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Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur
2748-9213
2748-9221
expert verlag Tübingen
2021
11
Herausgegeben von Dir. Prof. Dr.-Ing. Jürgen Krieger 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur Fachtagung über Planung, Bau, Betrieb von Brücken, Tunneln, Straßen digital Tagungshandbuch 2021 Herausgegeben von Dir. Prof. Dr.-Ing. Jürgen Krieger 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur Fachtagung über Planung, Bau, Betrieb von Brücken, Tunneln, Straßen digital Tagungshandbuch 2021 Medienpartner: Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2021. Alle Rechte vorbehalten. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb. dnb.de abrufbar. expert verlag GmbH Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen E-Mail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-8169-3530-8 (Print) ISBN 978-3-8169-8530-3 (ePDF) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · 73760 Ostfildern E-Mail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Vorwort Die Digitale Transformation hat als fortlaufender, durch digitale Technologien getriebener Veränderungsprozess großen Einfluss auf Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Grundlage ist die Digitalisierung, also die Umwandlung analoger Daten in digitale Formate sowie die digitale Abbildung von Prozessen. Technologische Entwicklungen, wie gestiegene Rechenleistungen und Speicherkapazitäten, begleitet von sinkenden Kosten für Hard- und Software, sind die Voraussetzung für eine ganzheitliche Digitalisierung. Im Zeitalter des Digitalen Wandels sind Daten ein wertvoller Rohstoff für Informationen, neue Technologien, Prozesse und Ideen. Diese können die Produktivität positiv beeinflussen. Im Vergleich zu anderen Branchen stagniert die Produktivität in der Baubranche allerdings fast vollständig. Ursache hierfür ist unter anderem die geringe Digitalisierung etablierter Abläufe und geringe Neuschöpfung von Verfahren und Prozessen. Dabei bestehen vielfältige Potenziale der Digitalen Transformation in allen Phasen des Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur. Sie werden in verschiedenen Technologien und Entwicklungen deutlich, deren Kombination die Produktivität sogar um ein Vielfaches steigern können. Ein Beispiel für solche Entwicklungen ist der Digital Twin - das virtuelle Abbild eines realen Objekts, das sich kontinuierlich über dessen Daten und Informationen aktualisiert und u. a. die Durchführung virtueller Experimente ermöglicht. In Anbetracht von großen Datenmengen (Big Data) gewinnen zunehmend Smart-Data-Anwendungen, Verfahren der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens an Bedeutung bei der Auswertung von Daten. Die Ergebnisse können über Technologien der Virtual und Augmented Reality visualisiert werden. Sie eröffnen neue Möglichkeiten der Veranschaulichung virtueller Inhalte sowie der Informationseingabe und -bereitstellung. Und die kollaborative Arbeitsweise des Building Information Modelings (BIM) führt die relevanten Bauwerksinformationen zusammen, u. a. zur Optimierung des Lebenszyklusmanagements. Vor diesem Hintergrund ist das Hauptziel des erstmals stattfindenden Fachkongresses der verkehrsträgerübergreifende Wissens- und Erfahrungsaustausch. In etwa 50 Fachvorträgen werden in parallelen Sessions Technologien und Methoden der Digitalisierung und Digitalen Transformation zu folgenden Themenschwerpunkten diskutiert: • Asset Management • Building Information Modeling (BIM) • Digital Twin • Smart Data in der Anwendung • Internet of Things (IoT) • Künstliche Intelligenz • Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR), Mixed Reality (MR) • Sensorik Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und zeigt Potenziale und Herausforderungen digitaler Technologien und präsentiert Konzepte zur Verknüpfung von (zukünftigen) digitalen Entwicklungen mit der Verkehrsinfrastruktur. Darüber hinaus werden aktuelle Anwendungen vorgestellt und ihr Nutzen im Lebenszyklus betrachtet. Weitere Informationen unter: www.tae.de/ go/ digitrave 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 7 Inhaltsverzeichnis 0.0 Plenarvorträge 0.1 Digitale Zwillinge für das Lebenszyklusmanagement von Verkehrsinfrastrukturen - Herausforderungen, Ansätze und Anwendungen * Markus König 0.2 Der digitale Transformationsprozess im Unternehmen - Mehrwerte erzeugen, Menschen mitnehmen 17 Dipl.-Ing. (FH) Martin Seitner M.Sc., Dipl.-Ing. (BA), Dipl. Sportwiss. Klaus Kunigham, Dipl.-Ing. (FH) Rebecca Probst MBA & Eng. 0.3 Einsatz von BIM im Asset Management der Straßeninfrastruktur 21 Prof. Dr. sc. techn. ETHZ, Dipl. Bauingenieur UB Rade Hajdin, Prof. Dr.-Ing. Markus König, Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner, Dr. sc. ETHZ, Dipl.-Ing. Frank Schiffmann, Dr.-Ing. Tim Blumenfeld, DI Dr. techn. Karl Grossauer 0.4 Vom Büro ins Bauwerk - Kooperationsmöglichkeiten mit Mixed Reality 29 Leif Oppermann 1.0 Asset Management 1.1 Brücken Asset Management - Angewandte Digitalisierung für die Mobilität von morgen 35 Jens Kühne, Wolfgang Ries 1.2 Entwicklung der Verkehrseinwirkungen auf Bundesautobahnen 45 Andreas Socher 1.3 Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung 59 Achim Geßler, Dr. Benno Hoffmeister, Thorben Geers, Dominik Honerboom, Rainer Jergas 1.4 Brücken Asset Management - Standardisierung als Treiber im Lebenszyklusmanagement 69 Stefan Kremling, Jens Kühne 1.5 Datenablage als Grundlage für den digitalen Zwilling eines Bauwerks - Verwaltungsschale BBox 75 Thomas Braml, Johannes Wimmer, Stefan Maack, Stefan Küttenbaum, Thomas Kuhn, Maximilian Reingruber, Alexander Gordt, Jürgen Hamm 1.6 Neue digitale Ansätze und agile Methoden für das Erhaltungsmanagement 85 Dipl.-Ing. Maximilian Schenk, Dipl.-Ing. (FH) Rebecca Probst MBA & Eng. 8 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 1.7 Integration von BIM (Building Information Management) im kommunalen Asset Management 89 Alexander Buttgereit, Slawomir Heller 1.8 Online Sicherheits-Managementsystem für Brücken (OSIMAB) 97 Yasser Alshaban Alqasem, Andreas Socher, Andreas Jansen 1.9 OSIMAB - ein leistungsfähiges Cloudsystem zum zentralen Bauwerksdatenmanagement: Prädiktives Erhaltungsmanagement von Brückenbauwerken 103 Marion Behrens, Dr. Peter-Michael Mayer 1.10 OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton- Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 113 Andreas Jansen, Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler 1.11 ACE: Anomalieerkennung auf Brückensensordaten mit AutoCorrelationEncodern 125 Benedikt Böing, Emmanuel Müller 2.0 Smart Data in der Anwendung 2.1 InfraBau4.0 - Smarte Algorithmen für die dynamische, semi-automatische Umplanung in Infrastrukturbauprojekten * Marcus Müller 2.2 GeoValML - Ein interoperables Austauschformat für nahezu beliebige geotechnische Versuchsdaten 133 Dominik Stütz, Eberhard Kunz 2.3 Anwendung von Monitoring bei Brücken der Bundesfernstraßen und zukünftige Monitoringstrategien 137 Iris Hindersmann 2.4 Intelligentes Monitoring von Brückenbauwerken mit innovativen Sensoren 147 Dr.-Ing. Till Büttner, Dr.-Ing. Christian Helm 2.5 Fünf Jahre intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Ergebnisse und Erfahrungen 155 Prof. Dr.-Ing. Ursula Freundt, M.Sc. Erik Werner, Dr.-Ing. Sebastian Böning 2.6 Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Digitale Bauwerkskomponenten: Instrumentierte Lager und Fahrbahnübergänge 167 Dr.-Ing. Daniel Rill, Dr.-Ing. Christiane Butz, Michael Tahedl, M.Sc. 2.7 Innovatives Monitoring von Fahrbahnübergängen und Brückenbauwerken zur Verlängerung der Lebensdauer 177 Luigi Di Gregorio, Antonios Chrysovergis 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 9 2.8 ZfPBau 4.0 - Herausforderungen an die ZfP im Bauwesen im Rahmen der Digitalisierung 187 Ernst Niederleithinger, Johannes Vrana 2.9 Kooperative Systeme in Straßentunneln - Potentiale aus der Nutzung der C2X-Kommunikation für die Tunnelüberwachung 191 Dr.-Ing. Georg Mayer, Regierungsrätin Dipl. Wirt.-Ing. Anne Lehan, 2.10 Wie autonomes Fahren die Straßen der Städte verändern könnte 205 Prof. Dr.-Ing. Jan Riel, Prof. em. Kerstin Gothe 2.11 Entwicklung eines IoT fähigen Sensors zur Zustandsermittlung von Infrastrukturschutzmaßnahmen gegen Naturgefahren für integriertes Wartungsmanagement 213 Manuel Eicher, Eberhard Gröner, Helene Hofmann 3.0 Digital Twin 3.1 KI-gestützte Erstellung digitaler Zwillinge von Infrastrukturanlagen 221 Dr. Ilka May 3.2 Den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken 229 Dr. Angelika Kneidl, Sophia Simon, Maximilian Weiß, Victoria Büttner, Jimmy Abualdenien 3.3 smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings 237 Dipl.-Ing. Christof Ullerich, Dr.-Ing. Marc Wenner, Dr.-Ing. Martin Herbrand 3.4 smartBRIDGE Hamburg - Aggregation von Zustandsindikatoren aus Inspektions- und Monitoringdaten 247 Dr.-Ing. Martin Herbrand, Alex Lazoglu, M. Sc., Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx, Dipl.-Ing. Christof Ullerich 3.5 smartBRIDGE Hamburg - Die Rolle von BIM im Konzept des digitalen Zwillings 257 Frederik Wedel, Daniel Opitz, Christoph Tiedemann, Markus Meyer-Westphal 4.0 Building Information Modeling (BIM) 4.1 Digitale Tunnelplanung im städtischen Umfeld - Informationsmanagement mit BIM im Kontext von Geoinformationssystemen und analogen Grundlagen 271 Dr. Andreas Bach, Nils Schluckebier, M.Sc. 4.2 Modellbasiertes Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau am Beispiel des Pilotprojekts „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 277 Thomas Tschickardt M. Eng., Anne-Sophie Knappe, B. Sc. 10 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 4.3 Modellbasierte Planung und Ausschreibung im konstruktiven Ingenieurbau am Beispiel eines Tunnels 287 Ferdinand Weißbrod, M.Eng., Tobias Hein, Dipl.-Ing., Torsten Brungsberg, M.Eng., 4.4 BIM für kommunale Verkehrsflächen-Möglichkeiten und aktuelle Herausforderungen 293 Dr.-Ing. Alexander Buttgereit, Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner, Dr.-Ing. Ute Stöckner 4.5 Digitales Ökosystem für die durchgängig vernetzte Planung und Realisierung von Infrastrukturbauprojekten - Forschungsprojekt Infra-Bau 4.0 303 Dr. Birgit Guhse, Denis Feth 4.6 BIM im Brückenbau - Typische Fragen und praktische Lösungsansätze 309 Andreas Müller, Michael Frey 5.0 Verkehr 5.1 Virtual urban traffic infrastructure for testing highly automated mobility systems 317 Rene Degen, Harry Ott, Fabian Overath, Florian Klein, Martin Hennrich, Dr. -Ing. Christian Schyr, Prof. Dr. Eng. Mats Leijon, Prof. Dr. rer. nat. Margot Ruschitzka 5.2 Mobile Mapping Anwendung und Potential bei mobilen Arbeitsmaschinen 331 Lucas Rüggeberg, B.Eng., Prof. Dr.-Ing. Alfred Ulrich 5.3 Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße zur Unterstützung eines integrierten, situationsbezogenen Verkehrsmanagements 339 Sandra Ulrich, David Reisenbichler 6.0 Künstliche Intelligenz 6.1 Evolutionäre Algorithmen im Brückenbau 349 Fabio Baniseth 6.2 Entwicklung von Bauwerksalterungskurven zur Zustandsprognose von Brücken unter Anwendung von Machine Learning-Verfahren 359 Dominik Prammer, Alois Vorwagner, Alfred Weninger-Vycudil 6.3 Drohnenbasierte Erfassung von as-built Modellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Planens und Bauens im Brückenbau 367 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Glock, Fabian Kaufmann, M. Eng., Thomas Tschickardt, M. Eng. 7.0 Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR), Mixed Reality (MR) 7.1 Potentiale Immersiver Visualisierungssysteme (AR/ VR) für Kommunikationsbedarfe im Lebenszyklus von Bauwerken 377 Günter Wenzel 7.2 Integration und Visualisierung von Zustandsdaten in digitalen Bauwerksmodellen - Konzepte und Realisierungen 381 Martin Schickert, Mathias Artus, Jason Lai, Felix Kremp 7.3 BIM und VR zur Prozesssteuerung bei Straßeninfrastrukturprojekten 391 Professor Christof Gipperich, Tobias Kupfer 7.4 Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Prozessablauf 401 Marcos Hill, Sonja Neumann, Ralph Holst, Sascha Bahlau 7.5 Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Strukturen zur Integration von VR/ AR im Prüfprozess 409 Florian Klein, Urs Riedlinger, Leif Oppermann ** Manuskript lag bei Redaktionsschluss nicht vor. BAUWESEN, ENERGIEEFFIZIENZ UND UMWELT Besuchen Sie unsere Seminare, Lehrgänge und Fachtagungen. Ein Großteil unserer Seminare wird unterstützt durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Profitieren Sie von der ESF-Fachkursförderung und sichern Sie sich bis zu 70 % Zuschuss auf Ihre Teilnahmegebühr. Alle Infos zur Förderfähigkeit unter www.tae.de/ foerdermoeglichkeiten Bis zu 70 % Förderung möglich! Geotechnik Verkehrswegebau und Wasserbau Konstruktiver Ingenieurbau Bautenschutz und Bausanierung Umwelt- und Gesundheitsschutz Energiee zienz Baubetrieb und Baurecht Facility Management SEMINARE, LEHRGÄNGE, FACHTAGUNGEN Infos und Anmeldung: www.tae.de Plenarvorträge 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 17 Der digitale Transformationsprozess im Unternehmen - Mehrwerte erzeugen, Menschen mitnehmen Digitalisierung ist nicht nur eine Frage der Technologie Dipl.-Ing. (FH) Martin Seitner, M.Sc. Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten, Deutschland Dipl.-Ing. (BA), Dipl. Sportwiss. Klaus Kunigham Kunigham Beratung & Training, Opfenbach, Deutschland Dipl.-Ing. (FH) Rebecca Probst MBA & Eng. Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten, Deutschland Digitalisierung steckt voller Potentiale für die Baubranche. Sie verändert Arbeits- und Herstellprozesse, hilft bei der Strukturierung von Projekten, ermöglicht ein fortschrittliches Assetmanagement und trägt zur Steigerung der Wertschöpfung bei. Sie wird unser Bauwesen nachhaltig verändern und das Ansehen und die Attraktivität der Jobs in der Branche maßgeblich steigern. Die zunehmende Digitalisierung im Bauwesen bedeutet für alle Player aber vor allem eines: Veränderung. Die Dimension dieser Veränderung - von sanfter evolutionärer Weiterentwicklung bis zum harten disruptiven Change - hängt dabei insbesondere vom Status Quo des individuellen eigenen Unternehmens ab, egal ob Behörde, Betreiber, Bauunternehmen oder Ingenieurdienstleister. Die Veränderungen beschränken sich dabei in der Regel keineswegs nur auf die unmittelbare Umsetzung von Bauprojekten, sondern können weit in die grundlegende Identität und Kultur von Unternehmen eingreifen. Digitalisierung betrifft alle Stakeholder des Bauwesens. Veränderungen aufgrund der digitalen Transformation sollten daher fester Bestandteil der strategischen und kulturellen Ausrichtung einer Organisation sein. Big Data, Sensorik, Robotik, Industrie 4.0, Künstliche Intelligenz - Wenn man sich mit dem Megatrend Digitalisierung befasst, wird man zwangsläufig mit Begriffen wie diesen konfrontiert. Die Aufzählung kann fortgeführt werden mit im Bauwesen mittlerweile etablierten Akronymen wie BIM, CDE, VR/ AR, EMS. All diese Begriffe eint, dass sie vordergründig technologisch geprägt sind. Es verwundert daher nicht, dass zunächst die Technologien Gegenstand der ersten Überlegungen sind, wenn man sich mit der Frage befasst, welche Rolle Digitalisierung für den eigenen Verantwortungsbereich haben kann, welche Veränderungen erforderlich sind und welche Maßnahmen vorbereitet und umgesetzt werden sollten. Tatsächlich stellen technologische Fragestellungen einen zentralen und wichtigen Teil im Digitalisierungsprozess dar. Wenn durch digitale Veränderungsprozesse aber wirklicher Mehrwert, wirklich nachhaltige Verbesserung erreicht werden soll, empfehlen sich ganzheitliche Betrachtungen, die weit über Fragen nach Hard- und Software hinausgehen. Wie verändern sich meine Organisationsstrukturen und die damit verbundenen Kommunikationswege? Welche unternehmenskulturellen Auswirkungen gehen mit dem digitalen Wandel einher? Und wie wirkt sich Digitalisierung auf Arbeitsprozesse und Werkzeuge aus? Selbst eine grundlegende, substanzielle Veränderung des eigenen Geschäftsmodells kann die Folge des digitalen Wandels sein. Gestaltung des Transformationsprozesses in Organisationen Digitalisierung hat viele Gesichter und Definitionen. Weder leben wir heute in einer noch völlig analogen Arbeitswelt, noch sind wir vollständig und allumfassend in einer Bauwelt 4.0 angekommen. In großen und kleinen Schritten wird auch im Bauwesen die Digitalisierungsidee vorangetrieben. Die Spreizung im Entwicklungsstand der einzelnen Unternehmen und Organisationen im Bauwesen wird dabei zunehmend größer. Während für die einen Cloud Computing und Robotik, der Einsatz von KI oder die Anwendung von AR-Anwendungen schon heute zum Tagesgeschäft gehört, hängt die Weiterentwicklung bei anderen an maroder IT-Infrastruktur oder an einem abhanden gekommenen Unternehmer- und Pioniergeist in den Entscheidungsebenen. Viele Unternehmen und Behörden befinden sich gemessen an den heutigen Der digitale Transformationsprozess im Unternehmen - Mehrwerte erzeugen, Menschen mitnehmen 18 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Möglichkeiten noch am Anfang der eigenen digitalen Entwicklung. Um sich der individuellen Vision einer digitalen Zukunft nach und nach anzunähern, müssen die anstehenden Veränderungen geplant und durchgeführt werden. Weiterentwicklungen und Verbesserungen in der Technik, aber auch in den Prozess- und Ordnungsmustern von Organisationen sind damit unumgänglich. Mit Blick auf Ihr Unternehmen, Ihr Referat, Ihre Abteilung oder Ihren Fachbereich, stellt sich nun die Frage, wie Sie erfolgreich an den Transformationsprozess herangehen können. Wenn in Ihrer Organisation kontinuierliche Weiterentwicklungen unter relativ stabilen Randbedingungen stattfinden, sprechen wir von Veränderungen I. Ordnung. Das bedeutet, wenn die grundsätzlichen Prozess- und Ordnungsmuster einer Organisation, wie z.B. die Abläufe und Prozesse, die Interaktion von Stakeholdern oder die Kultur und Führung in einem Unternehmen klar definiert sind und durch die Veränderung nicht maßgeblich beeinflusst werden. Als Beispiel für eine derartige Weiterentwicklung kann die Änderung des Workflows für die Leistungsmeldung in Bauunternehmen von einer händischen Vorgehensweise in eine digitale angeführt werden. Eine Organisation sollte darüber hinaus auch in der Lage sein, große Veränderungen, vielleicht sogar Markt- oder Systemveränderungen und Paradigmenwechsel erfolgreich zu bewältigen. Dann sprechen wir von Veränderung II. Ordnung. Ein anschauliches Beispiel für die vorgenannten Markt- und Systemveränderungen im größeren Maßstab stellt die zunehmende Etablierung der Elektromobilität dar. Bei nahezu allen Unternehmen der Automobilindustrie hat dies zu umfassenden Veränderungen geführt, die sich in veränderten Entwicklungsprojekten, neuen Produktionslinien, neuen Anforderungen an die Mitarbeiter: innen bis hin zu einer grundlegenden Erneuerung der Unternehmensausrichtungen zeigen. Im Bauwesen werden heute zahlreiche Infrastrukturgroßprojekte unter Anwendung der BIM-Methodik in enger Verzahnung mit Geoinformationssystemen bearbeitet, was für alle direkt am Projekt Beteiligten signifikante Veränderungen mit sich bringt. Dazu zählen u.a. Veränderungen in den Datenstrukturen, den Kommunikationsformen und der Interaktion im Zusammenwirken der unterschiedlichen Projektpartner über den kompletten Projektzeitraum von der Projektvorbereitung, über Planung und Bauumsetzung, bis hin zur Abrechnung und Dokumentation. Damit gehen natürlich auch Veränderungen der Anforderungen an die Qualifikation aller Mitglieder des Projektteams einher. Diese Entwicklung markiert jedoch erst den Beginn einer Veränderung hin zu einer Bauwelt 4.0, die künftig noch stärker von der intelligenten und durchgängigen Nutzung von Daten, veränderten Baumethoden und neuen Formen des Materialeinsatzes geprägt wird und damit einen wichtigen Beitrag zu nachhaltigen, ressourcenschonenden und effizienten Baumaßnahmen leisten kann. Veränderungen II. Ordnung gehen in der Regel mit einer „instabilen“ Phase in der Organisation einher, weil die Prozess- und Ordnungsmuster verändert werden und deren leitende Orientierungswirkung in der Organisation zeitweise gemindert ist. Darüber hinaus wird eine Organisation in einer solchen Phase einen spürbaren Teil ihrer Leistungsfähigkeit darauf verwenden müssen, neue Prozess- und Ordnungsmuster auszuhandeln, zu entwickeln und stabil auszubauen. Beispielsweise müssen Mitarbeiter: innen qualifiziert oder entsprechendes Knowhow aufgebaut werden. Auch persönliche, menschliche, psychologische und soziale Themen werden in solchen Veränderungsphasen selten ausbleiben. Kurz gesagt, es müssen in vielfältiger Weise Fragen gestellt, Antworten darauf gefunden und auch gegeben werden. Es empfiehlt sich daher, Veränderungen II. Ordnung mit einem geeigneten Veränderungsmanagement vorzubereiten und zu begleiten. Der digitale Transformationsprozess im Unternehmen - Mehrwerte erzeugen, Menschen mitnehmen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 19 Abbildung 1: Leistungsdelle im Prozessmusterwechsel Ob in Ihrer Organisation veränderte Anforderungen und die darauf notwendigen Anpassungen zu einer Veränderung I. oder II. Ordnung führen, hängt maßgeblich davon ab, wie groß sich der Unterschied zwischen dem „Ist“ und dem „Soll“ darstellt und wie schnell eine Veränderung erfolgen soll. Diese Analyse kann über geeignete Formate erfolgen, die sich u.a. mit dem Marktumfeld, der Arbeitsorganisation und Führungs- und Kulturthemen des Unternehmens befassen. Es geht also zuerst einmal darum aufzuzeigen, welche konkreten Veränderungsbedarfe anliegen und welche Dringlichkeit vorliegt. Zudem macht es für die Erstellung eines Veränderungskonzeptes einen erheblichen Unterschied, ob eine Organisation z.B. „mit dem Rücken zur Wand“ stehen oder ob sie Zeit, Raum und Ressourcen hat, um einen Veränderungsprozess evolutionär umzusetzen, um weiterhin neuen Anforderungen des Marktes gerecht werden zu können. Es hängt also von den konkreten Zielsetzungen und Randbedingungen ab, wie ein Veränderungskonzept und die darin beschriebenen Strategien aufzusetzen sind. Die heutigen Randbedingungen in Infrastrukturprojekten sind beispielsweise u.a. durch den BIM-Stufenplan des BMVI gekennzeichnet, der eine Umsetzung der BIM- Methode in allen Neuprojekten ab 2021 vorsieht. Sich mit digitaler Transformation im eigenen Unternehmen zu beschäftigen mutet bei Betrachtung der obigen Aspekte ziemlich anstrengend an. Die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses für Veränderungen in den Prozess- und Ordnungsmustern, die Erarbeitung eines sinnvollen, attraktiven und realistischen Zielbildes, das Aufzeigen eines plausiblen Weges, wie man mit der Organisation vom „Ist“ zum „Soll“ kommen möchte und die Nutzung der besten Methoden und Beteiligungsformate für die jeweiligen Schritte, gestützt durch ein angemessenes Changemanagement, das alles sind Herausforderungen bei einer erfolgreichen Veränderung. Und dennoch gibt es unabhängig vom einzelnen Unternehmen beste Gründe dafür, diese Anstrengung zu erbringen. Wir bauen seit Jahrzehnten in weitestgehend unveränderten Strukturen mit bestenfalls stagnierender Produktivität im Baugewerbe. Dabei sind Elemente der Digitalisierung wie Automatisierung und künstliche Intelligenz schon heute längst Bestandteil unserer zumindest privaten Lebensrealität. Digitalisierung ist keineswegs das Allheilmittel, sie gibt uns aber eine Chance, Bestehendes zu hinterfragen und weiterzuentwickeln und unser Bauwesen signifikant zu verändern. Lean Construction, Lean Design und IPD sind Ansätze, die in Verbindung mit BIM die Zusammenarbeit am Bau nachhaltig verändern können. Nicht zuletzt kann die Digitalisierung - u.a. als Grundlage für moderne, agile Arbeitsformen - ebenfalls dazu beitragen, die Attraktivität unserer Branche für junge und zu begeisternde Menschen zu steigern. Es würde uns gut tun. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 21 Einsatz von BIM im Asset Management der Straßeninfrastruktur Prof. Dr. sc. techn. ETHZ, Dipl. Bauingenieur UB Rade Hajdin Infrastructure Management Consultants GmbH, Zürich, Schweiz Prof. Dr.-Ing. Markus König Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner Hochschule Karlsruhe - Technik und Wirtschaft, Karlsruhe, Deutschland Dr. sc. ETHZ, Dipl.-Ing. Frank Schiffmann Infrastructure Management Consultants GmbH, Mannheim, Deutschland Dr.-Ing. Tim Blumenfeld Infrastructure Management Consultants GmbH, Mannheim, Deutschland DI Dr. techn. Karl Grossauer iC consulenten Ziviltechniker GesmbH, Wien, Österreich Zusammenfassung Building Information Modeling-Methoden werden bereits erfolgreich für Planung und Bauausführung im Bereich von Hochbau- und Infrastrukturprojekten eingesetzt. Digitale Gebäudemodelle (BIM) werden bei einer openBIM Umgebung auf Basis offener Standards, wie den Industry Foundation Classes (IFC) ausgetauscht und von verschiedenen Ingenieurdisziplinen aufgabenunabhängig genutzt. Für den Straßen- und Brückenbau werden derzeit verschiedene Erweiterungen der IFC entwickelt, um einen effizienten Datenaustausch zu ermöglichen. Der Einsatz von BIM im Betrieb über die Lebensdauer der Straßeninfrastruktur stand bisher noch nicht im Fokus, verspricht aber eine erhebliche Nutzensteigerung vor allem, aber nicht nur für die Straßenbauverwaltungen. Die für das Asset Management erforderliche Fortschreibung des Zustands und der Auswirkungen der Erhaltungsmaßnahmen gewinnt mit BIM einen Mehrnutzen v. a. durch die genauen geometrischen Informationen. Hierbei ist es notwendig, den bewährten Datenfluss der Asset-Management-Systeme durch BIM-Daten zu erweitern. Dafür wird angestrebt, standardisierte Austauschformate in Anlehnung an IFC zu entwickeln. 1. Einführung Eine leistungsfähige und sichere Verkehrsinfrastruktur ist die Grundvoraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt: Sie ermöglicht Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Wohlstand und stellt damit das Rückgrat einer modernen Gesellschaft dar. Im Rahmen des Asset Managements werden belastbare Daten benötigt, um daraus Informationen zum aktuellen Zustand der Verkehrsinfrastruktur zu gewinnen und darauf aufbauend, den zukünftigen Zustand vorherzusagen. Diese Daten dienen anschließend als Grundlage für den Entscheidungsprozess zu Zeitpunkt, Umfang und Kosten von Erhaltungsmaßnahmen. In der Integration von BIM in die Prozesse des Asset Managements wird ein erhebliches Potential gesehen. Einerseits kann aufgrund der realitätsnahen Abbildung der physischen Infrastrukturobjekte die Qualität der Entscheidungen zu Erhaltungsmaßnahmen maßgebend verbessert werden. Andererseits ermöglicht BIM eine Verbesserung der bestehenden Methoden der Datenerfassung und dem Datenaustausch, durch den Austausch von Informationen über die gesamte Lebensdauer der Straßeninfrastruktur ohne Medienbrüche. Die BIM-Methode hat ihre Ursprünge im Hochbau und wird dort bereits bei einer Reihe von Projekten erfolgreich angewendet. Die flächendeckende Einführung von BIM steht jedoch noch aus. Für den Bereich des Verkehrswegebaus mit allen Phasen über die Lebensdauer, d. h. Bau, Betrieb, Überwachung und Erhaltung, muss die Art und der Umfang des Einsatzes der BIM-Metho- 22 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Einsatz von BIM im Asset Management der Straßeninfrastruktur de noch spezifiziert werden. Die Rahmenbedingungen in einem hochgradig von öffentlichen Auftraggebern bestimmten Bereich sind zum Hochbau nicht vergleichbar. Besonderer Fokus liegt dabei auf die einheitliche Festlegung, welche Daten in einer Phase der Lebensdauer benötigt sowie in folgende Phase übergeben werden sollten [1]. In den DACH-Ländern werden schon länger Anstrengungen unternommen, die BIM-Methode im Straßenbau einzusetzen [2], [3]. Jedoch zeigte sich im Bereich der Straßeninfrastruktur, dass das nachträgliche Zusammenführen von vorher in unterschiedlichen Lebensphasen getrennt voneinander erarbeiteter Straßeninfrastrukturdaten oftmals fehleranfällig ist. Bisher vorliegende Lösungsansätze finden sich derzeit sehr häufig in Form von BIM- Pilotprojekten. Diese decken nur Teilaspekte über die Lebensdauer ab und beziehen sich vornehmlich auf die Projektierung sowie Planung und Abwicklung von Baumaßnahmen im Sinne einer “digitalen Baustelle”. Eine generelle Beschreibung von Prozessen, Datenstrukturen und -flüssen in Straßenbauverwaltungen existiert bisher noch nicht in einer für die Anwendung der BIM-Methode umfassenden und nutzbaren Form. Dabei fehlen insbesondere einheitliche Vorgaben zum Datenaustausch zwischen den an Projektierung und Bau sowie Betrieb, Überwachung und Erhaltungsplanung beteiligten Partnern. 1.1 Problemstellung Bisher wurden im Asset Management die baustofftechnologischen Daten aus dem Bauprozess nur begrenzt in den Fokus gerückt und der Frage nicht nachgegangen, welche Daten für Betrieb, Überwachung und Erhaltungsplanung erforderlich sind. Eine Reihe dieser Daten sind jedoch für die Erhaltungsplanung und den Straßenbetrieb nicht nur hilfreich, sondern als Kernelement des Asset Managements unabdingbar. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass nach Fertigstellung eines Straßenbauwerks durch die umfassende Dokumentation des ausgeführten Werkes und der vorhandenen Abnahmeprüfungen eine sehr detaillierte Datenbasis vorliegt, welche über die Lebensdauer derzeit nur in begrenztem Maß oder auch gar nicht genutzt wird. Durch eine oftmals fehlende datenbanktechnische Aufarbeitung dieser Datenbasis und der aktuell nicht vorhandenen Verknüpfung mit jener des Asset Management Systems (AMS) können die entsprechenden Informationen nur mit unverhältnismäßig großem manuellem Aufwand digital zur Verfügung gestellt werden. 1.2 Zielsetzung Im Rahmen des Forschungsprojektes BIM4AMS [4] sollen daher die über die Lebensdauer der Straßenbefestigungen relevanten baustofftechnischen Daten in ein konsistentes und durchgängiges BIM-Konzept für das Asset Management der Straßeninfrastruktur nutzbringend und mit den bereits vorhandenen Asset Management Daten verknüpft werden. Hierbei werden Ergebnisse aus dem CEDR-Projekt AMSfree [5] nahtlos um den Aspekt der relevanten baustofftechnischen Daten für Straßenbefestigungen erweitert. 2. Methodik / Lösungsansatz 2.1 Analyse von (Teil-)Prozessen Zunächst erfolgt eine Prozessanalyse über die Lebensdauer der Straßeninfrastruktur. Dafür wurde der Gesamtprozess des Asset Managements analysiert und dargestellt, wie er in den beteiligten Straßenbauverwaltungen umgesetzt wird. Im Rahmen einer Detailanalysen wurde geprüft, ob ein gemeinsamer Referenzprozess im D-A- CH-Bereich gefunden werden kann. Dabei erfolgte eine klare Abgrenzung von Projektierung, Bau, Betrieb, Überwachung und Erhaltungsplanung, um deren unterschiedlichen Datenbedarf zu identifizieren. Im Weiteren wurden die erforderlichen Datenverarbeitungsmethoden im Asset Management für alle drei Länder geprüft, um die Datenanforderungen festzuhalten. Damit ist gleichzeitig definiert, welche Daten aus dem Bauprozess in die Prozesse über die Lebensdauer mit Betrieb, Überwachung und Erhaltungsplanung übergeben werden müssen. Zwar bestehen im Detail methodische Unterschiede zwischen den drei betrachteten Ländern, es ist aber trotzdem gelungen, ein gemeinsam gültiges Modell abzuleiten. Das Ergebnis ist damit ein allgemeines Prozessmodell über die Lebensdauer der Straßeninfrastruktur in welchem die Datenübergabepunkten einschließlich der entsprechenden Datenspezifikation aus ingenieurtechnischer Sicht für Straßenbefestigungen definiert werden. 2.2 Anwendungsfälle Das Prozessmodell geht von einem initialen Bestandsmodell aus, in dem die notwendigen geometrischen Angaben mit baustofftechnologischen Daten, Zustandsdaten und weiteren Planungsdaten wie Klima und Verkehr verknüpft sind. Der Datenumfang richtet sich dabei nach den Anforderungen der Überwachung (Zustandserhebung) und Erhaltungsplanung. Der Fokus lag dabei auf den baustofftechnologischen Daten, insbesondere auch auf der Gruppe der sogenannten Performance-Prüfungen der Materialien. Auch wenn diese derzeit noch nicht vollumfänglich in den Datenverarbeitungsverfahren zur Erhaltungsplanung integriert sind, ermöglichen diese das Verhalten des Straßenoberbaus als Grundlage für die Erhaltungsplanung und anschließende Entscheidungsfindung besser zu prognostizieren. Aufbauend auf den Ergebnissen der Prozessanalyse wurden dann drei wesentliche Anwendungsfälle innerhalb des Asset Ma- 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 23 Einsatz von BIM im Asset Management der Straßeninfrastruktur nagements identifiziert, die mit Hilfe von BIM ergänzt werden sollen (vgl. Abb. 1): • Update I: Inspektionsdaten (Daten der Zustandserfassung und -bewertung ZEB) • Update II: Erhaltungsplanung • Update III: As-built-Modell («wie gebaut»-Modell) Update I - Inspektionsdaten ZEB Der Zustand der Straßenbefestigung unterliegt aufgrund der ständigen Belastung durch Verkehr und Klima einer ständigen Beanspruchung und ist damit eine zeitlich veränderliche Kenngröße. Aus diesem Grund werden in den D-A-CH-Ländern regelmäßig und standardisiert netzweite Messkampagnen zur Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) der Fahrbahnoberfläche durchgeführt (vgl. [6], [7], [8]), um einen aktuellen Überblick zum Netzzustand zu erhalten. Diese Daten werden bereits heute in den Straßendatenbanken bzw. der Asset Management Datenbasis (AM-Datenbasis) historisiert abgelegt (vgl. [9], [10], [11]) und dienen neben weiteren Daten, u. a. zum Aufbau, der vorhandenen (Schwer-) Verkehrsbelastung oder Klima, bei Analysen zur Modellbildung der Zustandsentwicklung. Der Datenaustausch zwischen ZEB und AM-Datenbasis über eine IFC-Schnittstelle stellt hierbei eine standardisierte Datenstruktur für die Zustandsdaten im Rahmen einer separaten virtuellen Schicht sicher und ermöglicht bei Bedarf eine Anreicherung des BIM-Modells in Form eines digitalen geometrischen Geländemodells der Fahrbahnoberfläche. Das Bestandsmodell selbst wird somit nicht verändert. Abbildung 1: Systematik des Datenbedarfs und der Updates 24 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Einsatz von BIM im Asset Management der Straßeninfrastruktur Zusätzlich wird es möglich, weitere relevante Zustandsinformationen des Straßenoberbaus, z. B. Tragfähigkeitsmessungen oder Bohrkernuntersuchungen für die Bewertung der Straßenbefestigung, über die IFC-Schnittstelle auszutauschen. Mit den aktualisierten Zustandsdaten in Verbindung mit einem Prognosemodell lassen sich dann Aussagen über die aktuelle und zukünftige Erhaltungsbedürftigkeit im Straßennetz treffen. Im Rahmen der Zustandserfassung wird eine große Menge von Rohdaten erhoben, aus denen Ergebnisdaten im Rahmen eines Auswerteprozesses hergeleitet werden. Im vorliegenden Fall werden jedoch lediglich die abschnittsbezogenen Ergebnisdaten in die AM-Datenbasis übernommen, welche zur weiteren Verarbeitung benötigt werden. Update II - Erhaltungsplanung Der Prozessschritt der Erhaltungsplanung erfordert u. a. Inputdaten zum Befestigungsaufbau, zu den baustofftechnologischen Daten, zum Zustand und zu weiteren planungsrelevanten Kenngrößen. Das Ergebnis einer netzweiten Erhaltungsplanung stellt die Finanzbedarfsprognose sowie die Identifikation- und Priorisierung maßnahmenbedürftiger Abschnitte dar. Dies erzeugt vordergründig keine Änderung des Bestandsmodells. Allerdings zeigen die Anforderungen aus der Praxis, dass es notwendig ist, auch hier einen netzweiten Überblick zum anstehenden Erhaltungsprogramm, welches aus maßnahmenbedürftigen Abschnitten besteht, zu generieren und dies als Update II mit aufzunehmen. Die notwendigen Informationen umfassen die Angaben zum betroffenen Abschnitt, zum geplanten Maßnahmenjahr sowie zum vorab zugeordneten Maßnahmentyp. Ein Maßnahmentyp umfasst verschiedene Erhaltungsmaßnahmen mit ähnlichem Umfang bzw. ähnlichen Auswirkungen in Bezug auf Zustand und Kosten. Update III - As-built-Modell Im Rahmen der objektbezogenen Projektierung und Bauausführung wird die Baumaßnahme konkretisiert und dann umgesetzt. Dabei kann sich unter Umständen der durch die Erhaltungsplanung vordefinierte Maßnahmentyp nochmals ändern. Durch eine Baumaßnahme wird die Straßenbefestigung z. B. durch den Ersatz einer oder mehrerer gebundener Schichten bzw. aller gebundenen und ungebundenen Schichten gesamthaft erneuert. Damit ändert sich das initiale as-built-Modell und mit dem Update III werden die relevanten Änderungen in das Modell mit übernommen. Neben den geometrischen Änderungen werden auch die neuen baustofftechnischen Daten mit übernommen. 2.3 Definieren von Informationsanforderungen Die Informationsanforderungen legen die auszutauschenden Inhalte eines digitalen Straßenmodells fest. Neben den geometrischen Details werden die auszutauschenden semantischen Informationen hinsichtlich der beschriebenen Anwendungsfälle festgelegt. Beim Austauschen eines IFC-Modells kann die Erfüllung der Informationsanforderungen anhand einer vordefinierten Model View Definition (MVD) überprüft werden. Auf Basis der definierten Anwendungsfälle wurden die relevanten baustofftechnischen Daten spezifiziert, die Informationen zu den einzelnen Schichten des Straßenaufbaus beinhalten. Für jedes relevante Aufbauelement (z. B. Aufbauschichten einer Straße) wurden semantische Informationen als Merkmale und Merkmalsgruppen nach EN ISO 23386 definiert. Weiterhin erfolgte die Zusammenstellung von Merkmalen und Merkmalsgruppen für die Informationen, die im deutschsprachigen Raum im Rahmen der Zustandserfassung und -bewertung gesammelt werden. In einem IFC-Modell können diese Merkmale als benutzerdefinierte ifcPropertySets den jeweiligen Elementen zugeordnet werden. 2.4 Anwendung von Informationscontainern nach ISO 21597 Die Verknüpfung und Überführung unterschiedlicher Datenquellen, Datenmodelle oder -formate ist eine bekannte Herausforderung, die nicht allgemeingültig gelöst werden kann. Der Einsatz der Semantic Web Technology (SWT) bietet die Möglichkeit, Daten aus unterschiedlichen Datenquellen miteinander zu verknüpfen. Um domänenspezifische, semantische Information zu beschreiben, in diesem Fall konkret aus dem Umfeld der Straßeninfrastruktur und dem Asset Management, können entsprechende auf Resource Description Framework (RDF) und Web Ontology Language (OWL) basierende Ontologien entwickelt werden. Der Information Container for linked Document Delivery (ICDD) nach ISO 21597-1 bietet eine Umgebung für die Erfassung und Verlinkung von Daten aus unterschiedlichen Formaten. In diesem Information Container können Datei-basierte Dokumente, z. B. IFC-Modell, Excel-Tabelle, Fotos etc., und die Ontologie miteinander verknüpft werden. Der Austausch von komplexen Daten zwischen den Beteiligten wird somit mittels ICDD erleichtert. Ein wesentlicher Vorteil ist dabei die vereinfachte Erweiterung von semantischen Informationen zum Bauwerk mittels einer Ontologie. Die bisher veröffentlichten Ontologien für Infrastrukturelemente, z. B. European Road Object Type Library (OTL) [12], [13], können hierfür verwendet bzw. nach den individuellen Anforderungen erweitert werden. Je nach Bedürfnis kann der Nutzer auch eigene Ontologien erstellen. Beispielsweise können die baustofftechnischen Merkmale als Ontologie definiert werden. Die dazu gehörenden Daten können als Instanzen der Ontologie mittels ICDD erfasst und mit IFC Element verknüpft werden. Die zu erfassenden Daten sowie die betreffenden Ontologien innerhalb eines Infor- 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 25 Einsatz von BIM im Asset Management der Straßeninfrastruktur mation Containers sind gemäß dem definierten Anwendungsfall festzulegen. Bestimmte Informationen können mit dem SPARQL Protocol und der RDF Query Language (SPARQL) abgefragt werden. 2.5 Umsetzung des Anwendungsbeispiels Die Umsetzung in Anwendungsbeispielen wird in den hier thematisierten laufenden Forschungsprojekten [4], [5] aktuell vorbereitet. Am Beispiel eines Straßenabschnittes wird die Durchgängigkeit des BIM-Konzepts sowie die Umsetzung von Nutzungsrechten aufgezeigt. Dazu wird ein BIM-Modell auf der Grundlage des aktuellen IFC-Formats (IFC 4) definiert, welches an den Bauherren für die Phasen Betrieb und Erhaltung übergeben wird. Dieses dient als Basis für den Realisierbarkeitstest. Die nachfolgende Abbildung 2 fasst die Vorgehensweise zur exemplarischen Einführung von BIM im Asset Management der Straßeninfrastruktur zusammen. Die grauschraffierten Module beschreiben die Arbeitsschritte innerhalb des Anwendungsbeispiels. Abbildung 2: Methodik zur exemplarischen Einführung von BIM im Asset Management der Straßeninfrastruktur 3. Datengrundlage Wie bereits erläutert, liegen die in den BIM-Ansatz zu intergierenden Daten in unterschiedlichen Datenbanken und -formaten vor. Diese umfassen Daten in Verbindung mit dem Bauprozess sowie Daten, die im Rahmen des Asset Managements erzeugt bzw. verwaltet werden. Der relevante Datenumfang ist zudem nicht abschließend und muss erweitert werden können, da gerade auch mit Blick auf die Resilienz der Straßeninfrastruktur, z. B. im Zusammenhang mit dem Klimawandel und Naturgefahren, zusätzliche Inputdaten notwendig werden (vgl. [14]). Die Umsetzung der beschriebenen Anwendungsfälle setzt ein Zusammenführen bzw. eine Verknüpfung der Daten aus unterschiedlich Quellen voraus. Ein Teil der Daten wird im Rahmen des Bauprozess erzeugt, ein anderer Teil stammt aus Überwachungsaktivitäten (z. B. Zustands- und Inspektionsdaten) oder aus allgemein zugänglichen Datenquellen (z. B. Wetterdaten). 3.1 Datenhaltung im Bauprozess In den DACH-Ländern kommen unterschiedliche Projektplattformen bzw. virtuelle Projekträume in der Bauphase als Datenablage zur Anwendung. Diese Projektplattformen/ Projekträume stellen die zentrale Datenquelle für alle projekt-spezifischen Unterlagen im Zuge der Errichtung während des Bauprozesses dar. Einige Projektplattformen verfügen bereits über integrierte Viewer zur Darstellung von IFC oder BIM-Modellen in prioritären Dateiformaten (u. a. DWG, RVT). Die Wahl der Datenhaltungssysteme erfolgt hauptsächlich länder- und projekt-spezifisch (in Deutschland derzeit u. a. aufgrund des föderalen Systems). Daten werden bisher größtenteils als „Dokumente“ in Form von Plänen, Berichten, Listen, Prüfprotokollen, etc. im Zuge des Bauprozesses generiert und abgelegt. Ein Datenaustausch erfolgt über verschiedene Server oder Cloud-Systeme sowie häufig auch noch in physischer Form als CDs und Pläne. Eine strukturierte Ablage und somit Weiterverarbeitung der in diesen Dokumenten enthaltenen Daten ist bisher nicht Standard und erschwert wesentlich eine Übergabe von Daten aus dem Bauprozess in den Betrieb und die Erhaltung. Zudem liegen gerade zum letzten Punkt keine strukturierten Anforderungen vor. 3.2 Datenhaltung im Asset Management Grundsätzlich können die Objekte der Straßeninfrastruktur aufgrund ihrer Eigenschaften in unterschiedliche Objektgattungen, auch Teilsysteme genannt, gegliedert werden. Klassisch wird in Fahrbahnen, Ingenieurbauwerke bzw. Kunstbauten und elektromechanische Anlagen unterschieden. Hinzukommen können u. a. Werkleitungen, Nebenanlagen oder zusätzlich relevante Objekte. Inventardaten Inventardaten beinhalten Informationen zu geometrischen Abmessungen der Bauwerke und ihrer Eigenschaften. Hierzu zählen bspw. Lokalisierungsdaten, Aufbaudaten, Verkehrsdaten. Querschnitts- und Aufbaudaten liegen vor, müssen aber aus den Bestandsdokumenten aus der Bauphase als as-built-Modell für die Weiterverwendung im Betrieb/ Erhaltung oftmals extrahiert werden (vgl. Update III). Inspektionsdaten ZEB Die Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) der Fahrbahnoberfläche ist in den D-A-CH- Ländern national standardisiert. Unterschiedliche Regelwerke definieren die relevanten, zu erfassenden Zustandsmerkmale und Messverfahren sowie die Bewertung der Ergebnisse (vgl. Update I mit [6], [7], [8]). 26 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Einsatz von BIM im Asset Management der Straßeninfrastruktur Inspektionsdaten Bauwerke Die Bauwerksüberwachung von Ingenieurbauwerken ist in den D-A-CH-Ländern ebenfalls national standardisiert. Auch hierfür existieren unterschiedliche Regelwerke, welche die Durchführung von Inspektionen und die dabei durchzuführende Zustandserfassung und -bewertung definieren (vgl. [15], [16], [17]). Daten zu durchgeführten Erhaltungsmaßnahmen Diese Daten umfassen die Informationen zu durchgeführten Erhaltungsmaßnahmen. Je nach Temporalisierungskonzept (auch Historisierungskonzept genannt) werden in den meisten AM-Systemen die Auswirkungen der Erhaltungsmaßnahmen zu einer Veränderung der Inventardaten führen (vgl. Update III). Die Erhaltungsmaßnahmen selbst werden als eine Aktivität samt deren Art, Ausführungszeitpunkt, Dauer, Betreiber- und Nutzerkosten separat vorgehalten. Dies ermöglicht auch eine statistische Auswertung der Maßnahmen-Einheitskosten und eine Quantifizierung des Erfolgs einer Maßnahmenart. 3.3 Zwischenresümee In den meisten Straßenbauverwaltungen existieren bestehende Informationssysteme für die Straßenbefestigungen und die Ingenieurbauwerke. In den DACH-Ländern beinhalten diese bereits sehr umfangreiche Fachkataloge, welche eine Grundlage für eine Verknüpfung darstellen. Leider werden diese Potentiale aktuell nicht oder nur unzureichend genutzt und enthalten aus diesem Grund keine Daten. Eine Verknüpfung von Bauprozess und Asset Management ermöglicht hingegen die Nutzung dieser Potentiale von bereits vorhandenen Informationssystemen. 4. Fallbeispiel Für die Evaluierung wird das entwickelte Datenmodell prototypisch implementiert und mit Hilfe von Anwendungsfällen am Beispiel eines Straßenbauprojektes aufgezeigt. Dazu sollen zum einen das Einspielen und Visualisieren von Ergebnissen der Zustandserfassungen in das Modell umgesetzt werden. Zum anderen sollen die in den Datenbanken vorhandenen Aufbaudaten und die aus dem Bauprozess generierten baustofftechnischen Daten in das Modell integriert werden. Die softwaretechnische Umsetzung beinhaltet das Aufzeigen von Möglichkeiten zur Verknüpfung von Daten inklusive der notwendigen Schnittstellen zwischen einer Autorensoftware (z. B. AutoCAD Civil 3D) und den eingesetzten Asset Management Systemen (z. B. BISSTRA, dTIMS, TRA) sowie die Visualisierung von Informationen mittels eines IFC-Viewers. Abbildung 3 zeigt die exemplarische Anwendung des Modells zur grafischen Darstellung von Inspektionsdaten in einem IFC-Viewer. Nach Anwendung und Erprobung der modellierten Anwendungsfälle, sollen die aus den Fallbeispielen gewonnen Ergebnisse in einer Modellierungsrichtlinie zusammengefasst und in Handlungsempfehlungen dokumentiert werden. Abbildung 3: Exemplarische Darstellung von Zustandsdaten in einem IFC-Viewer 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 27 Einsatz von BIM im Asset Management der Straßeninfrastruktur 5. Zusammenfassung und Ausblick In diesem Beitrag wurde aufgezeigt, wie notwendige Informationen für die Bewertung des Zustands in Lebensdauerbetrachtungen der Straßeninfrastruktur in Form von Informationscontainern nach ISO 21597 bereitgestellt und die Ergebnisse nachprüfbar abgefragt werden können. Zu diesem Zweck wurden Informationscontainer entwickelt, die die Ergebnisse von Brücken- und Straßeninspektionen enthalten. Es wurde unterschieden zwischen Informationen, die direkt in BIM-Modelle einfließen und solchen, die mit externen Datenquellen verknüpft sind. Weiterhin wurde durch Fallbeispiele gezeigt, wie mit semantischen Informationen und der geometrischen Darstellung umgegangen wird. Aus den bisherigen Ergebnissen des noch laufenden Projektes ist bereits eine deutliche Nutzensteigerung durch die Anwendung von BIM innerhalb des Asset Managements erkennbar. 5.1 Erwartete Nutzensteigerung Der Nutzen für ein Asset Management System durch die Ergänzung mit BIM samt der baustofftechnologischen Datenbasis und deren temporale Einordnung und örtliche Lokalisierung ist enorm. Die Informationen aus dem Bauprozess, z. B. Schichtdicken, Art des Asphaltmischgutes, oder baustofftechnologische Daten aus Abnahmeprüfungen, stellen den IST-Zustand des Straßenbauwerks zum Abnahmezeitpunkt dar, d. h. eine initiale Datengrundlage, welche etwaige Analysen über seine Lebensdauer erlauben. Sobald die Prozesse und der Datenfluss klar definiert sind und die jeweiligen Daten in den verknüpften Informationssystemen ohne Redundanzen gepflegt werden, sind die vorhandenen Synergien erheblich. Bereits bekannt ist der entstehende Nutzen bei einer umfassenden Nutzung von Straßeninformationssystemen im Asset Management [18]. Werden jedoch die baustofftechnischen Daten aus dem Bauprozess über einen durchgängigen BIM-basierten Datenaustausch mit dem Asset Management verknüpft, können die derzeit umfangreichen Prozesse der Zusammenführung und Überprüfung von Daten in einem AMS weitgehend reduziert werden und neben der schnelleren Datenverfügbarkeit auch fortgeschrittene Auswertungen und Analysen gerade in Bezug auf Lebensdaueranalysen und der Optimierung des Erhaltungshandelns durchgeführt werden. Darüber hinaus können weitere Analysen der verknüpften Daten neue und umfassende Erkenntnisse zur Dauerhaftigkeit von Bauweisen verwendet werden und damit Erkenntnisse zu deren Weiterentwicklung liefern. Dies führt zu einer genaueren Abschätzung von Risiken und Kosten über die Lebensdauer der Straßeninfrastruktur, möglicherweise über die Betrachtung der Dauerhaftigkeit auch zur Bewertung klimastabiler Bauweisen. Abbildung 4: SPARQL Abfrage der Bohrkernkomponenten aus den Inspektionsdaten und die Ergebnisse der Abfrage 28 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Einsatz von BIM im Asset Management der Straßeninfrastruktur 5.2 Ausblick Der Einsatz der SWT ermöglicht mehr Interoperabilität zwischen die Informationen aus den unterschiedlichen Domains. In dem Fallbeispiel zeigt, dass das Erfassen, Zuordnen und Austauschen unterschiedlichen Daten mittels ICDD realisiert wird. Um das vorhanden AMS mit den relevanten Daten aus den baulichen oder betrieblichen Aktivitäten zu aktualisieren, wird die Übertragung der in ICDD erfasst semantischen Informationen ins AMS als nächster Schritt vorgesehen. Durch bestimmte SPARQL-Abfragen können die benötigten Daten aus ICDD ausgefiltert werden (vgl. Abbildung 4). Die Übertragung dieser Daten soll durch die automatisiert generierten SQL-Befehle maßgeschneidert für das betreffende AMS realisiert werden. Die automatisierte Integration den Daten von ICDD ins AMS reduzierte der Arbeitsaufwand und Fehleranfälligkeit. Diese Arbeitserleichterung kann mehr Resonanz bei Anwendung der BIM in Kombination von SWT in der Praxis für Betrieb erwecken. Literatur [1] Stöckner, Niever (2018) Building Information Modeling - BIM im Life Cycle Management, Deutscher Straßen- und Verkehrskongress, Erfurt [2] König et.al. (2019) InfraBIM - Wissenschaftliche Begleitung der BMVI Pilotprojekte zur Anwendung von BIM im Infrastrukturbau, BMVI, Berlin [3] König et.al. (2019) BIM4ROAD - Building Information Modeling (BIM) im Straßenbau unter besonderer Berücksichtigung der Erhaltungsplanung, BASt, Bergisch Gladbach [4] Hajdin et.al. (laufend) BIM4AMS - BIM-Erweiterung durch Implementierung der Nutzung baustofftechnischer Daten von Straßen und Brücken im AMS, FFG DACH-Call 2019 [5] Stöckner et.al. (laufend) AMSFree - Exchange and exploitation of data from Asset Management Systems using vendor free format, CEDR-Call 2018 [6] The European Road OTL Ontology: online < https: / / www.roadotl.eu/ static/ eurotl-ontologies/ eu rotl_doc/ index-en.html >, abgerufen im Apr. 2021 [7] FGSV (2006) Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien zur Zustandserfassung und -bewertung von Straßen (ZTV ZEB-StB). Ausgabe 2006, Best.-Nr. 998, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV-Verlag, Köln [8] FSV (2006) RVS 13.01.15: Beurteilungskriterien für messtechnische Zustandserfassung mit dem System RoadSTAR. Richtlinien und Vorschriften für den Straßenbau, Österreichische Forschungsgesellschaft Straße Schiene Verkehr, Wien [9] VSS 40925 (2018) Erhaltungsmanagement der Fahrbahnen (EMF); Zustandserhebung und Indexbewertung, Schweizerischer Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute (VSS), Zürich [10] OKSTRA (2021) Objektkatalog für das Straßen- und Verkehrswesen, www.okstra.de [11] ASFINAG (2016) IMT Datenbankstruktur - Generelle Vorgaben und Grundlagen, IT-Dokumentation, Wien [12] Bundesamt für Strassen (2016) MISTRA Trassee - TRA, Datenerfassungshandbuch, IT-Dokumentation, Ittigen [13] Luiten, Böhms, Alsem, Keeffe (2018) Asset information management for European roads using linked data, Proceedings of 7th Transport Research Arena (TRA) 2018, Wien [14] Tanasić, Hajdin (2020) Decision support framework for terrestrial transportation infrastructure - Resilience approach, Proceedings of the 11th International Conference on Bridge Maintenance, Safety and Management (IABMAS 2020), Melbourne [15] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (2017) Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 (RI-EBW-PRÜF) [16] FSV (2011) RVS 13.03.11: Qualitätssicherung bauliche Erhaltung Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten Straßenbrücken [17] ASTRA (2016) KUBA 5 Fachapplikation Kunstbauten und Tunnel - Leitfaden für Inspektoren [18] PIARC Technical Committee D.1 - Management of road infrastructure assets (2019) Innovative Approaches to Asset Management: online https: / / www.piarc.org/ ressources/ publications/ 11/ 8427e86-31264-2019R19EN-Innovative-Inno vative-Approaches-Asset-Management.pdf, abgerufen im Mai 2021 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 29 Vom Büro ins Bauwerk - Kooperationsmöglichkeiten mit Mixed Reality Leif Oppermann Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT, Sankt Augustin, Deutschland Zusammenfassung Die Digitalisierung erreicht das Bauhandwerk und betrifft nun bald den kompletten Lebenszyklus von Gebäuden, Bauwerken und der gesamten Verkehrsinfrastruktur. Neuartige Begriffe machen die Runde: vom digitalen Zwilling, über künstliche Intelligenz bis hin zu Virtual, Augmented und Mixed Reality, sowie kollaborativem Arbeiten auf Basis von BIM-Daten. Doch welche Chancen ergeben sich daraus und wo kriegt man das her? Dieser Kurzbeitrag skizziert meinen im Rahmen des 1. Fachkongress „Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur“ im Juni 2021 an der Technischen Akademie in Esslingen gehaltenen Plenarvortrag. Er versucht aus der Historie der Informatik heraus eine gemeinsame, die Disziplinen übergreifende Perspektive für die Bauwirtschaft und die Informatik zu zeichnen und damit Orientierung zur Digitalisierung zu bieten. Denn die zunehmend geforderte mobile Kollaborationsunterstützung am und im Bauwerk muss nicht auf der grünen Wiese geschaffen werden, sondern kann sich auf eine reiche Forschungstradition in den Bereichen CSCW, HCI und Mixed Reality stützen. 1. Computer am Arbeitsplatz Die Verwendung von Computern am Arbeitsplatz war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Innovation, die nur wenigen Anwendern vorbehalten war und gegen die es seit jeher viele Vorbehalte gab [1]. Aus unserem heutigen Arbeitsleben ist der Computer aber natürlich nicht mehr wegzudenken. Mit Ausbruch der Corona-Pandemie wechselten in Deutschland ab März 2020 insbesondere diejenigen Branchen problemlos ins Homeoffice, die über eine gute (und mobile) technische Ausstattung und eine entsprechende Organisation ihrer Prozesse verfügten [2]. Die dahinterstehende Tradition seit Begründung der Informatik in Deutschland in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren und ihrer praktischen Anwendung durchlief im wesentlichen drei Wellen: 1.) Büro-Automatisierung, 2.) Group-Ware, und 3.) Social und Ubiquitous Computing [3]. Sie war zunächst hauptsächlich auf Büroarbeiten und eine eher stationäre Verwendung ausgerichtet [4]. Nach Einführung des Personal Computers trat durch die mobilen Endkunden-Geräten jedoch zunehmend eine Verwischung der Grenze zwischen Büro und unterwegs, bzw. zuhause ein. Die Interaktion mit Computern unterschiedlicher Bauart, auch mit Tablets und Smartphones, wurde grundsätzlich überall verfügbar und somit ubiquitär (engl. ubiquitous). 1.1 Von den Grundlagen zum kollaborativen Arbeiten Unsere Forschungseinrichtung erforscht, gestaltet und begleitet die Digitalisierung der damit einhergehenden Prozesse seit ihrer Gründung 1968. Die mittlerweile über ein halbes Jahrhundert währende Forschungstradition von Fraunhofer FIT steht im Zeichen der partizipativen, menschenzentrierten Innovation und agiert dabei stets in den Spannungsfeldern zwischen Menschen und Technik, Theorie und Anwendung. Als Zeitzeuge und Vorreiter zugleich trägt Fraunhofer FIT aktiv zum Trend des computergestützten Arbeitens bei und hat sich in vielfältigen erfolgreichen Projekten als Verfechter von Kollaborationssystemen erwiesen. FIT macht es sich zur Mission Forschungsergebnisse und Technologien zielführend in neue Perspektiven und Zusammenhänge zu stellen. Ende der siebziger Jahre, noch unter dem Namen GMD, entwickelte die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung beispielsweise das Rechtsinformationssystem JURIS, das noch heute im Einsatz ist. Zunächst wurden Computer hauptsächlich für administrative Aufgaben eingesetzt und der Blick fiel auf die Maschine selbst. Fehler wurden den Menschen zugeschrieben und man betrachte sie als Faktoren. Erst Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre änderte sich die Blickweise. Der Mensch rückte zunehmend in den Mittelpunkt und wurde als Akteur betrachtet. Man sprach nun von „Computer- Supported Cooperative Work” (CSCW), also der Unterstützung der kollaborativen Arbeit von Menschen durch Computer [5]. Vom Büro ins Bauwerk - Kooperationsmöglichkeiten mit Mixed Reality 30 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 1.2 Digitalisierung in Architektur, Ingenieurwesen und Konstruktion Die Arbeitsabläufe in der AEC-Branche (engl. architecture, engineering and construction) erfuhren und erfahren seit ca. den 1990er Jahren die zweite große Digitalisierungswelle. Die erste Welle war der Übergang weg von Bleistift, Tinte und Zeichentisch bei der Erstellung von Bauzeichnungen hin zu Computer Aided Design (CAD). Hierbei wurden die Arbeitsmittel der Angestellten im Büro zwar grundlegend erneuert, es wurden aber beispielsweise weiterhin Grundrisse und Aufrisse konstruiert und auf dem Bau kam ein Papierplan an; idealerweise der aktuelle. Es gab und gibt große Reibungsverluste beim Phasenübergang in der HOAI und beim Gewerkeübergang auf der Baustelle, sowie Lücken in der Überwachung. Im schlimmsten Fall sind Pläne und Erkenntnisse aus einer früheren Phase, ggf. bedingt durch einen Auftragnehmerwechsel, nicht mehr verfügbar. Die zweite Welle basiert auf der Methode BIM (Building Information Modelling) und der dahinterstehenden Idee, die Arbeiten über den gesamten Lebenszyklus von Bauwerken (Planung, Bauausführung, Betrieb, Unterhalt, Rückbau) über zentrale digitale Modelle zu koordinieren. Die daraus resultierenden Kollaborationsprozesse gelten als Zukunft des Bauwesens und sind in den Strategien mehrerer Regierungen, wie beispielsweise in UK [6] oder Deutschland [7], festgeschrieben. Der daraus resultierend „Leitfaden Großprojekte“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur ist nicht zuletzt ein Grund für den TAE-Fachkongress „Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur“. Zu BIM-Daten gehören meist auch dreidimensionale CAD-Modelle, die sich vielfältig aufbereiten und verwenden lassen. 1.3 Geschichten der Informatik Mit dem Siegeszug des World Wide Web änderte sich ab den 1990er Jahren alles. In Deutschland ergab sich nach der Wiedervereinigung mit dem Bonn-Berlin Umzug ein einzigartiger Digitalisierungsbedarf. Teile der Ministerien verblieben dabei in Bonn, sodass es mit einem bloßen Umzug und der Verschickung von Umzugsgut nicht getan war. Es war nicht mehr ausreichend, Papierakten und Laufmappen mit Boten von einem Büro in das andere bringen zu lassen; neue Prozesse mussten her! Dazu wurden verschiedene Forschungsprojekte initiiert, u.a. das POLITeam-Projekt [8] bei FIT. Im Rahmen dessen wurde zunächst das Prinzip einer digitalen Laufmappe entwickelt. Dieses war jedoch nicht flexibel genug, so dass man letztlich zum Konzept des „Shared Workspace“ kam. Auf diesem Konzept basierend wurde Mitte der 1990er Jahre der BSCW-Server veröffentlicht, der bis heute weiterentwickelt wird und beispielsweise in der Bundesverwaltung und der Bundesanstalt für Straßenwesen zur Projektorganisation Anwendung findet. Dieses erste webbasierte Groupware-System half dabei, die Welle der Büroautomation in die Ära der Groupware zu brechen. Im Zuge dieser Revolution war es wichtig zu erkennen, dass es nicht um den einzelnen Anwender auf einzelnen Geräten ging, sondern um einen noch nie dagewesenen Maßstab. Es bestand also nicht die Aufgabe, Arbeitsabläufe und Prozesse einer 1: 1-Übersetzung zu unterziehen, sondern den Spagat zwischen Menschen und Technik gegenzusteuern, etwa durch die Vernetzung von Arbeitsplätzen, die Unterstützung von kollaborativem Arbeiten an PCs am und abseits des Arbeitsplatzes. Ein jüngeres Beispiel für den erfolgreichen Einsatz des BSCW ist das System EnArgus.master, das auf Basis der Kooperationsplattform einen leistungsfähigen Überblick über laufende Projekte der Energieforschung und investierte Mittel der staatlichen Förderpolitik bietet und die Bewertung von Technologieentwicklungen erleichtert [9]. Es wurde nach einem erfolgreichen Pilotprojekt in zwei aufeinander aufbauenden Forschungsprojekt des BMWI über mehrere Jahre kollaborativ entwickelt und danach zum dauerhaften Betrieb an den Projektträger übergeben. 1.4 Von CSCW zu Mixed Reality Der digitale Arbeitsplatz, auf den nun mehrere Personen gleichzeitig zugreifen können, wurde Realität. Mit dem Aufkommen mobiler, drahtloser Geräte beschleunigte sich das Heranreifen des Ubiquitous Computing [10]. Intelligente Geräte wie Smartphones, Tablets, und Brillen sorgten für eine steigende Nachfrage nach mobilen Kollaborationslösungen, oft basierend auf Konsum- und Unterhaltungstechnologien, die vorher nicht im Fokus der CSCW-Betrachtungen standen. Sie bieten nunmehr aber die Möglichkeit für digitale Innovationen und interaktive Arbeitsabläufe abseits des Büros, also im Grunde: immer und überall. Damit einher geht die zunehmende Nachfrage nach Virtual, Augmented und Mixed Reality Lösungen. Mit dem Erfolg der VR-Brillen im Spiele-Bereich, sowie von AR-tauglichen Smartphones, Tablets und Smart Glasses steigt auch das allgemeine Interesse nach derartigen Anwendungen. Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag veröffentlichte unlängst einen umfangreichen Arbeitsbericht zum Thema [11] und stellt darin auch Bezüge zum Bausektor her. Eigene Vorarbeiten betreffen beispielsweise die Einsatzmöglichkeiten von Smart Glasses [12] und Head Mounted Displays in deutschen Unternehmen [13], sowie die Aufbereitung von Interaktionsmöglichkeiten in virtuellen Umgebungen für die Lehre an deutschen Hochschulen [14]. Aktuell betreiben wir mit dem vom BMVI geförderten 5G-Innovationsprojekt „IndustrieStadtpark“ Anwendungsforschung für 5G unter Verwendung von IoT und Mixed Reality zur Kollaborationsunterstützung abseits des Büros. Auf internationaler Ebene haben Ens et al. unlängst postuliert, dass sich die nächste Evolutions- Vom Büro ins Bauwerk - Kooperationsmöglichkeiten mit Mixed Reality 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 31 stufe von Groupware durch die Kombination von CSCW und Mixed Reality ergibt [15]. 2. Reflektionen Die Erfahrungen aus über 30 Jahren CSCW-Forschung haben gezeigt, dass man partizipatives Design für Digitalisierungsprojekte kollaborativ angehen muss (vgl. [16, S. 5]). Die Software-Entwicklung ist ein sog. „Wicked Problem“ [17], da sie üblicherweise Auswirkungen und Querverbindungen auf vielen Ebenen hat und die damit einhergehenden Probleme sich teilweise gegenseitig bedingen. Es ist Teil unserer Philosophie, in Forschungs- und Kooperationsprojekten auf Augenhöhe mit den Akteuren zu stehen, um Anwendungsszenarien und die gewünschten Leistungen mit Blick auf den Anwender zu konzipieren und partizipativ umzusetzen. Dabei dürfen die Wissenschaftler und Entwickler nicht übergeordnet sein, aber natürlich auch nicht untergeordnet. Somit soll der Ansatz eines „Wasserfallmodells“, das eine lineare Prozessstruktur ohne Interaktion zwischen den Akteuren darstellt, und keine Fehler erlaubt, weitestgehend vermieden werden. Auch wenn dies in der Bauindustrie ein durchaus üblicher Weg ist (Stichwort: „erst planen, dann bauen“ - der Leitspruch der BIM-Bewegung), so hat es sich in der komplexen Welt des Software Engineerings doch als Irrweg erwiesen. Das in dieser Hinsicht von Informatikern oft gescholtene Wasserfall-Papier von Royce von 1970 [18], das vermeintlich genau einen solchen linearen Ablauf wie in der Bauindustrie zur Software-Entwicklung propagierte, war übrigens schon vor über 50 Jahren weder so gemeint, noch wurden die Prozesse so gelebt. Es muss in kooperativen Entwicklungsprozessen immer iteriert werden, um Prototypen in funktionierende Systeme für den produktiven Einsatz zu überführen! Es geht nicht mehr nur um elektronische Datenverarbeitung, sondern um die Unterstützung von Menschen auf der Arbeit. Dabei geht es auch nicht um einzelne Nutzer an einzelnen Geräten, sondern um eine Vernetzung im Großen und Ganzen, auch über Distanz und teilweise auch um eine Vernetzung abseits des Computers, also von Mensch zu Mensch - aus Informatiksicht quasi eine analoge Lücke. Vorhandene Prozesse lassen sich bei der Digitalisierung meist nicht 1: 1 übersetzen. Beispiel: die Laufmappe beim Bonn-Berlin Umzug. Dieser Prozess wurde zuerst digital nachgebildet und dann durch das flexiblere „shared workspace“ Konzept ersetzt, welches sich heute durchgesetzt hat und sich in fast allen marktführenden Kollaborationssystemen findet. Es geht aber auch nicht nur um die Überführung klassischer Desktop-Software in Browser-Anwendungen, was manchmal sinnvoll ist, sondern auch um neue Interaktionsmöglichkeiten mit mobilen Geräten und in die Umgebung eingebetteter Systeme aller Art im Sinne des Ubiquitous Computing [10]. Bei aller Vernetzung darf man aber auch nicht davon ausgehen, dass das oft drahtlose Netzwerk immer verfügbar ist, denn der Zustand „nicht verfügbar“ ist kein Fehler, sondern Teil des Materials „Netzwerk“. Abdeckungslücken gehören nicht nur in der Fläche, sondern auch an speziellen Orten mit dazu - denken Sie bspw. an den Hohlkasten einer Brücke. Interaktive Systeme, die nicht nur den Büroangestellten, sondern auch den Arbeiter vor Ort an seinem Arbeitsplatz unterstützen sollen, müssen damit umgehen können. Und schließlich kommt in Deutschland und Europa immer noch ein besonderer Balance-Akt hinzu. Einerseits will man innovative Technik verwenden, die oft in den USA oder im fernen Osten entstanden ist, nachdem man die entsprechenden Wirtschafts- und Forschungszweige selbst lange vernachlässigt oder gar abgestoßen hat. Andererseits müssen dabei dennoch besondere Ansprüche, wie beispielsweise der Datenschutz, befriedigt werden. Das ist nicht unmöglich, aber es erfordert Erfahrung und einen partnerschaftlichen Umgang zwischen den Disziplinen. 3. Abschluss Im Dualismus von theoretischem Wissen und praktischer Erfahrung digitalisiert Fraunhofer FIT, auch unter Verwendung von Mixed Reality, interaktive Arbeitsabläufe in Bereichen der Arbeitswelt, der Bildung, und auch am Bauwerk. Es unterstützt damit die Entwicklung zur Mobilisierung der computergestützten Arbeit und der Erweiterung des Büros nach draußen, bzw. nach Hause. Wir sehen uns in dieser Hinsicht als Werkzeugmacher im Sinne von Brooks [19]. Neben einschlägigen Arbeiten, die ich im Vortrag anführen werde, hat Turing-Preisträger Brooks übrigens auch eine für uns richtungsweisende, menschzentrierte Meinung zum Thema künstliche Intelligenz. Seine These ist, dass ein Mensch, dessen Intelligenz durch einen Computer verstärkt (engl. intelligence amplification, IA) wird, eine reine künstliche Intelligenz (KI, engl. AI) zu jeder Zeit überlegen sein wird. Also “dass eine Maschine und ein Verstand, eine Intelligenz-imitierende Maschine schlagen kann“. Wir befürworten den menschzentrierten Ansatz zur Erstellung komplexer Software-Systeme und daher Brooks‘ pointierte These „IA > AI“ [19]. Für Herausforderungen und Beispiele aus unserer eigenen, über 50 jährigen Geschichte verweise ich an dieser Stelle auf unser Positionspapier „Beyond HCI and CSCW: Challenges and Useful Practices Towards a Human-Centred Vision of AI and IA“ [3]. Vor dem Hintergrund dieser kurzen Ausführungen möchte ich abschließend noch einmal bekräftigen, dass die Gestaltung und Einbringung von mobiler Kooperationsunterstützung am und im Bauwerk nicht auf der grünen Wiese entstehen muss, sondern sich auf eine reiche Forschungstradition in den Bereichen CSCW, HCI und Mixed Reality stützen kann. Die digitale Transformation neuer Anwendungsbereiche wird nur gelingen, wenn die immer komplexer werdenden Systeme weiterhin von Vom Büro ins Bauwerk - Kooperationsmöglichkeiten mit Mixed Reality 32 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Menschen beherrscht werden können und die Gestaltung von IT-bezogenen Prozessen kontinuierlich einer Wertschätzung der Implikationen bestehender partizipativer Gestaltungsmethoden unterzogen wird, um so die Informatik als effektiven Innovationsmotor verwenden zu können [20]. Literatur [1] „TECHNIK / COMPUTER-KONGRESS: Welt in der Stube“, Spiegel Online, Bd. 33, Aug. 12, 1968. Zugegriffen: Juni 24, 2019. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.spiegel.de/ spiegel/ print/ d- 45950214.html [2] A. Deeg, „Fraunhofer-Umfrage ‚Homeoffice‘: Erste Ergebnisse“. Mai 07, 2020. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.fit.fraunhofer.de/ de/ presse/ 20-05-07_fraunhofer-umfrage-homeofficeerste-ergebnisse.html [3] L. Oppermann, A. Boden, B. Hofmann, W. Prinz, und S. Decker, „Beyond HCI and CSCW: Challenges and Useful Practices Towards a Human-Centred Vision of AI and IA“, gehalten auf der Halfway to the Future, Nottingham, England, 2019. [4] J. Greenbaum und M. Kyng, Design at Work: Cooperative Design of Computer Systems. Lawrence Erlbaum Associates, 1991. [5] I. Greif, Hrsg., Computer-supported Cooperative Work: A Book of Readings. San Francisco, CA, USA: Morgan Kaufmann Publishers Inc., 1988. [6] „Government Construction Strategy - Publications - GOV.UK“. https: / / www.gov.uk/ government/ publi cations/ government-construction-strategy (zugegriffen Aug. 06, 2015). [7] BMVI, „Reformkommission Bau von Großprojekten“. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.bmvi. de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ G/ reformkommissionbau-von-grossprojekten.html [8] K. Klöckner u. a., „POLITeam: Bridging the Gap between Bonn and Berlin for and with the Users“, in ECSCW ’95, Stockholm, 1995, S. 17-32. [9] L. Oppermann u. a., „Finding and analysing energy research funding data: The EnArgus system“, Energy AI, Bd. 5, S. 100070, Sep. 2021, doi: 10.1016/ j. egyai.2021.100070. [10] M. Weiser, „The Computer for the 21st Century“, Sci. Am., Bd. 265, Nr. 3, S. 66-75, 1991, [Online]. Verfügbar unter: https: / / dl.acm.org/ citation. cfm? id=329126 [11] S. Kind, J.-P. Ferdinand, T. Jetzke, S. Richter, und S. Weide, „Virtuelle und erweiterte Realitäten (VAR): Was das ist und was sie uns bringen; TAB- Arbeitsbericht Nr. 180“, 2019. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.tab-beim-bundestag.de/ de/ aktu elles/ 20190625.html [12] L. Oppermann und W. Prinz, „Introduction to this Special Issue on Smart Glasses (Editorial)“, -Com J. Interact. Media Spec. Issue Smart Glas., Bd. 15, Nr. 2, S. 123-132, 2016, [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.researchgate.net/ publication/ 308180185_Introduction_to_this_Special_Is sue_on_Smart_Glasses [13] R. Esser, L. Oppermann, und T. Lutter, „Head Mounted Displays in deutschen Unternehmen. Ein Virtual, Augmented und Mixed Reality Check.“, Deloitte, Fraunhofer FIT, Bitkom. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www2.deloitte.com/ content/ dam/ Deloitte/ de/ Documents/ technology-mediatelecommunications/ Deloitte-Studie-Head-Moun ted-Displays-in-deutschen-Unternehmen.pdf [14] R. Dörner, C. Geiger, L. Oppermann, V. Paelke, und S. Beckhaus, „Interaktionen in Virtuellen Welten“, in Virtual und Augmented Reality (VR / AR) - Grundlagen und Methoden der Virtuellen und Augmentierten Realität, Springer Vieweg, 2019. [15] B. Ens u. a., „Revisiting collaboration through mixed reality: The evolution of groupware“, Int. J. Hum.-Comput. Stud., Bd. 131, S. 81-98, Nov. 2019, doi: 10.1016/ j.ijhcs.2019.05.011. [16] L. Oppermann, „Facilitating the Development of Location-Based Experiences“, University of Nottingham, Computer Science, Nottingham, 2009. [Online]. Verfügbar unter: http: / / eprints.notting ham.ac.uk/ 14215/ 2/ PhDThesis-LeifOppermann. pdf [17] P. DeGrace und L. H. Stahl, Wicked problems, righteous solutions. Yourdon Press, 1990. [18] W. W. Royce, „Managing the Development of Large Software Systems“, in IEEE WESCON, 1970, S. 1-9. [19] F. P. Brooks,Jr., „The computer scientist as toolsmith II“, Commun ACM, Bd. 39, Nr. 3, S. 61-68, März 1996, doi: 10.1145/ 227234.227243. [20] M. Jarke, „Was bleibt vom Informatikjahr? “, It-Inf. Technol., Bd. 49, Nr. 3, S. 206-208, 2007, [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.degruyter.com/ document/ doi/ 10.1524/ itit.2007.49.3.206/ html Asset Management 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 35 Brücken Asset Management - Angewandte Digitalisierung für die Mobilität von morgen Jens Kühne Wölfel Engineering GmbH + Co. KG, Höchberg, kuehne@woelfel.de Wolfgang Ries avato consulting ag, Alzenau, wolfgang.ries@avato.net Zusammenfassung Um in Analogie zu den nach DIN 1076 [1] etablierten handnahen Prüfungen typische Schadensprognosen und netzweite Zustandsaussagen aus den Ergebnissen von Monitoring-Projekten ableiten zu können, sind messtechnische Anwendungen heute noch zu selten und zu projektspezifisch konzipiert. Smartes Lebenszyklusmanagement (LZM) setzt jedoch voraus, dass flächendeckend werthaltige digitale Informationen für die effiziente Bewirtschaftung der Assets entstehen. Das mFUND-Forschungsprojekt BrAssMan (Brücken Asset Management) liefert einen Lösungsansatz für die intelligente und teilweise standardisierte Anwendung ingenieurtechnischer Ansätze in Kombination mit Methoden des Machine Learning und zeigt die werthaltige Verknüpfung mit anderen vorhandenen Bauwerksdaten sowie die nutzerfreundliche Integration von Informationen in einer „führenden“ Daten-Plattform. Innovatives Lebenszyklusmanagement beruht auf der digitalen Verknüpfung sowie automatisierten Verarbeitung und nutzerfreundlichen Bereitstellung aller vorhandenen Informationen in Echtzeit über den gesamten Lebenszyklus. Um Netz-, Verkehrs- und Fahrzeugdaten ergänzt entsteht ein SMART MOBILITY NETWORK! 1. Einführung/ Vision Lebenszyklusmanagement umfasst immer schon alle sicherheits- und betriebserhaltenden Maßnahmen beginnend bei der Planung bis hin zu Austausch und Entsorgung für ALLE wichtigen Assets - Maschinen, Windanlagen [2], Gebäude, Straßen und Brücken, Hafenanlagen, Flugzeuge, Züge usw. Bei den Ingenieurbauwerken sind insbesondere die Planungs- und Bauprozesse schon heute durch Digitale Zwillinge geprägt (z.B. BIM, Abb. 1). Digitales Erhaltungsmanagement für die bestehenden Bauwerke hingegen ist komplexer. Bestandsunterlagen liegen oft nicht in digitalen Formaten vor oder fehlen ganz, und auch die Informationsbasis über Nutzung und Schadensverläufe ist lückenhaft. Dennoch erlauben die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung von Bestandsdaten, preiswerte Sensorik mit Massendatenhaltung, globale Vernetzung und der Einsatz intelligenter Algorithmen wie bspw. KI nun tatsächlich ganzheitliche Betrachtungen auch für Bestandsbauwerke. In den nachfolgenden Kapiteln wird der Bogen von den derzeit gültigen Prozessen mit ihren Vor- und Nachteilen über die Möglichkeiten und Grenzen heutiger Lösungen hin zu den künftigen Herausforderungen und Chancen geschlagen. Insbesondere große Organisationen wie die neu gegründete Autobahn GmbH des Bundes werden davon schnell profitieren können. 36 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Brücken Asset Management - Angewandte Digitalisierung für die Mobilität von morgen Abbildung 1: Stand der Digitalisierung im LZM In unseren Mobilitätsräumen gibt es zwei wesentliche Datenpools (Personendaten sollen wegen ihres besonderen Schutzes hier unbetrachtet bleiben): 1. Infrastrukturdaten Das Bauwesen ist hinsichtlich der wertbildenden Nutzung von Daten in den eigenen Prozessen Nachzügler. Neben zunehmend wirtschaftlichen Erwägungen (Effizienz in der Bewirtschaftung) spielen hauptsächlich Aspekte der Sicherheit (Verfügbarkeit des Bauwerks) und der Vernetzung (Verfügbarkeit des Verkehrsnetzes) eine Rolle. Neue Bauwerke werden in BIM-Methodik geplant, doch etwa die Hälfte der Brücken stammt aus der Zeit vor der Markteinführung der ersten PC’s. Daher gibt es noch heute riesige Datenbestände ausschließlich auf Papier oder Micro Fiches. Digital verfügbare Daten sind meist nicht vernetzt nutzbar und die bestehenden Applikationen veraltet. Die in SIB-Bauwerke dokumentierten Stamm- und Zustandsdaten sind eine gute, wenn auch unvollständige, fehlerbehaftete Datenquelle. Ob die Einführung von SIB-Bauwerke V2 daran etwas ändert, wird die Praxis zeigen. Das Fehlen durchgehend digitaler Daten ist jedoch das Haupthemmnis für die schnelle Einführung eines digitalen Erhaltungsmanagements. Einige nachhaltige Ansätze für die Generierung werthaltiger Informationen liefert BrAssMan. Abbildung 2: Verkehrsbezogene Infrastrukturdaten (Quelle: T. Novak, Intelligente Infrastruktur) 2. Fahrzeugdaten Sie dienen beispielsweise der Fahrzeugüberwachung (Zustandsdaten) oder der Vernetzung der Fahrzeuge untereinander (z.B. Positionsdaten oder Schwarmintelligenz beim autonomen Fahren) und werden in allen neuen Fahrzeugen erhoben. Aufgrund der durchschnittlichen Lebensdauer der Fahrzeuge von etwa 10 Jahren ist davon auszugehen, dass in einer Dekade eine deutliche Mehrheit der Fahrzeuge digitale Daten liefert und vernetzbar ist. Künftige Mobilitätskonzepte gehen davon aus, dass Infrastruktur- und Fahrzeugdaten miteinander vernetzt werden [Abb. 2]. Ein Beispiel hierfür sind automatische Verkehrs(um)leitszenarien bei plötzlichen Schäden an einem Bauwerk. 2. Ziele und Nutzen eines integrierten Lebenszyklusmanagements (LZM) Voraussetzung für die Einführung eines integrierten Lebenszyklusmanagements sind aktuelle (gültige) digitale Informationen. Diese müssen vernetzt und integriert und für alle Prozessteilnehmer im Sinne einer Weiterverarbeitung nutzbar sein. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 37 Brücken Asset Management - Angewandte Digitalisierung für die Mobilität von morgen Die Integration reicht dabei von Bestandsdaten über Modelldaten bis hin zu Verkehrs-, Mess- und Bilddaten, die in Echtzeit verfügbar sein müssen. Die Nutzung der Daten auf Netzebene setzt voraus, dass die Ergebnisse aus vorgelagerten Analysen auf der Entscheidungsebene miteinander vergleichbar sind. Aufgrund des hohen Individualisierungsgrades der Brücken ist die Ableitung standardisierter Werte zumindest auf Teilbauwerks- oder Komponentenebene relevant. Die Nutzung moderner Technologien (Sensorik, Drohnen, KI, ...) spielt im modernen LZM eine entscheidende Rolle, da sie bisher nicht vorhandene Informationen mit bisher nicht gekanntem Detaillierungsgrad für intelligente Algorithmen liefern. Dies führt zu deutlich relevanteren Entscheidungen auf Basis automatisch abgeleiteter alternativer Vorschläge. Der Matchwinner in dieser Kette ist eine integrierte, cloudbasierte Datenplattform. Sie erlaubt, was herkömmliche Fachanwendungen hinsichtlich Funktionalität, Architektur und Technologie nicht leisten können - die netzweite skalierbare Zusammenführung, Vernetzung, Veredelung, Bereitstellung und Verwendung aller verfügbaren Mobilitätsdaten in nahezu Echtzeit. Das Projekt BrAssMan soll den Nachweis liefern, dass dieses Vorgehen sinnvoll und zielführend ist. 2.1 Ziele Aus Sicht der Betreiber gibt es vier wesentliche Ziele: 1. Sicherheit Das Vertrauen in die Sicherheit der Infrastruktur ist Voraussetzung sowohl für den Personenverkehr als auch für den Güterverkehr (Schutz von Leib und Leben). 2. Verfügbarkeit Neben der Personenbeförderung (privat oder geschäftlich in PKW oder Bussen) ist die Aufrechterhaltung der Lieferketten (Liefer- und Schwerlastverkehr) wichtiges volkswirtschaftliches Ziel. 3. Wirtschaftlichkeit Wurde früher die Wirtschaftlichkeit an der Vergabe öffentlicher Mittel gemessen, geht es heute unter anderem um Fremdfinanzierung (ÖPP oder MAUT). 4. Nachhaltigkeit Ressourcenschonende Mobilität beinhaltet eine vorausschauende Planung, die Verwendung umweltfreundlicher Baustoffe, den Schutz der Natur, die Vermeidung von Luftverschmutzung und Staus sowie die wirkungsvolle Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsträger. 2.2 Nutzen Smarte Mobilität im Sinne ganzheitlicher, netzweiter Datenanalysen bietet dem Betreiber enorme Vorteile: - Bundesweit integriertes und zentral organisiertes Datenmanagement (Single Source of Truth Prinzip, Vermeidung von Redundanzen, zentrale Data Governance) - Datenkonsistenz (einheitliche, hochvernetzte Datenbasis) - hohe Datenverfügbarkeit (24/ 7, weltweiter sicherer Zugriff) - vollständige Datenhistorie (weit über SIB-Bauwerke hinaus) - hohe und schnell wachsende Vernetzung (agil und unter Einbindung der Organisation) - schneller Zugriff und Analysen ohne Wartezeiten (enormer Zeitgewinn) - zukunftsfestes, modulares, skalierbares Plattformkonzept - intuitive Nutzung, Übersichtlichkeit, besondere Einfachheit der Matchwinner-Funktionen - Einbindung anderer Quellen (z.B. BISSTRA), Forschungsergebnisse (ARC-D), andere Plattformen - Erweiterte Datensicht (kaufmännisch, logistisch, etc.) auf alle Prozesse und Workflows Als integrierte Informationsbasis für alle unternehmerischen Entscheidungsprozesse ist eine zukunftsorientierte Datenplattform DIE notwendige Grundlage - und zwar über das Lebenszyklusmanagement hinaus. 3. Umsetzung 3.1 Ist-Situation Datenbasiertes Asset Management ist keine neue Erfindung. Die regelmäßige handnahe Prüfung von Ingenieurbauwerken nach DIN 1076 [1] ist seit Jahrzehnten bewährtes Instrument im LZM. Scheinen auch die Prozesse aufwendig und teilweise subjektiv, die Algorithmen unzeitgemäß und schlicht und das Dokumentations- und Analysetool antiquiert die konsequente Umsetzung dieser Norm sowie Qualifikation und Erfahrungen der Prüfingenieure haben große Katastrophen in Deutschland bisher verhindert. In den letzten Jahren wurde versucht, die Norm durch Prüfhandbücher mit spezifischen, auch messtechnisch basierten Prüf-Verfahren zu öffnen (Abb. 3). 38 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Brücken Asset Management - Angewandte Digitalisierung für die Mobilität von morgen Abbildung 3: Beispiel Prüfhandbuch Messtechnische Verfahren wie Monitoring kommen jedoch nur in Ausnahmefällen zur Schadensüberwachung oder im Rahmen der Umsetzung der Nachrechnungsrichtlinie zum Einsatz. Dabei sind weltweit umfangreiche Lösungen am Markt verfügbar und bereits in zahlreichen Bauwerken im Einsatz. Mit dem richtigen Messkonzept liefern die Sensoren zuverlässige Ergebnisse. Ähnlich verhält es sich mit bildgebenden Verfahren zum Beispiel durch Befliegung mit Drohnen. Die Georeferenzierung ist Stand der Technik und auch die Methoden zum Anlernen der KI für die Risserkennung sind schon vielfach erfolgreich angewendet worden. Auch Cloudlösungen werden in allen nur denkbaren Ausprägungen am Markt angeboten, und die verfügbaren Anwendungen (meist als Arbeitsplatz- oder Serverversion) erlauben umfangreiche Datenimplementierungen und Analysen mit kundenindividuellen Dashboards. Wenn Messtechnik und IT-Infrastruktur also weitestgehend vorhanden sind, was macht die Umsetzung eines datenorientierten LZM so schwierig? 3.2 Herausforderungen Entscheidende Startbedingungen für die Einführung eines intelligenten Asset Managements im Bauwesen sind - zuerst die politische Vorgabe, an der schnellen Erreichung dieses Ziels unermüdlich zu arbeiten (siehe Datenstrategie der Bundesregierung [3]) - das Vorhandensein digitaler Datenbestände bzw. die flächendeckende permanente Digitalisierung von Bestandsdaten - die Öffnung und Anpassung bestehender Prozesse (und Richtlinien) an die digitale Zeit - eine übergreifende Data Governance - integriert nutzbare, sichere Datenplattformen - die Zukunfts- und Integrationsfähigkeit der führenden Verarbeitungssysteme. Weitere bisher wenig beachtete Herausforderungen liegen - in der Sicherheit und Qualität der Daten (Herkunftsnachweis, Quellenverfolgung) - in der dauerhaften Kompatibilität der Datenbestände in allen Bezugsquellen (automatische Formatanpassungen bei next generation tools) - in der korrekten Ermittlung und Vergleichbarkeit der maßgeblichen Kennwerte (zertifizierte Algorithmen, Nachvollziehbarkeit der Analyseschritte und Ergebnisse) - in der Vermeidung von Datenmonopolen (Verlust der Datenhoheit) - im Teilen von (immer werthaltigeren) Daten auf Kollaborationsplattformen (schnelles Lernen der Organisation, Beschleunigung von Prozessen, Access Control, Freigaben von Daten für externe Partner). 3.3 Lösungskonzept Aktuell werden von verschiedenen kommerziellen Anbietern aber auch im Rahmen von internationalen öffentlichen Initiativen Konzepte und Lösungen entwickelt, wie ein zukunftsorientiertes kollaboratives Asset Management umgesetzt werden kann. Als Beispiel sei der GAIA-X Use Case Infra-X für den öffentlichen Sektor genannt [4]. Solche Lösungsansätze können und müssen konsequent weitergedacht und in die operativen Anwendungssysteme der beteiligten Organisationen wie der Autobahn GmbH, aber auch übergreifend bis zu den Landesbetrieben für Verkehrsinfrastruktur und Städten gedacht werden (Abb. 4). Hinzu kommen jeweils gleisgebundene Verkehrsträger wie Fern- Regional- und Stadtbahnen sowie Infrastrukturen für Wasser- und Flugverkehr - Mobilität endet nicht an der Autobahnabfahrt. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 39 Brücken Asset Management - Angewandte Digitalisierung für die Mobilität von morgen Abbildung 4: Überblick Asset-Klassen Straßeninfrastruktur Diese erweiterte Integration ermöglicht es, neben objektbezogenen Bestands- und Zustandsinformationen auch die entscheidungsrelevanten kaufmännischen Daten zu berücksichtigen (Abb. 5). Durch die Öffnung für die unterschiedlichen Prozessteilnehmer wie beispielsweise Prüfbüros und die Einbindung in die operativen Abwicklungssysteme (z.B. ERP- Systeme) entsteht eine Kollaborationsplattform für das intelligente Asset Management. Abbildung 5: Integrationsprinzip der Collaboration Platform Eine durchgängige Prozessintegration von der intelligenten Maßnahmenplanung bis in die operative Umsetzung (Auftragsvergabe, Ergebniserfassung von Prüfungen, Rückmeldungen aus Instandsetzungsaufträgen) hebt das Informationsniveau organisationsweit auf eine neue Stufe, da sowohl bauwerksbezogen, aber auch organisationsbezogen und auf Prozessebene alle Daten selektiv ausgewertet werden können (Abb. 6). Abbildung 6: Typische Daten in den Hauptprozessen Doch erst durch die Verknüpfung mit zentralen Prozessen wie beispielsweise Buchhaltung, Beschaffung oder IT sind weitere erhebliche Effizienzgewinne zu erwarten, da die Daten schnittstellenfrei in die notwendigen Prozesse integrierbar sind (Abb. 7). 40 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Brücken Asset Management - Angewandte Digitalisierung für die Mobilität von morgen Abbildung 7: Typische Daten in Support-Prozessen 3.4 Projektergebnisse Das Projekt BrAssMan greift den ganzheitlichen Ansatz im Asset Management auf. Bestandsdaten werden in großem Umfang verwertet, um daraus wirtschaftlich attraktive Cluster für die weiteren Betrachtungen zu selektieren. Für diese Cluster (das genaue Vorgehen wird im Vortrag 2 dieser Session „Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung“ beschrieben [5]) werden schadensbezogene Modelle (Digitale Zwillinge) entwickelt, um dann mit Hilfe von Langzeitmessungen werthaltige Zusatzinformationen für das Erhaltungsmanagement abzuleiten. Die IT-Infrastruktur muss dabei in der Lage sein, sowohl bei der Auswahl der Cluster als auch bei der Zusammenführung der Ergebnisse schnellen Zugriff auf alle verfügbaren Informationen zu haben (Stamm- und Zustandsdaten aus SIB-BW-Daten, Bestandszeichnungen, Nachrechnungsergebnisse, Modelle, Messkonzepte, Messergebnisse, Key Performance Indikatoren (KPI) und diese auch bauwerksübergreifend zu betrachten. Ein weiteres Projektziel soll die Ableitung standardisierter Ausschreibungstexte für Monitoringsysteme zur Vereinfachung der Ausschreibungs- und Vergabeprozesse sein. Abbildung 8: BrAssMan Datenmanagementplattform 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 41 Brücken Asset Management - Angewandte Digitalisierung für die Mobilität von morgen Die BrAssMan Projektplattform (Abb. 8) bietet einen integrierten Datenbestand mit ausgewählten Brückenbestandsdaten, historischen Zustandsnoten, historischen Verkehrsdaten und den aus den Messsystemen abgeleiteten Performance Indikatoren. Auch der Zugriff auf die Rohmessdaten wird allen Projektteilnehmern über die Plattform angeboten. Weitere Daten können nach Bedarf im Projektverlauf flexibel eingebunden und mit dem vorhandenem Datenpool integriert werden. Damit sind die Voraussetzungen für bauwerks-, cluster- und netzbezogene Analysen geschaffen. 3.4.1 Bestandsanalyse und Clusterbildung Zur Analyse der Bestände wurden aus allen vorhandenen Datensätzen zuerst die Brücken der Fernstraßen selektiert (BAB und Bundesstraßen). Die verbleibende Zahl von ca. 53.000 Teilbauwerken wurde gemäß der vom Projekt definierten Aufgabenstellungen hinsichtlich Bauart, Schadensbildern und Schadensausprägung sowie Baujahr und verkehrlicher Nutzung und Bedeutung im Netz sortiert. Aus den entstandenen Clustern wurden nun in Abstimmung mit den assoziierten Partnern Bauwerke selektiert, die für die Aufgabenstellung die höchste Übereinstimmung und Relevanz haben und bei denen auch aus Sicht der Betreiber bereits ein Handlungsbedarf hinsichtlich Zustandsbewertung erkannt wurde (Abb. 9). Abbildung 9: Datenselektion in der BrAssMan Plattform 42 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Brücken Asset Management - Angewandte Digitalisierung für die Mobilität von morgen Eine große Herausforderung bei der finalen Bauwerksauswahl war die Analyse von nichtdigitalen Bestandsdaten. Für sieben Bauwerke stellte der Betreiber dem Projektkonsortium 50 GB an Daten zur Verfügung (Bestandszeichnungen, Berichte, Nachrechnungen), die gesichtet, selektiert und bewertet werden mussten. Dieser Prozess zeigt sehr deutlich die Potenziale der digitalen Datenhaltung. Am Ende wurden drei Cluster für Bauwerke mit entsprechenden Herausforderungen in der Erhaltung definiert (Koppelfugen, orthotrope Fahrbahnplatten, Seil-/ Stabeinleitungen). Die Ausschreibungsunterlagen wurden unter Berücksichtigung des Merkblatts Brückenmonitoring des DBV [6] erarbeitet und den Vergabestellen zur Verfügung gestellt. 3.4.2 Datenanalyse-Tool Zur Unterstützung der genannten ingenieurfachlichen Aufgabenstellungen wird im BrAssMan Projekt eine zentrale Datenmanagement- und Anwendungsplattform genutzt. Damit soll einerseits die teilprojektübergreifende und projektteamweite Zusammenarbeit effizient unterstützt werden, andererseits werden im Projekt auch ausgewählte Elemente der oben beschriebenen Vision einer Asset Management Collaboration Platform im praktischen Einsatz auf ihre Eignung überprüft und optimiert. Technisch wird als zentrale „Smart Bridge Datenbank“ ein modernes multimodales hoch performantes Datenbanksystem genutzt, das neben klassischen Tabellen auch Graphen (z.B. für Verkehrsnetze, komplexe Strukturen), geocodierte Informationen (GIS), Zeitreihen (Sensordaten) und andere semi-strukturierte Daten integriert verarbeiten kann. Die Plattform bietet weiter ein umfangreiches Instrumentarium an Datenanalyse- und Modellentwicklungswerkzeugen einschließlich moderner Machine Learning Frameworks (Python, R, AutoML, …). Als Benutzer-Frontend und zur interaktiven graphischen Analyse wird ein modernes Business Intelligence Werkzeug genutzt. IT-technisch werden aktuelle Cloudtechnologien genutzt (Microservices, Container, Dev/ MLOps). So sind neben umfangreichen Kostenanalysen auch die Einbindung von Messdaten und BIM-Modellen möglich (Abb. 10, 11). Abbildung 10: Kostenanalysetool auf Basis von SIB-BW Abbildung 11: Einbindung von Messdaten 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 43 Brücken Asset Management - Angewandte Digitalisierung für die Mobilität von morgen Alle eingesetzten Komponenten sind sowohl von der Performance als auch von der Skalierbarkeit für die Umsetzung eines ganzheitlichen datenbasierten Lebenszyklusmanagements geeignet. 3.5 Chancen und Ausblick Projekte wie BrAssMan und viele parallele Entwicklungen zeigen machbare Wege zum intelligenten, kollaborativen Asset Management. Da die Konsequenzen bei getroffenen Systementscheidungen langfristig und weitreichend sind, sollte es einen Fahrplan für das gesamte deutsche Infrastruktur-Management geben, welcher sich an führenden Kollaborations-Plattformlösungen orientiert. Der Aufbau integrierte Lösungen, Data Governance, die Verwendung offener Standards und Open Data erfordern Mut, der Weg zur Modernisierung der Datenmanagementlösungen und der IT bei den Betreibern insgesamt ist aber notwendig und unumkehrbar. Entsprechende Leuchtturmprojekte und Pilotprojekte werden nachweisen, dass der Einsatz von moderner integrierter Standardsoftware eine deutlich schnellere („time to market“) und letztlich kostengünstigere Umsetzung als die Ausschreibung von teilaspektbezogenen Individuallösungen verspricht. Monitoringlösungen entfalten ihren großen Nutzen über die Einzelfallbetrachtung hinaus erst dann, wenn die dadurch ermittelten Kennwerte in die bestehenden Bewertungsprozesse integrierbar sind, die eingesetzten Monitoringsysteme und damit auch die Ausschreibungen standardisiert sind und auch eine standardisierte Anbindung von Monitorsystemen an die zentralen Systeme gegeben ist. Der Einsatz von KI und die Generierung großer Datenmengen führen zu steigenden Anforderungen an dezentrale Verarbeitung und Agilität (Reduktion der übertragenen Daten). Neue technologische Möglichkeiten, insbesondere Funktechnologie, Containertechnologien und DevOps, bieten künftig Potenziale für kostengünstige Inbetriebnahmen und effizienten Betrieb der Systeme. Hierbei hilft der Dialog und gemeinsame Entwicklungen mit führenden Anbietern von Automatisierungstechnik oder ganzheitlichen Softwarelösungen, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die zu zeitgemäßen digitalisierten Lösungen führen. BrAssMan zeigt, dass Pilotprojekte in realer Umgebung mit modernen kollaborativen Asset Management Lösungen und mit Integration in die operativen Backendprozesse der richtige Weg sind, Erfahrungen und belastbare Erkenntnisse zu den kommerziellen Aspekten (Wirtschaftlichkeit) und kritischen Erfolgsfaktoren zu bekommen. 4. Literatur [1] DIN 1076: 1999-11; Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung. Berlin: Beuth (1999) [2] Die Digitalisierung der Zustandsüberwachung von Windenergieanlagen und Brücken im Vergleich, Jens Kühne et al., Stahlbau 2021, Heft 2, Ernst & Sohn [3] Datenstrategie der Bundesregierung, Kabinettfassung , 27.01.2021 [4] https: / / www.data-infrastructure.eu/ GAIAX/ Redaktion/ EN/ Artikel/ UseCases/ infrax-transport-infrastructure.html [5] Jergas et al.; Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung; 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur (2021) [6] DBV-Merkblatt Brückenmonitoring- Planung, Ausschreibung und Umsetzung, DBV (2018) 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 45 Entwicklung der Verkehrseinwirkungen auf Bundesautobahnen Andreas Socher Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Zusammenfassung Das Verbundforschungsprojekt BrAssMan, Brücken Asset Management für Straßenbrücken, hat zum Ziel die bisherige Praxis des Erhaltungsmanagements durch eine bestandsübergreifende Datenanalyse und ein intelligentes Asset Management zu ergänzen. In diesem Zug soll ein Bindeglied auf dem Weg von der inspektions- und nachrechnungsbasierten Bestandsbewirtschaftung zum zustands- und prognosebasierten Asset Management geschaffen werden. Teil des Projekts ist eine umfassende Analyse des Datenbestandes des Verkehrs, die in Form von Schlüsselleistungsindikatoren, bzw. KPIs (Key Performance Indicators), Aufschluss über die netzweite Beanspruchung der Brückenbauwerke der Bundesfernstraßen geben soll. 1. Einleitung Ziel der Untersuchungen ist die Ableitung aussagekräftiger Kennwerte über die Höhe und Entwicklung der Verkehrsbeanspruchung von Brückenbauwerken. Hierzu werden die im Netz der Bundesautobahnen aufgezeichneten, realen Verkehrseinwirkungen einer umfangreichen Analyse unterzogen, die vor dem Hintergrund repräsentativer Brücken Bauwerksbeanspruchungen ableitet, deren Hintergründe anschließend untersucht und maßgebende Einflussfaktoren identifiziert werden. Im Prozess der Analyse werden charakteristische Verkehrseinwirkungen hergeleitet und mit normenbasierten Lastmodellen und Brückenklassen verglichen, um bauwerksunabhängig Vergleichsgrößen zu ermitteln. Im Zuge weiterer, flächendeckender Datenquellen des Verkehrs soll eine auf künstlicher Intelligenz beruhende Datenverschneidung netzweite KPIs über die Höhe und Entwicklung der Verkehrsbeanspruchung von Brückenbauwerken im Netz der Bundesfernstraßen liefern. Zur Darstellung der Vorgehensweise folgt zunächst eine Einleitung in die Methodik der Analyse und Auswertung von Datensätzen stationärer Achslastmessstellen (AMS). Durch den historisierten Datenbestand der AMS besteht mittlerweile eine ausreichende Ausgangslage zur Untersuchung der Entwicklungen von Verkehrseinwirkungen. Aufgrund mehrerer Standorte der AMS, die entsprechend unterschiedliche Verkehrsbeanspruchungen aufweisen, ist es möglich tiefergehende Zusammenhänge zwischen den aufgezeichneten Einwirkungen und Zähldaten des Verkehrs herzustellen. Die Technischen Lieferbedingungen für Streckenstationen [1] liefern die notwendigen Informationen, um Schnittstellen zwischen diesen Datenquellen herzustellen. Vor dem Hintergrund der Beziehung zwischen den Zählwerten und bauwerksbezogenen Einwirkungen des Verkehrs können die Datensätze der Dauerzählstellen der Bundesfernstraßen, aktuell 2.013 Messstellen [2], im Hinblick einer netzweiten Analyse aktiviert werden, um für das Bundesgebiet flächendeckende Aussagen über Verkehrseinwirkungen und deren Entwicklung aufzuzeigen. Die primäre Datengrundlage bildet, wie bereits erwähnt, der bundesweite Bestand der Monatsdatensätze der stationären AMS, die seit dem Jahr 2011 im Netz der Bundesautobahnen erfasst werden. Die bisherige Nutzung der AMS-Daten konzentriert sich auf die Dimensionierung und Bemessung der Infrastruktur, u.a. des Straßenoberbaus und der Brückenbauwerke. Aktuell wird an 41 Richtungsmessstellen an 21 Querschnitten gemessen. Die fest in der Fahrbahn verbauten Sensoren erfassen während einer Überfahrt eine Reihe an Fahrzeugeigenschaften: Die Weigh-In-Motion-Messanlagen (WIM-Messanlagen) erfassen das Datum, die Uhrzeit, die Fahrspur, den Fahrzeugtyp, die Fahrzeuglänge, die Abstände zwischen den Achsen und Fahrzeugen, das Gesamtgewicht sowie die Achslasten. Auf Grundlage der gemessenen Achslasten und des damit berechneten Gesamtgewichts werden entsprechende Überladungskennungen angegeben. Die Plausibilität der Fahrzeugmessungen wird mit einer Kennung des Tages je Fahrstreifen und einer Kennung des Datensatzes angezeigt. Bei unplausiblen Messungen geben die jeweiligen Kennungen Hinweise auf den Grund, warum die Überfahrt als unplausibel gekennzeichnet worden ist, sowie auf die Eigenschaft, die als unstimmig identifiziert worden ist [3]. 46 Entwicklung der Verkehrseinwirkungen auf Bundesautobahnen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Im Rahmen der angestrebten Zielvorstellung wird jedoch eine zusätzliche, erweiterte Plausibilisierung benötigt, die weitere Merkmale zur Identifizierung unplausibler Achslasten im Analyseprozess verankert. Auf diesem Weg werden weitere, außergewöhnlich hohe Achslasten, die das Produkt fehlerhafter Datenerfassungen sind, aus dem Analyseprozess entfernt, um eine realitätsgetreue Simulation des aufgezeichneten Verkehrs zu gewährleisten. 2. Erweiterte Plausibilisierung der Datengrundlage Eine für die nachfolgende Analyse besonders relevante Größe für die Plausibilisierung der Fahrzeugüberfahrten ist die Höhe der gemessenen Achslasten. Auf Grundlage bisheriger Erkenntnisse wurde eine obere Plausibilitätsgrenze von 20 Tonnen für das Gewicht einer einzelnen Achslast vereinbart. Falls demnach eine einzelne Achslast die Obergrenze von 20 Tonnen überschreitet, gilt Diese und demnach auch das gesamte Fahrzeug als unplausibel. Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass Doppel- und Dreifachachsen aus mehreren, bzw. zwei und drei, einzelnen Achslasten bestehen. Die Obergrenze von 20 Tonnen hat den Zweck Messfehler zu erkennen und von weiteren Datenanalysen auszuschließen. Die Höhe von 20 Tonnen liegt im Hinblick auf die dokumentierten gerichtsfesten Nachverwiegungen von Fahrzeugen, bzw. deren Achslasten, auf der sicheren Seite [4]. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, wurden zwei umfangreiche Datenquellen des BAG ausgewertet. Die erste Quelle umfasst die Sammlung der Protokolle von Vor- und Nachverwiegungen, die im Zuge von Überladungskontrollen des BAG ab Januar 2013 bis einschließlich September 2020 an elf verschiedenen Kontrollplätzen angefertigt worden sind. Die Daten dieser 160 Tabellen stellen 1.213 individuelle Messungen dar, die an verschiedenartigen Kontrollplätzen mit unterschiedlichen Waagen, u.a. Radlast- und stationäre Waagen, oder anhand von Wiegenoten, bzw. Wiegenachweisen, aufgenommen wurden. Die zweite Quelle besteht aus 106 Fahrzeugverwiegungen, die hingegen ausschließlich an einer Radlastwaage durchgeführt wurden und das Gewicht jeder einzelnen Achse aufweisen. Da in diesem Zug auch der Fahrzeugtyp dokumentiert wurde, ist es möglich gewesen, die jeweiligen Achsen als Einzel-, Doppel- oder Dreifachachsen zu klassifizieren und zu bestimmen, ob es sich um Achsen mit oder ohne Antrieb handelt. Im Gegensatz zur ersten Datenquelle wurden jedoch keine Vorverwiegungen angegeben. Aufgrund fehlender Angaben konnten diese Informationen auch nicht durch eine Rückführung auf die Monatsdatensätze der stationären AMS wiederhergestellt werden. Diese Rückführung war jedoch bei der ersten Quelle möglich, wodurch fehlende Angaben der nachverwogenen Achsen, u.a. Position, Typ und Vorhandensein eines Antriebs, in Teilen wiederhergestellt werden konnten. 2.1 Plausibilitätsgrenzen von Achslasten Im Zuge der Auswertung der Monatsdatensätze der stationären AMS hat sich bei der Berechnung von charakteristischen Verkehrseinwirkungen die Notwendigkeit ergeben, die obere Plausibilitätsgrenze von 20 Tonnen je Achslast um Weitere zu ergänzen. Anlass hierfür waren vereinzelte Fahrzeuge, deren Doppel- und Dreifachachsen ungewöhnlich hohe Lasten aufgewiesen haben. Als Beispiel ist hierfür ein Lkw des Typs 49 (Lkw mit Anhänger: Einzelachse, Dreifachachse + Einzelachse, Einzelachse [1] - zulässiges Gesamtgewicht von 40 t [5]) zu nennen, dessen Dreifachachse eine Last von 44,7 t (15.415 kg, 12.851 kg und 16.443 kg) mit Reifenabständen von 67 und 65 cm aufwies, wohingegen die erste Achse des Zugfahrzeugs lediglich mit einer Last von 5,8 t verwogen wurde. Ein weiteres Beispiel stellt ein Lkw des Typs 9 (Lkw: Einzelachse, Doppelachse [1] - zulässiges Gesamtgewicht von 26 t [5]) dar, dessen Einzelachse mit einem Gewicht von 6,1 t und dessen Doppelachse mit einem Gewicht von 36,7 t (18.033 kg und 18.640 kg mit einem Abstand von 135 cm) gemessen wurde. Derartige Achslastmessungen sind das Produkt fehlerhafter Datenerfassungen, die nicht als Solche identifiziert wurden. Bevor jedoch zusätzliche Plausibilitätsgrenzen eingeführt werden können, die derartige Problematiken minimieren, ist es notwendig die bisherigen, gerichtsfesten Nachverwiegungen von Achslasten einer Analyse zu unterziehen. Ziel ist dabei die Differenzierung der Plausibilitätsgrenzen in Abhängigkeit der Achstypen (Einzel-, Doppel- oder Dreifachachse) und Achsabstände. Aus der ersten Datenquelle des BAG wurden die Achslasten herausgefiltert und ihre vor- und nachverwogenen Gewichte verglichen, siehe Abbildung 1: Abbildung 1: Vor- und Nachverwiegungen von Achslasten 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 47 Entwicklung der Verkehrseinwirkungen auf Bundesautobahnen Die Bemerkungen in den Protokollen der Nachverwiegungen deuten darauf, dass es sich bei den vor- und nachverwogenen Achslasten in Abbildung 1 nahezu ausschließlich um Antriebsachsen, bzw. Einzelachsen, handelt. Das höchste nachverwogene Gewicht einer als Antriebsachse gekennzeichneten Messung war 16.310 kg. Die 490 Nachverwiegungen zeigen mit Ausnahme der vermutlich falschen Messwertzuordnungen, die unter 11,4 t zu beobachten sind, Messabweichungen, die bei der Verwiegung dynamischer Einwirkungen zu erwarten sind. Es fällt jedoch auf, dass die Messwerte der Vorverwiegungen im Durchschnitt über Denen der Nachverwiegungen liegen. Die erste Datenquelle des BAG wurde im Weiteren einer Verschneidung mit den Datensätzen der stationären AMS unterzogen. Die Angaben in den Protokollen der Überladungskontrollen, bzw. Nachverwiegungen, wurden genutzt, um anhand eines umfassenden Such- und Filter-Algorithmus die in den Protokollen angegebenen Vorverwiegungen in den Monatsdatensätzen der stationären AMS wiederzufinden. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass erheblich mehr Informationen bzgl. der Achslast und dem dazugehörigen Fahrzeug gewonnen werden können. Nicht nur wird es möglich die Positionen, Typen und Abstände der Achsen zu bestimmen, sondern auch festzustellen, ob die Einträge in den Protokollen korrekt sind. Aufgrund der Unvollständigkeit der Achslastdatensammlung, der Datenlücken in den Datensätzen der AMS, die i.d.R. durch die abgeschaltete Datenspeicherung während der Fahrzeugkontrollen entstanden sind, und der vereinzelt unzureichenden Angaben in den Protokollen, u.a. weder Datum noch Uhrzeit, konnten von den 1.213 Fahrzeugmessungen lediglich 420 auf die entsprechenden Monatsdatensätze der AMS zurückgeführt werden. Maßgebend waren hierbei die 192 Messungen der Antriebsachsen und die 219 Messungen der Fahrzeuggesamtgewichte. Abbildung 2: Vor- und Nachverwiegungen von Antriebsachsen Abbildung 2 repräsentiert somit einen Auszug der Messprotokolle, für den eine hohe Datenqualität nachgewiesen werden kann. Aufgrund des Ausschlusses fehlerhaft dokumentierter Vorverwiegungen, der Konzentration auf vollständig ausgefüllte Messprotokolle und ausschließlichen Betrachtung von Antriebsachsen ergibt sich eine belastbare Datengrundlage. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass stationäre AMS i.d.R. zu hohe Achslasten und somit auch zu hohe Fahrzeuggesamtgewichte ermitteln. Diese Erkenntnis ist im Zuge der weiteren Untersuchungen genauso zu beachten, wie das damit einhergehende Spektrum der Messabweichungen, das in Anbetracht der Abbildung 1 in der Lage ist außergewöhnlich hohe Achslasten hervorzubringen. Die bereits eingeführte, obere Plausibilitätsgrenze von 20 t ist bereits in der Lage unrealistisch hohe Einzelachsen des herkömmlichen Verkehrs, der sich an den von der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) zulässigen Gesamtgewichten und Achslasten orientiert, zu identifizieren, jedoch ist diese Plausibilitätsgrenze unzureichend, um die diesbezüglichen Doppel- oder Dreifachachsen auf ihre Plausibilität hinreichend zu prüfen. Die zuvor angeführten Beispiele, Dreifachachse mit 44,7 t und Doppelachse mit 36,7 t, repräsentieren Fahrzeuge, die die Notwendigkeit weiterer Plausibilitätsgrenzen hervorheben. Aufgrund fehlender Nachweise, bspw. Videoaufnahmen, wurde die Plausibilität derartiger Fahrzeuge im Rahmen von Abstimmungsrunden zwischen dem Bundesamt für Güterverkehr (BAG) und der BASt zur Diskussion gestellt. Im Zuge der äußerst geringen Auftretenshäufigkeit sowie der bereits erwähnten unpassenden Gesamtgewichtsverteilungen wurde die Annahme bestätigt, dass es sich hierbei nicht um plausible Verkehrsaufzeichnungen, sondern um Messfehler handelt. Dieser Sachverhalt wird aufgrund des anwachsenden Datenbestandes derartiger, 48 Entwicklung der Verkehrseinwirkungen auf Bundesautobahnen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 als unplausibel identifizierter Fahrzeuge weiterverfolgt und stetig geprüft. Zur Festlegung der zusätzlichen Plausibilitätsgrenzen wurden die aufgezeichneten, unplausiblen Fahrzeuge dem § 34 „Achslast und Gesamtgewicht“ der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) gegenübergestellt. Der Vergleich mit der StVZO und den Messabweichungen zwischen den Vor- und Nachverwiegungen hat ergeben, dass entsprechend des Achsentyps und -abstandes das Doppelte der zulässigen Achslast die jeweils geeignete Plausibilitätsgrenze darstellt. Demnach werden bei der Wahl der zusätzlichen Plausibilitätsgrenzen sowohl die dynamischen Einflüsse auf die Achslasten, als auch die Messungenauigkeiten der stationären AMS berücksichtigt. Die bereits erwähnte Prüfung hat die korrekte Funktionsweise der neu eingeführten Plausibilitätsgrenzen bestätigt. Die identifizierten Fahrzeuge wiesen i.d.R. dieselben unplausiblen Merkmale auf. Aufgrund der äußerst geringen Identifizierungsrate von unter 1: 350.000 Fahrzeugen konnten die Filterergebnisse manuell überprüft werden. Die zweite Datenquelle des BAG umfasst 106 Fahrzeugverwiegungen, die an einer Radlastwaage durchgeführt wurden. Nachfolgend dienen diese Informationen der weiteren Verifizierung der gewählten Grenzen, indem reale, gerichtsfest nachverwogene Achslasten den festgelegten Plausibilitätsgrenzen entsprechend ihres Typs und ihrer Abstände untereinander gegenübergestellt werden. Im Hinblick der nachfolgenden Erläuterungen ist es wichtig an dieser Stelle anzumerken, dass die beiden Datenquellen des BAG keine Fahrzeuge der Typen 0 oder 108 (Typ 0: Unbekannter Fahrzeugtyp / nicht zuordnungsbares Fahrzeug; Typ 108: Sonderfahrzeug mit beliebig vielen Achsen und Achskombinationen [1]) beinhalten, wodurch diese beiden Fahrzeugtypen nicht in die Untersuchung bzgl. der vorgestellten zusätzlichen Plausibilisierung integriert wurden. Eine diesbezügliche Erweiterung der Untersuchung steht noch aus. Abbildung 3: Plausibilitätsgrenzen unterschiedlicher Achstypen In Anbetracht der Abbildung 3 fällt auf, dass sich die verschiedenartigen Achstypen sowohl in ihrer Häufigkeit, als auch in ihrer Last stark unterscheiden. Die Achslasten wurden hierbei unabhängig ihrer Fahrzeugzugehörigkeit nach ihrem Gewicht geordnet und zur besseren Visualisierung gleichmäßig über die X-Achse verteilt. Bei jedem Datenpunkt handelt es sich um eine einzelne Achslast und nicht um die Last einer Achsgruppe. Mit Ausnahme der Plausibilitätsgrenze von 11 t für Doppelachsen mit einem Abstand unter einem Meter, kann den eingezeichneten, verschiedenartigen Achslasten entnommen werden, dass die gesetzten Grenzen stets deutlich über 20% der dazugehörigen höchsten nachverwogenen Achslasten liegen. Die Plausibilitätsgrenze von 11 t für Doppelachsen mit einem Abstand unter einem Meter konnte mit diesen Nachverwiegungen nicht verifiziert werden, da der Datenquelle kein diesbezügliches Fahrzeug zu entnehmen war. Die Datensätze der AMS zeigen jedoch, dass auch diese Plausibilitätsgrenze ihren Zweck erfüllt und Fahrzeuge mit ungewöhnlichen Gesamtgewichtsverteilungen und unplausiblen Achsabständen herausfiltert. Die Identifizierungsrate gleicht den übrigen zusätzlichen Plausibilitätsgrenzen. Abschließend ist festzustellen, dass die vorgestellten Plausibilitätsgrenzen sich lediglich gegen außergewöhnlich hohe Achslasten des herkömmlichen Verkehrs richten, die im Hinblick der durchgeführten Vor- und Nachverwiegungen des BAG, siehe Abbildungen 1, 2 und 3, nicht an einem einzigen realen Fall wiederlegt werden konnten. 3. Untersuchung der Verkehrseinwirkungen 3.1 Vorgehensweise und Zielvorstellung Um die Entwicklung der Verkehrseinwirkungen auf Brückenbauwerke der Bundesfernstraßen darzustellen, wird eine Analyse der Straßeninformationsbank, Teilsystem Bauwerke (SIB-BW), erfolgen, die eine Reihe häufig vorkommender Bauwerksarten und -eigenschaften identifizieren wird, deren Summe den Brückenbestand repräsentiert. Die aus dieser Analyse hervorgehenden fiktiven Brücken werden nachfolgend zur Ableitung von Einflusslinien genutzt, um die aus den Achslastdaten hergeleiteten Verkehrsströme auf Diesen zu überführen und in diesem Zug die maßgebenden Verkehrseinwirkungen zu erfassen. Als maßgebend werden die maximalen und minimalen Schnittgrößen in den zuvor festgelegten Zeitintervallen (Tag, Woche und Monat) angesehen. Die auf diesem Weg gesammelten Schnittgrößen werden nachfolgend als Blockmaxima bezeichnet. Dieses Vorgehen erfolgt anhand verschiedener Verkehrsströme, nachfolgend auch Varianten genannt, die die Fahrzeuge der unterschiedlich aufgezeichneten Haupt- und Überholfahrspuren beinhalten. Die Varianten beziehen sich nicht nur auf 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 49 Entwicklung der Verkehrseinwirkungen auf Bundesautobahnen einzelne Fahrspuren, sondern auch auf richtungsbezogene Fahrspurkombinationen. Für die maßgebenden Positionen der Schnittgrößen, u.a. für Einspann-, Stütz- und Feldmomente, erfolgt im Rahmen der Jahresdaten einer AMS eine Extrapolation der Blockmaxima auf charakteristische Werte. Die Extrapolation erfolgt anhand der Gumbel-Verteilung, die sich im Rahmen von Voruntersuchungen als geeignet erwiesen hat und in dieser Form bereits für die Berechnung von Designwerten für Windlasten erfolgreich eingesetzt wurde [6]. Die Gumbel-Verteilung hat im Hinblick auf die Arten der Blockmaxima (Tages-, Wochen- oder Monatsmaxima) sowie im Rahmen von Datenlücken eine gute Stabilität demonstriert und bei ausreichendem Datenbestand (≥ 50 % der Tage eines Jahres) vergleichbare Ergebnisse geliefert. Diesbezüglich erfolgte ebenfalls ein Vergleich verschiedener Extremwertverteilungen, der hier allerdings nicht weiter erläutert wird. Durch die Berücksichtigung unterschiedlicher Wiederkehrperioden können die hergeleiteten charakteristischen Verkehrseinwirkungen den im Netz der Bundesfernstraßen repräsentativen Brückenklassen und Lastmodellen vergleichend gegenübergestellt werden [7]. Auf Grundlage dieser Gegenüberstellung werden die unterschiedlichen Bauwerke, bzw. deren Positionen, miteinander vergleichbar und eine umfassende Analyse der verschiedenartigen Verkehrsströme für die Standorte der AMS wird ermöglicht. Durch eine Untersuchung der Korrelationen zwischen den Verkehrszähldaten und den ermittelten Verkehrseinwirkungen soll eine netzweite Betrachtung ermöglicht werden, indem die 2.013 Dauerzählstellen [2] im Netz der Bundesfernstraßen für eine Datenverschneidung aktiviert werden. Für die von den Dauerzählstellen erfassten Streckenzüge soll abschließend eine normenbasierte Abschätzung der Verkehrseinwirkungen und deren Entwicklung erfolgen. Parallel dazu wird eine zusätzliche Datenbank ermüdungsrelevanter Einwirkungen generiert, indem je AMS und Jahr alle berechneten Schnittgrößen in einem Belastungshistogramm zusammengefasst werden. Diese Histogramme werden im Anschluss entsprechend der erfassten und auf Grundlage der Verkehrszähldaten zu erwartenden Achslasten extrapoliert, wodurch Datenlücken bestmöglich geschlossen werden und grundlegende Aussagen über die Entwicklung ermüdungsrelevanter Einwirkungen ermöglicht werden. 3.2 Methodik der Datenauswertung Aufgrund des Umfangs der Datenauswertung wird lediglich auf grundlegende Kernpunkte der Methodik detaillierter eingegangen. Zu diesen Kernpunkten gehören die Schrittweite der Überführung der Achslasten über die Einflusslinien und die Fragestellung nach der Inklusion von Fahrzeugen, deren Achslasten aufgrund ihrer unzureichenden Höhe, bspw. PKW, Krafträder oder Lieferwagen, nicht erfasst werden. Im ersten Schritt der Aufbereitung der Datensätze der AMS werden die unterschiedlichen Verkehrsströme definiert, die im nächsten Schritt zur Unterteilung und Einordnung der gemessenen Achslasten dienen. Für jede stationäre AMS ist eine Hin- und Gegenrichtung definiert, denen die erfassten Fahrspuren angehören. Im Hinblick auf den Bestand der AMS gibt es die folgenden drei Kategorien, die mit unterschiedlichen Kennziffern je Fahrtrichtung versehen sind: Hauptfahrspuren (1, 33), 1. Überholfahrspuren (2, 34) und in seltenen Fällen auch 2. Überholfahrspuren (3, 35). Entsprechend der zwei Fahrtrichtungen ergeben sich für die weiterführenden Untersuchungen sechs relevante Varianten: Varianten Kennziffern der Fahrspuren 1 1 und 2 (Fahrtrichtung 1) 2 33 und 34 (Fahrtrichtung 2) 3 1 (Fahrtrichtung 1) 4 2 (Fahrtrichtung 1) 5 33 (Fahrtrichtung 2) 6 34 (Fahrtrichtung 2) Tabelle 1: Auflistung Varianten untersuchter Verkehrsströme Im Hinblick auf die Varianten werden die Haupt- und 1. Überholfahrspuren je Fahrtrichtung einer kombinierten und separaten Analyse unterzogen. Die Methodik der Anordnung der Achslasten erfolgt anhand der Abstände der einzelnen Achsen untereinander sowie der Zeitmessungen und Geschwindigkeiten der Fahrzeuge. Die von den stationären AMS aufgezeichneten Achsabstände, die sich innerhalb der Fahrzeuglänge befinden, weisen eine hohe, bzw. zentimetergenaue Genauigkeit auf. Die aufgezeichneten Abstände zwischen den Fahrzeugen enthalten jedoch erhebliche Ungenauigkeiten, weshalb mit Hilfe der Zeitstempel und Geschwindigkeiten der Fahrzeuge neue, genauere Abstände berechnet werden. Diesbezüglich werden die Besonderheiten des Erfassungsmechanismus, u.a. die geringfügig verzögerte Zeiterfassung, berücksichtigt und in die Berechnung der Fahrzeugabstände einbezogen. Die hierfür benötigten Informationen werden bereits in den AMS-Datensätzen bereitgestellt. Bei Kombinationen von Fahrspuren, siehe Varianten 1 und 2, orientieren sich die Überholfahrspuren bei der Berechnung der Abstände zwischen den Fahrzeugen stets an den zeitlich nächstgelegenen Fahrzeugen der Hauptfahrspur, um eine möglichst hohe Genauigkeit im Zuge der gesamten Fahrzeugabfolge zu erreichen. Auf Grundlage der berechneten Abstände wird jeder plausiblen Achslast eine Meterkennung zugewiesen, die sich entsprechend der Abfolge der einzelnen Achslasten aufsummiert. Die Achslasten der Kombinationen von Fahrspuren, siehe Varianten 1 und 2, werden dabei in einer Liste zusam- 50 Entwicklung der Verkehrseinwirkungen auf Bundesautobahnen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 mengeführt. Die auf diesem Weg aufbereiteten Datensätze werden nachfolgend über die Einflusslinien der ausgewählten, repräsentativen Brückenbauwerke geführt und die Schnittgrößen der entsprechenden Bauwerkspositionen erfasst, analysiert und anhand ihrer Zeitintervalle klassifiziert. Aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Brückenbestandsanalyse, wurden vorerst nur vier Bauwerke gewählt, die sich im Zusammenhang der Beantwortung der noch offenen Fragestellungen zur weiteren Gestaltung der Methodik als geeignet erwiesen haben. Die abschließende Bauwerksauswahl wird die primären statischen Systeme in Längsrichtung des Bauwerksbestandes mit den dazugehörigen, häufig vertretenen Stützweiten auswerten, um die konstruktiven Eigenschaften der Brückenbauwerke im Rahmen objektspezifischer Aussagen, bzw. bei der Zuweisung der KPIs, weitestgehend berücksichtigen zu können. Bauwerk Feldanzahl Stützweiten Statisches System in Längsrichtung 1 1 20 m Einfeldrig, frei aufliegend 2 2 20 m, 20 m Mehrfeldrig mit Durchlaufwirkung 3 1 100 m Einfeldrig, frei aufliegend 4 2 100 m, 100 m Mehrfeldrig mit Durchlaufwirkung Tabelle 2: Auflistung vorläufig gewählter, fiktiver Brückenbauwerke Im Zuge einer schnellen Datenverarbeitung im Analyseprozess, der dazu geeignet sein soll die Verkehrsströme tausender Monatsdatensätze auf mehreren Brückenbauwerken abzubilden, wurde die Berechnung der Schnittgrößen vereinfacht: Die statischen Systeme der Bauwerke wurden lediglich in Längsrichtung betrachtet und idealisiert, wodurch sonstige Einflüsse der Konstruktion auf die Schnittgrößen, bspw. die Auflagerbreiten, vernachlässigt wurden. Zudem wurde das dynamische Verhalten der Brückenbauwerke, das insbesondere bei geringen Stützweiten zu höheren Belastungen führt, vernachlässigt. Die Schwingbeiwerte der DIN 1072 in den Fassungen von 1967 und 1985 wurden allerdings im Rahmen der Berechnung normenbasierter Vergleichswerte zur Schaffung gleicher Voraussetzungen zwischen den Normen berücksichtigt. An diesem Punkt ist darauf hinzuweisen, dass die dynamischen Einflüsse auf die Achslasten und die Messungenauigkeiten der AMS, die u.a. zu durchschnittlich überhöhten Achslasten führen, Eingang in die Berechnung finden, siehe Abbildung 1 und 2. Nachfolgend werden die zuvor aufgeführten Brückenbauwerke zusammen mit beispielhaft gewählten Varianten, unterschiedlichen maßgebenden Schnittgrößenpositionen und Normen, bzw. Lastmodellen oder Brückenklassen, dargestellt. Für jedes der gewählten Brückenbauwerke werden für alle Varianten die maximalen und minimalen Schnittgrößen der unterschiedlichen Positionen berechnet. Dies ermöglicht, wie zuvor beschrieben, einen universellen Vergleich zwischen den hergeleiteten charakteristischen Verkehrseinwirkungen der unterschiedlichen Varianten und Bauwerkspositionen sowie den hierbei angewendeten, repräsentativen Brückenklassen und Lastmodellen der Bundesfernstraßen [7]. Abbildung 4: BW 1 - Var. 1, FM, LM1, Eurocode 1 Abbildung 5: BW 2 - Var. 2, SM, LM1, DIN FB 101 Abbildung 6: BW 3 - Var. 3, FM, BK 60/ 30, DIN 1072: 1985 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 51 Entwicklung der Verkehrseinwirkungen auf Bundesautobahnen Abbildung 7: BW 4 - Var. 4, 1. FM, BK 30/ 30, DIN 1072: 1985 3.2.1 Schrittweite der Achslastüberführung Die Überführung der Achslasten erfolgt anhand einer zuvor festgelegten Schrittweite. Im Hinblick der in grün abgebildeten Einflusslinien, siehe Abbildungen 4 bis 7, ist ersichtlich, dass eine zu hohe Schrittweite die Ergebnisse, bzw. Blockmaxima, verfälschen kann, jedoch wird in den nachfolgenden Abbildungen ebenfalls zu sehen sein, dass die Aussagekraft der Analyse sich ab einer gewissen Schwelle nicht mehr wesentlich verbessert. In diesem Zusammenhang ist zudem auszusagen, dass die Berechnungszeit linear im Verhältnis der Verringerung der Schrittweite zunimmt. Um diesen Sachverhalt zu untersuchen werden die Jahresdatensätze der stationären AMS 5701 und 5705 untersucht. Die AMS 5701 trägt den Namen „Stukenbrock“ und befindet sich auf der A33. Die Fahrtrichtung 1, bzw. Variante 3, hat zum Fernziel Bielefeld und zum Nahziel Schloß-Holte-Stukenbrock. Das Fernziel Paderborn und das Nahziel Stukenbrock-Senne hat die Fahrtrichtung 2, bzw. Variante 5. Die AMS 5705 trägt den Namen „Reken“ und befindet sich auf der A31. Die Fahrtrichtung 1, bzw. Variante 3, hat zum Fernziel Emden und zum Nahziel Borken. Das Fernziel Bottrop und das Nahziel Reken hat die Fahrtrichtung 2, bzw. Variante 5. Nähere Informationen zu den AMS sind auf der Webseite der BASt im Bereich der Achslasterfassung zu finden [3]. Obwohl die Verkehrszähldaten, die Aufteilungen der Fahrzeugarten sowie die Achs- und Gesamtgewichtsverteilungen des Schwerverkehrs grundlegende Ähnlichkeiten zwischen den beiden AMS und ihren Fahrspuren aufweisen, unterscheiden sich die untersuchten Einwirkungen der verschiedenen Verkehrsströme auf die unterschiedlichen Brückenbauwerke erheblich. Grund hierfür ist die unterschiedliche Häufigkeit und das Gewicht der aufgezeichneten Groß- und Schwerlasttransporte, bzw. der Fahrzeugtypen 0 und 108, die bei einer Vielzahl von Untersuchungen den Großteil der maßgebenden Fahrzeuge der Schnittgrößenermittlung der Blockmaxima repräsentieren. Durch eingehende Prüfung der Fahrzeuge mit dem Typ 0 „unbekannter Fahrzeugtyp / nicht zuordnungsbares Fahrzeug“ kann ausgesagt werden, dass es sich im Zuge der vorliegenden Analyse um falsch oder nur in Teilen erfasste Fahrzeuge des Typs 108 handelt. Die entsprechenden Korrekturalgorithmen wurden bereits in der Datenaufbereitung und -auswertung eingepflegt, wodurch die entsprechenden Fahrzeuge des Typs 0 dem Fahrzeugtyp 108 zugewiesen wurden. Nachfolgend werden die Fahrzeuge als „maßgebend“ bezeichnet, deren Überführung der Einflusslinie den größten Schnittgrößenanteil der jeweiligen Tagesmaxima und -minima der Feld- und Stützmomente hervorgerufen hat. Demnach spielt die Häufigkeit eines Fahrzeugtyps nur eine untergeordnete Rolle im Hinblick auf die Aufteilung der maßgebenden Fahrzeuge auf die unterschiedlichen Fahrzeugtypen. Als Beispiel könnte der Fahrzeugtyp 108 im Rahmen von Tagesmaxima einen Anteil von 100% an den maßgebenden Fahrzeugen aufweisen, sofern an jedem Tag des Untersuchungszeitraums ein Fahrzeug des Typs 108 den größten Anteil des höchsten Feldmoments erzeugt. Die Schrittweitenanalyse stützt sich auf drei Kriterien, die jeweils einen Vergleich mit den Ergebnissen der kleinsten Schrittweite darstellen, die lediglich 0,5 % der Stützweite, bzw. der kleinsten Stützweite, des untersuchten Bauwerks beträgt. Die Balkendiagramme der Abbildungen 8 bis 11 visualisieren an ausgewählten Beispielen die entsprechenden Kriterien. Bei jeder Balkengruppe (blauer, roter und gelber Balken) handelt es sich um eine eigenständige Analyse, die sich lediglich in der Schrittweite von den übrigen Balkengruppen unterscheidet. Das erste Kriterium (linker, blauer Balken) zeigt die Übereinstimmung der maßgebenden Fahrzeuge. Die Prozentzahlen zeigen an, wie viele der Blockmaxima, bzw. Tagesmaxima und -minima, durch dieselben Fahrzeuge der kleinsten Schrittweite erzeugt wurden. Da jedem einzelnen Fahrzeug bereits während der Datenaufbereitung eine einzigartige Kennung zugewiesen wurde, ist dieser Vergleich möglich. Im zweiten Kriterium (roter, mittlerer Balken) werden die jeweiligen Durchschnittswerte der Blockmaxima verglichen. Dieses Kriterium gibt unabhängig einer Extremwertverteilung direkt Auskunft über die Höhe der erzeugten Tagesmaxima und -minima. Der Vergleich der hergeleiteten charakteristischen Verkehrseinwirkungen stellt das dritte Kriterium (gelber, rechter Balken) dar. Die Extrapolation wurde anhand einer Wiederkehrperiode von 50 Jahren und, wie bereits erwähnt, der Gumbel-Verteilung durchgeführt. Im Hinblick auf die verfolgten Ziele der nachfolgenden Untersuchungen kann mit diesen Kriterien festgestellt werden, bis zu welcher Länge Schrittweiten aufweisen können, ohne dass die Genauigkeit der damit berechneten Ergebnisse soweit absinkt, dass die daraus gewonnenen Erkenntnisse und KPIs verfälscht werden. Darüber hinaus dient diese Untersuchung der Verifizierung der Stabilität des Analyseverfahrens, wodurch die Belastbarkeit der daraus gewonnen Ergebnisse gewährleistet werden kann. 52 Entwicklung der Verkehrseinwirkungen auf Bundesautobahnen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Im Zuge der nachfolgenden Auswertung ist darauf hinzuweisen, dass eine klare Korrelation zwischen dem Verlauf der Einflusslinien und der Abnahme der Übereinstimmung herrscht. Mit zunehmender Schrittweite sinkt insbesondere die Genauigkeit der Analysen, die mit Einflusslinien durchgeführt wurden, deren Verläufe an den maßgebenden Positionen Unstetigkeiten, bzw. Spitzen, aufweisen. Als Beispiel sinkt die Genauigkeit der Analyse des 1. Feldmoments eines zweifeldrigen Bauwerks erheblich stärker, als die Genauigkeit der Analyse dessen Stützmoments, vgl. Abbildungen 5 und 7 mit Abbildungen 9 und 11. Auf Grundlage der Analysekriterien und der aktuell verfügbaren Rechenleistung ist die Schrittweite von 5 % die ideale Wahl für die weiterführenden Untersuchungen. Die 32 durchgeführten Jahresauswertungen (AMS: 5701 & 5705; je Variante 3 und 5, 4 Bauwerke mit insgesamt acht untersuchten Schnittgrößen) liegen dieser Entscheidung zugrunde: Die durchschnittliche Übereinstimmung der maßgebenden Fahrzeuge beträgt 96,16 % im Vergleich zur Schrittweite von 0,5 %, der Durchschnitt der Blockmaxima 99,61 % und der Durchschnitt der charakteristischen 50-Jahreswerte 99,66 %. Abbildung 8: Schrittweitenanalyse: BW 1 Abbildung 9: Schrittweitenanalyse: BW 2 Abbildung 10: Schrittweitenanalyse: BW 3 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 53 Entwicklung der Verkehrseinwirkungen auf Bundesautobahnen Abbildung 11: Schrittweitenanalyse: BW 4 3.2.2 Inklusion von Fahrzeugen ohne Achslasten Die Inklusion von Fahrzeugen, deren Achslasten aufgrund ihrer unzureichenden Höhe, bspw. PKW, Krafträder oder Lieferwagen, von den stationären AMS nicht erfasst werden, wurde ebenfalls untersucht. Die Berücksichtigung von Fahrzeugen ohne erfasste Achslasten bietet Vor- und Nachteile: Anhand der Zeitstempel dieser Fahrzeuge erhält der Algorithmus zur Berechnung der Fahrzeugabstände mehr Zeitpunkte zur Anordnung der Fahrzeuge auf den jeweiligen Fahrspuren. Da die Abstände der Fahrzeuge der Überholfahrspuren auf Grundlage der auf den Hauptfahrspuren erfassten Fahrzeuge berechnet werden, ist davon auszugehen, dass bezogen auf die Überholfahrspuren die Realitätstreue der daraus resultierenden Achslastreihenfolge steigt. Im Gegensatz zur Reihenfolge, ist im Hinblick auf die Abstände der Fahrzeuge eher mit einer Abnahme der Realitätstreue zu rechnen, da Fahrzeuge, deren Achslasten nicht erfasst werden, in der Regel mit erheblich höheren Geschwindigkeiten gemessen werden, als die übrigen Fahrzeuge des Verkehrsstroms, bspw. LKW. Da sich die Abstände zwischen den Fahrzeugen aus deren Zeitdifferenz und Geschwindigkeit ergeben, führt die Inklusion dieser schnelleren Fahrzeuge zu einer Vergrößerung dieser Abstände. Da im Hinblick auf Blockmaxima derartige Fahrzeuge keine Rolle spielen, bzw. i.d.R. in den erfassten Fahrzeugabfolgen nicht vorhanden sind, oder in diesen Situationen eine dem Verkehrsstrom entsprechende Geschwindigkeit aufweisen, ist davon auszugehen, dass die Inklusion derartiger Fahrzeuge im Rahmen der vorgestellten Analyseverfahren zu keiner wesentlichen Veränderung der Ergebnisse führt. Die diesbezügliche Untersuchung, die analog zur Schrittweitenanalyse erfolgt ist, belegt diese Annahme: Im Zuge der drei vorgestellten Kriterien, siehe Abbildungen 8 bis 11, ergeben sich anhand der Jahresauswertungen der AMS 5701 und 5705 nahezu identische Ergebnisse. Der Vergleich unterschiedlicher Schrittweiten hat ergeben, dass die diesbezüglichen Übereinstimmungen der maßgebenden Fahrzeuge, siehe Kriterium 1, sich mit den Ergebnissen der vorherigen Schrittweitenanalyse decken, also mit zunehmender Schrittweite stetig weiter abnehmen. Aufgrund der Veränderung der Abstände der Achslasten kommen die Ungenauigkeiten der Schrittweiten im gleichen Maß erneut zum Tragen, wodurch dieses Ergebnis zu erwarten gewesen ist. Im Zuge der Durchschnittswerte der Blockmaxima sowie der hergeleiteten charakteristischen Verkehrseinwirkungen, siehe Kriterium 2 und 3, ergeben sich auch mit zunehmender Schrittweite nur geringfügige Differenzen, bspw. ± 0,03 % und ± 0,1 % bei einer Schrittweite von 5 %. Im Hinblick auf die Inklusion von Fahrzeugen ohne erfasste Achslasten kann somit ausgesagt werden, dass diesbezüglich keine relevanten Veränderungen der Ergebnisse der vorgestellten Analyseverfahren zu beobachten sind. Da jedoch ein signifikanter Anteil der Berechnungszeit, ca. 30 %, durch die Exklusion derartiger Fahrzeuge eingespart wird, wird im Weiteren auf die Inklusion von Fahrzeugen ohne erfasste Achslast verzichtet. 3.3 Ergebnisse 3.3.1 Auswertung der Blockmaxima und charakteristischen Verkehrseinwirkungen Im Rahmen der nachfolgenden Abbildungen und der variantenbezogenen Analyse und Auswertung der AMS- Datensätze ist darauf hinzuweisen, dass auch die Vergleichswerte der normenbasierten Lastmodelle und Brückenklassen entsprechend der untersuchten Fahrspuren angepasst wurden. Demzufolge werden bei den Varianten 3 und 5 lediglich die Hauptfahrspuren betrachtet, wodurch die normenbasierten Vergleichswerte nicht den Widerstand der Bauwerke wiederspiegeln. Am Beispiel der Abbildung 13 ist daher für das Lastmodell 1 des Eurocodes 1 nur ein Moment von 4620 kNm angegeben. Im Hinblick auf Bundesfernstraßen ist allerdings davon auszugehen, dass mindestens eine Überholfahrspur je Fahrtrichtung, bzw. eine entsprechende Bauwerksbreite, vorhanden ist, wodurch sich diesbezüglich mindestens ein Moment von 7400 kNm ergeben würde, siehe Legende in Abbildung 4. Die nachfolgenden Untersuchungen fokussieren sich aufgrund der lückenhaften Datenlage auf die AMS 5705 und Variante 3. Die Feldmomente der Bauwerke 1 und 3 bieten sich diesbezüglich an, um den Einfluss der Stützweite auf die durchschnittlichen und charakteristischen Verkehrseinwirkungen zu verdeutlichen. Im Zuge der Datenauswertung ist darauf hinzuweisen, dass nicht zuordnungsbare Fahrzeuge, bzw. deren Fahrzeugtyp als unbekannt („0“) gekennzeichnet wurde, im Rahmen hier nicht weiter aufgeführter Untersuchungen analysiert 54 Entwicklung der Verkehrseinwirkungen auf Bundesautobahnen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 wurden. Diese ergab, dass es sich bei diesen nicht zuordnungsbaren Fahrzeugen im Fall eines Blockmaximas i.d.R. um ein falsch oder in Teilen erkanntes Fahrzeug des Typs 108 handelt. Daher wurden diese Fahrzeuge dem Fahrzeugtyp 108 zugeschrieben, da dessen Definition „Sonderfahrzeug mit beliebig vielen Achsen und Achskombinationen“ [1] in den untersuchten Fällen passend angewendet werden konnte. Auf den Abbildungen 12 und 14 ist die Entwicklung der durchschnittlichen Blockmaxima der Jahre 2011 bis 2017 visualisiert worden. Es wurden nicht nur Durchschnittswerte aller Tagesmaxima, sondern auch die Durchschnittswerte der entsprechenden Anteile angegeben, die unter Beteiligung und Ausschluss des Fahrzeugtyps 108 entstanden sind. Die jährlichen und seit 2011 entstandenen Veränderungen wurden ebenso angegeben, wie die Prozentsätze der Fahrzeugtypen, die für die meisten Tagesmaxima des entsprechenden Jahres maßgebend gewesen sind, hier stets Fahrzeugtyp 108. Die Abbildungen 13 und 15 betrachten auf ähnliche Art und Weise die charakteristischen Verkehrseinwirkungen, die mit einer Wiederkehrperiode von 1000 Jahren und der Gumbel-Verteilung hergeleitet wurden. Diesbezüglich findet ein Vergleich zwischen den aus den gesamten Verkehrsdaten hergeleiteten Einwirkungen und den Einwirkungen, die unter Ausschluss des Fahrzeugtyps 108 hergeleitet wurden, statt. Die in Blau dargestellten Schnittgrößen wurden auf Grundlage aller plausiblen Fahrzeuge berechnet, wohingegen die in Rot dargestellten Schnittgrößen nur auf Tagesmaxima beruhen, die keine Achslast eines Fahrzeugtyps 108 enthalten. Die Tagesmaxima des Fahrzeugtyps 108 fanden demnach in diesem Fall keine Beachtung und wurden durch Maxima ersetzt, die ausschließlich aus Achslasten der übrigen Fahrzeugtypen im gleichen Zeitraum, bzw. am selben Tag, gebildet wurden. Zu Vergleichszwecken wurde die Schnittgröße des Lastmodells 1 des Eurocodes 1 (nur Hauptfahrspur) sowie das Jahresmaximum, bzw. das höchste Tagesmaximum des Jahres, mit dem dazugehörigen maßgebenden Fahrzeugtyp abgebildet. Aus den Abbildungen 12 bis 15 ist zu entnehmen, dass sich die Fahrzeuge des Typs 108 maßgeblich von den übrigen Fahrzeugen des Verkehrsstroms abgrenzen. Zwar ist dieser Fahrzeugtyp nur selten im gesamten Verkehrsaufkommen vertreten, in Bezug auf Blockmaxima wird er jedoch maßgebend. Nicht nur weisen diese Fahrzeuge in diesem Zusammenhang erheblich höhere Durchschnittswerte auf, sondern bilden diesbezüglich auch die absolute Mehrheit der maßgebenden Fahrzeuge. Abbildung 12: Entwicklung der Blockmaxima: BW 1 Abbildung 13: Entwicklung der char. Verkehrseinwirkungen: BW 1 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 55 Entwicklung der Verkehrseinwirkungen auf Bundesautobahnen Abbildung 14: Entwicklung der Blockmaxima: BW 3 Abbildung 15: Entwicklung der char. Verkehrseinwirkungen: BW 3 Der Einfluss des Fahrzeugtyps 108 auf die Herleitung charakteristischer Verkehrseinwirkungen ist erheblich, wie der Vergleich der unterschiedlich hergeleiteten Schnittgrößen beweist. Die Jahresmaxima zeigen, dass es sich in Teilen um Fahrzeuge handelt, deren Einwirkungen im Hinblick auf die Hauptfahrspur bei Bauwerken mit geringen Stützweiten an das Lastmodell 1 des Eurocodes 1 heranreichen. Die Nähe der Jahresmaxima zu den charakteristischen 1000-Jahreswerten, die ohne den Fahrzeugtyp 108 gebildet wurden, lässt zudem die zwingende Notwendigkeit deutlich werden, derartige Fahrzeuge nicht nur bei der Herleitung von charakteristischen Verkehrseinwirkungen zu berücksichtigen, sondern auch im Hinblick ihrer extrapolierten Schnittgrößen, siehe Abbildung 13 und 15, weitergehenden Untersuchungen zu unterziehen, um das Potenzial der von diesem Fahrzeugtyp hervorgerufenen Einwirkungen besser einschätzen zu können. Eine anfängliche Untersuchung der beobachteten, maßgebenden Fahrzeuge des Typs 108 hat ergeben, dass es sich um Fahrzeuge mit außergewöhnlich hohen Achslasten und geringen Achsabständen handelt, deren Gesamtgewichtsverteilung und Achsanordnung dennoch plausibel erscheinen. Die untypischen Fahrzeugeigenschaften lassen jedoch bereits vermuten, dass es sich in Teilen um militärische Fahrzeuge handelt, da verkehrsübliche Schwerverkehrsfahrzeuge unter derartigen Achslasten nicht fahrtauglich wären, bzw. in kurzer Zeit größere Schäden aufweisen würden. Entsprechend dieser Erkenntnis sind die geltenden, pauschalen Plausibilitätsgrenzen der Achslasten für den Fahrzeugtyp 108 zu überdenken, bzw. zu entfernen, und durch automatisierte, intelligente Einzelfallprüfungen zu ersetzen. Die damit verbundene Plausibilisierung von Fahrzeugen mit Achslasten über 20 Tonnen könnte den beschriebenen Einfluss des Fahrzeugtyps 108 weiter steigern. Diesbezüglich erscheint es als ratsam eine Sammlung derartiger Fahrzeuge anzulegen, um auch anderen Forschungsprojekten, bzw. deren Verkehrssimulationen, eine Datengrundlage zu liefern, die diese schwergewichtigen Fahrzeuge mit u.a. außergewöhnlichen Achslasten beinhaltet. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Ergebnisse des Bauwerks 1 und 3 lässt sich der Einfluss der Stützweite erkennen. Da das Brückenbauwerk 1 lediglich über eine Stützweite von 20 m verfügt und somit die Tagesmaxima i.d.R. nur von einem Fahrzeug gebildet werden, spielen die Verkehrssituationen, bzw. die Reihenfolge und Abstände der Fahrzeuge, keine Rolle, wodurch keine Differenz zwischen fließendem und Stau-Verkehr wahrgenommen werden kann. Demnach erhalten die einzelnen maßgebenden Fahrzeuge, häufig Fahrzeuge des Typs 108, einen stärkeren Einfluss auf die Ergebnisse, als es bei Brückenbauwerken mit größeren Stützweiten der Fall wäre, deren Tagesmaxima i.d.R. durch mehrere Fahrzeuge gebildet werden. Bei den vorliegenden Ergebnissen handelt es sich um eine Simulation realer Verkehrseinwirkungen, die mit Hilfe stationärer AMS aufgezeichnet wurden. Da diese Messstellen Fahrzeuge mit sehr geringen Geschwindigkeiten nicht, nur teilweise oder ungenau erfassen, wird Stauverkehr unzureichend betrachtet und bleibt bei den aktuellen Simulationen nahezu unberücksichtigt. Zur Simulation des Stauverkehrs wird aktuell ein Algorithmus auf Basis der realen Verkehrseinwirkungen entwickelt, der diese Betrachtungslücke füllen soll. Demnach ist zu erwarten, dass für Brückenbauwerke mit größeren Stützweiten sowohl die Durchschnittswerte der Tagesmaxima, als auch die damit hergeleiteten charakteristischen Verkehrseinwirkungen im Vergleich zu Abbildung 14 und 15 ansteigen werden und in diesem Zusammenhang die Dominanz des Fahrzeugtyps 108 abnehmen wird, da diese Fahrzeuge i.d.R. zu Uhrzeiten unterwegs sind, in denen ein fließender Verkehr herrscht. 56 Entwicklung der Verkehrseinwirkungen auf Bundesautobahnen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 3.3.2 Entwicklung der Verkehrseinwirkungen Schließlich ist auf die Entwicklung der beobachteten Verkehrseinwirkungen einzugehen: Zwar ist die Aussagekraft der Ergebnisse durch die fehlende Berücksichtigung des Stauverkehrs und die lediglich punktuelle Datenerfassung, die sich nur auf einen Standort (AMS 5705), Fahrtrichtung und Fahrspur (Variante 3) bezieht, deutlich eingeschränkt, jedoch kann im Hinblick sämtlicher Ergebnisse, die in Teilen den dominanten Fahrzeugtyp 108 ausblenden, Folgendes ausgesagt werden: Im Rahmen der Bauwerke 1 und 3 konnte im Hinblick der Jahre 2011 bis 2013 ein geringfügiger Abfall des Feldmoments beobachtet werden, wohingegen ab dem Jahr 2014 ein stetiger und in Teilen deutlicher Zuwachs zu verzeichnen war. Diese Entwicklungen geben aufgrund der beschriebenen Methodik eher Auskunft über die Eigenschaften und die Häufigkeit von Fahrzeugen mit besonders schwergewichtigen Achslasten, jedoch können die Entwicklungen auch in Teilen durch die vorhandenen Verkehrszähldaten nachvollzogen werden. Diesbezüglich sind die entsprechenden Datenlücken zu berücksichtigen. Da die Monatsdatensätze der AMS auch in den Auswertungen der Achslasterfassung der BASt untersucht wurden, lassen sich dort ebenfalls die beobachteten Entwicklungen in anderer Form, bzw. im Rahmen der Schwerverkehrssowie Gesamt- und Achsgewichtsverteilungen, wiederfinden. In Anbetracht der angestrebten Weiterentwicklung der Methodik und der daran anschließenden Gesamtauswertung des Datenbestandes der stationären AMS, die anhand von ausgewählten, den Brückenbestand repräsentierenden Bauwerken durchgeführt werden soll, ist zu erwarten, dass zukünftig konkrete, flächendeckende Aussagen über die Entwicklung der Verkehrseinwirkungen auf Bundesfernstraßen getroffen werden können. Auf diesem Weg sollen zunächst für die Streckenzüge der Bundesautobahnen und im Weiteren für Bundesstraßen KPIs gebildet werden, die die Praxis des Erhaltungsmanagements mit Hilfe objektspezifischer Kennwerte über die Höhe und Entwicklung der Verkehrsbeanspruchung von Brückenbauwerken unterstützen sollen. 3.4 Fazit Mit den ausgewerteten Monatsdatensätzen der AMS 5705 der Jahre 2011 bis 2017 konnte der maßgebende Einfluss des Fahrzeugtyps 108 auf die untersuchten Verkehrseinwirkungen herausgestellt werden. Es wurde festgestellt, dass im Zusammenhang der damit verbundenen Sensitivität der vorgestellten Analyse eine intensive Untersuchung und Plausibilisierung dieser Fahrzeuge notwendig ist, um eine ausreichende Datenqualität und somit auch die Aussagekraft der daraus gewonnenen Ergebnisse sicherzustellen. Durch die punktuelle Datenerfassung und fehlende Berücksichtigung des Stauverkehrs, die bei Brückenbauwerken mit größeren Stützweiten zum Tragen kommt, ergeben sich noch keine aussagekräftigen Ergebnisse über die Entwicklung der Verkehrseinwirkungen, jedoch erweist sich die vorgestellte Methodik in Verbindung mit den aufgeführten Änderungen, Erweiterungen und Verbesserungen als brauchbar, um die angestrebte Zielvorstellung, die Ableitung aussagekräftiger Kennwerte über die Höhe und Entwicklung der Verkehrsbeanspruchung von Brückenbauwerken, zu erreichen. 3.5 Ausblick Die Bearbeitung des Teilvorhabens der BASt des Verbundforschungsprojekts BrAssMan folgt einem festgelegten Arbeitsplan. Im Zusammenhang der Generierung netzweiter KPIs über die Höhe und Entwicklung der Verkehrsbeanspruchung von Brückenbauwerken gestalten sich die anstehenden Schritte wie folgt. Zunächst wird die Simulation von Stauverkehr in die Algorithmen der Analyse eingebunden. Parallel dazu wird eine automatisierte Datensammlung außergewöhnlich schwergewichtiger Fahrzeuge, die sich auf den Typ 108 konzentriert, implementiert. Danach werden alle bisher erfassten Monatsdatensätze der stationären AMS der beschriebenen Analyse unterzogen. Dies geschieht vor dem Hintergrund der bis dahin ausgewählten, repräsentativen Brückenbauwerke. Die bereits angekündigte, tiefgehende Untersuchung des Fahrzeugtyps 108 folgt zusammen mit der Entwicklung dessen individualisierter Plausibilitätsprüfung. Schließlich werden nach der Herleitung charakteristischer Verkehrseinwirkungen mit Hilfe der normenbasierten Lastmodelle und Brückenklassen bauwerksunabhängige Vergleichswerte gebildet, die zusammen mit den dazugehörigen, normalisierten Verkehrszähldaten die Lerndatensätze der Regressionsmodelle bilden. Die Anwendung der Modelle auf die historisierten Datensätze der Dauerzählstellen der Bundesfernstraßen, aktuell 2.013 Messstellen [2], liefert die angestrebten, flächendeckenden KPIs. Diese historisierten KPIs werden über die Zuordnung der Streckenabschnitte zu den Dauerzählstellen und die Zugehörigkeit der Bauwerke zu ihren Streckenabschnitten auf die Brücken übertragen. Die Höhe der Verkehrsbeanspruchung wird für jedes Brückenbauwerk anhand des aktuellsten KPIs wiedergegeben. Der KPI der Entwicklung wird auf Basis der zu erwartenden jährlichen Veränderung gebildet. Hierzu wird der jährliche Verlauf, bzw. die jährliche Steigung, der historisierten KPIs sinngemäß extrapoliert. Die beiden beschriebenen KPIs werden abschließend zu einem Teil des intelligenten Asset Managements, das im Rahmen des Projekts BrAssMan entwickelt wird. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 57 Entwicklung der Verkehrseinwirkungen auf Bundesautobahnen 4. Projektkonsortium Das Verbundforschungsprojekt BrAssMan wird gemeinschaftlich durch die folgenden Partner bearbeitet: • Wölfel Engineering GmbH + Co. KG (Wölfel) • Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) • Leonhardt, Andrä und Partner Beratende Ingenieure VBI AG (LAP) • RWTH Aachen (RWTH) • avato consulting AG (avato) Literatur [1] Bundesanstalt für Straßenwesen, TLS 2012, „Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt): Regelwerke/ Verkehrstechnik“, 26.04.2021. [Online]: https: / / www.bast.de/ BASt_2017/ DE/ Publikatione n/ Regelwerke/ Verkehrstechnik/ Unterseiten/ V5-tls -2012.pdf? __blob=publicationFile&v=1. [2] Bundesanstalt für Straßenwesen, Verkehrszählung, „Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt): Verkehrstechnik/ Verkehrszählung“, 26.04.2021. [Online]: https: / / www.bast.de/ BASt_2017/ DE/ Ver kehrstechnik/ Fachthemen/ v2-verkehrszaehlung/ A ktuell/ zaehl_aktuell_node.html. [3] Bundesanstalt für Straßenwesen, Achslasterfassung, „Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt): Statistik/ Achslast“, 26.04.2021. [Online]: https: / / www.bast.de/ BASt_2017/ DE/ Statistik/ Ach slast/ Achslast_node.html. [4] Bundesamt für Güterverkehr, Tabellen des Bundesamts für Güterverkehr (BAG) für Zielkontrollen: Vor- und Nachverwiegung: 2013 bis 2020, 2020. [5] StVZO, „Webseite des Bundesamts für Justiz“, 26.04.2021. [Online]: https: / / www.gesetze-im-inte rnet .de/ stvzo_2012/ . [6] J. D. Holmes und S. A. Bekele, Wind Loading of Structures, Fourth Edition, Boca Raton, FL 33487- 2742: CRC Press, 2021. [7] A. Socher und M. Müller, „Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement“, Tagungshandbuch 2020: 4. Brückenkolloquium: Fachtagung für Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken, S. 253 - 258, 2020. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 59 Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung Achim Geßler RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Dr. Benno Hoffmeister RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Thorben Geers RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Dominik Honerboom Leonhardt, Andrä und Partner, Stuttgart, Deutschland Rainer Jergas Leonhardt, Andrä und Partner, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Das Verbundforschungsvorhaben BrAssMan hat zum Ziel, das bisherige Erhaltungsmanagement von Straßenbrücken mit bestandsübergreifenden Datenanalysen (Prognosemodelle, Dauermesssysteme, Kennwerte) zu ergänzen. Hierfür sind von den assoziierten Partnern des Projektes - Straßen.NRW und LBM Rheinland-Pfalz - Brückenbauwerke zur Verfügung gestellt worden, die im ersten Schritt zu drei Bauwerksclustern zusammengefasst wurden: Cluster 1: „Koppelfugen“; Cluster 2: „orthotrope Fahrbahnplatte“; Cluster 3: „Hänger/ Seile“. Für ausgewählte Brücken der jeweiligen Bauwerkscluster wurden numerische Modelle („digitaler Zwilling“) mit Finite- Elemente-Software erstellt und die relevanten Nachweise mit den Bemessungslastmodellen der Nachrechnungsrichtlinie (Ermüdungslastmodell 3 und 4) geführt. Durch Sensitivitätsanalysen lassen sich für diese Brücken Grenzwerte ableiten bzw. definieren, die zur Entwicklung von Performance-Parametern herangezogen werden können, welche wiederum mit angepassten standardisierten Messsystemen zunächst verifiziert und dann überwacht werden können. 1. Brückenbauwerksclusterung Die Bewertung des Bestandes der insgesamt ca. 40.000 Brücken des Bundes erfolgt nach DIN 1076 [1]: Alle 6 Jahre ist eine Hauptprüfung (H) vorgesehen, die eine handnahe Untersuchung aller Bauwerksteile vorsieht. Die bei der Bauwerksprüfung erfassten Schäden und Mängel werden in Prüfberichten mit Hilfe des Programmsystems SIB-Bauwerke nach den Kriterien Standsicherheit (S), Verkehrssicherheit (V) und Dauerhaftigkeit (D) je Bauteilgruppe dokumentiert und bewertet. Mit den erfassten Daten werden Bestandsaussagen und Statistiken erstellt, die Grundlage des Erhaltungsmanagements sind [3]. Das mFund Forschungsprojekt Brücken Asset Management (BrAssMan) beschreitet den Weg hin zum intelligenten Asset Management mit datenbasierten Zustandsaussagen, die nicht nur für eine Brücke, sondern unter Verwendung von Einheitsmodellen, Standardmesssystemen und vergleichenden Kennwerten (KPI) für mehrere vergleichbare Brücken getroffen werden können. Zur Veranschaulichung des Ansatzes und zur Sicherstellung einer homogenen Datenbasis (auch für künftige weitergehende Entwicklungen) wurden vor dem Hintergrund des Brückenbestandes aus einer größeren Anzahl ausgewählter Brücken struktur-, verhaltens- und altersähnliche Bauwerke zusammengefasst. Das Ziel ist dabei die Auswahl bestgeeigneter Brücken für weitere Untersuchungen sowie die Definition bauweisenspezifischer Kriterien (Massiv-, Stahl- und Verbundbrücken) für eine Clusterbildung. Hierbei soll darauf geachtet werden, dass einheitliche Modellierbarkeit und einheitliche Messkonzeption möglich sind. Durch die am Projekt als assoziierte Partner beteiligte Straßenbauverwaltungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz (Straßen.NRW und LBM) wurden ca. 100 Brückenbauwerke vorausgewählt, welche dann genauer analysiert wurden. Nach einer Vor-Clusterung Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung 60 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 durch die Projektpartner der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) wurden drei dieser Cluster genauer spezifiziert und jeweils einzelne repräsentative Bauwerke für die weiteren Untersuchungen ausgewählt. Im ersten Schritt wurde das Bauwerkscluster Hohlkastenbrücken (allgemein), mit den Kriterien der Bauart Hohlkastenbrücken, des Baustoffes Spannbeton und des statischen Systems mehrfeldrig mit Durchlaufwirkung, gebildet. Mit Bezug auf typische Defizite, insbesondere im Hinblick auf die Ermüdung an Koppelfugen, wurden weitere Kriterien ergänzt und ein Bauwerkscluster 1 Hohlkastenbrücken definiert: Unter den 41 zur Verfügung gestellten Brückenbauwerken der Bauart Hohlkastenbrücke erfüllten 39 Teilbauwerke das Kriterium, einer vorhandenen Koppelfuge. In der Vor-Clusterung der BASt sind zwei weitere Cluster (Bogenbrücken und Schrägseilbrücken) vorgestellt worden, welche Stahl- und Verbundfahrbahnen enthalten. Im nächsten Schritt wurden die Brücken aus diesen Vor-Clustern genauer hinsichtlich ihrer Bauteile analysiert. Alle Stahlbrücken haben eine orthotrope Fahrbahnplatte. Eine orthotrope Fahrbahnplatte weist bestimmte potenzielle Schadenscharakteristika auf. Diese lassen sich in vier Kategorien einteilen [4]. Aufgrund dieser bereits etablierten Schadenskategorien ist eine Vergleichbarkeit von verschiedenen Ausführungen von orthotropen Platten auf Grund aufgetretener Schäden möglich. Dementsprechend ist es sinnvoll, diese Brücken in einem Cluster (Bauwerkscluster 2 - orthotrope Fahrbahnplatte) zusammen zu fassen: 28 Teilbauwerke können Cluster 2 zugeordnet werden. In allen in der oben angeführten Vor-Clusterung vorgestellten Bauwerken übernehmen Hänger bzw. Seile Zugkräfte. Zudem ähneln sie sich vom Querschnitt und dem Aufbau her: In der Regel werden im Straßenbau Rundstähle verwendet [5]. Es ist somit naheliegend, hierauf basierend ein weiteres Cluster (Bauwerkscluster 3 - Hänger und Seile) festzulegen. Aus der Vorauswahl der Straßenbauverwaltung kommen hierfür 16 Teilbauwerke infrage. 2. Untersuchungen am Brückencluster 1: „Koppelfugen“ Um die strukturellen Eigenschaften, d.h. tragfähigkeitsrelevanten Eigenschaften von Brücken besser zu erfassen und zu bewerten, wurde Ende 2018 für Bundesautobahnen und zum Jahreswechsel 2019/ 2020 für Bundesstraßen der Traglastindex als weiterer Kennwert zur Beurteilung der Bestandsbrücken eingeführt. Das primäre Einstufungskriterium in die fünf Indexstufen I bis V ist der Vergleich zwischen der Soll-Tragfähigkeit, welche dem Ziellastniveau der Bestandsbrücke entspricht und in der Nachrechnungsrichtlinie in Abhängigkeit der Verkehrsstärke, Verkehrzusammensetzung und des Straßenquerschnittes geregelt ist, und der Ist- Tragfähigkeit, welche sich aus der Einstufung des Tragwerks in die normativ geregelte Brückenklasse (BK) ergibt und im Rahmen von Nachrechnungen erhöht bzw. zugeordnet werden kann. Als weiteres wesentliches Kriterium, das in diese Einstufung mit einfließt, wird die Ermüdungssicherheit der Koppelfugen bei Bauwerken bis Baujahr 1980 (Änderung der normativen Bemessungsregeln) betrachtet. Vor diesem Hintergrund wurden aus den 41 zur Verfügung gestellten Brückenbauwerken unter folgenden Kriterien: • Bauart: Hohlkastenbrücke (Ein- oder zweizellige Querschnitte) • Baustoff: Spannbeton • Statisches System: Mehrfeldrig mit Durchlaufwirkung (Koppelfugen vorhanden) • Bauverfahren Überbau: mittels Traggerüst bzw. Hilfsstützen (inkl. Vorschubrüstung) • Baujahr: vor 1980 • DTV-SV-Aufkommen: mehr als 8000 Fz • Grundrisskrümmung: gering (R > 1500) • Querschnitte: symmetrisch, ohne Aufweitung fünf Bauwerke für die weiteren Untersuchungen und eine Ausrüstung mit Messtechnik ausgewählt: 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 61 Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung Cluster Bauwerksname Bauwerksnummer Teilbauwerk Baujahr Gesamtlänge [m] 1 Talbrücke Alzey 6214541 1 (FR Nord) 1975 549,7 2 (FR Süd) 1 Talbrücke Pfeddersheim 6315537 A1 (FR Ko) 1975 208,7 A2 (FR Lu) B1 (FR Ko) 437 B2 (FR Lu) C1 (FR Ko) 344,7 C2 (FR Lu) D1 (FR Ko) 481 D2 (FR Lu) 1 Ahrtalbrücke 5408609 A1 (FR K) 1976 910,2 A2 (FR Ko) B1 (FR K) 611 B2 (FR Ko) 1 Allerheiligenbergbrücke 5611731 A 1977 501,5 1 Talbrücke Weinheim 6214569 1 (FR Mz) 1981 1249,5 2 (FR Kl) Tabelle 1: Auswahl Brückenbauwerke für Cluster 1 Basis für die Ausrüstung mit Messtechnik ist zunächst eine Bewertung der Brückenbauwerke durch Berechnungen nach der Nachrechnungsrichtlinie [2]. Von allen ausgewählten Brücken werden numerische Modelle in Finite Elemente Programmen erstellt - hierzu sind zunächst die vorhandenen Bestandsdaten der Straßenbauverwaltung auszuwerten und durch eigene Ortstermine mit ggf. zusätzlicher Aufnahme von zum Teil fehlenden Vermaßungen zu ergänzen. Für die fünf Brückenbauwerke ergeben sich daraus im Einzelnen folgende Erkenntnisse: Bei der Talbrücke Pfeddersheim (Bild 1) konnte, gemäß Handlungsanweisung zur Beurteilung der Dauerhaftigkeit vorgespannter Bewehrung an älteren Spannbetonüberbauten von 2005, die Dauerhaftigkeit der Koppelfugen nicht nachgewiesen werden und es wurde eine Verstärkung mit externen Spanngliedern empfohlen, welche 2015 umgesetzt wurde. Abbildung 1: Talbrücke Pfeddersheim Bauwerksuntersicht (oben); Hohlkasten-Innenansicht mit erkennbaren Querfugen (unten) Der Nachweis des Ankündigungsverhaltens aufgrund der SpRK-Gefährdung konnte 2014 gemäß Handlungsanweisung des BMVBS erbracht werden. Für die Talbrücke Alzey konnte ebenfalls die Dauerhaftigkeit der Koppelfugen nicht nachgewiesen werden und es wurde eine Verstärkung mit externen Spanngliedern empfohlen. Anhand des Einstufungsberichtes und der Übersichtblätter lässt sich schlussfolgern, dass 2006 eine alternative Berechnung die Restnutzungsdauer von mehr als 90 Jahren ergab und die Umsetzung der obigen Maßnahme damit entfallen konnte. In der Nachrechnung von 2012 ergaben sich für die Ahrtalbrücke keine Ermüdungsdefizite. Gemäß Handlungsanweisung zur Beurteilung der Dauerhaftigkeit vorgespannter Bewehrung an älteren Spannbetonüberbauten von 2004 konnte die Dauerhaftigkeit der Koppelfugen nachgewiesen werden. Für die Allerheiligenbergbrücke zeigt die Nachrechnung von 2015 in Stufe 1 Ermüdungsdefizite in den Feldbereichen und an den Koppelstellen. In Stufe 2 gemäß Nachrechnungsrichtlinie dürfen die Zwangsschnittgrößen (Temperatur und Stützensenkung) pauschal auf 40 % abgemindert werden; damit wären die Ermüdungsnachweise erfüllt. Streng genommen gilt die Abminderung der Zwangsschnittgrößen nur für den Grenzzustand der Tragfähigkeit infolge Rissbildung. Aus der aktuellen Analyse ergeben sich ebenfalls Überschreitungen der zulässigen Spannungs-schwingbreite für den vereinfachten Ermüdungsnachweis (ELM 3). Mit dem expliziten Be- Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung 62 triebsfestigkeitsnachweis (ELM 4) lässt sich jedoch eine ausreichende Nutzungsdauer erzielen. Die Talbrücke Weinheim befindet sich derzeit in der Nachrechnung. Gemäß Übersichtsblätter liegt eine SpRK-Gefährdung vor, die noch nicht untersucht wurde. Aus den aktuellen Analysen ergeben sich Überschreitungen der zulässigen Spannungsschwingbreite für den Spannstahl an zwei Koppelfugen. Die technischen und/ oder betriebswirtschaftlichen Key Performance Indikatoren lassen sich nach [6] in drei Kernbereiche unterteilen: • Verfügbarkeit, Nutzerinteressen und Sicherheit • Einnahmen- und Ausgabenmanagement • Zustand, Betrieb und Erhaltung Im Zuge des Forschungprojektes BrAssMan geht es primär um den dritten Kernbereich ‚Zustand, Betrieb und Erhaltung‘ und die Ausarbeitung und Entwicklung von technischen Kennzahlen, die den technischen Zustand einer Brücke in Bezug auf bestimmte Risiken und Schwachstellen oder Schadensbilder beschreiben und quantifizieren. Das Schadensbild bzw. die Risiko- und Schwachstelle des Cluster 1 bezieht sich auf die Ermüdung in der Koppelfuge. Bei der Definition der KPI wird unterschieden zwischen ‚Unmittelbar feststellbaren Indikatoren (abrupte Zustands- oder Verhaltensänderung)‘ und ‚Über längeren Zeitraum feststellbaren Indikatoren (graduelle Zustands- oder Verhaltensänderung)‘. Ein Ermüdungsversagen von Spannbetonbauteilen oder Bauwerken stellt sich i.A. nicht schlagartig ein. Sofern mehrere Spannglieder aus jeweils mehreren Drähten oder Litzen bestehen, erfolgt die Ankündigung über ein Anwachsen der Rissbreite des Betons, da der Ermüdungsbruch i.d.R. drahtweise erfolgt [7]. Daher handelt es sich bei diesem Schadensbild um einen zu entwickelnden Indikator, der über einen längeren Zeitraum die graduellen Zustandsänderungen beschreibt und aufzeigt. Zur Risikoidentifizierung werden die bauwerks-, bauteil- oder komponentenbezogenen Rechenmodelle der fünf Brückenbauwerke hinsichtlich der für die Ermüdungsnachweise der Koppelfugen relevanten Eingangsgrößen einer Sensitivitätsanalyse unterzogen. Wesentliche Eingangsgrößen des Ermüdungsnachweises im Spannbeton sind: (i) das Grundmoment M 0 (setzt sich zusammen aus den Einwirkungen infolge Eigengewicht, statisch unbestimmten Anteil der Vorspannung, Kriechen und Schwinden sowie den wahrscheinlichen Setzungen und der Temperaturbeanspruchung, insbesondere aus dem vertikalen Temperaturgradienten), (ii) das Dekompressionsmoment M D (besteht aus dem statisch bestimmten Anteil der Vorspannung unter Berücksichtigung aller sofortigen und zeitabhängigen Verluste; beim Ermüdungsnachweis wird dieser Anteil in den Koppelfugen zusätzlich auf 75 % (außerhalb von Koppelfugen auf 90 %) reduziert) und (iii) das Schwingbzw. Wechselmoment ΔM (ergibt sich aus den ermüdungsrelevanten Lasten, welche i.A. aus dem Schwerverkehr resultieren und normativ über die Ermüdungslastmodelle beschrieben werden). Dementsprechend wird bei Sensitivitätsanalysen in diesem Cluster die Vorspannkraft variiert: Diese hat extreme Auswirkungen auf den Nachweisausgang der Ermüdung. So führt eine Veränderung der Vorspannung von 70 % auf 85 % bei einer Berechnung der Schädigungen D nach Palmgren-Miner exemplarisch für die Talbrücke Alzey zu einer Reduktion von D = 4,3 auf D < 0,01. Hieraus lässt sich die Relevanz der genaueren Kenntnis der Vorspannkraftverluste aber auch die Kalibrierung des Dekompressionsmomentes MD im Zuge eines Messsystems ableiten. Das ausgearbeitete Messkonzept des Clusters 1 hat daher zum Ziel, über die direkte Korrelation zwischen der Rissdoppelamplitude zum Stoffgesetz des Spannstahls (ebenfalls im gerissenen Zustand II) bei einer Dauermessung mit verschieden gemessenen Temperaturgradienten, auch einen Anstieg bzw. Steigungswechsel der Rissdoppelamplitude zu erkennen, der den Übergang von Zustand I in den Zustand II kennzeichnet und somit das tatsächliche Dekompressionsmoment aufzeigt. Hierüber ließen sich die Abweichung des tatsächlichen Dekompressionsmomentes vom rechnerischen Dekompressionsmoment und damit ebenfalls die verschiedenen Grundmomente in Abhängigkeit des Temperaturgradienten kalibrieren. 3. Untersuchungen am Brückencluster 2: „orthotrope Fahrbahnplatte“ und Brückencluster 3: „Hänger/ Seile“ Aufgrund der Tatsache, dass alle Brücken aus Cluster 3 ebenfalls in Cluster 2 vertreten sind, ist es sinnvoll, dies bei der Auswahl der mit Messtechnik auszurüstenden Teilbauwerke zu berücksichtigen. Dadurch lassen sich an einem Bauwerk - und demzufolge auch an einem Modell - verschiedene Aspekte untersuchen. Von den nachfolgend vorgestellten Brücken wurden vier für beide Cluster gewählt und jeweils eine, die nur einem Cluster zugeordnet wird. Aufgrund der Relevanz für das Verkehrsnetz sind die Rheinbrücken besonders im Fokus der Untersuchungen - hier werden die Rheinbrücken Neuwied, Rees und Emmerich untersucht. Um die Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit der abschließend identifizierten KPI sicherzustellen, ist es sinnvoll, bei den ausgewählten Brücken des zweiten Clusters auch eine Verbundbrücke mit einem Trägerrost und eine Brücke mit einem alternativen Längssystem zu betrachten. Als Verbundbrücke ist die Datteln-Hamm-Kanal-Brücke besonders interessant, da diese Hauptträger, zusätzliche Längsträger und Querträger besitzt und somit als Hybridkonstruktion aus Trägerrost und orthotroper Platte betrachtet werden kann. Als weitere Brücke mit alternativem Längssystem (zweifeldrige Stegbrücke) wird das Teilbauwerk 2 der Dortmund-Unna-Brücke untersucht. Dieses Bauwerk weist viele gleichartige Schäden auf, so dass bei diesem Bau- 1.. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 63 Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung werk von systematischen Beanspruchbarkeitsdefiziten ausgegangen werden kann. Aufgrund der oben beschriebenen Relevanz werden die drei Rheinbrücken ebenfalls im Hinblick auf Cluster 3 untersucht. Mit den gewählten Rheinbrücken wird auch das Kriterium der unterschiedlichen Bauarten der Seilbrücken (Schrägseilbrücken mit sog. harfenförmiger oder fächerförmiger Anordnung, sowie eine Hängebrücke) im Cluster berücksichtigt. Die beiden ausgewählten Kanalbrücken ergänzen dementsprechend als Bogenbrücken diese Auswahl um den Bauteilparameter „Hänger“. Bei der Dortmund-Ems- Kanal-Brücke kommt dabei hinzu, dass dort bereits in der Vergangenheit Rissschäden an den Hängern dokumentiert worden sind. Es ergeben sich somit folgende Kandidaten für die Untersuchungen in Cluster 2 und 3, welche mit Messtechnik ausgestattet werden: Cluster Bauwerksname Bauwerksnummer Teilbauwerk Brückenbauart Schrägseilbrücke Hängebrücke Bogenbrücke mit abgehängter Fahrbahn Hohlkasten (Stahl) Stegbrücke (Stahl) 2/ 3 Rheinbrücke Neuwied 5510594 C x x 2/ 3 Rheinbrücke Emmerich 4103535 B x 2/ 3 Rheinbrücke Rees 4204507 B x x 2/ 3 Datteln- Hamm- Kanal A2 4313648 1 x 2 x 2 Dortmund- Unna A44 4411595 1 x 2 x 3 x 4 x 3 Dortmund- Ems- Kanal A30 3610645 A1 x A2 x Tabelle 2: Auswahl Brückenbauwerke für Cluster 2/ 3 Die Ermüdungsgefährdung eines Brückenbauwerks lässt sich anhand der in der Nachrechnungsrichtlinie für Stahl- und Verbundbrücken angegebenen Tabellen abschätzen. Sowohl für Stahlbrücken als auch für Verbundbrücken wurde hierzu jeweils eine einfache Bewertungsmatrix entwickelt, welche die gültigen Nachweise im Erbauungsjahr hinsichtlich wahrscheinlichem Instandsetzungs- und Ertüchtigungsbedarf der betrachteten Brücke bewertet [8]. Durch Aufsummierung der einzelnen Bewertungszahlen wird eine Gesamtkennzahl ermittelt: Je größer diese Kennzahl ist, desto wahrscheinlicher ist der Instandsetzungs- und Ertüchtigungsbedarf. Bei Stahlbrücken kann eine maximale Kennzahl von 28 erreicht werden, bei Verbundbrücken hingegen eine von 50. Die folgende Tabelle 3 zeigt, dass die Rheinbrücke Emmerich die größten Defizite aufweist (sehr nah an der maximalen Kennzahl). Die Rheinbrücke Rees weist ebenfalls große Defizite auf (Kennzahl 21 von max. 28). Die Dortmund- Unna-Brücke hat ein mittleres Gefährdungspotenzial. Die Gefährdung der anderen drei Brücken hinsichtlich Ermüdung (insbesondere der Dortmund-Ems-Kanal- Brücke) wird danach als gering eingestuft. Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung 64 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Tabelle 3: Kennzahlermittlung der Ermüdungsgefährdung für Brückenbauwerke Cluster 2/ 3 Für die Untersuchung dieser ausgewählten repräsentativen Stahl- und Verbund-Brückenbauwerke der beiden Cluster 2 und 3 wurde entschieden, dass die jeweilige Modellierung und Grenzwertbetrachtung zunächst an vergleichsweise konstruktiv einfacheren Bauwerken (Einfeldsystem, einfache Bogen- oder Balkenbrücken) vorgenommen wird, und darauf aufbauend die Übertragbarkeit der Grenzwertbetrachtungen bei komplexeren Brückenbauwerken, wie den Rheinquerungen mit Schrägseilbrücken großer Spannweite, überprüft wird. Auch für die Brücken im Cluster 2 und 3 werden die numerischen Modelle in Finite Elemente Programmen erstellt, basierend auf Bestandsdaten und Ortsaufnahme. Bei der Modellierung ist die Anforderung zu beachten, dass die im Fokus der jeweiligen Cluster 2 und 3 stehenden Bauwerkdetails einerseits eine hohe Verdichtung der FEM-Netze erforderlich machen, während andererseits die gesamten Bauwerkreaktionen nur mit Modellen mit gröberer Elementierung berechnet werden können. Bild 2 zeigt exemplarisch den Kreuzungsbereich des Trägerrostsystems der Datteln-Hamm-Kanal-Brücke mit starker Netzverdichtung im Bereich der kritischen Schweißnathverbindung. Abbildung 2: Modellausschnitt FEM Trägerrostkreuzungsbereich Gleichzeitig ist zu beachten, welche Grenzwerte bei den kritischen Details mit hierzu hypothetisch angenommenen Schäden, deren Schadenstypen den vorliegenden Prüfberichten zuvor entnommen werden konnten, berechnet werden können. Darüber hinaus muss deren Sensitivität auf einzelne variierende Parameter hin untersucht werden. Für den oben im Bild 2 dargestellten Kreuzungsbereich lassen sich so z.B. die im nachfolgenden Bild 3 gezeigten, zu untersuchenden Riss-Parameter bestimmen. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 65 Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung Abbildung 3: Modellausschnitt FEM Riss-Sensitivitätsanalyse In Abhängigkeit der ausgewählten kritischen Details werden anschließend Art und Umfang für die geplante Messwerterfassung und Datenaufzeichnung (Abtastrate, Auflösung) festgelegt. Für das Cluster 3 ist erkennbar, dass man die Bauwerksreaktionen der Hänger- und Seilkonstruktionen mit entsprechenden Messsystemen zur Analyse des Schwingungsverhalten erfassen kann. Hierzu sind Kombinationen von 2D- und 3D-Beschleunigungssensoren anzuordnen. Ergänzend werden mit Hilfe von DMS-Applikationen die jeweiligen Zugkräfte gemessen. Um die Einflüsse aus Witterung zu berücksichtigen, werden zudem Temperaturen am Bauteil und der Luft, sowie die Windgeschwindigkeiten und Niederschlagsmengen gemessen. Aus den Anforderungen und Sensitivitätsstudien zu den Grenzwertbetrachtungen für das Cluster 2 resultiert ein klarer Fokus auf die möglichen Risse an Kerbdetails der Schweißnähte der Querträgeranschlüsse der orthotropen Fahrbahnplatte (sog. Kategorie 2 und 3-Schäden). Andererseits besteht die Schwierigkeit in der messtechnischen Erfassung der lokalen Reaktionen: die Risse führen nur in unmittelbarer Nähe zu Spannungsspitzen, welche sich umlagern. Daher eignen sich lokale Messungen mit DMS zwar zur Erfassung der ermüdungskritischen Kenngrößen und damit zur Verifizierung von Modellannahmen, jedoch eine unmittelbare Überwachung von (beginnenden) Schadensszenarien ist damit kaum möglich. Hierzu wird daher mit den Projektpartnern ein Ansatz mit Hilfe von kontinuierlicher Schallemissionsmessung erarbeitet, um eine mögliche Rissentstehung sowie Risswachstum in dem Bereich der orthotropen Fahrbahnplatte zu erfassen. Auch hier werden die Einflüsse aus Witterung durch Temperaturmessungen am Bauteil und der Luft beachtet. Für die Konfiguration des Messsystems sind dabei Untersuchungen von bauwerksspezifischen Randbedingungen (z.B. Noise Level, Dämpfungseigenschaften) erforderlich. Basierend auf diesen Monitoringkonzepten werden für die einzelnen Brückenbauwerke jeweils abgestimmte Messsysteme ausgearbeitet. Hierbei sind enge Absprachen mit den Brückenbetreibern nicht nur hinsichtlich der möglichen Messpositionen, sondern auch zu Energieversorgung, Kabelwegen oder Vandalismusschutz nötig. Die Umsetzung der Monitoringkonzepte erfolgt zunächst jeweils an den beiden „kleineren“ Bauwerken, getrennt für die beiden Cluster: Zum einen für die Brücke über den Dortmund-Ems-Kanal bei Rheine (Bild 4) zur Umsetzung des Messkonzepts für Cluster 3 (Bild 6, links) und zum anderen für die Brücke am Autobahnkreuz Dortmund-Unna (Teilbauwerk 2, Bild 5) für das Cluster 2 (Bild 6, rechts). Bei beiden Bauwerken sind bereits in der Vergangenheit Schäden an den jeweils für das Cluster ausgewählten maßgeblichen Bauwerkdetails aufgetreten. An der Brücke Dortmund-Unna werden zudem beide konzeptionellen Ansätze für das Cluster 2 verfolgt, nämlich ein Erfassen der Performance-Indikatoren bei unmittelbarer Rissinitiierung (und -wachstum) durch Schallemissionsmessungen am Brückenüberbau der orthotropen Fahrbahnplatte (Deckblech, Längssteifen, Querträger), im Bereich zwischen den (geschraubten) Querträger-Hauptträger-Anschlüssen, als auch ein Erfassen der Performance-Indikatoren zur Verifizierung der Ermüdungslastmodellberechnungen mit DMS-Messungen. Für die großen Rheinbrücken ist es erforderlich, die jeweiligen Monitoringansätze auf maßgebliche Abschnitte der Brücken zu beschränken. Abbildung 4: Bogenbrücke Dortmund-Ems-Kanal bei Rheine Abbildung 5: Stegbrücke Autobahnkreuz Dortmund-Unna Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung 66 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 6: Clusterdetails: Hänger (links); orthotrope Fahrbahn (rechts) 4. Zusammenfassung und Ausblick Im Rahmen des Projekts wurden drei Bauwerkscluster spezifiziert und für die jeweiligen Cluster repräsentative Brücken ausgewählt. Um abschätzen zu können, wie sich Messgrößen bei vorhandenen Schäden verändern und in welchem Bereich diese messtechnisch erfasst werden können, wurden numerische Untersuchungen mit FEM- Modellen an den ausgewählten Brücken durchgeführt, wobei für die ermüdungsrelevanten Details verschiedene Rissparameter und Rissorte analysiert wurden. Darauf basierend konnten für alle ausgewählten Brücken der drei Bauwerkscluster jeweils Messkonzepte entwickelt werden, die auch den Aspekt der gegenseitigen Übertragbarkeit berücksichtigen. Derzeit befinden sich die Messkonzepte in der Ausschreibung durch die beteiligte Straßenbauverwaltung. Nach der Installation der Messtechnik wird es möglich sein, die zugrunde gelegten Performance-Parameter in der Datenanalyse zu bewerten und dauerhaft zu überwachen. Mit den Ergebnissen der Pilotanwendung wird die Voraussetzung geschaffen, eine solche Bewertung auch auf andere Brücken für ein intelligentes Brücken Asset Management zu übertragen. Literatur [1] DIN 1076 „Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen, Überwachung und Prüfung“ [2] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), 2011 [3] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen RI-EBW- PRÜF, 2017 [4] Sedlacek, G.; Paschen, M.; Feldmann, M.: Instandsetzung und Verstärkung von Stahlbrücken unter Berücksichtigung des Belagssystems. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen B, Brücken- und Inge-nieurbau Heft 76, 2011 [5] Geissler, K.: Handbuch Brückenbau - Entwurf, Konstruktion, Berechnung, Bewertung und Ertüchtigung. Ernst & Sohn, Berlin, 2014 [6] Speer, A.: Entwicklung von Key Performance Indikatoren als ein Element auf dem Weg vom Erhaltungsmanagement zum Asset Management für Bundesautobahnen, Dissertation, 2018 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 67 Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung [7] Heinrich, J.; Maurer, R.: Rissmonitoring zur Untersuchung der Ermüdungsfestigkeit an bestehenden Brückenbauwerken, 10. Symposium Experimentelle Untersuchungen von Baukonstruktionen, 2019 [8] Neumann, W.; Brauer, A.: Nachrechnung von Stahl- und Verbundbrücken - Systematische Datenauswertung nachgerechneter Bauwerke. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen B, Brücken- und Ingenieurbau Heft 144, 2018 Danksagung Die beteiligten Forschungsstellen bedanken sich für die gute Zusammenarbeit mit den assoziierten Partnern der Straßenbauverwaltung Straßen.NRW und LBM Rheinland-Pfalz und die finanzielle Förderung durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Rahmen der Modernitätsfonds/ mFUND Fördermaßnahme. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 69 Brücken Asset Management - Standardisierung als Treiber im Lebenszyklusmanagement Stefan Kremling Wölfel Engineering GmbH + Co. KG, Höchberg Jens Kühne Wölfel Engineering GmbH + Co. KG, Höchberg Zusammenfassung Betreiber öffentlicher sowie privater Infrastrukturen haben erhebliches Interesse an einer Optimierung des gesamten Lebenszyklusmanagements ihrer Bauwerke. Verbesserte Verfügbarkeit sowie eine nachhaltige und effiziente Bewirtschaftung sind Motivation genug. Wichtige Grundlagen wurden in Forschungsprojekten gelegt, beispielsweise zur messtechnischen Dauerüberwachung oder Algorithmen. Auch gänzlich neue Verfahren wie die Befliegung mit Drohnen und der Einsatz von Virtual Reality / Augmented Reality in der Bauwerksprüfung wurden beispielhaft erprobt und bewertet. Übergeordnetes Ziel des Forschungsprojektes BrAssMan - Brücken Asset Management ist es, basierend auf Ähnlichkeitsmerkmalen bestimmter Bauwerkskomponenten und Schadensbilder, Zustandsindikatoren abzuleiten, die auf Basis parametrierbarer Modelle über standardisierte Messsysteme ermittelt werden können. Ein solcher Ansatz erlaubt eine schnelle und einfache messtechnische Überwachung aller Schäden, auf die das numerische Berechnungsmodell anwendbar ist. 1. Motivation 1.1 Standardisierung Standardisierungsprozesse sind Treiber für die Evolution in vielen Bereichen. Häufig mit der Industrialisierung und der Einführung von Normen in Verbindung gebracht kann Standardisierung jedoch noch viel weiter in die Vergangenheit, bis auf die Entstehung von Sprache und Schrift, zurückgeführt werden. Systematisch festgelegte Zeichen und deren allgemeiner Konsens führten dazu, dass Wissen archiviert über Generationen vermittelt werden konnte. Die Festsetzung gemeinsamer Begrifflichkeiten und ihrer Bedeutung ist eine Grundvoraussetzung kultureller Interaktion. Im späten 18. Jahrhundert wurde die Standardisierung jedoch erstmals von Grund auf systematisiert. Bemühungen, im großen Umfang Normen und Maßeinheiten festzusetzen, gewannen an Einfluss und stellten Standardisierungsprozesse auf eine neue Grundlage. Die Überarbeitung französischer Gewichts- und Längenmaße, die während der Französischen Revolution begann, stellt den ersten Fall einer wissenschaftsbasierten und auf Konferenzen ausgehandelten Standardisierung dar. Dies wurde später die wichtigste Form, internationale Normen festzusetzen und aufrechtzuerhalten. Die gegenseitige Austauschbarkeit gilt als eines der Kernziele der Industrialisierung. Ein eindrucksvolles Beispiel für Standardisierung ist die Vereinheitlichung der Größe der Schienenspur und Achsen zwischen den Rädern der Lok und des Waggons, welche die rasante Entwicklung des Eisenbahnnetzes hervorgerufen hat. Andererseits verdeutlicht dieses Beispiel gleichzeitig die Konsequenzen einer nicht vollständigen Standardisierung: Der Prozess verlief nicht international und die Maße für Schienenspuren sind bis heute nicht einheitlich für alle Länder [1]. All diese Beispiele aus der Geschichte des menschlichen Fortschrittes weisen die systematische Anwendung standardisierter Prozesse auf und zeigen uns deutlich, dass das Wesen der Standardisierung natürlichen Ursprungs ist - und letztlich eine Selbstverständlichkeit. Somit ist die Standardisierung ein unverzichtbarer Prozess für mehr Effizienz, mehr Leistung und Entwicklung allgemein und kann als Motor jedes Fortschrittes angesehen werden. 1.2 Lebenszyklus Der Lebenszyklus von Bauwerken untergliedert sich gewöhnlich in vier wesentliche Phasen: Planung, Ausführung, Nutzung und Rückbau. Je nach Art und Kategorie eines Bauwerks unterscheidet sich die Gewichtung der 70 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Brücken Asset Management - Standardisierung als Treiber im Lebenszyklusmanagement Gesamtkosten bei der Betrachtung der jeweiligen Phasen innerhalb des Lebenszyklus. Brückenbauwerke beispielsweise haben eine geplante Nutzungsdauer von etwa 100 Jahren. Daher trägt die Nutzungsphase hier entscheidend zu den Gesamtlebenszykluskosten bei. Wesentlich darin ist das gesamte Zustandsbewertungs- und Erhaltungsmanagement. Grundlage der Zustandsbewertung bei Straßenbrücken sind die nach DIN 1076 regelmäßig stattfindenden Bauwerksprüfungen [2]. Maßgebend dabei sind die vom Prüfer festgestellten Schäden und Mängel einzelner Teilbauwerke, die hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit bewertet und zu einer Zustandsnote zwischen 1,0 bis 4,0 kumuliert werden. Diese Zustandsnote bildet die Grundlage für die weitere Planung zukünftiger Erhaltungsmaßnahmen. Sie lässt die Dringlichkeit notwendiger Maßnahmen erkennen, gibt jedoch keinen Aufschluss über Art und Umfang der Schäden oder die Kosten der Instandsetzungsmaßnahme. Offizielle Statistiken belegen, dass der aktuelle Zustand der Brückenbauwerke innerhalb der Verkehrsinfrastruktur zunehmend degradiert und erheblicher Handlungsbedarf notwendig ist [3]. Nicht nur Deutschland, sondern viele Industrienationen stehen vor dieser Herausforderung. Jedoch wird es nur schwer umsetzbar sein, durch massive Investitionen in Instandhaltung und Ersatzbauwerke diesen Trend zu stoppen. Daneben bedarf es neuartiger, innovativer und wirtschaftlicher Ansätze im gesamten Lebenszyklusmanagement einer Verkehrsinfrastruktur. 1.3 Themenverwandte Projekte und Ansätze Das Thema Lebenszyklusmanagement von Brücken gewinnt immer mehr an Relevanz. Rückblickend wurden insbesondere in den letzten Jahren mehrere Forschungsprojekte initiiert und teilweise auch schon abgeschlossen, bei welchen ebenfalls an neuen Methoden, Werkzeugen und Lösungen zur Verbesserung des Lebenszyklusmanagements bei Brückenbauwerken geforscht wurde. Im Projekt OSIMAB - Online-Sicherheits-Managementsystem für Brücken [4] beispielsweise werden modellbasierte Kennwerte für eine Brücke ermittelt. Es soll ein dynamisches, webbasiertes Risikomanagementtool für Straßenbrücken entwickelt und getestet werden. Vorgesehen ist die Umsetzung eines ganzheitlichen Konzepts für die Überwachung und Zustandsbewertung von Straßenbrücken. Dazu sollen bestehende und mit neu zu erhebenden Daten verknüpft und mit einem neuartigen Systemmodell ein vorausschauendes Brückenerhaltungsmanagement ermöglichen werden. Das Messkonzept jedoch ist nicht standardisiert und erfordert wiederkehrenden und hohen Engineering-Aufwand. Grundlage im Projekt sind die Zustandskennzahlen aus der Bestandsbewertung, welche als Basis für ein datenbasiertes Asset Management herangezogen werden. Ein etwas anderer Ansatz wird im Projekt DiMaRB - Digitale Instandhaltung von Eisenbahnbrücken verfolgt [5]. Ziel ist ein digitales, präventives Instandhaltungskonzept für Eisenbahnbrücken, welches auf der Nutzung von Structural Health Monitoring (SHM) und der gesamten Datenintegration in ein digitales Bauwerksmodell unter Anwendung der BIM-Methode basiert. Dieser Ansatz benötigt entsprechend ein BIM-Modell des jeweiligen Bauwerks, was in erster Linie für Neubauten interessant ist. Bei Bestandsbauwerken sind BIM-Modelle eher die Ausnahme bzw. müssten diese dann anhand der Bestandsdokumentation aufwändig erstellt werden. Die genannten Projekte sind nur exemplarisch, die stetig zunehmende Anzahl verdeutlicht den Bedarf für neue Lösungen und Methoden in diesem Umfeld. Die Digitalisierung kann einen wesentlichen Beitrag liefern. Bisher halten Methoden und Lösungen aus der Digitalisierung überwiegend Einzug in Planungsprozesse. In den übrigen Phasen des Lebenszyklus von Brückenbauwerken ist die Digitalisierung hingegen nur punktuell oder noch gar nicht erfolgt. Gerade für die Betriebsphase versprechen digitale Technologien, wie z. B. eine Dauerüberwachung mit Monitoringsystem inklusive automatisierter Datenanalyse und Anbindung über eine Cloud-Plattform, ein wirksames Wartungs- und Instandhaltungsmanagement für eine nachhaltige und effiziente Bewirtschaftung. 2. Besonderheiten von Brücken Brücken als kritische Bauwerke innerhalb eines Verkehrsnetzes sind essentiell und entscheiden über die Leistungsfähigkeit einer gesamten Verkehrsinfrastruktur. Brücken ermöglichen die Überwindung von natürlichen oder künstlichen Hindernissen auf kurzem Wege. Im Netz der Bundesfernstraßen befinden sich aktuell etwa 39.500 Brücken, die je nach Bauart und Brückenquerschnitt in etwa 51.360 Brücken-Teilbauwerke unterteilt sind [6]. Als Gesamtbauwerk betrachtet ist jede Brücke ein Unikat, welches für die Überwindung einer individuellen, örtlichen Topografie oder anderem Hindernis auf die lokalen Gegebenheiten angepasst ist. Hinzu kommt, dass geltende Richtlinien und Standards für Planung und Errichtung im Laufe der Zeit stetig weiterentwickelt und angepasst wurden. Unter anderem ist dies bedingt durch gewonnene Erfahrungen sowie der Veränderungen der Verkehrsbzw. Fahrzeugsituation. In Summe nimmt das Verkehrsaufkommen stetig zu, besonders auffallend ist darin die überproportionale Zunahme des Schwerverkehrs [7]. Auf der anderen Seite ermöglichen neue Materialien bzw. die zunehmende Qualität von Materialien sowie moderne konstruktive und fertigungsbedingte Optionen und Trends neue Möglichkeiten für Design und Herstellung von Brücken. Diese führt dazu, dass Brücken über ihren gesamten Lebenszyklus meist individuell und projektspezifisch betrachtet werden, was enormen Aufwand und Kosten in allen Phasen nach sich zieht. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 71 Brücken Asset Management - Standardisierung als Treiber im Lebenszyklusmanagement 2.1 Standardisierung bei Brücken Bereits in den 1970er Jahren hatte die Deutsche Bundesbahn begonnen, standardisierte Rahmenbauwerke einzusetzen. Durch eine typengeprüfte Statik inklusive Schal- und Bewehrungsplänen konnte die Entwurfs- und Ausführungsphasen signifikant beschleunigt werden. Zusätzlich konnte die Ausführungsqualität aufgrund klar definierter Bedingungen signifikant gesteigert werden. Der derzeitige Stand der Standardisierung wird in der Ril 804.9040 dargestellt [8]. In den letzten Jahren entwickelten sich mehr und mehr Konzepte für einen modularen Brückenbau mit standardisierten Komponenten. Die serielle Vorfertigung von Modulen und Teilkomponenten in stationären Produktionsstätten bringt viele Vorteile mit sich. Wesentlich sind eine hohe und gleichbleibende Qualität und eine kürzere Bauzeit vor Ort. Letzteres ist nicht nur für Eigentümer, sondern auch für alle Nutzer von größtem Interesse, um Beeinträchtigungen auf den laufenden Verkehr zu minimieren. 3. Blick über den Tellerrand Anders sieht es z. B. in der Windenergiebranche aus. Angefangen bei Betreibern, Konstruktion oder der vorgesehenen Nutzungsdauer gibt es teilweise signifikante Unterschiede zu Verkehrsinfrastrukturbauwerken. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Ansätze und Methoden, die für Brücken adaptiert werden können. Windparks werden meist profitorientiert durch private Unternehmen betrieben. Um entsprechend Rendite zu erhalten sind eine hohe Anlagenverfügbarkeit sowie niedrige Betriebs- und Investitionskosten maßgebend. In Deutschland kommt hinzu, dass zur Gewährleistung der Standsicherheit gesetzliche Anforderungen gelten [9]. Digitale Methoden der Zustandserfassung und -überwachung sind hier die entscheidenden Elemente zur Maximierung der Verfügbarkeit sowie Minimierung von Wartungskosten. Zustandsüberwachungssysteme (Condition Monitoring Systeme, CMS Systeme) liefern wichtige Informationen aus dem Antriebsstrang während des Betriebs der Anlage. Strukturüberwachungssysteme (Structural Health Monitoring Systeme, SHM Systeme) erkennen frühzeitig sich anbahnende Defekte und Schäden an Tragstrukturen, sodass anstatt starren Wartungsintervallen eine vorausschauende, anlassbezogene Wartung nach wirtschaftlich optimierten Gesichtspunkten ermöglicht wird. Bei Offshore-Windparks ist eine digitale Strukturüberwachung besonders relevant, da die Zugänglichkeit für Wartungsarbeiten durch teure Transfers per Schiff oder Hubschrauber erschwert werden. Bei Extremwetterlagen sind die Windparks faktisch unzugänglich was in ungünstigen Fällen lange Stillstandzeiten zur Folge haben kann. Die lückenlose Erfassung und Dokumentation der Einwirkungen und Beanspruchungen gibt außerdem Aufschluss über den Verschleiß einzelner Anlagen und ermöglicht auch eine objektive Bewertung des Restwertes des Anlagevermögens. Der langjährige Einsatz digitaler Technologien für die Zustandserfassung und -überwachung bei Windenergieanlagen verbunden mit den daraus gewonnenen Erfahrungen bieten Möglichkeiten erprobte Technologien auf Brückenbauwerke zu adaptieren. Aus Gemeinsamkeiten lassen sich Synergieeffekte nutzen und aus Unterschieden ergeben sich konkrete Aufgaben zur Anpassungen von Methoden und Systemen [10]. 3.1 Konkrete Beispiele und Anwendungen Beispielsweise kann bei Windkraftanlagen bereits heute eine objektspezifische, ständig aktualisierte Prognose der Restnutzungsdauer auf Basis von Messdaten aus Monitoringsystemen ab dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme abgeleitet werden [11]. Globale Messgrößen werden über ein digitales Strukturmodell in lokale Beanspruchungen der kritischen Kerbdetails umgerechnet und hinsichtlich der Ermüdungsschädigung bewertet. Dadurch wird das reale Lastkollektiv, inkl. Phasen mit geringeren Beanspruchungen sowie einzelnen unplanmäßigen Extremereignissen über die gesamte Nutzungsdauer erfasst und ersetzt nach und nach das für die Auslegung angenommene Lastkollektiv. Im Gegensatz dazu sind der Großteil der Brücken seit mehreren Jahren und Jahrzehnten in Betrieb. Entsprechend werden primär Monitoringlösungen für Bestandsbauwerke benötigt. Folglich fehlen auch die Messdaten zu Einwirkungen und Beanspruchungen aus der Zeit vor der Inbetriebnahme des Monitoringsystems. Gerade in den ersten Betriebsjahren finden jedoch viele der signifikanten Veränderungen durch Setzungen, Kriechen und Schwinden statt. Diese Informationen sind nachträglich nur schwierig oder gar nicht messtechnisch erfassbar. Eine große Herausforderung stellt außerdem die wesentlich längere Nutzungsdauer von Brücken dar. Zur Erfassung der vollständigen Beanspruchungs- und Lasthistorie wäre die Installation eines Monitoringsystems bereits bei der Erstellung des Bauwerks und anschließend ein kontinuierlicher Betrieb wünschenswert. Allerdings resultieren aus der langen Nutzungsdauer nur schwierig lösbare Herausforderungen bezüglich der Dauerhaftigkeit und technischen Aktualität der Monitoringsysteme. Ein entscheidender Unterschied von Windkraftanlagen ist die Serienproduktion, welche standardisierte Monitoringlösungen für einen Serientyp ermöglicht. Dies betrifft sowohl Hardware (Sensorik und Datenerfassung) als auch Algorithmen zur Datenanalyse. Lediglich marginale Anpassungen spezifischer Parameter der Auswertemodelle für die Spezifika eines Standorts sind notwendig. Serienentwicklung und -produktion von Systemlösungen senken Entwicklungskosten maßgebend und ermöglichen eine wirtschaftliche Anwendung. Ein zusätzlicher Aspekt aufgrund der Serienfertigung und damit einhergehenden Standardisierungsgrads ist, dass bei Offshore- Parks meist nur jede zehnte Anlage überwacht wird [5]. 72 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Brücken Asset Management - Standardisierung als Treiber im Lebenszyklusmanagement Ausgewählt werden die Anlagen mit erhöhten Risiken und Einwirkungen. Die aus Messdaten ermittelten Indikatoren dieser Anlage werden mit gewissen Unsicherheiten auf nicht gemessene Anlagen des Parks übertragen, sodass ein Flottenmanagement mit optimierten Wartungsmaßnahmen für den gesamten Windpark möglich ist. Korrelationsmodelle zwischen den Anlagen können durch Kurzzeit-Vergleichsmessungen und Methoden des maschinellen Lernens verbessert werden. Im Gegensatz dazu sind Brücken auch in der Zukunft individuelle Bauwerke mit einer großen Variation an Konstruktionen und unterschiedlicher Schadensarten, sodass es vollständig standardisierte Monitoringsysteme für Brücken nicht geben wird. Allerdings wiederholen sich kritische Bauteile, -gruppen oder Versagenszustände bei Brücken bestimmter Bauart, sodass zumindest standardisierte Teilmonitoringsysteme und -konzepte entwickelt werden können. 4. Das Forschungsprojekt BrAssMan Um diese Zusammenhänge, Methodentransfer, Adaption und Entwicklungen weiter voran zu treiben, wurde das Forschungsprojekt BrAssMan - Brücken Asset Management initiiert: Abbildung 1: Logo des Forschungsprojektes BrAssMan im Rahmen der mFUND-Forschung des BMVI (FKZ: 19F2111) Im Rahmen der mFUND-Förderung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) unter Koordination von Wölfel Engineering GmbH + Co. KG arbeiten die Unternehmen Leonhardt, Andrä und Partner Beratende Ingenieure VBI AG (LAP) und avato consulting AG zusammen mit der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und der RWTH Aachen an Möglichkeiten, um von einer inspektions- und nachrechnungsbasierten Bestandsbewirtschaftung zu einem zustands- und prognosebasierten Asset Management zu gelangen. Für einen bestmöglichen Praxisbezug und für die Bereitstellung der im Projekt vorgesehenen praktischen Demonstratoren begleiten Straßen.NRW und der Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz das Projekt als assoziierte Partner. Der wesentliche Schritt zum intelligenten Asset Management sind datenbasierte Zustandsaussagen, die nicht nur für eine Brücke, sondern basierend auf Einheitsmodellen, Standardmesssystemen und vergleichenden Kennwerten für mehrere Brücken ermittelt werden können. Im Projekt soll die Vergleichbarkeit von Zuständen durch Datenkorrelation erreicht werden. Dazu werden Brücken gleicher Bauart, ähnlicher Altersstruktur und ähnlicher Nutzung geclustert und für kritische Konstruktionsdetails, die mit gleichen Ingenieurmodellen abgebildet werden können, vergleichbare KPI und standardisierte Messkonzepte entwickelt (Abbildung 2). Ziel ist die Vergleichbarkeit der KPI von Brücken eines Clusters, aber auch durch den Vergleich der KPI von Brücken unterschiedlicher Cluster erhofft man sich nutzbare Erkenntnisse. Abbildung 2: BrAssMan Konzept zur Vergleichbarkeit von Zustandskenngrößen Damit sollen Sicherheit und Zuverlässigkeit verbessert und die Verfügbarkeit der Bauwerke optimiert werden. Standardisierung führt zu flächendeckendem Einsatz, verbesserter Wirtschaftlichkeit sowie Kostensenkung und Effizienzsteigerung in der Bestandsbewirtschaftung. Am Ende des Projektes erwarten wir folgende Ergebnisse vorweisen zu können. Es werden exemplarisch drei Cluster gebildet, für die jeweils standardisierte Modelle erarbeitet und erstellt wurden. Basis der Clusterung bilden konkrete Schadensbilder, da aktuell eine große Herausforderung hinsichtlich messtechnischer Erfassung und deren objektive Bewertung bezüglich Wirkung auf den Zustand darstellen. Für die Cluster werden Teilstandardisierte (reduzierte) Messkonzepte (global, lokal) erarbeitet, die neben den im Projekt vorgenommenen Demonstrator-Installationen zukünftig bei weiteren Bauwerken angewendet werden können. Basierend auf den Clustern, den zugehörigen Modellen und Messkonzepten werden vergleichende Kennwerte (Key Performance Indikatoren, KPI) als Basis für ein Asset Management abgeleitet. Dies ermöglicht qualitative Aussagen zur Objektivierung der Zustandsnoten, was aktuell einer der Schwachpunkte bei Schadenserfassung bzw. Verknüpfung der erfassten Teilergebnisse ist. 4.1 Stand im Projekt BrAssMan Das durch den mFUND geförderte Projekt BrAssMan ist am 01.02.2020 gestartet. Nachfolgend wird ein kurzer, genereller Überblick über den aktuellen Stand und die laufenden Arbeiten gegeben. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 73 Brücken Asset Management - Standardisierung als Treiber im Lebenszyklusmanagement Wie bereits ausgeführt sind Brücken individuelle Bauwerke mit einer großen Vielfalt an statischen Systemen, Baustoffen und unterschiedlichen Schadensarten, sodass vollständig standardisierte Monitoringsysteme nicht zielführend sind. Allerdings wiederholen sich kritische Bauteile und -gruppen oder es treten spezifische Versagenszustände bei bestimmter Bauart auf, sodass eine einheitliche Modellierbarkeit und standardisierte Teil-Monitoringkonzepte vielversprechend scheinen. Dafür ist es zunächst notwendig, Kriterien und Attribute zu identifizieren und festzulegen, wonach eine Clusterung möglich und sinnvoll ist. Um diesen Prozess zu unterstützen wurde zunächst eine digitale Plattform entwickelt, in der entsprechende Kriterien und Attribute gewählt und logisch miteinander verknüpft werden können, wonach der Brückenbestand selektiert werden kann [12]. Dies kann beispielsweise Baujahr, -art, Materialklasse oder Dimension sein. Für das Projekt war eine maßgebliche Nebenbedingung die von den assoziierten Partnern zur Verfügung gestellten Bauwerke, welche im weiteren Projektverlauf auch mit Monitoringsystemen ausgerüstet werden sollen. Innerhalb des Projektes ist vorgesehen, exemplarisch drei Cluster zu definieren und damit das generelle Konzept zu demonstrieren. Für das Cluster 1 wurde die Koppelfuge bei Spannbetonbrücken älteren Baujahres als kritische und oft defizitäre Komponente identifiziert (vgl. Abbildung 3). Abbildung 3: Konstruktionsprinzip einer Koppelfuge Im Cluster finden sich insbesondere mehrfeldrige Hohlkastenbrücken mit Durchlaufwirkung, welche vor 1980 hergestellt wurden mit einer durchschnittlichen täglichen Verkehrsbelastung des Schwerverkehrs von DTV-SC > 8.000 Fahrzeugen. Typische Schadensbilder sind hier Risse senkrecht zur Fuge im anbetonierten Abschnitt, Schrägrisse in den Stegen und Risse in der Koppelfüge selbst (senkrecht zur Brückenachse). Für das Cluster 2 wurde die orthotrope Fahrbahnplatte als Teilkomponente festgelegt (Abbildung 4). Abbildung 4: Konstruktionsprinzip einer orthotropen Fahrbahnplatte [13] Dieses häufig bei Stahlbrückenkonstruktionen zu findende Element wird aus einzelnen Blechen und Trägern zusammengeschweißt. Aufgrund hoher dynamischer Beanspruchung kommt es hier zur Rissbildung in den Schweißnähten durch Ermüdung. Als drittes Cluster wurden Hänge- und Schrägseilbrücken herangezogen. Konkret geht es um die Anschlusspunkte von Seilen und Hänger (Abbildung 5). Abbildung 5: Konstruktionsprinzip für Stab- und Seilhänger [14] Auch hier führen hohe dynamische Beanspruchungen zu Materialermüdung und schlußendlich zur Rissbildung und Korrosion, insbesondere an den Anschlußpunkten. Weitere Einzelheiten und Details zu den konkreten Bauwerken, den Grundlagen zur Modellbildung, Ähnlichkeitsmerkmalen, Möglichkeiten zur Parametrisierung der Schadensbilder und daraus abzuleitenden Zustandsindikatoren und Messsystemen werden im nachfolgenden Vortrag dargestellt [15]. 5. Fazit Die Altersstruktur, langen Nutzungsdauern und der hohe Grad an Individualität von Brückenbauwerken stellen Eigentümer und Betreiber vor große Herausforderungen für das Lebenszyklusmanagement ihrer Infrastrukturen. Eine hohe Verfügbarkeit sowie eine nachhaltige und ef- 74 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Brücken Asset Management - Standardisierung als Treiber im Lebenszyklusmanagement fiziente Bewirtschaftung verlangen nach neuen und innovativen Methoden. Innerhalb des Forschungsprojektes BrAssMan sollen für Brückentypen verwandter Bauart und ähnlichen Alters mit entsprechend vergleichbaren Schadensbildern standardisierte Messkonzepte und Auswerteprozesse entwickelt werden. Durch Vergleich der KPI verschiedener Brücken eines Typs sollen Unterschiede in der Performanz und im Tragverhalten offengelegt und bewertet werden. Eine Standardisierung der Monitoringkonzepte bildet zudem die Grundlage für einen Vergleich der Messdaten überwachter Anlagen von verschiedenen Anbietern untereinander. 6. Danksagung Wir bedanken uns bei den Projektträgern TÜV Rheinland und VDI/ VDE sowie dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVi) für die Förderung des Projektes „BrAssMan - Brücken Asset Management“ mit dem Förderkennzeichen (FKZ) 19F2111 im Rahmen der Forschungsinitiative mFUND (Modernitätsfonds). Literatur [1] Krause J.; Entstehung der Normen und Entwicklung der Standardisierungsprozesse. In: Regulierung von Investitionsprojekten in Russland; Springer, Wiesbaden (2016) [2] DIN 1076: 1999-11; Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung; Berlin, Beuth (1999) [3] https: / / www.bast.de/ BASt_2017/ DE/ Statistik/ Bruecken/ Zustandsnoten-excel.html? nn=3029068 [4] https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ DG/ mfund-projekte/ online-sicherheits-managementsystem-bruecken-osimab.html [5] https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ DG/ mfund-projekte/ dimarb.html [6] https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StB/ bruecken-zahlen-daten-fakten.html [7] Kaschner et al.; Auswirkungen des Schwerlastverkehrs auf die Brücken der Bundesfernstraßen; BASt-Bericht B 68, (2009) [8] Richtlinie 804.9040; Standardisierte Rahmenbauwerke [9] Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH); Standard Konstruktion, Mindestanforderungen an die konstruktive Ausführung von Offshore-Bauwerken in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ); Hamburg (2015) [10] Kühne, J. et al.; Die Digitalisierung der Zustandsüberwachung von Windenergieanlagen und Brücken im Vergleich; Stahlbau 90 (2021) [11] Nuber et al.; Offshore foundation monitoring - from R&D to an industrial application; Hannover (2017) [12] Kühne et al.; Brücken Asset Management - Angewandte Digitalisierung für die Mobilität von morgen; 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur (2021) [13] Ming Li et al.; Experimental Study on Fatigue Resistance of Rib-to-Deck Joint in Orthotropic Steel Bridge Deck; Journal of Bridge Engineering, Vol. 23, Issue 2 (2018) [14] Schmidmeier, M.; Zur Ermüdungssicherheit vollverschlossener Seile unter Biegung; Dissertation TU München (2016) [15] Jergas et al.; Brücken Asset Management - Bauwerkscluster: Herausforderungen, Ziele, Auswahl, Modellierung; 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur (2021) 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 75 Datenablage als Grundlage für den digitalen Zwilling eines Bauwerks - Verwaltungsschale BBox Thomas Braml, Johannes Wimmer Universität der Bundeswehr München, Neubiberg Stefan Maack, Stefan Küttenbaum Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin Thomas Kuhn Fraunhofer IESE, Kaiserslautern Maximilian Reingruber, Alexander Gordt objective partner AG, Weinheim Jürgen Hamm NetApp Deutschland GmbH, Kirchheim bei München Zusammenfassung Der Weg zur digitalen Brücke ist eingeschlagen. Im Bereich der Planung, Bauüberwachung und -ausführung wird aktuell das Building Information Modelling (BIM) eingeführt. Ist eine Brücke in der Baulast von Bund und Ländern errichtet, wird ihr Zustand im Zuge von wiederkehrenden Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 lückenlos überwacht. Abgespeichert werden die Informationen der Überwachung in einer Datenbank (ASB-ING Teilsystem Bauwerksdaten). Aus dieser Datenbank können anschließend relevante Informationen in ein objektspezifisches Bauwerksbuch überführt werden. In dieser Datenbank werden im Vorfeld definierte Daten abgespeichert. Reine Messdaten oder aber auch die verwendeten ingenieurtechnisch-physikalischen Modelle verbleiben in der Regel bei den beauftragen Dienstleistern. Zusammengefasst existieren verschiedene parallele Insellösungen der Informationsablage. Gegenstand verschiedener Forschungsanstrengungen ist es nun Lösungen zu finden, die einen ganzheitlichen Ansatz für den Informationsfluss von der Errichtung über den Betrieb bis hin zum Abbruch eines Bauwerkes sicherstellen. Im Rahmen einer prototypischen Entwicklung wird auf Grundlage, des für die Industrie 4.0 entwickelten open source Software Framework Eclipse BaSyx, ein möglicher Lösungsansatz - die Verwaltungsschale BBox (Bridge Box) präsentiert. Dieser Lösungsansatz stellt das physikalischingenieurtechnische Modell zur Zustandsbewertung der Brücke gedanklich in den Mittelpunkt. Unter der Voraussetzung einer durchgängigen Digitalisierung der gesamten Prozessschritte innerhalb der Lebensdauer der Brücke, kann jeder Planungs- und Fertigungsschritt, die Instandhaltung einschließlich des Rückbaus erfasst werden. Das Besondere hierbei ist, dass auch die Grundlagen der Bewertung, wie Messdaten, mit abgespeichert werden. Die Modellstruktur der Verwaltungsschale erlaubt hierbei eine bedarfsgerechte Granularität hinsichtlich der Messdaten auf allen virtuellen Ebenen, um das physikalisch-ingenieurtechnisch Modell mit Daten zu versorgen. Die gewählte Form der Datenablage bildet den Grundstein für zukünftige KI-Auswertungen z.B. mit den Methoden des Maschinellen Lernens (ML). Der Zugriff auf die dafür jeweils benötigten Daten wird durch die Ablage der Daten einschließlich Metadaten und den Einsatz einer Standard S3 Schnittstelle stark vereinfacht. Der Beitrag stellt die Entwicklung und die Systemarchitektur der BBox am Beispiel von 2 Projekten dar. 1. Einleitung Im Zuge einer Neuplanung einer Brücke oder einer Bauwerkssanierung werden durch die Bauträger, Planer und bauausführenden Firmen immer mehr digitale Daten aus der Planung und dem Bau oder der Sanierung generiert. Es werden zwar Bestandsunterlagen erstellt, jedoch werden diese nicht einheitlich strukturiert und abgelegt. Die Unterlagen aus den verschiedenen Leistungsphasen werden derzeit unterschiedlich abgelegt. Dies liegt verständlicherweise auch daran, dass nicht jedem Projektbeteiligten alle Unterlagen vollständig zur 76 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Datenablage als Grundlage für den digitalen Zwilling eines Bauwerks - Verwaltungsschale BBox Abbildung 1: Schema für die Umsetzung des Demonstrators für Brückenbauwerke Verfügung gestellt werden können oder sollten, jedoch wird damit das Potential einer durchgängigen digitalen Prozesskette nicht gehoben. Steht eine Bauwerkssanierung an, so müssen oft mühsam die bestehenden Unterlagen zusammengesucht werden. Die zunehmende Digitalisierung bietet nun die Chance, dass auch im Bauwesen eine einheitliche Daten- und Ablagestruktur mit Rechtezuweisung etabliert wird. Eine solche Datenstruktur kann sowohl für die Planung, für die Bauausführung und dann natürlich auch für ein intelligentes und ökonomisches Erhaltungsmanagement bis zum Rückbau eingesetzt werden. In anderen Branchen, z. B. dem Maschinenbau, werden durchgängig digitale Prozessketten bereits seit Jahren erfolgreich eingesetzt. Ein weiterer großer Vorteil einer solchen Datenablage besteht in der Möglichkeit in die beschriebenen Prozessketten kryptografische- Technologien zu implementieren, so dass die Daten beweissicher und prozessual rückführbar gespeichert sind. In einem aktuellen vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) geförderten Forschungsprojekt („CASPAR“ - FKZ: 19F2178A) im Rahmen der Förderrichtlinie Modernitätsfonds („mFUND“) werden diese Technologien in einen Demonstrator implementiert und anhand von realen Bauwerksdaten getestet [1, 2]. Im nachfolgenden Beitrag werden die Vorteile der sogenannten Verwaltungsschale, wie sie aktuell in der Fertigungsindustrie eingesetzt werden, aufgezeigt. Zudem wird ein Konzept vorgestellt, wie die Systematik auch im Baubereich umgesetzt werden kann. An zwei Beispielen werden die ersten Erfahrungen bei der Entwicklung und Adaption einer Verwaltungsschale für den Baubereich gezeigt (Abbildung 1). 2. Verwaltungsschale Industrie 4.0 Daten sind das neue Gold in der Automatisierungsbranche. Neben den eigentlich produzierten Produkten sind die dabei anfallenden Daten der Dreh- und Angelpunkt einer modernen Produktion. Sie ermöglichen es auf der einen Seite die eigentliche Produktion zu optimieren, sind aber auch die Grundlage für neue Geschäftsmodelle. Produzierende Unternehmen könnten daher zum Beispiel neben den eigentlich hergestellten Produkten auch Daten vertreiben, die während der Produktion erhoben wurden. Ein Unternehmen wird die in der Produktion anfallenden Daten verwenden, um die eigenen Produktionsprozesse zu verbessern, zum Beispiel um Qualitätssicherungssysteme auf das Erkennen von Fehlern zu trainieren, oder darauf, notwendige Wartungsarbeiten in Maschinen vorherzusagen. Dies lässt sich aber auch unternehmensübergreifend realisieren. Werden Daten von verschiedenen Unternehmen zum Beispiel zum Training von KI-Anwendungen genutzt, können wesentlich bessere Ergebnisse erzielt werden. Gleichzeitig entstehen neue Geschäftsfelder für IT-Unternehmen, die selbst gar nicht produzieren, aber KI-Anwendungen für die Produktion vertreiben und die zum Training benötigte Infrastruktur vorhalten. Durch die Kombination von Daten aus mehreren Unternehmen entstehen zusätzliche Mehrwerte. Soll ein Auftrag vergeben werden, so würden die Auftraggeber Wissen darüber benötigen, wie stark ein möglicher Zulieferer ausgelastet ist, um einzuschätzen, ob ein Auftrag fristgerecht abgearbeitet werden kann. Der Zulieferer wird allerdings seine derzeitige Auftragslage nicht an seinen Kunden kommunizieren, da dieses Wissen auch für Preisverhandlungen genutzt werden kann. Gleichzeitig ist der Auftraggeber dahingehend eingeschränkt, dass er nur über ein begrenztes Netzwerk von Zulieferern ver- 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 77 Datenablage als Grundlage für den digitalen Zwilling eines Bauwerks - Verwaltungsschale BBox fügt. Durch die Einschaltung eines Brokers könnte diese Auftragsvergabe flexibilisiert werden. Dieser hätte Zugang zu den Fertigungskapazitäten der angeschlossenen Unternehmen und würde Aufträge vermitteln, ohne dass der Auftraggeber Zugang zu diesen Daten bekommt. Dies erfordert jedoch einen herstellerübergreifenden Datenzugang, auch wenn die Daten von Assets unterschiedlicher Hersteller bereitgestellt werden. Alles für die Produktion Relevante wird als Asset bezeichnet. Hierbei kann es sich um Geräte, aber auch um digitale Prozessabbilder handeln. Aus diesem Grund wurde durch die Plattform Industrie 4.0 die Verwaltungsschale (englisch: Asset Administration Shell - AAS) [3] als digitaler Stellvertreter von für die Produktion relevanter Assets definiert. Diese definiert eine einheitliche und herstellerübergreifende Struktur, um Informationen bereitzustellen. Die Verwaltungsschale selbst umfasst dabei Eigenschaften, die für alle Assets gefördert werden, wie zum Beispiel eine eindeutige ID. Fachliche Informationen, wie zum Beispiel Kosten, Deadlines für Aufträge oder Betriebskosten werden in Teilmodellen abgelegt. Verwaltungsschalen für verschiedene Assets definieren abhängig von dem Asset, das sie repräsentieren, unterschiedliche Mengen von Teilmodellen, mit denen diese Asset-spezifische Informationen bereitstellen. Nachdem es eine akzeptierte Definition der Verwaltungsschale und ihres Datenmodells gibt, gibt es nun ebenfalls Bestrebungen, zumindest zentrale Teilmodelle zu standardisieren. Ein Beispiel hierfür ist das digitale Typenschild, das grundlegende Eigenschaften eines Geräts maschinenlesbar beschreibt. Ein konkretes Asset wird durch die Kombination mehrerer Teilmodelle beschrieben. Eine Fräsmaschine wird beispielsweise durch vier Teilmodelle beschrieben, die jeweils auf einen bestimmten Aspekt der Maschine fokussieren: • Digitales Typenschild: Grundlegende Informationen zu dem Gerät • Fähigkeiten: Beschreibung der produktionsrelevanten Fähigkeiten des Geräts, zum Beispiel „Fräsen“ • Führungskomponente: Schnittstelle, die ein Steuern des Geräts ermöglicht • Prädiktive Wartung: Zugang zu standardisierten Sensorwerten, um notwendige Wartungsarbeiten vorherzusagen, zum Beispiel Leistungsaufnahme und Vibration Damit sind Verwaltungsschalen nicht mehr rein statisch, sondern sie stellen auch Schnittstellen zu Daten und Diensten bereit, um zum Beispiel Sensordaten abzufragen und Dienste aufzurufen. Forschungsprojekte, wie zum Beispiel BaSys 4.2 definieren Laufzeitschnittstellen für Verwaltungsschalen, die von Software genutzt werden, um auf die in Verwaltungsschalen gespeicherten Informationen zuzugreifen. Es werden deshalb drei Arten von Verwaltungsschalen unterschieden: • Typ 1 Verwaltungsschalen sind Dateien, die zum Beispiel über Netzwerke versendet werden können. Serialisierungen wurden schon für JSON und XML definiert. Typ 1 Verwaltungsschalen und Typ 1 Teilmodelle können daher nur statische Daten beinhalten. Dabei kann es sich zum Beispiel um Dokumentationen, um ein digitales Typenschild, aber auch um Verweise auf Zugangspunkte für dynamische Datenquellen handeln, die dann einen Zugriff auf Echtzeitdaten des Geräts ermöglichen. Eine Typ1 Verwaltungsschale kann zum Beispiel durch eine Middleware wie Eclipse BaSyx in einen Container geladen werden und dann gemeinsam mit ihren Teilmodellen mittels einer Laufzeitschnittstelle bereitgestellt werden. • Wird eine Typ 1 Verwaltungsschale in einem Container mit einer eigenen Laufzeitschnittstelle instanziiert, handelt es sich um eine Typ-2 Verwaltungsschale. Typ-2 Verwaltungsschalen und deren Teilmodelle existieren auf Servern und können, zum Beispiel über eine http/ REST Schnittstelle von Softwarekomponenten genutzt werden. Verwaltungsschalen können auf diese Weise sowohl Informationen als auch Dienste bereitstellen, die zum Beispiel den Zugriff auf native Datenformate ermöglichen. • Typ-3 Verwaltungsschalen erweitern das Konzept der Typ-2 Verwaltungsschalen dahingehend, dass diese selbständig aktiv werden können, während Typ-2 Verwaltungsschalen nur aufgrund expliziter Anfragen aktiv werden. Eine Typ-3 Verwaltungsschale kann zum Beispiel selbständig Daten aus unterschiedlichen Quellen abfragen und diese aufbereiten, sodass diese bei Bedarf schnell bereitgestellt werden können. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Verwaltungsschalen ein Baustein für digitale Abbilder von realen Systemen und Prozessen sind, deren Anwendungsbereiche weit über die reine Produktion hinausgehen. Sie übernehmen die gleiche Funktion wie Komponenten bei der Softwareentwicklung, stellen explorierbare Schnittstellen bereit und unterstützen die Definition von geräte- und herstellerübergreifenden Schnittstellen. Hier liegt genau eine der zentralen Herausforderungen bei der Umsetzung von Verwaltungsschalen. Sollen diese auch unternehmensübergreifend eingesetzt werden, dann erfordern diese ein gemeinsames Verständnis der Datenstrukturen in den genutzten Teilmodellen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass alle Verwaltungsschalen und Teilmodelle weltweit die gleichen Metamodelle für Verwaltungsschalen und Teilmodelle nutzen werden. Vielmehr wird es so sein, dass relevante Daten in verschiedene Teilmodelltypen strukturiert sind. Um dennoch ein übergreifendes Verständnis der Bedeutung von einzelnen Datenelementen zu ermöglichen, unterstützt die Verwaltungsschale semantische Annotationen. Diese verweisen zum Beispiel auf ein Element einer Ontologie und geben dem Teilmodellelement so eine Bedeutung. Damit kann ein Nutzer verstehen, ob es sich bei einem Datum zum 78 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Datenablage als Grundlage für den digitalen Zwilling eines Bauwerks - Verwaltungsschale BBox Beispiel um eine Kostenschätzung oder um eine Deadline handelt. 3. Anwendung in der Baubranche 3.1 Verfügbarkeit von Sensordaten Eine der zentralen Herausforderungen bei der Ablage und der Verarbeitung von Daten ist es, diese über längere Zeiträume verfügbar zu halten. Proprietäre Dateiformate sind in der Regel nur so lange zugänglich, wie es Software gibt, die diese Daten öffnen und lesen kann. Oft ist ältere Software nur auf älteren Computern und deren Betriebssystemen lauffähig. Es wird daher mit einer zunehmenden Dauer, für die Daten verfügbar bleiben müssen, immer schwieriger, den Datenzugriff technisch zu gewährleisten. Verwaltungsschalen ermöglichen es, native Daten mit einheitlichen Schnittstellen zu versehen, und die notwendigen Übersetzungen in der Verwaltungsschale selbst zu hinterlegen. Sie stellen so sicher, dass Daten nicht nur hersteller- und formatübergreifend bereitstehen, sondern auch dauerhaft bereitgestellt werden können. Speziell für langlebige Daten, wie sie im Bauwesen vorkommen, ist dies ein nicht zu unterschätzendes Merkmal. Aufgrund der hohen Lebensdauer von Bauwerken ist es erforderlich, einen Datenzugriff auch nach Jahren noch zu gewährleisten, und auch Messwerte über verschiedene Sensorgenerationen bereitstellen zu können. Um das Potential der Verwaltungsschalen an dieser Stelle zu nutzen sind die folgenden Schritte erforderlich: • Für grundlegende Informationen (z.B.: Metadaten zu Sensoren, Gebäudedaten und BIM) müssen allgemeine Datenmodelle definiert werden, auf die Informationen abgebildet werden. Da es nicht möglich sein wird immer alle Informationen zu vereinheitlichen, soll der dadurch entstehende Datenraum durch neue Teilmodelltypen, die neue Informationen bereitstellen, erweiterbar sein. • Schnittstellen zu Sensoren, Werkzeugen und zu herstellerspezifischen Formaten müssen bereitgestellt werden. • Es muss eine Plattform zur Datenhaltung und zum Datenaustausch geschaffen werden, die die sichere Speicherung und Archivierung von Daten ermöglicht, aber auch deren Verknüpfbarkeit und Wiederauffindbarkeit gewährleistet. • Daten müssen manipulationssicher abgelegt werden, bzw. Änderungen nachvollziehbar darstellen. 3.2 Identifikation relevanter Daten Neben den rein technischen Herausforderungen der Sensordatenverwaltung, stellt sich bei der Vorbereitung von Predictive-Maintenance-Ansätzen die Frage nach der Identifikation von relevanten Daten. Unter der Annahme, dass Brücken unterschiedlicher Typen mit Sensoren versehen und an ein Analysesystem angebunden werden, müssen Zeitreihen vergleichbar identifiziert werden. Um über verschiedene Brücken hinweg Daten vergleichbar zu identifizieren, müssen die Sensordaten mit dem physischen Modell der Brücke in Verbindung gebracht werden. Idealerweise wird bei Sensorausstattung einer Brücke schon in der Planung berücksichtig, dass die Sensoren an vergleichbaren Stellen installiert werden. Für die Vergleichbarkeit verschiedener Brücken bietet ASB-ING ein detailliertes Rahmenwerk, über das Brückenelemente, Positionen und Baustoffe beschrieben werden. Durch festgeschriebene Auswahlmöglichkeiten wird eine Auswertung über verschiedene Brücken hinweg erleichtert und Komplexität wie z.B. Natural Language Processing vermieden. Im Projektverlauf wurde BIM als mögliche Basis für die Datenstruktur in Erwägung gezogen, doch gerade in Bezug auf Brücken ist die Struktur des BIM sehr grob und wenig geeignet, einzelne Brückenelemente klassifiziert zu beschreiben. Eine Beschreibung über allgemeine Quader mit textueller Benennung ist für spätere Suchen deutlich komplexer als eine Komposition aus vordefinierten Elementen (Klassen). Als zusätzliche Informationsquelle ist eine grafische 3D-Darstellung der Sensorpositionen an der Brücke hilfreich. Für eine maschinellen Suche über viele Brückentypen hinweg ist eine geokoordinatenzentrierte Speicherung jedoch weniger geeignet. 3.3 Software-Architektur Die gewählte Architektur (Abbildung 2) hat folgenden Themen besondere Aufmerksamkeit geschenkt: 1. Konfiguration von aktiven Komponenten und ihres Kontextes 2. Verwaltung von großen Datenmengen zur späteren Auswertung durch Data Scientists 3. Aufbereitung der Daten für eine längerfristige Speicherung Mit Hilfe eines webbasierten Konfigurators sollen Fachanwender in die Lage versetzt werden, wiederkehrende Konfigurationen für standardisierte Assets (Brücken, Sensoren, Maschinen, …) vornehmen zu können. Dabei wurde sich explizit nicht auf die Modellierung der aktiven Komponenten (z.B. Sensoren) beschränkt, sondern in einen fachlichen Kontext gesetzt, der mit Hilfe von Verwaltungsschalen modelliert und angepasst werden kann. Mehr dazu im Abschnitt 3.4. Fachliche Modellierung. Diese Konfigurationen sollen durch einen definierten Prozess mit der Live-Umgebung interagieren bzw. diese beeinflussen können. Aus diesem Grund wird zwi- 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 79 Datenablage als Grundlage für den digitalen Zwilling eines Bauwerks - Verwaltungsschale BBox schen einem Arbeitsstand, welcher in einer transaktionalen Datenbank (MongoDB 4.x) ablegt wird, und einem Live-Stand, der über dedizierte, versionierte Business Modules oder Deployments von Verwaltungsschalen in RemoteObjectManger und Registry abgebildet wird, unterschieden. Durch lange Bauphasen, weniger häufig auftretende Schadensereignisse oder auch lange Standzeiten, sind besonders umfangreiche Datenmengen zu erwarten. Diese in einer Datenbank mit minimaler Zugriffszeit auf Einzelwerte zu speichern, führt zu hohen Kosten und eher niedrigen Übertragungsraten durch Serialisierungsverluste Bei einer Verarbeitung mit auf Python basierenden Machine-Learning-Tools sind bei vielen Durchläufen für z.B. Datenbereinigung oder Klassifikation eher hohe Datenraten für wiederkehrende Läufe wichtiger als randomisierte Zugriffe auf einzelne Werte, weshalb eine Speicherung von Metadaten in Verwaltungsschalen und Messdaten im Object Store eher einer iterativen Verarbeitung entgegenkommen. Um hier auch in Corona-Zeiten, bei verstärktem HomeOffice, oder auch bei größerer physischer Verteilung effizient mit den Daten arbeiten zu können, wurde ein Zugriff über JupyterHub angelegt. Dieses erlaubt eine Remote-Arbeit mit gängigen Data Science Tools unter Verwendung von optimierten Computing-Ressourcen und direkter Anbindung an die zentralen Datenspeicher. Abbildung 2: Architektur zur Integration von Sensor in ihren Kontext 3.4 Fachliche Modellierung Innerhalb des Projektes wurde eine dreistufige Modellierung erarbeitet, die auf der ersten Stufe (Abbildung 3) einen allgemeingültigen Sprachraum definiert, der die relevanten konstruktiven Elemente aller Brücken beinhaltet. In der Informatik wird hierbei von einer domänenspezifischen Sprache (DSL) gesprochen. Abbildung 3: Allgemeines Modell Die in Abbildung 4 gezeigte zweite Stufe dient konzeptuell der Definition eines brückentypspezifischen Messkonzeptes. Ziel ist die Erarbeitung spezifischer Sen- 80 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Datenablage als Grundlage für den digitalen Zwilling eines Bauwerks - Verwaltungsschale BBox sormessstellen für verschiedene Brückentypen, die als Blaupause für einzelne Brücken dienen und die Identifikation ähnlicher Sensordaten weiter vereinfachen. Sensordaten ähnlicher Brückentypen, die an den gleichen Messstellen des darunterliegenden Messkonzepts erfasst wurden, können mit hoher Sicherheit zueinander in Beziehung gesetzt werden. Auf der zweiten Stufe wird das allgemeine Brückenmodell um alle Elemente bereinigt, die für die spezifische Brückenart nicht relevant sind. Dies vereinfacht die Datenerfassung, da nur relevante Felder zur Auswahl stehen. Abbildung 4: Messkonzept Abbildung 5 zeigt die dritte Stufe, welche die konkrete Brücke mit all ihren relevanten Eigenschaften abbildet. Aufgabe des Fachanwenders ist hier die Erfassung der konkreten Brückendaten, wie er sie schon aus den SIB- Bauwerken kennt, und die Konfiguration der verwendeten Sensoren auf Basis des Messkonzeptes. Abbildung 5: Konkrete Brücke mit Messkonzept Dieses Vorgehen erlaubt eine flexible Beschreibung von Brücken, verwendeten Sensoren und Einsatzorten der Sensoren. Durch Verwendung von Sensoren mit Industrie-4.0 kompatiblen Schnittstellen kann der Aufwand zur Einbindung von Sensordaten deutlich verringert werden, ohne an teure, proprietäre Lösungen gebunden zu sein. Da das Angebot dieser Sensorlösungen begrenzt ist, können bestehende Sensoren über Retro-Fitting in die Industrie-4.0-Landschaft integriert werden. Die Datenstrukturen/ -modelle lassen sich im grafischen Konfigurator um weitere Attribute oder Beziehungen erweitern und bieten so eine zukunftssichere Verwaltungsmöglichkeit. Sollten umfangreichere Erweiterungen notwendig sein, ist dies auf Basis des offenen Industrie-4.0-Frameworks BaSyx möglich. Data Scientists, die zur Verarbeitung ihrer Daten die entsprechenden Schnittstellen verwenden, können den Konfigurator mit in ihrem Umfeld bekannten Technologien einfach erweitern. 3.5 Technische Anforderungen Im Mittelpunkt der digitalen Transformation steht in allen Bereichen die Sammlung, Aufbereitung und Bereitstellung von Daten. Je nach Anwendungsfall ergeben sich dabei sehr unterschiedliche Anforderungen an die Datenmanagement- Infrastruktur. Häufig aktualisierte und sehr umfangreiche Datenquellen stellen hohe Anforderungen an die Kommunikationsinfrastruktur und erlauben wegen zu beachtender Latenzen oft nur eine Speicherung bzw. Verarbeitung nahe der Generierung. Statische oder selten aktualisierte Daten können hingegen günstiger zentral oder bei Bedarf in einem Cloud-Service gespeichert werden. Diesen Anforderungen kann nur eine verteilte flexible Infrastruktur genügen. Einerseits muss Rechenleistung, Kommunikationsinfrastruktur und Datenspeicher dort zur Verfügung gestellt werden, wo und wie der Anwendungsfall dies erfordert. Anderseits gilt es ein einheitliches Datenmanagement über die physikalischen Lokationen, einem Data Fabric, hinaus sicherstellen. Im konkreten Fall kommt Software zum Einsatz, die Daten-Anwendungs-Container persistent mit Metadaten Informationen in einem S3 Objekt-Speicher sichert. Über die S3 Schnittstelle können die Daten einfach an weitere Applikationen oder public cloud services angebunden werden. Die notwendige Compute-, Netzwerk- und weitere Speicherinfrastruktur wird durch ein vorkonfiguriertes, integriertes und skalierbares Komplettsystem zur Verfügung gestellt. Dieses kann auch mittels GPUs für KI-Auswertungen erweitert werden. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 81 Datenablage als Grundlage für den digitalen Zwilling eines Bauwerks - Verwaltungsschale BBox 4. Anwendungsbeispiele 4.1 Regenbrücke Roding Die im Jahr 1965 errichtete Brücke über den Fluss Regen bei Roding war eine dreifeldrige Spannbetonbrücke mit einem einzelligen Hohlkastenquerschnitt und wurde zwischenzeitlich zurückgebaut. Das längs und quer vorgespannte Bauwerk hatte eine Gesamtlänge von 133 m mit Stützweiten von 39 m, 55 m und 39 m. Sie überführte eine zweispurige Bundesstraße. Abbildung 6: Ansicht der Regenbrücke Roding Im Zuge des Ersatzneubaus der Brücke über den Fluss Regen bei Roding wurde für das Bestandsbauwerk eine Abbruchstatik erstellt (Abbildung 6). Eine wesentliche Grundlage hierbei ist die Kenntnis des Verpresszustandes der Spannglieder. Gegenwärtig existiert kein zerstörungsfreies Prüfverfahren, mit dem dieser Zustand entsprechend dem Stand der Technik flächig ermittelt werden kann. Eine Möglichkeit aus dem Bereich der Forschung bietet hier die sogenannte Phasenauswertung von Ultraschallmessungen (Ultraschall-Echoverfahren). Ziel der zerstörungsfreien Prüfung ist es, Bereiche zu lokalisieren, in denen der Verdacht auf eine unvollständige oder fehlende Verpressung geben ist. Anschließend erfolgt eine lokale Bauteilöffnung zur Verifizierung der Ergebnisse. Neben den erforderlichen Untersuchungen konnten an der Brücke zu Forschungszwecken weiterführende Messungen mit dem Ziel der Evaluierung der ZfPBau durchgeführt werden [4, 5]. Die Ultraschall-Echo-Methode wird im Merkblatt B4 der DGZfP [6] beschrieben. Die Grundlagen werden u. a. in [7] erläutert. Die Methode gehört zu den Impuls- Echo-Methoden und beruht auf der gerichteten Einkopplung von Ultraschallimpulsen in das Bauteil. Die Tiefe eines zu detektierenden Objekts im Bauteilinneren, an dem bestimmte Signalanteile reflektiert werden, kann über die gemessene Laufzeit des Impulses im Bauteil bestimmt werden, wenn die Wellengeschwindigkeit im Beton bekannt ist. Diese wird häufig durch eine lokale Kalibrierung an Bauteilen bekannter Dicke bestimmt. Einzelmessungen sind meist wenig aussagekräftig, da nicht bestimmbar ist, aus welcher Raumrichtung die vom gesuchten Objekt reflektierten Signale zum empfangenden Prüfkopf zurückgelaufen sind. Bei der Anwendung bildgebender Verfahren wird die geometrische Lage der Reflektoren häufig aus einer Vielzahl an Einzelmessungen mit unterschiedlichen Sender- und Empfängerpositionen und durch die Fokussierung der Signale mithilfe der „Synthetic Aperture Focusing Technique“(SAFT) bestimmt. Diese Technik hat sich bei der Rekonstruktion von Ultraschalldaten aus Beton besonders bewährt, da das Signal-Rausch-Verhältnis von Anzeigen aus dem Bauteilinnern signifikant verbessert und das bildgebende Resultat in vielen Fällen intuitiv interpretierbar wird [8]. Die Ultraschalluntersuchungen an der Regenbrücke wurden mithilfe eines kommerziell erhältlichen Prüfkopfes durchgeführt, welcher auf einem an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) entwickelten, automatischen Scannersystem installiert wurde. Mithilfe dieses Scannersystems können Messungen mit einer hohen Wiederholpräzision und einem geringen Messpunktabstand für vergleichende Messungen durchgeführt werden. Allein im Bereich der Brückenmitte wurden an der Seite des nördlichen Steges elf Messfelder untersucht, wobei die einzelnen Messpunkte gitterförmig angeordnet sind und einen Abstand von 2 cm in beiden Richtungen haben. Pro Messfeld entspricht dies etwa durchschnittlich 2500 Messpunkten. Je Messpunkt wiederum wurden 2000 Werte abgetastet (Zeitschritte der Signalabtastung). Daraus ergibt sich für die Rohdaten ein Datenvolumen von etwa 16 Megabyte pro Messfeld in einem herstellerspezifischen Format. Nach der Rekonstruktion der Messdaten mit dem SAFT-Algorithmus für die bildgebende Darstellung beträgt das Datenvolumen etwa 350 Megabyte pro Messfeld. Die rekonstruierten Messdaten haben wiederum ein von den Rohdaten abweichendes, spezifisches Datenformat. 82 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Datenablage als Grundlage für den digitalen Zwilling eines Bauwerks - Verwaltungsschale BBox Abbildung 7: Schematische Darstellung der Übertragung von ZfPBau-Ergebnissen in die technischen Zeichnungen der Bestandsdaten unter Berücksichtigung des physikalischen Modells (FEM-Modell) [5] Bei der Planung, Durchführung und Auswertung einer zerstörungsfreien Prüfung besteht eine der wesentlichen Herausforderungen darin, die relevanten Informationen aus den Bestandsunterlagen aufzuarbeiten und die Prüfergebnisse derart zu dokumentieren, dass diese aus den lokalen Messkoordinatensystemen einerseits auf das Bauwerk übertragen werden können. Andererseits müssen die gewonnenen Erkenntnisse anhand von Plänen und Berichten u. a. räumlich eindeutig dokumentiert werden [5]. Die Ergebnisse müssen also auch wieder auf die Bestandspläne bezogen werden können. Der zeitliche Aufwand für derartige Transformationen ist mitunter erheblich. Im ungünstigsten Fall werden die Daten für die Planung der Prüfung digitalisiert und anschließend für die Berichtslegung wieder verschriftlich. Dies bedeutet einen erheblichen zusätzlichen Aufwand, der durch die Nutzung einer strukturierten Datenablage deutlich minimiert werden kann und somit die wirtschaftliche Effizienz einer zerstörungsfreien Prüfung deutlich anhebt. Weiterhin könnten durch die Nutzung einer solchen Datenablage die erhobenen Messdaten für künftige Untersuchungen leichter herangezogen werden, da diese gegenwärtig häufig beim Dienstleister verbleiben und somit nur eingeschränkt oder nicht mehr zur Verfügung stehen. 4.2 Heinrichsbrücke Bamberg Die im Jahr 1974 errichtete Heinrichsbrücke (Abbildung 8) ist eine 4-feldrige, in Stahlbauweise erstellte Straßenbrücke mit einer orthotropen Fahrbahnplatte. Das Bauwerk überführt mit Feldweiten von ca. 19 m, 119 m, 56 m und 79 m die Bundesstraße B22 über den rechten Regnitzarm sowie über den Ausläufer des Main-Donau-Kanals. Abbildung 8: Ansicht der Heinrichsbrücke Bamberg Für die Brücke konnten die Tragfähigkeits- und Dauerhaftigkeitsnachweise gemäß Stufe 1 und Stufe 2 der Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) [9] nicht vollständig in allen bemessungsrelevanten Bereichen der Brücke erfüllt werden. Aus diesem Grunde wird auf Grundlage der Nachrechnungsrichtline in Abstimmung mit dem Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr als Oberste Straßenbaubehörde des Freistaates Bayern eine Nachrechnung der Stufe 3 durchgeführt. Bei Berechnungen nach Stufe 3 werden am Bauwerk ermittelte Messergebnisse in der weiteren Nachweisführung berücksichtigt. Durch die Messung wird das tatsächliche Tragverhalten unter Gebrauchslasten erfasst und es können Hinweise für eine realistischere Erfassung der Tragwerksbeanspruchungen gewonnen werden. Im vorliegenden Fall wird für das Bauwerk ein eigenes Verkehrslastmodell auf der Grundlage der Messergebnisse entwickelt. Für die Erfassungen der Dehnungen, Temperaturverteilungen und Frequenzen wurden an einzelnen relevanten Bauteilen 13 Dehnungsmessstreifen (DMS), 3 Temperatursensoren und 2 Beschleunigungssensoren an der Brücke angebracht (Abbildung 9) und geeicht. Die Datenspeicherung und Verwaltung erfolgte dabei mit den am Markt verfügbaren Systemen inkl. Dashboard für die Live-Auswertung und grafische Darstellung der Mess- 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 83 Datenablage als Grundlage für den digitalen Zwilling eines Bauwerks - Verwaltungsschale BBox werte inkl. der Anzeige von Fehlermeldungen. Dies stellt den derzeitigen Stand der Technik dar. Abbildung 9: Anbringung DMS 6 und DMS 5 4.3 Zusammenfassung Im Bereich der Forschung zeigt die Anwendung der Methoden des Maschinellen Lernens und dem Auffinden von Korrelationen von unterschiedlichen Messdaten ein hohes Potential, um ein intelligentes Erhaltungsmanagement verwirklichen zu können. Von besonderem Interesse ist dabei, dass unterschiedlichste Datenformate und Datensätze strukturiert abgelegt werden können und für solche KI-Auswertungen an externe Programme genauso strukturiert wiedergegeben werden können. Die Grundlage dafür sind u. a. einheitliche Datenformate. Diese Funktionen können neben den herkömmlichen Monitoringfunktionen mit Dashboard von der Verwaltungsschale realisiert werden. Aus diesem Grund wurde parallel zum herkömmlichen Monitoring die gesamte Messinstallation mit Verortung der Sensoren in die Verwaltungsschale BBox eingepflegt. Ebenso wurden für die Weiterentwicklung und zu Testzwecken die Datenspeicherung, die Datenauswertung und der Datenexport mit der BBox durchgeführt. Es hat sich gezeigt, dass die Verwaltung der Daten auch bei sehr hohen Datenvolumen, im vorliegenden Fall 16,5 TB innerhalb von 14 Monaten bei der Heinrichsbrücke Bamberg, sehr gut funktioniert und diese für genannte späteren KI-Auswertungen gezielt übertragen werden können. Neben der Möglichkeit große heterogene Datenmengen mit der Verwaltungsschale BBox verwalten zu können, ergibt sich in Kombination mit der hinterlegten Infrastruktur zusätzliches zukunftsträchtiges Potential der Verwertung der Daten. Machine-Learning-Algorithmen benötigen in der Regel viel Rechenleistung. Durch die Einbindung der Verwaltungsschale in eine leistungsfähige Infrastruktur ist es somit möglich diese Rechenleistung direkt zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet, das Data Scientists aus der Verwaltungsschale Daten extrahieren können und direkt in der vorhandenen Infrastruktur Algorithmen zur Bewertung der Daten ausführen können. Dies kann durch einen externen Zugriff erfolgen ohne dass die Daten hierfür heruntergeladen werden müssen. Diese Möglichkeiten werden anhand der Beispieldaten der beiden Brücken gegenwärtig getestet. 5. Ausblick Die Digitalisierung von Daten bietet insgesamt zahlreiche Vorteile. Mit den beiden gezeigten Beispielen wird die Verwaltungsschale hinsichtlich Datenstruktur, Verortung Sensoren, Datenablage, Datenzugriff, Zugriffsrechte weiterentwickelt. Um eine Akzeptanz einer digitalen Lösung zu gewährleisten, muss jedoch auch die Vertrauenswürdigkeit von Daten garantiert sein. Naturgemäß unterliegen Erkenntnisse, die aus Daten gewonnen werden, häufig vielen Prozessschritten mit unterschiedlichen Beteiligten. Es lässt sich vor dem Hintergrund der langen Lebensdauern von Bauwerken leicht erkennen, dass es schwierig ist diese lange Prozesskette, von der Datenerhebung bis zur teilweise - Jahrzehnte späteren Nutzung, beweissicher und rückführbar zu gestalten. Diese Attribute sind es aber, die die Vertrauensbasis für die Qualität und somit auch die Akzeptanz von digitalisierten Daten bilden. Mit der Entwicklung der Datenablage - Verwaltungsschale BBOX ist ein erster wichtiger Schritt in Richtung einer langfristig strukturierten Datenablage getan, der das physikalische Modell der Brücke als Basis der Zustandsbewertung in den Mittelpunkt stellt. Hierauf aufbauend werden im Projekt CASPAR [2] die technologischen Grundlagen, um Daten langfristig und manipulationssicher zu speichern geschaffen. Es wird eine digitale Schnittstelle, um Daten aus unterschiedlichsten Quellen (z.B. BIM, neue ASB-Ing, Wetter- / Klimadaten) sicher zusammenzuführen und Informationen semantisch zu verknüpfen, auch wenn diese in unterschiedlichen Formaten bereitgestellt werden, erarbeitet. Dies ist insbesondere für die Beurteilung von Verkehrsnetzen durch die Baulastträger interessant, da Informationen somit aus der Objektebene (Brücke) in die Netzebene (Straßennetz) transformiert werden können. Die Erstellung der Datenablage - Verwaltungsschale BBOX erfolgt gegenwärtig mit dem Fokus auf Brückenbauwerke. Nach erfolgreichem Abschluss der Implementierung mit dem Schwerpunkt Brücke ist geplant die Datenablage auch für andere Bauwerkstypen wie beispielsweise dem Hochbau zu erweitern. Literaturverzeichnis [1] Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung: Nachrichten - BAM entwickelt Plattform zur sicheren Speicherung von Bauwerksdaten, 2021, https: / / www.bam.de/ Content/ DE/ Nachrichten/ 2021/ Infrastruktur/ 2021-02-17-plattform-bauwerksdaten. html [Zugriff am: 29.04.2021]. [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: BMVI - Plattform für beweissiche- 84 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Datenablage als Grundlage für den digitalen Zwilling eines Bauwerks - Verwaltungsschale BBox re und rückführbare Datennutzung im Bauwesen - Construction Administration Shell [CASPAR], 2021, https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ DG/ mfund-projekte/ caspar.html [Zugriff am: 29.04.2021]. [3] Erich Barnstedt; Heinz Bedenbender; Meik Billmann et al.: Details of the Asset Administration Shell. Part 1 - The exchange of information between partners in the value chain of Industrie 4.0 (Version 1.0), 2018. [4] Küttenbaum, S.; Maack, S.; Braml, T. et al.: Bewertung von Bestandsbauwerken mit gemessenen Daten. In: Beton- und Stahlbetonbau 114 (2019), Heft 6, S. 370-382. [5] Küttenbaum, S.; Maack, S.; Braml, T. et al.: Bewertung von Bestandsbauwerken mit gemessenen Daten, Teil 2. In: Beton- und Stahlbetonbau 116 (2021), Heft 3, S. 183-199. [6] Deutsche Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung: Merkblatt für Ultraschall-Verfahren zur zerstörungsfreien Prüfung mineralischer Baustoffe und Bauteile. Deutsche Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung, Merkblatt / DGZfP-Fachausschuß für Zerstörungsfreie Prüfung im BauwesenB 4, DGZfP, Berlin, 1999. [7] Krause, M.: Ultraschallechoverfahren an Betonbauteilen. In: Cziesielski, E. (Hrsg.): Bauphysik- Kalender - 2004. Ernst, Berlin, 2004, S. 341-352. [8] Schulze, S.; Mayer, K.; Krause, M.: Spannbetonuntersuchung mit bildgebenden Ultraschallecho- Verfahren. In: Beton- und Stahlbetonbau 108 (2013), Heft 12, S. 845-853. [9] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Abteilung Straßenbau: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) Ausgabe Mai 2011. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 85 Neue digitale Ansätze und agile Methoden für das Erhaltungsmanagement Automatisierte Erhaltungsansätze am Beispiel von Ingenieurbauwerken Dipl.-Ing. Maximilian Schenk Konstruktionsgruppe Bauen AG Bahnhofplatz 1 87435 Kempten Dipl.-Ing. (FH) Rebecca Probst MBA & Eng. Konstruktionsgruppe Bauen AG Bahnhofplatz 1 87435 Kempten Zusammenfassung Technische Führungskräfte öffentlicher Auftraggeber stehen heute vor vielseitigen Herausforderungen. Gerade die Verwaltung zahlreicher, teils komplexer Ingenieurbauwerke ist ein wichtiges Thema für alle Straßenbaulastträger und der sie dabei unterstützenden Fachkräfte. Dabei gilt es noch besser zu verstehen, welche Bauwerksdaten aus der Planungs- und Ausführungsphase einen hilfreichen Beitrag für ein nachhaltiges und ressourcenschonendes Lebenszyklusmanagement leisten. Insbesondere bei BIM-Projekten sollte dies frühzeitig im Rahmen der Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA) festgelegt werden. Nach dem Übergang der Bauwerke in die Betriebs- und Unterhaltungsphase haben die nach DIN 1076 turnusmäßigen und gemäß RI-EBW PRÜF standardisierten Bauwerksprüfungen eine zentrale Bedeutung. Auf Basis der dabei erhobenen Daten und den aus der Planungs- und Ausführungsphase übernommenen Daten werden Prognosen erstellt, Schadensanalysen vorgenommen und konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Standsicherheit, Dauerhaftigkeit und Verkehrssicherheit geplant. Unser Vorschlag zeigt auf, welche Bauwerks- und Prüfdaten für spezifische Anwendungsfälle notwendig sind und welche Mindestangaben für eine koordinierte Erhaltungsplanung empfohlen werden. Wir erläutern in unserem Vortrag, welche digitalen Anwendungen die Visualisierung von Bauwerksschäden begünstigen und wie agile Methoden in Form von Kanban-Boards eine gemeinsame Bearbeitung voranbringen Die Teilnehmenden bekommen mit Hilfe konkreter Beispiele einen umfassenden Überblick zur möglichen Umsetzung einer koordinierten Erhaltungsplanung. 1. Grundlagen - Stand der Forschung Im „Stufenplan Digitales Planen und Bauen“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) wird die standardmäßige Anwendung der Arbeitsmethodik Building Information Modeling (kurz: BIM) im gesamten Verkehrsinfrastrukturbau bei neu zu planenden Projekten ab Ende 2020 vorgesehen. Der Schwerpunkt der aktuellen BIM-Projekte des BMVI liegt auf der Entwicklung und Implementierung der BIM-Methode für die Lebenszyklusphasen Planung und Bau. Nach der Fertigstellung und mit Beginn der Nutzung eines Bauwerkes beginnt die Lebenszyklusphase Betrieb, welche derzeit hauptsächlich in verschiedenen Forschungsansätzen konkreter untersucht wird. In einem unserer Forschungsprojekte erarbeiten wir den Informationslebenszyklus eines Bauwerkes und leiten daraus ab, welche Informationen für das Betriebs- und Erhaltungsmanagement erforderlich sind um somit die Anforderungen an die BIM-Modelle definieren zu können. Hier wird neben den semantischen Anforderungen auch berücksichtig, welche geometrische Genauigkeit ein as-built Modell aufweisen muss, um in verschiedenen Anwendungsfällen der Betriebs- und Erhaltungsphase eingesetzt werden zu können. Neben den neu zu planenden Bauwerken, welche künftig immer häufiger als BIM-Modelle in den Betrieb über- 86 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Neue digitale Ansätze und agile Methoden für das Erhaltungsmanagement geben werden, sind die meist Bauwerke unserer öffentlichen Infrastruktur bestehende Bauwerke. Für diese Bauwerke liegen die Informationen derzeit noch nicht in BIM-Modellen sondern in verschiedenster Form wie Planunterlagen, Bauwerksbücher, SIB-BW etc. vor. Um auch für die bestehenden Bauwerke modellgestützte Betriebs- und Erhaltungsprozesse durchführen zu können, könnten die geometrischen Informationen in einem Modell mit geringer Geometrie dargestellt werden. Die BIM-Modelle bilden für das Erhaltungsmanagement die Grundlage Daten strukturiert vorzuhalten und die Informationen automatisiert weiter zu verarbeiten. 2. Regelwerke und Daten Die Grundlage des Erhaltungsmanagements sind wiederkehrende Prüfungen des Zustandes eines Vermögenswertes, welche bei den Ingenieurbauwerken in Deutschland durch die DIN 1076 geregelt sind und durch die Straßengesetze verbindlich für alle Straßenbaulastträger vorgeschrieben sind. Aufgabe der Straßenbaulastträger ist es, die Bauwerksprüfungen mit einer ausreichenden Prüfungstiefe durchführen zu lassen und die dafür notwendigen personellen und finanziellen Mittel bereit zu stellen. Zudem müssen die Ergebnisse der Bauwerkprüfungen in Form beanstandeter Mängel und Schäden zu Instandsetzungs- und Erneuerungsmaßnahmen führen. Standardisiert werden die Bauwerksprüfungen durch die sogenannten die RI-ERH-ING Richtlinien, welche für eine einheitlich Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung der Prüfungen nach DIN 1076 sorgen. Komplettiert wird diese durch die sogenannte ASB-ING, eine bundeseinheitliche Anweisung für Straßendatenbanken im Segment Bauwerksdaten und das Programm SIB-BW. In der RPE-ING wird ergänzend eine strategische Erhaltungsplanung thematisiert, welche beispielweise präventives Vorgehen mit fixen Eingreifzyklen und einem reaktiven Vorgehen mit dynamischen Eingreifzyklen unterscheidet. 3. Datenquellen und -verarbeitung Die auf Basis der beschriebenen Regelwerke erhoben Bauwerksdaten in Form des Bauwerksbücher und Prüfdaten stellen heute die Datengrundlage der Bestandsbauwerke dar, da sie bei einer Mehrzahl der heutigen Ingenieurbauwerke vorhanden sind und über die Jahre und die Prüfzyklen an Qualität gewonnen haben. Weitere Datenquellen die z. B. im Rahmen von Drohnenbefliegungen oder mit Schwingungssensoren entstehen, werden in Zukunft das Erhaltungsmanagement ergänzen. Eine zentrale Frage ist hier, wie diese in Zukunft gewichtet und wie Sie in die Bewertung einfließen werden. Eine wesentliche Aufgabe des Erhaltungsmanagements ist es die verschiedenen Datenquellen zu verarbeiten und die Daten in Informationen für Entscheidungsvorlagen zu überführen. Dies geschieht mittels geeigneter Transformationsprozesse in denen Cluster, Features und KPIs herausgebildet werden. Mögliche Cluster reichen dabei von organisatorischen Clustern, strukturellen Clustern bis hin zur Ermittlung eines ersten Erhaltungsansatzes Diese Verarbeitung der Daten ermöglicht es, objektive Datengrundlagen und intuitive, auf Ingenieur-Knowhow und Erfahrungswerten basierende Ansätze, zu verbinden. 4. Bauwerksanalyse und Ableitung erster Erhaltungsansätze Betrachtet man die Verarbeitung der Prüf- und Sensordaten z. B. in der Windenergie, in der auch ähnlich wie in der Verkehrsinfrastruktur zahlreiche ingenieurtechnisch anspruchsvolle Anlagen auf Ihren Zustand überprüft werden, so stellt man fest, dass in diesem Bereich sogenannte Dashboards ein zentrales Analysewerkzeug darstellen. In diesen Anwendungen können größere Datenmengen übersichtlich visualisiert werden, in dem man Prüf- und Sensordaten in Kombination mit den ermittelten Clustern, Eigenschaften (Features) und KPIs darstellt. Letztere eigenen sich dafür die mitunter großen Datenmengen zu strukturieren und zu filtern. Mögliche Anwendungsfälle eines solchen Dashboards können beispielweise sein: • Schnelle Identifizierung von fehlerhaften, irrelevanten oder inkonsistenten Daten. • Schnelle Eingangs-Checks neuer Bauwerksprüfungen (DIN 1076) auf Plausibilität, Qualität und Prüfungstiefe • Nachvollziehbare Schadensentwicklungen über mehrere Prüfzyklen • Schnelle Identifizierung von Auffälligkeiten und Schadensmustern • Übersichtliche und filterbare Darstellungen der Bauwerksschäden nach Bauwerksstruktur, Einzelschäden und Zustandsnoten • Die Vorbereitung von Bauprogrammen mit beispielweise Fugen- oder Belagsschäden´ Ergänzungen können zudem Informationen sein, welche auf Basis der Bauwerks-, Prüf- und Sensordaten ermittelt werden und erste Erhaltungsansätze, d. h. erste Schlussfolgerungen auf Basis der Daten für den Bauwerksbestand liefern können. In der aktuellen Studie des Fraunhofer Instituts „KI in der Bauwirtschaft“ ist in Bezug auf zukünftige Softwareanwendungen, welche zu einer Entlastung der öffentlichen Verwaltung führen sollen, von einer automatisierten Bearbeitung der Routinefälle sowie einer Aussonderung der Sonderfälle die Rede. Für folgende Informationen können bereits aktuell mittels Algorithmen z.B. Einordnungen der Bauwerke getroffen werden 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 87 Neue digitale Ansätze und agile Methoden für das Erhaltungsmanagement • Strategieansätze (Neubau, Instandsetzung, …) • Kosteneinschätzungen der jeweiligen Strategieansätze • Dringlichkeit des Handlungsbedarfs, welcher sich z. B. aus der Standsicherheit, Dauerhaftigkeit oder der Verkehrssicherheit eines Bauwerks ergibt 5. Erhaltungssteuerung In der bereits zitierten Studie des Fraunhofer Instituts KI in der Bauwirtschaft, ist von einer KI die Rede, welche als Entscheidungsunterstützung wahrgenommen wird und welche die „eine konstruktive Kombination von menschlicher und künstlicher Intelligenz“ (Bauer, W.; Riedel, O.; Renner, T.s; Peissner M., 2021, S. 31) anstellt. Daraus kann man folgern, dass eine transparente Bearbeitung, Einordung und Anpassung der bspw. mittels Algorithmen ermittelten Strategieempfehlungen, ein Kernelement zukünftiger KI-Anwendungen sein soll. Damit KI-Anwendungen zudem in einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess überführt werden und sich weiterentwickeln können, ist es wichtig, die Einflüsse zu dokumentieren, auf deren Basis Anpassungen der KI- Empfehlungen erfolgen. Bisher identifizierte Kategorien möglicher Anpassungen sind sowohl besondere Bauweisen und Konstruktionen, welche zu Sonderfällen führen als auch externe Einflüsse, welche sich durch die verschiedenen Stakeholder der Verkehrsinfrastruktur ergeben. Mögliche Stakeholder von Ingenieurbauwerken sind z. B. der Verkehr bzw. die Mobilität, welcher im Rahmen von Neubauvorhaben oder möglichen Instandsetzungen beeinträchtigt wird. Ein weiterer Stakeholder wird zudem der Umwelt- und Klimaschutz darstellen, da in den heutigen Bestandsbauwerken viel sogenannte „graue Energie“ steckt. Literatur Bauer, W.; Riedel, O.; Renner, T.s; Peissner M. (Hrsg.) (2021) KI in der Bauwirtschaft: Einsatzmöglichkeiten Für Planung, Realisierung Und Betrieb. Stuttgart, Deutschland 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 89 Integration von BIM (Building Information Management) im kommunalen Asset Management Alexander Buttgereit Stadt Münster Amt für Mobilität und Tiefbau, Münster Slawomir Heller HELLER Ingenieurgesellschaft mbH, Darmstadt Zusammenfassung Der Schwerpunkt von BIM liegt bisher auf der Unterstützung der Planungs-, Entwurfs- und Bauphase. Die praktischen Lösungen für die Betriebsphase einschließlich der Erhaltung (O&M) sind dagegen noch nicht ausreichend vorhanden. Zudem ist der Nutzen der BIM-Methoden für die Eigentümer und Betreiber der Infrastruktur noch nicht offensichtlich. Die Implementierung von BIM durch den Betreiber von Straßeninfrastruktur, insbesondere im kommunalen Bereich, ist mit besonderen Herausforderungen verbunden. In erster Linie ist es die Notwendigkeit, die einzelnen Bauvorhaben nicht als isolierte Projekte zu betrachten, sondern sie als Teile des gesamten Straßennetzes zu betrachten. Darüber hinaus sind die Bauprogramme für die anderen Infrastruktursysteme im Straßenraum, wie Wasser und Abwasser, Telekommunikation, Gasleitungen usw., also das gesamte Infrastrukturportfolio, zu berücksichtigen, um somit Synergien für die Betreiber und vor allem für die Nutzer des öffentlichen Raums zu generieren. Eine wesentliche Weiterentwicklung wird von der Umsetzung der BIM-Methodik erwartet, die in der internationalen Norm ISO 19650 vorgestellt wird. 1. Einführung BIM wird in Deutschland immer noch fast ausschließlich für die Planungs- und Bauphase größerer Bauvorhaben eingesetzt. Selbst die wegweisenden Dokumente der Bundesregierung, wie der „Stufenplan Digitales Planen und Bauen“, legen den Fokus auf diese beiden Phasen im Lebenszyklus der Infrastruktur. Dagegen ist die Betriebsphase, die bis zu 90% aller im Lebenszyklus anfallenden Kosten verursacht, aus dem „Kreislauf des BIM“ nach wie vor praktisch ausgeklammert. Und das, obwohl die Eigentümer der Infrastrukturen in Ländern, die BIM bereits erfolgreich in der Praxis umsetzen, diese einseitige Fokussierung auf die Planungs- und Bauphase seit Jahren korrigiert haben und nun verstärkt den Betrieb unterstützen. Aufgrund der (ungerechtfertigten) Fokussierung auf den Neubau und auf Großprojekte im Allgemeinen werden BIM-Methoden bei kommunalen Bauprojekten, die sich meist auf Erhaltungs- und Umbaumaßnahmen beschränken, sehr selten eingesetzt. Der vorliegende Beitrag ist ein Plädoyer für die Stärkung der Rolle des Eigentümers und des Betreibers städtischer Infrastruktur auf dem Weg zu einem modernen, digitalisierten und effizienteren kommunalen Infrastrukturmanagement. Als wichtiger „Verbündeter“ auf diesem Weg gelten hierbei die internationalen und nationalen BIM- Normen, wie z. B. die DIN EN ISO 19650. 2. Bedeutung der internationaler Norm ISO 19650 Mit der Norm DIN EN ISO 19650 und anderen flankierenden Standards werden Manager und Eigentümer der Infrastruktur durch innovative Managementverfahren unterstützt. Man verspricht sich dadurch künftig einen stärkeren Abbau des Innovationsrückstaus im Bauwesen als bisher und eine Erhöhung der notorisch niedrigen Produktivität. Es wurde damit quasi ein zweiter „BIM-Zweig“ kreiert, der eine klare Botschaft transportiert, nämlich eine eindeutige Implementierung von BIM als integratives Element des Asset Managements (siehe Bild 1). 90 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Integration von BIM (Building Information Management) im kommunalen Asset Management Abbildung 1: Verbindung von Informationsmanagement (BIM), Asset Management und Organisationsmanagement 3. Bedeutung des Betriebs im Lifecycle der Infrastruktur Jedes Infrastrukturobjekt passiert in seinem „Leben“ eine Reihe von Stadien, die sich mit großer Einfachheit einer von zwei Phasen zuordnen lassen: der Bereitstellungsphase (engl. delivery), die umfasst die Planung, den Entwurf und den Bau sowie die Betriebsphase (engl. operation). Dieser „Lebenszyklus“ endet entweder mit der Stilllegung einer Anlage, d.h. mit dem Abriss des Bauwerks, oder, wie zumeist im Falle von Infrastrukturobjekten, wie z. B. Straßen, kommt es zu einer grundlegenden Erneuerung oder Modernisierung, die oft mit einer Aufstufung der technischen Klasse verbunden ist. Es wird geschätzt, dass die Kosten während des Betriebs 90 % der gesamten Lebenszykluskosten ausmachen, während die Planungskosten sich nur auf 1 % belaufen (siehe Bild 2). Abbildung 2: Lebenszyklusphasen der Infrastruktur und kumulierte Kosten 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 91 Integration von BIM (Building Information Management) im kommunalen Asset Management Daher können Digitalisierungstechniken, die einseitig auf die Bedürfnisse der Planer, Entwickler und Bauunternehmer ausgerichtet sind, ohne die der Manager der Infrastruktur zu berücksichtigen, noch nicht zu einem signifikanten Durchbruch in der gesamten Branche führen. Dies gilt um so mehr, wenn eine sowohl kostenmäßig als auch organisatorisch so wichtige, Betriebsphase unberücksichtigt bleibt. 4. Digitaler Zwilling für das kommunale BIM Die BIM-Fachliteratur bietet viele spektakuläre Beispiele für Visualisierungen der Digitalen Zwillinge. Es handelt sich dabei meistens um 3-dimensionale Zeichnungen und Animationen. Softwarefirmen verbessern laufend die Ästhetik solcher Visualisierungen. Dies verstärkt hierdurch den Glauben, dass BIM von Natur aus mit solchen dreidimensionalen Modellen verbunden werden muss und das Fehlen einer solchen Visualisierung disqualifiziert scheinbar die Lösung als Bestandteil von BIM. Daher trifft man häufig auf Beispiele, in denen „um jeden Preis“ 3D-Modelle z. B. für die Planung der Straßenerhaltung erstellt werden, die keinen praktischen Zweck erfüllen. Der digitale Zwilling zielt jedoch, wie jedes andere Modell auch, nicht auf eine möglichst exakte Nachbildung der Realität ab, sondern im Gegenteil, auf deren größtmögliche Vereinfachung, wobei jedoch nur diejenigen Merkmale der modellierten Wirklichkeit berücksichtigt werden, die für die gestellten Aufgaben relevant sind. Dies ist insbesondere bei der Modellierung von linearer Infrastruktur, wie z. B. Straßen, von Bedeutung. Die originalgetreue Abbildung allein, wie sie aus der Kartografie bekannt ist, ist nicht immer von Vorteil. Für die Zwecke des Straßeninfrastrukturmanagements, sowohl in der Bereitstellungsals auch in der Betriebsphase, funktioniert seit vielen Jahren ein Streckenband sehr gut. Das Streckenband visualisiert auf abstrakte Weise sowohl die Bestandsdaten, einschließlich Straßenquerschnitt, Aufbaudaten, Straßenzustand, Verkehrsbelastung sowie die Elemente anderer Infrastrukturen, wie z. B. Wasserversorgung oder Kanalisation, was für das kommunale Infrastrukturmanagement fundamental ist. Ein solcher auf die spezifischen Bedürfnisse des Straßeninfrastrukturbetreibers zugeschnittener Digitaler Zwilling zeigt, auch wenn er alle 3 geometrischen Dimensionen in seinem digitalen Modell enthält, die Geometrie absichtlich in einer deformierten Weise, um die relevanten Informationen für einen bestimmten Adressaten bestens sichtbar zu machen (Nutzerfokussierung). Die Art der Darstellung desselben Objekts kann folglich für verschiedene Adressaten sehr unterschiedlich sein, da diese auf die Erfüllung ihrer individuellen Ansprüche und Erfordernisse ausgerichtet werden sollte. Bild 3 zeigt ein Beispiel eines digitalen Zwillings für das kommunale Straßennetz. 92 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Integration von BIM (Building Information Management) im kommunalen Asset Management Abbildung 3: Streckenband als Medium der Visualisierung eines digitalen Zwillings [2] 5. Besonderheiten kommunales Infrastrukturmanagements Aus dem Einsatz von BIM ergeben sich für die Baubranche Chancen, die Effizienz zu steigern und den Innovationsstau zu bewältigen. Mann muss gleichzeitig auf einige Risiken hinweisen werden, die mit den Besonderheiten der kommunalen Infrastruktur verbunden sind. Eines der Risiken ist die unreflektierte Übertragung der BIM-Methoden vom Hochbau auf den kommunalen Straßenbau verbunden mit der falschen Überzeugung, dass die Erstellung der 3D-Modelle eine vermeintliche Grundvoraussetzung ist, um ein bestimmtes Projekt in die „BIM-Kategorie“ einzuordnen. Ein weiterer Kardinalfehler ist, dass dem jeweiligen Auftragnehmer die gesamte Verantwortung für die Implementierung von BIM aufgebürdet wird sowie die Passivität seitens des Auftraggebers. Dies erhöht das Risiko von Informationsverlusten zwischen der Bereitstellungs- und der Betriebsphase und Verzögert die Etablierung von BIM in den verantwortlichen Tiefbauämtern. Viele Risiken ergeben sich aus der Beschränkung der Wahrnehmung von BIM auf technische Aspekte. Das Bewusstsein der obersten Leitung für die Möglichkeit der Anwendung von BIM in seiner Organisation zur Steigerung ihrer Effizienz und Sicherheit ist in den meisten Tiefbauämtern anscheinend immer noch sehr begrenzt. BIM wird nach wie vor unzureichend als eine Disziplin betrachtet, die den Managementprozess unterstützt. Daher werden die damit verbundenen Aufgaben oft an das technische Personal delegiert. Einige weitere Risiken resultieren direkt aus den Besonderheiten des kommunalen Asset Managements. Zu solchen Besonderheiten gehören folgende: • Es dominieren Bauvorhaben von relativ niedrigem Kapitalvolumen; dazu zählen u.a. räumlich beschränkte Erhaltungssowie kleinere Umbaumaßnahmen. • Es ist erforderlich, die Restriktionen und Beschränkunken aus anderen Infrastruktursystemen, wie etwa der Wasserversorgung, der Stadtentwässerung oder 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 93 Integration von BIM (Building Information Management) im kommunalen Asset Management der Telekommunikation stärker als außerorts zu berücksichtigen. • Es ist vielfach kaum möglich, die einzelnen Bauaktivitäten im Netz separat voneinander zu betrachten. Um die Verfügbarkeit des Netzes auf einem akzeptablen Niveau sicherzustellen, müssen die Aktivitäten anderer Infrastrukturbetreiber ebenso in Betracht gezogen werden. • Der Betreiber (zumeist die kommunale Straßenbauverwaltung) ist oft weder personell, noch technisch, noch vom Wissensstand ausreichend ausgestattet, um moderne, komplexe BIM-Verfahren anzuwenden. • Die beteiligten Baufirmen sind oft aufgrund zu geringen Personals nicht in der Lage, Mitarbeiter für weitergehende Steuerungs- und Koordinierungsaufgaben freizustellen. Aus diesen Besonderheiten resultieren weitere Risiken, die im Folgenden in zwei Gruppen zusammengeführt werden. 5.1 Gefahr eines Zwei-Klassen-Bausektors Einige Beobachter, welche die Folgen der Implementierung von BIM im kommunalen Sektor analysieren, machen auf die ernsthafte Gefahr einer Segmentierung des Bausektors aufmerksam. Finanziell starke Bauunternehmen, die in der Lage sind, höhere wirtschaftliche Belastungen im Zusammenhang mit der Implementierung von BIM zu übernehmen und über geeignetes Personal verfügen, befinden sich in einer viel günstigeren Situation auf dem Markt der Bauleistungen als kleinere Unternehmen, die in Kommunen die Mehrheit darstellen. Die Folge könnte eine „Zweiklassengesellschaft“ im kommunalen Bausektor sein, wo die kleineren und finanziell nicht ausreichend starken Bauunternehmen immer noch die Mehrheit der Bauaktivitäten realisieren. Die Gefahr einer solchen Segmentierung des Bausektors ist umso ernster, je mehr die BIM-Methodik mit dem Einsatz hochentwickelter IT-Techniken verbunden ist. Die Normen der ISO 19650, in denen formale Anforderungen an BIM enthalten sind, stellen indes nicht unbedingt so hohe Anforderungen. Vielmehr zeigen sie, dass die praktische Umsetzung von BIM auch bei kleineren Projekten mit kleinen und mittleren Projektbüros bzw. Bauunternehmen möglich ist. Mit solchen relativ kleinen Aufgaben sind die Verwalter der Straßeninfrastruktur konfrontiert und daher richten sich die praktischen BIM- Lösungen auch an sie. 5.2 Die Gefahr des Silo-Denkens in kommunalen BIM-Projekten Obwohl die BIM-Methodik die Notwendigkeit auferlegt, den gesamten Lebenszyklus eines bestimmten Objekts zu berücksichtigen, ist die überwiegende Mehrheit der praktischen Anwendungen von BIM auf die Planung und den Bau beschränkt. Während bei den meisten Hochbauobjekten ein solcher Ansatz gerechtfertigt und rational sein mag, muss der Manager der kommunalen Straßeninfrastruktur bei der Planung des Neubaus, der Modernisierung oder der Erhaltung einer Straße in der Regel die Folgemaßnahmen innerhalb eines Straßenabschnitts berücksichtigen. Somit ist diese vierte Dimension von BIM, die Zeit, für die Straßeninfrastruktur von besonderer Bedeutung und wird auf die gesamte Lebensdauer des Straßenabschnitts ausgedehnt. Außerdem kann es sich der Manager der kommunalen Straßeninfrastruktur im Gegensatz zu Bauherren im Hochbauinvestitionen nicht leisten, die einzelnen Objekte, in diesem Fall Straßenabschnitte, voneinander unabhängig zu betrachten, da der Gegenstand des Managements immer das gesamte Straßennetz ist und die Folgewirkungen von Straßenbauarbeiten, zum Beispiel Verkehrsstörungen, im gesamten Straßennetz der Stadt Auswirkungen haben können. Dies gilt umso mehr, als dass in der Praxis viele Akteure gleichzeitig im Straßennetz tätig sind und die Auswirkungen nur auf Netzebene betrachtet und beurteilt werden können. Die spezifische Natur von Straßeninvestitionen in den Städten stellt eine zusätzliche sehr wichtige Anforderung an BIM. Es ist oft erforderlich, weitere Infrastruktursysteme im Straßenumfeld zu berücksichtigen. Es ist kaum möglich, Straßenbaumaßnahmen zu planen und gleichzeitig die Erhaltungspläne für Wasser- und Abwasserinfrastruktur oder für das Gasleitungsnetz, d.h. für andere Infrastruktursysteme in einem bestimmten Gebiet, außer Acht zu lassen. Die Sanierung eines Kanals oder die Verlegung eines Glasfasernetzes ist meistens mit Eingriffen in den Straßenkörper verbunden. Daher ist die Koordination von Bauplänen durch Verantwortliche verschiedener Infrastruktursysteme, die für das gesamte Infrastrukturportfolio zuständig sind, notwendig, was jedoch aufgrund der oft fehlenden Organisationsstrukturen, die für die Koordination solcher Aufgaben vorgesehen sind, eine große Herausforderung darstellt. Die Anforderung, das gesamte städtische Infrastruktursysteme als Portfolio und nicht als separate, isoliert betrachtende Objekte zu berücksichtigen, deckt sich übrigens mit einer der grundlegenden Anforderungen des Asset Managements (siehe Bild 4). 94 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Integration von BIM (Building Information Management) im kommunalen Asset Management Abbildung 4: Ebenen des Asset Managements 6. Prototypische BIM-Implementierung für das Management kommunaler Infrastrukturportfolio Im Rahmen eines Prototyps sollte die Machbarkeit einer pragmatischen und an den Zielen einer Stadt orientierten BIM-Lösung untersucht werden. Vorrangiges Ziel war es dabei, eine Verbindung zwischen den Datenbeständen des städtischen Infrastrukturbetreibers, in diesem Fall der LOGO-Datenbank der Stadt Münster, und einer Daten- und Informationsplattform für die Koordination aller Planungsaktivitäten im Bezug auf des kommunale Infrastrukturportfolios sicherzustellen. Die Planung der Ausbau- und Erhaltungsmaßnahmen für das kommunale Infrastrukturportfolio gehört zu den Aktivitäten der „Bereitstellungsphase“ (engl. delivery of asset), die stark im Focus der BIM-Methodik steht. Bei der Realisierung des Prototyps hielten sich sowohl der Auftraggeber (die Stadt Münster) als auch der Auftragnehmer (HELLER Ingenieurgesellschaft) strikt an die von der Norm ISO 19650 vorgegebenen Rahmenbedingungen. Ein wesentliches Kriterium bei der Wahl des angewandten Verfahrens war die Sicherstellung einer vollständigen Kontrolle über alle Daten und Planungsprozesse gleichermaßen durch den Eigentümer und Betreiber der Infrastruktur (Stadt Münster) sowie durch die potentiell beteiligten Dritten, unabhängig von deren „Reifegrad“ (engl. maturity level). In der Tat ist es von höchster Relevanz, dass alle Organisationseinheiten der städtischen Verwaltung sowie die externen Dienstleister auf alle für sie relevanten Daten zugreifen und eigene Informationen einbringen bzw. aktualisieren können. Um die kommunalen Besonderheiten zu berücksichtigen, wurden in der gemeinsamen Datenumgebung (Common Data Environment - CDE) nicht nur Straßen, sondern auch alle weiteren im Bereich des Straßenraums befindlichen Infrastrukturobjekte berücksichtigt. Um eine automatische Verknüpfung sämtlicher relevanter Daten aus unterschiedlichen Infrastruktursystemen, z. B. (Kanalnetz, Verkehrsleitsysteme, Brücken), zu gewährleisten, wurde ein auf dem Ordnungssystem der Straße basierendes, einheitliches Ordnungssystem entworfen und die automatischen Routinen zur Transformation der Lokalisierung zwischen verschiedenen Ordnungssystemen implementiert. In der Praxis werden oft die Bestands- und Zustandsdaten zu mehreren Infrastruktursystemen der Stadt in einer Datenbank verwaltet. Darüber hinaus gibt es allerdings noch weitere Datensysteme, die entweder die detaillierteren technischen Daten zu einzelnen Infrastrukturen verwalten oder aufgrund der Zuständigkeitsverhältnisse (kommunale Unternehmen) eine unabhängige Datenverwaltung bevorzugen. Alle diese Datensysteme bilden das Asset Information Model (AIM). Daher müssen individuelle Import-/ Export-Routinen zwischen dem CDE (mit dem Projekt Information Model - PIM) und diesen Datenbanksystemen implementiert werden (siehe Bild 5). Im Falle des Münsteraner Prototyps wurden solche Routinen für das System zur Verwaltung der Bestands- und Zustandsdaten des Kanalnetzes (novaKandis) implementiert. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 95 Integration von BIM (Building Information Management) im kommunalen Asset Management Abbildung 5: Gemeinsame Datenumgebung für das BIM-Portfoliomanagement [3] Eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Sicherstellung der Akzeptanz der Anwendung einer BIM-Lösung (in diesem Fall zum Zweck der Koordination der Ausbau- und Erhaltungsprogramme für alle Infrastruktursysteme) ist eine geeignete Visualisierung des digitalen Zwillings. Es ist grundlegend, dass keine hohen technischen Anforderungen als Voraussetzung gelten, um die Plattform in ihrer vollen Funktionalität zu nutzen. Es darf nicht passieren, dass aufgrund hoher formaler oder administrativer Hürden einige am Entscheidungsprozess beteiligte Akteure von der Nutzung der Plattform quasi „ausgeschlossen“ sind und Abstand nehmen. Das Prinzip des „kleinsten gemeinsamen Nenners“ muss immer im Auge behalten werden und Entscheidungen über die Form der Visualisierung müssen entsprechend getroffen werden. Das dynamische und aufgabenbezogen konfigurierbare Streckenband scheint die beste Form für die Visualisierung eines digitalen Zwillings für die linienförmigen Infrastrukturobjekte zu sein. So ist es möglich, alle Infrastrukturobjekte, die sowohl als Flächen-, Linien- oder Punktobjekte modelliert sind, als Streckenband darzustellen (siehe Beispiel in Bild 3). Durch die bewusste „Verzerrung“ des Maßstabs in Querrichtung besteht die Möglichkeit, bestimmte Sachverhalte besser als bei einer „echten 3D-Darstellung“ zu visualisieren. Das Streckenband ermöglicht die Darstellung der Elemente aller oder ausgewählter Infrastruktursysteme und die gewünschte Kombination von Informationsgruppen, wie z.B. Zustand, durchgeführte und geplante Maßnahmen, Nutzungsintensität (im Falle der Straßeninfrastruktur der Verkehr). Das Streckenband wird nicht nur als Medium für die Visualisierung der Daten, sondern auch für die Edition verwendet, d.h. für die Eintragung der Informationen über die geplanten Maßnahmen direkt auf den dafür vorgesehenen Elementen des Streckenbandes. Da für bestimmte Zwecke auch die Kartendarstellung von Bedeutung sein könnte, werden alle auf dem Streckenband angezeigten und bearbeiteten Informationen auch sofort auf Karte visualisiert (siehe Bild 3). 7. Zusammenfassung und Ausblick In einem Pilotprojekt zur Verknüpfung von BIM und Asset Management konnte in Münster gezeigt werden, wie künftig möglich sein kann, BIM netzweit im Rahmen der Koordinierten Erhaltungsplanung kommunaler Infrastruktursysteme verantwortlich zu nutzen. Dabei hat sich herausgestellt, dass eine einheitliche, gemeinsame Informationsplattform für alle Asset Manager von zentraler Bedeutung ist. Eine solche einheitliche, gemeinsame Informationsplattform bietet in erster Linie eine Grundlage für die mittel- und langfristige koordinierte Planung von Bauaktivitäten in Bezug auf alle relevanten Infrastrukturen in der Stadt und hilft, die potenziellen Termin- und Raumkonflikte zu erkennen und ggf. erforderliche Korrekturmaßnahmen in den Bauprogrammen vorzunehmen. Darüber hinaus bietet diese Plattform den 96 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Integration von BIM (Building Information Management) im kommunalen Asset Management Verantwortlichen der Stadt die Möglichkeit, die strategischen Key Performance Indicators (KPIs) für das gesamte Infrastrukturportfolio zu ermitteln und damit die Anforderungen an ein Asset Management System in der Praxis zu erfüllen. Sie leistet auch einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung des infrastrukturübergreifenden Managements (eng. cross-management). Es ist geplant, die bereits entwickelten Systeme auf die weiteren Infrastruktursysteme der Stadt auszudehnen, um dem Infrastrukturmanagement und auch dem Eigentümer der Infrastruktur eine bessere Entscheidungsgrundlage und der Politik sowie der Öffentlichkeit eine bessere Möglichkeit zur Verwirklichung der sozialen und gesellschaftlichen Teilhabe und Partizipation zu geben. Literaturangaben [1] The New Zealand BIM Handbook, A Guide to Enabling BIM on Built Assets, 2019) [2] Heller, S., Dziubałtowska, M., Reifschläger, K., Leśniewski, M., Grund, Ch.: Konzept zur Implementierung des BIM für kommunale Infrastruktur im Amt für Mobilität und Tiefbau Münster, HEL- LER Ingenieurgesellschaft mbH, im Auftrag der Stadt Münster, August 2020 [3] Buttgereit, A., Heller, S.: Integration von BIM (Building Information Management) im kommunalen Asset Management, Kirschbaum Verlag, Straße und Autobahn, 02/ 2021 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 97 Online Sicherheits-Managementsystem für Brücken Der Weg zum Reallabor Yasser Alshaban Alqasem Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Andreas Socher Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Andreas Jansen Technische Universität Berlin (TUB), Berlin, Deutschland Zusammenfassung Das Verbundforschungsprojekt OSIMAB zielt darauf ab, ein ganzheitliches Konzept zur kontinuierlichen Überwachung, Bewertung und Prognose des Zustandes von Straßenverkehrsbrücken zu entwickeln. Im Zuge des Projekts werden repräsentative Bauwerke des Brückenbestandes betrachtet, die für ein prädiktives Erhaltungsmanagement relevant sind. Ansätze zur Überwachung von Brückenzuständen wurden an einem Reallabor erprobt und entwickelt. Die Auswahl des Reallabors ergibt sich aus verschiedenen Kriterien, die die Kerneigenschaften und äußeren Einflüsse der relevanten Bauwerke repräsentieren. Um das Verhalten des Reallabors unter realen Bedingungen zu untersuchen, wurde eine umfangreiche Messanlage im Rahmen des Projektes entwickelt, installiert und betrieben. 1. Einleitung Zahlreiche Brücken des Bundesfernstraßennetzes wurden in den 60er und 70er Jahren gebaut. Die Alterung der Bausubstanz und die gleichzeitig in den vergangenen Jahren deutlich gestiegenen Verkehrslasten, insbesondere infolge des Schwerverkehrs, führen zu einer fortschreitenden Verschlechterung des Bauwerkszustands. Das Erhaltungsmanagement für Brückenbauwerke hat zum Ziel, die Standsicherheit und Dauerhaftigkeit der Bauwerke mit zielgerichteten Maßnahmen wiederherzustellen bzw. sicherzustellen [1]. Aufgrund der verkehrsbedingten und klimatischen Einwirkungen sowie der Altersstruktur der Bauwerke stellt das erstrebte, prädiktive Erhaltungsmanagement eine Herausforderung dar [2]. Mit dem Ziel kontinuierlicher messtechnischer Zustandsüberwachung und Prognose der Bauwerkzustandsentwicklung beschäftigt sich die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) im Forschungsschwerpunkt „Intelligente Brücke“, um bevorstehende Zustandsänderungen frühzeitig zu erkennen und geeignete Maßnahmen einzuleiten. Eine intelligente, mit Messtechnik ausgestattete Brücke wird in dem Projekt OSIMAB als Reallabor genutzt, an dem innovative Ansätze unter realen Bedingungen erprobt, bewertet und weiterentwickelt werden. Die Kriterien zur Auswahl des Reallabors im Zuge des Projektes OSIMAB sowie die realisierte Messanlage werden in diesem Beitrag vorgestellt. 1.1 Reallabor Ein Reallabor im Bauwesen ist eine zeitlich und räumlich begrenzte Experimentiereinrichtung, die unter realen Bedingungen eine Untersuchung des Strukturverhaltens mit unterschiedlichen Ansätzen ermöglicht [3]. Reallabore sind Konzeptionswerkstätten, die die Möglichkeit schaffen, praxisrelevante Fragestellungen wissenschaftlich zu untersuchen. Die gewonnenen Erkenntnisse können innovative Ansätze für die Praxis liefern. Reallabore bilden eine Schnittstelle zwischen Forschung und Praxis [4]. Im Rahmen des Projekts OSIMAB wurden Bestanddaten von Brückenbauwerken der Bundesfernstraßen tiefgehend analysiert [5], um die Grundlage der anfänglichen Projektbearbeitung bereitzustellen und nachfolgend ein geeignetes Reallabor auszuwählen. 98 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Online Sicherheits-Managementsystem für Brücken 2. Auswahl des Reallabors 2.1 Kriterien zur Vorauswahl des Reallabors Das Reallabor soll gewisse Voraussetzungen bzw. Anforderungen erfüllen. Diese beziehen sich sowohl auf seine Eigenschaften als auch auf seine Umgebung. Für die Festlegung der Eigenschaften des Reallabors wurden Analysen an Daten bestehender umfangreicher Datenbanken des Bundes (u.a. BISStra [Bundesinformationssystem Straße], SIB-BW [Straßeninformationsbank, Teilsystem Bauwerke]) durchgeführt, um Bauwerke zu finden, die aufgrund ihrer Eigenschaften für das Erhaltungsmanagement relevant und für den Brückenbestand repräsentativ sind. Hierzu wurden systematische Bauwerksschwachstellen, überwachungsrelevante Bauteile und Einflussparameter analysiert und bewertet [5]. Um die Einsetzbarkeit des OSIMAB-Systems für eine Reihe von Brücken nachzuweisen, wurde ein Bauwerk gesucht, das mit seinen Eigenschaften einer Vielzahl von Bestandbrücken ähnelt. Für die Identifikation der relevanten Eigenschaften der repräsentativen Bauwerke im Bundesfernstraßennetz wurden die Brücken nach verschiedenen Kriterien geclustert. Hierzu wurden für die Hauptbaustoffe der Brückenbauwerke (Stahlbeton, Spannbeton, Stahlverbund und Stahl) Bauwerksgruppen gebildet. In diesem Zusammenhang bilden die Spannbetonbrücken 70% der Brückenfläche des Bundesfernstraßennetzes ab [6]. Die Auswahl des Reallabors fokussierte sich daher auf Spannbetonbauwerke. Anhand der Clusterung dieser Bauwerksart, die 913 Bauwerke umfasst, wurden Bauwerkseigenschaften gefunden, die typisch für den Bestand der Spannbetonbrücken sind. Darauf basierend wurden primäre Kriterien für die Auswahl des Reallabors abgeleitet. Folgende Eigenschaften haben sich als repräsentativ für den Bestand erwiesen. Das Reallabor sollte mindestens über 2 Felder mit Durchlaufwirkung verfügen. Der theoretische Widerstand sollte der Brückenklasse 60 oder 60/ 30 zugeordnet sein. Die größte Stützweite sollte mindestens 14 m betragen [7]. Ferner sollte das Reallabor einen Hohlkastenquerschnitt aufweisen. Außerdem sollte das Reallabor mindestens einen durchschnittlichen täglichen Schwerverkehr (DTV-SV) von 10000 aufweisen [7]. Um eine Aussage über die Schädigungspotenziale der geclusterten Spannbetonbrücken zu treffen, und damit zu unterscheiden, welche Bauwerke als gefährdet bezüglich zukünftiger Schädigung sind, wurde die Substanzkennzahl (SK) herangezogen. Die Substanzkennzahl repräsentiert die Note eines Bauwerkes bezogen auf die Standsicherheit und Dauerhaftigkeit. Die Note kann Zwischen 1.0 und 4.0, sehr guter Zustand (1,0-1,4) bis ungenügenden Zustand (3,5-4,0) betragen [8]. Spannbetonbauwerke mit einer Note von unter 2,5 befinden sich mindestens in einem befriedigenden Zustand, und somit ist keine mittelbzw. kurzfristige Notwendigkeit für Erhaltungsmaßnahmen zu erwarten. Diese Bauwerke wurden als geeignet für ein zukünftiges prädiktives Erhaltungsmanagement angesehen [5]. Aus diesem Grund wurden Spannbetonbauwerke mit einer SK ≥ 2,5 aus dem Auswahlverfahren ausgeschlossen. Nach der Festlegung der primären Kriterien für die Auswahl des Reallabors haben die Projektpartner weitere Anforderungen bzw. Voraussetzungen für die Auswahl abgestimmt. In diesem Zuge wurden Bauwerken aus dem Auswahlverfahren ausgeschlossen, die bald abgerissen, bzw. ersetzt werden. In Bezug auf das Erstellen von einem numerischen Modell wurde bei der Auswahl des Reallabors berücksichtigt, dass keine übermäßige Krümmung oder Schiefwinkligkeit vorhanden sind, um bei der Kalibrierung des Systemmodells übersichtliche modale Eigenschaften zu erhalten [7]. Das Auswahlverfahren wurde auf Vorhandensein von Achslastmessstellen (AMS) erweitern. Hierbei wurden Bauwerke gesucht, deren überführtes Verkehrsaufkommen durch eine Achslastmessstelle aufgezeichnet wird. Anhand der vorgeführten Kriterien und Voraussetzungen wurden vier Bauwerke ausgewählt, die mit ihren Eigenschaften als Reallabor geeignet sind. 2.2 Auswahl des Kandidaten Für die Differenzierung der ausgewählten Bauwerke wurden zweckmäßig weitere Anforderungen festgelegt. Diese beziehen sich hauptsächlich auf die Umgebung des Bauwerks. Hierzu zählt u.a. die Erreichbarkeit, die Begehbarkeit, Zugänglichkeit, der Aufwand für die Installation der Messtechnik, der Aufwand für die Energieversorgung, der natürliche Schutz vor Vandalismus, das Platzangebot für Parkmöglichkeiten und die Mobilfunk- Abdeckung der Umgebung [7]. In einem weiteren Schritt wurden die vier Kandidaten in einer Entscheidungsmatrix gegenübergestellt. In dieser Matrix wurden die bereits genannten Kriterien und Anforderungen übernommen, gewichtet und ausgewertet. Die Auswertung hat ergeben, dass die Talbrücke Sachsengraben im Zuge der A45 die höchste Gesamtpunktzahl erzielt hat, und somit als Demonstrator für die weiteren Untersuchungen im Projekt OSIMAB ideal geeignet ist [7]. Trotz der fehlenden Achslastmessstelle fiel die Wahl auf die Talbrücke Sachengraben, da alle primären Kriterien erfüllt waren, und Straßen NRW der Ausrüstung des Bauwerks zugestimmt hatte. Die Talbrücke wurde im Jahr 1971 gebaut [7], und sie verfügt über 3 Felder. Die Stützweite der Randfelder beträgt 30 m, und 38 m für das mittlere Feld. Der Überbau setzt sich aus zwei Teilbauwerken zusammen, die jeweils aus einem begehbaren, einzelligen Hohlkasten bestehen (siehe Abbildung 1). Die vorhandenen Schäden u.a. durchgehende Querrisse im Überbau bieten die Möglichkeit, aus den Messdaten die diesbezüglichen Einflüsse auf das globale Tragverhalten zu untersuchen. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 99 Online Sicherheits-Managementsystem für Brücken Abbildung 1: Querschnitt der Talbrücke Sachsengraben [11] 3. Messkonzept Um das Reallabor zu realisieren, wurde im Zuge des Projektes OSIMAB das Bauwerk mit 145 Sensoren ausgestattet. Der nördliche Überbau mit Fahrtrichtung Dortmund wurde aufgrund des schlechten Zustandes mit einer umfangreicheren Messtechnick als der südliche Überbau ausgestattet [9]. Die Anzahl sowie Art und Anordnung der Sensoren ergibt sich aus den zu erfassenden Zustandsgrößen zur globalen und lokalen Beurteilung des Bauwerksverhaltens. Die verwendete Sensortechnologie besteht aus: Elektrischen Dehnmessstreifen (DMS), Wegaufnehmern (WA), Beschleunigungsaufnehmern (BA), Neigungsaufnehmern (NA), Temperatursensoren, eine Videokamera sowie Mikrofonen [9]. Mit Hilfe der Software Catman können drei Abtastraten für die Messungen ausgewählt werden. Es werden die folgende Abtastraten eingestellt 1Hz (langsam), 100 Hz (Standard) und 300 Hz (schnell) [9]. Die Überwachung des Demonstrator-Bauwerks ist drei Kategorien (Globales Monitoring, Lokales Monitoring und Einwirkungsmonitoring) zugeordnet. 3.1 Globales Monitoring 3.1.1 Beschleunigungsmonitoring Hierbei geht es um die Ableitung globaler Eigenschaften des Bauwerks aus den Messdaten. Modale Eigenschaften u.a. Eigenformen, Eigenfrequenzen sowie modale Dämpfung können durch die Betriebsmodalanalyse ermittelt werden. Um möglichst umfangreiche Informationen aus der Betriebsmodalanalyse zu erhalten wurden sechs Beschleunigungsaufnehmer (BA) an jedem Feld des nördlichen Überbaus verwendet. Die BA wurden im inneren des Hohlkasten beidseitig in den Viertelpunkten der Felder angebracht (siehe Abbildung 2). Diese Anordnung bietet die Möglichkeit, zwischen Torsionsschwingungen und Biegeschwingungen zu unterscheiden [9]. Aufgrund des besseren Zustands des südlichen Überbaus wurden sechs BA verwendet. In jedem Feld wurden zwei Sensoren beidseitig im Feldmitte verwendet. Insgesamt sind 24 BA auf beiden Teilbauwerke mit der Abtastrate 100 Hz installiert worden [9]. 3.1.2 Neigungsmonitoring Für das globale Monitoring kommen Neigungsaufnehmer (NA) zum Einsatz. Insgesamt wurden 19 NA am Bauwerk verwendet. Am nördlichen Überbau wurden drei NA je Feld mittig bei ¼ L, 0,4 L und ¾ L im inneren des Hohlkasten installiert, um die Neigung der Längsachse zu messen (siehe Abbildung 3). Mit dem Ziel die Neigung der Längs- und Querachse zu messen, wurden jeweils zwei weitere Sensoren im Pfeilerbereich angebracht [9]. 3.1.3 Monitoring der Auflagerverschiebungen An der Talbrücke Sachsengraben befinden sich die in Längs- und Querrichtung unverschieblichen Lager über den Pfeilern, und in den Widerlagerachsen sind in Längsrichtung verschiebliche Lager angeordnet. Um sowohl die Verschiebung als auch die Verdrehung um die Querachse und die vertikale Achse des Überbaus an den Wiederlagern zu messen, wurden 4 Wegaufnehmer an jedem Wiederlager angebracht (siehe Abbildung 3). Durch die Überwachung der Signale aus den Sensoren können Rückschlüsse über den Zustand des Auflagers gezogen werden [9]. 100 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Online Sicherheits-Managementsystem für Brücken Abbildung 2: Ausschnitt des globalen Beschleunigungsmonitorings am nördlichen Überbau: (oben) Längsschnitt (unten) Querschnitt [9] Abbildung 3: Ausschnitt des globalen Neigungsmonitorings und der Messung der Auflagerverschiebung am nördlichen Überbau: (oben) Längsschnitt (unten) Querschnitt [9] 3.2 Lokales Monitoring 3.2.1 Dehnungsmonitoring Hierbei werden die Dehnungen mit Hilfe von Dehnmessstreifen (DMS) in Bereichen betragsmäßig maximaler Biegemomente gemessen. Dadurch können Rückschlusse über relative Dehnungen gezogen werden. Die Dehnmessstreifen wurden im Rahmen des Projektes OSIMAB im Feld- und Stützbereich angebracht. In jedem Messschnitt wurde jeweils beidseitig am Untergurt ein Sensor eingebaut [9]. Um über die Dehnungslinie des gesamten Querschnitts Informationen zu erhalten, wurde die Positionierung des DMS am Steg direkt unterhalb der Fahrbahnplatte bevorzugt. Allerdings haben die ersten Finite Element (FE)-Berechnungen gezeigt, dass die DMS in diesem Bereich nahe der Dehnungsnulllinie liegen und somit kaum Dehnungen gemessen werden können [9]. Stattdessen wurde eine Positionierung oberhalb der Oberkante des Untergurts gewählt (siehe Abbildung 4, unten). Da im Stützbereich ein massiver Querträger die Installation über den Pfeilern blockiert, wurden die DMS 1 m vor und hinter dem Pfeiler eingebaut, um damit den Einfluss von Dehnungsdiskontinuitäten gering zu halten [9]. Abbildung 4: Ausschnitt des Dehnungsmonitorings am nördlichen Überbau: (oben) Längsschnitt (unten) Querschnitt [9] 3.2.2 Rissmonitoring Beim Rissmonitoring geht es darum, die Entwicklung der Rissöffnung im Laufe der Messung zu überwachen. In diesem Fall wird überprüft, ob die Rissöffnung mit der Zeit zunimmt. Eine Voraussetzung für die Auswahl der Talbrücke Sachsengraben war, dass bereits Schäden bzw. Risse vorhanden sind. Die vorhandenen Risse im Überbau der Brücke liegen überwiegend im Bereich der rechnerischen Momentennullpunkte des Durchlaufträgers. [9]. Um die Risse zu überdrücken, wurde Im Jahr 2000 die Brücke mit externen Spannglieder verstärkt [9]. Insgesamt wurde an sechs Positionen gemessen. An jeder Position wurden zwei Wegaufnehmer angebracht (siehe Abbildung 5), einer im beschädigten und der andere im unbeschädigten Bereich mit einem Abstand von mindestens 75 cm. Der Abstand richtet sich nach der Veranke- 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 101 Online Sicherheits-Managementsystem für Brücken rungslänge der Bewehrung [9]. Damit wird die Differenz der Messergebnisse aus beiden Wegaufnehmern berechnet, und die Änderung der Rissöffnung kann ermittelt werden. Abbildung 5: Übersicht über die Verwendung von Wegaufnehmern im Rissbereich [10]. 3.2.3 Monitoring der externen Spannglieder An den externen Spanngliedern wurden Beschleunigungsaufnehmer angebracht. Aus den erfassten Eigenfrequenzen können Rückschlusse über die vorhandene Spannkraft gezogen werden. Schäden, die Spannkraftverluste verursachen, können dadurch frühzeitig erkannt werden. 3.3 Einwirkungsmonitoring 3.3.1 Temperatur Um die Temperaturänderung der Brücke zu überwachen, wurde an den beiden Überbauten Temperatursensoren an mehreren Stellen des Querschnittes in Bohrungen eingebracht. 10 Temperatursensoren wurden in einem Messschnitt des nördlichen Überbaus verwendet (siehe Abbildung 6). Die Anordnung der Sensoren wurde mit dem Ziel gewählt, vertikale sowie horizontale Temperaturgradienten zu bestimmen. An südlichen Überbau wurden 4 Temperatursensoren eingesetzt. Zur Ermittlung der Lufttemperatur wurde an zwei Messstellen in der Umgebung gemessen [9]. Abbildung 6: Einwirkungsmonitoring mit Temperatursensoren [10] 3.3.2 Fahrzeugerkennung Da die Talbrücke Sachsengraben über keine Achslastmessstelle verfügt, wurde im Rahmen des Projektes eine Bridge Weigh in Motion-Anlage (B-WIM) zur Bestimmung der Verkehrslast aus einzelnen Überfahrten installiert. An jeder Fahrspur wurden zwei Dehnmessstreifen hintereinander unterhalb der rechnerischen Radaufstandsfläche appliziert (siehe Abbildung 7). Dadurch kann die Geschwindigkeit einer Überfahrt ermittelt werden. Um das akustische Signal der Fahrzeugüberfahrten zu untersuchen, wurden Mikrofone in der Fahrbahnübergangskonstruktion eingebracht [9]. Zur Validierung der Messsignale eine Wärmebildkamera installiert. Wenn z.B. eine extreme Amplitude in den Messdaten durch einen Schwertransporter verursacht wird, werden die Bilddaten für die Verifizierung genutzt [9]. Abbildung 7: Einwirkungsmonitoring mit DMS und Mikrofonen zur Erfassung von Überfahrten [9] 4. Fazit Das Auswahlverfahren des Reallabors basiert auf einer Reihe von Kriterien, die sich sowohl auf konstruktive Eigenschaften als auch auf die Umgebung des Bauwerks beziehen. Die Kriterien wurden unter den Projektpartnern abgestimmt, um alle Aspekte zur Erfassung von Messdaten in hoher Qualität zu betrachten. Die Eigenschaften der Talbrücke Sachsengraben entsprechen einem großen Teil des Bestandes an mehrfeldrigen Spannbetonhohlkastenbrücken. Die Messdaten wurden im Rahmen des Projekts zur Zustandsüberwachung untersucht. dazu wurden Untersuchungen sowohl an einem datenbasierten Ansatz mit Algorithmen zur Anomalieerkennung als auch an einem modellbasierten Ansatz mittels FEM-Model-Updating durchgeführt. Mit der Betriebsmodalanalyse wurden bereits mehr als zehn Modale Eigenformen identifiziert. Hinsichtlich der Erkennung von Schäden durch Neigungssignale wurde auf die Neigungssensoren Wert gelegt, da in der Literatur vielversprechende Ergebnisse dokumentiert sind. Allerdings waren die aufgezeichneten Neigungssignale im Rahmen der Untersuchung stark verrauscht. Derzeit wird an der Unterdrückung des überlagernden Rauschens gearbeitet. Abhängigkeiten zwischen Temperatur und 102 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Online Sicherheits-Managementsystem für Brücken Eigenfrequenzen sowie Auflagerverschiebung wurden über die Messzeit erfasst. Mit Hilfe der Weigh in Motion-Anlage konnten bereits Fahrzeugüberfahrten sowie Fahrzeugtype identifiziert werden. Es finden zurzeit Abstimmungen zwischen Projektkonsortialführer Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und der Autobahn GmbH des Bundes statt, um die Messanlage an der Talbrücke Sachsengraben zur Gewährleitung der Bauwerkssicherheit weiter zu betreiben und damit die Messdaten für weitere Forschungsarbeiten zur Verfügung stehen können. 4.1 Projektkonsortium Das Verbundforschungsprojekt OSIMAB wurde gemeinsam durch folgende Partner bearbeitet: • Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach (Verbundforschungskoordination) • Technische Universität Berlin Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren - Stahlbau • Rheinische Friedrich-Wilhelms- Universität Bonn, Bonn-Aachen International Center for Information Technology • Hottinger Baldwin Messtechnik GmbH, Darmstadt • ITC Engineering GmbH & Co. KG, Stuttgart Literaturverzeichnis [1] S. Dabringhaus, „Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung,“ 2020. [2] S. Dabringhaus, „Monitoring, Intelligente Brücke, Digital Twin. Positionspapier der Abteilung B Brücken und Ingenieurbau der Bundesanstalt für Straßenwesen,“ 2020. [3] J. C. Brandt, „Reallabore als Testräume für Innovation und Regulierung“. [4] R. Beecroft, „Reallabore als Rahmen transformativer und transdisziplinärer Forschung: Ziele und Designprinzipien,“ Transdisziplinär und transformativ forschen, 2018. [5] A. Socher und M. Müller, „Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement,“ in TAE, Esslingen, 2020. [6] „https: / / www.bast.de/ BASt_2017/ DE/ Statis-tik/ Bruecken/ Brueckenstatistik.html,“ 2020. [7] A. Socher, „Zwischenbericht: Online Sicherheits- Managementsystem für Brücken,“ Interner Bericht noch nicht veröffentlicht, Bergisch Gladbach, 2019. [8] „DIN 1076: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung,“ Beuth, Berlin, 1999. [9] A. Jansen, „Sachbericht zu Arbeitspaket 7,“ Interner Bericht noch nicht veröffentlicht, Berlin, 2021. [10] HBM, Messkonzept, Interne Präsentation noch nicht veröffentlicht, 2019. [11] Ingenieurbüro Dipl. Ing. Funke, Geprüfte statische Berechnung mit Schal- und Bewehrungsplänen, 1996. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 103 OSIMAB - ein leistungsfähiges Cloudsystem zum zentralen Bauwerksdatenmanagement: Prädiktives Erhaltungsmanagement von Brückenbauwerken Marion Behrens ITC-Engineering AG & Co. KG Dr. Peter-Michael Mayer ITC-Engineering AG & Co. KG Zusammenfassung Ziel des Forschungsprojektes OSIMAB war die Entwicklung eines Überwachungssystems, das eine Bewertung des Zustandes und der Sicherheit von bestehenden Brückenbauwerken ermöglicht. Zentrale Aufgabe der ITC Engineering war die Entwicklung eines Cloud-basierten Datenmanagementsystems zur Verwaltung der gemessenen Brückendaten sowie deren Abgleich mit Grenzwerten aus einem Data Mining Ansatz. Grenzwertüberschreitungen werden mit Hilfe eines Benachrichtigungssystems auf der Grundlage vorab definierter Alarmwerte visualisiert und verschickt. Ein Demonstrator wurde für ein einziges ausgewähltes Brückenbauwerk aufgesetzt, aber die softwaretechnische Umsetzung erfüllt die Anforderungen der Skalierbarkeit an ein Monitoringsystem für eine Vielzahl von Brücken. Durch die Analyse von Bauwerksdaten wird eine frühzeitige Erkennung kritischer Bauwerkszustände erreicht und es können Empfehlungen für wirksame Maßnahmen zur Wiederherstellung eines planmäßigen Betriebszustandes gegeben werden. Das übergeordnete Ziel ist es, eine höchstmögliche Mobilität bei effizientem Mitteleinsatz auf den deutschen Bundes- und Fernstraßen zu erreichen. Exemplarisch wurden im System erste Brückenbauwerke mit ihren Bauwerksdaten in ein neu entwickeltes Bauwerksmodul implementiert. Damit konnte das Potential einer zentralen Bauwerksdatenverwaltung in einem performanten Websystem aufgezeigt werden. Die Brückenbauwerke verfügen über eine geografische Lokalisierung. Die relevanten Stammdaten des Bauwerks können digital verwaltet und über Filter gesucht werden. Die Visualisierung der Zustandsinformationen erfolgt nach dem Ampel-Prinzip: rote Symbole machen auf einen kritischen Zustand aufmerksam, der geprüft werden sollte. Die Benutzer können sich über verschiedene miteinander verknüpfte Darstellungsmöglichkeiten auf der Plattform bereits vorab ein Bild des möglichen Schadens machen. Das OSIMAB System gestattet in der Zukunft eine Zustands- und Risikobewertung einer Vielzahl von Brücken sowie eine vereinfachte Datenvisualisierung von relevanten Brückeninformation in leistungsfähigen Visualisierungswerkzeugen. Ein BIM Viewer unterstützt im Brückenmanagement und erlaubt die Lokalisierung von Schäden, Bauwerkserhaltungsdaten und aktuellen Zustandsinformationen an der Brücke. Dashboards ermöglichen individuelle Ansichten mit einer Kombination von unterschiedlich dargestellten und gruppierten Daten und Informationen. 1. Anforderungen an das Überwachungssystem Am Beginn des Projektes wurden Anforderungen an Schnittstellen definiert, die eine performante Messdatenübertragung gestatten. Ein wichtiges Ziel war die Übertragung von Messdaten der ausgewählten Brücke in das zu entwickelnde Datenmanagementsystem. Dabei ist es gelungen die Parameter Übertragungsprotokoll, Datenformat, Paketgröße und Übertragungsfrequenz soweit aufeinander abzustimmen, dass die Implementierung generisch erfolgen konnte. Bei der Definition der Schnittstellen wurde darauf geachtet, dass diese gegebenenfalls in der Zukunft standardisiert werden können und somit für eine Vielzahl von Brückenbauwerken zur Verfügung stehen. Die Anforderungen an Performance und Skalierbarkeit entsprechen denen eines modernen Cloudsystems mit schwankenden Nutzerzahlen und sehr hohen zu verarbeitenden Datenmengen aus dem Bauwerksmonitoring. Im Laufe des Projektes ist es gelungen, ganze Module aus der zugrunde liegenden anfangs monolithischen Web- Applikation abzutrennen und in ein solches modernes Cloudsystem zu überführen. OSIMAB - ein leistungsfähiges Cloudsystem zum zentralen Bauwerksdatenmanagement: Prädiktives Erhaltungsmanagement von Brückenbauwerken 104 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Brückendaten werden aktuell in verschiedenen getrennten „Silos“ vorgehalten, so dass es schwierig ist, Datenquellen für Auswertungen miteinander zu vernetzen. Im Projekt sollte auch das Potential gezeigt werden, diese getrennten Datenquellen miteinander zu kombinieren und auf einer Plattform verfügbar zu machen. Das Bereitstellen der Bauwerksbücher im System mit der Verlinkung zu Sensordaten aus dem Bauwerksmonitoring war ein entscheidender Meilenstein auf dem Weg zu einem vollständig integrierten Gesamtsystem. Das Konzept wurde abgerundet durch das Bereitstellen von Online- Formularen für Bauwerksprüfungen, um die Informationen der Bauwerksbücher damit anzureichern. Die Anforderungen an die Visualisierung der Ergebnisse aus dem Brückenmonitoring sind ein einfaches Ampelsystem, mit dem schnell kritische Bauwerkszustände erkannt werden können. Dieses sollte sich sinnvoll über verschiedene Zoomstufen erstrecken: Zum einen soll eine Darstellung vieler Bauwerke in geografischen Zusammenhang möglich sein, zum anderen auch für ein einzelnes Bauwerk eine Darstellung, mit der sich mögliche Schäden an der Brücke lokalisieren lassen. Weiterhin soll eine zeitliche Entwicklung von Messwerten und Zuständen abrufbar sein. 2. Architektur des Cloudsystems Grundlage der hier entwickelten Komponenten ist die IRIS Plattform der ITC Engineering. IRIS verfolgt einen generalisierten Plattformansatz, der auf allgemein verwendbare Komponenten und Schnittstellen setzt und somit in unterschiedlichen fachlichen Domains zum Einsatz kommen kann. Aufbauend auf diesem Architekturansatz verfolgt die ITC in den letzten Jahren die Strategie eine monolithische Plattformarchitektur durch einen Microservice-basierten Plattformansatz zu ersetzen. Dies ist auch die Grundlage für die hier entwickelten Komponenten. Alle durchgeführten Entwicklungen orientieren sich am Qualitätsmodell für Geschäftssysteme und beinhalten die zentralen vier Kernelemente Sicherheit, Wartbarkeit, Performance und Zuverlässigkeit. Für Projekt- und Monitoringsysteme liegt ein wesentlicher Fokus auf der Performance und Zuverlässigkeit, wobei insbesondere die Anforderung an die Skalierbarkeit bei einer Vielzahl von Brücken im Straßennetz des Bundes eine große Rolle in der Entwicklung gespielt hat. Ziel jeder IT-Architektur ist die Komplexität der fachlichen Anwendung so weit zu reduzieren, dass die konzeptionelle Integrität der Anwendung optimiert wird. Grundlage einer serviceorientierten Architektur (SOA) sind Microservices, die als isolierte, kooperative und autonome Services eine einzige Aufgabe im System bewältigen. Im Gegensatz zu einer Microservice Architektur kommt ein Monolith zum Einsatz, der ein einschichtiges, untrennbares und technologisch homogenes System darstellt, das verschiedene Services in sich vereint. Für das hier entwickelte System ergeben sich aus der Microservice Architektur verschiedene Vorteile: • Das System ist leichter testbar, • es ist besser analysierbar und damit änderbar, • der Aufwand (und damit die Kosten) sind besser schätzbar, • es skaliert besser und kann besser geprüft werden als ein vergleichbarer Monolith. Dennoch gibt es auch Nachteile, die vorrangig in der Komplexität der Kommunikation liegen und einen erhöhten Aufwand für Performance und Skalierung nach sich ziehen. Die Latenz solcher Systeme ist geringer. Im Projekt wurden mehrere Microservices entwickelt, um die Daten zu importieren, zu komprimieren, zu verarbeiten und mit einem Benachrichtigungsservice zu koppeln. Im folgenden Kapitel werden diese Microservices beschrieben. Alle Dienste werden mittels Kubernetes gesteuert. 2.1 Microservices für das Sensordatenmanagement Die Vorgehensweise im IRIS Monitoringsystem erfolgt entsprechend einem standardisierten Datenimport als *.csv Datei. Die Datenreihen werden über eine entsprechende Konfiguration in IRIS aus einem Verzeichnis vom SFTP-Server importiert. Über eine Konfigurationsoberfläche kann ein Admin-Benutzer eine Beispieldatei hochladen und automatisch analysieren lassen. Werden im System passende Datenreihen gefunden, wird automatisch ein Mapping mit den Feldern aus der *.csv Datei vorgeschlagen. Die fertige Konfiguration wird im Import Microservice gespeichert und herangezogen, sobald eine neue Datei im entsprechenden Verzeichnis erstellt wurde. Der Datenimport Microservice übernimmt Daten aus unterschiedlichen Quellen, hier Sensordaten aus den Messgeräten sowie mit dem Data Mining Ansatz berechnete Anomalien (OSIMAB Arbeitspaket 3), und speichert diese. Er ist damit das erste Element in der Datenverarbeitungskette auf der Plattform. In der aktuellen Implementierung kann der Datenadapter Messdaten aus übertragene Dateien vom einem SFTP Server einlesen. Zentrales Element ist die Weiterleitung von Datenscheiben mittels Messagebroker. Als Broker kommt in IRIS das Framework RabbitMQ zur Anwendung. Mehrere Instanzen der Plattform können Daten an den Importservice schicken, die dieser in unterschiedlichen Queues verarbeiten kann. Die in das System importierten Daten werden so aufbereitet, dass daraus sinnvolle Datenscheiben aus Datenserien mit je einem Messwert zu einem definierten Zeitstempel gruppiert werden (Slicing). Diese Daten-Slices werden direkt als Rohdaten im Datenimport Microservice gespeichert, um für eine Visualisierung der Messdaten in Echtzeit zur Verfügung zu stehen. Gleichzeitig bilden die Slices die notwendige Voraussetzung für die weite- OSIMAB - ein leistungsfähiges Cloudsystem zum zentralen Bauwerksdatenmanagement: Prädiktives Erhaltungsmanagement von Brückenbauwerken 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 105 re Verarbeitung der Sensordaten in den nachgelagerten Microservices. Die eingelesenen Slices werden an den Compression Microservice und an den Processing Microservice weitergereicht, wo weitere Sub-Stufen der Datenverarbeitung beginnen. Wenn diese Datenaufbereitung abgeschlossen ist und die komprimierten und prozessierten Daten wieder zum Datenimport Microservice zurückkommen, werden diese in die Datenbank geschrieben und stehen fortan für die Visualisierung und Analyse der Messdaten zur Verfügung. Abbildung 1 zeigt die Architektur des entwickelten Datenimport Microservice mit den zugehörigen Strukturen und Subservices. Eine entscheidende Stärke von IRIS ist die Berechnung von virtuellen Sensoren und die Ermittlung von verdichteten Werten (condensed values) in einem frei wählbaren Zeitintervall. Die für die Zuordnung zum gewählten Intervall notwendigen Berechnungen erfolgen innerhalb des Processing Microservice durch den sogenannten Calculation Service. Aus den Rohdaten der Sensoren werden pro Datenserie folgende Werte dem betrachteten Intervall zugeordnet: 1. der maximale und minimale Wert, 2. der erste und der letzte Wert. Die dann aus den Rohdaten substituierten Werte werden „verdichtete“ Werte (condensed values) genannt. Unabhängig vom betrachteten Intervall können aus Rohdaten oder aus verdichteten Werten der vorhandenen Sensoren neue Werte berechnet werden. Diese sogenanten virtuellen Sensoren erlauben eine beträchtliche Ausweitung des Systems ohne zusätzliche physikalische Sensoren zu benötigen. Viele wichtige Kenngrößen zur Bewertung einer Brücke können nicht direkt gemessen werden und leiten sich ausschließlich aus Berechnungen ab. IRIS gestattet Ingenieuren flexibel analytische Modelle zu hinterlegen, die dann Grundlage notwendiger Sensorberechnungen sind. Für diese Konfiguration wird eine frei zugängliche Schnittstelle in das System angeboten, über die in Groovy codierte Berechnungsmodelle importiert werden können. Diese Berechnung virtueller Sensoren auf der Plattform wurde im Projekt OSIMAB nicht mehr eingesetzt, stellt aber eine interessante Option für die zukünftige Weiternutzung des Systems dar. Die Datenkomprimierung ist im IoT Bereich bei sehr großen Datenmengen zwingend erforderlich, um Geschwindigkeitsverluste in der Datenbereitstellung zu minimieren. Mit dem in IRIS implementierten Compression Microservice können die importieren Daten entsprechend über konfigurierbare Intervalle verdichtet werden. In der aktuellen Implementierung können von einem Administrator unterschiedliche „timeScale-Komprimierungen“ mit verschiedenen Zeitstufen eingerichtet werden. Ziel ist es je nach Anforderung der späteren Visualisierung die Daten schon während des Imports zu komprimieren und damit die Visualisierung zu beschleunigen. Dieses „Runtime“ basierte Szenario erlaubt auch sehr große Datenmengen zu analysieren und z.B. in Diagrammen darzustellen. Bei Projekten mit sehr langen Laufzeiten, wie bei dem Monitoring der im Projekt OSIMAB anvisierten Brückenbauwerke mit Lebenszeiten und dabei eintretende Schädigung von 50 und mehr Jahren, ist eine entsprechende Verdichtung der gemessenen Daten unverzichtbar. OSIMAB - ein leistungsfähiges Cloudsystem zum zentralen Bauwerksdatenmanagement: Prädiktives Erhaltungsmanagement von Brückenbauwerken 106 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 1: Überblick über den IRIS Datenimport Microservice mit allen Subservices 2.2 Benachrichtigungsmanagement Für die Grenzwertüberwachung von Bauwerken, hier Brücken, stellt die Option Warnwerte auf Sensoren zu integrieren eine wichtige Erweiterung dar. Dabei sollte die Grenzwertüberwachung möglichst flexibel aufgebaut sein, d.h. Schwellwerte sollten für einzelne Sensoren möglich sein aber auch für Sensorgruppen. Der Notifications Microservice übernimmt das Versenden von Benachrichtigungen aus der Plattform über folgende implementierte Kanäle: - E-Mails an die Adresse des Benutzers aus seinem Profil auf der Plattform - Popup in der IRIS Web-Oberfläche, sobald der Benutzer sich einloggt - Push-Benachrichtigung auf eine mobile IRIS-App (iOS oder Android) vorausgesetzt diese wurde vom Benutzer auf einem Mobilgerät registriert. Ein „Benachrichtigungslog“ wird vom IRIS Backend oder einem anderen IRIS Microservice an den Notifications Microservice gesendet. Ein Benachrichtigungslog besteht aus: - Typ der Benachrichtigung (z.B. Grenzwert überschritten, Timeout überschritten) - Auslöser der Benachrichtigung (falls durch einen User verursacht, ansonsten keine Angabe) - Kanal über den die Benachrichtigung zu übertragen ist (E-Mail, Popup, Push) - Priorität (Minor, Normal, Major, Critical, Blocker) - Modul aus dem die Benachrichtigung generiert wurde (z.B. Sensor-Data Import, Alarming) - Angaben (Daten) für die Benachrichtigung: hier wird nicht der komplette Inhalt der Nachricht übermitelt, sondern nur die Angaben, die in dem Notification-Template eingefügt werden (z.B. An- OSIMAB - ein leistungsfähiges Cloudsystem zum zentralen Bauwerksdatenmanagement: Prädiktives Erhaltungsmanagement von Brückenbauwerken 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 107 gaben zu der Messung die einen Grenzwert überschreitet) - Empfänger der Benachrichtigung als Liste von Benutzerprofilen Im Notifications Microservice werden pro IRIS Instanz individuelle Notifications-Templates gespeichert. - Die Engine des Notifications Microservice arbeitet eingehende Aufträge in folgender Reihenfolge ab: - eingehende Benachrichtigungslogs aus der Notification-Logs-Queue, - Einteilen der Empfänger nach Sprachen ein (aus Benutzerprofil), - für den Benachrichtigungs-Typ das passende Template auswählen (Templates wurden per Konfiguration in allen benötigten Sprachen hinterlegt), - das jeweilige Template mit den übermittelten Daten füllen, - die fertigen Benachrichtigungen (bestehend aus Empfänger, Titel und Inhalt (Text), Priorität) in die Kanäle (Sender) übertragen. Die Sender arbeiten die eingehenden Benachrichtigungen nach Priorität ab (insb. werden Alarme mit hoher Priorität schneller versendet als Benachrichtigungen mit niedriger Priorität). Je nach Priorität und Kanal ist es möglich, dass Benachrichtigungen zusammengefasst werden und bspw. mehrere Inhalte derselben Prioritätsstufe in einer E-Mail versendet werden. 3. Bauwerksdaten Um Daten aus der sensorischen Bauwerksüberwachung zu interpretieren, müssen diese mit den Bauwerksdaten kombiniert analysiert werden. Den Benutzern soll eine Plattform zur Verfügung gestellt werden, auf der alle aktuellen und historischen Informationen zu den Bauwerken strukturiert abgelegt sind, so dass die gemessenen Daten entsprechend in einen Zusammenhang gebracht werden können. Im Rahmen des Projektes OSIMAB sollten die in IRIS importierten Brückeninformationen nicht nur verwaltet und für einen schnellen bzw. effizienten Zugriff zur Verfügung gestellt werden, auch eine Verarbeitung in geeigneten Berichtsformaten soll eine Ergänzung zu bestehenden Systemen bieten. In IRIS wurde eine Formular-Engine „IRIS.forms“ entwickelt, die in diesem Kontext zum Einsatz kam. Es wurde im Rahmen des Projektes getestet, inwieweit die gestellten Anforderungen erfüllt und wo zusätzliche Entwicklungen notwendig werden. Mit der Formular-Engine kann man mit überschaubarem Aufwand Formulare für die Eingabe von Bauwerksdaten aus dem laufenden Betrieb erstellen. Diese Eingaben lassen sich mit dem Datenbestand verknüpfen, um Rückschlüsse und Benachrichtigungen generieren zu können. 3.1 Bauwerksbuch Das Bauwerksbuch fasst alle Informationen zu einem Brückenbauwerk zusammen: - Übersichtsblatt mit allgemeinen Attributen (Verortung, Größe, Baujahr, Konstruktion etc.) - Bestandsunterlagen (Skizzen oder 2D-Pläne der Konstruktion) - Dokumentation einzelner Teilbauwerke / Bauteile / Konstruktionsteile (z.B. Statisches System, Tragfähigkeit, Baustoffe, Vorspannungen, Gründungen, Lager etc.) - Prüfergebnisse und Zustand des Bauwerks, insb. durchgeführte Prüfungen, erfasste Schäden und empfohlene Maßnahmen Für diese Art semistrukturierter Daten eignen sich dokumentenorientierte NoSQL-Datenbanken ohne feste relationale Schemas. In der Formular-Engine können die Brückendaten über verschiedene konfigurierte Formular-Vorlagen („Templates“) erfasst werden. Für jedes Teilbauwerk kann der Einstieg über ein „Deckblatt“ erfolgen. Alle Datensätze zum Teilbauwerk sind in diesem Deckblatt verlinkt, so dass eine Navigation zu weiteren bauwerksbezogenen Datensätzen z.B. zu den dokumentierten Schäden erfolgen kann. Über das „Deckblatt“ können für ein Teilbauwerk neue Datensätze erstellt werden, wenn eine Bauwerksprüfung durchgeführt wird, oder wenn neue Schäden zu dokumentieren sind. Ebenso können Datensätze bearbeitet und verlinkt werden, z.B. Maßnahmeempfehlungen mit den entsprechenden Schäden, auf die sie sich beziehen. In Abbildung 2 ist der exemplarische Aufbau eines Bauwerksbuches skizziert. Aufgrund der Komplexität lässt sich dieses über entsprechende Sub-Formulare in Kapitel untergliedern und diese wieder in Subkapitel. Jedes dieser Kapitel kann über ein entsprechendes Formular abgebildet und mit anderen Formularen verlinkt werden. Die Formular-Engine in IRIS gestattet eine intelligente Datenvernetzung auf Template-Ebene im Bauwerksbuch. OSIMAB - ein leistungsfähiges Cloudsystem zum zentralen Bauwerksdatenmanagement: Prädiktives Erhaltungsmanagement von Brückenbauwerken 108 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 2: Prototypische Umsetzung eines Bauwerksbuches für Brücken mit der IRIS Formular-Engine 4. Visualisierung Die Visualisierung der auf der Plattform erfassten Daten und Informationen ist eine zentrale Herausforderung des Arbeitspaketes 2 im Projekt OSIMAB. Die Benutzer sollen die Möglichkeit haben, sich mittels angemessener Visualisierungsmethoden ein Bild der aktuellen Schadenslage und Gefährdung von Bauwerken machen zu können. Weiterhin sollen sie die Darstellung nutzen können, um Begehungen und außerplanmäßige Bauwerksprüfungen zu planen und zu priorisieren. Für einen groben Überblick über mehrere Bauwerke, z.B. im Zuständigkeitsbereich einer Autobahnmeisterei, soll ein Kartenmodul dienen, das die geografische Verortung von Brücken insb. mit kritischem Zustand darstellt. Es kann herangezogen werden, um bspw. Routen zur Kontrolle möglicher Beschädigungen vor Ort zu planen. Eine detaillierte Darstellung der verbauten Sensoren inkl. ihrer gemessenen und berechneten Werte ermöglicht ein sog. Sensorboard. Ein möglicher Schaden am Bauwerk kann mit einem Sensorboard bereits räumlich eingegrenzt werden und eine Begehung kann zielgerichteter und damit zeitsparender durchgeführt werden. Während Sensorboards jegliche Art von Bilddateien als Hintergrund der Visualisierung nutzen können, wird für die Darstellung im BIM-Viewer ein 3D-Gebäudemodell benötigt. Damit eignet sich diese Darstellung aktuell weniger für Bestandsbrücken, könnte aber in Zukunft eine wichtige Komponente in der Bauwerksüberwachung darstellen. Im Verlauf der Projektbearbeitung hat sich gezeigt, dass die Bedeutung der Bauwerksmodellierung in der Bauwerksüberwachung signifikant zunimmt. Mit dem Diagrammmodul ist es möglich, Sensoren und Datenreihen zeitbasiert auszuwerten und zu vergleichen. Die Anwender haben hier die Möglichkeit, beliebige Datenreihen über beliebige Zeiträume als Graphen in einem Diagramm, oder in Diagrammsammlungen kombiniert darzustellen. Schließlich runden Dashboards sämtliche Visualisierungsmöglichkeiten der Plattform ab, indem sie mit entsprechenden Widgets eine Kombination und Verdichtung in der Darstellung von Daten und Informationen möglich machen. 4.1 Kartenmodul Die Datensätze der Bauwerksbücher werden genutzt, um Brücken zu verortbaren Bauwerken in IRIS zu gruppieren. Die Verortung erfolgt im System mittels WSG84 Koordinaten und der Google Maps Plattform. Die verorteten Bauwerke können auf dem Kartenhintergrund als Marker dargestellt werden und öffnen beim Anklicken individuelle Popups, über die der Benutzer weitere Bauwerksbezogene Informationen und Daten auf verlinkten Seiten aufrufen kann. In Kombination mit den Ergebnissen aus der Berechnung von Anomalien (Arbeitspaket 3) können ganze Bauwerke nach dem Ampelprinzip mittels eines farbigen Symbols dargestellt werden. Alle Sensoren an einer Brücke können als Sensorgruppe dem Bauwerk zugeordnet werden, und sobald ein kritischer Zustand innerhalb der Sensorgruppe ermittelt wurde, wechselt die Darstellung der Brücke auf der Karte entsprechend die Farbe. Liegen Symbole in einer Zoomstufe so nah aneinander, dass sie sich überlappen, muss dafür gesorgt OSIMAB - ein leistungsfähiges Cloudsystem zum zentralen Bauwerksdatenmanagement: Prädiktives Erhaltungsmanagement von Brückenbauwerken 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 109 werden, dass kritische Zustände nicht von unkritischen verdeckt werden, sondern in der Reihenfolge an oberster Stelle angeordnet werden. Abbildung 3 zeigt beispielhaft einen Kartenausschnitt mit mehreren verorteten Brücken, eine davon in einem kritischen Zustand (rotes Symbol). Über das Popup lassen sich weitere Informationen anzeigen und die Navigation zu Seiten mit detaillierten Informationen zu diesem Bauwerk ist möglich. Abbildung 3: Georeferenzierte Darstellung aktueller Bestandsbrücken 4.2 Sensorboards Sensorboards geben in nahezu Echtzeit einen Überblick über den aktuellen Zustand von Sensoren, Maschinen und Geräte. Oft zeigt ein Sensorboard eine Zeichnung oder ein Foto eines Bauwerkes, beschriftet mit den Daten ausgewählter Sensoren. Entsprechend konfiguriert stehen die Sensorwerte dabei wie in Abbildung 4 direkt an der Stelle, an der sie sich am Bauwerk tatsächlich befinden. Die auf den Sensorboards angezeigten Informationen können entweder Zahlenwerte sein (numerische Sensordaten) oder über hinterlegte Algorithmen aus den Zahlenwerten ermittelte Zustände. Typische Zustandsbewertungen in Analogie eines „Ampelsystems“ sind: - grünes Symbol für Wert im unkritischen Bereich, - gelbes Symbol für Wert nahe dem kritischen Bereich, - rotes Symbol für Wert im kritischen Bereich. Die Visualisierung der Daten auf einem Sensorboard erfolgt quasi in Echtzeit und kann dem Überwachungsteams als ein Werkzeug dienen, das es ermöglicht eine Vielzahl von Brücken nach einem standardisierten Schema mit Sensorik zu bestücken und kontinuierlich mittels Sensorboards zu überwachen. Eine weitere Funktion stellt die Visualisierung von Daten aus der Vergangenheit durch Auswahl eines beliebigen Zeitpunktes dar, so dass der Startwert des Sensorboards neu definiert wird Gerade beim Monitoring von nicht digitalisierten Bestandsbrücken stellen Sensorboards ein sinnvolles Instrument dar: Jegliche Art von Bilddatei, z.B. Fotos des Bauwerks, oder eingescannte alte Baupläne, können als Hintergrund für die Darstellung der aktuellen Messdaten dienen. Das Sensorbord in Abbildung 4 zeigt eine Zeichnung der Brücke „Sachsengraben“ mit dem Überbau Nord in Fahrtrichtung Dortmund und dem Überbau Süd in Fahrtrichtung Frankfurt sowie die jeweiligen Querschnitte der Brücke. Die Sensordaten werden neben der örtlichen Positionierung des Sensors mit seinem Symbol angezeigt. Bei Überschreiten der Grenzwerte färbt sich der Sensorwert entsprechend des Ampelsystems ein. OSIMAB - ein leistungsfähiges Cloudsystem zum zentralen Bauwerksdatenmanagement: Prädiktives Erhaltungsmanagement von Brückenbauwerken 110 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 4: Sensorboard der Brücke Sachsengraben mit der installierten Sensorik zeigt aktuelle Messwerte 4.3 BIM-Viewer Die ITC Engineering hat sich bereits vor mehreren Jahren entschieden die BIM Entwicklung auf der Grundlage der Autodesk Technologie FORGE voranzutreiben. Damit wird ein BIM Viewer mittels eines Cloudservice sowie einer JavaScript Bibliothek der Firma Autodesk in die Plattform integriert und die Leistungsfähigkeit von IRIS im Bereich der Sensorik mit den Visualisierungsfunktionen von FORGE kombiniert. Die Vernetzung mit Sensoren, sowie der IRIS Formular-Engine mit dem BIM-Viewer ermöglicht eine enge Vernetzung von Bauteil, Messwerten und Information. Eine digitale Abbildung des Bauwerksbuches in IRIS bildet die Grundlage für die spätere Verknüpfung von digitaler Information und Modell. Dabei sind Modelleigenschaften ein zentraler Schlüssel in der Interaktion mit dem Modell und werden in IRIS zentral in einer separaten Datenbank im BIM-Microservice verwaltet. Die im Modell integrierten Eigenschaften werden in IRIS ausgelesen und in einer eigenen Datenbank verwaltet. Damit entkoppelt IRIS die Autodesk Datenspeicherung von der IRIS Datenspeicherung, so dass der alleinige Zugriff des Nutzers inklusive der domainspezifischen Daten garantiert bleibt. In Abbildung 5 wurde die OSIMAB Brücke „Sachsengraben“ in IRIS integriert und im BIM Viewer visualisiert. Der Viewer ist in der Lage eine beliebige Anzahl von Brückenbauwerken zu verwalten und dabei neben vielen weiteren Dateiformaten insb. auch Modelle mit der allgemeingültigen IFC-Schnittstelle. Damit erschließen sich eine Vielzahl von Bauwerken auch von unterschiedlichen Datenquellen und Anbietern. Abbildung 5: BIM Viewer und Sensoren verlinkt zur Verwaltung notwendiger Brückensensoren sowie farbliche Kennzeichnung der Lokalisierung von Sensoren an Objekten im 3D-Modell der Brücke 4.4 Diagrammmodul Ein zentrales Werkzeug für die Datenauswertung und -analyse stellt das Diagrammmodul dar. Mit Diagrammen können Sensordaten grafisch angezeigt aber auch dokumentieren werden. IRIS kennt keine Einschränkungen in der Datenauswahl, die in Diagrammen visualisiert werden sollen. Daten von Geräten oder Sensoren an Bauwerken, Maschinen oder OSIMAB - ein leistungsfähiges Cloudsystem zum zentralen Bauwerksdatenmanagement: Prädiktives Erhaltungsmanagement von Brückenbauwerken 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 111 im Boden können in unterschiedlichen Diagrammtypen visualisiert werden. Ebenso können berechnete Sensoren mit direkt gemessenen Sensoren analysiert werden, was die Analysefunktionen der Plattform beträchtlich erweitert. Jeder Sensor liefert eine Datenreihe und damit einen Graphen. Benutzer können in einem Diagramm eine beliebige Anzahl von Graphen darstellen. Falls die in einem gemeinsamen Diagramm angezeigten Datenreihen unterschiedliche Maßeinheiten besitzen, erhält das Diagramm mehrere y-Achsen. Alternativ oder zusätzlich können mehrere Diagramme auf einer Seite nebeneinander oder übereinander visualisiert werden. Auf diese Weise werden sehr viele Informationen auf einer einzigen Bildschirmseite zusammengefasst. In der Datenauswertung werden häufig immer wieder dieselben Diagramme benötigt. Um häufig benötigte Diagramme mit wenig Aufwand anzuzeigen, können dafür Vorlagen erstellt werden. Ein dafür typisches Beispiel ist die Auswertung der Auflagerverschiebungen in Abhängigkeit von der Zeit in Abbildung 6. In der konfigurierte Diagrammsammlung wird das erwartete Spektrum der Sensorwerte durch obere und untere Grenzwerte (Prognosewerte) aufgezeigt. Ein Durchstoßen dieser Grenzwerte führt dann zur Visualisierung der Anomalie unter den definierten Randbedingungen. Abbildung 6: Diagramm mir Auswertung der Auflagerverschiebungen inkl. Anomalie in Abhängigkeit von der Zeit 4.5 Dashboards Die bisher vorgestellten Möglichkeiten der Visualisierung erlauben es dem Benutzer, aus einer Seite der Plattform die Daten und Informationen entsprechend einer Methode darzustellen. Auf Dashboards ist es schließlich möglich, diese Visualisierungen zu einer Ansicht zu kombinieren. Je Dashboard können für die Datenvisualisierung verschiedene sog. Widgets gruppiert werden, die auf Datensätze entsprechend ihrer Konfiguration zugreifen. Jeder Benutzer kann sich selbst solche Dashboards erstellen, speichern und mit anderem Benutzer(gruppen) teilen. Administratoren können Dashboards für alle Benutzer auf der Instanz freigeben. Dashboards können als PDF exportiert werden, manuell, aber auch automatisiert entsprechend definierter Routinen. Solche automatisch generierten Ansichten von Dashboards können per E-Mail-Benachrichtigung als Berichte verteilt werden. Dashboards können bspw. Karten mit georeferenzierten Brücken aufnehmen, Sensordaten als Diagramme visualisieren und Kommentare von Benutzern oder neue Protokolle von Bauwerksprüfungen darstellen. Die Vernetzung von Informationen aus einem Bauwerksbuch mit Informationen aus einem aktiven Bauwerksmonitoring gelingt auf dem Dashboard. Damit ist das Dashboard eine zentrale Schnittstelle im Informationsmanagement der Plattform, die alle Visualisierungsmöglichkeiten vereint. Dashboards sind geeignet, um als erste Anlaufstelle für die Benutzer eingesetzt zu werden und runden das gesamte Visualisierungskonzept ab. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 113 OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring Andreas Jansen Technische Universität Berlin, Berlin, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler Technische Universität Berlin, Berlin, Deutschland Zusammenfassung Beim Brückenmonitoring ist die Extraktion von geeigneten Kenngrößen (Merkmalen) aus den Messsignalen ein wesentlicher Schritt in der Datenanalyse. Für die Talbrücke Sachsengraben wurde im Projekt OSIMAB ein Monitoringsystem entwickelt, dass die Signale kontinuierlich und automatisiert auswertet. Die extrahierten Signalmerkmale werden für die Kalibrierung eines Finite Elemente Modells, für eine Bewertung der Bauwerkssicherheit und zur Strukturüberwachung mit Methoden der Anomalieerkennung verwendet. Der vorliegende Artikel beschreibt die betrachteten Merkmale und erläutert das Vorgehen bei der Signalanalyse. Die übergeordnete Zielstellung für die extrahierten Merkmale und mögliche Fehlerquellen werden diskutiert. In einem Anwendungsbeispiel wird die Überwachung der Brückenlager durch einen Ansatz zur Anomalieerkennung demonstriert. 1. Einführung Beim kontinuierlichen Brückenmonitoring stellt die Verarbeitung und Handhabung der großen Messdatenmengen immer noch eine Herausforderung dar. Die Rohdaten der Messsignale haben häufig nur geringe Aussagekraft, sodass die Ableitung von geeigneten Kenngrößen sog. Merkmalen ein wesentlicher Schritt in der Datenanalyse ist. Die extrahierten Merkmale dienen daraufhin als Eingangsgrößen für weiterführende Auswertungen. Grundsätzlich lassen sich beim Brückenmonitoring zwei Bereiche unterscheiden [1]: • Die Ergänzung zur statischen Nachrechnung und • die Strukturüberwachung, engl. Structural Health Monitoring (SHM). Im Projekt OSIMAB werden beide übergeordneten Zielstellungen untersucht. Konkret dienen die extrahierten Signalmerkmale für die folgenden Ansätze: Eine Kalibrierung von Finiten Elemente (FE)-Modellen, eine sicherheitsäquivalente Bewertung sowie eine Anomalieerkennung (Bild 1). Bei einer Ergänzung der statischen Nachrechnung werden die Messdaten dazu genutzt, zusätzliche Informationen über die Einwirkungen und das Tragsystem zu generieren. Ein wichtiger Baustein ist dabei die Kalibrierung von FE-Modellen anhand der Messdaten. Der Prozess einer automatisierten Kalibrierung wird als FE-Update bezeichnet. In einem FE-Modell werden dazu freie Parameter definiert, z. B. für Materialeigenschaften wie den E-Modul von Beton. Mithilfe eines Optimierungsalgorithmus werden diejenigen Werte der freien Parameter bestimmt, durch die eine möglichst hohe Übereinstimmung des FE-Modells mit den Messdaten bzw. den betrachteten Merkmalen erreicht wird. In den meisten Veröffentlichungen werden die Eigenfrequenzen und Schwingungsformen als Merkmale genutzt. Es ist aber beispielsweise auch möglich, (zusätzlich) Merkmale für Dehnungssignale während Belastungsfahrten für FE-Update zu verwenden, z. B. [2]. Neben einem optimierten FE-Modell für eine statische Bewertung bietet FE-Update auch Ansätze, um Schäden zu lokalisieren und ein Schadensausmaß aus den Messdaten abzuleiten [3]. OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 114 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 1: Schematische Übersicht zur Auswertung der Monitoringdaten im Projekt OSIMAB Aus den Messdaten lassen sich statistische Modelle, z. B. Beanspruchungskollektive sowie Extremwertverteilungen, für die Einwirkungen auf das Tragwerk ableiten. In einer sicherheitsäquivalenten Bewertung können diese auf den Messdaten basierenden Modelle für direkte (probabilistische) Ermüdungs- und Tragfähigkeitsnachweise verwendet werden [4]. Für die vereinfachende Anwendung können alternativ objektspezifische Lastmodelle, Teilsicherheitsbeiwerte und Kombinationsbeiwerte begründet und damit die Messdaten in das normative Nachweisformat der Nachrechnung integriert werden. Objektspezifische Verkehrslastmodelle für Straßenbrücken lassen sich zusätzlich aus den Daten von Bridge Weighin-Motion (BWiM) Systemen ableiten [5]. Durch solche Systeme werden Merkmale wie Fahrzeuganzahl, -masse und -typ aus den Messsignalen extrahiert. Bei der Strukturüberwachung ist die Messung keine Ergänzung der Nachrechnung, sondern ein eigenständiges Bewertungsinstrument, durch das ein Bauwerksschaden zum frühestmöglichen Zeitpunkt erkannt werden soll. Hier besteht das Potential, dass sich die messtechnische Strukturüberwachung langfristig als unterstützende Maßnahme für die visuelle Bauwerksprüfung etabliert, insbesondere für Brücken am Ende ihrer Nutzungsdauer, bei denen eine kritische Schadensentwicklung zwischen den Prüfintervallen nicht ausgeschlossen werden kann. Als Konzept für die Strukturüberwachung kann die Anomalieerkennung mit Modellen des maschinellen Lernens genutzt werden [6]. Bei der Anomalieerkennung wird die Struktur der Messdaten im ungeschädigten Ausgangszustand der Brücke durch das Modell gelernt. Die Daten des Ausgangszustands werden auch als Trainings- oder Lerndaten bezeichnet und sollten beim Brückenmonitoring möglichst alle Einwirkungszustände abdecken. Wegen des zumeist großen Einflusses der Temperatur bedeutet dies, dass die Lernphase mindestens einen Sommer und einen Winter beinhalten sollte. In der Anwendungsphase können Bauwerksschäden daraufhin als Abweichungen neuer Messdaten zu den Vorhersagen des gelernten Modells erkannt werden. Im Gegensatz zu FE-Modellen enthalten Modelle zur Anomalieerkennung keine physikalische Information über das Brückentragwerk. Wird eine Anomalie festgestellt, so muss eine weitere Bewertung des Zustandes der Brücke durch eine Bauingenieur*in erfolgen. Dabei ist auch der Einsatz von FE-Update möglich. Es ist zu beachten, dass neben Bauwerksschäden auch Sensorfehler oder Fehler bei der Datenauswertung als Anomalien gewertet werden. In der Literatur zur Strukturüberwachung kommen v. a. die Eigenfrequenzen einer Brücke als Merkmale zur Anwendung, die durch Beschleunigungsmessungen bestimmt werden, siehe [7]. In der jüngeren Forschung werden aber verstärkt auch Signalmerkmale von Sensoren wie Dehnmesstreifen [8] oder Neigungsaufnehmern [9] untersucht. Neben einer Anomalieerkennung mit extrahierten Merkmalen wird im Projekt OSIMAB auch an der Verwendung von Deep Learning Modellen geforscht. Durch diese Ansätze kann eine Anomalieerkennung direkt anhand der Rohsignale erfolgen, da die Modelle selbständig relevante Signalmerkmale lernen. Eine detaillierte Beschreibung dieser Ansätze erfolgt in einem weiteren Beitrag dieses Tagungsbandes. Der vorliegende Artikel erläutert die Bestimmung von Merkmalen für die kontinuierliche Bauwerksmessung an der Talbrücke Sachsengraben. Die angewendeten Algorithmen zur Extraktion der Merkmale werden diskutiert und die Ansätze der weiteren Analyse mit FE-Update, der sicherheitsäquivalenten Bewertung oder der Anomalieerkennung werden beschrieben. Ein Modell zur Überwachung der Auflagerverschiebung mittels Anomalieerkennung wird im Detail vorgestellt. 2. Messanlage und Datenvorverarbeitung An der Talbrücke Sachsengraben im Zuge der BAB 45 wird im Rahmen von OSIMAB eine umfangreiche Messanlage betrieben. Um ein großes Spektrum an Bauwerksreaktionen messtechnisch zu erfassen, werden an der dreifeldrigen Hohlkastenbrücke (Stützweiten: , , ) die folgenden Sensortechnologien verwendet: Dehnmessstreifen (DMS), Beschleunigungsaufnehmer (BA), Neigungsaufnehmer (NA), Wegaufnehmer (WA) und Temperatursensoren (T). Die Messanlage und die Sensorbezeichnungen sind ausführlich in einem weiteren Beitrag dieses Tagungsbandes beschrieben. Die Signale von kontinuierlichen Bauwerksmessungen an Brücken können als Überlagerung verschiedener Signalanteile aufgefasst werden. Bestimmte Merkmale sind dabei nur für gewisse Signalanteile und Zeitfenster OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 115 sinnvoll. Für die Berechnung der Merkmale können eine Reihe von Vorverarbeitungsschritten benötigt werden. Für die Talbrücke Sachsengraben kommen dazu die folgenden Ansätze zur Anwendung: Segmentierung: Die Anteile der Signale der DMS, WA und NA werden in Bereiche mit Verkehrseinwirkung x V und Bereiche mit überwiegend Temperatureinwirkung x T aufgeteilt. Das Vorgehen ist in Bild 2 für die Signale der DMS jeweils in Feldmitte am nördlichen Steg des nördlichen Überbaus (ÜB) beispielhaft für die Überfahrt eines LKW mit ca. 40 t dargestellt. Zunächst sind die Rohsignale in Bild 2a zu sehen. Der identifizierte Bereich mit Verkehrsanregung x V ist noch einmal in Bild 2b dargestellt. Abbildung 2: Darstellung der Segmentierung nach Zeitbereichen mit Verkehrseinwirkung x V und Bereichen mit überwiegend Temperatureinwirkung x T : (a) Rohsignale am nördl. ÜB (b) Anteil x V nach Tarierung Tarieren: Ein konstanter Wert wird von den Messdaten abgezogen, sodass sich die Nulllinie des betrachtetem Zeitfenster in einer gewünschten Lage befindet. Der Tarierungsschritt ist ebenfalls in Bild 2 zu sehen. In den Bereichen x T in Bild 2a liegen die Werte der Sensoren deutlich auseinander. Nach der Trennung der Signalanteile wird das Zeitfenster mit Verkehrseinwirkung x V anhand des Mittelwerts der ersten und letzten 0.5 s tariert. Die feldweise Belastung der Brücke während der Überfahrt ist in Bild 2b deutlich sichtbar. Skalieren: Die Messwerte in einem betrachteten Zeitfenster werden mit einem konstanten Faktor multipliziert, sodass die Maxima und Minima einen gewünschten Wert, z.B. ±1.0 annehmen. Glätten/ Filtern: Um Rauschen oder ungewünschte hohe Frequenzanteile im Signal zu entfernen kann ein Filter angewendet werden. Für die Glättung der Dehnungs- und Wegsignale wird hier ein Gauß-Filter verwendet. Nach der Vorverarbeitung der Daten kommt die eigentliche Berechnung der Merkmale mit unterschiedlichen Algorithmen. Je nach Merkmal werden verschiedene Zeitintervalle betrachtet, die sich von der Dauer einer Überfahrt bis zu wochenweisen Extremwerten erstrecken. Tabelle 1 bietet eine Übersicht über die Merkmale, die aus den Signalen der jeweiligen Sensoren extrahiert werden. Im Abschnitt 3 werden die verwendeten Algorithmen genauer beschrieben. Aus den Temperatursignalen werden 15 min-Mittelwerte gebildet. Diese dienen v. a. als Eingangsgrößen für Regressionsmodelle zur Anomalieerkennung, siehe Abschnitt 4. Die Verarbeitung der Temperatursignale ist nicht noch mal in Abschnitt 3 aufgeführt. Aus Gründen der Vollständigkeit wird die direkte Erfassung von Beanspruchungskollektiven an den Messquerschnitten für Ermüdungsnachweise mit in Tabelle 1 aufgeführt. Die Bestimmung der Beanspruchungskollektive mit den Signalen der DMS oder Riss-WA kann mithilfe des Rainflow-Algorithmus z. B. tageweise durchgeführt werden. Ein solches Vorgehen eignet sich insbesondere bei Spannbetonbrücken mit Koppelfugenproblematik, siehe [10]. An der Talbrücke Sachsengraben liegen keine Koppelfugen vor. Auf eine kontinuierliche Auswertung der Messdaten mit der Rainflow-Zählung wird verzichtet. Stattdessen können Beanspruchungskollektive aus den Daten des B-WiM-Systems abgeleitet werden. Die Berechnung der Merkmale erfolgt kontinuierlich und automatisiert. Softwareseitig werden die Berechnungen in einem Postgresql-Datenbanksystem vorgenommen. Es wird die Erweiterung TimescaleDB verwendet, die speziell für Zeitreihen ausgelegt ist. Die Automatisierung der Auswertungen wird über Apache Airflow realisiert. Die verwendeten Algorithmen sind überwiegend in der Programmiersprache Python geschrieben. OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 116 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Sensoren Signalanteil Merkmale Intervall Zielstellung BA x V + x T Eigenfrequenzen, Schwingungsformen 15 min FE-Update, Anomalieerkennung BA auf ext. Spgl. x V + x T Eigenfrequenzen/ Vorspannkraft 15 min FE-Update, Anomalieerkennung DMS + Riss-WA x V Extremwerte, Integrale Je Überfahrt Anomalieerkennung WiM-DMS x V Fahrzeugmasse, -geschwindigkeit Achsanzahl, -abstand, Fahrspur Je Überfahrt Sicherheitsäq. Bewertung DMS + Riss-WA x V + x T Beanspruchungskollektive im Messquerschnitt Je Tag Sicherheitsäq. Bewertung DMS x V Extremwerte 1 Woche Sicherheitsäq. Bewertung WA + NA x T Mittelwert 15 min Anomalieerkennung T - Mittelwert 15 min Anomalieerkennung Tabelle 1: Übersicht zu den extrahierten Signalmerkmalen beim Monitoring an der Talbrücke Sachsengraben 3. Signalmerkmale 3.1 Globale Schwingungseigenschaften Aus den Daten der BA in den Hohlkästen der jeweiligen Überbauten werden die Eigenfrequenzen und Schwingungsformen mittels experimenteller Modalanalyse ermittelt. Auf eine Bestimmung der modalen Dämpfung wird verzichtet. Datenvorverarbeitung: Die Auswertung erfolgt je 15 min-Zeitfenster ohne Trennung von Signalanteilen. Die Signale werden im Zeitfenster tariert. Algorithmus: Die Frequency Domain Decomposition (FDD) wird als Algorithmus für die experimentelle Modalanalyse verwendet [11]. Die Leistungsdichte-Matrix wird dafür mit der Welch-Methode für die Signale der Beschleunigungsaufnehmer bestimmt. Als Fenstergröße für die Welch-Methode werden 2 13 Werte verwendet. Bei einer Abtastrate von 100 Hz ergibt sich eine Frequenzauflösung von 0.012 Hz. Eigenfrequenzen werden durch eine automatische Erkennung von lokalen Maxima in den Frequenzspektren des skalierten ersten und zweiten Singulärwerts s 1 , s 2 (Bild 3) bestimmt. Abbildung 3: Frequenzspektrum des ersten und zweiten Singulärwerts s 1 , s 2 bei der Modalanalyse mit der FDD für Signale der BA am nördl. ÜB Abhängigkeiten und Fehlerquellen: Für den nördlichen Überbau können sechs Biege- (B) und sieben Torsionsschwingungen (T) ermittelt werden. Aufgrund der geringeren Anzahl an Sensoren können am südlichen Überbau nur drei Biege- und zwei Torsionsschwingungen bestimmt werden. Die Eigenfrequenzen zeigen einen annähernd linearen Zusammenhang zur Bauwerkstemperatur (Bild 4). Es ist bekannt, dass die temperaturabhängigen Steifgkeitseigenschaften des Fahrbahnbelags wesentlich zur Varianz der Eigenfrequenzen einer Brücke beitragen. Weiterhin sind Einflüsse durch andere Einwirkungen, z. B. durch die Verkehrseinwirkung möglich [12]. In Bild 3 zeigt sich, dass die Brücke mehrere eng beieinander liegende Eigenfrequenzen besitzt (closely spaced modes). Die Ermittlung der zugehörigen Schwingungsformen kann in diesen Bereichen leicht verfälscht sein [11]. OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 117 Weitere Auswertung: Die Eigenfrequenzen werden zur Kalibrierung des FE-Modells der Talbrücke Sachsengraben verwendet. Außerdem erfolgt eine Strukturüberwachung anhand der Eigenfrequenzen. Die Abhängigkeiten der Eigenfrequenzen von der Bauwerkstemperatur werden durch die Gauß-Prozess-Regression abgebildet, s. a. [13]. Eine Anomalieerkennung erfolgt ähnlich dem Vorgehen in Abschnitt 4. Ein Bauwerksschaden, der eine Veränderung der Eigenfrequenzen hervorruft, kann durch diesen Ansatz erkannt werden. Es ist jedoch aus verschiedenen Veröffentlichungen bekannt, dass sich die globalen Eigenfrequenzen einer Brücke nur bei gravierenden Bauwerksschäden wesentlich verändern, siehe [7]. Abbildung 4: Eigenfrequenzen T4 und B4 des nördl. ÜB in Abhängigkeit von der Temperatur der Fahr-bahnplatte (N_F1_T_1). Daten des Jahres 2020 3.2 Eigenfrequenzen der ext. Spannglieder Je Überbau sind im Jahr 2000 sechs externe Spannglieder vom Typ VBF CMM 04-150D als Ertüchtigungsmaßnahme verbaut worden. Zwei Spannglieder je Überbau werden dabei über die gesamte Bauwerkslänge geführt, die restlichen Spannglieder sind zwischen den Auflagerquerträgern des Mittelfelds angeordnet. Die langen Spannglieder bestehen aus vier CMM-Bändern, die kurzen aus drei. Datenvorverarbeitung: Die Auswertung erfolgt je 15 min-Zeitfenster ohne Trennung von Signalanteilen. Die Signale werden im Zeitfenster tariert. Algorithmus: Die Eigenfrequenzen werden durch eine automatische Erkennung von Maxima im Leistungsdichtespektrum der Beschleunigungssignale bestimmt. Die diskrete Fourier-Transformation wird zur Berechnung der Leistungsdichte mit 2 16 Werte verwendet werden. Es ergibt sich eine Frequenzauflösung von 1.52 · 10 -3 Hz. Abhängigkeiten und Fehlerquellen: Zwischen den ersten Eigenfrequenzen der einzelnen Spannglieder bestehen geringe Abweichungen (Bild 5). Ein Pearson-Koeffizient von ca. 0.4 im Verhältnis zur Bauwerkstemperatur zeigt eine geringe Temperaturabhängigkeit. Dennoch ist die Varianz im Vergleich zu den globalen Eigenfrequenzen in den Daten für das Jahr 2020 gering. Das Dichte-Histogramm zeigt eine gute Übereinstimmung mit der Normalverteilung. Weitere Auswertung: Aus den Eigenfrequenzen der Spannglieder lässt sich näherungsweise die vorhandene Vorspannkraft bestimmen. Diese Information wird im FE-Modell und bei Nachweisen im Rahmen einer sicherheitsäquivalenten Bewertung angesetzt. Die messtechnisch ermittelten Eigenfrequenzen zeigen dabei gute Übereinstimmung mit den Ansätzen der Bestandsstatik. Veränderungen der Eigenfrequenzen durch Bauwerksschäden können im Rahmen einer Strukturüberwachung durch die Anomalieerkennung festgestellt werden. Grenzwerte, ab der eine Eigenfrequenz als Anomalie gilt, werden durch die die Anpassung einer Normalverteilung probabilistisch hergeleitet. Abbildung 5: Verteilungsdichte der ersten Eigenfrequenzen der externen Spannglieder am nördl. ÜB im Jahr 2020. Analyse der Signale der Sensoren N_F2_ACC_N2, N_F2_ACC_N4, N_F2_ACC_S2 und N_F2_ACC_S4 3.3 Maxima/ Minima und Integrale von Überfahrten Entsprechend der Ansätze in [1], [14] und [15] werden hier die Extremwerte und die Integrale des Signalanteils x_V der DMS und Riss-WA im Holkasten der Brücke betrachtet. Datenvorverarbeitung: Es erfolgt zunächst eine Isolation des Signalanteils x_V sowie eine Tarierung und Glättung. Durch mehrere Prüfabfragen werden Signalintervalle x_V mit mehreren Fahrzeugen auf der Brücke von den weiteren Berechnungen ausgeschlossen. OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 118 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Algorithmus: Je Überfahrt werden bis zu zwei Maximalwerte max 1/ 2 und zwei Minimalwerte min 1/ 2 bestimmt. Zusätzlich wird das numerische Integral I berechnet. Insgesamt ergibt sich je Sensor und einzelner Überfahrt der Merkmalvektor [max 1 , max 2 , min 1 , min 2 , I] (Bild 6). Für die Integrale I j und I k über die Signale s j und s k der Sensoren j und k während einer einzelnen Fahrzeugüberfahrt kann gezeigt werden, dass der Verhältniswert am einfachen Balkenmodell theoretisch konstant ist (Gleichung 1), siehe [14]. Der Verhältniswert wird als R-Wert bezeichnet, der Vektor aller möglichen Sensorpaare als R- Signatur. Entsprechend werden auch die Verhältniswerte der Maxima und Minima berechnet (Gleichung 2). Diese Verhältniswerte sollen als M-Werte bzw. M-Signatur bezeichnet werden. (1) (2) Abbildung 6: Bestimmung der Maxima / Minima und Integ-rale im Signal eines DMS (N_F2_SG_2_NO) während der Überfahrt eine LKW Abhängigkeiten und Fehlerquellen: Die R-/ M-Signatur zeigt Abhängigkeiten zur Spurlage der Fahr-zeuge in Brückenquerrichtung, sowie eine leichte Tem-peraturabhängigkeit. Der Mittelwert und die Varianz der M-Werte sind in den Daten des Jahres relativ kon-stant (Bild 7). Die R-Werte zeigen größere Streuungen. Es wird davon ausgegangen, dass die niedrigen Amplituden der Signale der DMS an den Stegen des Hohlkastens und der damit verbundene hohe Rauschanteil insbesondere die Berechnung der Integrale verfälscht. Abbildung 7: M-Wert (max 1 ) für die DMS N_F1_SG_1_ NO und N_F3_SG_2_NO im Verlauf des Jahres 2020 Weitere Auswertung: Die R-/ M-Signatur liefert In-formationen über die Steifigkeitsverteilung im Bau-werk. Ändert sich die Steifigkeitsverteilung durch einen Bauwerksschaden, zeichnet sich dies in der Sig-natur ab. In Simulationen zeigt sich, dass die R-Signatur deutlich empfindlicher auf eine Steifigkeits-veränderungen durch einen Bauwerksschaden reagiert als die globalen Eigenfrequenzen [14]. Entsprechend kann die R-/ M-Signatur für die Strukturüberwachung mittels Anomalieerkennung genutzt werden. Die Ab-hängigkeit zur Spurlage sowie zur Bauwerkstemperatur wird dabei durch die Hauptkomponentenanalyse abge-bildet, siehe [15]. 3.4 Bridge Weigh-in-Motion Je Überbau und Fahrspur werden jeweils zwei DMS zur Erfassung der Fahrzeugeigenschaften verwendet (WiM- DMS). Die DMS befinden sich dabei jeweils im Abstand von 2 m unter der rechnerischen Aufstandsfläche von Fahrzeugrädern unter den Fahrspuren. Datenvorverarbeitung: Der Signalanteil x V der WiM- DMS wird isoliert. Die Signale werden zusätzlich tariert und geglättet. Durch die kleine Einflussfläche der WiM-DMS handelt es sich beim Signalanteile x V fast ausschließlich um die Überfahrten einzelner Fahrzeuge. Durch Prüfabfragen werden Signalbereiche mit sehr dicht hintereinander- oder nebeneinanderfahrenden Fahrzeugen von den weiteren Berechnungen ausgeschlossen. Algorithmus: Aus dem Zeitversatz der Signale der zwei DMS kann die Fahrzeuggeschwindigkeit bestimmt werden. Achsanzahl und Achsabstände werden über die lokalen Maxima im tarierten und skalierten Signal bestimmt (Bild 8). Anhand der Achskonfiguration können die Fahrzeuge klassiert werden. Für die Bestimmung von Fahrzeugmassen wird eine Abwandlung der Beta- Methode aus [16] verwendet. Dazu wird das Integral I über das Signal während einer Überfahrt berechnet. Das Integral ist proportional zur Fahrzeugmasse. Durch einen Referenzwert I ref und eine Referenzmasse m ref kann die OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 119 Fahrzeugmasse m F entsprechend Gleichung 3 näherungsweise bestimmt werden. (3) Abhängigkeiten und Fehlerquellen: Durch das Verfahren können Fahrzeugmassen ab ca. 10 t näherungsweise bestimmt werden (Bild 9). Die Ergebnisse für Fahrzeuganzahl und -klassierung können durch eine fehlerhafte Signalsegementierung und Fehler bei der Erkennung von Maxima verfälscht werden. Weiterhin zählt bei der Massebestimmung der Einfluss der Spurlage der Fahrzeuge in Brückenquerrichtung sowie der Einfluss der temperaturabhängigen Steifigkeit des Fahrbahnbelags zu den möglichen Fehlerquellen. Zur Quantifizierung dieser Fehler ist ein umfassendes Testprogramm mit eingewogenen Fahrzeugen nötig, das im Rahmen von OSIMAB bisher nicht durchgeführt wurde. Abbildung 8: Signale der WiM-DMS an Fahrspur 1 des nördl. ÜB zur Bestimmung von Achsanzahl, -abständen und Fahrzeuggeschwindigkeit wäh-rend der Überfahrt eines fünfachsigen LKW (Typ 98) Abbildung 9: Dichteverteilung der Masse von fünfachsigen LKW (Typ 98) auf nördl. ÜB im Jahr 2020. Keine zuverlässige Bestimmung im straffier-ten Bereich Weitere Auswertung: Das B-WiM System liefert wichtige Information über die Verkehrseinwirkung auf einer Brücke im Messzeitraum. Anhand der Verkehrsstärke und -Zusammensetzung können objektspezifische Lastmodelle für Tragfähigkeits- und Ermüdungsnachweise abgeleitet werden, siehe [4]. Für Ermüdungsnachweise kann beispielsweise eine Anpassung des ELM 4 entsprechend der Nachrechnungsrichtlinie erfolgen. Im Vergleich zu einer direkten messtechnischen Bestimmung von Beanspruchungskollektiven für Ermüdungsnachweise, können mithilfe von objektspezifischen Lastmodellen und einem kalibrierten FE-Modell Nachweise an beliebigen Stellen des Tragwerks geführt werden. Außerdem kann die Verszusammensetzung als Eingangsgröße für objektspezifische Verkehrslastsimulationen dienen, siehe [17]. Simulationen bieten den Vorteil, dass die Beanspruchung für Tragfähigkeit und Ermüdung unter prognostizierten Verkehrsentwicklungen bestimmt werden kann. 3.5 Extremwerte je Woche Mithilfe der Extremwertstatistik können die Verkehrseinwirkungen im Grenzzustand der Tragfähigkeit anhand der Signale der DMS in den maßgebenden Querschnitten, v. a. Feld- und Stützbereich, extrapoliert werden [4]. Datenvorverarbeitung: Es erfolgt eine Isolation des Signalanteils x_V sowie eine Tarierung. Im Signalanteil x_V können dabei auch zeitgleiche Überfahrten mehrerer Fahrzeuge vorhanden sein. Damit eine dynamische Überhöhung in den Extremwerten enthalten bleibt, wird keine Glättung der Signale vorgenommen. Algorithmus: Zunächst wird das Maximum (Feldbereich) bzw. Minimum (Stützbereich) je Überfahrt ermittelt. Für die weitere Auswertung wird daraufhin der Extremwert je Bezugszeitraum betrachtet. Entsprechend den Empfehlungen in [18] wird als Bezugszeitraum eine Woche gewählt. Die Dichteverteilung der Wochenextrema kann durch eine Extremwertverteilung (EV) von Typ 1 (Gumbel-Verteilung) beschrieben werden (Bild 10). OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 120 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 10: Wochenextrema im Jahr 2020 mit angepasster EV-Typ 1 und Extrapolation auf einen Be-zugszeitraum von 50 Jahren zur Bestimmung des charakteristischen Werts (N_F3_SG_2_NO) Abhängigkeiten und Fehlerquellen: Die temperaturabhängige Steifigkeit des Asphalts kann einen geringen Einfluss auf die ermittelten Extremwerte haben, ansonsten wird die Berechnung der Wochenextrema nicht als fehleranfällig eingestuft Weitere Auswertung: Mit den Parametern der angepassten Extremwertverteilung kann eine Extrapolation der Dichtefunktion für unterschiedliche Bezugszeiträume, beispielsweise 50 Jahre erfolgen [4]. Die entsprechende Verteilung für die Verkehrseinwirkung kann daraufhin für probabilistische Nachweise verwendet werden. Für die Anwendung in der Praxis im Rahmen einer Nachrechnung ist die Ableitung eines charakteristischen Werts sowie eines Teilsicherheitsbeiwerts zielführend. Der charakteristische Wert für den Bezugszeitraum von 50 Jahren entspricht dabei dem Modalwert der entsprechenden Verteilung (Bild 10). Der messtechnisch ermittelte charakteristische Wert E k,mess kann ins Verhältnis zu einem rechnerischen Wert E k,Norm für ein normatives Lastmodell, z. B. LM 1, gesetzt werden (Gleichung 4). Der rechnerische Wert wird dabei mit dem kalibrierten FE-Modell ermittelt. Für Tragfähigkeitsnachweise an beliebigen Querschnitten des Bauwerks wird das normative Lastmodell mit dem Faktor α NR angepasst. Erfolgt die Bestimmung des charakteristischen Werts für mehrere Messpunkte, so ist der größte Anpassungsfaktor maßgebend. (4) Es ist zu beachten, dass es sich beim messtechnisch ermittelten charakteristischen Wert mit den Daten eines Jahres um eine Momentaufnahme handelt. Die Aussagen für einen Bezugszeitraum von 50 Jahren sind durch sinnvolle Abschätzungen zur Verkehrsentwicklung zu ergänzen. Hier spielt insbesondere der genehmigungspflichtige Schwerverkehr eine Rolle. In den betrachteten Messdaten des Jahres 2020 werden 55% der Wochenextrema durch einzelne Schwertransporte mit teilweise über 100 t hervorgerufen. 3.6 Temperaturabhängige Auflagerverschiebung Die Bauwerksreaktion der Temperatureinwirkung zeigt sich am deutlichsten in den Signalen der WA an den Widerlagern. Eine ähnliche Betrachtung für die Signale der NA liefert keine klaren Zusammenhänge. Hier wird davon ausgegangen, dass die Temperatureinwirkung auf die Nivelliervorrichtung der NA die Signale verfälscht. Datenvorverarbeitung: Der Signalanteil x T wird isoliert. Algorithmus: Für den Signalanteil x T erfolgt eine Berechnung des Mittelwerts je 15 min-Zeitfenster. Abbildung 11: 15 min-Mittelwert des Signalanteils x T für die Signale der WA an den Auflagern des südl. ÜB in Abhängigkeit von der Bauwerkstemperatur (S_F6_T_MO): S_F4_WA_SU (Achse 0), S_F6_WA_SU (Achse 30) Abhängigkeiten und Fehlerquellen: Der 15 min-Mittelwert der WA zeigt erwartungsgemäß eine deutli-che Temperaturabhängigkeit. Für den südlichen Über-bau ist dieser Zusammenhang linear und in den Bau-werksachsen 0 und 30 ähnlich (Bild 11). Dieses Ver-halten sowie die extrapolierte Gesamtausdehnung des Überbaus ist vergleichbar zu den Berechnungen der Bestandsstatik. Die temperaturabhängige Auflagerver-schiebung am nördlichen Überbau zeigt einen bi-linearen Zusammenhang. Eine genauere Beschreibung erfolgt in Abschnitt 4. Die Extraktion des Merkmals wird nicht als fehleranfällig eingestuft. Weitere Auswertung: Die messtechnische Ermittlung der temperaturabhängigen Auflagerverschiebung dient zum einen zur Kontrolle der rechnerischen Ansätze in der Bestandsstatik oder einer Nachrechnung, zum anderen kann die Funktionsfähigkeit der Lager anhand die-ses Merkmals überwacht werden. Beispielsweise wird ein Blockieren der Lager in einer Anomalieerkennung sicht- OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 121 bar. Für den südlichen Überbau wird ein einfaches lineares Regressionsmodell zur Anomalieerkennung genutzt. Der Ansatz für den nördlichen Überbau wird nachfolgen im Detail beschrieben. 4. Anwendungsbeispiel für die Anomalieerkennung Eine Anomalieerkennung wird beispielhaft mit den Daten für die temperaturabhängige Auflagerverschiebung des nördlichen Überbaus demonstriert. Die Daten zeigen einen bi-linearen Zusammenhang in Abhängigkeit zur Bauwerkstemperatur (Bild 12). Ab einer Temperatur von ca. 15 °C nimmt die Auflagerverschiebung in Achse 30 deutlich stärker zu als in Achse 0. Am Auflager in Achse 0 beträgt die Spanne der auftretenden Verschiebungen 11 mm im Jahr 2020. Am Auflager in Achse 30 ist die Spanne der Verschiebungen mit 27 mm deutlich größer. Die Spanne der gesamten Überbauausdehnung liegt mit ca. 38 mm in der gleichen Größenordnung wie am südlichen Überbau. Die gehemmte Auflagerverschiebung in Achse 0 wird entsprechend durch die größere Verschiebung in Achse 30 kompensiert. Die gemessenen asymmetrischen Verschiebungen am nördlichen Überbau werden als unplanmäßig eingestuft. Die Ursache für dieses Verhalten konnte bisher noch nicht geklärt werden. Hier ist zu prüfen, ob die asymmetrischen Verschiebungen zu übermäßigen horizontalen Beanspruchungen der Stützen führen. Die Festlager der Brücke sind auf den Stützen angeordnet. Für die Anomalieerkennung wird davon ausgegangen, dass der bi-lineare Zusammenhang unplanmäßig, aber normal ist, d. h. das Verhalten reproduziert sich und es sind keine Änderungen im Messzeitraum feststellbar. Als Modell wird ein Entscheidungsbaum in Kombination mit linearer Regression gewählt. Ein Regressionsmodell kann als Zwischenschritt genutzt werden, um eine Anomalieerkennung probabilistisch zu begründen. Ein Entscheidungsbaum ist ein einfaches Modell des maschinellen Lernens, das für Klassifikations- und Regressionsprobleme genutzt werden kann, engl. Classification and Regression Trees (CART), siehe z. B. [19]. Zum Aufbau des Baumes wird hier ein greedy Ansatz verwendet. An jedem Knoten bzw. Blatt des Baumes werden die Daten anhand eines Eingangsmerkmals auf zwei neue Knoten aufgeteilt. Aus der Menge aller möglichen Teilungspunkte wird derjenige ausgewählt, der eine Zielfunktion minimiert. Für das Regressionsproblem wird hier die Summe der quadrierten Abweichungen als Zielfunktion gewählt. Der Algorithmus stoppt, wenn ein Abbruchkriterium erreicht ist, z. B. die minimale Anzahl an Datenpunkten je Knoten oder die maximale Anzahl an zulässigen Knotenebenen. Da die Aufteilung der Daten rekursiv an jedem Knoten erfolgt, muss die Aufteilung nicht einem globalen Optimum entsprechen. Bei einer Kombination mit linearer Regression, engl. Treed Linear Model (TLM), wird in jedem Knoten ein lineares Regressionsmodell gebildet. Diese Kombination kommt eher selten zur Anwendung, wird aber in [13] erfolgreich für die Strukturüberwachung von Brücken demonstriert. In dieser Veröffentlichung wird ein bayesianischer Ansatz zur Erstellung des Baumes gewählt. Neben einem linearen Modell wird auch die Kombination mit der Gauß-Prozess-Regression für nicht-lineare Zusammenhänge innerhalb eines Knoten des Baumes vorgestellt. Die Anwendung des TLM soll zunächst mit einer Eingangsgröße und zwei Zielgrößen illustriert werden. Als Eingangsvariable wird die Temperatur des Bauwerks am Messpunkt N_F1_T1 (Fahrbahnplatte) verwendet. Als Ausgangsgrößen werden die temperaturabhängigen Überbauverschiebungen in Achse 0 (N_F1_WA_NU) und Achse 30 (N_F3_WA_NU) angesetzt. Für die Modellanpassung werden die Daten des Jahres 2020 verwendet (Trainingsdaten). Zur Kontrolle der Güte des Modells bleiben 20% der Trainingsdaten als Testdaten in der Modellanpassung unberücksichtigt. Da bekannt ist, dass ein bi-linearer Zusammenhang besteht, wird nur eine Knotenebene als maximale Anzahl für das Modell gewählt. Die Daten des Jahres 2020 sowie die Vorhersagen des Modells sind in Bild 12 dargestellt. Es zeigt sich, dass das Modell den bi-linearen Zusammenhang gut abbildet. Als Teilungspunkt ergibt sich eine Temperatur von 14.54 °C. Die Güte des Modells wird mit dem Bestimmtheitsmaß R 2 bewertet. Bei einem perfekten Modell wird ein Wert von 1.0 erreicht. Im vorliegenden Fall wird sowohl für die Daten des Sensors N_F1_WA_NU als auch für N_F3_WA_NU ein Bestimmtheitsmaß der Trainings- und Testdaten von gerundet 0.99 erreicht. OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 122 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 12: Temperaturabhängige Auflagerverschiebung des nördl. ÜB im Jahr 2020 in Abhängigkeit von der Bauwerkstemperatur (N_F1_T_1) mit Regressionsmodell (TLM): (a) N_F1_WA_NU (Achse 0) (b) N_F3_ WA_NU (Achse 30) Für die Anomalieerkennung wird die absolute Abweichung |x - x*| zwischen den Messwerten jedes Sensors x und den Vorhersagen des Modells x* als Rekonstruktionsfehler ε betrachtet. Für die Fehler der Trainings- und Testdaten ergibt sich eine ähnliche Dichteverteilung, die sich durch eine Normalverteilung abbilden lässt. Anhand der angepassten Normalverteilungen werden die Grenzen des 99%-Intervalls als Schwellen bestimmt, ab der ein Datenpunkt als Anomalie gewertet wird. Das Vorgehen ist für die Daten des Sensors N_F1_WA_NU in Bild 13 illustriert. Das 99%-Intervall ist ebenfalls in Bild 12 dargestellt. Abbildung 13: Rekonstruktionsfehler des TLM für den Sen-sor N_F1_WA_NU mit angepasster Normal-verteilung und 99%-Intervall Für die kontinuierliche Anwendung zur Strukturüber-wachung wird die temperaturabhängige Verschiebung aller acht WA am nördlichen Überbau im Modell als Zielgröße berücksichtigt. Als Eingangsgrößen werden die Signale der Temperaturaufnehmer N_F1_T1, _T3, _T6, _T9 sowie die Außentemperatur verwendet. An-sonsten ist das Vorgehen analog zum beschriebenen Modell für die Sensoren N_F1_WA_NU und N_F3_WA_NU. Die Anwendung der Strukturüberwachung ist in Bild 14 für die Sensoren in Achse 30 während der Monate März und April 2021 dargestellt. Ab Ende März werden die Daten des Sensors N_F3_WA_NO als anomal eingestuft. Das System gibt die Warnmeldung aus, dass die Ursache für eine Anomalie zu prüfen ist. Im vorliegenden Fall haben die Untersuchungen erge-ben, dass der WA aufgrund von Flugrost blockiert ist. Die Daten der anderen Sensoren zeigen kein auffälliges Verhalten. Dies zeigt, dass die Funktionsfähigkeit der Lager gegeben ist. OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 123 Abbildung 14: Beispielhafte Anwendung der Anomalieerkennung für die temperaturabhängige Auflagerverschiebung in Achse 30 des nördl. ÜB mit den Daten von März und April 2021 5. Schlussbemerkungen Aus der Entwicklung und dem Betrieb des Monito-ringsystems an der Talbrücke Sachsengraben ergeben sich die folgenden Rückschlüsse und weitere For-schungsansätze: • Das System erlaubt es kontinuierlich relevante Merkmale aus den Messdaten zu extrahieren, die im Projekt für FE-Update, eine sicherheitsäquiva-lente Bewertung und Verfahren zur Anomalieer-kennung herangezogen werden. • Für die experimentelle Modalanalyse ist zu unter-suchen, ob die Auswertung mit einem anderen Al-gorithmus anstelle der FDD, beispielsweise der Stochastic Subspace Identification (SSI), in Berei-chen von engbeieinander liegenden Eigenfrequen-zen akkuratere Ergebnisse erzielt. • Insbesondere die Algorithmen des B-WiM-Systems sind anhand von umfassenden Versuchs-fahrten zu überprüfen. Dadurch wird es möglich, Fehlereinflüsse zu quantifizieren und das Verfahren zu verbessern. Interessant sind hierbei auch Versu-che mit zeitgleichen Überfahrten von mehreren eingewogenen Fahrzeugen. • Es wird demonstriert, dass der Sensordefekt eines WA durch die Anomalieerkennung identifizierbar ist. Das wesentliche Ziel der Strukturüberwachung ist jedoch die Erkennung von Bauwerksschäden. Hier bietet es sich an, Signale unter Bauwerks-schäden durch umfassende FE-Simulationen mit realitätsnaher Verkehrs- und Temperatureinwirkung zu generieren. Die implementierten Ansätze zur Anomalieerkennung können daraufhin mit den si-mulierten Signalen validiert werden. Dabei ist v a. interessant, welche Schäden in welchem Ausmaß an der Talbrücke Sachsengraben erkennbar sind. • Als Ziel für weiterführende Forschung an der Talbrücke Sachsengraben ist die stärkere Verknüpfung der drei Teilbereiche FE-Update, sicherheitsäquivalente Bewertung und Anomalieerkennung relevant. Ein Beispiel ist die Kombination von datenbasier-ten Modellen zur Anomalieerkennung mit FE-Update, sodass eine (teil-)automatisierte physikali-sche Interpretation von Anomalien möglich wird. Es ist zu untersuchen, wie Anomalien durch Bau-werksschäden und Anomalien durch Fehler des Messsystems unterscheidbar sind. Für den Fall ei-nes Bauwerksschadens sind Ansätze zur Lokalisie-rung und Bewertung des Schadensausmaßes zu entwickeln. OSIMAB - Merkmale und Modelle zur Strukturüberwachung einer Spannbeton-Straßenbrücke durch Bauwerksmonitoring 124 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Aus dem Einsatz der gewählten Sensorik kann folgendes Fazit gezogen werden: • Die Signale der DMS an den Stegen der Hohlkäs-ten zeigen geringe Amplituden. Die Qualität der Dehnungssignale wird zusätzlich von den lokalen Gegebenheiten der Betonoberfläche beeinflusst. Hier ist zu untersuchen, ob der Einsatz von WA anstelle einer Dehnungsmessung zielführend ist. • Die Signale der NA liefern nur sehr eingeschränkt verwendbare Informationen. Geeignete Sensormodelle, Applikationsvorrichtungen sowie Messein-stellungen (Abtastrate, Filter) sind hier durch La-borversuche, z. B. in einer Klimakammer, zu spe-zifizieren. • Bei den WA zur Überwachung der Auflagerver-schiebung sind Ausfälle durch Flugrost zu ver-zeichnen. Für den weiteren Einsatz der Sensoren sind Ansätze zu entwickeln, wie die Aufnehmer besser vor Umwelteinflüssen geschützt werden können. Literaturverzeichnis [1] A. Jansen und K. Geißler, „Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen,“ in 4. TAE-Brückenbaukolloquium, 2020. [2] X. Xiao, Y. L. Xu und Q. Zhu, „Multiscale modeling and model updating of a cable-stayed bridge. 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Yamada, „Bridge weigh-in-motion systems using stringers of plate girder bridges,“ in Third International Conference on Weigh-in-Motion (ICWIM3) Iowa State University, Ames, USA, 2002. [17] J. Kraus, Zur analytischen Herleitung von Verkehrslastmodellen für die Tragfähigkeit und Ermüdung von Straßenbrücken [Dissertation], Technische Universität Berlin, 2020. [18] N. Steffens, Sicherheitsäquivalente Bewertung von Brücken durch Bauwerksmonitoring [Dissertation], Technische Universität Berlin, 2019. [19] K. P. Murphy, Machine learning: a probabilistic perspective, MIT Press, 2012. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 125 ACE: Anomalieerkennung auf Brückensensordaten mit Auto- CorrelationEncodern Benedikt Böing Technische Universität Dortmund, Deutschland Emmanuel Müller Technische Universität Dortmund, Deutschland Zusammenfassung Dieser Aufsatz stellt das ACE Modell vor, um Sensordaten von Brücken zu analysieren und somit kritische Infrastruktur kontinuierlich zu überwachen. Durch das Modell sollen strukturelle Schäden am Bauwerk frühzeitig erkannt werden, sodass Sicherheitsstandards gewährleistet sind und eventuelle Mängel kostengünstig behoben werden können. Das ACE Modell ist ein Machine Learning Ansatz, der das Anomalieerkennungsproblem auf multivariaten Zeitreihen löst. Er basiert auf Autoencodern, die die Verteilung gegebener Daten lernen und daraufhin Abweichungen von dieser Verteilung - dem normalen Zustand der Brücke finden können. Das ACE Modell ist effizient, skalierbar und nicht von der Anzahl oder Art der Sensoren abhängig, die zur Bauwerksüberwachung eingesetzt werden. Die Evaluation des vorgestellten Modells basiert auf Daten des OSIMAB Projekts. Einerseits wird gezeigt, dass das Modell fähig ist, die im Projekt verwendeten Sensoren zu rekonstruieren und andererseits wird die Eignung, strukturelle Schäden zu erkennen, geprüft. 1. Einleitung Brücken bilden einen unverzichtbaren Teil der Verkehrsinfrastruktur mit herausragender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Bedeutung. Um eine verlässliche Nutzung zu gewährleisten muss durch sensorgestütztes, kontinuierliches Structural Health Monitoring [2] sichergestellt werden, dass sie hohen Sicherheitsstandards genügen und belastbar bleiben. Dieser Aufsatz schlägt den AutoCorrelationEncoder (ACE Modell) für die Analyse der Brückensensordaten vor. Es erlaubt die ständige Überwachung einer Brücke anhand der sensorgenerierten Messwerte und fungiert somit als Frühwarnsystem für strukturelle Schäden. Dazu wird das Problem, den baulichen Zustand der Brücke anhand seiner Messwerte zu bestimmen, als unüberwachtes Anomalieerkennungsproblem auf multivariaten Zeitreihen definiert (vgl. [3]). Der AutoCorrelationEncoder lernt dann ein zweistufiges Modell: Es werden sowohl das Verhalten eines einzelnen Sensors, als auch die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Sensoren beschrieben. Damit ist es möglich, sowohl Anomalien innerhalb eines Sensors, als auch relative Anomalien zu anderen Sensoren zu erkennen. Darüber hinaus ist das ACE Modell für verschiedene Arten von Sensoren (inklusive Beschleunigungsaufnehmer, Neigungssensoren, Wegaufnehmer, und Dehnungsmessstreifen) ohne weitere physikalische Modellierung verwendbar und skaliert in hohem Maße in der Messfrequenz und der Anzahl verwendeter Sensoren. Die Evaluation des beschriebenen Modells wird auf Daten des OSIMAB [1] Projekts durchgeführt. Einerseits wird dargestellt, dass die Verteilungen der Sensoren mithilfe des ACE Modells gut abgebildet werden. Dazu werden die Sensordaten durch das Modell komprimiert und wieder rekonstruiert. Anhand der Qualität der Rekonstruktion im Vergleich zu den Orginaldaten lässt sich erkennen, ob das ACE Modell das Verhalten eines einzelnen Sensors gelernt hat. Zusätzlich wird durch Hinzufügen künstlicher Anomalien [5] gezeigt, dass das ACE Modell auf strukturelle Abweichungen mit einer erhöhten Anzahl an Anomalien reagiert. Somit ist ein solches Modell geeignet, strukturelle Schäden an Brücken zu erkennen. 126 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 ACE: Anomalieerkennung auf Brückensensordaten mit AutoCorrelationEncodern Abbildung 1: Zeitlich verschobene Sensoren. Jeder Sensor zeigt für sich genommen normales Verhalten. Abbildung 2: Schematische Darstellung des ACE Modells. 2. Problemstellung Dieser Abschnitt beschreibt wie das Erkennen strukturelle Schäden an Brücken, mithilfe eines Machine Learning Problem modelliert wird. Basierend auf den Sensordaten des Bauwerks, wird das Problem als Anomalieerkennung auf multivariaten Zeitreihen betrachtet. Formal wird also jedem Zeitpunkt x i ∈ R K einer gegebenen Zeitreihe X = (x 1 ,…, x T ) ein binärer Wert Y = (y 1 ,…, y T ) (im y i ∈ {0,1} folgenden ‘Label’) mit zugewiesen, der angibt ob der jeweilige Zeitpunkt ein anomaler (y i = 1) oder ein normaler, nicht-anomaler (y i = 0) Zeitpunkt ist. Da die Trainingsdaten nicht über Label verfügen, behandeln wir das Problem als ‘Unsupervised Machine Learning Problem’. Darüber hinaus ist unsere Lösung besonders für hochkorrelierte Sensordaten geeignet. Diese Korrelation bezieht sich auf die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Sensoren und nicht auf Abhängigkeiten verschiedener Zeitpunkte innerhalb eines Sensors (oft als Autokorrelation bezeichnet). Es wird jedoch auf eine genaue Definition zum Beispiel einen Korrelationskoeffizienten zwischen zwei Zeitreihen verzichtet, um das Problem möglichst allgemein zu halten und es nicht auf beispielsweise lineare Korrelationen einzuschränken. Durch die starke Abhängigkeit zwischen verschiedenen Sensoren können zwei Arten von Anomalien auftreten. Einerseits können die üblichen, univariaten Anomalien innerhalb eines Sensors entstehen. Andererseits kann sich die gemeinsame Struktur der Sensordaten verändern, sodass die Daten verschiedener Sensoren nicht mehr zu- 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 127 ACE: Anomalieerkennung auf Brückensensordaten mit AutoCorrelationEncodern einander passen. Beispielsweise könnten die Daten eines Sensors verzögert eintreffen, sodass sie zeitlich gegeneinander verschoben werden (vgl. Abbildung 1). In diesem Fall folgt jeder Sensor für sich genommen noch seiner Verteilung, sodass diese Art von Anomalie nur bei gleichzeitiger Betrachtung mehrerer Sensoren entdeckt werden kann. Abschließend muss die Lösung für das Problem in hohem Maße skalierbar sein, da die Echtdaten, an denen die Lösung erprobt wird, aus ca. 230 Mrd. Messwerten von ca. 74 Sensoren besteht. 3. Lösungsansatz Dieser Abschnitt stellt die entwickelte Methode zur Erkennung von Anomalien in multivariaten Daten dar. 3.1 Grundlagen - Autoencoder Zunächst wird ein Grundmodell - der Autoencoder [6] - eingeführt, auf dem die entwickelte Methode basiert. Dabei handelt es sich um ein vorwärtsgerichtetes neuronales Netz mit mehreren Schichten, welches darauf trainiert wird seinen Input zu rekonstruieren. Die mittlere Schicht, der sogenannte ‘Latent Space’ ist deutlich niedrigdimensionaler als die Inputschicht, sodass der Autoencoder gezwungen ist, eine kompakte Darstellung für jeden Input zu finden. Abbildung 3: Testdaten, Rekonstruktionen durch das ACE Modell und Anomaliescore. Bei künstlich hinzugefügten Anomalien ist der Score maximal. 128 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 ACE: Anomalieerkennung auf Brückensensordaten mit AutoCorrelationEncodern Desweiteren teilt der Latent Space den Autoencoder in den sogenannten Encoder (Inputschicht bis Latent Space) und Decoder (Latent Space bis Outputschicht). Formal ist der Autoencoder also eine Funktion f : R N → R N bestehend aus einem Encoder enc R N → R H und einem Decoder dec: R N → R H mit f (x) = dec (enc(x)) Der Autoencoder wird mithilfe des quadratischen Abstands loss = ( x - f (x)) 2 zwischen Input und Output trainiert. Die Dimensionsreduktion (H << N ) sorgt dafür, dass der Autoencoder die Verteilung der Trainingsdaten lernt und somit für das Anomalieerkennungsproblem anwendbar wird: Für Trainingsdaten (und somit für Punkte aus dieser Verteilung) wird der Rekonstruktionsfehler klein, während er für alle anderen Punkte groß bleibt. Somit kann anhand des Rekonstruktionsfehlers zwischen anomalen und normalen Inputs unterschieden werden. 3.2 Das ACE Modell Der Lösungsansatz dieses Aufsatzes basiert auf zweifacher Anwendung von Autoencodern. Zunächst wird separat für jeden Sensor ein Autoencoder trainiert, sodass anschließend deren Encodings aus dem Latent Space zusammengefügt und als Input für einen weiteren Autoencoder verwendet werden. Dieses Verfahren ist schematisch in Abbildung 2 dargestellt. Abbildung 4: Vergleich der prozentualen Anteile von anomalen Zeitpunkten vor und nach künstlichem Hinzufügen von Anomalien. Um einen Autoencoder auf die Daten eines Sensors anzuwenden wird jede der K Zeitreihen in T - W + 1 viele Zeitfenster der Länge W unterteilt. Dieses Zeitfenster gibt die Länge des zeitlichen Kontexts, innerhalb dessen Anomalien erkannt werden können. Die Unterteilung erlaubt es, die Struktur des Autoencoders festzulegen und gleichzeitig auf Zeitreihen beliebiger Länge trainieren zu können. Im Folgenden werden diese einzelnen Autoencoder als SensorEncoder bezeichnet. Nachdem wir für jedes Zeitfenster und jede Zeitreihe mithilfe der SensorEncoder die Encodings, das heißt deren Aktivierungen im Latent Space, extrahiert haben, werden diese zusammengefügt, um den Input für den darauf folgenden Autoencoder, den sogenannten CorrelationEncoder, zu generieren. Dementsprechend ist die Input-/ Outputdimension des CorrelationEncoders durch das Produkt K × H, also das Produkt der Anzahl an Sensoren und der Dimension der Encodings gegeben. Das gesamte Modell wird im Folgenden als ACE (AutoCorrelationEncoder) Modell bezeichnet. Die beiden Arten von Autoencodern erfüllen unterschiedliche Zwecke: Die SensorEncoder codieren die Information aus einem Sensor und bilden über den Fehler bei dessen Rekonstruktion ab, ob innerhalb des Sensors eine Anomalie auftritt. Der CorrelationEncoder hingegen misst die Interaktion zwischen den verschiedenen Sensoren. Wenn der Rekonstruktionsfehler des CorrelationEncoders zu groß ist, weist dies auf eine Anomalie hin, die nur in mehreren Sensoren sichtbar ist. Darüber hinaus erlaubt dieser zweistufige Ansatz verschiedene Variationen, wie beispielsweise unterschiedliche Fehlerfunktionen für die verschiedenen Autoencoder oder die Rekonstruktion der Zeitfenster, basierend auf der Rekonstruktion des CorrelationEncoders. Solche Va- 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 129 ACE: Anomalieerkennung auf Brückensensordaten mit AutoCorrelationEncodern riationen sollen in zukünftigen Arbeiten weiter erforscht werden. Möglicherweise erlaubt die Unterscheidung zwischen den beiden Fehlertypen auch eine genauere Erklärung, was zur Anomalie geführt hat. Um die Fehlerfunktionen beider Stufen des ACE Modells vergleichbar zu machen, werden jeweils beide Fehler durch eine Gaußverteilung modelliert (vgl [3]). Als Anomaliescore wird dann die Summe der negativen loglikelihood eines bestimmten Input unter den jeweiligen Verteilungen verwendet. 4. Experimente In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse auf dem OSI- MAB Datensatz dargestellt. 4.1 Beschreibung OSIMAB Datensatz Der von uns verwendete OSIMAB Datensatz [1] besteht aus insgesamt 74 Sensoren, die jeweils mit einer Frequenz von 100 kontinuierlich über ein Jahr gemessen wurden. Dabei gibt es vier verschiedene Arten von Sensoren: Beschleunigungsaufnehmer, Neigungssensoren, Wegaufnehmer und Dehnungsmessstreifen. Da sich die verschiedenen Sensorarten qualitativ anders verhalten, ist es notwendig ein Modell zu verwenden, was dieses Verhalten implizit, also ohne physikalische Modellierung, beschreibt. Darüber hinaus verfügt der Datensatz nicht über Label. Im Folgenden wird die qualitative Analyse auf Beschleunigungsaufnehmer beschränkt; die Ergebnisse für die anderen Sensorarten sind jedoch ähnlich. 4.2 Trainingsmethode Das ACE Modell wird auf den gesammelten Daten des Jahres 2020 trainiert. Es besteht aus mehrere Teilmodellen, die jeweils nach Sensorart und Position auf der Brücke gruppiert sind. Das Zeitfenster What eine Länge von 100 Zeitschritten, die durch die SensorEncoder auf 5 Dimensionen reduziert werden. Die Wechselwirkung zwischen den Sensoren wird ebenfalls in 5 Dimensionen repräsentiert. 4.3 Ergebnisse Zunächst wird dargestellt, dass die Rekonstruktion anhand des ACE Modells funktioniert. Abbildung 3 zeigt einerseits Inputdaten von Beschleunigungsaufnehmern und andererseits deren Rekonstruktion durch das ACE Modell. Es wird deutlich, dass das Modell gelernt hat, den qualitativen Verlauf der Sensoren wiederzugeben obwohl es keinerlei explizite physikalische Modellierung gab. Das Modell lernt den typischen Verlauf der Sensoren ausschließlich anhand der ihm zur Verfügung gestellten Daten. Dementsprechend ist es auch fähig, die verschiedenen Arten von Sensoren abzudecken. Allerdings muss beachtet werden, dass das Modell nicht die gleiche Skalierung aufweist wie die Testdaten. Dies scheint jedoch für die Anomalieerkennung unerheblich zu sein wie nachfolgend gezeigt wird. Anhand der Anomaliescores auf Abbildung 3 wird klar, dass unser Ansatz in der Lage ist Anomalien zu erkennen. Der Score verändert sich im Laufe der Zeit je nach Schwingungsverhalten und er wird insbesondere dann größer, wenn künstlich Anomalien hinzugefügt worden sind. Gleichzeitig muss eingeräumt werden, dass man anhand des Modells nicht erkennen kann, warum ein gewisser Zeitpunkt als Anomalie gewertet wird. Diese fehlende Erklärbarkeit ist der Preis für das flexible und dementsprechend komplexe, implizite Modell, welches durch den AutoCorrelationEncoder beschrieben wird. Neben der qualitativen Analyse wird nun gezeigt, dass durch eine Änderung der Verteilung der Inputdaten auch eine Veränderung der Anomaliehäufigkeit erreicht wird. Dies ist von besonderer Bedeutung, da angenommen wird, dass ein Brückenschaden die Verteilung der Inputdaten ändert. Somit ist der Algorithmus in der Lage, strukturelle Schäden zu erkennen. Zu diesem Zweck wurden fünf Arten von Anomalien in die Testdaten eingefügt [5]: 1. Extremwerte gegeben durch kurze Ausreißer nach oben. 2. Erhöhte Varianz über einen definierten Zeitraum 3. Trend durch Addition einer linearen Funktion 4. Shift durch Addition einer konstanten Funktion 5. Timeshift durch zeitliches Versetzen eines Sensors Durch diese Anomalien lässt sich überprüfen, ob Anomalien sowohl innerhalb eines Sensors als auch zwischen verschiedenen Sensoren gefunden werden. Abbildung 4 zeigt, wie sich die Häufigkeit der gefundenen Anomalien gegenüber dem Normalzustand verändert. Um vom Gesamtfehler auf einzelne Sensoranomalien zu schließen werden dabei die Rekonstruktionsfehler der SensorEncoder und die Rekonstruktionsfehler der jeweiligen Latent Spaces aus dem CorrelationEncoder addiert. Bei allen Sensoren mit künstlich eingefügten Anomalien wird ein starker Zuwachs in der Häufigkeit verzeichnet. Somit wird anhand der Häufigkeit der Anomalien erkannt, ob sich der Zustand der Brücke (und somit die Verteilung ihrer Sensordaten) verändert hat. 5. Schlussfolgerungen und weitere Forschung In diesem Aufsatz wird das ACE Modell zur kontinuierlichen, automatisierten Bauwerksüberwachung anhand von Sensordaten vorgestellt. Das ACE Modell ist dabei sowohl sehr skalierbar als auch flexibel anwendbar. Es wird anhand von echten Bauwerksdaten überprüft und liefert vielversprechende Ergebnisse. In zukünftigen Arbeiten können folgende Aspekte verbessert werden: • Erklärbarkeit der Anomalien: Es ist zurzeit nicht möglich, eine Erklärung für das Verhalten des Mo- 130 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 ACE: Anomalieerkennung auf Brückensensordaten mit AutoCorrelationEncodern dells bei einem bestimmten Input zu erhalten. Es ist ein Black-Box Modell. • Verifizierbarkeit: Durch die fehlende Erklärbarkeit und die hohe Komplexität des Modells kann bisher keine Garantie abgegeben werden, dass das ACE Modell alle Arten von Anomalien findet. Ebenso kann das Modell bisher nur durch Hinzufügen künstlicher Anomalien überprüft werden, da der OSIMAB Datensatz nicht über Label verfügt. • Testen verschiedener Variationen: Das ACE Modell lässt verschiedene Varianten zu, indem die Fehlerfunktionen angepasst werden oder die Rekonstruktion auf dem Output des CorrelationEncoders erfolgt. Literatur [1] BaST: The OSIMAB Sample Dataset, https: / / www. bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ DG/ mfund-projekte/ online-sicherheits-managementsystem-bruecken-osimab.html, 2020 [2] Farrar, C. R.; Worden, K.: Structural Health Monitoring A Machine Learning Perspective, John Wiley & Sons, 2012 [3] Malhotra, P.; Ramakrishnan, A.; Anand, G.; Vig, L.; Agarwal, P.; Shroff, G.; LSTM-based Encoder-Decoder for Multi-sensor Anomaly Detection, ICML 2016 [4] Malhotra, P.; Vig, L.; Shroff, G.; Agarwal, P.: Long Short Term Memory Networks for Anomaly Detection in Time Series, ESANN, 2015 [5] Ruff, L.; Geier, F.; Gierke W.; Stebner A.; Thevessen, D.; Fischer, M.; Kellermeier, T.; Kesar, D.; Müller, E.: A Systematic Evaluation of Deep Anomaly Detection Methods for Time Series, Under Review [6] Sakurada, M.; Yairi, T.: Anomaly Detection Using Autoencoders with Nonlinear Dimensionality Reduction, MLSDA, 2014 Smart Data in der Anwendung 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 133 GeoValML - Ein interoperables Austauschformat für nahezu beliebige geotechnische Versuchsdaten Dominik Stütz Bundesanstalt für Wasserbau Kußmaulstraße 17 76187 Karlsruhe Deutschland Eberhard Kunz Bundesanstalt für Wasserbau Kußmaulstraße 17 76187 Karlsruhe Deutschland Zusammenfassung Geotechnischen Versuchsdaten und Ergebnisse werden zur Beurteilung des Baugrundes u.a. bei Infrastrukturprojekten benötigt. Häufig ist dieser Datenbestand jedoch dispers verteilt oder gar nicht digital verfügbar. Der Austausch von geotechnischen Versuchsdaten und Ergebnisse ist aktuell somit schwierig. Im Rahmen der vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) geförderten Forschungsinitiative mFUND (www.mfund.de) hat die Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) einen geotechnischen Begriffskatalog und das Datenbankschema GeoValML entwickelt. GeoValML steht für Geotechnical Value Markup Language. Mit der dazugehörigen IT-Infrastruktur steht nun eine Technik bereit, die einen interoperablen Austausch geotechnischer Kennwerte ermöglicht. Dies erhöht Sicherheit und Wirtschaftlichkeit von Bauprojekten. GeoValML ist der erste umfassende Begriffskatalog für eine geotechnische Kennwertdatenbank. Bereits jetzt enthält dieser über 3300 Begriffe und wird weiter stetig ausgebaut. Der Vortrag berichtet über die nutzerreife Anwenderplattform und das Entwicklungskonzept von GeoValML. 1. Motivation 1.1 Herausforderungen Die Kenntnis über die geotechnischen Eigenschaften des Baugrunds ist für jedes Bauvorhaben zwingend erforderlich. Die Ermittlung der relevanten Kennwerte erfolgt in der Regel aufwändig und kostenintensiv mittels direkter und indirekter Aufschlüsse und Laboruntersuchungen. Die Untersuchungsergebnisse fließen in gutachterliche Beurteilungen ein und sind Grundlage der Baugrundschichtenmodelle. Durch die Bauvorhaben entstehen dabei lokal wertvolle Datensammlungen die aber in der Regel nicht öffentlich zugänglich und recherchierbar sind. Für eine deutschlandweite Sammlung und Bereitstellung der Daten fehlt zum einen ein interoperables Austauschformat und zum anderen die digitale Infrastruktur. Bestehende Datensammlungen sind technisch heterogen aufgebaut, und verwenden viele unterschiedliche Formate und Begriffsdefinitionen, was einen Datenaustausch deutlich erschwert, wenn nicht sogar verhindert. Die bei den Untersuchungen gewonnen Daten sind nicht nur für Bauprojekte wichtig, sondern auch für die Bereiche Ressourcen, Risikoanalyse und Umwelt. Mit Verabschiedung des Geologiedatengesetzes (GeolDG) im Juni 2020 besteht die gesetzliche Verpflichtung, die unter anderem bei Baugrunduntersuchungen gewonnenen Daten den geologischen Landesämtern für die Veröffentlichung bereitzustellen [1]. Des Weiteren hat die Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) als Bundesoberbehörde den Verpflichtungen dem E-Government- Gesetz (EGovG) nachzukommen. Dies schließt auch die öffentliche Bereitstellung der Baugrunddaten ein [2]. 1.2 Zielsetzung Aus diesen Herausforderungen lassen sich folgende Kernziele abgeleitet: Die Daten sind so zu dokumentieren das der Nachweis ihre Herkunft auch nach Jahrzehnten möglich ist. Die 134 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 GeoValML - Ein interoperables Austauschformat für nahezu beliebige geotechnische Versuchsdaten verwendeten Begriffe zur Beschreibung und Einordnung der Daten sind festzulegen zu dokumentieren und zu veröffentlichen. Die Schnittstelle für den technischen Austausch der Daten sollte weltweite Konformität und Akzeptanz haben. Die verwendeten Protokolle sollten etabliert sein. Die Fachliche Schnittstelle ist so zu konzipieren, dass der Austausch zwischen Datenanbietern und Nutzern standardisiert ist. Diese Kernziele lassen sich mit der konsequenten Umsetzung des FAIR-Prinzips erreichen. FAIR steht für Findable, Accessible, Interoperable und Reusable, zu Deutsch: Auffindbar, Zugänglich, Interoperabel und Wiederverwertbar. Das Prinzip wurde 2016 in der Fachzeitschrift Scientific Data veröffentlicht [3]. Abbildung 1: Konventionelles und flexibles Datenbankschema für eine geotechnische Datenbank 2. Datenbankschema Das Datenbankschema ist eine sehr wichtige Komponente im Aufbau einer Datenbank. Einmal festgelegt kann es nach Inbetriebnahme der Datenbank nur mit hohem Aufwand verändert werden. Darum sollte dies im Vorfeld gut überlegt sein. Im Folgenden werden zwei mögliche Schemavarianten für eine geotechnische Datenbank dargelegt, welche in Abbildung 1 zu sehen sind. 2.1 Konventionell Für geotechnische Kennwerte ergibt sich nach einem konventionellen Ansatz folgender möglicher Aufbau: Jedem Projekt werden Aufschlüsse zugewiesen. Den Aufschlüssen wiederum werden Proben zugeteilt. Für alle Proben oder In situ Untersuchungen werden Tabellen für unterschiedliche Versuche angelegt. Die Versuchstabellen sind unterschiedliche aufgebaut, je nachdem welche Werte bei einem Versuch gemessen werden. In die Versuchstabellen werden schließlich die Beobachtungen und Messwerte eingetragen. Dieser Aufbau erscheint nach der Vorgehensweise im Labor sehr naheliegend und wurde auch bei der BAW so umgesetzt. Es gibt aber einen entscheidenden Nachteil: Neue Versuche können nur ergänzt werden, indem eine neue Tabelle angelegt wird. Somit muss das Schema für neue Versuche angepasst werden. Aus diesen Erfahrungen und der in 1.2 dargelegten Zielsetzung wurde Rahmen der Forschungsinitiative mFUND das BMVI ein neues, flexibleres Schema erarbeitet. 2.2 Flexibel Das flexiblere Schema ist so aufgebaut, dass auch bei neuen Versuchen keine zusätzlichen Tabellen angelegt werden müssen. Dies wird erreicht indem nicht mehr für einen Versuch Beobachtungen und Messwerte direkt eingetragen werden, sondern dies in unterschiedliche Tabellen aufgeteilt wird. Somit entsteht für jeden Messwert in der Beobachtungstabelle ein neues Tupel. Dadurch erhöht sich zwar die Datenmenge, da bestimmte Metadaten häufiger eingetragen werden müssen. Dies ist aber bei Textdaten vernachlässigbar. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 135 GeoValML - Ein interoperables Austauschformat für nahezu beliebige geotechnische Versuchsdaten Um den Austausch zu vereinfachen ist es essentiell notwendig einheitliche Begriffe (Metadaten) zu verwenden. Dafür wird ein weiteres Datenbankschema für die Metadaten benötigt. Dort werden alle Schlüssel, also definierte Begriffe, verwaltet, die für bestimmte Attribute (Eigenschaften) verwendet werden dürfen. Ist ein Schlüssel nicht vorhanden, kann dieser nicht geschrieben werden - wenn die Schlüssel-Tabelle nicht ergänzt wird. Die Ergänzung der Schlüssellisten ist jederzeit möglich. Soll zu einer bestehenden Datenbank eine weitere Versuchsmethode hinzugefügt werden, so genügt es die entsprechenden Schlüsseleinträge zu ergänzen. In der konventionellen Labordatenbank muss hingegen hierfür eine neue Tabelle angelegt werden bzw. ist ein Eingriff in die Datenbank notwendig. Diese Vorgehensweise sichert langfristig die Datenqualität. Vor dem Ersteinsatz einer solchen Datenbank sind die notwendigen Schlüssellisten anzulegen. Seitens der BAW wird der für den Fachbereich Geotechnik erforderliche Begriffskatalog bereitgestellt und gepflegt. 3. Neuentwicklung - GeoValML Die Geotechnical Value Markup Language ist der erste umfassende Begriffskatalog für eine geotechnische Kennwertdatenbank. Er basiert streng auf den verfügbaren Normen und Regelwerken (DIN, DGGT-Empfehlungen, ISO-Standards, …). Bereits jetzt enthält dieser über 3300 Begriffe und wird weiter stetig ausgebaut. Damit ist der Begriffskatalog die Basis für ein interoperables Austauschformat für geotechnische Kennwerte. Er kann sehr einfach auch auf der Geotechnik fachlich nahe Bereiche ausgedehnt bzw. angepasst werden. Der Begriffskatalog ist frei verfügbar und wird bilingual in Deutsch und Englisch zur Verfügung gestellt. Das Datenbankschema wurde in Anlehnung an das Schema „Observations and Measurements“ des Open Geospatial Consortium (OGC), der internationalen Organisation zur Standardisierung von räumlichen Daten, entwickelt. Es wurde so aufgebaut, dass die Hierarchie bis zur Einzelmessung unterteilt werden kann. Alle enthaltenen Daten haben einen Raumbezug. Dies ist vor allem bei der Nutzung der Daten in BIM-Systemen von großem Vorteil. 4. Praktische Umsetzung 4.1 Datenbank Die praktische Umsetzung von GeoValML ist die Geotechnical Value Database. Diese verwendet als Datenbankmanagementsystem PostgreSQL mit der Erweiterung PostGIS. PostgreSQL zählt weltweit zu den beliebtesten Datenbankmanagementsystemen und ist wie PostGIS Open-Source. Mit Hilfe der PostGIS-Erweiterung werden Messdaten als Geometrie wie z.B. der Bohrungsverlauf als Kurve im Raum abgelegt. Darüber hinaus sind räumliche Abfragen möglich. 4.2 Schnittstellen Die zentrale Schnittstelle zur GeoVal-Datenbank ist die OGC API - Features. API ist die Abkürzung für Application Programming Interface. Die API ersetzt den bisherigen Standard WFS (Web Feature Service). Die Vorteile der API sind, die Vereinfachung des Zugriffs auf verteilte Geodaten und die einfachere Integrierbarkeit in beliebige Webanwendungen und Prozesse. Die GeoVal Datenbank erhält somit die modernste OGC-konforme Schnittstelle. Die Webseite der Schnittstelle ist unter folgender Webadresse erreichbar: www.baugrund-daten.baw.de Um Daten auch manuell in die Datenbank einpflegen zu können, wird das Geotechnical Value Data Service Tool (GeoVal-DST) entwickelt. Die Besonderheit des Geo- Val-DST ist, dass sich die Eingabemasken für die Dateneingabe und -verwaltung aus dem Begriffskatalog dynamisch generieren. Durch ein „proof of concept“ konnte gezeigt werden, dass diese innovative Entwicklung möglich ist. Die Umsetzung des GeoVal-DST bis zur Produktivversion erfolgt perspektivisch bis Ende 2021. Für allgemeine Recherchen, Darstellungen, Visualisierungen, sowie einfache gezielte Datendownloads wird die Geotechnical Value Webapplication (GeoVal-Web) entwickelt. Der Nutzerkreis der hiermit angesprochen werden soll, setzt sich aus Fachanwendern und der fachlich interessierten Öffentlichkeit zusammen, die einen intuitiven Zugang zu den Daten suchen. 4.3 Datenmigration Um alle Vorzüge von GeoValML auch für den bisherigen Altdatenbestand nutzen zu können, muss dieser aus bestehenden Datenbanken migriert werden. Aufgrund des deutlich anderen Schemas sind in der Regel umfangreiche Prozessierungen, Restrukturierungen und Zuweisungen notwendig. Die BAW hat sich dazu entschlossen die Migration der eigenen Labordatenbank mit Hilfe der Programmiersprache Python zu lösen. In Python werden vor allem die Packages Psycopg2, mit welchem SQL- Abfragen und Befehle an die Datenbank gerichtet werden können, und Pandas, zur internen Datenverwaltung, verwendet. Das in Abbildung 2 skizzierte Migrationsschema stellt sich wie folgt dar: Zunächst werden alle Daten der drei Bestandsdatenbanken geladen. Danach erfolgt die Datenprozessierung und -zuweisung. Vor dem Schreiben in die Zieldatenbank wird eine Fremdschlüsselprüfung durchgeführt. Ist diese erfolgreich, werden die Daten geschrieben. Falls nicht, werden die fehlenden Fremdschlüssel in eine EXCEL- Tabelle geschrieben. Dort können diese nach Tabellen 136 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 GeoValML - Ein interoperables Austauschformat für nahezu beliebige geotechnische Versuchsdaten sortiert analysiert werden. Nach der Fremdschlüsselprüfung und Korrektur kann das Migrationsprogramm neu gestartet werden. Abbildung 2: Migrationsschema Literaturverzeichnis [1] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Geologiedatengesetz. https: / / www.bmwi.de/ Redaktion/ DE/ Artikel/ Service/ geologiedatengesetz.html, 03.05.2021. [2] Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. E-Government-Gesetz. https: / / www.bmi.bund.de/ DE/ themen/ moderneverwaltung/ e-government/ e-government-gesetz/ egovernment-gesetz-node.html, 03.05.2021. [3] GO FAIR International Support and Coordination Office. FAIR Principles - GO FAIR. www.go-fair.org/ fair-principles/ , 29.04.2021. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 137 Anwendung von Monitoring bei Brücken der Bundesfernstraßen und zukünftige Monitoringstrategien Iris Hindersmann Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Germany Zusammenfassung Im Rahmen einer Abfrage des BMVI bei den Straßenbauverwaltungen der Länder zum Einsatz von Monitoring im Bereich der Bundesfernstraßen wurde gezeigt, dass der Einsatz selten und auf bekannte Defizite beschränkt ist, obwohl der Nutzen in vielen Fällen belegt ist und Monitoring eine Möglichkeit sein kann, die Restlebensdauer von Brücken zu verlängern. Hemmnisse für den breiteren Einsatz von Monitoring sind oftmals fehlendes technologisches Wissen, fehlende Verfahren zur Bewertung des Nutzens, fehlende Regelwerke und Standardisierung und fehlende finanzielle Mittel. Für die weitere Verbreitung von Monitoring im Bereich der Bundesfernstraßen ist die Berücksichtigung von optimierten Strategien des Erhaltungsmanagements eine Möglichkeit den Einsatz zu stärken. Hierbei können Strategien zur Unterstützung der Bauwerksprüfung und der Einsatz von Monitoring im Rahmen eines Lebenszyklusmanagements auf Objekt- und Netzebene unterschieden werden. 1. Einleitung Im Netz der Bundesfernstraßen befinden sich etwa 40.000 Brücken (BASt 2020). Ein bedeutender Teil dieser Brücken muss dringend instandgesetzt, ertüchtigt oder erneuert werden. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Der Verkehr auf Bundesfernstraßen ist in den letzten Jahren stark angestiegen und der Güterverkehr hat dabei überproportional an Menge und Gesamtgewicht zugelegt. Die Tragreserven der Brücken sind dadurch teilweise aufgebraucht, da faktisch eine Nutzungsänderung für die Brücken stattgefunden hat. Der Großteil der Brückenbauwerke in Westdeutschland wurde in den 1960er bis 1980er Jahren gebaut. Bedingt durch hohe Materialpreise und geringe Lohnkosten wurde der Materialeinsatz optimiert. Dadurch gibt es heute beispielsweise Probleme mit zu geringer Schubbewehrung bei relevanten Hauptbauteilen von Massivbrücken. Als zusätzliche Herausforderung kommt die Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Brücken hinzu, die auf einen Rückstau der Erhaltungsmaßnahmen schließen lässt (BMVI 2015; Marzahn 2016). Da eine Ertüchtigung und/ oder Ersatz aller betroffenen Bauwerke kurzfristig nicht möglich ist, ist es notwendig, Konzepte und Verfahren zu entwickeln, um die vorhandenen Brücken bis zur Sanierung oder dem Neubau sicher weiter nutzen zu können. Monitoring kann zur Sicherstellung der Verfügbarkeit nutzbringend eingesetzt werden, in dem Sicherheitsreserven erkannt, Prognosen des zukünftigen Verhaltens ermöglicht und so das Erhaltungsmanagement optimiert werden kann. Bislang wird Monitoring an Brücken nicht regelmäßig eingesetzt, dieses konnte im Rahmen einer Abfrage bei den Straßenbauverwaltungen der Bundesländer gezeigt werden. Die Ursachen hierfür sind vielfältig und sollen im Rahmen dieses Artikels beschrieben werden. Die Einbindung digitaler Technologien bei der Überwachung von Ingenieurbauwerken kann einen Nutzen zur Erhöhung der Sicherheit, Verfügbarkeit und Nutzungsdauer bringen. Um den Einsatz von Monitoring an Ingenieurbauwerken der Bundesfernstraßen zu erhöhen, ist es u.a. erforderlich Strategien zur regelmäßigen und selbstverständlichen Einbindung von Monitoring aufzuzeigen. Dieses kann im Rahmen der Einbindung in die Bauwerksprüfung oder im Rahmen des Lebenszyklusmanagement von Brücken erfolgen. 2. Monitoring Eine einheitliche Definition der Begriffe „Überwachung“ und „Monitoring“ liegt bei den Betreibern der Straßeninfrastrukturen nicht vor, in diesem Artikel wird den Definitionen des Merkblatts „Monitoring: Planung, Vergabe und Betrieb“ des Deutschen Beton- und Bautechnik Vereins gefolgt (DBV 2018). Überwachung beschreibt zielgerichtet durchgeführte Beobachtungen, die beispielsweise auf Messungen basieren. Die erfassten Daten werden nach einer eventuell möglichen Umrechnung mit Erwartungs- oder Grenzwerten verglichen. Monitoring beschreibt den Gesamtprozess zur Erfassung, Analyse und Bewertung von Bauwerksreaktionen und/ oder der einwirkenden Größen mittels eines Messsystems über 138 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Anwendung von Monitoring bei Brücken der Bundesfernstraßen und zukünftige Monitoringstrategien einen repräsentativen Zeitraum (zeitliche Entwicklung der Messgröße; kontinuierliche, periodische oder ereignisbasierte Messung, global lokal). Zu unterscheiden sind hierbei Kurzzeitmonitoring (Datenerfassung über Minuten bis Tage, z.B. während einer Probebelastung), Langzeitmonitoring (Datenerfassung über Wochen bis Jahre, z.B. zur Schadensüberwachung) und Dauermonitoring (permanente Datenerfassung ohne geplantes Ende, z.B. für kathodischen Korrosionsschutz). Der Nutzen von Monitoring konnte im Rahmen des Projekts „Wirtschaftlichkeit von Monitoringmaßnahmen“ belegt werden (Schubert et al. 2020). Das Konzept erlaubt es, den Nutzen von Monitoringmaßnahmen bereits vor der Installierung zu bestimmen. Das Konzept basiert auf der „Value of Information“- Analyse, die ihrerseits auf der Bayes’schen prä-posteriori Entscheidungsanalyse aufbaut. Die Beispiele konnten den wirtschaftlichen Nutzen der Monitoringmaßnahme darlegen. Bei der Analyse wurden die folgenden Aspekte berücksichtigt: Instandhaltungsmaßnahme, Kosten für Installation und Betrieb des Monitorings sowie Betriebskosten, Reisezeiten, Verkehrssicherheit, Lärm, Luftverschmutzung, Klimaschutz und Erreichbarkeit. Anwendungsfälle für Monitoring werden im DBV Merkblatt Monitoring (2018) genannt. Die Anwendung ist in allen Phasen des Lebenszyklus eines Bauwerks von der Planung bis zum Rückbau möglich. • In der Planungsphase ist Monitoring ein Instrument zum Informationsgewinn und zur Risikominimierung, beispielsweise bei der Durchführung von Vorversuchen. • Während der Herstellung können Spannungszustände überwacht werden, bei der Herstellung von Nebenbauwerken können Erschütterung und Risse am Bauwerk überwacht werden und bei der Inbetriebnahme einer Brücke kann eine Schwingungsmessung im Nullzustand erfolgen. • Auch in der Lebenszyklusphase „Betrieb“ kann Monitoring beispielsweise im Rahmen der Nachrechnung zur Bestimmung von Tragreserven, tatsächlicher Schwingbreiten oder Verkehrsbeanspruchung oder zur Überwachung vorhandener Schäden (OSA) eingesetzt werden. Der Einsatz im Rahmen der Einwirkungsüberwachung (Schwingungen), als zusätzliches Instrument der Bauwerksprüfung (Rissbewegung oder Spanngliedkraftmessung), bei Verstärkungs- und Instandsetzungsmaßnahmen (Erschütterung während des Baus) oder Belastungsversuche zur Abschätzung der Tragreserven sind weitere Beispiele. • Während des Rückbaus ist beispielsweise die Messung der Erschütterung möglich. 3. Anwendung in der Praxis 3.1 Länderabfrage Das BMVI hat auf Grundlagen der Arbeiten der UAG „Strategie des Monitorings in der Bauwerkserhaltung“ eine Abfrage zu den Erfahrungen beim Einsatz von Monitoring in den Straßenbauverwaltungen der Länder übermittelt. Ziel war es, einen Überblick über den Einsatz von Monitoring an Brücken des Bundesfernstraßennetzes zu erhalten. Hierbei sollen Nutzen, Möglichkeiten zur Entlastung bei der Bauwerksprüfung und Anwendungsgrenzen abgefragt werden. Grundlage der Abfrage war ein durch die UAG erstellter Fragebogen. Hierin wurden die Aspekte: Allgemeines zum Bauwerk (z.B. Baustoff, Bauweise, Baujahr), Grund/ Anlass des Monitorings (z. B. OSA, Erfassung der Einwirkungen), Dauer der Datenerfassung, Messtechnik (z.B. Art der Sensorik), Datenerfassung und Datenübertragung, Ausführung einzelner Arbeitsschritte und Kosten abgefragt. Dieser Fragebogen bildet die Grundlage zur Erstellung einer Erfahrungssammlung nach dem Vorbild vorhandener Dokumentationen. Die Erfahrungssammlung soll allgemeine Informationen zum Thema Monitoring (Definitionen, Anwendungsgebiete, mögliche strategische Ausrichtung, Planung und Bewertung, Hinweise zur Ausschreibung und Vergabe und Hinweise zur Qualitätssicherung) und eine Beispielsammlung von durchgeführten Monitoringanwendungen enthalten. Weiterhin werden die Ergebnisse der Abfrage zu Erörterung von strategischen Fragestellungen innerhalb der UAG Monitoring genutzt. 3.2 Ergebnisse der Länderabfrage Im Rahmen der Abfrage konnten 100 Beispiele zum Einsatz von Monitoring bei Straßenbauverwaltungen mit den erforderlichen Detailinformationen zusammengetragen werden. Eine Zusammenfassung der Auswertung der Meldungen wird im Folgenden beschrieben. Die in der Abfrage am häufigsten genannten betroffenen Bauarten sind Plattenbalken- und Hohlkastenbrücken. Der am häufigsten genannte Baustoff der Brücken, an denen Monitoringmaßnahmen durchgeführt wurden ist Spannbeton, mit großen Abstand folgt der Baustoff Stahl, die Baustoffe Stahlbeton und Stahlverbund spielen eine eher untergeordnete Rolle (Abbildung 1). 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 139 Anwendung von Monitoring bei Brücken der Bundesfernstraßen und zukünftige Monitoringstrategien Abbildung 1: Anzahl der gemeldeten Monitoring-Anwendungen nach Bauweise Die Verteilung der Bauweisen den gemeldeten Brücken entspricht dem Anteil der Bauweisen an der Gesamtzahl der Brücken der Bundesfernstraßen. Brückenbauwerke der Jahrgänge 1960 bis 1980 sind weitaus am häufigsten mit Monitoringsystemen ausgestattet worden (Abbildung 2). Abbildung 2: Baujahre der mit Monitoring ausgestatteten Brücken Die am häufigsten betroffene Brückenklasse ist BK60. Mit großem Abstand folgen nach LM1 bemessene Brücken sowie die Brückenklassen BK45 und BK60/ 30, welche nahezu gleichhäufig vertreten sind. Abbildung 3: Anlass für das Bauwerksmonitoring Bei der Erfassung des Anlasses für das Bauwerksmonitoring war eine Mehrfachnennung möglich (Abbildung 3). Die am häufigsten genannten Anlässe sind erforderliche Kompensationsmaßnahmen gefolgt von den Anlässen Einzellfallschadensüberwachung und Überstützung der Nachrechnung. Weniger häufig werden eine notwendige Überwachung von Auswirkungen der Spannungsrisskorrosion, die Unterstützung der Erhaltungsplanung, erforderliche Sonderprüfung und objektbezogene Schadensanalysen (OSA) genannt. Dabei erfolgt die Erfassung der Bauwerksreaktionen deutlich häufiger als die Erfassung der Einwirkungen auf das Bauwerk. Bei der Art der Sensoren haben Verformungs- und Temperatursensoren die größte Bedeutung (Abbildung 4). Weitere wichtige Sensoren mit jedoch deutlich selteneren Anwendungen sind Beschleunigungssensoren, der Einsatz des geodätischen Monitorings und der Einsatz von Kameras und Mikrophonen. Die Erfassung von Schallemissionen sowie der Einsatz von Neigungssensoren und Dauerhaftigkeitssensoren (z. B. Feuchtigkeit- und Korrosionssensorik) spielen eine untergeordnete Rolle. Abbildung 4: Art der eingesetzten Sensoren In der Regel werden nur wenige Sensoren eingesetzt. Bei einem Großteil der Monitoringanwendungen liegt die Anzahl der eingesetzten Sensoren unter 20 Stück. Es gibt nur sehr wenige Projekte, in denen deutlich mehr als 100 Sensoren eingesetzt werden. 140 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Anwendung von Monitoring bei Brücken der Bundesfernstraßen und zukünftige Monitoringstrategien Ein Großteil der Monitoringanwendungen war innerhalb von einem Zeitraum von zwei Jahren abgeschlossen, nur wenige Monitoringanwendungen weisen deutlich längere Laufzeiten aus. Folglich liegen die Kosten für das Monitoring bei den meisten Anwendungen unter 100.000 €. Nur eine geringe Anzahl an Monitoringanwendungen hat ein Kostenvolumen von über 200.000 €. Über 80 % der Maßnahmen wurde als erfolgreich eingestuft. Bei einem geringen Anteil der Projekte konnte kein klarer Erfolg erreicht werden, das heißt, vorhandene Fragestellungen konnte durch den Einsatz von Monitoring nicht vollständig beantwortet werden. Die einzelnen Arbeitsschritte zur Durchführung eines Monitorings können grundsätzlich von unterschiedlichen Beteiligten ausgeführt werden, dieses sind der Auftraggeber, Spezialdienstleister für Bauwerksmessungen (Experte für das Thema Messtechnik und Datenbereitstellung), Fachplaner Monitoring (Experten für den gesamten Bereich von Planung, Konstruktion, Monitoring und Datenauswertung) oder sonstige Beteiligte (DBV 2018). Die in Tabelle 1 aufgeführte Aufteilung der Antworten zeigt, dass der Auftraggeber bei der „Definition der Fragestellung“ den größten Anteil hat. Bei den Arbeitsschritten „Erstellung des Monitoringkonzepts“, „Ausführungsplanung für das Messsystem“, „Installation, Betrieb und Datenerhebung“, „Datenaufbereitung und Auswertung der Messergebnisse“ und „Bewertung der Messergebnisse“ hat der Fachplaner Monitoring den größten Anteil. Der Spezialdienstleister für Bauwerksmessungen hat bei den Arbeitsschritten „Ausführungsplanung für das Messsystem“, „Installation, Betrieb und Datenerhebung“ und „Datenaufbereitung und Auswertung der Messergebnisse“ eine Bedeutung nur in ca. 20% der Fälle. Das bedeutet, dass der Auftraggeber in der Regel die Monitoringmaßnahmen allein mit einem Fachplaner abwickelt. Arbeitsschritt Auftraggeber Spezialdienstleister Fachplaner Sonstige Definition der Fragestellung 71 22 7 0 Erstellung Monitoringkonzept 22 8 63 7 Ausführungsplanung Messsystem 4 19 71 5 Installation, Betrieb, Datenerhebung 3 25 67 5 Datenaufbereitung & Aus-wertung der Messergebnisse 4 17 72 7 Bewertung der Messergebnisse 26 5 58 11 Tabelle 1: Aufteilung der Arbeitsschritte auf unterschiedliche Personenkreise Die Abfrage zeigt, das Monitoring bei den Straßenbauverwaltungen nicht regelmäßig eingesetzt. Der Einsatz ist vornehmlich einzelfallbezogen, vom Umfang her begrenzt und die Anwendung findet vornehmlich bei älteren Bestandsbauwerken statt. Eine Unterstützung durch externe Fachplaner ist in fast alle Fällen erforderlich. Der Einsatz von Monitoring in Bezug auf Baustoff, Bauart und Alter der Bauwerke entspricht dem in Deutschland vorhandenen Bauwerken. Die Beispielsammlung ist hinreichend groß für die Erstellung der angestrebten „Erfahrungssammlung“. 3.3 Hemmnisse für den breiten Monitoringeinsatz Für den bislang relativ wenig verbreiteten Einsatz von Monitoring an Brücken der Bundesfernstraßen gibt es verschiedene Ursachen. Die Zusammenstellung der Ursachen und Lösungsmöglichkeiten stammen aus einem Workshop der UAG „Strategie des Monitorings in der Bauwerkserhaltung“, Interviews mit Straßenbauver-waltungen der Länder aus dem Jahr 2020 und aus dem Artikel „Innovative Monitoringstrategie für Bestandsbauwerke“ von Bergmeister aus dem Jahr 2015. Häufig ist fehlendes Wissen in Bezug auf das Thema Monitoring ein Grund für den wenig verbreiteten Einsatz. Hier sind fehlende Fachkenntnisse in Bezug auf den Ein- 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 141 Anwendung von Monitoring bei Brücken der Bundesfernstraßen und zukünftige Monitoringstrategien satz und Nutzen von Monitoring, fehlende Kenntnisse im Umgang mit dem Thema der Datenhaltung (z.B. Metadaten, Speicherort) und die hohen Komplexität des Themas zu nennen. Die vielfältigen Aufgaben zur Erstellung einer objektbezogene Konzeption für das Monitoring und komplexe Genehmigungsverfahren sind ebenfalls bedeutsame Hemmnisse. Abhilfe kann die geplante Erfahrungssammlung zu Einsatz von Monitoring und eine beabsichtigte webbasierte Datenbank mit entsprechenden Suchmöglichkeiten zu Problemstellungen und Monitoringanwendungen leisten. Eine verbesserte Schulung und Weiterbildungen ist ebenfalls nutzbringend. Für die Anwender ist der Nutzen einer Monitoringmaßnahme in der Regel unbekannt, daher gibt es Vorbehalte zum Einsatz dieser neuen Technologien. Auch fehlende konkrete Zielsetzung und Konzepte für den Einsatz an Neubauwerken stellen ein Hemmnis dar. Das Aufzeigen von Vorteilen, Best-Practice-Anwendungen und die Entwicklung von Strategien zum Einsatz von Monitoring kann Abhilfe schaffen. Fehlende Regelwerke und Standardisierungen in Bezug auf die Aspekte Monitoringverfahren, Ausschreibung und Qualitätssicherung stellen weitere Hemmnisse dar. Das DBV Merkblatt „Monitoring: Planung, Vergabe und Betrieb“ und die geplante Erstellung weiterer Merkblätter und Richtlinien, wie beispielsweise der DGZfP- Richtlinie B9 „Automatisierte Dauerüberwachung im Ingenieurbau“ können Abhilfe schaffen. Diese Richtlinien sollen eine Unterstützung u.a. in den Bereichen Planung, Ausschreibung und Bewertung der Ergebnisse liefern. Auch die Analyse der Vorgehensweise anderer Disziplinen, wie Beispielsweise im Bereich der Windenergie, wo Monitoring bereits standardisiert eingesetzt wird, kann eine Unterstützung liefern (Kühne et al. 2021). Auch aktuelle Forschungsprojekte können Hinweise zum Umgang liefern, hierzu wird auf vielfältige Veröffentlichungen der BASt und anderer Institutionen verwiesen. Die nicht unerheblichen Kosten von Monitoring-Anwendungen stellen ein Hemmnis dar, da der Nutzen von Monitoring finanziell nur schwer in einer umfassenden Form abgeschätzt werden kann. Die Abschätzung der Wirtschaftlichkeit über das in Schubert et al. (2020) entwickelte vereinfachte Verfahren kann hierbei gute Ergebnisse liefern. Hemmnisse in finanzieller Hinsicht sind fehlendes Budget für die Maßnahmen und das zusätzliche Personal, welches sich um die Planung, Ausschreibung und Auswertung von Monitoring kümmern muss. Ein flexibles Budget, aus dem auch neben Monitoringmaßnahmen der Einsatz von erforderlichem Personal und ggf. notwendige Weiterbildungsmaßnahmen finanziert werden können, kann zielführend sein. 4. Zukünftige Strategien Für die Optimierung von Effizienz und Effektivität im Erhaltungsmanagement von Brückenbauwerken können insbesondere zwei zukünftige Strategien mit Bezug zu Monitoringmaßnahmen unterschieden werden. Der Einsatz von Monitoring zur Unterstützung der Bauwerksprüfung ist eine Anwendungsfeld, das bereits heute in Einzelfällen umgesetzt wird. Hier ist ein verstärkt strukturierter Ausbau des Einsatzes möglich. Der Einsatz von Monitoring zur Realisierung eines Lebenszyklusmanagements ist aktuell noch Gegenstand der Forschung, mit zunehmender Digitalisierung kann aber dieses Vorgehen deutlich an Bedeutung gewinnen. 4.1 Monitoring zur Unterstützung der Bauwerksprüfung Im Rahmen der Bauwerksprüfung nach DIN 1076: 1999 kann Monitoring zur Unterstützung der Bauwerksprüfung eingesetzt werden, ein Ersatz der Bauwerksprüfung ist jedoch nicht vorgesehen. Der Einsatz von Monitoring ist an verschiedenen Stellen der Bauwerksprüfung möglich, diese Aspekte werden im Folgenden beschrieben. Der Einsatz von instrumentierten Bauteilen, beispielsweise instrumentierte Lager oder Fahrbahnübergänge kann bewirken, dass diese Bauteile nicht nach zuvor festgelegten Zyklen ausgetauscht werden müssen, sondern in Abhängigkeit von der tatsächlichen Belastung. Instrumentierte Bauteile ermöglichen Aussagen zu vorhandenen Schäden an den entsprechenden Bauteilen und ggf. die Prognose zukünftiger Entwicklungen. So überwacht das instrumentierte Lager die tatsächlichen Wege des Lagers, dieses ermöglicht unter Berücksichtigung der jeweiligen Zulassung eine Prognose der tatsächlichen Nutzungsdauer. Für den instrumentierten Fahrbahnübergang ist beispielsweise die Erfassung der Überrollzyklen relevant, diese ermöglichen die Abschätzung der Restlebensdauer, da Fahrbahnübergänge für eine bestimmte Menge an Überrollzyklen konzipiert werden (Haardt et al. 2017). Ein relevanter Aspekt zum Einsatz von instrumentierten Bauteilen ist, dass die Lebensdauer der integrierten Sensoren zur Nutzungsdauer des Bauteils passen muss (Lager, Fahrbahn, Kappe) oder ein schneller und einfacher Austausch muss möglich sein. Der Einsatz von RFID Sensorik zur Überwachung von Feuchte und Korrosion ermöglicht es relevante Informationen zu den wichtigen dauerhaftigkeitsrelevanten Parametern zu bekommen, bevor diese Auswirkungen auf das Bauwerk haben und sich in Form von Abplatzungen oder Rissen im Beton zeigen. Das Auslesen der Sensorik ist beispielsweise jährlich und während der Bauwerksprüfung mit speziellen Lesegeräten möglich. Der Einsatz von passiven RFID Sensoren, also Sensoren ohne Batterien wurde im Rahmen von Untersuchungen an der „intelligenten Brücke duraBASt“ erprobt. Die Sensoren zur Überwachung der Feuchtigkeit wurden in der Fahrbahn, an den Abläufen und dem Fahrbahnübergang in Bohrlöcher eingebaut und diese mit Mörtel abgedichtet. Die Feuchtigkeit wird bei dieser Art von Sensorik über die elektrische Leitfähigkeit gemessen. Für die 142 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Anwendung von Monitoring bei Brücken der Bundesfernstraßen und zukünftige Monitoringstrategien Abläufe der Fahrbahn zeigt Abbildung 5 den abnehmenden Verlauf der Feuchtigkeit nach Einbau der Sensoren. Die Feuchtegehalte haben sich mittlerweile für alle 3 Sensoren auf ein Niveau von konstant ca. 2 Masseprozent Feuchte eingependelt. Abbildung 5: Feuchtgehalte der Sensoren an den Fahrbahnabläufen Die Ergebnisse der Sensoren am Fahrbahnübergang können der Abbildung 6 entnommen werden. Auch hier zeigt sich eine Abnahme der Feuchtegehalte auf ein Niveau von ca. 2,5 bis 2 Masseprozent Feuchte. Abbildung 6: Feuchtegehalte der Sensoren an den Fahrbahnübergängen Falls eine deutliche Abweichung der Feuchtegehalte festgestellt wird, sollte eine Überprüfung der Dichtigkeit der Abdichtungselemente vorgenommen werden, da ansonsten mit Schäden in diesem Bereich gerechnet werden muss. Die Erstellung eines Geburtszertifikats nach der Fertigstellung der Brücke ist eine weitere Strategie. Dieses Geburtszertifikat ist gekennzeichnet durch eine Referenz- oder Nullmessung, welche nach der Fertigstellung durchgeführt wird. Durch spätere Vergleichsmessungen, z.B. alle 6 Jahre bei Hauptprüfung, können Abweichungen zum Zustand des Bauwerks abgeschätzt werden (Kühne et al. 2021). Dieses Vorgehen wird in der Schweiz bereits praktiziert (Bundesamt für Straßen 2005). Nach der Fertigstellung des Bauwerks erfolgt eine dynamische Nullmessung über den Einsatz von Beschleunigungssensoren zur Feststellung von Parameter wie Eigenfrequenz oder Eigenschwingungsform. Weiterhin wird eine statische Nullmessung zur Dokumentation der globalen Geometrie und entsprechender Kennwerte durchgeführt. Eine Aufnahme dieser Parameter ist beispielsweise durch eine Befliegung möglich. Die Ergebnisse werden den Bauwerksunterlagen beigefügt. Weiterhin werden Informationen zu eventuell eingebauter Sensorik mit Art, Einbauort und Messgrößen und notwendige zukünftige Nachmessungen beigefügt. Bei einem zukünftigen Einsatz dieses Vorgehens sollte die Dokumentation digital an einem Bauwerksmodell erfolgen, welches auch die Ergebnisse der Messungen enthält. Dieses vereinfacht zukünftige Nachmessungen und die Auswertung der Ergebnisse. Der Einsatz von Drohnen, ausgestattet mit einer Kamera ermöglicht es, ein genaues Bild der Oberfläche der Bauwerke zu erzeugen. Dieses Bildmaterial kann genutzt werden, um diejenigen Stellen am Bauwerk zu identifizieren, die im Rahmen der Bauwerksprüfung genauer untersucht werden sollten. An der Hochmoselbrücke (BStr 50) wurde als Ergänzung zur ersten Hauptprüfung eine Drohnenbefliegung mit hoch auflösender Kamera durchgeführt. Die bildgestützte dreidimensionale Rekonstruktion und eine Rissaufnahme dient als Grundlage für zukünftige Bauwerksprüfungen (Kühne et al. 2021; Morgenthal et al. 2019). Das Bildmaterial kann auch genutzt werden um eine KIgestützte Auswertung der Bilder zu übernehmen. Eine automatisierte Erkennung von Rissen und Abplatzungen oder Veränderungen und eine anschließende Bewertung können für die Bauwerksprüfung eine gute Unterstützung darstellen (Kühne et al. 2021; Morgenthal et al. 2019). Mit dem Einsatz von VR und AR entsteht die Möglichkeit, dass Bauwerksmodelle inklusive verorteter Sensorik und Messdaten im Büro und vor Ort analysiert werden können. Die Einbeziehung von Monitoringergebnissen in die Bauwerksprüfung wird somit deutlich erleichtert. 4.2 Monitoring im Lebenszyklusmanagement Bei der Erhaltung von Bauwerken können unterschiedliche Strategien verfolgt werden, wie die Abbildung 7 zeigt. Eine Entwicklung vom reaktiven zum prädiktiven/ vorausschauenden Erhaltungsmanagement geht einher mit dem Zuwachs an Wissen, einem verbesserten Umgang mit Unsicherheiten und einem vermehrten Einsatz von technologischen Entwicklungen. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 143 Anwendung von Monitoring bei Brücken der Bundesfernstraßen und zukünftige Monitoringstrategien Abbildung 7: Digitale Transformation in der Erhaltung (Strauss et al. 2009) Der Einsatz von Monitoring im Lebenszyklusmanagement von Bauwerken hat das Ziel die Schäden von Bauwerken rechtzeitig zu erkennen und Prognosen zum Schadensverlauf zu machen. Monitoring spielt im prädiktiven Erhaltungsmanagement eine bedeutende Rolle, denn das Wissen zum tatsächlichen Zustand des Ingenieurbauwerks und der zukünftigen Entwicklung ist nur mit der Überwachung der Brücke möglich. Der umfängliche Einsatz von Sensorik zur Bestimmung des aktuellen Zustands von Bauwerken und die Ableitung des zukünftigen Verhaltens ist Teil der Forschung. Strategien für den zukünftigen Einsatz auf Objekt- und Netzebene können in abgeleitet werden. 4.2.1 Objektebene Auf der Objektebene wird das Ingenieurbauwerk selbst betrachtet. Der Einsatz von Monitoring bei bekannten Schädigungen bietet eine gute Möglichkeit zur Überwachung des Schädigungsfortschritts. Dieses Vorgehen dient der Verlängerungen der Restnutzungsdauer und Erhöhung der Sicherheit. Es gibt eine Reihe von Beispielen aus der Praxis für dieses Vorgehen. An der Rheinbrücke Leverkusen im Zuge der A1 wird z. B. die Verkehrslast erfasst und über eine Schwellwert-Überwachung der reduzierten Fahrzeuggewichte die Einwirkung auf die Brücke kontrolliert und damit eine Verlängerung der Restnutzungsdauer erreicht. Ein weiteres Beispiel ist die Koppelfugenüberwachung, welches an der Autobahnbrücke, die über die L287 (Friedrich-Ebert-Straße) in Duisburg Beeck führt, eingesetzt wurde. Mit der Überwachung konnte eine weitere sichere Nutzung der Brücke erreicht und eine vorzeitiger Ersatzneubau abgewendet werden (Hortmanns et al.; Schubert et al. 2020). Neben der Strategie Monitoring bei bekannten Schäden einzusetzen, kann auch der Einsatz von „Intelligenten Brücken“ zum vermehrten Einsatz von Monitoring beitragen. Die Intelligente Brücke ist ein modulares System zur kontinuierlichen Erfassung und Analyse maßgeblicher Messgrößen hinsichtlich Einwirkungen und Bauwerksreaktionen sowie deren Bewertung und Visualisierung der Ergebnisse. Über die gesamte Nutzungsdauer liefert sie kontinuierlich Informationen hinsichtlich des Zustands, der Zuverlässigkeit und Restnutzungsdauer des Bauwerks und seiner Bauteile (Haardt et al. 2017). Auf der Bauteilebene wird das Ziel verfolgt, Schäden zu detektieren und im weiteren Prognosen zur zukünftigen Entwicklung abzugeben. Ein Beispiel sind die unter 4.1. genannten instrumentierten Lager und Fahrbahnübergänge, die im Zusammenhang mit der Intelligenten Brücke entwickelt wurden. Aus den ermittelten Daten über die Bauteile können gemeinsam mit den Informationen zu den Einwirkungen beispielsweise Prognosen zur zukünftigen Entwicklung und der notwendigen Erhaltungsmaßnahmen aufgezeigt werden (Haardt et al. 2017; Dabringhaus et al. 2020b). Über die Nachverfolgung der Eindringtiefe und -geschwindigkeit von Schadstoffen, wie beispielsweise dem Chloridgehalt oder einer tiefengestaffelten Ermittlung der Korrosion kann eine Prognose der Schädigung der Stahlbewehrung vorgenommen werden. Hiermit ist ebenfalls eine Aussage zur Restnutzungsdauer vor einer notwendigen Instandsetzung möglich. Auf Bauwerksebene können mit dem Einsatz von Monitoring übergeordnete Aussagen zum Gesamtbauwerk vorgenommen werden. An der intelligenten Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn werden die drei folgenden Aspekte analysiert (Haardt et al. 2017; Dabringhaus et al. 2020b; Freundt et al. 2020): • Die statische Beanspruchung des Bauwerks kann über das Verhältnis von statischen Beanspruchungswerten aus der Verkehrsbelastung zu den Werten der Tragwerksbemessung (hier Lastmodells LM 1) ermittelt werden. Ab einer Überschreitung von 80% der theoretischen Traglast erfolgt eine Warnmeldung. • Der Kennwert „Bauwerkssteifigkeit“ lässt sich aus den Messungen der Eigenfrequenz aus Beschleunigungssensoren ermitteln. Die Überwachung der Eigenfrequenz ist qualitativ, auf Grundlage der Messungen wurden Mittelwerte berechnet, eine Abweichung von diesen Werten deuten auf Steifigkeitsveränderungen hin. • Eine weitere Möglichkeit ist die Bestimmung des Zuverlässigkeitsindex. Relevanten Grenzzustände eines Bauwerks werden dafür messtechnisch überwacht, 144 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Anwendung von Monitoring bei Brücken der Bundesfernstraßen und zukünftige Monitoringstrategien die Auswertung der Messergebnisse erfolgt auf probabilistischer Ebene. Eine weitere Möglichkeit, die auf der Objektebene verfolgt werden kann, ist die Erstellung eines digitalen Zwillings. Dieser ist ein digitales Abbild des realen Bauwerks und spiegelt sämtliche Eigenschaften und sein Verhalten über dessen gesamten Lebenszyklus hinweg anhand verschiedener Modelle. Der digitale Zwilling beinhaltet eine Ausstattung des Bauwerks mit Sensorik, dieses dient u.a. dazu szenariobasierte Untersuchungen und Prognosen hinsichtlich des Bauwerkszustandes erstellen zu können und Erhaltungsmaßnahmen zu prognostizieren (Dabringhaus et al. 2020a). 4.2.2 Netzebene Monitoring kann auf der Netzebene z. B. genutzt werden, um Performance Indikatoren (PI) und Key Performance Indikatoren (KPI) zu ermitteln. Ein Performance Indikator ist ein Begriff für eine messbare Eigenschaft bzw. Kennzahl, anhand derer ein Fortschritt bzw. der Erfüllungsgrad einer Zielsetzung gemessen werden kann (Speer 2019; Strauss et al. 2018). Key Performance Indikatoren sind aggregierte dimensionslose Kennzahlen, welche ebenfalls als Kriterium für die Erreichung von Zielen genutzt werden. Die Auswahl der KPIs kann je nach Stakeholder unterschiedlich sein. Während für den Nutzer der Infrastruktur die Verfügbarkeit und Sicherheit eine relevante Rolle spielt, stehen für den Betreiber Kostenaspekte im Vordergrund. Im Bundesverkehrswegeplan gibt es beispielsweise das Ziel „Verbesserung Verkehrsfluss/ Engpassbeseitigung (inkl. Verkehrsmanagement)“ (Dahl et al. 2015). Um den Erfüllungsgrad dieses Ziels zu ermitteln, kann beispielsweise eine Überwachung der Verkehrsdichte auf Brücken über den Einsatz von Monitoring erfolgen. Mit dem Einsatz von Bridge Weigh-in-Motion-Systemen (B-WIM) oder Dehnung- oder Beschleunigungssensoren in Kombination mit Belastungsversuchen kann die Bestimmung der Verkehrslast erfolgen. Der Einsatz von KPIs ist im Bereich der Bundesfernstraßen noch nicht verbreitet. Für die Straßeninfrastruktur in Bayern wurden erste KPIs ermittelt, hier sind zum Beispiel für den Aspekt Erhaltung die KPIs Entwicklung von Fahrbahn und Bauwerkszustand, Wertezustand der Anlagen und die Realisierung strategischer Erhaltungsziele definiert worden (Degelmann 2016). Teilweise wird der Bau und der Betrieb von Teilstrecken der Bundesfernstraßen an private Betreiber übergeben, hier werden KPIs vorgegeben, an deren Erreichung Vergütungen gebunden sind. Im Verfügbarkeitsmodell dient die Qualität und der Umfang der Verfügbarkeit der Strecke als Indikator (BMVI 2021b). Ein verbreiteter Einsatz von Monitoring auf der Netzebene im Rahmen der Ermittlung von KPIs liegt aktuell nicht vor. Im Rahmen des Projekts „BrAssMan“ wird der Ansatz verfolgt mit Hilfe von KPIs Brücken zu vergleichen. Im ersten Schritt werden Bauwerkscluster gebildet, für die aufgrund ihrer konstruktiven Voraussetzungen vergleichbare Zustandsparameter bestimmt werden können. Mit der Entwicklung von standardisierten Messprogrammen und Modellen für das Brückencluster kann eine standardisierte messtechnische Ausstattung von Brücken durchgeführt werden. Die KPIs werden über alle Brückencluster aggregiert um im Anschluss einen Vergleich zu ermöglichen. Das Projekt soll helfen das Erhaltungsmanagement von Brücken in Abhängigkeit des tatsächlichen Zustands und Prognose aufzustellen (BMVI 2021a). 5. Fazit Monitoring im Bereich der Bundesfernstraßen ist derzeit im Wesentlichen auf den Einsatz bei bekannten Schäden beschränkt, obwohl der Nutzen von Monitoring bereits klar belegt werden kann. Eine Abfrage bei den Straßenbauverwaltungen hat dieses bestätigt. Hemmnisse für den Einsatz sind neben wenig verbreitetem Wissen zum Thema Monitoring, das Fehlen von Personal, Finanzierungsmöglichkeiten und Standardisierungen. Im Rahmen des Artikels wurden Wege zum Abbau der Hemmnisse aufgezeigt. Um den Einsatz von Monitoring im Bereich der Bundesfernstraßen zu fördern sind zwei Strategien denkbar. Zum einen kann der Einsatz von Monitoring im Rahmen der Bauwerksprüfung gestärkt werden, hier sind u.a. der Einsatz von instrumentierten Bauteilen, die Möglichkeiten eines Geburtszertifikats und der Einsatz von bildgebenden Verfahren in Kombination mit einer automatischen Schadensauswertung zu nennen. Einen weiteren Aspekt stellt der Einsatz von Monitoring im Rahmen des Lebenszyklusmanagements von Brücken dar. Der Weg von einem reaktiven und schadensbasierten Vorgehen hin zu einem vorausschauenden, prädiktiven Vorgehen in der Erhaltung ist nur mit einer verbesserten Zustandserfassung und -bewertung in Verbindung mit Prognosetools möglich. Monitoring stellt eine Möglichkeit dar, weitergehende Informationen zum Zustand eine Bauwerks bereitzustellen. Mit dem zukünftigen Einsatz von neuen Technologien, z.B. KI, wird es zunehmend möglich sein, aus den verbesserten Zustandsinformationen szenariobezogene Prognosen zu verschiedenen relevanten Aspekten, wie der Restlebensdauer zu treffen. Für den Einsatz von Monitoring im Rahmen eines Lebenszyklusmanagement auf der Netzebene spielt der Einsatz von (Key) Performance Indikatoren eine Rolle, diese ermöglichen Aussagen zu Verkehrsnetzen und unterstützen damit die Erstellung von übergeordneten Strategien. Zukünftig sollten verstärkt die vorhanden Erkenntnisse und Informationen aus der Forschung und neue Entwicklungen der Industrie in Konzepte und Idee umgesetzt werden, damit diese von den verschiedenen Verkehrsträgern in der Praxis genutzt werden. Mit einem verbesserten Lebenszyklusmanagement und einem daraus resultierenden verbesserten Zustand der Verkehrsinfrastruktur können für die Ingenieurbauwerke in den Bereich Ver- 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 145 Anwendung von Monitoring bei Brücken der Bundesfernstraßen und zukünftige Monitoringstrategien fügbarkeit, Sicherheit und Umweltverträglichkeit deutliche Fortschritte erzielt werden. Literatur [1] BASt (2020): Brückenstatistik 2020. Online verfügbar unter https: / / www.bast.de/ BASt_2017/ DE/ In g e ni e urb a u / F a c h t h e m e n / bru e ck e n s t a ti s tik / b r u e c k e n _ h i d d e n _ n o d e . h t m l; j s e s s i o nid=5B433DB2E30E52EAC951347516663896. live21304. [2] Bergmeister, Konrad (2015): Innovative Monitoringstrategien für Bestandsbauwerke. In: Bergmeister, Konrad Fingerloos, Frank und Johann-Dietrich Wörner (Hg.): Beton-Kalender 2015 Schwerpunkte. Bauen im Bestand Brücken. 5th ed. Hoboken: Wiley (Beton-Kalender (VCH) *). [3] BMVI (2015): Stand der Ertüchtigung von Straßenbrücken der Bundesfernstraßen. Hg. v. BMVI. [4] BMVI (2021a): Brücken Asset Management für Straßenbrücken - BrAssMan. Online verfügbar unter https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ DG/ mfund-projekte/ brassman.html. [5] BMVI (2021b): Das V-Modell (Verfügbarkeitsmodell). Online verfügbar unter https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StB/ oepp-geschaeftsmodelle-v-modell.html. [6] Bundesamt für Straßen (2005): Richtlinie Überwachung und Unterhalt der Kunstbauten der Nationalstrassen. [7] Dabringhaus, S.; Neumann, S.; Hindersmann, I. (2020a): Monitoring, Intelligente Brücke, Digital Twin. Positionspapier der Abteilung B Brücken- und Ingenieurbau der Bundesanstalt für Straßenwesen (unveröffentlicht). [8] Dabringhaus, Sarah; Neumann, Sonja; Alquasem, Yasser; Haardt, Peter (2020b): Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung. In: TAE Brückenkolloquium. Esslingen, 08.+09.09.2020. [9] Dahl, A.; Kindl, A.; Walter, C.; Paufler-Mann, D.; Ross, A.; Waßmuth, V. et al. (2015): Methodenhandbuch zum Bundesverkehrswegeplan 2030. FE 97.358. [10] DBV (2018): Merkblatt: Monitoring: Planung, Vergabe und Betrieb. [11] Degelmann, Roland (2016): Key Performance Indicators - Kennzahlen für die Weiterentwicklung der Straßeninfrastruktur in Bayern. In: Deutscher Straßen- und Verkehrskongress vom 28. bis 30. September 2016 in Bremen. Deutscher Straßen- und Verkehrskongress; Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen; FGSV-Kongress; Fachausstellung Straßen und Verkehr. Köln: FGSV Verlag GmbH (FGSV, 001/ 26). [12] DIN 1076: 1999: DIN 1076: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung. [13] Freundt, U.; Böning, S.; Fischer, S.; Lau, F.-L. (2020): Digitales Testfeld Autobahn - Intelligente Brücke - Synchronisation von Sensorik und automatisierte Auswertung von Messdaten. FE-Nr. 15.0631/ 2016/ LRB. Entwurf zum Schlussbericht (unveröffentlicht). [14] Haardt, Peter; Dabringhaus, Sarah; Friebel, Wolf Dieter; Bayerstorfer, Robert; Bäumler, Tobias; Freundt, Ursula (2017): Die intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn. In: Bautechnik 94 (7), S. 438-444. DOI: 10.1002/ bate.201700035. [15] Hortmanns, Michael; Stephan, Christoph; Paschen, Michael; Ghebretensae, Regbe; Jungmann, Hans-Dieter; Palm, Norbert: Rheinquerung Leverkusen im Zuge der BAB 1 - Eine Brücke auf der Intensivstation -. [16] Kühne, Jens; Gündel, Max; Ebert, Carsten; Colomer, Carles (2021): Die Digitalisierung der Zustandsüberwachung von Windenergieanlagen und Brücken im Vergleich. In: Stahlbau 90 (2), S. 128- 137. DOI: 10.1002/ stab.202000093. [17] Marzahn, Gero (2016): Instandsetzungsbedarf von Infrastrukturbauten in Deutschland. In: Harald S. Müller, Ulrich Nolting und Michael Haist (Hg.): Bauwerkserhaltung - Instandsetzung im Beton- und Stahlbetonbau. 12. Symposium Baustoffe und Bauwerkserhaltung. Karlsruhe, 10.03.2016. Karlsruher Institut für Technologie. [18] Morgenthal, G.; Rodehorst, V.; Hallermann, R. (2019): Unterstützung der Prüfung gemäß DIN 1076 durch (halb-) automatisierte Bildauswertung u.a. mittels UAV (unmanned aerial vehicles). FE 89.0334/ 2017. (unveröffentlicht). [19] Schubert, Matthias; Faber, Michael H.; Betz, Wolfgang; Straub, Daniel; Niemeier, Eileen; Ziegler, Daniel et al. (2020): Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen von Monitoringmaßnahmen. Bremen: Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen B, Brücken und Ingenieurbau, B 156). Online verfügbar unter https: / / bast.opus.hbz-nrw.de/ frontdoor/ index/ index/ docId/ 2446. [20] Speer,Arne (2019): Entwicklung von Key Performance Indikatoren auf dem Weg vom Erhaltungsmanagement zum Asset Management für Bundesautobahnen. Unter Mitarbeit von Tanja Kessel und Torsten Böger. Braunschweig: Technische Universität Braunschweig, Institut für Bauwirtschaft und Baubetrieb, Lehrstuhl für Infrastruktur- und Immobilienmanagement (Schriftenreihe des Lehrstuhls für Infrastruktur- und Immobilienmanagement, Band 1). [21] Strauss, Alfred; Ivankovic, Ana Mandic; Mold, Lisa; Bergmeister, Konrad; Matos, José C.; Casas, Joan R. (2018): Performance-Indikatoren für die Bewertung von Strukturen aus Konstruktionsbeton auf europäischer Ebene nach COST TU1406. In: Bautechnik 95 (2), S. 123-138. DOI: 10.1002/ bate.201700104. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 147 Intelligentes Monitoring von Brückenbauwerken mit innovativen Sensoren Dr.-Ing. Till Büttner Massenberg GmbH, Essen Dr.-Ing. Christian Helm Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University, Aachen Zusammenfassung Die Nutzung von Straßenbrücken wird sowohl durch Undichtigkeiten in der Abdichtung und daraus folgende chloridinduzierte Korrosionsschäden als auch durch Tragfähigkeitsdefizite bei Bestandsbauwerken maßgeblich begrenzt. Oft sind aufwendige Instandsetzungsarbeiten erforderlich, die zu starken Verkehrsbehinderungen führen. Mittels innovativer Sensoren sowie Datenverarbeitungskonzepten kann der Zustand von Brückenbauwerken vollflächig und in Echtzeit überwacht werden, so dass seitens der Betreiber der Bauwerke der Zustand des Bauwerks zu jedem Zeitpunkt bekannt ist und Instandsetzungsmaßnahmen in Abhängigkeit des Zustands sowie der Verkehrssituation geplant und ausgeführt werden können. So können auch Kosten der Instandsetzung reduziert werden, da Instandsetzungsmaßnahmen bedarfsorientiert ausgeführt werden können. Im Bereich der diskreten Sensoren zur Erfassung dauerhaftigkeitsrelevanter Parameter konzentrieren sich aktuelle Entwicklungen vor allem auf die Netzwerktechnologie zum kabellosen Datentransfer in cloudbasierte Speicher sowie die speziellen Erfordernisse beim Einbau in Bestandsbauwerke. Dazu wurde kürzlich am Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University das Projekt „Asset Management 2.0“ (gefördert durch EFRE, NRW, Provincie Limburg, Provincie Gelderland) abgeschlossen. Einen weiteren Sensor stellt SMART-DECK dar, welches aus einer dünnen, 35 mm starken, multifunktionalen Zwischenschicht aus Textilbeton besteht und den Zustand der Abdichtung während des Betriebs des Bauwerks vollflächig überwachen kann. Bei eventuell auftretenden Undichtigkeiten wird ein präventiver Schutz der Bewehrung ohne Beeinträchtigung des laufenden Verkehrs mittels eines präventiven kathodischen Korrosionsschutzes vorgenommen. Gleichzeitig bietet das System die Möglichkeit, die Biege- und Querkrafttragfähigkeit der Fahrbahnplatte in Querrichtung zu erhöhen. SMART-DECK wurde im Rahmen eines Verbundforschungsvorhabens (gefördert vom BMBF) erarbeitet. Die Umsetzbarkeit beider Systeme unter realen Baustellenbedingungen konnte im Zuge einer realen Baumaßnahme realisiert und so die Anwendbarkeit der entwickelten Systeme unter Praxisbedingungen gezeigt werden. Nach der erfolgreichen Realisierung werden seit Mitte 2019 die Messdaten aufgezeichnet und im Rahmen weiterer Untersuchungen analysiert 1. Einleitung Die Dauerhaftigkeit von Infrastrukturbauwerken wird heute im Wesentlichen über ein deskriptives Bemessungskonzept sichergestellt, bei dem die jeweiligen Bauteile einer Expositionsklasse zugeordnet und die betontechnischen Parameter sowie die Betondeckung entsprechend gewählt werden. Dieses Verfahren hat sich bewährt, jedoch wird die reale Exposition der Konstruktion nicht berücksichtigt. Diese kann durch Zuhilfenahme von diskreten Sensoren gemessen werden und durch Verwendung entsprechender Schädigungsmodelle Dauerhaftigkeitsreserven oder -defizite aufzeigen, deren Kenntnis für das Erhaltungsmanagement wertvoll sein kann. Allerdings wird die Dauerhaftigkeit von Infrastrukturbauwerken häufig maßgeblich von unterläufigen Abdichtungen sowie schadhaften Fugen- oder Übergangsprofilen und dem damit verbundenen Eintrag von Chloriden in die Konstruktion negativ beeinflusst [1]. Trotz der regelmäßig alle drei bzw. sechs Jahre stattfindenden Bauwerksprüfungen kann die Korrosion der Bewehrung oft erst erkannt werden, wenn bereits ein erhebliches Schädigungsausmaß vorliegt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass bei den Bauwerksprüfungen nur die sichtbaren Flächen, d. h. die Unterseite der Fahrbahntafel, die Innenseite und Außenseiten eines Hohlkastens oder des Kragarms, untersucht werden können. Die Folge von Chlorideintrag von der Oberseite (d. h. durch die Fahrbahndecke und undichte Abdichtungen) in die Bauwerkskonstruktion 148 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Intelligentes Monitoring von Brückenbauwerken mit innovativen Sensoren sind umfangreiche Instandsetzungmaßnahmen, die zu erheblichen Verkehrsbehinderungen und signifikanten volkswirtschaftlichen Verlusten führen können [2]. Ein vollflächiges Monitoring hinsichtlich der Dichtigkeit der Abdichtung von Infrastrukturbauwerken ist aktuell nicht üblich und am Markt nicht verfügbar. Sofern ein Monitoring ausgeführt wird, sind es lokal messende Sensoren, die einen begrenzten Messradius aufweisen. Tritt außerhalb dieses Radius eine Undichtigkeit auf, kann diese nicht detektiert werden [3]. 2. Sensor- und Datenverarbeitungskonzepte für Brückenbauwerke Der Zustand sowie die Funktionsfähigkeit und Sicherheit von Ingenieurbauwerken sind nur durch eine regelmäßige Inspektion zu gewährleisten. Die Inspektionen erfolgen in der Regel durch aufwändige Vor-Ort-Begehungen und manuell durchgeführte Prüfmessungen. Dabei werden verschiedenste Messsensoren, die unterschiedliche Größen, wie beispielsweise die chemische und mechanische Belastung oder korrosionsrelevante Messgrößen erfassen, genutzt. Die Messdaten werden zumeist händisch in Listen und Tabellen gesammelt und ggf. einer rechnergestützten Analyse, wiederum durch händische Dateneingabe, zugeführt. Dadurch können Rückschlüsse auf die Ursache eines Schadens gezogen oder mit geeigneten Schadensmodellen gefährdete Stellen frühzeitig identifiziert werden. Das erfordert einen hohen Personalaufwand und ist fehleranfällig. Vielfach könnten die Analysen zu deutlich besseren Ergebnissen führen, wenn Messwerte z.B. in höherer zeitlicher und/ oder räumlicher Auflösung vorlägen und zur Analyse stärker fusioniert würden. Diese Möglichkeiten können bisher aus den folgenden Gründen meist jedoch nicht genutzt werden: • Die Sensoren besitzen keine autarke Stromversorgung. Die Verlegung von Stromversorgungs- und Datenkabeln zu den Sensoren ist aufwändig und teuer. • Durch den hohen Individualisierungsgrad der Sensoren sind diese häufig kostspielig. • Aufgrund der hohen Kosten werden die Bauwerke nicht ausreichend dicht mit Sensoren bestückt. • Die Daten der Sensoren besitzen kein einheitliches Format. • Es fehlen Schnittstellen, um die Messdaten medienbruchfrei übertragen zu können. • Es gibt keine zentrale Sammelstelle (z.B. Cloud-Lösung) für die Daten der Sensoren. • Aufgrund der fehlenden Sammelstelle kann keine Korrelation der Bauwerksdaten vorgenommen werden. Insgesamt zeigt sich, dass die gesamte Prozesskette von der Datenerfassung vor Ort über die Datenverwaltung bis hin zur Analyse und Auswertung der Daten im Post- Prozess lückenhaft, von Medienbrüchen und händischen Arbeiten durchzogen und damit nicht optimiert ist. Nachfolgend werden zwei neuartige Monitoring Konzepte vorgestellt, die jedes für sich einen geschlossenen Ansatz für die dauerhafte Zustandserfassung von Ingenieurbauwerken, insbesondere Stahlbetonbrücken, darstellen. Der Hauptunterschied der Systeme liegt in der räumlichen Ausdehnung der Messfelder. Je nach Anforderung an die Überwachung eines Bauwerks können die beiden Systeme parallel oder einzeln an einem Bauwerk angewendet werden. Im Rahmen des Demonstrators für die Anwendung der Sensoren wurden beide Systeme an einem Bauwerk angewendet. 3. Diskrete Sensoren für Brückenbauwerke Es existiert eine Vielzahl von diskreten Sensortypen, welche für Messungen im Rahmen von Dauerhaftigkeitsbetrachtungen von Stahlbetonbauwerken in Frage kommen. Relevante Messgrößen könnten z.B. sein: • Potential • Elektrolytwiderstand • Polarisationswiderstand • Makroelementstrom • Chloridkonzentration • pH-Wert • Feuchte • Temperatur Im Rahmen des Projektes Asset Management 2.0 sollte ein Monitoring System für Ingenieurbauwerke entwickelt werden, welches Rückschlüsse auf Frostschäden, Carbonatisierung und Chlorideindringen liefert. Aus diesem Grund wurde der spezifische Elektrolytwiderstand als Messgröße gewählt, da dieser Rückschlüsse auf die wesentlichen Einflussgrößen der genannten Prozesse zulässt, vgl. Tabelle 1. Einflussfaktoren auf den spez. Elektrolytwiderstand Spez. Elektrolytwiderstand Feuchtegehalt + -- Carbonatisierung + + Chloridgehalt + -- Temperatur + -- Tabelle 1: Qualitativer Zusammenhänge zwischen den Einflussgrößen und dem spezifischen Elektrolytwiderstand. Für den Sensor wurde ein Aufbau gewählt, der auf einem zylindrischen Körper aus beabstandeten Metallringen mit nichtleitenden Kunststoffabstandhaltern beruht, der von der klassischen Multiringelektrode her bekannt und für die tiefengestaffelte Messung von Elektrolytwider- 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 149 Intelligentes Monitoring von Brückenbauwerken mit innovativen Sensoren ständen etabliert ist. Allerdings wurde der Sensor deutlich größer gewählt, um die Messelektronik sowie Batterien integrieren und so auf eine Verkabelung am Bauwerk verzichten zu können. Abbildung 1: Aufbau Widerstandssensor Für Die kabellose Datenübertragung wurde eine Übertragung per LoRaWAN (Long Range Wide Area Network) gewählt, da sich dieser Standard für IoT-Anwendungen (Internet of Things) etabliert hat und die geringen Datenmengen besonders energieeffizient zum Gateway übertragen kann. Abbildung 2: Aufbau Datenerfassung Die Vorteile von LoRa sind dabei: • Offener Funkstandard der in vielen IoT-Anwendungen verwendet wird • Lizenzfreie Radiofrequenzen im Sub-Gigahertz Frequenzband (Europa: 868 MHz) • Lange Distanzen: 500 m bis 1 km • Geringer Stromverbrauch, geringe Übertragungsrate (bis 50 kBit/ s) Das Gateway Empfängt und sammelt die Messdaten der Sensoren. Die Stromversorgung erfolgt über ein Solarpanel. Die gesammelten Daten werden über das LTE-Netz an einen Server gesendet. Dort stehen sie dann dem Betreiber für die Verwendung innerhalb der unterstellten Schädigungsmodelle zur Verfügung. 4. Das System SMART-DECK Das System SMART-DECK bietet erstmals am Markt eine vollflächige Monitoringlösung, die um zwei weitere Funktionalitäten erweitert wird, so dass das Gesamtsystem die folgenden Funktionalitäten aufweist: • vollflächiges Echtzeit-Feuchtemonitoring, • abschnittsweise steuerbaren, präventiven kathodischen Korrosionsschutz (pKKS), der mittels Fremdstrom die Depassivierung der Bewehrung verzögert [4] sowie • Erhöhung der Tragfähigkeit in Querrichtung (bei Bestandsbrücken). Das vollflächige Monitoring ermöglicht ein frühzeitiges Erkennen von Undichtigkeiten und damit einem möglichen Eindringen von Chloriden in die Konstruktion. Mittels des pKKS, der im Falle von Undichtigkeiten lokal aktiviert werden kann, ist es möglich die Stahlbewehrung des Überbaus aktiv vor Korrosion zu schützen und damit erforderliche Instandsetzungsmaßnahmen nicht unmittelbar ausführen zu müssen, sondern es besteht die Möglichkeit diese in verkehrsgünstige Perioden zu verschieben. Ferner wird mittels SMART-DECK der Überbau in Querrichtung verstärkt. Üblicherweise erfolgt die Verstärkung von Brückenbauwerken in Querrichtung momentan z.B. mit in Schlitzen eingebettetem Bewehrungsstahl. Textilbewehrte KKS-Systeme sind aktuell am Markt verfügbar - siehe u.a. [5] - allerdings handelt es sich um KKS-Systeme, bei denen die textile Bewehrung nicht als Sensor und Verstärkung verwendet wird. Alle drei Funktionalitäten werden mit Hilfe einer textilen Carbonbewehrung in Kombination mit einem Spezialmörtel realisiert, die das Eigengewicht der Konstruktion nicht signifikant erhöht. Die textilbewehrte Schicht wird auf der Oberseite der Brückenfahrbahnplatte zwischen Bestandsüberbau sowie Brückenbelag und damit unterhalb der Abdichtung appliziert. Die Bewehrung wird so angeordnet, dass der Brückenüberbau in einzelne Felder unterteilt wird und damit zum einen abschnittsweise der Zustand der Abdichtung überwacht und zum anderen der pKKS, sofern erforderlich, ebenfalls abschnittsweise aktiviert werden kann (Bild 3). Abbildung 3: Übersicht der Funktionalität von SMART- DECK und den Zustand der Abdichtung; grün: intakte 150 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Intelligentes Monitoring von Brückenbauwerken mit innovativen Sensoren Abdichtung, gelb: signifikanter Widerstandsabfall; rot: Grenzwert Widerstand unterschritten, Undichtigkeiten vorhanden und pKKS erforderlich In Abhängigkeit der bei einem individuellen Bauwerk erforderlichen Maßnahmen, ist SMART-DECK modular aufgebaut, wie in dem nachfolgenden Bild dargestellt. Die maximale Ausbaustufe des Systems ist die Kombination aller drei Funktionalitäten, die anderen Möglichkeiten stellen sinnvolle Kombinationen oder Einzelanwendungen einer der möglichen Funktionalitäten dar. Liegt z.B. keine Notwendigkeit eines Monitorings vor, kann das System als ausschließliches Verstärkungssystem konzipiert werden. Die Anwendung als ausschließliches KKS-System ist keine planmäßige Anwendung von SMART-DECK, sondern das KKS soll immer als präventives KKS in Kombination mit einem Monitoring- System verwendet werden. Die Modularität hat auch zur Folge, dass der Einsatz des Systems grundsätzlich bei Neubauten oder bei Bestandsbauwerken möglich ist. Abbildung 4: Übersicht über die modularen Funktionalitäten von SMART-DECK Der grundsätzliche Aufbau des Systems SMART-DECK ist für alle Anwendungsfälle - Instandsetzung oder Neubau - identisch (vgl. Detail A; Bild 3): • 35 mm Hochleistungsmörtel mit • 2 Lagen Carbonbewehrung mit elektrischen Anschlüssen für Monitoring und pKKS, die nach außen geführt werden. Das System SMART-DECK wurde im Rahmen eines Verbundforschungsprogramms innerhalb der Förderlinie HighTechMatBau des BMBF erarbeitet. Innerhalb des Forschungsverbundes waren sowohl Partner aus der Forschung - das Institut für Baustoffforschung - Bauwerkserhaltung und Polymerkomposite (ibac) sowie dem Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen - als auch Partner aus der Wirtschaft vertreten. Die beteiligten Unternehmen waren die Eurovia Beton GmbH NL Bauwerksinstandsetzung (Projektkoordinator des Verbundprojektes/ Hofheim-Wallau), Solidian GmbH (Albstadt-Lautlingen), Massenberg GmbH (Essen), instakorr GmbH (Darmstadt) sowie die StoCretec GmbH, Tochtergesellschaft der Sto SE & Co. KGaA (Kriftel). Ferner war die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), die das System aus Sicht des späteren Nutzers beurteilt, an dem Forschungsvorhaben beteiligt. 5. Die Komponenten von SMART-DECK Das System SMART-DECK wird planmäßig mit einer konstanten Schichtdicke über die gesamte Fläche eines Brückenüberbaus ausgeführt, d. h. ein bei Brückenbauwerken eventuell erforderlicher Gradientenausgleich muss vor der Applikation von SMART-DECK erfolgen. Die planmäßige Mehrbelastung infolge des Systems beträgt mit dem planmäßigen Aufbau mit einer Schichtdicke von 35 mm rd. 80 kg/ m² (0,8 kN/ m²). Sofern die Mehrbelastung bei Bestandsbauwerken kompensiert werden muss, besteht z.B. die Möglichkeit einen sog. HANV-Belag [6] anstatt eines herkömmlichen Belagsaufbaus gemäß ZTV-ING [7] mit zwei Lagen Gussasphalt à 35 mm einzubauen. Die Einbettung der textilen Bewehrung erfolgt mittels eines speziell an die Anforderungen des Forschungsprojektes angepassten RM (bisher: PCC (Polymermodified Cement Concrete)) des Forschungspartners StoCretec. Der Mörtel mit einem Größtkorn von 4 mm wurde iterativ entwickelt, so dass er den verschiedenen, konkurrierenden Anforderungen bezüglich Verstärkung, Monitoring, pKKS und Einbaupraxis entspricht. Neben den Anforderungen an die Mörtelzusammensetzung, waren die Anforderungen an die Einbaupraxis ebenfalls eine besondere Herausforderung. Der Mörtel muss zum einen eine ausreichende Fließfähigkeit aufweisen, um einen Einbau des Systems in einer Lage zu ermöglichen, als auch eine ausreichend hohe Förderleistung während des Einbaus realisieren zu können. Ferner muss der Mörtel eine ausreichende Standfestigkeit aufweisen, um bei Querneigungen von mindestens 2,5 % einbaubar zu sein und bei dem Einbringen der Verdichtungsenergie nicht zu verlaufen. Das nachfolgende Bild zeigt den Mörtel in Kombination mit dem verwendeten RM. Abbildung 5: Mörtel der für SMART-DECK verwendet wird in Kombination mit der textilen Bewehrung (Foto: Till Büttner) 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 151 Intelligentes Monitoring von Brückenbauwerken mit innovativen Sensoren Die Ermittlung der in der folgenden Tabelle dargestellten Festigkeiten erfolgte sowohl im Rahmen von umfangreichen Laborversuchen als auch bei der Herstellung des ersten Demonstrators im Rahmen des Forschungsprojektes. Bauabschnitt 1 Bauabschnitt 2 Prüfalter Druckfestigkeit in N/ mm² Biegezugfestigkeit in N/ mm² Druckfestigkeit in N/ mm² Biegezugfestigkeit in N/ mm² 1 d 25,5 5,2 27,9 5,9 7 d - - 51,3 5,9 14 d - - 61,7 8,7 28 d 66,8 10,5 60,6 10,4 Tabelle 2: Mörtelfestigkeiten der beim Kleindemonstrator hergestellten Mörtelproben - Lagerung am Bauwerk [8] - nach [9] Die textile Bewehrung übernimmt bei allen drei möglichen Funktionalitäten von SMART-DECK eine wesentliche Aufgabe. Bei dem Monitoring ist die textile Bewehrung der Sensor, der den Widerstand des Mörtels zwischen den beiden Bewehrungslagen und damit den Feuchtegehalt des Mörtels misst. Steigt der Feuchtegehalt des Mörtels muss davon ausgegangen werden, dass Undichtigkeiten in der Abdichtungsebene der Brücke vorliegen und damit auch Chloride in das Bauwerk eindringen können. Bei dem pKKS wiederum stellt die textile Bewehrung die Anode dar. Sofern mit SMART-DECK der Brückenüberbau verstärkt wird, wird die Verstärkung durch die auf der Oberseite des Brückenüberbaus applizierte textile Bewehrung realisiert. In Abhängigkeit der Anforderung an die möglichen Module (siehe Bild 4) kann der Bewehrungsgrad von SMART- DECK variiert werden. Bei dem im Rahmen des Verbundforschungsvorhaben erarbeiteten Systems sind zwei Lagen textile Bewehrung erforderlich. Dabei kann allerdings der Rovingquerschnitt als auch der Rovingabstand variiert und an die Anforderungen des jeweiligen Projektes angepasst werden. Um eine Unterteilung der gesamten Einbaufläche in einzelne Messfelder sowie pKKS-Felder zu ermöglichen, muss die Bewehrung in Längsrichtung ohne Übergreifung (und damit ohne direkten elektrischen Kontakt) ausgeführt werden, in Brückenquerrichtung (Verstärkungsrichtung des Überbaus sowie des Kragarms) muss ein statisch wirksamer Übergreifungsstoß ausgeführt werden. Sofern keine Verstärkung erforderlich ist, kann in Querrichtung auf einen Übergreifungsstoß verzichtet werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass dann alle Bewehrungsfelder mit Kabeln an das Monitoring und pKKS-System angeschlossen werden müssen und sich somit unter Umständen der Verkabelungsaufwand deutlich erhöht. Die genannten Anforderungen werden bei SMART- DECK mit sogenannten biaxialen Carbontextilien realisiert, die eine lichte Maschenweite von 38 mm aufweisen und mit Epoxidharz im Herstellprozess getränkt werden. Die Maschenweite wurde im Rahmen des Forschungsprojektes unter Berücksichtigung des bei dem Projekt vorliegenden Mörtelgrößtkorns von 4 mm sowie der Herstellung - Einbau des Mörtels durch zwei Lagen Textilien und anschließendes Verdichten von der Oberseite - iterativ ermittelt. Die Herstellung des zweilagigen, sog. 3D-Textils, erfolgt bei der Textilherstellung, sodass die textile Bewehrung einbaufertig auf die Baustelle geliefert wird. Bei der Herstellung des 3D-Textils kommen spezielle nichtleitende Abstandshalter zum Einsatz. Ferner sind die Abstandshalter für die Unterseite an der Bewehrung werksmäßig eingebaut. Abbildung 6: Fertig verlegte 3D-Bewehrung vor dem Mörteleinbau - lichte Maschenweite: 38 mm (Foto: Till Büttner) Die textile Bewehrung wird für die vorliegende Anwendung mit einer Breite von 1,20 m hergestellt, dies entspricht der Breite der Messfelder in Brückenlängsrichtung. Die Länge der Bewehrung beträgt i.d.R. 5,00 m, um eine ausreichende Verarbeitbarkeit auf der Baustelle zu ermöglichen, wobei auch längere Lieferlängen grundsätzlich möglich sind. Das Verlegen der Bewehrung erfolgt nach der Herstellung der elektrischen Anschlüsse händisch gemäß einer vorher erstellten Verlegeplanung. Um ein Aufschwimmen der Textilien beim Verdichten zu verhindern, werden in regelmäßigen Abständen ebenfalls nicht-leitende Verankerungselemente angeordnet. Die Verwendung von nicht-leitenden Abstandshaltern und Verankerungselementen ist zwingend erforderlich, um Kurzschlüsse zwischen den Bewehrungslagen bzw. mit der Bestandsbewehrung zu vermeiden. Kurzschlüsse zwischen den Bewehrungslagen würden ein Messen der Feuchtigkeit innerhalb des Mörtels (und damit die Detektion von Undichtigkeiten) unmöglich machen, Kurzschlüsse zwischen textiler Bewehrung und Bestandsbewehrung würden zu einem nichtfunktionierenden pKKS führen. 152 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Intelligentes Monitoring von Brückenbauwerken mit innovativen Sensoren 6. Erprobung der erarbeiteten Sensoren Das System SMART-DECK wurde im Rahmen des Verbundforschungsprojektes an zwei unterschiedlich großen Demonstratoren erprobt und ausgeführt. Nach 18 Monaten Projektlaufzeit wurde ein sog. Kleindemonstrator hergestellt, der die erste Übertragung aus dem Labormaßstab in den realen Maßstab des Systems darstellt. Zu Projektabschluss wurde ein Großdemonstrator hergestellt, der die Integration des Systems in ein reales Bauprojekt validiert. Die Erprobung der zuvor dargestellten diskreten Widerstandssensoren erfolgte ebenfalls innerhalb dieser Baumaßnahme. Die nachfolgenden Abschnitte stellen die Arbeiten am Großdemonstrator vor, die Arbeiten am Kleindemonstrator sind u.a. in [10], [11] und [12] dargestellt. Die Herstellung des Großdemonstrators erfolgte im Rahmen des Brückenneubaus „Ritterstraße“ der Stadt Mönchengladbach. Bei der Brücke handelt es sich um ein einfeldriges Rahmenbauwerk über den Fluss Niers, welches in zwei Bauabschnitten seitens einer ARGE, die nicht an dem Forschungsprojekt beteiligt ist, errichtet wurde. Das nachfolgende Bild 7 zeigt eine Ansicht der Brücke vor der Herstellung des Überbaus. Abbildung 7: Ansicht der Brücke Ritterstraße vor Herstellung des Überbaus (Foto: Till Büttner) Das neue Brückenbauwerk wurde sowohl als Ortbetonbauwerk (Widerlager) als auch in Halbfertigteilbauwerk (Überbau) ausgeführt. Zur Errichtung des Überbaus wurden zunächst Fertigteile auf die Lagerkonstruktion gelegt und anschließend mit einer bewehrten Ortbetonschicht zu einer Scheibe verbunden. Bei der Ortbetonschicht wurde die Rohbetonoberkante seitens der bauausführenden ARGE 35 mm niedriger fertiggestellt als ursprünglich geplant, um den Einbau von SMART-DECK ohne Anpassung der Gradiente vornehmen zu können. Die verbleibenden 35 mm wurden dann durch den Forschungsverbund mittels SMART-DECK hergestellt. Dabei wurde auf eine Anpassung der Bewehrungsführung in der Aufbetonschicht verzichtet, da SMART-DECK auf die Betondeckung angerechnet werden kann. Die Ausführung erfolgte aufgrund der Verkehrsführung vor Ort in zwei voneinander getrennten Bauabschnitten. Die Herstellschritte bei SMART-DECK sind wie folgt: • Untergrundvorbereitung mittels Kugelstrahlen (2-maliges Überfahren im Kreuzgang) gemäß ZTV- ING zum kuppenartigen Freilegen des Größtkorns, • Einbau einer Randschalung entlang des Kragarmrandes sowie zwischen den Arbeitsabschnitten, • Einbau der textilen Bewehrung sowie Verankerung der Bewehrung am Untergrund und Einbau von Multiringelektroden für vergleichende Messungen, • Applikation des Mörtels mittels Schlauchförderung und Verdichtung mit einer Rüttelbohle sowie anschließendes Nachbehandeln unter Berücksichtigung der Vorgaben der ZTV-ING für den Einbau von PCCs bzw. Aufbetonen (siehe u.a. Teil 3 Abschnitte 4 und 7). • Die nachfolgenden Bilder zeigen die Herstellung der beiden Bauabschnitte des Großdemonstrators. Die Arbeiten zur Herstellung von SMART-DECK wurden jeweils ca. 14 Tage nach der Betonage der Ortbetonscheibe begonnen. Abbildung 8: Vollständig verlegte textile Bewehrung des 2. Bauabschnitts (Foto: Till Büttner) Abbildung 9: Mörteleinbau des zweiten Bauabschnitts (Foto: Till Büttner) 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 153 Intelligentes Monitoring von Brückenbauwerken mit innovativen Sensoren Abbildung 10: fertiggestellter erster Bauabschnitt (Foto: Till Büttner) Abbildung 11: fertiggestellter zweiter Bauabschnitt (Foto: Till Büttner) Im Zuge der Realisierung des Großdemonstrators konnte gezeigt werden, dass SMART-DECK auch unter realen Baustellenbedingungen herstellbar ist. Beide Bauabschnitte haben weiterhin ergeben, dass der Mörteleinbau bei SMART-DECK im Vergleich zu vorliegenden Leistungswerten für den Einbau von PCCs wirtschaftlich ausgeführt werden kann. Auch hat die einbaubegleitende Qualitätskontrolle beim Großdemonstrator gezeigt, dass im Rahmen der Herstellung von SMART-DECK die textile Bewehrung nicht beschädigt wurde. Der Einbau der diskreten Sensoren erfolgte an ausgewählten Stellen der Widerlager sowie in den Brückenkappen. Einen Überblick über die Sensorpositionen gibt Bild 12. Abbildung 12: Positionen der diskreten Sensoren im ersten Bauabschnitt Die Montage der Sensoren erfolgte dabei direkt an der Schalung unter Verwendung eines verlorenen Deckels, welcher direkt an die Schalung genagelt wurde. Nach dem Ausschalen wurde dieser durch einen Ersatzdeckel ersetzt. Abbildung 13: Einbau der diskreten Sensoren. Schalung der Widerlager, links. Befestigung der Sensoren, rechts Abbildung 14: Sensor nach dem ausschalen, links. Sensor nach anbringen des Ersatzdeckels, rechts Die Funktionalität der Messwerterfassung wurde für beide Systeme nach der Inbetriebnahme erfolgreich getestet und soll über die kommenden Jahre das vom Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen - Bauwerkserhaltung und Polymerkomposite (ibac) betrieben werden, um eine breite Datenbasis für weitere Anwendungen vorliegen zu haben. 154 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Intelligentes Monitoring von Brückenbauwerken mit innovativen Sensoren 7. Zusammenfassung und Ausblick Die Instandhaltung von Brückenbauwerken erfolgt heute i.d.R. noch auf Basis von Inaugenscheinnahme und der Anwendung handnaher Verfahren. Obwohl zahlreiche Sensortypen zur Erfassung dauerhaftigkeitsrelevanter Parameter existieren, findet deren Anwendung nur in Einzelfällen statt. Es wurden zwei neuartige Monitoring Konzepte auf Basis von Messungen des Elektrolytwiderstandes, eines mit diskreten Sensoren, eines zur flächigen Überwachung der Brückenabdichtung, vorgestellt. Die bauseitige Umsetzbarkeit wurde durch die Installation der Systeme in einem realen Brückenbauwerk nachgewiesen. Die Messungen werden dauerhaft fortgeführt, um in den kommenden Jahren die zugrunde liegenden Schädigungsmodelle fortlaufend zu validieren oder zu verbessern und den praktischen Nutzen der Systeme für ein proaktives Erhaltungsmanagement für Ingenieurbauwerke zu demonstrieren. Literatur [1] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehr - Eine Bestandsaufnahme. In: Bauingenieur 85 (2010), Heft 1, S. 1-9 [2] Freundt, U.; Böning, S.; Kaschner, R.: Straßenbrücken zwischem aktuellem und zukünftigen Verkehr-Straßenverkehrslasten nach DIN EN 1991-2/ NA. In: Beton- und Stahlbetonbau 106 (2011), Heft 11, S. 736-746 [3] Raupach, M.; Gulikers, J.; Reichling, K.: Condition Survey with Embedded Sensors Regarding Reinforcement Corrosion: Bauwerksüberwachung mit eingebetteten Sensoren hinsichtlich der Korrosion von Stahl in Beton. In: Materials an Corrosion 64 (2013), Nr. 2, S. 141-146 ISSN 1521-4176 [4] Nürnberger, U.: Korrosion und Korrosionsschutz im Bauwesen. Band 1: Grundlagen, Betonbau. Band 2: Metallbau, Korrosionsprüfung. Wiesbaden; Berlin: Bauverlag, 1995 [5] Vennesland, O.; Haug. R.; Mork, J.H.: Cathodic protection of reinforced concrete - a system with woven carbon mesh. In: Concrete Repair, Rehabilitation and Retrofitting - Alexander (eds), Taylor & Francis Group London 2006, ISBN: 0 415 39654 9 [6] Hinweise für die Herstellung von Abdichtungssystemen aus Hohlraumreichen Asphalttraggerüsten mit Nachträglicher Verfüllung für Ingenieurbauten aus Beton; Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), Ausgabe 2015 [7] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING), Bundesanstalt für Straßenwesen (bast), Ausgabe 10/ 2018 [8] Adam, V., Driessen, C., Will, N., Raupach, M.: SMART-DECK: Multifunktionale Textilbetonschicht für Brückenfahrbahnplatten, 2. Brückenkolloquium - Beurteilung, Ertüchtigung und Instandsetzung von Brücken, Technische Akademie Esslingen, Tagungshandbuch 2016, pp. 413-421 [9] DIN EN 196-1: Prüfverfahren für Zement - Teil 1: Bestimmung der Festigkeit; Deutsche Fassung, Ausgabe November 2006 [10] Adam, V.; Will, N.; Hegger, J.: Verstärkung für Fahrbahnplatten von Massivbrücken aus Textilbeton: Versuche im Rahmen einer Demonstratorrealisierung, In: Bauingenieur 96 (2020) [11] Driessen-Ohlenforst, C.; Faulhaber, A.; Raupach, M.: SMART-DECK: Monitoring und kathodischer Korrosionsschutz. In: Bauingenieur 96 (2020), 3 [12] Büttner, T.: SMART-DECK: Vom Konzept zum Demonstrator, In. Bautechnik 97 (2020) Danksagung Die Autoren bedanken sich beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für die Förderung des Projekts SMART-Deck und beim VDI Technologiezentrum GmbH, die seitens des BMBF mit der Beratung und der Umsetzung der Förderrichtlinien betraut wurden. Außerdem gilt der Dank allen Projektpartnern: der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt, Bergisch- Gladbach), Eurovia Beton GmbH NL Bauwerksinstandsetzung (Projektkoordinator des Verbundprojektes/ Hofheim-Wallau), Solidian GmbH (Albstadt-Lautlingen), Massenberg GmbH (Essen), instakorr GmbH (Darmstadt) und StoCretec GmbH, Tochtergesellschaft der Sto SE & Co. KGaA (Kriftel) sowie dem Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen. Ebenso gilt unser Dank der Gemeinschaftsinitiative des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), dem Land NRW, dem Ministerie van Ekonomische Zaken, sowie der Provincie Limburg und der Provincie Gelderland für die Förderung des Projektes Assetmanagement 2.0. Ebenso gilt der Dank allen Projektpartnern: BAS Research & Technology,Venlo(NL), P3 communications GmbH, Aachen, der Stadt Mönchengladbach, Van Doo Betonreparaties B. V., Dodewaard (NL), der Gemeente Venlo (NL) und dem ibb Ingenieurbüro für Bauberatung und Bauphysik, Schermbeck. Ein besonderer Dank gilt der Stadt Mönchengladbach und insbesondere Herrn A. Diefenbacher für die erfolgreiche Kooperation bei dem Bauvorhaben „Ritterstraße“. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 155 Fünf Jahre intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Ergebnisse und Erfahrungen Prof. Dr.-Ing. Ursula Freundt Ingenieurbüro Prof. Dr. U. Freundt, Weimar M.Sc. Erik Werner Ingenieurbüro Prof. Dr. U. Freundt, Weimar Dr.-Ing. Sebastian Böning Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft Referat 44 - Straßenbau, Straßenrecht und Radverkehr, Erfurt bis Oktober 2020: Ingenieurbüro Prof. Dr. U. Freundt, Weimar Zusammenfassung Im September 2015 wurde durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) auf der BAB A9 zwischen Nürnberg und München ein „Digitales Testfeld Autobahn“ zur Erprobung, Bewertung und Weiterentwicklung von Innovationen zum Thema Mobilität 4.0 bereitgestellt. Eines der 18 in diesem Zusammenhang ermöglichten Projekte ist die “Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn“. Die Bayerische Straßenbauverwaltung hat für dieses Projekt das Bauwerk BW402e im Bereich des Autobahnkreuzes Nürnberg, Richtungsfahrbahn Regensburg (Verbindungsrampe A3 zur A9) vorgesehen. Im Fokus der „Intelligenten Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn“ stehen die Schwerpunkte „Einwirkungsüberwachung und Analyse“, „Intelligente Fahrbahnübergänge und Lager“ sowie „Intelligente Sensornetze“. An der Projektdurchführung sind die Maurer Engineering GmbH, das Institut für Telematik der Universität zu Lübeck und das Ingenieurbüro Prof. Dr. U. Freundt beteiligt. Das Projekt hat eine Laufzeit von 5 Jahren und endet in 2021. Zum Schwerpunkt „Einwirkungsüberwachung und Analyse“ werden aus diesem Anlass einige Ergebnisse und gewonnene Erfahrungen vorgestellt. 1. Einleitung und Problemstellung Im von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) ausgeschriebenen Projekt ist intelligente Brücke wie folgt definiert: Ein adaptives System zur kontinuierlichen Bereitstellung relevanter Informationen und Bewertung der Sicherheit und Zuverlässigkeit: - (Langzeit-) Erfassung maßgeblicher Einwirkungen und Reaktionen, idealerweise in „Echtzeit“ - frühzeitiges Erkennen von Veränderungen und Problempunkten - ganzheitliche Bewertung des Zustandes während der Nutzungsdauer, Prognosen zum Bauwerksverhalten (modell- und datenbasiert) Den Kern der „Intelligenten Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn“ bilden Messsysteme mit Datenanalyse, Bewertung und Visualisierung von Ergebnissen sowie einem Datenmanagement. Begleitende aber in gleicher Weise erwartete Erfahrungen sind auf die Erprobung der fehlerfreien langzeitigen (5 Jahre) Funktionsfähigkeit von Messtechnik, Datenmanagement und der automatisierten Auswertung und Publikation der Ergebnisse gerichtet. Alle Arbeiten werden unter Leitung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und der Beratung durch die Autobahndirektion Nordbayern (ABDNB), dem Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr sowie dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) durchgeführt. Im Bauwerk 402e am Autobahnkreuz Nürnberg sind fünf verschiedene Messsysteme installiert. Dabei sind konventionelle Systeme und Systeme in Erprobung kombiniert. Die Messfrequenzen variieren zwischen 0,25 Hz und 2000 Hz. Die fünf Messsysteme sind: - Ein im und am Kalottenlager integriertes Lagermesssystem (Maurer Engineering GmbH) - Ein im und am Fahrbahnübergang integriertes Fahrbahnübergangsmesssystem Maurer Engineering GmbH). - Ein Messsystem an der Brücke, am Lager und am Fahrbahnübergang und ein kamerabasiertes Messsystem (Ingenieurbüro Prof. Freundt) 156 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Fünf Jahre intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Ergebnisse und Erfahrungen - Ein drahtloses Sensornetz an der Brücke mit Erfassungen von Temperaturen, Rissveränderungen und Bewegungen (Universität zu Lübeck) Die unterschiedlichen Systeme, die unabhängig voneinander entwickelt wurden, dienen so einem gemeinsamen Ziel, gestatten Referenzen und einen ganzheitlichen Erfahrungsgewinn. Die Ergebnisse und Erfahrungen aus den Messsystemen von Lager und Fahrbahnübergang werden durch die Mauerer Engineering GmbH an gleicher Stelle berichtet. Hinsichtlich des drahtlosen Sensornetzes konnten Einsatzmöglichkeiten und Einsatzgrenzen durch das Institut für Telematik der Universität zu Lübeck aufgezeigt werden. Ein Schwerpunkt wird seitens BMVI und BASt in einer Web-basierten Publikationen von Daten und Ergebnissen. Dies setzt ein geeignetes Datenmanagement voraus, welches durch die Universität zu Lübeck erarbeitet, installiert und betreut wird. Ein solches System lebt von den Daten und automatisierten Auswertungen aller Beteiligten. Bei dem von der Bayerischen Straßenbauverwaltung ausgewählten Bauwerk handelt es sich um eine gekrümmte vierfeldrige Spannbeton-Hohlkastenbrücke mit begehbarem einzelligen Hohlkasten (Abbildung 1). Die maximale Stützweite beträgt 45 m und die Gesamtlänge zwischen den Endauflagern 155,75 m. Der Überbau weist eine Gesamtbreite von 15,40 m auf, die Brückenfläche beträgt rund 2445 m 2 . Das Bauwerk wurde 2016 errichtet und die Messsysteme vor der Verkehrsfreigabe eingebaut. Die Brücke wurde somit vor Nutzungsbeginn eine „Intelligente Brücke“. Die Herstellung erfolgte im Taktschiebeverfahren. Die Brücke ist sowohl intern als auch extern in Längsrichtung vorgespannt. Abbildung 1: Übersicht Bauwerk, (a) Regelquerschnitt und (b) Ansicht aus Richtung Süden 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 157 Fünf Jahre intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Ergebnisse und Erfahrungen 2. Das Messsystem des Ingenieurbüro Prof. Freundt Das Messsystem ist darauf ausgelegt, Kenngrößen der Brücke zu erfassen, die eine Zustandserkennung des Bauwerks ermöglichen und es zudem erlauben, Verkehrsdaten mit hinreichender Genauigkeit indirekt abzuleiten. Die installierten Sensoren konzentrieren sich im Überbau an 4 Messquerschnitten (A, B, C und D), der Übergangskonstruktion (Messachse E) und dem nördlichen Lager der Bauwerksachse A 40 (vgl. Abbildung 2). Zusätzlich sind die externen Spannglieder mit Beschleunigungssensoren ausgestattet. Diese dienen der Ermittlung der Änderung der Spannkraft über die Zeit. Die Vorspannkraft kann indirekt anhand des Schwingverhaltens der externen Spannglieder abgleitet und damit messtechnisch erfasst werden. Ein weiterer Beschleunigungssensor (PBC) ist auf dem zugehörigen Umlenksattel (Nordseite) in Feld 4 der Brücke montiert und dient dazu, dynamische Anregungen identifizieren und zuordnen zu können. Abbildung 2 zeigt auch die Positionen und Bezeichnungen der Beschleunigungssensoren (PBC) im Brückenlängsschnitt. Am nördlichen/ kurveninneren Kalottenlager von Achse 40 werden an allen 4 Punkten des Lagers induktive Wegaufnehmer (IWT) installiert. Drei dieser Sensoren messen in vertikaler Richtung und ermöglichen die Ermittlung der räumlichen Überbauverdrehung und der Lagereinsenkung. Der vierte Sensor misst die relative Verschiebung des Überbaus an dieser Stelle in horizontaler Richtung entlang der Brückenlängsachse. Abbildung 2: Lage der Sensoren im Bauwerk. Das optische Messsystem besteht aus 2 Kameras und zugehörigen Aufzeichnungsgeräten. Die Planung und Installation erfolgte in Zusammenarbeit mit der Firma Messtechnik-Mehl GmbH. Als Tragkonstruktion für die Kameras wurden 4 m hohe Kippmasten verwendet. Die Installation der Kameras, inklusive der Ausrichtung und Kalibrierung, erfolgte so, dass die Kameraperspektive mit Hilfe eines Schwenk-Neige-Mechanismus am Kamerafuß eingestellt wurde. In Abbildung 3 ist das installierte Videosystem dargestellt. 158 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Fünf Jahre intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Ergebnisse und Erfahrungen Abbildung 3: Installation des Videosystems. (a, d) Schaltschrank mit Switch und Datenrekorder, (b) Befestigung des Kippmastes an der Brücke und (c) Blick auf die installierten Kameras in Fahrtrichtung. 3. Ergebnisse zu Verkehrseinwirkungen 3.1 Verkehrserkennung (BWIM) Die Erkennung der Fahrzeuge, die das Bauwerk überfahren, erfolgt durch eine Messdatenauswertung und Messdatenzuordnung zwischen den verschiedenen Messstellen am Bauwerk. Die Erkennung der Fahrzeuggewichte erfolgt aus der Anpassung rechnerischer Tragwerksreaktionen (aus einem kalibrierten Tragwerksmodell) an gemessene Zeitverläufe. Als Ergebnisse der Verkehrserkennung liegen vor: - DTV-SV in verschiedenen Auswertungen - Anzahl LKW/ Tag - Schwerverkehrszusammensetzung - Gesamtgewichtsverteilungen für verschiedene definierte Fahrzeugtypen Prinzipiell waren die Algorithmen zur Fahrzeugerkennung an verschiedenen Brücken erprobt, jedoch ist durch die Unikatstruktur jeder Brücke ein Training der Algorithmen stets neu erforderlich. Die Qualität der Ergebnisse kann nur durch Kalibrierfahrten beurteilt werden. Über einem Zeitraum von etwa einem Jahr wurden die Algorithmen offline erprobt verbessert und Schwellwerte und Fehlerkennungen identifiziert. Dann wurden die Algorithmen zur Verkehrserkennung und zur Überwachung automatisiert und nach deren Erprobung vor Ort auf dem Messrechner installiert. Seit Januar 2019 erfolgt die Auswertung der Messdaten vor Ort. Die folgenden Abbildungen (Abbildung 4, Abbildung 5, Abbildung 6) zeigen auszugsweise Ergebnisse. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 159 Fünf Jahre intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Ergebnisse und Erfahrungen Abbildung 4: Mittleres tägliches Schwerverkehrsaufkommen DTV-SV ohne Berücksichtigung von Wochenende und Feiertagen Monatsweise getrennt. Abbildung 5: Zusammensetzung des Schwerverkehrs - Monatsweise getrennt 160 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Fünf Jahre intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Ergebnisse und Erfahrungen Abbildung 6: Ermittelte Gesamtgewichtsverteilungen für Fahrzeugtyp 98 im Vergleich zu BAB A61 und Bundesstraße B27 - Daten aus Oktober 2019 3.2 Objektbezogenes Lastmodell aus Verkehr Die Ermittlung des aktuellen objektbezogenen Lastmodelles aus Verkehr erfolgt durch eine statistische Auswertung der Dehnungszeitverläufe an ausgewählten Messstellen. Im Ergebnis werden charakteristische Werte mit einer Wiederkehrperiode von 1000 Jahren berechnet. Zur Verdeutlichung der Bedeutung der Datengrundlage werden die charakteristischen Werte auf der Basis aller bis zum Zeitpunkt der Auswertung zur Verfügung stehender Daten und einmal auf der Basis der Daten der letzten 12 Wochen ermittelt. Ein Auszug der Ergebnisse ist in Abbildung 7 dargestellt. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 161 Fünf Jahre intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Ergebnisse und Erfahrungen Abbildung 7: MS6L - Stunden-Maximalwerte in µm/ m, Hüllkurve und charakteristische Werte Für eine Ableitung von Lastmodellen ist der Vergleich mit den Dehnungswerten aus dem Ansatz des für die Nachweise des Tragwerkes verwendeten Lastmodells erforderlich. Die Vergleichsdehnungen wurden dabei anhand von Einflussflächen für die betrachteten Messstellen ermittelt, die aus dem kalibrierten Tragwerksmodell abgeleitet wurden. 162 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Fünf Jahre intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Ergebnisse und Erfahrungen Abbildung 8: MS6L - Stunden-Maximalwerte, Hüllkurve und charakteristische Werte - relativ zum Wert aus dem Ansatz von LM 1 Abbildung 8 ist zu entnehmen, dass im Zeitraum von 2017 bis 2020 das europäische Lastmodell LM1 einschließlich der nationalen Anpassungen zu etwa 40 % in Anspruch genommen wurde. Es ist zu beachten, dass in diesem Lastmodell 0,4 LM1 keine Verkehrsprognosen enthalten sind. 3.3 Schädigungen infolge Ermüdung Zur Identifikation von ermüdungsrelevanten Beanspruchungswechseln werden die Messdaten von ausgewählten Messstellen ausgewertet. Bei den betrachteten Punkten handelt es sich dabei um die Messstellen mit Dehnungsmessungen an der eingebauten schlaffen Bewehrung (MS1L, MS2L, MS5L, MS6L). Für die Ermittlung von ermüdungsrelevanten Beanspruchungswechseln werden die Messdaten einer Rainflow-Auszählung unterzogen. Die Berechnung von Schädigungen aus den ermittelten Schwingspielen erfolgt anhand der Wöhler-Linie für Bewehrungsstahl entsprechend dem deutschen NA zum EC 2 Teil 2. Die Berechnung von Schädigungssummen erfolgt mit den ermittelten Spannungsschwingbreiten und den definierten Wöhler-Linien nach den üblichen technischen Verfahren. Auf diesem Weg wird gegenwärtig ein Verhältnis der schädigungsäquivalenten Schwingbreite auf der Basis ELM 3 und auf Grundlage der Messdaten von 0,45 ermittelt. Bleibt die Charakteristik der aus der Messung ermittelten schädigungsrelevanten Schwingspiele aus Verkehr in Zukunft unverändert, so kann davon ausgegangen werden, dass sich der ermittelte Vergleichswert von rund 0,45 nicht wesentlich ändert. Entsprechend würden jedoch Änderungen der Charakteristik der schädigungsrelevanten Schwingspiele zu einer Änderung des Verlaufes des ermittelten Vergleichswertes führen. Die Charakteristik der schädigungsrelevanten Schwingspiele (Beanspruchungskollektiv) stellt ein Überwachungskriterium dar. 4. Ergebnisse zu Widerständen 4.1 Grundlage Grundlage zur Ableitung von Widerstandskennwerten sind die Messdaten der installierten Beschleunigungssensoren am externen Spannglied und am Umlenksattel. Für die Beschleunigungsmessungen an einem externen Spannglied (MS23, MS24 und MS26) ergeben sich Eigenfrequenzen des Spanngliedes. Die Beschleunigungsmessung am Umlenksattel des externen Spanngliedes liefert Eigenfrequenzen der Brücke. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 163 Fünf Jahre intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Ergebnisse und Erfahrungen 4.2 Vorspannkraft im externen Spannglied Zwischen den Eigenfrequenzen der externen Spannglieder und der Vorspannkraft dieser existiert ein Zusammenhang. Aufgrund der geometrischen Eigenschaften der Spanngliedabschnitte zwischen den Umlenkstellen kann die mechanische Grundlage einer Saitenschwingung für die Beziehung zwischen Eigenfrequenz und Vorspannkraft angenommen werden. Die Richtung der Schwingungen ist orthogonal zur Spannrichtung. In diese Richtung besitzt das Spannglied eine vernachlässigbar geringe Steifigkeit. Es wird geprüft, ob der Ausfall einer oder mehrerer Litzen durch die Änderung der Eigenfrequenzen erkennbar ist. Der Vergleich der rechnerischen Eigenfrequenzänderung aus einem Litzenausfall mit dem Verlauf der ersten Eigenfrequenz der Messstelle MS23 verdeutlicht, dass Änderungen der Eigenfrequenz aus dem Jahresgang größer sind als die aus einem rechnerischen Ausfall einer Litze. Eine Kompensation von Lang-, Mittel- und Kurzzeiteffekten ist erforderlich und wird umgesetzt. Der in Abbildung 9 dargestellte Verlauf verdeutlicht, dass mit den eingeführten Kompensationen der Lang-, Mittel- und Kurzzeiteffekte die verbleibende Änderung der Eigenfrequenz deutlich kleiner ist als die durch den Ausfall einer Litze verursachte Änderung. Abbildung 9: MS 23 - externes Spannglied - 1. Eigenfrequenz - Verlauf Kontrollgröße Auf diese Art und Weise kann die Vorspannkraft überwacht werden und relevante Änderungen werden erkannt. 4.3 Bauwerkssteifigkeit Zur Beurteilung der Änderung der Bauwerkssteifigkeit wird die Eigenfrequenz des Bauwerks, ermittelt aus den Beschleunigungswerten der Umlenkstellen, genutzt. Ein Einfluss von Lang- oder Kurzzeiteffekten liegt hier nicht vor. Im Gegensatz zur Vorspannung können hier keine direkten Zahlenwerte für den Zusammenhang zwischen einer Änderung der Eigenfrequenz und in diesem Fall einer Änderung der Bauwerkssteifigkeit ermittelt werden. Als Schwell- und Warnwerte werden Änderungen der Eigenfrequenzen gewählt, die nicht aus dem Toleranzbereich der Eigenfrequenzen herrühren. 5. Automatisierung vor Ort Eine Zielstellung des Projektes ist eine automatisierte Auswertung vor Ort und die ebenso automatisierte web-basierte Veröffentlichung. Der Gesamtablauf der automatisierten Datenverarbeitung Vor-Ort für das vorgestellte Messsystem ist zusammen mit Angaben zur Häufigkeit der durchgeführten Auswertungen in Abbildung 10 dargestellt. 164 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Fünf Jahre intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Ergebnisse und Erfahrungen Unabhängig vom Ablauf des Hauptprogramms erfolgt eine separate Verarbeitung der aufgezeichneten Videodaten. Die Web-Publikation ist für verschiedene Nutzer mit unterschiedlichen Berechtigungen ausgelegt. Dies sind die Betreiber (BASt, BMVI, ABDNB), die Beteiligten (IBF, Maurer, UzL) und Bürger. Für Letztere ist lediglich eine statische, aufbereitete HTML-Seite vorbereitet. Abbildung 10: Ablaufdiagramm der automatisierten Datenverarbeitung 6. Erfahrungen Um Erfahrungen darzulegen wird das Anliegen des Projektes, die Bearbeitung und die Leitung und Betreuung gespiegelt. Das Anliegen umfasste summarisch drei Aspekte: - Die Ausstattung einer neuen Brücke mit konventioneller Sensorik und Messtechnik um Einwirkungen und Widerstände der Brücke und Verhalten von Bauteilen zu erkennen und zu langfristig überwachen - Die Ausstattung mit neuer Sensorik und Messtechnik (Sensornetz) zur Beurteilung von Einsatzoptionen - Das Trainieren eines Datenmanagements (Umgang mit Datenmengen und gesplitteten Zugriffen) und der Digitalisierung des gesamten Projektes Die Leitung und Betreuung liegt in den Händen von BMVI, BASt, dem Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr und der ABDNB. Die inhaltliche Bearbeitung wird realisiert durch: - Ein Telematikinstitut einer Universität - Einer Entwicklungsabteilung eines Unternehmens des Stahl-, Maschinen- und Anlagenbaus - Einem Ingenieurbüro des konstruktiven Ingenieurbaues Die Bearbeitungsinhalte umfassen separate Teilleistungen. Die ganzheitliche Publikation auf einer gemeinsamen Plattform einschließlich der Darlegung von Referenzbetrachtungen aus den separaten Systemen ist nur durch Zusammenspiel möglich. Der Zeitraum der Bearbeitung ist für 5 Jahre ausgelegt. Im Ergebnis konnte die Zielstellung erreicht werden. Die Sensorik und Messtechnik arbeitet ohne Eingriffe. Lediglich ein induktiver Wegaufnehmer am Lager zeigte infolge unvermeidlicher Verschmutzung nach 3 Jahren eine Störung, die durch Reinigung des Sensors behoben werden konnte. Sämtliche Auswertungen sind automatisiert und erfolgend autark auf dem Rechensystem vor Ort. Das beschriebene Messsystem arbeitet über den gesamten Zeitraum (gegenwärtig über 4 Jahre) nahezu ohne Ausfälle zuverlässig. Daten und Ergebnisse wurden und werden bereitgestellt. Die Entwicklung der webbasierten Ergebnispublikation konnte realisiert werden. Es zeigten sich hierbei Herausforderungen, vor allem hinsichtlich der interdisziplinären Arbeit, die durch eine konsequente Leitung gut bewältigt wurden. Nahezu alle ermittelten Kennwerte aus den Messungen sind mit Schwell- oder / und Warnwerten gekoppelt. Das Erreichen eines Warnwertes wird per E-Mail den Verantwortlichen mitgeteilt. Da es sich um eine neue Brücke handelt sind Warnwerte bislang erwartungsgemäß nicht aktiviert worden. Das allerdings führt zu einem abnehmenden Interesse von Bauherren. Ein letzter Sachverhalt muss bei der Darstellung von Erfahrungen erwähnt werden. 5 Jahre sind ein kleiner Zeitbereich für die Nutzungsdauer einer Brücke, aber ein hinreichender Zeitbereich, um Übergaben zwischen Verantwortlichen, Bearbeitern und Verwaltungen zu trainieren. Von der Personengruppe, die 2016 hochmotiviert die Aufgabe begann ist nur noch die Hälfte aktiv dabei. Die zweite Hälfte ist mit beiderseitigen Bedauern durch Übernahme anderer verantwortungsvoller Aufgaben ausgeschieden. Auch wenn jede Übergabe mit Wissens-und Erfahrungsverlust verbunden ist - die Systeme arbeiten bis heute fehlerfrei. Nur der Einsatz aller Kollegen aus Verwaltung, Universität und den Unternehmen der Wirtschaft ermöglichte und ermöglicht das Ergebnis. Dafür ein ganz besonderes Dankeschön. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 165 Fünf Jahre intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Ergebnisse und Erfahrungen Literaturangaben [1] Böning, S.; Fischer, S.; Freundt, U.; Lau. F.-L.; Werner, E.; Schlussbericht: Digitales Testfeld Autobahn - Intelligente Brücke - Synchronisation von Sensorik und automatisierte Auswertung von Messdaten (FE- Nr. 15.0631/ 2016/ LRB), BASt 2020, z.Z. unveröffentlicht. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 167 Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Digitale Bauwerkskomponenten: Instrumentierte Lager und Fahrbahnübergänge Dr.-Ing. Daniel Rill Maurer Engineering GmbH, München, Deutschland Dr.-Ing. Christiane Butz Maurer Engineering GmbH, München, Deutschland Michael Tahedl, M.Sc. Maurer SE, München, Deutschland Zusammenfassung Intelligente Kalottenlager und Fahrbahnübergangskonstruktionen liefern einen wichtigen Beitrag zur Erfassung von Verkehrseinwirkungen und des Zustandes von Brückenbauwerken. Unter anderem in einer Pilotstudie im Rahmen des von der Bundesanstalt für Straßenwesen betreuten Projektes „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“, zeigen die mit Sensorik ausgestatteten Bauwerkskomponenten ihre Eignung im Praxiseinsatz und liefern durch eine Anbindung an ein Monitoring-System kontinuierlich und zeitnah Ergebnisse in „Echtzeit“ an den Brückenbetreiber. An den Kalottenlagern wird die Auflast, sowie die Verdrehung und horizontale Verschiebung gemessen. Die Schwenktraversen-Dehnfugen erfassen Verkehrsdaten, aufgelöst bis zu den Achslasten, der überfahrenden Fahrzeuge. Aus den an den Lagern gewonnenen Daten werden vor Ort mittels effizienter Auswertealgorithmen die quasistatischen und fluktuierenden Lagerlasten, -verschiebungen und -verdrehungen ermittelt. Aus diesen Größen kann nicht nur auf die Funktion und den Erhaltungszustand der Lager geschlossen werden, auch können die einwirkenden stationären Lasten und Verkehrslasten ermittelt werden wodurch das System als Bridge-Weigh-in-Motion-System verwendet werden kann. Die an der Übergangskonstruktion gemessenen Größen dienen zur Messung von Geschwindigkeit und Achslasten des überfahrenden Verkehrs. Aus den Achsabständen und -gruppierungen können einzelne Fahrzeuge identifiziert und kategorisiert werden. Ebenfalls wird anhand der Messgrößen kontinuierlich der Zustand und die Funktionalität des Fahrbahnüberganges überwacht. Alle Analyseschritte von der Aufbereitung der Messdaten über die Auswertung und Überwachung bis zur Ergebnisdatenverwaltung wird vollautomatisiert in einer eigens entwickelten Software vor Ort durchgeführt. 1. Einführung Die Eignung von instrumentierten Brückenbauteilen, insbesondere Kalottenlagern und Modulardehnfugen, zur Überwachung des Bauwerks- und Bauteilzustandes sowie der verkehrs- und umweltbedingten Einwirkungen konnte im Rahmen des Forschungsprojektes „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“, beauftragt durch die Bundesanstalt für Straßenwesen und das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und im Praxiseinsatz eingehend untersucht und nachgewiesen werden 168 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Digitale Bauwerkskomponenten: Instrumentierte Lager und Fahrbahnübergänge Abbildung 1: Intelligente Brücke mit Position der MMS Kalottenlager und Schwenktraversendehnfuge Als „intelligente Brücke“ wird dabei das in Abbildung 1 dargestellte Bauwerk 402e am Autobahnkreuz Nürnberg bezeichnet. Es handelt sich um ein im Jahr 2015 gebautes Überführungsbauwerk, das die Autobahn A3 überquert. Neben den instrumentierten Kalottenlagern und dem Fahrbahnübergang sind noch ein von der Universität zu Lübeck entwickeltes und betriebenes Sensornetzwerk sowie ein Straßenverkehrserfassungssystem des Ingenieurbüros Prof. Freundt Bestandteil des Messsystems [1,2]. Die Kalottenlager und Modulardehnfugen werden durch die Instrumentierung zu integralen „intelligenten“ Komponenten eines modularen Gesamtsystems, welches im Folgenden als MMS (Maurer Monitoring System) bezeichnet wird. 2. Intelligente Kalottenlager 2.1 Allgemeines Brückenlager sind wesentliche Brückenbauteile. Je nach konstruktiver Auslegung übertragen Kalottenlager entweder Kräfte oder lassen Verschiebungen zu, während sie Rotationen in allen drei Achsen ermöglichen. Die meisten Änderungen des Brückenzustandes beeinflussen direkt die Reaktion der Lager, z.B. • eine Änderung der quasi-statischen Lagerverdrehung kann eine Steifigkeitsänderung, Neigung oder Setzung der Brücke signalisieren. • eine Änderung der vertikalen Belastung einzelner Lager kann auf eine Lastumverteilung aufgrund einer Tragwerksänderung hinweisen. Daher ist die Messung und Analyse der Lagerreaktionen sehr gut geeignet, um Informationen über den Brückenzustand zu gewinnen. Bei sehr guter Auflösung der Signale können sogar Verkehrsbelastungen erkannt werden. Die sensorbestückten Kalottengleitlager, die Teil der „Intelligenten Brücke“ sind, gehören zu den MAURER Monitoring Systemen und werden deshalb MMS-Kalottenlager genannt. Sensoren, die in MMS-Kalottenlagern integriert sind, erfassen vertikale Lasten, Rotationen und Verschiebungen. Daraus können folgende Informationen gewonnen werden: • Überwachung der Betriebssicherheit des Lagers durch Erfassung der Verschiebung in der ebenen Primär- und der sphärischen Sekundärgleitfläche sowie der Gleitspaltmessung, • Beurteilung der nicht-dynamischen Belastung, Lagerverdrehung und -verschiebung • Beurteilung der schwankenden Belastung, Lagerverdrehung und -verschiebung und Aufteilung in verkehrsbedingte und klimatische Anteile 2.2 Entwurf und Aufbau der MMS Kalottenlager Die beiden Kalottengleitlager in Achse 40 der Brücke BW402e sind MMS-Kalottenlager, die die folgenden Anforderungen erfüllen: • Kalottenlager mit Last-, Verschiebungs- und Rotationsüberwachung • Maximale vertikale Auflast von 18436 kN • Maximale Verschiebung von v x = ±120 mm und v y = ±20 mm • Höhe und Abmessungen wie ein herkömmliches Kalottenlager • Bemessung, Konstruktion und Fertigung nach DIN EN 1337, ETA 06-0131 und Zulassung im Einzelfall Konventionelle Kalottenlager bestehen aus zwei Gleitplatten und einer Kalotte. Die Gleitelemente in den Kontaktflächen bestehen aus MSM® und austenitischen Gleitplatten bzw. einer hartverchromten Oberfläche oder aus Sonderlegierungen wie MSA®. Im MMS-Kalottenlager befindet sich unter dem MSM® eine gekammerte Elastomerfolie zur Lasterfassung. Der Druck infolge der Auflast induziert einen hydrostatischen Spannungszustand in der Folie. Jeder Drucksensor misst diese gleichmäßig verteilte Lagerbelastung. Zusätzlich werden Rotation und Verschiebung am intelligenten Lager erfasst (siehe Abbildung 2). Die entsprechenden Sensoren werden für jedes Lager individuell angepasst. Das MMS- Kalottenlager liefert sehr genaue Werte, da MSM® und die verwendeten Materialien nicht temperatur- und alterungsabhängig sind und nur geringe Verformungswiderstände erzeugen. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 169 Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Digitale Bauwerkskomponenten: Instrumentierte Lager und Fahrbahnübergänge Das nationale Vorgängerforschungsprojekt „IFuLa“, das in Kooperation mit der Universität der Bundeswehr München im Rahmen des Innovationsprogramms Straße des BMVI durchgeführt wurde, hat gezeigt, dass instrumentierte Kalottenlager in Kombination mit einer Rotations- und Verschiebungsmessung auch die Erfassung von veränderlichen Verkehrslasten ermöglichen. Beide Kalottenlager der Achse 40 der „Intelligenten Brücke“ sind mit Sensoren ausgestattet. Während das Lager 40/ 3 mit Drucksensoren für die Lastmessung sowie mit Wegsensoren für Rotation, Gleitspalt und Verschiebung der oberen Lagerplatte ausgestattet ist (siehe Abbildung 3), ist das Lager 40/ 1 nur mit Drucksensoren für die Lastmessung ausgestattet. a) zusammengebautes Kalottenlager b) Explosionsansicht des Kalottenlagers Abbildung 2: MMS Kalottenlager mit Sensoren, Achse 40/ 3 Abbildung 3: Eingebautes MMS Kalottenlager an der Achse 40/ 3 2.3 Datenerfassung und Verarbeitung Die Datenerfassung der MMS-Lager ist mit der Datenerfassung der MMS-Dehnfuge kombiniert (siehe Abschnitt 3.4). Die Datenverarbeitung erfolgt durch eigens erstellte Python-Skripte, die folgende Operationen durchführen: 1. Einlesen aller Messdaten in den Speicher 2. Auswertung der quasi-statischen Verschiebung der primären Gleitfläche, der Lagerdrehung, der vertikalen Belastung, des Gleitspalts 3. Auswertung der akkumulierten Gleitwege von Primär- und Sekundärgleitfläche getrennt nach temperatur- und verkehrsbedingten Effekten 4. Ermittlung der schwankenden Vertikalbelastung und Durchführung der Peak-Klassifizierung für das Verkehrsbelastungskollektiv 5. Statistische Auswertung der Maximalwerte der relevanten Parameter 2.4 Verifizierung und Kalibrierung Bevor die Brücke für den Verkehr freigegeben wurde, wurden im September 2016 Referenzfahrten mit zwei Lkws mit definiertem Gewicht durchgeführt, um die Drucksignale anhand definierter Verkehrsbelastung zu kalibrieren. Es wurden Fahrten mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten durchgeführt, um die dynamischen Wechselwirkungen zwischen Brücke und Lkw zu analysieren. Zur Qualitätskontrolle wurden im April 2018 Referenzfahrten wiederholt. Es zeigte sich, dass die Genauigkeit der gemessenen Verkehrsbelastungen bei regulärer Geschwindigkeit, d. h. 80 bis 90 km/ h, weniger als ±10 % beträgt (siehe Abbildung 4 und Abbildung 5). 170 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Digitale Bauwerkskomponenten: Instrumentierte Lager und Fahrbahnübergänge Abbildung 4: Gemessene Lagerkraft eines 5-achsigen Lkws mit Geschwindigkeit von 90 km/ h und dessen statisches Gewicht Abbildung 5: Gemessene Lagerkräfte zu statischem Gewicht für den 5-achsigen und 3-achsigen Lkw 2.5 Datenauswertung Die Grundanforderung an MMS-Kalottenlager ist die Kontrolle ihrer Betriebssicherheit bzw. Funktionstüchtigkeit. Dies geschieht durch die Überwachung der Verschiebungen der Gleitfläche, des zugehörigen akkumulierten Gleitweges und des Gleitspaltabstandes (siehe Abbildung 6). Während die maximalen Verschiebungswerte mit Bemessungswerten verglichen werden, ist der akkumulierte Gleitweg und der Gleitspaltabstand ein Maß für den Verschleiß des Gleitmaterials. Abbildung 6: Temperaturabhänige Verschiebung und akkumulierter Gleitweg der ebenen Gleitfläche Durch die Berücksichtigung des akkumulierten Gleitweges werden nicht nur die temperaturbedingten Effekte berücksichtigt, sondern auch die verkehrsbedingten (siehe Abbildung 7), die als Summe wesentlich größer sind, aber anspruchsvollere Sensoren und Auswerteverfahren erfordern. Abbildung 7: Verschiebung der ebenen Gleitfläche infolge Verkehr und akkumulierter Gleitweg Die zweite Anforderung an MMS-Kalottenlager ist, Informationen über den Brückenzustand zu gewinnen. Die Überwachung der vertikalen Eigenlasten (siehe Abbildung 8), der quasi-statischen Rotation der MMS-Lager und der Eigenfrequenzen der Brücke liefert Informationen über den Brückenzustand. Eine Änderung dieser Eigenschaften weist auf eine strukturelle Veränderung in Form von Steifigkeitsänderungen, ungleichmäßigen Setzungen usw. hin. Eine Beurteilung ist nur anhand einer langfristigen Auswertung möglich. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 171 Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Digitale Bauwerkskomponenten: Instrumentierte Lager und Fahrbahnübergänge Abbildung 8: Gemessene quasi-stationäre Auflasten für Lager 40/ 1 und 40/ 3 Die dritte Anforderung an MMS-Kalottenlager ist die Überwachung von Einwirkungseffekten, denen die Brücke ausgesetzt ist. Sie ist die anspruchsvollste Aufgabe, da temperatur- und verkehrsbedingte Einwirkungen nur sehr geringe Änderungen in den Sensorsignalen verursachen. So verursacht z.B. ein 20-Tonnen-LKW eine Druckänderung von etwa 1 N/ mm 2 in jedem Lager. Die MMS-Lager messen die Belastungen durch den fließenden Verkehr mit einer Genauigkeit von ±10 %. Eine Peakerkennung (siehe Abbildung 9) mit einer reduzierenden Klassifizierung führt zu einem verkehrsinduzierten Einwirkungskollektiv der Brücke (siehe Abbildung 10.). Wenn der Abstand der Fahrzeuge ausreichend groß ist, wird das Gewicht eines einzelnen Fahrzeugs erfasst. Fahrzeuge, die zu dicht hintereinander fahren oder nebeneinander zeitgleich die Achse 40 kreuzen, verursachen einen verschmierten bzw. einen Doppel-Peak. Daher werden Peaks gemessen, die größer sind als das zulässige Maximalgewicht von 40 Tonnen auf deutschen Autobahnen. Eine mit MMS-Lagern ausgestattete Brücke wird zu einem Bridge-Weigh-in-Motion-System. Abbildung 9: Gemessene fluktuierende Lagerkräfte und detektierte Maxima Abbildung 10: Lastkollektiv der Maxima der fluktuierenden Lagerkräfte für Zeitraum Januar 2017 bis Dezember 2018 Abbildung 11: Draufsicht auf die intelligente Schwenktraversendehnfuge 172 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Digitale Bauwerkskomponenten: Instrumentierte Lager und Fahrbahnübergänge 3. MMS Schwenktraversendehnfuge 3.1 Allgemeines Wasserdichte Modulardehnfugen vom Typ “Schwenktraverse” kommen in vielen größeren Brückenbauwerken zur Überbrückung der Bewegungsfugen zum Einsatz. Dieser Typ von Übergangskonstruktion erlaubt die Aufnahme von Verschiebungen und Verdrehungen des Brückenbauwerkes in allen Richtungen. Die Bewegungskapazität in Längsrichtung kann dabei mehrere Meter betragen. Zur Minderung der Überfahrgeräusche können rautenförmige Platten auf die Oberseite aufgebracht werden. Da Übergangskonstruktionen direkt in Kontakt mit den überfahrenden Fahrzeugen kommen, eignen sie sich gut dafür, durch integrierte Sensorik folgende Verkehrsdaten zu erfassen: • Achslasten • Geschwindigkeit der überfahrenden Achsen • Achsabstände • Achsanzahl • Fahrzeuggesamtgewicht • Fahrzeugtyp und -konfiguration [3] Zusätzlich erlaubt die Überwachung der Sensorsignale eine Zustandsdiagnose der Übergangskonstruktion selbst. 3.2 Aufbau der MMS Schwenktraverse In der „intelligenten Brücke“ wurde eine instrumentierte Schwenktraversendehnfuge verbaut, deren Aufbau sich an den Ergebnissen des IFuLa-Forschungsprojektes [4] orientiert, vgl Abbildung 11. Die wesentlichen Merkmale sind hierbei: • Wasserdichte Ausführung mit integrierter Messung der Verkehrslasten • Genehmigung durch Zustimmung im Einzelfall • Austauschbare Sensoren • Einfache Austauschbarkeit gegen eine herkömmliche Fugenkonstruktion • Gesamtdehnweg mindestens 260mm • Im Rahmen dieser Anforderungen wurde die DS320GOi entwickelt, eine angepasste vierprofilige Schwektraversendehnfuge mit Geräuschminderung und folgenden Zusatzmerkmalen: • Kraftsensoren in den Randlagern der Traversen zur Messung impulsartiger Belastungen aus Verkehr mit zeitlicher Auflösung < 1ms • Mechanische Trennung der Lamellen pro Fahrspur um die Beeinflussung durch nebeneinander fahrende Fahrzeuge zu verringern • Angepasste Dichtprofile um trotz Fahrspurtrennung die Wasserdichtigkeit gewährleisten zu können • Rautenförmige Lärmminderungsplatten auf der Oberseite der Lamellen um den Anprall der Reifen auf der Lamellenoberseite zu verringern. • Sensoren zur Messung der Spaltweite für jede Spur • Zusätzlich zu den Sensoren befindet sich die nötige Elektronik zur Signalaufbereitung, -verstärkung, -aufzeichnung und -auswertung in einem in der Nähe installierten Schaltschrank mit Stromversorgung und Netzwerkanschluss. 3.3 Sensoranordnung Die Sensoren sind im oder entlang des Steuerungssystems der Dehnfuge angebracht, vgl. Abbildung 12. In den Randlagern der Traversen sind an beiden Enden Auflastsensoren angebracht, wodurch sich die Lasteinleitung durch überfahrende Reifen genau lokalisieren lässt. Abbildung 12: Anordnung der Sensoren im Fugenquerschnitt Parallel zu den Traversen sind Seilzugsensoren angeordnet, die den Abstand der ersten und dritten Lamelle voneinander messen. Dieser für die Auswertung maßgebliche Abstand ist durch das Schwenktraversensteuersystem proportional zur Gesamtspaltweite der Fuge. 3.4 Datenerfassung und -verarbeitung Die Sensordaten werden kontinuierlich aufgezeichnet und vor Ort ausgewertet. Durch präzise Zeitsynchronisation der den Sensoren zugeordneten Messverstärker kann sichergestellt werden, dass die Messergebnisse zusammen verarbeitet und ggf. mit anderen Messsystemen abgeglichen werden können. Die Verarbeitung der Daten erfolgt asynchron zur Messung in 10-Minuten-Intervallen. Durch eine ausreichend hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit ist jedoch sichergestellt, dass anfallende Daten schneller analysiert werden als neue Messdaten anfallen. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 173 Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Digitale Bauwerkskomponenten: Instrumentierte Lager und Fahrbahnübergänge Zur Aufbereitung, Analyse und strukturierten Ablage der Daten kommt eine eigens entwickelte Software zum Einsatz, welche vollautomatisiert die folgenden Schritte abarbeitet: 6. Einlesen der Rohdaten und Kontrolle der Datenqualität 7. Selbstdiagnose (Grenzwert- und Trendüberwachung der Messwerte) 8. Dynamische Offsetkorrektur der Kraftsignale 9. Detektion von Einzelachsüberfahrten 10. Ermittlung von Geschwindigkeit und Auflast der Achse 11. Gruppierung der Achsen zu Fahrzeugen 12. Bestimmung von Fahrzeugkategorie, -geschwindigkeit und -gesamtgewicht 13. Ergebnisausgabe 3.5 Ergebnisauswertung Das Hauptziel der Datenerfassung ist die Erkennung und Identifikation von Fahrzeugen. Zu diesem Zweck wird die Summe der Auflastsignale einer Fahrspur nach Lastspitzen durchsucht, welche die Überfahrtzeitpunkte von Einzelachsen repräsentieren. Um sicherzustellen, dass nur Lastspitzen gezählt werden, die tatsächlich zu Überfahrtereignissen gehören, wird das Signal vorher einer Filterung unterzogen welche das Über- und Nachschwingen der mechanischen Komponenten der Fahrbahnübergangskonstruktion eliminiert. Mit dieser Methode gelingt die Detektion der Überfahrtereignisse dabei so sensitiv, dass selbst leichte Fahrzeuge wie Motorräder erkannt und sicher von Störanregungen (wie z.B. Überfahrten auf der Nachbarspur) unterschieden werden können, wie in Abbildung 13 dargestellt. Abbildung 13: Überfahrterkennung mit Ausfilterung eines Störsignals Aus der Liste der so gefundenen Achsüberfahrten wird im Anschluss nach den korrespondierenden lokalen Maxima im Rohsignal der Kraftwerte gesucht. Aus der Amplitude lässt sich die Achslast bestimmen und aus der Dauer der Lasteinwirkung kann unter Berücksichtigung der momentanen Spaltweite die Geschwindigkeit der Achse errechnet werden. Berücksichtigt man übliche Achsabstände innerhalb von Fahrzeugen, kann über die Geschwindigkeit und den zeitlichen Abstand aufeinanderfolgender Achsen eine Gruppierung der Einzelachsen zu Fahrzeugen vorgenommen werden. Anhand des Gewichtes, der Achsanzahl und -abstände sowie der Geschwindigkeit lassen sich dann die Fahrzeuge nach dem 5+1-Schema aus COST 323[5] klassifizieren. 3.6 Verifikation und Kalibrierung der Messung Eine Herausforderung bei der Messung der Gewichte von Fahrzeugen, die sich mit hoher Geschwindigkeit über die Messstelle bewegen, ist die Tatsache, dass dynamische Effekte das Verhältnis zwischen tatsächlichem Gewicht und gemessenem Wert in nicht vernachlässigbarer Höhe beeinflussen. Insbesondere die Diskontinuität der Fahrbahnoberfläche, die durch eine Fahrbahnübergangskonstruktion immer gegeben ist (welche durch die Lärmminderungs-vorrichtung zwar abgemildert aber nicht ganz eliminiert wird), 174 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Digitale Bauwerkskomponenten: Instrumentierte Lager und Fahrbahnübergänge führt zu einer impulsartigen Anregung der schwingungsfähigen Systeme „Fahrzeug“ und „Übergangskonstruktion“. Zur Abschätzung der dynamischen Effekte wurden Versuchsfahrten mit definiert beladenen LKW bei verschiedenen Geschwindigkeiten durchgeführt. Die Auswertung der an der Fuge gemessenen Geschwindigkeiten und Fahrzeuggesamtgewichte zeigt, dass mit zunehmender Geschwindigkeit nicht nur die Streuung der gemessenen Gewichte zunimmt, sondern auch eine Tendenz zu erkennen ist dass die Gewichte unterschätzt werden. Um zuverlässigere Ergebnisse zu generieren, ist es notwendig, dass die dynamischen Effekte in der Auswertung weitestgehend eliminiert werden. Um den dynamischen Einfluss der Fahrzeuge (deren Eigenschaften prinzipiell nicht im Detail bekannt sind) vom dem der Übergangskonstruktion (welche im Wesentlichen dieselben Eigenschaften beibehält) zu trennen, wurden beide Systeme sowie deren Interaktion mit einem Mehrkörpersimulationsmodell nachgebildet und analysiert [6]. Die Parametrierung des Modells erfolgte anhand der bei den Kalibrierfahrten gewonnenen Daten. Abbildung 14: Vergleich von Simulations- und Messergebnissen bei Testfahrten mit 90 km/ h Abbildung 14 zeigt, dass zwischen Simulation und Messung eine gute Übereinstimmung besteht. Durch Variation der Fahrzeug- und Fugenparameter lässt sich zeigen, dass der dominante Anteil der schwingungsbedingten Abweichung zwischen statischem Fahrzeuggewicht und Messsignal aus dem Nachschwingen der Übergangskonstruktion kommt. Besonders stark tritt hier die erste Eigenfrequenz der Lamellen mit ca. 100Hz hervor. Diese Erkenntnis macht es möglich, einen Kompensationsansatz zu formulieren, indem in der Auswertesoftware das Schwingungsverhalten der Fuge als gedämpfter Ein-Masse-Schwinger nachgebildet wird. Die solcherart ermittelte Schwingung wird dann vom gemessenen Kraftsignal abgezogen, wodurch sich wie in Abbildung 15 gezeigt der quasistatische Soll-Verlauf der Last-Zeitkurve näherungsweise rekonstruieren lässt. Abbildung 15: Echtzeitkompensation dynamischer Effekte 4. Zusammenfassung und Ausblick Es konnte gezeigt werden, dass instrumentierte Fahrbahnübergänge und Kalottenlager zur Überwachung und Analyse der Verkehrseinwirkung auf Brückenbauwerke geeignet sind. Zusätzlich dazu lassen sich aus den gewonnenen Daten wertvolle Erkenntnisse über den Zustand des Bauwerkes und der Komponenten ableiten, wodurch ein präventives Erhaltungsmanagement unterstützt werden kann. Durch die effiziente vollautomatisierte Vor-Ort-Auswertung der Daten kann eine Brücke mit den instrumentierten Komponenten entweder als autarke Einheit betrieben werden oder durch Anbindung an ein Datennetz auch mit anderen Datenquellen und Ergebnisdatenbanken kombiniert werden. 5. Danksagung Die Autoren bedanken sich für die finanzielle Unterstützung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) sowie die Vor-Ort-Unterstützung durch die Autobahndirektion Nordbayern im Rahmen des Projektes „Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn“. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 175 Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn - Digitale Bauwerkskomponenten: Instrumentierte Lager und Fahrbahnübergänge Literatur [1] Haardt, Dabringhaus, Friebel, Bayerstorfer, Bäumler, Freundt: Die Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn, Betonbau, Ernst und Sohn Verlag, 2017 [2] Lau, F., Boldt, D., Fischer, S.: Ein drahtloses Sensornetzwerk zur Bauwerksüberwachung - Für Auto- und Eisenbahnbrücken, Brückenbaukolloquium, Technische Akademie Esslingen, 2018 [3] Technische Lieferbedingungen für Streckenstationen (TLS) , Bundesanstalt für Straßenwesen 2012 [4] Butz, C.; Mangerig, I; Friedl, R.; Adam, A.: Intelligente Schwenktraversendehnfuge und intelligentes Kalottenlager, Schlussbericht (unveröffentlicht), FE-Nr. 88.110-88.112, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, 2017 [5] B. Jacob (editor): COST 323 “Weigh-in-Motion of Road Vehicles” Final Report, Laboratoire Central des Ponts et Chaussées, 2002 [6] Rill, D., Butz, Ch., Rill, G.: Dynamic Interaction of Heavy Duty Vehicles and Expansion Joints, EC- COMAS Thematic Conference on Multibody Dynamics, Duisburg, Germany, 2019 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 177 Innovatives Monitoring von Fahrbahnübergängen und Brückenbauwerken zur Verlängerung der Lebensdauer Neue und mobile Überwachungsansätze zur Datenakquise an Bestandsbauten anhand von Anwendungsbeispielen Luigi Di Gregorio Mageba GmbH, Göttingen, Deutschland Antonios Chrysovergis Mageba SA, Bülach, Schweiz Zusammenfassung Die Gewinnung von Daten aus Bauwerken erfolgt im Regelfall über etablierte Systeme der Sensorik. Diese sind am Markt ausreichend verfügbar in diverser Qualität und auch zuverlässig. Im Fokus der Anbieter steht hierbei ein urbanes Bauwerk, welches grundsätzlich eine einfache Zugänglichkeit und eine konstante Energieversorgung bauseitig zur Verfügung stellt. Die Sensoren, Datalogger und Kabelstränge sind einfach erreichbar; Fehler und Unstimmigkeiten lassen sich zügig und kostengünstig beheben. Das Ganze stellt sich für Brückenbauwerke gänzlich anders dar. Des Weiteren gilt es den richtigen Punkt des Datenabgriffs festzustellen, da Brücken durch Verkehrsanregung und Eigendynamik beeinflusst werden. Mageba befasst sich mit unterschiedlichen Ansätzen explizit zugeschnitten für den Brückenbau. Der Fokus liegt auf Frühwarnsysteme und Schadensfrüherkennung, bevor ein relevanter Schaden entsteht. 1. Smarte Vernetzung der Sensoren und Datalogger kabellos und energieautark 2. Datenabgriff an dynamischen Bauteilen, wie Fahrbahnübergänge zur Schadensvorhersage 1. Firmenvorstellung mageba Die mageba ist eine Schweizer Unternehmung mit Hauptsitz in Bülach (Schweiz). Sie gehört zu den weltweit führenden Anbietern von Bauwerkslagern, Dehnfugen sowie weiteren hochwertigen Produkten und Dienstleistungen des Hoch- und Infrastrukturbaus. Seit der Gründung im Jahre 1963 darf das Unternehmen auf eine erfolgreiche Entwicklung zurückblicken und beschäftigt heute weltweit über 900 motivierte Mitarbeiter, davon über 150 Ingenieure. Bis heute hat mageba über 20‘000 Bauwerke mit Lagern und Dehnfugen ausgestattet. Einige davon gehören zu den größten und höchstbeanspruchten Brücken der Welt. 1.1 SHM-Portfolio mageba Als Hersteller von Fahrbahnübergängen und Lagern, ist mageba im Zuge eines abgerundeten Produktportfolios seit geraumer Zeit auch in der Überwachung/ dem Monitoring dieser Produkte und von Brückenbauwerken tätig. Seit 2004 bietet mageba ein festes Produktportfolio an, welches sich auf jeden individuellen Bedarf und jedes Projekt zuschneiden lässt. Die Lösungen werden stets unter Berücksichtigung der individuellen Projektbedürfnisse erarbeitet und mit den aktuellsten Standards der Branche umgesetzt. Die Abteilung beschäftigt Experten, welche sich interpretativ mit den Fragestellungen des Auftraggebers beschäftigen und die Antwort auf die tatsächliche Frage liefert, statt Mengen an Datensätzen. ROBO®CONTROL ist magebas Repertoire für autonome und vollautomatische Überwachungssysteme für Bauwerke. Individuelle Lösungen für den Brückenbau, 178 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Innovatives Monitoring von Fahrbahnübergängen und Brückenbauwerken zur Verlängerung der Lebensdauer Hochbau und geotechnische Anwendungen erfassen Verkehrsimpulse, Temperatur, seismische Aktivitäten, Wind, Exposition, Korrosion etc. an definierten Stellen des Bauwerks. Dabei sind die fokussierten Parameter Lasten, Deformationen, Bewegungen, Vibrationen und Eigenfrequenzen. Die Messwerte werden in vordefinierten Intervallen erfasst und an einen Rechner vor Ort übergeben, dieser verarbeitet die Daten und erlaubt es autorisierten Nutzern bei Bedarf über ein sicheres Interface aus der Ferne zuzugreifen, in etwa über ein eigenes Netzwerk oder webgestützt. ROBO®SMART legt den Fokus auf das Monitoring von Bauwerkslagern, Dehnfugen und verwandten Produkten mit z.T. integrierten und vorinstallierten Sensoren. Neben permanenten Lösungen kommt auch das mobile, temporäre Messsystem für gelegentliche oder zeitlich bestimmte Einsätze am Bauwerk zum Zug. Kabellose Systeme zeichnen sich u.A. aus, durch ein eigenes Netzwerk am Bauwerk, bestehend aus unabhängigen Sensoren welche an Daten Knoten senden, welche wiederrum diese an das Gateway übermitteln für die Kommunikation nach außen. Dieses kabellose, energiesparende, einfach und schnell zu installierende System, bedient sich an den aktuellsten Standards der mobilen Kommunikation. Für Messungen im höheren Frequenzbereich (z.B. für dynamische Anwendungen) eignen sich verkabele Lösungen. Grundsätzlich lässt sich ROBO®SMART während der Produktion in Dämpfer, Schwingungstilger, Lager oder Fahrbahnübergänge einfach und kostengünstig integrieren und in situ in Betrieb nehmen. ROBO_QUAKE ist das schlüsselfertige Erdbeben-Monitoringsystem für die Erfassung von detaillierten Informationen über das Verhalten eines Bauwerks vor, während und nach einem Ereignis. Das modulare System mit integrierter Alarmfunktion ist mit hochwertigen 3D-Beschleunigungssensoren ausgestattet und kann erweitert werden. 1.2 Referenzen global Schloss Laufen - Schweiz Das Schloss Laufen steht auf einer Felsrippe, welche sich über das Belvedere (Obere Besucherkanzel) und den Rheinfall zum Ufer Schaffhausen fortsetzt. Es handelt sich dabei um so genannte Massenkalke aus der Malmzeit. Die Schichtung bzw. Bankung ist nur wenig ausgeprägt. Der Massenkalk weist z.T. ältere Verkarstungserscheinungen und siderolithische Ablagerungen auf. Oberflächlich ist der Felskopf des Belvederes durch eine geringmächtige Überdeckung aus Gehängeschutt aus verwitterten Malmkalkbrocken in einer lehmigen Matrix bedeckt. Der Felskopf wird durch mehrere Bruchzonen in einzelne Felspakete durchtrennt. Durch die verschiedenen Bruchzonen ist der Felskopf des Belvedere stark abgetrennt und in mehrere Blöcke zerlegt. Im Rahmen von technischen Abklärungen hat sich gezeigt, dass die 45-jährigen Anker im Bereich des Felskopfes des Belvederes (Obere Besucherkanzel) ersetzt werden müssen, was im Frühjahr 2010 realisiert wurde. Mit den zusätzlichen Ankern wird die Stabilität des Felskopfes gemäss der neuesten Normengeneration sichergestellt. Sämtliche Messanker werden permanent überwacht. Das ROBO®CONTROL Überwachungssystem zeichnet die aktuellen Messanker-Werte auf. Bei Überschreitung von Grenzwerten, die auf erhöhte Verschiebungen in den Gleitebenen hinweist, wird die Bauherrschaft automatisch und ohne Umwege alarmiert. Abbildung 1: Schloss Laufen Johan Sverdrup Field Centre - Norwegen Das Johan Sverdrup-Ölfeld wurde 2010 entdeckt und zählt zu den grössten Ölfunden, die jemals auf dem norwegischen Festlandsockel gemacht wurden. Das Johan Sverdrup-Ölfeld wurde nach dem Vater des norwegischen Parlamentarismus benannt. Darauf gestoßen ist man als direkte Folge der Entdeckung des Edvard Grieg Feldes in 2007, bei der bereits die Möglichkeit eines kontinuierlichen Öl-Wasser-Kontaktes über den gesamten südlichen Teil des Utsira High nachgewiesen werden konnte. Das Feld umfasst ein Gebiet von rund 200 km2 auf dem Utsira High im zentralen Teil der Nordsee und soll in zwei Phasen erschlossen werden. Die Anlage besteht in Phase 1 aus vier Plattformen, die durch drei Stahlbrücken miteinander verbunden sind. Jede Brücke ist so konzipiert, dass sie die enormen Bewegungen, die durch kräftige Wellen auf die Plattformen einwirken, aufnimmt. Die zwölf ROBO®CONTROL Erfassungseinheiten sind an jedem Lager in der Gefahrenzone der Ölplattformen installiert und erfassen die Daten der verschiedenen Sensoren. Ein Zentralcomputer verarbeitet die Messungen in Echtzeit zur weiteren Analyse und grafischen Darstellung. Alle Daten werden an den Kontrollraum der Einrichtung übermittelt. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 179 Innovatives Monitoring von Fahrbahnübergängen und Brückenbauwerken zur Verlängerung der Lebensdauer Abbildung 2: Johann Sverdrup Field Centre New Champlain-Brücke - Kanada Die Champlain Bridge in Montreal, Kanada, wurde durch die neue Brücke über den St. Lawrence River ersetzt. Diese Überführung ist eine der verkehrsreichsten in Kanada, mit über 60 Millionen Fahrzeugen und einem jährlichen internationalen Handelsvolumen von 20 Milliarden US-Dollar. Das 4,2-Milliarden-Dollar-Projekt besteht aus zwei Hauptbrücken der Neuen Brücke am St. Lawrence und der Île-des-Soeurs-Brücke. Beide sind derzeit in Betrieb. mageba hat für diese ikonische Brücke ein ganzheitliches Monitoring für die Überwachung des strukturellen Zustands und der modularen Fahrbahnübergänge bereitgestellt. Derzeit sind über 200 Sensoren auf der Brücke installiert, mit denen die kanadische Regierung die Verschiebung, Korrosion, Bewegungen, Temperatur, Spannungen, Dehnungen und Umgebungsparameter der Brücke in den nächsten 30 Jahren überwachen kann. Der Auftraggeber sieht mit dieser umfänglichen Überwachung vor einen beträchtlichen Anteil des Budgets für Wartung und Sanierung bedarfsorientiert steuern zu können. Die Lebensdauer der Struktur soll somit, auch unter Erhöhung des Verkehrsaufkommens ihren vollen Produktlebenszyklus erfüllen. Darüber hinaus bietet das ausgeklügelte System die Möglichkeit über ein vollautomatisiertes Alarmsystem, sofort auf Änderungen und Verschlechterungen zu reagieren. Abbildung 3: New Champlain bridge 2. Bauwerksüberwachung im Brückenbau Es gibt diverse etablierte Verfahren und Möglichkeiten Brückenbauwerke zu überwachen. Einerseits kann dies durch hohen personellen Aufwand erfolgen, in dem etwa regelmäßig visuelle Inspektionen in situ durchgeführt werden. Andererseits besteht die Möglichkeit Sensorik am Bauwerk dauerhaft zu installieren mit der Option vor Ort Daten zu erfassen und zu speichern oder gar aus der Ferne auszulesen. Beides funktioniert aus technischer Sicht und verschafft Abhilfe. Beide Varianten, oder auch Kombinationen aus diesen, liefern zuverlässig Schadensmeldungen oder Hinweise auf mögliche Bauwerksbeeinträchtigungen. So zuverlässig diese Überwachungsmöglichkeiten sind, ergeben sich auch diverse Nachteile. Eine visuelle Inspektion bindet in der Regel einen hohen zeitlichen und finanziellen Aufwand. Die Betreiber sind nicht immer in der Lage diese Inspektionen durch eigenes Personal aufzuwenden und sind somit auf Sub-Leistungen angewiesen. Hinzu kommt die Hürde sich in das Thema so weit einzuarbeiten, dass ein geeignetes Ingenieurbüro für diese explizite Leistung gefunden und beauftragt wird. Im Gegenzug erhält der Betreiber in der Regel dafür kompetente Aussagen, Bewertungen und evtl. Vorschläge für Gegenmaßnahmen im Schadensfall. Grundsätzlich ist das Ingenieurbüro mit entsprechenden Fachleuten, welche zur Erfassung der Daten noch die Interpretation liefern, unverzichtbar. In Anbetracht der Anzahl an zu prüfenden oder fraglichen Brückenbauwerken, gibt es nicht ausreichend kompetente Büros und Budget für diese Aufgabe. Des Weiteren können nicht alle Schäden oder Überbeanspruchungen des Tragwerks oder an Bauprodukten visuell erfasst werden (z.B. Beanspruchung der Bewehrung, Seilkräfte, Belastung an Lagern). Als Alternative oder Ergänzung bietet sich nun die permanente Überwachung durch fest installierte Sensorik am Brückenbauwerk an. Im üblichen Fall wird der Bedarf durch den Auftraggeber definiert und anschließend das Bauwerk mit entsprechender Sensorik ausgestattet, immer häufiger allerdings wird der Überwachungsansatz gemeinsam zwischen dem Auftraggeber oder Ingenieurbüro und dem Systemanbieter entwickelt. Im Bereich von Fragestellung zur Statik/ Dynamik handelt es sich häufig um DMS (Dehnmessstreifen), welche Informationen zu lokal spezifischen Stellen am Bauwerk liefern. Je nach Wissensstand zum Bauwerk können diese Informationen zwar permanent und zuverlässig erfasst werden, jedoch besteht auch in nicht wenigen Fällen Ungewissheit zur eigentlichen Bedeutung dieser Messwerte. Des Weiteren ist die Sensorik in der Lage Schäden zu melden oder aufzuzeigen. Diese Information ist für den Betreiber wichtig, um reagieren zu können. Aber, wäre es nicht besser zu wissen wann der Schaden entsteht? In diesem Markt sind die Möglichkeiten noch lange nicht erschöpft; es bietet sich an diversen Stellen Innovationpotenzial. Die technischen Möglichkeiten bezüglich Hard-/ Software sind am Markt gegeben und in einer großen Breite verfügbar. Die Herausforderung nun besteht darin, den eigentlichen Bedarf zu erfassen und die entsprechende Lösung anzubieten. Dies kann in Form von Dienstleistungskonzepten seitens der Hersteller bezüglich regelmäßiger Wartung oder auch in Form von neuen technischen Überwachungsansätzen erfolgen, mit Fokus auf Prävention und Früherkennung. 180 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Innovatives Monitoring von Fahrbahnübergängen und Brückenbauwerken zur Verlängerung der Lebensdauer 2.1 ist-Zustand Deutsche Brücken gelten nach wie vor als langlebig und bewährt. Aufgrund des Alters der Brückeninfrastruktur, ist aktuell bei einer zunehmenden Zahl von Bestandsbrücken die Lebensdauer erschöpft oder es herrscht Unklarheit über die noch vertretbare Restlebensdauer. Dies gilt in gleicher Weise für die Fahrbahnübergänge und Brückenlager, die - wie das Bauwerk selbst - regelmäßig inspiziert und gewartet werden müssen. Das mit den Jahrzehnten deutlich gestiegene Verkehrsaufkommen hat die Risiken und Wartungskosten erheblich verstärkt. Brückenneubauten sind aufwendig und volkswirtschaftlich mit Blick auf Budget und Zeit relevant, so dass sie als letztes Mittel gelten. Im folgenden Text wird beschrieben, wie moderne Fahrbahnübergänge und modernisierte Fahrbahnübergänge im Bestand in diesem Kontext dazu beitragen können, die Lasteinwirkungen auf Brücken besser einschätzen zu können und den Sanierungsaufwand und die Schadgefahr für die Fahrbahnübergänge selbst nennenswert zu minimieren. Sowie Fahrbahnübergänge als auch Lager spiegeln die tatsächlichen Bewegungen und Zyklen wieder, die auf das Bauwerk wirken oder durch dieses selbst verursacht werden. Neben der Auslegung der Brückenbauwerke, zu Zeiten geringerer Verkehrslasten bezogen auf Frequenz und Gewichte der Fahrzeuge, eröffnet der Bestandsfahrbahnübergang bereits heute die Möglichkeiten die tatsächlichen Lasten und Zyklen zu erfassen und zu interpretieren. Sogar individuell und exakt für jede Brücke. Insgesamt bietet sich, durch die Fokussierung auf ein dynamisches belastetes Brückenausstattungsteil, die Chance direkte Kosten (Inspektion, Wartung, Sanierung) und indirekte volkswirtschaftliche Kosten (Verkehrsbeeinträchtigungen) zu reduzieren und im Ergebnis eine höhere Verfügbarkeit der Infrastruktur in Aussicht zu stellen. 2.2 tatsächlicher Bedarf Herkömmliche Überwachungsmethoden, in personeller Form oder permanenter Sensorik, zeigen auf, wann Werte aus Ihrem Soll heraus abweichen. Zu diesem Zeitpunkt ist der Schaden üblicherweise irreversibel geschehen. Der Betreiber erhält diese Information und ist in unmittelbaren Zugzwang in Form von Sperrung der Brücke und/ oder spontanen Notsanierungen zu reagieren. In Wirklichkeit, wäre eine Möglichkeit wünschenswert, einen relevanten Schaden vorherzusehen oder vorherzusagen. Die Schadensankündigung oder Schadensfrüherkennung ist genau das, was den Betreibern den entscheidenden Vorteil verschafft gegen unerwartete Ausgaben aber noch am wichtigsten für die Sicherheit der Nutzer der Brückeninfrastruktur. Wie in vielen anderen Bereichen des Lebens gilt auch hier: `Wissen ist Macht`. Aber was muss der Betreiber zu welchem Zeitpunkt wissen? 2.3 Datenakquise: Wann und Wo? Ob Beton, Stahl oder Verbundmaterialien in einer Brücke, jeder Werkstoff hat seine Grenzen. Genauso, hat jeder Werkstoff seine Vor- und Nachteile und somit je nach Anwendungsfall seine verdiente Berechtigung eingesetzt zu werden. Um den Zustand einer Brücke zu beschreiben, wird in der Regel versucht, den Zustand der Werkstoffe zu erfassen. Bei Inspektionen und Gutachten wird in erster Linie auf offensichtliche Schäden geachtet, in etwa Korrosion oder Risse. Im Normalfall, sind dies die typischen Schäden auf die untersucht wird. Wenn kein Verdacht besteht, oder ein offensichtlicher Schaden, wird von einer tieferen Untersuchung, die einen invasiven Eingriff bedeuten kann, abgesehen. Dieser komplette Prozess basiert darauf, dass Schäden aufgetreten sind. Schäden die durch Ermüdung oder Überlastung auftreten können. Schäden fallen auf, wenn sie bereits geschehen und fortgeschritten sind Im Prüflabor würde man bei einer zerstörenden Prüfung die Änderung der Parameter über den gesamten Prüfprozess betrachten. In etwa über Wegaufnehmer an der Prüfmaschine. Man betrachtet bewusst den dynamischen oder angeregten Part dieses Prüfprozesses, quasi was sind Eingangs- und Ausgangswerte. Diese erlauben für folgende Prüfungen detaillierte Parameter zu definieren, so dass man sich bewusst im Grenzzustand der Materialfestigkeiten bewegen kann. Das Ziel ist es, die Materialien soweit auszureizen, um das Versagen vorhersagen zu können und sich im vertretbaren Bereich des Werkstoffs zu bewegen. Das nur als Beispiel. Bei einer Werkstoffprüfung, geht es darum, das Versagen vorherzusagen Wenn wir dieses Gedankenspiel auf die Brücke übertragen, lassen sich einige Analogien finden. Sei die Brücke als Gesamtes der zu betrachtende Werkstoff (eine Mischung und Interaktion von diversen Baustoffen), und die Schnittstellen die Einspannung an der Prüfmaschine. In diesem Szenario sei das Widerlager die Einspannvorrichtung, in Form von Bauwerkslager und Fahrbahnübergang. In einem Prüfszenario oder beim rechnerischen Freischneiden, wären genau das die interessanten Stellen für die Berechnung des Versagens; oder in unserem Fall die Zustandsüberwachung des Werkstoffs. In Summe erlebt die Brücke die gesamten Zyklen als Produkt von Werkstoffinteraktionen bis hin zu Ende ihres Lebenszyklus. Der Fahrbahnübergang jedoch erlebt jeden einzelnen Impuls, Verschiebung und Temperaturänderung ganz individuell, an jedem Bauwerk für sich. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 181 Innovatives Monitoring von Fahrbahnübergängen und Brückenbauwerken zur Verlängerung der Lebensdauer Diese Baugruppe aus Stahl, bietet sich hervorragend an, für eine Überwachung. Im Prinzip, ein riesiger Sensor mit entsprechender Sensibilität. Nahezu alle Einwirkungen auf das globale Bauwerk, lassen sich lokal und übersichtlich aus dem Fahrbahnübergang herauslesen. Jede Interaktion und jeder externe Einfluss resultiert in einer Reaktion dieser dynamisch beanspruchten Baugruppe. Des Weiteren bietet der Fahrbahnübergang eine, über das Widerlager, gut zugängliche Situation zum Arbeiten. Eine Sperrung oder Einschränkung des Verkehrs ist nicht erforderlich. Hinzu kommt, dass beim Applizieren von Sensorik am Fahrbahnübergang kein invasiver Eingriff am Bauwerk stattfindet, welcher Risserweiterungen oder Beschädigung des Korrosionsschutz bedeuten kann. Der Fahrbahnübergang interagiert mit dem Bauwerk in jedem Detail, ist aber gleichzeitig für sich ein geschlossenes, tauschbares und unabhängiges System. Bei der Bewertung einer Gruppe, betrachtet man immer das schwächste Glied Den Fahrbahnübergang als schwach zu bezeichnen wird ihm nicht gerecht. Erweitert betrachtet, ist es ein Ausstattungsbestandteil der Brücke welches bewusst Bewegung durchführt, um diese dem Bauwerk zu ersparen und somit um Spannungen und Zwängungen abzubauen. Viel Bewegung bedeutet gleichzeitig Verschleiß und Ermüdung. Je nach Art und Frequenz des Lasteintrags ist der Endzeitpunkt der Komponenten eines Fahrbahnübergangs nicht immer im Vorhinein zu bestimmen. In anderen Branchen bereits etabliert und Standard, bietet sich es im Brückenbau an, Verschleißteile explizit zu betrachten und frühzeitig auf deren Lebensende hinzuweisen. Verschleißgrenzen lassen sich hervorragend vorab definieren; die betroffenen Komponenten instrumentieren und überwachen. Idealerweise bereits während der Produktion, aber auch eine Nachrüstung im Zuge einer Sanierung im Bestand stellt keine große Herausforderung dar. 3. Praxisbeispiele 3.1 La Neuveville Die Brücke wurde in den späten 60er Jahren gebaut und ist Teil des nationalen Straßennetzes (N05 / Abschnitt Nr. 72). Aufgrund kritischer, aus der Analyse hervorgehender Spannungen in der Querbewehrung der Brückendecke wurde mageba gebeten, eine Spannungs- und Ermüdungsanalyse durchzuführen. Die Spannungsmessungen wurden auf der Höhe der Querbewehrung vorgenommen, die die Fertigteile direkt unter der Brückenfahrbahn verbindet. Die Gesamtzahl der verwendeten Dehnungsmessstreifen betrug 4, und ihre Positionen sind in den untenstehenden Bildern dargestellt. Die Messkampagne umfasste 100 Tage kontinuierliche Überwachung vom 25. Mai bis zum 3. September 2020. Der Schwerlastverkehr, wie Kräne, Baufahrzeuge und auch Privatwagen ist während der Sommerzeit höher. Daher wird erwartet, dass die Schadensakkumulation während dieser Monate höher sein wird als während des restlichen Jahres. Für die Kalibrierung des Systems wurde ein 3-achsiger 20-Tonnen-LKW verwendet. Anschliessend wurde die Schadensakkumulation unter Verwendung der SIA- Norm berechnet. Abbildung 4: Querbewehrung der Fahrbahnplatte Die Instrumentierung umfasst Dehnungsmessstreifen, eine Datenerfassungseinheit und einen Industriecomputer. In einer ersten Phase wurden verschiedene Abtastfrequenzen von 500 Hz, 250 Hz und 100 Hz eingeschätzt. Da der Verkehrseffekt mit einer Abtastrate von 100 Hz erfolgreich beschrieben werden konnte, und ohne wesentlichen Informationsverlust, um den Datenverarbeitungsaufwand zu reduzieren, wurde 100 Hz als endgültige Abtastfrequenz gewählt. Dies steht auch im Zusammenhang mit ähnlichen Beispielen in der Literatur. Abbildung 5: Projektablaufschema Abbildung 6: Messbeispiel für ein Dehnungsmessstreifen Die Spannungszyklen werden mit der Rainflow-Zählung gezählt und die maximalen Spannwerte für jeden 182 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Innovatives Monitoring von Fahrbahnübergängen und Brückenbauwerken zur Verlängerung der Lebensdauer Dehnungsmessstreifen in Form eines Histogramms angezeigt. Abbildung 7: Histogramm eines Dehnungsmessstreifens Die Schadensberechnung gemäß SIA 296-2 wird auf der Basis klassischer Wöhlerkurven dargestellt. Der Schaden wurde über 1 Jahr berechnet und anschließend auf 100 Jahre extrapoliert. Die Auswertung nach Schadensakkumulationsansatz zeigt, dass die Werte deutlich unter dem Versagenskriterium D tot = 1.0 liegen über einen Zeitraum von 100 Jahren. Aufgrund des Nachweises konnte der Bauherr aus umfangreiche Verstärkungsmaßnahmen an der Querbewehrung verzichten. 3.2 Neckarbrücke Ziegelhausen/ Heidelberg Die Ziegelhäuser Brücke in Heidelberg führt über den Neckar und verbindet die Ortsteile Schlierbach und Ziegelhausen. Die Brücke ist Teil der L534a, welche eine Verbindung der L534 am nördlichen und der B37 am südlichen Neckarufer darstellt. Die Neckarbrücke kann mit Hilfe von Dehnungsmessungen zur Risskontrolle um weitere 10 Jahre im Bestand betrieben werden. Die Messinstrumente (Schwingsaitenaufnehmer) sind auf der Steginnenseite der Träger in Auflagernähe angebracht. Dieser Bereich ist auf Grund der hier auftretenden hohen Querkraftbeanspruchung als kritisch einzustufen. Ein Versagen der Betondruckstrebe bzw. Überbeanspruchung der Zugglieder, der Schubbewehrung kann somit überwacht werden. Abbildung 8: Indikative Sensorposition Abbildung 9: Montierter Sensor Die drahtlosen Geräte verwenden das LoRa-Protokoll zur Übertragung der erfassten Daten. Das LoRa-System ermöglicht ein Low-Power-Funknetz, um die Sensoren mit dem Gateway zu verbinden eine IoT-Anwendung (Internet of Things). Die Datenerhebung erfolgt kontinuierlich alle 30 Minuten. Abbildung 10: Sensoren sind entlang der Brücke angeordnet; 18Stück Zur Überwachung der Brücke wurde ein Alarmplan ausgearbeitet, welcher sich an der Rissbreitenbeschränkung von 0,2mm des Ingenieurbaus orientiert. Teil des Alarmplans sind der Alarmwert von 0,10mm und der Alarmwert von 0,20mm. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 183 Innovatives Monitoring von Fahrbahnübergängen und Brückenbauwerken zur Verlängerung der Lebensdauer Abbildung 11: Beispiel Web-Interface Ziel des Projektes ist es, die Spannungen im Beton über die nächsten 10 Jahre ohne Wartungsarbeiten zu überwachen. Abbildung 12: Neckarbrücke Ziegelhausen Heidelberg Monitoring für Schadensfrüherkennung und Vorhersage 3.3 BAB A3 Rhein/ Herne-Kanal Rissvorhersage An der BAB A3 im Ruhrgebiet führt eine Stahlbrücke über den Rhein-/ Herne-Kanal. Diese Brücke ist an sich ein solides Bauwerk, welches im Zuge der Zeit einer Verkehrslast ausgesetzt wird, für welche sie nicht geplant wurde. Langsam aber stetig leiden Konstruktion und Werkstoffe darunter und weisen Schäden auf. Ein relevanter Schaden äußert sich in Form vom Brüchen auf dem Fahrbahnübergang, so genannte Lamellenbrüche, auf der nördlichen Widerlagerseite. Der Fahrbahnübergang hat durch hohe Lastwechsel das Ende seines Produktlebenszyklus erreicht. Der Zweiprofiler wird zeitnah ersetzt, muss aber die Zeit bis zum Austausch so weit funktionieren, dass der Verkehr und die Sicherheit für den Nutzer aufrecht erhalten werden kann. Der Betreiber ist in der Pflicht diese Aufgabe zu erfüllen. Ein Lamellenbruch führt zumeist zu einer direkten Sperrung der Brücke. Die sichere Überfahrt ist nicht gewährleistet, bis die betroffenen Stelle notinstandgesetzt wurde. In diesem individuellen Fall bedeutet dies kurz gefasst die Lamelle an der Bruchstelle wieder zu Fügen. Die bisherige Gegenmaßnahme bestand darin, in personeller Form den Fahrbahnübergang in engen Zeitfenstern zu inspizieren. Das große Manko hier: Anrisse/ Risse lassen sich mit dem bloßen Auge in der Regel im dunklen und engen Widerlager kaum erkennen, so dass es vorgekommen ist, dass auch nach Inspektionen Brüche auftreten konnten. Abbildung 13: Lamellenbruch Ansicht unten; Ansicht oben Eine Schadensmeldung bei Bruch ist hier keine Lösung. Schließlich äußert sich der Bruch offensichtlich und führt sofort zu obigen schwerwiegenden Maßnahmen. Viel mehr kann eine Lösung sein, den Bruch vorherzusagen oder ankündigen zu können. Vereinfacht man die Lamelle als simplen Längsträger und spannt diesen gedanklich in eine Prüfmaschine ein, so ist klar, dass man unter Lastwechseln die Lamelle in den plastischen Bereich führen kann, ohne diese direkt augenscheinlich zu zerstören oder eher zu brechen. Obwohl die Lamelle als zerstört gilt, ist der Riss nicht zwingend ersichtlich. Dieser Zeitpunkt ist der exakte Abgriff für eine Alarmierung und gleichzeitig die Schadensankündigung. Mageba hat gemeinsam mit seinem Partner für Prüf-/ Messtechnik auf dieser Grundlage ein Verfahren entwickelt, welches erlaubt im Bestand die Lamelle auf Risse und Brüche zu überwachen. Der Fokus dieser Überwachung beruht auf der Gefügeänderung des Werkstoffs, bei anstehender irreversibler Veränderung des zu prüfenden Körpers. Das System erlaubt es den initialen Riss festzustellen, dessen Fortpflanzung in das Gefüge über die Zeit zu beobachten und selbstverständlich ein Setting für die Alarmierung des Betreibers und Instandsetzer. Das Monitoring besteht aus einer Einheit zu Stromversorgung, einem Gateway zur Kommunikation zum Betreiber und einer kompakten Prüf/ Schaltzentrale, welche gezielte Pulse in die Lamelle aussendet, um auf Gefügeänderungen reagieren zu können. 184 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Innovatives Monitoring von Fahrbahnübergängen und Brückenbauwerken zur Verlängerung der Lebensdauer Abbildung 14: Mock-up und Kalibrierung beim Partner für Prüf-/ Messtechnik; Monitoring in situ Abbildung 15: Profil Lamelle im Bestand; instrumentiert Es werden derzeit erfolgreich 4 Lamellen überwacht, 2 in Fahrtrichtung Nord und 2 in Fahrtrichtung Süd. 3.4 Relativer Lamellenabstand Mangelnde Inspektion und Wartung kann in diversen Schäden an Brücken resultieren. In individuellen Fällen ist die Belastung und Verkehrsfrequenz so hoch, dass die vorgeschriebenen Inspektionsintervalle nicht ausreichend sind. Hier kann es vorkommen, dass Komponenten frühzeitig, unerwartet und vor allem unerkannt verschleißen und zu gravierenden Schäden führen. Ein aktuelleres Beispiel dafür ist die Aufspreizung von Lamellen an Mehrprofilern (ab ca. 6 Profilen aufwärts). Die Lamellen halten zueinander nicht mehr den erforderlichen Abstand ein und klaffen weit auf. Eine Sperrung der Brücke ist die unmittelbare und schwerwiegende Konsequenz. Es gibt übliche Systeme am Markt, die die Gesamtspaltweite zwischen Brücke und Widerlager überwachen. Diese Lösung verschafft hier keine Abhilfe, weil der absolute Spalt überwacht wird, nicht der relative Abstand der Lamellen zueinander. Dieser Abstand ist maßgebend für eine sichere und zuverlässige Überfahrt des Nutzers. Auch hier gilt, die Schadensmeldung bei Klaffung ist bereits zu spät. Mageba hat sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Es gibt einige technische Lösungen die hier für eine Überwachung in Frage kommen. Z.B. die Überwachung jeder einzelnen Lamelle über Inkrementalgeber. Unabhängig davon welche Lösung man wählt, nahezu alle erfordern einen hohen finanziellen- oder Installationsaufwand. Des Weiteren können diese Systeme relativ sensibel sein, so dass eine Installation durch geschultes Personal erforderlich ist. Die Lösung besteht darin, eine mobile Einheit ein Form eines Messkoffers bereit zu stellen, welche in der Installation nach dem Prinzip `Plug&Play` funktioniert. Das Messprinzip richtet sich nach Industriestandards und besteht aus optischen Lasermessköpfen. Der Anwender erhält ein fertig kalibriertes System, welches er vor Ort lediglich befestigen und auf die Lamelle ausrichten muss. Es wird nicht in das Bauwerk oder die Baugruppe eingegriffen. Die gesamte Einheit misst permanent und ist selbst in der Lage nach vorher definierten Min-/ Maxwerten der Lamellenabstände die betroffene Lamelle zu melden oder im Fall einer Über-/ Unterschreitung Alarm zu schlagen über die integrierte E-Sim-Karte. Abbildung 16: mobiles kompaktes System Plug&Play Abbildung 17: Auswertung im online-interface in Echtzeit; jeder Graph stellt die Bewegung einer Lamelle dar; Beispiel hier: irreguläre Abstandsabweichung ab 17: 10h von Lamelle 1 zu 3 resultiert in Alarmierung des Nutzers 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 185 Innovatives Monitoring von Fahrbahnübergängen und Brückenbauwerken zur Verlängerung der Lebensdauer Aus diesem Konzept ergeben sich 2 große Vorteile: 1. Die relativen Abstände zueinander sind in Echtzeit aus der Ferne einsehbar und verfügbar 2. Eine Aufzeichnung und Auswertung der Bewegungsdaten eröffnet dem Betreiber Bedarfsorientiert Inspektionen und Wartungen anzuordnen. Dadurch, dass die Verschleißgrenzen der eingesetzten Gleitwerkstoffe bekannt sind, lassen sich über die Laufleistung die Wechselintervalle präzise planen, ohne Gefahr zu laufen Schäden zu produzieren. Neben der Planung von Prüf- und Wechselintervallen, geben die ggf. über Sollwert abweichenden relativen Öffnungen (z.B. der ersten Lamelle gegenüber der 2, 3). Hinweise auf Beschädigungen von Einzelkomponenten in der Baugruppe in etwa defekte Auflager, Federn, etc. 4. Ausblick Mageba hat erkannt, dass es Innovationspotenzial im Bereich des Monitorings gibt. Die etablierte Bauwerksüberwachung funktioniert zuverlässig und solide, ebenso gut und kompetent arbeiten die Ingenieurbüros in diesem Metier. Bezogen auf den Brückenbau zeigen sich hier und da neue oder noch nicht erschlossene Ansätze und Potenziale, z.B. die Nutzung des Fahrbahnübergangs als geeignete und ausreichend sensible Stelle zum Datenabgriff. Die Vorteile liegen klar auf der Hand und eröffnen die Möglichkeiten zügig und ohne Eingriff in das Bauwerk oder den Verkehr relevante Informationen über den Zustand der Brücke zu gewinnen. Mageba empfiehlt: kritische Bauteile und Ausstattungsteile sollen präventiv mit Sensoren bestückt werden, womit sich Überbeanspruchungen, unübliches Verhalten erkennen lassen und entsprechend reagiert werden kann, bevor irreversible Schäden entstehen. 4.1 Anregung Im privaten Leben ist die Überwachung längst angekommen. Während man zu früheren Zeiten noch Kalorien auf einem Zettel notiert hat und erst beim Klappern des Motors in die Werkstatt fuhr, gibt es heute die Smartwatch und den modernen Bordcomputer. Anfänglich als unnötig und Technikspielerei verschmäht, ist Beides aus dem heutigen Alltag kaum noch wegzudenken. Ihre Smartwatch erinnert Sie daran ausreichend Wasser zu trinken und mehr Schritte zu gehen; parallel meldet ihr Auto, dass Sie Kraftstoffadditive in spätesten 500km tanken sollten und der Reifen hinten beifahrerseitig zu wenig Luftdruck hat. Wozu diese Datenflut? Wozu die Transparenz? Zugegeben sind sicherlich viele Informationen/ Funktionen Spielerei oder lediglich ‚Nice-to-know‘. Dennoch findet dieser Geschäftszweig reichlich Zustimmung und Absatz, aus zwei einfachen Gründen: - Die Einen möchten sich besser fühlen, quasi das Gefühl von Sicherheit Bescheid zu wissen über Körper und Fahrzeug. => Status/ Condition - Die Anderen nutzen diese Informationen proaktiv, um sich ausreichend zu bewegen, sich gesünder zu ernähren oder um durch Wartung und Inspektion am Fahrzeug das Maximum Ihrer Investition auszureizen und zuverlässig lange Strecken zurücklegen zu können. => Schadensprävention Man berücksichtige hier, dass die Melde-/ Alarmschwelle in beiden Fällen nicht der Schaden ist, sondern sich nach der Prävention richtet, um durch kleine regelmäßige Maßnahmen, gravierende Schäden zu vermeiden. Ein Bordcomputer für Ihre Brücke kann bedeuten: - Schadensfrüherkennung - Schadensprävention - Inspektionsintervalle nach Bedarf (tatsächliche Zyklen) - Erinnerung an ausstehende Wartungen - Digitales Wartungsbuch - Reduzierung des personellen Aufwands über Fernzugriff - Effektivere Budgets Abbildung. 18: typische Meldesymbole KFZ als Analogie Wann schenken Sie Ihrer Brücke eine Smartwatch? 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 187 ZfPBau 4.0 - Herausforderungen an die ZfP im Bauwesen im Rahmen der Digitalisierung Ernst Niederleithinger Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin, Deutschland Johannes Vrana Vrana GmbH, Rimsting, Deutschland Zusammenfassung Die ZfP ist im Bauwesen bisher deutlich weniger reguliert (und auch akzeptiert) als in anderen Industriebereichen. Zum Beispiel gibt für die meisten Prüfverfahren weder Normen noch ein allgemein akzeptiertes Ausbildungs- und Zertifizierungssystem. Dies hat auch Konsequenzen für die Digitalisierung. Im Gegensatz dazu wird im Bauwesen derzeit für viele Bereiche verbindlich ein neues Verfahren zur Unterstützung von Design, Planung, Herstellung und Betrieb eingeführt: BIM (Building Information Modeling). Der Vortrag beleuchtet das Spannungsfeld zwischen dem geringen Organisations- und Standardisierungsgrad und den neuen digitalen Möglichkeiten und stellt den neuen Arbeitskreis zur ZfP 4.0 im Bauwesen vor. Er beleuchtet auch, in welchen Bereichen die ZfP im Bauwesen von Entwicklungen aus „Industrie 4.0“ und der zerstörungsfreien Prüfung in anderen Anwendungsbereichen profitieren kann z. B. bei Datenformaten, Datenarchivierung und Schnittstellen. 1. Einleitung Das Konzept „Industrie 4.0“ oder „Smart Production“ ist in der Bauindustrie noch nicht sehr weit fortgeschritten [3]. Die Prozesse des Entwerfens, Bauens und Betreibens werden immer noch weitgehend durch den Austausch von gedruckten Dokumenten und Zeichnungen dominiert. Die meisten Objekte (Gebäude und andere Konstruktionen) sind Unikate, und ein großer Teil der Produktion erfordert immer noch einen hohen Anteil an Handarbeit. Die As-Built-Dokumentation und die Qualitätssicherung werden oft vernachlässigt. In den meisten Fällen ist der Hersteller nicht Teil des gesamten Lebenszyklus. Dies wird sich jedoch ändern. In den letzten zehn Jahren haben mehrere Treiber die derzeitige Arbeitsweise von Auftraggebern, Auftragnehmern und Behörden in Frage gestellt. Zu diesen Faktoren gehören unter anderem - Die steigenden Kosten und die begrenzte Verfügbarkeit von Handarbeit - Die große Anzahl von Akteuren in einem Projekt mit verteilten Rollen bei der Planung, dem Bau und dem Betrieb verschiedener Teile des Bauwerks und die Notwendigkeit zur Kommunikation und Kooperation - Die steigende Nachfrage nach Serialisierung und Automatisierung - Die verpflichtende Einführung von „Building Information Modeling“ zumindest bei größeren öffentlichen Bauprojekten - Verfügbarkeit von Baugeräten mit Sensoren und digitalen Schnittstellen - Aufkommende automatisierte Bautechnologien wie z.B. 3D-Druck Die Inspektion von Bauwerken beschränkt sich bisher in den meisten Fällen auf eine visuelle Prüfung und einfache mechanische Tests (z. B. Klopfprobe). Vor allem ausgelöst den Zustand vieler Infrastrukturbauwerke (z. B. Brücken, Parkhäuser) hat die zerstörungsfreie Prüfung im Bauwesen (ZfPBau) immer mehr an Bedeutung gewonnen. Sie wird jedoch meist nur bei bekannten Problemen angewendet und leidet unter einem Mangel an Standardisierung und Integration in akzeptierte Bewertungsverfahren. 2. ZfP 4.0 In Bereichen der zerstörungsfreien Prüfung jenseits des Bauwesens hat man sich inzwischen der Digitalisierung und der damit verbundenen Herausforderungen angenommen. Das Konzept ZfP 4.0, das eine gleichberechtigte Integration von zerstörungsfreier Prüfung gemeinsam mit weiterer Sensorik (SHM, Structural Health Monitoring), wird aktuell z. B. im DGZfP-Ausschuss „ZfP 4.0“ und weiteren, auch internationalen Arbeitskreisen definiert und beschrieben [1][2] [3]. ZfPBau 4.0 - Herausforderungen an die ZfP im Bauwesen im Rahmen der Digitalisierung 188 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 1: Einsatz von ZfP (NDE) und Sensorik in der industriellen Produktionskette. Johannes Vrana, aus [2]. Die Ansatzpunkte im Lebenszyklus eines Produktes sind in Abbildung 1 dargestellt. Hier ergeben sich erste Anknüpfungspunkte an das Bauwesen, da auch hier der Einsatz von ZfP im Wesentlichen zur Qualitätssicherung (Production Inspection) und zur Zustandserfassung (Service Inspection) erfolgt. Die Einbindung von ZfP und Sensorik kann in industriellen Umgebungen über das in vielen Bereichen in Einführung befindlichen „Industrial Internet of Things“ (IIoT) erfolgen (Abbildung 2). Dabei erfolgt eine Anbindung nicht nur direkt an das Produktionssystem, sondern über mehrere Schichten hinweg bis hin zum ERP-System (Enterprise Resource Planning), also der betriebswirtschaftlichen Steuerung. Alle Systeme können auch untereinander auf Informationen zugreifen Abbildung 2: Anbindung von ZfP (NDE), Sensorik und SHM über das Industrial Internet of Things (IIoT) in eine Industrie 4.0-Umgebung. Johannes Vrana, aus [2]. Um dies herstellerübergreifend realisieren zu können, sind für ZfP und Sensorik vereinheitlichte Datenformate und Schnittstellen erforderlich. Hierfür existieren auch im industriellen Bereich noch keine Standards. Eingeführte Formate sind für die in der ZfP teilweise sehr großen Datenmengen nicht geeignet. Der DGZfP Unterausschuss Schnittstellen hat in [4] eine Empfehlung ausgesprochen. Im überwiegenden Teil der Literatur Varianten des aus der Medizin abgeleiteten Datenformats DICONDE [5], das für verschieden Prüfverfahren bereits standardisiert ist, vorgeschlagen. In der ZfPBau findet es bisher aber keine Anwendung. Als Schnittstellen System bietet sich das in Industrie 4.0-Anwendungen bereits eingeführte System Open Platform Communications Unified Architecture (OPC UA) an [5]. 3. Building Information Modeling und die Einbindung von ZFP und Sensorik Das Bauwesen hat auf dem Weg zu einer Digitalisierung und gemeinsamen Datenverwaltung aller am Bauprozess und am Betrieb beteiligten einen anderen Weg als andere Industriezweige eingeschlagen. Kern ist die Einführung des „Building Information Modeling“ eine Methode, Entwurf, Bau und Betrieb eines Objekts nicht nur vollständig in den der räumlichen Koordinaten abzubilden, sondern auch Kosten, Zeit und ggf. andere Faktoren einzubeziehen, in Bezug zusetzen und zu visualisieren. Der gesamte Lebenszyklus des Objekts wird betrachtet und an vielen Stellen ist der Einsatz von Sensorik und ZfP sinnvoll - wenn nicht gar unerlässlich. Abbildung 3: Schematische Darstellung des Building Information Modeling (BIM) mit Ansatzpunkten für Sensorik und ZfP (Sterne). © Ernst Niederleithinger, aus [6]. Bislang gibt es keine allgemein akzeptierte oder gar standardisierte Methode, um ZfPBau-Ergebnisse in den BIM-Prozess und/ oder die BIM-Software einzubinden. Zu den Hindernissen gehören u. a., dass 1) bei der Mehrheit der BIM-basierten Bauprojekte die neue Methode nur in der Entwurfs- und Bauphase verwendet wird (wobei die ZfP nicht regelmäßig angewendet wird) und 2) die meisten BIM- und ZfP-Softwareprodukte ZfPBau 4.0 - Herausforderungen an die ZfP im Bauwesen im Rahmen der Digitalisierung 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 189 proprietäre Dateiformate und undokumentierte Schnittstellen verwenden. Das erste Hindernis liegt außerhalb des Rahmens dieses Artikels. Letzteres könnte durch den Einsatz offener Software mit dokumentierten Dateiformaten und Schnittstellen vermieden werden. Eine wichtige Initiative in diesem Bereich ist buildingSMART, eine globale Gemeinschaft von Komitees, Mitgliedern, Partnern und Sponsoren aus wichtigen europäischen Ländern einschließlich Russland sowie den USA, China und Kanada. Sie setzt sich für die Schaffung und Entwicklung offener digitaler Arbeitsweisen für die gebaute Umwelt ein. buildingSMART- Standards helfen Anlagenbesitzern und der gesamten Lieferkette, über den gesamten Projekt- und Anlagenlebenszyklus hinweg effizienter und kooperativer zu arbeiten [7]. buildingSMART ist eine offene, neutrale und internationale Non-Profit-Organisation, die Standards bereitstellt und pflegt und der openBIM-Initiative eine Heimat bietet. Eine der wesentlichen Aufgaben von buildingSMART ist die Pflege und Erweiterung von offenen Schnittstellen von BIM.-Systemen zum Datenaustausch, den sogenannten Industry Foundation Classes (IFC). Hierüber wird Information aus der BIM-Software für andere Programme zugänglich gemacht, beispielsweise zur Tragwerksplanung, der Baustellenplanung oder dem Facility Management (Abbildung 4). Abbildung 4: Industry Foundation Classes (IFC) als Schnittstellen zwischen BIM und anderen Anwendungen und Prozessen. IFC-Logo (c) buildingSmart. Zeichnung : Ernst Niederleithinger. Eine solche standardisierte Schnittstelle für ZfP und Sensordaten gibt es bisher aber nicht, weder für Rohdaten/ Metadaten noch für interpretierte Ergebnisse, die in der BIM Software abzulegen und zu visualisieren wären oder direkt z. B. bei der Tragwerksplanung bei einem Umbau einzusetzen wären. Für Sensordaten aus SHM-Systemen wurden allerdings schon erste Ansätze publiziert, z. B. aus den Forschungsprojekte SMART- BRIDGE [8] und DiMarB [9]. Für die ZfPBau fehlt noch ein Ansatz. 4. Aufgaben auf dem Weg zu ZfPBau 4.0 Die Notwendigkeit einer Standardisierung für die Verwendung, den Austausch und die Speicherung von Daten wurde in den vorherigen Abschnitten erwähnt. Eine Standardisierung der ZfP- und SHM-Methoden wäre jedoch ebenfalls von Vorteil, auch wenn eine gewisse Flexibilität bei vielen Parametern aufgrund der Einzigartigkeit der meisten Konstruktionen und ihres Zustands erforderlich ist. Derzeit ist nur eine Minderheit von Methoden genormt, meist ältere, einfache Methoden (z. B. in Europa die Rückprallhammermethode (DIN EN 12504-2: 2012- 12) und die Ultraschall-Pulsgeschwindigkeit (DIN EN 12504-4: 2019-10). Verschiedene Verbände haben Empfehlungen herausgegeben, darunter der Deutsche Betonverein (DBV), die Deutsche Gesellschaft für zerstörungsfreie Prüfung (DGZfP), das amerikanische Betoninstitut (ACI), Cofrend (französische Gesellschaft für ZfP) sowie Verbände aus Großbritannien, Japan und China. Alle diese Empfehlungen sind nicht verbindlich, aber hilfreich bei der Methodenauswahl und Qualitätssicherung. Um die Anzahl und die Qualität der praktischen Anwendungen zu erhöhen, müssten nicht nur die Methoden standardisiert werden, sondern auch die Ausbildung und Zertifizierung des Prüfpersonals sowie das Management und die Prüfverfahren. Verschiedene Initiativen sind derzeit auf dem Weg, z. B. bei Cofrend oder der American Society of Non-Destructive Testing (ASNT). Eine Arbeitsgruppe der DGZFP hat kürzlich einen Normentwurf für Ausbildung und Zertifizierung vorgelegt, der sich von den für andere Bereiche der ZfP verfügbaren Normen unterscheidet (z.B. zwei statt drei Zertifizierungsstufen). Die Arte und Weise, in der wir zukünftig mit ZfP-Daten umgehen wird von zwei Welten beeinflusst sein. Die Datenerfassung, -verwaltung, -auswertung und dokumentation in der ZfPBau wird sich am Vorbild der ZfP 4.0 und anderen neuen Trends des Forschungsdatenmanagements orientieren. Ein Beispiel hierfür wird im mFund- Projekt Caspar (Braml et al., gleiche Veranstaltung) entwickelt. Passend definierte Varianten des DICONDE- Formats sind zur Datenübergabe geeignet. Die Ablage von Bauwerksdaten dagegen wird in BIM-Systemen erfolgen, inklusive der Anbindung von Bauwerksmanagementsystemen und der Analyse der Bauwerkssicherheit. Der Datenaustausch hier erfolgt über IFC. Dieser weg ist auch für die Übermittlung von Informationen zwischen der BIM- und der ZfP-Welt geeignet - die entsprechenden Klassen müssen aber noch entwickelt werden. Es ist zu erwarten, dass Rohdaten und prozessierte Daten in der ZfP-Welt verbleiben und nur Geometriedaten und Prüfergebnisse (z. B. Materialparameter) samt ihren Unsicherheiten übergeben werden. Ein vereinfachtes Schema zeigt Abbildung 5. Die vorangegangenen Abschnitte haben gezeigt, dass aufgrund der aktuellen Veränderungen in der Bauindustrie ein enormes Potenzial für die ZfP-CE vorhanden ist. ZfPBau 4.0 - Herausforderungen an die ZfP im Bauwesen im Rahmen der Digitalisierung 190 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Auf dem Weg zu einer digitalisierten und digitalisierten Arbeitsweise, einschließlich einer Verlagerung von traditionellen Planungsmethoden hin zu Building Information Modeling, kann NDT-CE hilfreich sein, indem es Qualitätssicherungsdaten während und direkt nach dem Bau, Zustandsdaten während des Betriebs und fehlende Informationen über ältere Konstruktionen vor der Sanierung oder dem Abriss liefert. Um erfolgreich zu sein, müssen NDT-CE-Methoden jedoch in die Datenstrukturen integriert werden, die von Designern, Planern, Bauherren, Eigentümern und Nutzern verwendet werden: Sie müssen auch digital werden. Formate, Schnittstellen und zuverlässige, vertrauenswürdige Speicherorte für ZfP- CE-Daten sind dringend erforderlich. Ein Arbeitskreis in der DGZfP („AK ZfPBau 4.0“) hat begonnen, an diesen Themen zu arbeiten, muss aber noch mehr Schwung bekommen. Wir sind noch nicht am Ziel. Die Reise in Richtung ZfPBau 4.0 hat gerade erst begonnen. Literatur [1] Vrana, Johannes: Die vierte Revolution der zerstörungsfreien Prüfung: Schnittstellen, Vernetzung, Feedback, neue Märkte und Einbindung in die Digitale Fabrik. ZfP-Zeitung, 165 (Juli 2019), 51-59. [2] Vrana, Johannes: The Core of the Fourth Revolutions: Industrial Internet of Things, Digital Twin, and Cyber-Physical Loops. J Nondestruct Eval, im Review. Abbildung 5: Vereinfachtes Datenschema für ZfPBau 4.0 [3] Meyendorf et al. (Hrsg.): Handbook of Nondestructive Evaluation 4.0. Springer, im Review. [4] Vrana, Johannes: Erste Empfehlungen für Datenformate und Schnittstellen. ZfP-Zeitung, 170 (Juli 2020), 11-12. [5] ASTM: “Standard Practice for Digital Imaging and Communication in Nondestructive Evaluation (DICONDE)”, ASTM E2339 (2015), “Ultrasonic Test Methods” ASTM E2663 (2018), “Digital Radiographic (DR) Test Methods”, ASTM E2699 (2018), “Computed Radiography (CR) Test Methods”, ASTM E2767 (2018), “X-ray Computed Tomography (CT) Test Methods”, ASTM E2767 (2018), “Eddy Current (EC) Test Methods”, ASTM E2934(2018). [6] [OPC Foundation: „OPC Unified Architecture - Interoperabilität für Industrie 4.0 und das Internet der Dinge“, OPC Foundation, Verl (2018). [7] Niederleithinger: NDE 4.0 in civil engineering. In Meyendorff et al. (Hrsg.): Handbook of Nondestructive Evaluation 4.0. Springer, im Review. [8] BuildingSMART international, https: / / www.buildingsmart.org, downloaded 27.12.2020. [9] Grabe, Matthias, Christof Ullerich, Marc Wenner, und Martin Herbrand. „smartBridge Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings“. Bautechnik 97, Nr. 2 (Februar 2020): 118- 25. https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.201900108. [10] Hartung, Robert, Hubert Naraniecki, Katharina Klemt-Albert, und Steffen Marx. „Konzept zur BIM-basierten Instandhaltung von Ingenieurbauwerken mit Monitoringsystemen“. Bautechnik 97, Nr. 12 (Dezember 2020): 826-35. https: / / doi. org/ 10.1002/ bate.202000095. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 191 Kooperative Systeme in Straßentunneln - Potentiale aus der Nutzung der C2X-Kommunikation für die Tunnelüberwachung Dr.-Ing. Georg Mayer Geschäftsführender Gesellschafter und Zweigniederlassungsleiter, BUNG Ingenieure AG, Zweigniederlassung Stuttgart, König-Karl-Straße 43, 70372 Stuttgart, Deutschland Regierungsrätin Dipl. Wirt.-Ing. Anne Lehan Referat B3 Tunnel- und Grundbau, Tunnelbetrieb, Zivile Sicherheit, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Brüderstraße 53, 51427 Bergisch Gladbach, Deutschland Zusammenfassung Unser Verkehrssystem wird in Zukunft zunehmend aus vernetzten, intelligenten und automatisierten Fahrzeugen bestehen. Sie werden Teil eines intelligenten Gesamtsystems sein, das durch eine nahtlose Interaktion von Fahrzeugen und Infrastruktur gekennzeichnet ist. Grundlage hierfür bildet die C2X-Kommunikation, welche einen Informationsaustausch zwischen einzelnen Fahrzeugen (Car to Car bzw. C2C) sowie zwischen Fahrzeugen und Infrastrukturen (Car to Infrastructure bzw. C2I) ermöglicht. Die hierzu erforderlichen Spezifikationen zu einzelnen Funktionen, Funkschnittstellen, Kommunikationsprotokollen, IT-Sicherheitslösungen sowie der fahrzeugseitigen und infrastrukturseitigen Kommunikationseinheiten wurden im Rahmen des Forschungsprojektes SIM-TD 1 erarbeitet. Erste Streckenabschnitte im Freien sind mit sogenannten Road-Side-Units (RSU 2 ) ausgestattet, die eine Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur (C2I) ermöglichen. Des Weiteren statten inzwischen immer mehr Fahrzeughersteller ihre Fahrzeuge bereits serienmäßig mit entsprechenden Übertragungseinrichtungen (CCU 3 ) aus, um Daten und Meldungen zwischen einzelnen Fahrzeugen (C2C) sowie zwischen Fahrzeugen und Infrastrukturen (C2I) direkt auszutauschen. Straßentunnel wurden bisher jedoch noch nicht mit entsprechenden Kommunikationsmöglichkeiten ausgestattet. Durch die Verwendung von fahrzeuggenerierten Daten und Meldungen in der Überwachung von Tunnelanlagen sowie durch die Möglichkeiten einer direkten Verkehrsbeeinflussung, aber auch durch innovative Verfahren der Datenanalyse und Bewertung ergeben sich völlig neue Perspektiven zur Verbesserung der Sicherheit in Straßentunneln. Im Zuge dieses Beitrages wird aufgezeigt, welche Potentiale sich aus der Nutzung der C2X-Technologie in Straßentunneln ergeben, welche technischen Voraussetzungen erforderlich sind und wie der aktuelle Stand der Forschung hierzu ist. 1. Einführung Der sichere Betrieb von Straßentunneln erfordert umfassende und detaillierte Informationen über die Vorgänge im Verkehrsraum, um im Gefahrenfall schnell und angemessen reagieren zu können. Bisher erfolgt die Bereitstellung der Informationen ausschließlich über infrastrukturseitig installierte Sensoren. Abhängig von der geforderten technischen Ausstattung eines Tunnels werden Sensoren zur Erfassung der Luftqualität, Leuchtdichte, Fahrbahnzuständen, Verkehrsdaten und Verkehrszuständen, Brandereignissen etc. erforderlich. Diese sind überwiegend über die Automatisierungsebene an die Anlagenleitebene (Betriebszentrale) bzw. die übergeordnete Leitebene einer 24 h besetzten Stelle (Tunnelleitzentrale) angebunden und ermöglichen so Rückschlüsse auf Unregelmäßigkeiten im Verkehrsraum. Ereignisse, die ein Eingreifen durch die Leittechnik bzw. durch Operatoren erfordern, sind beispielsweise: stockender Verkehr, Stau, Langsamfahrer, Liegenbleiber, Pannenbuchtbelegung, Seitenstreifennutzung, Falschfahrer, Gegenstände auf der Fahrbahn, Personen auf der Fahrbahn, glatte Fahrbahn, Unfall, Fahrzeugbrand, Gefahrgutfreisetzung, Grenzwertüberschreitungen (Sicht, CO, NOx) etc. Vielfach werden die Informationen lediglich punktuell erfasst und erlauben nur indirekt Rückschlüsse auf ein auslösendes Ereignis. Unfälle lassen sich beispielsweise über einen Rückstau erkennen, Brände über einen Temperaturanstieg oder die Detektion von Rauch. 1 SIM-TD: Sichere Intelligente Mobilität - Testfeld Deutschland (BMWi, BMBF, BMVBS 2008-2013) 2 RSU: Roadside Unit zur Kommunikation über W-LAN und LAN/ WAN 3 CCU: Communication Control Unit zur Kommunikation über Mobilfunk und W-LAN Kooperative Systeme in Straßentunneln - Potentiale aus der Nutzung der C2X-Kommunikation für die Tunnelüberwachung 192 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Durch den Einsatz von Systemen mit automatischer Bildauswertung (Videodetektionssystemen) können bei entsprechender Anordnung der Kameras zur lückenlosen Überwachung des Verkehrsraums und der Verwendung von entsprechenden Bildanalysetools ggf. schneller detailliertere Informationen über die Situation innerhalb eines Tunnels bereitgestellt werden. Ergänzend wird in österreichischen Tunneln seit 2016 ein Akustisches Tunnel Monitoring System (AKUT) eingesetzt, das über eine Geräuschanalyse auf Unfallereignisse schließt. Erfahrungen zeigen, dass dadurch eine signifikante Verbesserung in der Erkennung von Unfallereignissen erzielt werden kann. Um überhitzte Fahrzeuge bereits vor der Einfahrt in einen Tunnel erkennen und anhalten zu können, werden verschiedentlich Thermoscanner eingesetzt, die über eine Kombination aus Laserscanner und Wärmebildkamera (Infrarotkamera) Fahrzeuge auf Temperaturanomalien analysieren. Derzeit befindet sich ein derartiges System im Zuge der Sanierung des Engelbergtunnels (A81, bei Stuttgart) im Einsatz, um Gefahrguttransporte auf ihre Durchfahrtstauglichkeit zu überprüfen. Zur Erkennung von Gefahrguttransporten und den von ihnen transportierten Gütern wurden im Rahmen des Verbundforschungsprojekts SKRIBT/ SKRIBT+ 4 Verfahren entwickelt, die über stationäre Kameras Gefahrguttafeln an vorbeifahrenden Fahrzeugen erfassen und auslesen. Aufgrund ihrer physikalischen Messprinzipien weisen sämtliche Sensoren unterschiedliche Vor- und Nachteile auf, die zu Problemen wie Nicht-Detektion von Ereignissen, lange Detektionszeiten und/ oder Fehlalarmen führen. Zur Behebung dieser Probleme wurde im Rahmen des Projektes TSFu 5 ein Verfahren entwickelt und umgesetzt, das durch die intelligente Fusion ausgewählter Sensoren die Zuverlässigkeit und Schnelligkeit in der Detektion erhöht. Das grundsätzliche Problem, dass durch infrastrukturseitig vorgehaltene Detektionssysteme lediglich die Auswirkungen/ Folgen, jedoch nicht die Ursache eines Ereignisses erfasst werden können, bleibt dadurch aber bestehen. In modernen Fahrzeugen wird eine Reihe der zur Überwachung eines Tunnels erforderlichen Daten bereits über fahrzeugeigene Sensoren kontinuierlich erfasst und über die bordeigenen Systeme ausgewertet. So werden beispielsweise Informationen über die momentane Fahrzeugposition, die Fahrgeschwindigkeit, die Fahrtrichtung, Spurwechselvorgänge, Abstände zum vorausfahrenden Fahrzeug, die Längs- und Querbeschleunigung, den Fahrbahnzustand (trocken, nass, glatt), die Außentemperatur, die Beleuchtungsverhältnisse, den Zustand des Airbags etc. gesammelt und verarbeitet. Bei Auslösen eines Airbags kann beispielsweise direkt und ohne Zeitverzug auf einen Unfall geschlossen werden. Ein Liegenbleiber lässt sich über die Fahrgeschwindigkeit und das Aktivieren der Warnblinkanlage identifizieren. Die Nutzung einer Pannenbucht oder eines Seitenstreifens kann über die Geschwindigkeit und Spurinformation erfolgen. Ein Fahrzeugbrand kann z.B. über die Temperatur im Motorraum oder im Innern des Fahrzeugs erkannt werden. Mit Hilfe neuer Kommunikationstechnologien wird es möglich, Daten und Meldungen zwischen einzelnen Fahrzeugen (Car to Car bzw. C2C) sowie zwischen Fahrzeugen und Infrastrukturen (Car to Infrastructure bzw. C2I) direkt auszutauschen. Die Kommunikation zwischen den Fahrzeugen und der Straßeninfrastruktur (wie z.B. Betriebszentralen, Tunnelleitzentralen, Verkehrsrechnerzentralen usw.) erfolgt über sogenannte Road Side Units (RSU). Diese bilden die Schnittstelle zwischen der luft und der kabelgebundenen Übertragung. Wesentliche Grundlagen zur Kommunikation zwischen einzelnen Fahrzeugen (C2C) sowie zwischen Fahrzeugen und Infrastrukturen (C2I) wurden im Rahmen des Forschungsprojektes SIM-TD erarbeitet. Ziel des Forschungsprojektes war es, eine Standardisierung der C2X-Technologie zu erreichen. Im Verbund aus Automobilherstellern und -zulieferern, Forschungsinstitutionen sowie Planern von verkehrstechnischen Einrichtungen erfolgte die Spezifikation von: • Car2X-Funktionen, • Funkschnittstellen (WLAN, Mobilfunk), • Kommunikationsprotokollen, • IT Sicherheitslösungen, • Fahrzeugseitige Subsystemen, - Kommunikationseinheit (Communication Unit (CCU), - Human Machine Interface (HMI), • Infrastrukturseitige Subsystemen - Road Side Units (RSU) - Verkehrszentrale. Die Umsetzung der in SIM-TD entwickelten Systemarchitektur wurde mittels eines groß angelegten Feldversuchs im Raum Frankfurt erprobt. Das Testfeld umfasste unter anderem die BAB A5 zwischen der Tank- und Rastanlage Wetterau und dem Westkreuz Frankfurt a.M. sowie mehrere umschließende Verbindungen aus Landstraßen sowie der Bundesstraßen B 3 und B 455. Durch das Projekt Cooperative ITS Corridor (C-ITS) 6 findet die C2X-Technologie erstmals in einem größeren räumlichen Zusammenhang Anwendung. Die für Verkehr zuständigen Ministerien aus den Niederlanden, Österreich und Deutschland haben sich im Jahr 2013 darauf verständigt, im Korridor Rotterdam - Frankfurt/ Main - Wien kooperative Systeme aufzubauen. Der 4 SKRIBT / SKRIBT(+): Schutz kritischer Brücken und Tunnel im Zuge von Straßen (BMBF, 2009-2011 / 2012-2015) 5 TSFu: Tunnelsicherheit durch intelligente Sensor-Fusion (bmvit, FFG, ASFINAG, 2014-2015, Um-setzung im Pilotprojekt: ASFI- NAG, 2016-2017) 6 C-ITS: Cooperative Intelligent Transport Systems and Services Kooperative Systeme in Straßentunneln - Potentiale aus der Nutzung der C2X-Kommunikation für die Tunnelüberwachung 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 193 Fokus liegt hierbei auf der Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Infrastruktureinrichtungen. Die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Infrastrukturen erfolgt hierbei auf Basis des WLAN-Standards 802.11p. Ziel des Forschungsprojektes ist es, durch kooperative Systeme (C2I) die Verkehrssicherheit zu erhöhen sowie den Verkehrsfluss zu verbessern. Im Rahmen des Projekts wurde eine Systemarchitektur einschließlich Datenmodell und Schnittstellenanforderungen entwickelt, um vor Tagesbaustellen frühzeitig warnen zu können und durch die Nutzung von fahrzeugbasierten Daten in Verkehrsrechnerzentralen (VRZ) ein verbessertes Verkehrsmanagement zu ermöglichen. Durch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit soll ein europäischer Standard für die C2X-Kommunikation geschaffen werden, der offen für die Integration weiterer kooperativer Dienste ist und zur Harmonisierung der C2X-Technologie beiträgt. Die Betrachtung von Ereignissen in Straßentunneln war jedoch weder in SimTD noch in C-ITS Gegenstand der Entwicklungen. Mehrere Fahrzeughersteller gehen inzwischen dazu über, ihre Fahrzeuge mit entsprechenden Komponenten für die C2X-Kommunikation auszustatten. Volkswagen stattet seine Fahrzeuge seit 2019 mit entsprechenden C2X- Komponenten aus. Der VW Golf VIII wird damit als erstes Fahrzeug serienmäßig ausgeliefert. Die Kommunikation mit der Infrastruktur erfolgt hierbei über den WLAN 802.11p Standard. Vermutlich werden andere Fahrzeughersteller mit vergleichbaren Ausstattungen nachziehen. Da die C2X-Kommunikation auch als eine der Grundvoraussetzungen für das autonome Fahren gilt, wird dies ebenfalls zu einer weiteren Verbreitung der C2X-Technologie führen. 2. Fahrzeugseitige Subsysteme Im Fahrzeugrechner, der sog. Application Unit (AU), werden die Informationen aus den Fahrzeugsensoren bzw. die über eine Communication Unit (CCU) erhaltene Meldungen in Echtzeit analysiert und im Bedarfsfall Steuerbefehle an die Fahrzeugaktoren gesendet bzw. Meldungen an den Fahrzeugführer oder die Kommunikationseinheit übermittelt. Der Austausch der Informationen zwischen den einzelnen Steuergeräten und Detektoren/ Sensoren innerhalb eines Fahrzeugs erfolgt kabelgebunden über standardisierte Datenbussysteme wie z.B. Controller Area Network (CAN) und Flexray. Für die C2X-Kommunikation sind hierbei insbesondere die Communication Unit (CCU) sowie ein Human Machine Interface (HMI) essentiell. 2.1 Kommunikationseinheit (Communication Unit (CCU)) Die Communication Unit dient der funkgestützten Kommunikation eines Fahrzeugs mit seiner Umgebung. Sie verarbeitet über Mobilfunk oder WLAN eingehende Informationen und übernimmt das Lesen und Aufbereiten der Fahrzeugdaten zur Kommunikation nach außen. Hierzu greift die CCU lesend auf den Fahrzeugdatenbus zu, um beispielsweise den Zustand der Blinker, des Regensensors oder der Nebelscheinwerfer zu erhalten. Die hierzu erforderliche Elektronik kann typischerweise in einer Box mit Abmessungen im Format einer Vesperdose untergebracht werden. Ein Beispiel einer Kommunikationseinheit zeigt nachfolgende Abbildung 1. 2.2 Human Machine Interface (HMI) Die Kommunikation mit dem Fahrer erfordert ein Human Machine Interface (HMI), das Meldungen und Informationen optisch und auch akustisch übermitteln kann. Mögliche Warnmeldungen sind beispielsweise: Abbildung 1: Beispiel einer Communication Unit (CCU) / Kommunikationseinheit (Quelle: ADAC) • Stauende in x m • Stehendes Fahrzeug voraus • Pannenfahrzeug voraus • Einsatzfahrzeug von rechts, von links, von hinten • Notbremsung eines vorausfahrenden Fahrzeugs • Baustellen (Kommunikation über Warnanhänger) Ein Beispiel für ein in das Armaturenbrett integriertes Anzeigensystem zeigt nachfolgende Abbildung 2. Abbildung 2: Human Machine Interface (HMI) / Mensch-Maschine-Schnittstelle (Quelle: ADAC) Kooperative Systeme in Straßentunneln - Potentiale aus der Nutzung der C2X-Kommunikation für die Tunnelüberwachung 194 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 3. Infrastrukturseitige Subsysteme Infrastrukturseitig werden Einrichtungen zum Senden und Empfangen von Daten und Informationen an bzw. von den Fahrzeugen sowie zur Überwachung und Lagebeurteilung benötigt. Der Daten- und Informationsaus-tausch zwischen Infrastruktur und Fahrzeugen kann über Mobilfunk oder spezielle Sende- und Empfangseinrichtungen, den sog. Road Side Units (RSU), erfolgen. Im Folgenden wird auf die Übertragung mittels RSU näher eingegangen. Infrastrukturseitig werden die RSU über kabelgebundene Netze an die Verkehrsrechnerzentralen bzw. Tunnelleitzentralen angebunden. 3.1 Road Side Units (RSU) Infrastrukturseitig bilden die RSU das zentrale Element zur drahtlosen Kommunikation mit den Fahrzeugen. Sie können am Straßenrand auf Masten und an Wänden oder quer zur Straße oberhalb von Fahrbahnen an Schilderbrücken, Straßenbrücken, Tunneldecken etc. platziert werden. Sie dienen der Erfassung und Bereitstellung von Daten und Informationen von bzw. an Fahrzeuge und sind das Bindeglied zwischen den Verkehrsteilnehmern und den ortsgebundenen C2X-Teilnehmern (Infrastruktur, Verkehrszentralen, Tunnelleitzentralen usw.). Die RSU besteht analog zu der Kommunikationseinheit in den Fahrzeugen aus einer CCU (WLAN-Empfänger) und einer AU. Die Datenübertragung zwischen der RSU und den anderen ortsgebundenen Teilnehmern erfolgt über kabelgebundene Netzwerke (LAN, WAN) mit hoher Bandbreite, um den über die Fahrzeuge generierten Datenstrom möglichst ohne Zeitverzug weiterleiten zu können. Durch eine Glasfaseranbindung kann eine ausreichende Bandbreite bereitgestellt werden. Neben der Informationsweiterleitung findet innerhalb der RSU auch eine Vorverarbeitung der Daten statt. Die der RSU übertragenen Funktionsanteile sind hierbei lediglich durch die Hardwareressourcen (Speicher, CPU etc.) sowie der endlichen Daten-Bandbreite limitiert. Da die Kommunikation zwischen den Fahrzeugen und der RSU zeitlich sehr begrenzt ist, wirkt sich dies auch auf das übertragbare Datenvolumen limitierend aus. Für Parametrierungs und Wartungszwecke kann dabei vollständig von der Zentrale (Verkehrsrechnerzentrale / Tunnelleitzentrale) aus auf die RSU zugegriffen werden. Abbildung 3 zeigt beispielhaft die Ausführung und einer RSU und deren Anordnung oberhalb einer Fahrbahn. Abbildung 3: RSU (Quelle: Siemens) 3.2 Verkehrsrechnerzentrale / Tunnelleitzentrale Die über die RSU erfassten Daten und Informationen dienen in den Zentralen (Verkehrsrechnerzentrale/ Tunnelleitzentrale) als Grundlage für die Beurteilung der momentanen Lage. Die Daten werden dort zu einem Gesamtbild zusammengefügt und bilden die Basis für verschiedene Managementsysteme (z.B. Ereignismanagement, Strategiemanagement, Verkehrliches Störungsmanagement, Verkehrsinformationsmanagement, Baustellenmanagement etc.). Ziel ist es, dadurch ein hohes Maß an Verkehrssicherheit zu gewährleisten, den Verkehr flüssig zu halten, Verkehrsteilnehmer über Ereignisse zu informieren und die hierfür notwendigen Maßnahmen einzuleiten. Die Information der Verkehrsteilnehmer kann dann von der Zentrale aus über die RSU direkt an die Fahrzeuge/ Verkehrsteilnehmer übermittelt werden. Im Gegensatz zur freien Strecke können im Ereignisfall in einem Tunnel (Brand, Gefahrgutfreisetzung) besondere Gefährdungen für die Verkehrsteilnehmer als auch das Bauwerk selbst entstehen. Zur Minimierung der Auswirkungen auf Nutzer und Bauwerk kommt der eindeutigen Identifikation sowie dem unmittelbaren Erkennen von gefährlichen Situationen eine besondere Bedeutung zu. Tunnel ab einer Länge von 400 m werden daher über eine 24 h besetzte Stelle überwacht. Dort laufen sämtliche Informationen über die aktuellen Verkehrs- und Betriebszustände zusammen und im Ereignisfall werden entsprechende Maßnahmen zum Schutz der Verkehrsteilnehmer und des Bauwerks eingeleitet sowie Einsatzdienste unterstützend koordiniert. Nachfolgende Abbildung 4 zeigt beispielhaft die geplante Ausführung der Tunnelleitzentrale Hamburg. Abbildung 4: Geplante Tunnelleitzentrale Hamburg (Quelle: PTV) 4. Funkschnittstellen (Mobilfunk, WLAN) Die Kommunikation zwischen den Fahrzeugen und den Zentralen kann sowohl über eine Mobilfunkanbindung als auch über eine WLAN-Anbindung erfolgen. Kooperative Systeme in Straßentunneln - Potentiale aus der Nutzung der C2X-Kommunikation für die Tunnelüberwachung 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 195 4.1 Mobilfunk Bei der Kommunikation über Mobilfunk, erfolgt die Übertragung über Sende- und Empfangseinrichtungen (Basisstationen) von Mobilfunkbetreibern mit entsprechenden Gebühren für den Netzzugang für den Endnutzer. Die über Mobilfunk erzielbaren Reichweiten und Datenübertragungsraten sind abhängig von der verwendeten Funkfrequenz. Mit niedrigeren Funkfrequenzen werden größere Reichweiten, jedoch geringere Datenübertragungsrate erzielt. Umgekehrt werden mit höheren Funkfrequenzen geringere Reichweiten, jedoch größere Datenübertragungsraten erreicht. Die Unterstützung des Mobilfunkstandards der 3. Generation (3G), Universal Mobile Telecommunications System (UMTS), wird von den Netzbetreibern im Jahr 2021 eingestellt. Weiter unterstützt wird der Mobilfunkstandard Long Term Evolution (LTE), der auch als 3.9G bezeichnet wird. Der LTE-Standard ermöglicht eine Datenrate von 0,3 Gbit/ s und eine Latenzzeit von 10 ms bis 40 ms. Weit verbreitet ist derzeit der Mobilfunkstandard der 4. Generation (4G), Long Term Evolution - Advanced (LTE-A oder LTE+). Dadurch werden Datenraten von bis zu 1 Gbit/ s und eine Latenzzeit von 10 ms erreicht. Einen groben Überblick über die mittels LTE erzielbaren Reichweiten und Datenübertragungsraten gibt nachfolgende Tabelle 1 in Abhängigkeit von der Frequenz. Frequenz Reichweite Datenübertragungsrate 800 MHz ≤ 10 km (max. 15 km) ≤ 75 Mbit/ s 1,8 GHz ≤ 4 km ≤ 150 Mbit/ s 2,1 GHz ≤ 3 km ≤ 150 Mbit/ s 2,6 GHz ≤ 2 km ≤ 150 Mbit/ s Tabelle 1: Kenngrößen zum Mobilfunkstandard der 4. Generation (4G) (Quelle: Telekom, Vodafone) Im Aufbau befindet sich derzeit der Mobilfunkstandard der 5. Generation (5G). Dieser Standard ermöglicht Datenraten von bis zu 10 Gbit/ s sowie Latenzzeiten von unter einer Millisekunde bis fünf Millisekunden. Aufgrund der kurzen Latenzzeiten wird mit 5G eine Echtzeitkommunikation möglich. Eine Zusammenstellung der Kenngrößen für den Mobilfunkstandard der 5. Generation enthält Tabelle 2. Frequenz Reichweite Datenübertragungsrate 700 MHz ≤ 10 km (max. 20 km) ≤ 200 Mbit/ s 2,0 GHz ≤ 3 km ≤ 500 Mbit/ s 3,6 GHz ≤ 1 km ≤ 1.000 Mbit/ s 26 GHz ≤ 0,3 km (≤ 1 km mit Beamforming) ≤ 10.000 Mbit/ s Tabelle 2: Kenngrößen zum Mobilfunkstandard der 5. Generation (5G) (Quelle: Telekom, Vodafone) 4.2 WLAN Grundlage für eine WLAN-Anbindung bilden die Spezifikationen in den IEEE 802.11 Normen zur Kommunikation in Funknetzwerken. Hierbei handelt es sich um einen bewährten und weitverbreiteten Radiowellen-Standard für die drahtlose Netzwerkkommunikation. Mit der Norm IEEE 802.11p wurden spezielle Festlegungen zur Anwendung in der Kommunikation zwischen einzelnen Fahrzeugen (C2C) und zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur (C2I) getroffen. Im Unterschied zu den anderen Elementen der 802.11 Normenfamilie werden anfänglicher Handshake und die Zeit für Assoziierungsprozesse auf ein Minimum beschränkt. Die Authentifizierungen, Verschlüsselungen sowie die komplette Identifizierung werden auf höhere Protokollebenen verschoben. Dadurch können essentielle Daten zwischen einzelnen Fahrzeugen sowie zwischen einem Fahrzeug und einer RSU sofort (≤ 1 ms) ausgetauscht werden. [9] Das in den USA zur Kommunikation von Fahrzeugen mit Teilnehmern in der näheren Umgebung entwickelte Dedicated Short-Range Communication (DSRC) baut auf dem IEEE 802.11p Standard auf. In Europa erfolgt diese Nahfeldkommunikation auf Basis des ITS-G5-Standards der ETSI 7 . Hierbei handelt es sich im Grunde um eine für den Europäischen Markt adaptierten Version des 802.11p Standards. Beide Standards (DSRC, ITS-G5) arbeiten in sehr ähnlichen Frequenzbereichen, die für eine ausschließliche Nutzung in kooperativen Systemen reserviert sind. Dadurch wird verhindert, dass Konflikte mit anderen WLAN-fähigen Geräten aus dem Consumer-Bereich wie z.B. Mobiltelefonen, Notebooks etc. entstehen. In den USA sind hierfür Frequenzen zwischen 5,850 und 5,925 GHz, in der EU Frequenzen zwischen 5,875 und 5,905 GHz freigegeben. DSRC und ITS-G5 ermöglichen eine sehr effektive Kommunikation zwischen sich schnell bewegenden Fahrzeugen. Es konnte gezeigt werden, dass damit auch bei Relativgeschwindigkeiten von 400 km/ h ein automatischer Austausch von Informationen zwischen Sender und Empfänger möglich ist. [7] Die 7 ETSI: European Telecommunications Standards Institute Kooperative Systeme in Straßentunneln - Potentiale aus der Nutzung der C2X-Kommunikation für die Tunnelüberwachung 196 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Reichweite beträgt im Freifeld mindestens 300 m, und die Daten können mit einer Rate von 3 bis 27 Mbit/ s zwischen den Teilnehmern übertragen werden. Ein wesentlicher Vorteil von WLAN gegenüber zellularen Funktechnologien, wie dem weitverbreiteten LTE, besteht darin, dass für den Nutzer keine Kosten für die Datenübertragung entstehen. Unter technischen Aspekten sind die geringeren Latenzzeiten, d.h. die Zeit um eine Verbindung zwischen Sender und Empfänger aufzubauen, von Vorteil. Nachteilig von WLAN ist, dass das Netzwerk lokal begrenzt ist und gegenüber dem WWAN (Wireless Wide Area Network) von Mobilfunkbetreibern über eine geringere Reichweite verfügt. Daher wird eine hohe Dichte an Sende- und Empfangseinheiten notwendig, um die gleiche Verfügbarkeit wie bei LTE herzustellen. Wird der Reichweitenabstand überschritten, können jedoch andere Fahrzeuge im so genannten Multihopping als Zwischenknoten zur Sicherstellung der Datenverbindung fungieren. Alternativ wird der Abstand der Roadside Units soweit verringert, dass diese direkt mit den CCU der Fahrzeuge Informationen im Singlehop-Verfahren austauschen können. [6] Mit Hilfe des Mobilfunkstandards der 5. Generation werden allerdings Latenzzeiten möglich, die denen von WLAN entsprechen. Gleichzeitig werden darüber deutlich höhere Datenübertragungsraten als mit WLAN erzielt. Unabhängig von der zugrundeliegenden Übertragungstechnik wird sich dadurch der grundsätzliche Aufbau von Kommunikationswegen jedoch nicht ändern. Die prinzipiellen Übertragungsmöglichkeiten sind in nachfolgender Abbildung 5 dargestellt. Abbildung 5: Übertragungsmöglichkeiten (Quelle: [8]) 5. Kommunikationsprotokolle Grundlage für die Beschreibung von Kommunikationsabläufen bilden die Festlegungen im OSI 8 -Schichtenmodell. Danach ähneln sich DSCR und C-ITS (ITS-G5) auf den unteren Ebenen des OSI-Modells, der Bitübertragungs- und Sicherungsebene, die den Zugang zu einer Kommunikation regeln. In den nachfolgenden höheren Netzwerk- und Transportebenen unterscheiden sie sich jedoch signifikant voneinander. Beide unterstützen TCP 9 / UDP 10 -over-IPv6 11 , nutzen aber für zeitsensitive Funktionen ihre eigenen, spezialisierten Datentransfer-Standards mit geringem Overhead. DSRC verwendet hierfür das WAVE 12 Short Message Protocol (WSMP), das Teil des IEEE 1609 ist. C-ITS nutzt hierfür die Protokolle GeoNetworking (GN) und Basic Transport Protocol (BTP), deren Spezifikation durch die ETSI in der Normenreihe EN 302 636 erfolgte [9]. Die Sitzungs- und Darstellungsschicht werden bei C- ITS zur Facility-Schicht zusammengefasst. Darin werden Nachrichten wie Cooperative Awareness Messages (CAM) und Decentralized Environmental Notification Messages (DENM) definiert. Eine zusammenfassende Gegenüberstellung der DSCR und ITS-G5 Protokollstacks im Vergleich zum ISO/ OSI- Modell enthält Tabelle 3. Nr. ISO/ OSI-Modell DSCR ITS-G5/ C-ITS 7 Anwendungsschicht (Application Layer) IEEE 1609.1 SAE J2735 Applications (Anwendungen) 6 Darstellungsschicht (Presentation Layer) Facilities (Anlagen) 5 Sitzungsschicht (Session Layer) 4 Transportschicht (Transport Layer) IEEE 1609.2 IEEE 1609.3 (WSMP) Networking & Transport 3 Vermittlungsschicht (Network Layer) 2 Sicherungsschicht (Data Link Layer) IEE 802.2 IEEE 1609.4 IEEE 802.11 Access (Zugang) 1 Bitübertragungsschicht (Physical Layer) IEEE 802.11p Tabelle 3: DSCR/ ITS-G5-Protokollstacks im Vergleich zum ISO/ OSI-Modell Im Folgenden erfolgt eine Beschreibung der im C-ITS definierten Protokollstapels. 8 OSI: Open Systems Interconnection 9 TCP: Transmission Control Protocol 10 UDP: User Datagram Protocol 11 IPv6: Internet Protocol Version 6 12 WAVE: Wireless Access for the Vehicular Environ-ment Kooperative Systeme in Straßentunneln - Potentiale aus der Nutzung der C2X-Kommunikation für die Tunnelüberwachung 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 197 5.1 Access Die Access-Schicht übernimmt die Aufgaben der Bitübertragungs- und Sicherungsschicht im ISO/ OSI-Modell. Grundlage bilden hierbei die im ITS-G5 Standard getroffenen Festlegungen zur drahtlosen Kommunikation. Danach erfolgt das Senden und Empfangen von Daten und Informationen über 2 Transceiver und 6 Übertragungskanäle. Der erste Transceiver bedient dabei einen Control Channel (Steuerkanal) zur Übermittlung von Nachrichten, welche die Verkehrssicherheit oder den Verkehrsfluss betreffen. Der zweite Transceiver versorgt 5 Service Channels, von denen zwei für Verkehrssicherheits- oder Verkehrsflussanwendungen und drei für Benutzeranwendungen zur Verfügung stehen. 5.2 Networking & Transport In der Schicht Networking & Transport erfolgt die Festlegung der Standards, die der Vermittlungs- und Transportschicht des ISO/ OSI-Modells entsprechen. Neben dem Einsatz von Standard-Netzwerkprotokollen, wie das Transmission Control Protocol (TCP), das User Datagram Protocol (UDP) und das Internet Protocol (IP) sieht diese Schicht auch die Verwendung der speziell für die Anwendung in mobilen Ad-hoc-Netzen entwickelten Protokolle GeoNetworking (GN) und Basic Transport Protocol (BTP) vor, in denen die Fahrzeuge die Netzknoten bilden. Die Protokolle können, wie folgt, den Schichten im OSI-Modell zugeordnet werden. Transportschicht • Basic Transport Protocol (BTP) • Transmission Control Protocol (TCP) • User Datagram Protocol (UDP) Vermittlungsschicht • GeoNetworking (GN) • Internet Protocol (IPv4, IPv6) 5.2.1 GeoNetworking Mit Hilfe des GeoNetworking Protokolls lassen sich Nachrichten geographisch adressieren und weiterleiten. Dadurch können die Informationen innerhalb eines geographisch beschränkten Bereichs gesendet werden. Die Netzwerkarchitektur spielt hierbei keine Rolle, so dass der Informationsaustausch sowohl innerhalb eines infrastrukturlosen Netzwerks als auch innerhalb eines infrastrukturbasierten Netzwerks bzw. auch in einem gemischten Netzwerk erfolgen kann. [3] 5.2.2 Basic Transport Protocol (BTP) Das Basic Transport Protocol ermöglicht innerhalb eines mobilen Ad-hoc-Netzes eine verbindungslose End-to- End-Kommunikation. Hierzu werden Nachrichten aus der Facility-Schicht (CAM, DENM) von dem Basic Transport Protocol mittels Multiplexing so aufbereitet, dass diese über GeoNetworking übertragen werden und am Ziel durch De-Multiplexing weiterverarbeitet werden können. Die Pakete des Basic Transport Protocols setzen sich aus folgenden Elementen zusammen: • MAC 13 Header • GeoNetworking Header • GeoNetworking Security Header (optional) • BTP Header • Payload (z.B. CAM, DENM) Der MAC Header ist die erste Unterebene der Sicherungsschicht im OSI-Modell. Darüber wird das Zugriffsverfahren, hier ITS-G5, definiert. Auf den MAC Header folgen die Header für das GeoNetworking. Über den BTP Header (BTP-Protokoll) wird der Umgang mit den Daten (Datenhandling) zwischen der Facility-Ebene und dem GeoNetworking bestimmt. Er beinhaltet den entsprechenden Quell- und Zielport (Source- und Destinationport) und ist lediglich 4 Byte groß. Auf den BTP Header folgen dann die eigentlichen Nutzdaten (Payload) aus CAM und DENM. [2] 5.3 Facilities (Anlagen) Die Facility-Schicht ist zwischen der Anwendungs- und Transportschicht im OSI-Modell einzuordnen. Darüber werden die Formate zur Übermittlung von Nachrichten wie Cooperative Awareness Messages (CAM) und Decentralized Environmental Notification Messages (DENM) festgelegt. 5.3.1 Cooperative Awareness Message (CAM) Die Cooperative Awareness Messages werden innerhalb des mobilen Ad-hoc-Netzes von den darin eingebundenen Fahrzeugen gesendet. Sie enthalten Information über die Position und Status des sendenden Fahrzeugs. Die von einem Fahrzeug ausgesendete CAM wird von den sich in Reichweite befindlichen Stationen (Fahrzeuge, RSU) empfangen. Eine eingehende CAM wird jedoch nicht an weitere Teilnehmer weitergeleitet. Die Informationen werden somit nur direkt zwischen den Teilnehmern in Reichweite ausgetauscht (single hop distance). Jeder Empfänger entscheidet dabei für sich über die Relevanz der Informationen und den daraus ableitbaren Reaktionen. Eine detaillierte Beschreibung zum Aufbau und Inhalt einer CAM enthält ETSI TS 102 637-2. [4] Eine vereinfachte Darstellung über die CAM-Struktur mit den dazugehörigen Daten zeigt die nachfolgende Abbildung 6. [10] 13 MAC: Media Access Control Kooperative Systeme in Straßentunneln - Potentiale aus der Nutzung der C2X-Kommunikation für die Tunnelüberwachung 198 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Die CAM Protocol Data Unit (PDU) beinhaltet die Objekte PDU Header und CAM. In dem PDU Header sind die Grundinformationen zur CAM, wie die Protokollversion, Message-ID und die Generation Time enthalten. Das Objekt CAM enthält die ID der an der Kommunikation teilnehmenden Station sowie die Objekte Station Characteristics, CAM Parameters und Reference Position. Abbildung 6: CAM Struktur (Quelle: [10]) Die Station Characteristics geben beispielsweise Auskunft darüber, ob es sich um eine mobile oder ortsfeste Station handelt. Über das Objekt CAM Parameters werden spezifische Informationen zu den Fahrzeugen bereitgestellt, wie z.B. Fahrzeugtyp, Fahrgeschwindigkeit etc. Das Objekt Reference Position enthält Angaben zur Position, wie Längengrad, Breitengrad und Fahrtrichtung. [10] 5.3.2 Decentralized Environmental Notification Message (DENM) Die Decentralized Environmental Notification Messages dienen der Benachrichtigung von Verkehrsteilnehmern. Das Absetzen einer Nachricht erfolgt hierbei ereignisbasiert, d.h. sie werden nicht permanent, sondern nur im Ereignisfall übermittelt. Im Gegensatz zu den CAM werden DENM nicht nur von den Fahrzeugen, sondern auch von stationären ITS Stationen, wie beispielsweise den RSU, gesendet. Der Aufbau und Inhalt einer DENM wird detailliert in ETSI TS 102 637-3 [5] beschrieben. Einen Überblick über die grundsätzlichen Struktur einer DENM sowie der dazugehörigen Daten zeigt nachfolgende Abbildung 7. Abbildung 7: DENM-Struktur (Quelle: [10]) Die DENM Protocol Data Unit (PDU) besteht aus den Objekten PDU Header und DENM. Der DENM Header entspricht hierbei dem CAM Header. Das DENM-Objekt beinhaltet die Container Management, Situation und Location. In dem Management Container sind die ID der teilnehmenden Station, die Sequenznummer sowie die Dauer für die Gültigkeit der Nachricht enthalten. Der Situation Container hält im Cause Code und Subcause Code Informationen darüber bereit, wodurch eine Nachricht ausgelöst wurde. Die dazugehörigen Objekte Vehicle Common Parameters und Profile Parameters entsprechen den gleichnamigen Objekten der CAM. Über den Location Container werden Informationen zum Ereignisort bereitgestellt. Neben den Koordinaten (Längengrad, Breitengrad) beinhaltet dies auch Informationen zur örtlichen Ausdehnung eines Ereignisses. 6. Car2X-Funktionen Im Rahmen von SIM-TD erfolgte eine umfassende Zusammenstellung und Beschreibung der für die C2X- Kommunikation im Hinblick auf die Fahr- und Verkehrssicherheit sowie der Verkehrseffizienz als relevant erachteten Funktionen. Die C2X-Funktionen wurden hierbei folgenden Bereichen (Kategorien) zugeordnet: 1. Verkehr 2. Fahren und Sicherheit 3. Ergänzende Dienste 6.1 Verkehr Der Bereich Verkehr umfasst die Funktionen, die einer verbesserten Verkehrsdatenerfassung sowie Störfallerkennung dienen und dadurch zu einer präziseren und aktuelleren Verkehrslagebestimmung im gesamten Straßennetz beitragen sowie die Ableitung von Verkehrssteuerungsstrategien und die Ausgabe von Verkehrsmeldungen unterstützen. Hierbei wird nach folgenden Hauptfunktionen unterschieden: • Erfassung der Verkehrslage und ergänzender Informationen • Verkehrsinformation und Navigation • Verkehrssteuerung 6.1.1 Erfassung der Verkehrslage und ergänzender Informationen Mit dieser Hauptfunktion erfolgt auf Basis infrastrukturseitig und fahrzeugseitig erfasster Daten die Bestimmung der Verkehrslage. Die darüber ermittelten Daten dienen auch als Eingangswerte zur Verarbeitung in den anderen Hauptfunktionen. Die dieser Hauptfunktion zugeordneten Funktionen sind daher auch abhängig von den Anforderungen der restlichen Hauptfunktionen. Kooperative Systeme in Straßentunneln - Potentiale aus der Nutzung der C2X-Kommunikation für die Tunnelüberwachung 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 199 6.1.2 Verkehrsinformation und Navigation Mittels dieser Hauptfunktion werden Informationen zu Verkehrsereignissen, der Verkehrslage und dem Straßenwetter zur Anzeige im Fahrzeug bzw. zur dynamischen Routenplanung bereitgestellt. Besondere Berücksichtigung findet hierbei die Behandlung von Baustellen. Grundlage bilden hierbei die über die Hauptfunktion zur „Erfassung der Verkehrslage und ergänzender Informationen“ bereitgestellten Daten. 6.1.3 Verkehrssteuerung Diese Hauptfunktion ermittelt über die infrastrukturseitig und fahrzeugseitig erfassten Daten verkehrsabhängig Strategien für ein Umleitungsmanagement oder für die Steuerung von Lichtsignalanlagen in Gebieten mit einem hohen Verkehrsaufkommen. 6.1.4 Zusammenfassung von C2X-Funktionen der Kategorie Verkehr Eine zusammenfassende Auflistung zu den einzelnen Funktionen und Anwendungsfälle der Kategorie Verkehr enthält nachfolgende Tabelle 4. 6.2 Fahren und Sicherheit Die Kategorie Fahren und Sicherheit beinhaltet Funktionen, die fahrzeugseitig generierte Daten an andere Fahrzeuge und die Infrastruktur (RSU) senden, lokale Gefahren sowie den Verkehrszustand vor Ort erfassen und andere Fahrzeuge darüber informieren, dem Fahrer lokale Gefahrenmeldungen anderer Fahrzeuge und der Infrastruktur sowie Meldungen über aktuelle Verkehrsvorschriften anzeigen und bei der Vermeidung von Kollisionen im Längs- und Gegenverkehr assistieren. Die einzelnen Funktionen werden folgenden Hauptfunktionen zugeordnet: • Lokale Gefahrenwarnung • Fahrerassistenz 6.2.1 Lokale Gefahrenwarnung In dieser Hauptfunktion sind die Funktionen zusammengefasst, die der Warnung des Fahrers vor lokalen Gefahren dienen. Grundlage bilden sowohl fahrzeugseitig als auch infrastrukturseitig erfasste lokale Gefahren. Durch das Aussenden entsprechender Gefahrenmeldungen wird ein Fahrer situationsabhängig über die Gefahr informiert. Nr. C2X-Funktion Bereitstellung / Anwendung 1.1. Erfassung der Verkehrslage und ergänzender Informationen 1.1.1 Infrastrukturseitige Datenerfassung - Infrastrukturdaten - Umfelddaten 1.1.2 Fahrzeugseitige Datenerfassung - Floating Car Data (FCD) - Reiseziele 1.1.3 Ermittlung Verkehrswetterlage - Verkehrswetterdaten 1.1.4 Ermittlung Verkehrslage - Gesamtverkehrslage - Reisezeiten 1.1.5 Identifikation von Verkehrsereignissen geplante Verkehrsereignissen ungeplante Verkehrsereignisse 1.2. Verkehrsinformation und Navigation 1.2.1 Straßenvorausschau Streckenbezogene Anzeige von: - Reisezeitinformationen - Durchschnittsgeschwindigkeit Streckenbezogene Anzeige von: - Hindernissen - Straßenwetter 1.2.2 Baustellen-Informationssystem - Streckengeometrie - Verkehrslage 1.2.3 Erweiterte Navigation - Routenbezogene Reisezeitinformationen - Dynamische Routenplanung 1.3. Verkehrssteuerung 1.3.1 Umleitungs management - Umleitungsempfehlungen 1.3.2 LSA Netzsteuerung - Optimierung des LSA-gesteuerten Verkehrsflusses 1.3.3 Lokale verkehrsabhängige LSA-Steuerung - Priorisierung ÖV - Priorisierung Einsatzfahrzeuge - Reduzierung von Wartezeiten des IV 1.3.4 Störungsmanagement - Absicherung von Störungsstellen Tabelle 4: C2X-Funktionen der Kategorie Verkehr Kooperative Systeme in Straßentunneln - Potentiale aus der Nutzung der C2X-Kommunikation für die Tunnelüberwachung 200 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 6.2.2 Fahrerassistenz Innerhalb dieser Hauptfunktion sind die Assistenzfunktionen zusammengefasst, die der Unterstützung eines Fahrers in seinen Fahraufgaben dienen, wie z.B. der Reaktion auf unvermittelt stark bremsende vorausfahrende Fahrzeuge, querende Fahrzeuge an Kreuzungen und Einmündungen, Verkehrszeichen, Lichtsignalanlagen etc. Bei einer drohenden Kollision oder einem bevorstehendem Fehlverhalten kann ein Fahrer dann davor gewarnt werden. Querführungs assistenz - Spurwechselassistent - Einfädelassistent Fahrstreckenabhängige Geschwindigkeits- und Fahrleistungsassistenz - Fahrstreckenabhängiger - Geschwindigkeits- und Fahrleistungsassistent Automatisierte Kooperative Führung von Fahrzeugkolonnen Automatisiertes Kolonnenfahren Radfahrer-/ Fußgängerschutz Radfahrer-/ Fußgängerschutz warnend reagierend Tabelle 5: C2X-Funktionen der Kategorie Fahren und Sicherheit 6.3 Ergänzende Dienste Unter dieser Kategorie sind Dienste, die über Internet- oder Mobilfunkverbindungen erreicht werden zusammengefasst. Unterschieden wird hierbei zwischen folgenden Funktionen: • Internetzugang und lokale Informationsdienste • Fernwartungsdienste • Zugangskontrolle und Zahldienste • Notrufdienste 6.3.1 Internetzugang und lokale Informationsdienste Über diese Hauptfunktion wird ein Internetzugang im Fahrzeug bereitgestellt. Darüber lassen sich dann beispielsweise Verkehrsdaten, Kommunalinformationen, Informationen zur Parksituation etc. online nutzen. 6.3.2 Fernwartungsdienste Diese Hauptfunktion ermöglicht den Fernzugriff auf die Fahrzeugsteuerung um beispielsweise Ferndiagnosen, Wartungsarbeiten, Softwareupdates etc. durchzuführen. 6.3.3 Zugangskontrolle und Zahldienste Mit Hilfe dieser Hauptfunktion kann der Zugang zu einem zufahrtsbeschränkten Bereich erst nach einer erfolgreichen Identifikation gewährt werden. Werden Gebühren erforderlich (Maut, Parken etc.), kann darüber die Bezahlung durch ein Fahrzeug selbsttätig erfolgen. Nr. C2X-Funktion Bereitstellung/ Anwendung 2.1 Lokale Gefahrenwarnung 2.1.1 Hinderniswarnung Warnung vor: - Kollisionsgefahr - Liegenbleiber - Langsamfahrer - Baustelle - Hindernisse auf Fahrbahn 2.1.2 Stauendewarnung Warnung vor: - Stauende 2.1.3 Straßenwetterwarnung Warnung vor: - Wettergefahren 2.1.4 Einsatzfahrzeug- Warnung Warnung vor: sich näherndem Einsatzfahrzeug stehendem Einsatzfahrzeug 2. Fahrerassistenz 2.2.1 Verkehrszeichen Assistent/ Warnung - Verkehrszeichenanzeige im Fahrzeug - Warnung bei Nichtbeachtung von Verkehrszeichen 2.2.2 Ampelphasen Assistent/ Warnung - Grüne Welle - Restrotanzeige - Warnung vor Rotlichtverstoß 2.2.3 Längsführungsassistenz - Auffahrwarner - Bremsassistent - Automatische Notbremse - Elektronisches Bremslicht - Precrash-Datenaustausch - Kooperative Abstandsregelung Kreuzungs-/ Querverkehrsassistent - Querverkehrsassistent - Linksabbiegeassistent - Rechtsabbiegeassistent Kooperative Systeme in Straßentunneln - Potentiale aus der Nutzung der C2X-Kommunikation für die Tunnelüberwachung 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 201 6.3.4 Notrufdienste Mittels dieser Funktion wird im Falle eines Unfalls ein Notruf automatisch oder manuell ausgelöst. Nr. C2X-Funktion Bereitstellung/ Anwendung 3.1. Internetzugang und lokale Informationsdienste 3.1.1 Internetbasierte Dienstnutzung - AV-Streaming - Instant Messaging - Interaktive Stadtrundfahrt - Mobile PIM - Push-Dienste - Community Aspekte 3.1.2 Standortinformations-Dienste - Touristische Informationen - Veranstaltungshinweise - Kommunalinformationen - Parksituation - Tankstelleninformation - Übertragung von Verkehrsdaten 3.1.3 Parklückenerfassung - Parklückenübermittlung 3.2. Fernwartungsdienste 3.2.1 Remote-Zugriff - Ferndiagnose - Fahrzeugsoftwareupdate - Drahtlose Diagnoseschnittstelle 3.2.2 Werkstattdienste - Rückrufaktion - Serviceinformation 3.3. Zugangskontrolle und Zahldienste 3.3.1 Zugangskontrolle - Automatische Zufahrtskontrolle - Ausfahrt aus einem Parkraum 3.3.2 Zahldienste - Parkraumbewirtschaftung - Elektronische Maut 3.3. Notrufdienste 3.3.1 e-Call Notruf durch: - Benutzeraktivität - Fahrzeugaktivität Tabelle 6: C2X-Funktionen der Kategorie ergänzende Diensten 7. Integration von C2X-Funktionen in die Tunnelbetriebstechnik Um die C2X-Technologie in die Tunnelbetriebstechnik integrieren zu können, sind infrastrukturseitig Voraussetzungen zu schaffen, die sowohl den zu erwartenden bzw. geforderten Funktionsumfängen, als auch den technischen Restriktionen, wie beispielsweise der Funkreichweite, Rechnung tragen. Innerhalb der Systemarchitektur eines Tunnels ist die Verortung der C2X-Technologie und den zur Kommunikation mit den Fahrzeugen erforderlichen RSU auf Feldebene zu sehen. Als Teil der Verkehrsanlage (Funktionsblock 2 der Feldebene nach EABT [13]) sollte die Anbindung an die Anlagenleitebene und Automatisierungsebene über eine Unterzentrale erfolgen. Darüber lassen sich Aktionen nach vorher festgelegten automatisierten Schemata ausführen, wie beispielsweise eine automatisierte Sperrung eines Tunnels im Falle einer über C2X erfassten Kollision. Zur Datenübertragung zwischen RSU und der Tunnelbetriebstechnik, empfiehlt sich TCP/ IP (z.B. IPv6). Dies wird auch von [12] empfohlen, da dadurch der Einsatz von standardisierten bzw. marktgängigen Produkten sowohl in der Kommunikationshardware als auch im Hinblick auf die Anwendungssoftware möglich wird. Die Abstände, mit der die RSU entlang der Tunnelinnenstrecke angeordnet werden, ist zum einen von der Tunnelgeometrie sowie dem Streckenverlauf und zum anderen von der Sende- und Empfangsleistung der RSU abhängig. Mittels DSRC bzw. ITS-G5 sind Reichweiten von 300 m möglich. Damit könnte ein maximaler Abstand von 600 m erreicht werden. Sinnvoller kann es jedoch sein, den Abstand auf 300 m zu reduzieren um eine gute Abdeckung mit WLAN zu erreichen. 8. Potenziale der C2X-Kommunikation Sowohl für Tunnelnutzer als auch für den Betreiber von Tunnelanlagen ist die Erfassung der Verkehrslage und die Bereitstellung ergänzender Informationen von hoher Bedeutung. So können darüber dem Nutzer Infrastrukturdaten, wie beispielsweise die Tunnellänge und die Position des nächstgelegenen Notausgangs bzw. der Notrufnische, bereitgestellt werden. Ebenso wichtig ist die Erfassung von geplanten und ungeplanten Verkehrsereignissen auf Basis der Verkehrslage. Mittels der Verkehrssteuerung lassen sich dann bei Störungen innerhalb eines Tunnels Umleitungsempfehlungen sowie deren Absicherung an die Verkehrsteilnehmer übermitteln. Mit Hilfe der lokalen Gefahrenwarnung kann vor langsamen oder gar liegengebliebenen Fahrzeugen bzw. vor Hindernissen auf der Fahrbahn gewarnt werden, um Folgeereignisse wie Kollisionen zu verhindern. Im Fall einer Tunnelsperrung kann den Verkehrsteilnehmern die Einfahrt in den Tunnel mit Hilfe einer Zugangskontrolle verwehrt werden. Hierzu ist beispielsweise zukünftig auch ein Anhalten der Fahrzeuge über einen Fernzugriff denkbar. Kooperative Systeme in Straßentunneln - Potentiale aus der Nutzung der C2X-Kommunikation für die Tunnelüberwachung 202 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Über den Notrufdienst e-Call wird selbständig eine Verbindung zur nächsten Notrufzentrale aufgebaut, sobald fahrzeugseitige Sensoren eine schwere Kollision registrieren. Die Verbindung wird hierbei über Mobilfunk hergestellt und ermöglicht die Aufnahme eines Gespräches sowie die Übermittlung von Informationen zum Unfall, wie z.B. den Zeitpunkt des Unfalls, den Ereignisort und die Anzahl der Fahrzeuginsassen. [1] Da die Ortung des Unfallfahrzeuges über GPS erfolgt und der Empfang der GPS-Signale innerhalb von Tunneln eingeschränkt sein kann, muss die Fahrzeugposition dann über die letzte Position mit GPS-Empfang sowie der Radumdrehungen und Lenkwinkel bestimmt werden. Diese Kommunikationsform kann auch dazu verwendet werden, Anweisungen an einzelne Fahrzeuge und deren Insassen zu übermitteln. Die darüber abgesetzten Anweisungen können jedoch nur innerhalb des Fahrzeuges über das fahrzeugeigene Lautsprechersystem gehört werden. Die Lautsprecheranlage der betriebstechnischen Ausstattung eines Tunnels kann dadurch nicht ersetzt werden. Einen Überblick über die durch die konventionelle betriebstechnische Ausstattung direkt bzw. indirekt erkennbaren Ereignisse sowie die Potentiale der durch die C2X-Technologie erkennbaren Ereignisse und Kommunikationssowie Warnmöglichkeiten gibt nachfolgende Tabelle 7. Tabelle 7: Ereignis -und Detektionsmatrix nach [8] und [14] Die Matrix verdeutlicht die möglichen Anwendungsbereiche der C2X-Kommunikationstechnologien zur (präventiven) Erkennung von Ereignissen oder kritischen Verkehrszuständen sowie die Potentiale zur schnellen Kommunikation und Information über Ereignisse an die Verkehrsteilnehmer. 9. Zusammenfassung und Ausblick Die Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung werden das Verkehrsverhalten sowie das Management der Verkehrsinfrastruktur stark beeinflussen. Es ist absehbar, dass ein Wandel hinsichtlich der Art, wie wir Informationen beziehen und austauschen, erfolgen wird. Nebst den Herausforderungen, denen sich Verkehrsteilnehmer und Infrastrukturbetreiber zu stellen haben, eröffnen sich gleichzeitig jedoch auch durch die C2X-Kommunikation Potentiale, die zur Verbesserung der Verkehrssicherheit beitragen können. Für die Tunnelüberwachung lassen sich durch eine zielgerichtete Datenfusionierung und Plausibilisierung Möglichkeiten für eine bessere Ereignisprävention erwarten. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass sich durch die Möglichkeit von individualisierten Ansprachen Verbesserungen im Falle eines Ereignismanagements und explizit für die Selbstrettung der Verkehrsteilnehmer erzielen lassen. Im Fall eines Ereignisses innerhalb eines Tunnels kommt der schnellen und eindeutigen Ereigniserkennung eine zentrale Bedeutung zu, um Sicherheitssysteme unverzüglich und automatisch aktivieren und somit einer Schadenseskalation effektiv entgegenwirken zu können. Konventionelle Detektionssysteme erkennen stets nur die Auswirkung und nicht die Ursachen eines Ereigniseintritts. Mit Hilfe der C2X-Technologie wird es zum Teil möglich, die Ursachen direkt zu erkennen und somit die Zeit bis zum Einleiten von Maßnahmen signifikant zu verkürzen. Die im Rahmen der bisherigen Forschung erarbeiteten Grundfunktionalitäten sollten für die Verwendung in der Tunnelbetriebstechnik erweitert werden. Durch den modularen Systemaufbau sind entsprechende Erweiterungen grundsätzlich jederzeit möglich. Im Zuge des im April 2021 gestarteten Forschungsprojekts „Künstliche Intelligenz zur Verbesserung der Sicherheit von Tunneln und Tunnelleitzentralen (KITT)“, welches durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird, werden entsprechende Grundlagen zur Nutzung der C2X-Technologie in Tunneln erarbeitet. Schwerpunkte bilden hierbei unter anderem der Umgang mit massenhaft anfallenden Daten und deren Analyse mittels Künstlicher Intelligenz sowie die Bewertung der Sicherheitslage unter Einbezug von C2I-Daten zur Unterstützung von Operatoren in der Ereignisbewältigung. Literaturangaben [1] Communication Department of the European Commission: eCall: Automatischer Notruf für Verkehrsunfälle ab 2015 Pflicht in Autos, Pressemitteilung, 13. Juni 2013 [2] ETSI TS 102 636-5-1: Intelligent Transport Systems (ITS); Vehicular communications; Geonetworking; Part 5: Transport protocols; Subpart 1: Basic transport protocol [3] ETSI TS 102 636-6-1: Intelligent Transport Systems (ITS); Vehicular communications; Geonetworking; Part 6: Internet integration; Subpart 1: Transmission of IPv6 packets over geonetworking Kooperative Systeme in Straßentunneln - Potentiale aus der Nutzung der C2X-Kommunikation für die Tunnelüberwachung 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 203 [4] ETSI TS 102 637-2: Intelligent Transport Systems (ITS); Vehicular Communications; Basic set of applications; Part 2: Specification of cooperative awareness Basic Service [5] ETSI TS 102 637-3: Intelligent Transport Systems (ITS); Vehicular communications; Basic set of applications; Part 3: Specification of decentralized environmental notification basic service [6] Laglstorfer, R. J.: Die Zukunft des intelligenten Automobils: Wirtschaftliche Markteinführungsszenarien am Beispiel Audi. Hamburg: Diplomica Verlag GmbH, 2012 [7] Lübcke, A.: Carto-Car Communication - Technologische Herausforderungen. Berlin, s.n., 2004 [8] Mayer, G., Badocha, C., Norkauer, A.: Potentials of Integrating C2X Communication into Tunnel Operations Control Technology, Tunnel Safety and Ventilation Conference, Graz, 2018 [9] Patrick M., Kirchbeck, B.: V2X-Kommunikation: LTE vs. DSRC, Next Mobility, 2018 https: / / www. next-mobility.de/ v2x-kommunikation-lte-vs-dsrca-699809/ [Zugriff 14.05.2021] [10] Payerl, C.: Integration von Carto-X Kommunikation in die E/ E-Architektur von Fahrzeugen, TU Graz, 2013 [11] RABT 2006: Richtlinien für die Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln; Technische Regelwerke; FGSV-Nr.: 339, ISBN 3-937356-87-8 [12] Zumbroich, M. et al.: Zukünftige Kommunikationstechniken und Integration von Straßentunneln im Bereich der TLS, Bonn: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, 2007 [13] EABT 80/ 100: Empfehlungen für die Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln mit einer Planungsgeschwindigkeit von 80 km/ h oder 100 km/ h. Forschungsgesellschaft für das Straßen- und Verkehrswesen e.V. (FGSV 339/ 1), FGSV-Verlag, Ausgabe 2019 [14] Lehan, A.: Influence of digital transformation on the interaction between tunnel infrastructure and road user opportunities and risks, In: Proceedings from the Ninth International Symposium on Tunnel Safety and Security, Munich, Germany March 11- 13, 2020, S. 13-22 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 205 Wie autonomes Fahren die Straßen der Städte verändern könnte Prof. Dr.-Ing. Jan Riel Hochschule Karlsruhe - Technik und Wirtschaft 76133 Karlsruhe, Deutschland Prof. em. Kerstin Gothe Karlsruher Institut für Technologie 76131 Karlsruhe, Deutschland Zusammenfassung Kaum eine Entwicklung repräsentiert die digitale Transformation der Mobilität besser, als die Entwicklung des autonomen Fahrens. Diese wird auch starke Auswirkungen auf die Verkehrsinfrastruktur und den öffentlichen Raum insgesamt haben. Im Vordergrund der Diskussion steht derzeit der Ausbau der (straßenseitigen) Infrastruktur für Sensorik und C2X- Kommunikation. Doch autonomes Fahren wird absehbar wesentlich mehr Auswirkungen auf die Infrastruktur und den öffentlichen Raum haben als nur zusätzliche verkehrstechnische Komponenten. Der Beitrag diskutiert am Beispiel der Stadt Karlsruhe mögliche Auswirkungen des autonomen Fahrens im Jahr 2040 auf das Verkehrsgeschehen und den öffentlichen Raum. Es werden ein „Trend-“ und ein „Sharing“-Szenario gegenübergestellt - mit ihren Chancen und Risiken für die Stadt. Da Straßen einen Lebenszyklus in einer Größenordnung von mehreren Jahrzehnten haben, sind bereits heute Entscheidungen angeraten, wenn die Entwicklung in eine stadtverträgliche und nachhaltige Richtung gehen soll. 1. Fragestellung Autonom, smart, nachhaltig. Begleitet von diesen Schlagworten kursieren zahlreiche Visualisierungen zum autonomen Fahren. Fast alle zeigen belebte, urbane Räume mit hoher Aufenthaltsqualität, in denen Radfahrer, Fußgänger und autonome Fahrzeuge sich in harmonischem Miteinander bewegen [1]. Ruhender Verkehr ist nicht erkennbar, einmal abgesehen vielleicht von einem wartenden autonomen Mini-Shuttle. Die Straßeninfrastruktur und der öffentliche Raum insgesamt unterscheiden sich zumindest in den Visualisierungen deutlich vom Bestand, den wir heute kennen. Straßen und Plätze, die heute geplant und gebaut werden, werden zum Zeitpunkt der Verfügbarkeit von automatisierten Fahrzeugen (in 10 bis 20 Jahren) noch lange nicht am Ende ihres Lebenszyklus angelangt sein. Sollte die Entwicklung des autonomen Fahrens also mit der Gestaltung und Nutzung des öffentlichen Raums zusammenhängen, muss dies bereits heute in der Planung berücksichtigt werden. Hinzu kommen die Veränderungen aufgrund des Klimawandels (CO 2 -Reduktion, Klimaanpassung, Umgang mit Starkregenereignissen etc.), die neue Anforderungen an die Straßenräume mit sich bringen. An diesen Fragestellungen setzt das Forschungsprojekt AutoRICH an, aus dem im Folgenden berichtet wird [2]. Am Beispiel der Stadt Karlsruhe werden zwei Szenarien entwickelt und bezüglich der Entwicklung der Verkehrsleistung ausgewertet. Die Auswirkungen auf die Straßeninfrastruktur und den öffentlichen Raum werden für beide Szenarien gegenübergestellt. 2. Szenarien übergreifende Annahmen In der Literatur werden große Spannbreiten diskutiert, ab wann die Technologie des autonomen Fahrens marktreif und verfügbar sein und eine nennenswerte Marktdurchdringung stattgefunden haben wird. Während mehrere Studien die Verfügbarkeit der neuen Technologie um 2030 sehen (Klein, Altenburg, 2019, S. 168) [3] kommt Bazilinskyy (2019, S. 193) [4] bzgl. der Marktdurchdringung zum Schluss, dass um 2040 ein nennenswerter Anteil autonomer Fahrzeuge auf den Straßen zu erwarten ist. Als Prognosehorizont von AutoRICH wird in Anlehnung an die Literatur daher das Jahr 2040 gewählt. Dieser passt auch zum Zeithorizont der Bevölkerungsprognose 2035 der Stadt, welche bis dahin durch Nachverdichtung und Arrondierung von einem Bevölkerungszuwachs um 25.000 Einwohnern ausgeht. Wie autonomes Fahren die Straßen der Städte verändern könnte 206 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Als Durchdringungsgrad autonomer Fahrzeuge legen wir in unserer Studie einen Anteil von 60% zu Grunde, ca. 40 % nutzen weiterhin manuell gesteuerte Fahrzeuge. Dabei stützen wir uns auf die Ergebnisse einer eigenen Online-Umfrage aus dem Jahr 2020. Wir gehen schließlich davon aus, dass die rechtlichen, technischen und ethischen Fragen geklärt sind, dass autonome Fahrzeuge also verkehrssicher und fahrerlos fahrend (Level 5) auf dem Markt sind und im Mischverkehr zusammen mit den konventionellen Fahrzeugen fahren. Zwar können autonome Fahrzeuge aufgrund ihrer Sensorik und der Kommunikation mit anderen Fahrzeugen (C2C) oder der Infrastruktur (C2I) zu höheren Verkehrsdichten und zu höheren Kapazitäten von Straßen beitragen, dies aber vor allem dann, wenn die autonomen Fahrzeuge nicht im Mischverkehr mit konventionellen Fahrzeugen unterwegs sind. Getrennte Fahrspuren für beide Systeme halten wir im vorhandenen Straßenraum jedoch weder für umsetzbar noch für wünschenswert. Abbildung 1: Getrennte Fahrspuren für verschiedene Verkehrsarten in Peking (Foto: Gothe) Die Kapazität von Fahrstreifen und Knotenpunkten bleibt also auch 2040 auf dem heute bekannten Niveau. 3. Zwei Szenarien AutoRICH zeigt zwei unterschiedliche, aber realistische Entwicklungen auf, die im Zusammenhang mit dem autonomen Fahren eintreten können. Den Faktoren Fahrzeugbesitz, Mobilitätsverhalten und der Gestaltung des öffentlichen Raums kommt in den Szenarien eine Schlüsselrolle zu. In einem Szenario „Trend“ ist die Entwicklung von privatwirtschaftlichen Interessen und individuellem Fahrkomfort geprägt. Im Szenario „Sharing“ dagegen werden politikgetriebene Entwicklungen im Sinne des Gemeinwohls unterstellt. Folgende Tabelle zeigt die „Grundhaltung“ beider Szenarien im Vergleich: Einflussfaktor Szenario „Trend“ Szenario „Sharing“ Besitzform Kfz Autonome Fahrzeuge sind (unreguliert) als Privatfahrzeuge käuflich. Der Privatwagen genießt weiterhin hohen Stellenwert. Autonome Fahrzeuge werden nur als öffentliche Fahrzeuge für Mobilitätsdienstleister zugelassen. Sharing Car-Sharing bleibt ein Nischenprodukt, Anbieter kooperieren nicht. Zentrales Fahrten- und Flottenmanagement durch den örtlichen Verkehrsverbund (KVV) Öffentlicher Raum Der öffentliche Raum bleibt in seiner heutigen Form erhalten. Fließender und ruhender Verkehr beanspruchen weiterhin den größten Teil der Fläche. Der öffentliche Raum wird transformiert. Flächen werden zu Gunsten von Begrünung, Aufenthaltsqualität und Klimaanpassung neu verteilt. Parken im öffentlichen Raum wird reduziert. Fahrzeugflotte Fahrzeuge können weiter entfernt parken. Mangelnder Parkraum „vor der Tür“ entfällt als Anschaffungshürde. Die Fahrzeugflotte wächst. Durch die massive Sharing-Nutzung kann das Mobilitätsbedürfnis mit einem Bruchteil der bisherigen Fahrzeugflotte befriedigt werden. Parkierung Der Flottenzuwachs muss in zusätzlichen (Groß) garagen untergebracht werden. Die stark verkleinere Flotte (Sharing) entlastet den öffentlichen Raum vom Parken. Tabelle 1: Grundhaltung der Szenarien Im Folgenden werden die beiden Szenarien in ihren Ausprägungen näher erläutert. 3.1 Szenario „Trend“ Im Szenario „Trend“ steht die technologische Weiterentwicklung bzw. die Verfügbarkeit autonomer Fahrzeuge im Vordergrund. Ein grundlegender Paradigmenwechsel bleibt aus. Dies betrifft sowohl die Wertevorstellungen der Bevölkerung als auch die Haltung der Stadtverwaltung. Diese greift z.B. nicht regulierend in neue Ge- Wie autonomes Fahren die Straßen der Städte verändern könnte 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 207 schäftsmodelle ein, die mit der neuen Technologie möglich werden Besitz- und Nutzungsform autonomer Fahrzeuge: Grundsätzlich können (autonome) Fahrzeuge in Privatbesitz, in Besitz eines (privaten) Mobilitätsdienstleisters oder in Besitz eines öffentlichen Verkehrsunternehmens sein. Hinsichtlich der mit dem Auto gefahrenen Kilometer und der Emissionen ist es dabei zunächst unerheblich, ob die Fahrt in einem privaten oder in einem „geteilten“ Auto zurückgelegt wird. Die Besitzform autonomer Fahrzeuge steht jedoch in direktem Zusammenhang mit der Nutzungsform (Privatwagen vs. Sharing-Dienste / MaaS) und damit mit der Flottengröße und der für diese erforderliche Parkierung. Im Szenario „Trend“ ändert sich an der Besitzform der Fahrzeuge wenig: Der Privatwagen ist weiterhin populär und macht den Großteil der zugelassenen Kfz aus. Sorgen aus den frühen 2020er Jahren, autonome Fahrzeuge könnten den Fahrspaß zu sehr einschränken, werden durch neue Ausstattungsmöglichkeiten der Fahrzeuge kompensiert. Sharing-Angebote bleiben insgesamt ein Nischenprodukt, das über die Attraktivität der ohnehin schon bestehenden stationären Car-Sharing-Flotte sowie der Free-Floating-Flotte kaum hinausgeht. Auch Ride-Sharing-Dienste bleiben im Szenario „Trend“ ein Nischenprodukt: Die Mobilitätsdienstleister tauschen keine Kundendaten aus und können die Fahrzeuge daher nicht optimal besetzen. Der wesentliche Einsatzbereich autonomer Fahrzeuge bleiben also die Fahrzeuge im Privatbesitz. Dabei werden neue Gruppen von Nutzenden erschlossen: Personen ohne Führerschein, Kindern, alten und behinderten Menschen bietet die neue Form der Fortbewegung die Chance, ohne Begleitung bequem mobil zu sein. Dies sorgt für zusätzliche Wege, die ohne das neue Angebot gar nicht oder mit einem anderen Verkehrsmittel zurückgelegt worden wären. Fahrzeugflotte und Parkraum: Parkraum gilt nach wie vor als ein knappes Gut. Für Besitzer manuell gesteuerter Fahrzeuge ist damit die Verfügbarkeit eines Abstellplatzes in fußläufiger Entfernung ein maßgebliches Kriterium zum Kauf (oder Nicht-Kauf) eines Autos. Die Möglichkeit autonomer Fahrzeuge, sich auch weiter entfernt vom Wohnort selbstständig einen freien Stellplatz zu suchen, führt im Szenario „Trend“ dazu, dass insbesondere in der Innenstadt und den dichten innenstadtnahen Wohnquartieren ein eigenes, autonomes Auto leichter zu halten ist. Wir gehen daher bei dem Szenario „Trend“ davon aus, dass sich die Zulassungsdichte der Pkw insbesondere in der Innenstadt deutlich erhöht und an das Niveau der Einfamilienhaus-Quartiere annähert. Die Karlsruher Kfz-Flotte wächst damit von derzeit 140.000 auf 156.000 Fahrzeuge. Die zusätzlichen autonomen Fahrzeuge im Szenario „Trend“ können jedoch nicht mehr im öffentlichen Straßenraum untergebracht werden. Der zusätzliche Parkraumbedarf wird durch neue Parkbauten gedeckt. Wir gehen hier zwar von günstigen automatischen Parkhäusern mit geringerem Platzbedarf aus, die auch dezentral in bestehenden Baulücken untergebracht werden können. Dadurch entstehen trotzdem zusätzliche Leerfahrten zwischen Parkhaus und Einsatzort. Abbildung 2 zeigt symbolhaft die Verteilung von 30 neuen Parkbauten, die mit einer Kapazität von jeweils 500 Plätzen den Zuwachs der Fahrzeugflotte auch ohne zusätzliche Belastung des öffentlichen Straßenraums aufnehmen müssten. Die roten Kreise zeigen den Einzugsbereich mit einem Radius von 1 km dar. Abbildung 2: Neue Großgaragen rund um die Innenstadt, um den Zuwachs der Fahrzeugflotte aufzufangen (blau: bestehende Garagen) Straßennetz: Das Straßennetz entsprich im Szenario „Trend“ im Großen und Ganzen dem heutigen Netz. Veränderungen wie der Ausbau von Radschnellverbindungen werden zwar vorangetrieben, jedoch überwiegend additiv zum bestehenden Straßennetz und nicht zu dessen Lasten. Wie autonomes Fahren die Straßen der Städte verändern könnte 208 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 3: Querschnittsaufteilung der Kaiserallee entspricht dem heutigen Zustand [6] Öffentlicher Raum: Seine Gestaltung ist wie bisher in hohem Maße vom fließenden und ruhenden Kfz-Verkehr geprägt. Die folgende Abbildung zeigt einen Querschnitt der Kaiserallee, sowie die Flächenanteile für die verschiedenen Verkehrs- und Nutzungsarten. Tabelle 2: Anteil der Verkehrsflächen nach Verkehrs- und Nutzungsarten Nutzung Parken Kfz ÖV Rad Fuß Grün Anteil 11 % 53 % 18 % 8 % 8 % 10 % Potenziale für eine Anpassung an den Klimawandel durch zusätzliche Begrünung bzw. Beschattung der Straßenräume bestehen im Szenario „Trend“ daher kaum. Auch die Schaffung von Lieferzonen gelingt nur in Einzelfällen bzw. diese werden durch verzweifelte Parkplatzsuchende regelwidrig belegt. Dies stellt die Kurier-, Express- und Paketdienste vor große Schwierigkeiten. Wegehäufigkeiten und Wegelängen: Im Szenario „Trend“ können Bewohner*innen die autonomen Fahrzeuge nach ihren individuellen Vorstellungen nutzen, so wie bisher ihre privaten, manuell gesteuerten Fahrzeuge. In unserer Online-Befragung wurde nach Altersgruppen abgefragt, ob Wegezwecke häufiger oder weniger häufig mit dem Auto zurückgelegt würden, wenn es denn heute schon autonome Fahrzeuge - egal ob als Privatfahrzeug oder als Sharing-Angebot gäbe. Es wurden keine Einschränkungen vorgegeben, daher entsprechen die Angaben der Befragten den Randbedingungen des Szenarios „Trend“ und werden hier als Grundlage für die quantitative Abbildung des Mobilitätsverhaltens im Verkehrsmodell verwendet. Ergebnisse: Folgende Tabelle 3 zeigt die Zunahme der Wege gemäß der Online-Umfrage: Tabelle 3: Zunahme von Wegen bei freier Verfügbarkeit autonome Fahrzeuge Alter Arbeit Dienst Ausbildung Private Erledigung Einkauf Holen / Bringen Freizeit bis 14 Jahre „Kinder“ 14 - 17: „Jugendliche“ +321% +151% +137% 18 - 24: „Junge Erwachsene“ +157% +479% +239% +204% +101% +199% +80% 25 - 64: „Arbeitsalter“ +69% +104% +103% +64% +106% +53% 65 - 74: „Rüstige Rentner“ +146% +52% +82% +88% Ab 75: „Hochbetagte“ +189% +77% +100% Wie autonomes Fahren die Straßen der Städte verändern könnte 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 209 Gewichtet nach heutiger Wegeanzahl und Bevölkerungsanteil der Altersgruppen ergibt sich eine Zunahme allein der Wegeanzahl um 82% gegenüber heute. Noch nicht berücksichtigt für die Berechnung der Verkehrsleistung sind hierbei Leerfahrten sowie die Möglichkeit, dass auch weiter entfernt liegende Ziele akzeptiert würden, wenn (z.B. auf dem Weg zur Arbeit) die Fahrzeit anderweitig genutzt werden könnte. Aber auch unabhängig von diesen zusätzlichen Effekten ist erkennbar, dass der unregulierte Einsatz autonomer Fahrzeuge zu einer enormen Zunahme der Verkehrsleistung führen würde. Die Belastung des Straßennetzes würde an vielen Stellen dessen Kapazität übersteigen und zu einem Kollaps des Straßenverkehrs führen. Mit der Zunahme der Verkehrsmenge auf den Straßen an sich würde zunächst eine deutliche Abnahme der Aufenthaltsqualität und Attraktivität der Stadt einhergehen. Außerdem würde diese Entwicklung weiteren städtischen Gesamtzielen massiv entgegenstehen: Im selben Maße wie die Verkehrsleistung würden die Emissionen steigen und durch die nach wie vor starke Belegung des öffentlichen Raums durch den ruhenden Verkehr sind keine Maßnahmen zur Klimaanpassung im öffentlichen Raum möglich. Das Eintreten des Szenarios „Trend“ sollte daher dringend vermieden werden. 3.2 Szenario „Sharing“ Im Szenario „Sharing“ unterstellen wir, dass die Stadt Karlsruhe sowohl in gemeinderätlichen Gremien, als auch aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen mehr Spielräume zur Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsziele hat und diese nutzt. Der Klimawandel ist dabei ein zusätzlicher Treiber für Veränderungen auf (kommunal) politischer Ebene: Dieser hat ab den späten 2020er-Jahren gravierende Auswirkungen auf Stadtgrün, Versorgung und Gesundheit der Bevölkerung, was auch zur Überwindung heutiger parteipolitischer Gräben führt. Im Szenario „Sharing“ macht die Stadt Karlsruhe also in hohem Maße von den Möglichkeiten Gebrauch, Mobilität im Sinne des Gemeinwohls selbst zu gestalten. Besitz- und Nutzungsform autonomer Fahrzeuge: Im Szenario „Sharing“ hat der Gesetzgeber den Kommunen die Entscheidungskompetenz gegeben, Privatpersonen die Zulassung autonomer Fahrzeuge zu untersagen bzw. nur in Ausnahmefällen (z.B. Behinderung) zu gewähren. Autonome Fahrzeuge werden daher in diesem Szenario nur als geteilte Fahrzeuge zugelassen, die entweder nach dem Prinzip des stationsbasierten Car-Sharing oder als Ride-Sharing-Fahrzeuge eingesetzt. Straßennetz: Tempo wird 30 als Regelgeschwindigkeit auf den Hauptstraßen eingeführt und Tempo -20 in den Quartieren. Mehrere vierstreifige Straßen werden außerdem zu zweistreifigen zurückgebaut und ebenfalls mit niedrigeren Tempolimits belegt. Der MIV wird damit insgesamt langsamer und unattraktiver, was schon unabhängig von den Auswirkungen des autonomen Fahrens zu einer Reduzierung des MIV-Anteils am Modal-Split führt. Abbildung 4: Vorrangstraßennetz im Szenario „Sharing“ Fahrzeugflotte: Basierend auf unserer Umfrage nutzen 60 % der Bewohner ausschließlich autonome Fahrzeuge. Dieser Anteil der Bevölkerung besaß bisher 84.000 Fahrzeuge, die nun im Wesentlichen durch Ride-Sharing-Fahrzeuge ersetzt werden. Die verbleibenden 40 % der Bewohner verändern ihre Mobilitätsgewohnheiten nicht und nutzen weiterhin ihre manuell gesteuerten Fahrzeuge (56.000 Fahrzeuge). Friedrich (2019, S. 19 und S. 49) [5] ermittelte für den Raum Stuttgart, dass bei einem Verkehrsangebot aus Schienenverkehr und einer ausschließlich aus Ride-Sharing-Fahrzeugen bestehenden Fahrzeugflotte die Wege der Bevölkerung mit 7 % der heutigen (Privatwagen)Flotte zurückgelegt werden können. Auf die Karlsruher Fahrzeugflotte übertragen bedeutet das, dass die o.g. 60 % der Bevölkerung anstatt mit einer Flotte von 84.000 Fahrzeugen mit nur 6.000 Fahrzeugen mobil sind. Zusammen mit den Fahrzeugen der verbleibenden Nutzer konventioneller Fahrzeuge beträgt die Flottengröße für den Personenverkehr im Szenario „Sharing“ insgesamt 62.000 Fahrzeuge und ist damit um mehr als die Hälfte der heutigen Größe geschrumpft. ÖPNV: Der schienengebundene Personennahverkehr bildet nach wie vor das Rückgrat des ÖPNV, Netz und Kapazitäten werden weiter ausgebaut. Mit dem Einsatz von Ride-Sharing-Fahrzeugen im großen Stil verschwimmt jedoch die Grenze zwischen ÖPNV und (privatem) Pkw- Verkehr zunehmend: Fahrtwünsche von Nutzern laufen ebenso beim Verkehrsverbund KVV zusammen wie die Disposition und Routenplanung der kleinen Shuttle-Busse. Diese ersetzen den bisher stark linienorientierten Busverkehr weitgehend und bilden damit ein kostengünstigeres und flexibleres Angebot des ÖPNV. Parken: Mit der Halbierung der Fahrzeugflotte geht eine massive Entlastung des öffentlichen Raums vom ruhenden Verkehr einher, was Spielräume für dessen Transformation schafft. Im Szenario „Sharing“ werden außerdem Wie autonomes Fahren die Straßen der Städte verändern könnte 210 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 zahlreiche private Stellplätze entbehrlich. Dies führt zu einer Renaissance der Quartiersgaragen, die den öffentlichen Raum zusätzlich vom ruhenden Verkehr entlasten können: In den Garagen werden auch weitere Dienstleistungen für das Quartier angelagert, zum Beispiel Paket-Abholstationen, Kioske sowie Leihstationen für Lastenräder und andere Geräte, die der Einzelne nur selten braucht. Die multifunktionalen Quartiersgaragen dienen damit auch als Mobilitätshubs in den Quartieren und als Haltestelle für die Ride-Sharing-Services. Öffentlicher Raum: Damit ergeben sich große Chancen für den öffentlichen Raum: Neben der Möglichkeit zur Entsiegelung, Begrünung und Klimaanpassung entstehen auch multifunktionale Seitenstreifen am Fahrbahnrand, auf denen mit unterschiedlicher Priorität oder zeitlich gestaffelt für verschiedene Nutzungen zur Verfügung stehen: Als Fläche für Aufenthalt und gemeinschaftliche Aktivität, als Ladefläche, als befristete Parkfläche für Liefer- oder Handwerkerdienste oder als Haltestelle für Ride-Sharing-Shuttles beziehungsweise als Kurzzeitstellplatz für Car-Sharing-Fahrzeuge. Abbildung 5: Querschnittsaufteilung der Kaiserallee im Szenario „Sharing“ Nutzung Parken Kfz ÖV Rad Fuß Grün Anteil 11 % 17 % 18 % 19 % 36 % 10 % Tabelle 4: Anteil der Verkehrsflächen nach Verkehrs- und Nutzungsarten Wie autonomes Fahren die Straßen der Städte verändern könnte 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 211 Abbildung 6: Klauprechtstraße Karlsruhe, heute bzw. im Szenario „Trend“ (Foto und Rendering: [6]) Ergebnisse: Mit der im Szenario „Sharing“ möglichen Transformation des öffentlichen Raums werden Straßen wieder zu Lebensräumen. Aus ehemals für die parkenden Fahrzeuge versiegelten Flächen werden versickerungsfähige Grünstreifen im Sinne der Klimaanpassung. Sie gliedern den Straßenraum, sie nehmen bei Starkregen Wasser auf und kühlen bei Hitze durch Verdunstung. Bäume spenden Schatten im Sommer. Die Modellierung der Verkehrsleistung in AutoRICH ist noch nicht abgeschlossen. Wir rechnen jedoch mit ähnlichen Ergebnissen wie Friedrich (2019), der in seinem Szenario mit SPNV und Ride-Sharing-Flotte einer Reduzierung auf ca. 63% erreichte. Damit verbunden sind Entlastungen von Emissionen, Trennwirkung und Gefährdungspotenzial im Straßenverkehr. Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ist das Szenario „Sharing“ alternativlos. Abbildung 7: Klauprechtstraße Karlsruhe im Szenario „Sharing“ (Foto und Rendering [6]) 4. Ausblick: Diese Veränderungen werden sich nicht von heute auf morgen vollziehen, ein tatsächlicher Umbau der Stadt wird auch in 20 Jahren noch nicht abgeschlossen sein. Aber es wird deutlich: Das autonome Fahren bietet die Chance zu einem ökologischen Stadtumbau und zu einer Mobilität, die nicht mit Verzicht verbunden ist. Es bietet sich die Chance zu einer Ausgestaltung lebenswerter Städte, in denen der öffentliche Raum für neue Nutzungen (zurück-)erobert wird. Digitalisierung und Infrastruktur bedeuten also zusammen betrachtet weit mehr als nur die Digitalisierung der Infrastruktur. Diese hat bereits begonnen, ebenso die Digitalisierung der Mobilität. Beide Prozesse wirken zusammen und bergen enorme Chancen, aber auch Risiken. Beide zeigen sich deutlich an den Szenarien im Rahmen von AutoRICH. Um die Chancen zu nutzen, muss der Umbau der Infrastruktur aber bereits heute und im öffent- Wie autonomes Fahren die Straßen der Städte verändern könnte 212 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 lichen Raum beginnen - auch wenn noch keine autonom fahrenden Fahrzeuge unterwegs sind. Literatur [1] „Mobilitäts-Mix als Lösung“ in: https: / / www.bosch.com/ de/ stories/ wirtschaftlicheauswirkungen-autonomen-fahrens/ , Abruf vom 24.04.2021 [2] Forschungsprojekt AutoRICH, Autonomes Fahren - Risiken und Chancen für die Städte, gefördert im Rahmen des Förderprogramms Smart Mobility durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Baden-Württemberg. Beteiligt: Hochschule Karlsruhe, Technik und Wirtschaft, Karlsruher Institut für Technologie, Koehler & Leutwein GmbH & Co KG, Fraunhofer IOSB, Prof. Dr. Wilko Manz, Kaiserlautern. [3] vgl. Klein, T. A., & Altenburg, S. (2019). Autonomes Fahren—Steuern oder überrollt werden? Straßenverkehrstechnik, 03/ 2019, 166-174, Seite 168 [4] Bazilinskyy, P., Kyriakidis, M., Dodou, D., & de Winter, J. (2019). When will most cars be able to drive fully automatically? Projections of 18,970 survey respondents. Transportation Research Part F: Traffic Psychology and Behaviour, 64, 184-195, https: / / doi.org/ 10.1016/ j.trf.2019.05.008 [5] Friedrich, M., Hartl, M. (2016) MEGAFON - Modellergebnisse geteilter autonomer Fahrzeugflotten des öffentlichen Nahverkehrs, Stuttgart [6] Straßenschnitte und Rendering: Lisa Matzdorff 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 213 Entwicklung eines IoT fähigen Sensors zur Zustandsermittlung von Infrastrukturschutzmaßnahmen gegen Naturgefahren für integriertes Wartungsmanagement Manuel Eicher Geobrugg AG, Romanshorn, Schweiz Eberhard Gröner Geobrugg AG, Romanshorn, Schweiz Helene Hofmann Geobrugg AG, Romanshorn, Schweiz Zusammenfassung Gemäss Definition des Internets der Dinge (IoT), sollte dieses relevante Informationen aus unserer Umgebung, anzeigen, automatisch miteinander verknüpfen und im Netzwerk verfügbar machen. Diese Zustandsinformationen bestehen zum Beispiel aus Daten zur aktuellen Nutzung, Alterung oder Umgebungsbedingungen des Gegenstandes und sollen die Verbesserungen der Nutzbarkeit zum Ziel haben. Dieser Beitrag soll den Zweck von IoT darstellen, im Bereich des Schutzes von Verkehrsinfrastruktur gegen Naturgefahren mittels flexiblen Stahlgeflechts Schutzlösungen. Diese Schutzlösungen stellen den Gegenstand, über den es gilt, Zustandsinformationen zu generieren. Bis jetzt wurde der Zustand in, teils mühseliger manueller Arbeit, durch periodische Begehungen ermittelt. Oftmals gerieten auch gewisse Schutzmassnahmen über die Zeit in Vergessenheit, was eine erneute Gefährdung der Verkehrsinfrastruktur zu Folge hat. Die Zustandsinformationen, die von primärem Interesse behaftet sind, sind einerseits der Füllzustand einer Schutzlösung. Kann sie noch den nötigen Schutz gewähren, wenn diese zu zwei Drittel mit Schutt gefüllt ist? Andererseits ist auch deren Alterungsprozess wichtig, in diesem Fall der Korrosionsprozess. Durch den Einsatz von der IoT Technologie kann, wenn diese Zustandsinformationen erfasst werden, einerseits die Planung von Wartungsarbeiten effizient geplant werden. Auch der Alterungsprozess, der überwacht wird und einen möglichen Austausch einer Schutzlösung, nach mehreren Jahrzehnten im Einsatz, anzeigt, kann frühzeitig ins Budget eingeplant werden. Die Entwicklung und der Einsatz eines IoT fähigem Sensor wird anhand eins Anwendungsbeispiels in Süddeutschland aufgezeigt, welches seit ca. 2 Jahren im Einsatz ist, an einer Steinschlagbarriere oberhalb einer Strasse. 1. Einführung Gemäss Definition des Internets der Dinge (IoT), sollte dieses relevante Informationen aus unserer Umgebung, automatisch miteinander verknüpfen und im Netzwerk verfügbar machen [1]. Der vermehrte Informationsbedarf kommt daher, dass wir immer öfter über den Zustand von Dingen Bescheid wissen möchten, die zum Teil bis anhin nur mühsam zu bekommen waren, jedoch essentiell sind. Diese Zustandsinformationen bestehen zum Beispiel aus Daten zur aktuellen Nutzung, Alterung oder Umgebungsbedingungen des Gegenstandes und sollen die Verbesserungen der Nutzbarkeit zum Ziel haben, wie zum Beispiel Früherkennung von Wartungsnotwendigkeit, der Austausch von Elementen, oder auch die Verbesserung der Umgebung. Dieser Beitrag soll der Zweck von IoT darstellen, im Bereich der Verkehrsinfrastrutkursicherung von Naturgefahren mittels flexible Stahlgeflechtsschutzlösungen. Diese Schutzlösungen stellen den Gegenstand der, über den es zu gilt Zustandsinformationen zu generieren. Bis jetzt wurde der Zustand in, teils mühseliger oder gefährlicher, manueller Arbeit, durch periodische Begehungen ermittelt. Oftmals gerieten auch gewisse Schutzmassnahmen über die Zeit in Vergessenheit, was eine erneute Gefährdung der Verkehrsinfrastruktur zu Folge hat, wenn diese Schutzlösung nicht gewartet wird. Die Zustandsinformationen, die von primärem Interesse behaftet sind, sind einerseits der «Füllzustand» einer Schutzlösung. Kann sie noch den nötigen Schutzgewähren, wenn zu zwei Drittel gefüllt? Andererseits auch deren Alterungs- Entwicklung eines IoT fähigen Sensors zur Zustandsermittlung v. Infrastrukturschutzmassnahmen gegen Naturgefahren 214 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 prozess. Korrosion greift den Stahl an, und die Standfestigkeit nimmt über die Zeit ab. Durch den Einsatz von der IoT Technologie kann, wenn dieses Zustandsinformation erfasst werden, einerseits die Planung von Wartungsarbeiten effizient geplant werden, und man muss nicht mehr auf gut Glück sich in einem gefährlichen Areal bewegen zwecks periodischer Untersuchungen, sowie der Alterungsprozess überwacht werden und einen möglichen Austausch einer Schutzlösung nach mehreren Jahrzehnte frühzeitig ins Budget eingeplant werden. Die grössere Siedlungsausbreitung, das Schmelzen von Permafrost oder gehäufte Starkregenereignisse, sind ein paar Beispiele, die erfordern an immer mehr Orten zB. Schutz vor Steinschlag und Murgängen zu gewährleisten. In den letzten 30 Jahren haben sich weltweit Steinschlagbarrieren aus Stahldrahtnetzen als Schutzlösung etabliert. Parallel zu den flexiblen Steinschlagbarrieren wurden flexible Murgangsperren entwickelt und weltweit installiert, sowie Lawinenverbauungen aus Geflecht im Anrissgebiet. 1.1 Problemstellung Ein Aspekt der Verkehrsinfrastruktur ist dessen Zustandsüberwachung in mehr oder weniger Echtzeit, um gezielten Unterhalt durchzuführen oder zu planen. Der Schutz gegen Naturgefahren ist ein weiterer Aspekt, der die Betreibung und der Unterhalt der Infrastruktur massgeblich beeinflusst. Es gibt verschiedene Schutzlösungen, die den Naturgefahren Einhalt gebieten, zum Beispiel flexible Schutzzäune aus Stahlgeflechten. Diese werden am Rand der Infrastruktur installiert und sollten regelmässig unterhalten werden. Schutzverbauungen werden grösstenteils in den Bergen oder an den Meeresküsten erstellt. Meist stehen die Systeme in unwegsamem Gelände; sie sind schwer zu erreichen und auch eine Überwachung auf Sicht ist häufig nicht möglich. Die Kontrolle und der Unterhalt solcher Anlagen wurde in den letzten Jahrzenten vielerorts vernachlässigt. Auch gerieten ein Teil dieser Lösungen in Vergessenheit, meist verdeckt durch wachsende Vegetation. Dies stellt jedoch eine erhebliche Gefahr dar, wenn zum Beispiel sich ein Steinschlagzaun langsam füllt und nicht beräumt wird. Sollte dann der grösste anzunehmende Steinschlag, für den der Zaun ausgelegt wurde, eintreten, ist die Energieaufnahmekapazität in einem solchen Fall nicht gewährleistet. Ein weiteres Szenario ausserhalb von Einschlägen von Steinschlag oder einem Murgang zum Beispiel, ist das langsam, aber sichere Abbauen des Stahls, der der Umwelt ausgesetzt ist. Verschiedene Korrosionsklassen sind normiert und bestimmt, die eine zu erwartende Lebensdauer angeben. Je nach Standort und lokalen Gegebenheit (z.B. häufiges streuen von Salz auf der Strasse) kann die Korrosionsklasse über- oder unterschätzt werden und leitet zu einer Überdimensionierung der Schutzlösung oder wiederum zu zu frühen Instandhaltungsmassnahmen oder gar Ersetzen einer Schutzlösung, die so noch nicht in der Budgetplanung aufgenommen war Unterhalt ist ereignis- und standortabhängig. In der Praxis definieren die Verantwortlichen meist Intervalle für die Vorort-Kontrolle der Barrieren. Dies kann einbis mehrere Male im Jahr bedeuten. Aber selbst bei häufigen Kontrollen kann ein Ereignis längere Zeit unentdeckt bleiben. Wenn dann ein Ereignis, beispielsweise ein grösserer Steinschlag, die Schutzkapazität reduziert, oder die Korrosion von gewissen Elementen, besteht in der Folge ein unnötiges Sicherheitsrisiko. Um den Bestand an flexiblen Schutzlösungen besser zu dokumentieren, in Echtzeit zu überwachen und Unterhaltsarbeiten im Voraus zu planen, wurde ein multi-funktioneller IoT Sensor, namens Guard entwickelt. Nach der genauen Vorstellung des Geräts wird zusätzlich ein Anwendungsbeispiel in Deutschland gezeigt, das seit knapp 2 Jahren im Einsatz ist. 2. IoT Gerät Geobrugg Guard Es wurde ein Gerät entwickelt, das die Umweltbedingung misst, sprich Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Korrosionsprozess, wie auch dynamische und quasi-statische Belastung mittels Beschleunigungssensor und Kraftmessung im Seil. 2.1 Entwicklung eines IoT Gerätes gemäss IoT Definition [1] Je nach Anwendungsfall muss man die Information am physischen Gerät abrufen können mittels RFID oder QR Code. Dies ist bei diesem Gerät, der Fall in dem RFID es ermöglicht Updates auf das Gerät zu spielen, wie es auch einen QR Code besitzt, welcher ermöglicht bei der Installation, mittels einer Webapp alle relevanten Informationen direkt aufzunehmen, oder schon im Datenportal diese darstellt. Andererseits wird auch verlangt das die Informationen, die übermittelt werden, bearbeiten werden können. In diesem Fall sind die Anforderungen relativ hoch, die Hardware muss zuverlässig sein, einen geringen Wartungsaufwand (da eine hohe Ausfallrate Wartungsarbeiten an sehr vielen Geräten, die mitunter räumlich weit auseinander liegen oder schwer zu erreichen sind, nötig macht), und einen niedrigen Energieverbrauch vorweisen. Letztlich sollten die Anschaffungskosten relativ gering sein, da möglichst viele physische Entitäten ausgerüstet werden müssen. Dies erfüllt alles auch der entwickelte Guard, der einen niedrigeren Energieverbrauch hat, die gemessenen Daten, werden wöchentlich gesendet, und das Gerät ist mit einer Batterie ausgestattet die eine Lebensdauer von ca.7 bis 10 Jahren hat, je nach wo sie ausgesetzt ist (warm/ kalt, guter/ schlechte Netzverbindung). Die Daten werden mittels GSM Netzwerk übermittelt (2G/ 3G oder Cat M1), und in einem mit Login geschützten Datenportal angezeigt. Entwicklung eines IoT fähigen Sensors zur Zustandsermittlung v. Infrastrukturschutzmassnahmen gegen Naturgefahren 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 215 Dort können die gesendeten Daten ausgewertet und interpretiert werden. Idealerweise geht eine Lernphase voraus, die es erlaubt den Sensor zu kalibrieren. 2.2 Sensorik im Guard Die eigens entwickelte Sensorik, misst den stattfindenden Korrosionsprozess, ist mit Temperatur und Feuchtigkeitssensoren bestückt, ist mit Beschleunigungssensoren ausgestattet, die einen dynamischen Prozess melden können und misst zusätzlich die Kraft in den Tragseilen der Schutzlösung, um langsame, pseudo-statische Veränderungen im System wahrzunehmen. Die Übertragung der Daten erfolgt über das Mobilfunknetz (GSM, UMTS oder LTE) direkt auf eine Cloud. Ein assoziiertes Datenportal erlaubt die Einsicht der stattfindenden Prozesse in quasi Echtzeit (siehe Abbildung 1). Verantwortliche kennen damit den Zustand ihrer Barriere nicht nur direkt nach einer Vor-Ort-Kontrolle, sondern laufend. Abbildung 1: Funktionsprinzip der Datenübertragung der Guards und die Anezige deren Daten. Die Sensorik und technischen Angaben sind in Tabelle 1 aufgelistet: Seilkraftmessung bis zu 30.000 kg Beschleunigung 0 g bis 200 g Orientierung XYZ-Achse Korrosion Strom (μA) Temperatur - 50°C bis 80°C Luftfeuchtigkeit 0% - 100% Energie Batteriespannung (V); Laufzeit 7 bis 10 Jahre Signalstärke RSSI Kommunikation 2G/ 3G; LTE Cat M1 Tabelle 1 2.3 Dynamische Lastfälle Die dynamischen Lastfälle, wie zum Beispiel einen Steinschlag, ein Murgang oder Baumschlag während eines Sturms oder Forstarbeiten, werden mittels zwei Beschleunigungssensoren erkannt und gemessen. Die zwei Sensoren messen zwei Bereiche zwischen 0 und 15g und 0 und 200g. Langfristig soll mittels den erhobenen Daten eine Aussage möglich sein über den möglichen Standort eines Einschlages, da eine Steinschlagschutzverbaaung mehrere 100m lang sein kann, sowie eine Einschätzung der Grösse des Steines oder dem Volumen einer Mure. 2.4 Statische Lastfälle Statische Lastfälle, wie langsam zunehmende Schneedecke, Last von gefüllten Material nach einem Murgang, etc, werden mittels einer Seilkraftmessung ermittelt. Deshalb wird der Guard an einem der Tragseile oder Rückhalteseil der Verbauung montiert (siehe Abbildung 2). Dank einer minimalen Umlenkung des Seiles unter dem Guard kann die Kraft des Seiles über Dehnmessstreifen ermittelt werden. Abbildung 2: Das Führen des Seils entlang des Guard und der Drahtseilklemme ermöglicht eine Messung der Kraft im Seil. 2.5 Korrosion Neben dynamischen, gravitativen Naturereignissen ist Korrosion der wichtigste Faktor für eine reduzierte Lebensdauer von Anlagen [2]. Weltweite Felderfahrung hat gezeigt, dass die Korrosionsklassen nach EN ISO 12944-2 [3] auf kleinem Raum stark variieren und zu unangenehmen Überraschungen führen können. Daher muss das Verständnis für korrosionsbegünstigende Mikroklimata verbessert werden. Ein Ziel des Guard ist es, durch die Bewertung der lokalen Korrosivität den Übergang von der Reparatur und vorbeugenden Instandhaltung zur vorausschauenden Instandhaltung zu ermöglichen. Dieses Gerät ist unter anderem mit einem speziell entwickelten Korrosionssensor ausgestattet. Der Korrosionssensor überwacht ständig die Umgebungsbedingungen der Barriere und erlaubt Entwicklung eines IoT fähigen Sensors zur Zustandsermittlung v. Infrastrukturschutzmassnahmen gegen Naturgefahren 216 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 eine Aussage über die Lebensdauer eines installierten flexiblen Schutzsystems, was zum Konzept der vorausschauenden Wartung führt. Korrosion ist im Bereich des Naturgefahrenschutzes problematisch, da die Funktionstüchtigkeit der Schutzsysteme von der vollen Integrität ihrer Komponenten abhängt. Eine angemessene Beschreibung der Korrosivität des zukünftigen Standortes eines Stahlschutzsystems ist grundlegend, um den richtigen Korrosionsschutz an den Stahlkomponenten zu gewährleisten. Heutzutage wird die Korrosivität der Umgebung nach EN ISO 12944-2 definiert und in 6 verschiedenen Korrosionsklassen von C1 bis CX beschrieben. Diese Umgebungsdefinition lässt viel Interpretationsspielraum offen. Die Lebensdauervorhersage von beispielsweise Draht-Zinkbeschichtungen nach ISO 9223: 2012-05 [4] ist gemäss EN ISO 12944-2 immer mindestens um den Faktor zwei ungenau. Wobei einfach gesagt C1 unproblematisch für eine Zn-Al-Beschichtung ist, die andererseits in einer C5-Umgebung schnell verschwindet. Leider sind diese Klassen sehr allgemein gehalten und basieren nur auf regionalen klimatischen Aspekten. Der Korrosionsprozess ist komplexer und hängt von mehreren Faktoren ab, die lokal stark variieren können. Faktoren, die ein Mikroklima schaffen, welches sich von der auf dem regionalen Klima basierenden Korrosivitätsklassifizierung unterscheidet, sind zum Beispiel eine Industrieanlage, die verschmutzte Luft ausstösst, das Vorhandensein von lokalem Wasser, das reich an Chlorid oder Schwefel ist, Gebiete, die immer im Schatten liegen und daher feuchter sind, oder andererseits sehr trockene Gebiete mit einem gewissen Salzeintrag, der nicht regelmäßig abgewaschen wird. Die Enteisung von Strassen im Winter induziert ebenfalls ein Mikroklima entlang des ersten Meters über der Straße, was zu beschleunigter Korrosion durch den Salzeintrag führt, obwohl man in einer alpinen Umgebung denken würde, dass die Korrosivitätsklasse C2 sein muss. Die Notwendigkeit, einen speziellen Korrosionssensor zu entwickeln, schien von größtem Interesse zu sein, um solche mikroklimatischen Bereiche um Schutzsysteme herum zu definieren und zu überwachen. Die prognostizierte Lebensdauer einer Schutzbauwerks kann beispielsweise gemäss definiertem Klima und Norm zwischen 30 und 90 Jahren liegen. Ohne laufende Messungen muss vom tiefsten Wert ausgegangen werden, was unnötige Kosten verursachen kann und auch bezüglich Nachhaltigkeit nicht überzeugt. Mit laufender Messung kennt der Infrastrukturbetreiber die reale Korrosion und kann entsprechend handeln Der Korrosionssensor wurde in einer Klimakammer und auf einem Testgelände in Helgoland, Deutschland, getestet. Die Ergebnisse in der Klimakammer und die Ergebnisse auf dem Korrosionstestgelände in Deutschland scheinen auf eine Proportionalität zwischen dem gemessenen Strom und dem Gewichtsverlust am Korrosionssensor hinzuweisen. Bisher wurden etwa 50 Boxen eingesetzt und erste Ergebnisse scheinen den Trend zu bestätigen. Weitere Schlussfolgerungen können nur gezogen werden, wenn die Geräte eine längere Zeit im Freien eingesetzt werden. 2.6 Restliche Sensoren und Anzeigen der Daten Die restlichen Sensoren wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit, sowie die Spannung der Batterie und die Signalstärke des Mobilfunknetz erlauben eine Plausibilitätsprüfung (stimmen die Temperaturen mit der Umgebung überein) und eine Statusanzeige des jeweiligen Gerätes um etwaige Wartung am Gerät selber frühzeitig vornehmen zu können. Die Daten werden übersichtlich auf einem Online-Dashboard angezeigt und liefern eine Vielzahl entscheidender Informationen, in welchem Zustand sich die Schutzlösung aktuell befindet. Auch werden die kalkulierten Abtragsraten des Korrosionssensors, sowie die umgerechnete Umlenkung des Seiles als Kraft in Newton dargestellt. 3. Anwendungsbeispiel in Heiligenberg, Deutschland mit dynamischen Einschlägen Die erstens Guards wurden im Sommer 2019 an mehreren Steinschlag- und Murgangbarrieren in ganz Europa angebracht. Die Standorte wurden nach bekannten häufigen Einschlägen und stark korrosiven Bereichen ausgewählt. Einer dieser Standorte ist an der Landesstrasse 201 an der Neuen Steige bei Heiligenberg in Baden-Württemberg. Ein Steinschlagschutznetz das besagte Landesstrasse schützt, wurde mit drei Guards ausgerüstet (siehe Abbildung 3). Abbildung 3: montierter Guard am Tragseil einer Steinschlagschutzverbauung Wie ersichtlich auf den Bildern ist diese Verbauung ein typisches Beispiel, das trotz Nähe zur schützenden Infrastruktur, stark unter der wachsenden Vegetation zunehmen verschwindet und langsam mit kleinem Geröll und Laub gefüllt wird (Siehe Abbildungen 4 und 5). Entwicklung eines IoT fähigen Sensors zur Zustandsermittlung v. Infrastrukturschutzmassnahmen gegen Naturgefahren 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 217 Abbildung 4: in der Vegetation verschwindende Steinschlagschutzverbauung in Heiligenberg Abbildung 5: über die Zeit verfüllte Barriere Am 16. Juni 2020 ereignete sich dann ein kleiner Steinschlag. Es handelte sich um einen Felsblock mit Kantenlängen von ca 100 cm x 100cm x 40 cm und einer Masse von etwa 1‘000 kg. Ein im Nachbarfeld des Einschlages installierter Guard, zeichnete das Steinschlagereignis auf: Beschleunigung 14,7 g, um 18: 00: 32 Uhr (siehe Abbildung 6 und 7). Das Ereignis löste unmittelbar via Dashboard und SMS eine Meldung dieses Einschlages aus. Die Unterhaltsverantwortlichen können damit geeignete Massnahmen ergreifen. Abbildung 6: Einschlag am 16. Juni 2020 Abbildung 7: Absolute Beschleunigung des Steinschlags am 16.06.2020 Am 4. März 2021 löste wiederum ein dynamischer Einschlag eine Meldung aus, diesmal war es ein Stück eines Baumstamms während Forstarbeiten (siehe Abbildung 8 und 9). Entwicklung eines IoT fähigen Sensors zur Zustandsermittlung v. Infrastrukturschutzmassnahmen gegen Naturgefahren 218 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 8: Einschlag eines Baumstammes nach Bereinigung und roden der Vegetation um die Verbauung. Abbildung 9: Absolute Beschleunigung am 04.03.2021 durch den Baumstamm Einschlag. 4. Fazit Dieser Beitrag zum Guard zeigt die Entwicklung eines IoT Gerätes zur Überwachung von Verbauungen gegen Naturgefahren zum Schutz von Infrastruktur. Der Guard ist in wenigen Minuten installiert auf Anlagen verschiedenster Hersteller. Mit seiner unabhängigen Energieversorgung funktioniert er bis zu zehn Jahre ohne Gerätewartung vor Ort. Der Guard liefert die wichtigsten Informationen, um eine zuverlässige Funktion der Schutzmassnahmen zu gewährleisten. Er ist zertifiziert und zugelassen für EWR-Länder und wurde unter verschiedensten Bedingungen an verschiedenen Standorten in Europa getestet. Diese IoT Lösung soll es ermöglichen weniger bzw. bedarfsgerechte Inspektionen durchzuführen und trotzdem eine 24/ 7-Überwachung zu gewährleisten. Dies reduziert die Inspektionskosten der Verbauung und erhöht das Sicherheitsniveau für die Arbeiter in der Gefahrenzone und der Verbauung selber. Auch wird vorbeugende Instandhaltung möglich. Über die Zeit werden Ereignisse protokolliert und wichtige Rückschlüsse werden möglich durch Kombinieren von Daten, z. B. Wildwechsel (Steinschlag), Wetterdaten (Murgang) und Luftverschmutzung (Korrosion). Referenzen [1] “Internet of Things.” Wikipedia, Wikimedia Foundation, 26 Apr. 2021, en.wikipedia.org/ wiki/ Internet_of_things. [2] Hofmann, H., Hörtnagl, A., Sorg, M., von Wartburg, J., 2020. Development of a digital device for monitoring and predictive maintenance of flexible steel protection systems against natural hazards. Proceedings of the 14 th Congress Interpraevent 2020. [3] ISO 9223: 2012-05 Corrosion of metals and alloys - Corrosivity of atmospheres - Classification, determination and estimation [4] Corrosion protection of steel by coatings and coatings 4; DIN EN ISO 12944-1 to DIN EN ISO 12944-8; 1998 Beuth Digital Twin 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 221 KI-gestützte Erstellung digitaler Zwillinge von Infrastrukturanlagen Dr. Ilka May LocLab Consulting GmbH, Darmstadt, Deutschland Zusammenfassung Unter einem Digitalen Zwilling (Digital Twin) wird gemeinhin ein virtuelles Abbild eines physischen Elements verstanden. Solche virtuellen Abbilder können in verschiedenen Erscheinungsformen auftreten mit sehr unterschiedlichen Charakteristiken und Einsatzbereichen - und zu stark unterschiedlichen Preisen. Daher lohnt es sich genauer hinzuschauen, was sich im Einzelfall hinter dem Begriff des Digitalen Zwillings verbirgt und was der Anwender erwarten kann. Durch eine Weiterentwicklung von Spieletechnologie und den Einsatz von KI werden die Kosten und Hürden für die Erstellung von digitalen Zwillingen signifikant reduziert und damit eine skalierbare Lösung für viele Anwendungsbereiche geschaffen. 1. Digitaler Zwilling - ein 3D Modell mit Struktur Ein Digitaler Zwilling wird allgemein als intelligente, digitale Repräsentation eines realen materiellen oder immateriellen Objekts beschrieben. Intelligent ist die Bezeichnung für die Fähigkeit von digitalen Zwillingen, Prozesse abzubilden, zu ermöglichen und zu optimieren. Digitale Zwillinge helfen bei der Planung, Realisierung, Instandhaltung, Betrieb, Erweiterung, Qualitätskontrolle und mehr. Das größte Potenzial von digitalen Zwillingen liegt unbestritten im produzierenden Gewerbe. Das volle Potenzial digitaler Zwillinge entfaltet sich, wenn Zwilling und physisches Abbild zu einem sogenannten bidirektionalen System werden, d.h. die beiden Komponenten tauschen Informationen miteinander aus und können so zu einem sich selbst steuernden System werden. Die Verknüpfung verschiedener digitaler Zwillinge und ihrer realen Gegenstücke innerhalb einer einzigen Produktionskette wird auch als digitaler Faden („digital thread“) bezeichnet. Mit Hilfe des digitalen Fadens ist der digitale Zwilling eines der vielversprechendsten Optimierungswerkzeuge für größere Unternehmen. Im hier vorgestellten Zusammenhang wird der Definition eines digitalen Zwillings die räumliche Komponente hinzugefügt, d. h. unter einem Digital Twin wird eine digitale, dreidimensionale, objektbasierte und realitätsgetreue Kopie des Objekts verstanden. Abbildung 1: Objekt-basiertes Modell mit Datenverknüpfung 1.1 Objekte machen den Unterschied Mit Building Information Modelling (BIM) haben 3D Modelle von geplanten Bauwerken Einzug in die Welt des Planens und Bauens erhalten. Durch BIM Modelle plant die Bauwirtschaft „endlich“ mit Objekten das Grundprinzip Geographischer Informationssysteme oder des objekt-basierten Modellierens und daher kein wirklich neues Konzept, aber im Bausektor lange verkannt. Was früher im Planungstool nur eine weiße Linie auf schwarzem Grund war, die mit etwas Glück auf einem sinnvoll benannten Layer gezeichnet war, weiß heute von sich selber, dass sie z.B. eine Starkstromleitung ist. Objekte ermöglichen u.a. die Verknüpfung und Verlinkung von Attributen und anderen Informationen, die außerhalb des Geometrie-Modells verwaltet werden. Dieses simple Prinzip sorgt für einen veränderten Umgang mit Daten und Informationen im gesamten Lebenszyklus von Bau- KI-gestützte Erstellung digitaler Zwillinge von Infrastrukturanlagen 222 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 werken und technischen Anlagen, auch während der Betriebs- und Produktionsphase. Die Semantisierung von 3D Modellen ermöglicht vielfältige Einsatzbereiche digitaler 3D Modelle für Planung, Visualisierung, Steuerung, Training, Wartung, Prozessoptimierung und mehr. Informationen, die bislang in komplexen Baumstrukturen, technischen Plätzen oder Systemdatenbanken nur einer geringen Anzahl technisch versierter Personen zugänglich waren, können nun - unter Einhaltung aller erforderlichen Datensicherung- und Zugriffsregelungen - intuitiv durch Ansteuerung des betreffenden Objekts oder Raums im 3D Modell gefunden werden. Dadurch wird der Digitale Zwilling zum Rückgrat des Daten- und Informationsmanagements. Interessant wird es, wenn der digitale Zwilling mit Hilfe des Internet der Dinge (IoT) zum Leben erweckt wird. Wo ein digitaler Zwilling Daten speichert, anzeigt und verwertet, greift das IoT in die Realität ein. So kann mithilfe des IoT über einen digitalen Zwilling z.B. die Temperatur der Heizung in einem Büro geprüft und verändert werden oder eine Maschine in einer Fabrik ferngesteuert. Der digitale Zwilling dient hier als visuelle Schnittstelle für das IoT, über den einerseits Daten erfasst (Wie warm ist es? ) und andererseits Kontrolle ausgeübt werden kann (33°, zu warm, bitte regulieren! ). Im Gegensatz zu reinen Dashboard-Ansichten typischer Asset Management Systeme bietet der raumbezogene Digitale Zwilling einen intuitiven und informationsreichen Kontext: der reale Raum. Denn die Aussage, dass die Temperatur von einem Sensor mit einer bestimmten Nummer in einem Raum mit einer bestimmten Bezeichnung 33° beträgt, ist von begrenztem Nutzen, wenn es darum geht, dass aus dieser Aussage Entscheidungen abgeleitet werden müssen. Der Raumbezug gibt wichtige Zusatzinformationen: was ist die Nutzung des Raums, wie viele Personen befinden sich darin (Personensensor), wo ist er, was befindet sich in den benachbarten Räumen, etc. Abbildung 2: raumbezogener Kontext durch den Digitalen Zwilling 2. Potenzial Digitaler Zwillinge Die Vision, ein funktionierendes digitales Zwillingssystem zur Modellierung und Analyse von Betriebs- und Zukunftsszenarien anbieten zu können, ist in vielen Industriezweigen eine Selbstverständlichkeit. Der Bausektor mit den komplexesten und variabelsten Szenarien ist jedoch ein riesiger Prototyp von Einzelprojekten. Gerade hier birgt der digitale Zwilling ein enormes Potenzial für mehr Weitsicht und eine bessere Grundlage für Investitionsentscheidungen. In der Planung wird zunehmend in 3D und mit vordefinierten Objekten gearbeitet. Unter dem Stichwort „BIM“ werden die Prozesse der Datenerstellung, -verwaltung und -nutzung in digitale Prozesse überführt. Dadurch erhofft sich die Branche Effizienzgewinne und Einsparungen bei Neu- und Umbauprojekten. Ein noch viel größeres Potenzial liegt jedoch in der Digitalisierung von Bestandsinformationen, um Produktionsprozesse, Wartungsvorgänge und Betriebsabläufe von bestehenden Anlagen und Bauwerken zu optimieren. Das größte Potential von digitalen Zwillingen liegt in naher Zukunft unumstritten in der Produktion. Mithilfe des „digitalen Fadens“ stellt der digitale Zwilling eine der vielversprechendsten Optimierungshilfen für größere Unternehmen dar. Er schafft Bindeglieder zwischen einzelnen Produktionsschritten und ermöglicht eine übergreifende Anpassung und Überwachung der Produktion. Für eine solche Art von System ist die Anbindung von künstlicher Intelligenz und machine learning Voraussetzung. Ein weiterer Vorteil digitaler Zwillinge ist die komplette Handlungs- und Risikofreiheit innerhalb der digitalen Modelle. Risikobehaftete Maßnahmen können ohne Konsequenzen einfach durchgeführt werden und anschließend, falls sich die Maßnahme bewährt hat, weitgehend risikofrei in die Realität übertragen werden. Oft wird der digitale Zwilling mit einem Cloud Service verbunden. Es scheint, als würden viele Unternehmer sehr großes Potential in der Verbindung zwischen digitalen Zwillingen und Cloud Services sehen. Hierbei geht es darum, den digital thread online zugänglich und einfach erweiterbar zu machen. Der digitale Zwilling ist für viele Experten auf dem Gebiet neben dem IoT einer der einflussreichsten Faktoren in der kommenden Industrierevolution Industrie 4.0. So setzt u.a. die CTO der Deutsche Bahn, Prof. Sabina Jeschke, voll auf den Digitalen Zwilling: “ Ich habe ein klares Ziel, eine Vision […] ‒ ich will unsere gesamte Bahnwelt, mit der Abbildung aller Komponenten, Akteuren, Einflussfaktoren und Beziehungen, in einer Art „physikalisch korrektem Computerspiel“ nachbilden. Ich will einen Digital Twin nicht von einzelnen Komponenten oder einem einzelnen ICE4, sondern von dem gesamten vernetzten und vermaschten System. Echtzeitfähig. Denn dann wäre ich in der Lage, völlig ohne Risiko, mit unseren Systemen zu experimentieren, Extremsituationen und völlig neue Prozesse zu simulieren - basierend auf den Daten der „realen Welt“.[1]. KI-gestützte Erstellung digitaler Zwillinge von Infrastrukturanlagen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 223 3. Anwendungsfälle für Digital Twins Die Einsatzbereiche Digitaler Zwillinge sind enorm vielfältig: von der politischen Mediation bei der Planung großer Bauvorhaben über Schulungen in einer virtuellen Umgebung bis zur Prozess- und Funktionsoptimierung von Maschinen und Anlagen. a. Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation Durch die Visualisierung von heutigem Bestand und verschiedenen Planungsvarianten helfen digitale Echtzeitmodelle Anwohnern und Betroffenen, die Auswirkungen geplanter Veränderungen zu verstehen. Es können ganze Stadtviertel oder Stromtrassen bis zu einzelnen Bauvorhaben oder Verkehrs- oder Klimaschutzmaßnahmen verständlich, real und interaktiv dargestellt werden. Die Berliner Verkehrsbetriebe haben im April 2020 eine geplante Anwohnerinformationsveranstaltung am digitalen Modell während Corona-Zeiten kurzerhand als Online- Veranstaltung durchgeführt und viel Lob und Dank dafür erhalten. Abbildung 3: Anwohnerinformationsveranstaltung mit digitalem 3D Modell - online vorgestellt b. Bestandsmodellierung und Planungsoptimierung Bauherren stehen häufig vor der komplexen und schwierigen Aufgabe, sich aus mehreren Planungsvarianten für eine Vorzugsvariante zu entscheiden. Im digitalen Zwilling können effizient Vergleiche verschiedener Varianten angestellt werden. Weiterhin kann durch den Dialog der Fachleute und Experten aus verschiedenen Disziplinen am Modell die Planung optimiert werden. c. Simulation und Prozessoptimierung Bei diesen Anwendungsfällen spielen die Objekte und Informationen im Digitalen Zwilling eine wichtige Rolle. Durch sie können Produktions- und Logistikvorgänge effizienter gestaltet werden und z.B. der Arbeitsschutz der Mitarbeiter verbessert werden. Ersatzteile können durch Klicken im digitalen Modell bestellt werden, Abläufe und Prozesse am digitalen Zwilling geplant und simuliert werden. Semantische Digital Twins können mit Simulatoren oder Datenanalyse-Software wie Apache Kafka verknüpft werden. Damit können am digitalen Modell Szenarien durchgespielt werden und wichtige Erkenntnisse über „was wäre wenn..“ gesammelt werden. So werden zeit- und ressourcenintensive Aktivitäten besser plan- und kontrollierbar. d. Asset und Facility Management Fast alle Betreiber großer Portfolien von Anlagen und Gebäuden verfügen über eine große Menge an Daten und Informationen in verschiedenen Formaten und Qualitäten. Über eine Verlinkung am digitalen Zwilling sind diese Daten nicht nur schneller auffindbar, sondern sie können durch den sichtbaren räumlichen Zusammenhang am digitalen Modell auch andere Erkenntnisse bereitstellen. In der Kombination mit Echtzeitdaten aus Sensorik und IoT können aus den Daten Anomalien erkannt werden, die auf mögliche Probleme und einen Bedarf für Wartungsmaßnahmen schließen lassen. e. Training und Lernen Wer sich mit Virtual Reality (VR) in 3D-Welten bewegt, lernt leicht und spielerisch. Egal ob alleine oder im Wettbewerb, das Training am virtuellen Modell steigert die Motivation, bringt große Lernerfolge und bietet gleichzeitig mehr Sicherheit. Am digitalen Modell sind aktive und passive sowie gerichtete und ungerichtete Trainingsanwendungen möglich, die mit geringem Aufwand konfiguriert und durchgeführt werden können. Abbildung 4: Digitaler Zwilling eines Wasserkraftwerks mit Live-Datenanbindung 4. Herausforderungen und Hürden der Skalierung Viele Eigentümer und Betreiber großer Anlagenportfolios sind mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert, egal ob es sich um Produktionsstätten, Verkehrsinfrastruktur oder andere Anlagen handelt: sie verwalten große Anlagenportfolios über einen weiten geografischen Bereich. Sie stehen unter zunehmendem Druck, Kosten und Kohlenstoff zu reduzieren sowie eine Vielzahl von Anforderungen und Vorschriften zu Energieeffizienz, KI-gestützte Erstellung digitaler Zwillinge von Infrastrukturanlagen 224 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz etc. einzuhalten. Sie müssen in immer komplexeren IT-Strukturen arbeiten, die oft historisch gewachsen sind und siloartige Daten verwalten. Die Fähigkeit, wichtige Informationen schnell zu finden, zu interpretieren und darauf basierend Entscheidungen zu treffen, ist aufgrund der Komplexität der Systeme oft eingeschränkt. Die fehlende Integration von Daten und Systemen schränkt ein gutes Verständnis für den Zustand der Anlagen ein. Es fehlt an räumlichen / geometrischen Inhalten. 3D- Konstruktionsmodelle sind nur von den neuesten Projekten verfügbar und nicht für Wartung oder Betrieb optimiert. Wenn Geometriedaten verfügbar sind, fehlt es meist an einer optimierten und integrierten Lösung für Wartung und Betrieb, um die Daten zu verwalten und zu nutzen. Eine Marktanalyse aus dem Jahr 2020 unter 250 Ingenieuren, Designern, Produktmanagern und Führungskräften [2] bestätigt diese Einschätzung: trotz allem Potenzials ist eine erfolgreiche Einführung auf Unternehmens- oder Organisationsebene oft schwierig. Zu den häufigsten Hemmnissen und Blockern gehören: • Keine Unterstützung durch das Management • Fehlender oder nicht verstandener Business Case • Unsicherheit, womit man anfangen soll • Finanzielle Hürden und mangelnde Bereitschaft zu Anfangsinvestitionen. • Mangelnde Integration vorhandener Software und Datenspeicher • Fehlendes Know-how zur Implementierung einer Lösung • Lösungen sind oft komplex und müssen aufwändig angepasst werden, kein „Off-the-shelf“ Produkt • Silohaftes Arbeiten, silohafte Datenstrukturen, silohafte Budgets, Verantwortungen, Zuständigkeiten - Silos sind das Gegenteil vom Digitalen Zwilling! 5. Digitale Zwillinge von Bestand - zu teuer? Es ist also festzuhalten, dass die Objektstruktur im Digitalen Zwilling der Schlüssel zu einer Vielzahl von wertschöpfenden Anwendungsfällen ist. Es ist auch ermutigend zu sehen, dass mehr und mehr objektbasierte 3D Modelle (aka „BIM Modelle“) aus Planung und Bau in den Betrieb und die Instandhaltung übergeben werden. Was aber ist, wenn die Produktionsanlage, Bahnstrecke oder der Flughafen schon seit vielen Jahren besteht und betrieben wird, aber kein „BIM Modell“ vorhanden ist, sondern nur 2D Zeichnungen oder alte Dokumente in einem Archiv? Wie kommt man schnell und möglichst günstig an ein objekt-basiertes Bestandsmodell? Aktuell ist häufig zu beobachten, dass die Erstellung eines Bestandsmodells zusammen mit Planungsleistungen ausgeschrieben wird. Da beginnt für viele Auftraggeber aber schon wieder das Problem: wie schreibt man das aus? Wie spezifiziert man die Qualität eines Bestandsmodells und wie sorgt man dafür, dass man bekommt, was man braucht? In Ermangelung eines Standards für Bestandsmodelle greifen die Auftraggeber dann oft auf Planungsstandards zurück. Nicht selten ist zu sehen, dass sogar die Nutzung bestimmter Planungssoftware gefordert wird. Das kann zu Qualitätsproblemen führen, die manchen Auftraggeber überraschen könnten. Nachfolgend ein Beispiel: ein Kreuzungsbauwerk ist über 40 Jahre alt und über die Zeit hat der einseitige Druck die Rückhaltewand verformt und geneigt. In einem Testprojekt wurde auf der Basis der gleichen Punktwolke das Kreuzungsbauwerk in einer Planungssoftware manuell nachmodelliert. Parallel dazu wurde auf der gleichen Datengrundlage eine Algorithmen-gestützte, automatisierte Modellierung vorgenommen. Der anschließende Vergleich beider Modelle zeigte, dass das Modell aus der Planungssoftware die kleinen Ausbeulungen und Dellen in der Wand nicht dargestellt hat. In diesem Modell war die Wand senkrecht und gerade - denn man plant in der Regel keine 40 Jahre alten Wände. Das Algorithmen-basierte Modell hat durch eine Tesselierung, also der Fähigkeit relativ simple gestaltete Objekte bei Bedarf in wesentlich komplexere Strukturen aufzuspalten, auch kleinste Dellen und Beulen erfasst. Ebenso wie die Neigung der Wand, die korrekt dargestellt wurde. Gerade im Lichtraum eines Gleises können wenige Millimeter Ungenauigkeit einen großen Unterschied machen. Abbildung 5: Kreuzungsbauwerk modelliert in semiautomatisiertem Verfahren Sehr weit verbreitet ist auch die Aufnahme von bestehenden Gebäuden, Brücken, Bahnstrecken oder technischen Anlagen mit terrestrischen oder drohnengestützten Laserscannern, aus denen hoch genaue farbige oder monochrome Punktwolken generiert werden. Die Nachteile dieses Verfahrens sind hohe Datenmengen, die von der Standard-Hardware der Betreiber oft nicht bewältigt werden können, sowie die fehlende Semantik, also eben die fehlenden Objekte. Ein weiterer Nachteil sind die hohen Kosten, die für die Datenaufnahme mit Präzisionsscannern anfallen. So ist es nicht ungewöhnlich, dass Betreiber großer Anlagen auf Terrabytes von teuren Punktwolken sitzen, die auf externen Festplatten in Regalen Staub ansammeln, da nach der Erstaufnahme keine Semantisierung und Prozessierung der Daten erfolgt ist und die Daten damit wertlos sind für den Besteller. KI-gestützte Erstellung digitaler Zwillinge von Infrastrukturanlagen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 225 Gerade bei Neu- und Umplanung von Infrastrukturanlagen kann ein zu modellierender Bestand schnell einige Quadratkilometer Ausdehnung haben, nicht zu sprechen von ganzen Flughäfen oder Bahnhöfen. Eine manuelle Modellierung in Planungssoftware, am Ende auch noch auf Basis umfangreicher 3D Laserscandaten, ist unverhältnismäßig teuer, was die zuvor genannten Hemmnisse für die Skalierung digitaler Technologien bestätigt. 6. KI und Spieletechnologie als Antwort Die Computerspielebranche hatte schon immer die Herausforderung, möglichst reale Welten mit hoher Performanz auf Computern und Geräten mit geringer Speicherkapazität und Rechenleistung darzustellen. Ein Spiel ist nur dann erfolgreich, wenn ein attraktives Erscheinungsbild einher geht mit einer intuitiven Bedienbarkeit und einer hohen Lauffähigkeit - also ohne Ruckeln und Sanduhr. Aus dieser Not entstand eine hoch ausgereifte Technologie, deren Potenzial zur Skalierung in der Nutzung Digitalen Zwillinge unverzichtbar ist. Das nachfolgend vorgestellte Verfahren bringt gleich eine ganze Reihe von Vorteilen mit sich: die Kosten für die Datenaufnahme können signifikant reduziert werden, denn die Produktion der Modelle basiert auf terrestrischer Photogrammetrie oder Videogrammetrie mit Hilfe von einfachen Digitalkameras. Aus den Eingangsdaten werden in einem semi-automatisierten Verfahren datenschlanke Vektormodelle errechnet. Eine Muster- und Objekterkennung sorgt anschließend für die Semantisierung, also die Erstellung von Objekten in den Modellen. Die Produktionsschritte sind nachfolgend erläutert. Schritt 1 - Datenaufnahme Für jede 3D-Modellierung braucht es zunächst eine Datenbasis, wobei die Datenaufnahme-Verfahren sehr unterschiedlich sind in Vorgehensweise und Aufwand, wie zuvor beschrieben. Ein erheblicher kostensparender Faktor der hier vorgestellten Methode ist, dass eine hohe Qualität der 3D-Modelle auf der Basis normaler Fotos oder Videos von Actionkameras erreicht werden kann. Das bedeutet, dass als Eingangsdaten lediglich Fotos aus der Fußgängerperspektive und einige Referenzmaße benötigt werden. Eine aufwändige und teure Datenaufnahme oder Punktwolken mit extrem großen und sperrigen Datenvolumen sind erstmal nicht erforderlich. Ein Beispiel: ein Hauptbahnhof in der Größenordnung von Karlsruhe erfordert circa drei Mannstunden für die komplette Datenaufnahme aller Publikumsbereiche inklusive Außenbereich, Bahnhofshallen, Verteilerebenen, Querbahnsteige und aller Bahnsteige und Fußgängertunnel. Schritt 2 - 3D Modellierung In dem hier vorgestellten Verfahren erfolgt die eigentliche 3D-Modellierung semi-automatisiert auf Basis einer „ToolChain“, die man sich wie ein Fließband von Algorithmen zur Prozessierung der Eingangsdaten vorstellen kann. Zunächst wird aus den digitalen Fotos eine sogenannte Masterfotographie erzeugt. Diese wird mit üblicherweise mit Hilfe von Geo-Informationen, zum Beispiel aus Katasterplänen, GPS der Kamera oder anderen Quellen verortet. Da Fotos zunächst maßstabslos sind, wird in der Masterfotographie mindestens ein Referenzmaß benötigt. Dies kann entweder vor Ort aufgenommen oder aus Katasterplänen o.ä. entnommen werden. Für die Erstellung eines 3D Modells aus der Masterfotographie werden die Prinzipien der darstellenden Geometrie genutzt - nur umgekehrt. Die Algorithmen errechnen aus den stürzenden Linien und Fluchtpunkten in der Masterfotographie die Verhältnisse der Längen zueinander. Durch das bekannte Referenzmaß sind die Algorithmen in der Lage, alle erforderlichen Längen zu errechnen und ein 3D Modell zu erzeugen. Bei der terrestrischen Fotogrammetrie wird also keine Punktwolke errechnet, sondern direkt in den Fotos gemessen - durch Algorithmen. Wenn als Eingangsdaten Videos vorliegen, läuft das Verfahren etwas anders ab. Hier wird in den Videos automatisiert eine Tiefenwertberechnung vorgenommen. Das Resultat kann als „videogrammetrische Punktwolke“ bezeichnet werden. Aus der Tiefenwertberechnung erzeugen Algorithmen ein sogenanntes „Mesh“ als Interimsprodukt, allerdings schon eine qualifizierte Vektorgeometrie, im Gegensatz zu der Punktwolke. Mit Hilfe von Referenzmaßen und Geokoordinaten wird die Geometrie skaliert und in die richtige Lage gebracht. Mit beiden vorgenannten Eingangsdaten kann eine durchschnittliche Genauigkeit von ca. 10 cm erreicht werden. Diese Genauigkeit ist für sehr viele Anwendungsfälle ausreichend, wie beispielsweise Visualisierung, Indoor-Navigation, teilweise auch Monitoring und Facilities Management. Auch für frühe Planungsphasen zum Variantenentscheid oder einer Machbarkeitsstudie reicht diese Genauigkeit in der Regel aus. Durch die Verwendung von Einmesspunkten, CAD Plänen oder auch Laservermessungen kann die Lagetreue des Modells bis auf die Genauigkeit der Eingangsdaten nachkalibriert werden - auch zu einem späteren Zeitpunkt. Die Videogrammetrie hat gegenüber der Fotogrammetrie den großen Vorteil, dass die Datenaufnahme schneller und damit günstiger ist. Auch die anschließende Prozessierung ist weniger aufwändig und erzielt höherwertige Ergebnisse. Abbildung 6: Vom Video zum Digitalen Zwilling KI-gestützte Erstellung digitaler Zwillinge von Infrastrukturanlagen 226 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Schritt 3 - Vektorisierung und Semantisierung des 3D Modells In der ToolChain laufen zur weiteren Verarbeitung des 3D Modells eine Reihe von Algorithmen ab. Zunächst werden durch Mustererkennung Vektoren erkannt und gesetzt. Im Anschluss an die Vektor- und Musterdetektion erfolgt die automatisierte Objekterkennung und damit der wichtigste Schritt in der Semantisierung. Das Herz der hier geschilderten Technologie bildet eine umfassende und gut strukturierte Objektbibliothek, die aus geometrischen Repräsentanzen der bebauten und der natürlichen Umwelt besteht. Sie umfasst bis zu elf Detaillierungsgrade (LoD), um verschiedenen Anforderungen optimal gerecht werden zu können. Algorithmen in der ToolChain detektieren Objekte auf Basis der gesetzten Vektoren. Die Objekte werden mit den Objekten in der Bibliothek verglichen. Bei einer Übereinstimmung werden Instanzen aus der Bibliothek in die Szene referenziert. Dadurch wird neben der Semantisierung die außergewöhnliche Datenschlankheit der Modelle erreicht, da die „datenschweren“ Pixel und Rasterdaten durch Vektoren ersetzt werden. Die beschriebenen Vorgänge laufen semibis vollautomatisch ab. Abbildung 7: „klickbare“ Objekte mit Datenanbindung Schritt 4 - Übergabe und Nutzung der Modelle Viele Auftraggeber möchten 3D-Modelle anschauen und bedienen können, ohne dafür eine spezielle Software installieren zu müssen. Daher kommen die Modelle zur Visualisierung und Kommunikation in ihrem eigenen „Player“. Dieser Player basiert auf einer Games-Engine, die für eine Darstellung von 3D-Realraummodellen optimiert wurde. Er kann als ausführbare Datei (.exe) bzw. in Form einer WebGL-Anwendung für eine Betrachtung im Browser ausgeliefert werden. Die maßgeblichsten Unterschiede des Viewers im Vergleich zur Standard Games Engine liegen im Geo-Daten- Layer, denn normalerweise können Game-Engines Geo- Koordinaten nicht berechnen, sowie in der Möglichkeit eine weitaus größere Anzahl individueller Objekte auf einmal anzuzeigen. Der Player verfügt über ein Lade- und Entladekonzept, welches die 3D-Szene vor der Kamera lädt und hinter der Kamera entlädt. Hinzu kommt ein umfassendes LoD- Management, das über die oben beschriebenen bis zu elf Stufen der Modellierungsgrade geführt werden kann. In einiger Entfernung vor der Kamera werden gröbere 3D- Modelle (also gröbere LoDs) angezeigt, als in unmittelbarer Nähe. Dadurch wird gewährleistet, dass die Geometrielast, die vom PC berechnet werden muss, immer möglichst gleich hoch ist. Das Lade- und Entladekonzept des Players ermöglicht es theoretisch, unendlich viel Content in einen einzigen Player zu packen. Neben dem Player als Standard-Ausgabeformat können eine Reihe von weiteren Formaten ohne nennenswerten Mehraufwand aus der ToolChain exportiert werden. Zunehmend werden web-gestützte Applikationen angefragt, die vollständig unabhängig von der Hardware des Betreibers genutzt werden können. Dazu wird der Player in einer WebGL Version ausgespielt. Für Umplanungen wünschen die Auftraggeber häufig editierbare CAD Modelle in nativen Formaten mit Objektbezug. Trainingsanwendungen werden häufig als Virtual Reality (VR) oder Augmented Reality (AR) Formate angefragt, die dann mit entsprechenden 3D Brillen genutzt werden. Auch Filme oder Renderings können aus den Modellen heraus effizient erstellt werden. 7. Datenintegration anstatt Silos Im Bausektor wird häufig in der Dateninteroperabilität eine Art heiliger Gral gesehen. Es besteht der Wunsch, Geometrie und Alphanumerik über verschiedene Softwares unterschiedlicher Hersteller verlustfrei austauschen zu können. Aber was genau bedeutet eigentlich „Interoperabilität“? Der interoperable Ansatz verwendet ein festes Schema, das den theoretischen bidirektionalen Datenaustausch zwischen zwei konformen Anwendungen ermöglicht. Fehlendes Eigeninteresse großer Softwarehersteller und die hohe technische Komplexität eines solchen Universal-Austauschformats haben jedoch gezeigt, dass der Ansatz für einen Datenaustausch in bidirektionaler Richtung unzuverlässig ist. Daher sollten wir uns vielleicht mehr mit der Datenintegration befassen, die ein übergeordnetes Schema verbindet, mit dem alle Daten ausgetauscht werden können, egal wie sie aussehen. Dies ist in dem Bereich der Ingenieurswissenschaften besonders attraktiv. Um den Betriebs- und Servicewert der Anlageninformationen zu erhöhen, müssen immer wieder andere Kontextdaten integriert werden. Das erfordert ein erweiterbares Datenschema, in welchem zwar standardisiert, aber auch flexibel skaliert werden kann. Wie kaum eine andere Technologie hat der raumbezogene Digitale Zwilling das Potenzial für eine echten Datenintegration anstatt einer silohaften Datenhaltung. Eingebettet in durchdachte Konzepte und die entsprechende Integrationsplattform, profitieren Betreiber, Bauherren, Produkthersteller und Planer gleichermaßen. Ein Beispiel für eine web-basierte Integrationslösung ist in Großbritannien am Großprojekt High Speed 2 (HS2) im Einsatz. HS2 ist eine in der Planung befindliche KI-gestützte Erstellung digitaler Zwillinge von Infrastrukturanlagen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 227 Hochgeschwindigkeitsbahnlinie von London über Birmingham in den Norden Englands. Bei der Integrationsplattform unter dem Namen BIM Visualisation Hub geht es darum, wie Anlagen- und Konstruktionsinformationen erstellt, gespeichert, ausgetauscht und Technologien genutzt werden, um die Effizienz zu steigern und die Verpflichtungen eines so anspruchsvollen Projekts wie HS2 zu erfüllen. HS2 hat erkannt, dass digitales Engineering wichtig ist, um den Stakeholdern einen Mehrwert über die gesamte Lebensdauer zu bieten, die Sicherheit zu verbessern und zur ökologischen Nachhaltigkeit beizutragen. Dies wird erreicht, indem Informationen besser sichtbar gemacht werden, sie in einem gemeinsamen und sicheren Raum zusammengeführt und die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten maximiert wird. Während der Planung und des Baus der Bahn nutzt HS2 ihre Daten und modernste Technologien, um eine „Virtuelle Railway“ zu entwickeln. Diese bildet ein integriertes ‚virtuelles‘ oder ‚digitales Modell‘ der Projektinformationen und aller Bahnanlagen, die als dreidimensionale Entwürfe in der Umgebung, in der sie gebaut werden, visualisiert werden können. Dies hilft HS2, Informationen abzufragen, Annahmen zu testen und Entscheidungen mit Ihren Stakeholdern zu validieren, während sie die Bahn planen, entwerfen und liefern. Während der gesamten Bauphase wird die Installation von sensorgesteuerten Geräten sicherstellen, dass Echtzeitdaten in das digitale Modell zurückgeführt werden. Diese Live-Konnektivität zwischen den physischen Anlagen und der virtuellen Bahn wird die Grundlage für den betrieblichen „Digitalen Zwilling“ bilden. Der digitale Zwilling wird das optimierte Management der Bahn unterstützen und dazu beitragen, den zukünftigen Kunden ein verbessertes Erlebnis zu bieten [3]. Abbildung 8: Integrationsplattform HS2 BIM Vis Hub 8. Fazit Für einen Großteil der Anwendungsfälle für digitale Zwillinge wird keine millimetergenaue Geometrie benötigt, dafür aber Semantik und Objekte. Diese Erkenntnis hilft Kosten zu senken und bedarfsgerechte Datenmodelle bereitzustellen, die den Anwendern einen echten Mehrwert bieten. Der Hebel in die Skalierbarkeit der digitalen Zwillinge liegt u.a. in der Automatisierung bei der Erstellung, was durch den Einsatz von KI bereits eindrucksvoll geleistet wird. Literaturangaben [1] DB Systel GmbH (2020) Digital.Trend.Studie Digital Twin - Zwischen den Welten. Potential, Reifegrad und Einsatzgebiete Digitaler Zwillinge für die DB. - online verfügbar: https: / / www. dbsystel.de/ resource/ blob/ 5654212/ b0c1fa2596dc441d8525c6f53e3ff856/ 200930_Digital-Trend- S t u d i e _ D i g it a l - Tw i n _ F I N A L d a t a . p d f # p a ge=26&zoom=auto,-125,128 (zuletzt abgerufen 27.04.2021). [2] Engineering.com (Hrsg.) (2020): Are We Ready for Digital Twins? Engineering.com audience survey of perceptions and readiness.online verfügbar: https: / / discover.3ds.com/ sites/ default/ files/ 2020-01/ are-we-read-for-digital-twins.pdf (zuletzt abgerufen 27.04.2021). [3] BIM+ (Hrsg.) (2021): HS2’s Dr Sonia Zahiroddiny: ‘Digital is key to our success’.online verfügbar: https: / / www.bimplus.co.uk/ analysis/ digital-engineering-holds-key-hs2s-future-success/ (zuletzt abgerufen 27.04.2021). 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 229 Den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken Parametrische Modellierung von Infrastrukturgebäuden und deren KI-gestützte Simulation von Fahrgastströmen Dr. Angelika Kneidl, Sophia Simon accu: rate GmbH, München, Deutschland Maximilian Weiß, Victoria Büttner DB Netz AG, München, Deutschland Jimmy Abualdenien Technische Universität, München, Deutschland Zusammenfassung Die Personenzahlen im öffentlichen Nah- und Fernverkehr werden durch die Energie- und Verkehrswende in den nächsten Jahren zunehmen. Dies wird einen neuen Fokus auf die Sicherheit der Menschen legen. Wie wird ein Bahnhof in Zukunft optimal wirtschaftlich gebaut und genutzt, aber gleichzeitig die Sicherheit der Personen gewährleistet? Zur Beantwortung dieser Frage haben sich die Projektbeteiligten des Großprojekts 2. Stammstrecke München der DB Netz AG mit der accu: rate GmbH, der TUM sowie dem Fachplaner SSF Ingenieure für das Forschungsprojekt BEYOND zusammengeschlossen: Um Architekten, Ingenieure und ihre Auftraggeber bei der Entscheidungsfindung in frühen Phasen der Planung bzw. Umplanung von Bahnhofsgebäuden zu unterstützen, werden Personenstromsimulationen in parametrische BIM-Modelle integriert. Diese Kombination erlaubt es, mithilfe eines Machine Learning Ansatzes, Varianten schnell zu testen und zu prüfen. Dadurch wird es möglich, Vorhersagen von zu erwartenden Personenströmen in Entwurfsvarianten auf Knopfdruck zu erhalten und den Gebäudeentwurf frühzeitig mit geringem Aufwand anzupassen. 1. Einleitung Die Stärkung der Schiene ist eines der wichtigsten Projekte für die Mobilitätswende in Deutschland, deutlich wird dies bei näherer Betrachtung der geplanten Investitionen in die zukünftige Infrastruktur [1]. Insbesondere bei Großprojekten kommt es mit traditionellen Methoden immer wieder zu Planungsfehlern. Solche Projekte sind sehr komplex und müssen vielen unterschiedlichen Anforderungen standhalten. Gleichzeitig lässt diese Arbeitsweise es aber nicht zu, dass die vielen verschiedenen Beteiligten an einem gemeinsamen Modell gleichzeitig arbeiten. Viele der Großprojekte scheitern genau an dieser Vorgehensweise: der Flughafen BER hat den Zeit- und Budgetplan auf nie dagewesene Weise gesprengt [2], bei der Elbphilharmonie wurden die ursprünglich geplanten Baukosten um mehr als das 10-fache überschritten [3], beim Grenfell Tower in London haben die Planungsfehler sogar zu 71 Toten geführt [4]. Solche massiven Fehlentscheidungen können mit Building Information Modeling (BIM) verhindert oder zumindest vermindert werden, indem eine gemeinsame Datenbasis für ein Gebäude geschaffen wird und ein Modell, an dem alle Beteiligten zusammenarbeiten. Gleichzeitig ermöglicht es auch neue, digitale Planungswerkzeuge besser in den Prozess zu integrieren, wie beispielsweise Ingenieurmethoden im Brandschutz. 2. Ingenieurtechnische Methoden: Status Quo Aufgrund der steigenden Anforderungen und der zunehmend komplexer werdenden Bauwerke kommen ingenieurtechnische Methoden immer häufiger zum Einsatz. Gerade im Sonderbau entstehen oftmals Anforderungen, die in den geltenden statischen, allgemeingehaltenen Normen und Vorgaben nicht betrachtet werden. Daher haben sich in den letzten Jahren ingenieurtechnische Verfahren zunehmend etabliert. Mithilfe dieser Verfahren kann bspw. mit schutzzielbasierten Vorgaben Den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken 230 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 überprüft werden, wie ein Gebäude im Brandfall sicher geräumt werden kann. Als ein ingenieurtechnisches Verfahren werden Personenstromanalysen eingesetzt; diese können entweder mikroskopischer oder makroskopischer Art sein. Die Unterschiede der Analysearten werden in [7] besprochen. Es können wichtige Erkenntnisse gewonnen werden: so kann die sichere Räumung virtuell nachgespielt und auf mögliche Engstellen untersucht werden. Räumungszeiten können ebenso wie Stauzeiten ermittelt und in Kontext gesetzt werden. Diese Größen unterstützen den Brandschutzplaner bei der Bewertung der Sicherheit und ermöglichen ihm Varianten miteinander zu vergleichen und Entscheidungen über Kompensationsmaßnahmen zu treffen Insgesamt werden Planungen resilienter und belastbarer; bei Abweichungen vom Baurecht kann die Sicherheit objektiv belegt werden. Dies kann insbesondere bei Zulassungen im Einzelfall (ZiE) oder bei „Nachweisen gleicher Sicherheit“ einen großen Vorteil bieten. Mikroskopische Personenstromsimulationen unterstützen nicht nur bei der Erstellung von Räumungskonzepten. Sie können auch den Normalfall abbilden und wichtige Erkenntnisse über den Level of Service [17] der Station oder Umsteigebeziehungen liefern. 2.1 Auf welcher rechtlichen Basis können Simulationen bewertet werden? Die Vorteile solcher Simulationen greifen jedoch nur, wenn die Ergebnisse der Simulation realitätsnah und verlässlich sind. Sie müssen valide sein. Deshalb muss die Erstellung und Durchführung von Simulationen standardisiert werden, um zu gewährleisten, dass sie prüfbar sind und damit in Genehmigungsprozessen zugelassen werden können. In den letzten Jahren wurde deshalb intensiv an der Standardisierung gearbeitet. Im Rahmen der E DIN 18009- 2 [6] werden ingenieurtechnische Verfahren im Brandschutz als anerkannte Regel der Technik gefasst, um im Sonderbau performancebasiert Nachweise zur Personensicherheit zu führen. Diese Normierung basiert auf unterschiedlichen Vorarbeiten (z.B. [7],[13]). Auf internationaler Ebene wurde Ende 2020 die ISO-20414: 2020 Fire Safety Engineering [8] veröffentlicht, die ebenfalls Anforderungen an ingenieurtechnische Verfahren beschreibt. Auch im Arbeitsschutz gibt es Fortschritte in der Anerkennung von Ingenieurmethoden bei Anwendung der ASR A2.3 [5]. Im Rahmen der Fortschreibung der Richtlinie wurde ein Gutachten erstellt, in dem die Auswirkungen von Fluchtwegbreiten auf die Räumungszeit und den Räumungsverlauf systematisch untersucht wurden [10]. Die Untersuchungen basieren u.a. auf dem Einsatz von mikroskopischen Simulationsprogrammen. In der fortgeschriebenen ASR A2.3, die voraussichtlich Mitte 2021 erscheinen wird, sollen normgerechte Simulationen auch im Arbeitsschutz zur Nachweiserstellung eingesetzt werden können. Die aktuellen Fortschritte in der Normierung zeigen in aller Deutlichkeit die Relevanz von ingenieurtechnischen Methoden. Auch sind bereits bei komplexen unterirdischen Bauten, insbesondere Bahnhöfen des ÖPNV, Simulationen für den Räumungsfall von Genehmigungsbehörden und Feuerwehr gefordert worden. 2.2 Welche Hürden bestehen beim Einsatz solcher Simulationen? Doch das Erstellen einer Simulation ist oftmals aufwändig und erfordert tiefe Fachkenntnisse, um die richtigen Parameter zu setzen und die Ergebnisse richtig zu interpretieren. Die Methode der Personenstromsimulationen hat als Grundlage eine detailgetreue Geometrie, die aktuelle Änderungen und Planstände wiedergibt. Hierzu zählt zum einen die korrekte Abbildung der Geometrie, insbesondere Fluchtwege und Fluchtwegbreiten. Genau hier liegt oftmals die Herausforderung: Simulationen werden auf Plangrundlagen durchgeführt, die keine semantischen Informationen enthalten. Diese Informationen müssen manuell vom Ersteller hinzugefügt werden bzw. interpretiert werden. Im Normalfall werden die Pläne zunächst bereinigt, bevor sie an das Simulationsprogramm übermittelt werden können. Dies hat einen Medienbruch zur Folge und führt schnell zu Fehlern und Unstimmigkeiten. Gleichzeitig fehlen aufgrund von 2D Plänen oftmals wichtige Informationen oder die Pläne enthalten widersprüchlichen Informationen, die dann zunächst mit den jeweiligen Gewerken geklärt werden müssen. Auch sind 2D Pläne nicht parametrisierbar: Kleine Änderungen an einer Stelle (bspw. die Veränderung der Bahnsteigsbreite) führen zu oftmals manuellen Anpassungen im gesamten Plan und machen so ein Testen von unterschiedlichen Varianten sehr aufwändig. Zum anderen benötigt man für die Simulation von Personenströmen genaue Daten zu der zu betrachtenden Personenzahl und Belegung. Diese sind oftmals nicht hinterlegt und müssen zusätzlich erarbeitet werden. Abbildung 1: Schematische Darstellung des Prozesses zur Erstellung einer mikroskopischen Simulation. Den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 231 Aus diesen Gründen vergehen oftmals Wochen zwischen dem Entschluss, Simulationen als Nachweisverfahren einzusetzen und dem Ergebnis der Simulation. Das führt dazu, dass die Ergebnisse, wenn sie vorliegen, bereits veraltet sein können aufgrund eines aktuelleren Planstands. (siehe auch Abbildung 1). Jede Planänderung muss im schlechtesten Fall manuell nachgezogen werden, was den (wiederholten) Einsatz solcher Methoden oft unattraktiv macht. Um diesem Problem zu entgehen, werden Simulationen meist erst bei der Genehmigungsplanung erstellt. Dann aber noch Änderungen und Erkenntnisse der Simulation in die Planung einfließen zu lassen, ist kaum mehr möglich. Auch der Zugang zu den Ergebnissen ist nicht integriert: Simulationsgutachten werden beispielsweise mit einem Brandschutzkonzept zur Genehmigung eingereicht und werden nicht weiterverwendet. Dabei könnten sie auch im Betrieb großen Mehrwert bringen und als Entscheidungsgrundlage für spätere Umbaumaßnahmen herangezogen werden. Bisher bleiben sie jedoch nur eine Momentaufnahme zu dem spezifischen Planungsstand. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass zum einen der Medienbruch einen nicht unerheblichen manuellen Aufwand erzeugt, um Simulationen zu erstellen. Zum anderen können die Erkenntnisse nicht in dem Umfang genutzt werden, der erforderlich wäre, um Sicherheit und gleichzeitig Wirtschaftlichkeit zu garantieren. 3. Kosten und Aufwand: Lösung BIM? Aus Simulationen können bereits in der Planungsphase große Effizienzsteigerungen entstehen, die im Betrieb erst sichtbar werden. Der Grund, warum Simulationen beim Entwurf eines Gebäudes nicht häufiger zum Einsatz kommen, liegt vor allem darin, dass Kosten und Nutzen nicht immer im Verhältnis stehen bzw. erst später im gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes wieder ausgeglichen werden. Was kann also getan werden, um a. den Medienbruch zu überwinden und die manuellen Aufwände zu reduzieren b. die Simulationen tief in den Planungsprozess zu integrieren und wiederholbar einzusetzen c. und damit sichere, nachhaltige und wirtschaftliche Planung für den gesamten Lebenszyklus zu garantieren? Die Antwort darauf lautet: Nutzung der Arbeitsmethode BIM. Diese wird in den nächsten Abschnitten näher erläutert. 3.1 Was ist BIM? BIM steht für Building Information Modelling und kommt immer häufiger in Bauplanungsprojekten zum Einsatz. In der Planung von öffentlichen Infrastrukturprojekten ist es bereits in naher Zukunft vorgeschrieben, mit dem BIM-Prozess zu planen [15]. Abweichend von dem bisherigen Planungsprozess soll hier anhand eines 3D (4D/ 5D/ xD) Modells über unterschiedliche Gewerke hinweg an einem gemeinsamen digitalen Modell geplant werden. Unterschiedliche Sichten auf das Modell ermöglichen den jeweiligen Gewerken, ihre spezifischen Informationen in das Modell einzupflegen. So entsteht auch über die Bauzeit hinaus die Grundlage für einen sogenannten digitalen Zwilling. Dieser entspricht einer digitalen Kopie des Bauwerks mit allen Details. Aus vormals 2D-Zeichnungen ohne Semantik werden so virtuelle Objekte, die mit spezifischen Eigenschaften versehen und parametrisierbar gemacht werden können. Eine Wand ist dann nicht mehr nur ein Strich im Plan, sondern wird als Wandobjekt modelliert und trägt damit Eigenschaften, wie z.B. das Material, die Feuerwiderstandskraft, die Masse etc. 3.2 Welche Lücke schließt BIM? In dem semantischen Datenmodell können beliebige Sichten für die unterschiedlichen Beteiligten einer Planung oder im Betrieb eines Gebäudes definiert werden. Damit schafft BIM eine gemeinsame Informationshaltung, die zu jedem Zeitpunkt für alle Beteiligten auf einem aktuellen und konsistenten Stand ist. Diese gemeinsame Informationshaltung erleichtert nicht nur die Zusammenarbeit während der Planung, sondern auch die Instandhaltung im späteren Betrieb, da der Medienbruch in der Übergabe zum Betrieb zukünftig wegfällt. BIM ermöglicht den Einsatz vielseitiger Analysen, unter ihnen Personenstromsimulationen. Aufgrund der objektbasierten Datenhaltung und damit vorhandene Semantik können ingenieurtechnische Verfahren und andere digitale Werkzeuge auf eine kontinuierliche Weise integriert werden. Damit können sie die Planung und den Betrieb von Gebäuden als fester Bestandteil nachhaltig unterstützen. Eine Parametrisierbarkeit der Geometrie ermöglicht zudem ein schnelles und automatisiertes Testen von Varianten. Auch Normen und Grenzwerte können direkt im System hinterlegt werden und mithilfe von Modellchecks zu jederzeit überprüft werden. Im Gegensatz zu den bisherigen 2D-Modellen können im BIM-Modell alle für die Analysen z.B. im Brandschutz benötigten Daten hinterlegt werden. Die Geometrie ist auch bei sich ändernden Planständen immer aktuell. Schon in frühen Planungsphasen können Personen- und Belegungszahlen, erste Informationen für Passagierführung, Umsteigebeziehungen, Räumungskonzepte und Fluchtwegeführungen eingepflegt und überprüft werden. Den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken 232 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 3.3 Wie kann BIM in den bisherigen Planungsprozess integriert werden? Der Hauptvorteil der Methode ist es, konsistente und semantische Informationen über ein Gebäude zu jedem Planungsstand bereitzuhalten. Damit dies auch in der Praxis gelingt, muss eine Standardisierung des Datenmodells stattfinden. Dazu dient der Datenstandard IFC (Industry Foundation Classes) [12], der die Elemente und Eigenschaften von digitalen Gebäudemodellen beschreibt. Der Standard wird fortlaufend von buildingSmart International weiterentwickelt, um neue Anforderungen an die Daten abzubilden. Dazu werden sog. MVDs (Model View Definitions) benötigt, die wie eine Art Schablone über das Modell gelegt werden können, um zu prüfen, ob alle benötigten relevanten Daten im Modell vorhanden sind. Um diese Daten zu definieren, müssen IDMs (Information Delivery Manuals) erarbeitet werden. Dies geschieht anhand von typischen Anwendungsfällen sowie der Untersuchung von geltenden Vorschriften, Normen und Verordnungen. Hierzu haben sich sowohl in Deutschland als auch weltweit Arbeitsgruppen geformt, die an der Erweiterung des IFC-Standards über die nächsten zwei Jahre arbeiten werden. Sie beschäftigen sich in den kommenden zwei Jahren mit der Integration von Personenstromsimulationen. Damit soll ermöglicht werden, dass die Analysen mithilfe von Simulationen in allen Planungsphasen wiederholbar durchgeführt und die Ergebnisse nachvollziehbar dokumentiert werden. Abbildung 2 zeigt schematisch, wie datenbasiert die Integration von Brandschutz in das digitale Gebäudemodell erfolgen kann. Abbildung 2: Überblick über die zukünftige Integration von Brandschutz in den BIM Planungsprozess 3.4 Erste Beispielimplementierung des Prozesses Im Rahmen zweier Forschungsprojekte ([11],[12]) wurde und wird die Integration von ingenieurtechnischen Methoden am Beispiel von Personenstromsimulationen untersucht. In einem ersten Pilotprojekt ist es gelungen, das BIM-Modell mithilfe einer beispielhaften MVD (Model View Definition) automatisiert auf fehlende Eingangsdaten für die Simulation zu überprüfen. Der Planer bekommt ein detailliertes Feedback zu den fehlenden Daten und kann diese unmittelbar im Modell nachpflegen. Eine automatisierte Schnittstelle kann das so geprüfte BIM-Modell einlesen (im Rahmen des Forschungsprojekts wurde das mikroskopische Simulationsprogramm crowd: it [16] der Fa. accu: rate verwendet) und mit nur wenigen manuellen Arbeitsschritten kann daraus eine Simulation erstellt werden. Die Ergebnisse wurden in Form von Videos im vorhandenen BIM-Modell visualisiert. Ein Überblick über den Prozess ist in Abbildung 3 dargestellt. Abbildung 3: Schematischer Überblick über die automatisierte Integration von Personenstromsimulationen in den Planungsprozess, nach Abschluss des Projekts AHEAD Abbildung 4: Schematischer Überblick über die automatisierte Integration von Personenstromsimulationen in den Planungsprozess, nach Abschluss des Projekts BEYOND Um diesen Prozess automatisiert durchführen zu können, muss eine Standardisierung der Datenmodelle stattfinden. Gerade nimmt eine Arbeitsgruppe „Occupant Movement Analysis“ bei buildingSmart International ihre Arbeit auf, um systematisch zu identifizieren, welche Daten im Standard fehlen und wie sie ergänzt werden können. Diese Arbeiten werden unter anderem von Forschungsgeldern des Nachfolgeprojekts BEYOND [12] finanziert. Ziel in BEYOND ist es auch, die Ergebnisse der Simulationen persistent zu jedem Planstand zurückzuspielen und so jederzeit verfügbar zu haben (siehe Abbildung 4). Eine tiefe Integration von Personenstromsimulationen in den Planungsprozess ermöglicht, dass Simulationen Den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 233 wiederholbar ohne erhebliche Aufwände durchführbar werden. Dies in Kombination mit parametrischer Modellierung ebnet den Weg für den Einsatz von Simulationen als Datengenerator für AI. 3.5 Parametrisierte Modelle als Grundlage für AIgestützte Analysen Als Ansatz zur Entwurfsexploration während der Entwurfsphase ermöglichen parametrische Entwürfe [18] die automatische Generierung realistischer und regelkonformer Entwürfe. Das Hauptkonzept besteht darin, dass die notwendige Logik für die Kombination der verschiedenen Bauelemente mit Hilfe einer Programmiersprache, wie z. B. Python definiert und durch eine Reihe von Eingabeparametern angepasst wird. Die verschiedenen Kombinationen und die Interaktion zwischen diesen Parametern führen zu zahlreichen Entwurfsvarianten. Beispiele für bestehende Werkzeuge, die die parametrische Modellierung unterstützen, sind Dynamo [19] und Grasshopper [20], die eine direkte Integration mit Autodesk Revit [21] und Rhino3D [22] ermöglichen. Abbildung 5: Beispielhafte Parametrisierung in Dynamo Abbildung 6: Parametrisierbares Modell Abbildung 5 und Abbildung 6 zeigen ein Beispiel für ein parametrisches Dynamo-Modell, das mehrere Eingaben entgegennimmt, um automatisch gültige Designvarianten eines Bahnhofs zu generieren. Die verschiedenen Parameter werden kombiniert und an eine in Python implementierte logische Beschreibung übergeben, um automatisch ein Bahnhofsdesign zu generieren. In letzter Zeit haben künstliche Intelligenz (KI), insbesondere Deep-Learning-Modelle (DL), große Fortschritte bei verschiedenen Aufgaben, wie z. B. der Segmentierung und Generierung von Bildern, gezeigt [23]. Dementsprechend haben solche Modelle ein großes Potenzial, um bahnbrechende Leistungen bei der Vorhersage von Leistungs- und Analyseergebnisse in Echtzeit zu erzielen. Allerdings benötigen solche DL-Modelle eine enorme Datenmenge, um die Beziehung zwischen den Gebäudeinformationen (Eingabe des neuronalen Netzes) und den Simulationsergebnissen (Ausgabe des neuronalen Netzes) verstehen zu können. Eine solche Menge an Daten ist derzeit nicht vorhanden und erfordert eine Menge manueller Vorbereitungen, um für die Verwendung bereit zu sein. Hier können parametrische Modelle eine Lösung zur Überwindung dieser Einschränkung bieten. Parametrische Modelle können verschiedene Regeln kodieren, einschließlich Bauvorschriften und firmenspezifische Regelungen. Zusätzlich können parametrische Modelle die Gebäudemodelle mit „simulationsspezifischen“ Informationen anreichern, was das Erreichen eines vollständig vernetzten und reibungslosen Arbeitsablaufs für die Generierung eines ausreichend großen Datensatzes von Gebäudemodellen und ihrer entsprechenden Simulationsergebnisse erleichtern kann. Abbildung 7: Überblick über die Integration des AI-Prozess zur Variantengenerierung Den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken 234 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 7 veranschaulicht das vorgeschlagene Konzept zur Erzeugung des Datensatzes durch das parametrische Modell. Zunächst werden mehrere verschiedene Parametervariationen durchgeführt, wobei jede Entwurfsvariante in IFC exportiert wird. Dann werden alle IFC-Dateien automatisch simuliert, wodurch mehrere Arten von Ergebnissen, wie z. B. Evakuierungszeiten und -dichten, erzeugt werden. Im Anschluss werden diese Daten zum Trainieren eines DL(Deep Learning)-Modells verwendet, wobei die Parameter des parametrischen Modells als Eingabe und die Simulationsergebnisse als Ausgabe verwendet werden. Nachdem das DL-Modell ausreichend trainiert ist, kann es verwendet werden, um während des Entwurfsprozesses Empfehlungen in Echtzeit zu geben. Eine solche nahtlose Integration der Passagiersimulation mit BIM-Authoring-Tools hilft dabei, fundierte Designentscheidungen zu treffen, um leistungsfähigere Designs zu erzielen. 4. Ausblick Die hier vorgestellten Ansätze eröffnen in der Planungsphase und im Betrieb von infrastrukturellen Gebäuden noch nie dagewesene Möglichkeiten. Auf Basis der Methode BIM können mithilfe von parametrisierbaren Modellen und Personenstromsimulationen Deep-Learning Modelle so trainiert werden, dass auf Knopfdruck eine Vielzahl von Designvarianten untersucht und bewertet werden können. So können bereits sehr früh in der Planungsphase die optimalen und genehmigungsfähige Entwürfe erkannt werden. Die Arbeit der Planer vereinfacht sich dadurch immens und Planungsfehler können auf ein Minimum reduziert werden. BIM im gesamten Planungsprozess bietet viele Chancen für die Zukunft. Nicht nur können komplexe Sonderbauten effizient und fehlerreduziert geplant und gebaut werden, auch die Planung wird so transparent und nachvollziehbar dokumentiert. BIM entfaltet den Mehrwert über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes: Der Planungsprozess ist hierbei nur ein kleiner Teil. Gelingt es, das Datenmodell in den späteren Betrieb zu übergeben und es konsistent aktuell zu halten, führt dies zu erheblicher Kostenreduktion und höherer Sicherheit von infrastrukturellen Gebäuden. Referenzen [1] Drucksache 19/ 27459 (bundestag.de), kleine Anfrage der Grünen zur Situation der Infrastrukturplanung in Deutschland [2] https: / / www.spiegel.de/ wirtschaft/ soziales/ flughafen-berlin-brandenburg-ber-kosten-steigenauf-7-3-milliarden-euro-a-1195101.html, zugegriffen: 09.02.2021 [3] https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Elbphilharmonie, zugegriffen: 28.04.2021 [4] https: / / assets.publishing.service.gov.uk/ government/ uploads/ system/ uploads/ attachment_data/ file/ 707785/ Building_a_Safer_Future_-_web.pdf [5] Technische Regel für Arbeitsstätten - ASR A2.3: Fluchtwege und Notausgänge, Flucht- und Rettungsplan, 2014 [6] Schleich, Michael: DIN 18009 Teil 2: Räumungssimulation und Personensicherheit - Stand der Normung. In: Braunschweiger Brandschutz-Tage 2019 33. Fachtagung Brandschutz - Forschung und Praxis, 25. und 26. September 2019 - Tagungsband, Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz (iBMB). Bd. 235. Braunschweig: Eigenverlag IBMB, TU Braunschweig, 2019 — ISBN 978-3- 89288-220-6 [7] „Leitfaden Ingenieurmethoden des Brandschutzes“ der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e.V. (vfdb), 4.Auflage 2020 [8] ISO-40214 ISO 20414: 2020 Fire safety engineering — Verification and validation protocol for building fire evacuation models [9] Kitzlinger, M., Kneidl, A. (2020): Staubewertung mithilfe von Personenstromanalysen. In: vfdb Zeitschrift für Forschung, Technik und Management im Brandschutz (01/ 2020). [10] Kneidl, A., Könnecke, R.: Fachgutachten zu Fluchtwegen in Arbeitsstätten - Einfluss von Wegbreite, Treppen, Türen und Einengungen auf die Entfluchtung. 2. Auflage. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2020. [11] https: / / www.accu-rate.de/ de/ ahead-de/ , zuletzt abgerufen am 09.02.2021 [12] https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ DG/ mfund-projekte/ beyond.html, zuletzt abgerufen am 09.02.2021 [13] Richtlinie für Mikroskopische Entfluchtungsanalysen (2016), Version 3.0.0, https: / / rimeaweb.files. wordpress.com/ 2016/ 06/ rimea_richtlinie_3-0-0_- _d-e.pdf, zugegriffen: 09.02.2021 [14] https: / / www.buildingsmart.org/ standards/ bsi-standards/ industry-foundation-classes/ , zugegriffen: 09.02.2021 [15] https: / / bim4infra.de/ wp-content/ uploads/ 2018/ 02/ stufenplan-digitales-bauen.pdf [16] https: / / www.accu-rate.de/ de/ software-crowd-itde/ , zugegriffen: 09.02.2021 [17] Fruin, J. (1971). Pedestrian Planning and Design. New York: Metropolitan Association of Urban Designers and Environmental Planners [18] Oxman, Rivka. “Thinking difference: Theories and models of parametric design thinking.” Design studies 52 (2017): 4-39. Den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 235 [19] https: / / www.autodesk.com/ products/ dynamo-studio/ overview [20] https: / / www.grasshopper3d.com/ [21] https: / / www.autodesk.com/ products/ revit/ overview? term=1-YEAR [22] https: / / www.rhino3d.com/ 6/ new/ grasshopper/ [23] Géron, Aurélien. Hands-on machine learning with Scikit-Learn, Keras, and TensorFlow: Concepts, tools, and techniques to build intelligent systems. O’Reilly Media, 2019. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 237 smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings Dipl.-Ing. Christof Ullerich Hamburg Port Authority AöR, Hamburg, Deutschland Dr.-Ing. Marc Wenner MKP GmbH Marx Krontal Partner, Hannover, Deutschland Dr.-Ing. Martin Herbrand WTM Engineers GmbH, Hamburg, Deutschland Zusammenfassung Zyklische, handnahe Inspektionen nach DIN 1076 [1] bilden die Datenbasis für die Instandhaltungsplanung unserer Ingenieurbauwerke, die Berechnung von Zustandsnoten erfolgt dabei auf Grundlage erkannter Schäden. Die Dokumentation der Prüfung erfolgt überwiegend im Programmsystem SIB-BW. Das System sorgt für einen vergleichsweise einheitlichen Bewertungsstandard und ermöglicht in begrenztem Umfang retrospektive und prospektive Betrachtungen für die Instandhaltungsplanung. Neuere Entwicklungen wie BIM oder die in anderen Wirtschaftszweigen etablierte kontinuierliche, sensorbasierte Zustandserfassung bleiben bislang konzeptionell unberücksichtigt. Vor dem Hintergrund der digitalen Transformation stellt sich die Frage, wie sich die etablierte manuelle und die digitale Zustandsbeurteilung sowie BIM generierte Daten in eine durchgängige digitale Prozesskette integrieren lassen und welcher Nutzen sich so generieren lässt. Die Hamburg Port Authority (HPA) hat daher das Projekt „smartBRIDGE Hamburg“ initiiert, das prototypisch, anhand der Köhlbrandbrücke in Hamburg das Konzept des digitalen Zwillings pilotiert. Der digitale Zwilling dient dazu BI-Modell sowie analoge und elektronische Zustandserfassung konzeptionell zu vereinigen und die über mehrere Schichten aggregierten Daten unterschiedlichsten Nutzergruppen bedarfsgerecht bereitzustellen. Der Beitrag stellt Prämissen und Grundüberlegungen zur Projektinitiierung vor. Er wurde bereits in der Zeitschrift „Bautechnik“ Ausgabe 2/ 2020 veröffentlicht [2]. Cyclic inspections by hand according to DIN 1076 [1] are the basis for planning maintenance and repair measures for our engineering structures. The calculation of condition ratings is performed based on detected deficiencies. The documentation of the inspection is done primarily within the program system SIB-BW. The system offers a comparably uniform rating standard and enables a limited retrospective and prospective view for maintenance planning. New developments like BIM or continuous, sensor-based monitoring, which is established in other branches, are not yet conceptually integrated. In light of the digital transformation the question arises how the well established manual and the digital assessment as well as BIM generated data can be unified within one continuous process chain and which benefits can by created by doing so. Therefore, the Hamburg Port Authority (HPA) has initiated the “smartBRIDGE Hamburg” project which prototypically tests the concept of the digital twin using the Koehlbrandbruecke in Hamburg. The digital twin is used to conceptually unify the BI-model as well as analogue and electronic assessment data and to provide aggregated data in a form that meets the needs of different user groups. This paper presents premises and basic considerations prior to project initiation. It has already been published in the journal “Bautechnik” in issue 2/ 2020 [2]. 1. Intention Ausgangspunkt der Initiative ist die Überlegung, die Datengrundlage für Prognostik im Sinne „Was wird wann passieren? “ (prädiktive Instandhaltung) zu verbessern, indem man den zyklischen Informationsfluss (Bauwerksprüfung) durch einen kontinuierlichen (Sensorik) ergänzt. Die klassische Erhaltungsplanung ist primär reaktiv. Prädiktive Instandhaltung ist aus Sicht eines Infrastrukturbetreibers wie der Hamburg Port Authority (HPA) wünschenswert, denn durch kontrollierte Schadensentwicklung und anschließend kontrollierte Alterung werden Maßnahmen potenziell besser plan-, steuer- und koordinierbar. Gleichzeitig kann der Ressourceneinsatz optimiert und nachhaltiger gestaltet werden, was letztlich eine bessere Verfügbarkeit und weniger Verkehrsstörungen verspricht. smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings 238 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 1: Köhlbrandbrücke Hamburg (hpa-Bildarchiv: Martin Elsen) Diese Aspekte kommen besonders zum Tragen, wenn es schon Defizite gibt, deren Parameter es kontinuierlich zu überwachen gilt. Die HPA beschäftigt sich sehr intensiv mit der Optimierung ihrer Instandhaltungsstrategie, denn das gewachsene, multimodale Verkehrsnetz des Hafens muss täglich erhebliche Verkehrsmengen bewältigen. Im bereits hoch ausgelasteten Verkehrsnetz des Ballungsgebietes Hamburg sind Kompensationsreserven rar, folglich verursachen Erhaltungsmaßnahmen, Ersatzneubauten und Havarien heute nahezu immer schwere Störungen im Verkehrsfluss. Hafenwirtschaft, Sondertransporte, Spediteure und Pendlerverkehr erwarten jedoch eine durchgängig hohe Leistungsfähigkeit und Verfügbarkeit der Infrastruktur. Neben dem Status Quo gilt es die zukünftige Entwicklung zu berücksichtigen: Der Individualverkehr und das Transportgewerbe stehen in der nächsten Dekade vor gewaltigen Veränderungen. Stichworte sind hier Mobilität als Service, autonome Mobilitäts- und Transportplattformen sowie die Kommunikation von Fahrzeugen mit infrastrukturellen Einrichtungen (C2X). Mobility 4.0 verheißt völlig neue digitale Verkehrsdienstleistungen mit robotischer Effizienz, was potentiell zu bisher unbekannten Nutzungsintensitäten führt. Dass diese Entwicklung kommt ist unstrittig. Wie sie sich konkret darstellt, lässt sich nicht vorhersehen. Vorhersehbar ist jedoch, dass der mit der Entwicklung einhergehende massive Grad der Vernetzung ganz neue Maßstäbe an die Planung, Durchführung und Koordination im Bereich der Bauwerksunterhaltung setzen wird. Im besten Fall gibt es durch die Vernetzung der Transportsysteme mehr systemische Redundanzen, im schlechtesten Fall nur weitere Abhängigkeiten. Von Infrastrukturbetreibern, wie der Hamburg Port Authority (HPA), wird erwartet, dass sie die daraus resultierenden Veränderungen antizipieren und proaktiv strategisch berücksichtigen. 2. Fachliche und allgemeine Einordnung Zum Verständnis des Umsetzungskonzeptes ist es notwendig eine fachliche und allgemeine Einordnung vorzunehmen. Für Ingenieurbauwerke ist seit 1930 die handnahe, zyklische Inspektion nach DIN 1076 [1] (mehrfach überarbeitet) Stand der Technik. Die Dokumentation der Prüfung nach RI-EBW-PRÜ [3] erfolgt meist im Programmsystem SIB- BW, wobei die Struktur und der Umfang der Bauwerksdaten durch die ASB-ING [4] definiert werden. Zusammen mit der RPE-Ing [5] hat Deutschland ein sehr gutes, einheitliches, konzeptionell schlüssiges und bewährtes System zur Erhaltung von Ingenieurbauwerken. Anzumerken und zu beklagen ist in diesem Zusammenhang, dass es kein einheitliches Bauwerksmanagement- System (BMS) gibt. Wie viele anderen Infrastrukturbetreiber wendet auch die HPA die durch den obigen Kanon der Regelungen vorgegebene Methodik an. Vor dem Hintergrund der digitalen Transformation besteht ein hohes Interesse die Prozesse in Richtung einer digitalen Prozesskette zu entwickeln und dabei die Zustandsbeurteilung eng mit dem Erhaltungsmanagement System (EMS) [6] der Hansestadt zu verbinden. Der Beitrag fokussiert dabei die Asset Klasse Brücken und konstruktive Bauwerke. Das Erhaltungsmanagement der Hansestadt kennt eine strategische und eine operative Ebene [Bild 2]. An der Schnittstelle der Ebene werden fachtechnische Daten in finanztechnische Daten transformiert. Das hier behandelsmartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 239 te Thema ist der operativen Ebene zuzuordnen. Es geht um die Bestands- und Zustandserfassung (1) und die Prognostik bzw. daraus abgeleitete Szenarien (2) gemäß [Bild 2]. Der Zweck ist Werterhalt durch ausreichende Investitionen. Erhaltungsziel ist es, einen Bauwerkszustand und eine Tragfähigkeit sicherzustellen, die den regelmäßigen Verkehrsbedürfnissen genügen. Abbildung 2: Elemente des zentralen Unterhaltungsmanagements und Prozess der Operativen Ebene des Erhaltungsmanagements (Quelle: Drucksache 21/ 13592 3. Sensorik Die Durchführung zyklischer Inspektionen (zeit- oder nutzungsabhängig) bildet auch in vielen anderen Wirtschaftsbereichen die Grundlage für Handlungs- und Entscheidungsprozesse im Rahmen des Erhaltungsmanagements. In nahezu allen Bereichen werden diese Inspektionen heute durch automatisierte, sensorbasierte Zustandsbeurteilungen begleitet oder ergänzt. Entsprechende IT-Systeme geben Auskunft zu aktuellen Betriebs- oder Vitalparametern und erzeugen die Datenbasis für Handlungsstrategien. Im Vergleich zum Maschinenbau sind die Assets im Bauwesen und speziell im Brückenbau sehr individuell ausgebildet (Unikate) und von vergleichsweise großer räumlicher Ausdehnung. Im Vergleich zu anderen Geräten des täglichen Gebrauchs sind Bauwerke darüber hinaus für eine sehr hohe Lebensdauer angelegt (>50 Jahre), sodass sich Schäden oft graduell über große Zeiträume entwickeln. Deshalb kann die automatisierte Zustandsbeurteilung heute (und auch weit in der Zukunft) immer nur Teilaspekte einer vollumfänglichen Bauwerksinspektion abdecken und unterstützend funktionieren. Die zyklische Inspektion nach DIN 1076 wird noch viele Jahrzehnte das Kernelement der Zustandsbeurteilung bleiben müssen und die Sensorik wird sich auf Assistenzfunktionen beschränken. Extrapoliert man jedoch die Entwicklung aus anderen Wirtschaftsbereichen ist davon auszugehen, dass Sensorik auch im Bereich der Infrastruktur für Individual- und Netzbetrachtungen zunehmende Verbreitung finden wird. So scheint es durchaus zweckmäßig bei komplexen Bauwerken grundsätzlich eine sensorische Grundausstattung für sensible Bauteile vorzusehen, die dann im Lebenszyklus des Bauwerkes bedarfsgesteuert ergänzt werden kann. Wird diese Ausstattung mit der Erstellung geplant, so wie ein Inspektionskonzept für die Bauwerksprüfung, sind Aufwand und Kosten dafür im Gesamtaufwand marginal. Vorteile sind: • Durch die kontinuierliche Datenerfassung entsteht eine Datenhistorie, mit der sich im Zuge der Inspektion gefundene Schäden plausibilisieren lassen. Die Beurteilung von Schäden (z. B. OSA) kann schneller erfolgen, da bereits Messdaten vorliegen. • Die Datenhistorie ermöglicht es ungestörte oder gestörte Alterungsverläufe zu detektieren und zu verfolgen, was die Grundlage für eine Prognostik ist. • Einflüsse von Nutzungsänderungen oder Sondernutzungen (Schwertransporte, Überladung, Verkehrslenkungsmaßnahmen) können verfolgt werden. • Durch die kontinuierliche Überwachung von maßgebenden Stellen wird die Bauwerksprüfung der überwachten Defizite (Sonderprüfung) entlastet. • Die Wirksamkeit von Kompensationsmaßnahmen kann überwacht bzw. individualisiert werden. • Aus den Daten können zusätzliche Dysfunktionen, Schäden oder kritische Entwicklungen von Schäden erkannt werden, die im Zuge einer Inspektion zu begutachten sind. Aus den Messungen können der Ort und der Zeitpunkt einer erforderlichen Inspektion anlassbezogen definiert werden. smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings 240 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 3: DBV Merkblatt Brückenmonitoring Klassisches Monitoring [7] [Bild 3], wie wir es heute im Bereich der Infrastruktur betreiben, ist primär reaktiv oder anlassbezogen: Monitoring wird eingesetzt, wenn das Problem da ist. Der Gedanke kontinuierlicher Zustandserfassung über Sensorik im gesamten Lebenszyklus ist bisher kaum etabliert. Folglich gibt es auch keinen übergreifenden Standard (wie z.B. für Streckenstationen) oder einen konzeptionellen Rahmen (z. B. Digitaler Zwilling), in den sich entsprechende Systeme einfügen. Die Wertschöpfung aus den Daten bleibt mangels durchgängiger digitaler Prozesse auf der Fachebene [Bild 4] stecken. Es gibt bereits seit längerem unterschiedlichste Bestrebungen automatisierte Zustandsbeurteilung von Brückenbauwerken zu realisieren. Insbesondere die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) widmet sich dem Thema in einem 2011 aufgelegten Projektcluster „Intelligente Brücke“ [8] und hat hier unschätzbare Grundlagenarbeit geleistet. Abbildung 4: Wertschöpfung aus Daten Das Projekt „smartBRIDGE Hamburg“ identifiziert sich ausdrücklich mit den dort vorgestellten Zielen. Gegenüber dem primär forschungsgetriebenen Projektcluster verfolgt „smartBRIDGE Hamburg“ einen agilen, operativ getriebenen Ansatz. 4. BIM In Deutschland wurde die Einführung der digitalen Arbeitsmethode Building Information Modeling (BIM) für Infrastrukturprojekte durch das BMVI festgeschrieben. BIM ist eine Planungsmethode, deren Ergebnis ein physisches Objekt und eine digitale Repräsentanz in Form eines bauteilkatalogbasierten Modells ist. smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 241 Abbildung 5: BIM Anwendungsfall sensorische Planung Je nach Level of Detail (LOD) bildet dieses Modell das Bauwerk mehr oder weniger detailliert ab. Nach Fertigstellung werden die Daten mit dem Bauwerk an den Betrieb übergeben. Zwangsläufig stellt sich die Frage, wie diese hochwertigen und aufwendig erstellten Datenmodelle in der Bauwerkserhaltung effizient und sinnvoll genutzt werden können. Leider ist festzustellen, dass das Know-how darüber, welche Daten langfristig im Betrieb gebraucht werden und wie diese fachgerecht aufzubereiten sind, selten vorhanden ist. Ohne einen regulatorischen Rahmen ist zu befürchten, dass BIM bei vielen Infrastrukturbetreibern nicht als Digitaler Zwilling, sondern als Datenmüll endet. Die HPA pilotiert daher neben den klassischen Anwendungsfällen (Planung und Durchführung von Grundinstandsetzung sowie Rückbau) die Möglichkeiten zur Schadensvisualisierung am Modell. Für den Anwendungsfall ist zur Zeit überwiegend Handarbeit erforderlich ein typisches Beispiel für eine unvollständige digitale Prozesskette. Wünschenswert wäre eine Integration von BIM in SIB-BW oder zumindest eine Schnittstelle von SIB-BW zu BIM, die einen direkten Schadensimport aus dem SIB-BW Programmsystem zulässt. Für den Bereich der Ingenieurbauwerke sollte dies nicht schwerfallen, da die Bauteil-Taxonomie durch die ASB-Ing vorgegeben ist. Die Vorteile wären jedoch vielfältig, u. a.: genaue Ortung der Schäden, zeitliche Verfolgung der Schadensentwicklung, Vernetzung der Schäden nach Ort und Kategorie und Ermöglichung einer detaillierten Analyse. Im Kontext des Projektes wird das BI-Modell für den Anwendungsfall der sensorischen Planung [Bild 5] und Dokumentation verwendet. Ergänzend wird das BI-Modell [Bild 6] so aufbereitet und konvertiert, dass es als Benutzerschnittstelle des Digitalen Zwillings und zur Visualisierung des Zustands-Status nutzbar ist. Dies ermöglicht es für verschiedene Nutzergruppen einen intuitiv nutzbaren Zugang zu den Daten bereit zu stellen. Die erwähnte Transformation ist erforderlich, da das aktuelle Datenmodell von BIM für diesen Anwendungsfall nicht direkt nutzbar ist. Abbildung 6: Modell zur Visualisierung am Bauwerk (aus BI-Modell abgeleitet) smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings 242 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 5. Digitaler Zwilling Ein Digitaler Zwilling ist eine digitale Repräsentation bzw. eine aktive, dynamische Simulation, die alle Daten und die damit gespeisten Modelle vereint. Der Digitale Zwilling aktualisiert sich selbst, wobei er unterschiedlichste Ressourcen (Services) nutzt, um sein reales Gegenstück möglichst genau repräsentieren zu können. Der Begriff ist unspezifisch, wie z. B. „Lebewesen“, welcher vielfältige individuelle Ausprägungen kennt. Letztendlich ist ein digitaler Zwilling das, was man daraus macht. Seine Detaillierung und seine Ausstattung (Sensorik, Analytik, Geometrie- und Simulationsmodelle) richten sich, ähnlich wie die Level of Detail (LOD) bei BIM, nach dem Anwendungsfall. Ein digitaler Zwilling kann sich aus mehreren digitalen Zwillingen zusammensetzen und digitale Zwillinge lassen sich vernetzen. Dies ist eine sehr wichtige Eigenschaft für Infrastrukturbetreiber. Denn Infrastrukturbetreiber möchten nicht nur einzelne Objekte analysieren dies ist primär die Sicht der operativen Ebene. Auf der strategischen Ebene besteht vielmehr der Bedarf nach Netzanalysen oder Analysen von Asset-Klassen, was sich über vernetzte Zwillinge realisieren lässt. Ein weiterer Aspekt ist die Fähigkeit verschiedene Informationen in einem einheitlichen Format zu repräsentieren. Im betrachteten Kontext wäre das z. B. der Zustands- Status eines Brückenbauwerkes. Zuvor muss natürlich die Analyse der Daten erfolgen, um den aktuellen Status zu ermitteln. Um ihr Gegenstück aus der realen Welt im Sinne von Verhalten korrekt zu beschreiben, werden Algorithmen benötigt. Meist handelt es sich dabei um Simulationsmodelle, die die Eigenschaften und das daraus resultierende Verhalten des digitalen Zwillings simulieren. Ein BI-Modell ist kein digitaler Zwilling, denn ein digitaler Zwilling ist ein dynamisches, vernetzungsfähiges Modell eines Assets und besitzt Kopplung zur realen Welt [Bild 7]. BI-Modelle sind statische Modelle, die sich ohne manuelle Eingriffe (händische Modellpflege) nicht ändern, sie lassen sich nicht vernetzen. BIM ist nicht für betriebliche Echtzeitreaktionen ausgelegt, was die Nutzbarkeit im Kontext des Unterhaltungsmanagements einschränkt. Es gibt daher Bestrebungen die Capability Map von BIM zu erweitern. Die Abgrenzung zwischen BIM und Digitalem Zwilling verdeutlicht, dass der Digitale Zwilling ein (dezentrales) Metakonzept ist und BIM sowie sensorische und manuelle Zustandserfassung nur eine Teilmenge dieses Konzeptes sind. 6. Ingenieurbauwerke als Digitaler Zwilling Vor dem Hintergrund des Netzgedankens ist ein Einzelbauwerk, wie eine Brücke, nur ein Datenpunkt im Verkehrsnetz, dessen Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit (allg. Status) es zu berücksichtigen gilt. Brücken kommt eine besondere Bedeutung zu, da sie Zwangspunkte für den Verkehrsfluss darstellen und i. d. R. nicht ohne weiteres ertüchtigt oder ersetzt werden können. Die Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit von Streckenabschnitten oder ganzer Teilnetze hängt ggf. von wenigen Einzelbauwerken ab. Abbildung 7: Schema Interaktion digitaler und realer Zwilling smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 243 Das Konzept des digitalen Zwillings [Bild 7] ist als konzeptioneller Rahmen sehr attraktiv, da es ausreichend groß und flexibel ist, um BIM, die etablierten Prozesse der Zustandsbeurteilung nach DIN 1076 und automatisierte Zustandserfassung (Sensorik) zu vereinen. Das Konzept ist auch mächtig genug, um Simulationen, Schädigungs- und Strukturmodelle (z. B. FEM, Probabilistik) sowie Erhaltungsstrategien (RPE-Ing) zu integrieren. Dennoch kann man sich fragen, ob ein dynamisches Modell im Ingenieurbau sinnvoll und zweckmäßig ist. Um diese Frage positiv zu beantworten, muss man einige Prämissen bejahen: • Es besteht der Anspruch die Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit (Status) von Einzelbauwerken, Teil- oder Gesamtnetzen ad hoc beurteilen zu können. • Es besteht der Anspruch netzweite Analytik (AI/ ML) und / oder Simulationen (Prognostik) auf Basis einer starken Datensammlung / Datenhistorie durchzuführen. • Es besteht der Anspruch den gesamten Lebenszyklus und den Zustandsverlauf (Stichwort RPE-Ing und Instandhaltungsstrategie) von Einzelbauwerken aber vor allem auch des Gesamtnetzes dynamisch verfolgen und prognostizieren zu können. • Es besteht der Anspruch dies über eine möglichst durchgängige und damit effiziente digitale Prozesskette zu realisieren, um die strategische und die operative Ebene des Erhaltungsmanagement möglichst nahtlos digital zu verbinden Aus obigen Prämissen lassen sich im Kontext technologische Bedarfe ableiten: 1. Systeme zur automatisierten Zustandserfassung und -überwachung, welche die etablierten Beurteilungs- und Inspektionsprozesse nach DIN 1076 unterstützen, ergänzen oder integrieren. 2. Leistungsfähige Techniken, die es den Infrastrukturbetreibern und Eigentümern ermöglichen ad hoc den Bauwerksstatus oder Netzstatus zu bewerten und zu visualisieren. 3. Tools, die den Baulastträger beim Lebenszyklus-Lebenszyklus Management (ASB-ING) unterstützen. Punkt eins formuliert den hardwareseitigen Bedarf (Sensorik und intelligente Bauteile) und lässt sich heute nur begrenzt befriedigen, wir stehen hier am Anfang der Entwicklung. Der in Punkt zwei formulierte Bedarf kann mit den heutigen Techniken zur Visualisierung nahezu vollständig bedient werden, auch wenn BI-Modelle leider (noch) nicht als Datenbasis direkt verwendet werden können. Zu Punkt drei gibt es z. B. in [3 und 5] Ansätze, die die Möglichkeit einer softwaretechnischen Umsetzung bieten. 7. smartBRIDGE Hamburg Inhalt des Projektes [Bild 8] ist die Erstellung eines Großdemonstrators mit dem Schwerpunkt auf sensorischer Zustandserfassung. Die erfassten Daten werden anschließend in den fachbezogenen Kontexten verarbeitet und ausgewertet. Dieser Auswertungsprozess verläuft kaskadierend über mehrere Stufen mit dem Ziel einer fachlichen Bewertung und einer abschließenden Abstraktion auf die Stufe von Kennzahlen (Condition Indicators). Die Zustandskennzahlen (Condition Indicators) ermöglichen es Dritten (in der Regel keine Fachleute) einen schnellen Überblick über den Zustand des Bauwerks zu gewinnen. smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings 244 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 8: smartBRIDGE Hamburg Globalziel ist es dabei, die aktuell vorhandenen, technologischen Möglichkeiten zur Bauwerksüberwachung und Zustandserfassung in einem breiten Spektrum zu erproben und eine Methodik zu entwickeln diese in Kennzahlen zu abstrahieren. Die Systemarchitektur soll so ausgelegt sein, dass ein modulares, adaptives und massiv skalierbares System zur integralen Bauwerksüberwachung entsteht. Gegenüber klassischen Monitoringsystemen, die primär problembezogen konzipiert werden und bei denen die Datenauswertung auf Fachebene endet, grenzt sich das Projekt „smartBRIDGE Hamburg“ durch sein Metakonzept (Digitaler Zwilling) ab: „smartBRIDGE Hamburg“ integriert klassisches Monitoring, geht jedoch konzeptionell und in der strategischen Zielsetzung deutlich darüber hinaus. Das gewünschte Ergebnis ist eine 360 Grad Sicht auf das Bauwerk, sowohl auf visueller als auch auf bautechnischer Ebene. Die in den jeweiligen Handlungsfeldern [Bild 9] zu instrumentierenden Subsysteme sind somit nur ein Teilaspekt der Projektzielsetzung. Abbildung 9: Handlungsfelder und Anwendungsfälle Das Ziel ist Reduktion von Komplexität und eine intuitive und transparente Informationsbereitstellung für einen möglichst breiten Nutzerkreis. Konkret handelt es sich um die Öffentlichkeit, Eigentümer oder Entscheider, die mit hochaggregierten Daten arbeiten. 8. Ausblick Das Thema Digitaler Zwillinge ist nicht so neu wie es ggf. scheint. Wir alle besitzen schon einen mehr oder weniger gut ausgestatteten Digitalen Zwilling im Internet. Durch unsere Interaktionen mit dem Netz (Handy, SuchsmartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 245 anfragen, Onlinekäufe, Navigation, Fitnesstracker und soziale Medien) speisen wir mehr oder weniger intensiv und permanent unser digitales Ich. Erweitert und zentralisiert man diesen Datenbestand um Daten aus anderen Bereichen (Krankenkasse, Rentenkasse, Versicherung, Bankdaten, Arbeitgeber) erhält man eine eindrucksvolle digitale Repräsentation der eigenen Person. Verknüpft mit mächtigen Analysewerkzeugen (KI / Statistik) ergeben sich nahezu unbegrenzte Möglichkeiten. Was mit Blick auf den Datenschutz unbedingt zu verhindern ist, ist in der unbelebten Welt der Produkte und Assets durchaus wünschenswert. Per se wird diese Entwicklung dort getrieben, wo Daten erzeugt werden und einen hohen Wert darstellen, denn der digitale Zwilling entsteht durch Datenaustausch mit seinem realen Konterpart. Mobility 4.0 wird daher das Zentrum der Entwicklung sein. Als Infrastrukturbetreiber möchte die HPA diese Entwicklung frühzeitig aufgreifen und aktiv mitgestalten, indem vorhandenes Fachwissen genutzt und in neue, innovative Prozesse transformiert wird. Diese Transformation gilt es nachhaltig zu gestalten, also Innovation nicht um ihrer selbst willen zu betreiben, sondern am Bedarf auszurichten. Das Projekt „smartBRIDGE Hamburg“ fühlt sich diesem Gedanken verpflichtet. Literatur [1] DIN 1076 (1999): Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung. Stand Nov. 1999, Beuth Verlag GmbH, Berlin [2] Ullerich, C., Grabe, M., Wenner, M., Herbrand, M. (2020): smartBridge Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings, Bautechnik 97 H. 2, S. 118-125, Verlag Ernst & Sohn [3] RI-EBW-PRÜF (2017): Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten (RI-ERH-ING) - Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur [4] ASB-ING (2013): Anweisung Straßeninformationsbank Segment Bauwerksdaten, Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung, Abteilung Straßenbau [5] RPE-ING (2019): Richtlinie für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken. Entwurf [6] Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft: Drucksache 21/ 13592, Grundsätze des Erhaltungsmanagements der Freien und Hansestadt Hamburg [7] DBV-Merkblatt „Brückenmonitoring“, Fassung August 2018, Deutscher Beton- und Bautechnik- Verein e.V., Berlin 2018 [8] Bundesanstalt für Straßenwesen (2018) Intelligente Brücke [online]. [Zugriff am: 28. Okt. 2019]. https: / / www.intelligentebruecke.de/ ibruecke/ DE/ Home/ home_node.html 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 247 smartBRIDGE Hamburg - Aggregation von Zustandsindikatoren aus Inspektions- und Monitoringdaten Dr.-Ing. Martin Herbrand WTM Engineers GmbH, Hamburg, Deutschland Alex Lazoglu, M. Sc. MKP GmbH, Hannover, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx Institut für Massivbau, Technische Universität Dresden, Deutschland Dipl.-Ing. Christof Ullerich Hamburg Port Authority AöR, Hamburg, Deutschland Zusammenfassung Die Bewertung des Bauwerkszustands erfolgt in Deutschland anhand der in den Bauwerksbüchern dokumentierten Bauwerksnote und unter Hinzuziehung ggf. vorhandener Nachrechnungsergebnisse. Eine Methodik zur Einbindung von Monitoringdaten in die Bauwerksbewertung existiert dagegen derzeit noch nicht. Dabei kann ein Bauwerksmonitoring zur Unterstützung der klassischen Bauwerksprüfung genutzt werden, um das Auftreten oder die Entwicklung von Bauwerksschäden dauerhaft oder vorübergehend zu überwachen. Da eine solche Dauerüberwachung auch die von den Schäden ausgehenden Risiken mindern kann, ist es naheliegend, Monitoringdaten in den Bewertungsprozess des Bauwerkszustands einzubeziehen. Des Weiteren können rechnerische Standsicherheitsdefizite mittels gezielt eingesetzten Messmaßnahmen kompensiert werden. Herausforderungen hinsichtlich der integralen Zustandsbewertung ergeben sich aus der unterschiedlichen Bewertung von Bauwerksschäden (Benotung) und Standsicherheitsnachweisen (Ausnutzungsgrad, Versagenswahrscheinlichkeit) sowie der uneinheitlichen Dokumentation von Schäden (alle 3 Jahre, automatisierte Aus- und Bewertung) und Messdaten (hochfrequent, keine automatisierte Aus- und Bewertung). In diesem Beitrag wird eine Methodik vorgestellt, mit welcher es möglich ist, Monitoringdaten und Bauwerksschäden in einer Bewertungskennzahl „CI“ (Condition Indicator) zu aggregieren, welche auch für Nichtfachleute verständlich ist. Das Update des CI erfolgt dabei in Echtzeit. Neben dem allgemeinen Bewertungsverfahren, das bekannte Elemente aus dem Bewertungsschema nach SIB-Bauwerke einschließt, werden zwei konkrete Anwendungsfälle anhand des smart- BRIDGE Konzeptes an der Köhlbrandbrücke in Hamburg gezeigt. Dabei handelt es sich um zwei aktuelle, rechnerische Standsicherheitsdefizite, die durch eine messtechnische Überwachung kompensiert werden. 1. Einleitung Die Dokumentation des Bauwerkszustands erfolgt in Deutschland anhand von Prüfberichten, die im Rahmen der regelmäßig durchzuführenden Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 [1],[2] erzeugt werden. Die Prüfberichte und die darin enthaltenden Benotungen finden Eingang in die Bauwerksbücher, aus denen abschließend die Zustandsbewertung erfolgt. Unter Umständen werden vorhandene Nachrechnungsergebnisse nach Nachrechnungsrichtlinie [3] oder der zuletzt eingeführte Traglastindex [4],[5],[6] in die Betrachtung mit eingebunden, jedoch spiegeln sich diese nicht in der Bauwerksnote wider. Eine Methodik zur Einbindung von Monitoringdaten in die Bauwerksbewertung existiert derzeit ebenfalls noch nicht. Dabei kann ein Bauwerksmonitoring zur Unterstützung der klassischen Bauwerksprüfung genutzt werden, um das Auftreten oder die Entwicklung von Bauwerksschäden dauerhaft oder vorübergehend zu überwachen. Da eine solche Dauerüberwachung auch die von den Schäden ausgehenden Risiken mindern kann, ist es naheliegend, Monitoringdaten in den Bewertungsprozess des Bauwerkszustands einzubeziehen. Des Weiteren können im Zuge einer Nachrechnung festgestellte, rechnerische Standsicherheitsdefizite mittels gezielt eingesetzten Monitoringmaßnahmen kompensiert werden [7],[8],[9]. Herausforderungen hinsichtlich der integralen Zustandsbewertung ergeben sich aus der unterschiedsmartBRIDGE Hamburg - Aggregation von Zustandsindikatoren aus Inspektions- und Monitoringdaten 248 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 lichen Bewertung von Bauwerksschäden (Benotung) und Standsicherheitsnachweisen (Ausnutzungsgrad, Versagenswahrscheinlichkeit) und der uneinheitlichen Dokumentation von Schäden (alle 3 Jahre, automatisierte Aus- und Bewertung) und Messdaten (hochfrequent, keine automatisierte Aus- und Bewertung). In diesem Beitrag wird eine Methodik vorgestellt, mit welcher es möglich ist, Monitoringdaten und Bauwerksschäden in einer Bewertungskennzahl „CI“ (Condition Indicator) zu aggregieren, welche auch für Nichtfachleute interpretierbar ist. Das Update des CI erfolgt dabei in Echtzeit. Neben dem allgemeinen Bewertungsverfahren, das bekannte Elemente aus dem Bewertungsschema nach SIB-Bauwerke einschließt, werden zwei konkrete Anwendungsfälle anhand des smartBRIDGE Konzeptes an der Köhlbrandbrücke in Hamburg gezeigt [10]. Dabei handelt es sich um zwei aktuelle, rechnerische Standsicherheitsdefizite, die durch eine messtechnische Überwachung kompensiert werden. 2. Zustandsbewertung von Ingenieurbauwerken 2.1 Allgemeines Eine der Hauptaufgaben für den Betrieb bestehender Ingenieurbauwerke ist die regelmäßige, detaillierte Zustandsprüfung als Grundlage für ein effektives Instandhaltungsmanagement. Eine sorgfältige Zustandsprüfung ermöglicht neben einer Zustandsbewertung eine zeitnahe Detektion von Zustandsänderungen. Dabei werden in der Praxis hinsichtlich Zustandsprüfung und Zustandsbewertung unterschiedliche Verfahren parallel verwendet, von denen die Wesentlichen im Folgenden kurz erläutert werden. 2.2 Klassische Bauwerksprüfung Die Grundlage der Zustandsbewertung von Ingenieurbauwerken im Straßenwesen bildet die klassische Bauwerksprüfung nach DIN 1076 [1] in Verbindung mit der RI-EBW-PRÜF [2] (Abbildung 2). Die Prüfung erfolgt durch zertifizierte Bauwerksprüfer turnusmäßig, handnah und visuell. Das Bewertungsverfahren der RI-EBW- PRÜF erfolgt einheitlich wie folgt: 1. Die Bauwerksprüfer erfassen die Einzelschäden und bewerten diese in Abhängigkeit von Schadenstyp und -umfang nach den Kriterien Standsicherheit (S), Verkehrssicherheit (V) und Dauerhaftigkeit (D). Als Hilfestellung kann die umfangreiche Schadensbeispielliste der RI-EBW-PRÜF [2] herangezogen werden. Abbildung 1: Organisation der Bauwerksprüfung nach DIN 1076 [11] smartBRIDGE Hamburg - Aggregation von Zustandsindikatoren aus Inspektions- und Monitoringdaten 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 249 2. Die den Einzelschäden zugewiesenen S-,V- und D- Bewertungen werden durch das Programm SIB-BW über den sogenannten Z N -Algorithmus in Zustandsnoten (1 „sehr gut“ bis 4 „ungenügend“) umgerechnet [12]. Je nach Umfang der Einzelschäden berücksichtigt das Programm ggf. an dieser Stelle Zu- oder Abschläge der Note von ±0,1. 3. Die Einzelschäden werden den jeweiligen Bauteilgruppen (Definition nach ASB-ING [13] z. B. Überbau, Lager, Brückenseile und -kabel) zugeordnet, wobei automatisch die Maximalnote der Einzelschäden repräsentativ als Zustandsnote der Bauteilgruppe festgelegt wird. An dieser Stelle kann das Programm in Abhängigkeit der Anzahl an Einzelschäden innerhalb der Bauteilgruppe erneut Zu- oder Abschläge der Note von ±0,1berücksichtigen. 4. In analoger Weise erfolgt die Aggregation der Bauteilgruppennoten zur Gesamtbzw. Teilbauwerksnote über den Maximalwert der Bauteilgruppennoten. Zu- oder Abschläge von ±0,1 werden hier in Abhängigkeit des prozentualen Anteils aller geschädigten Bauteilgruppen zur Gesamtanzahl der Bauteilgruppen berücksichtigt. Ziel der Erhaltungsplanung ist es, die Zustandsnoten mindestens in einem mittleren Bereich von 2,0 bis 2,4 zu halten und Zustandsnoten von über 3,0 möglichst gering zu halten [6]. 2.3 Traglastindex Zusätzlich zu der in den Bauwerksdatenbanken dokumentierten Zustandsnote, wurde der Traglastindex (römisch 1 bis 5) als weitere eigenständige Kennzahl zur Bewertung der Leistungsfähigkeit von Brücken eingeführt [4],[5]. Dieser bewertet durch einen Soll-Ist-Vergleich die Leistungsfähigkeit von Brücken hinsichtlich erforderlicher (Ziellastniveau) und vorhandener Brückentragfähigkeit und dient damit der Priorisierung von Erhaltungs- und Ertüchtigungsmaßnahmen. Der Traglastindex wird dabei vom Programm SIB-BW automatisch aus der Diskrepanz zum Ziellastniveau und weiteren bauart- und materialbedingten Parametern bestimmt. Die dazu eingetragene vorhandene Brückentragfähigkeit ergibt sich entweder aus einer vermuteten oder einer im Rahmen einer Nachrechnung nachgewiesenen Tragfähigkeit. Hinsichtlich der Vorgehensweise bei der „Vermutung“ einer vorhandenen Tragfähigkeit werden in [5] keine detaillierten Angaben gemacht. Brückenbauwerke, die aufgrund von Bauart und Baujahr der Gefahr allgemein bekannter Tragfähigkeitsdefizite unterliegen, werden auch bei nicht Vorhandensein einer Nachrechnung unmittelbar in eine Indexstufe eingeordnet. Als Beispiele seien an dieser Stelle die Koppelfugenproblematik und die Gefahr der Spannungsrisskorrosion älterer Spannbetonbrücken sowie der Beulsicherheit älterer Stahlbrücken genannt, die, sofern keine Nachrechnung vorliegt, unmittelbar zu einer Einstufung des Bauwerks in Indexstufe V führen. 2.4 Nachrechnung von Bauwerken Die rechnerische Bewertung der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit bestehender Straßenbrücken erfolgt nach den Regelungen der Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (NRR) [3]. Gegenüber Neubauwerken ermöglicht die NRR diverse Nachweiserleichterungen im Rahmen eines abgestuften Vorgehens (Abbildung 2). Im Rahmen von Stufe 3-Betrachtungen können neben rechnerischen Nachweisen der Standsicherheit auch Bauwerksmessungen erforderlich werden. Im Zuge der Nachrechnung sind analog zur Neubemessung alle tragenden Bauteile für die Grenzzustände der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit nachzuweisen. Durch die Nachweisführung wird sichergestellt, dass die Bauwerke den Anforderungen an die Bauwerkszuverlässigkeit nach EN 1990 [14] genügen, ohne dass diese explizit zu ermitteln ist. Nach Stufe 1 der NRR erfolgt die Bemessung nach aktuellen Regelwerken, bzw. gemäß der DIN-Fachberichte für den Brückenbau. Durch die stetige Weiterentwicklung der normativen Vorgaben sowie der allgemein höheren Anforderungen an die Robustheit führt die Nachrechnung in Stufe 1 in vielen Fällen zu Nachweisüberschreitungen. Insbesondere der Querkraftnachweis kann häufig nicht erbracht werden. Stufe 2 ermöglicht in Verbindung mit der 1. Ergänzung der NRR teilweise bereits weitreichende Sonderregelungen für einzelne Nachweise, wie Modifikationen von Teilsicherheitsbeiwerten, Abminderungen von Zwangsschnittgrößen oder Modifikationen von Widerstandsmodellen. Bei Bedarf können in den Stufen 3 und 4 (in Abstimmung mit den Obersten Straßenbaubehörden der Länder) zur realistischeren Beschreibung des Bauwerksverhaltens zum einen Ergebnisse aus Bauwerksmessungen und zum anderen wissenschaftliche Methoden herangezogen werden. Zu letzteren gehören z. B. nichtlineare Finite Elemente Berechnung oder die probabilistische Nachweisführung zur Ermittlung rechnerischer Versagenswahrscheinlichkeiten. Aus den maßgebenden Nachweisergebnissen, bzw. den in Anspruch genommenen Erleichterungen, wird das Bauwerk in die Nachweisklassen A bis C eingestuft, aus denen in der Folge Handlungsmaßnahmen abgeleitet werden können. 2.5 Bauwerksmessungen (Diagnostik und Monitoring) Da sich insbesondere die Standsicherheit älterer Bestandsbauwerke im Zuge einer Nachrechnung häufig nicht nachweisen lässt, werden die Nachweise immer häufiger auf Grundlage von Bauwerksmessungen modifiziert. Dazu zählen Informationen aus der Bauwerksdiagnostik, wie Werkstoffkenngrößen, Gefügeeigenschaften und Bauteilgeometrien, mit denen die oft konservativen rechnerischen Bauwerksparameter realitätsnäher oder zuverlässiger abgebildet werden können. Zudem können sensorgestützte Überwachungen zum Einsatz komsmartBRIDGE Hamburg - Aggregation von Zustandsindikatoren aus Inspektions- und Monitoringdaten 250 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 men, die es ermöglichen objektspezifische Einwirkungen (z. B. WIM-Anlage, Verkehrszählungen, Temperaturen, Windgeschwindigkeiten etc.) und Bauteilreaktionen (Dehnungen, Beschleunigungen, Verformungen etc.) zu erfassen. Darüber hinaus ist es möglich, Strukturmodelle auf Basis von Bauwerksmessungen anzupassen, oder Standsicherheitsnachweise über sensorgestützte Belastungsversuche zu führen. Abbildung 2: Ablaufschema der Nachrechnungsrichtlinie Redundant oder unabhängig zur messwertgestützten, rechnerischen Nachweisführung, können Bauwerksmessungen zur unmittelbaren Zustandsüberwachung am Bauwerk genutzt werden, um kritische Situationen rechtzeitig zu erkennen. Beispiele hierfür sind Rissüberwachungen, Setzungsmessungen oder die Überwachung von Spanngliedbrüchen. Die so gewonnene Sicherheit gegen ein Bauwerksversagen ist oft größer als eine regelmäßige Sonderprüfung und kann so als Kompensationsmaßnahme für nicht nachweisbare Defizite dienen. Anhand des zuletzt genannten Punktes lässt sich erkennen, dass insbesondere das Bauwerksmonitoring die Bewertung vorgefundener Schäden positiv beeinflussen kann, da eine Beobachtung des Schadens in Echtzeit ermöglicht wird. Gleichzeitig können Nachweisdefizite, welche die Standsicherheit des Bauwerks beeinträchtigen, durch die Echtzeit-Überwachung von Bauteilbeanspruchungen oder Einwirkungen kompensiert werden. Bisher fließen die aus Bauwerksmessungen gewonnenen Erkenntnisse nicht unmittelbar in die Zustandsnote ein. Wäre dies der Fall, gäbe es für die Betreiber zusätzliche kurzfristige Anreize, schwerwiegende Defizite, für die keine sofortige Instandsetzung oder Ertüchtigung möglich ist, durch ein Monitoring zu kompensieren und die Zustandsnote zu verbessern. 3. Aggregation heterogener Zustandsinformationen 3.1 Stand der Technik Im vorigen Kapitel wurden unterschiedliche Methoden zur Gewinnung von Zustandsinformationen nach dem aktuellen Stand der Technik beschrieben. Das wichtigste Zustandskriterium zur Ableitung von Erhaltungsmaßnahmen stellt dabei die Bauwerksnote dar. Hier finden allerdings nur die im Rahmen der Bauwerksprüfung erfassten Schäden und Mängel Eingang. Die Ergebnisse einer Nachrechnung finden dagegen keinen Eingang im Bewertungskonzept der RI-EBW-PRÜF [2], da rechnerische Nachweisdefizite in den Prüfberichten nicht als Schaden bzw. Mangel berücksichtigt werden. Umgekehrt fließen auch die dokumentierten Schäden i. d. R. nicht unmittelbar in die Nachweisführung ein (diese können jedoch Anlass für eine Nachrechnung sein). Zusätzlich liegen häufig ergänzende Erkenntnisse aus Monitoringmaßnahmen, gutachterlichen Stellungnahmen oder der Bauwerksdiagnostik vor. Die Anlagenbetreiber sind so gezwungen, sich selbst einen Eindruck über den Bauwerkszustand aus den verschiedenen vorliegenden Unterlagen zu verschaffen und hieraus Entscheidungen zu Betriebs- und Erhaltungsmaßnahmen zu treffen. Die Latenz des Bewertungsverfahrens führt darüber hinaus dazu, dass die Instandhaltung primär reaktiv erfolgt. Maßnahmen werden erst dann ergriffen, wenn es der Bauwerkszustand erfordert. Wirtschaftlich effizienter ist hingegen häufig eine prädiktive Instandhaltungsstrategie, bei der Maßnahmen bereits geplant werden, bevor ein Schaden eintritt. Diese Strategie weist Schnittmengen mit einer periodischen oder präventiven Instandhaltungsstrategie auf, bei welcher Instandhaltungsmaßnahmen in festgelegten zeitlichen Abständen unabhängig vom Ist- Zustand eines Bauteils durchgeführt werden, da sich eine solche präventive Erhaltungsstrategie auf die Erkenntnisse von präventiven Strategien stützen kann. 3.2 Neuer Aggregationsansatz mittels Zustandsindikatoren Da insbesondere Bauwerkmessungen und Monitoringmaßnahmen eine immer größere Rolle im Erhaltungsmanagement spielen, ist ein einheitlicher Zustandsindikator smartBRIDGE Hamburg - Aggregation von Zustandsindikatoren aus Inspektions- und Monitoringdaten 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 251 als Grundlage für eine Zustandsbewertung zielführend. Dieser aggregiert die Erkenntnisse aus den Bauwerksprüfungen, Nachrechnungsergebnissen, Monitoring und Diagnostik. Ziel ist es, allen an der Bauwerkserhaltung Beteiligten einen leicht interpretierbaren Beurteilungsstandard an die Hand zu geben. Dabei soll das bewährte und etablierte Konzept der Zustandsnoten erhalten bleiben. Jedoch erfordert die digitale Transformation aus Sicht der Autoren eine Erweiterung des Konzeptes auf datengestützte Zustandserfassung. Abbildung 3: Aggregation von Schäden und Monitoringdaten zu einer Zustandsnote Im Folgenden wird eine Möglichkeit der Zustandsaggregation durch die Einführung einer übergreifenden Bewertungskennzahl „CI“ (Condition Indicator) aufgezeigt, die stets den aktuellen Zustand des Bauwerks wiedergibt und trotzdem mit dem etablierten System harmoniert. Da diese Bewertungskennzahl der aktuellen Zustandsnote entspricht, ist sie für das Erhaltungsmanagement intuitiv verständlich, sodass ein eventueller Handlungsbedarf unmittelbar erkannt werden kann. Eine Homogenisierung des Bewertungssystems wird dadurch erzielt, dass die Einzelergebnisse der in den verschiedenen Untersuchungskategorien durchgeführten Maßnahmen (Bauwerksprüfung, Nachrechnung, Monitoring, Diagnostik) analog zur klassischen Bauwerksprüfung nach S, V und D und damit nach dem Zustandsnotenprinzip bewertet werden. Dadurch werden rechnerische Defizite oder Bauwerksmessungen wie Einzelschäden am Bauwerk betrachtet. Grundsätzlich soll also nicht unterschieden werden zwischen (realen) Bauwerksschäden oder rechnerischen (messwertgestützten) Nachweisdefiziten, da beide die Standsicherheit, Dauerhaftigkeit oder Gebrauchstauglichkeit/ Verkehrssicherheit des Bauwerks negativ beeinflussen können. Der grundsätzliche Prozess der Aggregation ist in Abbildung 3 beispielhaft für die Ergebnisse aus der Bauwerkprüfung und dem Bauwerksmonitoring illustriert. Im Zuge des Aggregationsprozesses müssen die Daten aus dem Bauwerkmonitoring in die Zustandsnoten umgerechnet werden, um diese dann zu einer Gesamtzustandsnote zu aggregieren. Voraussetzung für die Aggregation ist, dass allen zuvor erwähnten Untersuchungskategorien die gleiche Bauteilklassifikation zugrunde liegt und sich der Untersuchungsgegenstand auf dessen Objekte bezieht (und nicht z. B. auf Nachweisprinzipien wie Ermüdung oder Stabilität). Für Verkehrsbauwerke erfolgt die Benennung der Condition Indicator mit den Bauteilkatalogen nach ASB- ING [13]. Analog zur Bauwerksprüfung können die CI nach den Bestandteilen des Bauwerks gegliedert werden, sodass z. B. die Bauteilgruppe in der Bauwerksprüfung „Brückenseile und -kabel“ dem CI „Brückenseile und -kabel“ entspricht. Die Zustandsbewertung der Bauteilgruppen aus der regelmäßigen Bauwerksprüfung ist dabei, neben den Teilzuständen aus Nachrechnung, Monitoring und Diagnostik, ein Teilzustand „PCI“ (Partial Condition Indicator). Die Bauwerksprüfung ist damit einer von mehreren TeilsmartBRIDGE Hamburg - Aggregation von Zustandsindikatoren aus Inspektions- und Monitoringdaten 252 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 indikatoren (PCI), aus welchen sich die Benotung einer Bauteilgruppe (CI) ergibt. Das Gesamtkonzept hierzu ist in Abbildung 4 dargestellt. Weitere PCI können sich beispielsweise aus Informationen der Bestandsunterlagen, wie Nachrechnungsergebnissen oder Diagnostikberichten ergeben. Diese PCI sind eher quasi-statischer Natur, da sich der Zustand nur durch manuelle (Neu-)Bewertungen oder Reparatur bzw. Verstärkung ändern kann. Andere PCI ergeben sich dagegen direkt aus Bauwerksmessungen und werden in Echtzeit aktualisiert. Prinzipiell lässt sich dieses Verfahren auf jedes Bauwerk übertragen, auch wenn dieses nicht mit einem Monitoringsystem ausgestattet ist. Für die dynamischen und prädiktiven Condition Indicator ist jedoch der Input aus einem Echtzeit-Monitoring sowie die Einbindung von Umweltdaten in Kombination mit einer automatisierten Auswertung ein wesentlicher Baustein. Auf diese Weise ist es möglich zu jedem Zeitpunkt den aktuellen Bauwerkszustand zu bewerten und durch die hohe Qualität der aggregierten Indikatoren Prognosen vorzunehmen und Handlungsbedarfe zu erkennen. Mit einer sensorgestützten Überwachung kann z. B. die Funktion oder die Gebrauchstauglichkeit von Bauteilen oder Ausstattungselementen (z. B. Lager oder Übergangskonstruktion) überwacht und bewertet werden. Den in Abstimmung mit dem Bauherrn festgelegten Schwellwerten werden dann die Schadensbewertungen S, V, D zugeordnet, sodass die Schadensnoten in den Bewertungsalgorithmus einfließen können. Auf der anderen Seite können bemessungsrelevante Einwirkungen oder die Beanspruchung von Bauteilen überwacht werden. Den aus einer probabilistischen Auswertung der Messwerte ermittelten Überschreitungswahrscheinlichkeiten der zulässigen Werte für Widerstand oder Einwirkung können ebenfalls Schadensbewertungen S, V, D zugeordnet werden. Abbildung 4: Aggregation verschiedener Untersuchungskategorien zu einem Zustandsindikator (CI) 3.3 Bewertungskonzept der Teilzustandsindikatoren aus Monitoring Für ein Bewertungskonzept der Teilzustandsindikatoren müssen geeignete Schwellwerte der gemessenen Größen mit den entsprechenden Schadensbewertungen S, V, D verknüpft werden. Im Projekt smartBRIDGE Hamburg wurden insgesamt über 40 solcher Zustandsindikatoren definiert, die in die Gesamtbewertung einfließen. Beispielsweise können in Abstimmung mit dem Bauherrn Schwellwerte für die Seitenwindgeschwindigkeit festgelegt werden, die eine Verschlechterung der Schadensbewertung Verkehrssicherheit (V) zur Folge haben. Im schlimmsten Fall müssen Maßnahmen bis zur Vollsperrung unverzüglich vorgenommen werden (V = 4). Bezogen auf Standsicherheitsnachweise wie z. B. Beulnachweise im Stahlquerschnitt oder Querkraftnachweise im Spannbetonhohlkasten ist dieses Vorgehen (Definition von Schwellwerten) relativ aufwändig, da für jede Nachweisart individuelle Grenzwerte festzulegen sind. Hintergrund ist, dass für duktile Versagensarten wie ein Stahlzugversagen ganz andere Anforderungen an Sicherheitsreserven gelten müssen als für spröde Versagensarten oder Stabilitätsversagen ohne Vorankündigung. Im smartBRIDGE Hamburg Projekt wurde daher der Weg verfolgt, die Schadensbewertung Standsicherheit (S) mit verschiedenen Stufen des probabilistischen Sicherheitsmaßes β zu verknüpfen. Der Sicherheitsindex β wird in der EN 1990 [14] als Zielzuverlässigkeit für den Grenzzustand der Tragfähigkeit für Neubauwerke definiert und smartBRIDGE Hamburg - Aggregation von Zustandsindikatoren aus Inspektions- und Monitoringdaten 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 253 gilt unabhängig von der Nachweisart. Die Zielzuverlässigkeit für Neubauwerke von β 50 = 3,8 (der Index 50 bezieht sich auf den Bezugszeitraum) ist in diesem Konzept mit der Schadensbewertung S = 0 assoziiert, da bei diesem Sicherheitsmaß keine Beeinträchtigung der Standsicherheit vorliegt. Für die Schadensbewertung von S = 1 bis S = 4 müssten nun Zielzuverlässigkeiten definiert werden, die geringer sind als die vorgeschriebenen Zielzuverlässigkeiten. Dieser Umstand stellt viele Bauingenieure vor ein Dilemma, da ein Weiterbetrieb einer baulichen Anlage bei einer explizit eingeschränkten Standsicherheit nicht verantwortbar erscheint, bzw. eine pauschale Reduzierung der geforderten Zielzuverlässigkeit nicht zulässig ist. Ein Problem hierbei ist auch, dass die tatsächlich erhöhte Versagenswahrscheinlichkeit von schadhaften älteren Bestandsbauwerken in der Regel abstrakt verhandelt wird, indem qualitativ geeignet erscheinende Kompensationsmaßnahmen (z. B. verkürzte Prüfintervalle) getroffen werden die das Sicherheitsdefizit „beheben“. Die Realität ist allerdings, dass Standsicherheitsdefizite bis zu einem gewissen Grad akzeptiert werden müssen, da zumindest unklar ist, ob die bekannten Kompensationsmaßnahmen reale Nachweisdefizite aufwiegen. Aus Sicht der Autoren sprechen verschiedene Gründe dafür, dass eine Abstufung der Zielzuverlässigkeit für eine Verknüpfung mit einer Schadensbewertung zu rechtfertigen ist, bzw. sogar logisch erscheint. Einige der Gründe werden im Folgenden aufgeführt: • Die in EN 1990 definierte Zielzuverlässigkeit besitzt bereits aus mathematischen Gründen einen „Toleranzbereich“. Aufgrund der zulässigen Grenzen für das Verhältnis der Standardabweichungen s R / s E beträgt die tatsächliche Zielzuverlässigkeit unter Umständen nur β 50 = 3,04 statt 3,8 [15]. • Die für Bestandsbauwerke erforderliche Zielzuverlässigkeit bezogen auf den Zeitraum der Nutzungsdauer nimmt mit zunehmendem Alter ab, da das Bauwerksversagen bisher nicht eingetreten ist. In jedem Fall werden in verschiedenen Quellen reduzierte Zielzuverlässigkeiten für Bestandsbauwerke vorgeschlagen (s. a. [15]). • Durch die Assoziation der reduzierten Zielzuverlässigkeit mit Schadensbewertungen bis S = 4 werden automatisch Kompensationsmaßnahmen initiiert, da spätestens bei einer Bewertung von S = 3 Maßnahmen seitens des Betreibers erforderlich sind. Es könnte also argumentiert werden, dass sich die inhärente Betriebssicherheit gar nicht reduziert, da eine reduzierte Zielzuverlässigkeit eine entsprechend höhere Aufmerksamkeit oder Kompensationsmaßnahmen zur Folge hat. In jedem Fall müssen die Grenzwerte der mit der Schadensbewertung assoziierten Zielzuverlässigkeit in Abstimmung mit dem Bauherrn festgelegt werden. Für das smartBRIDGE Hamburg Projekt wurde die Schadensbewertung S = 4 mit dem reduzierten Sicherheitsindex β 50 = 2,5, bzw. β 1 = 3,7 verknüpft. Die β -Zwischenwerte zu S = 0 mit β 50 = 3,8 können linear interpoliert werden. Der Grenzwert von β 50 = 2,5, der einer jährlichen Versagenswahrscheinlichkeit von P f = 1,1x10 -4 entspricht, wurde aufgrund verschiedener Erwägungen gewählt. Der von S paethe [16] definierte Grenzwert der hinnehmbaren zusätzlich auferlegten Sterbewahrscheinlichkeit liegt bei 10 -3 , da dieser der summierten jährlichen Unfallsterbewahrscheinlichkeit entspricht. Allerdings liegt in der heutigen Gesellschaft ein deutlich geringeres Unfallrisiko als zur Zeit der Abfassung des Werks von S pa ethe im Jahr 1992 vor: im Jahr 2015 lag die jährliche Unfallsterblichkeit in Deutschland bei nur noch 3,0x10 4 [17] da insbesondere die Unfallsterblichkeit aus Verkehr abgenommen hat. Die hier definierte Versagenswahrscheinlichkeit ist also um einen Faktor 3 geringer als die summierte jährliche Unfallsterblichkeit. Darüber hinaus zeigten Untersuchungen, dass auch die tatsächliche jährliche Einsturzwahrscheinlichkeit von Brückenbauwerken in Industrieländern in der Größenordnung von 10 -5 und 10 -4 liegt [18]. Aus diesen Gründen wurde im Rahmen des smartBRIDGE Hamburg Projekts für die Köhlbrandbrücke davon ausgegangen, dass ein unterer Grenzwert von β 50 = 2,5 mit der Schadensbewertung S = 4 assoziiert werden kann. Dadurch, dass die Schadensbewertungen mit Sicherheitsindizes verknüpft sind, können für alle Nachweisarten, die sich auf den Grenzzustand der Tragfähigkeit beziehen, Schadensbewertungen auf Grundlage der Bauwerksmessung oder Nachrechnung abgeleitet werden. Die Vorgehensweise wird anhand von zwei Beispielen im Folgenden exemplarisch erläutert. 4. Umsetzung im Rahmen des Projekts smartBRID- GE Hamburg 4.1 Beispiel PCI Beulsicherheit Das beschriebene Vorgehen wird beispielhaft anhand der Umsetzung von smartBRIDGE Hamburg erläutert. Das Teilbauwerk „Strombrücke“ der Köhlbrandbrücke enthält für jede vorhandene Bauteilgruppe einen Condition Indicator mit der analogen Bezeichnung der Bauteilgruppe nach ASB-ING. In Abbildung 5 ist links der Condition Indicator „Überbau“ (Versteifungsträger als Stahlhohlkasten) dargestellt. Der Gesamtzustand des Überbaus ergibt sich aus den PCI der Bauwerksprüfung sowie den PCI der messwertgestützten Berechnungen. Mit den PCI „Beulsicherheit“ und „Ermüdungssicherheit Querrahmen“ ist innerhalb des CI die Überwachung von zwei potenzieller Schadensszenarien enthalten, die aufgrund von Sensitivitätsanalysen für das Bauwerk als kritisch eingestuft worden. smartBRIDGE Hamburg - Aggregation von Zustandsindikatoren aus Inspektions- und Monitoringdaten 254 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Die Beulsicherheit wird durch die probabilistische Auswertung der an den beulgefährdeten Bereichen gemessenen Dehnungen bewertet (Abbildung 5, rechts). Die Berechnung des vorhandenen Sicherheitsindex für ein Beulversagen anhand von Bauwerksmessung in [9] erläutert. Regelmäßig wird durch die vorhandenen Messdaten der Zuverlässigkeitsindex (hier β E -Index, bezogen auf die Einwirkungsseite) bestimmt, der wiederum in eine S-, V- und D-Bewertung und so in eine Zustandsnote umgerechnet wird. In der Visualisierung gezeigt werden sowohl die Veränderungen der Zustandsnoten als auch die zugehörigen S-, V- und D-Bewertungen, um die Auswirkung des betrachteten Schadensszenarios auf das Gesamttragwerk zu verdeutlichen. Des Weiteren ist zur Verdeutlichung der zeitlichen Entwicklung des Zustands und ggf. für eine erste Plausibilitätsprüfung ein Zeitdiagramm mit der zeitlichen Entwicklung des Zuverlässigkeitsindex dargestellt. Abbildung 5: Beispielhafte Visualisierung des CI „Überbau“ der Köhlbrandbrücke mit den zugehörigen PCI (links) sowie die Detailansicht des PCI „Beulsicherheit“ (rechts) anhand des Condition Control smartBRIDGE Hamburg 4.2 Beispiel PCI Ermüdungssicherheit der Querrahmen Die Darstellung der Ermüdungssicherheit in den Querrahmen erfolgt analog. Lediglich die dargestellte und zu bewertende Ergebnisgröße ist in diesem Fall die rechnerische Schädigung D (D = 1 entspricht rechnerischem Ermüdungsschaden), die für einen Überblick des zeitlichen, rechnerischen Schädigungsverlaufs dient. Jeder Teilzustand (PCI) innerhalb der Bauteilgruppe (CI) besitzt in letzter Instanz eine Zustandsnote. Zur Aggregation aller Zustandsnoten wird der Algorithmus nach RI-EBW-PRÜF gewählt, bei dem auf der sicheren Seite liegend die maximale Zustandsnote innerhalb einer Bauteilgruppe maßgebend für die Zustandsnote der Bauteilgruppe wird. 5. Zusammenfassung In dem vorliegenden Beitrag wurde ein Verfahren aufgezeigt, welches es eine Aggregation der Teilzustandsinformationen aus Bauwerksprüfung, Bauwerksmonitoring, Nachrechnung und anderen Informationsquellen innerhalb eines Zustandsindikators (Condition Indicator) ermöglicht. Aus pragmatischen Gründen und für die Akzeptanz der Entwicklung wurde hierfür die bereits bekannte Zustandsnote nach RI-EBW-PRÜF gewählt. Anhand des Beispiels von Monitoringdaten wurde gezeigt, wie Schadensbewertungen aus einem assoziierten Sicherheitsindex abgeleitet werden können. In der Folge erlaubt das Verfahren eine für alle Nachweisarten konsistente Transformation von Nachweisdefiziten in Schadensbewertungen und letztendlich in Zustandsnoten. smartBRIDGE Hamburg - Aggregation von Zustandsindikatoren aus Inspektions- und Monitoringdaten 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 255 Dadurch wird eine Konvergenz heterogener Zustandsinformationen bewirkt, die die Möglichkeit bietet, das Erhaltungsmanagement zu vereinfachen und sich insbesondere in das im Rahmen des Projekts smartBRIDGE Hamburg verfolgte Konzept des Digitalen Zwillings einfügt. Die digitale Transformation im Bauwesen fokussiert aktuell primär Planen und Bauen. Ein Großteil aktueller und zukünftiger Probleme (und Aufwendungen) liegt jedoch im Betreiben der Infrastruktur. Das vorgestellte Konzept möchte einen Beitrag leisten unsere etablierten und bewährten Prozesse zukunftsfähig zu machen. In diesem Sinne stellt das beschriebene Vorgehen einen ersten Schritt dar, den es durch Forschung und die Mitarbeit vieler auszugestalten gilt. Literaturverzeichnis [1] DIN 1076 (1999) Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung, Stand November 1999, Beuth Verlag GmbH, Berlin. [2] RI-EBW-PRÜF (2017) Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten (RI-ERH-ING) - Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur [3] BMVBS (2011) Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). Ausgabe Mai 2011. [4] AG Schwerverkehr (2020) Grundkonzeption für den Traglastindex. UAG Traglastindex, Stand April 2020. [5] Krause, S. (2020) Einführung des Traglastindex; Übergabe der Daten an die Bundesanstalt für Straßenwesen, ARS 09/ 2020, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur [6] RPE-ING (2020) Richtlinien für die strategische Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken. Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur, Stand 12/ 2020 [7] Geißler, K.; Steffens, N.; Stein, R. (2019) Grundlagen der sicherheitsäquivalenten Bewertung von Brücken mit Bauwerksmonitoring, Stahlbau 88, H. 4, S. 338-353. [8] Steffens, N. (2019) Sicherheitsäquivalente Bewertung von Brücken durch Bauwerksmonitoring, Dissertation, TU Berlin, Düren: Shaker. [9] Herbrand, M.; Wenner, M.; Ullerich, C.; Rauert, T.; Zehetmaier, G.; Marx, S. (2021) Beurteilung der Bauwerkszuverlässigkeit durch Bauwerksmonitoring, Bautechnik 98 H. 2, S. 93-104, Verlag Ernst & Sohn [10] Ullerich, C., Grabe, M., Wenner, M., Herbrand, M. (2020): smartBridge Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings, Bautechnik 97 H. 2, S. 118-125, Verlag Ernst & Sohn [11] BMVBS (2013) Bauwerksprüfung nach DIN 1076 - Bedeutung, Organisation, Kosten, Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung, Stand September 2013 [12] Haardt, P. (1999) Algorithmen zur Zustandsbewertung von Ingenieurbauwerken. BASt Heft B22, Bergisch Gladbach, Februar 1999 [13] ASB-ING (2013) Anweisung Straßeninformationsbank Segment Bauwerksdaten, Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung, Abteilung Straßenbau [14] DIN EN 1990 (2010) Grundlagen der Tragwerksplanung. Ausgabe 12/ 2010 + A1: 08/ 2012. Berlin: Beuth. Dez. 2010 [15] Fischer, A. M. (2010) Bestimmung modifizierter Teilsicherheitsbeiwerte zur semiprobabilistischen Bemessung von Stahlbetonkonstruktionen im Bestand, Disseration TU Kaiserslautern, Januar 2010 [16] Spaethe, G. (1992) Die Sicherheit tragender Baukonstruktionen. 2. Aufl. Wien: Springer [17] DESTATIS (2017) Todesursachen in Deutschlande - 2015, Statistisches Bundesamt, Fachserie 12, Reihe 4, 2017 [18] Proske, D. (2020) Die globale Gesundheitsbelastung durch Bauwerksversagen, Bautechnik 97, H. 4, S. 233-242 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 257 smartBRIDGE Hamburg - Die Rolle von BIM im Konzept des digitalen Zwillings Frederik Wedel frederik.wedel@marxkrontal.com Marx Krontal Partner, MKP GmbH, Uhlemeyerstr. 9+11, 30175 Hannover Daniel Opitz d.opitz@wtm-hh.de WTM Engineers GmbH, Johannisbollwerk 6-8, 20459 Hamburg Christoph Tiedemann christoph.tiedemann@hpa.hamburg.de Hamburg Port Authority AöR, Neuer Wandrahm 4, 20457 Hamburg Markus Meyer-Westphal mmw@customquake.com customQuake GmbH, Katharinenstraße 4, 20457 Hamburg Abstract Das Building Information Model (BIM) hat eine Schlüsselrolle innerhalb von smartBRIDGE und seiner technischen Lösungen: Es ist die Basis für den digitalen Zwilling Jedoch ist ein Building Information Model nicht mit einem digitalen Zwilling gleichzusetzen, denn ein digitaler Zwilling ist ein dynamisch mit der realen Welt verknüpftes Modell eines Assets mit hochaktuellen Zustandsdaten. Das Building Information Model kann diese Art von Daten nicht zur Verfügung stellen. Die Stärken von BIM liegen in der Visualisierung von Geometrien und in der Verknüpfung von statischen Informationen mit 3D-Objekten. Ziel ist es demnach, die BIM-Methodik im Rahmen dieses Projekts für diese Zwecke einzusetzen. Es stellt beispielsweise die Grundlage für die Visualisierung des digitalen Zwillings dar und enthält darüber hinaus alle notwendigen Informationen zur Navigation und Filterung innerhalb der Plattform sowie der Verortung von Schäden, Sensorik und anderer Zustandsindikatoren (Condition Indicator). Es bietet die Möglichkeit, die generierten Informationen in einen zeitlichen und räumlichen Kontext zu setzen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist das vor Projektbeginn bereits bestehende BIM-Modell geometrisch und semantisch zu erweitern, ohne die ursprüngliche Intention zur Nutzung des BIM-Modells durch die HPA zu konterkarieren. Der Beitrag zeigt, welche Schritte gegangen werden müssen, um die BIM-Methodik auch für die Nutzungsphase, welche die längste Dauer im Bauwerkslebenszyklus ausmacht, von Brückenbauwerken und anderen Assets in Zukunft sinnvoll zu nutzen. Bereits heute werden viele neue Infrastrukturbauprojekte mit BIM geplant und realisiert. Eine Übertragbarkeit des Konzepts auf andere Projekte / Bauwerke ist somit gewährleistet und zukunftsträchtig. 1. Einleitung Die Digitalisierung schreitet in vielen Bereichen voran. Während Wirtschaftszweige wie die Automobilindustrie mit großen Schritten vorangehen, bietet die Baubranche noch großes Potential. Insbesondere bei der Instandhaltung laufen noch viele schritte manuell und analog ab. Auf Bauwerksschäden kann nur reagiert werden, anstatt sie zu verhindern. Das führt zu kostenintensiven Erhaltungsmaßnahmen und unplanmäßigen Sperrungen. Die zyklischen Bauwerksinspektionen nach DIN 1076 liefern umfangreiche aber zeitlich punktuelle Informationen über den Bauwerkszustand. Weitere informationsgebende Verfahren wie eine kontinuierliche Zustandsüberwachung über das Bauwerksmonitoring oder andere bauwerksdiagnostische Untersuchungen kommen nur vereinzelt zum Einsatz. Falls solche Methoden zur Anwendung kommen, finden sie in der Regel separat voneinander statt. Eine gesamtheitliche Bewertung aller vorliegenden Daten findet nicht statt. Das Pilotprojekt smartBRIDGE Hamburg vereint alle informationsbereitstellenden Datenstränge in einem Digitalen Zwilling [1], [2], [3]. Digitaler Zwilling ist eine digitale aktive, dynamische Repräsentation, die smartBRIDGE Hamburg - Die Rolle von BIM im Konzept des digitalen Zwillings 258 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 alle Daten und Informationen über das reale Objekt in einem digitalen Modell vereint. Er aktualisiert sich selbst, wobei er unterschiedlichste Datenquellen nutzt, um sein reales Gegenstück möglichst genau und aktuell repräsentieren zu können. Im Projekt wird dieser für die Köhlbrandbrücke erstellt. Dazu wird eine Softwareplattform entwickelt, die diese Daten vereint. Dabei ist es erforderlich, die Zustandsinformationen an einem digitalen Bauwerksmodell zu verorten. Die Plattform fordert daher ein interaktives dreidimensionales Abbild mit verorteten Echtzeit-Informationen. Die BIM-Methode eignet sich hervorragend für diesen Zweck. In welcher Form sie für das Projekt genutzt wird und wo sie an ihre Grenzen stößt, zeigt der nachfolgende Artikel. Das Projekt liefert dabei einen wichtigen Beitrag zur Überführung der BIM-Methodik in den Betrieb und die Instandhaltung von Infrastrukturbauwerken. 2. Die Köhlbrandbrücke Die Köhlbrandbrücke verbindet die Hamburger Elbinsel Wilhelmsburg mit der Bundesautobahn 7 und ist die wichtigste Verkehrsverbindung im Hafen. Über die im Jahre 1974 eröffnete Köhlbrandbrücke fahren täglich ca. 35.000 Fahrzeuge. Durch ihr markantes Aussehen der Schrägseilbrücke, mit ihren 135 m hohen blau strahlenden Pylonen, der harfenförmig angeordneten 88 Stahlseile und den massiven Rampenbrücken zählt die Köhlbrandbrücke zu den Hamburger Wahrzeichen. Der gesamte Brückenzug ist 3618 m lang und besteht aus der östlichen Rampenbrücke auf der Elbinsel Wilhelmsburg, der Strombrücke über den Köhlbrand und der westlichen Rampenbrücke über den Rugenberger Hafen. Die östliche Rampenbrücke ist eine 2050 m lange Stahlbeton- und Spannbetonkonstruktion, die Strombrücke eine 520 m lange Schrägseilbrücke mit stählernem Fahrbahnträger als Hohlkasten und die westliche Rampenbrücke eine 1048 m lange Spannbetonbrücke. Die Brücke wird insgesamt durch vier Fahrspuren und einem großen Anteil des Schwerlastverkehrs stark beansprucht (Abbildung 1). Das zweifellos auffälligste Bauwerk in dem Brückenzug ist die Schrägseilbrücke, mit Stützweiten von 97,5 m, 325 m und 97,5 m und bietet für den Schiffsverkehr eine Durchfahrtshöhe von 53 m. Auf den zwei 37 m hohen Stahlbetonpfeilern sind Pylone aus Stahl angeordnet. An diesen Pylonen sind jeweils 44 vollverschlossene Stahlseile verankert, die andererseits über fächerförmige Abspannungen an den seitlichen Konsolen des stählernen Überbaus befestigt sind. Der Überbau „schwebt“ durch die Pylone hindurch, sodass lediglich vertikale Lagerungen nur an den Trennpfeiler notwendig sind. In den Trennpfeilern, die den Übergang zur Ost- und Westrampe ermöglichen, sind jeweils vier Rückhalteseile zur Abhebesicherung der Überbauten angeordnet. Abbildung 1: Blick auf die Köhlbrandbrücke smartBRIDGE Hamburg - Die Rolle von BIM im Konzept des digitalen Zwillings 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 259 Der aufgehängte Überbau besteht aus einem einzelligen Stahlholkasten mit orthotroper Fahrbahnplatte mit einer Breite von 17,2 m und einer Höhe von 3,52 m. Die beiden Rampenbauwerke östlich und westlich des Köhlbrands bestehen wiederum selbst aus eigenständigen Teilsystemen sogenannten Teilbauwerken. Die Rampenüberbauten wurden als einzellige und zweizellige Hohlkastenquerschnitte in Spannbetonbauweise ausgebildet und sind sowohl in Längsrichtung als auch in Querrichtung vorgespannt. Die Aufteilung des Hauptbauwerks in Bau- und Teilbauwerke sowie Bauteilgruppen ist Abbildung 2 zu entnehmen. Die Teilbauwerke wiederum untergliedern sich in jeweils 14 Bauteilgruppen nach ASB-ING 2013 [4]. In der ASB- ING werden alle für die Verwaltung und Erhaltung von Ingenieurbauwerken benötigten Bauwerksdaten, Bauteile und die relevanten Eigenschaften/ Attribute definiert. Abbildung 2: Taxonomie der Köhlbrandbrücke nach ASB-ING 2013 und dem Bauteilkatalog Brücken [5] Das Hauptbauwerk Köhlbrandbrücke besteht demnach aus 3 Bauwerken, die wiederum aus verschieden vielen Teilbauwerken bestehen. Diese Taxonomie zieht sich durch das gesamte Projekt und bietet die Grundlage für die Navigation im Digitalen Zwilling. Die in Klammern dargestellten Abkürzungen und Nummern werden zur Identifikation genutzt. 3. Anforderungen an das BIM-Modell aus der smartBRIDGE Plattform Der Digitale Zwilling in der smartBRIDGE Plattform besteht aus verschiedenen Komponenten, die unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Die Nutzerschnittstelle ist eine Webseite, die über den Browser aufgerufen wird, das sogenannte „Condition Control“, siehe Abbildung 3. Auf diesem Front End werden alle Informationen und insbesondere die Bauwerkszustände aus der Bauwerksprüfung und dem Monitoring zu sogenannten Condition Indicators [3] zusammengeführt und für den Nutzer in konsumier- und explorierbarer Form bereitgestellt. Für weitere Informationen zum Projekt aber auch Condition Control siehe [1], [2] und [3]. smartBRIDGE Hamburg - Die Rolle von BIM im Konzept des digitalen Zwillings 260 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 3: Darstellung des Digitalen Zwillings in Condition Control Die Abbildung zeigt einen Ausschnitt aus Condition Control, mit der Strombrücke (Schrägkabelbrücke) als ausgewähltes Bauwerk, welches hervorgehoben wird. Außerdem sind Schäden (hier im Fahrbahnbelag) verortet, die über das Symbol anklickbar sind. Bei einem Klick auf den Schaden öffnen sich die zugehörigen Metainformationen in einer Seitenleiste am linken Bildschirmrand. Gleiches gilt für Sensoren aus dem Monitoring und andere diagnostische Untersuchungsbereiche (nicht in der Abbildung dargestellt). Zusätzlich ist die so genannte Structure Summary dargestellt, welche die Zustandsnote sowie weitere Informationen über die Strombrücke in Echtzeit bereitstellt. Der datenbasierte Ansatz der smartBRIDGE Plattform ermöglicht eine Navigation als Drilldown von oberster Ebene (Hauptbauwerk: Köhlbrandbrücke) bis hin zu Detailinformationen beispielsweise über einen Schaden. Daher ist es erforderlich, diese (Bauwerks-)Hierarchie (siehe Abbildung 2) aufzustellen und in geeigneter Art und Weise in die Plattform zu überführen. Abbildung 3 zeigt den aktuellen Entwicklungsstand im Projekt. Durch die vielen verschiedenen Elemente und Möglichkeiten in der Navigation werden diverse Anforderungen an das BIM-Modell gestellt, welches entsprechend aufgebaut werden muss. 4. Datenquellen und -integrationsmöglichkeiten 4.1 Daten zur Aufnahme in das Modell Das Ziel des Digitalen Zwillings ist unter anderem die Zusammenführung verschiedener Datenquellen, um sie gesamtheitlich und in Echtzeit bewertet und im digitalen Modell verortet darzustellen. So genannte Condition Indicator übernehmen diese Aufgabe [3]. Diese heterogenen Daten stammen aus unterschiedlichen Systemen und sind nachfolgend kurz aufgeführt. Die Grundlage für die Verortung von Informationen ist das Hauptbauwerksmodell. Selbst besteht es aus verschiedenen Bauwerken und Teilbauwerken, siehe Abbildung 2 und Abschnitt 5.4. Es handelt sich um Geometrien zur Visualisierung im Front End, deren Attribute sich in der Regel nicht ändern. Die wichtigste Informationsquelle für die Instandhaltung ist die Bauwerksprüfung mit entsprechenden Prüfergebnissen und Dokumentationen von Schäden. Sie erfolgt nach DIN 1076 in regelmäßigen Abständen. Während einer Bauwerksprüfung werden alle Schäden vom Bauwerksprüfer erfasst und in SIB-Bauwerke (auch: SIB- BW) dokumentiert. Dieses Computerprogramm ermöglicht die Dokumentation von Schäden und ermittelt letztendlich die Zustandsnote für die Bauwerke in Abhängigkeit der Inspektionsergebnisse. Es liefert demnach wichtige Informationen zur Ermittlung des Bauwerkszustands. Aus der Anzahl und Schwere der verschiedenen Schäden je Bauteilgruppe werden Zustandsnoten berechnet, die in einem Prüfbericht alle sechs (Hauptprüfung) bzw. drei (einfache Prüfung 1 ) Jahre aktualisiert werden. Es kann zu häufigeren Änderungen kommen, falls anlassbezogene Inspektionen durchgeführt werden. Die Dokumentation von Schäden im Programm erfolgt in Tabellenform und damit nur schwer nachvollziehbar, an welchen Stellen sich die Schäden befinden, da höchstens beschreibende Informationen existieren. Für jeden Schaden gibt es zusätzlich die Möglichkeit, ein Foto des Schadens zu hinterlegen. Die Änderungsrate für Schäden und Zustandsnoten aus SIB-Bauwerke liegt damit bei etwa drei Jahren. In der aktuellen Version ist SIB-Bauwerke 1 Die einfache Prüfung findet ebenfalls nur alle sechs Jahre statt aber phasenverschoben um drei Jahre zur Hauptprüfung. smartBRIDGE Hamburg - Die Rolle von BIM im Konzept des digitalen Zwillings 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 261 nur als Offline-System vorhanden. Der Austausch von Informationen erfolgt demnach dateibasiert. Die aktuelle Entwicklung von SIB-Bauwerke 2.0 berücksichtigt einen Online-Zugriff, sodass die Informationen direkt zur Verfügung gestellt werden können ohne einen manuellen Datenaustausch. Darüber hinaus wurde ein Monitoring installiert, welches im Gegensatz zu den zyklischen Prüfungen, permanente Daten zur Beurteilung des Bauwerkszustands als Condition Indicators liefert. Die Sensoren selbst besitzen Metainformationen, die für den Nutzer interessant sind. Daher werden die Sensoren inkl. ihrer Attribute in ein BIM-Modell überführt. Messdaten von Sensoren finden keinen Eingang in das BIM-Modell, da ein solches nicht dafür ausgelegt ist. Neben der Bauwerksprüfung und dem Monitoring werden außerdem diagnostische Untersuchungen durchgeführt und in smartBRIDGE integriert. Sie liefern einerseits Condition Indicators und zusätzlich hilfreiche Informationen für eine verbesserte Bewertung des Bauwerkszustands. Beispielsweise können die Korrosionsgefährdung beurteilt oder Materialeigenschaften bestimmt werden. Da es sich in der Regel um manuelle Vor-Ort-Untersuchungen handelt, ist von antizyklischen und heterogenen Daten auszugehen. Die genannten Daten und Informationen werden innerhalb des Projekts gesammelt, strukturiert und verortet. Inwieweit die Aufnahme solcher Daten direkt in das BIM-Modell sinnvoll ist, oder an welchen Stellen nur eine Verknüpfung zielführend ist, wird nachfolgend dargestellt. Dazu wird einerseits geprüft, welche Datenintegrationsmöglichkeiten (Abschnitt 4.2) innerhalb der BIM-Methodik existieren und andererseits wird BIM im Kontext des smartBRIDGE Projekts dargestellt (Abschnitt 5.1). 4.2 Datenintegrationsmöglichkeiten Die zuvor genannten Datenquellen stellen diverse Anforderungen an das BIM-Modell bzw. dessen Informationsgehalt. Nicht alles gehört ins BIM-Modell - im Gegenteil: die Aufnahme dynamischer bzw. sich schnell oder häufig ändernder Daten in das Modell ist zu vermeiden. Andernfalls ist der manuelle Pflegeaufwand solcher Modelle nicht wirtschaftlich möglich. Da es sich zum Teil um sehr heterogene Daten und Informationen handelt, mussten verschiedene Datenintegrationsmöglichkeiten überprüft werden. Grundsätzlich werden folgende Integrationsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der BIM- Methodik unterschieden: 1. Informationen direkt in der Semantik des Objekts (embedded data): Geometrie und Metadaten (Attribute) sind direkt im BIM-Modell enthalten 2. Informationen direkt an der Semantik des Objekts (linked data): Im Attribut wird ein Weblink gespeichert, der beispielsweise ein Foto bereitstellt 3. Nutzung der Attribute für Verlinkung auf externe Datenquellen: Aus den Attributen kann eine Datenbankabfrage erstellt werden, die weitere Metadaten enthält (Verlinkung von Systemen) 4. Speicherung zusätzlicher Informationen in einer CDE: Fotos oder Dokumente können direkt in einer CDE hinterlegt werden Abbildung 4 zeigt die ersten drei Möglichkeiten. Abbildung 4: Datenintegrationsmöglichkeiten in die BIM-Methodik smartBRIDGE Hamburg - Die Rolle von BIM im Konzept des digitalen Zwillings 262 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Bei Möglichkeit 1 sind die Daten/ Informationen direkt in der Semantik des BIM-Modells enthalten, wie Elemente des Bauwerks selbst (Seile, Bleche, Fahrbahnbelag, etc.) oder auch die der Ausrüstung oder des Monitorings. Neben den Objekten selbst, können Attribute zusätzliche Informationen bereitstellen, beispielsweise für die Seile: Hersteller, Seilquerschnitt, Seilkraft, Drahtfestigkeit. Dies ist der klassische und damit häufigste Anwendungsfall, wofür BIM im Wesentlichen gedacht ist. Vorteilhaft ist, dass sich die Attribute in der Autorensoftware leicht und teilautomatisiert anpassen lassen. Nachteilig ist dabei allerdings, dass bei jeder Objekt- oder Attributänderung die Routine zur Bereitstellung des aktualisierten Modells (siehe Abschnitt 5.1) erneut ablaufen muss. Da dieser Prozess derzeit händisch abläuft, sind häufige Änderungen zu vermeiden. Mit Möglichkeit 1 wird das gesamte Bauwerksmodell aufgebaut. Bei Möglichkeit 2 handelt es sich um einen Linked-Data-Ansatz. Bei einem Attribut wird ein Link bzw. eine URL hinterlegt, die auf einen Webserver verweist. Somit können Dateibasierte Informationen wie Pläne, Bilder oder anderen Dokumente an die Objekte angeheftet werden. Neben BIM wäre damit ein weiteres System (hier: beispielsweise Webserver) erforderlich. Für das Projekt smartBRIDGE Hamburg führt dies nicht zu einem höheren Aufwand, da ohnehin verschiedene Services und Frameworks zum Einsatz kommen, die den Anforderungen dieser Art der Informationsverknüpfung gerecht würden. Grundsätzlich bestehen bei dem Linked-Data-Ansatz zwei Möglichkeiten: a. Die URL verweist statisch auf ein Dokument auf dem Webserver b. Die URL verweist auf einen Pfad innerhalb des Webservers; der Webserver steuert, welche Information dort hinterlegt ist Möglichkeit a) ist nicht praktikabel, da bei jeder Änderung/ Aktualisierung der anzuzeigenden Information (Plan, Bild, etc.) eine Anpassung des BIM-Modells bzw. seiner Attribute notwendig wäre. Bei Möglichkeit b) wird diese Steuerung über den Webserver selbst übernommen. Sobald eine Änderung der anzuzeigenden Datei verfügbar ist, wird diese nur auf dem Webserver ausgetauscht. Das BIM-Modell bleibt davon unberührt. Bei dieser Möglichkeit ist der manuelle Pflegeaufwand (des Webservers) zunächst hoch. Allerdings lassen sich Automatisierungsprozesse aufsetzen, die eine automatisierte Dateiverwaltung auf dem Webserver übernehmen. Ebenfalls denkbar wäre der Verweis auf einen Ordner auf einem Webserver, wo diverse Dateien zugehörig zu einem Bauteil abgelegt sein können. Möglichkeit 2 wird im Projekt nicht genutzt. Bei Möglichkeit 3 findet ebenfalls eine Verknüpfung zwischen dem BIM-Modell und einer externen Quelle statt. Anders als zuvor, wo eine URL auf einen Webserver verweist, können die zusätzlichen Attribute direkt dafür genutzt werden, um Informationen gezielt von der Datenbank oder von einem Webserver abzurufen, um sie dem Nutzer zur Verfügung zu stellen. Dabei dienen die Attribute als Identifikatoren (wahlweise auch direkt eine ID), die sowohl im BIM-Modell als auch in den externen Daten enthalten sind. Möglichkeit 3 wird im Projekt sehr stark genutzt. Beispielsweise werden so Schäden, Sensorik und diagnostische Untersuchungen sowie Fotos und andere heterogene Daten integriert, siehe Abschnitt 5.5. Möglichkeit 4 der Datenintegration besteht darin, die Informationen oder Dateien in einer CDE bereitzustellen. Dabei erfolgt keine direkte Verankerung bzw. Verlinkung in die Semantik der Objekte über die Autorensoftware. Der Vorteil ist, dass eine CDE bereits über eine Dateiverwaltung verfügt. Da die Visualisierung (Condition Control) jedoch nicht auf diese CDE zugreift, ist es nachteilig, dass diese Dateien/ Verlinkungen alleinig in der CDE und nicht im BIM-Modell hinterlegt werden. Diese Möglichkeit wird daher nicht für die smartBRIDGE Plattform aber für die Erstellung des eigentlichen Bauwerksmodells genutzt. Für letztere, siehe Nutzung von BCF in CDE in Abschnitt 5.2. 5. Die Nutzung der BIM-Methodik 5.1 BIM im Kontext von smartBRIDGE Hamburg Wie Abbildung 3 zeigt, sind weitere Funktionalitäten gefordert, die über die klassische BIM-Nutzung hinaus gehen. Dennoch ist das BIM-Modell zentraler Dreh- und Angelpunkt des Projekts. Es enthält und verortet alle notwendigen Informationen zur Navigation in Condition Control und Verknüpfungen zwischen den Datenquellen. Abbildung 5 zeigt die verschiedenen Systeme und ihre Abhängigkeiten untereinander. smartBRIDGE Hamburg - Die Rolle von BIM im Konzept des digitalen Zwillings 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 263 Abbildung 5: BIM als zentraler Dreh- und Angelpunkt im Projekt smartBRIDGE Hamburg Die Informationen aus SIB-Bauwerke werden für das Projekt smartBRIDGE Hamburg einerseits in das BIM-Modell und andererseits in eine Datenbank überführt. Die in SIB-BW dokumentierten Schäden werden in einem separaten BIM-Modell verortet. Dies ermöglicht die Anzeige im Front End, siehe Abbildung 3. Um eine redundante und damit pflegeintensive und fehleranfällige doppelte Datenablage zu vermeiden, werden lediglich die Schäden als Objekte mit ihrer entsprechenden ID in das BIM-Modell überführt. Alle weiteren Metadaten bzw. Attribute zu den Schäden werden direkt in die Datenbank geschrieben. Die Verbindung zwischen beiden Systemen ist eine ID, die von SIB- Bauwerke für jeden Schaden vergeben wird. Dieses Vorgehen verhindert, dass das BIM-Fachmodell für die Schäden bei jeder Änderung eines Schadens manuell angepasst werden muss. Änderungen von Schadens-Attributen erfolgen über ein automatisches Update der Datenbank. Lediglich bei Änderungen der Schadensgeometrie oder des Schadensumfangs erfolgt eine Anpassung des Fachmodells. Somit bleibt das System SIB-BW als „single source of truth“ bestehen. Es sei angemerkt, dass das Schadensmodell nicht zwangsläufig angepasst werden muss. Condition Control ist auch ohne BIM-Modell in der Lage, die Schäden anzuzeigen. Dieses Vorgehen ist auch im Hinblick auf die Weiterentwicklung von SIB-Bauwerke 2.0 als Online-System sinnvoll. Die Informationen könnten direkt abgerufen und integriert werden. Allerdings ist das Schadensmodell für eine lagegetreue Verortung der Schäden unabdingbar. Für die aufwendige Front End-Visualisierung eignet sich das BIM-Modell jedoch nicht. Beispielsweise können keine detaillierten Texturen über IFC ausgetauscht werden. Wie Abbildung 3 weiterhin zeigt, sind außerdem das Hervorheben bestimmter Bauwerksbereiche, Informationspanels (Schaden, Sensoren, etc.), dynamische Daten (Zustandsinformationen), Weblayer (Seitenleiste), etc. erforderlich. Daher findet ein Export der BIM-Teilmodelle statt. Die Geometrie wird als FBX exportiert und an Unity übergeben. Dieses Format unterstützt Texturen und weitere Möglichkeiten für eine anspruchsvolle Visualisierung. Dieser Schritt läuft derzeit manuell ab, sodass von häufigen Geometrieänderungen abzusehen ist. Von der Unity die Bereitstellung des Modells für das Front End übernommen. Diese Gaming-Engine ermöglicht anspruchsvolle Visualisierungen. Die Attribute des BIM- Modells werden in die Datenbank geladen. Condition Control legt beide Datenstränge übereinander. Die Zuordnung zwischen Geometrie und Metadaten erfolgt über die IFC-GUID. Dies ist eine ID, die jedes BIM-Objekt besitzt. Somit kann Condition Control auf Knopfdruck beispielsweise bestimmte Schäden, Sensoren oder Bauteile hervorheben und Metainformationen oder andere Echtzeitdaten anzeigen. 5.2 BIM als Werkzeug der Kollaboration Das BIM-Modell selbst besteht wiederum aus einer Vielzahl an Teilmodellen, die unterschiedliche Funktionen übernehmen, siehe Abbildung 6. Die Fachmodelle werden von verschiedenen Akteuren erstellt und bearbeitet, sodass die Trennung der Zuständigkeiten klar geregelt ist. Insofern wird die BIM-Methodik innerhalb des Projekts als Kollaborationstool für die Zusammenarbeit an den Modellen genutzt. smartBRIDGE Hamburg - Die Rolle von BIM im Konzept des digitalen Zwillings 264 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 6: Zentrale Datenablage der Fachmodelle in einer CDE sowie Darstellung der Zuständigkeiten und des Revisionsprozesses Die Abbildung zeigt die Erstellung verschiedener Fachmodelle bei verschiedenen Projektpartnern. Zentraler Baustein ist die Erstellung der Bauwerksmodelle, die in Abschnitt 5.4 näher beschrieben wird. Alle Fachmodelle münden zunächst als IFC2x3 in einer CDE (Common Data Environment), wo die Modelle verwaltet und versioniert werden. Insbesondere für die Erstellung der Bauwerkmodelle war dies von Vorteil, da Projektteilnehmer ortsunabhängig auf aktuelle Daten zugreifen und modellbasiert zusammenarbeiten konnten. Dies ermöglichte, dass der Reviewing-Prozess digital über das BIM Collaboration Format (BCF) erfolgen konnte. Zusätzlich wurde ein Geländemodell bereitgestellt und die zusätzlichen Fachmodelle (Monitoring, Diagnostik und Schäden) fanden ebenfalls Eingang. Die BIM-Methodik hat sich in dieser Phase des Projekts hervorragend geeignet, da sowohl der openBIMals auch der single-source-oftruth-Gedanke dadurch verfolgt werden konnte. 5.3 Use-Cases der BIM-Methodik Neben der Möglichkeit der Kollaboration ergeben sich aus den Anforderungen aus Abschnitt 3 und den Datenquellen aus Abschnitt 4.1 folgende Use-Cases für die Verwendung der BIM-Methodik innerhalb des Projekts. Sie sind in Abbildung 7 dargestellt. Abbildung 7: Use-Cases der BIM-Methodik Der wesentliche Use-Case für die Verwendung von BIM ist die Erstellung eines Bauwerksmodells inkl. Geometrie und Attributen. Die Vergabe der Attribute spielt dabei eine besonders wichtige Rolle, da die Bauwerkstaxonomie bzw. -hierarchie für die spätere Navigation in Condition Control von besonderer Bedeutung ist. Daher enthalten alle Objekte entsprechende Attribute, dass sie den verschiedenen Bauwerken, Teilbauwerken und Bauteilgruppen zugeordnet werden können. Die Taxonomie folgt der Einteilung nach der ASB-ING. Diese Attribute sind sowohl für die Navigation als auch für das HervorsmartBRIDGE Hamburg - Die Rolle von BIM im Konzept des digitalen Zwillings 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 265 heben ausgewählter Bauwerksbereiche erforderlich, siehe Abbildung 3. Wie Abbildung 5 bereits gezeigt hat, laufen viele Informationsstränge im BIM-Modell zusammen. Ein weiterer Use-Case ist daher die Verortung von Informationen. Jeder Sensor, Schaden oder diagnostischer Untersuchungsbereich wird verortet. Somit kann Condition Control in der späteren Anwendung die relevanten Informationen an entsprechend zugehörigen Bauwerksbereichen anzeigen. Neben der Verortung von Informationen übernimmt das BIM-Modell ebenfalls die Verknüpfung von Informationen. Beispielsweise besitzt ein Sensor als Attribut eine eindeutige Bezeichnung. Die smartBRIDGE Plattform kann daraufhin Messwerte für diesen Sensor gezielt aus der Datenbank abrufen und darstellen. Gleiches gilt beispielsweise für Bewertungen oder Fotos von Schäden. 5.4 Modellierung der Bestandsbauwerke Vor Beginn der Modellierung wurden Anforderungen an die geometrische Ausprägung und den Informationsgehalt definiert, um die Nutzung und Weiterverwendung der digitalen Liefergegenstände aus Sicht des Auftraggebers sicherzustellen. Insbesondere waren dies Belange aus dem Bauwerksbetrieb und der Instandhaltung. Die Anforderungen wurden in den Auftraggeberinformationsanforderungen (AIA) als Dokument definiert. Daraufhin wurde ein BIM-Abwicklungsplan (BAP) erstellt, der die Anforderungen aufgriff. Neben den AIA wurde der „Bauteilkatalog Brücken“ [5] genutzt. Dieser Bauteilkatalog enthält projektunabhängige Vorgaben für die Erstellung von 3D-Modellen in BIM-Projekten. Dieses Dokument ist angelehnt an die ASB-ING und spezifiziert demnach unter anderem die semantischen Informationen aller Bauteile bzw. Objekte im BIM-Modell. Der Bauteilkatalog dient der Zuordnung der Detailierungs- und Informationsgrade sowie einer einheitlichen Modellstruktur eines BIM-Modells im konstruktiven Ingenieurbau. Außerdem definiert er die geometrische und semantische Detaillierung für alle typischen Bauteile eines digitalen Brückenbauwerks in den jeweiligen Planungsphasen eines BIM-Projekts. Die semantische Bauteilstruktur dieses Katalogs orientiert sich nah an der bereits bekannten Struktur aus SIB- Bauwerke bzw. ASB-ING, um eine enge Verzahnung mit diesem bestehenden Bauwerksinformationssystem (SIB-BW) zu ermöglichen und um die Modelldaten über den gesamten Nutzungszyklus des Bauwerks verwenden zu können. Die Anforderungen an die Modelle wurden in regelmäßigen Abständen geprüft. Abweichungen zu der geforderten Datenqualität und der benötigten Informationstiefe wurden als Ansichtspunkte in der Software Solibri Office, einem Modelchecker, dokumentiert und über das offene BIM-Kollaborationsformat BCF als Aufgabe kommuniziert. Die Aufgaben wurden selbst nochmal priorisiert. Dieser iterative Prozess wurde mehrfach durchlaufen, bis das Modell mit den Anforderungen übereinstimmt. An dieser Stelle sei angemerkt, dass trotz der detaillierten AIA und des BAP einige Iterationsschleifen erforderlich waren, weil das Bauwerk sowohl geometrisch aber auch der semantische Inhalt sehr umfangreich und komplex ist. Nach Einarbeitung der erforderlichen Modellanpassungen und bestandener interner Qualitätsprüfung, die mit dem Modelchecker DESITE MD Pro erfolgte, wurden neue Versionen der Modelle über die CDE BIMPLUS der HPA zur Verfügung gestellt. Die Prüfprozesse wurden regelbasiert und teilautomatisch aufgebaut. Zudem unterstützten visuelle und manuelle Prüfungen den kontinuierlichen Prozess der Qualitätssicherung. Neben den Vorgaben der HPA wurden auch eigene Anforderungen an den Informationsgehalt definiert, um eine Verknüpfung mit den in Abschnitt 4.1 beschriebenen Datenquellen zu ermöglichen bzw. dem Navigationskonzept von Condition Control (siehe Abschnitt 3) gerecht zu werden. Hierzu wurde eine Attributstruktur mit Attributnamen und -werten festgelegt, die sich an Abbildung 2 orientiert. Neben den Ausführungszeichnungen bildete eine mit Trassierungsparametern im Grundriss und Längsschnitt definierte Achse die Grundlage für die Modellierung. Entlang der Achse wurden parametrisierte Querschnitte extrudiert, die über achsabhängige Variablen gesteuert wurden. An vordefinierten Achs-Stationen erfolgte die Platzierung und Ausrichtung von Unterbauten und Querträgern, die wiederum aus parametrischen Querschnitten und Bauteilen bestanden. Durch den parametrischen Modellaufbau war es möglich, geometrische Anpassungen schnell und zuverlässig vorzunehmen. Die geometrischen Anpassungen resultierten zum größten Teil auf festgestellten Abweichungen zur Bestandssituation. Im Allgemeinen werden bei einer Bestandsmodellierung Bestandspläne verwendet, die den Endzustand eines Bauwerks nach Fertigstellung beschreiben. Bestandspläne stellen eine Fortschreibung der Ausführungsplanung dar und beinhalten die während der Bauausführung entstandenen Abweichungen zur Planung. Ausführungspläne können daher von der aktuellen Bestandssituation abweichen. Auch für die auf Grundlage von Ausführungsplänen erstellten Bauwerksmodelle der Köhlbrandbrücke konnten verschiedene Bauwerksbereiche und Bauteile identifiziert werden, die in leichtem Maße von der Bestandssituation abwichen. Für die Bauwerksbereiche, in denen die Qualität der eingescannten Ausführungspläne aus den 70ger Jahren als Modellgrundlage unzureichend war, wurde von der HPA eine Punktwolke zur Verfügung gestellt. In Kombination mit den auswertbaren Ausführungsunterlagen konnten so die geometrischen Verhältnisse rekonstruiert werden. Damit besmartBRIDGE Hamburg - Die Rolle von BIM im Konzept des digitalen Zwillings 266 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 findet sich das Bauwerksmodell im Bereich zwischen as-designed und as-build. Für die Modellierung der Bauwerke wurde die Software Revit von Autodesk und die Erweiterung SOFiSTiK Bridge Modeler eingesetzt. Mit der Erweiterung von SO- FiSTiK war eine achsbasierte parametrische Modellierung der Brückenbauwerke möglich. Das Bauwerksmodell der Köhlbrandbrücke umfasst sämtliche Teilbauwerke und bildet alle wesentlichen Bauteile des Brückenbauwerks auf Grundlage der zur Verfügung stehenden Bestandsunterlagen ab. Ein Bestandsaufmaß lag nicht vor. Durch die hohe Anforderung an die Modellqualität und der großen räumlichen Ausdehnung des Brückenzuges musste stets die Handhabbarkeit der Modelle in Bezug auf Modellgröße und Leistungsfähigkeit der Modellierungssoftware gewährleistet sein. Aus diesen Gründen wurde die Köhlbrandbrücke in fünf Teilmodelle getrennt: • Strombrücke • Westrampe (Achse 100-119) • Ostrampe (Achse 0-42) • Breslauer Rampe (Achse 50-57) • Rampe zum Rossdamm und zum Neuhöfer Damm (Anschluss Achse 42) Abbildung 8 zeigt einen Schnitt durch den Überbau der Köhlbrandbrücke im BIM-Modell mit hohem Level of Detail. Abbildung 8: Schnitt durch den Überbau der Strombrücke im BIM-Modell Die Bauwerksmodelle wurden in einem weiteren Schritt um Sensor- und Schadensobjekte sowie diagnostische Untersuchungen erweitert. Alle Objekttypen wurden in eigenständigen Fachmodellen (Monitoring, Schäden, Diagnostik) erfasst und dienten zur Vorortung entsprechender Informationen. Zusammen mit den Bauwerksmodellen ist damit eine Erfassung und Verarbeitung des für die Instandsetzung und für den Betrieb wichtigen aktuellen Bauwerkszustands (asmaintained) möglich. 5.5 Modellierung weiterer Fachmodelle Die Fachmodelle Schäden, Monitoring und Diagnostik dienen im smartBRIDGE Projekt vor allem dem Zweck der Informationsverortung und -verknüpfung. Die Grundlage für die Erstellung dieser Teilmodelle bildet das oben beschriebene Bauwerksmodell. Jedes Modell platziert dabei unterschiedliche Geometrien. Das Schadensmodell platziert in der Regel quaderförmige Objekte, die den Schaden geometrisch nachempfinden, siehe Abbildung 3 oder Abbildung 7. Die genaue Geometrie ist oft nicht abbildbar, da das Programm SIB-Bauwerke keine genaue Beschreibung eines Schadens zulässt. Durch die Größe des Bauwerks ist es jedoch ein enormer Vorteil, die Schäden lediglich zu verorten. Somit erhalten Eigentümer, Instandhalter oder andere Verantwortliche sofort einen Überblick, wo sich welche Schäden befinden. Als Attribute werden den Schadensobjekten lediglich die ID des Schadens aus SIB-Bauwerke übergeben. Somit muss nicht das BIM-Modell angepasst werden, wenn smartBRIDGE Hamburg - Die Rolle von BIM im Konzept des digitalen Zwillings 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 267 sich die Eigenschaften eines Schadens verändert haben (Beispielsweise seine Bewertung hinsichtlich der Dauerhaftigkeit). Diese Metadaten werden direkt in die Datenbank geladen, siehe Abbildung 5. Damit wird der Pflegeaufwand des BIM-Modells gering gehalten und zusätzlich behält das System SIB-Bauwerke seinen Status als singe-source-of-truth. Das Monitoringsystem an der Köhlbrandbrücke wurde teilweise mit BIM geplant. Es wurden Schaltschränke, Kabel, Sensoren, Halterungen für ebendiese und Schutzabdeckungen modelliert. In Abbildung 7, ist ein Windmessgerät (grau) an einem Mast (grün) unterhalb der Köhlbrandbrücke zu erkennen. Darüber befindet sich ein Schaltschrank (rot). Der Fokus in Condition Control liegt jedoch nur auf der Verortung der Sensoren (bislang spielt die Geometrie keine Rolle), sodass diese als einfache Würfel (Kantenlänge ca. 10 cm) in einem separaten Modell platziert wurden. Dies reduziert die Komplexität in der Visualisierung. Da die Planung des Monitorings mit BIM stattfand, enthalten alle Sensoren ihre entsprechenden Attribute, wie „Messstellenbezeichnung“, „Sensorart“, „Messfrequenz“ aber auch das „Installations-“ oder „Inbetriebnahmedatum“ des Sensors. Das Fachmodell ist in diesem Zusammenhang die single-source-of-truth. Bei dem Fachmodell für die diagnostischen Untersuchungen werden ebenfalls einfache Geometrien verortet. Beispielweise wird ein Untersuchungsbereich von 2x2 m als flacher Quader am Hauptmodell platziert. Er enthält alle erforderlichen Attribute. Aktuell wird geprüft, inwieweit alle zugehörigen Metadaten in das Modell aufgenommen werden sollten (wie beispielsweise beim Monitoring) und an welchen Stellen eine Verlinkung auf eine externe Datenbank (wie bei den Schäden) sinnvoll ist. Diagnostische Untersuchungsergebnisse haben zwar eine geringe bzw. keine Änderungsrate, weshalb eine Aufnahme in BIM grundsätzlich möglich ist. Andererseits lassen sich die Ergebnisse nicht immer durch einfache Attribute ausdrücken. Radarmessungen liefern beispielsweise mehrdimensionale Informationen als Messchriebe, dich durch einfache Attribute nicht abbildbar sind. Die Fachmodelle Schäden, Monitoring und Diagnostik wurden mit Nemetschek ALLPLAN und Autodesk Revit erstellt. 6. Zusammenfassung und Ausblick BIM spielt eine zentrale Rolle innerhalb des Projekts smartBRIDGE Hamburg. Einerseits liefert die Methodik die Grundlage für die Verortung und Verknüpfung aller instandhaltungsrelevanten Daten. Andererseits macht sie die projektpartnerübergreifende kollaborative Zusammenarbeit überhaupt erst möglich bzw. hebt diese auf ein neues Niveau. BIM-Teilmodelle werden von verschiedenen Akteuren erstellt, bearbeitet und in einer CDE als IFC hochgeladen. Anderen Projektpartner wird es damit ermöglicht, den aktuellen Bearbeitungsstand im Blick zu behalten und Qualitätskontrollen durchzuführen. Etwaige Änderungsbedarfe werden über das openBIM-Format BCF digital übergeben und anschließend bearbeitet. Zusätzlich können spezifische Daten wie Bauwerksschäden, Sensoren aus einem Monitoring oder bauwerksdiagnostische Untersuchungen, die für die Instandhaltung von Infrastrukturbauwerken relevant sind, über eigene Fachmodelle mit definierten Zuständigkeiten integriert werden. Das Projekt smartBRIDGE Hamburg bedient sich diesen Vorteilen und nutzt die BIM-Methodik für die Erstellung eines Digitalen Zwillings. Somit findet die Methodik auch Anwendung im Betrieb und kann für die Berwekrserhaltung sinnvoll weiter genutzt werden. Die Anforderungen innerhalb von smartBRIDGE an das BIM-Modell gehen jedoch weit über die klassische Nutzung von BIM hinaus. Beispielsweise sollen dem Nutzer Zustandsinformationen in Echtzeit aus verschiedenen Systemen wie einem Monitoring zur Verfügung gestellt werden. Zusätzlich werden erhöhte Anforderungen an die Visualisierung gestellt. Durch die Flexibilität der BIM-Methodik hinsichtlich der Datenintegration, wird das BIM-Modell dennoch als zentraler Dreh- und Angelpunkt für die Verknüpfung von Informationen genutzt. Über die gezielte Vergabe von Attributen können verschiedene Datenbanken abgefragt werden, um die Echtzeitinformationen abzurufen. Nicht zuletzt liefert das BIM-Modell die Grundlage für die Navigation in der smartBRIDGE Plattform. Die Erstellung eines BIM-Modells für Bestandsbauwerke ist je nach Anforderung oftmals noch sehr zeitintensiv, da viele Schritte in der Modellierung derzeit noch händisch ablaufen. Auf diesem Bereich findet jedoch eine rasante Entwicklung statt: Einerseits können für Bestandsbauwerke beispielsweise Drohnen genutzt werden, um den Bestand zu erfassen. Ein Übertrag in ein BIM- Modell ist dann deutlich schneller möglich. Andererseits etabliert sich die BIM-Methodik für Neubauten zum Standard, sodass solche Modelle in Zukunft direkt durch Planungsprozess entstehen und für die Instandhaltung verfügbar sind. Der Übergang solcher Modelle in Betrieb wird an verschieden Stellen erprobt. smartBRIDGE Hamburg liefert dahingehen einen wichtigen Beitrag für die Digitalisierung der Instandhaltung auf Grundlage der BIM-Methodik. Literatur [1] Ullerich, C.; Grabe, M.; Wenner, M.; Herbrand, M.: smartBRIDGE Hamburg - Prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings. In: Bautechnik 97 (2020), Heft 2, S. 118 - 125, DOI: 10.1002/ bate.201900108 [2] Wenner, M.; Herbrand, M.; Ullerich, C.: smart- BRIDGE Hamburg - Der digitaler Brückenzwilling der Köhlbrandbrücke. 1. Fachkongress Digitale smartBRIDGE Hamburg - Die Rolle von BIM im Konzept des digitalen Zwillings 268 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur, Technische Akademie Esslingen, 29. und 30. Juni 2021, Ostfildern, Germany. [3] Herbrand, M.; Lazoglu, A.; Ullerich, C.; Marx, S.: smartBRIDGE Hamburg - Aggregation von Zustandsindikatoren aus Inspektions- und Monitoringdaten. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur, Technische Akademie Esslingen, 29. und 30. Juni 2021, Ostfildern, Germany. [4] Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung, Abteilung Straßenbau: ASB-ING (2013) Anweisung Straßeninformationsbank Segment Bauwerksdaten. [5] BIM.Hamburg: Bauteilkatalog Brücken nach ASB- ING 2013. Version 004 Building Information Modeling (BIM) 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 271 Digitale Tunnelplanung im städtischen Umfeld - Informationsmanagement mit BIM im Kontext von Geoinformationssystemen und analogen Grundlagen Dr. Andreas Bach Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH, abach@schuessler-plan.de, Düsseldorf, Deutschland Nils Schluckebier, M.Sc. Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH, nschluckebier@schuessler-plan.de, Düsseldorf, Deutschland Kurzfassung Für die digitale Planung von Tunnelbauvorhaben sind verschiedenste Grundlagen zu berücksichtigen. Diese liegen nur vereinzelt digital vor, zum Beispiel aus dem Bereich der Geoinformationen. Häufig sind insbesondere im Bereich des Bestandes analoge Grundlagen zu berücksichtigen. Im Rahmen der modellbasierten Planung sind diese Grundlagen zu digitalisieren und in ein Bestandsmodell des Bauvorhabens zu überführen. Um die Grundlage der Modellierung und Randbedingungen der Planung zu kennen, ist es hilfreich ein Informationsmanagement zu installieren, welches den Nutzern der Modelle die relevanten Informationen sowie deren Grundlage klar aufzeigt und sinnvolle Funktionen zur Auswertung zur Verfügung stellt. Hierzu wurde auf Basis von Cloud- und Web-Technologie eine Systemarchitektur entwickelt, die die erforderlichen Voraussetzungen zu einer kongruenten Auswertung der im Projekt vorherrschenden Informationen schafft. Innerhalb der Programmumgebung können die Nutzer die Modelle nach zentralen Gesichtspunkten des Projekts einheitlich auswerten. Die gewählten Vorgehensweisen zur Digitalisierung und Integration der Grundlagen in das Gesamtmodell sowie die Anwendung der Umgebung SPBIM für das Informationsmanagement werden anhand des Projektbeispiels der U5 Mitte Hamburg erläutert. 1. Einleitung Eine moderne zukunftsorientierte Infrastruktur muss den Ansprüchen einer Mobilität von morgen entsprechen. Die Vernetzung von unterschiedlichen Verkehrsträgern und Systemen fordert im urbanen Raum integrale und vollständigere Planungsansätze. Die vermeintlich einfachste und kostengünstigste Lösung ist hier nicht immer zielführend, vielmehr gilt es die ideale Lösung in Bezug auf die Gesamtattraktivität des ÖPNVs und Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsangebote zu erarbeiten. Für die Objektplanung von Infrastrukturvorhaben bedeutet dies, die Menge der Entscheidungsgrundlagen und Informationen zu erweitern und bei der Lösungsfindung, insbesondere im Zuge von frühen Leistungsphasen, zu berücksichtigen. Building Information Modeling stellt hierfür eine ideale Methode dar, da sie vom Grundsatz her eine Integration, Beschreibung und transparente Auswertung der im Projekt vorherrschenden Informationen fordert [1]. Dieser Grundgedanke bedingt eine Auflösung von teilweise noch bestehenden technologischen und fachspezifischen Systemgrenzen. Um dies zu forcieren sind die unterschiedlichsten Datengrundlagen aus den übergeordnet beschreibenden Geoinformationssystemen (GIS) und Formate in den Bereich des bauwerks- und bauteilorientierten Arbeitens zu überführen. Mögliche Inhalte aus dem Bereich GIS, die hier Berücksichtigung finden können, sind z.B.: • Grundkarten • Bilddaten (u.a. Orthofotos) • Stadtmodelle • Katasterinformationen • Naturraum und Umweltangaben Des Weiteren liegen analoge Grundlagen vor, die zu digitalisieren und in den Entscheidungsprozesse einzubinden sind. Ein klassisches Beispiel hierfür sind Bestandspläne der von Infrastrukturmaßnahmen betroffenen Bauwerke. Diese liegen im Regelfall lediglich in Papierform vor und Digitale Tunnelplanung im städtischen Umfeld - Informationsmanagement mit BIM im Kontext von Geoinformationssystemen und analogen Grundlagen 272 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 sind für die Planung zu digitalisieren und in die Modelle einzubinden. Die Überführung und Einbindung von analogen Grundlagen und Geoinformationen am Beispiel des Tunnelbaus wird nachfolgend beschrieben. Darüber hinaus wird das, innerhalb von Schüßler-Plan für die modellbasierte Projektabwicklung etablierte, Informationssystem SPBIM sowie die zu Grunde liegenden Funktionalitäten erläutert. 2. Relevante Grundlagen Innerhalb der Planung von Tunnelbauvorhaben werden eine Vielzahl an Grundlagen erhoben und eingebunden. Hinsichtlich der räumlichen Grundlagen zur städtebaulichen Umgebung wird üblicherweise auf Grundlagen aus den Bereichen der Geoinformationen zurückgegriffen. Diese verwalten meist rein flächenbezogene Daten zu den Themen: • Kataster und Liegenschaftsdaten • Digitale Geländemodelle • Stadtmodelle • Kampfmittel • Umweltdaten Zudem werden analoge Grundlagen in die Planung integriert, die z.B. im Zuge der Recherche der Bestandspläne in Ämtern erhoben werden. Hierbei sind beispielhaft Angaben zur Gründungstiefe, Gründungsart, Bauart, Denkmalschutz, Vorhandensein von begleitenden Bauwerken auf dem Grundstück (Verbauten, Schlitzwände, Geothermie) von Interesse. Darüber hinaus werden zu Beginn der Planung oder planungsbegleitend projektspezifische Grundlagen, wie z.B. Baugrundgutachten oder Vermessungsdaten erhoben, siehe Abbildung 1. Ziel der mitunter sehr aufwändig Grundlagenerhebung ist es, die Randbedingungen des Bestandes zu identifizieren, um die Auswirkungen der Baumaßnahme auf eben diesen bewerten und in den Findungsprozess einbeziehen zu können. Abbildung 1: Grundlagentypen im Rahmen von Infrastrukturprojekten Die vorab beschrieben Grundlagen werden leider nur selten benutzerzentrisch integriert und liegen in unterschiedlichen Strukturen, Formaten und teilweise auch Speicherorten vor. Für das Informationsmanagement im Projekt stellt dies ein Risiko dar, da die Nutzer häufig keinen direkten Zugriff zu den relevanten Daten besitzen. Die Einführung einer gemeinsamen Datenumgebung (Common Data Environment, CDE), durch die alle Planungsbeteiligte Zugriff auf die Daten erhalten [2], ist ein erster logischer Schritt, um dieser Problemstellung zu begegnen. Darüber hinaus ist es aber, insbesondere in größeren Projekten, sinnvoll und notwendig ein Informationsmanagement zur Erfassung und Verwaltung der Informationen zu entwickeln, welches zum einen die relevanten Daten zur Verfügung stellt aber zum anderen auch das Zusammenspiel zwischen Modell und weiteren Grundlagen/ Daten darstellt. Ziel ist es, dass diese Daten aktuell und am Bedarf des Nutzers orientiert zur Verfügung gestellt werden, siehe Abbildung 2. Hierbei sollten die Koordinationsmodelle die zentrale Grundlage für den Abruf der Informationen darstellen und die relevanten Informationen möglichst benutzerfreundlich zur Verfügung stehen. Hintergrund hierfür ist, dass eine Darstellung und Bewertung der Randbedingungen im Zuge des modellbasierten Arbeitens im Modell wesentlich einfacher möglich ist. Folglich sollten auch die dem Modell und der Planung zugrundliegenden Grundlagen mit dem Modell oder Bauteil in Bezug gesetzt werden, um bei Änderungen der Planung oder der Grundlagen einfach und schnell Auswirkungen und Maßnahmen abwägen zu können. Digitale Tunnelplanung im städtischen Umfeld - Informationsmanagement mit BIM im Kontext von Geoinformationssystemen und analogen Grundlagen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 273 Abbildung 2: Zusammenspiel zwischen Projektdaten und Nutzern 3. Umsetzung des Informationsmanagements Zur Umsetzung der vorab beschriebenen Funktionalitäten ist es sinnvoll, die Informationsinhalte der Modelle und der gemeinsamen Datenumgebung logisch miteinander verknüpfen zu können. Für die Planungsmethode bedeutet dies im Kern einheitliche Datenstrukturen und Vorgaben zu schaffen, die nach vereinbarten Mustern ausgewertet werden können. Hiermit verbunden sind in der Projektarbeit: • Dateinamenskonventionen für Modelle und Planungsdokumente • Modellstandards im Sinne einer geometrischen Detaillierung (Level of Geometry), alphanumerischen Informationsdefinition (Level of Information) sowie Klassifikation von Modellobjekten • Gemeinsame Datenumgebung • Funktionalitäten zur Verknüpfung von Modellobjekten mit Daten und Dokumenten der CDE • Funktionalitäten zur einfachen Auswertung der Daten unter Berücksichtigung der definierten Anforderungen • Abstimmung der Granularität der Modelle im Hinblick auf die vorgesehenen Anwendungsfälle (z.B. Kosten- und Terminplanung) • Synchronisationsmöglichkeit / Zugriff auf die Daten der CDE aus dem System des Anwenders Die Umsetzung für die Vernetzung von CDE-Daten und BIM-Daten sollte hierbei gängige Schnittstellen zum CDE-System nutzen. Diese beinhaltet implizit eine Authentifizierung der Nutzer. Die Nutzungsrechte sind hierbei klar in der jeweiligen CDE geregelt. Für die Abwicklung wurden Rest-API-Schnittstellen zwischen Koordinationssoftware und CDE entwickelt, welche einzelne Container der CDE abrufen und in Bezug zu deren Metadaten auswerten können. Diese Metadaten werden unter anderem genutzt, um Dateien und Geometrie miteinander in Bezug zu setzen. Der relationale Bezug erfolgt auf Basis von Verknüpfungsregeln zwischen Merkmalen der Geometrieelemente des Modells und Metadaten der Dokumente in der CDE. Die Funktionen werden in einem Connector (BIM2CDE) gebündelt (siehe Abbildung 3). Allgemeine Daten, wie z.B. Pläne, Fotos, Berichte oder andere Planungsdokumente, werden innerhalb der CDE gespeichert. Im Laufe der Projektbearbeitung können sowohl diese Daten als auch die Daten der BIM-Modelle, unabhängig voneinander sukzessive fortgeschrieben werden und über entsprechende Verknüpfungsregeln stetig neu in Bezug zueinander gebracht werden. Bei dem Vorgehen werden nur Hyperlinks und Metadaten übertragen, wodurch eine speicherextensive und performante Anwendung ermöglicht wird. Die in den Modellen verknüpften Dokumente und ihre Informationen lassen sich über begleitend zur Verfügung gestellte Formulare direkt aus der Koordinationssoftware abrufen. Dieses Vorgehen hat gegenüber einer vollständigen Integration der Daten in das Koordinationsmodell einen entscheidenden Vorteil: Digitale Tunnelplanung im städtischen Umfeld - Informationsmanagement mit BIM im Kontext von Geoinformationssystemen und analogen Grundlagen 274 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Modelle und Daten können abweichenden voneinander oder auch begleitend fortgeschrieben und erarbeitet werden. Hierbei sind lediglich die für die Verknüpfung zu Grunde liegenden Prozesse und Projektstrukturen zu beachten und dienen softwareseitig zur Einbdinung eines Updateprozesses, welcher die beiden Bereiche vollautomatisch miteinander verknüpft. Die ableitbaren Anwendungen aus den vorab beschriebenen Funktionen sind vielfältig und konnten bis dato bereits für die automatisierte Einbindung von georeferenzierten Fotos, die Einbindung von Bestandsunterlagen bei paralleler Fortschreibung der Modelle und das Zuweisen von Mängelberichten und Plänen zu Bauteilen verwendet werden. Abbildung 3: Verknüpfung zwischen Modellen und CDE über einen Connector (BIM2CDE) 4. Anwendungsbeispiel Eine Anwendung des vorab beschriebenen Informationsmanagement kam beim Projekt „Neubau der U-Bahn-Linie U5 Mitte Hamburg“ zum Tragen. Das Projekt U5 Mitte betrachtet die Planung einer neuen UBahn-Linie durch die Stadt Hamburg, mit einer Streckenlänge von etwa 19 km Länge und je nach Variante insgesamt bis zu 17 Haltestellen. Durch die Maßnahme wird das U-Bahnnetz der Stadt Hamburg um bis zu 20% erweitert. In Folge dieser Netzerweiterung erhalten circa 150.000 Bürgerinnen und Bürger sowie etliche Arbeits-, Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorte erstmalig Anschluss an das Hamburger Schnellbahnnetz. Bei einem Großprojekt dieser Dimensionen ist die Auffindbarkeit und Verfügbarkeit von aktuellen Daten als Informationsquelle für alle Beteiligten von zentraler Bedeutung und die Installation eines Informationsmanagements eine logische Konsequenz. Innerhalb der Planung wurden daher Geodaten als räumliche Grundlagen berücksichtigt, welche in Form eines digitalen Geländemodells (DGM), 3DStadtmodells, digitalen Orthofotos (DOP) und Daten aus dem amtlichen Liegenschaftskatasterinformationssystem (ALKIS) in das Koordinationsmodell eingebunden wurden. Zudem wird die Bestandssituation von Leitungen und Sielen im Koordinationsmodell erfasst, um auf dieser Grundlage die Leitungstrassen im Bau- und Endzustand planen zu können. Eine Herausforderung stellt mitunter die Integration von Formaten aus dem Bereich der Geoinformationen (z. B. CITYGML oder SHAPE) in die verwendeten BIM-Softwaresysteme, unter Wahrung der semantischen Informationen, dar. Ebenso spielen bei der Zusammenführung der Daten die Koordinatenbezüge eine wichtige Rolle, mit der ggf. eine Transformation oder Translation einhergeht. Eine Modellierung in reellen Gesamtkoordinaten ist nicht möglich, da die großen Zahlenwerte zu numerischen Ungenauigkeiten führen. Daher werden für die Modelle relative Koordinaten definiert. Um eine Bewertung der Auswirkungen des Bauvorhabens auf Gebäude im Bestand ermöglichen zu können, werden über eine reine Lage und geometrische Repräsentation (3D-Stadtmodell) hinausgehende Informationen benötigt. Im Sinne des angestrebten, zentralen Informationsmanagements werden die Bauakten der Gebäude gesichtet und digitalisiert. Aus den Bestandsdokumenten werden Bauwerksdaten (z. B. Informationen zur Gründung, Bauweise oder Geschossigkeit) strukturiert ausgewertet und hinsichtlich der projektspezifischen Anforderungen kollektiviert und konfiguriert (Bestandsdatenbank). Die abgeleiteten Informationen werden als Metadaten mit den Bestandsunterlagen verknüpft. Hierauf aufbauend wird das 3D-Stadtmodell semantisch erweitert. 3D-Stadtmodell, ALKIS und Bestandsdatenbank werden relational miteinander in Verbindung gesetzt, siehe Abbildung 4. Digitale Tunnelplanung im städtischen Umfeld - Informationsmanagement mit BIM im Kontext von Geoinformationssystemen und analogen Grundlagen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 275 Abbildung 4: Prozess der Datenintegration und Dokumentenverknüpfung im 3D-Stadtmodell Da ein direkter Bezug zwischen ALKIS und 3D Stadtmodell besteht, lassen sich sämtliche Informationen des Liegenschaftskatasters über einen eindeutigen Identifikator (Object ID) den Gebäuden des 3D-Stadtmodell zuordnen. Die so an den Geometrieobjekten hinterlegten Gebäudeadressen dienen als Verknüpfungsschlüssel zur Bestandsdatenbank. In der Bestanddatenbank enthaltene Informationen können auf diese Weise in das Bestandsmodell überführt (Merkmale) und die Bestandsdokumente über Hyperlinks (Linked-Data) verknüpft werden. Diese relationalen Verknüpfungen lassen sich in der Koordinationssoftware zu jedem Zeitpunkt über ein Formular auf Knopfdruck aktualisieren. In Summe wurden so über 33.000 Merkmalsausprägungen und 4.800 Bestandsunterlagen in das Modell integriert. Diese Informationen stehen dem Nutzer nun für jedes Bestandsgebäude entlang der Strecke als Information zur Verfügung. Die semantische Informationserweiterung des 3D-Stadtmodells stellt darüber hinaus die Basis für eine geometrische Erweiterung dar. Auf diese Weise ist z.B. eine Darstellung der Gründungssituation im Modell möglich. Anhand der analysierten Informationen zur Gründung werden die Gebäude teilautomatisiert um vereinfachte Gründungskörper ergänzt. Diese erleichtern im Planungsprozess z.B. die Beurteilung der Auswirkungen der Bestandsbebauung auf die Statik des Streckentunnels oder die Berechnung von Setzungen. Abbildung 5: Oberfläche zur Auswertung der Bestandsdokumente anhand des Stadtmodells und Visual Reporting Um die Daten und Informationen des Bestandsmodells einheitlich abrufen und analysieren zu können, werden den Nutzern zentrale Auswerteroutinen bereitgestellt. In den projektspezifisch entwickelten Formularen ist beispielsweise eine adressbezogene Suche, die Ausgabe aller Gebäudeinformationen, der direkte Abruf der Gebäude-Bestandspläne oder die Analyse von Bestandsdaten in Form von Visual Reportings möglich, siehe Abbildung 5. Der Nutzer erhält somit die Möglichkeit alle relevanten Informationen, die zu einer Unterstützung von Planungs- und Entscheidungsprozessen dienen, in einer transparenten und intuitiv bedienbaren Form abzurufen. Eine umständliche Suche in komplexen Ordnerstrukturen oder verschiedenen Quelldateien wird damit obsolet. 5. Zusammenfassung Innerhalb der Planung von Infrastrukturmaßnahmen steht eine Vielzahl von Grundlagen und Daten zur Verfügung. Diese der Planung und dem Bau dienenden Informationen sind sehr heterogen und können analog oder digital sowie in einer Vielzahl von Datenformaten vorliegen. Digitale Tunnelplanung im städtischen Umfeld - Informationsmanagement mit BIM im Kontext von Geoinformationssystemen und analogen Grundlagen 276 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Um Entscheidungsfindungen im Projekt, möglichst auf Basis aller relevanten Informationen, treffen zu können, ist es somit von Interesse die zur Verfügung stehenden Daten zentral bereit zu stellen und die für das Projekt relevanten Informationen dem Nutzer einfach zugänglich zu machen und verständlich zu vermitteln. Diesem Anspruch kann durch eine Zentralisierung der Informationen in Bauwerksdatenmodellen, bei einer Anwendung der Planungsmethode Building Information Modelling, begegnet werden. Die Methode fordert von Grund auf die Integration und Koordination von Daten unterschiedlichster Art und Formate in einem zentralen Modell. Jedoch würde eine reine Integration den Anforderungen nur sehr bedingt gerecht werden, da der Nutzer meist nur bedingte Kenntnisse zu den relevanten Daten und Informationen hat und diese ohne weitreichende Fachkenntnisse nur schwerlich finden kann. Dies bietet in Projekten ein gewisses Fehlerpotential, da Wissensstand und aktuelle Erkenntnisse erschwert zugänglich sind und die relevanten Informationen nicht identifiziert werden können. Daher sollte ein Informationsmanagement installiert werden, welches die bestehenden Grundlagen aufrufen lässt und sie dem Benutzer, mittels einfacher Funktionen zur Beantwortung zentraler Fragen, im Projekt bereitstellt. Technisch sollten hierzu der Planung zugrundeliegende Grundlagen, anhand von Linked-Data-Ansätzen, mit dem Modell verknüpft und bereitgestellt werden. Die Potentiale eines Informationsmanagements anhand von BIM-Modellen in Kombination mit einer weitereichenden Integration und Anreicherung von Daten aus dem Bereich der Geoinformation wurden im Projekt U5 Mitte umgesetzt. Das gewählte Vorgehen erlaubt eine geometrische und semantische Integration von Stadtmodellen aus dem Bereich der Geoinformation, die teilautomatisierte Anreicherung der Stadtmodelle auf Basis der Bestandsrecherche sowie die Verknüpfung der Modelle mit den im Rahmen der Bestandssichtung erhobenen Planunterlagen. Für den Abruf der Informationen wurden Formulare entwickelt, welche allen Anwendern im Projekt zentral zur Verfügung gestellt werden. Hierdurch kann das Koordinationsmodell trotz seiner Vielzahl an Informationen einfach ausgewertet werden und gibt Antworten auf die relevanten Fragestellungen zum Bestand. Literatur [1] Borrmann A.; König M.; Koch C.; Beetz J.: Building Information Modelling - Technologische Grundlagen und industrielle Praxis. Springer Vieweg, 2015. [2] DIN EN 19650-1: Organisation von Daten zu Bauwerken - Informationsmanagement mit BIM - Teil 1: Konzepte und Grundsätze (Entwurfsfassung). Beuth Verlag, 2018. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 277 Modellbasiertes Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau am Beispiel des Pilotprojekts „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ Thomas Tschickardt, M. Eng. Wayss & Freytag Ingenieurbau AG, Frankfurt am Main, Deutschland Anne-Sophie Knappe, B. Sc. Wayss & Freytag Ingenieurbau AG, Frankfurt am Main, Deutschland Zusammenfassung Die BIM-basierte Methode der Projektabwicklung befindet sich aktuell im Infrastruktur- und Ingenieurbau - insbesondere in der Erhaltungsphase - noch in der Erprobung. Das Projekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ ist das erste Pilotprojekt, bei welchem Planung, Ausführung und Erhaltung mit BIM aus einer Hand erfolgen. Durch die Anwendung der BIM-Methode im Projekt soll insbesondere der Informationsfluss an den Schnittstellen zwischen den Projektbeteiligten und Lebenszyklusphasen verbessert und das Prinzip der „Single Source of Truth“ angewendet werden. In diesem Beitrag stehen die projekt- und erhaltungsspezifischen Anwendungsfälle im Fokus. Dabei sind zum einen die Ergebnisse der Zustands- und Schadenserfassung und zum anderen die durchzuführenden Erhaltungsmaßnahmen für die Anlagenteile Ingenieurbauwerke und Oberbau modellbasiert zu visualisieren. Zur Visualisierung der Zustands- und Schadensbewertung sowie der Erhaltungsmaßnahmen wurde ein Konzept entwickelt, welches die Einbindung der Daten aus SIB-Bauwerke bzw. der ZEB-Befahrung in das Bauwerksinformationsmodell ermöglicht. Über eine Formularoberfläche kann die Visualisierung entsprechend dem vorab festgelegten Farbschema der Zustandsnotenbereiche gesteuert werden. Der Beitrag ist eine Fortschreibung von [1] und [2]. 1. Projekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 1.1 Projektvorstellung Das Projekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“, welches als eines der Pilotprojekte des BMVI zur Vorbereitung und Erprobung des vom Stufenplan Digitales Planen und Bauen vorgegebenen Leistungsniveaus 1 ausgewählt wurde, erweist sich für die Anwendung der BIM-Methode als besonders geeignet, da wesentliche Teile der Wertschöpfungskette von Planung, Bau und Erhaltung aus einer Hand erfolgen. Auftragnehmer ist Havellandautobahn GmbH & Co. KG bestehend aus der Royal BAM Group, PGGM und der HABAU Hoch- und Tiefbaugesellschaft. Planungs- und Bauleistungen werden durch die ARGE A 10/ A 24 Havellandautobahn erbracht, Betrieb und Erhaltung erfolgen durch die Havellandautobahn Services GmbH & Co. KG. Die Leitung des BIMManagements liegt bei der BAM-Konzerngesellschaft Wayss & Freytag Ingenieurbau AG. Die Vertragsstrecke umfasst rund 64,2 km und wird in weniger als fünf Jahren unter laufendem Verkehr ausgebaut bzw. erneuert, um dem künftigen Verkehrsaufkommen gerecht zu werden. Die BIM-Vertragsstrecke im Projekt umfasst den vierten Bauabschnitt auf der BAB A 24 (Abbildung 1) im Bereich von Km 222+675 bis Km 228+175. Der Bauabschnitt hat eine Länge von 5.500 m und beinhaltet zwei Tank- und Rastanlagen: Die Tank- und Rastanlagen Linumer Bruch Nord und Süd befinden sich zwischen Km 224+660 bis Km 225+210. Weiterhin beinhaltet der Bauabschnitt mehrere Ingenieurbauwerke: den Ersatzneubau des Brückenbauwerks (BW2) über die Ortsverbindungsstraße Kuhhorst - Linum bei Km 226+104, eine Lärmschutzwand (LSW) mit einer Länge von 265m im Bereich Km 225+246 bis Km 225+511 und zwei Verkehrszeichenkragarme (VZK) bei Km 224+730 und Km 225+405. Die BAB A 24 ist mit einem System zur Nutzung des Seitenstreifens (Temporäre Seitenstreifenfreigabe, TSF) durch Fahrzeuge ausgestattet. Die TSF-Anlage trägt bei hoher Verkehrsbelastung zur Verflüssigung des Verkehrs bei. Die Breitenausdehnung der BIM-Anwendungen versteht sich bis zur Vertragsgrenze. Einbezogen werden alle Anlagenteile inkl. Bestand (Brückenbauwerk, Strecke, Tank- und Rastanlagen, Ausstattung, Entwässerung, Sparten, TSF, Fernmeldeanlagen, Landschaftsbau etc.). Modellbasiertes Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau am Beispiel des Pilotprojekts „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 278 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 1: Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24 - BIM-Vertragsstrecke 1.2 BIM-Anwendungsfälle Ein BIM-Ziel ist ein vom Auftraggeber (AG) definierter und in der Zukunft liegender Zustand, welcher durch die Anwendung der BIM-Methode erreicht werden soll. Als allgemeines Ziel verfolgt der AG den Erfahrungsgewinn mit der Anwendung der BIM-Methode bei ÖPP-Projekten. Im Vordergrund stehen für den Erfahrungsgewinn hierbei die Einbeziehung aller im Leistungsumfang enthaltenen Gewerke (Strecke, Konstruktiver Ingenieurbau etc.), die gesamte Wertschöpfungskette (Planung, Bau, Erhaltung) und die Durchführung der BIM-Methode bei einer Verkehrswegebaustelle. Des Weiteren ist ein großes Ziel die Vermeidung der redundanten Information durch konsistente Planableitungen aus den Bauwerksinformationsmodellen. Zudem ist die Leistungsverfolgung und der Abgleich der aufgestellten Bauablaufplanung transparent dazustellen. Durch den Einsatz der BIM-Methodik soll eine bessere Übersicht über die geplanten Erhaltungsmaßnahmen sowie über die Zustandswerte geschaffen werden. Gemäß den Vergabeunterlagen ist die Umsetzung folgender Anwendungen vertraglich gefordert: Planungsphase • Erstellung Bauwerksinformationsmodelle • Kollaboration und Kommunikation • BIM-Koordination Ausführungsphase • Planableitung • 4D-Bauablaufplanung und 4D-Soll-Ist-Vergleich und Statusanzeige Erhaltungsphase • Visualisierung der Erhaltungsmaßnahmen • Visualisierung gem. ZTV-Funktion StB A 10/ A 24 1.3 Software Architektur Zurzeit existieren in Deutschland nahezu keine einheitlichen Methoden und Standards für die Implementierung sowie Anwendung von BIM im Verkehrswegebau. Dies spiegelt sich, insbesondere in großen Unternehmen, u.a. anhand der Nutzung vieler unterschiedlicher Softwarelösungen zur Erfüllung der geforderten Leistungen unter BIM wider. Eine Vielzahl von Softwarenbietern bietet zwar geschlossene BIM-Lösungen an, jedoch sind diese aufgrund ungelöster Schnittstellenproblematiken speziell im Infrastruktur- und Ingenieurbau i.d.R. nicht mit einem Open-BIM-Ansatz im Projekt vereinbar. Hinzu kommt, dass sich die Format- und Darstellungsanforderungen digitaler Dokumente verschiedener institutioneller Auftraggeber, in deren Verantwortungsbereich nahezu alle Infrastrukturbaumaßnahmen liegen, z.T. erheblich unterscheiden. Infolgedessen bedarf es, selbst bei einer ausschließlich unternehmensinternen BIM-Anwendung, leistungsfähiger Schnittstellen speziell für den Verkehrswegebau, die den Anforderungen an den Open-BIM-Prozess gerecht werden. Für den offenen Modellaustausch wird IFC als plattformunabhängiges Austausch-/ Koordinationsformat im Verkehrswegebau eingesetzt. Hierbei ermöglichte die genutzte Version IFC 4.0 zwar bereits prinzipiell eine systemoffene Zusammenarbeit, allerdings nur unter Berücksichtigung zahlreicher Einschränkungen und Workarounds. So mussten bspw. aufgrund Modellbasiertes Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau am Beispiel des Pilotprojekts „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 279 des ungenügenden IFC-Exports in einigen Autorenprogrammen Merkmale in der Koordinationssoftware bereinigt oder sogar komplett angelegt werden. Auch wurde oftmals CPIXML als offenes Datenformat anstelle von IFC gewählt. Zur Kommunikation von Ansichtspunkten, kritischen Punkten etc. wird das BCF-Format eingesetzt. Abbildung 2 stellt die Software-Architektur in Bezug auf die umgesetzten BIM-Anwendungsfälle im Projekt dar. Abbildung 2: Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24 - Software Architektur 1.4 BIM-Dokumente Grundlage für die digitale Planungsmethode ist die Erstellung der BIM-Dokumente „Auftraggeber-Informations-Anforderung“ (AIA) und „BIM-Abwicklungsplan“ (BAP) - die „Baubeschreibung“ für BIM-Projekte. In den AIA werden die Informationsbedürfnisse des AG definiert. Vor dem Hintergrund der umfangreichen Leistungsübertragung beim Projekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ (Planung, Bau, Betrieb und Erhaltung) hat sich der AG dazu entschlossen, in den Vergabeunterlagen (VGU) lediglich BIM-Mindestanforderungen im Sinne einer funktionalen Leistungsbeschreibung festzulegen, die Verantwortung für die Erstellung der AIA hingegen liegt beim AN. Der BAP wird in kooperativer Arbeitsweise mit dem AG und den Fachplanern erstellt. Die Zielsetzung ist, das Beste für das Projekt zu erreichen, gemeinschaftlich die Inhalte mit den hierfür zu erbringenden Leistungen aller Projektbeteiligten zu definieren und einen nationalen Standard zu entwickeln. Durch den BAP werden die Aufgaben, die Verantwortlichkeiten und die Interaktionen von jeder Organisation in Bezug auf die BIM-Informationen und die Bauwerksinformationsmodelle definiert. Aufgrund der rapiden Entwicklung in allen Bereichen des digitalen Planen und Bauens handelt es sich beim BAP um ein lebendes Dokument, welches im Projektverlauf kontinuierlich fortgeschrieben wird. Um die Wiederverwendbarkeit des entwickelten Dokuments zu gewährleisten, hat sich das BIM-Team dazu entschlossen, den BAP des Verfügbarkeitsmodells A 10/ A 24 mit projektspezifischen Anlagen zu entwickeln. Diese sind: • Anlage 1 BIM-Terminplan • Anlage 2 BIM-Anwendungsfälle Prozesse und Durchführung • Anlage 3 Modellierungsrichtlinie • Anlage 3.1 Klassen- und Merkmalkatalog • Anlage 4 CDE Guideline • Anlage 5 BCF-Austauschrichtlinie • Anlage 6 Master-Informationslieferplan & Auf- gaben-Informationslieferpläne • Anlage 7 Modellelement-Erstellungsplan • Anlage 8 Schulungskonzept • Anlage 8.1 BIM-Assessment Die Dokumente sind in [2] im Detail beschrieben. 2. Grundlagen des Erhaltungsmanagements Das Erhaltungsmanagement in Deutschland verfolgt überwiegend eine präventive Erhaltung [3]. Das heißt, statt nur auf auftretende Schäden zu reagieren und diese in Stand zu setzen, soll der Zustand der Verkehrsanlagen durch gezielte, effiziente Strategien, unter Berücksichtigung des zur Verfügung stehenden Erhaltungsbudgets, in einer konstanten Qualität gehalten werden. Zu Anlagenteilen der Bundesfernstraßen gehören nach dem BMVI Fahrbahnen, Ingenieurbauwerke und sonstige Anlagenteile wie Radwege und Nebenanlagen [4]. Die Modellbasiertes Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau am Beispiel des Pilotprojekts „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 280 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Begriffssystematik der Erhaltung von Verkehrsanlagen unterscheidet zwischen der betrieblichen Unterhaltung zur Kontrolle und Wartung der Anlagenteile und der baulichen Erhaltung zur Instandhaltung, Instandsetzung und Erneuerung [4]. Daraus erschließen sich verschiedene Leistungsfelder und ein breites Spektrum an Beteiligten zur Umsetzung eines strategischen Erhaltungsmanagements. Eines dieser Leistungsfelder ist die Zustandserfassung und -bewertung (ZEB), welche die regelmäßige Prüfung und Überwachung des Anlagenzustandes, insbesondere des Fahrbahnoberbaus und der Ingenieurbauwerke, beinhaltet [5]. Wesentliche Grundlage für die einheitliche Erfassung und Bewertung von Ingenieurbauwerken stellen die DIN 1076 und die RI-EBW-PRÜF dar. Ein weiterer Schritt zur Standardisierung wird mittels des festgelegten Informationsgehaltes nach der ASB-ING und der Bezeichnungskonvention für IT-Verfahren nach OKS- TRA geschaffen. Die aufzunehmenden Daten umfassen dabei unter anderem die Ergebnisse der Prüfungen insbesondere Hauptprüfung und Einfache Prüfung welche abwechselnd im 3-Jahreszyklus durchzuführen sind [6]. Mögliche Auswirkungen der Einzelschäden auf die Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit werden anhand von Schadensbeispielen aus dem Schadenskatalogs von SIBBauwerke bewertet [6]. Dort aufgeführte Schadensbeispiele wurden bereits einer auf Erfahrung oder Untersuchung basierenden Bewertung zwischen 0 „sehr guter Zustand“ bis 4 „ungenügender Zustand“ unterzogen [7]. Das Programmsystem SIB- Bauwerke führt anschließend automatisiert die Bauteilgruppenbewertung und Teilbauwerksbewertung durch und generiert Dokumente wie Prüf- und Zustandsberichte [7]. Für die Zustandserfassung des Oberbaus werden schnellfahrende Fahrzeuge im fließenden Verkehr eingesetzt, welche den Zustand der Fahrbahnoberfläche messtechnisch erfassen [5]. Bei dieser ZEB-Befahrung handelt es sich um ein bundesweites, standardisiertes Verfahren, um die Fahrbahn auf Längs- und Querebenheiten, Griffigkeit und Oberflächenmerkmale wie z.B. Risse, Eckabbrüche und Kantenschäden zu untersuchen [8]. Die erfassten Daten werden von 1 „sehr gut“ bis 5 „sehr schlecht“ bewertet, je nach Zustandsgröße als gebrauchs- oder substanzrelevant kategorisiert und anschließend zu einer Gesamtnote zusammengefasst [5]. 3. BIM in der Erhaltungsphase Mit dem enormen Potenzial der Digitalisierung steht der Baubranche ein tiefgreifender Wandel bevor. Insbesondere BIM (Building Information Modeling) konnte bereits weitreichende Erfolge in Bereichen wie Effizienz, Transparenz und Kommunikation erzielen. Der Fokus richtet sich sukzessive von der Planung und Ausführung auch auf den Erhaltungszeitraum, um den lebenszyklischen Ansatz von BIM zu vollenden. Bei steigender Verkehrsbelastung wird es zu einer immer größeren Herausforderung, die dauerhafte und sichere Nutzung der Verkehrsinfrastruktur zu gewährleisten und gleichzeitig den klimapolitischen Zielen gerecht zu werden. Auch um die Masse an Maßnahmen und Bauvorhaben realisieren zu können, ist eine strukturierte und effiziente Erhaltungsplanung unabdingbar. In Anlehnung an die bisherigen Vorteile der BIM-Integration könnte die Nutzung eines Bauwerksinformationsmodells insbesondere aufgrund der steigenden Komplexität der Infrastrukturerhaltung und der Vielzahl mitwirkender Personen einen entscheiden Mehrwert zur Prozessoptimierung generieren. Das Erhaltungsmanagement umfasst verschiedene Aufgabenbereiche, zu denen unter anderem die Datenpflege, die Erfassung und Bewertung des Straßen- und Bauwerkszustands, Erhaltungsstrategien und Maßnahmenplanung gehören. Die gesammelten Daten werden in verschiedenen Dateien und Programme gespeichert und zwischen den Projektbeteiligten ausgetauscht. Im Fokus steht, eine gemeinsame, intelligente Datenplattform mittels eines Bauwerksinformationsmodells zu generieren, um eine zentrale Verwaltung der Erhaltungsdaten zu gewährleisten. Wie bereits erwähnt, wurden für das Projekt Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24 zwei Anwendungsfälle zur modellbasierten Visualisierung von Erhaltungsdaten definiert. Modellbasiertes Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau am Beispiel des Pilotprojekts „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 281 Abbildung 3: Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24 - Startseite Visualisierung der Erhaltung Abbildung 4: Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24 - Einzelschadensbewertung Um die möglichen Vorteile durch die Visualisierung anhand eines Bauwerksinformationsmodells zu erreichen, ist es erforderlich, dass die verschiedenen Anwender der Erhaltung dieses Bauwerksinformationsmodell am Ende schnell und intuitiv nutzen können, um ihre Arbeitsprozesse gezielt bewerkstelligen zu können. Daher wurden die im Folgenden vorgestellten Konzepte in enger Zusammenarbeit und Austausch mit dem Erhaltungsmanagement erarbeitet. 3.1 Visualisierung der Ergebnisse gem. ZTVFunktion StB A 10/ A 24 Die „Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für das Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ legen die funktionalen Anforderungen fest und stellen damit die Grundlage für die Erhaltung der Vertragsstrecke dar. Sie definieren mitunter die durchzuführende Zustandserfassung, Zustandsbewertung, die einzuhaltenden Funktionsanforderungen (Zustands- und Schadensmerkmale) der Anlagenteile und die Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen. Das Ziel der modellbasierten Zustandsvisualisierung besteht unter anderem in der räumlichen Zuordnung der Schadensdaten zu den Bauwerksdaten sowie der schnellen Identifizierung von Schadensschwerpunkten. Der damit mögliche visuelle Vergleich von Art, Schweregrad und Häufigkeit der Schäden kann wichtige Erkenntnisse zu den Schadensursachen, -zusammenhängen und -entwicklungen liefern, um die sich anschließende Maßnahmenplanung, die Entwicklung von Erhaltungsstrategien und die Kommunikation zwischen den Beteiligten zu verbessern. Zur modellba- Modellbasiertes Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau am Beispiel des Pilotprojekts „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 282 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 sierten Visualisierung werden die Daten der ZEB-Befahrung sowie die aus SIB-Bauwerke exportierten Zustandsdaten zur zeitlichen Erfassung in das 4D-BIM integriert. Auf Grund des nicht auf eine Verknüpfung auf Bauteilebene ausgerichteten - Datenbestands wird zusätzlich die Möglichkeit der modellbasierten Zustandserfassung offeriert. Das 4D-BIM und die Modellelemente werden anschließend automatisch und regelbasiert verknüpft. Abbildung 3 stellt die Startseite der benutzerspezifischen Formularoberfläche zusammen mit der gewerkeübergreifenden Visualisierung der Zustandsdaten dar. Dabei werden die Maximalwerte der Bauwerksprüfung visualisiert. Der Anwender soll damit einen ersten Eindruck über den Gesamtzustand der Infrastruktur erhalten und auf mögliche Schadensschwerpunkte hingewiesen werden. Über die Oberfläche kann zwischen Ingenieurbauwerk, Oberbau, Markierung und Entwässerung für eine vertiefte Untersuchung der Zustandsbewertung gewählt werden. Ebenfalls abrufbar ist die Visualisierung der Erhaltungsmaßnahmen sowie weitere Funktionalitäten wie die modellbasierte Zustandserfassung und verknüpfte Dokumente. Für die Visualisierung der Zustandsdaten der Ingenieurbauwerke wurden verschiedene Methoden konzeptioniert. Zunächst deckt das Bauwerksinformationsmodell den Bedarf nach räumlicher und geometrischer Darstellung. Entsprechend der RI-EBW-PRÜF wird das Bauwerksinformationsmodell des Ingenieurbauwerks mit einem Informationsgehalt nach der ASB-ING ausgestattet [9]. Für die Visualisierung von Zustandsdaten sind zum einen die allgemeinen Bauwerksinformationen und zum anderen die Dokumentation des Bauwerkszustandes, der Schäden und der abgeschlossenen Prüfungen zur Schadensbewertung relevant. Neben den Zustandsdaten werden auch Dokumente wie Prüfberichte, Zustandsberichte, Bauwerksbücher und Schadensfotos bzw. -skizzen anhand von einer festgelegten Namenskonvention oder den Koordinaten verknüpft und sind direkt über das Bauwerksinformationsmodell abrufbar. Abbildung 5: Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24 - Einzelschadensinformation Auf Grundlage der aus der RI-EBW-PRÜF resultierenden Bewertungsebenen findet eine Unterscheidung nach den Visualisierungsebenen „Teilbauwerksbewertung“, „Bauteilgruppenbewertung“ und „Einzelschadensbewertung (siehe Abbildung 4)“ statt [9], welche über die Benutzeroberfläche gesteuert werden. Andere Methoden, wie die farbliche Visualisierung, richten sich ebenfalls an der gewählten Bewertungsebene im Bauwerksinformationsmodell aus. Es besteht die Möglichkeit, die Anwendung bei einer beliebigen Bewertungsebene zu starten und die Dropdown-Listen manuell zu füllen, um im Bauwerksinformationsmodell zu navigieren. Alternativ können zu untersuchende Modellelemente direkt im Bauwerksinformationsmodell selektiert werden, wodurch die Dropdowns automatisch die Informationen des gewählten Elements erhalten. Die Eingaben werden beim Wechsel zwischen den Formularoberflächen übernommen, sodass sie nicht erneut gewählt werden müssen. Vorgeschlagen wird zum einen ein nicht manuell anpassbares Farbschema nach den Zustandsnotenbereichen der RI-EBW-PRU- EF und zum anderen ein projektspezifisches Farbschema, um die funktionalen Anforderungen in Verfügbarkeitsmodellen abzubilden. Die Farbwahl richtet sich dabei nach der national wie international geläufigen Einteilung entsprechend dem Farbordnungssystems von blau (sehr guter Zustand) bis rot (ungenügender Zustand). Die farbliche Visualisierung wird unterstützt durch die Transparenz. Alle Bewertungen, bis auf den Bereich des ungenügenden Zustands, werden transparent dargestellt. Dadurch wird verhindert, dass mögliche schwere Schäden durch andere Bauteile verdeckt und damit im Bauwerksinformationsmodell nicht mehr identifizierbar sind. Modellbasiertes Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau am Beispiel des Pilotprojekts „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 283 Die Methode der Visualisierung von ausgewählten Bauteilen oder Schäden wird mit steigender Komplexität der Ingenieurbauwerke und Infrastrukturprojekte unerlässlich. Damit sollen Zusammenhänge zwischen den Bauteilgruppen und Bauteilen eines oder verschiedener Bauwerke festgestellt werden können, um gegebenenfalls Maßnahmen zu Kosten- und Zeitreduzierung effizient zu bündeln und Schadensursachen festzustellen. Zudem könnten Filtergruppen wie Maßnahmen- oder Schadensgruppen auch für weitere Anwendungsfälle wie die Maßnahmenplanung interessant werden. Die Funktionsweise der Filter besteht darin, dass lediglich die Modellelemente, welche auf Grund ihres Merkmalwertes der Auswahl des Filters zuzuordnen sind, visualisiert werden. Darüber hinaus können Filter für verschiedene Merkmale und Eigenschaften der Schäden erstellt werden. Die Zusammenhänge zwischen den Schäden und zum Beispiel den baulichen Gegebenheiten könnten Hinweise zu den Schadensursachen geben. Hat der Anwender eine Auswahl an Schäden ermittelt, die er für sich oder andere zu einem späteren Zeitpunkt erneut aufzurufen bedarf, kann er die Schäden in sogenannten „Filtergruppen“ ablegen. Aktuell gibt es keine Vorgaben oder Beschränkungen, welche Filter einer Filtergruppe zugeordnet werden dürfen oder nicht. Dies obliegt dem Anwender. Gegebenenfalls könnten die Filtergruppen für weitere Anwendungsfälle nutzbar gemacht werden, indem zum Beispiel Maßnahmengruppen erstellt werden, welche bei der Planung von Erhaltungsmaßnahmen nützlich sein könnten. Im Bauwerksinformationsmodell können lediglich die aktuellen Zustandsdaten gespeichert werden. Um die geforderte Zustandsentwicklung und daraus resultierende Entwicklungstendenzen abbilden zu können, ist daher die Erweiterung um eine zeitliche Ebene erforderlich. Die zeitliche Ebene bildet hierbei die vierte Dimension des Bauwerksinformationsmodells (4D-BIM). Dazu wird die festgelegte Struktur des Terminplans für die Zustandserfassung und -bewertung unter „Vorgänge“ angelegt. Auch dies soll nicht manuell durchgeführt werden, sondern über die Skripte zur Dateneingabe automatisch angelegt und entsprechend der Lokalisierungsmerkmale verknüpft werden. Der Anwender legt anschließend die zeitlich zu simulierende Zustandsnote auf einer der Bewertungsebenen fest, um sich die Simulation der Zustandsentwicklung im Bauwerksinformationsmodell anzeigen zu lassen (siehe Abbildung 6). Auch bei der Visualisierung über ein Bauwerksinformations-modell sollte auf die zweidimensionale Betrachtungsweise nicht verzichtet werden, um einen ganzheitlichen Überblick zu behalten. Diagramme zur Darstellung der Zustandsentwicklung von Teilbauwerken, Bauteilgruppen und Schäden ermöglichen die schnelle Erfassung von Tendenzen und Vergleichen. Dazu wird die Simulation der Zustandsentwicklung im Formular zusätzlich durch graphische Darstellungen unterstützt. Darüber hinaus werden auf den Oberflächen auch Fotos der Bauwerke und Schäden sowie Schadensskizzen angezeigt und Informationsblätter, wie die Bauwerksinformation, Prüfinformation und Einzelschadensinformation, ermöglichen das schnelle Erfassen von relevanten Informationen aus einer Vielzahl an Merkmalen (siehe Abbildung 5). Die Lokalisierung von Schäden kann über Ansichtspunkte und Markierungen präzisiert werden. Dabei wird die Position des Prüfers als ein Screenshot vom Bauwerksinformationsmodell in einem BCF-Format gespeichert. Der Prüfer kann vorab Freihandmarkierungen im Bauwerksinformationsmodell einfügen, die genannten Würfelelemente oder Pinnadeln einfügen, Kommentare oder Pfeile setzen oder Messungen anbringen. Die Art der Lokalisierung des Schadens kann demnach individueller dem Schaden angepasst werden. Abbildung 6: Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24 - Simulation der Zustandsentwicklung Der steigende Umfang der Erhaltungsleistungen bedingt präventive Maßnahmen und eine intelligente Planung, woraus ein starker Fokus auf zukunftsorientierte, prognostizierende und szenarienbildende Anwendungen und deren Darstellung resultiert. Aus diesem Grund sollen neben der Visualisierung des IST-Zustandes auch mögliche Auswirkungen der Instandsetzung, Behebung oder auch der Verschlechterung eines Schadens auf die Gesamtzustandsnote und die maximalen Schadensbewertungen des Teilbauwerks und der Bauteilgruppen dargestellt werden. Dazu wird die Szenarienuntersuchung implementiert, welche eine temporäre, manuelle Veränderung der Zustandsbewertung zulässt. Auch diese mögliche Schadensveränderung kann im Bauwerksinformationsmodell visualisiert werden, jedoch wird die Veränderung der Bewertung dabei in keinem Fall im Bauwerksinformationsmodell gespeichert. Stattdessen können die Eingaben selbst als Szenario gespeichert und bei Bedarf aufgerufen werden. Wie bereits erwähnt, wird der Zustand des Fahrbahnoberbaus anhand von Messwerten der ZEB-Befahrung bewertet. Modellbasiertes Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau am Beispiel des Pilotprojekts „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 284 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 7: Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24 - Visualisierung Oberbau Abbildung 8: Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24 - Visualisierung Erhaltungsmaßnahmen In der Oberfläche zur modellbasierten Zustandsvisualisierung des Oberbaus wird der Zustand durch die Auswahl eines Messwerts an der Achse durch eine Streifendarstellung visualisiert, um Schadensschwerpunkte großräumig erfassen zu können (siehe Abbildung 7). Die Möglichkeit, den Zustand direkt durch die Einfärbung der Modellelemente umzusetzen, bleibt bestehen. Durch die Anwendung des Schiebereglers wird das Bauwerksinformationsmodell innerhalb der ausgewählten Baukm selektiert. Zum Teil werden die vorgestellten Visualisierungsmethoden der Zustandsvisualisierung Ingenieurbauwerke auch für das Konzept des Oberbaus übernommen. Dazu gehört die farbliche, zeitliche sowie zwei- und dreidimensionale Visualisierung, die Visualisierung ausgewählter Bauteile und die Szenarienuntersuchung. Weitere Konzepte für die Anlagenteile Entwässerung und Markierung befinden sich in der Entwicklung. 3.2 Visualisierung der Erhaltungsmaßnahmen Der zweite Anwendungsfall der Erhaltung beinhaltet die Visualisierung der geplanten Erhaltungsmaßnahmen. Dabei werden am Bauwerksinformationsmodell der BIM-Vertragsstrecke die einzelnen Erhaltungsmaßnahmen sowie die zugehörigen Maßnahmeninformationen dargestellt und verortet. Infolgedessen sollen unter anderem mögliche Verkehrsbeeinträchtigungen und vermeidbare Verkehrsbehinderung sowie Optimierungsbedarf in Modellbasiertes Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau am Beispiel des Pilotprojekts „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 285 der Maßnahmenplanung zur Zeit- und Kostenersparnis identifiziert werden. Nach gleicher Methodik der Visualisierung der Zustandsdaten werden die Daten der Erhaltungs-maßnahmen auf Grund ihres zeitlich abhängigen Charakters in ein CSV- Format konvertiert und in das 4D-Modell gespeichert. Mit den verfügbaren Merkmalen des Bauabschnitts, der Richtungsfahrbahn sowie den Angaben zur relevanten Kilometrierung bzw. für Ingenieurbauwerke die Bauwerksnummer und das betroffene Bauteil können die Daten verortet werden. Die daraus resultierende zeitliche und räumliche Darstellung wird mittels farblicher Übersetzung, welche sich an den Vorgaben der RPE-Stra 01 orientiert, unterstützt [10]. Notwendige Dokumente wie Streckenbänder und die Erhaltungsplanung werden mittels festgelegter Namenskonvention ebenfalls verknüpft. Die Umsetzung der Visualisierung findet für Ingenieurbauwerke und Strecke anlog statt und würde entsprechend dem Datenbestand einen automatischen Streckenband-Export ermöglichen. Abbildung 8 zeigt exemplarisch die Visualisierung der Erhaltungsplanung an dem Brückenmodell BW2. Dazu wurden fiktive Erhaltungsmaßnahmen in einem zeitlichen Bereich eingepflegt und die farbliche Visualisierung im Bauwerksinformationsmodell umgesetzt. Über den Pfeil neben den Maßnahmen gelangt man zu detaillierten Maßnahmeninformationen, um den Informationsgehalt abzurufen, falls befugt, zu verändern oder zu erweitern. 4. Fazit und Ausblick Mit dem Konzept zur Visualisierung der Zustands- und Schadensbewertung sowie der Erhaltungsmaßnahmen werden die projektspezifischen Anwendungsfälle der Erhaltung erfüllt. Darüber hinaus werden Methoden der Erfassung, Bearbeitung sowie Erweiterung der Daten, zeitliche Simulationen und automatisierte Dokumentengenerierung vorgesehen. Mit der Umsetzung dieses Konzeptes könnten die individuellen Arbeitsprozesse der Beteiligten, aber auch eine Optimierung der interdisziplinären Zusammenarbeit erzielt werden. Eine besondere Schwierigkeit wird darin bestehen, die verschiedenen Anforderungen der Beteiligten an die Visualisierung zu erfüllen, Kompromisse zu finden und dabei die Funktionalitäten der Anwendung übersichtlich und intuitiv zu halten. Im Gegensatz zum Planungs- und Ausführungszeitraum verliert jedoch das idealisierte Modellelement gegenüber dem tatsächlichen, realistischen Bauteil an Bedeutung. Daher ist zu prüfen, inwieweit die aktuelle Einbindung von realistischen Abbildungen und Skizzen auf neue Methoden wie Laserscanverfahren ausgeweitet werden kann und soll. Eine besondere Rolle für eine detailgetreue, konsistente Umsetzung der Visualisierung spielen die Art und Methodik der Zustandserfassung und die Schnittstellen zu den genutzten Datenbanken. Eine Weiterentwicklung in diesen Bereichen könnte die BIM-Nutzung in der Erhaltung noch weiter voranbringen. Darüber hinaus sind die Möglichkeiten der Entwicklungen außerordentlich umfangreich und vielfältig. Sei es die optimierte Maßnahmen- und Budgetplanung mittels eines Bauwerksinformationsmodells, die Anwendbarkeit von Augmented Reality (Erweiterte Realität) oder Erweiterung um den Betriebsdienst, um nur einige zu nennen. Die Infrastruktur muss in einer Qualität erhalten werden, welche die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer gewährleistet und dies bei einem geringstmöglichen Einsatz von Budget, Aufwand und Zeit. Aus diesem Grund wird der Entwicklung von dynamischen Prognosefunktionen besondere Bedeutung beigemessen. Aktuell werden die historischen Schadensdaten visualisiert. Damit eignet sich das Konzept vorwiegend für das reagierende Erhaltungsmanagement. Für die Validierung der Prognosefunktionen sind intelligente Systeme erforderlich, welche die Erfahrungswerte berücksichtigen. Projektspezifisch müssen zudem weitere Anforderungen wie die Verfügbarkeit der Infrastruktur berücksichtigt werden und sollten ebenfalls in Prognosemodelle einfließen. Zur Integration von BIM im Erhaltungsmanagement ist eine Überarbeitung der Normen und Richtlinien notwendig, um die modellbasierte Zustandserfassung zuzulassen und zu vereinheitlichen. Inwieweit die neue Version von SIB-Bauwerke BIM-fähig sein wird und die Zustandserfassung auf einen neuen Stand bringt, ist bisweilen unklar. Aktuell ist die neue Version noch nicht auf dem Markt und es liegen keine Angaben zu den Funktionalitäten vor. Sicher ist jedoch, dass eine zukünftige BIM-Erhaltungssoftware ein bundeseinheitlicher Standard und kompatibel mit anderen Systemen sein sollte, um keine Insellösung zu generieren. Das entwickelte Konzept der Formularoberfläche könnte für die Entwicklung solch einer Software oder die Weiterentwicklung bestehender BIM-Software genutzt werden, um auch Anforderungen, welche über die Möglichkeiten einer Formularoberfläche hinausgehen, zu erfüllen. Literatur [1] Tschickardt, Thomas ; Krause, Daniel: BIM im Verkehrswegebau am Beispielprojekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 96 (2019), Nr. 3, S. 259-268 [2] Tschickardt, Thomas: Erste Erfahrung und Mehrwert durch BIM im BMVI Pilotprojekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“. In: Krieger, Jürgen; Isecke, Bernd (Hrsg.): Brückenkolloquium. Fachtagung für Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken: Tagungshandbuch 2020 : Tübingen: expert verlag GmbH, 2020 [3] Veit-Egerer, Robert: Straßenerhaltung und Straßenbetrieb - Straßen nachhaltig und wirtschaftlich sanieren und betreiben. In: Bauliche Erhaltung Brücken. Wien : FVH FORUM VERLAG HERKERT GMBH, 2015, Kapitel 3, 1-47 Modellbasiertes Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau am Beispiel des Pilotprojekts „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 286 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 [4] BMVI: Erhaltungsbedarfsprognose für die Bundesfernstraßen. URL https: / / www.bmvi.de/ Shared- Docs/ DE/ Artikel/ StB/ erhaltungsbedarfsprognose. html - Überprüfungsdatum 2021-04-22 [5] BASt: Zustandserfassung und -bewertung (2017). URL https: / / www.bast.de/ BASt_ 2017/ DE/ Strassenbau/ Fachthemen/ gs4-zeb.html [6] DIN ISO 1076: 1999-11: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen. Berlin : Beuth Verlag, 1999 [7] BMVBS: Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076. 2017 [8] BMVI: Erhaltung von Straßen. 2004. URL https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StB/ erhaltung-von-strassen.html [9] BMVBS: Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten (RI-ERH-ING). 2004. URL https: / / www.bast.de/ BASt_2017/ DE/ Publikationen/ Regelwerke/ Ingenieurbau/ Erhaltung/ RI-ERH-ING. html [10] FGSV: Richtlinien für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Straßenbefestigungen : (RPE-Stra 01) (2001) 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 287 Modellbasierte Planung und Ausschreibung im konstruktiven Ingenieurbau am Beispiel eines Tunnels Modellbasierter Ansatz von der Planungsidee bis zur Umsetzung an einem Tunnelbau-Projekt Ferdinand Weißbrod, M.Eng., Geschäftsführender Gesellschafter BUNG GmbH, Heidelberg, Deutschland Tobias Hein, Dipl.-Ing., Projektingenieur Entwicklung Digitalisierung BUNG Ingenieure AG, Hamburg, Deutschland Torsten Brungsberg, M.Eng., Projektingenieur Entwicklung Digitalisierung BUNG Baumanagement GmbH, Köln, Deutschland 1. Einleitung Stetig steigende Verkehrsbelastungen, erhöhte Mobilitätsbereitschaften, Vervollständigungen bzw. Lückenschlüsse des deutschen Autobahnnetzes, Sanierungsmaßna und viele weitere Gründe erfordern kontinuierliche Maßnahmenplanungen zur Erweiterung des deutschen Infrastrukturnetzes, um den Verkehr von morgen bewältigen zu können. Insbesondere für überregionale Verkehrsbeziehungen im motorisierten Individualverkehr ist die Bundesautobahn der maßgebliche Faktor. Zur Realisierung neuer Streckenabschnitte sind neben dem reinen Streckenbau auch meist verschiedene Hindernisse zu überwinden bzw. zu queren. Auch die in den letzten Jahrzehnten steigenden Anforderungen an den Emissions- und Umweltschutz stellen die Planer immer häufiger vor große Herausforderungen. Maßgeblich für den Ausbau des Infrastrukturnetzes sind daher neben dem reinen Straßenbau auch die erforderlichen Ingenieurbauwerke, die eine Trassierung in den geplanten Korridoren ermöglichen. Durch den Bau von Brücken- und Tunnelbauwerken können unterschiedliche Hindernisse überwunden und direkte Verkehrsverbindungen, ohne weiträumige Umfahrungen, realisiert werden. Die Planung solch umfangreicher Ingenieurbauwerke erfordert das Zusammenspiel unterschiedlichster Fachdisziplinen, welche sich bereits in den frühen Planungsphasen gegenseitig beeinflussen. Es erfordert ein hohes Maß an Koordination, Planungstransparenz aller an der Planung Beteiligten sowie nachvollziehbare und übersichtliche Darstellung von unterschiedlichen Informationen zum Gesamtbauwerk bzw. den einzelnen Teilbereichen. Dies gilt für die Planung, den Bau sowie den Betrieb und dem letztendlichen Rückbau dieser Bauwerke. Die Ingenieurbauwerke sollen im Regelfall mehrere Jahrzehnte erhalten bleiben und einen zuverlässigen Bestandteil des Infrastrukturnetzes bilden. Umfangreiche Informationen sind daher über die gesamte Lebensdauer eines Bauwerks ein enormer Vorteil. Der Grundgedanke von „Building Information Modellig“ (kurz: BIM) knüpft genau an dieser Stelle an. Die Realisierung von dreidimensionalen Bauwerksmodellen mit „intelligenten“ Bauteilen stellt genau dieses Bindeglied zwischen der umfangreichen Planung der Ingenieurbauwerke und der Bereitstellung der erforderlichen Informationen über die Entstehungs- und Lebensphase eines Bauwerks dar. 2. Pilotprojekt Im Rahmen der Erstellung einer herkömmlichen Ausschreibungsunterlage war eine Überführung des Projekts in eine Bearbeitung mit der BIM-Methodik vorzunehmen. Dazu wurde auf Basis der vorhandenen Unterlagen der Entwurfsplanung die gesamte Tunnelplanung in ein objektorientiertes 3D-Modell überführt (Siehe Abbildung 1). Modellbasierte Planung und Ausschreibung im konstruktiven Ingenieurbau am Beispiel eines Tunnels 288 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 1: Ansicht Tunnelportal Nord mit Strecke und Betriebsgebäude Die BIM-Bearbeitung des Projektes soll somit die konventionelle Planung unterstützen, im Idealfall bestätigen und eventuelle Defizite identifizieren. Basierend auf einem zu erstellenden „intelligenten“ Tunnelmodell waren verschiedene Anwendungsfälle umzusetzen und die letztendliche BIM-Fähigkeit von konstruktiven Ingenieurbauwerken im Infrastrukturbau - in diesem Fall im Tunnelbau - zu eruieren. Die Anwendungsfälle des Projektes wurden so definiert, dass die Planung, der Bau sowie der spätere Betrieb in der Projektumsetzung berücksichtigt werden müssen. Auch hier wurde der Grundsatz verfolgt, dass BIM einen nachhaltigen Nutzen für alle am Bauwerk involvierten Planer, Ausführenden und Betreiber bieten soll. 2.1 Projektgeometrie Das Pilotprojekt umfasst einen ca. 1.650 m langen, zweiröhrigen Richtungsverkehrstunnel, der in bergmännischer Bauweise aufgefahren wird. Beide Tunnelröhren werden durch insgesamt 7 Querschläge miteinander verbunden. Aufgrund der anstehenden komplexen geologischen Verhältnisse ergaben sich insgesamt 21 verschiedene Vortriebsklassen, welche letztendlich auch modelliert wurden, um hieraus eine dynamische Terminplanung und eine Hochrechnung auf Basis der tatsächlichen, in der Bauausführung realisierten, Vortriebsgeschwindigkeiten modellbasiert darstellen zu können. (Siehe Abbildung 2). Abbildung 2: Darstellung der unterschiedlichen Vortriebsklassen Die spätere Tunnelinnenschale weist fünf verschiedene Querschnittsausbildungen für die Tunnelröhren sowie zwei verschiedene Querschnitte für die Querschläge (begehbar/ befahrbar) auf. Hinzu kamen unter anderem Entwässerungs- und Löschwasserleitungen, Leerrohre und Kabelschächte im Tunnel und den Vorfeldern, Aussparungen in den unterschiedlichen Bauteilen, Erdungsbänder, etc. Die Komplexität des Tunnelbauwerks sowie aller zugehörigen Teilbauwerke, technischen Anlagen, Leitungen etc. erforderte eine Vielzahl an unterschiedlichen Teilmodellen. Damit diese Teilmodelle letztendlich in einem Gesamtmodell zusammengefasst werden können, ist eine konstante interdisziplinäre Zusammenarbeit der einzelnen Fachbereiche zwingend erforderlich. Die Abbildung 3 zeigt beispielsweise die im Vorfeld Nord modellierten Leitungen. Durch die modellbasierte Arbeitsweise konnten spätere aufgetretene Konfliktpunkte bereits in der Planung gelöst werden. Abbildung 3: Leitungsplanung im Vorfeld Nord 2.2 Schnittstellen Wie grundsätzlich bei allen Infrastrukturprojekten war auch in diesem Projekt zunächst die Interaktion zwischen Verkehrsanlage (VA) und konstruktivem Ingenieurbau (KIB) zu beleuchten. Neben der Vorgabe von Achsen, Stationierungen und Straßenquerschnitten waren weitere Punkte wie Straßenaufbau, Entwässerung und der Anschluss an die Vorfelder mit der VA gemeinsam abzustimmen und entsprechend in der Modellierung zu berücksichtigen. Für den softwareübergreifenden Modelldaten- und Geometrieaustausch wurde überwiegend das cpixmlFormat verwendet. Auf diese Weise konnten beispielsweise die Planungsergebnisse der Verkehrsanlagenplanung aus dem CARD/ 1- Projekt und die Bauwerksmodellierung aus Autodesk Revit 2020 regelmäßig in die Koordinationssoftware integriert werden. Dies bietet für die Modellierer den großen Vorteil, dass die Ergebnisse beider Planungen re- Modellbasierte Planung und Ausschreibung im konstruktiven Ingenieurbau am Beispiel eines Tunnels 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 289 gelmäßig kollidiert und aufeinander abgestimmt werden konnten. Im Zuge der Modellierung wurde der Tunnel aufgrund der reinen räumlichen Ausdehnung (mit den Tunnelvorfelder rund 2 km) in mehrere Teilbzw. Fachmodelle zerlegt. So entstanden aus den Plänen der Entwurfsplanung in Summe allein 18 Teilmodelle (bspw. Tunnelvortrieb, Abdichtung, Innenschale, Ausbau) für den Tunnel. Durch die Unterteilung in verschiedene Teilmodelle ist eine gezielte Modellanpassung im Zuge des Projektfortschrittes einfacher realisierbar. Zusätzliche Modelle für die unmittelbare Tunnelumgebung, die Vorfelder sowie den Strecken- und Erdbau ließen das Gesamtmodell auf insgesamt etwa 70 Teilmodelle anwachsen. Alle Teil- und Fachmodelle wurden in anwendungsfallspezifischen Koordinationsmodellen mit der Software Desite MD zusammengeführt. 2.3 Methodik Im Zuge der Konzeptionierung des Projektes wurden gemeinsam mit dem Auftraggeber mehrere Anwendungsfälle (AwF) definiert, die auf Basis der zu erstellenden Modelle umzusetzen waren. Wesentliche und im Weiteren näher beschriebene Anwendungsfälle waren dabei eine modellbasierte Bauablaufplanung und eine modellbasierte Mengenermittlung und Ausschreibung. Damit die Bauablaufplanung sowie die Mengenermittlung erfolgreich modellbasiert umgesetzt werden können, ist eine umfangreiche Attribuierung der Modelle erforderlich. Dazu wurden zunächst umfassende Konzepte erarbeitet, die die umzusetzenden Anwendungsfälle berücksichtigen und die sich daraus ergebenen erforderlichen Grundlagen/ Parameter, welche im Modell enthalten sein müssen, definieren. Bereits in der frühen Projektphase mussten die Parameter, die später in den Leistungspositionen abgegriffen werden, bestimmt und in den einzelnen Modellen hinterlegt werden. Neben einer Zuordnung der Bauteile im Hinblick auf die späteren Positionen des Leistungsverzeichnisses, sollte auch eine Informationsanreicherung zur gezielten Ansprache des relevanten Bauteils aus dem Modell heraus möglich sein. Gemeinsam mit unseren Spezialisten für Ausschreibungen konnte, auf Basis der Erfahrungen vergleichbarer Projekte, eine Struktur entwickelt werden, die mit Auswahlgruppen und Mengenabfragen (Quantity-Takeoff - QTO) eine dynamische Verknüpfung von Modellobjekten und LV-Positionen möglich machte. Beim Aufbau der Strukturen für die Merkmale, galt es neben den Anforderungen aus der Software und dem späteren Leistungsverzeichnis, auch die Vorgaben übergeordneter Institutionen zu berücksichtigen. Dies waren beispielsweise erste Ausarbeitungen des „deutschen Ausschusses für Untertagebau“ (DAUB) und allgemeine Vorgaben zur Modellstruktur seitens unseres Auftraggebers. Die sich ergebene Modellstruktur wurde im Weiteren auf die Tauglichkeit für alle weiteren Anwendungsfälle im Modell geprüft, erweitert und schlussendlich für die Nutzung im Projekt aufbereitet. Dabei ergab sich im Projekt schnell die Notwendigkeit, alle erforderlichen Merkmale und Attribute in eine Datenbank einzupflegen und als eineindeutige Datenquelle für alle weiteren Modellierungsschritte zu verwenden. Auf diesem Wege konnten Änderungen sinnvoll nachgehalten und Ergänzungen in allen Modellen gleichermaßen berücksichtigt werden. 3. Modellierung Für die Erstellung der Modelle ist es stets wichtig, auch das Umfeld des Planungsbüros und die vorhandenen Softwarelösungen zu betrachten. Aufgrund der gegebenen Rahmenbedingungen sowie den bisherigen Erfahrungen aus anderen Projekten, fiel die Wahl bei der Aufbereitung und Modellierung der Daten auf die Lösungen Autodesk Civil 3D und Autodesk Revit 2020. Für die Modellierung der Verkehrsanlagen wurde die Software CARD/ 1 genutzt. Da linienförmige Bauwerke in den zumeist aus dem Hochbau stammenden Modellierungstools nicht mit den Standardwerkzeugen umgesetzt werden können, hat sich in den letzten Jahren in der Infrastrukturplanung die Nutzung visueller Programmierungstools zur skriptbasierten Modellierung (bspw.: Dynamo) etabliert. Die dafür erforderliche Datenaufbereitung von Achs- und Querschnittsdaten erfolgte in der Softwareumgebung von CARD/ 1 bzw. Autodesk Civil 3D. Parallel wurde die bereits erwähnte Datenbank für die anstehende Attribuierung aufgebaut und erste Familien (Bauteile) für die Platzierung durch die Skripte erstellt bzw. aufbereitet. Insbesondere in den Bereichen komplexer geometrischer Situationen ergab sich dabei häufig der Bedarf von zusätzlichen Festlegungen, die im Rahmen einer konventionellen Bearbeitung der Leistungsphase 3 (Entwurfsplanung) durch die Schnittführung bisher nicht definiert wurden. Eine Aufgabe bestand beispielsweise darin, die in den konventionellen Ausbruchsklassenplänen angegebenen Vortriebsbereiche, so aufzubereiten, dass eine modellbasierte Darstellung der einzelnen Abschläge mit Hinweis auf die Vortriebseigenschaften (bspw. Vortriebsklasse und Abschlagslänge) möglich wurde. Im Zuge der Erstellung der Modelle der Verkehrsanlage stellte sich ebenfalls heraus, dass im Rahmen einer Leistungsphase 3 die Querprofile, insbesondere im Bereich von Kurven und Abfahrten, nicht dicht genug erstellt wurden, um eine ausreichende Abbildung im Modell zu ermöglichen. Im Rahmen der Modellierung wurden die fehlenden Angaben durch einen Fachplaner Strecke ergänzt und in die Modelle überführt. Ziel des Projekts war es, im Rahmen einer modellbasierten Bauablaufplanung die konventionell erstellten Modellbasierte Planung und Ausschreibung im konstruktiven Ingenieurbau am Beispiel eines Tunnels 290 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Bauabläufe zu plausibilisieren und nach Möglichkeit zu bestätigen. Dazu musste zunächst ein geeignetes Format für die erforderlichen und gewünschten dynamischen Verbindungen zwischen Modellobjekten und Terminplan (Weg-Zeit-Diagramme) geschaffen werden. Im Rahmen des Projekts wurde das Weg-Zeit-Diagramm dazu in einen softwaretechnisch verknüpfbaren Balkenplan (Stichwort: Attribuierung zur Verknüpfung) überführt, in dem die wesentlichen Vorgänge der Planung aufgenommen wurden. Hierbei zeigten sich teilweise die Grenzen der jeweiligen Leistungsphase und technische Grenzen der eingesetzten Software. Stetige Abläufe mit einer tagesscharfen Auswertung sind in den vorhandenen Dimensionen technisch kaum noch zu handhaben und wurden zugunsten einer effektiven Modellnutzung zurückgestellt. Der strukturierte Balkenplan wurde im weiteren Projektverlauf um die notwendigen Informationen und Datenfelder für eine Verknüpfung mit den Modellobjekten erweitert. Hier zeigten sich im Modell bereits erste Synergieeffekte aus der oben erwähnten Modellstruktur. Die Struktur konnte im Modell gleichermaßen für Verknüpfungen mit Terminen und mit der Mengenermittlung genutzt werden. Schwierigkeiten in der Darstellung von, insbesondere stetigen, Bauabläufen bedingen sich häufig in den Grenzen der Software. So sind je nach Software Auswahl- und Verknüpfungsregeln teilweise nur als Entsprechungen, nicht aber mit mathematischen Operatoren wie größer und kleiner möglich. Für Verknüpfungen sind dann schnell komplexere Programmierungen auf Basis der API-Schnittstellen erforderlich, die den Aufwand für die Umsetzung im Projekt deutlich erhöhen. Im Tunnelbau wird die Anforderung zudem erhöht, wenn abweichend vom gleichmäßigen Vortrieb in einer Richtung, der Tunnel aus zwei Richtungen aufgefahren wird und zusätzlich Unterschiede aus den Vortriebsgeschwindigkeiten aufgrund der unterschiedlichen Geologie berücksichtigt werden sollen. An dieser Stelle wird auch mit modernen Softwaretools schnell der Punkt erreicht, an dem der Mehrwert der Darstellungen vor dem Hintergrund des notwendigen Aufwands kritisch hinterfragt werden muss. Für das Projekt wurde daher die Darstellung auf Basis von Vorgangsblöcken als vorteilhaft angesehen und im Modell umgesetzt (siehe Abbildung 4). Dabei können insbesondere räumliche Zwangspunkte in den Modellen gut erkannt werden. Beispielsweise lassen sich Konflikte im Bereich von Tunnelvorfeldern bei einer gleichzeitigen Nutzung für den Vortrieb und den Tiefbau erkennen, aber auch Zeiträume für einen nachlaufenden Strossen- und Sohlvortrieb ablesen. Abbildung 4: 4D Darstellung des Tunnelvortriebs 4. Mengenermittlung Das Fundament einer erfolgreichen, im Leistungsverzeichnis hinterlegten, modellbezogenen Mengenermittlung, ist das dem Modell zugrundeliegende Attribuierungskonzept. Die Strategie und das Grundkonzept hierfür müssen im Vorfeld entwickelt werden, damit eine 5D Mengenermittlung erfolgreich umgesetzt werden kann. Für eine dynamische Mengenermittlung ist es daher elementar, dass jedes Modellobjekt eindeutige Attribute erhält, so dass diese individuell angesprochen bzw. abgefragt werden können. Es reicht beispielsweise nicht aus, einem Kabelschutzrohr lediglich den Parameter „Kabelschutzrohr“ zuzuordnen. Denn auch Angaben hinsichtlich des Durchmessers, Materials, Lage/ Ort oder anderer projektspezifischer Eigenschaften sind von Bedeutung, um eine Verknüpfung zu der entsprechenden Leistungsposition des Leistungsverzeichnisses sicherstellen zu können. Im Zuge des Pilotprojektes wurden allen rund 50.000 Modellobjekten die entsprechenden Attribute zugewiesen (siehe Abbildung 5), so dass ein dynamisches Ansprechen einzelner Objekte bzw. Objekte mit den identischen Eigenschaften, im Hinblick auf die zugehörige Leistungsposition ermöglicht wurde. Aufgrund der Erfordernis der unterschiedlichen Fachdisziplinen (Verkehrsanlagen, Konstruktiver Ingenieurbau, Leitungen, …) wurden im Zuge der Modellierung verschiedene Softwarelösungen (Revit, CARD, Autodesk Civil 3D) eingesetzt. Auch hierbei war es wichtig, ein durchgängiges Attribuierungskonzept einzuhalten und eine einheitliche Parameterbezeichnung umzusetzen. Modellbasierte Planung und Ausschreibung im konstruktiven Ingenieurbau am Beispiel eines Tunnels 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 291 Abbildung 5: Modellobjekt mit Eigenschaften Die unterschiedlichen Teilmodelle wurden in Abhängigkeit der jeweiligen Planungs-/ Konstruktionssoftware mittels der cpixml- und der ifc-Schnittstelle in iTWO 5D importiert. Nach erfolgreichem Import sowie Bemusterung der jeweiligen Modellobjekte wurden im nächsten Zuge visuelle Plausibilitätskontrollen der importierten Modellobjekte durchgeführt (siehe Abbildung 6). Abbildung 6: visuelle Plausibilitätskontrolle Anders als im 2D-Ansatz ist es im 3Dbzw. 5D-Ansatz von enormer Bedeutung, dass alle konstruierten Bauteile/ Objekte mit den korrekten Attributen ausgestattet sind. Falsch zugeordnete Attribute werden von der Software nicht unbedingt als „falsch“ identifiziert, da diese nicht beurteilt, ob der eingegebene Parameter zur visuellen Darstellung passt oder nicht. Eine Löschwasserleitung, die beispielsweise in den Parametern die Bezeichnung „Kabelschutzrohr“ beinhaltet, wird nicht pauschal als falsch angesehen. Diese Problematik würde sich jedoch in der Mengenermittlung wiederspiegeln und zu einer fehlerhaften Mengenermittlung führen. Nach der Plausibilitätsprüfung der Teilmodelle ist eine Clusterung der Modellobjekte in sogenannte Auswahlgruppen notwendig. Die umfangreiche Objektattribuierung (insgesamt ca. 1.5 Mio. Objekteigenschaften im Pilotprojekt) machte ein gezieltes dynamisches Abfragen der Modellobjekte und die Unterteilung des Gesamtmodells in verschiedene Fachbereiche erforderlich. Im Anschluss an die Vorfilterung des Gesamtmodells durch rund 170 erstellte Auswahlgruppen erfolgte die positionsbezogene Mengenermittlung mittels dynamischer QTO-Formeln (quantity take off). Mit Hilfe der QTO-Formeln wurden letztendlich für ungefähr 650 LV- Positionen, anhand der in der Leistungsbeschreibung enthaltenden Informationen, die zugehörigen Mengen abgefragt, berechnet und der LV-Position zugeordnet. Im Zuge jeder Maßnahme gibt es Leistungspositionen, für die eine objektbasierte Einzeldarstellung, orientiert an den geforderten Anwendungsfällen, keinen Mehrwert bieten, bspw. „Vorhalten von Selbstrettern“ oder „Bewehrung der Außen- und Innenschale“. Im Pilotprojekt haben wir für diese Thematik folgende zwei Lösungsansätze verfolgt und umgesetzt: a. Attribuierung des übergeordneten Modellobjektes (bspw.: das Attribut „Bewehrungsgehalt“ am Objekt „Innenschale“) b. Erzeugung eines Referenzkörpers um das entsprechende Attribut (bspw.: Anzahl Selbstretter) dem Modell hinzuzufügen. 5. Besondere Herausforderungen Im Zuge des Pilotprojektes hat sich gezeigt, dass verschiedene Faktoren hierbei von großer Bedeutung sind, welche die Planung vor grundsätzliche Herausforderungen stellt. Der angestrebte Nutzen der BIM-Methodik, an jeder Stelle ausreichend Informationen zum jeweiligen Objekt und den Projektgegebenheiten zu erhalten, führt insbesondere in der frühen Planungsphase zu diversen Aufgabenstellungen sowie Anforderungen, die berücksichtigt und schlussendlich bewältigt werden müssen. In erster Linie gilt es die Weitsicht und den Überblick in solch einem großen Projekt aufrecht zu erhalten. Die unterschiedlichen Informationen, die an verschiedenen Stellen genutzt werden (Modell, Bauablaufplan, LV), sind zentral zu verwalten und zu pflegen. Es gilt grundsätzlich, je größer das zugrundeliegende Modell wird, desto mehr Daten sind zu verwalten. Eine frühzeitig durchdachte Projektstruktur ist daher für ein erfolgreiches Projekt unerlässlich. Die Projekterfahrung zeigt, dass sich hierfür ausreichend Zeit im gesamten Projektteam genommen werden muss. Neben der reinen „Überblick und Planung des Projektablaufes (bspw. mittels der Scrum Ansätzen)“ sind zudem auch die entstehenden Datenmengen nicht zu unterschätzen. Beim vorliegenden Pilotprojekt wurde die aktuellen Softwaregrenzen von bspw. iTWO 5D erreicht. Die Projekterfahrung zeigt, dass auch ein intensiver Austausch mit dem Softwarehersteller ggf. erforderlich sein kann. Deutlich wurde zudem, dass das verschlankte und optimierte Attribuierungskonzept (Festlegung vor Modellierungsbeginn) weitere technische Probleme bei der Leistungsverzeichnisverknüpfung bereits ausgeschlossen hat. Um jedoch die Objekt-, Attributs- und Leistungspositionen dieses 1,7 km langen, zweiröhrigen Straßentunnels verarbeiten zu können, wurde eine Leistungsverzeichnis- Modellbasierte Planung und Ausschreibung im konstruktiven Ingenieurbau am Beispiel eines Tunnels 292 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 teilung in iTWO 5D aus aktuell bestehenden softwaretechnische Grenzen unumgänglich. Bei der Teilung des Leistungsverzeichnisses sind die BIM Ziele zu berücksichtigen, um die geforderten Ziel- und Fragestellungen weiterhin erfolgreich umsetzen zu können. 6. Fazit JA, eine unterstützende, modellbasierte Planung (3D / 4D) und Leistungsverzeichnisverknüpfung (5D) für große Tunnelbauwerke sind erfolgreich möglich. Für eine erfolgreiche Projektrealisierung ist die frühzeitige Vorgabe eines einheitlichen Attribuierungskonzeptes für alle Fachplaner die entscheidende Grundlage. Im Zuge des Pilotprojektes hat sich gezeigt, dass verschiedene Faktoren hierbei von großer Bedeutung sind, welche die Planungsprozesse vor grundsätzlichen Herausforderungen stellen. ... viele Teilmodelle erleichtern nachträgliches Anpassen/ Ergänzen von Teilbereichen… … hohen Informationsgrad aller Projektbeteiligten kontinuierlich aufrechterhalten… …klar definierte, einheitliche Vorgaben für Modellerstellung… …eindeutige Schnittstellen und Zuständigkeiten… Wichtig ist es, den Mehrwert unseres BIM Einsatzes im Projekt stets zu hinterfragen und gezielt nachzusteuern. Insbesondere bei Änderungen im Planungsprozess machen sich die Vorteile der modellbasierten Arbeitsweise deutlich, es bietet sich daher an, diesen Ansatz zu verfolgen. 7. Ausblick Die Unternehmensgruppe BUNG hat den BIM-Prozess in der Planung erfolgreich in ihr Leistungsportfolio ergänzt. Die Kernpunkte stellen hierbei sicherlich die 3D- Modellierung, umfangreiche Attribuierungskonzepte sowie frühzeitig definierte Schnittstellen und Zuständigkeiten dar. Damit der BIM-Prozess gelebt werden kann, gilt es nun die Erkenntnisse aus der Planung, auf die Bauausführung anzuwenden und auszubauen. Dies bedeutet im Konkreten, den Baustellenbetrieb und die Projektsteuerung mit zur Hilfenahme von BIM-Methoden zu optimiert. Hierbei stehen u. a. modellbasierte Baubesprechungen, Bauablaufsimulationen sowie eine modellbasierte Bauabrechnung im Fokus. Doch auch im Bereich von BIM gilt grundsätzlich, dass der Nutzen größer als der damit verbundene Aufwand sein sollte. Ganz nach dem Motto … Wir können BIM, wenden es aber nur da an, wo es Sinn macht … 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 293 BIM für kommunale Verkehrsflächen-Möglichkeiten und aktuelle Herausforderungen Dr.-Ing. Alexander Buttgereit Maria Koordt, M.Sc. Stadt Münster, Amt für Mobilität und Tiefbau Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner Dr.-Ing. Ute Stöckner Steinbeis-Transferzentrum Infrastrukturmanagement im Verkehrswesen Steinbeis Transferzentren GmbH an der Hochschule Karlsruhe Zusammenfassung Die kommunalen Verkehrswege stellen für die Baulastträger einen beträchtlichen Vermögenswert dar, der künftig nur mit einem datengestützten Lebenszyklusmanagement effizient erhalten werden kann. Dazu wird seit einigen Jahren in Münster ein nachhaltiges Asset Management entwickelt. Hierfür wurden u.a. die Prozessabläufe aus organisatorischer und ingenieurtechnischer Sicht erarbeitet sowie der zugehörige Datenbedarf einschließlich der Datenübergabepunkte im Lebenszyklus identifiziert und auf die Anwendung der BIM-Methode ausgerichtet. Eine wesentliche Herausforderung ist dabei die digitale Abbildung der Verkehrswegeinfrastruktur wie Verkehrsflächen, Bauwerke, Kanal, Lichtsignalanlagen in einer einheitlichen Ontologie, so dass Fachwendungen darauf zugreifen können. Vorhandene Datenbestände wurden geprüft und bewertet sowie der Ergänzungsbedarf aufgezeigt. Für das Asset Management sollen die Datengrundlagen für entscheidungsrelevante Aussagen aus strategischer, taktischer und operativer Sicht geliefert werden. Allerdings zeigt die aktuelle Situationsbewertung auch, dass die benötigten Daten bzw. Fachmodelle aus verschiedenen Datenbanken und Systemen stammen und weder von der räumlichen Referenzierung noch von der Ontologie und der Semantik vergleichbar sind. Da aus den Vorarbeiten die Anforderungen an Dateninhalte und Datenflüsse im Lebenszyklus bekannt sind, wird nun im Rahmen einer ersten Pilotanwendung anhand einer städtischen Straßenbaumaßnahme getestet, wie die benötigten Fachmodelle aus unterschiedlichen Datenbanken zu einem IFC-kompatiblen Modell zusammengeführt, projektbezogen verwendet werden und dann nach Abschluss der Baumaßnahme wieder in die bestehenden Datenbanken zurückgeführt werden müssen. Im Rahmen der jetzt laufenden Umsetzung sind noch einige Herausforderungen zu lösen. 1. Einleitung Die Stadt Münster entwickelt für die vorhandene Infrastruktur ein Tiefbau Infrastrukturmanagement Münster (TIMM) über den gesamten Lebenszyklus als Bestandteile eines Asset-Management Systems u. Übergeordnetes Ziel ist dabei, die notwendigen Aktionen im Lebenszyklus der betroffenen Anlagenteile effizient und effektiv zu steuern. Dabei werden technische Aspekte, wie z.B. der Anlagenzustand, umweltbezogene Aspekte wie auch Risiko- oder Vermögenswertbetrachtungen miteinander kombiniert. Aktuelle Teilarbeiten konzentrieren sich auf die Behandlung der Verkehrsflächen, unterstützend soll die BIM-Methode angewendet werden. Die Umsetzung des Projektes TIMM für Verkehrsflächen erfordert eine sachgerechte Verbindung von ingenieurtechnischer Planung, wirtschaftlicher Bewertung und politischen Zielsetzungen [Stöckner et al, 2020]. Damit werden verschiedene Entscheidungsebenen angesprochen. Die politische Entscheidungsebene entscheidet über rahmensetzende Pläne, die Vorgaben für das Handeln der Straßenbauverwaltungen vorgeben. Die Fachebenen entscheiden über Priorisierungen und Maßnahmenpläne aufgrund ingenieurtechnischer und wirtschaftlicher Erwägungen, die operative Ebene setzt diese dann im Straßennetz unter Berücksichtigung von Ausführungsfragen und verkehrlichen Erwägungen um. Gemeinsam ist allen Ebenen, dass solche Entscheidungen und Abwägungen nur auf der Basis einer aussagekräftigen und transparenten Datengrundlage in Kombination mit einem Auskunftssystem, Auswertetools und einem differenzierten Kennzahlensystem getroffen werden können. Zur Lösung dieser komplexen Aufgabenstellung wendet das Amt für Mobilität und Tiefbau der Stadt Münster zunehmend Verfahren des Asset Managements an. Grundlage dazu stellt die ISO Normenreihe 55000 ff. dar, in der auf der Basis einer BIM für kommunale Verkehrsflächen-Möglichkeiten und aktuelle Herausforderungen 294 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 allgemeinen Beschreibung die Anforderungen für ein Asset Management physischer Anlagen umrissen werden [DIN ISO 55000, 2017]. Die Normenreihe fordert dazu eine sachgerechte Datengrundlage. Problem sind dabei oftmals unterschiedliche vorhandene Datenquellen, DIN ISO 55000: 2017-05. S. 22 verweist wie folgt darauf: „Einige Asset-Daten kommen von Planungs- und Steuerungssystemen, die häufig nicht mit anderen Informationssystemen verbunden sind. Die Integration dieser Informationssysteme durch das AM-Managementsystem kann neue Asset-Informationen bereitstellen, die zu einer verbesserten Entscheidungsfindung der Organisation führen.“ Auch wenn diese Anforderung auf der Hand liegt, bleibt festzustellen, dass derzeit viele Datenbestände vorhanden sind, diese jedoch aufgrund jeweils unterschiedlicher Taxonomie, Ontologie und Semantik einen hohen Aufwand erfordern, aufgabenbezogen die notwendigen Datengrundlagen zur Verfügung zu stellen. Generell können dazu folgende Entwicklungen erkannt werden: • Das Management der Life Cycle Prozesse der Verkehrsinfrastruktur wird zunehmend verbessert und damit auch komplexer. • Die am Lebenszyklus beteiligten Partner werden künftig vermehrt digitale Formen der Zusammenarbeit nutzen. • Die veränderte IT-Technologie wird die Prozesse der Planung, der Ausführung und der Erhaltung/ Betrieb maßgeblich effizienter und effektiver gestalten. • Digitale Zwillinge werden künftig den Datenaustausch über den gesamten Lebenszyklus barrierefrei unterstützen. 1.1 Problemstellung Bisher wurden in Münster weitreichende Anstrengungen unternommen, das Projekt TIMM umzusetzen. Die Arbeiten beziehen sich auf organisatorische, auf ingenieurtechnische und damit verbunden auch auf datentechnische Abläufe. In Vorarbeiten wurden für den Bereich der Verkehrsflächen die notwendigen Prozessabläufe samt Prozessbeteiligte und damit einhergehend die jeweils benötigten Daten und Datenübergabepunkte strukturiert beschrieben. Damit sind der Datenbedarf und der notwendige Datenfluss grundsätzlich bekannt. Die vorhandene Datenlage ist für kommunale Verhältnisse vergleichsweise günstig. So liegen eine Netzkodierung, eine umfangreiche Bestandsdatenbank sowie Zustandsdaten über verschiedene Jahre vor. Zur Lösung dieser Aufgabenstellung eignet sich grundsätzlich die BIM-Methode (Building Information Modelling). BIM als Methode berücksichtigt zum einen organisatorische Abläufe, zum anderen die datentechnische Modellierung des Bestandes. Die datentechnische Modellierung basiert auf einem digitalen dreidimensionalen Bauwerksmodell, das vordefinierte Objekte besitzt und eine geometrische Referenzierung darstellt. Diesem Geometriemodell werden relevante Informationen zugeordnet, für Verkehrsflächen beispielsweise eingebaute Materialien und Materialqualitäten. Die Informationen werden über den kompletten Lebenszyklus erfasst und weitergegeben. Im Idealfall entsteht eine einheitliche Datengrundlage über alle Phasen des Lebenszyklus. Damit ergeben sich die in Abbildung 1 gezeigten Zusammenhänge. BIM für kommunale Verkehrsflächen-Möglichkeiten und aktuelle Herausforderungen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 295 Abbildung 1: Zusammenhang der TIMM-Ebenen mit Aufgaben und Datenbasis Eine flächendeckende Einführung von BIM für Verkehrsflächen steht noch aus. Der Methode liegt der IFC-Datenstandard zugrunde, der einen barrierefreien, d.h. herstellerneutralen Datenaustausch sicherstellen soll. Dies ist für kommunale Verkehrsflächen mit dem aktuellen Standard IFC 4.3 zu erwarten, wenn dieser verbindlich verabschiedet wird. Ergänzend dazu ist zu klären, welche Daten im Rahmen eines Lebenszyklus benötigt sowie in folgende Abschnitte des Lebenszyklus übergeben werden sollten. Relevant ist zudem, welche Aufgaben auf Auftraggeber und Auftragnehmer im Einzelnen zukommen und wie dies in den Lebenszyklus einer Verkehrsanlage sinnvoll integriert werden kann. Dem Grunde nach ist die Umsetzung der BIM-Methode alternativlos, weil damit ein Problem der Verfügbarkeit von Daten im Lebenszyklus einer Straße besser als bisher gelöst werden könnte [Stöckner/ Niever, 2018]. Dies erfordert das Aufsetzen geeigneter Prozesse und Datenflussmodelle. Denn durch die neue Art der digitalen Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten müssen die Arbeitsprozesse vor Beginn klar definiert sein. So gibt es auf der Ebene der überörtlichen Straßenbauverwaltung eine Reihe von Forschungsprojekten, die sich mit der Umsetzung der BIM- Methode für das Erhaltungsmaßnahmen bzw. des Asset Management von Straßennetzen beschäftigen. [König et al., 2019]; [Hajdin et al: 2020], [Stöckner et al., 2019]. Dabei werden die grundsätzlichen Musterprozesse und die relevanten Datenübergabepunkte einschließlich des notwendigen Informationsgehaltes aufgezeigt. Für Deutschland werden bestehende Datenstandards, wie die Anweisung Straßendatenbank, verbunden mit dem OKS- TRA, berücksichtigt und in Abhängigkeit der jeweiligen Auswertesysteme definiert, welche Dateninhalte für ein Lebenszyklus Management relevant sind. Für den kommunalen Bereich sind derzeit allerdings nur einzelne Pilotprojekte sichtbar, die projektbezogen durchgeführt werden und nicht mit dem Lebenszyklusansatz gekoppelt sind. Die Arbeiten aus dem Außerortsbereich sind für den kommunalen Bereich wertvoll, reichen jedoch für die Komplexität der kommunalen Verkehrsflächen nicht aus: Beispielhaft seien unterschiedliche Nutzeranforderungen sowie unterschiedliche Infrastrukturmedien im Zusammenhang der Verkehrsflächen genannt. Mit dem Projekt TIMM stehen umfangreiche Vorarbeiten zur Verfügung, sodass die Anwendung und Umsetzung der BIM-Methode in Form von Pilotprojekten gut erfolgen kann. So liegt die komplette Prozessmodellierung einschließlich des zugehörigen Datenbedarfs für den Lebenszyklus als Eingangsgrundlage bereits vor. Von Vorteil ist, dass diese Prozessgrundlagen bereits vollständig auf die Aufgaben des Asset-Managements der Stadt Münster abgestimmt sind. 1.2 Zielsetzung Im Rahmen des hier vorgestellten ersten BIM-Pilotprojektes werden zwei primäre Zielsetzungen verfolgt: 1. Die BIM Methode soll für die Straßenerhaltung, also für das Bauen im Bestand etabliert werden. Das BIM für kommunale Verkehrsflächen-Möglichkeiten und aktuelle Herausforderungen 296 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Pilotprojekt behandelt eine Erhaltungsmaßnahme unter Verwendung einer einheitlichen und softwareunabhängigen Datengrundlage. Startpunkt ist die Entwicklung eines Bestandsmodells, das aus dem vorhandenen Asset Modell entwickelt wird. Weiter müssen die Kommunikationswege und Datenschnittstellen im Projekt eindeutig definiert sein. 2. Übergabe der Daten für den weiteren Lebenszyklus- Prozess: Mit Abschluss der Maßnahme entsteht das sogenannte As-Built-Modell, das den tatsächlich gebauten Zustand widerspiegelt. Hier muss sichergestellt sein, dass alle Daten enthalten sind, die für das Funktionieren aller im TIMM festgelegten Prozesse bzw. für die dazu erforderlichen Auswertungen notwendig sind. 2. Vorbereitung des BIM-Pilotprojektes 2.1 Lösungsweg Wesentlicher Aspekt ist ein strukturiertes Verständnis des Informationsmodells, wie es durch die DIN EN ISO 19650-1 definiert wird (vgl. Abbildung 2). Die Informationsanforderungen des Baulastträgers auf strategischer Ebene ergeben sich aus den Forderungen des Asset Management Systems Münster. Die Informationsanforderungen zum Projekt TIMM für Verkehrsflächen sind ebenfalls definiert und führen zu einem gewünschten Informationsmodell Bestand. Die notwendigen Daten sind dem Grunde nach vorhanden, liegen allerdings in der bereits beschriebenen verteilten Form vor, sodass derzeit dieses Bestandmodell in der angestrebten Form noch nicht vorliegt. Die Austauschanforderungen an ein konkretes Projekt sind ebenfalls bekannt, hängen aber naturgemäß auch von projektspezifischen Anforderungen mit ab. Daraus soll ein Informationsmodell Projekt abgeleitet werden, dessen Daten dann später in ein Informationsmodell Bestand überführt werden. Der Ansatz der Aufgabenstellung des derzeit laufenden Pilotprojektes ist, ausgehend von den vorhandenen Datenbeständen, an einem zunächst einfachen Projekt aufzuzeigen, wie das Informationsmodell Bestand künftig im Abgleich mit dem Informationsmodell Projekt ausgestaltet werden kann. Zur Lösung dieser Aufgabenstellung wurden die vorhandenen Prozessbeschreibungen zu einem Referenz- Prozess für Projekte weiterentwickelt. Darauf basierend wurden Muster-Auftraggeber-Informations-anforderungen (AIA) und ein Muster-BIM-Abwicklungsplan (BAP) als allgemeine Vorlage für entsprechende BIM-Projekte und die Anwendung in Münster entwickelt. Ausgehend von den für Erhaltungsmaßnahmen maßgebenden BIM- Anwendungsfällen wurde geprüft, wie die notwendigen digitalen Modelle aus den bestehenden Abbildung 2: Informationsmodell in Anlehnung an DIN EN ISO 19650-1 und König [2019] BIM für kommunale Verkehrsflächen-Möglichkeiten und aktuelle Herausforderungen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 297 Datenbanken zusammengeführt und in einer gemeinsamen Datenumgebung (CDE) erstellt werden können. Dieser Schritt ist derzeit in Bearbeitung und stellt mit der Modellbildung die eigentliche Herausforderung dar. Die weiteren Schritte werden sich mit der Planung, Ausschreibung und Vergabe, der Projektbegleitung, der Abnahme der Maßnahme einschließlich des zu übergebenden digitalen Modells sowie der Übernahme der Daten in die bestehenden Datenbanken beschäftigen. 2.2 Prozessanalyse Der allgemeine Lebenszyklus ist bereits durch das Asset Management vorgegeben. Die wesentlichen Schritte sind Bedarfsermittlung, Planung, Ausschreibung und Vergabe, Maßnahmendurchführung, Erhaltung-Betriebsphase sowie Rückbau oder Erneuerung. Dabei wird davon ausgegangen, dass für die Planung die Fachmodelle als LOD 200 vorliegen und diese bis zum erforderlichen Ausarbeitungsgrad, i.d.R. LOD 500, dem „wie-gebaut Modell“ weiterentwickelt werden. Daraus wird ein sogenanntes Betriebsmodell abgeleitet, dass alle Aspekte und Informationen aus dem Betrieb von Verkehrsflächen abdecken sollen. Im Wesentlichen umfasst dies die Bestandsinformationen, die für die organisatorische Aufgabenerfüllung wie Reinigung, Winterdienst, Grünpflege oder bauliche Unterhaltung notwendig sind. In Ergänzung dazu sind in einem Bestandsmodell all diejenigen Informationen enthalten, die für die Erhaltungsplanung von Bedeutung sind. Kurz zusammengefasst sind dies all diejenigen Eigenschaften, die beispielsweise Auskunft zum aktuellen Zustand und zur zu erwartenden Restlebensdauer geben können. Die notwendigen Merkmalsgruppen lassen sich in materialtechnische Daten, in planungsrelevante Daten wie Verkehr und Klima und in Zustandsdaten zur Oberfläche und Substanz der Verkehrsflächenbefestigungen unterscheiden. Somit ist genau ein Ansatzpunkt des vorliegenden Projektes, die einzelnen Merkmalsgruppen und Merkmale detailliert zu definieren und in dem zu erstellenden Modell so abzubilden, dass diese für den Lebenszyklus verwendet werden können. Um dies sicherzustellen, wurden zwei detaillierte Prozessbetrachtungen vorgenommen. Zum einen wurde der gesamte Erhaltungsprozess analysiert und darin aufgezeigt, an welcher Stelle es notwendig ist, erfasste Daten in die allgemeinen Datenbanken der Stadt Münster zurückzuspielen. Zum anderen wurde der Prozess zur Durchführung von Planung, Ausschreibung und Vergabe sowie Baudurchführung detailliert beschrieben, der im Prinzip einen spezifizierten Unterprozess des gesamten Erhaltungsmanagements darstellt. Mit dieser Betrachtungsweise ist sichtbar, wie der BIM- Prozess einer einzelnen Maßnahme in den gesamten Asset Management Prozess eingebunden werden kann (vgl. Abbildung 3). Abbildung 3: Allgemeiner Life Cycle Prozess als Ausgangsgrundlage Als zentrales Element für die Ablage der Straßen-Bestandsdaten und der Straßen-Zustandsdaten wird in Münster das Produkt LOGO verwendet. Die Datenbank LOGO erhält eine Fortschreibung an insgesamt drei Stellen: dies sind die Übernahme aktueller Zustandsdaten nach einer neuen Zustandserfassung und -bewertung, die Darstellung einer aktuellen Erhaltungsplanung und die Aktualisierung der Bestandsdaten nach einer durchgeführten Erhaltungsmaßnahme. Die für ein Projekt notwendigen Daten werden aus dem Asset Modell ausgelesen und in eine projektbezogene gemeinsame Datenumgebung übergeben. Dazu werden detaillierte Austauschinformationsanforderungen definiert. Der Detailprozess für die Pilotmaßnahme wurde gemäß der BPMN-Methode beschrieben und enthält Projektbeteiligte, Aufgaben und Darstellung der Daten übergaben im jeweiligen Format. Daraus wurden die wesentlichen Elemente des Informationshandbuchs abgeleitet. BIM für kommunale Verkehrsflächen-Möglichkeiten und aktuelle Herausforderungen 298 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 4: Informationsmodell BIM-Pilotprojekt Münster 3. Anwendungsfälle und Fachmodelle Für das Pilotprojekt wurden die Anwendungsfälle in Anlehnung an [BIM4INFRA 2020] spezifiziert. Für eine erste Pilotmaßnahme wurde der Umfang bewusst mit einer Erhaltungsmaßnahme recht einfach gehalten: Bedarfsanalyse, Planung und Ausführungsvorgaben liegen fest, sodass man sich auf die Anwendungsfälle der Maßnahmenausführung konzentrieren kann und hier sowohl die Vorgehensweise bei der Erstellung des Modells zur Ausführung und dann eben zur Übernahme des Modells in die Nutzung für Betrieb und Erhaltung detailliert betrachten kann. Damit wird auch der wesentliche Anspruch des Projektes, die Daten aus der Bauphase heraus in einem Erhaltungs- und Betriebsmodell für den TIMM-Ansatz darzustellen, umgesetzt. Die kommunale Besonderheit besteht hierbei zu definieren, welche Fachmodelle für ein Ausführungsmodell kommunaler Verkehrsflächen erforderlich sind. Durch unterschiedliche Nutzungsansprüche kommunaler Verkehrsflächen ergibt sich hieraus eine höhere Komplexität als beispielsweise im Außerortsbereich. Die langfristige Vorstellung geht in Richtung eines digitalen Zwillings für die gesamte kommunale Infrastruktur (Straße, Wasser bzw. Abwasser, Strom und Telekommunikation, Gas und Fernwärme). Dies umfasst zunächst Geometrie und Aufbau der Verkehrsflächen. Für die reine Ausführung einer Baumaßnahme sind dort alle ingenieurtechnischen Informationen enthalten. Für großräumige Modelle bedarf es als Grundlage dafür der Definition des IFC Alignment sowie auch kleinräumig des Standards IFC Road. Für Planung und Ausführung besteht dann eine Reihe von Wechselwirkungen zu weiteren Modellen. Dies sind naturgemäß ein Infrastrukturmodell, indem alle Elemente der Ver- und Entsorgung im Straßenraum enthalten sind, erforderlichenfalls auch ein Bodenmodell, ein Geländemodell und ein Modell der angrenzenden Bebauung. Es liegt auf der Hand, dass dies derzeit -schon aus Gründen der Datenverfügbarkeitso noch nicht leistbar ist. Für eine komplexe Planung im kommunalen Raum wäre es jedoch wünschenswert, diese Modelle auch softwareunabhängig zur Verfügung zu haben. Im vorliegenden Projekt wird jedoch der Fokus auf das Bestandsmodell der Verkehrsflächen gelegt, weil primär die Aufgabe besteht, die für den Lebenszyklus relevanten Informationen für die einzelnen Objekte in Merkmalsgruppen und Merkmalen abzubilden. BIM für kommunale Verkehrsflächen-Möglichkeiten und aktuelle Herausforderungen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 299 Abbildung 5: BIM-Modelle für kommunale Verkehrsflächen Für die Bearbeitung der Aufgaben im Lebenszyklus Management der Verkehrsflächen sind daher vor allem die Merkmalsgruppen von Bedeutung, die für die operative und strategische Erhaltung sowie für Straßenunterhaltung und -betrieb erforderlich sind. Diese Merkmalsgruppen können aufgrund der bekannten Auswerte- und Planungsmethoden vergleichsweise gut beschrieben und definiert werden Für die Modellbildung wird wie bereits bekannt ein Geometriemodell erstellt. dem dann die notwendigen Eigenschaften zugeordnet werden. Zur Identifikation der benötigten Daten wurden folgende Aufgabenbe-reiche definiert: 1. EMS-Modell: Das Modell für das Erhaltungsmanagement umfasst alle Merkmalsgruppen, die für eine netzweite Analyse des Erhaltungsbedarfs notwendig sind. Die damit verbundenen Aufgaben sind zum einen die Berechnung einer mittelfristigen Finanzbedarfsprognose sowie einer Priorisierung der anstehenden Erhaltungsmaßnahmen. Die notwendigen Merkmalsgruppen sind die Zustandsdaten des Oberflächenzustands und zum strukturellen Zustand, eine Altersverteilung, Verkehrsbelastung und Funktion, Aufbaudaten mit Materialeigenschaften und weiter noch zu definierende Kennwerte für eine Priorisierung. 2. Betriebsmodell: Notwendige Informationen für ein Betriebsmodell sind auf Flächen bezogene Anforderungen an Reinigung, Winterdienst und Grünpflege, womit dann Geräte- und Personaleinsatz geplant werden können. 3. Planungsmodell Erhaltung: Das Planungsmodell zur Erhaltung liefert objektbezogen die notwendigen Grundlagen für die Erstellung der Ausschreibungsunterlagen. Im Gegensatz zum EMS-Modell sind hier detailliertere Angaben zum vorhandenen Aufbau, zu den Materialeigenschaften und gegebenenfalls auch zu den Untergrundeigenschaften notwendig. Diese Merkmalsgruppen lassen sich im Grundsatz relativ schnell definieren. Allerdings muss speziell für Verkehrsflächen berücksichtigt werden, dass sowohl im Bereich der Zustandserfassung als auch bei der Methodik der Ermittlung der Restlebensdauer neue Entwicklungen im Gang sind, die zum Teil auch in Münster bereits zur Anwendung kommen. Beispielhaft seien die Ermittlung der Tragfähigkeit mit dem Falling Weight Deflectometer (FWD), die Ermittlung und Kontrolle vorhandener Aufbauten mit dem Georadar (GPR) und die Nutzung sogenannter Performance-Eigenschaften für die eingesetzten Asphaltgemische genannt. Außerdem startet gerade ein Projekt zur ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft kommunaler Infrastruktur, zudem auch die Verkehrsflächen zählen. Ziel hierbei ist eine möglichst nachhaltige Wiederverwertung der bei Erhaltungsmaßnahmen anfallenden Ausbaustoffe. Insofern ist ein weiterer Anspruch des beschriebenen Projektes, die Merkmalsgruppen möglichst umfassend zu beschreiben, um die über bekannte Anwendungen hinausgehenden Anforderungen des TIMM-Projektes möglichst weitgehend abzubilden. Daher liegt der Schwerpunkt darauf, an einer vergleichsweise einfachen Maßnahme die strategische Handlungsweise für die Umsetzung der BIM-Methode exemplarisch aufzuzeigen und dann eine Übertragung auf komplexere Projekte anzugehen. BIM für kommunale Verkehrsflächen-Möglichkeiten und aktuelle Herausforderungen 300 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 6: Aufgaben im TIMM und Datenbedarf Abbildung 7: Beispiel zur Strukturierung des Datenbedarfs BIM für kommunale Verkehrsflächen-Möglichkeiten und aktuelle Herausforderungen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 301 4. Projektunterlagen Wie oben angeführt, wurden ausgehend von den bisherigen Überlegungen Musterunterlagen für die Auftraggeber Informationsanforderungen (AIA) sowie für den BIM-Abwicklungsplan entwickelt. Die Grundstruktur der Unterlagen richtet sich im Wesentlichen nach bekannten Vorlagen, wie sie beispielsweise von [BIM4IN- FRA 2020] oder der [DEGES 2021] veröffentlicht sind. Die AIA enthalten Informationen zum Projekt, zur Organisation sowie zu benötigten Daten und Informationen. Die Anpassung auf das Asset Management Münster liegt in einer anforderungsgerechten Beschreibung der benötigten Dateninformation und deren relevante Ausarbeitungsgrade. Die derzeitigen Arbeiten konzentrieren sich auf die Formulierung der Informationsanforderungen in Form des IDM. Ein weiterer Punkt ist die Beschreibung der anzuwendenden Datenumgebung sowie die Möglichkeiten der Einbindung der erforderlichen Autorensoftware. An der Stelle muss festgestellt werden, dass bei einigen speziellen Software-Anwendungen im Asset Management eine barrierefreie Datenübergabe noch nicht funktioniert. Dies liegt zum einen an dem noch in Entwicklung befindlichen IFC Standard, zum anderen aber auch an den einzelnen Softwareprodukten selbst. Es wird davon ausgegangen, dass dieser Punkt mit den zukünftigen Entwicklungen ohnehin bereinigt wird. Ausgehend davon wurde ein Muster BAP entwickelt. Die Aufstellung des BAP wird oftmals auch an die Auftragnehmerseite übertragen, hier sind verschiedene Modelle möglich. Im vorliegenden Fall der Behandlung einer in der Regel staatlichen Infrastruktur können solche Unterlagen weitgehend standardisiert werden und damit die notwendige Vergleichbarkeit in der Projektabwicklung für ein Asset Management eines komplexen Verkehrswegenetzes erreicht werden. Im Gegensatz zu BIM-Anwendungen im Hochbau besteht hier eine weitgehende Vergleichbarkeit. 5. Zusammenfassung und Ausblick In Münster wurde in der Vergangenheit ein Asset Management für die Infrastruktur entwickelt. Ein Teilbereich davon beschäftigt sich mit der Verkehrsinfrastruktur als Bestandteil des Tiefbau-Infrastruktur-Managements. Ein Asset Management erfordert eine ausreichende Datengrundlage, die für verschiedene Anwendungen barrierefrei zur Verfügung stehen muss. Bezogen auf die Verkehrsflächen kann dies am besten mit der Anwendung der BIM-Methode erreicht werden. Im vorliegenden Fall Münster stehen dazu umfassende Vorarbeiten gerade im Bereich der Prozessbeschreibung zur Verfügung. Diese dienten als Einstieg in ein erstes BIM Pilotprojekt, dessen Ziel nicht die Abwicklung einer einzelnen möglicherweise komplexen Baumaßnahme ist, vielmehr ist beabsichtigt, den Einsatz der BIM Methode für das Asset Management der kommunalen Verkehrsflächen in Münster exemplarisch aufzuzeigen und damit ein skalierbares System zur Modellbildung hinsichtlich des Informationsbedarfs aufzuzeigen. Im Fall einer Verkehrsinfrastruktur kann dies weitestgehend formalisiert werden, da ein komplexes Regelwerk zu Planung, Bau, Betrieb und Erhaltung sowie Rückbau umfangreiche Vorgaben macht, die sich in den einzelnen Projekten mit wenigen Anpassungen wiederholen. Davon ausgehend wurden die Prozesse des Erhaltungsmanagements sowie der Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen weiter differenziert und darauf aufbauend Informationsanforderungen für das Asset Management abgeleitet. Ergänzend dazu wurden Musterunterlagen für die AIA und den BAP in Übereinstimmung den Anforderungen des TIMM-Projektes aufgestellt. Die Anwendbarkeit der Projektergebnisse soll nun in einem klar umrissenen Erhaltungsprojekt getestet werden. Dabei müssen noch Problempunkte bei der Formulierung der Ausschreibung, beim Aufsetzen einer gemeinsamen Datenumgebung sowie in der Anbindung der spezifischen Autorensoftware für das Erhaltungsmanagement berücksichtigt werden, wobei davon ausgegangen wird, dass sich nicht alle Punkte im Rahmen dieses Pilotprojektes lösen lassen. Übergeordnetes Ziel ist es, die Einführung der BIM Methode in Münster voranzutreiben und eine umsetzbare Handlungsweise aufzuzeigen. Literatur [1] [BIM4INFRA 2020]: Umsetzung des Stufenplans „Digitales Planen und Bauen. www.bim4infra.de. [2] [DEGES 2021]: Building Information Modeling (BIM). www.deges.de/ building-information-modeling-bim/ . [3] [DIN ISO 55000, 2017]: DIN ISO 55000: 2017-05 Asset Management - Übersicht, Leitlinien und Begriffe (ISO 55000: 2014); Beuth Verlag, 2017. [4] [DIN EN ISO 19650-1] Organisation und Digitalisierung von Informationen zu Bauwerken und Ingenieurleistungen, einschließlich Bauwerksinformationsmodellierung (BIM) - Informationsmanagement mit BIM - Teil 1: Begriffe und Grundsätze (ISO 19650-1: 2018); Deutsche Fassung EN ISO 19650-1: 2018; Beuth-Verlag, 2018. [5] [Hajdin et. al., 2020] BIM-Erweiterung durch Implementierung der Nutzung baustofftechnischer Daten von Straßen und Brücken im AMS; BI- M4AMS; D-A-CH Call 2019 (laufend) [6] [König et.al., 2019] BIM4ROAD - Building Information Modeling (BIM) im Straßenbau unter besonderer Berücksichtigung der Erhaltungsplanung, Forschungsbericht, unveröffentlicht, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach. [7] [Stöckner/ Niever, 2018] Stöckner, M.; Niever, M: Building Information Modeling: BIM im Life Cycle Management (Teil 2). In: Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) (Hrsg.): BIM für kommunale Verkehrsflächen-Möglichkeiten und aktuelle Herausforderungen 302 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Deutscher Straßen- und Verkehrskongress. Deutscher Straßen- und Verkehrskongress 2018 (Erfurt, 12.-14.09.2018), Köln: FGSV-Verlag 2018, S. 329- 340.- ISBN 978-3-86446-225-2 [8] [Stöckner et al; 2019] AMSFree - Exchange and exploitation of data from Asset Management Systems using vendor free format, CEDRcall 2018. (laufend) [9] [Stöckner et al. 2020] Stöcker, M.; Stöckner, U., Niever, M.: Tiefbau - Infrastruktur - Management Münster (TIMM); Konzeption und Aufbau; Im Auftrag der Stadt Münster, Abschlussbericht 2020, unveröffentlicht. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 303 Digitales Ökosystem für die durchgängig vernetzte Planung und Realisierung von Infrastrukturbauprojekten - Forschungsprojekt Infra-Bau 4.0 Dr. Birgit Guhse Drees & Sommer, Stuttgart, Deutschland Denis Feth Fraunhofer IESE, Kaiserslautern, Deutschland Zusammenfassung Das Potential von Digitalisierung besonders groß, wenn man sich weg von Insellösungen, hin zu einer übergreifenden Vernetzung der Systeme bewegt - von der Planungssoftware, bis hin zu den (Bau-)Maschinen. Kernziel des Forschungsvorhabens „Infra-Bau 4.0“ ist es daher, eine Plattform zu entwickeln, auf der alle am Bauprojekt beteiligten Partner mit ihren Systemen, Daten und Prozessen digital abgebildet und in einem Digitalen Ökosystem miteinander vernetzt werden. Im Kern dieses Digitalen Ökosystems steht dabei das Aufnehmen, Harmonisieren und Verteilen von Planänderungen und Änderungen des Ist-Standes über alle Hierarchiestufen der Baustelle. Solche Änderungen sind in Bauprojekten an der Tagesordnung, führen aber dennoch in der Praxis immer wieder zu Problemen und Verzögerungen, da sie überwiegend manuell übermittelt und bearbeitet werden müssen. Im Vortrag geben wir Einblicke in unsere aktuellen Forschungsarbeiten, die Konzeption der Plattform, sowie unsere Anwendungsfälle. 1. BIM ist nur der Anfang Infrastrukturprojekte wie Straßen- und Brückenbau sind komplexe und teure Bauvorhaben. Dabei gilt: Je komplexer das Projekt, desto anspruchsvoller wird es, die vereinbarten Termin-, Qualitäts- und Kostenziele einzuhalten. Eine Studie aus dem Jahr 2015 beziffert die durchschnittliche Kostenüberschreitung bei solchen Projekten mit 73 Prozent [1]. Ausgelöst durch den Stufenplan des BMVI ist Building Information Modeling (BIM) ein wichtiger Impuls für die deutsche Bauindustrie zur Digitalisierung des Bauwesens geworden. BIM bezeichnet eine Methode der vernetzten Zusammenarbeit, die alle relevanten Daten in einem Modell bündelt. Sie wird häufig in den Planungsphasen angewendet, allerdings kommen die Möglichkeiten, die BIM bietet, während der Baurealisierung bisher nur teilweise zum Einsatz. Eine große Herausforderung besteht aktuell immer noch in der Integration von Teilsystemen in eine zentrale Plattform. Dies betrifft z.B. die Vernetzung des erzielten Baufortschritts der Baumaschinen mit der Bauablaufplanung, die As-built-Vermessung oder auch die Bauabrechnung. Diese Daten aus unterschiedlichen Quellen und Modellen sind in der Praxis noch unzureichend verknüpft, um das volle Potenzial der BIM-Methode auszuschöpfen. Außerdem bilden sich vermehr neuartige Ökosysteme 1 auf Bauprojektebene bilden sich und bestehende Partnerschaften weiten sich aus. Dabei entsteht ein hohes Potential, aus der Vernetzung von Systemen und deren Daten Vorteile hinsichtlich der Effizienz aber auch der Qualität der Arbeit in Bezug auf Planung, Projektmanagement und Baurealisierung zu heben. Automatisierungspotentiale können erschlossen und dadurch positive Effekte für die einzelnen Firmen, aber auch die Gesellschaft erzielt werden. Während dies im Kontext von Industrie 4.0 bekannt ist, gibt es in vielen anderen Bereichen noch großen Forschungsbedarf. Dies gilt insbesondere in Ökosystemen, in denen komplexe (Re-)Planungen bzw. Umplanungen und Leistungsänderungen (z.B. Nachträge, Behinderungen und Ablaufstörungen) auf extrem volatile Umgebungskontexte treffen. Die Volatilität des Kontexts drückt sich unter anderem durch die folgenden Faktoren aus: • volatile Beteiligte im Ökosystem: Dies bedingt eine ständige Änderung der Partnersysteme im Ökosys- 1 Unter Ökosystemen verstehen wir ein System von Beteiligten und deren Maschinen und IT-Systemen die einen gemeinschaftlichen Nutzen / Dienstleistung erbringen, aber alle eigenständig mit eigener Zeitplanung agieren. Digitales Ökosystem für die durchgängig vernetzte Planung und Realisierung von Infrastrukturbauprojekten - Forschungsprojekt Infra-Bau 4.0 304 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 tem und gilt sowohl für Beteiligte in der Planung, als auch in der späteren Ausführungsumgebung. • extrem heterogene Systemlandschaft: Im Ökosystem müssen Informationssysteme, mobile Geräte, Fahrzeuge, Eingebettete Systeme mit hoher Leistungsfähigkeit (z. B. Steuergeräte, Edge Geräte / IoT Geräte mit hohen Kapazitäten wie Raspberry PIs) und eingebettete Systeme mit extrem niedrigen Kapazitäten (low power IoT) miteinander vernetzt werden. • Einfluss der Umwelt: Unvorhersehbare Faktoren wie Geologie oder das Wetter können einen starken Einfluss haben, und bedingen somit eine kontinuierliche Umplanung, d.h. Anpassung der Ablaufplanung und ggf. Änderung der Ausführungsplanung mit z.T. gravierenden Folgen für die Termin- und Kapazitätsplanung sowie Finanzplanung. Neben der Baubranche finden sich weitere Beispiele für komplexe Ökosysteme z.B. in der Landwirtschaft, der Planung von Großereignissen sowie der Mitmachlogistik in Ökosystemen der Smart Cities und Smart Rural Areas. Im Unterschied zum Anspruch an I4.0-Systeme (Losgröße 1), sind in solchen Ökosystemen zum aktuellen Stand der Forschung weder eine vollständige Standardisierung der Umgebung, eine einzelne branchenspezifische Plattform zur Orchestrierung, noch eine vollständig automatisierte Umplanung realistisch. Vielmehr muss eine abgestimmte IT-Systemlandschaft mit Entwicklungsmethodiken ergänzt werden, die eine systematisch gestufte Umplanung von Abläufen in einem sich kontinuierlich ändernden, dynamischen Umfeld ermöglichen. Eine umfassende Verknüpfung von Daten, wie wir sie hier skizziert haben, bietet - ebenso wie ein kontinuierlicher Abgleich der Planung mit der Ist-Situation - eine große Chance für Infrastrukturprojekte. Dazu muss es aber gelingen, alle Akteure und Abläufe miteinander zu vernetzen. Aus diesem Grund ist es unser Ziel ein Ökosystem auf Basis einer offenen Integrationsplattform zu entwickeln (vgl. Abbildung 1). Planungsdaten sollen verknüpft und durch umfangreiche »Bauprozessdaten« ergänzt werden, welche die aktuelle Bausituation widerspiegeln. Somit bildet unsere Plattform eine real-digitale Baustelle ab und der Baufortschritt kann zeitnah erfasst, analysiert und optimiert werden. Demnach sind Leistungswerte, Termine, Logistikflächen und Kosten sowie das Bauwerksdatenmodell stets aktuell und ermöglichen eine verlässliche Planung und flexible Umplanung - auch bei kurzfristigen Änderungen. Die Offenheit der Plattform drückt sich auch dadurch aus, dass wir explizit die Heterogenität der Toollandschaft berücksichtigen und befürworten. Weder soll unsere Plattform spezialisierte Tools ersetzen, noch zu einem Lock-In-Effekt führen, da dies dem gesamten Ökosystem schaden würde. Abbildung 1: Lösungselemente der Vernetzung und Umplanung Digitales Ökosystem für die durchgängig vernetzte Planung und Realisierung von Infrastrukturbauprojekten - Forschungsprojekt Infra-Bau 4.0 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 305 2. Unsere Anwendungsfälle Gerade diese komplexe IT-Systemlandschaft führt auch dazu, dass es neben den bereits digital vorhandenen bzw. digital generierten („anfallenden“) Daten auch noch einige Bereiche gibt, in denen derzeit Daten händisch erfasst werden oder auch händisch übertragen oder aktualisiert werden. Gemeinsam mit unseren insgesamt 16 Konsortialpartnern aus Industrie, Wirtschaft und Wissenschaft werden wir uns auf zwei generische Anwendungsfälle für unsere Umsetzung der Demonstratoren konzentrieren. Diese werden im Laufe dieses Jahres anhand von aktuellen „Live“-Projekten der Forschungspartnern gezeigt welche Vorteile und Synergien durch die Vernetzung entstehen können. Die Anwendungen sind daher ganz bewusst gewählt, um zu zeigen, dass nicht nur dieser spezielle einzelne Falldieses ein Projekt davon profitiert. Die Anwendungsfälle zeigen vielmehr auf, dass die von uns entwickelten und auch teilweise noch zu entwickelnde Lösungsansätze auf weitere Anwendungsfälle im Infrastrukturbau übertragbar sind. Anwendungsfall 1: Terminplan - Updates am Beispiel eines Brückenbauprojektes Anwendungsfall 2: Fachmodell-Updates im Straßenbau (Linienbauwerke) mit Geokoordination Bei beiden Anwendungsfällen steht die durchgängige Vernetzung im Vordergrund. Bei den Terminplan-Updates liegt der Fokus auf der Kopplung und beidseitigen Vernetzung zwischen Rahmen- und Detailterminplänen. Sicherlich kennt jeder die Balkenpläne, die Anfang und Ende eines Arbeitsschrittes, bzw. eines Vorgangs (z.B. Betonieren der Stützwand) auf der Baustelle angeben. In der Regel haben diese auch Verknüpfungen zu dem vorhergehenden als auch dem nachfolgenden Arbeitsschritt. Für die Koordination, Planung und Organisation auf der Baustelle ist allerdings eine weitere Detaillierung und Aufgliederung des Vorganges in einzelne Arbeitsgänge (Schalung, Bewehrung etc.) als auch der jeweils dafür benötigten Ressourcen erforderlich: Dies erfolgt dann in der Erarbeitung von Detailterminplänen. Updates und Aktualisierungen werden derzeit meist bestenfalls mündlich als informelle Rückmeldung zurückgegeben und sind nicht direkt an den Rahmenterminplan gekoppelt. Erfolgt eine Rückmeldung müssen die Aktualisierungen als auch die Auswirkungen auf alle damit verbundenen Arbeitsgänge händisch eingearbeitet werden. Durch die avisierte Vernetzung wird eine halb-automatische Aktualisierung vorgenommen. Es erfolgt nicht nur eine Meldung, dass sich hier etwas geändert hat, sondern auch der Vorschlag wie die Anpassung des Terminplanes entsprechend aussehen wird. Sollte es hier unterschiedliche Möglichkeiten geben, können wir mit Hilfe von Simulationen auch eine Entscheidungshilfe, eine Entscheidungsgrundlage nicht nur für den Bauleiter oder das Baustellenteam, sondern auch für den Bauherrn anbieten. In gleicher Weise, allerdings am Beispiel eines Erdbauprojektes, werden wir die Informationen aus der Planung (3D BIM Modell) als Grundlage, nicht nur im Sinne eines Planes sondern auch als digitale Grundlage für die 3D Einsatzplanung. Durch die intelligente Vernetzung werden die Plan-Werte zum Aushub, die Geokoordinaten als auch der Abgleich zwischen geplanten und realen zu erwartenden Aushubmenge pro Tag/ Stunde erfolgen. Sehr spannend ist hier auch die Einbindung der Daten der Baumaschinenhersteller, die auch Rückschlüsse auf Bodenqualität zulassen (durch z.B. Gewicht und Menge des angetragenen Materials, benötigte Kraft für den Aushub und die Aushubgeometrie) und damit auch einen Abgleich mit der Planung erfolgen kann. Sollten Abweichungen festgestellt werden, wird entweder eine Rückmeldung dazu erfolgen, es kann aber auch ein Vorschlag von der InfraBau4.0 Plattform geliefert werden, wie das Problem behoben werden kann oder kann auch erforderliche Änderungen automatisch durchführen und nur noch über die Änderung im System informieren. 3. Das Digitale Ökosystem „Infra-Bau 4.0“ Im gesamten Bauprozess existiert ein komplexes Geflecht verschiedener, am Bau beteiligter Behörden, Unternehmen und anderer Stakeholder. So ist es üblich, dass Unternehmen Unteraufträge an diverse Nachunternehmer vergeben, welche ihrerseits wieder Unteraufträge vergeben. Es ergibt sich daher eine Bauhierarchie, welche sich über diverse Ebenen spannen kann (vgl. Abbildung 2). Abbildung 2: Bauhierarchie und Updates Auf jeder Hierarchieebene (von der Gesamtplanung bis hin zur Umsetzungsebene) gibt es Pläne, welche die entsprechend relevanten Arbeiten umfassen. Dazu zählen Terminpläne, Logistikpläne, Bauwerksmodelle und diverse andere Pläne und Modelle. Dabei verfeinern untergeordnete Pläne die darüberliegenden Pläne. Je nach Art und Rolle des Bauunternehmens können innerhalb eines Unternehmens Pläne für mehrere Detailstufen existieren. Pläne unterschiedlicher Hierarchieebenen liegen in der Verantwortung verschiedener Rollen (z.B. Generalunternehmer, Bauleiter, Polier) und werden mit unterschied- Digitales Ökosystem für die durchgängig vernetzte Planung und Realisierung von Infrastrukturbauprojekten - Forschungsprojekt Infra-Bau 4.0 306 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 lichen, auf diese Aufgabe spezialisierten Werkzeugen bearbeitet. Auf dieser Ausgangslage und auf Basis unserer Anforderungserhebung wurden die folgenden zwei Kern-Probleme identifizieren, die einer digitalisierten und vernetzten Bauausführung aktuell im Wege stehen: • Eine große Anzahl an Systemen, fehlende Standards und proprietäre Datenformate führen dazu, dass es immer wieder zu Medienbrüchen kommt und/ oder Informationen nicht vollständig weitergegeben werden. Die Integration zwischen verschiedenen Firmen, Werkzeugen und Plänen ist daher derzeit sehr lückenhaft anzusehen. • Während die Planung durch BIM inzwischen in großen Teilen digital durchgeführt wird, werden Änderungen am Bau häufig nicht digital kommuniziert und verarbeitet. Planänderungen werden per Telefon weitergegeben, Pläne ausgedruckt. Problemen bei der Bauausführung werden schlecht dokumentiert und nur stark zeitverzögert weitergemeldet. Zusammengefasst werden Änderungen am Bau nicht, stark zeitverzögert oder ausschließlich analog nachgeführt. Infra-Bau 4.0 soll daher als zentraler Datenbroker für Plan- und Ist-Stand-Updates in Bauvorhaben dienen (vgl. Abbildung 3). Der Kerndienst nimmt dabei Planänderungen sowie Änderungen des Ist-Stands auf, harmonisiert sie und verteilt die Updates an die entsprechenden Werkzeuginstanzen, die bei den Ökosystemteilnehmern auf der jeweilig relevanten Hierarchieebene im Einsatz sind. Zielsetzung ist die möglichst schnelle und reibungslose Reaktion auf und Weitergabe von Updates um die Baustelle möglichst reibungsfrei am Laufen zu halten. Dabei gibt es zwei Arten von Updates: • Plan-Updates: Betreffen Änderungen der Planung und werden von oben an die nächsttiefere Hierarchiestufe propagiert. • Ist-Updates: Betreffen Änderungen auf der Baustelle, beziehungsweise der Bauausführung und werden von unten an die nächsthöhere Hierarchiestufe propagiert, sofern eine Lösung auf der gleichen Hierarchieebene nicht möglich ist. Rund um die Plattform und deren Kerndienst bildet sich ein Ökosystem, an welchem der Ökosysteminitiator, verschiedene Toolhersteller 2 und eine Vielzahl von Ökosystemteilnehmern (in unserem Fall die Bauunternehmen) beteiligt sind. Dabei sind substanziell mehr Bauunternehmen als Toolhersteller beteiligt, da jeder Toolhersteller natürlich eine Vielzahl an Kunden bedient. Umgekehrt nutzt ein Bauunternehmen stets mehr als ein Werkzeug, da diese häufig maßgeschneidert für einen bestimmten Zweck sind (z.B. Terminplanung). Des Weiteren kann auch der Bauherr (optional) am Ökosystem beteiligt sein. Im Sinne der intendierten Offenheit der Plattform ist es uns dabei wichtig, dass die Plattform in keiner Konkurrenzsituation mit bereits existierenden Werkzeugen steht und die Teilnehmer ihre Werkzeuge frei wählen können, also insbesondere auch nicht gezwungen werden zu einem anderen / bestimmten Werkzeug zu wechseln. Um möglichst vielen Teilnehmern den Zugang zu unserem Ökosystem zu ermöglichen und um bei Bedarf möglichst schnell auf Änderungen reagieren zu können, müssen die Einstiegshürden - insbesondere für die Baufirmen - möglichst gering sein. Dazu werden Konzepte, Prozesse und Materialien erstellt welche das Onboarding von Tool-Herstellern und Baufirmen so einfach wie möglich gestalten. Das Onboarding soll herbei vorwiegend (semi-)automatisch und hilfsweise manuell stattfinden, wobei in organisatorisches Onboarding (z.B. Abwicklung vertragliche Regelungen) und in technisches Onboarding (z.B. Anbindung der Tools, Durchführen von Sicherheitsüberprüfungen) unterschieden wird. 2 Unter Toolherstellern verstehen wir die Hersteller digitaler Produkte für die Bauwirtschaft (z.B. Planungsanwendungen) und nicht die Hersteller von klassischen Werkzeugen (z.B. Bohrmaschinen). Digitales Ökosystem für die durchgängig vernetzte Planung und Realisierung von Infrastrukturbauprojekten - Forschungsprojekt Infra-Bau 4.0 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 307 Abbildung 3: Digitales Ökosystem „Infra-Bau 4.0“ Die Vernetzung von Firmen, Systemen und Maschinen führt dazu, dass Daten schneller und in größerer Menge vorliegen. Wir nutzen diese Daten für eine algorithmenbasierte Entscheidungsunterstützung in den Tools, basierend auf Simulationen und Prognosen. Dazu kommen auch Digitale Zwillinge von Baumaschinen zum Einsatz. Eine solche algorithmenbasierte Entscheidungsunterstützung Nutzung der Daten funktioniert natürlich nur dann zuverlässig, wenn diese durchgängig eine entsprechende Datenqualität aufweisen. Je nach Anwendungsfall muss daher eine gewisse Aktualität, Genauigkeit oder Granularität der Daten sichergestellt werden. Ebenso müssen die Sicherheit der Daten und die Datensouveränität der Teilnehmer gewahrt werden. Schlussendlich ist der Knackpunkt für jedes Digitale Ökosystem der, dass jeder Teilnehmer sich einen - in der Regel wirtschaftlichen - Nutzen verspricht. Entsprechend müssen Geschäfts- und Ertragsmodelle sowie die Wertschöpfung im Ökosystem aufeinander abgestimmt sein. In der Art wie Bauprojekte heute durchgeführt werden sehen insbesondere die ausführenden Unternehmen wenig Nutzen und Anreiz an einer durchgängigen Digitalisierung teilzunehmen. In diesem Zusammenhang das britische Zielpreismodell im Kontext des Vertragsregelwerkes »New Engineering Contract« in 4. Version (NEC4) hervorzuheben, welches sich auch im BMVI-Endbericht der »Reformkomission Bau und Großprojekten« [2] wiederfindet. Basierend auf der Idee des Zielpreisvertrages wurde die Kernidee des InfraBau- Anreizsystems ausgearbeitet, die den Soll-/ Ist-Kosten- Mechanismus nutzt und dieses u.a. mit der Reporting- Leistung teilnehmender Bauprojektpartner kombiniert, sodass die Updatequalität ausgetauschter Soll- und Ist- Daten über der InfraBau-Plattform als zusätzlicher Verteilerschlüssel für Belohnungen oder Bestrafungen nicht vertraglich eingehaltener Verpflichtungen verwendet werden kann. 4. Fazit Bei großen Infrastrukturprojekten sind viele unterschiedliche Firmen beteiligt. Sie bilden ein zeitlich begrenztes, dynamisches und komplexes Ökosystem. Durch die Realisierung der bereits angesprochenen Bausteine und insbesondere der Möglichkeit sowohl der Informationsbereitstellung als auch der Informationsnutzung als Teil des Ökosystems soll ein Nutzen für die heterogenen und im Zeitverlauf veränderlichen Beteiligten im Bauökosystem geschaffen werden. Für den Bauherrn ergeben sich in erster Linie Vorteile im Hinblick auf die höhere Terminsicherheit, die durch ein verbessertes Monitoring und Controlling des Baufortschritts erreicht wird. Durch eine effizientere Gestaltung und Organisation der Bauprozesse mit Methoden aus dem Lean Management können Zeit- und Kostenvorteile gehoben sowie negative Einflüsse auf die Umwelt verringert werden. Daneben können auch die regelmäßig während des Baus aufkommenden Änderungswünsche durch den Auftraggeber aufgrund der klaren Erkennbarkeit der Prozesswechselwirkungen wesentlich leichter berücksichtigt werden. Für die Planer ergibt sich daraus eine bessere Kontrolle des Baufortschritts. Bei auftretenden Planabweichungen können mittels manueller, teil-automatisierter oder vollautomatischer Korrekturen entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, die durch die automatisierte Dokumentation eine gute Rückverfolgbarkeit und auch Folgenutzung der Baudaten ermöglichen. Sachverständige wie Statiker und Spezialplaner, wie etwa zur Kran-Einsatzplanung, können benötigte Daten über einen Zugang zur Plattform beziehen und ihre Ergebnisse Digitales Ökosystem für die durchgängig vernetzte Planung und Realisierung von Infrastrukturbauprojekten - Forschungsprojekt Infra-Bau 4.0 308 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 einspeisen. Auch Zulieferfirmen und Subunternehmern profitieren von der leichten Anbindung an die Plattform ohne Expertenwissen, und erhalten Zugang zu allen für Sie relevanten Daten in übersichtlicher Form. Dies ermöglicht eine verbesserte Maschinenauslastung und bietet Vorteile durch eine vereinfachte Dokumentation und Abrechnung. Durch die Konzeption der obigen Komponenten erwarten sich die in diesem Konsortium vereinigten Evaluationspartner, dass beispielsweise folgende, typische Situationen nicht mehr auftreten bzw. mit erheblich geringerer Komplexität gehandhabt werden können: Anlieferung von nicht getesteten bzw. nicht zertifizierten Materialien und Bauteilen; Lieferung von abweichenden Mengen (zu viel oder zu wenig); Verzögerungen durch äußere Einflüsse (Umwelt), die nicht zeitnah in den Bauablauf einfließen; durch verschobene Lieferzeiten von Leitgeräten (z. B. Kran) ergeben sich Verzögerungen, die sich dann in alle weiteren Gewerke fortsetzen; durch Einbau von falschem Material große Schäden bei den Bauwerken (vgl. aktuell Rheinquerung Leverkusen im Zuge der BAB 1), die dann sehr zeit- und kostenaufwändig wieder behoben werden müssen. Oft auch noch Jahre nach der Fertigstellung; Probleme in der Dokumentation, da Unterlagen (z. B. Wiegescheine, Zertifikate) und damit Abrechnungsgrundlagen fehlen. Neben den bauseitig zu erwartenden Verbesserungen ist eine bessere Dokumentation als auch Verfügbarkeit und Transparenz der Informationen, des Bauzeitenplans sowie der Kostenentwicklung zu erwarten. Diese Informationen sind nicht nur essenziell für den Bauherren, sondern auch für die Öffentlichkeitsarbeit und die zeitnahe und fundierte Information der Bürgerinnen und Bürger erforderlich. Literatur [1] Kostka, G. & Anzinger, N. (2015): Large Infrastructure Projects in Germany - Between Ambition and Realities. Studie der Hertie School of Governance unterstützt von der Karl Schlecht Stiftung (KSG). [2] Püstow, M., May, I. & Peitsch D. (2015). Reformkommission Bau von Großprojekten. Komplexität beherrschen - kostengerecht, termintreu und effizient (Endbericht). Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). https: / / www. bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Publikationen/ G/ reformkommission-bau-grossprojekte-endbericht.pdf? __ blob=publicationFile. Anerkennung: Das Forschungsprojekt InfraBau4.0 wird vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gefördert. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 309 BIM im Brückenbau - Typische Fragen und praktische Lösungsansätze Andreas Müller Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten, Deutschland Michael Frey Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten, Deutschland Zusammenfassung Die Digitalisierung des Bauwesens verändert u.a. Leistungsbilder und Methoden für die Erbringung der Leistungen und wird heute häufig unter dem Akronym BIM zusammengefasst. Vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) wurde im Dezember 2015 der „Stufenplan Digitales Planen und Bauen“ veröffentlicht [1]. Demnach ist die standardmäßige Anwendung der Arbeitsmethodik Building Information Modeling im gesamten Verkehrsinfrastrukturbau bei neu zu planenden Projekten ab Ende 2020 vorgesehen. Über ausgewählte Erfahrungen aus der „Erweiterten Pilotphase (Niveau I)“ im Brückenbau wird im Rahmen dieses Beitrages aus Planer-Perspektive berichtet. Für „typischen Fragen“ werden Lösungsansätze beschrieben und angedeutet, welche Mehrwerte BIM für Planung und Bauausführung aus der Perspektive des Planers generieren kann und wo Entwicklungspotentiale bestehen. 1. Hintergrund Die nachstehende Definition macht deutlich, dass sich hinter dem Akronym „BIM“ nicht nur eine 3D-Planung verbirgt, sondern neue Methoden, Rollen und Werkzeuge: „Building Information Modeling (BIM) bezeichnet eine kooperative Arbeitsmethodik, mit der auf der Grundlage digitaler Modelle eines Bauwerks die für seinen Lebenszyklus relevanten Informationen und Daten konsistent erfasst, verwaltet und in einer transparenten Kommunikation zwischen den Beteiligten ausgetauscht oder für die weitere Bearbeitung übergeben werden.“ (aus [1], [2]). Trotz vorliegender Definitionen und Beschreibungen von BIM-Anwendungsfällen (siehe z.B. [4]) kann es zu unterschiedlichen Erwartungshaltungen kommen. Von den Autoren dieses Beitrags werden und wurden seit dem Jahr 2017 verschiedene Brückenbauprojekte in unterschiedlichen Leistungsphasen BIM-basiert bearbeitet. Ausgewählte Fragen, die während der Bearbeitung dieser Projekte auftraten oder sich rückblickend stellen, werden im Rahmen dieses Beitrages beantwortet - und zwar aus der subjektiven Sicht der Autoren, die in den Projekten ausschließlich die Rolle des „Planers“ innehatten. Bei den BIM-basiert bearbeiteten Projekten handelt es sich gemäß der Definition aus [2] um keine Großprojekte (d.h. Investitionsvolumen < 100 Millionen Euro). Recherchen im Rahmen der Erstellung eines BIM-Leitfadens für Deutschland [3] lassen darauf schließen, „dass die [BIM-]Methode grundsätzlich an Projekten aller Größen wertschöpfend einsetzbar ist.“ Die von den Autoren BIM-basiert bearbeiteten Projekte werden im Folgenden nicht näher vorgestellt und nicht explizit benannt. Die projektübergreifenden Erkenntnisse und Lösungsansätze sollen im Vordergrund stehen. 2. Typische Fragen und Lösungsansätze BIM ist doch viel schneller und günstiger als die bisherige Planungsmethode oder? Durch die Verwendung von Modellen ergeben sich neue Möglichkeiten. Dabei ist es wichtig, diese Möglichkeiten zu erkennen und Schritt für Schritt die hier liegenden Potentiale, zu heben. Aktuell werden im BIM Prozess Modelle UND Pläne erstellt. Informationen, die bereits im BIM-Modell enthalten sind, müssen nochmals in einer anderen Form (Plandarstellung) den Projektbeteiligten zur Verfügung gestellt werden, was einen gewissen Mehraufwand erzeugt. In Zukunft wird es daher immer wichtiger, dass die Modelle in der Breite mehr Anwendung finden und die bisher gängigen Arbeitsweisen und Richtlinien, sich darauf adaptieren. Einen weiteren Aspekt stellen die immer noch fehlen-den Standards, bzw. auch die nicht Konsolidierung dieser, BIM im Brückenbau - Typische Fragen und praktische Lösungsansätze 310 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 dar. Dadurch ist es momentan noch schwierig, ausreichende Wiederholungs- und Einarbeitungseffekte bei der Projektbearbeitung zu erzielen. Welche Vorteile bietet ein Bestandsmodell? Was sollte enthalten sein? Im Sinne des BIM4INFRA-Anwendungsfalls 1 „Bestandserfassung“ (vgl. [4]) kann ein Bestandsmodell aus mehreren Fachmodellen bestehen - z.B. mit folgenden Inhalten: • Bestandsstrecke • Umgebung (DGM, Orthofotos, 3D-Gebäudemodelle, Kataster, Angaben des Umweltplaners, etc.) • Sparten + Medien (Bestand und ggf. Neuverlegung) • Bestehende Ingenieurbauwerke Ein vollständiges und genaues Bestandsmodell ist eine ideale Planungsgrundlage. Im 3D-Modell können z.B. Kollisionen zwischen Sparten und geplanten Verbauelementen rechtzeitig erkannt und durch Umplanungen vermieden werden. Wichtig ist eine möglichst wirklichkeitsnahe Modellierung von Sparten. Dies betrifft z.B. den Durchmesser und die Höhenlage eines Abwasserkanals oder den Schutzraum um eine Gasleitung. Für die Planung der in Bild 1 dargestellten Brücke war die Modellierung der bestehenden und neuverlegten Sparten sehr hilfreich. Ist für eine Planungsvariantenuntersuchung in LPH 2 eine BIM-basierte Bearbeitung „notwendig“? Wenn für jede Planungsvariante ein eigenes Teilmodell erstellt wird, kann dies im Vergleich zu einfachen 2D- Zeichnungen zunächst zu einem Mehraufwand bei der Planung führen. Die Modelle können jedoch z.B. die Mengenermittlung als Grundlage für die Kostenschätzung vereinfachen. Als sehr hilfreich erwiesen sich die 3D-Modelle von Planungsvarianten bei Abstimmungen mit Trägern öffentlicher Belange (TÖBs) und weiteren Planern (z.B. Umweltplaner), da sie zum schnellen Verständnis beitrugen und die Unterschiede zwischen einzelnen Varianten anschaulich erläutert werden konnten. Die Teilmodelle stellen außerdem die Basis für Visualisierungen dar. Bereits anhand von vergleichsweise einfachen nicht-fotorealistischen Visualisierungen können gestalterische Aspekte aus unterschiedlichen Betrachtungspositionen beurteilt werden (vgl. Bild 2). Trotz der genannten Vorteile werden von den Autoren nicht alle Vorplanungen BIM-basiert bearbeitet. Z.B. bei Ersatzneubauten mit eingeschränktem Gestaltungsspielraum kann eine klassische 2D-Planung als Grundlage für die Variantenentscheidung weiterhin ausreichend sein. Wie können bzw. müssen die aus Modellen abgeleiteten Pläne in der Vorplanung oder Entwurfsplanung aussehen? Sind Abweichungen von RAB-ING-Vorgaben möglich bzw. sinnvoll? Die Ableitung von RAB-ING-konformen 2D-Plänen aus Entwurfs- und Vorplanungsmodellen kann mehr oder weniger aufwändig sein. Besondere Schritte sind z.B. für die Ableitung eines abgewickelten Längsschnittes durch einen im Grundriss gekrümmten Überbau erforderlich. Die Planableitung erfolgt daher vorzugsweise erst am Ende einer Leistungsphase. Abstimmungen erfolgen davor am Koordinations- oder Teilmodell. In der Vorplanung (LPH 2) kann es ausreichend sein, wenn auf 2D-Plänen anstelle eines Längsschnittes durch das Brückenbauwerk nur eine Ansicht dargestellt wird. Klassische Entwurfspläne könnten z.B. durch isometrische Darstellungen ergänzt werden. Aus Sicht der Autoren ist es wünschenswert, wenn Beispielpläne aus BIM-Projekten allgemein zur Verfügung gestellt werden könnten. Dies würde die Akzeptanz von Abweichungen gegenüber bisher üblichen Darstellungen erhöhen. Wie können Modelle geprüft werden? Wenn bemaßte 2D-Pläne erst am Ende einer Leistungsphase aus den Modellen abgeleitet werden, müssen vorab durchgeführte Prüfungen am Modell erfolgen. Da dem Auftraggeber in der Regel nicht das native Modell und die native Software zur Verfügung stehen, ist die geometrische Prüfung u.U. nicht unproblematisch. Für die Überprüfung von Querschnittsabmessungen müssen in der Koordinationssoftware Schnitte senkrecht zur (gekrümmten) Achse erzeugt und die geschnittenen Elemente exakt bemaßt werden können. Die Anforderungen des Auftraggebers sollten vor der Modellerstellung bekannt sein. Wie nützlich ist ein 3D-Bewehrungsmodell in der Ausführungsplanung? Selbst wenn - wie bisher üblich - 2D-Bewehrungspläne zu erstellen sind, können die erzeugten 3D-Bewehrungsmodelle sehr nützlich sein: • Die Vollständigkeit und die Einbaubarkeit der Bewehrung kann einfacher überprüft werden. • Für Bereiche mit hohen Bewehrungskonzentrationen kann eine Einbausimulation erstellt werden. • Teilautomatisierte Kollisionsprüfungen und Abstandkontrollen können zu einer Qualitätsverbesserung beitragen. Aus Sicht der Autoren wäre es wünschenswert, wenn vermehrt 3D-Bewehrungsmodelle für die Bauausführung und Bauüberwachung benutzt würden. International wird bereits aufgezeigt, wie Brücken modellbasiert in der Bauausführung erstellt werden. Die Bewehrungsverlegung anhand des Modells stellt dabei BIM im Brückenbau - Typische Fragen und praktische Lösungsansätze 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 311 einen der Schlüsselanwendungsfälle bei der Umsetzung auf der Baustelle dar. In welchen Fällen ist eine 4D-Bauablaufsimulation hilfreich? Bevor der Detaillierungsgrad einer 4D-Bauablaufsimulation festgelegt wird, sollte feststehen, für welchen Zweck die Simulation zu erstellen ist. Eine zielgerichtet erstellte Simulation kann bei Abstimmungsprozessen in der Entwurfs- oder Genehmigungsphase sehr hilfreich sein. Ein unnötiger Zusatzaufwand kann vermieden werden. Warum 5D und wann? Ist 5D immer vollautomatisiert? Bei einer 5D-Simulation wird - vereinfacht formuliert - das 3D Modell mit Vorgängen aus dem Bauzeiten / bzw. Gesamtterminplan und Positionen des Leistungsverzeichnisses verknüpft. Dadurch kann die Kostenentwicklung über die Projektlaufzeit ausgewertet werden. Für eine zielgerichtete Erstellung ist es von Vorteil nur ausgewählte LV-Positionen zu verknüpfen. Häufig ist es ausreichend die sogenannten A-Positionen, welche 80% der Gesamtkosten ausmachen, zu betrachten. Das Thema 5D wird häufig als eine vollautomatisierte Black Box betrachtet, an deren Ende alles mit allem und jedem verknüpft ist. Die Erfahrung im Infrastrukturbau hat hier aber gezeigt, dass weniger, häufig mehr ist. 5D Simulationen können in vielen Fällen auch durch manuelle Verknüpfung zwischen Bauteil, Terminplan und Kosten erstellt werden. Sollte eine automatisierte Zuweisung notwendig sein, muss im Vorfeld ein eindeutiger Schlüssel („Matchkey“) definiert werden. Kann BIM auf der Baustelle eingesetzt werden? Die Verwendung von Modellen auf der Baustelle er-folgt aktuell nur in geringem Umfang. Ein Pilotprojekt zeigt hier aber plakativ allen Beteiligten den Mehrwert auf. Im Vertragsverhältnis AG (Bauoberlei-tung/ Bauüberwachung) und AN (Bauausführung) wer-den alle notwendigen Dokumentationen (Bewehrungs-abnahme, Mängelmanagement, Fotodokumentation, etc.) über das Modell abgewickelt und direkt am Bau-teil verortet. Alle Projektbeteiligten haben über mobile Anwendungen jederzeit Zugriff auf die Projektdaten und können ihre Aufgaben managen. Die Pläne stehen im Modell ebenfalls zur Verfügung und können entsprechend ihrer Lage angezeigt werden (Bild 3). Neben der Dokumentation ermöglicht diese Arbeitsweise auch datenbankbasierte Auswertungen. Mittels eines Dashboards kann der Projektverlauf jederzeit ausgewertet und visualisiert werden. Wie sieht ein as-built Modell aus und wofür kann es nützlich sein? Welche Elemente und Informationen ein as-built Modell enthalten soll, hängt von den Anforderungen des Nutzers ab. Mögliche und sinnvolle Inhalte von as-built und asmaintained Modellen wurden und werden in einem aktuellen BASt-Forschungsprojekt unter Federführung der Technischen Universität München (Prof. Borrmann) zusammengestellt und bewertet ([5]). Berücksichtigt werden dabei typische Anforderungen und Szenarien im Erhaltungsmanagement - wie z.B.: • Bauwerksprüfung • Nachrechnung • Schwertransporte • Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen • Erweiterung des Bauwerks in Form von Um- und Ausbau • Auswertung von Netzstatistiken Erkenntnisse aus dem BASt-Forschungsprojekt sind in die Erstellung des in Bild 4 dargestellten as-built Modells eingeflossen. Es entspricht im Wesentlichen dem digitalen Bauwerksmodell, das im Zuge der Planung des Bauwerks erstellt wurde. Es handelt sich jedoch um eine überarbeitete und erweiterte Version des Entwurfs- und Ausführungsplanungsmodells. Im vorliegenden Fall wurden zusätzlich zu sematischen auch geometrische Anpassungen im Bereich des Fahrbahnbelages, der Kappen und der Oberseite des Konstruktionsbetons vorgenommen. Die Modellerweiterungen betreffen im Wesentlichen die Ergänzung bzw. Verlängerung von Lärmschutzwänden im Straßendammbereich. Von der im Zuge der Ausführungsplanung komplett modellierten Bewehrung sind im as-built Modell nur die Spannglieder enthalten. Das as-built Modell ist ein Bestandteil der digitalen Bauwerksakte. Kombiniert mit weiteren Bestandteilen, wie z.B. den Daten die entsprechend der ASB ING in SIB- Bauwerke vorgehalten werden, stellt die digitale Bauwerksakte die wesentliche Informationsgrundlage für die oben genannten Anwendungen aus dem Erhaltungsmanagement dar. Übergeordnete Auswertungen sind möglich, wenn viele digitale Bauwerksakten mit filterbaren Informationen vorliegen. BIM im Brückenbau - Typische Fragen und praktische Lösungsansätze 312 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 1: Beispiel für ein Bestandsmodell mit Sparten und Verbauten Bi Abbildung ld 2: Beispiel einer „einfachen“ Visualisierung einer LPH-2-Planungssvariante für einen Brückenneubau (im Auftrag von Hessen Mobil von der Konstruktionsgruppe Bauen AG in Zusammenarbeit mit Boll und Partner erstellt) BIM im Brückenbau - Typische Fragen und praktische Lösungsansätze 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 313 Abbildung 3: Beispiel für eine kombinierte Darstellung zwischen Modell und Regelquerschnitt Abbildung 4: Beispiel für ein as-built Modell 3. Zusammenfassung und Ausblick Die Einführung von BIM im Brückenbau ist - in Anlehnung an [3] - als „langfristige und weitreichende Herausforderung“ auf unterschiedlichen Ebenen zu betrachten („Unternehmen, Mitarbeiter, Organisationen, Prozesse, Methoden, Technik und Werkzeuge“). Es ist hilfreich, sich die BIM-Methode als Informationskreislauf vorzustellen, der nicht nur bauwerksspezifisch sondern übergeordnet von Bedeutung ist. Welche Information in welcher Phase in welcher Form von wem bereitgestellt werden muss, ist im BIM-Kontext bisher nicht so klar geregelt, dass Missverständnisse ausgeschlossen werden können. Da es sich bei der digitalen Transformation um einen dynamischen Prozess handelt, ist eine schrittweise Vor- BIM im Brückenbau - Typische Fragen und praktische Lösungsansätze 314 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 gehensweise sinnvoll und zwar nicht nur übergeordnet, wie im Stufenplan [1] vorgesehen, sondern auch im Ingenieurbüro als Planer von Brückenbauwerken. Über ausgewählte, eigene Erfahrungen ist oben berichtet worden. Zusammenfassend lässt sich bisher Folgendes feststellen: • Die Anwendung der BIM-Methode ist zumindest in der Lern- und Abstimmungsphase mit einem Zusatzaufwand verbunden. • Ein Zusatzaufwand entsteht auch dadurch, dass zusätzlich zu den BIM-Modellen herkömmliche 2D- Pläne zu erstellen sind. Planableitungen aus BIM- Modellen funktionieren bisher nicht vollautomatisch. Manuelle Nacharbeiten auf den Plänen, wie z.B. das Ergänzen von Beschriftungen, Maßketten und Details, führen dazu, dass sich Modellanpassungen nicht automatisch und konsistent auf alle Planinhalte auswirken. • Um zu guten Endergebnissen (Brücken) zu kommen, ist die „Richtigkeit“ von Planungsgrundlagen, der eigentlichen Planung und der Ausführung nach wie vor entscheidend. • Die BIM-basierte Planung liefert Modelle und Werkzeuge, die bei der Qualitätskontrolle sehr hilfreich sein können (siehe z.B. Bestandsmodell, 3D-Bewehrungsmodell). • Die Prüfung der Richtigkeit von Planung und Ausführung erfordert nach wie vor Zeit und Expertise. • Ein gutes Endergebnis (Brücke) ist nur erzielbar, wenn alle Beteiligten konstruktiv, ohne Vorbehalte und engagiert zusammenarbeiten. • Die BIM-Methode liefert Möglichkeiten, Abstimmungsprozesse unmissverständlicher zu gestalten. Weitere Fortschritte bei der Anwendung der BIM-Methode sind zu erwarten, wenn Folgendes erreicht wird: • Komplettierung des Informationskreislaufes (Ziel: klare Vorgaben bzgl. der Inhalte von as-built Modellen, etc.) • Standardisierte Vorgaben bzgl. Bauteiltypen, Attribuierung, Detaillierungsgrad, etc. (Ziel: Projektbzw. AG-übergreifende Nutzung von Vorlagen) • Bereitstellung von Musterbeispielen für den BIM- Output (2D / 3D / 4D / 5D) (Ziel: einfacher Abgleich von Erwartungshaltungen; Grundlagen für die Angebotskalkulation) • Leistungsfähige Koordinationssoftware und zukunftsfähige, herstellerunabhängige Austauschformate (Ziel: einfache, aber genaue Geometriekontrolle ohne die native Software; Ermöglichung von Modellanpassungen bei as-maintained Modellen) • Vorgaben und Regelungen zu modellbasierten Prüfungen (Ziel: verstärkte Nutzung von Modellen) • Verwendung der „BIM-Modelle“ bei Ausschreibungen und in der Bauausführung Die bisherigen BIM-Erfahrungen wurden durch eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit mit unseren Auftraggebern, Projektpartnern und unserem Team bei der Konstruktionsgruppe Bauen AG erzielt. Bei allen möchten wir uns hiermit ganz herzlich bedanken - insbesondere bei: • Autobahndirektion Südbayern (jetzt: Autobahn GmbH) • Hessen Mobil • Deutsche Bahn AG • Boll und Partner • Bernd Gebauer Ingenieure • Max Bögl • Technische Universität München Literaturverzeichnis [1] BMVI: Stufenplan Digitales Planen und Bauen (Dezember 2015) [2] BMVI: Endbericht der Reformkommission Bau von Großprojekten (Juni 2015) [3] BMVBS: BIM-Leitfaden für Deutschland. Endbericht der ARGE AEC3 & OPB 2013 [4] ARGE BIM4INFRA2020: Handreichungen und Glossar (https: / / bim4infra.de/ handreichungen/ zuletzt abgerufen am 30.04.2021) [5] BASt-Forschungsprojekt: Building Information Modeling (BIM) im Brückenbau. FE 15.0622/ 2016/ RRB (Zwischenberichte der Technischen Universität München in Zusammenarbeit mit der Konstruktionsgruppe Bauen AG) Verkehr 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 317 Virtual urban traffic infrastructure for testing highly automated mobility systems Rene Degen CAD CAM Center Cologne (4C) at Cologne University of Applied Sciences, Cologne, Germany. Division of Electricity, Department of Electrical Engineering, Uppsala University, Uppsala, Sweden. Harry Ott CAD CAM Center Cologne (4C) at Cologne University of Applied Sciences, Cologne, Germany. Division of Electricity, Department of Electrical Engineering, Uppsala University, Uppsala, Sweden. Fabian Overath CAD CAM Center Cologne (4C) at Cologne University of Applied Sciences, Cologne, Germany. Florian Klein Hoersch und Hennrich Architekten GbR, HHVISION, Cologne, Germany. Martin Hennrich Hoersch und Hennrich Architekten GbR, HHVISION, Cologne, Germany. Dr. -Ing. Christian Schyr Advanced Solution Lab, AVL Deutschland GmbH, Karlsruhe, Germany. Prof. Dr. Eng. Mats Leijon Division of Electricity, Department of Electrical Engineering, Uppsala University, Uppsala, Sweden. Prof. Dr. rer. nat. Margot Ruschitzka CAD CAM Center Cologne (4C) at Cologne University of Applied Sciences, Cologne, Germany. Abstract Recently, virtual realities and simulations play important roles in the development of urban traffic infrastructure. By an appropriate abstraction, they help to design, investigate and communicate inner-city development processes. Especially, to investigate interactions between infrastructure and future mobility participants, a valid virtual model is essential for functionality and reliability. The aim of this study is the investigation of interactions between a virtual infrastructure model and virtual sensor models of highly automated mobility systems. The overall system consists of a georeferenced virtual city model and probabilistic sensor models, which are part of an automated vehicle model. The virtual environment comprises a comprehensive, virtual 3D model of a representative German inner-city scene, considering specific height coordinates. The probabilistic sensor models represent real radar and lidar sensors and comprehensively replicate their physical functionality in a virtual environment. Considering different levels of detail, the realistic representation of physical effects of the virtual city model on the virtual sensors is investigated. The investigated scenarios are derived from representative urban traffic situations. The complexity as well as the level of information of the virtual city scenarios is iteratively increased. Subsequently, the effects on the model validity of the overall system is checked and analysed. The results show that the developed virtual environment performs well for different levels of detail of representative virtual traffic scenes. In addition, the selected modelling depth is very suitable for the high-performance investigation of interaction between virtual urban environment and virtual autonomous vehicle. Virtual urban traffic infrastructure for testing highly automated mobility systems 318 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 1. Introduction Simulation methodologies play an important role in the development of modern mobility solutions. Thereby, mobility is often defined by technical vehicle solutions. In this paper the interaction of urban traffic infrastructure and technical mobility solutions is investigated. The aim is to generate information about how urban traffic infrastructure has to be designed to enable safe and future oriented automated mobility. Therefore, a virtual traffic infrastructure is developed, which includes mobility solutions as well as urban infrastructure. The structure of this paper is shown in Figure 1. Figure 1: Structure of the virtual traffic infrastructure 2. Virtual (City) Environment The virtual environment is separated into the geometrybased illustration of the city and the functional based implementation of traffic flows. Figure 2: Structure of the Virtual Environment 2.1 Virtual City Model The used virtual city model bases on a detailed laser scanned model of the city geometries. They include all kind of georeferenced parameters considering position, orientation and general dimensions. To decrease the amount of data und increase the quality of the surfaces, the laser-scanned data are reduced and retopologized first. Therefore, especially the level of detail is decreased and just the general city structure is captured. A example is show in Figure 3. Figure 3: Reworked City Geometry Model For the further procedure, the buildings, which are shown in the Figure 3 are separated out of the city geometry model and reworked individually up to a minimum detail level of Figure 3.With respect to the level of detail of the real building, the geometrical information of the virtual model is added. Especially, sharp contours of windows and balconies have to be reworked to approximate the reality. Afterwards the individual buildings were included separately info the Virtual Reality (VR) environment. The included model is schematically shown in Figure 4. Figure 4: Geometrical building models in VR In this model, each building is individually rebuild and textured to look like the real one. Additionally, the virtual buildings are fitted with meta-data to include specific information into the model. Afterwards, each building is positioned individually, whereby the virtual city model is recreated like the real city. In the same way, the city furniture is modelled and included into the city model in VR. Examples for these textured objects are shown in Figure 5. Virtual urban traffic infrastructure for testing highly automated mobility systems 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 319 Figure 5: Examples for city furniture in VR Finally, the virtual city model is illuminated by virtual light effects. Therefore, a virtual light model is developed. This determines the individual interactions of lights and shadows depending the direction of the light sources in the scene. By using the virtual light model, individual scenarios like the sunset, a foggy day or the nocturnal darkness can be created. 2.2 Virtual Traffic Model To supplement the virtual city environment, the geometrical city model is augmented by a virtual traffic model. Therefore, on the one hand, the georeferenced model is textured to look like real street illustration and on the other hand, virtual vehicles, including trajectory-planning algorithms, are added. For texturing, especially two main aspects are represented. First, the traffic lines at the street-surface, second, the road composition are rebuild. An exemplary illustration of a virtual road is shown in Figure 6. It is important that the road signs and signal lights are correctly designed and placed in a country-specific manner, so that they can be identified by the sensors of the vehicles. Figure 6: Exemplary illustration of a virtual road To generate target trajectories for the simple virtual vehicles, the spline-path-follow-methodology is used. Therefore, the geometrical road is attributed by a spline. It is formed by connecting points between which the spline is interpolated. Thereby, each dot has three coordinates to specify its position. The course of the spline is generated depending on the previous and following dot, which smooths the spline course. Additionally, the spline course can be adjusted manually. Figure 7 shows a spline development based on dots. Figure 7: Schematically course of a spline path By adding the spline-paths as target trajectories for the automated virtual vehicles, the virtual traffic is initialized. The virtual vehicle dynamic is based on a simplified vehicle dynamic model by the Nvidia PhysX Engine in the Unreal Engine. The trajectory controller is set up as a look ahead control. The steering angle is calculated by determining the difference between the look ahead point in front of the virtual vehicle and the target trajectory. Additionally, the vehicle velocity can be specified to complete vehicle trajectory design. The throttle input is calculated according to this speed limit. Additional to the speed limit, each spline contains references to possible succeeding splines. When a vehicle reaches the end of a spline, a succeeding spline is randomly chosen and the vehicle will follow a new spline. Each new spline contains the rules like, speed limits and possible spline changes. Furthermore, the spline paths can be adapted by traffic functionalities like traffic lights. Methodically, bounding boxes around the objects are used for the interaction between the vehicles and the relevant traffic objects. If a vehicle bounding box crosses a traffic objects bounding box, for example a traffic light, a reference of the traffic light controller is passed to the controller of the vehicle. This reference contains the current state of the intersection e.g. the state of the traffic light. The controller of the vehicle then decides, depending on this state, whether it should continue driving or break and wait for the traffic light. A schematically illustration of an intersection traffic light scenario is shown in Figure 8. Virtual urban traffic infrastructure for testing highly automated mobility systems 320 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Figure 8: Signal light intersection In summary, the virtual city environment consists of a georeferenced inner city model attributed by an automated traffic model. In connection, a comprehensive urban traffic simulation is set up, which schematically represents real inner city traffic situations. 3. Virtual Vehicle The interaction between automated mobilities and city infrastructures is an important issue in current automotive research activities. Hence, the following section will introduce an innovative virtual vehicle model for the representation of automated vehicle functionalities. The goal is the simulation of realistic vehicle behaviors in urban traffic situations. Figure 9 shows the general structure of the used and implemented model network. Figure 9: Model structure of the virtual vehicle The core of the research environment is a highly authentic, visually realistic, georeferenced virtual reality city scene. To enable the mentioned interactions, the model is augmented by two submodels. A dynamic pedestrian avatar model, steered by a real-time network motion capturing and a vehicle model, including a physically correct dynamic model and three sensor models. The vehicle avatar serves as an interface to implement real vehicle functions into the scene. Its implementation is done in a closed loop communication between MATLAB and the Virtual Reality engine via network. Finally, three sensor models, implemented in the virtual city model, aim to simulate the recognized surrounding data by the vehicles sensors. The visualization and potential further processing of the Radar and Lidar datasets takes place in MATLAB. The data transmission is done by network protocol again. The aim is not only to simulate the data in a high realistic way, but also to create a decentralized structure that makes it possible to test complex scenarios independent of the location. The following sections show the detailed structure and the implementations of the described models. 3.1 Vehicle Dynamic Model To represent the real vehicles behavior of the ego vehicle, it is necessary to simulate the influences of the vehicle dynamics depending on the scenes environmental influences in a realistic way. Caused of real-time claims, it is important to find a complexity level that represents the cars movements in a sufficient accuracy, without taking too much computation resources. Most virtual reality environments, like the used Unreal Engine, aim not to implement physical simulation models. Therefore, the determination of the vehicle dynamics model is built in MATLAB Simulink. It is composed of different sub models, as shown in Figure 10. Figure 10: Vehicle dynamics model with sub models and steering input By using a five body model, the vehicle vertical dynamics are simulated. The body’s represent the vehicles main masses, consisting of the chassis and the four wheels. The wheels are stimulated by a foot-point stimulation depending of the surface-condition of the street. This allows the interaction of the model and the virtual city environment. A double track model simulates the lateral dynamics of the vehicle. Additional models also represent the drivetrain and the slip angle dependency of the tires as well as environmental influences like rolling, air and gradient resistances. The steering of the model can either be controlled manually by a user input or automated by a driver model. For the manual steering, all common input devices can be connected to Simulink. This allows the user to move Virtual urban traffic infrastructure for testing highly automated mobility systems 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 321 freely within the virtual scene and test the model network in various scenarios. For a better reproducibility, an automated driver model is implemented. It uses pre-defined spline paths, created in the virtual city environment and exported to MATLAB. The implemented path following algorithm bases on a pure pursuit controller, like described in (Samuel, 2016). It controls the vehicles steering input by following look ahead points in front of the car lying on the defined spline path. Theoretically, a dynamic path depending on the current driving state could replace the predefined spline path in MATLAB. Since pathplanning algorithms are not part of the current work, this topic will not be further discussed. A vehicle avatar in the Unreal Engien connects the simulation model with vehicle geometries in the urban city environment. By connecting these models, a highly efficient Co-Simulation is realized. 3.2 Lidar Sensor Model A typical environmental sensor for vehicle automation is the Lidar sensor. Therefore, in the following chapter, a Lidar sensor model for the application in VR is introduced. The technology uses laser beams to scan the surrounding. Multiple beams are sent either one after the other or at the same time. Depending on the transmission characteristics, the systems can be divided into single beam and multi beam scanning Lidars. Since the following model aims to simulate the physical properties of a Lidar, the scanning principle is not relevant for further considerations. It is only important that a possibility is provided, to control the shape and resolution of the Lidar field. For each sent Laser beam, time the light takes to travel to the target object and back to the sensor is determined. According to (Winner et al, 2016) this can be used to compute the distance as described in Equation 1. d c t of 0 2 (1) In this equation, c 0 represents the speed of light, t of is the duration the light travels and d is the distance to the target object. Since it is not possible to simulate the speed of light in a virtual environment, a substitution model is needed. Therefore, the so called linetracing or raytracing methodology is used. These virtual rays are defined by a starting point and an endpoint. If a ray hits an object within the scene, predefined information like the impact location were returned. To enable the coverage corresponding to a real sensor, the field in front of the virtual car is scanned at frequently. The azimuth and the elevation angle define the area of interest. For the discretization of the field, the angular resolution of the sensor in the respective direction is used. With that, the complete azimuth range is scanned, as shown in Figure 11. Then the elevation angle is incremented and the azimuth angle get scanned again, until the whole field is covered. Figure 11: Discrete scanning of the Lidar field If a ray hits an object, an algorithm is executed, computing the relevant data of the Lidar recognition. The aim is to determine whether a point is detected by the Lidar. An important value for this decision is the signal to noise ratio (SNR), as defined in Equation 2. SNR P P r n = (2) Here P r represents the power received from the Lidar and P n is the sum of the induced noise powers. The higher the SNR value, the greater the probability of detection. Corresponding to (Winner et al., 2016), (Kim et al., 2013) and (Kernhof et al., 2018) and through additional adaptations and assumptions the fraction of the received power can be expressed by Equation 3. P A P Q d r t r t sys i V 2 3 cos( ) (3) In this equation, ρ t is the reflectance coefficient of the target object; A r represents the receiving lens area; τ stands for the atmospheric transmission coefficient; η sys are the summarized system losses; θ i is the incidence angle of the light beam on the objects surface and Q V stands for the divergence of the shot beam. For the implementation of this equation into the virtual reality, most of the parameters can be passed as variables. Only the incidence angle and the targets distance depends of the linetraces. The distance can directly be read out of the linetrace results, the incidence angle can be computed by equation 4 using the incidence vector i and the surface normal n at the impact point. i i n i n cos 1 (4) Besides the received power, the noise powers acting on the Lidars receiving systems need to be determined. They are mainly composed of the sun induced noise and the dark current noise. The sun induced noise is generated by sunlight illuminating the targets surface and impinging the sensor. Equation 5, according to (Kim et al., 2013), can compute the power of this noise source. Virtual urban traffic infrastructure for testing highly automated mobility systems 322 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 P E B A IFOV sun Si t r sys 2 (5) E Si represents the illumination intensity of the sunlight, B λ is the electromagnetic bandwidth of the receiving unit and IFOV is the instantaneous field of view. In case the same optics for receiving and transmitting the signals is used, the IFOV corresponds to the beam divergence. Thermal effects of the photo element generate the dark current noise. For the computations of this noise, Equation 6 is used. P I DK D max (6) Here, I D stands for the dark current and R max represents the maximum sensitivity of the photo element. Both parameters can usually be found in the datasheets of photo elements. By this, it is now possible to compute the signal to noise ratio and make a decision whether a point gets recognized or not. The computation is computed for every ray hitting an object within the scene. At every simulations step different metadata like the SNR-value and the determined powers are generated. However, it is problematic, that the coordinates of captured points are shown as perfectly accurate values. Real Lidar sensors have a limited resolution due to the time capturing system, amplifications and analog to digital conversions (Kernhof et al., 2018). Since commercial sensors differ in capturing technologies and used hardware, it is not feasible to model these inadequacies accurately. Instead, the influence of the acting inadequacies are displayed. In the given case, this is done by multiplying the resolution, provided by most sensor manufacturer, with a white Gaussian noise and adding the result to the distance value. Therefore, all relevant data are known and ready for further processing. To enable this, the values are stored in arrays and sent to MATLAB by an UDP communication. To generate a practical reference, the sensor is parametrized according to the Valeo SCALA 3D Laser Scanner, a commercial serial product for ADAS applications. The determined values shown in Table 1 Parametrization of the virtual Lidar according to the Valeo Scala sensor are mainly taken from the sensors datasheet (Hexagon, 2021). All missing values are adopted from the datasheet of a typical photodiode (Hamamatsu, 2018) and the literatures (Weber, 2018) and (Kim, et al., 2013). The environmental parameters like the atmospheric transmission coefficient or the irradiance of the sun are set dynamically within the virtual scene, depending on the particular study. Symbol Value Unit Azimuth Angle ϕ tot 145 deg Elevation Angle ϑ tot 3.2 deg Azimuth Resolution Δϕ 0.25 deg Elevation Resolution Δϑ 0.8 deg Distance Resolution ΔR 0.1 m Radiated Power P t 80 W Lens Area A r 0.0007 m² Beam Divergence / Instantaneous Field of View Q v / IFOV 0.003 rad Electromagnetical Receiver Bandwidth B λ 2 nm Dark Current I D 10 nA Sensitivity Photo Diode R max 0.5 A/ W System Efficiency η 0.9 - Table 1 Parametrization of the virtual Lidar according to the Valeo Scala sensor 3.3 Radar Sensor Model A further typical environmental sensor for ADAS application is the radar Sensor. It is commonly used for automotive since it is comparatively cheap, provides a large detection distance and is resistant against environmental influences. The virtual environment of this paper aims to simulate all necessary environmental data for the interaction of autonomous vehicles and driving functions with pedestrians in real time. Hence, a probabilistic radar model is used. It provides all relevant data in an object list and simulates the phenomena of the radar technology, without performing a full physical simulation. The implemented model is largely based on the probabilistic radar model presented by (Muckenhuber, et al., 2013) and is extended by several assumptions. To represent the model as realistic as possible, the real commercially used radar sensor Continental ARS 408 serves as a reference. (Liebske, 2015) provides the Datasheet. The execution of the model takes place in two steps, as shown in Figure 12. Virtual urban traffic infrastructure for testing highly automated mobility systems 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 323 Figure 12: Overview of the probabilistic radar model execution In a first step, the so-called Ground Truth Data need to be generated. It is a dataset, containing all possibly detectable objects in the sensors field of view and the corresponding metadata. After the perfect data are generated, the second execution step manipulates the dataset with respect to measurement errors, resolutions and inaccuracies. Hence, the phenomena of the sensor are mapped. For the generation of the Ground Truth all relevant objects lying in the detection area of the sensor within the scenery need to be captured. The datasheet of the sensor provides the sensing areas displayed in Figure 13 Sensing areas of the Continental ARS 408 (Liebske, 2015). Figure 13 Sensing areas of the Continental ARS 408 (Liebske, 2015) Caused of inner-city applications, only the near sensing area needs to be modeled. As with the previous described Lidar model, a linetracing method is used to get the relevant objects, similar to Figure 11. However, for this probabilistic model it is not necessary to get the data of the trace itself. Instead, the objects are passed to an array, if they are hit the first time. The angular resolution of the linetracing needs to be much higher than at the Lidar model, not to omit any object. Moreover, the detection range of the sensor is not constant over the azimuth angle. Hence, the detection field is adapted to the near sensing area as shown in Figure 13 Sensing areas of the Continental ARS 408 (Liebske, 2015). As already mentioned, the result of the linetraces is an array containing all actors within the field of view of the virtual sensor. Since not all objects are relevant for the virtual sensor, the next step is the classification and sorting of the objects. Table 2 Object classifications for the probabilistic radar model provides the types of the objects for the classification. Typ Index Color Car 1 Cyan Truck 2 Blue Pedestrian 3 Red Motorcycle 4 Yellow Bicycle 5 Green Unknown 6 Magenta Table 2 Object classifications for the probabilistic radar model Based on that, all relevant actors within the virtual scene are augmented by a so called tags. These tags are detected, if the actor is hit by a linetrace. A color is assigned to each class for visualization purposes. The object designations are predominantly self-explanatory. The “Unknown” class contains all geometries, that are generally received by the radar sensor, but without classification, like postboxes, street signs, advertising pillars and other street furniture. Objects that have no predefined class are omitted. In a next step, the missing metadata of the relevant actors are determined. The hit objects directly return information according to positions and orientations of the object. To become local coordinates in the system of the sensor, a coordinate transformation from the global system has to be performed. Additionally, the size of the minimum surrounding box, the so called bounding box, is generated for every found object. Finally, the ideal maximum radar cross sections (RCS) is missing for the recognized objects. This value gives an indication of how large the proportion of the reflected radiation energy is, that impinges on an object. In further processing steps the RCS value can be used to make a decision, if an object is recognized. As the objects index, the value is predefined in tags for each relevant actor within the scene. Since the value fluctuates depending on the aspect angle, the pre-defined value provides the maximum possible radar cross section. Previous works Virtual urban traffic infrastructure for testing highly automated mobility systems 324 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 like (Degen, et al., 2021) show the general possibility to simulate radar cross section within a virtual reality engine. However, the paper also offers issues in real-time performance. Due to that, the current probabilistic model uses a pre-defined RCS for every object and manipulates it to get a realistic value. The method will be described in the further progress of this paper. The physical phenomena of the sensor are replicated, without simulating its full physics. At first, the influences of the sensors resolution and accuracy are applied to the ground truth signal as displayed in Figure 14. Figure 14: Visualization of the data manipulation to simulate the sensors resolution and accuracy. The vehicle coordinate system and a theoretical target object are shown. The green vector represents the ideal and error-free position of the target, taken from the ground truth. To implement the resolution influences so called range gates are formed. The size of the range gates corresponds to the resolution. To sort the distance into the range gates, the length of the vector is divided by the resolution and rounded to an integer value. This results in the number of range gates. Subsequently the resulting integer value is multiplied with the resolution again. This leads to the yellow vector. The effect of the measurement accuracy is implemented next. This value fluctuates randomly in positive and negative direction. Thus, a static implementation is not possible. Instead the value of the measurement accuracy, taken from the datasheet (Liebske, 2015), is multiplied with a white Gaussian noise with a standard deviation of one. The resulting vector, visualized in blue, is added to the yellow in range gates sorted vector. After the range manipulation, the next step is the implementation of aspect angle and coverage effects to the RCS value. The principal methodology is shown in Figure 15. Figure 15: Method for the manipulation of the RCS value The manipulation is based on the assumption, that the maximum RCS of an object is given at its longest side. In Figure 15 this is represented by the yellow line. To simulate coverage and aspect angle influences, the already carried out ray traces are used. First, the first and the last ray trace that hit the geometry are determined for each object recognized. It is obvious that covered parts of the targets objects are not noticed with this method. The result is shown as a red line. In a next step, this red line is projected onto the Y-axis of the local sensor coordinate system. To artificially reduce the ground truth RCS, it is multiplied with the quotient of the length of the yellow line, representing the objects longest side and the length of the purple line, representing the visible fraction of the object. This completes the reduction of the RCS. According to Figure 12 the next step of the probabilistic model is the object reclassification. Real radar sensors classify objects on their radar signature. This is only possible in certain distances, depending on the objects type. So far, all objects get recognized and classified correctly. To simulate the real radars detection behavior, two thresholds are implemented. It is assumed, that cars, trucks and motorcycles are correctly classified up to a distance of 50 m. For Pedestrians and bicycles, the assumed threshold is 30 m. If the distance of any object exceeds the threshold defined for its class, it gets reclassified to the “unknown” class. Virtual urban traffic infrastructure for testing highly automated mobility systems 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 325 The last manipulation step visualized in Figure 12 is the implementation of false positive and false negative objects. With real radar sensors two phenomena can occur. On the one hand, objects can appear that are not physically part of the real surrounding. These are called false positive (FP) objects. On the other hand, objects that are physically part of the sensing area can stay undetected for a certain time. These are named as false negative (FN) objects. Both phenomena are implemented in the following, starting with the FN objects. A detection probability with a value between zero and one is pre-defined for every object class. On every execution step and for every actor a pseudo random value, also between zero and one, is generated. If the generated value is smaller than the detection probability, the object is added to the object list. If it is larger, the object gets neglected. With this, it is possible to adjust the average false negative rate for every object class. The implementation of false positive objects is more complex, as the objects are not only to be implemented, but also random positions have to be found for them. At a first step a value for the average number of recognized FP objects at every frame is defined depending on the object classes. Additionally, typically bounding box sizes are defined for every object class. The FP objects are added after the execution of the complete probabilistic radar model, when all objects with metadata reduced by the FN objects are known. The generation of the FP objects is done for every object class separately, through a loop that iterates the object types. In that loop the class individual average number of FP objects is used to compute the actual number of FP objects for the respective simulation step. This is done by applying a white Gaussian noise to the value and converting it to an integer. After that, a second loop is initiated for the generated integer value. Within that loop, the respective FP object is generated. The first value, that is generated for each false FP object is the extend. For that, the predefined average size of the class dependent bounding box is manipulated by a Gaussian noise. Thus, the average size of the bounding box corresponds to the pre-defined value, but the individual sizes vary within a certain range. The same procedure is also used to generate an artificial RCS value for the respective object. After all metadata are created, the respective object gets positioned at a random position with a random orientation within the sensors field of view. This is repeated until the computed number of false positive objects for the object class is reached. After that, the Object class is incremented and the algorithm is executed again. 4. Investigation of the Virtual Traffic Infrastructure For the interdisciplinary city infrastructure planning, the impact of infrastructure and automated mobility is crucial. Therefore, a valid virtual environment, which enables investigation of interaction between mobility sensors and the traffic infrastructure is essential. In this chapter, the developed virtual city infrastructure is investigated to evaluate its quality for further applications. The base for the investigation are representative urban traffic scenarios, which illustrates typical challenges for ADAS sensors in inner-city environments. 4.1 Crossing with urban structure Especially at urban environments, buildings and city infrastructure cause shadings. A typical scenario is the crossing, whereby urban development restricts the driver’s field of view. Figure 16 shows the scenario from different perspectives. Figure 16: Top: Bird´s-eye view of the scene Crossing with urban development, Bottom: Vehicle-top view of the scene Crossing with urban development. The bird´s-eve view illustrates the general scene. Especially the building on the right-hand side of the ego-vehicle restricts the field of view. The view into the crossing street depends straight of the distance to the crossing. A holistic view is only possible just before entering the crossing. Additionally, the Lidar-beam course is visualized in Figure 16 bottom. Next to the distance, which is shown by the color of the Lidar-dots, the georeferenced course of the virtual environment gets clear. The dots hit the street at a far distance in front of the ego-vehicle. Virtual urban traffic infrastructure for testing highly automated mobility systems 326 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 4.2 Street line with street furniture Another interesting city application for the mentioned investigation is the effect of street furniture to the ADAS sensors. The general properties of a bin or an advertising pillar for example are quiet related to human properties. Figure 17 visualizes a street line with street furniture scene. Figure 17: Top: Bird´s-eye view of the scene Street line with street furniture, Bottom: Vehicle-top view of the scene Street line with street furniture. Besides to the urban structures, typical street furniture like bins, advertising pillars and traffic signs are included. Additionally, the course specific of the Lidar-sensor is shown. Thereby especially the falling course of the street is becomes clear. 4.3 Pedestrian crossover Crossovers are the typical urban interfaces between pedestrians and vehicles. Here, traffic signs, other vehicles or buildings restrict the field of view often. The implementation in the virtual environment of this scenario is shown in Figure 18. Figure 18: Top: Bird´s-eye view of the scene Pedestrian crossover, Bottom: Vehicle-top view of the scene Pedestrian crossover. Next to the roundabout, which is not focused in this investigation, the pedestrian crosswalk with the approaching ego-vehicle is illustrated. Additionally, pedestrians on and at the beginning of the crossover are implemented. Finally, the scenario is filled with street and traffic furniture. 4.4 Street with structural separation The final investigation-scene is the multi-lane street with a structural separation of the driving directions. In this implementation street greenings like bushes and trees provide the separation (shown in Figure 19). Virtual urban traffic infrastructure for testing highly automated mobility systems 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 327 Figure 19: Top: Bird´s-eye view of the scene Street with structural separation, Bottom: Vehicle-top view of the scene Street with structural separation. In Figure 19 bottom, the vehicle-top view of the scene is illustrated. It shows the diversity of a typical innercity scene with a river and a bicycle and pedestrian sidewalk at the right-hand side and urban structures at the left-hand side. All lanes are divided by boundaries like greenings and walls. 5. Analysis and Results To evaluate the suitability of the virtual city environment for the investigation of interactions between traffic infrastructure and ADAS developments, the data of the virtual sensors are analyzed. For this reason, the previous investigation study is evaluated. 5.1 Crossing with urban structures First, the crossing scenario is analyzed by reviewing the radar-sensor model data and the lidar-sensor model data. The measured data of the lidar-sensor model are shown in Figure 20. Figure 20: Lidar-Plot of the scenario Crossing with urban development The plot of the lidar-sensor model shows quiet good results. First, the general edges of the urban structures are detected. Additionally, the vehicle standing on the lefthand side of the ego-vehicle is captured by the lidar. Further, the street-surface including the sidewalk-edge far in front of the ego-vehicle is perceived. Also, the street furniture like street lights and traffic signs are detected well. This is shown in the Lidar-plot at 20 m lateral distance and 6 m longitudinal distance. Additionally, the lidar detcts a short surface of the vehicle standing in the crossing street right-hand side to the ego vehicle. This can be seen at 18m longitudinal axis and 11m lateral axis. Finally, the two pillars of the building right-hand side of the ego vehicle are recognized, which correlates with the illustration at Figure 16 bottom. The course of the lidar dots, which represents the field of view, includes two pillars; the first one is out of the detection area. Caused by the model setup, the radar sensor only detects classified objects. The plot of the sensor at the crossing with urban development scene is illustrated in Figure 21. Figure 21: Radar-Plot of the scenario Crossing with urban development Virtual urban traffic infrastructure for testing highly automated mobility systems 328 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 A direct comparison with Figure 16 makes clear, that the consideration of the shadings due to the urban building is given. The vehicle standing at the beginning of the crossing road is recognized with reduced RCS. This could be seen by the minimized classification box around the detected object in the radar plot. Further, the vehicle at the sidewalk left-hand side to the ego vehicle is detected and classified. Additionally, one object in front of the ego-vehicle is received and not classified. The comparison with the lidar plot shows clearly, that this object has to be a traffic sign. 5.2 Street line with street furniture To investigate the uniqueness of the street furniture detection, the sensor data of the Street line with street furniture scenario are analyzed. The sensor data plots are shown in Figure 22 and Figure 23. Figure 22: Lidar-Plot of the scenario Street line with street furniture By comparing the results with Figure 17 especially the contours of the passing street becomes clear. The lidar plot shows the course of the street lane between 40 m and 50 m. A little wall and street greening border this part of the road. Additionally, the buildings directly next to the ego vehicle are detected, which is represented by straights in the plot. Furthermore, the lidar recognizes the diversity of street furniture in the longitudinal distance between 15 m and 40 m. Despite of the little dimensions of for example street lights and the big distance to the ego vehicle, the lidar-sensor model receives it quite well. Figure 23: Radar-Plot of the scenario Street line with street furniture The radar sensor detects less objects. Just one vehicle is detected and classified. However, the functionality is very well. As shown in Figure 17 top, the crossing vehicle is just hit at a little spot of the front (see the red dot). The radar sensor detects it, classifies it correct and reduces the RCS in dependency of the received area. The reduction of the RCS could be seen at the little dimensions of the object box in Figure 23 at 40 m longitudinal distance to the ego-vehicle. In addition, street furniture is also recognized. At the right-hand side in front of the ego-vehicle a bin and a traffic sign are detected. At the left-hand side an advertisement pillar and a traffic sign are recognized. This examined scene shows well the individual fields of application of the implemented sensor models. While the radar sensor model returns a classified object, the lidar only shows the object contours. The classification has to be done by an external algorithm. 5.3 Pedestrian crossover The crossover scene is one of the most complex scenarios investigated. Next to the diversity of participants, the road course is falling and behind the crossover is a roundabout. The complexity becomes clear by consideration of Figure 24. The lidar-plot shows the variety of contours an individual dots, which has to be assigned. Virtual urban traffic infrastructure for testing highly automated mobility systems 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 329 Figure 24: Lidar-Plot of the scenario Pedestrian crossover First, the complex architecture of the building at the lefthand side of the pedestrian crossover stands out. The pillars and edges of the building are recognized well. Furthermore, one pedestrian at the crossover as well as the traffic sign in the middle of the crossover and the street light are detected, which could be seen in the lidar plot between 15m and -5m longitudinal distance and 5m and 20m longitudinal distance. Interesting is the effect, that the second person at the crossover is shaded by the traffic sign. The sensor does not receive the person. Additionally, around 40m in front of the ego vehicle, the edges of a vehicle as well as the statue in the middle of the traffic circle are detected. Next, the contours of two buildings at the right-hand side and quite in front of the ego-vehicle are detected, which gets obvious by comparison with Figure 18 bottom. Finally, street furniture like traffic signs and street lights as well as restaurant furniture is captured, which could be seen especially at the left-hand side in the height of the traffic circle. Figure 25: Radar-Plot of the scenario Pedestrian crossover In detail, both the complexity and diversity of the lidar sensor results are confirmed by the radar plot data (Figure 25). One vehicle in the traffic circle is captured and classified. Additionally, one person at the pedestrian crossover as well as the street light are detected. Furthermore, the sensor captures the constellation of the street furniture and traffic signs at the left-hand side part of the traffic circle. 5.4 Street with structural separation At least the sensor data of the street with structural separation scenario are analyzed. Like bevor, radar and lidar sensor data are used for the analysis. The lidar-plot is shown in Figure 26 and the radar plot is shown in Figure 27. Figure 26: Lidar-Plot of the scenario Street with structural separation In general, the lidar plot shows the course of the street quite well. The boundaries like the wall at the right-hand side of the vehicle as well as the building at the left-hand side further back are captured well. Furthermore, the diversity of bushes and trees as well as traffic signs at the greening around the road are detected correctly. Conspicuous is the red line in Figure 19 bottom. This line, which represents the lidar beams, is illustrated in the lidar plot between 40m and 50 m longitudinal distance, too. It is caused by the geo-individual course of the road. The course of the road increases in height. Finally, different pedestrian contours are captured at the pedestrian crossover at the left-hand side in front of the ego vehicle (see Figure 19 top). In sum, the interpretation of the lidar plot is very complex. Without the direct comparison of the scene picture, especially the assignment of little contours is difficult. This shows quite well, how essential the connection of the different sensor information is for highly automated vehicle systems. Virtual urban traffic infrastructure for testing highly automated mobility systems 330 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Figure 27: Radar-Plot of the scenario Street with structural separation In this case, the radar plot shows a significantly reduced complexity. Mainly, the radar captures the pedestrians walking through the crosswalk between 25 m and 40 m longitudinal and around -25 m lateral in front of the ego vehicle. Additionally, the radar recognizes the vehicle standing in front of the pedestrian crosswalk. Finally, the radar detects other pedestrian and street lights around 50 m in front. In detail, this scenario shows the level of detail, which has to be captured by the different sensors. Either in reality or in virtual, especially object in far distance are difficult to detect and classify. Conclusion In summary, the virtual environment as well as the virtual vehicle model fulfill the given expectations. The interaction of virtual sensors and virtual traffic participants works reliably and reproducibly. The necessary metadata for the computation of the virtual sensor models are provided. Hence, it is possible to investigate border line cases of surrounding sensor detections within the virtual world. The model will help planning and designing street topologies, positions for city furniture and car to pedestrian interactions in future urban development projects. The next steps are to increase the level of detail of real traffic participants by adding motion realistic behavior, as well as extend the sensor model portfolio by implementing a camera sensor model. Acknowledgements The Project is funded by the Ministry of Economic Affairs, Innovation, Digitization and Energy of North Rhine-Westphalia. Additionally, the project is supported by HHVISION, Hoersch und Hennrich Achitekten GbR and AVL Germany GmbH. References [1] Degen, R., Ott, H., Overath, F., Schyr, Ch., Leijon, M., Ruschitzka, M. (2021) Methodical approach to the development of a Radar Sensor model for the Detection of Urban Traffic Participants Using a Virtual Reality Engine. Journal of Transportation Technologies. 11, 02, 179-195. [2] Hamamatsu Photonics K.K. (2018). https: / / www. hamamatsu.com/ resources/ pdf/ ssd/ s12023-02_ etc_kapd1007e.pdf [3] Hexagon Autonomy and Positioning (2021). https: / / autonomoustuff.com/ products/ valeo-scala [4] Kernhof, J., Leuckfeld,J. and Tavano, G. (2018). LiDAR-Sensorsystem für automatisiertes und autonomes Fahren, in: Thille, T. Automobil-Sensorik 2. Springer Vieweg. Berlin, Heidelberg. [5] Kim, S., Lee, I.and Kwon, Y. J.(2013). 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Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 331 Mobile Mapping Anwendung und Potential bei mobilen Arbeitsmaschinen Lucas Rüggeberg, B.Eng. Technische Hochschule Köln, Kölner Labor für Baumaschinen, 50679 Köln, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Alfred Ulrich Technische Hochschule Köln, Kölner Labor für Baumaschinen, 50679 Köln, Deutschland Zusammenfassung Die Technik der mobilen Vermessung mittels Mobile Mapping Systemen hat in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Mithilfe von Mobile Mapping Systemen ist es möglich georeferenzierte 3D-Punktwolken zu erzeugen, aus denen es möglich ist 3D-Modelle abzuleiten, welche zum Beispiel für das Baumonitoring oder die Transportplanung von Großraum- und Schwertransporten genutzt werden können. In diesem Beitrag wir das Potential von Mobile Mapping im Anwendungsbereich der mobilen Arbeitsmaschinen vorgestellt. Anhand eines Beispiels soll die Anwendung und das Potential dieser Technik zur Transportplanung von Großraum- und Schwertransporten verdeutlicht werden. Dabei werden die erzeugten 3D-Punktwolken in diskrete Volumenmodelle überführt, welche als Belegungskarten bezeichnet werden. Auf Basis dieser Belegungskarten können Suchalgorithmen die optimale Route numerisch berechnen. In Kombination mit einem kinematischen Modell des Großraum- und Schwertransportes kann eine teilautomatisierte Routenplanung erreicht werden, welche die optimale Route des Transportes an Engstellen, wie Kurven und/ oder Kreisverkehren, berechnet. 1. Einleitung Seitdem im Jahr 2005 das erste kommerzielle Mobile Mapping System am Markt verfügbar war, haben sich diese Systeme kontinuierlich weiterentwickelt [1]. Die Sensorik ist kleiner und robuster geworden und die Auswertung wurde teilweise automatisiert. Jedoch ist das Potential von Vermessungen mittels Mobile Mapping Systemen noch nicht in jeder Branche angekommen, so etwa im Bereich der mobilen Arbeitsmaschinen. Durch die vielfältige Anwendung von mobilen Arbeitsmaschinen in der Bau-, Land-, Forst-, und Kommunalwirtschaft ergeben sich auch für Mobile Mapping Systeme neue Anwendungsgebiete. Digitale 3D-Modelle, welche auf Basis georeferenzierter 3D-Punktwolken erzeugt werden, können in den verschiedensten Bereichen bei mobilen Arbeitsmaschinen zum Einsatz kommen. Beispielsweise kann auf Baustellen der Baufortschritt überwacht und dokumentiert werden. Ebenfalls können 3D-Modelle zur Zustandsüberwachung von Straßen dienen. Anhand der 3D-Modelle können Straßenschäden wie Schlaglöcher oder Risse detektiert und über längere Zeiträume überwacht werden. Ein weiterer Anwendungsbereich ist die Verwendung von 3D-Modellen auf Basis georeferenzierter 3D-Punktwolken zur Planung von Großraum- und Schwertransporten. Die 3D-Modelle definieren die Randbedingungen zur numerischen Berechnung der Schleppkurven des Großraum- und Schwertransportes an Engstellen, wie Kurven, Kreisverkehren und Brücken. Für die Erfassung von kleinräumigen 3D-Modellen kommen heutzutage oftmals terrestrische Laserscanner zum Einsatz. Jedoch ist ab einem gewissen Beobachtungsbereich der Einsatz eines Mobile Mapping Systems unerlässlich. Dies ist der Fall bei mobilen Arbeitsmaschinen. Diese benötigen aufgrund ihres vergleichsweise großen Arbeitsraums, wie beispielsweise eine Baustelle oder die Transportstrecke eines Großraum- und Schwertransportes, auch einen großen Beobachtungsbereich des Laserscanners. 2. Stand der Technik Ein Mobile Mapping System besteht üblicherweise aus mindestens einem LiDAR- (engl. Light detection and ranging) Scanner und/ oder einem Kamerasystem, sowie einem inertialen Navigationssystem [2]. Im Folgenden wird sich auf Systeme beschränkt, welche LiDAR-Scanner zur Erfassung der Umgebung verwenden und bei denen Kamerasysteme eine untergeordnete Rolle spielen. Bei einem inertialen Navigationssystem handelt es sich um ein integriertes Navigationssystem, welches aus einer inertialen Messeinheit und GNSS- (engl. global navigation satellite system) Antennen besteht. In Europa verwenden diese Systeme üblicherweise den Satellitenna- Mobile Mapping Anwendung und Potential bei mobilen Arbeitsmaschinen 332 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 vigationsdienst GPS (engl. Global Positioning System). Die Messdaten werden oftmals noch durch Bilddaten, welche von Kameras aufgenommen werden, ergänzt. Dadurch ist eine Einfärbung der 3D-Punktwolke möglich. Um die entstehenden Messfehler bei GNSS-Ausfall zu kompensieren, werden bei manchen Systemen noch zusätzliche Sensoren verbaut, um Odometriedaten zu erfassen. Die einzelnen Sensoren werden auf einer gemeinsamen Trägerplattform montiert. Diese Trägerplattform wird je nach Anwendungsfall auf verschiedenen Trägerfahrzeugen angebracht. Abhängig vom Anwendungsfall kommen Straßenfahrzeuge, mobile Arbeitsmaschinen oder bemannte/ unbemannte Fluggeräte zum Einsatz. 2.1 Mobile Mapping Systeme Durch den LiDAR-Scanner werden einzelne Profilscans aufgenommen. Der Scanner misst automatisch die Entfernung mit gepulsten oder kontinuierlich strahlenden Lichtquellen. Bei dem ersten Messverfahren wird die Entfernung durch die Laufzeitmessung zwischen dem Aussenden und Empfangen von gepulsten Laserphotonen berechnet. Das zweite Verfahren misst die Phasendifferenz zwischen ausgesandtem und reflektiertem Signal, woraus die Entfernung berechnet werden kann. Durch die Rotation des Lasers entstehen Profilscans. Diese werden im Nachgang mit der Trajektorie, welche das Trägerfahrzeug während der Messfahrt aufgezeichnet hat, fusioniert. Das Ergebnis ist eine georeferenzierte 3D-Punktwolke der Umgebung. Die 3D-Punktwolke wird mit den Bildern der Kamera fusioniert, wodurch eine kolorierte 3D-Punktwolke entsteht. Das Herzstück des Mobile Mapping Systems ist das inertiale Navigationssystem. Die verbaute inertiale Messeinheit misst die Beschleunigungen in alle drei Raumrichtungen und die Drehraten um alle Raumachsen. Für die Messung der Beschleunigungen werden Accelerometer und für die Messung der Drehraten Gyroskope verwendet. Die Positionen können über die zweifache Integration der Beschleunigungen und die Orientierungen über die einfache Integration der Drehraten berechnet werden. Für die Berechnung müssen absolute Startwerte für Position, Geschwindigkeit und Orientierung bekannt sein. Die Berechnung der Position, Geschwindigkeit und Orientierung erfolgt mithilfe des Strapdown-Algorithmus [3]. Der Strapdown-Algorithmus beschreibt eine Rechenvorschrift um aus Beschleunigungen und Drehraten zum aktuellen Zeitschritt die Position, Geschwindigkeit und Beschleunigung auf Basis der Daten aus dem vorherigen Zeitschritt zu berechnen. Um den Kreiseldrift, welchem die Gyroskope unterliegen, zu korrigieren, wird die Langzeitstabilität des GPS-Signals genutzt. Die GNSS-Antennen messen die absolute Position des Trägerfahrzeuges über einen Satellitennavigationsdienst. Als Messverfahren dient oftmals die Trägerphasenmessung. Probleme, die auftreten sind, dass die Satellitensignale durch Gebäude, Brücken und Vegetation gestört werden, wodurch Mehrdeutigkeiten in den gemessenen Signalen auftreten, welche mit entsprechenden Filtern und unter Einbeziehung der Messdaten der inertialen Messeinheit korrigiert werden können. Um jedem einzelnen Messsignal der Sensoren eine gemeinsame Zeitbasis zuzuordnen, benötigen diese einen gemeinsamen Zeitstempel. Um diesen Zeitstempel zu erzeugen, wird eine Uhr benötigt, welche über die Zeit sehr stabil ist und/ oder regelmäßig mithilfe eines Frequenznormals synchronisiert wird. Diese Eigenschaften sind bei Mobile Mapping Systemen durch das GPS gegeben. Die meisten GNSS-Antennen stellen ein PPS- (engl. Pulse-Per-Second) Signal zur Verfügung. Mit diesem Signal ist eine sehr präzise Zeitmessung möglich. Ebenfalls definiert dieses Signal eine Zeitbasis in Bezug auf die GPS-Signale. Mithilfe dieses PPS-Signals können die anderen Sensoren über die entsprechenden Schnittstellen synchronisiert werden. 2.2 Sensordatenfusion Die Rekonstruktion der Trajektorie des Trägerfahrzeuges erfolgt nach der Vermessungsfahrt im Post Processing. Die Messdaten werden mit entsprechender Software verarbeitet. Im ersten Schritt werden die aufgenommenen GPS-Signale korrigiert. Dafür werden Korrekturdaten von Basisstationen verwendet, welche sich entlang der zurückgelegten Trajektorie befinden. Dieses Korrekturverfahren wird auch als DGPS (engl. Differential Global Positioning System) bezeichnet. Zur optimalen Schätzung der Position und Orientierungen wird ein Kalman- Filter verwendet, welcher auf Basis der Messdaten der inertialen Messeinheit und den korrigierten GPS-Signalen die optimale Position und Orientierung des Trägerfahrzeuges schätzt [1]. Das Ergebnis ist die Trajektorie, welche bei der Vermessungsfahrt zurückgelegt wurde. Im nächsten Schritt werden die einzelnen Profilscans, welche im Sensorkoordinatensystem aufgenommen wurden, in das erdfeste Koordinatensystem transformiert. Die Profilscans werden mit der Trajektorie fusioniert. Die Fusion der Messdaten erfolgt über den gemeinsamen Zeitstempel. Das Ergebnis ist eine georeferenzierte 3D-Punktwolke der vermessenen Strecke. Wenn zusätzlich noch Bilder durch Kameras aufgenommen wurden, können diese mit der 3D-Punktwolke fusioniert werden. Das Ergebnis ist eine kolorierte, georeferenzierte 3D- Punktwolke. Um die erzeugten 3D-Punktwolken für den jeweiligen Anwendungsfall weiterzuverarbeiten ist eine entsprechende Filterung und Segmentierung notwendig. Bei der Filterung handelt es sich oftmals um einfache Filter, wie einen gleitenden Mittelwertfilter, um das Messrauschen der 3D-Punktwolke zu minimieren. Um die 3D-Punktwolke für die entsprechende Anwendung anzupassen, kann diese im ersten Schritt auf eine ROI (engl. Region of Interest) begrenzt werden. Die daraus entstehende reduzierte 3D-Punktwolke kann nun anwendungsspezifisch segmentiert werden. Ein Beispiel für die Segmentierung ist die semantische Segmentierung. Diese Mobile Mapping Anwendung und Potential bei mobilen Arbeitsmaschinen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 333 beschreibt die Segmentierung der 3D-Punktwolke nach Klassifikationen wie Menschen, Fahrzeuge und/ oder Gebäude. Die Klassifikatoren bekommen eigene Labels und werden in der semantisch segmentierten 3D-Punktwolke in einer entsprechenden Kolorierung dargestellt. Für diese Anwendung kommen meistens Algorithmen aus dem Fachgebiet des maschinellen Lernens zum Einsatz. Diese Algorithmen können Anhand der definierten Klassifikatoren Trainingsdaten analysieren und selbstständig lernen. Es wird zwischen merkmalsbasierten und endto-end Verfahren unterschieden. Die Leistungsfähigkeit beider Verfahren hängt von der Menge und Qualität der Trainingsdaten ab. Bei der semantischen Segmentierung kann sich nur auf die 3D-Punktwolke und/ oder auf die Bilder, welche durch die Kameras aufgenommen werden, gestützt werden. Eine weitere Möglichkeit 3D-Punktwolken für den Anwendungszweck zu verarbeiten ist die 3D- Punktwolke in ein volumetrisches Modell zu überführen. Dieses Modell besteht aus diskreten Volumenelementen, welche in verschiedenen geometrischen Formen ausgeführt sein können. Diese Art von 3D-Modellen wird beispielsweise für die Navigation von mobilen Robotern verwendet, wohingegen die 3D-Modelle, welche nach der semantischen Segmentierung einer 3D-Punktwolke entstehen, eher zur Erkennung und Klassifizierung von Objekten genutzt werden, wie es zum Beispiel bei autonomen Fahrzeugen der Fall ist. 3. Anwendungsbeispiel Nachdem im vorherigen Abschnitt die Anwendungsbereiche, sowie Grundlagen zu Mobile Mapping Systemen erläutert wurden, soll das Potential von mobile Mapping im Anwendungsbereich von mobilen Arbeitsmaschinen aufgezeigt werden. Dafür wurde als Anwendungsbeispiel ein Forschungsprojekt aus dem Bereich der Sondermaschinen gewählt, welches aktuell am Kölner Labor für Baumaschinen durchgeführt wird. Das Forschungsprojekt „Digital unterstützte Prozesse zur Genehmigung und Durchführung von Großraum- und Schwertransporten (DiGST)“ beschäftigt sich mit der Optimierung des Genehmigungsverfahrens für Großraum- und Schwertransporte (GST). Das Ziel des Forschungsprojektes ist die Entwicklung eines Simulationsmodells zur Berechnung der Schleppkurven eines GST unter Berücksichtigung der Randbedingungen auf der Transportstrecke, wie Straßenbreite, Kurvenradien, etc. Die Transportstrecke wird durch eine georeferenzierte 3D-Punktwolke abgebildet. Im weiteren Verlauf wird auf die Anwendung von Mobile Mapping im Forschungsprojekt DiGST eingegangen. 3.1 Vermessungsfahrten Um die Schleppkurven eines GST vor dessen Durchführung an den Engstellen auf der Wegstrecke zu berechnen, muss diese im Vorfeld innerhalb einer Vermessungsfahrt erfasst werden. Die Firma Sommer, welche als Industriepartner am Forschungsprojekt beteiligt ist, besitzt ein Mobile Mapping System, welches aus vier LiDAR-Scannern, zwei GNSS-Antennen und einer inertialen Messeinheit auf Basis von MEMS- (engl. Micro-Electro-Mechanical Systems) Sensoren besteht. In Abbildung 1 ist das System der Firma Sommer dargestellt. Abbildung 1: mobile Mapping System © Fa. Sommer Die Scanner besitzen eine Abtastrate von 50 Hz und einen Öffnungswinkel von 270 Grad. Die inertiale Messeinheit erfasst mit einer Abtastrate von 100 Hz die Beschleunigungen und Drehraten. Die Position und Geschwindigkeit werden über zwei GPS-Antennen beobachtet. Das gesamte System besitzt eine Reichweite von 50 m und eine absolute Genauigkeit von circa 5-6 cm bei guten GPS-Bedingungen. Es ist anzumerken, dass die absolute Genauigkeit maßgeblich von den GPS-Bedingungen abhängt. Andere Fehlerquellen, wie beispielsweise auftretende Umweltbedingungen, haben keine signifikanten Auswirkungen auf die Genauigkeit. Die Messdaten werden im Post-Processing zu einer georeferenzierten 3D-Punktwolke fusioniert. Die 3D-Punktwolke liegt schlussendlich als eine Datei im xyz-Format vor. Diese Datei enthält die kartesischen Koordinaten der einzelnen Messpunkte und je nach Ausführung die aufgenommenen Farbwerte der einzelnen Messpunkte, welche im RGB-Farbraum dargestellt werden. 3.2 Datenverarbeitung In diesem Abschnitt wird die Verarbeitung einer 3D- Punktwolke zur Berechnung von Schleppkurven vorgestellt. Es werden die einzelnen Arbeitsschritte aufgezeigt und die zugehörigen Algorithmen beschrieben. Als Beispiel dient dafür die 3D-Punktwolke einer Kurvendurchfahrt in einem Wohngebiet, welche mit dem oben gezeigten Mobile Mapping System aufgenommen wurde. Die programmtechnische Implementierung der verschiedenen Algorithmen erfolgt in der Entwicklungsumgebung MATLAB. Bei der Implementierung wurde Augenmerk Mobile Mapping Anwendung und Potential bei mobilen Arbeitsmaschinen 334 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 daraufgelegt, dass die Umsetzung der Algorithmen auf Basisfunktionen von MATLAB aufgebaut wird, damit keine weiteren Toolboxen nötig sind. In Abbildung 2 ist die georeferenzierte 3D-Punktwolke im Rohzustand dargestellt. Um die Kontraste zu erhöhen, wurden die einzelnen Messpunkte bezüglich ihres Gradienten in Richtung der Höhenkoordinate koloriert. Abbildung 2: 3D-Punktwolke - Rohdaten Im nächsten Schritt wird die 3D-Punktwolke auf eine ROI begrenzt. Dafür kann über eine graphische Benutzeroberfläche die Begrenzung in x-, y- und z-Koordinatenrichtung eingegeben werden. Ebenfalls wird die 3D- Punktwolke zusätzlich gefiltert, um das Messrauschen zu minimieren. Als Filter wurde ein gleitender Mittelwertfilter implementiert. Dieser wird in zwei Koordinatenrichtungen auf die Messdaten angewendet. Das Filter berechnet die Folge der arithmetischen Mittelwerte m von n aufeinanderfolgenden Datenpunkten einer diskreten Zeitreihe x t [4]. Dadurch ergibt sich die zugehörige Filtergleichung m t n x t n i n i n 1 1 ††. (1) Die auf eine ROI begrenzte und gefilterte 3D-Punktwolke ist in Abbildung 3 zu sehen. Abbildung 3: gefilterte ROI der 3D-Punktwolke Um im weiteren Verlauf einen passenden Algorithmus zur Schleppkurvenberechnung anzuwenden, muss die 3D-Punktwolke so verarbeitet werden, dass sie für den Algorithmus interpretierbar ist. 3.3 Routenplanung Nachdem aufgezeigt wurde wie die Vermessungsfahrten und das Post-Processing der georeferenzierten 3D-Punktwolke von abläuft thematisiert der folgende Abschnitt die Verwendung der 3D-Punktwolke zu Berechnung von Schleppkurven des GST. Im Folgenden wird statt dem Begriff Schleppkurve der Begriff Route verwendet, welcher aber gleichbedeutend zu verstehen ist. Algorithmen, welche teils- oder vollautomatisch eine Route für ein Fahrzeug erzeugen sind heutzutage oftmals in der mobilen Robotik anzufinden [5], [6]. In der mobilen Robotik werden diese Algorithmen verwendet, um zum Beispiel Routen für unbemannte Land- oder Luftfahrzeuge zu generieren. Dabei ist zwischen einer offline und online Routenplanung zu unterscheiden. In diesem Projekt ist die offline Routenplanung von Interesse. Diese basiert auf einer zwei- oder dreidimensionalen Darstellung der Umgebung, durch welche das Fahrzeug navigiert werden soll. Diese Darstellung der Umgebung wird durch eine 3D-Punktwolke repräsentiert. Diese Algorithmen lassen sich auch für die Routenplanung eines GST verwenden. Auf Basis, der im Vorfeld aufgenommenen 3D-Punktwolke der geplanten Transportstrecke, lässt sich mit solchen Algorithmen die optimale Schleppkurve an Engstellen wie Kurvendurchfahren, Kreisverkehren, etc. teilautomatisch berechnen. Ein solcher Algorithmus, welcher im Folgenden exemplarisch erläutert wird, ist der A*- (gesprochen: A-Stern) Algorithmus. Der A*-Algorithmus gehört zu den informierten Suchalgorithmen und wurde im Jahr 1968 das erste Mal vorgestellt [7]. Er zählt zu den Graphen basierten Algorithmen und wird dazu verwendet die kürzeste Route zwischen einem Start- und Zielknoten in einem Graph zu finden. Der Graph repräsentiert dabei die Umgebung als diskrete Teilgebiete. Der A*-Algorithmus verwendet im Gegensatz zu anderen Suchalgorithmen neben der Kostenfunktion noch heuristische Informationen, um die Route zu berechnen. Als heuristische Information ist in diesem Kontext die euklidische Distanz zwischen dem aktuellen Knoten und dem Zielknoten. Der Algorithmus basiert auf zwei diskreten Mengen, der offenen Menge der unbesuchten Knoten O (engl. Open Set) und der geschlossenen Menge der besuchten Knoten C (engl. Closed Set). Der Algorithmus beginnt mit einer Startanzahl von Knoten, welche im Umkreis des Startknotens liegen. Nach Start sucht der Algorithmus für jede Iteration zu jedem Knoten n den Wert der Kostenfunktion f n g n h n ††, (2) Mobile Mapping Anwendung und Potential bei mobilen Arbeitsmaschinen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 335 welche sich aus dem bisher zurückgelegten Weg g n und der euklidischen Distanz h n vom aktuellen Knoten n zum Ziel zusammensetzt. Für jeden Wert der Kostenfunktion f n wählt der Algorithmus den Knoten mit dem minimalen Wert aus, und erweitert die Nachbarschaft. Dieses Vorgehen wird so lange durchlaufen, bis der Algorithmus terminiert. In Abbildung 4 ist der A*- Algorithmus als Pseudo-Code dargestellt. A*-Algorithm Input: A graph Output: A route between start and goal nodes repeat Pick n best from O such that f ( n best ) ≤ f (n) ∀ n ∈ . Remove n best from O and add to C . if n n best goal = , EXIT. Expand n best : for all n Star n best that are not in C . if x O ∉ then add x to O . else if g n c n x g x best best ,† then update x‘s backpointer to point to n best . end if until O is empty Abbildung 4: A*-Algorithmus [6] Ein Vorteil des A*-Algorithmus ist, dass dieser sich die schon besuchten Knoten merkt und somit ein mehrfaches Durchlaufen dieser Knoten verhindert wird. Es wird ersichtlich, dass die Rechenzeit des Algorithmus mit der Anzahl der Knoten steigt. Die Anzahl der Knoten ist davon abhängig mit welcher Auflösung der Graph für die Routenplanung vorliegt und welche Abmessungen der Graph besitzt. Im Folgenden soll auf die Erzeugung solcher Graphen aus einer 3D-Punktwolke eingegangen werden. Die Informationen, welche aus einer 3D-Punktwolke gewonnen werden, sind welche Bereiche frei oder besetzt sind. Diese Informationen direkt aus den 3D- Punktwolken zu gewinnen ist sehr rechen - und zeitaufwendig, da es sich bei 3D-Punktwolken um sehr große Datenmengen handelt. Daher ist ein effizientes Berechnungsverfahren, mit einer geringen Laufzeit und Speicherplatznutzung von gefragt. Ein geeignetes Verfahren, um 3D-Punktwolken in sogenannte Belegungskarten (engl. Occupancy Map) zu überführen, ist die Erzeugung von volumetrischen Modellen, welche sich aus einer Anzahl diskreter Volumenelemente zusammensetzen. Das gängigste Verfahren dafür ist die Erzeugung solcher Karten auf Basis von Octree’s [8]. Die Erzeugung mithilfe von Octree‘s stellt eine speicher- und recheneffiziente Möglichkeit vor, Belegungskarten zu erzeugen. Ein Octree ist eine Datenstruktur aus der Informatik, welche einem gewurzelten Baum entspricht. Die Knoten haben entweder Acht oder Null Nachfolger. Octree’s werden oftmals verwendet um dreidimensionale Datensätze, zum Beispiel 3D-Punktwolken hierarchisch zu untergliedern. Die Wurzel des Baums entspricht dabei dem Hauptdatensatz, wie zum Beispiel der 3D-Punktwolke. Die einzelnen Knoten in einem Oktanten repräsentieren jeweils den Datenraum, welcher in einem kubischen Volumen enthalten ist. Dieses kubische Volumen wird auch als Voxel bezeichnet. Die Voxel werden so lange in acht Subvoxel unterteilt, bis eine minimale Voxelgröße erreicht wird. Die Voxelgröße wird über die Auflösung (engl. resolution) definiert. In Abbildung 5 sind drei Belegungskarten mit verschiedenen Auflösungen dargestellt. Abbildung 5: Belegungskarten mit verschiedenen Auflösungen In der linken Abbildung wurde eine Auflösung von 0.2 m³ gewählt. Bei der mittleren Abbildung beträgt die Auflösung 0.5 m³ und in der rechten Abbildung 1 m³. Die Berechnungszeit der MATLAB-Funktion beträgt im arithmetischen Mittel 0.000676 sek. bei einer Auflösung von 0.2 m³. Bei einer Auflösung von 0.5 m³ sind es 0.000653 sek. und bei einer Auflösung von 1m³ sind es 0.000567 Sekunden. Es ist ersichtlich, dass die Berechnungszeit bei einer höheren Auflösung ansteigt, somit ist die Auflösung entsprechend des Anwendungsfalls zu wählen. Bei den Routenplanungen von Großraum- und Schwertransporten ist ein Auflösungsbereich von 0.2 - 0.5 m³ gefordert. Die einzelnen Voxel besitzen boolesche Eigenschaften. Diese Eigenschaften beschränken sich auf die Zustände besetzt und unbesetzt. Ist das Voxel unbesetzt, dann wird der Knoten nicht weiterverfolgt. Ist das Voxel besetzt, dann wird der Knoten weiterverfolgt und die Voxel weiter unterteilt. Die erzeugte Belegungskarte kann verwendet werden, um die Route zu berechnen. Die nicht besetzten Voxel mit den zugehörigen Knoten definieren die offene Menge der unbesuchten Knoten O, die der Algorithmus durchsuchen soll. Der Algorithmus kann auf die vorgegebene Karte angewandt werden und somit die optimale Route zwischen einem Start- und Endknoten berechnen. 3.4 Ausblick Im vorherigen Abschnitt wurde erläutert, wie georeferenzierte 3D-Punktwolken verwendet werden können, um die Routenplanung von Großraum- und Schwertransporten zu verbessern. Es wurde aufgezeigt, wie die 3D-Punktwolken weiterverarbeitet werden, um diese für Suchalgorithmen interpretierbar zu machen. Als Beispiel wurde hierfür der A*-Algorithmus aufgezeigt. Im weiteren Verlauf des Projektes soll der Algorithmus auf das Anwendungsbeispiel angepasst werden. Die aktuelle Version des Algorithmus arbeitet mit einem soge- Mobile Mapping Anwendung und Potential bei mobilen Arbeitsmaschinen 336 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 nannten Punktroboter (engl. free flying object). In dieser Beschreibungsform werden die Restriktionen wie die räumliche Ausdehnung, sowie die kinematischen Zusammenhänge, wie zum Beispiel die Lenkung, nicht betrachtet. Daher soll im weiteren Verlauf der Algorithmus um ein kinematisches Modell des Großraum- und Schwertransportes ergänzt werden. Der Ansatz dabei ist, dass in den Suchschritten auch verschiedene Knickwinkelkonfigurationen berücksichtigt werden [9]. Die Freiheitsgrade des kinematischen Modells sind im Vektor der generalisierten Koordinaten q x y T T T T L L T [ ] 1 2 (3) zusammengefasst. Die Freiheitsgrade der Zugmaschine (engl. Truck) sind der Lenkwinkel der Vorderachse ϕ T , der Gierwinkel ψ T und die Position in x-Richtung x T und in y-Richtung y T . Die Freiheitsgrade des Aufliegers (engl. Loader) sind der Knickwinkel κ , der Lenkwinkel der ersten gelenkten Achse ϕ L1 und der Lenkwinkel der letzten gelenkten Achse ϕ L 2 des Aufliegers. Das kinematische Modell wird als nichtlineare zeitdiskrete Zustandsgleichungen dargestellt, diese bestehen aus der Zustandsdifferenzengleichung x f x u k k k 1 , (4) mit der Anfangsbedingung x t x 0 0 (5) Im Zustandsvektor x k sind die Freiheitsgrade des Modells enthalten, und der Vektor u k enthält die Eingangsgrößen. Der Ausgangsvektor lässt sich über y g x u k k k , (6) berechnen. Die Herleitung der Zustandsgleichungen erfolgt im Zeitbereich. Die sich ergebenen Bewegungsgleichungen können als Zustandsdifferentialgleichungen dargestellt werden. Mithilfe eines geeigneten Diskretisierungsverfahrens lassen sich die Zustandsdifferentialgleichungen in Zustandsdifferenzengleichungen überführen. Neben der geplanten Erweiterung des Algorithmus um ein kinematisches Modell des GST soll die Adaption des Algorithmus von 2D auf 3D erfolgen. Das geplante Ergebnis ist eine teilautomatisierte Simulationsumgebung zur Berechnung von Schleppkurven eines Großraum- und Schwertransportes. Neben der Erweiterung des Algorithmus sollen die Ergebnisse in passender Form visualisiert werden. Ebenfalls soll die bestehende graphische Benutzeroberfläche erweitert werden, sodass der Anwender eigenständig die 3D-Punktwolke und Fahrzeugparameter einlesen kann, sowie gezielt verschiedene Parameter manipulieren kann. Die visualisierten Ergebnisse sollen dann per Knopfdruck in Form eines Video-Files abgespeichert werden. Das Forschungsprojekt „Digital unterstützte Prozesse zur Genehmigung und Durchführung von Großraum- und Schwertransporten“ (DiGST) ist am Kölner Labor für Baumaschinen unter Leitung von Prof. Dr. Alfred Ulrich angesiedelt. Das Labor ist integraler Bestandteil des Instituts für Bau- und Landmaschinentechnik der TH Köln. Projektpartner sind die Sommer GmbH & Co. KG (Dienstleister für die Abwicklung von Großraum- und Schwertransporten), die Konrad Sturm GmbH (Spedition für Spezialtransporte), und die Krampe Fahrzeugbau GmbH (Hersteller von LKW-Komponenten). Das Vorhaben wird gefördert über den NRW-Leitmarktwettbewerb MobilitätLogistik.NRW im Rahmen des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung EFRE. 4. Zusammenfassung Dieser Beitrag skizziert die Anwendung eines Mobile Mapping Systems und die Verwendung der daraus entstehenden, georeferenzierten 3D-Punkwolken anhand eines Anwendungsbeispiels aus dem Bereich der mobilen Arbeitsmaschinen. Anhand der Routenplanung von Großraum- und Schwertransporten lässt sich erkennen, inwiefern Prozesse teilautomatisiert werden können und in welcher Form 3D-Punktwolken die Basis für diese Entwicklungen bilden. Neben dem vorgestellten Anwendungsbeispiel besitzt die Technik des Mobile Mapping auch Potentiale in anderen Bereichen der mobilen Arbeitsmaschinen. So kann zum Beispiel der Baufortschritt während des Straßenbauprozesses mit Mobile Mapping Systemen überwacht werden. Die Ergebnisse können dann direkt in die Bauwerksdatenmodellierung (engl. Building Information Modeling) einfließen. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit ist die Erfassung von Schlaglöchern oder anderer Schäden der Infrastruktur. Durch die Georeferenzierung kann die genaue Position ermittelt werden und eine gezielte Schadensbehebung erfolgen. Neben dem am Anwendungsbeispiel aufgezeigten und genannten Verwendungsmöglichkeiten sind noch weitere Anwendungen im Bereich mobiler Arbeitsmaschinen denkbar. Das Anwendungspotential von Mobile Mapping im Kontext der mobilen Arbeitsmaschinen ist noch nicht in der Branche angekommen. Die vergleichsweise hohen Anschaffungskosten für die Sensorik, die großen Datenmengen, welche zum Teil Terrabytes betragen können, sowie die noch nicht automatisierte Auswertung der 3D-Punktwolken schreckt noch viele Anwender ab. Es ist jedoch anzumerken, dass aktuell auf Seiten der Hard- und Softwareentwicklung viele Entwicklungsarbeiten laufen. Auf der Hardwareseite wird an kompakteren und kostengünstigeren Sensoren gearbeitet und auf der Softwareseite an Software zur teil- oder vollautomatischen Auswertung von 3D-Punktwolken. Es kann abschließend gesagt werden, dass die Technik des Mobile Mapping sich aktuell hochdynamisch entwickelt und auch langsam in der Branche der mobilen Arbeitsmaschinen ihren Einzug feiert. Mobile Mapping Anwendung und Potential bei mobilen Arbeitsmaschinen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 337 Literaturverzeichnis [1] D. Fritsch, „Mobile Mapping - Eine Revolution im Vermessungswesen? ,“ Stuttgart, 2013. [2] H. Kuhlmann und L. Klingbeil, „Mobile Multisensorsysteme,“ in Ingenieurgeodäsie, Springer, Berlin, 2017, pp. 93-129. [3] J. Wendel, Integrierte Navigationssysteme: Sensordatenfusion, GPS und Inertiale Navigation, Oldenbourg: Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2011. [4] J.-P. Kreiß und G. Neuhaus, Einführung in die Zeitreihenanalyse, Wiesbaden: Springer, 2006. [5] J.-P. Laumond, Robot Motion Planning and Control, Berlin: Springer, 1998. [6] H. Choset, K. M. Lynch, S. Hutchinson, G. A. Kantor und W. Burgard, Principles of Robot Motion: Theory, Algorithms and Implementations, Cambridge: MIT Press, 2005. [7] P. E. Hart, N. J. Nilsson und B. Raphael, „A Formal Basis for the Heuristic Determination of Minimum Cost Paths,“ IEEE Transactions on Systems Science and Cybernetics, Bd. 4, Nr. 2, pp. 100 - 107, 1968. [8] A. Hornung, K. M. Wurm, M. Bennewitz, C. Stachniss und W. Burgard, „OctoMap: an efficient probabilistic 3D mapping framework based on octrees,“ Autonomous Robots volume, pp. 189 - 206, 07 Februar 2013. [9] S. Beyersdorfer, S. Wagner und S. Zipser, „Optimale Hindernisumfahrung mit mehrachsgelenkten Fahrzeugen,“ in 10. Wissenschaftstage der Hochschule Lausitz 2010, Lausitz, 2010. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 339 Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße zur Unterstützung eines integrierten, situationsbezogenen Verkehrsmanagements Sandra Ulrich consu.one, Wien, Österreich (Hauptautor) David Reisenbichler ARNDT IDC GmbH & Co KG, Wien, Österreich (Co-Author) Überblick Die Einführung des automatisierten und vernetzten Fahrens (CCAM - Cooperative Connected Automated Mobility) verspricht eine maßgebliche Verbesserung von Sicherheit, Effizienz und Effektivität des Straßenverkehrs. Die sichere und effiziente Einführung dieser Technologie stellt Straßenbetreiber jedoch gleichzeitig vor große Herausforderungen. Im Projekt DIGEST (Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße) werden Konzepte und Spezifikationen eines „Digitalen Zwillings der Straße“ für die Anwendung im gesamteuropäischen Raum entwickelt, die im Rahmen einer prototypischen Umsetzung im DACH-Raum konkretisiert werden. Ein wesentlicher Schritt zur Realisierung ist die Nutzung von digitalen Abbildungen des Verkehrssystems Straße in Form eines Digitalen Zwillings (DZ). Mittels Simulationsmodellen und unter Variation relevanter Einflussfaktoren können die Auswirkungen der jeweiligen Verkehrsmaßnahmen und Ausprägungen der Regelungsalgorithmen in den automatisierten Fahrzeugen, der Verkehrsregelung und des Verkehrsmanagements aufgezeigt und bewertbar gemacht werden. Ein wesentlicher Einflussfaktor für die Erstellung und den Betrieb (inkl. Kosten) eines DZ ist die Definition des richtigen Detaillierungsgrades. Es müssen alle relevanten Inhalte bzgl. der avisierten Anwendungen enthalten sein. Insbesondere müssen alle relevanten Einflussfaktoren, Effekte und Wechselwirkungen für die jeweilige Anwendung des Digitalen Zwillings ausreichend abgebildet werden. Bei den Wechselwirkungen ist zu beachten, dass zwischen allen Faktoren in der Regel viele, teilweise entgegenwirkende und konfliktäre Abhängigkeiten bestehen. In DIGEST wird das Konzept eines Digitalen Zwillings erarbeitet, das vorhandene Informationen bei Straßenbetreibern, ODD (Operational Design Domains, zB Markierungen) und ISAD-Level (Infrastructure Support for Automated Driving) sowie HD-Karten zusammenführt. Dieses Konzept wird dann prototypisch demonstriert. DIGEST hat das Ziel ISAD und statische ODD widerzuspiegeln sowie die Veränderungen dynamischer ODD in Echtzeit wiederzugeben und so ein Verkehrsmanagement zu ermöglichen, dass agil und abgestimmt mit diesen ODD und ISAD Parametern den Verkehr steuert („ODD Aware Traffic Management“). 1. Methodische Vorgehensweise Das Zielbild lt. Ausschreibung ist der „digitale Zwilling“ der Straße, der allen Beteiligten ein stets hochaktuelles Abbild der Situation des Verkehrssystem Straße zur Verfügung stellt. Dies ist durch die die Erarbeitung eines Konzeptes für einen Digitalen Zwilling der Straße, der Analyse der Potenziale eines solchen sowie der Spezifikation und prototypischen Umsetzung eines Demonstrators umzusetzen. In DIGEST werden Konzepte und Spezifikationen eines Digitalen Zwillings der Straße für die Anwendung im gesamteuropäischen Raum entwickelt, die im Rahmen einer prototypischen Umsetzung im DACH-Raum konkretisiert werden. DIGEST bildet eine Plattform für • „ODD Aware Traffic Management“ inkl. Spezifikation von Kriterien zur Freigabe automatisierter Fahrzeuge (statisch [Straßengeometrie, Markierung, etc.] und dynamisch per ODD-Control). • ISAD basierte C-ITS Nachrichten zur Freigabe von automatisierten Fahrfunktionen (zB Lkw Platooning) • integriertes Straßen Asset Management • die Entwicklung, die Absicherung und den sicheren Betrieb diverser kooperativer Dienste, wie etwa • Collective Perception zur virtuellen Erweiterung des Sichtfelds und Informationsgewinnung über die Verkehrssituation von Fahrzeugen Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße zur Unterstützung eines integrierten, situationsbezogenen Verkehrsmanagements 340 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 • Fahrzeuginformationen als Verkehrssensor für Verkehrsmanagement • kooperative Car2X-Messages. Die Projektziele werden in der Arbeitspaketstruktur gespiegelt: AP 2: Datengrundlagen für die Erstellung eines Digitalen Zwillings • Analyse vorhandener projektrelevanter digitaler Daten bei Straßenbetreibern in AT/ DE/ CH • Analyse vorhandener Daten/ Informationen aus den (automatisierten) Fahrzeugen • Analyse weiterer Stakeholder und deren Daten • Analyse der Rolle der Testfelder für Digitale Zwillinge • Analyse der ODD/ ISAD Levels und die Wechselwirkung mit der physischen Infrastruktur AP 3: Konzept des Digitalen Zwillings • Definition von State-of-the-Art Datenquellen und Formaten (HD Straßenkarte, Fahrzeuge als Sensoren, OEMs, ODD, Straßenbetreiber-Daten wie zB BIM- Modell, ISAD, Straßenverkehrsbehörden etc.) • Definition nötiger Kommunikationsinfrastruktur inkl. Datenmanagement (funktionale Sicherheit) • Definition der Anforderungen an DIGEST aus Sicht von Verkehrsmanagement-Prozessen der Straßenbetreiber • Konzeptdesign von DIGEST inklusive Datenfusionierung • Analyse und Potentialerhebung des DIGEST Konzeptdesigns • Validierung des Konzepts anhand des Testfelds in Niedersachsen AP 4: Demonstrator-basierte Validierung des Konzeptdesigns: • Festlegung der Verortung im DACH Raum mit den Auftraggebern • Prototypische Umsetzung • Erarbeitung von Optionen für technische Schnittstellen und Datenaustauschspezifikationen • Evaluierung des DIGEST Demonstrators AP 5: Betreiberkonzept für den Digitalen Zwilling • Erstellung eines Rollenmodelles für den Aufbau und den Betrieb des Digitalen Zwillings • Ausarbeitung von Vereinbarungen für den Datenaustausch • Ausarbeitung von Prozessen für den Datenaustausch • Erarbeitung von Rahmenbedingungen für den Betrieb des Digitalen Zwillings (rechtlich, organisatorisch, wirtschaftlich) Aktuell wurde gerade das AP2 abgeschlossen und dieses Manuskript gibt einen Überblick über die bisherigen Erkenntnisse. In AP2 werden verfügbare Daten und relevante Stakeholder analysiert. So wird die bereits vorhandene Basis als auch noch zu schließende Lücken für das Konzept eines Digitalen Zwillings erarbeitet. Die konkreten Ziele sind: Abbildung 1: Ziele Arbeitspaket 2 2. Analyse Stakeholder und verfügbare Daten Für die Erstellung eines zielgerichteten Digitalen Zwillings sind einerseits die Expertise verschiedener Stakeholder, wie z.B. Fahrzeughersteller, unterschiedliche Geschäftsbereiche der Straßenbetreiber, Kartendienstleister, etc. und vielfältige Daten bei diesen Stakeholdern andererseits erforderlich. Vieles davon ist bereits vorhanden, Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße zur Unterstützung eines integrierten, situationsbezogenen Verkehrsmanagements 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 341 während für andere Daten erst die entsprechenden Anforderungen festgelegt werden müssen. Dies wird in den 5 Tasks dieses Arbeitspakets erarbeitet. Die spezifische Expertise und Erfahrungen der Konsortiumsmitglieder werden dafür genutzt um die Einflussfaktoren von allen Betrachtungswinkeln - Fahrzeug, Infrastruktur, Daten, Testfelder zu beleuchten. Auf Basis vorhandener Literatur und Forschungsprojekten zu ODD, ISAD, Datenquellen und Testfelder für CCAM (insbesondere INFRAMIX, MANTRA, EU-EIP Activity 4.2) wird der Rahmen für ein realistisches, hochgenaues digitales Abbild der Straße geschaffen. Dieses wird mit Stakeholdern, zu denen im breiten Netzwerk der Konsortiumsmitglieder zu Straßenbetreibern, Fahrzeugherstellern, Kartendienstleistern, Verkehrsplanern, Testfeldbetreibern und weiteren Stakeholdern Kontakt besteht, in strukturierten Interviews und einem StakeholderInnenworkshop validiert. So wird die Basis für die Zusammenführung vorhandener Informationen bei Straßenbetreibern, ODD und ISAD sowie HD Karten geschaffen. Nachfolgende Grafik zeigt die, in diesem Arbeitspaket untersuchten Bereiche, die als sogenannte Einzelentitäten in die Modellierung Eingang finden. Dazu wurde im ersten Schritt eine Stakeholderanalyse aus Sicht der Verkehrsteilnehmer (Fahrzeuge), aus Sicht der Straßenbetreiber und hinsichtlich Sonstiger Stakeholder durchgeführt. Parallel dazu wurden Entscheidungsfragen gesammelt, die sich den unterschiedlichen Stakeholdern stellen gesammelt. Diese Entscheidungsfragen wurden anschließend in „Tasks“ umgewandelt und strukturiert. Als letzte Entität wurden die verfügbaren Daten untersucht. In vielen Einzelinterviews und Workshops wurde eine Sammlung an relevanten Daten inklusive Schnittstellen und weiteren Parametern zusammengestellt. Abbildung 2: Wesentliche Entitäten für DZ im Zuge von AP2 2.1 Stakeholder Die Ausgangslage für dieses Arbeitspaket bildet eine umfassende Analyse der relevanten, betroffenen und begünstigten Stakeholder im Zusammenhang mit einem digitalen Zwilling des Verkehrssystems Straße. Die Stakeholder wurden mithilfe von Fragebögen gesammelt und anschließend strukturiert. Im Zuge der geführten Experteninterviews wurde diese Struktur validiert sowie Lücken geschlossen. Die Stakeholder wurden in 3 Kategorien strukturiert: 1. Infrastrukturbezogene Stakeholder 2. Verkehrsteilnehmerbezogen Stakeholder 3. Sonstige relevante Stakeholder Exemplarisch ist in nachfolgender Grafik das Stakeholdermodell für Infrastrukturbezogene Stakeholder angeführt. Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße zur Unterstützung eines integrierten, situationsbezogenen Verkehrsmanagements 342 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 3: Stakeholdermodell Infrastruktur In qualitativen Interviews mit Experten bei Straßenbetreibern und dem Know How des Konsortium wurden aktuell verfügbare Daten gesammelt und tabellarisch zusammengefasst. Die Ergebnisse sind in Anhang 2 zu finden. Anhand von definierten Prozessen, einer klaren Festlegung von tatsächlich erforderlichen Daten sowie Datenverfügbarkeitslevels sollen diese vielfältigen Daten der Straßenbetreiber, der Fahrzeuge und sonstiger Stakeholder für einen Digitalen Zwilling nutzbar gemacht werden. Zu mindest sofern dies sinnvoll möglich und praktikabel ist. Es hat sich auch hier gezeigt, dass nicht alle verfügbaren Daten mit vertretbarem Aufwand verwendbar gemacht werden können bzw. es für manche Daten einfach (noch) keinen Anwendungsfall im Sinne eines digitalen Zwillings gibt. 2.2 Digitale Daten bei Straßenbetreibern Die Straßenbetreiber in Deutschland, Österreich und der Schweiz verfügen bereits über umfangreiche Daten ihres Straßennetzes. Diese Daten sind äußerst vielfältig und umfassen z.B. verschiedene Formen von Bauplänen, Asset Management Datenbanken, Zustandsdaten der physischen Infrastruktur (Roadstar, ZEB Messkampagnen, Brückenprüfungen), Wartungspläne und Performancedokumentation der digitalen Infrastruktur, Pläne des Verkehrsmanagements, Daten zu Wetter, Verkehrsaufkommen, Störungen und vieles mehr. All diese Daten sind für unterschiedliche Geschäftsbereiche der Straßenbetreiber relevant (Bau, Betrieb, Verkehrsmanagement, etc.). Die Herausforderung besteht darin, dass diese Datensilos nicht aufeinander abgestimmt sind, da bisher eine Zusam- Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße zur Unterstützung eines integrierten, situationsbezogenen Verkehrsmanagements 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 343 menführung und strukturierte Integration all dieser Daten nicht erforderlich war. Für CCAM bilden diese Daten jedoch eine wichtige Informationsbasis. Insbesondere das Verkehrsmanagement hat bereits etablierte Prozesse um auf Verkehrsszenarien (Verkehrsstärke, Ereignisse, etc.) zu reagieren. Darauf gilt es aufzubauen und auch auf neue Szenarien automatisierter Fahrzeuge, wie z. B. Safe Maneuver Ereignisse oder auf unvorhergesehene Handover Prozedere gefasst zu sein. Eine Herausforderung liegt nun in der strukturierten Zusammenführung vorhandener Daten aus den einzelnen Geschäftsbereichen und der Erweiterung um diese neuen Szenarien. Auch im Rahmen von Bau- und Sanierungsprojekten der Straßeninfrastruktur bietet die zunehmende Durchdringung neuerer Methoden, wie Building Information Modeling (BIM), wichtige Datengrundlagen. Bei BIM wird ein digitales Abbild des Bauprojektes - der physischen Infrastruktur - geschaffen, das dann über die Bauphase hinaus auch ins Asset Management und für den Betrieb verwendet werden soll. Diese Methodik kann eine Basis für einen Digitalen Zwilling bilden. Eine Herausforderung stellt die heterogene Datenlage am Straßennetz je nach Alter des Straßenabschnitts dar. Die Datenaktualität ist dabei oft mehrere Jahre alt, was für die meisten Anwendungsfälle durchaus ausreichend ist. Problematisch sind jedoch die Lücken die oft insbesondere die Bestandsunterlagen betreffen. Hierbei hat sich auch gezeigt, dass es Sinn machen wird durchaus Objektbezogen unterschiedliche Datenanforderungen zu stellen. So können für komplexe Autobahnknoten oder Tunnel akkurate BIM Modelle sinnvoll und erforderlich sein, während für freie Strecken ohne große Verkehrsbelastung oder Sicherheitsrisiken einfache Geometrieparameter wie die Fahrstreifenbreite als statische Infrastrukturinformation ausreichend sein. Die gesammelten Daten wurden in einer Datentabelle strukturiert gesammelt. Nachfolgende Grafik gibt einen Überblick über Struktur und Inhalt. Abbildung 4: Verfügbare Daten 3. Relevanz von ODD und ISAD Levels für DZ Die organisatorische Komplexität des Themas „Automatisiertes Fahren“ ergibt sich vor allem aus dem Umstand, dass die effiziente und effektive Einführung nicht mehr durch einzelne Unternehmen und Organisationen umgesetzt werden kann. Es bedarf einer kooperativen Zusammenarbeit zwischen Automobilherstellern, Straßenbetreibern sowie der öffentlichen Verwaltung inkl. Abgleich und Harmonisierung der derzeit jeweilig eingesetzten Kriterien und Informationen. Diese spiegeln sich vor allem in den ODDs und ISAD Levels wider und werden bei der Entwicklung des Digitalen Zwillings in DIGEST berücksichtigt. Bei der Fahrzeugregelung ergeben sich die Anforderungen an den Digitalen Zwilling in erster Linie aus den jeweiligen Operational Design Domains (ODD). Diese wiederum sind abhängig vom Automatisierungsgrad und der technischen Ausführung der einzelnen Komponenten. Auf der Infrastrukturseite können die zur Verfügung stehenden Komponenten, der Zustand und der digitale Ausrüstungsgrad der Straße anhand der ISAD Klassifikation eingeordnet werden. Dabei liefert die ISAD Klassifikation wichtige Elemente für die verfügbare ODD einer Strecke, sowohl hinsichtlich digitaler (Sensorik, digitales Verkehrsmanagement, etc.) als auch physischer (Straßenmarkierungszustand, etc.) Infrastruktur. In anderen Worten, könnte die ISAD Klassifikation, als die Antwort der Straßenbetreiber auf die ODDs der Fahrzeughersteller gesehen werden. Die Zusammenführung von ODDs und ISAD stellt einen zentralen Punkt in DIGEST dar. ODDs und ISAD sind in der Entwicklung um eine standardisierte Klassifikation von Fahrzeugfunktionen (ODD) und Infrastrukturfunktionen (ISAD) zu liefern. Es besteht eine Co-Abhängigkeit der beiden Klassifikationen, die als Basis für den sicheren Betrieb von auto- Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße zur Unterstützung eines integrierten, situationsbezogenen Verkehrsmanagements 344 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 matisierten Funktionen integriert betrachtet und über ein kooperatives digitales Verkehrsmanagement gesteuert und kommuniziert werden muss. Ein Kerninstrument dafür ist ein standardisierter Digitaler Zwilling. Auf dem Weg dorthin gibt es vielseitige Herausforderungen. Sowohl ISAD als auch ODD sind Konzepte, die einem kontinuierlichen Diskussions- und Entwicklungsprozess unterliegen. Die Definition von ODDs für verschiedene Use Cases und Automatisierungsgrade ist in vollem Gange. Zur Unterstützung des automatisierten Fahrens wurde seitens der Straßenbetreiber das Konzept der Infrastructure Support Levels for Automated Driving (ISAD) im Projekt INFRAMIX entwickelt. The Umgebungswahrnehmung von automatisierten Fahrzeugen ist limitiert durch Reichweite und Umfang der On-board Sensorik. Dies kann durch straßenseitige Sensorik, die von Straßenbetreibern für Verkehrsgeschehen und Umweltbedingungen bereits genutzt werden, erweitert werden. Durch die Klassifizierung der Straßeninfrastruktur in Form der ISAD Levels kann der Zustand und das „Readiness Level“ den Fahrzeugen zur Verfügung gestellt werden. Der aktuelle Stand der ISAD Klassifizierung [ISAD] ist nachfolgend dargestellt. DIGEST wird ISAD und statische ODD (Straßengeometrie, Markierung, etc.) widerspiegeln sowie die Veränderungen dynamischer ODD in Echtzeit wiedergeben und so ein Verkehrsmanagement ermöglichen, dass agil und abgestimmt mit diesen ODD und ISAD Parametern den Verkehr steuert. Die ODD Einschränkungen können durch antizipatives Verkehrsmanagement gesteuert bzw. verringert werden („ODD bewusstes Verkehrsmanagement“). Wenn die Datenlage der Straßenbetreiber in Form von ISAD Levels und die aktuellen ODD Erfahrungsdaten der Fahrzeuge in einem Digitalen Zwilling zusammengeführt werden, wird allen Beteiligten ein stets hochaktuelles Abbild der Situation des Verkehrssystem Straße zur Verfügung gestellt und ein kooperatives, ODD bewusstes Verkehrsmanagement möglich. 4. Modellierungsansatz Zur Aufarbeitung und Analyse des Themas digitaler Zwilling im Bereich Verkehrsnetz Straße werden im Rahmen von DIGEST Modelle erstellt, die die beteiligten Entitäten und Zusammenhänge darstellen und nach UML modelliert werden. Unterschieden werden dabei die folgenden Modellarten: • Verkehrliche Kontextmodelle (global bzw. allgemein gültig) • Funktionsmodelle für konkrete digitale Zwillings- Ideen Diese Modellarten haben unterschiedlichen Fokus und unterscheiden sich z.B. durch die Auswahl der dargestellten Entitäten und Relationen. Kontextmodelle stellen jeweils nur Entitäten gleichen Typs, aus einem der Teilbereiche, sowie deren Beziehungen zueinander dar. Abbildung 5: Kontextmodell Funktionsmodelle basieren auf den globalen Kontextmodellen. Sie bilden, Kontextmodell-übergreifend, einen ausgewählten Teil der dort enthaltenen Entitäten ab. Ein Funktionsmodell wird für eine bestimmte digitale Zwillings-Idee erstellt und enthält jeweils jene Elemente und Beziehungen, die für die Anwendungsfälle dieses digitalen Zwillings, bzw. deren Stakeholder, relevant sind. Das Funktionsmodell ist eine rein funktionale Sicht auf eine digitale Zwillings-Idee, bestehend aus Teilen der Stakeholder-, Ziele-, Task- und Datenmodelle (aus den jeweiligen globalen Kontextmodellen). Es zeigt wem eine digitale Zwillings-Idee für bestimmte Ziele nutzen kann, wofür sie verwendet werden kann, und welche Daten dafür notwendig sind oder nützlich sein können. Der Fokus des Funktionsmodells liegt auf konkreten, auf eine digitalen Zwillings-Idee bezogenen Zusammenhänge. Es hat den Anspruch auf Allgemeingültigkeit und ist lösungsfrei. Auf Basis des Funktionsmodelles lassen sich die relevanten Daten und Anforderungen für bestimmte Ausführungsszenarios analysieren. 5. Zusammenfassung und Ausblick Im Projekt DIGEST wird die folgende Definition eines digitalen Zwillings herangezogen: “Ein Digitaler Zwilling ist ein digitales Modell von Aspekten der Realität, das helfen soll Entscheidungen zu treffen, diese aber nicht selbst trifft. Die Anforderungen an den Digitalen Zwilling sind stark abhängig von den zu treffenden Entscheidungen.” DIGEST analysiert und demonstriert wie ein realistisches, hochgenaues digitales Abbild der Straße inkl. ISAD und ODD Spezifikationen helfen kann, ein integriertes Informationsmanagement und Herausforderungen beim Verkehrsmanagement für verschiedene Ausbaustufen von vernetztem und automatisiertem Fahren zu Digitaler Zwilling des Verkehrssystems Straße zur Unterstützung eines integrierten, situationsbezogenen Verkehrsmanagements 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 345 meistern. In DIGEST wird das Konzept eines Digitalen Zwillings erarbeitet, das vorhandene Informationen bei Straßenbetreibern, ODD und ISAD sowie HD Karten zusammenführt. Dieses Konzept wird dann prototypisch demonstriert. Die technisch/ inhaltliche Basis von DI- GEST ist ein Digitaler Zwilling, der in ein Szenario-Management eingebettet ist. Mittels Simulationsmodellen und unter Variation relevanter Einflussfaktoren können die Auswirkungen der jeweiligen Verkehrsmaßnahmen und Ausprägungen der Regelungsalgorithmen in den automatisierten Fahrzeugen, der Verkehrsregelung und des Verkehrsmanagements aufgezeigt und bewertbar gemacht werden. Das erste Arbeitspaket zur Sammlung der Datengrundlage, Erstellung einer Stakeholderübersicht und Formung des Modellierungsansatzes wurde abgeschlossen. Daraus sind bereits eine Liste von digitalen Zwillings-Ideen entstanden, die nun in Funktionsmodellen konkret modelliert werden. Sobald für jede digitale Zwillings-Idee ein konsolidiertes Funktionsmodell verfügbar ist, wird mit einer Priorisierung bzw. einer Auswahlanalyse für die prototypische Umsetzung gestartet. Basierend auf den erstellten Funktionsmodellen kann für bestimmte Ausführungsszenarien eine Anforderungsanalyse hinsichtlich Datenqualität erfolgen. Das ist notwendig um eine fundierte Auswahl treffen zu können welche Art von Digitalen Zwillings-Ideen für eine prototypische Umsetzung in Frage kommen. Denn erst so lässt sich sagen: • ob verfügbare Daten bereits ausreichen um eine DZ zu erstellen • ob weitere Sensorik benötigt wird • wie hoch die Kosten sein werden • ob das Ausführungsszenario machbar ist • etc. Möglicherweise lassen sich aber auch schon anhand der Funktionsmodelle selbst bestimmte digitale Zwillings- Ideen vor-priorisieren, weil sie für bestimmte Stakeholder nicht oder gerade interessant sind, oder als vorerst nicht interessant klassifiziert werden, weil die notwendigen Daten generell nicht verfügbar oder zu teuer sind. Der Projektabschluss ist für Oktober 2022 vorgesehen. Das Projekt DIGEST wird im Zuge des D-A-CH Kooperationsausschreibung 2020 für Verkehrsinfrastrukturforschung im Rahmen von Mobilität der Zukunft von BMVI Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Deutschland; BMK Bundesministerium für Klimaschutz, Österreich und ASTRA, Bundesamt für Strassen, Schweiz finanziert. Das Programmmanagement wird durch FFG umgesetzt. Danke an die Fördergeber und die Projektpartner FH Oberösterreich, Andata, Hitec Marketing und DLR. Künstliche Intelligenz 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 349 Evolutionäre Algorithmen im Brückenbau Tragwerksoptimierung in der Entwurfsphase am Beispiel der Fußgängerbrücke über die kleine Weser und der Talbrücke Bremecke Fabio Baniseth Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH, Dortmund, Deutschland Zusammenfassung Der vorliegende Aufsatz beschäftigt sich mit der Anwendung von Optimierungsalgorithmen in der visuellen Programmierungsumgebung von Rhinoceros 3D namens Grasshopper. Ein besonderes Augenmerk gilt hierbei dem Bereich des Infrastrukturbaus und speziell dem Brückenbau. Zunächst erfolgt eine Einordnung und Beschreibung der visuellen Programmierung (VP) innerhalb eines Projektworkflows. Den Grundbaustein für Optimierungsuntersuchungen bilden parametrische Modelle, die auf VP basieren. Auf dem Grundgerüst des parametrischen Modells setzen die in Grasshopper implementierten Optimierungssolver auf. Mithilfe des Plug-ins Karamba 3D lässt sich aus dem parametrischen Geometriemodell ein Finite-Element-Modell erstellen, wodurch ein geschlossener Workflow zwischen Geometrie, Statik und Optimierung entsteht. Aus den Ergebnissen einer Masterarbeit, die in Kooperation zwischen der TU Dortmund und Schüßler-Plan entstanden ist, sowie weitergeführten Untersuchungen wird an zwei Praxisbeispielen die Anwendung von Optimierungsalgorithmen in frühen Planungsphasen dargestellt. 1. Visuelle Programmierung mit Grasshopper 1.1 Historie Der Auftakt der VP liegt in den Entwicklungen von David Smith in den 1970er Jahren. Smith hat sich dem Grundsatz bedient, dass das menschliche Gehirn bildliche Eindrücke effizienter verarbeitet als reine Texte und die Anwendung keine professionellen Programmierkenntnisse voraussetzt. Im Jahr 2007 fand die parametrisch visuelle Entwicklungsumgebung Grasshopper für Rhinoceros Eingang in die architektonische Entwurfspraxis [1]. Die Stärken der VP werden in den nachfolgenden Jahren schnell von den Softwareentwicklern der Architektur-, Ingenieur- und Bauwesenbranche erkannt und Algorithmen-editoren für weitere Programmfamilien entwickelt (u.a. Dynamo für Revit (2011), Marionette für Vectorworks (2015), Visual Scripting für Allplan (2019) und Param-O für Archicad (2020)). 1.2 Modellierungsprinzip Eine technische Grundlage des digitalen Entwerfens liegt in der textbasierten oder visuellen Computerprogrammierung, in welcher eine Reihe von Aktionen miteinander verknüpft werden, sodass ein ausführbares Programm entsteht. Bei der VP geschieht dies durch die Anordnung von grafischen Elementen in einer Art Flussdiagramm - sogenannten grafischen Algorith-meneditoren - wohingegen die textbasierte Programmierung auf vordefinierten Befehlen - einer regelgebenden Syntax - gefolgt von den entsprechenden Parametern fußt. Beim parametrischen Entwerfen werden bspw. Linien nicht mehr von Punkt A nach Punkt B gezogen, sondern bestimmte Regeln und Abhängigkeiten festgelegt, aus denen diese Linie generiert wird, wobei auch schon Abhängigkeiten zwischen den beiden Punkten A und B existieren können. Geometrische Veränderungen wie die Anpassung der Koordinaten von Punkt A führen zu Veränderungen in der gesamten Abhängigkeitsverkettung. Der Prozess des parametrischen Entwerfens bedient sich der digitalen Informationsaufbereitung, wodurch alle denkbaren geometrischen Formen möglich sind. Evolutionäre Algorithmen im Brückenbau 350 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 1-1: Parametrisches Rechteck mit Grasshopper 1.3 VP und Statik Nach der Veröffentlichung von Grasshopper im Jahr 2007 war es naheliegend, Finite-Elemente-Berechnungen an der visuell generierten Geometrie durchzuführen. Das verfügbare Programmsystem Karamba zur Tragwerksoptimierung hatte jedoch den wesentlichen Nachteil, dass für die Anwendung Programmierkenntnisse erforderlich waren, wodurch der Kreis der potenziellen Nutzer stark eingeschränkt war. Der im Rahmen des Forschungsprojekts „Algorithmische Generierung komplexer Stabtragwerke“ entwickelte FE-Berechnungskern wurde deshalb umfassend adaptiert und als Grasshopper-Plug-in unter der Bezeichnung Karamba3D im Jahr 2014 veröffentlicht. Dieses ermöglichte erstmals die interaktive Berechnung vollständig parametrisierter Tragwerke [2]. Durch die Einführung von Karamba3D gelang der Brückenschlag zu den Ingenieuren. Seitdem lassen sich FE-Elemente (Stab- und Schalenelemente) in die parametrisch visuelle Programmierung einbinden und u.a. Schnittgrößen, Spannungen und Verformungen in Echtzeit kalkulieren. Sobald Änderungen an der Geometrie vorgenommen werden, erfolgt eine automatische Neuberechnung ohne längeres Processing und der Einfluss der Parameteränderungen kann unmittelbar identifiziert werden. 1.4 Vor- und Nachteile Um vor allem in frühen Planungsphasen flexibel auf sich ändernde Randbedingungen reagieren zu können, werden immer häufiger Entwürfe parametrisiert. Parametrisches Entwerfen basiert auf einem System von geometrischen Beschreibungen und Abhängigkeitsbeziehungen, um verschiedene Varianten erzeugen und abändern zu können [3]. Der zunächst erhöhte Aufwand in der Geometrieerzeugung macht sich in späteren Projektphasen oder wiederkehrenden Aufgabenstellungen in Form großer Flexibilität bezahlt. Insbesondere im Ingenieurbau wurden früh textbasierte Eingabefiles von FE-Modellen parametrisiert, wohingegen erst Anfang der 1990er Jahre über den Umweg von Animationssoftware parametrische Methoden Eingang in den Architekturentwurf fanden [2]. Kombiniert man den parametrischen Entwurfsgedanken mit der vorgestellten visuellen Programmierung, ergeben sich - basierend auf Parametrik, Visualität und Programmierung - vielfältige Vorteile. Die allgemeine Stärke der Programmierung liegt offensichtlich in der (wiederholten) Ausführung von beliebigen Aufgaben(-folgen) ohne Verzögerungen. Für den Anwender ist es einfacher, die (programmierten) Informationen visuell aufzufassen, da diese im Gegensatz zu sequenziell zu verarbeitenden, verbalen Informationen parallel wahrgenommen werden können. Weiterhin ist die Programmierung durch direkte Manipulation bzw. Modifikation der visualisierten Objekte wesentlich einfacher und insbesondere fällt der Einstieg in die Thematik der parametrisch visuellen Programmierung im Vergleich zur textbasierten Programmierung leichter, da sowohl die Eingaben als auch fehlerhafte Sequenzen direkt ablesbar sind und keine strikte Syntax eingehalten werden muss. Nachteilig kann sich wiederum die teilweise sehr individuelle Gestaltung des visuell programmierten Skripts herausstellen, da es durch das Fehlen einer Syntax keinen Leitfaden zur Skripterstellung gibt und sich Anwender oftmals grundlegend in ein fremdes Skript einarbeiten müssen. Darüber hinaus können durch unübersichtliche Strukturierung der frei im Raum platzierbaren Programmierbausteine der Informationsgehalt sowie die Nachvollzierbarkeit verringert werden. Weitere Vorteile ergeben sich aus der Parametrisierung des (visuell programmierten) Modells. Demnach können Änderungen während des Entwurfsprozesses schnell implementiert, effizient Variantenstudien, insbesondere in der Vorplanungsphase oder in Wettbewerben, durchgeführt oder bei entsprechender Programmierung Modelle universell für mehrere Projekte verwendet werden. Bei komplexen Systemen können statische Abhängigkeiten bzw. Auswirkungen von Geometrieänderungen unmittelbar mithilfe von Karamba3D erfasst werden, wobei die Verwendung weiterer Plug-Ins oder eine entsprechende Vorbereitung des Skriptes das parametrisierte (Geometrie-)Modell auch in anderen Softwareprogrammen lesbar und weiterverwendbar macht. In Ergänzung dazu bedarf der Einsatz von Optimierungssolvern eine parametrische Modellstruktur, sodass die Bearbeitung einer Problemstellung (z. B. die Suche nach der verformungsärmsten Geometrie für eine gegebene Laststellung) effizient in einer Variantendichte gelöst werden kann, die manuell bzw. ohne intelligente Automatisierungsprozesse zeitlich und wirtschaftlich undenkbar ist. Dem entgegen steht der zu Beginn erhöhte Zeit- und Modellierungsaufwand zur Erstellung eines parametrischen Modells, eine im Voraus erforderliche gut durchdachte Parameterwahl sowie eine entsprechend notwendige kompatible Aufbereitung des parametrischen (Geometrie-)Modells für eine etwaige Weiterverwendung in anderen (FE-)Programmen. Bei einer Evaluation der parametrisch visuellen Programmierung fällt auf, dass die Vorteile der visuellen Programmierung die Nachteile der parametrischen Modellierung weitestgehend kompensieren, sodass die Erzeugung parametrischer Modelle mit Methoden der visuellen Programmierung vielfältiges Anwendungspotenzial besitzt. Evolutionäre Algorithmen im Brückenbau 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 351 Mögliche Anwendungsszenarien werden in Abschnitt 3 und 4 präsentiert. Zuvor wird auf die Grundlagen der Optimierungssolver in Grasshopper eingegangen. 2. Tragwerksoptimierung mit heuristischen Algorithmen 2.1 Grundprinzip Das Streben nach optimierten Zuständen lässt sich in allen Wirtschaftsbranchen in unterschiedlichen Erscheinungsformen wiederfinden. Dementsprechend haben sich im Laufe der Zeit verschiedene Optimierungsmethoden entwickelt. Im Bauwesen ist die Verwendung solcher Algorithmen bisher nicht etabliert, weil die Einbindung in baubranchenübliche Software ein tiefergehendes Programmierungsverständnis und einen hohen Programmierungsaufwand abverlangt. Die VP hat sich in den letzten 10 Jahren als geeignete Schnittstelle für den Einsatz von Optimierungsalgorithmen im Bauwesen herausgestellt, die es sogar Anwendern ohne Programmierkenntnisse ermöglicht diese auszuführen. Insbesondere konnten sich heuristische Algorithmen durchsetzen, weil diese bei komplexen Optimierungsaufgaben, in verhältnismäßig geringer Zeit zu guten Resultaten führen. Im Vergleich zu anderen Optimierungsverfahren existiert kein Konvergenzkriterium und der Algorithmus ist nicht auf Ableitungsinformationen angewiesen, wodurch der Lösungsraum (2D, 3D oder höher) unstetig und lückenhaft sein kann. Diese Randbedingungen führen jedoch dazu, dass das Auffinden eines globalen Optimums nicht garantiert werden kann und die scheinbar optimierten Ergebnisse nur lokale Optima abbilden. Eine plakative Darstellung für die Funktionsweise abstrakter heuristischer Optimierungsalgorithmen lässt sich anhand eines dreidimensionalen Lösungsraumes abbilden. Ein dreidimensionaler Lösungsraum ergibt sich bei der Verwendung von zwei Genomen - also zwei Modellparametern. Der Lösungsraum wiederum lässt sich bildlich als Fitnesslandschaft mit Bergen (lokale und globale Maxima) und Tälern (lokale und globale Minima) betrachten (siehe Abbildung 2-1). Der Optimierungsalgorithmus besitzt keine Kenntnisse über die Größe und genaue Form der Landschaft. Aus diesem Grund erfolgt im ersten Schritt ein Oberflächen-Mapping - vergleichbar zu einer Drohnenvermessung nur mit größeren Punktabständen aus dem eine Art „verschwommene“ 3D-Punktwolke der Landschaft erstellt wird. Jeder Punkt ist das Ergebnis aus einer zufälligen Kombination der zwei Genome. Mithilfe der Fitnessbedingung kann der Algorithmus das generierte Höhenmodell für die Lage jedes einzelnen Punktes bewerten, worin die eigentliche Intelligenz des Algorithmus liegt. Dadurch können in weiteren Schritten die besonders hoch- oder tiefgelegenen Punkt-Cluster gezielt verfeinert werden, bis sich der höchste oder tiefste Punkt der Landschaft herauskristallisiert. Abbildung 2-1: Arbeitsweise heuristischer Algorithmen [4] 2.2 Optimierungsalgorithmen in Grasshopper Seit Ende des Jahres 2015 steht mit Galapagos ein Optimierungssolver in der visuellen Programmierungsumgebung von Grasshopper zur Verfügung. Galapagos enthält mit einem evolutionären Algorithmus (EA) und Simulated Annealing (SA) zwei heuristische Optimierungsalgorithmen. Das Galapagos-Modul zeichnet sich durch eine anwenderfreundliche Oberfläche und Bedienung aus, da lediglich die Genome und die Fitnessbedingung vorzugeben sind. Bei den Genomen handelt es sich um die Parameter (Schieberegler) des Grasshopper-Skripts und bei der Fitnessbedingung um die zu optimierende Zielfunktion, welche jedoch nur eine Zahlengröße - z.B. die Durchbiegung eines Einfeldträgers in Feldmitte - definieren kann. Galapagos gehört somit zu der Gruppe der „Single Objective Optimization Solver“. Andere Optimierungssolver für Grasshopper, wie beispielsweise das Plug-in Octopus, sind in der Lage, Optimierungen unter Berücksichtigung von mehreren Fitnessbedingungen parallel durchzuführen („Multi Objective Optimization“), die jedoch in diesem Aufsatz keine weitere Betrachtung finden. EA und SA sind „naturanaloge“ textbasierte Algorithmen, die auf unterschiedlichen Grundprinzipien beruhen. EAs bedienen sich dem Vorbild natürlicher Auslese und imitieren auf abstrakter Ebene die treibenden Kräfte evolutionärer Prozesse (z.B. Replikation, Variation, Mutation und Selektion). Das Prinzip von SA basiert auf dem physikalischen Prozess des Abkühlens einer Schmelze zu einem Festgestein. Somit werden einerseits Formalismen der Evolution und andererseits die Kristallisierung eines Systems in seinen niedrigsten Energiezustand für die Suche eines Optimums eingesetzt. Anwendern von Galapagos müssen die Vor- und Nachteile, die heuristische Algorithmen mit sich bringen, bewusst sein, um die Ergebnisse richtig interpretieren und an gezielten Stellen nachschärfen zu können. Evolutionäre Algorithmen im Brückenbau 352 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Vorteile Nachteile Anwendung bedarf keinem tieferen Programmierverständnis Heursitiken basieren auf nichtwillkürlichen iterativen Methoden, die keine Garantie auf globale optimale Lösungen geben Heuristiken können in begrenzter Zeit möglichst gute Lösungen finden Galapagos ist eine „Black- Box“ - alle Ergebnisse sind kritisch zu hinterfragen Tabelle 2-1: Vor- und Nachteile heuristischer Algorithmen 3. Praxisbeispiel 1: Talbrücke Bremecke 3.1 Projektvorstellung Im Rahmen einer Masterarbeit an der Technischen Universität Dortmund in Kooperation mit der Schüßler-Plan GmbH wurde der Ersatzneubau der Talbrücke Bremecke im Zuge der A45 unter Verwendung von parametrischen Methoden untersucht. Dabei handelt es sich um eine im Grundriss gekrümmte (R = 1000 m) Verbundbalkenbrücke, welche die im Jahr 1970 fertiggestellte 11-feldrige Spannbetonbrücke (Zustandsnote 3,5) in den nächsten Jahren ersetzen soll. Die Länge der Brücke beträgt ca. 470 m und maximale Pfeilerhöhen belaufen sich auf 50 m. Die parametrischen Analysen erfolgten mit der Softwaregruppe Grasshopper, Karamba und Galapagos. Abbildung 3-1: Talbrücke Bremecke (Bestand) 3.2 Parametrisches Modell Abbildung 3-2: DGM, Bestandbrücke und Ersatzneubauachsen (rot) Als Grundlagen standen ein digitales Geländemodell (DGM) aus einer triangulierten Punktwolke sowie ein 3D-Modell der Bestandsbrücke zur Verfügung. Den ersten Modellparameter bildeten „Bauvermeidungsflächen“, in denen Gründungskörper des Ersatzneubaus nicht eindringen sollten (z.B. Bereiche mit Bestandsfundamenten). Durch die koordinatenechte Lage der beiden Grundlagen-Modelle konnte mit Grasshopper-Befehlen das DGM in den Bauvermeidungsflächen, parametrisch beeinflussbar in Länge und Breite, ausgestanzt werden. Da die Pfeilerachsen (ebenfalls parametrisch in Lage und Anzahl) des Ersatzneubaus auf einen Schnittpunkt mit dem DGM angewiesen sind, war eine Gründung in diesen Flächen ausgeschlossen (siehe Abbildung 3-2). Abbildung 3-3: Ausschnitt Parameter-Set Für eine benutzerfreundliche Bedienung wurden die Parameter in einem „Parameter-Set“ dargestellt (siehe Abbildung 3-3). Weitere Modellparameter sind in Tabelle 3-1 aufgeführt. Evolutionäre Algorithmen im Brückenbau 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 353 Parametergruppe Modellparameter Globale Brückengeometrie Brückenlänge, Ersatzradius, Feldanzahl und Feldspannweiten, Überbau-Vouten Querschnitte Überbau-QS (Auswahl zwischen Verbund-QS mit einem großen oder zwei kleinen Stahlhohlkästen, Blechstärken, Fahrbahnplatte), Pfeilerquerschnitt (Rechteckabmessungen, Betongüten) Lagerung Konventionelle Lagerungen (Tangentiall- oder Pohlstrahllagerung), semi-integrale und integrale Lagerung, Auswahl des Festpfeilers bzw. der Festpfeilergruppen Tabelle 3-1: Modellparameter Weiterhin zeigt Abbildung 3-4 das gesamte Skript der Talbrücke Bremecke. Abbildung 3-4: Grasshopper-Skript TB Bremecke 3.3 Ersatzradiusoptimierung Die Herstellung von langen Talbrücken erfolgt häufig im Taktschiebeverfahren. Dabei wird aus geometrischen Gründen ein konstanter Einschubradius des Stahlhohlkastens benötigt. Da die Verkehrsachse im Bereich der Brückenstationierung oftmals aus unterschiedlichen Trassierungselementen besteht (TB Bremecke: Kreisbogen L = 370 m (R=1000 m) und Klothoidenabschnitt L = 108 m (A=900)), entstehen Abweichungen zwischen der Achse des Stahlhohlkastens und der Verkehrsachse der Fahrbahnplatte. Diese Abweichungen werden mit „flatternden“ Kragarmen der Fahrbahnplatte ausgeglichen. Eine Reduzierung der Kragarme führt zu wirtschaftlicheren Bewehrungsgraden. Die optimale Lage des Kreisbogens mit zugehörigem Ersatzradius in einem manuellen zeichnerischen Ansatz zu iterieren, ist nahezu unmöglich, vor allem wenn weitere Faktoren, wie beispielsweise Taktkellerlängen, berücksichtigt werden müssen. Anders sieht es bei einem heuristischen Algorithmus aus, der in kürzester Zeit eine Vielzahl an Varianten produziert, diese auswertet und einen optimierten Kreisbogen ermittelt. Das generierte Grasshopper-Skript enthält alle notwendigen Parameter für den Kreisbogen (= Genome) und berechnet den Abstand zwischen der Verkehrsachse und der Kreisbogenachse des Stahlholkastens in regelmäßigen Intervallen (= Fitnessbedingung, die zu minimieren ist). Die Länge, Breite und Lage des Taktkellers sind als zusätzliche Randbedingungen in der Optimierung berücksichtigt. Abbildung 3-5: Ausschnitt Ersatzradiusoptimierung mit Galapagos Tabelle 3-2 stellt die Ergebnisse von Galapagos für unterschiedliche Taktkellervarianten dar. Befindet sich der Taktkeller auf der südlichen Seite und somit im Bereich des Kreisbogenabschnitts, werden optimale Abstände von maximal 7,0 cm zwischen der Verkehrsachse und der Achse des Stahlhohlkastens erzielt. Dieses Ergebnis gilt für Taktkellerlängen von 60 m bis 100 m. Verlegt man die Lage des Taktkellers jedoch zum nördlichen Widerlager, also in den Klothoidenabschnitt, fallen die Ergebnisse ungünstiger aus. Bei einem 60 m langen Taktkeller beträgt der optimierte Abstand zwischen den Achsen 7,9 cm. Steigt die Taktkellerlänge auf 100 m an beträgt der optimierte Abstand bereits 26,9 cm. Tabelle 3-2: Ergebnisse der Ersatzradiusoptimierung 3.4 Optimierung der Pfeilerpositionen Kombiniert man die Brückenlänge und sinnvolle Spannweiten für Verbundbrückenquerschnitte kommen für den Ersatzneubau der Talbrücke Bremecke Varianten mit 5, 7 oder 9 Feldern in Frage. Die Bestandspfeiler bilden für die Pfeiler des Ersatzneubaus Bauvermeidungsflächen, d.h. die Ausbildung der neuen Pfeiler sollte zwischen Evolutionäre Algorithmen im Brückenbau 354 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 den alten Pfeilern erfolgen, weil eine Gründung innerhalb der Bestandspfeilerachsen hohen wirtschaftlichen Aufwand bedeutet. Um dieses Kriterium einzuhalten, werden Bauvermeidungsflächen um die Bestandspfeiler herum modelliert. Dabei handelt es sich um Rechtecke, die mit einem Versatz entlang der Außenkante der Bestandsfundamente verlaufen und in diesem Bereich das DGM ausstanzen. Bauvermeidungsflächen schließen die Erzeugung von Pfeilerachsen aus, da die Achsen auf einen Schnittpunkt mit dem DGM angewiesen sind. Somit kann das Grasshopper-Skript nur Pfeilerpositionen konfigurieren, die außerhalb der Bauvermeidungsflächen liegen. Die Definition einer optimalen Pfeilerpositionierung ist, im Gegensatz zu der Optimierung des Ersatzradius, bei der die Fitnessfunktion nur aus der Minimierung eines Abstandes bestand, von mehreren Bedingungen abhängig. Dementsprechend benötigt der Optimierungssolver Informationen, die das Optimum charakterisieren. Die Optimierung der Feldspannweiten findet für 5-,7- und 9-feldrige Varianten getrennt voneinander statt. Durch ständiges Verschieben der Pfeilerachsen bildet der Optimierungssolver viele Varianten, die mit der Fitnessfunktion ausgewertet und gefiltert werden. Befindet sich eine Pfeilerachse innerhalb der Bauvermeidungsfläche, fällt diese als Lagerung für den Brückenüberbau aus. Die Brücke hat in diesem Fall ein Feld weniger. Damit der Optimierungssolver Varianten mit weniger Feldern ausschließt wird ein Bedingungsoperator eingeführt, der während des Optimierungsprozesses für jede Variante die Pfeileranzahl berechnet und bei fehlenden Pfeilern einen großen Zahlenwert auf die Fitnessfunktion dazu addiert. Varianten mit großen Zahlenwerten unterliegen einer schlechten Bewertung des Solvers und werden als Lösungen ausgeschlossen. Ein wichtiges Kriterium für optimale Pfeilerpositionen ist ein regelmäßiger Biegemomentenverlauf M y . Die Optimierung erfolgt unter einer vertikalen und konstanten Gleichstreckenlast von 100 kN/ m. Je symmetrischer die Pfeileranordnung, desto regelmäßiger ist auch der Biegemomentenverlauf. Jedoch geht eine exakt symmetrische Pfeileranordnung nicht mit exakt symmetrischen Momentenverläufen einher, da der Geländeverlauf und die dadurch unterschiedlichen Pfeilerhöhen einen geringen Einfluss auf die Verteilung der Schnittgröße M y ausüben. Da die Größe der Stützmomente bei Verbundbalkenbrücken in Bereichen von mehreren 10.000 kNm liegen, kann die Toleranz der Stützmomentenpaare (S1/ S2, S2/ S5, S3/ S4, für eine 7-feldrige Variante) in einem (selbst festgelegten) Bereich bis 500 kNm schwanken. Nebenbei ermöglicht ein Toleranzbereich dem Optimierungsalgorithmus bessere Lösungen zu generieren, da er ansonsten durch dieses „harte“ Kriterium sehr eingeschränkt wird. Abbildung 3-6: Stützmomentenpaare Bei der Bemessung des Überbaus sind die Stützmomente des Biegemomentenverlaufs My die maßgebenden Werte, weil sie in den am höchsten beanspruchten Bereichen über den Pfeilern auftreten. Daraus ergibt sich der Kern der Fitnessfunktion, und zwar die Minimierung des Betrags der Summe der Stützmomente. Abbildung 3-7 stellt die Optimierung der 7-feldrigen Variante dar (Spannweiten 55,1 - 69,2 - 80,1 - 80,0 - 68,8 - 55,8 m). Entsteht im Bereich des DGMs eine neue Randbedingung - z.B. neue Bereiche in denen nicht gegründet werden darf - kann diese über Bauvermeidungsflächen kurzfristig ergänzt und in dem Algorithmus berücksichtigt werden. Abbildung 3-7: Optimierte 7-feldrige Variante 4. Praxisbeispiel 2: Fußgängerbrücke über die kleine Weser 4.1 Projektvorstellung Das Innenstadtkonzept Bremen 2025 sieht u.a. den Ringschluss der Wallanlage vor. Die Stärkung regionaler Radwegeverbindungen nimmt dabei einen hohen Stellenwert ein. Die geplante Trassenführung erfordert einen Brückenschlag über die Weser. Die geplante Fuß- und Radwegbrücke über die kleine Weser, einem Nebenarm der Weser, soll als Fahrradpremiumroute ausgeführt werden und eine lichte Breite von 8,00 m zwischen den Geländern besitzen. Evolutionäre Algorithmen im Brückenbau 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 355 Abbildung 4-1: Lageplan aus der MBS [5] Im Jahr 2016 wurde für den Brückenabschnitt über die kleine Weser eine Machbarkeitsstudie (MBS) durchgeführt. Die favorisierte Variante ist eine reine Stahlbrücke mit schräg geneigtem Bogenträger (Spannweite ca. 100 m), der mit ca. 20 Hängern eine Verbindung zu dem im Grundriss gekrümmten (R = 200 m) Längsträger (max. Höhe 1,00 m) herstellt. Der Längsträger ist ca. 130 m lang und setzt sich aus einem Strom- und Vorlandbereich zusammen. Für das Tragwerk liegen einschränkende Randbedingungen vor, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: - Lichtraumprofile: Auf der Brücke ist ein LRP von 8 m Breite und 2,50 m Höhe freizuhalten (Hänger dürfen nicht eindringen). Unterhalb der Brücke befindet sich auf der Vorlandseite ein Unterhaltungsweg, für den eine lichte Höhe von 4,25 m einzuhalten ist - Hochwasserschutz: Einzuhaltende Mindesthöhen der Brückenunterkante (+ 8,20 m NHN) - Grundstücksgrenzen schränken die Gründungsmöglichkeiten des Bogens ein - Dükerleitungen und weitere Leitungen im Bereich der Vorlandbrücke schränken Gründungsbereiche ein - Restriktionen für den Abflussquerschnitt der kleinen Weser Abbildung 4-2: Visualisierung aus der MBS [5] Schüßler-Plan hat im Jahr 2020 die Entwurfs- und Objektplanung der kleinen Weser-Brücke übernommen. Da es sich bei diesem Tragwerk um ein komplexes Zusammenspiel der verschiedenen Elemente (Bogen, Hänger, Längsträger) handelt und Auswirkungen von unterschiedlichen Bogenabständen, Neigungswinkeln, Stichhöhen, Hängerabständen bzw. Hängeranzahlen nicht unmittelbar erkennbar sind, erfolgte eine Optimierung des vorliegenden Systems. Das Ziel der Optimierung liegt in dem ausgewogenen Zusammenspiel des Bogens und des Längsträgers, sodass das Erscheinungsbild aus der MBS weitestgehend erhalten bleibt. Für dieses Optimierungsproblem wurde das Softwarepaket Grasshopper, Karamba und Galapagos eingesetzt. 4.2 Parametrisches Modell Wie bereits in Abschnitt 3 (TB Bremecke) erläutert bildet das parametrische Modell die Grundlage einer Optimierung mit Galapagos. Deshalb ist die vorhandene Geometrie der Brücke als visuell programmiertes Grasshopper-Skript zu modellieren (siehe Abbildung 4-3). Die Brücke wurde zunächst als Linienmodell (Abbildung 4-5) und anschließend als Flächenbzw. Volumenmodell (Abbildung 4-7) in Grasshopper modelliert. Das hat den Hintergrund, dass Kollisionen mit den Lichtraumprofilen während der Optimierung erfolgen können. Mit dem Plug-in Karamba konnte die parametrisierte Geometrie in ein parametrisiertes FE-Modell umgewandelt werden (Stabmodell, siehe Abbildung 4-6). Somit war die Grundsubstanz für eine Optimierung der Geometrie mit Galapagos fertiggestellt. Abbildung 4-3: Grasshopper-Skript Geometriemodell Abbildung 4-4: Karamba-Skript Die folgende Tabelle zeigt die benötigten Parameter für die Optimierung der Geometrie: Evolutionäre Algorithmen im Brückenbau 356 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Parametergruppe Modellparameter Bogenträger Bogentranslation (Abstand des Bogens zum Längsträger), Bogenrotation (nur positive Neigungswinkel zum Längsträger hin zugelassen), Bogenstichhöhe Hänger Hängeranzahl, Lage Beginn der Hänger und Lage Ende der Hänger, Anschlusspunkt der Hänger (horizontaler und vertikaler Versatz zur Längsträgerachse → vertikaler Versatz der jeweiligen Hänger als konstant, linear oder parabelförmig ausführbar) Längsträger Festgelegt durch die Trassierung, Querschnitt parametrisiert Tabelle 4-1: Modellparameter Abbildung 4-5: Linienmodell Abbildung 4-6: Karamba FE-Modell (Biegemoment My) Abbildung 4-7: Volumenmodell 4.3 Geometrieoptimierung Die Querschnitte des Karamba-FE-Modells konnten mit Standard-Stahl-Querschnitten modelliert werden. Ein Vorteil der Standard-QS von Karamba liegt in der Berechnung von Spannungen und Ausnutzungsgraden, wodurch die Materialität (S 355) in die Optimierung mit einfließen kann. Galapagos benötigt die Definition von Genomen (Parameter) und einer Fitnessbedingung (Zielfunktion). Die Genome sind in diesem Fall die Parameter aus Tabelle 4-1. Die Fitnessfunktion ist eine Zahl, die sich aus mehreren Einflüssen zusammensetzt. Einerseits ist die Ausnutzung der Haupttragglieder (Bogen, Hänger, Längsträger) zu minimieren und andererseits müssen Ergebnisse ausgeschlossen werden, bei denen eine Kollision der Brücke mit den vorgegebenen LRPs besteht (Abbildung 4-9). Innerhalb von Grasshopper ist eine Kollisionsprüfung möglich, die als Output „True“ (für eine Kollision) oder „False“ (für keine Kollision) ausgibt. Abbildung 4-8: Lichtraumprofile auf und unter der Brücke Mithilfe der Aussage „True“ bzw. „False“ lässt sich die Fitnessbedingung so beeinflussen, dass der Optimierungssolver Varianten mit Kollisionen ausschließt (Abbildung 4-9). Mit den Ergebnissen von Galapagos konnte eine sinnvolle Geometrie festgelegt werden. Optimale Abstände des Bogens zum Längsträger bzw. die Positionen der Bogenfundamente konnten auf einen Bereich von 0,5 m Breite angesetzt werden. Bei zugehörigen Neigungswinkeln (je nach optimierter Variante zwischen 6 und 10° Neigung) und Bogenstichhöhen (zwischen 24 m und 28 m) konnten günstige Ausnutzungsgrade erzielt werden. Abbildung 4-9: Fitnessbedingung für Galapagos Evolutionäre Algorithmen im Brückenbau 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 357 Eine Verifizierung der Ergebnisse erfolgte „händisch“, indem mehrere Varianten durch die manuelle Betätigung der Schieberegler (Parameter) eingestellt und keine günstigeren Ausnutzungsgrade bzw. Kompromisslösungen zwischen den drei Tragelementen gefunden wurde. Für dieses Projekt war die Verwendung eines parametrischen Modells mit Voruntersuchungen in Galapagos sehr hilfreich, weil der Bogen von drei Hauptparametern (Abstand, Neigung, Höhe) beeinflusst wird und das System bei Änderungen eines Parameters empfindlich reagiert. Eine textbasierte Parametrisierung mit beispielsweise SOFiSTiK wäre mit einer erhöhten CADINP-Programmierung im Teddy-File verbunden gewesen und aufgrund der Geometrie sehr komplex geworden. 5. Ausblick Die visuelle Programmierung mit Grasshopper lässt sich auf vielen Gebieten anwenden. Die Stärken liegen v.a. in der Parametrisierung, komplexen Geometrieerstellung und der Möglichkeit einer Verknüpfung mit FE-Software und Optimierungsalgorithmen. Durch die Entwicklung neuer Plug-ins und Schnittstellen lässt sich Grasshopper mittlerweile auch in einem BIM-Workflow integrieren. Rhino.Inside bietet seit der Version 7 von Rhino eine Schnittstelle zu der BIM-fähigen Software Revit an, wodurch es möglich ist, Rhino bzw. Grasshopper in anderen 64-BIT Anwendungen auszuführen und in diesen native CAD-Elemente zu erzeugen. Da die zur Verfügung stehenden Plug-Ins (z.B. Karamba) innerhalb von Grasshopper beispielsweise noch keine umfängliche Tragwerksberechnung ermöglichen, ist eine individuelle Schnittstelle für die Überführung des konstruierten Geometriemodells in das entsprechende FE-Programm notwendig. Es ist möglich, die Geometrie in Grasshopper gemäß der CADINP-Syntax der FE-Software SOFiSTiK als Übergabe vorzubereiten. Dabei wird aus dem Gesamtmodell das FE-Modell abgeleitet und live übergeben. Werden Änderungen am Grasshopper- Skript vorgenommen, wird automatisch die textbasierte Eingabedatei (Teddy-Datei) aktualisiert. Für das Projekt der kleinen Weserbrücke wurde ebenfalls eine hausinterne Schnittstelle zu SOFiSTiK aufbereitet, sodass die Optimierte Geometrie direkt in ein SOFiSTiK-Modell für tiefergehende Betrachtungen umgewandelt wird. Tabelle 5-1: Schnittstelle Grasshopper - SOFiSTiK 6. Projektbeteiligte Projekt 1: Talbrücke Bremecke Auftraggeber: Straßen.NRW Projektleitung: N. Hülsmann Projekt 2: Fußgängerbrücke über die kleine Weser Auftraggeber: ASV Bremen Projektleitung: J. Tröger, J. Wienke Literatur [1] SCHIFFER S. (1998): Visuelle Programmierung - Grundlagen und Einsatzmöglichkeiten. Bonn: Addison-Wesley [2] PRIESINGER, Clemens; et al (2019): Moderne Parametrik in der Tragwerksplanung - Werkbericht. Stahlbau 88 (Heft 3, S. 184 - 193), Ernst & Sohn Verlag, Berlin [3] KOLAREVIC, Branko (2005): Architecture in the digital age. Design and manufacturing. New York: Taylor & Franci [4] RUTTEN, David (2010): Evolutionary Principles applied to Problem Solving. URL https: / / www. grasshopper3d.com/ profiles/ blogs/ evolutionaryprinciples [5] Machbarkeitsstudie Kleine-Weser-Brücke (2016) 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 359 Entwicklung von Bauwerksalterungskurven zur Zustandsprognose von Brücken unter Anwendung von Machine Learning- Verfahren Dominik Prammer AIT Austrian Institute of Technology GmbH, Wien, Österreich Alois Vorwagner AIT Austrian Institute of Technology GmbH, Wien, Österreich Alfred Weninger-Vycudil Deighton Associates Limited, Wien, Österreich Zusammenfassung Für eine objektive Entscheidung im Erhaltungsmanagement ist der Anlagenwert der Straßeninfrastruktur (Straße, Brücke, Tunnel, etc.) ein zentraler Parameter. Für dessen Ermittlung ist eine objektive Zustandsprognose der betrachteten Bauwerke Voraussetzung. Im vorliegenden Beitrag werden dazu verschiedene, durch Machine-Learning-Tools unterstützte Verfahren zur Erstellung von Zustandsprognosen auf Basis von notenbasierten Zustandsinspektionsdaten vorgestellt. Es wird eine Methode zur Clusterung des Datensatzes nach Parametern des Bauwerks (Dimension, Material, Errichtungszeitpunkt) bzw. der Umgebung (Verkehr, Klima) am Beispiel von Brückenbauwerken unter Verwendung einer Random- Forrest-Analyse und einer Entscheidungsbaumanalyse gezeigt. Nachfolgend werden zwei Verfahren zur Erstellung von Degradationskurven vorgestellt und verglichen, wobei der erste einen probabilistischen Ansatz verfolgt und der zweite Ansatz auf zeitinhomogenen Markov-Ketten aufbaut. Mithilfe dieser Ansätze können nach Degradationsgeschwindigkeiten gruppierte, individuell auch auf ein Bauwerk zugeschnittene Prognosekurven erstellt werden, welche auch Information über die statistische Streuung der Ergebnisse enthalten. 1. Einleitung 1.1 Zustandserfassung und -prognose im Asset-Management Wichtige Bauwerke im Infrastrukturnetz werden je Bauwerkstyp in unterschiedlichen zeitlichen Intervallen visuell begutachtet und deren Zustand (visuell) erfasst und dokumentiert (z.B. RVS 13.03.11 [1] bzw. DIN1076 [2]). Dazu werden derzeit je nach Bauwerkskategorie Zustandsnoten über den Bauwerkszustand vergeben. Diese dienen, den Bauwerkszustand zu erfassen und zu dokumentieren, aber auch dazu, einen sicheren und reibungslosen Verkehrsbetrieb zu gewährleisten. Auch werden sie genutzt, um künftige Handlungsschritte für die Erhaltungsplanung wie Instandsetzung oder Erneuerung abzuleiten. Diese Verfahren werden grundsätzlich ähnlich in den 3 D-A-CH Ländern angewandt, unterscheiden sich aber im Detail in der Zusammensetzung der Erfassung und Ermittlung der Bauwerksnote. Diese Verfahren sind im Detail zudem für Bauwerke, Tunnel, Straßen und Brücken unterschiedlich, vor allem in Hinblick auf Begutachtungsintervalle. Im Asset Management sind Bauwerksalterungskurven für eine objektive Entscheidung des Erhaltungsmanagements von zentraler Bedeutung. Wurden diese bisher meist erfahrungsbasiert oder mit einfachen physikalischen Modellen ermittelt, so eröffnen sich mit datenbasierten Verfahren grundlegend neue Möglichkeiten. Datenbasierte Modelle sind weitgehend objektiv und eigenen sich sowohl zur Auswertung der wesentlichen Einflussgrößen auf Bauwerksalterung als auch zur Erstellung und Ableitung objektiver, auf historischen Zustandsdaten aufbauende Bauwerksalterungskurven. Je nach Datenqualität, Vollständigkeit und Konsistenz der Datenbanken können unterschiedliche genaue Prognosen erstellt werden. Ein neuer Ansatz soll unter Einbezug von Machine-Learning Algorithmen auf Basis von historischen Bauwerksbzw. Bauteilzustandsdatenbanken künftige Zustandsprognosen für Brücken entwickeln, welche im Zuge Entwicklung von Bauwerksalterungskurven zur Zustandsprognose von Brücken unter Anwendung von Machine Learning-Verfahren 360 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 des D-A-CH Kooperation Forschungsprojekts TAniA - „Technische Anlagenbewertung im Asset-Management“ anhand von historischen Zustandsdaten entwickelt wurde. Dazu wurden Zustandsdaten von Brückenbauwerken aus dem Autobahnnetz im D-A-CH Raum zur Verfügung gestellt, anhand derer dieser Ansatz entwickelt wurde. 1.2 Zur Entscheidungsbaum- und Random-Forest- Analyse Mithilfe von Machine-Learing können Entscheidungsbäume auf Basis von unterschiedlichen Parameterdimensionen erstellt werden. So teilt ein einfacher Entscheidungsbaum, der mittels Machine-Learning erstellt wird, die Daten iterativ entlang der einen oder anderen Achse entsprechend eines quantitativen Kriteriums auf. Im Falle eines auf zwei Parameterdimensionen basierenden Entscheidungsbaumes wird beim Auftragen der Daten in ein zweidimensionales Diagramm der Datensatz in verschiedene Regionen gegliedert. Folglich entstehen mit jeder Ebene des Entscheidungsbaumes neue Regionen. Die Grenzen dieser Regionen werden vom Algorithmus auf Basis eines Mehrheitsabstimmungskriteriums gezogen. Nachteil von in dieser Weise entstehenden Entscheidungsbäumen ist, dass sie mit zunehmender Tiefe des Entscheidungsbaumes zur Überanpassung (over-fitting) neigen [3]. Eine Möglichkeit, solche Überanpassungen zu vermeiden, stellen sogenannte „Random-Forests“ Ansätze dar. Diese bestehen aus einer Vielzahl von Entscheidungsbäumen (daher der Name „Forest“), welche mithilfe einer sogenannten „Ensemble Methode“, dem Bagging, erstellt werden. Dies ist eine Methode, um Vorhersagen aus verschiedenen Regressions- oder Klassifikationsmodellen zu kombinieren und wurde von Breiman in [4] vorgestellt. Beim Bagging wird ein Ensemble von parallelen „Schätzern“ (Schätzstatistik) verwendet, von denen jeder die Daten überanpasst. Die Ergebnisse werden gemittelt, um eine bessere Klassifizierung von kategorialen oder diskreten Variablen zu finden (der entsprechende Schätzer wird RandomForestClassifier genannt). Ein Ensemble von randomisierten Entscheidungsbäumen wird als Random Forest bezeichnet [3][5][6]. Random Forests können auch im Fall von Regression von kontinuierlichen Variablen eingesetzt werden. Der hierfür verwendende Schätzer ist der sogenannte RandomForestRegressor und ähnelte dem vorher beschriebenen RandomForestClassifier. Neben den Möglichkeiten der Clusterung von Datensätzen liefern Random Forests auch eine äußerst solide Schätzung der Wichtigkeit der einzelnen Einflussvariablen [7] und können deshalb auch in weiterer Folge Rückschlüsse auf wesentliche Einflussgröße auf Bauwerksalterung liefern. Wobei für diesen Zusammenhang der Datensatz vor der Modellbildung in einen Trainings- und Testdatensatz unterteilt wird. Der Trainingsdatensatz dient der Modellbildung. Am Ende der Analyse wird dann unter Anwendung des Testdatensatzes auf das Modell die Genauigkeit quantifiziert. Zur Quantifizierung der Genauigkeit wird in diesem Vorgang im Folgenden der durchschnittliche absolute Fehler (mean absolute error) bzw. der durchschnittliche absolute Fehler in Prozent (mean absolute percentage error) zwischen Testdaten und zugehöriger Vorhersage bestimmt. Weiters wird aus dem absoluten Fehler in Prozent noch die Genauigkeit (Accuracy) abgeleitet. Neben den offensichtlichen Vorteilen liegt ein Nachteil von Random Forests darin, dass die Ergebnisse nicht leicht zu interpretieren sind. Das heißt, wenn Rückschlüsse auf die Bedeutung des Klassifikationsmodells gezogen werden möchten, sind Random Forests möglicherweise nicht die beste Wahl [3]. Abbildung 1: Ablauf der Erstellung von ausführungs- und umwelteinflussabhängigen Degradationskurven. 2. Vorstellung des datenbasierten Ansatzes Der gewählte Ansatz zur Prognose der Alterungskurven ist in Abbildung 1 als Ablaufdiagramm dargestellt. Dieser lässt sich folgendermaßen unterteilen: zuerst (1) wird eine Auswahl von Datenbanken, die historische Zustandsdaten bzw. mögliche Einflussparameter beinhalten, getroffen. Im nächsten Schritt (1a) werden aus der Datenbank der historischen Zustandsdaten Übergangsdauern von einer Note auf die nächstschlechtere ermittelt (=Ver- Entwicklung von Bauwerksalterungskurven zur Zustandsprognose von Brücken unter Anwendung von Machine Learning-Verfahren 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 361 weilzeit in der Zustandsklasse bzw. Bauwerksnote). Im nächsten Schritt (2) werden mögliche Einflussparameter und Übergangsdauern in einer neuen Datenbank zusammengefasst, mit welcher in weiterer Folge (3) eine Random-Forest-Analyse (RFA) durchgeführt wird. Ergebnis dieser sind die wichtigsten Einflussparameter auf die Übergangsdauer der Zustandsverschlechterung um einen Notengrad. Damit wird für jede vordefinierte analysierte Zustandsnotenverschlechterung ein separates Parameterset erzeugt. Mit den gewählten Einflussparameter kann eine Entscheidungsbaumanalyse (4) durchgeführt werden, welche in erster Linie der Clusterung des Datensatzes (bzw. der Bauteile) dient. Ergebnis dieses Schrittes sind mehrere Entscheidungsbäume - für jeden Übergang/ Verschlechterung einer Zustandsnote (z.B.: 1 auf 2 oder 2 auf 3) einer. In den letzten beiden Schritten (5 und 6) werden nun mit den in den Schritten 1-4 durchgeführten Vorauswertungen datenbasierte Degradationskurven des Zustandes von Bauwerkstypen gebildet, welche eine strategische Erhaltungsplanung unterschützen können. 3. Clusterung nach Degradationsgeschwindigkeit Die Clusterung oder Gruppierung des Datensatzes erfolgt dem Framework in Abbildung 1 folgend unter Heranziehung der Random-Forest-Analyse (RFA) in Kombination mit einer Entscheidungsbaumanalyse (EBA). Die RFA wird lediglich zur Bestimmung des Einflusses und in weiterer Folge zur Auswahl wichtiger Parameter herangezogen. Die endgültige Clusterung unter Heranziehung der in der RFA ausgewählten Einflussparameter erfolgt schlussendliche unter Anwendung der EBA. Für die RFA ist es ausreichend, lediglich potenziell wichtige Parameter vorzubestimmen, da die Wichtigkeit der einzelnen Parameter ohnehin im Zuge der Analyse später automatisch ermittelt wird, und die vielversprechendste Kombination für die EBA verwendet wird. Um im weiteren Verlauf Degradationskurven mit möglichst kleiner Streubreite zu erhalten, ist eine korrekte Anpassung und Ermittlung der das Ergebnis beeinflussenden Parameter in entsprechende Subgruppen entscheidend. Vor Beginn einer RFA muss definiert sein, welche möglichen Einflussparameter für die Zielvariable vorliegen. Als Zielvariable wird die Dauer einer bestimmten Verschlechterung (z.B. die Verschlechterung eines Bauteils um einen Zustandsnotengrad) verwendet. Als Einflussparameter wurden Verkehr, Klima, Bauwerksalter und Errichtungszeitpunkt und vorliegende Regularien festgelegt, und entsprechend an vorliegende Datenquellen angepasst. 3.1 Bestimmung der Zielvariable Zur Bestimmung der Verweildauer in der Zustandsnote als Zielvariable bedingt eine vollständige und konsistente Erfassung in der Zustandsdatenbank. Da Zustandsnoten aber nicht zwingend in zeitlich regelmäßigen Abständen zur Verfügung stehen und sich auch die Zustände in einem anderen Maß als für die RFA benötigt verändern können (z.B. Verschlechterung von einem Datenbankeintrag zum nächsten um zwei Zustandsnotengrade statt um einen), wird die Zustandsnote zwischen den Beobachtungen interpoliert. Wenn also, wie beispielsweise in Österreich und der Schweiz, Zustandsnoten zwischen 1 und 5 im ganzzahligen Bereich existieren, scheint es sinnvoll, die Übergangsdauern um einen ganzen Notengrad zu ermitteln, wobei hier immer die Dauer bis zum Schnitt der Interpolation mit dem Mittelwert zwischen zwei aufeinanderfolgenden Notengraden definiert wurde (siehe Abbildung 2). Bis zum Schnittpunkt wird also die ursprüngliche Note gehalten, wird diese überschritten, wird die darauffolgende, schlechtere Zustandsnote zugewiesen. Für Deutschland ist hier auch eine feinere Unterteilung möglich, da die Zustandsnoten auch im einstelligen Kommabereich vorliegen. Als am besten geeignete Zielvariable (engl. Label) der RFA hat sich die Verschlechterungsdauer (Δt i i+1 ) von einer definierten Zustandsgröße (ZG) i auf eine ZG i+1 erwiesen. Abbildung 2: Vorgehen beim Ermitteln der Übergangsdauer um eine bestimmte Verschlechterung (Δt) und des Alters am Beginn des Übergangs (tSA) in allgemeiner Form (oben) wie auch am Beispiel der österreichischen Zustandsnoten (unten). Blaue Punkte stellen die Messpunkte (Inspektionsergebnisse) dar, graue Linien die lineare Interpolation zwischen den Messungen, die rote Linie zeigt die Länge der Übergangsdauer auf den nächsten Notengrad. Wichtig ist in diesem Prozess, dass auch das Alter am Beginn eines Überganges (t SA-ZG ) ermittelt wird, da dieses, vor allem nach Instandsetzungen, als möglicher wichti- Entwicklung von Bauwerksalterungskurven zur Zustandsprognose von Brücken unter Anwendung von Machine Learning-Verfahren 362 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 ger Einflussparameter auf die Alterungsgeschwindigkeit interpretiert wird. 3.2 Vorauswahl von Einflussparametern Wie bereits erwähnt wird die RFA zur Bestimmung der Wichtigkeit der einzelnen Parameter verwendet. Die Vorauswahl eines relativ unwichtigen Parameters (=Variable) beim Start der RFA hat auf das Ergebnis grundsätzlich nur einen geringen Einfluss - dies gilt allerdings nur sofern für die gewählten Parameter auch für alle Bauwerke bzw. Bauteile Einträge vorliegen. Denn eine Analyse kann immer nur für die Bauwerke oder Anlagenteile durchgeführt werden, für die auch alle Parameter verfügbar sind. In der Vorauswahl der Parameter ist also zu bedenken, dass ein schlechter Befüllungsgrad eines Parameters die Größe des Datensatzes und damit die Qualität der Analyse stark dezimieren kann. Weiters ist darauf zu achten, dass auch ein kausaler oder begründbarer Zusammenhang zwischen Anlageteilverschlechterung und Einflussparameter besteht. Zu diesem Zweck wurden zum einen die Datenbanken der 3 D-A-CH Länder nach möglicherweise wichtigen Parametern der Infrastrukturanlagen durchsucht. Außerdem wurden weitere Daten der Umgebungseinflüsse, Klimaeinwirkung, sofern nicht im Datensatz der historischen Zustandsentwicklung vorhanden, mit ebendiesem verschnitten. Überbau Übergangskonstruktion Lager Randbalken Baujahr Baujahr Baujahr Baujahr Frostindex FIKh FIKh FIKh Tmax50 Tmax50 Tmax50 Tmax50 Brücken-klasse DTV DTV DTV DTV DTSV DTSV DTSV DTSV Tmin Tmin Tmin Tmin Hersteller Hersteller Erhalter Norm-Ausgabe Konstruktionstyp Lagertyp Fahrbahnbreite Statisches- System Erhalter Erhalter Brückenklasse Fahrbahnbreite Länge Erhalter Tabelle 1: Vorausgewählte Attribute für die RFA für ausgewählte Bauteile für den österreichischen Datensatz In Tabelle 1 ist die Parametervorauswahl für ausgewählte Bauteile der österreichischen Daten dargestellt. Wobei hier als Parameter der Umgebungseinflüsse der durchschnittliche tägliche Verkehr (DTV) und der durchschnittliche tägliche Schwerverkehr (DTVSV) herangezogen wurden. Für die Klimaeinwirkung standen flächendeckend der Frostindex (FiKH), die maximale Straßenoberflächentemperatur (Tmax_50) und minimale Lufttemperatur (Tmin) (alle drei Parameter nach [8]) zur Verfügung. Außerdem wurde auch die für die Erhaltung zuständige Behörde (Erhalter) berücksichtigt, da es Überlegungen bezüglich des Einflusses bezüglich der Erhaltungsstrategie auf die Degradationsgeschwindigkeit gab. 3.3 Parameterselektion Random-Forest-Analyse Da es aber Parameter gibt, bei denen die Abwägung zwischen Wichtigkeit und Befüllungsgrad vorab nicht festgestellt werden kann, ist im Framework eine Wiederholung der RFA vorgesehen, wobei bei jedem neuen Durchlauf der Parameter mit dem geringsten Einfluss auf das Ergebnis weggelassen wird (Tabelle 2). Run Mean Absolute Error [years] Accuracy [%] Baujahr Laenge Bauweise FIKh DTSV DTV Tmin Tmax_50 1-2-start-age 0 2.2 64.6 15.2 29.4 17.4 2.5 20.0 10.5 0.2 4.9 0.0 1 2.2 64.5 15.2 29.4 17.4 2.4 20.0 10.5 0.2 4.9 2 2.2 64.6 15.3 29.4 17.4 2.6 20.0 10.5 4.9 3 2.2 64.7 15.5 30.6 17.5 20.5 10.7 5.2 4 2.2 64.0 16.7 32.1 19.0 21.9 10.3 5 2.3 63.2 17.9 36.3 21.4 24.4 6 2.3 63.7 41.8 23.4 34.9 7 2.1 68.2 48.8 51.2 Tabelle 2: Beispiel der Bestimmung der Genauigkeit bei verschiedenen Einflussparameterkombinationen (Übergang eines Bauteils von Zustandsnote 1 auf 2). Unter den Einflussparametern ist die Wichtigkeit des Parameters in Prozent zu sehen. Gewählt wurde schlussendlich die Kombination der letzten Zeile (dick umrahmt, der dazugehörige Entscheidungsbaum) aufgrund des kleinsten Fehlers. Entwicklung von Bauwerksalterungskurven zur Zustandsprognose von Brücken unter Anwendung von Machine Learning-Verfahren 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 363 Als Endergebnis der RFA wird dann die Teilanalyse genommen, deren Ergebnis die höchste Genauigkeit (Accuracy) hat. Davon ausgehend, dass nie alle Parameter der Datenbank vollständig befüllt sind, kann aus Gründen der breiteren Anwendungsfähigkeit des endgültigen Models, eine möglichst geringe Anzahl an Eingangsparametern wünschenswert sein. Eine Bevorzugung von Modellen mit geringerer Parameteranzahl scheint unter diesem Gesichtspunkt also durchaus zielführend. Im Zuge des gewählten Ansatzes wurde dies auch so umgesetzt. So wurde die Konvention getroffen, dass eine Verminderung der Genauigkeit um 0,1 Jahre pro weggelassenem Parameter akzeptabel ist. Das Ergebnis einer RFA ist die Auswahl an Parametern mit denen die EBA im Folgenden eine Gliederung vornimmt. Im Beispiel in Tabelle 2 wird aufgrund der höchsten Genauigkeit wie auch der geringsten Anzahl an Parametern Run 7 als optimale Parameterkombination gewählt. 3.4 Clusterung Entscheidungsbaumanalyse Wie in Kapitel 1.2 gezeigt, bietet die RFA eigentlich eine aus der EBA weiterentwickelte Prognose, jedoch wurde im Wesentlichen aus zwei Gründen für die Clusterung die EBA herangezogen. Zum einen ist ein visuell überprüfbarer Entscheidungsbaum Voraussetzung für die folgenden Schritte des Gesamtframeworks (Abbildung 1), da in weiterer Folge, vor allem bei den Markov-Ketten, jährliche Übergangswahrscheinlichkeiten aus dem Ursprungsdatensatz (um auch die Beobachtungen ohne Verschlechterung berücksichtigen zu können) berechnet werden. Zum anderen wurde, um einen Entscheidungsbaum auf Basis des gesamten Datensatzes (ohne Aufteilung in Trainings- und Testdaten) zu erhalten, eine separate EBA durchgeführt. Ein aus der RFA extrahierter Einzelbaum erfüllt diese Voraussetzung nicht. Die nun erfolgende EBA basiert auf demselben Datensatz wie jener der RFA, jedoch wird dieser nicht in Trainings und Testdaten unterteilt und auch nicht durch das Bagging weiter dezimiert, wie es bei einem Einzelbaum der RFA der Fall wäre. Um eine Überanpassung zu vermeiden ist in diesem Schritt das Abschneiden des Entscheidungsbaumes auf ein brauchbares Maß erforderlich. Ohne dieses Abschneiden würde das Ergebnis der EBA ein Entscheidungsbaum sein, der derart viele innere Knoten aufweist, dass jeder Blattknoten (leaf nodes - unterste Ebene des Entscheidungsbaumes, der sich nicht weiter aufteilt) nur noch ein Sample repräsentiert. Es ist also zielführend, den Baum entweder in einer früheren Ebene zu kappen, eine Mindestanzahl an Samples oder eine tolerierbare Fehlertoleranz (diese wird im Zuge der Überprüfung des Modells mit den Testdaten für jeden Knoten ermittelt) im Blatt zu definieren, um den Baum auf ein überschaubares und repräsentatives Maß und nicht zur Überanpassung neigendes Maß zu verkleinern. Wobei mit Blatt bzw. Blattknoten die Knoten der untersten Ebene des Entscheidungsbaumes gemeint sind. Für RFA wurde das Softwarepaket für Machine Learing von [7] „RandomForestRegressor“ bzw. für die EBA das Paket „DecisionTreeRegressor“ verwendet. Beide sind Teil der Programmbibliothek „sklearn.ensemble“ (scikitlearn Version 0.21.2) in Python (Version 3.7.3.final.0). 4. Erstellen der Degradationskurven 4.1 Probabilistischer Ansatz Dieser Ansatz basiert grundsätzlich auf probabilistischen Überlegungen. Um im Resultat die Verteilung der Daten in den einzelnen Blättern des Entscheidungsbaumes in diesem Ansatz berücksichtigen zu können, wird vorab für das Blatt des Entscheidungsbaumes die diesem Teildatensatz zugrundeliegende Verteilung analysiert. Wobei hier auf einen Fit einer in der Statistik gebräuchlichen Betaverteilung zurückgegriffen wird, da dieser Verteilungstyp den Vorteil hat, flexibel an verschiedenste Formen angepasst werden zu können, aber auch Grenzwerte definiert werden können. Damit können unrealistische oder negative Werte verhindert werden. Weiters lässt sich der Ablauf der Erstellung einer Degradationskurve folgendermaßen beschreiben (siehe auch Abbildung 3): 1. Zuerst werden dem Parametersetting des betrachteten Bauwerkes entsprechend die Blätter identifiziert und die vorab bestimmten Verteilungsparameter der Verweildauer t pi in der jeweiligen Zustandsnote ausgelesen. 2. Für das betrachtete Bauwerk bzw. den Anlageteil stehen Verteilungsparameter der Verweildauer t pi für jeden Verschlechterungsschritt (von der Note i zu i+1) für das betrachtete Bauwerk zur Verfügung. 3. Für jede dieser Verteilungen werden Monte-Carlo Zufallszahlen (Samples) generiert. 4. Diese Zufallszahlen werden schrittweise aufsummiert. Es ergibt sich eine Kurvenschar von Degradationskurven. 5. Für diese Kurvenschar kann für jeden Notenschritt die Eintrittswahrscheinlichkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt bestimmt werden. Zur besseren Lesbarkeit der Ergebnisse wird die Degradationskurve mit dem Erwartungswert und der Standardabweichung dargestellt. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass beliebige Verteilungen der Blätter des Entscheidungsbaumes zugrundeliegenden Daten in der Erstellung der Degradationskurven berücksichtigt werden können. Der Datensatz wird dem Entscheidungsbaum folgend, für ein Blatt gefiltert. Daran kann für die darin enthaltenen Übergangsdauern eine Verteilung angepasst werden, welche in weiterer Folge in der Kurvenerstellung Anwendung findet. Der gesamte Prozess vom Ermitteln der Übergangsdauern Entwicklung von Bauwerksalterungskurven zur Zustandsprognose von Brücken unter Anwendung von Machine Learning-Verfahren 364 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 über das Anpassen der Verteilungen bis hin zum Erstellen der Degradationskurven erfolgt ohne Verwendung von vorbestimmten Funktionen oder Faktoren. Nachteilig an diesem Ansatz ist allerdings, dass hier nur Daten von beobachteten Übergängen einfließen. Wenn also ein Bauteil den Zustand über einen sehr langen Zeitraum hält, und nur aus Gründen fehlender Begutachtungen oder abweichender Intervallabstände kein Übergang beobachtet wurde, wird dieses Bauteil nicht im Ansatz berücksichtigt. Aus der Methodik ergeben sich also zu kurze Degradationskurven. Abbildung 3: Ablauf der Erstellung der individuellen Degradationskurven mit dem probabilistischen Ansatz anhand eines Beispiels. 4.2 Zeitinhomogene Markov-Kette Der zweite Ansatz, der im Projekt verfolgt wurde, lehnt sich stark an jenen von den Autoren in [9] entwickelten Ansatz an [10]. Die Degradationskurven werden hier mit sogenannten zeitinhomogenen Markov-Ketten erstellt. In diesem Modell werden nicht nur Übergänge von einem Zustandsnotengrad auf den nächstschlechteren herangezogen, sondern alle Beobachtungen berücksichtigt. Dazu wird der Ursprungsdatensatz (also jener der zwar schon mit allen Parametern verschnitten wurde, jedoch nicht jener mit aufbereiteter Zielvariable) für einen Anlageteil den Entscheidungsbäumen folgend geclustert. Die Grundidee ist, ausgehend von einem aktuellen Zustand si Wahrscheinlichkeiten p si→sj zu definieren, die den möglichen Nachfolgezustand sj bestimmen. Schleifen in Abbildung 4 stellen die Wahrscheinlichkeit eines gleichbleibenden Zustands im nächsten Zeitschritt dar, alle anderen Pfeile Verschlechterungen um einen oder mehr Zustandsnotengrade. Abbildung 4: Markov-Kette mit vier Zuständen und möglichen Zustandsübergängen. Im vorliegenden Fall eines bauwerklichen Verfallsmodells ist es jedoch unwahrscheinlich, dass sich Notenübergangswahrscheinlichkeiten nicht mit der Zeit ändern. In diesem Fall macht es Sinn, die verstrichene Zeit in einem Zustand als Faktor in der Definition der Modellzustände zu übernehmen. Die sich ergebenden jährlich variierenden Übergangswahrscheinlichkeiten sind beispielhaft in Tabelle 3 dargestellt. Es gibt also meist eine recht hohe Wahrscheinlichkeit, dass die aktuelle Note auch im folgenden Jahr erhalten bleibt, eine relativ kleine, dass es eine Verschlechterung um einen Notengrad gibt und eine verschwindend kleine, dass die Verschlechterung mehr als einen Notengrad ausmacht. Bei jedem Notenübergang wird der „Jahreszähler“ wieder auf das Jahr 0 gesetzt. Als Übergänge sind nur Verschlechterungen (Pfeile zu einem höheren Notenindex (siehe Abbildung 4 )) oder gleichbleibende Noten zulässig. Entwicklung von Bauwerksalterungskurven zur Zustandsprognose von Brücken unter Anwendung von Machine Learning-Verfahren 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 365 Beobachtungsjahr p 1→1 p 1→2 p 1→3 p 1→4 p 1→5 p 2→2 p 2→3 … 0 0,84 0,16 0,00 0,00 0,00 0,98 0,02 … 1 0,89 0,11 0,00 0,00 0,00 0,95 0,05 … 2 0,83 0,17 0,00 0,00 0,00 0,92 0,08 … 3 0,92 0,08 0,00 0,00 0,00 0,94 0,06 … 4 0,83 0,17 0,00 0,00 0,00 0,93 0,06 … … … … … … … … … Tabelle 3: Sich jährlich ändernde Übergangswahrscheinlichkeiten einer zeitinhomogenen Markov-Kette (Ausschnitt der ersten Beobachtungsjahre) am Beispiel des Überbaus (Österreich) Vorteil dieses Modells ist, dass der vorliegende Datensatz in einem viel größeren Umfang verwendet werden kann. Allerdings überschätzt diese Methodik die Übergangsdauern in Fällen, in denen kein Übergang zu einer schlechteren Zustandsnote beobachtet wurde. Da davon auszugehen ist, dass es in der Zukunft einen Übergang geben wird (beispielsweise, weil es sich um den aktuellsten und damit letzten Eintrag in der Datenbank handelt) bzw. gegeben hätte (weil vor der Verschlechterung eine Instandhaltungsmaßnahme umgesetzt wurde), wird diesem aber bei rein datenbasiertem Vorgang in den Übergangswahrscheinlichkeiten nie Rechnung getragen. Allerdings lässt sich mit Hilfe der Tabelle der Übergangswahrscheinlichkeiten (z.B.: Ausschnitt in Tabelle 3) in Kombination mit einer Tabelle der Anzahl der Beobachtungen je Zeitschritt eine Aussage darüber treffen, wie viele Beobachtungen im Laufe der Zeit nicht bzw. noch nicht weiter verfolgt wurden. An dieser Stelle können die Übergangswahrscheinlichkeiten mit Expertenwissen korrigiert werden. So besteht die Möglichkeit der Angabe einer maximalen Verweildauer oder angepasster Überganswahrscheinlichkeiten für definierte Jahre. Abbildung 5: Beispiel einer mit zeitinhomogenen Markov-Ketten entwickelten Degradationskurve (Mittelwert (schwarz), Standardabweichung (rot) und Einzelsimulationen (bunte, strak transparent Linien im Hintergrund)) 5. Erkenntnisse und Ausblick Entsprechende Clusterung der Eingangsdaten wie auch statistische Methoden zur Ableitung von Degradationskurven ermöglichen nun wesentlich präzisere Prognosemodelle. Das Ergebnis sind datenbasierte Zustandskurven, welche nun entsprechend der vorliegenden Eingangsgrößen wie Abmessung, Verkehr, Ort, Klima, usw. Zustandsnoten auch künftig statistisch verteilt prognostizieren können. EBA und RFA können auch im konstruktiven Ingenieurbau effektive und robuste Werkzeuge zur Identifikation von Einflussparametern auf die Degradationsgeschwindigkeit wie auch die Clusterung von zustandsnotenbasierten Inspektionsdaten darstellen. Die vorgestellte probabilistische Methode liefert gute Informationen zur Streuung der betrachteten Prognose. Nachteilig ist allerdings, dass nur beobachtete Verschlechterungen des Bauwerks bzw. Bauteils Verwendung finden. Je kürzer die Datenreihen sind, umso stärker unterschätzt diese Methode also die tatsächliche Degradationsgeschwindigkeit. Zeitinhomogene Markov-Ketten bieten einige Vorteile im Vergleich zu anderen Methoden. Herkömmliche Markov-Ketten sind allgemein unpräziser und können die Streuung nicht abbilden. Außerdem kann das für herkömmliche Markov-Ketten charakteristische Abflachen der Degradationskurve am Ende der Zustandsnotenskala hier weitestgehend vermieden werden. Im Vergleich zum vorgestellten probabilistischen Ansatz werden auch Daten, bei denen kein Übergang beobachtet wurde, berücksichtig. Dies führt zwar zu einer systematischen Überschätzung der Degradationsgeschwindigkeit, allerdings lässt sich auf Basis der Anzahl der Beobachtungen dieser Fehler quantifizieren. Thema zur weiteren Verbesserung solcher Degradationskurven könnte die Korrektur mittels Expertenwissens oder empirisch-physikalische Modelle sein. (Zeitinhomogene) Markov-Ketten bieten dazu eine nachvollziehbare Basis und Anpassbarkeit. Die Prognosemodelle ermöglichen erstmals auch Angaben der statistischen Streubreite der zu erwartenden Ergebnisse, und können damit die strategische Erhaltungsplanung unterstützen. Sie bauen auf bereits existierenden historischen Zustandsdaten aus Datenbanken auf. Die Aussagekraft wird stark von deren Qualität beeinflusst. Sie erlauben aber für Einzelbauwerke keine Aussagen den strukturellen Zustand oder gar das Versagen betreffend und können somit Inspektionen oder Begutachtungen nicht ersetzten. 6. Danksagung Die Untersuchungen basierten auf Erkenntnissen des Projekts TAniA (FN252263a), welches im Rahmen der D-A-CH Kooperation Verkehrsinfrastrukturforschung 2018 bearbeitet wurde [10]. Die Autoren danken den Entwicklung von Bauwerksalterungskurven zur Zustandsprognose von Brücken unter Anwendung von Machine Learning-Verfahren 366 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 ExpertInnen des österreichischen Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK), des deutschen Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), des schweizerischen Bundesamts für Strassen (ASTRA) sowie den ExpertInnen der österreichischen Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG), der deutschen Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), und den ProjektpartnerInnen für den guten fachlichen Austausch und deren Unterstützung im Zuge des Projekts. Literatur [1] RVS 13.03.11: Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten - Straßenbrücken, 2011 [2] DIN 1076: 1999-11: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung, 1999 [3] Python Data Science Handbook [Book]. URL https: / / www.oreilly.com/ library/ view/ python-datascience/ 9781491912126/ . abgerufen am 2021-04- 24 [4] BREIMAN, LEO: Bagging predictors. In: Machine Learning Bd. 24 (1996), Nr. 2, S. 123-140 [5] DONGES, NIKLAS: A Coplete guide to the Random Forest algorithm. URL https: / / builtin.com/ data-science/ random-forest-algorithm#difference. abgerufen am 2021-04-20 [6] YILDIRIM, SONER: Decision Trees and Random Forests — Explained. URL https: / / towardsdatascience.com/ decision-tree-and-random-forest-explained-8d20ddabc9dd#_=_. abgerufen am 2021- 04-20 [7] PEDREGOSA, FABIAN ; VAROQUAUX, GAEL ; GRAMFORT, ALEXANDRE ; MICHEL, VIN- CENT ; THIRION, BERTRAND ; GRISEL, OLIVIER ; BLONDEL, MATHIEU ; PRETTEN- HOFER, PETER ; U. A.: Scikit-learn: Machine Learning in Python. In: Journal of Machine Learning Research Bd. 12 (2012) [8] WISTUBA, MICHAEL ; LITZKA, JOHANN ; BLAB, RONALD: Klimakenngrößen für den Straßenoberbau in Österreich, Straßenforschungsheft Nr 507 : FSV, 2001 [9] OPtimAL - Optimierte Instandsetzungsplanung der tunnelspezifischen baulichen und elektromaschinellen Ausrüstung mittels LCA. Forschungsprojekt im Rahmen der VIF 2017, Wien, 2020 [10] TAniA - Technische Anlagenbewertung im Asset-Management. Forschungsprojekt im Rahmen der D-A-CH VIF 2018, Wien, 2021 (Abschluss 06/ 2021) 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 367 Drohnenbasierte Erfassung von as-built Modellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Planens und Bauens im Brückenbau Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Glock Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Fabian Kaufmann, M. Eng. Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Thomas Tschickardt, M. Eng. Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Zusammenfassung Die BIM-basierte Projektabwicklung befindet sich aktuell im Infrastruktur- und Ingenieurbau noch in der Entwicklung. Insbesondere in der Ausführungsphase ist bislang wenig erforscht, wie Informationen am Bauwerk digital erfasst und automatisiert mit Bauwerksinformationsmodellen (BIMs) abgeglichen werden können. Das vorgestellte Konzept beinhaltet die Planung der Datenerfassung auf Grundlage eines 4D-BIMs, d.h. 3D-Geometrie und Zeit, ebenso die Auswertung der erfassten Punktwolken und den Abgleich mit dem 4D-BIM. Sämtliche Teilschritte sollen automatisiert durchgeführt werden, um in kurzen Zyklen eine Informationsbereitstellung in Echtzeit zu ermöglichen. Auf Grundlage des 4D-BIMs werden relevante Bauteile identifiziert und hieraus Wegpunkte für die drohnenbasierte Erfassung abgeleitet. Anschließend erfolgt die automatisierte Planung der Flugroute unter Berücksichtigung des Erfassungsverfahrens und möglicher Hindernisse. Die Datenerfassung erfolgt mittels autonom operierender UAVs (engl. unmanned aerial vehicle). Die Punktwolke wird anschließend geometrisch ausgewertet. Zusätzlich erfolgt die Erkennung von Objekten direkt in der Punktwolke mittels Verfahren der Künstlichen Intelligenz. Die ausgewerteten Informationen werden zum Schluss zu as-built BIMs umgesetzt. 1. Einleitung 1.1 Problemstellung Die modellbasierte Projektabwicklung hat durch den Stufenplan Digitales Planen und Bauen [1] des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), welcher im Jahr 2015 veröffentlicht wurde und das Ziel verfolgt, alle öffentlichen Infrastrukturprojekte ab 2020 mit Building Information Modeling umzusetzen, entscheidenden Anschub erhalten und wird zunehmend operativ umgesetzt. Der Lebenszyklus eines Bauwerksinformationsmodells (BIMs) erstreckt sich hierbei von der Planungsüber die Ausführungsbis hin zur Betrieb- und Erhaltungsphase [vgl. hierzu: 2]. Erste umfangreiche praktische Erfahrungen wurden für die Planungsphase gesammelt und sind weitestgehend standardisiert [vgl. hierzu: 3]. Für die Anwendung von BIM in der Ausführungsphase ist das Erfassen von Informationen, z. B. über den Baufortschritt, von entscheidender Bedeutung. Aktuell existieren erste Forschungsansätze, die auf einer automatisierten Erfassung von Informationen mithilfe von photogrammetrischen Verfahren und / oder Laserscanning (engl. light detection and ranging, „LiDAR“) während der Ausführungsphase beruhen. Es ist bislang wenig erforscht, wie diese am Bauwerk automatisiert erfassten Daten ebenso automatisiert ausgewertet und mit BIMs abgeglichen werden können. Im Brückenbau bieten sich für den Erfassungsprozess UAV an. Eine wesentliche Herausforderung besteht darin, auf Grundlage des 4D-BIMs (Geometrie + Zeit) eine modellbasierte automatisierte Erfassung zu planen und durchzuführen. Eine weitere Herausforderung ist, die Drohnenbasierte Erfassung von as-built Modellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Planens und Bauens im Brückenbau 368 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 während der Befliegung erzeugte, unstrukturierte Punktwolke automatisiert in ein hinreichend detailliertes Wiegebaut BIM (engl. as-built BIM) zu überführen. Solche Wie-gebaut BIMs sind notwendige Voraussetzung für nachgelagerte Auswertungsprozesse, z. B. die automatisierte Baufortschrittserfassung. Bei der Überführung von Punktwolken in BIMs ist die Bauteilerkennung ein zentraler Schritt der semantischen Informationsauswertung. Für die Bauteilerkennung in Punktwolken scheint der Einsatz von Methoden der Künstlichen Intelligenz vielversprechend und wird von den Autoren bereits beforscht [4]. Die Methoden sind jedoch zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht ausreichend entwickelt, um sie in der Praxis flächendeckend einzusetzen. Weiterentwicklungen und umfangreiche Praxistests sind erforderlich. Nach der Erzeugung von Wiegebaut BIMs können Qualitätssicherungsmaßnahmen, wie z.B der geometrische Abgleich zwischen Wiegeplant/ terminiert BIM (engl. as-designed/ scheduled) und Wiegebaut BIM durchgeführt werden, um die tatsächlichen Positionen und Abmessungen sequenziell validieren und beurteilen zu können. Ebenfalls kann ein zeitlicher Abgleich erfolgen, bei dem erfasst wird, ob die Bauteile wie terminiert erstellt worden sind. 1.2 Zielsetzung Im Rahmen der voranschreitenden Digitalisierung und Automatisierung im Bauwesen bedarf es die zuvor angesprochenen Forschungsansätze im Bereich automatisierte, UAV-basierte Erfassung und Überführung von Punktwolken in BIMs weiterzuentwickeln. Zu Beginn sind aus dem 4D-BIM relevante Ansichtspunkte, sogenannte „Points of Interest“ (POI), zu identifizieren, um die Flugroute automatisiert abzuleiten. Diese Flugroute soll zudem in einer Simulationssoftware validiert werden, um Kollisionen mit dem zu erfassenden Bauwerk ausschließen und die Qualität der erfassten Daten im Vorfeld überprüfen zu können. Weiterhin wird untersucht, wie die Bauteilerkennung in unstrukturierten Punktwolken mittels Verfahren des maschinellen Lernens vollständig automatisiert werden kann. Hierfür ist eine große Menge an Trainingsdaten notwendig, welche bislang für den Brückenbau nicht vorhanden sind. Die Bereitstellung solcher Trainingsdaten stellt sich dabei als große Herausforderung dar. Trainingsdaten können entweder real erzeugt oder synthetisch aus dem BIM abgeleitet werden. Nach der automatisierten Bauteilerkennung aus Punktwolken soll der Abgleich zwischen dem Wie-Terminiert BIM und dem Wie-gebaut BIM weiter verfeinert und automatisiert werden, um im Brückenbau ebenfalls in der Praxis zum Einsatz zu kommen. Prüfkriterien wie z.B. Abmessungen und Lage zur Baustellendokumentation aber auch SollTermine aus dem 4D-BIM sollen hierbei berücksichtigt werden. 2. Stand der Forschung 2.1 Erfassungstechnologie Die Technologien und Geräte für die digitale Erfassung haben sich in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt. Neben klassischen Verfahren wie dem terrestrischen Laserscanning und der Photogrammmetrie stehen auch komplexe Technologien wie Mobile Mapping Systeme und unbenannte Flugdrohnen zur Verfügung, mit denen Brückenbauwerken schnell erfasst werden können. Um sicherzustellen, dass die erfassten Punktwolken für die geplante Anwendung geeignet sind, muss gewährleistet sein, dass alle Ziele der Erfassung mit der spezifizierten Datenqualität und innerhalb verfügbarer Zeiträume erfasst werden. Die Effizienz der Datenerfassung ist wichtig, um die Unterbrechung der Aktivitäten auf der Baustelle zu reduzieren. Eine effektive und effiziente Datenerfassung kann durch einen vorausgehenden Planungsoptimierungsprozess erreicht werden, der als „Planning for Scanning“ (P4S) bezeichnet werden kann [5]. Aryan, Bosché et al. geben einen systematischen Überblick der bisherigen Forschungsansätze für das terrestrische Laserscanning und stellen eine Kategorisierung der Qualitätskriterien (Vollständigkeit, Genauigkeit und räumliche Auflösung und „Registrierbarkeit“) für Punktwolkendaten vor. Des Weiteren werden Forschungslücken wie z.B. die Notwendigkeit einer vollautomatischen Scanplanung zur optimalen Abdeckung aufgedeckt [5]. Bolourian stellt ein Konzept vor, welches die Planung einer kollisionsfreien Befliegung mittels genetischen Algorithmus (GA) und A*-Algorithmus (A*) umsetzt [6]. Freimuth [7] verfolgte zunächst den Ansatz auf Grundlage von Bounding Boxes der Objekte, einem zusätzlichen Sicherheitsabstand zu diesen und einem auf der Bauwerkshülle liegenden Raster eine Flugroutenplanung durchführen. In der Weiterentwicklung [8] wird der nutzbare und zugängliche Raum, in dem sich die Drohne bewegen kann, mit einem sogenannten Navigationsnetz (engl. navigation meshes) bestimmt, einer etablierten Datenstruktur für Wegfindungsprobleme aus der Robotik. Navigationsnetze repräsentieren typischerweise den zugänglichen Bereich einer 2D-Ebene, in der sich die Drohne bzw. der Agent bewegen kann. Aufgrund der variablen Höhe ist eine Adaption der Vorgehensweise auf 3D notwendig. Dies erfolgt mit einem sogenannten Navigationsvolumen, welches durch eine Menge von Voxeln, die Informationen über Nachbarschaft und Belegung enthalten, dargestellt wird. Das Voxel-Modell erstreckt sich über den gesamten geometrischen Raum, einschließlich des bereits belegten Raums durch das BIM und, falls nicht innerhalb dieses Raums, bis zum Abflugort der Drohne. In einem Vorverarbeitungsschritt wird jedes Voxel, dass sich mit der Geometrie des BIM schneidet, als belegt markiert. Die inverse Menge der Voxel stellt Drohnenbasierte Erfassung von as-built Modellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Planens und Bauens im Brückenbau 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 369 somit den belegten Raum des Navigationsnetzes dar. Der Sicherheitsabstand zu den Objekten wird mit einer weiteren Schicht Voxel bestimmt. Nach der Definition des Navigationsvolumens wird ein Graph (OcTree) erstellt. Im OcTree kann unter Anwendung der Moore-Nachbarschaftsbeziehung jede Verbindung zwischen den Knoten als Bewegung der Drohne betrachtet werden. Zur Ableitung eines Pfades zwischen dem Knoten am Abflugort und den Knoten an Wegpunkten wird ein A*Algorithmus verwendet. Mittels Software-In-The-Loop (SITL) wird die Befliegung simuliert und Vorschaubilder der Kamerafotos an den Wegpunkten angezeigt. Dies ermöglicht es dem Piloten durch die Simulation zusätzliche Erkenntnisse zu sammeln, welche Daten im Rahmen der Flugmission erfasst werden. In beiden Ansätzen [6] und [8] werden die Wegpunkte der Erfassung manuell selektiert. Ein weiterer Ansatz von Hamledari [9] verwendet ein 4D-BIM im openBIM Format Industry Foundation Classes (IFC) mit Befliegungsmerkmalen (Beschreibung der Befliegungsziele, Datum und Uhrzeit der Befliegung, die Start- und Ladeposition sowie Einschränkungen im navigierbaren Raum) als Grundlage für die Missionsplanung. Die IFCDatei wird an einen Parser übergeben, der die geometrischen und semantischen Informationen der Elemente extrahiert. Der Anwender kann mittels Filtermöglichkeiten bspw. eine Ressourcenabfrage (IfcConstructionResource) starten, um verknüpfte Elemente (IfcElement) zu identifizieren. Die Vorgänge und die verknüpften Elemente, bei denen eine Erfassung notwendig ist, werden somit manuell selektiert. Ein Dijkstra-Algorithmus berechnet die kürzeste Entfernung der Erfassungspositionen und der Ameisenalgorithmus (engl. ant colony optimization, “ACO”) entwirft eine Erfassungsplanung, welche die Flugdauer minimiert und gleichzeitig eine Erfassung an jeder Position ermöglicht. Auf eine Simulation oder Verifizierung der vorgeschlagenen Erfassungsmission wird verzichtet. Es ist zu erwähnen, dass die Drohne während des Flugbetriebes aufgrund von gesetzlichen Vorgaben jederzeit in Sichtweise zu halten hat. Gem. § 21b LuftVO muss der Pilot sogar in der Lage sein, die Fluglage des Fluggeräts jederzeit einschätzen zu können [10]. Ein weiterer Punkt ist die geodätische Referenzierung. UAV operieren im Koordinatensystem WGS84. Modellkoordinaten müssen somit ins geodätische Koordinatensystem übertragen werden [7]. 2.2 Semantische Segmentierung Bei der semantischen Segmentierung erfolgt die Klassifikation eines jeden Datenpunktes, z. B. eines jeden Pixels oder Punktes in einer 3D Punktwolke. Jeder Datenpunkt wird hierbei mit einem Label versehen, das die jeweilige Klasse repräsentiert. Je nach Domäne kann es sich bei den Klassen um reale Objekte (Autonomes Fahren), oder auch um Bauteile wie bei der semantischen Segmentierung im Rahmen von Scan to BIM Workflows handeln. Abbildung 1 zeigt eine texturierte Punktwolke. Abbildung 2 zeigt dieselbe Punktwolke nach der semantischen Segmentierung. Die Farbwerte entsprechen den Bauteilklassen, z.B. Wand, Decke, Fenster. Für die semantische Segmentierung haben sich Verfahren des Machine Learning etabliert. Abbildung 1: Texturierte Punktwolke Abbildung 2: Segmentierte Punktwolke 2.3 Machine Learning Beim Machine Learning wird im Gegensatz zum klassischen Vorgehen ein Algorithmus nicht durch programmierte Logiken gebildet, sondern durch die Prozessierung von Trainingsdaten angelernt. Realisiert wird das durch den Aufbau künstlicher neuronaler Netze, die aus mehreren Millionen Neuronen bestehen, die miteinander verbunden sind. Das Anlernen erfolgt durch die Gewichtung der Verbindungen der Neuronen in der Vorwärtsrechnung. Für die semantische Segmentierung haben sich „Convolutional Neural Networks“ (CNN) bewährt, die klassenrelevanten Merkmale in Feature Maps anlernen können. Implementierungen bestehen sowohl für die Bilderkennung in bekannten Deep Learning Frameworks wie Pytorch [11] oder Keras [12], als auch für die semantische Segmentierung n-dimensionaler Daten, z. B. Punktwolken aus Laserscans, fotogrammetrischer oder hybrider Erfassung [vgl. hierzu beispielhaft: 13-16]. Bei der Bauteilerkennung in Punktwolken ergibt sich ein entscheidender Unterschied zur Bilderkennung. Im Drohnenbasierte Erfassung von as-built Modellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Planens und Bauens im Brückenbau 370 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Gegensatz zu Bilddaten handelt es sich bei Punktwolken um „sparse populated grids“, also „spärliche“ Daten, bei denen nicht an jedem möglichen Punkt im dreidimensionalen Raum auch ein Datenpunkt vorhanden ist. Dies muss bei der Implementierung der Verfahren berücksichtigt werden. Eine gute Übersicht über für die Bauteilerkennung relevante Implementierungen bietet die Scannet Benchmark Challenge, bei der die erzielbare Genauigkeit in verschiedenen Klassifikationsaufgaben auf einem Dataset mit Innenraumszenarien erprobt werden kann [17]. Neben Multi-View CNNs konnten insbesondere Implementierungen von „Submanifold Sparse Convolutional Neural Networks“ (SSCNS) sehr gute Ergebnisse erzielen. Bei diesen Implementierungen ist bemerkenswert, dass auch eine hohe Recheneffizienz erreicht werden kann, indem nur die aktiven Datenpunkte mit berücksichtigt werden [18]. 2.4 Sensorsimulation Für das Anlernen der genannten Algorithmen sind Trainingsdaten erforderlich. Diese stehen entweder als Datasets frei verfügbar zum Download bereit, müssen händisch annotiert oder synthetisch erzeugt werden. Alle drei Möglichkeiten haben ihre spezifischen Vor- und Nachteile, die nachfolgend dargestellt werden sollen. Online verfügbare Datasets, z. B. das Scannet Dataset [17], bieten eine große Menge vorklassifizierter Trainingsdaten zur freien Verwendung. Allerdings entspricht die Klassifikationsaufgabe nur selten domänenspezifischen Problemen, weil frei verfügbare Datasets mit dem Fokus erzeugt werden, Machine Learning Verfahren weiterzuentwickeln. So existiert bspw. kein Dataset, das annotierte Punktwolken konstruktiver Bauwerksteile enthält. Somit können frei verfügbare Datasets nicht für das Training von Machine Learning Algorithmen für die Bauteilerkennung im Brückenbau herangezogen werden. Die naheliegendste Möglichkeit, Trainingsdaten aus Laserscans von Brücken zu erzeugen, ist die händische Annotation der Punktwolken. Hierbei werden mittels geeigneter Software wie CloudCompare [19] einzelne Bauteile aus der Gesamtpunktwolke extrahiert und mit entsprechenden Labels versehen. Dieses Vorgehen ist jedoch sehr arbeitsaufwändig und fehleranfällig. Eine weitere Option ist die synthetische Erzeugung von Trainingsdaten. Hierbei werden zunächst digitale Modelle erzeugt, gerendert und schließlich mittels Sensorsimulationen (LiDAR, Photogrammetrie, usw.) zu Punktwolken umgesetzt. Hierbei wird die Klassifikation von den digitalen Modellen vererbt und den Daten als Label zu jedem Punkt während der Prozessierung angefügt. Somit können annotierte, realistisch texturierte Trainingsdaten erzeugt werden. Die Erzeugung digitaler Modelle erfolgt im Brückenbau gem. der BIM-Methodik. BIMs enthalten bauteilspezifische Informationen wie die Bauteilklasse gem. IFC [3] und bilden somit die ideale Grundlage für die synthetische Erzeugung von Trainingsdaten. BIMs werden in definierten Merkmalsräumen mittels (visueller) Programmierschnittstellen wie Dynamo [20] teilrandomisiert erzeugt. Die nachfolgende Texturierung erfolgt mittels 3D Creation Engines, z. B. Blender, Unreal Engine [21] oder Unity [22]. Diese erlauben die fotorealistische Texturierung der Modelle und die Simulation terrestrischer oder mobiler Sensoren mittels geeigneter Plugins wie dem Blender Sensor Simulation Toolkit [23] oder Air- Sim. AirSim ist ein quelloffener, plattformübergreifender Simulator, der auf der Unreal Engine 4 (UE4) aufbaut und ähnliche fotorealistische Simulationen für Drohnen und Autos bietet [24]. 3. Lösungsansatz zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Planens und Bauens im Brückenbau 3.1 Einführung Ein Lösungsansatz zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Planens und Bauens im Brückenbau wird nachfolgend vorgestellt. Einen Überblick bietet die Konzeptdarstellung in Abbildung 3. Abbildung 3: Konzeptdarstellung Drohnenbasierte Erfassung von as-built Modellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Planens und Bauens im Brückenbau 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 371 Kernelemente sind die Automatisierte Flugroutenplanung, die (Teil-)autonome Befliegung, die Objekterkennung in Punktwolken mittels neuronaler Netzwerke zur Erstellung des Wie-gebaut BIMs, sowie der Abgleich zwischen Wie-gebaut BIM und Wie-Geplant BIM. 3.2 Erfassung Ist-Daten werden am Bauwerk als Punktwolken mittels autonom operierender UAVs mit entsprechenden Sensoren erfasst. Die Ableitung der Flugroute für die teilautonome Befliegung erfolgt aus dem Wie-Geplant bzw. Wie-terminiert BIM (Schritte 1-4 der Abbildung 3). Die Teilschritte werden nachfolgend erläutert. Schritt 1-2: Ausgangspunkt ist das Planungsmodell, das nachfolgend als Wie-Geplant BIM bezeichnet wird; und das aus einzelnen gewerkespezifischen Teilmodellen (Strecke, Brückenbauwerk, usw.) besteht. Das Wie- Terminiert BIM (4D-BIM) entsteht bei der Verknüpfung zwischen dem Planungsmodell und dem bauzeitlichen Terminplan. Auf Grundlage des 4D-BIMs werden relevante Bauteile und Vorgänge identifiziert und Wegpunkte für die drohnenbasierte Erfassung abgeleitet. Die ermittelten Wegpunkte der abzufliegenden Flugroute ermöglichen während der Erfassung eine optimale LiDAR-Abdeckung. Schritt 3: Anhand der Algorithmen A*, GA und ACO kann hierbei die optimale Flugroute zur Erfassung des Bauzustandes unter Berücksichtigung von Randbedingungen ermittelt werden. Hier zählen unter anderem die sechs Freiheitsgrade der UAV, d. h. drei Koordinaten (x, y, z) und drei Rotationen (Gieren, Nicken und Rollen). Aber auch Einschränkungen wie die Batteriekapazität, Nutzlast und Startgewicht sowie die Größe der UAV. Zur Validierung der Erfassungsmission hinsichtlich Qualität der erfassten Daten und zur Vermeidung von Kollisionen des UAV mit dem Bauwerk oder anderen Gegenständen bzw. Hindernissen wird eine Simulation der Befliegung mit der Software AirSim [24] durchgeführt. Die Simulationsberichte enthalten Informationen über den gemessenen Stromverbrauch, die Missionsdauer und die erfasste segmentierte Punktwolke. Bei der Simulation können das reale aerodynamische Verhalten und mögliche Störungen berücksichtigt werden. Störungen treten u.a. in Form von Böen auf, die die UAV vorübergehend verschieben können, und in Form von verzerrtem GNSS-Empfang, der zu ungenauen Positionsmessungen führt. Schritt 4: Die Erfassung von Brückenbauwerken erfolgt im Anschluss mittels (Teil)-Autonomer Befliegung unter Berücksichtigung gesetzlicher Vorgaben. Hierfür wird die in der Simulation validierte Flugroute mittels geeigneter Schnittstellen als Erfassungsmission auf das UAV übertragen. Während der Erfassungsmission erfolgt die kontinuierliche Datenerfassung mittels LiDAR. 3.3 Verarbeitung Die Verarbeitung umfasst die Registrierung und Bereinigung der Punktwolke sowie die Bauteilerkennung in Punktwolken mittels neuronaler Netzwerke zur Erstellung des Wie-gebaut BIMs. Nachfolgend werden die Teilschritte 5-6 der Abbildung 3 erläutert. Schritt 5-6: Nach erfolgter Befliegung müssen die Rohdaten registriert werden. Die erfasste Punktwolke wird anschließend zum Wie-gebaut BIM umgesetzt. Hierfür muss die Punktwolke zunächst hinsichtlich der Bauteile semantisch segmentiert werden. Hierfür werden Machine Learning Algorithmen eingesetzt, die zunächst angelernt werden müssen. Für das Training ist eine ausreichende Menge Trainingsdaten erforderlich. Weil domänenspezifisch keine geeigneten Datasets zur Verfügung stehen und die händische Annotation mit einem zu großen Aufwand verbunden wäre, werden Trainingsdaten synthetisch aus BIMs erzeugt. Hierfür werden zunächst in einem definierten Merkmalsraum variierte BIMs mittels Autodesk Revit und der visuellen Programmierschnittstelle Dynamo erzeugt [20]. Beispielhaft wird ein solches BIM-Modell in Abbildung 4 dargestellt. Die so generierten BIMs werden anschließend über das Plugin Datasmith [21] in die Unreal Engine importiert und anschließend mit realistischen Texturen versehen, wie in Abbildung 5 dargestellt. Abbildung 4: Brückenbauwerk in Autodesk Revit Drohnenbasierte Erfassung von as-built Modellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Planens und Bauens im Brückenbau 372 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 5: Brückenbauwerk mit Texturen Die Sensorsimulation erfolgt in AirSim mittels mobilen LiDAR Sensoren. Diese Sensoren werden von simulierten UAVs getragen, die einem im Vorfeld definierten Pfad folgen. Der LiDAR Sensor nimmt hierbei kontinuierlich Daten auf. Eine Registrierung entfällt, weil alle aufgenommenen Punkte entsprechend der Position des UAV transformiert und auf ein gemeinsames Koordinatensystem bezogen werden. Neben den realen Farbwerten werden auch die Labels entsprechend den Bauteilklassen aufgenommen (s. Abbildung 7). Die so erfassten Daten werden für die weitere Bearbeitung gespeichert. Im Rahmen des Machine Learnings wird SparseConvNet [18], eine Implementierung von Submanifold Sparse Convolutional Networks in Pytorch eingesetzt. Für die Trainings müssen die Trainingsdaten entsprechend aufbereitet und in einem geeigneten, von SparseConvNet interpretierbaren Dateiformat gespeichert werden. Das Training erfolgt epochenweise, wobei in jeder Epoche die kompletten Trainingsdaten mindestens einmal prozessiert werden. Hierbei gibt die Batch size an, wie häufig das Dataset pro Epoche prozessiert wird. Wie groß die Batch size gewählt werden kann, hängt vom verfügbaren Arbeitsspeicher und von der Anzahl der freien Parameter des Netzes ab. Die Effizienz des Trainings hängt maßgeblich vom Laden der Daten ab, weil die im Training erforderlichen Matrixoperationen auf spezialisierter Hardware sehr effizient durchgeführt werden können. In anderen Forschungsarbeiten der Autoren beträgt die Rechenzeit für eine Trainingsepoche auf dem Hochleistungsrechner Elwetritsch der Allianz für Hochleistungsrechnen Rheinland-Pfalz bei einem ca. 26 GB großen Dataset, das in 18 GB Trainings- und 8 GB großes Validierungssets aufgeteilt wird, mit einer Nvidia Volta V 100 GPU (16 GB RAM), 8 CPU-Kernen und 40 GB RAM ca. 5 min. Die Batch size wurde hierbei mit 6 gewählt, die Anzahl der freien Parameter des neuronalen Netzwerks beträgt ca. 4,3 Mio. Alle fünf Epochen wird ein Validierungsschritt durchgeführt, bei dem in einer Rückwärtsrechnung mit bislang nicht prozessierten Daten der Trainingserfolg evaluiert und die Vorhersagegenauigkeit verbessert werden kann. Die Genauigkeit wird als Intersection over Union (IoU) ausgedrückt. Hierbei wird für jede Klasse die Schnittmenge aus der vorgegebenen Klassifizierung (engl. ground truth) und den vom Algorithmus klassifizierten Punkten (engl. predicted labels) durch die Vereinigungsmenge aus der vorgegebenen Klassifizierung und den vom Algorithmus klassifizierten Punkten geteilt. Formel 1 Intersection over Union Auf dem Scannet Dataset konnte SparseConvNet eine Genauigkeit von 72,5 % über alle Klassen erreichen [17]. Von den Autoren konnte im Rahmen anderer Forschungsarbeiten eine noch höhere Genauigkeit auf synthetischen Daten erreicht werden. Ein wichtiges Kriterium für den Erfolg eines Trainings im Machine Learning ist die Eigenschaft des neuronalen Netzes zu generalisieren. Generalisierung heißt in diesem Zusammenhang, dass eine Vorhersage auf unbekannte Daten möglich ist. Unbekannt bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Daten im Rahmen des Trainings nicht verwendet wurden. Über die Generalisierung des neuronalen Netzes ist eine Vorhersage auch auf Daten möglich, die sich hinsichtlich ihrer Merkmale wesentlich von den Trainingsdaten unterscheiden. Nach erfolgtem Training kann das trainierte Netz für die semantische Segmentierung unbekannter Daten genutzt werden. Im Rahmen dieser Vorhersagen wird jeder Punkt der Punktwolke klassifiziert und schließlich die Klasse mit der höchsten Wahrscheinlichkeit als Label für jeden Punkt ausgegeben. Nach erfolgter semantischer Segmentierung wird die Punktwolke nach einzelnen Bauteilklassen gefiltert und zu einzelnen Bauteilen geclustert. Anschließend erfolgt die iterative Einpassung parametrischer BIM-Objekte in die Punktwolke, wobei nach jedem Iterationsschritt der Abstand der Punktwolke zum Objekt berechnet wird (s. Abbildung 6). Die Iteration erfolgt hierbei bis zu einem definierten Schwellenwert. Abbildung 6: Berechnung des Abstandes von BIM-Objekt und Punktwolke 3.4 Auswertung Nach Verarbeitung der erfassten Punktwolke zum Wiegebaut BIM findet die Auswertung statt. Die Auswertung umfasst die Schritte 7-8 der Abbildung 3. Drohnenbasierte Erfassung von as-built Modellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Planens und Bauens im Brückenbau 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 373 Schritt 7: Das erzeugte Wie-gebaut BIM kann nun mit dem Wie-geplant bzw. Wie-terminiert BIM abgeglichen werden. Für den Abgleich können am Markt verfügbare BIMKoordinationstools verwendet werden. Eine Prüfung auf koinzidente Objekte gibt Aufschluss, ob die Wie-gebaut Objekte den Wie-geplant-Objekten entsprechen. Bei negativem Ergebnis werden die Wie-gebaut Objekte in das Erhaltungsmodell nach Bauausführung übernommen. Hierbei werden die semantischen Informationen der Wie-geplant-Objekten übernommen. Schritt 8: Das Wie-Gebaut BIM wird nach Abschluss der Bauausführung für die Betriebs- und Erhaltungsphase übergeben. Für diese Phase steht dem Betriebs- und Erhaltungsmanager nun ein Wie-Gebaut BIM zur Verfügung, welches die tatsächliche Bauausführung widerspiegelt. Abbildung 7: Simulation der drohnenbasierten Erfassung am Projekt Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24 4. Zusammenfassung und Ausblick Im vorliegenden Beitrag wird ein Konzept vorgestellt, mit dem Prozesse der BIM-basierten Projektabwicklung, insbesondere die Qualitäts- und Baufortschrittserfassung automatisiert werden können. Hierfür werden zunächst Daten mittels UAV am Bauwerk autonom erfasst, wobei die Befliegungsmission im Vorfeld anhand des Wie-geplant BIMs geplant und in einer Simulation validiert wird. Die erfassten Daten werden zu Wie-gebaut-BIMs umgesetzt, wobei zunächst Bauteile in der Punktwolke mittels Machine Learning Verfahren erkannt und anschließend iterativ parametrische BIM-Objekte eingepasst werden. Mit den Wie-gebaut BIMs erfolgt der Abgleich zur Planung (Wie-geplant / terminiert). Das vorgestellte Konzept wird momentan sukzessiv umgesetzt, wobei aktuell der Fokus im Bereich Drohnensimulation und Erzeugung synthetischer Trainingsdaten liegt. Literatur [1] BMVI: Stufenplan Digitales Planen und Bauen: Einführung moderner, IT-gestützter Prozesse und Technologienbei Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken. URL https: / / www.bmvi.de/ Shared- Docs/ DE/ Publikationen/ DG/ stufenplan-digitalesbauen.pdf? __blob=publicationFile. [2] Glock, Christian: Digitalisierung im konstruktiven Bauwesen. In: Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018), Nr. 8, S. 614-622. [3] buildingSMART International Ltd.: Industry Foundation Classes, 2020. URL https: / / standards. buildingsmart.org/ IFC/ DEV/ IFC4_2/ FINAL/ HTML/ - Überprüfungsdatum 23.04.2021. [4] Glock, C.; Kaufmann, F.: Ready for BIM - Digitizing capturing and assessment of existing structures. 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Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 [8] Freimuth, Henk; Müller, Jan; König, Markus: Planning UAV-Assisted Visual Inspections of Construction Sites. In: Lean and Computing in Construction Congress - Volume 1: Proceedings of the Joint Conference on Computing in Construction. Edinburgh : Heriot-Watt University, 2017, S. 161-168. [9] Hamledari, Hesam; Sajedi, Seyedomid; McCabe, Brenda; Fischer, Martin: Automation of Inspection Mission Planning Using 4D BIMs and in Support of Unmanned Aerial Vehicle-Based Data Collection. In: Journal of Construction Engineering and Management 147 (2021), Nr. 3, S. 4020179. [10] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Luftverkehrs-Ordnung (idF v. Zuletzt geändert durch Art. 2 V v. 11. 6. 2017 I 1617) (2015- 10-29). URL https: / / www.gesetze-im-internet.de/ luftvo_2015/ BJNR189410015.html#BJNR189410 015BJNG001200116. 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Dies gilt sowohl für Experten (Planungs- und Ausführungsqualität) als auch für Bauherren und Auftraggeber, die als Laien trotz wachsender Komplexität verständliche Informationen als Grundlage für ihre Entscheidungen benötigen (Entscheidungssicherheit). Zudem hat sich in den letzten Jahren eine interessierte Öffentlichkeit entwickelt, die zu Recht informiert sein will (Bürgerinformation) und sich einbringen möchte (Partizipation). Immersive Visualisierungssysteme ermöglichen in dieser komplexen gebauten Umwelt einen räumlich referenzierten Zugang zu Informationen und unterstützen die Kommunikation aller Beteiligten über alle Phasen des Lebenszyklus. Neben einer Erläuterung des Konzeptes „Digitale Erlebnisräume“ werden Anwendungsbeispiele aus den Forschungsprojekten des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO beschrieben. 1. Immersive Visualisierungssysteme als Digitale Erlebnisräume Der Begriff „Immersive Visualisierungssysteme“ umfasst Prozesse, Software und Hardware für die Erstellung, Nutzung und Präsentation virtueller Prototypen (Planung) und Digitaler Zwillinge (Ausführung und Betrieb) im gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks. Also in allen Phasen von der Projektentwicklung, der Planung, der Ausführung, der Inbetriebnahme, der Nutzung, der Umnutzung bis zum Rückbau von ganzen Regionen, Städten, Quartieren, Gebäuden bis zum Interieur. Zentrale Herausforderung ist hierbei eine raumreferenzierte Datenquelle die in Layern die Information aus den für die Anwendung relevanten Systemen integriert und die auf die Anforderungen einer Echtzeitvisualisierung hin optimiert ist. Neben der bekannten interaktiven Darstellung von 3D- Inhalten auf 2D-Displays umfassen Immersive Visualisierungssysteme aber vor Allem erlebnisorientierte Kommunikationstechnologien, immersive Technologien, die ein „Eintauchen“ in Virtuelle Welten oder aber die Überlagerung der Realität mit virtuellen Objekten ermöglichen. Je nach Einsatz spricht man von Virtual Reality (VR der Betrachter in einer rein virtuellen Umgebung), Mixed Reality (MR reale Teilelemente in VR-Umgebungen) oder Augmented Reality (AR - Einblenden virtueller Teile in den realen Raum). In der Vorlesung „Virtual Reality im Engineering“ an der Uni Stuttgart wird VR definiert als „die Darstellung und gleichzeitige Wahrnehmung der „Wirklichkeit“ in einer in Echtzeit computergenerierten Umgebung“ mit dem Ziel „komplexe 3D-Modelle durch räumliches Erleben effizienter erfassen, verstehen und manipulieren zu können“. Eine wesentliche Eigenschaft der VR ist die Immersion (vom lateinischen „immergere“), das Eintauchen in die virtuelle Welt, also das Gefühl, tatsächlich an einem anderen Ort zu sein. VR bietet also die Möglichkeit, 3D-Modelle quasi-holografisch und in realer Größe zu erleben. Der Einsatz dieser immersiven Technologien bringt weitere bzw. strengere Herausforderungen hinsichtlich der Datenqualität mit sich: • Vollständigkeit: die Freiheit, jeden Standpunkt im Raum einnehmen zu können, setzt voraus, dass • alle Planungen vollständig in durchgängig guter 3D- Qualität vorliegen, • Immersion: ein ruckelfreies, fließendes Erleben (freie Navigation, Tracking) auch komplexer Planungen setzt echtzeit-taugliche 3D-Daten voraus oder Prozesse, die die Stammdaten automatisiert in solche konvertieren. Aus Prozess-Sicht lassen sich weitere Herausforderungen ableiten: • z.B. dass die geforderte „Verfügbarkeit zu jeder Zeit“ Daten verlangt, die stets aktuell sind, • oder dass der hohe Erlebnisfaktor beim Betrachter eine differenzierte Repräsentation der Planungsreife nötig macht, Potentiale Immersiver Visualisierungssysteme (AR/ VR) für Kommunikationsbedarfe im Lebenszyklus von Bauwerken 378 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 • oder dass der Einsatz VT in allen Lebensphasen eines Bauwerks klare Daten-Schnittstellen zwischen den wechselnden Verantwortlichen ohne Informationsverluste bedingt. Die folgende Abbildung veranschaulicht das Konzept von „Digitalen Erlebnisräumen“. Die gebaute Umwelt wird dabei überlagert von räumlich referenzierten Schichten von Information die je nach Quellsystemen räumliche Daten oder zugeordnete Daten in numerischer, textlicher oder Dokumentenform überlagert. Mit Visualisierungstechniken aus den Bereichen VR, Mobiles AR oder Assisted Reality werden diese Daten Anwendungs- und Nutzerspezifisch räumlich erlebbar und dienen als Nutzerschnittstelle zur Veränderung und Eingabe von Daten. Den Zugriff hinsichtlich Rechten und Rollenanforderungen regelt dabei eine Authorisierungschicht. So erhalten die Nutzer entsprechend Ihrer Ausstattung und Ihrer Datenrechte entsprechend der Anforderungen aus dem jeweiligen Anwendungskontext. Dieser umfasst entlang des gesamten Lebenszyklus unserer gebauten Umwelt beispielsweise Planung, Beteiligung, Bildung, Navigation oder Wartung. Abbildung 1: Das Konzept „Digitale Erlebnisräume“ für die Kommunikation im Lebenszyklus der gebauten Umwelt Demnach müssen in der Planung von Anwendungen folgende Sachverhalte geklärt werden: Nutzerprofil: Je nach Nutzer ändern sich Anforderungen und Wünsche an digitale Erlebnisräume. Wer sind die Nutzer und welche Erfahrung haben sie im Umgang mit den Systemen? Welche Informationen sind für sie relevant und wie soll ihre individuelle Nutzerschnittstelle gestaltet sein, um die Ziele möglichst effizient zu erreichen? Anwendung: In welchem Kontext wird die Anwendung implementiert? Welches sind die technischen Randbedingungen und welche Anforderungen lassen sich daraus auf die Anwendung ableiten? Visualisierungstechniken: Welches sind die Möglichkeiten aber auch die Limitationen der jeweilig einzusetzenden Visualisierungstechnik aus den Bereichen VR, AR, MR nach heutiger Sicht aber auch aus einer mittel- und langfristigen Perspektive? Inhalt: Aus welchen Datenquellen speist sich die benötigte Information und über welche Schnittstellen können diese in den digitalen Erlebnisraum der jeweiligen individuellen Anwendung integriert werden? 2. Anwendungsbeispiel: Immersive Planungs- und Nutzerbesprechung Am Fraunhofer IAO wurden in den letzten 12 Jahren zahlreiche Hoch- und Tiefbauprojekte für Bauherren, Planer und Fachplaner bei der Vermittlung der Planungsstände und in der Diskussion und Entscheidungsfindung durch die „immersive Planungsbesprechung“ unterstützt. Als Visualisierungstechnik kam in diesen Projekten das Immersive Participation Lab (IPLab), ein mehrseitiger immersiver Stereoprojektionsraum zum Einsatz. Abbildung 2: Das IPLab am Fraunhofer IAO - schematische Darstellung des Projektionssystems Im Vergleich zu gängigen VR-Brillen (Head Mounted Displays HMDs) erlaubt dieser Raum einer Gruppe von bis zu 15 Teilnehmern das gleichzeitige Erleben des virtuellen Planungsmodells. Durch die körperliche Präsenz sind in diesem VR-System, das auch CAVE genannt wird, soziale Interaktionen mit Gestik und Mimik in der Diskussion möglich. Die Entscheidungsfindung wäre in größeren Gruppen erfahrungsgemäß mit sozial isolierenden VR-Brillen nicht möglich. Abbildung 3: Das IPLab am Fraunhofer IAO - Immersive Nutzerbesprechung, Flugfeldklinikum Böblingen- Sindelfingen Potentiale Immersiver Visualisierungssysteme (AR/ VR) für Kommunikationsbedarfe im Lebenszyklus von Bauwerken 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 379 In allen Projekten wurden die Planungsdaten aus BIM- Koordinationsmodellen, GIS-Umgebungsmodellen und Fachmodellen aus der Simulation mit effizienten Datenaufbereitungsprozessen für die Visualisierung optimiert und integriert. Inzwischen können vor Allem in Planungsbesprechungen die rohen BIM-Daten ohne zusätzlichen manuellen Aufwand verwendet werden. Aufgrund der in den meisten Fällen hohen Expertise der Teilnehmer erübrigt sich ein hoher Aufwand in die Datenaufbereitung für eine hohe visuelle Qualität. Für eine zielgerichtete und effiziente Durchführung der Besprechung wurde am Fraunhofer IAO eine Methodik speziell für immersive Planungs- und Nutzerbesprechungen entwickelt. Die Besprechungen beginnen mit einem Briefing, inklusive einer Einführung in die Methodik. Hier werden sehr konkrete Ziele beschrieben, im Teilnehmerkreis diskutiert und ausdetailliert. Eine genau formulierte Dokumentation vereinfacht dann auch später im Debriefing die Überpüfung der Zielerreichung. Weiterhin werden im Briefing die Aufgaben geklärt und die Rollen definiert. Neben den technischen Planern, Bauherren- und Nutzervertreter gibt es die Rollen Moderator, Navigator, Anwendungssteuerung, und Protokollant. Im Schnitt nehmen zwischen 12 und 18 Personen teil. Das Briefing schießt mit einer Einführung in die VR-Technik. Einerseits, damit die Teilnehmer über die Technik Bescheid wissten und so während der eigentlichen VR-Durchführungsphase nicht durch Technikfragen abgelenkt sind. Andererseits, um ihnen eine gewisse Eingewöhnungszeit zu gewähren - sich darauf einzulassen, Immersion zuzulassen. Die VR-Durchführungsphase wird so moderiert, dass zu den einzelnen Zielen die jeweils relevanten Räume „angeflogen“ und Thema für Thema nach dem KIDE- Ablauf „Konfrontation, Inkubation, Diskussion, Entscheidung“ besprochen werden. Diese Phase dauert in der Regel 2-4 Stunden und sollte möglichst kurz gehalten werden um Ermüdung und damit einhergehende Probleme der „Motion Sickness“, eines für VR-Systeme typischen Unwohlseins, komplett auszuschließen. Vor der abschließenden Phase des Debriefing wird wenn möglich eine Pause für die Teilnehmer eingelegt. Sie sollen nach der immersiven Erfahrung wieder in der „nüchternen“ Realität ankommen können und getroffene Entscheidungen sollen „reifen“ können. Die Notwendigkeit der Pause zweifelte auch keiner an, denn die Zeit vergeht erfahrungsgemäß im Flug - oder wie Teilnehmer oftmals später anmerken ‚im „Gruppen-Flow“‘. So fand das Debriefing - die Rekapitulation des Besprochenen - wieder in der sachlichen Atmosphäre des Besprechungsraumes statt, zu dem sich die CAVE nach Abschalten der Projektionswände verwandelt. Diese Gelegenheit nach der Planungsbesprechung wird für die Forschung und Optimierung der Methodik auch genutzt, um die Teilnehmer sozusagen auf Metaebene zu Ihren Erfahrungen zu befragen. Häufig wird aufgrund der positiven Erfahrungen vereinbart, dass zu einem späteren Zeitpunkt und Planungsstand desselben Bauprojekts eine weitere immersive Planungsbesprechung mit demselben Ablauf angesetzt wird. Die folgende Abbildung stellt am Beispiel eines Hochbauprojektes die Ergebnisse der abschließenden Umfrage hinsichtlich Zielerfüllung, Unterstützungspotential und Qualität des Ablaufs einer Immersiven Planungsbesprechung dar. Abbildung 4: Ergebnisse der Befragungen von 2 Planungsbesprechungen (1. Besprechung links, 2. rechts) 3. Weitere Anwendungsbeispiele Neben dem oben ausführlich beschriebenen Anwendungsfall in VR mit der Nutzung des Immersive Participation Labs für die Nutzer- und Planungsbesprechung erlauben etablierte Techniken aus den Bereich XR (X steht hier für Virtual, Mixed, Augmented oder Assisted Reality) zahlreiche weitere Anwendungen bei denen Informationen im Raum verortet abgerufen werden können. Im Betrieb von Bauwerken sind dies größtenteils Techniken aus dem Bereich AR die teilweise mittels AR-Brillen aber viel häufiger mit mobilen Endgeräten wie Smartphones oder Tablets Sensordaten in Echtzeit aus dem Digitalen Zwilling des Bauwerks abrufbar machen und somit z.B. auch Wartungsanwendungen ermöglichen, bei denen Wartungsberichte über das räumliche Modell direkt in die Facility-Management-Datenbank abgelegt oder abgerufen werden können. Navigationsanwendungen führen den Wartungstechniker dabei optimal zu seinen Einsatzorten. Vor Allem für diese niederschwelligen Anwendungen ohne besonderen Anspruch an die Hardware ist kurzfristig eine starke Durchdringung in Kommunikationsprozesse zu erwarten. Die Berücksichtigung der eingangs geschilderten Aspekte des Konzeptes „Digitale Erlebnisräume“ mit einer auf den Anwendungsfall exakt zugeschnittenen Lösung wird dabei ein wesentlicher Erfolgsfaktoren sein. Potentiale Immersiver Visualisierungssysteme (AR/ VR) für Kommunikationsbedarfe im Lebenszyklus von Bauwerken 380 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 4. Fazit und Ausblick Die Verwendung von VR-Technologie bzw. die Anwendung von Virtual Engineering in der Baubranche erweitert den Nutzen von BIM als Datengrundlage um zahlreiche Kommunikationsanwendungen. Die immersive Nutzer- und Planungsbesprechung ist ein gutes Beispiel in der Phase der Planung und ein Schritt in diese Richtung. Die Zukunft wird an dieser Stelle sowohl von technischen, als auch von methodischen Weiterentwicklungen geprägt sein und sich damit mehr und mehr zu einem Standard etablieren. So ist es beispielsweise bereits möglich, nicht mehr nur gemeinsam an einem physischen Ort, sondern physisch verteilt und nur virtuell an einem Ort immersive Planungsbesprechungen in Gruppen abzuhalten. Dabei können einzelne Teilnehmer auch von anderen Standorten aus z.B. mit ihrem HMD oder einem Desktop-Viewer teilnehmen. Ähnlich wie bei anderen hybriden Veranstaltungsformaten entwickeln sich Plattformen über die das Präsenzmeeting in der immersive Planungsbesprechung in einer CAVE als verteilte Lösung auch Teilnehmer aus der Ferne in die Szene als 1: 1 Avatar integriert. In Bezug auf die Kommunikationskultur werden BIM bzw. Digitale Zwillinge im Allgemeinen und die Verwendung immersiver Techniken im Speziellen das Bauen und Betreiben von Bauwerken dahingehend verändern, dass in der Planungs- und Ausführungsphase Planer, Fachplaner, Bauherren und Nutzer sich in kurzen Zyklen intensiv abstimmen und diesen engen Austausch von Beginn der Planung bis zur Übergabe an den Betrieb nutzen und so letztendlich auch das Nutzerwissen aus dem Betrieb nach vorn verlagert in der Planung berücksichtigt wird. Aber auch der Betrieb, die Sanierung und der Rückbau werden zunehmend digitalisiert und somit zwangsläufig auf räumliche Nutzer-Schnittstellen angewiesen sein. Diese neue Kommunikationskultur fordert angemessene Technologien und Methoden. Virtuelle Techniken werden hier einen wertvollen Beitrag leisten. Erst durch eine akribische Planung der Prozesse und einer Weiterentwicklung der Methoden der Arbeitsabläufe werden diese effizient im Planungs- und Bauprozess einsetzbar. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 381 Integration und Visualisierung von Zustandsdaten in digitalen Bauwerksmodellen - Konzepte und Realisierungen Martin Schickert Materialforschungs- und -prüfanstalt an der Bauhaus-Universität Weimar (MFPA Weimar) Mathias Artus, Jason Lai Bauhaus-Universität Weimar Felix Kremp planen-bauen 4.0 GmbH, Berlin Zusammenfassung Digitale Bauwerksmodelle können im Rahmen des Building Information Modeling (BIM) die Planungs und Zustandsdaten von Infrastrukturbauwerken über den gesamten Lebenszyklus hinweg abbilden. Während der Nutzungsphase ermöglicht die Integration von Zustandsdaten aus der Bauwerksanalyse eine detaillierte, aktuelle Beschreibung des Bauwerkszustandes. Der Beitrag diskutiert technische Konzepte zur Integration von Zustandsdaten in digitale Bauwerksmodelle nach dem offenen Standard der Industry Foundation Classes (IFC) sowie deren Visualisierung im Modell. Mittels einer prototypischen Software werden sowohl geometrische als auch semantische Zustandsinformationen aus der Bauwerksdiagnose mit Ultraschall und Radar in ein auf dem IFC-Schema basierendes 3D-Modell integriert. Dabei werden die notwendigen Funktionalitäten und die Vorgehensweise von der Datenerfassung bis zur Nutzerinteraktion mit dem Bauwerksmodell verdeutlicht. Daraus wird eine begriffliche Systematik entwickelt, um Daten, die mittels Zerstörungsfreier Prüfverfahren (ZfP) gewonnen wurden, und die dazugehörigen Metainformationen in einer IFC-Datenstruktur abzubilden. Zur 3D-Darstellung des IFC-Bauwerksmodells mit beispielhaften ZfP-Daten wurde eine Visualisierungs-Software entwickelt. Zwei Beispiele zur Augmented-Reality-(AR)-Visualisierung von 3D-Zustandsdaten mit einem Tablet bzw. einer AR-Brille bzw. zeigen Nutzungsmöglichkeiten im Kontext des realen Bauteils, die zukünftig Inspektions- und Wartungsaufgaben erleichtern können. 1. Einleitung Building Information Modeling (BIM) bezeichnet eine kooperative Arbeitsmethode, die als Ziel die durchgängige Verwendung eines digitalen Modells eines Bauwerks über dessen gesamten Lebenszyklus hat. Das digitale Bauwerksmodell stellt dabei die rechnerinterne, virtuelle Repräsentation eines Bauwerks mit geometrischen, physikalischen und funktionalen Eigenschaften dar und wird zwischen allen Projektbeteiligten wie Architekten, Ingenieuren, Managern und Bauherren über die Projektphasen Entwurf, Planung, Ausführung, Bewirtschaftung und Umbau ausgetauscht. Während anfangs der Schwerpunkt der BIM-Methoden auf der Planung und Ausführung von Gebäuden im Hochbau lag, werden zunehmend auch Infrastrukturbauwerke wie Brücken, Tunnel, Straßen und Gleisanlagen im BIM-Prozess behandelt, und die Betrachtung erweitert sich auf die Nutzungsphase der Bauwerke. Damit wird die Integration physikalischer und funktionaler Daten interessant, die den Zustand des Bauwerks beschreiben. Bisher werden diese Daten selektiv zur Schadensanalyse aufgenommen und nur in diesem Rahmen ausgewertet. Eine Zusammenführung aller verfügbaren Informationen und ihre aufgabengerechte Darstellung ermöglichen dagegen eine weitergehende Auswertung, die für eine Visualisierung, für Analysen und Vorhersagen genutzt werden können. Zur strukturierten Aufnahme dieser Daten bietet sich das digitale Bauwerksmodell an, das im BIM-Prozess erstellt und laufend aktualisiert wird. Wird der Zustand des Bauwerks durch die Zustandsdaten genügend genau abgebildet, fungiert das BIM-Bauwerksmodell als Digitaler Zwilling, mit dem Verhaltens und Lebensdauer-Vorhersagen modelliert und simuliert werden können. Die Zustandsdaten können als Ergebnis einer zerstörungsfreien Prüfung (ZfP) und als Daten aus einem Monitoring (auch: Structural Health Monitoring) erhoben Integration und Visualisierung von Zustandsdaten in digitalen Bauwerksmodellen - Konzepte und Realisierungen 382 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 1: Notwendige Bestandteile für die Kollaboration im BIM-Prozess (basierend auf den Definitionen von buildingSMART [5]) werden. ZfP-Daten sind im allgemeinen räumlich verteilt, werden aber zu einem bestimmten Zeitpunkt erhoben, während Monitoring-Daten räumlich punktuell, aber zeitlich ausgedehnt gemessen werden. Hier werden ZfP-Daten betrachtet, während Monitoring z. B. in [1, 2, 3] und die Übernahme von Schadensinformationen in [4] behandelt werden. Mit zunehmender Zahl der im Bauwerk integrierten Sensoren ist zukünftig eine Verschmelzung der beiden Bereiche möglich. Abbildung 2: IFC-Datei im ASCII-Format und die Darstellung im IFC-Viewer Die Strukturierung von ZfP-Daten, ihre Übernahme in ein BIM-Bauwerksmodell und ihre darauf aufbauende Visualisierung sind gegenwärtig noch nicht Stand der Technik. Im Beitrag wird der BIM-Prozess erläutert, der für die Erstellung von digitalen Bauwerksmodellen erforderlich ist, und die strukturierte Anordnung der Informationen im Bauwerksmodell wird dargestellt. Anschließend wird eine Vorgehensweise zur Integration von ZfP-Daten vorgestellt, und es wird eine begriffliche Systematik für ZfP-Daten und dazugehörige Metainformationen vorgeschlagen. Visualisierungsmöglichkeiten von bildgebenden ZfP- Daten werden anhand dreier Beispiele vorgestellt. Für die Visualisierung von geometrischen und semantischen ZfP-Ergebnissen in einem BIM-Bauwerksmodell wurde die Software MFPA-BIM-Viewer entwickelt. Zwei Anwendungen der Augmented-Reality-(AR)-Visualisierung von 3D-Zustandsdaten mit einem Tablet und mit einer AR-Brille zeigen intuitive Nutzungsmöglichkeiten im Kontext des realen Bauteils, wobei das visuelle Bild des Bauteils mit virtuell erzeugten Bildern der Planungsdaten und der Abbildungsverfahren überlagert wird. 2. Konzepte 2.1 BIM für einen neuen Prozess verwenden Building Information Modeling (BIM) beschreibt Methoden und Werkzeuge für die digitale Zusammenarbeit im Bausektor. Es ist wichtig, zwischen dem Prozess Building Information Modeling und dem resultierenden Bauwerksmodell (Building Information Model) zu unterscheiden. In diesem Artikel steht die Abkürzung BIM für den Prozess. Ziel des BIM-Prozesses ist die Einsparung von Zeit und Geld bei Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken. Das digitale Bauwerksmodell dient dabei dem verlustarmen Datenaustausch zwischen allen Prozessen und Akteuren. Bild 1 zeigt einen konzeptuellen Überblick über die drei Hauptbestandteile, die für einen gezielten Datenaustausch notwendig sind. Integration und Visualisierung von Zustandsdaten in digitalen Bauwerksmodellen - Konzepte und Realisierungen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 383 Am bekanntesten ist der Teil Datenstruktur (Data Structure). Die internationale Standardisierungsorganisation buildingSMART hat den Standard der Industry Foundation Classes (IFC) definiert, um ein Schema zum Datenaustausch bereitzustellen [6, 7]. Der IFC-Standard beinhaltet Definitionen zu Produkten, Prozessen, Personen, Dokumenten, Beziehungen und alphanumerischen Daten. IFC-Dateien sind ASCII-Dateien, die die Bauwerksinformationen beinhalten. Zu den Inhalten zählen unter anderem Geometrie, Materialien und Verbindungen oder Zusammenhänge. Bild 2 zeigt einen Ausschnitt einer IFC-Datei auf der linken Seite und die entsprechende Darstellung einer Brücke auf der rechten Seite. IFC liefert die Datenstruktur, um überhaupt Bauwerksdaten austauschen zu können. Die Definitionen zum Datenaustausch (Data Exchange Definitions) legen fest, welche Daten wann zwischen welchen Akteuren in welcher Detaillierung ausgetauscht werden [5, Ch. 6]. Dies ist abhängig von den jeweiligen Prozessen und nationalen Vorgaben. Deshalb definiert buildingSMART hier keinen fertigen Standard, der die Anforderungen festlegt, sondern bietet Anleitungen zum Erstellen eines Information Delivery Manuals (IDM) [8] und einer Model View Definition (MVD) [9]. Das IDM definiert hierbei unabhängig von der IFC Anforderungen an den Datenaustausch - welcher Akteur welche Daten zu welchem Zeitpunkt benötigt -; es sollte von einem Experten aus dem beabsichtigten Nutzungsbereich definiert werden. Basierend auf dem IDM legt dann das MVD fest, wie diese Anforderungen auf Basis von IFC implementiert werden. Dies ist empfehlenswert, um eine einheitliche Herangehensweise sicherzustellen, und wird am besten in einer Software implementiert. Zur Erstellung sollten Ein IFC- und ein Nutzungsexperte zusammenarbeiten. Bild 3 zeigt links ein fiktives IDM für den Inspektionsprozess. Daneben ist ein Teil eines möglichen MVDs abgebildet. Das IDM beschreibt die Prozesse zerstörungsfreie Prüfung (Nondestruktive Testing) und Bewertung (Assessment). Eine zerstörungsfreie Prüfung hat Attribute für eine Methode und eine verantwortliche Person. Im zugehörigen MVD wird dann festgelegt, dass zum Beispiel der Prozess an sich durch einen IfcTask repräsentiert wird. Die Daten zur verantwortlichen Person werden per IfcActor abgebildet, und eine Entität vom Typ IfcDocumentReference transportiert Informationen bezüglich des Abschlussberichts. Einige grundlegende MVDs werden von buildingSMART zu Verfügung gestellt. Abbildung 3: Ausschnitt eines beispielhaften IDMs und eines zugehörigen MVDs mit IFC-Entitäten. Prozesse sind grau dargestellt, Elemente des IDM´ gelb und Elemente des MVD´/ IFC´ grün. Des Weiteren ist es notwendig, die zu verwendenden Begriffe eindeutig zu definieren. Zum Beispiel gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, ein Riss zu benennen: Riss, Bruch, Spalt, Delamination oder Ablösung. Für einen automatischen Austausch der Daten ist es notwendig, genau festzulegen, welche Bezeichnung für welchen Sachverhalt verwendet wird. Dafür werden Terminologien (Terminologies) festgelegt [5, Ch. 6]. buildingSMART stellt für diesen Zweck das buildingSMART Data Dictionary (bsDD) bereit [10]. Darin werden Begriffe festgelegt und vereinheitlicht, auch unter Berücksichtigung verschiedener Sprachen. Diese Definitionen können hie- Integration und Visualisierung von Zustandsdaten in digitalen Bauwerksmodellen - Konzepte und Realisierungen 384 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 rarchisch angelegt werden und zusätzliche Bedingungen oder Parameter beinhalten. Für unterschiedliche Anwendungsbereiche und länderspezifische Definitionen sind verschiedene Domains in einem einzelnen bsDD möglich. Ein bsDD wird derzeit durch prospektive Nutzer nach Schulung durch buildingSMART in eigener Verantwortung angelegt. Um BIM für einen Prozess (z. B. die Inspektion einer Stahlbetonbrücke) oder eine Prozessklasse (Inspektionen allgemein) zu implementieren, ist es notwendig, 1. alle beteiligten Prozesse und Akteure zu bestimmen, 2. alle notwendigen Daten für den Austausch zwischen den Prozessen zu definieren, 3. festzulegen, wie diese Daten in einer IFC-Datei zu speichern sind und 4. welche Begriffe für die Daten zu verwenden sind. Auf Grundlage dieser Festlegungen für den BIM-Prozess können dann konkrete Bauwerksmodelle erstellt, ausgetauscht und genutzt werden. Die Nutzung von IFC-Bauwerksmodellen im Hinblick auf bestimmte Anwendungen kann durch eine Model View Definition (MVD) beschrieben werden. Diese definiert eine Untermenge des IFC-Modells, die für eine bestimmte Modellnutzung, z. B. eine ZfP-Messung oder eine Brückenwartung, angelegt wird. Abbildung 4: Arbeitsablauf zur Integration von ZfP-Ergebnissen in ein BIM-Bauwerksmodell und spätere Nutzung 2.2 BIM-Bauwerksmodell und IFC Die IFC-Datenstruktur war ursprünglich als Standard zum Datenaustausch zwischen proprietären Datenformaten definiert worden. Sie kann auch zum Anlegen von Bauwerksmodellen verwendet werden. Das Bauwerksmodell beinhaltet Informationen zum Bauwerk selbst, wie zum Beispiel Geometrien der Bauteile, Materialien und Materialdaten, Zugehörigkeiten und Zusammenhänge, Informationen zur Statik und zu Ent- und Versorgungssystemen. Technisch besteht ein IFC-Bauwerksmodell im STEP-Format aus einer ASCII-Datei mit IFC-Dateiendung, die einen kurzen Header und eine Liste von IFC-Entitäten enthält, die jeweils mit dem Rautezeichen # und einer Zeilennummer beginnen und mit einem Semikolon abgeschlossen werden (Bild 5). Bauwerksmodelle können als IFC-Datei angelegt sein, oder sie werden in einer proprietären Software entwickelt, aus der IFC-Dateien zum Austausch exportiert und weitergegeben werden. 2.3 Vorgehensweise zur Integration von ZfP-Daten Das digitale Bauwerksmodell bietet eine attraktive Möglichkeit, Zustandsdaten zu integrieren. Die Daten können nicht nur an Messpunkten einer Geometrie, sondern auch logisch direkt dem Bauteil zugeordnet werden, dessen Zustand sie beschreiben, oder auch den Einzelteilen, Eigenschaften und Funktionen eines Bauteils. Dabei müssen die Daten zum einen an die IFC-Struktur angepasst und zum anderen im Hinblick auf spätere Nutzungen aufbereitet werden. Prinzipiell ist es möglich, neue Definitionen über allgemeine Property Sets in ein Modell zu integrieren. Dann sind diese Definitionen aber proprietär und nicht kompatibel zu anderen Darstellungs und Nutzungsprogrammen. Der einheitlichere, aber aufwendigere Weg ist der über die Neudefinition von IFC- Entitäten. Bild 4 zeigt den generellen Arbeitsablauf bei der Integration und Nutzung von ZfP-Ergebnissen mit einem BIM-Bauwerksmodell. Die ZfP-Messergebnisse und die dazugehörigen Metainformationen werden direkt als Rohdaten in das Bauwerksmodell aufgenommen, um die Rückverfolgbarkeit sicherzustellen. Dazu müssen die Messpositionen und die ein- oder mehrdimensionalen Integration und Visualisierung von Zustandsdaten in digitalen Bauwerksmodellen - Konzepte und Realisierungen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 385 Ergebnisse in die 3D-Geometrie des Bauwerksmodells transformiert werden. Die die Messdaten erläuternden Metainformationen werden inhaltlich transformiert und unter Verwendung der IFC-Terminologie auf die IFC- Datenstruktur abgebildet. Um die Rohdaten in Informationen zu überführen, die im Rahmen des BIM-Prozesses auch für Nicht-ZfP-Experten nutzbar sind, ist ein Interpretationsschritt notwendig. Dieser beinhaltet zunächst die Verknüpfung der Ergebnisse und Metainformationen mit dem entsprechenden Bauteil. Außerdem ist eine Abstraktion der Messergebnisse erforderlich, die die Messergebnisse für die Nutzer des Bauwerksmodells verständlich macht. Dadurch werden zum Beispiel Anzeigen in einem Radarbild als Spannkanäle interpretiert. Bei einer bewertenden Prüfung kommt noch ein Prüfergebnis wie z. B. „Korrosion“ hinzu. Diese interpretierten Messergebnisse und Metadaten werden ebenfalls in die IFC-Datenstruktur und IFC-Terminologie übersetzt und im Bauwerksmodell abgelegt. Im Falle von prozessspezifischen Rohdaten oder Binärdaten ist eine Integration über Referenzen effizienter als die Speicherung der Daten in der IFC-Datei (Bild 4, #9037). Die Informationen im Bauwerksmodell stehen dann für die nachfolgende Nutzung zur Verfügung. Sie können beispielsweise visualisiert werden, wobei nach bestimmten Inhalten gefiltert werden kann (Kapitel 3.1). Auf Grundlage der Informationen können Modellierungen und Simulationen durchgeführt werden, die z. B. mechanische oder klimatische Belastungen simulieren (Digitaler Zwilling) und daraus Zustandsnoten und Prognosen ableiten, die ihrerseits wieder ins Modell eingespeist werden. Diese können dann zur Planung von zustandsbasierten Wartungsintervallen und für Lebensdauervorhersagen genutzt werden. Da die Nutzung der Daten offen ist, müssen alle beteiligten Prozesse (Qualitätsprüfungen ZfP/ Monitoring, Modellierungen, Wartung, …) und die zugehörigen Akteure (Bauwerkseigner, Prüfingenieure, Messbeauftagte, …) definiert werden, um die notwendigen Informationen zu bestimmen und deren Aufnahme in das Bauwerksmodell sicherzustellen. 2.4 ZfP-Daten und Metainformationen Neben den ZfP-Messergebnissen sind Metainformationen zu ihrer Beschreibung und Einordnung erforderlich. Die Struktur dieser Daten sollte einheitlich auf alle ZfP- Verfahren anwendbar sein, eine Qualitätssicherung beinhalten und die nachfolgende Nutzung berücksichtigen. Die Metainformationen für Rohdaten und deren Interpretation können nach folgender Systematik angeordnet werden: Messdurchführung - Prüfziel - Messverfahren - Prüfanweisung - Datum, Zeit - Namen, Institutionen, Qualifikationen - … Verfahrensspezifische Informationen - Messgerät - Messgröße - Einheiten - Justier-/ Kalibrierwerte - Datenformat - Farbskalen - … Geometrische Daten - Bezugspunkt - Koordinatensystem - Messraster - … Randbedingungen - Temperatur - Oberflächenzustand - … Zusatzinformationen - Notizen - Fotos - … Interpretation - Abstraktion - Bewertung - … Aus diesen Begriffen kann eine IFC-Datenstruktur entwickelt werden, auf die die Metainformationen semantisch abgebildet werden. Der Weg zu einer Standardisierung führt über die Festlegung einer Terminologie im buildingSMART Data Dictionary (bsDD), um einheitliche Bezeichnungen festzuschreiben, z. B. für Begriffe wie „Ultraschallprüfung“, „Ultraschallmessung“ oder „Ultrasonic inspection“. Die Verwendung von ZfP-Daten im Kontext eines IFC- Bauwerksmodells wird anhand eines fiktiven Trägers in Bild 5 illustriert. Die IFC-Daten sind dem Beispiel in Bild 6 entnommen. Integration und Visualisierung von Zustandsdaten in digitalen Bauwerksmodellen - Konzepte und Realisierungen 386 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 5: Auszug aus einer Beispielhaften IFC-Datei mit einem Träger (#244), dem Prozess für die Ultraschalluntersuchung (#9041) und dem Abschlussbericht (#9036 und #9037) Der IfcBeam (#244) stellt den Träger für das Beispiel dar. Bei einer Hauptinspektion wurde ein Schaden festgestellt, der einer objektspezifischen Schadensanalyse bedarf (OSA, #9024). Deshalb wurde eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt (#9041) und der Bericht der Untersuchung ist dem Modell beigefügt (#9036, #9037). Charakteristisch für IFC sind die sogenannten objektifizierten Beziehungen. Eine Beziehung zwischen zwei Objekten, zum Beispiel dem Schaden (#9024) und dem Bericht der Ultraschalluntersuchung (#9036, #9037), wird durch ein Objekt dargestellt (#9040). 3. Anwendungen 3.1 Software zur 3D-Visualisierung von ZfP-Daten Für die Visualisierung beispielhafter Ergebnisse aus Zerstörungsfreien Prüfverfahren in einem 3D-IFC-Bauwerksmodell wurde die Software MFPA-BIM-Viewer entwickelt. Der Viewer ist IFC-4.0-konform und wurde mit Unity entwickelt. IFC-Dateien werden mit „IfcConvert“ von IfcOpenShell [11] in OBJ- und XML-Dateien übersetzt. Zur Anzeige werden diese Dateien zur Laufzeit in den MFPA-BIM-Viewer importiert. Als Messergebnisse dienen 1D-Daten (Dicken), 2D- Daten (Radar-Tiefenschnitt) und 3D-Daten (Ultraschall- SAFT-Rekonstruktion), die zusammen mit Metainformationen ortsrichtig visualisiert werden können. Dies erleichtert z. B. die Diskussion über Folgeschäden oder Instandhaltungsmaßnahmen. Bild 6 zeigt die Darstellung eines Gebäudes mit einem Ausschnitt aus den semantischen Informationen, das Eigenschaften, zusätzliche Materialdaten und ein 3D- Ultraschall-Messergebnis enthält. Der obere Teil gibt dem Nutzer einen Eindruck des Gebäudes von außen und dient vor allem zur Übersicht und zur Orientierung. Zur Darstellung von ZfP-Ergebnissen und Materialdaten werden die Bauteile durchsichtig oder halbdurchsichtig dargestellt, da sonst wichtige Informationen verdeckt sind (Bild 6, unten). Der Nutzer ist damit in der Lage, ZfP-Ergebnisse und Materialdaten genau zu verorten und etwaige Auswirkungen der Ergebnisse im Kontext einzuschätzen. Zusätzlich können mit der Software auch neue Informationen, zum Beispiel neue Schäden oder Materialdaten, manuell eingepflegt werden. 3.2 Augmented-Reality-Visualisierung mittels Tablet Die ZfP-Ergebnisse, die teilweise in Bild 6 unten dargestellt sind, wurden außerdem mittels Augmented Reality visualisiert, wobei direkt von ZfP- und CAD-Daten ausgegangen wurde, ohne ein IFC-Bauwerksmodell mit einzubeziehen. Die Augmented-Reality-Visualisierung soll anhand von Ultraschall und Radarmessungen an einem Betontestkörper mit eingebauten, praxisnahen Zielen demonstriert werden. Die Messungen wurden an einem Testkörper in Bild 7 mit punkt und linienförmigen Objekten durchgeführt. Integration und Visualisierung von Zustandsdaten in digitalen Bauwerksmodellen - Konzepte und Realisierungen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 387 Abbildung 6: Visualisierung von Materialdaten mit Bezug zum Bauwerksmodell: Oben das Gebäudemodell mit einem Ausschnitt aus den semantischen Informationen, unten ein halbdurchsichtiger Ausschnitt mit dem dreidimensionalen Ergebnis einer Ultraschallprüfung Die Ultraschallmessungen wurden mit einem Niederfrequenz-Ultraschallgerät in Verbindung mit einem Ultraschall-Prüfkopfarray mit 48 Prüfköpfen in 16 Gruppen am FLEXUS-Scanner der MFPA Weimar durchgeführt [12]. Je angesteuerter Arrayposition wurden 120 Einzelmessungen aufgenommen, bei denen jeweils eine Wandlergruppe als Sender und die anderen als Empfänger angesteuert wurden. Für die Messungen wurde eine Apertur von 0,90 m x 0,72 m in fünf Spuren mit leichter Überlappung automatisiert gescannt. Für die Radarmessungen wurde das Radarsystem GSSI SIR-4000 mit 2,6-GHz-Antenne verwendet. Die Apertur von 1,15 m x 0,80 m wurde manuell mit Spurabständen von 50 mm aufgenommen. Beide Messverfahren haben dreidimensionale Datenfelder zum Ergebnis. Die Ultraschallmessungen wurden während der Messung mit dem FMC/ TFM-Verfahren (Full Matrix Capture/ Total Focusing Method) rekonstruiert und die resultieren Schnittbilder in das dreidimensionale Datenfeld eingetragen [13]. Die Radarmessungen wurden in das Programm RADAN eingelesen und dort migriert und dargestellt. Die Ergebnisse beider Verfahren wurden anschließend als räumliches Isoflächenbild (Ultraschall) bzw. in Tiefenschnitten (Radar) dargestellt [12]. Abbildung 7: CAD-Zeichnung des Betontestkörpers mit eingebauten Objekten Zur Visualisierung wurden die Isoflächen der Ultraschall-Darstellung als Geometriedaten exportiert. Das Radar-C-Bild wurde als Bild exportiert. Die CAD-Daten des Testkörpers und der eingebauten Ziele wurden ebenfalls als Geometriedaten exportiert. Die Visualisierung für den Nutzer erfolgt mit einem Tablet. Die positionsabhängige Generierung der 3D- Szene erfolgt in einem 3D-Animationsprogramm, das über eine Erweiterung auch die Verarbeitung von optischen Markern (hier ein Foto einer ebenen Kiesschüttung) zur Kamerapositionierung erlaubt. Aus der gesamten Funktionalität der 3D-Darstellung inklusive Markerverarbeitung und den geometrischen Objektdaten wurde eine Anwendungssoftware generiert, die als App auf einem Tablet unter Android installiert wurde. Zur AR-Visualisierung wird der optische Marker an der vorgesehenen Stelle auf der Testkörperoberfläche positioniert. Seine Position koppelt die Koordinatensysteme der realen und der virtuellen Welt (markerbasiertes Tracking). Die App zeigt zunächst das Kamerabild des Tablets mit dem Testkörper und dem Marker. Durch Schaltflächen können jetzt die virtuellen Objekte einzeln und überlagert eingeblendet werden. Die App erkennt den Marker, berechnet aus seiner Ansicht die Position der Kamera und kann dadurch die virtuellen Objekte in ihrer korrekten Position und Ausrichtung im dreidimensionalen Raum darstellen. Bild 8 zeigt das Tablet mit der App, in der alle Darstellungen eingeschaltet sind, über dem Testkörper mit dem optischen Marker. Integration und Visualisierung von Zustandsdaten in digitalen Bauwerksmodellen - Konzepte und Realisierungen 388 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 8: Visualisierung durch Augmented Reality mit einem Tablet: Tablet mit der AR-App über dem Testkörper mit dem optischen Marker Derzeit werden folgende Darstellungen in der Augmented-Reality-App visualisiert: - Realbild aus der Tablet-Kamera - CAD-Zeichnung des Testkörpers inkl. Objekte - Objektanzeigen aus dem 3D-Ultraschall-CSAFT-Bild - Objektanzeigen aus dem 2D-Radar-Migrationsbild - Überlagerung mehrerer Einzeldarstellungen Bei Bewegung oder Drehung des Tablets folgt die Ansicht der Kameraposition, so dass der geometrische Zusammenhang zwischen der äußeren und der inneren Ansicht der Objekte gewahrt bleibt. Dadurch ist ein direkter Vergleich zwischen den Soll- und den Ist-Positionen interner Objekte möglich. Das Display des Tablets eröffnet so quasi ein Sichtfenster ins Innere des Bauteils. 3.3 Augmented-Reality-Visualisierung mittels AR- Brille Als weitere Visualisierung des Testkörpers in Bild 7 wurde eine Augmented-Reality-Brille (Microsoft HoloLens) verwendet. Die Ultraschall und Radar-Geometrien wurden in einer CAD-Software in ein gemeinsames Modell integriert und über verschiedene Software-Werkzeuge in die HoloLens-Software geladen [14]. Die Positionierung der 3D-Szene im Raum erfolgt in zwei Schritten: Zunächst wird die HoloLens-Software an den realen Visualisierungsraum angelernt; ein optischer Marker definiert dabei den Koordinatenursprung. Die HoloLens-Software vermisst die Raumgeometrie und generiert ein räumliches Oberflächennetz, das abgespeichert wird. Bei der AR-Visualisierung wird die Umgebung von der HoloLens anhand der Raumgeometrie wiedererkannt und der Nutzer mit der HoloLens darin positioniert (modellbasiertes Tracking). Die zu visualisierenden Modelle werden auf einem Rechner vorgehalten und über WLAN an die HoloLens übertragen, die sie ortsgerecht visualisiert. Das Realbild sieht der Nutzer durch die transparente Brille. Am Ort eines zweiten kleinen Markers, der am Handgelenk befestigt wird, wird ein Auswahlmenü eingeblendet, mit dem der Nutzer die Darstellungsinhalte wie beim Tablet auswählen kann. Die Nutzerinteraktion mit der HoloLens erfolgt über Fingergesten. Bild 9 zeigt die CAD- und Ultraschall-Visualisierungen des Objektmodells sowie das virtuelle Menü, die in ein Foto des Nutzers und des Testkörpers einmontiert sind. Bewegt sich der Nutzer mit der AR-Brille, wird die Visualisierung nachgeführt, so dass sich für den Nutzer der Eindruck eines Sichtfensters in Innere des Bauteils ergibt. Abbildung 9: Visualisierung durch Augmented Reality mit einer Augmented-Reality-Brille: Nutzer mit AR- Brille und Visualisierungen des Objektmodells und des virtuellen Menüs (Fotomontage, siehe Text) 4. Zusammenfassung und Ausblick Im Beitrag wird die Verwendung von Building Information Modeling (BIM) zur Integration von geometrischen und semantischen ZfP-Zustandsinformationen eines Bauwerks in ein digitales Bauwerksmodell und dessen anschließende Visualisierung beschrieben. Nach der Implementierung von BIM für einen neuen Prozess wird eine Vorgehensweise zur Integration von ZfP-Daten unter Verwendung der Datenstruktur der Industry Foundation Classes (IFC) vorgestellt. Darauf aufbauend wird eine begriffliche Systematik entwickelt, um ZfP-Daten und die dazugehörigen Metainformationen in einer IFC- Datenstruktur abzubilden. Die Visualisierung von ZfP- Informationen in einem 3D-Bauwerksmodell wird durch drei beispielhafte Software-Implementierungen mit intuitiven Nutzeroberflächen illustriert, die die Daten in einem IFC-Bauwerksmodell bzw. als Augmented Reality (AR) auf einem Tablet und einer AR-Brille darstellen. Die nächsten Schritte beinhalten die Entwicklung eines vollständigen IFC-ZfP für verschiedene Prüfverfahren. Ein Prototyp befindet sich im Aufbau. Parallel wird an der Vereinheitlichung der Begriffe und Parameter im Rahmen eines buildingSMART Data Dictionary (bsDD) Integration und Visualisierung von Zustandsdaten in digitalen Bauwerksmodellen - Konzepte und Realisierungen 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 389 gearbeitet. Ziel ist eine Standardisierung, um die Interoperabilität zwischen verschiedenen Anwendungen sicherzustellen. Parallel wird die Software zur 3D-Darstellung der ZfP- Informationen im IFC-Bauwerksmodell inklusive Virtual-Reality- und Augmented-Reality-Visualisierung weiterentwickelt, um alle gezeigten Darstellungsformen zu integrieren. Literatur [1] Borrmann, A.; König, M.; Koch, C.; Beetz, J. (Eds.): Building Information Modeling. Technology Foundations and Industry Practice. Cambridge: Springer, 2018. [2] buildingSMART international Ltd.: buildingSMART Data Dictionary.bsdd.buildingsmart.org, 2017. Accessed 17 September 2019. [3] buildingSMART international Ltd.: IFC Specifications Database. technical.buildingsmart.org/ standards/ ifc/ ifc-schema-specifications, 2020. Accessed 15 February 2021. [4] buildingSMART international Ltd.: Information Delivery Manual (IDM). technical.buildingsmart. org/ standards/ information-delivery-manual, 2020. Accessed 25 March 2021. [5] buildingSMART international Ltd.: Model View Definitions (MVD). www.buildingsmart.org/ standards/ bsi-standards/ model-view-definitions-mvd, 2020. Accessed 25 March 2021. [6] ISO 16739: 2018: Industry Foundation Classes (IFC) for data sharing in the construction and facility management industries. www.iso.org/ standard/ 51622.html [7] Sacks, R.; Kedar, A.; Borrmann, A.; Ma, L.; Brilakis, I.; Hüthwohl, P.; Daum, S.; Kattel, U.; Yosef, R.; Liebich, T.; Barutcu, B.E.; Muhic, S.: SeeBridge as Next Generation Bridge Inspection: Overview, Information Delivery Manual and Model View Definition. Automation in Construction 90 (2018), pp. 134-145. [8] Theiler, M.; Smarsly, K.: IFC Monitor - An IFC schema extension for modeling structural health monitoring systems. Advanced Engineering Informatics 37 (2018), pp. 54-65. [9] Rio, J.; Ferreira, B.; Poças-Martins, J.: Expansion of IFC model with structural sensors. Informes de la Construcción 65 (2013), pp. 219-228. [10] Schickert, M.; Koch, C.: Integration von zerstörungsfreier Zustandserfassung in digitale Bauwerksmodelle mit Augmented-Reality-Visualisierung zur modellbasierten Inspektion von Betonbrücken. In: 3. Brückenkolloquium, Ostfildern/ Stuttgart, 19.-20.06.2018. Ostfildern: Technische Akademie Esslingen, 2018, S. 363-370. [11] Schickert, M.: Vergleich verschiedener SAFT-Verfahren bei der Ultraschall-SAFT-Rekonstruktion von Betonbauteilen. In: DGZfP-Jahrestagung, Dresden, 6.-8.5.2013. Berlin: Deutsche Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung (DGZfP), 2013, S. 1-11. [12] Artus, M.; Koch, C.: Modeling Geometry and Semantics of Physical Damages using IFC. EG-ICE 2020 Workshop on Intelligent Computing in Engineering (2020), pp. 144-153. [13] IfcConvert: www.ifcopenshell.org/ ifcconvert. Zugriff am 10.05.2021. [14] Schickert, M.; Koch, C.; Kremp, F.; Bonitz, F.: Visualisierung von Ultraschall- und Radar-Abbildungen durch Augmented Reality. In: Bauwerksdiagnose 2020, Berlin, 13.-14.2.2020. Berlin: Deutsche Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung (DGZfP), 2020, S. 1-9. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 391 BIM und VR zur Prozesssteuerung bei Straßeninfrastrukturprojekten Prof. Christof Gipperich Hochschule Biberach Studiengang Bau-Projektmanagement, Biberach a.d.R. Deutschland Tobias Kupfer ViA6West Service GmbH & Co. KG, Bad Rappenau Deutschland Zusammenfassung PPP-Projekte (Public-Privat-Partnership) denken der Sache nach im Lebenszyklus. Bisherige Ansätze der Digitalisierung in der Baubranche unter dem Synonym Building Information Modeling (BIM) decken jedoch nur einen sehr geringen Teil der Wertschöpfung ab. Viel zu selten gibt es bisher überhaupt digitale Modelle von Infrastrukturen wie Straßen und Autobahnen, obwohl nahezu alle Anwendungsfälle auf objektbasierten Datenstrukturen aufbauen, also auf dem 3D-Modell. Sogar wenn einmal ausnahmsweise und ambitioniert 5D-BIM geplant wird, springen wir viel zu kurz, um die Produktivität entscheidend weiter zu entwickeln. Denn die Planung macht nur wenige Prozentpunkte der Gesamtwertschöpfung aus. Was kommt also nach 5D-BIM? Was kommt nach dem Digital Twin? Zunächst muss BIM und die Digitalisierung die Kernkompetenz der Bauunternehmen abdecken lernen, nämlich die Bauverfahren, Bauabläufe und Bauprozesse. Dazu zeigen die Autoren erste innovative Ansätze, die Technologien aus dem Gaming-Bereich, u.a. VR/ AR, integrieren und perspektivisch KI-Anwendungen unterstützen. Darauf aufbauend muss auch der Betrieb der Infrastruktur digital abgedeckt werden. Am Beispiel des PPP-Projektes A6 in Baden-Württemberg zeigen die Autoren auch hier erste Anwendungen. Neben den o.g. technologisch orientierten Aspekten zeigt uns die Industrie 4.0, dass erst durch die Ausbildung digitaler Wertschöpfungsnetzwerke die eigentlichen Produktivitätseffekte entstehen durch die Betrachtung und (lean-) Optimierung von Prozessen unternehmensübergreifendend und im Lebenszyklus. Das bedeutet auch neue partnerschaftliche Vertragsmodelle wie Integrated Project Delivery (IPD) o.glw.. 1. Ausgangslage 1.1 Besonderheiten von PPP-Projekten Bei PPP-Projekten im Straßeninfrastrukturbereich wird die Infrastruktur über den gesamten Lebenszyklus bewirtschaftet. D.h. neben Planung und Bau sind zahlreiche Anforderungen an Betrieb und Erhaltung zu erfüllen, die von der Dokumentation der Bauüberwachung, Mängelverfolgung, Kontroll-, Prüf- und Wartungstätigkeiten, der Leistungserbringung des Betriebes sowie den Erhaltungsmaßnahmen bis hin zu einem sehr umfangreichen Berichtswesen reichen. Somit ist ein ganzheitliche Asset Management notwendig, welches sämtliche Prozesse unter Berücksichtigung von Qualitäten, Terminen und Kosten steuert. 1.2 Building Information Modeling im Infrastrukturbau Obwohl vor dem Hintergrund des Stufenplans der Bundesregierung zu Building Information Modeling (BIM) eine breite Einführung der Technologie ab 2021 im öffentlichen Sektor und damit im Straßenbau zu erwarten wäre, müssen wir feststellen, dass der Straßenbau, insbesondere der kommunale Straßenbau, anderen Bereichen der Baubranche deutlich hinterher hängt. Die bestehenden Hindernisse lassen sich in technologische Aspekte und strukturelle Aspekte aufteilen. Technologisch betrachtet sind die gebräuchlichen CAD-Softwareprodukte im Infrastrukturbau zu wenig intuitiv. Die Softwareanwendungen hinken dem Entwicklungsstand des Hochbaus hinterher. Softwarearchitekturen oder geschlossene Softwarelösungen, mit denen die notwendigen Anwendungsfälle im Straßenbau wirklich störungsfrei und für den Planer wirklich komfortabel abgedeckt werden können, sind am Markt z. Zt. nicht zu finden. Zudem stehen viel zu wenig frei im Netz verfügbare Bauteile und Baugruppen zur Verfügung. Die strukturellen Hürden erscheinen jedoch deutlich höher. Hintergrund sind die i.d.R. jahrelangen, nicht selten sogar jahrzehntelangen Vorlaufzeiten der Projekte. Die Planungen sind mit Technologien aufgesetzt, die Jahrzehnte alt sind und kaum Bezug zur BIM-Denkweise auf- BIM und VR zur Prozesssteuerung bei Straßeninfrastrukturprojekten 392 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 weisen. Gleiches müssen wir leider auch für die Prozesse feststellen, in denen die Strukturen der Bauherren, der Fachplaner und der ausführenden Unternehmen denken und arbeiten, u.a. der noch unzureichende Wille zur Vernetzung, zum Wissensaustausch (die eigentlichen Treiber der Digitalisierung) und zur Innovation. Oft fehlen das Streben und der Wille, dass Machbare umzusetzen, sich auf neues Terrain zu wagen, Geübtes und Gewohntes fallen zu lassen und Neues zu wagen. Die Vergaberichtlinien der öffentlichen Hand und deren Handhabung in der Praxis sind hier das Paradebeispiel. Die VOB/ A steht in krassem Kontrast zur kollaborativen Arbeitsmethodik nach BIM. Die haushaltsrechtlich begründeten kleinteiligen Vergaben von Planungs- und Bauleistungen widersprechen den in der BIM-Methode geforderten und produktivitätserhöhenden ganzheitlichen Lebenszyklus- und Wertschöpfungskettenbetrachtungen. Zudem scheint gerade die öffentliche Hand und hier wieder besonders der kommunale Bereich im zunehmend intensiven „War for Talents“ das Nachsehen zu haben. Agiles Management oder Methoden wie rapid Prototyping oder Design Thinking fühlen sich weit weg an von der Realität kommunaler Verwaltungen. Oft spürt man auch im direkten Kontakt einen absolut unzureichenden Ausbildungsstand im Bereich Digitalisierung und BIM und nicht zuletzt ist die technische Ausstattung der Ämter viel zu oft tatsächlich beklagenswert. Hier müssen wohl noch viele dicke Bretter gebohrt werden, damit angemessene Geschwindigkeit entsteht. Allerdings ist auch festzustellen, dass bei den Softwareprodukten aktuell große Fortschritte gemacht werden und eine 5D-Anwendung im Straßenbau, mit ein paar Einschränkungen, zumindest kein unüberwindliches technologisches Problem mehr darstellt. Dieses wurde an der Hochschule Biberach im Rahmen einer Semestergruppenarbeit (Bachelor 7. Semester) analysiert, in der insgesamt 23 Programme der Kategorien CAD, Terminplanung, Kostenplanung, Modelchecker / 5D Baumanagement, Visualisierung und Simulation getestet und in einer agilen Matrix bewertet wurden. Unten dargestellt ist eine Softwarearchitektur, welche auf der Basis der verbreiteten CAD-Anwendung card1 hin zu einer BIM-5D- Lösung eingesetzt werden könnte und sich aus Sicht der Hochschule als eine praxistaugliche Lösung darstellt. Andere Lösungsansätze für eine BIM 5D Softwarearchitektur sind je nach Gewichtung der unterschiedlichen Vor- und Nachteile sinnvoll, wobei sich als größter Kritikpunkt die Fehleranfälligkeit und der Informationsverlust bei der Datenübergabe, vor allem aber der notwendige Arbeitsaufwand zur Datenübergabe bei s.g. „open BIM“-Lösungen herauskristallisiert. Hier sind geschlossene Lösungen, s.g. „closed BIM“-Lösungen derzeit anwendungsfreundlicher, auch wenn diese Entwicklung aus marktwirtschaftlicher Sicht ausgesprochen kritisch zu betrachten ist, im Trend möglicherweise aber gar nicht mehr zu stoppen ist. Die Erzeugung und Nutzung von digitalen Bauwerksmodellen nimmt derzeit im Straßenbau Fahrt auf. Die exemplarisch aufgeführten Hindernisse werden in den nächsten Jahren überwunden werden, wahrscheinlich schneller als wir erwarten. Abbildung 1: Beispielhafte BIM 5D Softwarearchitektur (Hochschule Biberach) BIM und VR zur Prozesssteuerung bei Straßeninfrastrukturprojekten 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 393 Wesentlicher Treiber wird vermutlich der schon oben angesprochene Fachkräftemangel und die demografische Entwicklung bei den Bauingenieuren sein, die national betrachtet und auf Sicht gar nicht mehr beeinflussbar ist. Immer mehr Infrastruktur, denken Sie an die notwendigen Erneuerungsarbeiten, an den Ausbau der digitalen Infrastruktur oder die Energiewende, muss mit immer weniger und immer älteren Ingenieuren geschaffen werden. Junge Ingenieure zieht es übrigens schon seit Jahren in den Hochbau. Im Hochbau geht zunehmend die „digitale Post“ ab, es entstehen moderne und zeitgemäße Arbeitsplätze, die immer weniger mit Maßstab, Massen ziehen und Aufmaßblättern zu tun haben. BIM 5D im aktuellen Verständnis (dreidimensionale CAD-Daten erweitert um Termin und Kosteninformationen) wird zunehmend Standard sein. 2. Konfigurator Zufriedenstellend ist jedoch auch das Ergebnis aus Abbildung 1 noch nicht, vor allem bei der Erstellung des 3D-Modells, welches nach der gängigen Denke das s.g. Quellmodell ist, also alle Daten enthalten soll, die für andere „use cases“ erforderlich sind. Im Gegensatz zu Anwendungen aus dem Hochbau wäre das extrudieren von standardisierten Querschnitten, seien es Straßenquerschnitte, Leitungen u.v.a.m. an einer spline entlang orientiert ein sehr wichtiges Werkzeug. Zudem ist die Nachmodellierung einer Punktwolke aus dem Laserscanning eine sehr mühsame aber notwenige Angelegenheit. Denn gerade der kommunale Infrastrukturbau findet i.d.R. im Bestand statt und nur in relativ wenigen Fällen als wirklicher Neubau. Eigentlich gibt es kein Infrastrukturprojekt, welches nicht in irgendeiner Form vorhandene Strukturen tangiert. Hier scheint es viel eleganter, CAD-Modelle aus „Regelquerschnitten“ zu generieren und z. B. an Orthophotos zur Darstellung der Umgebung zu orientieren und im Detail, an Kreuzungen etc. mit möglichst standardisierten Elementen nachzubearbeiten. Für die Erzeugung von CAD-Modellen drängen sich sehr schnell CAD-unabhängige Konfiguratorlösungen auf, die basierend auf hinterlegten Regelquerschnitten anhand einer definierten Streckenführung (spline) möglichst sogar automatisiert das 5D Straßenmodells generieren. Abbildung 2: Schematische Darstellung des Konfigurationsprinzips (Hochschule Biberach) Mit der Software customX konnten Studierende der Hochschule Biberach einen Prototyp eines Konfigurators für Straßenelemente entwickeln. Ein Regelwerk bestimmt Abhängigkeiten, Restriktionen und Parameter, welche mit einem Rohmodell verknüpft sind. Über eine intuitive Benutzeroberfläche wird man über Abfragen zu einem vollständigen 3D Modell des gewünschten Straßenzugs geleitet. Die Ausgabe funktionierte in unserem Fall als Revit-Familie, sodass eine Verknüpfung mit 4D und 5D problemlos zu lösen ist. 3. Digitale Bauprozessplanung Die Planung und die Erstellung von 5D-Modellen als digitaler Zwilling ist aber erst am Anfang einer zunehmend dynamischen Entwicklung. Denn bei BIM geht es heute um das Planen. Die eigentliche Kernkompetenz der Bauunternehmen, die Bauproduktion oder besser die Bauprozesse, werden zurzeit noch nicht digital abgebildet. Das mag auch der Grund sein, warum sich BIM gerade bei den Bauunternehmen so schleppend durchsetzt. Abbildung 3: Herkömmliches BIM-5D. Digital und analog ermittelte Kosten und Terminanteile (eigene Darstellung) Deshalb ist aktuell BIM auch keine wirkliche 5D-Planung, weil die Bauprozesse nicht digital geplant werden. Digital ermittelte Massen werden mit analogen s.g. „Aufwandswerten“ in der Kalkulation und Terminplanung vermischt. Deshalb kann BIM aktuell auch nur die „halbe Wahrheit“ bei den Baukosten, nämlich die massebezo- BIM und VR zur Prozesssteuerung bei Straßeninfrastrukturprojekten 394 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 genen Kosten digital und mit zeitgemäßer Genauigkeit erfassen. In Abbildung 3 sind die wirklich digital ermittelten Kosten- und Terminanteile grün dargestellt, die herkömmlich analog mit Schätz- und Erfahrungswerten ermittelten Anteile in orange dargestellt. Soweit wir s.g. Simulationen in verschiedenen Softwareprodukten sehen, handelt es sich durchweg um händisch erzeugte Verknüpfungen von herkömmlich erzeugten Balkenplänen mit dem Bauwerksmodell, also um Visualisierungen des Terminplans oder nachträglich ebenfalls auf der Basis von Balkenplänen oder den s.g. Phasenplänen erzeugte Videos. Die Planungsumgebung der Bauprozessplanung ist herkömmlich aber immer analog. In einem hochschulnahen Startup wird z.Z. eine Software entwickelt, die eine ganz neuartige intuitive und interaktive Bauprozessplanung ermöglicht und sich dabei wiederum auf Werkzeuge der Gaming Industrie abstützt. Ausgangsbasis der Planungen ist immer das digitale Bauwerksmodell, d.h. die Bauprozessplanung ist wie alles bei BIM objektorientiert. Das Model wird zusammen mit Umgebungsdaten in die Software geladen, die Gamer bezeichnen das als „in die Welt holen“ und meinen damit ihre virtuelle Welt. Für etwas ältere Semester eine Metapher: Es entsteht so etwas wie ein digitaler Sandkasten, in dem virtuell solange mit Baugeräten etc. gespielt werden kann, bis der richtige Bauablauf und Bauprozess gefunden sind. Es wird also tatsächlich erst geplant, bevor wir bauen, so wie es ein ehemaliger Bundesverkehrsminister forderte, als er den Stufenplan BIM 2015 veröffentlichte. Ist der BIM-Sandkasten betriebsbereit, wird zunächst die Baureihenfolge festgelegt. Das ist die herkömmliche Bauablaufplanung, die wir aus der Balkenplanerstellung kennen. Abbildung 4: Workflow digitale Prozessplanung Bau am Beispiel der Software dproB (Building Information Innovator GmbH) In der Bauprozessplanung wird jetzt tatsächlich gebaut. Geräte werden positioniert, lassen sich fahren und drehen, führen Hubprozesse durch, Laden und Entladen u.v.a.m. Je nach Anwendungsfall (rail, road ….) müssen heute noch unterschiedliche Geräte konfiguriert werden, weil die Gerätehersteller i.d.R. noch keine digitalen Modelle der Baugeräte mit den Grundfunktionalitäten ausgestattet bereitstellen. Auch das ist hoffentlich nur noch eine Frage der Zeit. Mit dieser Bauprozessplanung wird zum einen die „Baubarkeit“ von bestimmten Bauwerken bzw. die dazu notwendigen Aufwendungen (denken Sie an komplexe innerstädtische Infrastruktur) erkannt und dargestellt, sowie gezeigt, wie verschiedene Bauprozesse ineinandergreifen (denken sie an die letzten Wochen eines komplexen Hochbaus). Vor allem gelingt es mit der digitalen Prozessplanung Bau endlich ein Verständnis für den vollständigen Bauprozess zu gewinnen und damit für Termine und Baukosten. Denn sind wir einmal ehrlich: Bei etwas komplexeren Baustellen kommen wir schlicht an die kognitiven Kapazitätsgrenzen unseres Gehirns, weil uns die Abspeicherungsmöglichkeiten und resultierend auch die Kommunikationsmedien fehlen. Haben Sie sich einmal den Bauprozess einer fünfjährigen innerstädtischen Tunnelbaustelle von Ihrem erfahrenen Arbeitsvorbereiter und Terminplaner im Detail erläutern lassen? Wenn Sie nach einem halben anstrengenden Tag verstanden haben, wie das nächste halbe Jahr im groben nach den Vorstellungen des Planers abläuft, können sie sich auf die Schulter klopfen. Die gleichen Bauprozesse wie der Planer haben Sie dabei noch lange nicht im Kopf. BIM und VR zur Prozesssteuerung bei Straßeninfrastrukturprojekten 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 395 Abbildung 5: digitale Bauablaufplanung und Bauprozessplanung (Building Information Innovator GmbH) Die extreme kognitive Belastung in solchen Prozessen verhindert auch, dass wir schneller und effektiver bei der Optimierung von Bauprozessen sind. Der o.g. Arbeitsvorbereiter bleibt in seiner eigenen Welt, alle anderen Fachlaute verstehen die Gedankengänge mehr oder weniger gut und sind so außen vor. Trotz aller Nachteile von VR-Anwendungen (Visually Induced Motion Sickness, Komfort) liegt hier der Vorteil stark visualisierter Umgebungen. Je weniger das Gehirn „übersetzen“ muss, je immersiver also die Planungsumgebung ist, desto kommunikativer, schneller und kreativer werden wir. Abbildung 6: Standardisierung von Bauwerksplanungen, Bauabläufen und Bauprozessen (eigene Darstellung) Neben dem Vorteil der immersiven digitalen Planung und Kommunikation ergeben sich die maßgeblichen Wirtschaftlichkeitseffekte durch Produktivitätszuwächse, in dem wir den Gedanken der Planung mit BIM auf die Bauproduktionsplanung übertragen. Auch wenn viele Architekten und Bauingenieure noch darauf schwören, dass es sich bei Bauwerken um die s.g. Losgröße 1 handeln muss, also immer wieder besonders speziell an die Bedürfnisse des Bauherrn angepasste Einzelfertigungen, so wissen wir doch aus der Realität des digitalen Planens, dass wir uns über copy and paste, so gut es möglich ist, aus „Altplanungen“ bedienen, wo es geht Objekte oder Bauteilfamilien aus dem Netz oder dem firmeneigenen Server laden u.v.a.m., um den Planungsaufwand zu reduzieren und Performance zu bekommen. Erst das macht die digitale Planung gegenüber der herkömmlichen Planung effektiv. Das führt aber zwangsläufig auch zu gewissen Standardisierungen. Deshalb basiert die Bauwerksplanung wie auch die Bauabläufe und Bauprozesse möglichst weitgehend auf digital hinterlegten objektorientierten Standards, den s.g. Sequenzen. So kann u.a. das Wissen der Baufirmen zum ersten Mal digital gespeichert werden. Erfahrene Baufachlaute können Ihr Wissen digital archivieren. Standardisierte digitale erfasste Prozesse öffnen zudem die Möglichkeit eines effektiven KVP-Prozesses, weil immer nur die sich am besten in der Praxis bewährte Sequenz digital in einer Datenbank archiviert ist. Standardisierung ist auch immer zwingende Voraussetzung und KI-Anwendungen. BIM und VR zur Prozesssteuerung bei Straßeninfrastrukturprojekten 396 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 7: dProB Bild aus dem Straßenbau (Building Information Innovator GmbH) Viele Erfahrungen aus anderen Branchen (denken Sie an die Plattformtechnologie beim Automobilbau) zeigen, dass die Standardisierung und Digitalisierung der Bauplanungen, der Bauabläufe und Bauprozesse die entscheidende Grundlage für eine effektive Vernetzung von Wertschöpfungsketten und damit verbundenen sprunghaften Produktivitätssteigerungen ist. Für den Bau zeigen das einige inzwischen verfügbare Studien z. B. von McKinsey auf. Gemeinsam mit verschiedenen Industriepartnern als Early Adopter wurde bereits ein s.g. „Stable MVP“ zur Erstellung von Prozesssequenzen für einen bestimmten Anwendungsfall programmiert und begonnen in die Softwarelandschaft zu integrieren. Im Rahmen der Optimierung der digitalen Bauablaufplanung wird eine Verbindung zum Lean Management untersucht („digital Lean“) und die Weiterentwicklung zahlreicher Funktionen, UI´s, dem Softwarekern und spezielle Anwendungsfälle der Industriepartner vorangetrieben. Dabei wird das Prinzip des Lean-Startup verfolgt. 4. Digitaler Betrieb von Autobahnen Darauf aufbauend muss auch der Betrieb der Infrastruktur digital abgedeckt werden. Am Beispiel des PPP-Projektes A6 in Baden-Württemberg zeigen die Autoren auch hier erste Anwendungen. HOCHTIEF PPP Solutions betreibt und erhält eine Vielzahl von Straßeninfrastrukturprojekten. Bei PPP-Projekten im Straßeninfrastrukturbereich sind neben Planung und Bau zahlreiche Anforderungen an Betrieb und Erhaltung zu erfüllen, die von der Dokumentation der Bauüberwachung, Mängelverfolgung, Kontroll-, Prüf- und Wartungstätigkeiten, der Leistungserbringung des Betriebes sowie den Erhaltungsmaßnahmen bis hin zu einem sehr umfangreichen Berichtswesen reichen. Um Baumanagement, Betrieb und Erhaltung wirtschaftlich und organisatorisch erfolgreich zu steuern, werden die Bau-, Betriebs- und Erhaltungsprozesse der Straßeninfrastruktur bei PPP-Projekten von HOCHTIEF PPP Solutions digital abgewickelt. Zu Beginn wurden Arbeitsaufträge und das Berichtswesen automatisiert, mittlerweile werden anhand eines BIM-Modells die relevanten Informationen zur Verfügung gestellt und auf Basis dieses Modells die digitalen Prozesse abgebildet. BIM und VR zur Prozesssteuerung bei Straßeninfrastrukturprojekten 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 397 Abbildung 8: Darstellung P3IM Management-Modell (eigene Darstellung) Das PPP Information Modeling (P3IM) ist eine Entwicklung von HOCHTIEF PPP Solutions (Niederlassung Transport Infrastruktur Europa) unter Anwendung der Building Information Modeling (BIM) Methode. Das P3IM ist auf den Leistungsumfang von Bau- und Projektmanagement sowie Betrieb und Erhaltung von Straßeninfrastrukturprojekten adaptiert. Der besondere Vorteil besteht darin, dass durch die enthaltenen Werkzeuge zur Aufnahme, Integration, Verknüpfung und Auswertung von Daten sowie ihre Visualisierung am Modell Informationen über die gesamte Lebenszyklusphase transparent zur Verfügung gestellt werden, um durch Analysen der Informationen zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Auch das P3IM Management-Modell ist in seinem Grad der Detaillierung (LoD) für Geometrie (LoG) und Informationen (LoI) auf die Anforderungen des Asset Managements abgestimmt. Es wird dabei kein exakter „Digitaler Zwilling“ modelliert, sondern es werden im Modell alle für das Projekt relevanten Objekte von Strecke und Ingenieurbau schematisch mit einer ausreichenden Genauigkeit abgebildet. Aufgrund des großen räumlichen Umfangs von PPP-Projekten der Verkehrsinfrastruktur kommt der Verfügbarkeit und Auswertung von Informationen unterschiedlicher Use Cases über den Lebenszyklus am Modell eine besondere Bedeutung zu. Mit diesem Ansatz hat sich das P3IM neben Transparenz und Prozesssicherheit auch zu einer wichtigen Säule im Risikomanagement etabliert. HOCHTIEF PPP Solutions verwirklicht über P3IM die Umsetzung von zahlreichen Use Cases für Bau, Betrieb und Erhaltung der Straßeninfrastrukturprojekte. Die Digitalisierung der Prozesse über den gesamten Lebenszyklus hat große Vorteile: • Zeit- und Kostenersparnis durch Prozessoptimierung • Risikoreduktion • Transparenz • Prozesssicherheit • Durchgängige, transparente Zusammenarbeit mit den Partnern Abbildung 9: Use Cases HOCHTIEF PPP Solutions (eigene Darstellung) 4.1 Beispiel Unfallmanagement Das P3IM-Unfallmanagementsystem der HOCHTIEF PPP Solutions der Niederlassung Transport Infrastruktur Europa wurde entwickelt, um den gesamten Prozess der Unfallabwicklung vom Unfallereignis bis zur Schadensabrechnung und Nachverfolgung zu digitalisieren und automatisieren. Entwickelt wurde das P3IM-Unfallmanagementsystem auf dem Projekt A6, bei welchem der BIM und VR zur Prozesssteuerung bei Straßeninfrastrukturprojekten 398 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Betriebsdienst jährlich ca. 300 Unfälle mit einer Gesamtschadenshöhe von ca. 1 Mio. EUR abzuwickeln hat. Abbildung 10: Unfall-App (eigene Darstellung) Die Unfallaufnahme erfolgt über eine App. Unfalldaten inklusive Fotos werden direkt am Unfallort eingegeben, übertragen und zentral gespeichert. Dort erfolgt zugleich auch die Verwaltung der Unfalldaten. Über automatisierte Geschäftsprozesse werden die digitalen Prozesse abgewickelt. Exemplarisch lässt sich nach der Erfassung eines Unfalls direkt über die App die Unfalldokumentation und Schadensabrechnung erzeugen. Ebenfalls kann bei besonders relevanten Ereignissen auch der Projektgeber über einen Geschäftsprozess direkt informiert werden. Aus den Unfalldaten werden mithilfe von BI-Anwendungen zudem verschiedene Reports erzeugt. Eine dynamisch aktualisierte Unfallsteckkarte visualisiert zudem alle Unfallorte. Die Vorteile des Unfallmanagement-Systems sind: • KOSTENEINSPARUNG: Dokumentation und Abrechnung erfolgen direkt über die App. Dies sorgt für Entlastung, da weniger „Nacharbeit“ notwendig ist. • DATEN-MANAGEMENT: Unfalldaten müssen nur einmal erfasst werden und stehen zentral zur Verfügung. • AUTOMATISIERUNG: Automatisierte Prozesse steigern die Sicherheit und Qualität, minimieren die Risiken und ermöglichen die schnellere Durchführung administrativer Aufgaben. • ERKENNTNISSE: Über ein intelligentes Datenmodell können mit BI-Anwendungen neue Erkenntnisse gewonnen werden. Alle Unfalldaten lassen sich analysieren und visualisieren. 5. Digitales Wertschöpfungsnetzwerk In zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen wird die praktisch nicht vorhandene Produktivitätserhöhung der Baubranche in den letzten Jahrzehnten thematisiert. Betrachten wir allein die technologischen Weiterentwicklungen der letzten Jahrzehnte auf den Baustellen und vergleichen diese z. B. mit der Maschinen- und Elektroindustrie oder gar der IT-Technologie, ist diese Aussage schnell qualitativ nachgewiesen und begreifbar. Diese zugegeben sehr niedrig liegende Ausgangsbasis hat wiederum einen Vorteil, nämlich ein riesiges Potential auch für Sprunginnovationen, wenn wir uns die Technik und Arbeitsweisen anderer Branchen schnell und effektiv zu nutzen machen. Abbildung 11: Potential zu Sprunginnovationen in der Baubranche (eigene Darstellung) BIM und VR zur Prozesssteuerung bei Straßeninfrastrukturprojekten 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 399 Neben den o.g. technologisch orientierten Aspekten zeigt uns die Industrie 4.0, dass erst durch die Ausbildung digital vernetzter Wertschöpfungsnetzwerke die eigentlichen Produktivitätseffekte entstehen und durch die Betrachtung und (lean-)Optimierung von Prozessen unternehmensübergreifendend und im Lebenszyklus. Natürlich ist es schwer zu quantifizieren, welche Produktivitätseffekte Technologie und welche Prozesse und Vernetzung haben. Letztere sind aber sicherlich mehr als die sprichwörtliche „halbe Miete“. Vermutlich bedingen und verstärken sich sogar beide Effekte. Im Bereich der Prozesse und der Vernetzung sind die Früchte viel leichter zu ernten als im Bereich der Technologie. Irgendein Marktteilnehmer wird dieses Potential früher oder später erkennen und heben, spätestens im nächsten Konjunkturzyklus. Für die im Markt befindlichen Unternehmen ergibt sich dann aber die Notwendigkeit und/ oder Machbarkeit von Innovationssprüngen mit mehreren Zehnprozent Produktivitätszuwachs. Markteilnehmer, die nicht Bestandteil von digital vernetzten Wertschöpfungsketten sind, haben schnell gravierende Produktivitätsdefizite und verschwinden vom Markt. Beachten Sie dabei, dass einmal gebildete Netzwerke stabil sind, also ein späterer Zugang zu einem solchen Netzwerk an Eintrittsbarrieren scheitert. Innerhalb der Netzwerke sind moderne partnerschaftliche Vertragsmodelle wie Integrated Project Delivery (IPD) o.glw. erforderlich. Dazu müssen wir lernen, die Wertschöpfung als Ganzes zu betrachten, uns zu vernetzten, unser Wissen zu teilen und unsere Kräfte zu bündeln. Erst mit dem dafür notwendigen Kulturwandel in unserer Branche können wir die Produktivitätsvorteile aus der technischen Entwicklung hebeln und die geforderten Innovationssprünge erreichen. An der Hochschule Biberach haben wir, basierend auf der wegweisenden Bachelorarbeit von Herrn Patrick Theis aus dem Wintersemester 19/ 20, den Begriff des „digitalen Wertschöpfungsnetzwerks“ geprägt und beschrieben. Das digitale Wertschöpfungsnetzwerk beschreibt die projektunabhängige vollständige digitale Vernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Stakeholder über den gesamten Lebenszyklus. Digital verfügbare Standards der Bauwerke, Bau- und Betriebsprozesse erhöhen die Produktivität und Innovationskraft. Durch einen transparenten, risikominimierten, nutzerorientierten, kollaborativen und digital gestützten Planungs- und Bauprozess werden partnerschaftliche Vertragsmodelle mit den Kunden/ Nutzern ermöglicht und Vertrauen aufgebaut. Die heutigen Möglichkeiten der Digitalisierung schaffen dafür endlich die geeignete technologische Basis. BIM und VR zur Prozesssteuerung bei Straßeninfrastrukturprojekten 400 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 12: Digitales Wertschöpfungsnetzwerk (eigene Darstellung) 6. PS auf die Straße bringen Um „PS auf die Straße zu bringen“, sollten große Masterpläne in der Hoffnung, die Entwicklungen der nächsten Jahre bis ins letzte Detail planen und vorbestimmen zu können, ad acta gelegt werden. Umsetzen was geht, machen was möglich ist und agil managen sind die Zeichen der Zeit. Bei PPP-Projekten bestehen für die Stakeholder über den Lebenszyklus i.d.R. deutlich größere Freiräume bei der technologischen Entwicklung, beim Prototyping und bei der agilen Gestaltung von Prozessen. Auch hier besteht noch erhebliches Optimierungspotential, denn PPP-Verträge gerieren sich als besonders „fair“, stellen aber in der Realität lediglich den Bauherrn frei von vielen Risiken und drängen ihn als Bau- und Betriebspartner in die Kundenrolle (Nutzer und Zahler). Die Fachkompetenz des Bauherrn wird nicht gehoben. Auch sind die Vertragsmodelle zu den eigentlichen Bauunternehmen eher konventionell gestaltet, so dass auch hier kein kollaborative vernetzte Zusammenarbeit entstehen kann, sondern eher die Schnittstellen klar gesäubert, weil getrennt werden. Weil hier aber schon wichtige vor allem „kulturelle“ Voraussetzungen bestehen und vor allem eine Lebenszyklusdenke Grundlage der Geschäftsmodelle ist, könnten PPP-Modelle Vorreiter für die öffentlichen Auftraggeber auf dem Weg zur Digitalisierung und Produktivitätserhöhung sein. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 401 Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Prozessablauf Marcos Hill LIST Digital GmbH & Co. KG, Essen, Deutschland Sonja Neumann Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Deutschland Ralph Holst Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Deutschland Sascha Bahlau LIST Digital GmbH & Co. KG, Essen, Deutschland Zusammenfassung Die Bauwerksprüfung bildet die Grundlage zur Erhaltung der Zukunftsfähigkeit von Ingenieurbauwerken. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass relevante Daten z.B. zu festgestellten Schäden vollständig, ortsgenau identifiziert sowie reproduzierbar und einheitlich bewertet werden. Gleichzeitig ist eine geringstmögliche Beeinträchtigung der bestehenden Verkehre anzustreben. Eine sorgfältige und vorausschauende Planung sowie die optimale und verlustfreie Kommunikation aller Beteiligten ist hierfür die Grundlage. Entwicklungen und Technologien im Rahmen der Digitalen Transformation bieten Potenziale, die Bauwerksprüfung in diesem Sinne zu unterstützen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts der Bundesanstalt für Straßenwesen, wird ein Anwendung zur digital gestützten Bauwerksprüfung mittels VR/ AR unter Verwendung von 3D-Modellen entwickelt. Als Grundlage, zur Entwicklung einer solchen Anwendung, dient ein konzeptioneller Prozessablauf, in dem technologische Lösungen zur vereinfachten Schadensprüfung aufgenommen wurden. 1. Einleitung Das deutsche Bundesfernstraßennetz umfasst ca. 39.500 Brücken. Betreiber und Eigentümer müssen sich aktuell und zukünftig großen Herausforderungen stellen. Durch zunehmendes Verkehrsaufkommen ist die Straßeninfrastruktur steigenden Lasten ausgesetzt. Außerdem tragen die Alterung der Bauwerke sowie klimatische Einwirkungen dazu bei, dass in erheblichem Umfang Maßnahmen zur Erhaltung getroffen werden müssen. Die Bauwerksprüfung bietet die Grundlage, um Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit eines Bauwerks sicherzustellen bzw. wiederherzustellen. Ihre Durchführung ist in der DIN 1076 geregelt. Danach muss die Bauwerksprüfung in einem strukturierten Zyklus stattfinden, um auftretende Schäden und Mängel zu erkennen und zu bewerten. Alle Bauteile des Bauwerks werden hierfür handnah, das heißt mit einem Abstand, der ungefähr einer Armlänge entspricht, begutachtet. Für die Prüfung wird meist auf konventionelle Methoden wie das Abklopfen von Oberflächen mittels eines Hammers zurückgegriffen. Die Ergebnisse und die Zustandsbewertung werden in spezifischen Programmsystemen erfasst, verwaltet und ausgewertet, die kompatibel mit den bestehenden Regelwerken sind. Zumeist erfolgt die Dateneingabe im Anschluss an die Prüfung im Büro, in selteneren Fällen steht hierfür ein Tablet vor Ort an der Brücke zur Verfügung. Schadensbereiche werden häufig in Skizzen festgehalten, die den Prüfberichten zur verbesserten Auffindbarkeit von Schäden beigefügt werden. Um den Zustand des Bauwerks beurteilen zu können, muss während der Bauwerksprüfung eine Vielzahl an Informationen über das Bauwerk und seine Schäden einbezogen werden. Hierzu gehören zum Beispiel Informationen zu Schäden aus früheren Bauwerksprüfungen, die möglichst gebündelt zur Verfügung stehen sollten. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die festgestellten Schäden vollständig, ortsgenau identifiziert sowie reproduzierbar und einheitlich bewertet werden. Somit können Schadensentwicklungen und die Dringlichkeit von durchzuführenden Maßnahmen beurteilt werden. Zur Beurteilung kann auch die Kommunikation mit weiteren Experten, die nicht vor Ort an der Brücke sind, entscheidend sein. Nicht zuletzt spielt die Arbeitsvorbereitung Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Prozessablauf 402 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 eine wichtige Rolle, um den Verkehr durch die Prüfungen möglichst wenig zu beeinträchtigen. Auch hierfür sind die Verfügbarkeit und anschauliche Visualisierung von möglichst umfänglichen Informationen und Daten zum Bauwerk sicherzustellen. Der herkömmliche Prozess der Bauwerksprüfung kann durch Entwicklungen im Rahmen der digitalen Transformation in diesem Sinne unterstützt werden. Es bestehen Potenziale, die Arbeit in der Bauwerksprüfung zu erleichtern, ihre Qualität zu steigern und somit schließlich zu einem optimierten Lebenszyklusmanagement beizutragen. In diesem Paper wird ein entsprechend digital gestützter Prozess der Bauwerksprüfung vorgestellt, der im Rahmen eines Forschungsprojektes der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) entwickelt wird. Zunächst werden die Ziele, die mit dem Forschungsprojekt und dem Einsatz digitaler Technologien im Lebenszyklus von Brücken verfolgt werden, aufgezeigt. Darauf aufbauend wird der identifizierte Prozess der Bauwerksprüfung dargestellt, der mit Hilfe der Technologien Virtual und Augmented Reality (VR/ AR) in Kombination mit der Methodik des Building Information Modelings (BIM) unterstützt wird. Darin werden die relevanten Arbeitsschritte, von der Vorbereitung der Prüfung über die Durchführung vor Ort bis hin zur Nachbereitung, berücksichtigt. Ein Fazit und Ausblick, der die Einbindung in den technischen und organisatorischen Rahmen aufzeigt und Perspektiven für weitere Forschung aufzeigt, schließen das Paper ab. 2. Allgemeine Forschungsansatz Neben den klassischen Methoden der Bauwerksprüfung müssen auch digitale Entwicklungen zur Unterstützung und Optimierung der Bauwerksprüfung berücksichtigt werden, um die Zukunftsfähigkeit der Brückenbauwerke auch bei steigendem Instandhaltungsaufwand zu gewährleisten. Forschungsaktivitäten in diesem Bereich beschäftigen sich daher zunehmend mit der kontinuierlichen Beobachtung und Bewertung fortschrittlicher digitaler Technologiewerkzeuge, die zu einer optimierten Qualitätssicherung beitragen können. Im Rahmen der Forschungsarbeiten müssen Nutzenpotenziale für Eigentümer und Betreiber von Ingenieurbauwerken in der Instandhaltung identifiziert, analysiert und Lösungsansätze aufgezeigt werden, um letztlich einen Beitrag zur kurzfristigen Reduzierung des erforderlichen Instandhaltungsaufwandes zu leisten. Im Bereich der Bauwerksprüfung zeigen die Technologien Virtual und Augmented Reality sowie die Methode des Building Information Modelings Potenziale zur Unterstützung auf. Insbesondere in Kombination wird ein Beitrag zur Verbesserung des Prozesses angestrebt, in dem relevante Daten in einem 3D-Modell gebündelt sowie verortet zur Verfügung gestellt werden. Mittels Virtual und Augmented Reality soll dieses Modell zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Prüfung verständlich visualisiert und durch neue Informationen aktualisiert werden. Die auf Virtual und Augmented Reality basierenden Systeme sollen schließlich zu einer optimierten Qualitätssicherung bei der Bauwerksprüfung beitragen, bei der die Informationsbereitstellung effizienter erfolgt als bisher. Es sollen mehr, schneller und umfassender Informationen einbezogen werden können, um das Treffen fundierter Entscheidungen in der Bauwerksprüfung und Zustandsbeurteilung zu unterstützen. Im Folgenden wird der hierfür identifizierte und digital gestützte Bauwerksprüfungsprozess dargestellt. Im weiteren Verlauf des Forschungsprojektes werden zur Darstellung der Potenziale außerdem Demonstratoren realisiert, in denen dieser Prozess technisch umgesetzt wird. Ein weiteres Paper „Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - VR/ AR im Prüfprozess“ beschreibt diese Umsetzung. 3. Prozessermittlung Für die Identifizierung der Prozesse einer digital unterstützten Bauwerksprüfung wurde im Rahmen der Forschungsarbeit eine Anforderungsanalyse erstellt. Während dieser Anforderungsanalyse erfolgten eine systematische Entwicklung der Eigenschaften und Leistungen der Unterstützungsmediums und somit eine Weiterentwicklung des Prozesses zur digital unterstützten Brückenprüfung (siehe Abbildung 1). Abbildung 1: Anforderungsanalyse für das Unterstützungssystem Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Prozessablauf 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 403 Beginnend mit einem Brückenworkshop aller Beteiligten erfolgte eine demonstrative Bauwerksprüfung, zur Identifizierung von Prozessen und zur Einschätzung der Bedingungen bei der Durchführung einer Bauwerksprüfung. Die beteiligten Bauwerksprüfer schilderten die unterschiedlichen Vorgänge und die jeweilige Prüfungsarten. Ein wesentlicher Bestandteil war die Erkennung und Aufnahme von Schadstellen und deren Schadensmuster. Um während der demonstrativen Bauwerksprüfung Erkenntnisse für die digitale Unterstützung zu gewinnen, wurde mit Hilfe der Think-Aloud-Methode gearbeitet. Bei dieser Methode sind die Teilnehmer angehalten laut zu denken, während sie vor einer Gruppe bestimmte Aufgaben ausführen. Die Beobachter erhalten hierbei eine Möglichkeit, Daten über den menschlichen Bearbeitungsprozess zu einer Aufgabe aus erster Hand zu gewinnen. Auf Basis dieses Vorganges, konnten anschließend die Prozesse einer digitale Bauwerksprüfung identifiziert werden. Nach Abschluss des Brückenworkshops und somit der Anforderungsidentifikation, erfolgte mit der Anforderungssystematisierung die Erstellung und Entwicklung von sogenannten Arbeitskarten, und der ersten Prozessbeschreibung zur VR/ AR-Anwendung. Die Arbeitskarten wurden entwickelt und um einen Überblick über die Punkte zu liefern, welche in der Anwendung zur Unterstützung der Bauwerksprüfung inhaltlich vorhanden sein sollten, um Schäden zu untersuchen und zu beschreiben. Die Arbeitskarten dienen auch als Arbeitshilfe innerhalb der Anwendung für den Bauwerksprüfer und wurden auf Basis des Prozesses der digitalen Bauwerksprüfung, der Fachkenntnisse der Bauwerksprüfer die sich unter den Projektbeteiligten befinden sowie der Fachliteratur zur Brückenprüfung von Mertens [1], Vollrath und Tathoff [2] und Kracke und Lodde [3] entwickelt. Aufbauend auf den Ergebnissen aus der Anforderungssystematisierung und den Ergebnissen des aktuellen Standes der Technik, sowie den Erkenntnissen der Anforderungsidentifikation erfolgte eine Ausarbeitung der unterschiedlichen Anforderungen an den Demonstrator anhand einer Kategorisierung nach dem Kano-Modell. Die Kategorisierung innerhalb der Anforderungsspezifikation dient anschließend in der abschließenden Anforderungsvalidierung, welche in Form von Experteninterviews durchgeführt wird, zur Herbeiführung einer Entscheidung über die tatsächlichen Anfordern an die digitale Unterstützung der Bauwerksprüfung. Durch das Konsortium wurden die möglichen zur Anwendung kommenden Technologien nach ihren Merkmalen den Experten vorgestellt und anschließend durch die Experten bewertet. Die Bewertung der Merkmale legt somit die Anforderung an die digitale Unterstützung der Bauwerksprüfung fest. Durch die Ergebnisse der Anforderungsanalyse erfolgt im Anschluss die finale Gestaltung des Prozesses für die Bauwerksprüfung. 4. Prozessablauf Durch die vorangegangene Anforderungsanalyse konnten anschließend die Prozesse einer digitalen Bauwerksprüfung identifiziert werden. Diese Prozesse gliedern sich in die drei Hauptprozesse Vorbereitung, Durchführung und Nachbearbeitung auf. • Identifizierte Prozesse: - Vorbereitung der Prüfung - Vorbereitung im Büro am Computer - Vorbereitung im Büro über Tablet - Vorbereitung vor Ort am Tablet • Durchführung der Prüfung • Nachbearbeitung der Prüfung - Nachbearbeitung im Büro über Tablet - Nachbearbeitung im Büro am Computer Die Hauptprozesse sind in ihrem Aufbau in weitere Unterprozesse untergliedert. Die Prozesse decken den Zeitraum der Beauftragung der Bauwerksprüfung bis hin zur Erfüllung des Auftrages ab. 4.1 Prozessaufbau Die grafische Darstellung der Prozesse geschieht mittels des Nationsschemas Business Process Model and Nation (siehe Abbildung 2). Durch dieses Schema werden die Prozesse in Form von Knoten und Kanten dargestellt. Dabei stehen die Knoten für Tätigkeiten, Ereignisse oder Verzweigungen. Die Kanten dienen als Verbindungen bzw. Relationen zwischen den Knoten. Die Abfolge von Knoten und Kanten in einem Prozess kann parallel in unterschiedlichen Prozessgruppen verlaufen. Für den Prozess wurden die Prozessgruppen Tätigkeiten des Prüfers, Eingabe in das System, Ausgabe des Systems und die softwareinterne Funktion identifiziert. Durch die Gruppierungen erfolgt eine Hervorhebung der bestimmten Aspekte des Prozesses und eine Gegenüberstellung der praktischen Tätigkeit eines Prüfers gegenüber der softwareinternen Funktionen und der Interaktion zwischen Prüfer und Software (siehe Abbildung 3). Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Prozessablauf 404 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 Abbildung 2: Darstellung des Nationsschemas Business Process Model and Nation 4.2 Prozessablauf Vorbereitung Bauwerksprüfung Nach der Beauftragung zur Durchführung einer Bauwerksprüfung, beginnt der Prozess zur Vorbereitung der Bauwerksprüfung. In diesem Prozessverlauf behandelt der Nutzer die vorbereitenden Maßnahmen im Büro. Dabei entscheidet sich der Nutzer zunächst welche Hardware zur Vorbereitung genutzt wird. Der Nutzer kann hierzu zwischen der klassischen Computeranwendung und der Vorbereitung mittels Tablet wählen. Nach Auswahl der Hardware erfolgt zunächst das Aufrufen der Anwendung. Nach dem Start der Anwendung wählt sich der Nutzer mittels seiner erhaltenen Zugangsdaten des Auftragsgebers in die Common Data Environment (CDE) ein. Die CDE ist eine Softwarelösung, um das Informationsmanagement zu vereinfachen. Nach Anmeldung erfolgt ein Download der Bauwerksdaten. Sollten bereits die Bauwerksdaten aus einer vorangegangen Bauwerksprüfung auf dem Endgerät liegen, erfolgt eine Synchronisation der Daten. Der Nutzer erhält hierdurch Informationen zu den aktuellen Prüfberichten mit möglichen verorteten Schäden und das 3D Modell. Des Weiteren werden weiterführende Informationen zum Bauwerk, wie Bauwerksbuch, Tragwerksplanung und archivierte Prüfberichte zur Verfügung gestellt. Durch die Datengrundlage prüft und dokumentiert der Nutzer die Datenvollständigkeit und gibt die Daten für die Bauwerksprüfung frei. Des Weiteren erhält der Nutzer die Möglichkeit vorab mittels AR- oder VR-Anwendung eine virtuelle Begehung durchzuführen umso beispielsweise vorhandene Schäden zu betrachten und den Ablauf der Bauwerksprüfung zu optimieren sowie auf Arbeitsschutz und die Verkehrssicherung einzugehen. Die Informationen zum Arbeitsschutz und zur Verkehrssicherungspflicht erhält der Nutzer aus den beigefügten Arbeitskarten. Abbildung 3: Umsetzung des Prüfauftrags mit der digitalen Bauwerksprüfung Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Prozessablauf 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 405 4.3 Prozessablauf Durchführung Bauwerksprüfung Nach Abschluss der vorbereitenden Maßnahmen zur Bauwerksprüfung, erfolgt der Prozess zur Durchführung der Bauwerksprüfung. In diesem Prozessteil wird die Vorbereitung sowie Durchführung der Prüfung vor Ort thematisiert. Hierbei werden die Prozesse zur Schadensverortung und Schadensauffindung beschrieben. Des Weiteren wird auf die Schadensdarstellung und Verwaltung eingegangen. Ein bestimmtes Augenmerk, wurde vor allem auf den Prozess zur Durchführung des Bauwerksprüfung gelegt. In diesem Workflow wurde die Notwendigkeit der Digitalisierung von bestimmten Arbeitsschritten untersucht und anschließend ein Prozessablauf erarbeitet. Vor allem die Untersuchung von Schäden ist ein wesentlicher Bestandteil in diesem Prozess. Hierbei wurden drei Fälle, welche auftreten könnten, identifiziert (siehe Abbildung 4): • Am Bauwerk wird ein Schaden entdeckt, welcher nicht im Modell verzeichnet ist • Am Bauwerk und im Modell werden Schäden entdeckt, welche übereinstimmen • Im Modell existiert ein verzeichneter Schaden, welcher im Bauwerk nicht vorhanden ist Nach Auffinden bzw. Aufsuchen eines Schadens führt der Nutzer ein Schadensabgleich zwischen Bauwerk und Modell durch. Sollte ein Schaden entdeckt werden, welcher nicht im Modell verzeichnet ist, wird dieser Schaden untersucht und dementsprechend auch dokumentiert. Falls ein Schaden am Bauwerk vorhanden ist und die Schäden auch im Modell bereits eingetragen sind, wird dieser Schaden überprüft und aktualisiert. Bei einem Schaden, welcher im Modell verortet ist jedoch nicht am Bauwerk vorhanden ist, wird auf eine mögliche Sanierung des Schadens untersucht und dieses ebenfalls dokumentiert. Nach Dokumentation aller Schäden beendet der Nutzer die Durchführung. Abbildung 4: Auszug aus dem Prozessablauf zur Durchführung von Schadensaufnahmen Der Prozess zur Schadensaufnahme erfolgt in den oben genannten Fällen in der Regel gleich. Bei einem neuen Schaden wird zunächst ein neuer Schadenseintrag angelegt. Hierzu wird, nach Auswahl eines Schadenseintrages in der Anwendung automatisch ein Formular gemäß Schadensart aufgerufen. Der Nutzer führt eine Schadensuntersuchung gemäß der Arbeitskarte für Bauteil und Schadensart durch. Parallel wird in der Anwendung der Schadenseintrag bearbeitet und angelegt. Während des Schadenseintrages erfolgt der Ablauf immer in der gleichen Reihenfolge. Zunächst erfolgt eine Fotoaufnahme durch den Nutzer. Die Anwendung nimmt ein Bild auf und erstellt im Hintergrund direkt eine Verortung des Schadens. Der Schaden ist somit im 3D-Modell auffindbar. Nach Erstellen des Fotos erfolgt eine Schadenszuweisung. Der Nutzer wählt über eine Auswahlliste eine Schadensart aus und im Anschluss um welchen Typ von Schaden es sich handelt. Die Information wird in einem vorgegebenen Schema mit dem Foto und den Koordinaten in eine BCF-Datei gespeichert. BCF steht hier für das BIM Collaboration Format (kurz BCF) welches ein offenes Dateiformat zur Kommunikationszwecken ist. Durch eine BCF-Datei können Schäden bauteilorientiert erfasst werden und somit über ein Verortungssystem zu einem Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Prozessablauf 406 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 späteren Zeitpunkt wiedergefunden werden. Des Weiteren können weitere Informationen zum Schaden, wie beispielsweise Dimensionen, hinterlegt werden. Im Falle einer Überprüfung von Schäden, wird der vorhandene Schadenseintrag aufgerufen und eine neue Version erstellt. Die nächsten Prozessschritte erfolgen wie bei einer neuen Schadensaufnahme. Ist ein Schaden am Bauwerk nicht mehr ersichtlich, jedoch im 3D-Modell noch vorhanden, gilt es diesen auf Sanierung zu überprüfen. Hierzu wird der Schadenseintrag aufgerufen und es erfolgt eine Überprüfung auf Sanierung des Schadens. Ähnlich wie bei der Schadensaufnahme erfolgt auch hier eine Verortung und Bildaufnahme im ersten Schritt. Nachdem festgestellt wurde, dass der Schaden sachgemäß saniert wurde, wird der Schadenseintrag als saniert markiert. 4.4 Prozessablauf Nachbearbeitung Bauwerksprüfung Nach Abschluss der Bauwerksprüfung, beginnt der Prozess zur Nachbearbeitung. Der Nutzer synchronisiert seine erfassten Daten mit der CDE. Dadurch werden die Daten dem Auftraggeber zur Verfügung gestellt und aktualisiert. Der Nutzer erhält nun die Möglichkeit die Schadenspunkte als Schadensliste auszugeben. Dadurch entsteht innerhalb der Software eine interne Funktion wodurch die Daten vom 3D Modell abgegriffen und konvertiert als Liste ausgegeben werden. Des Weiteren kann der Nutzer sich die Schäden mittels VR- oder AR- Anwendung ansehen und erhält somit eine visuelle Begutachtung des Schadens mit Hilfe des Modells und der erstellten Bildaufnahmen. Dadurch fühlt sich der Nutzer in die Realität zurückversetz und kann somit durch seine Gedanken und der visuellen Betrachtung effizienter die Schadensbegutachtung erneut vornehmen. Nach Abschluss seiner Nachbearbeitung und der Erstellung des Prüfberichts, erfolgt eine erneute Synchronisation zwischen der CDE und dem Endgerät des Nutzers. Durch diese finale Synchronisation ist der Prüfauftrag abgeschlossen. Der Auftragnehmer erhält eine Benachrichtigung des Auftraggebers und kann auf die Daten innerhalb der CDE zurückgreifen. Der Auftraggeber kann somit ebenfalls durch eine VRbzw. AR-Anwendung auf die Daten zugreifen und fühlt sich in das Bauwerk versetzt. 5. Ausblick Der vorgestellte Prozess kann in Zukunft zu einer konsistenten und semantischen Erfassung, Verarbeitung, Speicherung und Visualisierung von Daten und damit zu einem optimierten Inspektionsprozess (Vorbereitung im Büro, Inspektion vor Ort und Nachbesprechung zurück im Büro) beitragen. Damit kann ein wichtiger Beitrag zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen geleistet werden, denen sich die Verantwortlichen insbesondere bei den Bundesfernstraßen gegenübersehen. Bei der Einführung neuer Werkzeuge und Weiterentwicklungen von Arbeitsabläufen ist es von wichtiger Bedeutung zukünftige Anwender frühzeitig in den Entwicklungsprozess einzubeziehen. Auf diesem Weg kann sichergestellt werden, dass ihre Bedürfnisse und Anforderungen berücksichtigt werden und ein System realisiert wird, dass dem Anwender einen echten Vorteil bietet. In einem nächsten Schritt ist es demnach besonders zielführend Konzepte und Prozesse pilothaft zu demonstrieren und Prototypen zu entwickeln, die im realen Umfeld getestet werden können. Im Hinblick auf die digital gestützte Bauwerksprüfung wird der vorgestellte Prozess im Rahmen des Forschungsprojektes der BASt auch in Form von Demonstratoren technisch umgesetzt. Hiermit befasst sich das Paper „Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - VR/ AR im Prüfprozess„. In Zukunft wird es für einen Weg in die Praxis besonders wichtig sein, den Anwendern ausreichend Möglichkeiten zu geben, diese Systeme in ihrer Arbeit zu testen und ihr Feedback in weiteren Entwicklungen zu berücksichtigen. Durch die Einbindung erster digitale Methoden in der Bauwerksprüfung ist der erste wichtige Schritt in die richtige Richtung getan. Nicht nur in der Planung von Bauprojekten wird die Zukunft mittels digitaler Methoden effizienter gestaltet, sondern auch in der Verwaltung und Bewirtschaftung von Bauwerken bringt die Digitalisierung einen Mehrwert. Durch Schnittstellenbildung können die Ergebnisse aus der digitalunterstützten Bauwerksprüfung direkt in SIB Bauwerke hineinfließen. Eine lückenlose Dokumentation von Bauwerksprüfungen innerhalb des Lebenszyklus einer Immobilie gewährleistet eine effiziente und sichere Nutzung. Durch die Einbindung weiterer möglicher Werkzeuge kann die Bauwerksprüfung weiter digital gestaltet werden. Durch die Einbindung weiterer Forschungsprojekte und die Verknüpfung der Ergebnisse wird in Zukunft die Bauwerksprüfung verbessert. Beispielsweise beschäftigt sich die Forschung außerdem mit dem Thema der Analyse und entsprechender Visualisierung der während der Bauwerksprüfung erfassten Daten. Hier spielen Methoden der künstlichen Intelligenz, insbesondere aus dem Bereich des maschinellen Lernens eine wichtige Rolle. Diese sollen das Inspektionsteam zum Beispiel durch eine Vorauswahl möglicher Schäden und intelligente Informationsbereitstellung weiter unterstützen. Darüber hinaus wird es relevant sein, die konsistent erfassten, gespeicherten und visualisierten Daten verstärkt in eine Abbildung und Ableitung des Bauwerkszustands und dessen Prognose einzubinden und entsprechend zu analysieren. Laufende Forschungsaktivitäten beschäftigen sich mit diesen Themen und werden in Kombination mit dem vorgestellten Prozess der digital gestützten Bauwerksprüfung sicherlich einen Mehrwert schaffen. Neben den Prozessen selbst müssen in Zukunft auch die rechtlichen Rahmenbedingungen (Normen, Richtlinien, etc.) an diese Entwicklungen angepasst und aktualisiert werden. Das Grundprinzip der manuellen Prüfung von Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Prozessablauf 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 407 Bauwerken muss auch bei den kommenden Entwicklungen beibehalten werden. Dazu müssen die Regelwerke so angepasst werden, dass das Potenzial dieser Techniken genutzt werden kann und gleichzeitig das hohe Sicherheitsniveau der heutigen Bauwerksprüfung nach DIN 1076 beibehalten oder sogar erhöht werden kann. Nicht zuletzt ist es wichtig, die Auswirkungen und den Nutzen, den diese Digitalisierung der Brückenprüfung für die Lebenszyklusbetrachtung haben kann und wird, im Rahmen eines entsprechenden Managements zu betrachten. Diesbezüglich gibt es verschiedene Aktivitäten, die verstärkt werden müssen, um unsere Straßeninfrastruktur zukunftsfähig zu machen. Dieser Präsentation liegen Teile der im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, unter FE-Nr. 15.0666/ 2019/ LRB „Bauwerksprüfung mittels 3D-Bauwerksmodellen und erweiterter/ virtueller Realität“ durchgeführten Forschungsarbeit zugrunde. Die Verantwortung für den Inhalt liegt allein beim Autor. Literaturangaben: [1] Mertens, M. (Ed.), 2015. Handbuch Bauwerksprüfung: Zustandsprüfung im Bestand: Standsicherheit, [2] Vollrath, F., Tathoff, H., 2002. Handbuch der Brückeninstandhaltung, 2nd ed. [3] Kracke, E.-A., Lodde, K., 2011. Leitfaden Straßenbrücken: Entwurf, Baudurchführung, Erhaltung. John Wiley & Sons. 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 409 Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Strukturen zur Integration von VR/ AR im Prüfprozess 1 Florian Klein HHVISION | Hoersch und Hennrich Architekten GbR, Köln, Deutschland Urs Riedlinger Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT, Sankt Augustin, Deutschland Leif Oppermann Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT, Sankt Augustin, Deutschland Zusammenfassung Die Bauwerksprüfung bildet die Grundlage zur Erhaltung der Zukunftsfähigkeit von Ingenieurbauwerken. Es ist es von entscheidender Bedeutung, dass relevante Daten z.B. zu festgestellten Schäden vollständig, ortsgenau identifiziert sowie reproduzierbar und einheitlich bewertet werden. Im gleichen Zuge sind eine erhebliche Anzahl an Dokumenten, Bezeichnungen und Vorgaben im Prüfprozess zum jeweiligen Bauwerk zu beachten. Die Nutzung digitaler und virtueller Medien und Methoden wird die Bauwerksprüfung um ein erhebliches Maß unterstützen und erleichtern. Mit der Nutzung von Virtual und Augmented Reality (VR/ AR) in der digitalen Bauwerksprüfung werden aktuelle analoge Prozesse verbessert. Durch die Verknüpfung von Dateien und Informationen aus dem Bauwerksinformationsmodell können Daten aus einer gemeinsamen Dateninformationsquelle, dem Common Data Environment (CDE), zu den jeweiligen Komponenten am Bauwerk aufgerufen und angezeigt werden. Dazu wird vor, während und nach der Bauwerksprüfung eine grafische 3D-Darstellung genutzt. In letzterer werden digitale Werkzeuge bereitgestellt, wie die digitale Markierung von Inhalten, die Aufnahme und Dokumentation von Informationen der Bauwerksprüfung, oder ein Maßband zur Abschätzung von Distanzen. Während die Vor- und Nachbereitung durch VR-Darstellungen unterstützt wird, kann bei der Bauwerksprüfung vor Ort auf AR-Visualisierungen und Dokumentationsfunktionen auf Handheld-Geräten (Tablets) zurückgegriffen werden. Durch die Verknüpfung von VR/ AR-Methoden, gemeinsamer Datenquellen sowie der Verzahnung vorgeschalteter und integrierter Prüfprozesse kann eine ganzheitliche Lösung zu Bauwerkprüfungen aufgezeigt werden. Änderungen und Anpassungen, sowie die Schadensaufnahme werden dabei nachhaltig dokumentiert und durch eine gemeinsame Datenbasis mit allen Systembausteinen geteilt. 1. Einleitung Brücken sind essenziell wichtige Ingenieurbauwerke innerhalb unseres Straßen- und Verkehrsnetzes. Die Bauwerksprüfung, insbesondere die Prüfung von Brücken, wird in regelmäßigen Abständen von geschulten Prüfern vorgenommen. In Deutschland gibt es allein im Bundesfernstraßennetz über 39.500 Brücken, welche es kontinuierlich zu prüfen gilt; wenngleich dieses bei erhöhtem Warenfluss und zunehmender Mobilität einen immer wichtigeren Umstand mit sich bringt. Dabei sind die Bauwerksprüfer ein wichtiger Bestandteil für die Erhaltung und Sicherheit der Verkehrsinfrastruktur mit vielseitigen Facetten in der Durchführung. Neue Technologien bieten auch neue Chancen für diese wichtigen Aufgaben. Der Charakter und die Tradition der Bauwerksprüfung müssen jedoch bei der Entwicklung neuer Ansätze berücksichtigt werden und, unter Einhaltung gegebener Vorschriften, stets gewahrt bleiben. Die Rolle von Bauwerksprüfer ist bei der Nutzung der Software zu beobachten um damit die Umgebung, Bedürfnisse und Anforderungen besser identifizieren zu können. Mit unserem Forschungsprojekt „Bauwerksprüfung mittels 3D-Bauwerksmodellen und erweiterter/ virtueller Realität“, welches im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen durchgeführt wird, wollen wir neue digitale Ansätze für die Prüfung von Bauwerken untersuchen. Es soll ein Prototyp hin zu einem nutzer- 1 Teil des Forschungsprojekts FE 15.0666/ 2019/ LRB „Bauwerksprüfung mittels 3D-Bauwerksmodellen und erweiterter/ virtueller Realität“ im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Strukturen zur Integration von VR/ AR im Prüfprozess 410 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 freundlichen Anwendungstool für die digitale Bauwerksprüfung entwickelt werden, welches den aktuellen Stand der Technik im Prüfungsprozess aus auch der digitalen Methoden gleichermaßen berücksichtigt. Dabei sollen potenzielle Hürden geringgehalten werden, um eine weite Verbreitung zu ermöglichen. In unserem Forschungsprojekt dient eine Hohlkasten-Spannbetonbrücke als Erprobungsträger für die Entwicklungsergebnisse. Da die Bauwerke oftmals in abgelegenen Gebieten vorzufinden sind und die technischen Gegebenheiten nicht optimal für digitale Echtzeitlösungen sind, muss die zu entwickelnde Anwendung in der Lage sein, längere Offline-Perioden zu bewältigen und autark arbeiten zu können. Bei der Auswahl der digitalen Komponenten wurde versucht auf handelsübliche Hardware- und Game-Engines zurückzugreifen, die für die Arbeit mit 3D-Inhalten optimiert sind. Diese bietet den Vorteil der schnelleren Entwicklungszyklen und plattformübergreifender Anwendungen. Obwohl technisch gesehen zwei Prototypen entwickelt werden eine auf einem Desktop-PC für das Büro sowie einer Anwendung auf einem iPad für die Vor- Ort-Unterstützung - können viele Inhalte des Entwicklungscodes gemeinsam genutzt werden. Als zusätzliche Herausforderung galt das Anwendungslayout auf den verschiedenen Geräten nahezu gleich zu halten. In diesem Artikel zeigen wir den Weg hin zur digital gestützten Bauwerksprüfung. Es wird dabei auf die Nutzungsmöglichkeiten von VR- und AR-Methoden, dem zugehörigen Datenaustausch und dem damit verbunden kooperativen Nutzen eingegangen. Dabei werden einige Herausforderungen mit den jeweiligen Lösungsansätzen ebenso präsentiert wie auch zukünftige Weiterentwicklungen. Der verbleibende Artikel gliedert sich wie folgt: Zunächst werden verbundene Arbeiten und der Stand der Technik vorgestellt. Anschließend wird kurz auf die Prozesse der digitalen Bauwerksprüfung eingegangen, die wie bereits oben erwähnt ausführlicher in einem separaten Artikel behandelt werden. Anschließend wird das Systemdesign vorgestellt, wobei das Hauptaugenmerk auf der Gesamtarchitektur und den kooperativen Aspekten der AR- und VR-Prototypen liegt. Eine Diskussion schließt sich an, in der insbesondere die Ausrichtung der Prototypen mit offenen Schnittstellen, aber auch der menschzentrierte Ansatz erörtert wird. Abschließend bietet der Ausblick Anknüpfungspunkte für technische Weiterentwicklungen und zukünftige Evolutionen in Bezug auf die vorgestellten Prototypen. 2. Vorbereitende Arbeiten Für diesen Artikel sind in erster Linie die drei folgenden Bereiche von Bedeutung: Building Information Modeling (BIM), Bauwerksprüfungen und Mixed Reality (MR). Der Begriff MR soll als Überbegriff für jede gemischte Form zwischen der erweiterten und virtuellen Realität (Augmented und Virtual Reality; kurz AR / VR) stehen. Zu diesen Themen wird später noch einmal Bezug genommen. Zunächst wird das Themengebiet BIM betrachtet. Nederveen und Tolman führten 1992 den Begriff „Building Information Modeling“ ein [1]. Grundlage dessen bereitete bereits 1963 das von Ivan Sutherland präsentierte „Sketchpad“ als das erste CAD-System (Computer Aided Design) [2]. Die Entwicklung solcher Systeme begann jedoch bereits in den 1950er Jahren [3]. Eastman et al. verwendete in den 1970er Jahren die BIM-Methode erstmals [4], ohne den Begriff selbst formal zu definieren. Selbst nach der Einführung im Jahr 1992 (siehe oben) war die Verwendung nicht geläufig. Erst als Autodesk 2003 ein Whitepaper veröffentlichte [5], mit dem Ziel die Methode zu etablieren, erhöhte sich die Popularität des Begriffs. BIM ist eine Methode, um die Planung, den Bau, den Betrieb und sogar den Abriss von Gebäuden und Bauwerken zu unterstützen. Folglich deckt es den gesamten Lebenszyklus ab und verwendet in jeder Phase ein digitales Modell. Die Qualität des Modells kann durch vier verschiedene Detailebenen klassifiziert werden, wie von [6] vorgeschlagen. In diesem Modell besteht Level 0 nur aus zweidimensionalen Zeichnungen. Stufe 1 bietet dann zwei- oder dreidimensionale Modelle. Die zweite Ebene fügt dem Modell mehrere andere Dimensionen, wie Zeit- oder Facility-Management hinzu. Schließlich sind komplexere Auswertungen ab Stufe 3 verfügbar, wobei das zentrale digitale Modell über den gesamten Lebenszyklus hinweg verwendet wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Komplexität, aber auch die Reife von BIM mit jeder Detailebene steigt. Bei den Arbeits- und Datenflüssen spielen die Austauschformate eine wichtige Rolle. Die Organisation buildingSMART (https: / / www.buildingsmart.org/ ) standardisierte für BIM mehrere Dateiformate, wie die Industry Foundation Classes (IFC). Mehrere Erweiterungen, wie z.B. IFC-Bridge, existiert nach diesem Standard. Für die Zusammenarbeit ist das BIM Collaboration Format (BCF, https: / / technical.buildingsmart.org/ standards/ bcf/ ) entwickelt worden. Der Bereich der Bauwerksprüfung hat eine lange Tradition. Bauwerksprüfer verfügen über einen erheblichen Wissensstand und nutzen für Ihre Tätigkeiten eine Vielzahl von Arbeits- und Messwerkzeugen, Richtlinien, Standards und gesetzliche Rahmenbedingungen. Dazu ist in Deutschland die Bauwerksprüfung in der Norm DIN 1076 geregelt. Gesetzgeber auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene legen dabei die rechtlichen Bedingungen fest. Abhängig davon, wem ein Bauwerk gehört und wo es sich befindet, können unterschiedliche Regeln und Vorschriften gelten. Allen Vorschriften und Gesetzen ist gemein, dass sie sich bei der praktischen Durchführung von Prüfungen auf technische Normen, wie der DIN 1076, beziehen. Die Kombination von BIM und MR steht im Mittelpunkt des zuvor genannten Forschungsprojekts, wobei die Bau- Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Strukturen zur Integration von VR/ AR im Prüfprozess 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 411 werksprüfung als Anwendungsfall herangezogen wird und die Forschungsinhalte zu den MR-Themenbereichen von größerem Interesse sind. Milgram et al. definierte ein Kontinuum zwischen Realität und Virtualität [7]. Er schlägt dazu vier Typen innerhalb dessen vor: Realität, Augmented Reality, Augmented Virtuality und Virtuality (heute oft als Virtual Reality bezeichnet). Diese Typen sind nicht explizit voneinander getrennt und unterscheiden sich im Anteil des virtuellen Inhalts, welcher dem Kamerabild überlagert wird. MR ist ein Überbegriff für alle gemischten Formen innerhalb des Spektrums, einschließlich VR. Während die Definition von „Virtual Reality“ (VR) vergleichsweise einfach ist, als Medium, welches die Sinne ersetzt und eine rein virtuelle Umgebung bietet, braucht es für den Begriff „Augmented Reality“ (AR) eine erklärendere Definition, die in der Literatur zu finden ist. Azuma definierte AR als „System mit den folgenden drei Merkmalen: 1. Kombiniert real und virtuell, 2. Ist in Echtzeit interaktiv, 3. Ist in drei Dimensionen registriert“ [8]. Angesichts dieser Definition stehen die nachfolgenden Beispiele, die bereits BIM und MR kombinieren. Neben Unternehmen wie Trimble (https: / / mixedrea-lity. trimble.com/ ), vGIS (https: / / www.vgis.io/ ) oder GammaAR (https: / / gamma-ar.com/ ), die AR-Visuali-sierungen von BIM-Daten anbieten, gibt es eine Viel-zahl von Forschungsarbeiten, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Brooks präsentierte dazu das „Walkthrough“, ein Visualisierungssystem für CAD-Daten [9]. Das Projekt „ARTHUR“ konzentrierte sich auf die kollaborative Planung von Architektur und Stadtentwicklung an einem runden Tisch [10]. Das For-schungsprojekt „VIDENTE“ demonstrierte die Erweite-rung von Rohren und Gebäuden an bestimmten Stellen auf einem mobilen PC [11]. Die Visualisierung von BIM-Daten mittels VR- Technologien wird ebenfalls er-forscht, insbesondere für Brücken [12] oder dem Bau von Autobahnen [13]. Die Verwendung von Mixed Re-ality im Studium der Architektur fand wie bei [14], [15] oder [16] ein weiteres intensives Anwendungsgebiet. 3. Prozesse in der digital-gestützten Bauwerksprüfung Die Bauwerksprüfung im klassischen Sinne erfolgt nach den zuvor genannten Richtlinien, Vorgaben und Normen. Um die Prüfung mit MR-Technologien verbinden und damit eine Unterstützung bieten zu können, sind die verbundenen Prozesse zu untersuchen. Innerhalb dessen wurde die Methode einer digitalen Bauwerksprüfung abgebildet, als auch die Anwendungsmöglichkeiten und Verknüpfbarkeiten der MR-Technologien innerhalb der Prozessschritte aufgezeigt und definiert. Im ersten Schritt wurde untersucht, an welchen Punkten der Bauwerksprüfung MR, explizit VR und AR, eingesetzt werden kann. Im Weiteren wurde analysiert, welche Möglichkeiten MR-Technologien besitzen und wie diese sinnvoll in der Prüfung eingesetzt werden können. Als Ergebnis wurde definiert, dass die VR-Technologien sich primär für die Vor- und Nachbereitung eignen, die Methoden des AR für eine digitale Unterstützung innerhalb der Bauwerksprüfung. Die dazugehörigen Prozesse und Vorgehensweisen einer digital-gestützten Bauwerksprüfung sind im Beitrag „Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Prozessablauf“ dieser Tagungsreihe erläutert [17]. 4. Übersicht des Systemdesigns Für eine effiziente und zielorientierte ganzheitliche Nutzung der digitalen Medien in einer Bauwerksprüfung Bedarf es einem ebenso gearteten Systemdesign. Für diesen Zweck ist eine Methode zu entwerfen, die einen Austausch von Daten zur Prüfung sowie zur digitalen und virtuellen Kommunikation, auf gleicher Datenbasis, ermöglicht. Die Herausforderung besteht darin, ein System zu entwickeln, welches einen Austausch von Bauwerksdaten in nahezu Echtzeit als auch die Anzeige der Informationen in VR und AR gleichermaßen zulässt. Die Abbildung 1 zeigt den Kommunikationspfad über das CDE-System (Common Data Environment) „BSCW“, welches im Projekt als zentrales Datenkommunikationselement dient. Dieses System wurde von Fraunhofer FIT entwickelt und wird auch seitens der Bundesanstalt für Straßenwesen aktiv als Produktivsystem genutzt (bereitgestellt über ITZ Bund, https: / / bscw.bund.de/ ). Abbildung 1: Überblick über die Architektur der entwickelten Prototypen Über die mitgelieferte Schnittstelle „BSync“ kann das System grundlegend mit Daten gefüllt werden und bietet damit zugleich eine Schnittstelle für weitere Anbindun- Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Strukturen zur Integration von VR/ AR im Prüfprozess 412 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 gen. Über die gleiche Schnittstelle kann das VR-System angesprochen werden. Dabei ist es unerheblich, ob die Darstellung der Inhalte über einen desktopbasieren Bildschirm oder über ein HMD (Head Mounted Display, bspw. über die HTC Vive) erfolgt. Der Austausch der Daten zum AR-System erfolgt dabei über eine separate REST-Schnittstelle (Representational State Transfer). Die Anzeige der AR-Medien erfolgt über ein Handheld- Tablet. Die visuelle Aufbereitung und Bereitstellung der Inhalte im gesamten MR-Bereich erfolgt mittels der Game-Engine Unity. Durch die Nutzung der gemeinsamen Datenbasis existieren Synergien in der Entwicklung und Nutzung von Funktionalitäten, die es zu identifizieren und implementieren gilt. Eine gleiche Datenbasis erfordert eine gemeinsame Datenstruktur, damit jederzeit und allgemeingültig auf die Daten zurückgegriffen werden kann. Die Abbildung 2 zeigt exemplarisch eine Ordnerstruktur, welche je Bauwerk erstellt wird und mindestens die zwei folgenden Unterordner enthält: 1. Dokumente 2. Bauwerksmodell. Innerhalb des ersten Ordners können Dokumente im PDF-Format abgelegt werden, welche jederzeit im VR- oder AR-Anzeigemedium abgerufen werden können. Diese beinhalten beispielsweise das Bauwerkshandbuch, alte Prüfbericht oder die zugehörigen erstellten Prozess- und Arbeitskarten der Bauwerksprüfung. Der zweite Ordner beinhaltet die dateibasierten bauwerksspezifischen Informationen, welche ebenfalls von der VR- und AR-Methode gleichermaßen genutzt wird. Die Bauwerksdaten werden in drei Dateitypen abgelegt, wobei jede Datei spezifische Informationen enthält: *.fbx: allgemeines Austauschformat von 3D-Geometrieinformationen *.ifcxml: Informationsdaten aus BIM im allgemeingültigen .xml-Format *.bcf: Dateiformat zur Speicherung der Markierungs- und Schadenspunkte sowie weiterer zeitlicher- und ortsabhängiger Informationen. Abbildung 2: gemeinsam genutzte Ordnerstruktur. Einzig „documents“ ist ein belegter Pfad, unter dem PDF-Dokumente abgelegt werden können, die anschließend von den Anwendungen angezeigt werden können. BCF- und IfcXML-Dateien sind optional, d. h. wenn diese Dokumente nicht vorhanden sind, werden die entsprechenden Daten nicht angezeigt. Mit der dargestellten gemeinsamen Datenstruktur können, neben der Modelldarstellung und den Schadensinformationen, angehängte BIM-Attribute während der MR-Anwendung angezeigt werden. Die ständig aufrufbaren Eigenschaften geben dem Prüfer eine technische Auskunft zum Aufbau des Bauwerks. Vorbereitend zu einer Bauwerksprüfung müssen alle Ordner und Dateien einmalig und online mit dem CDE synchronisiert werden. Die Daten sind damit temporär auf dem Endgerät verfügbar und veränderbar. Die *.fbx- und *.ifcxml-Datei sind Modelldaten und müssen zur Anzeige des Bauwerks einmalig geladen werden. Vor-, während und nach der Prüfung wird ausschließlich die projektbezogene *.bcf-Datei verändert. In dieser werden prüfungsspezifische Eigenschaften, wie Schäden, Objektmerkmale und Auffälligkeiten, sowohl in Text- und Bildform sowie die jeweilige Position der Eigenschaften dokumentiert. Die Datei ist dabei wie ein Log-Eintrag zu lesen, da bei jedem Aufnahmepunkt ein entsprechender Zeitstempel gesetzt wird. Eigenschaften innerhalb eines Zeitfensters sind als eine zusammenhängende Bauwerksprüfung zu interpretieren und werden als solche erkannt. Vorteilig an dieser Ordnerstruktur ist, dass allgemeine und unveränderliche Bauwerksinformationen einmalig übertragen werden müssen, bspw. in der Vorbereitung einer Prüfung. Die veränderliche Informationsdatei kann datenreduziert in nahezu Echtzeit übertragen werden und bietet somit die Grundlage für einen zeiteffizienten Datenaustausch über eine allgemeingültige Schnittstelle. Innerhalb der BCF-Datei werden also die Informationen gespeichert, die zugleich Funktionen im MR-System sind. Der Vorteil ist, dass die BCF-Datei und die darzu- Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Strukturen zur Integration von VR/ AR im Prüfprozess 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 413 stellenden Prüfmethoden im MR-System gleichen Inhalt besitzen und damit aufeinander aufbauen. Die Methoden beinhalten die folgenden Funktionen: 1. Schadenslokalisierung 2. Erfassung von Bildern 3. Messdaten (digitales Messwerkzeug) 4. Digitale Markierungen 5. Kommentare. Die dazugehörigen Informationen werden je Schadens- und Markierungspunkt individuell erstellt. Die veränderte BCF-Datei kann bei bestehender Online-Verbindung direkt synchronisiert werden. Besteht keine Online-Verbindung wird die Datei offline verändert und zum späteren Zeitpunkt auf dem BSCW hochgeladen. Die BCF-Datei ist als eine Art ZIP-Datei zu verstehen. Innerhalb der Datei werden die zuvor gespeicherten Information nach der Verortung klassifiziert und Ihrer Eigenschaft nach abgespeichert. Der Ordner-Sammler „GUID issue“ steht fortlaufend nummeriert für je einen Schadens- oder Markierungspunkt, welcher vom Bauwerksprüfer gesetzt wird. Innerhalb jedes Sammlers befinden sich detailliertere Informationen (siehe Abbildung 3): *.bcf: Allgemeine Informationen, wie Sch a d e n slokalisierung, Kommentare, Hinweise, Markierung, usw. *.png: Bildaufnahme aus der Bauwerksprüfung zur fotobasierten Dokumentation *.bcfv: Koordinateninformation zur Ausrichtung des aufgenommenen Bildes und der Schadensmarkierung Abbildung 3: Aufbau einer BCF-Datei. Es handelt sich um einen komprimierten (gezippten) Ordner. 5. Diskussion Generell ergeben sich einige Punkte, die bei der Implementierung eines Systems, wie es hier vorliegt, zu beachten sind. Diese sollen im folgenden Abschnitt diskutiert werden. Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass im vorliegenden Fall der Offline-Zustand des Systems zwingend Berücksichtigung finden muss. Insbesondere im Hohlkasten der Brücke ist - je nach Lage der Brücke - mit geringer Netzabdeckung zu rechnen. Demnach muss eine Synchronisierung der Daten zu gegebener Zeit erfolgen und das System solange autonom mit dem vorhandenen Datenstand weiterarbeiten können. Zwar mag man jetzt argumentieren, dass die vorliegende Hohlkastenbrücke einen Extremfall darstellt, jedoch ist eine ähnliche Problematik auch an anderen Brückentypen und -lagen denkbar. Auch wenn der Netzausbau aller vier großen Mobilfunkanbieter (Telekom, Vodafone, O2 und 1&1 Drillisch) voranschreitet - nicht zuletzt vorangetrieben durch neue Mobilfunkstandards, wie 5G [18], [19] - so gibt es dennoch immer noch Versorgungslücken im Netz. Zudem kann die Konstruktionsweise der Brücke an sich mit Materialien wie Stahl und/ oder dickem Beton eine abschirmende und damit mindernde Wirkung auf die Mobilfunksignale entfalten. Dem kann man in zweierlei Hinsicht begegnen: Entweder man denkt den Offline-Status bei der Implementierung neuer Lösungen konsequent mit, oder man bringt eine zusätzliche Infrastruktur an der Brücke oder in unmittelbarer Brückennähe an. Selbst im zweiten Szenario muss aber auch ein - zumindest kurzfristiger Ausfall - der Verbindung mitbedacht werden. Bei der oben vorgestellten Lösung ist das CDE zentral. Diese gemeinsame Datenbasis erlaubt den Austausch zwischen den verschiedenen beteiligten Akteuren. Im Rahmen des Projekts wurde hierzu das BSCW-System verwendet, bei dem es sich klassischerweise um ein Groupwaresystem handelt. Zwar ist es damit nicht unbedingt spezialisiert für den Einsatz als CDE, jedoch bietet dieses System zwei entscheidende Vorteile: Zum einen ist die Datensicherheit gewahrt, da das System on-premise betrieben werden kann (und auch durch den Bund in einer eigenen Instanz betrieben wird). Zum anderen besitzt es ein ausgeklügeltes Rollen- und Rechtesystem, dass dem Nutzer über ein Webinterface, optional einen Synchronisationsclient oder für die Anwendung über eine REST- Schnittstelle auch nur Zugriff auf die Daten erlaubt, die er/ sie einsehen darf. Über eine festgelegte Datenstruktur ist dann ein Austausch möglich. In Kombination mit den offenen Dateiformaten und der grundlegenden offenen, modular erweiterbaren Auslegung, sowie der möglichen Unterstützung offener Schnittstellen durch die umgesetzte Anwendung zeigen die Prototypen durchaus den Weg hin zur stärkeren Nutzung von standardisierten Dateiformaten im Rahmen von openBIM. OpenBIM bezeichnet dabei im Gegensatz zu closedBIM die Verwendung von offenen Schnittstellen und nicht-proprietären Dateiformaten, sodass die Daten nicht zwingend mit bestimmter Software bestimmter Hersteller geöffnet werden müssen. Zwar gibt es auch hier noch einige Hürden mit Blick auf die Anbindung der Visualisierungssoftware, diese lassen sich jedoch beispielsweise durch Trennung von Geometrie- und Metadaten lösen. Für zukünftige Entwicklungen wäre es sicher wünschenswert, wenn eine direkte Einbindung von Geometrie- und Modelldaten in die Visualisie- Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Strukturen zur Integration von VR/ AR im Prüfprozess 414 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 rungsumgebung (im vorliegenden Fall die Game-Engine Unity) möglich ist. Dennoch ist auch der hier vorgestellte Ansatz nicht zu unterschätzen, erlaubt er doch das separate Synchronisieren von Metadaten und Modellinformationen. Dabei ist zu erwarten, dass sich die Geometrie- und Metainformationen eher selten ändern werden, wohingegen bei den Schadensinformationen ein kürzerer Aktualisierungszyklus anzunehmen ist. Auch mit Hinblick auf Weiterentwicklungen von SIB- Bauwerke (https: / / sib-bauwerke.de/ , https: / / www.bast. de/ BASt_2017/ DE/ Ingenieurbau/ Fachthemen/ b4-bauw erksdaten.html) ist die offene Ausrichtung von Relevanz. Zwar ist in den Prototypen dafür noch keine Schnittstelle implementiert, dennoch wurde auch hier ein modulares System mitgedacht. So sind die Anwendungen erweiterbar, sollte diese Schnittstelle in Zukunft umgesetzt werden können - unter der Voraussetzung, dass auch SIB- Bauwerke eine entsprechende Schnittstelle bietet. Vorteil hierbei wäre neben dem einfacheren Datenfluss zwischen den unterschiedlichen Systemen auch eine weitere Vereinheitlichung und Systematisierung der Datenaufnahme. Dies wiederum kann zukünftig eine nachträgliche Datenverarbeitung begünstigen. Bei der verwendeten Hardware wird für den mobilen Prototyp ein Tablet verwendet. Dies liegt zum einen darin begründet, dass die Nutzung dafür intuitiver wahrgenommen wird als für beispielsweise eine Datenbrille. Zwar ermöglicht die Datenbrille eine Bedienung ohne Nutzung der Hände, jedoch ergeben sich insbesondere im Umfeld der Brücke mit unter Umständen lauter Umgebung dabei Herausforderungen mit Blick auf z. B. eine Sprachsteuerung. Eine Gestensteuerung wird erfahrungsgemäß oft nicht korrekt erkannt und muss zudem auch erlernt werden, wohingegen eine Tablet Bedienung durch Touch meist bekannt oder einfach zu erlernen ist. Auch die am Projekt beteiligten Domänenexperten ziehen die Verwendung eines Tablets gegenüber der Verwendung von z. B. Smartglasses vor, wie ein initialer Workshop im Rahmen des Projekts ergab. Studien, wie z. B. [20] zeigen zudem, dass durchaus auch im Hinblick auf kooperative Aspekte in einem ähnlichen Anwendungsfeld unter bestimmten Bedingungen die Nutzung eines Tablets bevorzugt wird. Bei der im Büro verwendeten Hardware zur VR Visualisierung wird auf einen weitverbreiteten Windows-PC zurückgegriffen. Wichtig ist hierbei zu betonen, dass die VR Visualisierung mittels einer VR-Brille erfolgen kann, aber dies nicht zwingend erforderlich ist. Auch eine Visualisierung am Bildschirm als Ausgabequelle ist möglich. Somit wird die Beschaffung zusätzlicher Hardware optional. Durch die Verwendung der Unity Game-Engine ist aber auch die Anbindung weiterer Betriebssysteme und Plattformen mit vertretbarem Anpassungsaufwand möglich. Zwar sind immer Spezifika hinsichtlich der Hardware und des User Interfaces (Bildschirmgröße, Auflösung, u. ä.) zu berücksichtigen, generell erlaubt aber Unity eine cross-platform Entwicklung. Bei allen oben beschriebenen Entwicklungen ist es wichtig hervorzuheben, dass bei der Implementierung stets die Bedürfnisse und Anforderungen der Bauwerksprüfer berücksichtigt werden müssen. Oberstes Ziel ist somit die Entwicklung von Hilfsmitteln für Bauwerksprüfer. Dabei werden Methoden aus den Bereichen Computer Supported Cooperative Work (CSCW) und Mixed Reality verwendet, zwei Bereiche, die durchaus Überschneidungen haben [21] und unserer Ansicht nach auch in weiteren Bereichen - wie hier der Bauwerksprüfung - Anwendung finden können. Dabei sind insbesondere Workplace studies, also das anwendungsnahe Erproben der entwickelten Software(prototypen) hervorzuheben. Die Entscheidung, wie ein Schaden einzuordnen und zu bewerten ist, obliegt jederzeit weiterhin dem Bauwerksprüfer selbst. Auch eine (Gesamt-)Bewertung der Schäden ist in den Werkzeugen im derzeitigen Zustand nicht vorgesehen. Hier kommt andere Software, wie SIB-Bauwerke, zum Tragen. Dennoch wäre eine Erweiterung auch in diese Richtung zukünftig denkbar. Oftmals ist dann ein Kompromiss zwischen technischer Umsetzbarkeit und Wünschen und Anforderungen zu treffen, wie auch bei dem vorliegenden Prototyp. In dieser Hinsicht könnte man im weitesten Sinne auch ethische Betrachtungen zur Rolle von Menschen und Technik mit einbeziehen, was den Rahmen dieses Papiers sprengen würde. Dennoch ist es wichtig hervorzuheben, dass die technische Weiterentwicklung keineswegs nur rein technisch vorangetrieben werden sollte, sondern immer konkrete Bedürfnisse, Erwartungen und organisatorische Rahmenbedingungen miteinbeziehen sollte, um eine möglichst breite Akzeptanz der vorgeschlagenen Lösungen zu erzielen. Ein möglicher Ansatz hierzu ist eine Mensch-Technik- Organisation-Analyse (MTO-Analyse) [22]. 6. Ausblick Durch die modulare Anlage der vorgestellten Lösungen lassen sich diese sowohl technisch als auch konzeptionell erweitern. Dies betrifft wie oben diskutiert neue Schnittstellen, aber auch neue Hardware oder neue Lösungsansätze. Gerade der technologische Fortschritt hat immer kürzere Entwicklungszyklen, die flexibel anpassbare und gleichzeitig stabil angelegte Lösungen erfordern. Mit der gegebenen Übertragbarkeit auf andere Ausgabegeräte lassen sich auch zukünftige Gerätegenerationen oder neue Hardwareklassen, unter Berücksichtigung der jeweiligen Charakteristika, ansprechen. Hierbei sind die technischen Mindestvoraussetzungen im Einzelfall zu berücksichtigen. Aber auch hinsichtlich der Prozesse und des Ablaufs der Bauwerksprüfung sind mit SIB-Bauwerke 2.0 Änderungen zu erwarten. Diese Änderungen müssen auch Anwendung für Weiterentwicklungen der hier vorgestellten Lösung finden. Jedoch ergeben sich aus den hier vorgestellten Prototyp Annäherungen an den neuen Ablauf. Insbesondere die Erfassung der Schäden an Ort und Stelle mit den Koordinaten und die Rückprojektion Bauwerksprüfung mittels Virtual/ Augmented Reality - Strukturen zur Integration von VR/ AR im Prüfprozess 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 415 in das digitale Modell ist hier hervorzuheben und von Bedeutung. An dieser Stelle sei nochmals auf die zentrale Rolle des Brückenprüfers hingewiesen, der mit Hilfe von Software bestmöglichst digital unterstützt werden soll. Die Auswertung der aufgenommenen Daten kann durch ein koordiniertes, strukturiertes Erfassen erleichtert werden. In Zukunft können hier auch weitere Möglichkeiten, wie eine leichtere Durchsuchbarkeit der Ergebnisse angedacht werden. Gleichwohl bleibt der Bauwerksprüfer mit seiner Erfahrung und seinem Wissen zentral für die Bewertung der Bauwerke und damit auch für die Sicherung unserer aller Infrastruktur. Danksagung Diesem Papier liegen Teile der im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, unter FE-Nr. 15.0666/ 2019/ LRB durchgeführten Forschungsarbeit zugrunde. Die Verantwortung für den Inhalt liegt allein bei den Autoren. Die Autoren danken dem Betreuerkreis des Forschungsprojekts für ihre wertvollen Anmerkungen und Anregungen. Literatur [1] G. 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Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 419 Programmausschuss - Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur Der Programmausschuss setzt sich aus anerkannten Experten aus Forschung und Entwicklung, Industrie und Praxis zusammen. Zu seinen Aufgaben gehören die Formulierung der Zielsetzung und Festlegung der Themenschwerpunkte der Fachtagung, die Begutachtung und Auswahl der eingereichten Vortragsvorschläge für das Tagungsprogramm und die fachliche Beratung des Veranstalters. Vorsitzender Dir. Prof. Dr.-Ing. Jürgen Krieger Bundesanstalt für Straßenwesen, 51427 Bergisch Gladbach Mitglieder Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler Technische Universität Berlin Prof. Dr.-Ing. Christian Glock Technische Universität Kaiserslautern Prof. Alexander Hofmann HOCHTIEF PPP Transport Westeuropa GmbH, Essen Dr. Thomas Kopfstedt Knowtion UG, Karlsruhe Dr.-Ing. Peter-Michael Mayer ITC Engineering GmbH & Co. KG, Stuttgart Sonja Neumann, M.Sc. Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Prof. Dr. rer. nat. Ernst Niederleithinger Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin Dipl.-Ing. (FH) Martin Seitner, M.Sc. Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten Dipl.-Ing. Wolfgang Wassmann Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH, Düsseldorf Sarah Windmann, M.Sc. Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 421 Autorenverzeichnis AAbualdenien, Jimmy 229 Alqasem, Yasser Alshaban 97 Artus, Mathias 381 BBach, Andreas 271 Bahlau, Sascha 401 Baniseth, Fabio 349 Behrens, Marion 103 Blumenfeld, Tim 21 Böing, Benedikt 125 Böning, Sebastian 155 Braml, Thomas 75 Brungsberg, Torsten 287 Buttgereit, Alexander 89, 293 Büttner, Till 147 Büttner, Victoria 229 Butz, Christiane 167 CChrysovergis Antonios 177 DDegen, Rene 317 Di Gregorio, Luigi 177 EEicher, Manuel 213 Feth, Denis 303 Freundt, Ursula 155 Frey, Michael 309 GGeers, Thorben 59 Geißler, Karsten 113 Geßler, Achim 59 Gipperich, Christof 391 Glock, Christian 367 Gordt, Alexander 75 Gothe, Kerstin 205 Gröner, Eberhard 213 Grossauer, Karl 21 Guhse, Birgit 303 HHajdin, Rade 21 Hamm, Jürgen 75 Hein, Tobias 287 Heller, Slawomir 89 Helm, Christian 147 Hennrich, Martin 317 Herbrand, Martin 237, 247 Hill, Marcos 401 Hindersmann, Iris 137 Hoffmeister, Benno 59 Hofmann, Helene 213 Holst, Ralph 401 Honerboom, Dominik 59 JJansen, Andreas 113 Jansen, Andreas 97 Jergas, Rainer 59 KKaufmann, Fabian 367 Klein, Florian 409 Klein, Florian 317 Knappe, Anne-Sophie 277 Kneidl, Angelika 229 König, Markus 21 Kremling, Stefan 69 Kremp, Felix 381 Kuhn, Thomas 75 Kühne, Jens 35, 69 Kunigham, Klaus 17 Kunz, Eberhard 133 Kupfer, Tobias 391 Küttenbaum, Stefan 75 LLai, Jason 381 Lazoglu, Alex 247 Lehan, Anne 191 Leijon, Mats 317 MMaack, Stefan 75 Marx, Steffen 247 May, Ilka 221 Mayer, Georg 191 Mayer, Peter-Michael 103 Meyer-Westphal, Markus 257 Müller, Andreas 309 Müller, Emmanuel 125 NNeumann, Sonja 401 Niederleithinger, Ernst 187 OOpitz, Daniel 257 Oppermann, Leif 29, 409 Ott, Harry 317 Overath, Fabian 317 PPrammer, Dominik 359 Probst, Rebecca 17, 85 RReingruber, Maximilian 75 Reisenbichler, David 339 Riedlinger, Urs 409 Riel, Jan 205 Ries, Wolfgang 35 Rill, Daniel 167 Rüggeberg, Lucas 331 Ruschitzka, Margot 317 SSchenk, Maximilian 85 Schickert, Martin 381 Schiffmann, Frank 21 Schluckebier, Nils 271 Schyr, Christian 317 Seitner, Martin 17 Simon, Sophia 229 Socher, Andreas 45, 97 Stöckner, Markus 21, 293 Stöckner, Ute 293 Stütz, Dominik 133 422 1. Fachkongress Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur - Juni 2021 TTahedl, Michael 167 Tiedemann, Christoph 257 Tschickardt, Thomas 277, 367 UUllerich, Christof 237, 247 Ulrich, Alfred 331 Ulrich, Sandra 339 VVorwagner, Alois 359 Vrana, Johannes 187 WWede, Frederik 257 Weiß, Maximilian 229 Weißbrod, Ferdinand 287 Weninger-Vycudil, Alfred 359 Wenner, Marc 237 Wenzel, Günter 377 Werner, Erik 155 Wimmer, Johannes 75 Technologische Entwicklungen sind die Voraussetzung für eine ganzheitliche Digitalisierung. Im Zeitalter des Digitalen Wandels sind Daten ein wertvoller Rohstoff für Informationen, neue Technologien, Prozesse und Ideen. Diese können die Produktivität positiv beeinflussen. Im Vergleich zu anderen Branchen stagniert die Produktivität in der Baubranche allerdings fast vollständig. Ursache hierfür ist unter anderem die geringe Digitalisierung etablierter Abläufe und geringe Neuschöpfung von Verfahren und Prozessen. Dabei bestehen vielfältige Potenziale der Digitalen Transformation in allen Phasen des Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur. Ein Beispiel für solche Entwicklungen ist der Digital Twin - das virtuelle Abbild eines realen Objekts, das sich kontinuierlich über dessen Daten und Informationen aktualisiert und u. a. die Durchführung virtueller Experimente ermöglicht. In Anbetracht von großen Datenmengen (Big Data) gewinnen zunehmend Smart-Data-Anwendungen, Verfahren der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens an Bedeutung bei der Auswertung von Daten. Die Ergebnisse können über Technologien der Virtual und Augmented Reality visualisiert werden. Vor diesem Hintergrund ist das Hauptziel des erstmals stattfindenden Fachkongresses der verkehrsträgerübergreifende Wissens- und Erfahrungsaustausch. In etwa 50 Fachvorträgen werden in parallelen Sessions Technologien und Methoden der Digitalisierung und Digitalen Transformation diskutiert. Themenschwerpunkte Asset Management Building Information Modeling (BIM) Digital Twin Smart Data in der Anwendung Internet of Things (IoT) Künstliche Intelligenz Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR), Mixed Reality (MR) Sensorik Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und zeigt Potenziale und Herausforderungen digitaler Technologien und präsentiert Konzepte zur Verknüpfung von (zukünftigen) digitalen Entwicklungen mit der Verkehrsinfrastruktur. Darüber hinaus werden aktuelle Anwendungen vorgestellt und ihr Nutzen im Lebenszyklus betrachtet. Die Zielgruppe Fach- und Führungskräfte in Ingenieurbüros Bauunternehmen Unternehmen der Baustoffindustrie Bauverwaltungen, Behörden Forschungseinrichtungen Softwareunternehmen Technologieunternehmen Start-ups im PropTech-Bereich ISBN 978-3-8169-3530-8 www.tae.de