eBooks

Corona im Kontext: Zur Literaturgeschichte der Pandemie

2021
978-3-8930-8664-1
Attempto Verlag 
Martina Stemberger

Corona inspiriert weltweit eine ebenso intensive wie z. T. kontroverse literarische Produktion. Wie wird eine lange Tradition der Epi-/Pandemieliteratur im neuen gesellschaftlichen und medialen Kontext transformiert? Wie werden politische und wissenschaftliche Corona-Diskurse reflektiert? Diese Fragen werden anhand vielfältiger Beispiele aus verschiedenen Sprachen und Kulturen diskutiert.

Corona im Kontext: Zur Literaturgeschichte der Pandemie Martina Stemberger PD Dr. Martina Stemberger ist Romanistin, Slawistin und Komparatistin; sie lehrt Literatur- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Foto: Vincent Leifer Corona im Kontext: Zur Literaturgeschichte der Pandemie Martina Stemberger Corona im Kontext: Zur Literaturgeschichte der Pandemie Umschlagabbildung: Sergej Amin Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 2626-0697 ISBN 978-3-89308-464-7 (Print) ISBN 978-3-89308-664-1 (ePDF) ISBN 978-3-89308-467-8 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 5 Inhalt Intro 9 „Lesen gegen die Pest? “ Die Pandemie als literarisches Ereignis 10 „… delight and consolation“? Vom Unbehagen in der Corona-Literatur 12 Von Contagion bis Corona World: Corona-Literatur im medialen Kontext 13 Pandemie als Palimpsest: Zur Intertextualität der Corona-Literatur 15 „Nur die Pest“? Ljudmila Ulickajas Eine Seuche in der Stadt 16 „… what is this, some kind of plague? “ Lawrence Wrights The End of October 18 Vom Schwarzen Tod zum Corona-Kapitalismus: Poetik und Politik der Pandemie 20 „… the plague is timeless“? Pandemieliteratur zwischen Mythos und Medizin 22 Wider die „tyranny of contingency“? Philip Roths Nemesis 24 „From outer space! “ Corona-Literatur als Inter- und Konterdiskurs 26 Von Homer bis Corona: Epi-/ Pandemie und Religion 28 6 „Coronapocalypse“? Zur literarischen Vermessung der Pandemie 32 Zwischen Pathos und Parodie: Alberto Vázquez-Figueroas Corona-Dilogie 35 „As I begin to write these lines…“: Corona in Diaristik und Chronistik 37 „Dokumentieren ist das Einzige, was wir tun können“: Fang Fangs Wuhan Diary 38 Von Wuhan nach Westen: Ambivalenzen des Corona-Tagebuchs 41 Marie-Antoinette in der Corona-Quarantäne: Facetten einer französischen Querelle 42 Im Lockdown mit Lachesis, Gregor-&-Co.: Éric Chevillards Sine die 44 „… io. Tu. Lui, lei. Noi, loro“: Chiara Gamberales Come il mare in un bicchiere 47 „Je vous fais une lettre…“: Zur Corona-Briefliteratur 48 „Die Freiheit zu sterben“? Thea Dorns Trost 50 „What is the internet but collective memory? “ Zur digitalen Memoria einer Pandemie 51 „I can’t breathe“: Das Virus als politische Metapher 53 Die Kunst der Inter-Kontamination: Kollektives Schreiben in der Krisenzeit 54 7 „Coronameron3D“: Decameron-Variationen im digitalen Kontext 56 „The plague is out there“: The Decameron Project 59 „Man ist nun einmal betroffen von Coronen“: Mit Boccaccio nach Buchenwald 61 Eine „Reise durch die Bücher zu den Krisen und den Seuchen“: Martin Meyers Corona 65 „Writing now doesn’t matter anymore…“: Corona-Literatur als Metaliteratur 67 „… Arztroman oder Meisterwerk? “ Wim Daniëls’ Quarantaine 68 „All manner of virulent things…“: Ali Smiths Summer 71 Corona-Comic-&-Co.: Zur Intermedialität der Pandemieliteratur 73 Ein „Covid-19 Fairytale“ zwischen Text und Tanz: Etgar Kerets „Outside“ 75 Zwischen den Sprachen und Kulturen: Zur Konfiguration einer Corona-Weltliteratur 76 „Corona Odyssee“: Reiseliteratur in Zeiten der Pandemie 79 In elf Tagen um die Corona-Welt: Alexandre Najjars La Couronne du diable 80 „What is the style of catastrophe? “ Zur Ästhetik der Pandemie (I) 82 8 „This poem will not go viral“: Zur Poesie der Pandemie 87 „The Five Stages of Epidemics“: Zur Dramatik der Pandemie 89 Eine literarische Revolution? Zur viralen Post-Corona-Postmoderne 90 Patho-Textualitäten: Zur Ästhetik der Pandemie (II) 92 „Schwarz schwarz schwarz“: Laura van der Haars Een week of vier 94 „My body’s a body bag“: Covid erzählen 96 Poetiken der Viralität: Corona im Porträt 97 Audiatur et altera pars: Inga Kuznecovas Iznanka 98 „Showing results for: coronavirus“: Die Pandemie als Google-Protokoll 100 „Je schlechter, desto besser“: Der Text als Krise, die Krise als Text 102 Corona als literarisches Genre? Provisorische Conclusio 103 Quellenverzeichnis 104 9 Intro „Es ist ja Corona nicht bloß ein Virus, sondern auch eine eigene Textgattung geworden […]“: Scherzhaft schlägt Schuh (2021) vor, Corona gleich „als Textsorte in die Maturaprüfung aufzunehmen“. Für eine literarhistorische Perspektive auf die sich als neues transversales Genre etablierende Corona-Literatur ist es aktuell zu früh; noch ist nicht einzuschätzen, wie die „post-pandemic fiction“ (Bohjalian 2020) sich entwickeln, ob „Sci-fi and Corona-Lit“ im Lauf der 2020er zu „a new genre of storytelling“ zusammenfinden werden (Bloom 2020). Und doch ist es von Interesse, schon jetzt einen Blick auf diese Literatur zu richten, die die Corona-Krise in Echtzeit zu verarbeiten versucht. Die Spanische Grippe, die ein langes Pandemic Century (Honigsbaum 2020) eröffnet, wird im Kontrast zu Corona zeitversetzt literarisiert; nachträglich markiert die „vergessene Pandemie“ (Crosby 2003) eine künstlerische „rupture as violent as the parting of the Red Sea“ (Spinney 2018: 261). Ist im Corona-Kontext, wie Elizabeth Outka vermutet, mit einem ähnlichen „shake-up of form“ (zit. Vincent 2020) zu rechnen? Läutet, wie Beigbeder (2021: 13f.) in Anbetracht einer „comme le coronavirus“ mutierenden Literatur spekuliert, die Pandemie den Beginn einer innovativen „littérature du XXI e -siècle“ ein? In diesem Sinne bietet dieser Dialoge-Band ein unweigerlich nicht exhaustives, doch repräsentatives Panorama rezenter Corona-Literatur. Wie wird eine bis in die Antike zurückreichende Tradition der Epi-/ Pandemieliteratur in einem neuen gesellschaftlichen und medialen Kontext transformiert? Wie werden politische und wissenschaftliche Corona-Diskurse, aber auch Verschwörungsnarrative reflektiert? Wie Krankheit und konkret Covid erzählen? Angesichts einer globalen und doch kulturspezifisch akzentuierten Krise werden diese Fragen anhand einer Vielfalt von Beispielen aus unterschiedlichen Sprachen und Genres 10 diskutiert, vom parodistischen Lockdown-Tagebuch aus Frankreich bis zum deutschen Corona-Thriller, von US-Pandemielyrik bis zum russischen philosophischen Corona-Roman. Neben einem internationalen Bestseller wie Fang Fangs Wuhan Diary werden zahlreiche im deutschen Sprachraum noch kaum bekannte Texte präsentiert; über Europa, die USA und Kanada hinaus kommen Autor*innen u.- a. aus Lateinamerika, China und Indien, Israel und dem Libanon zu Wort. Neben individuellen Werken werden literarische Kollektivprojekte - so eine Auswahl seit Frühjahr 2020 florierender Decameron-Variationen - vorgestellt. „Lesen gegen die Pest? “ Die Pandemie als literarisches Ereignis Von Anfang an erscheint die Corona-Pandemie auch als literarisches Ereignis. „Lisez […]“, empfiehlt Emmanuel Macron in seiner von 35- Millionen französischen TV-Zuschauer*innen verfolgten Ansprache vom 16.- März 2020. Ein weiteres Mal bewährt sich „Lezen tegen de pest“ (Jan Baetens, KUL) als Krisenbewältigungsstrategie, ist doch alles schon „dans les livres“, so François-Henri Désérable (TC 46-50); Jacques Drillon schlägt eine Runde Applaus für „Alexandre Dumas, Charles Baudelaire et Marcel Proust“ vor (TC 519). Von ihrer Rettung „par les livres“ berichtet auch die Laienleserschaft (Kronlund 2020b). Zwischen „Your Quarantine Reader“ (The New York Times), „Coronavirus: de Sophocle à Stephen King […]“ (France Info) und „The 20-Best Pandemic Movies, Books, Docs And Games […]“ (Esquire) ist für jede*n etwas dabei; nicht nur in der Literatur manifestiert sich die krisenbedingt gesteigerte „Fiktionsbedürftigkeit“ des Menschen (Iser 1993: 16). Eifrig wiederentdeckt wird die Epidemieklassik, allen voran „Boccaccio, Defoe, García Márquez, the usual suspects“ (Carlos 11 Fonseca, Stars 378). „Camus versus Garcia Marquez“, ruft L’ Express zum „match littéraire“ (Payot 2020) - als Sieger geht der Autor der Pest (1947) hervor. Albert Camus’ Parabel wird zum internationalen Corona-Bestseller; Hype, der ikonoklastische Konterpositionen provoziert: „Ich mag Camus nicht“, proklamiert Emmanuel de Waresquiel (Dupont 2020), während Mario Vargas Llosa La Peste zum „mediocre book“ erklärt (Stars 33). Insgesamt wird ein traditioneller Kanon reaffirmiert, aber auch um Epi-/ Pandemietexte aus nationalen Corpora erweitert. Dazu kommt die einschlägige Populärliteratur: Der Vergleich mit Stephen Kings The Stand (1978) macht immerhin sicher, dass Corona „no Captain Trips“ ist (Yoss, Stars 421); schon am 8.-März 2020 stellt der Erfinder des fiktiven Influenza-Supervirus via Twitter klar: „No, coronavirus is NOT like THE STAND. […] Keep calm and take all reasonable precautions.“ Gegen die neue ‚Pest‘ wird nicht nur gelesen, sondern auch geschrieben: Auf der Laienebene schlägt die Stunde der „écriture thérapie“ (Mourgues 2021); nach freilich schwer verifizierbaren Angaben greift während des Lockdowns „[u]n Français sur dix“ zur Feder bzw. Tastatur (Gary 2020). Einen „big spike in submissions“ bestätigt Literaturagentin Juliet Mushens (zit. Vincent 2020); in Indien kommen in kurzer Zeit Hunderte von Corona- Werken, oft von „first-time writers“, auf den Markt (Sharma 2020). Sogar Selbstverlagsanbieter wie Kobo schreiten notgedrungen zur ‚Triage‘ (Gariépy 2020). Abseits editorialer Zwänge favorisieren niedrigschwellige digitale Formate eine Explosion von „usercreated media content“ (Foss 2020): „En attendant, écrivons“, lädt Matthieu Corpataux auf Facebook ein; der Corona-Boom von Online-Fanfiction bringt Portale an ihre technischen Grenzen (Stemberger 2021: 30f.). Zwischen Lady-Macbeth-Handwasch- Meme, #amoreaitempidelcoronavirus oder auch Twitter-„coronamerone“ sind es die sozialen Medien, über die Klassik in die Breitenkultur diffundiert. 12 Als erste weltweite „catastrophe that is experienced online“ (Fonseca, Stars 378) aktualisiert die „Skype Pandemic“ (Zoglin 2020) Potential wie Paradoxa digitaler Demokratizität. Zwar wird auch so manches professionelle Corona-Opus - von Fang Fangs Wuhan Diary bis zu Marlene Streeruwitz’ „Covid-19-Roman“ So ist die Welt geworden - zunächst online publiziert; zugleich werden die Exzesse einer „geschwätzigen“ Pandemie (Le Goff 2021: 11f.) beklagt: „Das ist der Nachteil der digitalen Technologie, […] dass jeder zu allem seine Meinung äußern kann, und bevorzugt zu dem, was er nicht kennt“, ironisiert Régis Debray (TC 320). Vor dem Hintergrund einer für Krisenzeiten charakteristischen Expansion des literarischen Feldes (Ribeiro 2020: 388) stellt sich zwischen Verteidigung künstlerischer Autonomie und Revendikation gesellschaftlicher Relevanz die Frage nach Status und Funktion der Literatur mit neuer Virulenz. „… delight and consolation“? Vom Unbehagen in der Corona-Literatur Quer durch die Genres frappiert ein gewisses Unbehagen in der Corona-Literatur, samt Kritik einer Instant-Diskursproduktion, die an ebendieser partizipiert. Vorwurfsvoll wird daran erinnert, dass Daniel Defoes die Londoner Pest 1665 dokumentierendes Journal of the Plague Year erst 1722 erscheint; auch Orhan Pamuk hatte bei der Redaktion seines Romans Veba Geceleri („Pestnächte“, 2021) „the good sense to let time do its work“ (Morris 2020). „So gut hätte dieses Buch sein können, wenn der Autor sich Zeit gelassen hätte“, bemerkt Truijens (2020) zu Daan Heerma van Voss’ Coronakronieken; freilich sei deren Aktualität „auch etwas wert“. Mitten aus dem Geschehen heraus erzählt Kike Mateu seine Geschichte als Paciente cero (2020); aus der Position eines auch physisch involvierten „spectateur engagé“ analysiert Le Goff die 13 „grands discours“ einer Société malade (2021: 11). Doch insgesamt dominiert die Skepsis gegenüber einem wohlfeilen „Trend“, so Inga Kuznecova (Tolstov 2020), selbst Autorin eines Corona- Romans. In Naturkatastrophen-Metaphorik wird vor der drohenden „surproduction“ gewarnt, bevor die große „vague“ richtig startet (Gariépy 2020). Jenes Unbehagen kompensieren Strategien präventiver Selbstlegitimation: Die engagierte Widmung - so bei Sizemore (2020): „for the first responders, the high risk, and the whistle blowers“ - gehört ebenso zum Corona-Paratext wie der Hinweis auf den karitativen Zweck; in Zeiten der crise veröffentlicht auch Gallimard seine dazugehörigen Tracts digital kostenlos. V.-a. in der populären Domäne sind Gesundheitswünsche Usus: „Bleiben oder werden Sie gesund! “, richten der Leserschaft Sund/ Biel (2020: 264) aus, die mit ihrem „ANTI-MIKROBIELL“ präparierten Cover ein kurioses Exempel pandemischer Paratextualität bieten. Über derlei Gesten hinaus stellt sich die komplexere Frage, was diese Echtzeit-Krisenliteratur leisten kann, will und soll. „Hoffnung verbreiten“, „unterhalten und […] Mut machen“ möchte das zitierte Corona-Ende (ibid.: 6); auf delectare et prodesse - „delight and consolation“, aber auch Reflexion der „true […] story“ - setzt das Decameron Project der New York Times (DP IX, XV). Jenem „Mangel an Vorstellungskraft“, der sich hinter „fehlende[r] Solidarität“ verbirgt (Giordano 2020: 40), gilt es auf dem Weg der Literatur beizukommen, spielerische Schule anti-egozentrischer Imagination. Von Contagion bis Corona World: Corona-Literatur im medialen Kontext „We ‚imagine‘ this kind of disaster all the time […]“, gibt Yu (2020) zu bedenken. Aus pandemischem Anlass wird die Relation zwischen Realität und Fiktion neu verhandelt: Signifikant der Fall 14 von Peter Mays Thriller Lockdown, 2005 als „extremely unrealistic“ abgelehnt, im Frühjahr 2020 eilig nachgereicht (zit.-Elassar 2020). „Für mich ist die Science-Fiction am Ende, alles, was man sich nach dieser Pandemie vorstellt, wird zu wenig sein“, befürchtet Rafael Gumucio (zit. Espinoza 2020). Und doch sind es entsprechende Fiktionen, die einen „frame of reference“ (Ma 2018: 29), nur scheinbar paradoxen „comfort“ stiften (Vincent 2020); in der Tat verbessert filmische „Pandemic practice“ individuelle Krisenresilienz (Scrivner/ Johnson et al. 2021). Der Literatur ist diese Einsicht nicht neu: Seine „disaster preparedness“ verdankt Emily St.-John Mandels Protagonist allerlei „action movies“ (2015: 21). Ein Film wie Wolfgang Petersens Outbreak (1995) wird als Medium populärer Bewusstseinsbildung valorisiert, ob drohender „apocalypse fatigue“ kontroverse Strategie (Spinney 2018: 282). Trotz SARS und Ebola habe man sämtliche „serious preparations“ vernachlässigt, so Žižek: „the only place we dealt with them was in apocalyptic movies like Contagion“ (2020: 64). Eben Steven Soderberghs u.- a. von SARS und der Influenzapandemie 2009 inspirierter Film (2011) wird im Coronajahr 2020 zum Bestseller. Bereits die Prä-Corona-Epi-/ Pandemieliteratur reflektiert nicht nur filmische Fiktion: Mit „a near-religious fervor“ lässt Ling Ma ihren Antihelden „every iteration of Warcraft“ spielen. „Just in case the apocalypse happened? “, erkundigt sich eine Ko-Überlebende: „For when the apocalypse happened“, korrigiert der WoW-Fan (2018: 4f.). Von der Corona-Krise profitiert Plague Inc. (2012): Zunächst explodieren die Downloadzahlen in China; Ndemic Creations warnt indes davor, das Videospiel mit der Realität zu verwechseln: „We would always recommend that players get their information directly from local and global health authorities.“ Ende Februar 2020 wird Plague Inc. in China verboten, während es den US-Centers for Disease Control and Prevention als legitimes Vehikel popularisierter „serious public health topics“ gilt (Khan 2013). Angesichts der aktuellen Pandemie setzt die Produktions- 15 firma mit The Cure (2020) auf ein PR-trächtiges Konterprogramm. Nicht überraschend nutzt dieses Genre, das virtuell kathartische Kontrolle bietet, schon die frühe Corona-Fiktion: Zum Kampf mit SARS-CoV-2 lädt Fauci’s Revenge; Corona World schickt eine Krankenschwester als neue Superheldin los. Auf ironische Computerspielästhetik setzt die Punkrock-Band ZSK mit ihrem Clip „Ich habe Besseres zu tun“, Hommage an den Star-Virologen der Charité. Pandemie als Palimpsest: Zur Intertextualität der Corona-Literatur Zwischen Klassik, SF, Kino und Computerspiel entfaltet sich die moderne Epi-/ Pandemieliteratur bereits vor Corona in einem dichten intertextuellen Spannungsfeld. Camus lässt seinen Erzähler eine lange Kulturgeschichte der Seuche rekapitulieren, darunter die „peste de Constantinople“ (2020: 51), die Prokopios von Caesarea dokumentiert; sein eigener Roman wird zur Quelle einer veritablen Contagion des imaginaires (Palud 2014). Mit gesteigerter Gewalt fegt der gefürchtete Wind von Oran (Camus 2020: 195f.) durch Fabien Clouettes Novelle Une épidémie (2013), fantomatisches Text-„labyrinthe“ (2017: 80); wie bei Camus gilt: „L’épidémie n’est pas finie […]“ (ibid.: 63) - hier knüpft die Corona-Literatur an. Erik Eising führt den aus Lutz Seilers Kruso (2014) entkommenen „Herr[n] Bendler“ mit „Herr[n] Doktor Rieux“ zusammen, der von einem „ähnlichen Fall in Oran“ zu berichten weiß, „schlimmer eigentlich“, da „die Pest und das Coronavirus“ dann doch „zwei völlig verschiedene Dinge“ sind (2021: 35-37). In illustrer Runde wird die Verortung der Pandemie diskutiert, bevor dem immer stärker hustenden Rieux Covid zum Verhängnis wird (71-73). Und dennoch erlebt Camus’ Held eine multiple Corona-Auferstehung - ebenso sein Schöpfer selbst. 16 „Camus könnte das, wenn er nicht schon Die Pest geschrieben hätte“, so Kuznecova auf die Frage, welchem kanonischen Autor ein Corona-Roman zuzutrauen wäre (Tolstov 2020). Diverse Pandemienarrative werden ‚prophetisch‘ recodiert: So Dean Koontz’ Thriller The Eyes of Darkness (1981) - nur dass das fatale Coronavirus namens „Wuhan 400“ in der Kalte-Kriegs-Erstfassung noch „Gorki 400“ hieß (Brunfaut 2020); einen Corona-„Tsunami“ schildert Deon Meyers Koors (2016) bzw. Fever (2017). „Prophetic Israeli sci-fi novel […] predicted current pandemic“ (Bloom 2020), nämlich Hamutal Shabtais 2020 (1997); rückwirkend wird Aleksej Sal’nikovs Petrovy v grippe i vokrug nego („Die Petrovs in der Grippe und rundherum“, 2017) zum „[e]rsten Roman über das Coronavirus“ erklärt (Smirnov 2020). Erst recht durch das Corona- Prisma rezipiert werden 2020 veröffentlichte themenverwandte Texte, Xabi Molias Des jours sauvages mit seinem Influenzaplot wie Sébastien Spitzers Roman La Fièvre, der die Gelbfieberepidemie in Memphis 1878 literarisiert. „Nur die Pest“? Ljudmila Ulickajas Eine Seuche in der Stadt Aufschlussreich ist die zeitversetzte Rezeption von Ljudmila Ulickajas Eine Seuche in der Stadt (Čuma, ili OOI v gorode), vor mehr als vier Jahrzehnten verfasst, im Frühjahr 2020 publiziert. Ulickaja selbst etabliert die Verbindung zur Pest; fungiert bei Camus die Epidemie als Metapher für den Nationalsozialismus, wird das historische Seuchensujet hier rekontextualisiert. Rasch bestätigt sich der „Verdacht auf Pest“ (2021: 34) bei einem Mikrobiologen, der in der stalinistischen Sowjetunion unter politischem Hochdruck (ebendieser provoziert den fatalen Laborunfall) an einem Vakzin forscht. Mit seiner behördlich angeordneten Dienstreise schleppt Rudolf Mayer die ‚Seuche in die Stadt‘; kurz nach seiner Ankunft 17 in Moskau stirbt er an Lungenpest. „Wenn keine außerordentlichen Maßnahmen ergriffen werden, besteht die Gefahr einer Epidemie“ (35f.): Dafür steht in der UdSSR des Jahres 1939 ein seinerseits außerordentlicher Organismus zur Verfügung - der Geheimdienst NKVD, der sofort seine „Schwarze[n] Raben“ (d.-h. Häftlingstransporter) ausschickt (45). „Vermutlich war dies das einzige Mal in der Geschichte dieser brutalen und rücksichtslosen Organisation, dass sie dem Wohl ihres Volkes diente […]“, wie Ulickaja kommentiert (107). Die doppelte Brisanz des Plots ist klar: Für Valerij Frid, bei dem Ulickaja sich mit ihrem Szenario bewirbt, ist vor dem Hintergrund seiner eigenen Lagervergangenheit die positive Rolle des NKVD inakzeptabel; heute wirft der Text die heikle Frage nach den Vorteilen eines um demokratische Grundrechte unbesorgten Pandemiemanagements auf, immerhin „hat uns China ja vorgeführt, um wie viel besser ein autoritäres System auf eine solche Krise reagieren kann“ (Zeillinger 2021). Ulickaja stellt sich diesen Ambivalenzen: Die „Operation Seuche“ (2021: 93) vollzieht sich im Schatten jenes „Sehr Mächtigen Mann[es] mit georgischem Akzent“, der eine ebenso groteske wie gefährliche Figur abgibt; so in einer Szene, da der zuständige Volkskommissar dem historisch ahnungslosen Diktator die drohende „Katastrophe“ unter Verweis auf den Schwarzen Tod zu erklären versucht (42f.). Dabei verharmlost Ulickaja das Sujet keinesfalls zur bloß amüsanten Politparodie. Ein gewisser Oberst Pawljuk, der aus anderem Anlass abgeholt zu werden glaubt, erschießt sich in seinem Arbeitszimmer, nachdem er ein Schreiben „An den Genossen Stalin“ auf dem Tisch deponiert hat (54); in den finalen Triumph, der bei dröhnender Marschmusik „[a]lle Helden unserer Geschichte“ vorm Krankenhaustor versammelt, mischen sich strategische Misstöne, als ein Genosse aus nonsanitären Gründen erneut mitgenommen wird… während die Frau eines quarantänisierten Arztes zu ihrer Erleichterung erfährt, dass es „Nur die Pest! “ war: „Und ich dachte…“ (101). 18 „Schlimmer als die Pest“, betitelt Ulickaja ihr Nachwort; angesichts der „Wechselwirkungen“ zwischen der „Grausamkeit der Natur“ und jener von „Machtapparaten“ kommt sie zur Conclusio, dass die Pest „nicht das schlimmste Unglück für die Menschheit“ sei - und schließt mit der Hoffnung auf eine Post-Corona-Reform des „politische[n] Weltsystem[s]“ (107-111). „… what is this, some kind of plague? “ Lawrence Wrights The End of October Eine vermeintlich moderne „kind of plague“ schildert Lawrence Wright (2020a: 103) in seinem Roman The End of October, der, im Corona-Frühjahr 2020 veröffentlicht, paradigmatisch einige Tendenzen zeitgenössischer Epi-/ Pandemieliteratur illustriert. Schon mit seinen Motti aus Defoes Journal und Camus’ Pest knüpft Wright an die große Tradition an; der Plot setzt mit dem Ausbruch einer „mysterious disease“ in einem indonesischen Lager ein (39). Seit Jahren beschäftigt den Protagonisten die Angst vor einer neuen „Pest“ (43); das eklektisch exotisierte „Kongoli“-Virus erweist sich als „the greatest plague humanity has ever known“ (208). Unter Appell an alle fünf Sinne schildert Wright Krankheit und Tod: Via Bildschirm verfolgt Henrys WHO-Kollegenschaft (und die Leserin) die improvisierte Autopsie der „Blue Lady“ (12), trotz Zyanose attraktive junge MSF-Ärztin. Der Authentizitätseffekt des Romans, „[s]o believably horrifying“ (Green 2020), verdankt sich auch der zeithistorischen Kontextualisierung. Alle ‚Mächte des Bösen‘ lässt der Autor aus nur punktuell kritisch relativierter US-Sicht aufmarschieren, an der Spitze „Big bad Vlad“ (ibid.), als „killer“ und Stalin-Wiedergänger demaskiert (Wright 2020a: 39, 341). Dahinter versammelt sich der restliche „wolf pack“: „Iran. China. North Korea. […] Now they’re ganging up“ (315). Angefangen mit der indonesischen Gesundheits- 19 ministerin, „cold-eyed apparatchik“ im Hijab (16), wird mit einer islamischen Gegnerschaft abgerechnet; nachdem die Inhaftierung HIV-infizierter Homosexueller den Nährboden für das Killervirus geboten hat, wird ein Mekka-Pilger zum internationalen Superspreader. Generell ist Religion „one of the few things Henry actually feared“ (63): Über seinen Helden, der von seiner Frühkindheit in der Jonestown-Sekte irreversible Rachitisschäden davongetragen und beide Eltern im Massaker von November 1978 verloren hat, situiert Wright seinen Plot in einem Spannungsfeld zwischen Glauben und Wissenschaft. „Suppose it’s not new. Suppose it’s old - really old“: Beim Gegencheck mit einer Datenbank von „archaic viruses“ wird Henrys Team fündig; das dem russischen Feind zugeschriebene Projekt „to make something very old new again“ besitzt auch eine poetologische Dimension (352f.). Dass die Pandemie klimawandelbedingt zoonotischen Ursprungs war, stellt sich zu spät heraus; zwischen Influenza, Cyberattacken und „[c]onspiracy theories competing with actual conspiracies“ (304) ist die globale Lage schon zur „apocalypse“ (349) eskaliert. Mit Blick auf die offene Zeitlichkeit der frühen Corona-Literatur ist Wrights Spiel mit Gattungskonventionen von Interesse. Bei aller Klischeetreue bietet der Roman kein Happy End; jene unvollendete Mail, die die MSF- Ärztin als „ongoing testament“ verfasst, reflektiert die Gesamtstruktur eines Textes, der sich auf ein nicht mehr detailliertes Desaster hin öffnet: „Why did-/ The email ended there […]“ (23f.). Henry wird das medizinische „puzzle“ (45) zwar gelöst und unter abenteuerlichen Bedingungen ein Vakzin kreiert haben; doch behält er Recht mit seiner Ahnung, „that the ongoing war against disease would inevitably be lost“ (355). Als mehrfach ausgezeichneter Journalist fiktionalisiert Wright, dessen Roman den propagandistischen Mehrwert pandemischer Belletristik illustriert, wiederholt eigene Reportagen (Green 2020). Auch das Influenzasujet wandert über Genregrenzen hinweg: Die 20 Idee, so der Autor, verdanke er dem Filmproduzenten Ridley Scott; das Szenario entwickelt sich als wie „any other journalistic assignment“ in Angriff genommener Roman fort (Marcus 2020). Seine vermeintliche „prophecy“ sei in Wahrheit „the fruit of research“, betont Wright (2020b). In seinen Text integriert er epidemiehistorische Digressionen von der Justinianischen Pest bis Ebola; seinem angesichts der neuen Krankheit u.- a. in Richtung eines „coronavirus like SARS or MERS“ spekulierenden Protagonisten (2020a: 30) legt er eine Hommage an den realen „Dr.-Carlo Urbani“ in den Mund, der 2003 die Welt vor „a major pandemic“ bewahrt (53f.). Wie Defoe (1995), der sein Werk als „caution and warning“ präsentiert, betrachtet Wright seinen Roman als „wakeup call“ (zit. Marcus 2020). Mit The Plague Year. America in the Time of Covid (2021) wechselt er retour ins journalistische Genre; freilich wird so mancher romaneske Topos recycelt, der Konnex zwischen Influenza-Fiktion und Corona-Dokumentation etabliert. Vom Schwarzen Tod zum Corona-Kapitalismus: Poetik und Politik der Pandemie Wrights Roman umreißt das Terrain, auf dem sich die Corona- Literatur entfaltet; bis in die Gegenwart werden über die Epi-/ Pandemiethematik politische Problematiken verhandelt. Selbst in einem nuancierten Text wie Mandels Station Eleven (2014) verbreitet sich die tödliche „Georgia Flu“ von Moskau aus, wobei die Reaktion georgischer und russischer Behörden, „somewhat less than transparent“, die Katastrophe begünstigt (2015: 21); brachialer operiert Robin Cook in seinem „Medical Thriller“ Pandemic (2018): Der Sohn eines chinesischen Milliardärs, der sein Business in die USA verlagert, rächt sich via Sabotage des väterlichen Biotechprojekts. In diesem globalen Kontext situiert sich auch Ling Mas Severance (2018), 2021 als New York Ghost in deutscher Über- 21 setzung publiziert. Hier ist es eine rätselhafte „fungal infection“ (19), deren Einschätzung zunächst schwerfällt: „Either Shen Fever was no bigger an issue than the West Nile virus, or it was on the level of the Black Plague“ (215). Von frühen, z.-T. direkt Coronaaktualisierten Symptomen wie „memory lapse, headaches […] shortness of breath, and fatigue“ führt das Fieber zu „a fatal loss of consciousness“ (19); zombifizierte „creatures of habit“, wiederholen die Kranken bis zum Tod sinnentleerte „old routines“ (28), gefangen in einem „infinite loop“ (62). Jenes „fever of repetition“ (62) karikiert die Deformation des wohlkonditionierten kapitalistischen Subjekts; im verwüsteten New York filmt die Erzählerin eine erkrankte Verkäuferin, die, allein im Shop, ihre jahrelang eingeübten Gesten fortsetzt: „She was clearly good at her job […]“ (258). Zugleich emblematisiert die Epidemie eine auf neokolonialer Exploitation beruhende Ökonomie: Protagonistin Candace, als „New York Ghost“ ihrer chinesischen Kindheit entfremdet, ist für einen US-Medienkonzern mit dem fantomatischen Namen „Spectra“ tätig; dort zeichnet sie für die „manufacture of books“ --konkret Bibeln - „in third-world countries“ (11) verantwortlich, die unter Missachtung der elementarsten Arbeiterrechte vonstattengeht. Aus den chinesischen „manufacturing areas“ mit ihren sozial wie ökologisch desaströsen „factory conditions“ wird das Fieber - so die dominante These - in die USA (re-)importiert (210). Auch an diesen kapitalismuskritischen Strang moderner Epidemieliteratur knüpft der Diskurs zur Corona-Pandemie an: „Corona-Kapitalismus“ wie „Corona-Nationalismus“ analysiert Bertz (Ed. 2021), während die Initiative ZeroCovid den „kapitalistischen Seuchenstaat“ attackiert (Klein 2021). Dergleichen Reflexionen weisen weit zurück in der Literaturgeschichte: Boccaccio, der seinen Epidemieflüchtlingen einen luxuriösen Landsitz bietet, geistert durch Žižeks Plädoyer für einen neuen Krisenkommunismus (2020: 77). Defoe (1995) schildert, wie im Pestjahr 1665 „the richer sort of people“ eilig London verlässt, ungeachtet der „unhappy 22 condition of those that would be left in it“; zugleich meditiert sein Erzähler über die egalitäre Dimension der Seuche, die „poor and rich“ Seite an Seite „into the common grave of mankind“ schickt. „… the plague is timeless“? Pandemieliteratur zwischen Mythos und Medizin „Yes the plague is timeless […]“ (Salcedo 2020: 147): Historisch deckt eine generische „PLAGUE“ (Shelley 2006) ein breites epidemisches Spektrum ab. Weder bei der Pest von Athen, die Thukydides im zweiten Buch seines zu Ende des 5.- Jahrhunderts v.- Chr. verfassten Peloponnesischen Krieges schildert, noch bei der Antoninischen Pest, die das Römische Reich in der zweiten Hälfte des 2.- Jahrhunderts n.- Chr. heimsucht, dürfte es sich um die Pest stricto sensu gehandelt haben; auch die mittelalterliche „pestilenza“ umfasst wahrscheinlich sehr unterschiedliche Krankheiten (Eco 1975: 282). Über diesen polyvalenten Begriff wird eine lange Tradition aktualisiert, die die Funktion von Literatur als Archiv auch der Wissens- und Wissenschaftsgeschichte illustriert. Seit der Antike entfalten sich Epidemieliteratur und Erudition in Interaktion: Dies gilt für Lukrez, der Thukydides’ Beschreibung der Athener Pseudo-Pest im sechsten Buch seines Lehrgedichts De rerum natura (1.-Jh. v.-Chr.) aufgreift; Girolamo Fracastoro, der mit seinem Konzept des contagium vivum die moderne Epidemiologie begründet (De contagione et contagiosis morbis et eorum curatione, 1546), versifiziert in Syphilis sive Morbus Gallicus (1530) seine medizinischen Erkenntnisse (Fabre 1998: 15, 118f.). Auf wissenschaftliche Expertise setzt auch die Populärliteratur der Gegenwart; so berät das Lilloiser Pasteur-Team Franck Thilliez bei der Kreation jener Influenzamutation, die in Pandemia (2015) das Terrain für den ultimativen bioterroristischen Coup bereitet: den versuchten Re-Start einer Pestpandemie, ausgehend von einem Pariser Kostümfest, 23 das der Attentäter in der Maskerade eines langgeschnäbelten Pestdoktors besucht. Über die Jahrhunderte liefert die Belletristik so manchen gesellschaftskritischen Kommentar. Alessandro Manzoni integriert in den zweiten Band seiner Promessi sposi eine Digression zur Mailänder Pestepidemie 1630, die - vom „verstockte[n] Leugnen“ über sabotiertes Contact-Tracing bis zum Konspirationsnarrativ - frappierend aktuell anmutet. Manzoni kritisiert die inadäquate Reaktion der Autoritäten, aber auch das „Benehmen der Bevölkerung“ in ihrer „stumpfsinnigen, tödlichen Zuversicht“; pointiert seine Analyse der heute digital multiplizierten „Masse allgemeinen Aberwitzes“, die „Erdichtungen der ungelehrten Menge“ und „der gebildeten Leute“ amalgamiert. Klassische Literatur scheint allerlei Irrglauben zu authentifizieren: „[…] man führte den Livius, Tacitus, Dio, was sage ich? Homer und Ovid und viele andere Alte an […].“ Mit ironischem Blick auf das vorhandene Corpus skizziert der Autor das Projekt einer konsequent aufbereiteten „Geschichte der Pest“: „[…] die Berühmtheit der Bücher hängt doch eben von so vielen Dingen ab! “ Zwischen wissenschaftlicher Dokumentation und kreativer Emanzipation entsteht die moderne Epidemieklassik: Wie Manzoni greift Camus mittlerweile etablierte Topoi auf (so das anfängliche Versagen der Behörden, die Scheu vor dem Wort ‚Pest‘, die ambivalente Rolle der Ärzteschaft); im Rahmen seiner Recherchen konsultiert er u.- a. die Werke des Epidemiologen Adrien Proust, Vater des Autors der Recherche du temps perdu. Unter pittoresker Ausschmückung historischen Materials schildert Jean Gionos Le Hussard sur le toit (1951) die Choleraepidemie in der Provence 1832; mit seiner Filmversion (1995) setzt Jean-Paul Rappeneau Gionos z.-T. fiktives Krankheitsbild auf der Leinwand um. Die Große Pest von Marseille 1722 evoziert Marcel Pagnols posthum publizierte Novelle Les Pestiférés, 2019 als Comic adaptiert; zu einer Zeit, da die Kontroverse zwischen Miasmatikern und Kontagionisten in vollem 24 Gange ist (Fabre 1998: 117-123), setzt Maître Pancrace auf die antike Autorität: War nicht schon der „historien grec Thucydide“ der Meinung, gegen die Pest seien „la flamme et la fuite“ die einzigen „vrais préservatifs“? An Schrecken verliert die Pest mit der Entdeckung Alexandre Yersins, der 1894 das nach ihm benannte Bakterium Yersinia pestis identifiziert. Als wissenschaftlichen Abenteuerroman erzählt Yersins Parcours Patrick Deville in Peste-&-choléra (2012): Aus der „bataille scientifique“ (2013: 118) mit seinem Konkurrenten Kitasato Shibasaburō, Schüler Robert Kochs, geht Yersin ironischerweise dank mangelhafter Ausstattung als Sieger hervor. Seine anlässlich der Hongkonger Pestepidemie 1894 angestellten Studien dokumentiert er in einem knappen Artikel für die Annales de l’Institut Pasteur; „fantôme du futur“ (17), begleitet der Erzähler Yersin bis zum Zweiten Weltkrieg, da eine metaphorische „peste brune“ die Welt bedroht (11). Für eine heutige Leserschaft hält eine historisch fokussierte Epi-/ Pandemiebelletristik eine optimistische Botschaft bereit: Im Zuge einer literarisch verarbeiteten Erfolgsgeschichte werden Medikamente und Vakzine entwickelt, Krankheiten besiegt. Zugleich reflektiert das Genre archaische weltanschauliche Relikte, deren Reaktivierung die Krisensituation favorisiert; diese Spannung illustriert Philip Roths Nemesis aus dem Jahr 2010. Wider die „tyranny of contingency“? Philip Roths Nemesis „Polio is polio - nobody knows how it spreads“: Rund um eine weitere „mysterious disease“ dokumentiert Philip Roths letzter Roman Nemesis (2010: 31, 103) ein Stück Wissenschaftsgeschichte. Die älteren Figuren erinnern sich angesichts der Polioepidemie im Newark des Jahres 1944 an „its frightening precursors“, an eine 25 Ära, da „whooping cough victims“ eigene stigmatisierende „armbands“ zu tragen hatten, da in Ermangelung eines Vakzins Diphtherie „the most dreaded disease in the city“ war (89); Anlass zur Sorge gibt auch Malaria, ebenfalls noch „an unstoppable disease“ (4). Mit Malariaimpfungen wird ab 1948 experimentiert; dank der Entwicklung zweier Poliomyelitisvakzine 1955 und 1960 kann die Krankheit global zurückgedrängt werden. Zu spät für Roths Helden Bucky Cantor, der als Jugendsporttrainer zum noch asymptomatischen „healthy infected carrier“ (236) wird und sich im Nachhinein als neue „Typhoid Mary“ anklagt (248); dies mit Bezug auf die unter diesem Spitznamen in die Medizingeschichte eingegangene Mary Mallon, die als selbst nie erkrankte Typhusträgerin - und von Beruf ausgerechnet Köchin - in New York 1900-1915 Dutzende von Menschen infiziert. Als einer der Schützlinge Cantors war auch Erzähler Arnie Mesnikoff „unfortunate enough to get polio eleven years too soon for the vaccine“ (249). Mit seinem sportlichen Engagement partizipiert der Protagonist, der unter seiner Wehrdienstuntauglichkeit und erzwungenen Nichtteilnahme am Zweiten Weltkrieg leidet, an einer Mission der Kontersozialisation jüdischer Kinder - d.- h. v.- a. jüdischer Jungen, Nemesis bleibt ein männlich fokussierter Roman - zu auch körperlicher Courage und Kraft. Die vom „Board of Health“ zunächst geleugnete „epidemic of poliomyelitis“ (1f.) provoziert freilich eine massive antisemitische Reaktion (192f.); der Stadtteil verwandelt sich in ein neues Ghetto, während die Community in Gestalt der „colored cleaning women“ ihre eigenen Sündenböcke identifiziert (82). Wie bei Camus erscheint die Epidemie als Zuspitzung der conditio humana in ihrer Absurdität: „There is none“, antwortet Bucky dem Vater des ersten toten Jungen, als jener verzweifelt nach der „fairness in that“ fragt (47). Schon beim Begräbnis richtet sich sein Zorn „against God, who made the virus“ (127), und dessen mit „the very existence of polio“ inkompatible Glorifikation (75). Nach seiner 26 Erkrankung und rekonstruierten Rolle als fataler ‚Pfeil‘ aus dem Köcher der Rachegöttin Nemesis rebelliert er gegen jene „tyranny of contingency“ (243); als Zweifaltigkeit eines „a sick fuck and an evil genius“ in sich vereinenden Gottes resümiert der Erzähler Buckys Lösung des Theodizeeproblems (265). „There is an epidemic and he needs a reason for it. He has to ask why. Why? Why? “ - so die Schlüsselfrage selbstdestruktiver Sinnstiftung, die der Atheist Arnie als „stupid hubris […] the hubris of fantastical, childish religious interpretation“ verwirft (265), bevor er die eigene Argumentation aus den Angeln hebt: „Maybe Bucky wasn’t mistaken. […] Maybe he was the invisible arrow“ (274f.). „From outer space! “ Corona-Literatur als Inter- und Konterdiskurs Als kritischer Inter- und Konterdiskurs reflektiert auch die Corona- Literatur wissenschaftlichen Fortschritt wie archaische Resurgenz. Rasch etabliert sie ihr Heldenpersonal: Li Wenliang wird zur „Ikone“ (Yang 2020); mit Camus’ Rieux verglichen, inspiriert der „Doc who was whistlblower Dr Li“ - so die SMS eines adoleszenten Fans in Ali Smiths Summer (2020: 40) - manch literarische Hommage. Angesichts eines auch wissenschaftlich noch offenen Horizonts gewinnt entsprechende Expertise umso größeres Gewicht: „Being a doctor helped me write about virology with authenticity“, betont Kumar Shyam zu seinem Pandemic Plot (zit. Sharma 2020). In seiner Doppelidentität als Schriftsteller und Wissenschaftler analysiert Giordano die „Mathematik der Ansteckung“ (2020: 15); als „biologist and science fiction writer“ inszeniert Yoss eine Miniaturparodie: Auf der Straße von Passanten konsultiert - könnte „the new coronavirus“ nicht doch „from space“ gekommen sein? -, lässt er sich auf das Spiel ein: „[…] maybe that’s why completely new flu strains appear every few years. From outer space! “ (Stars 420). 27 Im Corona-Kontext erleben kaum minder wüste Konspirationstheorien eine Konjunktur; über die kosmische Herkunft von SARS-CoV-2 spekuliert Igor’ Prokopenko, der von seinem Flat- Earth-Steckenpferd auf das Corona-„Killervirus“ (Koronavirus. Virus-ubijca) umsattelt. Alte Sündenböcke werden reanimiert: Während die lokale Bevölkerung bei Manzoni in Pestzeiten alle, „deren Kleidung, Haarschnitt und Reisesäcke sie als Fremde und, was noch schlimmer war, als Franzosen bezeichneten“, voll Misstrauen betrachtet, ist nun das ‚Chinese Virus‘ an der Reihe. Auch wenn - im Gegensatz zur irreführend als ‚Spanische‘ titulierten Grippe - der offizielle Corona-Diskurs Virusvarianten ethnisch neutral rechiffriert, werden „dormant and longstanding prejudices“ aktiviert (Salcedo 2020: 139). „Wer hatte nun die Schuld an der ganzen Sache? Die Chinesen? Die Amerikaner? Die Fledermäuse? […] Eins stand fest. Wir waren es nicht. Schuld sind noch immer die anderen gewesen“, wie Wladimir Kaminer (2021: 23) die auch im Zeitalter der „Coronauten“ gültige Maxime formuliert. In Nigeria gilt die Corona-Krise als „christliche Verschwörung“, im Iran als „zionistisches Komplott“ (Butter 2020: 226); von den mit schweren antisemitischen Ausschreitungen einhergehenden Pestepidemien des Mittelalters führt eine direkte Linie zur aktuellen Pandemie. Nicht nur im Internet, sondern auch auf Anti-Maßnahmen-Demonstrationen remanifestiert sich, so Peter Longerich, „eine Art globaler Antisemitismus“ (Pumberger 2021), den schon die frühe Corona-Literatur kritisch kommentiert: „Wie einen die Allgegenwärtigkeit des Antisemitismus ständig und zugleich unvorbereitet trifft! “ (Schneider 2020: 132). In Osteuropa dienen z.- T. die Roma als „Sündenböcke der Pandemie“ - und ziehen sich ihrerseits in eine religiöse Phantasiewelt zurück: „Wir glauben hier nicht an Corona […] Wir glauben an Jesus“, erklärt ein Bewohner von Fakulteta, dem größten Roma-Viertel Sofias (zit. Wölfl 2021), unter naiver Perpetuation einer jahrtausendealten Parallelgeschichte von Epi-/ Pandemie und Religion. 28 Von Homer bis Corona: Epi-/ Pandemie und Religion Homers Ilias führt jene Epidemie, die die griechische Armee gegen Ende des Trojanischen Krieges heimsucht, auf eine Intervention Apolls zurück; die Vision der Krankheit als „göttliche Epiphanie“ (Marx 2020) konzentriert ein mythisches Weltbild - und stellt eine Herausforderung für moderne Rewritings dar: Während Madeline Miller in The Song of Achilles (2011) das Szenario plausibilisiert, wird die direkte Aktion der Götter in Alessandro Bariccos Omero, Iliade (2004) eliminiert. Das religiöse Paradigma dominiert über viele Jahrhunderte: In Boccaccios Decameron wird die Frage nach der Ursache jenes „tödliche[n] Pestübel[s]“, „entweder durch Einwirkung der Himmelskörper entstanden oder […] von Gott als Strafe über den Menschen verhängt“, elegant suspendiert. Als „vengeance de Dieu“ erscheint die Pest in Agrippa d’Aubignés Poem Les Tragiques (1616: 231); in seiner Fabel Les Animaux malades de la peste (1678) assoziiert La Fontaine Religionstopos und allegorisierte Gesellschaftskritik. Als Dokument einer Übergangsepoche ist Defoes Journal-of the Plague Year von besonderem Interesse. Auch zur Zeit der Pest von Marseille, da Defoe sein Werk verfasst, beschwört der Bischof der Stadt einen „Dieu irrité“ (zit. Fabre 1998: 139). Und doch vollzieht sich schon lange vor der Revolution eine schleichende Dechristianisierung; als „Geschichtsakzelerator“ enthüllt die Epidemie die sukzessive „Entzauberung der Welt“ (ibid.: 158f.). Diese reflektiert Defoes Journal (1995): Gegenüber der „atheistical profane mirth“ einiger Libertins verteidigt der Erzähler die Deutung der „Divine vengeance“; andererseits repräsentiert er die Stimme aufgeklärter Vernunft: Luzide analysiert er seine eigene Prägung durch die Doxa der Epoche, so in Bezug auf den Kometen, der die Pest angeblich ankündigt (wie ein anderer den Großen Brand von London 29 im Jahr darauf) - weiß er doch sehr gut, „that natural causes are assigned by the astronomers for such things […]“. Diese Spannung besitzt eine sozioökonomische Komponente. Als gebildeter, wohlhabender Mann steht „H.-F.“ über den „delusions“ der „poor people“; es sind die Armen, die auf allerlei „quacks and mountebanks“ hereinfallen, ihr Geld für „charms, philtres, exorcisms, amulets“ verschwenden. Unübersehbar die Genderdimension: Die rationale Männlichkeit des Erzählers bestätigt die Aversion gegen „old women“ - beiderlei Geschlechts-- und „old wives’ tales“. Der Protagonist von Mary Shelleys Last Man (1826), Ende des 21.- Jahrhunderts angesiedelte Dystopie, tritt als Leser früherer Epidemieliteratur in Erscheinung; unter Anknüpfung an „De Foe’s account“ wandern ominöse „meteors“ und „mock suns“ durch den Text. Auch dieser Erzähler widersteht der Versuchung des Glaubens an „supernatural events, to which the major part of our people readily gave credit“; das Missbrauchspotential einer kollektiven Krisensituation illustriert der Konflikt mit einem kriminellen „impostor-prophet“ (2006). Als „quintessential tale of a worldwide pandemic“ (Latham 2020) stiftet The Last Man ein vielfach variiertes Modell. Wie Shelley porträtiert Mandel einen mörderischen Pseudopropheten, der parallel einen anderen Klassiker zitiert: Seine Ausführungen über ein zum „avenging angel“ überhöhtes Virus (2015: 60) evozieren die erste Predigt des Priesters Paneloux bei Camus, da jener unter Berufung auf Jacobus de Voragines Legenda aurea den „ange de la peste“ beschwört (2020: 115f.). Auf Defoes wie Shelleys Spuren wird die Relation zwischen Ratio und Religion ein weiteres Mal ausgehandelt, die Interpretation der Epidemie als „punition collective“ (ibid.: 149) aus der Perspektive Rieux’ refutiert, bevor Paneloux - Pest oder nicht? - als mehrdeutiger „[c]as douteux“ stirbt (ibid.: 269). Literarisierte Religionskritik bietet zwei Jahre nach Camus auch George R. Stewart in seinem biblisch betitelten SF-Roman Earth Abides (1949). In den postpandemisch entvölkerten USA figuriert 30 Stewarts „Last American“ (2015: 316) als letzter Repräsentant der „Civ-vil-eye-za-shun“ (219) - das Wort selbst wird zur Parodie; die Frage, ob es die Wiederherstellung jener auf „slavery and conquest and war and oppression“ (344) begründeten Zivilisation zu wünschen gilt, wird auch in religiösem Licht reflektiert. Dem Helden selbst, inoffizieller Anführer einer Gruppe von Überlebenden in der San Francisco Bay, ist klar, dass er „the founder of a religion“ (223), ja „a god“ (232f.) für die Nachwelt werden könnte; der „honesty of his own skepticism“ verpflichtet, leistet er stattdessen Widerstand gegen die Esoterismen, mit denen das ideologische „vacuum“ sich füllt (223). Als eine neue „epidemic“ (274) die Gemeinschaft ereilt, taucht die alte Frage auf, ob es sich womöglich um eine göttliche Strafe handle - aus der Sicht einer nicht-ganz-weißen Frau protestiert die Gefährtin des Protagonisten, die auf keinen Fall „the angry God, the mean God“ wiederauferstehen lassen möchte: „Let us not bring Him back! Not you too! “ (281). Mandels „prophet“, Reinkarnation einer langen intertextuellen Tradition, stirbt mit seinem persönlichen Palimpsest in der Tasche, einem bis zur Unleserlichkeit bekritzelten Exemplar des Neuen Testaments (2015: 303). Der Diskurs dieses Recycling-Propheten antizipiert die unheimliche Wiederkehr religiöser Narrative im Corona-Kontext; angesichts „eschatologischer Resurgenzen aus einem fernen Mittelalter“ (Schnapp 2020) ist Stichweh (2020: 203) nicht zuzustimmen, wenn er befindet, „dass dem Anschein nach nirgendwo religiöse Deutungsvarianten des durch das Virus ausgelösten Krisengeschehens […] eine relevante Rolle spielen“; wenn auch im Vergleich zu früheren Epochen marginalisiert, wird jene „traditionelle Sinnressource“ (ibid.) sehr wohl aktiviert - und paradox digital amplifiziert. Auch anderweitig erlebe man derzeit, ironisiert Beigbeder, „une nouvelle version de la guerre de religion“, die „Dieu par Twitter“ ersetzt (2021: 24). Dies nicht nur in aus eurozentrischer Perspektive exotischen Gefilden: So registriert eine okzidentale Leserschaft eventuell mit 31 einer Spur postkolonialer Arroganz, dass Sakpata, Pockengott der westafrikanischen Ewe, ein Corona-Revival widerfährt (B. Meyer 2020: 148f.) oder dass Tansanias Staatschef John Magufuli auf einen „Gebetsmarathon“ setzt (Dieterich 2021), bevor er selbst mutmaßlich an Covid stirbt; allein: Nicht nur Jair Bolsonaro ruft zum nationalen Fasttag auf, auch (inzwischen Ex-)US-Vizepräsident Mike Pence „Wants You to Pray the Coronavirus Away“ (Walters 2020). Wenig überraschend ist für die IS-Terrormiliz „Gottes Hand“ am Werk (zit. Kurier 2020); absehbar auch die christliche Hardcore- Interpretation: In zweifelhafter Orthographie übermittelt Kate Blitz ihre Corona-Prophecies From God (2020); im praktischen E-Format erfährt die Leserin, warum dieser exakt 2045 ein „Second Deadly Black Virus“ zu schicken gedenkt. An der Anti-LGBT+-Front finden Repräsentanten unterschiedlicher Religionen zueinander; ein US-Pastor warnt vor dem „homovirus“, während ein sephardischer Rabbi Pride-Parades als Trigger göttlicher Rache identifiziert (Greenhalgh 2020). Eine gewisse Ambiguität zeigt sich bis hinein in den Mainstream der großen Monotheismen: Der Churer Weihbischof ortet seinerseits eine „Strafe Gottes“ (Kajan 2020); im deutschen Kontext ist die Kontroverse zwischen Henryk M. Broder und Heinrich Bedford-Strohm als EKD-Ratsvorsitzendem aufschlussreich. In Polen werden Anti-Corona-Rosenkränze via Facebook gebetet, doch auch im laizistisch geprägten Frankreich erläutert der Bischof von Bayonne die aus der Pandemie zu ziehenden „leçons de conversion et de purification“; auf ihren „causes spirituelles“ insistiert der Imam von Brest (Daussy 2020). Nicht nur in der Krise neu entstandene, sondern auch etablierte Sekten wie die Zeugen Jehovas setzen auf sozmediale Mission (Brändle 2021). Diese Renaissance archaischer Religiosität wird literarisch parodiert: „[…] it is God who decides the fate of man. […] Nothing’s going to stop the Armageddon“, resümiert Großtante Rita in Rivers Solomons „Prudent Girls“ die jehovistische Version. Schon vor Corona in einer texanischen Kleinstadt und ihrer religiös 32 indoktrinierten Familie gefangen, beschließt die Protagonistin, das System mit seinen eigenen Waffen zu schlagen; tatsächlich gelingt es Jerusha, ihre in einer antisanitären „crowded facility“ inhaftierte Mutter, verstoßene „apostate“, zu befreien: „Jerry had wrought her own Armageddon, and liked it“ (DP 242, 250). Mit „Rieux et Oreste“ argumentiert Lévy gegen die Paneloux-Wiedergänger unserer Zeit und die Falle der „religiosités laïques“ (2020: 38, 45-49). Beim Blick auf die esoterischen Blüten, die die Pandemie selbst in Ärztekreisen treibt, scheinen Manzoni und Defoe (1995) nicht weit: Vom 1665 in London feilgebotenen „only true plague water“ führt ein erstaunlich direkter Weg zum Anti- Corona-Wasser, das eine österreichische Medizinerin präsentiert (Kreil 2021). Gegen oberflächlich säkularisierte Deutungen im Rahmen einer „écologie punitive“ (Le Goff 2021: 29) ist die frühe Corona-Literatur nicht immer gefeit: „Is this nature’s answer to its plundering by civilization? […] Or is this all a divine message […]? “, fragt sich Gábor T. Szántó (Stars 349). „Coronapocalypse“? Zur literarischen Vermessung der Pandemie Zwischen konspirationistischen und z.- T. ökologisch recodierten religiösen Narrativen wird die Frage ausgehandelt, ob und wie es der Pandemie „einen Sinn zu geben“ (Giordano 2020: 77), wenn schon nicht - von Lévy als „infamie“ kritisierter Versuch (2020: 36) - positive Seiten abzugewinnen gilt. In der Verweigerung der allseitigen „fièvre interprétative“ (ibid.: 46) finden die Ennemis publics (2008) erneut zusammen: Die Post-Corona-Welt, so Michel Houellebecq, werde weder neu noch besser sein, sondern „le même, en un peu pire“ (Trapenard 2020). Gar nichts habe er aus der Pandemie „gelernt“, so auch Óscar Tusquets, nie „tonterías más 33 grandes“ gehört; kurz: „nada positivo“, dafür eine Menge ‚Kitsch‘ (Hernández Velasco 2021). Im Angesicht der Pandemie, die, so Hartmut Rosa, Menschen auf die „monströse Unverfügbarkeit“ der Welt zurückwirft (Matera 2020), bewährt sich die Literatur als Instanz kreativer „perplexité“: „depuis Mars“ richtet Laura T. Ilea (RI) einen experimentellen Blick auf die vom „maelström“ erfasste Erde. Die frühe Corona- Produktion ist reich an Topoi der Verfremdung, hier ins kosmische Extrem getriebener räumlicher bzw. antizipierter zeitlicher Distanz - und knüpft damit an die komplexe Temporalität auch populärer Epi-/ Pandemieliteratur an. So ist Connie Willis’ Doomsday Book (1992) als historische Pro-Retrospektive konstruiert: Aus dem Jahr 2054 wird eine junge Mediävistin ins Mittelalter zurückgeschickt; statt 1320 landet sie versehentlich achtundzwanzig Jahre später, d.-h. mitten in der Zeit des Schwarzen Todes, während in ihrer zukünftigen Gegenwart eine Influenzaepidemie ausbricht. Spekulativ wird diese Multivektorialität in die Corona-Literatur integriert. Gonzalo Viñuales Ferreiro lässt seine „¡Campeones del mundo! “ (RTC) im „Año- 3081- d.C.“ einsetzen, und zwar mit dem Sensationsfund eines „Apple iPhone-11“, historisch in „la antigua ciudad de Madrid“ lokalisiert. Gespannt wartet das Publikum auf die Verlesung des darauf entdeckten Zeitungsdokuments: „Covid-19 ist vorbei. Die WHO bestätigt das Ende der Pandemie“ - nichts Neues für das enttäuschte Auditorium: Auch „diez siglos después“ wird der „Día del Homenaje“ für die Covid-Opfer gefeiert, immer noch aufrecht ist der „Tributo a la Salud“; und doch klingt die Erzählung mit der Erinnerung an die erfolgreiche Überwindung der Pandemie aus. Auf einem Umweg von einem guten Jahrtausend bestätigt der Autor die Einordnung von Corona als „welthistorische Zäsur“ (Adloff 2020: 145); aus der Sicht der Jahre 2020-2021 ist schwieriger zu beurteilen, was es mit der neuen Zeitrechnung „B.C. - Before Corona“ und „A.C. - After Corona“ (Friedman 2020) auf sich hat. „While I am reaching the end of this text (but not of this 34 story) […]“ (Javier Sinay, Stars 68): Im Gegensatz zu historischen Epi-/ Pandemienarrativen erzählt die Corona-Literatur an und aus einer Geschichte, deren Ende noch nicht feststeht; „between worlds“ bleibt Karen Russells Protagonistin, Buschauffeurin auf der „Line-19 Woodstock/ Glisan“, mit ihren Passagieren - darunter womöglich der eine oder andere „Covid rider“ - bei einem Unfall stecken (DP 147-150). In dieser Zwischenwelt voller „informaciones contradictorias“ situiert Ana Freire ihren weibliche Corona-Schicksale fokussierenden Kurzroman El invierno de las flores (2021: 6). Da ist zunächst die Journalistin Lucía, die auf digitale Distanz Covid- Erkrankung und Tod ihres Vaters verfolgt; ihre Großmutter setzt in puncto „[p]uto virus de mierda“ (12) auf bewährte Feindbilder: Könnten hinter der „guerra bacteriológica“ nicht doch „los rusos“ stecken (7f.)? Die junge Supermarktangestellte Rocío muss mit aggressiven Kund*innen wie einem ignoranten Chef kämpfen und am eigenen Leib feststellen, dass dies keine „simple gripe“ ist (27). Einen Blick hinter die Hospitalkulissen bietet der dritte Teil rund um eine überforderte Krankenschwester, die mit der sommerlichen ‚Wiederauferstehung‘ Madrids aufatmet; am Horizont zeichnet sich freilich die „segunda ola“ ab, auch María „weiß, dass es noch nicht vorbei ist […]“ (42). Angesichts der noch virulenten Pandemie ‚mäandert‘ die Corona- Literatur - wie Kamila Shamsies Figuren in „The Walk“ - zwischen „the quotidian and the apocalyptic“ (DP 26). Gewiss sei Corona „not fun“, aber doch „by the scale of plagues […] actually quite kind“, befindet Naomi Alderman (Marshall 2020), während Pedro Ángel Palou eine veritable „Coronapocalypse“ beschwört (Stars 292). Von der Schwierigkeit der adäquaten Vermessung der Krise zeugen Alberto Vázquez-Figueroas im März resp. August 2020 beendete Romane Cien años después und La vacuna, in ihrem inkongruenten Eklektizismus instruktive frühe Corona-Dilogie. 35 Zwischen Pathos und Parodie: Alberto Vázquez-Figueroas Corona-Dilogie Schon zum Einstieg wird die Pandemie in Cien años después mit einem im Roman reproduzierten Influenzadekret aus dem Jahr 1918 historisch kontextualisiert (C-4f.). Rasch weicht Fortschrittsoptimismus der Einsicht, dass die Menschheit jenem bald als „peste negra, cólera“, bald als Corona sich manifestierenden Feind nach wie vor recht hilflos gegenübersteht (C-34f.); in Teil-II bietet La vacuna einen Hoffnungsschimmer - „desde un punto de vista social“ ist das begehrte Vakzin freilich fast so gefährlich wie das Virus selbst (V-21). Zugleich Wissenschafts-, Abenteuer- und Familienroman, aber auch stereotyper Erotik- und Mafiathriller, fusioniert die Dilogie - Experiment mit unterschiedlichen Optionen literarischer Krisenverarbeitung - medizinisch-enzyklopädische Information, politische Kritik, Öko-Engagement und SF-Dystopie. Bei der Darstellung des „diablo coronado“ (C- 34) spart der Autor nicht mit drastischen Farben; durch zwei Bände zieht sich die rhetorische Hypertrophie dieser „apocalipsis“ (C- 11), „peor crisis“ in der Geschichte des Planeten (V- 49). Vázquez lässt die gesellschaftliche Infrastruktur kollabieren - ohne Telefon und Elektrizität harren seine Protagonist*innen auf ihrem abgelegenen Gut aus, dank Landwirtschaft autarker Mikrokosmos, der seine sanitäre Integrität mit Waffengewalt verteidigt. Parallel kommentiert der Autor die konkrete Corona-Aktualität: Die Zustände am „mercado de Wuhan“ (V-25) werden ebenso angeprangert wie jener „presidente racista“, der für ein desaströses Pandemiemanagement und verheerende Brände in Amazonien verantwortlich ist (C-117); in Band-II nimmt Vázquez bezüglich des „fascista“ und „cretino“ Bolsonaro keine Maske mehr vor den Mund (V-22, 80). Zwischen Lateinamerika und Spanien entfaltet sich ein Politkrimi, dessen Finale die einem durcheinandergewürfelten „Puzzle“ - in unserem 36 Corpus rekurrente Metapher - gleichende Corona-Welt (V-95) ein Stück weit in Ordnung bringt; der Reiz jener Romane, die bei allem Schrecken die Satisfaktion sauberer Auflösung gewähren, wird mit der Jagd nach einem unfassbaren „asesino“ kontrastiert (V-84). In der Vision einer urbanen Population, die als „Heuschreckenplage“ über die Supermärkte herfällt, finden Alltag und Apokalypse zusammen (C-17); aus der Bibel schwimmt jene Neo-„Arca de Noé“ herbei, die, prekäre Heterotopie, das Modell eines „nuevo mundo“ stiftet (C-112). Bei allem Sensationalismus frappiert die metaliterarische Dimension dieser populären Dilogie. Angefangen mit dem „dantesco espectáculo“ (V-83) pandemischer Leichenberge operiert Vázquez mit einer Fülle intertextueller Referenzen, während seinen Eremiten die Lektüre als Evasion und „refugio“ (C- 14) dient. Reiseliteratur provoziert eine Grundsatzdiskussion über Realität und Fiktion: Wie Samuel, vermeintlicher Ex-Weltenbummler, schließlich gesteht, stammt ein Großteil seiner „historias“ aus seiner Bibliothek (C-85); als Sprachrohr des Romanciers darf er die Verführung des allzu kohärenten Narrativs wie des „deux ex machina“ kritisieren und seine einer schönen Buchhändlerin zuliebe überwundene Aversion gegen Thomas Manns Epidemieklassik argumentieren (V-104, 26). Noch lieber hört seine Nichte Aurelia, die „lo normal“ von früher nur aus dem längst erloschenen Fernsehen kennt, Alltagsgeschichten aus der präpandemischen Welt, Kontrast zu einer Krisenzeit, da alles „verdammt transzendent“ sein muss (V-24). Nicht nur unablässig „copias de sí mismos“ (V-71) produzierende Viren werden poetologisch konnotiert: Vázquez reflektiert die Herausforderungen kreativer Pandemiebewältigung und speziell einer „novela“ zum Thema (C- 61); in einer autoreferentiellen Möbiusschleife erörtern die Figuren ein Corona-Buch, das jemand wohl gerade schreibt (V- 7). Die Filmindustrie ist zum Stillstand gekommen; doch ein Geiger komponiert „una sinfonía sobre la enfermedad“ (C- 23). Unter parodistischer Variation des para- 37 digmatischen spanischen Klassikers zeichnet ein junger Künstler einen Corona-Don Quijote, dessen Helden der ad infinitum prolongierte Lockdown in den Wahnsinn treibt (V-27). Auch wenn der Ästhet Víctor zunächst auf reines L’art pour l’art setzt, lässt er sich von seiner historischen „misión“ überzeugen; eifrig schreitet er zur Perfektionierung seines „cómic […] para la posterioridad“ (V-42). Der Autor wendet sich indes an eine Zeitgenossenschaft, der er - Behörden wie Bürger*innen - mangelnde „responsabilidad“ vorwirft (V-102). Im Epilog zu Band-II spekuliert Vázquez über den Ursprung des Virus; dessen Charakteristik als „mecano Frankenstein“ (V- 108) lädt zur Rückkopplung einer Metapher ein, die auch die hybride Textur dieses doppelten ‚Frankenstein-Romans‘ treffend beschreibt. „As I begin to write these lines…“: Corona in Diaristik und Chronistik In ihrer familiären Festung macht Vázquez’ Protagonistin sich an ein Tagebuch auf den Spuren der Anne Frank; bald gelangt Aurelia freilich zum Schluss, dass das Virus als Feind den Nazis vorzuziehen sei (C- 68f.). „[…] tut mir leid, aber wir sind nicht Anne Frank“, verwirft Bloggerin Nina die Idee eines Lockdown- Tagebuchs - und doch: das paradigmatische Genre der frühen Corona-Literatur ist eben die Quarantänediaristik, international inflationär praktiziert. Vázquez’ Dilogie illustriert die Schwierigkeit romanesker Echtzeitverarbeitung der Krise; ein sich von Tag zu Tag vortastendes Schreiben erscheint hier oft als präferable Option. Nicht umsonst lässt Camus seinen Erzähler die Pest als „chronique“ eröffnen (2020: 11); zugleich eine Hommage an Dostoevskij, der die Dämonen als ‚Chronik‘ präsentiert - und mit den Aufzeichnungen aus dem Kellerloch, „chef-d’œuvre claustrophobe“ (Beigbeder 2021: - 127), eine Corona-Renaissance erlebt. Ein hybrides Genre 38 wird mannigfach variiert: Als „Factfiction“ publiziert Ludwig Sonnenberg eine Corona-Chronik; mit seinen Coronakronieken kreiert Heerma van Voss ein „Geschichtenmosaik“ (Werf 2020). „As I begin to write these lines, it is Monday, April 20, 2020“ (Yoss, Stars 407f.): Präzise Datierung sichert den Text gegen seine imminente Desaktualisierung ab; hier kommt das Format digitaler Chroniken und Tagebücher ins Spiel, das die Diskrepanz zwischen Redaktions- und Rezeptionskontext maximal reduziert. Ein Corona-Tagebuch zu schreiben fühlt sich in diesem Sinne „viel logischer und natürlicher an als einen Roman“ (Werf 2020); dies gilt auch für etablierte Autor*innen wie Fang Fang, die mit ihrem Wuhan Diary den Matrixtext der Corona-Diaristik verfasst. „Dokumentieren ist das Einzige, was wir tun können“: Fang Fangs Wuhan Diary „Dokumentieren ist das Einzige, was wir tun können“, erklärt Fang Fang (2020: 31) den Impetus hinter ihrem „in Echtzeit“ entstandenen Lockdown-Tagebuch (19). Der Text setzt ein mit der Abriegelung der Neun-Millionen-Stadt Wuhan; Struktur und Dauer, ja selbst das Genre des nachträglich etikettierten Diary kristallisieren sich erst unterwegs heraus (331). Das Projekt erfüllt eine kathartische Funktion: „Ich konnte nur jeden Tag schreiben, schreiben, schreiben…“ (11); literarische „Anstrengung, mir selbst freien Atem zu verschaffen“, die auch „anderen beim Atmen“ zu helfen erlaubt (260). Die Autorin appelliert an das Durchhaltevermögen ihrer Landsleute: „Schafft es Wuhan, dann schafft es ganz China“ (41); zugleich kritisiert sie die Provinzbehörden und eine nach SARS 2003 immer noch unzureichende Pandemiepolitik. Parallel fungiert das Tagebuch als memorieller Raum; so gilt es einem an Covid verstorbenen Freund „ein Andenken [zu] setzen“ (222). Unter Rehabilitation der „sogenannten Allgemein- 39 plätze“ (209) sammelt Fang Fang Fragmente einer kleinen, genderwie genrekonnotierten Komplementärgeschichte: „wie eine alte Mutterhenne“ vermöge ein Roman „Menschen oder Ereignisse[n], die von der Geschichte aussortiert werden“ ein Refugium zu bieten (114); an diese revalorisierte Marginalität knüpft das Tagebuch an. „Noch ein bisschen Geschwätz“ (301), kündigt die Autorin selbstironisch an; Tag für Tag werden „ein paar Kleinigkeiten“ abseits der „großartige[n] Narrative“ notiert (175). Fast jeden Eintrag eröffnet ein knapper Wetterbericht mit psycho- und poetologischer Tiefendimension; leitmotivisch werden die Kapriolen der Natur und der Zensur assoziiert: „Mal Regen, mal Sonnenschein, es ist wie mit meinem Tagebuch, mal zugelassen, mal gesperrt“ (179). Am Tag der Öffnung erhält Fang Fang die Nachricht von der geplanten Publikation auf Englisch; auch die deutsche Übersetzung situiert das Diary in einem Spannungsfeld zwischen Globalität und Lokalität. „Das Virus ist der gemeinsame Feind der Menschheit“, wie die Autorin betont (5); als „Dämon“, der „mit aufgerissenem Maul“ vor der Haustür wartet (270), nimmt das „geisterhafte Coronavirus“ (64) mythopoetisch folklorisierte Züge an. Auch anderweitig gewährt der Text Einblick in kulturspezifische Aspekte, so die Kontroverse über den Covid-Einsatz traditioneller chinesischer Medizin (143f.). Unweigerlich camoufliert die Printz.- T. die Prekarität der Onlineversion, verfasst in permanentem Versteck- und Verwirrspiel mit den ironisch adressierten „[l]iebe[n] Netzzensoren“ (73), in Ungewissheit darüber, ob der neueste Eintrag die Leserschaft erreicht: „Also, ich schicke das hier ab und probier’s“ (18). Dem Experiment mit dem „Zauberkasten“ Internet (204) eignet zugleich ein lustvolles Moment, auch wenn die Autorin ob der explosiven Erweiterung ihres Publikums „zu Tode“ erschrickt (141). Tagebucheinträge erscheinen gelegentlich unter Mithilfe der Leser*innen, zumeist über den Account einer Schriftstellerkollegin auf WeChat: 40 „Der Grund ist höchst einfach: Am Tag, als Li Wenliang starb, wurde mein Blog gesperrt“ (300f.). „In einer gesunden Gesellschaft sollte es nicht nur eine Art von Stimme geben“, erklärt Li vom Krankenhausbett aus (zit. Yang 2020); diesem Prinzip folgt das Diary, in Interaktion mit Leserwie Kollegenschaft redigiert. Fang Fang integriert Informationen, Meinungen, Texte anderer, denen sie sehr viel beträchtlichere Reichweite verschafft; sie zitiert ein Interview, in dem sie selbst die Frage schriftstellerischer „gesellschaftlicher Verantwortung“ reflektiert (2020: 244), ebenso wie Auszüge aus dem Tagebuch ihrer Schwägerin, die vom „täglichen Einkauf “ berichtet (204). Mit ihr eigenes symbolisches Kapital mehrender Generosität verweist sie auf andere Autor*innen, die „wie ich ein Netztagebuch“ schreiben (80). Dieses polyphone Meta-Tagebuch entfaltet sich zwischen affirmativer und konfliktueller Intertextualität. Präsent sind nicht nur „Netzfreund[e]“ und dankbare Leser*innen, sondern auch das „Pack der chinesischen Linksextremisten“ (119f.); wiederholt lässt Fang Fang feindliche Stimmen sich selbst desavouieren. Auch wenn SARS-CoV-2 ein „‚Halunkenvirus‘“ ist, gibt es „weit schlimmere Halunken“ (100); besagter Linksextremismus hat „wie das neuartige Coronavirus unsere Gesellschaft infiziert“ (335). Hier bewährt sich das digitale Format in seiner paradoxen Durabilität; ihren spöttischen Dank richtet die Autorin jenen Gegnern aus, die, ultimative Revanche, „mein Tagebuch unsterblich machen“ werden (276f.). Fang Fangs Diary versteht sich als freilich privilegierter Beitrag zu einem Mosaik; erst aus der Komposition der „Tagebücher unzähliger Leute“ ergibt sich „eine ziemlich wahrheitsgetreue Dokumentation“ (203). Zu deren Komplettierung formuliert die Autorin konkrete Vorschläge: Li Wenliangs Blog inspiriert die Idee einer „virtuelle[n] Klagemauer“ (263); gegen Ende des Lockdowns ruft Fang Fang „Wuhaner mit schriftstellerischen Fähigkeiten“ auf, 41 nun „alles, was sie seit Januar gesehen, gehört und gefühlt haben, auf[zu]schreiben“; ergänzend regt sie die Gründung „populäre[r] Schreibgruppen“ an (240). In Bezug auf ihr eigenes Werk reflektiert sie die Relation von Fiktion und Realität: Auch im Roman gelte es „die historischen Fakten [zu] respektieren“, allein: „Geschichte hat immer Risse“, nach diesen suche sie im großen „Bild“ (246). Mit dieser Poetik korrespondiert ihr Tagebuchprojekt, das eine Gegenwart, im Begriff, Geschichte zu werden, den durch die Pandemie provozierten „Riss in der Zeit“ (Adloff 2020: 149) exploriert. Von Wuhan nach Westen: Ambivalenzen des Corona-Tagebuchs Als Pionierin des Lockdown-Diary kreiert Fang Fang ein Stück engagierter, dabei weit über die Aktualität hinausweisender Corona-Literatur; jene zahlreichen westlichen Tagebücher, die ab März 2020 das Licht einer pandemischen Welt erblicken, können nicht ohne Weiteres mit dieser Vorgabe gesellschaftlicher und ästhetischer Relevanz mithalten. Aus Italien (vgl. z.-B. Gabriele Di Luca: E quindi uscimmo a riveder la gente. Diario dalla Grande Reclusione) wie Spanien (Lorenzo Silva: Diario de la alarma) oder Portugal (z.- B. Gonçalo M. Tavares: Diário da Peste, Thiago Carbonel: Diário do ano da peste) melden sich bekannte Autor*innen mit ihren zwischen Dante und Defoe klassisch betitelten Corona-Diarien zu Wort; auch in Deutschland überschlägt sich die Publikation von Corona-Tagebüchern (vgl. z.-B. Stephan Boden, Stephan Kiepe-Fahrenholz, Susanne Wirtz). Von den „Pandemic Journals“ der New York Review of Books bis zur Lockdown-„crónica de autor“ in El País (Rodríguez Marcos 2020) setzen etliche Medien auf ein kollektives Serienformat. Online- und On-Demand-Publikationen verschaffen einer qualitativ heterogenen Amateurproduktion öffentliche Präsenz; Quarantäne- 42 diarisiert wird von Profis wie Laien auch via Facebook, Instagram, Coronavlogs-&-Co. Von Anfang an ergießen sich Spott und Häme über „die parallel zum Virus exponentiell sich ausbreitenden Corona-Tagebücher“ (Teutsch 2020); jenes die Corona-Literatur heimsuchende Unbehagen erscheint hier multipliziert. Kann das Subgenre des medizinischen Tagebuchs - so Claudia Chatelus’ Ma guerre du Covid oder Bertrand Legrands Journal d’un médecin au temps du coronavirus (beide 2020) - Anspruch auf dokumentarischen Wert erheben, müssen sich andere Autor*innen die Frage gefallen lassen, was einen weiteren Bericht aus der meist trivialen Lockdown-Existenz legitimiert. „[…] es gehört gewissermaßen zum guten Ton der Stunde, sich selbst ein bisschen zu ernst zu nehmen“, bemerkt Eising (2021: 59), was ihn nicht hindert, das Corpus um sein Tagebuch der sanften Quarantäne zu bereichern. Derart von Beginn an in der Defensive, verlagert sich die Produktion rasch auf ein parodistisches Metaniveau. Marie-Antoinette in der Corona-Quarantäne: Facetten einer französischen Querelle In Frankreich, wo die Pandemie nach mehreren Protestjahren als politisch nicht unwillkommenes Anti-Demonstrativum fungiert, entbrennt um die Lockdown-Diaristik eine heftige Debatte. Ins Kreuzfeuer der Kritik geraten Leïla Slimani und Marie Darrieussecq, die im März 2020 in Le Monde resp. Le Point aus ihren Refugien in der Normandie bzw. im Baskenland berichten; unbeliebt macht sich auch die von einer „quarantaine […] salutaire“ schwärmende Lou Doillon (Lamotte 2020). Für das Gros der Bevölkerung sei der Lockdown weder „un atelier d’écriture de haikus“ noch „une retraite spirituelle“, spottet Daam (2020) angesichts der neuen „Marie-Antoinettes“. Via Twitter wünscht Lola Lafon sich weniger privilegierte Zeugnisse; für die Tagebücher 43 der „non-confinés“ zwischen Krankenhaus und Amazon-Depot plädiert Serrell (2020). In der Folge publiziert France Culture das „Journal de non-confinement“ eines Pariser Lieferboten und einer Supermarktkassiererin aus der Bretagne (Kronlund 2020a). Von der ästhetischen wechselt der Diskurs auf eine soziale Ebene. In der Krise wird die „fracture culturelle“ (Serrell 2020) zwischen kreativem Prekariat und etablierten Autor*innen wie Slimani oder Darrieussecq sichtbar, so Ducret (2020) als „picaro“ des Kulturbetriebs; die Existenzberechtigung des Genres bestehe in seinem Potential „de saisir le social“, mahnt Lemaître (2020) in einer „Lettre aux écrivains bourgeois“ und namentlich „Leïla“ ein. Bei aller punktuellen Naivität finden sich die beiden Autorinnen nicht unbedingt zu Recht als Symbol- und Sündenbockfiguren einer sich verselbständigenden Debatte wieder. Das literarische Marie- Antoinette-Bashing fügt sich nur allzu gut in eine aufgeladene Atmosphäre, in der #guillotine2020 auf Twitter trendet - und knüpft im Fall Darrieussecqs an eine symptomatische Rezeptionsgeschichte an (Stemberger 2018: 235-237). Rund um das Tagebuch als doppelt generisch markierte Gattung konzentriert sich eine gehörige Dosis der „bonne vieille misogynie“ (Obergöker 2020: 378); ausgehend von der „réception aux antipodes“, die Slimani und Wajdi Mouawads Videojournal zuteilwird, analysiert Pierson (2020) die Affäre als Exempel eines „sexisme déconfiné“ - während Slimani selbst in ihrem Beitrag zum New Yorker Decameron Project („The Rock“, DP 59-65) das tragikomische Schicksal eines schließlich auf offener Straße gesteinigten Schriftstellers schildert. Ein eminent karikables Genre inspiriert in kurzer Zeit ein umfangreiches Corpus von Pastiches und Parodien. Konkret Slimani nimmt Olympe Du Bouge mit ihrem Journal d’une conne finie (2020) aufs Korn; ebenso Manfredi (2020): „Salut Leïla […].“ Einen einschlägigen „blog parodique“ verfasst Aude Sécheret alias „Ludivine de Saint Léger“. Bourdon (2020) schildert die Luxusquarantäne einer Pariser „grande auteure“, die samt Familie nach 44 Bora Bora flieht; Schreibübungen im Genre „journaux bobos“ bietet Doublure Stylo. Ein „anti-journal de confinement“ führt Nesrine Slaoui, aber auch die kommerziell durchaus erfolgreiche Cécile Coulon, die ab März 2020 mehrmals täglich Aphorismen und Lyrik via Facebook publiziert - literarische Kleinkunst, die sowohl die Mitmenschen „10- minutes par jour“ amüsieren als auch den die sozialen Netzwerke flutenden „tas de conneries“ kontern will; wie Fang Fang bezieht Coulon die Stimmen anderer ein (Lopes 2020). Das Digitalformat favorisiert die Reinterpretation des „journal intime“ zum „journal extime“ (Rosier 2020), das, gelegentlich kollektiv autorisiert - im Modus mehrstimmiger „écriture inclusive“ entsteht z.-B. das Journal der Gemeinde Divatte-sur-Loire (Malbœuf 2021) -, die persönliche Krisenerfahrung transzendiert. Im Lockdown mit Lachesis, Gregor-&-Co.: Éric Chevillards Sine die Schon in Prä-Corona-Zeiten Spezialist des ‚journal extime‘, verfasst Éric Chevillard ein parodistisches Lockdown-Tagebuch: Sine die erscheint ab 19.- März 2020 auf der Website von Le Monde und später Chevillards Blog L’Autofictif, darauf als von François Ayroles, Mitglied des OuBaPo (Ouvroir de Bande dessinée Potentielle), illustriertes „livre éventail“ (2021: 7). Bei allem Respekt vor einem „contexte funeste“ (7) setzt Chevillard auf Humor als „force de résistance“ (124); selbstironisch reflektiert er die Situation des Schriftstellers, der sich synchron mit einer Armee von Kolleg*innen an das Corona-Thema macht, trotz allem „un bon sujet, un sujet neuf “ (7). Erst recht in Zeiten des reconfinement --für einen Monat „a minima“, so der gelehrten „locutions latines“ gleichfalls nicht abholde Macron - erwarte man von der Literatur kompensatorische „grands espaces“; und so schickt Chevillard die 45 Leserin auf Weltbzw. Wohnungsreise, bläht doch das Lachen die Schutzmaske zum „Segel“ auf (7f.). Chevillards Textsammlung gestaltet sich als Kaleidoskop, in dem Fragmente des Corona- Imaginariums durcheinandergewirbelt werden; Paris gerät zur Horrormetropole voll „Horden tollwütiger Pangoline“: „[…] und sobald der Tag zur Neige geht, stürzen sich die Fledermäuse auf den Passanten, um sich in seinen Ellbogen zu schnäuzen. Nur zu Hause sind wir noch sicher“ (11f.). Dieses Zuhause wird zum literarischen Kuriositätenkabinett. Mit einem Seufzer der Erleichterung lässt der Protagonist sich in Xavier de Maistres Fauteuil nieder, während „Hausspinne“ Lachesis (99), Reinkarnation der gleichnamigen Schicksalsgöttin, ein Insekt namens Gregor (56) und andere Gespenster auf zwei, vier oder mehr Beinen ihr Unwesen treiben. „O Vlies, das tief hinab sich über den Nacken kräuselt! “, begrüßt den zum zottigen Urmenschen metamorphierenden Antihelden Baudelaire (96). Mit Mallarmés ikonischem Vers konstatiert jener, dass nicht nur das Fleisch traurig, sondern auch „tous les livres“ gelesen seien; aber „[z]um Glück“ endet die Literatur ja nicht mit Mallarmé, vielmehr „haben wir jetzt Éric-Emmanuel Schmitt“ (19f.). Während auf Distanz literarische Territorialkämpfe ausgefochten werden, gehen die Töchter im urbanen Gärtchen auf die Jagd; zwischen Text und Textil schreitet die Masken-Notproduktion voran: Der alte Brautschleier muss ebenso daran glauben wie die zu eng gewordene Tiroler Hirschlederhose; es folgt ein häuslicher Karneval, in dem der Protagonist als „la momie de Ramsès II“, Loïe Fuller oder Donald Duck die Bühne betritt (75f.). Chevillards Meta-Journal demontiert ein in seiner affichierten Individualität konformistisches Genre, obligatorische Übung für „tous les écrivains en activité“ (59), die sich in den etwas zu großen Fußstapfen Montaignes an der eigenen „complexité“ delektieren (39); die Explosion allseitiger „créativité“ wird zur metaphorischen „contamination“ (124), von der auch die eigene Corona-infizierte 46 „phrase“ zeugt (132). Mit doppelter Virulenz stellt sich die von Jean-Paul Sartre formulierte Frage, ‚was Literatur ist‘, zwischen Engagement und Autonomie gegenüber der Informations-‚Intoxikation‘. Hier hat auch der Autor keine Antwort zu bieten; mit feierlicher Ironie verspricht er ein „communiqué“ für den Fall, dass er zu einem „avis définitif “ gelange (9). *** Mit dergleichen Corona-Metadiaristik wird auch anderweitig experimentiert: „I began by writing the date of my own personal shutdown […] After that first entry, I could think of nothing else. Nothing much happened after that“, lässt Colm Tóibín jede Dramatik verpuffen (DP 31). Für Fonseca wird die Lektüre fremder „writers’ diaries“ zur Obsession, der Autor, selbst „incapable of writing“, zum ‚Tagebuchdieb‘ (Stars 374f.), der auf Schritt und Tritt Korrespondenzen mit der aktuellen Krise entdeckt: So stößt er in Ricardo Piglias Diarios de Emilio Renzi auf den Abschnitt Los años de la peste, der letztere - wie Luis Puenzos Camus-Adaption (1992) - als Politmetapher im Kontext der argentinischen Militärdiktatur interpretiert. Unter Entlehnung der Figuren Christian Morgensterns verfasst Barbara von Stryk Palmströms Tagebuch in Zeiten von Corona (2020); neben dem synchronen Kollektivdiarium - ein „poetisches Tagebuch“ polyphoner Corona-Befindlichkeiten präsentiert z.-B. Norbert Autenrieth (2020) - wird das Genre derart diachron erweitert. 47 „… io. Tu. Lui, lei. Noi, loro“: Chiara Gamberales Come il mare in un bicchiere Nicht nur in Frankreich wird das Lockdown-Tagebuch ob seiner Ego-Zentrik kritisiert; doch worauf beziehen wir uns, „quando diciamo: io? “. In Auseinandersetzung mit diesem „schmutzigsten“ aller Pronomina (so Carlo Emilio Gadda), mit der Problematik der „prima persona singolare“ in kollektiver Krisenzeit entsteht Chiara Gamberales Come il mare in un bicchiere (2020: 37, 60), litotisches „quaderno“, das sich nicht als „il diario della mia quarantena“ aufzudrängen wünscht (8), Suche nach einem adäquaten „modo per dire io“, der „di nuovo tu“ zu sagen erlaubt: „Lui, lei.-/ Noi, voi.-/ Loro“ (61f.). Die Pandemie wird als semiotisches Ereignis, in dessen Rahmen weiteren „parole preferite - casa, abbraccio, viaggio, libertà […]“ ein Sinneswandel widerfährt (17), als „gigantesca e terribile avventura“ (51), aber auch wohltuende Zäsur reflektiert. Im Bewusstsein der allgemeinen „tragedia“ (8) bekennt die Erzählerin, unter Verzicht auf die „protezione“ der Fiktion als „Chiara Gamberale, nata il 27-aprile di quarantatré anni fa“ identifiziert (61), ihre Angst, der Lockdown könnte allzu rasch zu Ende gehen, stiftet dieser doch ein „meraviglioso alibi“ (37), sich sozialen Verstrickungen mit dem Sanktus des „Grande Peppe“ - so nennt die kleine Tochter den allabendlich auf dem TV-Bildschirm auftauchenden Premier Conte, nationaler „baby-sitter“ - zu entziehen (57). „E sopportare di non sapere […]“ (63): Unter Verzicht auf jegliche „opinione“ (13) äußert sich eine in ihrem Nichtwissen luzide narrative Instanz, die auf das Schreiben als bewährte Strategie zur Domestikation diverser „mostri“ setzt (4) - darunter des jüngsten „disastro“, das die Welt einem blinden „gigantosauro“ gleich verwüstet (8). Die Präsenz der dreijährigen Ko-Protagonistin Vita, für die es das Geschehen altersgerecht zu framen gilt, motiviert ein kindliches Imaginarium: 48 Die von Tag zu Tag gemeinsam aufgeführten Märchenfiktionen werden zum psychowie poetologisch polyvalenten Rollenspiel; das quarantänisierte Subjekt splittet sich in eine Vielzahl digitaler Mini-Avatare, die an seiner Stelle draußen zirkulieren (41). Ein in seiner Vulnerabilität exponiertes Ich, das „la propria storia nel tutto“ zu situieren versucht (10), wird zum Resonanzraum jenseits singulärer Autorschaft: Über weite Strecken gestaltet sich der Text als Montage als solcher markierter, aber nicht referenzierter Zitate, heterogener Corona-„discorsi“, die zur „Unica Voce“ verschmelzen. Die Leser*innen werden zur Lösung des Rätsels aufgefordert („su internet si trova tutto“); auf die Selbstpreisgabe des narrativen Ich folgt jeweils die Anregung, auf den zu diesem Zweck integrierten weißen Seiten die gleiche kathartische Geste zu vollziehen. Den systematisch über sich selbst hinausweisenden Text beschließt eine letzte Einladung, jenem polyphonen Chor auch „la vostra, di voce“ hinzuzufügen: „Per dire io.-/ Tu.-/ Lui, lei. Noi, loro“ (66). „Je vous fais une lettre…“: Zur Corona-Briefliteratur In Gamberales Non-Quarantänetagebuch spielt Briefliteratur eine besondere Rolle - die „unsterbliche Korrespondenz“ zwischen Sigmund Freud und Arthur Schnitzler wie „le lettere fra Rilke e Marina Cvetaeva“ (2020: 19, 41). Als chronologisch strukturiertes, doch den drohenden „regreso al yo“ (Gumucio, zit. Espinoza 2020) transzendierendes Genre besitzt die Epistolaristik als exemplarische Distanzkommunikation einen Sonderstatus in der epidemieliterarischen Tradition; zur Zeit der „Grande Peste“ des 14.- Jahrhunderts, da der Konnex zwischen „musique et lyrisme“ brüchig, Literatur als „écriture“ in ihrer Materialität reflektiert wird, strahlt das Genre auf andere Gattungen aus (Doudet 2020). Später stellt 49 sich die Frage nach der Adressierung des postapokalyptischen Narrativs: An und für wen schreibt Mary Shelleys Last Man? Im Corona-Kontext erlebt eine medial aktualisierte Briefliteratur einen neuen Höhenflug: In den Zeiten der Corona-Pandemie: Briefe! (2020) betitelt Alexander P.- F. Ehlers sein Plädoyer für „Freundschaft und Zusammenhalt“. Etliche Periodika setzen auf serielle Formate (vgl. z.-B. die „Corona Correspondences“ der Sewanee Review). Die „Live-Korrespondenz“ einer Gruppe russischer Schriftsteller zwischen März und Oktober 2020 versammelt der Band Karantin po-piterski („Quarantäne nach Petersburger Art“). Ajouriert wird das Genre des politischen offenen Briefes: „Je vous fais une lettre […]“, wendet Annie Ernaux sich an einen literaturaffinen „Monsieur le Président“, der ihre Epistel - der Einstieg zitiert den Anfang von Boris Vians Chanson Le Déserteur - eventuell zu würdigen weiß (TC 194). Als Brief an die Kanzlerin präsentiert Julian Pörksen seine Episoden aus dem stillgelegten Leben (2020); eine Liebes-„Letter to Italy“ verfasst Jhumpa Lahiri, „gladly infected by their attitude“ (Stars 26, 28). Mit der Motivik epistolärer Kontamination spielt Maxim Osipov in seinem unter Allusion auf Namensvetter Gor’kij betitelten „Song of the Stormy Petrel“; auf die Corona-Infektion des Protagonisten via Internet folgt eine Apostrophe, die den „dear reader“ in den zum Kettenbrief reinterpretierten „Cautionary Tale“ involviert: „And you […] will also die if you don’t send this story to ten or twelve others“ (Stars 169-172). Korrespondenzen werden zum lyrischen Rohmaterial: Jessica Salfia konstruiert ein virales „[p]oem […] from emails received during quarantine“ (Cain 2020); in Ali Smiths Roman Summer wird über Briefe und Mails eine polyphone Erzählstruktur realisiert. Zwischen Fakt und Fiktion fungiert die Briefliteratur auch als Genre philosophischer Corona-Reflexion. 50 „Die Freiheit zu sterben“? Thea Dorns Trost Mit Trost. Briefe an Max verfasst Thea Dorn „eine Art Corona- Roman“ in epistolärer Form, belletristische Version eines Zeit- Essays (Bartels 2021), in dem sie die „Freiheit zu sterben“ einfordert (2020). „Wir müssen wieder sterben lernen“, proklamiert die Protagonistin ihres fiktionalen „Existenzialexperiment[s]“ (2021: 168, 86): Im maieutischen Dialog mit ihrem Ex-Philosophieprofessor Max verarbeitet Johanna den Covid-Tod ihrer vierundachtzigjährigen „Leichtsinnsmutter“ (18), die sich im Frühjahr 2020 fröhlich auf einen Italientrip begibt. Warum der Genrewechsel? Dorn appelliert an das Trostpotential der Literatur: „[…] deshalb habe ich einen Roman und eben keine philosophische Abhandlung geschrieben“; zugleich dient Johanna als Sprachrohr der Autorin, die sich mit nachsichtiger Sympathie von ihrer Heldin und deren „Neigung zur zugespitzten Formulierung“ distanziert (Jakobs 2021). Die Fiktionalisierung legitimiert einen rhetorischen Kreuzzug gegen eine als „Gefahr für die Freiheit“ dargestellte Pandemiepolitik (Bartels 2021): Johanna fügt sich zwar der Einsicht, dass es sich bei der aktuell durch die Medien getriebenen „besonders prächtige[n] apokalyptische[n] Sau“ namens Corona nicht bloß um „Sensationsgesums“ handelt (Dorn 2021: 10f.), ergeht sich jedoch in temperamentvollen Tiraden gegen die „guten Hygienehirten“ (20); ihre Häme gilt nicht nur dem „Seuchen-, Kurzarbeits-, Homeoffice-Idyll“ (82) ihrer Kollegenschaft, sondern auch Long-Covid- Patient*innen mit ihrem „Prinzessin-auf-der-Erbse-Syndrom“ (64). Im Widerstand gegen die Corona-„Lumpentragödie“ (136) darf sie für einen „Aufstand der Schönheitstrunkenen, Würdesüchtigen, Lebensverliebten“ plädieren (159) und gegen die Einschränkungen im Kulturbereich, aber auch Orchesterproben mit MNS polemisieren, wünscht sie sich doch „Wagners magische 51 Todessehnsuchtsklänge“ in über sanitäre Vorsichtsmaßnahmen erhabener Authentizität (134). An dieser Rebellion beteiligt sich der alte Schauspielfreund Theo, der zur postfuneralen Corona-Party lädt (23) und gegen „dieses scheiß Seuchentheater“ tobt; seine trotzige Forderung nach Wiederaufnahme normalen Bühnenbetriebs --„Und kostet es mein Leben! “ - wird nicht auf die medizinische Probe gestellt (160). Bei aller ideologischen Ambivalenz ist Dorns Rekurs auf das Genre Briefroman von Interesse. Ob der Digitalabstinenz des fernen Eremiten findet die Korrespondenz in Papierform statt; im Buch werden Max’ Kunstpostkarten wie Johannas handschriftlich adressierte und signierte Episteln reproduziert. Zwischen Wutausbrüchen und Selbstporträt als „tragischer Idiot“ zwischen den Medien (107) reflektiert die Protagonistin diese analoge Dezeleration, zentral für den kathartischen Prozess, an dessen Ende sie prekären Trost gefunden haben wird. „What is the internet but collective memory? “ Zur digitalen Memoria einer Pandemie Trost, ja „eine gewisse Netzwärme“ bietet auch das Internet (Lobo 2020), das sich bei aller ‚Kakophonie‘, so Giacomo Sartori, als Ort der Begegnung mit „other solitudes“ bewährt (Stars 427) - und in seiner relativen Demokratizität das Problem realer diskursiver Teilhabe aufwirft. Die Erinnerung an die Influenza 1918 prägen „those who got off most lightly: the white and well off “ (Spinney 2018: 292); aufs Neue stellt sich in Corona-Zeiten die Frage, wer ‚die‘ Geschichte der Pandemie erzählt haben wird. Schon 2020 entstehen Projekte, die die Ungleichverteilung auch narrativen Kapitals punktuell kompensieren: So versammelt ein unter der Ägide des UNHCR publizierter Band Quarantine Monologues 52 (2020) geflüchteter Teenager während des griechischen Frühjahrslockdowns. „What is the internet but collective memory? “ (Ma 2018: 6): Im Kontrast zur Spanischen Grippe, im kollektiven Gedächtnis zunächst vom Weltkrieg überschattet, wird die aktuelle Pandemie in Echtzeit mit Hilfe digitaler Formate memorialisiert. Das Pandemic Influenza Storybook der US-CDC geht 2008 zum 90-Jahr-Gedenken online; schon im Mai 2020 wird das Pariser Institut Covid-19 Ad Memoriam als „lieu de mémoire numérique“ gegründet. Hinsichtlich dieser digital akzelerierten Formation eines pandemischen „Weltgedächtnisses“ (Krämer 2020: 37) stellt die Corona-Krise ein Novum dar; an dieser „kollektiven Memoria“ (ibid.) partizipiert kritisch die Literatur: Die Transformation eines noch nicht zu Ende erlebten „événement“ zur „mémoire collective“ problematisiert Régine Robin (RI). Zugleich ist die frühe Corona-Literatur durchaus politisch: Aus radikaler Gegenwartsperspektive wird ‚Corona‘ als Kristallisation einer multiplen, zuvor z.- T. diffusen Krisenhaftigkeit reflektiert. Durch das rezente Pandemiecorpus marschiert eine parodistische Politparade des Desasters, an der Spitze Donald Trump, Boris Johnson und Jair Bolsonaro, gefolgt von „President Lukashenko of Belarus“ und dem Präsidenten einer der „former Soviet republics in Central Asia - one of the stans“ (d.-h. dem turkmenischen Staatschef Gurbanguly Berdymuchamedov), der die Pandemie für „a fake“ erklärt (Yoss, Stars 415). Kritisch analysiert werden politische Kriegsmetaphorik, angefangen mit Macrons Quasi-Refrain „Nous sommes en guerre“, aber auch doppelbödige „Heldenrhetorik“ (Thomä 2020: 53) und „triviale Hashtag-Solidarität“ (Schneider 2020: 68). 53 „I can’t breathe“: Das Virus als politische Metapher Unter Anknüpfung an die klassische moderne Epidemieliteratur wird Corona politisch recodiert. Unter den Mutationen des „Virus of Ideology“ figuriert ein parasitäres Kapital (Žižek 2020: 52, 110), aber auch das „Virus des Neoliberalismus“ (Adloff 2020: 147). „That plague called poverty“ reflektiert aus Mosambik Mia Couto: Den „masked man“, der ihn eines Tages aufsucht, missinterpretiert der betagte Erzähler als Räuber. Für den alten Mann, der die Pocken überlebt, seine Frau an Tuberkulose, seinen Sohn an Malaria, seine Nachbarn an AIDS verloren hat, sind die Erklärungen des Gastes zu den Maßnahmen, die die neue Krankheit erfordere, wenig glaubwürdig; nach Covid-Symptomen befragt, kann er mit seinen durch Minenarbeit ruinierten Lungen nur verächtlich lächeln: „The day I cough again, it will be to attract St. Peter’s attention at heaven’s gate.“ Es entfaltet sich eine Spirale bis zum Schluss unaufgelöster Fehlkommunikation: Als der Greis den titelgebenden „Obliging Robber“ zum Abschied umarmt, reißt dieser sich im Auto die Kleider vom Leib, als gälte es „the plague’s own attire“ loszuwerden; endlich erkennt der Erzähler „this illness the visitor is talking about“: „It’s called indifference. They would need a hospital the size of the whole world to treat this epidemic“ (DP 197-200). Nicht nur „the supposed democratic nature of plague“, sondern auch „Contempt as a Virus“ thematisiert Zadie Smith (2020: 14, 63). Wiederum im Sinne Camus’, der den Rassismus als „maladie stupide et criminelle“ charakterisiert (2017: 699), wird die Geschichte dieses „entire power structures“ infizierenden „virus“ nachgezeichnet; über den BLM-Kontext hinaus problematisiert Smith den Status einer „plague class“, die „all economically exploited people, whatever their race“ umfasst (2020: 69). Ein ge- 54 wisser „man called George“, Repräsentant all jener „people whose lives supposedly matter“ (ibid.: 65, 67), wird zur Corona-literarischen Figur, ein ikonisches ‚I can’t breathe‘ fortgeschrieben - so in einer kanadischen Kollektion von Récits infectés: „I can’t breathe. Please I can’t breathe“, hallen „les mots du géant Floyd“ im Kopf der Protagonistin Pascale Millots wider, während die Erzählerin Sarah Marceau-Tremblays zwischen BLM und Covid-Tod ihres Cousins über diese Formel meditiert. Die Kunst der Inter-Kontamination: Kollektives Schreiben in der Krisenzeit Unter Kollaboration von Amateur*innen und etablierten Autor*innen wie Catherine Mavrikakis oder Régine Robin entstehen diese Récits infectés in knapp drei Wochen. In programmatisch komprimierter Echtzeit gilt es die Ereignisse über eine „pensée de l’affect“ zu erfassen; im Rahmen polyvalenter „inter-contamination“ wird die Interaktion unterschiedlicher „crises“ wie „l’écriture comme crise“ reflektiert. Gezielt werden periphere Perspektiven integriert: In einem nur mit dem Vornamen Sanna signierten Text („Ride Alone“) erzählt eine junge muslimische Frau aus nun verdoppelter „quarantaine“; Léonore Brassard lässt eine selbst als „virus“ stigmatisierte Prostituierte triumphieren: Auch „votre bordel“ ist nun geschlossen, die hypokrite Gegnerschaft in ihren eigenen „Maisons closes“ verbarrikadiert. Bei Ouanessa Younsi muss eine Psychiaterin ironisch zugeben, dass ihre Patientin mit der „obsession de contamination“ Recht hatte; auch eine andere Klientin, im Ausnahmezustand „moins seule“, hat sich mit „toute cette histoire de pandémie“ besser als sie selbst arrangiert: „Ah… super.“ Unter dem leitmotivisch wiederholten Titel „Quand il y aura moins“ - nämlich „moins de virus“ - schildert Clara Dupuis-Morency die Pandemie aus der Sicht zweier zwischen Distance-Learning und Hygieneregeln verzweifelnder Kinder. 55 Nicolas Chalifours „Zorro carnaval“ demaskiert die Reaktion eines privilegierten Okzidents, der empört feststellt, dass plötzlich auch ‚hier bei uns‘ gestorben wird: „tant de morts […] et tout ça ici! ici! “ Im Spiel mit der literarischen Tradition gewinnt die synchrone Polyphonie eine diachrone Zusatzdimension: Frédérique Lamoureux’ Heldin identifiziert sich mit Hans Castorp als „quarantaine“- Schicksalsgenossen; Simon Harels Erzähler reist zu Pandemiebeginn nach Paris, im Zwanzig-Kilo-Koffer die Œuvres mehr oder minder complètes Antonin Artauds. Während er dessen Reflexionen über „Le Théâtre et la Peste“ (1933) fortspinnt - hätte Artaud die Verseuchung „du monde entier“ begrüßt? -, nimmt der Plot eine surrealistische Wendung, samt Reinkarnation des Dichters als Fledermaus auf dem Wet-Market von Wuhan. Quer durch die Sprachen und Kulturen entsteht eine Fülle ähnlicher Projekte: Andrà tutto bene, versichert ein italienisches Kollektiv in einem mit dem populären Hashtag betitelten Werk. Gleich 44 Autorinnen und Autoren - darunter A.-L. Kennedy, T.-C. Boyle und Cécile Wajsbrot - schreiben zur Corona-Zeit unter dem Titel Schwellenzeit (Ed. Bettina Spoerri/ Anne Wieser 2020); einen gemeinsamen Covid-„Fortsetzungsroman“ verfassen u.- a. Ruth Schweikert, Michael Stavaric, Simone Meier und Stephan Pörtner (ibid.), während ein zuerst online publizierter „Roman collectif “ der Éditions Zinédi (Et ensuite… Le feuilleton post Covid-19) im Frühjahr 2020 das Ende der Pandemie antizipiert. Das kanonische Modell narrativer Soziabilität bietet freilich die Literaturgeschichte der Epidemie: Über die Jahrhunderte hinweg erweist sich das Decameron als potente Quelle kreativer ‚Infektion‘. 56 „Coronameron3D“: Decameron-Variationen im digitalen Kontext „Wolltet ihr jedoch in diesem Punkte meinem Rate folgen, so vertrieben wir uns diese heißen Tagesstunden […] mit Geschichtenerzählen […]“, lässt Boccaccio seine Pampinea als „Königin des ersten Tages“ vorschlagen; Zeugnis einer historischen „crise sanitaire“, stiftet sein Werk das vielfach variierte Modell der Novellensammlung samt Rahmen, der „effet de réel et effet de fiction“ kombiniert (Doudet 2020). Auf kollektive Krisenbewältigung setzt fast sieben Jahrhunderte später auch die Corona- Literatur; dabei erscheint Boccaccios „livre multimédia“ (Nathalie Koble in Benetti 2020) selbst in neuem Licht. Die Digitalisierung macht vor dem Multimedia-Renaissancewerk nicht halt. Schon am 3.- Februar 2020 twittert ein User sein „coronamerone“-Projekt: „Boccaccio aspettami! “, meldet sich ein Kandidat. Am 13.- März wird ein Facebook-DigiDecameron kreiert; ab Anfang April organisiert Boris Akunin im Namen des AST-Verlags den Videozyklus Korona Dekamerona, an dem u.- a. Ljudmila Ulickaja mitwirkt; „des histoires tant que le confinement durera“, verspricht Alain Freudigers Podcast DéCAMERA; unter der neologistischen Devise Décamérez übersetzt Koble aus Boccaccios „livre pandémique“. In Ridvan Karamans Film- Coronameron (2020) dokumentieren drei Schauspielstudierende via Handy ihren Quarantänealltag; das häusliche Umfeld gerät zur Bühne, auf der - räumlich dezentriert - die Proben einer Decameron-Adaption stattfinden. Aus der Konfusion von Leben, Film und Theater geht nach Intention des Regisseurs eine „new reality“ hervor. Absehbarerweise stimuliert das Decameron die Academia: Über Boccaccios Zehntagesfrist hinaus rechnen die Initiator*innen eines deutschen Online-Triakontameron (d.-h. ‚Dreißigtagewerk‘); unter 57 dem Titel Coronameron entsteht an der KU Leuven ein kollektives Blog-Diary of the Covid Year: Neben den universellen „Classics in Time of Pandemic“ (Michiel Meeusen) werden weniger bekannte Epidemietexte analysiert, so Filip De Pillecyns Pestnovelle Rochus (1951) oder Curzio Malapartes Roman La pelle (1949), zunächst „La peste“, mit Blick auf Camus umbenannt (Chiara Zampieri). An ein eigenes Decameron zwischen „grandi classici“ und „attualità“ wagt sich eine Schulklasse aus dem sizilianischen Mascalucia (Privitera 2021: III); die Lockdown-Reflexionen einer Gruppe aus Messina versammelt ein weiteres Coronameron 2020. Boccaccio inspiriert im engeren Sinne literarische Projekte. Nicht nur in Italien blühen Variationen des Decameron 2020 (vgl. z.- B. Fortini 2020, Pratici/ Vettori 2020, Perillo 2021); als zukünftiges „Décaméron pour le Coronavirus“ charakterisiert Debray die Gallimard-Tracts (TC 557), Dokument auch einer französischen Literaturgeschichte der Epidemie: Neben Camus - vertreten mit seiner „Exhortation aux médecins de la peste“ (TC-216-222), Prä- und Intertext zum kanonischen Roman - kommt Guillaume de Machaut als Zeitzeuge der Schwarzen Pest zu Wort. Zum „jeu littéraire“ auf den Spuren Boccaccios lädt unter dem Motto Décaméron20/ 2.0 der korsische Verlag Albiana; als soziales „kaléidoscope“, aber auch Instanz der „mémoire vivante“ versteht sich der aus diesem Projet littéraire collaboratif hervorgangene Band. „462- ans, presque un demi-millénaire […]“: Mit Bezug auf Boccaccio und das 1558 publizierte Heptaméron Marguerite de Navarres wird am 22.- März ein auf digitale Distanz interaktives Coronaméron lanciert (Koll. 2020: 8), das neben fiktionaler und essayistischer Prosa mit Corona-Poesie experimentiert; ein Haiku pro Tag, „solange das Coronavirus wütet“, so das Programm einer Teilnehmerin (33). Resümee eines „monde en déroute“, werden Corona-Headlines als Textmontage reproduziert (80); wie das Geld für Molières Geizigen wird die fehlende Schutzmaske zur „obsession“ (39). Schon dieses frühe Coronaméron integriert das 58 Genre Tagebuchparodie: Unter Verweis auf gewisse „autrices à succès“ lässt eine akut an Covid erkrankte Lehrerin ihre Schützlinge „leur confinement dans leur maison de campagne“ beschreiben. „Samstag, der 14.: Wir sind gut in der Sarthe, in einem der Schlösser meiner Familie, angekommen“, spielen diese eifrig mit (48); direkt „dans ces récits de la Renaissance“ könnte man sich in der noblen Lockdown-Residenz wähnen, nur geht mit der Boccaccios würdigen Lokalität eine defizitäre „connexion internet“ einher (72). Als „the Decameron for a new era“ präsentiert sich mit selbstironischer Megalomanie ein dreibändiges Crowd-Coronameron (2020): „As disease, famine, and riots swept the world, the eccentric guests of a psychiatric hospital set to work on a piece of literature […]. This is the result […].“ Das Schaffen jener genialen „patients“ (IX) kommentiert „Professor Anon, PhD in Literature (not a joke)“ (251), während die Leserin über ihren eigenen „Drawing Space“ verfügt: „Be creative! “ (677). Eine Metatour des Desasters führt „through all known genres“, von „Ovid-19“ (466) bis zum „Coronameron3D“ (483, 684); auf „L- E- V- I- R- U- S- T- H- A- N TM […] By Thomas Hobbes of Memesbury“ (389) folgen eine Sonett-Parodie auf „America’s normal“ (597) oder eine postkoloniale Version von Pepys’ Tagebuch, das u.-a. die Große Pest von London dokumentiert: „Contrary to popular belief, Samuel Pepys was born in Ouagadougou […]“ (566). An die Kreativität der Rezipientin appellieren „Novel novel ideas […] (feel free to add)“, darunter „Coronita, By Vladamir Nabakoof “ oder die längst fälligen Neo- „Notes from the Corona-ground“ (591f.). Parodistisch reflektieren diese „Coronamerons/ Coronanomicons“ (251) die Dynamik digitaldemokratischer Kollektivproduktion: „You consider crowdsourced books to be stupid, and yet you contribute to one? Ironic. (THAT’S THE JOKE YOU ACTUAL RETARD)“ (314). 59 „The plague is out there“: The Decameron Project Eine renommierte ‚Crowd‘ versammelt das Decameron Project der New York Times. Aus einer „old structure made new again“ (XVI) entfaltet sich ein interkulturelles Panorama zwischen New York und dem pakistanischen Karatschi; Paolo Giordano steuert eine Kurzgeschichte aus dem in „one giant red zone“ verwandelten Italien bei (188). Boccaccios Modell wird medial aktualisiert: So referiert der Erzähler von John Wrays „Barcelona: Open City“ die auf das Zoom-Limit von „40-free minutes“ kalkulierte „lockdown fable“ (278f.) eines arbeitslosen Bekannten, der im Frühjahr 2020 dank Vermietung seiner Hunde ein profitables „business model“ entwickelt und vermeintlich zum „Elon Musk of Poble Sec“ avanciert (273); hoffnungsvoll sieht Xavi einer herbstlichen „second wave“ entgegen (279). Rachel Kushner („The Girl with the Big Red Suitcase“) öffnet ihren bunten intertextuellen Koffer mit „that old tale by Poe“: Zum Zeitvertreib beschließt auch diese Gesellschaft von „dissolute snobs“, reihum „a story“ zu erzählen (101-103). Am Wort ist ein des Englischen nicht mächtiger norwegischer Autor; via doppelbödiges „happy ending“ wird die von seiner Frau übersetzte Story mit der diegetischen Realität kurzgeschlossen, die Ko-Narratorin als Heldin dieser boccaccesken Liebesgeschichte identifiziert (112). Eine raffinierte Boccaccio-réécriture bietet Margaret Atwood mit „Impatient Griselda“. Als extravagante Erzählinstanz fungiert ein*e jenseits terrestrischer Genderkategorien angesiedelte*r Außerirdische*r („We do not have such limited arrangements on our planet. […] Excuse me, Sir-Madam? Sir, you say? “), im Rahmen eines „intergalactical-crises aid package“ auf die verseuchte Erde gesandt: „Yes, I know I look like what you call an octopus […] No, you may not leave the quarantine room. The plague is out 60 there.“ Zwischen wohlmeinender, wenngleich ob einer sich infantil gerierenden Menschheit ungeduldiger Betreuung aus dem All („[…] stop whimpering, and take your thumb out of your mouth, Sir-Madam“) und quarantänisiertem Publikum kommt es zu allerlei interstellaren Missverständnissen, bei deren Aufklärung sich die mitgeschickte „translation device“ als eingeschränkt hilfreich erweist (69-71). Immerhin wird zur Unterhaltung eine Geschichte versprochen: „I was told to tell you a story […]“, ist der/ die Erzähler*in auf dem Heimatplaneten doch „a mere entertainer and thus low in status“ (70) - ironische Reflexion über die Rolle der Schriftstellerin, die mit dem davor platzierten Beitrag Slimanis resoniert. Bei besagter „ancient Earth story“ (70) handelt es sich um eine feministisch-kannibalistische Reinterpretation jenes Wandertexts aus der europäischen Folklore, dessen erste bekannte schriftliche Fassung sich im Decameron findet. Über Petrarcas lateinische, Chaucers englische und Perraults französische Version hinweg knüpft Atwood an Boccaccio an: Als Erzähler jener Geschichte -- Nr.- 10 des zehnten Tages, die letzte vor der Rückkehr nach Florenz - kritisiert Dioneo die „törichte Roheit“ des Protagonisten; erst später wird Griseldis zum „parfait modelle“ weiblicher „patience“ (Perrault 1691: 50). Bei Atwood gesellt sich zur „Patient Griselda“ die eponyme ungeduldige Schwester. Gemeinsam locken „Pat and Imp“ den bösen Ehemann in die Falle, ermorden und vertilgen ihn („bones, brocaded robes, and all“); es folgt die „joyful reunion“ mit dem Nachwuchs: „and they all lived happily […].“ Angesichts der befremdeten Reaktion des Auditoriums („What is WTF? Sorry, I don’t understand“) räumt der Gast ein, dies sei „a cross-cultural moment“ gewesen, bevor er/ sie sich erleichtert verabschiedet: „I have several other quarantined groups on my list […] Indeed, Sir-Madam, I hope the plague will be over soon, too. Then I can get back to my normal life“ (DP 70-76). Im Rahmen der US-Authors Guild Foundation leitet Atwood ein weiteres Corona-Decameron: Unter dem Arbeitstitel Fourteen 61 Days versammelt ein für 2022 angekündigter Kollektivroman eine Gruppe von Figuren „on a Manhattan rooftop“; per Handy aufgezeichnete „stories and conversations“ bilden einen „unauthorized guerilla text“ (zit. Italie 2021). *** Andere Boccaccio-Variationen werden individuell verfasst: Oleg Zoberns Chroniki čumnogo vremeni („Chroniken der Pestzeit“), die eine pittoreske Erzählrunde auf der Rekonvaleszenzstation des Moskauer Kommunarka-Krankenhauses versammeln, werden als „neuestes Decameron“ vermarktet (Guga 2020). In Christian Chapus’ Regional-Coronaméron (2020) entdeckt ein jugendliches Pariser Quartett nicht nur die italienische Epidemieklassik, sondern auch die Schönheiten der Ardèche. „Man ist nun einmal betroffen von Coronen“: Mit Boccaccio nach Buchenwald Ivan Ivanjis Corona in Buchenwald darf als Exempel dafür gelten, dass aus der Perspektive radikaler Zeitgenossenschaft bereits anspruchsvolle, die Tagesaktualität transzendierende Covid-Literatur entsteht. „Corona ist an vielem schuld. Natürlich nicht die Schröter“ (2021: 247): Bei Ivanji wird das „Virus mit dem schönen Namen“ mit der „schöne[n] Iphigenie der Uraufführung“ assoziiert, „Geliebte Karl Augusts, die vermutlich auch Goethes Bettgefährtin war“ (250f.). Boccaccios Text dient als Matrix, die zwischen Buchenwald und dem benachbarten Weimar unterschiedliche ‚Geschichten‘ zu bündeln erlaubt: „Wären wir tapferer, viel tapferer gewesen, hätte Nachfolgendes geschehen können. […] Wieso nicht? “ (10). Im April 2020 versammeln sich denn also zwölf hochbetagte ehemalige KZ-Häftlinge im Weimarer Hotel Elephant, wo einst 62 Hitler zu logieren beliebte, darunter der serbische Schriftsteller „Alexander Mihályi-Mihajlović, genannt Sascha“ (13); mit feiner Selbstironie porträtiert Ivanji dieses Alter Ego, das - leitmotivischer Gag - vom mitgereisten Sohn in seinem „Redeschwall“ gebremst werden muss (15f.). Die alten Herren, die von sich behaupten können, Schlimmeres überlebt zu haben, eint ihre Verachtung für die „Corona-Hysterie“ (17); freilich werden sie rasch vom „blöde[n] Virus“ (13) eingeholt: Aufgrund der Covid-Erkrankung eines Beteiligten landet man „im virusverseuchten Weimar in luxuriöser Quarantäne“ (151). Erwartungsgemäß erweist sich dieses Setting als explosiv: „Seid ihr eine neue SS? “, empört sich „Oberst Igor Iwatschew, Berufsoffizier“ (24f.), als die Gäste mit maximaler Höflichkeit kaserniert werden. Die zum „Überwachungspersonal“ mutierten „lieben Gastgeber“ (29) bemühen sich um Unterhaltungsprogramm; für die eingerichtete Zoom-Videoschaltung findet sich kreative Verwendung, ist Sascha doch samt Büchern aus seiner Belgrader Bibliothek angereist: „Zufällig war darunter auch Boccaccios ‚Decamerone‘. […] Dieser Zufall bringt ihn auf eine Idee“ (36)… Auch hier funktioniert „unser Decamerone“ (48) en abyme: Gleich am ersten Abend erzählt ein französischer Teilnehmer eine Novelle Boccaccios nach, und zwar mit Nr.-1 des achten Tages eine Geschichte, „die ein wenig schlüpfrig ist“ (50). Den Konnex zur aktuellen Lage etabliert Philippe Pharoux über die Pandemie-Sextipps der Stadt New York, bevor er anregt, dass man, wie „Boccaccios Heldinnen und Helden […] auch Geschichten über die Pest erzählt haben“, in diesem Kreis „etwas über die Nazipest […] erzählen“ könnte (57). Es folgt ein Geschichtenkranz voller intertextueller Bezüge, von „Ovids Quarantäne, pardon Verbannung“ und den Tristia als „Beginn der Exilliteratur“ (121-123) über Andersens Märchen bis zu Sergej Esenin und dem 1944 ermordeten Dichter Miklós Radnóti. Mit und gegen Boccaccio referiert Sascha eine Lagerepisode um den Lyriker Hans Günther Adler, „keine Mär für 63 das ‚Decamerone‘, sondern die Wahrheit“ (89). Ein griechischer Ex-Sportler, der das KZ dank seiner Boxkünste überstanden hat, fungiert als unprofessioneller, dem eigenen „Gefasel“ gegenüber kritischer Erzähler (136); am anderen Ende der Skala positioniert sich der polyglotte Prager Slawistikprofessor, der zwischen Hitler und Corona die Golemlegende reinterpretiert. In synkretistischer Eintracht werden Passagen aus der Haggada wie der Bibel variiert; „Michael Jung, Jehovas Zeuge“ bietet anhand der Bergpredigt seine religiöse Lesart dar: „Ich will hier von einem unendlich größeren anderen erzählen, der erzählt hat. Das ist doch auch im Sinne des ‚Decamerone‘ […], oder? “ (157-159). Als auf den ersten Blick paradoxe Evasion erlaubt die Evokation der KZ-Vergangenheit der Pandemie vorerst auszuweichen; wie Boccaccio seine Figuren sanft zum Thema Pest zurückführt, wird bei Ivanji Corona narrativ domestiziert. Mit der Rückkehr des zwölften Teilnehmers aus der Klinik wird die Assoziation explizit: „Er war sehr nahe am Tod. Vor fünfundsiebzig Jahren waren wir alle […] täglich, stündlich dem Sterben sehr, sehr nahe […]“ (210). Dieser letzte, noch etwas atemlose Sprecher artikuliert als erster jene „Grundidee“ des gemeinsam in Buchenwald nachzuholenden Todes (219), berichtet darauf von der Coronasituation in den US-Indian Reservations und bereitet derart das Terrain für eine prinzipielle Reflexion über die Ethik der Narration; angesichts der erzählenden Männerrunde ist es Madame Pharoux, die den „Machismus“ der bisherigen Beiträge moniert (202). Das Buchenwald-Decameron bleibt offen. Sascha bedauert, die falsche Geschichte gewählt zu haben - und liefert der Leserin eine Alternative nach: Seine Ausführungen über „die von der deutschen Germanistik schmählich vernachlässigte Corona Schröter“ bilden das Herzstück des jene beiden „Coronen“, von denen man „nun einmal betroffen“ ist, via Zitatmontage verbindenden Romans (183f.). Parallel infiziert das Decameron die diegetische Realität: Als Sascha sich nach dem ersten Erzählabend heimlich zu seinem 64 Sohn schleicht, kommt es ihm „[r]ichtig schlüpfrig […] wie bei Boccaccio“ vor (58); und auch wenn die alten Herrschaften nicht mehr recht zu Helden frivoler Liebesaffären taugen, gerät das Quarantänehotel mit seinem prachtvollen Frühlingsgarten und den flirtenden „Buchenwaldenkeln“ doch noch zur Decameron- Szenerie: „Boccaccio hätte seine Freude an ihnen gehabt“ (152-154) - wie vielleicht an Ivanjis passionierter Conclusio über die Macht der Fiktion: „Dass die Gedanken frei sind, hat man einst in Buchenwald gelernt und diesmal die Lektion wiederholt“ (254). *** „[…] imagination is what is getting us through the crisis“, so Juan Villoro (Stars 269) in Stavans’ Corona-Anthologie, die Boccaccio mit einer anderen der drei Florentiner ‚Corone‘ kombiniert. And We Came Outside and Saw the Stars Again zitiert den Schluss des Inferno: Fünf mit Dante betitelte Etappen beleuchten die Pandemie aus der Sicht von zweiundfünfzig Writers From Around the World. Auf die Kontamination von Dante und Decameron setzt ein spanisches Kollektivprojekt: In „El Coronavirus de Dante“ zeichnet Enrique Graza Grau eine Quarantäne samt Divina Commedia nach; durch diese mehrfach klassischen Relatos en tiempos del Coronavirus geistert freilich auch der Quijote. Ironisch wird die eigene Situation mit „Newton y la creatividad en el confinamiento“ (Pablo Martínez de Anguita) kontrastiert: Eben zur Pestzeit 1665 formuliert jener nicht nur das Gravitationsgesetz, sondern macht auch anderweitige revolutionäre Entdeckungen, all das „sin internet“… Wie all diese Decameron-Variationen illustrieren, verbindet die heterogene Corona-Produktion über das thematische Moment hinaus eine prononcierte Metadimension. Nicht nur in professionell autorisierten Texten ist die Reflexion über analoge oder digitale Medialität des Erzählens, Geschichte und Gegenwart der Epi-/ Pandemieliteratur omnipräsent. 65 Eine „Reise durch die Bücher zu den Krisen und den Seuchen“: Martin Meyers Corona Schon im Frühjahr 2020 schickt Martin Meyer seinen Protagonisten auf Corona-„Reise durch die Bücher zu den Krisen und den Seuchen“ (61). Die äußere Handlung wird auf ein Minimum reduziert: Ein alter Herr namens Matteo, praktischerweise Buchhändler, verbringt, erkrankt und eventuell mit Corona infiziert, seine Quarantäne mit Lektüre; die Erzählung strukturiert sein von Nachrichten aus einer vagen Außenwelt interpunktierter epidemieliterarischer Parcours. „War die Seuche eine Plage? “ (43): Nach Bibellektüre und Telefonat mit einem befreundeten Arzt, der von der Situation in den lokalen Krankenhäusern berichtet - über Figurennamen und mediale Referenzen wird das Geschehen in einem italienischen Kontext verortet -, steht „ein mutiger Sprung […] in die Renaissance“ bevor (81), nur dass heftiger Kopfschmerz das Meta-„Rendezvous mit Boccaccio“ sabotiert; dabei hatte der Protagonist „gedacht, er könne […] es sich bequem und gemütlich machen mit dem Decamerone und damit das tun, was die zehn Figuren des Decamerone taten […]“ (89). Analog zur anonymen „Menge Leichen“, die man „so schnell wie möglich in sehr tiefe Gruben warf. Schicht um Schicht“, steigen zum Albtraum degenerierende „Bilder um Bilder“ empor (86-91); über das Stichwort „Rampe“ wird eine „Verbindung von Florenz nach Auschwitz“ (107), aber auch zur Aktualität hergestellt, da statt Holzkarren Militärlastwagen die „immer größeren Mengen“ von Toten abtransportieren (118f.). Ausgehend von Defoes Journal reflektiert Matteo Religionsproblematik wie Augenzeugenschaft zwischen Fakt und Fiktion (127); auf Jeremias Gotthelfs Schwarze Spinne folgt mit Manns Tod in Venedig ein mit den „Erzählungen des Großvaters“ (171) aus Cholerazeiten assoziierter Standardklassiker. Die Lektüre schreibt 66 sich „im Halbschlaf “ fort: Nach einer pseudovenezianischen „Nacht des Fiebers und der Träume“ erscheint der entsprechend adjustierte Arzt zum Coronatest; vom vermeintlichen Sanitär- „Monster“ geht es retour zum Zauberberg, in dem der Tod wie ein „wildes Tier“ haust (175-181). In einer poetologischen Schlüsselpassage lässt Meyer seinen redlichen Leser die Warnung formulieren, dass es „nicht die Aufgabe von Literatur“ sei, „andauernd Sinn zu vermitteln. Andauernd zu sagen, das oder jenes ist gemeint“ (182). Zu bester Letzt hat Camus-Biograph Meyer mit der Pest für seinen Protagonisten eines von dessen „Lieblingsbüchern“ reserviert, das die Idee einer „höhere[n] Moral“ der Epidemie demontiert, „Haltung“ und solidarisches Engagement demonstriert (186-194). Wie Camus’ Paneloux bleibt Matteo, unter den „uneindeutigen Fällen“ kategorisiert, ein ‚cas douteux‘ - aber am Leben; vom Interpreten seiner Symptome und jener sechs Seuchenklassiker wird er wenn nicht zum Schriftsteller, so doch zum Schreiber - und Zensor seiner selbst: „Matteo […] schüttelte den Kopf und zerriss das Papier“ (197f.). Als Buchhändler ist er von der Verpflichtung entbunden, profunde Ein- und Aussichten zum Thema Corona zu generieren; guten Gewissens darf dieser bescheidene Held „das Genie der großen Klassiker“ (41) bewundern und in allerlei halbgelehrten Weisheiten schwelgen. Derart wird nicht nur die Leserschaft in eine womöglich allzu komfortable Superioritätsposition manövriert, sondern auch die eine oder andere didaktische Digression motiviert; gerade weil er „kein Professor und kein Kritiker“ (186) ist, taugt dieser Matteo zum Präsentator jenes epidemieliterarischen Palimpsests, hatte er doch „bei einem Schriftsteller gelesen, dass dieser einen anderen Schriftsteller gelesen hatte […]“ (25). 67 „Writing now doesn’t matter anymore…“: Corona-Literatur als Metaliteratur Bei professionellen Autor*innen geht mit den lektoralen Exzessen des Lockdowns eine gewisse Ambivalenz einher. „I’ve always coped with anxiety and the unknown by reading“, gesteht Grace Talusan; Krisenbewältigungsstrategie, die nun außer Kontrolle gerät (Stars 395). Für Arshia Sattar wird ein Biblio-Lockdown in der mütterlichen Wohnung zum Experiment in „Living with My Younger Self “; die Werke Orwells, Kafkas, Huxleys oder Zamjatins, die jenes jüngere Ich als „paranoid dystopias“ las, verwandeln sich in „the gross and brutal reality of my time“ (Stars 368, 371). „Writing now doesn’t matter anymore, or it doesn’t matter much […]“, konstatiert Eduardo Halfon (Stars 384). Arthur Dreyfus meditiert über jene plötzliche „Impossibilité d’écrire“ (TC 66-71); im gleichen Band analysiert Nancy Huston ihre „paralysie scripturale“ (TC 228). „How to write is not so simple“, bekennt auch Sinay; im schlimmsten Fall versagt der Autor noch als Leser, vom sozmedialen „biothriller“ blockiert (Stars 60). Unter dem wortspielerischen Titel „Screen Time“ inszeniert Alejandro Zambra ein Schriftstellerpaar, in Zeiten des „shitty virus“ mit der „futility of each and every word“ konfrontiert; nichts illustriert die Krise drastischer als der Beschluss, das strikt TV-frei erzogene Kind fernsehen zu lassen (DP 131f.). Quer durch die Corona-Literatur wird der Verweis auf Shakespeare ausgesponnen, der sich im Pestlockdown an King Lear macht: „I’m not sure whether the point was to galvanize us or make us all just give up“, wie Bohjalian (2020) kommentiert. Literatur allein werde in der postpandemischen Welt nicht genügen, „la science seule non plus“, so Haruki Murakami (Nishimura 2020). Auch in der Corona-Populärliteratur beliebt ist die Paarung Wissenschaftler*in und Autor*in; Mona Ullrichs Liebe in Zeiten der 68 Seuche (2020) setzt ebenso auf diese Kombination wie Das Corona- Ende des Tandems Sund/ Biel, dessen Protagonist, durch die Pandemie weiter prekarisierter Schriftsteller, unter dem Erfolg seiner in die Covidforschung involvierten Frau leidet: „Wenn ich an Corona sterbe, wird es dir leidtun“ (2020: 100). Eine noch brachialere Version der Leiden des männlichen Dichters liefert Markus Reichs Corona-Idiot (2020). Bei Sund/ Biel motiviert die Profession des (Anti-)Helden eine digestibel aufbereitete Reflexion über Perspektiven aktueller Pandemieliteratur: „Vielleicht ein komplett neues Genre, Krimi oder Science-Fiction? […] Besucher aus der Zukunft, die eine fürchterliche, die Menschheit vernichtende Krankheit heilen…“ (2020: 12). Anstatt des erwogenen SF-Romans greift Sebastian einen „neu-alten Text“ auf (58), der bunte „Geschichtenrunden“ in das nummerierte ‚Zwölftagewerk‘ erster Ebene integriert (246). Gleich mehrfach gerät das Ganze zum „Puzzle“ (191); die „Auflösung der Geschichten“ (141) zwischen Realität und Fiktion wird nicht mehr eingelöst. Nicht ohne autoreferentielle Ironie thematisiert das aus selbstauferlegter Quarantäne schreibende Autorenduo das Schicksal des Corona-Romans im Corona-Roman; während der Protagonist noch auf der Intensivstation liegt, übernimmt die Ehefrau die PR: „Das ist doch eine Sensation in dieser Zeit! Geschrieben von einem Coronakranken. Mehr Marketing geht nicht“ (164). „… Arztroman oder Meisterwerk? “ Wim Daniëls’ Quarantaine Medizin und Philologie kombiniert auch der Mitte Mai 2020 publizierte niederländische Corona-Pionierroman Quarantaine, mit dem Wim Daniëls das nationale „Rennen“ (Werf 2020) gewinnt. „[…] doktersroman of meesterwerk? “ (Veen 2020): Wenngleich dem Autor zufolge in nur vier Wochen geschrieben, ist Quarantaine 69 kein bloßer „Arztroman“, im Text scherzhaft reflektiertes Genre; auch in seinem „coronaroman“ bleibt Daniëls dem Programm treu, „[z]ugänglich über schwierige Themen zu schreiben“ (zit. ibid.). Im März 2020 führt Daniëls einen niederländischen Arzt, der an einer Dissertation über die Ethik der künstlichen Gebärmutter arbeitet, mit einer zur Interpunktion promovierenden Landsfrau im Ferienpark ‚Promo‘ in der Dordogne zusammen; seine eigenen Studien zu beiden Problematiken kommen dem Autor zupass (ibid.). Mit der relativ leicht verlaufenden, dabei präzise geschilderten Covid-Infektion der allein im Camp zurückbleibenden Protagonisten ist das Setting für ein intimes Mini- Decameron perfekt. Neben fiebriger Erotik besteht diese ‚Quarantaine‘ aus Gesprächen, Gedichtrezitationen und Geschichten: Das Dissertationsthema der Heldin bietet den Anlass für allerlei Streifzüge durch die niederländische Literatur; als Patron in puncto „kommakwesties“ (Daniëls 2020: 34) kommt Karl Kraus ins Spiel (26). Der zentrale Intertext ist das Werk Anton Čechovs, der seine medizinische Expertise auch literarisch exploitiert und hier eine elegante Metalepse inspiriert: Schon ihren ersten Auftritt hat Protagonistin Julia als attraktive „Dame mit dem Hündchen“ (9); zu Hause in Rotterdam hat sie freilich keinen betrogenen Ehemann, sondern „een vrouw“ sitzen (140). In Gesellschaft Čechovs unternehmen die beiden holländischen Patienten eine imaginäre Weltreise ins „Grand Oriental Hotel“ von Colombo, wo der Autor auf dem Rückweg von der Gefängnisinsel Sachalin verweilt (88f.); seine Weihnachtsgeschichte „Vosklicatel’nyj znak“ („Das Ausrufezeichen“) wird vom nun selbst mit dem „Satzzeichenvirus“ infizierten Karel als éducation sentimentale in eigener Sache interpretiert: „[…] dan, ja dan…! ! ! “ (119f.). „Wer das Komma nicht ehrt, ist des Textes nicht wert“, so Gerrit Krol (zit. 49f.); die Interpunktionspassion der Protagonisten stiftet einen Kontrapunkt zu den „oft panischen Nachrichten“ aus der pandemischen Aktualität (51). Die Philologin in ihrem Diss- 70 Bungalow repräsentiert wie ihr Quarantänegenosse - der, so Julias eifersüchtige Freundin nach Onlinerecherche, „geen Facebook, geen Twitter, geen LinkedIn, geen Instagram“ besitzt (134) - eine gewisse Distanz gegenüber digitaler Echtzeitfrenesie. Aus der Heterotopie des Camps lässt Daniëls seine Figuren einen luziden Blick auf das Corona-„pandemonium“ richten (44): Während Julias Lebensgefährtin, von Beruf Lehrerin, via Telefon und WhatsApp aus ihrem Lockdown-Alltag samt digitaler „coronalessen“ (131) berichtet, liefert ein Kollege Karels den medizinischen Kommentar, zwischen realer Gefahr von SARS-CoV-2, „massahysterie“ (64) und „unsinniger“ Alters-Triage (174). Entsprechend nuanciert fällt die Darstellung aus, ohne apokalyptische Töne, aber auch ohne Bagatellisierung; über ein sekundäres Figurenpaar, Campbetreiber Ruud und seine invalide Partnerin, die auf der Intensivstation trotz Beatmung stirbt, wird die tragische Variante einer Covid-Erkrankung integriert. Statt Boccaccios Florenz bildet die Seuchenkulisse ein französisches Dorf, in dem die Protagonisten, einmal genesen, an Mimis Corona-Begräbnis teilnehmen (171). Entstanden im Frühjahr 2020, zeugt Quarantaine vom offenen Zeithorizont der frühen Corona-Literatur; auf Julias Frage, wie lange dieser „toestand met corona“ noch andauern werde, kann Karel keine konkrete Antwort geben (176). Bei allem Realismus kalkuliert Daniëls zu optimistisch: Im auf Juni 2021 datierten Epilog ist die „coronatijd“ (131) in der Romanwelt offenbar vorbei - während die literarische Infektion weiter spreadet: Inzwischen hat auch Ruud sein „plezier“ am Text entdeckt (186); mit Karels Geschenk, „een boek van Anton Tsjechov: De dame met het hondje […]“ (188), schließt sich ein intertextueller Kreis. In den Quarantäneerzählungen taucht eine kleine ‚Geschichtenkiste‘ auf, auf die Karel als Kind im Wald stieß und in der sich das Tagebuch eines kanadischen Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg fand; dieses „kistje“ verleiht dem Text eine historische Tiefendimension (127f.). In der aktuellen Krise wird der kulturspezifisch 71 akzentuierte Konnex zur Weltkriegszeit zum Topos; dies illustriert neben Ivanjis Corona in Buchenwald und Daniëls’ Quarantaine auch Ali Smiths Summer, britischer (Nicht-nur-)Corona-Roman. „All manner of virulent things…“: Ali Smiths Summer Als letzter Teil von Ali Smiths Seasonal Quartet erscheint Summer im August 2020; wie bereits Autumn (2016), Winter (2017) und Spring (2019) wird der Roman innerhalb weniger Monate verfasst und publiziert. Unter Reflexion einer mehrfach krisenhaften Realität situiert diese - im britischen Kontext - „first serious coronavirus novel“ (Preston 2020) die Pandemie in einem Gegenwartspanorama zwischen Klimawandel, Brexit und BLM. Am Anfang steht „a kind of prose poem, a choric voice that speaks for all of us“ (ibid.): „Everybody said: so? […] Okay, not everybody said it. […] Millions of people didn’t say it“ (A.-Smith 2020: 3f.). Als engagierter Teenager mit ausgeprägtem „apocalyptic instinct“ (313) an den Antipoden zynischer „indifference“ (5) positioniert, fungiert Smiths vielsagend benannte Protagonistin Sacha Greenlaw als zugleich naive und luzide Beobachterin der „lockdown world“ (327) und allgemein einer absurden Erwachsenenwelt, in der sich abgesehen vom neuen „clever virus“ (160) noch allerlei andere „virulent things“ ereignen (42). Auch wenn Summer die erratische britische Pandemiepolitik anprangert, wird die Corona-Krise aus Sachas Sicht reperspektiviert: „My brother Robert is holding out for medical geniuses to invent a vaccine. I am holding out for the geniuses who invent the vaccine to also be climate change geniuses“ (247). Wissenschaftsfan Robert begeistert sich für Newton wie Einstein, an dessen Norfolker Zufluchtsort der Roman mit einem dezent dantesken Blick auf den Sternenhimmel endet. Auch in Summer wird die Gegenwart 72 mit einer historischen Ära kurzgeschlossen, die „a message for the contemporary world“ enthält (Preston 2020): „We have a war story too“, erklärt Sacha; unter augenzwinkerndem Spiel mit dem Zufall verknüpft Smith (2020: 270) ihren Coronaplot mit der Geschichte des während des Zweiten Weltkriegs als ‚feindlicher Ausländer‘ inhaftierten Daniel Gluck. Das Schicksal seiner in der Résistance aktiven Schwester Hannah (Sachas Urgroßmutter, wie die Leserin erraten darf), die temporär die Identität eines Opfers der „Spanish influenza“ annimmt (200), stiftet ein weibliches Heldennarrativ. „It makes you and I more than just you or I […]. It makes us us“ (197): Wie Chiara Gamberale experimentiert Ali Smith mit der pronominalen Rekonfiguration des Subjekts. Angefangen mit „the Old English sumor, from the proto-indo-european root sam, meaning both one and together“ (263) wird der trügerisch simple Titel im Rahmen einer polyphonen, z.- T. epistolarisierten Konstruktion etymologisch aktualisiert. „Dear Hero“ (117, 243), adressiert Sacha einen vietnamesischen Virologen, Dauerinsasse des „SA4A Immigration Removal Centre“ (341), der vergeblich vor Covid warnt (und gegen die Fehlübersetzung seines Namens protestiert). In dieser Korrespondenz bietet Sacha nicht nur ihre Definition zeitgenössischen Heroismus („[…] the modern sense of being a hero is like shining a bright light on things that need to be seen“), sondern auch - durch diesen Metaroman fortgeschriebene Geste rebellischer Intertextualität - ihre Version eines für „a bit sexist“ befundenen Gedichts von John Keats (245-247). Während die Partnerin des Vaters an einer Monographie zur Polit-Diskursanalyse arbeitet, motiviert die Theatervergangenheit der Mutter eine ausführliche Shakespeare-Reflexion; die nur scheinbar paradoxe Kombination mit The Winter’s Tale grundiert eine Poetik polyvalenter ‚Infektion‘ (284). Problematisiert werden politische „war language, war imagery“ (345) wie pseudoreligiöse Instrumentalisierung, aber auch die für die Corona-Literatur zentrale Frage, ob und wie „The Artist“ mitten im Geschehen „His Own Age“ - bzw. „her own age“ - zu 73 porträtieren vermag (189). In Auseinandersetzung mit jenen „old stories“, die „the sad things that happen to us“ zu bewältigen helfen (244), entfaltet Smith ein Spiel strategisch approximativer Zitation. „But I didn’t say it […]. Einstein did“, präzisiert Robert: „But you said it now […]. You said it for now“, entgegnet ihm Charlotte (374). Mit Charlotte, Onlineaktivistin plötzlich „very much at a disconnect“ (338), und der betagten ehemaligen Kommunardin Iris greift Smith zwei weitere Figuren aus ihrem Quartet auf, die eine sich „at the seams“ auflösende Welt (327) punktuell flicken: „Nothing’s not connected“, proklamiert Iris, bevor sie sich an die private Schutzmaskenproduktion macht (338). In diesem Punkt Fang Fangs Wuhan Diary nicht unverwandt, skizziert Smiths Roman über den Text hinausweisende Schreibprojekte. „Christ but there’s so much you should be blogging about […] Get on to the team […]. Get them writing“, fordert Iris ihre Mitbewohnerin auf (335f.). Auf erzählerische Kompensation physischer „isolation“ setzt auch Charlottes Expartner: „Like giving a gift out to the rest of the world […]“ (326). Von Seite zu Seite lässt die Autorin narrative Geschenke zirkulieren, von denen jedes einzelne gegen das initiale ‚so? ‘ protestiert. Die Welt werden die Protagonist*innen am Ende eines mehrdeutigen Summer nicht gerettet haben; und doch erteilt der Text eine ludische Lektion engagierten Widerstands. Corona-Comic-&-Co.: Zur Intermedialität der Pandemieliteratur Corona-Pandemie und Zweiter Weltkrieg werden in Summer auch über ein foto- und kinematografisches Imaginarium assoziiert. Smith integriert eine Hommage an Lorenza Mazzetti, Verwandte Albert Einsteins mit NS-bedingt traumatischer Biographie und Mitglied des Free Cinema, deren Film Together (1956) mit ihrem 74 eigenen Titel resoniert. Charlotte betrachtet online in ihrer fantomatischen Ästhetik an die Frühzeit der Fotografie erinnernde „lockdown pictures“; in den Kulissen, die beim Abbruch der Dreharbeiten zu Fred Cavayés Occupationsdrama Adieu Monsieur Haffmann (2021) zurückbleiben, gleiten Geschichte und Gegenwart gespenstisch ineinander (2020: 355f.). Smiths Roman historisiert ein ikonisches Corona-Imaginarium: Jene Fotografien aus menschenleeren „villes fantômes“ (Lévy 2020: 9) werden in Prosa wie Poesie ekphrastisch variiert, ebenso das Bild des „pape prêchant tout seul au Vatican“ (Ilea, RI), das Andrés Neumans Gedicht „Genesis, COVID.19“ evoziert: „And the Pope said amen in the empty square […]“ (Stars 153). Von Contagion bis Hieronymus Bosch operiert die Corona-Literatur mit einer Vielzahl intermedialer Referenzen; neben Fotobänden (vgl. z.- B. Tim Kochs Covid) entstehen hybride Kunstwerke wie Margot Mellets „Type Error Psyché“ (RI), Covid-19-„Roman-photo“. Nadia Christidis Foto-Essay „@Coronarratives“ dokumentiert ein Instagram-Projekt, das Community-Building und archivarische Mission vereint (Stars 155f.). Corona generiert ein internationales Corpus von Graphic Novels: Als „diario gráfico“ präsentiert Mercrominah ihre Pandemiah (2020). Lilli L’Arronge verarbeitet Das geheime Tagebuch eines miesen Virus (2021) zum Corona-Comic; aus dem durch die Pandemie aufgewühlten Leben eines Seifenspenders erzählt Pascale Osterwalders Daily Soap (2021). Christian Moisl schickt seinen Anti-Superhelden Covidman (2020) in den Kampf; Eko zeichnet seine mexikanische „Quarantine Chronicle“ als Graphic Story (Stars 319-326), während Ekaterina Margolis ihre Karantinnye chroniki (2020) aus Venedig schreibt und malt. Allerlei Sex Positions to Survive Quarantine weiß Tyler Keyes’ Corona Sutra zu empfehlen; weltweit übersetzt wird Zhiguo Qus auf dem Covid- 19-Handbuch der Jack Ma Foundation beruhende Graphic Novel One World - One Fight! (beide 2020). 75 Im Rahmen digital akzelerierter Transferprozesse wird eine intermedial inspirierte Corona-Literatur ihrerseits rasch readaptiert, wie die Rezeption von Etgar Kerets „Outside“ illustriert. Ein „Covid-19 Fairytale“ zwischen Text und Tanz: Etgar Kerets „Outside“ Die ambivalente Lust an der Quarantäne etabliert sich als Corona- Topos; selbstironisch rekapituliert Etgar Keret seinen persönlichen Post-Lockdown: „[…] and I thought to myself: Wow, this is a mistake. So I ran back home and wrote this story“ (zit. Bernard 2020). „Outside“ stiftet ein parodistisches Konternarrativ zur Idealisierung der präpandemischen Lebenswelt, säkularisierte Version der Vertreibung aus einem problematischen Paradies. „Three days after the curfew was lifted, it was clear that no one was planning to leave home“: Die Regierung toleriert „a few more days to adapt“, schickt dann aber Polizei und Militär los, um die Bevölkerung nach draußen zu treiben. Mit Hilfe ihres Smartphones versucht die Protagonistin sich zu orientieren, während sie durch Straßen voll ebenso verwirrter Mitbürger*innen wandert. Flüchtiger Körperkontakt gerät zum Schock; in pandemieaffiner Motivik erscheint die Hand eines Kassiers „hairy, like a rat“. Erst bei der Begegnung mit einem Bettler kehren die alten Reflexe zurück: „It’s like riding a bike: The body remembers everything, and the heart that softened while you were alone will harden back up in no time“ (DP 85-87). In Kooperation mit der Choreographin Inbal Pinto wird „Outside“ bereits im Sommer 2020 als Ballett-Kurzfilm adaptiert. In diesem „Covid-19 Fairytale“ entfaltet sich ein medial gebrochener Pas de deux: Während der japanische Schauspieler und Tänzer Mirai Moriyama von einem antiquierten Bildschirm Ausschnitte aus Kerets Story rezitiert und verspielt von innen an die Scheibe seines TV-Kastens klopft, quält sich davor seine israelische Kol- 76 legin Moran Muller durch ihr Lockdown-Domizil. Auf Distanz teilen beide Figuren ihre „loneliness or, rather, aloneness, as well as a sensation of confinement. They are trying to spiritually or emotionally connect […] And they’re doing it against all odds, because they don’t totally understand each other“ - so Keret zu diesem kreativen „dialogue“ zwischen Text und Tanz (zit. Bernard 2020). Zwischen den Sprachen und Kulturen: Zur Konfiguration einer Corona-Weltliteratur Zwischen den Medien, Sprachen und Kulturen konstituiert „Outside“ ein Exempel doppelsinniger Corona-Weltliteratur. Als „on every level, a product of globalisation“ (Nancy 2020) wird die Krise auch literarisch in ihrer globalen Dimension reflektiert. „Weltliteratur wird von Übersetzern gemacht“, betont José Saramago (zit. Gielas 2010), dessen Ensaio sobre a Cegueira (1995) zur modernen Epidemieklassik zählt. 2020-2021 werden situativ aktualisierte Prä- Corona-Texte ins Deutsche übersetzt, so Ulickajas Seuche in der Stadt oder Mas Severance; neu aufgelegt wird z.-B. Bruno Jasieńskis Zwischenkriegszeitbestseller Pest über Paris (1928). Die Corona-Literatur macht nicht nur innergesellschaftliche Verwerfungen deutlich: Während Frankreich sich über jene ‚bourgeoisen‘ Tagebücher ereifert, hat die arabische Welt, so Fleur Montanaro, „much bigger things to deal with“; gewiss werde das Thema in arabischsprachiger Fiktion auftauchen, doch als „part of a greater story these authors want to tell“ (zit. Saeed 2020). Diese „greater story“ erscheint kulturell unterschiedlich akzentuiert. Die französischsprachige Literatur insistiert auf der Assoziation mit dem Zweiten Weltkrieg. Als zwischen 13. und 20.-März 2020 mehr als eine Million Menschen die Region Paris verlassen, wird der große Exodus 1940 beschworen, das Lockdown-Ausgangs- 77 formular ironisch als „ausweis“ etikettiert (vgl. z.-B. Debray, TC-8). Parodistisch unterminiert Chevillard (2021: 31) den dramatisierenden Vergleich; bei Régine Robin, als Rivka Ajzersztejn 1939 in Paris geboren, wird der Konnex zwischen Lockdown und Occupation ganz und gar unironisch elaboriert: Wieder verläuft eine Demarkationslinie zwischen „zone rouge“ und „zone verte“; und wieder scheint die Bevölkerung „tout, absolument tout“ zu akzeptieren, wie zu Zeiten von Vichy. Auch wenn Robin die Parallele relativiert („le coronavirus n’est pas la Wehrmacht […]“), reaktiviert das Frühjahr 2020 jenen „traumatisme de guerre“ (RI). „En colère“ glaubt die Protagonistin des gleichnamigen Coronaméron- Beitrags, von den „récits de l’exode“ aus ihrer Kindheit geprägt, nun zu verstehen, wie Frankreich 1940 so rasch in ein „régime totalitaire“ kippen konnte (15). Wie Ivanjis Held ist der für seine Verdienste um die „mémoire de déportation“ ausgezeichnete Jean Weil im Begriff, zur KZ-Gedenkfeier (in diesem Fall nach Bergen- Belsen) aufzubrechen; durch den Lockdown daran gehindert, zelebriert er das Jubiläum im gleichen Band mit seiner dreiteiligen Kampfschrift „Confinements“ (83). Ganz andere Erinnerungen triggert der Lockdown bei jenem US-Akademikerpaar iranischer Herkunft, das Dina Nayeri zu Pandemiebeginn auf Pariser Sabbatical schickt. Zunächst sehen die Protagonisten den Ereignissen gelassen entgegen; die Todesstatistiken freilich gemahnen an „wartime Tehran“. Jahrzehnte nach einer traumatischen, aber auch erotischen Jugend im „bomb shelter“ ziehen sich die beiden - paradoxe Wunscherfüllung - zur Decameron-Party in den titelgebenden „Cellar“ zurück: „Want to tell stories from last time? “ (DP 215-224). Für Julián Fuks, als Sohn argentinischer Politemigranten in Brasilien aufgewachsen, vollzieht sich mit dem „symbolism“ des 1001.- Coronatoten der Wechsel in ein makabres Märchenregime (DP 234). Weiter zurück in der Geschichte geht Eavan Boland mit ihrem Gedicht „Quarantine“, das „the worst hour of the worst season of the worst year of 78 a whole people“ beschwört; über die Große Irische Hungersnot und den Tod eines Paares „in the winter of 1847“ wird die aktuelle Krise redimensioniert (Stars 381f.). Bei Majed Abusalama weckt das Corona-Frühjahr ideologisierte „memories from the first Intifada“: „Lockdowns, curfews, and a variety of restrictions were all I knew for the first six years of my life“ (Stars 288). In unserem Corpus frappiert ein weiterer Topos: der Lockdown im derart verdoppelten Exil. So manche Autor*innen setzen, oft autobiographisch inspiriert, auf Protagonist*innen, die die Pandemie fernab ihrer (Geburts- oder Wahl-)Heimat erleben. Auch hier knüpft die Corona-Literatur an eine Tradition an, in der nonautochthone Figuren als prädestinierte Sündenböcke (so bei Manzoni) oder engagierte Zeugen (so bei Camus) eine besondere Rolle spielen. Bei Laura van der Haars Heldin, Niederländerin in Barcelona, verschärft die Krise das „surreale Gefühl, eine Außenseiterin zu sein“ (2020: 82); als Allegorie einer nostalgisch vermissten Heimat fungiert eine demente Großmutter, die ihre Enkelin am Telefon nicht mehr erkennt. Einerseits wird die eine oder andere „Origin Story“ (Matthew Baker, DP 251-259) mit versöhnlichem Ausklang erzählt; andererseits kann Familie zur Falle werden, wie Laila Lalamis „That Time at My Brother’s Wedding“ illustriert. „You seem lost, Miss“: Widerwillig reist „Ms. Bensaïd“, in den USA lebende Wissenschaftlerin, zur vierten Hochzeit ihres Bruders nach Marokko - und findet sich, vom Festfoto verbannt, aber auch nicht amerikanisch genug, um einen Platz auf den Repatriierungsflügen zu ergattern, in einer multiplen Krisenzone zwischen Corona und Klimakterium wieder (DP 227-230). Hector Ruiz sieht sich auf seinen Status als „Guatémaltèque avec des privilèges de blanc“ zurückgeworfen; angesichts der anaphorisch wiederholten „incapacité de voyager“ streift sein Erzähler ruhelos durch die „Petite-Patrie“ (RI) von Montréal. 79 „Corona Odyssee“: Reiseliteratur in Zeiten der Pandemie Besonders stark trifft die Pandemie die Reiseliteratur; mit der Unterbrechung globaler Mobilität gerät der große Trip vom retrozum prospektiven Wunschphantasma. Rund um die Welt finden sich gestrandete Tourist*innen zu Abenteurer*innen nobilitiert: Via Écho touristique teilt ein frischgebackenes Ehepaar seinen „récit d’un voyage de noces en plein Covid-19“; seine fünfzehn Minuten Prominenz genießt dank einer extravaganten „Tour de Corona“ jener griechische Student, der aus Schottland kurzerfuß nach Hause radelt (Wallisch 2020). Zwar betrifft der z.- T. massive Umsatzrückgang im Buchhandel v.- a. die Domäne „voyage/ tourisme“ (Varène 2020); doch rasch etabliert sich der „Récit de voyage sur la planète Covid-19“ (Babin/ Bourdillon 2020). Zum Lockdowngesellt sich das Corona- Reisetagebuch: Vom Lockdown in New Zealand berichtet Manfred Görks Corona Travel-Diary (2020); auf die mythische Referenz setzt Sunhild Saucks Corona Odyssee (2021). Georg Haslers Camino Corona zeichnet 2020 Kilometer Jakobsweg im Frühjahr 2020 nach; in seiner „travel novel“ Kraterzicht in tijden van corona (Crater View in Times of Corona, 2020) lädt Jan Van Raemdonck zur ‚Initiationsreise‘ nach Zentralamerika. Dies nur ein paar Exempla rezenter Reiseliteratur, die eine internationale Corona-Chronologie dokumentiert; aus kubanischer resp. mauritischer Perspektive kritisieren Yoss (Stars 412) und Shenaz Patel (Stars 22) einen bis zuletzt mit Dumpingpreisen forcierten Evasionstourismus. Eine digitale Renaissance erlebt die Zimmerreise, deren Pionier Xavier de Maistre mit seinem Voyage autour de ma chambre (1794) auf so mancher Lockdown-Leseliste und selbstverständlich in Beigbeders Bibliothèque de survie figuriert (2021: 125f.). Auf den Spuren Maistres transformiert Charly Guérin seinen Reiseblog 80 zum „Carnet de voyage à domicile“, während Bernd Stiegler eine Corona-„Zimmerreise“ auf Facebook inszeniert (Brede 2020). Sylvain Tesson, Ex-Eremit Dans les forêts de Sibérie (2011), tourt als „pro du confinement“ (Houot 2020) durch die Medien; heftige Kritik erntet er mit einem Interview, in dem er nicht nur Ratschläge für einen als „expérience proustienne“ zu gestaltenden Lockdown erteilt (2020: 6), sondern auch die Gilets jaunes attackiert. Und doch sorgt die von Tesson beschworene „poésie“ (ibid.: 8) angesichts der Reduktion physischer „Weltreichweite“ (Rosa in Matera 2020) für kompensatorische Re-Amplifikation, öffnet sie jene konkreten und metaphorischen Fenster, die die Corona-Literatur leitmotivisch variiert: „Par la fenêtre“, betitelt Louisa Hall ihren Krisen-Tract (TC 488-496). In elf Tagen um die Corona-Welt: Alexandre Najjars La Couronne du diable Eine in nur elf Tagen verfasste Corona-Weltreise unternimmt Alexandre Najjar, Romancier der Lady Virus (2002), mit seiner allen „victimes du coronavirus“ gewidmeten Couronne du diable (2020: 5). Unter Berufung auf Camus betont er die gesellschaftliche Verantwortung des Schriftstellers; in seiner epistolären Rahmenfiktion motiviert Protagonist Gaudens diese Echtzeitverarbeitung des „Unglaublichen“, zugleich politische Anklage und persönliche Konfession (7). Parallel lässt Najjar dieses Alter Ego potentielle Argumente gegen eine allzu schnell produzierte Corona-Literatur entschärfen: Gewiss sei mit einer Fülle weiterer Manuskripte zum Thema zu rechnen, „mais qu’importe! “, biete doch jeder Text „son approche, son angle, son ton“ (8). Auch auf diegetischer Ebene setzt Najjar auf die zwischen Empathie und Exploitation der tragischen Geschichten anderer ambivalente Multiplikation des narrativen Ich: Gaudens ‚beamt‘ sich mit Hilfe seiner allmächtigen 81 „imagination“ (8) über sprachliche, kulturelle und Gendergrenzen hinweg (wiederholt ist es eine dezente Partizipialform, die das Geschlecht der jeweils neuen Erzählinstanz präzisiert). „Je m’appelle Li Wenliang […]“ (12): Die Ich-Erzählung des Wuhaner Whistleblowers wird nachträglich gerahmt durch jene eines fiktiven Kollegen, der „mon ami Li“ bis zu dessen Tod begleitet hat und eine „glasnost chinoise“ einfordert (18-20). Nach einer Expedition an Bord des im Hafen von Yokohama unter Quarantäne gestellten Kreuzfahrtschiffes Diamond Princess übernimmt Najjars Pariser Erzählerin, Französischlehrerin im Lockdown, eine kleine epidemieliterarische Revue, von La Fontaines aktualisierter Pestfabel - neuer Sündenbock: die Fledermaus! (34) - bis Camus, dessen „pestes et guerres“ (2020: 49) Macrons Kriegsrhetorik rekontextualisiert (Najjar 2020: 36). „Tutti a casa! “ (49): Auch für seine italienische Etappe wählt Najjar einen Protagonisten, der als belesener Filmstudent ein Spektrum zwischen Contagion und Klassik plausibilisiert. „Ich möchte nicht sterben wie Aschenbach“ (58): Zu nächtlicher Stunde flieht der Erzähler aus „Milan, ville fantôme“ und hat es schon über die Grenze geschafft, als ein Anruf der erschöpften Mutter, Chefkrankenschwester in einem Hospital der Region, ihn zur Rückkehr bewegt (60f.). Exemplarisch demonstriert Najjar einen ethischen Wandel von instinktivem Egoismus zu reflektierter Solidarität; mit der Videonarration des neapolitanischen Schauspielers Luca Franzese, der nach dem Covid-Tod seiner Schwester eine flammende Anklage über Facebook verbreitet, integriert er ein zeithistorisches Dokument (55-57). Als nächstes führt der Corona- Panoramatrip nach Beirut und damit in die Heimat des Autors. Ein aufgeklärter „père jésuite“ kritisiert nicht nur die herrschende „‚mafiature‘“, sondern auch religiöse Pandemiedeutungen: Welcher Gott wäre für diese „catastrophe mondiale“ wohl zuständig, „[c]elui de Jésus, de Moïse, de Mahomet ou de Bouddha? “ (64-67). Es kommt zum Konflikt mit seiner konservativen Gemeinde, die 82 - Corona hin oder her - die traditionelle Mundkommunion verlangt. Unter neuerlicher Verschränkung von Realität und Fiktion weiß Najjars Erzähler vorweg, dass der Vorfall in den Nachrichten und das Video der turbulenten Messe „sur les réseaux sociaux“ (74) landen wird (zu jenem „Ajaltoun incident“ vgl. Noun 2020). Unter Berufung auf den Koran weigert sich ein zur Fälschung von Todeszertifikaten aufgeforderter Teheraner Arzt, an dieser „opération collective de désinformation“ mitzuwirken (Najjar 2020: 78); sein Madrider Kollege, „médecin par vocation et éditeur par passion“, nutzt angesichts „sine die“ suspendierter literarischer Aktivitäten seine Papiervorräte zur Schutzmaskenproduktion (84). Das abschließende US-Kapitel präsentiert einen unzuverlässigen Erzähler, dem, kürzlich als Gesundheitsredakteur bei der Washington Post engagiert, seine an Film und Videospiel geschulte Affinität zu „conspiracy theories“ zum Verhängnis wird (91); diese Pointe konterkariert Gaudens im Epilog, wenn er zur Befreiung der „Wörter aus dem Schraubstock des Lockdowns“ auf die E-Publikation seines Werkes setzt (104). Als Exempel mediensensibler früher Corona-Literatur wirft Najjars Text auch formalästhetische Fragen auf: Ist dieser als solcher vermarktete ‚Corona- Roman‘ - de facto eher in jenen epistolären Rahmen gefasste Geschichtensammlung - tatsächlich ein Roman? „What is the style of catastrophe? “ Zur Ästhetik der Pandemie (I) „What is the style of catastrophe? Perhaps something choral like that joint applause“, spekuliert Fonseca (Stars 379). In der Tat darf diese Choralität als Charakteristikum der Corona-Literatur gelten; besagte Polyphonie geht freilich mit einer prononcierten Skepsis gegenüber der großen Form einher. „I always thought that catastrophe, and epidemics in particular, demanded a baroque 83 style“, so Fonseca; stattdessen tendiert er nun zu „certain minimalist narratives“: „I read diaries, fragments, poems, short stories“ (Stars 377). „Werde ich noch einen Roman schreiben? Nichts ist weniger sicher“, meditiert Chevillard (L’Autofictif, 21.06.2021). Eine Reihe laufender Romanprojekte wird suspendiert: Erst gegen Ende der Sperre von Wuhan kündigt Fang Fang an, ihre „Manuskriptschulden“ begleichen zu wollen (2020: 231) - spielerisch öffnet sich das Tagebuch retour in Richtung Fiktion, da die Autorin Gerüchte über den „wahre[n] Whistleblower“ referiert: „Ich könnte ihn in einem Roman unterbringen“ (329). Im Kontrast zu diesem auch literarischen „Corona-Minimalismus“ (Lobo 2020) steht der Wunsch nach der „gran novela sobre el coronavirus“ (Rodríguez Marcos 2020). Leider habe Ulickaja aus ihrem „minimalistischen Szenario“ keinen „eindrücklichen Roman“ gemacht: „Man stelle sich vor, Albert Camus hätte Die Pest nicht als Roman […] geschrieben, der Weltliteratur wäre viel entgangen! “ (Zeillinger 2021). Es sei abzuwarten, ob die aktuelle Pandemie Werke wie La Peste zu inspirieren vermöge, befindet Rosier (2020), während Pascal Grégoire bereits den „nouvel Hugo“ der Coronazeit envisagiert (zit. Alonso 2020). Hier remanifestiert sich die interne Differenzierung des literarischen Feldes. „Please! Hold Off on That Novel Coronavirus Novel! “, fleht Morris (2020); im seriösen Segment gilt jenes Misstrauen gegenüber der Masse von „forthcoming plague books“ (ibid.) neben dem Lockdown-Tagebuch v.-a. dem allzu eilig auf den Markt geworfenen Corona-Roman. „It’s too raw and too fresh, and as a novelist you have to take in the experience […]“, so Douglas Preston (zit. Italie 2021); auch für Jabbour Douaihy brauchen „the best coronavirus-themed novels“ mehr Zeit: Erst Jahre später habe der Bürgerkrieg in seiner Heimat Libanon „interesting literature“ hervorgebracht (zit. Saeed 2020); mit einem „threeto five-year lag“ - wie bei 9/ 11 - rechnet Kate McKean (zit. Vincent 2020). 84 Schon 2020-2021 erscheint freilich eine exuberante Corona- Romanproduktion, samt Wettstreit, wer es in der einen oder anderen Sprache, dem einen oder anderen Subgenre als allererste*r schafft. „A genuine attempt or a cash in? “: So Saeed (2020) zu Mustafa Alqorna, der mit Hariboon Min Corona („Flucht vor Corona“) in der Kategorie „the first Arabic language novel to deal with the coronavirus“ gewinnt. Wiederholt wird der Verdacht artikuliert, bereits zuvor geschriebene Texte seien noch rasch auf das Coronasujet hin frisiert worden: „My instinct was that many of those were not new […]“, wie Juliet Mushens aus der Praxis einer schon in den ersten Lockdown-Wochen mit „a lot of pandemicbased novels“ beglückten Literaturagentin berichtet (zit. Vincent 2020). Corona ist thematisch vielfach anschlussfähig: Dutzende Versionen von Love in the Time of Corona ortet Sharma (2020) in seinem indischen Corpus; doch auch westliche Schriftsteller*innen sind an der Corona-Liebesfront im Einsatz, von Chloe James’ Love in Lockdown (2020) über René Freunds pandemiebedingt prolongiertes Tinder-Vierzehn-Tage-Date bis zu Reinhold Bilgeris Die Liebe im leisen Land (beide 2021). Ab dem Frühjahr 2020 florieren Corona-Porno und -Erotikliteratur wie Lea Sicilianas Lockdown With My Ex oder M.-J. Edwards’ Kissing the Coronavirus; bemerkenswert der Paratext, in dem die Autorin die Motivation hinter ihrem aus akuter Corona-Finanznot verfassten, mittlerweile erfolgreich serialisierten „debut book“ erklärt. Nach bewährter Formel dient Corona als Trigger, der latente Beziehungskrisen enthüllt: Pünktlich zu Pandemiebeginn lässt Anke Ernst (Als mein Leben verrückt spielte und dann auch noch Corona kam) ihre Erzählerin das transvestitische Doppelleben ihres Mannes entdecken. Dies nur einige Beispiele aus dem Corpus aktueller Genrefiktion; dazu gehören Corona-Krimi (vgl. z.-B. Christopher Justs Der Moddetektiv besiegt Corona), Corona-Thriller (vgl. z.- B. Alef Main Sven Borrors Corona - Spur des Todes oder Franz Lists Corona 85 2.0) und Corona-Dystopie (vgl. z.- B. Mike Allans Corona 2025 oder Nikodem Skrobisz’ Der Faschist). Als „Buch für Querdenker“ präsentiert Stefan Thiel seine Wagner-SF-Corona des Nibelungen (sämtlich 2020). „Was it really by accident? “, so die suggestive Leitfrage von Toby Ralphs An Uncommon Cold (2021). Die Corona-Populärliteratur knüpft an jenen Outbreak Narrative (Wald 2008) an, der trotz allen Horrors eine kathartische Funktion erfüllt. Nach dem „Great Disaster“ (Stewart 2015: 36 et passim) finden sich die Protagonist*innen aufseiten der Überlebenden und in einer u.- U. gar nicht unvorteilhaften Situation wieder; als paradigmatisches Exempel der „cozy catastrophe“ (Brian Aldiss) darf Stewarts Earth Abides gelten (Latham 2020). Zumindest nachträglich wird eine prinzipiell les- und kontrollierbare Welt domestiziert: „All these signs of the end. How could we claim to have been caught by surprise? “ (Berg 2016: 29). In ihrer noch offenen Zeitlichkeit unterwandert die Corona-Literatur eine simple Dichotomie zwischen High-End- und „genre fiction“ in ihrer vermeintlichen Banalität (Latham 2020). Die Corona-Variation eines formelhaften Genres illustriert Salim Gülers Thriller Pandemie (2020). Auch wenn mit Corona eine „Tragödie […], die der Pest gleichzusetzen ist“ (77), ja „eine Tragödie nie dagewesenen Ausmaßes“ (138) droht, beruhigt deren lückenlose Rekonstruktion: Gülers junger deutscher Held, Sinologiestudent auf Austausch in Wuhan, ermahnt sich selbst, „dass er sicherlich halluzinierte, dass es keine Verschwörung gab […]“ (164); ebendiese wird Punkt für Punkt verifiziert. Neben dem genialen Dr.-Jack Lau, in Deutschland ausgebildeter, in Wuhan tätiger Virologe, dessen apokalyptischer „Chinavirus“-Traum (50) den Pandemieplot eröffnet, tritt mit dem toughen Geheimdienstagenten eine weitere Klischeefigur auf: Bald hat Daniel „alle Puzzleteile“ versammelt (240) und darf auch der Leserschaft die Geschichte davon erzählen, wie sich alles zugetragen hat. Die der deutschen Bundesregierung nahegelegten Maßnahmen werden 86 aus kurzsichtigem Kalkül nicht umgesetzt; die Abrechnung mit Politik als „dreckige[m] Spiel von Möchtegernkönigen“ (298) bietet eventuellen Ressentiments ein Ventil. Während der Autor betont, sein Thriller sei zwar „sehr realistisch, aber fiktiv“ (304), akzentuiert das Marketing den PR-Faktor pseudodokumentarischer Authentizität; von entsprechender Fehlrezeption zeugen Laien-Onlinekommentare. „[E]s ist genau wie in der Wirklichkeit“, so eine Amazon-Rezensentin: „Danke lieber Salim Güler, dass du uns alle im Rahmen deiner Möglichkeit aufgeklärt hast.“ Was den titelgebenden Beginn der Pandemie betrifft, lässt Gülers ‚Aufklärung‘ keine Fragen offen - aber sehr wohl den Schluss. Doch selbst wenn der Roman auf „die größte menschliche Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg“ zusteuert, klingt er mit einer optimistischen Note aus: „Am Ende würden die Menschen […] immer einen Weg finden […]“ (2020: 299-301). Im Paratext reicht der Autor die griffige „echte Botschaft“ seines Thrillers nach, in dem es nur vordergründig um Corona, eigentlich „um Freundschaft, Zusammenhalt, Loyalität und Ehrlichkeit“ gehe (305). Derart gerät die Katastrophe auch hier recht ‚cozy‘, samt Irgendwiedoch-noch-Happy End. „Natürlich ist unser Ende ein Happy End“, erklären Sund/ Biel, „auch wenn wir sicherlich romantisieren“ (2020: 262-264). Besagtes „positives Ende“ (262) wird im Text verdoppelt: Für „zu traurig, viel zu brutal“ befindet Stefanie den Schluss von Sebastians Manuskript; im Begriff, von „diese[r] Scheißkrankheit“ zu genesen, stimmt er zu: „Ich kann - nein, ich muss! - die Geschichte ändern“ (254). Eine heitere Zukunft skizziert schon „Ein halbes Jahr später“ der Epilog (255). Den hier affichierten Optimismus konterkariert eine Literatur, die nicht nur dem „happy end“ misstraut: „Ich fürchte das Ende. Egal welches. Jedes Ende macht mir Angst“, so Ruiz (RI). Ästhetisch interessant ist die frühe Corona- Literatur gerade dort, wo sie sich jener Romantisierung verweigert - und damit nicht selten der Form des mehr oder minder großen 87 Romans. Reduktive Dichotomisierung gilt es freilich zu vermeiden: Einerseits entstehen schon 2020-2021 anspruchsvolle neue Pandemieromane; andererseits erfreuen sich im Corona-Kontext nicht nur traditionelle narrative Breitengenres beträchtlicher Popularität. „This poem will not go viral“: Zur Poesie der Pandemie „‚Le coronavirus‘… déjà un hémistiche! “, schreitet Michel Deguy zur lyrischen „Coronation“ (2020). Cécile Coulon, der ein auf Facebook publiziertes Gedicht („Quand nous sortirons d’ici“) ein Maximum an Likes einbringt, konstatiert, die Zeit sei günstig für Poesie - und weniger „à l’écriture d’un roman“ (Lopes 2020). Eben Lyrik - z.- T. mit anderen Genres kurzgeschlossen: so in Sydney Mathews poetischen Corona Diaries (2020) - bewährt sich als Reflex krisenhafter Welterfahrung: Nicht nur „nonfiction writers“, sondern auch „poets“ vermöchten, so Italie (2021), die Aktualität rascher zu „absorbieren“ als Autor*innen literarischer Fiktion. Diese ‚Absorption‘ demonstrieren Jay Sizemores im April 2020 publizierte Pandemic Poems. Unter dem transparent allusiven Titel „Masque of the Red Virus“ inszeniert der Autor eine Neuauflage der Poe’schen „party“ (1f.) unter der Ägide eines unverantwortlichen „President God“ (64). Ausgehend von „Covid-1“ entfaltet sich eine doppelt virale Sequenz von „19- Ways of Looking at a Virus“ (5); vulgarisierte Fachtermini - von „cytokine storm“ (15) bis „hydroxychloroquine“ (47) - werden zum kreativen Material. „This poem will not go viral“, eröffnet Sizemore seine „Ode to Toilet Paper“ (15); und doch bietet Lyrik dem in seinem „digital cocoon“ gefangenen Ich (69) eine Position außerhalb des alles verschlingenden „constant stream-/ this constant stream-/ of update upon terrible update“, metaphorisch zur „news headline folded- / then folded- / and folded again- / until its size eclipses the moon“ 88 re-analogisiert (19). Poesie wird zum Antidot gegen „Conspiracy theory“ (42), „Saint Corona, patron saint of pandemics“ (22) zur perfekten Projektionsfigur: „Covid-19 is whatever you need it to be […]“ (44). An die Bibel mit ihrer „von fern leuchtende[n] Sprache“ knüpft Helmut Neundlingers Virusalem an, hybrider Gesang aus dem Bauch des Wals (2020: 23). Das Prosa-„Protokoll“ einer enigmatischen nächtlichen Reise fasst eine lyrische Sequenz zwischen Alltag und mythologischer Dimension; wie bei Sizemore wird das Pandemievokabular poetisch aktiviert, von der „Fieberkurve“ (10) über die „Infra-Struktur“ (58f.) bis zum „Distanzgerede“, das die neue Etikette via Zeilensprung illustriert: „Leg deine Worte auf die Schale-/ und mach zwei Schritte-/ rückwärts, ja? “ (11). Die Lieferung etymologisch revalorisierter „Lebensmittel“ gerät zum Ereignis, abenteuerlich muten die „Reiseberichte“ auf ihrer Verpackung an (51-53). In einem Exerzitium viraler „Selfilosophy“ (13-15) arbeitet ein selbstironischer „Symptomat“ (12) sich vom „Ich? “ über das „Du? “ zum „Wir? “ und - so die Titel der einzelnen Abschnitte - zu „Die anderen? “, „Die Dinge? “ und „Die Räume? “ vor. Mit Kerets „Outside“ korrespondiert das Porträt jener „Schneckenhäuslerin“, der in ihrer „Dunkelkammer“ jedes „Ausgehbedürfnis“ abhandengekommen ist: „Es bereitet ihr-/ eine Empfindung,-/ als hätte man sie in ein Bild-/ von de Chirico gebannt“ (42). Diese intermediale Metalepse darf ebenso als genretransversaler Corona-Topos gelten wie der „Fensterblick“ (24). „Come Sunday […]“: Singend erreichen „A. und ich“ (26) das Ziel ihrer Fahrt, eine surreal verfremdete „Apotheke zum guten Hirten“ (62), die fragliche „Landung? “ im „Bauch des Wals“ verspricht (65). Die Corona-Poesie reicht über individuelle Autorschaft und schriftliches Textsubstrat hinaus. Auch im lyrischen Genre entsteht eine Fülle von Kollektivkreationen, so die britische NHS-Anthologie These Are the Hands (2020); medial rekontextualisierte „oral poetry“ wird zum „educational […] tool“: Corona-Information 89 vermittelt eine Gruppe senegalesischer „female slam poets“, während in Nigeria die UNESCO einen Aufruf für Anti-Fake- News-Jingles lanciert (Ribeiro 2020: 387-389). Dabei vollzieht sich eine signifikante Verschiebung vom singulären Text zur sozialen Praxis: Wie Homann (2020: 401) am Beispiel spanischer Flamencodichtung zeigt, verdankt sich die Renaissance einer „poesía oral tradicional-mediatizada“ eben digitalen Technologien. „The Five Stages of Epidemics“: Zur Dramatik der Pandemie Die Corona-Produktion aktualisiert nicht nur Lyrik als Performance, sondern auch eine lange Epidemie-Dramentradition, bis zurück zu Sophokles’ König Ödipus (ca.-429-425 v.-Chr.); doch auch abseits des Theaters sind dramatische Elemente präsent: Nicht zufällig zitiert Camus’ Pest die Struktur der klassischen Tragödie; mit „a curious spectator’s sense“ wohnt Stewarts Held dem „last act of a great drama“ bei (2015: 16). Auch die Corona-Literatur rekurriert auf Termini und Topoi des Dramas: „to make tragedy feel new again“, so Stavans’ Programm (Stars 17). Palou empfiehlt die „Greek classics“, u.- a. „their works of theater“ bieten „if not consolation, then wisdom“ angesichts der „crisis of our lives“ (Stars 299, 304). „The Five Stages of Epidemics“ analysiert Žižek (2020: 46), eine „dramatisation du réel“ attestiert Humbert dem Corona-Diskurs; als Symbolfigur der Rebellion gegen ‚unmenschliche‘ Begräbnisrituale tritt Antigone auf (TC 398). Quer durch die Genres verweist der Corona-Paratext auf das Dramenmodell: Als „Komödie“ charakterisiert Vanessa Mansini einen Corona-Roman, als „Frustspiel“ Thomas Röpke seine Corona der Schöpfung (beide 2020). Den „acte premier de la tragédie“ dokumentiert Najjar (2020: 104) - romaneske Exposition eines Stücks, dessen letzter Akt noch fehlt. Insofern stellt sich die Frage, wie 90 weit die frühe Corona-Literatur jenes „drama-inspired pandemic meta-narrative“ reproduziert, das die Gruppe Pandemic Fictions in einem Fünf-Akt-Schema - von der „Exposition - Outbreak“ über „Rising Action - Rising Infections“, „Climax - Containment“ und „Retarding Moment - Second Wave“ zur aktuell unklaren „Resolution“ (2020: 328-336) - resümiert. Als provisorische ‚Auflösung‘ fungiert oft das Ende des Lockdowns (ibid.: 335), wobei der Fokus zunächst generell, wie Houellebecq beobachtet, weniger auf der Krankheit denn „la question du confinement“ liegt (Trapenard 2020); hier gilt es die zukünftige literarische Entwicklung zu verfolgen, mit Blick auf den Import dramatischer Muster in andere Genres wie die Corona-Dramatik selbst. Deren Struktur bleibt bis auf Weiteres offen: Unter dem Arbeitstitel Furcht und Elend des Virus setzt Daniel Kehlmann auf eine Zusammenstellung „kleine[r] Szenen aus verschiedenen Milieus“ (zit. NÖN 2020). Den Konnex zwischen Corona und griechischer Mythologie etabliert Elfriede Jelineks Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen! , im Juni 2021 am Schauspielhaus Hamburg uraufgeführt. „Hören Sie mir beim Nachreden zu“ (so der Einstiegssatz): In ihrer „Corona-Textmühle“ mixt Jelinek heterogene Diskursfragmente (Hilpold 2021); Lois Hechenblaikners Ischgl (2020) wird mit Schlachthofbildern und dem 10.-Gesang der Odyssee verknüpft. Virtuos verweigert die Autorin ebenjene „Deutungsangebote“, die ein Rezensent in der Performance vermisst (Hilpold 2021). Eine literarische Revolution? Zur viralen Post-Corona-Postmoderne In Viral Modernism zeigt Outka (2019: 4), wie „central elements of modernist style“ zugleich „the ideal form“ zur Repräsentation der Influenzapandemie 1918 stiften; in der Populärkultur dienen Spiritualismus und Zombiemotivik als „reassuring“ resp. 91 „threatening consolation“ (ibid.: 200). „A virus is a ravenous zombie“, so Sinay (Stars 55): Im Corona-Kontext wird dieses Imaginarium parodistisch recycelt. Bei einer Literaturveranstaltung nach dem Lockdown identifiziert Chevillard im Zuschauerraum schwankende Gestalten: „des zombies, quoi d’autre? “ (L’Autofictif, 08.06.2021). In Benjamin Gagnon Chaineys „La faim des fantômes“ (RI) wird Paris zur „Ville-fantôme“, durch deren von „corps anonymes“ bevölkerte Straßen ein „vent viral“ fegt: „[…] Histoire palimpseste palpitante… Circulez! “ Die eingangs aufgeworfene Frage, ob die Post-Corona-Literatur eine neuerliche „révolution“ (Doudet 2020) erwartet, ist aus der Perspektive kritischer Zeitgenossenschaft noch nicht zu beantworten; klar ist schon jetzt, dass Corona den literarischen Horizont radikal redefiniert. Dies angefangen mit dem Plot: In einem 2020-2021 situierten Text ist es nicht mehr möglich, Figuren einander „con disinvoltura“ umarmen, einfach auf einem Schulhof oder einer Party begegnen zu lassen (Gamberale 2020: 47). „Don’t stress. Or set it in 2017. Or 2023“, empfiehlt Naomi Alderman (Marshall 2020); Stephen King verlegt die Handlung seines jüngsten Romans Billy Summers auf 2019 vor (Italie 2021). In der audiovisuellen Domäne präsentiert sich das Problem in verschärfter Form: So könnte, befürchtet Pallares (2020), Corona das Ende der traditionellen „novelas diarias“ im argentinischen TV bedeuten, funktioniere das Genre doch nicht ohne Berührungen und maskenfreien Kontakt. Über thematische Sorgen hinaus stellt sich die Frage nach den formalästhetischen Effekten der Pandemie: Wie Covid adäquat erzählen, über die diaristisch ritualisierten Leiden (oder Freuden) des Lockdowns hinaus? 92 Patho-Textualitäten: Zur Ästhetik der Pandemie (II) „Considering how common illness is“, müsste Krankheit doch, so Virginia Woolf (1930), „among the prime themes of literature“ figurieren: Wo bleiben die „[n]ovels […] devoted to influenza“ (an der die Autorin selbst mehrfach erkrankt)? Woolf identifiziert ein zentrales Problem jener hypothetischen Patho-Literatur: „The public would say that a novel devoted to influenza lacked plot […].“ Inzwischen hat sich das Thema Krankheit literarisch etabliert (man denke an das Corpus seit den achtziger Jahren entstandener AIDS- Fiktion); doch auch Corona widersteht der allzu glatten „incorporation into an understandable narrative“ (so Outka [2019: 30] zu jener Präzedenzpandemie). Von besonderem Interesse sind jene Werke, die das Experiment einer Narration aus akuter Krankheitsperspektive wagen - so Katherine A. Porters Pale Horse, Pale Rider (1939), paradigmatischer Influenzatext. „It seems to be a plague […] something out of the Middle Ages. Did you ever see so many funerals, ever? “, fragt Protagonistin Miranda (1947: 200); schon vor dem vollen Ausbruch der Krankheit erscheint ihre Zeitwahrnehmung deformiert (219). Im Theater lauscht sie einem Feuerwerk patriotischer Appelle, das in ihrem schmerzenden Kopf grotesk resoniert (221); ein Arzt mit deutschem Familiennamen inspiriert eine politisierte Fieberhalluzination (249f.). Zwischen Krieg und Pandemie reflektiert Porters Text die Krise eines dem eigenen Körper, „curious monster“ (257), wie Geist, „split in two“, entfremdeten Subjekts, das „through deeps under deeps of darkness“ dem „farthest bottom of life“ entgegensinkt (251f.). Porter, die die Influenza 1918 knapp überlebt, reinszeniert ihre eigene Nahtod-Euphorie (253f.); zum „Armistice“ aus dem Delirium erwacht, blickt Miranda „with the covertly hostile eyes of an alien“ um sich und fleht die Kranken- 93 schwester an, das Fenster zu öffnen: „[…] I smell death in here“ (256f.). Zwischen populärem Song und Apokalypse eröffnet der Titel ein fragmentarisches Narrativ, das die Heldin und ihr symbolträchtig benannter Gefährte Adam vergeblich zu komplettieren versuchen: „But we ought to get on with it. What’s the next line? “ (240). Porters Patho-Ästhetik wird bis in die Gegenwart kreativ rezipiert; am Strand von Malaysia lässt Mandel eine andere Miranda vor einem grandiosen Sonnenaufgangspanorama sterben (2015: 228). Krankheit unterminiert Identität wie Zuverlässigkeit des Subjekts, so in Laura van den Bergs Find Me (2015), dessen Protagonistin zunächst aus einem hermetisch abgeriegelten Hospital erzählt. Die Metamorphose der Patient*innen motiviert einen radikal alienierten Blick auf eine jeglicher Evidenz beraubte Welt: „First: silver blisters, like fish scales, like the patient is evolving into a different class of creature. Second: the loss of memory. […] by the end the patient won’t remember the most basic details of who they are. What is a job? […] What is a mother? What is a me? “ (2016: 30). Parallel zu dieser „epidemic of forgetting“ (30) erodiert eine narrative Struktur, vergessen die Kranken doch auch, „where they come from, how old they are […] What is a beginning and what is an end“ (3). Auch Ling Ma schildert mit jenem Shen Fever eine „disease of remembering“ (2018: 160); wiederum ist die Erzählerin selbst eine problematische Figur: „How do we know […] that you’re not fevered yourself ? “, fragt sich auch die textexterne Leserin (259), auf Schritt und Tritt wird die gebotene „true story“ relativiert: „It’s possible that there is another true story“ (278). „[…] I wish I could lose my memory and forget my own name…“, klagt Porters Miranda (1947: 214); an dieses ambivalente Vergessen knüpft die Corona-Literatur an. Wie anlässlich der Influenza werden elementare Ängste aktualisiert: So lässt Vázquez-Figueroa den Patriarchen seines Einsiedlerclans Covid überleben, freilich verwandelt in einen „Schatten seiner selbst“; 94 bestürzt beobachtet die Familie seinen rasanten „deterioro mental“ (V-82). Die Heldin von Mona Awads „A Blue Sky Like This“ gönnt sich zu ihrem Corona-Geburtstag eine via Darkweb organisierte Kosmetiksession. „Memory and skin go hand in hand“, erklärt ihr eine enigmatische Frau in Schwarz: „How attached are you to your memories? “ Bereitwillig stimmt Julia zu, die „grayness“ des letzten Jahres loszuwerden: „Glowing. Lifted. Eradicated“ schwebt sie nach ihrer Anti-Mnemo-Kur durch die Stadt, von den seltsamen Ritualen ihrer Mitmenschen befremdete Außerirdische, die Corona glücklich „vergessen“ hat (DP 13-22). An einem Influenzacorpus rekonstruiert Outka (2019: 7) eine „sensory and affective history of the pandemic“; auch in der Corona-Literatur kristallisieren sich charakteristische Topoi einer mit allen Sinnen bzw. im Modus sinnlicher Deprivation erlebten Pandemie heraus, so in den zitierten Récits infectés: Erneut erklingen bei Dupuis-Morency jene in Influenzatexten allgegenwärtigen, im Coronalockdown wieder vernehmbaren Glocken; Rosie Lanoue Deslandes beschreibt eine als „étrange musée“ metaphorisierte Welt, in der es nur „mit den Augen“ zu berühren gilt, Millot die physische ‚Sur-Affektion‘ eines porösen Subjekts. Angesichts der Prä-Delta-Symptomatik spielen olfaktorische wie gustative Motivik eine spezielle Rolle: Nacht für Nacht schleicht Younsis Protagonistin zum Kühlschrank, um ihr „odorat“ zu testen. „Schwarz schwarz schwarz“: Laura van der Haars Een week of vier Een week of vier: Auf „[e]ine Woche oder vier“ kalkuliert Laura van der Haars Heldin vor ihrer Hospitalisierung die Trennung von ihrer drei Monate alten Tochter (2020: 26). Vom Vater Joanes’ in einem fremden Land im Stich gelassen, stellt Ida fest, dass ihr eine mühsam aufrechterhaltene „normale wereld“ entgleitet (35); 95 in ihrer Isolation nimmt sie die Pandemie besonders intensiv wahr, bis sie sich selbst samt stickigem Schutzanzug im Corona-Taxi wiederfindet. Die Narration reflektiert die Konfusion der Kranken, deren Kopf „glüht glüht glüht“ (32). „Ausatmen. Ein. […] Noch einmal“: Während ihr das Atmen immer schwerer fällt (91), versucht Ida, sich mit dem vom Fahrer übernommenen „Mantra“ und Stadt-Land-Spielen zu beruhigen: „Beirut Berlin Bangkok Joanes. Joanes. […] Bogotá. […] Belfast. Nein, das ist Dublin. […] Bolivien. Nein, das ist ein Land. […] Wir schaffen das, wir schaffen das. Bhutan. Nein, das ist ein Staat […]“ (87-98). Unter interner Fokalisierung wird die Außenwelt halluzinatorisch transformiert: Ein Nadelbaum gerät zur „grünen Rakete“ (88), aus einem Straßenschild lodern wilde Flammen - oder handelt es sich um eine „3Dvisualisatie“ (92)? Das Denken degeneriert zu fragmentarischen Onomatopöien, mit denen Ida die rasende Autofahrt begleitet: „ruuuutututututututoing […] vwoooeemmmmm“ (94). Endlich erreichen die beiden ein „noodhospitaal“ (98); aus der Perspektive der delirierenden Heldin beschreibt Haar Anblick und Akustik des Krankensaals, bevor jene in künstlichem Tiefschlaf versinkt: „Zehn, neun, acht… Weiß. Grau. Schwarz“ (110). Nach einer Ellipse von drei Wochen setzt die Narration mit Idas mühsamem Erwachen ein: „Schwarz. Grau. Joanes! Schwarz. […] Schwarz. Schwarz schwarz schwarz“ (114, 116). Enttäuscht entdeckt Porters Protagonistin eine triste Realität wieder und erfährt, dass ihr Partner an Influenza verstorben ist: „[…] what do you think I came back for, […] to be deceived like this? “ (1947: 264). Haars Hauptfigur klammert sich an den Gedanken ihrer vermeintlich in der Obhut einer Bekannten verbliebenen Tochter, mit aller Kraft kämpft sie darum, das Hospital so rasch wie möglich zu verlassen. Bei der Rückkehr in eine von suspektem Fäulnisgeruch erfüllte Wohnung erwartet sie die finale, im Text nur suggerierte Katastrophe; implizit bestätigt der Schluss des Romans, Sequenz in ihrer Trivialität mörderischer SMS (2020: 155f.), das durch strategisch 96 positionierte Details vorbereitete Desaster, mit der Rigorosität der griechischen Tragödie arrangiert. „My body’s a body bag“: Covid erzählen Aus Corona-Patho-Perspektive verfasst David Mitchell ein doppelsinniges Lockdown-Tagebuch von der gesellschaftlichen Peripherie: „If Wishes Was Horses“… dann, bekanntlich, „beggars would ride“. Der Erzähler, britischer Gefängnisinsasse, kommentiert nicht nur das Pandemiemissmanagement von „Prime Minister Spaffer Bumblefuck“ wie „President Very Stable Genius“, sondern auch - in kontextadäquat roher, kolloquialer Narration - seine eigene Covid-Erkrankung: „Day 6. I think. […] My body’s a body bag. Stuffed with pain, hot gravel, and me. Three steps to the shitter and I’m done. […] Everything bloody hurts. It’s night, not day. Night 7. Night 8? […] Could die in here and nobody’d know till the pandemic’s over.“ In einem Zukunftstraum findet Luke sich als schulischer Zeitzeuge wieder: „It’s been thirty years since the coronavirus changed our world […].“ Parallel geraten in der Gegenwart Realität und Fiktion durcheinander; der skeptisch beäugte Zellengenosse, der ihm mit rauer Fürsorge durch die schlimmste Phase hilft, erweist sich als Gespenst bzw. coroneske Halluzination (DP 164-167). Während ihr Ehemann auf der Covid-Intensivstation liegt, erinnert Edwidge Danticats Protagonistin sich an die geplante Expedition zu den Höhlen von Haiti, „breathtaking - though he’d no longer use that particular word […]“. „One Thing“ illustriert die diffizile Aushandlung digitaler Abschiedsrituale, dies ein neues Element pandemischer Sensorialität: „Good morning. Am I speaking to the love of Ray’s life? “, meldet sich die „exhausted female voice“ einer Krankenschwester, bevor die Noch-nicht-Witwe ihren Schwiegereltern an einem Online-„funeral“ teilzunehmen hilft (DP 283-288). 97 Poetiken der Viralität: Corona im Porträt Krämer (2008: 138) beschreibt den Prozess viraler „Ansteckung durch Umschrift“; zum Corona-Topos wird eine ideowie poetologisch aufgeladene Viralität. „J’ai fait de l’écriture un virus“, deklariert Ruiz (RI); mit positiv recodierter „virulence“ plädiert Carquain (2020) für eine Literatur „sans masque ni gants“. Žižek (2020: 80f.) rekurriert auf Tolstojs Anthropologie der „infection“ (kritisch dazu Sasse 2020); mit seinem „manual of instructions“ stellt das Virus eine ästhetische wie philosophische Provokation dar: „Is a virus alive? Or just a thing? “ (Sinay, Stars 55, 59). „Un virus banal“ sei SARS-CoV-2, so Houellebecq, „un virus sans qualités“ (Trapenard 2020). Zugleich wird dieses ‚Virus ohne Eigenschaften‘ eifrig porträtiert: Immerhin besitzt Corona nicht nur einen „schönen Namen“ (Ivanji 2021: 250), sondern auch eine im Handumdrehen ikonisierte Optik. In der Literatur erlebt das „grüne Bällchen mit den marsmännchenartigen Fortsätzchen“ (Haar 2020: 58) manch pittoreske Metamorphose. Einigermaßen misogyn feminisiert wird „Lady Corona“ bei Schneider (2020: 23 et passim), besitzt sie doch die „Mentalität einer Hafendirne“ und „nimmt, wen sie kriegen kann“ (ibid.: 36). Über „Monsieur Corona, notre roi“ und seine Adepten, aber auch jene „thaumaturges“, die ihr „beau virus comme Dante sa Béatrice“ zelebrieren, spottet Lévy (2020: 102, 52). „Auch wenn sich viele derzeit über mein Geschlecht noch im Unklaren sind (manche sagen ‚der‘, manche ‚das‘ zu mir) […], bin ich doch ganz das, was man üblicherweise einen ‚Mann der Tat‘ nennt“, lässt Pfaller (2021) ein personifiziertes Coronavirus scherzen: „Denn Sie reden unaufhörlich über mich. Aber haben Sie sich schon einmal gefragt, was ich meinerseits sagen würde […]? “ Was für ein Unsinn, dieses „virus […] couronné“ mit einem „message“ auszustatten, so Lévy (2020: 38f.); Viren seien nicht dazu 98 da, „des histoires aux humains“ zu erzählen (ibid.: 50). An dieses Faktum ist die literarische Fiktion nicht gebunden: Wright erklärt die Influenza, feminines „monster“ (2020a: 24), zum „central character“ seines Romans (2020b); die Corona-Literatur wagt sich an z.-T. deutlich radikalere Experimente. Audiatur et altera pars: Inga Kuznecovas Iznanka „Ich habe keine Stimme“, lässt sich eine paradoxe Erzählinstanz vernehmen; unter dem Motto audiatur et altera pars erteilt Inga Kuznecova (2020: 18) einem „Much Too Human Virus“ (Nancy 2020) das Wort: „Ich wollte sozusagen auch der Gegenseite eine Stimme geben […]“ (Tolstov 2020). Le coronavirus, c’est oder c’était zumindest moi: Unter Flaubert-Variation reflektiert Kuznecova ihre temporäre Transformation zum „denkenden und fühlenden Virus“ (ibid.). Iznanka („Die Kehrseite“) versteht sich als „[e]xistentieller Mythos“, „künstlerische und nicht wissenschaftliche Exploration“, wenngleich die Autorin über einschlägige Expertise verfügt: Unter ihrer Redaktion erscheint Anča Baranovas Corona-„Anleitung zum Überleben“ (Koronavirus. Instrukcija po vyživaniju) als letzte AST-Nonfiction-Printpublikation vor dem Lockdown (ibid.). Erst allmählich wird der nicht vorinformierten Leserin klar, wer bzw. was in Kuznecovas Text spricht. Der Einstieg erfolgt mit dem Flug im Körper einer Fledermaus, die, von Wilderern gefangen, als Versuchstier in einem Labor landet. Dort widerfährt dem Erzähler eine ihm selbst unbegreifliche Modifikation, bevor er sich nach einem Unfall unter Beteiligung einer Katze auf dem lokalen Wildtiermarkt und in seinem ersten menschlichen Wirt wiederfindet; dank einer nach Deutschland reisenden Kunststudentin setzt er seinen Weg international fort. Das Resümee dieses nachträglich rekonstruierbaren Plots wird der Komplexität 99 des Textes freilich nicht gerecht; jede einzelne dieser Etappen wird lediglich angedeutet, kein einziges Mal werden Tiere, Orte, Ereignisse explizit identifiziert. „Und was, wenn ich überhaupt niemand bin? “ (Kuznecova 2020: 41): Der Parcours des Virus wird zum Bildungsroman eines problematischen Non-Subjekts, das ratlos die Multiplikation seiner „Kopien“ betrachtet (33); angefangen mit der Definition von Leben wirft die explosive ‚Dekonzentration‘ dieses Erzählers „[z]u viele Fragen“ auf (7). Auch ihre eigene „Sehnsucht nach den Anderen“ teilt Kuznecova mit ihrem Antihelden (Tolstov 2020), der rasch vor der Aufgabe, seine Wirte zu „lieben“ (Kuznecova 2020: 41), resigniert und, getrieben von der Suche nach Erkenntnis, die Welt der „Giganten“ - kurz „Gigi“ - zu erschließen beginnt (13 et passim). Aus viraler Mikroperspektive wird der menschliche Körper zur Echokammer, Sprache experimentell de- und rekomponiert; in seiner poetischen Enigmatizität konstituiert der Roman eine Herausforderung an die Leserin, deren Position gegenüber einem erst aktiv zu entschlüsselnden Text jene des Protagonisten angesichts der für ihn fremden humanen Welt spiegelt. Allzu weit ist es mit besagter Humanität nicht her, wie der Erzähler als kritischer Beobachter einer sozial wie ökologisch irresponsablen Gesellschaft bald konstatiert. Gelangweilt exploriert er das Innenleben eines Karrieremenschen; verstört wohnt er der Vergewaltigung einer jungen Frau und dem Sexualmord an einer anderen bei. Nur widerwillig verweilt das moralisch anspruchsvolle Virus im Täter - allein: Verrät sich hier „die wahre Natur der Gigs“ (145)? Es folgt eine passionierte Anklage der „Usurpatoren“ (13) der Erde: „Wie kann es sein, dass ihr euch in uns verwandelt? “, staunt der Protagonist über die „Mutationen“ von Menschen zu „Halbtoten“, wäre es für die „Gigi“ doch ein Leichtes, „sich darüber zu verständigen, wie man leben soll […]“ (144f.). Nachdem das Virus jenen einzigen jungen Mann wiedergefunden hat, der seine Zuneigung zu wecken vermochte, stirbt es 100 seinen unbemerkten Liebestod; ein paar Tropfen Desinfektionsmittel lassen ein pluralisiertes Wir in den „Abgrund“ (so der Titel des letzten Kapitels) entschwinden. In einem existentiellen Wirbel geraten Vergangenheit und Zukunft, Innen und Außen durcheinander: „durchsichtig und riesig“, enthält der Erzähler nun seinerseits „Welten, Welten“ - und alle Figuren, durch die er gewandert ist. Voll Empathie betrachtet dieser extravagante Schutzpatron die zu Miniaturen geschrumpften „Giganten“: „Ich lasse nicht zu, dass sie einander vernichten“ (163-165). Ein weiteres Mal fungiert Corona als polyvalente Projektionsfläche, das Virus als Revelator gesellschaftlicher wie philosophischer Problematiken; doch die Faszination dieses poetischen Romans besteht v.-a. in jener Ästhetik radikaler Verfremdung, die Iznanka über eine multiple Mise-en-abyme-Konstruktion realisiert. „Wesen für uns“, sind die „Gigi“ womöglich selbst „Halbwesen“, Bewohner eines hypothetischen „Supergiganten“ (68f.), wie das Virus seine spekulative Metaphysik einer „unendlichen Reihe von Welten“ (13) formuliert: „Sie sind wie wir“ (69). „Showing results for: coronavirus“: Die Pandemie als Google-Protokoll „They move around the world. […] Like us“ (DP 173): Bei Charles Yu ist ein abstraktes Wir am Wort, das sich als kollektive Corona- Stimme entpuppt. Im Gegensatz zu Kuznecovas Iznanka kommen Yus „Systems“ ohne singuläres Subjekt aus; als Medium digitaler Sozioethnographie dient der Erzählinstanz Google, auch anderweitig Topos neuerer Epi-/ Pandemieliteratur. „We Googled how to survive in wild […] We Googled is there a god […]“: Solange das Internet funktioniert, bleibt Google in Ling Mas Severance die Universalautorität (2018: 3f.). „Was sagt Google über meinen Zustand? “, fragt sich Ivanjis Sascha - und beschließt, sich lieber „nicht 101 auf die Google-Suche [zu] verlassen“ (2021: 37f.); bei Gamberale (2020: 66), Güler (2020: 304) wie Sund/ Biel (2020: 263) wird letztere zum Anlass spielerischer Interaktion mit einer auf Recherche geschickten Leserschaft. Die aktuellen „Google Trends“ hätten, so der Verleger Naveen Valsakumar, etliche seiner neuen Corona- Autor*innen, „young and tech-savvy“, inspiriert (zit.- Sharma 2020). Bei Yu fungiert Google als ästhetische Matrix; es sind die imaginären Protokolle eklektischer Suchanfragen, die ein Porträt der US-Menschheit in Pandemiezeiten zeichnen: They ask themselves: What is coronavirus. […] Oscar party ideas. […] They search for things: First date ideas. Tapas bars. Tapas downtown. Wuhan. Wuhan where. […] Second date ideas. Italy. Lombardy Italy. Chinese virus. Trump Chinese virus. Coronavirus versus flu. Covid not that bad. […] They ask themselves: Zoom what is it. […] They search. They look for patterns. […] They find patterns but some of them need to find more patterns. Showing results for: coronavirus Search instead for: coronavirus conspiracy (DP 174-177) Via Google richtet das virale Kollektiv einen verfremdenden Blick auf die humane Spezies, ihre „Systems of air. Of information. Of ideas“, ihre aus der Distanz erst recht absurden Ab- und Ausgrenzungsstrategien: „Some of them enjoy breathing as their right.- / Some of them can’t breathe.“ In einem perspektivischen Vexierspiel beobachtet es seine menschlichen Gegenüber bei der Erforschung des bis zuletzt ungenannten Wir: „Others of them study us.- / They know what we are: Not quite alive. […]- / They are like us“ (DP 180f.). Raffiniert dezentriert die Erzählung jenes anthropozentrische „narrative“, das Yu (2020) in einem Essay über die ‚kopernikanische‘ Dimension der Pandemie problematisiert. Mathieu Leroux kreiert für seinen ‚récit infecté‘ einen Erzähler, der die eigene Verwandlung zur „Machine“ (RI), zum „gigantesque multiprocesseur“ dokumentiert: „pixel par pixel“ zerfällt einem 102 zwischen Pandemie und Digitalisierung doppelt erschütterten Subjekt seine Welt. Die Corona-Literatur inszeniert freilich auch den Kollaps des Textes selbst. „Je schlechter, desto besser“: Der Text als Krise, die Krise als Text „Der Text ist Krise […]“ (Eising 2021: 3). In einer Phase, da „an unprecedented April […] a nonsense of every line“ macht (Z.-Smith 2020: 8), wird u.-U. gerade ‚schlechtes‘ Schreiben besagtem Nonsens gerecht: „[…] ich dachte hartnäckig: jetzt muss man schlecht schreiben. Je schlechter, desto besser“, so Zara Abdullaeva unter Distanzierung von den „Goldfedern“ der russischen neunziger Jahre (IK-2020). Gewiss wirkt „a good story“ in hektischer Krisenzeit „like a balm“ (Sinay, Stars 66); paradox gute Literatur entsteht dort, wo Autor*innen auf diesen Balsam verzichten. Angesichts der Corona-Pandemie gilt es erneut „form to loss and emptiness“ (Outka 2019: 253) zu stiften: „That’s how we first saw it: its form was the emptiness it had left in the streets of Wuhan“, umschreibt Sinay (Stars 65) jene Leere, die eine löchrige Narration spiegelt; wortspielerisch aktiviert den „vide“ im „attentat Covid“ Marceau- Tremblay (RI). Rund um „un grande vuoto di memoria“ werde sich der zukünftige „romanzo sul virus“ entfalten, vermutet Longo (2020), in der Mitte „delle pagine bianche“. Zwischen weißen Seiten und dem „black hole“ einer alles andere aggressiv resemiotisierenden Katastrophe (Fonseca, Stars 379) navigiert bereits die frühe Corona-Literatur mit ihrer Negativpoetik, die sich doch zum noch so fragmentarischen Text konfiguriert. Den doppelten „Lockdown“ einer krisenhaft implodierenden Literatur reflektiert Hubert Haddad in „The Hieroglyphs of COVID-19“. „Imagine a novelist living in Paris […]“, so der selbstironische Einstieg des vom Surrealismus inspirierten Romanciers, 103 der eben den „lavish exodus“ miterlebt hat: „Might it not finally be time to write? “ Der Text gerät zum Protokoll des Scheiterns an einer „fiction of supreme reality“; über „[h]azy starts, incoherent lines […]“ gelangt der Protagonist nicht hinaus. Den „void“, der ihm von einer zum Bildschirm aktualisierten „blank page“ entgegenstarrt, verarbeitet er abseits der unermüdlichen Corona- Diskurs-„Mühle“ zum „ghostly diary“, Montage diverser „incipits, false starts, drafts […]“ (Stars 40-42). Verstreute „scraps“ eines SF-Manuskripts antizipieren die Retrospektive auf den von der Pandemie eröffneten „string of planetary catastrophes“, während der Autor unter literaturtheoretischem Augenzwinkern verschwindet: „[…] these shreds were found after a disaster without any real idea of the author“ (Stars 45-48). Corona als literarisches Genre? Provisorische Conclusio Wie die anderen Texte aus unserem internationalen Corpus zeugen diese „Hieroglyphs“ von der intensiven Aktivität in jenem weltliterarischen Labor, in dem sich eine Poetik der Corona-Pandemie - zwischen Einschreibung in eine lange Tradition und (nicht zuletzt medien-)ästhetischer Innovation - erst herauskristallisiert. An der Problematik pandemischer Echtzeitproduktion partizipiert unweigerlich die in diesem Band gebotene zeitliterarhistorische Zwischenbilanz; in Auseinandersetzung mit neuen Erkenntnissen nicht nur darüber, wie alles begann, sondern auch darüber, wie es endete, stehen der Corona-Literatur weitere Metamorphosen bevor. „With time, the coronavirus will be no more than an old news story that people barely remember“, ist Vargas Llosa überzeugt (Stars 34); noch ist die Zeit nicht gekommen, da Corona nur mehr, so Rodríguez Marcos (2020), ein „género literario“ sein wird. 104 Quellenverzeichnis Adloff, F. (2020): Zeit, Angst und (k)ein Ende der Hybris. In: M. Volkmer/ K. Werner (Ed.): Die Corona-Gesellschaft. Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft. Bielefeld. 145-153. Alonso, C. (2020): La littérature va-t-elle attraper le Covid-19? Influencia, 03.06.2020. https: / / www.influencia.net/ fr/ actualites/ art-culture,culture, litterature-va-t-elle-attraper-covid-19,10289.html. Aubigné, T.-A. d’ (1616): Les Tragiques. Genève. Babin, C./ R. Bourdillon (2020): Récit de voyage sur la planète Covid-19. Le Mouton noir, 11.05.2020. https: / / www.moutonnoir.com/ 2020/ 05/ recit-de-voyage-sur-la-planete-covid-19. Bartels, G. (2021): Thea Dorns Corona-Buch: Auf bedenklicher Freiheitsmission. Der Tagesspiegel, 15.03.2021. https: / / www.tagesspiegel.de/ kultur/ thea-dorns-corona-buch-auf-bedenklicher-freiheitsmission/ 27004364. html. Beigbeder, F. (2021): Bibliothèque de survie. Paris. Benetti, P. (2021): „Décamérez! “, un an après [Interview N. Koble]. En attendant Nadeau, 17.03.2021. https: / / www.en-attendant-nadeau.fr/ 2021/ 03/ 17/ decamerez-entretien-koble. Berg, L. van den (2016): Find Me [2015]. New York. Bernard, J. (2020): Writing to Fight the Inertia: Etgar Keret Finds Inspiration in Coronavirus. The Jerusalem Post, 14.10.2020. https: / / www. jpost.com/ israel-news/ culture/ author-etgar-keret-finds-inspiration-incoronavirus-645606. Bertz, D.-F. (Ed. 2021): Die Welt nach Corona. Von den Risiken des Kapitalismus, den Nebenwirkungen des Ausnahmezustands und der kommenden Gesellschaft. Berlin. Bloom, D. (2020): Prophetic Israeli Sci-Fi Novel From 23-Years Ago Predicted Current Pandemic. The Times of Israel, 08.04.2020. https: / / blogs. timesofisrael.com/ prophetic-israeli-sci-fi-novel-from-23-years-agopredicted-current-pandemic. 105 Boccaccio, G. (o. J.): Das Dekameron [ca.- 1335-1355]. http: / / www.zeno. org/ Literatur/ M/ Boccaccio,+Giovanni/ Novellensammlung/ Das+De kameron. Bohjalian, C. (2020): What Will Post-Pandemic Fiction Look Like? The Novels That Followed 9/ 11 Offer Some Clues. The Washington Post, 21.05.2020. https: / / www.washingtonpost.com/ entertainment/ books/ what-will-post-pandemic-fiction-look-like-the-novels-thatfollowed-911-offer-some-clues/ 2020/ 05/ 21/ 625a3bc8-99d7-11ea-a282- 386f56d579e6_story.html. Bourdon, C. (2020): Mon journal du confinement à moi. RTBF, 20.03.2020. https: / / www.rtbf.be/ culture/ dossier/ christophe-bourdon/ detail_monjournal-du-confinement-a-moi-christophe-bourdon? id=10463334. Brändle, S. (2021): Sekten profitieren in Frankreich von der Pandemie. Der Standard, 09.04.2021. https: / / www.derstandard.at/ story/ 2000125699042. Brassard, L. (Ed. 2020): Récits infectés. Montréal. https: / / recitsinfectes.com. [RI] Brede, F.-G. (2020): Zwischen Emergenz und dem Blick aus dem Fenster: Sammlerkultur und Kontingenzbewältigung in zwei Facebook-Serien aus dem Corona-Lockdown (2020). Philologie im Netz, Beiheft 24. 410-430. http: / / web.fu-berlin.de/ phin/ beiheft24/ b24t27.pdf. Brunfaut, S. (2020): Coronavirus. Quand la fiction dépasse la réalité. L’Écho, 20.03.2020. https: / / www.lecho.be/ culture/ litterature/ coronavi rus-quand-la-fiction-depasse-la-realite/ 10215801.html. Butter, M. (2020): Verschwörungstheorien: Zehn Erkenntnisse aus der Pandemie. In: B. Kortmann/ G.- G. Schulze (Ed.): Jenseits von Corona. Unsere Welt nach der Pandemie - Perspektiven aus der Wissenschaft. Bielefeld. 225-231. Cain, S. (2020): Poem Constructed From Emails Received During Quarantine Goes Viral. The Guardian, 12.04.2020. https: / / www.theguardian. com/ books/ 2020/ apr/ 12/ poem-constructed-from-emails-duringquarantine-goes-viral. Camus, A. (2017): À Combat. Éditoriaux et articles, 1944-1947. Paris. Camus, A. (2020): La Peste [1947]. Paris. 106 Carquain, S. (2020): „Écrire sans masque… Ni gants“. Lettres Capitales, 06.05.2020. https: / / lettrescapitales.com/ sophie-carquain-ecrire-sansmasque-ni-gants. Chevillard, É. (2021): Sine die. Chronique du confinement (19 mars-12 mai 2020). Dessins de François Ayroles. Talence. Clouette, F. (2017): Une épidémie [2013]. Montpellier. Crosby, A.-W. (2003): America’s Forgotten Pandemic. The Influenza of 1918 [1989]. Cambridge. Daam, N. (2020): Le confinement n’est ni un atelier d’écriture de haikus, ni une retraite spirituelle. Slate, 21.03.2020. http: / / www.slate.fr/ story/ 188817/ confinement-coronavirus-pas-atelier-ecriture-haikus-retraitespirituelle. Daniëls, W. (2020): Quarantaine. Amsterdam. Daussy, L. (2020): Une petite prière pour lutter contre le coronavirus? Charlie Hebdo, 24.03.2020. https: / / charliehebdo.fr/ 2020/ 03/ religions/ une-petite-priere-pour-lutter-contre-le-coronavirus. Defoe, D. (1995): A Journal of the Plague Year [1722]. https: / / www.guten berg.org/ files/ 376/ 376-h/ 376-h.htm. Deguy, M. (2020): Coronation. PO&SIE, 13.03.2020. https: / / po-et-sie.fr/ chroniques/ coronation. Deville, P. (2013): Peste-&-choléra [2012]. Paris. Dieterich, J. (2021): Tansania verzichtet auf Covid-Impfstoff und vertraut stattdessen auf Gott. Der Standard, 22.02.2021. https: / / www.derstan dard.at/ story/ 2000124381054. Dorn, T. (2020): Es gibt Schlimmeres als den Tod. Den elenden Tod. Die Zeit, 08.04.2020. https: / / www.zeit.de/ kultur/ 2020-04/ sterben-corona virus-krankheit-freiheit-triage. Dorn, T. (2021): Trost. Briefe an Max. München. Doudet, E. (2020): Après la pandémie: vers une révolution littéraire? Viral, 18.05.2020. https: / / wp.unil.ch/ viral/ apres-la-pandemie-vers-une-revo lution-litteraire. Ducret, D. (2020): „Journal du confinement“: la vie un peu trop rose de Leïla Slimani. Marianne, 19.03.2020. https: / / www.marianne.net/ agora/ 107 humeurs/ journal-du-confinement-la-vie-un-peu-trop-rose-de-leilaslimani. Dupont, L. (2020): Emmanuel de Waresquiel: „Je n’aime pas Camus. En plus, je trouve qu’il écrit mal“. L’Express, 13.05.2020. https: / / www. lexpress.fr/ culture/ livre/ emmanuel-de-waresquiel-je-n-aime-pascamus-en-plus-je-trouve-qu-il-ecrit-mal_2125860.html. Eco, U. (1975): Trattato di semiotica generale. Milano. Eising, E. (2021): Tagebuch der sanften Quarantäne. Norderstedt. Elassar, A. (2020): A Pandemic Thriller, Once Rejected by Publishers for Being Unrealistic, Is Now Getting a Wide Release. CNN, 04.04.2020. https: / / edition.cnn.com/ 2020/ 04/ 04/ us/ peter-may-lockdown-corona virus-book-trnd/ index.html. Espinoza, D. (2020): Covid-19: ¿una nueva encrucijada para la ciencia ficción? Universidad de Chile, 14.04.2020. https: / / www.uchile.cl/ noti cias/ 162506/ covid-19-una-nueva-encrucijada-para-la-ciencia-ficcion. Fabre, G. (1998): Épidémies et contagions. L’Imaginaire du mal. Paris. Fang, F. (2020): Wuhan Diary. Tagebuch aus einer gesperrten Stadt. Hamburg. Fortini, A. (Ed. 2020): Il tempo sospeso. Decameron 2020. Brescia. Foss, K.-A. (2020): How the 1918 Pandemic Got Meme-ified in Jokes, Songs and Poems. Smithsonian Magazine, 31.07.2020. https: / / www.smithsoni anmag.com/ history/ memes-1918-pandemic-180975452. Freire, A. (2021): El invierno de las flores. Madrid. Friedman, T.- L. (2020): Our New Historical Divide: B.C. and A.C. The World Before Corona and the World After. The New York Times, 17.03.2020. https: / / www.nytimes.com/ 2020/ 03/ 17/ opinion/ coronavi rus-trends.html. Gamberale, C. (2020): Come il mare in un bicchiere. Milano. Gariépy, R. (2020): Édition: une littérature Covid-19 prête à contaminer les librairies. ActuaLitté, 29.05.2020. https: / / actualitte.com/ article/ 7410/ presse/ edition-une-litterature-covid-19-prete-a-contaminer-les-librairies. 108 Gary, N. (2020): Sondage: les Français ont lu 2,5 livres durant le confinement. ActuaLitté, 11.05.2020. https: / / actualitte.com/ article/ 7653/ enque tes/ sondage-les-francais-ont-lu-2-5-livres-durant-le-confinement. Gielas, A. (2010): Übersetzungen in den USA: Das Lesen der Anderen. Die Zeit, 30.09.2010. https: / / www.zeit.de/ kultur/ literatur/ 2010-09/ uebersetzer-usa. Giordano, P. (2020): In Zeiten der Ansteckung. Wie die Corona-Pandemie unser Leben verändert. Hamburg. Green, D.-B. (2020): This Must-Read New Thriller Foresaw the Coronavirus - And Trump’s Response to It. Haaretz, 22.04.2020. https: / / www. haaretz.com/ life/ books/ .premium-this-must-read-new-thriller-fore saw-the-coronavirus-and-trump-s-response-to-it-1.8790300. Greenhalgh, H. (2020): Religious Figures Blame LGBT+ People for Coronavirus. Reuters, 09.03.2020. https: / / www.reuters.com/ article/ us-health-coronavirus-lgbt-idUSKBN20W2HL. Guga, V. (2020): Kto sočinit roman o koronaviruse? Nezavisimaja gazeta, 29.04.2020. https: / / www.ng.ru/ fakty/ 2020-04-29/ 11_1028_event3.html. Güler, S. (2020): Pandemie - Der Beginn. Dettenhausen. Haar, L. van der (2020): Een week of vier. Amsterdam. Hernández Velasco, I. (2021): Oscar Tusquets: „El proyecto más serio que tengo en este momento es morir con dignidad y sin dar la lata“. BBC Mundo, 26.04.2021. https: / / www.bbc.com/ mundo/ noticias-56859264. Hilpold, S. (2021): Elfriede Jelineks Corona-Stück Lärm: Schweine auf Dienstreise. Der Standard, 06.06.2021. https: / / www.derstandard.at/ story/ 2000127181825. Homann, F. (2020): Die mediatisierte Performance und Überlieferung der Lyrik im Coronazeitalter: Chancen für die Erhaltung einer lebendigen mündlichen Tradition? Philologie im Netz, Beiheft 24. 398-409. http: / / web.fu-berlin.de/ phin/ beiheft24/ b24t26.pdf. Honigsbaum, M. (2020): The Pandemic Century. A History of Global Contagion From the Spanish Flu to COVID-19. Cambridge, MA. Houot, L. (2020): Pennac, Tesson, Slimani, De Luca: coronavirus et confinement sont-ils de bons sujets pour les écrivains? France Info, 109 24.03.2020. https: / / www.francetvinfo.fr/ culture/ livres/ roman/ pennactesson-slimani-de-luca-coronavirus-et-confinement-sont-ils-de-bonssujets-pour-les-ecrivains_3881017.html. IK (2020): Zapiski iz podpol’ja: Zara Abdullaeva - o tom, kakaja literatura pojavitsja posle karantina. Iskusstvo kino, 08.04.2020. https: / / kinoart. ru/ opinions/ zapiski-iz-podpolya-zara-abdullaeva-o-tom-kakaya-lite ratura-poyavitsya-posle-karantina. Iser, W. (1993): Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie [1991]. Frankfurt a.-M. Italie, H. (2021): Atwood, Grisham Among Contributors to Pandemic Novel. AP News, 18.03.2021. https: / / apnews.com/ article/ lifestylenew-york-john-grisham-douglas-preston-coronavirus-pandemicb918d7eeac8386a9c3bcc69aab74bc88. Ivanji, I. (2021): Corona in Buchenwald. Wien. Jakobs, H.-J. (2021): Thea Dorn: „‚Social Distancing‘ ist ein gewaltiger Motor der Trostlosigkeit“. Handelsblatt, 19.02.2021. https: / / www.handels blatt.com/ arts_und_style/ literatur/ interview-thea-dorn-social-distan cing-ist-ein-gewaltiger-motor-der-trostlosigkeit/ 26928614.html. Kajan, S. (2020): Corona: Eine Strafe Gottes? Die Tagespost, 18.03.2020. https: / / www.die-tagespost.de/ kirche-aktuell/ aktuell/ Corona-Eine- Strafe-Gottes; art4874,206439. Kaminer, W. (2021): Der verlorene Sommer. Deutschland raucht auf dem Balkon. München. Khan, A.-S. (2013): Plague Inc. CDC. Public Health Matters Blog, 16.04.2013. https: / / blogs.cdc.gov/ publichealthmatters/ 2013/ 04/ plague-inc. Klein, J. (2021): Ich komme mit ZeroCovid in deinen kapitalistischen Seuchenstaat. Neues Deutschland, 15.01.2021. https: / / www.neuesdeutschland.de/ artikel/ 1147040.zerocovid-ich-komme-mit-zerocovidin-deinen-kapitalistischen-seuchenstaat.html. (Koll. 2020): Coronameron. https: / / 1lib.at/ book/ 5567835/ b7be09. (Koll. 2020): Décaméron 2020. Projet littéraire collaboratif au temps du confinement. Ajaccio. (Koll. 2020): Le Coronaméron. Confiné.e.s de l’an 2020. o.-O. 110 (Koll. 2020): Relatos en tiempos del Coronavirus. https: / / www.urjc.es/ actualidad-fcjs/ noticias-fcjs/ 5145-relatos-en-tiempos-del-coronavirus. [RTC] (Koll. 2020): Tracts de crise. Un virus et des hommes. 18 mars-/ -11 mai 2020. Paris. [TC] Krämer, S. (2008): Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik der Medialität. Frankfurt a.-M. Krämer, S. (2020): Brennspiegel, Lern-Labor, Treibsatz? Ein persönliches Corona-Kaleidoskop. In: B. Kortmann/ G.-G. Schulze (Ed.): Jenseits von Corona. Unsere Welt nach der Pandemie - Perspektiven aus der Wissenschaft. Bielefeld. 31-41. Kreil, C. (2021): Klosterneuburger Ärztin empfiehlt „Baba Virus“ - aufgeladenes Wasser gegen Corona. Der Standard, 01.04.2021. https: / / www. derstandard.at/ story/ 2000125434343. Kronlund, S. (2020a): Journal de non-confinement: une caissière et un livreur. France Culture, 10.04.2020. https: / / www.franceculture.fr/ emis sions/ les-pieds-sur-terre/ journal-de-non-confinement-une-caissiereet-un-livreur. Kronlund, S. (2020b): Confinement: sauvées par les livres. France Culture, 16.12.2020. https: / / www.franceculture.fr/ emissions/ les-pieds-sur-terre/ confinement-sauvees-par-les-livres. Kurier (Red. 2020): IS-Terrormiliz sieht im Coronavirus Strafe Gottes für Westen. Kurier, 28.05.2020. https: / / kurier.at/ politik/ ausland/ is-terror miliz-sieht-im-coronavirus-strafe-gottes-fuer-westen/ 400924199. Kuznecova, I. (2020): Iznanka. Moskva. http: / / fb2bookdownload.ru/ modern-prose/ 9267-iznanka-inga-kuznecova.html. Lamotte, A. (2020): Lou Doillon: le confinement, cet espoir. France Culture, 19.03.2020. https: / / www.franceculture.fr/ emissions/ confinement-votre/ lou-doillon-le-confinement-cet-espoir. Latham, R. (2020): Zones of Possibility: Science Fiction and the Coronavirus. Los Angeles Review of Books, 27.05.2020. https: / / lareviewofbooks. org/ article/ zones-of-possibility-science-fiction-and-the-coronavirus. 111 Le Goff, J.-P. (2021): La Société malade. Comment la pandémie nous affecte. Paris. Lemaître, F. (2020): Lettre aux écrivains bourgeois qui nous refourguent leur journal du confinement. Brain Magazine, 19.03.2020. https: / / www. brain-magazine.fr/ article/ brainorama/ 60184-Lettre-aux-ecrivainsbourgeois-qui-voudraient-nous-refourguer-leur-journal-de-confine ment. Lévy, B.-H. (2020): Ce virus qui rend fou. Paris. Lobo, S. (2020): Aus der Asche der Gewohnheit entsteht die neue Gegenwart. Der Spiegel, 22.04.2020. https: / / www.spiegel.de/ netzwelt/ web/ corona-krise-leben-in-der-postpandemischen-gesellschaft-kolumnea-823fc893-56a4-442e-abe6-7d6e6baf7b0d. Longo, F. (2020): Chi scriverà il grande romanzo del Coronavirus? Rivista Studio, 01.05.2020. https: / / www.rivistastudio.com/ romanzo-coronavi rus. Lopes, C. (2020): Coronavirus COVID 19: l’anti-journal de confinement de Cécile Coulon sur les réseaux sociaux. France 3, 20.03.2020. https: / / france3-regions.francetvinfo.fr/ auvergne-rhone-alpes/ puyde-dome/ clermont-ferrand/ coronavirus-covid-19-anti-journalconfinement-cecile-coulon-reseaux-sociaux-1803854.html. Ma, L. (2018): Severance. New York. Malbœuf, V. (2021): Près de Nantes. Un livre raconte comment cette commune a vécu le premier confinement. Actu.fr/ L’Hebdo de Sèvre et Maine, 01.03.2021. https: / / actu.fr/ pays-de-la-loire/ divatte-sur-loire_44029/ pres-de-nantes-un-livre-raconte-comment-cette-commune-a-vecu-lepremier-confinement_39855324.html. Mandel, E.-St.-J. (2015): Station Eleven [2014]. London. Manfredi, A. (2020): Leïla Slimani: Marie-Antoinette en zone libre. Laisse parler les filles, 21.03.2020. https: / / laisseparlerlesfilles.com/ 2020/ 03/ 21/ leila-slimani-marie-antoinette-en-zone-libre. Manzoni, A. (o.- J.): Die Verlobten [1826/ 1840]. Ed. H. H. Ewers. Bd.- 2. Berlin. https: / / www.projekt-gutenberg.org/ manzoni/ verlobt2/ verlobt2. html. 112 Marcus, J. (2020): Coronavirus: Pandemic Fact v Pandemic Fiction? BBC, 05.04.2020. https: / / www.bbc.com/ news/ world-52124795. Marshall, A. (2020): Naomi Alderman Was Writing a Pandemic Novel Before the Pandemic Hit. The New York Times, 23.06.2020. https: / / www.nytimes.com/ 2020/ 06/ 23/ books/ naomi-alderman-coronaviruspandemic-novels.html. Marx, W. (2020): Ce que la littérature nous apprend de l’épidémie. Fondation Collège de France, 04.2020. https: / / www.fondation-cdf.fr/ 2020/ 04/ 20/ ce-que-la-litterature-nous-apprend-de-lepidemie. Matera, E. (2020): „Das Virus ist der radikalste Entschleuniger unserer Zeit“ [Interview H. Rosa]. Der Tagesspiegel, 24.03.2020. https: / / www. tagesspiegel.de/ politik/ soziologe-hartmut-rosa-ueber-covid-19-dasvirus-ist-der-radikalste-entschleuniger-unserer-zeit/ 25672128.html. Meyer, B. (2020): Religion und Pandemie. In: B. Kortmann/ G.-G. Schulze (Ed.): Jenseits von Corona. Unsere Welt nach der Pandemie - Perspektiven aus der Wissenschaft. Bielefeld. 147-156. Meyer, M. (2020): Corona. Erzählung. Zürich/ Berlin. Morris, B. (2020): Please! Hold Off on That Novel Coronavirus Novel! The Millions, 22.06.2020. https: / / themillions.com/ 2020/ 06/ please-hold-offon-that-novel-coronavirus-novel.html. Mourgues, E. (2021): Pourquoi l’écriture nous fait du bien. France Culture, 25.03.2021. https: / / www.franceculture.fr/ societe/ pourquoi-lecriturenous-fait-du-bien. Najjar, A. (2020): La Couronne du diable. Paris. Nancy, J.-L. (2020): A Much Too Human Virus. European Journal of Psychoanalysis. https: / / www.journal-psychoanalysis.eu/ a-much-human-virus. Neundlinger, H. (2020): Virusalem. Gesang aus dem Bauch des Wals. Salzburg/ Wien. Nishimura, K. (2020): Dans le monde d’après le coronavirus „la littérature seule ne suffira pas, la science seule non plus“, confie l’écrivain Haruki Murakami. France Info, 21.12.2020. https: / / www.francetvinfo.fr/ culture/ livres/ roman/ dans-le-monde-d-apres-le-coronavirus-la-littera 113 ture-seule-ne-suffira-pas-la-science-seule-non-plus-confie-l-ecrivainharuki-murakami_4228505.html. NÖN (Red. 2020): Literarische Coronatexte kommen im Herbst. NÖN, 04.08.2020. https: / / www.noen.at/ in-ausland/ die-erste-welle-literari sche-coronatexte-kommen-im-herbst-oesterreich-epidemie-literaturviruserkrankung-oesterreich-217824320. Noun, F. (2020): Coronavirus: Maronite Church Slams Minority Opposed to Communion in Hand. Asia News, 17.03.2020. http: / / www.asianews. it/ news-en/ (Middle-East,Lebanon)-Coronavirus: -Maronite-Churchslams-minority-opposed-to-communion-in-hand-49578.html. Obergöker, T. (2020): Les journaux de confinement de Leïla Slimani et de Marie Darrieussecq - Histoire d’un malentendu. Philologie im Netz, Beiheft 24. 371-382. http: / / web.fu-berlin.de/ phin/ beiheft24/ b24t24.pdf. Outka, E. (2019): Viral Modernism. The Influenza Pandemic and Interwar Literature. New York. Pagnol, M. (o.- J.): Les Pestiférés. In: Le Temps des amours [1977]. Paris. https: / / bastideenlettres.files.wordpress.com/ 2016/ 10/ les-pestifc3a9r c3a9s.pdf. Pallares, A. (2020): El coronavirus podría decretar el final de las ficciones nacionales: ¿se acaba una era en la televisión argentina? Teleshow, 12.05.2020. https: / / www.infobae.com/ teleshow/ infoshow/ 2020/ 05/ 12/ el-coronavirus-podria-decretar-el-final-de-las-ficciones-nacionalesse-acaba-una-era-en-la-television-argentina. Palud, A. (2014): La Contagion des imaginaires. Lectures camusiennes du récit d’épidémie contemporain. Diss., Univ. Rennes 2. https: / / tel.archivesouvertes.fr/ tel-01077943. Pandemic Fictions (2020): From Pandemic to Corona Fictions: Narratives in Times of Crises. Philologie im Netz, Beiheft 24. 321-344. http: / / web. fu-berlin.de/ phin/ beiheft24/ b24t21.pdf. Payot, M. (2020): Camus versus Garcia Marquez: le choix des écrivains. L’Express, 24.05.2020. https: / / www.lexpress.fr/ culture/ livre/ camusversus-garcia-marquez-le-choix-des-ecrivains_2126120.html. Perillo, A. (Ed. 2021): Decameron 2020. Grottaminarda. 114 Perrault, C. (1691): La Marquise de Salusses, ou la Patience de Grisélidis. Paris. Pfaller, R. (2021): Das Virus spricht: „Nicht ich bin Ihr Feind! “ Der Standard, 04.04.2021. https: / / www.derstandard.at/ story/ 2000125549121. Pierson, H. (2020): Slimani - Mouawad: le sexisme déconfiné. Zone critique, 25.03.2020. https: / / zone-critique.com/ 2020/ 03/ 25/ slimani-moua wad-sexisme-deconfine. Porter, K.-A. (1947): Pale Horse, Pale Rider. Three Short Novels [1939]. New York. Pratici, M./ C. Vettori (Ed. 2020): Decameron 2020. Racconti e poesie dalla quarantena. Arezzo. Preston, A. (2020): Summer By Ali Smith Review - A Remarkable End to an Extraordinary Quartet. The Guardian, 02.08.2020. https: / / www. theguardian.com/ books/ 2020/ aug/ 02/ summer-by-ali-smith-review-aremarkable-end-to-an-extraordinary-quartet. Privitera, D. (Ed. 2021): Decameron 2020. Mascalucia. Pumberger, S. (2021): Longerich: „Der Antisemitismus ist die größte Verschwörungserzählung“. Der Standard, 30.04.2021. https: / / www. derstandard.at/ story/ 2000126227464. Ribeiro S- C Thomaz, J. (2020): „Breathe in your stuffy cell“: (Re)Emergence of Poetry in Times of COVID-19. Philologie im Netz, Beiheft 24. 383-397. http: / / web.fu-berlin.de/ phin/ beiheft24/ b24t25.pdf. Rodríguez Marcos, J. (2020): Esperando la gran novela sobre el coronavirus. El País, 03.04.2020. https: / / elpais.com/ cultura/ 2020/ 04/ 03/ babe lia/ 1585925213_537309.html. Rosier, L. (2020): Écrire les malheurs du temps. Réflexions autour des journaux de confinement. La Revue nouvelle 3. https: / / www.revuenouvelle. be/ Ecrire-les-malheurs-du-temps-Reflexions-autour. Roth, P. (2010): Nemesis. London. Saeed, S. (2020): Hariboon Min Corona: Jordanian Novel Explores the Role Animals Play in Pandemics. The National, 27.07.2020. https: / / www. thenationalnews.com/ arts-culture/ books/ hariboon-min-corona-jorda nian-novel-explores-the-role-animals-play-in-pandemics-1.1053014. 115 Salcedo, F.-X.-R. (2020): Albert Camus’ La Peste and the Covid-19 Pandemic: Exile and Imprisonment, Suffering and Death, Defiance and Heroism. Journal for the Study of Religions and Ideologies 19: 56. 136-149. http: / / jsri.ro/ ojs/ index.php/ jsri/ article/ view/ 1200. Sasse, S. (2020): Tolstoj und die Ansteckung. Geschichte der Gegenwart, 18.03.2020. https: / / geschichtedergegenwart.ch/ tolstoj-und-die-anste ckung. Schnapp, J.- É. (2020): Covid-19 et la tentation eschatologique. Le Point, 20.05.2020. https: / / www.lepoint.fr/ debats/ covid-19-et-la-tentationeschatologique-20-05-2020-2376334_2.php. Schneider, A. (2020): Es wird schon hell. Ein Corona-Nachtbericht. Norderstedt. Schuh, F. (2021): Das Virus hat mir nicht ins Konzept gepasst. Der Standard, 14.03.2021. https: / / www.derstandard.at/ story/ 2000124992228. Scrivner, C./ J.- A. Johnson et al. (2021): Pandemic Practice: Horror Fans and Morbidly Curious Individuals Are More Psychologically Resilient During the COVID-19 Pandemic. Personality and Individual Differences 168. 10.1016/ j.paid.2020.110397. Serrell, M. (2020): Journaux de confinement, la lutte des classes. France Culture, 20.03.2020. https: / / www.franceculture.fr/ litterature/ latheoriejournaux-de-confinement-la-lutte-des-classes. Sharma, M. (2020): COVID-19 Warriors, Survivors Wield Pen as Pandemic Inspires Fiction. Hindustan Times, 02.11.2020. https: / / www.hindu stantimes.com/ india-news/ covid-19-warriors-survivors-wield-pen-aspandemic-inspires-fiction/ story-lqfOjzNOyv5wkVjeimikZK.html. Shelley, M. (2006): The Last Man [1826]. London. https: / / www.gutenberg. org/ cache/ epub/ 18247/ pg18247.html. Sizemore, J. (2020): Corona. Pandemic Poems. Portland, OR. Smirnov, A. (2020): Mir - ėto tekst. Pervyj roman o koronaviruse napisal uralec tri goda nazad. Argumenty i fakty/ Ural, 24.05.2020. https: / / ural. aif.ru/ society/ mir_eto_tekst_pervyy_roman_o_koronaviruse_napi sal_uralec_tri_goda_nazad. Smith, A. (2020): Summer. London. 116 Smith, Z. (2020): Intimations. New York. Spinney, L. (2018): Pale Rider. The Spanish Flu of 1918 and How It Changed the World [2017]. London. Stavans, I. (Ed. 2020): And We Came Outside and Saw the Stars Again. Writers From Around the World on the COVID-19 Pandemic. Brooklyn, NY. [Stars] Stemberger, M. (2018): La Princesse de Clèves, revisited. Re-Interpretationen eines Klassikers zwischen Literatur, Film und Politik. Tübingen. Stemberger, M. (2021): Homer meets Harry Potter. Fanfiction zwischen Klassik und Populärkultur. Tübingen. Stewart, G.-R. (2015): Earth Abides [1949]. London. Stichweh, R. (2020): Simplifikation des Sozialen. In: M. Volkmer/ K. Werner (Ed.): Die Corona-Gesellschaft. Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft. Bielefeld. 197-206. Sund, M./ D. Biel (2020): Das Corona-Ende. Berlin. Tesson, S. (2020): Que ferons-nous de cette épreuve? Tracts de crise N°23. Paris. https: / / tracts.gallimard.fr/ fr/ products/ tracts-de-crise-n-23-queferons-nous-de-cette-epreuve. Teutsch, K. (2020): Corona-Tagebücher: Die Stunde der Maulhelden. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.04.2020. https: / / www.faz.net/ aktu ell/ feuilleton/ debatten/ corona-tagebuecher-die-stunde-der-maulhel den-16713063.html. The New York Times (Ed. 2020): The Decameron Project. 29 New Stories From the Pandemic. New York. [DP] Thomä, D. (2020): Die Spaltung der Corona-Gesellschaft und die Feier der Alltagshelden. In: B. Kortmann/ G.- G. Schulze (Ed.): Jenseits von Corona. Unsere Welt nach der Pandemie - Perspektiven aus der Wissenschaft. Bielefeld. 51-58. Tolstov, V. (2020): Avtor romana o koronaviruse Inga Kuznecova: „Pandemija ne izmenila moego čuvstva skorotečnosti žizni“. Peterburgskij dnevnik, 09.11.2020. https: / / spbdnevnik.ru/ news/ 2020-11-09/ avtor-romana-o-koronaviruse-inga-kuznetsova-pandemiya-ne-izme nila-moego-chuvstva-skorotechnosti-zhizni. 117 Trapenard, A. (2020): „Je ne crois pas aux déclarations du genre ‚rien ne sera plus jamais comme avant‘“ - Michel Houellebecq. France Inter, 04.05.2020. https: / / www.franceinter.fr/ emissions/ lettres-d-interieur/ lettres-d-interieur-04-mai-2020. Truijens, A. (2020): Herkenbaar, ongepolijst verslag van de eerste coronaweken. De Volkskrant, 05.06.2020. https: / / www.volkskrant.nl/ cultuurmedia/ herkenbaar-ongepolijst-verslag-van-de-eerste-coronaweken ~b5770a86. Ulitzkaja [Ulickaja], L. (2021): Eine Seuche in der Stadt. Szenario [2020]. München. Varène, C. (2020): Coronavirus et littérature: l’impact de la crise sanitaire sur la vente des livres. Toute la culture, 17.04.2020. https: / / toutelaculture. com/ actu/ coronavirus-et-litterature-limpact-de-la-crise-sanitaire-surla-vente-des-livres. Vázquez-Figueroa, A. (2020a): Cien años después. Madrid. [C] Vázquez-Figueroa, A. (2020b): La vacuna. Madrid. [V] Veen, E. van (2020): Wim Daniëls: „Ik schrijf voor mijn moeder, ook al is ze al lang dood“. De Volkskrant, 14.05.2020. https: / / www.volkskrant. nl/ mensen/ wim-daniels-ik-schrijf-voor-mijn-moeder-ook-al-is-ze-allang-dood~bea56633. Vincent, A. (2020): Will We Ever Be Ready for the COVID-19 Novel? Penguin, 07.07.2020. https: / / www.penguin.co.uk/ articles/ 2020/ july/ covid-fiction-pandemic-corona-literature.html. Wald, P. (2008): Contagious. Cultures, Carriers, and the Outbreak Narrative. Durham, NC. Wallisch, G. (2020): Tour de Corona: Mit dem Rennrad 4.000 Kilometer nach Hause. Der Standard, 16.07.2020. https: / / www.derstandard.at/ story/ 2000118721605. Walters, G. (2020): Mike Pence Wants You to Pray the Coronavirus Away. Vice, 26.06.2020. https: / / www.vice.com/ en/ article/ dyzyxw/ mike-pence-wants-you-to-pray-the-coronavirus-away. 118 Werf, G. van der (2020): De beste coronaboeken moeten nog geschreven worden. Trouw, 31.05.2020. https: / / www.trouw.nl/ cultuur-media/ de-beste-coronaboeken-moeten-nog-geschreven-worden~bcdf7cbe. Wölfl, A. (2021): Roma als Sündenböcke der Pandemie in Bulgarien. Der Standard, 31.03.2021. https: / / www.derstandard.at/ story/ 2000125481514. Woolf, V. (1930): On Being Ill [1926]. http: / / www.gutenberg.net.au/ ebooks 15/ 1500221h.html#ch3. Wright, L. (2020a): The End of October. New York. Wright, L. (2020b): Lawrence Wright’s New Pandemic Novel Wasn’t Supposed to Be Prophetic. The New York Times, 12.03.2020. https: / / www.nytimes.com/ 2020/ 03/ 12/ books/ review/ lawrence-wright-end-ofoctober-pandemic-novel-essay.html. Yang, X. (2020): Li Wenliang: Geburt eines Märtyrers. Die Zeit, 07.02.2020. https: / / www.zeit.de/ gesellschaft/ zeitgeschehen/ 2020-02/ li-wenliangarzt-coronavirus-warnung-tod-china-regierung. Yu, C. (2020): The Pre-Pandemic Universe Was the Fiction. The Atlantic, 15.04.2020. https: / / www.theatlantic.com/ culture/ archive/ 2020/ 04/ char les-yu-science-fiction-reality-life-pandemic/ 609985. Zeillinger, G. (2021): Seuchengeschichte und Politparabel. Der Standard, 05.04.2021. https: / / www.derstandard.at/ story/ 2000125551197. Žižek, S. (2020): Pandemic! COVID-19 Shakes the World. New York. Zoglin, R. (2020): Welcome to the Skype Pandemic. The New York Times, 23.04.2020. https: / / www.nytimes.com/ 2020/ 04/ 23/ opinion/ skype-coro navirus-news.html. Zitierte Websites: http: / / autofictif.blogspot.com http: / / lesmotsalabouche.com/ confinement-1-nesrine-slaoui-journaliste http: / / racontemoideshistoires.fr/ journal-de-confinement-mauvaise-idee http: / / triakontameron.de http: / / www.marlenestreeruwitz.at/ werk/ so-ist-die-welt-geworden https: / / ast.ru/ news/ aktsiya-korona-dekamerona 119 https: / / blogs.mediapart.fr/ olympe-du-bouge/ blog/ 200320/ journal-duneconne-finie https: / / de-de.facebook.com/ DigiDecameron https: / / decamera.lepodcast.fr https: / / filmfreeway.com/ coronameron https: / / ludivinedesaintleger.tumblr.com https: / / outside-film.com https: / / souriresnomades.fr/ coronavirus-carnet-de-voyage-a-domicile https: / / twitter.com/ jacopogiliberto/ status/ 1224259572900208641 https: / / twitter.com/ stephenking/ status/ 1236782826911150080 https: / / www.albiana.fr/ blog/ le-projet-decameron2020 https: / / www.arts.kuleuven.be/ literatuurwetenschap/ coronameron [KUL] https: / / www.cdc.gov/ publications/ panflu/ index.html https: / / www.doublurestylo.com/ 2020/ 04/ exercice-decriture-10-journalde-confinement-romantise.html https: / / www.elysee.fr/ emmanuel-macron/ 2020/ 03/ 16/ adresse-aux-francais-covid19 https: / / www.en-attendant-nadeau.fr/ dossier-decamerez https: / / www.facebook.com/ En-attendant-écrivons-110169160604640 https: / / www.goodreads.com/ book/ show/ 53976686-coronameron https: / / www.institutcovid19admemoriam.com https: / / www.lechotouristique.com/ article/ le-recit-dun-voyage-de-nocesen-plein-covid-19 https: / / www.ndemiccreations.com/ en/ news/ 172-statement-on-thecurrent-coronavirus-outbreak *** Letzter Zugriff auf alle Online-Quellen: 26.09.2021. Zitate aus fremdsprachigen Quellen wurden ggf. von der Autorin übersetzt. ISBN 978-3-89308-464-7 W W W . N A R R . D E Corona inspiriert weltweit eine ebenso intensive wie zum Teil kontroverse literarische Produktion. Wie wird eine lange Tradition der Epi-/ Pandemieliteratur im neuen gesellschaftlichen und medialen Kontext transformiert? Wie werden politische und wissenschaftliche Corona- Diskurse reflektiert? Diese Fragen werden anhand vielfältiger Beispiele aus verschiedenen Sprachen und Kulturen diskutiert.