlich mithalten - und revanchiert sich für die literarische Gegengabe mit einem ebenso passionierten wie detaillierten Kommentar: Ahhhhh! ! ! ! ! This is brilliant! Thank you one thousand times over! […] Thank you so much, really. I absolutely loved the letters, they felt so real and the language is absolutely exquisite […]. And the dialog! […] Thank you again and Happy Holidays. (bogged, 28.12.2009) Der Paratext zeugt auch von der selbstironischen interkulturellen Sensibilität einer US-amerikanischen Autorin, die sich für ihre Fic zu dem russischen Nationalklassiker von einer Kollegin mit einschlägigem Background beraten lässt; den Text - glücklicherweise doch „aesthetically Russian enough“ (bogged, 06.01.2010) - begleitet eine Danksagung u.-a. an jenes pseudonyme Bond_Girl, „who unselfishly offered to help me stop being such a silly American“. Objekt überaus bewusster Gestaltung, wuchert der Paratext gelegentlich in den literarischen Text hinüber; Fanjargon und -Usancen werden auf der Meta-Ebene reinszeniert - so besagtes Beta-Reading. „Dear Dante (do you mind if I call you Dan? )“, adressiert Dusk Peterson den Autor der Divina Commedia: „Let me start by giving you the bad news: Your story has some major 38 problems“ - von der nicht mainstreamfähigen Entscheidung für „poetry? In Italian? “ („Problem #1: Your American fans can’t read this“) über allzu offensichtliche „Self-insertion“ - „[…] you gave the protagonist your own name. (Please. Could you be more obvious? )“ - bis zu jenem suspekten „God character“: „Are you planning to let us actually see this guy in the third story? If not, ditch him. He doesn’t add anything to the tale“ (If Dante Had a Beta Reader, AO3, 30.04.2013). In anderen Fics wird der Dialog mit der Leserschaft spielerisch antizipiert. So in einer „in una Bologna moderna e femminile“ angesiedelten Cervantes-Genderswap-Parodie rund um eine der Internet-Fanfiction verfallene moderne „cavaliera“ von recht trauriger Gestalt: „In einem Land… Äh, in Bologna, das, wie ihr ja wohl wisst (denn ihr wisst es schon, oder? Anm. d. Autorin), eine Stadt in Norditalien ist, lebte vor vielen Augenblicken (Äh? Anm. d. Leser) […] eine edle Ritterin namens Gaia […]“ (Miss Loki_Riddle Gold: Donna Casciotta e il suo scudiere Sanza Panza, EFP, 13.11.2011). In einer weiteren raffinierten Meta-Fic beschließen Luigi Pirandellos mit ihrer Rezeptionsgeschichte unzufriedene Sei personaggi in cerca d’autore, ihr Glück lieber „[i]n Search of a Fandom“ zu versuchen: „We’re going to be a Yuletide fandom“, macht sich die rebellische Figliastra ans „Fandom Pimping“; sie loggt sich in den #yulechat von AO3 ein, chattet mit den Moderator*innen, twittert mit dem Capocomico. Der Erfolg lässt nicht auf sich warten; bald beginnt der obsessiv World of Warcraft spielende Sohn verdächtig Twilight-mäßig zu funkeln. Diese Fanfic-Parodie ist zugleich eine Hommage an das Genre; die ‚sechs Personen‘ selbst diskutieren dessen Spezifik und Vorteile - und stellen fest, dass sie eigentlich weder einen „canon“ (d.-h. „[a] hard-and-fast way of interpreting our story“) noch einen „author“ brauchen: „We need a community“ (Mithrigil: Six Characters In Search of a Fandom, AO3, 29.11.2010). 39 „these characters aren’t mine…“: Disclaimer-&-Copyright „People who write fanfiction don’t pretend that the characters belong to them“, erklärt die Protagonistin unserer Pirandello-Fic: „They usually smack big disclaimers on it, these characters aren’t mine, I’m just doing this because I love them.“ Einer Fanfic voran steht der traditionell quasi obligate Disclaimer, mittlerweile stärker optionalisiert und vielfach individuell variiert: „Faust gehört natürlich Goethe, aber das Gedicht und die Formulierungen sind alle [von] mir : )“ (Jerry Oswin: Faust auf Neudeutsch, FFD, 19.09.2011). „I personaggi di cui parlo sono di proprietà di Jane Austen, non mia […]“ (deine: L’ incubo, EFP, 10.02.2015). „Ces gentilles demoiselles sont la propriété de Madame Colette et de Monsieur Willy“ (Gossip Coco/ Michiru: Souvenirs d’écolières, souvenirs d’amour, FFFRa, 01.08.2006). „I do not own these characters, Pushkin is to blame for these particular Russian dandies“ (bogged: All The Wine). Wenn es um klassische Literatur wie Faust, Austen oder Puškin geht, ist dies eine kreative Spielerei - gelegentlich samt expliziter metaliterarischer Reflexion, wenn etwa die Verfasserin einer Ilias-Fic via Disclaimer jene „meravigliosa identità collettiva“ namens ‚Homer‘ problematisiert (kk549210: L’onore della notte, EFP, 19.05.2014). Anders sieht es bei lebenden Autor*innen aus-- und erst recht dort, wo Fans es mit ganzen Medienkonzernen als Copyright-Holdern zu tun haben. Nach der 1886 abgeschlossenen Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst gilt eine Frist von mindestens 50 Jahren post mortem auctoris; in der EU wurde diese auf 70 Jahre harmonisiert, ebenso in Russland und den USA. Die für die in den USA basierten größten internationalen Fanfic-Portale relevante Fair-Use-Regelung lässt Hintertüren offen; nicht als Plagiat klassifiziert werden im Allgemeinen deklarierter ‚Criticism‘ oder Parodien: Mit gutem Grund 40 wird Alice Randalls The Wind Done Gone (2001), postkoloniales Rewriting von Margaret Mitchells Gone with the Wind (1936), als ‚Parody‘ vermarktet. „The legal argument against fan fiction isn’t actually very strong“, befindet Grossman (2011), ähnlich betont schon Tushnet (2007: 60), dass „most fan fiction“, v.- a. jene im Internet, unter Fair-Use falle. Doch nach wie vor entfaltet Fanfiction sich in einer juristischen Grauzone; neben dem Copyright kommt hier auch die in der europäischen Gesetzgebung gegenüber den USA stärker ausgeprägte Kategorie der ‚moralischen Rechte‘ von Autor*innen ins Spiel. Als historisches Vorbild in puncto Generosität gegenüber Fans und Rewritern gelten darf Conan Doyle; legendär seine Antwort an William Gillette, als dieser den Bühnen-Sherlock (1899) vorbereitet und telegraphisch anfragt, ob es in Ordnung sei, wenn er den Protagonisten im Stück heiraten lasse - darauf Conan Doyle: „You may marry him, murder him, or do anything you like to him“ (zit.-Coppa 2017: 6). Unter unseren Zeitgenoss*innen ist J.-K. Rowling für ihre - mit einigen Konditionen: keine kommerzielle Konkurrenz, keine Pornographie - Fanfic-freundliche Haltung bekannt. Twilight-Autorin Stephenie Meyer verlinkte eine Weile auf ihrer Website die dazugehörige FFN-Rubrik; die 2011 verstorbene Anne McCaffrey zeigte sich im Sinne des „old adage“: „Imitation is the sincerest form of flattery“ schließlich über die Existenz von ihrer SF-Serie Dragonriders of Pern inspirierter Fanfiction erfreut und formulierte ein ausführliches Regelwerk, unter dessen Einhaltung ihre Romanwelt kreativ bearbeitet werden darf. In Frankreich veranstaltet der Fantasy-Autor Erik L’Homme mit seinen Verlegern Gallimard/ Rageot 2012 einen Fanfiction-Wettbewerb, samt pragmatischer Klausel, die en passant auf die spannungsreiche Poetik des Genres verweist: „La fanfiction doit être une création originale de l’auteur […].“ Andere Schriftsteller*innen untersagen kategorisch jegliche Fanfic zu ihrem Werk. „I do not allow fan fiction“, richtet Gothic- 41 Bestseller-Romancière Anne Rice (The Vampire Chronicles) eine „Important Message“ an die Leserschaft: „The characters are copyrighted. […] I advise my readers to write your own original stories with your own characters.“ Als Gegner deklariert sich auch George R.- R. Martin, auf dessen Fantasy-Saga A Song of Ice and Fire die Game-of-Thrones-Serie beruht. „My position on so-called ‚fan fiction‘ is pretty well known. I’m against it, for a variety of reasons […]“, erklärt er in einem Blog-Eintrag unter dem Titel „Someone Is Angry On the Internet“ (2010), wobei er im Gegensatz zu Rice offenbar nicht ernsthaft juristisch gegen seine Fans vorgeht: Sowohl auf AO3 als auch auf FFN ist A Song of Ice and Fire stark repräsentiert. Dass eine harte Konter-Attitüde rasch zum Bumerang werden kann, musste Diana Gabaldon (Outlander) erfahren, die 2010 mit einer Blog-Post-Serie zu „Fan-Fiction and Moral Conundrums“ („OK, my position on fan-fic is pretty clear: I think it’s immoral, I know it’s illegal […]“) für Unmut in ihrem (Ex-)Fandom sorgte (zit. FL). Ein kurioses Beispiel fanfiktionaler ‚Glokalisierung‘ samt internationalem Copyright-Konflikt stellt die bei Prassolova (2007) resümierte russische Rezeptionsgeschichte von Harry alias Garri Potter dar, die noch ganz im Zeichen von Lenins Devise ‚Die Kunst gehört dem Volk‘ steht. Die offizielle Übersetzung geht den Fans zu langsam voran - und so wird besagtes Volk unter dem Motto ‚narodnyj perevod‘ selbst aktiv; als Ende 2005 die russische Edition des Half-Blood Prince (Princ-polukrovka) erscheint, zirkulieren online schon neun derartige ‚Volksübersetzungen‘. Die Praxis popularisiert sich in anderen Fandoms und darf längst als integraler Bestandteil der russischsprachigen Fankultur gelten; bis heute stehen vielfältige Harry-Potter-Amateurübersetzungen zum Download bereit. Eine reiche Fanfic-Produktion wie neue Copyright-Probleme provozieren kommerzielle Harry-Potter-Derivate wie Andrej Žvalevskijs und Igor’ Myt’kos Porri Gatter, v.-a. aber die Tanja-Grotter- 42 Serie, mit der Dmitrij Emec einen weiblichen russischen Harry Potter kreiert. Der erste Band, Tanja Grotter i magičeskij kontrabas (Tanja Grotter und der magische Kontrabass, 2002), folgt recht getreulich den Spuren Rowlings; auf ein von deren Anwälten gestelltes und von Warner Bros. als Inhaber der internationalen Vermarktungsrechte unterstütztes Ultimatum hin weigert sich Emec’ Verlag Ėksmo, dieser „dummen Druckausübung“ nachzugeben (Spiegel 2002). Der Autor verteidigt sein Werk mit dem Parodie-Argument gegen den Vorwurf des Plagiats - als ebensolches wird Tanja Grotter en de magische contrabas 2003 in den Niederlanden verboten (Kleymann 2003). Und doch zeugen die russischen Abenteuer Harry Potters aus der Feder bzw. Tastatur zahlloser Amateur*innen von einer signifikanten Dynamik: „Fan fiction is a way of the culture repairing the damage done in a system where contemporary myths are owned by corporations instead of owned by the folk“, konstatiert Jenkins (zit. Harmon 1997); mit dieser Flut von ‚Volksübersetzungen‘ vollzieht sich die kollektive Re-Appropriation eines Mythos unserer Zeit. Die „letzte Schlacht zwischen Autor und Leser“: Jenseits von UGO 2 Derart wird auf dem Feld der Fanfiction die „letzte Schlacht zwischen Autor und Leser“ (Rubinskaja 2017) ausgetragen, wobei es nicht nur um juristische und kommerzielle Aspekte, sondern auch um die Interpretationshoheit geht: „If Twilight and Harry Potter have taught us anything, it’s that authorial intent has nothing to do with the afterlives of characters“ (Jamison 2013: 153). Als Erbin einer langen Tradition „archontischer“ Literatur -- so Derecho (2006) unter Rekurs auf Jacques Derrida-- stellt Fanfiction nicht nur ihrerseits „a literature of the subordinate“ (ibid.: -72) dar, son- 43 dern auch etablierte Konzepte von Autorschaft, Werk und Text fundamental in Frage. Es schadet in diesem Zusammenhang nicht, sich daran zu erinnern, dass jene normativ autoritäts- und originalitätsfokussierte Ästhetik, die Auroux (1990: 78) als „système UGO 2 “ resümiert, eine kulturhistorisch relativ rezente Angelegenheit ist. Auroux’ Chiffre steht für „Unicité, Génie, Originalité, Œuvre“ (ibid.); in der Fanfiction wird jeder dieser Termini unter Anknüpfung an eine viel ältere Remix-Praxis (Lessig 2008) demontiert. Als deren populäre (Re-)Manifestation aktualisiert Fanfiction die von Hutcheon (2006: XI-XVI) reflektierte Ambivalenz der zeitgenössischen westlichen Kulturen gegenüber dem Phänomen der Adaption - zwischen Hype und Devalorisierung, noch einmal verstärkt im Fall der nonautorisierten Fanfic-Amateur-Adaption. Die Copyright-Problematik führt uns zu unserer Ausgangsfrage zurück, was eigentlich alles zur Fanfiction zählt; auch der offizielle Literaturmarkt wimmelt ja von allerlei Rewritings. Auf der Mashup-Methode basieren etwa Seth Grahame-Smiths Bestseller Pride and Prejudice and Zombies (2009), der nicht nur Adaptionen als Comic, Videospiel und Film, sondern auch eigene Fanfics inspiriert; Ben H. Winters’ Austen-Parodie Sense and Sensibility and Sea Monsters (2009), sein Tolstoj-Steampunk Android Karenina (2010) oder Sherri Browning Erwins Jane Slayre (2010) und Grave Expectations (2011). Der Vorteil kanonischer Prätexte liegt hier auf der Hand: Von Androiden bis Zombies - mit den Klassikern lässt sich so ziemlich alles anstellen, was für das Werk lebender Autor*innen eben nicht gilt. Auch auf diversen Fanfiction-Sites finden sich etliche Texte nach diesem Modell: Mit War and Peace (and Vampires) erfreut LoveHonorCookie die Leserschaft (FFN, 21.11.2017); auf The Iliad with Zombies setzt nicht nur der gleichnamige YouTube-Hit (2011), sondern auch Parodyish mit einer auf FFN publizierten Fic (16.08.2014); ein Crossover der Ilias und des 44 Videospiels Zombies, Run! bietet InkFire_Scribe (A Fallen Friend, AO3, 03.08.2020). Fallen die zitierten Mashup-Romane nun also unter Fanfiction oder nicht? Eine formalästhetische Definition führt hier nicht allzu weit, diese ist vielmehr funktional zu fassen. Gewiss besitzt Fanfiction einige charakteristische Merkmale, insbesondere ihren sehr hohen Grad explizit markierter (Broich 1985), ja affichierter und zelebrierter, genrekonstitutiver Intertextualität; doch rein nach Machart lassen sich Fanfic und Non-Fanfic nicht adäquat differenzieren, ebenso wenig nach Qualitätskriterien: Zwar finden sich auf all den Portalen natürlich Massen objektiv argumentierbar ‚schlechter‘ Texte - aber auch so manche Fics, die das Ausgangswerk qualitativ übertreffen (Grossman 2011). In diesem Sinne gilt es das Genre v.- a. pragmatisch abzugrenzen, mindestens „as much by its context as its content“ (Busse/ Hellekson 2006: 26). Besagte Mashup-Romane z.- B. beruhen sehr wohl auf „Strategien der Fanfiction“, im Gegensatz zu dieser werden sie jedoch in Buchform und in kommerzieller Intention publiziert (Wagner/ Egger 2019: 442). „Even if the texts are wholly identical, their contexts of creation, distribution, and reception nevertheless distinguish fan from pro fiction“, betont Busse, die die performative Dimension ersterer akzentuiert („Fan is as fan does“) und für einen „less on absolute difference and more on degree“ konzentrierten Zugang plädiert (2017: 146, 156). Instruktiv ein Blick auf die Startseite von AO3, das sich als „fan-created, fan-run, nonprofit, noncommercial archive for transformative fanworks“ präsentiert - jeder einzelne dieser Aspekte ist für Selbstverständnis der Community wie Abgrenzung des Genres relevant. Aufschlussreich ist auch die Vorgeschichte des unter transparenter Allusion auf Virginia Woolfs A Room of One’s Own benannten - und signifikant pluralisierten - Archive of Our Own, das aus dem Widerstand gegen einen kommerziellen Rekuperationsversuch hervorgeht. 2007 wird das profitorientierte 45 Archiv FanLib lanciert, das Fanfiction als „User-Generated Content“ zu kommodifizieren strebt, selbst aber keine juristische Verantwortung übernimmt: „Fans were going to take all of the risks; the company was going to make all of the profits […]“ (Jenkins 2007a). Wie unsensibel das Unternehmen der stark weiblich und queer geprägten Community begegnet, illustriert eine Werbekampagne, die ein dürres Männlein („Life without Fan Fiction“) mit einem hyper-maskulinen Muskelprotz („Fan Fiction at FanLib.com“) kontrastiert; die Fangirl-Konter-Attacke gegen „censorship, ownership, or bullshit“ lässt nicht auf sich warten (Scott 2019: 118). In diesem Kontext positioniert sich AO3 als Instanz des Fan- Empowerment, als auf Spenden- und Freiwilligenbasis operierendes Portal „by fanfic readers for fanfic readers“, das nicht nur deren kreative Freiheit leidenschaftlich verteidigt, sondern auch juristisch lobbyiert und derart entscheidend zur Rehabilitation der Fanfiction entgegen einer „legacy of cultural shame“ (Romano 2019) beigetragen hat. Von der Subkultur zum Mainstream: Fanfiction heute Mittlerweile gibt es etliche Beispiele für erfolgreiche Karrieren ehemaliger Fanfic-Autor*innen; das berühmteste davon ist im öffentlichen Bewusstsein nicht unbedingt als solches präsent: E.-L. James Fifty Shades of Grey (2011) wird zuerst portionsweise - unter dem Pseudonym Snowqueen’s Icedragon - als Twilight-AU-Fic unter dem Titel Master of the Universe auf FFN veröffentlicht. Vor der kommerziellen Publikation wird der Text - mit weltweit über 70 Millionen verkauften Exemplaren „a sort of commercial apex“ des Genres (Çam 2020), Meilenstein auf dem Weg von der Subkultur zum Mainstream - sorgfältig de-fanfiktionalisiert (‚Filing 46 off the serial numbers‘, nennt sich das Prozedere im Fanjargon): Aus Edward Cullen wird Christian Grey, aus Bella Swan Anastasia Steele; die Handlung wird von phantastischen Motiven bereinigt sowie um neue Figuren bereichert. Mit diesem textuellen Transformationsprozess geht ein kontextueller Statuswandel einher; Fifty Shades of Grey unterliegt nun dem Copyright und inspiriert weitere Fanfics samt Disclaimer: „Descargo de responsabilidad. Los personajes pertenecen a EL James, yo solo los uso“, präzisiert Esperanzarebelde zu ihrer Story unter dem felinen Titel Mi gatita Anastasia (AO3, 05.03.2020). Auch Pamela Aidans auf Pride and Prejudice beruhende Trilogie, die Austens Roman aus der Perspektive von Fitzwilliam Darcy, Gentleman nacherzählt (früherer Titel: The Chronicles of Pemberley, 2003-2005), schafft es von einer Fanfic-Website zum populären Book-on-Demand-Projekt und schließlich zum Historical- Romance-Bestseller. Ebenfalls aus Fanfiction-Projekten gehen Sarah J. Maas’ - von der damals erst sechzehnjährigen Autorin zunächst als Cinderella-Fic publizierte - Fantasy-Serie Throne of Glass oder Cassandra Clares auf Harry Potter basierende Draco Trilogy hervor. Die chilenische Schriftstellerin Francisca Solar listet auf ihrer Website unter ihren Werken „Libros, cuentos y fanfics“ auf; dieser eklektische Mix entspricht der Struktur diverser Online-Plattformen: FanFiktion.de versteht sich als „Portal für Fanfiction und freie Werke“; FicWad wirbt mit „fresh-picked original and fan fiction“. Die italienische Seite EFP publiziert ihrerseits „fanfiction e originali“, während das russische Ficbook den hybridisierten Anglizismus Oridžinaly samt medientechnisch signifikanter Illustration (die Rubrik repräsentiert eine betont archaische analoge Schreibmaschine) reimportiert. Anstatt einer simplen Dichotomie haben wir es hier mit einer Skala zu tun, die von streng kanontreuen Fics bis hin zu sehr freien, von diversen OCs (Original Characters) bevölkerten AU-Stories reicht; in diesem Subgenre ist 47 alles möglich, viele Texte besitzen nur mehr eine lose Anbindung an das Ausgangswerk - noch Fanfic also oder schon Original? „Man kann zur Unterhaltung eine Fanfic schreiben, oder um viele Leser zu gewinnen, und sich dann extra der Literatur widmen“, erklärt die auf diesem Weg bekannt gewordene ecuadorianische Autorin Mónica Ojeda, womit sie eine reduktive Opposition „fanfic“ vs. „literatura“ reproduziert (zit. Portaluppi o.-D.). Auch wenn Fanfiction ihr „stigma“ als „bastard child in the literary family“ (Young 2007) noch nicht restlos abgelegt hat, scheint inzwischen zumindest das Fanfic-Debüt als Etappe eines schriftstellerischen Bildungsromans legitimiert. Das kreative Fantum wäre in diesem Sinne eine Übergangsphase zur ‚richtigen‘ Autorschaft --ein nicht unproblematischer Zugang, der Fanfiction zum „stepping stone or training ground for professional writers“ degradiert, „as if commercialization of creative expression was the highest possible step an author could take“ (Jenkins 2007a). Hier erinnern wir uns an die eingangs zitierte Deklaration der Gruppe Fiktion, der zufolge literarische Online-Debütant*innen bei „größere[m] Erfolg“ damit rechnen dürfen, eventuell „auch in traditionellen Verlagen [zu] reüssieren“. Nur: Muss oder soll dieses Reüssieren Ziel und Zweck der Fanfiction sein? Nach Ansicht vieler passionierter Fanfic-Autor*innen nicht - und hier ist die Rede nicht nur von sauren editorialen Trauben: „Fanfic writing isn’t work, it’s joyful play“, wie die Bestseller-Romancière und AO3- Mitbegründerin Naomi Novik betont (zit. Grossman 2011). Für die Bewertung - und Wertschätzung - von Fanfiction nach ihren eigenen Regeln, „within the terms of the community which produces and reads it“, argumentiert Jenkins (2007a): „[…] a fan writer who only writes for other fans may still be making a rich contribution to our culture which demands our respect.“ Im Umfeld der Organization for Transformative Works wird das Ideal einer non-profitorientierten ‚Literatur von unten‘ verteidigt, die bewusst kommerziell unverwertbar, ja - so Tosenberger (2014)-- „unpublizierbar“ bleibt 48 und derart ihre Freiheit bewahrt; aus karrieretechnischen Motiven kompromissbereit zeigt sich dagegen z.- B. Kara Braden, die eine Sherlock-Slash-Fic für die offizielle Publikation (The Longest Night) zur heterosexuellen Romanze domestiziert (Jamison 2013: 281 f.). Fifty-Shades-Autorin James, die einen veritablen „Fan Fiction Gold Rush“ (Stanfill 2017) triggert, wurde nicht nur mangelnde literarische Qualität, eine naiv hetero-patriarchale, für das Genre gerade nicht repräsentative Sicht auf Sexualität, sondern auch Verrat an „the genre’s noncommercial ethos“ (Eakin 2012) vorgeworfen - samt Exploitation jener zahlreichen Fans (Jones 2014), die die Publikation der ursprünglichen Fic mit ihrem Feedback begleitet und so einen Beitrag zur Textgenese geleistet hatten. „How Fanfiction Makes Us Poor“: Auch wenn sie der Fanfic-Community als „the most amazing women’s art culture I’ve ever experienced, and quite possibly the most amazing there has ever been“ ihre Hommage erweist, wirft die Verfasserin dieses vieldiskutierten Beitrags zugleich die Frage auf, wie weit jene idealistische Vision eines non-kommerziellen Genres abseits jeglicher „capitalist imperatives“ womöglich eine Falle für die in ihrer großen Mehrheit weiblichen Autoren darstellt, deren Arbeit erst recht wieder „in the unpaid ghetto along with other women’s crafts“ landet (cupidsbow 2007, zit. FL). Ist die professionelle Vermarktung von Fanfiction also im Sinne ihrer Anerkennung als „a serious literary genre“ (Romano 2019) wünschenswert - oder konterkariert sie „la magia della fanfiction“ (Caruso 2018) und ihr eben durch ihre Marginalität bedingtes subversives Potential? Soll - und wenn ja, wie kann - die einstige Subkultur, Hochburg des „[d]efiant amateurism“ (Coppa 2006: 228), sich im Zeitalter der „Convergence Culture“ (Jenkins 2006), da Fanfiction vom „mostly subcultural hobby“ zum „advertising tool“ wird (Hellekson/ Busse 2014: 15), gegen kommerzielle Vereinnahmung wehren bzw. diese zumindest partiell nach den eigenen Spielregeln gestalten (De Kosnik 2009)? 49 Und wiederum: Bleibt offiziell publizierte Fanfiction Fanfiction? Im Fall von Fifty Shades of Grey wird mit einigen textuellen und kontextuellen Modifikationen aus einer Fanfic ein Copyrightgeschützter ‚Original‘-Bestseller; wie sieht es mit weniger bekannten Autor*innen aus, die es mit ihren Texten aber doch auf den Buchmarkt bzw. zumindest an dessen Book-on-Demand- Peripherie oder in profitorientierte Formate wie Amazons 2013 begründete, aus der Perspektive der Community vielkritisierte, 2018 wieder geschlossene Kindle Worlds schaffen? Angesichts des zwischen kultureller Rehabilitation und kommerzieller Rekuperation ambivalenten Mainstream-Turns wird die Problematik „Fandom and Profit“ (FL) kontrovers debattiert. Ein vernachlässigtes Massenphänomen: Fanfiction und Literaturwissenschaft An diesem Punkt dürfte klar geworden sein, warum Fanfiction eine besondere literaturtheoretische Herausforderung darstellt. Insofern mag es verwundern, dass sie zwar unter juristischen, soziologischen oder didaktischen Aspekten einigermaßen ausführlich behandelt wurde (eine rezente Forschungsübersicht findet sich in Aragon/ Davis 2019: 18), in der Literaturwissenschaft aber nach wie vor ein marginales Thema ist. Diese lege eine auf „a very classic notion of literature“ beruhende, „often demeaning and hostile attitude“ gegenüber Fanfiction an den Tag, merkt LaChev (2005: 85) kritisch an; auch wenn sich seither eine vorsichtige Aufwertung des Genres abzeichnet, wird Fanfiction nur ausnahmsweise als Literatur analysiert. Nur allzu oft „undervalued by society and understudied by researchers“ (so Aragon/ Davis noch 2019: 9), bleibt sie ein paradoxes „literarisches Massenphänomen, für das sich die germanistische Literaturwissenschaft bislang nicht interessiert“ (Ingelmann/ Matuszkiewicz 2017: 303). 50 Diese nicht nur in der Germanistik zu beobachtende Zurückhaltung ist umso frappierender, als das Genre mancherlei Fragen von allgemeinerem Interesse aufwirft. Das gilt für die Problematik der Autorschaft und die Rekonfiguration der Schreiber-/ Leserrelation; nach dem „Tod des Autors“ (Barthes 2000) nunmehr: „The Death of the Reader? “ So Sandvoss (2007: 28), der Bedeutungskonstitution und „aesthetic value“ in einem dynamischen „process of interaction“ zwischen Autor*in, Text und Leser*in verortet, während Busse (2017: 19-38) den „Return of the Author“ - im Sinne nicht auktorialer Intention, sondern einer „position of ethos“ (ibid.: 27) - reflektiert. Dies gilt auch für Werkwie Textbegriff, für die gattungsbezogene Ambivalenz einer zwischen narrativem und dramatisch-performativem Modus oszillierenden (Coppa 2006), per definitionem intertextuellen, sehr oft intermedial fundierten literarischen Praxis, die zur Hinterfragung etablierter Hierarchien zwischen sogenannter Hoch- und Populärkultur einlädt. In der Tat haben - über teils beträchtliche historische Distanzen und ein hier besonders ausgeprägtes Prestigegefälle hinweg - auch etliche Klassiker ein konsiderables Fanfic-Corpus inspiriert. Liegt der „Fokus der Fanforschung“, wie Klemm (2012: 3 f.) in seiner Analyse eines „vernachlässigte[n] Massenphänomen[s]“ resümiert, weniger auf der Literatur denn „auf den Domänen Fernsehen […], Sport […], Musik sowie Computerspiele“, so besteht im Bereich dieser Klassik-basierten Fanfiction freilich erst recht ein Forschungsdefizit. „Why do we see so much work on Star Wars fans but so little on Shakespeare fans? “, fragt Pope (2020: 10 f.), der seinerseits das ‚demokratische‘ Potential der Online-Fanfiction zu einem hyperkanonischen Autor hervorhebt (ibid.: 126), während sich Mirmohamadi (2014) mit den fanfiktionalen Digital Afterlives of Jane Austen oder schon Tulloch (2007) am Beispiel britischer Čechov-Fans mit der heiklen Relation zwischen Fandom und „High Culture“ beschäftigt. Doch im Mainstream der Fan Fiction Studies werden 51 nicht nur non-anglophone Fics, sondern auch solche zu älteren oder modernen literarischen Klassikern kaum berücksichtigt bzw. teils über eine Definition ausgeschlossen, der zufolge als Fanfiction im engsten Sinn nur Arbeiten zu „stories currently owned by others“ gelten (Coppa 2017: 6); wenn im Fanfic-Kontext von „classics“ die Rede ist, beziehen sich etwa Aragon/ Davis (2019: 1) auf „Star Trek, Doctor Who […]“. Gewiss ist Fanfiction in ihrer heutigen Form das Produkt einer Copyright-reglementierten Kulturindustrie; die sich in diesem Genre entfaltende Kreativität beschränkt sich allerdings nicht auf besagten ‚geschützten‘ Bereich. Hört Fanfiction zu dem Zeitpunkt, da die magischen 70 Jahre verstrichen sind, auf, Fanfiction zu sein? Wie steht es - zwischen freien Hypotexten und intermedialen Adaptionen - um die erwähnte Jane-Austen-Fanfiction (JAFF)? Shakespeare-Variationen wären also keine Fanfiction; solche zu Hypertexten wie Tom Stoppards Rosencrantz and Guildenstern Are Dead (1966) - aktuell immerhin 167 Fics auf AO3 - sehr wohl? Im Sinne eines funktionalen Fanfiction-Begriffs scheint es nicht angebracht, durch die chronologische Hintertür die Trennung zwischen älterer klassischer Hoch- und zeitgenössischer Populärkultur zu reproduzieren. Die Rewriting-Strategien sind in der Klassiker-Fanfiction keine substantiell anderen; auch diese wird, als solche deklariert, auf den entsprechenden Portalen publiziert und rezipiert. So operiert EFP explizit mit diversen Klassiker- Kategorien: Gleich auf die Cinquanta sfumature di… folgen in der Rubrik ‚Libri‘ die ‚Classici greci e latini‘, ‚Classici Novecento‘, ‚Classici Ottocento‘ und ‚Classici vari‘; hier gilt es nicht künstlich zu trennen, was die Fan-Community kreativ zusammengefügt hat. 52 Zwischen Vergil und Doctor Who: Fanfiction als kulturelles Spannungsfeld „What Faust, Hamlet, and Xena the Warrior Princess have in common“, meditiert Young (2007) über „The Fan Fiction Phenomena“. In der bunten Fanfiction-Welt gesellen sich diese und andere Herrschaften ohne Weiteres zueinander: Lysistrategy - a comedy about sex, war, and a rather dense warrior princess präsentiert katekane auf AO3 (04.12.2017). Homer trifft Harry Potter: In einer auch ins Russische übersetzten Fic schickt Twilight to Midnight Hermione Granger und Draco Malfoy ins antike Troy; der rituelle Disclaimer - „All J.K.R’s. Don’t own. Don’t sue“ - bleibt für das postmoderne Zauberpersonal reserviert (FFN, 30.08.2008). Vergil und Doctor Who - „Two lost wanderers meet“ - werden hier ebenso unbekümmert kombiniert (apolesen: Refugees, AO3, 09.08.2011) wie Euripides und Star Trek (NewBeginnings: your father’s disease, AO3, 16.03.2017), La Princesse de Clèves und Star Wars (passcod: Oh my dark sire, AO3, 25.12.2015), Tolstoj und Game of Thrones: „Wildly AU, of course“ (seraph7: Baise-Moi, AO3, 24.09.2012). „A rewrite of William Shakespeare’s The Tempest“ mit den Figuren des BBC-Sherlock bietet beautiful-cas (FFN, 09.08.2013); All’s Well That Ends With Drarry, verspricht pursued_by_bear (AO3, 22.09.2015); unter dem Hybridtitel Severus, Half-Blood Prince of Denmark kündigt a_t_rain Four Funerals and a Wedding an: „Severus Snape meets Romeo and Juliet. (Almost) everybody lives“ (AO3, 21.01.2015). Es geht nicht darum, Fanfiction über diese Rückkopplung an Kanon und Klassik zu rehabilitieren: Shakespeare-Fanfiction ist nicht per se kulturell wertvoller als Potter- oder Twilight-Fic; doch aus literaturwissenschaftlicher Sicht ist das Genre als Begegnungs- und Spannungszone zwischen Hoch- und Populärkultur von besonderem Interesse. 53 „Gibt es Proust-Fans? “ Von Klassikern und Fangirls „Existe-t-il des fans de Proust? “, problematisiert Lata (2016) die konfliktuelle Relation zwischen dem „fan“ und diversen Werken „au statut de classique“. Nicht nur beruht die traditionelle Devalorisierung der Fanfiction z.-T. auch auf der Spezifik der jeweiligen Hypotexte (oft Jugendliteratur, Manga, Videospiele etc.); v.-a. ist der emotional, oft auch erotisch investierte, fröhlich anachronistisch projizierende und selbst-inserierende Fan aus der Perspektive bildungsbürgerlicher wie akademischer Lektürekonventionen quasi der Prototyp des schlechten Lesers - bzw. der schlechten Leserin. In pejorativer Intention als Fans bezeichnet werden bereits früh jene Groupies avant la lettre, deren Theaterleidenschaft sich angeblich aus den falschen Motiven nährt (Jenkins 1992: 12). Bis heute ist Fan ein ambivalent bis negativ und auch stark genderkonnotierter Begriff; dies gelegentlich sogar in der Community selbst. So startet die Instruktion zukünftiger Autor*innen auf dem zitierten französischsprachigen Manga-/ Anime-Portal (QCTX) mit einem auf den ersten Blick paradoxen Statement: um eine gute Fanfic zu schreiben, muss man bzw. frau aufhören, „une fangirl (ou un fanboy)“ zu sein. Das Fangirl, Inkarnation der naiven Schreiberin/ Leserin, die „aucune forme de discrimination“ besitzt, wird mit einem richtigen „meilleur auteur“ kontrastiert; der Rekurs auf das generische Maskulinum partizipiert klar an der intendierten literarischen Selbst-Nobilitation. Auf der anderen Seite gilt freilich: „no better critic than a fan“ (Penley 1997: 3); als Expert*innen des lustvoll repetitiven Close Reading zeichnen sich Fans hinsichtlich ‚ihrer‘ Werke oft durch eine Detailkenntnis aus, mit der die akademische Kritik nicht immer mithalten kann. Mit scharfem Auge identifizieren bzw. 54 kreieren sie Lücken, an deren Auffüllung sie sich mit Feuereifer machen; sie bemerken noch so kleine Brüche im Text, etwa dass Tolstoj sich in Krieg und Frieden bezüglich Nataša Rostovas Alter widerspricht (Shimyereh: War and Peace in sonnets, AO3, 15.03.2018, Anm. zu Kap. 6). Fanfiction treibt das lektorale „Enchantment“ (Saler 2012) ins Extrem; sie verweigert jene Distanz, die nach Pierre Bourdieu der Grundstein der bürgerlichen Ästhetik ist (Jenkins 1992: 18, 60 f.), konstituiert dabei jedoch sehr wohl „a profound kind of literary criticism“ (Coppa in Drozd 2018), der im transformierten Text neue Bedeutungsschichten freilegt. Als Domäne entfesselter „Lust am Text“ (Barthes 1999) stellt sie eine Herausforderung auch und gerade für professionelle Leser*innen dar, eine Aufforderung zur Überwindung reduktiver Dichotomien: zwischen Hoch- und Populärkultur, aber auch zwischen affektiv-engagierten und intellektuell-reflexiven Lektüremustern, im Sinne von Salers „Delight without Delusion“ (2012: 57). Hinter dem manifesten Antagonismus zwischen Klassik und Fanfiction verbergen sich subtile Affinitäten bzw. „Isomorphismen“ (Kahane 2016): Gehen im Fall klassischer Texte - jener Werke, die frau ‚kennt‘, auch ohne sie im Detail (oder überhaupt) gelesen zu haben - kulturelle Reputation und „aura“ (Finkielkraut 2013: 193) dem individuellen Rezeptionsakt voraus, so speist sich auch die Fanfiction aus einem oft multimedialen „fond mémoriel“ (Lata 2016); derart eröffnet das Genre nicht zuletzt neue Einblicke in die Funktionsweise von „classic texts“ (Hellekson/ Busse 2014: 23). 55 „… un finale diverso“: Prequels, Sequels, (Un-)Happy Ends Auch zu klassischen Texten verfassen Fanfic-Autor*innen eifrig allerlei Prequels und Sequels. Zwischen „Pre-Iliade“ (mey chan: Il volto dei sentimenti, EFP, 03.10.2012) und „Post Iliade“ (AlnyFMillen: Fo[r]se ha sbagliato una volta di troppo? , EFP, 04.02.2016) wird Homers Epos kreativ erweitert; TrixRead2404 lädt zu Un nuovo viaggio (EFP, 29.01.2015) in ein „Otherverse“ nach dem Ende der Odyssee. „Sie haben von einer Fortsetzung der Misérables geträumt? Sie lieben absurde Situationen? “ - bei Amilia sind Sie an der richtigen Adresse (Les Pitoyables, FFFRb, 03.05.2013); Melor Zima erfindet ein „sequel“ zu Dostoevskijs Dämonen, das den Weg Petr Verchovenskijs, „as he battles with his own demons“, weiterverfolgt (The Devil’s Conviction, FFN, 26.07.2012). Unermüdlich wird in diesem fundamental anti-fatalistischen Genre, das niemals nur eine Wahrheit, eine Version der Geschichte kennt, mit alternativen Handlungsverläufen gespielt; der Wunsch, diesen oder jenen Plot zu reparieren, das Schicksal einer geliebten Figur zu korrigieren, macht vor dem großen Kanon nicht halt. Unter dem Titel Fighting Fate lässt kouredios (AO3, 16.12.2011) ihr doppeltes antikes Slash-Pairing - Achilles/ Patroklos, Alexander/ Hephaistion - dem eigenen Mythos entkommen; ein Odyssey Fix-It bietet arguably_somaya (AO3, 06.11.2018), während make_a_wish pseudonymgetreu Achilles aus Troja heimkehren lässt (Addio, Troia fumante, EFP, 04.10.2012). Ein feministisch reakzentuiertes „finale diverso“ für die Ilias verspricht RedSonja (EFP, 27.08.2017); wie der Orlando furioso hätte enden sollen, demonstriert IlRitornoDelGiullareDiCorte ebenfalls auf EFP (Così sarebbe dovuto finire l’Orlando furioso, 15.10.2011); ShadowsOfBrokenGirl verpasst Dickens’ „grande classico“ Great Expectations einen positiveren Schluss (La sposa abbandonata, EFP, 18.06.2013). Mit dem 56 Puškin-Sequel In the Spring (AO3, 26.03.2018) rettet Devildream69 „Evgenij Onegin and Tatyana Larina’s love story“; auf diesen „alternate take on how it should have gone“ hat auch eine andere Leserin längst gewartet: „Thank you for writing this. I’ve needed this story for a long time and this really delivered“ (Loriena, 21.04.2018). Gerade die Klassik-Fans haben allerdings auch eine kitschverdächtiger Trivialromantik zuwiderlaufende Tendenz zu neuen Unhappy Ends - so kreiert memoire ein unglückliches „alternate ending to Crime and Punishment“: „Raskolnikov waited and waited. She [Sonia] never came“ (Seven Years, FFN, 12.06.2015). Faust kann natürlich auch Ein alternatives Ende vertragen (Crossgate, FFD, 03.06.2004) - zur Zufriedenheit der Leserschaft, denn „[…] selbstmorde haben so was befreiendes an sich“ (JanDoe, 07.07.2004). „What if the madwoman was not mad? “ Zur Ideologie der Narration „Sehr geehrte Teilnehmerinnen der Feministisch Christlichen Partei, ich freue mich außerordentlich, Sie alle begrüßen zu dürfen. Besonders freut es mich, dass weit und breit das männliche Geschlecht nicht […] anzutreffen ist! “: Ilai geht Goethe feministisch an und verfasst unter Konstruktion einer paradoxen Erzählinstanz Margaretes posthume Ungehaltene Rede einer ungehaltenen Frau (FFD, 25.08.2011). Wie zahlreiche offiziell autorisierte réécritures setzen Fanfics häufig auf den z.- B. Genderund/ oder postkolonial motivierten Perspektivenwechsel - und illustrieren mit dieser „Refocalization“ zugunsten „secondary characters, often women and minorities“, die schon Jenkins (1992: 165) als genretypisches Verfahren identifiziert, eindrücklich die Ideologie der Narration. Auch hier funktioniert die Differenzierung kontextuell: „These works aren’t fan 57 fiction in any strict sense. They’re written for profit, and they’re adorned with the trappings of cultural prestige […]. But they come from the same place fan fiction does […]“, bemerkt Grossman (2011) zu Werken wie Jean Rhys’ Wide Sargasso Sea (1966) oder Geraldine Brooks’ March (2005), die sich ihrerseits zwischen hypertextueller „homage and critique“ entfalten. Eine spezielle palimpsestuöse Dynamik entsteht dort, wo dergleichen dem Genre Fanfiction eng verwandte, über kommerziellen Status wie kulturelles Prestige jedoch davon differenzierte Rewritings wieder eigene Fics inspirieren - so Rhys’ Roman, postkoloniale Antwort auf Charlotte Brontë: Als tödliche Flight to Freedom (FFN, 31.08.2012) erzählt MissIruka in einer u.- a. auf „a marathon reading of Jane Eyre and Wide Sargasso Sea“ beruhenden Story den Untergang von Thornfield Hall aus der Sicht Berthas bzw. ‚Antoinettas‘ nach. Unter dem Titel My Antoinette (AO3, 06.01.2019) reinterpretiert pepper_snow aus femininer Alternativperspektive auch das anderweitige Personal des Romans: „What if the madwoman was not mad? What if there was more to Miss Ingram? […] And what if Grace Poole got to tell her part? “ Auf den Spuren etlicher etablierter Schriftsteller*innen - von Paul Giannolis Monsieur Bovary (1974) über Maxime Benoît- Jeannins und Raymond Jeans respektive Mademoiselle Bovary (beide 1991) bis zu Bernard Marcoux’ L’arrière-petite fille de Madame Bovary (2006) oder Linda Urbachs Madame Bovary’s Daughter (2011) - spinnt tecmessa22 Gustave Flauberts re-fokussierten Roman fort (Berthe, FFN, 07.01.2008). Nur an „Liebhaber des Genres“ adressiert SakiJune ihre Variation von Verbrechen und Strafe (wie die präzisere Übersetzung von Prestuplenie i nakazanie statt Schuld und Sühne lautet) aus der Perspektive der fast noch kindlichen Verlobten Svidrigajlovs (La fidanzata, EFP, 09.06.2010); DanzaNelFuoco inszeniert eine zeitgenössische weibliche Raskol’nikov-Reinkarnation und zugleich Dostoevskij-Leserin (Delitto moderno, EFP, 24.02.2013). 58 Feministisch gegen den Strich gelesen werden die antiken Klassiker: Wie Margaret Atwood (The Penelopiad, 2005) oder Madeline Miller (Circe, 2018) machen sich zahlreiche Fanfic-Autor*innen daran, „[t]he Silence of Classical Literature’s Women“ (Gilbert 2018) zu kompensieren. Endlich wird auch hier La vera storia di Circe (elemontana, EFP, 06.12.2012) oder - in einem Crossover zwischen Homer und der Zeichentrickserie She-Ra and the Princesses of Power - Nausikaas „queer ancient Greek myth pirate adventure“ erzählt (trioditis: The Burner of Ships, AO3, 18.06.2020); Achilles’ Lieblingssklavin, bei Homer „less a character than a plot twist“ (Gilbert 2018), wird doch noch ihrer eigenen Briseid gewürdigt (lesbiAndi, AO3, 11.12.2018). Diese Experimente mit narrativer Fokalisierung und Stimme erstrecken sich nicht nur auf menschliche Figuren. So darf in der Homer-Fic einer deklarierten Hundeliebhaberin auch „Argos the Dog“ seine Version der Odyssee resümieren (thoodleoo: Nόστος, a story about Argos, AO3, 18.09.2015); bei becauseitwasreal kommt die Katze Leopold Blooms zu Wort: „Because everyone needs the fourth episode of Ulysses from the perspective of the cat. Or at least I did…“ (A Portrait of the Pussens as a Kosher Cat, AO3, 06.02.2017). Danail variiert Herman Melvilles Moby Dick aus der Sicht der im Italienischen femininen „Balena Bianca“, wodurch der Text zur weiblichen Befreiungsgeschichte gerät: „Ora sono libera… Libera da lui…“ (The White Whale, EFP, 12.02.2015). „Virgil ended up cutting this part out…“: Von der Lust an der Leerstelle Die fanfiktionale Passion für Lücken und Leerstellen richtet sich nicht nur auf all das, was gerade Not in Harry Potter & Co. steht, sondern auch auf jene klassischen Werke, die in ihrer Polyvalenz immer wieder neue - autorisierte wie amateuristische - Hyper- 59 texte hervorbringen, angefangen mit der Antike: Eine „Missing scene“ zwischen Euripides’ Iphigenie in Aulis und Iphigenie auf Tauris inklusive Due Vengeance - so der zitationelle Titel - kreiert Assimbya (FFN, 10.01.2012). Vergil-Fan deansdamnation rekonstruiert den first draft der Aeneis: „Virgil ended up cutting this part out […]“ (AO3, 27.05.2016), während meretricula, selbstironisch etikettierte ‚kleine Dirne‘, eine intergenerationell-konfliktuelle cutscene between books IV and V of P. Vergilius Maro’s Aeneid ergänzt (AO3, 24.03.2012). Reich an fehlenden Szenen ist die Bibel; mit ikonoklastischem Furor schreitet Captainnemo55555 zur Redaktion seines Lost Testament (FFN, 07.03.2011). Phantasievoll exploriert werden auch die intratextuellen Zwischenräume zwischen verschiedenen Werken ein und desselben Autors: So re-imaginiert Joyce-Fan saveourtiredhearts das Intermezzo zwischen A Portrait of the Artist as a Young Man und Ulysses, samt „alternate version“ der Begegnung zwischen Cranly und Stephen Dedalus (too deep for me, AO3, 15.10.2019). Nicht überraschend sind die zu füllenden Lücken oft amouröserotischer Natur. Selene123 ergänzt ein paar Lime-Missing Moments aus Alexandre Dumas’ Dame aux camélias (Marguerite c’est moi, EFP, 29.06.2016); eine Fic zu Le Rouge et le Noir liefert die der Leserin von Stendhal vorenthaltenen Details der Scène d’amour entre Julien Sorel et Louise de Rênal nach (AlexDelarge, FFFRa, 01.03.2011). Unter dem lapidaren Titel Devočka (Das Mädchen) greift eine russische Fic zu Choderlos de Laclos’ Liaisons dangereuses die im Roman suggestiv präsente, von zeitgenössischen Illustratoren bereits ausgeschmückte ‚gefährliche Liebschaft‘ zwischen Madame de Merteuil und der jugendlichen Cécile de Volanges auf (Clegg, Ficbook, 30.08.2017); Black Foxhound (Opasnye svjazi. Vmešatel’stvo Ėrota [Gefährliche Liebschaften. Eros’ Intervention], Ficbook, 04.12.2016) bietet gleich mehrfachen Femslash für ein Publikum 18+. 60 „Macbeth has a thing for Banquo…“: Klassik-Slash Auch in der Klassiker-Fanfiction gilt: Slash, Slash und noch einmal Slash. Getreu der genretypischen Tendenz, alle erdenklichen Beziehungskonstellationen durchzuspielen, scheuen Fans auch vor der Bibel und der klassischen Antike nicht zurück: Orpheus gesellt sich zu Jason, Euryalus zu Nisus; das populäre Subgenre Homer- Slash - v.-a. in der naheliegenden Paarung ‚Patrochilles‘-- gewinnt mit Madeline Millers Roman The Song of Achilles (2011) weiteren Aufwind. Die erotische Phantasie so mancher Fans beflügeln aber auch Achilles/ Hektor, Medonte e Telemaco als Shōnen-ai-Pairing (Francesca Akira89, EFP, 22.04.2012), Dionysos/ Pentheus, Medea/ Krëusa, Kassandra/ Elektra, Kassandra/ Helena, Andromache/ Helena, samt euripideischem Titel (Aegialia: nor do i beguile myself with dreams of future bliss, AO3, 19.07.2015), Circe/ Penelope, Athene/ Penelope: Ausgehend von ein und derselben Passage im 16.-Gesang der Odyssee wird dieses Pairing - The Goddess and the Weaver (Fallynleaf, AO3, 28.02.2019) - in einer Reihe von Fics variiert. Geslasht wird die Bibel: „Jesus falls in love with the unattainable jock Judas“, verspricht eine vierhändig verfasste Fic (Bananab_ read/ Fox_2000: Bread and wine, AO3, 06.04.2019); mit einer Fülle von Zitaten aus dem Johannes-Evangelium komponiert ein bekennend christlicher Fan („I don’t think this is a disrespectful use of the bible, it’s my holy text too“) eine „bible fic“ (chicken_neck: Son of Perdition, AO3, 12.04.2020). Geslasht werden Dante wie Petrarca, der, wie wir dank MarchesaVanzetta erfahren, in einen gewissen Niccolò verliebt war und nicht in die hässliche Laura, die eigentlich Enrichetta hieß (Di pensier in pensier, di monte in monte, EFP, 25.11.2010). Ein unerschöpfliches Slash-Reservoir ist das Œuvre Shakespeares: Jago und Othello finden ebenso zueinander wie Desdemona und 61 Emilia. „Macbeth has a thing for Banquo but he’s not man enough to say it. Malcolm has been drooling over Macduff ever since they first met […]. Lady Macbeth and Lady Macduff are both sick of their husbands“, so die Multi-Slash-Prämisse einer AU-Crack-, d.-h. bewusst und genussvoll absurden Fic (ancientcitylullaby: Scottish Temptation Island, AO3, 15.11.2019); auf letzteres Pairing („Lady Macbeth has political ambitions; Lady Macduff just wants to make out“) setzt auch peristeronic, samt parodistisch-feministischem Programm: „Being annoyed by the patriarchy […] Write the femslash you wish to see in the world“ (Two Ladies Without Their Lords, AO3, 21.02.2017). Nur allzu bereitwillig beteiligen sich am folgenden Rollenspiel weitere slashfreudige Fans: „Wtf, my wife is not gay“, mischt sich ein empörter „Macbeth“ ein (06.03.2017). „Und damit ist es offiziell: ich shippe Faust mit dem Teufel. OMG ich werd’ die nächste Deutschklausur so verhauen! “ (The Prism, FFD, 11.10.2017): Im Faust-Slash-Fandom ist paradigmatisch die Formation einer solidarischen Community zu beobachten; scharenweise verleihen die Leser*innen - literarhistorisch wohlinformiert: präzise wird festgehalten, wer nun jeweils wen nach Goethe und/ oder Marlowe ‚shippt‘ - ihrer Begeisterung Ausdruck, wider Erwarten nicht die einzigen Verrückten mit dieser Präferenz zu sein. „Du kannst dir nicht vorstellen wie froh ich war, als ich endlich eine Fanfiction zu diesem Pairing gefunden habe“ (Dita- Dahmer, 25.12.2015); „Ich bin echt froh, dass ich nicht der einzige Deutsche FaustPheles shipper bin : 'D“ (Lolipantsu, 02.07.2016); „Oh mein gott xD […] ich dachte ich wäre der einzige der Faust und Mephisto schippt“ (Tonyscotty, 11.11.2016): Eine Reihe enthusiastischer Reviews erntet TomorrowComes mit ihrer Fic In deinen Tränen spiegelt sich das Sternenlicht (FFD, 18.12.2015). Ebenso wenig entgehen dem Slash-Vergnügen Tolstoj --Karenin/ Vronskij (Fake_Innocence: Kusoček (A piece of us), AO3, 01.12.2013) harmonieren fast so gut wie „annaxkitty“ (tolstayas: Lilac, AO3, 11.07.2017) -, Gončarov (Oblomov/ Štol’c! ) und Dostoevskij: „I can’t 62 be the only one who felt some tension between these two. […] Feel free to flame, I could use a laugh“, präsentiert infinityinanhour eine Fic zu Verbrechen und Strafe (One Torment Too Many, FFN, 20.02.2012). Die Einladung zum Verriss wird nicht angenommen, vielmehr gibt es auf Englisch wie auf Russisch viel Lob für dieses Stück Raskol’nikov/ Razumichin-Slash: „This is fantastic. I can’t believe Crime and Punishment fanfiction actually exists! “ (St0rmi, 27.09.2012). Passioniert wie poetologisch reflektiert positionieren sich weitere Reviewer*innen sowohl zu den Klassikern („Keep writing about classics because it’s so interesting! “) als auch zu deren Fanfic-Variation: „It’s obvious Dostoievski wouldn’t write such thing, but that’s why we have fanfictions : )“ (contatlooby, 12.11.2012). Eine Leserin fragt sich, wie weit der homoerotische „subtext“ wohl schon in der „original novel“ intendiert war (Kaizen Kitty, 25.04.2017) - während „Fyodor“ mit einem Cease-and- Desist-Post protestiert (13.03.2017). „Omaggio al mio classico preferito“: Fanfiction zwischen Hommage und Ikonoklasmus Dieses parodistische Spiel ist nicht die schlechteste Form der Hommage; auch und gerade dergleichen hält die Klassiker am Leben. „Das Klassische definiert sich dadurch, dass es überlebt“, erklärt J.-M. Coetzee: „Deshalb gehört das Infragestellen des Klassischen […] notwendig zur Geschichte des Klassischen und muss sogar begrüßt werden“ (2006: 29). Ebendiese Assoziation von adorativer und ikonoklastischer Intertextualität ist charakteristisch für die Klassiker-Fanfiction, deren Akteur*innen sich durch ihr Kanonbewusstsein auszeichnen; aus dem Sinn für kulturelle Hierarchien speist sich die Lust an der Transgression. So manche klassische Fanfiction entsteht als deklarierte Hommage: „wow una storia su omero! ! ! “, freut sich Laban auf 63 EFP (07.11.2009). „Amo alla follia i Poemi Omerici“ (_juliet: Lettera al padre assente, EFP, 07.06.2012); „Adoro l’Iliade […]“ (Tempestuous_, EFP, 26.08.2012); „Adoro l’Odissea […]“ (sassa, EFP, 10.01.2013)… der Reihe nach bekennen User*innen ihre Leidenschaft für Homer und seine Epen, denen frau mit der eigenen Fic einen kleinen „tributo“ erweist (Moonage Daydreamer: Cantami, o diva, EFP, 16.05.2012, Kommentar: 26.08.2012). Als „Omaggio al mio classico preferito“ offeriert Osage_No_Onna ihre Ariost-Slash-Fic (Furiosae Nugae, EFP, 22.04.2018); „Io adoro Dante in generale […]“, motiviert Gaea ihre Divina-Commedia- Variation (La vera pena, EFP, 23.02.2011, Kommentar: 25.09.2011). Eine paratextuelle Würdigung der gleich darauf fröhlich geslashten „unsterblichen Klassik“ rahmt eine in Dramenform gehaltene Romance-Fic zu Anton Čechovs Onkel Vanja (Chlenik: Djadja Vanja, AO3, 10.12.2016). Aus ihrem „amore per Baudelaire“ sei ihr Text hervorgegangen, betont MoreUmmagumma, in der Hoffnung, dass ihre mit Pink Floyd neu betitelte Prosa-„rivisitazione“ des Sonetts „À une passante“ aus den Fleurs du Mal halbwegs adäquat sei, und wenn nicht: „Charles, perdonami D: “ (Strangers passing in the street, EFP, 26.05.2013). Derartige mit ironischer Bescheidenheitsrhetorik kombinierte Adressierungen der großen Vorbilder sind beliebt: „752 Jahre, was, Sommo? Mach dir nichts draus, du hast dich sehr gut gehalten. Das hier ist für dich“, widmet eine Dante-Slasherin ihr Werk dem Dichterfürsten, der im Italienischen den Beinamen ‚il Sommo Poeta‘ führt (Biceportinari03: Under the light of thousands stars, EFP, 01.06.2017). Perfekt fusioniert finden sich Parodie und Hommage im Topos von diesem oder jenem gerade im Grabe rotierenden Klassiker, angefangen wiederum mit dem „povero Omero“ (Nikorevy, EFP, 13.12.2012). Eine neue Meister-und-Margarita-Slash-Fic lässt aber auch Michail Bulgakov wohl den einen oder anderen postmortalen Purzelbaum schlagen (Vinmar: Igruški i aksessuary dlja košek. Dorogo [Katzenspielzeug und -accessoires. Teuer], AO3, 12.06.2016); 64 hoffentlich beutle es Yukio Mishima angesichts von „tanto sacrilegio“ nicht allzu wild in seinem Grab, kommentiert mamie ihre Story zu Schnee im Frühling (Se la neve continua a cadere, EFP, 15.01.2012). Bei aller Stereotypizität weist dieser inflationär recycelte Topos doch treffend darauf hin, dass wir es hier mit einer Form im Gebrauch revitalisierter, erfolgreich in Bewegung versetzter Klassik zu tun haben. Entfalten sich Fankulturen allgemein aus einer „mixture of fascination and frustration“ (Jenkins 2007b: 362), so wird gerade Klassiker-Fanfic nicht nur aus Verehrung, sondern auch aus Empörung, ja aus ‚Hass‘ geschrieben. Als Fan von „russian literature“ und zugleich „founder and president of the international tolstoy hate club“ stellt sich die bereits zitierte Spezialistin für „gay tolstoy content“ vor: „i don’t believe in literary canon […]“ (tolstayas, AO3, Profil: 16.03.2016); „you ever just *clenches fist* hate a book so much you rewrite canon? “, fragt die Autorin einer alternativen Anna-Karenina-Version: „I’m really tired of fictional women being punished, no beta readers we self-edit like men“ (flowers4flowers: I don’t know if I’m closer to Heaven (but it looks like Hell down there), AO3, 01.06.2019). Der „misogino e moralista Tolstoj“ provoziert auch andere feministische réécritures: So schreitet Yanez76 zur Rehabilitation der Elena Kuragina, dieser vom besagten „Frauenfeind und Moralisten Tolstoj misshandelten Figur, die ich dagegen mit ihrem freien und modernen Charakter sehr sympathisch finde“ (Il medico italiano, EFP, 25.07.2017). Der ikonoklastische Impetus treibt auch Leser*innen um; eben weil „il vecchio Petrarca“, „ein verdammter Heuchler und ein Hosenscheißer und ein Narzisst und…“, eine Kommentatorin auf EFP entschieden enerviert, liest sie begeistert Canzoniere-Slash (SunnySideOfTheStreet, 22.05.2011). Nicht zufällig spielt derlei lustvolles Anti-Fandom hier eine besondere Rolle; Klassiker-Fanfiction entsteht auch aus der zunächst nicht ganz so freiwilligen Konfrontation mit kanonischen Werken, 65 oft schulischen Pflichtlektüren. Manchmal ändern die Anti-Fans im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit dem Text ihre Meinung: „Ho cambiato idea: adoro Bassani“, bekennt die Autorin einer Fic zu den Gärten der Finzi-Contini, kompensatorische Hommage (Artemisia89: Biondo cenere, EFP, 15.06.2007). Hier stellt sich auch die Frage nach der Relation zwischen Kanonizität und fanfiktionaler Produktivität: Hoher kanonischer Status fungiert als Trigger, kann aber auch zur Blockade werden. Ein exzellentes Beispiel bietet La Princesse de Clèves, doppelt klassischer Text, der in Frankreich seit Generationen zum Schulkanon gehört und Anfang des 21.- Jahrhunderts eine politisierte Renaissance erlebt: Mehrfach zitiert Nicolas Sarkozy eben Lafayettes Roman als Inbegriff ‚unnützer‘ humanistischer Bildung und tritt damit eine gewaltige Protestwelle los (Stemberger 2018: 65-87). Keine schlechte Basis vermeintlich für eine intensive Fanfic-Rezeption - diese findet jedoch kaum statt. Es scheint, dass gerade die durch die Affäre bedingte Re-Sakralisierung eines hyper-kanonischen Werkes dem kreativen Spiel eher im Wege steht - dies, obwohl das Verhältnis der französischen Klassik zu ihren (antiken) Klassikern nicht von ehrfürchtiger Passivität, sondern von pragmatischem ‚Kannibalismus‘ zeugt (Schlanger 2008: 81). Von Deutschlektüren und anderem „Horror“: Fanfiction im schulischen Kontext Häufig wird im Paratext auf den schulischen Kontext Bezug genommen, aus dem die jeweilige Story hervorgegangen ist. So widmet mywaterloo ihre Fanfic zu Lafayettes weniger bekannter Princesse de Montpensier (if stars shouldn’t shine…) „à tous les Terminales L“, also den Elev*innen der Abschlussklassen des literarischen Zweiges. „This is the result of me spending a little too much time studying for the Latin AP exam […]“, präsentiert dark- 66 andlightentwining ihre Vergil-Variation, die die Venus/ Vulkan- Verführungsepisode in Buch 8 der Aeneis erotisch elaboriert (A Matter of Convincing, AO3, 05.05.2017). Mit dem Orlando hat man kiki96 so lange geschunden, dass sie sich mit einer Fic revanchiert - und einen „testo […] troppo ‚scolarizzato‘“ damit auch in den Augen anderer Anti-Fans rehabilitiert (La Pazzia di Orlando, EFP, 24.03.2013). So manche Leserin treibt schulische Fadesse in die Fanfiction-Foren: „[…] mit sex kann man viele dinge wieder gut machen / so auch hier scheint es […]“, bedankt sich eine amüsierte Reviewerin bei DantonsHure, Verfasserin einer Story über Robespierres und Camilles heiße Nacht (Anne-Rose, FFD, 28.12.2015). Sogar „das schlimmste Buch, was wir je in der Schule lesen mussten“ (Elodea, FFD, 03.12.2017) schafft es auf diesem Umweg aus der pädagogischen Quarantäne, denn zum Glück gibt es ja „die Fanwelt in der man sich sogar Büchners Dantons Tod schön reden bzw. schreiben kann. […] Ja ja ohne die ganze Analyse kann ein Klassiker sogar Spaß machen! “ (AlAngel: Danton’s Tod: Deleted Scenes, FFD, 19.12.2015, Kommentar: 22.12.2015). Die Fan-Produktion zu einem anderen deutschen Schulklassiker findet offenbar auch praktische Verwendung. So eine anonym publizierte, von Seiten Schiller-gequälter Schüler*innen begeistert aufgenommene Neufassung von Kabale und Liebe in moderner Sprache (FFD, 18.09.2014): „Um ehrlich zu sein rettest du mir gerade den Arsch (tschuldigung)… : D“ (LilianJK, 23.10.2014); „Wir lesen das auch gerade in Deutsch und es ist der Horror! O.o Danke, dass du es übersetzt hast […]“ (TheMazeRunner, 07.01.2015), melden sich erleichterte Leser*innen. Hier erfolgt die didaktische Instrumentalisierung durch die Hintertür. „[…] wenn sie das wüssten, würden meine diversen Italienischlehrerinnen mich umbringen“, frohlockt unsere Petrarca-Slasherin (MarchesaVanzetta, EFP, 23.04.2011). Was aber, wenn besagte „insegnanti“ diverse Fanfic-Arbeiten selbst in Auftrag geben und jenes „guilty pleasure“ - so GrownUp90s (FFN, 67 26.06.2015) zum zitierten Dostoevskij-Slash One Torment Too Many - derart domestizieren? Im Rahmen einer medienintegrativen Literaturdidaktik wird Fanfiction mittlerweile auch im Schulunterricht eingesetzt. Und wieder stellt sich die Frage nach der Abgrenzung: Ist eine Hausübung noch Fanfiction? In manchen Fandoms ist es schon einen Vermerk wert, wenn es sich ausnahmsweise um „keine Deutschhausaufgabe o.Ä.“ handelt, so bei einem auf FFD publizierten Faust-One-Shot (tasto777: Brennen, 21.09.2018); gewissenhaft betitelt dagegen Bellatrix McKay die verordnete „Kreativ Aufgabe“ Leerstelle aus Goethes Faust II (FFD, 19.01.2007). Dergleichen ist kein deutsches Exklusivum. „Écrire des fanfictions en classe, c’est possible! “, ermuntert Canard (2017). In diesem Sinne animierte Schüler*innen verfassen mehr oder minder beflissen dem pädagogischen Erwartungshorizont entsprechende Texte; so nach einem „dans le cadre de mon cours de français“ vorgegebenen Maupassant-Thema Le journal du Horla (Aure-chan, FFFRa, 07.07.2011) oder eine ebenfalls nach didaktischer Direktive entstandene Story darüber, Wie Candide einen Obdachlosen traf… (missaccacia: Comment Candide rencontra un SDF et comment celui-ci fut malmené, FFFRb, 12.04.2016). „[…] feel free to ignore anything that was obviously [to] flatter/ impress my teacher“, kontextualisiert Chajazzhands ironisch eine Klassiker-„multiverse“- Fic, durch die der „Ghost of English Classes Past“ spukt (Don’t Step on the Butterfly, AO3, 02.10.2012). Während schulische Zwangsbeglückung ikonoklastische Konterdiskurse provoziert, kompensieren andere Fans ihre frustrierte Klassiker-Leidenschaft. So publiziert ein US-basierter Fan eine Werther-Fic (billspilledquill: a kind of ideal contentement, AO3, 26.05.2018); nachdem mehrere User*innen kommentiert haben, dass sie den Roman gerade in der Schule lesen, folgt die neugierige Nachfrage: „I feel like this book is incredibly read in European schools? I actually would love a course on Goethe and this book 68 in particular […]. As German Lit goes, we have only covered Das Parfum, sadly enough“ (15.09.2019) - worauf weitere Community- Mitglieder ihr Erstaunen äußern: „The Perfume, really? Come on! “ (eyeslikerain, 24.10.2019); leider ja: „[…] I definitely liked Werther better, hence this fic“ (25.10.2019). Dieses Phänomen didaktischer Rekuperation bleibt - bei den allerbesten Intentionen einer demokratisch ambitionierten „Remix Pedagogy“ (Anderson Howell 2018) - ambivalent, wird hier doch auch ein kreativer Spielplatz kolonisiert: „[…] since it was for school, i didn’t feel i could take that many creative liberties“, bedauert die Autorin einer Perseus/ Andromeda-Fic (zit. Marciniak 2016: 444); eine andere verzichtet für ihr „tema in classe“ sicherheitshalber auf ihre Idee einer radikaleren Ilias-Reinterpretation (Floribanda: Addio, EFP, 15.04.2013, Kommentar: 30.04.2013). Und nicht umsonst bietet Fanfic-Expertin Coppa im Rahmen ihrer universitären Tätigkeit bewusst keine Kurse „on how to write fan fiction“ an, denn diese „should be a pleasure to write for its own sake“ (Drozd 2018). Ganz so reibungslos funktioniert die Scholarisierung des Genres freilich ohnedies nicht, wie sich im stark didaktisch infiltrierten deutschen Kafka-Fandom zeigt. Zwischen allerlei Hausaufgaben à la „Beschreiben [S]ie Gregor Samsas Besuch bei einem Arzt“ (bienenfluegel: Gregor Samsas Arztbesuch, FFD, 13.12.2010) melden sich durchaus Kafka-affine Rebell*innen zu Wort, so a robot mit der Songfic-Parodie „Die Verwandlung“ - erzählt von Money Boy (FFD, 04.09.2013). Der Money-Boy-Kafka stößt auf ebenso enthusiastische wie symptomatische Reaktionen: „Danke. Danke. Danke. […] Eine posttraumatische Belastungsstörung au[s] dem Deutschunterricht ist so eben geheilt worden“ (Suleisa, 13.09.2014). Es entfaltet sich eine Debatte zwischen Kanon-Verteidigung und vergnügtem Ikonoklasmus; auf kritischem Meta-Niveau wird die Frage verhandelt, „wer beknackt genug ist, zu Kafka Fanfictions zu schreiben“ (Resu Eman, 01.07.2019). 69 Klassik und Kanon: Fanfiction als Text-Ökosystem Dieses spielerische Kanonbewusstsein prägt zahlreiche Klassiker- Fandoms; im Sinne einer funktionalen Klassik-Theorie ist hier die Differenzierung zwischen Kanon als institutioneller Setzung und Klassik als kultureller Praxis aufschlussreich (Wojcik/ Matuschek et al. 2019): Auch und gerade im komplexen Text-Ökosystem der Fanfiction werden Klassiker im kreativen Gebrauch aktualisiert, wird der Kanon als solcher - affirmativ oder subversiv - reflektiert. Immer wieder wird als Motiv für die Publikation einer Fic angeführt, dass das betreffende Werk im System noch fehlt: „Tbh kinda mad that they aren’t any fics about one of the most adapted novel[s] in the 18th century“, eröffnet billspilledquill die erwähnte Werther-Story. Der Stimulus funktioniert, sogleich liebäugelt eine Reviewerin mit einem Parallelprojekt: „Actually, I myself am thinking about a Werther fanfic […] maybe you might read another one once in a while“ (15.07.2018); einige Monate später folgt der in Aussicht gestellte Text, mit neuem Slash-Pairing Werther/ Karl Moor (SwanFloatieKnight: Die Liebe ist einsam, AO3, 04.01.2019). The Pleasures of Young Werther mit kanonischerem Personal trägt eine weitere Autorin nach (Grey_eyed_Ceridwen, AO3, 04.03.2020); bald darauf spinnt eine polnische Fic den Faden fort (MarikaSnape: Nieczyste uczucie [Unreines Gefühl], AO3, 24.03.2020), bevor wiederum Grey_eyed_Ceridwen mit Luncheon on the Grass (AO3, 11.05.2020) die polyamourösen Pleasures des Goethe’schen Helden prolongiert. „Salve a tutti! […] questa è la prima volta che scrivo una ff su un classico della letteratura“, wagt sich Ferao (Maschera) an Goldoni. „Ich wusste, dass es zumindest eine FF zu La locandiera geben muss! “, triumphiert eine Reviewerin (LadyTargaryen, EFP, 24.04.2014). Das Engagement für seltene Fandoms wird hono- 70 riert - so im Fall der zitierten Voltaire-Fic (missaccacia: Comment Candide…). „Seriously, Dom Juan was my fandom for a good long while“, outet sich College-Age Zanii als Molière-Fan: „No reason fanfiction can’t encompass classical literature“ (The Nerve to Speak, AO3, 14.05.2017). Das gilt natürlich auch für die Klassiker des 20.- Jahrhunderts. MadLucy interveniert ihrerseits im Fanfiction-Ökosystem, wenn sie eine neue „storiella“ um eine ihrer Lieblingsfiguren publiziert: „Einfach weil es nicht sein kann, dass es hier gar keine Geschichte zu den Buddenbrooks gibt. Und zu Hanno“ - selbstredend im Shōnen-ai-Tandem mit Kai (La fuga, EFP, 10.02.2013). Ähnlich beschließt Grass-Fan MadamaButterfly, den aus ihrer Sicht sträflich vernachlässigten „più bel romanzo del Novecento“ durch eine Sammlung von „piccole ff “ ein wenig zu promoten (… e il tamburo di latta non smise di suonare, EFP, 17.12.2010). „Yeah this is Woyzeck-fanfiction live with it“… notfalls wird im Alleingang ein Mini-Fandom ins Leben gerufen, samt Appell an eine noch nicht existente Community: „Ich habe Woyzeck- Fanfic geschrieben (warum? ) und hoffe, das hier liest irgendwer […]“ (Hoffmannism: Der Soldat und der Major, AO3, 23.07.2017). Mehr Erfolg als der nach wie vor solitäre Woyzeck-Fan hat eine Kollegin, die im Rahmen der Yuletide 2010 mit einem kurzen englischsprachigen Text auf AO3 eine Rare-Fic-Rubrik zu Bulgakovs auf den russischen Portalen populärem Roman Master i Margarita begründet (ladygray99: Prayers to Anything Listening, AO3, 24.12.2010); ausgehend davon bildet sich ein neues Fandom mit aktuell 32 Stories auf Russisch, Englisch und Französisch. Rein russophon dagegen präsentiert sich bislang das Fanfic-Corpus zum Werk Aleksej Tolstojs, der mit seiner Pinocchio-Version Buratino als Pionier des Genres gelten darf; die Kreation eines eigenen AO3-Fandoms zeugt allerdings von dem Versuch, diesen kleineren Nationalklassiker auch international zu popularisieren. 71 Hier kommt wieder die Sprachenfrage ins Spiel: Gerade die Klassiker-basierte Fanfiction illustriert die ‚glokale‘ Dynamik eines Genres, in dem auch die Relation zwischen Universalklassikern und „classiques nationaux“ (Schlanger 2008: 102) neu ausgehandelt wird. Neben Shakespeare & Co. finden sich auch sehr kleine nationalliterarisch inspirierte, oft am jeweiligen schulischen Lektürekanon orientierte Fandoms mit schon sprachlich limitierter Leserschaft. So bleiben Fics zu Friedrich Dürrenmatts Physikern ein auf den deutschen Sprachraum beschränktes Phänomen: Eine Gender-aktualisierte „Fortsetzung […] mit weiblichen Physikerinnen“ bietet Corleone in segreto (Die Physiker 2, FFD, 29.10.2013). Auf EFP werden außerhalb Italiens kaum gelesene Autoren wie Giosuè Carducci oder Guido Gozzano kreativ rezipiert, aber auch anspruchsvolle Fics zu den italienischen Nationalklassikern publiziert, eine parodistische Commedia in cui c’è poco di Divino (QueenElsa, EFP, 08.09.2016) wie eine Leopardi-Variation über „una ipotetica Silvia contemporanea“, die zwecks prekärer Verewigung in Dessous vor ihrer Webcam tanzt (ToscaSam: A Silvia, EFP, 15.01.2014). Leopardis berühmtestes Gedicht, L’infinito, transformiert die „a quattro mani“ verfasste Vers-Parodie Leopardi on the beach e il cruciverba (Lyris alias Geronimedea/ Flavia Cat, EFP, 04.08.2012). Doch auch in der Domäne der antiken Literatur und Mythologie entfaltet sich eine reichhaltige Produktion; nicht nur Homer, Vergil oder Ovid, sondern auch etwas abseitigere Klassiker wie Petronius’ Satyricon werden hier variiert. Ein exklusiv polonophones Mini-Fandom auf AO3 widmet sich Juliusz Słowackis romantischem Drama Kordian; auch „im Rahmen der informellen Kampagne ‚wir schreiben zu nicht existenten Fandoms‘“ wird ein ebensolches neu auf Polnisch kreiert - und zwar zum Misanthrope Molières, der u.-U. wieder einmal im Grab herumrollt. Die Adressatin der initialen AU-Fic (uberwaldian_ connection: Gdybyśmy urodzili się w innym czasie, budowalibyśmy barykady [Wenn wir zu einer anderen Zeit geboren wären, würden 72 wir Barrikaden bauen], AO3, 04.03.2016) schlägt sogleich vor, eine ganze „Fic-Sammlung zu seltenen Fandoms“ einzurichten (Filigranka, 07.03.2016). Zu derlei Nischenphänomenen gehört auch ein unter mehrfacher Triggerwarnung bzw. -werbung neu begründetes tschechischsprachiges Marquis-de-Sade-Fandom (ramsaycutofftheonspeen: Julie aneb Strasti slasti [Julie oder Die Lust des Leidens], AO3, 07.06.2013). Tereescalfat wiederum hat sich der einsamen Aufgabe verschrieben, „en català“ diverse Klassiker- und sonstige marginale Fandoms zu bespielen. Selbstironisch kommentiert die bekennende literarische „masoquista“ eine neue Fic, die von ihrem „gran amor per Hedda Gabler“ zeugt: „Ich bezweifle, dass das jemanden interessiert, aber ich liebe dieses Werk von Ibsen, ich liebe die Figur […] Und ja, ich habe Momente, in denen ich mich sehr ‚anders und speziell‘ fühle, so Klassiker-Fanfics auf Katalanisch zu schreiben […]“ (Algú que toca terriblement el piano [Jemand, der schrecklich Klavier spielt], AO3, 22.10.2018). In diesem programmatisch eklektischen Genre stellt es freilich auch eine Form paradoxer Originalität dar, als allererste und womöglich einzige, in spezifischer Weise oder einer bestimmten Sprache diesen oder jenen Text zu bearbeiten: „there’s still no greater joy than creating a tag that’s never been used before“, wie Fanlore-Vorstandsmitglied Rebecca Sentance in ihrer Jubiläums- Hommage an AO3 (11.11.2019) gesteht. Wider die Herrschaft der Dead White European Males? Fanfiction, Kanon und Gender Von der feministischen Re-Perspektivierung klassischer (und anderer) Texte als Verfahren vieler Fanfics war die Rede; diese genderkritische Dimension manifestiert sich auch auf der Meta-Ebene, in der Auseinandersetzung mit einem von den Dead White European 73 Males dominierten okzidentalen Kanon. Mit der einen großen Ausnahme Jane Austen - deren Sonderstatus in Zusammenhang mit ihrer ambivalenten Rezeption als Unterhaltungsautorin zu sehen ist - basieren die allermeisten Klassiker-Fandoms auf ‚männlichen‘ Meisterwerken. Insofern spiegelt die Fanfiction bei allem rebellischen Impetus traditionelle Kanonsetzungen wider, in denen Autorinnen nach wie vor unterrepräsentiert sind. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund gilt es die Slash-Passion zu situieren, die dieses maskuline Repertoire von innen her ver-queert; doch auch gezielte Kanon-Interventionen sind keine Seltenheit: „building an artistic community, and filling the female silences in canon as best we can (including related issues of gender/ sexuality/ race/ class/ health etc)“, resümiert cupidsbow (2007) zwei zentrale Aspekte einer auch via Fanfiction ausgetragenen „feminist battle“ (zit. FL). Eine derartige Kanon-Intervention erfolgt auf EFP zugunsten Irène Némirovskys, französische Schriftstellerin russisch-jüdischer Herkunft, die, 1942 nach Auschwitz deportiert, im literarhistorischen blinden Winkel gelandet war (Stemberger 2006); mit der Zuerkennung des Prix Renaudot 2004 für die von ihr hinterlassene unvollendete Suite française beginnt eine gewisse Némirovsky- Renaissance. 2011 unternimmt yesterday einen reflektierten (Re-) Kanonisierungsversuch, indem sie eine Fic zu Némirovskys Roman Deux verfasst und diese in der Rubrik ‚Klassiker des 20.- Jahrhunderts‘ einordnet: „Wahrscheinlich ist das Buch, aus dem diese Geschichte hervorgeht, den meisten unbekannt, aber ich empfehle nachdrücklich, es zu lesen […]“ (Dévouement, EFP, 07.07.2011). Mit etwas Verspätung wird der Vorstoß in der Community unterstützt: Herm93 bestätigt, dass die Schriftstellerin leider „davvero poco conosciuta“ sei, dabei konstituiere ihr Werk doch „una sorta di storia universale“ (29.01.2013). Sie habe Némirovsky nicht gekannt, die Story habe sie aber dazu angeregt, den Roman zu lesen, erklärt eine andere Reviewerin (juterisapromise, 30.03.2013). Nicht zufällig wohl setzt sich Némirovskys Fanfic-Karriere -- befördert 74 durch die Filmadaption besagter Suite française (2015)- - abseits des Mainstreams fort: Mit detaillierten „Historical Notes“ versieht roselland, die sich als „a bored, unemployed history major“ mit Hang zu „poorly researched historical fiction“ vorstellt, ihre Suite-française-Variation (el día que me quieras, AO3, 06.08.2015); Némirovsky persönlich widmet Snowflake eine indonesischsprachige Fic (melodi yang tertinggal [Die Melodie, die zurückbleibt], AO3, 23.12.2017). Tolstoevskij & Co.: Kanon-Konfigurationen Dieser umgekehrte Parcours, der von der Fanfic zum Original führt, ist recht häufig - und zwar nicht nur dort, wo es um eine weniger bekannte ‚Klassikerin‘ wie Némirovsky geht, sondern auch bei ganz und gar kanonischen Autoren. In der Fanwelt stößt frau immer wieder auf beträchtliche literarhistorische Expertise, aber auch auf Rezipient*innen und sogar Autor*innen, die gestehen, „the book“ nicht oder vor langer Zeit gelesen zu haben. So die Verfasserin jener multimedial inspirierten Anna-Karenina-Femslash- Fic: „[…] i haven’t read the book in a while so there are probably a bajillion mistakes […]“ (tolstayas: Lilac). Dieser ‚naive‘ poetologische Diskurs reflektiert den paradoxen Originalitäts-Begriff einer eklektischen literarischen Kultur, in der die lektorale Hommage einer doppelten Logik gehorcht - einerseits mit mehr oder minder informiertem Blick auf den Hypotext: „Great-letter, your writing style is very similar to Goethe’s! “, lobt eine Leserin die zitierte Werther-Fic (Elerina_Tindomerel, 29.04.2019); für „atemberaubend, wie gut du den Stil des Originals hier übernommen hast; man hätte schon fast glauben können, dass dies hier Büchner selbst geschrieben hat“ befindet Bookworm-Deluxe (31.01.2016) AlAngels Deleted Scenes zu Dantons Tod. Andererseits valorisiert aber auch bzw. erst recht das Argument akzentuierter 75 Ignoranz die jeweilige Story: „[…] I don’t know a thing about Eugene Onegin and yet I still love it“ (zlot, 25.12.2009), schwärmt eine Leserin des Puškin-Slash All The Wine. „Thank you! I do think you should check out the play, but I’m glad this fic stood up on its own“, antwortet die Verfasserin jener Pirandello-Meta-Fic (Mithrigil, 01.01.2011) einer entzückten Userin, die das Stück nicht kennt. Bei Bedarf werden etliche Fanfic-Writer derart literaturpädagogisch tätig. „Habe dieses Jahr den Film gesehen und mich jetzt bei dir schlappgelacht“, bedankt sich Lisie123 bei Luzifers Ananas für deren [W]ahrheitsgetreue Zusammenfassung von Goethes Faust - was die Autorin natürlich freut, jedoch: „Den Film? Lies das Buch, es ist toll : D“ (FFD, 13.08.2016). „[…] Don Karlos is nur zu empfehlen <3 aba generell is von Schiller sehr vieles zu empfehlen xD <3“, animiert SwanFloatieKnight ihr Publikum salopp zu weiterführenden Lektüren (Geben Sie - Freiheit! , AO3, 22.01.2019, Kommentar: 29.01.2019), während Homer-Fan Gaia Bessie einer begeisterten Leserin eine personalisierte „lezione“ in Literaturgeschichte verspricht (Troia: gli amori impossibili sono ovunque…, EFP, 12.03.2012). Parallel zur Auseinandersetzung mit dem institutionalisierten Kanon vollziehen sich Fandom-interne Kanonisierungsprozesse; dieses ‚demokratische Genre‘ besitzt sehr wohl seine Hierarchien, angefangen mit dem heiklen Status der ebenso beneideten wie nicht selten angefeindeten BNFs (Big Name Fans). Das russische Ficbook bot neben organisiertem Beta-Reading zunächst die Option, Texte von nach absolviertem Test in den Rang offizieller Moderator*innen erhobenen User*innen evaluieren zu lassen; 2016 wurde diese Differenzierung zwischen mit einer eigenen ikonka sanktionierten High-Quality-Fics und dem ‚Rest‘ wieder abgeschafft. Es gibt Wettbewerbe, bei denen sich Autor*innen bereitwillig von ihresgleichen benoten lassen, samt symbolischen Preisen: So hat Gaea mit La vera pena einen „Dante’s contest“ gewonnen - und zeigt stolz ihr ‚Zeugnis‘ („Lessico e ortografia_10 76 […] Totale_44/ 45“). Die Autorin einer anderen erfolgreich ‚klassifizierten‘ Fic zu Ovids Metamorphosen (mamie: Gli dei sono felici, EFP, 24.04.2013) listet penibel all ihre Platzierungen auf: „Prima classificata al contest […]. Seconda classificata al contest […]. Quattordicesima classificata al contest […].“ Speziell in der Klassiker-Fanfiction findet diese interne Hierarchisierung mit Blick auf den externen Kanon sowie unter Import hochkultureller Wertmaßstäbe statt. „I’m no Dostoevskij here, that’s for sure, but […] this one is a little bit […] hard to read“, stellt ein deklarierter „classics“-Fan dem neuen Kapitel einer Musketiere- Fic ein paratextuelles Caveat voran (Honey in the Sunshine: All for one and one for all, united we stand divided we fall, FFN, 01.04.2015, Anm. zu Kap. 9). Als Experte für „War and Peace Fanfiction“ komponiert Jung (2019) seinen eigenen Kanon, an der Spitze „[t]he Alexander Pushkin“ des Subgenres; freilich braucht dieses auch „its own Tolstoy and Dostoevsky“. Innerhalb des Fandoms wird eine bei allem Humor normative Skala von „the ‚high culture‘“ über allerlei mediokren „stuff “ bis hin zu „the ‚lowest‘ culture“ („the smut and pornography“) etabliert. Ebendiese beiden zum ‚Tolstoevskij‘ fusionierten Klassiker fungieren in der russischen Fanfic-Kultur als kontrastives Ideal, zu dem die eigene Amateurtätigkeit in Bezug gesetzt wird. Zumindest der jüngeren Generation wird empfohlen, zur literarischen Geschmacksbildung besser ‚Tolstoevskij‘ zu lesen, „und dann erst Fanfics“ (zit. Samutina 2017) - unter implizitem Freispruch für erwachsene Leser*innen, sich nach Herzenslust an dezidiert nontolstoevskijmäßiger Lektüre zu delektieren. 77 Ovid, Orlando, OuLiPo: Meta-Fanfiction und literarische Selbstreflexion Derart manifestiert sich in einer vermeintlich inferioren Gattung ein hoher Grad an metaliterarischer Selbstreflexivität (ein ausführlicher, im Fanjargon kurz ‚Meta‘ genannter kritisch-theoretischer Diskurs entfaltet sich auf eigenen Sites wie Fanfic Symposium oder in LiveJournal-Communities wie Metafandom). Gewiss ist Fanfiction ein stark plot- und figurenfokussiertes Genre; es sind primär die Protagonist*innen, die, zwischen verschiedenen Texten und Diegesen - darunter besagten AU - fluktuierend, Kohärenz innerhalb eines Fandoms stiften. Doch gerade auch - wenngleich nicht nur - in der Klassiker-Fanfiction findet sich eine Fülle formal anspruchsvoller Texte, die weit über die Dimension „emotionaler Lektüre“ (Samutina 2017) hinaus auf Illusionsbrüche, Verfremdungseffekte, spielerische Metaisierung setzen. „You’ll write some cute meta […]“, parodiert seekingferret das eigene Projekt einer Fanfic zu Italo Calvinos Se una notte d’inverno un viaggiatore, und befürchtet selbstironisch „another pile of post-modern crap, too self-conscious for its own good“ (Only the Third Story in this Forsaken Fandom Whose Title Does Not Begin with If, AO3, 12.01.2011). Auch mit lyrischen Formen wird experimentiert: Aus dem Aeneis-Fandom kommt ein Sonnet for Dido, poetisches Debüt, dessen Autorin nachträglich eine ausgeklügelte Erklärung für das abweichende Versmaß anbietet: „This was my first sonnet ever, and I accidentally wrote it with trochees instead of iambs. But I’m trying to pretend that I meant it that way, since the tragedy of Dido’s story is the way that her empire looks so powerful but in its foundation is doomed to fall. […] The subtly off-kilter meter reflects that tension; that’s my story, and I’m sticking to it“ (oulfis, AO3, 22.12.2012, Kommentar: 27.12.2012). Eros_Scribens meditiert 78 nicht nur im jambischen Pentameter De Origine Sexualitatis (AO3, 24.01.2015) und über Metrik zwischen den Sprachen und Literaturen („This fic is not just of Greek Mythology, or of Ovid’s Metamorphoses, but of the Ovidian Classical Tradition as a whole. Iambic pentameter is not just a translation of dactylic hexameter, but also a ficcing of Dryden’s and Marlowe’s famous Elizabethan verse translations of the classics“), sondern in der dazugehörigen Prosaversion auch über die Kunst der „Vergilian ecphrasis“ sowie die Vor- und Nachteile einzelner Gattungen: „The downside of prose is that you have to have a reason for people to screw […]“ (Calling Down the Moon, AO3, 24.01.2015). Im Original-Oktavenformat mit metrischem Kommentar verfasst astarinthefantasysky eine Ariost-Fanfic „in chiave moderna“, die Orlando Tradito 2.0-in die „discoteca del castel d’Atlante“ schickt und auf Facebook sein Liebesleid klagen lässt (EFP, 22.11.2015). Auch formal versucht Isagawa mit einer Fic zu Racines Tragödie Bérénice (La reine me manque également, AO3, 23.11.2016) dem klassischen Hypotext gerecht zu werden, samt Alexandriner und dramatischem Stilmittel der Antilabe (d.-h. des Zeilensprungs). „Poetry […] Pushkin sonnets, Borodino stanzas, trochaic tetrameter, bylina“ versprechen die elaborierten Additional Tags einer weiteren Variation zu Krieg und Frieden. Mit War and Peace in sonnets unternimmt Shimyereh einen gleich mehrfachen sprachlichen und Genre-Transfer: Episoden aus Tolstojs Prosawerk werden auf Englisch nach dem Muster von Puškins Versroman Evgenij Onegin adaptiert, mit „occasional forays into other classic Russian narrative poetry forms“; so ist ein Nataša gewidmeter Abschnitt im Stil einiger Puškin’scher „fairytale ballads“ gehalten. Das Fantum hinter dieser WIP bezieht sich mindestens ebenso sehr auf die formalästhetische wie die inhaltliche Dimension; konsequent ordnet Shimyereh sie parallel den Fandoms Vojna i mir und Evgenij Onegin zu, obwohl letzteres Werk thematisch keine Rolle spielt. 79 Völlig abhanden kommt die Handlungs-/ Figurenkomponente im Fall einer Fanfic zu OuLiPo. Das Akronym steht für Ouvroir de Littérature Potentielle, Werkstatt für potentielle Literatur; das Prinzip dieser 1960 gegründeten Vereinigung - nach demselben Modell formieren sich in Frankreich wie Italien weitere ‚Werkstätten‘, von der potentiellen Malerei (OuPeinPo) und Musik (OuMuPo) über Religion (OuReliPo) bis hin zur Kulinarik (OuCuiPo) - ist die Redaktion literarischer Texte ausgehend von selbst aufgestellten Regeln, den contraintes. So verfasst Georges Perec einen lipogrammatischen Roman mit der Regel, dass darin der auch im Französischen häufigste Buchstabe e kein einziges Mal vorkommen darf: La Disparition (1969), von Eugen Helmlé als Anton Voyls Fortgang ins Deutsche übersetzt. Auch aus Anne Garrétas Sphinx (1986) ist etwas verschwunden: das Geschlecht der beiden Hauptfiguren; elegant vermeidet es die Autorin, dieses nur ein einziges Mal grammatikalisch zu identifizieren. Dergleichen Experimente sensibilisieren auch die Leserin für die Konstruiertheit des Textes, die oft unbewussten Regeln, nach denen Sprache funktioniert. Kreativität durch contraintes: Dieses Konzept ist der ihrerseits zwischen multiplen „constraints“ (Busse 2017: 15) operierenden Fanfiction wohlvertraut. Und auch konkret OuLiPo findet ambitionierte Fans: Triton versucht sich an einer eigenen „contrainte Chicago“ (Chicago de Triton, FFFRb, 06.04.2015); besagter ‚Chicago‘ bezeichnet ein Sprachrätsel, das über eine Homophonie - oft zu einem Toponym - zu dechiffrieren ist. Um ‚fiction‘ handelt es sich hier strenggenommen nicht mehr; doch auch dieser Text wird als Fanfic auf einem einschlägigen Portal publiziert, in Abwesenheit einer passgenauen Kategorie unter ‚Crossover/ Poésie‘. Werfen wir zum Abschluss einen Blick auf ein besonders raffiniertes Prosa-Crossover - kosmopolitische Klassiker-Fic, die etliche der in diesem Band skizzierten Aspekte noch einmal plastisch illustriert. 80 Don Quijote & Buffy Summers: Crack, Crossover, Klassik-Crash Unter dem wortspielerischen Titel Shelf Life (AO3, 14.12.2015) publiziert beer_good (in diesem Fall ein männlicher Autor, schwedischer Muttersprachler, Mitglied einer Positive-Hardcore-Metal- Band) eine Crack-Crossover-Fic, beruhend auf dem Verfahren der Metalepse; in der Literaturwissenschaft meint dieser aus der Rhetorik importierte Begriff die intendiert alogische Grenzüberschreitung zwischen verschiedenen Realitäts-/ Fiktionsebenen (Genette 2004) - mit den Subtypen der narrativen, der dramatischen (z.- B. in der Theater-im-Theater-Szene in Hamlet), der filmischen (so in Woody Allens The Purple Rose of Cairo) oder auch der intermedialen Metalepse. „Warum beunruhigt es uns, daß Don Quijote der Leser des Quijote ist und Hamlet Zuschauer des Hamlet? “, fragt Jorge Luis Borges (1992: 59): „Ich glaube, den Grund gefunden zu haben: Solche Spiegelungen legen die Vermutung nahe, daß, sofern die Charaktere einer Fiktion auch Leser oder Zuschauer sein können, wir, ihre Leser oder Zuschauer, fiktiv sein können.“ Die philosophischen Abgründe, die die Metalepse bei allem humoristischen Potential eröffnet, sind der Fanfiction nicht fremd: In ein theoriegesättigtes Vexierspiel zwischen „the Writer and the Reader and the writer and the reader“, eine schwindelerregende Möbiusschleife von „metanarratives and metametanarratives and metametametanarratives“ entführt seekingferret in der zitierten Calvino-Fanfic (Only the Third Story…) ihre Leserschaft, die diesen Versuch „to write about writing about writing“ für höchst amüsant, aber auch „deeply disturbing“ befindet (FriendlyPoltergeist, AO3, 05.07.2020). Bei Shelf Life handelt es sich, wie der Paratext präzisiert, um eine Meta-Fic mit „Characters Writing Fanfiction“, in der der Autor 81 die Figuren aus Buffy the Vampire Slayer - an und für sich schon eine „meta-story“ - mit einer Reihe klassisch-kanonischer Texte konfrontiert und dabei durch verschiedene literarische Diegesen wandern lässt. In einem Podcast des Sunnydale Fanfic Club (2018) skizziert beer_good seine Poetik der Fanfiction, Königreich des „Wouldn’t it be cool if…? “. Er thematisiert nicht nur die Sprachenfrage, seine Schreibstrategien in „English as a second language“, sondern auch speziell in Bezug auf Shelf Life seinen eigenen reflektiert marginalen Zugang: Bewusst habe er nicht wie üblich englischsprachige Hypotexte gewählt; vielmehr werden die Protagonist*innen einer populären zeitgenössischen US-amerikanischen TV- und Filmwelt mit mehreren internationalen Klassikern kombiniert. Buffy selbst hat längst Kultstatus; hier begegnen einander Academia (es existiert eine eigene Disziplin der Buffy Studies), Hoch- und Populärkultur, wenn etwa eine experimentelle Autorin wie Chloé Delaume mit La nuit je suis Buffy Summers (2007) ein interaktives „livre-jeu“ verfasst, Fanfiction derart als Kunstform legitimiert und zugleich transzendiert. Los geht es also in Sunnydale, jener fiktiven kalifornischen Kleinstadt, deren High School exakt auf einem Hellmouth thront -- mystisches Tor, durch das allerlei finstere Mächte aus der Unterwelt dringen. Ein paar Straßen weiter liegt die Magic Box, Zaubershop und Headquarter der Scooby Gang; hier nimmt das metaleptische Abenteuer in Shelf Life seinen Anfang. Nach einer erfolgreichen Halloween-Saison richtet Rupert Giles auf einem frei gewordenen Regal eine Sektion „Fiction“ ein, was ihm selbst bibliothekarisches Kopfzerbrechen („I’m still not sure if that big compendium on the history of leprechauns shouldn’t qualify as fiction […]“) und Buffy anderweitige Bedenken bereitet: „And you’re sure this is a good idea? I mean, magic shop and everything…“. Tatsächlich geht sogleich einer von „Willow’s spells“ schief (und zwar ein „amazonian kindlich spell“, wie es mit Augenzwinkern in Richtung Amazon heißt): „[…] rather than have us absorb the 82 books, it has inserted us into the book’s narrative.“ Und so finden die Figuren sich „trapped in a series of classic novels“ wieder: „Now they have to be good little postmodernists and subvert the hell out of them to get out.“ „Book The First: In Which There Are No Giants“: Zunächst landen sie im Spanien des Don Quijote; ironische Wendung insofern, als Cervantes’ Held bekanntlich durch seine Lektüreexzesse den Verstand verliert, diegetische Realität und Fiktion nicht mehr auseinanderzuhalten vermag. Eben der Quijote hat eine reiche Rezeptionsgeschichte voller Fanfiction im engeren und im weiteren Sinne, von der apokryphen Fortschreibung durch Alonso Fernández de Avellaneda bis zu Salman Rushdies Quichotte (2019); auch auf AO3 oder FFN erfreut sich Cervantes einiger Popularität. Es dauert ein wenig, bis die interkulturell wie historisch herausgeforderten TV-Held*innen sich orientieren („Looks like something out of a Western movie. Arizona? [ …] ’Cause that looks a lot like a cowboy coming down that hill over there…“); doch bald entpuppt sich der vermeintliche Cowboy als anderweitig vertraute Gestalt: „Santiagooooo! “ Die Figuren geraten direkt in Don Quijotes delirante Fiktion, „an old tale of brave knights, virtuous maidens, and vicious monsters“. „Doesn’t he die at the end? “, fragt die mitfühlende Tara, im Handumdrehen als Dulcinea gecastet, und kommt rechtzeitig auf den alle Beteiligten erlösenden Gedanken, den „deluded old man“ einfach nach Hause zu schicken. Erleichtert ruft der Ritter von nicht mehr ganz so trister Gestalt nach seinem Ross: „Rocinante! We have a new quest! “… und schon findet sich das Buffy-Team durch „a blur of confusing images and stories“ in sein Ausgangsuniversum retour katapultiert. Lange dauert es nicht, bis der Zauber erneut zuschlägt und die Protagonist*innen in „Book The Second: In Which Nobody Gets Murdered“ zur nächsten literarischen Zeitreise starten, diesmal ins St.- Petersburg des 19.- Jahrhunderts („[…] we’re probably in Tolstoy or Dostoevsky […]“). Allerdings sprechen in der Haupt- 83 stadt des russischen Imperiums seltsamerweise alle Englisch: „Well, obviously I only carry the English translations.“ Ebenfalls auf Englisch liefert ein Vodka-affiner Herr, der Giles - in Ermangelung von „19th-century Russian currency“ vergeblich - um „just a few kopeks for something to drink“ anbettelt, den ersten Hinweis, in „which novel exactly“ man sich aktuell bewegt: „Marmeladov. That means we are in Crime And Punishment.“ Dieses Kapitel ist das Herzstück der Fic; im zitierten Podcast reflektiert beer_good seine Relation zu Dostoevskij, einem seiner „favorite writers“, dessen Konservatismus ihn zugleich irritiert, und speziell zu Verbrechen und Strafe, ambivalenter ‚Lieblingsroman‘: Als „my little revenge on it“ entfaltet sich auch diese Meta-Fic zwischen Hommage und Rebellion. Nach ihrem Spanien-Trip ahnen die unfreiwilligen Russland- Touristen schon, dass sie auch hier in den Verlauf der Geschichte positiv eingreifen müssen: „I suppose… we have to stop Raskolnikov from committing murder“, spekuliert Giles. Die Adresse ist bekannt, das Raskol’nikov-Haus befindet sich an der Ecke Graždanskaja ulica und Stoljarnyj pereulok; die Figuren brechen dorthin auf, kommen jedoch nur langsam voran, da Dostoevskij es mit den deskriptiven Details übertreibt und ihnen unterwegs allerlei redselige „characters who wanted to share their life stories“ begegnen. Endlich vor der Behausung des russischen Bettelstudenten angelangt, vernehmen sie zu Giles’ Verwunderung („Funny, I could have sworn he killed her in her flat, but -“) hinter der Tür verdächtiges Stöhnen: Sind sie womöglich schon zu spät dran? Nein: in flagranti überraschen sie Dostoevskijs Helden und Buffys Slayer-Kollegin Faith. beer_good kommentiert (19.08.2018), er habe sich seit Jahren gewünscht, dieses Pairing zu schreiben, und weist darauf hin, wie ähnlich beider Geschichten seien, Buffy- Autor Joss Whedon habe sich wohl - wie „quite a few writers“, so Giles - recht „freely“ bei Dostoevskij bedient. 84 Eilig macht sich Xander daran, dem „skinny Russian“ seine Moralpredigt zu halten: „[…] game’s up, axe boy. We’re not going to let you kill her.“ Allein: „Kill who? “ Wie sich herausstellt, ist dieser noch gar nicht auf die mörderische Idee gekommen; „but now that you mention it…“, ist er davon durchaus angetan. Rasch steigert sich der „master orator“ („Yeah, he was doing that when I showed up“) unter Variation von Raskol’nikovs Aufsatz „Über das Verbrechen“ in rhetorische Rage hinein: „Would a Mohammed let himself be hindered by an accident of lowly birth? Would Napoleon say ‚Oh, I cannot become emperor, it’s against the law‘? No! […] They did not stop short of bloodshed, and they were right not to! […] OW! “ Mit nicht so sanfter Gewalt gelingt es den Gästen aus der Zukunft, ihn von seinem Projekt wieder abzubringen: „Right then, um, Rodion Romanovich. Are we agreed? Killing is wrong? “ Darauf stößt die kleine Gesellschaft mit billigem Vodka an: Mission erfüllt, ein weiteres Mal geht es im metaleptischen Wirbel einer „myriad of pictures“ zurück nach Sunnydale. Dort harrt eine noch größere Herausforderung. „Someone must have been telling lies about the Scoobies […]“: Die nächste Bücherfalle, die in „Book The Third: In Which There Is No Justice“ in der Magic Box transparent zitationell zuschnappt, ist Der Prozess, ein Werk, das der Autor im Podcast nur scheinbar paradox als „very dark and hopeless, but hilarious“ beschreibt. Diesmal reisen die Figuren nicht in Kafkas Welt, sondern der Prozess kommt zu ihnen, in Gestalt zweier Polizisten, die sie über ihre Verhaftung informieren; ebenso wenig wie Josef K. erfahren „Miss S.“ und ihre Gang, wessen sie angeklagt sind. Warum aber nach „early 17th century Spain“ und dem zaristischen Russland nun vor Ort in Sunnydale? Möglicherweise ein Zeichen, „that The Trial is such a vague and still very relevant work that its setting isn’t very important“, wie Giles die universelle Aktualität des Romans reflektiert. Hier bietet sich im Gegensatz zum Quijote und zu Dostoevskijs Werk keine einfache Lösung: „I’m afraid it’s not as easy as that“, entgegnet 85 er, als Willow vorschlägt, doch „this Joseph guy“ zu finden, ihm „a happy ending“ zu verschaffen, „and problem solved“. Freilich: „You see, there is no happy ending in The Trial. That’s pretty much the point of it […].“ Wenig erfreuliche Aussichten auch für die kalifornischen Wiedergänger des Josef K.; schon beginnt die zu ihrer Verteidigung abbeorderte Advokatin Lilah Morgan von Wolfram & Hart mit einem krokodilesken „look of gleeful anticipation that sent shivers down their spines“ in einem Aktenstapel zu blättern. Der einzige Ausweg ist riskant; wenn die Figuren den Zauber lösen, können sie dem Prozess voraussichtlich entkommen, aber u.-U. brechen dafür, wie Tara warnt, alle anderen in der Magic Box versammelten Werke simultan über sie herein: „At least up to postmodernism. We might be safe after that.“ Mangels Alternativen wagen sie einen Versuch - und siehe da, das Manöver gelingt. Es folgt eine intertextuelle Explosion voller „little quick crossovers“, mit der beer_good die Leserin zum Literatur-Quiz lädt: Giles wasn’t much help; having decided the situation required a cup of tea, he made the mistake of dipping a madeleine cookie into it and then sat motionless for hours, lost in memories - which was probably for the best, since it meant that only Dawn had to suffer through Jay Gatsby bragging at length about how much more impressive his own library was. Willow, who had been secretly nursing a geeky hope that the boat she suddenly found herself on would be taking her to the Shire, was dismayed to find herself heading up the Congo instead to find Mr Kurtz. Anya lost herself in a long stream-of-cons[c]iousness monologue about sex, which would probably have embarrassed Xander if he hadn’t been distracted by the icky - and ultimately very gratifying - situation of catching Humbert Humbert making a pass at Dawn and beating the crap out of him. Tara was nearly driven insane by a band of lunatics including an infernal-looking man in a tall hat, a talking cat, and a very naked woman. Meanwhile, Buffy lay in a trench, ducking gunfire and watching for butterflies. 86 In einem Feuerwerk romanesker Referenzen alludiert beer_good hier auf Proust (es ist ein Stück in Lindenblütentee getauchtes Madeleine-Gebäck, das in Band-1 der Recherche die erste Schlüsselerfahrung des Protagonisten und Erzählers Marcel mit der mémoire involontaire triggert), F. Scott Fitzgeralds The Great Gatsby, J.-R.-R. Tolkien, Joseph Conrads Heart of Darkness und Joyces Ulysses. Humbert Humbert schleicht sich natürlich aus Vladimir Nabokovs Lolita herbei, in der folgenden „band of lunatics“ sind unschwer Volands diabolischer Gehilfe Azazello, der sprechende Riesenkater Begemot und die Titelheldin aus Bulgakovs Master i Margarita zu erkennen. Buffy schließlich hat es in Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues verschlagen; das Schicksal des Protagonisten, der, in seinem patriotischen Eifer längst desillusioniert, aus dem Schützengraben einen Schmetterling beobachtet und dabei erschossen wird, bleibt Buffy erspart: „Eventually, the magic dissipated and everything started returning to normal.“ Am Ende steht eine deklarierte „bad HP fanfic“, in der es dem Autor darum ging, „everything as badly as I could“ zu schreiben; beer_good reflektiert die spezifische Schwierigkeit, „something well badly“ auf Papier bzw. den Bildschirm zu bringen. In diesem „Epilogue: In Which Scotland Is A Silly Place“ werden allerlei typische Potterfic-Sünden parodiert, darunter „misspelling“ („Um… Giels? Why am I mispelt? “, rätselt „Zander“), „out of character or too much in character“, eindimensionale Figurenkonzeption („Good lord. I’m… a completly onedimensional parody of myself “, entsetzt sich Giles), „epithets“ („The impossibly beautiful yet tragically flawed Janice […]“), falsche Wortwahl („‚But that’s inconcievable‘, Giels ejaculated“), interkulturelle Indifferenz („Janice was […] running towards them, dressed in something that looked like an English school uniform, because Scotland is in England […]“), Self-Insert („I’m Hermione! “), last but not least, Drarry-Slash. 87 Doch „why the fuck would we go to Scotland“, der Zauber betrifft ja nur in der Magic Box disponible Literatur (und, so Giles, „[…] I wouldn’t sell that Scottish woman’s books if you paid me to“)? Wie beer_good erklärt, gehören mit Willow und Dawn mindestens zwei „Buffy characters“ dem Potter-Fandom an - in der Tat gesteht letztere schließlich, dass sie zwar keine eigene Fic („As if I can’t spell any better than…“), aber einschlägiges Beta-Material in ihrem Rucksack dabeihatte. „… betaing the world“: Fanfiction als Lebensphilosophie? (Conclusio) Shelf Life funktioniert als poetologische Parabel und zugleich Parodie auf das Projekt Fanfiction, samt spielerischer Konfrontation zwischen Klassik und Populärkultur. Buffy & Co., Held*innen einer Fülle von Fics (rund 50-700 auf FFN per November 2020, an die 31- 000 auf AO3), agieren hier selbst als Ko-Autor*innen, die keine Scheu haben, in klassische Texte einzugreifen, und den textexternen Leser*innen Sinn und fröhliche Sinnlosigkeit dieses ihres Unterfangens demonstrieren. Immer wieder aufs Neue machen sich Millionen Fanfic-Writer daran, Welt erzählend zu modifizieren, ein Stück weit zu reparieren oder auch in anti-kanonischer Rebellion zu demontieren; versehentlich in diversen Klassikern gefangen, schaffen die Figuren den Ausbruch, indem sie die respektiven Texte kreativ transformieren: Ihre erste Mission, den jeweiligen Plot ins Positive zu wenden, Don Quijote das Leben oder Raskol’nikov kanonkonträr vor Verbrechen und Strafe zu retten, ist für das Genre ebenso typisch wie die am Ende des Kafka-Kapitels explosiv multiplizierte Intertextualität und der in der finalen Badfic ins parodistische Extrem getriebene Metadiskurs. Ganz zum Schluss drückt Willow der treuen Potter-Beta-Leserin Dawn einen roten Stift in die Hand: „As Dwan sighed, grabbed the 88 pen and started betaing the world (How does she do that, exactly? Show, don’t tell), Willow turned to Terra-Tara. ‚Now who’s quirky, hmmm? ‘“ Mit diesem „betaing the world“, der wohlwollendkritischen Korrekturlektüre einer nur allzu defizitären Welt, bevor diese definitiv online geht, gewinnt beer_goods Meta-Crack-Fic --und vielleicht das Phänomen Fanfiction überhaupt-- nun freilich schon eine philosophische, ja geradezu poeto-theologische Dimension. Fiawol, wie es im Fanjargon heißt: Fandom Is a Way of Life… 89 Quellenverzeichnis Anderson Howell, K. (2018): Invitation. Remix Pedagogy in the Fandom Classroom. In: Dies. (Ed.): Fandom as Classroom Practice. A Teaching Guide. Iowa. 1-16. Aragon, C./ K. Davis (2019): Writers in the Secret Garden. Fanfiction, Youth, and New Forms of Mentoring. Cambridge, MA/ London. Auroux, S. (1990): Barbarie et philosophie. Paris. Bacon-Smith, C. (1992): Enterprising Women. Television Fandom and the Creation of Popular Myth. Philadelphia. Barthes, R. (1999): Die Lust am Text [1973]. Frankfurt a.-M. Barthes, R. 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Zitate aus fremdsprachigen Quellen wurden ggf. von der Autorin übersetzt. ISBN 978-3-89308-462-3 Mit Millionen online publizierter Texte stellt die Fan ction ein oft unterschätztes literarisches Massenphänomen unserer Zeit dar; zu einer Expedition in diese bunte Parallelwelt, in der nicht nur Harry Potter & Co., sondern auch Homer und Shakespeare, Goethe und Tolstoj, ja selbst die Bibel spielerisch fort- und umgeschrieben werden, lädt dieser neue Dialoge-Band ein. W W W . N A R R . D E