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Kolloquium Bauen in Boden und Fels
2510-7755
expert verlag Tübingen
2022
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Herausgegeben von Christian Moormann Carola Vogt-Breyer 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels Fachtagung über aktuelle Herausforderungen der Geotechnik Tagungshandbuch 2022 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels 1. und 2. Februar 2022 Technische Akademie Esslingen Herausgegeben von Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann Prof. Dr.-Ing. Carola Vogt-Breyer 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels Fachtagung über aktuelle Herausforderungen der Geotechnik Tagungshandbuch 2022 Medienpartner Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2022. Alle Rechte vorbehalten. expert verlag GmbH Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen E-Mail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-8169-3545-2 (Print) ISBN 978-3-8169-8545-7 (ePDF) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · D-73760 Ostfildern E-Mail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Vorwort Der Ausbau der Infrastruktur sowie die Verdichtung in den Ballungsräumen führen dazu, dass die Bedeutung des Bauens in Boden und Fels sowie die Anforderungen bei der Errichtung unterirdischer Bauwerke zunehmen. Dadurch ergeben sich bedeutende und interessante Fragestellungen für die Geotechnik, die beim Kolloquium Bauen in Boden und Fels dargestellt und diskutiert werden. Das alle zwei Jahre an der Technischen Akademie Esslingen (TAE) stattfindende Kolloquium mit begleitender Ausstellung hat sich in den letzten 25 Jahren sukzessive als führende Veranstaltung in Süddeutschland und dem angrenzenden deutschsprachigen Ausland etabliert. Das Kolloquium Bauen in Boden und Fels richtet sich an Ingenieure und Naturwissenschaftler, die in planenden oder beratenden Büros, ausführenden Firmen, Verwaltungen, Hochschulen und Verbänden an der Weiterentwicklung von Techniken und Verfahren in der Geotechnik arbeiten. Ein thematischer Schwerpunkt des 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels am 1. und 2. Februar 2022 ist die Digitalisierung im Bauwesen, die in der Geotechnik sowohl für vernetzte Planungen als auch zur Optimierung von Prozessen angewendet und weiterentwickelt wird. Der Programmausschuss unter Leitung von Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann, Universität Stuttgart, und Prof. Dr.-Ing. Carola Vogt-Breyer, Hochschule für Technik Stuttgart, wählte etwa 50 Plenar- und Fachvorträge zu folgenden Themen aus: • Digitalisierung in der Geotechnik • Baugruben • Baugrunderkundung • Gründung • Bauen im Grundwasser • Erdbau • Tunnelbau • Hangsicherung • Messtechnik • Forschung und Innovation Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik sowie neueste Entwicklungen und Trends in der Geotechnik. Weitere Informationen unter www.tae.de/ go/ fels. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 7 Inhaltsverzeichnis P Plenarvorträge P.1 (Geo-)Thermische Aktivierung von Abwasserkanälen und deren Einbettung in ein Wärme-Kälteverbundnetz - Konkrete Anwendung eines Quartieransatzes 15 M.Sc. Till Kugler, Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann P.2 Digitalisierung in der Geotechnik - Status Quo und aktuelle Entwicklungen 25 Dr.-Ing. Dipl. Wirtsch.-Ing. Jörg Bauer P.3 Spezialtiefbau digital - Nutzung des digitalen Zwillings in der Bauausführung 41 Dipl.-Ing. Marcus Daubner P.4 Digitalisierung in der Geotechnik - Möglichkeiten und Herausforderungen 45 Dr.-Ing. Lisa Wilfing, Thomas Hausperger P.5 Probabilistische Baugrundmodellierung für BIM unter Berücksichtigung der Unsicherheiten im Baugrundaufbau und den Bodeneigenschaften - Konzept und Beispiele 51 M.Sc. Andreas Witty, Dr.-Ing Andres Pena Olarte, Prof. Dr.-Ing. Roberto Cudmani P.6 Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Umsetzung von BIM in Spezialtiefbauprojekten 61 M.Sc. M.Sc. Mirna Mamar Bachi 1 Baugruben 1.1 Bauvorhaben Four - Deckelbauweise mit 4 Hochhäusern mitten in Frankfurt 71 Dr.-Ing. Simon Meißner, M. Eng. Maximilian Kies, Dipl.-Ing. Bernd Cronen 1.2 Autobahnkreuz Herne - Neubau des Tunnels Baukau 79 M.Sc. Dennis Clostermann, Dr.-Ing Carsten Peter, Dipl.-Ing. Guido Meinzer 1.3 Komplexe schlüsselfertige Baugrube in Ludwigsburg 85 Christian Schmitz, Markus Astner 2 Tunnelbau 2.1 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus 95 Dipl.-Ing. (FH), MBA, Dennis Edelhoff 2.2 Erkundung Tunnel Calw - Straßentunnel im Stadtgebiet Calw, Unterfahrung von Bestandsgebäuden und Bahnlinien auf zwei Ebenen 103 Dipl.-Geol. Peter Kordeuter, M. Sc. Andreas Jakobi 2.3 Felsstatische Berechnungen in drückendem Gebirge 111 Jörg-Martin Hohberg 2.4 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein 123 Prof. Dr.-Ing. habil. Jochen Fillibeck, M.Sc. Johannes Jessen 2.5 Planen unter speziellen artenschutztechnischen Randbedingungen 131 M.Sc. Aline Merkl, Dipl.-Ing (FH) Achilles Häring, Dr.-Ing Axel Möllmann 8 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 3 Bauerkundung 3.1 Empfehlungen und Empfehlungsarbeit des AK 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der DGGT 139 Dr. Ralf Plinninger, Dr.-Ing. Thomas Frühwirt, Thomas Mutschler 3.2 Schlitzwandtechnik mal anders genutzt - Herstellung von Schlitzen bis in 251 m Tiefe im Rahmen eines Erkundungs- und Proben-Sammlungsprogramms 143 Dipl. Ing. Franz-Werner Gerressen, Dipl. Ing. Stefan Schwank, M. Sc. Alexander Blatt 3.3 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung als innovative Alternative zu konventionellen Verfahren 151 Tobias Griessmair, Gerald Fuxjäger, Otto Leibniz, Roman Marte 4 Bauen im Grundwasser 4.1 Wasserdruckansätze für Uferspundwände von Kanälen bei schneller Wasserspiegelabsenkung 187 M.Sc. Helen Machacek, Dr.-Ing. Bernhard Odenwald 4.2 Abschätzung von Restwassermengen für einen Spundwandverbau in tiefen Baugruben im Frankfurter Baugrund 197 M.Eng. Christin Kübel, Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schmitt, Dr.-Ing. Heiko Huber 4.3 Entspannungsbrunnen zur Erhöhung der Standsicherheit von Wehrsohlen 211 Dipl.-Ing. Kerstin Ratz, Dr.-Ing. Bernhard Odenwald 4.4 Stand der Technik beim Bauen im Heilquellenschutzgebiet in Stuttgart 219 Dr. rer. nat. Annette Strasser, Dr.-Ing. Annette Lächler 4.5 Wasserdichte Baugruben für den Karoline-Luise-Tunnel in Karlsruhe 227 Dipl.-Ing. Sven Köthe, Dr.-Ing. Bertram Schulze 4.6 Der Stadionneubau SAP Garden in München - Ein geotechnisch spannendes Bauvorhaben im Olympiapark 239 Dipl.-Ing. Michael Kupka, Dr.-Ing. Thomas Rumpelt, Dr. rer. nat. Lisa Krienen 4.7 Langzeitabhängigkeit der Baugrundverformungen von Grundwasserentspannungen im Frankfurter Ton am Beispiel Projekt U5 247 Dr.-Ing. Heiko Huber, M.Sc. Henning von der Werth, Dipl.-Ing. Sven Kirchner 5 Messtechnik 5.1 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen 255 Jürg Ryser 5.2 DMT SAFEGUARD LIDAR - Echtzeitassistenz zur Gefahrenabwehr im Bergbau, Infrastrukturbereich und von Naturgefahren 263 M.Sc. Daniel Schröder 6 Erdbau 6.1 Filtern mit Geokunststoffen: Überprüfung der Anwendung der Filterregeln für Geokunststoffe im Erd- und Straßenbau 269 M.Sc. Moritz Schleeh, M.Sc. Jana Liebl, Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 9 6.2 Qualifizierte Bodenverbesserung / Bodenverfestigung - Einfluss des Ausgangsbodens und des verwendeten Bindemittels 279 Monika Schad 6.3 Stabilisierung von organischen, arsenbelasteten Erdstoffen zur bautechnischen Verwertung 283 Dr.-Ing. Olaf Düser 6.4 Lastaufteilung in Lastverteilungsschichten über Stabilisierungssäulen 287 M.Eng. Florian Spirkl, Prof. Dr.-Ing. Thomas Neidhart 7 Forschung/ Innovation 7.1 Entwicklung eines neuen Verfahrens für eine hohlraumfreie und dynamisch dauerhafte stabile Verfüllung von Bohrlöchern 301 Rainer Dallwig 7.2 Modellierung der gekoppelten thermischen und hydraulischen Transportprozesse in ZFSV-Bettungen bei erdverlegten Höchstspannungsleitungen 311 M. Eng. Louis Zrenner, Prof. Dr.-Ing. Thomas Neidhart 7.3 Resonanzfrequenzmessungen an Festgesteins- und Mörtelproben 323 Andreas Becker, Alexander Stegnos, Ronald Günther, Christos Vrettos 7.4 Untersuchungen zum Einfluss der Mikrowellenbestrahlung auf die Änderung der Festigkeitseigenschaften von unterschiedlichen Gesteinsarten 329 Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schmitt, Prof. Dr.-Ing. Ulrich Burbaum, M.Sc. Gabriel Lehmann, Dr. rer. nat. Heiko Käsling 8 Digitalisierung in der Geotechnik 8.1 Die Transformation vom klassischen 2D zum digitalen 3D Beratungs- und Planungsprozess in der Geotechnik 341 Dr.-Ing. Johannes Labenski, M.Sc. Friedemann Kötzel, Dipl.-Ing. Sebastian Schnell, Dr.-Ing Harald Vogel 8.2 Parametrisierung und Attribuierung von BIM-Fachmodellen für Aufgabenstellungen aus dem Bereich der Geotechnik und des Tunnelbaus 351 Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schmitt, M.Eng. Claudio Cortese, Dr. rer. nat. Joachim Michael, Dr.-Ing. Simon Meißner 8.3 Erfahrungen zur 3D-, 4D- und 5D-Ebene im Rahmen der praktischen Anwendung von BIM bei der Planung einer tiefen Baugrube 361 M. Eng. Janosch Sauerbrey, Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schmitt, Dr.-Ing. Hendrik Ramm 9 Gründung 9.1 Realisierung eines 84 m hohen Hochhauses auf einem S-Bahntunnel in Berlin Bauvorhaben 369 Dr.-Ing. Simon Meißner, Dr. rer. nat. Joachim Michael, M. Eng. Maximilian Kies 9.2 Anwendung von verschiedenen Bodenverbesserungstechniken beim Innerstädtischen Spezialtiefbau in Göteborg - Westlink Project 375 Robert Thurner, Sami U. Raja 9.3 Verdrängungsprozess geschraubter Pfähle: neueste Erkenntnisse 379 O. Bernecker, K. Kliesch, L. Schneider, C. Vogt-Breyer 10 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 10 Hangsicherung 10.1 Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage 389 Dipl.-Ing. Holger Jud, Dr. Martin Brodbeck 10.2 Mehrphasige messtechnische Überwachung eines Rutschhangs an der Benediktinerabtei Plankstetten / Oberpfalz 397 Dr. Ralf Plinninger, Klaus Keilig, Dr. Judith Festl, Dr. John Singer 10.3 Numerische Untersuchungen zur statischen Beurteilung von Baugrubenböschungen infolge Porenwasserdruck-Reaktionen auf Dilatanz 405 Denis Maier 10.4 Planung einer komplexen Hangsicherung mittels Böschungsvernagelung am Beispiel BAB A 70 in Thurnau 413 M.Sc. Hassan Alkayyal, M.Sc. Philipp Siebert Anhang Programmausschuss 423 Autorenverzeichnis 425 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 11 Weitere Informationen und Anmeldung unter www.tae.de/ go/ bauwesen Besuchen Sie unsere Seminare, Lehrgänge und Fachtagungen. Geotechnik Verkehrswegebau und Wasserbau Konstruktiver Ingenieurbau Bautenschutz und Bausanierung Umwelt- und Gesundheitsschutz Energieeffizienz Baubetrieb und Baurecht Facility Management Ein Großteil unserer Seminare wird unterstützt durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Profitieren Sie von der ESF-Fachkursförderung und sichern Sie sich bis zu 50 % Zuschuss auf Ihre Teilnahmegebühr. Alle Infos zur Förderfähigkeit unter www.tae.de/ foerdermoeglichkeiten Bauwesen, Energieeffizienz und Umwelt Bis zu 50 % Zuschuss möglich Plenarvorträge 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 15 (Geo-)Thermische Aktivierung von Abwasserkanälen und deren Einbettung in ein Wärme-Kälteverbundnetz - Konkrete Anwendung eines Quartieransatzes Till Kugler M.Sc. Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik (IGS), Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik (IGS), Deutschland Zusammenfassung Einen wichtigen Baustein der Wärmewende stellt der energetische Quartiersansatz dar, bei dem das Energieerzeugungssystem die im Quartier vorhandenen energetischen Ressourcen verwertet und verteilt. Das Projekt IWAES nutzt hierfür die ohnehin notwendige Infrastruktur der Siedlungswasserwirtschaft, um parallele Infrastrukturen zu vermeiden und Synergieeffekte zu heben. Das energetische Angebot eines Quartiers setzt sich aus den im Quartier vorhandenen erneuerbaren Ressourcen (Solarthermie, PV, Geothermie, Abwasserthermie, Abwärme) zusammen, welche effizient genutzt und transportiert werden müssen. Im Forschungsvorhaben IWAES wird als thermische Energiequelle und -senke primär die thermische Aktivierung des Abwassersystems vorgesehen, welches auch als thermische Infrastruktur genutzt wird. Die thermische Nutzung von Abwasserkanälen hat den Vorteil, dass das Temperaturniveau des Abwassers und des umgebenden Erdreichs sowie der Kanalluft sowohl zum Heizen als auch zum Kühlen verwendet werden kann. Der thermisch aktivierte Abwasserkanal besteht aus in der Regel an der Außenwandung angebrachten helixförmigen Absorberleitungen und kann durch einen Rinnenabsorber ergänzt werden. Optional zusätzliche oberhalb des Abwasserkanals installierte Transportleitungen ermöglichen einen thermischen Ausgleich zwischen Wärmeangebot und -nachfrage zwischen den einzelnen Nutzern im Quartier. Mit Hilfe dreidimensionaler hydro-thermisch gekoppelten Simulationen wird die Heiz- und Kühlleistung der Abwasserabsorber ermittelt. Ferner wurde untersucht, welche Material- und Betriebsparameter die Entzugsleistung des aktivierten Abwasserkanals maßgebend beeinflussen und inwiefern die Geometrie hinsichtlich Leistung und wirtschaftlichen, fertigungstechnischen sowie ökologischen Fragestellungen optimiert werden kann. 1. Einleitung Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im April 2021 verpflichtet die Bundesrepublik zur Überarbeitung des bisherigen Klimaschutzgesetzes, mit dem Ziel, bereits im Jahr 2045 treibhausneutral zu sein. Über 75 % der deutschen Bevölkerung lebt gegenwärtig in Städten. Im Jahr 2019 entfielen in Deutschland mehr als 35 % des gesamten Primärenergieverbrauchs (903 TWh) auf die eingesetzte Gebäudeenergie (21,7 Mio. Gebäude), wovon die Wärme- und Kälteversorgung mit 78,5 % den größten Anteil einnimmt. Nach dem Verkehrssektor bietet der Gebäudesektor demnach das zweitgrößte Treibhaus-Einsparpotential [1], eine massive Reduzierung der hier entstehenden Treibhausgase ist somit ein unabdingbarer Bestandteil der deutschen Strategie zur Energiewende. Das Forschungsvorhaben „Integrative Betrachtung einer nachhaltigen Wärmebewirtschaftung von Stadtquartieren im Stadtentwicklungsprozess“, kurz „IWAES“, setzt genau hier mit dem Ziel energetisch autarker Stadtquartiere an, bei denen Heiz- und Kühlenergie aus thermisch aktivierten Infrastruktureinrichtungen der Siedlungswasserwirtschaft gezogen und über Abwasserkanäle thermische Energie transportiert wird. Energieeffiziente Konzepte der Wärme- und Kälteversorgung besitzen das Ziel der energetischen Autarkie, i.e. dass die vor Ort benötigte Energie ebenfalls vor Ort produziert wird und keine externe Energielieferungen über die Quartiersgrenzen hinweg notwendig werden. Durch die räumliche Nähe zwischen Energieproduktion und Energieverbrauch ist ein Energietransport kaum oder nur im geringen Umfang notwendig, etwaige Leitungsverluste sind daher gering und erhöhen folglich die Energieeffizienz. Das Forschungsprojekt IWAES stellt hier die Abwasserkanäle in den Fokus, deren Verwendung einerseits als Energiequelle und -senke und andererseits als Transport- 16 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 (Geo-)Thermische Aktivierung von Abwasserkanälen und deren Einbettung in ein Wärme-Kälteverbundnetz system bietet in mehrfacher Hinsicht Synergieeffekte. Die thermische Energie kann mit geringen Transportverlusten zwischen Energieproduzent und -verbraucher transportiert werden; es ist hierbei unerheblich, ob es um Abwärme oder um eigens produzierte thermische Energie handelt. Die Abwasserthermie, als Teil der Geothermie, stellt regenerative und grundlastfähige thermische Energie bereit, welche sowohl zum Kühlen als auch zum Heizen eingesetzt werden kann. Das vom Institut für Geotechnik der Universität Stuttgart initiierte und geleitete Verbundforschungsvorhaben IWAES entwickelt hierzu einen thermisch entwickelten Hybridkanal, welcher thermische Energie transportieren und auf verschiedenen Laststufen generieren kann und wendet diese Entwicklung theoretisch auf das Rosensteinquartier in Stuttgart an. 2. Rosensteinquartier Als Untersuchungsgebiet wurde das Rosensteinquartier in Stuttgart gewählt. Es entsteht auf ehemaligen Gleisflächen, die durch den Bau des neuen Stuttgarter Tiefbahnhofes überflüssig werden. Das neue Wohnquartier soll nach Vorgaben der Stadt Stuttgart ein Energieplusquartier werden. Im Quartier soll mehr Energie erzeugt werden als verbraucht wird. Das geplante Quartier zeichnet sich durch eine hohe Verdichtung und dadurch bedingte erhöhte Abwasserabflusswerte aus. Der Untergrund besteht hauptsächlich aus Auffüllungen und nichtbindigen Böden, in denen nicht mit Grundwasser zu rechnen ist. Die direkte Lage des Quartiers in der Kernzone des Stuttgarter Heilquellenschutzgebiets verbietet die Verwendung von Glykol als Wärmeträgerfluid. Um Frostschäden an den Absorbern zu vermeiden, kann die Temperatur des Vorlaufes bei Verwendung reinen Wassers daher nicht unter 0°C gesenkt werden. 3. Thermischer Energiebedarf Der Siegerentwurfs des Büros asp Architekten bildete die Grundlage der Bearbeitung. Zuerst wurden alle städtebaulich relevanten Kennzahlen ermittelt, u.a. die zu erwartende Einwohnerzahl, die Grundfläche der Gebäude und die zu aus statischen Werten generierten möglichen Nutzungen samt der typischen Nutzungsgröße. Aus diesen Daten wurde durch Summation des thermischen Bedarfs ein Gebäudelastgang entwickelt. Der Gebäudelastgang berücksichtigt bereits einen gebäudeinternen thermischen Lastausgleich, d.h., sofern im Gebäude gleichzeitig ein Nutzer Heizbedarf und ein anderer Nutzer Kühlbedarf hat, wird die Abwärme des Kühlens zum Heizen verwendet. Der thermische Bedarf wurde auf Basis der Testreferenzjahre des Deutschen Wetterdienstes für das Jahr 2045 ermittelt. Erste Ergebnisse zeigen, dass der Kühlbedarf höher sein wird als der Heizbedarf. 4. Thermische Aktivierung Der Begriff ´Thermische Aktivierung´ beschreibt das Ausrüsten eines bautechnisch notwendigen Elements mit Absorberleitungen. Die Absorberleitungen sind Rohrleitungen aus Kupfer oder Kunststoff, die von einem Wärmeträgerfluid durchströmt werden. Das Wärmeträgerfluid ist, sofern es die wasserrechtlichen Bestimmungen zulassen, ein Wasser-Glykol Gemisch, welches den Vorteil bietet, dass auch mit Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes gearbeitet werden kann. Im als Modellquartier gewählten Rosensteinquartier ist bedingt durch die Lage im Heilquellenschutzgebiet die Verwendung von Glykol nicht zulässig. Das Funktionsschemata sieht vor, dass der erste Kreislauf mit den Absoberleitungen mit einer Wärmepumpe gekoppelt wird, die die Temperatur des Wärmeträgerfluides mittels elektrischer Kompressionsenergie dann auf das gewünschte Temperaturniveau hebt. Um der Forderung nach energetischer Autarkie des Quartiers gerecht zu werden, wurden alle im Quartier vorhandenen erneuerbaren thermischen Energiequellen untersucht. Im Fokus stand hier die thermische Aktivierung der Abwasserkanäle, da diese nicht nur als Energiequelle, sondern auch als Energietransportsystem fungieren. Die thermischen Restbedarfe werden anschließend mittels thermisch aktivierten Gründungselementen, Erdwärmesonden und Solarenergie gedeckt. Photovoltaische-thermische Kollektoren generieren hierbei aus der Solarenergie nicht nur thermische Energie, sondern auch elektrische Energie, welche zur thermischen Aufbereitung der thermischen Energie aller Absorbereinheiten mittels Wärmepumpe notwendig ist. Die thermische Aktivierung unterirdisch liegender statisch oder siedlungswassertechnisch notwendiger Infrastruktur bietet den Vorteil, dass keine zusätzlichen Ressourcen für den Bau geothermischer Anlagen (z.B. Erdwärmesonden, Erdkollektoren) verwendet werden müssen, da kein zusätzlicher baulicher Eingriff notwendig wird. Die thermische Aktivierung des Untergrunds wirkt auch der Bildung innerstädtischer Wärmeinseln entgegen. Bedingt durch Oberflächenversiegelung, fehlende Vegetation und Wärmeabstrahlung erhöht sich die Temperatur im urbanen Mikroklima signifikant, so werden in Stuttgart zwischen der Innenstadt und den Randzonen des Stadtkessels ca. 6 K Differenz gemessen [2]. Die oberflächliche Wärme speichert sich in den Untergrund ein, sodass auch hier ein Anstieg der Grundwassertemperatur zu verzeichnen und hiermit verbundene negative ökologische Auswirkungen verbunden sind [3]. Die Verwendung oberflächennaher geothermischer Systeme zum Heizen der Gebäude führt zum Abkühlen des Untergrunds und ist auch unter diesem Gesichtspunkt ökologisch positiv zu bewerten. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 17 (Geo-)Thermische Aktivierung von Abwasserkanälen und deren Einbettung in ein Wärme-Kälteverbundnetz 5. Hybridkanal Der ´Hybridkanal´ ist ein Abwasserkanalsegment, das zu einem die originäre Aufgabe des Abwassertransportes erfüllt, infolge der thermischen Aktivierung der Tunnelschale aber auch dem umgebenden Erdreich, der Kanalluft und dem Abwasser thermische Energie entziehen als auch zuführen kann. Ein Rinnenabsorber (gleichbedeutend zu den inneren Absorbern) zum gezielten Wärmeentzug aus dem Abwasser kann zusätzlich in das System integriert werden. Daneben kann der Hybridkanal mit zwei oder drei Leitungen ausgerüstet werden, mit denen thermische Energie auf unterschiedlichen Energiestufen durch das Quartier transportiert werden kann (Abb. 1). Abb. 1: Thermisch aktivierter Hybridkanal Unterschiedliche thermische Bedürfnisse der Nutzer erfordern unterschiedliche thermische Nutzungen des Hybridkanals. Meldet ein Nutzer einen Bedarf an thermischer Energie an, so wird eine Ablaufschemata gestartet. Als erstes wird überprüft, ob ein anderer Nutzer im Netz einen Überschuss an thermischer Energie abgeben will, wenn ja erfolgt ein Transport von thermischer Energie (Abb. 3). Ist jedoch kein Nutzer mit thermischem Überschuss im Netz vorhanden, wird die thermische Energie durch Aktivierung der außen liegenden Absorber gewonnen, da hier kurzzeitige Speicherkapazitäten bestehen (Abb. 2). Außenliegende Absorber können bei Kanälen ab einem Durchmesser von 300 mm appliziert werden. Für in das System optional integrierbare Rinnenabsorber muss ein Kanal hingegen einen Mindestdurchmesser von 800 mm haben, um im Reversionsfall von einer Person begangen werden zu können. Reicht die thermische Energie, die durch Aktivierung der äußerlichen Absorber generiert wird, nicht aus, werden zusätzlich die Rinnenabsorber (innenliegende Absorber) mit direktem Kontakt zum Abwasser aktiviert (Abb. 4). Die Absorber werden für den Wärmeentzug mit einem kalten Wärmeträgerfluid beaufschlagt, um durch das Abwasser bzw. umgebende Erdreich erwärmt zu werden; bei der Gebäudekühlung wird dem Kanal Kälte entzogen. Die so gewonnene Energie wird mittels einer Wärmepumpe auf ein verwertbares Niveau gehoben. Transportierte thermische Energie benötigt im besten Fall keine Anhebung der Temperatur mittels Wärmepumpe, folglich ist in diesem Fall kein zusätzlicher Aufwand für eine die Wärmepumpe notwendig. Abb. 2: Eintrag ins Erdreich Abb. 3: Transport thermischer Energie 18 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Abb. 4: Entzug der thermischen Energie aus dem Abwasser Zur optimalen Realisierung der Kanalquerschnitte werden die Hybridkanäle in ihrer geometrischen Anordnung und Rohrkonfiguration variiert. Kleine Absorber Rohrdurchmesser werden gewählt, wenn ein hoher Wärmeübergang zwischen Absorber und Umgebung gebraucht wird. Eine Reduzierung des Querschnittes erhöht die Strömungsgeschwindigkeit und den dimensionslosen Wärmeübergangskoeffizienten. Ein großer Durchmesser hingegen reduziert die Strömungsgeschwindigkeit und verringert so den Wärmeübergang [4]. Die dreidimensionale Ausgestaltung des Hybridkanals sieht ein aktiviertes Kanalstück aus Kunststoff vor. Im untersuchten Fall wird eine Länge von 6 Metern angenommen, andere Kanallängen sind jedoch denkbar. An der äußeren Oberfläche des Kanals ist die Absorberleitung in Form einer Helix angebracht, mit der Konsequenz, dass es pro Hybridkanalsegment einen Vor- und einen Rücklauf gibt. Die Koppelung mehrerer Kanalsegmente zu einem Element mit ebenfalls nur einem Vor- und Rücklauf ist möglich, erhöht jedoch die erforderliche Pumpenenergie. In Abb. 5 ist das Grundmodell des thermisch aktivierten Hybridkanals zu sehen, welcher sowohl Abwasser transportiert als auch über die äußerliche Absorberleitung dem umgebenen Boden, aber auch der Kanalluft und dem Abwasser thermische Energie entzieht. Abb. 5: Thermisch aktivierter Hybridkanal Die Anbindung der Vor- und Rücklaufleitung an den Hausanschluss erfolgt über Verbindungsleitungen. Im Hausanschluss wird die thermische Energie über einen Wärmetauscher an eine Wärmepumpe zur weiteren Verwendung aufbereitet (siehe Abs. 6). Bei der Verbindung der Hybridkanäle mit dem Hausanschluss kann die Anbindung der Hybridkanäle entweder in Parallelschaltung oder in Reihenschaltung erfolgen, d.h. entweder wird jedes Kanalsegment einzeln mit dem Hausanschluss mit jeweils eines Vor- und Rücklaufs verbunden oder es gibt eine Vorlaufleitung, aus der alle Hybridkanäle versorgt werden, und einen Rücklauf, der alle Rückläufe sammelt. Um hydraulische Druckverluste und folglich Leistungsabnahmen zu vermeiden, werden die Hybridkanäle bei der Reihenschaltung im Tichelmann-Prinzip verlegt, wodurch die Summe der Rohrlängen der Vor- und Rücklaufleitung bei jedem Hybridkanal gleich groß ist. Jedes Kanalsegment wird folglich von einem annährend gleichgroßen Volumenstrom durchströmt, da jedes Kanalsegment durch die gleichen Leitungslängen den gleichen Druckverlust infolge Rohrreibung aufweist (Abb. 6). In Abb. 6 wird der Hausanschluss als ´HUB´ bezeichnet. Die Parallelschaltung wurde im Projekt IWAES nicht verwendet, da bei ca. 475 zu erwartenden Hybridkanalsegmenten die Anzahl an Vor- und Rücklaufleitungen im Untergrund schwer Platz finden würde. Positiv bei der Verwendung der Parallelschaltung wäre hingegen, dass die Zulauf- und Rücklaufleitungen ebenfalls als thermischer Kollektor wirken würden. Abb. 6: „Tichelmann“ Anbindung der Hybridkanäle Der Zugang zu den innenliegenden Absorbern erfolgt über Abwasserschächte die räumlich direkt vor den Hausanschlüssen installiert werden (Abb. 7). In derselben Abbildung sind die oben liegenden Transportleitungen (blau, gelb, rot) zu erkennen, deren Verbindung mit dem Hausanschluss ebenfalls über denselben Abwasserschacht läuft. (Geo-)Thermische Aktivierung von Abwasserkanälen und deren Einbettung in ein Wärme-Kälteverbundnetz 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 19 Abb. 7: Anbindung der Transportleitungen und der innenliegenden Absorber. In Abb. 8 wird die zentrale Funktion des Abwassersschachtes deutlich, der das Verbindungsstück zwischen der Kanalisation, Absorbereinheiten, Transporteinheiten und dem Hausanschluss bildet. Abb. 8: Ansicht des Hybridkanalsystems 6. Verbundnetz 1. Ebene 2. Ebene 3. Ebene Abb. 9: Dreistufiger thermischer Quartiersansatz mit Integration des thermisch aktivierten Abwassernetzes, von links beginnend Block, Hubareal, Quartier. (WT: Wärmetauscher, WP: Wärmepumpe) Das Verbundnetz hat die Aufgaben, gleichzeitig als Absorber als auch als Transporteinheit zu fungieren. Der bereits erwähnte Grundgedanke ist es, thermische Bedarfe und thermische Überschüsse auf Quartiersebene miteinander zum Ausgleich zu bringen, sodass eine zusätzliche Energieerzeugung überflüssig wird. Hierfür muss das Transportnetz zur Aufnahme und Abgabe von thermischer Energie unterschiedlichen Niveaus fähig sein. Würde ein Nutzer eines Wärmenetzes nur mit einer Vor- und einer Rücklaufleitung thermische Energie auf einem hohen Niveau aus dem Netz ziehen und verwerten, sodass dieser Nutzer die Temperatur auf einem mittleren Niveau wieder einspeisen möchte, stellt sich die Frage, ob dieser Rücklauf der warmen Vorlauf- oder der kalten Rücklaufleitung zugeführt werden soll, beides würde die nutzbare Exergie entweder zum Kühlen oder zum Heizen reduzieren. Um diese Reduktion der Exergie zu verringern, wurde in Analogie zur Elektrotechnik ein dritter Leiter als Neutralleiter hinzugefügt, in welchen thermische Energie auf mittlerem Temperaturniveau eingeleitet wird und bei Bedarf entnommen wird. (Geo-)Thermische Aktivierung von Abwasserkanälen und deren Einbettung in ein Wärme-Kälteverbundnetz 20 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 In den Hausanschlüssen wird die thermische Energie, die aus innenliegenden und außenliegenden Absorbern gewonnen oder durch die Transportleitungen verschoben wurde aufbereitet, i.e. die thermische Energie wird über Wärmetauscher der Wärmepumpe zugeführt und auf die gewünschte Temperatur gehoben. Wärmepumpen besitzen immer einen Kompressor und einen Verdampfer, ersterer erhöht die Temperatur letzterer senkt diese ab. Sowohl am Kompressor als auch am Verdampfer sind Wärmetauscher angebracht, welche die „Kälte“ als auch „Wärme“ entweder an das Gebäude selbst oder ans Netz abgeben. Sofern die Temperatur bereits auf verwertbaren Temperaturniveau ist kann durch einen hydraulischen Bypass die Wärme direkt verwertet werden. Des Weiteren ist in einem Hausanschluss auch ein PCM Speicher installiert, welcher thermische Leistungsspitzen abfedern und den thermischen Bedarf vom thermischen Angebot entkoppeln soll. Da es absehbar ist, dass das energetische Potential der Abwasserkanäle nicht zur Deckung der Energiebedarfe ausreicht, können weitere im Quartier befindliche Energiequellen in Betracht gezogen werden, u.a. eine thermische Aktivierung der Gebäudegründungen, Erdwärmesonden als auch Solarthermie. Die Einbindung und thermischer Aufbereitung dieser weiteren Energiequellen erfolgt ebenfalls im Hausanschluss. Wenn jeder einzelne Nutzer einen voll ausgestatteten Hausanschluss samt modifizierten Abwasserschacht benötigt, ist dies ökologisch als auch ökonomisch ungünstig. Die Effizienz thermischer Anlagen nimmt mit der installierten Leistung zu, weshalb die Bündelung thermischer Bedarfe angestrebt werden sollte. 7. Mehrstufiges Konzept Das mehrstufige Konzept orientiert sich an der Bebauung des jeweiligen Quartiers. Im Forschungsprojekt IWAES wurde exemplarisch der städtebauliche Entwurf von asp-Architekten für das Rosensteinquartuer als Grundlage herangezogen. Der Entwurf sieht eine Unterteilung des Quartiers in mehrere Hubareale vor. Die Hubareale setzen sich wiederum aus mehreren Gebäudeblöcken zusammen (Abb. 9). Hubs sind Gebäude, die städtebaulich kennzeichnend für ein Areal sein sollen, konkret handelt es sich hier um eine öffentlich zugängige Einrichtung (z.B. Bibliothek etc.). In diesen Hubs sollen gemäß städtebaulichem Entwurf auch die notwendigen Technikzentralen untergebracht sein. Im Rahmen von IWAES wurde in diesen Hub auch ein modifizierter Hausanschluss, inklusive PCM-Speicher untergebracht. Zur Bündelung der thermischen Energiebedarfe der Nutzer wurde ein mehrstufiges thermisches Konzept entwickelt, bei dem nicht jeder Nutzer singulär thermisch versorgt wird, sondern im Verbund. Das Konzept umfasst in IWAES drei Ebenen der thermischen Bilanzierung: • Erste Ebene: Gebäudeblock • Zweite Ebene: Hubareal • Dritte Ebene: Gesamtes Quartier Jede Ebene besitzt ein eigenes Verbundnetz, in dem die jeweils niedrigere Ebene als Nutzer auftritt. In der ersten Ebene wird innerhalb des Gebäudeblocks ein Ausgleich zwischen den einzelnen Nutzern angestrebt, wird dieser jedoch verfehlt, wird die notwendige thermische Restenergie dem Hubnetz entnommen. Der Gebäudeblock ist über einen Hausanschluss mit dem Hubnetz verbunden. Ist im Hubnetz ebenfalls kein thermisches Gleichgewicht zwischen den Blöcken möglich, wird die thermische Energie aus dem Quartiersnetz gezogen (dritte Ebene). Ist in der dritten Ebene ebenfalls kein Ausgleich möglich, wird die thermische Energie aus den Hybridkanälen gewonnen und sofern diese Absorber ebenfalls nicht ausreichen, werden zusätzlich noch die thermisch aktivierten Gründungselemente, Erdwärmesonden und Solarthermie Einheiten aktiviert. 8. Numerische Untersuchungen Zur Ermittlung der thermischen Leistungsfähigkeit der Hybridkanäle wurden numerische zweidimensionale und dreidimensionale Berechnungen mittels der Simulationssoftware COMSOL durchgeführt, dass hier verwendete Modell ist in Abb. 10 dargestellt. Abb. 10: Dreidimensionales numerisches Modell (Legende Temperatur in °C) Die einwirkenden atmosphärischen Einflüsse wurden mittels der stündlich aufgelösten Testreferenzjahre des Jahres 2045 des Deutschen Wetterdienstes abgebildet. Die thermischen Einflüsse aus Abwassertemperatur wurden aus stündlichen Temperaturmessungen am Hauptklärwerk Stuttgart-Mühlhausen gebildet. Aus dem städtebaulichen Entwurf wurde von einem Pro- (Geo-)Thermische Aktivierung von Abwasserkanälen und deren Einbettung in ein Wärme-Kälteverbundnetz 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 21 jektpartner die siedlungswassertechnische Planung für das Rosensteinquartier entworfen. Der Entwurf gibt für jeden Kanalabschnitt den Durchmesser, Länge und die durchschnittlich zu erwartende Abwasserströmungsgeschwindigkeit an, die dann in der numerischen Simulation als Strömungsgeschwindigkeit angenommen wurde. Geothermische Anlagen werden üblicherweise leicht turbulent durchströmt, da dies das energetische Optimum zwischen eingesetzten Pumpenstroms und extrahierter Wärmeenergie darstellt [7]. Für die Daten der Kanalluft wurden in IWAES gesonderte Untersuchungen durchgeführt, deren Ergebnisse in die numerischen Untersuchungen flossen, siehe Kap. 8 Als Bodenkontinuum wurden ein für das Rosensteinquartier typisches nichtbindige Bodenmaterial ohne Grundwasserströmung aber gesättigt angenommen. Der aufgetragene Lastgang wurde im Rahmen des Projektes für einen typischen Gebäudeblock entwickelt. Für den Lastgang wurde wie bei der Untersuchung der Leistungsfähigkeit von Geothermieanlagen üblich, eine Arbeitszahl von 3,5 angenommen anstelle des für die KfW als untere Mindestgrenze angegebenen Wertes von 4,3, wodurch eine konservative Bemessung des Hybridkanals gewährleistet wird. Als minimale Vorlauftemperatur wurde ein Wert von 2°C und als maximale Vorlauftemperatur ein Wert von 35°C angenommen. Der obere Grenzwert ergibt sich nach [8] als die maximale Zulauftemperatur zu den Abwasserkanälen. Die minimale Temperatur von 2°C ergibt sich aus der Vorgabe des Heilquellenschutzes, kein Glykol als Frostschutz verwenden zu dürfen und der Verwendung von Rohrbündelwärmetauschern. Bei der numerischen Berechnung wurde der Lastgang durch die Anzahl an Hybridkanälen geteilt, die für die Bewältigung des Lastgangs notwendig sind. Als maßgebender Parameter wurde die Vorlauftemperatur des Hybridkanals gewählt, die die 35°C-Schranke nicht über- und die 2°C Schranke nicht unterschreitet. In Abb. 11 ist die Vorlauftemperatur eines Hybridkanals aufgezeigt, der hierbei aufgebrachte Lastgang wurde durch 70 dividiert, i.e. 70 Hybridkanalsegmente sind notwendig um den Lastgang abarbeiten zu können. Abb. 11: Numerische Untersuchung eines DN800 Hybridkanals Die Leistung des Hybridkanals wurde mittels der folgenden Gleichung ermittelt und durch die Anzahl an Jahresvolllaststunden dividiert (Heizlaststunden: 1240 h, Kühllaststunden: 357 h). Werden die Leistungen auf die innere Oberfläche bezogen, ergeben sich die in Tab. 1 und 2 gegebenen Werte. Tab. 1: Wärmeentzugsleistung bei 1240 Vollaststunden Kanaldurchmesser innere Oberfläche gesamtes Netz [mm] [W/ m²] [kW] 300 143 281 400 129 37 800 117 159 Tab. 2: Wärmeeintragsleistung bei 357 Vollaststunden Kanaldurchmesser innere Oberfläche gesamtes Netz [mm] [W/ m²] [kW] 300 830 1633 400 709 203 800 641 871 Insgesamt können alle Hybridkanäle allein durch die äußerlich angebrachten Absorber eine durchschnittliche, jährliche Leistung von 477 kW und eine Kühlleistung von 2700 kW erbringen. Bei der Kühlleistung muss be- (Geo-)Thermische Aktivierung von Abwasserkanälen und deren Einbettung in ein Wärme-Kälteverbundnetz 22 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 rücksichtigt werden, dass Temperaturen bis 35°C zugelassen werden, was eine Kühlung mittels Wärmepumpe zwingend nötig macht. Eine abschließende Validierung des numerischen Modells steht mangels Messdaten noch aus und soll in der Verstetigungs- und Umsetzungsphase des IWAES Projektes erfolgen. 9. Untersuchungen zur Kanalluftströmung Untersuchungen bei thermisch aktivierten Tunnelbauwerken belegten einen signifikanten Einfluss der Tunnelluft auf die mögliche Wärmeextraktion [5], [6]. Um die thermische Leistungsfähigkeit der Hybridkanäle zu ermitteln, ist es daher wichtig, Temperatur und die Strömung der Kanalluft zu kennen. Der Forschungsstand zur Kanalluft beinhaltetet keine genauen Messungen der Temperatur und Strömungsgeschwindigkeit im Bezug zur Abwassertemperatur, weshalb im Frühjahr 2021 Untersuchungen zu diesem Sachverhalt an der Universität Stuttgart durchgeführt wurden. Hierfür wurden unterschiedliche Kanaldurchmesser und Gefälle messtechnisch ausgerüstet und untersucht (Abb. 12). Bedingt durch eventuelle Faulgase in der Kanalisation musste eine explosionsgesicherte Messkonstruktion entwickelt werden, sodass anstatt eines Hitzedrahtanemometers zur Messung der Kanalluftgeschwindigkeit ein Windrad verwendet wurde, welches eine Messschwelle von ca. 0,2 m/ s besitzt. In Abb. 13 ist die Messung aller relevanten Temperaturen des Kanals 66 (Durchmesser 700 mm) aufgezeigt, es zeigt sich, dass die Temperatur der Kanalluft konstant und weitestgehend unabhängig von der Oberflächentemperatur ist, aber auch nicht direkt abhängig von der Abwassertemperatur ist. Dieser Zusammenhang ist nur durch die thermische Beeinflussung des Erdreichs zu erklären. In Abb. 14 ist zu erkennen, dass es im Kanal 66 eine Kanalluftströmung gibt und diese unabhängig von der Abwasserströmungsrichtung sein kann. Abb. 15 zeigt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Kanallufttemperatur und Abwassertemperatur gibt; je größer der Durchmesser des Abwasserkanals ist desto eindeutiger ist der Zusammenhang zwischen Kanallufttemperatur und der Temperatur des Abwassers. Abb. 16 zeigt, dass insbesondere für große Kanaldurchmesser ein Zusammenhang zwischen Kanallufttemperatur und Außentemperatur besteht. Zusammenfassend wird deutlich, dass je größer der Kanaldurchmesser ist, desto eher ist die Kanallufttemperatur in Interaktion mit der Außentemperatur; ein Grund könnten die erhöhten Strömungsgeschwindigkeiten des Abwassers sein, welche den Wärmeübergang zwischen Kanalluft und Außentemperatur und Kanalluft und Abwasser erhöhen. Größere Kanaldurchmesser kommen bei größeren Abflusswerten zum Einsatz, welche zumeist eine größere Abflussgeschwindigkeiten aufweisen. Abb. 12: Schematische Darstellung des Messkonzeptes Abb. 13: Messungen der relevanten Temperaturen (Geo-)Thermische Aktivierung von Abwasserkanälen und deren Einbettung in ein Wärme-Kälteverbundnetz 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 23 Abb. 14: Messungen der Kanalluftgeschwindigkeit Abb. 15: Kanallufttemperatur über Abwassertemperatur Abb. 16: Kanallufttemperatur über Außentemperatur 10. Fazit Der im Forschungsprojekt IWAES entwickelte Ansatz des mehrstufigen thermischen Verbundsystems auf Basis thermisch aktivierter Hybridkanäle stellt ein zukunftsfähiges Instrument der Wärmewende im innerstädtischen Kontext dar. Besonders hinsichtlich der immer wichtiger werdenden Kühlung von Gebäuden kann das Konzept einen wesentlichen Beitrag leisten. In das Konzept können einfach weitere regenerative Energiequellen eingebunden werden. 11. Danksagung Das Forschungsprojekt IWAES wird vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Forschungsoffensive „Ressourceneffiziente Standquartiere für die Zukunft“ (RESZ) gefördert. Literatur [1] Deutsche Energie Agentur GmbH 2021 [2] Baumüller, J., Hoffmann, U., Reuter, U. (2012): Städtebauliche Klimafibel, Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg [3] Griebler, C., Kellermann, C., Stumpp, C.,Hegler, F., Kuntz, D., Walker-Hertkorn, S. (2015): Auswirkungen thermischer Veränderungen infolge der Nutzung oberflächennaher Geothermie auf die Beschaffenheit des Grundwassers und seiner Lebensgemeinschaften - Empfehlungen für eine umweltverträgliche Nutzung. 2015 [4] von Böckh, W. (2015): Wärmeübertragung, Springer Vieweg [5] Buhmann. P. (2019): Energetisches Potential geschlossener Tunnelgeothermiesysteme. Institut für Geotechnik. Mitteilungendes Instituts für Geotechnik der Universität Stuttgart, Heft 73, 2019 [6] Schneider, M. (2013): Zur energetischen Nutzung von Tunnelbauwerken - Messungen und numerische Berechnungen am Beispiel Fasanenhof, Institut für Geotechnik. Mitteilungen des Instituts für Geotechnik der Universität Stuttgart, Heft 68, 2013 [7] VDI 4620 Blatt 2, Thermische Nutzung des Untergrunds - Erdgekoppelte Wärmepumpenanlagen, 2019 [8] Satzung der Landeshauptstadt Stuttgart über die öffentliche Abwasserbeseitigung (Abwasserbeseitigungssatzung - Abws), Amtsblatt der Landeshauptstadt Stuttgart Nr. 51/ 52, 2019 (Geo-)Thermische Aktivierung von Abwasserkanälen und deren Einbettung in ein Wärme-Kälteverbundnetz 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 25 Digitalisierung in der Geotechnik - Status Quo und aktuelle Entwicklungen Dr.-Ing. Dipl. Wirtsch.-Ing. Jörg Bauer Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Zusammenfassung Mit der verpflichtenden Anwendung der Methode des Building Information Modeling (BIM) ab spätestens 2025 für Infrastrukturprojekte von öffentlichen Auftraggebern im Verantwortungsbereich des BMVI stellen sich vielfältige Herausforderungen an die Geotechnik. Die bisher überwiegend analog ablaufenden Prozesse wie die Erstellung von geotechnischen Schnitten, die Angabe von geotechnischen Eigenschaften und Kennwerten sowie die Interaktion zwischen Projektbeteiligten sind dazu in digitale Prozesse zu überführen. Voraussetzung hierfür ist die Erstellung eines Fachmodells Baugrund, welches zusammen mit dem Geotechnischen Bericht abzugeben ist und mit anderen Fachmodellen wie bspw. der Bauwerke in Interaktion tritt. Diese neue Arbeitsweise erfordert die Erarbeitung einheitlicher Definitionen, Vorgehensweisen und Zuständigkeiten, ohne eine wesentliche Veränderung der bisherigen rechtlichen Randbedingungen herbeizuführen. Der vorliegende Beitrag beschreibt den aktuellen Stand der Erfahrungen mit dem Fachmodell Baugrund sowie aktuelle Aktivitäten zu Empfehlungen und Standardisierungen für die Anwendung von BIM in der Geotechnik. 1. Einleitung Gemäß dem Stufenplan Digitales Planen und Bauen [1], eingeführt im Jahr 2015 durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), müssen zukünftig alle neuen Infrastrukturprojekte von öffentlichen Auftraggebern im Verantwortungsbereich des BMVI mit der BIM-Methode durchgeführt werden. Der zunächst in [1] anvisierte verpflichtende Zeitpunkt für die flächendeckende Anwendung von BIM als Regelprozess Anfang 2021 wurde zwischenzeitlich auf spätestens 2025 festgesetzt. Die Zeit bis 2025 soll zum weiteren Aufbau der für BIM erforderlichen Kompetenzen und Kapazitäten sowie zur Implementierung der Methode dienen [2], [3]. Unter BIM wird im Allgemeinen eine Arbeitsmethode verstanden, bei der in einem Gesamtmodell eines Bauwerks oder Infrastrukturprojekts alle relevanten Informationen erfasst, verwaltet und zwischen den Projektbeteiligten ausgetauscht werden. Das Gesamtmodell ergibt sich dabei aus der Gesamtheit aller einzelnen, gewerkspezifischen Fachmodelle, die je nach Zuständigkeit von den Projektbeteiligten erstellt werden. So liefert bspw. der Vermesser sein Fachmodell mit dem Digitalen Geländemodell (DGM), der Geotechniker das Fachmodell Baugrund und der Planer ein Fachmodell mit seinen Planungsinhalten. Die Interaktion dieser einzelnen Fachmodelle findet im Gesamtmodell statt. Anzuwenden ist BIM für den gesamten Lebenzyklus eines Bauprojekts. Dies umfasst die Planung und Ausführung genauso wie den Betrieb von Bauwerken. Derzeit liegt der Fokus der ersten Anwendungsversuche von BIM nahezu ausschließlich beim Planungs- und Herstellungsprozess von Bauprojekten [4]. Darüber hinaus wird auch für den Betrieb von Anlagen die Anwendung von BIM einen erheblichen Mehrwert aufweisen, bspw. bei der strukturierten Speicherung und Zurverfügungstellung von Informationen von Inspektionsergebnissen und Sanierungsmaßnahmen. Dabei unterscheiden sich jedoch teilweise die Anforderungen an die Betriebsphase gegenüber jenen der Planungs- und Herstellungsphase. Die Herausarbeitung dieser Anforderungen müssen zukünftig auch für das Fachmodell Baugrund noch verstärkt angegangen werden. Mit der Implementierung von BIM ergeben sich für alle Projektbeteiligten, auf Auftraggeberwie Auftragnehmerseite, viele Fragestellungen, die oftmals anhand von Erfahrungen mit konkreten Baurojekten herausgearbeitet werden können. Dazu wurden unmittelbar nach Veröffentlichung des Stufenplan Digitales Planen und Bauen [1] Pilotprojekte im Verkehrswasserbau, Eisenbahnbau und Straßenbau ausgewählt - zumeist Bauprojekte, die unabhängig von BIM bereits große technische Herausforderungen darstellen. Die anfänglich überschaubare Anzahl an BIM-Projekten hat sich durch die Erprobung der Methode an vielen kleineren Bauprojekten zwischenzeitlich potenziert. Mit dem Ziel, die Aktivitäten, Erkenntnisse und Erfahrungen zum Einsatz von BIM zusammenzuführen, wurde 2020 vom BMVI und BMI die Arbeitsgruppe BIM Deutschland gegründet, die neben der Informationsbündelung u. a. auch Standardisierungen vorantreiben soll. 26 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Digitalisierung in der Geotechnik - Status Quo und aktuelle Entwicklungen 2. Das Fachmodell Baugrund 2.1 Allgemeines Die folgenden Beschreibungen in diesem Abschnitt sind den ersten drei Empfehlungen des Arbeitskreises Digitalisierung in der Geotechnik der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik (DGGT), [5], [6] und [7], entnommen, in dem der Autor Mitglied ist. Diese Empfehlungen formulieren Zielvorstellungen von BIM in der Geotechnik und spiegeln nur zum Teil die derzeit gelebte Praxis wider (Abschnitt 3). Viele Voraussetzungen zur konsequenten Umsetzung von BIM in der Geotechnik müssen zunächst noch geschaffen werden (Abschnitt 4), wofür die genannten Empfehlungen einen Weg aufzeigen sollen. 2.2 Einordnung und Definitionen Das Fachmodell Baugrund basiert auf dem Geotechnischen Bericht und enthält defintionsgemäß sämtliche Informationen, die den Baugrund beschreiben. Dies sind zum einen geometrische Informationen, wie bspw. die Mächtigkeiten der Baugrundschichten, und zum anderen semantische beschreibende, nicht geometrische Informationen, wie bspw. die Bodenarten und geotechnische Kenngrößen. Zusammen mit anderen gewerkspezifischen Fachmodellen erfolgt eine Vernetzung des Fachmodells Baugrund im gewerkübergreifenden Gesamtmodell (Abb. 1). Abb. 1: Einbettung des Fachmodells Baugrund im Gesamtmodell aus [5] Mit Fertigstellung des geotechnischen Berichts sollte sich das Fachmodell Baugrund mindestens aus den folgenden Sub-Fachmodellen zusammensetzen: • Sub-Fachmodell der Aufschlüsse, • Sub-Fachmodell der Baugrundschichten, • Sub-Fachmodell der Homogenbereichsschichten (nach VOB, Teil C), • Sub-Fachmodell der Grundwasserschichten und -körper. Der Begriff Sub-Fachmodell wird dabei in Abgrenzung zum Begriff Teilmodell für einen datentechnischen Ausschnitt verwendet. Im Gegensatz dazu beschreibt das Teilmodell einen geometrischen Ausschnitt, bspw. einen Bauabschnitt, der mit der gesamten Datenbank des Projekts verknüpft ist. Darüber hinaus kann das Fachmodell Baugrund eine Vielzahl weiterer Sub-Fachmodelle und Fachdaten aufweisen wie bspw. geophysikalische Daten, Altlasten, Kampfmittel, Informationen aus anderen Projekten oder Informationen aus der Bauausführung. Weiterführende Erläuterungen zu den Fachdaten des Fachmodells Baugrund enthält [5]. Abb. 2 zeigt die geometrischen Informationen in einem Fachmodell Baugrund mit dem DGM und einem Bauwerk sowie den Sub-Fachmodellen der Aufschlüsse und der Baugrundschichten. Abb. 2: Fachmodell Baugrund mit DGM und Bauwerk sowie den Sub-Fachmodellen der Aufschlüsse und der Baugrundschichten (Screenshot aus Leapfrog Works) aus [8] Datentechnisch besteht das Fachmodell Baugrund im Wesentlichen aus Fachobjekten und Eigenschaften. Eigenschaften, auch als Merkmale bezeichnet, sind die semantischen Informationen im Fachmodell wie bspw. die Ergebnisse der Bodenansprache der Bohrungen, Schichtinformationen und die Eigenschaften und Kennwerte gemäß VOB/ C. Eigenschaften werden oftmals nach thematischer Zusammengehörigkeit gruppiert [5]. Fachobjekte bilden thematisch einen fachplanungsspezifischen Aspekt ab, z. B. alle Eigenschaften des Aufschlusses 1, des Aufschlusses 2 etc. Fachobjekte bestehen neben den Eigenschaften, also beschreibenden Informationen, auch aus geometrischen Informationen. So bildet ein Aufschluss, eine Baugrundschicht, eine Homogenbereichsschicht oder eine Grundwasserschicht jeweils ein Fachobjekt. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 27 Digitalisierung in der Geotechnik - Status Quo und aktuelle Entwicklungen 2.3 Hinweise zur datentechnischen Struktur des Fachmodells Baugrund Alle Informationen im Fachmodell Baugrund bedürfen einer strukturierten Speicherung in Form von Datenbanken. Grundlage für eine Datenbank ist ein Datenmodell mit einer standardisierten datentechnischen Struktur, die die Beziehungen zwischen den zu speichernden Daten abbilden kann. Eine Speicherung der Daten als Freitext ist nicht zielführend, da Freitexte für eine weiterführende Anwendung mit Algorithmen nur schwer interpretiert werden können. Soll bspw. eine automatisierte Massenermittlung mit dem Fachmodell Baugrund erfolgen, ist neben dem zu bewegenden Volumen aus dem geometrischen Modell die Dichte des Baugrunds erforderlich. Diese Dichte muss dem Fachmodell Baugrund in Form einer Eigenschaft (bspw. Feuchtdichte ρ = 1,9 g/ cm³) zugeführt werden. Dazu sind u. a. der Begriff “Feuchtdichte”, das Symbol “ ρ ” , die Einheit “g/ cm³” sowie der Typ der Angabe, hier ein Einzelwert oder ein Wertepaar (Minimal- und Maximalwert, ggf. noch getrennt für vor und nach dem Lösen), zu standardisieren. Eine Angabe dieser Informationen frei nach der Entscheidung eines einzelnen Projektbearbeiters mit Freitext ist nicht zielführend. Dem Projektbearbeiter obliegt lediglich die Aufgabe festzustellen, ob der Wert der Feuchtdichte für den spezifische Baugrundschicht sinnvoll ist, um ihn in dem Fall mittels einer Untersuchung festzustellen und im Modell anzugeben. Diesen Vorgang der Angabe von Eigenschaften bezeichnet man als Attribuierung. Aufgrund der sehr großen Komplexität von geotechnischen Informationen sind auch ebenso komplexe Datenmodelle erforderlich. Einige geotechnische Besonderheiten im Vergleich zu anderen Gewerken sind bspw.: • Der “Baustoff” Baugrund tritt in unendlicher Variationsvielfalt auf und bedarf einer Beschreibung auf Grundlage einer Vielzahl von Vorschriften (Normen, Regelwerke, Empfehlungen etc.). Die Möglichkeiten der Variation von Eigenschaften und Kennwerten zur Beschreibung von Baugrund sind ebenfalls nahezu unendlich. • Oftmals erfolgt die Beschreibung in Kombination mehrerer Vorschriften, die zudem auch unterschiedlichen Normengenerationen angehören können. So bspw. bei der Beschreibung von Homogenbereichen: Die Norm der VOB/ C verweist hierfür auf spezifische Vorschriften zur Beschreibung des Baugrundes. Jedoch kann die Baugrunduntersuchung schon längere Zeit zurückliegen. Während die angewendete Ausgabe der VOB/ C aktuell ist, wurde die bereits angewendete spezifische Vorschrift ggf. schon durch eine neuere Ausgabe der Vorschrift ersetzt. • Je nach Verwendungszweck der Information sind für den gleichen Baugrund unterschiedliche Werte erforderlich. Bspw. ist die undränierte Kohäsion auf der sicheren Seite liegend für eine Standsi-cherheitsberechnung in einer andere Größe (und Bandbreite) maßgebend, als für den Homogenbereich Bohrarbeiten. • Kennwerte für die Baugrund-Bauwerk-Interaktion wie die Angabe eines Steifemoduls haben nur für eine bestimmte Kombination von Geometrien Gültigkeit, nämlich einer bestimmten Bauwerkabmessung in einem bestimmten Bereich einer bestimmten Baugrundschicht. Datenmodelle, die in der Geotechnik Anwendung finden können, müssen diesen und weiteren Besonderheiten Rechnung tragen. Ein Vorschlag, wie ein praktikables Datenmodell in der Geotechnik aufgebaut sein könnte, findet sich in [5]. 2.4 Entwicklungsstufen Wie alle Fachmodelle wird das Fachmodell Baugrund über den gesamten Lebenszyklus des Projekts fortgeschrieben. So existieren im Lebenszyklus des Fachmodells mehrere Entwicklungsstufen, die jeweils Vertragsbestandteil bei der Vergabe einer nächsten Planungsphase bis hin zur Ausführung und dem Betrieb sind. Innerhalb der jeweiligen Planungsphase wird das Fachmodell Baugrund durch Integration von neu generierten Fachdaten weiterentwickelt. In [6] sind folgende Entwicklungsstufen definiert: • Fachmodell in der Stufe Vorplanung: • Es enthält nur rudimentäre Informationen zu Baugrundschichten, z. B. für eine Variantenuntersuchung für Trassierungen oder zur Planung der geotechnischen Aufschlusskampagne. • Fachmodell in der Stufe Entwurfsplanung und Genehmigungsplanung: • Diese enthalten alle notwendigen Informationen aus dem Geotechnischen Bericht und ggf. dem Geotechnischen Entwurfsbericht. • Fachmodell in der Stufe Ausführungsplanung und Werksplanung: • Diese enthalten Informationen aus der Fortschreibung des Geotechnischen Entwurfsberichts infolge der fortgeschrittenen Planung, z. B. aus zusätzlichen Baugrunduntersuchungen und Probeversuchen. Das finale Ergebnis ist ein Modell, das der Bauausführung übergeben wird. • Fachmodell in der Stufe Fertigstellung: Es enthält ergänzende, bei der Ausführung gewonnene Informationen, z. B. Anpassungen von Schichtverläufen nach Eingriffen in den Baugrund, u. a. infolge eines Informationsgewinns durch Baumaschinen (Herstelldaten), und Informationen aus der Bauüberwachung. Das finale Ergebnis ist das As-Built Modell, das dem Betrieb übergeben wird 28 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Digitalisierung in der Geotechnik - Status Quo und aktuelle Entwicklungen • Fachmodell in der Stufe Betrieb: • Es enthält Ergänzungen der Baugrundverhältnisse, die zum Zeitpunkt des Modells in der Stufe Fertigstellung nicht bekannt waren, z. B. Änderung der Grundwasserverhältnisse. Die Reihenfolge der Aufzählung der Entwicklungsstufen stellt einen Regelfall mit einer linearen Entwicklung des Fachmodells Baugrund dar, kann aber je nach Eigenheiten des spezifischen Projekts oder der Vertragsgestaltung zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber von dieser Abfolge abweichen. Die Beschreibung der Entwicklung eines Fachmodells mit Berücksichtigung des zunehmenden Informationsgehalts erfolgt mit der Informationsbedarfstiefe, dem Level of Information Need (LOIN) [9]. Die Entwicklungsstufe und das LOIN sind demnach gleichbedeutend. Dabei ist auch eine Zuordnung bzw. Korrelation des LOIN zu den Projektphasen und zu den Leistungsphasen der HOAI möglich, die in [6] aufgezeigt ist. Die ebenfalls bei BIM für Hochbau und Infrastrukturbau gebräuchlichen Level of Geometry (LOG) und Level of Information (LOI) können in der Geotechnik nicht sinnvoll angewendet werden. Eine Begründung findet sich in [6]. 2.5 Attribuierung und LOIN Der Großteil der Eigenschaften im Fachmodell Baugrund ergeben sich aus dem Geotechnischen Bericht bzw. Geotechnischen Entwurfsbericht gemäß DIN 4020. Darüber hinaus werden Eigenschaften u. a. bei der Ausführung oder beim Betrieb des Bauwerks gewonnen, bspw. Ergebnisse von Langzeitmessungen oder langfristige Änderungen der Grundwasserverhältnisse. Eine Definition der Mindestanforderung an die Attribuirung in Abhängigkeit der Entwicklungsstufen bzw. des LOIN des Fachmodells Baugrund befindet sich in [6]. Ein darüber hinausgehender projektspezifischer Informationsbedarf wird in den Auftraggeberinformationsanforderungen (AIA) (Abschnitt 2.7) festgelegt. Um die Anforderung einer konsistenten Erfassung, Verwaltung und Austauschfähigkeit aller Fachdaten innerhalb des Lebenszyklus gemäß BIM erfüllen zu können, ist eine projektübergreifende, allgemeingültige Definition aller Fachobjekte und Eigenschaften essenziell. Für diesen Akt einer weitgehenden Standardisierung müssen noch die Voraussetzungen geschaffen werden. Projektspezifische, lokale Lösungen für die Attribuierung führen zu Insellösungen und sind nicht im Sinne von BIM. Der derzeitige Arbeitsstand zu diesen Standardisierungen ist in Abschnitt 5 beschrieben. Die umfangreichen datentechnischen Anforderungen an die Entwicklung standardisierter Fachobjekte und Eigenschaften sind in [5] und [6] beschrieben. Als eine der vielen Anforderungen sei an dieser Stelle lediglich die zwingende Trennung von Eigenschaftsnamen und Eigenschaftswerten erwähnt. Während die Eigenschaftsnamen vom Auftraggeber in den AIA festgelegt werden und vom Auftragnehmer im BIM-Abwicklungsplan (BAP) (Abschnitt 2.7) angepasst werden können, sind die Eigenschaftswerte stets vom spezialisierten Auftragnehmer, z. B. dem Sachverständigen für Geotechnik, festzustellen und dem Modell hinzuzufügen. 2.6 Anwendungsfälle Anwendungsfälle beschreiben, zu welchem konkreten Zweck BIM-Modelle im Projekt genutzt werden, z. B. für Standsicherheitsberechungen, Massenermittlungen oder Kosten- und Terminplanungen. Sie stellen einen fachlichen Informationsprozess dar und werden i. d. R. direkt im Gesamtmodell oder indirekt mit dem Gesamtmodell, z. B. nach Ableitung von Schnitten, durchgeführt. Somit lässt sich die gesamte Projektarbeit und somit jede Projektleistung in Anwendungsfälle partitionieren, die sich durch die Anforderungen und Aufgaben der Projektbeteiligten an die Projektarbeit ergeben. Festgelegt werden die Anwendungsfälle vom Auftraggeber in den AIA. Die Durchführung bestimmter Anwendungsfälle setzt einen bestimmten Informationsgehalt und damit bestimmte Entwicklungsstufen des Fachmodells Baugrund voraus. Eine Zuordnung des Informationsbedarfs, der Entwicklungsstufen und der Anwendungsfälle hat [6] zum Inhalt. Vom BMVI wurden in [10] und [11] 20 Anwendungsfälle für Projekte im Infrastrukturwesen definiert, die Grundlage für die Ableitung von Anwendungsfällen für das Fachmodell Baugrund in [7] waren. Diese sind in Tab. 1 zusammengestellt, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Eine genaue Beschreibung dieser einzelnen Anwendungsfälle enthält [7]. Von der Zusammenstellung in Tab. 1 abzugrenzen sind Anwendungsfälle, für die das Fachmodell Baugrund nicht die unmittelbare Basis darstellt, sondern die das Fachmodell Baugrund lediglich nutzen. Dies ist insbesondere ab der Projektphase der Ausschreibung des Bauprojekts der Fall, bei der die wesentliche Grundlage die Fachmodelle des Hoch-,Infrastruktur- oder Ingenieurbaus (einschließlich Bau-werke des Spezialtiefbaus) darstellen. Ausführung zu diesen Anwendungsfällen finden sich ebenfalls in [7]. Ebenso wie die Entwicklung standardisierter Fachobjekte und Eigenschaften für das Fachmodell Baugrund bedarf es einer projektübergreifenden Standardisierung der Anwendungsfälle. Die für das konkrete Bauprojekt erforderlichen Anwendungsfälle werden dann aus dieser projektübergreifenden Standardisierung ausgewählt und vom Auftraggeber mit den AIA eingefordert. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 29 Digitalisierung in der Geotechnik - Status Quo und aktuelle Entwicklungen Tab. 1: Anwendungsfälle des Fachmodells Baugrund mit Nutzung weiterer Fachmodelle Anwendungsfall Weitere erforderliche Fachdaten im Gesamtmodell * Bestandserfassung ggf. Bestandsbauwerke, Altlasten etc. Planungsvariantenuntersuchung Bestandsbauwerke, Bauwerke oder Trasse etc. Koordination Bestandsbauwerke, Bauwerke des Spezialtiefbaus etc. Fachliche Beurteilung Bestandsbauwerke, Bauwerke des Spezialtiefbaus etc. Bemessung und Nachweisführung Bauwerke oder Trasse, ggf. weitere Gewerke Grundwasserhaltung Bauwerke oder Trasse, ggf. weitere Gewerke Ableitung geologischer Schnitte Bestandsbauwerke, Bauwerke oder Trasse, ggf. weitere Gewerke Mengenermittlungen Bauwerke oder Trasse, ggf. weitere Gewerke Kostenschätzung und Kostenberechnung Bauwerke oder Trasse, ggf. weitere Gewerke * Eine Vernetzung mit dem Fachmodell DGM wird grundsätzlich vorausgesetzt 2.7 Auftraggeberinformationsanforderungen (AIA) und BIM-Abwicklungsplan (BAP) Die AIA sind das Dokument, in dem der Auftraggeber die für ihn relevanten Ziele und vor allem die Anforderungen zu Workflows beim Datenfluss, bei der Modellierung, Qualitätssicherung und Kollaborationen definiert. Die AIA geben somit die Rahmenstruktur für die allgemeine spezifische Projektabwicklung mit BIM vor und sind Vertragsbestandteil zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer (Abb. 3). Abb. 3: Aspekte von Auftraggeberinformationsanforderungen aus [12] U. a. werden in den AIA für das konkrete Bauprojekt folgenden Inhalte definiert: • Welche BIM-Ziele sollen erreicht werden? • Welche Anwendungsfälle sind durchzuführen? • In welcher Entwicklungsstufe bzw. in welchen LO- INs der Modelle erfolgt die Durchführung der Anwendungsfälle? • Die Art und Weise der Durchführung aller Prozesse der Informationsverarbeitung inklusive der Vorgabe der einzusetzenden Methoden (u. a. Vorgabe der datentechnischen Struktur der Modelle). • Die erforderlichen Eingangsinformationen inklusive deren Bezugsquellen in einer detaillierten Beschreibung (u. a. Vorgabe der Eigenschaftsnamen für die Attribuierung der Modelle). • Die Zuständigkeiten innerhalb der Workflows. • Die Anforderungen an die Qualität für alle Liefergegenstände (Modelle mit den daraus abgeleiteten Ergebnissen) im BIM-Prozess. Die detaillierten Vorgaben der Liefergestände in den AIA sind erforderlich, um u. a. die Prüfung der BIM-Modelle mit wiederverwendbaren Prüfverfahren zu ermöglichen [12]. Dazu bedarf es einer weitgehenden projektübergreifenden Standardisierung der Prozesse - nur so kann BIM konsequent umgesetzt werden. Entsprechend fordert [12] die Erarbeitung von AIA-Vorlagen, aus denen die projektspezifischen AIA abzuleiten sind. Diese AIA- Vorlagen enthalten gemäß [12] u. a.: • einheitliche Definitionen der Fachmodelle, • einheitliche Klassifikationssysteme für Fachobjekte der Fachmodelle, damit eine eindeutige Begriffs- und Funktionsbeschreibung möglich wird, • einheitliche Definitionen für die Eigenschaften bzw. Merkmale der Fachobjekte. Dies führt in [12] zu Handlungsvorschlägen zur Erarbeitung von Standardisierungen u. a. in Merkmalsdatenbanken, AIA-Datenbanken und Objektvorlagen. Während - vereinfacht zusammengefasst - in den AIA das “Was” vom Auftraggeber definiert wird, wird im 30 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Digitalisierung in der Geotechnik - Status Quo und aktuelle Entwicklungen BAP vom Auftragnehmer das “Wie” angegeben. Der Auftragnehmer beschreibt im BAP demnach, wie die Anforderungen der AIA von ihm umgesetzt werden sollen. Der BAP wird während des Projekts, u. a. bspw. bedingt durch zunehmende Erfahrungen und neuen Technologien, sukzessive angepasst und kann Vertragsbestandteil werden. Bestandteile des BAP sind u. a.: • personelle Zuweisung von Rollen im Projekt, • Schnittstellen der verschiedenen Akteure wie organisatorische Strukturen und Verantwortlichkeiten, • die zu verwendenden Technologien wie Softwareapplikationen, • die Realisierung der Datenübergabe inklusive der Liefertermine von Liefergegenständen, • Angaben zur Qualitätssicherung. 3. Aktueller Stand zur Umsetzung von BIM in der Geotechnik Alle anfänglich vom BMVI ausgewählten BIM-Pilotprojekte unmittelbar nach Veröffentlichung des Stufenplans Digitales Planen und Bauen [1] haben gemeinsam, dass dem Baugrund nur eine untergeordnete Bedeutung zukam. Inwiefern bei neueren BIM-Projekten der Baugr- und eine weitreichendere Beachtung findet, ist schwer überschaubar. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass eine konsequente Erprobung von BIM in der Geotechnik von der Modellierung des Fachmodells Baugrund durch den Sachverständigen für Geotechnik über die Planung bis zur Ausführung bisher noch keine Anwendung fand. Dem Arbeitskreis Digitalisierung in der Geotechnik der DGGT sind bislang keine solcher Projekte bekannt. Derzeit beschränken sich BIM-Projekte in der Geotechnik zumeist auf die dreidimensionale Darstellung des Baugrundes ggf. inklusive Berücksichtigung des Grundwassers. Weit verbreitete Anwendungen dafür finden bspw. die Softwareapplikationen Leapfrog Works von Seequent sowie Civil 3D und Revit, jeweils von Autodesk. Nach Import der (direkten und indirekten) Baugrundaufschlüsse mit den zu maßgeblichen Schichten zusammengefassten Aufschlussbereichen wird eine automatisierte Interpolation der Baugrundschichten durchgeführt. Dabei bieten die verschiedenen Softwareapplikationen unterschiedliche Interpolationsalgorithmen an. In den meisten Fällen wird eine händische Nachbearbeitung dieser Schichtgrenzen erfolgen müssen, bevor die Baugrundschicht als Volumen zwischen zwei Schichtgrenzen bzw. dem Oberflächenmodell erzeugt wird. Eine Übersicht und Bewertung unterschiedlicher Softwareapplikationen enthält [8]. Abb. 4 bis Abb. 9 zeigen die Herangehensweise der Modellierung der Baugrund-, Homogenbereichs- und Grundwasserschichten mit der Softwareapplikationen Leapfrog Works. Im Einzelnen sind dies: • Erfassung der Erkundungsbohrungen mit den angesprochenen Aufschlussbereichen inklusive der Boden- und Felsansprache und Erfassung der indirekten Aufschlüsse wie bspw. Drucksondierungen (CPTs) inkl. der Ergebnisse des Spitzenwiderstands, der Mantelreibung und des Reibungsindexes (Abb. 4). Diese Angaben sind für die Interpolation der Baugrundschichten jedoch nicht zwingend erforderlich. • Zusammenfassung der Aufschlussbereiche und der ähnlichen Bereiche aus den CPTs zu den Bereichen der Baugrundschichten (Abb. 5). • Modellierung der Baugrundschichten als Volumenelemente aus den zusammengefassten Bereichen der Aufschlüsse und der CPTs nach Abb. 5 (Abb. 6 und Abb. 7). Die Modellierung erfolgt zunächst automatisiert, muss aber in der Regel nachbearbeitet werden. • Zusammenfassung von Baugrundschichten zu Schichten der Homogenbereiche (Abb. 8). • Festlegung einer Grundwasserschicht (Abb. 9). Abb. 4: Erkundungsbohrungen mit den Aufschlussbereichen und Spitzenwiderstand der CPTs. BK 6 bspw. mit den Ergebnissen der Boden- und Felsansprache (Screenshot aus Leapfrog Works) Abb. 5: Zu Schichten zusammengefasste Bereiche aus den Aufschlüssen und der CPTs (Screenshot aus Leapfrog Works) 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 31 Digitalisierung in der Geotechnik - Status Quo und aktuelle Entwicklungen Abb. 6: Volumen der Baugrundschichten abgleitet aus den Informationen nach Abb. 5 (Screenshot aus Leapfrog Works) Abb. 7: Schnitt durch Abb. 6 (Screenshot aus Leapfrog Works) Abb. 8: Schichten der Homogenbereiche aus der Zusammenfassung von Baugrundschichten nach Abb. 6 (Screenshot aus Leapfrog Works) Abb. 9: Grundwasserschicht (blau) (Screenshot aus Leapfrog Works) Jederzeit während oder nach der abgeschlossenen Modellierung kann aus der Softwareapplikation Leapfrog Works ein geologischer Schnitt abgeleitet werden. Ein Beispiel eines Schnittes quer zur Längsachse der Baugrundschichten zeigt Abb. 10. Dabei sind viele Möglichkeiten der Darstellungsweise gegeben. Zudem kann eingestellt werden, bis zu welchem Abstand von einer Schnittachse die Aufschlüsse (z. B. als Bohrsäule) im Schnitt mit dargestellt werden sollen. Dies führt dann dazu, dass die Schichteinteilung an den projizierten Aufschlüssen ggf. von der im Schnitt Schichteinteilung abweicht. Abb. 10: Geologischer Schnitt durch den Baugrund (abgeleitet aus Leapfrog Works) Nach der geometrischen Modellierung des Baugrundes - die derzeit bereits praktikabel möglich und auch belastbar ist - sind dem Modell die semantischen Informationen hinzuzufügen (Attribuierung). Derzeit ist allen auf dem Markt verbreiteten Softwareapplikationen gemeinsam, dass eine Attribuierung der Fachobjekte entweder nicht oder nur in Form von Freitexten möglich ist. Die Ergebnisse der Attribuierung bspw. mit der Softwareapplikation Leapfrog Works zeigen Abb. 11 bis Abb. 13. Dabei kann die Attribuierung mit dem Anlegen einer Tabelle in Form eines Kommentarfeldes zu den Volumen der Baugrundschichten (Abb. 11), Homogenbereichsschichten (Abb. 12) und der Grundwasserschicht (Abb. 13) erfolgen. Die händisch zugeführten Informationen werden allen softwareintern erzeugten “Einzelvolumen” in einer Schicht zugeordnet. Angezeigt werden die Attribute nach dem Anwählen eines beliebigen Volumenelementes in den Schichten. 32 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Digitalisierung in der Geotechnik - Status Quo und aktuelle Entwicklungen Abb. 11: Baugrundschicht mit einem Ausschnitt attribuierter Informationen (nachbearbeiteter Screenshot aus Leapfrog Works) Abb. 12: Homogenbereichsschicht mit einem Ausschnitt attribuierter Informationen (nachbearbeiteter Screenshot aus Leapfrog Works) Abb. 13: Grundwasserschicht mit einem Ausschnitt attribuierter Informationen (nachbearbeiteter Screenshot aus Leapfrog Works) Mit dieser Vorgehensweise der Attribuierung mit Freitexten wird eine grundlegende Voraussetzung für BIM jedoch nicht erfüllt, nämlich die Verwendung von projektübergreifend standardisierten Begriffen zur computerinterpretierbaren, automatisierten Weiterverarbeitung der Daten (vgl. Abschnitte 2.3 und 2.5). Der Export der geometrischen und semantischen Informationen kann in nativen Datenformaten oder im Datenformat IFC erfolgen. Da eine grundlegende Voraussetzung von BIM jedoch die Entkoppelung von bestimmten Softwareapplikationen ist, sollte für den Datenaustausch das offene Datenformate IFC genutzt werden [13], [14]. Mit IFC (Industry Foundation Classes) wurde im Rahmen der internationalen non-profit-Organisation buildingS- MART ein Datenformat erschaffen, welches mit seinem definierten Datenmodell den Datenaustausch zwischen verschiedenen Softwareapplikationen ermöglichen soll. Die Befüllung des Datenmodells mit Fachobjekten und Eigenschaften wird dabei ehrenamtlich in internationalen und nationalen Fach- und Projektgruppen erarbeitet. Die Geotechnik fand hierbei bisher nur rudimentäre Betrachtung (Abschnitt 5), weshalb derzeit kaum auf vordefinierte Eigenschaften bei der Baugrundmodellierung zurückgegriffen werden kann. Neben den vordefinierten Eigenschaften können aber auch freie Eigenschaften in dem vorgegebenen Datenschema (Datentyp, Einheit etc.) übergeben werden. Dieses Datenschema wird jedoch von vielen Softwareapplikationen aktuell nicht vollumfänglich unterstützt, wodurch die Datenübergabe letztlich nur mit Freitext möglich ist. Während aktuell die Übergabe von geometrischen Informationen zwischen unterschiedlichen Softwareapplikationen mit IFC praktikabel möglich ist, machen die semantischen Informationen immer wieder Probleme. Zwar können die Informationen zumeist problemlos in IFC exportiert, jedoch oftmals nicht verlustfrei importiert werden. Zudem bieten manche marktverbreitete Softwareapplikationen wie Leapfrog Works derzeit noch keine Import-Möglichkeit von IFC-Dateien an. Lösungen für diese Schwierigkeiten sind derzeit nicht unmittelbar absehbar. Neben zu erwartenden Weiterentwicklungen bei IFC und den Softwareapplikationen können die semantischen Informationen alternativ mit externen, von IFC unabhängigen Datenbanken übergeben werden. Solche Datenbanken stellen aber derzeit noch projektspezifische Einzellösungen für Projektbearbeiter mit hoher Affinität für Datenbanken und IT-Lösungen dar. Auch hinsichtlich der Notwendigkeit von projektübergreifenden, standardisierten Fachobjekten und Eigenschaften sowie weitgehend standardisierten AIAs für das Fachmodell Baugrund sind derzeit keine verbreiteten Lösungen vorhanden. Zu ersten Ansätzen für solche Entwicklungen siehe Abschnitt 5. Aktuell muss festgestellt werden, dass von Auftraggebern geotechnischer BIM-Projekte AIAs und Vorgaben hinsichtlich der Attribuierung in sehr unterschiedlichem Umfang und in unterschiedlicher Qualität vertraglich vereinbart werden. Nicht selten wird u. a. die Erarbeitung von Vorschlägen für die Attribuierung und der datentechnischen Struktur des Fachmodells dem Auftragnehmer aufgebürdet, was den Zielen der Standardisierung im BIM-Kontext zuwiderläuft. Weiterführend zu den genannten Schwierigkeiten sind auch viele weitere Fragestellungen bei der Modellierung des Fachmodells Baugrund noch ungelöst. Oftmals ist dies auf die derzeit noch eingeschränkten technischen Möglichkeiten zurückzuführen; teilweise betrifft es auch grundsätzliche Fragestellungen. U. a. sind dies folgende Aspekte: • Ein dreidimensionales Abbild des Baugrundes suggeriert an jeder Stelle des Baugrundes eine Genauigkeit, die bei Dritten zu Fehlinterpretationen führen kann. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 33 Digitalisierung in der Geotechnik - Status Quo und aktuelle Entwicklungen Diese Fragen werden - auch im Zusammenhang mit Haftungsfragen für den Sachverständigen für Geotechnik - aktuell stark diskutiert. • Die Attribuierung im Fachmodell Baugrund ist aktuell nicht nur im BIM-Workflow schwer weiterverwendbar, sondern kann auch zu Widersprüchen zum Geotechnischen Bericht führen. Dies sollte projektspezifisch vom Sachverständigen für Geotechnik geprüft werden. Der Geotechnische Be richt ist und bleibt weiterhin der maßgebende vertragliche Gegenstand. Auch, da sich im Fachmodell Baugrund derzeit viele Angaben aus dem Geotechnischen Bericht nicht mit der notwendigen Qualität erfassen und zudem nicht mit der gewohnten Prägnanz hervorheben lassen [6]. • Das Grundwasser kann zurzeit zumeist nur als Schicht modelliert werden. Die Modellierung von Grundwasserkörpern wird aktuell oftmals zu Schwierigkeiten führen, ebenso die Modellierung von gespanntem Grundwasser. Eine Fragestellung ist bspw., ob in der über dem gespannten Grundwasser liegenden Baugrundschicht mit geringer Wasserdurchlässigkeit ebenfalls Grundwasser modelliert wird. Erfolgt dies, wird ein ungespannter Grundwasserleiter suggeriert. Wird die geringdurchlässige Baugrundschicht trocken modelliert, kann dies zu einer Nichtbeachtung bspw. von Kluft- oder Porenwasserleitern und damit zu Problemen bei der Baumaßnahme führen. Auch zeitlich und räumlich veränderlichen Porenwasserdruckverteilungen können momentan noch nicht angemessen berücksichtigt werden. • Eine Zuordnung der Kenngrößen der Bauwerk-Baugrund-Interaktion zu definierten Bauteilen in klar abgegrenzten Bereichen des Baugrundes ist bisher mit den auf dem Markt verbreiteten Softwareapplikationen nur über Umwege möglich. So müssen Objekte mit festgelegter und unveränderbarer Geometrie zur Repräsentation der Bauwerke modelliert werden, denen diese Kenngrößen, wie bspw. das Steifemodul, zuzuordnen sind [6]. • Bei Berücksichtigung der normativen Vorgaben von Abständen und Tiefen von Untersuchungspunkten gemäß DIN EN 1997-2: 2010-12 [15] und DIN 4020: 2010-10 [16] wird sich in den meisten Fällen auch ein gutes dreidimensionales Abbild des Baugrundes modellieren lassen. Jedoch sehen sich Geotechniker immer wieder der Schwierigkeit gegenübergestellt, auf Untersuchungspunkte zugunsten einer Kostenersparnis verzichten zu müssen. Diese - auch bisher schon bestehende - Problemstellung verschärft sich durch den Zwang, beim Fachmodell Baugrund einen umliegenden, für einen Betrachter des Modells unmittelbar ersichtlichen Randbereich zu modellieren. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, die Abstände von Untersuchungspunkten im Bereich der Untergrenze gemäß [15] zu wählen. Der Auftraggeber muss entsprechend für ein belastbares Fachmodell Baugrund bereit sein, die Kosten für notwendige Untersuchungspunkte zu übernehmen. • Nach Abgabe des Fachmodells Baugrund ist es für Dritte ein Leichtes, aus diesem Modell Schnitte z. B. für statische oder hydraulische Berechnungen abzuleiten, während dessen bisher der Sachverständige für Geotechnik mit der Erzeugung von Schnitten oftmals zwangsläufig beauftragt werden musste. Es muss daher ein klarer Workflow mit eindeutigen Zuständigkeiten vereinbart werden, sodass der Sachverständige für Geotechnik über seine Angaben die Hoheit behält. Das Fachmodell Baugrund darf von Dritten ohne seine Kenntnisnahme, Zustimmung und ggf. fachlichen Begleitung nicht verändert oder für weiterführende Betrachtungen genutzt werden. Diese und weitere Fragestellungen stehen auf der Agenda des Arbeitskreises Digitalisierung in der Geotechnik der DGGT zur Erarbeitung von Empfehlungen (Abschnitt 5). 4. Weitere Aktivitäten bei der Digitalisierung in der Geotechnik Die Digitalisierung in der Geotechnik umfasst nicht nur die Überführung der bewährten Arbeitsweise der Geotechnik in digitale Workflows gemäß den Anforderungen aus BIM, sondern auch in ihren Ursprüngen davon losgelöste Aktivitäten. Doch auch diese Aktivitäten können zukünftig Bausteine bei BIM darstellen. Einige dieser Aktivitäten sind: • Spätestens mit Verabschiedung des Geologiedatengesetzes (GeolDG) [17] im Juni 2020 ist die Zurverfügungstellung von geologischen Daten an die zuständigen Landesämter verpflichtend. Gleichzeitig muss eine öffentliche Bereitstellung dieser geologischen Daten erfolgen. Wenngleich die Umsetzung dieses Gesetzes noch einige Schwierigkeiten bereitet, die Digitalisierung der Daten bspw. als Bild für die Erfüllung des Gesetzes ausreichend ist und deren Zurverfügungstellung nicht zwingend digital erfolgen muss (aber zunehmend erfolgen wird), liefert das Gesetz einen wichtigen Anstoß für ggf. verbesserte Datengrundlagen bei geotechnischen Projekten. Die Verfügbarkeit und Verwendung von Altaufschlüssen werden erheblich vereinfacht. Es muss jedoch beachtet werden, dass Altaufschlüsse in der Regel Projektaufschlüsse nur ergänzen und nur in den seltensten Fällen ersetzen können. Dies ist vom Sachverständigen für Geotechnik im Einzelfall zu prüfen. • U. a. um der Verpflichung des E-Government-Gesetzes (EGovG) [18] von 2013 nachzukommen, wurde von der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) der geotechnischen Begriffskatalog und das Datenbankschema GeoValML entwickelt [19]. Mit GeoValML können nahezu beliebige geotechnische Versuchsdaten gespeichert und langfristig verwaltet 34 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Digitalisierung in der Geotechnik - Status Quo und aktuelle Entwicklungen werden. Die Speicherung erfolgt auf Grundlage einer Standardisierung der Begriffe, Datentypen, Einheiten etc. basierend auf geotechnische Normen und Vorschriften. Damit wird eine automatisierte Weiterverarbeitung der Daten ermöglicht - so wie es auch im BIM-Kontext gefordert wird (Abschnitt 2.5). Entsprechend können die erarbeiteten Standardisierungen auch als Vorlage für die Attribuierung des Fachmodells Baugrund genutzt werden. Derzeit erfolgt eine Migration des Altdatenbestandes der BAW in GeoValML, die sich auf Laborversuchsergebnisse in Verknüpfung mit den Probekörpern, den Aufschlussstellen und den Projekten beschränkt. Eine Erweiterung auf weitere geotechnische Daten wie bspw. den Eigenschaften und Kenngrößen von Homogenbereichen ist möglich. Weiterhin kann die GeoVal-Datenbank mittels Schnittstellen von anderen Datenbanken genutzt werden. Die Nutzung der Daten durch Dritte erfolgt über eine Webapplikation (https: / / baugrund-daten.baw.de). GeoValML wird permanent weiterentwickelt. • Bislang werden bei Spezialtiefbaumaßnahmen die mittels Baumaschinen gewonnenen Daten nur unzureichend nutzbringend weiterverarbeitet. Auch bei der Kommunikation zwischen Baumaschinen und verschiedenen Messdatenerfassungen werden die möglichen Potentiale kaum genutzt. Gründe dafür sind u. a. fehlende Standards und uneinheitliche Schnittstellen. Mit der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Machines in Construction 4.0 (Arge mic4.0) durch die Spitzenverbände Bauindustrie und VDMA sollen Lösungen erarbeitet werden. Ziel ist die Entwicklung eines Standards für Maschinenzustandsdaten und Prozessdaten aus dem Herstellverfahren für eine einheitliche, herstellerübergreifende, maschinenunabhängige und rechtssichere digitale Kommunikation rund um den Bauprozess [20]. • Eine Voraussetzung für die Nutzung von bei Baumaßnahmen gewonnenen Daten ist zunächst das Erfassen dieser Daten von den einzelnen Baumaschinen, die Analyse, Normalisierung, Verknüpfung und Verwaltung dieser Daten in einer gemeinsamen Datenbank und deren Zurverfügungstellung je nach Erfordernis der Weiterverarbeitung. Dienstleistungen dieser Art werden bereits angeboten, siehe bspw. [21]. • Für Auftraggeber, Planer und Geotechniker werden die bei Spezialtiefbaumaßnahmen gewonnenen Daten vor allem interessant, wenn damit Rückschlüsse auf die Baugrundverhältnisse möglich sind. Die so bei Eingriffen in den Baugrund generierten Informationen können im Fachmodell Baugrund bspw. für Anpassungen von Schichtverläufen verwendet werden und eine Fortschreibung des Modells für eine verbesserte Planung nachfolgender Baumaßnahmen ermöglichen. Erste Ansätze für solche Nutzungen von Baustellendaten sind bereits in der Entwicklung. 5. Notwendige Voraussetzung für BIM in der Geotechnik und aktuelle Aktivitäten 5.1 Überblick zu notwendigen Voraussetzungen Die Modellierung des Baugrundes stellt in einem Planungsprozess einer der ersten Schritte dar. Dennoch fand eine Berücksichtigung des Baugrundes bei den bisherigen Anwendungen der BIM-Methode nur in Ausnahmefällen und wenn, dann zumeist nur auf vergleichsweise niedrigem Niveau statt. Dies liegt zum einen an der oftmals großen Komplexität der Workflows zur Ableitung von geotechnischen Modelle, die zudem auch nur von einem vergleichsweise kleinen Kreis von Experten beherrscht wird, und zum anderen an den wenig ausgereiften technischen Voraussetzungen für die Umsetzung (vgl. Abschnitt 3). Die Voraussetzungen für eine konsequente Umsetzung von BIM bei geotechnischen Projekten müssen noch für viele Aspekte erarbeitet werden. Die größten Herausforderungen liegen dabei in einer notwendigen Weiterentwicklung von Softwareapplikationen zur Modellierung des Fachmodells Baugrund und insbesondere in noch im erheblichen Umfang zu tätigenden Standardisierungen. Im Gegensatz zu anderen Aspekten beim Infrastrukturbau stellt sich bei der Geotechnik die Besonderheit dar, dass das Fachmodell Baugrund unabhängig vom Infrastrukturträger und unabhängig vom Bauvorhaben eine gleiche Vorgehensweise der Modellierung aufweist. Entsprechend sollten auch die Standardisierungen verkehrsträgerübergreifend erfolgen. Konkret umfassen diese notwendigen Standardisierungen die Auftraggeberinformationsanforderungen (AIA) (Abschnitt 2.7) sowie als Teil dieser AIA eine projektübergreifende, allgemeingültige Definition aller Fachobjekte und Eigenschaften in Abhängigkeit der Entwicklungsstufen des Fachmodells Baugrund (Abschnitt 2.5). Diese Menge an vorhandenen Standardisierungen wird dann im konkreten Bauprojekt je nach Erfordernis in einer Auswahl mit den AIA vertraglich vereinbart. Die Erarbeitung der notwendigen Standardisierungen stellt jedoch keinen einmaligen Akt dar. Zwar ist eine initiale Initiative erforderlich, die in einem ersten Schritt einen großen Anteil der Standardisierungen vornimmt, doch muss für weiterführende Standardisierungen eine dauerhaft operierende Organisation geschaffen werden. Hinweise dazu gibt DIN EN ISO 23386: 2020-11 [22]. Immer wieder neu erscheinende Vorschriften, zunehmende Erfahrungen mit BIM-Projekten und neue technische Entwicklungen erfordern kontinuierliche Fortschreibungen. Alle Standardisierungen müssen nach Auffassung des Arbeitskreises Digitalisierung in der Geotechnik der DGGT von Geotechnikern mit Unterstützung von Datenbankexperten erfolgen [6]. Die allgemeingültigen De- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 35 Digitalisierung in der Geotechnik - Status Quo und aktuelle Entwicklungen fintionen der geotechnischen Fachobjekte und Eigenschaften mit ihren vielfältigen Verknüpfungen erfordern ein für diese Daten passendes Datenmodell, dass der Komplexität der Daten gerecht wird (Abschnitt 2.3). Ob bereits vorhandene Datenmodelle diesen Anforderungen gerecht werden können, ist kritisch zu prüfen. Abb. 14 gibt einen Überblick, welche Standardisierungen aus deutscher Sicht für das Fachmodell Baugrund mindestens erforderlich sind [6]. Da dabei viele nationale Eigenheiten zu berücksichtigen sind (Homogenbereiche, traditionell gewachsene Verfahren mit eigenen Begriffen etc.) wird man nur eingeschränkt auf international vorhandene Standardisierungen zurückgreifen können. Abb. 14: Erforderliche Standardisierungen für das Fachmodell Baugrund gemäß [6] Zudem stellt sich bei der Erarbeitung von Standardisierungen die Herausforderung, dass teilweise Widersprüche zwischen den Normen und Vorschriften hinsichtlich von Bezeichnungen und Einheiten derselben Sachverhalte vorliegen. Demzufolge wäre auch eine Vereinheitlichung dieser Abweichungen in den deutschen Normen und Vorschriften wünschenswert. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick gegeben werden, welche Aktivitäten derzeit hinsichtlich der Erarbeitung von Empfehlungen für BIM in der Geotechnik, für die Schaffung von Voraussetzungen für Standardisierungen und konkret zu Standardisierungen in der Geotechnik stattfinden. Dieser Überblick hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, auch da sich alle aktuell vorhandenen Aktivitäten nur schwer überschauen lassen. 5.2 Aktuelle Aktivitäten Hinsichtlich der Erarbeitung von Empfehlungen für die Geotechnik sind insbesondere die Arbeitskreise BIM im Spezialtiefbau der Bundesfachabteilung Spezialtiefbau im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, BIM im Untertagebau des Deutschen Ausschuss für unterirdisches Bauen (DAUB) und der bereits mehrfach erwähnte Arbeitskreis Digitalisierung in der Geotechnik der DGGT aktiv. Alle diese Arbeitskreise weisen bereits mehrere Veröffentlichungen auf, bspw. [5], [23], [24]. Zudem sind die Zuständigkeitsbereiche zwischen diesen Arbeitskreisen weitgehend abgestimmt und es findet ein regelmäßiger Austausch statt. Die Arbeit in diesen Arbeitskreisen erfolgt ehrenamtlich. Wo derzeit Initiativen für Standardisierungen von Fachobjekten und Eigenschaften in der Geotechnik stattfinden, ist nicht vollumfänglich überschaubar. Der Geotechnik angenommen hat sich u. a. die Fachgruppe Verkehrswege von buildingSMART Deutschland. Eine Vorstandardisierung, die auch geotechnische Aspekte enthält, wurde bereits veröffentlicht [25]. building SMART Deutschland als Ableger der internationalen non-profit-Organisation buildingSMART weist etwa 20 solcher Fach- und Projektgruppen für alle Bereiche des Bauwesens mit dem Ziel der Erarbeitung von Standardisierungen auf. Dies erfolgt vor dem Hintergrund des ebenfalls von buildingS- MART entwickelten Datenformats IFC. Die Arbeit in diesen Fach- und Projektgruppen ist ehrenamtlich. Weiterhin wird von buildingSMART derzeit mit IFC5 eine um den Infrasturkturbau erweiterte Version angekündigt, wohingegen das derzeit zumeist verwendete IFC4 für die Beschreibung von Gebäudemodellen entwickelt wurde. Inwiefern IFC5 auch geotechnische Standardisierungen enthalten wird, bleibt abzuwarten. Von BIM.Hamburg wurde im Jahr 2018 ein erster Bauteilkatalog mit geotechnischen Objekten und Eigenschaften veröffentlicht [26]. BIM.Hamburg ist ein Zusammenschluss von sechs BIM-Leitstellen verschiedener Organisationen mit dem Ziel der Erarbeitung von strategischen Maßnahmen für die Implementierung von BIM in Hamburg. Weiterhin wird derzeit eine Standardisierung von geotechnischen Objekten und Eigenschaften vom Deutschen Ausschuss für unterirdisches Bauen (DAUB) erarbeitet. Eine Standardisierung insbesondere von Daten aus Baugrundaufschlüssen und Laborversuchen liegt von der Bundesanstalt für Wasserbau im Rahmen des Projekts GeoValML vor (Abschnitt 4). Zudem wurde von der Bundesanstalt für Wasserbau der Datenkatalog Homogenbereiche erstellt, der für die Bauleistungen nach VOB/ C eine standardisierte Beschreibung der Eigenschaften ermöglicht [27]. Dieser umfasst die Bezeichnungen der Homogenbereiche, die maßgebenden Kennwerte und Eigenschaften in Abhängigkeit der entsprechenden Normen der VOB/ C, die datentechnischen Vorgaben, wie ein Wert anzugeben ist sowie Vordefinierungen der anzugebenden Werte auf Basis der normativen Vorgaben. Zuletzt finden auch Standardisierungen statt, die im Zuge der Vergabe von konkreten Bauprojekten von Infrastrukturträgern bei geotechnischen Ingenieurbüros beauftragt wurden. Es kann also festgestellt werden, dass eine Vielzahl von Aktivitäten vorhanden ist, eine Abstimmung leider bisher aber kaum stattfindet. Eine solche ist allerdings dringend erforderlich. Zudem muss geprüft werden, ob alle diese Aktivitäten eine automatisierte datentechnische Weiterverarbeitung ermöglichen, indem die Datenbanken mit anderen Datenbanken über Schnittstellen kommunizieren können. Unabhängig von geotechnischen Fragestellungen findet eine Standardisierung insbesondere in zwei Organisationen statt. Einerseits von der bereits genannten Organisation buildingSMART mit dem Datenformat IFC, das mit seinem definierten Datenmodell den Datenaustausch zwischen verschiedenen Softwareapplikationen ermöglichen soll und eine weitreichende Vordefinition von Objekten und Eigenschaften als Grundlage hat. Zum anderen die Organisation BIM Deutschland, die eine Bündelung der Informationen zu BIM-Aktivitäten in Deutschland anstrebt und auch Standardisierungen vorantreiben soll. Dazu wurde das BIM-Portal als fachlich übergeordnete Datenbank auf Grundlage von [22] entwickelt, in der zugelassene Nutzer neue Objekte und Eigenschaften vorschlagen können, die dann von weiteren Rollen wie Genehmiger und Prüfer ggf. dauerhaft in die Datenbank überführt werden. Das BIM-Portal befindet sich derzeit noch in der Testphase. Das zugrundeliegende Datenmodell entspricht dem von IFC. Ob dieses Datenmodell für geotechnische Daten sinnvoll genutzt werden kann, bedarf einer Prüfung. Weit entwickelte Datenbanken für fachlich spezifische komplexe Inhalte im Infrastrukturbau werden bspw. mit Allplan Bimplus von der Allplan Deutschland GmbH und von KorFin® von der A+S Consult GmbH angeboten. Dabei werden bereits auch geotechnische Daten bei Infrastrukturprojekten verarbeitet [28]. Zuletzt sei noch die bereits genannte Datenbank für geotechnische Daten GeoValML der Bundesanstalt für Wasserbau genannt. Zur Erarbeitung von standardisierten Vorlagen von Auftraggeberinformationsanforderungen (AIA) für das Fachmodell Baugrund sind dem Arbeitskreis Digitalisierung in der Geotechnik der DGGT derzeit keine Aktivitäten bekannt. In vorhandenen Unterlagen, zumeist als Mustervorlagen oder Muster-AIA bezeichnet, die bspw. auf den Homepages des BMVI, von BIM.Hamburg und den großen Infrastrukturträgern verfügbar sind, wird das Fachmodell Baugrund nicht, oder nur am Rande betrachtet. Hier wären noch Initiativen zu entwickeln. 5.3 Möglichkeiten der Nutzung einer vorhandenen Standardisierung Eine weitreichende Standardisierung ist die Grundlage für weitere noch zu tätigende Entwicklungen, die eine Nutzbarmachung dieser Daten für konkrete Bauprojekte sinnvoll ermöglichen. Dabei sind drei im Folgenden kurz beschriebene Wege denkbar, die jeweils bestimmte Vor- und Nachteile aufweisen. Auch können diese drei Wege unterschiedliche Entwicklungsschritte bis hin zu einer BIM-fähigen Lösung darstellen. Weg 1: Thematisch abgeschlossene Datenbanken Der einfachste Weg ist die Erarbeitung einer Datenbank, die vollständig unabhängig von der Geometrie des Schichtenmodells des Baugrundes angelegt ist und ausnahmslos die semantischen Informationen eines spezifischen Themenkomplexes beinhaltet. Sofern aber eine Verknüpfung der geometrischen und semantischen Daten nicht möglich ist, stellt dieser Workflow keinen BIM-Prozess dar. So wäre bspw. eine Massenermittlung bei einem Erdaushub nicht vollautomatisch möglich, da das Aushubvolumen und die Dichte des Bodens an unterschiedlichen Orten gespeichert sind. Kann dagegen eine Verknüpfung aller Daten erreicht werden, könnte dies einen Weg für BIM darstellen. So wäre es möglich, Daten je nach ihrem Themenkomplex in eigens dafür entwickelten Datenbanken zu verwalten. Dies würde Vorteile gegenüber einem generellen Datenmodell aufweisen, das für alle Themenkomplexe des Infrastrukturbaus gemeinsam die Grundlage bilden möchte. Dieser Weg der Verknüpfung unterschiedlicher Datenbanken wird aktuell bei Bauprojekten schon gelebt, wenngleich dazu noch umfassende Kenntnisse in Datenbanktechnik notwendig sind. Weg 2: Thematisch übergeordnete Datenbanken Thematisch übergeordnete Datenbanken enthalten die geometrischen und semantischen Daten aller Themenbereiche eines übergeordneten Bereichs, z. B. den Infrastrukturbau, und haben den Vorteil, dass das darin verwendete, generell angewendete Datenmodell eine gebündelte Datenübergabe an Dritte leichter ermöglicht. Voraussetzung ist jedoch eine so weitgehende Flexibilität des Datenmodells, dass alle Themenkomplexe mit ihren vielfältigen Verknüpfungen normalisiert erfasst werden können. Hinsichtlich der Realisierung geotechnischer Projekte mit einer thematisch übergeordneten Datenbank sind zwei Vorgehensweisen denkbar. Zum einen eine projektindividuelle Speicherung der geometrischen und semantischen Informationen in einer lokal vorhandenen Datenbank, die zwischen den Projektpartnern ausgetauscht wird. Dieser Weg wird mit dem Datenformat IFC verfolgt. Zum anderen könnte die Attribuierung auch in einer global zugänglichen, auf einem Server abgelegten Datenbank erfolgen, auf die von den Schichtmodellen der geotechnischen Modellierungssoftware heraus referenziert wird. Die Attribuierung könnte dann auf dem Server oder lokal mit Datum und Versionierung gespeichert werden. Wesentlicher Vorteil dieses Weges ist, dass Einführung, Verwaltung und Nutzung neuer Objekte und Eigenschaften in Echtzeit mit dem Fortschritt der Bauprojekte möglich ist. Auf neuen Standardisierungen kann unmittelbar zugegriffen werden, ohne dass erst eine neue Version der Datenbank für einen lokalen Austausch eingeführt werden muss. Weg 3: Thematisch übergeordnete Datenbanken Ein vergleichsweise schnell umsetzbare und für den Anwender bequeme Lösung ist, wenn die standardisierten Fachobjekte und Eigenschaften zur Beschreibung bestimmter Themenkomplexe in den Softwareapplikationen direkt vorhanden sind. Der Anwender hat nach Erstellung der Schichtenmodelle des Baugrundes unmit- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 37 Digitalisierung in der Geotechnik - Status Quo und aktuelle Entwicklungen telbar Zugriff auf Datenbanken zur Attribuierung bspw. der Aufschlüsse, Baugrundschichten und Homogenbereichsschichten. Zwingend erforderlich ist jedoch, dass alle Softwareapplikationen dieselben Datenbanken oder zumindest dieselben Inhalte der Datenbanken verwenden und keine Insellösungen entstehen. 6. Zusammenfassung und Ausblick Nach der Einführung des Building Information Modeling (BIM) durch das BMVI und der breiteren Anwendung dieser Methode werden auch zunehmend Anforderungen an die Geotechnik gestellt werden, sich an diesen digitalen Workflows zu beteiligen. Erste Infrastrukturprojekte im BIM-Kontext mit der Erstellung und Nutzung von dreidimensionalen Baugrundschichtenmodellen wurden bereits ausgeführt. Dabei erfolgt oftmals auch eine ausgewählte Attribuierung der Schichtenmodelle mit Informationen aus dem Geotechnischen Bericht, die mit den derzeit auf dem Markt verbreiteten Softwareapplikationen in der Regel nur mit Freitext realisierbar ist. Vor allem bei der Datenübergabe dieser attribuierten Schichtenmodelle an Dritte, wie der nachfolgenden Planung oder den Auftraggebern, treten oftmals Schwierigkeiten auf, die nur mit erheblichem zeitlichem Aufwand gelöst werden können. Nicht selten erfolgen Nachmodellierungen des Schichtenmodells z. B. durch den Planer, was nicht nur auch fachlichen, sondern aus rechtlichen Gründen dringend abzulehnen ist. Aufgrund der noch für viele Problemstellungen fehlenden technischen Voraussetzungen kann von einem Fachmodell Baugrund als ein Fachmodell unter vielen in einem BIM-Projekt oftmals noch nicht gesprochen werden. Die Interaktion der einzelnen Fachmodelle in einem gewerkübergreifenden Gesamtmodell wird derzeit nur ansatzweise und von Spezialisten mit großem datentechnischen Know-how umgesetzt. Unanbhängig von den technischen Schwierigkeiten sind auch viele weitere Voraussetzungen für die Umsetzung von BIM und insbesondere von BIM in der Geotechnik noch nicht geschaffen. Bisher fand der Baugrund bei BIM- Projekten nur selten Beachtung und entsprechend sind die für BIM erforderlichen Standardisierungen in der Geotechnik noch nicht vorhanden. Lediglich erste Ansätze für eine solche Entwicklung sind erkennbar - eine Zusammenarbeit bei diesen Entwicklungen findet dagegen kaum statt. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Für die Geotechnik stellt sich mit der rasanten technischen Entwicklung bei BIM einerseits und den zunehmenden Anforderungen in BIM-Projekten andererseits die Herausforderung, die Überführung der bisherigen Arbeitsweisen in digitale Arbeitsweisen aktiv anzunehmen und mit zu gestalten. Nur so ist eine Einflussnahme auf die technischen Entwicklungen möglich, sodass die geotechnischen Besonderheiten einen sinnvollen Eingang finden können. Die Geotechnik muss ihre Arbeitsinhalte dahingehend analysieren, was sinnvoll in digitale Prozesse überführt werden kann und wie dabei die seit langem bewährten Zuständigkeiten in einem Bauprojekt beibehalten werden können, ohne dass sich der Sachverständige für Geotechnik in rechtlich schwierige Konstellationen begeben muss. Dies bedeutet, dass die Geotechnik technischen Entwicklungen vorausdenken und beeinflussen muss. Dies erfolgt bspw. in Form von Arbeitskreisen, in Fachgruppen und in Verbänden mit ihren Veröffentlichungen und der unermüdlichen Kommunikation ihrer Arbeitsergebnisse. Da diese Tätigkeiten zumeist ehrenamtlich und neben der täglichen Projektarbeit stattfindet, die Entwicklungen in BIM gleichzeitig sehr vielfältig und schnell erfolgen und zudem bereits unüberschaubare Mengen an Papier mit BIM-Themen bestehen und täglich neu entstehen, erfordern dies von den Beteiligten einen hohen Einsatz. Dieser Artikel soll daher an dieser Stelle auch ein Aufruf an in der Geotechnik tätige Personen sein, sich an diesen Prozessen zu beteiligen. Nur so kann BIM für die Geotechnik zum Erfolg werden. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur [Hrsg.] (2015): Stufenplan Digitales Planen und Bauen. https: / / www.bmvi.de/ Shared- Docs/ DE/ Publikationen/ DG/ stufenplan-digitalesbauen.pdf? __blob=publicationFile (abgerufen am 12.11.2021) [2] Deutschen Bahn AG [Hrsg.] (2019): BIM-Strategie - Implementierung von Building Information Modeling (BIM)im Vorstandsressort Infrastruktur der Deutschen Bahn AG. https: / / www.deutschebahn. com/ resource/ blob/ 3985436/ edf737542c2ee3bc3ea17173f5af33aa/ Implementierung-von-BIMim-VR-I-data.pdf (abgerufen am 12.11.2021) [3] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) [Hrsg.] (2021): Masterplan BIM Bundesfernstraßen - Digitalisierung des Planens, Bauens, Erhaltens und Betreibens im Bundesfernstraßenbau mit der Methode Building Information Modeling (BIM). https: / / www.bmvi.de/ Shared- Docs/ DE/ Anlage/ StB/ bim-rd-masterplan-bundesfernstrassen.pdf? __blob=publicationFile (abgerufen am 12.11.2021) [4] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) [Hrsg.] (2018): Umsetzung des Stufenplans „Digitales Planen und Bauen“ - AP 1.2: Szenariendefinition und AP 1.3: Empfehlung. https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ DG/ digitales-planen-und-bauen.pdf? __blob=publicationFile (abgerufen am 12.11.2021) [5] Molzahn, M.; Bauer, J.; Henke, S.; Tilger, K. (2021): Das Fachmodell Baugrund - Empfehlungen des Arbeitskreises 2.14 der DGGT „Digitalisierung in der Geotechnik“. Geotechnik 44 (1), S. 41-51. https: / / doi.org/ 10.1002/ gete.202000040 [6] Molzahn, M.; Bauer, J.; Henke, S.; Tilger, K. (2021): Entwicklungsstufen und Attribuierung des 38 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Digitalisierung in der Geotechnik - Status Quo und aktuelle Entwicklungen Fachmodells Baugrund - Empfehlungen Nr. 2 des Arbeitskreises 2.14 der DGGT „Digitalisierung in der Geotechnik“. Geotechnik 44 (3), S. 209-218. https: / / doi.org/ 10.1002/ gete.202100024 [7] Molzahn, M.; Bauer, J.; Henke, S.; Tilger, K. (2022): Anwendungsfälle des Fachmodells Baugrund - Empfehlung Nr. 3 des Arbeitskreises 2.14 der DGGT „Digitalisierung in der Geotechnik“. Geotechnik. zur Veröffentlichung akzeptierter Bericht. https: / / doi.org/ 10.1002/ gete.202100026 [8] Stütz, D.; Herten, M. (2020): Evaluation von Software zur Generierung von Baugrundschichtenmodellen. Geotechnik 43 (4), S. 275-282. https: / / doi. org/ 10.1002/ gete.202000027 [9] DIN EN 17412-1: 2021-06: Bauwerksinformationsmodellierung - Informationsbedarfstiefe - Teil 1: Konzepte und Grundsätze. Berlin: Beuth Verlag, Berlin. [10] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) [Hrsg.] (2019) Handreichung und Leitfäden - Teil 1: Grundlagen und BIM-Gesamtprozess. https: / / bim4infra.de/ wp-content/ uploads/ 2019/ 07/ BIM4INFRA2020_AP4_Teil1.pdf (abgerufen am 12.11.2021) [11] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) [Hrsg.] (2019): Handreichung und Leitfäden - Teil 7: Handreichung BIM-Fachmodelle und Ausarbeitungsgrad. https: / / bim4infra.de/ wpcontent/ uploads/ 2019/ 07/ BIM4INFRA2020_AP4_ Teil7.pdf (abgerufen am 12.11.2021) [12] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) [Hrsg.] (2018): Umsetzung des Stufenplans „Digitales Planen und Bauen“ - AP 5: Konzept für Datenbanken. https: / / bim4infra.de/ wp-content/ uploads/ 2018/ 08/ BIM4INFRA2020_ AP5_Datenbankkonzept_FINAL.pdf (abgerufen am 12.11.2021) [13] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) [Hrsg.] (2019): Handreichung und Leitfäden - Teil 8: Neutraler Datenaustausch im Überblick. https: / / bim4infra.de/ wp-content/ uploads/ 2019/ 07/ BIM4INFRA2020_AP4_Teil8.pdf (abgerufen am 12.11.2021) [14] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) [Hrsg.] (2019): Handreichung und Leitfäden - Teil 9: Datenaustausch mit Industry Foundation Classes (IFC). https: / / bim4infra.de/ wp-content/ uploads/ 2019/ 08/ BIM4INFRA2020_ AP4_Teil9.pdf (abgerufen am 12.11.2021) [15] DIN EN 1997-2: 2010-12: Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik - Teil 2: Erkundung und Untersuchung des Baugrunds. Beuth Verlag, Berlin. [16] DIN 4020: 2010-10: Geotechnische Untersuchungen für bautechnisch Zwecke - Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-2. Beuth Verlag, Berlin. [17] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Geologiedatengesetz (GeolDG). Inkraftgetreten am 30.06.2020. https: / / www.bgbl.de/ xaver/ bgbl/ start.xav? startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jump To=bgbl120s1387.pdf#__bgbl__%2F%2F*%5 B%40attr_id%3D%27bgbl120s1387.pdf%27% 5D__1638541770916 (abgerufen am 12.11.2021) [18] BundesministeriumdesInneren,fürBauundHeimat: E-Government-Gesetzes (EGovG). Inkraftgetreten am 01.08.2013, letzte Änderung am 23.09.2021. https: / / www.bgbl.de/ xaver/ bgbl/ start.xav? start= / / *[@attr_id=%27bgbl113s2749.pdf%27]#__bgbl _ _ % 2 F % 2 F * % 5 B % 4 0 a t t r _ i d % 3 D % 2 7 b g b l113s2749.pdf%27%5D__1638542147174 (abgerufen am 12.11.2021) [19] Stütz, D.; Kunz, E. (2021): GeoValML - Das interoperable Austauschformat für nahezu beliebige geotechnische Versuchsdaten. 1. Fachkongress “Digitale Transformation im Lebenszyklus der Infrastruktur” am 29./ 30.06.2021. Technische Akademie Esslingen (TAE). Tagungshandbuch, S. 133-136. [20] Siewert, D. (2021): Standardisierung von Maschinen- und Prozessdaten aus Sicht der Anwender. Vortrag beim “Zukunftsforum Spezialtiefbau” am 21.04.2021. Online-Veranstaltung. [21] fielddata.io (2021): Die digitale Baustelle im Spezialtiefbau. Vortrag beim “Zukunftsforum Spezialtiefbau” am 21.04.2021. Online-Veranstaltung. [22] DIN EN ISO 23386: 2020-11: Bauwerksinformationsmodellierung und andere digitale Prozesse im Bauwesen - Methodik zur Beschreibung, Erstellung und Pflege von Merkmalen in miteinander verbundenen Datenkatalogen. Beuth Verlag, Berlin. [23] Bundesfachabteilung Spezialtiefbau im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. [Hrsg.] (2019): BIM im Spezialtiefbau - Technisches Positionspapier. https: / / www.bauindustrie.de/ fileadmin/ bauindustrie.de/ Verband/ Bundesfachabteilungen/ Spezialtiefbau/ BIM_POSPAPIER_5.6_Cl60WEH. pdf (abgerufen am 12.11.2021) [24] Deutscher Ausschuss für unterirdisches Bauen (DAUB) [Hrsg.] (2019): BIM im Untertagebau. https: / / www.daub-ita.de/ fileadmin/ documents/ daub/ gtcrec4/ gtcrec11de_BIM_im_Untertagebau_05-2019.pdf (abgerufen am 12.11.2021) [25] buildingSMART Deutschland [Hrsg.] (2020): BIM-Klassen der Verkehrswege. Heft 1.01 der bSD Schriftenreihe. 1. Auflage, bsD Verlag. [26] BIM.Hamburg [Hrsg.] (2018): Bauteilkatalog Geotechnik. https: / / bim.hamburg.de/ contentblob/ 1 3525014/ 446d542bd1e1cb14cd169661f192b360/ data/ d-02-bauteilkatalog-geotechnik-v002.pdf (abgerufen am 12.11.2021) [27] Bauer, J. (2022): Standardisierte Beschreibung der Eigenschaften im Fachmodell Baugrund für 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 39 Digitalisierung in der Geotechnik - Status Quo und aktuelle Entwicklungen Bauleistungen nach VOB/ C (Homogenbereiche). BAWBrief (in Vorbereitung). Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe. [28] Schütz, D.; Vorwerk, V.; Wilfing, L.; Michael, J.; Just, M.; Bartnitzek, J. (2020): Projekt Hanau - Fulda: Digital planen, digital beteiligen. In: Infrastrukturprojekte 2020 - Bauen für die starke Schiene. Deutsche Bahn [Hrsg.], S. 120-129. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 41 Spezialtiefbau digital - Nutzung des digitalen Zwillings in der Bauausführung Dipl.-Ing. Marcus Daubner BAUER Spezialtiefbau GmbH, Schrobenhausen, Deutschland Zusammenfassung In diesem Beitrag wird der Einsatz digitaler Methoden beginnend mit der Arbeitsvorbereitung bis zum Abschluss der Ausführung bei Projekten der BAUER Spezialtiefbau GmbH vorgestellt. Konkret wird auf den Nutzen der BIM basierten Planung in der Arbeitsvorbereitung und auf das automatisierte und strukturierte Datenmanagement sowohl der Maschinenproduktionsdaten als auch der manuell erfassten qualitätsrelevanten Berichte während der Ausführungsphase eingegangen. Der Nutzen des Digitalen Zwillings zur Prozessoptimierung, zur Fehlkostenreduktion, zum effektiveren Berichtswesen und die Weiterverwendung der As-Built Informationen im BIM oder GIS Prozess wird in diesem Zuge erläutert. Bauer Spezialtiefbau GmbH verfolgt den Ansatz einer systematischen digitalen Erfassung aller relevanten Daten aus Planung, Herstellung und Qualitätskontrolle, sowie deren integrale Vernetzung und automatisierte Auswertung. Vor allem die weitergehende Nutzung der Plandaten im Herstellprozess und die automatisierte Rückführung der Produktionsdaten in die Bestandsdokumentation stellen ein zentrales Anliegen dar. Da durch die prozessübergreifende Datennutzung der BIM Kontext etwas weiter gefasst wird, werden alle digitalen Bauprozesse in der Bauer Gruppe unter dem Oberbegriff „Bauen Digital“ zusammengefasst. In Bild 1 ist die integrale Vernetzung mit „Bauen Digital“ als zentrale Sammel- und Verteilstation schematisch dargestellt. Bild 1: Schaubild „Bauen Digital“ Im Spezialtiefbau bietet die Digitalisierung des Dokumentationsprozesses ein zweifelsfrei sehr großes und noch wenig genutztes Optimierungspotential. Der Aufwand, der zur Erstellung der Herstellnachweise für die im Boden eingebetteten Spezialtiefbauelemente betrieben wird, ist ein wichtiger Treiber für die „digitale Baustelle“. Das Management dieser Informationen und Dokumente erfordert gerade bei Gewerken mit hohem Einzelelementanteil enorme Anstrengungen an die Dokumentations- und Prüftätigkeiten. Bisher werden die Daten meist händisch erfasst bzw. händisch in Protokolle eingetragen. Es liegt nahe, diesen Prozess durchgängig zu digitalisieren, Daten automatisiert zu erfassen und aggregierte KPI’s (key performance indicators) zu generieren. Die derzeit am Markt verfügbaren Softwarekomponenten werden überwiegend für die Abwicklung des Planungsprozesses oder für die Nutzung während des Kalkulationsprozesses verwendet. Bauer versucht diese Nutzung auszudehnen und die verfügbaren Daten auch in der Arbeitsvorbereitung und der Bauausführung zu verwenden. 1. Nutzung der BIM Planung in der Arbeitsvorbereitung Ein Anwendungsfall ist hierbei die Planung des Bauablaufes und der Gerätepositionen. Durch die Verbindung des Detailterminplanes mit dem 3D Modell werden Phasenpläne automatisiert erstellt. In der unten gezeigten Variante wird ein Wochenplan dargestellt. Siehe Bild 2. Diese Visualisierung unterstützt während der Arbeitsvorbereitung, um zeitlich auftretende, geometrische Kollisionen zu erkennen und diese im Vorfeld zu lösen. Während der Ausführungsphase wird dieser Phasenplan wöchentlich nachgehalten und Pläne automatisiert erstellt. Entstehen bedingt durch terminlichen Verschiebungen Zwangspunkte, können diese basierend auf den aktuellen Phasenplänen zur Abstimmung zwischen den beteiligten Gewerken, aber auch zur Erklärung des Sachverhaltes für den Bauherrn eingesetzt werden. 42 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Spezialtiefbau digital - Nutzung des digitalen Zwillings in der Bauausführung Bild 2: automatisierte wöchentliche Phasenplanung als Ableitung aus dem 4D BIM Modell. Darstellung der Geräteposition in der Draufsicht und Leistungsvorausschau in der Seitenansicht 2. Einsatz eines Produktionsdaten- und Prozessmanagementsystems für den Spezialtiefbau Der Schritt zur Erfassung und Nutzung von Produktions- und Qualitätsdaten während der Ausführungsphase scheitert - insbesondere für den Spezialtiefbau -noch an öffentlich verfügbarer Software, die den Produktionsprozess abbilden kann. Dies verwundert insofern, als dass die maschinengetriebene Produktion den Spezialtiefbau dominiert und somit prädestiniert für eine digitale Erfassung der im Herstellprozess anfallenden Produktionsparameter ist. Die weitergehende Nutzung der Planungsdaten auf der Baustelle erfolgt im Allgemeinen mit BIM-Viewern. Der Rückfluss der Informationen aus dem Bauprozess erfolgt durch manuelle Eingabe der Produktionsdaten direkt in die Planungsmodelle. Hier fehlen ebenso Softwarekomponenten, die die Herstellinformationen automatisiert in die Fachmodelle übergeben. Vor dem o.g. Hintergrund des Potenzials einer digitalen Baustelle hat die BAUER Spezialtiefbau GmbH zum Managen der Produktions- und Qualitätsdaten ein integrales Datenmanagementsystem entwickelt, dessen zentrales Tool die Software b-project darstellt. Eine essenzielle Aufgabe ist das digitale Erfassen von Produktionsdaten in strukturierter Form. Die gängige Datenhaltung in Excel-Tabellen stellt eine sehr flexible Art der Erfassung und Auswertung von Teilbereichen des Bauprozesses dar und ist heute immer noch auf vielen Baustellen Stand der Technik. Eine weitergehende Wertschöpfung aus den dokumentierten Daten scheitert aber nicht nur an der limitierenden, projektspezifischen Definition der KPI’s, sondern auch an der fehlenden Strukturierung der Daten über eindeutige Schlüssel. Individuell erhobene Informationen sind deshalb nur mit hohem Aufwand für Querauswertungen nutzbar und landen in aller Regel nach Projektende systembedingt im Datengrab. Die bei BAUER im Einsatz befindliche Managementsoftware bildet folgende Aspekte der Datennutzung ab: • Die standardisierte Übernahme der Plandaten aus den Planungssystemen in die auf der Baustelle eingesetzte Software • Einlesen der digitalen Maschinenproduktionsdaten in das Managementsystem • Die Bereitstellung von vorausgefüllten Berichten für den Bauleiter und das digitale Übertragen der händisch erfassten Produktions- und Qualitätsdaten in die Datenbank • Eine nachlaufende, automatisierte Verdichtung der Herstelldaten • Eine integrierte, webbasierte Produktionsqualitätsauswertung • Bereitstellung von Zeichnungen und Visualisierungen für den Baustellenbedarf • Generieren von Berichten, Herstellprotokollen oder Listenwerken für den Qualitätssicherungsprozess, für die Prozessoptimierung oder für das Controlling • Schnittstelle zur Übergabe der digitalen Herstell- und Qualitätsdaten aus dem Managementsystem zurück in die Planungssysteme • Weitere Nutzung der erfassten Daten im BIM und GIS basierten Dokumentationsprozess 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 43 Spezialtiefbau digital - Nutzung des digitalen Zwillings in der Bauausführung Bild 3: Benutzeroberfläche b-project - Detailinformation eines hergestellten Elements Bild 4: Exemplarisch ein aus der Software „b-project“ generiertes Herstellprotokoll Die Vernetzung der Herstelldaten z.B. aus dem Betonierprozess mit den Qualitätsdaten der Materialtests stellt die Basis für die automatisierte Erstellung von diversen Querauswertungen dar. Diese Automation verringert den Dokumentations- und Prüfaufwand signifikant und unterstützt den Optimierungsprozess standardisiert, automatisiert und somit effektiver abzubilden. Die auf die Belange der Baustellennutzung konzipierte Software ermöglicht dabei diverse Visualisierungsmöglichkeiten und erleichtert die Identifikation von Optimierungspotential durch frei definierbare Mehrfachfilter. Diese Visualisierungen können durch farbliche Markierungen in tabellarischer Form oder aber in einer graphischen Auswertung präsentiert werden. Im folgenden Bild (Bild 5) wird das Optimierungspotential bei den in den Säulen injizierten Suspensionsmengen in einer 2D Draufsicht dargestellt. Hierbei stellen die leeren Kreise noch nicht ausgeführte Elemente dar, schraffierte Kreise beschreiben hergestellte Elemente, welche aber Optimierungspotential bieten. Die voll ausgefüllten Kreise beschreiben Elemente, die im Rahmen der technischen und wirtschaftlichen Grenzen hergestellt wurden. Bild 5: Exemplarische Visualisierungen des Injektionsmengenoptimierungspotentials 44 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Spezialtiefbau digital - Nutzung des digitalen Zwillings in der Bauausführung 3. Webbasierter Zugang zu aggregierten Mess- und Produktionsdaten Einen weiteren Bestandteil des integralen Ansatzes bildet die webbasierte, ortsunabhängige Präsentation der Auswertungen und Key-Performance-Indicators (KPI). Diese Funktionalität ermöglicht den zeitnahen Zugang zu aggregierten Leistungs- und Qualitätsdaten auch außerhalb des Baubüros sowohl für interne Projektbeteiligte, als auch für den Kunden oder dessen Vertreter. Durch die standardisierte Präsentation der Daten wird ein schnelles Verständnis des aktuellen Leistungsstandes bei Projekten ermöglicht und bilden die Grundlage für weitergehende und tiefergreifende Auswertungen und Prozessoptimierungen. Einen Anwendungsfall bildet hierbei die Präsentation der auf der Baustelle erfassten Herstelldaten (siehe Bild 6) oder der Materialmehrverbrauch beim Betonierprozess (siehe Bild 7). Bild 6: Leistungsauswertungen eines Baugewerkes im webbasierten Bauen Digital Portal Bild 7: Detailauswertung Betonmehrverbrauch Soll/ Ist Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Baustellenpersonal, konnten inzwischen mehr als 150 Visualisierungen zur Identifikation des Qualitätszustandes, der Leistung aber auch der Optimierungspotentiale erstellt werden. Vorteil dieser standardisierten, gewerkebezogenen Visuals ist die Nutzung dieser Auswertungen auf den Folgeprojekten. Bei Beginn der Baustelle stehen dem Baustellenpersonal sofort die unterschiedlichsten Detailauswertungen zur Verfügung. Durch diese zeitnahe Visualisierung wird der Entscheidungsprozess signifikant beschleunigt. Die frühzeitige Vermeidung von Fehlerkosten stellt hier einen wichtigen Aspekt zur wirtschaftlichen und qualitativ hochwertigen Ausführung dar. 4. Weitergehende Nutzung der Informationen aus dem Bauprozess im BIM und GIS Prozess Die erzeugten Daten stehen aber nicht nur der Bauausführung, sondern auch zur weiteren Nutzung für nachlaufende Prozesse wie Dokumentation oder zur Nutzung der Daten im weiteren Lebenszyklus der Projekte zur Verfügung. Das automatisierte Übergeben von Daten in die BIM Modelle der Konstruktionsabteilung oder die Übergabe an Daten in GIS Systeme zu Dokumentationszwecken stellen einen Mehrwert nicht nur für den Auftragnehmer, sondern in zunehmendem Maße auch für den Auftraggeber dar. Bild 8: georeferenzierte Dokumentation der Soll- und Ist-Geometrie und der dazugehörigen Dokumente in einer GIS Datenbank 5. Zusammenfassung Die strukturierte und zentralisierte Informationshaltung von Bauproduktionsdaten ermöglicht eine standardisierte Analyse der Prozesse und der Produktqualität. Diese Analysen können sowohl zur Effektivitätssteigerung bei der Erstellung der Herstelldokumentation, zur Leistungsoptimierung und zur zeitnahen Entscheidungsfindung am laufenden Projekt verwendet werden. Die strukturierte Auswertung der Daten kann langfristig die Grundlage für eine detailliertere Abschätzung der Herstellparameter darstellen und trägt somit zur Reduzierung des Projektrisikos bei der Einschätzung von Leistung, Produktqualität und Prozessabfolgen bei. Folglich müssen Produktionsinformationen in einem modernen Bauunternehmen als Teil der Wertschöpfungskette erkannt und als eine weitere Stufe der Professionalisierung sinnvoll verwendet werden. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 45 Digitalisierung in der Geotechnik - Möglichkeiten und Herausforderungen Dr.-Ing. Lisa Wilfing Boley Geotechnik GmbH - Beratende Ingenieure, München, Deutschland Thomas Hausperger Boley Geotechnik GmbH - Beratende Ingenieure, München, Deutschland Zusammenfassung Gemäß dem Stufenplan des BMVI ist ab dem Jahr 2020 für Verkehrs- und Infrastrukturprojekte eine BIM-gestützte (Building Information Modelling) Projektabwicklung gefordert. Bislang basierten die Anforderungen des Stufenplans jedoch ausschließlich auf den Bereichen Hochbau und Infrastrukturgewerke. Der Bereich Geotechnik bzw. die 3D-Baugrundmodellierung steckt daher noch in den Kinderschuhen, wobei die Digitalisierung auch in der Geotechnik bereits viele Möglichkeit eröffnet hat. Hierzu zählen beispielsweise webbasierte GIS- Anwendungen für die Baugrunderkundung. Alle Projektbeteiligten können jederzeit mit mobilen Endgeräten auf projektrelevante Informationen zugreifen, die zur Planung sowie Überwachung von Erkundungsarbeiten von Bedeutung sind. Nach Abschluss der Erkundungen sind die Ergebnisse in ein 3D-Baugrundmodell zu integrieren. Auf dem Markt existiert eine Vielzahl an Software-Programmen, wobei ausgewählte Programme mit ihren Vor- und Nachteilen im folgenden Beitrag aufgeführt werden. Abschließend werden die Herausforderungen aber auch die Möglichkeiten der Digitalisierung dargestellt und die Aspekte aus dem Blickwinkel eines mittelständischen Ingenieurbüros aufgezeigt. 1. Einführung Der Stufenplan des BMVI (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur) [1] ist ein Modell, welches den Weg zur Anwendung des digitalen Planens, Bauens und Betreibens transparent beschreiben und die Vorgehensweise bundesweit zum Standard machen soll. Der 3-stufige Plan wurde bereits 2015 vorgelegt und befand sich bis 2017 in der Vorbereitungsphase (Stufe 1) [2]. Von 2017 bis 2020 fand die erweiterte Pilotphase (Stufe 2) statt und seit 2020 werden die Anforderungen des Stufenplans (Leistungsniveau 1) auch in den Ausschreibungen neu zu planender, öffentlicher Projekte aufgenommen (Stufe 3). Der wesentliche Aspekt des Stufenplans ist die Definition der zu erfüllenden Mindestkriterien zur Umsetzung der BIM-Methode in der Baubranche. Grundsätzlich liegt der Kern der BIM-Methode in der Erstellung von dreidimensionalen Bauwerksmodellen, welche vordefinierte Bauteile und Räume beinhalten. Bislang basieren die Anforderungen des Stufenplans, festgehalten in den AIA (Auftraggeber-Informations-Anforderungen), jedoch auf den Bereichen Hochbau und Infrastrukturgewerke. Und genau hier liegt auch die Herausforderung für die Umsetzung der Anforderungen im Bereich Geotechnik. Der Baugrund bzw. die Untergrundschichten sind nicht vordefinierbar sondern Elemente, die aufgrund ihrer natürlichen Entstehung nicht allgemein reproduzierbar und geometrisch sehr heterogen beschaffen sind. Das „Fachmodell Baugrund“ weicht somit von seiner inhaltlichen Struktur deutlich von den anderen Fachmodellen (z.B. Konstruktiver Ingenieurbau, Signaltechnik, Gebäude uvm.) ab (Abb. 3). Um auch für die Geotechnik ein einheitliche Grundlage zu schaffen, wurde der DGGT Arbeitskreis 2.14 „Digitalisierung in der Geotechnik“ gegründet. Die erste Empfehlung dieses Arbeitskreises bestand aus dem wichtigen Aspekt, zu allererst die grundlegenden Begriffe für die BIM-Methode mit dem Fokus Geotechnik aufzulisten und zu definieren (Abb. 1). Abb. 1: Begriffe der BIM Methode (Fokus Geotechnik) 46 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Digitalisierung in der Geotechnik - Möglichkeiten und Herausforderungen Der Beitrag soll einerseits aufzeigen, welche Herausforderungen durch die Einführung des digitalen Bauens und vor allem durch das „Fachmodell Baugrund“ mit der 3D-Baugrundmodellierung durch die Geotechnik-Branche zu bewältigen sind. Andererseits soll auch gezeigt werden, wie die Digitalisierung in manchen Bereichen der Geotechnik bereits zum Standard- Werkzeug gehört und welche enormen Möglichkeiten sich bspw. durch GIS-Anwendungen bieten. 2. GIS-Anwendung 2.1 State of the Art Die datenbankgestützte Darstellung von Geometrien und Sachdaten ist seit vielen Jahren im Einsatz (geographische/ geologische Kartendienste uvm.) und hat sich auch in der Geotechnik-Branche bewährt. Hierbei können Geometrien (z.B. eine Altlasten-verdachtsfläche) mit Sachdaten (z.B. die Art der Altasten) verknüpft und anschaulich dargestellt werden. Ein weiterer Vorteil der datenbankgestützen Systemen ist die fehlende Beschränkung von Dateigröße wie beispielsweise bei Shape-Dateien sowie die Möglichkeit, automatisierte Datenbank-Backup-Routinen zu erstellen, die die Datensicherung erleichtern. 2.2 Anwendungsbeispiele Die entwickelte GIS-Anwendung kommt in unserem Büro zur Planung von Erkundungsarbeiten sowie zur Fachbauüberwachung häufig zum Einsatz. Hierbei können alle Projektbeteiligten jederzeit und überall mit mobilen Endgeräten auf alle projektrelevanten Informationen zugreifen, die für die Planung von Erkundungen bzw. während einer Baugrunderkundung von Bedeutung sind (Abb. 2). Hierzu zählen u.a.: • Flurkarten • Geologische & tektonische Grundlagen • Umwelt- & Gewässerschutzzonen • Trassenpläne inkl. geplanten Bauwerken (z.B. Tunnel, Brücke, Damm, Einschnitt) • Übersichts-/ Detailpläne (z.B. Lagepläne, Grundwassermessstellenausbau) • Lage & Tiefe der Erkundungspunkte • Feld- & Laborversuchsprogramm • Fortschritt der Erkundungsarbeiten uvm.. Anhand der GIS-Anwendung können beispielsweise die Bohrpunkte schnell und einfach so platziert werden, dass möglichst wenig unterschiedliche Grundstückseigentümer betroffen sind und wenig Kollisionen mit Altlasten-, Kampfmittelverdachtssowie Umweltschutzflächen entstehen. Zudem erhalten die Beteiligten in jeder Phase der Erkundung den Überblick über den Stand der Arbeiten bzw. können im Feld direkt auf sämtliche projektrelevanten Informationen zugreifen. Die projektspezifischen Anforderungen, bzw. welche Informationen dargestellt werden sollen, sind flexibel programmierbar, so dass die Anwendung immer optimal auf das jeweilige Projekt abgestimmt ist. Bei jedem Projekt kann über ein Zugriffsmanagement geregelt werden, welche Projektbeteiligten welche Inhalte sehen und nutzen können. So kann bspw. ein Bohrunternehmen auf alle Informationen über die geplanten Erkundungen zugreifen (Lage und Höhe, Bohrtiefe, Feldversuche, Grundwassermessstellen-ausbau etc.), nicht jedoch auf Eigentümerspezifische Daten der Flurstücke. Abb. 2: GIS-Anwendung zur Planung und Überwachung von Baugrunderkundungsmaßnahmen. 2.3 Schlussfolgerung (Vor- & Nachteile) Webbasierte GIS-Anwendungen sind vor allem bei der Planung und Durchführung von Erkundungsarbeiten ein nicht mehr weg zu denkendes Werkzeug geworden. Die Vorteile liegen ganz klar in der flexiblen Programmierung der projektspezifischen Anforder-ungen und der Möglichkeit, von überall auf die anschaulichen Informationen zugreifen zu können. Wenn das System kontinuierlich gepflegt wird, haben alle Projektbeteiligten stets aktuelle Daten zum Erkundungsfortschritt zur Verfügung. Allerdings ist der Aufwand zur Erstellung der Darstellung im Vergleich zu dateibasierten System relativ hoch 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 47 Digitalisierung in der Geotechnik - Möglichkeiten und Herausforderungen und bedarf einer gewissen Vorkenntnis zur Bedienung der SQL-Syntax. Daher kommen solche GIS-Anwendungen bei vielen Ingenieurbüros häufig nur bei Großprojekten zum Einsatz, wo sich der erhöhte Aufwand bei der ersten Programmierung im Laufe der Projektdauer auszahlt. 3. „Fachmodell Baugrund“ - 3D-Baugrundmodell 3.1 State of the Art [1], [3] Aufgrund des Stufenplans des BMVI ist bei allen neu zu planenden, öffentlichen Projekten seit 2020 die BIM- Methode umzusetzen. Es wird zwischen openBIM (Softwareunabhängiges Datenformat z.B. IFC-Format) und closedBIM (Softwaregebundenes Datenformat, wird vom AG in den AIA vorgeschrieben) unterschieden. Für uns Geotechniker bedeutet dies vor allem, dass bei einer Vielzahl an Projekten die Erstellung des „Fachmodells Baugrund“ und somit ein 3D-Baugrundmodell gefordert wird. Um den Stufenplan schnell umsetzen zu können, ist klar definiert, welche Schritte hierfür nötig sind. Als erstes ist bereits in der Ausschreibung seitens des AG mittels den Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA) darzulegen, welche Daten verlangt werden und in welcher Detailtiefe. Danach wird der Prozess zur Herstellung der geforderten Daten im BIM-Abwicklungsplan (BAP) festgehalten, welcher der maßgebende Fahrplan eines jeden BIM-Projektes ist. Zudem ist bereits im Vergabeverfahren zu gewährleisten, dass der Auftragnehmer bzw. auch der Auftraggeber über eine ausreichende BIM-Qualifikation verfügt. Gerade dies ist in der aktuellen Anfangsphase von BIM in der Geotechnik oft schwierig umzusetzen. Die Integration des „Fachmodells Baugrund“ in das Gesamtmodell ist jedoch notwendig, um schon während der Planung die Eigenschaften des Baugrunds bei den anderen Bauwerken zu berücksichtigen und die Informationen für Abläufe und Kostenprognosen auszuwerten (Abb. 3). Abb. 3: Aufbau des Gesamtmodells mit den einzelnen Fachmodellen (verändert n. [3]). Das Fachmodell enthält sämtliche Informationen, die den Baugrund beschreiben (Abb. 4). Hier sind vor allem Geländemodelle, Altlasten- & Kampfmittel-verdachtsflächen, geologische und hydrogeologische Grundlagen sowie die Erkenntnisse aus projekt-spezifischen Baugrunderkundungen zu nennen (z.B. Mächtigkeit und Beschaffenheit der Baugrund-schichten, Grundwasserstände, Homogenbereiche). Das Fachmodell gilt jedoch nur in Verbindung mit dem geotechnischen Bericht und ist als Ergänzung von diesem zu sehen. Abb. 4: Benötigte Fachdaten zur Erstellung des „Fachmodells Baugrund“ (verändert n. [3]). Mit Fertigstellung des Geotechnischen Berichtes ist das „Fachmodell Baugrund“ zu übergeben und sollte mindestens aus folgenden 3D-Teil-Fachmodellen bestehen: • Teil-FM „Aufschluss“ • Teil-FM „Baugrundschichten“ • Teil-FM „Homogenbereiche“ • Teil-FM „Grundwasser“. Die Sub-Fachmodelle sind jeweils miteinander verknüpft und basieren aufeinander. Eine allgemeine „Musterlösung“ für die Bearbeitung der Volumenkörper bzw. Attribuierung gibt es bislang noch nicht. Der AK 2.14 der DGGT hat sich dieser Aufgabe angenommen und erarbeitet momentan Empfehlungen für den Aufbau eines BIM-fähigen 3D-Baugrundmodells. 3.2 Empfehlungen des AK 2.14 der DGGT Bislang existieren zwei Empfehlungen des Arbeitskreises 2.14 „Digitalisierung in der Geotechnik“. Die erste Empfehlung [3] befasst sich mit den nötigen Grundlagen wie der Definition der Begriffe zur Schaffung einer einheitlichen Sprache, den Bestandteile des „Fachmodells Baugrund“ sowie den Datentechnischen Strukturen. Welche Fachdaten im Modell enthalten sein müssen, ist im Rahmen der AIA festzulegen. 48 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Digitalisierung in der Geotechnik - Möglichkeiten und Herausforderungen Die zweite Empfehlung [4] beschreibt die Entwicklungsstufen des Fachmodells analog zu den Leistungsphasen der HOAI mit den dafür jeweils notwendigen Fachinhalten. Zudem werden Mindestanforderungen von Fachinhalten für die einzelnen Entwicklungsstufen definiert. Die Empfehlung liefert auch die Voraussetzung für die Standardisierung von geotechnischen Eigenschaften (Attribuierung) sowie die datentechnischen Anforderungen hierfür. Noch offene Themen sind die Beschreibung von Anwendungsfällen und die Zuweisung von Zuständigkeiten bei der Erstellung und Verwendung des „Fachmodells Baugrund“. 3.3 Anwendungsbeispiele Es sind mittlerweile viele Softwarepakete mit zum Teil sehr unterschiedlichen Workflows und Fähigkeiten zur 3D-Baugrundmodellierung am Markt erhältlich. Im Rahmen dieses Beitrags sollen Anwendungsbeispiele mit zwei Softwarelösungen gezeigt werden, die sich hinsichtlich ihrer Grundstruktur deutlich voneinander unterscheiden. 3D-Baugrundmodell mit Autodesk Civil 3D Autodesk Programme werden bereits seit langer Zeit zum Erstellen von Plänen genutzt, so dass das Programm in vielen Ingenieurbüros bereits vorhanden ist und der Schritt der Anschaffung bzw. die Entscheidung für das Add-On Civil 3D deutlich erleichtert wird. Durch die individuelle Programmierung von Dynamo- Skripten ist das Importieren und weitere Bearbeiten der Fachdaten in Civil 3D sehr komfortabel. Aufschlussdaten können beispielsweise als 3D-Zylinder automatisch aus einer CSV- oder XLSX-Datei eingelesen werden. Hier bieten sich grundsätzlich sehr viele Möglichkeiten der automatisierten Bearbeitung. Allerdings benötigt man für die Erstellung der Dynamo-Skripte eine deutliche Vorkenntnis im Programmieren sowie einen hohen Zeitbedarf - vor allem bei den ersten Projekten, in denen ein 3D-Baugrundmodell erstellt werden soll (Abb. 5). Abb. 5: Dynamo Skript für Import von Aufschlussdaten in Civil 3D. Das Erstellen von Volumenkörper bzw. Baugrundschichten ist dagegen sehr aufwendig und bedarf einer zeitintensiven Nachbearbeitung (Abb. 6). Attribute können durch das Anlegen individueller Property-Sets an die einzelnen Volumenkörper angehängt und zusammen mit der Geometrie in das IFC-Dateiformat (openBIM) exportiert werden. Abb. 6: 3D-Baugrundschichtmodell mit Civil 3D 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 49 Digitalisierung in der Geotechnik - Möglichkeiten und Herausforderungen Ein großer Vorteil von Civil 3D ist die Möglichkeit der automatisierten Koordinatentransformierung. Hier können alle unterschiedlichen Grundlagen- und Projektdaten in ein einheitliches, vom AG vorgegebenes, Koordinatensystem übertragen werden. Dies ermöglicht die räumliche Darstellung der Boden-Bauwerk-Interaktion sowie mögliche Kollisionen frühzeitig zu erkennen. Der Import der Bauwerke wie bspw. Tunnelröhren, Stationsbauwerke oder Brücken ist mittels Standard Autodesk-Formaten problemlos möglich (Abb. 7). Dieser Aspekt ist vor allem im Bezug auf die Öffentlichkeitsarbeit und die frühe Einbindung der Bevölkerung bei Großprojekten ein großer Pluspunkt. Abb. 7: Visualisierung der Boden-Bauwerks-Interaktion einer tiefen Baugrube mit Civil 3D. Civil 3D ist für die Planung von Infrastrukturprojekten ausgelegt und nicht auf die Erstellung von 3D-Baugrundmodellen spezialisiert. Die Software ergänzt aber durch ihre zusätzlichen Funktionen (z.B. Koordinatentransformation) spezielle Baugrund-modellierungsprogramme sehr gut. Es hat sich gezeigt, dass Civil 3D bei räumlich begrenzten Projekträumen eine gute Software-alternative ist. Für größere Projekte mit komplexerem Schichtaufbau (Störungen, geologische Linsen, usw.) und großen Projektabschnitten ist die Bearbeitung mit einer speziellen Softwarelösungen für die 3D-Baugrundmodellierung ratsam. 3D-Baugrundmodell mit Leapfrog Leapfrog ist eine auf die Herstellung von 3D-Baugrundmodellen spezialisierte Software. Mit Leapfrog können komplexe und sehr große 3D-Baugrundmodelle erstellt werden. Die Software dürfte bislang nicht zu den Standard-Programmen zählen, welche in mittelständischen Ingenieubüros genutzt wird. Der Einsatzbereich der Software ist auf die Erstellung von 3D-Baugrundmodell beschränkt, so dass bei der Anschaffung auch die Wirtschaftlichkeit abgewogen werden muss. Die Software ist aufgrund des Projektbaums übersichtlich und logisch aufgebaut, so dass das Programm auch ohne viel Vorerfahrung genutzt werden kann. Die automatische Modellierung von einzelnen Bohrprofilen zu zusammenhängenden Baugrundschichten ist deutlich leichter möglich als mit Civil 3D und auch die Attribuierung der Volumenkörper erfolgt intuitiv (Abb. 8). Die Flexiblität beim Einlesen der Aufschlussdaten und Attribuierung ist jedoch eingeschränkter wie bei Civil 3D und auch eine automatische Koordinaten-transformation ist nicht möglich. Abb. 8: 3D-Baugrundschichtmodell mit Leapfrog. Doch auch dieses Programm stößt bei komplexen geologischen Verhältnissen bislang an seine Grenzen. Sollten lange Trassenverläufe mit einer starken tektonischen Zerlegung (z.B. Auf- & Abschiebungen, Horst- & Grabenstrukturen) vorliegen, funktioniert die automatisierte Modellierung der Baugrundschichten nur bedingt. Hier muss beispielsweise jede einzelne tektonische Scholle als separates Teilmodell dargestellt werden, was letzendlich den Arbeitsaufwand bei der Modellierung aber vor allem auch bei der Attribuierung jeder einzelnen Schicht deutlich erhöht. Um diesen Aufwand zu minimieren, kann wiederum der Import des Baugrundschichtmodells in Civil 3D erfolgen, in welchem die weiteren Schritte wie Attribuierung und Datenexport automatisierter erfolgen können. Ähnlich wie bei Civil 3D können in dem Programm die 3D-Modelle der geplanten Bauwerke integriert werden, um bereits in einer frühen Projektphase eine klare Visualisierung zu erhalten und ggfs, kritsche Kollisionen zu erkennen (Abb. 9). Abb. 9: Visualisierung der Boden-Bauwerks-Interaktion eines Tunnelbauwerks mit Leapfrog. 50 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Digitalisierung in der Geotechnik - Möglichkeiten und Herausforderungen 3.4 Schlussfolgerung (Vor- & Nachteile) Grundsätzlich eignen sich die genannten Programme beide für die Erstellung eines 3D-Baugrundmodells, wobei jede Software seine Stärken in unterschiedlichen Bereichen besitzt. Welche Software am sinnvollsten zum Einsatz kommt, hängt größtenteils auch von den Projektbedingungen ab. Hierbei ist vor allem die Größe des zu modellierenden Projektraums sowie die Komplexität der Untergrundbeschaffenheit zu nennen. Bei langen Trassenverläufen wie bei Infrastruktur-großprojekten bietet sich der Einsatz von Leapfrog an. Muss das Baugrundmodell eine Vielzahl an geologischen Schichten sowie tektonischen Strukturen umfassen, ist die Nutzung der speziell für die Baugrundmodellierung entwickleten Software zu empfehlen. Dies ist beispielsweise oft bei Tunnelbauprojekten der Fall, da hier die Tunnelgradiente häufig deutlich unterhalb der Geländeroberkante liegt und demnach der komplette Schichtaufbau von der GOK bis zur Gradiente im Modell abgebildet werden muss. Die 3D-Baugrundmodellierung mit Civil 3D besitzt ihre Stärken in der hohen Flexibilität augrund der Programmierung von Dynamo-Skripten zum automatisierten Import von Fachddaten und der Attribuierung von Schichten. Hierbei hat sich gezeigt, dass vor allem komplexe Bauvorhaben mit einer beschränkten Projektgröße wie beispielsweise tiefe Baugruben optimal abgebildet werden können. 4. Zusammenfassung und Ausblick Die Digitalisierung in der Geotechnik hat die Kinderschuhe mittlerweile verlassen und befindet sich derzeit in der Pubertät mit allen Schwierigkeiten die diese mit sich bringt. Ein Großteil der Projekte, welche die BIM-Methode und das 3D-Baugrundmodell gemäß dem Stufenplan aktuell umsetzen sollen, befinden sich in der Vorplanung bzw. in einer frühen Phase der Planung. In vielen Fällen ist der Planer noch nicht benannt, so dass der vom BMVI geforderte kontinuierliche Abstimmungsprozess zwischen dem Baugrund-gutachter und dem Planer hinsichtlich der benötigten Fachdaten und vor allem deren Detailtiefe und Datenformat nicht stattfinden kann. Das „Fachmodell Baugrund“ wird somit bislang häufig nach bestem Wissen und Gewissen erstellt, ohne jedoch konkret zu wissen, ob der Planer das Modell in dieser Form weiter nutzen kann bzw. welche Aspekte intensiver oder weniger intensiv bearbeitet werden sollen. Auch das Thema des späteren Datenaustauschs ist bislang noch unklar. Zudem sind die Anforderungen der AIA für das „Fachmodell Baugrund“ teils noch stark von den Bereichen des Hochbaus geprägt und in manchen Fällen schlichtweg nicht umsetzbar, da der Baugrund bzw. die Untergrundschichten nicht vordefinierbar sondern geometrisch äußerst heterogene Volumen-elemente sind. Auch die in den AIA festgehaltene kontinuierliche Qualitätskontrolle und Abstimmung mit dem Planer bezüglich der Attribuierung sind aufgrund des Pilotprojektcharakters des „Fachmodells Baugrund“ erschwert. Die ersten großen Schritte sind durch den AK 2.14 „Digitalisierung in der Geotechnik“ der DGGT bereits getan. Die Entwickelung von Empfehlungen für die 3D-Baugrundmodellierung im Rahmen der BIM-Methode und damit eine Vereinheitlichung der Bearbeitung ist maßgebend für die erfolgreiche Umsetzung des Stufenplans. Die Erstellung des „Fachmodells Baugrund“ kann auf vielen Wege und mit unterschiedlichster Software bewerkstelligt werden. Es existiert ein breites Angebot an verschiedenen Software-Lösungen, wobei jedes Programm bisher noch seine Anwendungsgrenzen hat und keine Musterlösung vorhanden ist. Vor allem für mittelständische Ingenieurbüros muss auch der Aspekt der Wirtschaftlichkeit beim Einsatz von spezialisierter Software berücksichtigt werden. Hierbei muss abgewogen werden, ob in Zukunft genügend BIM-Projekte mit dem Erfordernis eines 3D-Baugrundmodells akquiriert werden können, um die teils sehr kostenintensive Software zu kompensieren. Nichtsdestotrotz bietet die Digitalisierung in der Geotechnik viele Vorteile, die viele Prozesse vereinfachen kann. Wer in der Baubranche den Anschluss nicht verpassen will, muss sich zukünfitg zwangsläufig mit dem Thema BIM und der 3D-Baugrundmodellierung auseinandersetzen. Literatur [1] Bundesministerium fur Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (2015): Stufenplan Digitales Planen und Bauen. [2] Bundesministerium fur Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (2017): Umsetzung des Stufenplans “Digitales Planen und Bauen”erster Forschrittsbericht. [3] Molzahn, M., Bauer, J., Henke, S. & Tilger, K. (2021): Das Fachmodell Baugrund - Empfehlung des Arbeitskreises 2.14 der DGGT „Digitalisierung in der Geotechnik“; Geotechnik, 44, 1. [4] Molzahn, M., Bauer, J., Henke, S. & Tilger, K. (2021): Entwicklungstufen und Attribuierung des Fachmodells Baugrund - Empfehlung Nr. 2 des Arbeitskreises 2.14 der DGGT „Digitalisierung in der Geotechnik“; Geotechnik, 44, 3. [5] Bundesministerium fur Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (2019): Handreichung und Leitfäden - Teil 1 : Grundlagen und BIM-Gesamtprozess 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 51 Probabilistische Baugrundmodellierung für BIM unter Berücksichtigung der Unsicherheiten im Baugrundaufbau und den Bodeneigenschaften - Konzept und Beispiele M.Sc. Andreas Witty Technische Universität München, München, Deutschland Dr.-Ing Andres Pena Olarte Technische Universität München, München, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Roberto Cudmani Technische Universität München, München, Deutschland Zusammenfassung In diesem Beitrag werden die Ursachen von Unsicherheiten von Baugrundmodellen erläutert und ein Konzept für die Berücksichtigung dieser Unsicherheiten mittels probabilistischer Baugrundmodellierung vorgestellt. Ziel des probabilistischen Ansatzes ist es, ein Fachmodell „Baugrund“ für BIM zu erstellen, bei dem die Unsicherheiten des Schichtenaufbaus (räumlich) und der dazu gehörigen Baugrundeigenschaften (parametrisch) quantifiziert werden. Das ermöglicht, die Risiken bei der Planung und Ausführung von Bauwerken statistisch zu bewerten. In einer Fallstudie wird beispielhaft anhand von 6 Drucksondierungen eine geostatistische Methode demonstriert, mit der die Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten einer bestimmten Bodenart und die Entropie bzw. die Güte der Klassifizierung räumlich quantifiziert werden. Die exemplarischen Untersuchungen zeigen das große Potential und Vorteile dieser Methodik der Baugrundmodellierung im Vergleich zur herkömmlichen deterministischen Vorgehensweise. Für ihre Umsetzung in der Praxis sind weitere Entwicklungen erforderlich, die in einem kurzen Ausblick umrissen werden. 1. Einleitung Die Ermittlung des Baugrundaufbaus ist deshalb schwierig, weil die geologische Entstehung und die anthropogenen Einflüsse, die zur Veränderung des natürlichen Baugrunds geführt haben, oftmals nur in groben Zügen bekannt sind. Den räumlichen Verlauf der Bodenschichten zu prognostizieren und die Unsicherheiten dieser Prognose im Hinblick auf die Planung und Ausführung von Baumaßnahmen zu quantifizieren und zu bewerten, ist Aufgabe von Ingenieurgeologen und Geotechnikern. Da ein räumliches Baugrundmodell u.a. durch Interpolation der Ergebnisse von punktuellen Aufschlüssen (Aufschlussbohrungen, Feld- und Laborversuche) entwickelt wird, ist es stets mit Unsicherheiten behaftet. Dabei ist zwischen Unsicherheiten im Baugrundaufbau und Unsicherheiten in den Bodeneigenschaften zu unterscheiden. Die Unsicherheit des Baugrundaufbaus bezieht sich auf die Geometrie und kann durch geostatistische oder stochastische Verfahren modelliert werden. Die Unsicherheit in den Bodeneigenschaften betrifft die zu erwartende Streuung der Bodenkenngrößen innerhalb der Bodenschichten und kann mit datenbasierten Verfahren quantifiziert werden. In diesem Beitrag soll ein Weg in die digitale Zukunft der geotechnischen Baugrundmodellierung aufgezeigt werden. Fortschritte bei der Digitalisierung und die Etablierung von Datenaustauschformaten ermöglichen es heutzutage, auch im Bereich der Geotechnik Datensammlungen zu erstellen und datenbasierte bzw. implizite Modellierungsansätze und Analysen zu entwickeln [1]. Bei der impliziten Baugrundmodellierung werden z.B. Schichtgrenzen nicht per Hand (=explizit), sondern automatisiert aus den geodätischen und Baugrunderkundungsdaten gezeichnet. Dadurch können neue Daten jederzeit hinzugefügt werden und die Modelle angepasst bzw. präzisiert werden. Aufschlüsse in Boden und Fels stellen Stichproben dar, die nur Wahrscheinlichkeitsaussagen zu den dazwischenliegenden Bereichen zulassen [2]. Mit dem Einsatz geostatistischer Methoden können Bohrungen und Sondierungen zwischen den Aufschlusspunkten auf einer mathematischen und physikalischen Grundlage interpoliert 52 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Probabilistische Baugrundmodellierung für BIM unter Berücksichtigung der Unsicherheiten im Baugrundaufbau und den Bodeneigenschaften werden. Dabei können Markov Ketten Monte Carlo (MCMC) bzw. Simulationsmethoden zur Quantifizierung der Unsicherheit der interpolierten Größen eingesetzt werden. Für den Einsatz dieser Methoden sind Voxel- (= Volume Pixel) bzw. Blockmodelle, bei denen der Baugrund ähnlich wie ein zweidimensionales digitales Foto in Pixel bzw. in dreidimensionale Voxel-Blöcke (Volume Pixel) unterteilt wird, gegenüber Schichtmodellen, bei denen der Baugrund in Schichten dargestellt wird, deutlich vorteilhafter. Diesen Blöcken können Informationen zur Bodenzusammensetzung und -eigenschaften sowie zur entsprechenden Unsicherheit zugeordnet werden. Die im Folgenden beschriebene Methodik ermöglicht, eine probabilistische Betrachtung des Baugrunds, indem Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten einer bestimmten Bodenzusammensetzung (Bodenschicht) und bestimmter Baugrundeigenschaften berechnet werden. In diesem Beitrag werden zunächst die Begrifflichkeit und das Konzept der probabilistischen Baugrundmodellierung erläutert. In Fallbeispielen wird anschließend die praktische Umsetzung des beschriebenen Konzepts beispielhaft gezeigt. Insbesondere wird dabei auf die digitale räumliche Repräsentation von Bodenschichten als Blockbzw. Voxelmodell eingegangen. 2. Baugrundmodellierung 2.1 Unsicherheiten bei der räumlichen Verteilung der Bodenschichten und der zugehörigen Eigenschaften Die Erstellung von Baugrundmodellen anhand von Daten aus Feld- und Laboruntersuchungen unterliegt Unsicherheiten. Die Unsicherheit beschreibt dabei den Mangel an Sicherheit bezüglich der Beschaffenheit des Baugrunds und seiner (geotechnischen) Eigenschaften. Sie resultiert aus der natürlichen, geologisch bzw. anthropogen bedingten Heterogenität des Untergrunds und ist zunächst weitgehend unbekannt. Aufschlüsse, z.B. Aufschlussbohrungen, führen zu einer Reduktion der Unsicherheit [3][4]. In Anlehnung an den Eurocode 7 ist der Baugrund in Bodenschichten bzw. Homogenbereichen einzuteilen, die geotechnisch zu charakterisieren sind. Die entstehenden Modellierungsunsicherheiten haben unterschiedliche Ursachen, die im Folgenden genauer aufgeschlüsselt werden sollen. Zunächst wird der Modellierungsprozess betrachtet und auf die Quellen der Unsicherheit eingegangen. Für die Analyse und Kommunikation der Unsicherheiten wird allerdings ein vereinfachtes Konzept vorgeschlagen, das anschließend hergeleitet wird. Unsicherheiten beim Prozess der deterministischen und probabilistischen Modellierung des Baugrunds können nach [5] in drei Aspekte unterschieden werden (vgl. Abb. 4) (a) die technologische Unsicherheit, die durch die Mess-/ Beobachtungsgüte bzw. Aufschlussdichte, Zusammenfassung lithologischer bzw. stratigraphischer Einheiten und die Zuordnung entsteht. (b) die methodologische Unsicherheit, die durch die Interpretation der Aufschlüsse (z.B. Stratigraphie) und Messergebnisse entsteht. Ebenso zählt die Methode der Modellierung dazu (z.B. lineare Interpolation, Kriging, geostatistische Simulation etc.). (c) die epistemische Unsicherheit entsteht bei der Beurteilung des Modells hinsichtlich Validität und Vollständigkeit sowie der Bestimmbarkeit der verbleibenden Unsicherheit. Zu den Validierungsmethoden zählt z.B. die visuelle Validierung, die Kreuzvalidierung oder die Validierung der geostatistischen Modelle. Allerdings kann keine Validierungsmethode die umfassende Richtigkeit des Modells gewährleisten. Der subjektive Einfluss des Baugrundgutachters auf die Unsicherheit ist insbesondere bei der Interpretation bzw. Modellierung des Baugrunds und der Beurteilung des Modells am deutlichsten. Abb. 1: Unsicherheiten im Baugrundmodellierungsprozess (verändert nach [5]). Ein Bewusstsein für die Unsicherheiten in jedem Prozessschritt ist erforderlich, um diese konsequent zu reduzieren und ein möglichst zutreffendes Modell bzw. Prognose zu erstellen. Die aufgezählten Ursachen von Unsicherheiten in den einzelnen Prozessschritten der Modellierung führen zu einem unsicheren Modell. Zwar tragen auch Messfehler zur Prognose der Variabilität von Kennwerten bei, werden aber im Folgenden nicht weiter berücksichtigt, da die Ursachen vielfältig und systematisch sein können; sie übersteigen den Rahmen dieses Beitrags. Für die Abbildung der Unsicherheit im Modell wird vorgeschlagen, eine Unterscheidung in parametrische und räumliche Unsicherheit vorzunehmen (vgl. Abb. 2). Ziel der probabilistischen Baugrundmodellierung ist, die räumliche Variabilität des Schichtenaufbaus und die parametrische Variabilität der zugehörigen physikalischen 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 53 Probabilistische Baugrundmodellierung für BIM unter Berücksichtigung der Unsicherheiten im Baugrundaufbau und den Bodeneigenschaften und geotechnischen Eigenschaften zu analysieren und abzubilden. Dieser Ansatz, die Unsicherheiten zu quantifizieren, ermöglicht es, den Erkenntnisstand klarer zu kommunizieren und Risiken in der Planung und im Bauprozess besser zu managen. Abb. 2: Zuordnung von Blöcken im 3D-Modell zu einer Verteilung der Attribute (verändert nach [4]). Für die hier vorgeschlagene probabilistische Baugrundmodellierung wird - wie oben erläutert - zwischen räumlicher und parametrischer Unsicherheit unterschieden. Kennwerte aus Feld- und Laborversuchen werden den Bodenschichten zugeordnet. Baugrunderkundungsdaten lassen sich nach [5] mit folgenden Attributen charakterisieren: - multivariat, - unsicher, - zu wenig, - standortspezifisch, - unvollständig und - fehlerhaft. Um aus solchen Daten Konfidenzintervalle und charakteristische Werte abzuleiten, können Methoden wie Bayes’sches maschinelles Lernen eingesetzt werden. Eine Bayes‘sche Methode, wie z.B. in [5] beschrieben wird, ermöglicht die Quantifizierung der Unsicherheiten und durch Kombination (Hybridisierung) mit einer allgemeinen Datenbank auch dann Prognosen, wenn an einem Projektstandort wenige Daten zur Verfügung stehen. Sind redundante Daten am Standort mit geringer Streuung verfügbar, werden die projektspezifischen Daten stärker gewichtet. Bei großer Streuung der Versuchsergebnisse in einem Projekt basiert die Prognose auf der allgemeinen Datenbank (vgl. Abb. 3). Zusammenfassend ist das Ziel der probabilistischen Baugrundmodellierung den Modellierungsprozess basierend auf Daten und Methoden zu verbessern und zu objektivieren. Dafür sollen datenbasierte Interpretationsmethoden, wie beispielsweise Geostatistik, Bayes’sches Lernen, Clustering Algorithmen usw., eingesetzt werden. Im Gegensatz zu überwiegend manueller, deterministischer (expliziter) Baugrundmodellbildung sollen implizite Modellierungsansätze ermöglichen, die Modelle ausschließlich auf Basis von Daten zu erstellen. Durch Kreuzvalidierungen werden einzelne Daten aus dem Datensatz entfernt und die Prognosefähigkeit des Modells überprüft bzw. das erstellte Modell validiert. Neben der Quantifizierung der Unsicherheiten soll die probabilistische, implizite Baugrundmodellierung die automatisierte Erstellung von Bemessungsmodellen und Einbindung des Baugrunds in BIM ermöglichen, da diese Art der Modellierung der Common Data Philosophie von BIM entspricht. Abb. 3: Hybridisierung der standortspezifischen und der allgemeinen Verteilung a) wenige Daten sind am Projektstandort verfügbar und die Streuung ist groß, b) am Projektstandort sind viele Daten verfügbar und die Streuung ist gering (verändert nach [5]). 2.2 Bestimmung der räumlichen Unsicherheit mit Geostatistik - Interpolation und Simulation Üblicherweise werden in der Baupraxis zweidimensionale deterministische Baugrundschichtmodelle erzeugt, die zumeist händisch oder mit kommerziellen Softwareprodukten erstellt werden können. Die Vorteile von solchen Schichtmodellen liegen in der intuitiven Verständlichkeit, der schnellen Kommunikation und der eindeutigen Aussage, die aus einem solchen Modell abgeleitet werden können. Im Gegensatz dazu ermöglichen es Blockmodelle nicht nur Schichten, sondern auch Baugrundeigenschaften räumlich zu modellieren und die Unsicherheiten im Modell zu bestimmen. Einen weiteren Vorteil bieten Blockmodelle bei der Automatisierung von Workflows, da manuelle Eingriffe bei der Erstellung räumlicher Interpretationen entfallen. Schwierigkeiten bereiten geologische Situationen mit stark ausgeprägtem 54 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Probabilistische Baugrundmodellierung für BIM unter Berücksichtigung der Unsicherheiten im Baugrundaufbau und den Bodeneigenschaften Relief, variierenden Verwitterungstiefen, Diskordanzen oder Verwerfungen. Vorteilhaft sind Blockmodelle auch, wenn nur wenige Aufschlüsse vorhanden sind, die nur mithilfe der Erfahrung eines Experten (A-priori Wissen) überhaupt interpretiert werden können. Abb. 4: Arbeitsschritte der probabilistischen 3D-Baugrundmodellierung und Bestimmung der räumlichen Unsicherheit. Eine Voraussetzung für die Einführung der Daten basierten impliziten probabilistischen 3D Modellierung des Baugrunds ist das Vorliegen von digital strukturierten Daten. In die Praxis ist der Austausch von Labor und Feldversuchsdaten in Form nicht automatisiert einlesbarer PDF-Formate immer noch üblich. Der Weg bis zu einer vollständigen Digitalisierung ist leider noch weit. Sind die Daten aus der Baugrunderkundung digital verfügbar, kann die probabilistische Baugrundmodellierung für BIM beginnen. In [6] wurde eine Übersicht über verfügbare Software zur Baugrundmodellierung erstellt. Alle vorgestellten Softwareprodukte ermöglichen die Modellierung von Flächen, wobei kein Produkt für die Quantifizierung der Unsicherheiten besonders geeignet ist. Im Folgenden soll ein Ansatz vorgestellt werden, der nur auf Open Source Software basiert und die Bestimmung der räumlichen Unsicherheiten ermöglicht. Zunächst muss die Autokorrelationsstruktur im Modellgebiet ermittelt werden, dann kann der wahrscheinlichste Baugrundaufbau mittels Geostatistik interpoliert und zum Beispiel mittels Markov Ketten oder Sequenzieller Gauß’scher Simulation die räumlichen Unsicherheiten bestimmt werden. Für die Ermittlung der Korrelationslängen eignen sich räumlich verortete Variablen bzw. Daten derselben Kategorie, die im Modellgebiet räumlich verteilt und in großer Anzahl verfügbar sind. Eine gute Voraussetzung bieten Ramm- oder Drucksondierungen aber auch Aufschlussbohrungen an. Um das wahrscheinlichste Modell zu bestimmen, wird das Kriging-Interpolationsverfahren eingesetzt. Das Verfahren ist durch [7] nach dem südafrikanischen Bergbauingenieur und Begründer der Geostatistik Daniel Krige benannt. Zunächst müssen die Daten Trend-bereinigt und in eine Standardnormalverteilung transformiert werden. Rammsondierungen beispielsweise besitzen einen vertikalen Trend durch die Mantelreibung des Gestänges, der entfernt werden muss. Die bereinigten Daten müssen dann in die Gauss’sche Standardnormalverteilung mit dem Mittelwert 0 und der Standardabweichung 1 transformiert werden. Dafür stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung: folgen die Daten einer Verteilungsfunktion z.B. der (Log-) Normalverteilung, können sie direkt transformiert werden, ansonsten stehen Methoden wie die Box-Cox, Johnson, Johnson-Yeo oder Quantil-Quantil Transformation (vgl. Abb. 5) zur Verfügung. Abb. 5: Trendbereinigung und Transformation in Normalverteilung am Beispiel einer Drucksondierung. a) Profil über die Tiefe; b) kumulative Häufigkeit. Bei Aufschlussbohrungen wird teilweise die Bodenansprache anstelle von Messwerten verwendet. Dabei werden Bodeneigenschaften (Konsistenz, Zementie- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 55 Probabilistische Baugrundmodellierung für BIM unter Berücksichtigung der Unsicherheiten im Baugrundaufbau und den Bodeneigenschaften rung, etc.) in binäre Indikatoren umgewandelt. Die Trendbereinigung und Transformation entfallen in diesem Fall. Die Grundlage der Modellierung bildet das sogenannte Semivariogramm, das die Varianz zweier Werte in Abhängigkeit von der räumlichen Distanz darstellt. Das experimentelle Semivariogramm wird aus den Daten berechnet, indem die Varianzen von allen Datenpunkten für unterschiedliche Abstände berechnet werden. Gerichtete geologische Prozesse (z.B. Sedimentation, Erosion) führen zu anisotropen Lagerungsverhältnissen, daher werden zwei experimentelle Semivariogramme in horizontaler Richtung (längs/ quer) und eines in vertikaler Richtung benötigt. Um im Modellraum an allen beliebigen Punkten einen Wert interpolieren zu können, muss an das experimentelle Semivariogramm ein theoretisches Semivariogrammmodell angepasst werden, das durch eine mathematische Funktion definiert ist (z.B. sphärische, exponentielle oder Gauss’sche Funktion). Abb. 6: a) exponentielles Semivariogramm und schematische Darstellung des Semivariogramms der Kriginginterpolation b) Semivariogramm einer Realisation (verändert nach [8]). Abb. 7: Querschnitt mit sieben Drucksondierungen, Darstellung des Spitzendrucks [MPa] a) Kriging Interpolation; b) Erwartungswert nach 500 zufälligen Simulationen c) Beispiel für eine zufällige Simulation. 56 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Probabilistische Baugrundmodellierung für BIM unter Berücksichtigung der Unsicherheiten im Baugrundaufbau und den Bodeneigenschaften Nun wird ein Gitter definiert, das den Mittelpunkten der einzelnen Blöcke im Blockmodell entspricht. Die Größe der einzelnen Blöcke wird entsprechend dem Semivariogrammmodell und der baupraktischen Relevanz gewählt. Zu große Blöcke führen zu einer übermäßigen Verallgemeinerung der Baugrundverhältnisse, zu kleine Blöcke erfordern große Rechenkapazitäten und Speicherplatz. Sobald ein Blockmodell mit den geometrischen Parametern erstellt wurde, kann die Kriginginterpolation gestartet werden (Abb. 7a). Diese minimiert mithilfe eines entsprechend gewählten Semivariogrammmodells den Schätzfehler für jeden Block und ermöglicht die Bestimmung von Werten im unbeprobten Raum. Um die Unsicherheit zu quantifizieren, wird anschließend eine stochastische Modellierung (Simulation) durchgeführt. Die Simulation von zufälligen Feldern bzw. Realisationen [9] ermöglicht es, die bekannten Datenpunkte zu berücksichtigen, die Heterogenität des Baugrunds zu erfassen und die betrachteten Baugrundeigenschaften zu simulieren. Für die Simulation werden für alle Blöcke im Modell in einer zufälligen Reihenfolge nacheinander Werte mittels Kriging berechnet und eine zufällige Stichprobe aus der Verteilung mit der lokalen Krigevarianz gezogen. Werden viele Realisationen berechnet, nähert sich der Mittelwert der Schätzung des einfachen Krigings an (Abb. 7b). Die mit dem quelloffenem Werkzeug von [10] simulierten Realisationen werden nun rücktransformiert und für jeden Block kann für die entsprechende Baugrundeigenschaft eine Häufigkeitsbzw. Wahrscheinlichkeitsverteilung berechnet werden. Abb. 6: a) exponentielles Semivariogramm und schematische Darstellung des Semivariogramms der Kriginginterpolation b) Semivariogramm einer Realisation (verändert nach [8]). Um im Modellraum an allen beliebigen Punkten einen Wert interpolieren zu können, muss an das experimentelle Semivariogramm ein theoretisches Semivariogrammmodell angepasst werden, das durch eine mathematische Funktion definiert ist (z.B. sphärische, exponentielle oder Gauss’sche Funktion). Die berechneten Realisationen (vgl. Abb. 7c) können auch zur Berechnung von Versagenswahr-scheinlichkeiten mit der Stochastic bzw. Random Finite Elemente Methoden verwendet werden. Abb. 8: Querschnitt mit sieben Drucksondierungen, Darstellung des Varianz [MPa] a) Krige Varianz berechnet bei der Schätzung; b) Varianz nach 500 zufälligen Simulationen. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 57 Probabilistische Baugrundmodellierung für BIM unter Berücksichtigung der Unsicherheiten im Baugrundaufbau und den Bodeneigenschaften Die Unsicherheiten können dann mit unterschiedlichen Methoden ausgewertet werden. In Abb. 8a wird die Krigevarianz dargestellt. Diese ist insbesondere vom Abstand zu den Sondierungen abhängig. Ebenso kann auch die Varianz aus den Realisationen berechnet werden. Damit das Ergebnis stationär wird, müssen sehr viele zufällige Realisationen simuliert werden. Die Auswertung ist in Abb. 8b dargestellt. Im Beispiel in Abb. 9a wurden Mantelreibungsverhältnis und Spitzendruck verwendet, um den Baugrund in Bodenarten bzw. Bodenverhaltenstypen einzuteilen [11]. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Block einem anderen Bodenverhaltenstyp zugeordnet werden muss, kann nun anhand der Häufigkeitsverteilung berechnet werden (vgl. Abb. 9b). Neben der Varianz ist die Shannon-Entropie [12] ein geeignetes und häufig verwendetes Maß, um die Prognosesicherheit für einen bestimmten Homogenbereich darzustellen. Die Entropie H berechnet sich als Summe der Produkte der Auftretenswahrscheinlichkeit pi der N Bodenschichten und dessen Logarithmus: (1) Die Entropie ist gering, wenn keine Unsicherheit hinsichtlich der Klassifizierung des Bodens in einer bestimmten Bodenschicht vorliegt. Bei hohen Entropiewerten ist die Klassifizierung nicht eindeutig und eine falsche Prognose wahrscheinlicher. Die berechnete Entropie für das Beispiel wird in der folgenden Abb. 9c dargestellt. Bodenverhaltenstyp (SBT nach [11]); b) Wahrscheinlichkeit für Bodenverhaltenstyp 4 Ton bis schluffiger Ton; c) Normalisierte Entropie. Abb. 9: Querschnitt mit sieben Drucksondierungen, Auswertung nach 500 zufälligen Simulationen a) häufigster 58 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Probabilistische Baugrundmodellierung für BIM unter Berücksichtigung der Unsicherheiten im Baugrundaufbau und den Bodeneigenschaften 3. Baugrundmodelle in BIM Der Begriff BIM beschreibt eine Methode, aber keinen Standard. Im Rahmen des schweizerischen Innosuiss Projekts des Schweizer Geologenverbands [13] ist eine Open Source Software in Entwicklung, mit der Blockmodelle in BIM übertragen werden können. Das Vxl2ifc Programm ermöglicht die Transformation von Voxelgeometrien bzw. Blockmodellen in das IFC-Format. Das IFC Datenmodell (Industry Foundation Classes) wird von buildingSMART [14] als offener und offizieller Standard ISO 16739: 2013 entwickelt, der den Austausch zwischen verschiedenen BIM Programmen ermöglicht. Der große Vorteil von IFC liegt in der hohen Kompatibilität mit vielen Software Produkten. Im IFC Datenmodell werden bisher nur wenige Eigenschaften für eine Klasse bzw. für ein Baugrundmodell vordefiniert. Durch die Erweiterung mit Property Sets können lokale, regionale und nationale Spezifika definiert werden. Die Property Sets sollten vorab entsprechend der Informationsanforderungen der DIN 18300 [15] bzw. DIN EN 1997-1 [16] definiert werden, um für jeden Block die Eigenschaften aus der geostatistischen Modellierung und statistischen Auswertung zuweisen zu können. In IFC können Entropie, Konfidenzintervalle, Bandbreiten und Wahrscheinlichkeiten als zusätzliche Attribute den Blöcken zugeordnet werden [17]. Tab. 1: Beispielhafte Tabelle für die Erstellung einer IFC-Datei mit VLX2IFC [17]. Koordinaten [ X | Y | Z ] Bodenschicht [ - ] Normalisierte Entropie [ - ] Weitere Attribute 12 | 40 | 19 SBT_1 0,3 … 15 | 40 | 19 SBT_2 0,6 … Die Informationen, die bei der Modellierung jedem einzelnen Block zugeordnet wurden, können so in BIM-Viewern angezeigt werden. Die BIM-Viewer sind allerdings nicht auf dem gleichen technischen Stand. Zum Beispiel können nur wenige BIM-Viewer die einzelnen Blöcke thematisch einfärben, um unterschiedliche Homogenbereiche und Unsicherheiten darzustellen. Je nach Hersteller sind die BIM-Viewer von großen Modellen überfordert. Analysefunktionen wie die thematische Einfärbung oder Schnitterstellung sind nur ansatzweise oder meist gar nicht in gängigen BIM-Viewern verfügbar. Zur Lösung dieser Probleme arbeiten mehrere Arbeitsgruppen von building SMART [14] an einer Weiterentwicklung des IFC-Formats. Zu den Weiterentwicklungen zählen effizientere Datenschemata für Blockmodelle wie z.B. Octrees, oder die Einführung von Geotechnischen Elementen, Anordnungen, Schnitten und Bohrprofilen. [13] 4. Fazit und Ausblick Angaben zur Prognoseunsicherheit hinsichtlich des Baugrundaufbaus und der Baugrundeigenschaften sind eine ebenso wichtige Information für die Planung, Bemessung und Ausführung von Bauwerken, wie die Prognose selbst. Heutzutage gängige Methoden sind nur bedingt für die Quantifizierung und Darstellung von Unsicherheiten geeignet. Die Digitalisierung der Baugrunderkundungsdaten macht es umso dringlicher, implizite Modellierungsmethoden weiterzuentwickeln und zu implementieren, um Unsicherheiten quantifizieren und kommunizieren zu können. In diesem Beitrag wurden anhand von Drucksondierungen Methoden der Geostatistik und der statistischen Simulation beispielhaft vorgestellt. Es stehen verschiedene Maßzahlen für die Bewertung der unterschiedlichen Aspekte der Unsicherheit zur Verfügung, z.B. Kriging Varianz, Simulationsvarianz und Entropie. Die Krigingvarianz ist nur vom Abstand zum nächsten Aufschlusspunkt abhängig. Durch die geostatistische Simulation können verschiedene Baugrundmodelle ermittelt werden, die z.B. bei probabilistischen Grenzzustandsanalysen mit der Random-Finite-Elemente-Methode verwendet werden können. Der Mittelwert einer hohen Anzahl von zufälligen Realisationen nähert sich der Interpolation von einfachem Kriging an. Anhand der simulierten Realisationen des Baugrunds können die Varianz, die Wahrscheinlichkeit für einen Homogenbereich und die Entropie räumlich berechnet werden, die ein Maß für die Güte der Prognose darstellt. Ein Datenaustausch zwischen einem probabilistischen Baugrundmodell und BIM ist im Prinzip mittels IFC Format bereits möglich. Allerdings sind die Visualisierungsmöglichkeiten und Analysefunktionen der gängigen BIM-Viewer im Vergleich zu Geoviewern oder anderer Visualisierungs-/ Analysesoftware bisher sehr begrenzt. In Zukunft soll anhand von Fallbeispielen die Eignung weiterer Methoden für die Quantifizierung der Baugrundunsicherheiten überprüft werden. Die Auswahl geeigneter Validierungsmethoden ist geplant, da sie eine Voraussetzung für die Etablierung der vorgestellten Methode darstellen. Bei der Kreuzvalidierung z.B. werden Teile des Datensatzes entfernt, um die Prognose anhand der entfernten Daten zu überprüfen. Des Weiteren sollen verschiedene Modellierungsbzw. Simulationsmethoden im Hinblick auf die Prognosefähigkeit und Eignung zur Quantifizierung von Unsicherheiten verglichen werden. Die Methodik für die Quantifizierung der Unsicherheit von Bodenkennwerten und die Fusion mit dem 3D-Baugrundmodell ist Gegenstand unserer aktuellen Forschung. Auf der Basis von open source Standards und Programmen sollen zudem flexible Analysen- und Visualisierungswerkzeuge für die Praxis entwickelt werden. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 59 Probabilistische Baugrundmodellierung für BIM unter Berücksichtigung der Unsicherheiten im Baugrundaufbau und den Bodeneigenschaften Literatur [1] Olaf Möller und Klaus-Peter Mahutka: BIM in der Geotechnik - Konzeptpapier 10. Buxtehude: hochschule 21 2018, S. 1-18. [2] DIN 4020: 2010-12, Geotechnische Untersuchungen für bautechnische Zwecke - Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-2, Berlin. [3] Gregory Baecher und John Christian: Reliability and statistics in geotechnical engineering. Chichester: Wiley 2003, S. 1-616. [4] Hui Wang, Xiangrong Wang und Robert Liang: Study of AI Based Methods for Characterization of Geotechnical Site Investigation Data. Ohio: Federal Highway Administration 2020, S.1-51. [5] Jianye Ching und Kok-Kwang Phoon: Constructing a Site-Specific Multivariate Probability Distribution Using Sparse, Incomplete, and Spatially Variable (MUSIC-X) Data. In: J. Eng. Mech. 3/ 2020, S. 1-15. [6] Dominik Stütz und Markus Herten: Evaluation von Software zur Generierung von Baugrundschichtenmodellen. In: Geotechnik 4/ 2020, S. 275-282. [7] Georges Matheron: Les variables régionalisées et leur estimation une application de la théorie des fonctions aléatoires aux sciences de la nature. Paris: Masson 1965, S. 1-305. [8] Melanie Jackson: Implizite Baugrundmodellierung unter Berücksichtigung der räumlichen Unsicherheiten anhand von Praxisbeispielen. München: Masterarbeit - Technische Universität München, 2021, S. 1-119. [9] Erik Vanmarcke: Random Fields. Cambridge: MIT Press 2010, S. 1-382. [10] GeostatsPy: Geostatistical Library in Python. 1.0.0, 2021. [Online]. Verfügbar unter: https: / / github. com/ GeostatsGuy/ GeostatsPy [11] Peter Robertson: Cone penetration test (CPT)-based soil behaviour type (SBT) classification system — an update. In: Can. Geotech. J. 12/ 2016, S. 1910-1927. [12] Claude Shannon: A Mathematical Theory of Communication. In: Bell System Technical Journal 3/ 1948, S. 379-423. [13] Oliver Schneider, Lukas Schildknecht, Stefan Volken, Michael Köbberich und Philip Wehrens: Ergebnisbericht Arbeitspaket 1. Grundlagen BIM- Methode (Virtual Design and Construction). Bern: Innovationsprojekt GEOL_BIM 2021, S. 1-63. [14] buildingSMART International, [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.buildingsmart.org/ (Zugriff am: 28. Oktober 2021). [15] DIN 18300: 2019-09, VOB Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen_- Teil_C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen_(ATV)_- Erdarbeiten, Berlin. [16] DIN EN 1997-1: 2014-03, Eurocode_7_- Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik_- Teil_1: Allgemeine Regeln; Deutsche Fassung EN_1997-1: 2004_+ AC: 2009_+ A1: 2013, Berlin. [17] Innosuisse Innovationsprojekt GEOL_BIM, Vxl2ifc. [Online]. Verfügbar unter: https: / / gitlab. com/ CHGEOL/ geol_bim-vxl2ifc (Zugriff am: 28. Oktober 2021). 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 61 Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Umsetzung von BIM in Spezialtiefbauprojekten M.Sc. M.Sc. Mirna Mamar Bachi Züblin Spezialtiefbau GmbH, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Die Einführung von BIM und die damit verbundene Digitalisierung der Bauprozesse spielt heute eine sehr wichtige Rolle in der Abwicklung von Spezialtiefbauprojekten. Mehrere Projekte von Züblin Spezialtiefbau haben bereits von der Nutzung von BIM auf der Baustelle profitiert. In diesem Beitrag wird insbesondere auf die BIM-Anwendungsfälle beim Projekt S21, Los Flughafentunnel, eingegangen. Nach der Vorentwicklung und dem Aufbau einer webbasierten Lösung konnte das Projektteam in der Ausführungsphase direkt und aktiv in die Digitalisierungs- und BIM-Prozesse eingebunden werden. Aufgaben wie die wöchentliche Planung und Überwachung der Bauarbeiten sowie die Auswertung der Produktionsdaten konnten digital und mit Hilfe von 3D-Modellen durchgeführt werden. Dieser Bericht beleuchtet auch die Herausforderungen, die während der Umsetzung aufgetreten sind, sowie einige der wichtigsten Rückmeldungen von Bauleitern und gewerblichem Personal. 1. Einführung Die Vorteile der BIM-Implementierung in der Spezialtiefbauindustrie werden seit kurzem immer deutlicher. Einige Innovationen werden bereits seit einigen Monaten auf verschiedenen Baustellen entwickelt und eingeführt und haben daher bereits einen guten Reifegrad erreicht. In vielen Fällen sind die Rückmeldungen der Mitarbeiter bereits in die aktuellen Lösungen eingeflossen und die Einstellung der Bauleiter und Mannschaften ist insgesamt positiv und kann mit der in [1] beschriebenen „Erkenntnisphase“ (Phase 6 in Abbildung 1) in Verbindung gebracht werden. Bei Züblin Spezialtiefbau ist dies z.B. der Fall bei der Nutzung von BIM-Modellen zur Überwachung des Bauprozesses und zur digitalen Erfassung von Produktionsdaten [2]. Natürlich ist der Weg zu einer vollständigen Integration und Konsolidierung (Phase 7 in Abbildung 1) noch lang und beinhaltet Stolpersteine (Phase 6i), die die Vertrauen des Personals in die Digitalisierung plötzlich sinken lassen können. Abbildung 1: Übliche menschliche Verhalten in Bezug auf Veränderungen. Dies stellt ein Risiko des Veränderungsprozesses dar, insbesondere bei dem Versuch, neue Entwicklungen in bestehende Arbeitsabläufe zu integrieren oder bei der Migration zu effizienteren Technologien mit dem Ziel eines umfassenderen und breiteren Zugangs zu Projektinformationen und deren Nutzung. Diese Verhaltensänderungen haben die fortschreitende Digitalisierung der Spezialtiefbauarbeiten im Projekt Bahnprojekt Stuttgart- Ulm, Planfeststellungsabschnitt (PfA) 1.3a Flughafenanbindung geprägt. Beispielsweise wurden die digitalen Protokolle von Anfang an durch konstruktives Feedback aus dem Projektteam und von anderen Baustellen getestet und kontinuierlich verbessert. Nach mehr als einem Jahr stellen sie nun die Standardlösung für die Protokol- 62 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Umsetzung von BIM in Spezialtiefbauprojekten lierung auf der Baustelle dar. In dieser Zeit wurden auch Methoden des Building Information Modeling (BIM) für die Baustelle entwickelt und konsequent umgesetzt. Aufgrund der positiven Ergebnisse aus diesen Praxiserfahrungen wurde beschlossen, BIM auch bei der PfA 1.3a Flughafenanbindung, insbesondere im Baufeld „EÜ Frauenbrunnen“, einzuführen. Neben der BIM-basierten Baufortschrittskontrolle, der Verknüpfung von zusätzlichen Produktionsdaten mit dem Modell und den daraus resultierenden Dashboards wurden neue Entwicklungen getestet und kritisch bewertet. Dies sind die teilautomatisierte Generierung eines 3D-Modells und der Einsatz eines BIM-basierten Wochenplans für die Poliere. Diese Anwendungsfälle werden in den folgenden Abschnitten zusammen mit den wichtigsten damit verbundenen Ergebnissen und Herausforderungen vorgestellt. 2. Beschreibung des Projekts 2.1 Bahnprojekt Stuttgart-Ulm as Bahnprojekt Stuttgart-Ulm ist derzeit eines der größten Infrastrukturprojekte in Deutschland. Die Umsetzung dieses Großprojekts ist mit vielen Veränderungen verbunden, die die Verkehrsinfrastruktur der Stadt Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg verbessern sollen. Der Gesamtumfang dieses Projekts, besser bekannt als Stuttgart S21, umfasst die folgenden Bauwerke: • Vier neue Bahnhöfe • 57 Kilometer neue Hochgeschwindigkeit Gleise • 59 Kilometer Tunnelbauwerke • 16 Tunnels und Durchlässe • 44 Brücken Das Gesamtprojekt wird in Planfeststellungsabschnitte (PfA) unterteilt, zu denen auch der Pfa 1.3a/ b Filderbereich und Flughafenanbindung gehört, der Gegenstand des vorliegenden Berichts ist. 2.2 PfA 1.3a Flughafenanbindung und Baufeld EÜ Frauenbrunnen Der Abschnitt PfA 1.3a beinhaltet den fünf Kilometer langen Teil der Neubaustrecke Stuttgart-Wendlingen- Ulm, den neuen Regional- und Fernbahnhof am Stuttgarter Flughafen mit zuführendem Tunnel sowie die Umverlegung der Landstraße 1204. Ziel ist es eine Verkehrsdrehscheibe zu schaffen, welche die Verkehrsmittel aus Straße, Schiene und Luft verbindet. Der Bauauftrag ist dabei in zwei Lose unterteilt. Das Baufeld EÜ Frauenbrunnen, in dem die oben genannten BIM-Lösungen getestet wurden, befindet sich im Westen von Los 1 direkt im Anschlussbereich zum PfA 1.2 (Abbildung 2) Abbildung 2: Lage Baufeld EÜ Frauenbrunnen innerhalb Los 1 Die Baugrube zeichnet sich durch eine komplexe Geometrie aus, die durch aufgelöste Bohrpfahlwand mit Spritzbeton, Trägerbohlverbau mit Ausfachung und bis zu 3 Ankerlagen unterstützt wird (Abbildung 3). Aus diesem Grund wurde sie ausgewählt, um das Potential der BIM Methode für komplexe Bauprojekte im Spezialtiefbau zu untersuchen. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 63 Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Umsetzung von BIM in Spezialtiefbauprojekten Abbildung 3: 2D Planübersicht der Gewerke auf dem Baufeld „EÜ Frauenbrunnen“ 3. Optimiertes Verfahren für die Erstellung des BIM-Modells Ein grundlegender Schritt eines jeden BIM-Projekts besteht in der Erstellung des BIM-Modells. Im Prinzip geschieht dies bereits in der Entwurfsphase und das resultierende Modell kann neben der Ableitung von 2D-Plänen auch in der Ausschreibung und später in der Ausführung verwendet werden. Trotz vieler Bemühungen der Institutionen [3] werden jedoch viele Projekte in Deutschland immer noch ohne BIM durchgeführt, so dass kein 3D-Modell für die Umsetzung von BIM auf der Baustelle zur Verfügung steht. In den Fällen, in denen BIM erst später eingeführt wird, ist es daher sehr wichtig, in kurzer Zeit ein Modell zu erstellen, das sich durch einen Detaillierungsgrad auszeichnet, der den auf der Baustelle zu realisierenden Anwendungsfällen entspricht. Abbildung 4: Fertiges 3D Spezialtiefbaumodell der Baugrube EÜ Frauenbrunnen Um die oben genannten Ziele zu erreichen und gleichzeitig den Modellierungsprozess effizienter und benutzerfreundlicher zu gestalten, hat Züblin Spezialtiefbau ein teilautomatisiertes Verfahren namens „Modellgenerator“ entwickelt. Die Idee für das Tool wurde nach der Einführung von BIM in verschiedenen Projekten geboren, um die Frage zu beantworten, wie die Nutzung von BIM und die Akzeptanz innerhalb der operativen Einheiten erhöht werden kann, auch wenn das Projekt eine kurze Laufzeit und eine begrenzte Zeit zwischen Vergabe und Mobilisierung hat. Das Tool wurde so einfach und intuitiv wie möglich konzipiert, damit auch Personal ohne vorherige Modellierungskenntnisse aus den zweidimensionalen Planungsunterlagen mit geringem Zeitaufwand und mit hoher Zuverlässigkeit ein 3D-Modell zur Anwendung auf der Baustelle generieren kann. Der Modellgenerator basiert auf Dynamo-Prozeduren mit zusätzlichen eingebundenen Python-Skripten, die mit Autodesk Revit und Kalkulationstabelle verknüpft sind. Ein Werkstudent ohne Erfahrung in der Modellierung wurde mit der Erstellung des Modells mit dem Modellgenerator eingesetzt. Er war im Baufeld Frauenbrunnen angestellt, um die Bauleitung bei ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen. Nach der teilautomatisierten Erzeugung wurde das resultierende 3D-Modell geprüft und verifiziert. Aufgrund der großen Unregelmäßigkeit der statischen Schnitte musste zum Beispiel die Ankerverschwenkung an einigen Stellen angepasst werden. Die Vorteile beim Einsatz des Werkzeugs wurden noch deutlicher, als sich die Planung der Baugrube im Laufe der Ausführung änderte. Mit geringem Aufwand konnte das Modell direkt vom Baustellenpersonal angepasst werden. Insgesamt wurden für die Erstellung und Aktualisierung des Modells ca. 4 Stunden bzw. 6 Stunden benötigt. Mit der Fertigstellung des Modells (Abbildung 4) konnten sich die Bauleiter eine bessere Vorstellung von den Dimensionen und Zusammenhängen des Bauprojekts machen. Zusätzlich zu diesem ersten 64 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Umsetzung von BIM in Spezialtiefbauprojekten visuellen Überblick ermöglichte das Modell dem Bauleiter, eigene Schnitte und Ansichten zu erstellen oder Mengen abzuleiten. Darüber hinaus konnte es auch für die andere Anwendungsfälle in der Ausführung verwendet werden. 4. Umsetzung von BIM in der Ausführung 4.1 Plattform Umgebung Damit das Modell in der Ausführungsphase effektiv genutzt werden kann, muss eine klare Verbindung der 3D- Bauteile zu anderen Informationsquellen definiert und eingerichtet werden. Erst eine umfassende Sammlung von Geometrie- und Produktionsdaten mit den dazugehörigen Protokollen und Dokumenten würde das nötige Wissen liefern, um einen digitalen Zwilling dessen zu bilden, was geplant und gebaut wurde. Zu diesem Zweck bieten Cloudbasierte und kollaborative Plattformen derzeit mehrere Schnittstellen für den Datenaustausch mit kommerzieller Software und die notwendige Speicherkapazität für alle anfallenden Daten und Dateien. Der Vorteil und Erfolg solcher fortgeschrittenen Systeme hängt jedoch von der Gestaltung ab, wie ihre Datenstruktur aufgebaut ist, und von der Definition des Datenaustauschrahmens zwischen den verschiedenen Datenquellen. Auf Basis der Erfahrungen aus Dutzenden von vorangegangenen Pilotprojekten wurde bei Züblin Spezialtiefbau ein allgemeines Konzept der Datenarchitektur und der entsprechenden Zusammenhänge entwickelt und schrittweise in einer von STRABAG bereitgestellten webbasierten Umgebung umgesetzt. Diese Lösung bietet die Möglichkeit, BIM-Modelle mit Produktionsdaten zu verknüpfen, die entweder über Apps auf mobilen Geräten oder direkt von Spezialtiefbaugeräten auf der Baustelle gesammelt werden. Die Dateneingabe dürfte dadurch effizienter werden, da Zeitverschwendung und Inkonsistenzen vermieden werden, die bei doppelter und sich wiederholender Arbeit wie dem manuellen Abtippen von Werten auf Papierformularen entstehen können. Abbildung 5: BIM-Viewer und entsprechende Tabellenansicht mit Entwurfs- und Produktionsdaten und dem aktuellem Bauzustand. Alle grün markierten Bauteile haben den Status „Träger eingebaut“ erreicht. 4.2 BIM Visualisierung auf der Baustelle Die Einführung von BIM auf der Baustelle ist natürlich nur möglich, wenn ein geeigneter, einfacher und intuitiver BIM-Viewer zum Einsatz kommt. Auf dem Baufeld Frauenbrunnen nutzte das Baustellenpersonal des PfA 1.3a den in die Züblin-Plattform integrierten BIM-Viewer. Die Reaktion war positiv, da die Bauleiter die Position der Bauelemente innerhalb der Baugrube leicht identifizieren und so den Kontext, in dem sie gebaut wurden, besser verstehen konnten. Gleichzeitig ermöglichte es der BIM-Viewer, durch das Modell zu navigieren, die Eigenschaften der 3D-Elemente abzurufen, Abmessungen vorzunehmen und über die Markup-Komponente Kommentare direkt auf einen Snapshot anzuwenden. 4.3 Baufortschrittkontrolle Eine der wichtigsten Aufgaben von Bauleitern ist die kontinuierliche Überwachung, welche Leistungen auf der Baustelle erbracht wurden [4]. Die Baufortschrittskontrolle wird üblicherweise am Ende eines jeden Tages manuell durchgeführt, indem auf einem ausgedruckten 2D-Plan in den Bürocontainern farblich markiert wird, welche Bauteile fertiggestellt worden sind. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 65 Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Umsetzung von BIM in Spezialtiefbauprojekten Auf dem Baufeld Frauenbrunnen wurde dieser Prozess durch BIM mit Hilfe der Züblin-Plattform sowohl für den Trägerbohlverbau als auch für die Ankerarbeiten optimiert. Der Baufortschritt für jedes Bauteil im jeweiligen Gewerk konnte über Status nachverfolgt werden, die zuvor in einem Workflow definiert wurden. Die Umschaltung in einen anderen Status erfolgte direkt durch das Baustellenpersonal über mobile Geräte. Diese Aktion aktivierte die Aufzeichnung des Zeitstempels, die in Echtzeit in einer mit dem Modell verknüpften Tabellenansicht angezeigt wurden (siehe Abbildung 5). Diese Informationen wurden in Kombination mit geometrischen Parametern zur Berechnung von Leistungsanalysen und Soll-Ist-Vergleichen verwendet. 4.4 BIM-basierter Polier-Wochenplan Eine weitere getestete Entwicklung war die Möglichkeit, die wöchentlich auszuführenden Arbeiten auf der Baustelle mittels BIM festzulegen. Die Reihenfolge der Tätigkeiten muss generell wöchentlich von Bauleitern auf der Grundlage des allgemeinen Ausführungsterminplanes detailliert geplant werden und besteht normalerweise in der Markierung der zu bauenden Flächen/ Bauteile auf 2D-Plänen, die ausgedruckt und den Polieren gezeigt werden. Manchmal treten jedoch Änderungen auf, die eine entsprechende Anpassung des Wochenplans und eine unverzügliche Mitteilung an das betroffene Personal erfordern. Um den Baustellenteams einen zuverlässigeren und stets aktuellen Informationsstand zu versorgen, wurde in der Plattformumgebung ein neuer Ansatz geschaffen, der auf der Verknüpfung zwischen den 3D-Bauteilen im BIM- Modell und ihrem geplanten Herstelldatum basiert. Das Verfahren kann über wöchentliche Filter aktiviert werden, die zunächst eingerichtet werden und dann allen Benutzern zur Verfügung stehen. Die Vorteile für die Bauleiter bestanden in der äußerst einfachen Erstellung und Anpassung der Wochenpläne sowie der benutzerfreundlichen Auswahl der Bauteile durch entweder die 3D-Visualisierung oder die damit verbundene Tabellenansicht. Die Mehrfachauswahl ermöglichte zudem eine noch effizientere Zuordnung der geplanten Aktivitäten. Andererseits lagen die Vorteile für die Kolonne in der einfachen Identifizierung der auszuführenden Arbeiten (z. B. das Spannen der Anker, wie in Abbildung 6 dargestellt) „im Raum“ direkt in der 3D-Ansicht der Baugrube und „in der Zeit“ durch Auswahl der betreffenden Kalenderwoche. Abbildung 6: Wochenplan für die Spannarbeiten in Kalenderwoche 37 am Baufeld Frauenbrunnen. 4.5 Bauwerkdokumentation Während der Ausführung eines Projekts fällt eine große Menge an Daten und Dokumenten an. Das Sammeln und Sortieren dieser Dokumente beginnen bereits vor dem Einsatz von Personal oder Geräten auf der Baustelle. Es liegt in der Verantwortung des Bauleiters, diese Informationen zu verwalten, zu archivieren und zu interpretieren. In vielen Fällen werden die Dokumente in verschiedenen Ablagesystemen abgelegt, was zu Verwirrung und Zeitverlust bei der täglichen Arbeit führen kann. Mit der Implementierung von BIM auf dem Baufeld Frauenbrunnen hatte die Bauleitung die Chance, Lieferscheine, Protokolle und Pläne auf die Plattform zu übertragen und mit den zugehörigen Bauteilen zu verknüpfen. Durch einfaches Auswählen eines Bauteils im 3D-Modell, zum Beispiel eines Ankers, konnten dessen Lieferschein, Herstellprotokoll, Spannprotokoll usw. angezeigt werden. Diese Verknüpfung und allgemein das in der Plattform enthaltene Dokumentenmanagementsystem verringerten die Zeit, die für die Suche nach den richtigen Dateien benötigt wurde. 66 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Umsetzung von BIM in Spezialtiefbauprojekten Abbildung 7: Dashboard zur Auswertung der Produktion des Trägerbohlverbausystems am Baufeld Frauenbrunnen. 4.6 Datenauswertung durch Dashboards BIM-Dashboards wurden durch die Kombination von Diagrammen und anderen Arten von Projektinformationen entsprechend den Bedürfnissen der Benutzer erstellt. Abbildung 7 zeigt ein Beispiel für ein Dashboard, das auf der Baustelle für die Bewertung der Herstellung von Träger verwendet wurde. Das Dashboard, das mit einer Vielzahl von Widgets konfiguriert wurde, zeigt die Position des Baufeldes auf einer virtuellen geographischen Landkarte und im zugehörigen Projektplan, den Fertigstellungsgrad und andere Details wie die Anzahl der gebauten Bauteile pro Tag und pro Status. Auf der Grundlage der im Wochenplan bereitgestellten Angaben konnte auch ein Soll-Ist-Vergleich zwischen den geplanten und ausgeführten Arbeiten pro Woche angezeigt werden. Diese Art der Datenauswertung durch Dashboards vereinfachte die Überwachung und den Überblick über den Projektfortschritt erheblich und lieferte dem Management wertvolle Daten, die den Entscheidungsfindungsprozess beschleunigen konnten. 5. Herausforderungen und Rückmeldungen Die Einführung digitaler Lösungen auf der Baustelle ist immer noch von sozioökonomischen, technischen und in einigen Fällen auch politischen Herausforderungen geprägt [5]. Das erste Hindernis ist die konventionelle Denkweise der Bauindustrie. Dies kann entweder die Kunden, das Management oder das Baustellenpersonal und im schlimmsten Fall alle Projektbeteiligten ungünstig betreffen. Auf dem Baufeld Frauenbrunnen hat die Bauleitung die Entscheidung getroffen, neue Arbeitsprozesse auf der Grundlage von BIM-Methoden und Datenmanagement zu testen. Alle Beteiligten waren sich seit Projektbeginn der Schwierigkeiten bei der Implementierung solcher Innovationen und die unvorhersehbaren Auswirkungen auf die bestehenden Prozesse bewusst. Ein sehr wichtiger Schritt war die Einbeziehung der Bauleiter, Poliere und Kolonnen und die Überzeugung, von der papiergestützten Datenerfassung auf die digitale Datenerfassung durch webbasierte Lösungen umzustellen. Wenn konventionelle Arbeitsmethoden umgestaltet werden müssen, ist für eine erfolgreiche Umsetzung ein hohes Maß an Motiva- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 67 Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Umsetzung von BIM in Spezialtiefbauprojekten tion und Disziplin erforderlich. Beispielsweise führte die Erfassung von Daten nicht zu dem Zeitpunkt, zu dem ein bestimmtes Ereignis eintrat, zu einem zusätzlichen Aufwand bei der Bearbeitung der Datensätze. Dies könnte leicht vermieden werden, wenn die Anweisungen für die Echtzeit-Erfassung befolgt würden. Eine weitere Herausforderung waren die manchmal widersprüchlichen Änderungen in der Definition der Anforderungen im Laufe der Zeit. Es war auch nicht ganz einfach zu erkennen, dass die übliche Arbeitsweise mit Tabellenkalkulationen nicht vollständig auf die Plattform übertragen werden konnte und eine andere Denkweise erforderte. Aus diesen Gründen wurde die Umstellung auf das neue System zunächst als zusätzliche Arbeitsbelastung für das Projektteam wahrgenommen. Nach Überwindung der ersten Anstrengungen und der anfänglichen Einarbeitungsphase wurde BIM auf der Baustelle von den Bauleitern und den gewerblichen Mitarbeitern positiv aufgenommen. Generell hat der Einsatz der BIM-Methode in der Ausführungsphase am Frauenbrunnen die zukünftigen Möglichkeiten und damit das Optimierungspotenzial der aktuellen Arbeitsprozesse rund um das Erfassen, Analysieren, Visualisieren, Prüfen und Auswerten von Produktionsdaten deutlich aufgezeigt. 6. Fazit Dieser Bericht stellt die BIM-Anwendungsfälle und -Entwicklungen vor, die im Rahmen des Projekts Projekt Stuttgart 21, PfA 1.3a, Baufeld Frauenbrunnen umgesetzt wurden, und hebt die wichtigsten Vorteile im Hinblick auf ihre Nutzung hervor. Die Einleitung solch innovativer Lösungen führte zu Beginn der Baustelle aufgrund des höheren Aufwands und des erforderlichen Umdenkens zu herausfordernden Situationen. Zum ersten Mal konnte ein Bauleiter ohne vorherige Modellierungserfahrung die Baugrube mit einem teilautomatisierten Werkzeug modellieren und die anschließenden Anpassungen vornehmen. Dies ermöglichte eine viel schnellere Reaktion auf mögliche Änderungen des Entwurfs, die in das Modell eingearbeitet werden konnten. Zusätzlich wurden eine BIM-basierte Überwachung des Baufortschritts und eine Auswertung der Projekt-KPIs durch Dashboards durchgeführt. Außerdem wurde während des Projekts ein BIM-basierter Wochenplan für die Poliere entwickelt und getestet. Die Erfahrungen auf der Baustelle in der Ausführung haben gezeigt, dass zwei der Schlüsselfaktoren für die erfolgreiche Umsetzung von BIM und Digitalisierung die kontinuierliche Betreuung und Schulung des Baustellenpersonals in den Anfangsphasen und gleichzeitig dessen Engagement und Disziplin sind. Nachdem die neuen BIM-Prozesse allen Projektbeteiligten klar waren, wurde eine allgemeine Akzeptanz der neuen Technologien aufgrund der greifbaren Vorteile erreicht. Dazu gehören die Reduzierung von Zeitverlusten, die höhere Qualität von Daten und Dokumentation, der bessere und schnellere Überblick über den Baufortschritt und das mit BIM verbundene Datenmanagementsystem. Eine Konsolidierung der BIM-Methoden für Spezialtiefbaubaustellen ist noch ein laufender Prozess, der in Zukunft weitere Entwicklungen und Pilotprojekte erfordert. Projekte wie dieses sind jedoch äußerst wertvolle Erfahrungen und stellen Meilensteine bei der Definition von Standard BIM-Prozessen dar. Literatur [1] G. Kraus, Ch. Becker-Kolle, T. Fischer (2004): Handbuch Change-Management. Berlin: Cornelsen [2] M. M. Bachi, D. Bellato (2020): Implementierung und Integration digitaler Lösungen in Prozesse des Spezialtiefbaus, geotechnik 43, H.4, pp. 308-317 [3] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) [Hrsg.] (2015) Stufenplan Digitales Planen und Bauen [online]. https: / / bim4infra.de/ stufenplan [Zugriff am: 17. Aug. 2021]. [4] A. Braun, S. Tuttas, U. Stilla, A. Borrmann (2018) BIM-Based Progress Monitoring in: A. Borrmann, M. König, C. Kocj, J. Beetz [Hrsg.] Building Information Modeling: Technology Foundations and Industry Practice. Cham (Schweiz): Springer International Publishing, pp. 463-476. [5] T. D. Oesterreich, F. Teuteberg, (2016) Understanding the implication of digitization and automation in the context of Industry 4.0: A triangulation approach and elements of a research agenda for the construction industry in: Computers in Industry 83, pp. 121-139. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.compind.2016.09.006. Baugruben 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 71 Bauvorhaben Four - Deckelbauweise mit 4 Hochhäusern mitten in Frankfurt Dr.-Ing. Simon Meißner, Maximilian Kies (M. Eng.), Dipl.-Ing. Bernd Cronen Prof. Quick und Kollegen, Groß-Gerauer-Weg 1, 64295 Darmstadt Zusammenfassung Auf dem ehemaligen Deutsche Bank Areal in Frankfurt werden aktuell vier Hochhäuser realisiert. Diese Hochhäuser wurden auf einer gemeinsamen Bodenplatte in einer Baugrube geplant. Die Baugrube weist eine Fläche von ca. 16.000 m² und eine Tiefe von 20 m auf und wird umringt von bestehenden Hochhäusern. Zur Herstellung der vier Untergeschosse wurde eine Deckelbauweise ausgeführt. Zur Optimierung der geplanten Kombinierten Pfahl-Plattengründung (KPP) wird zusätzlich die Schlitzwand zum Lastabtrag herangezogen. Insgesamt werden 372 Gründungspfähle hergestellt. Die Verbauwand wurde in der Innenstadt von Frankfurt zum ersten Mal im Schlitzwandverfahren ausgeführt. Für die komplexe Bemessung der Verbauwand in Verbindung mit der großmaßstäblichen Deckelbauweise und der KPP-Gründung wurden detaillierte Nachweisstrategien entwickelt und erfolgreich umgesetzt. Zwischenzeitlich wurde erfolgreich die Deckelbauweise und somit die Untergeschosse hergestellt. 1. Einleitung Das Bauvorhaben FOUR zählt zu einem der größten innerstädtischen Bauvorhaben in Europa. Auf einer Fläche von 16.000 m² werden vier Hochhäuser mit Höhen von 100 m bis zu 233 m realisiert. Die wesentlichen Projektdaten der Hochhäuser sind nachfolgend zusammenstellt. • Untergeschosse 4 über das Projektgebiet • Tower 1: Höhe / Obergeschosse 233 m / 57 • Tower 2: Höhe / Obergeschosse 173 m / 48 • Tower 3: Höhe / Obergeschosse 120 m / 32 • Tower 4: Höhe / Obergeschosse 100 m / 25 Direkt angrenzend an das Bauvorhaben befinden sich einige der bekanntesten Hochhäuser der Skyline Frankfurts. Unter anderem zählen der MainTower, der Commerzbank Tower und der Omniturm zu den unmittelbaren Nachbarn des Bauvorhaben FOUR. Es gilt jedoch nicht nur die umliegenden Hochhäuser bei der Planung zu berücksichtigen, auch denkmalgeschützte Gebäude und Gebäudeteile mussten mit in die Planung einbezogen werden. Mit der Integration der denkmalgeschützten Fassade des ehemaligen Areals gibt es eine komplexe Aufgabe, die dieses Bauvorhaben zu einem Besonderen macht. Die Herausforderungen bei der Verwirklichung des Bauvorhabens FOUR liegen in der Komplexität der Ausführung und Bemessung der 20 m tiefen Baugrube und der Kombinierten Schlitzwand-Pfahl-Plattengründungen der vier Hochhäuser mit bis zu 28 m langen Gründungspfählen und bis zu 40 m langen Schlitzwänden sowie in der erforderlichen Nachweisführung hinsichtlich möglicher Verschiebungen des Baugrubenverbaus und benachbarter baulicher Anlagen. 2. Baugrund- und Grundwasserverhältnisse Zur Ermittlung der Baugrund- und Grundwasserverhältnisse wurden neben der Auswertung vieler Archivbohrungen weitere 10 Erkundungsbohrungen mit Tiefen von bis zu 150 m größtenteils durch die eingeschossige Bestandstiefgarage durchgeführt. Der im Projektgebiet erkundete Baugrund besteht aus Auffüllungen, quartären Sanden / Kiesen, gefolgt von der Wiesbaden Formation (Untere Hydrobien), auch bekannt unter der Bezeichnung Frankfurter Ton. Die Wiesbaden-Formation ist von Kalksteinbänken und Kalksandschichten durchsetzt und durch ältere, bereits erodierte Sedimente geologisch überkonsolidiert [3]. Unterhalb der Wiesbaden Formation befinden sich felsige Inflaten- und Cerithienschichten (Rüssingen Formation). Die Inflaten bestehen aus massiven Kalkstein- und Dolomitschichten, Algenriffen, Sand, Schluff und Mergelton (Abb. 1). Abb. 1: Schematischer Baugrundaufbau 72 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Bauvorhaben Four - Deckelbauweise mit 4 Hochhäusern mitten in Frankfurt Der Grundwasserleiter in den quartären Sanden befindet sich etwa 3 m bis 5 m unter der Geländeoberfläche. Der tertiäre Grundwasserleiter zirkuliert in den zerklüfteten Kalksteinbänken und Sandlinsen des Tertiärs. 3. Baugrube - Planung aus Ausführung Die Herstellung der Untergeschosse erfolgt im Schutze einer quasi-wasserundurchlässigen Trogbaugrube. Die Grundfläche der Baugrube beträgt ca. 16.000 m², der Umfang ca. 550 m. Die Baugrubensohle liegt bei ca. 79,20 mNHN, d.h. 20 m unter der Geländeoberfläche und ca. 14 m unter dem Grundwasserspiegel. Die Ausführung der Baugrubenumschließung im Schlitzwandverfahren in der Innenstadt von Frankfurt stellt aufgrund der Baugrundverhältnisse mit den mächtigen Kalksteinbänken innerhalb der Wiesbaden Formation eine Innovation dar, die erfolgreich ausgeführt werden konnte. Anfang 2019 wurde mit den Schlitzwandarbeiten begonnen. Die kürzeren Lamellen der Schlitzwand reichen bis zu einer maximalen Tiefe von 72,0 mNHN, während die längeren Lamellen unter Berücksichtigung der Nachweise der Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit bis zu 60,0 mNHN geführt wurden. Mit dieser Höhenstaffelung kann der Porenwasserdruck auf die Verbauwand optimiert werden. Die Tiefe der kürzeren Lamellen wurde unter Berücksichtigung der Genehmigungsfähigkeit der Wasserhaltung sowie der statischen Bemessung gewählt. Die kurze Schlitzwandlamelle weist somit keine ausreichende Standsicherheit auf. Daher wurden die erforderlichen Defizitkräfte auf die langen Lamellen für die Nachweisführung übertragen und eine entsprechende Konstruktion zur Übertragung dieser Kräfte in allen Fugen ausgebildet. Tab. 1: Baugrubendaten Verbauwandart: Schlitzwand (Gründungssystem) Dicke Schlitzwand: 1,20 m Tiefe der Schlitzwand: ca. 28 m / ca. 40 m Umlauf der Schlitzwand: 550 m Baugrubentiefe: ca. 20 m Wandhalterung: ausgesteift mit 2 Deckeln Die Trogbaugrube wurde im Schutze einer Deckelbauweise mit zwei aussteifenden Deckeln und bereichsweiser Rückverankerung und Erdvernagelung ausgehoben. Da bereits der obere Deckel unterhalb des Grundwasserspiegels liegt und eine Grundwasserabsenkung für die Herstellung des Deckels nicht genehmigt wurde, musste zunächst die wasserundurchlässige Schlitzwand fertiggestellt werden. Abb. 2: Aushub unter Deckel 02 Abb. 3: Schematische Darstellung des Porenwasserdrucks Im Juli 2020 konnte der obere Deckel hergestellt und mit dem Aushub unter diesem Deckel begonnen werden. Der Aushub musste sorgsam erfolgen, um die Brunnen sowie die Primärstützen nicht zu beschädigen. Der Erdaushub konnte im April 2021 erfolgreich beendet werden. Eine große Herausforderung war das Herausbrechen der zum Teil bis zu 2 m mächtigen, harten Kalksteinbänke. Im Juni 2021 wurden die letzten Bodenplattenabschnitte betoniert. Abb. 4: Aushub unter Deckel 02 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 73 Bauvorhaben Four - Deckelbauweise mit 4 Hochhäusern mitten in Frankfurt Abb. 5: Aushubdokumentation (Soll/ Ist) 4. Numerische Gebrauchstauglichkeitsberechnungen zur Verbauwand Im Rahmen der statischen Bemessung und Beurteilung der Gebrauchstauglichkeit der Schlitzwand wurden 2D- FE-Berechnungen durchgeführt. Anhand dieser numerischen Berechnungen konnten u.a. die Verschiebungen der Schlitzwand in den entsprechenden Aushubzuständen ermittelt und für die innere Bemessung der Schlitzwand zugrunde gelegt werden. Zusätzlich konnten anhand dieser Gebrauchstauglichkeitsberechnungen auch die Mitnahmeverschiebungen der benachbarten baulichen Anlagen, die aus der Herstellung der Baugrube resultieren, untersucht und deren Verträglichkeit überprüft werden. Diese Berechnungen wurden für jeden statischen Bemessungsschnitt der Baugrube durchgeführt. Neben den horizontalen Verschiebungen wurden auch vertikale Verschiebungen in den einzelnen Bemessungsschnitten ausgewertet und deren Auswirkungen auf die Bestandsbauwerke überprüft. Abbildung 6 zeigt die horizontalen Verschiebungen der Schlitzwand. Abb. 6: Horizontale Verschiebung (2D) 5. Optimierung des Bauablaufs Im Zuge der Realisierung des Bauvorhabens wurden weitere Gebrauchstauglichkeitsberechnungen für die Schlitzwand zur Optimierung des Bauablaufes durchgeführt. Es wurden verschiedene 3D-FE Berechnungen durchgeführt, die einen vorzeitigen Aushub unter den nur teilweise hergestellten und somit statisch nicht voll wirksamen Deckeln untersuchen. Diese dreidimensionalen Berechnungen greifen die Randbedingungen hinsichtlich des Baugrund- und Grundwassermodells sowie den geometrischen Abmessungen aus den 2D-FE-Berechnungen auf und bieten durch die Berücksichtigung der räumlichen Effekte eine detailliertere Sichtweise auf die Verschiebungen. Abb. 7: Numerisches 3D Modell für den Bereich der denkmalgeschützten Fassade Die mittels 3D-FE-Berechnungen ermittelten horizontalen Verschiebungen der Schlitzwand mit Berücksichtigung eines vorzeitigen Aushubs sind vergleichbar mit den horizontalen Verschiebungen der Schlitzwand in den 2D-Berechnungen. Die geringfügigen Abweichungen resultieren mitunter aus der unterschiedlichen Modellierung des Modells (2D / 3D) und der detaillierten Abbildung der konstruktiven Elemente (Pfähle und Primärstützen). Die horizontalen Verschiebungen der Schlitzwand durch einen vorzeitigen Aushub unter dem Deckel 02 können Abbildung 8 entnommen werden. Mit Hilfe der 3D-Berechnungen wurde der Bauablauf mit vorzeitigen Aushub unter den nur teilweise hergestellten Deckeln erfolgreich umgestellt. 74 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Bauvorhaben Four - Deckelbauweise mit 4 Hochhäusern mitten in Frankfurt Abb. 8: Horizontale Verschiebung (3D) 6. Grundwasserhaltung Zur Erlangung einer wasserrechtlichen Erlaubnis wurde die Grundwasserhaltung / -entspannung weitestehend innerhalb der wasserundurchlässigen Baugrubenumschließung betrieben. Die Entwässerung der Baugrube und die Entspannung des tertiären Grundwasserleiters zur Gewährleistung der Auftriebssicherheit der Baugrubensohle erfolgen über unterschiedlich tiefe Förderbrunnen und Entspannungsbohrungen in mehreren Entspannungsphasen. Das über die Förderbrunnen und Entspannungsbohrungen gefasste Grundwasser wird über Ring- und Stichleitungen einem Absetzbecken zugeführt. Alle geplanten Förderbrunnen und Entspannungsbohrungen wurden von oberhalb des Grundwasserspiegels hergestellt. Die Förderbrunnen und Entspannungsbohrungen der einzelnen Phasen werden in unterschiedlichen Höhenkoten mit einem vertikalen Abstand der Filterstrecken zueinander verfiltert, so dass eine Umläufigkeit zwischen den Förderbrunnen und Entspannungsbohrungen der einzelnen Phasen in vertikaler Richtung vermieden wurde. Durch die Ausführung dieser innovativen Grundwasserhaltung, bestehend aus mehreren Absenk- / Entspannungsphasen, konnte die rechnerische Fördermenge um ca. 40 % reduziert werden [5]. Abb. 9: Exemplarische Darstellung aktiver Brunnen in einer der Entspannungsphasen für einen Aushub bis auf den Deckel 02 Mögliche Auswirkungen der Grundwasserhaltung auf die Umwelt und die Hydrogeologie werden durch ca. 100 Grundwassermessstellen in einem Radius von ca. 1.000 m um die Baugrube überwacht. Bereits sechs Monate vor Baubeginn der Schlitzwandarbeiten wurde mit der Überwachung in monatlichem Rhythmus begonnen und während der Wasserhaltung auf wöchentliche Messungen intensiviert. Die Qualität des geförderten Grundwassers erfolge durch wöchentliche chemische Analysen vor und nach der Grundwasserabreinigung, so dass eine direkte Einleitung in den Main über einen Regenwasserentlastungskanal möglich wurde. Hierbei galten strenge Auflagen. Die tatsächliche Reichweite der Grundwasserentspannung entsprach weitestgehend der Prognose, wobei die tatsächlichen Fördermengen deutlich geringer ausfielen. 7. Gründung Das gewählte Gründungssystem besteht aus einer Kombinierten Schlitzwand-Pfahl-Plattengründung. Die Lastabtragung aller Bauwerkslasten erfolgt sowohl über die Gründungspfähle, die Schlitzwände und über die Bodenplatte in Anlehnung an die KPP-Richtlinie [2]. Ergänzend zu den erforderlichen Gründungselementen wurden zur Auflagerung der Deckel insgesamt 240 Primärstützen hergestellt. Dabei wurden Fertigteilstützen mit hohen Anforderungen an die Einbautoleranzen in die vorab hergestellten Gründungspfähle eingestellt (Abb. 10). Abb. 10: Herstellung von Gründungspfählen vor der denkmalgeschützten Fassade 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 75 Bauvorhaben Four - Deckelbauweise mit 4 Hochhäusern mitten in Frankfurt Tab. 2: Gründungsdaten Gründungssystem: Kombinierte Schlitzwand- Pfahl-Plattengründung Plattendicke: 2,0 m - 4,0 m Pfahllängen: 18 m - 28 m Umlauf der Schlitzwand: 550 m Fläche Schlitzwand: 17.500 m² Anzahl Pfähle Ø 1,86 m: Anzahl Pfähle Ø 1,68 m: Anzahl Pfähle Ø 1,38 m: Gesamtanzahl Pfähle: 33 Stk. 45 Stk. 294 Stk. 372 Stk. Gesamtpfahllänge: ca. 8.200 m Abb. 11: Einbau einer (Fertigteil-)Primärstütze Abb. 12: Lageplan der Gründungselemente Die Nachweisführungen zur Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit der Gründung der vier Hochhäuser erfolgten anhand von analytischen und numerischen Berechnungen. In diesem Kontext wurden die folgenden numerischen 3D-Berechnungen durchgeführt: • Bemessung der Kombinierten Schlitzwand-Pfahl- Plattengründung • Untersuchungen zu Verdrehungen und Verschiebungen der Schlitzwandlamellen parallel zur Schlitzwandachse • Grenzwertbetrachtungen zur Steifigkeit der Schlitzwand • Untersuchungen zum Anschluss Bodenplatte / Schlitzwand Die numerischen Simulationen wurden mittels zwei- und dreidimensionaler Finite-Elemente Berechnungen mit dem Programmsystem Plaxis 3D® durchgeführt. Das entwickelte dreidimensionale Berechnungsmodell bildet u. a. die folgenden Randbedingungen ab: • Verbauwände als Volumen-Elemente • Gründungspfähle im Bereich der Hochhäuser als Volumen-Elemente [4] • Kontaktzonen um die Gründungspfähle [1] • Primärstützen im Bereich der Deckel als Embedded Piles • Bodenplatten der Hochhäuser und Bestandsbauwerke als Volumen-Elemente • Lasten aus der aufgehenden Bebauung • Kernwände im Bereich der Hochhäuser • Detaillierter Bauablauf Abb. 13: Numerisches Modell der Gründung 76 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Bauvorhaben Four - Deckelbauweise mit 4 Hochhäusern mitten in Frankfurt Die numerische Simulation beinhaltet folgende Phasen zur Modellierung des realitätsnahen Bauablaufs: 1. Primärspannungszustand 2. Vorbelastung durch Bestandsgebäude 3. Entlastung durch Abbruch Bestand 4.-11. Schrittweise Grundwasserentspannung, Aushub und Einbau der Deckel 12. Laststufe G+Q (ständige + veränderl. Lasten) Bemessungskombination KPP 13. Laststufe 2,0 (G+Q) Nachweis der äußeren Tragfähigkeit GZ1 14. Laststufe G+Q/ 3- Auftrieb (A) setzungserzeugende Lastkombination Die Erstellung des numerischen Modells, die Baugrund- und Stoffparameter sowie die Berechnungsphasen wurden in enger Abstimmung mit allen beteiligten Prüfern abgestimmt und gewählt. Die wahrscheinlichen Setzungen der Bodenplatte unter setzungsrelevanten Lasten sind in Abbildung 14 dargestellt. Abb. 14: Setzungsplot FOUR (Schlitzwand teilweise und Baugrund ausgeblendet) Die Simulationen zur Schlitzwandsteifigkeit parallel zur Wandachse und zur Beurteilung der Auswirkungen der systembedingten Schlitzwandfugen erfolgte durch numerische Berechnungen und einer Variation der kurzen und langen Schlitzwandlamellen. Hierbei wurden jeweils Modelle mit weichem und steifen Verbau entwickelt. Das Prinzip kann Abbildung 15 entnommen werden. Abb. 15: Modelle zur Untersuchung des Einflusses der Schlitzwandsteifigkeit Anhand dieser Simulationen konnte festgestellt werden, dass obwohl die Schubsteifigkeit im Modell mit dem weichen Verbau ausgeschaltet wurde eine horizontale Verschiebung bzw. Verdrehung der einzelnen Lamellen nicht maßgebend ist. Die horizontale Verschiebung wird zum einen durch den seitlich anstehenden Baugrund und zum anderen durch die Sohlreibung in der Aufstandsfläche verhindert. 8. Mess- und Beweissicherungsprogram Für die Überwachung des Bauvorhabens Four wurde ein detailliertes Mess- und Beweissicherungsprogramm entwickelt. Im Rahmen der geodätischen und geotechnischen Messungen der Verbauwand und der Gründung kommt eine umfangreiche geotechnische Messinstrumentierung bestehend aus Kraftmessdosen an Pfahlfuß und Pfahlkopf, Dehnmessstreifen in verschiedenen Ebenen sowie Sohl- und Porenwasserdruckgebern und Gleitdeformetern zum Einsatz. Neben der vorgenannten klassischen Instrumentierung zur Beobachtung des Tragverhaltens einer KPP wurden die Messpfähle zusätzlich mit faseroptischen Sensorkabeln (Distributed Strain Sensing) über die Pfahllänge ausgerüstet, welche u.a. eine Dehnungsmessung entlang der Pfähle ermöglichen. Zur Beobachtung der Setzungen bzw. Hebungen werden insgesamt 35 Messbolzen an Primärstützen über das gesamte Untergeschoss verteilt installiert sowie die Gleitdeformeter ausgewertet. Bis zum Endaushubzustand konnten Hebungen der Primärstützten von mehreren Zentimetern beobachtet werden. Für die Durchführung der geodätischen und geotechnischen Messungen an der Verbauwand wurden insgesamt 17 Messbolzen am Schlitzwandkopf, 18 Inklinometer in langen und kurzen Lamellen sowie Ankerkraftmessdosen installiert. Die Ergebnisse der Kopfverschiebungen der Verbauwand getrennt für die Messbolzen und Inklinometer sind für den Endaushubzustand in Abbildung 16 dargestellt. Aufgrund der bauablaufbedingt unterschiedlichen Zeitpunkte der Messungen der Messbolzen und der Inklinometer erfolgte die Darstellung der Schlitzwandkopfverschiebungen immer für beide Messsysteme. Ausgehend von den nahezu gleichen Kopfverschiebungen kann davon ausgegangen werden, dass der Schlitzwandfußpunkt als unverschieblich angenommen werden kann (Abbildung 17). Dies wird insbesondere mit der Auswertung der Inklinometer in den kurzen Lamellen, welche noch ca. 12 m tiefer als die Schlitzwandunterkante geführt wurden, bestätigt (Abbildung 18). 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 77 Bauvorhaben Four - Deckelbauweise mit 4 Hochhäusern mitten in Frankfurt Abb. 16: Ergebnisse zu den Kopfverschiebungen der Verbauwand - Bauzustand: Endaushubzustand Die Auswertung der Inklinometermessergebnisse zeigt abweichend von den prognostizierten Verschiebungen keine Ausbauchung unterhalb des Deckels 2 sowie keine Rückverschiebung im Kopfbereich. Ursächlich hierfür ist zum einen, dass insbesondere unterhalb des Deckels 2 relativ mächtige, bankige Kalksteinbänke angetroffen wurden, die möglicherweise durch die horizontale Steifigkeit eine Ausbauchung reduzieren. Zum anderen zeigt sich, dass die 60 cm starken Deckel nicht die prognostizierte Auflagersteifigkeit mit sich gebracht haben. Insbesondere die Kriech- und Schwindprozesse müssen im Rahmen von geotechnischen Gebrauchstauglichkeitsbetrachtungen detaillierter betrachtet werden. Abb. 17: Inklinometer 11 in langer Lamelle Abb. 18: Inklinometer 12 in kurzer Lamelle 78 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Bauvorhaben Four - Deckelbauweise mit 4 Hochhäusern mitten in Frankfurt Abb. 19: Freilegen der Pfahlköpfe im Bereich Tower 4 Abb. 20: Bodenplattenbewehrung Tower 1 9. Schluss Die Ausführung dieses geotechnischen Großprojektes hat gezeigt, dass anspruchsvolle Bauvorhaben im innerstädtischen Bereich das besondere geotechnischen Planungsmethoden und Nachweisstrategien in Kombination mit Erfahrungswerten verwendet werden müssen, um ein derart komplexes geotechnisches Bauwerk erfolgreich umzusetzen. Gleichwohl gelingt dies nur, wenn die verschiedenen Prüfer und alle Projektbeteiligten insbesondere die ausführenden Firmen zielorientiert zusammenarbeiten. Nur in diesem partnerschaftlichen Sinn konnten detaillierte Nachweisstrategien erfolgreich entwickelt und in diesem einzigartigen Bauvorhaben erfolgreich umgesetzt werden. Die erfolgreiche Ausführung der Deckelbauweise und die Herstellung der Untergeschosse hat gezeigt, dass die geotechnische Nachweisstrategie richtig war und die tatsächlich beobachteten Werte aus geotechnischer Sicht innerhalb der prognostizierten Werte lagen. Für die nunmehr anstehende Errichtung der Hochhäuser wünschen wir allen Projektbeteiligten weiterhin viel Erfolg. Literatur [1] Reul, O. (2000): In-situ-Messungen und numerische Studien zum Tragverhalten der Kombinierten Pfahl-Plattengründung. Technische Universität Darmstadt. Mitteilungen des Instituts u. der Versuchsanstalt für Geotechnik, Technische Universität Darmstadt, Heft 53. [2] Hanisch, J., Katzenbach, R., König, G. (2001) Kombinierte Pfahl-Plattengründungen, Ernst & Sohn, Berlin [3] Martini, E., Radtke, G. (2011) Stratigraphie von Deutschland IX, Tertiär, Teil 1 - Hanauer Becken, Deutsche Gesellschaft für Geowissenschaften, Hannover [4] Meißner, S., Kies, M., Schmitt, J. (2018) Beurteilung des Last-Setzungsverhaltens einer Kombinierten Pfahl-Plattengründung unter Berücksichtigung verschiedener numerischer Modellierungsansätze. 11. Kolloquium Bauen in Boden und Fels, Esslingen, S.97 - 106 [5] Meißner, S., Quick, H., Katzenbach, R., Werner, Anke (2019) An innovative dewatering system to reduce the environmental impact. XVII European Conference on Soil Mechanics and Geotechnical Engineering (ECSMGE 2019), Reykjavik, No. 0441 [6] Meißner, S., Michael, J., Kies, M., Cronen, B. (2020): “Bauvorhaben FOUR Deckelbauweise mit einer Kombinierten Schlitzwand-Pfahl-Plattengründung”, geotechnik. https: / / doi.org/ 10.1002/ gete.202000022 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 79 Autobahnkreuz Herne - Neubau des Tunnels Baukau Dennis Clostermann, M.Sc. Dr. Spang Ingenieurgesellschaft mbH, Witten, Deutschland Dr.-Ing Carsten Peter IMM Maidl & Maidl Beratende Ingenieure GmbH & Co. KG, Bochum, Deutschland Dipl.-Ing. Guido Meinzer Die Autobahn GmbH des Bundes, Bochum, Deutschland Zusammenfassung Im Autobahnkreuz Herne (A42 / A43) wird ein neuer Tunnel zur Verbindung der A43 in Fahrtrichtung Norden mit der A42 in Fahrtrichtung Westen errichtet. Zur Herstellung des Tunnels sind zahlreiche verschiedene Bauweisen erforderlich. Neben den Autobahnen und deren Auf- und Abfahrten wird auch ein dreigleisiger Bahndamm mit geringer Überdeckung gequert. Aufgrund einer nahegelegenen Altlast im Grundwasser bestehen besonders hohe Anforderungen an die Grundwasserhaltung. 1. Einleitung Im Zuge des 6-streifigen Ausbaus der A43 wird der Umbau des Autobahnkreuzes Herne (A42 / A43, km 32,360) erforderlich. Infolgedessen ist vorgesehen, die A43 in westlicher Richtung zu verbreitern und den Verkehr der stark belasteten Fahrtrichtung Süd-West über eine Umfahrungsstrecke mit einem ca. 745 m langen 2-streifigen Trog- und Tunnelabschnitt (185 m Trog, 552,5 m Tunnel) auf die A42 zu leiten und dort einzufädeln. Die neue Trasse kreuzt dabei unter anderem den Bahndamm der DB-Strecken 2221 und 2153. Abb. 1: Verlauf des neuen Tunnels im Autobahnkreuz [1] 2. Geotechnische Randbedingungen 2.1 Geologie Das Projektgebiet ist durch zahlreiche Bautätigkeiten sowie Bergbau und andere Industrie anthropogen überprägt, sodass flächig, insbesondere aber an den Autobahn- und Bahndämmen, inhomogene Auffüllungen aus Bergematerial, roter Halde und anderen mineralischen Fremdstoffen an der Oberfläche anstehen. Diese werden von quartären Ablagerungen aus dem Urstromtal der Emscher unterlagert. Unterhalb des Quartärs folgt der Emscher-Mergel, der als kreidezeitlicher Mergelstein mehrere hundert Meter mächtig ist. Abb. 2: geotechnischer Längsschnitt (Auszug); gelb = Auffüllungen, grün = Quartär, blau = Kreidemergel 80 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Autobahnkreuz Herne - Neubau des Tunnels Baukau 2.2 Hydrogeologie Während die quartären Überlagerungen und die Auffüllungen nur zeitweise Wasser führen, ist der Hauptgrundwasserleiter als Kluftgrundwasserleiter im Kreidemergel ausgebildet. Das Grundwasser liegt dabei gespannt vor, die feinkörnigen quartären Böden sowie der Verwitterungskopf des Mergels bilden dabei den Grundwasserhemmer. Innerhalb dieses Aquifers ist nur 100 m von der Tunnelachse entfernt eine Altlast in Form einer hohen Grundwasserbelastung bekannt. 3. Tunnelkonstruktion 3.1 Trogbauwerk Von Süden gesehen beginnt das Bauwerk als Rampe mit Trogkonstruktion. Der Trog hat in etwa eine Länge von 185 m, wobei der Querschnitt des Trogs im tieferen Verlauf eine dickere Sohle zur Auftriebssicherung aufweist. Im Trogabschnitt gibt es zudem eine Sonderkonstruktion mit aufgelagerter Brückenplatte für die Fahrbeziehung West-Nord, die durch den Trogquerschnitt gekreuzt wird. Die Baugruben werden überwiegend als überschnittene Bohrpfahlwände mit Kopfaussteifung ausgebildet, wobei zum Portalblock des Folgebereichs eine mehrfach rückverankerte Trägerbohlwand angeordnet ist. Abb. 3: Baugrube für den Trog 3.2 offene Bauweise und Deckelbauweise Im Anschluss an das Trogbauwerk wird die A42 mittels Deckelbauweise gekreuzt. Die Deckel werden in einer kurzen Bauphase in offener Bauweise hergestellt und auf eine überschnittene Bohrpfahlwand aufgelagert. Der Vortrieb des Tunnels erfolgt dann im Schutze des Deckels in bergmännischer Bauweise. Der Tunnelquerschnitt ist als Rechteckrahmen ausgebildet. Kurz nach der Unterquerung der A42 wird auch die A43 analog in Deckelbauweise gekreuzt. Abb. 4: Vortrieb unter Deckel Im nordwestlichen Autobahnohr folgt eine offene Bauweise, in der auch das Betriebsgebäude sowie ein Löschwasser- und ein Havariebecken errichtet werden. Der Tunnel weist hier ebenfalls einen Rechteckquerschnitt auf und wird im Schutze einer überschnittenen Bohrpfahlwand hergestellt. Abb. 5: Luftbild auf offene Baugrube mit Kopfaussteifungen Im Anschluss daran folgen weitere Kreuzungen von Auf- und Abfahrten in Deckelbauweise sowie ein weiterer kurzer offener Abschnitt. 3.3 Vortrieb durch den Bahndamm Im letzten geschlossenen Abschnitt, bevor der Neubau wieder in den Bestand verschwenkt wird, wird ein Bahndamm mit insgesamt drei Gleisen geschlossen gequert. Die Vortriebslänge beträgt etwa 60 m. 3.3.1 Vorab-Maßnahme Aufgrund des inhomogenen Bahndammmaterials wurde im Vorfeld als Vorab-Maßnahme eine Homogenisierung des Bahndamms mittels Injektionen ausgeführt. Hierfür wurden ca. 400 Injektionen mit hydraulisch abbindendem Material ausgeführt. Ziel war es vor allem, 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 81 Autobahnkreuz Herne - Neubau des Tunnels Baukau Hohlräume zu füllen und die Setzungen aus dem späteren Vortrieb zu vergleichmäßigen und zu minimieren. Während der Injektionen lief ein engmaschiges Vermessungsprogramm, sodass die Injektionen gestoppt werden konnten, sobald Hebungen gemessen wurden. Die meisten Injektionsbohrungen wurden von außerhalb des Gleiskörpers mit Neigungen zwischen 30° und 45° ausgeführt. Abb. 6: Querschnitt Injektionsmaßnahme 3.3.2 Herstellung des Großrohrschirms Nach Abschluss der Injektionsmaßnahme war der nächste Schritt, den Großrohrschirm herzustellen, der als vorauseilende Sicherung für den bergmännisch herzustellenden Tunnel dient. Der Rohrschirm besteht aus 21 Rohren DN1600. Der große Durchmesser musste so gewählt werden, da im Vorfeld keine Kampfmittelfreigabe erfolgen konnte. Beim Antreffen von unerwarteten Hindernissen o.Ä. musste daher händisch an der Ortsbrust gearbeitet werden, weshalb die Rohre für einen benannten Einsatz ausreichend dimensioniert sein mussten. Die Überdeckung des Rohrschirms, welcher unter rollendem Rad vorgetrieben wurde, betrug nur etwa 2,5 m. Die Stahlrohre werden in 6 m Rohrschüssen mit Gesamtlängen zwischen 41 m und 64 m eingebracht. Als Vortriebstechnik wurde ein Haubenschild mit mechanisch teilflächigem Abbau eingesetzt. Aufgrund nicht abschließend auswertbarer ferromagnetischer Störfelder wurde der Vortrieb ferngesteuert ausgeführt. Abb. 7: Ferngesteuerter Rohrvortrieb Abb. 8: Ortsbrust mit injiziertem Bergematerial im Rohrvortrieb Aufgrund der geringen Überdeckung, der Bündelung von Rohren und der Schiefwinkligkeit der Unterquerung handelt es sich um keine Regelbauweise nach dem Bahnregelwerk Ril 836. Es liegt eine Unternehmensinterne Genehmigung (UiG) der DB AG und eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) des Eisenbahn Bundesamtes vor. 3.3.3 Vortrieb unter Großrohrschirm Nach Herstellung des Großrohrschirms erfolgt der bergmännische Vortrieb. Zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung läuft der Vortrieb noch. Der Tunnel ist auch in diesem Abschnitt als Rechteckquerschnitt ausgebildet. Aufgrund der Kurvenfahrt, die unter den Bahngleisen erforderlich wird, ist der Großrohrschirm größer als der Tunnelquerschnitt, sodass zu den Seiten Füllbeton angeordnet wird. Der Tunnel weist eine Überdeckung von etwa 4,3 bis 4,9 m auf und auch der Tunnelvortrieb läuft unter rollendem Rad des Bahnverkehrs. 82 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Autobahnkreuz Herne - Neubau des Tunnels Baukau Der Vortrieb erfolgt blockweise mit 5 m langen Abschlägen zur Herstellung der jeweils 5 m langen Blöcke. Insgesamt werden zehn Blöcke hergestellt. Die Ortsbrust ist etwa 9,25 m hoch und 13,5 m breit. Unter den Blöcken wird ein Bodenaustausch aus Beton mit eingelegten HEB-Trägern zur Lastverteilung angeordnet, um die hohen Lasten, die aus den auf dem jeweiligen Block auflagernden Rohren des Rohrschirms resultieren, besser aufzunehmen und dabei nicht zu unverträglichen Setzungsdifferenzen zu führen. Die Startbaugrube ist mittels überschnittenen Bohrpfählen verbaut. Die obersten Rohre des Rohrschirms sind an einen Auflagerbalken aufgehängt, der über zwei Bohrpfählen mit jeweils 1,5 m Durchmesser gegründet ist. Abb. 9: Blick in die Startbaugrube Da für etwaige Ortsbrustanker jeweils eine Kampfmittelüberprüfung erforderlich wäre, werden diese, soweit möglich, vermieden. Daher erfolgt der Ausbruch in mehreren Teilausbrüchen auf drei bis vier Ebenen, wobei die Anzahl der Ebenen und Teilausbrüche mittels Beobachtungsmethode festgelegt werden. Die Ortsbrust wird bombiert hergestellt, mittels Spritzbeton gesichert und weist eine Neigung von 75° auf. Abb. 10: Querschnitt mit Aushubebenen (rot / grün / gelb) und Grundriss der Ortsbrust [2] Abb. 11: Ansicht der Ortsbrust Die Zielbaugrube wird offen hergestellt, wobei durch die schiefwinklige Querung die Rohre auf einer Seite frei auskragen und kein seitliches Auflager besitzen. Um die seitliche Auflagerung zu gewährleisten, wurde an der Zielbaugrubenseite ein vernagelter Bodenkörper stehen gelassen. Abb. 12: Bodenvernagelung an der Zielbaugrubenseite 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 83 Autobahnkreuz Herne - Neubau des Tunnels Baukau 3.4 Rampe und Stützwand Im letzten Abschnitt wird der Verkehr über eine Rampe in den Bestand eingefädelt. Die Rampe läuft dabei größtenteils parallel zum Bahndamm, der dabei teilweise über eine Stützwand abgefangen werden soll. Bauzeitlich wurde hier eine mehrfach rückverankerte Trägerbohlwand zur Baugrubensicherung hergestellt. 4. Grundwasserhaltung Der Großteil des Tunnels liegt im Kreidegrundwasser. Aufgrund der Druckhöhe ist eine geschlossene Grundwasserhaltung erforderlich. Da aber angrenzend eine Altlast im Grundwasser bekannt ist, erfordert die Planung, dass das verunreinigte Grundwasser nicht mobilisiert wird. Um dies umzusetzen sind Entnahmebrunnen mit Vakuumbeaufschlagung geplant. Das entnommene Wasser wird dabei im Nahbereich des Tunnels wiederversickert, um kein hydraulisches Gefälle von der Altlast zur Baugrube hin zu erzeugen. Vor der Wiederversickerung wird das Wasser durch ein Absetzbecken geführt. Aktivkohleanlagen sowie eine Enteisenungsanlage werden ebenfalls vorgehalten bzw. zeitweise betrieben, sofern erforderlich. Abb. 13: Systemskizze Wasserhaltung, Bereich offene Bauweise [3], bearbeitet Um die Wirksamkeit der Wasserhaltung, insbesondere im Hinblick auf die mögliche Verunreinigung, zu überprüfen wird ein umfangreiches Monitoring betrieben. Hierfür wurden zahlreiche Beobachtungsbrunnen hergestellt und mit automatischen Messgebern mit Fernübertragung ausgestattet. Zudem erfolgen regelmäßige chemische Untersuchungen an den Beobachtungsbrunnen, sowie an dem entnommenen Wasser vor der Wiedereinleitung. 5. Schlussbemerkung Aufgrund der geologisch und hydrogeologisch komplexen Situation sind zahlreiche Techniken des Spezialtiefbaus anzuwenden. Im Zuge der Planung mussten diverse Sonderlösungen konstruiert werden, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Zudem wurde während des Baus das Projekt vom Landesbetrieb Straßenbau NRW an die neu gegründete Autobahn GmbH des Bundes übergeben, wodurch der Bauherr inmitten dieses anspruchsvollen Projekts gewechselt hat. Literatur [1] Wendt-Witte-Pirlet Ingenieurgesellschaft mbH (2019) Ausführungszeichnung Übersichtsplan [2] BeMo Tunneling GmbH (2020) Vortriebskonzept „Unterfahrung der Gleisanlage“ (Vorabzug) [3] BeMo Tunneling GmbH (2020) Ausführungszeichnung Wasserhaltung Lageplan 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 85 Komplexe schlüsselfertige Baugrube in Ludwigsburg Eine Reise durch den Spezialtiefbau Christian Schmitz Züblin Spezialtiefbau GmbH, Stuttgart Markus Astner Züblin Spezialtiefbau Ges.m.b.H, Wien Zusammenfassung: Die Kreissparkasse Ludwigsburg plant ihren Stammsitz südlich durch einen Anbau mit 3 bis 4 Untergeschossen zu erweitern. Die ARGE Züblin Spezialtiefbau - BERB wurde 2020 beauftragt, eine für den Erweiterungsbau erforderliche dichte Baugrube schlüsselfertig herzustellen. Die Baugrube besitzt eine max. Tiefe von 16 m und ist rundherum durch die unterschiedlichsten Verbauarten zu sichern. Die Herausforderung der Baustelle lag in den äußerst beengten Verhältnissen (Innenstadt Ludwigsburg), der Bandbreite der angetroffenen Bodenformationen und der Anzahl der auszuführenden Spezialtiefbaugewerke und deren Koordination im Bauablauf. Es wurden folgende Gewerke ausgeführt: Überschnittene Bohrpfahlwand / DSV-Unterfangung / händische Unterfangung / Gründungspfähle im Fels / überschnittene Schrägbohrpfahlwand / Gewi-Gründung / Weichgelinjektion (Dichtschleier im Fels) / Spritzbeton Vernagelung / Verpressanker / Multibond-Anker / Wasserhaltung mit Wasseraufbereitung inkl. Wiedereinspeisung / Absperrinjektion. Der Beitrag soll einen kurzen Überblick über die ausgeführten Hauptgewerke, deren Randbedingungen und Besonderheiten geben. 1. Projektvorstellung Die ARGE Züblin Spezialtiefbau - BERB wurde 2020 beauftragt in Ludwigsburg eine schlüsselfertige, dichte Baugrube für einen Anbau mit 3 bis 4 Untergeschossen herzustellen. Der Anbau ist eine Erweiterung der Kreissparkasse (KSK) Ludwigsburg nach Süden und umfasst das so genannte Regele-Areal. Die Baugrube besitzt einen L-förmigen Grundriss und schließt im Norden und Osten direkt an die Bestandsbebauung an. An der westlichen Stirnseite sowie südlich grenzt der Bau unmittelbar an öffentlichen Straßen an (s. Abb. 1). Der östliche Schenkel besitzt eine Länge von ca. 57 m und eine Breite von 27 m, der südliche Schenkel eine Länge von ca. 65 m und eine Breite von ca. 20 m. Die Grundfläche beträgt ca. 2200 m². Abb. 1: geplante Baugrube Baufeld „Regele-Areal“ Der angrenzende Bestand besteht aus einem zusammenhängenden Gebäudekomplex der KSK, der sich aus 4 einzelnen Bauwerke mit unterschiedlichem Alter und unterschiedlichen Gründungshöhen zusammensetzt: 1 UG und 2 UG‘s im östlichen Anschluss und 2 bis 3 UG’s an den Nordseiten. Die Gründungshöhen des Altbestandes reichen daher von ca. 285,6 m NN (1. UG) bis ca. 276,8 m NN (3.UG). Aus der Errichtung des Altbestandes sind zudem Reste des alten Bauverbaus in Form von überschnittenen Bohrpfahlwänden und Schlitzwänden vorhanden. 86 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Komplexe schlüsselfertige Baugrube in Ludwigsburg Bei einer Geländeoberkante (GOK) von ca. 287,8 m NN (entlang der Südseite/ Schillerstr.) bis 284,5 m NN (Nordseite) und einer Baugrubensohle bei ca. 276,7 m NN (3. UG) bzw. 271,6 m NN (4. UG) ergibt sich eine Tiefe der Baugrube von 7,8 m bzw. 16,2 m. 2. Baugrubenumschließung Die Herausforderungen der Baugrube lagen u.a. in den Randbedingungen: - Innenstadt-Bereich mit z.T. nur einspurig befahrbaren Straßen - Vergleichsweise schmale Baugrube mit ca. 20 m (Südschenkel) bei einer Tiefe von ca. 16 m. - BE-Fläche nur eines Streifens entlang der Schillerstr. (Gehweg plus Teile einer Fahrspur mit einer Länge von ca. 100 m und einer Breite von ca. 6 m) und entlang der Gartenstraße (4 m breit und ca. 30 m lang) - der mittlerweile übliche, sehr ambitionierte Zeitplan - die sehr optimierte Ausführungsplanung Die vom Bauherrn vorgelegte Ausführungsplanung spiegelte einen ausgefeilten Kompromiss zwischen der maximalen Flächennutzung und einer möglichst wirtschaftlichen Bauweise wieder, der von der Entwurfsplanung über die Ausschreibungsphase bis hin zur Ausführung einem kontinuierlichen Optimierungsprozess unterlag. Als Konsequenz sollten fast alle Gewerke des Spezialtiefbaus in der Baugrube realisiert werden: Entlang der Straßenseiten erfolgt die Sicherung durch eine rückverankerte, überschnittene Bohrpfahlwand mit einer aufgesetzten Trägerbohlwand. Die 1bzw. 2-geschoßig unterkellerte Altbebauung an der Ostseite (Tresor! ) wird mit DS-Körpern unterfangt, denen im Fußbereich eine Schrägbohrpfahlwand vorgesetzt ist. Entlang der Nordseite besitzen Altbebauung und Neubau eine 3-geschossige Unterkellerung. Eine Unterfangung ist hier zwar nicht erforderlich, allerdings ist zur Absperrung des Grundwassers ein Dichtschleier bis zu Baugrubensohle 4.UG vorgesehen. Dort, wo die 4 UG’s des Neubaus auf die 3 UG’s des Bestands treffen, soll die Baugrubenwand mit Spritzbetonvernagelung gesichert werden. Das Konzept sah außerdem vor, dort wo es möglich und sinnvoll ist, den Altverbau (Schlitzwände / Bohrpfähle) in die Verbaumaßnahmen zu integrieren. Dabei sind „Lücken“, die einen Grundwasserzustrom zur Baugrube ermöglichen durch Absperrinjektionen abzudichten. Zusammengefasst wurden zur Herstellung der Baugrube folgende Gewerke ausgeführt: - Überschnittene, vertikale Bohrpfahlwand - Schräg-Bohrpfahlwand (überschnitten) - Trägerbohlwände (oberhalb Bohrpfähle, ca. 2 m) - DS-Unterfangung - DS-Andichtsäulen zwischen Bestand und Bohrpfahlwand - Händische Unterfangung - Niederdruckinjektion (Dichtschleier/ Absperrinjektion) - Spritzbetonvernagelung - Verpressanker - Multibond-Anker Die Dichtigkeitsanforderung an den Verbau war mit einer maximalen Grundwasser-Fördermenge von 3 l/ s vorgegeben. Hiermit sollten neben der generellen Begrenzung der Fördermenge Setzungen der Nachbargebäude im näheren und weiteren Umfeld durch eine Grundwasserspiegelabsenkung außerhalb der Baugrube verhindert werden. Da eine Sohlabdichtung nicht vorgesehen war, sollte im „worst case“ der GW-Spiegel außerhalb der Baugrube durch eine künstliche Wassereinspeisung über Kiespfähle auf einem unschädlichen Niveau gehalten werden. In den Leistungen „Baugrube“ enthalten war die Errichtung der Anlagen zur Wasserhaltung (offene Wasserhaltung mit Pumpensümpfen und Sohldrainage), eine Grundwasseraufbereitungsanlage und das Aufbauen/ Vorhalten der Einspeisungsvorrichtungen. Die wesentlichen Spezialtiefbauleistungen, auf die im Vortrag eingegangen werden, sind in Abbildung 2 dargestellt. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 87 Komplexe schlüsselfertige Baugrube in Ludwigsburg Abb. 2: Übersicht über die Hauptgewerke Spezialtiefbau Ebenso Teil des Auftrags waren restlichen Abbrucharbeiten (Untergeschoße Regele), Einkürzen/ Abscheiden/ Abfräsen etc. des vorhandenen Altverbaus sowie der Aushub von ca. 25.000 m³ Boden und Fels. Die Abbruch- und Erdarbeiten wurden innerhalb der ARGE von der Fa. BERB übernommen. An dieser Stelle sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die „überschaubare“ BE-Fläche, die begrenzten Lagermöglichkeiten und die Enge der Baugrube hohe Anforderungen an die Baustellenlogistik, den Ablauf und das Ineinandergreifen der jeweiligen Gewerke stellte. Eine frühe und intensive Einbeziehung / Information der Nachbarschaft durch den Bauherrn hielten die üblichen Beschwerden hier in Grenzen. 3. Baugrund Der Baugrund wurde vom Bauherrn neben bereits vorhandenen Aufschlüssen aus dem Bestand durch insgesamt 7 zusätzliche Kernbohrungen im Vorfeld intensiv erkundet. Aus übergebenen Erkundungsergebnissen lässt sich der Schichtaufbau des Untergrunds vereinfachend wie folgt zusammenfassen: Tab. 1: Übersicht Schichtaufbau Baugrund Schicht Schicht-OK in m NN Mächtigkeit in m Künstliche Auffüllungen ca. 287,0 (GOK) 1,6 - 5,7 Quartäre Schichten - Talablagerungen - Fließerde 283,5 - 281,7 281,8 - 277,3 1,6 - 5,7 1,0 - 4,8 Lettenkeuper - vollständig stark verwittert - mäßig schwach verwittert 280,2 - 275,5 278,0 - 273,4 0,6 - 5,6 1,4 - 4,4 Obere Muschelkalk - mäßig - schwach verwittert 273,6 - 271,0 >10 m Die Auffüllungen sowie die quartären Ablagerungen sind überwiegend bindige Lockergesteine, d.h. Böden im eigentlichen Sinn (TL bis TM, weich bis steif, Konsistenz nach unten zunehmend). In den Talablagerungen 88 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Komplexe schlüsselfertige Baugrube in Ludwigsburg sind sandig-kiesige Lagen / Linsen eingeschaltet, die gewöhnlich wassergesättigt sind. Die Fließerde liegt als mittelplastischer Ton (TM) vor, wobei in eine bindige Matrix Tonstein-oder Dolomitstücke (bis Kieskorngröße) eingebettet sind. Der Lettenkeuper zählt zu den veränderlich festen Gesteinen. So besitzt der Lettenkeuper im vollständig bis stark verwitterten die Eigenschaften eines Lockergesteins (überwiegend bindig, leichtbis mittelplastischer Ton in steifhalbfester Konsistenz, vermengt mit Gesteinsstücken, z.T. ist eine Restschichtung noch erkennbar). Mit abnehmendem Verwitterungsgrad, d.h. nach unten nehmen die Felseigenschaften zu (Dolomit-Tonstein-Wechselfolge). Der obere Muschelkalk mit seinen Dolomit- und Kalksteinbänken ist eindeutig als Fels zu klassifizieren und bildet die „Basis“ des Baugrunds. 4. Grundwasser Nach den Unterlagen existieren zwei Grundwasserstockwerke: - Oberes quartäres Grundwasserstockwerk - Unteres Grundwasserstock im Muschelkalk Für das untere Grundwasserstockwerk im Muschelkalk ist ein Grundwasserspiegel mehrere Meter unter der Baugrubensohle (GW-Spiegel bei ca. 267 m NN = ca. 4,6 m unter BGS) angegeben, weshalb dieses Stockwerk für das Bauvorhaben nicht relevant ist und daher im weiteren Verlauf vernachlässigt werden kann. Für das obere quartäre Grundwasserstockwerk wurde für die Baugrube ein maßgeblicher Bemessungswasserstand von GW Bau = 277,63 m NN (= ca. 6 ,0 m über BGS) festgelegt. Die vorliegenden Daten ließen zunächst den Schluss zu, dass die gröberen und besser durchlässigeren Lagen / Linsen / Zonen in den quartären Ablagerungen sowie im vollständig bis stark verwitterten Lettenkeuper den Grundwasserleiter stellen. Die jeweiligen Lagen etc. bilden vermutlich zwar keine durchgehenden Horizonte, bilden aber in irgendeiner Form ein 3-dimensionales zusammenhängendes Netzwerk. Kurz vor Beginn der Maßnahme im schwach bis mäßig verwitterten Lettenkeuper ausgeführte Kurzpumpversuche ergaben für diese Schichten Durchlässigkeits-beiwerte von kf = 1,9 * 10 -4 bzw. 4,5 *10 -5 m/ s. Dies wurde als Indiz gewertet, dass auch im geklüfteten, mäßig bis schwach verwitterten Lettenkeuper eine Grundwasserbewegung stattfindet. Als Fazit konnte nachstehende Einteilung vorgenommen werden (s. Tab.2): Tab. 2: angenommene Durchlässigkeiten 5. Ausführung Bohrpfähle und Anker Insgesamt waren folgende Bohrpfahlarbeiten auszuführen: - Überschnittene Bohrpfahlwand entlang der Straßenseiten: - Pfahl Ø 88 cm, Achsabstand 73 cm, Pfahllänge ca. 15,2 m - Überschnittene Schrägpfahlwand am DSV-Fuß: - Pfahl Ø 88 cm, Achsabstand 73 cm, Pfahllänge ca. 10,2 m, Neigung 5 ° - Gründungspfähle: - Pfahl Ø 88 cm, Pfahllänge bis ca. 17 m, davon bis 13 m im Fels Der ursprüngliche Entwurf des Bauherrn sah entlang der Straßenseiten eine 5-fache Rückverankerung der Pfahlwand mit Verpressankern (Ankerlängen zwischen 13 und 24 m, Lasteintrag überwiegend in den Muschelkalk, z.T. auch in den mäßigschwach verwitterten Lettenkeuper) vor. Von Züblin wurde bereits in der Angebotsphase ein Alternativvorschlag ausgearbeitet, der durch eine Erhöhung der Ankerkräfte bis auf über 1000 kN Gebrauchslast bei gleichzeitiger Erhöhung des Bewehrungsgrades der Pfahlwand eine Reduktion auf 3 Ankerlagen vorsahen. Der Vorschlag verkürzte neben der Anzahl der Ankerlagen auch die Bauzeit und wurde durch den Bauherrn als Pauschale beauftragt. Die Gründungspfähle mussten bis 13 m in den Muschelkalk abgeteuft werden. Die Besonderheiten hier waren zusätzliche Hindernisbohrungen durch den Bestand sowie die engen Platzverhältnisse. Bei einem Pfahl blieb die Verrohrung stecken und konnte trotz des Einsatzes einer Verrohrungsanlage nicht gezogen werden. In Anbetracht des hohen Bewehrungsgrades sowie der Betongüte C45 / 50 wollten wir das Ausbohren vermeiden. Als Lösung bzw. zu Sicherstellung de Tragfähigkeit wurde mit dem Bauherrn nachstehendes Konzept erarbeitet und umgesetzt (s. Abb.3). Hier wurde eine Mantelverpressung durchgeführt, die dann statisch im Nachgang angesetzt werden konnte. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 89 Komplexe schlüsselfertige Baugrube in Ludwigsburg Abb. 3: Sanierungskonzept steckengebliebene Verrohrung Das Konzept sah vor, das entlang der Verrohrung 4 Manschettenrohre abgeteuft werden, die anschließend mit einem quellfähigen Ankerzement verpresst werden. Unterhalb der Baugrubensohle verbleibt die Verrohrung im Boden, oberhalb wird sie abgeschnitten und geborgen. 6. Ausführung Spritzbetonvernagelung Im direkten Anschluss der Baugrube an das bestehend Bauteil Nordwest sollte die noch vorhandenen Alt-Bohrpfahlwand bis auf die Höhe des 2 UG’s ca. 277,9 m NN abgebrochen werden. Die Unterkante der Alt-Bohrpfahlwand ließ sich aus den alten Bestandsplänen auf ca. 275,0 m NN entnehmen. Bis zu 275,0 m NN übernimmt der Altbauverbau die Sicherung. Die „Lücke“ von ca. 3,3 m zwischen der UK Bohrpfähle und der Baugrubensohle (ca. 271,7 m NN) wird durch eine Spritzbetonnagelwand geschlossen. Zur Ausführung kam eine 8-fach rückvernagelte Wand, wobei die oberen 4 Nagelreihen durch die Bohrpfähle hindurch gebohrt werden mussten. Zum Abtrag der Vertikallasten waren zusätzliche Gewi-Pfähle vorgesehen, die hinter dem Spritzbeton im oberen Bereich ebenfalls durch die Bohrpfähle niedergebracht wurden (s. Abb. 4). Die Abwicklungslänge der Spritzbetonvernagelung beträgt ca. 14 m. Abb. 4: Ausführung Spritzbetonnagelwand 7. Ausführung DSV Entlang der Ostseite war der 1bzw. 2-geschossig unterkellerte Anbau mittels DSV zu unterfangen. In diesem Bereich sind für den Neubau 4 Untergeschoße vorgesehen. Bei der Gründungshöhe des Bestands auf ca. 285,1 m NN (1.UG) und 281,4 m NN (2. UG) ergibt zwischen der Baugrubensohle bei 271,7 m NN eine Unterfangungshöhe von ca. 13,4 bzw. 9,7 m. Nach der Baugrunderkundung wird ab einer Höhe von ca. 275,5 m NN der Lettenkeuper erwartet, der nur im verwitterten Zustand einen für das DS-Verfahren ausreichenden Lockergesteinscharakter zeigt. Mit zunehmender Abnahme des Verwitterungsgrad nimmt der Festgesteinscharakter zu und das DS-Verfahren stößt entsprechend an seine Grenzen. Die DS-Körper wurden daher nur bis zur Schichtgrenze Fließerde (Quartär) / Lettenkeuper ausgeführt. Die Unterfangung / Sicherung der verbleibenden Resthöhe erfolgte mittels einer vorgesetzten Schrägpfahlwand (s. Abb. 5). 90 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Komplexe schlüsselfertige Baugrube in Ludwigsburg Abb. 5: Darstellung der DSV-Unterfangung und Schräg-Bohrpfahlwand Die DS-Körper sind somit in den überwiegend bindigen Talablagerungen und Fließerden auszuführen, wobei die Konsistenz und Plastizität von oben (weich) nach unten (steif - halbfest) zunimmt. Die Festlegung der Säulenausteilung war Bestandteil unseres Auftrags. Neben der in Anlehnung an DIN 4123 einzuhaltenden max. Unterfangungsbreite (= Säulendurchmesser) von 1,25 m mussten bei der Wahl des Säulendurchmessers und des Achsabstandes auch die vorhandenen Gründungspfähle des Bestands berücksichtigt werden. Eine wesentliche Auflage des Auftraggebers war das „vollständige“ Eindüsen der vorhandenen Ramm- und Verpresspfähle, ohne dass die Pfähle beim Bohren beschädigt werden durften. Basierend auf den Angaben aus den alten Bestandsplänen entschieden wir uns für einen Durchmesser der DSV-Säulen von 100 cm und einem Achsabstand von 73 cm. Ein weiterer Zwangspunkt war die absolute Bewegungs- und Verformungsempfindlichkeit des angrenzenden Bestands (Tresor). Im Zuge der Ausführung stellte sich dann heraus, dass auch die Bauwerksfugen im 1-fach unterkellerten Bereich keine Abdichtung besitzen. In diesem Abschnitt wurde daher die DSV ca. 1 m unter der FUK abgesetzt und die „Lücke“ mittels händischer Unterfangung geschlossen. Die DS-Säulen wurden nach DIN EN 12716 im 3-Phasenverfahren: Vorschneiden Bindemittelsuspension / Auffüllen Bindemittelsuspension, ohne Luftummantelung hergestellt: Vorschneiden Pumpendruck 320 - 340 bar Pumprate: 220 - 240 l / min Bindemittel: Cem II A-LL 32,5 R (W/ B = 1,2) Auffüllen Pumpendruck 320 - 340 bar Pumpprate. 220 -240l/ min Bindemittel: Cem II A-LL 32,5 R (W/ B = 0,8) Die geforderte einachsiale mittlere Druckfestigkeit von f c,mittel ≥ 3,5 N/ mm² konnte über Bohrkerne nachgewiesen werden (Meßwerte 3,5 ≤ f c , gemessen ≤ 8,8 N/ mm², Mittelwert = 4,9 N/ mm²). Letztendlich traten Verformungen im mm-Bereich nur während der DS-Arbeiten auf, die für das Bauwerk und die Nutzung unschädlich waren. Wie in Abbildung 6 dargestellt konnten mit dem gewählten Raster auch die Bestandspfähle vollständig eingedüst werden, lediglich 2 Bohrungen mussten aufgrund der Bestandspfähle verzogen werden. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 91 Komplexe schlüsselfertige Baugrube in Ludwigsburg Abb. 6: Foto der DS-Unterfangung sowie der Gründungspfähle 8. Ausführung Dichtschleier Im Nordteil des Anbaus zur Erweiterung West besitzen sowohl der Neubau als auch der Bestand jeweils 3 Untergeschoße, die auf dem gleichen Gründungsniveau (FUK’s zwischen ca. 274,0 mNN und 274,8 m NN) liegen. Eine Unterfangung ist daher nicht erforderlich. Hier sollte lediglich der Grundwasserzustrom im Bereich zwischen der Bauwerksunterkante und der BGS 4. UG unterbunden werden. Aus der Erkundung lassen sich für den Baugrund etwa folgende Schichtgrenzen ableiten: UK Quartär (Fließerde): ca. 275,4 m NN UK Lettenkeuper verwittert ca. 274.4 bis 273,3 m NN UK Lettenkeuper unverwittert: ca. 272,2 bis 273,2 m NN = OK Muschelkalk Die quartären Ablagerungen sowie der verwitterte Lettenkeuper sind als Porengrundwasserleiter einzustufen, während der Lettenkeuper im schwach bis unverwitterten Zustand und der Muschelkalk Kluftgrundwasserleiter sind. Der Bauherrenentwurf sah als Abdichtungsmaßnahme einen Dichtschleier vor, der durch Niederdruckinjektionen mit Zementsuspension herzustellen ist. In Anbetracht der geologischen Randbedingungen wurde von uns ein Manschettenrohrinjektion mit einem Weichgel als Injektionsmedium als Alternative vorgeschlagen. Die Manschettenrohre werden dabei als MPSP (multiple packer sleeve pipe) eingebaut. Die Funktionsweise eines MPSP’s ist nachstehend abgebildet. Abb. 7: Funktionsweise MPSP-System Sinn und Zweck des Systems ist, dass zunächst der Lockergesteinsbereich vom Fels mittels der Außenpacker abgetrennt werden kann. Im Bereich des Festgesteins kann die Injektionen prinzipiell über das offene Bohrloch als Felsinjektion und im Bereich der Lockergesteine als klassische Manschettenrohr über ein abgedichtetes Bohrloch erfolgen. Aufgrund der erwarteten unterschiedlichen Klüftigkeiten zwischen Lettenkeuper und Muschelkalk wurde diese beiden Horizonte ebenfalls durch einen Außenpacker getrennt. Für die Klüfte im Lettenkeuper wurden Öffnungsweiten im mm-Bereich und im Muschelkalk bis im cm-Bereich erwartet, weshalb unterschiedliche Abbruchkriterien für die Injektion gewählt wurden. Das von uns verwendete ISI (= Insond Sea Injekt) Weichgel ist bauaufsichtlich zugelassen. Die Kippzeit kann über die Härterdosierung zwischen 20 bis 70 min gesteuert werden und bietet daher bei größeren Klüften die Möglichkeiten ein unkontrolliertes Abfließen zu verhindern. Die Manschettenrohre wurden mit einem Achsabstand von 1,50 m im verrohrt gebohrt. Als Manschettenrohre wurden 2“-PVC Rohre mit einem Manschettenabstand von 0,33 m verwendet. Eine Kontrolle der Injizierbarkeit bzw. die Festlegung der Abbruchkriterien (max. Druck, max. Injektionsmenge) erfolgte vorab über Wasserabpressversuche, die vereinfach in Anlehnung an DIN ISO 22282 -T3 ausgeführt wurden. Gefahren wurden 5 Druckstufen: 3 aufsteigend, 2 absteigend. Erfasst wird je Stufe die Durchfluss-/ Pumprate bei konstantem Druck über die Zeit. Zusätzlich waren 3 Kontrollbohrungen zur Kontrolle vorgesehen, deren Standort so gewählt wurde, dass sie innerhalb der Reichweite des theoretisch angenommenen Injektionskörpers liegen. Auch hier wurden Wasserabpressversuche vor und nach der Injektion vorgenommen. Die Wasserabpressversuche vor den Injektionen wurden an solchen Manschetten ausgeführt, die aufgrund der Vorversuche („Öffnen/ Aufsprengen der Manschetten“) ein Aufnahmevermögen aufwiesen. Die Abbruchkriterien ergaben sich aus den Vorversuchen wie folgt: 92 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Komplexe schlüsselfertige Baugrube in Ludwigsburg Druck P max : 8 bar Menge Q max : 80 l / l im Lettenkeuper (schwach - mäßig verwittert) 130 l / Manschette im Muschelkalk Pumprate: 3 - 8 l/ min Die Aufnahmefähigkeit der angetroffenen Gesteinsschichten schwankte sehr stark. So konnten in den Vorversuchen (Manschettenöffnung) Aufnahmefähigkeiten von wenigen Litern bis zu > 100 l (bei ähnlichen Drücken) festgestellt werden. Diese Beobachtung hat sich bei den späteren Injektionsarbeiten bestätigt. So gab es Manschetten, die eine geringe bis keine Aufnahme zeigten, während in darüber oder darunterliegenden Manschetten z.T. bis zur Maximalmenge verpresst werden konnte. Stellenweise mussten komplette Manschettenrohre 1-2mal nachverpresst werden. Bei den Injektionen zeigten sich stark schwankende Aufnahmen, wobei die Aufnahmen sich „linsenartig“ für die Manschettenrohre hinweg verteilten (s. Abb. 8). Abb. 8: Baugrubenböschung von 3.UG auf 4. UG mit aufgeschlossenem Lettenkeuper und Muschelkalk Von den insgesamt 600 Stück vorhandenen Injektionsmanschetten konnten in ca. 322 Manschetten (= ca. 54 %) insgesamt 25,5 m³ Weichgel injiziert werden. Die zur Erfolgskontrolle in den Kontrollbohrungen vorgenommenen Wasserabpressversuchen ergaben folgende Ergebnisse: Tab. 3: Ergebnisse der Wasserabpressversuche Bohrung KB 1 KB 2 KB 3 KB 3 Vorher / nachher nachher nachher vorher nachher Verpress-strecke 3,0 m 6,6 m 5,6 m 5,6 m Geologie Lettenkeuper + Muschelkalk Lettenkeuper + Muschelkalk Lettenkeuper + Muschelkalk Lettenkeuper + Muschelkalk Luegon l / (m x min) 1,0 bis 1,8 0,9 - 3,2 17 -120 1,5 - 1,3 k f -Wert (m/ s) (n. HEITFELD) 1,6* 10 -8 bis 2,0 * 10 -9 1,6* 10 -8 bis 2,0 * 10 -9 1,6* 10 -8 bis 2,0 * 10 -9 1,6* 10 -8 bis 2,0 * 10 -9 Q/ p-Typ (DIN 22282) Dilation+ Füllung Laminar turbulent laminar Eine Umrechnung der zulässigen Fördermenge von Q = 3 l/ s auf die Injektionsbzw. Abdichtungsfläche ergibt bei dem hydraulischen Gefälle aus GW Bem und Baugrubensohle 4. UG einen rechnerischen k f -Wert des Dichtkörpers von ca. 1*10 -7 m/ s. Die Ergebnisse der Kontrollversuche sowie die Tatsache, dass die Baugrube mit einer mittleren GW-Fördermenge von ca. 0,75 l/ s an den AG übergeben werden konnte, zeigt, dass die Maßnahmen erfolgreich waren. Eine zusätzliche Einspeisung von Frischwasser zur Stabilisierung des Grundwasserspiegels außerhalb der Baugrube war bis jetzt nicht erforderlich. LITERATUR [1] DIN EN ISO 22282-3: 2012: Geotechnische Erkundung und Untersuchung - Geohydraulische Versuche - Teil 3: Wasserdruckversuche in Fels [2] DIN EN 12715: 2019: Ausführung von Arbeiten im Spezialtiefbau - Injektionen [3] DIN EN 12716: 2018: Ausführung von Arbeiten im Spezialtiefbau - Düsenstrahlverfahr [4] Österreichische Gesellschaft für Geomechanik (2016): Kommentar zur EN 12715 - Injektionen; Salzburg Tunnelbau 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 95 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus Dipl.-Ing. (FH), MBA, Dennis Edelhoff BUNG-PEB Tunnelbau-Ingenieure GmbH, Dortmund Zusammenfassung Die Querung von Infrastruktur mittels grabenloser Bauverfahren unterliegt immer erhöhten Planungs- und Ausführungsanforderungen. Insbesondere bei der Querung von Schienenwegen sind teilweise umfangreiche regelwerksbedingte Auflagen und Anforderungen zu berücksichtigen. Auch die Überquerung von sensiblen Bestandsbauten wie z.B. U-Bahntunnel bedarf einer umfangreichen Planung, um die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit zu gewährleisten Anhand von zwei aktuellen Projekten werden die wesentlichen Aspekte für die Planung und Ausführung illustriert. 1. Ausgangssituation Infolge des steigenden Bedarfs nach infrastruktureller Vernetzung der urbanen und ländlichen Wohn- und Industrieareale werden die bestehenden Leitungsnetze der Versorgungs- und Telekommunikationsunternehmen modernisiert und ausgebaut. Die hierbei notwendigen zusätzlichen oder zu erneuernden Kanal-, Rohr- und Kabelleitungen queren regelmäßig bestehende Infrastruktur wie z. B. Schienenwege, Bundesautobahnen, Gewässer etc., da eine Anpassung des Haltungsverlaufs häufig infolge trassierungstechnischer Zwangspunkte nicht möglich ist oder im Rahmen von Umplanungen zu erheblichen und unwirtschaftlichen Mehrkosten führen würde. Darüber hinaus erfolgt des Öfteren eine zeitkritische Terminierung der Fertigstellung, die häufig auch aus politischen Gründen zwingend eingehalten werden muss. Neben den Regeln der Technik sind bei diesen Projekten auch zusätzliche Auflagen der jeweiligen Infrastrukturbetreiber zu berücksichtigen. Hierbei ist hinsichtlich Umfang und Detaillierung vor allem das bahnspezifische Regelwerk der DB AG sowie die bauordnungsrechtlichen Aspekte des Eisenbahnbaus zu nennen. Im vorliegenden Bericht wird dieser Tatsache folgend ein Schwerpunkt in diesen Bereich gelegt. 2. Bauverfahren zur unterirdischen Querung Für die Realisierung von unterirdischen Infrastruktur- Querungen stehen verschiedene Verfahren zur Herstellung von Leitungs- und Kanaltrassen mit heterogenen Anforderungen und Nutzungskonzepten zur Verfügung. Unterschieden wird unter anderem in ein- und mehrstufige, steuerbare und nicht steuerbare sowie bemannte und unbemannte Verfahren. Zu den häufig eingesetzten Verfahren für größere Durchmesser gehören der Rohrvortrieb bzw. der Mikrotunnelbau, die auf den Grundprinzipien des gleichzeitigen Vorpressens der Vortriebseinheit (Schild und Maschinenrohr) und des angeschlossenen Rohrstrangs aus einem Startschacht heraus (Abbildungen 1 und 2), der stetigen Schmierung und Stützung des Ringraums während des Vortriebs, dem Einbau von Fertigteilrohren und des erst nachträglichen Verdämmens des Ringraums in der Endlage des Rohrstrangs basieren. Die Prinzipien des Bodenabbaus (z. B. der Einsatz eines Schneidrads), der Abraumförderung (z. B. hydraulisch) und der Ortsbruststützung (z. B. Flüssigkeits- oder Erddruckstützung) erfolgen ähnlich dem maschinellen Vortrieb mit Tunnelbohrmaschine (TBM). Häufig werden im Rohrvortrieb sogenannte AVN-Maschinen (Automatische Vortriebsmaschine Nass) eingesetzt. Ihr Funktionsprinzip entspricht dem der Slurryschilde, d. h. Stützdruckregulierung über das Zu- und Abführen von Stützflüssigkeit. Eine präzisere Stützdruckregulierung ähnlich dem des Mix-/ Hydroschildes im Großtunnelbau erfolgt durch den Einsatz einer AVND-Maschine (Automatische Vortriebsmaschine Nassförderung Druckluft), welche den Stützdruck ebenfalls über ein Luftpolster steuert. Bei der AVND-Technik stehen sowohl die Betriebsarten Slurrymodus als auch Hydromodus zur Verfügung, zwischen denen während des Vortriebs durch Umschalten gewechselt werden kann. Neben dem Vollschnittabbau mit Schneidrad sind auch Vortriebe mit offenem Haubenschild, gegebenenfalls Druckluftstützung und Zughacke oder Schrämmgerät weit verbreitete Verfahren. 96 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus Abbildung 1: Pressschacht Rohrvortrieb Abbildung 2: AVND-Vortriebseinheit (© Epping Rohrvortrieb GmbH) Schon seit längerer Zeit gelangt auch das Horizontale Spülbohrverfahren (oder: HDD-Verfahren = Horizontal Directional Drilling) für die Herstellung von Strom-, Telekommunikations- oder Gasleitungstrassen zum Einsatz. Bei diesem Verfahren wird ein Pilotrohrstrang (Pilotbohrung) bodenaustragend und gesteuert vorgetrieben. Der Abbau des Bodens erfolgt im Lockergestein hydromechanisch mittels Hochdruckdüsen und Schneidelementen am Bohrkopf. Bei Festgestein erfolgt der Vortrieb durch einen Bohrlochmotor mit Bohrmeißel. Die Ortung des Bohrkopfes erfolgt in der Regel nach einem Sender-Empfänger-Prinzip. Richtungsänderungen werden durch die asymmetrische Steuerfläche des düsenbesetzten Bohrkopfes oder durch ein am Bohrlochmotor integriertes Winkelstück vorgenommen. Die Aufweitung der Pilotbohrung durch Räumer (Aufweitbohrung) erfolgt in einem oder mehreren Arbeitsgängen. Abschließend wird der Rohrstrang in die Bohrung eingezogen (Einzug). Für die Bauausführung stehen zahlreiche verschiedenartige Systeme und Ausbildungen (Bohrgestänge, Spül-/ Bohrköpfe, Räumer, Kupplungen etc.) sowie Leistungsklassen (Bohrgerätetypen/ HDD-RIGS in Abhängigkeit der Zugkräfte) zur Verfügung. Charakterisierendes Merkmal ist bei allen HDD-Systemen der Austrag des gelösten Bohrkleins aus dem Bohrkanal mittels zirkulierender Spül-/ Stützflüssigkeit rückfließend entlang der bereits gebohrten Strecke bzw. des Bohrgestänges. Insbesondere aufgrund der teilweise hohen Spüldrücke und des offenen Ringraums bis zum Einzug des Produkten-/ Schutzrohres werden in den Regelwerken der DB AG erhöhte Anforderungen an die Planung und Ausführung einer Schienenwegequerung mittels HDD-Verfahren gestellt. In der jüngeren Vergangenheit wurde das Cable & Pipe-Verfahren insbesondere zur Realisierung geringer Verlegetiefen entwickelt, bei dem über Vertikalbohrungen eine Druckentlastung des Spülungsstroms und damit die Gefahr von Spülungsaustritten an der Geländeoberfläche reduziert wird. Weitergehende Informationen zu den verschiedenen Einsatzbereichen und Vortriebstechniken sind in [1] dargestellt. 3. Schienenwege der Deutsche Bahn AG - Formalien und Anforderungen Für Querungen unter Bahngleisen gelten unterschiedliche Regelwerke, z. B. die Ril 836 „Erdbauwerke und sonstige geotechnische Bauwerke planen, bauen und instand halten“ [2] und die Ril 877 „Gas- und Wasserleitungskreuzungsrichtlinie“ [3]. Über Querverweise werden weitere DB-Regelwerke und auch mitgeltende Vorschriften integriert - so zum Beispiel von der DVGW (Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e. V.) und der DWA (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V.). Als wesentliche Richtlinien und Vorschriften im Zusammenhang mit dem Rohrvortrieb unter DB-Gleisanlagen sind das DWA-A 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 97 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus 125 bzw. DVGW-Arbeitsblatt GW 304 „Rohrvortrieb und verwandte Verfahren“ [4] sowie das DWA-A 161 „Statische Berechnung von Vortriebsrohren“ [5] zu nennen. Für das HDD-Verfahren ist das DVGW Arbeitsblatt GW 321 „Steuerbare horizontale Spülbohrverfahren für Gas- und Wasserrohrleitungen - Anforderungen, Gütesicherung und Prüfung“ [6] maßgebend. Die Erstellung von Rohrquerungen durch Dritte sowie deren Instandhaltung wird zwischen der DB Netz AG und dem Dritten im Rahmen eines Gestattungsvertrags bzw. Kreuzungsvertrags vor Baubeginn geregelt. Während der Antragstellung wird durch die DB Netz AG die Einhaltung der entsprechenden Regelwerke geprüft. Das grundsätzliche und oberste Ziel der Regelungen ist die jederzeitige Gewährleistung der Betriebssicherheit und Streckenverfügbarkeit. Hierzu werden in den unterschiedlichen Richtlinien bahnseitige und vortriebsbezogene Schutzmaßnahmen definiert, zu denen unter anderem objektspezifische Baugrundgutachten mit Risikobeurteilung und Prognose der zu erwartenden Oberflächensenkungen, die Einhaltung einer Mindest-Bodenüberdeckung in Abhängigkeit des Vortriebsverfahrens und des Durchmessers, die messtechnische Überwachung der Gleisanlage, die Einrichtung von Langsamfahrstellen, die Sekundärverpressung des entstehenden Ringspalts sowie das Verbot, eine Querung unter Schienenstößen und Weichen durchzuführen, gehören. Sofern eine geplante Leitungsquerung von den allgemeinen Auflagen und Regeln der DB-Richtlinien abweicht (z. B. Querung unter Weichen/ Kreuzungen), werden durch die Fachdienste der DB Netz AG objektspezifische Regelungen aufgestellt und im Rahmen einer Fachtechnischen Stellungnahme definiert. Auf Basis dieser Stellungnahme und mit der Verpflichtung zur Umsetzung der darin genannten Auflagen, erfolgt die sogenannte Unternehmensinterne Genehmigung (UiG) der geplanten Leitungsquerung. Diese wird Bestandteil des Kreuzungsvertrags zwischen DB AG und dem Dritten. Über die fachtechnische Stellungnahme zu der Unternehmensinternen Genehmigung werden Anforderungen an die Umsetzung der Baumaßnahme gestellt, die die Abweichungen vom Regelwerk kompensieren, so dass ein gleichwertiges Sicherheitsniveau erreicht wird. Zu diesen Anforderungen kann unter anderem die Beteiligung eines Sachverständigen für Horizontale Spülbohrverfahren oder das Aufstellen von qualitätssichernden Maßnahmen gehören. Beispielsweise wurde bei einem Fernwärme-Projekt am Frankfurter Hauptbahnhof eine Schienenwegequerung mit einem Schutzrohr DN 2500 mit AVND-Vortriebstechnik unter dem rollenden Rad (> 30 Gleisachsen) erfolgreich realisiert (Abbildung 3), bei dem insbesondere hinsichtlich der messtechnischen Überwachung Auflagen über eine UiG definiert wurden (Inklinometer- Ketten, Tachymetrische Überwachung, lokaler Vermessungs-Trupp). Abbildung 3: Vortriebstrasse unter Schienenwegen (© Google Maps) 98 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus Sofern standsicherheitsrelevante und damit bauaufsichtlich maßgebende Aspekte bei einer geplanten Leitungsquerung nicht eingehalten werden können, erfolgt durch Ansprache der DB Netz AG auch die Beteiligung der Zentrale des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA). Im Rahmen einer sogenannten „Zustimmung im Einzelfall“ (ZiE) durch die Zentrale des EBA werden mittels Nebenbestimmungen weitergehende Anforderung und Auflagen definiert, die für die Realisierung der Haltung zu beachten und umzusetzen sind. Darüber hinaus unterliegt jedes Bauprojekt im Bereich von Bahnanlagen der bauordnungsrechtlichen Weisung des EBA bzw. der VV BAU „Verwaltungsvorschrift über die Bauaufsicht im Ingenieurbau, Oberbau und Hochbau“ [7], sofern hiermit Änderungen der Betriebsanlagen der Eisenbahnen des Bundes, zu denen auch Leitungsquerungen gehören, erfolgen. In [7] werden u. a. auch die Verantwortlichkeiten und Beteiligungen der Überwachungsorgane definiert. Zusätzliche Informationen zu weiteren formalen und technischen Anforderungen (u. a. CSM-Verfahren etc.) sowie die Darstellung einer Qualitätssicherungsstrategie können [8] entnommen werden. 4. Projektbeispiele Nachfolgend werden zwei Projekte vorgestellt, bei denen sensible Infrastruktur erfolgreich gequert wurde. Beim ersten Projekt wurden Schienenwege unter- und im direkten Anschluss U-Bahntunnel überquert. Bei dem zweiten Projekt musste aufgrund kritischer Baugrundveränderungen im Trassenverlauf das Bauverfahren vor Unterquerung der DB-Anlage umgestellt werden. 4.1 AVND-Vortrieb DN 2000 an der Berne Die Emscher und ihre Nebengewässer bilden derzeit ein System offener Schmutzwasserläufe, die nach zwischenzeitlichem Abklingen der Bergsenkungen nunmehr im Rahmen der Renaturierung durch die Emschergenossenschaft in unterirdische Abwasserleitungen eines geschlossenen Kanalsystems überführt werden sollen. Ein Teilprojekt stellt ein grabenloser Kanalneubau an der Berne in Essen-Altenessen dar. Als Vortriebstechnik zur Realisierung dieses Kanalbauwerks kam eine AVND-Vortriebsmaschine (Rohrvortrieb mit Spülförderung im Hydro-Modus, d. h. Stützdruckregelung über Druckluftpolster) der Herrenknecht AG mit einem Außendurchmesser von 2.500 mm zum Einsatz, um die Gesamtlänge der Haltung von 450 m mit 2,0 ‰-Gefälle herzustellen. Als relevante Trassierungsparameter war die gekrümmte Linienführung mit einem Radius von 480 m auf den letzten rund 275 m zu berücksichtigen. Der zu bewältigende Baugrund bestand im Wesentlichen aus Talfüllungen mit unterschiedlicher Zusammensetzung u. a. in Form von braunem Schluff mit Sand-/ Kiesanteilen und verwitterten Mergelbruchstücken. Grundwasser war bis ca. 7 m oberhalb der Rohrsohle prognostiziert. Für die Baugrunddurchlässigkeiten wurde ein Durchlässigkeitsbeiwert k < 10-6 m/ s abgeschätzt. Im Verlauf der Vorpressung waren die Berne mit einer minimalen Überdeckung von 2,5 m sowie im weiteren Schienenwege in Dammlage der DB Netz AG mit einem Kreuzungswinkel von 69° und einer minimalen Bodenüberdeckung von 11,70 m zu unterqueren. Im direkten Anschluss an diese Unterquerung und kurz vor Erreichen des Zielschachtes war nach weiteren ca. 30 m Vortrieb die Überquerung zweier Tunnelröhren der Ruhrbahn GmbH mit einem Abstand von nur 1,5 m (Weströhre/ Gleis 1 und Oströhre/ Gleis 2) bei gleichzeitiger Unterquerung einer Hauptverkehrsstraße zu bewältigen. Die Überquerung erfolgte in einem 40°-Winkel, so dass sich ca. 32 m direkte Querungsstrecke ergaben. In Abbildung 4 sind beide Querungsbereiche dargestellt. Aufgrund der für die Unterquerung der Schienenwege installierten Langsamfahrstelle (Auflage der DB Netz AG) und der Betriebsruhe-Phase der zu überquerenden U-Bahn (Auflage der Ruhrbahn GmbH) musste der Vortrieb kontinuierlich erfolgen. Mit Erreichen der Eisenbahninfrastruktur stand ein Zeitfenster von 5 Tagen für die Querung der Schienenwege und der U-Bahntunnel zur Verfügung. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 99 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus Abbildung 4: Querung von Infrastruktur der DB Netz AG und Ruhrbahn GmbH Da die Kanalquerung von den Regelwerken der DB Netz AG aufgrund gekrümmter Linienführung, schiefwinkliger Trasse (schleifender Schnitt mit den Eisenbahnstrecken) und Unterquerung von Weichen abweicht sowie die Bauausführung unter dem rollenden Rad stattfinden sollte, wurden spezifische Anforderungen und Auflagen für die Planung und Ausführung definiert und in einer Unternehmensinternen Genehmigung (UiG) seitens der DB Netz AG und einer Zustimmung im Einzelfall seitens des Eisenbahn-Bundesamts (EBA) fixiert. Unter anderem waren diverse statisch-konstruktive Nachweise, z. B. für die Stahlbeton-Vortriebsrohre und die Ortsbruststützung, zu führen und durch einen zugelassenen Sachverständigen zu prüfen. Des Weiteren waren Störfallszenarien und Alarmpläne aufzustellen sowie eine umfangreiche messtechnische Überwachung (15 Min.-Messrhythmus für den Gleisabschnitt im Einflussbereich) zu installieren. Auf Grundlage einer Senkungsprognose wurden unter Berücksichtigung der DB-Richtlinien und im Zusammenwirken mit den Anlagenverantwortlichen der DB Netz AG Vorwarnwerte (Eingreifwert) von 5 mm und Grenzwerte von 20 mm (Vortriebsunterbrechung) für die Gleisverformungen definiert. Während des Vorpressens musste eine Handstopfkolonne und eine Stopfmaschine vorgehalten werden. Für die Überquerung der U-Bahntunnel wurden unter anderem eine messtechnische Überwachung der Bestandsröhren und ein adaptiertes Qualitätssicherungsprogramm des Vortriebs gefordert. Darüber hinaus wurden statische Untersuchungen zur Verträglichkeit der Überquerung mit anschließender bautechnischer Prüfung sowie eine übergeordnete, alle Teilbereiche berücksichtigende gutachterliche Bewertung veranlasst. Neben der statisch-konstruktiven Verträglichkeit der prognostizierten Verformungen ist für die Gebrauchstauglichkeit der in Tübbingbauweise hergestellten U-Bahntunnel (Außendurchmesser 8,40 m) die Funktionsfähigkeit der Dichtungsprofile relevant. Deren Dichtwirkung wird maßgebend von den Versatz- und Spaltmaßen zwischen den einzelnen Tübbingsegmenten beeinflusst, die sich wiederum infolge Herstell- und Montagetoleranzen sowie Verformungen einstellen können. Mittels Versatzmessung der Röhren konnten wechselseitige Verformungswerte von maximal 6-7 mm zwischen den Tübbingsegmenten festgestellt werden. In Korrelation mit dem Arbeitsvermögen der eingebauten Dichtprofile war eine maximale zusätzliche Verformung von ± 15 mm möglich. Als Ereignismaßnahmen für sich infolge Vortriebs einstellender Undichtigkeiten und Wasserzutritten wurden Bohr-/ Injektionsaggregate, Aufstiegshilfen und Injektionsmaterial vorgehalten. Eine weitere Bewertung erfolgte hinsichtlich Erschütterungseinwirkungen auf den Tübbingtunnel durch den Abbauprozess an der Ortsbrust. Hierbei konnten die maximal zu erwartenden Schwinggeschwindigkeiten von 18 mm/ s im Vergleich mit den als verträglich für Tübbingbauwerke definierten Erschütterungen nach DIN 4150-3 [9] (Vmax < 80 mm/ s) als unkritisch beurteilt werden. Der Vortrieb erfolgte planmäßig und die Querungen der Gleisanlage sowie der U-Bahntunnel konnten nach rund 350 m bzw. 400 m bewältigt werden. Bei Tunnelmeter 440 wurde der Dichtblock vor dem Zielschacht erreicht. Für die Einfahrsituation war der Schacht geflutet. Die AVND-Einheit wurde mit dem Rohrstrang so weit in den Zielschacht vorgeschoben, dass die Dichtkonstruktion bestehend aus 2 verfüllbaren Gewebeschläuchen gegen das Stahlbetonrohr verpresst wurden und somit eine Ab- 100 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus dichtung gegenüber dem anstehenden Grundwasser erfolgen konnte. Im nachfolgenden Arbeitsschritt wurde die Verdämmung des Ringraums durchgeführt und innerhalb von 3 Tagen abgeschlossen. Insgesamt konnten die zeitlichen Vorgaben hinsichtlich Unterquerung der Schienenwege und Überquerung der U-Bahntunnel innerhalb von insgesamt 5 Tagen realisiert werden. Über die installierte Messtechnik im Bereich der Eisenbahninfrastruktur wurden im Zusammenhang mit den Vortriebsarbeiten nur geringe Verformungswerte festgestellt, die zu keiner Beeinträchtigung des Schienenverkehrs geführt haben. Die prognostizierten Maximalwerte der Verformung wurden nicht erreicht. Analoge Erkenntnisse hat die messtechnische Überwachung der U-Bahnröhren erbracht. Hierbei wurden maximale Verformungswerte von 1 mm festgestellt. Die Dichtigkeit der Tübbingröhren blieb gewährleistet. Insgesamt konnte der Vortrieb des DN 2000-Kanals erfolgreich unter Beachtung der Auflagen aus UiG und ZiE und den Ergänzungen der Ruhrbahn GmbH umgesetzt werden. Die aufgetretenen Verformungen lagen unterhalb (Schienenwege) bzw. deutlich unterhalb (U-Bahntunnel) der prognostizierten Werte. Kritische Vortriebszustände, die einen Eingriff in den Bahnbetrieb oder eine Intervention in den Tübbingtunneln erfordert hätten, waren zu keiner Zeit gegeben. Der Vortrieb an der Berne zeigt eindrücklich, dass auch sensible Infrastruktur sicher unter- und überquert werden kann, ohne dass sich Beschädigungen an den Bestandsbauten einstellen. Für die Unterquerung von Schienenwegen der DB Netz AG existieren neben dem gegenständlichen Vortrieb noch zahlreiche weitere Beispiele. Mit Überquerung der U-Bahntunnel wurde ein zusätzliches Projekt als Referenz für einen qualitätsgesicherten Rohrvortrieb realisiert. Ergänzende Informationen sind in [10] dargestellt. 4.2 Halboffener Vortrieb DN2600 in Gelsenkirchen Ein weiteres Projekt im Zusammenhang mit der Renaturierung der Emscher umfasst das Einzugsgebiet des Schwarzbachs, bei dem ein Abwasserkanal der Dimension DN 2600 die Schienenwege der DB Netz AG kreuzt. Aufgrund baulicher und hydraulischer Zwangspunkte weicht die Trasse im Bereich der Kreuzung von der Richtlinie Ril 836 hinsichtlich Überlagerungshöhe sowie Abstand zu Bestandsbauwerken und Oberleitungsmasten ab. Zur Festlegung objektspezifischer Regelungen und Kompensation der Regelwerksabweichung wurden eine Unternehmensinterne Genehmigung (UiG) der DB Netz AG und eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) des Eisenbahn-Bundesamtes aufgestellt. Die Querung der zweigleisigen Bahnanlage der Bahnstrecke 2168 (VzG = 100 km/ h) erfolgte schiefwinkelig (ca. 62°) von Osten nach Westen. Die gradlinige Vortriebsstrecke für den neuen Abwasserkanal betrug insgesamt 83,5 m, wobei rund 41 Meter unterhalb der Gleisanlage verliefen. Die minimale Bodenüberdeckung lag bei rund 6,40 m. Der Vortrieb des Rohrstrangs DN 2600 wurde mit einer Teilschnittmaschine DA 3100 mit einer Schrämme und Schneckenförderung im offenen Haubenschild durchgeführt. Für den Vortriebszeitraum der Unterquerung der Bahnanlage bestand für den regulären Schienenverkehr eine vierwöchige Streckensperrung. Für die örtliche Chemieindustrie waren zweimal tägliche Versorgungsfahrten über ein Baugleis (max. 20 km/ h) zulässig. Auf den ersten 30 m des Vortriebs wurde entsprechend der Prognose Boden mit einem relativ hohen Feinanteil und geringer Kohäsion angetroffen. Nach einer Vortriebsstrecke von rund 35 m hat sich vor dem Bahndamm ein Verbruch infolge grobstückigem/ blockigem (teilw. Kantenlänge > 60 cm) sowie locker gelagertem, unverzahntem Bergematerial an und über der Ortsbrust eingestellt. Im Zuge einer Ortsbegehung unter anderem mit der DB Netz AG wurde festgelegt, dass es unter diesen Bedingungen und auf der sicheren Seite liegend nicht möglich war mit dem Vortrieb fortzufahren, da ein zum Verbruchbereich analoger und damit von der Prognose abweichender Baugrundaufbau auch im Bahndammbereich nicht ausgeschlossen werden konnte. Der Verbruchbereich wurde mit Magerbeton vollständig verfüllt. Im Rahmen mehrerer intensiver und zeitkritischen Besprechungen und Abstimmungen wurde mit Zustimmung der am Bau Beteiligten eine Umstellung des Vortriebsverfahrens auf einen halboffenen Vortrieb festgelegt. Dazu und zur Ausnutzung der bestehenden Sperrpause, die auf eine vollständige Streckensperrung erweitert wurde, war es notwendig innerhalb kurzer Zeit die Bahnstrecke auf einer Länge von ca. 12 m temporär rückzubauen und den Oberbau sowie in Teilen den Unterbau geböscht abzutragen. Das gewählte halboffene Vortriebsverfahren bestand prinzipiell aus einer Kombination aus einem Einschnitt (mit Hydraulikbagger), dem Einsatz eines Gleitschienenverbaus (analog eines Grabenverbaugeräts) und der Rohrvortriebsmaschine, welches taktweise in drei Arbeitsschritten durchgeführt wurde: • Geböschter Voreinschnitt Bahndamm bis zur Voraushubsohle (3 m unter OK Bahndamm) • Taktweises Vorpressen des Vortriebsrohres im Schutze des Gleitschienenverbaus • Aufbau des Bahndamms: Lagenweiser Wiedereinbau des aufgearbeiteten Aushubmaterials (Anpassung Korngröße, Beimengung Bindemittel) und dessen Verdichtung Die nachfolgenden Abbildungen illustrieren einige Teilaspekte des Verfahrens. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 101 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus Abbildung 5: Aushub in der Verbaubox (© Helmut Uhrig Straßen- und Tiefbau GmbH) Abbildung 6: Vortrieb innerhalb der Verbaubox Abbildung 7: Blick entlang Schienenwege (© Helmut Uhrig Straßen- und Tiefbau GmbH) Abbildung 8: Wiederaufbau Bahndamm Im Zug des Bahndammeinschnitts konnte festgestellt werden, dass die Entscheidung gegen das ursprünglich installierte Vortriebssystem zielführend war, da sich die ungünstigen geologischen Randbedingungen (stark blockiges, unverzahntes Bergematerial) bis in den Bahndamm fortgesetzt haben. Gleichzeitig konnte mit dem halboffenen Vortriebssystem der angetroffene Baugrund beherrscht und der Kanalbau erfolgreich umgesetzt werden. Der abschließende Bahndammauf- und Schienenoberbau erfolgte regelkonform und qualitätsüberwacht. Das für den Wiedereinbau vorgesehene Aushubmaterial wurde mittels Schaufelseparator auf eine Korngröße von 0/ 60 gesiebt bzw. ggf. geschrotet und mit einem Bindemittel (Dorosol C30) vermengt, so dass eine Bodenverfestigung realisiert wurde. Der Einbau erfolgte lagenweise und mit entsprechender Verdichtung. Die Auswertung der Feldversuche zum Verdichtungsgrad zeigt, dass die gem. Ril 836.4101A01 gestellten Regelanforderungen an den Unterbau für Strecken mit Schotteroberbau und 102 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Unterirdische Querungen sensibler (DB-)Infrastruktur - Anforderungen an Planung und Ausführung des grabenlosen Kanal-/ Leitungsbaus Geschwindigkeiten im Bereich V = 80 - 160 km/ h eingehalten worden sind. Die Verfüllung des Ringraums zwischen Rohr und Erdreich erfolgte im Nachgang zum Vortrieb und zum Bahndammaufbau mit einer fließfähigen hydraulisch abbindenden Suspension. Die Verfüllung des Ringspalts wurde qualitätsgesichert und mit Dokumentation von Injektionsort, Station, Datum, Uhrzeit und verpressten Volumina umgesetzt. In Abstimmung mit der DB Netz AG wurde nach Abschluss der Arbeiten für weitere 14 Tage nach Aufhebung der Streckensperrung eine Handstopfkolonne und eine Stopfmaschine vorgehalten. Während der Baumaßnahme wurden Kampfmitteluntersuchungen von der Ortsbrust (im Vortriebsrohr des Rohrstrangs) aus durchgeführt. Dabei kam die vortriebsbegleitende Störkörpersuche mit dem Impuls-Neutron- Neutron-Verfahren (INN-Verfahren) zum Einsatz, mit dem Kampfmittel bis in eine Entfernung von ca. 4-5 m detektiert werden können. Vortriebsbegleitend wurde daher bei jedem Rohrwechsel an der Ortsbrust eine vorausschauende Störkörper-Detektion durchgeführt. Während und in einem Zeitfenster 10 Minuten nach der Störkörper-Detektion wurde aus Strahlenschutzgründen ein Bereich bis 10 Meter hinter der Ortsbrust frei von Personen gehalten (Sicherheitskorridor). Nach der Modifizierung des Vortriebsverfahrens wurde im Bereich des Voraushubs und im Bereich des Gleitschienenverbaus eine ergänzende Kampfmitteluntersuchung erforderlich. Aufgrund vorhandener Störstoffe im Bahndamm war dieser nicht sondierbar, sodass eine kampfmittelspezifische Bauaushubbegleitung stattfand. Während der gesamten Vortriebsarbeiten wurden keine Kampfmittel detektiert. Das INN-Verfahren konnte gut in den Bauablauf (Rohrvortrieb mit Rohrwechseln) eingebunden werden. Die Baumaßnahme konnte durch die gemeinsame Anstrengung der am Bau Beteiligten zur kurzfristigen und regelkonformen Umstellung des Verfahrens unter Ausnutzung der bestehenden Sperrpause erfolgreich beendet werden. 5. Zusammenfassung und Fazit Für die erfolgreiche Unter- und Überquerung sensibler Infrastruktur mit grabenlosen Bauverfahren sind neben der verfahrensspezifischen Planung immer auch die speziellen Regeln und Anforderungen der Infrastrukturbetreiber zu berücksichtigen. Hinsichtlich Umfang und Detailierung setzten die Regelwerke der DB Netz AG hier Maßstäbe. Wie in den Projektbeispielen gezeigt wurde, können auch Abweichungen und Störungen im Bauauflauf hin zu einer völlig anderen Bauausführung unter Beteiligung aller relevanten Entscheidungsinstanzen bewältigt werden. Literatur [1] Edelhoff, D.; Kohlschreiber, P. (2019): „Leitungstrassen im Rohrvortrieb/ Microtunnelling - Auswahl des geeigneten Abbau- und Stützprinzips“, Tagungsband zum 33. Oldenburger Rohrleitungsforum 2019, S. 376-387 [2] Richtlinie 836 „Erdbauwerke und sonstige geotechnische Bauwerke planen, bauen und instand halten“ (12/ 2019) [3] Richtlinie 877 „Gas- und Wasserleitungskreuzungsrichtlinie“ (01/ 2021) [4] DWA-A 125 „Rohrvortrieb und verwandte Verfahren“ (12/ 2008; Korrekturblatt 07/ 2014) [5] DWA-A 161 „Statische Berechnung von Vortriebsrohren“ (03/ 2014) [6] DVGW Arbeitsblatt GW 321 „Steuerbare horizontale Spülbohrverfahren für Gas- und Wasserrohrleitungen - Anforderungen, Gütesicherung und Prüfung“ (10/ 2003; Korrekturen 01/ 2009) [7] „Verwaltungsvorschrift über die Bauaufsicht im Ingenieurbau, Oberbau und Hochbau“ (VV BAU), Eisenbahn-Bundesamt, (02/ 2019) [8] Edelhoff, D.; Peter, C.; Padberg, G. (2017): „Besondere Anforderungen für den Rohrvortrieb unter Bahngleisen“, tunnel-Zeitschrift 1/ 2017, S. 22-35 [9] DIN 4150-3 „Erschütterungen im Bauwesen: Einwirkungen auf bauliche Anlagen“, 2016-12 [10] Edelhoff, D.; Nolden, M. (2021): „Unter und über sensibler Infrastruktur“, B_I umweltbau 5|21, S. 21-28 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 103 Erkundung Tunnel Calw - Straßentunnel im Stadtgebiet Calw, Unterfahrung von Bestandsgebäuden und Bahnlinien auf zwei Ebenen Dipl.-Geol. Peter Kordeuter Dr. Spang GmbH, Esslingen, Deutschland Andreas Jakobi, M. Sc. Dr. Spang GmbH, Esslingen, Deutschland Zusammenfassung Der geplante Tunnel Calw soll den Verkehr der B296, die bisher am Rand der Innenstadt von Calw im Nagoldtal verläuft, aufnehmen. Im Bereich der Portale werden die Nagoldtalbahn, die derzeit noch nicht im Betrieb befindliche Hermann-Hess- Bahn und ein Wohngebäude mit geringer Überdeckung, die zum Teil vollständig aus Lockergestein besteht unterfahren. Im Bereich des Tunnels wurden Lockerböden in Form von Auffüllungen, Hang- und Verwitterungslehme erkundet. Darunter lagert der Badische Bausandstein, der zum Mittleren Buntsandstein zählt. Es handelt sich um harte, verkieselte Sandsteine. Die Unterfahrung der o.g. Bauwerke kann entsprechend der Erkundung zumeist mit tunnelbautechnischen Sicherungsmaßnahmen bewerkstelligt werden. Im Bereich der Unterfahrung der Nagoldtalbahn werden die tunnelbautechnischen Maßnahmen als nicht ausreichend eingestuft. Für die Querung wird eine Hilfsbrücke empfohlen, deren Lasten mittels einer beidseitig des Tunnels plazierten Pfahlgründung unter die Tunnelsohle abgetragen werden. 1. Tunnelbauprojekt Das Regierungspräsidium Karlsruhe plant im Zuge der Kernstadtumfahrung Calw den Bau eines Entlastungstunnels für die B296. Der Tunnel Calw soll die Bundesstraße B296 vom nördlichen Nagoldtal aus mit dem Ziegelbachtal verbinden. 1.1 Verlauf der Tunneltrasse Das Südportal des Tunnels liegt im Bereich des Bahndammes und der Brücke, welche die Nagoldtalbahn und die Hermann-Hesse-Bahn über die Stuttgarter Straße (B 296) überführt. Die beiden Gleistrassen werden im weiteren Verlauf des Tunnels unterfahren. Die Nagoldtalstrecke der DB Netz AG ist derzeit in Betrieb. Die Schwarzwaldbahnstrecke bzw. Hermann-Hesse-Bahn soll in den kommenden Jahren ertüchtigt und der Betrieb wiederaufgenommen werden. Das Nordportal liegt östlich der Bischofstraße (B 296) auf einem Grundstück, welches derzeit durch ein Kino bebaut ist. Das seit längerer Zeit nicht mehr genutzte Kinogebäude wird für den Bau des Tunnels rückgebaut. Der Tunnel ist mit einer von Bau-km 0+140 bis Bau-km 0+720 auf einer Länge von 580 m geplant. Von Bau-km 0+140 bis Bau-km 0+630 ist der Tunnel 2-spurig, von Bau-km 0+630 bis 0+665 3-spurig und von Bau-km 0+665 bis 0,720 in einem 4-spurigen Ausbau vorgesehen. Vom südlichen Portal bei Bau-km 0+720 bis 0+665 und von Bau-km 0+180 bis 0+140, dem nördlichen Portal soll der Tunnel in offener Bauweise erstellt werden. Die Ausführung des Tunnels in bergmännischer Bauweise erstreckt sich auf ca. 485 m. Der Ausbruchsquerschnitt wird i.d.R. zwischen ca. 100 m² (km 0+180) und ca. 165 m² (km 0+690) betragen. Ein Rettungsstollen soll beim km 0+420 vom Tunnel in das südlich gelegenen Nagoldtal führen. Der Tunnel ist mit einem Maulquerschnitt geplant. Die lichte Höhe der Außenschale ist gemäß dem Regelquerschnitt [5] mit ca. 10,0 m und die Weite mit 11 m angegeben. Der senkrecht zu Tunnelachse geplante Rettungsstollen soll mit einem ovalen Querschnitt und einer lichten Höhe von ca. 3,5 m mit einer Weite von 2,9 m ausgeführt werden. 1.2 Bestandsbauwerke im Bereich der Tunneltrasse Das Tunnelprojekt liegt östlich der Nagold im Westbzw. Südwesthang des Welzbergs im Stadtgebiet Calw. Der Tunnel schneidet am Nordportal schleifend in den Hang ein und tritt am Südportal infolge der Eintalung durch den Ziegelbach relativ rechtwinklig an der Hengstetter Steige aus. 104 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erkundung Tunnel Calw - Straßentunnel im Stadtgebiet Calw, Unterfahrung von Bestandsgebäuden und Bahnlinien auf zwei Ebenen Das Nordportal liegt auf einem derzeit bebauten Grundstück der Bischofstraße (ca. km 0+140 bis km 0+160). Ab km 0+160 schneidet der bergmännisch aufzufahrende Tunnel in den Hang des Nagoldtales und unterquert nach 20 m die Nagoldtalbahn mit einer Überdeckung von ca. 6 m. Nach weiteren 20 m wird ein Wohnhaus mit einer Überdeckung von ca. 10 m unterquert. Bei ca. km 0+270 erfolgt dann Querung der Herrmann- Hesse-Bahn bei einer Überdeckung von rund 20 m. Die Unterquerung der 3 im vorigen Text beschriebenen Bauwerke ist der Abb. 2 zu entnehmen. Im weiteren Verlauf werden unbebaute Bereich am Südwesthang des Welzberges unterfahren. Bei km 0+400 wird die höchste Überdeckung von 48 m erreicht. Ca.200 m vor dem Südportal verläuft der Tunnel unter der derzeit noch stillgelegten Hermann-Hesse-Bahn und zum Teil unter der Nagoldtalbahn. Die Überdeckung nimmt in diesem Bereich von ca. 11 m auf 6 m im Bereich des Südportales ab. Die Tunneltrasse schneidet die Gleisanlagen im spitzen Winkel (siehe hierzu die Abb.1 Lageplan und Abb.3 Schnitt). 2. Erkundungsprogramm Im Jahr 2010 wurde eine erste Erkundungkampagne (1. EKP) ausgeführt, Es wurden 13 Kernbohrungen (BK1 bis BK10) im Bereich des geplanten Tunnels ausgeführt von denen drei Stück zu Grundwassermessstellen ausgebaut wurden. Im Jahr 2019 und 2020 erfolgten 11 weitere Kernbohrungen. Vier Bohrungen wurden zu Grundwassermessstellen ausgebaut. Die Lage der Erkundungsbohrungen ist der Abb. 1 zu entnehmen. Im zweiten Erkundugsprogramm wurde insbesondere der Bereich der zu unterfahrenden Bauwerke mittels lotrechten Bohrungen und Schrägbohrungen erkundet. Um den bergseitigen Grundwasseranstrom modellieren zu können, wurden 3 Grundwassermessstellen in einigem Abstand östlich der Tunneltrasse ausgeführt. In den Bohrungen wurden Seitendruckversuche, Bohrlochscans, WD-Test und bei der 1. EKP auch Gamma- Ray-Logs ausgeführt. In den Grundwassermessstellen erfolgten außerdem Pumpversuche. An den Boden- und Felsproben erfolgten umfangreiche boden- und felsmechanische sowie mineralogische und chemische Laborversuche. Der Grundwasserspiegel in den Grundwassersmessstellen wird seit 2020 mittels Datenlogger beobachtet. Nach Abschluss der Grundwasserbeobachtung im Jahr 2022 wird ein finales hydrogologisches Modell erstellt. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 105 Erkundung Tunnel Calw - Straßentunnel im Stadtgebiet Calw, Unterfahrung von Bestandsgebäuden und Bahnlinien auf zwei Ebenen 2.1 Baugrund Unter Auffüllungen, die im Bereich der Bahndämme mehrere Meter Mächtigkeit aufweisen, lagern quartäre Deckschichten, die im Wesentlichen als Terassenablagerungen, Hanglehme, Hangschutt und Verwitterungsschutt zu charakterisieren sind. Die Mächtigkeit der quartären Deckschichten variiert zwischen wenigen Metern und ca. 20 m. Es handelt sich um gemischtkörnige und bindige Böden. Rollige Böden kommen nur sehr vereinzelt vor. Der Hang-/ Verwitterungsschutt kann überwiegenden den Bodengruppen ST*, ST, SU*, SW, SI und untergeordnet in den bindigen Intervallen auch TL nach DIN 18196 zugeordnet werden Der Hang-/ Verwitterungslehm ist überwiegend den Bodengruppen TL und ST* zugeordnet worden. Der überwiegende Teil des bergmännischen Tunnels verläuft im Badischen Bausandstein, der dem Mittleren Buntsandstein (Trias) zugeordnet wird. Nur im Bereich des Nordpartals liegt aufgrund einer tektonischen Störungszone das Ecksche Konglomerat des Unteren Buntsandsteines vor. Der Badische Bausandstein tritt in allen Kernbohrungen als überwiegend bankiger Mittelbis Grobsandstein auf, welcher von cm bis dm-mächtigen Tonsteinlagen untergliedert wird. Die Korngröße der Einzelkomponenten wechseln von feinüber mittelhin zu grobkörnigen Sandkörnern. Die engräumigen Wechsel äußern sich in den bankinternen Schrägschichtungen. Die Geröllführung im Badischen Bausandstein beschränkt sich auf vereinzelte Lagen mit gut gerundetem Quarzkies, der bis zu 1 cm groß sein kann. Neben den Ton- und Tonsteinlagen treten immer wieder vereinzelt oder auch in Lagen von bis zu mehreren Metern Mächtigkeit konzentrierten Tonklasten auf. Die Tonklasten können rundlich-oval und elongiert im Sandstein vorkommen und erreichen bis zu 10 cm Größe im Durchmesser. Entsprechend der mineralogischen Untersuchung bestehen die Sandsteine überwiegend aus Quarz, tlw. mit karbonatischem oder dolomitischem sowie tonigem Bindemittel. Nördlich der Störungszone „Calwer Verwerfung“ und somit im Bereich des nördlichen Einschnitts und Portals des geplanten Bauwerks liegt das Ecksche Konglomerat des Unteren Buntsandsteines vor. Wie die röntgenographische Untersuchung ergab, setzt sich das Konglomerat aus bis zu 2 cm großen Klasten bestehend aus Quarz, Dolomit und Kalifeldspat zusammen. Diese befinden sich in einer Matrix aus Mittelsand- und Tonstein mit einer guten Kornbindung. Das bankig ausgebildete Konglomerat zeigt keine interne Ordnung bzw. Struktur und geht in die unterliegenden Grobsandsteine der Eckschen-Formation über. Die rot-violetten Grobsandsteine werden auch hier wieder von Feinsand- und Tonsteinlagen untergliedert. Des Weiteren befinden sich in den Sandsteinen der Eckschen-Formation Tonklasten von bis zu 5 cm Durchmesser sowie eine Schrägschichtung der Gesteinskörper. Der Badische Bausandstein und das Ecksche Konglomerat weist nur eine sehr geringmächtige Verwitterungszone auf und liegt zumeist frisch bis schwach verwittert vor (W0-W1 nach DIN EN 14689). Die einaxiale Druckfestigkeit liegt mit min. 8,5 und max. 120 MN/ m² im Bereich von gering bis hoch nach DIN EN ISO 14689. Der Schichtflächenabstand liegt typischerweise im Bereich von 0,2 m und kann bis zu 2 m erreichen. Es liegt eine söhlige Lagerung vor. Durch die typische Kreuzschichtung liegt der Einfallswinkel der Schichtung zwischen 0 und 15°. Die im Bereich des Nordportals verlaufende Störungszone schneidet die geplante Tunneltrasse in einem Winkel von ca. 30°. Im Störungsbereich ist mit Barytgängen und verkieselten Sandstein zu rechnen. Im Störungsbereich sind mit Baryt verheilte Klüfte beobachtet worden. Die verkieselten Sandsteine erreichten einaxiale Druckfestigkeiten von bis zu 120,6 MN/ m². 2.2 Hydrogeologie Im Badischen Bausandstein ist ein Kluftgrunwasserleiter ausgebildet. Der Grundwasserspiegel liegt zum Teil im Bereich des Tunnels. Die auf der Basis der bisher vorliegenden Stichtagmessungen angesetzten Bau- und Bemessungswasserständen wurde aufgrund der nassen Witterung in 2021 teilweise übertroffen und müssen noch angepasst warden. Es liegt eine nach Westen gerichtete Grundwasserfließrichtung mit steilem Gefälle von ca. 6 Prozent vor. Vorflut ist die Nagold die ca. 150 m westlich mehr oder weniger paralellel zum Tunnel von Süd nach Nord fließt. Es wurden hydraulische Durchlässigkeitsbeiwerte k f im Bereich 10 -5 m/ s bis 10 -7 m/ s für den Badischen Bausandstein bestimmt. 3. Ausbruchskonzept und Vortriebsklassen 3.1 Ausbruchskonzept Im Bereich der Lockergesteine wurde ein Ausbruch mit einem Tunnelbagger empfohlen. Im Festgestein wird ein Sprengvortrieb empfohlen. Tunnelbagger können im Festgestein des Badischen Bausandsteines erst nach Auflockerungssprengungen eingesetzt werden. Für den Vortrieb des 2-spurigen Straßentunnels im Festgestein wird ein Kalottenvortrieb mit nachgezogenem Strossen- und Sohlausbruch (Teilausbruch) empfohlen. Bei tragfähigem Gebirge unterhalb der Grenzlinie zwischen Kalotte und Strosse kann der Kalottenvortrieb mit offener Sohle erfolgen. Sollte auf der Sohle Tonstein und Wasser anstehen, ist eine ausreichende Tragfähigkeit nicht gegeben, sodass ein Einstanzen der Kalottenfüße zu befürchten ist. Es sind dann entsprechende Zusatzmaßnahmen an den Kalottenfüßen erforderlich. Als robuste Maßnahme kann die 106 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erkundung Tunnel Calw - Straßentunnel im Stadtgebiet Calw, Unterfahrung von Bestandsgebäuden und Bahnlinien auf zwei Ebenen Kalottensohle sukzessive mit dem Kalottenvortrieb ausgerundet werden und mit einer temporären Kalottensohle stabilisiert werden. Der Einbau der temporären Kalottensohle sollte dann max. 2 bis 3 Abschläge nach der Ortsbrust erfolgen. Dabei kann die Einbaulänge der temporären Kalottensohle der doppelten Kalottenabschlagslänge entsprechen. Durch den kurzfristigen Ringschluss in der Kalotte lässt sich zudem auch in nicht tragfähigem Gebirge ein verformungsarmes Tragsystem ausbilden. Dies ermöglicht es, den Kalottenvortrieb auch in ungünstigen Gebirgsverhältnissen nahezu unbegrenzt vorauszufahren, was sich positiv auf die Wirtschaftlichkeit dieses Vortriebskonzeptes auswirkt. Beim nachlaufenden Strossen- und Sohlausbruch kann die Abschlagslänge gegenüber der Kalotte verdoppelt werden. Die Sohle sollte spätestens 2 - 3 Abschläge nach der Strossenortsbrust geschlossen werden. Dabei kann die Einbaulänge der Sohle der 2 - 3-fachen Strossenabschlagslänge entsprechen. Im Bereich von großen Querschnitten, dem 3 - 4-spurigen Tunnelabschnitt Süd, ist aus baubetrieblichen Gründen und zur Reduktion von Verformungen gegebenenfalls ein halbseitiger Ulmenstollenvortrieb erforderlich. Vor dem weiteren Ausbruch können so größere Teilquerschnitte vorauseilend entwässert werden. Zudem kann das Gebirge vom Ulmenstollen ausgehend durch Injektionen oder Anker stabilisiert werden. Der angegebene Nachlauf der Sicherung bei der temporären Kalottensohle sowie der Tunnelsohle beziehen sich auf günstige Verhältnisse. Sollten die Verformungsmessungen im Tunnel unerwartet große Verschiebungen ergeben, muss der Ringschluss verkürzt und die Ortsbrust abgestuft hergestellt werden. Im ungünstigsten Fall kann dies erfordern, dass die Sohlsicherung nach jedem Abschlag bis an die Ortsbrust heran nachgezogen werden muss. Wenn Bereiche angefahren werden, die stark verwittert und/ oder aufgelockert sind (ggf. Störungszonen), wird eine vorauseilende Vergütung des Gebirges empfohlen. Dies kann zum Beispiel durch den Einbau von vermörtelten Spießschirmen oder ggf. auch durch den Einsatz eines Rohrschirms erfolgen. Darüber hinaus können geöffnete Großklüfte (insbesondere bei talparalleler Entspannung des Gebirges) entsprechende Gebirgsvergütungen erfordern. Die Zusammensetzung des Injektionsguts ist auf die Größe der Hohlräume abzustimmen. Mit Bezug auf die voraussichtlich gute Injizierbarkeit des heterogenen Lockergesteins sind hier Injektionskörper mit angemessenem Aufwand herstellbar, wobei die Dichtigkeit aufgrund der variablen Korngrößen und Porenräume als inhomogen zu erwarten ist. 3.2 Sicherungsmittel Grundsätzlich soll die Sicherung der Tunnellaibung mit bewehrtem Spritzbeton und einer Systemankerung erfolgen. Der Spritzbeton ist im Regelfall zweilagig bewehrt auszuführen. Dabei sind im Kalotten- und ggf. im Ulmenbereich (größerer Querschnitt) bei jedem Abschlag Ausbaubögen zu stellen, wobei es im Strossen- und Sohlbereich ausreicht, jeden zweiten Bogen zu verlängern. Die Anker sollen mit Längen von ca. 4 - 6 m, ggf. auch 8 m in den großen Querschnitten, radial angeordnet und sukzessive mit dem Ausbruch und der Herstellung der Spritzbetonsicherung eingebaut werden. Im Regelfall können vollvermörtelte SN-Anker verwendet werden. In stark gebrächem Gebirge (Zerrüttungszonen) mit nicht standfesten Ankerbohrungen kann jedoch auch der Einsatz von IBO-Ankern erforderlich werden. Deren Anteil wird bezogen auf die gesamte Tunnellänge mit max. ca. 30 % eingeschätzt. Bei nachbrüchigen Schichten im Firstbereich sollte eine vorauseilende Sicherung ausgeführt werden. Im Bereich der Lockerböden sowie im Verwitterungston wurde der Einbau von Spießschirmen empfohlen. Im Normalfall sind dabei 4 - 6 m, ggf. auch 8 m in den großen Querschnitten, lange Stahlspieße in vermörtelte Bohrungen einzuschieben. Der Einbau von 4 m langen Spießen sollte über jedem Ausbaubogen, der von 6 m langen Spießen über mindestens jedem zweiten Ausbaubogen erfolgen. Bei nicht standfesten Bohrlöchern oder im Fall, dass im Zuge des Einbaus einer vorauseilenden Sicherung eine Vergütung stark aufgelockerter Bereich erfolgen soll, sind IBO-Spieße zu verwenden. Sofern im Firstbereich in größerer Mächtigkeit stark aufgelockertes Gebirge auftritt, welches nicht mehr zuverlässig mit Spießschirmen gesichert werden kann und in den Bereichen in denen die vermutete Störung durchfahren wird, sollten anstelle der Spießschirme vorauseilende Rohrschirme hergestellt werden. Dies betrifft voraussichtlich die Portalbereiche, Bereiche in denen der Tunnel in Lockerböden aufgefahren wird und ggf. die Durchfahrung von Störungen. Dafür sind ca. 15 - 20 m lange, dickwandige Bohrrohre zu verwenden, die mittels verlorener Bohrkrone einzubauen sind und im Anschluss über Öffnungen in den Bohrrohren verpresst werden. Die Bohrrohre sollten im Regelfall parallel zum und dicht am Ausbruchsquerschnitt angeordnet werden und am Übergang von einem zum nächsten Rohrschirm mind. 4 m überlappen. Dies wird erreicht, indem die Bohrrohre bezogen auf die Tunnelachse leicht nach außen geneigt werden. Beim Vortrieb unter dem Rohrschirm wird dann der Ausbruchsquerschnitt sukzessive aufgeweitet, wodurch das erforderliche Überprofil zum Bohren des nachfolgenden Rohrschirms geschaffen wird. Am Beginn des ersten Rohrschirms muss zu diesem Zweck zunächst eine entsprechende Querschnittsaufweitung hergestellt werden. Im Nachgang sind diese Nischen dann bis zum Sollquerschnitt mit Spritzbeton aufzufüllen. Die Anwendung der 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 107 Erkundung Tunnel Calw - Straßentunnel im Stadtgebiet Calw, Unterfahrung von Bestandsgebäuden und Bahnlinien auf zwei Ebenen Rohrschirmsicherung dürfte sich auf ausgedehnte, stark zerrüttete Störzonen beschränken. Darüber hinaus bieten entsprechende Rohrschirmsicherungen optimale Voraussetzungen für einen effektiven Tunnelanschlag in bis dahin nicht genau bekannten Gebirgsverhältnissen. Im Bereich des großen Tunnelquerschnitts im 3 - 4-spurigen Ausbau und/ oder wenn aufgrund der angetroffenen Gebirgsverhältnisse Steinfall aus der Ortsbrust oder eine fortschreitende Auflockerung des freigelegten Gebirges zu befürchten ist, ist die Ortsbrust sofort nach dem Freilegen in Teilflächen oder vollflächig mit ca. 5 cm Spritzbeton zu versiegeln. Sofern es die Gebirgsverhältnisse erfordern, muss der Ausbruch bereichsweise erfolgen und die Ortsbrust muss sukzessive z.B. durch Ortsbrustanker in Teilflächen gesichert werden. Ortsbrustanker können bei örtlich ungünstigen Verhältnissen als Ergänzung zur Ausbildung von Stützkernen erforderlich werden. Grundsätzlich sind ggf. Glasfaseranker einzusetzen, da sich hierdurch ein geringerer Einfluss auf den Baubetrieb ergibt. Die Länge der Anker ist auf die örtlichen Gegebenheiten anzupassen; es ist von einer Mindestlänge von 6 m auszugehen. 3.3 Vortriebsklassen Die Vortriebsklassen 4A-K-1 und 4A-K-2 sind für Gebirgspartien vorgesehen, in denen sich der gesamte Querschnitt im gesteinsfesten Festgestein befindet. Beide Vortriebsklassen unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der Abschlagslänge. Die Kontursicherung soll dabei mit ca. 20 - 25 cm starkem 2-lagig bewehrtem Spritzbeton erfolgen. Im gesteinsfesten Festgestein kann der Kalottenvortrieb als Hilfsvortrieb eingesetzt werden, wobei eine Kalottensohle nicht zwingend notwendig ist. Dies ist optional je nach Bauverfahren und Verformung zu entscheiden. Durch die söhlige Lagerung kann es zu „Sargdeckel“- Bildung an Firste und einem plattigem Nachbrechen kommen. Sollte etwaige Gefährdungsbilder festgestellt werden, ist eine vorauseilenden Sicherung bei diesen Vortriebsklassen durch Spießschirme mit einer Länge von ca. 4 - 6 m, ggf. auch 8 m in den großen Querschnitten, vorzuhalten. Eine ggf. erforderliche Versiegelung der Ortsbrust soll mit einer ca. 3 - 5 cm dicken unbewehrten Spritzbetonlage erfolgen. Für den Fall, dass bei diesen Gebirgsverhältnissen die Schichten unterhalb der Kalottenfüße nicht ausreichend tragfähig sind (toniges Festgestein), sind die Vortriebsklassen 4A-K-1 und 4A-K-2 mit einer temporär gesicherten Kalottensohle vorgesehen. Alternativ kann eine „Nachgründung“ der Kalottenfüße z.B. über Mikropfähle erfolgen. Die Vortriebsklassen 6A-K-1 und 6A-K-2 sind vorgesehen, sofern im Firstbereich zerrüttetes Festgestein anstehen. Diese Vortriebsklassen mit offener Kalottensohle unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der Abschlagslängen von ca. 0,2 - 1,2 m bzw. ca. 1,3 - 1,8 m in der Kalotte und ca. 1,6 - 2,4 m bzw. ca. 2,6 - 3,6 m in der Strosse. Die Kontursicherung soll mit ca. 25 - 35 cm starkem 2-lagig bewehrten Spritzbeton und einer Systemankerung erfolgen. Zur vorauseilenden Sicherung sind bei beiden Vortriebsklassen Spießschirme mit einer Länge von ca. 4 - 6 m, ggf. auch 8 m in den großen Querschnitten, geplant. Eine ggf. erforderliche Versiegelung der Ortsbrust soll mit einer ca. 5 cm dicken unbewehrten Spritzbetonlage erfolgen. Für den Fall, dass bei diesen Gebirgsverhältnissen die Schichten unterhalb der Kalottenfüße nicht ausreichend tragfähig sind (stark zerrüttetes und/ oder toniges Festgestein), sind die Vortriebsklassen 6A-K-3 und 6A-K-4 mit einer temporär gesicherten Kalottensohle vorgesehen. Die temporäre Kalottensohle soll mit 2-lagig bewehrtem Spritzbeton mit einer Dicke von ca. 25 - 35 cm ausgeführt werden. Im Vergleich zu den vorhergehend beschriebenen Vortriebsklassen ist die Spritzbetondicke der Kontursicherung auf ca. 25 - 35 cm vergrößert. Ansonsten sind die Abschlagslängen und Sicherungsmittel identisch. Im Unterschied zu den Vortriebsklassen 6A-K-1 bis 6A-K-4 ist der Vortrieb beim Einsatz der Vortriebsklasse 6A-K- 5 im Schutze von vorauseilenden ca. 15 - 20 m langen Rohrschirmen vorgesehen. Die Abschlagslänge der Kalotte beträgt bei Anwendung dieser Vortriebsklasse ca. 1,0 - 1,2 m bzw. ca. 2,0 - 2,4 m in der Strosse. Ansonsten sind die Abschlagslängen und Sicherungsmittel identisch mit den Vortriebsklassen 6A-K-3 und 6A-K-4. Die Vortriebsklassen 7A-K-1 findet Anwendung, wenn in der Kalotte sehr stark zerrüttetem Festgestein oder Lockerböden (Hangschutt, Hanglehm oder Verwitterungshorizont) ansteht. Im Unterschied zur Vortriebsklasse 6A-K-1 ist die Spritzbetondicke zur Kontursicherung auf ca. 30 - 40 cm vergrößert. Zudem soll bei Einsatz dieser Vortriebsklasse eine Ortsbrustsicherung mit bewehrtem Spritzbeton und Ortsbrustankern erfolgen. Für den Fall, dass bei diesen Gebirgsverhältnissen die Schichten unterhalb der Kalottenfüße nicht ausreichend tragfähig sind (sehr stark zerrüttetem Festgestein oder Lockerböden), sind die Kalottenfüße zu verstärken. Sollte die Verstärkung die Kalottenfüße nicht ausreichend stabilisieren, ist die Vortriebsklasse 7A-K-2 und 7A-K-3 mit einer temporär gesicherten Kalottensohle vorzusehen. Dies gilt auch für den halbseitigen Ulmenvortrieb, der in den Bereichen größere Tunnelquerschnitte (3bis 4-spurig, Tunnel-km 0+630 bis 0+650) vorzusehen ist. Die temporäre Kalottensohle soll mit 2-lagig bewehrtem Spritzbeton mit einer Dicke von ca. 25 - 35 cm ausgeführt werden. Im Vergleich zu den vorhergehend beschriebenen Vortriebsklasse 7A-K-1 ist die Spritzbetondicke der Kontursicherung auf ca. 30 - 40 cm vergrößert. Ansonsten sind die Abschlagslängen und Sicherungsmittel identisch. Darüber hinaus ist bei der Vortriebsklasse 7A-K-2 eine vorauseilende Sicherung mit ca. 4 - 6 m oder 8 m (großer Querschnitt, 3 bis 4-spuriger Bereich) langen Spießschirm vorgesehen, während der Vortrieb bei Anwendung der Vortriebsklasse 7A-K-3 im Schutz 108 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erkundung Tunnel Calw - Straßentunnel im Stadtgebiet Calw, Unterfahrung von Bestandsgebäuden und Bahnlinien auf zwei Ebenen einer vorauseilend herzustellenden ca. 15 - 20 cm langen Rohrschirmsicherung erfolgen soll. In tendenziell schlechteren Bereichen kann mit den Klassen 6A.1 und 6A.2, die im Zuge der weiteren Planung ggf. noch in Bezug auf die Schalenstärke und die Mattenbewehrung angepasst werden können, gefahren werden. Die Klassen sind grundsätzlich als Anschluss an die Anfahrbereiche gedacht, die zunächst mit einer 7 Klasse (Klasse 7A.2) mit planmäßiger Ortsbrustsicherung und vorauseilender Sicherung aufgefahren werden sollen. In Bezug auf die vorgeschlagene Vortriebsklassen 4A.1 und 4A.2 sollte aber - obwohl diese Klassen wirtschaftlich und bauzeitlich erhebliche Vorteile aufweisen - im Rahmen des Vortriebs anhand der messtechnischen Überwachung und den Beobachtungen vor Ort geprüft werden, ob ggf. weitere Bereiche mit den Klassen 6A und Unterklassen aufgefahren werden müssen. Maßgeblich dafür sind die Stabilität der Firste und die Konvergenzmessungen des Hohlraums / der Spritzbetonschale sowie Spannungsmessungen in der Schale und Ankerkraftmessungen. Vorstehende Angaben zur Schalendicke, Bewehrungsgehalte und -lagen, Ankerlängen und -anzahl etc. sind Erfahrungswerte für vergleichbare Gebirgsverhältnisse, die im Zuge der Entwurfsstatik bzw. weiteren Planung verifiziert werden müssen. 4. Sonderbauwerke und Unterfahrung Bauwerke 4.1 Unterquerung Nagoldtalbahn km 0 + 180 Bei km 0 +180 wenige Meter nach Beginn des bergmännischen Vortriebes am Nordportal wird die Nagoldtalbahn im Bereich von Lockerböden mit einer geringen Überdeckung von ca. 6 m in einem Winkel von ca. 45° unterquert. Mit tunnelbautechnischnen Maßnahmen ist eine sichere Unterquerung der Nagoldtalbahn nicht möglich. Für den Bau des Tunnels wird daher seitens des Planers die Einrichtung einer Hilfsbrücke vorgesehen, die mittels eine Pfahlgründung beidseitig des Tunnels gelagert werden soll. 4.2 Wohnbebauung Bei km 0+200 wird ein Wohngebäude bei einer Überdeckung von rund 10 m Lockergestein unterfahren. Hier wird die Vortriebsklasse 7A zusammen mit vorauseilenden Hebungsinjektionen als ausreichend eingestuft, den Tunnel ohne Schäden an dem Gebäude aufzufahren zu können. 4.3 Unterquerung Hermann-Hesse-Bahn km 0+270 Die Unterquerung der derzeit noch nicht im Betrieb befindlichen Herrmann-Hesse bei Tunnel km 0+270 erfolgt mit einer Überdckung von ca. 20 m. Bis ca. 3 m oberhalb der Tunnelfirste steht gering verwitterter Badsicher Bausandstein an. Für die schadensfreie Unterqerung wurde die Vortriebsklasse 6A als ausreichend eingestuft. 4.4 Unterquerung Hermann-Hesse-Bahn und Nagoldtalbahn km 0+270 Die beiden Gleisanlagen werden ab km 0+580 bis zum Südportal mit einer Überdeckung 6 bis 11 m unterfahren. Im Endbereich des Tunnels besteht die Überdeckung nur aus Lockergestein. Hier wird die Vortriebsklasse 7A als ausreichend eingestuft, den Tunnel ohne Schäden an der Gleisanlage aufzufahren zu können. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 109 Erkundung Tunnel Calw - Straßentunnel im Stadtgebiet Calw, Unterfahrung von Bestandsgebäuden und Bahnlinien auf zwei Ebenen Literatur [1] Geologische Karte von Baden-Württemberg, Blatt 7218, Calw, 1: 25.000; Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau, Baden-Württemberg, Freiburg i. Br., 1991. [2] Geologische Karte von Baden-Württemberg, Maßstab 1 : 50.000, http: / / maps.lgrb-bw.de/ , Internetpräsenz des Landesamtes für Geologie, Rohstoffe und Bergbau, Baden-Württemberg, [3] Daten- und Kartendienst der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg; http: / / www.lubw.baden-wuerttemberg.de, Stand 26.05.2020. [4] Geologie von Baden-Württemberg, 5. Auflage, O.F. Geyer / M.P. Gwinner, Schweizerbart, Stuttgart 2011. [5] Lage- und Bauwerksplan, Längs- und Querschnitte, Baumaßnahme Kernstadtumfahrung Calw, Vorplanung, BUNG Ingenieure AG, Heidelberg, Februar 2019, [6] Quer- und Längsschnitte, Hangstollen in der Bischofstr. Schnitte 1: 200, Uber und Burk Architekten, Calw, 15.03.2019. [7] Ingenieurgeologische Gefahrenhinweiskarte für Baden-Württemberg, LGRB, Stuttgart, Onlinekarte, Abfrage vom 29.01.2020. [8] Ingenieurgeologische Gefahren in Baden-Württemberg, Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau, Freiburg 2005. [9] Houlsby, AC: Routine Interpretation of the Lugeon Water Test, Houlsby, London 1976. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 111 Felsstatische Berechnungen in drückendem Gebirge Jörg-Martin Hohberg IUB Engineering AG, Bern, Schweiz Zusammenfassung Mit dem Erzgebirgstunnel der Eisenbahnneubaustrecke Dresden - Prag plant nun erstmals auch Deutschland einen tiefliegenden Gebirgsdurchstich [1]. In Abhängigkeit von der Überlagerungshöhe zur Gebirgsfestigkeit ist mit sog. echtem Gebirgsdruck zu rechnen, der über viele Jahrzehnte anhalten kann, ohne sich (wie Anhydrit-Quellen) asymptotisch zu stabilisieren. Viskoplastische Stoffgesetze vermögen in erster Linie nahe der Ortsbrust rheologische Phänomene abzubilden, sind aber für eine Langzeitprognose des Gebirgsdrucks auf den Tunnelausbau nur bedingt geeignet. Vorgestellt wird ein Rechenverfahren auf Basis der Finite-Element-Methode, das zwar extrapolierte Beobachtungen der Deformationsentwicklung verwendet, aber die Gebirgsschädigung über die Lebensdauer des Bauwerks zeitunabhängig als Festigkeitsreduktion in einem approximativen Hoek-Brown-Modell abbildet. Der Einfluss einer benachbarten Tunnelröhre, die Vorentspannung an der Ortsbrust und die Bemessung des Ausbaus werden diskutiert. 1. Plastisches Gebirgsverhalten In deutschen Mittelgebirgen werden Tunnel typischerweise für Auflockerungsdruck bemessen, wobei auf den Ausbau eine nachdrückende Firstauflast angesetzt wird, die sich im Lockergestein nach Von Ržiha/ Terzaghi bis in die Paramente hinunter erstrecken kann; der verbleibende Umfang des Ausbaus wird als elastisch gebettet angenommen [2]. In kompetentem alpinen Fels gibt es zwar auch den Bemessungsfall einer Firstauflast mit dem größten anzunehmenden Einzelblock - maßgeblich meist in asymmetrischer Anordnung -, aber unter Berücksichtigung eines allseitigen Drucks aus Gebirgsentspannung. Je später der Einbau des Tunnelschale, desto geringer die nutzbare Ringdruckkraft für die Bemessung des Ausbaus in M-N-Interaktion [3]. Bei tiefliegenden Tunneln ist die Befürchtung eher, dass bei zu frühem Einbau die Tunnelschale durch den Gebirgsdruck zerdrückt wird. Die Gebirgskennlinie gibt die radiale Deformation u(x) in Funktion des Stützdrucks p(t) an, mit x als Abstand von der Ortsbrust und t als Zeit in der Entwicklung des Gebirgsdrucks wie auch des Widerstands der Ausbruchssicherung. Die Enddeformation u wird für den Bemessungsausbauwiderstand p d erreicht. Im konventionellen Spreng- oder Fräsvortrieb wird der Gleichgewichtspunkt zwischen Einwirkung und Widerstand durch Wahl der Systemankerung mit Spritzbeton und Stahlbögen bewusst gewählt (Pacher-Fenner-Kennlinienverfahren) [4], wobei durch Stauchelemente die Ausbaukennlinie weicher gestaltet werden kann, ohne den Spritzbeton zu überlasten [5]. Nachprofilieren, Nachankern und der Einbau eines Sohlgewölbes erlauben eine flexible Reaktion auf das angetroffene Gebirge (Bild 1). Hat sich der Hohlraum stabilisiert, braucht die Innenauskleidung aus Ortbeton nur noch für das Verrotten der Primärsicherung bemessen zu werden. Bei maschinellem Vortrieb mit TBM hingegen muss zum einen der Überschnitt gross genug gewählt werden, damit der Schild nicht eingeklemmt wird (Gefahr bei Maschinenstillstand) und zum anderen der frühe, starre Tübbingausbau auf einen u.U. sehr hohen Gebirgsdruck ausgelegt werden. Bild 1: Gebirgsdruckerscheinung im Mont-Cenis-Basistunnel der Bahnstrecke Lyon - Turin [6] 112 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Felsstatische Berechnungen in drückendem Gebirge Bild 2: 3D-Vortriebssimulation mittels FEM, Vertikalverschiebung oben beim Einbau Sohlsprenger, unten nach Reduktion der Gebirgskohäsion um 50% Wird im Vortrieb eine eingelagerte weiche Zone angetroffen - hier als abgetrepptes diagonales Band -, so ist das typische Vorgehen wie folgt: Stopp des Vortriebs und Vorausbohrungen zur Erkundung, währenddessen Nachzug der Sicherung bis zur Ortsbrust; Umstellung von Hufeisen auf Maulprofil mit Einziehen eines Sohlgewölbes («Sprenger»); sodann Auffüllen des Sohlgewölbes zur Wiederherstellung der Baupiste. In Bild 2 unten wurde anschließend ein weiteres Nachdrücken des Gebirges durch Halbierung der Kohäsion modelliert, woraus zusätzliche Sohlhebungen resultieren. Um die Tunnelröhre herum bildet sich eine Bruchzone aus, die sich unter hohem Druck plastisch verhält und deren Form und Abmessung von der Gebirgsfestigkeit und den Primärspannungen abhängt; die Dicke kann ein Mehrfaches des Tunnelradius betragen. Infolge Ausquetschens des Kerns in Längsrichtung zieht sich die plastische Zone um die Ortsbrust herum, Bild 3. Bild 3: Hauptdehnungen (links) und Vertikalspannung (rechts) an der Ortsbrust 2. Gebirgskennlinie und Gebirgstragring Bei einer Überlagerungshöhe des Vielfachen des Tunneldurchmessers kann im Primärspannungszustand der Gradient des Eigengewichts vernachlässigt werden. Für isotropes Gebirgsverhalten und Seitendruck K 0 = 1 ergibt sich das rotationssymmetrische Modell der gelochten Scheibe im ebenen Dehnungszustand (EDZ), mit dem analytisch z.B. der Abstand zwischen zwei Zwillingsröhren bestimmt wird: Während für die Länge der Querstollen ein möglichst enger Abstand erwünscht ist, soll felsstatisch jedoch sichergestellt sein, dass sich die Spannungszustände der Tunnelröhren gegenseitig nur wenig beeinflussen (z.B. <10%); keinesfalls darf der Gebirgspfeiler durchplastizieren. Im Folgenden wird an einem FEM-Scheibenmodell ein Hufeisenprofil für K 0,quer = 0.7 und K 0,längs = 0.9 unter 1600 m Überlagerung berechnet. Der Abstand der Tunnelröhren betrage 40 m (Symmetrieachse in 20 m Entfernung von der Tunnelachse). Aus den zu entfernenden Elementen im Kern wird eine äquivalente Stützspannung an der Ausbruchskontour berechnet und diese schrittweise von 100% zu null reduziert (d.h. ohne Reststützung durch Systemankerung und Spritzbeton). Entsprechend beträgt im Endzustand die Radialspannung am Ausbruchsrand σ r = 0, während elastisch die tangentiale Lochrandspannung σ t auf das Zweifache der Primärspannung ansteigt (hier: 2 × -42.8 = -85.6 MPa). Bei einer einachsialen Gesteinsdruckfestigkeit (UCS) σ ci = 87 MPa würde man auf den ersten Blick also elastisches Verhalten erwarten. Berücksichtigt man jedoch die Klüftung - im Hoek- Brown-Stoffgesetz zum Beispiel mit GSI = 45 - so reduziert sich die effektive zweiachsiale Gebirgsdruckfestigkeit am Ausbruchsrand auf σ c ≤ 3.9 MPa. Dies reicht bis 50% Entspannung für ein linear-elastisches Verhalten; anschließend sinkt die elastoplastisch aufnehmbare Tangentialspannung zusammen mit der vorhandenen Radialspannung σ r → 0 ab, was im Triaxversuch der Belastung durch konstante Auflast bei abnehmenden Seitendruck entspricht: 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 113 Felsstatische Berechnungen in drückendem Gebirge Tabelle 1: Spannungsverhältnis am Parament (GSI = 45) Entspannung σ r σ t σ r / σ t 0 % -30.0 MPa -42.8 MPa 0.71 30 % -21.3 MPa -54.6 MPa 0.39 50 % -15.5 MPa -62.2 MPa 0.25 70 % -9.44 MPa -46.2 MPa 0.20 80 % -6.37 MPa -36.6 MPa 0.17 90 % -3.27 MPa -24.9 MPa 0.13 95.8 % -1.45 MPa -15.9 MPa 0.09 99.4 % -0.26 MPa -6.87 MPa 0.04 Bei 70% Entspannung zeichnet sich in Bild 4 bereits die Ausbildung des Gebirgstragrings ab (hellblau), weil die betragsmäßig größte Hauptspannung durch die plastische Zone vom Ausbruchsrand weggedrückt wird. Bild 4: Lage der max. Hauptdruckspannung bei Abnahme der Stützkraft im Hohlraum (rot = entspannter Bereich) Dargestellt ist der Fall von 40 m Achsabstand der Zwillingstunnelröhren (Symmetrieachse am linken Gebietsrand). Man sieht bei vollständiger Entspannung bereits einen gegenseitigen Einfluss im elastischen Spannungsbereich: die mittelgrüne Zone des Spannungsniveaus verbindet sich über die Symmetrieachse hinweg mit derjenigen der Nachbarröhre (Bild 4 rechts). Gebirgskennlinien werden klassischerweise so dargestellt, dass auf der Ordinate die Gebirgsentspannung als abfallende Stützspannung p am Hohlraumrand (in Prozent) aufgetragen ist und auf der Abszisse die zunehmende radiale Verschiebung u. Wegen des Hufeisenprofils und der nicht radialsymmetrischen Primärspannungen zeigen sich für die First-, Parament- und Sohlverschiebung drei unterschiedliche Gebirgskennlinien, von der diejenige am Parament die größte elastische Steifigkeit aufweist, aber auch als erste ins elastoplastische Verhalten übergeht und schließlich die größte Verschiebung erleidet. Dies liegt zum einen an der hohen vertikalen Primärspannung (bei K 0,quer < 1), zum anderen am größeren Ausbruchradius des Paraments. Für 60%, 80% und 99.4% zeigt das Schnittbild jeweils die Ausdehnung der plastischen Zone in Form des Ausnutzungsgrads (blau: Auslastung < 10% infolge eines günstigen dreiachsialen Spannungszustands). Bild 5: Gebirgskennlinie des Hufeisenprofils mit Entwicklung der plastischen Zone (für GSI = 45) 3. Reaktion einer flachen Sohle Erstaunlich an Bild 5 ist, dass trotz Hufeisenprofil die Firstsenkung und die Sohlhebung von gleicher Größenordnung sind (Begleich Entlastungsmodul). Wie man am Ausschnitt aus Bild 4 (rechts) sieht, entspannt sich die Sohle bis in einige Tiefe elastisch, und der Gebirgstragring schirmt quasi die flache Sohle gegen den Druck von unten ab; erst bei ca. 90% Stützdruckreduktion bilden sich Bruchdiagonalen auf Schub. Bild 6: Gebirgstragring in Gestalt der max. Hauptdruckspannung im deformierten Zustand (99.4% Entspannung) Will man also einen Tunnel nachrechnen, in dem die Sohle sich stärker hebt, als es dem isotropen Verhalten entspricht, so muss ein zusätzlicher Mechanismus ins Spiel 114 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Felsstatische Berechnungen in drückendem Gebirge kommen. Bohrungen in flachen Sohlen zeigen, dass sich horizontale Entlastungsklüfte bilden können, die sich mit einem Kluftscharstoffgesetz modellieren lassen. Zum Hoek-Brown-Versagenskriterium tritt das Zugversagen der horizontalen Kluftschar hinzu, deren Öffnung bei gleicher Steifigkeit zusätzliche Sohlhebungen bewirkt (Bild 7). Dieser Zusatzmechanismus springt im gezeigten Beispiel etwa bei 80% Entspannung an und verstärkt die Sohlhebung von 11.2 cm auf 14.5 cm. Mit weitergehender Gebirgsentfestigung GSI → 30 nimmt der Effekt der Kluftöffnung in der Sohle allerdings wieder etwas ab, Bild 8. Die Verschiebung im Parament (Ulme) wächst dabei auf 1 m oder mehr an, wobei 90% Entspannung erst etwa 1/ 3 der Endverschiebung liefert. Bild 7: Gebirgskennlinie des Hufeisenprofils mit zusätzlicher Kluftöffnung in der Sohle (für GSI = 45) Bild 8: Gebirgskennlinie des Hufeisenprofils mit zusätzlicher Kluftöffnung in der Sohle (für GSI = 30) 4. Abminderungsfaktoren der Gebirgsfestigkeit Das Hoek-Brown-Stoffgesetz unterscheidet zwei Abminderungsfaktoren: a. der GSI-Parameter (global strength index) steht für die erdgeschichtliche Gebirgstextur (Klüftung, Faltung etc.) wie auch Abnahme der Kluftverzahnung bei weicher Oberfläche der Gesteinsblöcke, Bild 9. b. der Disturbance-Faktor D berücksichtigt den Einfluss von Störungen des Kraftflusses: von D = 0 für Schrämmen oder schonendes Sprengen bis zu D = 0.8 bei sehr grobem Überprofil und Gefügestörung (Bild 10); für die Auflockerung einer flachen Sohle wird D = 0.5 empfohlen. Bild 9: globaler GSI-Beiwert zur Gebirgsqualität, Beispiel GSI = 45 → 30 [8] 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 115 Felsstatische Berechnungen in drückendem Gebirge Bild 10: lokale Störung D des Spannungszustands infolge der Ausbruchsart [8] Statt einer spannungsinduzierten Anisotropie in der Sohle (Kluftschar) kann also eine isotrope Schwächezone mit D = 0.5 vorgesehen werden, z.B. in Kombination mit einer ringförmigen Zone D = 0.3. In der Hoek-Brown-Grenzbedingung [7] f ( σ 1 , σ 3 ) = σ 1 σ 3 σ ci ( m b σ 3 / σ ci + s ) a sind alle drei Kurvenparameter m b , s und a durch GSI beeinflusst, die ersteren beiden zusätzlich durch D. Wie dominant der Einfluss von D ist, zeigt sich darin, dass Druckfestigkeit und E-Modul des Gesteins um etwa ein Drittel abgemindert werden müssen (Bild 10), um eine ähnliche Größenordnung der Deformationen wie in den Bildern 5 und 6 (mit D = 0.3 im gesamten Gebiet) zu erhalten. Wegen der hohen Standardabweichung der Laborwerte an verschiedenen Handstücken im selben Homogenbereich - hier z.B. σ ci = 66.1 ± 40.6 MPa, E i = 27.5 ± 15.8 GPa - ist es bei der Kalibrierung in der Praxis letztlich egal, ob obere Kennwerte (fälschlicherweise) im gesamten Gebiet mit D abgemindert werden oder man gleich tiefere Kennwerte verwendet. 5. Justierung Mohr-Coulomb an Hoek-Brown Das Hoek-Brown-Stoffgesetz gibt die degressive Zunahme der Scherfestigkeit mit der Höhe des hydrostatischen Spannungsniveaus gut wieder, während es bei geringem Seitendruck in Hohlraumnähe keine Zugfestigkeit oder Kohäsion voraussetzt [7]. An diesem Scheitelpunkt bricht jedoch die Berechnung vorzeitig ab, in der angenommenen Parameterkonstellation bei 0.6% Reststützkraft entsprechend 0.26 MPa (Tabelle 1). Ursächlich scheint das Verschwinden der Zugfestigkeit und damit auch der scheinbaren Kohäsion bei kleineren GSI-Werten zu sein. Eine minimale Kohäsion verbessert hingegen das numerische Konvergenzverhalten für verschwindenden Seitendruck σ r = σ 3 → 0 markant. Im Hilfsprogramm R oc L ab [8] kann nun für unterschiedliche Seitendruckverhältnisse ein bilineares Mohr-Coulomb-Kriterium so in die HB-Grenzkurve gelegt werden, dass wahlweise eine kleine Kohäsion bei großem Reibungswinkel oder ein kleiner Reibungswinkel bei scheinbarer großer Kohäsion resultiert. Bild 11 gibt die Justierung mit der Option «Tunnel» wieder, bei der aus der Angabe des Überlagerungsgewichts der Algorithmus einen tiefenabhängigen Seitendruckbeiwert K 0 = 0.44 .. 0.52 errechnet, also kleiner als K 0,quer = 0.7 in unserem Gebirgsmassiv. Bild 11: Approximation des HB-Kriteriums (rot) durch ein MC-Kriterium (blau) für 1600 m Überlagerung [8] Mit der Option «Custom» kann der Seitendruck reduziert werden, wodurch die Hohlraumkonvergenz infolge geringerer Kohäsion etwas ansteigt, bevor der größere Reibungswinkel die plastische Zone verkleinert und dadurch die Konvergenz schmälert. Die Option «Tunnel» ergibt im allgemeinen brauchbare Werte. Noch aus einem anderen Grund ist für die verwendete Software ZS oiL das MC-Kriterium zu bevorzugen: Es erlaubt die Eingabe von Evolutionsfunktionen auf E rm , ϕ rm und c rm im Stoffmodell (Index rm für «rock mass»), wohingegen im HB-Kriterium Hardening- und Softeningparameter über den Umweg der (unbekannten) plastischen Dehnungen evaluiert und kalibriert werden müssten, um gemessene Hohlraumverformungen zu duplizieren. Leider erlaubt das Kluftscharmodell gar keine Evolutionsfunktionen, Klüfte wären vielmehr 116 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Felsstatische Berechnungen in drückendem Gebirge durch diskrete Kluftelemente (joint elements) in einer sich entfestigenden MC-Matrix zu modellieren. 6. Kalibrierung anhand von Beobachtungen Wesentliche Aspekte bei der Kalibrierung der HBbzw. äquivalenten MC-Parameter sind: • die beobachtete Entwicklung der kurzzeitigen Verschiebungen der Hohlraumwandung an First, Parament und Sohle während des Vortriebs • Unterschiede in den Verschiebungen des linken und des rechten Paraments (die Konvergenz als Summe beider reicht nicht) • geologische Ortsbrustaufnahmen während des Vortriebs, ggf. Bohrungen zur Erkundung der Sohle • genaue Zeiten für die Vortriebsstände und eventuelle Konfigurationsänderungen (Verstärkung von Sicherungsmaßnahmen, nachträglicher Sohlaushub und Einzug eines Sohlgewölbes). Eine vor zwei Jahren erschienenen Dissertation an der ETH Zürich [9] untersucht den Einfluss der geologischen Heterogenität des durchfahrenen Gebirges auf unsymmetrische Hohlraumverformungen. Diese spielen eher bei TBM-Vortrieb eine Rolle, wo bereits mäßige Konvergenzen zum Einklemmen führen können. Dazu müssten aus Ortsbrust- und rückwärtigen Umfangskartierungen Wechsellagen des Gesteins und Kluftorientierung in das Gebirge hinein abgeschätzt werden. Im vorliegenden Fall abgewarteter großer Konvergenzen (bei entsprechend ausgedehnter plastischer Zone) ist eine Unsymmetrie weniger geologisch als durch die Wechselwirkung mit einer benachbarten Tunnelröhre bedingt (halbwegs homogene Geologie unterstellt). Wie nachfolgend gezeigt wird, reicht es aus, dass sich Spannungsgebiete mit >30% Festigkeitsausnützung zu überlappen beginnen, noch nicht unbedingt in den Kurzzeitverformungen, aber während der verzögert eintretenden Zusatzverformungen infolge Festigkeits- und Steifigkeitsreduktion, die beide über den GSI- Wert gesteuert werden (Bild 9). Dazu sind mehrjährige Messreihen zu unsymmetrischen Verformungsentwicklungen nötig; aus ihnen lässt sich auf die Größe der plastischen Zone schließen. Bevor die Vorgehensweise zur Extrapolation des Gebirgsdrucks aus der Konvergenzentwicklung eingehend erläutert wird, muss aber auch der Umgang mit Konfigurationsänderungen (Sicherungsmittel, Reprofilierung, Sohlausbruch) erklärt werden. 7. Modellierung von Sicherung und Reprofilierung Beobachtbare Messungen sind erst hinter der Ortsbrust möglich. Ein Großteil der Gebirgsentspannung hat dann bereits vor und in der Ortsbrust stattgefunden (Bild 3). Für die Aktivierung der Sicherungsmittel im FE-Modell muss eine Annahme getroffen werden, welcher Zeitpunkt auf der Gebirgskennlinie der Ortsbrust entspricht. Dazu wird der plastischen Zone aus der 3D-Berechnung diejenige der 2D-Berechnung gegenübergestellt, Bild 12. Bild 12: Abgleich des 2D-Vorentspannungsfaktors (rechts) mit dem Ausnutzungsgrad in der 3D-Ortsbrust Ein Vorentspannungsfaktor von 85% bedeutet, dass bis zu diesem Zeitpunkt der Tunnelkern noch vorhanden ist, auch wenn seine Elemente nicht mehr sichtbar, sondern durch 15% Reststützkräfte ersetzt sind. (Im 3D-Modell sind bei genügend kurzer Abschlagslänge keine Stützkräfte zur Regularisierung von Konfigurationsänderungen nötig.) Ein mehrteiliger Ausbruch kann in 2D durch unterschiedliche Entlastungsprozente in Kalotte und Stross modelliert werden. Um die Deformationsentwicklung vom Ausbruch bis zum aktuellen Beobachtungszeitpunkt für die Kalibrierung der Gebirgskennwerte verwenden zu können, ist zumindest eine näherungsweise Modellierung wesentlicher Konfigurationsänderungen nötig. Deshalb werden Systemankerungen, deren nachträgliche Verstärkung, die Spritzbetonsicherung, ein nachträglich eingezogenes Sohlgewölbe und eine allfällige Reprofilierung im FE- Modell näherungsweise nachvollzogen. Felsanker sind explizit als elastoplastische Stäbe mit starrem Verbund modelliert, die Spritzbetonschale als Volumenmodell mit Mohr-Coulomb-Stoffgesetz. Die Stauchkörper sind Schalenabschnitte mit einer markant tieferen Druckfestigkeit, deren Stauchung bezüglich des Maximalwerts überwacht wird (z.B. 50% für einen speziellen Luftporenbeton), Bild 13. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 117 Felsstatische Berechnungen in drückendem Gebirge Bild 13: Spritzbetonschale mit Sohlsprenger; unsymmetrische abs. Verformung und Hauptspannungskreuze Die Reprofilierung lässt sich geometrisch mittels übereinander angeordneten FE-Netzen bewerkstelligen, sofern der Preprozessor das Ein- und Ausblenden in unterschiedlichen Phasen ermöglicht. Dabei werden vorhandene Anker gekürzt und zusätzliche Anker größerer Länge eingebaut, Bild 14. Damit diese Konfigurationsänderungen konvergieren, werden die Knotenkräfte zu entfernender Elemente analog zum Vorgehen bei Stützkräften mit einer Rampenfunktion versehen, um einerseits rechentechnisch eine stetige Verfeinerung der Entlastungsinkremente zu erlauben und andererseits physikalisch dem lokal stützenden Einfluss durch Nachbarquerschnitte Rechnung zu tragen. Bild 14: Überlagerung der FE-Netze vor/ nach Reprofilierung und mit demjenigen der Innenschale Ziel der Reprofilierung ist nicht nur die Widerherstellung der Sollgeometrie, sondern eine Aufweitung im Parament (Ulmen), um dort die Schalenkrümmung zu vergrößern. Aus Gründen der Arbeitssicherheit wird die Firstsicherung ungern zurückgebaut, was zusammen mit dem vorgegebenen Lichtraumprofil eine nachträgliche Verstärkung der Schale im First kaum zulässt und zu einem schwachem Gewölbescheitel führt. 8. Kalibrierung am Istzustand Im folgenden Bild 15 sind mögliche Berechnungsschritte für die Ermittlung des Istzustands zweier Tunnelröhren mit versetzter Ortsbrust und unterschiedlichem Ausbauzeitpunkt dargestellt. Bild 15: Vortrieb, Reprofilierung + Nachankerung bis zum Istzustand (abs. Verformung, Skala 0...80 cm) 118 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Felsstatische Berechnungen in drückendem Gebirge Es zeigt sich, dass die Reprofilierung (bei anfänglich zu kurzen Ankern) von Zusatzverformungen begleitet ist, deren Unsymmetrie ein Anzeichen für die Annäherung der plastischen Zonen ist. Selbst die Nachankerung überragt nur wenig die plastische Zone. Der Verformungszuwachs seit der Inbetriebnahme der linken Röhre bis zum heutigen Zustand wird für die Kalibrierung der Deformationsrate [mm/ a] verwendet. Die Messreihen an noch nicht aufgeweiteten Hufeisenprofilen können dabei größere Werte ergeben als an bereits früher reprofilierten und nachgeankerten Querschnitten. Zum Teil haben die Deformationsraten in den letzten Jahren abgenommen, einige bleiben unverändert hoch und sind konservativ als konstant anzunehmen. 9. Extrapolation der Verformungen Das eigentliche Ziel der Berechnung ist der Endzustand in 50 Jahren (Erneuerung des schotterlosen Gleisoberbaus) und in 100 Jahren (Erneuerung der Tunnelauskleidung). Wenn GSI 0 den jetzigen Gebirgszustand beschreibt, so sind also GSI 50 und GSI 100 als Prognose der weiteren Verschlechterung gesucht. Dazu wird GSI so weit reduziert, bis u 50 = u 0 + 50 D u i bzw. u 100 = u 0 + 100 D u i erreicht sind. Im äquivalenten MC-Stoffgesetz werden dazu GSIkompatible Parametersätze { ϕ rm , c rm , E rm } als «Schädigungfunktionen» in Abhängigkeit der Rechenschritte definiert. Bild 16 zeigt die absoluten Verformungen u 100 für den fiktiven Fall, dass rechts kein Innengewölbe eingebaut würde. Wie man sieht, ergäbe dies eine nicht zu vernachlässigende Zusatzbelastung auch auf die bereits fertige linke Tunnelröhre. Bild 16: Linke Röhre ausgebaut, rechte im Rohbau saniert (abs. Verformungen extrapoliert zu u 100 , Skala 0...80 cm) Weil die Deformationsraten an First, Parament und Sohle i.d.R. unterschiedlich groß sind, kann es zu Widersprüchen kommen, wenn die Kalibrierung anhand der Sohle zu zusätzlichen «parasitären» Deformationen im Parament führt, die die dort gemessenen Verschiebungen übersteigen. Durch Abstimmung des 2. Mechanismus in der Sohle (Kluftschar oder Zone mit hohem D) wird versucht, diese Widersprüche zu verringern. Gelingt dies nicht, kann für die Bemessung allenfalls mit Gabelwerten aus zwei unterschiedlichen Kalibrierungen gearbeitet werden. Bild 17: Kalibrierung an Paramentbzw. Sohlverschiebung (abs. Verformungen u 100 - u 0 , Skala 0...10 cm) Bild 17 zeigt die Zunahme der abs. Verschiebung relativ zum heutigen Istzustand, oben bei Kalibrierung anhand der Paramentmesswerte (wenig Sohlhebung), unten bei Kalibrierung anhand der gemessenen Sohlhebung mit sehr hohen „parasitären“ Paramentverschiebungen. Durch die Annahme einer schnelleren Schädigung in der Sohle als zweitem Mechanismus lässt sich diese Diskrepanz etwas reduzieren. Bild 18: Abs. Verformungen u 100 - u 0 (Skala 0...10 cm) bei Wirkung von GSI 100 auf den ausgebauten Zustand 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 119 Felsstatische Berechnungen in drückendem Gebirge Bringt man GSI 100 aber nicht fiktiv auf den Istzustand, sondern auf den geplanten Ausbau mit Innenschale auf, so sind die Verschiebungen - und damit auch die Diskrepanz der unterschiedlichen Kalibrierung -weniger dramatisch, Bild 18. Trotzdem kann es sein, dass der parasitäre Horizontaldruck zur vertikalen Ovalisierung der Röhre führt und sich dadurch die Sohle senkt, obwohl GSI 100 auf Sohlhebung kalibriert wurde. Bild 19 zeigt die Vektoren der Relativverschiebung für den Rohbau (fiktiv) und den ausgebauten Zustand. Bild 19: Verformungsvektoren, oben | u max | = 113 mm (Sohlhebung), unten | u max | = 9.3 mm (Sohlsenkung) Ebenfalls bemerkenswert ist das unsymmetrische Verformungsbild im Spritzbeton (Bild 19 oben) aufgrund der Nachbarröhre. Im ausgebauten Zustand resultiert daraus ein anderes Phänomen: Während die Tunnelsohle direkt gegen die Sohlsicherung betoniert wird, ist um das Gewölbe herum eine sog. Regenschirmabdichtung gegen den Spritzbeton installiert, die als Gleitfuge modelliert wird. Dadurch gleitet der Scheitel der Innenschale nach rechts, was zu hohem Ringdruck in der rechten Kalottenhälfte und zu einer Auswärtsverschiebung des rechten Schalenwiderlagers führt. Um den Fall der Sohlhebung abzudecken, wird unter dem Sohlgewölbe - wie in Abschnitt 4 erwähnt - ein aufgelockerter Bereich modelliert und GSI 100 auf die extrapolierte Sohlhebung kalibriert. Sie ergibt sich aus dem Nachdrücken des Gebirges vom Mittelpfeiler links her in die Sohlauflockerung mit dort erfolgender Aufwärtslenkung als Sohldruck, Bild 20. Bild 20: Verformungsvektoren, | u max | = 7.2 mm (Sohlhebung) bei zusätzlicher Sohlauflockerungszone 10. Bemessung der Innenschale In der Terminologie des Kennlinienverfahrens (engl. convergence confinement) ergeben sich die real zu erwartenden Verformungen aus dem Schnittpunkt der Gebirgskennlinie mit der Widerstandslinie der Innenschale (Tunnelausbau). Im FE-Modell stellt sich analog bei GSI 100 derjenige Gebirgsdruck ein, der bei gegebener Steifigkeit der Innenschale dem mobilisierten Gegendruck (confinement) entspricht. Um die Schnittkräfte im Ausbau nicht zu unterschätzen, sollte wegen des langen Zeitraums mit einer Nachhärtung des Betons gerechnet werden (E c,sup ). Für die Kontrolle der Einhaltung des Lichtprofils und der Gleislage hingegen sollte eine zweite Berechnung mit einem für Kriechen reduzierten Langzeitmodul E c,inf erfolgen. Dies wäre der Gebrauchsfähigkeitsnachweis nach 50 bzw. 100 Jahren. Die Bemessung kann nun traditionell erfolgen, indem man die Schalenschnittkräfte auf Gebrauchsniveau mit dem Teilsicherheitsbeiwert der Einwirkung erhöht (output factoring). Alternativ kann man Design Approach 3 nach EC7 anwenden und den GSI-Parametersatz weiter verschlechtern (input factoring), bis z.B. der 1.35-fa- 120 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Felsstatische Berechnungen in drückendem Gebirge che Wert des Ringdrucks im Gebrauchszustand erreicht wird (N d = 1.35 N k ). Dabei wird im vorliegenden Beispiel die Kalibrierungen an der Sohlhebung maßgebend, und zwar in konservativer Betrachtung auch ohne Berücksichtigung einer zusätzlichen Sohlauflockerung aus erhöhtem D-Faktor (Bild 21 oben). Bild 21: Ringdruckkräfte σ 2 (Skala 0..-40 MPa) ohne (oben) und mit zusätzlicher Sohlauflockerung (unten) Bild 22: Biegemomentenauswertung in der Innenschale, integriert aus den Volumenelementen Auf Biegung sind die Schnitt a+c {N d = -16.9 MN/ m; M d = 4.4 MNm/ m} am kritischsten (Bild 22), im bloß 50 cm dicken Scheitel wird jedoch infolge des Gleitens an der Abdichtungsfolie eine Verdoppelung der Druckbewehrung auf Ø 34 mm/ 75 mm nötig (Bild 19 unten). Bautechnisch noch unerfreulicher ist eine Schubbewehrung im Sohlanschluss (Ø 14 mm/ 150 mm), Bild 23. Bild 23: Schubkraftauswertung in der Innenschale, integriert aus den Volumenelementen Man mag sich fragen, ob im Anschluss der Schale an den massiven Sohlbeton die Balkentheorie überhaupt gilt. Reduziert man das GSI 100 aber noch weiter, bis zu einer Kohäsion c d = c k / 1.35, so kann die Auskleidung tatsächlich infolge hoher Scherdehnungen am Anschluss der 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 121 Felsstatische Berechnungen in drückendem Gebirge Innenschale zum massiven Sohlbetonblock versagen (in Bild 24 für den nicht reprofilierten, unverstärkten Querschnitt dargestellt, in dem auch die Druckstauchung kritisch wird, in Bild 24 auf 10 Uhr). Bild 24: Versagensmodi mit Hauptdehnungen und Darstellung der Horizontalverschiebung (Skale 0…15 cm) 11. Schlussbemerkung Bereits Franz Pacher warf 1958 die Frage auf, ob die Gebirgskennlinie auch wieder ansteigen könne. Dies entspräche tertiärem Kriechen (Creep to failure), wie es aufgrund progressiver Mikrorissbildung in Damage-Modellen postuliert wird. Vielleicht ist es aber nur die zunehmende Stauchung aus Betonkriechen der beanspruchten Innenschale, die fälschlicherweise im Tunnel den Eindruck eines ansteigenden Gebirgsdrucks vermittelt, weil sich der Gleichgewichtspunkt zwischen Gebirgs- und Ausbaukennlinie unter Zunahme der Konvergenz verschiebt. Die vorgestellten Berechnungen an FE-Modellen unter sehr hohem Überlagerungsdruck stützen diese Schlussfolgerung. Hauptziel dieses Beitrags war es jedoch, eine auf Gebirgsentfestigung beruhende Berechnungsmethode vorzustellen, die ohne Zuhilfenahme rheologischer Modelle allein auf bisher aufgelaufenen Messungen an einem bestehenden Tunnel basiert. Literaturverzeichnis [1] O. Krentz, S. Kulikov (Red.): Geophysik und 3D- Modellierung im Osterzgebirge. Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie des Freistaats Sachsen, Dresden 2015. https: / / www.nbs. sachsen.de/ download/ neubaustrecke/ [2] J.-M. Hohberg: Gefährdungsbilder und kombinierte Berechnungsverfahren im Untertagebau. AK 1.6 Workshop Bemessen mit numerischen Methoden, TU Hamburg-Harburg, Sept. 2013. [3] J.-M. Hohberg: Sinn und Machbarkeit von Festigkeitsnachweisen mit Teilsicherheitsbeiwerten im Stollenbau. DGGT-Fachsektionstage, Würzburg, Okt. 2019. [4] M. Panet (Chair WG1): Recommendations on the Convergence-Confinement Method. AFTES, Nov. 2001. https: / / tunnel.ita-aites.org/ media/ k2/ attachments/ public/ [5] M. Keller, J.-M. Hohberg J.-M.: Drill and Blast at Great Depth. Vorlesungsblock für Master in Tunneling (Prof. Zhao), EPF Lausanne 2008 ff. [6] G. Bala, M. Bonini; , D. Debernardi: Time dependent deformations in squeezing tunnels. 12 th IAC- MAG Conf., Goa/ India 2008. [7] A. Truty, T. Zimmermann: Hoek-Brown Model for Rocks. ZSOIL ® .PC report 140617, Preverenges 2014 [8] R oc L ab Version 1.032, Rocscience Inc., Toronto (built date Dec. 1, 2011) [9] F. Mezger: On the Variability of Squeezing Behaviour in Tunnelling. Dissertation ETHZ no. 25638, 2019 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 123 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein Prof. Dr.-Ing. habil. Jochen Fillibeck Zentrum Geotechnik, Technische Universität München, Deutschland M.Sc. Johannes Jessen Zentrum Geotechnik, Technische Universität München, Deutschland Zusammenfassung Bei Tunnelvortrieben im grobkörnigen Lockergestein kommt der Sicherung der Ortsbrust nach dem Abschlag ganz besondere Bedeutung zu, da diese häufig nicht senkrecht steht. Eine senkrechte Ortsbrust ist allerdings erforderlich, damit der Ausbaubogen gestellt werden kann. Im Rahmen der Veröffentlichung werden verschiedene Sicherungsmaßnahmen / Verfahren beschrieben und beurteilt, mit denen ein Vortrieb unter den genannten Randbedingungen geeignet ausgeführt werden kann. Diese sind: Pfändung bzw. Spießschirm; Aufteilung in verschiedene Teilvortriebe (Kalottenvortrieb, Ulmenstollenvortrieb, ...) bzw. Öffnung der Ortsbrust in einzelnen Fenstern; lokale Verkittungsinjektionen; Injektionen mit Zement bzw. Kunststofflösungen; Ortsbrustverankerungen. Die Maßnahmen werden anhand von Beispielen bei den Vortrieben für den Tunnel Oberau, den Kramertunnel, die U-Bahn München und die Bahn-Neubaustrecke Ebensfeld - Erfurt beschrieben und bewertet. Es werden dabei technische aber auch baubetriebliche Aspekte berücksichtigt. Zudem wird bewertet, ob bzw. wie die verschiedenen Maßnahmen geeignet sind, mögliche Gefahrenszenarien zu verhindern bzw. Setzungen zu reduzieren. Da auch baupraktische Details behandelt werden, richtet sich der Vortrag gleichermaßen an die Planung wie auch die Ausführung. 1. Einführung Beim Spritzbetonvortrieb im grobkörnigen Lockergestein muss die Ortsbrust aufgrund der geringen bzw. fehlenden Kohäsion durch Zusatzmaßnahmen gesichert werden. Gemäß DIN 18312 erfolgt der temporäre Ausbau daher häufig in der höchsten Ausbauklasse- der Vortriebsklasse 7. Diese Vortriebsklasse beinhaltet eine Ortsbrustsicherung, vorauseilende Sicherungsmaßnahmen und ggf. eine zusätzliche Unterteilung des Querschnitts [1]. Nachfolgend wird auf verschiedene konstruktive Maßnahmen gegen ein lokales Ortsbrustversagen eingegangen. Es werden verschiedene Möglichkeiten zur Querschnittsgestaltung und Ausbruchsabfolge beim Vortrieb erläutert und vergleichend beurteilt. 2. Unterscheidung zwischen globalem und lokalem Ortsbrustversagen Hinsichtlich der Ortsbruststandsicherheit wird nachfolgend zwischen globalen und lokalen Versagensmechanismus unterschieden (siehe Abb. 1). Beim globalen Versagen bewegt sich ein zusammenhängender Bodenkörper, der bei der Standsicherheitsberechnung häufig als Gleitkeil oder Bruchmuschel angenommen wird, aus der Ortsbrust in Richtung Hohlraum. Dieser Körper wird durch das darüber liegende Gebirge vertikal belastet (Bruchkörpermechanismus, siehe Abb. 1a). Beim globalen Standsicherheitsnachweis ist der Nachweis zu erbringen, dass die rückhaltenden Kräfte (Reibung, Kohäsion aber auch zusätzliche Sicherungselemente wie Ortsbrustanker ausreichen, um ein Abgleiten zu verhindern. Details zum Bruchköpermechanismus und weitere Verfahren zum Nachweis der globalen Ortsbruststandsicherheit wurden bereits vielfach in der Literatur dokumentiert [2-7], weshalb hier nicht weiter darauf eingegangen wird. Lokales Ortbrustversagen entsteht unabhängig vom globalen Versagen dann, wenn die Ortsbrust aufgrund fehlender Kohäsion nicht senkrecht steht und die nichtkohäsiven Böden aus der Ortsbrust „herausfließen“ (siehe Abb. 1b) ohne dass sie, wie beim globalen Versagen der Fall, zusätzlich vertikal belastet werden. 124 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein Abb. 1: Globaler (a) und lokaler (b) Versagensmechanismus an der Ortsbrust Aber auch ein Herausrieseln von Boden aus der nicht gesicherten Laibung kann als lokales Versagen bezeichnet werden. Bei Böden ohne Kohäsion stellt sich im trockenen oder durchnässten Zustand ein Böschungswinkel an der Ortsbrust ein, der dem kritischen Reibungswinkel des Bodens entspricht. Allerdings besitzen auch Böden ohne oder mit geringem Feinkornanteil im erdfeuchten Zustand aufgrund kapillarer Kräfte in Abhängigkeit vom wirksamen Korndurchmesser und dem Wassergehalt eine Kohäsion, welche als Kapillarkohäsion bezeichnet wird (siehe Abb. 2). Abb. 2: Kapillare Wirkung im teilgesättigtem Zustand führt zu Kapillarkohäsion Die Kapillarkohäsion bewirkt, dass auch nichtbindige, feinkornarme Böden über eine gewisse Höhe senkrecht stehen. Die maximale frei stehende Höhe wird nachfolgend freie Standhöhe bezeichnet. Die freie Standhöhe kann unter der vereinfachten Annahme eines ebenen, aktiven Erddrucks gemäß Formel (1) ermittelt werden: Dabei ist: die (Kapillar-)Kohäsion des Bodens; der aktive Erddruckbeiwert; der Reibungswinkel des Bodens und die Wichte des Bodens. Umgekehrt kann anhand der freien Standhöhe auch die Mindestkohäsion des anstehenden Lockergesteins abgeschätzt werden, wie in Gleichung (2) beschrieben: In Abb. 3 ist die freie Standhöhe in Abhängigkeit der Kohäsion des anstehenden Bodens für typische Bodenkennwerte im grobkörnigen Lockergestein ( = 32,5 bzw. 37,5° und = 22 kN/ m³) wiedergegeben. Abb. 3: Freie Standhöhe in Abhängigkeit der Kohäsion des anstehenden Bodens Meist wird im Zuge der Planung des Tunnelvortriebs die globale Ortsbruststandsicherheit rechnerisch nachgewiesen, während die Maßnahmen gegen lokales Ortsbrustversagen konstruktiv gelöst werden. 3. Aufteilung des Tunnelquerschnitts in Teilvortriebe Wenn der Vortrieb nicht geeignet im Vollausbruch aufgefahren werden kann, was bei Lockergesteinsvortrieben überwiegend der Fall ist, muss der Tunnelquerschnitt in Teilvortriebe aufgeteilt werden. Hierbei werden die einzelnen Vortriebe nacheinander aufgefahren. Dieses Vorgehen ist nicht zu verwechseln mit dem konstruktiv gewählten Vortrieb in Teilflächen (siehe Abschnitt 4.2). Abb. 4 zeigt verschiedene Möglichkeiten, wie der Tunnel in verschiedene Teilvortriebe aufgeteilt werden kann. Welche dieser Varianten gewählt wird, hängt maßgeblich von der Gesamtquerschnittsgröße des Tunnels, den geotechnischen Eigenschaften des Gebirges, den verwendeten Sicherungsmaßnahmen und damit von der Standfestigkeit des Tunnels und der Ortsbrust ab. Aber auch weitere Faktoren wie z.B. die Grundwasserverhältnisse, der vorhandene Erkundungsgrad oder wirtschaftliche Aspekte beeinflussen die Wahl der Teilvortriebe. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 125 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein Kalottenvortrieb Firststollenvortrieb Einhüftiger Ulmenstollenvortrieb Beidseitiger Ulmenstollenvortrieb Weitere Unterteilungen (Beispiel: U-Bahn München, Bahnhofsquerschnitt) Abb. 4: Möglichkeiten der Querschnittsunterteilung. Die Zahlen geben die Reihenfolge der Teilvortriebe an. Aufgrund der Vielfältigkeit der Einflussfaktoren muss die Wahl für jedes Projekt neu festgelegt werden. Nachfolgend werden einige Aspekte zur Wahl der Querschnittsunterteilung dargelegt, die sich im Rahmen von Projekten als wesentlich herausstellten: - Allgemein ist beachten, dass durch die Größe der Teilvortriebe das Lösen und Laden beeinflusst wird. Kleine Teilvortriebe erfordern entsprechend kleine Abbaugeräte oder aber bei großen, hohen Teilquerschnitten muss gegebenenfalls aufgeschüttet werden, um die Arbeiten an der Firste bewerkstelligen zu können. - In den letzten Jahren zeigte sich der Trend, dass aus wirtschaftlichen Gründen zunehmend große Querschnitte mit entsprechend aufwendigen Sicherungsmaßnahmen (z.B. Ortsbrustanker, Schirmgewölbe) aufgefahren werden. Hier sei beispielsweise auf die Veröffentlichungen von Lunardi aus Italien verwiesen [8], wo mit intensiver Ortsbrustsicherung durch Glasfaseranker und Düsenstrahlschirmen auch bei großen Querschnitten der Ausbruch im Vollausbruch bewerkstelligt wurde. - Beim häufig angewendeten Kalottenvortrieb wird die Kalotte vorauseilend zu Strosse und Sohle vorgetrieben. Strossen- und Sohlvortrieb können entweder unmittelbar nachlaufend oder in größerem Abstand hinter dem Kalottenvortrieb folgen. Da im Lockergestein ein frühzeitiger Ringschluss erforderlich ist, erfolgt der Kalottenvortrieb mit Sohlgewölbe ausgeführt werden, welches im Zuge der Querschnittsaufweitung wieder abgebrochen werden muss. Ein Großteil der Gesamtverformungen tritt im Zuge des Kalottenvortriebs auf, während beim Strossen- und Sohlvortrieb nur noch geringe Verformungszuwächse zu erwarten sind. - Der Firststollenvortrieb ist eine Sonderform des Kalottenvortriebs und bietet den Vorteil, dass zunächst ein kleiner Querschnitt innerhalb der Kalotte aufgefahren wird, welcher zugleich als Erkundung für den restlichen Tunnelquerschnitt dient. Bei Bedarf können aus dem Firststollen beispielsweise Vorabinjektionen als zusätzliche Sicherungsmaßnahme für den restlichen Querschnitt vorgenommen werden. Insbesondere im Lockergestein treten beim Firststollenvortrieb größere Setzungen auf, da das beim Vortrieb des Firststollens entstandene Gebirgsgewölbe über dem Tunnel bei der Aufweitung zerstört wird und sich darüber ein größeres Gebirgsgewölbe tangential um den Tunnel bilden muss (siehe Abb. 5). - Sowohl beim Ulmenstollenvortrieb als auch beim einhüftigen Vortrieb wird der Querschnitt nicht bzw. nicht nur vertikal, sondern auch horizontal unterteilt. Zunächst erfolgt der Vortrieb der seitlichen Ulmen, dann der mittlere Teil bzw. der Rest des Gesamtquerschnitts. In der Praxis wird der einhüftige Vortrieb selten ausgeführt, da statisch gesehen, beim Auffahren des Gesamtquerschnitts die Ulmenstile stark belastet werden und punktuell hohe Lasten in die Außenschale eingeleitet werden. Hinsichtlich der auftretenden Setzungen wirkt sich der beidseitige Ulmenstollen gegenüber einem Kalottenvortrieb positiv aus, da die Ulmenstollenvortriebe aufgrund der geringeren Querschnittsgröße geringere Setzungen induzieren und sich beim Vortrieb des Mittelstollens ein Gewölbe im Gebirge ausbilden, welches sich auf den steifen Ulmenstollen abstützen kann. - Weitere Querschnittsunterteilungen werden in der Regel nur bei sehr großen Querschnitten (> 150 m²) notwendig. Hierauf kann im Rahmen dieser Veröffentlichung nicht eingegangen werden. 126 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein Abb. 5: Gewölbetragwirkung des Gebirges über dem Vortriebsquerschnitt in Abhängigkeit von der Vortriebsweise am Beispiel von FE-Berechnungen für den Tunnel Oberau In Verbindung mit den Maßnahmen zur Sicherung der Ortsbrust sind die Teilquerschnitte so zu wählen, dass die globale Ortsbruststandsicherheit gegeben ist und dass es nicht zu einem lokalen Versagen an der Ortsbrust kommt. Hierauf wird nachfolgend eingegangen. 4. Konstruktive Maßnahmen gegen ein lokales Ortsbrustversagen 4.1 Allgemeines Nachfolgend wird auf verschiedene Maßnahmen eingegangen, die eine senkrechte Ortsbrust auch im nichtbindigen kohäsionslosen Lockergestein ermöglichen. Die senkrechte Ortsbrust ist erforderlich, damit der Ausbaubogen senkrecht gestellt werden kann. Unabhängig davon ist durch Maßnahmen wie den Stützkern, Ortsbrustanker oder Schirmgewölbesicherungen die globale Ortsbruststandsicherheit sicher zu stellen. 4.2 Öffnung der Ortsbrust in Teilflächen Wenn die maximale freie Standhöhe des Gebirges kleiner ist, als die Höhe der Ortsbrust des Vortriebs, besteht die Möglichkeit, die Ortsbrust in Teilflächen zu öffnen. Dadurch wird die maximal erforderliche freie Standhöhe reduziert. Abb. 6 zeigt beispielhaft das Öffnen in Teilflächen beim Vortrieb des Erkundungsstollens für den Kramertunnel in nahezu kohäsionslosem Kies. Abb. 6: Öffnen der Ortsbrust in Teilflächen beim Erkundungsstollen für den Kramertunnel im feinkornarmen Kies Ausgehend von der zugespritzten Ortsbrust mit Stützkern wurde der Kies von oben nach unten um den Stützkern in 6 Teilflächen entfernt. Die Teilflächen waren nur ca. 1 bis 4 m² groß. Nach dem Öffnen der Spritzbetonschale einer Teilfläche wurde der Kies in der Teilfläche über eine Abschlagslänge entnommen, die Ortsbrust bewehrt und die Ortsbrust zusammen mit der Laibung wieder zugespritzt. Damit beim Öffnen einer Teilfläche die benachbarte Teilfläche nicht mit abgerissen wird, hat es sich als günstig herausgestellt, jeder Teilfläche zumindest einen Ortsbrustanker zuzuweisen. Nachdem alle Teilflächen und der Stützkern um einen Meter vorgetrieben wurden, ist der Abschlag abgeschlossen. Insbesondere bei einer großen Anzahl von Teilflächen ist diese Vorgehensweise zeitintensiv, deswegen auch teuer und insgesamt vorab schwer kalkulierbar. Die Spritzbetonversiegelung wird beim nachfolgenden Abschlag wieder zerstört, so dass dieses Verfahren mit einem hohen Spritzbetonverbrauch und Mehrmengen an Tunnelausbruchsmaterial einhergeht. Aufgrund des hohen Arbeitsaufwands zum Öffnen und Versiegeln der Teilflächen verlangsamt sich die Vortriebsgeschwindigkeit. Des Weiteren wird bei kleinen Teilflächen ein vergleichsweise kleiner und wendiger Bagger benötigt, um den Bodenabbau mit der erforderlichen Genauigkeit vornehmen zu können. Daher werden bei Vortrieben, die eine große Anzahl von Teilflächen erfordern, gerne andere Maßnahmen zum Erreichen einer senkrechten Ortsbrust eigesetzt. Ist allerdings der Einsatz größerer Teilflächen möglich (siehe z.B. Abb. 7 bei einem Vortrieb für NBS Ebensfeld - Erfurt), werden diese häufig eingesetzt und sind ein probates Mittel. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 127 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein Abb. 7: Öffnen der Ortsbrust in großen Teilflächen für die NBS Ebensfeld - Erfurt 4.3 Verkittungsinjektionen Eine weitere Möglichkeit, in kohäsionslosen Böden eine senkrechte Ortsbrust herzustellen, ist die Verkittungsinjektion, welche nicht mit der vollflächigen Injektion der Ortsbrust gleichzusetzen ist. Verkittungsinjektionen werden in der Regel rein konstruktiv eingesetzt und werden beim statischen Nachweis der Ortsbruststandsicherheit nicht berücksichtigt. Demzufolge sind vorauseilende Verkittungsinjektionen nicht als vollflächige statisch angesetzte Ortsbrustinjektion im Sinne der DIN EN 12715 [9] und der DIN 4093 [10] zu verstehen, die umfangreiche Qualitätskontrollen erfordern. Verkittungsinjektionen wurden zum Beispiel häufig beim U-Bahn-Bau in München in den fluviatil also durch Fließvorgänge abgelagerten, quartären Kiesen eingesetzt. Hierbei wechselt je nach Strömungsgeschwindigkeit beim Ablagerungsprozess der Feinkorn- und Sandanteil in engen Schichten ab. Ziel war es, die bereichsweise anstehenden feinkorn- und sandarmen Rollkieslagen, welche aufgrund des großen Korns keine Kapillarkohäsion besitzen, leicht zu verkleben, so dass sie kurzfristig senkrecht stehen und beim Vortrieb nicht ausrieseln. Das Injektionsmittel wurde über Rammlanzen mit einer Länge von üblicherweise 4 bis 6 m eingebracht (siehe Abb. 8). Abb. 8: Vorauseilende Verkittung von kohäsionslosen Bodenschichten (adaptiert aus [11]) Wesentlich hierbei ist, dass nur die Rollkieslagen verkittet werden müssen (siehe Abb. 9), da die Kiese mit entsprechendem Sand- und Feinkornanteil ausreichende Kapillarkohäsion besitzen und so ohne Injektion senkrecht stehen. Dieses Vorgehen eignet sich daher vor allem dann, wenn die erforderliche freie Standhöhe nicht zu groß ist. Abb. 9: Verkittungsinjektion beim Bau der U3 Nord, Los 1. Die Injektion (grün) dringt nur in die Rollkieslagen ein. Die sandigen, schluffigen Kiese (braun) können nicht injiziert werden. Wesentliche Merkmale der Verkittungsinjektion sind: - Angestrebt wird eine leichte Verkittung, keine Verfestigung, die den Bodenabbau behindert - Keine vollflächige Ortsbrustinjektion, sondern lokal begrenzter Einsatz - Kontinuierliche Kartierung der Baugrundverhältnisse an der Ortsbrust erforderlich, um die erforderlichen Injektionsstellen definieren zu können. Die lokale Verkittungsinjektion ist eine vergleichsweise einfache und kostengünstige Maßnahme erfordert allerdings Umsicht und Flexibilität bei der Ausführung. Zementöse Injektionsmittel erhärten langsam (bis zu 28 d) und erreichen eine hohe Endfestigkeit, wodurch der spätere Bodenabbau erschwert wird. Neben Zement- oder Dämmersuspensionen, welche die o.g. Nachteile aufweisen, können auch schnell reagierende Schäume 128 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein zur konstruktiven oder vollflächigen Ortsbrustsicherung verwendet werden, wie sie beispielsweise in der Praxis bereits bei der Verkittung von nichtbindigen Böden hinter Trägerbohlverbauten zur Anwendung kamen (siehe Abb. 10). Zum Einsatz von Schäumen im Tunnelbau wird derzeit am Zentrum Geotechnik der TU München ein Forschungsvorhaben bearbeitet [12]. Abb. 10: Verkittung von nichtbindigen Böden beim Aushub von Trägerbohlwänden mittels Schauminjektion Schäume besitzen gegenüber Zement- oder Dämmersuspensionen folgende Vorteile: - Eine signifikant kürzere Reaktionszeit (wenige Minuten nach der Injektion) verhindert ein unkontrolliertes Abfließen des Injektionsmittels aus dem vorgesehenem Zielbereich der Injektion. Dadurch können sowohl Injektionsmaterial als auch Zeit (Pumpenstunden) eingespart werden. - Eine hohe Frühfestigkeit (mehr als 80% der Festigkeit nach 28 Tagen kann bereits nach wenigen Minuten erzielt werden) ermöglicht einen kontinuierlichen Bauablauf. - Die Volumenzunahme des Schaums bietet wirtschaftliche Vorteile. In kiesigen Böden können Schaumfaktoren zwischen 1,5 und 3 erreicht werden. Bei einem Schaumfaktor von 2 kann die Injektionsdauer und der Materialverbrauch halbiert werden. - Die Ausgangskomponenten von schäumenden Injektionsmitteln und die zugehörige Baustelleneinrichtung erfordern nur wenig Platzbedarf, was insbesondere unter räumlich beengten Verhältnissen im Tunnelbau vorteilhaft sein kann. [12] - Konstruktive Sicherung der Tunnellaibung - Neben der senkrechten Ortsbrust ist auch sicherzustellen, dass die Tunnellaibung während des Abschlags nicht nachbricht. Hierzu können im Lockerwie im Festgestein Spieße eingesetzt werden. Spieße können im grobkörnigen Lockergestein zur vorauseilenden Sicherung der Ausbruchslaibung eingesetzt werden. Die Spieße werden meist mit einer Länge von 4m bzw. 6m nach jedem oder jedem zweiten Abschlag vom Ausbaubogen aus schräg nach vorne oder zur Seite eingebracht [13]. Die Spieße sichern die kurzzeitig offene Tunnellaibung und sind eine konstruktive Maßnahme zur Gewährleistung der Arbeitssicherheit der Vortriebsmannschaft. Folgende Spießarten werden im Lockergestein, in dem das Bohrloch nicht frei steht, unterschieden: - Selbstbohrspieße sind Gewindehohlstäbe die mit verlorener Bohrkrone eingebohrt werden. Die Spülflüssigkeit wird über den Hohlstab zur Bohrkrone gepumpt und fließt über den Ringraum zwischen Hohlstab und Gebirge zurück zum Bohrlochmund (siehe Abb. 11). Der Hohlstab (Spieß) wie auch die Bohrkrone verbleiben im Bohrloch. Wie nachfolgend noch begründet wird, kommen diese Spieße vornehmlich im bindigen Lockergestein oder aber im Festgestein zur Anwendung [14]. Abb. 11: Herstellvorgang beim Bohren eines Selbstbohrspießes, adaptiert aus [13] - Rohrspieße (Tube spiles) sind glatte Stahlrohre, die über ein Innengestänge und eine verlorene Bohrkrone eingebohrt werden (siehe Abb. 12). Die Spülflüssigkeit fließt über das Innengestänge zur Bohrkrone und anschließend zwischen Innen- und Außengestänge zurück. Das Innengestänge wird nach der Herstellung gezogen, während das glatte Außenrohr (Spieß) im Baugrund verbleibt [14]. Rohrspieße werden insbesondere in nichtbindigen Böden eingesetzt. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 129 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein Abb. 12: Herstellvorgang eines Tube spiles, adaptiert aus [13] Der seitliche Abstand zwischen den Spießen beträgt im nichtbindigen Lockergestein üblicherweise zwischen 20 und 30 cm. Er ist so zu wählen, dass zwischen den Spießen im Firstbereich kein Bodenmaterial herausrieselt. In der Regel werden die Spieße im Lockergestein nach dem Setzen über eine gesonderte Pumpe oder den Bohrwagen verpresst. Hierzu muss der Ringraum um den Bohrlochmund verschlossen werden. Falls das Bohrloch um den Spieß zusammenfällt, kann es vorteilhaft sein, dass die Spieße im vorderen Bereich z.B. alle Meter gelocht werden, damit der Spieß über die gesamte Länge verpresst wird. Gerade im geschichteten Baugrund ist aus wirtschaftlichen Gründen die Suspensionsmenge je Spieß sowie der maximale Suspensionsdruck zu begrenzen und der w/ z-Wert der Durchlässigkeit des Baugrunds anzupassen. Die Länge der Spieße ist in der Regel durch die Lafettenlänge des Bohrwagens begrenzt. Das Bohren in mehreren Schüssen ist aufwändig, da der Bohrwagen nach dem Aufnehmen des nächsten Schusses erst wieder die Bohrrichtung genau einstellen muss, damit das Bohrgestänge beim Bohren nicht ausbaucht und schlägt. Häufig stellt sich in der Praxis die Frage, ob der Spießschirm besser nach jedem oder jedem 2. Abschlag hergestellt werden soll und ob die Spießlänge 4 oder 6 m betragen soll. Vorausgesetzt sei hierbei immer, dass zwischen den Spießen kein Bodenmaterial herausrieselt, was durch die Spießverpressung und den Spießabstand gewährleistet wird. Die Wahl ist in Abhängigkeit von der Höhe der Ortsbrust, den eingesetzten Mitteln zum Erreichen der Ortsbruststandsicherheit und den geologischen Verhältnissen vorzunehmen. Auswertungen von Nachbrüchen haben gezeigt, dass Spieße, die nicht über den rechnerischen Gleitkeil hinausreichen (globale Ortsbruststandsicherheit), nach unten abklappen, wenn nicht direkt unterhalb der Spieße Ortsbrustanker angeordnet werden. Daher sind bei großen Ortsbrusthöhen der Gleitkeil reicht weiter vor die Ortsbrust - 6 m lange Spieße nach jedem oder jedem 2. Abschlag oder aber 4 m lange Spieße nach jedem Abschlag vorteilhaft. 4 m lange Spieße, die nach jedem Abschlag gesetzt werden oder aber 6 m lange Spieße, die nach jedem 2. Abschlag gesetzt werden, überlappen sich bei einer Abschlagslänge von einem Meter mindestens drei Mal. Dies ist auch in kohäsionslosem Lockermaterial ausreichend, wenn wie vorausgesetzt durch den Spießabstand und die Injektion ein herausrieseln zwischen den Spießen verhindert wird. Wie Erfahrungen und Rückrechnungen beim Bau des Tunnel Oberau zeigten [13, 14], sind Spießschirme, auch wenn sie eng gesetzt werden und damit das Gebirge um den Tunnel stark bewehren, nur dann statisch ansetzbar und reduzieren Setzungen, wenn sie mit geeignetem Injektionsgut injiziert werden und die Aufstandsfläche des Spießschirms bis unter die Kalottensohle reicht. In diesem Fall bilden sie ein steifes Gewölbe um die Ortsbrust, welches Gebirgslasten aufnehmen kann. Die zu dieser Thematik im Rahmen einer Dissertation von Hr. Klinger am Zentrum Geotechnik der TU München durchgeführten Untersuchungen werden in Kürze veröffentlicht. Neben Spießen wurden in der Vergangenheit beim Münchner U-Bahn-Bau auch häufig Pfändbleche (Länge ca. 4 m) mit gutem Erfolg in quartären Kiesen eingesetzt. Sie wurden entlang der Tunnellaibung überlappend eingerammt (siehe Abb. 13). Dementsprechend muss der Baugrund rammbar sein. Durch Pfändbleche kann die Laibung sicher stabilisiert werden. Nachteilig ist die Lärmentwicklung beim Rammen und dass bei hoher Lagerungsdichte des nichtbindigen Baugrunds das Einrammen schwierig bis unmöglich wird. Mögliche Lockerungsbohrungen führen insgesamt zu einer Auflockerung der Laibung, was vermieden werden sollte. Abb. 13: Einbringung der Pfändbleche beim Münchener U-Bahn-Bau 5. Zusammenfassung Der konventionelle Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein erfordert umfangreiche konstruktive Maßnahmen um eine senkrechte Ortsbrust für den Einbau des Ausbaubogens gewährleisten zu können. Die Sicherheit der vortreibenden Mineure muss bei jedem Arbeitsschritt garantiert werden. In der vorliegenden Veröffentlichung werden verschiedene konstruktive Sicherungsmaßnahmen und maßgebliche Konstruktionsmerkmale für die Planung von Spritzbetonvortrieben im Lockergestein beschrieben. Dabei ist klar, dass aufgrund der vielfältigen geotechnischen und baubetrieblichen Randbedingungen und Einflussfaktoren die Wahl bei jedem Projekt immer wieder neu getroffen werden muss. 130 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Möglichkeiten der Sicherung von Laibung und Ortsbrust beim Spritzbetonvortrieb im nichtbindigen Lockergestein Literatur [1] VOB Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen ‒ Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) ‒ Untertagebauarbeiten, 18312, DIN Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin, Sep. 2019. [2] M. Horn, „Horizontaler Erddruck auf senkrechte Abschlussflächen von Tunnelröhren“. Übersetzung ins Deutsche durch die STUVA. Budapest, 1961. [3] P. A. Vermeer und N. Ruse, „Die Stabilität der Tunnelortsbrust in homogenem Baugrund“, geotechnik, Jg. 24, Nr. 3, S. 186-193, 2001. [4] P.-M. Mayer, U. Hartwig und C. Schwab, „Standsicherheitsuntersuchungen der Ortsbrust mittels Bruchkörpermodell und FEM“, Bautechnik, Jg. 80, Nr. 7, S. 452-467, 2003. [5] A. Kirsch und D. Kolymbas, „Theoretische Untersuchung zur Ortsbruststabilität“, Bautechnik, Jg. 82, Nr. 7, S. 449-456, 2005. [6] M. Qarmout, D. König, P. Gussmann, M. Thewes und T. Schanz, „Tunnel face stability analysis using Kinematical Element Method“, Tunnelling and Underground Space Technology, Jg. 85, S. 354-367, 2019, doi: 10.1016/ j.tust.2018.11.024. [7] G. Anagnostou, „The contribution of horizontal arching to tunnel face stability“, geotechnik, Jg. 35, Nr. 1, S. 34-44, 2012, doi: 10.1002/ gete.201100024. [8] P. Lunardi, „Projektierung und Bau von Tunneln“, 2016, doi: 10.1007/ 978-3-662-48939-0. [9] Ausführung von besonderen geotechnischen Arbeiten (Spezialtiefbau) - Injektionen, 12715: 2000, Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin. [10] Bemessung von verfestigten Bodenkörpern - Hergestellt mit Düsenstrahl-, Deep-Mixing- oder Injektionsverfahren, 4093, Deutsches Institut für Normung e.V., Berlin, Nov. 2015. [11] J. Fillibeck, „Oberflächensetzungen beim Tunnelvortrieb im Lockergestein - Prognose, Messung und Beeinflussung“. Habilitation, Lehrstuhl und Prüfamt für Grundbau, Bodenmechanik, Felsmechanik und Tunnelbau, TU München, 2012. [12] J. Jessen und R. Cudmani, „Timeand rate-dependent mechanical behavior of foam-grouted coarse grained soils“, Journal of Geotechnical and Geoenvironmental Engineering, submitted, 2021. [13] J. Fillibeck, A. Klinger, M. Sailer und S. Geuder, „Umbrella Arching and Compensation Grouting in Order to Protect Settlement-Sensitive Buildings over Large Shotcrete Excavations in Gravel“, Geotech Geol Eng, Jg. 38, Nr. 2, S. 2255-2269, 2020, doi: 10.1007/ s10706-019-01071-0. [14] A. Klinger und J. Fillibeck, „Use of spile umbrellas for load transfer and prevention of settlements“. Kuala Lumpur, Mai 2020. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 131 Planen unter speziellen artenschutztechnischen Randbedingungen am Beispiel der Bestandstunnelsanierungen und der Planung der Fledermausersatzquartiere im Zuge der Reaktivierung der Strecke Weil der Stadt - Calw Aline Merkl, M.Sc. Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik mbH, Esslingen, Deutschland Dipl.-Ing. (FH) Achilles Häring Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik mbH, Esslingen, Deutschland Dr.-Ing. Axel Möllmann Dr. Spang Ingenieurgesellschaft für Bauwesen, Geologie und Umwelttechnik mbH, Esslingen, Deutschland Zusammenfassung Im Zuge der Reaktivierung der Strecke Weil der Stadt - Calw muss vor einer erneuten Verkehrsaufnahme die Streckeninfrastruktur umfassend saniert werden. Zur Umsetzung des vom Zweckverband Hermann-Hesse-Bahn gewünschten Betriebsprogramms sind Aus- und Umbauten der beiden Bestandstunnel vorgesehen. In den beiden Tunneln haben sich in den vergangenen 30 Jahren der Nichtnutzung verschiedene Fledermausarten niedergelassen. Diese überwintern teilweise in den Mauerwerksspalten und der Hinterpackung der Tunnelschale. Die artenschutzrechtlichen Bestimmungen machten es erforderlich, vor der erneuten Verkehrsaufnahme für die in den Bestandstunneln „Forst“ und „Hirsau“ lebenden Fledermäuse, u.a. Ersatzlebensräume in Form zweier Fledermausersatzquartiere anzubieten. Außerdem mussten im Zuge der Tunnelsanierungen spezielle Auflagen aus dem Artenschutz berücksichtigt werden. 1. Projekthistorie Mit der Hermann-Hesse-Bahn strebt der Zweckverband Hermann-Hesse-Bahn (ZV HHB) die schienentechnische Anbindung des Landkreises Calw an die Region Stuttgart an. Vor einer erneuten Verkehrsaufnahme auf dem Streckenabschnitt Weil der Stadt - Calw ist der Wiederaufbau der Bestandsinfrastruktur auf diesem Abschnitt notwendig. Im Bestand sind zwei Tunnel vorhanden. Der Tunnel Hirsau führt auf einer Länge von 554 m durch den Welzberg zwischen Calw-Hirsau und Calw-Heumaden. Der Tunnel Forst führt auf einer Länge von 695 m durch den gleichnamigen Höhenrücken zwischen Ostelsheim und Althengstett. Beide Tunnel werden von etwa 1.000 Fledermäusen als Überwinterungsquartier genutzt. Um den durch die Umbauten sowie die Wiederaufnahme des Bahnbetriebs und die daraus resultierenden Störungen in den Tunneln gegebenenfalls abwandernden Fledermäusen einen alternativen Überwinterungslebensraum zu schaffen, wurde der Neubau von zweier Fledermausersatzquartiere im direkten Umfeld der Tunnel geplant. 132 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Planen unter speziellen artenschutztechnischen Randbedingungen Bild 1: Lage der Tunnel Hirsau und Tunnel Forst Außerdem sollen die beiden Eisenbahntunnel Forst und Hirsau den dort lebenden Fledermäusen weiterhin als Lebensraum dienen können. Dazu wird innerhalb der Tunnel eine Trennwandkonstruktion aus Schallschutzelementen erstellt, wodurch in den Tunneln jeweils eine Kammer für den späteren Zugverkehr und eine Kammer für die Fledermäuse bestehen bleibt. 2. Ersatzquartiere 2.1 Anforderungen an die Quartiere Entsprechend den Ausführungen aus [2] und [3] haben verschiedene Fledermausarten unterschiedliche Anforderungen an das Mikroklima ihrer Winterquartiere. Temperatur und eine hohe Luftfeuchtigkeit sind daher maßgebende Indikatoren für die Akzeptanz der Tiere eines Winterquartiers. Das Innenraumklima sollte gemäß [3] dabei unabhängig von den Außentemperaturen möglichst konstant bleiben. Für die verschiedenen Arten sollten sowohl kühlere, als auch wärmere Bereiche vorgesehen werden. Des Weiteren muss die Frostfreiheit [2] innerhalb des Quartiers gewährleistet sein. Für die Gesundheit der Tiere ist Zugluft zu vermeiden, dennoch muss ausreichend Frischluft zum Atmen im Quartier vorhanden sein. Das Winterquartier sollte die Tiere möglichst von Licht und anderen Störfaktoren, wie lauten Geräuschen abschirmen. Außerdem müssen ausreichend Versteckmöglichkeiten für die Fledermäuse vorhanden sein, sowohl als Hangplätze im Deckenbereich, als auch an den Wänden. 2.2 Gewählte Lösung Beide Ersatzquartiere wurden aus Fertigteilen erstellt. Bei den Fertigteilen handelt es sich um Halbschalen aus Ziegelsteinen, die auf der Baustelle auf vorgefertigten Stahlbetonfundamenten aufgestellt und anschließend überschüttet wurden. Es kamen grundsätzlich zwei verschiedene Querschnitte zum Einsatz. Die beiden Profile wurden abwechselnd mit einer Überlappung von ca. 1,0 m ineinandergeschoben, s. Bild 2. Dadurch resultieren Öffnungen, durch die planmäßig Wasser in die Quartiere eindringen kann und breite Fugen, in die sich die Fledermäuse für den Winterschlaf zurückziehen können. Um ein Eindringen von großen Massen an Erdmaterial zu verhindern, wurden die genannten Fugen mit Hohlsteinziegeln jeweils am Ende der Überlappung (erdseitig) zugemauert. Die Hohlsteine wurden dabei so gesetzt, dass Wasser durch die Hohlsteine sickern kann, Erdmaterial aber zurückgehalten wird. Hierzu wurde erdseitig zusätzlich ein Geotextil verlegt. Um Frostschäden auszuschließen, wurden die Portale, bzw. die Quartiersöffnungen, sowie die ersten Blöcke mit unzureichender Erdüberdeckung als Ortbetonkammer hergestellt, von der aus das Tonnengewölbe abgeht. Bild 2: Foto bei der Herstellung des Ersatzquartiers am Tunnel Forst 2.3 Fledermausersatzquartier „Hirsau“ Für das Ersatzquartier am Tunnel Hirsau wurden zwei parallel nebeneinanderliegende Gewölbetunnel mit zwei rechtwinklig abzweigenden Armen eingebaut und überschüttet. Die untersten 9 m des doppelten Tonnengewölbes verlaufen horizontal, während der hangaufwärts liegende Abschnitt des doppelten Tonnengewölbes ein Gefälle von ca. 17° aufweist. Die Länge des doppelten Tonnengewölbes beträgt ca. 30 m. Zusätzlich zweigen vom unteren, horizontal verlaufenden Abschnitt beidseitig zwei ca. 12,2 m lange, 3° geneigte, einfache Tonnengewölbe rechtwinklig ab, sodass ein kreuzförmiger Grundriss entsteht. Die Öffnung zu dem Fledermausersatzquartier befindet sich im untersten Bereich des doppelten Tonnengewölbes. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 133 Planen unter speziellen artenschutztechnischen Randbedingungen Bild 3: Grundriss und Schnitt des Ersatzquartiers Hirsau 2.4 Fledermausersatzquartier „Forst“ Das Ersatzquartier am Tunnel Forst soll links der Bahn in ungefähr 150 m Entfernung vom Portal Ostelsheim in der südlichen Böschungsschulter errichtet werden. Die Portalwand besteht aus einer Winkelstützmauer, an der ein einröhriger, 16 m langer Gang aus Fertigteilen anschließt. Dieser mündet in zwei doppelröhrigen Seitenarmen mit 8,2 m bzw. 41,2 m Länge. Somit besitzt der Gesamtquerschnitt die Form eines „T“s. Alle drei Gänge sind in Längsrichtung entsprechend der Geländeneigung um ca. 6° in Böschungsrichtung und um ca. 2° in Richtung Osten geneigt. Der Zugang zur Kammer kann einerseits über die Tür mit Einflugöffnung für die Fledermäuse im oberen Bereich erfolgen, oder andererseits kann über den sekundären Ein- und Ausflugsschacht in das Quartier eingestiegen werden. Bild 4: Grundriss und Schnitt des Ersatzquartiers Forst 3. Bestandstunnelsanierung 3.1 Randbedingungen (Zustand des Gewölbes, Randbedingungen aus dem Artenschutz) Der Tunnel Hirsau wurde in den Jahren 1868 - 1877 erbaut. Der Querschnitt des Tunnels war ursprünglich auf eine zweigleisige Streckenführung ausgelegt. Die Innenschale des Hirsauer Tunnels besteht aus rotbraunem Buntsandsteinmauerwerk, das z.T. mit grau-weißen Sandsteinschichten durchzogen und teilweise brekziös ist. Die Körnung ist durchgehend mittelsandig und die Kornbindung weitgehend kieselig und untergeordnet karbonatisch. Stratigraphisch sind die Mauerwerkssteine dem Mittleren Buntsandstein, genauer dem Badischen Bausandstein (smb) bzw. der Gelnhausen- und Salmünster-Folge, zuzuordnen [4],[5]. Der Tunnel Forst wurde in den Jahren 1869 - 1871 erbaut. Er erstreckt sich geradlinig in westlich bis südwestlicher Richtung. Der Querschnitt des Tunnels war ursprünglich ebenfalls auf eine zweigleisige Streckenführung ausgelegt. Die Ausmauerung der Tunnelwände und des Tunnelgewölbes erfolgt mit dem gleichen Sandsteinmauerwerk wie beim Tunnel Hirsau.[6]. Entlang der Blöcke 50 - 54 des Tunnels Forsts verläuft eine Störungszone. Bild 5: Auszug aus der Bauwerksakte[8] 134 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Planen unter speziellen artenschutztechnischen Randbedingungen Das Mauerwerk weist in diesem Bereich Schäden auf und der Querschnitt war in der Firste eingedellt. Bild 6: Firstverformung; beispielhaft Die Mauerwerksfugen beider Tunnel wurden ursprünglich mit Mörtel verfugt. Davon ausgenommen sind planmäßig nicht vermörtelte Entwässerungsfugen mit einer Öffnungsweite von bis zu 5 cm [4], [5]. In beiden Tunneln wurden klein- und großflächige Beschädigungen mit bis zu 20 cm Tiefe und kleinflächige Beschädigungen mit über 20 cm Tiefe am Mauerwerk angetroffen. Der Fugenmörtel ist in großen Bereichen ausgebrochen, bzw. ausgespült. Außerdem weisen Entwässerungsleitungen und Mauerwerk teilweise starke Versinterungen auf [4], [5]. Da die Fledermäuse durch die offenen Fugen in die Hinterpackung gelangen, ist eine fugengenaue Planung der Sanierungsarbeiten notwendig, im Zuge derer jede Fuge, die für die Fledermäuse offenbleiben soll, im Vorfeld festgelegt werden muss. 3.2 Sanierungsmaßnahmen des Mauerwerks Abklopfen der Tunnellaibung: Die gesamte Tunnellaibung wird im Vorfeld abgeklopft, um weitere Hohlstellen akustisch detektieren und anschließend markieren zu können. Fugensanierung: Offene Fugen werden ausgeräumt und neu verfugt, sodass ein kraftschlüssiger Mauerwerksverbund wiederhergestellt ist. Dabei werden sämtliche Längsfugen verschlossen. Im Bereich der späteren Bahnkammer werden zusätzlich alle Stoßfugen verschlossen, sodass die Fledermäuse nicht über die Hinterpackung in die Bahnkammer gelangen können. In der Fledermauskammer muss die als fledermausrelevant markierten Querfugen zwingend freigehalten werden. Spritzbetonplomben: Es werden Teilflächen von einzelnen teilverwitterten Sandsteinquadern und ganze Steine im Tunnelgewölbe sowie im Widerlagerbereich mauerwerksschonend auf eine Tiefe von bis zu 30 cm abgebrochen. Anschließend werden Löcher für die Rückverankerungen gebohrt, mit Ankermörtel verfüllt und die Rückverankerungen eingestellt. Zuletzt werden die Abplatzungen dann mit Spritzbeton verschlossen. Bewehrter Spritzbeton: Bei schadhaften Bereichen mit einer Ausdehnung von mehr als 4 m² wird eine Versiegelung mit bewehrtem Spritzbeton vorgesehen. Im Vorfeld der Spritzbetonarbeiten soll dazu die Auftragsfläche 12 cm abgetragen und nach [10] vorbehandelt werden. Die Bewehrung wird in der verbleibenden Mauerwerksschale rückverankert. Ertüchtigte Flächen dürfen nicht in das Lichtraumprofil der Bahn ragen. Bild 7: Mauerwerkssanierungen im Bereich der späteren Fledermaus- und Bahnkammer 3.3 Sanierungsmaßnahmen der Gewölbedrainage Das anfallende Bergwasser wird je nach Größe des feuchten oder durchnässten Bereichs mit einzelnen Laibungsdrainagen gefasst. Bei starkem Wasserandrang wird ein System von Sicker- und Sammelleitungen ausgebildet. Die Leitungen werden in zuvor ausgefräste Schlitze im Mauerwerk eingelegt und anschließend mit einem Spritzbetonauftrag fixiert bzw. verschlossen. Zur Rissvermeidung werden im Vorfeld der Spritzbetonversiegelung N94-Matten (Baustahlgewebe) verlegt. Bei niedrigerem Wasserandrang werden auf das Mauerwerk Drainagematten aufgelegt, mit Dübeln im Mauerwerk verankert und anschließend mit Spritzbeton versiegelt. Entlang der Laibungsdrainagen sind mit Gefälle zum Hohlraum zusätzliche Drainagebohrungen DN 30 angeordnet, um Bergwasser in das Leitungssystem einzuleiten und Druckwasseransammlungen in, sowie hinter der Mauerwerksschale zu reduzieren. Aufgrund der häufig angetroffenen Feuchtstellen und der insgesamt starken Durchnässung der Mauerwerksschale werden in sämtlichen Zonen des Tunnels Forst beidseitig jeweils zwei Widerlagerdrainagebohrungen des Typs TUBESPILE vorgetrieben. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 135 Planen unter speziellen artenschutztechnischen Randbedingungen Bild 8: Sanierungsmaßnahmen an der Tunneldrainage Aufgrund des inhomogenen Verwitterungsgrades des anstehenden Gebirges muss davon ausgegangen werden, dass Drainagebohrungen, die unmittelbar hinter dem Mauerwerk enden, keine ausreichende Entwässerung sicherstellen können. Sofern zwischen dem Gewölbemauerwerk und dem Gebirge eine Hinterfüllung eingebaut wurde, ist diese in mehreren Bereichen höchstwahrscheinlich versintert oder durch Feinanteile zugesetzt. Aufgrund dessen ist es notwendig, die Drainagebohrungen bis in das anstehende Gebirge zu führen, um die potentiell zur Verfügung stehende Drainagefläche der Bohrung zu maximieren. 3.4 Teilerneuerung Tunnel Forst Entlang der Blöcke 50 - 54 des Tunnels Forsts verläuft eine Störungszone. Das Mauerwerk wies in diesem Bereich starke Verformungen auf und musste mittels Rippenverfahren teilerneuert werden. Bild 9: Längs und Querschnitt im Bereich der Teilerneuerung Dabei wurde das Tunnelgewölbe radial in Feld und Rippenbereiche eingeteilt. Vor der Herstellung der Rippen wurden zur Sicherung der Gesamtstabilität Mikropfähle im Feldbereich eingebaut. Dann wurden mittels Sägeschnitten die Rippen im Pilgerschrittverfahren im Mauerwerk hergestellt und sofort mit Spritzbeton versiegelt. Anschließend wurden die Systemankerungen innerhalb der Rippe eingebaut, Stahlgitterträger zur Erhöhung der Tragfähigkeit eingestellt und mit einer Lage spritzbeton versiegelt. Daraufhin wurden die Felder ausgebrochen, mittels Baustahlmatten bewehrt und mit Spritzbeton versiegelt. Die Blockfugen wurden erhalten und mittels eingestellter Schalbretter von Beton freigehalten. 3.5 Sanierung der Portalwände Tunnel Hirsau An beiden denkmalgeschützten Portalen des Tunnels Hirsau mussten mehrere tiefe Ausbrüche( > 20 cm) mit Buntsandsteinmauerwerk neu hergestellt werden. Um das Erscheinungsbild des Tunnelportals zu erhalten, musste dazu gleichwertiger Buntsandstein zur Ausmauerung verwendet werden. Vom Portalkranz am Nordportal ausgehend wurden größere Querrisse im Gewölbebereich festgestellt. Daher wurden um den Portalkranz Mikropfähle vorgesehen, welche den Verbund zwischen Portalwand und Tunnelgewölbe wiederherstellen. Aus denkmalrechtlichen Gründen mussten diese versenkt hergestellt werden. Dazu wurde im Vorfeld ein Kern aus dem Mauerwerk gezogen, der im Nachgang als Verblendung genutzt wurde. Da die Risse für die Fledermäuse relevante Spalten waren, durften die Risse nicht durch den Ankerzement verschlossen werden und mussten mit Geotextilstrümpfen hergestellt werden. 4. Sonderlösungen für den Artenschutz Im Bereich der späteren Fledermauskammern wurden außerdem aufgrund des Artenschutzes folgende zusätzliche Maßnahmen geplant und durchgeführt: - Anbringung von 500 Fledermauskästen pro Tunnel - Schaffung von Durchflugöffnungen in den Nischen (Zugänglichkeit zu der Hinterpackung) - Installation von Fledermaustränken über die gesamte Tunnellänge - Zusätzliche, unverrohrte Bohrungen mit verschiedenen Durchmessern → Aufgrund der unebenen Wandung, die beim Bohren entsteht, können die Fledermäuse sich besser festhalten und in die Hinterpackung gelangen. - wenn möglich, Einsatz von Hohlsteinziegeln statt Spritzbetonplomben - Einsatz von Spritzbeton nur unter begleitenden Maßnahmen zum Schutz des umliegenden Mauerwerks, im Speziellen der Fugen, beispielsweise durch Ab- 136 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Planen unter speziellen artenschutztechnischen Randbedingungen decken mit Folien oder Vliesen und den Einsatz von Styrodurplatten in besonders kritischen Fugen - Ausleuchten der Arbeitsbereiche zwei Stunden vor Beginn der Tätigkeiten - abschnittsweises Arbeiten, soweit wie möglich - zusätzliche Bohrungen durch die Tunnelwand im Nahbereich von Mauerwerksversiegelungen zur Vermeidung des Einschließens der Tiere in der Hinterpackung 5. Fazit Das Planen und Ausführen von Bau- und Sanierungsmaßnahmen unter artenschutzrechtlichen Randbedingungen erfordert häufig innovative Lösungen. An den beiden aufgeführten Beispielen wurden Maßnahmen zur Errichtung und Erhaltung der Lebensräume von Fledermäusen erläutert. Die Fledermausersatzquartiere wurden so konzipiert, dass durch die Möglichkeit von eindringendem Wasser die Luftfeuchtigkeit in den Quartieren möglichst hoch ist. Das Ziegelmauerwerk trägt zusätzlich zum Mikroklima bei. Durch unterschiedliche Überdeckungen werden für die verschiedenen Fledermausarten wärmere und kältere Bereiche geschaffen. Da die Gewölbeelemente in zwei Größen sich jeweils überlappend aufgestellt wurden, werden zusätzliche Versteck- und Schlafmöglichkeiten für die Tiere geschaffen. Bei der Sanierung der beiden Tunnel stand einerseits die Ertüchtigung zur Wiederinbetriebnahme und andererseits die Erhaltung des Lebensraums der Fledermäuse im Vordergrund. Die Sanierung des Mauerwerks erfolgte daher meist kleinflächig, um so viele Fugen wie möglich für die Fledermäuse freizuhalten. Für Fugen, die aus statischer Erfordernis verschlossen werden mussten, wurden mittels unverrohrter Bohrungen neue Wegbarkeiten für die Fledermäuse durch das Mauerwerk geschaffen. Alle Maßnahmen wurden in Abstimmung mit den Fledermausexperten und Naturschutzverbänden auf ihren direkten und indirekten Einfluss auf die Tiere geprüft. Literatur [1] Geologische Karte von Baden-Württemberg, Blatt 7218, Calw, 1: 25.000 mit Erläuterungen; Geologisches Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart, Ber. Auflage 1982. [2] Pilotprojekt: Fledermausgerechter Umbau des alten EVS Luftschutzbunkers an der Station Teinach - Neubulach; Gruppe für ökologische Gutachten, Juni 2016, Stuttgart [3] Mail zu den Mikroklimatischen Bedingungen vom 14.05.2019, Gruppe für ökologische Gutachten [4] Erläuterungsbericht zur Entwurfsplanung, Hermann- Hesse-Bahn, Reaktivierung der Bahn-strecke Weil der Stadt - Calw, Tunnel Hirsau Hirsau, km 43,7+70 - km 44,3+24, Dr. Spang GmbH, 09.02.2016, Esslingen a.N. [5] Erläuterungsbericht zur Entwurfsplanung, Hermann- Hesse-Bahn, Reaktivierung der Bahn-strecke Weil der Stadt - Calw, Tunnel Forst, km 36,3+73 bis 37,0+68, Dr. Spang GmbH, 09.02.2016, Esslingen a.N. [6] Ingenieurgeologisches Tunnelgutachten, Hermann- Hesse-Bahn, Reaktivierung der Bahnstrecke Weil der Stadt - Calw, Erkundung Bestandstunnel Forst und Hirsau, km 36,3+72 - 37,0+68 und km 43,7+70 - km 44,3+24, Dr. Spang GmbH, 10.06.2020, Esslingen a.N. [7] Auszüge aus dem Bauwerksbuch Tunnel Hirsau; DB Netz AG, Stand 12.07.1984 [8] Auszüge aus dem Bauwerksbuch Tunnel Forst; bereitgestellt von der DB Netz AG, Stand 21.03.1990 [9] Bestandsvermessung - Tunnelscan, Mailänder Consult, erhalten am 18.01.2021 [10] DIN 18 551 Spritzbeton - Nationale Anwendungsregeln zur Reihe DIN EN 14487 und Regeln für die Bemessung von Spritzbeton, Normenausschuss Bauwesen (NABau) im DIN, August 2014 Bauerkundung 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 139 Empfehlungen und Empfehlungsarbeit des AK 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der DGGT Dr. Ralf Plinninger Dr. Plinninger Geotechnik, Bernried, Deutschland Dr.-Ing. Thomas Frühwirt TU Bergakademie Freiberg, Freiberg, Deutschland Thomas Mutschler vorm. Karlsruher Institut für Technologie, Pfinztal, Deutschland Zusammenfassung Der 1976 als „Arbeitskreis 19, Versuchstechnik Fels“ gegründete Arbeitskreis AK 3.3 der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V. erarbeitet Empfehlungen für felsmechanische Labor- und Feldversuche sowie Messungen im Gebirge und an geotechnischen Bauwerken. In diesen Empfehlungen werden Messprinzipien, die Anforderungen an Geräte sowie Vorgehensweisen für die Durchführung und Auswertung solcher Versuche und Messungen festgelegt. Damit soll erreicht werden, dass felsmechanische Versuchs- und Messergebnisse miteinander vergleichbar sind. In den ersten 45 Jahren seiner Tätigkeit hat der Arbeitskreis insgesamt 25 Empfehlungen publiziert, viele davon bereits in einer zweiten, aktualisierten Neufassung. Die bis 2020 in der Zeitschrift „Bautechnik“ veröffentlichten Empfehlungen werden seit 2021 in der Fachzeitschrift „geotechnik“ veröffentlicht. Ein Sammelband aller bisherigen Empfehlungen soll Anfang 2022 im Verlag Ernst & Sohn erscheinen. Die Empfehlungen des AK 3.3 umfassen dabei sowohl thematische Neubearbeitungen, als auch in den nationalen Kontext übertragene internationale Normen und Empfehlungen. Viele der bisher veröffentlichten Empfehlungen sind im weiteren Normierungsprozess in DIN-, EN und ISO- Normen überführt worden. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die ersten 25 Empfehlungen und die aktuelle Empfehlungsarbeit des AK 3.3 1. Aufgabenstellung des AK 3.3 Der Arbeitskreis 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e. V. (DGGT) hat innerhalb der Fachsektion „Felsmechanik“ die Aufgabe, Empfehlungen für die Durchführung von felsmechanischen Labor- und Feldversuchen sowie Messungen im Gebirge und an geotechnischen Bauwerken zu erarbeiten. In diesen Dokumenten werden Messprinzipien, die Anforderungen an Geräte sowie Vorgehensweisen für die Durchführung und Auswertung solcher Versuche und Messungen festgelegt. Damit soll erreicht werden, dass Versuchs- und Messergebnisse miteinander vergleichbar sind 2. Historie Der Arbeitskreis wurde im Jahr 1976 als Arbeitskreis 19 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Erd- und Grundbau e. V. (DGEG) gegründet. In der Folge der Umbenennung der DGEG in DGGT im Jahre 1994 wurden die Arbeitskreise neu gegliedert und zugeordnet. Seit 1995 ist der Arbeitskreis mit AK 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der DGGT benannt und gehört zur Fachsektion 3 „Felsmechanik“. Der Arbeitskreis wird gemäß der Geschäftsordnung für Arbeitskreise der DGGT von einem Obmann geleitet. Bis dato haben folgende Fachkollegen den Arbeitskreis geleitet: 1976 bis 1993 Prof. Dr. Arno Pahl 1993 bis 1998 Prof. Dipl.-Ing. Axel Paul 1998 bis 2020 Dipl.-Ing. Thomas Mutschler seit 2020 Dr. Ralf Plinninger Stellvertreter: Dr. Thomas Frühwirt Abb. 1: Für die Buchveröffentlichung erstellte Fotocollage, die das Tätigkeitsspektrum des AK 3.3 ver- 140 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Empfehlungen und Empfehlungsarbeit des AK 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der DGGT sinnbildlichen soll: Im Uhrzeigersinn: Probenahme im Gelände, Triaxialversuch in der Prüfanlage und Probekörper eines Spaltzugversuchs nach Versuchsdurchführung. 3. Aktuelle Zusammensetzung des AK 3.3 Derzeit gehören dem Arbeitskreis 17 Mitglieder und 3 Gäste an. Die Mitglieder des Arbeitskreises bilden ein Kompetenzteam, das hinsichtlich seiner fachlichen Expertise ebenso wie bezüglich seiner beruflichen Erfahrung das Anwendungsgebiet des felsmechanischen Versuchswesens sehr weit abdeckt (Abb. 2). Sie kommen aus den Ingenieur- und Naturwissenschaften und sind in Forschung und Lehre, in Fachbehörden sowie in Firmen, die mit der praktischen Umsetzung von geotechnischen Projekten sowie der Herstellung von Versuchs- und Messeinrichtungen befasst sind, tätig (Abb. 3). Abb. 2: Im AK 3.3 vetretene Berufsgruppen. Abb. 3: Tätigkeitsstätten der Mitglieder des AK 3.3. Der AK 3.3 trifft sich turnusmäßig zweimal jährlich zu Plenarsitzungen. Untergruppen („Taskgroups“) führen darüber hinaus für die Erarbeitung entsprechender Empfehlungsvorlagen Spezialsitzungen im kleineren Kreis aus. Der Arbeitskreis führt seine Kooperation mit den Normenausschüssen NABau 05.03.00 „Baugrund; Laborversuche“ und NABau 05.09.00 „Baugrund; Feldversuche“ sowie dem AK 1.11 „Verschleiß und Verklebung“ und AK 2.10 „Geomesstechnik“ fort und tauscht sich mit diesen aus. Eine Kooperation mit dem neugegründeten AK 3.8 „Geotechnik in der Endlagerung radioaktiver Abfälle“ ist eingeleitet. Die Kooperationen werden davon getragen, dass einzelne Mitglieder des AK 3.3 auch Mitglieder der kooperierenden Gremien sind. 4. Veröffentlichte Empfehlungen des AK 3.3 Die Ursprünge der Empfehlungen des Arbeitskreises 3.3 lagen insbesondere in der Anfangsphase meist in den Empfehlungen der Kommission für Versuchsmethoden der Internationalen Gesellschaft für Felsmechanik (Suggested Methods of the Commission on Testing Methods, International Society for Rock Mechanics - ISRM). Themen, für die ein praktischer Bedarf im Bereich der DGGT gesehen wurde, wurden herausgegriffen und Inhalte, die mit den nationalen Erfahrungen übereinstimmen, in die deutsche Sprache übersetzt. Abweichungen zu den Suggested Methods der ISRM rühren daher, dass dort entweder im nationalen Kontext nicht übliche Prozeduren beschrieben werden oder Vorgehensweisen, die im deutschsprachigen Raum den Stand der Technik repräsentieren, fehlen. Die Empfehlungen des Arbeitskreises 3.3 enthielten zudem in der Regel detailliertere Angaben als die ISRM Suggested Methods. In zunehmendem Maße werden Empfehlungen auf Basis der spezifischen Expertise im Arbeitskreis neu entwickelt. Diese Empfehlungen haben (noch) keine Entsprechung im internationalen Kontext. In den Empfehlungen des AK 3.3 werden felsmechanische Feld- und Laborversuche zu etwa gleichen Teilen abgedeckt. Hydrogeologische Versuche werden bis dato nur in zwei Empfehlungen, Empfehlung Nr. 9: „Wasserdruckversuche im Fels“ und Empfehlung Nr. 26 (in Bearbeitung): „Untersuchung der Permeabilität von geringdurchlässigen Gesteinen“ behandelt (Abb. 4). Abb. 4: Inhaltliche Ausrichtung der bereits veröffentlichten und in Bearbeitung befindlichen Empfehlungen des AK 3.3. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 141 Empfehlungen und Empfehlungsarbeit des AK 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der DGGT Nachstehend eine vollständige Auflistung der bisher veröffentlichten bzw. verabschiedeten Empfehlungen (im Fall von Neubearbeitungen ist die jeweils jüngste Fassung aufgeführt): E1: Mutschler, T. (2004): Neufassung der Empfehlung Nr. 1 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e. V.: Einaxiale Druckversuche an zylindrischen Gesteinsprüfkörpern, Bautechnik, 81, Heft 10: S. 825 - 834, Berlin: Ernst & Sohn. E2: Rißler, P. (1979): Empfehlung Nr. 2 des Arbeitskreis 19 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Erd- und Grundbau e.V.: Dreiaxiale Druckversuche an Gesteinsproben, Bautechnik, 56, Heft 7: S. 221-224, Berlin: Ernst & Sohn. E3: Wichter, L. (1979): Empfehlung Nr. 3 des Arbeitskreis 19 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Erd- und Grundbau e.V.: Dreiaxiale Druckversuche an geklüfteten Großbohrkernen im Labor, Bautechnik, 56, Heft 7: S. 225-228, Berlin: Ernst & Sohn. E4: Henke, K. F. & Kaiser, W. (1980): Empfehlung Nr. 4 des Arbeitskreis 19 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Erd- und Grundbau e.V.: Scherversuch in situ, Bautechnik, 57, Heft 10: S. 325 - 32, Berlin: Ernst & Sohn. E5: Thuro, K. (2010): Empfehlung Nr. 5 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V.: Punktlastversuche an Gesteinsproben, Bautechnik, 87, Heft 6: S. 322 - 330, Berlin: Ernst & Sohn. E6: Müller, G., Neuber, H. & Paul, A. (1980): Empfehlung Nr. 6 des Arbeitskreis 19 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Erd- und Grundbau e.V.: Doppel-Lastplattenversuch in Fels, Bautechnik, 62, Heft 3: S. 102 - 106, Berlin: Ernst & Sohn. E7: Leichnitz, W. & Müller, G. (1984): Empfehlung Nr. 7 des Arbeitskreises 19 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Erd- und Grundbau e. V.: Schlitzentlastungs- und Druckkissenbelastungsversuche, Bautechnik, 61, Heft 3: S. 89 - 93, Berlin: Ernst & Sohn. E8: Pahl, A. (1984): Empfehlung Nr. 8 des Arbeitskreises 19 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Erd- und Grundbau e. V.: Dilatometerversuche in Felsbohrungen, Bautechnik, 61, Heft 4: S. 109 - 111, Berlin: Ernst & Sohn. E9: Rißler, P. (1984): Empfehlung Nr. 9 des Arbeitskreises 19 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Erd- und Grundbau e. V.: Wasserdruckversuch im Fels, Bautechnik, 61, Heft 4: S. 112 - 117, Berlin: Ernst & Sohn. E10: Lepique, M. (2008): Neufassung der Empfehlung Nr. 10 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V.: Indirekter Zugversuch an Gesteinsproben - Spaltzugversuch, Bautechnik, 62, Heft 6: S. 197 - 199, Berlin: Ernst & Sohn. E11: Paul, A. (1986) Empfehlung Nr. 11 des Arbeitskreises 19 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Erd- und Grundbau e. V.: Quellversuche an Gesteinsproben.- Bautechnik, 63, Heft 3: S. 100-104, Berlin: Ernst & Sohn. E12: Wichter, L. (1987) Empfehlung Nr.12 des Arbeitskreises 19 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Erd- und Grundbau e. V.: Mehrstufentechnik bei dreiaxialen Druckversuchen und direkten Scherversuchen, Bautechnik, 64, Heft 11: S. 382-385, Berlin: Ernst & Sohn. E13: Leichnitz, W. (1988) Empfehlung Nr. 13 des Arbeitskreises 19 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Erd- und Grundbau e. V.: Laborscherversuch an Felstrennflächen, Bautechnik, 65, Heft 9: S. 301-305, Berlin: Ernst & Sohn. E14-1: Kiehl, J.R. & Heusermann, S. (2021/ in Druck): Neufassung der Empfehlung Nr. 14 des Arbeitskreises „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e. V.: Bestimmung von Gebirgsspannungen mit dem Überbohrverfahren - Teil 1: Triaxialmesssonden, angenommen zur Publikation in der geotechnik. E14-2: Heusermann, S. & Kiehl, J.R. (2021/ in Druck): Neufassung der Empfehlung Nr. 14 des Arbeitskreises „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e. V.: Bestimmung von Gebirgsspannungen mit dem Überbohrverfahren - Teil 2: Weggebersonden, angenommen zur Publikation in der geotechnik. E15: Paul, A. & Gartung, E. (1991): Empfehlung Nr. 15 des Arbeitskreis 19 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Erd- und Grundbau e.V.: Verschiebungsmessungen längs der Bohrlochachse - Extensometermessungen, Bautechnik, 68, Heft 2: S. 41-48, Berlin: Ernst & Sohn. E16: Hunsche, U. (1994) Empfehlung Nr. 16 des Arbeitskreises 19 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e. V.: Ein- und dreiaxiale Kriechversuche an Gesteinsproben, Bautechnik, 71, Heft 8, S. 500-505, Berlin: Ernst & Sohn E17: Haupt, M. & Mutschler, T. (1994) Empfehlung Nr. 17 des Arbeitskreises 19 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e. V.: Einaxiale Relaxationsversuche an Gesteinsproben, Bautechnik, 71, Heft 8: S. 506-509, Berlin: Ernst & Sohn. E18: Reik, G. & Völter, U. (1996): Empfehlung Nr. 18 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e. V.: Konvergenz- und Lagemessungen, Bautechnik, 73, Heft 10: S. 681- 690, Berlin: Ernst & Sohn. E19: Paul, A. & Walter, F. (2004): Empfehlung Nr.19 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V.: Messung der Spannungsänderung im Fels und an Felsbauwerken mit Druckkissen, Bautechnik, 81, Heft 8: S. 639-647, Berlin: Ernst & Sohn. E20: Herzel, P. (2002): Empfehlung Nr. 20 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e. V.: Zufallsbeständigkeit von Gestein - Siebtrommelversuch, Bautechnik, 79, Heft 2: S. 101-105, Berlin: Ernst & Sohn. 142 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Empfehlungen und Empfehlungsarbeit des AK 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der DGGT E21: Bock, H. & Paul, A. (2002): Empfehlung Nr. 21 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e. V.: Verschiebungsmessungen quer zur Bohrlochachse - Inklinometer- und Deflektometermessungen, Bautechnik, 79, Heft 4: S. 243-256, Berlin: Ernst & Sohn E22: Fröhlich, B. & Schlebusch, M. (2021): Empfehlung Nr. 22 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V: Schlitzentlastungs- und Kompensationsmethode zur Messung der Druckspannungen im Randbereich geotechnischer Bauwerke, geotechnik, 44, Heft 3: S. 198-208, Berlin: Ernst & Sohn. E23: Käsling, H. & Plinninger, R.J. (2016): Empfehlung Nr. 23 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V.: Bestimmung der Abrasivität von Gesteinen mit dem CERCHAR-Versuch, Bautechnik, 93, 6: S. 409-415, Berlin: Ernst & Sohn. E24: Käsling, H., Düllmann, J. & Plinninger, R.J. (2021/ in Druck): Empfehlung Nr. 24 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e. V.: Bestimmung der Abrasivität von Festgesteinen mit dem LCPC-Versuch, angenommen zur Publikation in der geotechnik. E25: Plinninger, R.J., Käsling, H. & Popp, M. (2021): Empfehlung Nr. 25 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e.V.: Bestimmung der Abrasivität von Gesteinen mit mineralogisch-petrographischen Verfahren.geotechnik, 44, 2: S. 123-135 (Ernst und Sohn). Von 1976 bis 2020 hat der Arbeitskreis 3.3 seine Empfehlungen in der Zeitschrift „Bautechnik“ veröffentlicht. Als Reaktion auf die Veränderung der Medienlandschaft, die fachliche Ausrichtung der Fachzeitschriften und den Status der „geotechnik“ als Organ der DGGT haben die Mitglieder des AK 3.3. im Rahmen einer außerordentlichen Sitzung im Januar 2021 beschlossen, die Empfehlungen des AK 3.3. nicht mehr in der Zeitschrift „Bautechnik“, sondern in der Zeitschrift „geotechnik“ zu veröffentlichen. Dies wurde erstmals mit Erscheinen der Empfehlung Nr. 25 in der Ausgabe 2/ 2021 umgesetzt. 4. Veröffentlichung eines Sammelbands In Zusammenarbeit mit dem Verlag Ernst & Sohn ist derzeit die Herausgabe aller bis dato veröffentlichten Empfehlungen Nr. 1 - Nr. 25 als Sammlung in Buchform in Bearbeitung. Das Erscheinen des Buchs ist für April 2022 vorgesehen. Für den versierten Anwender stellt dieses Kompendium damit erstmals ein kompaktes Nachschlagewerk zur Verfügung. Darüber hinaus verbinden die Herausgeber mit der vorliegenden Buchveröffentlichung aber auch die Hoffnung, die Empfehlungsarbeit des Arbeitskreises „Versuchstechnik Fels“ einem noch breiteren Fachpublikum zugänglich zu machen und damit einen Beitrag zur interdisziplinären Zusammenarbeit in der Geotechnik und zur Lösung geotechnischer Aufgabenstellungen zu leisten. 5. Aktuelle Empfehlungsarbeit Derzeit bearbeitet der AK 3.3 folgende Empfehlungen: • Überarbeitung der Empfehlung Nr. 2 „Dreiaxiale Druckversuche an Gesteinsproben“ (Neufassung der Empfehlung von 1979) • Überarbeitung der Empfehlung Nr. 11 „Quellversuche an Gesteinsproben“ (Neufassung der Empfehlung von 1986) • Neubearbeitung Empfehlung Nr. 26, Arbeitstitel „Untersuchung der Permeabilität von geringdurchlässigen Gesteinen“ • Neubearbeitung Empfehlung Nr. 27, Arbeitstitel „Klassifizierung der Zerfallsneigung von Gesteinen im kombinierten Trocknungs-Wiederbefeuchtungsverfahren mit Kristallisationsversuch“ in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis 5.1.5 der FGSV 6. Ausblick Die Weiterentwicklung von Bauverfahren, Erkundungsanforderungen, Bauverträgen und Messtechnik in einem breit gefächerten Anwendungsspektrum, das von Bergbau über Tiefbau, Tunnelbau und Spezialtiefbau bis hin zur Lagerstättenerkundung, zur Geothermie und zur Erkundung von Speicher- und Endlagermöglichkeiten für Rohstoffe und Abfälle reicht, stellt hohe und ständig wachsende Anforderungen an Labor- und Feldversuche im Fels. Der AK 3.3 wird sich dieser Entwicklungen auch in Zukunft annehmen. Im Rahmen der turnusmäßigen Plenarsitzungen werden Anforderungen aus der Wirtschaft reflektiert und Versuchsverfahren im Fels, die sich bereits etabliert haben, hinsichtlich einer Bearbeitung als Empfehlung geprüft. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 143 Schlitzwandtechnik mal anders genutzt - Herstellung von Schlitzen bis in 251 m Tiefe im Rahmen eines Erkundungs- und Proben-Sammlungsprogramms Dipl. Ing. Franz-Werner Gerressen BAUER Maschinen GmbH, Schrobenhausen, Deutschland Dipl. Ing. Stefan Schwank BAUER Maschinen GmbH, Schrobenhausen, Deutschland M. Sc. Alexander Blatt BAUER Maschinen GmbH, Schrobenhausen, Deutschland Zusammenfassung Üblicherweise werden mittels der Schlitzwandtechnik unterirdische Strukturen geschaffen die z.B. als Verbauwände, oder Gründungselemente genutzt werden. eine weitere bekannte Anwendung ist die Nutzung von Dichtwänden als Grundwasserbarriere. Im beschriebenen Explorationsprojekt wurde die Schlitzwandtechnik im Sommer 2019 genutzt, um die erste Phase einer Erkundungsprojektes durchzuführen, welches der Entwicklung einer potentiellen Mine im Star Kimberlit zugrunde gelegt wird. Neben der neuartigen Idee, die Gerätschaften für eine Probeentnahme zu nutzen, waren Anpassungen am Gerät und Werkzeug notwendig um eine bisher im kommerziellen Sinne weltweit unerreichte Tiefe zu ermöglichen. Der Artikel beschreibt die Entwicklung dieses Erkundungsprogramms, sowie die Herausforderungen und speziellen Anforderungen der lokalen Geologie und des Explorationsprogramms. Weiterhin gibt es einen Überblick über die 2019 neu gewonnenen Erkenntnisse und einen Ausblick über Ansätze zur Optimierung im Hinblick auf eine zweite, noch anstehende Phase der Erkundung. 1. Einführung Die Entwicklung einer potentiellen Mine ist mit vielen Herausforderungen während der technischen und kommerziellen Planungsphase verbunden. Deswegen ist ein detailliertes und zuverlässiges Erkundungsprogramm unvermeidlich. Im Jahr 2019 wurde eine solches Erkundungs- und Beprobungsprogramm in Sasketchewan, Kanada durchgeführt. Die hohen Anforderungen an Tiefenkapazität, Sicherheitsstandards sowie die Gewährleistung der Vollständigkeit und Qualität der Proben erforderten eine neue Technologie, um diese zu erfüllen. Nachdem 2017 ein Eignungstest durchgeführt wurde, startete im Juni 2019 das Programm mit der Kommissionierung vor Ort und dauerte bis Oktober 2019. Ziel der Arbeiten war das Sammeln von Kimberlit Proben hoher Qualität, in welchen Diamanten eingebettet waren. Die sogenannte Kimberlit Zone begann bei einer Tiefe von ca. 105 m. Überlagert wurde diese Zone von dem sogenannten Overburden, welcher aus lockeren Sanden bis zu anhaftenden und harten Tonschichten mit eingelagerten Steinen und Felsbrocken bestand (vgl. Abbildung 1). Das Kimberlit Mineral mit potentiellen Diamantengehalt wurde gesammelt und für weitere Prozesse eingelagert. eingelagerten Steinen und Felsbrocken bestand (vgl. Abbildung 1). Das Kimberlit Mineral mit potentiellen Diamantengehalt wurde gesammelt und für weitere Prozesse eingelagert. 144 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Schlitzwandtechnik mal anders genutzt - Herstellung von Schlitzen bis in 251 m Tiefe im Rahmen eines Erkundungs- und Proben-Sammlungsprogramms Abbildung 1: Geologie 2. Arbeitsablauf Da die Anwendung von der konventionellen Nutzung der Gerätschaften abweicht wurde auch die Arbeitsabfolge angepasst (vgl. Abbildung 2). 1. Baustellenvorbereitung + Herstellung der tiefen Leitwände (CSM Boxen) 2. Voraushub des Schlitzes 3. Aushub des Overburden - im Set-up Overburden 4. Aushub Kimberlit - im Set-up Kimberlit + Sammeln der Proben 5. Schlitzvermessung + Wiederverfüllung Der Wechsel hin zum Kimberlit Set-up beschreibt die Ergänzung des Systems mit einer Kimberlit Trennungseinheit. Diese Einheit wurde dem Suspensionskreislauf zugeschaltet, nachdem der Kimberlit Horizont erreicht wurde (vgl. Abbildung 3). 1. Herstellung tiefe Leitwand 2. Voraushub 3. Aushub Overburden 4. Aushub Kimberlit und Probensammlung 5. Rückverfüllung Abbildung 2: Arbeitsablauf 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 145 Schlitzwandtechnik mal anders genutzt - Herstellung von Schlitzen bis in 251 m Tiefe im Rahmen eines Erkundungs- und Proben-Sammlungsprogramms Abbildung 3: Suspensionskreislauf 3. Gerätekonfiguration Aufgrund der speziellen Anforderungen der Arbeit mussten einige Gerätekomponenten angepasst und neu konstruiert werden. BAUER Maschinen GmbH hat den Großteil der Geräte auf der Baustelle bereitgestellt. Das umfasste das komplette Fräsensystem, bestehend aus einem MC 128 Seilbagger und einer Schlitzwandfräse BC 50 mit einer Abmessung von 3,2 x 1,5 m². Um die Maximaltiefe erreichen zu können war es notwendig ein Schlauchaufrollungssystem HDS 250 zu entwerfen (vgl. Abbildung 4). Vervollständigt wurde das Fräsensystem durch einer Entsandungsanlage BE 550 und einer Zentrifuge BD 90, inklusive Flockmittelstation von MAT. Zusätzlich waren 2 KBKT Pumpen, mehrere kleinere Transferpumpen und ein SKC-60-K Suspensionsmischer im Einsatz, um einen ausreichenden Suspensionskreislauf bereitzustellen. Für die Fräsarbeiten im Kimberlit Gestein wurde dieser Kreislauf um eine lokal bezogene Kimberlit Separationsanlage (KSU) ergänzt. In dieser Einheit wurde das Gestein mit den eingelagerten Diamanten, mit einer Korngröße bis zu 80 mm von der Stützsuspension getrennt [durch Siebung und Auswaschung der Feinteile kleiner 1 mm]. Nach der Separation wurde das Kimberlit Material in einer Big Bag Station gesammelt. Abbildung 4: Schlitzwandfräse 4. Eignungstest 2017 Zwei Jahre vor dem Programm in Kanada wurde ein Frästest durchgeführt, um die Eignung des Systems für die geplante Anwendung der Kimberlitbeprobung sicherzustellen (vgl. Abbildung 5). 146 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Schlitzwandtechnik mal anders genutzt - Herstellung von Schlitzen bis in 251 m Tiefe im Rahmen eines Erkundungs- und Proben-Sammlungsprogramms Abbildung 5: Eignungstest 2017 Umfang des Tests war das Durchfräsen von vier Betonblöcken unterschiedlicher Festigkeiten (vgl. Abbildung 6). In den vorgefertigten Blöcken wurden 2 Lagen [durch rote Linien in Abb. 6 dargestellt] von Diamantattrappen (Tracer) eingefüllt. Abbildung 6: Technisches Konzept Eignungstest 2017 Das bei den Fräsarbeiten geförderte Materialwurde ebenfalls in Big Bags gesammelt und zu einem späteren Zeitpunkt weiterverarbeitet und analysiert. Alle Blöcke wurden in einen, eigens für den Test erstellten Spundwandkasten abgelassen. Dabei sind jeweils zwei Blöcke aufeinandergestapelt worden. Die Höhe jedes einzelnen Blocks war dabei 1,9 m. Auf den Blöcken wurden Leitwandelemente plaziert, da die Pumpe in der Fräse eine Tiefe von 3 m benötigt damit sie arbeitsfähig ist. Das Testprogram umfasste die Bestimmung und Beurteilung der Korngrößen des gefrästen Materials. Durch einen ständigen Optimierungsprozess konnte das Projektteam Kriterien zur Beurteilung der Proben entwickeln und verfeinern- Somit konnte eine Unterscheidung in gute und schlechte Proben vorgenommen werden. Diese Optimierungen zur Herstellung großer Korngrößen wurden später im Programm implementiert, um die Erfolgskriterien zu erreichen. 5. Herausforderungen während der 2019 Saison 5.1 Vorbereitungen einen sicheren und erfolgreichen Ablauf zu garantieren. Im Wald von Saskatchewan wurde dafür extra ein Lager für bis zu 150 Personen errichtet. Dieses Camp bestand aus 5 Schlaf- & Wohnheimen, einer Kantine, einem Fitnessstudio und einem Erholungsraum. Der Transport zwischen Baustelle und Wohnlager wurde mittels eines alten Schulbusses und Pickup Trucks durchgeführt. Zusätzlich mussten neue Zufahrtsstraßen sowie Erdbecken für die Lagerung der Stützsuspension errichtet werden. Insgesamt wurden ungefähr 2.400 m³ an Stützsuspension erstellt und bevorratet. Mehrere Pumpen und ein Luftsystem stellten dabei die Bewegung innerhalb der Becken sicher, um Absetzungen zu minimieren. Die statischen Anforderungen des Schlitzes konnten durch eine Stützflüssigkeit aus Bentonit und mehreren Additiven, insbesondere zur Regulierung des Filtratwasserverlustes, erfüllt werden. Dabei war die Frischsuspensionsdichte 1,03 g/ cm³. Während des Fräsprozesses waren Anstrengungen nötig, um die Parameter der Suspension zu erhalten, da die Interaktion zwischen Fräse und Boden diese beeinflusst. Ein zusätzlicher Tank nach der Entsandungsanlage wurde im System implementiert, in dem Additive konstant beigemischt wurden, um die Qualität der Stützflüssigkeit zu erhalten. Zur Entsorgung des Erdmaterials und Suspension wurden mehrere Erdbecken genutzt. Als vorbereitende Maßnahme wurden tiefe Leitwände mittels CSM (Cutter Soil Mixing) Boxen um den jeweiligen Schlitz installiert. Ziel war es lockere Sande im oberen Bereich zu stabilisieren. Eine CSM Box bestand aus 7 Einzellamellen mit einer Breite von 800 mm und einer Tiefe von ungefähr 18-20 m. Die finale Tiefe basierte auf einem Abbruchkriterium. Die geforderte Festigkeit der Elemente betrug mindestens 2 MPa nach 28 Tagen. Die tiefen Leitwände dienten neben der Sicherstellung der Schlitzstabilität auch der Führung der Schlitzwandfräse im oberen Bereich. Um eine durchgehende Produktion zu gewährleisten, wurden mehrere 40 Fuß Container mit Ersatzteilen auf der Baustelle vorgehalten. Zusätzlich wurden neue Teile per Luft- und Seefracht bereitgestellt. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 147 Schlitzwandtechnik mal anders genutzt - Herstellung von Schlitzen bis in 251 m Tiefe im Rahmen eines Erkundungs- und Proben-Sammlungsprogramms 5.2 Overburden In großen Teilen war der Overburden durch bindiges Material charakterisiert. Im oberen Bereich waren auch lockere Sande anzutreffen. Die Kombination dieser Böden und der Präsenz von Geschiebematerial erzeugte einige Herausforderungen für das Fräsenprogramm. Das Antreffen von Hindernissen, vor allem im Geschiebemergel resultierte in erhöhten Verschleiß an den Fräsrädern und benötigte zusätzlichen Aufwand, um die Steine und Blöcke zu entfernen (vgl. Abbildung 7). Abbildung 7: Findlinge im Overburde Erhöhter Zeitaufwand zur Reinigung der Fräsräder verursachte auch das Verkleben mit bindigem Material (vgl. Abbildung 8). Abbildung 8: Ton verklebt die Fräsräder Das Reinigen wurde von Hand und mit Hilfe eines speziell dafür entworfenen Anbauwerkzeug für einen kleinen Lader durchgeführt. Der Einsatz einer großen Bürste brachte leider nicht den gewünschten Erfolg. Die bindigen Bodenschichten des Overburden führten zu einem Viskositäts- und Dichteanstieg der Stützflüssigkeit. Somit war eine Zugabe von Additiven notwendig, um die Parameter beizubehalten und die Schlitzstabilität zu gewährleisten. 5.3 Kimberlite Das diamanthaltige Kimberlitgestein begann ab ca. 105 m. Während der Fräsarbeiten wurde das Kimberlitmaterial in Big Bags gesammelt und für die Weiterverarbeitung gelagert. Um eine hohe Qualität der Kimberlitanalyse zu gewährleisten wurde dieser Bereich in verschiedene Zonen unterteilt. Diese Zonen wurden anhand ihren Felseigenschaften und geologischer Beschreibung festgelegt. Die Mächtigkeit der Schichten war dabei stark variabel und die Festigkeit des Gesteins war im Durchschnitt bei 20 - 30 MPa. Die Probenintervalle bestimmten den Arbeitsablauf, da nach jedem Intervall eine Komplettreinigung des Systems stattgefunden hat. Dies umfasste eine Zirkulation der Suspension im Kreislauf sowie die Reinigung der Siebe der KSU (Kimberlite Separation Unit) um sicherzustellen, dass das gefräste Material dem zugehörigen Intervall zugeordnet wurde. Das Material >0,85 mm wurde hierbei auf mehreren Sieben abgetrennt, gewaschen und anschließend verpackt (vgl. Abbildung 9). Abbildung 9: KSU und Big Bag Station Die wichtigsten Ziele waren dabei, dass erstens kein Material verlorengeht und zweitens qualitativ hochwertige Proben bereitgestellt wurden. Um Suspensionsüberläufe zu vermeiden mussten mehrere manuelle und ferngesteuerte Pumpen Hand in Hand arbeiten, was eine sehr gute Funkkommunikation voraussetzte. Das Verpacken des Materials wurde durch zwei voneinander unabhängige Stationen realisiert (vgl. Abbildung 10). Die Stationen waren im Anschluss an zwei Klassier Siebe, auf denen das Material gewaschen wurde, angeordnet. Von dort wurde das Material durch einen Trichter in die Big Bags eingefüllt. Sobald ein Sack gefüllt war wurde eine Klappe geschlossen und der Trichter speicherte das ankommende Material zwischen. Gleichzeitig führte ein Schlitten einen neuen, leeren Sack der Füllposition zu. Das Handling der Säcke wurde durch 4 Teleskoplader bewerkstelligt, welche diese anschließend in einen überwachten Lagerplatz transportierten. 148 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Schlitzwandtechnik mal anders genutzt - Herstellung von Schlitzen bis in 251 m Tiefe im Rahmen eines Erkundungs- und Proben-Sammlungsprogramms Abbildung 10: Abfüllprozess Ziel war es große Korngrößen zu erzeugen, um den Diamantenbruch gering zu halten. Erste Erfahrungen zum Verhalten des Diamantenbruchs konnten, während eines Eignungstest für das System gesammelt werden. Basierend auf diesen Erfahrungen wurde ein Beurteilungskriterium für die Proben des 2019 Programms ermittelt. Dieses Kriterium definiert einen festgelegten Prozentsatz des Materials mit einer Korngröße größer als 8 mm. Im Zuge eines kontinuierlichen Optimierungsprozesses, wurde versucht die idealen Fräsparameter für Auflast, Drehgeschwindigkeit der Fräsräder und Vorschubgeschwindigkeit zu ermitteln. Zusätzlich wurden verschiedene Fräszähne getestet, um die Ergebnisse der Korngrößen zu optimieren. 5.4 Schlitztiefen Wie in Tabelle 1 dargestellt, variierten die Tiefen der 10 Schlitzstandorte zwischen 225,1 m und 251,1 m. Die Maximaltiefe von 251,1 m wurde am 25 September 2019 erreicht. Dies war das erste Mal, dass eine Schlitzwandfräse eine solch große Tiefe zu kommerziellen Zwecke erreichte (vgl. Abbildungen 11, 12). Tabelle 1: Übersicht Schlitztiefen Position Tiefe [m] FALC001 228,45 FALC003 249,30 FALC004 233,80 FALC005 230,30 FALC006 241,48 FALC007 225,10 FALC009 227,90 FALC008 230,60 FALC002 251,10 FALC010 233,00] Abbildung 11: Fräse nach Erreichen der max. Tiefe von 251,1 m Abbildung 12: Fräse nach Erreichen der max. Tiefe von 251,1 m Insgesamt wurden für das Projekts 2 km Frässtrecke an 10 verschiedenen Standorten gefräst. Die Fräsarbeiten dauerten dabei 126 Tage. Während der gesamten Projektdauer arbeiteten die Mannschaften in Doppelschichten an 7 Tagen in der Woche. Es konnte gezeigt werden, dass die Schlitzwandfräse wiederholt erfolgreich eine Tiefe größer 220 m erreicht hat. Mit der neuen Rekordtiefe wurde bewiesen, dass die Technologie effizient auch hohe Anforderungen in einer Umgebung mit hohem Druck erfüllen kann. 5.5 Backfilling Bevor die Wiederverfüllung begonnen wurde, musste jeder Schlitz vermessen werden, um dessen Volumen über die Tiefe zu ermitteln. Für diese Vermessung wurde das Sonicaliber System (vgl. Abbildung 13,14) eingesetzt. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 149 Schlitzwandtechnik mal anders genutzt - Herstellung von Schlitzen bis in 251 m Tiefe im Rahmen eines Erkundungs- und Proben-Sammlungsprogramms Abbildung 13: Schlitzvermessung Abbildung 14: Absenkung Sonicaliber tool im Schlitz Die Wiederverfüllung unterlag ebenfalls einem Optimierungsprozess. Das kanadische Umweltministerium legte als Verfüllmaterial bereits verarbeiteten Kimberlit fest. Um die verschiedenen Grundwasserhorizonte getrennt zu halten, mussten in gewissen Tiefen Bentonit Stopfen eingebaut werden (vgl. Abbildung 16). Während der Verfüllung des ersten Schlitzes stellte sich das Kimberlitmaterial als unzweckmäßig heraus, da die darin enthaltenen Feinteile zu einem starken Viskositätsanstieg der Stützflüssigkeit führten. Somit konnte sich das Material nicht absetzen und das führte zu enormen Verfüllzeiten. Nach einer Genehmigungsänderung wurde Material mit wenig Feinanteilen verwendet (vgl. Abbildung 15). Abbildung 15: Rückverfüllung Abbildung 16: Einbau Bentonit Sperre 6. Ergebnisse Während des 2019 Programms wurden insgesamt 6.848 Big-Bags mit qualitativ hochwertigen Kimberlit Proben gesammelt. Das entspricht einer Menge von ca. 8.271 Tonnen. Das Material wurde in einem überwachten Areal für die Weiterverarbeitung gelagert. Dafür wurde eine Schüttgutprobenentnahmeanlage entworfen. Innerhalb dieser Anlage wird das Material mehrere Brecher, Siebe und Rütteltische passieren und die Diamanten vom Kimberlit mittels Lasertechnologie abgetrennt. Im Laufe der Zeit konnte eine konstante Verbesserung der Qualität der Proben beobachtet werden. Am Ende erfüllten über 95% der Proben das Kriterium der hohen Qualität. Aufgeteilt nach Material wurden ungefähr 5.067 m³ Overburden und ca. 5.856 m³ Kimberlit ausgehoben. Abbildung 17: Big Bag Lager 150 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Schlitzwandtechnik mal anders genutzt - Herstellung von Schlitzen bis in 251 m Tiefe im Rahmen eines Erkundungs- und Proben-Sammlungsprogramms Abbildung 18: Aufbau Aufbereitungsanlage Erste Ergebnisse der BSP (Bulk Sampling Plant) wurden im zweiten Quartal 2020 erwartet. 7. Ausblick Der Erfolg des Programms 2019 führte zu einer Verlängerung des Erkundungsprogramms. Dafür wurden 14 weitere Standorte ausgewählt und zugewiesen. Ende 2019 wurde die komplette Baustelle ca. 2 km umgezogen. Die Entsandungsanlage sowie die KSU wurden ebenfalls zum neuen Standort gebracht und wiederaufgebaut. An diesem Standort müssen für das erneut neue Tanks zur Suspensionsbevorratung und Entsorgung hergestellt werden. Die neuen geotechnischen Untersuchungen vermuten am neuen Standort eine größere Anzahl an Hindernissen im Boden. Diese Tatsache, in Kombination mit einer sowohl höheren Durchschnittstiefe der Schlitze und längeren Distanzen zwischen den einzelnen Lokationen wird auch die zweite Phase des Programms zu einer Herausforderung machen. Eine wirtschaftliche Bewertung aus dem Jahr 2018 schätzt das Diamantenvorkommen von Star und Orion South Kimberlite auf 66 Millionen Karat. Die geplante Lebensdauer einer in Betrieb befindlichen Mine wird mit rund 34 Jahren veranschlagt, was zu einer Stabilisierung und Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Saskatchewan führen würde. Der Nachweis der Funktionalität neuen Technologie hat das Potential, künftige Erkundungsprogramme und Bergbauanwendungen zu revolutionieren. Referenzen https: / / www.stardiamondcorp.com/ Daniel Leroux, M.Sc., P.Geo. W.D. Roy, M.Sc.A., P.Eng. Lehman van Niekerk, P.Eng. Geoff Wilkie, P.Eng. Leon McGarry, P.Geo. 2018: PRELIMINARY ECONOMIC ASSESSMENT OF THE STAR - ORIONSOUTH DIA- MOND PROJECT, FORT A LA CORNE, SASKAT- CHEWAN Daniel C. Leroux, M.Sc. P.Geo.Mr. Leon McGarry, B.Sc. P.Geo.Mr Peter J. Ravenscroft, FAusIMM 2015: TECH- NICAL REPORT ANDREVISED RESOURCE ES- TIMATE for the STAR -ORION SOUTH DIAMOND PROJECT,FORT A LA CORNE AREA,SASKATCHE- WAN, CANADA Ngaire McDiarmid 2019: “[This] has the ability to revolutionise future bulk sampling and mining” on https: / / www.mining-journal.com/ precious-stones/ news/ 1373159/ -this-has-the-ability-to-revolutionise-future-bulk-sampling-and-mining (18 th March 2020) 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 151 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung als innovative Alternative zu konventionellen Verfahren Tobias Griessmair Technische Universität Graz, Graz, Österreich Gerald Fuxjäger ADP-Rinner, Graz, Österreich Otto Leibniz Technische Universität Graz, Graz, Österreich Roman Marte Technische Universität Graz, Graz, Österreich Zusammenfassung In dieser Arbeit wird „Smart Density Determination“ (SDD) als neues in situ Verfahren vorgestellt. Die Bodendichte wird durch Wiegen einer Bodenprobe und Ermittlung des Volumens mittels Photogrammetrie bestimmt, während der Wassergehalt ebenfalls in situ mit Zeitbereichsreflektometrie (TDR) gemessen wird. Die Eignung der beiden innovativen Messmethoden wird anhand von Laborversuchen überprüft. Die Genauigkeit der Photogrammetrie wird an einer künstlich gefertigten Prüfgrube mit unveränderlichem Volumen mit anderen konventionellen Volumenersatz-Verfahren verglichen. Die Bestimmung des Wassergehalts mittels Zeitbereichsreflektometrie wird mit verschiedenen Bodenproben dem Ofentrocknen gegenübergestellt. Die Untersuchungen zeigen bei den Ergebnissen der Photogrammetrie eine hohe Genauigkeit. Die Messunsicherheiten beim Wassergehalt liegen jedoch außerhalb der Toleranz nach ONR 24407. 1. Einführung Die Dichte des Bodens ist eine bedeutende Kenngröße in der Geotechnik. Die mechanischen Eigenschaften rolliger Böden hängen wesentlich von deren Lagerungsdichte ab, zu deren Bestimmung sowie zur Ermittlung des Verdichtungsgrades, des Porenanteils und des Sättigungsgrades, wird die Dichte benötigt. Eine weitere wichtige Kenngröße ist der Wassergehalt. Neben der allgemeinen Beschreibung der Bodeneigenschaften, wie dem Sättigungsgrad, hat er einen erheblichen Einfluss auf die Verdichtbarkeit von Böden. Außerdem hängt die Steifigkeit bindiger Böden stark vom Wassergehalt ab. Bei den meisten Erdbauarbeiten ist eine laufende Überwachung der Verdichtungsleistung zur Qualitätssicherung erforderlich, etwa bei der Errichtung eines Dammbauwerks oder der Tragschicht einer Straße. Zu diesem Zweck werden unterschiedliche Verfahren zum Messen der in situ Dichte eingesetzt. Bei gängigen Verfahren zur Bestimmung der Dichte von Böden, wo die Entnahme einer ungestörten Probe nicht möglich ist, wird eine Bodenprobe vor Ort entnommen und das Volumen der ausgehobenen Prüfgrube gemessen. Dabei werden unter anderem Volumenersatzmethoden angewandt, welche mit relativ hohem Aufwand verbunden sind, da die Messgeräte und das Material für den Volumenersatz mitgeführt werden müssen. Zur Ermittlung des Wassergehalts wird die entnommene Probe für gewöhnlich in Labors ofengetrocknet, das führt zu entsprechenden Transportwegen und Wartezeiten bis zum Vorliegen der Ergebnisse. Im Bemühen diesen Aufwand zu reduzieren sollen im Rahmen des Smart Density Determination-Projektes, kurz SDD, entwickelt von ADP Rinner, Photogrammetrie als neue Methode zur Bestimmung des Volumens 152 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung der Prüfgrube und TDR zur digitalen Wassergehaltermittlung in situ erprobt werden. Als integriertes Messverfahren kann mit SDD durch die Kombination dieser beiden Messmethoden ein essenzieller Bestandteil der Qualitätssicherung im Erdbau beschleunigt und vereinfacht werden. In dieser Arbeit wird die Genauigkeit der Photogrammetrie anhand einer künstlich erstellten Prüfgrube mit unveränderlichem Volumen erprobt und mit den etablierten Messmethoden verglichen. Die Ermittlung des Wassergehaltes mittels TDR wird anhand verschiedener Bodenproben im Labor untersucht, als Referenzwert werden die Proben ofengetrocknet. 2. Feldverfahren zur Bestimmung der Dichte des Bodens Zur Bestimmung der Dichte des Bodens in situ kommen je nach Bodenart verschiedene Verfahren zum Einsatz. Welches Verfahren dabei geeignet ist, hängt hauptsächlich von der Korngrößenverteilung ab. Allen hier beschriebenen Methoden ist gemein, dass die Dichte durch Entnehmen von Bodenproben bestimmt wird. Das Volumen der Probe ist dabei das Volumen der Prüfgrube, aus welcher der Boden entnommen wurde, dieses wird im Feld gemessen. Die Masse wird gewogen und der Wassergehalt durch Ofentrocknen einer Stichprobe bestimmt. Die Feucht- und Trockendichte ergibt sich dann als die feuchte bzw. trockene Masse dividiert durch das im Feld ermittelte Volumen. SDD ist insbesondere als Alternative zu den gängigen Volumenersatz-Verfahren und dem Bodendensiometer nach Haas geeignet. 2.1 Wasserersatz-Verfahren Beim Wasserersatz-Verfahren wird das zu bestimmende Volumen der Prüfgrube mit Wasser gefüllt. Zur Versuchsdurchführung wird ein horizontales Planum erstellt, darauf wird ein Stahlring aufgesetzt, welcher mit einer Kunststofffolie abgedeckt wird, sodass das eingefüllte Wasser nicht versickern kann. Mit einem bekannten Flüssigkeitsvolumen wird zunächst eine Nullmessung des ungestörten Bodens durchgeführt und der Wasserstand im Zylinder gemessen, anschließend wird die Folie samt Wasser entfernt und eine flache Prüfgrube ausgehoben. Die Prüfgrube wird wieder mit Folie abgedeckt und das gleiche Volumen eingefüllt, aus der Differenz im Pegelstand ergibt sich somit das Volumen der Grube. Die Methode wird vor allem bei grobporigen und wenig standfesten Böden eingesetzt. 2.2 Sandersatz-Verfahren Beim Sandersatzverfahren wird das Volumen der Prüfgrube durch Sand mit bekannter Schüttdichte ersetzt. Der Sand wird durch einen Doppeltrichter in die Prüfgrube gefüllt. Die in der Grube verbrauchte Menge wird durch Wiegen bestimmt, mit der bekannten Dichte kann so das Volumen der Grube errechnet werden. Die Verwendung des Trichters sorgt für eine annähernd konstante Fallhöhe und damit für eine gleichbleibende Verdichtungswirkung. Voraussetzung für den Versuch ist trockener Prüfsand mit einem Wassergehalt unter 2 ‰, bei höherem Wassergehalt schwankt die Dichte zu stark. Das Verfahren eignet sich für grobkörnige Böden, bei denen das Eintreiben eines Ausstechzylinders das Bodengefüge stören würde. Die Porengröße muss allerdings ausreichend klein sein, sodass kein Sand in die Hohlräume eindringen kann. Abb. 1: Aus ÖNORM 4414 - 2, Versuchsanordnung beim Flüssigkeitsersatz-Verfahren 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 153 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Abb. 2: Aus ÖNORM 4414 - 2, Versuchsanordnung beim Sandersatz-Verfahren 2.3 Stahlkugelersatz-Verfahren Beim Stahlkugelersatz-Verfahren werden kleine Stahlkugeln zur Ermittlung des Volumens verwendet. Die Stahlkugeln weisen eine sehr konstante Schüttdichte auf und eignen sich daher als Medium für die Messung. Zur Durchführung des Versuchs muss ein ebenes Planum erstellt werden und eine Prüfgrube mit standfesten Wänden ausgehoben werden. Falls die Poren des Bodens größer als die Stahlkugeln sind, empfiehlt es sich, eine Kunststofffolie wie beim Wasserersatz-Verfahren zu verwenden, um das Eindringen der Kugeln in die Hohlräume zu verhindern. Die Stahlkugeln werden in einen Messzylinder mit einer Ablesegenauigkeit von 5 cm³ gegeben und das enthaltene Volumen im Zylinder abgelesen, anschließend werden die Kugeln in die Prüfgrube gefüllt und das verbleibende Volumen im Messzylinder abgelesen. Das Volumen der Prüfgrube ergibt sich aus der Differenz der abgelesenen Volumina. Abb. 3: Einsatzbereiter Messzylinder 2.4 Bodendensiometer nach Haas Das Bodendensiometer oder auch Ballongerät besteht aus einem Plexiglaszylinder dessen unteres Ende durch eine Gummiblase abgeschlossen wird. Die untere Hälfte des Zylinders ist mit Wasser gefüllt und durch einen Kolben abgeschlossen. Mit dem Kolben kann die gefüllte Blase an die Prüfgrube angepresst werden, der Wasserdruck im Gerät wird über ein Ventil konstant gehalten. Beim Versuch wird zuerst eine Nullmessung am ungestörten Boden durchgeführt und der Kolbenstand abgelesen, anschließend wird die Prüfgrube ausgehoben und erneut der Kolbenstand abgelesen. Das Volumen, welches einfach über die Kreisfläche des Zylinders und die Höhe errechnet werden kann, ergibt sich aus der Differenz der beiden Ablesungen, da Wasser im Rahmen der erforderlichen Genauigkeit für dieses Verfahren als inkompressibel angenommen werden kann. Üblicherweise werden drei Messungen um jeweils 120° gedreht vorgenommen und die Werte gemittelt. Abb. 4: Versuchsanordnung beim Bodendensiometer 154 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung 2.5 Photogrammetrie Die Photogrammetrie ist eine vielseitige Fernerkundungsmethode, welche die berührungslose Erfassung von dreidimensionalen Objekten mit Hilfe von Fotografien ermöglicht. Die Messmethode beruht auf den Prinzipien der Stereoskopie, das heißt, dass durch die Verwendung mehrerer Aufnahmen eines Objektes aus verschiedenen Blickwinkeln die 3D-Rekonstruktion der Aufnahmeobjekte möglich ist. Um eine hohe Präzision zu erreichen werden Messbildkameras mit geringen Abbildungsfehlern eingesetzt, Fortschritte in der elektronischen Datenverarbeitung erlauben aber auch die Auswertung von Amateuraufnahmen mit großer Genauigkeit. Vor allem im Nahbereich (1-100m) hat die Photogrammetrie dadurch an Bedeutung gewonnen. Durch die Verwendung der Photogrammetrie soll der logistische Aufwand des Feldversuchs reduziert werden. Die Feldversuche zur Volumenbestimmung sind zum Teil mit einem erheblichen Aufwand an Material und Messgeräten verbunden. Gerät und Material muss für den Feldversuch mitgeführt werden, gerade bei Versuchen auf Baustellen kann dies eine Herausforderung darstellen. Für die Photogrammetrie sind demgegenüber nur zwei Geräte erforderlich, ein sogenannter Passpunktkorb, welcher der Auswertung zur Bestimmung des Volumens mittels Software dient, um den richtigen Maßstab der abgebildeten Objekte zu ermitteln und eine ausreichend hochauflösende Kamera mit geringer Verzerrung, um das Messobjekt zu fotografieren. Die Anforderungen an geringe optische Verzerrungen treten jedoch in den Hintergrund, da die hohe Rechenleistung moderner Computer, in der Kombination mit ausreichend vielen Passpunkten, es ermöglichen die Abbildungsfehler zu kompensieren. Die Volumenmessung im Rahmen von SDD läuft folgendermaßen ab. Zunächst wird an der gewählten Stelle die Feuchtesonde eingesetzt und der volumetrische Wassergehalt ermittelt, die Feuchtemessung wird in Versuchsreihe 2 detailliert beschrieben. Anschließend wird der Stahlring, welcher zur stabilen Positionierung des Passpunktkorbes dient, zentriert über die Einstichstelle der Sonde gelegt, der gemessene Wassergehalt soll sich auf die tatsächlich entnommene Bodenprobe beziehen. Der Passpunktkorb wird auf den Stahlring aufgelegt und eine erste Fotoserie wird zur Nullmessung erstellt. Aus zwei verschiedenen Blickwinkeln werden rings um den Korb 6 Aufnahmen gemacht also in Summe 12 Fotos (s. Abb. 5 und Abb. 6), dabei sollen auf jedem Bild möglichst alle Passpunkte sichtbar sein. Die Prüfgrube wird ausgehoben und das entnommene Material wird gewogen, der Aushub soll entsprechend ÖNORM B 4414-2 sauber durchgeführt werden und lockeres Material wird zur Wägung mit in den Auffangbehälter gegeben, sodass die Grube saubere, standfeste Wände hat. Mit einer zweiten Fotoserie, mit denselben Kriterien wie die Erste, wird die Prüfgrube aufgenommen. Aus den beiden Fotoserien werden digitale 3D-Modelle erstellt, der Rauminhalt der Prüfgrube entspricht dem Differenzmodell. Abb. 5: Positionen und Winkel für die Fotos - Draufsicht Abb. 6: Positionen und Winkel für die Fotos - Seitenansicht Beim Erstellen der Prüfgrube und Fotografieren sind mehrere Punkte zu berücksichtigen: • Die Geometrie der Prüfgrube sollte ein flaches Kugelsegment sein, sodass auf den Fotos jeweils die ganze Grube sichtbar ist, ohne dass hervorstehende Steine Teile der Grube verdecken (s. Abb. 7). Die Wände der Grube sollten nicht zu steil sein, damit ausreichend Bildinformationen vorhanden sind. • Die Fotos müssen möglichst gut belichtet sein, über- oder unterbelichtete Bereiche erschweren der Software das Matchen der Bilder. • Die Lichtverhältnisse sollten eine möglichst kleine Blende ermöglichen, sodass ausreichend Tiefenschärfe vorhanden ist. Eine Blende von f5.6 - f8.0 ist 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 155 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung ein guter Richtwert. Zu kleine Blenden (>f16) führen zu Beugungsunschärfen. • Schlagschatten auf den Bildern sind zu vermeiden, bei Sonnenschein ist der Einsatz eines Sonnenschirms notwendig, um den Passpunktkorb und das Loch gleichmäßig zu beschatten. Leichte, aber flächendeckende Bewölkung bietet ideale Bedingungen für die Aufnahmen. • Die Bilder sollten möglichst wenig nachbearbeitet werden. Bei Verwendung einer DSLR ist der manuelle Modus zu bevorzugen, bei Handykameras sollte man HDR-Funktionen und ähnliches so weit wie möglich deaktivieren. • Die Bilder müssen die gleiche Brennweite haben. Abb. 7: Geometrie der Prüfgrube 3. Feuchtemessung mittels TDR Time domain reflectometry, zu Deutsch Zeitbereichsreflektometrie, ist eine Messmethode, welche zur Bestimmung des volumetrischen Wassergehalts poröser Materialien verwendet werden kann. Bei TDR wird die Laufzeit einer elektromagnetischen Welle durch eine in ein Medium versenkte Sonde gemessen, daraus lässt sich die relative Dielektrizitätskonstante κ des Mediums ableiten. In porösem Material oder Schüttgut korreliert κ mit dem volumetrischen Wassergehalt und der Dichte des Materials. Ausgehend von diesem Zusammenhang wurden in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts verschiedene empirische Modelle entwickelt, die den Wassergehalt unterschiedlicher Materialien in Abhängigkeit von κ zuverlässig abbilden. Pionierarbeit zur Verwendung von TDR als Methode der Feuchtemessung wurde von Smith-Rose bereits in den 30er Jahren geleistet (Robinson et al. 2003). Zur technischen Reife wurde das System in den 70ern und 80ern gebracht. Topp et al. (1980) geben folgenden vielzitierten empirischen Zusammenhang zwischen dem volumetrischen Wassergehalt und κ an: (1) κ [-] Relative Dielektrizitätskonstante q [Vol.-%] Volumetrischer Wassergehalt Bei nicht quellfähigen Böden ist der so gemessene Wassergehalt relativ stabil gegenüber Veränderungen in der Schüttdichte. Auch Temperatureinflüsse sind vernachlässigbar (Noborio 2001). Allerdings stößt dieser Zusammenhang bei feinkörnigen tonigen Böden an seine Grenzen (Yu et al. 2004). TDR bietet vielseitige Anwendungsmöglichkeiten in der Geotechnik. Als stationäre Installation können, mit spezieller Kalibrierung für das jeweilige Material, sehr hohe Genauigkeiten erreicht werden. In dieser Form wird die Technologie beispielsweise zur Überwachung der Sickerwässer bei Deponieabdichtungen verwendet. Die Verfügbarkeit moderner Einstechsonden ermöglicht aber auch den mobilen Einsatz, wie er im Rahmen dieser Arbeit untersucht wird. Als zerstörungsfreie Messmethode ist TDR vorteilhaft, da keine Entnahme von Bodenproben erforderlich ist, um den volumetrischen Wassergehalt zu bestimmen. Im Unterschied zur Isotopensonde, eine zerstörungsfreie Messmethode welche sehr genaue Ergebnisse liefert, ist TDR mit geringeren Kosten verbunden und einfach zu bedienen, da keine Gesundheitsrisiken aufgrund der Radioaktivität bestehen (Cataldo 2009). 4. Grundlagen zur statistischen Auswertung Zur Überprüfung der Qualität der Volumenmessungen stellt sich die Frage nach dem wahren Wert des Prüfgrubenvolumens. Dazu werden mit jedem Verfahren mehrere Messungen durchgeführt, damit sich die zufälligen Fehler ausgleichen und somit der Mittelwert der jeweiligen Messreihe den wahren Wert möglichst gut annähert. Ausreißer verzerren den Mittelwert und sollten daher eliminiert werden. Zur Identifizierung der Ausreißer wird der Ausreißer Test nach Grubbs verwendet, damit dieser benutzt werden kann, muss es sich aber um normalverteilte Stichproben handeln. Ob die Stichproben normalverteilt sind, wird mit dem Shapiro-Wilk-Test überprüft. 4.1 Shapiro-Wilk-Test Der Shapiro-Wilk-Test zeichnet sich dadurch aus, dass er auch auf sehr kleine Stichproben angewendet werden kann, dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Nullhypothese H0, die Stichprobe entstamme einer normalverteilten Grundgesamtheit, bei kleinen Stichproben selten abgelehnt wird. Bei kleinen Stichproben, wie sie insbesondere bei Versuchsreihe 1 vorhanden sind, ist die Teststärke gering. Der Shapiro-Wilk-Test zeichnet sich jedoch durch eine relativ hohe Teststärke gegenüber anderen Tests aus (Nornadia et al. 2011). Die Teststärke ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Testergebnis korrekt ist. 156 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Der Test kann für Stichproben mit n zwischen 3 und 5000 eingesetzt werden und ist damit für diese Versuchsreihen geeignet. Das Signifikanzniveau α für den Test wird mit 5 % festgelegt, das bedeutet die Wahrscheinlichkeit, dass der Test eine normalverteilte Stichprobe als nicht normalverteilt bewertet, liegt bei 5% Die Berechnung erfolgt mit Matlab. 4.2 Ausreißertest nach Grubbs Zum Eliminieren eventueller Ausreißer werden die normalverteilten Stichproben mit dem Ausreißertest nach Grubbs untersucht. Der Test identifiziert maximal einen Ausreißer pro Iteration und wird solange wiederholt, bis keine Ausreißer mehr gefunden werden. Die Auswertung wird mit Matlab durchgeführt. (Grubbs 1950) 5. Versuchsreihe 1 - Volumenmessung In der ersten Versuchsreihe wurde das Volumen der künstlichen Prüfgrube mit den in Kapitel 2 beschriebenen Verfahren bestimmt, um die Messergebnisse zu vergleichen. 5.1 Herstellung der Prüfgrube Um die Genauigkeit der Photogrammetrie gegenüber den konventionellen Verfahren untersuchen zu können, wurde ein Referenzobjekt mit unveränderlichem Volumen benötigt. Die künstliche Prüfgrube sollte eine naturnahe unregelmäßige Oberflächenstruktur aufweisen, vollständig wasserdicht sein um die Volumenbestimmung mit Wasser ohne Folie zu erlauben, eine realistische Farbschattierung haben und mit einem Schutzlack präpariert sein, um der mechanischen Belastung durch den Sandersatz- und Stahlkugelersatz-Versuch standzuhalten. Als Herstellungsverfahren wurde Selektives Lasersintern gewählt, ein additives Fertigungsverfahren, welches das Erzeugen dreidimensionaler Strukturen mit hoher Genauigkeit ermöglicht. Bei dieser Technik wird Kunststoffpulver schichtweise aufgetragen und lokal durch einen Laser erhitzt und verschmolzen, so können räumliche Objekte Schicht für Schicht hergestellt werden. Für den Prozess muss die Geometrie des Objekts als digitales Modell vorhanden sein und in dem Herstellungsvorgang entsprechende Schichten unterteilt werden. Eine mittels Photogrammetrie digitalisierte Prüfgrube wurde auf eine für die Versuchsreihe angemessene Größe skaliert und als Vorlage für das digitale Modell, welches den Input für den Fertigungsprozess darstellt, verwendet. Das fertige Werkstück wurde mit einem sehr feinkörnigen grau-schwarzen Muster bemalt. Die dunkle Farbe und feinkörnige Struktur sind zwar nicht unbedingt repräsentativ für grobkörnige rollige Böden, allerdings kann angenommen werden, dass die optischen Bedingungen für die photogrammetrische Auswertung durch diese Vorgaben verschlechtert werden und eine erfolgreiche Auswertung unter diesen Bedingungen, jedenfalls bessere Ergebnisse bei realen Feldversuchen erwarten lassen. Daher wurde auf ein Umlackieren verzichtet. Abschließend wurde die Farbschicht zum Schutz vor mechanischen Belastungen mit einem Zwei-Komponenten Klarlack überzogen. Um einen ebenen Untergrund für die Durchführung der Versuche zu erstellen, wurde die Prüfgrube in eine Holzplatte eingepasst. Die Holzplatte wurde zum Horizontieren mit höhenverstellbaren Beinen ausgestattet. Das Modell hat einen Durchmesser von 18 cm und ist ca. 10 cm tief. Abb. 8: Prüfgrube in Holzplatte eingepasst 5.2 Messaufbau 5.2.1 Wasserersatz-Verfahren Das Wasserersatz-Verfahren wurde etwas abweichend von der ÖNORM durchgeführt. Die wasserdichte Prüfgrube wurde direkt mit Wasser gefüllt und die verbrauchte Wassermenge durch Wiegen bestimmt. Folgende Materialien und Geräte kamen zum Einsatz: • Messbecher 3l: Zum Füllen der Prüfgrube. • Waage: Zum Bestimmen der Masse des Messbechers vor und nach dem Füllen der Prüfgrube. Ablesegenauigkeit 0,1 g • Künstliche Prüfgrube • Wasserwaage: Zum Horizontieren der Prüfgrube, damit diese präzise ausgelitert werden kann. • Wasser: Es reicht normales Leitungswasser, der Einfluss von gelösten Mineralen auf die Dichte ist vernachlässigbar. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 157 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung • Seife: Zum Brechen der Oberflächenspannung des Leitungswassers, damit die Grube genauer bis zum Rand gefüllt werden kann. • Wasserdichte Kunststoff-Folie 5.2.2 Sandersatz-Verfahren Das Sandersatz-Verfahren wurde gemäß ÖNORM B 4414-2 durchgeführt. Der Versuchsaufbau entspricht Abb. 2. Folgende Materialien und Geräte kamen bei dem Versuch zum Einsatz: • Doppeltrichter: Zum Füllen der Prüfgrube wurde ein Doppeltrichter (Abb. 2) verwendet. • Stahlringplatte: Im Feld wird die Stahlringplatte u.a. benutzt, um eine ebene Aufstandsfläche für den Doppeltrichter zu bieten, beim Laborversuch wurde die Platte verwendet um den Doppeltrichter zentriert über dem Prüfgefäß und der Prüfgrube zu platzieren. • Prüfgefäß - Proctortopf: Das Prüfgefäß zur Bestimmung der Schüttdichte des Prüfsandes. Der Proctortopf wurde mit einem Stahlring abgeschlossen, welcher das Auflegen der Stahlringplatte für den Doppeltrichter ermöglicht. V = 1015,5 [cm³] • Messschieber mit Nonius: Zur Abmessung des Prüfgefäßes wurde ein Messschieber mit Ablesegenauigkeit 0,1 mm verwendet. Aus den Messungen wurde das Volumen des Gefäßes berechnet. • Schaufel und Schüssel: Zum Füllen des Doppeltrichters mit dem Sand. Da der Versuch unter Laborbedingungen durchgeführt wurde und der Sand somit keine zusätzliche Feuchtigkeit aufnehmen konnte oder anderweitig verunreinigt wurde, wie es im Feld der Fall wäre, wurde der Sand wiederverwendet. • Waage: Zum Bestimmen der Masse des Doppeltrichters vor und nach dem Füllen der Prüfgrube. Ablesegenauigkeit 0,1 g • Künstliche Prüfgrube: Die in Kapitel 5.1 beschriebene Grube, deren Rauminhalt bestimmt werden soll. • Prüfsand: Genormter Quarzsand mit Wassergehalt w < 0,002 Abb. 9: Von links nach rechts: Waage, Doppeltrichter und Prüfgefäß mit aufgesetzter Stahlringplatte 5.2.3 Stahlkugelersatz-Verfahren Das Stahlkugelersatz-Verfahren ist kein normiertes Verfahren zur Ermittlung der Dichte des Bodens. Zum Einsatz kam: • Messzylinder 1l: Die Stahlkugeln werden mit dem Messzylinder in die Prüfgrube gefüllt. Ablesegenauigkeit 10 cm³ (die Skala löst auf 10 cm³ auf, 5 cm³ können mit freiem Auge geschätzt werden) • Stahlkugeln: Als Ersatzmedium dienen Stahlkugeln mit Durchmesser 4,4 mm • Magnet: Zum Einsammeln der Kugeln • Stahllineal o.ä.: Zum ebenen Abziehen der Stahlkugeln an der Oberkante der Grube, überschüssige Kugeln werden in den Messzylinder zurückgegeben. • Künstliche Prüfgrube 5.2.4 Bodendensiometer nach Haas Zur Ermittlung des Rauminhalts der Prüfgrube ist lediglich das Bodendensiometer erforderlich. Zum Einsatz kamen also: • Künstliche Prüfgrube • Bodendensiometer nach Haas: Die Ablesegenauigkeit des Kolbenstands mittels Nonius beträgt 0,1 mm 158 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung 5.2.5 Photogrammetrie Grundvoraussetzung für den Einsatz der Photogrammetrie ist exakt ein und dasselbe Bezugssystem für die Aufnahmen vor und nach Aushub der Prüfgrube. Daher darf die Position des Passpunktkorbes zwischen den Aufnahmen des „Originalzustandes“ des Bodens und des „Lochs nach dem Aushub“ nicht verändert werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass ein eindeutiger Bezug zwischen dem „Vorher-“ und „Nachher-“ Modell gegeben ist. Die Koordinaten der Passpunktmarken wurden hochgenau bestimmt und liegen im Zehntelmillimeterbereich. Bei der Konstruktion des Passpunktkorbes wurde auf die Erfahrungen von W. U. Böttinger zurückgegriffen, der in seinen Untersuchungen zur Genauigkeit der Nahbereichsphotogrammetrie (München, 1981) festgestellt hat, dass mit 36 in Lage und Höhe gut verteilten Passpunkten die Kamerakalibrierung (einer Amateurkamera) sicher durchgeführt werden kann. Daraus abgeleitet ergibt sich eine hohe Genauigkeit für die Modellbestimmung. • Künstliche Prüfgrube • SDD-Stahlringplatte: Zum stabilen Auflegen des Passpunktkorbes. Die Stahlringplatte weist mehrere Noppen auf, auf welche der Passpunktkorb mit entsprechenden Einkerbungen aufgelegt werden kann. Drei Passpunkt-Marker befinden sich auf dem Ring. • SDD-Passpunktkorb: Der Passpunktkorb besteht aus zwei Stahlringen, welche in zwei Ebenen von sechs Kunststoffstützen gehalten werden. In Lage und Höhe verschieden sind 27 Passpunkt-Marker auf dem Korb verteilt, zusammen mit der Stahlringplatte stehen 30 Marker für die Berechnung der Orientierung zur Verfügung. • Sony Alpha 7R - 28 und 50 mm Festbrennweite: Die spiegellose Vollformat-Kamera wurde mit 28 und 50 mm Festbrennweite-Objektiven eingesetzt. • Canon EOS D100: Die Einsteiger-DSLR kam mit einem 10-18 mm Superweitwinkel-Objektiv, fixiert auf 14 mm und einer 22 mm Festbrennweite zum Einsatz. • Nikon D3200: Die Einsteiger-DSLR kam mit einem 17-70 mm Vario-Objektiv, fixiert auf 17 mm und einem 35 mm Festbrennweite Objektiv zum Einsatz. • Huawei P30 - Smartphone • Motorola Moto G - Smartphone • Huawei Mate 20 Pro - Smartphone 5.3 Messablauf 5.3.1 Wasserersatz-Verfahren Da die Prüfgrube wasserdicht ist und durch die höhenverstellbaren Beine perfekt horizontiert werden kann, wurde das Wasser bis zur Oberkante direkt in die Grube gefüllt und die gebrauchte Menge durch Wiegen des Wasserbehälters bestimmt. Das Verfahren wurde in vier verschiedenen Varianten durchgeführt: • Variante 1: reines Leitungswasser ohne Folie • Variante 2: reines Leitungswasser mit Folie • Variante 3: Seifenlauge mit Folie • Variante 4: Seifenlauge ohne Folie Die Folie wurde zum Abdecken der Oberfläche verwendet um ähnliche Bedingungen wie beim in situ Versuch herzustellen. Variante 1: Zunächst wurde die Holzplatte, in welche die Prüfgrube eingepasst ist, mit Hilfe einer Wasserwaage horizontiert, um zu gewährleisten, dass der Wasserspiegel ringsum gleichmäßig an die Oberkante der Prüfgrube gelangt. Zuerst wurde die Grube mit normalem Leitungswasser ausgelitert. Als Wasserbehälter diente ein 3 Liter Messbecher. Die Tara des Kruges wurde nicht gewogen, da diese durch die Berechnung der verbrauchten Wassermenge mittels Rückwägung automatisch entfällt. Der Messbecher wurde mit ausreichend Wasser (>1500 [m³) gefüllt und gewogen. Dann wurde die Prüfgrube vorsichtig mit Augenmaß bis an die Oberkante gefüllt und der Becher wurde rückgewogen. Anschließend wurde die Prüfgrube entleert und getrocknet. Die Messung wurde sechs Mal durchgeführt. Variante 2: Bei Variante 2 wurde die Prüfgrube mit einer Kunststofffolie, wie sie beim Feldversuch eingesetzt wird, abgedeckt. Dann wurde die Grube in derselben Vorgehensweise wie bei Variante 1 ausgelitert. Die Kunststofffolie erschwerte das Erkennen der Grubenoberkante. Nach jeder Messung wurde die Folie ausgetauscht und sichergestellt, dass die Grube trocken ist, um die Ergebnisse nicht zu Verzerren. Der Vorgang wurde sechs Mal durchgeführt. Variante 3: Um die Messgenauigkeit zu erhöhen, indem die Oberflächenspannung des Wassers reduziert wird, wurde dem Leitungswasser bei Variante 3 und 4 eine kleine Menge Handseife zugefügt. Durch die reduzierte Oberflächenspannung wölbt sich die Wasseroberfläche weniger, dadurch kann genauer beobachtet werden, wann der Wasserspiegel die Oberkante erreicht. Eventuelle Ände- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 159 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung rungen der Dichte der Flüssigkeit durch das Beimengen der Seife sind vernachlässigbar. Variante 3 wurde mit Folie und Seifenwasser durchgeführt, der Wasserkrug wurde aufgefüllt und das Wasser mit etwas Seife gemischt und anschließend gewogen. Der restliche Ablauf des Versuchs entsprach Variante 2. Es wurden ebenfalls sechs Messungen vorgenommen. Abb. 10: Variante 3 vor dem Füllen Variante 4: Zuletzt wurde die Prüfgrube ohne Folie mit Seifenwasser ausgelitert. Der Messbecher wurde gefüllt und das Wasser mit Seife vermengt. Anschließend wurde der Becher samt Wasser gewogen, die Prüfgrube wurde gefüllt und die Rückwägung gemacht. Nach jeder Messung wurde die Prüfgrube getrocknet, auch dieser Versuch wurde sechs Mal wiederholt. Die wasserabweisende Oberfläche der Prüfgrube führte zu einer leichten Wölbung der Wasseroberfläche aufgrund der Oberflächenspannung. Eventuelle Schwankungen in den Messergebnissen ließen sich dadurch erklären, dass durch diese Wölbung mit freiem Auge nicht eindeutig zu erkennen war, wann der Rand der Prüfgrube beim Füllen erreicht wurde. Dieser Effekt wurde durch den Einsatz der Seife mitigiert. Besonders bei den Versuchen mit Folie war der Unterschied zwischen dem unbehandelten Leitungswasser und der Seifenlauge auffallend. Der Blick durch die Folie erschwerte das Erkennen der Oberkante der Grube. Bei Versuch 2 mit unbehandeltem Wasser schien mehr Spielraum zwischen scheinbarem Erreichen der Oberkante und erstem Überlaufen des Wassers vorhanden zu sein als bei Versuch 3. Bei den Versuchen mit Folie waren teilweise kleine Lufteinschlüsse unter der Folie erkennbar. Abb. 11: Variante 3 nach dem Füllen, durch die Schaumbildung ist der Wasserspiegel im Bild besser erkennbar. 5.3.2 Sandersatz-Verfahren Da das üblicherweise im Labor verwendete Prüfgefäß mit bekanntem Volumen nicht verfügbar war, wurde ein Prüfgefäß improvisiert. Als Gefäß wurde ein Proctortopf verwendet, der Topf besteht aus zwei Stahlzylindern und einer massiven Bodenplatte. Es wurde angenommen, dass die geometrische Form hinreichend genau einem perfekten Zylinder entspricht, sodass die rechnerische Ermittlung des Volumens über die Zylinderformel gerechtfertigt ist. Der Durchmesser und die Höhe des Gefäßes wurden mit einem Messschieber bestimmt. Der dicke Stahlring, welcher den Proctortopf abschließt (Abb. 12, der Ring hebt sich rostig braun von der Stahlringplatte ab), weist ein Gewinde auf, hier wurde der Mittelwert aus kleinstem und größtem Durchmesser für die Berechnung verwendet. Die Ermittlung des Volumens des Prüfgefäßes in dieser Form weicht von der ÖNORM ab, da der Proctortopf nicht ausreichend wasserdicht war, konnte er nicht der Norm entsprechend ausgelitert werden. Der Prüfsand wurde in die obere Hälfte des Doppeltrichters gefüllt und der Trichter wurde gewogen. Anschließend wurde der Doppeltrichter auf die Stahlringplatte, welche auf den Proctortopf gelegt war, aufgesetzt und der Sand eingefüllt. 160 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Abb. 12: Das improvisierte Prüfgefäß mit aufgesetzter Stahlringplatte für den Doppeltrichter Durch erneutes Wiegen wurde aus der Differenz der beiden Wägungen die verbrauchte Masse Sand bestimmt. Als Nullmessung wurde die Stahlringplatte auf eine ebene Fläche gelegt und in gleicher Form der Sand eingefüllt und gewogen. Durch Abziehen der Masse aus der Nullmessung von der ersten Messung, wurde die im Proctortopf enthaltenen Masse Prüfsand berechnet. Dieser Vorgang wurde der Norm gemäß dreimal wiederholt und die Werte gemittelt. Die Schüttdichte des Prüfsandes ergab sich dann aus der gemittelten Masse geteilt durch das berechnete Volumen des Proctortopfes. Nach der Bestimmung der Dichte des Prüfsandes wurde das Volumen der Prüfgrube gemessen, hierbei wurde in derselben Weise wie beim Füllen des Prüfgefäßes vorgegangen. Auch auf die künstliche Prüfgrube wurde die Stahlringplatte aufgesetzt, somit konnte der Mittelwert der Nullmessungen aus der Dichtebestimmung auch zur Berechnung der enthaltenen Sand-Masse in der Prüfgrube benützt werden. Der Versuch wurde sechsmal durchgeführt. Da die künstliche Prüfgrube vollkommen trocken war, wurde der verbrauchte Sand nach jedem Versuch soweit wie möglich wiederverwendet. Der Sand aus der Prüfgrube wurde mit einer kleinen Schaufel in eine Metallschüssel geschöpft und zurück in den Doppeltrichter gegeben. Sand, der bei diesem Prozess auf den Boden fiel, wurde nicht wiederverwertet, sondern durch neuen Sand ersetzt, um Verunreinigungen auszuschließen. Eine Probe des Prüfsandes wurde zur Ermittlung des Wassergehalts ofengetrocknet, um sicherzustellen, dass der Wassergehalt den Anforderungen nach ÖNORM entspricht. Abb. 13: Doppeltrichter beim Füllen der Prüfgrube, der Sand, welcher im unteren Trichter aufgestaut ist, verteilt sich nach dem Entfernen des Trichters auf der Holzplatte und kann so ohne Verunreinigungen wieder aufgenommen werden. 5.3.3 Stahlkugelersatz-Verfahren Die Stahlkugeln, welche als Medium zum Volumenersatz dienten, wurden in einen Messzylinder gegeben und der Füllstand abgelesen. Anschließend wurde die Prüfgrube damit gefüllt. Der verwendete Messzylinder hatte ein Fassungsvermögen von einem Liter mit einer 10 cm³ genauen Ableseskala. Das Volumen der Prüfgrube lag über einem Liter, somit musste der Messzylinder zweimal gefüllt werden. Der Füllstand im Messzylinder wurde jeweils vor und nach dem Befüllen der Grube abgelesen, wobei die Ablesegenauigkeit mit Augenmaß auf 5 [cm³] genau erfolgte. Die Stahlkugeln wurden gleichmäßig eingeschüttet und an der Oberkante mit einem Stahllineal abgezogen. Da, bedingt durch den verhältnismäßig großen Durchmesser von 4,4 mm der Stahlkugeln, der Rand der Prüfgrube nicht genau von den Stahlkugeln getroffen wird, wurde beim Abziehen darauf geachtet nicht alle Kugeln, welche den Rand zum Teil nur minimal überragten, abzuziehen, da das Volumen dadurch unterschätzt würde. Es wurde darauf geachtet die Kugeln möglichst gleichmäßig einzuebnen, sodass die Kugeln die Oberkante der Grube zu gleichen Teilen überragen als auch drunter liegen und so idealisiert im Mittel die Kante genau treffen. Überschüssige Kugeln wurden mit dem Magnet oder von Hand eingesammelt und vor dem Ablesen des verbleibenden Füllstandes des zweiten Messzylinders darin zurückgegeben. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 161 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Wie bei den vorigen Versuchen wurde die Messung sechs Mal durchgeführt. Abb. 14: Die Prüfgrube vor und nach dem Füllen mit Stahlkugeln, im Bild rechts ist der überschüssige Rest an Stahlkugeln im Messzylinder zu sehen 5.3.4 Bodendensiometer nach Haas Das Bodendensiometer musste zuerst mit einer neuen Densiometerblase einsatzbereit gemacht werden. Nach dem Anbringen der Gummiblase am unteren Ende des Plexiglaszylinders, wurde dieser durch die hohle Kolbenstange mit Wasser gefüllt. Um eine stufenlose und gleichmäßige Bewegung des Kolbens im Zylinder zu ermöglichen, wurde der Dichtring am Kolben frisch eingefettet. Damit war das Gerät einsatzbereit. Das Bodendensiometer wurde zunächst zur Nullmessung auf die dafür vorgesehene Platte gestellt. Der Kolben wurde hinuntergedrückt, bis das Wasser durch die Kolbenstange zwischen die beiden Marken unter dem Kegelventil am Haltegriff angestiegen war. Nach dem Ablesen des Kolbenstands am Nonius mit 0,1 mm Genauigkeit wurde das Gerät auf die Prüfgrube gestellt und der Kolben erneut nach unten gedrückt und der Kolbenstand abgelesen. Gemäß Gebrauchsanleitung wurde die Messung jeweils um 120° verdreht wiederholt und die Werte für den Kolbenstand gemittelt. Da die Verschiebung des Kolbens im Zylinder, obwohl er frisch geschmiert war, nicht ganz ohne Kraftaufwand möglich war, erwies es sich als etwas schwierig den Wasserdruck genau zwischen den beiden Markierungen einzustellen. Bei einzelnen Messungen trat durch eine minimal überhöhte Verschiebung des Kolbens eine geringe Menge Wasser aus dem Ventil aus (s. Abb. 15). Die ausgetretene Menge lag aber unter 2 cm³. Der beschriebene Ablauf wurde im Unterschied zu den vorangegangenen Versuchen lediglich vier Mal durchgeführt, da durch die Mehrfachmessung in einem Set ohnehin schon mehrere Messungen vorlagen. Abb. 15: Das Bodendensiometer im Einsatz, gut zu erkennen sind die beim Hinunterdrücken des Kolbens ausgetretenen Wassertropfen 5.3.5 Photogrammetrie Das Volumen der Prüfgrube wurde in mehreren Versuchen ermittelt, dabei kamen verschiedene Kameras zum Einsatz. Erkenntnisse aus früheren Versuchen wurden in weiterer Folge zur Verbesserung der Qualität berücksichtigt. 162 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Abb. 16: Der erste Passpunktkorb, durch die Sonneneinstrahlung zeigt sich ein markanter Schatten. Bei den ersten Versuchen kam eine frühere Version des Passpunktkorbes zum Einsatz (s. Abb. 16). Die Prüfgrube wurde unter freiem Himmel im Innenhof bei ADP- Rinner aufgestellt. Insgesamt wurden 5 Fotoserien mit der Sony Alpha 7R mit einem 28 mm Festbrennweite-Objektiv erstellt. Jede Fotoserie umfasste 9 Bilder, welche rings um die Grube verteilt unter verschiedenen Winkeln aufgenommen wurden. Teilweise wurden Passpunkte vom Bildrand abgeschnitten bzw. durch ungünstige Aufnahmewinkel verdeckt. Die erste Serie wurde im Halbschatten mit manuellem Fokus aufgenommen. Die zweite und dritte Serie wurde vollständig im Schatten aufgenommen, wobei die zweite Serie mit manuellem Fokus und die dritte mit Auto-Fokus erstellt wurde. Die vierte und fünfte Serie wurde um die Mittagszeit unter praller Sonne aufgenommen, auch hier wurde zunächst manuell fokussiert und dann mit Auto-Fokus. Für die nächste Iteration wurde die verbesserte Version des Passpunktkorbes eingesetzt (s. Abb. 17). Wegen schlechter Witterung und um für gleichmäßige Beleuchtung zu sorgen, wurden die Fotos im Büro aufgenommen. Die Stahlringplatte zur Stabilisierung des Passpunktkorbes wurde auf die Prüfgrube aufgelegt. Der Innenradius des Stahlrings ist nur geringfügig größer als der Radius der Prüfgrube, damit blieben nur etwa 2 mm des Außenrandes der Prüfgrube sichtbar. Es wurden Aufnahmen mit verschiedenen Kameras gemacht, zum Einsatz kamen Sony Alpha 7R, Nikon D3200, Huawei Mate 20 Pro, Huawei P30 und Motorola Moto G, wobei es sich bei den letzten Dreien um Handykameras handelt. Bei den Digitalkameras wurden Festbrennweiten-Objektive verwendet, 50 mm mit manuellem Fokus und 28 mm mit Autofokus für die Sony Alpha 7R und 35 mm für die Nikon D3200. Mit jeder Kamera wurde eine Fotoserie erstellt. Die Aufnahmen wurden aus zwei verschiedenen Höhenwinkeln gemacht, nahezu senkrecht und leicht geneigt. Unter beiden Winkeln wurden Fotos, von mindestens acht Standpunkten rund um die Prüfgrube verteilt, aufgenommen. Die Lichtverhältnisse waren schlecht, die künstliche Beleuchtung im Raum erforderte relativ große Blenden. Die dritte Versuchsreihe fand erneut bei Tageslicht unter freiem Himmel statt, da bei der künstlichen Prüfgrube keine Nullmessung möglich war, wurde der Stahlring nicht verwendet, damit auf dem Rand der Prüfgrube Passpunkte sichtbar angebracht werden konnten. Diese Passpunkte wurden benötigt, um bei der Auswertung eine Ebene zu erzeugen, welche den oberen Rand der Grube markiert. Die Bilder wurden bei guter Witterung im Schatten aufgenommen. Zum Einsatz kam die Nikon D3200 mit einem 35 mm Festbrennweite-Objektiv und einem Vario-Objektiv mit 17 mm Weitwinkel. In der gleichen Konfiguration wurden zu einem späteren Zeitpunkt noch Aufnahmen mit der Sony Alpha 7R, einer Canon EOS D100 und einem Huawei P30 erstellt. Wie in der vorhergehenden Iteration wurden die Aufnahmen unter zwei Höhenwinkeln, nahezu Senkrechtaufnahmen aus Augenhöhe und Schrägaufnahmen aus Brusthöhe, erstellt, wobei je 6 Fotos mit Überdeckung der gesamten Prüfgrube inklusive Passpunktkorb gemacht wurden. Abb. 17: Der neue Passpunktkorb und die Marker auf dem Rand der Prüfgrube. 5.4 Messergebnisse Im folgenden Abschnitt werden die Messergebnisse dargestellt. Lediglich die gemessenen Größen werden hier festgehalten. Alle Berechnungen für die Ermittlung des Volumens, sowie die statistische Auswertung werden im Abschnitt 5.5 Diskussion der Messergebnisse durchgeführt. Die Messergebnisse werden im gegenständlichen Kapitel zunächst unverzerrt dargestellt und erst in einem zweiten Schritt werden die Berechnungen nachvollziehbar dokumentiert und die Ergebnisse interpretiert. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 163 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung 5.4.1 Wasserersatz-Verfahren Das bei den Versuchen verwendete Wasser stammt direkt aus der kommunalen Wasserversorgung. Es wird daher angenommen, dass die Wassertemperatur und somit die Dichte des Wassers während der Durchführung des Versuchs konstant war. Die Wasserhärte von Trinkwasser hat im Vergleich zur Temperatur einen vernachlässigbaren Einfluss auf die Dichte und wird bei den nachfolgenden Berechnungen nicht berücksichtigt. ϑ w [°C] = 19,5 Wassertemperatur bei Versuch ρ w,ϑ [kg/ m³] = 998,3 Dichte des Wassers bei Temperatur ϑ • Variante 1: reines Leitungswasser ohne Folie Tab. 1: Gewicht des Wasserbehälters vor und nach dem Füllen der Prüfgrube Nr m 1 [g] m 2 [g] 1 1517,0 349,5 2 1632,4 447,1 3 1714,3 555,6 4 1400,0 257,1 5 1702,2 530,6 6 1805,5 627,4 • Variante 2: reines Leitungswasser mit Folie Tab. 2: Gewicht des Wasserbehälters vor und nach dem Füllen der Prüfgrube Nr m 1 [g] m 2 [g] 1 1683,7 546,2 2 1726,3 509,8 3 1691,8 513,0 4 1822,5 653,5 5 1633,6 534,5 6 1729,0 569,2 • Variante 3: Seifenlauge mit Folie Tab. 3: Gewicht des Wasserbehälters vor und nach dem Füllen der Prüfgrube Nr m 1 [g] m 2 [g] 1 1685,2 544,6 2 1573,4 449,8 3 1624,9 484,0 4 1701,3 560,5 5 1738,3 597,7 6 1645,5 505,6 • Variante 4: Seifenlauge ohne Folie Tab. 4: Gewicht des Wasserbehälters vor und nach dem Füllen der Prüfgrube Nr m 1 [g] m 2 [g] 1 1698,9 535,3 2 1576,8 416,4 3 1684,4 516,7 4 1683,4 512,6 5 1591,4 428,9 6 1661,9 504,5 5.4.2 Sandersatz-Verfahren 5.4.2.1 Kalibrieren des Prüfsandes Tab. 5: Abmessungen des Prüfgefäßes zur Kalibrierung des Prüfsandes Durchmesser [mm] Höhe [mm] Proctortopf 1 100 120 Stahlring 2 100,8 3,9 3 104,5 4,8 4 106,3 4,8 Die Messungen 3 und 4 beziehen sich auf das Gewinde am oberen Ende des Stahlrings, für die Berechnung dieses Teilvolumens wird der Mittelwert der beiden Radien verwendet. 164 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Tab. 6: Masse des Doppeltrichters vor und nach dem Füllen des Proctortopfes m 1 [g] m 2 [g] m a1 13842,2 7165,4 m b1 13544,2 8375,9 m a2 14194,4 7494,5 m b2 13671,8 8499,7 m a3 13987,5 7277,1 m b3 14195,4 9007,2 m ai [g] Masse Prüfsand, untere Hälfte des Doppeltrichters + Proctortopf m bi [g] Nullmessung - Masse Prüfsand, untere Hälfte des Doppeltrichters 5.4.2.2 Bestimmung des Volumens der Prüfgrube Tab. 7: Masse des Doppeltrichters vor und nach dem Füllen der Prüfgrube Nr m 1 [g] m 2 [g] 1 13496,2 6568,2 2 13822,3 6913,7 3 13528,8 6583,1 4 13644,0 6706,3 5 13779,9 6829,9 6 14000,8 7067,1 5.4.2.3 Ermittlung des Wassergehalts Tab. 8: Masse der Prüfsand-Probe vor und nach dem Ofentrocknen 1 Probe feucht + Behälter m f + m B [g] 1611,2 2 Probe trocken + Behälter m d + m B [g] 1610,4 3 Masse Behälter m B [g] 259,2 5.4.3 Stahlkugelersatz-Verfahren Tab. 9: Im Messzylinder enthaltenes Volumen an Stahlkugeln vor und nach dem Füllen der Prüfgrube Nr V 1 [cm³] V‘ 1 [cm³] V 2 [cm³] V‘ 2 [cm³] 1 1000 0 275 115 2 1000 0 245 110 3 1000 0 295 120 4 1000 0 280 130 5 1000 0 240 80 6 1000 0 305 150 5.4.4 Bodendensiometer nach Haas Tab. 10: Kolbenstand des Bodendensiometers Nr L 0 [cm] L 1 [cm] L 2 [cm] L 3 [cm] 1 20,99 24,86 24,87 24,95 2 20,99 24,88 24,84 24,84 3 21,05 24,95 24,95 24,95 4 19,14 23,01 23,03 23,05 5.4.5 Photogrammetrie Die ersten Fotoserien mit dem alten Passpunktkorb konnten aufgrund der im Messablauf beschriebenen Mängel nicht ausgewertet werden. Tab. 11: Zweite Fotoserie - Im Büro Volumen [cm³] Kamera Smartphone Sony Alpha 7R 50 mm MF Sony Alpha 7R 28 mm AF Nikon D3200 35 mm AF Huawei Mate 20 Pro Huawei P30 Motorola Moto G 1182 1181 1100 1196 1184 1190 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 165 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Tab. 12: Dritte Fotoserie - Im Freien Volumen [cm³] Kamera Smartphone Sony Alpha 7R 28 mm AF Canon 22 mm Canon 14 mm Nikon D3200 35 mm Nikon D3200 17 mm Huawei P30 1158 1122 1157 1069 1156 1164 5.5 Diskussion der Messergebnisse 5.5.1 Wasserersatz-Verfahren Beim Wasserersatz-Verfahren wurde das zum Füllen benötigte Wasser durch Wiegen des Messbechers bestimmt. Das Volumen ergibt sich aus der Differenz des Gewichtes vor und nach dem Füllen, dividiert durch die Dichte des Wassers: Δm w = m 1 - m 2 (2) (3) Δm w [g] Wassermasse m i [g] Masse Messbecher + Wasser ρ w,ϑ [g/ cm³] Dichte des Wassers bei Temperatur ϑ V [cm³] Volumen der Prüfgrube Tab. 13: Variante 1 - reines Leitungswasser ohne Folie Nr m 1 [g] m 2 [g] Δm w [g] V [cm³] 1 1517,0 349,5 1167,5 1169,5 2 1632,4 447,1 1185,3 1187,3 3 1714,3 555,6 1158,7 1160,7 4 1400,0 257,1 1142,9 1144,8 5 1702,2 530,6 1171,6 1173,6 6 1805,5 627,4 1178,1 1180,1 Tab. 14: Variante 2 - reines Leitungswasser mit Folie Nr m 1 [g] m 2 [g] Δm w [g] V [cm³] 1 1683,7 546,2 1137,5 1139,4 2 1726,3 509,8 1216,5 1218,6 3 1691,8 513,0 1178,8 1180,8 4 1822,5 653,5 1169,0 1171,0 5 1633,6 534,5 1099,1 1101,0 6 1729,0 569,2 1159,8 1161,8 Tab. 15: Variante 3 - Seifenlauge mit Folie Nr m 1 [g] m 2 [g] Δm w [g] V [cm³] 1 1683,7 546,2 1137,5 1139,4 2 1726,3 509,8 1216,5 1218,6 3 1691,8 513,0 1178,8 1180,8 4 1822,5 653,5 1169,0 1171,0 5 1633,6 534,5 1099,1 1101,0 6 1729,0 569,2 1159,8 1161,8 Tab. 16: Variante 4 - Seifenlauge ohne Folie Nr m 1 [g] m 2 [g] Δm w [g] V [cm³] 1 1698,9 535,3 1163,6 1165,6 2 1576,8 416,4 1160,4 1162,4 3 1684,4 516,7 1167,7 1169,7 4 1683,4 512,6 1170,8 1172,8 5 1591,4 428,9 1162,5 1164,5 6 1661,9 504,5 1157,4 1159,4 Der Shapiro-Wilk-Test bestätigt die Nullhypothese, die Stichproben entstammen einer normalverteilten Grundgesamtheit, mit Ausnahme von Variante 3. Der zweite Messwert in dieser Reihe (kursiv markiert) fällt jedoch als Ausreißer ins Auge, wenn dieser gestrichen wird, wird auch diese Reihe als normalverteilt bewertet. Der Ausreißertest nach Grubbs erkennt den zweiten Messwert aus Variante 3 ebenfalls als Ausreißer, von diesem Wert abgesehen, wurden hier und auch in den folgenden Messreihen keine Ausreißer entfernt. 5.5.2 Sandersatz-Verfahren Das Volumen des Proctortopfs zur Kalibrierung des Prüfsandes ergibt sich als die Summe von drei Zylindern. 166 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung (4) (5) D [cm] Durchmesser des Zylinders H [cm] Höhe des Zylinders V [cm³] Volumen V ges [cm³] Volumen des Proctortopfes Tab. 17: Δm s - Kalibrierung Prüfsand m 1 [g] m 2 [g] Δm [g] m a1 13842,2 7165,4 6676,8 m b1 13544,2 8375,9 5168,3 m a2 14194,4 7494,5 6699,9 m b2 13671,8 8499,7 5172,1 m a3 13987,5 7277,1 6710,4 m b3 14195,4 9007,2 5188,2 Der Mittelwert der drei Messungen für m a und m b wird gebildet. Die Dichte des Prüfsandes ergibt sich aus der Differenz der Massen m a und m b , dividiert durch das Volumen des Proctortopfs. (6) Mit dem kalibrierten Prüfsand wird das Volumen der Prüfgrube bestimmt. Die Sandmasse in der Prüfgrube ist die Differenz aus Δm S und m b . Das Volumen errechnet sich durch Dividieren dieser Masse durch die Dichte des Sandes. (7) m ai [g] Masse Prüfsand, untere Hälfte des Doppeltrichters + Proctortopf m bi [g] Nullmessung - Masse Prüfsand, untere Hälfte des Doppeltrichters m i [g] Masse des Doppeltrichters + enthaltener Sand vor und nach dem Füllen Δm s [g] Masse Prüfsand in der unteren Hälfte des Doppeltrichters und Prüfgrube ρ E Dichte des Prüfsandes V [cm³] Volumen Tab. 18: Volumen der Prüfgrube mittels Sandersatz- Verfahren Nr m 1 [g] m 2 [g] Δm S [g] Δm S - m b [g] V [cm³] 1 13496,2 6568,2 6928,0 1751,8 1170,7 2 13822,3 6913,7 6908,6 1732,4 1157,8 3 13528,8 6583,1 6945,7 1769,5 1182,6 4 13644,0 6706,3 6937,7 1761,5 1177,2 5 13779,9 6829,9 6950,0 1773,8 1185,5 6 14000,8 7067,1 6933,7 1757,5 1174,6 Laut Shapiro-Wilk-Test ist die Stichprobe normalverteilt. Der Wassergehalt des Prüfsandes muss unter 0,002 [-] liegen, damit die Schüttdichte ausreichend konstant ist. Tab. 19: Wassergehalt Prüfsand 1 Probe feucht + Behälter m f + m B [g] 1611,2 2 Probe trocken + Behälter m d + m B [g] 1610,4 3 Masse Behälter m B [g] 259,2 4 Masse Probe feucht m f [g] 1-3 1352 5 Masse Probe trocken m d [g] 2-3 1351,2 6 Masse Wasser m w [g] 4-5 0,8 7 Wassergehalt w [-] 6: 5 0,0006 5.5.3 Stahlkugelersatz-Verfahren Das Volumen in der Prüfgrube ist die Summe der verbrauchten Volumina aus dem Messzylinder. V = V 1 - V’ 1 + V 2 - V’ 2 (8) V [cm³] Volumen der Prüfgrube V i [cm³] Volumen im Messzylinder V i ’ [cm³] verbleibendes Volumen im Messzylinder nach Füllung 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 167 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Tab. 20: Volumen der Prüfgrube mittels Stahlkugelersatz-Verfahren Nr V 1 [cm³] V‘ 1 [cm³] V 2 [cm³] V‘ 2 [cm³] V [cm³] 1 1000 0 275 115 1160 2 1000 0 245 110 1135 3 1000 0 295 120 1175 4 1000 0 280 130 1150 5 1000 0 240 80 1160 6 1000 0 305 150 1155 Die Stichprobe ist normalverteilt. 5.5.4 Bodendensiometer nach Haas Das Volumen der Prüfgrube berechnet sich aus der Differenz des Kolbenstands multipliziert mit der Fläche des Zylinders. V = ΔL × A (9) A [cm²] = 292 Fläche des Zylinders L 0 [cm] Ablesung Kolbenstand - Nullmessung L i [cm] Ablesung Kolbenstand - Prüfgrube L M [cm] Arithmetisches Mittel der Messungen ΔL [cm] Differenz L M zu L 0 V [cm³] Volumen der Prüfgrube Tab. 21: Volumen der Prüfgrube mittels Bodendensiometer Nr L 0 [cm] L 1 [cm] L 2 [cm] L 3 [cm] L M [cm] ΔL [cm] V [cm³] 1 20,99 24,86 24,87 24,95 24,89 3,9 1139,77 2 20,99 24,88 24,84 24,84 24,85 3,86 1128,09 3 21,05 24,95 24,95 24,95 24,95 3,9 1138,8 4 19,14 23,01 23,03 23,05 23,03 3,89 1135,88 Wie bereits erwähnt, war bei einzelnen Messungen ein geringfügiger Wasseraustritt aus dem Ventil nicht zu verhindern. Die Menge war aber vernachlässigbar klein. Durch den Wasseraustritt wird das Volumen minimal „überschätzt“. Da sich die Densiometerblase nicht perfekt an die Unebenheiten der Prüfgrube anpassen kann, ist das mit dem Bodendensitometer gemessene Volumen generell zu niedrig. Das Messergebnis wurde also allenfalls verbessert. Auch diese Stichprobe ist gemäß Shapiro-Wilk-Test normalverteilt. 5.5.5 Photogrammetrie Der Shapiro-Wilk-Test lehnt die Nullhypothese bei beiden Fotoserien ab. Da die Daten nicht normalverteilt sind, kann auch der Ausreißertest nach Grubbs nicht angewandt werden. Um die Stichprobe auf Ausreißer zu untersuchen wird die mittlere absolute Abweichung vom Median (MAD) herangezogen. Als Ausreißer erkannt werden Werte, deren Abweichung vom Median größer als das Dreifache vom MAD sind. Nach diesem Kriterium entfallen die kursiv markierten Werte: Tab. 22: Zweite Fotoserie - Im Büro Volumen [cm³] Kamera Smartphone Sony Alpha 7R 50 mm MF Sony Alpha 7R 28 mm AF Nikon D3200 35 mm AF Huawei Mate 20 Pro Huawei P30 Motorola Moto G 1182 1181 1100 1196 1184 1190 Tab. 23: Dritte Fotoserie - Im Freien Volumen [cm³] Kamera Smartphone Sony Alpha 7R 28 mm AF Canon 22 mm Canon 14 mm Nikon D3200 35 mm Nikon D3200 17 mm Huawei P30 1158 1122 1157 1069 1156 1164 Es fällt auf, dass die Volumina aus der zweiten Fotoserie rund 20 cm³ größer sind als die der dritten Serie. Da keine Nullmessung durchgeführt werden konnte, musste der obere Rand der Grube anderweitig ermittelt werden. Bei der Auswertung der zweiten Fotoserie wurde der Rand händisch aus der digitalen Punktwolke ausgelesen, allerdings stellte dieser im Modell keine scharfe Kante dar, wodurch es schwierig war klar zu interpretieren wo die Oberkante liegt. Ein höhenmäßiger Fehler wirkt sich hier stark auf das Endergebnis aus, da die Abweichung in der Höhe mit der Fläche der Grube multipliziert wird. Bei einem Radius von 9 cm und einem Fehler von 0,5 mm ändert sich das Volumen bereits um ~13 cm³. Um dieses Problem zu beheben, wurde der Rand der Prüfgrube bei der dritten Fotoserie mit drei Passpunkt- Markern versehen. Die Marker werden von der Software automatisch erkannt und die von den Punkten aufgespannte Ebene wird zur Definition der Oberkante der 168 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Prüfgrube herangezogen. Es kann angenommen werden, dass dadurch bei der dritten Fotoserie eine höhere Genauigkeit erzielt wurde. Nach dem Bereinigen der Ausreißer liegen die Messergebnisse insbesondere bei der dritten Serie sehr nah beisammen. Auch die Ergebnisse der Smartphone-Kameras stimmen gut mit den anderen Kameras überein. Bemerkenswert ist, dass die Mittelklasse Digitalkameras mit Weitwinkelobjektiven sehr gute Resultate geliefert haben, wohingegen die Auswertung der Fotos mit größerer Brennweite allesamt Ausreißer sind. Nur die Hochleistungskamera Sony Alpha 7R lieferte vergleichbare Ergebnisse mit unterschiedlichen Objektiven, dabei streuten die Ergebnisse jeweils nur um 1 cm³. 5.5.6 Vergleich der Volumina Die starke Streuung der Messergebnisse von Variante 2 des Wasserersatz-Versuchs fällt ins Auge. Die Kunststofffolie erschwerte das präzise Füllen der Prüfgrube, da die Oberkante nicht so leicht erkennbar war. Dazu kommt der Effekt der Oberflächenspannung des Wassers, welcher es ermöglichte, dass der Wasserspiegel den Rand der Grube “überschreitet“ und das Volumen dadurch vergrößert wird. Aufgrund der großen Schwankungen wird diese Versuchsreihe nicht in die nachfolgenden Überlegungen zum tatsächlichen Erwartungswert des Volumens mit einbezogen. Variante 3 zeichnet sich durch die bemerkenswerte Wiederholgenauigkeit aus. Sowohl Variante 3 des Wasserersatz-Verfahrens als auch die Messungen mit dem Bodendensiometer zeigen aber wohl ein zu geringes Volumen an, da sich die Folie bzw. die Densiometerblase nicht perfekt an die Unebenheiten der Prüfgrube anschmiegen. Auch diese beiden Datensätze werden daher in Bezug auf die Diskussion des „wahren Wertes“ nicht weiter in Betracht gezogen. Wegen den Schwierigkeiten die Oberkante der Prüfgrube digital auszulesen wird die zweite Photogrammetrie Serie (Photo-2) ebenfalls aus den Überlegungen ausgenommen. Abb. 18: Verteilung der Volumina Die Verfahren, welche den wahren Wert wahrscheinlich am besten approximieren sind in Abb. 19 dargestellt. Die Photogrammetrie sticht durch die geringe Streuung hervor. Der Mittelwert des Stahlkugelersatz-Verfahrens stimmt nahezu perfekt mit dem Mittelwert aus der Photogrammetrie überein. Zieht man allerdings die große Streuung des Stahlkugelersatz-Verfahrens und die verhältnismäßig kleine Stichprobe in Betracht, dann lässt sich daraus keine definitive Aussage über den wahren Wertableiten, allenfalls die Wahrscheinlichkeit, dass die Photogrammetrie den wahren Wert präzise abbildet, kann dadurch etwas höher eingeschätzt werden. Tab. 24: Mittelwert und Standardabweichung der verschiedenen Methoden Volumen [cm³] WE-1 WE-2 WE-3 WE-4 SaE StE Bodensio Photo-2 Photo-3 1 1169,5 1139,4 1142,5 1165,6 1170,7 1160 1139,77 1182 1158 2 1187,3 1218,6 - 1162,4 1157,8 1135 1128,09 1181 - 3 1160,7 1180,8 1142,8 1169,7 1182,6 1175 1138,8 - 1157 4 1144,8 1171,0 1142,7 1172,8 1177,2 1150 1135,88 1196 - 5 1173,6 1101,0 1142,5 1164,5 1185,5 1160 1184 1156 6 1180,1 1161,8 1141,8 1159,4 1174,6 1155 1190 1164 M.Wert 1169,3 1162,1 1142,5 1165,7 1174,7 1155,8 1135,6 1186,6 1158,7 St.Abw. 15,1 39,7 0,4 4,9 9,9 13,2 5,3 6,3 3,6 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 169 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Abb. 19: Verteilung der Volumina - Verfahren mit der höchsten zu erwartenden Zuverlässigkeit Die Genauigkeit des Wasser-, Sand- und Stahlkugelersatz-Verfahrens ist von der Dichte des Ersatzmediums abhängig. Die konstanteste Dichte hat das Wasser, dies zeigt sich auch in der höheren Präzision von Variante 4 gegenüber Sand- und Stahlkugelersatz. Ein Nachteil des Stahlkugelersatz-Verfahrens ist die niedrige Ablesegenauigkeit, auch die Streuung ist wesentlich höher als bei Variante 4. Gleichermaßen ist die Streuung des Sandersatz-Verfahrens höher als bei Variante 4, außerdem ist die Fehlerfortpflanzung, welche aus Messabweichungen bei der Kalibrierung des Prüfsandes resultiert, zu berücksichtigen. Aus diesen Gründen nähert sich Variante 4 des Wasserersatzverfahrens dem wahren Wert des Volumens wahrscheinlich am besten an. Der Mittelwert aus dieser Messreihe wird daher als „richtiger Wert“ angenommen (Begriffsdefinitionen „wahrer“ und „richtiger“ Wert vgl. Internationales Wörterbuch der Metrologie, Richtiger Wert - Wikipedia). Demzufolge weichen die Ergebnisse der Photogrammetrie um 0,5 % vom als richtig angenommenen Wert ab und weisen dabei die geringste Streuung aller Datensätze auf. 5.6 Vergleich mit früheren SDD-Feldversuchen Die Verwendung von Photogrammetrie zur Ermittlung des Volumens der Prüfgrube wurde bereits von Bettina Radinger MSc in ihrer Masterarbeit (Radinger 2018) in Zusammenarbeit mit ADP-Rinner untersucht. Die Resultate von Radinger werden in Relation zu den hier gewonnenen Ergebnissen betrachtet. Zur Feststellung der Genauigkeit und der Präzision der Versuche wurden im Zuge der Erdbaulaborantentage 2018 Bodenprüfanstalten [...] aus ganz Österreich zu einem Rundversuch eingeladen. Das Probefeld für die Durchführung des österreichweiten Rundversuchs wurde in einer Kiesgrube der Welser Kieswerke Treul & Co GmbH in Gunskirchen errichtet. Zur Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der Prüfmethoden werden regelmäßig derartige Rundversuche der akkreditierten Prüfanstalten durchgeführt. In diesem Rundversuch lag der Schwerpunkt auf den Tragfähigkeitsuntersuchungen und der In-situ-Dichtebestimmung. (Radinger 2018) Der Rundversuch wurde in zwei Phasen durchgeführt. Im Rahmen eines Vorversuches wurden die Anforderungen an das Probefeld überprüft, anschließend fand der Hauptversuch im angepassten Probefeld statt. Das Volumen mehrerer Prüfgruben wurde zu Vergleichszwecken sowohl photogrammetrisch ermittelt als auch mit Wasserersatz-, Sandersatz-Verfahren oder Bodendensiometer. Tab. 25: Ergebnisse aus dem Vorversuch (Radinger 2018) Konventionelle Verfahren SDD Prüflabor Verfahren Volumen [cm³] Volumen [cm³] Differenz [%] 1 Wasserersatz 2658 2555 3,9 2 Bodendensiometer 971 824 15,1 3 nicht durchgeführt 4 Bodendensiometer 2987 2384 20,2 5 Bodendensiometer 2615 2608 0,3 6 Bodendensiometer 4305 3549 17,6 7 Sand 1707 1594 6,6 8 Sand 2597 2302 11,4 9 Bodendensiometer 1222 1116 8,7 10 Bodendensiometer 1201 1271 5,5 11 Sand 830 655 21,1 Mittlere Abweichung 11,0 170 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Tab. 26: Ergebnisse aus dem Hauptversuch (Radinger 2018) Konventionelle Verfahren SDD Prüflabor Verfahren Volumen [cm³] Volumen [cm³] Differenz [%] 4 Bodendensiometer 3339 3092 7,4 5.1 Bodendensiometer 3230 2857 11,5 5.2 Bodendensiometer 2840 2670 6,0 9.1 Bodendensiometer 2619 2243 14,4 11.1 Sandersatz 2719 2500 8,1 Mittlere Abweichung 9,5 Sowohl beim Vorals auch beim Hauptversuch waren die Unterschiede zwischen SDD und den konventionellen Verfahren relativ groß. Im Mittel unterschätzte das SDD- Verfahren das Volumen um etwa 10 % im Vergleich zu den anderen Methoden. Demgegenüber betragen die Abweichungen zwischen SDD und den anderen Methoden bei den Versuchen an der künstlichen Prüfgrube in der gegenständlichen Arbeit im Schnitt unter 1 %. Für diese Beurteilung wurden die Mittelwerte der relevanten Messreihen herangezogen. Unter Laborbedingungen konnte also eine sehr gute Übereinstimmung erreicht werden. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass beim Rundversuch pro Prüfgrube jeweils nur eine Messung durchgeführt wurde. Da die Messwerte aufgrund verschiedener Faktoren streuen (siehe Ergebnisse in Tab. 24), ist die zu erwartende Zuverlässigkeit von Einzelmessungen (s. Tab. 25 und Tab. 26) im Vergleich zum Mittelwert von Messreihen, in denen dasselbe Volumen gemessen wurde (s. Tab. 27) geringer, da die zufällige Streuung durch wiederholtes Messen und Mittelwertbildung kompensiert wird. Es ist auch anzumerken, dass das Erproben der photogrammetrischen Volumenbestimmung nicht im Fokus des Rundversuchs lag. D.h. die in Kapitel 2.5 beschriebenen Voraussetzungen für eine hochwertige Messung wurden möglicherweise nicht optimal erfüllt, insbesondere die Prüfgrubengeometrie mit steilen Wänden dürfte ungünstig gewesen sein. Tab. 27: Differenz der Mittelwerte zwischen konventionellen Verfahren und SDD im Labor Konventionelle Verfahren SDD (Photo-3) Verfahren Volumen [cm³] Volumen [cm³] Differenz [%] WE-1 1169,3 1158,7 0,9 WE-4 1165,7 1158,7 0,6 SaE 1174,7 1158,7 1,4 StE 1155,8 1158,7 0,3 Mittlere Abweichung 0,8 Beim Rundversuch durchgeführte Vergleichsmessungen an einer einzelnen Prüfgrube (s. Tab. 28) ergaben eine etwas schlechtere Wiederholgenauigkeit als die Messreihen im Labor. Die Standardabweichung der im Feld gemessenen Volumina beträgt 2,9 % des Mittelwerts, während die Standardabweichungen der Labormessungen zwischen 0,3 % und 1,3 % des jeweiligen Mittelwertes liegen (s. Tab. 29). Eliminiert man das mit Smartphone- Kamera ermittelte Volumen aus dem Datensatz ergibt sich für die Photogrammetrie (der unter Laborbedingungen durchgeführten Versuche) sogar eine Wiederholgenauigkeit unter 1 ‰. Tab. 28: Vergleichsmessung an einer Prüfgrube Prüflabor (chronologisch) Verfahren Volumen [cm³] 9 Bodendensiometer 3929 4 Bodendensiometer 4041 6 Bodendensiometer 4156 5 Bodendensiometer 3993 12 Sandersatz 4216 Mittelwert 4067 Standardabweichung 117,6 Sta.Abw./ Mittelwert [%] 2,9 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 171 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Tab. 29: Streuung der Messungen im Labor Verfahren Mittelwert [cm³] Sta.Abw. [cm³] Sta.Abw./ Mittelwert [%] WE-1 1169,3 15,1 1,3 WE-4 1165,7 4,9 0,4 SaE 1174,7 9,9 0,8 StE 1155,8 13,2 1,1 Photo-3 1158,7 3,6 0,3 6. Versuchsreihe 2 - Wassergehalt In Versuchsreihe 2 wurde die Wassergehaltermittlung mittels TDR-Sonde untersucht. Die SONO M1 Sonde des Herstellers IMKO wurde anhand verschiedener Bodenarten erprobt, als Referenzwert wurden die Proben ofengetrocknet. Die TDR-Sonde von IMKO bietet Kalibrierungen für unterschiedliche Materialien. Das Ziel dieser Arbeit ist die Eignung der Sonde für Feldversuche zu überprüfen, wobei davon auszugehen ist, dass eine genaue Klassifizierung des Materials im Allgemeinen nicht gegeben ist und lediglich eine Bodenansprache vor Ort gemacht werden kann. In der Praxis wird es also in der Regel nicht möglich sein, eine für das jeweilige Material optimierte Kalibrierung zu verwenden. Eine Kalibrierung ähnlich Topp et al. (1), welche eine gute Näherung für verschiedene Böden darstellt, ist notwendig. Die von IMKO zur Verfügung gestellte „Universal Soil“ - Kalibrierkurve entspricht diesen Anforderungen, sie eignet sich für eine große Auswahl von Böden mit Tonanteil < 50 Mass-%, lediglich für die Trockendichte des Bodens muss korrigiert werden (IMKO 2017). Die Kalibrierung wurde vom Hersteller für die PICO 64 Sonde entwickelt, kann laut Aussage des Herstellers aber auch mit der SONO M1 Sonde verwendet werden. Über die Ermittlung der vom Hersteller angegebenen Präzision des Messgerätes sowie dessen Kalibrierung wurden seitens des Herstellers keine genaueren Informationen zu Verfügung gestellt. Ob die Streuung von ±0,3 Vol.-% ohne Verwendung auf den jeweiligen Boden abgestimmter Kalibrierkurven erreichbar ist und wie sich die Anwendung für ein anderes Endgerät optimierten Kalibrierung auf die Ergebnisse auswirkt, ist fraglich und Gegenstand der Untersuchungen dieser Arbeit. Bei der Verwendung der Kalibrierkurve „Universal Soil“ wird vom Hersteller eine Korrektur des Messwertes vorgeschrieben, welche in einem linearen Zusammenhang mit der Dichte des untersuchten Bodens steht (s. Abb. 21). Über die Grundlage dieser Korrekturfunktion wurden ebenfalls keine Daten zur Verfügung gestellt, vermutlich handelt es sich um eine lineare Regression, die auf den Forschungsdaten des Herstellers basiert. Abb. 20: Volumetrischer Wassergehalt über Impulslaufzeit 172 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Abb. 21: Dichteabhängige Korrektur Mangels Zugriffes auf entsprechende Daten zur Entwicklung des Messgeräts, können hier keine Aussagen über die Unschärfe der Messungen getroffen werden. In dieser Arbeit wird daher ein empirischer Ansatz verfolgt. Die Genauigkeit der Feuchtemessung wird im Vergleich zum Ofentrocknen beurteilt. 6.1 Abschätzung der erreichbaren Messgenauigkeit Im Vorfeld der Versuchsdurchführung wurden Überlegungen zur erreichbaren Messgenauigkeit angestellt. Unter der Annahme, dass die TDR-Sonde den volumetrischen Wassergehalt materialunabhängig mit der vom Hersteller angegebenen Genauigkeit abbildet, wurde die theoretische Standardabweichung mit dem Gaußschen Fehlerfortpflanzungsgesetz geschätzt. Das Gaußsche Fehlerfortpflanzungsgesetz: (10) y aus mehreren fehlerbehafteten Eingangsgrößen berechnete Variable x i Eingangsgrößen u i Messunsicherheit der Eingangsgrößen u y Unsicherheit der berechneten Variable y Bei SDD werden die folgenden Werte bestimmt: m f [g] Masse der feuchten Probe, mit geeigneter Waage V [cm³] Volumen der Prüfgrube, mit Photogrammetrie q ϑ [Vol.-%] Volumetrischer Wassergehalt bei der Temperatur ϑ, mit TDR-Sonde Die Standardabweichung der genannten Werte beträgt: σ V = ± 0,3 [%] Aus Versuchsreihe 1 σ m = ± 0,1 [g] Ablesegenauigkeit der Waage σ q ϑ = ± 0,3 [Vol.-%] Angabe des Herstellers σ V [cm³] Standardabweichung der Volumenmessung σ mf [g] Standardabweichung der Masse der feuchten Probe σ q ϑ [Vol.-%] Standardabweichung des volumetrischen Wassergehalts Aus diesen Werten lässt sich die enthaltene Wassermasse m w berechnen: m w = V × q ϑ × ρ w (11) m w [g] Wassermasse ρ w [g/ cm³] Dichte des Wassers angenommen mit 1,0 g/ cm³ 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 173 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Damit ergibt sich der Wassergehalt: (12) m d [g] Trockenmasse w ϑ [-] Gravimetrischer Wassergehalt bei der Temperatur ϑ Mit den partiellen Ableitungen nach allen fehlerbehafteten Variablen: (13) (14) (15) Ergibt sich die theoretische Standardabweichung: (16) σ wϑ [-] Standardabweichung des gravimetrischen Wassergehalts Die Standardabweichung der einzelnen Messgrößen ist bekannt (s. oben), durch Einsetzen realistischer Werte einer fiktiven Bodenprobe kann die theoretisch erreichbare Genauigkeit abgeschätzt werden: m f = 2640 [g] σ mf = ± 0,1 [g] V = 1380 [cm³] σ V = ± 1380*0,003 [cm³] = ± 4 [cm³] q ϑ = 20 [%] = 0,2 [-] σ θϑ = ± 0,003 [-] σ wϑ = ±0,002 Ausgehend von der oben angenommenen Präzision der einzelnen Messgrößen sollte der Wassergehalt mit einer Genauigkeit von etwa 0,2 % ermittelt werden können, wobei die Präzision der Feuchtemessung den größten Einfluss auf das Ergebnis hat. 6.2 Messaufbau Um die Trockendichte der Bodenprobe bestimmen zu können, wurden die Proben in einen Eimer mit bekanntem Volumen gefüllt. Der Wassergehalt der Probe wurde mittels Sonde gemessen und anschließend wurde eine Stichprobe ofengetrocknet. Bei feinkörnigen Böden wurde ein Ausstechzylinder für die Dichtebestimmung verwendet. Die folgenden Materialien und Instrumente kamen zum Einsatz: • SONO M1 - Sonde: TDR-Feuchtesonde des Herstellers IMKO • HD2 - Handlesegerät: Lesegerät zur Bedienung der TDR-Sonde Wiederholgenauigkeit ±0,2 [%] • Eimer: Als Behälter für die Bodenproben. Den Empfehlungen des Herstellers entsprechend wurde ein nichtmetallischer Eimer mit hinreichenden Abmessungen verwendet (IMKO 2017) V = 9213 [cm³] • Waage: Zum Bestimmen der Masse des Eimers samt Bodenprobe, sowie der Tara des Eimers. Zum Wiegen der Probe vor und nach dem Ofentrocknen. Ablesegenauigkeit 0,1 g • Ausstechzylinder: Zur Bestimmung der Dichte bei den feinkörnigen Proben. V = 893 [cm³] • Messschieber mit Nonius: Zur Abmessung des Ausstechzylinders wurde ein Messschieber mit Ablesegenauigkeit 0,1 mm verwendet. Aus den Messungen wurde das Volumen des Gefäßes berechnet. • Einschlagstück: Zum Eintreiben des Ausstechzylinders in den Boden. • Spachtel: Zum ebenen Abziehen des Ausstechzylinders. • Schaufel: Zum Umfüllen der Bodenproben und als Werkzeug zum Mischen, wenn Wasser dazugegeben wurde. • Stahllineal o.ä.: Zum ebenen Abziehen der Bodenprobe an der Oberkante des Eimers. • Mörteleimer 20l o.ä.: Einigen Bodenproben wurde Wasser beigemischt, um unterschiedliche Wassergehalte messen zu können, zum Mischen wurde ein größerer Eimer benötigt. • Metallschüsseln: Zum Trocknen der Stichproben um den Wassergehalt genau zu ermitteln wurden hitzebeständige Metallschüsseln mit bekannter Tara verwendet. • Bodenproben: Diverse Bodenproben wurden untersucht, von feinkörnigem tonig-schluffigen Material bis hin zu gut abgestuftem sandigem Kies. 174 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung 6.3 Messablauf Zu Beginn wurde das Volumen des Eimers durch Auslitern bestimmt und die Tara gewogen, um einen Bezug zur Dichte des Materials herstellen zu können. Den meisten Bodenproben wurde Wasser hinzugefügt, da es sich um trockenes Material handelte und unterschiedliche Wassergehalte gemessen werden sollten. Dazu wurde der Boden in einen großen Mörteleimer gefüllt und durch Rütteln und Umrühren mit der Schaufel solange gemischt, bis optisch keine Unterschiede in der Materialfeuchte erkennbar waren. Der Messablauf war für alle Proben der gleiche. Zunächst wurde der Eimer bis zum Rand gefüllt und zur Verdichtung mehrmals angehoben und fallengelassen. Danach wurde die Probe mit einem Stahllineal an der Oberkante des Eimers abgezogen und gewogen. Anschließend wurde der Wassergehalt mit der TDR-Sonde gemessen (s. Abb. 22). Zuletzt wurde an der Einstichstelle eine Stichprobe entnommen, in eine hitzebeständige Schüssel gegeben, gewogen und zum Trocknen bei 105 °C in den Ofen gegeben. Die Probe ist trocken, sobald die Masse unverändert bleibt. Bei den ersten sechs Proben wurden verschiedene Kalibrierungen in Abhängigkeit der jeweiligen Korngröße versucht. Die Auswertung ergab jedoch keine gute Annäherung an den tatsächlichen Wassergehalt. Es wurden zwei Probleme identifiziert. Zum einen die Schwierigkeit eine geeignete Kalibrierung auszuwählen, ohne die Korngrößenverteilung und Dichte des Bodens zu kennen und zum anderen die Interpretation des ausgegebenen Wassergehaltes. Die Sonde gibt je nach Kalibrierung Mass-% oder Vol.-% aus, das Lesegerät zeigt jedoch nur % als Einheit an, somit war unklar, ob es sich beim Messwert um den gravimetrischen oder volumetrischen Wassergehalt handelte. Da verschiedene Kalibrierungen eingesetzt wurden, war es mit so einem kleinen Datensatz nicht möglich Rückschlüsse, welcher Wassergehalt angezeigt wurde, zu ziehen. Abb. 22: TDR-Sonde in Quarzsand Diese Probleme wurden in Zusammenarbeit mit dem Hersteller adressiert. Die Sonde wurde mit einer neuen Kalibrierung „Universal Soil“ ausgestattet, welche den volumetrischen Wassergehalt ausgibt. Die Kalibrierung ist auf einen Boden mit einer Trockendichte ρ d von 1,4 kg/ dm³ ausgelegt, weicht die Trockendichte des untersuchten Materials davon ab, muss der Wassergehalt korrigiert werden. Die entsprechende Formel wird von IMKO zur Verfügung gestellt. Abb. 23: Ausgraben des Ausstechzylinders Mit „Universal Soil“ wurden weitere 10 Bodenproben untersucht. Bei Probe 7 bis 10 handelte es sich um den gleichen feinkörnigen Sand wie in Probe 3. Die erste Messung aus dieser Reihe wurde mit trockenem Sand durchgeführt, dann wurde bei jeder Iteration etwas mehr Wasser dazu gegeben. Die Dichte des feuchten Sandes wurde mit dem Ausstechzylinder bestimmt (s. Abb. 23), deshalb musste das Material nicht an der Oberkante des Eimers abgezogen werden, um ein korrektes Referenzvolumen zu erhalten. Die Trockendichte wurde mit dem gravimetrischen Wassergehalt aus der Ofentrocknung bestimmt und zur Korrektur der TDR-Messung herangezogen. Für Probe 11 bis 13 wurde genormter Quarzsand herangezogen, auch hier wurde bei jeder Probe etwas mehr Wasser dazugegeben. Die Dichte des Quarzsandes wurde wiederum, wie bei den ersten sechs Versuchen, über das Volumen des Eimers und die Gesamtmasse der Probe ermittelt, da der Sand zu grobkörnig für die Verwendung des Ausstechzylinders war. Bei Probe 13 wurde beobachtet, dass sich freies Wasser am Boden des Eimers gesammelt hatte. Die TDR-Sonde misst den Wassergehalt im oberen Bereich des Eimers, freies Wasser am Boden wird nicht zuverlässig erkannt. Da die Stichprobe für die Ofentrocknung jedoch ebenfalls an der Oberfläche im Bereich der Einstichstelle der Sondenstäbe entnommen wurde, konnte dennoch eine gute Übereinstimmung zwischen den beiden Messmethoden erwartet werden. Die Proben 14 bis 16 wurden schließlich mit dem gleichen gut abgestuften sandigen Kies wie in den Proben 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 175 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung 2, 5 und 6 durchgeführt. Bei Probe 16 dürfte der Boden zumindest teilweise gesättigt gewesen sein, nach dem Verdichten war an der Oberfläche eine wässrige Suspension mit feinkörnigem Material sichtbar (s.Abb. 24), dies könnte die Präzision der Messung beeinflusst haben. Die ofengetrockneten Proben wurden im Allgemeinen am Tag nach der Versuchsdurchführung ausgewertet, nachdem Massenkonstanz erreicht war. Abb. 24: Probe Nr. 16, wässrige Suspension an der Oberfläche 6.4 Messergebnisse Die Messergebnisse sind in den nachfolgenden Tabellen dargestellt. Aus Platzgründen wurden die Spaltenüberschriften von Tab. 30 getrennt dargestellt. Zur Interpretation der Messergebnisse sind Informationen über die Kalibrierung der TDR-Sonde notwendig. Die genauen Bezeichnungen der verwendeten Kalibrierungen sind in Tab. 32 festgehalten. Tab. 30: Messergebnisse Versuchsreihe 2 TDR Ofentrocknen Nr. A B C D E F G H I 1 10487,4 234,6 9212,6 11,7 - SONO 02 1013,5 820,4 238,5 2 16088,6 234,6 9212,6 1,8 - SONO 13 4977,5 4917,4 421,9 3 13998,6 234,6 9212,6 1,9 - SONO 01 1784,2 1751,8 169,7 4 13812,1 234,9 9212,6 12,7 - SONO 01 1103,7 964,8 190,6 5 16123,6 234,6 7822,0 4,4 - SONO 13 4929,5 4747,2 729,2 6 20079,1 237,5 9212,6 8,4 - SONO 13 3603,2 3427,3 475,2 7 14140,1 237,5 8476,3 - 0,4 PICO 01 852,9 850,9 169,2 8 1573,3 238,5 893,0 - 4,3 PICO 01 1573,3 1528,0 238,5 9 1654,4 308,1 893,0 - 6,3 PICO 01 1654,4 1593,2 308,1 10 1546,0 158,5 893,0 - 8,8 PICO 01 1546,0 1451,6 158,5 11 14052,6 236,6 9212,6 - 3,7 PICO 01 1923,5 1859,8 158,6 12 14509,4 237,1 9212,6 - 4,9 PICO 01 1889,1 1816,1 171,7 13 15363,4 240,0 9212,6 - 5,7 PICO 01 2380,0 2300,9 255,0 14 15750,5 234,7 9212,6 - 5,2 PICO 01 2234,9 2159,3 238,5 15 19090,0 234,9 9212,6 - 15,5 PICO 01 2548,1 2392,0 158,5 16 20020,1 250,4 9212,6 - 32,5 PICO 01 3962,1 3610,4 308,1 176 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Tab. 31: Spaltenüberschriften Tab. 30 Nr Bezeichnung Einheit A Masse Probe Feucht + Behälter [g] B Masse Behälter [g] C Volumen V [cm³] D Gravimetrischer Wassergehalt w [Mass.-%] E Volumtrischer Wassergehalt θ [Vol.-%] F Kalibrierung [-] G Masse Probe Feucht + Behälter [g] H Masse Probe trocken + Behälter [g] I Masse Behälter [g] Tab. 32: Detaillierte Bezeichnung der Kalibrierung Kalibrierung Bezeichnung Einheit SONO 01 Sand 0..2mm, 1.5kg/ l [Mass.-%] SONO 02 Sand 0..4mm, 1.6kg/ l [Mass.-%] SONO 13 Kiessand 0..16mm, 1.8kg/ l [Mass.-%] PICO 01 Universalboden [Vol.-%] Die „SONO ##“ Kalibrierungen sind lineare Kalibrierkurven, welche den gravimetrischen Wassergehalt des gewählten Materials abbilden und von IMKO für die SONO M1 entwickelt wurden. „PICO 01“ bezeichnet die Kalibrierkurve „Universalboden“, diese wurde für die PICO64 - Sonde erstellt. Die PICO64 - Sonde unterscheidet sich von der SONO M1 durch ihre beschichteten Sondenstäbe, welche in leitfähigen Materialien bessere Ergebnisse erzielen. Da diese Kalibrierung also nicht für die SONO M1 - Sonde optimiert ist, müssen die Messergebnisse auf ihre Verlässlichkeit überprüft werden. Das Volumen des Eimers wurde durch Auslitern bestimmt und das Volumen des Ausstechzylinders aus den Abmessungen mit einem Messschieber berechnet. Bei den Proben 5 und 7 war der Eimer nicht bis zum Rand gefüllt, die Differenz wurde als Zylinder, dessen Höhe als Mittelwert von vier Messungen mit einem Meterstab definiert wurde, berechnet. 6.5 Diskussion der Messergebnisse Bei SDD werden die Masse der feuchten Probe m f , das Volumen V und der volumetrische Wassergehalt q ϑ in-situ gemessen. Um daraus den gravimetrischen Wassergehalt zu berechnen wird die Trockendichte ρ d benötigt, da diese nur in Abhängigkeit der Eingangsgrößen berechnet werden kann, vergrößert sich der Messfehler beim gravimetrischen Wassergehalt w durch die Fehlerfortpflanzung. In dieser Versuchsreihe kann die Trockendichte jedoch durch das Ofentrocknen unabhängig von den TDR-Messungen bestimmt werden. Zu Vergleichszwecken wird der gravimetrische Wassergehalt sowohl mit der genaueren Trockendichte aus der Ofentrocknung als auch ausschließlich über die in-situ bestimmbaren Messwerte ausgewertet. 6.5.1 Auswertung „Labor“ Nachfolgend werden die TDR-Messungen mit dem gravimetrischen Wassergehalt durch Ofentrocknen verglichen. Da die Kalibrierkurven der Sonde vom Hersteller zur Verfügung gestellt werden, ist es möglich die gemessene Laufzeit t p rückzurechnen, um dann den Messwert verschiedener Kalibrierungen mit t p zu berechnen. Damit lassen sich verschiedene Interpretationsmöglichkeiten qualitativ vergleichen. Um die Berechnungen übersichtlich darzustellen, werden die Kürzel der Spaltenüberschriften (s. Tab. 31) als Variablen eingesetzt. Berechnung des gravimetrischen Wassergehaltes mittels Ofentrocknen: (17) w ϑ [Mass-%] Gravimetrischer Wassergehalt bei der Temperatur ϑ m d [g] Trockenmasse m f [g] Masse der feuchten Probe Die Messwerte der Kalibrierung „Universalboden“ müssen mit der Trockendichte des Materials korrigiert werden. Zudem wird die Trockendichte benötigt, um den volumetrischen Wassergehalt in den Gravimetrischen umzurechnen. (18) Die Korrektur des Wassergehalts gemäß IMKO: ∆θ ϑ = 17,05 - 12,12 × ρ d (19) θ ϑ = θ ϑ,gemessen + ∆θ ϑ = E + ∆θ ϑ (20) Umrechnung volumetrischer Wassergehalt auf gravimetrisch: (21) V [cm³] Volumen ρ d [g/ cm³] Trockendichte q ϑ [Vol.-%] Volumetrischer Wassergehalt bei der Temperatur ϑ, mit TDR-Sonde Verschiedene Kalibrierkurven kamen beim Messen mit der TDR-Sonde zum Einsatz, bzw. werden in weiterer Folge eingesetzt, um auf den volumetrischen Wassergehalt der Proben zu schließen. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 177 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung SONO 01: w = m 0 + m 1 × t p 1 = -6,13 + 0,0519 × t p 1 = D (22) SONO 02: w = m 0 + m 1 × t p 1 = -6,00 + 0,049 × t p 1 = D (23) SONO 13: w = m 0 + m 1 × t p 1 = -5,80 + 0,043 × t p 1 = D (24) PICO 01 und PICO 04: θ = m 0 + m 1 × t p 1 + m 2 × t p 2 + m 3 × t p 3 + m 4 × t p 4 + m 5 × t p 5 = E (25) m 0 - m 5 Polynomfaktoren t p Laufzeit des Impulses der TDR-Sonde w [Mass-%] Gravimetrischer Wassergehalt Tab. 33: Polynom-Faktoren von (25) Kalibrierung m 0 m 1 m 2 m 3 m 4 m 5 PICO 01 -21,57 0,34 -0,00182 5,29E- 06 -7,02E- 09 3,61E- 12 PICO 04 -16,03 0,27 -0,00146 4,22E- 06 -5,60E- 09 2,88E- 12 Die Gleichung (25) gibt bei PICO 01 den Zusammenhang zwischen dem volumetrischen Wassergehalt θ und t p an, während PICO 04 die relative Dielektrizitätskonstante κ in Abhängigkeit von t p darstellt. Die relative Dielektrizitätskonstante κ ist das Verhältnis zwischen der Dielektrizitätskonstante des Vakuums ε 0 und der Permittivität des untersuchten Mediums ε. Da es sich bei PICO 01 um ein Polynom 5. Grades handelt, lässt sich t p nicht explizit darstellen, um die Laufzeit der mit PICO 01 gemessenen Werte zu ermitteln, wird die Funktion grafisch in Excel mit einer Auflösung von 0,01% ausgewertet. ε [F/ m] Dielektrizitätskonstante eines bestimmten Mediums ε 0 [F/ m] Dielektrizitätskonstante des Vakuums κ [-] Relative Dielektrizitätskonstante Zur Übersicht sind die Rechenschritte hier nochmals zusammengefasst: • Der wahre Wassergehalt errechnet sich aus dem Gewicht der feuchten und ofengetrockneten Probe (17) (s. Tab. 34 Spalte 7) • Mit Hilfe der Kalibrierkurven (22), (23), (24) und (25) wird für alle Messungen die Laufzeit t p ausgewertet. (s. Tab. 34 Spalte 2) • κ wird für alle Proben mit (25) unter Verwendung der PICO 04 Faktoren (s. Tab. 33 Zeile 3) berechnet. (s. Tab. 34 Spalte 3) • Für die Proben 1 bis 6 wird mit (25) unter Verwendung der PICO 01 Faktoren (s. Tab. 33 Zeile 2) der volumetrische Wassergehalt θ gemessen ermittelt. • Alle Werte θ gemessen werden mit (20) korrigiert. (s. Tab. 34 Spalte 4) • Aus κ und (1) ergibt sich der volumetrische Wassergehalt nach Topp et al. • Zum Vergleich mit dem wahren Wassergehalt (Ofentrocknung) wird der volumetrische Wassergehalt nach Universalkalibrierung (s. Tab. 34 Spalte 4) und nach Topp et al. über die Trockendichte (18) in den gravimetrischen Wassergehalt umgerechnet (21) (s. Tab. 34 Spalten 5 und 6). Durch die Verwendung der Trockendichte, welche durch das Ofentrocknen sehr genau ist, werden genauere Werte als beim Feldversuch erreicht. Im Unterschied zu Versuchsreihe 1 - Volumenmessung wurde bei der Feuchtemessung nicht die gleiche Messgröße mehrfach gemessen und daraus ein Mittelwert, der den wahren Wert abbilden soll, berechnet. Bei jeder Probe wurde ein anderer Wert gemessen. Da nicht derselbe wahre Wert mehrfach gemessen wurde, ist die Anwendung klassischer statistischer Merkmale wie der Standardabweichung hier nicht möglich. Beim Ofentrocknen wird jedoch eine sehr hohe Genauigkeit erreicht, bei diesem Versuchsaufbau kann dieser Wassergehalt als wahrer Wert angenommen werden. Um ein Maß für die Präzision der Messungen zu bekommen, wird die mittlere Abweichung vom wahren Wert wie folgt berechnet: (26) x i [Mass.-%] Wassergehalt w PICO01 und w Topp w i [Mass.-%] Wassergehalt aus Ofentrocknung MAD [%] engl. Mean Absolute Deviation, mittlere absolute Abweichung 178 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Tab. 34: Auswertung mit exakter Trockendichte TDR Ofentrocknen Nr. tp [-] κ [-] w PICO01 [Mass.- %] w Topp [Mass.- %] w [Mass.- %] 1 362,0 13,9 32,2 34,6 33,2 2 175,0 5,0 0,7 4,7 1,3 3 155,0 4,0 2,0 3,8 2,0 4 364,0 14,0 15,2 21,5 17,9 5 236,0 7,5 0,7 7,0 4,5 6 329,0 11,9 2,9 11,1 6,0 7 114,0 1,5 0,0 0,0 0,3 8 167,0 4,6 2,7 4,9 3,5 9 205,0 6,2 4,1 7,6 4,8 10 253,5 8,2 5,7 10,6 7,3 11 157,0 4,1 2,3 4,0 3,7 12 178,0 5,1 2,7 5,6 4,4 13 193,0 5,7 2,3 6,2 3,9 14 183,0 5,3 1,6 5,4 3,9 15 357,0 13,6 5,0 13,3 7,0 16 538,0 27,1 13,7 21,9 10,7 MAD 1,7 3,0 Die Berechnung ergibt für Probe Nr. 7 einen negativen Wassergehalt, rechnerisch ist das durch die Korrektur (20) möglich, aber physikalisch nicht sinnvoll, der Wert wird daher gleich Null gesetzt. Abb. 25 zeigt die Verteilung der TDR-Messwerte über dem zugehörigen, aus der Ofentrocknung als wahrer Wassergehalt angenommener Wert. Liegen die Werte auf der schwarzen strichlierten Linie, dann ist der TDR-Wert identisch mit dem wahren Wert. Die grünen Linien markieren die 5 % Toleranzgrenze für die zulässige relative Messunsicherheit des Wassergehaltes im Erdbau und zur Verdichtungsprüfung, welche als Richtwert in der ONR 24407 (Österreichisches Normungsinstitut 2012) vermerkt ist. Die Grundlage für diesen Richtwert wird in der ONR nicht weiter kommentiert. Die mechanischen Eigenschaften von Erdbauwerken wie z.B. Dammkörper, hängen wesentlich von deren Einbaudichte ab. Je nach Bodenart spielt der Wassergehalt für die Einbau- und Verdichtbarkeit eine bzw. die zentrale Rolle. Bei Bodenarten (bzw. Korngrößenverteilungen) mit einer flachen Proctorkurve ist bezüglich Wassergehalt eine geringere, bei Bodenarten mit einer steilen Proctorkurve eine größere Sensitivität hinsichtlich einer Abweichung vom optimalen Wassergehalt gegeben. Somit ist die tolerierbare Messgenauigkeit des Wassergehalts stark von der Bodenart abhängig. (Adam 2018). 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 179 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Abb. 25: Verteilung der Messwerte Die Auswertung w PICO01 hat den niedrigeren MAD, keine der beiden Auswertungen liegt jedoch innerhalb der Toleranzgrenzen nach ONR 24407 (Österreichisches Normungsinstitut 2012). Für hinsichtlich Einbauwassergehalt kritische Böden, ist eine Messunsicherheit im einstelligen %-Bereich zur Beurteilung einer adäquaten Verdichtbarkeit als nicht ausreichend zu bezeichnen. Mit der durchschnittlichen Abweichung vom wahren Wert gleich 1,7 % entspricht die erreichte Genauigkeit nicht der Schätzung von Kapitel 6.1 und ist etwa 8-mal so groß wie ausgehend von der theoretischen Messunsicherheit zu erwarten wäre. Die Abweichungen sind wahrscheinlich auf Material abhängige Unsicherheitsfaktoren bei der TDR-Feuchtemessung zurückzuführen, gemäß Kapitel 6.1 ist der zu erwartende Einfluss der Messfehler von Volumen und Masse der Probe auf die Messunsicherheit des gravimetrischen Wassergehalts vernachlässigbar. Mögliche Gründe für die Unsicherheiten der TDR-Messung sind die Eigenschaften der Kalibrierung „Universal Soil“ selbst, als Kalibrierung mit breitem Anwendungsspektrum kann die Messunsicherheit nicht wie bei einer materialspezifischen Kalibrierung minimiert sein, und Gerätspezifische Unterschiede in der Impulslaufzeit zwischen der SONO M1 Sonde und der PICO 64 Sonde, für welche die Kalibrierung entwickelt wurde. 6.5.2 Auswertung „in-situ“ Die Berechnung des gravimetrischen Wassergehaltes beim Feldversuch unterscheidet sich für die beiden verschiedenen Kalibrierungen, da die Trockendichte bei der PICO 01-Auswertung sowohl zur Korrektur des volumetrischen Wassergehaltes als auch zur Berechnung des gravimetrischen Wassergehaltes benötigt wird, während bei der Topp-Auswertung der Wassergehalt über die Trockendichte direkt von volumetrisch in gravimetrisch umgerechnet wird. Der volumetrische Wassergehalt nach Topp wird gleich wie im vorigen Abschnitt bestimmt. Der gravimetrische Wassergehalt kann einfach mit (12) berechnet. Die Berechnung mit PICO 01 erfolgt über Äquivalenzumformungen von (12), (19), (20) und (21). Durch Gleichsetzen von (12) und (21) und das Einsetzen von (20) ergibt sich die Trockendichte: (27) m f [g] Masse der feuchten Probe, mit geeigneter Waage V [cm³] Volumen der Prüfgrube, mit Photogrammetrie ρ d [g/ cm³] Trockendichte ρ w [g/ cm³] Dichte des Wassers angenommen mit 1,0 [g/ cm³] 180 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung q gemessen [Vol.-%] Volumetrischer Wassergehalt bei der Temperatur ϑ, mit TDR-Sonde Durch Rückwärtseinsetzen in (20) ergibt sich dann der korrigierte volumetrische Wassergehalt und mit (21) der gravimetrische Wassergehalt. Die mittlere Abweichung vom wahren Wert der beiden Auswertungen wird erneut mit (26) berechnet. Tab. 35: Auswertung mit abgeleiteter Trockendichte TDR Ofentrocknen Nr. w PICO01 Labor w PICO01 Feld w Topp Labor w Topp Feld w [Mass.- %] [Mass.- %] [Mass.- %] [Mass.- %] [Mass.- %] 1 32,2 24,8 34,6 30,1 33,2 2 0,7 0,6 4,7 4,8 1,3 3 2,0 1,9 3,8 3,9 2,0 4 15,2 13,3 21,5 21,4 17,9 5 0,7 0,2 7,0 7,2 4,5 6 2,9 2,4 11,1 11,6 6,0 7 0,0 0,0 0,0 0,0 0,3 8 2,7 2,5 4,9 4,9 3,5 9 4,1 4,0 7,6 7,8 4,8 10 5,7 5,4 10,6 10,8 7,3 11 2,3 2,0 4,0 4,1 3,7 12 2,7 2,4 5,6 5,6 4,4 13 2,3 2,0 6,2 6,3 3,9 14 1,6 1,3 5,4 5,5 3,9 15 5,0 4,5 13,3 14,1 7,0 16 13,7 14,3 21,9 24,3 10,7 MAD 1,7 2,5 3,0 3,4 Die Abweichungen vom wahren Wert haben sich erwartungsgemäß vergrößert. Abb. 26 und Abb. 27 zeigen die vergrößerte Abweichung vom wahren Wert. Wie bereits im vorigen Abschnitt erwähnt sind Messunsicherheiten in dieser Größenordnung allenfalls bei Böden mit sehr flacher Proctorkurve akzeptabel. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 181 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung Abb. 26: Streuung der Messwerte - PICO 01 Abb. 27: Streuung der Messwerte - Topp 182 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung 7. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Im Vergleich zu den Ergebnissen aus dem österreichweiten Rundversuch (Radinger 2018) wurde die Qualität der Volumenmessung mittels Photogrammetrie wesentlich verbessert. Eine Aussage über den wahren Wert des Prüfgrubenvolumens ist bei den Daten aus dem Rundversuch zwar schwer zu treffen, da für die meisten Prüfgruben nur ein Wert vorliegt. Bei den Vergleichsmessungen an einer Prüfgrube (s. Tab. 28) zeigt sich jedoch eine ähnliche Streuung wie bei Versuchsreihe 1 in dieser Arbeit und es fällt auf, dass das Volumen nach Sandersatz-Verfahren etwa 3 % größer ist als die Volumina, die mittels Bodendensiometer gemessen wurden, diese Relation hat sich auch beim Laborversuch bestätigt. Obwohl die Bodendensiometer-Versuche den wahren Wert um 3 % unterschätzen, lagen die Ergebnisse der Photogrammetrie noch etwa 10 % unter den Vergleichswerten (s. Tab. 25 und Tab. 26). Es ist also davon auszugehen, dass die photogrammetrische Auswertung beim Rundversuch den wahren Wert des Volumens deutlich unterschätzte. Der Grund dafür ist wahrscheinlich hauptsächlich auf eine schlechte Prüfgrubengeometrie zurückzuführen. Demgegenüber konnte in Versuchsreihe 1 im Rahmen dieser Arbeit mittels Photogrammetrie eine höhere Präzision als mit den konventionellen Messverfahren erreicht werden und die Abweichung vom wahren Wert liegt bei nur 0,5 %. Außerdem hat sich gezeigt, dass eine hinreichende Auflösung für diese Anwendung im Nahbereich bereits mit Smartphones im mittleren bis oberen Preissegment erreicht werden kann. Bei Auflösungen über 10 MP erreicht die digitale Punktwolke bei der Auswertung Abstände im 1/ 10 mm Bereich. Messunsicherheiten dieser Größenordnung spielen bei üblichen Anwendungen in der Geotechnik aufgrund der Inhomogenität des Materials eine untergeordnete Rolle. Das Verfahren ist technisch ausgereift und für den praktischen Einsatz bereit. Bei der Ermittlung des Wassergehaltes konnte die in Kapitel 6.1 geschätzte Genauigkeit nicht erreicht werden, da die angenommene Genauigkeit des volumetrischen Wassergehaltes nicht realistisch war. Dies ist unter anderem auf den Umstand zurückzuführen, dass der Zusammenhang zwischen der relativen Dielektrizitätskonstante und dem volumetrischen Wassergehalt materialspezifisch variiert. Mit speziellen Kalibrierkurven für ein bestimmtes Material kann mit der TDR-Sonde eine sehr hohe Genauigkeit erreicht werden, für die geplante Anwendung der Feuchtesonde bei SDD sind diese Materialeigenschaften jedoch nicht immer bekannt und der Einsatz einer Kalibrierung, welche allgemein eine gute Näherung erreicht, ist notwendig. Die Auswertung des Wassergehalts mit der Universalkalibrierung PICO 01 (s. Tab. 35 Spalte 3) ergibt eine gute Übereinstimmung mit dem Wassergehalt durch Ofentrocknen. Im Zuge dieser Versuchsreihe wurden hauptsächlich rollige und gut abgestufte Bodenproben untersucht, lediglich bei Probe Nr. 1 und Nr. 4 handelte es sich um feinkörnigen Boden. Da nur wenige feinkörnige Proben untersucht wurden, lässt sich keine allgemeine Aussage über die Anwendbarkeit dieser Messmethode in bindigen Böden treffen. Die Abweichungen vom wahren Wassergehalt entsprechen nicht der durch die ONR 24407 (Österreichisches Normungsinstitut 2012) empfohlenen Toleranzgrenze von 5 %. Damit ist die digitale Wassergehaltermittlung mittels TDR-Sonde allenfalls für die Verdichtungsprüfung von nicht bindigen Böden, deren mechanische Eigenschaften nicht so stark vom Wassergehalt abhängig sind, geeignet. Der Wassergehalt nicht-bindiger Böden ist in der Regel niedrig und dürfte dem Messbereich bis w=10 Mass.-%, indem sich die meisten Proben befinden, entsprechen. Die Anwendung bei feinkörnigen Böden bedarf weiterer Untersuchungen und ist auf Basis dieser Arbeit nicht empfehlenswert. 8. Ausblick Die Volumenmessung mit SDD erweist sich als zuverlässig und weist eine hohe Präzision auf. Zusammen mit der Feuchtemessung im Feld zur Bestimmung der Trockendichte wird ein kompletter Arbeitsschritt, nämlich die Analyse der Bodenprobe im Labor, eliminiert. Daraus sollte eine erhebliche Zeit- und Kostenersparnis resultieren. Der in dieser Arbeit vorgestellte Versuchsaufbau sollte auch bei der Durchführung der Versuche in situ Vorteile gegenüber den konventionellen Ersatz-Verfahren bieten. Der Arbeitsablauf wird vereinfacht, es muss lediglich die Feuchtemessung durchgeführt werden und im Anschluss dazu die Fotoserien für die digitale Auswertung des Volumens erstellt werden. Die Anzahl der Proben innerhalb eines Baustellenbesuches ist nur durch die verfügbare Zeit begrenzt. Bei den konventionellen Verfahren ist die Anzahl der Proben durch die Transportmöglichkeiten begrenzt, zudem muss beim Wasser- und Sandersatz genug von dem Ersatzmedium mitgeführt werden. Den Zeitaufwand bei der Versuchsdurchführung betreffend, ist lediglich das Bodendensiometer vergleichbar mit SDD, wobei SDD Vorteile durch die geringere Messunsicherheit bietet. Die etablierten Volumenersatzverfahren sind benachteiligt durch den aufwändigen Umgang mit dem Ersatzmedium. Ein weiterer Vorteil von SDD ist, dass die Anwendbarkeit, die Volumenmessung betreffend, unabhängig von der Korngrößenverteilung des Bodens ist, während die konventionellen Versuche jeweils hauptsächlich für bestimmte Bodenarten geeignet sind. Allenfalls bei sehr grobporigen Böden könnte das Volumen mittels SDD etwas zu groß ausfallen, weil Porenräume an der Oberfläche der Grube durch die Fotos mit abgebildet werden und der Grube ein scheinbar größeres Volumen verleihen. Als Messverfahren ist SDD vielversprechend, weitere Untersuchungen sind aber empfehlenswert. Die erwarte- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 183 Smart Density Determination (SDD): Insitu-Bodendichtebestimmung mittels Photogrammetrie und digitaler Wassergehaltsermittlung ten Vorteile sollten anhand von in situ Versuchen untersucht und quantifiziert werden. Die Messunsicherheit des Volumens bei grobporigen Böden könnte näher betrachtet werden. Vor allem bei der Feuchtemessung besteht noch Bedarf zur Verbesserung. Die Grenzen der Anwendbarkeit von TDR hinsichtlich feinkörniger Böden müssen eruiert werden. Andere auf dem Markt verfügbare TDR-Sonden könnten für diese Anwendung untersucht werden, mögliche Zusammenhänge zwischen der Bodenart und Messunsicherheit, der Einfluss der elektrischen Leitfähigkeit des Bodens auf die Messergebnisse oder die Ermittlung neuer Kalibrierkurven, etwa einer eigenen Universalkalibrierung für die SONO M1 Sonde auf Basis eines hinreichend großen Datensatzes, könnten Gegenstand zukünftiger Forschungsarbeit sein. Eine Option um die Problematik der Messunsicherheit der TDR Sonden zu umgehen, könnte die Verwendung einer Mikrowelle zum Ofentrocknen vor Ort sein. Diese Methode wird in der Praxis als nicht genormter Versuch zur internen Qualitätskontrolle zum Teil bereits angewandt und könnte die Anforderungen an die Genauigkeit erfüllen und gleichzeitig die erwünschte Zeitersparnis bei der Auswertung der Messergebnisse bieten. Literaturverzeichnis [1] Adam, D. (2018) Erdbau, Sonderdruck aus: Grundbau-Taschenbuch: Teil 2, Geotechnische Verfahren, Ernst & Sohn, Berlin, Deutschland [2] Ahmetovic, E. (2015) Bachelorprojekt: Das Stahlkugelersatzverfahren zur Bestimmung der Dichte von Böden in situ, Technische Universität Graz, Österreich [3] ASTM D 1556-07 (2008) Standard Test Method for Density and Unit Weight of Soil in Place by the Sand-Cone Method. American Society for Testing and Materials - ASTM International, West Conshohocke, USA [4] Böttinger, W. U. 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Bernhard Odenwald Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Zusammenfassung Die Schifffahrt verursacht in Kanälen temporär Wasserstandsänderungen, die bei der Bemessung der Uferspundwände zu berücksichtigen sind. Nach EAU ist deshalb in der ständigen Bemessungssituation ein Wasserspiegelabsunk von 80 cm gegenüber dem Normalwasserstand anzusetzen. Die aus diesem schnellen, temporären Absunk resultierende Verteilung des Porenwasserüberdrucks unterhalb der Kanalsohle im Erdwiderlager vor der Spundwand hängt hauptsächlich von den Bodeneigenschaften Durchlässigkeit k, Steifigkeit des Korngerüsts K s und Sättigungsgrad S r sowie der Absunkgeschwindigkeit v ab. Mittels analytischer 1D-Berechnung kann die Porenwasserüberdruckverteilung über die Tiefe in Abhängigkeit von v/ k sowie K s und S r ermittelt werden. Nach EAU wird die Entstehung von Porenwasserüberdrücken nicht berücksichtigt und stattdessen auf beiden Seiten der Spundwand ein hydrostatischer Wasserdruckansatz gewählt, was zu einer Diskontinuität am Wandfuß führt. In diesem Beitrag wird unter Verwendung der analytischen Lösung geprüft, ob der EAU-Ansatz für die Spundwandbemessung auf der sicheren Seite liegt oder eine detailliertere Betrachtung erforderlich ist. 1. Einleitung Bei der Bemessung von Kanalspundwänden ist nach EAU (2020) in der ständigen Bemessungssituation ein temporärer Absunk des Kanalwasserspiegels um 80 cm durch Schifffahrt zu berücksichtigen. Die in zugehörige Skizze der Wasserdruckverteilung in der EAU zeigt für diesen Bemessungsfall auf der Wasserseite der Spundwand einen hydrostatischen Wasserdruckverlauf ab der abgesenkten Wasserspiegeloberfläche und auf der Landseite ebenfalls einen hydrostatischen Wasserdruckverlauf ab dem Grundwasserspiegel, der sich auf Höhe des Normalwasserstands im Kanal befindet. Eine Skizze dieses hydrostatischen Ansatzes in Abbildung 1 verdeutlicht, dass dadurch eine Diskontinuität am Spundwandfuß entsteht und somit nicht die realen Wasserdruckverhältnisse wiedergegeben werden. In Abbildung 1 ist zusätzlich rechts von der Wasserdruckverteilung der zeitliche Verlauf der Wasserstandänderung aufgrund der durch die Schifffahrt verursachten Wellen nach GBB (Ausgabe 2010) sowie die vereinfacht linearisierte Absunkfunktion, die im Folgenden verwendet wird, dargestellt Abbildung 1: Links: Hydrostatische Wasserdruckansatz auf eine Kanalspundwand nach EAU infolge temporären Wasserspiegelabsunks ΔH durch Schifffahrt, rechts: realer und linearisierter zeitlicher Verlauf der Wasserstandsschwankungen durch Schifffahrt (GBB, Ausgabe 2010) Bei diesem Absunk handelt es sich um eine schnelle, temporäre Beanspruchung des Untergrunds unterhalb der Kanalsohle, während eine hydrostatische Wasserdruckverteilung im Untergrund erst in einem stationären Zustand zu erwarten ist. 188 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Wasserdruckansätze für Uferspundwände von Kanälen bei schneller Wasserspiegelabsenkung Somit stellt der Ansatz nach EAU eine starke Vereinfachung der tatsächlichen Wasserdruckverhältnisse im Boden vor der Spundwand dar. Tatsächlich breitet sich die Wasserdruckänderung auf die Kanalsohle in Abhängigkeit von Bodendurchlässigkeit sowie den Steifigkeiten von Kornmatrix und Porenfluid verzögert im Boden aus und führt zu Porenwasserüberdrücken, die hydraulische Gradienten und somit Strömung verursachen. Für die Spundwandbemessung sind sowohl die Wasserdruckverteilung auf die Wand als auch die Auswirkung von hydraulischen Gradienten auf den Erdwiderstand relevant. Eine aufwärtsgerichtete Strömung vor der Spundwand führt zu einer Reduktion des Erdwiderlagers, was eine direkte Auswirkung auf die erforderliche Einbindetiefe hat. Änderungen von Erdwiderstand und Wasserdruckverteilung beeinflussen wiederum die Querschnittsbemessung der Wand und die erforderlichen Ankerkräfte. Im Folgenden soll daher geprüft werden, ob der Ansatz nach EAU auf der sicheren Seite liegt oder ob neue vereinfachte Modelle angewendet werden müssen, um die Kanalspundwände unter Berücksichtigung schneller Wasserstandsänderungen zu bemessen. 2. Wasserdruckverteilung im Boden durch temporären Absunk Boden ist bekanntlich ein dreiphasiges Medium, bestehend aus Feststoff, Wasser und Gas. Gaseinschlüsse im Boden können eine Folge von Grundwasserspiegelschwankungen oder biogenischen Ursprungs sein (z. B. Abbauprozesse organischer Substanzen). Selbst mehrere Meter unterhalb des Wasserspiegels kann Gas in Form von Bläschen im Porenraum vorhanden sein. Es ist davon auszugehen, dass ein Restanteil an Gas in allen baupraktisch relevanten Böden zu finden ist und folglich nicht von einer Vollsättigung (Sättigungsgrad S r = 100%) auszugehen ist. Auch zeigen Laborexperimente, dass Vollsättigung nur unter sehr hohem Wasserdruck zu erreichen ist. In vielen baupraktischen Fällen ist der Sättigungsgrad nicht von Belang. Für zeitabhängige Fragestellungen wie einer schnellen, zeitlich begrenzten Wasserstandsänderung kann Teilsättigung infolge Gaseinschlusses jedoch von Relevanz sein. Aufgrund der erheblich größeren Kompressibilität von Gas im Verhältnis zu der von Wasser, dämpfen und verzögern Gaseinschlüsse die Ausbreitung von Porenwasserdruckänderungen im Boden. Diese Effekte sind umso ausgeprägter, je rascher eine (hydraulische und/ oder mechanische) Laständerung erfolgt. „Rasch“ bezieht sich hierbei auf die hydraulische Durchlässigkeit des Bodens und kann dementsprechend eine große Bandbreite an Zeitdauern umfassen, von wenigen Sekunden bis zu mehreren Wochen. Abbildung 2: Wasserdruckverteilung am Erdwiderlager einer Spundwand bei temporärem Absunk um ΔH, blaues Dreieck: hydrostatische Wasserdruckverteilung vor dem Absunk, graues Dreieck: hydrostatische Wasserdruckverteilung bei dauerhafter Absenkung, schraffierter Bereich: Porenwasserüberdruck bei schnellem Absunk Im Folgenden wird ein homogener Boden unter einem Kanal entsprechend der Situation in Abbildung 2 betrachtet. Dabei wird im Baugrund unterhalb der Kanalsohle ein geringer Anteil von Gaseinschlüssen im Boden berücksichtigt. D. h der Boden unterhalb der Kanalsohle ist - abgesehen von den geringen Gaseinschlüssen - wassergesättigt. Der Kanalwasserstand senkt sich um ΔH, was beispielsweise infolge Schiffswellen vergleichsweise schnell erfolgen kann. Die Änderung der hydraulischen Auflast auf die Kanalsohle um ΔH∙γ w führt zu einer Wasserdruckänderung im darunter anstehenden Boden, die sich in einen stationären und einen instationären Anteil, den Porenwasserüberdruck Δp w , aufteilen lässt. Die Verteilung des Porenwasserüberdrucks ist in Abbildung 2 schraffiert gekennzeichnet und stellt in diesem Fall den Wasserdruck dar, der größer ist als der hydrostatische Wasserdruck am Ende des Absunks (graues Dreieck in Abbildung 2) für eine hier angenommene langanhaltende Wasserspiegelabsenkung. Der verbleibende Porenwasserüberdruck im Boden führt zu aufwärts gerichteten hydraulischen Gradienten i. Bei einer dauerhaften Wasserstandsabsenkung um ΔH würde sich der Porenwasserüberdruck im Verlauf eines Dissipationsprozesses mit fortschreitender Zeit vollständig abbauen. Der Betrag des Porenwasserüberdrucks nimmt mit der Tiefe zu, da der zur Dissipation erforderliche Weg mit der Tiefe zunimmt. Der Porenwasserüberdruck kann in einer größeren Tiefe maximal ΔH∙γ w betragen. Der Betrag des Porenwasserüberdrucks hängt jedoch vom Verhältnis der Steifigkeiten von Matrix (Korngerüst) und Fluid (Gas und Wasser) ab. Weiche Böden können mit volumetrischen Änderungen (Vergrößerung des Porenraums) auf 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 189 Wasserdruckansätze für Uferspundwände von Kanälen bei schneller Wasserspiegelabsenkung die Wasserstandsänderung reagieren, was Porenwasserüberdrücke selbst in größeren Tiefen instantan verringert. Die Größe und Verteilung des resultierenden Porenwasserüberdrucks wird somit einerseits durch das Verhältnis der Absunkgeschwindigkeit v zur Bodendurchlässigkeit k und andererseits durch das Verhältnis der Steifigkeit der Kornmatrix zu der des Porenfluids bestimmt. Diese Zusammenhänge werden von Montenegro et al. (2015) auf Grundlage der Poroelastizitätstheorie von Biot beschrieben. Eine geeignete dimensionslose Kenngröße stellt der Parameter B nach Skempton (1954) dar, der sich durch den sofortigen Porenwasserdruckanstieg Δu bei schneller, isotroper Kompression um Δσ im Triaxialgerät bestimmen lässt. Diese Aufteilung der Laständerung auf Matrix und Fluid kann ebenso durch die jeweiligen Kompressionsmoduln K s und K wg sowie die Porosität n beschrieben werden: B = Δu / Δσ = 1 / (1+n∙K s / K wg ) Im Falle einer eindimensionalen Verformung wird die Kompressibilität der Bodenmatrix durch den oedometrischen Steifemodul E s unter Verwendung der vom Bodenmaterial abhängigen Poissonzahl ν beschrieben: E s = 3 K s (1-3ν+2ν 2 ) / (1-ν-ν 2 ) In Montenegro et al. (2015) wird in Anlehnung an den Skempton-Parameter B der Lastaufteilungsfaktor B* für die Betrachtung eindimensionaler Fragestellungen eingeführt, wobei die Steifigkeit des Korngerüsts durch den Steifemodul E s beschrieben wird: B* = 1 / (1+n∙E s / K wg ) Bei einem vollgesättigten Boden ist i. Allg. B ≈ 1 (oder B* ≈ 1), da die fluide Phase ohne Gaseinschlüsse wesentlich steifer ist als das Korngerüst (K wg >> K s ). Allerdings kann eine Felsmatrix durchaus Steifigkeiten in der Größenordnung von Wasser aufweisen. Im Fels sind somit, selbst bei Vollsättigung, Werte von B < 1 (oder B* < 1) möglich. Der Sättigungsgrad S r bezeichnet den volumetrischen Anteil n w des gesamten Porenvolumens n, der mit Wasser gefüllt ist (S r = n w / n). Je geringer der Sättigungsgrad S r , d. h. je höher der volumetrische Anteil der Gasphase ist, desto „weicher“ reagiert das Fluid auf plötzliche Laständerungen. Diese Laständerung verteilt sich nach Steifigkeitsverhältnis von Korngerüst zu Fluid. Der Kompressionsmodul des Fluids kann auf Grundlage des aktuellen Porenwasserdrucks p w bestimmt werden. Unter Vernachlässigung der Oberflächenspannungseffekte sowie der Löslichkeit von Gas im Wasser wird vereinfachend in der Gas- und der Wasserphase der gleiche Druck p w angesetzt. Die Kompressionssteifigkeit der Gasphase kann entsprechend dem Ansatz von Boyle-Mariott ausgewertet werden. Hieraus lässt sich der Kompressionsmodul des Fluids K wg als Funktion des Sättigungsgrads S r formulieren (Montenegro et al. 2015): K wg = 1 / (S r / K w +(1-S r ) / p w ) Mit Hilfe des Lastaufteilungsfaktors B* lässt sich der Betrag des maximalen Porenwasserüberdrucks Δp w infolge eines Absunks (Verringerung der hydraulischen Auflast) um ΔH∙γ w beschreiben: Δp w = (1-B*) ∙ΔH∙γ w Für B* ≈ 1 tritt kein Porenwasserüberduck auf, da der Boden gesättigt ist. Die Druckänderung pflanzt sich in diesem Fall nahezu unverzögert fort, was die quasi instantane Einstellung eines stationären Zustands bedeutet. Je geringer der Sättigungsgrad S r und somit auch der Faktor B*, desto größer ist die zu erwartende Verzögerung der Druckausbreitung und der daraus resultierende Porenwasserüberdruck. Dies zeigt, dass der Sättigungsgrad bzw. das dadurch maßgebend beeinflusste Verhältnis der Steifigkeiten von Fluid und Kornmatrix die Größe des Porenwasserüberdrucks maßgeblich bestimmen. Zur Beschreibung dieser Abhängigkeit wird anstelle des Sättigungsgrads S r oftmals der Gasgehalt n g verwendet, der durch den volumetrischen Gasanteil am gesamten Bodenvolumen unabhängig von der Porosität definiert ist: n g = n n w = (1-S r ) ∙ n Das Verhältnis zwischen der Absunkgeschwindigkeit v = ΔH/ t a (mit der Absunkzeit t a ) und der hydraulischen Durchlässigkeit k ist neben dem Steifigkeitsverhältnis Matrix-Fluid entscheidend für den Betrag und die Verteilung des Porenwasserüberdrucks im Boden. Zwei Extremfälle sind in Abbildung 3 skizziert. Rechts ist die Absunkgeschwindigkeit im Vergleich zur Bodendurchlässigkeit vergleichsweise gering (v/ k < 10.000), links vergleichsweise hoch (v/ k > 100.000). Die tatsächliche Porenwasserüberdruckverteilung infolge des Absunks ist wiederum schraffiert dargestellt. Es ist zu erkennen, dass bei geringem v/ k-Verhältnis (vergleichsweise langsamer Absunk bzw. gut durchlässiger Boden) der Porenwasserüberdruck über eine große Tiefe bis zu einem Maximalwert ansteigt, während bei hohem v/ k-Verhältnis (vergleichsweise rascher Absunk bzw. gering durchlässiger Boden) das Maximum des Porenwasserüberdrucks bereits im oberen Bodenbereich erreicht wird und der Porenwasserüberdruck darunter konstant bleibt. Dies bedeutet, dass die Änderung der hydraulischen Auflast bei durchlässigen Böden und/ oder langsamer Druckänderung tiefer in den Boden reicht als bei geringdurchlässigen Böden und/ oder schnellen Druckänderungen. Dadurch entsteht im ersten Fall ein vergleichsweise geringer hydraulischer Gradient im Bereich des gesamten Erdwiderlager der Wand (links in Abbildung 3). Dagegen ergibt sich im zweiten Fall (rechts in Abbildung 3) ein hoher hydraulischer Gradient, der jedoch auf den oberen Bereich des Erdwiderlagers begrenzt ist. 3. Vereinfachte Modellansätze zur Berücksichtigung einer temporären Absenkung Zur Überprüfung des hydrostatischen Ansatzes nach EAU für einen temporären Absunk werden die resultierenden Gradienten aus den beiden Extremfällen in Abbildung 3 betrachtet, jeweils ein vereinfachter Wasserdruckansatz abgeleitet und hinsichtlich seiner Tauglichkeit für die Bemessung untersucht. 190 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Wasserdruckansätze für Uferspundwände von Kanälen bei schneller Wasserspiegelabsenkung Abbildung 3: Links: erstes Modell eines konstanten hydraulischen Gradienten bis zum Spundwandfuß in durchlässigen Böden (v/ k < 10.000), rechts: zweites Modell einer verflüssigten Schicht an der Kanalsohle in geringdurchlässigen Böden (v/ k > 100.000); schraffierter Bereich: tatsächliche Verteilung des Porenwasserüberdrucks, dicke schwarze Linie: vereinfachter Ansatz des Porenwasserüberdrucks Im ersten Modell mit vergleichsweise geringem v/ k < 10.000 (Abbildung 3, links) wird vereinfacht über die Einbindetiefe t der Spundwand unterhalb der Kanalsohle ein konstanter hydraulischer Gradient i = ΔH∙γ w / t angenommen. Damit wird eine aufwärtsgerichtete Strömung im Bereich des Erdwiderlagers der Spundwand induziert. Strömungskräfte können rechnerisch über eine Änderung der Auftriebswichte γ‘ berücksichtigt werden: γ‘‘ = γ‘ i∙γ w Durch die aufwärts gerichtete Strömung wird die Auftriebswichte reduziert. Der Porenwasserdruck p w wird aufgrund der Annahme eines konstanten hydraulischen Gradienten mit einem linearen Anstieg von p w = γ w ∙(H- ΔH) an der Kanalsohle bis p w = γ w ∙(H+t) am Spundwandfuß angesetzt. Im zweiten Model mit vergleichsweise großem v/ k > 100.000 (Abbildung 3, rechts) wird aufgrund des hohen hydraulischen Gradienten an der Kanalsohle von einer Verflüssigung bis in eine Tiefe z* (siehe Abbildung 4) ausgegangen. Für die vereinfachte Approximation wird deshalb der Erdwiderstand erst unterhalb dieser verflüssigten Schicht berücksichtigt. Bei diesem Ansatz wird in der verflüssigten Schicht ein linearer Anstieg des Porenwasserdrucks von p w = γ w ∙(H-ΔH) an der Kanalsohle bis p w = γ w ∙(H+z*) an der Grenze zum unverflüssigten Boden, wo der Wasserdruck dem vor dem Absunk entspricht, angesetzt. Die Mächtigkeit z* der verflüssigten Schicht wird durch ein Kräftegleichgewicht an einem Bodenelement an der Kanalsohle berechnet (Abbildung 4): γ w ∙(H-ΔH) + (γ‘+γ w )∙z* = γ w ∙(H+z*) Daraus resultiert: z* = ΔH∙γ w / γ‘ Abbildung 4: Kräftegleichgewicht an der Kanalsohle zur Bestimmung der Tiefe z* des verflüssigten Bereichs für das vereinfachte Modell. Um zu prüfen, ob die vorgeschlagenen Modellansätze für eine statische Bemessung der Spundwand im Vergleich zum Ansatz nach EAU auf der sicheren Seite liegen, wurden Berechnungen für das in Abbildung 5 dargestellte Spundwandsystem einer einfach rückverankerten Wand mit vorgegebener Einbindetiefe von t = 4 m und vorgegebenem Spundwandprofil (TKL 603) mit der Software Retain der Fa. GGU durchgeführt. Zu Vergleichszwecken wurde für alle Modellrechnungen ein kohäsionsloser Boden mit jeweils gleichen Bodenparametern (φ‘ = 35°, c‘ = 0 kPa, γ‘ = 11 kN/ m³) zugrunde gelegt. Zur Beurteilung wurden die ermittelten Größen für den Einspanngrad µ, sowie die charakteristischen Werte des maximalen Moments M E,k und der Ankerkraft A k verglichen. Die Berechnungsergebnisse sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Abbildung 5: Gewähltes Referenzsystem einer einfach rückverankerten Spundwand mit fester Einbindetiefe Sowohl aus der Berechnung mit dem ersten Modell (abgeminderte Bodenwichte) als auch aus der Berechnung mit in dem zweiten Modell (verflüssigte Bodenschicht) resultieren geringere Einspanngrade und höhere Schnittgrößen für M E,k sowie A k als bei der Berechnung mit dem 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 191 Wasserdruckansätze für Uferspundwände von Kanälen bei schneller Wasserspiegelabsenkung vereinfachten hydrostatischen Wasserdruckansatz nach EAU. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die gewählten Modellansätze gegenüber dem Ansatz nach EAU auf der sicheren Seite liegen. Allerdings wird dadurch nicht belegt, ob durch diese beiden Modellansätze die tatsächliche Beanspruchung der Spundwand besser wiedergeben wird, als durch den vereinfachten Modellansatz nach EAU. Tabelle 1: Berechnungsergebnisse für die einfach rückverankerte Spundwand nach Abbildung 5 unter Verwendung des hydrostatischen Ansatzes nach EAU sowie des ersten Modells (abgeminderte Bodenwichte) und des zweiten Modells (verflüssigte Bodenschicht) Parameter EAU erstes Modell zweites Modell Einspanngrad µ in % 85 48 69 max. Moment M E,k in kNm/ m 61 94 70 Ankerkraft A k in kN/ m 37 47 40 4. Analytischer Ansatz zur Bestimmung des Porenwasserüberdrucks Um die tatsächliche, örtliche und zeitliche Verteilung des Porenwasserüberdrucks im Boden unterhalb der Kanalsohle bei schnellem Absunk des Kanalwasserspiegels besser zu berücksichtigen, wird eine analytische Lösung der eindimensionalen Differentialgleichung zur gekoppelten Beschreibung der Grundwasserströmung sowie der Spannung und Verformung des Bodens verwendet. Diese wurde, wie in Montenegro und Odenwald (2017) beschrieben, aus einer analytischen Lösung für ein Wärmeleitungsproblem in einem Stab nach Carslaw und Jaeger (1959) abgeleitet. Die Differentialgleichung, die die Porenwasserüberdruckverteilung in einer teilgesättigten, linear elastischen Bodensäule infolge einer Absenkung des Wasserspiegels mit konstanter Geschwindigkeit beschreibt, stellte sich als eine Boussinesq-Gleichung des gleichen Typs wie die des Wärmetransportproblems dar. Das Randwertproblem der analytischen Lösung ist in Abbildung 6 skizziert. Abbildung 6: Randwertproblem der analytischen Lösung für eine Absenkung des Wasserstands mit konstanter Absenkgeschwindigkeit oberhalb einer teilgesättigten Bodensäule Die Bodensäule der Höhe L ist an den Seiten und dem unteren Rand undrainiert (q = 0) und am oberen drainierten Rand, wo die Wasserdruckänderung um ΔH∙γ w aufgebracht wird, kann sich kein Porenwasserüberdruck aufbauen (Δp w = 0, q ≠ 0). Es sind durch einwertige Horizontallager ausschließlich Vertikalverformungen möglich. Am Fuß der Säule befindet sich ein zweiwertiges Lager. Eingangsgrößen für den elastischen Boden sind die Parameter E-Modul E, Poissonzahl ν, Porosität n, Durchlässigkeit k und Gasgehalt n g. Hieraus lässt sich der Lastaufteilungskoeffizient B* berechnen. Der zeitliche Verlauf der Belastung, hier vereinfacht als lineare Wasserstandsänderung ΔH in der Absunkzeit t a angesetzt, ist in Abbildung 6 im Diagramm oben rechts dargestellt (analog zum linearisierten Ansatz des Wasserspiegelabsunks in Abbildung 1). Daraus ergibt sich die Absunkgeschwindigkeit v = ΔH/ t a . In Abhängigkeit dieser Eingangswerte lässt auf Grundlage der analytischen Lösung des oben beschriebenen Randwertproblems die Porenwasserüberdruckverteilung Δp w über die Tiefe z berechnen. Betrachtet wird dabei der Zeitpunkt t = t a der maximalen Wasserstandsänderung, für den sich auch die größten Porenwasserüberdrücke ergeben. Die umfangreiche Gleichung der analytischen Lösung ist hier nicht dargestellt und kann dem Beitrag von Montenegro und Odenwald (2017) entnommen werden. 192 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Wasserdruckansätze für Uferspundwände von Kanälen bei schneller Wasserspiegelabsenkung Abbildung 7: Porenwasserdruckverteilung in einer Bodensäule aus durchlässigem Sand (k=10 -4 m/ s) (oben) und aus gering durchlässigen Schluff (k=10 -8 m/ s) (unten) für unterschiedliche B*-Werte (in %) (Anmerkung: Die Oszillationen im unteren Diagramm bei B* = 5% bis B = 20% könnten mit einer besseren Approximation der analytischen Lösung behoben werden, die jedoch das hier verwendete Tabellenkalkulationsprogramm Excel an seine Grenzen bringt. Die Aussagekraft des Ergebnisses wird durch die numerischen Oszillationen jedoch nicht beeinträchtigt.) In Abbildung 7 sind exemplarisch für einen stark durchlässigen Boden (Sand, k = 10 -4 m/ s) und einen gering durchlässigen Boden (Schluff, k = 10 -8 m/ s) die Porenwasserüberdruckverteilungen in einer 8 m hohen Bodensäule bei verschiedenen B*-Werten (in %) von 10 bis 90% dargestellt. Dabei wird eine Absenkung des Wasserstands oberhalb der Bodensäule von H = 4 m um D H = 80 cm in der Absenkzeit t a = 10 s angesetzt. Damit betragen die v/ k-Verhältnisse für die beiden Bodenarten v/ k = 800 für den Sand und v/ k = 8.000.000 für den Schluff. Auf den ersten Blick bestätigt die Darstellung der Porenwasserüberdruckverteilung die Annahmen der beiden vereinfachten Modelle aus Kapitel 3. Bei v/ k = 800 reicht die Porenwasserüberdruckänderung bis in die Tiefe von 8 m. Bei v/ k = 8.000.000 hingegen steigt der Porenwasserüberdruck in den oberen Zentimetern von Null auf den Maximalwert und bleibt über die Tiefe konstant. Der maximale Betrag des Porenwasserüberdrucks Δp w,max ist bei vorgegebenem B*-Wert unabhängig vom v/ k-Verhältnis 5. Vergleich der Berechnungsergebnisse mit den vereinfachten Modelle mit denen des analytischen Berechnungsansatzes Diese analytische Lösung lässt sich auf die Porenwasserüberdruckentstehung im Erdwiderlager der Kanalspundwand übertragen (Ewers et al. 2017). Die Höhe L der Säule entspricht dabei der doppelten Einbindetiefe der Spundwand (L = 2t), da bei dieser Säulenhöhe im Allg. der maximale Porenwasserüberdrucks bis zur Tiefe t erreicht wird (siehe Abbildung 7). Der in Abbildung 1 dargestellte Wiederanstieg des Kanalwasserspiegels hat keinen Einfluss auf die maximalen Porenwasserüberdrücke, so dass die Betrachtung des linearen Absunks von ΔH = 80 cm in t a = 10 s ausreichend ist. Für den Vergleich der Berechnungsergebnisse auf Basis der vereinfachten Modellansätze aus Kapitelt 3 und des hydrostatischen Modellansatzes der EAU unter Berücksichtigung der Porenwasserüberdrücke aus der analytischen Lösung wird wiederum das System der einfach rückverankerten Spundwand mit konstanter Einbindetiefe (Abbildung 5) herangezogen. Um die Porenwasserüberdrücke der analytischen Lösung in der statischen Bemessung der Spundwand mit dem Progamm GGU Retain zu verwenden, wird der Porenwasserüberdruck durch einen Zusatzdruck auf die Spundwand vorgegeben und der Boden am Erdwiderlager in viele Schichten untereilt, denen jeweils die modifizierte Auftriebswichte γ‘‘ für die jeweiligen hydraulischen Gradienten aus der Porenwasserüberdruckverteilung zugewiesen wird. Ergibt sich in der Bodenschicht an der Kanalsohle eine modifizierte Wichte γ‘‘ ≤ 0,0 kPa, so ist durch den hohen Gradienten von einer Verflüssigung auszugehen und die zu berücksichtigende Kanalsohle wird so lange tiefer angesetzt, bis sich in der Schicht eine modifizierte Bodenwichte γ‘‘ > 0,0 kPa ergibt. Die Gesamtlänge der Spundwand bleibt durch die tiefere Berücksichtigung der Kanalsohle (zunächst) unverändert. Vergleichskriterien stellen wiederum der Einspanngrad, das Bemessungsmoment und die Ankerkraft dar. Zur Beurteilung der vereinfachten Modellansätze und des EAU-Ansatzes werden Böden mit drei verschiedenen Durchlässigkeiten von k = 10 -4 bis 10 -8 m/ s und daraus resultierenden v/ k-Werte von 8 10 3 bis 8 10 7 betrachtet. Die Werte der Reibungswinkel φ, der Auftriebswichten γ‘ und der Porosität n wurden bodentypisch für Sand (S), sandigen Schluff (SU) und Schluff (U) gewählt. Eine Kohäsion wurde bei allen Bodentypen nicht berücksichtigt. Die resultierenden Porenwasserüberdruckverteilungen je v/ k-Wert werden durch den B*-Wert bestimmt, weshalb für jede Bodenart vier verschiedene, bodentypische Elastizitätsmodule E jeweils bei Gasgehalten von n g = 0,02 und 0,05 betrachtet wurden. Höhere oder geringere Gasgehalte wurden nicht untersucht, da daraus Sättigungs- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 193 Wasserdruckansätze für Uferspundwände von Kanälen bei schneller Wasserspiegelabsenkung grade über 98% oder unter 85% resultieren, die für gewachsenen Böden nicht zu erwarten sind. Eine Übersicht der relevanten Bodenparameter ist aus Tabelle 2 ersichtlich. Aus der Kombination der E-Module aus Tabelle 2 mit den Gasgehalten ergeben sich zugehörigen Sättigungsgrade S r und B*-Werte. Tabelle 2: Kenngrößen der für den Bemessungsvergleich ausgewählten Bodentypen: E-Module E 1 - E 4 , hydraulische Durchlässigkeit k, Porosität n, Auftriebswichte γ‘, wirksamer Reibungswinkel φ‘ Boden E 1 - E 4 in MPa k in m/ s n γ‘ in kN/ m³ φ‘ in ° S 100 75 10 -4 0,40 12,0 34,0 50 10 SU 20 10 10 -6 0,50 10,0 32,0 7,5 4 U 7,5 5 10 -8 0,60 9,0 28,0 2,5 1 Auf Grundlage der analytischen Lösung lässt sich die Porenwasserüberdruckverteilung Δp w (z) jeder Parameterkombination zum Zeitpunkt t = t a ermitteln. Eine dimensionslose Darstellung ist mit der normierten Tiefe z/ t sowie mit dem durch die Größe des Absunks normierten Porenwasserüberdrucks Δp w / (ΔH∙γ w ) möglich. Beispielhaft ist dies für Maximal- und Minimalwerte von B* je Bodentyp in Abbildung 8 dargestellt. Aus der Porenwasserüberdruckverteilung lassen sich die lokalen hydraulischen Gradienten i schichtweise von z bis z+Δz berechnen: i(z+Δz/ 2) = (Δp w (z) - Δp w (z+Δz)) / (Δz ∙ γ w ) Diese sind in Abbildung 8 ebenso über z/ t dargestellt. Eine Verflüssigung tritt ein, wenn der hydraulische Gradient größer ist als der kritische Gradient: i krit = γ‘/ γ w Aus dem Verlauf des lokalen Gradienten i über z/ t lässt sich somit bei i = i krit die verflüssigte Tiefe z* ermitteln. D. h. in dem Bodenbereich mit i ≤ i krit ist der Boden verflüssigt und die Wichte des Bodens unter Auftrieb beträgt γ‘ = 0 kPa. In dem darunter vorhandenen Bodenbereich, in dem i > i krit ist, ist der Boden nicht verflüssigt und die Wichte des Bodens unter Auftrieb ist γ‘ > 0 kPa. Abbildung 8: Normierter Porenwasserüberdruck sowie hydraulischer Gradient aus den Beispielberechnungen für die untersuchten Bodentypen sowie die Minimal- und Maximalwerte von B* In sind für alle untersuchten Fälle (mit den aus den Gasgehalten n g = 0,02 und n g = 0,05 ermittelten Sättigungsgraden S r und den E-Modulen aus Tabelle 2) der berechnete Lastaufteilungsfaktor B* und die verflüssigte Tiefe z* angegeben. Die in Abbildung 8 dargestellten Extremfälle für Minimalwerte und Maximalwerte von B* sind in Rot gekennzeichnet. Mit diesen Kombinationen aus k, n, γ‘, n g und E wird für kohäsionslose Böden ein Großteil der möglichen v/ k und B*-Werte abgedeckt. Kohäsive Böden werden hier nicht betrachtet, da eine Verflüssigung aufgrund der Kohäsion unwahrscheinlich ist. Für den Vergleich auf Basis der Spundwandbemessung mit dem Programm Retain der Fa. GGU wurden nur die in rot markierten und in Abbildung 8 dargestellten Extremfälle für Minimalwerte und Maximalwerte von B* 194 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Wasserdruckansätze für Uferspundwände von Kanälen bei schneller Wasserspiegelabsenkung verwendet. Die Berechnungen erfolgten für die drei Bodentypen auf Grundlage der analytisch Tabelle 3: B*-Werte und z*-Werte für unterschiedliche Bodentypen in Abhängigkeit der Sättigungsgrade S r (für Gasgehalte von n g = 0,02 und 0,05) und der E-Module E 1 - E 4 aus Tabelle 2 Boden B* in % z* in cm B* in % z* in cm S S r 95,0 % 88,0 % E 1 4,0 5,0 1,6 24,0 E 2 5,3 4,6 2,2 23,8 E 3 7,7 4,4 3,2 23,6 E 4 29,4 0,0 14,3 20,5 SU S r 96,0 % 90,0 % E 1 17,2 12,5 7,0 10,0 E 2 29,4 11,3 14,3 9,6 E 3 35,7 10,4 18,2 8,8 E 4 51,0 8,8 29,4 8,2 U S r 96,7 % 91,7 % E 1 35,7 1,9 18,2 2,0 E 2 45,4 1,6 25,0 1,8 E 3 62,5 1,2 40,0 1,5 E 4 80,6 1,1 62,5 1,3 ermittelten Porenwasserdruckverteilung, des hydrostatischen Wasserdruckansatzes nach EAU, des ersten Modells mit abgeminderter Auftriebswichte des Bodens aufgrund des konstanten Gradienten und des zweiten Modells mit Berücksichtigung der verflüssigten Bodenschicht. Ermittelt wurden der Einspanngrad µ der Spundwand für die gewählte Einbindetiefe t = 4 m, bzw. die erforderliche Einbindetiefe t bei µ = 0, die charakteristischen Werte des maximalen Moments der Spundwand M E,k und der Ankerkraft A k sowie die Tiefe z* der verflüssigten Bodenschicht bei der analytischen Berechnung und dem zweiten Modellansatz. In Tabelle 4 sind die Bemessungsergebnisse zusammengestellt. Die Ergebnisse der Spundwanddimensionierung auf Grundlage der unterschiedlichen Modellannahmen zeigen einen deutlichen Unterschied zwischen den Berechnungen für den stark durchlässigen Bodentyp S und die gering durchlässigen Bodentypen SU und U. Für die gering durchlässigen Böden ergibt die Bemessung mit dem stark vereinfachten hydrostatischen Wasserdruckansatz nach EAU eine gute Übereinstimmung mit den Bemessungsergebnissen auf Grundlage der analytisch ermittelten Porenwasserdruckverteilungen. Dagegen werden die die Bemessungsgrößen der Spundwand mit dem Ansatz nach EAU für den durchlässigen Boden gegenüber der Berechnung auf Grundlage der analytisch ermittelten Porenwasserdruckverteilung unterschätzt. Die Berechnungen der Porenwasserdruckverteilung auf Grundlage der analytischen Lösung zeigen, dass sich bei den gering durchlässigen Bodentypen SU und U in allen untersuchten Fällen hohe lokale hydraulische Gradienten direkt unterhalb der Kanalsohle einstellen (Abbildung 8 ), die mit der Tiefe schnell abklingen. Da ein nahezu konstanter Gradient bis zum Spundwandfuß die grundlegende Annahme des ersten Modellansatzes darstellt, wird dieser für die gering durchlässigen Bodentypen SU und U nicht verwendet. Nur für den stark durchlässige Bodentyp S stimmen die Bemessungsergebnisse mit dem ersten Modell gut mit den Ergebnissen auf Grundlage der analytisch ermittelten Porenwasserdruckverteilung überein. Der Einspanngrad wird auf der sicheren Seite abgeschätzt, maximales Moment und Ankerkraft entsprechen ungefähr den Werten der Bemessung mit dem analytischen Ansatz. Wenn der Boden eine hohe Durchlässigkeit aufweist, ist mit dem ersten Modell im Gegensatz zum Ansatz nach EAU eine ausreichende Spundwanddimensionierung möglich. Da in diesem Modell ein konstanter hydraulischer Gradient vom Spundwandfuß bis zur Kanalsohle angesetzt wird, muss die Reduzierung der Auftriebswichte des stark durchlässigen Bodens infolge des aufwärts gerichteten hydraulischen Gradienten bei der Spundwanddimensionierung berücksichtigt werden. Tabelle 4: Ergebnisse der Spundwandbemessung mit dem Programm Retain der Fa. GGU auf Grundlage der analytischen Berechnung der Porenwasserdruckverteilung, des hydrostatischen Wasserdruckansatzes nach EAU, des ersten Modells (1. M.) mit abgeminderter Bodenwichte und des zweiten Modells (2. M.) mit verflüssigter Bodenschicht Boden Modell B* in % µ in % t in m M E,k in kNm/ m A k in kN/ m z* in cm S analytisch 29,4 71 4,0 75 42 0 1,6 66 4,0 81 31 24 EAU - 81 4,0 65 39 - 1. M. - 66 4,0 73 42 - 2. M. - 52 4,0 93 46 67 SU analytisch 51,0 56 4,0 83 43 9 7,0 67 4,0 75 40 10 EAU - 48 4,0 84 45 - 2. M. - 18 4,0 115 52 80 U analytisch 80,6 17 4,0 119 55 1 18,2 29 4,0 104 50 2 EAU - 0 4,0 123 59 - 2. M. - 0 4,7 153 64 89 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 195 Wasserdruckansätze für Uferspundwände von Kanälen bei schneller Wasserspiegelabsenkung Da sich bei den Berechnungen auf Grundlage der analytischen Lösung für die gering durchlässigen Bodentypen SU und U in allen Fällen eine Verflüssigung des Bodens im Bereich unmittelbar unterhalb der Kanalsohle über die Tiefe z* ergibt, werden die Ergebnisse der Spundwanddimensionierung nur mit denen des zweiten Modells verglichen. Bei Betrachtung der Tiefe z* der verflüssigten Schichten in Tabelle 4 ist zu erkennen, dass durch Ansatz des Kräftegleichgewichts im zweiten Modell die Schichtdicke des verflüssigten Bereichs gegenüber der Berechnung auf Basis der analytischen Lösung stark überschätzt wird. Dadurch führt die Spundwanddimensionierung auf Grundlage des zweiten Modell im Vergleich zur Spundwanddimensionierung auf Grundlage der analytischen Lösung der Porenwasserdruckverteilung zu einer sehr konservativen Bestimmung von µ, M E, k und A k , was für den Bodentyp Schluff sogar zu einer größeren erforderlichen Einbindetiefe führt (rot markiert in Tabelle 4). Die Berechnungen auf Basis des vereinfachten hydrostatischen Wasserdruckansatzes nach EAU ergeben dagegen für die gering durchlässigen Bodentypen SU und U eine bessere Übereinstimmung mit den Ergebnissen auf Grundlage der analytischen Lösung. Dies ist überraschend, da der angesetzte Wasserdruck dem analytisch bestimmten Porenwasserdruck nur wenig entspricht. Somit liefert der Ansatz nach EAU für Böden geringerer Durchlässigkeit eine ausreichende Bemessungsgrundlage. 6. Zusammenfassung und Fazit Bei der Dimensionierung von Uferspundwänden an Schifffahrtskanälen muss der schnelle Wasserspiegelabsunk infolge Schifffahrt berücksichtigt werden. Für den aus dem Absunk resultierenden Porenwasserdruck im Boden unterhalb der Kanalsohle wurden drei vereinfachte Ansätze sowie eine auf Grundlage einer analytischen Lösung der eindimensionalen, instationären Differentialgleichung ermittelte Porenwasserdruckverteilung zugrunde gelegt. Basierend auf den unterschiedlichen Porenwasserdruckansätzen wurde eine Dimensionierung der Spundwand für unterschiedliche Bodenparameter durchgeführt. Der Vergleich der Ergebnisse zeigt, dass die Porenwasserdruckverteilung im Baugrund unterhalb der Kanalsohle und die darauf basierende Spundwanddimensionierung vom Verhältnis der Absunkgeschwindigkeit zur Durchlässigkeit des Bodens v/ k und dem Verhältnis der Steifigkeiten der Kornmatrix und des Porenfluids (bzw. von dem dieses Verhältnis beschreibenden B*-Wert) abhängen. Für die verwendeten Parameter typischer, kohäsionsloser Böden erweist sich das erste Modell mit konstantem hydraulischen Gradient über die Einbindetiefe als gute Näherung für die Spundwanddimensionierung bei sandigen Böden mit hoher Durchlässigkeit. Bei geringer durchlässigen Böden hingegen liefert der hydrostatische Wasserdruckansatz der EAU gute Bemessungsergebnisse, obwohl er die tatsächliche Porenwasserdruckverteilung im Boden nicht widerspiegelt. Allerdings wird auch durch die analytische Lösung der eindimensionalen, instationären Differentialgleichung der komplexe Prozess der Porenwasserdruckausbreitung im unterlagernden Boden bei einem temporären Wasserspiegelabsunk im Kanal nur näherungsweise abgebildet. Nicht berücksichtigt wird in der analytischen Lösung bisher z. B. ein mögliches weiteres Ausbreiten des maximalen Porenwasserüberdrucks im Boden während des Wideranstiegs des Wasserspiegels im Kanal. Breitet sich der Porenwasserüberdruck weiter in die Tiefe aus, kann die Dicke der verflüssigten Zone weiter zunehmen und dadurch das Erdwiderlager der Spundwand schwächen. Weiterhin nicht berücksichtigt ist die Zustandsänderung des Bodens in der verflüssigten Schicht mit dem daraus resultierenden Einfluss auf die Porenwasserdruckausbreitung. Es ist jedoch zu vermuten, dass diese Effekte die Ergebnisse der Spundwandbemessung nicht grundlegend verändern. Literaturverzeichnis [1] Carslaw, H.S.; Jaeger, J.C. (1959): Conduction of heat in solids, 2nd Edition, Oxford , Clarendon Press [2] EAU (2020): Empfehlungen des Arbeitsausschusses Ufereinfassungen Häfen und Wasserstraßen, HTG, Wilhelm Ernst & Sohn Verlag [3] Ewers, J.; Sorgatz, J.; Montenegro, H. (2017): Laborversuche und gekoppelte Berechnungen zur Untersuchung von Porenwasserüberdrücken infolge schneller Wasserstandsänderungen, Fachsektionstage Geotechnik der DGGT, Würzburg, 09.2017 [4] GBB, Ausgabe 2010: Grundlagen zur Bemessung von Böschungs- und Sohlensicherungen an Binnenwasserstraßen (GBB), Karlsruhe, Bundesanstalt für Wasserbau [5] Montenegro, H.; Odenwald, B. (2017): Einfluss dynamischer Laständerungen auf die Grundwasserströmung und die Spannungsverteilung bei Erdbauwerken im Wasserbau, 40. Dresdner Wasserbaukolloquium: “Bemessung im Wasserbau”, 2017 [6] Montenegro, H.; Stelzer, O; Odenwald, B. (2015): Parameterstudie zum Einfluss von Gasbläschen im Grundwasser auf Porenwasserdruck und effektive Spannung bei Auflast- oder Wasserspiegeländerungen, BAW Mitteilungen Nr. 98 [7] Skempton, A.W. (1954): The Pore-Pressure Coefficients A and B, Géotechnique 4/ 1954, pp. 143-147 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 197 Abschätzung von Restwassermengen für einen Spundwandverbau in tiefen Baugruben im Frankfurter Baugrund Christin Kübel, M.Eng. Hochschule für angewandte Wissenschaften Darmstadt, Darmstadt, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schmitt Hochschule für angewandte Wissenschaften Darmstadt, Darmstadt, Deutschland Dr.-Ing. Heiko Huber CDM Smith Consult GmbH, Bickenbach, Deutschland Zusammenfassung Im Zuge der Baumaßnahmen des Terminal 3 am Flughafen Frankfurt am Main wurde die Systemdurchlässigkeit der dort ausgeführten Baugruben untersucht. Die Baugrube wurde mittels wasserundurchlässiger Spundwände und einer 1,0 m dicken Unterwasserbetonsohle hergestellt. Der umgebende Baugrund besteht aus quartären Sanden und Kiesen. Das in die Baugrube eintretende Leckagewasser wurde in einer Restwasserhaltung gesammelt, abgepumpt und dokumentiert. Im umgebenden Baugrund erfolgte eine Überwachung und Untersuchung des Grundwasserstandes. Auf Grundlage der umfangreichen Messdaten wurde ein Ansatz für die Systemdurchlässigkeit für einen Spundwandverbau in tiefen Baugruben im Frankfurter Baugrund abgeleitet. 1. Einleitung Bei wasserundurchlässigen Baugruben ist als ein wichtiger Parameter die Restwassermenge zu definieren. Für die Berechnung der Restwassermenge ist die Systemdurchlässigkeit der Baugrube abzuschätzen, die von der Verbauart, der Abdichtung der Baugrubensohle und dem Baugrund abhängig ist. Das in wasserundurchlässig ausgeführten Baugruben auftretende Restwasser kann verschiedener Herkunft sein. Es handelt sich sowohl um Grundals auch um Oberflächenwasser. Es kommt aus Undichtigkeiten der vertikalen und horizontalen Baugrubenumschließung, aus Niederschlag oder aus eingeschlossenem Porenwasser, welches vor dem Aushub der Baugrube im Boden eingeschlossen ist. (vgl. [1]) Hier liegt der Fokus auf der Systemdurchlässigkeit des Verbaus und der Wassermenge, die durch den Verbau eindringt. Das Restwasser, das durch unentdeckte Fehlstellen eindringt und das Porenwasser werden vernachlässigt. Die Systemdurchlässigkeit wird über eine spezifische Restwassermenge oder -rate in l/ s je 1000 m² benetzter Fläche angegeben. (vgl. [1] und [2]) Eine klare Trennung der Wassermengen für horizontalen Verbau und vertikale Abdichtung ist schwierig. Einige Autoren geben verschiedene Werte für Sohle und Wand an, andere einheitliche. 198 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Abschätzung von Restwassermengen für einen Spundwandverbau in tiefen Baugruben im Frankfurter Baugrund In [1] wird ein Wert von „1 bis 5 l/ s auf 1000m² benetzte Fläche“ vorgestellt. Dieser Wert wird sowohl für Dichtwände als auch für Sohlen angesetzt. Schnell gibt Durchlässigkeitsbeiwerte für unbewehrte Unterwasserbetonsohlen an, diese liegen zwischen k = 10 -8 m/ s und k = 10 -10 m/ s. (vgl. [3]) Borchert hat Baugruben in Berlin untersucht. Der Restwasserzufluss für Baugrubenwände beträgt dort ca. 2 m³/ h je 1000 m² und der Restwasserzufluss der Sohlen ca. 0,5 bis 2 m³/ h je 1000 m² pro m Wasserdruckdifferenz. (vgl. [4]) Borchert empfiehlt daher die rechnerische Ermittlung von Restwasserraten für Sohlen. Diese erfolgt abhängig von der jeweiligen Art der Dichtsohle und dem aktuell geschehenden Vorgang auf der Baustelle. Die Restwasserrate zul. q R (in m³/ h je 1000 m²) unterscheidet sich abhängig von dem anstehenden Wasserdruck. (vgl. [2]) Tab. 1: w zul für die Ermittlung der zulässigen Restwasserrate [2] w zul [m²/ h je 1000 m²] Sohlenart Probeabsenkung Lenzen Endzustand Weichgelsohle (Natriumsilikat mit einem anorganischen Reaktiv) 0,5 0,5 0,5 Unterwasserbetonsohle 1,0 1,0 1,0 Tiefliegende Düsenstrahlsohle 2,0 2,0 2,0 Hochliegende Düsenstrahlsohle 0,25 0,5 0,5 Mittelhochliegende Düsenstrahlsohle 0,5 0,5 0,5 Tiefliegende Feinstzementsohle 2,0 2,0 2,0 Tab. 2: Systemdurchlässigkeiten nach dem Stand der Technik [nach Kluckert, 2007] [2] Borchert differenziert nach Art der Sohle, da die Bauabläufe und mögliche Versagensarten unterschiedliche Einflüsse auf den Durchfluss haben. Außerdem ist z. B. bei Unterwasserbetonsohlen eine Abdichtung von Fehlstellen dauerhaft möglich, wodurch der Durchfluss gesteuert werden kann. Der ermittelte Wert nach Borchert definiert, welcher Durchfluss für die jeweilige Sohlenart zulässig ist. (vgl. [2]) Nach [2] gilt: zul. q R = w zul. * ∆h Gl. 1 mit: w zul. = „Wert in Abhängigkeit von der Dichtsohlenart“ [m²/ h je 1000 m²] [vgl. Tab. 1] nach [2] ∆h = „Differenzhöhe der Wasserspiegel“ [m] nach [2] 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 199 Abschätzung von Restwassermengen für einen Spundwandverbau in tiefen Baugruben im Frankfurter Baugrund Tab. 3: Dichtigkeitsklassen nach Kluckert nach [2] Geotechnische Dichtigkeitsklasse Bauwerksart Leckagerate Systemdurchlässigkeitsbeiwert bei i = 0,5 k f [m/ sec] l/ sec je 1000 m² m³/ h je 1000 m² N Bauwerke und Baugruben mit normalen Dichtigkeitsanforderungen 1,5 5,4 3 x 10 -6 H Bauwerke wie Klasse N, jedoch mit hohen Dichtigkeitsanforderungen 0,05 0,18 1 x 10 -7 G Bauwerke wie Klasse N, jedoch mit geringen Dichtigkeitsanforderungen 2,5 9,0 5 x 10 -6 Eine Zusammenstellung verschiedener Literaturwerte für Restwasserraten von Trogbaugruben gibt Kluckert. (vgl. [2]) Kluckert empfiehlt Bauwerke in Dichtigkeitsklassen einzuordnen und gibt entsprechende Leckageraten und Systemdurchlässigkeitsbeiwerte an. Die Beiwerte und Dichtigkeitsklassen sind in Tab. 2 und Tab. 3 dargestellt. 2. Baugrube des Terminal 3, Flughafen Frankfurt am Main Am Flughafen Frankfurt am Main, wird seit Oktober 2015 ein neues Terminal (Terminal 3) gebaut. (vgl. [5]) Abb. 1: schematischer Grundriss Terminal 3, Flughafen Frankfurt am Main, inkl. Beschriftung [6] Die Baugrube ist in 25 Abschnitte unterteilt. Diese Abschnitte grenzen teilweise aneinander an, einige befinden sich innerhalb anderer Abschnitte und wieder andere sind unberührt von den Restlichen. Alle Abschnitte zusammen haben eine Grundfläche von über 38.500 m². Das gesamte Gelände ist deutlich größer. Die Geländeoberkante liegt zwischen 98,65 mNN und 105 mNN. Die Baugrubensohlen liegen zwischen 89,00 mNN und 97,00 mNN und der Grundwasserstand liegt über den Zeitraum von Januar 2019 bis März 2020 insgesamt an allen betrachteten Stellen zwischen 94,00 mNN und 99,00 mNN. Das heißt, die meisten Baugrubensohlen liegen dauerhaft unterhalb des Grundwasserspiegels. (vgl. [6]) Abb. 1 zeigt den schematischen Grundriss der Baugrube mit der Beschriftung der einzelnen Abschnitte. 2.1 Baugrubenverbau Die einzelnen Abschnitte der Baugrube sind jeweils durch Spundwände zu den Seiten und durch eine Unterwasserbetonsohle nach unten hin abgeschlossen. Je nach Standort der Spundwand werden sie zusätzlich durch Anker gesichert. Um die Baugrube herum wird außerdem eine Böschung hergestellt. Die Spundbohlen werden als Einzel- und als Doppelbohlen eingebracht. Sie werden ohne eine zusätzliche Abdichtung hergestellt. Nach dem Einbau der Spundwände wird der Boden im Nassbaggerverfahren mit einer Toleranz von 30 cm ausgehoben und die Unterwasserbetonsohlen werden hergestellt. Diese werden aus einem C35/ 45 Beton unbewehrt ausgeführt. Zur Auftriebssicherung werden Mikropfähle verwendet. Auf die Unterwasserbetonsohle wird eine Filterschicht und in einigen Bereichen zusätzlich eine Ausgleichsschicht aufgebracht. Um das auftretende Wasser abpumpen zu können, werden Pumpensümpfe hergestellt. Nach der Herstellung der Wände und der Sohlen werden die Baugruben gelenzt und sichtbar werdende Fehlstellen werden abgedichtet. Dieses geschieht abschnittsweise. (vgl. [6] und [7]) 200 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Abschätzung von Restwassermengen für einen Spundwandverbau in tiefen Baugruben im Frankfurter Baugrund Tab. 4: Bodenkennwerte für quartäre Sande und Kiese [7] Der Untergrund am Terminal 3 besteht bis zu einer Höhe von 103 mNN aus quartären Sanden und Kiesen, darüber (bis 104 mNN) befinden sich quartäre Dünensande. Das Grundwasser steht maximal bis zu einer Höhe von 99 mNN an. Das heißt, es steht dauerhaft im Bereich der quartären Sande und Kiese. Dieser Untergrund weist die in Tab. 4 erläuterten Eigenschaften auf. (vgl. [7] und [8]) 2.2 Grundwasserhaltung und Lenzvorgänge am Terminal 3 Die Grundwasserhaltung am Terminal 3 am Flughafen Frankfurt am Main erfolgt in einer Restwasserhaltung. Sind Spundwände und Unterwasserbetonsohlen hergestellt, werden die einzelnen Abschnitte gelenzt. Das abgepumpte Wasser wird in einer Grundwasserreinigungsanlage (GWRA) aufbereitet und über eine Versickerungsanlage dem natürlichen Grundwasser wieder zugeführt. Die Pumpen und die GWRA laufen ab dem Start des ersten Lenzvorganges ohne Pause. Der Baugrubenverbau ist nahezu, aber nicht komplett, wasserdicht. Wasser dringt durch Fehlstellen, wie z.B. an Arbeitsfugen oder Übergängen zwischen Sohle und Wand ein, außerdem tritt Wasser aus Niederschlägen auf. In der GWRA wird die Wassermenge gemessen und dokumentiert. (vgl. [6]) Die 25 Abschnitte der Baugrube werden nicht gleichzeitig gelenzt. Die Reihenfolge mit den Zeiträumen der Lenzvorgänge sind in Tab. 5 zusammengefasst. (vgl. [6]) Tab. 5: Intervalle der Lenzvorgänge nach [6] Intervall Zeitraum Was passiert? Intervall 1 Bis zum 12.05.19 Baugrube 2F, 2H, 2J sind gelenzt Intervall 2 13.05.19- 19.06.19 Baugrube 1a, 2a werden gelenzt Intervall 3 20.06.19- 23.06.19 kein Lenzvorgang Intervall 4 24.06.19- 20.08.19 Baugrube 1, 2, Rampe 1, 1b werden gelenzt Intervall 5 21.08.19- 22.09.19 kein Lenzvorgang Intervall 6 23.09.19- 20.10.19 Baugrube 3 wird gelenzt Intervall 7 21.10.19- 07.11.19 Baugrube 3, 4 werden gelenzt Intervall 8 08.11.19- 10.11.19 Baugrube 4 wird gelenzt Intervall 9 11.11.19- 15.11.19 Unterbrechung durch Störung Intervall 10 16.11.19- 12.12.19 Baugrube 4 wird gelenzt Intervall 11 13.12.19-min. März 2020 kein Lenzvorgang Im Intervall 1 sind die ersten Baugruben bereits vollständig gelenzt. Intervall 11 endet mit dem Ende der Bauphase. Im Zuge dieser Ausarbeitung werden die Daten bis zum 15.03.2020 ausgewertet. Daher ist der Zeitraum des letzten Intervalls bis März 2020 angegeben. Während der Lenzvorgänge der Baugruben wird ein Teil des Wassers durch zusätzliche Pumpen in benachbarte Baugruben gepumpt, um den Vorgang zu beschleunigen. Es ist unbekannt, wie viele Pumpen über welchen Zeitraum zusätzlich verwendet wurden. Das bedeutet, es kommt nicht die gesamte Wassermenge in der GWRA an und ein Teil geht undokumentiert verloren. Während der Lenzvorgänge sind vereinzelte Fehlstellen in den Spundwänden sichtbar geworden. Diese wurden mit Holzkeilen oder Stahlplatten geschlossen und so abgedichtet. (vgl. [6]) Die Daten der GWRA können online live verfolgt werden und werden außerdem in Wochen- und Monatsberichten zusammengefasst. Es sind unter anderem die Tagesdurchschnittsmengen sowie die tatsächlichen Wassermengen aufgelistet. (vgl. [9]) 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 201 Abschätzung von Restwassermengen für einen Spundwandverbau in tiefen Baugruben im Frankfurter Baugrund 3. Die spezifische Restwassermenge am Terminal 3, Flughafen Frankfurt am Main Die Auswertung der erfassten Daten erfolgt tabellarisch. Insgesamt werden zur Ermittlung der spezifischen Restwassermenge die Daten der GWRA verwendet. Es werden Berechnungen inklusive und exklusive Niederschlag durchgeführt. Im Vorfeld wird die Menge des in den Baugruben anstehenden Wassers nicht ermittelt. In der Auswertung werden Intervalle, in denen Baugruben aktiv gelenzt werden, getrennt zu Intervallen ohne Lenzvorgang betrachtet. Die benetzen Spundwand- und Sohlflächen und auch die benetzten Arbeitsfugen der Sohlen werden für die verschiedenen Zeiträume ermittelt. Die Daten werden für jeden Tag ausgewertet um am Ende Schwankungen beurteilen zu können. Es werden drei Varianten betrachtet. Für Variante 1 und 2 wird eine spezifische Restwassermenge für die Sohlen ermittelt und in Abhängigkeit davon die spezifische Restwassermenge der Wände bestimmt. Für Variante 1 wird ein Durchschnitt der spezifischen Restwassermengen der Sohlen verwendet. Für Variante 2 wird ein individueller Wert pro Baugrube und Intervall angesetzt. Für Variante 3 wird davon ausgegangen, dass die spezifische Restwassermenge für Sohle und Wand identisch ist. Es werden die folgenden Bezeichnungen verwendet: q Wände spezifische Restwassermenge der Spund-wände q Sohle spezifische Restwassermenge der Unterwasserbetonsohlen q Gesamt identische spezifische Restwassermenge für Spundwände und Unterwasserbetonsohlen 3.1 Ermittlung der spezifischen Restwassermengen Die Ermittlung der spezifischen Restwassermenge der Sohlen erfolgt nach der Formel von Borchert. Borchert definiert über seine Formel, welche Restwasserrate zul. q R zulässig für die jeweilige Art der Sohle ist. Diese Berechnung wird hier genutzt, um die spezifische Restwassermenge für die Sohlen zu ermitteln. Im weiteren Verlauf wird nicht von der zulässigen Restwasserrate gesprochen, sondern von der ermittelten spezifischen Restwassermenge für die Sohlen q Sohle . zul. q R = w zul. * ∆h Restwasserrate für Dichtsohlen [2] Gl. 1 bzw. q Sohle = w zul * ∆h Gl. 2 w zul. [m³/ h je 1000 m²] wird für Unterwasserbetonsohlen der Tab. 1 entnommen. Der Wert ist für alle drei definierten Vorgänge identisch w zul. = 1,0 m²/ h je 1000 m². Die Ermittlung von ∆h erfolgt für jede Baugrube einzeln. Es wird die Oberkante der Unterwasserbetonsohle als tiefst möglicher Wasserstand innerhalb der Baugrube betrachtet, da sich an dieser Stelle die Pumpen befinden. Für den Grundwasserstand außerhalb der Baugrube werden die Daten aus den jeweiligen Intervallen verwendet. Es wird ein Wert pro Zeitraum ermittelt. In einigen Baugruben liegt die Oberkante der Sohle dauerhaft über dem Grundwasserspiegel. Daher ist an diesen Stellen ∆h = 0 und somit auch die ermittelten spezifischen Restwassermengen. ∆h wird bewusst über den Durchschnittswert der Grundwasserstände ermittelt und nicht auf der sicheren Seite liegend durch den höchsten Grundwasserstand, um hier ein realitätsnahes Ergebnis zu erhalten. Die spezifischen Restwassermengen für alle Baugruben sind in Tab. 6 zusammengefasst. Die ermittelten Restwassermengen weichen sehr stark voneinander ab. Sie liegen teilweise unterhalb der Literaturwerte. Die größten Werte liegen bei den flächenmäßig kleinsten Baugruben vor (1M, 2M), an anderen Stellen ist der Wert 0. Zur Vereinfachung und um am Ende nur einen Wert zu erhalten, wird der Durchschnitt aus allen Werten gebildet. Der Durchschnittswert der ermittelten Daten ist 2,6 m³/ h je 1000 m² bzw. 0,7 l/ s je 1000 m². Die Bildung eines Durchschnittswertes stellt hier eine sehr starke Vereinfachung dar. Diese widerspricht der Formel von Borchert, dass die spezifische Restwassermenge der Sohlen abhängig von dem hydraulischen Höhenunterschied ist. Daher werden im Folgenden Variante 1 und 2 betrachtet. 3.1.1 Spezifische Restwassermenge der Wände, Variante 1 Die Ermittlung der spezifischen Restwassermenge für Spundwände q Wände erfolgt für jeden Tag einzeln. Pro Zeitintervall sind die geometrischen Daten und Grundwasserstände identisch, lediglich der Durchfluss durch die GWRA ist tagesabhängig. Die spezifische Restwassermenge für Sohlen ist die oben Ermittelte von q Sohle =0,7 l/ s je 1000 m². 202 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Abschätzung von Restwassermengen für einen Spundwandverbau in tiefen Baugruben im Frankfurter Baugrund Tab. 6: Ermittlung der spez. Restwassermenge für Baugrubensohlen nach Borchert, Terminal 3, FRA Bezeichnung der Baugruben ∆h w zul. q Sohle q Sohle m²/ h je 1000 m² m³/ h je 1000 m² l/ s je 1000 m² 1A 2,54 1,00 2,54 0,71 1a_D West & Ost 3,84 1,00 3,84 1,07 2A 2,68 1,00 2,68 0,75 2a_D West 3,98 1,00 3,98 1,11 2a_D Ost 3,98 1,00 3,98 1,11 4 2,34 1,00 2,34 0,65 3 3,29 1,00 3,29 0,91 3_E West & Ost 4,39 1,00 4,39 1,22 1 F 3,77 1,00 3,77 1,05 1 H 0 1,00 0 0 1 J 0,32 1,00 0,32 0,09 1 4,20 1,00 4,20 1,17 1 M 7,38 1,00 7,38 2,05 1 N 4,56 1,00 4,56 1,27 2 3,48 1,00 3,48 0,97 2 M 6,66 1,00 6,66 1,85 2 F 2,96 1,00 2,96 0,82 2 H, 2 J 0 1,00 0 0 1b West_K 1,19 1,00 1,19 0,33 1b West 0,34 1,00 0,34 0,09 1b Mitte 0,31 1,00 0,31 0,09 1b Ost 0,39 1,00 0,39 0,11 Durchschnitt 2,6 0,7 Durchfluss durch die Baugrubensohle: Q Sohle = A Sohle,benetzt * q Sohle / 1000m² Gl. 3 Durchfluss durch die Baugrubenwände: Q Wände = Q Gesamt - Q Sohle Gl. 4 mit: A Sohle,benetzt = benetzte Sohlfläche [m²] q Sohle = spezifische Restwassermenge der Sohle [l/ s je 1000 m²] Q Sohle = Durchfluss der durch die Sohle eindringt [l/ s] Q Wände Durchfluss der durch die Wände eindringt [l/ s] Q Gesamt = Durchfluss der durch das gesamte System eindringt [l/ s] Sind die Durchflussanteile durch die jeweiligen Bauteile ermittelt, wird der Anteil, der durch die Wände eindringt, durch die benetzte Spundwandfläche dividiert. Das Ergebnis ist die spezifische Restwassermenge für Spundwände. spezifische Restwassermenge der Wände: q Wände = Q Wände / A Wände,benetzt * 1000 Gl. 5 mit: q Wände = spezifische Restwassermenge der Wände [l/ s je 1000 m²] A Wände,benetzt = benetzte Wandfläche [m²] Q Wände = spezifische Restwassermenge der Wände [l/ s je 1000 m²] 3.1.2 Spezifische Restwassermenge der Wände, Variante 2 Die zweite Variante der Ermittlung für q Wände erfolgt ähnlich zur Variante 1. Der Unterschied liegt in der spezifischen Restwassermenge der Sohlen q Sohle . Diese wird pro Zeitintervall neu berechnet. Diese Variante wird nur für die relevanten Intervalle berechnet (Definition siehe Kap. 3.2). 3.1.3 Identische spezifische Restwassermenge für Wände und Sohlen, Variante 3 In Variante 3 wird die spezifische Restwassermenge unter der Annahme, dass diese für Sohle und Wand identisch ist, ermittelt. Die Ermittlung des Beiwertes erfolgt analog zu der Ermittlung für getrennte Beiwerte. q Gesamt = Q Gesamt / A Gesamt,benetzt Gl. 6 3.2 Die spezifischen Restwassermengen am Terminal 3 Zur Auswertung der spezifischen Restwassermengen werden die Intervalle in mehr und weniger relevante Intervalle unterteilt. Alle Intervalle, in denen eine Baugrube gelenzt wird, sind weniger relevant, da das Lenzvolumen mit in die Ermittlung des Beiwertes einfließt. Auch das Intervall, in welchem es zu einer Unterbrechung des Lenzens durch eine Störung kommt, wird als irrelevant betrachtet. Die relevanten Zeiträume sind Intervall 1, 3, 5 und 11. Im dritten Intervall werden insgesamt nur drei Tage betrachtet, wodurch dieser weniger repräsentativ ist als die anderen Intervalle. Außerdem sind in diesem Intervall bei Variante 2 der Berechnungen die Ergebnisse negativ. Daher wird dieses Intervall nicht zu den relevanten gezählt. Während der Lenzvorgänge wurde Wasser in die benachbarten Baugruben gepumpt. Das bedeudet, die dokumentierten Mengen entsprechen nicht den tatsächlichen Wassermengen. Außerdem wird so temporär der 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 203 Abschätzung von Restwassermengen für einen Spundwandverbau in tiefen Baugruben im Frankfurter Baugrund Tab. 7: spezifische Restwassermengen exklusive Niederschlag, Terminal 3, FRA Wasserdruck auf die bereits gelenzten Baugruben erhöht. Es wird vermutet, dass sich dieser Wasserdruck auch noch unmittelbar nach dem Lenzen auf die spezifischen Restwassermengen auswirkt. Insgesamt gibt daher Intervall 11 die aussagekräftigsten Ergebnisse, da kein Lenzvorgang durchgeführt wird und in dem vorherigen Intervall das gesamte Lenzvolumen durch die GWRA dokumentiert wird. In Tab. 7 sind alle Ergebnisse zusammengefasst. Es sind außerdem verschiedene Durchschnittswerte angegeben. Neben dem Gesamtdurchschnitt ist auch der Durchschnitt aller relevanten Intervalle (1, 5, 11) angegeben. Die Ergebnisse der Berechnung inklusive Niederschlag werden nicht im Detail dargestellt. 4. Auswertung der Ergebnisse Zur Auswertung der Ergebnisse werden Diagramme erstellt. In allen Diagrammen sind die Intervalle durch vertikale Linien begrenzt. Die Summe der benetzten Bereiche steigt insgesamt im Laufe der Zeit an. Zwischenzeitlich kommt es teilweise zu einer Verringerung der benetzten Flächen und Längen, da der Grundwasserstand sinkt und somit einige Flächen nicht mehr benetzt sind. Die zur Berechnung verwendeten Flächen und Daten sind in allen Diagrammen identisch. Das erste Diagramm (Abb. 2) zeigt die dokumentierten Wassermengen der GWRA als Durchschnittswert pro Tag im Vergleich zu den Niederschlagsmengen. Es ist zu erkennen, dass zwischen den beiden Graphen kein Zusammenhang besteht bzw. dass der Niederschlag kaum einen Einfluss auf die auftretenden Wassermengen hat. Um die ermittelten spezifischen Restwassermengen und Daten möglichst realitätsnah auszuwerten, zeigen alle weiteren Diagramme die Ergebnisse ohne die Wassermengen aus Niederschlag. Im Folgenden werden die Ergebnisse zuerst für alle Intervalle vorgestellt. Danach wird genauer auf die relevanten Intervalle eingegangen. An wenigen Tagen ist der ermittelte Beiwert für die Spundwände negativ (16.06.2019, Intervall 2; 22.06.2019, Intervall 3, Variante 1), an einem anderen Tag ist der ermittelte Wert deutlich größer als einen Tag vorher und nachher (10.01.2019, Intervall 1, Variante 1). Da diese Werte nur vereinzelt auftreten, kann davon ausgegangen werden, dass an diesen Tagen Messungenauigkeiten vorliegen. Diese Werte sind in den Diagrammen mit eingezeichnet, fließen jedoch nicht mit in die Berechnung der Durchschnittswerte ein. 204 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Abschätzung von Restwassermengen für einen Spundwandverbau in tiefen Baugruben im Frankfurter Baugrund Abb. 2: GWRA-Mengen & Niederschlag pro Tag Tab. 7 zeigt die Ergebnisse im Vergleich als Durchschnittswerte über die betrachteten relevanten Intervalle. Insgesamt unterscheiden sich die Ergebnisse der spezifischen Restwassermenge der Wände q Wände von Variante 1 und 2 nur wenig. Die weitere Auswertung bezieht sich daher auf Variante 1. 4.1 Spezifische Restwassermengen, Variante 1 und 3 Zur Auswertung der spezifischen Restwassermengen wird Variante 1 betrachtet. Abb. 3 zeigt den Vergleich von q Wände und dem identischen Beiwert q Gesamt . Die obere Kurve zeigt die spezifische Restwassermenge für Spundwände, der untere Graph zeigt den Wert, wenn dieser für Sohle und Wand identisch angesetzt wird. Abb. 3: spez. Restwassermenge ohne Niederschlag, Variante 1 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 205 Abschätzung von Restwassermengen für einen Spundwandverbau in tiefen Baugruben im Frankfurter Baugrund Beim Vergleich der beiden Graphen entsteht der Eindruck, dass der identische Beiwert q Gesamt über den gesamten Zeitraum nahezu konstant ist. Vor allem in den letzten beiden Intervallen schwankt dieser kaum. Der Beiwert nur für die Wände q Wände unterliegt hingegen größeren absoluten Schwankungen. Es fällt auf, dass dieser fast durchgängig größer ist als der identische Beiwert. Wird die Kurve von q Gesamt genauer betrachtet, ist zu erkennen, dass auch der identische Beiwert Schwankungen unterliegt. Diese sind absolut betrachtet jedoch deutlich geringer als die Schwankungen der spezifischen Restwassermenge für die Spundwände. Es ist zu sehen, dass die spezifische Restwassermenge für Spundwände q Wände mit der Zeit steigt. Dieses liegt jedoch hauptsächlich an den steigenden Wassermengen aus der GWRA. Bei Betrachtung des identischen Beiwerts fällt auf, dass dieser deutlich weniger steigt. Wird nur Intervall 11 betrachtet, ist q Gesamt nahezu konstant und liegt im Durchschnitt bei 1,75 l/ s je 1000 m². q Wände schwankt sehr stark. Die Werte liegen zwischen 8,00 l/ s je 1000 m² und 14,08 l/ s je 1000 m². Diese großen Differenzen lassen sich kaum logisch erklären, da sich das System und die benetzten Flächen nicht ändern. Werden alle Durchschnittswerte der Intervalle für q Wände betrachtet, fällt auf, dass diese sehr verschieden sind. Wird der Durchschnitt aus allen Werten gebildet, ist dieser höher als der Durchschnittswert aus den relevanten Intervallen. Werden diese Werte, mit denen für den identischen Beiwert q Gesamt in Spalte sechs verglichen, fällt auf, dass die Werte des identischen Beiwertes durchgängig deutlich kleiner sind. Außerdem unterliegen sie im Vergleich zu q Wände kaum Schwankungen. Auch die Durchschnittswerte aus allen bzw. nur den relevanten Intervallen unterscheiden sich bei q Gesamt weniger. Werden der höchste und der niedrigste Wert verglichen, unterscheiden diese sich für jede Wertegruppe deutlich. Insgesamt fällt auf, dass der identische Beiwert q Gesamt kaum schwankt und die Werte für q Wände stark schwanken. Generelle Schwankungen der spezifischen Restwassermengen hängen mit den verschieden hohen Wassermengen zusammen. Eine Erklärung für die zum Teil großen Schwankungen der spezifischen Restwassermenge der Wände in Abhängigkeit der spezifischen Restwassermenge der Sohlen ist dieses jedoch nicht. Die zur Berechnung von q Sohle verwendete Formel ist zur Ermittlung der zulässigen Restwasserrate definiert. Die starken Schwankungen der Ergebnisse von q Wände führen zu der Frage, ob die verwendete Formel für diese Berechnung sinnvoll ist. Insgesamt stellt sich die Frage, ob eine Berechnung mit einer identischen spezifischen Restwassermenge der Realität entspricht. Der ermittelte Wert nur für die Sohle ist kleiner, der Wert für die Spundwände deutlich größer. 4.2 Einfluss der Baugrubengeometrie auf die Ergebnisse Alle ermittelten Werte beziehen sich auf die Gegebenheiten der untersuchten Baugrube. Es stellt sich die Frage, welchen Einfluss die geometrischen Vorgaben auf die Ergebnisse haben. Daher werden nachstehend verschiedene Aspekte der Geometrie betrachtet. Alle betrachteten Aspekte sind in Tab. 8 zusammengefasst und. den ermittelten spezifischen Restwassermengen gegenübergestellt. Die relevanten Intervalle sind fettgedruckt dargestellt. Tab. 8: Geometrische Verhältnisse Terminal 3, FRA [6] Zeitraum Verhältnis benetzte Sohlfläche / Wandfläche Ecken / Wandfläche Arbeitsfugen Sohle / Sohlfläche Kontaktfugen Sohle -Wand / Sohlfläche q Wände (Variante 1) q Gesamt (Variante 3) m²/ m² m/ m² m/ m² m/ m² l/ s je 1000 m² l/ s je 1000 m² Intervall 1 4,28 0,06 0,05 0,20 2,74 1,09 Intervall 2 4,86 0,07 0,04 0,13 6,86 1,75 Intervall 3 4,87 0,07 0,06 0,13 0,23 0,62 Intervall 4 4,77 0,06 0,04 0,14 3,62 1,21 Intervall 5 4,84 0,06 0,04 0,14 2,78 1,06 Intervall 6 6,00 0,06 0,04 0,14 8,29 1,78 Intervall 7 8,94 0,09 0,05 0,12 10,53 1,69 Intervall 8 7,68 0,08 0,05 0,12 7,24 1,45 Intervall 9 9,39 0,08 0,05 0,12 10,10 1,60 Intervall 10 9,50 0,08 0,05 0,12 10,71 1,65 Intervall 11 9,79 0,08 0,05 0,12 11,77 1,73 206 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Abschätzung von Restwassermengen für einen Spundwandverbau in tiefen Baugruben im Frankfurter Baugrund Insgesamt wird das Verhältnis von benetzter Sohlfläche zu benetzter Wandfläche im Laufe der Zeit größer. In den ersten Intervallen ist viermal so viel Sohlfläche benetzt wie Wandfläche, zum Ende hin ist es zehnmal so viel Sohlfläche. Dieser Verlauf spiegelt sich in dem Beiwert für die Spundwände q Wände wider. Wird im Vergleich der identische Beiwert q Gesamt betrachtet, steigt auch dieser an. Ab Intervall 7 steigt und fällt q Gesamt mit dem Verhältnis von Sohle zu Wand, in den ersten Intervallen ist dieser Zusammenhang weniger eindeutig zu erkennen. Insgesamt ist ein geringfügiger Zusammenhang der spezifischen Restwassermengen zu dem Verhältnis von Sohle zu Wand erkennbar. Je größer der Anteil der Sohle wird, desto höher wird q Wände . Das Verhältnis der benetzten Ecken in m pro Fläche der Wand in m² liegt zwischen 0,06 m/ m² und 0,08 m/ m². Die Verhältniswerte werden fast kontinuierlich größer, es gibt folglich immer mehr benetzte Ecken pro Quadratmeter Fläche und damit mehr potenzielle Fehlstellen im Laufe der Zeit. Es kann jedoch kein eindeutiger Zusammenhang zu den ermittelten spezifischen Restwassermengen erkannt werden. Auch die spezifische Restwassermenge für die Wände steigt insgesamt an, die Intervalle, in denen die Werte sinken, unterscheiden sich jedoch. Ähnliches ist bei dem identischen Beiwert im Zusammenhang mit den Eckpunkten zu beobachten. Nach der Auswertung der Ergebnisse der spezifischen Restwassermengen stellt sich die Frage, ob es realistisch ist, den Beiwert der Sohle als konstant anzusehen, um die spezifische Restwassermenge für die Wände zu ermitteln. Bzw. ob es realistisch ist, die spezifische Restwassermenge der Sohlen nur von der Differenzhöhe der Wasserspiegel ∆h abhängig zu machen. Je nach Herstellungsweise der Sohlen weisen sie mehrere oder wenige Arbeitsfugen und damit potenzielle Fehlstellen auf. Die Schnittstellen zwischen Spundwand und Sohlen sind hier nicht mit inbegriffen, da es nur um den Einfluss der Herstellung der Sohlen gehen soll. Es ist deutlich zu erkennen, dass der Verhältniswert der Arbeitsfugen der Sohlen zur Sohlfläche wenig schwankt. Außer in Intervall 3 ist dieser annähernd konstant. In Intervall 3 sind die ermittelten spezifischen Restwassermengen beide niedrig. Das bedeutet, bei mehr Sohlfugen ist die spezifische Restwassermenge klein und nicht wie erwartet groß. Es besteht für die hier betrachtete Baugrube also kein direkter Zusammenhang zwischen dem Anteil an benetzten Sohlfugen und den ermittelten Beiwerten, da ihr Anteil über den gesamten Zeitraum kaum schwankt. Die Annahme, dass die spezifische Restwassermenge für Sohlen als konstant angenommen wird, ist für die Baugrube am Terminal 3 am Flughafen Frankfurt am Main also prinzipiell möglich, kann aber nicht verallgemeinert werden. Eine weitere potenzielle Fehlstelle bei der Herstellung der Baugruben ist die Fuge zwischen Wand und Sohle. Zur Überprüfung des Einflusses wird das Verhältnis zwischen Grundfläche und Länge an Kontaktfugen gebildet Dieses liegt zwischen 0,12 m/ m² und 0,20 m/ m². Es fällt auf, dass in den Intervallen, in welchen der Verhältniswert am größten ist (Intervall 1 und 5), die ermittelten spezifischen Restwassermengen niedrig sind. In den Intervallen 7 bis 11 ändert sich der Verhältniswert kaum, die spezifischen Restwassermengen schwanken deutlich mehr. Es ist kaum ein Zusammenhang zwischen der spezifischen Restwassermenge und dem Verhältnis von Sohle zu Kontaktlängen zu erkennen. Der Verhältniswert fällt insgesamt im Laufe der Zeit, die Beiwerte schwanken durchgängig bzw. steigt der identische Beiwert insgesamt im Laufe der Zeit an. Die Erwartung, dass bei mehr potenziellen Fehlstellen durch den Übergang zwischen Sohle und Wand auch mehr Wasser eindringt und damit der Beiwert steigt, wird nicht bestätigt. 5. Ermittlung der rechnerisch zu erwartenden Wassermenge am Terminal 3, Flughafen Frankfurt am Main Zur Beurteilung der Ergebnisse werden für die Baugrube des Terminal 3 am Flughafen Frankfurt am Main die theoretisch zu erwartenden Wassermengen ermittelt. Diese Mengen werden mit den tatsächlichen, dokumentierten Mengen verglichen. Von Januar 2019 bis März 2020 sind nach [9] insgesamt 1.520.284 m³ Wasser durch die GWRA geflossen. Im ersten Schritt wird der Anteil des Wassers ermittelt, der unabhängig von der spezifischen Restwassermenge ist, das Lenzvolumen der Baugruben. Die Wassermenge aus Niederschlag wird hier nicht betrachtet. Die Ermittlung des Lenzvolumens erfolgt über das Volumen der jeweiligen Baugrube abhängig von der benetzten Wand- und Sohlfläche und wird pro Intervall in die Gesamtmenge einberechnet. Die Ermittlung der Wassermengen in Abhängigkeit der spezifischen Restwassermengen wird einmal mit Literaturwerten durchgeführt und einmal mit den zuvor ermittelten spezifischen Restwassermengen. 5.1 Wassermenge durch den horizontalen Verbau Für den Durchfluss durch die horizontale Dichtsohle wird die spezifische Restwassermenge für die Sohlen ermittelt. Hier erfolgt die Ermittlung pro Baugrube und pro Intervall, um am Ende ein möglichst exaktes Ergebnis zu erzielen. Die Berechnung erfolgt analog zu Variante 2. Über die spezifische Restwassermenge wird dann der Durchfluss und über die Dauer des jeweiligen Intervalls die Menge des Restzustromwassers pro Intervall ermittelt. 5.2 Wassermenge durch den vertikalen Verbau, Literaturwerte Für die Ermittlung der Wassermenge, die durch den vertikalen Verbau, also in diesem Fall durch die Spundwände, eintritt, wird die spezifische Restwassermenge benö- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 207 Abschätzung von Restwassermengen für einen Spundwandverbau in tiefen Baugruben im Frankfurter Baugrund tigt. Dieser Wert liegt zwischen 1,5 l/ s je 1000 m² und 5,0 l/ s je 1000 m². Zur Ermittlung des Wertes wird die Baugrube zuerst in eine Dichtigkeitsklasse eingeordnet. Abhängig von dieser Dichtigkeitsklasse wird die spezifische Restwassermenge festgelegt, um dann die Menge des Wassers zu ermitteln, die über den betrachteten Zeitraum durch die Spundwände eintritt. Die Einordnung in eine Klasse erfolgt nach Tab. 3. Der Baugrubenverbau wird in die Dichtigkeitsklasse N „Bauwerke und Baugruben mit normalen Dichtigkeitsanforderungen“ eingeordnet. [2] Diese Klasse entspricht einer spezifischen Restwassermenge von q = 1,5 l/ s pro 1000 m². Dieser Wert wird oft in der Literatur verwendet und daher auch hier zur Ermittlung angesetzt. Die Ermittlung der Wassermengen erfolgt pro Intervall und Baugrube. 5.3 Wassermenge mit Literaturwerten Zur Ermittlung der theoretisch zu erwartenden gesamten Wassermengen, die im Laufe des betrachteten Zeitraums abgepumpt werden, werden alle zuvor ermittelten Mengen addiert. Es werden jeweils die Mengen pro Intervall und die Gesamtmenge aufgelistet. Tab. 9 zeigt die ermittelten Mengen. Abb. 4 zeigt die ermittelten Mengen im Vergleich zu den tatsächlichen, dokumentierten Mengen ohne Niederschlag. Um einen weiteren Vergleichswert für die in der Literatur empfohlenen Werte zu bekommen, wird der Mengenanteil des Wassers für Wände und Sohle mit q Gesamt = 1,5 l/ s je 1000 m² ermittelt. Die Ermittlung erfolgt wie bereits erläutert. Daher wird nur das Gesamtergebnis aufgelistet. 5.4 Wassermenge aus ermittelten spezifischen Restwassermengen Im nächsten Schritt werden die zu erwartenden Wassermengen, die durch den Verbau eindringen, mit den zuvor ermittelten spezifischen Restwassermengen berechnet. Für den Wasseranteil, der durch den vertikalen Verbau eindringt, wird die ermittelte spezifische Restwassermenge der Wände als Durchschnitt angesetzt. Es wird der Durchschnitt des 11. Intervalls nach Variante 2 der Berechnung angesetzt. Dieser Wert beträgt q Wände =11,57 l/ s je 1000 m². Die Ermittlung der spezifischen Restwassermenge der Sohlen bleibt analog zu Variante 1 und 2. Sie wird pro Baugrube und Intervall ermittelt. Eine weitere Berechnung der zu erwartenden Wassermengen wird mit der ermittelten identischen spezifischen Restwassermengen für Sohle und Wand q Gesamt durchgeführt. Dieser Wert beträgt 1,73 l/ s je 1000 m². In Tab. 9 sind die Gesamtmengen nach den verschiedenen Berechnungsmethoden pro Intervall gegenübergestellt. Die tatsächlichen Wassermengen sind ohne Niederschlag angegeben. Abb. 4 zeigt die Ergebnisse als Kurven. Tab. 9: Gesamte Wassermengen Zeitraum Gesamtmengen ohne Niederschlag in m³ Tatsächlich Literaturwerte ermittelte Werte Terminal 3 q Sohle individuell & q Wände = 1,5 l/ s je 1000 m² q Gesamt = 1,5 l/ s je 1000 m² q Sohle individuell & q Wände = 11,57 l/ s je 1000 m² q Gesamt = 1,73 l/ s je 1000 m² Intervall 1 137669,894 21169,28 40964,67 73261,42 47245,91 Intervall 2 79433,3833 77443,56 102365,31 157074,57 113020,26 Intervall 3 2955,71135 4671,81 7311,48 13032,98 8432,57 Intervall 4 183582,597 187600,91 270921,95 452168,60 305814,28 Intervall 5 87721,4613 78677,99 124979,95 222246,07 144143,54 Intervall 6 147999,815 100533,76 148675,68 220159,67 167806,85 Intervall 7 108409,885 72172,12 113074,52 136984,09 127792,47 Intervall 8 15876,297 10539,30 16437,21 23249,39 18957,59 Intervall 9 27688,5565 14310,68 25976,43 31090,69 29959,48 Intervall 10 153871,396 76560,98 140113,39 166103,49 161597,44 Intervall 11 557742,02 25176,64 486434,46 559735,44 561021,08 Summe 1502951,02 900857,02 1477255,03 2055106,41 1685791,47 208 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Abschätzung von Restwassermengen für einen Spundwandverbau in tiefen Baugruben im Frankfurter Baugrund Abb. 4: Alle ermittelten und tatsächlichen Wassermengen exklusive Niederschlag 5.5 Vergleich der ermittelten Wassermengen Im ersten Schritt wird die ermittelte Menge nach Literaturangaben mit verschiedenen spezifischen Restwassermengen für Sohle und Wand betrachtet (Abb. 4 blau gepunktete Kurve). Es ist sehr deutlich zu erkennen, dass die ermittelte Wassermenge weit unter den tatsächlich aufgetretenen Mengen liegen. Der tatsächliche, dokumentierte Höchstwert liegt bei 1,5 Millionen m³ Wasser, der ermittelte liegt bei 900.000 m³. Die ermittelte Wassermenge ist also ungefähr ein Drittel kleiner als die tatsächliche, dokumentierte Wassermenge. Es ist zu beobachten, dass zu Beginn des gesamten Zeitraumes die Werte ähnlich hoch sind. Da die ermittelten Werte pro Intervall und nicht pro Tag ermittelt werden, müssten sich zum Ende eines Intervalls die Kurven schneiden. Dieses ist von Anfang an nicht der Fall. Vor allem im letzten betrachteten Intervall liegen die beiden Kurven weit auseinander. Diese Beobachtung stellt die angesetzten Literaturwerte und angewandten Berechnungsverfahren in Frage. Wird im zweiten Schritt die Wassermenge aus der identischen spezifischen Restwassermenge für Wände und Sohle q Gesamt = 1,5 l/ s je 1000 m² (Abb. 4, grau gestrichelte Kurve) betrachtet, wird deutlich wie nah die ermittelte Wassermenge der realen bzw. dokumentierten Menge kommt (Abb. 4, dunkelgrün gestrichelte Kurve). Die ermittelte Menge beträgt 1,47 Millionen m³ Wasser. Es ist zu sehen, dass die Kurve von Intervall 4 bis Intervall 10 über der Kurve der tatsächlichen Menge liegt. Im Zusammenhang mit den Betrachtungen der Flächenverhältnisse in Kapitel 4.2 stellt sich die Frage, ob das insgesamt sehr realitätsnahe Ergebnis Zufall ist. Das heißt, das Verhältnis von Sohle zu Wand entspricht am Terminal 3 dem Verhältnis, welches eine Verwendung eines identischen Beiwertes unterstützt. In Abb. 4 ist deutlich zu sehen, dass die Ermittlung mit q Gesamt = 1,5 l/ s je 1000 m² für die spezifische Restwassermenge des Verbaus der Realität am nächsten kommt. Sie weicht nur um 2 Prozentpunkte von der tatsächlichen, dokumentierten Wassermenge ab. Die Ermittlung mit einem Spundwandbeiwert von q Wände = 11,57 l/ s je 1000 m² und einem q Sohle abhängig von der hydraulischen Höhe ergibt einen Wert, der 37 Prozentpunkte höher ist (Abb. 4, dunkelblau gestrichelte Kurve). Es ist jedoch fraglich, wie genau die hydraulische Höhe im Vorfeld bestimmt werden kann, da Grundwasserstandsschwankungen nicht exakt vorhergesagt werden können. Beim Ansatz eines identischen Grundwasserstands über den gesamten Zeitraum, ist die Differenz der hydraulischen Höhen größer und damit wird auch die errechnete Wassermenge höher. Eine Ermittlung nach diesem Verfahren, ohne Beachtung der Schwankungen des Grundwassers bzw. dem Abfall des Grundwasserstands, liefert somit ein Ergebnis auf der sicheren Seite. Die Ermittlung mit zwei Beiwerten, wie sie in der Literatur erklärt werden, weicht um 40 Prozentpunkte nach unten ab und die Mengen aus den Ermittlungen durch q Gesamt = 1,73 l/ s je 1000 m² (Abb. 4, orange Kurve) um 12 Prozentpunkte nach oben. Aufgrund der Tatsache, dass ein Teil der Wassermengen undokumentiert abgepumpt wurde, ist die tatsächliche Wassermenge am Terminal 3 höher als die hier betrachtete, dokumentierte Menge. Daher sollte eine ermittelte Menge über der Dokumentierten liegen. Beide Wassermengen, die durch die spezifischen Restwassermengen 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 209 Abschätzung von Restwassermengen für einen Spundwandverbau in tiefen Baugruben im Frankfurter Baugrund ermittelt werden, liegen über der dokumentierten Menge. Da unklar ist, ob der Ansatz einer identischen spezifischen Restwassermenge immer realistisch ist bzw. wie groß der Einfluss aus dem Verhältnis von Wand zu Sohle im Allgemeinen ist, ist eine Ermittlung mit zwei Beiwerten allgemeingültig sinnvoller. 6. Diskussion der Ergebnisse Insgesamt gelten alle hier vorgestellten Ergebnisse für sandige Böden mit einer Durchlässigkeit in einer Größenordnung von k = 10 -3 m/ s. Bei einer hiervon abweichenden Durchlässigkeit ergeben sich entsprechend abweichende Wassermengen. Analog gilt dies auch für den Aufbau des Baugrubenverbaus, das bedeutet Spundwände in Verbindung mit einer 1,0 m dicken Unterwasserbetonsohle. Der Niederschlag hat im Vergleich zu den restlichen Wassermengen hier nur einen geringen Einfluss auf die Gesamtmenge. Es wird weiterhin festgestellt, dass die spezifische Restwassermenge der Wände deutlich mehr schwankt bei einem festgelegten Wert für die Sohle als bei einer identischen spezifischen Restwassermenge für Sohle und Wände. Es konnte kaum ein Einfluss der Fugen zwischen Sohle und Wand und der Arbeitsfugen der Unterwasserbetonsohle festgestellt werden. Außerdem war das jeweilige Verhältnis nahezu konstant über den betrachteten Zeitraum. Alle Empfehlungen gelten für die Ermittlung der Wassermengen exklusive Niederschlag. Es ist unklar, ob die Menge aus Niederschlag für jedes Bauvorhaben einen solch geringen Anteil an der Gesamtmenge ausmacht oder nur für das hier untersuchte Bauvorhaben. Die Ergebnisse sind nur schwierig auf andere Baugruben zu übertragen, es können jedoch trotzdem einige Empfehlungen für zukünftige Baugruben formuliert werden: • Die Ermittlung mit einer exakten Berechnung der spezifischen Restwassermenge für Sohlen und eine Erhöhung für die Spundwände auf 11,57 l/ s je 1000 m² liefert die höchsten Werte. Ist eine genaue Ermittlung der spezifischen Restwassermenge der Sohle nicht gewünscht, kann diese auf ca. 0,7 l/ s je 1000 m² festgelegt werden. Eine Ermittlung mit einem einheitlichen Wert von 1,73 l/ s je 1000 m² für Wände und Sohle liefert ein ähnliches Ergebnis. • Um auftretende Fehlstellen von Anfang an mit einzuplanen, empfiehlt es sich, die ermittelten Wassermengen zu erhöhen. Außerdem hat sich die in der Literatur oft verwendete spezifische Restwassermenge von 1,5 l/ s je 1000 m² insgesamt als zu niedrig herausgestellt. Unabhängig von der Geometrie bzw. dem Verhältnis von Sohlzu Wandfläche ist eine Berechnung mit getrennten Werten für die Sohlen und Wände realistischer. Literaturverzeichnis [1] Stelzig S., „Kapitel 6: Wasserhaltung“ in Boley, C.: Handbuch Geotechnik: Grundlagen - Anwendungen - Praxiserfahrungen, 2. Auflage, Springer Vieweg, Wiesbaden, 2019. [2] Borchert, K.-M.: Innerstädtische Baugruben, Erfahrungen zu Verformungen und Dichtigkeit, 6. Kolloquium Bauen in Boden und Fels, Technische Akademie Esslingen, 22.-23.01.2008, S. 25-38. [3] Schnell, W.: Verfahrenstechnik zur Sicherung von Baugruben, Teubner Verlag, Stuttgart, 1990. [4] Borchert, K.-M.: Dichtigkeit von Baugruben bei unterschiedlichen Sohlen-Konstruktionen - Lehren aus Schadensfällen, VDI Verein Deutscher Ingenieure, Jahrbuch 1999, VDI Verlag, Düsseldorf, 1999. [5] Fraport AG: Terminal 3 - Frankfurt Airport: Was bisher geschah, https: / / terminal3.frankfurt-airport. com/ , Abfragedatum: 02.06.2020. [6] CDM Smith Consult GmbH: Interne Firmen-daten. [7] Ingenieurgemeinschaft Tragwerksplanung Terminal 3: Genehmigungsstatik - Baugrubensicherung Gebäude und Rampen Anlieferhof. [8] ICP Rhein-Main GmbH: Bauzeitliches Grundwassermonitoring - Wochenberichte, 2018-2020. [9] Aqasys Hoelscher: Datenmanagement Grundwasserreinigungsanlage, https: / / aqasys.hoelscher-was serbau.de: 8443/ . 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 211 Entspannungsbrunnen zur Erhöhung der Standsicherheit von Wehrsohlen Dipl.-Ing. Kerstin Ratz Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Dr.-Ing. Bernhard Odenwald Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Zusammenfassung In dem Beitrag wird der Einfluss von Entspannungsbrunnen auf die Wasserdruckbelastung unter den Wehrsohlen eines Mainwehres untersucht. Hierfür wurden numerische 3D-Grundwasserströmungsberechnungen durchgeführt. Ziel der Berechnungen ist die Bestimmung der erforderlichen Anzahl, Anordnung und Dimensionierung der Entspannungsbrunnen zur Sicherung der Bauwerkssohle und des unterlagernden Festgesteins gegen Aufschwimmen unter Berücksichtigung der für alle relevanten Bemessungssituationen maßgebenden hydraulischen Randbedingungen. Im vorliegenden Fall ist ein teilweiser Abbruch der vorhandenen unbewehrten Betonsohle und die Aufbetonage einer Konstruktionsbetonsohle mit einer geänderten Oberflächenkontur geplant. Für unterschiedliche Ertüchtigungsvarianten wird beispielhaft dargestellt, welche Nachweise ohne und mit Berücksichtigung von Entspannungsbrunnen sowohl für die Bauzustände „Teilabbruch der unbewehrten Wehrsohle“ und „Herstellung der neuen bewehrten Wehrsohle“ als auch für den Revisionszustand „trockengelegte Wehrsohle zwischen den Revisionsverschlüssen“ im späteren Betrieb des Wehres geführt werden müssen. 1. Einleitung An den Bundeswasserstraßen existiert eine Vielzahl von Stauanlagen, die meist aus einem Wehr sowie einer Schleusenanlage bestehen. Rechnerisch ist der Nachweis der Sicherheit von Wehr- und Schleusensohlen gegen Aufschwimmen bei Trockenlegung im Bau- und Revisionszustand oft nicht gegeben. Vertikale Entspannungsbrunnen (EB) können hier eine wirtschaftliche und technisch effektive Maßnahme zur Gewährleistung der Sicherheit der Bauwerkssohlen gegen Aufschwimmen darstellen. Sie sorgen für eine Reduzierung der Grundwasserbeanspruchung der Bauwerksteile und damit für eine ausreichende Tragfähigkeit. Unter der Vorgabe, dass die unbewehrten, bestehenden Bauwerkssohlen rechnerisch keine Zugkräfte aufnehmen können, wird die Grundwasserentspannung so ausgelegt, dass die Sicherheit gegen Aufschwimmen nicht nur für die gesamte Bauwerksohle, sondern an jeder Stelle der Sohle gegeben ist. Am Beispiel der Wehrsohle eines Mainwehres werden Vor- und Nachteile verschiedener Ausführungsvarianten aufgezeigt. 2. Bauwerk Es handelt sich um ein zweifeldriges Wehr, dass mit einer Großschiffsschleuse sowie einem Wasserkraftwerk Teil einer Staustufe ist, die 1925 in Betrieb genommen wurde (Abb. 1). Die Wehrfelder besitzen eine Öffnungsweite von 30 m bei einer Fallhöhe von 6 m. Die Wehrsohle besteht aus unbewehrtem Beton, der direkt auf den anstehenden Fels aufgebracht wurde. An der Oberseite ist die Betonsohle, wie häufig an Wehrsohlen der Bundeswasserstraßen, mit Natursteinpflaster befestigt. Im Zuge einer Grundinstandsetzung der Wehranlage erfolgte auch ein Verschlusswechsel von Walzenverschluss auf Drucksegment, der mit umfangreichen Umbaumaßnahmen verbunden war. Abb. 1: Ansicht Wehr von Unterwasser vor dem Verschlusswechsel 3. Baugrund und Grundwasserverhältnisse Der Baugrund unterhalb der aus Beton bestehenden Wehrsohle wird durch eine Wechsellagerung aus klüftigen Sandstein- und Schluffsteinschichten mit größten- 212 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Entspannungsbrunnen zur Erhöhung der Standsicherheit von Wehrsohlen teils söhlig bis flach einfallenden Schichtungsflächen gebildet. Aus den hydraulischen Bohrlochversuchen wurde im Bereich der Sandsteinschichten eine relativ hohe horizontale Gebirgsdurchlässigkeit, die sowohl die Gesteinsdurchlässigkeit als auch die Durchlässigkeit der Trennflächen umfasst, von ca. k h = 10 -4 m/ s ermittelt. Die Auswertung der Grundwasser- und Oberflächenwasserstandsmessungen erbrachte, dass eine deutliche Korrelation zwischen dem oberhalb der Wehrsohle anstehenden Unterwasserstand des Wehres und dem zugehörigen Grundwasserpotential unterhalb der Wehrsohle besteht. Die Grundwasserverhältnisse werden in starkem Maße durch den abflussabhängig schwankenden Unterwasserstand des Wehres beeinflusst. Unter den Wehrsohlen steht ein etwas über dem Unterwasserstand liegendes Grundwasserpotenzial an (Abb. 2). Die Messungen zeigen, dass oberwasserseitig der Wehrsohle bereits ein großer Teil des Potenzialabbaus stattfindet, so dass nicht von einem linearen Grundwasserpotenzialabbau unter der Sohle vom Oberauf den Unterwasserstand ausgegangen werden kann. Abb. 2: Schnitt durch die Wehrsohle mit Wasserständen bei Normalstau im Unterwasser Bei steigenden Unterwasserständen folgt der Grundwasserstand leicht verzögert, so dass bei Hochwasserständen im Unterwasser von einem Grundwasserpotenzial unter der Wehrsohle bis maximal auf Höhe des Unterwasserstands ausgegangen werden kann. Dieses Verhalten kann bei zahlreichen Wehranlagen an den Bundeswasserstraßen beobachtet werden. Um jedoch zuverlässige charakteristische Grundwasserstände in den einzelnen Bemessungssituationen bestimmen zu können, ist die frühzeitige Einrichtung von Grundwassermessstellen notwendig, damit für die Auswertung eine ausreichend lange Zeitreihe zur Verfügung steht, die auch relevante Hochwasserereignisse umfasst. 4. Nachweis gegen Aufschwimmen Die Sicherheit der Wehrsohlen gegen Aufschwimmen ist für alle maßgebenden Bemessungssituationen nachzuweisen. Dies umfasst sowohl Betriebszustände des Wehres, Revisionszustände mit Trockenlegung von Teilbereichen der Wehrsohle als auch Bauzustände zur Herstellung der Wehrsohle oder zur Instandsetzung der Wehrpfeiler mit vollständiger Trockenlegung der bestehenden Wehrsohle (Abb. 3). Abb. 3: Längsschnitt der Wehrsohle mit angesetzten ober- und unterwasserseitigen Wasserständen für den Nachweis gegen Aufschwimmen in den unterschiedlichen Bemessungssituationen Der Nachweis der Sicherheit gegen Aufschwimmen der Wehrsohle ist nach DIN EN 1997-1: 2009-09 (Eurocode 7-1) in Verbindung mit DIN 1054: 2010-12 zu führen. Dabei ist nachzuweisen, dass der Bemessungswert der vertikalen Komponenten der destabilisierenden Einwirkungen V dst; d kleiner als die Bemessungswerte der stabilisierenden Einwirkungen (G stb; d ) und gegebenenfalls eines zusätzlichen Widerstands gegen Aufschwimmen (R d ) ist. Dabei werden nach DIN 1054 die Differenz der auf die Unterseite und die Oberseite der Wehrsohle wirkenden Wasserdrücke als destabilisierende Einwirkung G dst; d und nur die Gewichtskraft als stabilisierende Einwirkung G stb; d berücksichtigt. In DIN 1054 ist auch festgelegt, dass die Bemessungswerte der Einwirkungen aus Wasserdrücken unabhängig von ihrer Einstufung als ständige oder veränderliche Einwirkung immer mit Teilsicherheitsbeiwerten für ständige Einwirkungen ermittelt werden. Der Nachweis gegen Aufschwimmen der Wehrsohle ergibt sich somit zu: Da unbewehrte Wehrsohlen keine relevanten Zugspannungen aufnehmen können, ist in diesem Fall der Nachweis gegen Aufschwimmen für jede Stelle der Wehrsohle und nicht für die gesamte Wehrsohle zu führen. Das maximal zulässige, auf die Unterkante der Wehrsohle einwirkende Potential hzul ergibt sich unter Berücksich- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 213 Entspannungsbrunnen zur Erhöhung der Standsicherheit von Wehrsohlen tigung der Wasserauflasten auf die Wehrsohle aus dem Nachweis der Sicherheit gegen Aufschwimmen zu: mit: hzul: maximal zulässiges Grundwasserpotential unter der Wehrsohle in m+NHN hW: Wasserstand oberhalb der Wehrsohle in m+NHN dB: Dicke der Betonsohle in m g B: Wichte Beton der Wehrsohle in kN/ m³ gw : Wichte Grundwasser in kN/ m³ g G,stb: Teilsicherheitsbeiwert für stabilisierende Gewichtskraft = 0,95 g G,dst: Teilsicherheitsbeiwert für resultierende, destabilisierende Wasserdruckkraft = 1,05 Die angegebenen Teilsicherheitsbeiwerte beziehen sich auf die ständige (BS-P) und die vorübergehende (BS-T) Bemessungssituation. 5. Ertüchtigung der Wehrsohlen 5.1 Allgemeines Der Nachweis gegen Aufschwimmen der aktuell vorhandenen, unbewehrten Tosbeckensohle kann für den Fall einer Trockenlegung der Wehrsohlen nicht geführt werden. Aus diesem Grund ist eine Ertüchtigung der Wehrsohlen geplant. Aufgrund des durchgeführten Verschlusswechsels ist die Ausbildung einer neuen Betonkubatur sinnvoll (blaue Linie in Abb. 4), da auf die Versenkmulde für die Walze verzichtet werden kann. Es ist geplant eine neue Stahlbetonsohle aufzubringen. Für das Aufbringen einer neuen Stahlbetonsohle muss ein Teil der Bestandssohle abgetragen werden. Auch für diesen Zustand muss die für diesen Bauzustand trocken zu legende Bestandssohle sicher gegen Aufschwimmen sein. Der Nachweis wird für die weitere Vorgehensweise für den im Abb. 4 rot markierten Ausschnitt der Tosbeckensohle geführt. Haltende Kräfte aus Reibung an den vertikalen Schnittflächen werden dabei nicht berücksichtigt. Abb. 4: Tosbeckensohle mit Sanierungsbereich 5.2 Ertüchtigungsvarianten Prinzipiell erscheinen folgende Varianten zur Sicherung gegen Aufschwimmen der bestehenden Betonsohle im Bauzustand während des Aushubs sowie der neuen Tosbeckensohle im Revisionszustand bei Trockenlegung der Wehrsohle möglich: 1. tiefer Teilabbruch der bestehenden Tosbeckensohle unter Wasser, darauf Erstellung einer rückverankerten Unterwasserbetonsohle, Lenzen der Baugrube, Herstellung der neuen Stahlbeton-Tosbeckensohle auf der rückverankerten Unterwasserbetonsohle mit Anschluss der neuen Tosbeckensohle an die Rückverankerung der Unterwasserbetonsohle (Abb. 5) 2. Herstellung von Grundwasserentspannungsbrunnen zur Sicherung der bestehenden Tosbeckensohle und des Baugrunds gegen Aufschwimmen, Lenzen der Baugrube, geringer Teilabbruch der bestehenden Tosbeckensohle, Herstellung der neuen Stahlbeton- Tosbeckensohle auf der alten Tosbeckensohle mit Durchführung der Entspannungsbrunnen, Rückverankerung der neuen Tosbeckensohle, Verschluss der Entspannungsbrunnen in der neuen Tosbeckensohle (Abb. 6) 3. wie 2), jedoch ohne Herstellung der Rückverankerung der neuen Stahlbeton-Tosbeckensohle mit dauerhaft geöffneten Grundwasserentspannungsbrunnen (Abb. 7). Abb. 5: Ertüchtigungsvariante 1 214 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Entspannungsbrunnen zur Erhöhung der Standsicherheit von Wehrsohlen Abb. 6: Ertüchtigungsvariante 2 Abb. 7: Ertüchtigungsvariante 3 Als Entspannungsbrunnen sind Bohrungen mit einem Durchmesser von 30 cm und einer Verfüllung mit einem stark durchlässigen Kies (z. B. der Körnung 16/ 32 mm) zur Stützung der Bohrlochwandung vorgesehen. Der relativ große Bohrdurchmesser ist für eine ausreichend große Mantelfläche erforderlich, über die die angeschnittenen Trennflächen entwässert werden können. Zur Ermittlung der erforderlichen Anzahl und Anordnung der Entspannungsbrunnen wurden stationäre, numerische 3D-Grundwasserströmungsberechnungen durchgeführt. Bei einer über die Bauzeit hinausreichenden Grundwasserdruckentspannung, entsprechend Variante 3, müssen die Entspannungsbrunnen an der Oberfläche der neuen Tosbeckensohlen so ausgebildet werden, dass sie dauerhaft geöffnet sind. Dazu sollten sie mit einem aus Edelstahl bestehenden, robusten Lochblech mit einer an die Verfüllung der Bohrungen angepassten, möglichst großen Öffnungsweite abgedeckt werden. Diese Lochbleche müssen in die neuen Betonsohlen der Tosbecken bündig mit deren Oberfläche eingebaut und in dieser verankert werden. 5.2.2 Ertüchtigungsvariante 1 Bei Variante 1 mit Unterwasserbetonsohle muss die vorhandene, aus dem Pflasterbelag und dem unbewehrten Beton bestehende Tosbeckensohle unter Wasser vergleichsweise tief abgebrochen werden, um die Unterwasserbetonsohle herstellen zu können. Die Unterwasserbetonsohle wird im unterlagernden Festgestein z. B. mit Mikropfählen oder Ankern rückverankert. Hierbei muss nachgewiesen werden, dass der verankerte Felskörper von der Oberkante der Unterwasserbetonsohle bis zur Unterkante der Anker sicher gegen Aufschwimmen ist (Abb. 8, links), dass die Wasserdruckkräfte von der Unterwasserbetonsohle aufgenommen und in die Anker abtragen werden können (Abb. 8, Mitte) und das ein ausreichender Herausziehwiderstand der Anker gegeben ist. Nach der Herstellung der rückverankerten Unterwasserbetonsohle wird die Wehrsohle innerhalb der Baugrubenumschließung trockengelegt und die bewehrte Konstruktionsbetonsohle des Tosbeckens hergestellt. Dabei muss die Bewehrung der Konstruktionsbetonsohle an die Rückverankerung der Unterwasserbetonsohle angeschlossen werden, da aufgrund der größeren Durchlässigkeit der Unterwasserbetonsohle von einem maßgeblichen Grundwasserdruck auf die Konstruktionsbetonsohle auszugehen ist (Abb. 8, rechts). D. h. für den späteren Revisionszustand der Wehrsohle muss der Nachweis der neuen Konstruktionsbetonsohle gegen Aufschwimmen mit dem vollen Wasserdruck auf der Unterseite der Konstruktionsbetonsohle geführt werden. Die Verankerung muss für alle maßgebenden Bemessungssituationen ausgelegt werden (Sicherung gegen Aufschwimmen sowohl für die gelenzte Baugrube im Bauzustand als auch für die spätere Trockenlegung im Revisionszustand). Auf der sicheren Seite liegend wird für den Nachweis gegen Aufschwimmen der Wasserdruck auf Höhe des für den Bauzustand maximal zulässigen Unterwasserstands bzw. auf Höhe der Oberkante des Unterwasser-Revisionsverschlusses angesetzt. Abb. 8: Nachweis gegen Aufschwimmen, Variante 1 5.2.2 Ertüchtigungsvariante 2 Die Sicherung des Baugrunds gegen Aufschwimmen durch eine rückverankerte Unterwasserbetonsohle erfordert zumeist einen hohen Aufwand durch den zusätzlichen Unterwasser-Aushub und die vergleichsweiche geringen Ankerabstände, um die Ankerzugkräfte über ein sich einstellendes Druckgewölbe in die Unterwas- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 215 Entspannungsbrunnen zur Erhöhung der Standsicherheit von Wehrsohlen serbetonsohle einzuleiten. Für die Sicherung der Stahlbetonsohle gegen Aufschwimmen werden dahingegen im Allg. deutlich weniger Anker benötigt, da eine Kraftübertragung durch die Bewehrung möglich ist. Durch den temporären Einsatz von Entspannungsbrunnen während der Bauzeit kann die Anzahl der erforderlichen Anker reduziert werden. Die Dimensionierung der Verankerungen erfolgt dann lediglich für die Sicherung der Stahlbetonsohle gegen Aufschwimmen im Revisionszustand des Wehres. Dagegen dienen die vorab herzustellenden Entspannungsbrunnen zur Sicherung des Baugrunds und der vorhandenen, unbewehrten Betonsohle nach dem Lenzen der Baugrube. Die Entspannungsbrunnen müssen vor der Trockenlegung der Baugrube durch die vorhandene, unbewehrte Wehrsohle bis in den unterlagernden Fels abgeteuft werden. Die Länge der Entspannungsbrunnen (EB) ermittelt sich aus dem Nachweis des Felspaketes von der Unterkante der Entspannungsbrunnen bis zur Oberkante der verbleibenden, alten Wehrsohle gegen Aufschwimmen. Hierbei wird auf der sicheren Seite liegend angenommen, dass das Grundwasserpotential unterhalb des Fußes der Entspannungsbrunnen nicht durch die Absenkung beeinflusst wird und deshalb dem Mainwasser-stand im Unterwasser des Wehres entspricht (Abb. 9, links). Es kann aufgrund eines über der Oberkante der vorhandenen Wehrsohle anstehenden Grundwasserpotentials (siehe Abb. 2) erforderlich sein, die Entspannungsbrunnen vor der Trockenlegung von einem Ponton aus bei eingestauter Wehrsohle herzustellen. Nach Trockenlegung der Wehrsohle erfolgt der Abbruch der alten Tosbeckensohle im Trockenen, wobei eine offene Wasserhaltung für das aus den Entspannungsbrunnen zuströmende Grundwasser erforderlich ist. Der Abbruch der alten Tosbeckensohle wird nur bis in eine Tiefe durchgeführt, die zur Herstellung der neuen Tosbeckensohle aus bewehrtem Konstruktionsbeton erforderlich ist. Dabei dient der Rest der alten Betonsohle als Auflager für den neuen Konstruktionsbeton. Der Bauzustand mit dem maximalen Aushub vor Herstellung der neuen Tosbeckensohle ist bei dieser Variante der maßgebende Bemessungszustand für die Dimensionierung der Entspannungsbrunnen. Da die unbewehrten Wehrsohlen rechnerisch keine Zugkräfte aufnehmen können, ist die Grundwasserdruckentspannung so auszulegen, dass die Sicherheit gegen Aufschwimmen für den Bauzustand nicht nur für die gesamte vorhandene, im Baugrund verbleibende Wehrsohle, sondern an jeder Stelle der Wehrsohle gegeben ist. Dabei werden die auf die Unterkante der Wehrsohle wirkenden Wasserdrücke für den im Unterwasser maximal möglichen Wasserstand im Bau unter Berücksichtigung der Druckentspannung durch die Entspannungsbrunnen angesetzt (Abb. 9, Mitte). Abb. 9: Nachweis gegen Aufschwimmen, Variante 2 Zur Herstellung der neuen Tosbeckensohle aus bewehrtem Konstruktionsbeton sind die Entspannungsbrunnen durch diese hindurch zu führen, wobei die Wasserhaltung bis zur vollständigen Herstellung der neuen Tosbeckensohle erfolgen muss. Dabei erfolgt auch die Rückverankerung der neuen Konstruktionsbetonsohle aus Stahlbeton, wobei die Verankerung an die Bewehrung der neuen Sohle angeschlossen wird. Bei der Herstellung der Verankerung dürfen die Entspannungsbrunnen nicht durch das Verpressmaterial in ihrer Wirkung beeinträchtigt werden. Falls erforderlich müssen die Anker bereits vorab, vor Herstellung der Entspannungsbrunnen und vor dem lenzen der Baugrube, vom Ponton aus hergestellt werden. Nach Fertigstellung der Stahlbetonsohle sind die Entspannungsbrunnen im Bereich der neuen Konstruktionsbetonsohle dauerhaft zu verschließen. Für die Bemessung der neuen Konstruktionsbetonsohle und deren Verankerung muss wie bei Variante 1 der im späteren Revisionszustand der Wehrsohle maßgebende volle Wasserdruck auf der Unterseite der Konstruktionsbetonsohle berücksichtigt werden (Abb. 9, rechts). 5.2.2 Ertüchtigungsvariante 3 In Variante 3 entspricht der Bauablauf bis zur Herstellung der neuen Tosbeckensohle aus Konstruktionsbeton der von Variante 2. Die Auslegung der Entspannungsbrunnen mit dem Nachweis des unterlagernden Felspakets (Abb. 10, links) und der verbleibenden alten Tosbeckensohle aus unbewehrtem Beton (Abb. 10, Mitte) gegen Aufschwimmen entspricht ebenfalls Variante 2. Danach wird jedoch keine Rückverankerung der neuen Konstruktionsbetonsohle durchgeführt und die Sicherung der neuen Konstruktionsbetonsohle erfolgt durch dauerhaft geöffnete Entspannungsbrunnen. Da die neue Tosbeckensohle aus Konstruktionsbeton eine wesentlich geringere hydraulische Durchlässigkeit als die unterliegende, verbleibende alte Betonsohle aufweisen wird, ist zusätzlich der Nachweis der neuen Tosbeckensohlen gegen Aufschwimmen unter Berücksich- 216 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Entspannungsbrunnen zur Erhöhung der Standsicherheit von Wehrsohlen tigung der Druckentspannung durch die im Tosbecken angeordneten Entspannungsbrunnen zu führen (Abb. 10, rechts). Abb. 10: Nachweis gegen Aufschwimmen, Variante 3 5.3 Bewertung der Ertüchtigungsvarianten Der Vorteil von Variante 1 gegenüber den Varianten 2 und 3 besteht in dem vereinfachten Arbeiten nach Herstellung und Trockenlegung der Unterwasserbetonsohle. Bei einer ausreichend wasserdichten Unterwasserbetonsohle kann die Konstruktionsbetonsohle unmittelbar auf deren Oberfläche angeordnet werden. Zur Sicherung der Konstruktionsbetonsohle gegen Aufschwimmen kann die Bewehrung an die verlängerten Anker der Unterwasserbetonsohle angeschlossen werden. Die Herstellung der rückverankerten Unterwasserbetonsohle zur Sicherung der Sohle und des darunter anstehenden Baugrunds gegen Aufschwimmen nach Trockenlegung der Sohle erfordert jedoch zumeist einen hohen Aufwand. Dieser ergibt sich aus dem zusätzlichen Unterwasser-Aushub, der Herstellung der Unterwasserbetonsohle und der Verankerung mit vergleichsweise geringen Ankerabständen, um die Ankerzugkräfte über ein sich einstellendes Druckgewölbe in die Unterwasserbetonsohle einzuleiten. Weiterhin ist es bei geringerer Dicke der bestehenden Wehrsohle möglich, dass der zusätzlich erforderliche Aushub für die Unterwasserbetonsohle bis unter Gründungssohle der Wehrpfeiler reicht und dadurch deren Standsicherheit gefährdet. Der Nachteil der Varianten 2 und 3 gegenüber Variante 1 besteht in der Durchführung der Entspannungsbrunnen durch die Konstruktionsbetonsohle bei deren Herstellung und dem Betrieb einer offenen Wasserhaltung zur Ableitung des durch die Entspannungsbrunnen zuströmenden Grundwassers. Zusätzlich ist eine geeignete Dimensionierung der Entspannungsbrunnen auf Grundlage einer ausreichenden geotechnischen und geohydraulischen Erkundung sowie einer darauf aufbauenden geohydraulischen (im Allg. numerischen) Berechnung erforderlich. Der Vorteil der Varianten 2 und 3 gegenüber Variante 1 besteht jedoch in dem wesentlich geringeren Aufwand aufgrund der nicht erforderlichen Unterwasserbetonsohle. Dadurch ergibt sich eine deutlich verringerte Aushubtiefe, kein Unterwasseraushub und keine Erstellung einer rückverankerten Unterwasserbetonsohle. Weiterhin ist die erforderliche Anzahl an Bohrungen für die Entspannungsbrunnen i. Allg. deutlich geringer als für die Verankerung der Unterwasserbetonsohle. Die Varianten 2 und 3 unterscheiden sich nur durch die Sicherung der neuen Tosbeckensohle aus bewehrtem Beton gegen Aufschwimmen im Revisionsfall mit trockengelegter Wehrsohle. Bei Variante 2 erfolgt diese durch eine Rückverankerung im Baugrund mit Anschluss an die Bewehrung der neuen Tosbeckensohle. Durch die an ihrer Oberfläche geschlossene neue Tosbeckensohle wird der Unterhaltungsaufwand gegenüber Variante 2 reduziert. Die Herstellung der Verankerung der neuen Tosbeckensohle in Variante 2 erfordert jedoch einen entsprechenden Aufwand, insbesondere unter Berücksichtigung der ggf. erforderlichen Herstellung vor den Entspannungsbrunnen vom Ponton aus, um die Wirksamkeit der Entspannungsbrunnen durch das Verpressmaterial nicht zu beeinträchtigen. Bei Variante 3 verbleiben dauerhaft geöffnete Entspannungsbrunnen in der neuen Konstruktionsbetonsohle des Tosbeckens. Dadurch wird gegenüber Variante 2 der Mehraufwand zur Herstellung der Verankerung vermieden. Durch die dauerhaft geöffneten Entspannungsbrunnen kann ein Eintrag von Oberflächenwasser in den Untergrund erfolgen. Dies ist jedoch nur bei einer auflaufenden Hochwasserwelle möglich, bei der der Unterwasserstand das Grundwasserpotential unter der Wehrsohle überschreitet. In der Regel liegt das Grundwasserpotential unter der Wehrsohle über dem Unterwasserstand, so dass zumeist exfiltrierende Verhältnisse vorherrschen. Weiterhin ist die Flusssohle unterwasserseitig der Wehrsohle i. d. R. ungedichtet, wodurch in diesem Bereich im Hochwasserfall eine wesentlich größere Infiltration aus dem Oberflächengewässer in das Grundwasser stattfindet. Durch die zumeist durch die Entspannungsbrunnen stattfindende Exfiltration von Grundwasser in das Unterwasser des Wehres besteht auch keine erhöhte Gefahr eines Zusetzens der Entspannungsbrunnen durch Sedimente, die über das Wehr mit dem Wasserstrom abgeführt werden. Bei den Revisionen mit Trockenlegung der Wehrsohlen sollte die Entspannungsbrunnen jedoch überprüft werden. Dabei kann nach dem Öffnen der Lochblechabdeckungen erforderlichenfalls der obere Bereich der Entspannungsbrunnen innerhalb der neuen Tosbeckensohle freigespült werden. In Tab. 1 sind die erforderlichen Standsicherheitsbzw. Tragfähigkeitsnachweise in den 3 Varianten für die unterschiedlichen Bauteile und den Baugrund gegenübergestellt. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 217 Entspannungsbrunnen zur Erhöhung der Standsicherheit von Wehrsohlen Tab. 1: Erforderliche Nachweise in den 3 Varianten Nachweis Variante 1 Variante 2 Variante 3 Aufschwimmen unterlagernder Felsblock x x x Kraftübertragung Unterwasserbetonsohle x - - Aufschwimmen unbewehrter Restbeton x x Herausziehwiderstand Anker x x - Aufschwimmen Konstruktionsbetonsohle x x x Gleiten Konstruktionsbetonsohle x x x Bewehrung Konstruktionsbetonsohle x x x 5.4 Gewählte Ertüchtigungsvariante Nach Abwägen der Vor- und Nachteile der oben beschriebenen Ertüchtigungsvarianten wird im hier vorliegenden Fall aktuell eine Ertüchtigung der Wehrsohlen entsprechend Variante 3 geplant. Durch die BAW wurden umfangreiche numerische Grundwasserströmungsberechnungen durchgeführt, um die erforderliche Anzahl und Anordnung sowie den erforderlichen Durchmesser von Entspannungsbrunnen zur Sicherung der Wehrsohle gegen Aufschwimmen zu ermitteln. Dies erfolgte auf Grundlage eines stationären, dreidimensionalen FE-Grundwassermodells. Abb. 11 zeigt die horizontalen Abmessungen des die beiden Wehrfelder umfassenden Grundwasserströmungsmodells. Untersucht wurden die Grundwasserverhältnisse für die maßgebenden vorübergehenden Bemessungssituationen des Bauzustandes und des Revisionszustandes. Abb. 11: Horizontale Abmessungen des erstellten FE- Grundwassermodells mit darin berücksichtigten Bauwerksteilen der Wehranlage Um die Grundwasserverhältnisse in der Modellierung realistisch abzubilden, wurde eine Kalibrierung auf Grundlage der Grundwasserstandsmessungen bei Niedrigwasserverhältnissen durchgeführt. Die erhöhte Durchlässigkeit der söhligen Trennflächen des unterlagernden Festgesteins wurden durch eine Anisotropie der Durchlässigkeit mit einer gegenüber der vertikalen um den Faktor 100 vergrößerten Durchlässigkeit abgebildet. Zusätzlich wurde eine verminderte Durchlässigkeit der Gewässersohle im Oberwasser des Wehres infolge Kolmation durch einen Leakagefaktor berücksichtigt. Zusätzlich zu den stationären Berechnungen für die Auslegung der Grundwasserentspannung wurde mittels instationärer Berechnung die Änderung der hydraulischen Potentiale im unterlagernden Fels in Abhängigkeit eines ansteigenden und abfallenden Mainwasserstands während eines Hochwasserereignisses ermittelt. Dadurch konnte gezeigt werden, dass die im Hochwasserfall in das Grundwasser aus dem Oberflächengewässer infiltrierende Wassermenge gering ist. Die Anzahl und die Anordnung sowie der Durchmesser der angesetzten Entspannungsbrunnen wurden variiert, bis eine ausreichende Entspannungswirkung ermittelt wurde. Dabei ergaben die Berechnungen, dass ein Durchmesser der Entspannungsbrunnen von mindestens 30 cm erforderlich ist, um bei einer Anzahl von 8 Entspannungsbrunnen je Wehrfeld eine ausreichende Grundwasserdruckentspannung zu erzielen. Die unter Berücksichtigung der Grundwasserdruckentspannung durch die Brunnen berechneten Grundwasserpotentialverteilungen in den beiden Bemessungssituationen dienten auch zur Vorgabe des maßgebenden Grundwasserdrucks auf die neue Konstruktionsbetonsohle als Grundlage für den Nachweis gegen Gleiten und der inneren Tragfähigkeit (Bewehrung) der neuen Wehrsohle. Insgesamt konnte durch die Untersuchung gezeigt werden, dass durch eine relativ geringe Anzahl von Entspannungsbrunnen eine ausreichende Grundwasserdruckentspannung zum Nachweis gegen Aufschwimmen der Wehrsohle in allen maßgebenden Bemessungssituationen erreicht werden kann. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 219 Stand der Technik beim Bauen im Heilquellenschutzgebiet in Stuttgart Dr. rer. nat. Annette Strasser Amt für Umweltschutz Landeshauptstadt Stuttgart, Gaisburgstraße 4, 70182 Stuttgart E-Mail: annette.strasser@stuttgart.de Dr.-Ing. Annette Lächler Smoltczyk & Partner GmbH, Untere Waldplätze 14, 70569 Stuttgart E-Mail: alaechler@smoltczykpartner.de Zusammenfassung Ein Großteil des Stadtgebiets Stuttgart liegt im Quellenschutzgebiet der staatlich anerkannten Heilquellen von Stuttgart- Bad Cannstatt und Stuttgart-Berg. Mit einer Gesamtschüttung von rund 500 l/ s stellt das Stuttgarter Mineralwassersystem nach Budapest das zweitgrößte Mineralwasseraufkommen in Europa dar, welches durch ein seit 2002 rechtskräftiges Quellenschutzgebiet besonders geschützt wird. Hierfür wurden in einer Verordnung unter anderem sowohl die wasserrechtlichen als auch die baulichen Eingriffe in dem Quellenschutzgebiet definiert. Insbesondere bei innerstädtischen Projekten stößt man aus wasserrechtlicher Sicht schnell an die Grenze der baulichen Umsetzung. Tiefbauprojekte in der Kern- und Innenzone des Heilquellenschutzgebietes stellen eine besondere Herausforderung dar. Trotzdem konnten durch bautechnische Lösungen in den letzten Jahren viele Bauprojekte, auch Großprojekte, in den sensiblen Bereichen des Heilquellenschutzgebiets umgesetzt werden. 1. Geologischer und hydrogeologischer Überblick Der Stuttgarter Baugrund stellt sich extrem vielfältig dar [1]. Ein Grund dafür ist das Zusammenspiel der besonderen geomorphologischen/ topographischen “Kessellage” mit den im Untergrund vorhandenen Gesteinen. Der Neckar und dessen Zuflüsse Nesen- und Feuerbach sowie der Vogelsangbach, einem Zufluss des Nesenbachs, legten durch ihr Einschneiden und der damit einhergehenden Ausräumung der Landoberfläche eine mehr als 250 m mächtige Abfolge wechselhafter Gesteinsschichten an den Talhängen frei. Die aufgeschlossenen stratigraphischen Einheiten reichen vom Oberen Muschelkalk im Norden des Stadtgebiets über die Gesteine des Keupers bis zu den Unterjuragesteinen im Süden auf der Filderhochfläche. Auf weiten Flächen im Stadtgebiet streichen die Gesteine des Keupers aus. Sie stehen an den Talhängen und im Talkessel an, wobei die Sandsteinformationen innerhalb des Keupers, wie die Löwenstein- (Stubensandstein-Formation) oder Stuttgart-Formation (Schilfsandstein-Formation) Zwischenebenen ausbilden. Im Talkessel selbst und am Hangfuß ist die Grabfeld-Formation (Gipskeuper-Formation) aufgeschlossen. Eine wesentliche Rolle für die Hydrogeologie und damit verbundenen vertikalen und horizontalen Wegsamkeiten spielt die Lage Stuttgarts innerhalb einer tektonischen Grabensituation, dem Fildergraben. Im Süden wird der Fildergraben durch die Vaihinger Störungszone begrenzt, welche nur einen kleinen Teil des Stadtgebiets tangiert. Die nördliche Grabenrandverwerfung des Fildergrabens quert jedoch das Stadtgebiet von Nordwest nach Südost und ist begleitet von zahlreichen kleinräumigen tektonischen Störungen [2], die insbesondere im Bereich des Stadtbezirks Cannstatt in der Cannstatter Störungszone sehr ausgeprägt sind. Die Wechselfolgen aus Ton-, Schluff-, Kalk-, Dolomit- und Sandsteinen führen zu einer Vielzahl an geringbis mittelmächtigen voneinander getrennten insbesondere Kluftgrundwasserleitern. So kann man in Stuttgart weit mehr als zehn Grundwasserstockwerke ausmachen. Den ergiebigsten oberflächennahen Aquifer stellen hierbei die quartären Ablagerungen des Neckars mit den Neckarkiesen dar. Daneben befindet sich in größerer Tiefe das mächtige Grundwasserreservoir des Oberen Muschelkalkes, welches im Bereich des Stuttgarter Neckartals in Bad Cannstatt und Berg soweit mineralisiert ist, dass es das zweitgrößte Mineralwasseraufkommen in Europa mit einer Gesamtschüttung von rund 500 l/ s darstellt. Das Mineralwasser des Oberen Muschelkalks ist stark gespannt, so dass es im Neckartal artesische Verhältnisse aufweist. Hier findet man im Stadtbezirk Bad Cannstatt und im Stadtteil Berg lokal natürliche Aufstiegszonen 220 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Stand der Technik beim Bauen im Heilquellenschutzgebiet in Stuttgart des Mineralwassers in den quartären Grundwasserleiter. Nur noch an der Mombachquelle sprudelt aus dem letzten natürlichen Quelltopf Stuttgarts niedrig konzentriertes Mineralwasser ans Tageslicht. 2. Das Stuttgarter Mineralwasser und Heilquellenschutzgebiet 2.1 Das Stuttgarter Mineralwasser Das Neubildungsgebiet des ergiebigen Stuttgarter Karstbzw. Mineralwassersystems im Oberen Muschelkalk befindet sich hauptsächlich in dem 18 bis 24 km westlich und südwestlich von Stuttgart gelegenen Oberen Gäu (Heckengäu) bzw. im Raum Gärtringen-Sindelfingen- Magstadt [3], [4], [5], [6]. Hier kann in dem, teils bis an die Oberfläche anstehenden, Oberen Muschelkalk-Karst Niederschlagswasser in die Tiefe versickern; von dort aus strömt das Grundwasser des Oberen Muschelkalks in Richtung Osten bzw. Nordosten bis es nach einer Fließdauer von etwa 20-30 Jahren im Bereich der Stuttgarter Mineralquellen ankommt [7], [8]. Gerade mal auf einer Strecke von ca. 5 km entsteht im Untergrund des Stadtgebiets Stuttgart aus dem bis dahin gering mineralisierten Oberen Muschelkalk -Grundwasser das hochkonzentrierte Mineralwasser der Stuttgarter Heilquellen [9]. Erst im Bereich des Mittleren Nesenbachtals erfährt dieses gering mineralisierte Grundwasser eine erste Aufkonzentrierung mit Calciumsulfat aus dem höherliegenden Grundwasserstockwerk des Gipskeupers (Abb. 1) [9]. Ab dem unteren Nesenbachtal gelangen hochsalinare Tiefenwässer aus den Schichten des Mittlerer Muschelkalks, des Buntsandsteins und des Kristallins sowie freie Kohlensäure aus dem Oberen Erdmantel in das Grundwasser des Oberen Muschelkalks, was zu einer weiteren Aufmineralisierung (Natriumchlorid und Sulfat) und Entstehung der hochkonzentrierten Mineralwässer führt (Abb. 1) [9]. Im Bereich Bad Cannstatts erreicht das Mineralwasser eine flächige Ausdehnung [9], wo es aus dem Oberen Muschelkalk an den zahlreichen Verwerfungen der Cannstatter Störungszone des Fildergrabens in den Neckar, in den quartären Grundwasserleiter oder in den Fassungen bzw. im Quelltopf der Mombachquelle an die Oberfläche aufsteigen kann. Im Cannstatter Becken fließen zusätzlich kleinere Mengen (ca. 35 l/ s) an höher konzentriertem Mineralwasser von Süden aus dem Albvorland zu [10]. Das Stuttgarter Mineralwasser weist je nach Mineralisation und Kohlensäuregehalt einen niedrigen oder hochkonzentrierten Charakter auf. Heute erschließen 19 Brunnen sowie 1 natürlicher Quelltopf (Mombachquelle) das Stuttgarter Mineralwassersystem [11], davon 12 Fassungen die hochkonzentrierten Heilquellen aus dem Oberen Muschelkalk bzw. dessen Grenzbereich zum darüber liegenden Unterkeuper oder zum darunter liegenden Mittleren Muschelkalk. Der tiefste der 19 Brunnen ist die Hofrat-Seyffer-Quelle, in der mit einem Fassungsbereich von 165,6 m bis 477,0 m Tiefe u. Gel. hochkonzentriertes Mineralwasser aus dem Buntsandstein und dem Kristallin erschlossen wird. Mit einer Temperatur von bis zu 23,9 °C stellt sie damit die einzige Thermalsole in Stuttgart dar. Durch ihre tiefere Erschließung ist sie hydrogeologisch nicht dem Mineralwassersystem des Oberen Muschelkalkes zuzuordnen. Die 13 hochkonzentrierten Quellen, u.a. Insel-, Leuzequelle, die 6 Berger Quellen sowie die Kursaalquellen, wurden aufgrund ihrer therapeutischen Wirkung als Heilquellen staatlich anerkannt. Abb. 1: Entstehung des Stuttgarter Mineralwassers im Nesenbach- und Neckartal [9] Abb. 2.: Lageplan und Zonierung des Heilquellenschutzgebiets [16], [11], [17], [18] 2.2 Das Stuttgarter Heilquellenschutzgebiet Zum Schutz dieser Heilquellen trat 2002 die „Verordnung des Regierungspräsidiums Stuttgart zum Schutz der staatlich anerkannten Heilquellen in Stuttgart- Bad Cannstatt und Stuttgart-Berg“ in Kraft [12]. Mit dieser wurde ein ca. 300 km 2 großes Quellenschutzgebiet fest- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 221 Stand der Technik beim Bauen im Heilquellenschutzgebiet in Stuttgart gesetzt, welches, ausgehend von den Fassungsbereichen, von innen nach außen in die Kern-, Innen- und Außenzone gegliedert ist (Abb. 2) [13], [14], [15]. Die Außenzone erstreckt sich mit einem Großteil noch weiter nach Westen und Südwesten in den Landkreis Böblingen und teils auch in den Landkreis Ludwigsburg mit der Stadt Gerlingen. Auch die Städte Esslingen und Fellbach im Osten und Südosten Stuttgarts werden von der Außenzone noch erfasst (Abb. 2). Die nördlichen und südlichen Bereiche Stuttgarts liegen außerhalb des Quellenschutzgebietes. Die Zonierung richtet sich nach der Verletzbarkeit und Schutzbedürftigkeit des Mineralwassersystems gegenüber qualitativen (stofflichen) und quantitativen (mengenmäßigen) Einflüssen [11], [18]. Definiert werden die Zonen über geologische, hydrogeologische bzw. hydrologische Gesichtspunkte [11], [18]. So ist z.B. der Flurabstand des Druckspiegels im Oberen Muschelkalk oder sein artesischer Zustand sowie die Mächtigkeit der Deckschichten über den Gesteinen des Oberen Muschelkalks ausschlaggebend. Insbesondere spielen hierbei die Grundgipsschichten an der Basis der Grabfeld-Formation (Gipskeuper-Formation) mit ihrer abdichtenden Wirkung eine zentrale Rolle. Zur Kernzone zählen die eigentlichen Aufstiegsbereiche der Stuttgarter Heil- und Mineralwässer im Cannstatter Becken und im unteren Nesenbachtal (Abb. 3) [13], [11], [17]; hier ist das Mineralwasser artesisch gespannt. Zudem umfasst die Zone das untere und mittlere Nesenbachtal, in denen die Grundgipsschichten teilweise oder vollständig abgetragen sind (Abb. 3). Der Druckspiegel im Aquifer des Oberen Muschelkalks befindet sich hier innerhalb des Quartärs, taucht jedoch zum mittleren Nesenbachtal talaufwärts weiter unter Flur ab, so dass er sich auch innerhalb der teilweise abgetragenen Grundgipsschichten befinden kann (Abb. 3) [13], [11], [17]. Abb. 3: Zonen des Heilquellenschutzgebiets im Nesenbachtal und ihre geologischen und hydrogeologischen Kriterien; mo: Oberer Muschelkalk, ku: Unterkeuper, km1GG: Grundgipsschichten, km1BH: Bochingen-Horizont, km1DM: Dunkelrote Mergel, km1BH: Bleiglanzbankschichten, km1MH: Mittlerer Gipshorizont, q: Quartär; [13], [11], [17] Charakteristisch für die Innenzone ist das vollständige und flächenhafte Vorhandensein der ausgelaugten Grundgipsschichten mit einer Mächtigkeit von ca. 9 m (Abb. 3). Diese wirkt als vertikale Trennschicht und ist somit wasserwirtschaftlich relevant. Eine vollständige Mächtigkeit der Grundgipsschichten setzt deren Überlagerung mit dem Bochinger-Horizont voraus. Innerhalb der Innenzone steigt die Druckfläche des Grundwassers im Oberen Muschelkalk von ENE nach WSW talaufwärts im Nesenbachtal leicht an (Abb. 3). In Verbindung mit einem steileren Schichteinfallen und der Tektonik wandert die, zunächst über den Grundgipsschichten liegende Druckfläche, Richtung Westen weiter talaufwärts durch die Grundgipsschichten hindurch (Abb. 3). Die Innenzone grenzt sich zur Außenzone mit dem Ausstreichen des Weinsberg-Horizontes (Bleiglanzbankschichten) und einer damit verbundenen Gesteinsüberdeckung der Grundgipsschichten von mehr als 20 m ab (Abb. 3). 3. Bauen im Heilquellenschutzgebiet Grundsätzliche Aufgabe des Grundwasserschutzes ist es, das Grundwasser vor qualitativen Einflüssen (Einbringen von Schadstoffen) zu schützen, aber auch bei baulichen Eingriffen die natürliche Grundwassersituation wiederherzustellen, so dass längerfristige Veränderungen im Grundwasserssystem ausbleiben. Hierzu gehören z.B. beim Bau von Gebäuden dementsprechende Umläufigkeitssysteme einzurichten oder die Grundwasserstockwerkstrennung, beim Eingriff in mehrere Aquifere, wiederherzustellen. Solch ein „Kurzschluss“ zwischen verschiedenen Aquiferen kann zu geochemischen Veränderungen der Grundwasserzusammensetzung führen oder aber auch zu mengenmäßigen Verlusten von einem Aquifer in einen anderen. Dies kann je nach Druckniveau der beiden Aquifere und des daraus resultierenden hydraulischen Gradienten in beide Richtungen erfolgen. Im Heilquellenschutzgebiet gilt es zusätzlich die staatliche Anerkennung der Heilquellen zu bewahren. Voraussetzung einer staatlichen Anerkennung ist zum einen die „Natürlichkeit der Heilmittel“, also frei von anthropogenen Stoffen, zum anderen auch eine gleichbleibende Konzentration der Inhaltsstoffe. Hier spielen auch indirekt quantitative Einflüsse, also z.B. Mineralwasserverluste, eine große Rolle, da sich dadurch die Druckverhältnisse im System ändern, was zu einer Verschiebung des sehr sensiblen, chemisch-physikalischen Gleichgewichtes führt (z.B. Kohlensäuregehalt) [11], [17]. Sowohl die Verordnung zum Schutz der Heilquellen als auch Detailregelungen zur Umsetzung der Anforderungen der Heilquellenschutzverordnung, welche z.B. im Rahmen von wasserrechtlichen Erlaubnissen aufgestellt werden, regeln zulässige bauliche und wasserrechtliche Eingriffe in den einzelnen Schutzzonen [12], [11], [17]. In weiten Teilen der Außenzone schützen die mächtigen überlagernden Deckschichten das Grundwasser des Oberen Muschelkalkes. Hier können nur dauerhafte oder 222 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Stand der Technik beim Bauen im Heilquellenschutzgebiet in Stuttgart sehr große Grundwasserverluste die Heilquellen gefährden. Daher sind in dieser Zone dauerhafte Grundwasserentnahmen aus dem Aquifer des Oberen Muschelkalks verboten. Die Tiefeneinbindung von flächenhaften baulichen Eingriffen sind in der Innenzone abhängig von der Höhenlage des Druckspiegels des Oberen Muschelkalkes in Bezug zu den Grundgipsschichten. Hier darf nur flächenhaft in die Grundgipsschichten eingebunden werden, wenn die Druckhöhe des Aquifers im Oberen Muschelkalk nicht unterschnitten wird. Ansonsten besteht durch die Ausräumung dieser Dichtschicht bei einer gleichzeitigen Grundwasserabsenkung im Rahmen einer Bauwasserhaltung die Gefahr eines Mineralwasseraufstiegs in darüber liegende Stockwerke oder bis in die Baugrube (Abb. 4) [19], [11], [17]. Abb. 4: Schema eines Mineralwasseraufbruchs durch Druckumkehr, ausgelöst durch eine Bauwasserhaltung; mo: Oberer Muschelkalk, ku: Unterkeuper, km1GG: Grundgipsschichten, km1BH: Bochinger-Horizont, km1DM: Dunkelrote Mergel, km1BH: Bleiglanzbankschichten, km1MH: Mittlerer Gipshorizont, q: Quartär; GWbgr: Wasserhöhe in der Baugrube, GWmo: Druckwasserhöhe im Oberen Muschelkalk; MW: Mineralwasser; Δp: hydraulischer Druckunterschied bzw. Gradient [19], [11], [17] Flächenhafte Eingriffe unter die Grundgipsschichten in den Unterkeuper oder tiefer sind in der Innenzone verboten. Zudem darf lediglich über eine Dauer von maximal 6 Monaten unter einer maximalen Entnahmerate von 2 l/ s und einer Gesamtentnahmemenge von 32.000 m 3 eine Bauwasserhaltung aus Schichten oberhalb des Unterkeupers erfolgen. Hierbei müssen heilquellenspezifische Maßnahmen, wie die Überwachung von Vor-Ort-Parametern im Grundwasser durchgeführt werden. Die Einschränkungen für bauliche und wasserrechtliche Eingriffe verschärfen sich in der Kernzone weiter. Allein ein Anschneiden der unter dem Quartär liegenden Keuperschichten kann zu einem Mineralwasseraufbruch führen, da das Grundwasser im Oberen Muschelkalk bis hin zu artesischen Verhältnissen gespannt ist. Daher sind flächenhafte Eingriffe unter die Quartärbasis, Grundwasserhaltungen sowie das Freilegen von Grundwasser in einer Fläche > 500 m 2 verboten. Wegen der strengen Auflagen zum Schutz der Heilquellen war es nur mit konstruktiver Zusammenarbeit zwischen Planern und Genehmigungsbehörde möglich, bei Würdigung der hydrogeologischen und ingenieurgeologischen Randbedingungen unter Einsatz spezieller technischer Schutzmaßnahmen anspruchsvolle Bauvorhaben in Stuttgart zu realisieren. 4. Projekte Nachfolgend werden zwei Projekte beschrieben, in denen die besonderen Vorkehrungen zum Heilquellenschutz vorgestellt und illustriert werden. 4.1 B10 - Rosensteintunnel Das Straßenbauprojekt Rosensteintunnel ist aktuell die größte Infrastrukturmaßnahme des Tiefbauamtes der Landeshauptstadt Stuttgart, die Inbetriebnahme des Tunnels ist Anfang 2022 geplant, so dass die Baumaßnahme zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits nahezu abgeschlossen ist. Die Maßnahme wurde in zwei Abschnitten realisiert. Der eigentliche Rosensteintunnel mit zwei Röhren mit jeweils zwei Fahrstreifen führt unter dem Rosensteinpark hindurch. Der zweite Abschnitt ist der Umbau der Kreuzung der beiden Bundesstraßen B10 und B14 am Leuzebad. Mit dieser Maßnahme und dem bereits realisiertem B10 Pragsatteltunnel wird der Verkehr wieder auf der B10 gebündelt und die Wohngebiete in Bad Cannstatt, Stuttgart- Ost und Zuffenhausen vom Durchgangsverkehr entlastet (Abb. 5) 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 223 Stand der Technik beim Bauen im Heilquellenschutzgebiet in Stuttgart Abb. 5: Lageplan Straßenbauprojekt Rosensteintunnel (Quelle: https: / / rosensteintunnel.stuttgart.de/ item/ show/ 544511) Im Folgenden wird der Fokus auf die Herstellung der im östlichen Anschluss an den bergmännischen Rosensteintunnel unter die bestehenden Straßen- und Stadtbahntrassen verlaufende Tunnel in offener Bauweise in der Neckartalstraße gelegt. Auf Grund der Lage dieses Abschnitts in der Kernzone des Heilquellenschutzgebietes war gemäß den in Abschnitt 3 erläuterten Auflagen der wasserrechtlichen Erlaubnis eine Grundwasserabsenkung bzw. -entnahme nicht gestattet. Zur Unterquerung der Neckartalstraße wurde für beide Fahrtrichtungen ein gemeinsamer Stahlbetonquerschnitt aus wasserundurchlässigem Beton hergestellt. An den geschlossenen Tunnel schließt sich in der Neckartalstraße eine Rampenstrecke an, die für beide Fahrtrichtungen als ein gemeinsamer Stahlbetontrog ausgeführt wird. Der für den Bauabschnitt relevante Baugrund (Abb. 6) besteht aus künstlichen Auffüllungen, die zur Gestaltung des Rosensteinparks und seiner Zuwegungen und beim Bau der Neckartalstraße eingebaut wurden. Hierbei ist von besonderer Bedeutung der nun mit Auffüllungen verfüllte rund 20 m breite, 6 m tief reichende ehemalige Mühlkanal am westlichen Auenrand des Neckartals. Darunter folgt der bis zu 4 m mächtige Auelehm, der teilweise organische Bestandteile aufweist. Am äußersten Auenrand folgen unter dem Auelehm, sonst direkt unter der Auffüllung, Neckarkiese. Ihre Mächtigkeit beträgt in der Talaue meist 3 m bis 4 m; am Talrand, im Bereich des Geländeanstiegs zum Rosensteinpark, keilen sie aus. Die unter den quartären Deckschichten folgenden Schichten des Gipskeupers setzen stratigraphisch im Bereich zum bergmännischen Tunnel vom untersten Abschnitt des Gipskeupers, den sog. Grundgipsschichten, ein, eine Wechselfolge von sehr mürben und verstürzten Schluffton- und Kalksteinen, die teilweise auch zu Schluff verwittert sind (Verwitterungsklasse V4). Sie sind unter der Neckaraue durch den Neckar vollständig erodiert und stehen nur unter der Neckartalstraße und westlich davon noch an. Unter dem Gipskeuper bzw. an der Basis der Neckarkiese folgen die Schichten des Lettenkeupers, eine insgesamt gut 20 m mächtige Wechselfolge von Tonmergelsteinen und Dolomitsteinen sowie untergeordnet Sandsteinen. Die Oberfläche des Lettenkeupers liegt etwa 3 m bis 4 m unter der Baugrubensohle. Den tieferen Untergrund bilden die mineralwasserführenden Schichten des Oberen Muschelkalks. Der artesisch gespannte Wasserspiegel des Oberen Muschelkalks liegt rund 2 m bis 3 m über Gelände. Der Grundwasserstand (Quartär bzw. Gipskeuper) lag entsprechend Stichtagsmessungen während der Entwurfsphase noch knapp unter der Baugrubensohle. Zum Zeitpunkt der Bauausführung wurden jedoch höhere Grundwasserstände gemessen, auch wurden Anpassungen in der Gradiente erforderlich, so dass die geplante Baugrubensohle bis zu 50 cm unterhalb des Grundwassers zu liegen kam. Abb. 6: Geologischer Längsschnitt Bereich, offene Bauweise in der Neckartalstraße Auf Grund des bereits wasserrechtlich genehmigten durchlässigen Baugrubenverbaus in Form eines Trägerbohlverbaus mit Spritzbetonausfachung wurde entschieden, wie im Portalbereich des bergmännischen Tunnels nachträglich den Verbau mit Niederdruck-Injektionen abzudichten. Hierzu wurden hinter den Baugrubenverbauten Injektionsschleier hergestellt. Die Injektionen reichten von 1 m oberhalb des Grundwassers bis 0,5 m in die Schichten des Lettenkeupers. Zur Verifizierung der Höhenlage der Lettenkeuper-Oberfläche wurden vorab umfangreiche Erkundungsbohrungen abgeteuft. Die seitliche Abdichtung wurde als ausreichend angenommen, da der Lettenkeuper und die hangseits anstehenden Grundgipsschichten als natürliche Stauer betrachtet wurden und die Einbindung in das Grundwasser nur wenige Dezimeter betrug. Zur Risikominimierung wurde darüber hinaus die Baugrube mit Hilfe von Injektionsschleiern in vier Teilbaugruben unterteilt (siehe Abb. 7). 224 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Stand der Technik beim Bauen im Heilquellenschutzgebiet in Stuttgart Abb. 7: Grundriss der Baugrube, Tunnel in offener Bauweise mit Darstellung der Injektionsschleier Die Teilflächen hatten somit Abmessungen von < 500 m², womit auch die Auflagen der Heilquellenschutzverordnung zum Freilegen von Grundwasser erfüllt wurden. Mit Hilfe von vorab hergestellten Brunnen sollten dann die Teilbaugruben gelenzt werden. Um den Erfolg der Abdichtungen mittels der Injektionsschleier zu überprüfen, wurden im Vorfeld Pumpversuche in den jeweiligen Teilbaugruben durchgeführt. Hierbei wurde festgestellt, dass die geforderte komplette Abdichtung nicht zu erzielen war. Es lag die Vermutung nahe, dass punktuell über alte Kanäle oder aber auch über den Mühlkanal unkontrollierbare Wasserzutritte vorhanden waren. Während des Aushubs konnte kein Wasserzuritt über die Verbauwände festgestellt werden, so dass man davon ausgehen konnte, dass die Niedrig-Injektionen erfolgreich waren. Zur Unterbindung eines Grundwasserzuflusses über die Sohle bis in das Niveau der Bodenplatte wurde eine verstärkte, auftriebssichere Unterwasserbetonsohle konzipiert. Da in Teilbereichen auf der Baugrubensohle die Grundgipsschichten vorhanden waren und diese erst Richtung Neckar ausstreichen, wurde ein Bodenaustausch mit Schotter im Bereich der bindigen Bodenschichten hergestellt. Dieser Bodenaustausch mit sogenannten „Schroppen“ diente der Vermeidung einer Verschlammung der Baugrubensohle des einzubringenden Unterbetons. Hierzu wurde der Boden rund 0,3 m unter dem Grundwasserspiegel gegen den Grobschotter ausgetauscht und mit einer schweren Rüttelplatte mit vier Übergängen verdichtet. Darauf wurde dann der Unterbeton / Unterwasserbeton eingebracht, der bis zur Verbauwand geführt wurde. Abb. 8: Blick Richtung bergmännischen Tunnel und aktuellem Einbau des Unterwasserbetons Diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass die Rahmenbauwerke in einer trockenen, tragfähigen Baugrube hergestellt werden konnten und somit die Auflagen des Heilquellenschutzes eingehalten werden konnten. 4.2 Wohnbebauung in Stuttgart-Bad Berg In Stuttgart-Bad Berg - zwischen dem Mineralbad Berg und Leuze-Bad wurde eine Neubebauung mit insgesamt 12 4 bis 5 geschossigen Mehrfamilienhäusern über einer gemeinsamen Tiefgarage geplant. Entsprechend der Heilquellenschutzverordnung liegt das Grundstück in der Kernzone. Es liegt am Südostrand der Talaue des Nesenbachs und fällt steil von etwa 231 mNN im Süden nach Norden, zum Hangfuß hin, auf rund 224,5 mNN zum Nesenbachtal hin ab. In der Nesenbachaue weist der Baugrund einen komplexen, mehrschichtigen Aufbau auf, siehe Abb. 9: • künstliche Auffüllung, die im Zusammenhang mit der ehemaligen Altbebauung stand; • unterlagert von einem tonigen, feinsandigen Auelehm mit überwiegend weicher Konsistenz • und, 2 m bis 4 m unter Gelände, sog. Sauerwasserablagerungen, die zwischeneiszeitlich, vor mehreren zehntausend Jahren, als Ablagerungen von kohlensäurehaltigen Mineralwasserquellen entstanden sind. • Den tieferen Untergrund unter den quartären Deckschichten bilden die Schichten des Gipskeupers, stratigraphisch den Dunkelroten Mergeln und Bochinger Horizont zuzuordnen, der sich noch rund 3 m zur Tiefe hin fortsetzt und von den Grundgipsschichten unterlagert wird. Im Hangbereich ist der Baugrundaufbau wie folgt; unter einem Oberboden / Auffüllungen folgen die Schichten des Gipskeupers, stratigraphisch beginnend mit den Dunkelroten Mergeln. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 225 Stand der Technik beim Bauen im Heilquellenschutzgebiet in Stuttgart Quartäres Grundwasser wurde rund 5 m unter der Geländeoberfläche im Talbereich angetroffen, der Druckwasserspiegel des Oberen Muschelkalks gemäß Messungen in der Umgebung etwas oberhalb des Geländes auf 225,5 mNN. Auf Grund des ansteigenden Geländes nach Süden taucht der Druckwasserspiegel unter die Geländeoberfläche ab, so dass er sich im höchsten Bereich der Bebauung etwa 5,5 m unter Gelände in den Dunkeltoten Mergeln befindet. Da das Grundstück in der Kernzone liegt, ist gemäß Heilquellenschutzverordnung ein Eingriff nur bis maximal 0,5 m oberhalb der Basis Quartär gestattet. Demzufolge war anfangs die geplante Bebauung nicht umsetzbar, da eine Einbindung der Gebäude, insbesondere auch auf Grund der Hanglage zwingend erforderlich war Nach eingehender Prüfung der geologischen und hydrogeologischen Randbedingungen und intensiven Abstimmungen mit den Fachbehörden konnte festgestellt werden, dass im Hangbereich die Kriterien der Kernzone nicht gegeben waren. Die Grundgipsschichten waren noch vollständig vorhanden und von den Schichten des Bochinger Horizontes sowie Dunkelroten Mergeln teils bis zu 10 m mächtig überlagert. Eine artesische Situation des Druckwasserspiegels des Oberen Muschelkalks wie im Talbereich was an dieser Stelle nicht mehr vorhanden. .Abb. 9: Geologischer Schnitt: Nesenbachtalaue - Hang Daher wurde eine Einbindung in den Gipskeuper sowohl als geologischer als auch als hydrogeologischer Sicht im Hangbereich nicht kritisch angesehen, da insbesondere weder ein Eingriff in die vollflächig vorhandenen, abdichtenden Grundgipsschichten noch in das Grundwasser vorgesehen waren. Mit Hilfe einer Befreiung von der Heilquellenschutzverordnung konnte die Planung somit nahezu planmäßig umgesetzt werden. Im Bereich der Talaue war eine Einbindung in den Gipskeuper weiterhin, bis auf eine kleine Fläche am Übergang zum Hang untersagt. Auf Grundlage einer Schichtlagerungskarte mit Darstellung der Basis der quartären Schichten musste die Planung dahingehend angepasst werden. Des Weiteren wurden alle Bauteile im Gipskeuper, die in das Niveau des Druckwasserspiegels im Oberen Muschelkalk einbinden, ohne die üblichen Drän- und Trennschichten direkt gegen den anstehenden Baugrund betoniert und in wasserundurchlässigem Beton ausgeführt. Damit sollte gewährleistest werden, dass nach den baulichen Eingriffen die abdichtende Wirkung des entnommenen Gipskeupers wiederhergestellt wurde. Die Baumaßnahme, insbesondere im Bereich der Talaue, mussten durch einen hydrogeologischen Gutachter intensiv begleitet werden. So musste der Aushub im Bereich mit genehmigter Einbindung von wenigen Quadratmetern in den Gipskeuper im Bereich der Talaue, begleitet und kartiert werden (Abb. 10). Beim Aushub wurden erwartungsgemäß die Schlufftonsteine des Bochinger Horizonts angetroffen, der flächige Eingriff betrug rund 20 m². Abb. 10: Kartierung der Baugrubensohle Diese beschriebene Herangehensweise mit einer frühzeitigen Einbindung der Genehmigungsbehörden hat gezeigt, dass Projekte auch unter Einhaltung der geologischen und hydrogeologischen Grundsätze der Heilquellenschutzverordnung entsprechend der ursprünglichen Planung möglich sind. 5. Fazit In Stuttgart stellen Morphologie, komplexe Baugrundverhältnisse sowie die Vorgaben zum Schutz der Heilquellen besondere Herausforderungen für die Planung und Realisierung von Tiefbauvorhaben dar. Oftmals können innerstädtische Baumaßnahmen nicht wie geplant realisiert werden, dies muss den Investoren im Vorfeld bewusst sein. Zudem müssen oft Sonderwege gegangen werden, die Auf Grund ihrer technischen Komplexität teilweise aber auch hohe Kosten verursachen, dass die Rentabilität manchmal in Frage gestellt werden muss. Dennoch hat sich gezeigt, dass sich im Gespräch und der Ausarbeitung der wasserrechtlichen Erlaubnis mit den Genehmigungsbehörden Lösungen finden. Letztendlich konnten in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl selbst anspruchsvollster Tiefbauprojekte, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich, erfolgreich realisiert werden. 226 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Stand der Technik beim Bauen im Heilquellenschutzgebiet in Stuttgart Literatur [1] E. Rogowski: Erläuterungstext „Der Baugrund von Stuttgart“. In: Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Baden-Württemberg (Hrsg.): Der Baugrund von Stuttgart. Ingenieurgeologische Karte von Baden-Württemberg 2017, 157 S. [2] A. Strasser, W. Ufrecht und H. Zedler: Ein neuer Aufschluss in der östlichen Fildergrabenrandverwerfung (Schwieberdingen-Kallenberg Störungszone) in Stuttgart-Zuffenhausen. In: T. Simon (Hrsg.): Gedenkband Walter Carlé. Jahreshefte der Gesellschaft für Naturkunde in Württemberg, Sonderband 3/ 2013, S. 229-242. [3] E. Villinger: Hydrogeologische Aspekte zur geothermalen Anomalie im Gebiet Urach-Boll am Nordrand der Schwäbischen Alb (SW-Deutschland). In: Geologisches Jahrbuch C 32/ 1982, S. 3-41. [4] E. Villinger: Grundwasserbilanzen im Karstaquifer des Oberen Muschelkalks im Oberen Gäu (Baden-Württemberg). In: Geologisches Jahrbuch C 32/ 1982, S. 43-61. [5] J. Plümacher und W. Kinzelbach: Calibration of a regional groundwater flow model using environmental isotope data. In: Tracers and modelling in Hydrogeology, Proceedings of the TraM 2000 Conference, Liège, IAHS Publ. No. 262/ 2000, S. 439- 445. [6] J. Plümacher und W. Ufrecht: Erkundung der regionalen Grundwasserströmung im Muschelkalk Mittelwürttembergs mit stabilen Umweltisotopen. In: Grundwasser 5(1) / 2000, S. 3-8. [7] I. Neeb und B. Wittkopp: Untersuchungen des Grundwassers im Oberen Muschelkalk im Raum Sindelfingen. In: Schriftenreihe des Amtes für Umweltschutz 1/ 1998, S. 29-60. [8] J. Justiz und U. Lang: Ein numerisches Modell für das Aquifersystem Oberer Muschelkalk zwischen Albvorland und oberschwäbischem Molassebecken. In: Schriftenreihe des Amtes für Umweltschutz 1/ 2018, S. 159-204. [9] W. Ufrecht und G. Wolff: Das Stuttgarter Heilquellenschutzgebiet. In: T. Simon (Hrsg.): Gedenkband Walter Carlé. Jahreshefte der Gesellschaft für Naturkunde in Württemberg, Sonderband 3/ 2013, S. 37-65. [10] W. Ufrecht, J. Justiz und U. Lang: Modellbetrachtungen für die Tiefengrundwässer im Oberen Muschelkalk zwischen Stuttgart und Oberschwaben. In: Jahreshefte der Gesellschaft für Naturkunde in Württemberg 175/ 2019, S. 233-272. [11] G. Wolff: Technischer Heilquellenschutz in Stuttgart. In: Schriftenreihe des Amtes für Umweltschutz 4/ 2004, 98 S. [12] Regierungspräsidium Stuttgart: Verordnung des Regierungspräsidiums Stuttgart zum Schutz der staatlich anerkannten Heilquellen in Stuttgart-Bad Cannstatt und Stuttgart-Berg vom 11. Juni 2002. In: Gesetzblatt für Baden-Württemberg 7/ 2002, S. 255-260. [13] G. Wolff und W. Ufrecht: Neukonzeption zur Abgrenzung der engeren quantitativen Schutzzonen für die Heilquellen von Stuttgart-Bad Cannstatt und -Berg. In: Schriftenreihe des Amtes für Umweltschutz 1/ 1998, S. 161-172. [14] LGRB-Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Berbau Baden-Württemberg: Hydrogeologisches Gutachten zur Abgrenzung eines Heilquellenschutzgebietes für die staatlich anerkannten Heilquellen von Stuttgart-Bad Cannstatt und S-Berg. Stuttgart 1999, 39 S. [15] W. Ufrecht und G. Wolff: Ein Heilquellenschutzgebiet für die Stuttgart-Bad Cannstatter und -Berger Quellen. In: Grundwasser 8(2) / 2003, S. 124-125. [16] Regierungspräsidium Stuttgart: Quellenschutzgebiet für die Heilquellen in Stuttgart LfU-Nr. 111-150H. Übersichtskarte Maßstab 1: 25000. Stuttgart 2002. [17] G. Wolff: Hirschquelle und Hirschbad im unteren Nesenbachtal, Stuttgart-Nutzung und Hydrogeologie eines (fast) vergessenen Mineralwasservorkommens. In: Jahreshefte der Gesellschaft für Naturkunde in Württemberg 176/ 2020, S. 251-292. [18] G. Wolff: Technischer Heilquellenschutz in Stuttgart Fortschreibung 2021. In: Schriftenreihe des Amtes für Umweltschutz 1/ 2021, 257 S. [19] G. Wolff: Neukonzeption zum Schutz der Heilquellen von Stuttgart-Bad Cannstatt und -Berg.- Bauen in den engeren Schutzzonen. In: Geotechnik 3/ 1999, S. 185-193. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 227 Wasserdichte Baugruben für den Karoline-Luise-Tunnel in Karlsruhe Dipl.-Ing. Sven Köthe BUNG Baumanagement GmbH, Ingenieurgemeinschaft, Karlsruhe Dr.-Ing. Bertram Schulze Spezialtiefbau Consult Dr. Bertram Schulze, Karlsruhe Zusammenfassung Für den Bau des 1,6 km langen Karoline-Luise-Tunnel (Kriegsstraßentunnel) in der bedeutendsten innerstädtischen Hauptverkehrsachse in Karlsruhe war die Herstellung von insgesamt 15 Teilbaugruben erforderlich. Wegen des hoch anstehenden Grundwassers und den Baugrubentiefen von bis zu 10 m musste der Baugrubenverbau wasserdicht ausgeführt werden. Im vorliegenden Beitrag wird der Schwerpunkt auf die Qualitätssicherung der Spezialtiefbaumaßnahmen (und hier insbesondere der knapp 34.000 m2 Weichgelsohlen) gelegt, wobei hier sowohl technische als auch organisatorische und bauablauftechnische Aspekte sowie die intensive und lösungsorientierte Kommunikation zwischen allen Projektbeteiligten beleuchtet werden. Die Rohbaumaßnahmen sind seit Juli 2021 nach 51 Monaten Bauzeit termingerecht abgeschlossen. Der Erfolg des hier implementierten Qualitätsmanagementsystems zeigt sich in der Einhaltung der terminlichen Vorgaben für die Baugruben und vor allem in den geringen Grundwasserentnahmemengen, die nur ca. 20% der behördlich zugelassenen Mengen betrugen. 1. Überblick über die Gesamtsituation Im Zeitraum von 2010 bis 2021 wurde in der Karlsruher Innenstadt die sog. Kombilösung realisiert. Dabei handelt es sich um eine Infrastrukturmaßnahme, die die Freimachung der Haupteinkaufsstraße und zentralen Fußgängerzone Kaiserstraße, vom oberirdischen Stadtbahnverkehr durch Tieferlegung der Stadtbahntrasse und den Neubau eines Straßentunnels in der Kriegsstraße mit neuer oberirdischer Straßenbahntrasse beinhaltet (Abb.- 1).- Das- Teilprojekt- ″Stadtbahntunnel- in- der- Kaiserstraße- mit- Südabzweig- Ettlinger- Straße″- besteht- aus- dem inklusive der Rampenbereiche rund 3,2 km langen etwa in Ost-West-Richtung verlaufenden Stadtbahntunnel in der Kaiserstraße mit 4 unterirdischen Haltestellen und dem etwa 1,2 km langen in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Südabzweig mit 3 unterirdischen Haltestellen. Das- Teilprojekt- ″Straßenbahn- in- der- Kriegsstraße- mit- Straßentunnel″-besteht-aus-oberirdischen-Schieneninfrastrukturmaßnahmen und dem rund 1,6 km langen Kriegsstraßentunnel, der mit Beginn der Inbetriebnahme Karoline-Luise-Tunnel heißen soll. Beide Teilprojekte kreuzen sich am sogenannten Kombibauwerk unter dem zentralen innerstädtischen Knotenpunkt Ettlinger Tor. Dort verläuft in der untersten Ebene der Südabzweig des Stadtbahntunnels mit einer unterirdischen Haltestelle, darüber dazu der Karoline-Luise- Tunnel.-An-der-Geländeoberfläche-befindet-sich-die-oberirdische Straßenbahntrasse in der Kriegsstraße und eine große Straßenkreuzung mit den Zugängen zur unterirdischen Stadtbahn-Haltestelle Ettlinger Tor, so dass hier auf-drei-Ebenen-Verkehr-stattfindet. 228 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Wasserdichte Baugruben für den Karoline-Luise-Tunnel in Karlsruhe Abb. 1: Überblick über die Elemente der Kombilösung Karlsruhe Der hier betrachtete Karoline-Luise-Tunnel, der in der Trasse der viel befahrenen Ortsdurchfahrt der B10 verläuft und große Anteile des Kfz-Verkehrs nun unterirdisch führen soll, ist in 11 Baufelder mit insgesamt 15 Teilbaugruben unterteilt (Abb. 2a und 2b). Auf dem Karoline-Luise-Tunnel wird in der Kriegsstraße eine neue Straßenbahntrasse gebaut, die zusätzliche Kapazitäten für den ÖPNV in der Innenstadt von Karlsruhe schafft und die Erschließung des südlichen Teils der Karlsruher Innenstadt mit Badischem Staatstheater und Landratsamt sowie zukünftig eventuell dem Forum des Rechts verbessert. Abb.-2a: -Baufelder-″West″-des-Karoline-Luise-Tunnels 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 229 Wasserdichte Baugruben für den Karoline-Luise-Tunnel in Karlsruhe Abb.-2b: -Baufelder-″Ost″-des-Karoline-Luise-Tunnels Der Karoline-Luise-Tunnel wurde in offener Bauweise geplant und ausgeführt (siehe unten). Die Länge der Bauabschnitte und die Reihenfolge ihrer Herstellung wurden von den Randbedingungen, die sich insbesondere aus der Aufrechterhaltung des Individualverkehrs, der die Tunneltrasse kreuzenden Nord-Süd-Verkehrsachsen des ÖPNV und der Versorgungsleitungen ergeben, bestimmt. Die Verbauarbeiten wurden in den Baufeldern W2 und O1 im Juni 2017 begonnen. Ausgeführt wurden die Arbeiten von der ARGE Tunnel Kriegsstraße Karlsruhe, bestehend aus der Ed. Züblin AG und Schleith GmbH Baugesellschaft. Das letzte Baufeld, W1.3, wurde im Juni 2021 fertiggestellt. Die VOB-Abnahme aller Rohbauarbeiten war am 22.07.2021. Die Inbetriebnahme des Stadtbahntunnels und der Straßenbahn in der Kriegsstraße war für den 11./ 12.12.2021 geplant. Die Inbetriebnahme des Karoline-Luise-Tunnels ist im Frühjahr 2022 vorgesehen. 2. Baugrund- und Grundwasserverhältnisse Die Baugrund- und Grundwasserverhältnisse in Karlsruhe sind geprägt durch ihre Lage im Rheintal mit mächtigen-fluviatilen-Kies--und-Sandablagerungen,-die-unter-oft- mehrere Meter mächtigen Auffüllungen anstehen und bis in Tiefen > 40 m reichen. Die ganz überwiegend gerundeten Sande und Kiese sind meist dicht, teilweise auch sehr dicht, untergeordnet auch mitteldicht gelagert. Kiese und Sande wechseln sich regellos ab (siehe Abb. 3). Diese Bodenverhältnisse müssen insbesondere bei Planung und Ausführung von Niederdruck-Injektionsmaßnahmen berücksichtigt werden, weil sich das Injektionsgut in solchen Böden nicht in alle Richtungen gleich (isotrop) ausbreitet, sondern durch feinsandige- ″Bremsschichten″- vielmehr- eine- ausgeprägte Durchlässigkeitsanisotropie (kf,h > kf,v) vorhanden ist.- Durch- das- häufige-Auftreten- von- schräg-- und- kreuzgeschichteten Lagen, wie sie ebenfalls typisch sind für den Karlsruher Baugrund (siehe Abb. 4) ist die Prognose für das Ausbreitungsverhalten von Injektionsgütern noch weiter erschwert. Abb. 3: Typische Schichtung im Karlsruher Baugrund Abb.-4: -Schrägschichtung-der-fluviatilen-Sedimente Der Grundwasserspiegel liegt im Bereich des Karoline-Luise-Tunnels etwa bei 110 m ü. NN bis 111 m ü. NN und damit rund 4 m bis 5 m unter Gelände. Die Schwankungsbreite ist gering und beträgt in der Langzeitbetrachtung maximal 3 m bis 4 m. Über die letzten 7 Jahre (2014 - 2021) lag die Schwankungsbreite bei < 1 m mit ausgeprägten Hochs jeweils im 2. Quartal und Tiefs jeweils im 4. Quartal (siehe Abb. 5) 230 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Wasserdichte Baugruben für den Karoline-Luise-Tunnel in Karlsruhe Abb. 5: Ganglinie der zentral gelegenen Grundwasser-Messstelle GwM B60 (nahe Kombibauwerk) Die-Grundwasserfließrichtung-ist-mit-dem-Rhein-als-Vorfluter- von- Südwest- nach- Nordost- gerichtet- (siehe- Abb.-- 6). Das Fließgefälle liegt bei rund 1‰, die Fließgeschwindigkeit liegt bei rund 1 m/ Tag. Abb. 6: Grundwassergleichenplan (Stichtagsmessung: 15.04.2017) Bereits im Rahmen der Umweltverträglichkeitsstudien zur- ″Kombilösung″- wurde- untersucht,- ob- die- tief- in- den Grundwasserleiter einbindenden Bauwerke für den Stadtbahntunnel und den Karoline-Luise-Tunnel während der Bauzeit und im Endzustand zu einer negativen Beeinflussung- der- Grundwasserfließverhältnisse- führen- können. Wegen der sehr mächtigen, stark durchlässigen Schichten unterhalb der Tunnelbauwerke und der Haltestellen- waren- hier- aber- keine- gravierenden- Einflüsse- (Aufstau im Zustrom, Absunk im Abstrom) zu erwarten, sie wurden im Rahmen einer numerischen Modellierung nicht prognostiziert und im Rahmen des Monitoringprogramms, welches unter Aufsicht der Wasserbehörden der Stadt Karlsruhe von 2009 (Beginn Baumaßnahmen Stadtbahntunnel) bis Ende 2021 durchgeführt wurde, auch nicht festgestellt. 3. Baugrubenverbau Der Tunnel wurde in offener Bauweise erstellt. Die wesentlichen Daten sind: • Geländeoberfläche: -115,5-m-ü.-NN-(West)-bis-114,6-m- ü. NN (Ost) • Gradientenhochpunkte: 109,830 m ü. NN (Westportal) und 108,233 m ü. NN (Ostportal); • Gradiententiefpunkte: 105,873 m ü. NN (Baufeld O3) und 106,683 m ü. NN (Baufeld W2) • Maximale Baugrubentiefe im Tunnelbereich: 11,1 m • Maximale Baugrubentiefe im Havariebecken Ost: 14,5 m • Bauzeitlicher Bemessungswasserstand HGWBau = 111,00 m ü. NN (West) bis 111,90 m ü. NN (Ost) 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 231 Wasserdichte Baugruben für den Karoline-Luise-Tunnel in Karlsruhe Der Baugrubenverbau bestand planmäßig aus folgenden Elementen (siehe auch Abb. 7): • Vertikaler Verbau aus Stahlbeton-Schlitzwand, in Bereichen mit erhöhtem Aufkommen von Leitungen, unterirdischen Bestandsbauwerken o.ä.: überschnittene Bohrpfahlwand, ganz im Westen auch aufgelöste Bohrpfahlwand mit Ausfachungen im Düsenstrahlverfahren (DSV), da wegen des bestehenden Verbaus für die Unterführung Karlstor eine überschnittene Bohrpfahlwand nicht möglich bzw. zu aufwändig war • Rückverankerung durch Temporäranker in mehreren Lagen • Horizontale Baugrubenabdichtung durch eine Weichgelsohle in auftriebssicherer Lage • Zum Abtrennen der einzelnen Baufelder Querschotts aus Einphasen-Schlitzwänden mit eingestellter Spundwand, bei beengten Verhältnissen (z.B. im Bereich von Bestands-Unterführungen in der Tunneltrasse) im Düsenstrahlverfahren ausgeführt • Wasserhaltung über Schwerkraftbrunnen während des Aushubs und Restwasserhaltung (offene Wasserhaltung) mit Überlaufbrunnen beim Erreichen der Baugrubensohle. In der Ausführung kam für den vertikalen Verbau ein Nebenangebot der Bietergemeinschaft zum Zuge: Die Stahlbeton-Schlitzwände (d = 80 cm) wurden ersetzt durch Einphasen-Schlitzwände (d = 60 cm) mit eingestellter Spundwand, was den Bauablauf wesentlich optimierte und insgesamt wirtschaftlicher als das Hauptangebot war. Abb. 7: Elemente des Baugrubenverbaus beim Karoline-Luise-Tunnel (aus [1]) 4. Prinzipielle Vorgehensweise bei der Qualitätssicherung der Spezialtiefbauarbeiten In der von der Wasserbehörde erteilten wasserrechtlichen Erlaubnis für das Bauvorhaben waren strenge Anforderungen an die Wasserhaltung gestellt. Diese sollen die Entnahme von Grundwasser aus dem Aquifer begrenzen und hatten im Wesentlichen drei Komponenten, die für jedes Baufeld separat formuliert und einzuhalten waren: • Begrenzung der Entnahmezeit (Monate) • Begrenzung der Entnahmerate (l/ s bzw. m3/ h) und • Begrenzung der Entnahmemenge (m3) Die Entnahmerate wurde, wie zwischenzeitlich in Deutschland-üblich,-auf-einen-Wert-von-1,5-l/ (s-∙-1.000-m2- benetzter Fläche) begrenzt, der - mit Ausnahme des erstmaligen Leeren des Porenraums in den Absenkphasen der jeweiligen Dichtigkeitsprüfungen - in keinem Zustand, also auch nicht bei hohen Grundwasserständen, überschritten werden durfte. Dies führte in Abhängigkeit der Baufeldgröße zu zulässigen Entnahmeraten von 9,4 m3/ h im kleinsten Baufeld bis 150 m3/ h im größten Baufeld. Die benetzte Fläche ist dabei eine gedachte Fläche an der Verbau-Außenseite mit einer Begrenzung durch den jeweils aktuellen Außenwasserspiegel (entsprechend dem in- das- Wasser- eintauchenden- Oberflächenanteil- an- der- Außenseite eines Schiffes). Beurteilungsrelevant ist die benetzte Fläche, die sich beim Ansatz des bauzeitlichen Bemessungswasserspiegels (HGWBau) ergibt, weil auch für-diesen-Extremfall-das-″1,5-l/ s-Kriterium″-gilt. Mit diesen strengen wasserrechtlichen Anforderungen, mit der Randbedingung, die Einschränkungen für den weiterhin laufenden Nah- und Durchgangsverkehr zeitlich so gering wie möglich zu halten und mit dem Wissen, dass die Fehlersuche in undichten Baugruben- 232 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Wasserdichte Baugruben für den Karoline-Luise-Tunnel in Karlsruhe umschließungen sehr zeit- und kostenintensiv sein kann, war es Konsens zwischen allen Projektbeteiligten, dass der Qualitätssicherung und -überprüfung vom ersten bis zum letzten Projekttag allerhöchste Bedeutung beigemessen- wird.- Es- wurde- daher- ein- vielstufiges- Qualitätsmanagementsystem implementiert, das wie folgt skizziert werden kann: 1. Eindeutige und transparente Darstellung der Zuständigkeiten, der Prüfabläufe und der Freigabemodalitäten (Verantwortlichkeiten, Termine) für die Planungen in einem vom Auftraggeber erstellten Projekthandbuch 2. Intensive,- mehrstufige- Prüfung- der- Ausführungsplanung der bauausführenden ARGE (P0-P1-zAf) für jedes Verbauelement separat unter Einbeziehung der jeweiligen Fachexperten auf Seiten AG und Planer/ örtl.- BÜ- sowie- des- Prüfingenieurs; - regelmäßige, von der ARGE gut vorbereitete Besprechungen in größeren Planungsrunden mit Konzentration auf- Schwerpunktthemen- (″große- Linien″,- prinzipielle Fragen) und auch bilateral (Detailfragen der Ausführung/ Ausführbarkeit). Vorteilhaft war hier die räumliche Nähe zwischen den Beteiligten der ARGE und der örtl. BÜ (Ingenieurgemeinschaft BUNG Baumanagement GmbH, Emch + Berger Projekt GmbH und DB Engineering & Consulting GmbH). Nachverfolgung der Einarbeitung der Korrekturen, umgehende Klärung von Unstimmigkeiten in kleineren oder größeren Gesprächsrunden Freigabe der Planung zur Ausführung durch AG erst nach-positiver-Rückmeldung-durch-Prüfingenieur-und- örtl. BÜ 3. Intensive- und- mehrstufige- Prüfung- der- gesondert- ausgeschriebenen, meist baufeldbezogenen Verfahrensanweisungen/ Qualitätssicherungspläne für die einzelnen Spezialtiefbaugewerke (Dichtwand/ Spundwand, Bohrpfahlwand, Verankerungen, DSV-Arbeiten, Weichgelsohle) und für die Dichtigkeitsprüfungen der einzelnen Teilbaufelder. Letztere in enger Abstimmung mit der Wasserbehörde (Umwelt- und Arbeitsschutz der Stadt Karlsruhe).Freigabe durch AG erst nach positiver Rückmeldung-durch-Prüfingenieur-und-örtl.-BÜ-sowie- Wasserbehörde 4. Abstimmung der Abfolge der Spezialtiefbauarbeiten im Hinblick auf eine maximale Dichtigkeit der Baugruben (Idealfall: erst Verbauwände, dann Teilaushub bis 1. Ankerlage (Ansatzpunkt oberhalb GW-Spiegel, dann Bohren, Verpressen und Festlegen der Anker, dann Herstellen Injektionssohle) 5. Implementierung eines Messprogrammes für Grundwasser- (Grundwasserstände,- -fließrichtung,- -qualität: Durchführung durch Dritte) und Verformungen (Baugrube, Verkehrswege, Nachbargebäude: Durchführung durch Eigenüberwachung und durch Fremdüberwachung) unter Berücksichtigung der Dichtigkeitsprüfungen (Absenkversuche) 6. Intensive Begleitung der Ausführung insbesondere zu Beginn eines neuen Gewerks und/ oder eines neuen Baufelds; Klärung und Dokumentation von Auffälligkeiten umgehend nach deren Feststellung durch gemeinsame Ortsbegehungen, unverzügliche Abstimmungen der weiteren Vorgehensweise zwischen ARGE und örtl. BÜ, unter Einbeziehung des AG, offenes und aktives Fehler-/ Mängelmanagement seitens der ARGE durch unverzügliche Einbindung der örtl. BÜ. Hilfreich war hier das große Vertrauen und der hohe Respekt gegenüber allen an der Ausführung und der Überwachung Beteiligten. 7. Intensive Kontrolle der vorgelegten Herstelldokumentationen und Materialprüfungen und sofortige Durchsprache von Auffälligkeiten zwischen der örtl. BÜ und dem/ der jeweiligen Fachbauleiter(in) der ARGE. Sofern wasserrechtliche Belange betroffen waren: sofortige Information und Abstimmung mit der Wasserbehörde 8. Detaillierte Abstimmung der Vorgehensweise bei den Dichtigkeitsprüfungen mit allen Beteiligten, auch den Behörden, permanente Begleitung während der Durchführung und baubegleitende Auswertung; Diskussion mit allen Beteiligten, erst danach Freigabe zum Weiterbauen 9. Regelmäßiger Informationsaustausch mit den Wasserbehörden über alle wasserrechtlich relevanten Belange 10. Erstellung von bauzeitlichen Sicherheitskonzepten für Aushub und Wasserhaltung mit Havarieplänen für verschiedene Szenarien (z.B. zu große Verformungen, zu hoher Wasserandrang). Darin textliche und grafische- Darstellung- von- planerischen- Besonderheiten (z.B. Schnittstellen Bohrpfahlwand/ Schlitzwand) und von festgestellten Auffälligkeiten bei den Verbauarbeiten (Beobachtungsschwerpunkte beim Aushub) um sicherzustellen, dass die von den Spezialtiefbauern gewonnenen Erkenntnisse auch den Erdbauern beim Aushub zur Verfügung stehen. 5. Vorstellung des Vorgehens am Beispiel der Herstellung einer Weichgelsohle Für die Herstellung der Weichgelsohlen in den einzelnen Teilbaugruben für den Karoline-Luise-Tunnel war der Einsatz eines im Jahr 2017 noch neuartigen Injektionsgels ohne Aluminiumbestandteile im Härter vorgesehen. Die Verwendung aluminiumfreier Injektionsgele war von den Karlsruher Wasserbehörden im Rahmen der wasserrechtlichen Erlaubnis vorgegeben. Für dieses- Injektionsgel- (Silikatgel- ″INSOND-SEAL-INJECT- (ISI)″- zum- Einpressen- in- den- Untergrund)- stand- zwar- die bauaufsichtliche Zulassung durch das DIBt kurz bevor, womit die umwelttechnische Eignung nachgewiesen war (zwischenzeitlich zugelassen unter Z-101.34.34), jedoch lagen noch nicht ausreichend bautechnische Erfahrungen mit dem Verhalten dieses Silikatgels vor. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 233 Wasserdichte Baugruben für den Karoline-Luise-Tunnel in Karlsruhe Aus diesem Grund wurden bereits in der Ausschreibung dieser Arbeiten zwei Maßnahmen gefordert, die nicht zum Standard bei Injektionsmaßnahmen gehören: Die Herstellung eines Probefelds und Der-planmäßige-Einbau-sogenannter-″Havarielanzen″-im- gesamten Probefeld und in den ersten Baufeldern Das Probefeld wurde im westlichen der beiden sog. Auffangbecken, lokalen Vertiefungen im Tunnel zum Auffangen von Löschwasser, eingerichtet. Dort liegt eine nach allen vier Seiten hin vollständig über Einphasenwände mit eingestellten Spundwänden abgedichtete Teilbaugrube von 175 m2 Fläche vor, die separat auf ihre Dichtigkeit geprüft werden konnte. Ein Schnitt durch das Probefeld im Baufeld W2 ist in der nachfolgenden Abb. 8 dargestellt. Abb.-8: -Schnitt-durch-das-Probefeld-″ISI-Gel″-(aus-[2]) Das Injektionsraster wurde zu a = 1,90 m und b = 1,70 m gewählt (siehe Abb. 9). Eine Bohrung muss somit eine Fläche von a x b = 3,23 m2 abdecken. Das ist ein vergleichsweise grobes Raster, das nur für - hier vorhandene - gut durchlässige Böden vertretbar ist. Abb. 9: Injektionsraster im Probefeld im Auffangbecken Baufeld W2 (aus [2]) Zu diesem Raster und den Baugrundverhältnissen passend, musste das Injektionsvolumen pro Punkt festgelegt werden. Dabei sind insbesondere zwei Kenngrößen zu beachten und entscheidend für den Verpresserfolg: • Das Verhältnis der horizontalen zur vertikalen Durchlässigkeit des Bodens gegen Wasser bzw. gegen Injektionslösungen.-Die-überwiegend-fluviatile- Ablagerungsgeschichte im Rheingraben (siehe Abb. 3 und 4) ist der Grund, dass die horizontale Durchlässigkeit des Baugrunds größer ist als die vertikale. Das führt dazu, dass sich eine Injektionslösung nicht kugelförmig um die Verpressstelle ausbreitet, sondern ellipsoidförmig, was sich günstig auf die Herstellung von Dichtsohlen auswirkt. Für die Weichgelsohlen in den Baugruben für den Karoline-Luise-Tunnel wurden mit einem Anisotropieverhältnis von ah/ av = 4 gute Erfahrungen gemacht und dieses Verhältnis für alle Baugruben beibehalten. • Das nutzbare, d.h. in diesem Falle für die Injektionslösung zugängliche, Porenvolumen des Bodens. Aus einer Vielzahl von Wasserhaltungsmaßnahmen und dem Vergleich von Absenkbzw. Beharrungsphase und dem Wiederanstieg wurde gelernt, dass das nutzbare Porenvolumen der sandigen Kiese im Karlsruher Baugrund zwischen neff = 0,15 und 0,25 liegt. Dieser Parameter wurde für jede Baugrube angepasst, weil die Sandanteile der Böden im Injektionsbereich relativ stark variierten. In jedem Fall wurde aber für die Festlegung der Verpressmengen pro Punkt immer ein Zuschlag auf das Injektionsvolumen berücksichtigt (siehe Abb. 10). Abb. 10: Festlegung der Verpressmengen für Injektionsraster gemäß Abb. 8 Die Dicke der Injektionssohle war mit 1,0 m angesetzt. Es wäre prinzipiell möglich gewesen, diese Dicke mit der Injektion über eine Lanze (und einem entsprechend hohen Injektionsvolumen) zu erreichen. Bei den Baugruben für den Karoline-Luise-Tunnel wurden bei den ersten Baufeldern aber vier Lanzen pro Bohrloch eingebaut (siehe Abb. 11), was wie folgt begründet wurde: 234 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Wasserdichte Baugruben für den Karoline-Luise-Tunnel in Karlsruhe Abb. 11: Lanzenbündel mit Bezeichnungen (aus [2]) Die oberste Lanze (Nr. 4) wurde für die sog. Deckelinjektion verwendet. Dabei wird eine Suspension aus Zement-Bentonit und Wasser (z.B. auch eine Fertigmischung für Einphasen-Dichtwandmassen) verwendet.- Der- Begriff- ″Deckelinjektion″- ist- irreführend,- weil- sich- ein- ″Deckel″,- also- eine- horizontal- ausgebreitete- durchgängig mit dieser Suspension injizierte Schicht, nur unter ganz bestimmten Bodenverhältnissen ausbilden kann. Er wird aber, weil er sich in der Fachwelt eingebürgert hat, auch hier beibehalten. Die stark eingeschränkte Dichtwirkung bedeutet auch, dass die rechnerische Dicke der Deckelinjektion nicht auf die Dicke der Dichtsohle angerechnet werden darf. Das Erfordernis einer Deckelinjektion wird unter den Fachfirmen- durchaus- kontrovers- diskutiert.- Wir- haben- darin sowohl beim Bohrverfahren als auch und hier besonders beim Rüttelverfahren folgende Vorteile gesehen: • Verfüllung möglicher, durch den Bohr- oder Rüttelvorgang- hervorgerufener- Auflockerungszonen- rund- um die Verpresslanze, • Erhöhte Sicherheit gegen Aufsteigen des eigentlichen Injektionsgutes entlang der Injektionslanzen durch die Pfropfenbildung bei der Deckelinjektion, • Erhöhte Sicherheit gegen das Herausziehen von Injektionslanzen beim späteren Aushub in der Baugrube und • Schutz vor hydraulischen Einwirkungen auf die Gelsohle durch die spätere Wasserhaltung mit Schwerkraftbrunnen. Die eigentliche Gelsohle wurde über die Lanzen Nr. 3 und Nr. 2, also zweilagig, hergestellt. Diese Maßnahme ist durch die Durchlässigkeitsanisotropie des Karlsruher Baugrundes (Abb. 3 und 4) und die geforderte Dicke der Weichgelsohle begründet. Bei der Injektion über eine Lanze wären wegen der Durchlässigkeitsanisotropie weit mehr als das Doppelte der hier gewählten Verpressmengen pro Punkt (Abb. 9) erforderlich, um rechnerisch die geforderte Dicke von 1 m zu erreichen. Außerdem erhöht die zweilagige Herstellung die Ausführungssicherheit. Unterhalb der zweilagigen Gelsohle wurde bei den ersten Baufeldern eine vierte Lanze eingebaut. Mit der sog. ″Havarielanze″-sollte-eine-Nachdichtung-der-Gelsohle-im- Falle festgestellter Undichtigkeit möglich werden, ohne dass erneut Lanzen eingebohrt oder eingerüttelt werden müssen. Dieses System hat sich beim Probefeld sofort bewährt (siehe unten). Bei den anderen Baufeldern mussten die Havarielanzen nicht mehr beaufschlagt werden. Sie wurden im Verlauf der Arbeiten in Abstimmung zwischen AG, BauARGE und örtl. BÜ mit steigender Erfahrung mit den Injektionsvorgängen nicht mehr eingebaut. Ein weiteres wichtiges Element der Qualitätssicherung war die Bohrlochvermessung. Gemäß den Abb. 8 und 9 hängt das planmäßig zu injizierende Injektionsvolumen vom gegenseitigen Abstand der Injektionsventile ab. Da die Lage der Injektionsventile durch die unvermeidliche Bohrlochabweichung nicht gleich ist mit der Lage der an- der- Geländeoberfläche- sichtbaren- Bohransatzpunkte,- ist es zur Festlegung des jeweiligen Injektionsvolumens wichtig, Kenntnis über die Lage der Injektionsventile im Injektionshorizont zu bekommen. Aus diesem Grunde wurden beim Injektionsprobefeld alle 63 Bohrungen für die Injektionslanzen in ihrer Vertikalität vermessen. Bei den folgenden Baufeldern wurden - auf die Erfahrungen beim Probefeld aufbauend - alle randlichen Bohrungen in ihrer Vertikalität vermessen und zusätzlich ein Teil der ″Feldbohrungen″: • Bohrtiefe-<-10-m: -- ≥-10%-der-Bohrungen • 10-m-<-Bohrtiefe-<-20-m: - ≥-15%-der-Bohrungen • Bohrtiefe->-20-m: - ≥-20%-der-Bohrungen Mit steigender Kenntnis über das Verhalten der Bohr- und später auch der Rüttelgeräte im Hinblick auf die Lagegenauigkeit beim Einbringen der Injektionsschläuche/ -ventile wurden diese Messungen stetig reduziert. Die Ergebnisse der Bohrlochvermessungen wurden dann messbegleitend- in- einen- ″IST″-Lageplan- eingetragen,- aus- dem im Detail der gegenseitige Abstand der Injektionsventile im Injektionshorizont hervorgeht und mit dem in Abstimmung zwischen der ausführenden ARGE und der örtl. BÜ festgelegt werden konnte, ob und welche Maßnahmen zu treffen waren (Erhöhung der Verpressmengen in den umliegenden Bohrungen oder in der nächsten Injektionslage, Aktivierung der Havarielanze(n) oder Zusatzbohrung(en)). Von großer Bedeutung für den Injektionserfolg ist auch die Einpressrate ([l/ min]). Zur Beschleunigung der Vorgänge scheint es sinnvoll, eine hohe Einpressrate zu wählen. Demgegenüber steht aber die Gefahr von Spannungsrissen im Boden bei zu schnellem Injizieren (in einem solchen Fall würde das Injektionsgut unkontrolliert abwandern und die obigen Beziehungen zwischen Lanzenabstand und Injektionsmenge pro Ventil hätten keine Bedeutung mehr. Generell ist bei geringen Erdüberdeckungen der Injektionsventile eine niedrige Einpressrate zu wählen, bei größeren Überdeckungen darf die Einpressrate erhöht werden, siehe hierzu auch [3]). Zum anderen fördert eine niedrige Einpressrate die homogene Ausbreitung der Injektionslösung auch 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 235 Wasserdichte Baugruben für den Karoline-Luise-Tunnel in Karlsruhe bei inhomogenem Untergrund (siehe Abb. 3 und 4). Hier wurden die Injektionen des Weichgels mit einer Einpressrate von 6 - 8 l/ min durchgeführt. Bei üblichen Injektionsvolumina und hier unter der vereinfachenden Annahme einer kugelförmigen Ausbreitung bewegt sich die Ausbreitungsfront um die Injektionsstelle somit mit einer Geschwindigkeit von anfangs rund 3 cm/ min, zum Ende hin mit wenigen mm/ min. Der Boden wird also mit der Gellösung eher getränkt als durchströmt. Da die gelbildenden Reaktionen temperaturabhängig sind, müssen sowohl die Außentemperatur als auch die ″Reaktionszeit″- des- Gels,- die- sog.- Kippzeit,- mehrfach- pro Schicht gemessen und die Ergebnisse dokumentiert werden. Bei Nachtarbeiten, was wegen des positiven Effekts-des-Arbeitens-″frisch-in-frisch″-bei-der-Herstellung- von Gelsohlen nicht unüblich ist, kann es also sein, dass die Rezeptur der Weichgellösung, also das Verhältnis von Härter zu Wasserglas und Wasser, angepasst werden muss, damit die Kippzeit einigermaßen gleich bleibt. Alle diese genannten Punkte waren Bestandteil einer Verfahrensanweisung (Qualitätsmanagementplan) für die Herstellung der Weichgelsohle im Probefeld W2, die von der ausführenden ARGE aufgestellt und von der örtl. BÜ geprüft und nach Einarbeitung der Prüfbemerkungen vom AG zur Ausführung freigegeben wurde. Prinzipiell wurden derartige Verfahrensbeschreibungen für jedes Baufeld einzeln erstellt, weil sich die Gelsohlen in Einzelheiten von Baufeld zu Baufeld unterschieden (z.B. Höhensprünge in den Dichtsohlen, Umgang mit Hindernissen und Bestandsbauwerken, Erfordernis von Schrägbohrungen etc.). Die Erkenntnisse aus den vorangegangenen erfolgreich hergestellten Teilbaugruben wurden in den weiteren Verfahrensbeschreibungen berücksichtigt. Bei-den-Injektionen-selbst-fielen-täglich-eine-große-Menge- an Daten an (24/ 7-Betrieb, bis zu 8 Pumpen gleichzeitig in Betrieb, die in unterschiedlichen Lagen der Gelsohle arbeiten). Diese mussten erfasst, dokumentiert, übersichtlich dargestellt und sofort von der ausführenden ARGE und von der örtl. BÜ bewertet werden, damit auf Auffälligkeiten und Abweichungen von der Planung / Verfahrensbeschreibung (Soll-Menge nicht erreicht, Injektionsgutaustritte- an- der- Geländeoberfläche,- auffällige Druckverläufe etc.) sofort reagiert werden konnte. Diese Aufgabe übernehmen zunehmend Programmsysteme, die direkte Verbindung zu den Injektionscontainern haben,- die- Daten- praktisch- ″live″- mit- vorbereiteten- Einstichplänen-kombinieren-und-″intuitiv-visualisieren″-(siehe- Abb. 12). Beim Karoline-Luise-Tunnel hat sich die ausführende ARGE für das System eguana mit den Programmteilen-″SCALES″-(für-die-Erfassung-und-Verarbeitung-der- Daten)-und-″MAPS″-(für-die-grafische-und-interaktive-Darstellung) entschieden. Abb. 12: Visualisierung der Injektionsergebnisse für die Weichgelsohle im Baufeld W2 (Quelle: webpage der eguana GmbH): grün: Injektionsvorgang in allen Lagen planmäßig abgeschlossen, gelb: Auffälligkeit im Injektionsvorgang in einer der Lagen - Prüfung durch AN und/ oder örtl. BÜ, rot (hier nicht aufgetreten): Injektionsvorgang abgebrochen - Handlungsbedarf Insbesondere injektionsbegleitend ist eine derartige interaktive Darstellung außerordentlich hilfreich. Der Fortschritt der Arbeiten in den einzelnen Lagen ist klar erkennbar. Mit einem Klick auf einen der Punkte werden alle relevanten Daten (Punktnummer, Injektionsdaten der einzelnen Lagen) und-die-grafischen-Darstellungen-der-Entwicklung-der-Einpressrate, des Drucks und der Menge über die Injektionszeit sichtbar. Die Wahrscheinlichkeit von Ausführungsfehlern (Punkt vergessen, zeitliche Abstände zwischen den einzelnen Lagen zu groß oder zu klein, ungünstige Injektionsreihenfolgen etc.) wird durch derartige Systeme deutlich reduziert und der Handlungsbedarf wird unmittelbar und räumlich exakt zugeordnet mitgeteilt. Den Abschluss der Qualitätssicherungsmaßnahmen bei der Ausführung bildet die Dichtigkeitsprüfung der Teilbaugrube durch einen Pumpversuch. Dabei wird das Wasser innerhalb der Baugrube durch mehrere Schwerkraftbrunnen abgesenkt. Der Versuch besteht aus drei Teilen: • Absenkphase bis zum Erreichen des Absenkziels (″Lenzen″) • Beharrungsphase (quasi-stationärer Zustand mit ± konstanten Innen- und Außenwasserspiegeln) • Wiederanstiegsphase nach dem Ausschalten der Pumpen in den Entnahmebrunnen 236 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Wasserdichte Baugruben für den Karoline-Luise-Tunnel in Karlsruhe Während des Pumpversuchs werden die Förderraten in den einzelnen Brunnen, die Gesamtförderrate und die Gesamtmenge (Zählerstände) an der Einleitstelle, die Wasserstände außerhalb und innerhalb der Baugrube und die Zeit gemessen und in einem sog. Wasserbuch (hier: Excel-Tabelle) festgehalten. In der nachfolgenden Abb. 13 ist beispielhaft für das Teilbaufeld O5 die Auswertung der Beharrungsphase des Pumpversuches dargestellt: Abb. 13: Auswertung Beharrungsphase des Pumpversuchs im Baufeld O5 Man erkennt aus dieser Darstellung Folgendes: • Die Innenwasserspiegel verhalten sich in etwa gleich (Wasserspiegelunterschiede lediglich im [cm]bis [dm]-Bereich) • Während der Beharrungsphase bleibt der Innenwasserspiegel nicht auf einem Niveau, sondern sinkt leicht (gemäß Abb. 12 um ∆h = 7 cm). Die damit verbundene Wassermenge (abhängig von der Sohlfläche ASohle und dem (geschätzten) Porenvolumen neff) muss von der über die Wasserzähler festgestellten Wassermenge abgezogen werden, weil während der Beharrungsphase definitionsgemäß. Innen- und Außenwasserspiegel konstant sein müssen. Im Fall, dass der Innenwasserspiegel während der Beharrungsphase steigt, muss die damit errechenbare Wassermenge dazu addiert werden. • Die Zuflussrate konnte - unter Berücksichtigung der geringfügigen Absenkung des Innenwasserspiegels während der Beharrung - mit Q = 3,13 m3/ h bzw. zu 0,87 l/ s ermittelt werden, Bei einer benetzten Fläche im Baufeld O5 von ABen = 1.960 m2 beträgt die bezogene Zuflussrate q = 0,44 l/ (s ∙ 1.000 m2 benetzte Fläche), sie erfüllt damit die Anforderungen gemäß Wasserrecht und Bauvertrag q ≤ 1,50 l/ (s ∙ 1.000 m2 benetzte Fläche) Allerdings muss noch berücksichtigt werden, dass der Außenwasserspiegel im Bemessungsfall (bauzeitlicher Bemessungsgrundwasserstand HGWBau) mit 111,40 m ü. NN deutlich höher liegt als der tatsächliche Grundwasserstand (während des Pumpversuches im Baufeld O5 wurde dieser mit i.M. 110,59 m ü. NN gemessen). Da die behördlich zulässige Zuflussrate für die gesamte Bauzeit und für alle Grundwasserstände bis HGWBau gilt, muss eine Hochrechnung von den tatsächlichen Innen- und Außenwasserstände auf die Bemessungswasserstände (innen und außen) erfolgen. Wegen des doppelten Einflusses des Außenwasserspiegels auf a) die benetzte Fläche und b) den hydraulischen Gradienten auf Wand und Sohle ist dieser Zusammenhang nicht-linear. Im vorliegenden Fall konnte die Zuflussrate, hochgerechnet auf den Bemessungsfall zu Q = 1,0 l/ s, entsprechend q = 0,51 l/ (s ∙ 1.000 m2 benetzte Fläche), ermittelt werden (Abb. 14). 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 237 Wasserdichte Baugruben für den Karoline-Luise-Tunnel in Karlsruhe Abb. 14: Auswertung Pumpversuch Baufeld O5 Zusammen mit dem - hier nicht dargestellten - • unauffälligen Verhalten der Außenwasserstände während des gesamten Pumpversuches, • der unauffälligen Entwicklung der Förderraten in den Einzelbrunnen und • der die Beharrungsphase bestätigenden Auswertung der Wiederanstiegsphase wurde dieser Pumpversuch als erfolgreich, die Dichtigkeitsprüfung als bestanden bewertet. Das Teilbaufeld O5 konnte durch die örtl. BÜ, durch die Wasserbehörde und durch den AG für den weiteren Aushub mit Restwasserhaltung freigegeben werden. Dies war nicht so beim Probefeld, Auffangbecken im Baufeld W2: Hier wurde zwar das Absenkziel des Pumpversuches erreicht, dies jedoch nur auf Kosten einer Förderrate, die mehr als doppelt so hoch war wie zulässig. In Verbindung mit den vergleichsweise stark und an allen Seiten etwa gleichmäßig abfallenden Außenwasserständen (die Innenwasserstände haben sich bei dem kleinen Baufeld erwartbar - nicht nennenswert unterschieden) und einer nochmaligen Sichtung der Schlitzwandherstellungsprotokolle sowie durch den Umstand, dass im Probefeld Messeinrichtungen in der Weichgelsohle eingebaut wurden, die Hinweise auf die Reichweite und die Ausbreitgeschwindigkeit des Injektionsgutes geben sollten, hier also möglicherweise Störfaktoren vorhanden waren, wurden die unzureichenden Ergebnisse der Dichtigkeitsprüfung der Weichgelsohle zugewiesen. Wegen des nur kleinen Baufeldes war eine Suche nach der oder den Fehlstellen unwirtschaftlich und es wurde die gesamte Sohle (175 m2) in weniger als 24 Stunden über- die- Havarielanzen- nachinjiziert- (″untergelt″).- Der- Folge-Pumpversuch wenige Tage später war erfolgreich, die zulässigen Förderraten wurden um lediglich 5% überschritten. Das Teilbaufeld wurde für den weiteren Aushub freigegeben. Die Weichgelinjektion konnte auch in den anderen Baufeldern mit diesem Injektionsgel und diesen Injektionsparametern (Raster, Mengen, Raten etc.) durchgeführt werden. 6. Fazit Der zu Beginn ungewohnt hohe Aufwand für die Qualitätssicherung bei den Reviews für die Ausführungsplanung und die Verfahrensbeschreibungen ging allen Beteiligten- ebenso- schnell- ″in- Fleisch- und- Blut″- über- wie die hohe Intensität der Zusammenarbeit zwischen ausführender ARGE und örtl. BÜ in allen Ausführungsschritten unter ständiger Einbeziehung des AG. Das hohe Vertrauen in die Sachkunde des jeweils Anderen 238 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Wasserdichte Baugruben für den Karoline-Luise-Tunnel in Karlsruhe und der gegenseitige Respekt für alle an der Ausführung und Überwachung Beteiligten führten zu einem Fehlermanagement, bei dem auch unbedeutend erscheinende Planungsdetails vorab besprochen und bei der Ausführung geringste Abweichungen von der Planung gemeldet, meist sofort in gemeinsamen Ortsbegehungen in Augenschein genommen und gemeinsam lösungsorientiert bewertet wurden. Dies führte dazu, dass bei einer gesamten wasserbenetzten- Verbaufläche- von- über- 86.000- m2- (! )- inkl.- Querschotts nur an drei Stellen Undichtigkeiten auftraten, die durch Nachdichtarbeiten saniert werden mussten. Gerade hier zeigten sich aber die Stärken des Qualitätsmanagementsystems, weil es durch die intensive Begleitung und durch die Dokumentationen während der Herstellung des Baugrubenverbaus und die Schwachstellenanalyse bei der Erstellung der bauzeitlichen Sicherheitskonzepte möglich- war,- die- Undichtigkeiten- relativ- schnell- zu-finden und durch gezielte Arbeiten zu sanieren. Insgesamt wurde bei keiner der Teilbaugruben die wasserrechtlich zulässige Wassermenge ausgeschöpft. Der ″Ausnutzungsgrad″-lag-zwischen-5%-und-80%,-über-die- gesamte Maßnahme gesehen bei knapp über 20%. Dies war neben dem Umstand, dass sich das Vermeiden von Sanierungsarbeiten positiv auf den gesamten Bauablauf und die erkennbar gute Qualität der Ausführung auch positiv auf die Stimmung auf der Baustelle auswirkte, auch mit einer ganz erheblichen Kosteneinsparung verbunden, da ein Großteil der Gelder, die für die Einleitgebühren in die städtische Kanalisation eingeplant waren, nicht abgerufen werden musste. Die Dauer der Wasserhaltung wurde in den meisten Fällen eingehalten; sobald eine Überschreitung der Dauer erkennbar war, erfolgte unmittelbar eine Information und Abstimmung mit der technischen und juristischen Wasserbehörde der Stadt Karlsruhe (Umwelt- und Arbeitsschutz sowie Zentraler Juristischer Dienst/ Untere Wasserbehörde) und dem Tiefbauamt der Stadt Karlsruhe. Die wasserrechtlich zugelassenen Förderraten wurden nur im Falle des Lenzens der Baugruben bei Probeabsenkung für jeweils ein oder zwei Tage überschritten, dies in Übereinstimmung mit den behördlichen Vorgaben. Literatur [1] Planungsgemeinschaft Kriegsstraße (2015): Ausschreibungspläne. [2] Arbeitsgemeinschaft Tunnel Kriegsstraße Karlsruhe (2017): Verfahrensbeschreibung Probefeld Weichgelsohle - Auffangbecken Baufeld W2, Rev. 2 vom 13.08.2017. [3] Schulze, B. (1996): Zulässige Einpressraten bei der Bodeninjektion. Geotechnik 19 (1996), Heft 1, S. 18 - 26. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 239 Der Stadionneubau SAP Garden in München - Ein geotechnisch spannendes Bauvorhaben im Olympiapark Dipl.-Ing. Michael Kupka Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart, Deutschland Dr.-Ing. Thomas Rumpelt Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart, Deutschland Dr. rer. nat. Lisa Krienen Smoltczyk & Partner GmbH, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Im Olympiapark München wird gegenwärtig der Stadionneubau SAP Garden, als kombiniertes Eishockey- und Basketballstadion mit unterirdischen Spielfeldern und bis zu drei Untergeschossen errichtet. Im Rahmen der Baugrunderkundung wurden in zwei Erkundungskampagnen Kernbohrungen mit Tiefen bis 25 m ausgeführt, wobei unterhalb der zum Teil mächtigen künstlichen Auffüllungen die erwarteten Quartären Terrassenschotter und unterlagernden Tertiären Schluffe und Sande (Obere Süßwassermolasse) angetroffen wurden. Zusätzlich mussten die hydrogeologischen Randbedingungen genauer eruiert werden. Hierfür wurden Grundwassermessstellen errichtet und Pumpversuche ausgeführt. Die beiden Grundwasserstockwerke im Quartär und Tertiär sind durch einen geringmächtigen Stauer getrennt, der für die bis zu 16 m tiefe Baugrube eine dichte Spundwandumschließung im Quartär und gesonderte Entspannungswasserhaltung im Tertiär erforderlich machte. Zusätzlich mussten Maßnahmen zur Grundwasserumläufigkeit (u. a. ein Düker) und Zugpfähle zur Sicherung gegen Aufschwimmen vorgesehen werden. Das Grundwasserumläufigkeitssystem soll dann wiederum zur Entnahme von Grundwasser zur Unterstützung der Kälteanlage und bedarfsweisen Dachbewässerung genutzt werden. Nachfolgend werden die geologischen und hydrogeologischen Randbedingungen sowie geotechnischen Lösungen bei diesem spannenden Projekt vorgestellt. 1. Baumaßnahme Im Olympiapark München wird auf dem Gelände des 2015 abgerissenen Radstadions eine Mehrzweckhalle errichtet. Hierbei handelt es sich um ein kombiniertes Eishockey- und Basketballstadion mit weiteren drei Eisflächen für das Training und den Breitensport. Nach einem internationalen Architektenwettbewerb wurden im November 2018 die Gewinner, das dänische Architekturbüro 3XN aus Kopenhagen mit der Planung beauftragt. Der Entwurf ist in Abbildung 1 dargestellt. Bauherr ist die Red Bull Stadion München GmbH. Ausführungsplanung, Projektsteuerung und Bauleitung werden von der CL MAP GmbH verantwortet. Hauptnutzer werden der Eishockeyclub EHC Red Bull München sowie der Basketballclub FC Bayern München Basketball sein. Im zukünftigen Stadion werden alle Heimspiele des EHC Red Bull München sowie bis zu 40 Spiele des FC Bayern München Basketball stattfinden. Das Stadion mit einer geplanten Zuschauerkapazität von bis zu 11.500 Personen umfasst weiterhin Konferenzräume, Büros und Fanshops sowie eine Tiefgarage mit 220 Stellplätzen. Abbildung 1: Visualisierung des Projekts. Im Hintergrund das Olympiastadion und der Olympiaturm © 3XN 240 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Der Stadionneubau SAP Garden in München - Ein geotechnisch spannendes Bauvorhaben im Olympiapark Das Baufeld weist eine maximale Länge von ca. 240 m Länge, Breite von ca. 140 m mit einer Fläche von ca. 26.000 m² auf. Im östlichen Bereich des Baufelds befindet sich die Stadionschüssel, im westlichen die Trainingshalle, Tiefgarage und Technikräume. Die Stadionschüssel mit Abmessungen von ca. 145 m x 110 m weist 3 oberirdische und 2 unterirdische Geschosse auf. In den weiteren Bereichen sind überwiegend 3 Untergeschosse geplant. Die Einbindung in den Untergrund beträgt im Schüsselbereich bis zu 12 m und im Tiefgaragenbereich bis zu 14 m. Einzelne Technikräume reichen bis zu 16 m unter Gelände. Bei dem Neubau handelt es sich um eine Stahlbetonkonstruktion. Das Dach wird als Stahlfachwerk mit Trapezblechen ausgeführt werden, wobei eine umfangreiche Dachbegrünung der unterirdischen Hallen und des Stadiondachs in 20 m Höhe vorgesehen ist. Die Lasten der Dachkonstruktion sowie Fassade werden zu großen Teilen über einen inneren und äußeren Stützenring abgetragen, die auf gevouteten Bodenplatten gegründet werden. Einzelne Stützen weisen Lasten von bis zu 25 MN auf. 2. Baugrunderkundung und Baugrundverhältnisse 2.1 Baugrunderkundung Die Baugrund- und Grundwasserverhältnisse wurden in zwei Phasen erkundet. Im Zuge der ersten Erkundungskampagne für den geotechnischen Untersuchungsbericht wurden 5 Kernbohrungen mit Tiefen zwischen 15 m und 18 m, mit insgesamt 81 Bohrmetern durchgeführt. Bei der 2. Erkundungsphase für den Geotechnischer Bericht kamen weitere 7 Kernbohrungen (BK 6 GwM bis BK 12 GwM) mit Tiefen zwischen 20 m und 25 m, mit insgesamt 160 Bohrmetern zur Ausführung. Aufgrund der hohen Lagerungsdichte und Rammwiderstände der Terrassenschotter wurden auf schwere Rammsondierungen im Zuge der beiden Erkundungskampagnen verzichtet. Es wurden stattdessen in verschiedenen Tiefenlagen Bohrlochrammsondierungen (BDP) zur Ermittlung der Lagerungsdichte der Terrassenschotter und tertiären Sande ausgeführt. Abbildung 2: Lageplan mit den Baugrundaufschlüssen, Hintergrund ©Google Im Hinblick auf die erforderlichen Wasserhaltungsmaßnahmen wurden zur Erkundung der Grundwasserverhältnisse im Zuge der 2. Erkundungskampagne 3 Kernbohrungen zu 5-Zoll Grundwassermessstellen (GwM) ausgebaut. In den GwM wurden u. a. Pumpversuche zur Ermittlung der in-situ-Durchlässigkeiten der tertiären Sande ausgeführt. Die Lage der Aufschlüsse ist in Abbildung 2 dargestellt. 2.2 Geologie Das Baufeld befindet sich im Stadtbezirk Milbertshofen im Nordwesten der Bayerischen Landeshauptstadt München. Ein Ausschnitt aus der geologischen Karte ist in Abbildung 3 dargestellt. Das Baufeld liegt in der „Münchner Schotterebene“. Hier sind vorwiegend glaziale Schotter aus den Kalkalpen durch die Vorlandgletscher unterschiedlicher Eiszeiten abgelagert worden. Neben den natürlichen Schottern liegen im Bereich des Baufelds aufgrund der Vornutzung (Kaserne, Flugplatz Oberwiesenfeld, Trümmerbeseitigung nach dem 2. Weltkrieg) und insbesondere den umfangreichen Geländemodellierung im Vorfeld der Olympischen Spiele 1972 heterogene und teils mächtige Auffüllungen vor. Darunter folgen im hier relevanten Tiefenbereich die quartären Niederterrassenschotter / -kiese, die schließlich von der tertiären Oberen Süßwassermolasse unterlagert werden. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 241 Der Stadionneubau SAP Garden in München - Ein geotechnisch spannendes Bauvorhaben im Olympiapark Abbildung 3: Ausschnitt aus der Geologischen Karte L 7934 München des BGLA mit Eintragung des Projektstandorts, blau - künstliche Auffüllungen, Aueablagerungen (Olympiasee, Nymphenburg-B. Kanal), hellbeige - Niederterrassenschotter) Ausgehend von einem Geländeniveau von 513,5 mNHN wies der Baugrund folgenden dreischichtigen Aufbau auf: • Die Auffüllungen setzen sich vorwiegend aus schluffigen und sandigen, Kalkstein- und Quarzgeröllen mit untergeordneten Ziegel-, Asphalt- und Betonresten zusammen. • Die bis zu 5 m mächtigen Auffüllungen sind entsprechend den Erkundungsergebnissen mitteldicht-dicht gelagert. • Die darunter folgenden würmeiszeitlichen Terrassenschotter setzen sich aus grauen bis beigegrauen, sandigen bis stark sandigen, vorwiegend kantengerundeten bis gut gerundeten, kiesgroßen Kalkstein- und Quarzgeröllen sowie Metamorphiten und Graniten mit wechselndem Feinkornanteil zusammen. Vereinzelt wurden Steine angetroffen. • Die Terrassenschotter sind überwiegend dicht, teils mitteldicht-dicht gelagert. • Im tiefer gelegenen, westlichen Bereich des Baufeldes lag die Restmächtigkeit der Terrassenschotter je nach Auffüllmächtigkeit zwischen 3,5 m und 7,5 m. Auf der höheren, zentralen bzw. östlichen Fläche des Baufeldes waren die Schotter zwischen 5 m und 7 m mächtig. • Unter den quartären Ablagerungen aus Auffüllungen und Terrassenschotter bilden im Baufeld die tertiären Sedimente der Oberen Süßwassersmolasse (OSM) den tieferen Untergrund. Die OSM setzt sich aus einer Wechselfolge von Sanden, Tonen, Schluffen und Tonmergelsteinen über mehrere Zehnermeter Mächtigkeit zusammen. Im Bereich des Baufeldes setzt die OSM zuoberst mit einer bindigen Schicht ein (OSM Schluff) bestehen aus steifer oder halbfester kalkhaltigen, tonigen Schluff und schluffigen Ton mit wechselnden Sandanteilen. Teilweise wurden im Übergangsbereich vom Terrassenschotter zur bindigen Molasse ein stark kiesiger Schluff erkundet, der konglomeratartig (Nagelfluh) verfestigt war. Die Mächtigkeit der bindigen Schicht der OSM beträgt im äußersten Osten und Südosten des Baufeldes rund 3 m und nimmt zum nördlichen zentralen Bereich und zur östlichen Baufeldgrenze auf unter 1 m ab. Darunter folgt bis zu den jeweiligen Bohrendtiefen die OSM in sandiger Ausbildung (OSM Sand). Diese besteht aus vorwiegend glimmerhaltigen Feinbis Mittelsanden, (sog. Flinzsanden) mit wechselndem Feinkornanteilen. In die Sande sind vereinzelt wenige Dezimeter mächtige Kieslagen aus Quarzgeröllen und Schlufflagen eingeschaltet. • Der OSM Sand ist entsprechend den Bohrlochrammsondierungen mitteldicht bis dicht gelagert. Abbildung 4: Geologischer West-Ost-Schnitt durch das Baufeld (5-fach überhöht) 2.3 Hydrogeologische Verhältnisse Für das geplante Bauvorhaben sind zwei Grundwasserleiter maßgebend: der oberflächennahe, quartäre Grundwasserleiter in den Terrassenschotter und die darunterliegenden, wasserführenden Feinsande der OSM. Unter Berücksichtigung der während der Erkundung hergestellten Grundwassermessstellen sowie den in den nicht ausgebauten Bohrungen nach Bohrende gemessenen Wasserständen, wurde ein hydrogeologisches Modell mit Höhenlage der freien Grundwasseroberfläche im Quartär und der Grundwasserdruckfläche der tertiären Sande, welche unter den bindigen Schluffen der OSM gespannt ist, entwickelt. Zum Zeitpunkt der Erkundung fiel demnach das quartäre Grundwasser im Baufeld von rund 506,5 mNHN im Südosten auf rund 505,5 mNHN nach Nordwesten, also 7 m bis 8 m unter Gelände, ab. Eine ähnliche Grundwasserfließrichtung zeigte sich in der Druckwasserhöhe der tertiären Sande von knapp 506 mNHN im Süden auf unter 505 mNHN nach Norden, also rund 0,5m tiefer als im Quartär. Dies belegt die hydraulische Trennung der beiden Grundwasserleiter. Die beobachteten unterschiedlichen Grundwasserstände 242 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Der Stadionneubau SAP Garden in München - Ein geotechnisch spannendes Bauvorhaben im Olympiapark der beiden Grundwasserleiter sind im Einklang mit den Grundwassergleichenkarten des Online-Umwelt Atlas des Bayerischen Landesamtes für Umwelt. Ein geologischer West-Ost-Schnitt durch das Baufeld ist in Abbildung 4 dargestellt. 3. Pumpversuche, Bemessungswasserstände Zur Erkundung der hydraulischen Eigenschaften der tertiären Sande wurden insgesamt drei eintägige und ein dreitägiger Pumpversuch unter Beobachtung der umliegenden Grundwassermessstellenstellen (Piezometer mit Datenlogger) sowie der Vor-Ort-Parameter durchgeführt. Weiterhin wurden im Rahmen der Versuche Wasserproben entnommen, um mögliche Verfrachtungen aus umliegenden LHKW- und PAK-Schadensfällen zu beurteilen. Ein mögliches Anziehen dieser Schadstoffe durch das Betreiben der Wasserhaltung konnte zuvor nicht ausgeschlossen werden. Aus den Absenk- und den Wiederanstiegskurven der Pumpversuche wurden nach Cooper & Jacob I und nach Theis Durchlässigkeiten von k f = 1,6·10 -4 m/ s bis 2,2·10 -4 m/ s für die tertiären Sande abgeleitet. Eine Ausnahme ergab ein Pumpversuch westlich der Baugrube, in dem eine Durchlässigkeit von k f = 3,5·10 -3 m/ s ermittelt wurde. Ursächlich hierfür war eine Kieslinse im tertiären Sand, die bereits bei der Kernbohrung festgestellt wurde. Anhand des dreitägigen Pumpversuch konnte jedoch mit einer Reduzierung der Pumprate und des Durchlässigkeitsbeiwerts auf k f = 1,1·10 -4 m/ s festgestellt werden, dass die in der Bohrung angetroffenen Kieslinse lokal begrenzt ist, was aber nicht überall der Fall war, siehe Abschnitt 7. Über die Pumpversuche und die nahezu sofortige Reaktion der Beobachtungsmessstellen konnte auch gezeigt werden, dass gespannte Grundwasserverhältnisse im tertiären Grundwasserleiter vorliegen. Die bindige Schicht (OSM Schluff) am Übergang Quartär -Tertiär kann somit als Stauer angesehen werden. Anhand der entnommenen Wasserproben konnte eine leichte Verunreinigung des Grundwassers mit LHKW (Konzentration bis 31 µg/ l) und PAK (Konzentration bis 0,04 µg/ l) nachgewiesen werden. Im Rahmen der Versuche konnte jedoch kein Anstieg der Verunreinigung und somit auch keine Verfrachtung umliegender Schadstoffe festgestellt werden. Es ist hier anzumerken, dass die Versuchsdauer nur für eine kleinräumige Beurteilung des Schadstofftransports ausreicht. Zur Ermittlung der bauzeitlichen Bemessungswasserstände wurde anhand der Ganglinien von 3 im Umfeld befindlichen amtlichen Grundwassermessstellen, die teils seit 1975 abgelesen werden, Bemessungswasserstände für den Bauzustand (BGw Bau ) statistisch abgeleitet. Das BGw Bau liegt etwa 1 m über dem Mittelwasser, was einem etwa 15-jährigen Hochwasserereignis entspricht. Der Bemessungswasserstand für den Endzustand wurde entsprechend den auf Basis der „vermuteten“ Höchstgrundwasserstände (Hochwasserdaten von 1940) amtlicherseits einschließlich eines Zuschlags von 30 cm vorgegebenen Werten berücksichtigt und liegt im Mittel bei BGw Süd = 508,1 mNHN. 4. Gründung Der Schüsselbereich mit den 2 Untergeschossen kommt etwa 9 m bis10 m unter Gelände und somit in den quartären Terrassenschottern zu liegen. Aufgrund der hohen Lagerungsdichte der Terrassenschotter kann hier nach einer Nachverdichtung die Gründung problemlos über elastisch gebettete Platten erfolgen. Dies ist auch in Hinblick auf die variierenden Lasten und Einbindung in das Grundwasser vorteilhaft. Die Tiefgarage und Technikbereiche mit Einbindetiefen von in der Regel 12 m und lokal bis zu 16 m befinden sich mit ihrer Gründungssohle hingegen in der überwiegend nichtbindigen tertiären Süßwassermolasse (OSM Sand). Diese sind mitteldicht bis dicht gelagert und ebenfalls gut tragfähig. Auch hier ist eine Flachgründung über eine elastisch gebettete Bodenplatte möglich. Die Bodenplattenstärke beträgt überwiegend 70 cm. Lediglich im Bereich der Eisfläche weist die Bodenplatte zur Auftriebssicherung eine Stärke von 170 cm auf. Im Bereich von Lastkonzentrationen werden Vouten ausgeführt. Zur Beurteilung der Boden-Bauwerks-Interaktion wurden bei Angabe der Bauwerkslasten und Modellierung des geschichteten Baugrunds numerische Berechnungen der rechnerischen Setzungen und Ermittlung der Bettungsmodulverteilung nach dem Steifemodulverfahren ausgeführt. Der Bettungsmodul variiert demnach zwischen 12,5 MN/ m³ und 40 MN/ m³. Die prognostizierten rechnerischen Setzungen liegen bei bis zu 3 cm. Aufgrund der hohen Einbindetiefe des 3. Untergeschosses in das Grundwasser werden hier sowohl temporäre als auch permanente Auftriebspfähle erforderlich. Es wurden 85 temporäre (einfach-korrosionsgeschützt) und 398 permanente GEWI Ø57,5 S 670/ 800 (doppelt korrosionsgeschützt) mit einem Verpresskörperdurchmesser von 194 mm und Längen zwischen 7 m und 13 m vorgesehen. 5. Baugrubensicherung und Wasserhaltung Die quartären Kiese sind mitteldicht bis dicht gelagert und weisen hohe Rammwiderstände auf. Daher wurden zur Baugrubensicherung 1bis 2-lagig rückverankerte Spundwände in Verbindung mit Austauschbohrungen ausgeführt. Die Austauschbohrungen beschränkten sich auf die quartären Kiese um den geringmächtigen Stauer nicht zu schädigen. Aufgrund der hohen Rammwiderstände erwiesen sich Lockerungsbohrungen als nicht ausreichend. Die Tiefe der Verbauten wurde nach statischen Erfordernissen und insbesondere der Verhinderung eines Sohlauf- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 243 Der Stadionneubau SAP Garden in München - Ein geotechnisch spannendes Bauvorhaben im Olympiapark bruchs (hydraulischer Grundbruch) gewählt, so dass die Spundwände zwischen 13 m und 19 m lang ausgeführt wurden. Aufgrund der Größe des Baufelds wurde die Baugrube in 2 Teilbaugruben aufgeteilt, die durch eine Querschott getrennt sind. Teilbaugrube 1 umfasst den Schüsselbereich („Bowl“) und Teilbaugrube 2 die Tiefgarage. Aufgrund der hydraulischen Trennung zwischen quartären Terrassenschottern und den tertiären Sanden durch die tertiären Schluffe wurde von der Spezialtiefbaufirma sowohl eine geschlossene Wasserhaltung im Quartär (Absenkbrunnen) als auch eine Entspannungswasserhaltung im Tertiär (Entspannungsbrunnen) eingerichtet und betrieben. Die dafür eingesetzten Brunnen sind folgendermaßen aufgebaut: Absenkbrunnen: - 24 Stück - Unterkante ca. 11 m unter ursprünglichem Gelände (Keine Durchörterung des Stauers) - Bohrdurchmesser ø 750 mm - Ausbaudurchmesser ø 300 mm - Quartär: Filterrohr - Quartärer Ringraum: Filterkies - sondengesteuerte Pumpe Entspannungsbrunnen: - 34 Stück - Unterkante ca. 22 m unter ursprünglichem Gelände - Bohrdurchmesser ø 750 mm - Ausbaudurchmesser ø 300 mm - Quartär und Stauer: Vollrohr - Tertiärer Sand: Filterrohr - Quartärer Ringraum: Füllbinder - Tertiärer Ringraum Filtersand - sondengesteuerte Pumpe Zusätzlich wurden im Baufeld nach Bedarf Pumpensümpfe und Dränstränge ausgeführt. Das über die Baugrubensohle zutretende Wasser wird über die eingebaute Flächendränage von 30 cm Stärke gefasst und den Pumpensümpfen bzw. Brunnen zugeführt. Nach Durchlauf einer Absetzanlage wird das Förderwasser anschließend über drei Schluckbrunnen mit Bohrdurchmesser ø 900 mm dem quartären Grundwasserkörper wieder zugeführt. Eine Grundwasserreinigungsanlage wurde zu Beginn der Baumaßnahme für den Bedarfsfall vorgehalten. Die Messwerte (PAK, LHKW) überschritten jedoch nicht die Stufe 1-Parameter (Bayern), sodass eine Grundwasserreinigung während der Wasserhaltung nicht erforderlich wurde. Zur Ermittlung und wasserrechtlichen Beantragung der anfallenden Wassermengen wurden numerische Berechnungen mit dem Programm FeFlow von DHI Wasy durchgeführt (siehe Abbildung 5). Die Randbedingungen und der Modellausschnitt wurden entsprechend dem hydrogeologischen Modell gewählt. Die parallel zur Grundwasserströmung verlaufenden Ränder sind mit hydraulischen Festpotentialen (Dirichlet-Randbedingung) berücksichtigt. Die orthogonalen Ränder sind hingegen undurchlässig. In den tertiären Sanden wurde die Anisotropie der Durchlässigkeit berücksichtigt und im Zuge der Modellkalibrierung die im Westen des Baufelds erkundete Kieslinse berücksichtigt. Im Rahmen einer Variantenuntersuchung wurde sowohl die Durchlässigkeit der Schichten als auch das Verhältnis der horizontalen/ vertikalen Durchlässigkeit variiert. In Abhängigkeit der Durchlässigkeit wurden in der Berechnung Förderraten von 60 l/ s bis 80 l/ s ermittelt. Die sich im Rahmen der Ausführung ergebenden Fördermengen sind in Abschnitt 7 angegeben. Abbildung 5: Finite-Elemente-Modell des Baufelds mit Angabe der berücksichtigten horizontalen Durchlässigkeiten der quartären und tertiären Schichten. Zur Einhaltung der behördlich geforderten Begrenzung des durch den Baukörper verursachten Grundwasseraufstaus von weniger als 10 cm im Endzustand wurde ein Grundwasser-Umläufigkeitssystem rechnerisch bemessen und geplant. Im Bereich der Stadionschüssel wird die Umläufigkeit über den oben genannten 30 cm dicken Sohlfilter sowie eine durchlässige Arbeitsraumverfüllung sichergestellt. Die restliche Arbeitsraumverfüllung wird so gestaltet, dass die Stockwerkstrennung zwischen dem quartären und tertiären Aquifer wieder hergestellt wird. Dies hat zur Folge, dass im Tiefgaragenbereich, der in das Tertiär einbindet, an der Basis des Quartärs im Arbeitsraum ein Düker DN 200 seitlich um das Gebäude geführt wird. Jeweils im An- und Abstrom sind hierfür filterstabil ausgebaute Filterrohre vorgesehen. Das Grundwasser-Umläufigkeitssystem soll wiederum zur Entnahme von Grundwasser zur Unterstützung der Kälteanlage und bedarfsweisen Dachbewässerung genutzt werden. Im Rahmen des wasserrechtlichen Verfahrens wurde hierfür u.a. das Grundwasserdargebot ermittelt und der Nachweis erbracht, dass keine negativen Auswirkungen auf die Umgebung zu erwarten sind. Die dafür erforderliche Grundwasserentnahme wird durch 244 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Der Stadionneubau SAP Garden in München - Ein geotechnisch spannendes Bauvorhaben im Olympiapark ein umfangreiches, in den Arbeitsräumen angeordnetes Rigolen-System zur Versickerung von Oberflächenwasser kompensiert. 6. Mikropfähle, Pfahlprobebelastungen Die zur Auftriebssicherung erforderlichen Mikropfähle unterhalb des 3. Untergeschosses tragen ihre Lasten nahezu vollständig in den tertiären Sanden ab. Für die tertiären Sande wurde auf Basis von Erfahrungswerten von einem charakteristischen Mantelreibungen im Grenzzustand von q s,k = 200 kN/ m² ausgegangen. Zur wirtschaftlichen Bemessung wurden 3 Probepfähle vorab von einer Herstellebene in den quartären Kiesen aus hergestellt. Abbildung 6: Schematische Darstellung der hergestellten Probepfähle (unmaßstäblich) Wesentlich bei der Ausführung der Probepfähle von einer erhöhten Herstellebene aus, ist ein erfolgreicher Mantelreibungsausschluss in den überlagernden Schichten. Daher wurden die Bohrungen teleskopierend ausgeführt: - Quartär und Stauer: Verrohrte Bohrung mit einem Großbohrgerät ø = 620 mm, anschließend Freiräumen - Einstellen eines PVC-Rohrs ø = 250 mm - Einbringen von Quellton bis 0,5 m über den Stauer und Verfüllung des Ringraums zwischen PVC-Rohr und Verrohrung mit Terrassenschotter - erneute Bohrung innerhalb des PVC-Rohrs mit ø = 194 mm - Einbau des GEWI-Stabs ø = 63 mm und Verfüllung mit Zementsuspension - Freispülen der Suspension von -0,5 m unter OK Quellton bis GOK zum Mantelreibungsausschluss - Nachverpressen der Verankerungslänge (l v = 7,5 m bis 9,0 m) am Folgetag Das Vorgehen zur Herstellung der Probepfähle ist in Abbildung 6 schematisch dargestellt. Die Pfahlprobebelastung (siehe Abbildung 7 und 8) wurde mit einem leicht modifizierten Prüfschema nach EA Pfähle (Versuch über die ganze Pfahllänge System A) in zwei Belastungszyklen ausgeführt. Die sich aus den Versuchen direkt ergebenden Mantelwiderstände lagen zwischen 299 kN/ m² und 354 kN/ m². Unter Berücksichtigung eines Streuungsfaktors ξ 1 = 1,15 (3 Pfähle) und ξ 2 = 0 auf den Minimalwert des Mantelwiderstands ergibt sich ein charakteristischer Mantelwiderstand der Mikropfähle in den tertiären Sanden von q s,k = 285 kN/ m². Durch die Probebelastungen konnte somit ein gegenüber den Erfahrungswerten um ca. 42 % höherer Mantelwiderstand angesetzt werden. Abbildung 7: Pfahlprobebelastung an einem vorab hergestellten Mikropfahl zur Festlegung der Mantelreibung Die Mikropfähle unterliegen aufgrund der Grundwasserschwankung zum Teil einer Wechselbeanspruchung zwischen Druck- und Zugkräften. Die mittlere jährliche Grundwasserschwankung wurde über statistisch abgeleitete MHGW = 506,1 mNHN (Mittleres höchstes Grundwasser) bzw. MNGW-Werte (Mittleres niedrigstes Grundwasser) = 505,3 mNHN abgebildet. Bei einer für die Bemessung relevanten Bauwerkslebensdauer von 100 Jahren kann bei einem jährlichen Extremereignis von 100 Wiederholungen ausgegangen werden. Bei erheblichen zyklischen Einwirkungen ist mit einem stark veränderten Pfahlverhalten zu rechnen, was entsprechend zu berücksichtigen wäre. Die Überprüfung des zyklischen Einflusses gemäß EA Pfähle ergab, dass das Verhältnis aus zyklischer Lastspanne und der charakteristischen statischen Pfahllast jeweils unter 20 % liegt, so dass die zyklische Einwirkung nicht berücksichtigt werden musste. Infolge des Schwindens des Bauwerks - gerade bei den sehr großen Bodenplatten in WU-Bauweise mit erhöhtem 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 245 Der Stadionneubau SAP Garden in München - Ein geotechnisch spannendes Bauvorhaben im Olympiapark Bewehrungsgrad und Begrenzung der Rissweite kommt es neben einer Mobilisierung von Reibung am Übergang Bodenplatte - Baugrund zu rückstellenden Kräften infolge des Horizontalwiderstands der Mikropfähle (Zwangsbeanspruchung). Die hieraus resultierenden Einwirkungen wurden ebenfalls bei der Planung berücksichtigt. Abbildung 8: Kraft-Verschiebungslinien am Beispiel des Probepfahls 1 7. Bauausführung Seit Beginn der Baumaßnahme haben wir das Bauvorhaben im Hinblick auf die geotechnischen und wasserrechtlichen Auflagen begleitet. Während der Spezialtiefbau, Erdbau und Wasserhaltungsarbeiten bestätigten sich die erkundeten geologischen und hydrogeologischen Verhältnisse. Nachfolgend gehen wir schwerpunktmäßig auf die Wasserhaltung ein. Die Auswirkungen der Wasserhaltung werden über 6 Beobachtungsgrundwassermessstellen, von denen jeweils 3 Stück separat im Quartär / Tertiär verfiltert sind, erfasst. Hierfür wurden Piezometer mit Datenlogger eingebaut, die den Grundwasserstand kontinuierlich erfassen. Im Baufeld werden die Wasserstände über Lichtlotmessungen in temporär stillgelegten Brunnen gemessen, sodass eine kontinuierliche Überwachung der Grundwasserabsenkung und -entspannung sowie Auswirkungen der Wasserhaltung außerhalb des Baufelds gegeben ist. Die Wasserstände liegen aktuell außerhalb der Baugrube im Quartär bei 505,7 mNHN und im Tertiär je nach Abstand zur Baugrube zwischen 499,7 mNHN und 502,3 mNHN. Das Grundwasser in der Baugrube wurde im Quartär bis auf ca. 502,0 mNHN und somit nahezu vollständig abgepumpt. Der Tertiäre Wasserspiegel wurde in der Tiefgarage bis auf ca. 498,0 mNHN und an einzelnen Tiefteilen auf bis zu 496,1 mNHN entspannt. Diese Wasserstände belegen die technische Dichtigkeit der Baugrubenumschließung im Quartär und die Entspannung im Tertiär, die über die Baugrube hinausragt. Abbildung 9: Stand der Arbeiten im November 2021 (Quelle: Red Bull Stadion München GmbH) Mit Stand November 2021 wurden 2,92 Millionen m³ Grundwasser gefördert. Die durchschnittliche Förderrate liegt bei ca. 71 l/ s. Die mittlere Förderrate in den Absenkbrunnen im Quartär beträgt aktuell rund 10 l/ s, also etwa 17 % der gesamten Förderrate. Die entsprechende Restdurchlässigkeit der Baugrubenumschließung und teildichte Baugrubensohle beträgt bei dieser Förderrate 0,35 l/ s/ 1.000 m². Die Erwartungen entsprechend der Grundwassermodellierung und den Ergebnissen der Pumpversuche haben sich somit erfüllt. Die Wasserhaltung muss bis zur vollständigen Auftriebssicherheit des Bauwerks betrieben werden, die voraussichtlich Ende Mai 2022 vorliegen wird. Bis dahin ist eine Gesamtfördermenge von 4,2 Millionen m³ zu erwarten. Hierbei ist die mit voranschreitender Verfüllung mögliche Drosselung / Teilabschaltung der Wasserhaltung noch nicht berücksichtigt. Da im Bereich des 2. Bauabschnitts eine Kieslinse im Untergrund vorhanden ist, die bei der Baugrunderkundung sowie durch die Pumpversuch verifiziert werden konnte, wurden bei der Herstellung von Tiefteilen kurzzeitig Spitzenförderraten von 95 l/ s erforderlich. Unsererseits wurde numerisch anhand der gemessenen Fördermengen die Durchlässigkeit der tertiären Sande rückgerechnet. Hieraus resultiert eine rechnerische Durchlässigkeit der tertiären Sande von k f = 2,4·10 -4 m/ s, was der aus den Pumpversuche abgeleiteten Durchlässigkeit der tertiären Sande von k f = 1,6·10 -4 m/ s bis 2,2·10 -4 m/ s nahezu entspricht. Die marginal höhere Durchlässigkeit ist im Wesentlichen auf eine örtlich erhöhte Durchlässigkeit sowie die Ausführung von zusätzlichen Tiefteilen zurückzuführen. Es bestätigt sich die Bedeutung von in-situ Pumpversuche zur realitätsnahen Abschätzung der Durchlässigkeit des Untergrunds. Aktuell finden im 1. Bauabschnitt die Rohbauarbeiten der Ed. Züblin AG im 1. UG und im 2. Bauabschnitt die Rohbauarbeiten im 3. UG statt (siehe Abbildung 9). In diesem Zuge wurden auch die Mikropfähle vom Rohbauunternehmer hergestellt und gemäß Norm geprüft. Mittlerweile werden auch die Arbeitsräume im Osten des Baufelds verfüllt. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 247 Langzeitabhängigkeit der Baugrundverformungen von Grundwasserentspannungen im Frankfurter Ton am Beispiel Projekt U5 Dr.-Ing. Heiko Huber CDM Smith Consult GmbH, Bickenbach Henning von der Werth, M.Sc. CDM Smith Consult GmbH, Bickenbach Dipl.-Ing. Sven Kirchner SBEV Stadtbahn Europaviertel Projektbaugesellschaft, Frankfurt Zusammenfassung Der Stadtteil Europaviertel in Frankfurt am Main soll mittels schienengebundenem ÖPNV unter der Bezeichnung „Stadtbahnstrecke B, TA3 Europaviertel“ erschlossen werden. Hierzu realisiert die SBEV den Bau der Verlängerung der U- Bahnlinie U5 im Europaviertel in Frankfurt am Main mittels Tunnelvortriebsmaschine. Seit Januar 2019 erfolgt in diesem Zusammenhang eine Grundwasserentspannung der errichteten Startbaugrube. Hierbei werden die druckwasserführenden Kalksteinbänke und Sandlagen des anstehenden Frankfurter Tons mittels Förderbrunnen und Entspannungslanzen entspannt. Die eintretenden Verformungen des Baugrundes werden durch ein großräumiges und umfangreiches Monitoring, bestehend u.a. aus geodätischen Messpunkten und Extensometern, erfasst. Es lässt sich eine klare Korrelation zwischen dem Betrag der Grundwasserentspannung und der eingetretenen Baugrundverformungen feststellen. 1. Einleitung und Bauvorhaben Durch eine zweigleisige Verlängerung der bestehenden Stadtbahnlinie U5 soll unter der Bezeichnung „Stadtbahnstrecke B, TA3 Europaviertel“ der derzeit neu entstehende Stadtteil Europaviertel in Frankfurt am Main mittels schienengebundenem ÖPNV erschlossen werden. Die geplante U-Bahnstrecke führt vom Platz der Republik (Anschluss an den Bestand) über den Güterplatz im Kreuzungsbereich Hohenstaufenstraße / Osloer Straße. Der anschließende Abschnitt erreicht in Höhe von Warschauer und Stockholmer Straße die Mitte der Europa- Allee östlich der Emser Brücke (Boulevard Ost). Der Streckenverlauf ist in Abbildung 1 dargestellt. Abbildung 1: Lageplan unterirdische Strecke Die Tunnel im Bereich zwischen Station 1+474,5 und 2+311 werden dabei in geschlossener Bauweise mittels Tunnelbohrmaschine (TBM) von West nach Ost aufgefahren. Hierzu wurde eine Startbaugrube (Station 2+311 bis 2+389) hergestellt. Die Startbaugrube hat eine Länge von ca. 78 m. Die Breite der Baugrube beträgt im Übergangsbereich zum bergmännischen Tunnel rd. 18 m und verjüngt sich nach Westen auf rd. 11 m. Die Gründungssohle der Startbaugrube liegt im Bereich der ersten beiden Tunnelblöcke bei etwa 248 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Langzeitabhängigkeit der Baugrundverformungen von Grundwasserentspannungen im Frankfurter Ton am Beispiel Projekt U5 79 mNN (18 m unter Gelände) und steigt im westlichen Bereich bis zu rd. 83,5 mNN. Die Startbaugrube wird mit einer Schlitzwand (Dicke 1,2 m) gesichert, die in zwei Lagen ausgesteift ist. 2. Baugrund- und Grundwasserverhältnisse Im Projektgebiet stehen unterhalb der oberflächennahen Auffüllungen (Schicht 1) geringmächtige quartäre Deckschichten (Schicht 2) und quartäre Sande und Kiese (Schicht 3) bis etwa 6 m bis 8 m u. GOK an. Die darunterliegenden tertiären Schichten sind östlich der Station Güterplatz sowie im östlichen und mittleren Stationsbereich durch miozäne Schichtenfolgen geprägt, siehe Abbildung 2. Diese werden im Baufeld überwiegend von den Hydrobienschichten (Frankfurter Ton) gebildet. Der Frankfurter Ton besteht überwiegend aus Tonmergeln sowie vereinzelt aus reinen Tonen (Schicht 5b), die erfahrungsgemäß ausgeprägt plastisch (TA) vorliegen. In diesen Böden sind unregelmäßig und nicht horizontbeständig Hydrobiensande, Kalksande und Schneckensande (Schicht 5a) sowie Kalkstein- und Dolomitsteinbänke (Schicht 5c) eingeschaltet. Die Mächtigkeit der im Projektgebiet erkundeten Kalksteinbänke wurde überwiegend mit wenigen Dezimetern, vereinzelt bis rund 2 m erkundet. Im westlichen Teil der Stationsbaugrube fällt der Frankfurter Ton nach Westen hin um etwa 15 m steil ab. Ab hier wird der Baugrund im Bereich der tertiären Schichten durch einen ungleichmäßigen Verlauf der Schichtgrenze zwischen dem liegenden Frankfurter Ton und den darüber anstehenden Sandschichten (Schicht 4a) und Schluffschichten (Schicht 4b) des Pliozäns geprägt. Die Trasse durchfährt zwei Grundwasserstockwerke. In den quartären Sanden und Kiesen (Schicht 3) ist ein Porengrundwasserleiter ausgebildet, der im westlichen Bauabschnitt mit dem dort tief reichenden Pliozän (Schicht 4) hydraulisch in Kontakt steht. Innerhalb der miozänen Schichtfolgen bilden die vorherrschenden Tone (Schicht 5b) Grundwassersperr-schichten. Dagegen sind die eingeschalteten Sande (Schicht 5a) mäßig bis stark wasserführend. Die Kalk-steine (Schicht 5c) bilden einen Kluftgrundwasserleiter, der sehr stark durchlässig vorliegen kann. Das Grundwasser in den wasserführenden Schichten des Frankfurter Tons steht gespannt an. Die Druckspiegel liegen etwa auf dem Niveau des freien Grundwassers in den Schichten 3 und 4. Abbildung 2: Baugrundschnitt 3. Grundwasserentspannung Im Bereich der Startbaugrube wird seit Januar 2019 eine Grundwasserentspannung betrieben. Zur Sicherung der Baugrubensohle gegen Auftrieb und hydraulischen Grundbruch wurden hierzu innerhalb der Baugrube vertikale Entspannungslanzen und mit Pumpen bestückte Entspannungsbrunnen bis in Tiefen von 54,5 mNN hergestellt. Die Entspannungslanzen wurden im Abstand von 4 m zueinander um die Baugrubenumschließung hergestellt. Die insgesamt sechs Entspannungsbrunnen wurden in Baugrubenmitte mit einem Ausbaudurchmesser DN 300 hergestellt. Die Tiefe der 45 Entspannungslanzen (Ausbaudurchmesser DN 50) variiert zwischen 32,0 m und 42,0 m. Mit den Entspannungsbrunnen und -lanzen wird ein Entspannen der druckwasserführenden Schichten (Kalksteinbänke, Sandlagen) innerhalb des miozänen Tons erzielt. Entsprechend dem Aushubfortschritt wurde die Fördermenge in Abhängigkeit des jeweiligen Absenkziels stetig erhöht. Seit etwa April 2019 hat das Entspannungsziel den Maximalwert von etwa 13 m im Baugrubentiefsten erreicht und wird seitdem in etwa auf diesem Niveau gehalten. Seit November 2019 liegt die Summe der Förderraten sämtlicher Entspannungslanzen und -brunnen der Startbaugrube relativ konstant bei etwa 53 m³/ h. Im Nahbereich der Startbaugrube sowie in einem großflächigen Umfeld um das Tunnelbauprojekt werden die Grundwasserstände u.a. mittels Porenwasserdruckgebern gemessen. Nachfolgende Abbildung 3 zeigt den Isolinienplan der Grundwasserentspannung von April 2021. Abbildung 3: Isolinienplan Grundwasserentspannung Demnach lässt sich eine klare räumliche Abgrenzung des Einflussbereichs der Entspannungswasserhaltungsmaßnahmen erkennen: Im Westen des Blattausschnittes zeigen sich annähernd kreisförmige Isolinien um die Startbaugrube. Östlich der Startbaugrube zeigen sich von Nord-West nach Süd-Ost verlaufende Isolinien mit Höhen von 84,0 mNN bis 92,0 mNN, die annähernd direkt aufeinander liegen. Sie verdeutlichen die Lage und den 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 249 Langzeitabhängigkeit der Baugrundverformungen von Grundwasserentspannungen im Frankfurter Ton am Beispiel Projekt U5 Einfluss der erkundeten geologischen Störungszone, die die Station Güterplatz im Westen schneidet. Diese Störungszone, welche die Trennung der vorrangig pliozänen Böden im Westen von den miozänen Böden im Osten darstellt, bewirkt, dass östlich dieser Störungszone fast keine Beeinflussung des tertiären Druckwasserspiegels auftritt. 4. Verformungsmessungen In Folge der Grundwasserentspannung sowie der Tunnelbauaktivitäten ist im Projekt mit Baugrundverformungen zu rechnen. Entsprechend wird im Projekt ein umfangreiches Monitoring betrieben. Hierbei werden u.a. an rund 700 geodätischen Messpunkten, die mitunter in über 100 Messquerschnitten im Nahbereich der Startbaugrube, an Gebäuden im Umfeld der Baumaßnahme und an Straßenbahnschienen angeordnet sind, die Verformungen in regelmäßigen Abständen erfasst. Weiterhin erfolgen mittels Extensometern durch ein von den geodätischen Messungen unabhängiges System Verformungsmessungen des Baugrunds im Bereich der Startbaugrube und an der Messehalle 3. In den Abbildungen der nachfolgenden Kapitel zeigt sich mitunter ein Sprung der vorliegenden Verformungsmessungen. Dies begründet sich damit, dass im Juni 2019 festgestellt wurde, dass sich die Verformungsmessungen auf einen Festpunkt bezogen, der im Einflussbereich der Grundwasserentspannung liegt. Entsprechend erfolgte im August 2019 eine Anpassung der vorliegenden Messdaten, die sich durch einen Sprung um etwa 15 mm zeigt. Hierbei ist davon auszugehen, dass die erfassten zusätzlichen Verformungen von rund 15 mm nicht im August 2019 sprungartig, sondern vielmehr im Zeitraum zwischen April und Juni kontinuierlich auftraten. 4.1 Verformungen im Nahbereich der Startbaugrube Nachfolgende Abbildung 4 zeigt den erfassten Verformungsverlauf im Nahbereich der Startbaugrube. Vor Beginn der Entspannungswasserhaltungsmaßnahme zeigen sich an den exemplarisch ausgewählten Mespunkten QB11 G02 und G03, die mittig der Längsseite etwa 6 m bzw. 16 m von der Baugrubenumrandung entfernt liegen, Mitnahmehebungen infolge Baugrubenaushub. Abbildung 4: Verformungen Nahbereich Startbaugrube Mit Beginn der Entspannungswasserhaltung stellen sich Setzungen ein, die ihren Maximalwert von etwa 23 mm (G03) im September 2019 (etwa fünf Monate nach Erreichen des Entspannungsziels) erreichen. Rund 12 Monate nach Beginn der Entspannungswasserhaltung zeigt sich keine weitere Zunahme der Setzungen. 4.2 Verformungen im Bereich der Messehalle 3 Im Bereich der Messhalle 3 (etwa 60 m bis 200 m nördlich der Startbaugrube) erfolgt ein umfangreiches geodätisches und geotechnischen Messprogramm zur Erfassung der Baugrundverformungen durch die TU Darmstadt. An drei der vier Eckpunkte des Gebäudes wurde hierzu jeweils ein Vierfachstangenextensometer installiert. Die Vierfachstangenextensometer erfassen die Verformungen des Baugrundes in den Tiefen 35 m u. GOK, 20 m u. GOK, 10 m u. GOK und an der Geländeoberfläche. Die erfassten Messdaten sind in nachfolgender Abbildung 5 dargestellt. Abbildung 5: Verformungen Messehalle 3 Bis zum Beginn der Entspannungswasserhaltungsmaßnahmen im Januar 2019 zeigten die vorliegenden Extensometermessungen lediglich geringe Baugrundverformungen im Bereich von etwa 1 mm. Ab Beginn der Wasserhaltungsmaßnahmen nahmen die Baugrundverformungen der südlich gelegenen Extensometer E1 und E2 deutlich zu und liegen mit der Messung vom Mai 2019 bei etwa 12 mm (E1) bzw. 13 mm (E2) bezogen auf die Messung von März 2018 (entsprechend der letztmali- 250 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Langzeitabhängigkeit der Baugrundverformungen von Grundwasserentspannungen im Frankfurter Ton am Beispiel Projekt U5 gen Messung vor Beginn Entspannungswasserhaltung). Der nördlich gelegene Extensometer E4 zeigt bezogen auf die Messung von März 2018 lediglich geringe Verformungen im Bereich von etwa 1 mm. Die Baugrundverformungen nahmen seitdem bis zur letzten Messung im März 2021 weiter zu, die Setzungszunahmen wurden jedoch geringer. Die Extensometer E1 und E2 zeigen seit der Messung im August 2019 Setzungszunahmen von 6 mm (E1) bzw. 8 mm (E2), woraus sich Gesamtverformungen von 23 mm bzw. 28 mm ergeben. Der Extensometer E4 zeigt auch bis zum März 2021 nur geringe Verformungen im Bereich von ca. 1 mm seit August 2019, woraus sich Gesamtverformungen von etwa 2 mm ergeben. 4.3 Verformungen im weiteren Umfeld der Startbaugrube Im weiteren Umfeld der Startbaugrube liegen Höhenstichtagsmessungen ausgewählter Festpunkte aus Juni / Juli 2019 vor, die sich auf die letztmalige Messung aus dem Jahr 2016 beziehen. Im Mai 2021 wurde eine Folgemessung dieser Messpunkte durchgeführt, siehe hierzu nachfolgende Abbildung 6. Abbildung 6: Verformungen Festpunktnetz Die Messungen sind auf den Festpunkt NivP 4690019 bezogen, der weit außerhalb des Einflussbereichs der Entspannungswasserhaltung liegt. Die Folgemessung der Festpunkte zeigt, dass sich westlich und südlich der Startbaugrube seit Juni / Juli 2019 weitere Setzungen von bis zu 9 mm ergeben haben, während alle östlich (Im Bereich Friedrich-Ebert-Anlage, Platz der Republik) gelegenen Messpunkte nur sehr geringe bis keine Verformungen aufweisen. Die maximal gemessenen Setzungen bezogen auf das Jahr 2016 liegen bei etwa 21 mm. Inwiefern diese Setzungen durch andere Baumaßnahmen vor Beginn der Entspannungswasserhaltung beeinflusst sind, kann nicht nachvollzogen werden. Ein Abgleich der Messdaten mit anderen Messsystemen lässt jedoch vermuten, dass die vorliegenden Messergebnisse größtenteils aus der Entspannungswasserhaltung der Startbaugrube resultieren. Nachfolgende Abbildung 7 zeigt den zeitlichen Verlauf der Verformungen am Messpunkt NivP 4680214 seit Juni 2019. Abbildung 7: Verformungen NivP 4680214 Die gemessenen Verformungen beziehen sich hierbei auf eine Messung von 2016. Im Mai 2020, etwa 12 Monate nach Erreichen des Entspannungsziels zeigen sich nur noch geringe Setzungszunahmen. 5. Verformung in Abhängigkeit der Grundwasserentspannung Nachfolgende Abbildung 8 zeigt eine Überlagerung der Höhenmessungen ausgewählter Festpunkte, der Extensometermessungen der Messehalle 3 und ausgewählter geodätischer Messungen im Nahbereich der Startbaugrube aus Juni 2021 mit dem Grundwassergleichenplan des Miozän aus April 2021. Abbildung 8: Überlagerung von Grundwassergleichenplan und Verformungsmessungen Insgesamt lässt sich erkennen, dass aus den Messdaten im Einflussbereich der Grundwasserentspannung vorrangig Setzungen in einer Größenordnung von etwa 9 mm bis 28 mm abzuleiten sind, während im östlichen Bildausschnitt, der von der Grundwasserentspannung annähernd 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 251 Langzeitabhängigkeit der Baugrundverformungen von Grundwasserentspannungen im Frankfurter Ton am Beispiel Projekt U5 unbeeinflusst ist, geringe Hebungen im Größenbereich von bis etwa 2 mm gemessen wurden, die im Bereich der Messtoleranz liegen. Als Ausreißer fällt NivP 4680264 westlich des Skyline Plaza auf. Dieser Messpunkt zeigt Setzungen von 15 mm (Wert in Klammern dargestellt), obwohl er östlich der Störungszone und somit außerhalb des Einflussbereichs der Grundwasserentspannung liegt. Es ist zu vermuten, dass der Messpunkt durch die Baumaßnahmen der Hochhäuser Grand Tower und Tower One östlich des Skyline Plaza beeinflusst ist. Insgesamt lässt sich eine Korrelation zwischen den gemessenen Verformungen und dem Betrag der Grundwasserentspannung ableiten, siehe Abbildung 9. Abbildung 9: Korrelation von Grundwasserentspannung und Verformungen Durch Abbildung der Regressionsgerade lässt sich schlussfolgern, dass unter den gegeben Randbedingungen im Mittel bisher Setzungen von etwa 3,2 mm je Meter Grundwasserentspannung aufgetreten sind. 6. Zusammenfassende Bewertung und Ausblick Wie aufgezeigt erfolgt an der Startbaugrube seit über 36 Monaten eine Grundwasserentspannung der tertiären Böden. Hervorzuheben ist hierbei, dass die Grundwasserentspannung durch eine geologische Störungszone räumlich klar auf einen Bereich westlich der Station Güterplatz begrenzt ist. Im Projektgebiet erfolgt ein extensives Messprogramm zur Erfassung der Baugrundverformungen. Bei der Auswertung der vorliegenden Messdaten ist nicht immer eindeutig, ob die gemessenen Verformungen ausschließlich aus den Entspannungswasserhaltungsmaßnahmen der Startbaugrube resultieren oder ob auch andere Baumaßnahmen im Umfeld der jeweiligen Messpunkte die Ergebnisse beeinflussen. Durch Auswertung der vorliegenden umfangreichen Messdaten und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Messsysteme deutet die Gesamtschau der Daten jedoch auf ein einheitliches Bild hin: Es zeigen sich Setzungen im Einflussbereich der Grundwasserentspannung in einer Größenordnung von etwa 9 mm bis 28 mm. Generell ist hierbei zu beachten, dass die Absolutbeträge der eingetretenen bzw. der gemessenen Baugrundverformungen in Form von Setzungen oder Hebungen auf die Standsicherheit und die Gebrauchstauglichkeit von Bauwerken zunächst keinen nennenswerten Einfluss haben. Baugrundverformungen haben erst dann einen relevanten Einfluss auf Bauwerke, wenn sie ungleichmäßig (in Form von Differenzverformungen) innerhalb des Gebäudes auftreten, was zu Winkelverdrehungen führt. Generell werden Winkelverdrehungen ab einem Wert von ≥ 1 : 500 als für ein Bauwerk schädlich angesehen. Sämtliche, aktuell gemessenen Winkelverdrehungen sind deutlich kleiner als die nach als allgemeinen Grundsätzen zur Vermeidung jeglicher Risse definierte Sicherheitsgrenze von 1 : 500. Insgesamt werden die vorliegenden Winkelverdrehungen als unkritisch eingestuft. Somit haben die gemessenen Baugrundverformungen unter Berücksichtigung der resultierenden Winkelverdrehungen keinen schädlichen Einfluss auf die Gebäude im Einflussbereich der Grundwasserentspannung der Startbaugrube. Die zu erwarteten Baugrundverformungen wurden im Vorfeld der Grundwasserentspannung abgeschätzt. Demnach wurden die Setzungen im Miozän im Nahbereich der Startbaugrube mit 13 mm bis 16 mm bei einer Grundwasserentspannung von bis zu 14 m abgeschätzt. Die Setzungen im Quartär und Pliozän wurden zu etwa 1 mm bis 5 mm abgeschätzt. Es ergeben sich somit zu erwartende Setzungen in einer Größenordnung von etwa 14 mm bis 21 mm. Insgesamt deuten die vorliegenden Messergebnisse darauf hin, dass die Setzungen infolge Grundwasserentspannung somit geringfügig unterschätzt wurden. Orientierend wurde auf Basis von Erfahrungswerten aus Grundwasserentspannungen im Frankfurter Ton erwartet, dass etwa 50 % der Endsetzung kurzfristig nach Laständerung als Sofortsetzung, weitere 40 % zeitverzögert innerhalb der nächsten sechs Monate und die Restsetzungen in weiteren sechs Monaten auftreten sollten. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Messdaten kann dies weitestgehend bestätigt werden. Ab voraussichtlich Frühjahr 2022 werden ergänzend zu den oben beschriebenen Maßnahmen im Bereich der Startbaugrube auch Entspannungswasserhaltungsmaßnahmen im Bereich der Station Güterplatz mit bis zu rund 60 m tiefen Entspannungslanzen und -brunnen betrieben. Das umfangreiche geodätische Messprogramm wird entsprechend fortgeführt und z.T. noch erweitert. Nach Vorliegen der Messdaten wird eine umfassende Auswertung zur Bewertung der Baugrundverformungen in Abhängigkeit von Grundwasserentspannungen im Frankfurter Ton erfolgen. Messtechnik 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 255 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen Jürg Ryser B+S AG, Ingenieure und Planer, Bern, Schweiz Das Schweizerische Bundesamt für Strassen (ASTRA) beauftragte ein Team aus der B+S AG, Bern, als Geotechniker und der Geotechnisches Institut AG, Bern, als Geologen für die Erhaltungsplanung der geotechnischen Bauwerke auf einem Abschnitt der Nationalstrasse N6. Der Abschnitt durchquert zwischen den Anschlüssen Muri und Rubigen südlich von Bern zwei bekannte Rutschbereiche. Das Team schlug vor, für die Beurteilung des Deformationsverhaltens der Fahrbahnen und Bauwerke die Satelliten-InSAR-Technologie anzuwenden. In enger Zusammenarbeit des Anbieters der InSAR-Dienstleistungen, (SkyGeo, Delft) mit dem Geotechniker und dem Geologen gelang es, innerhalb kürzester Zeit und mit einem kleinen Budget zuverlässige Aussagen über das Deformationsverhalten und die geotechnischen Risiken des Strassenabschnitts auszuarbeiten. Die Bereiche mit Deformationen konnten klar und abschliessend eingegrenzt, die Raten der Deformationen über die letzten Jahre zuverlässig bestimmt und die weiteren Untersuchungen und Überwachungsmassnahmen auf ein Minimum optimiert werden. 1. Ausgangslage und Auftrag Von Bern führt die Schweizer Nationalstrasse N6 (A6) gegen Süden zu den Alpen. Unweit von Bern befinden sich die Anschlüsse Muri und Rubigen. Zwischen diesen beiden Anschlüssen besteht zwischen km 8.25 und km 11.45 ein 3.2 km langer Abschnitt, wo die Nationalstrasse auf zwei getrennten, in der Höhe versetzten Fahrbahnen am Abhang zur Aare verläuft. In diesem Abschnitt befinden sich zwei bekannte Rutschgebiete «Raintalwald» und «Brüelmatt». Dieser Nationalstrassenabschnitt wurde 1970-73 gebaut und ist seither ohne Unterbruch und ohne besondere Vorkommnisse in Betrieb. In Unterlagen aus der Planungs- und der Bauzeit ist im Bereich «Raintalwald» von tiefgründigen Rutschbewegungen mit maximalen Verschiebungsraten von > 2 cm/ a die Rede, welche mit verschiedenen Messreihen beobachtet worden seien. Die einzelnen Messreihen und Messdaten der 1960er- und 70er-Jahr stehen leider nicht mehr zur Verfügung. Die Stabilisierung war dann offensichtlich so erfolgreich, dass mit der Inbetriebnahme des Strassenabschnitts die geodätischen Überwachungsmessungen eingestellt wurden. Im Rahmen des Erhaltungsprojekts des Bundesamtes für Strassen (ASTRA) soll nun der gesamte Abschnitt zwischen den beiden Anschlüssen erneuert und für weitere 25 Jahre Betrieb normgerecht instand gestellt werden. Die auf dem ganzen Abschnitt vorhandenen, stabilisierenden Elemente wie Stützmauern und Drainagesysteme sind auf ihre Funktionsstauglichkeit bzw. Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit zu prüfen und gegebenenfalls Massnahmen zur Sanierung oder Ertüchtigung auszuarbeiten. Dazu ist eine Analyse der Gesamtstabilität und Kenntnisse über die aktuell vor sich gehenden Bewegungen notwendig. 2. Die InSAR-Technologie Satelliten-InSAR (interferometrisches Radar mit synthetischer Apertur) ist eine Technologie, die mit Radarmessungen von Satelliten millimetergenau die Verformungen der Erdoberfläche erfassen kann. Dabei werden die Daten von mindestens zwei Aufnahmen desselben Gebiets miteinander verglichen und die Unterschiede ausgewertet. Abbildung 1: Messprinzip InSAR [5] 256 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen Der Satellit misst die Eigenschaften des von der Erdoberfläche reflektierten Signals. Er misst sowohl die Amplitude, das heisst, die Stärke des reflektierten Signals wie auch die Phase, das heisst, welcher Bruchteil eines vollständigen Wellendurchgangs zum Sensor zurückkommt. Ein Phasenunterschied am gleichen Messpunkt zwischen zwei Messungen bedeutet, dass sich etwas geändert hat. Verlängert sich die Strecke vom Satelliten zur Erdoberfläche, dann läuft auch das Signal länger und kommt entsprechend mit einer anderen Phasenlage an (rote Verlängerung des Signals in Abbildung 1). Da eine Wellenlänge des Radarsignals in der Grössenordnung von cm liegt (oft C-Band mit 56 mm), kann die Differenz zwischen zwei Aufnahmen millimetergenau bestimmt werden. In der Verarbeitung der Rohdaten werden verschiedenste Einflüsse wie die Flugrichtung, Atmosphäreneffekte und weitere durch Algorithmen korrigiert, so dass zuverlässige Daten mit kleiner Streuung möglich sind. Für ein tieferes Verständnis der InSAR-Technik sei auf Fachliteratur und auf Informationen von Anbietern verwiesen. Ein anschauliches Dokument ist beispielsweise [5]. Einfache Eckdaten für den anwendenden Ingenieur: Ein typisches «Pixel» der InSAR-Aufnahmen ist ca. 5 · 20 m gross. Die Wiederkehrzeit der Satelliten ist je nach Mission verschieden, beträgt aber seit 2015 in der Regel 12 Tage. Seit 2015 stehen z.B. aus der Sentinel 1 Mission fast überall 4 Spuren gleichzeitig zur Verfügung, 2 aufsteigende und 2 absteigende Satelliten. Dies ergibt im Idealfall 4 · 30 = 120 Messwerte pro Messpunkt und Jahr an bis zu mehr als 100 Messpunkten pro km‘ Fahrbahn. Und was von entscheidender Bedeutung ist: Alle diese InSAR-Messdaten sind bereits vorhanden und können unmittelbar genutzt werden. So ist quasi per sofort und (fast) überall ein mm-genauer Rückblick in die nähere Vergangenheit möglich. 3. Projekt und Fragestellung 3.1 Rutschung «Raintalwald» Das Rutschgebiet «Raintalwald» wurde in den 1960er- Jahren geologisch untersucht. Vor Baubeginn wurde versucht, mit oberflächennahen Drainagen eine Stabilisierung zu erreichen (siehe Abbildung 4). Dies führte nicht zum Erfolg. Nachdem weitere Untersuchungen und geodätische Messungen der Rutschbewegung gemacht wurden, wurde in den späten 1960er- Jahren das Konzept der definitiven Stabilisierung ausgearbeitet und 1970-73 schliesslich gebaut. Seit ca. 50 Jahren sorgen mehrere Elemente für die Gesamtstabilität des Abschnitts «Raintalwald» (siehe Abbildung 2). Das Herzstück der Hangstabilisierung ist das Bauwerk T 306B, eine ca. 200 m lange, bis 18 m tiefe Tiefendrainage. Sie besteht aus einem kiesgefüllten Graben mit einer basalen, begehbaren Sammelleitung. Der Zugang und der Unterhalt erfolgt über zwei rechteckigen Betonschächte, aus welchen zwei Ableitungen im Freispiegel bis zur Aare verlaufen. Abbildung 2: Rutschbereich «Raintalwald» mit stabilisierenden Bauwerken 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 257 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen Abbildung 3: Schnitt durch die Tiefendrainage [3] Parallel zum Drainagegraben wurde der Hang mit 18 bewehrten, bis 15 m tief gebohrten Ortbeton-Dübelpfählen stabilisiert. In Fahrrichtung Nord schliesst teilweise überlappend talseitig das Bauwerk T 546 mit weiteren 35 Dübelpfähle von 7 bis 10 m Länge in zwei Reihen an. Alle Pfähle sind überschüttet und nicht zugänglich oder kontrollierbar. In Fahrrichtung Süd wurde bergseitig die 140 m lange Stützmauer T 117 erstellt, welche auf den ersten 110 m insgesamt 18 rechteckige Ortbeton- Schachtbauwerke aufweist, die mit Längen von 10-12 m den Hang bis ca. 6-7 m unterhalb der Fahrbahn verdübeln. Alle Elemente sind passiv im Sinne, dass keine Vorspannanker zum Einsatz kamen. Abbildung 4: Bereich «Raintalwald» vor Baubeginn (Foto: F. Kilchenmann) Abbildung 5: Situation heute (Foto B+S AG) Heute präsentiert sich der Abschnitt in einem guten Zustand und ist seitlich von Hecken und Wald gesäumt. Die geotechnischen Bauwerke bzw. deren wesentlichen Bauteile sind kaum einsehbar bis unsichtbar, präzise Messdaten gibt es keine. 3.2 Konventionelle Untersuchungen Wie kann sich der verantwortliche Planer bei dieser Ausgangslage ein Bild verschaffen, ob die Situation heute stabil ist und wie sie sich in der Zukunft verhalten wird? Traditionellerweise stehen bei solchen Fragestellungen verschiedene, terrestrische Methoden zur Erfassung der Situation im Vordergrund. Diese wurden im vorliegenden Fall selbstverständlich auch geprüft und gewürdigt. Eine geodätische Vermessung/ Überwachung der beiden ca. 450 und 500 m langen Rutschabschnitte ist nicht trivial. Wenn nicht genau bekannt ist, welche Fixpunkte wirklich fix sind und wenn für die Messungen mit Theodoliten auf der Nationalstrasse auf zwei Fahrbahnebenen mehrmals umgestellt werden muss, sind die Grenzen der Messgenauigkeit schnell erreicht. Zuverlässige Aussagen im Sub-cm-Bereich sind mit dem klassischen, geodätischen Messverfahren (auch mit GPS-Unterstützung) faktisch nicht möglich und der Messaufwand für jede einzelne Messung ist gross. Der Baum- und Buschbestand längs der Nationalstrasse verunmöglicht terrestrische Anwendungen von Interferenz-Radarmessungen, wie sie beispielsweise für die Überwachung von Bergflanken zur Anwendung kommen. Eine (partielle) Rodung des Walds zu diesem Zweck steht ausser Diskussion, da der Hang zu einem Auenschutzgebiet von nationaler Bedeutung gehört. Eine Bestückung des Abschnitts mit Inklinometern und/ oder glasfaseroptischen Messinstrumenten wäre technisch grundsätzlich denkbar, ist aber sehr kostenintensiv. Allen diesen konventionellen Methoden ist auch gemeinsam, dass die Messreihe erst ab dem aktuellen Datum der Nullmessung gestartet werden kann. Je nach Bewegungsrate liegen erste zuverlässige Messresultate aus- 258 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen serhalb der Grössenordnung der Messgenauigkeit unter Umständen erst nach mehreren Jahren vor. Und ziemlich sicher wird man kostenintensive Installationen (z.B. Inklinometer) auch an Orten platziert haben, die sich später als unkritisch erweisen. 3.3 Die InSAR-Technologie als Alternative Vor diesem Hintergrund wurde die InSAR-Technologie als Lösungsansatz für eine erste Beurteilung der Situation vorgeschlagen. In enger Zusammenarbeit mit einem externen Anbieter von InSAR-Auswertungen wurde ein Konzept ausgearbeitet und schliesslich in Auftrag gegeben. Aus der Sicht der Bauherrschaft und der Planer wurden klare Fragen formuliert, welche durch die InSAR- Untersuchung zu beantworten waren: 1. Können die Zonen der bekannten Rutschgebiete «Raintalwald» und «Brüelmatt» mit Satellitendaten bestätigt und allenfalls besser eingegrenzt werden? 2. Welche Verschiebungsrate weisen diese Gebiete auf und kann man aus der Charakteristik der Bewegungen Schlüsse auf treibende Faktoren bzw. mögliche Ursachen der Verschiebungen schliessen? 3. Gibt es weitere Rutschzonen, die bisher nicht bekannt waren und sich mit den InSAR-Daten erkennen lassen? 4. Umsetzung und Resultate 4.1 Einfachste Bearbeitungsstufe In einer ersten Auswertung wurden konventionell die Hebungen/ Setzungen bzw. die Verformungsraten der Punkte pro Jahr betrachtet. Die meisten Punkte der Strecke waren - wie zu erwarten war - unauffällig und wiesen Raten von 0-1 mm/ a auf. Es zeigte sich rasch, dass nirgendwo im Abschnitt eine Rate von mehr als 2 mm/ a gemessen wurde. Eine erste Beurteilung und erste Entwarnung konnte bereits nach sehr kurzer Analysezeit gegeben werden. Im Prinzip kann die Untersuchung bei einer einfachen Fragestellung oder einem groben Screening bereits hier abgebrochen und abgeschlossen werden. 4.2 Zweite Bearbeitungsstufe An einigen Orten der Strecke zeigten sich lokal konzentriert Punkte mit einer Bewegungsrate von 0.5-1.5 mm/ a. Diese wurden in insgesamt 10 Bereichen zusammengefasst und pro Bereich analysiert. Abbildung 6: Darstellung der ersten Resultate und der Bereiche mit verfeinerter Auswertung [1] Zu beachten ist das Vorzeichen in der Line of Sight des Satelliten (LOS) bei dieser Auswertung: Positive Verschiebungen sind zum Satelliten hin und negative gehen vom Satelliten weg. Rote Punkte bedeuten Setzungen, blaue Punkte weisen Hebungen auf. Bei fünf der so identifizierten Bereichen handelte es sich um Orte, an welchen auch aufgrund des Aufbaus des Untergrunds Bewegungen plausibel waren, bei fünf weiteren Bereichen gab es auf den ersten Blick keinen offensichtlichen Grund für Bewegungen. Um die dritte Frage fundiert beantworten zu können, war es wichtig, hier alle zehn Bereiche gleichwertig zu untersuchen und zu bewerten. Nur so kann beantwortet werden, ob alle relevanten Bereiche bekannt sind oder ob es noch weitere, bis dahin unbekannte Bereiche mit relevanten Risiken gibt. Konkret wurden auf der Basis der InSAR-Daten keine weiteren, kritischen Bereiche entdeckt und die weitere Bearbeitung konnte mit einer soliden Begründung auf die bekannten Rutschgebiete beschränkt werden. Bei den Messdaten im Bereich «Raintalwald» zeigte sich eine klare Tendenz, wie zu erwarten war. Als Verschiebungsrate wurde 1.1-1.2 mm/ a festgestellt. Dies bedeutet über die bisherige Nutzungsdauer von ca. 50 Jahren eine kumulierte Verschiebung von ca. 5 cm. Daraus kann gefolgert werden, dass die bestehenden Bauwerke den Rutschhang sehr gut zu stabilisieren vermögen und dass die Wahrscheinlichkeit grösserer Schäden an den Bauwerken durch die Deformationen nur sehr gering ist. Die Situation im Bereich Raintalwald kann als «substabil» bezeichnet werden. Es besteht nachgewiesenermassen keine Dringlichkeit für ergänzende, stabilisierende Massnahmen. Da sich der Hang aber bewegt, befindet er sich in einem Zustand, der nicht weit weg ist von einem labilen Gleichgewicht. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 259 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen 4.3 Dritte Bearbeitungsstufe Generell ist es üblich, aus InSAR-Daten reine Änderungen der Höhenlage abzuleiten. Es werden Hebungen und Setzungen berechnet unter der (meist berechtigten) Annahme, dass der gemessene Punkt in der Lage stabil bleibt. Sollen jedoch in Hanglagen Rutschbewegungen mit einem horizontalen und einem vertikalen Bewegungsanteil erfasst werden, ist Vorsicht angebracht. Insbesondere ist zu beachten, dass aus der Blickrichtung eines einzelnen Satelliten (LOS) eine Rutschung auch wie eine Hebung aussehen kann. Abbildung 7: Hebung vs. Rutschbewegung Um diese Fehlerquelle zu eliminieren und die vertikale wie auch die horizontale Komponente der Rutschungen zu modellieren, können die Daten mehrerer Satelliten und mehrerer Messpunkte zu geometrisch definierten Teilflächen (Rasterzellen) zusammengefasst werden. Aus dem gesamten Datensatz können daraus für diese bestimmte Fläche eine mittlere Bewegung in horizontaler und in vertikaler Richtung berechnet werden. Abbildung 8: Darstellung von Rasterzellen [1] Im vorliegenden Projekt war die Datenlage jedoch leider nicht gut genug, um diese Art der Auswertung mit statistisch zuverlässiger Aussagekraft zu machen. 4.4 Spezielle Erkenntnisse Bei der genaueren Analyse einzelner Punkte im Bereich «Raintalwald» fiel auf, dass die Verschiebungen eine gewisse Periodizität aufweisen. Abbildung 9: Verlauf der Verschiebungen im Jahresverlauf (blau: Winterhalbjahr, grün: Sommerhalbjahr, rote Linie: Trend). Aus [6], koloriert. Die Messpunkte scheinen sich im Jahresrhythmus unterschiedlich zu verhalten. Im Sommer bis im Herbst scheint sich der Messpunkt jeweils zu heben, um sich im anschliessenden Winter bis im Frühling beschleunigt zu senken. Das Mass einer Jahresschwankung beträgt ca. 3-4 mm zwischen Sommer und Winter. Eine Hebung des Messpunkts könnte ein Hinweis auf höhere Porenwasserdrücke und/ oder eine Sättigung von zusätzlichem Porenvolumen im Untergrund sein. Dies könnte wiederum eine Reduktion der effektiven Spannungen auf der Gleitfuge und damit eine Reduktion der Gesamtstabilität des Hangs bewirken. Der Hang wäre damit möglicherweise im Sommer statisch kritischer als im Winter. Die Verifizierung dieser Bewegung und möglicherweise eine Quantifizierung des damit verbundenen Risikos sind unter anderem Gegenstand der laufenden Überwachungskampagne (siehe Kapitel 4.2). 260 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen 5. Folgerungen und Einschätzung 5.1 Antworten auf die gestellten Fragen Die eingangs gestellten Fragen konnten auf der Basis der InSAR-Daten wie folgt beantwortet werden: 1. Die Rutschbewegungen wurden bestätigt und sind begrenzt auf die bekannten Bereiche. 2. Die Rate der Rutschbewegungen liegt mit weniger als 2 mm pro Jahr in einer für die Nationalstrasse unkritischen Grössenordnung. Die Rutschgebiete sind «substabil». 3. Es bestehen keine weiteren Rutschzonen. 5.2 Weiteres Vorgehen im Projekt Dank den Resultaten der InSAR-Untersuchungen konnte das weitere Vorgehen im Projekt sehr schlank gehalten werden. Für die relevanten Risiken liegen quantifizierte Angaben vor. Aus diesen wurde gefolgert: • Eine systematische, geodätische Überwachung ist nicht notwendig bzw. nicht zielführend (vgl. Kapitel 2.2). • Es sind keine systematischen Inklinometermessungen an vielen Messstellen oder die Installation eines faseroptischen Systems notwendig, bzw. bei den mit InSAR festgestellten, sehr kleinen Deformationsraten sind solche auch nicht sinnvoll. Die ergänzenden Baugrunduntersuchungen konnten auf die relevanten Bereiche beschränkt und das Untersuchungsprogramm optimiert werden. In den beiden Abschnitten «Raintalwald» und «Brüelmatt» wurden insgesamt 11 Bohrungen mit geologischem Aufschluss ausgeführt. Sie wurden mit Porenwasserdrucksensoren in verschiedenen Tiefen bestückt, welche die Porenwasserdrücke kontinuierlich (Auflösung 6 h) aufzeichnen. Damit wird im Bereich «Raintalwald» auch direkt die Funktion der Tiefendrainage überwacht. Es wurde lediglich eine einzelne Inklinometermessstrecke installiert. Sie befindet sich im Bereich mit der stärksten, jahreszeitlichen Schwankung der InSAR- Messwerte. Sie wird monatlich gemessen, um eine allfällige Korrelation der jahreszeitlichen Schwankungen der InSAR-Daten mit Bewegungen im Untergrund zu untersuchen. • Die gesamte, nun laufende Überwachung umfasst folgende Messungen: • Jährliche Auswertung der neuen InSAR-Daten des vergangenen Jahres. • Kontinuierliche Messung der Porenwasserdrücke in den Bohrungen. • Jährliches Laserscanning der Hauptstützmauer T 117 (Vergleich Folgemessung mit Nullmessung, Auswertung der Differenzen). Mit InSAR wird die Verschiebung der Mauer als Ganzes überwacht, mit dem Laserscanning können Verkippungen und/ oder Durchbiegungen einzelner Abschnitte der Mauer festgestellt werden, welche durch lokale Einwirkungen verursacht werden könnten. • Monatliche Inklinometermessungen an einer Messstelle. Es ist vorgesehen, jeweils im Frühling der kommenden Jahre eine Auswertung sämtlicher Messdaten und einen Synthesebericht zu erstellen. Damit können die angenommenen Modelle bestätigt oder aber widerlegt werden. Die weitere Planung der erforderlichen Massnahmen erfolgt dann auf der fortlaufend verfeinerten Grundlage dieser Syntheseberichte. 6. Fazit und Empfehlungen 6.1 Anwendungsgrenzen Wer einen Einbezug von InSAR-Daten in die Beurteilung von Strassen und Hängen in Erwägung zieht, sollte sich folgender Grenzen bewusst sein: • Eine Auswertung der Daten nach der vertikalen Komponente (Hebungen/ Setzungen) ist praktisch überall möglich, wo Daten vorliegen. Eine Auswertung von horizontalen Bewegungen gelingt desto besser, je mehr die Rutschbewegung mit der Blickrichtung eines der Satelliten (LOS) übereinstimmt, d.h. ungefähr Ost/ West oder West/ Ost. In anderen Richtungen nimmt die Zuverlässigkeit der Daten mit wachsendem Winkel ab, da nur ein Teil der Bewegungskomponente gemessen wird. Rutschungen nach Norden oder nach Süden sind am ungünstigsten. • Eine in den Messdaten festgestellte «Hebung» kann in Hanglage auch durch eine Rutschung verursacht werden (Abbildung 7). • In höheren Lagen ist die Bedeckung des Bodens mit Schnee zu berücksichtigen. Dies ist mit einer Filterung der Daten technisch möglich. Die Menge der zur Auswertung zur Verfügung stehenden Messdaten reduziert sich mit zunehmender Liegedauer des Schnees. • Auf Gebieten mit Bewuchs (Wald, Landwirtschaft, Wiesen) stehen generell weniger bis keine brauchbaren InSAR-Daten zu Verfügung. Es sind Bestrebungen im Gang, mit einer grösseren Wellenlänge des Radarsignals diese Möglichkeiten zu verbessern (zu Lasten der Auflösung). Ebenso gibt es die Möglichkeit, am Ort des Objekts das Radarsignal zu beeinflussen, z.B. mit der Anordnung von Reflektoren*. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Messreihe mit 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 261 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen der Erstellung des Reflektors erst von vorne beginnt und keine Vergleiche mit älteren Daten mehr möglich sind. Ausserdem beeinflussen («überstrahlen») Reflektoren die Signale in ihrer näheren Umgebung, so dass etliche, benachbarte Messpunkte unter Umständen nicht mehr brauchbar sind. • Im vorliegenden Projekt wurde zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit der Deckbelag auf den Fahrbahnen ersetzt. Dies war in den Messdaten ersichtlich. Für eine sinnvolle Interpretation der Daten ist es wichtig, solche baulichen Veränderungen zu kennen, um sie in der Auswertung berücksichtigen zu können. Entsprechend sind die Auswertungsreihen vor und nach einer solchen Veränderung abzugrenzen und je separat auszuwerten. • In engen Tälern, unter ungünstig ausgerichteten Felswänden, hinter abschattenden Bauwerken gibt es keine Messdaten. • Und last but not least stellt die InSAR-Überwachung nur Bewegungen an der Terrainoberfläche fest. Der Verlauf einer Gleitfläche im Untergrund kann nicht direkt gemessen werden und muss ggf. mit ergänzenden, konventionellen Methoden (Bohrungen, Inklinometer, Extensometer) untersucht werden. * (Passive) Reflektoren für die InSAR-Technologie sind ungefähr schuhschachtelgrosse Metallgebilde mit drei einspringenden, orthogonal zueinander stehenden, glatten Oberflächen. Sie werden auf einem stabilen Stativ im Gelände aufgestellt und ungefähr auf die Satellitenrichtung (LOS) gerichtet. Wie bei einem Katzenauge wird das Radarsignal exakt in derselben Richtung zurückgeworfen, aus welcher es gekommen ist und gibt eine starke, punktuelle Reflektion. Gewisse Anwendungsgrenzen können in Zukunft allenfalls durch bessere numerische Auswertungen oder andere Satellitensysteme verschoben werden. Einer erheblichen, systematischen Gefahr bei der Anwendung von InSAR-Auswertungen muss sich der Besteller jedoch immer bewusst sein: Er darf nicht dem Bestätigungsfehler (confirmation bias) verfallen, d.h. er darf sich aus der Fülle der Daten nicht nur die Punkte und Messgrössen herausgreifen, die für seine Theorie sprechen und alle anderen vernachlässigen. Wie im Beispiel gezeigt, sind alle Messdaten kritisch zu hinterfragen. Wenn sie relevant sind, führen sie den Besteller zu neuen, bisher nicht erkannten, aber möglicherweise kritischen Erkenntnissen. Erst wenn sie zuverlässig als Fehler oder als Folge anderer Ereignisse identifiziert werden können, dürfen sie bewusst von der Bewertung ausgeschlossen werden. 6.2 Ausblick Nebst der hier vorgestellten Art von Untersuchung kann der Einsatz der Satelliten-InSAR-Technologie in weiteren Fällen interessant sein: • Für die Online-Überwachung von wichtigen Leitungen (Pipelines, Gasleitungen) können linienförmige Auswertungen der Veränderungen des Terrains längs der Leitungen generiert werden. Diese können automatisch auf einer Karte in einem Viewer eingeblendet werden. Hebungen oder Senkungen von Leitungsabschnitten bzw. der Erdoberfläche über erdverlegten Leitungen sind anhand der Farbgebung sofort ersichtlich. • Ebenso können Messdaten beispielsweise auf die Grundrissflächen von Gebäuden zusammengefasst werden, so dass farblich leicht erkennbar ist, welche Gebäude in einem Quartier sich mit welchem Betrag setzen, z.B. bei einem Tunnelvortrieb, einer Grundwasserabsenkung oder im Bergbau. • Bei besonders exponierten Gebäuden oder auch Masten, Brücken und Widerlagern können die Bewegungen einzelner Bauwerke gemessen werden [4]. Damit kann auch eine Überwachung unter Betrieb möglich sein, beispielsweise Staumauern und Dämme bei unterschiedlichem Wasserstand oder auch Siloanlagen oder Tanks bei unterschiedlichem Füllstand. • Forensische Geotechnik: Bei Schadenfällen kann mit InSAR möglicherweise retrospektiv festgestellt werden, ob und in welcher zeitlichen Abfolge sich eine Rutschung, ein Felssturz oder ein Dammbruch angekündigt hat. • In den Niederlanden [2] und in Schweden sind auf den nationalen Geoportalen öffentlich zugängliche Bodensetzungskarten implementiert, die mit aktuellen Daten laufend nachgeführt werden. Damit sind erste Hinweise auf Fragestellungen wie im vorliegenden Projekt sogar online für den Planer verfügbar. Auf dieser Basis kann auch entschieden werden, ob es im konkreten Fall Sinn macht, einen Spezialisten für eine detailliertere Auswertung der InSAR-Daten beizuziehen. • Der Einsatz von Reflektoren kann dort sinnvoll sein, wo zu überwachenden Flächen bewaldet, grasbewachsen oder auch jeweils lange Zeit pro Jahr verschneit sind und keine deutlichen Signale zurückschicken. Diese Aufzählung ist nicht abschliessend. 262 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erhaltungsprojekt Muri-Rubigen - ein Erfahrungsbericht zur Anwendung der InSAR-Technologie in der Erhaltungsplanung von Nationalstrassen 6.3 Schlusswort Die InSAR-Technologie war für die vorliegende Fragestellung und das konkrete Projekt gut geeignet und hilfreich. Es konnte schnell, kostengünstig und zuverlässig eine hohe Planungssicherheit erreicht werden. Durch die Auswertung von bereits in der Vergangenheit erfassten Daten konnte Zeit gewonnen werden. Durch die Erkenntnisse aus den InSAR-Daten konnte das terrestrische Untersuchungs- und Überwachungsprogramm markant optimiert werden. Die hohe Aussagekraft des Berichts konnte nur durch eine laufende, enge und intensive Zusammenarbeit von Datenlieferanten, Geologen und Geotechniker erreicht werden. Literatur [1] Bundesamt für Strassen ASTRA, Nationalstrasse N06.32, EP Muri - Rubigen, Bericht Nr. G15.1, Auswertung InSAR-Daten, vom 10.12.2020. [2] Bodemdalingskaart (NL), https: / / bodemdalingskaart.nl/ [3] F. Kilchenmann, Autobahnamt des Kantons Bern, «Die beiden Hangrutsche an der N6», Artikel in der Zeitschrift «route et trafic» No. 6 von Juni 1973 [4] Artikel Ingenieur.de https: / / www.ingenieur.de/ tech nik/ fachbereiche/ architektur/ 200-meter-hoher-millennium-tower-sinkt-ab-neigt/ [5] Sky Geo, «InSAR technical background, Explaining the basics of InSAR», www.skygeo.com, V2.2, abgerufen am 09.04.2021 [6] K. Reinders, G. Giardina, J. Ryser et al. «On the practical applicability of Satellite InSAR Technologiy in combination with Geotechnical Design Codes», Preprint 2021. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 263 DMT SAFEGUARD LIDAR - Echtzeitassistenz zur Gefahrenabwehr im Bergbau, Infrastrukturbereich und von Naturgefahren M.Sc. Daniel Schröder DMT GmbH & Co. KG, Civil & Mining Engineering, Essen, Deutschland Zusammenfassung Im Rahmen des von HORIZON 2020 über den RFCS geförderten Forschungsprojekts i²MON - „Integrated Impact MO- Nitoring for the detection of ground and surface displacements caused by coal mining“ befasst sich der Autor in Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen mit der Entwicklung eines integrierten Monitoring-Dienstes zur Identifizierung und Bewertung von Boden- und Hangbewegungen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der ingenieurgeodätischen Integration eines Long Range Laserscanners in ein kontinuierliches webbasiertes Monitoringsystem. Aktuelle Forschungsthemen beschäftigen sich mit der Zuverlässigkeit, Genauigkeit und Integrität von 3D-Punktwolken innerhalb von einem Monitoringsystem. In diesem Beitrag stellt der Autor eine Testinstallation eines Long Range Laserscanners im Dauerbetrieb und limitierende Faktoren der LIDAR-Technologie vor. Es wird gezeigt, wie der Laserscanner innerhalb einer webbasierten Monitoring-Plattform ferngesteuert werden kann. Darüber hinaus wird die Integration verschiedener Sensoren in eine einheitliche, auf einem Webinterface basierende Überwachungsplattform vorgestellt. 1. Motivation Das terrestrische Laserscanning (TLS) hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten als neuartiges Messverfahren etabliert. Forschungseinrichtungen, Hersteller sowie die Anwender haben Erfahrungen aus einer Vielzahl von Implementierungen und Projekten in unterschiedlichen Maßstäben sammeln können. Der Laserscanner selbst kann in der Ingenieurvermessung zur Planung, Projektierung oder Überwachung eingesetzt werden, wobei sich das Anwendungsspektrum kontinuierlich weiterentwickelt. Der Laserscanner ist dabei nicht nur ein Substitut für andere Sensoren, sondern die ständigen Weiterentwicklungen und die damit verbundene Leistungsfähigkeit solcher Systeme eröffnen neue Möglichkeiten in der Integration innerhalb eines multisensoralen Netzwerkes. So können z.B. große Messvolumina durch steigende Reichweiten oder die automatische Erfassung benachbarter Scanstandpunkte in kurzen Abständen realisiert werden. Weitere Entwicklungen, die über den Sensor selbst hinausgehen, betreffen das Datenmanagement und die Datenkommunikation am System selbst. Diese Eigenschaften im Zusammenhang eröffnen die Möglichkeit, Objekte permanent, autonom als auch zeitlich und räumlich hochauflösend zu vermessen. Im Zuge dieser Entwicklungen insbesondere im Bereich der geodätischen Deformationsanalyse wurden methodische Ansätze in der Anwendung und Auswertung von Messdaten angepasst oder grundlegend neu entwickelt. Methodische Anpassungen werden derzeit in den verschiedenen Forschungsgruppen bearbeitet. So diskutieren beispielsweise [1], [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8] oder aktuell [9] die Herausforderungen und Lösungen für die Deformationsanalyse mittels TLS. Die DMT hat sich dieser Aufgabe angenommen und in den letzten Jahren terrestrische Laserscanner von RIEGL Laser Measurement Systems in die von der DMT entwickelte webbasierte Monitoring-Plattform DMT SAFEGUARD anwendungsbezogen integriert. 2. DMT SAFEGUARD - Webbasiertes Monitoring Neben den Anforderungen an den Sensor selbst müssen Voraussetzungen an die Datenintegration, die Datenspeicherung und schließlich die Visualisierung erfüllt sein. Die Datenintegration ist eine der zentralen Herausforderungen des digitalen Zeitalters und insbesondere für die sogenannte „Industrie 4.0“ [10]. Im Rahmen des Projekts wird das webbasierte Softwareprodukt DMT SAFE- GAURD eingesetzt und zielgerichtet weiterentwickelt. Dieses Produkt vereint alle Anforderungen an ein modernes Überwachungssystem. Es bietet die Möglichkeit, große Datenmengen zentral zu speichern und dem Nutzer webbasiert zur Verfügung zu stellen. Dies ermöglicht jedem Nutzer, seine Projektplattform unabhängig von seinem Arbeitsplatz weltweit zu betreiben. DMT SAFE- GUARD ist damit eine moderne, umfassende datenbank- 264 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 DMT SAFEGUARD LIDAR - Echtzeitassistenz zur Gefahrenabwehr im Bergbau, Infrastrukturbereich und von Naturgefahren gestützte Softwarelösung für Monitoringaufgaben in der Geotechnik, Geodäsie, Hydrogeologie und Geophysik. Die Software verarbeitet alle Arten von Sensordaten in einem einzigen Monitoringsystem und ermöglicht so eine permanente Überwachung des potenziellen Gefahrenbereichs im Rahmen eines professionellen Risikomanagements. Ein intelligentes Frühwarn-, Alarm- und Meldesystem ermöglicht effektivste Reaktionen, während die Langzeitüberwachung das frühzeitige Erkennen von potenziell gefährlichen Trends zur gezielten Gefahrenabwehr ermöglicht. Die Besonderheit dieser Lösung ist die herstellerunabhängige Hardwareanbindung von „langsamen“ geotechnischen bis hin zu „schnellen“ seismischen Sensoren. Darüber hinaus ist ein Dokumentenmanagementsystem zur Archivierung der Dokumentation aller Maßnahmen und Ereignisse innerhalb eines Projektes eingebunden. Abb. 1: DMT SAFEGUARD - Zusammenfassung der Serviceinfrastruktur 3. DMT SAFEGUARD LIDAR - Systembeschreibung Im Hinblick auf die Anforderungen an ein modernes Überwachungssystem eignet sich ein Laserscanner besonders um flächenhafte Informationen eines Überwachungsobjektes zu erhalten. Unsere Wahl fällt auf das Modell VZ-2000i der österreichischen Firma RIEGL. Mit diesem Scanner können Objekte berührungslos mit einer sehr hohen Genauigkeit bis zu einer Reichweite von 2500 m vermessen werden. Die Laserdistanzmessung erfolgt mittels hochpräziser Pulszeitmessung. Ein augensicheres Messsystem und ein nach Klasse 1 spezifizierter Laser ermöglichen darüber hinaus eine automatische, kontinuierliche Messung ohne Gefahr für Menschen im Überwachungsbereich. Für die Integration in ein Überwachungssystem werden über die RiVLIB Schnittstellen bereitgestellt, die es ermöglichen, den Scanner sowohl über externe Software als auch über die Programmiersprache Python zu steuern und einzubinden. Der Funktionsumfang des Scanners kann so deutlich erweitert werden. Der Scanner ist über eine Cloud-Konnektivität fernsteuerbar und ermöglicht einen kontinuierlichen Datenstrom. Mit einer von der DMT entwickelten Software (z.B. DMT SAFEGUARD) können die Messwerte ausgewertet und visualisiert werden. Abb. 2 zeigt das System schematisch und wird im Folgenden beschrieben. Der Scanner kann dabei weltweit eingesetzt werden und steht innerhalb eines Projektes für viele verschiedene Nutzer zur Verfügung. Heutzutage sind LTE, 5G oder neue Technologien wie Starlink für die Internetverbindung an vielen Orten verfügbar. Der Scanner wird mit einer Telemetriebox von DMT ausgestattet. Die Box enthält einen Watchdog, der sowohl die Internetverbindung als auch den Betrieb des Scanners überwacht, einen Router für die Datenverbindung, ein NAS für die redundante Datenspeicherung und eine Stromversorgung, die bei Bedarf um eine Notstromversorgung erweitert werden kann. Der Scanner ist über eine sichere VPN-Verbindung mit dem DMT-Rechenzentrum in Essen verbunden. Experten initialisieren das System und überwachen den Betrieb. Weitere VPN-Verbindungen können bei der Projektierung und Konfiguration individuell eingerichtet werden. Nach der Initialisierung ist der Scanner in der Lage, automatisch zu arbeiten und zu überwachen, oder Scans können manuell über die Webanwendung gestartet werden. Darüber hinaus können Scans durch zusätzliche Sensoren (z.B. Erschütterungssensoren) ausgelöst werden, so dass z.B. ein Staudamm nach einem Erdbeben nahezu in Echtzeit gescannt wird. So können Entscheidungsträger, wie der Minenbetreiber, die örtlichen Zivil- und Hilfsorganisationen oder der Bauleiter, schnell relevante Informationen erhalten. Abb. 2: DMT SAFEGUARD LIDAR - Interaktion von Messtechnik, Datenmanagement und der Webvisualisierung. Mit Hilfe des DMT SAFEGUARD LIDAR-Moduls werden die Messdaten automatisch in relevante Informationen umgewandelt und über eine passwortgeschützte Web-Plattform dem Anwender oder Entscheidungsträgern weltweit zur Verfügung gestellt. Um die Echtzeitfähigkeit des Systems zu gewährleisten, werden die Daten mittels einer von RIEGL entwickelten Monitoring-App dargestellt. Die App ist direkt in SAFEGUARD integriert und der Kunde benötigt keine zusätzliche Software. Der 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 265 DMT SAFEGUARD LIDAR - Echtzeitassistenz zur Gefahrenabwehr im Bergbau, Infrastrukturbereich und von Naturgefahren Vorteil dieser App ist, dass die 3D-Daten in eine Rasteransicht übertragen werden, deren Dateigröße pro Scan nur etwa 10% beträgt. So müssen beispielsweise statt 250 MB Scandaten nur 25 MB Rasterbilder übertragen werden. Abb. 3 veranschaulicht die Anwendung. Interaktiv können zwei freiwählbare Scans verglichen werden. Verschiedene Einstellungen wie Einfärbung, Transparenz oder eine schattierte Ansicht sind interaktiv wählbar. Der Benutzer kann innerhalb der Anwendung Berichte erstellen und Partnern bereitstellen. Mehrere Benutzer können gleichzeitig in der Plattform arbeiten, so dass eine kollaborative Teamarbeit jederzeit und in Echtzeit möglich ist. Abb. 3: DMT SAFEGUARD LIDAR - Webviewer des Felssturzes in Österreich Zusätzlich zum Scanner kann die volle Funktionalität von SAFEGUARD genutzt werden und beispielsweise GNSS-Daten oder andere geotechnische Messwerte integriert werden (Abb. 4). Mit dieser hybriden Datenkonfiguration kann der Scanner millimetergenau in ein GNSS-Netz eingebunden werden. Abb. 4: DMT SAFEGUARD - Integration von zusätzlichen Sensoren wie Neigungsmesser und Wetterdaten 4. Anwendungsbeispiel: Felssturz in Vals (Tirol) An Heiligabend 2017 ereignete sich im Valsertal in Tirol, Österreich, ein Felssturz, bei dem jedoch keine Menschen verletzt wurden. Die Tiroler Landesregierung hat ein geodätisches Überwachungssystem eingerichtet, das aus Tachymetrie mit entsprechenden am Hang verteilten Prismen und zusätzlichen geotechnischen Sensoren besteht [11]. Die Infrastruktur dieses Monitoringsystems wurde für die dauerhafte Installation eines RIEGL VZ- 2000i Scanners genutzt. Von August 2020 bis Oktober 2020, von Mai 2021 bis Juni 2021 sowie ab Juli 2021 wurden in Vals, Tirol, 3D-Daten aufgenommen. Das Projekt wurde über SAFEGUARD ferngesteuert und kontrolliert. Die Installation der Messgeräte begann am 10. August 2020 in einer Schutzhütte, der sich gegenüber dem vom Felssturz betroffenen Gebiet befindet. In dieser Hütte befinden sich zwei Messsäulen. Auf dem einen ist ein Tachymeter installiert, das 16 Reflektoren in einer Höhe von ca. 250 m bis 800 m in einem Zeitintervall von einer Stunde misst. Der zweite Pfeiler kann für die dauerhafte Installation des Laserscanners genutzt werden. Der Messablauf ist wie folgt: Alle 2 Stunden wird ein Scan des Hangbereichs mit einer Auflösung von 15 mdeg durchgeführt. Die Scandauer beträgt etwa 13 Minuten. Dann werden die Prismen nacheinander gescannt; das Scannen eines Prismas dauert etwa 15 Sekunden. Abb. 5: Panoramablick auf die Positionen der Messtechnik im Valser Tal. Abb. 6: Vertikalschnitt, in dem die Höhenlage der Meteosensoren dargestellt ist. 5. Fazit & Ausblick In diesem Beitrag wird die Implementierung eines flächenhaften Messsensors in ein webbasiertes Überwachungssystem vorgestellt. Es wird ein operationelles System vorgestellt, das weltweit in verschiedenen Szenarien einsetzbar ist. Neben dem System selbst von der Datenerfassung über das Datenmanagement bis hin zur Visualisierung der Ergebnisse werden grundlegende wissenschaftliche Themen, wie der Einfluss der Atmosphäre auf die Messdaten, angesprochen und erste Ergebnisse vorgestellt. Forschungsthemen der Zukunft werden sich mit 266 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 DMT SAFEGUARD LIDAR - Echtzeitassistenz zur Gefahrenabwehr im Bergbau, Infrastrukturbereich und von Naturgefahren dem Thema Big Data, neuronalen Netzen und künstlicher Intelligenz auseinandersetzen müssen. Die Datenmengen von ungefähr 360 Scans und 1 Terabyte pro Monat sind der automatischen Auswertung weitgehend vorbehalten. Es gibt vielversprechende wissenschaftliche und akademische Entwicklungen, die das System in naher Zukunft auf eine neue Stufe heben werden. 6. Förderung und Danksagung Diese Arbeit wird vom Europäischen Forschungsfonds für Kohle und Stahl unterstützt [RFCS-Projektnummer 800689 (2018)]. Ich möchte mich auch beim Amt der Tiroler Landesregierung - Abteilung Geoinformation für die Unterstützung bei der Durchführung der zweiten Testmessung bedanken. Im Besonderen sind hier Johannes Anegg und Patrick Fritzmann zu nennen. Des Weiteren möchte ich mich bei der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Österreich für die Bereitstellung weiterer Wetterdaten bedanken. Literatur [1] Wujanz D (2016) Terrestrial Laser Scanning for Geodetic Deformation Monitoring (Dissertation). https: / / dgk.badw.de/ fileadmin/ user_upload/ Files/ DGK/ docs/ c-775.pdf (13.11.2020). [2] Lindenbergh R, Pfeiffer N (2005) A statistical deformation analysis of two epochs of terrestrial laser data of a lock. In: Gruen A, Kahmen H (Hrsg): Optical 3-D Measurement Techniques VII. Vienna, 61-70. [3] Paffenholz J.-A (2012) Direct geo-referencing of 3D point clouds with 3D positioning sensors (Dissertation). https: / / dgk.badw.de/ fileadmin/ user_upload/ Files/ DGK/ docs/ c-689.pdf (13.11.2020). [4] Holst C, Kuhlmann H (2016) Challenges and Present Fields of Action at Laser Scanner Based Deformation Analyses. In: Journal of Applied Geodesy 2016; 10(1): 17-25. [5] Neuner H, Holst C, Kuhlmann H (2016) Overview on Actual Modelling Strategies of Point Clouds for Deformation Monitoring. Allgemeine Vermessungs-Nachrichten (avn), 123: 11-12. [6] Wunderlich T, Niemeier W, Wujanz D, Holst C, Neitzel F, & Kuhlmann H (2016): Areal Deformation from TLS Point Clouds-the Challenge. avn. Allgemeine Vermessungs-Nachrichten, 123(12). [7] Eling D (2009) Terrestrisches Laserscanning für die Bauwerksüberwachung (Dissertation). https: / / dgk.badw.de/ fileadmin/ user_upload/ Files/ DGK/ docs/ c-641.pdf (13.11.2020). [8] Soudarissanane S, Lindenbergh R, Mementi M, Teunissen P (2011) Scanning geometry: Influencing factor on the quality of terrestrial laser scanning points. ISPRS journal of photogrammetry and remote sensing, 66(4): 389-399. [9] Friedli E (2020) Point Cloud Registration and Mitigation of Refraction Effects for Ge-omonitoring using Long-Range Terrestrial Laser Scanning (Dissertation). https: / / doi.org/ 10.3929/ ethz-b-000409052 (13.11.2020) [10] Zimmermann K, Schröder D, Fingerhuth S, Gesche R (2019), Integrated Monitoring of Tailings: EIT STINGS in Proceedings of Tailings 2019 July 10 - 12 2019, Santiago de Chile. [11] Anegg J, Fritzmann P (2019) Geomonitoring am Felssturz im Valsertal. https: / / www.tirol.gv.at/ fileadmin/ themen/ sicherheit/ geoinformation/ Monitoring/ Vals_2019_Anegg_Fritzmann_Online.pdf (13.11.2020) Erdbau 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 269 Filtern mit Geokunststoffen: Überprüfung der Anwendung der Filterregeln für Geokunststoffe im Erd- und Straßenbau Moritz Schleeh M.Sc. Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik, 70569 Stuttgart, Deutschland Jana Liebl M.Sc. Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik, 70569 Stuttgart, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik, 70569 Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Die derzeit in den Filterregeln verwendeten grundlegenden Parameter zur Dimensionierung von Geotextilfiltern sind insbesondere die charakteristische Öffnungsweite des Filters O 90 , die Filterdicke (Filtrationslänge) und die Ungleichförmigkeitszahl C U . Die Filterregeln für Geokunststoffe im Merkblatt M Geok E berücksichtigen die Randbedingungen einer Bauaufgabe durch die Differenzierung in drei Sicherheitsfälle. Bei der Entwicklung der M Geok E wurden Grenzbereiche für die Bemessung der charakteristische Öffnungsweit O 90 festgelegt, wobei die obere Grenze O 90, max als technisch sinnvoll und wünschenswert angesehen wurde, die Untergrenze O 90, min war dabei eher ein Zugeständnis an die Industrie und die damalige verfügbare Produktpalette. Beim Einsatz dieser Produkte als Geotextilfilter sind aber wiederholt Probleme wie verminderte Durchlässigkeit und Filterverstopfung (Kolmation) durch Feinanteile aufgetreten. Das Institut für Geotechnik der Universität Stuttgart führt deshalb, mit dem Ziel einer optimierten Bemessung von geotextilen Filter und der Vermeidung von zukünftiger Schadensfälle, experimentelle Filtrationstests des Boden-Geokunststoffsystems zur Untersuchung der Filterstandards und des Materialtransports unter verschiedenen Rahmenbedingungen an der unteren O 90, min und oberen Grenze O 90, max der charakteristischen Öffnungsweite dieses ausgedehnten zulässigen Grenzbereichs durch. 1. Einführung Als Alternative zu klassischen ein- oder mehrstufigen mineralischen Kornfiltern gewinnt seit einigen Jahren der Einsatz von geotextilen Filtern in Form von durchlässigen Flächenstrukturen wie Vliesen, Gewebe und Maschenware zunehmend an Beliebtheit. Verschiedene Anwendungsgebiete von Geotextilfiltern sind der Dammbau, der Wasserstraßenbau, der Küstenschutz, der Deponiebau und vor allem der Straßenbau. Die in den derzeit verwendeten Filterregeln zur Dimensionierung von Geotextilfiltern verwendeten grundlegenden Filtereigenschaften sind insbesondere die charakteristische Öffnungsweite O 90 und Dicke des Filters und damit die Länge des Strömungsweges durch den Filter (Filtrationslänge). Das Merkblatt zum Einsatz von Geokunststoffen im Erdbau im Straßenbau [1] unterscheidet drei hydraulische Sicherheitsbereiche, um die Filterwirksamkeit von Geotextilfiltern langfristig zu gewährleisten. Durch die Vorgabe von Grenzwerten der charakteristischen Öffnungsweite O 90 sollen auf der einen Seite die mechanische (Bodenrückhaltevermögen) und auf der anderen Seite die hydraulische Filterwirkung (Durchlässigkeit) möglichst invariabel garantiert werden. Bei der Erarbeitung des Merkblattes wurde zunächst die Obergrenze O 90, max als technisch sinnvoll erachtet, jedoch liegen die meisten heute auf dem Markt befindlichen Produkte mit einer charakteristischen Öffnungsweite von 0,06 mm bis 0,08 mm (Sicherheitsfall II) an der Untergrenze O 90, min des damals festgelegten zulässigen Bereichs. Bei dieser Herangehensweise zur Dimensionierung von Geotextilfiltern sind wiederholt Probleme wie eine zeitlich veränderliche Abnahme der Durchlässigkeit durch eine fortschreitende Filterverstopfung aufgrund von Feinanteilen und somit eine Vernässung des anstehenden Bodens aufgetreten. Im Fall eines Filterversagens besteht auch die Gefahr des Stabilitäts- und Standsicherheitsverlustes von Bauwerken. 2. Materialtransport Durch den Boden strömendes Wasser kann in Abhängigkeit des lokalen hydraulischen Gradienten eine Umverteilung und Transport von Bodenpartikeln. Diese Umlagerungsprozesse können allgemein in Erosion, Suffosion und Kolmation unterschieden werden. Grundvoraussetzung für den Materialtransport sind die spezifischen geometrischen Gegebenheiten innerhalb einer Bodenstruktur. Die entsprechenden geometrischen Randbedingungen definieren den Durchmesser der Bodenpartikel bzw. die Grenze des Durchmessers des Porenraums, in dem die Bodenpartikel durch den Porenraum transpor- 270 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Filtern mit Geokunststoffen: Überprüfung der Anwendung der Filterregeln für Geokunststoffe im Erd- und Straßenbau tiert werden können. Wird diese geometrische Grenze nicht überschritten, besitzt der Boden eine mechanische Filterstabilität (Bodenrückhaltevermögen). Wenn eine Partikelbewegung innerhalb des Bodens geometrisch möglich ist, erfordert der Materialtransport im Boden hinzukommend ein flüssiges Medium (Grund- oder Sickerwasser) zusammen mit einer lokalen Überschreitung des für die Mobilisierung der Bodenpartikel kritischen hydraulischen Gradienten. Wird dieser maßgebende hydraulische Gradient nicht erreicht, spricht man von hydraulischer Filterstabilität. 3. Geotextilfilterbemessung Die Aufgabe eines geotextilen Filters ist auf der einen Seite die dauerhaft kontrollierte Abführung des anströmenden Wassers sowie die Verhinderung von sich aufbauenden Wasserdrücken. Auf der anderen Seite müssen die geotextilen Filter den anstehenden Boden ausreichend zurückhalten und für die anstehende Bodenstruktur gefährlichen Bodendurchgang vermeiden. Die Entwurfskriterien für Geotextilfilter können grundlegend in „geometrische“ Ansätze und „hydraulische“ Ansätze unterteilt werden. Die geometrische Filterstabilität soll geotextilen Filtern durch eine Begrenzung der charakteristischen Öffnungsweite O 90 nach oben und eine ausreichende Durchlässigkeit (hydraulische Filterwirksamkeit) durch die Begrenzung der charakteristische Öffnungsweite O 90 nach unten erreicht werden. Die Filterbemessung bewegt sich aufgrund dieser widersprüchlichen Anforderung zwischen engen Bemessungsgrenzen von O 90 und unterliegt dahingehend einem fortschreitenden Optimierungsprozess. Hydraulische Kriterien für Filterabmessungen basieren hauptsächlich auf hydraulischen Bedingungen, wobei die Bestimmung des hydraulischen Gefälles bzw. der Fließgeschwindigkeit an den relevanten Gefahrenstellen (z.B. Kontaktstellen) zwischen Boden und Geotextil sich als äußerst schwierig gestaltet. Aus diesem Grunde werden meistens geometrische Kriterien wie der Korndurchmesser d, die Kornverteilung, die Ungleichförmigkeitszahl C U , der Krümmungskoeffizient C C und die Lagerungsdichte I D zur Filterbemessung herangezogen. In den letzten Jahren haben sich einige wenige Ansätze für die praktische Anwendung durchgesetzt. [2] betrachtet in seinen Kriterien der Filterbemessung neben den Korndurchmessern d 50 , d 85 und der Ungleichförmigkeitszahl C U auch die Strömungscharakteristik, wobei eine Klassifikation der Böden durch den Korndurchmesser d 50 ≤ 0,075 mm bzw. d 50 ≤ 0,075 mm in zwei Gruppen erfolgt. Die Untersuchungen von [3] haben für geotextile Filter über einem Boden mit einer Ungleichförmigkeitszahl von C U ≤ 6 gezeigt, dass auch zusätzliche Korndurchmesser wie d 85 betrachtet werden sollten. Die Problematik bei der Verwendung von d 85 liegt darin, dass es mit dem Referenzwert d 85 schwer ist, bei weitgestuften und nicht gleichförmigen Kornverteilungen den Anteil und die Verteilung des Feinkorns festzustellen. Insbesondere der Feinanteil ist aber für die Bemessung des Filters essenziell, da dieser vom Filter zurückgehalten werden muss (geometrische Filterstabilität). Deshalb schlägt [3] vor, für weitgestufte Böden mit einer Ungleichförmigkeitszahl C U größer 6 in Abhängigkeit der Form der Kornverteilungslinie einen kleineren Korndurchmesser als d 85 zur Bestimmung der zulässigen charakteristischen Öffnungsweite O 90 , zu wählen. In [4] werden beide Ansätze verknüpft und die ursprünglich von [3] gewählte Grenze der Ungleichförmigkeitszahl C U von 6 auf 8 erhöht. Der Ansatz von [5] und [6] ergänzt zur bestehenden Ungleichförmigkeitszahl C U den Krümmungskoeffizienten C C und die Lagerungsdichte. Die Idee dabei besteht darin, die Kornverteilung tangential an den Mittelbereich der wirklichen Kornverteilung zu linearisieren und daraus ein Verhältnis der Öffnungsweite O 90 zum mittlerem Korndurchmesser d 50 zu bestimmen [5,6]. Das Merkblatt zur Anwendung von Geotextilien im Wasserbau [7] trennt Böden bei d = 0,06 mm in drei Körnungsbereiche. Für Böden des Körnungsbereichs A mit d 40 ≤ 0,06 mm gilt ein konstanter Grenzwert. Für Böden bei denen der Korndurchmesser d 15 ≥ 0,06 mm ist, fließt bei der Bemessung der mechanischen Filterfestigkeit die Ungleichförmigkeitszahl C U mit ein. Im Bereich C mit d 15 ≤ 0,06 mm und d 40 ≥ 0,06 mm muss äquivalent zu Bereich B zusätzlich zur Bemessung eine Untersuchung zur Suffosionsbeständigkeit des Bodens durchgeführt werden. Um eine Vergleichbarkeit der bestehenden Filterkriterien und Ansätze zur Filterbemessung zu schaffen, nutzt [8] eine Linearisierung nach [5] in Bezug auf die Ungleichförmigkeitszahl C U der Kornverteilung. Die in Abb. 1 dargestellten Zusammenhänge des Abstandsverhältnisses O 90 / d 50 in Abhängigkeit von der Ungleichförmigkeit C U zeigen die teilweise starken Divergenzen und Unstetigkeiten in den aktuellen bestehenden Bemessungsansätzen. Bei Betrachtung der Abb. 1 fällt zudem auf, dass alle Kriterien für eine größere Ungleichförmigkeit C U kleinere Verhältniswerte für Abstandverhältnisse O 90 / d 50 festlegen. Zwischen 3 ≤ C U ≤ 6 ergeben sich nach [5] (G iroud dichte und lockere Lagerung) und [4] (CFEM) höhere Verhältniswerte, wohingegen bei [7] (DVWK) die Verhältniswerte stetig abnehmen. Dieser Ansatz scheint für gleichförmige Böden und kleinere Öffnungsweiten geeignet, da dies den Abb. 1 : Abstandsverhältnis O 90 / d 50 in Abhängigkeit von der Ungleichförmigkeit C U aus [8,9] 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 271 Filtern mit Geokunststoffen: Überprüfung der Anwendung der Filterregeln für Geokunststoffe im Erd- und Straßenbau Tab. 1: Grenzwerte der charakteristischen Öffnungsweite O 90 nach [1] Hydraulischer Sicherheitsfall O 90 [mm] Einsatzgebiet 1 0.06 ≤ O 90 ≤ 0,20 Vliesstoffe 0.06 ≤ O 90 ≤ 0,40 Gewebe 2 0.06 ≤ O 90 ≤ 0,20 kohäsiven Boden 0.06 ≤ O 90 ≤ 0,11 Grobschluff bis Feinsand 0.06 ≤ O 90 ≤ 0,13 Feinsand 0.08 ≤ O 90 ≤ 0,30 Mittelsand 0.06 ≤ O 90 ≤ 0,60 Grobsand 3 Individuell und Fallbezogen anderen Ansätzen widerspricht [8]. Die in Abb. 1 enthaltenen Singularitäten und Sprünge in den Verläufen der Bemessungskriterien zur Filterdimensionierung [4] und [5] lassen sich nicht durch Fakten oder Untersuchungen begründen. Deshalb sind die unstetigen Verläufe auf die angesetzten Berechnungsverfahren und nicht auf das Materialverhalten zurückzuführen [8,9]. [8] und [10] erarbeiten daher einen empirischen Kompromiss, der alle Gemeinsamkeiten der vorgestellten Ansätze integriert, Unstetigkeiten vermeidet und eine Abhängigkeit zur Öffnungsweite und dem Ungleichförmigkeitskoeffizienten herstellt. Die Anpassung erfolgt durch eine Lognormalverteilung mit verschiedenen Stützstellen [11]. Die Lagerungsdichte wird nach dem Ansatz von [5] mit einer Bandbreite von ±10 % assimiliert. Die genaue Herleitung findet sich in [8]. Um die Randbedingungen einer Bauaufgabe zu berücksichtigen, werden - wie schon erwähnt in [1] für die Auslegung von geotextilen Filtern, hinsichtlich der mechanischen Filterwirksamkeit, drei verschiedene Sicherheits fälle unterschieden. Bei vielen Anwendungen im Straßenbau gilt der hydraulischer Sicherheitsfall 1. Wenn der hydraulischer Sicherheitsfall 1 angewendet wird, liegen filtertechnisch einfache Bedingungen vor. Es wird von einer einseitigen Anströmung, einer geringen Wassermenge und einem geringen hydraulischen Gefälle ausgegangen. Der hydraulischer Sicherheitsfall 2 gilt für filtertechnisch schwierigere Böden, bei denen es zu einer wechselseitigen und mittleren einseitigen Anströmung kommt. Zudem muss der Boden auf Erosionsstabilität und Suffossionssicherheit untersucht werden. Sind Erosionsstabilität und Suffossionssicherheit nicht gegeben, wird wie beim hydraulischer Sicherheitsfall 3 verfahren. Hat ein hydraulisches Versagen des geotextilen Filters gravierende Folgen für das Bauwerk, so tritt der hydraulische Sicherheitsfall 3 in Kraft. Hierbei wird der Boden einseitig konzentriert angeströmt, es kommt zu einer großflächigen wechselseitigen Anströmung und es handelt sich um eine große Wassermenge. Die Filterdimensionierung muss dann im Einzelfall durch einen Sachverständigen nach einer Analyse der hydraulischen Bedingungen durchgeführt werden. Die Filterdimensionierung erfolgt dann anhand eines der vorgestellten Bemessungsverfahrens und/ oder durch anwendungsbezogene Versuche [12]. Um die hydraulische Filterwirksamkeit zu garantieren und schädlichen Wasserrückstau zu vermeiden muss die Wasserdurchlässigkeit des Filters nach M Geok E (k v, 5% = Wasserdurchlässigkeitsbeiwert des Geotextils als Neumaterial) langfristig im eingebauten Zustand die Wasserdurchlässigkeit des zu entwässernden Bodens k f aufweisen. Diese Bedingung ist erfüllt, wenn k v , 5% ≥ k f und k v , 5% mindestens 1 • 10 -4 m/ s beträgt. Zudem ist der Nachweis der Sicherheit gegen Kolmation zu führen. Darüber hinaus empfiehlt [1] die charakteristische Öffnungsweite O 90 möglichst nahe an der oberen Grenze O 90, max , aber keinesfalls unter 0,2 • O 90, max zu wählen. Auch im hydraulischer Sicherheitsfall 1 und hydraulischen Sicherheitsfall 2 ist die charakteristische Öffnungsweite O 90 möglichst groß innerhalb des zulässigen Bereichs zu wählen. Grundlegend ist es, das Bodengesamtsystem hinsichtlich der hydraulischen Filterwirksamkeit zu betrachten. Maßgebend ist hierbei immer die Schicht mit der geringsten Wasserdurchlässigkeit. 4. Kolmationsgefahr Abb. 2: Engstellenverteilung nach [14] Tab. 2 Kolmationskriterien nach [2] 272 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Filtern mit Geokunststoffen: Überprüfung der Anwendung der Filterregeln für Geokunststoffe im Erd- und Straßenbau Auch die Verhinderung von Kolmation in geotextilen Filtern spielt bei der Vermeidung eines unzulässigen Anstieges des Porenwasserdrucks eine entscheidende Rolle. Kolmation führt u. A. bei geotextilen Filtern zu einem Verlust der hydraulischen Filterwirksamkeit, also dem Versagen der Filterfunktion durch „Verstopfen“. Nach [8] führt eine große Filterdicke zu einem großen Porenvolumen und somit zu einem ausreichendem Gesamtvolumen des geotextilen Filters. Dadurch existieren weiterhin genügen dreidimensionale Fließwege im Geotextil, selbst unter dem Umstand großer Partikeleinlagerungen im Geotextil. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass nicht alle Fließwege „verstopfen“. Dieser Ansatz wird von der Engstellentheorie von [13] gestützt. Grundlegend wird davon ausgegangen, dass der Bodenrückhalt durch Engstellen, die durch Fasern (geotextilen Filtern) und/ oder durch Bodenpartikel (Kornfilter) entstehen, geschieht. [13] sieht ab einer Anzahl von 25 Engstellen keine Veränderung der charakteristischen Öffnungsweite O 90 mehr. Abb. 2 zeigt die Engstellenverteilung C i und Öffnungsweitenverteilung O i für verschiedene Engstellenanzahlen n nach [14]. Die Theorie basiert auf der Annahme, dass je dicker das Geotextil ist, desto mehr Engstellen in Fließrichtung entstehen. Ein Sieb hat beispielsweise nur eine Lage an Engstellen. Deshalb gilt für Siebe für n = 1: O 100 = C 100 . Bei unendlichen Dicken mit n = 1 wird die Engstelle mit dem kleinsten Durchmesser maßgebend (O 100 = O 00 = C 00 ). Die Autoren sehen mit einer zunehmenden Dicke des Geotextils und somit eine steiler werdenden Verteilung der Öffnungsweiten eine erhöhte Gefahr, dass Partikel im Geotextil stecken bleiben (P IN ) und das Innere des Geotextils „verstopfen“ bzw. blockieren. Daraus leiten sie eine erhöhte Kolmationsneigung des Produkts ab. Diesem Ansatz kann jedoch wie oben genannt die Erhöhung der Anzahl von Fließwegen entgegengesetzt werden. [10] schlägt, um eine ausreichende Filtrationslänge zu gewährleisten, eine Mindestdicke von d ≥ 30 O 90 vor. Tab. 2 enthält die Forderungen nach [2] gegen Kolmation. POA steht hier für den Öffnungsanteil der Gesamtfläche „percent open area“. Nach [15] lässt sich eine Korrelation bei Geweben hinsichtlich des Öffnungsanteils POA und der Kolmationsneigung finden. Obwohl es viele Öffnungsweitenkriterien für Vliesstoffe gibt, soll die Öffnungsweite einen geringeren Einfluss auf die Kolmationsneigung haben als bei Geweben. Zudem ergaben die Untersuchungen, dass bei Geweben mit einem Öffnungsanteil POA von ≤ 4 % eine deutlich höhere Kolmationsneigung als mit einem Öffnungsanteil POA von ≥ 4 % auftritt. Während thermisch verfestigte Vliesstoffe nicht ideal sind, haben Gewebe mit Monofilamenten auf die Kolmationsneigung bezogen deutlich bessere Eigenschaften [15]. [7] fordert auf Grundlage der ermittelten Öffnungsweite zum Bodenrückhaltevermögen, die charakteristische Öffnungsweite in situ nicht kleiner als 80 % davon zu wählen. 5. Systemversuche Im Rahmen eines am Institut für Geotechnik der Universität Stuttgart durchgeführten Forschungsvorhabens zum Filtrationssystems Boden/ Geokunstoff [16] wurden verschiedene Filtrationstests durchgeführt. Tab. 3 zeigt eine Übersicht über alle durchgeführten Durchströmungsversuche am System Boden/ Geokunststoff. Vier verschiedene Böden, die als besonders anfällig gegen Erosion und Suffosion (leicht plastischer Schluff (UL), weitgestufter Sand (SW)) gelten und solche, deren Anwendung als weniger empfindlich eingestuft werden können (enggestufter Mittelsand (SE), Sand-Ton-Gemisch (ST*)) wurden in Form von Durchströmungsversuchen zusammen mit sieben verschiedenen Geotextilien getestet. In Abhängigkeit des Sicherheitsfalls II des M Geok E wurden die Geotextilien nach der unteren O90, min und oberen Grenze O90, max der Öffnungsweite Abb. 3 Versuchsaufbau Filterversuche [16] ausgewählt und die charakteristische Öffnungsweite in Ergänzung der Herstellerangaben analog zu [17] bestimmt. Die Geotextilien unterscheiden sich dabei in ihrer charakteristische Öffnungsweite O90, der Filterdicke d und der Art der Verfestigung (mechanische-/ mechanisch-thermische Verfestigung). Die Systemtests gliedern sich in Langzeitfiltrationstests (LTF), zyklische Filterversuche (ZV) und Suspensionsversuche (SV). Im Langzeitfiltrationstest wird die zeitliche Entwicklung des Durchlässigkeitsbeiwerts des Boden-Geokunststoff-Systems unter konstanten Randbedingungen gemessen. Das verwendete Prüfgerät bestand aus drei Teilen: i) einer zylindrischen Plexiglas- Prüfzelle mit einem Innendurchmesser von 12 cm, bestückt mit einer Bodenprobe (H/ D = 1), ii) einem Geotextil und 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 273 Filtern mit Geokunststoffen: Überprüfung der Anwendung der Filterregeln für Geokunststoffe im Erd- und Straßenbau iii) einem Drainagekies und Lochplatten unter der Kiesschicht zur Entwässerung. Die drei Glaszylinder und die Oberseite der Prüfarmatur sind durch drei Gewindestäbe verbunden. Das Boden-Geotextilsystem wird teilweise 200 Stunden mit einem durch die Höhen der oberen und unteren Druckbehälter definierten konstanten hydraulischen Gefälle von i = 12 vertikal durchströmt. Die Boden- und Geokunststoffproben sind einer konstanten Vertikallast von 20 kN/ m2 für die Abbildung der tatsächlichen Einbaubedingungen ausgesetzt. Der Durchfluss wird unter Wasser mit einem digitalen Durchflussmesser erfasst. Um den thermischen Effekt auf die Wasserviskosität zu berücksichtigen, wurden die Versuche in einem isolierten Raum bei konstanter Temperatur durchgeführt. Der Einfluss des Sättigungsgrades auf die Messergebnisse durch die Kompression der Lufteinschlüsse wird durch die Befüllung der Prüfkammer mit entlüftetem Wasser minimiert. Nachdem der Geotextilfilter in den Tab. 3: Übersicht der Durchströmungsversuche am System Boden/ Geokunststoff [16] Charakteristische Öffnungsweite O 90 des geotextilen Filters Obere Grenze gemäß M Geok E O 90, max Untere Grenze gemäß M Geok E O 90, min Boden i = konst (Monofilament) (Fd 1 mm) zyklisch (Fd 1 mm) Suspen sionstest (Fd 1 mm) i = konst. (Fd 1 mm) i = konst. (Filterdicke 3 mm) zyklisch (Fd 1 mm) Suspen-siontest (Fd 1 mm) SE O 90 = 0.3 mm; (LV1/ mech.) (ZV1) (mech.) (SV1) (mech.) O 90 = 0.08 mm; (LV2/ mech.) O 90 = 0.08 mm; (LV3/ 4) (mech./ mech.+therm.) (ZV2) (mech.) (SV2/ mech.) SW O 90 = 0.3 mm; (LV5/ mech.) (ZV3) (mech.) (SV3) (mech.) O 90 = 0.08 mm; (LV6/ mech.) O 90 = 0.08 mm; (LV7/ 8) (mech./ mech.+therm.) (ZV4) (mech.) (SV4) (mech.) UL O 90 = 0.2 mm; (LV9/ mech.) (ZV5) (mech.) - O 90 = 0.06 mm; (LV10/ mech.) O 90 = 0.08 mm; (LV11/ mech.) (ZV6) (mech.) - ST* O 90 = 0.2 mm; (LV12/ mech.) (ZV7) (mech.) - O 90 = 0.06 mm; (LV13/ mech.) O 90 = 0.08 mm; (LV14/ mech.) (ZV8) (mech.) - Versuchsstand eingebaut wird, wird dieser durch den entsprechenden Prüfboden unter geringer Staubentwicklung berieselt. Der Wasserdurchfluss Q, die Temperatur T und auch der Bodendurchgang nach Trocknung mBoden, die Masse des Geokunststoffes mGK, 1, d und mGK, 2, d vor und nach dem Versuch waren dabei weitere Messgrößen. Zusätzlich zu den Langzeitdurchlässigkeitsuntersuchungen wurden zyklische Filtrationstests aber auch Suspensionsversuche durchgeführt, die insbesondere den Stofftransport im Geotextilfilter beleuchten sollen. Für diese Tests wurden für die beschriebenen Testböden nach M Geok E analog zu den Langzeitfilterversuchen identische Geotextilien verwendet (Tab. 3). Der hydraulische Gradient i wurde bei den zyklischen Durchströmungsversuchen alle 15 min über eine Versuchsdauer von ca. 13 h durch Variation der Höhe des oberen Druckbehälters nach dem in Abb. 4 dargestellten Schema definiert. Insgesamt wurden 5 Zyklen zur Simulation des Lastfalls aufeinanderfolgender Regenfälle mit abwechselnden Trockenperioden durchgeführt. Wechselnde hydraulische Belastungen können zu einer stärkeren Mobilisierung feiner Partikel in der Bodenprobe führen und stellen deshalb eine zusätzliche Belastung für das Filtersystem aus Boden und Geokunststoff dar. In den Suspensionsversuchen wird das Wasser im oberen Druckbehälter zusätzlich mit Kaolin versetzt, so dass eine intensive Feinteilsuspension durch das Filtersystem strömt. Die Verwendung eines mechanischen Rührers und eine invariabel definierte Zugabe von Kaolin garantiert gleichmäßige Randbedingungen. Während der festgelegten Versuchsdauer von ca. 300 min wird ein hydraulischer Gradient i = 12 angelegt und das Kaolin in Abständen von 30 min (je 100 g Trockenmasse) beigemischt. Zusätzlich wird eine Veränderung der Korngrößenverteilung untersucht. 274 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Filtern mit Geokunststoffen: Überprüfung der Anwendung der Filterregeln für Geokunststoffe im Erd- und Straßenbau Abb. 4: Hydraulischer Gradient in Abhängigkeit der Zeit einer Zyklik. 5.1 Langzeitdurchlässigkeitsversuche Abb. 5 zeigt die Durchlässigkeit k des Filtersystems Boden/ Geotextil der Langzeitdurchlässigkeitsversuche über eine Versuchsdauer von ca. 12.000 Minuten für die verschiedenen Bodenarten a) SE b) SW c) UL und d) ST*. In Ergänzung dazu, sind die Bodeneinträge mFT [‰] in das Geotextil und der Bodendurchgänge mBoden [‰] in Abhängigkeit der Öffnungsweite und des Versuchsbodens der Langzeitdurchlässigkeitsversuche in Abb. 6 grafisch aufbereitet. Die Zuordnung der Versuche aus Abb. 5 und Abb. 6 kann Tab. 3 im Einzelnen entnommen werden. Größtenteils wurden mechanisch verstärkte Geotextile mit einer Filterdicke von 1 mm verwendet. Darüber hinaus wurde die Filterdicke auf 3 mm für einige Versuche erhöht. Zum Vergleich für die Untersuchung der Verfestigungsart wurden bei LV4 und LV8 (untere Grenze O90, min, Filterdicke 3 mm) mechanisch thermisch verfestigte Geotextile eingelegt. Ziel war es demzufolge, den Einfluss von Öffnungsweite, Filterlänge bzw Filterdicke und Verfestigungsart des Geotextils auf die Langzeitdurchlässigkeit zu identifizieren. Dabei sollen der zeitlichen Wasserdurchlässigkeit, die Bodeneinlagerung im Geotextil und der Bodendurchgang durch das Geotextil parametrisiert werden und dementsprechend Aufschluss für eine abschließende Bewertung der Auswirkung von Variationen der Einflussfaktoren geben Bei Betrachtung der Abb. 5 a) zeigt LV1 (obere Grenze O90, max, SE) eine starke Abnahme der Durchlässigkeit zu Versuchsbeginn. Nach 1.680 Minuten verringert sich der Durchlässigkeitsrückgang. Dies geht Hand in Hand mit einer deutlichen Reduzierung des Bodendurchgangs. Der offensichtlich identifizierbare zeitliche Zusammenhang zwischen der Abnahme der Bodendurchlässigkeit durch das Geotextil und der kontinuierlichen Abnahme der Wasserdurchlässigkeit weist darauf hin, dass sich eine Bodenstruktur gebildet hat, die sich hinsichtlich der Filtration in einem Gleichgewichtszustand befindet. Die hingegen anfänglich starke Abnahme der Durchlässigkeit kann auf die Feinanteileinlagerungen in die Bodenstruktur zurückgeführt werden. Der vom Differenzdrucksensor gemessene Druck in der eingebauten Bodenprobe zeigt auch, dass das Geotextilsystem kein Kolmationsprozess an der Obergrenze O90, max und SE (LV1) aufweist. Abb. 6 bestätigt, dass bei der Verwendung von Geotextilien an der oberen Grenze O90, max der größte Bodendurchgang im Verhältnis zur Gesamtmasse des Versuchsbodens in Promille stattfindet, das Geotextil jedoch sehr wenig Bodeneintrag erfährt. Bei den Versuchen LV2 (untere Grenze O 90, min , SE, Filterdicke 1 mm), LV3 und LV4 (untere Grenze O 90, min , SE, Filterdicke 3 mm) ist auch nach 1.200 Minuten keine konstante Enddurchlässigkeit erkennbar. Die Durchlässigkeiten nehmen im Vergleich zu LV1 (obere Grenze O 90, max und SE, Filterdicke 1 mm) jedoch deutlich geringer ab. Es hat sich demnach noch kein filterstabiles System eingestellt und weiterer Feinanteileintrag in das Geotextil ist mit zunehmender Versuchsdauer zu erwarten. Der Vergleich der Bodeneinträge und Bodendurchgänge zeigt, dass neben der Öffnungsweitengröße auch die Dicke des Filters eine Rolle spielt, was auf das erhöhte Porenvolumen zurückzuführen ist. Die Bodeneinträge in die Filter mit geringeren Öffnungsweiten im Zusammenspiel mit den Effekten den Filterdicke weisen auf den Beginn vermehrt auftretender Clogging-Prozesse hin. Auch die Reduktion der Durchlässigkeiten zwischen den Filterdicken manifestiert, dass ein früheres Versagen von Filtern mit einer geringeren Dicken zu erwarten ist. Geotextile Filter mit einer rein mechanischen Verfestigung (LV3 und LV7) verhalten sich im Vergleich zu mechanisch-thermisch verfestigten (LV4 und LV8) geotextilen Filtern bezüglich der langfristigen Durchlässigkeit und des Bodeneintrags ungünstiger. Bei der Betrachtung von Abb. 5 b) SW LV5 (O 90, max , SW, Filterdicke 1 mm) ist analog zu LV1 (O 90, max , SE, 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 275 Filtern mit Geokunststoffen: Überprüfung der Anwendung der Filterregeln für Geokunststoffe im Erd- und Straßenbau Abb. 5 : Durchlässigkeiten der Langzeitversuche für a) SE b) SW c) UL d) ST* [16] Abb. 6 Langzeitfilterversuche (LV): Vergleich der Bodeneinträge m FT [‰] in das Geotextil und der Bodendurchgänge m Boden [‰] in Abhängigkeit der Öffnungsweit e und des Versuchsbodens bzw. Masse des Versuchsbodens [16]. Filterdicke 1 mm) beim Einsatz des Geotextils der oberen Grenze O 90, max eine starke Verminderung der Durchlässigkeit zu erkennen. Die konstante Enddurchlässigkeit hingegen impliziert ein konstantes Filtersystem (nach 10.200 Minuten), dessen Entstehung auf Grund der Erosionsneigung des SW im Vergleich zu LV1 (SE) deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt. Die Bodendurchgangsmenge und der Bodeneintrag zeigt sich zu LV1 affin und kann über eine längere Versuchsdauer beobachtet werden. Demnach kann auch hier von Clogging gesprochen 276 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Filtern mit Geokunststoffen: Überprüfung der Anwendung der Filterregeln für Geokunststoffe im Erd- und Straßenbau werden. Eine stärkere Abnahme der Anfangsdurchlässigkeit entwickeln hingegen die Versuche LV7 und LV8 (untere Grenze O 90, min , SW) mit einer Filterdicke von 3 mm, die auch mit zunehmender Versuchsdauer weiter abnimmt. Ein filterstabiles System lässt sich auch hier final nicht erkennen. Die Gefahr von Clogging und demnach ein folgendes Filterversagen durch eine stärkere Abnahme der Durchlässigkeit ist analog zum SE durch den Einsatz von Geotextilien an der unteren Grenze O 90, min im Vergleich zur oberen Grenze O 90, max erhöht. Es werden bedingt durch das größere Porenvolumen der filterdicken Geotextilien, mehr Feinanteile in das Geotextil eingelagert. Zusätzlich zu den Effekten aus dem Einsatz von Geotextilien geringerer Öffnungsweiten, wird der Bodendurchgang durch größere Filterdicken minimiert (Abb. 6). Die Versuche in Abb. 5 c) UL zeigen eine starke Neigung zu Piping-Prozessen im Bodenkörper, wodurch insbesondere bei den Versuchen LV9 (obere Grenze O 90, max , UL, Filterdicke 3 mm) und LV11 (untere Grenze O 90, min , UL, Filterdicke 3 mm) deutlich mehr Spielraum bei der Auswertung, der durch die extremen Piping-Prozesse stark beeinflussten und verzerrten Ergebnisse, entsteht. Die deutlich erhöhten Bodendurchgänge aber auch Einlagerungen in das Geotextil im Vergleich zu den anderen Versuchsböden SE und SW lassen sich durch die größere Feinteilmenge im verwendeten Versuchsboden erklären. LV10 (untere Grenze O 90, min , UL, Filterdicke 1 mm) beweist jedoch eindrücklich, dass beim Einsatz von Geotextilien mit einer charakteristischen Öffnungsweite der unteren Grenze O 90, min im Zusammenspiel mit einem leicht plastischen Schluff UL kein Durchfluss mehr stattfindet, was demnach zum vollständigen Verlust der hydraulischen Filterwirksamkeit führen kann. Demgegenüber steht die finale Durchlässigkeit beim Filtersystem mit einer charakteristischen Öffnungsweite des Geotextils der oberen Grenze O 90, max , die auch bei Versuchsende gegeben ist: Bei der Betrachtung von Abb. 5 d) ST* LV12 (obere Grenze O 90, max , ST*, Filterdicke 1 mm) lässt sich kein Rückgang der Durchlässigkeit über die Zeit feststellen. Die Durchlässigkeit variiert um einen Mittelwert, der um ein Vielfaches geringer ist, als die Durchlässigkeiten der Versuche mit den anderen Versuchsböden. Auch der Bodendurchgang sowie der Bodeneintrag in das Geotextil sind minimal. Clogging ist hier nicht zu erwarten und es kann von einem filterstabilen System gesprochen werden. Der Bodeneintrag ist indessen höher als bei dem SE und bei dem SW, was wiederrum auf einen erhöhten Feinanteil und die Konsistenz des ST* zurückzuführen ist. Piping-Prozesse lassen sich bei den Versuchen LV13 (untere Grenze O 90, min , ST*, Filterdicke 1 mm) und LV14 (untere Grenze O 90, min , ST*, Filterdicke 3 mm) erkennen. Nach anfänglichem Zuwachs der Durchlässigkeit und dem Erreichen des Maximums, nehmen die Durchlässigkeiten kontinuierlich ab, erreichen aber keine finale und konstante Enddurchlässigkeit. Der Vorgang des Bodeneintrags und der des Bodendurchgangs ist deshalb noch nicht abgeschlossen. Die erhöhte Filterdicke in LV14 und das dadurch erhöhte Porenvolumen sorgen auch im ST* für ein langsameres Zusetzen des Geotextilfilters und wirken somit dem Filterversagen entgegen. Die Bodeneintragsmenge ist im dickeren Filter zwar absolut gesehen größer, prozentual betrachtet allerdings nicht. 5.2 Zyklische Durchlässigkeitsversuche Die durchgeführten zyklischen Versuche sollen in der Realität auftretende, aufeinanderfolgende Regenereignissen mit wechselnden Trockenperioden simulieren. Dazu wird der hydraulische Gradient i des oberen und unteren Druckgefäßes während der Versuchsdurchführung abwechselnd verringert und wieder erhöht. Durch wechselnde hydraulische Belastungen werden infolgedessen mehr Feinteile in der Bodenprobe mobilisiert. Abb. 4 zeigt das Schema des hydraulischen Gradienten in Abhängigkeit der Zeit einer Einzelnen der insgesamt fünf Zyklen. Eine Übersicht über die durchgeführten Versuche bietet Tab. 3. Die zyklische hydraulische Belastung der Filtersysteme aus Boden/ Geotextil bestätigt die gewonnenen Erkenntnisse aus den Langzeitversuchen. Die Verwendung eines Geotextils an der unteren Grenze O 90, min der charakteristischen Öffnungsweite O 90 zeigt einen deutlich stärkeren langfristigen Rückgang der Durchlässigkeit als ein Geotextil der oberen Grenze O 90, max und weißt somit eine deutlich erhöhte Gefahr des Verlusts der Filterwirksamkeit auf. Die Bodeneinlagerungen in das Geotextil sind in kurzer Zeit teilweise bei der Verwendung von Geotextilien der unteren Grenze O 90, min um den Faktor 2,5 größer, wohingegen der Bodendurchgang sich deutlich reduziert. Durch die zyklische hydraulische Belastung konnte tatsächlich ein höherer Feinteileintrag im Geotextilfilter erreicht und die Auswirkungen der unterschiedlichen Belastungsintensitäten auf das Clogging Potential nachgewiesen werden. Die Versuche im SW beweisen zudem, dass durch die zyklische Belastung Erosionserscheinungen im Prüfboden deutlich zunehmen und die Gefahr von Clogging zusätzlich erhöht wird. Insbesondere bei suffosions- und erosionsgefährdeten Böden wird die Neigung zu Clogging aufgrund der erhöhten Feinteilmobilisierung zur Gefahr für das Filtersystem. 5.3 Suspensionsversuche Durch Suspensionsversuche zum Materialtransport in geotextilen Filtern sollen ebenfalls extreme Regenereignisse und die damit einhergehende immense zusätzliche Belastung des Geotextils durch ein Auswaschen von Böden mit Feinanteil simuliert werden. Die sehr hohe Anzahl an frei beweglichen Feststoffteilchen im Wasser ist eine extreme Belastung für die hydraulische und mechanische Filterwirksamkeit. Kolmation und Clogging von geotextilen Filtern werden durch die entstehende Feinteilbeaufschlagung stark verstärkt und die auftretenden 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 277 Filtern mit Geokunststoffen: Überprüfung der Anwendung der Filterregeln für Geokunststoffe im Erd- und Straßenbau Abb. 7 : Ergebnisse der zeitlichen Veränderung der Durchflüsse bei den Versuchen mit Suspensionsbeaufschlagung [16] Problematiken der Geotextilfilter sollen so besser in den Systemversuchen sichtbar gemacht werden. Abb. 7 zeigt die Permittivitäten der Systemversuche mit Suspensionsbeaufschlagung. (Tab. 3). Die Durchflüsse in Abb. 7 des Filtersystems mit einem Geotextil der oberen Grenze O 90, max (SV1) und unteren Grenze O 90, min (SV2) in enggestuftem Sand nehmen nach der ersten Kaolinzugabe nach 30 Minuten analog zueinander ab. Der einzige Unterschied hinsichtlich der Systemdurchlässigkeiten auf Grund der unterschiedlichen charakteristischen Öffnungsweite des Geotextils macht sich in den Anfangsdurchlässigkeiten der Filtersysteme bemerkbar. Die zweite Kaolin-Zugabe nach 60 Minuten und die daraus folgende erneut stärkere Abnahme des Durchflusses ist ebenfalls signifikant. Je länger der Versuch dauert, desto weniger Einfluss hat eine erneute Beimischung an Kaolin auf den Durchfluss, da eine deutlich geringere Durchströmung und somit Materialtransport stattfindet. Die erste Zugabe von Kaolin hat die größten Auswirkungen auf die Permittivität. Das Kaolin lagert sich im gesamten Bodenkörper ein und füllt die Porenräume aus. Infolgedessen entsteht durch die Suspensionszugabe in SE ein dichter und somit undurchlässiger Bodenblock. Dieses Phänomen war auch visuell sichtbar. Zudem zeigten sich deutliche Kaolinablagerungen auf dem Bodenkörper. Der Unterschied bei der Bemessung des Geotextils nach der oberen Grenze O 90, max (SV3) und der Bemessung nach der unteren Grenze O 90, min (SV4) hinsichtlich der Anfangsdurchlässigkeiten zeigt sich im SW signifikanter. Wohingegen sich der Durchfluss vor der ersten Zugabe an Kaolin in SV4 schon halbiert, ist bei der Verwendung des Geotextils der oberen Grenze O 90, max (SV3) nur ein schwacher Abfall des Durchflusses zu erkennen. Darüber hinaus lässt sich im SW ebenfalls eine starke Reduktion des Durchflusses direkt nach Zugabe des Kaolins feststellen. Im Gegensatz zum SE verhält sich der Verlauf der Permittivitäten bei der Geotextilfilterbemessung nach oberer O 90, max und unterer Grenze O 90, min gemäß M Geok E nicht analog zueinander. Nach Ende des Versuchs (300 Minuten) und acht Zugaben an Kaolin (700 g) verzeichnet das Filtersystem mit dem gewählten Geotextil an der oberen Grenze O 90, max des Bemessungsgrenzbereichs der charakteristischen Öffnungsweite O 90 nach M Geok E noch eine Permittivität von 0,35 ⋅ 10 -3 1/ s auf. Auf der anderen Seite zeigt SV4, dass der Einsatz eines Geotextilfilters an der unteren Grenze von O 90 zum Verlust der Permittivität und somit Filterversagen führt. Der unterschiedliche Potentialabbau in den Versuchen bestätigt, dass sich bei der Bemessung des Geotextils an der oberen Grenze O 90, max nach M Geok E (SV3 und SV1), das Kaolin gleichmäßig im Bodenkörper verteilt. Bei der Dimensionierung an der unteren Grenze O 90, min (SV2 und SV4) lagert sich das Kaolin in sichtbaren undurchlässigen Schichten ab. Die Bodendurchgänge und die Bodeneinlagerungen in Tab. 4 verdeutlichen, dass im System mit dem Geotextil an der unteren Grenze O 90, min deutlich mehr Feinteil im Geotextil eingelagert wird. Die Durchgangsmenge hingegen ist beim Filtersystem mit dem Geotextil der oberen Grenze O 90, max inbesondere bei größeren Durchlässigkeiten deutlich erhöht. Tab. 4: Bodendurchgang mSoil [g] und Bodeneintrag im Geoextil mdiff [g] der Suspensionsversuche SV. 6. Auswertung der Ergebnisse Die Ergebnisse der Forschung am Institut für Geotechnik der Universität Stuttgart der Systemversuche mit Langzeit-Durchlässigkeitsuntersuchungen, zyklischen Durchströmungsversuchen und Durchlässigkeitsprüfungen mit Suspensionsbelastung weisen ein erhöhtes Clogging-Potential und damit eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der 278 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Filtern mit Geokunststoffen: Überprüfung der Anwendung der Filterregeln für Geokunststoffe im Erd- und Straßenbau Verstopfung des Geotextils (Kolmation) nach, wenn Geotextilfilter mit einer charakteristischen Öffnungsweite an der unteren Grenze O 90, min gemäß M Geok E verwendet werden. Deshalb sollte stets der Einsatz eines Geotextils an der oberen Grenze O 90, max zur Sicherstellung einer dauerhaft ausreichenden hydraulischen Durchlässigkeit angestrebt werden. Das Risiko des Filterversagens erhöht sich demnach nachweislich bei Filtersystemen mit einer aus der Geotextilfilterbemessung resultierenden geringen Öffnungsweite O 90 des verwendeten Geotextils signifikant. Zyklische Belastungen des Filtersystems aus Boden/ Geokunstoffs führen dazu, dass Erosionserscheinungen im Prüfboden deutlich zunehmen und die Gefahr von Clogging (Kolmation) zusätzlich erhöht wird. Insbesondere bei suffosions- und erosionsgefährdeten Böden wird infolgedessen die Neigung des Geotextils zu Clogging aufgrund der erhöhten Feinteilmobilisierung problematisch. Die Ergebnisse der Suspensionsversuche zeigen, dass ein hoher Betrag von hydraulisch mobilisierten Feinpartikeln im System eine besondere Belastung für das Filtersystem darstellt. Der Einsatz von Geotextilien mit größeren Filterdicken ermöglicht gegenüber dünnen Geotextilfiltern ein langsameres Zusetzen des Filters bei gegebenen Feinteilbelastungen. Insbesondere bei der Bemessung von geotextilen Filtern in filtertechnisch schwierigen Böden und unter extremen hydraulischen Belastungen sollte eine individuelle Filterdimensionierung auf Grundlage eines Bemessungsverfahrens erfolgen, dass zusätzliche Parameter wie die Ungleichförmigkeitszahl C U, weitere Referenzkorndurchmesser und die Lagerungsdichte in situ berücksichtigt. Eine Bemessung der Geotextilfilter auf Basis von ausgedehnten zulässigen Grenzbereichen der charakteristischen Öffnungsweite O 90 in Abhängigkeit von drei hydraulischen Sicherheitsfällen und einer Einteilung von grob gefassten Einsatzgebieten wird der Komplexität der Wechselwirkung zwischen dem anstehenden Boden und dem Geotextilfilter nicht gerecht. Dies sollte nicht mehr dem heutigen Stand der Technik entsprechen und die bestehenden Empfehlungen deshalb auf Grundlage der neuen Erkenntnisse angepasst und weiterentwickelt werden. Die Anforderungen an eine mechanische Filterstabilität auf der einen Seite und an eine langfristige hydraulische Filterwirksamkeit auf der anderen Seite sind immer als Optimierungsprozess bei der Bemessung zu sehen. Auch der Einsatz von Kornfiltern als Filtermedium stellt stets eine weitere Option dar und sollte deshalb insbesondere unter schwierigen Randbedingungen als Alternative geprüft werden. Literatur [1] FGSV: Merkblatt über die Anwendung von Geokunststoffen im Erdbau des Straßenbaus - M Geok E. Köln: FGSV Verlag GmbH 2016 [2] Holtz, Robert D.: Geosynthetic Engineering. Richmond: BiTech Publishers Ltd. 1997 [3] Lafleur, J.; Eichenauer, T.; Werner, G.: Geotextile filter retention criteria for well graded cohesionless soils. Montreal: Ecole Polytechnique 1996 (Lafleur, J; Rollin, A.L. (Eds.): Geofilters’96 - Proceedings.) [4] CFEM: Canadian Foundation Engineering Manual. Canadian Geotechnical Society 2006 (4th Edition) [5] Giroud, J. P.: Filter criteria for geotextiles. Vol. 1. Las Vegas (USA): Proc. 2nd Int. Conference on Geotextiles 1982 [6] Luettich, S. M.; Giroud, J. P.; Bachus, R. C.: Geotextile Filter Design Guide. In: Geotextiles and Geomembranes 11 1992 [7] DVWK: Anwendung von Geotextilien im Wasserbau. Hamburg/ Berlin: Deutscher Verband für Wasserwirtschaft und Kulturbau e. V., 1992 (DVWK Merkblätter zur Wasserwirtschaft) [8] Heibaum, M.: Das neue DWA-Merkblatt zu geotextilen Filtern. Karlsruhe: Bundesanstalt für Wasserbau: Bundesanstalt für Wasserbau, 2014 (Filter und hydraulische Transportvorgänge im Boden) [9] Glabisch, U.; Stoewahse, C.: Filtern mit Geokunststoffen ein Überblick. In: 11. Geokunststoff Kolloquium 2019 [10] Stoewahse, C.; Heibaum, M.; Werth, K.: Zur Bemessung geotextiler Filter - Das neue Merkblatt DWA-M 511. In: Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, 40. Dresdner Wasserbaukolloquium 2017, S. 241-250 [11] DWA-M 511‚Merkblatt - Filtern mit Geokunststoffen (DWA-Regelwerk). DWA Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. 08/ 2017 [12] Krug, M.: Filterwirksamkeit von Geotextilien bei geringen hydraulischen Gefällen. In: Straßenverkehrstechnik Heft 766, Bundesminister für Verkehr, 1999 [13] Giroud, J.P.: Granular Filters and Geotextile Filters. In: Proceedings Geofilters ’96, 1996 [14] Giroud, J.P.; Delmas; P. & Artiéres, O.: Theorical Basis for the development of a Two-Layer Geotextile Filter. In: Sixth International Conference on Geosynthetics, Atlanta, 1998 [15] Shukla, S.K.: Handbook of Geosynthetic Engineering - Geosynthetics and their applications. London: ICE publishing 2012 (Second edition) [16] Moormann, C., Liebl, J., Schleeh, M.: Überprüfung der Auswirkungen der Anwendung der Filterregeln für Geokunststoffe des M Geok E. Bergisch Gladbach: Schlussbericht zum Forschungsvorhaben FE 05.0198/ 2017/ AGB der BASt, 2021 [17] DIN EN ISO 12956: 2020-05, Geotextilien und geotextilverwandte Produkte - Bestimmung der charakteristischen Öffnungsweite (ISO 12956: 2019) 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 279 Qualifizierte Bodenverbesserung / Bodenverfestigung - Einfluss des Ausgangsbodens und des verwendeten Bindemittels Monika Schad Böden stellen einen großen Anteil an mineralischen Bauabfällen dar. Ihre Verwertung in technischen Bauwerken ist somit anzustreben, auch wenn die vorliegenden bodenmechanischen Eigenschaften einen Wiedereinbau gemäß den technischen Regelwerken zunächst nicht zulassen. Die Behandlung von Böden mit Bindemitteln, wie sie bereits Árpád Kézdi (1971) in seinem Werk „Stabilisierte Erdstraßen“ vorgestellt hat, ist bei der Erstellung eines qualifizierten Erdbauwerkes heute Standard. Bereits bei der Planung für die Herstellung eines Erdbauwerkes müssen die Anforderungen (Tabelle 1) definiert werden. So kann im Rahmen einer Eignungsprüfung deren Einhaltung überprüft werden. In den ZTV E-StB 17 werden folgende Begriffe in Abhängigkeit der Qualität verwendet: Tabelle 1: Unterscheidung der Begrifflichkeit im Erdbau des Straßenbaus nach den ZTV E-StB Grobkörnige Böden Gemischtkörnige Böden Feinkörnige Böden Organische Böden Kiese und Sande tonig / schluffige Kiese und Sande Schluffe und Tone Torf, Humus nichtbindig Schluff-/ Tonanteil ≤ 5 M.-% schwach bindig Schluff-/ Tonanteil 5 - 15 M.-% stark bindig Schluff-/ Tonanteil 15 - 40 M.-% bindig Schluff-/ Tonanteil > 40 M.-% 280 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Qualifizierte Bodenverbesserung / Bodenverfestigung - Einfluss des Ausgangsbodens und des verwendeten Bindemittels Tabelle 2: Zuordnung der Böden zur Verfestigung ZTV Beton-StB 07 und Bodenverfestigung ZTV E-StB 17 Während die Begrifflichkeit der Bodenbehandlung im klassischen Erdbau des Straßenbaus in den ZTV E-StB 17 für gemischt- und feinkörnige Böden klar geregelt ist, wird für die Herstellung einer Verfestigung im Straßenoberbau nach den ZTV Beton-StB und den ZTV LW-StB der Feinkornanteil < 0,063 mm auf ≤ 15 M.-% begrenzt. In der Praxis wird jedoch dieser Grenzwert an den Feinkornanteil, bei der Herstellung einer Verfestigung zur Ertüchtigung untergeordneter Straßen / Wirtschaftswege mit dem Baumischverfahren, häufig überschritten. Hier stellt sich die Frage, inwieweit Ausgangsgemische mit einem höheren Feinkornanteil für eine dauerhafte Tragfähigkeit und Frostsicherheit geeignet sind und wie deren Eignung im Rahmen einer Eignungsprüfung nachgewiesen werden kann. Untersuchungsergebnisse zeigen, dass eine dauerhafte und frostsichere Verfestigung mit einem höheren Feinkornanteil erreicht werden kann. Als maßgebende Kriterien für die Bewertung der Dauerhaftigkeit der Verfestigung, kann das Ergebnis einer verlängerten Frostprüfung sowie der Festigkeitsabfall der Druckfestigkeit nach Ausführung der Frostprüfung zugrunde gelegt werden. Einflussfaktoren sind vor allem der Mineralbestand des Bodens, die Zementart, Additive und der für die Hydratation verfügbare Wasseranteil. Nicht geeignet sind für eine dauerhafte Verfestigung stark organische Böden, da bei diesen Böden die Zementreaktion durch Fulvo-/ Huminssäuren behindert wird. Bei sulfat-/ sulfidhaltigen Böden findet, vor allem bei der Wasseraufnahme während der Frostprüfung, durch die Bildung von Ettringit und/ oder Thaumasit eine Entfestigung des verfestigten Probekörpers statt. Erfahrungen zeigen, dass sich bei Böden mit sehr hohen Al 2 O 3 -Gehalten schon bei geringen Sulfatgehalten eine Entfestigung nach wenigen Frost-Tau-Wechseln einstellt. Für eine Bewertung, ob eine dauerhafte Verfestigung mit einem Feinkornanteil deutlich über 15 M.-% erreicht werden kann, ist daher zwingend eine Frostprüfung / verlängerte Frostprüfung erforderlich. Das Ziel einer Qualifizierten Bodenverbesserung im Bereich des Planums ist eine dauerhafte Erhöhung der Tragfähigkeit sowie bei feinkörnigen Böden eine Verringerung der Frostempfindlichkeit von F3 (sehr frostempfindlich) nach F2 (gering frostempfindlich). Im Erdbau des Straßenbaus gelten nach den ZTV E-StB 17 folgende Anforderungen an eine Qualifizierte Bodenverbesserung: - Mindestbindemittelmenge von 3 M.-% - Druckfestigkeit nach 28 Tagen: q ≥ 0,5 N/ mm² oder CBR-Wert nach 28 Tagen: ≥ 40 % - Nachweis der Dauerhaftigkeit: Festigkeitsabfall nach 24 h Wasserlager (WL) ≤ 50 % - Verdichtungsgrad: D Pr ≥ 97 % - Luftporengehalt: n a ≤ 12 Vol.-% (bei sehr wasserempfindlichen Böden n a ≤ 8 Vol.-%) Im Folgenden ist die erreichbare Druckfestigkeit in Abhängigkeit des verwendeten Mischbindemittels und in Abhängigkeit der Wasserempfindlichkeit des Ausgangsboden dargestellt. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 281 Qualifizierte Bodenverbesserung / Bodenverfestigung - Einfluss des Ausgangsbodens und des verwendeten Bindemittels Grafik 1: Vergleich der Mischbindemittel MB30/ 70 (30% Kalk / 70 % Zement) und MB 50/ 50 (50% Kalk/ 50 % Zement) Unter Verwendung der Mindestbindemittelmenge von 3 M.-% kann bei einem plastischen feinkörnigen Boden und einer optimalen Verdichtung mit den untersuchten Mischbindemitteln, unabhängig vom Anteil des reaktiven Kalkes die Anforderung an eine Qualifizierte Bodenverbesserung erreicht werden. Wird die Bindemittelmenge auf 6 M.-% erhöht, zeigt vor allem das zementbasierte Mischbindemittel eine dauerhafte Festigkeitszunahme während das Mischbindemittel mit einem Kalkanteil von 50 M.-% bei Wasserlagerung einen deutlichen Festigkeitsabfall aufweist. Grafik 2 zeigt unter Verwendung des Mischbindemittels MB 30/ 70 (30 % Normkalk / 70 % Normzement) den Einfluss der Bodenart auf die Dauerhaftigkeit der Qualifizierten Bodenverbesserung. Unter Verwendung der Mindestbindemittelmenge von 3 M.-% kann unabhängig der Bodenart unter optimaler Verdichtung eine vergleichbare Druckfestigkeit erreicht werden. Eine Erhöhung der Bindemittelmenge führt bei einer Verbesserung des mittelplastischen Tones zu einer deutlichen und dauerhaften Erhöhung der Druckfestigkeit, während sehr wasserempfindliche leichtplastische Ausgangsböden einen Festigkeitsabfall nach 24 Stunden Wasserlagerung von 40 % - 50 % aufzeigen. Der Einfluss des Einbauwassergehaltes in den Grenzbereichen der geforderten Verdichtung von D Pr ≅ 97 % (Grafik 3) wirkt sich ebenfalls deutlich festigkeitsmindern aus. Der Einbau einer Qualifizierten Bodenverbesserung mit einem Wassergehalt w < w opt sollte vermieden werden, da aufgrund der schlechteren Verdichtungsfähigkeit und des daraus resultierenden hohen Luftporenanteil die erreichte Trocken-festigkeit nicht von Dauer ist. Grafik 2: Einfluss der Bodenart auf die Dauerhaftigkeit der Qualifizierten Bodenverbesserung 282 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Qualifizierte Bodenverbesserung / Bodenverfestigung - Einfluss des Ausgangsbodens und des verwendeten Bindemittels Grafik 3: Einfluss des Verdichtungswassergehaltes und der Verdichtungsgrades auf die Druckfestigkeit Als Grundsatz für die Herstellung einer Qualifizierten Bodenverbesserung gilt daher die Verwendung eines Mischbindemittels mit einer reaktiven Komponente von ≤ 30 M.-% sowie der Nachweis, dass die geforderte Druckfestigkeit auch im Grenzbereich der Anforderung an die Verdichtung (D Pr ≥ 97%) erreicht werden kann. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 283 Stabilisierung von organischen, arsenbelasteten Erdstoffen zur bautechnischen Verwertung Dr.-Ing. Olaf Düser Dr. Ebel & Co. Ingenieurgesellschaft für Geotechnik und Wasserwirtschaft mbH, St.-Ulrich-Straße 21, 88410 Bad Wurzach - Arnach Zusammenfassung Im oberen Donautal ist die Erweiterung eines Industriegebiets um 50÷100 ha vorgesehen. Zur Herstellung der Hochwassersicherheit und Schaffung von Retentionsräumen im Erweiterungsbereich sind diverse wasserbauliche Maßnahmen (Gewässerverlegungen, Speicherkaskaden etc.) geplant. Durch umfangreiche geotechnische und geochemische Voruntersuchungen wurde festgestellt, dass die bindigen, gering tragfähigen Deckschichten (Oberboden, Aueablagerungen, Anmoor) starke Arsenbelastungen geogenen Ursprungs aufweisen. Diese Erdstoffe sind vor Ort zu verwerten; eine Deponierung bzw. Verwertung außerhalb des Erweiterungsgebietes kommt wegen der Arsenbelastung nicht in Betracht. Es wurde untersucht, ob mit einer Bindemittelstabilisierung derartige Erdstoffgemische stabilisiert und nachfolgend als tragfähigen Unterbau Verwendung finden können. 1. Allgemeines zum Baugrund und zur Geochemie Im oberen Donautal ist die Erweiterung eines bestehenden Industriegebietes geplant. Der Erweiterungsbereich wurde zuvor landwirtschaftlich (Wiesen und Weiden, Ackerbau) genutzt. Unter dem Oberboden stehen vorwiegend organische Böden in Form von Aueablagerungen an, in die anmoorige Böden und Torfe eingebettet sind. Die Mächtigkeit der organischen Schichten pendelt zwischen wenigen Dezimetern und über zwei Metern. Darunter folgt eine mehrere Meter mächtige Talkiesschicht, die wiederum von der Unteren Süßwassermolasse unterlagert wird. Beim Talkies handelt es sich um einen sehr leistungsfähigen Grundwasserleiter. Der Grundwasserspiegel ist bei niedrigen und mittleren Verhältnissen frei entwickelt. In niederschlagsreichen Perioden sind auch gespannte Grundwasserverhältnisse zu erwarten. Ab Talkiesniveau steht aus geotechnischer Sicht zur Tiefe hin tragfähiger Untergrund an. Die organischen Deckschichten sind hingegen zur Gründung nicht geeignet. In den bindigen, organischen Deckschichten wurden im Rahmen von geochemischen Voruntersuchungen im Feststoff Arsengehalte im Bereich von 12,5÷80 mg/ kg festgestellt. In den zugehörigen Eluaten nach DIN EN 12457-4 lag die Arsenkonzentration unter der Nachweisgrenze von 10 µg/ l. Gemäß der VwV Baden-Württemberg [U2] legen die festgestellten Arsengehalte im Feststoff (Bodenart „Lehm/ Schluff“) die Einstufung in den Zuordnungsklassen Z0 (≤ 15 mg/ kg) bis Z2 (≤150 mg/ kg) und die Eluatwerte die Z0 (< 14 µg/ l) nahe. In den Talkiesen wurden im Feststoff Arsenkonzentrationen im Bereich von 3,5÷6 mg/ kg und im Eluat solche von < 10 µg/ l ermittelt. Die Talkiese (Bodenart „Sand“) sind generell in die Zuordnungsklasse Z0 zu stellen. Eine Entsorgung der über dem Talkies lagernden gering tragfähigen organischen Deckschichten kam aus ökologischen und wirtschaftlichen Gründen nicht in Frage. Es wurden Verwertungswege im Zuge von Geländemodellierungen, aber auch zur Stabilisierung mit hydraulisch wirkenden Mischbindemitteln im Erweiterungsbereich entwickelt. Dabei ist behördlich ausdrücklich genehmigt worden, dass in die Stabilisierungsmaßnahmen bei Überschuss auch Oberboden mit verwertet werden darf. 2. Bodenmechanische Laboruntersuchungen Es wurden umfangreiche klassifizierende Untersuchungen sowohl an den organischen Deckschichten als auch an den Talkiesen vorgenommen. In Abb. 1 sind typische Korngrößenverteilungen der untersuchten Erdstoffe dargestellt. Tabelle 1 enthält die mittleren Werte für den natürlichen Wassergehalt und für den organischen Anteil, ausgedrückt als Glühverlust. Ein Großteil des Oberbodens kann im Bereich des Industriegebietes verwertet werden. Für die weiteren organischen Deckschichten kommen ohne stabilisierende Zusatzmaßnahmen Geländeaufhöhungen außerhalb von geplanten Bauwerken in Betracht. 284 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Stabilisierung von organischen, arsenbelasteten Erdstoffen zur bautechnischen Verwertung Abb. 1: Charakteristische Korngrößenverteilungen der Deckschichten und des Talkieses Tab. 1: Spannen der Wassergehalte und des Glühverlusts der Deckschichten. Oberboden Aueablagerungen Anmorr Wassergehalt M.-% 25 ÷ >40 23 ÷ >35 40 ÷ >50 Glühverlust M.-% > 10 <5 ÷ 10 10 ÷ >15 Dort, wo Tragfähigkeitsanforderungen an den Untergrund gestellt werden (Verkehrswegebau, Unterbau von Hallentragwerken o.Ä.), sollten die bindigen organischen Erdstoffe alternativ zu einem Bodenersatz mit Kies/ Sand durch Zugabe von hydraulisch wirksamem Mischbindemittel ertüchtigt werden. Ziel der Untersuchungen war, die feinkörnigen, teils stark organischen Erdstoffe (Oberboden, Aueablagerungen und Anmoor; alles Erdstoffe mit geogener Arsenbelastung) derart zu verfestigen, dass diese in ihrem Verformungsverhalten mit einer verdichtet eingebauten Kiestragschicht (Bodengruppe GW gemäß DIN 18196, Verdichtungsgrad DPr 100 %) vergleichbar sind. Gemäß ZTV E-StB 17 [U1] sind die Anforderungswerte im statischen Plattendruckversuch für eine mit 100 % der einfachen Proctordichte eingebaute Kiestragschicht wie folgt: Ev2 ≥ 100 MN/ m²; Ev2/ Ev1 ≤ 2,3; Ev1 ≥ 43,5 MN/ m². Zur Festlegung von Dosierung und Mischbindemittelart wurden zunächst kleinmaßstäbliche Laborversuche ausgeführt. In diesem Zusammenhang wurden die Angaben in [U3] bis [U5] berücksichtigt. Es wurden aus den bindigen Erdstoffen, teils mit Zugabe von Talkies, drei Grundmischungen MI, MII und MIII entwickelt. MI: je zur Hälfte Oberboden und Aueablagerungen MII: je zu einem Drittel Oberboden, Aueablagerungen und Anmoor MIII: 20 % Oberboden / 20 % Aueablagerungen / 20 % Anmoor / 40 % Talkies Die Angaben beziehen sich auf Vol.-%. Als Bindemittel wurden zwei unterschiedliche Bodenbinder der Fa. Schenk, Ulm, eingesetzt: B500 (50 M.-% Kalk / 50 M.-% Zement), B300 ( 30 M.-% Kalk / 70 M.-% Zement), Dosierung des Bindemittels: 6, 9 und 12 M.-%. Es wurden Versuchszylinder zur Festigkeitsprüfung nach Proctor hergestellt. Die Probenzylinder wurden vor der Druckfestigkeitsprüfung für sieben und 28 Tage im Feuchtraum gelagert. Weitere Proben wurden für sechs und 27 Tage ebenfalls im Feuchtraum und danach über 24 Stunden im Wasserbad gelagert. In Abb. 2 sind einige Ergebnisse der Druckfestigkeitsuntersuchungen zusammengestellt. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 285 Stabilisierung von organischen, arsenbelasteten Erdstoffen zur bautechnischen Verwertung Abb. 2: Ergebnisse zu den einaxialen Druckprüfungen an bindemittelstabilisierten Erdstoffen. Mischung II, Bindemittelzugabe 9 M.-%, Bodenbinder 300. MW: Mittelwert; WL: Wasserlagerung. Ergebnisse aus den Laboruntersuchungen • Bindemittel mit 30 M.-% Kalk und 70 M.-% Zement (z.B. DOROSOL C30 oder Bodenbinder B300) bringt im Vergleich zu einer höheren Kalkdosierung bessere Festigkeitseigenschaften. • Alle Mischungen lassen sich stabilisieren. • Je nach dem Ausgangswassergehalt des Grundgemischs muss Wasser zugegeben werden. • Die Bindemittelzugabe (deutliche Erhöhung des pH- Werts) führt nicht zu einer Erhöhung des Arsenaustrags. 3. Felduntersuchungen Basierend auf den Erkenntnissen der Laboruntersuchungen wurden großmaßstäbliche Feldversuche ausgeführt. Es wurde ein 40 m x 50 m großes Versuchsfeld in einem Bereich mit möglichst geringer Mächtigkeit der bindigen Deckschichten angelegt. Zunächst wurde der Oberboden abgeschoben und seitlich auf Miete gelagert. Die unter dem Oberboden vorhandenen bindigen Deckschichten wurden bis in den Übergang zum Talkies ebenfalls ausgebaut und seitlich gelagert,. Der freigelegte Kieshorizont wurde nachverdichtet, und darauf wurden die drei o.g. Grundmischungen aufgebaut. Kurzfristig wurde ein zusätzliches Probefeld mit der Grundmischung MIV, bestehend aus gleichen Anteilen Oberboden und Verwitterungskies, aufgebaut. Jedes Probefeld besaß eine Gesamtbreite von 7,5 m und wurde in drei Streifen zu je 2,5 m unterteilt. In diese Streifen wurde Bindemittel mit 6, 9 bzw. 12 M.-% eingearbeitet; anschließend wurde verdichtet. Grundlage zur für die Ermittlung der Ausstreumenge waren eine geplante Einbaustärke von 0,5 m (entsprechend der Wirktiefe einer leistungsfähigen Bodenfräse) und eine mittlere Trockendichte von 1,6 g/ cm³. In Abb. 3 sind die wesentlichen Arbeitsgänge wie Bindemitteldosierung mit einem Streufahrzeug, Homogenisierung mit einer großen Bodenfräse und Vorverdichtung sowie Einebnung mit einer Planierraupe dargestellt. Abb. 3: Arbeitsgänge mit Streuen, Fräsen und Planieren auf einem Testfeld. In Abb. 4 ist das Testfeld mit den unterschiedlichen Grundgemischen und den varierenden Bindemitteldosierungen in einem Übersichtsplan dargestellt. Abb. 4. Probefeld mit den Grundmischungen MI, MII, MIII und MIV sowie streifenweise unterschiedlicher Bindemitteldosierung. Aus den einzelnen Probefeld- und Streifenbereichen wurden nach dem Fräsvorgang Proben entnommen, und im Feldlabor wurden mit Proctorenergie jeweils mehrere Probenzylinder hergestellt. Ein Teil der Proben wurde im Feuchtraum über 28 Tage gelagert. Ein anderer Teil wurde nach der Feuchtraumlagerung einen Tag unter Wasser gelagert. An den Proben wurde die einaxiale Druckfestigkeit bestimmt. Beispielhaft sind in Abb. 5 die Ergebnisse einaxialer Druckversuche aus dem Probefeld MII mit 6 bzw. 9 M.-% Zugabe an Bindemittel bestehend aus 30 M.-% Kalk und 70 M.-% Zement dargestellt. 286 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Stabilisierung von organischen, arsenbelasteten Erdstoffen zur bautechnischen Verwertung Abb. 5: Ergebnisse zu den einaxialen Druckfestigkeitsprüfungen an Probenkörpern aus dem Probefeld, Mischung MII. Die Ergebnisse zu den Druckfestigkeiten in den Abbildungen 2 (Labomischung) und 5 (Feldmischung) beziehen sich auf die Mischung MII. Beim Vergleich der Ergebnisse kann festgestellt werden, dass die Festigkeitswerte der Proben die gleiche Größenordnung erreichen und die Ergebnisse aus dem Probefeld über denjenigen der Laborproben liegen. Auf den Probefeldern wurden u.a. statische Plattendruckversuche nach DIN 18134 ausgeführt. Die Prüfungen wurden nach einer Liegezeit der Felder von einer und von vier Wochen ausgeführt. Ein Teil der Versuchsergebnisse ist in Abb. 6 dargestellt. Abb. 6: Ergebnisse der Erstbelastung Ev1 von statischen Plattendruckversuchen auf den Probefeldern mit unterschiedlicher Liegezeit. Die Vorgabe einer Druckfestigkeit bei der Erstbelastung von Ev1 ≥ 43,5 MN/ m² wure bei einer Bindemittelzugabe von 9 M-% (Bindemittelmenge: 72 kg/ m²) bei allen Prüfungen erfüllt.Auch die Verhältniswerte Ev2/ Ev1 lagen bei allen Prüfungen teils deutlich über dem höchst zulässigen Wert von 2,3. 4. Erkenntnisse aus den Untersuchungen Folgende wesentlichen Aspekte waren unabhängig von der gewählten Grundmischung für weitere Planungen zur Stabilisierung zu berücksichtigen: Bindemittel Es ist ein Mischbindemittel aus 30 % Kalk und 70 % Zement, z.B. Dorosol C30 der Fa. Georock, Dotternhausen, oder Bodenbinder B300 der Fa. Schwenk, Ulm, einzusetzen. Bindemitteldosierung Die Dosierung ist mit 9 Massen-%, bezogen auf eine Trockendichte von durchschnittlich 1,55 t/ m³ des verdichteten Erdstoffgemischs, vorzunehmen. Arbeitsweise Um sicherzustellen, dass im Untergrund im Übergang zum Talkies keine gering tragfähigen Bereiche verbleiben, sind die Deckschichten zunächst auszubauen und anschließend lagenweise mit Bindemittelstabilisierung wieder einzubauen. Fräsübergänge Es sind mndestens drei Übergänge zur Erlangung ausreichender Homogenität und guter Krümelstruktur auszuführen. Literatur [U1] ZTV E-StB 17; Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Erdarbeiten im Straßenbau, Nr. 599, Ausgabe 2017, FGSV-Verlag, Köln [U2] Umweltministerium Baden-Württemberg: Verwaltungsvorschrift für die Verwertung von als Abfall eingestuftem Bodenmaterial (VwV); 14.03.2007 - Az.: 25-8980.08M20 Land/ 3 [U3] Merkblatt über die Behandlung von Böden und Baustoffen mit Bindemitteln zur Reduzierung der Eluierbarkeit umweltrelevanter Inhaltsstoffe,FGSV-Verlag, Heft Nr. 560, Köln 2009 [U4] Merkblatt zur Herstellung, Wirkungsweise und Anwendung von Mischbindemitteln, FGSV-Verlag, Heft Nr. 564, Köln 2012 [U5] Merkblatt über Bauweisen für technische Sicherungsmaßnahmen beim Einsatz von Böden und Baustoffen mit umweltrelevanten Inhaltsstoffen im Erdbau (MTSE), FGSV-Verlag, Köln 2009 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 287 Lastaufteilung in Lastverteilungsschichten über Stabilisierungssäulen M.Eng. Florian Spirkl Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg, Regensburg Prof. Dr.-Ing. Thomas Neidhart Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg, Regensburg Zusammenfassung Stabilisierungssäulen mit darüberliegender Lastverteilungsschicht stellen eine wirtschaftliche, technisch sichere Alternative zur klassischen Tiefgründungen dar. Dabei ist eine möglichst genaue Kenntnis über die Aufteilung der Lasten zwischen Säulen und Weichschicht erforderlich. Für die Quantifizierung der Lastverteilung wurden schon eine Vielzahl an Berechnungsansätze entwickelt. Zunächst wird eine Auswahl an Ansätzen vorgestellt, die eine direkte Berechnung der Lastumlagerung ermöglichen. Diese Berechnungsansätze werden anhand der zu Grunde liegenden Modelle und Randbedingungen sowie der prognostizierten Lastumlagerung verglichen. Anschließend werden die direkten Ansätze mit Berechnungen der Last-Transfer-Methode und der Finite-Element-Methode verglichen. Abschließend wird detailliert auf die FE-Berechnungen, insbesondere die Lastumlagerung für Lastverteilungsschichten geringer Mächtigkeiten, eingegangen. Dabei konnte eine sehr gute Übereinstimmung des vorgestellten Ansatzes mit den Ergebnissen der Finite-Element-Methode erzielt werden. 1. Einführung Die Erschließung von Neubauflächen auf Weichschichten, steigende Bauwerkslasten und strengere Anforderungen an Setzungen und Setzungsdifferenzen führen zu einem steigenden Bedarf an Tiefgründungsmaßnahmen. Neben den klassischen Pfahlgründungen und den kombinierten Pfahl-Plattengründungen kommen dabei immer häufiger Baugrundverbesserungen mit pfahlartigen Tragelementen bzw. unbewehrte Stabilisierungssäulen (StS) zum Einsatz. Bei diesem Gründungstyp werden die Lasten aus dem Fundament meist mit Hilfe einer Lastverteilungsschicht (LVS) auf die Tragelemente und die dazwischenliegende Weichschicht (WS) verteilt. Abbildung 1: Gründungsvarianten nach Moormann, Buhmann [1] Die LVS kann dabei aus ungebundenen (granularem) oder aus (hydraulisch) gebundenem Bodenmaterialien bestehen, unbewehrt oder mit Stahl bzw. Geogitter bewehrt ausgeführt werden [1]. Unter dem Begriff Stabilisierungssäulen können Trockenmörtelsäulen, Nassmörtelsäulen, hydraulisch gebundenen Stopfsäulen und Bodenmischsäulen zusammengefasst werden [2]. Essenziell für eine technisch und wirtschaftlich optimale Lösung ist bei dieser Gründungsvariante eine möglichst genaue Kenntnis über die Lastaufteilung zwischen StS und WS. Aus diesem Grund wurden im Laufe der letzten Jahrzehnte eine Vielzahl an Versuchen zu dieser Thematik durchgeführt und unterschiedlichste Berechnungsansätze entwickelt. 2. Möglichkeiten zur Ermittlung der Lastaufteilung in der LVS auf StS Die Ansätze zur Berechnung der Lastaufteilung in der LVS auf StS können in 2 Gruppen unterschieden werden, je nachdem ob die Parameter der WS in die Ermittlung der Lastaufteilung einfließen oder nicht. Ansätze, bei denen die Eigenschaft der WS keinen Einfluss haben, können weiterhin unterteilt werden, ob und an welchen Stellen das Bruchkriterium nach Mohr-Coulomb berücksichtigt wird, oder welche Form der Lastumlagerung angenommen wird (Abb. 2). Wird die Kompressibilität 288 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Lastaufteilung in Lastverteilungsschichten über Stabilisierungssäulen der WS vernachlässigt, kann die Lastumlagerung in der Regel mit Hilfe geschlossener Formeln direkt ermittelt werden. Die Lastumlagerung ist dann nur abhängig von der Geometrie und der LVS. Die Komplexität der Ansätze unterscheidet sich dabei zum Teil stark. Sollen die Kompressibilität der WS bei der Ermittlung der Lastumlagerung berücksichtigt werden, dann geschieht dies mit Hilfe von iterativen Lösungen oder FE-Berechnungen. Neben den im Folgenden vorgestellten Ansätzen gibt es noch eine Vielzahl weiterer Ansätze, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch nicht berücksichtigt wurden. Abbildung 2: Beispiele für gewölbeförmige (links) und kegelförmige Lastumlagerung (rechts) Im Folgenden werden nur Ansätze für den räumlichen Fall (3D) betrachtet (Abb. 3). Die Ermittlung der Lastumlagerung in der LVS auf StS im zweidimensionalen Fall (2D) ist eine Vereinfachung, die in der Praxis selten auftritt. Vereinfachend wird im Folgenden immer ein quadratisches Raster und ein quadratischer Querschnitt der StS angenommen. Für Ansätze, die eine Rotationssymmetrie voraussetzen, werden diese Quadrate in flächengleiche Kreise umgerechnet. Es wird außerdem nur der unbewehrte Fall betrachtet, d.h. LVS auf StS ohne Geogitter. Die Herleitung und Formeln für die Ermittlung der Lastumlagerung können den jeweiligen Veröffentlichungen entnommen werden. Abbildung 3: Dreidimensionales Säulenmodell mit verwendeten Abkürzungen 2.1 Direkte Berechnungsansätze Zu den frühesten direkten 3D-Berechnungsansätzen gehört das Modell der Gewölbeschale nach Hewlett & Randolph [3]. Die Höhe der kugelförmigen Schale ist abhängig von Abstand (s) und Abmessung der StS (a). Über- und unterhalb dieser Schale wird eine lineare Spannungszunahme in der LVS angenommen. Eine Gewölbebildung kann erst auftreten, wenn die Dicke der LVS (dLVS) größer ist als s/ 2. Die Lastumlagerung wird durch Betrachtung des Bruchkriteriums an einem Element im Scheitelpunkt und im Auflager des Gewölbes ermittelt. In der Literatur finden sich voneinander abweichende Angaben zur Berechnung der Lastumlagerung im Gewölbescheitel. Dies kann vermutlich auf einen Schreibfehler in [3] zurückgeführt werden. In vorliegender Arbeit wird für die Lastumlagerung im Gewölbescheitel folgende Formel verwendet: (1) Für die Berechnung der Lastumlagerung im Auflager wird in der Literatur die Formel übereinstimmend mit [3] verwendet, weshalb diese in vorliegender Arbeit ebenfalls verwendet wird. Zaeske [4] und Van Eekelen [5] erweitern das einschalige zu einem mehrschaligen Gewölbemodell, wobei bei beiden die Lastumlagerung nur noch durch ein Bruchkriterium im Gewölbescheitel ermittelt wird. Im Zuge dieser Erweiterung entfällt das Kriterium einer Mindestdicke für die LVS, da auch für geringere Dicken eine Lastumlagerung berücksichtigt werden kann. Es kann ab einer Grenzhöhe hGrenz = sd/ 2 von einer abgeschlossenen Gewölbebildung ausgegangen werden. Das mehrschalige Gewölbemodell von Zaeske wurde in EBGEO [6] übernommen, das Modell von Van Eekelen in den niederländischen Empfehlungen zur Berechnung von pfahlgegründeten Dämmen und Böschungen CUR226 [7]. Der Ansatz von Jones et al [8] basiert im weiteren Sinne auf dem Modell der Spannungen über Rohre von Marston & Anderson [9]. Bei der Erweiterung dieses Ansatzes für den 3D-Fall wird die Gleichung einseitig quadriert. Außerdem wird die Variable zur Berücksichtigung des Bruchkriteriums ersetzt durch eine Formel in Abhängigkeit von a, s und davon, ob die StS schwimmend oder als Spitzendrucksäule ausgeführt werden. Bei diesem Ansatz wird keine abgeschlossene Gewölbebildung berücksichtigt. Da dies jedoch im Widerspruch zu den in Versuchen beobachteten Verhalten steht, wird eine empirische Grenzhöhe in Abhängigkeit von s definiert, ab der die Gewölbebildung abgeschlossen ist. Da auf der sicheren Seite liegend die Spannung auf der WS in diesem Ansatz gleich Null gesetzt wird, muss die restliche Last mittels Geogitter auf die Säulen übertragen werden. Dieser Ansatz zur Ermittlung der Lastumlagerung wird im britischen Standard BS8006 [10] empfohlen. Der 2D-„Trap-Door“-Ansatz von Terzaghi [11] wurde durch Russell et al [12] bzw. Heitz [13] ins dreidimensionale erweitert, wobei letzterer sich zusätzlich mit nichtruhenden Beanspruchungen beschäftigt hat. Eine Besonderheit dieser Ansätze ist die Berücksichtigung 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 289 Lastaufteilung in Lastverteilungsschichten über Stabilisierungssäulen einer eventuell vorhandenen Kohäsion in der LVS. Beim Ansatz nach Russell et al steigt mit zunehmendem dLVS die Lastumlagerung immer weiter an, während Heitz für den Fall dynamischer Belastungen zwei Vorgehen zur Begrenzung der Lastumlagerung definiert. Svanø et al / SINTEF [14] verwenden den 2D-Ansatz der Kegelbildung über den Säulenköpfen nach Carlson, betrachten jedoch den 3D-Fall. Das Modell der Kegelbildung entspricht dabei prinzipiell einem Durchstanznachweis. Nach SINTEF wird ein Winkel von ca. 70° - 75° für die Kegelausbildung angenommen, wobei der genaue Winkel anhand von Versuchen zu kalibrieren ist. Durch diese Vorgehensweise wird die Lastumlagerung zu einem geometrischen Problem ohne Berücksichtigung von Bruch- oder Grenzkriterien reduziert. In Abhängigkeit von a, s und dem Winkel der Kegelausbildung kann eine Grenzhöhe berechnet werden, ab der die Spannung auf der WS nicht weiter zu nimmt und jede weitere Last vollständig auf die StS übertragen wird. Der letzte direkte Berechnungsansatz, der an dieser Stelle berücksichtigt wird, ist das Modell der fiktiven Säule in der LVS nach Combarieu, welches in ASIRI [15] beschrieben wird und darin als Grundlage für die weiterführenden Berechnungen dient. Bei diesem wird die Lastumlagerung analog einer Pfahlbemessung ermittelt, indem die StS fiktiv in die LVS verlängert wird. An dieser fiktiven Säule treten negative Mantelreibungen auf, die über einen Koeffizienten in Abhängigkeit von Erddruckbeiwert und Erddruckneigungswinkel abgeschätzt werden. Von den hier vorgestellten direkten Berechnungsansätzen basiert nur der Ansatz von Combarieu auf einer rotationssymmetrische Einheitszelle. Wie bei dem Ansatz von Jones et al wird eine Grenzdicke der LVS in Abhängigkeit von a und s über eine empirische Formel berücksichtigt. Zusätzlich werden in ASIRI 2 Versagensmechanismen als Grenzwert der Lastumlagerung empfohlen. Dabei handelt es sich um die Nachweise gegen Grundbruch und Durchstanzen in der LVS, wobei der Säulenkopf als Fundamentunterseite zu betrachten ist (Abb. 4). Abbildung 4: Versagensmechanismen Grundbruch und Durchstanzen in der LVS nach [14] Die Neigung des Kegels zur Ermittlung der Grenzlastumlagerung über den Nachweis gegen Durchstanzen der LVS kann über den Reibungswinkel der LVS beschrieben werden (Abb. 4, rechts). Die Eigenschaften der WS sind für diesen Nachweis nicht relevant. Für den Nachweis gegen Grundbruch kann z.B. der Ansatz nach Prandtl mit aktiver (I), passiver (III) und dazwischenliegender Prandtl-Zone (II) angewendet werden (Abb. 4, links). Der Grundbruchwiderstand resultiert aus den 3 Teilfaktoren Fundamentbreite bzw. Gewichtskraft, Gründungstiefe bzw. Vorbelastung und Kohäsion. Da die Grundbruchfigur um 180° gedreht ist, wird der Grundbruchwiderstand durch den Einfluss der Gewichtskraft reduziert statt erhöht. Die einzelnen Beiwerte können wie beim klassischen Grundbruchnachweis z.B. nach EC 7-1 [16] ermittelt werden. Damit der klassische Grundbruchwiderstand angesetzt werden kann, muss dLVS größer als hGB und s größer als 2∙lGB sein. Sind diese Bedingungen nicht eingehalten, ergeben sich daraus nach ASIRI eine Erhöhung des Grundbruchwiderstands, welche auf der sicheren Seite liegend vernachlässigt werden kann. Das Auftreten der Grundbruchfigur in der LVS haben z.B. die FE-Berechnungen von Tinat et al [17] gezeigt. 2.2 Berechnung mittels Last-Transfer-Methode in Anlehnung an ASIRI Die Last-Transfer-Methode (LTM) nach Bohn, Vogt [18] basiert auf der Betrachtung des Kräftegleichgewichts in einer Einheitszelle unter Berücksichtigung der Widerstands-Setzungs-Linien von pfahlartigen Tragelementen. Über Angaben zum Fundamenttyp (starr, schlaff), E-Modul der StS, Steifemodul der WS, Flächenanteile und Grenzwerte der Mantelreibung (qs,lim) und Spitzenwiderstand (qb,lim) kann mittels Iteration die Lastaufteilung berechnet werden. Die Werte qs,lim und qb,lim der StS haben einen großen Einfluss auf die Berechnung, die genaue Ermittlung dieser ist jedoch schwierig. In Deutschland sind in der EA Pfähle [19] für verschiedene Pfahltypen in Abhängigkeit des anstehenden Bodens Bruchwerte aufgeführt. Eine Anwendung dieser auf StS ist in den EA Pfähle jedoch explizit ausgeschlossen. Ein großer Vorteil der LTM ist die Berücksichtigung der Weichschicht bei der Ermittlung der Lastumlagerung über qs,lim und qb,lim. Im Zuge der Ermittlung der Lastaufteilung wird zusätzlich die resultierende Setzung der StS und der WS berechnet. Das Vorgehen der LTM entspricht dabei dem zu Grunde liegenden Modell der weiterführenden Bemessungsmethoden von StS nach ASIRI. 290 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Lastaufteilung in Lastverteilungsschichten über Stabilisierungssäulen 2.3 Finite-Elemente-Berechnung mit PLAXIS 2D Die in dieser Arbeit vorgestellten Ansätze werden zusätzlich mit FE-Berechnungen verglichen. Hierfür wird mit PLA- XIS 2D eine rotationssymmetrische Einheitszelle mit runder StS erstellt. Das Modell wird dabei möglichst einfach gehalten, es wird daher nur mit einer einzigen homogenen WS gerechnet. Die darunterliegende tragfähige Schicht wird, ebenfalls wie die StS, im Vergleich zur WS als nahezu unendlich steif angesetzt. Die FE-Berechnungen werden für verschiedene Säulenabstände, Säulenabmessungen, dLVS und für zwei verschiedene Weichschichten durchgeführt. Abbildung 5: Darstellung der Einheitszelle mit verwendetem FE-Netz Die Auswertung der Berechnungen erfolgt an einem horizontalen Interface auf Höhe des Säulenkopfes. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die an dem Interface ermittelten Spannungen nicht einfach gemittelt werden dürfen, da es sich um ein rotationssymmetrisches Problem handelt und PLAXIS 2D als Ergebnis die Spannungen auf dem Interface angibt. Durch die Rotation müssen die Spannungen unter Berücksichtigung des Abstands zur Rotationsachse aufsummiert werden (Abb. 6). Abbildung 6: Spannungen am Interface aus PLAXIS 2D und rotationssymmetrische Interpretation der Ergebnisse am Beispiel des 4. Abschnitts Für die Auswertung werden die auf das Interface wirkenden Spannungen in konstante Spannungsblöcke (Rechtecke) und Spannungsdifferenzen (Dreiecke) zerlegt und anschließend über Kreisintegrale die resultierende Kraft berechnet. In Abb. 6 rechts ist dies beispielhaft für den 4. Abschnitt des Interfaces dargestellt, für andere Abschnitte wird analog vorgegangen. Mit Hilfe des Integrals (2) kann die Kraft resultierend aus einer über den Radius konstanten Spannung berechnet werden. Das Integral (3) dient zur Berechnung der Kraft resultierend aus einer Spannungsdifferenz. Bei der hier angewendeten Auswertung kann das Ergebnis des Integrals (3) auch negativ werden. Die Lösung und Addition von (2) und (3) über das gesamte Interface ergibt die auf der Einheitszelle wirkenden Kraft. Vereinfacht ergibt sich diese zu (4). Zur Kontrolle sollte das Ergebnis aus (4) mit der Vertikalkraft (5) resultierend aus dem Eigengewicht der LVS und einer eventuell vorhandenen Verkehrslast verglichen werden. (2) (3) (4) (5) Die auf der StS wirkende mittlere Spannung kann schließlich mit Formel (6) berechnet werden. FI,StS ergibt sich aus der Lösung und Addition der Integralen (2) und (3) für den Bereich des Interfaces über der StS. Die mittlere Spannung auf der WS kann analog berechnet werden. (6) Im Vergleich zum klassischem Mittelwert ergibt sich bei den hier durchgeführten Berechnungen ein Unterschied von bis zu 15% für die resultierende mittlere Spannung. Betrachtet man anstatt der Spannung die Setzung, so kann hierfür ebenfalls mit Hilfe der Integrale (2) und (3) gerechnet werden. Als Ergebnis ergibt sich dann keine Kraft, sondern das durch Setzung „verlorene“ Volumen in der Einheitszelle. Geteilt durch die Fläche resultiert hieraus die mittlere Setzung der Säule bzw. der Weichschicht. 3. Grundlagen der Parameterstudie 3.1 Vergleichsparameter Um die einzelnen Berechnungsansätze miteinander vergleichen zu können, wurden im Laufe der Zeit verschiedene Parameter entwickelt, mit denen die Lastumlagerung quantifiziert wird. Eine Auswahl der in der Literatur verwendeter Parameter kann [20] entnommen werden. In folgender Parameterstudie werden die bezogenen Parameter nach [21] verwendet, da mit Hilfe dieser die Lastumlagerung sehr gut in Relation zur einwirkenden Spannung beurteilt werden kann und auch die Variation verschiedener Parameter in einem Diagramm dargestellt werden können. Für die bezogenen Parameter wird für 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 291 Lastaufteilung in Lastverteilungsschichten über Stabilisierungssäulen die X-Achse Formel (7) und für die Y-Achse Formel (8) verwendet. (7) (8) 3.2 Vergleich ausgewählter Randbedingungen der direkten Berechnungsansätze Bevor die ermittelten Lastumlagerungen der einzelnen Ansätze miteinander verglichen werden, erfolgt zunächst der Vergleich einiger Eingangsparameter und Randbedingungen, die für die direkten Berechnungsansätze aus Kap. 2.2 gelten (Tab. 1). Tabelle 1: Vergleich der Randbedingungen der direkten Berechnungsansätze 3D-Modelle Scherparameter Bruchkriterium Grenz-/ Mindesthöhe Verkehrslast Hewlett & Randolph φ ✓ hmin ✓ Jones et al (BS8006) ─ X (hGr.,vollk.) ✓ Russell et al φ, c ✓ ─ ✓ Svanø et al / SINTEF (β) ─ hGr.,vollk. ✓ Zaeske (EBGEO) φ ✓ hGrenz (✓) Combarieu (ASIRI) (λ) ─ (hGrenz) ✓ Van Eekelen φ ✓ hGrenz (✓) Bei den Ansätzen von Svanø et al und Combarieu werden keine klassischen Scherparameter verwendet. Über die Parameter β bzw. λ erfolgt aber eine teilweise Berücksichtigung der Eigenschaften der LVS. Das Bruchkriterium nach Mohr-Coulomb wird bei den meisten Ansätzen in der LVS angesetzt. Einzig der Ansatz von Jones et al berücksichtigt weder die Scherparameter der LVS noch wird ein Bruchkriterium zu Grunde gelegt, die Lastumlagerung hängt nur von der Geometrie und der Säulenart ab. Bei der Gewölbehöhe gibt es die mit die größten Unterschiede zwischen den Ansätzen. Hewlett & Randolph setzen eine Mindestdicke der LVS voraus. Für die Ausbildung der Grundbruchfigur ist theoretisch ebenfalls eine Mindestdicke erforderlich. Nach ASIRI handelt es sich dabei jedoch um eine Grenzhöhe des Gewölbes. Zusätzlich gibt es beim Grundbruch auch eine Anforderung an s. Eine Grenzhöhe, ab der die Gewölbebildung abgeschlossen ist, wird bei den meisten anderen Modellen berücksichtigt, wobei dies bei den Modellen von Jones et al und Combarieu nur über empirische Formeln erfolgt. Die Grenzhöhe kann darüber hinaus weiter unterschieden werden, je nachdem ob nach Erreichen dieser Höhe jede zusätzlich auftretende Last komplett in die StS übertragen wird (vollkommene Gewölbebildung), oder nur die Aufteilung der Last zwischen StS und WS gleichbleibt (abgeschlossene Gewölbebildung). Einzig das Modell von Russel et al stellt keine Bedingungen an die Gewölbegeometrie. Die Lastumlagerung steigt mit zunehmender dLVS immer weiter an. Ein Vergleich der in den einzelnen Modellen berücksichtigten Gewölbehöhen ist in Abb. 7 dargestellt. Zusätzlich ist dort die empirische Formel von McGuire [22] dargestellt. Abbildung 7: Vergleich der Grenzhöhen der direkten Berechnungsansätze Eine eventuell vorhandene Verkehrslast ist bei den meisten Ansätzen direkt in den zugrundeliegenden Differentialgleichungen berücksichtigt worden. Einzig bei den Ansätzen nach Zaeske und Van Eekelen wird zunächst die Lastumlagerung ohne Verkehrslast ermittelt und die Verkehrslast anschließend entsprechend der ermittelten Lastumlagerung aufgeteilt. Allen bisher vorgestellten Ansätzen ist gemein, dass die Kompressibilität der WS nicht berücksichtigt werden. Das Bruchkriterium wird nur auf die LVS angewendet. Es wird davon ausgegangen, dass die WS die restliche Spannung aufnehmen kann und die Setzung der WS keine Auswirkung auf die Lastumlagerung hat. Um dies zu gewährleisten, werden bei einigen Ansätzen die auf die WS wirkenden Spannungen mit Hilfe von in der LVS liegenden Geogitter auf die StS übertragen, vergleiche z.B. [5]. 3.3 3.3 Abmessungen und Kennwerte In [2] werden die typischen Abmessungen der unter dem Begriff StS zusammengefassten Tragglieder in einem Bereich von 10 - 80 cm angegeben. StS werden meist in Form von „Säulenwälder“ hergestellt, bei denen Effekte 292 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Lastaufteilung in Lastverteilungsschichten über Stabilisierungssäulen der Gruppenwirkung bei der Tragfähigkeit berücksichtigt werden müssen. Gleichzeitig sollte ein Mindestabstand der StS untereinander gewährleistet werden, da ansonsten im Zuge der Herstellung benachbarter StS Schäden an den Traggliedern auftreten können. Die LVS wird ausgehend von der in Abb. 7 dargestellten Grenzhöhen bis zu einer Höhe von 7,5 m gerechnet. Abhängig von den gewählten Parametern reicht dies in der Regel aus, um bei jedem Ansatz die jeweilige Grenzhöhe zu erreichen. Tabelle 2: Zusammenstellung der berücksichtigten geometrischen Abmessungen [m] Min. Max. a 0,0 1,0 s a 10,0 d LVS 0,0 7,5 Für die LVS werden typische Werte eines granularen kohäsionslosen Bodens angenommen. Außerdem werden zwei geringtragfähige Bodenschichten definiert, die bei der Ermittlung der Lastumlagerung mittels LTM bzw. FEM berücksichtigt werden sollen. Tabelle 3: Gewählte bodenmechanische Kennwerte LVS WS 1 WS 2 StS Stoffgesetz MC MC MC L-E γk/ γ’k [kN/ m³] 19 / 9 17 / 7 15 / 5 24 φ‘ [°] 37,5 25,0 15,0 ─ c‘ [kPa] (0,1) 20,0 5,0 ─ EOed [MPa] 80,0 10,0 2,5 108 K0 [-] 0,391 0,577 0,741 ─ ν [-] 0,281 0,366 0,426 0,0 ψ [°] 7,5 0,0 0,0 ─ Rinter [-] 1,0 1,0 1,0 1,0 Für die Berechnung mittels LTM werden zusätzlich qs,lim und qb,lim benötigt. Diese werden, um einen Vergleich der Ergebnisse zu ermöglichen, für den fiktiven Baugrund nach EA Pfähle ermittelt. Der Reibungswinkel der LVS wird zunächst mit Hilfe der im EC 7-2 [23] gegebenen Formel in einen Spitzenwiderstand der Drucksonde umgerechnet. Anschließend kann mit Hilfe der Tabellen aus EA Pfähle qs,lim und qb,lim ermittelt werden, wobei hier die unteren charakteristischen Bruchwerte eines Bohrpfahls verwendet werden. Die Kohäsion der beiden Weichschichten ist geringer als die in EA Pfähle angegebenen Bereiche. Eine Ermittlung der Grenzwerte darf dann nur unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen. Für die folgenden Berechnungen am fiktiven Baugrund wird dennoch dieses Vorgehen gewählt, da ansonsten die LTM nicht vergleichbar durchgeführt werden kann. 4. Parameterstudie zur dreidimensionalen Lastumlagerung in LVS über StS Für die folgende Parameterstudie wird die Lastumlagerung für eine unbewehrte LVS ermittelt. Dabei werden zunächst die direkten Berechnungsansätze miteinander verglichen, anschließend werden die Ergebnisse der LTM und der FE-Berechnung mit einbezogen und abschließend detaillierter auf die FE-Berechnung eingegangen. Die hier vorgestellten Ergebnisse bei Variation von dLVS sind Auszüge einer umfangreichere Parameterstudie. Die Variation anderer Randbedingungen sowie eine ausführlichere Diskussion der Ergebnisse können [24] entnommen werden. 4.1 Vergleich der direkten Berechnungsansätze Zunächst werden die in Kapitel 2.1 vorgestellten Berechnungsansätze miteinander verglichen, da bei diesen nur die Geometrie und die Scherparameter der LVS berücksichtigt werden. Bei einem Teil der Ansätze werden weitere Parameter zur Ermittlung der Lastumlagerung benötigt, die in Tab. 4 zusammengestellt sind. Ansätze, die in Tabelle 4 nicht erwähnt sind, bedürfen keiner zusätzlicher Annahmen. Tabelle 4: Getroffene Annahmen für Parameter der Berechnungsansätze Jones et al Russell et al Svanø et al Combarieu Abb. 8 zeigt für das Beispiel variierender dLVS, dass die Ergebnisse der Lastumlagerung der Ansätze einer starken Streuung unterliegen. Am Beispiel der Ansätze Hewlett & Randolph, Zaeske und Van Eekelen zeigt sich, dass Ansätze mit gleichem Grundmodell eine ähnliche Lastumlagerung prognostizieren. Die Knicke im Verlauf der Lastumlagerung einiger Ansätze resultieren aus den Grenzbedingungen für eine abgeschlossene Gewölbebildung. Im Falle von Hewlett & Randolph tritt ein zusätzlicher Knick dort auf, wo die Lastumlagerung resultierend aus dem Versagen im Auflager des Gewölbes maßgeblich wird. Eine abgeschlossene Gewölbebildung ist in Abb. 8 an der Krümmung der einzelnen Linien zu erkennen. Je geringer die Krümmung ist, desto geringer wirkt sich eine zusätzliche Erhöhung der LVS auf die weitere Gewölbebildung aus. Weist die Linie keine Krümmung mehr auf, die Steigung verläuft konstant, ist die Gewölbebildung 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 293 Lastaufteilung in Lastverteilungsschichten über Stabilisierungssäulen abgeschlossen (z.B. Zaeske). Entspricht die Steigung der Linie zusätzlich dem Wert 0, handelt es sich um ein vollkommenes Gewölbe, da jede weitere zusätzliche Last vollständig auf die Säulen umgelagert wird (z.B. Svanø et al). Abbildung 8: Lastumlagerung der direkten Berechnungsansätze bei Variation von dLVS Für die in Abb. 9 dargestellten Ergebnisse wurden neben den direkten Berechnungsansätze die Lastumlagerung mittels dem FE-Programm PLAXIS 2D und der LTM nach Bohn, Vogt in Anlehnung an ASIRI für die beiden in Tab. 3 angegebenen Weichschichten berechnet. Sowohl die Berechnungen mit Plaxis 2D als auch mit der LTM basieren auf rotationssymmetrischen Modellen. Dabei zeigt sich, dass die berechnete Lastumlagerung nach der FEM für geringe Mächtigkeiten der LVS näherungsweise unabhängig von den hier variierten Eigenschaften der (ES, c, φ) Weichschicht ist. Für dickere LVS weicht die Lastumlagerung nach FEM abhängig von den Eigenschaften der WS voneinander ab. Für die hier gewählten Eingangsparameter lässt sich die Lastumlagerung aus der FE-Berechnung für WS 1 gut durch die in ASIRI formulierten Grenzwerte der Lastumlagerung annähern. Für die WS 2, mit im Vergleich schlechteren Eigenschaften, ergibt sich, resultierend aus der geringeren Tragfähigkeit der WS, eine deutlich stärkere Lastumlagerung zur StS hin. Der Verlauf lässt sich für geringe Mächtigkeiten der LVS gut durch den Durchstanznachweis annähern, für mächtigere Lastverteilungsschichten prognostiziert keiner der hier vorgestellten Ansätze vergleichbare Lastumlagerungen. Abbildung 9: Lastumlagerung der direkten Berechnungsansätze im Vergleich zu den Berechnungen mit LTM, FEM und Ansatz von Klobe Die Berechnung mittels LTM ergibt bereits für geringe Mächtigkeiten der LVS große Unterschiede der Lastumlagerung in Abhängigkeit der Eigenschaften der WS. Unabhängig von der WS stellt sich ab einer ausreichenden Mächtigkeit der LVS eine vollkommene Gewölbebildung ein. Die Berechnung für die WS 1 liefert Ergebnisse, die sich sehr gut durch eine Kombination des Grundbruchnachweises und der empirischen Grenzhöhe nach Jones et al annähern lässt. Die Ergebnisse für die weniger tragfähige WS 2 spiegeln sich in keinem der hier vorgestellten Berechnungsansätze wider. Der Ansatz von Klobe [25], dessen Ergebnis in Abb. 9 ebenfalls berücksichtigt wird, basiert auf dem Modell gestapelter Gewölbe. Dabei wird die Kompressibilität der WS nur bedingt berücksichtigt. Die entwickelten Gleichungen erlauben die Lösung nach der minimalen Belastung der Weichschicht und dem minimalen Gewölbeschub, wobei in Abb. 9 die minimale Belastung der WS, d.h. die maximale Lastumlagerung nach diesem Ansatz, eingezeichnet ist. Die Berechnung mittels FEM bzw. LTM bietet den Vorteil, dass zusätzlich zur Lastumlagerung die Setzung der StS und der WS inklusive der Berücksichtigung von Mantelreibung in der WS ermittelt wird. Über die Spannung und Setzung kann so eine Aussage über den effektiven Bettungsmodul der WS getroffen werden. Der zu den Lastumlagerungen aus Abb. 9 zugehörige Bettungsmodulverlauf ist in Abb. 10 dargestellt. 294 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Lastaufteilung in Lastverteilungsschichten über Stabilisierungssäulen Abbildung 10: Effektiver Bettungsmodul der Weichschicht zu den Lastumlagerungen aus Abb. 9 Zusätzlich sind in Abb. 10 die Bettungsmoduln für die beiden Weichschichten ohne Verbesserungsmaßnahmen und ohne Berücksichtigung der tiefenabhängigen Veränderung des Steifemoduls in Rot eingezeichnet. Die Ergebnisse der FE-Berechnung zeigen zum einen eine deutliche Erhöhung des effektiven Bettungsmoduls für beide Weichschichten. Zum anderen verläuft effektive Bettungsmodul bis zu einem gewissen d*LVS konstant. Die Berechnung mittels LTM ergibt hierzu stark abweichende Ergebnisse. Für geringe Mächtigkeiten der LVS kommt es zu einem starken Abfall des Bettungsmoduls, ab d*LVS = 2,0 ergibt sich ein näherungsweise konstanter Bettungsmodul für beide Weichschichten. Abbildung 11: Lastumlagerung aller durchgeführter FE-Berechnung Alle in [24] durchgeführte FE-Berechnungen mit PLAXIS 2D sind in Abb. 11 zusammengefasst. Dabei wurde die Lastumlagerung in Abhängigkeit von dLVS für beide WS mit verschiedenen a, s und dWS ermittelt. Es zeigt sich dabei sehr deutlich, dass die Lastumlagerung für LVS mit geringer Mächtigkeiten unter Verwendung der bezogenen Parameter (σ*WS,0 / d*LVS) unabhängig von den variierten Parametern ist. Daraus folgt, dass sich bei gleichbleibenden Eigenschaften der LVS die anfängliche Lastumlagerung nach FE-Berechnungen auf ein geometrisches Problem reduzieren lässt. Für LVS großer Mächtigkeiten jedoch ergeben sich z.T. gravierende Unterschiede in der Lastumlagerung sowohl bei Variation der geometrischen Randbedingungen als auch für unterschiedliche Weichschichten und Weichschichtdicken. Bei genauerer Betrachtung der Abb. 11 fällt weiterhin auf, dass ab einer ausreichenden dLVS jede Linie eine näherungsweise konstante Steigung aufweist. Es gibt bei dieser FE-Berechnung daher eine Grenzhöhe der Gewölbe in Abhängigkeit der hier variierten Parameter. Für die weitere Auswertung wird die Steigung der in Abb. 11 dargestellten Linien untersucht. Diese Steigung ergibt sich gekürzt zu ΔσWS,0/ Δσv,0 und ist für einige ausgewählte Randbedingungen in Abb. 12 dargestellt. Abbildung 12: Steigung ausgewählter Lastumlagerungsverläufe aus Abb. 11 Die Steigung unterscheidet sich dabei von dem zur Beurteilung der Lastumlagerung verwendeten Parameter „Soil Arching Ratio“, teilweise auch „Stress Reduction Ratio“ [21]. Dieser ergibt sich nach Formel (9) und beurteilt die Gesamtlastumlagerung innerhalb von dLVS, während die Ableitung der bezogenen Parameter eine Aussage über die Lastumlagerung einer zusätzlichen Teildicke ΔdLVS gibt. SAR = σWS,0/ σv,0 (9) Die Auswertung der Steigung lässt eine Unterteilung des Lastumlagerungsprozesses in 3 Teilbereiche zu. Im Be- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 295 Lastaufteilung in Lastverteilungsschichten über Stabilisierungssäulen reich [I] ist die Lastumlagerung wie bereits erwähnt unabhängig von der anstehenden WS und reduziert sich für gleichbleibende LVS auf ein geometrisches Problem, bei der dLVS, s und a einen linearen Zusammenhang untereinander aufweisen. Wird sowohl dLVS als auch (s-a) um denselben Faktor verändert, ergibt sich in diesem Bereich die gleiche Lastumlagerung. Der Bereich [II] stellt den Übergang vom geometrischen hin zu einer deutlich komplexeren Fragestellung dar, bei der sowohl die Eigenschaften der WS von Bedeutung sind als auch die geometrischen Randbedingungen keinen linearen Zusammenhang mehr zueinander haben. Die Größe dieses Bereichs ist abhängig von den vorhandenen Randbedingungen, weswegen der Übergang in Abb. 12 nur als gestrichelte Linie grob angenähert wird. Die Berechnung der Lastumlagerung mittels FEM zeigen eine Grenzhöhe, ab der die Gewölbebildung abgeschlossen ist. Dies ist zu erkennen an dem konstanten Verlauf der Linien in Abb. 12. In diesem Bereich [III] ist die Lastumlagerung unabhängig von dLVS, das Verhältnis der Zunahme der Weichschichtspannung zur Zunahme der Vertikalspannung bleibt konstant. Die Randbedingungen des Teilbereichs [I] der Abb. 12 lassen sich am besten mit der Ausbildung eines Kegels über der StS analog zu dem Modell von Svanø et al bzw. dem Durchstanznachweis beschreiben (Abb. 13). Abbildung 13: Ansatz der Lastumlagerung im Teilbereich [I] der Abb. 12 Betrachtet man nur die Aufteilung der Last einer zusätzlichen Lage ΔdLVS der LVS kann nach Aufstellen des Kräftegleichgewichts an einer quadratischen Säule mit quadratischem Raster Gleichung (10) hergeleitet werden . (10) Für eine rotationssymmetrische Einheitszelle kann gezeigt werden, dass Gleichung (10) ebenfalls gilt. Für die Steigung des Kegels wird Gleichung (11) verwendet: (11) Mit Hilfe der Grenzwertbetrachtung für den Fall kann (10) in eine Parabelgleichung vereinfacht werden. Außerdem kann das in Abb. 13 dargestellte System ebenfalls zweidimensional für den Fall einer Streifengründung betrachtet und gelöst werden. Der prognostizierte Verlauf für die Parabelgleichung sowie die Lösungen für die gewählten Geometrien im 2D- und 3D-Fall sind in Abb. 14 dargestellt. Dabei zeigt sich, dass der mit FE- Berechnung ermittelte Verlauf sehr gut durch Gleichung (10) approximiert werden kann. Abhängig von den vorhanden Geometrien liegen die Lastumlagerungen in diesem Bereich, in dem sich noch kein Gewölbe ausbilden kann, im Bereich zwischen der 2D-Lösung und der aus der Grenzbetrachtung entstandenden Parabelfunktion. Abbildung 14: Vergleich von Gleichung (10) mit dem Teilbereich [I] aus Abb. 13 5. Zusammenfassung und Fazit Zunächst wurden einige Ansätze zur direkten Berechnung der Lastumlagerung innerhalb von Lastverteilungsschichten über Stabilisierungssäulen vorgestellt und miteinander verglichen. Diese Ansätze haben gemein, dass die Kompressibilität der Weichschicht vernachlässigt werden und ausschließlich ein Bruchkriterium in der Lastverteilungsschicht berücksichtigt wird. Von der daraus resultierenden Lastaufteilung wird die Annahme getroffen, dass diese durch die Weichschicht und/ oder entsprechende Geogitter aufgenommen werden kann. Die aus den unterschiedlichen Ansätzen errechneten Lastumlagerungen weichen zum Teil stark voneinander ab. Der anschließende Vergleich mit der Last-Transfer- und der Finite-Element-Methode zeigen, dass die Kompressibilität der Weichschicht zum Teil einen großen Einfluss auf die Lastumlagerung haben. Bei Betrachtung der Steigung der ermittelten Lastumlagerungen in Abhängigkeit der Lastverteilungsschichtdicke ergaben sich für die durchgeführten Berechnungen mit gleichbleibenden Eigenschaften der Lastverteilungs- 296 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Lastaufteilung in Lastverteilungsschichten über Stabilisierungssäulen schicht 3 Bereiche. Für geringe Mächtigkeiten der Lastverteilungsschicht ist die Lastumlagerung ein rein geometrisches Problem. Ab einer Mindestdicke bildet sich ein Gewölbe aus. Dieses weist eine Grenzhöhe auf, ab dem keine weitere Lastumlagerung auftritt. Mindestdicke und Grenzhöhe sind dabei nicht nur abhängig von der vorhandenen Geometrie bzw. Säulenanordnung, sondern auch in großem Maße von der Steifigkeit bzw. Kompressibilität anstehenden Weichschicht. Bei den hier durchgeführten Berechnungen wurde die Annahme getroffen, dass die gesamte Dicke der Lastverteilungsschlicht auf einmal aufgebracht wird. In der Realität kommt es vor allem bei hohen Dammschüttungen zu einer lagenweisen Aufbringung. Die Auswirkung hiervon wurde noch nicht weiter untersucht. Neben weiteren Variationsberechnungen wird als nächstes überprüft, ob die Betrachtung der Kompatibilität der Verformungen von Lastverteilungsschicht und Weichschicht eine ähnlich hohe Übereinstimmung der Ergebnisse für den Teilbereich [III] erzielen kann, wie dies mit Hilfe von Gleichung (10) für den Teilbereich [1] erreicht wurde. Literaturverzeichnis [1] Moormann, Ch.; Buhmann, P. (2016): Baugrundverbesserung mit steifen Säulen und pfahlähnlichen Traggliedern - Anforderungen, Bemessung und Anwendungsgrenzen von „Rigid Inclusions“. In: TU Graz (Hg.): Baugrundverbesserung. Entwurf - Ausschreibung - Vertrag - Ausführung. Beiträge zum 31. Christian-Veder-Kolloquium. 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(2007): Piled Embankments: Literature review and required further research using numerical Analysis. Stuttgart (Institutsbericht, 34). [21] Ellis, E.; Aslam, R. (2009): Arching in piled embankments: comparison of centrifuge tests and predictive methods part 1 of 2. In: Ground Engineering 42 (6), S. 34-38. [22] McGuire, M. P. (2011): Critical height and surface deformation of column-supported embankments. Dissertation. Blacksburg, VA. [23] Norm DIN EN 1997-2, 2010-10: DIN EN 1997- 2: 2010-10, Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik - Teil 2: Erkundung und Untersuchung des Baugrunds; Deutsche Fassung EN 1997-2: 2007 + AC: 2010. [24] Spirkl, F. (2021): Vergleichende rechnerische Untersuchungen zur Lastaufteilung und Setzungen von Stabilisierungssäulen mit Lasttransferschichten. Masterarbeit. Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg, Regensburg. Fakultät Bauingenieurwesen. [25] Klobe, B. (2021): The design of plane earthwork structures on pile foundations. In: Geotechnik 44 (1), S. 24-32. Forschung/ Innovation 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 301 Entwicklung eines neuen Verfahrens für eine hohlraumfreie und dynamisch dauerhafte stabile Verfüllung von Bohrlöchern Erfahrungen mit der lagenweisen Verdichtung durch den Einsatz der durch Schubkette angetriebenen Stopfkolbentechnik am Bahn Technologie Campus Havelland und ICE Werk Cottbus Rainer Dallwig Jammy Life GmbH, Kurfürstendamm 11, 10719 Berlin, 172-2856567, rainer@jammy.life, www.jammy.life, www.boroplast.de Invasive Kampfmittelsondierungen können zu einer erheblichen Störung des Baugrundes führen. Dabei ist der Einfluss der Bohrlochverfüllung größer als die Bohrung selbst. Das über Jahre von der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) durchgeführte Untersuchungsprogramm 2014-2020 stellt fest, dass die Störung des Baugrundes maßgeblich von der Bohrlochverfüllung beeinflusst wird, während das Bohrverfahren nur einen zweitrangigen Einfluss hat.[1] Für die Wiederverfüllung des erbohrten Baugrundes werden v.a. quellfähige Tonminerale locker geschüttet oder zementbasierte Suspensionen verpresst. Für die anschließende dynamische Belastung des erbohrten Baugrundes unter Verkehrswegen sind beide Verfahren nicht optimal. Mit dem neu entwickelten Boroplast ® Verfahren wird nun erstmals ein lagenweise verdichteter Einbau bindiger Bodenbaustoffe im Bohrloch realistisch und auch ökonomisch tragfähig. Erste Erprobungseinsätze am Bahn Technologie Campus Havelland und auf dem Bahn-Großvorhaben ICE Werk Cottbus weisen nach, dass das Verfahren praxistauglich ist. Damit ist ein aufeinander abgestimmtes Material und Verfahren in Sicht, mit dem eine stets vollständig verdichtete, hohlraumfreie und homogene Einbringung von Bodenbaustoffen vom Bohrlochtiefsten bis zur GOK möglich wird. Das Boroplast ® Projekt sucht Lösungen auf dem Weg zur idealen Bohrlochverfüllung. Die Projektpartner Jammy Life GmbH, Berlin, SERAPID GmbH, Bad Mergentheim, solites Steinbeis Forschungsinstitut Stuttgart und Universität Stuttgart - IGS Institut für Geotechnik, Stuttgart entwickeln das Verfahren im Rahmen eines ZIM-Projekts. Einsatz des Boroplast ® Verfahrens am ICE Werk Cottbus Rainer Dallwig November 2021 302 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Entwicklung eines neuen Verfahrens für eine hohlraumfreie und dynamisch dauerhafte stabile Verfüllung von Bohrlöchern Gliederung 1. Störung des Baugrundes durch Sondierungsbohrung - insbesondere durch deren Verfüllung - in der Kampfmittelerkundung 2. Bisherige Optionen der Verfüllung und Herstellung von Dichtelementen und Stand der Technik 3. Gefahrenpotenzial durch Setzung, Erosion und Ermüdung von Dichtungen in Bohrlöchern als Folge dynamischer Belastung 4. Problembeschreibung und Anforderungen der Bahn 5. Herstellung von lagenweise verdichteten Dichtelementen mit Schubkettenantrieb und Stopfkolbenmaschine 6. Ergebnisse aus der Erprobung am BTC Havelland und ICE Werk Cottbus 7. Geolog ® App - Blockchain - Dokumentation und Qualitätsdatenerfassung auf Basis der Bohrloch-ID 1. Störung des Baugrundes durch Sondierungsbohrung in der Kampfmittelerkundung Die Erweiterung und der Ausbau von Hochgeschwindigkeitstrassen der Bahn, ein zunehmender Schwerlastverkehr auf den Autobahnen und durch Klimawandel stärker geforderte Deiche der Bundeswasserstrassen zeigen eine stark steigende und veränderte zyklische dynamische Belastung des Unterbaus von Fahrwegen auf. Nicht wenige Praktiker, die Bohrungen der Kampfmittelsondierung mit schüttfähigen Tonen und Zementsuspensionen verfüllen, zweifeln angesichts steigender dynamischer Lastprofile an der langfristigen Eignung dieser jahrzehntealten Technik der Bohrlochverfüllung. Auf der Seite der Auftraggeber häufen sich Hinweise, die zum Neudenken anregen: Die Störung des Baugrundes durch invasive Sondierung und Destabilisierung des Baugrundes [2] sind Gefahrenquellen, denen Verkehrsbauten bei zunehmender dynamischer Belastung ausgesetzt sind. Eine Schüttung mit Quellton oder Verpressung mit selbst erhärtenden zementbasierten Suspensionen wurde häufig als Kompromiss, als „nicht ideal“ beschrieben. Die anschließende dynamische Belastung des erbohrten und verfüllten Baugrundes, v.a. nach Sondierungsbohrungen in Gleisanlagen der Bahn, in Deichen der Bundeswasserstrassen und im Unterbau der Autobahnen rückt in den Mittelpunkt und definiert neue Anforderungen. Sehr plastisch vorstellbar ist die Sorge der Baugrund-Fachleute um die langfristige Stabilität erbohrter Gleisanlagen im Zuge des Ausbaus neuer Hochgeschwindigkeitstrassen der Bahn. 2. Bisherige Optionen der Verfüllung und Herstellung von Dichtelementen und Stand der Technik Die Wahl der heute zugelassenen Verfahren und der zur Auswahl stehenden Verfahren gemäß Rahmenvertrag der Deutsche Bahn AG beschränkt sich auf das Verpressen von zementbasierten Suspensionen oder das Schütten quellfähiger Tonbaustoffgemische. Zementbasierte Verpress-Suspensionen hinterlassen starre Säulen, die den Baugrund punktuell stabilisieren, diesen aber bei dynamischer Belastung flächig destabilisieren können. Geschüttete Quelltongranulate oder -pellets bilden nach der lockeren Schüttung häufig nicht das erwünschte homogene Dichtelement, wie in den Anforderungen beschrieben. Jahrzehntelang wurde Bohrgut und Aushub wiederverfüllt, allerdings kollidieren die gestiegenen Anforderungen der Verkehrsinfrastruktur neben Umweltauflagen v.a. mit der geringeren Nachher-Festigkeit des Verfüllelements. Erkenntnisse aus dem Entwicklungsprogramm zur Entwicklung des Boroplast ® Verdichtungsverfahrens 2019/ 2020 In einem umfangreichen Untersuchungsprogramm 2019- 2020 im Auftrage und auf dem Gelände der Heinrich Hirdes Kampfmittelräumung GmbH [3] wurden Sondierungsbohrungen ausgeführt, verfüllt und die später wieder freigelegten Füllsäulen geowissenschaftlich analysiert. Während zementgebundene Suspensionen zu stabilen Säulen erstarrten - jedoch im oberen Bereich jeweils einen rd 30-140 cm tiefen Absetztrichter herausbildeten - sackten die Tonsuspensionen über deutlich mehr als 20% des Füllvolumens ab. Bei den teils mit zementbasierten Verpressmassen, teils mit geschütteten Tongranulaten und teils mit Boroplast® Verdichtungsbaustoff verfüllten Bohrlöchern zeigte sich die Beobachtung, dass zementbasierte Suspensionen unvermeidbar Absetztrichter bilden [4]. Das auch in dem BAW Untersuchungsprogramm festgestellte Ausbilden von Absetztrichtern nach Verpressen von Zementsuspensionen bringt ein systematisches Problem an die Oberfläche: Ein Absetztrichter, der durch dünnwandige, trompetenförmig nach oben verjüngende Stützwände („Vasen“) gekennzeichnet ist, hat ohne weitere technische manuelle Korrektur keinen belastbaren Anschluß an die GOK oder an den Unterbau des Fahrweges. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 303 Entwicklung eines neuen Verfahrens für eine hohlraumfreie und dynamisch dauerhafte stabile Verfüllung von Bohrlöchern Abb. 1: Absetztrichter Die freigelegten und geborgenen Säulen bildeten stabile, feste, jedoch spröde und starre Körper aus. Im Betrieb nehmen punktuelle Lastprofile zyklische dynamische Kräfte auf und führen diese Belastung in Form von walkenden Bewegungen in den Untergrund. Eng im Raster ausgeführte vertikale starre Zementsäulen im Unterbau von Verkehrsanlagen destabilisieren den Baugrund. 304 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Entwicklung eines neuen Verfahrens für eine hohlraumfreie und dynamisch dauerhafte stabile Verfüllung von Bohrlöchern Abb. 2: Starre Zementsäule Geschüttete Tongranulate und -pellets bilden nur dann ein zusammenhängendes Dichtelement im Bohrloch, wenn sie mit ihrer typischen Schüttdichte von 0,95 - 1,25 g/ cm 3 mindestens homogen im Bohrloch verteilt auftreten. Unter Idealbedingungen mag das unkritisch sein, aber jedes Hindernis wie etwa Versatz/ Verjüngung der Bohrung, Kaliberverengung infolge aufquellender durchbohrter Horizonte oder hereinragender Hindernisse führen zu Brückenbildung und in der Folge zu Hohlstellen in der Verfüllung. Hohlstellen insbesondere in den oberen 3-4 m unter GOK werden bei dynamischer Belastung unweigerlich zu Setzungen des Baugrundes führen. Notwendigkeit der Verdichtung bindiger Baustoffe für die Bohrlochstabilität Die Qualität eines Dichtelements wie die Verfüllsäule einer Sondierungsbohrung wird bestimmt nach Eigenschaften wie v.a. Festigkeit, Verzahnung mit dem Gebirge, Plastizität und Langzeitstabilität. Im Unterbau von Fahrwegen ist die Duktilität bei zyklischen dynamischen Lasten ausschlaggebend. Alle diese Eigenschaften lassen sich primär mit ausreichend hoher Verdichtung (Dichte > 1,70 g/ cm 3 ) beim Einbau erreichen. Die Schlüsselgröße der Langzeitstabilität ist der Quelldruck [5] des eingebauten Dichtelements. Abb. 3: Hohlstelle nach Schüttung von Quellton DIN 4904: 2017 „Geschüttete Abdichtungstone für den Brunnenbau“ beschreibt Prüfkriterien und Verfahren zur Bestimmung wesentlicher Parameter wie Schüttfähigkeit, Bestimmung des Quelldrucks, der Sinkgeschwindigkeit, des Durchlässigkeitsbeiwerts, der Strukturstabilität und der messbaren Parameter zur Qualität des durch Schüttung erreichten Einbauzustandes. [6] Die Qualitätsanforderungen einer Bohrlochdichtung heissen: Hoher Quelldruck des bindigen Baustoffs und verdichteter Einbau. Einen signifikanten Quelldruck im Bereich von 1 MPa erreicht ein Dichtelement jedoch nur bei einem Überschreiten einer Einbaudichte von > 1,70 g/ cm 3 . Bereits eine geringfügig höhere Einbaudichte von 0,4 - 0,9 g/ cm? Trockendichte ergibt - sogar bei einer Salinität von 4 mol/ l - einen erheblichen Anstieg des Quelldrucks von über 350 kPa [7]. Damit wird das neue Verfahren auch im Bereich der Küste und im Brackwasser einsatzfähig. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 305 Entwicklung eines neuen Verfahrens für eine hohlraumfreie und dynamisch dauerhafte stabile Verfüllung von Bohrlöchern Abb. 4: Quelldruck in Abhängigkeit von der Einbaudichte Die Einbaudichte ist die wesentliche Ausgangsgröße für alle bedeutenden Langzeit-Qualitätsparameter Quelldruck, Festigkeit, Stabilität, Duktilität und Plastizität. Damit ist die Formel für langlebige, sichere Verfüllungen gefunden: Verdichteter Einbau (guter Zielwert: > 1,7 g/ cm 3 ) und hoher Quelldruck (guter Zielwert: 1 MPa). 3. Gefahrenpotenzial durch Setzung, Erosion und Ermüdung von Dichtungen in Bohrlöchern als Folge dynamischer Belastung Aus gutem Grunde sind öffentlich keine wissenschaftlichen Untersuchungen zur Destabilisierung von Verkehrswegen infolge von nicht volumenkonstanten Bohrlochverfüllungen zugänglich. Das bedeutet aber nicht, dass mit der Absenkung von Bohrlochverfüllungen keine Risiken für die Verkehrssicherheit einhergehen. Unterhält man sich auf Baustellen mit dem über Jahrzehnte erfahrenen Fachpersonal, so reiht sich schnell eine besorgniserregende Anekdote an die andere. Unzweifelhaft sind Schäden durch Destabilisierung von Verkehrswegen nach invasiver Erkundung (mittels Bohrungen) bekannt und alles andere als selten. Die Auswirkungen des durch invasive Sondierungstätigkeit destabilisierten Baugrundes reichen von einfachen Fahrbahn-Absenkungen bis zu kompletten Streckenschließungen und anschließenden umfangreichen Sanierungsaufgaben. Bereits bei vergleichsweise geringer dynamischer Belastung etwa durch PKW-Verkehr auf einer Nebenstrasse zeigt sich das Absetzverhalten von Bohrlochverfüllungen für den Betrachter deutlich sichtbar. Abb. 5: Setzung nach Sondierungsbohrung im Strassenbelag 4. Problembeschreibung und Anforderungen der Bahn Die Anforderungen an die Bohrlochverfüllung sind besonders hoch, da anschließend eine anhaltende dynamische Belastung des Baugrundes gegeben ist. Die Verfüllung muss ein möglichst homogenes Dichtelement bilden, welches dem zuvor erbohrten Untergrund in Struktur und bodenmechanischen Eigenschaften sehr ähnlich ist. Diese Anforderungen sind: • Ein homogenes Dichtelement, eine homogene Füllung vom Bohrlochtiefsten bis zur Geländeoberkannte (GOK) • Vollständige Verfüllung, keine Hohlstellen, kein Nachsacken • Keine Erosion in tiefer liegenden Schichten • Möglichst bodengleiche Verfüllung, sehr ähnliche bodenphysikalische Beschaffenheit, möglichst geringer Unterschied zwischen Vorher- und Nachher-Festigkeit [8] • Sichere Verfüllung durch hohes Maß an Verdichtung • Schnelle Belastungsfähigkeit mit dynamischen Lasten, geringe Wartezeit • Elastische und zugleich plastische Eigenschaften des Dichtelements bei dynamischer Belastung 306 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Entwicklung eines neuen Verfahrens für eine hohlraumfreie und dynamisch dauerhafte stabile Verfüllung von Bohrlöchern Abb. 6: Boroplast ® Verfahren schematisch Das Schubkettenmodul wird wahlweise von einem kettengetriebenen Fahrzeug (Carrymax) oder als Baggeranbaugerät über dem Bohrloch positioniert. • Kein Auswalken des Bodengefüges infolge der Dichteunterschiede von Verfüllung und Gebirge • Vermeidung vertikaler Wasserläufigkeiten Oberflächenwasserbzw. grundwasserführender Schichten • Umwelteignung • Beherrschbares Verfahren mit reproduzierbaren (Verdichtungs-) Ergebnissen Das Boroplast-Verdichtungs-Verfahren Der lagenweise verdichtete Einbau bindiger Bodenbaustoffe ist - zumindest bei flächigen Bodenbearbeitungen - hinreichend bekannt, die Notwendigkeit unbestritten. Allerdings ist die Realisierung im Bohrloch problematisch. Denkbare Vibrations- und Rüttelgeräte stoßen in der Enge des Bohrlochs an technische Grenzen, Rammgeräte und Mäkler stoßen an die Oberleitungen. Beim Boroplast®-Verfahren wird ein Stopfkolben mit einer starren Schubkette angetrieben und durch das Füllrohr in das Bohrloch geführt. Auf diese Weise wird der Verdichtungsbaustoff portionsweise in das Füllrohr geschüttet und mittels Stopfkolben bis zum jeweiligen Bohrlochtiefsten geschoben und dort unter (individuell steuerbarem) Anpressdruck lagenweise verdichtet. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 307 Entwicklung eines neuen Verfahrens für eine hohlraumfreie und dynamisch dauerhafte stabile Verfüllung von Bohrlöchern 5. Herstellung von lagenweise verdichteten Dichtelementen mit Schubkettenantrieb und Stopfkolbenmaschine Mit dem neuen Boroplast ® Verfahren steht ein mechanisch sehr gut verdichtbarer Dichtbaustoff zur Verfügung, der mit robuster Maschinentechnik lagenweise im Bohrloch zu einem Dichtelement verdichtet wird. Die Vorzüge in der Übersicht: Homogene Verdichtung - Homogenes Dichtelement - elastoplastischer Füllkörper * Homogene Dichtelemente vom Bohrlochtiefsten bis zur GOK. Keine Hohlstellen • Verdichtung des speziell entwickelten Dichtbaustoffs auf Einbaudichten > 1,6 g/ cm 3 in jeder Lage des Bohrlochs • Keine Gefahr des Nachsackens [9] • Einbau mit einem an das Gebirge angepassten natürlichen Wassergehalt • Sofortiger Aufbau von Quelldruckspannung ohne Wartezeit • Wiederholgenaue Verdichtungsergebnisse durch Maschinen- und Steuerungstechnik • Wesentliche Reduzierung von Wasserläufigkeiten • Uneingeschränkte Umwelteignung • Exakte Nachweisführung durch das integrierte GeoLOG ® Dokumentations-System 6. Ergebnisse aus der Erprobung am BTC Havelland und ICE Werk Cottbus Das innovative Boroplast ® Verfahren wurde im Juli-September 2021 gemeinsam mit dem Erprobungspartner Heinrich Hirdes Kampfmittelräumung GmbH am BTC Bahn Technologie Campus Havelland erstmals unter Feldbedingungen erprobt. Nach erfolgreichem Erprobungslauf wurde das Verfahren gemeinsam mit Heinrich Hirdes erstmals am 15. November 2021 auf der Bahn- Baustelle ICE Werk Cottbus unter Realbedingungen zur Verfüllung von Kampfmittelsondierungs-Bohrungen eingesetzt. Abb. 7: Erprobung des Boroplast ® Verfahrens am BTC Bahn Technologie Campus Havelland Der erste Erprobungseinsatz des Boroplast® Stopfkolben-Prototypen fand unter realistischen Bahn-Betriebsbedingungen am Bahn Technologie Campus Havelland statt. Die von Heinrich Hirdes Kampfmittelräumung ausgeführten Sondierungsbohrungen (110 mm Bohrdurchmesser, 6 m Teufe, Verrohrung mit DN55 PE-Rohren) befanden sich im Gleisbett der in Betrieb befindlichen und für die Verfüllung temporär gesperrten Bahnanlage. Die Ergebnisse der Erprobung [10]des Prototypen sind zusammengefasst: - Der durch Schüttung in das Bohrloch eingebrachte bindige Dichtbaustoff wird durch Stopfkolben in einzelnen Lagen von rd. 1,0 m auf rd. 50 % seines Schüttvolumens verdichtet - Der Dichtbaustoff erreicht eine gemessene Einbaudichte von 1,74 g/ cm 3 - Im oberen Gleisanschlußbereich - im Bereich von 0 bis -1,0 m unter GOK - wurde der Dichtbaustoff in kürzer werdenden Hüben insgesamt 5-mal verdichtet Das so entstandene Dichtelement ist trittfest, sofort belastbar und zeigte auch Wochen nach dem Einbau keine an der Oberfläche messbaren Setzungen 308 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Entwicklung eines neuen Verfahrens für eine hohlraumfreie und dynamisch dauerhafte stabile Verfüllung von Bohrlöchern Abb. 9: Boroplast ® Maschine im Feldeinsatz auf der Baustelle am ICE Werk Cottbus Nach dem erfolgreichen Erprobungs-Debüt am BTC Havelland wurde das Verfahren an der Bahn-Baustelle ICE Werk Cottbus zur Verfüllung von Bohrungen (Bohrdurchmesser 130mm, 9 m Teufe, Verrohrung mit DN55 PE-Rohren) mit folgenden Ergebnissen eingesetzt: - Das Schubketten-Stopfkolben-Verfahren ist das derzeit effizienteste Verfahren zum Einbau eines homogenen ermüdungsarmen Dichtelements im Bohrloch. - Mit dem Verfahren entsteht eine sofort belastungsfähige setzungsfreie Verfüllung. - Der Dichtbaustoff wird oberhalb der Grundwasserlinie mit rd. 16-18% Feuchte eingebaut und auf > 1,74 g/ cm 3 hohlraumfrei verdichtet. 7. Geolog ® App - Blockchain - Dokumentation und Qualitätsdatenerfassung auf Basis der Bohrloch-ID Die weitere Entwicklung des Boroplast ® Verfahrens wird eine umfangreiche digitale Datenerfassung mit sich bringen. Alle mit vertretbaren Aufwand messbaren und der Siemens S7 Steuerung entnehmbaren Daten werden in der Geolog ® App objektorientiert dokumentiert. Basis ist die Bohrloch-ID, mit der eine georeferenzierte, eindeutige Zuordnung aller Bohrloch-bezogenen Daten erfolgt. So entsteht mit jeder Bohrlochverfüllung nach und nach ein Datenbank-gestütztes Qualitätsprotokoll, welches bereits während des automatisierten Protokollierens mit Blockchain-Technologie zu einem unmanipulierbaren Qualitätsnachweis wird. Abb. 10: Geolog® Template Digitale Dokumentation auf Basis der Bohrloch-ID 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 309 Entwicklung eines neuen Verfahrens für eine hohlraumfreie und dynamisch dauerhafte stabile Verfüllung von Bohrlöchern Die Vorteile der Blockchain - Dokumentation auf Basis der Bohrloch-ID: - Nachweis der Homogenität der lagenweise eingebauten Dichtelemente durch Messdaten. - Beweis, dass die Dichtelemente ohne Hohlräume ausgeführt wurden. - Eindeutiges, exakt protokolliertes Qualitätsdokument für jedes einzelne Bohrloch. - Übertragung der Daten in gängige digitale Kartenformate. - Präzise, schnelle Leistungsabrechnung durch Schnittstelle zu betriebswirtschaftlicher Software. Der wesentliche Fortschritt aus Boroplast® Verfahren und Geolog® Blockchain Dokumentation in zwei Punkten: - Das Boroplast ® Dichtelement ist kompakt, ohne Hohlraum, sicher vor Nachsacken/ Setzung und zyklisch dynamisch belastbar. Dadurch ist die Gefahr durch Folgeschäden nach Sondierungsbohrung deutlich reduziert . - Die Geolog ® Blockchain Dokumentation macht jede Diskussion über mögliche Schadereignisse objektiv und eindeutig. Literatur [1] Vgl. Heeling, Anne, Störung des Baugrundes durch Kampfmittelsondierungen, Publikation BAW Bundesanstalt für Wasserbau, Hamburg, 2020 [2] Kneppenberg, Michael, Störung des Baugrundes durch Kampfmittelsondierung, Vortrag 2014 [3] Siehe dazu ausführlich Dallwig, Rainer, Neues Verfahren zur lagenweisen Verdichtung bindiger Baustoffe im Bohrloch, in: bbr, Ausgabe 01/ 2021, S. 50 f. [4] Vgl. Baumann, Karsten et. al., Untersuchungen zur Bestimmung von Qualitätskriterien für Abdichtungsmaterialien im Brunnenbau, DVGW Abschlußbericht März 2003, S. 17 [5] Otto, Frank, Dallwig, Rainer et al, Quellton nach DIN 4904 Verbau von Quellton zur Sicherung der Wasserhaltung für das Beschleunigerzentrum FAIR, in: bbr Ausgabe 11/ 2017 [6] DIN 4904: 2017 Geschüttete Abdichtungstone für den Brunnenbau - Anforderungen und Prüfungen [7] Christ, Florian und Baille, Wiebke, Quelldruckversuchversuche an Quelltonen, Bochum 2019 [8] Heeling, Anne, Vortrag BAW Baugrundkolloquium 2014, 65. Deutsche Brunnenbauertage, S. 36 310 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Entwicklung eines neuen Verfahrens für eine hohlraumfreie und dynamisch dauerhafte stabile Verfüllung von Bohrlöchern [9] Vgl. Kragiel, Kristian, Optimale Verfüllung von Bohrlöchern nach Sondierungsbohrungen in der Kampfmittelräumung, Abschlußbericht über die Freilegung von 24 Testbohrungen, Teltow Juni 2020, S. 17 [10] vgl. ausführlich Dallwig, Rainer, Abschlussbericht Erprobung am BTC Juli-September 2021, Berlin/ Elstal 14.11.2021 Quellen Christ, F. und Baille, W., Quelldruckversuchversuche an Quelltonen, Bochum 2019 Baumann, K. et al., Untersuchungen zur Bestimmung von Qualitätskriterien für Abdichtungsmaterialien im Brunnenbau, DVGW Abschlußbericht März 2003 Otto, F., Dallwig, R. et al, Quellton nach DIN 4904 Verbau von Quellton zur Sicherung der Wasserhaltung für das Beschleunigerzentrum FAIR, in: bbr Ausgabe 11/ 2017 Dallwig, R., Neues Verfahren zur lagenweisen Verdichtung bindiger Baustoffe im Bohrloch, in: bbr, Ausgabe 01/ 2021, S. 48-53 Dallwig, R., Abschlussbericht Erprobung am BTC Juli- September 2021, Berlin/ Elstal 14.11.2021 Heeling, A., Störung des Baugrundes durch Kampfmittelsondierungen, Forschung Express Publikation Bundesanstalt für Wasserbau BAW 22/ 2020, April 2020 Kneppenberg, M., Störung des Baugrundes durch Kampfmittelsondierung, Vortrag 2014 Kragiel, K., Optimale Verfüllung von Bohrlöchern nach Sondierungsbohrungen in der Kampfmittelräumung, Abschlußbericht über die Freilegung von 24 Testbohrungen, Teltow Juni 2020 Bilder: Alle Bilder und Abbildungen: ©Rainer Dallwig 2020- 2022 Für das Boroplast ® Verfahren ist international Patentschutz angemeldet, die Marken Boroplast ® und Geolog® genießen Markenrechte. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 311 Modellierung der gekoppelten thermischen und hydraulischen Transportprozesse in ZFSV-Bettungen bei erdverlegten Höchstspannungsleitungen M. Eng. Louis Zrenner Ostbayerische Technische Hochschule, Regensburg, Bayern Prof. Dr.-Ing. Thomas Neidhart Ostbayerische Technische Hochschule, Regensburg, Bayern Zusammenfassung Im Rahmen des Forschungsprojekts DC CTL DBI (direct current compact transmission line - directly buried investigastions) wurde ein gasisolierte HGÜ-Leiter (GIL) erdverlegt und bei ständigem Monitoring über umfangreiche Sensorik einem Langzeitversuch unterzogen. Anstelle einer klassischen Sandbettung kam ein zeitweise fließfähiger, selbstverdichtender Verfüllbaustoff (ZFSV) zum Einsatz. Somit können Schäden an der Übertragungsleitung infolge Verdichtungsaufwand vermieden und gleichzeitig bessere Bodeneigenschaften hinsichtlich der Wärme- und Wassertransportprozesse erreicht werden. Um das Zusammenspiel dieser beiden Transportprozesse im Boden abzubilden, wurden im Rahmen der Arbeit die relevanten Bodenparameter durch Laborversuche und die verbaute Sensorik ermittelt. Mithilfe dieser Parameter erfolgte daraufhin eine transiente Finite-Elemente-Analyse in PLAXIS2D, welche mit den Ergebnissen aus dem Feldversuch verglichen werden konnte. Dabei konnte eine hohe Übereinstimmung der Sensorik-Messwerte mit den Ergebnissen der Finite-Element-Analyse (FEA) erzielt und Erkenntnisse für zukünftige Modellierungen gewonnen werden. 1. Einleitung Durch den Ausstieg aus der Verstromung fossiler Energieträger und der daraus resultierenden dezentralen Stromerzeugung ist ein Ausbzw. Umbau des deutschen Übertragungsnetzes erforderlich. Weil aus der dezentralen Energieerzeugung große Trassenlängen resultieren, welche bei Wechselstrom zu Blindleistungsproblematiken führen, wird dort vermehrt auf Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung zurückgegriffen. Im Rahmen des Forschungsprojekts kam mit einer GIL (gasisolierter Rohrleiter) eine spezielle HGÜ-Bauform zum Einsatz. Abbildung 1 Das Grundprinzip ist hierbei ähnlich zu gasisolierten Schaltanlagen, welche bereits seit Jahrzehnten Stand der Technik sind. Es verläuft ein Hochspannungsleiter in einer geerdeten Hülle, während der Zwischenraum zur elektrischen Isolation mit einem durchschlagsfestem Gasgemisch gefüllt ist. Durch die Erdverlegung kann der Leiterquerschnitt größer dimensioniert werden als bei einer Freileitung, sodass Ohm’sche Verluste geringgehalten werden. Gleichzeitig ergeben sich durch die Erdverlegung aber auch Herausforderungen beim Abtransport der Wärme, sowie dem schadensfreien Einbau des verschweißtem GIL-Systems. Durch den Einsatz von ZFSV können diese Problemstellungen jedoch effizient bewältigt und zusätzlich vor dem Hintergrund der Kreislaufwirtschaft - Bodenaushub wiederverwertet werden. 1.1 Aufbau der Versuchsanlage Im Zuge des Forschungsprojekts wurde eine in ZFSV erdverlegte GIL mit 130m Länge einem Langzeitversuch unter realistischen Betriebs- und Witterungsbedingungen unterzogen. Über punkt- und linienförmige Sensorik wurden hierbei in zwei Messquerschnitten Wassergehalte, Saugspannungen und Temperaturen aufgezeichnet. 312 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Modellierung der gekoppelten thermischen und hydraulischen Transportprozesse in ZFSV-Bettungen bei erdverlegten Höchstspannungsleitungen Abbildung 2 Zusätzlich wurde der Lichtwellenleiter als linienförmiger Temperatursensor über die gesamte Länge der Leitung an Ober- und Unterkante der GIL, sowie der Grabensohle verbaut. Sämtliche Sensorik wurde in vordefinierter Lage störungsfrei im ZFSV eingegossen. Die Wetterdaten wurden ebenfalls mit einer mobilen Wetterstation aufgezeichnet. Anhand der Messergebnisse konnten somit die Randbedingungen (z.B. Witterung) für das Modell gewählt und gleichzeitig Ergebnisse der Berechnung verifiziert werden. Wegaufnehmer und Kraftmessdosen zur Erfassung der mechanischen Größen infolge Temperaturentwicklung wurden ebenfalls verbaut, spielen allerdings in diese Arbeit eine untergeordnete Rolle, da die thermohydraulische Berechnung keine mechanische Komponente aufweist. 2. Grundlagen der thermo-hydraulischen Berechnung Die hydraulischen und thermischen Transportprozesse beeinflussen sich in vielfacher Hinsicht gegenseitig und müssen folglich bei der Berechnung in PLAXIS2D miteinander gekoppelt werden: • Die thermischen Eigenschaften des Bettungsmate-rials hängen maßgebend von seinem Sättigungsgrad ab • Die hohe spez. Wärmekapazität des Wassers führt in porösen Medien zu einem stoffgebundenem Wär-metransport (Konvektion) • Die hohen Temperaturen beeinflussen die Viskosität und Dichte des Bodenwassers und damit den Wassertransport 2.1 Gleichungen der hydraulischen Transportprozesse Eine Veränderung der Masse bedingt einen gleichwertigen Massenstrom Ј, folglich gilt für die Massenerhaltung [2]: (Gl.1) Hierbei steht n für die Porosität, S für den Sättigungsgrad, ρ i für die Dichte der Bodenphasen und ε ν für die volumetrische Volumenänderung infolge Temperaturausdehnung und Kompression. Die besagten Massenströme finden in ungesättigten Böden sowohl in flüssiger als auch in gasförmiger Phase statt. Der Massenstrom der flüssigen Phase J w kann über Darcy’s Fließgesetz beschrieben werden, wobei die gesättigte Permeabilität K durch die relative Permeabilität k rel ersetzt wird [3]: (Gl.2) Wobei p w den Porenwasserdruck in N/ m², ν w die mittlere Fließgeschwindigkeit in m/ s und g das Gravitationspotential - abhängig von der Lage oberhalb des Grundwasserspiegels - darstellen. PLAXIS2D bietet zudem die Möglichkeit, die Temperaturabhängigkeit der physikalischen Eigenschaften des Wassers, wie etwa die Dichte ρ w oder Viskosität μ zu berücksichtigen. Der Massenstrom der gasförmigen Phase bzw. die Wasserdampfdiffusion wird durch Fick’s Gesetz beschrieben. Der Massenstrom des Wasserdampfs Jv ist somit definiert als: (Gl.3) Hierbei stellt α den Anteil und α die Tortuosität (Gewundenheit) der luftgefüllten Poren, sowie D den Wasserdampfdiffusionskoeffizient von Dampf durch Luft dar. Der treibende Gradient ∇ ρν wird hier durch ein Konzentrationsgefälle definiert. Da die Konzentration in einem idealen Gas von Temperatur T und Umgebungsdruck p w abhängt, wird der Konzentrationsgradient abhängig von diesen Einflüssen aufgeteilt [3]: (Gl.4) Da die Wassersättigung θ in der Luft von der Temperatur abhängt und unter der Annahme, dass sich der Wasserdampf wie ein ideales Gas verhält, setzt sich der temperaturabhängige Konzentrationsgradient ∇ T aus zwei Termen zusammen, während der druckabhängige Konzentrationsgradient ∇ p w infolge Druckdifferenz nur aus einem Glied besteht [3]. (Gl.5) Die genaue Herleitung und Beschreibung, welche Terme vernachlässigt werden ist in [4] beschrieben. Zu beachten ist der thermal diffusion enhancement factor ƒ Tν 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 313 Modellierung der gekoppelten thermischen und hydraulischen Transportprozesse in ZFSV-Bettungen bei erdverlegten Höchstspannungsleitungen , welcher als empirischer Faktor eingeführt wurde, um Diskrepanzen zwischen rechnerischen Ergebnisse und Laborversuchen auszugleichen. Ein größerer Faktor von ƒ Tν bewirkt folglich einen größeren Massenstrom infolge Temperaturgradienten, wobei der Wert je nach Bodenart variiert und bodenspezifisch zu wählen ist. 2.2 Gleichungen der thermischen Transportprozesse Die Energieerhaltung in einem porösen Medium lässt sich wie folgt beschreiben [3]: (Gl.6) Eine Änderung der inneren Energie e in den einzelnen Bodenphasen bedingt also einen konduktiven Wärmestrom Jc bzw. advektiven Wärmestrom Ja oder einen Wärmezubzw. Abfluss Q t . Die linke Seite des Terms entspricht also der Temperaturänderung des Bodens unter Einbezug seiner resultierenden Wärmekapazität. Die resultierende Wärmekapazität ρC eines porösen Mediums wird über seine Anteile am Gesamtvolumen berechnet [3]: (Gl.7) Der konduktive Anteil des Gesamtwärmestroms wird über die Wärmeleitung nach Fourier definiert: (Gl.8) Die resultierende Wärmeleitfähigkeit λ wird bei porösen Medien allgemein über die Anteile der einzelnen Bodenphasen berechnet: (Gl.9) Die resultierenden Werte für λ lieg allerdings deutlich über den Messwerten aus Laborversuchen und weisen zudem keine nicht-lineare Abhängigkeit von der Sättigung S auf. Grund hierfür ist, dass mit dieser Formel die Ausbildung von Wassermenisken vernachlässigt wird, welche vor allem bei geringen Sättigungsgraden einen steilen Anstieg der Wärmeleitfähigkeit bewirken. Außerdem wird die runde Form der Bodenkörner nicht berücksichtigt, welche für sehr kleine Kontaktflächen zwischen den Bodenkörnern sorgt und so den leitenden Querschnitt reduziert. In PLAXIS2D lässt sich diese Problematik entweder über die Python-basierte Programmschnittstelle lösen oder durch Variation der einzelnen Teilleitfähigkeiten λ s , λ w und λ υ . Der konvektive Wärmestrom J A hängt vom Massenstrom, sowie der Wärmekapazität C und Temperatur T des Mediums ab. In PLAXIS2D wird der konvektive Wärmestrom im Boden, welcher aus Bewegungen der gas-förmigen Phase resultiert, vernachlässigt. Infolge dieser Vereinfachung ergibt sich der stoffgebundene Wärmetransport im Boden J A zu [3]: (Gl.10) Die temperaturbedingten Änderungen der physikalischen Eigenschaften des Bodenwassers können in PLAXIS2D wie bei der Massenerhaltung berücksichtigt werden. Setzt man die Gleichungen für J A und J C in Gl. 7 ein und ergänzt diese um einen Term, mit dem Temperaturrandbedingungen berücksichtigt werden können, dann ergibt sich die vollständige Gleichung der Energieerhaltung zu [3] : (Gl.11) Hierbei stellt T a die Temperatur an der Randbedingung und C as den Wärmeüberganzkoeffizienten dar. 3. Erstellen des numerischen Modells Die Gleichungen der beiden Transportprozesse sind in PLAXIS2D implementiert und können dort auch miteinander gekoppelt werden. Um realitätsnahe Ergebnisse zu erhalten, müssen Materialparameter, Modellabmessungen und Randbedingungen entsprechend gewählt werden. Die Ermittlung dieser Variablen soll in diesem Kapitel genauer beleuchtet werden. 3.1 Ermittlung der thermischen Materialparameter Die spezifische Wärmekapazität wurde anhand von Literaturwerten mit C s =835 kJ / (tK) gewählt, während die Kornrohrdichte des Sandes im Labor mittels Heliumpyknometer zu ρ=2,65 t / m³ ermittelt wurde. Die resultierende Wärmekapazität des Bodens wird in PLAXIS2D über Gl.8 anhand der Volumenanteile der einzelnen Bodenphasen berechnet. In der standardmäßig in PLAXIS2D implementierten Gleichung 10 zur Ermittlung der Wärmeleitfähigkeit, wird λ ebenfalls über die Volumenanteile der einzelnen Bodenphasen ermittelt. Um Sättigungsabhängigkeit der Wärmeleitfähigkeit und die labortechnischen Messwerte über Gleichung 10 zu erhalten, wurden die Materialparameter der einzelnen Bodenphasen λ s , λ w und λ υ entsprechend modifiziert. 314 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Modellierung der gekoppelten thermischen und hydraulischen Transportprozesse in ZFSV-Bettungen bei erdverlegten Höchstspannungsleitungen Der nicht-lineare Zusammenhang zwischen Sättigung und Wärmeleitfähigkeit kann über Gleichung 10 nicht abgebildet werden. Da dieser allerdings nur bei sehr geringen Sättigungen maßgeblich auftritt und aufgrund von Niederschlagsereignissen keine Sättigungen kleiner 0,1 gemessen wurden, stellt der lineare Zusammenhang eine vertretbare Vereinfachung dar. Der Diffusionskoeffizient Dν hängt von der luftgefüllten Porosität, der Gewundenheit der Poren und dem Diffusionskoeffizienten D 0 ab (vgl. Gl.3). Der Diffusionskoeffizient von Wasserdampf durch Luft erfolgt über die Gleichung [5]: (Gl.12) Aus der verbauten Sensorik in den Messquerschnitten wurden repräsentative Saugspannungen und Temperaturen für die unterschiedlichen Bodencluster ermittelt. Im Sand wurde eine durchschnittliche Temperatur von 25°C und eine mittlere Saugspannung von 400hPa festgestellt. Im ZFSV hingegen traten aufgrund der hohen Sättigung nur sehr geringe Saugspannungen auf, aber aufgrund der Nähe zur GIL höhere Temperaturen. Die Gewundenheit der Poren α für Gl.3 kann über den empirischen Ansatz nach Milly aus der Porosität n und dem volum. Wassergehalt θ ermittelt werden [6]. (Gl.13) Der Anteil der luftgefüllten Poren berechnet sich aus der Porosität und dem volumetrischen Wassergehalt. (Gl.14) Über die verbaute Sensorik wurden nun wieder repräsentative Messergebnisse für die jeweiligen Bodencluster ermittelt und daraus der Diffusionskoeffizient ermittelt. Aus den Laboruntersuchungen ergab sich für den ZFSV die mittlere Porosität n zu 0,44 und die mittleren Sättigungszahl S zu 0,9. Für die Sandcluster wurden aufgrund der Messergebnisse andere Parameter gewählt. Anschließend lässt sich der Diffusionskoeffizient Dυ für die beiden Bodencluster über Gl.3 ermitteln. Neben dem Diffusionskoeffizienten stellt auch der thermal enhancement factor ƞ eine maßgebliche Größe bei der Ermittlung des gasförmigen Massenstroms dar. Dieser Parameter muss materialspezifisch durch Laborversuche ermittelt werden [7], wovon in dieser Arbeit abgesehen wurde. Stattdessen wurden die Faktoren aus der Literatur zu Versuchsreihen mit ähnlicher Kornverteilungskurve entnommen [8]. Beim ZFSV wurde der Faktor ƞ ZFSV aufgrund der Nähe zur GIL und der damit höheren Temperaturen mit 10 festgelegt. Folglich wurde für den Sand mit ƞ Sand ein geringerer Wert von 8 angesetzt. 3.2 Ermittlung der hydraulischen Materialparameter Die hydraulische Leitfähigkeit des ZFSV konnte im Zuge der Triaxial-Versuche ermittelt werden. Die hydraulische Leitfähigkeit K ƒ wurde zu 1,5 m/ d ermittelt, wodurch der Boden gemäß DIN 18130-1 als durchlässig einzustufen ist. Für den Sand wurde der in PLAXIS2D voreingestellte Parametersatz der USDA mit k ƒ =3 m/ d verwendet. Die Sättigungsabhängigkeit der Permeabilität wurde jeweils nach dem Parametersatz der USDA mit dem g 1 =0,5 festgelegt. Die Wasserspannungskurve wurde mithilfe der verbauten Sensorik ermittelt. Da in den Messquerschnitten Tensiometer und Feuchtesensoren nebeneinander verbaut und die Feuchtesensoren für die jeweiligen Böden kalibriert wurden, konnte eine Sättigungs-Saugspannungskurve aus den Messergebnissen erzeugt werden (siehe blaue Kurve). Die fitting-Parameter für das van GenuchtenModell [9] in PLAXIS2D wurden dann mittels Solver in Excel ermittelt. Alternativ kann ein Parametersatz aus dem hinterlegten Bodenkatalog gewählt werden. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 315 Modellierung der gekoppelten thermischen und hydraulischen Transportprozesse in ZFSV-Bettungen bei erdverlegten Höchstspannungsleitungen Abbildung 3: Darstellung der Feuchte und Tensiometermessungen im Sand mit resultierenden Wasserspannungskurven und gewählten Fittingparametern Für den ZFSV wurden die fitting-Parameter für das Van Genuchten-Modell in gleicher Weise ermittelt. 3.3 Ermittlung der Modellabmessungen In diesem Schritt sollen die Abstände des Bettungsclusters zu den Randbedingungen unseres Modells beleuchtet werden. Hierfür wird der Fall einer stationären Wärmeleitung um ein Rohr, welches in einem unendlich ausgedehntem Erdreich verlegt ist, analytisch berechnet. Anschließend wird der Wärmestrom in verschiedenen Modellen mit unterschiedlichen Abmessungen in x- und y-Achse in PLAXIS2D stationär berechnet. In der analytischen Lösung liegen - bei einer konstanten Temperatur an der Geländeoberkante - kreisförmige Isothermen vor. Diese ergeben sich auch bei Berechnung eines gleichwertigen Modells in PLAXIS2D (konstante Wärmeleitfähigkeit des Bodens, kein stoffgebundener Wärmetransport). An den Randbereichen des Modells weichen die Ergebnisse aufgrund der Randbedingungen von der analytischen Lösung ab. Abbildung 4: Isothermen (durchgezogen) und Wärmeflusslinien (gestrichelt) eines in unendlich ausgedehntem Erdreich gebetteten Rohres [10] Abbildung 5: Temperaturverteilung in PLAXIS2D mit leicht verzerrten Isothermen aufgrund der Nähe zu den Randbedingungen des Modells (x=60m, y=20m) Durch einen Schnitt durch die vertikale Rohrachse werden die Ergebnisse miteinander verglichen und die Abweichungen der Finite-Element-Analyse bewertet. 316 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Modellierung der gekoppelten thermischen und hydraulischen Transportprozesse in ZFSV-Bettungen bei erdverlegten Höchstspannungsleitungen Abbildung 6: Vergleich der analytischen Lösung mit der FEA in PLAXIS2D (x=60m, y=20m) Das gleiche Vorgehen erfolgte für die Temperaturverteilung in horizontaler Richtung. Durch das visualisieren und Auswerten des linienförmigen Temperatursensors in den Messquerschnitten, lässt sich die Temperaturverteilung im Boden bis zu 16m Rohrabstand darstellen: Abbildung 7: Auswertung des Linienförmigen Temperatursensors mittels Surfer-Plot Hierbei lässt sich feststellen, dass ab 8m horizontalem Achsabstand zum Rohr keine Beeinflussung der Temperatur mehr feststellbar ist. Somit wurde die horizontale Modellausdehnung auf 20m festgelegt. Da die Sensorik nur bis 6m unterhalb Geländeoberkante verbaut und somit nur Messwerte nahe der GIL erfasst werden können, wurde auch die vertikale Modellausdehnung auf 16m reduziert. 3.4 Ermittlung der Randbedingungen An jeder Modellgrenze sowie der GIL muss für die FEA eine thermische und hydraulische Randbedingung festgelegt werden: Abbildung 8: Darstellung und Bezeichnung der Randbedingungen VERT: Die vertikalen Randbedingungen ergeben sich aus den Messergebnissen im vorangegangenen Kapitel. Die thermischen Randbedingungen wurden dort als closed angesetzt. Folglich findet dort kein Wärmestrom über diese Modellgrenzen hinweg statt. Infolge dessen findet der Wärmestrom dort nur noch in vertikaler Richtung zwischen der GOK und der Randbedingung ERDE statt. Die hydraulischen Randbedingungen wurden auf see-ping gesetzt. Somit kann dort infolge ERDE: Die thermischen Randbedingungen ergeben sich aus analytischen Berechnungen zur Ermittlung der Erdtemperatur in ungestörtem Erdreich abhängig von der jahreszeitlichen Lufttemperatur und unterschiedlichen Tiefen nach [11]. Dieser Ansatz berücksichtigt nur den Konduktiven Wärmetransport im Boden und bedingt konstante thermische Materialparameter des Bodens. Für die unten dargestellten Bodenkennwerte ergibt sich der jahreszeitabhängige Temperaturverlauf im Boden zu: Abbildung 9: Darstellung der jahreszeitabhängigen Temperaturverläufe über die Tiefe nach [11] 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 317 Modellierung der gekoppelten thermischen und hydraulischen Transportprozesse in ZFSV-Bettungen bei erdverlegten Höchstspannungsleitungen Wie aus der Grafik ersichtlich, schwankt die Temperatur in einer Tiefe von 15m leicht um den Mittelwert von 9,8°C. Da die Schwankungsbreite sehr gering ist, wurde die thermische Randbedingung an der Modellgrenze ERDE mit 10°C festgelegt. Die hydraulischen Randbedingungen wurden auf seeping gesetzt. Somit kann dort infolge Porenwasserüberdruck Wasser aus unserem System über die Modellgrenzen hinausfließen. GOK: An der Geländeoberkante ergeben sich die thermischen Randbedingungen aus den Messdaten der Wetterstation. Diese wurden ausgelesen und als table-function (Tabelle mit Messwert und Messzeitpunkt) über eine Temperaturbedingung angesetzt. Da es sich somit um einen konvektiven Wärmetransport zwischen Geländeoberkante und Luft handelt, muss zudem ein Wärmeübergangskoeffizient festgelegt werden. Dieser wurde in Abhängigkeit von der mittleren Windgeschwindigkeit nach Feist ermittelt über [13]: (Gl.15) Der Einfluss der Sonneneinstrahlung, wurde im Modell vernachlässigt, kann jedoch über einen entsprechenden Wärmezufluss (s. Gl.7) ebenfalls implementiert werden. Die hydraulische Randbedingung ergibt sich ebenfalls aus den Messdaten der Wetterstation. Um den Effekt der Evaporation mit einzubeziehen, wurde diese über die Niederschlagsdaten und die potentielle Evapotranspiration ET POT nach Penman ermittelt. Diese ergibt sich vereinfacht zu [12]: (Gl.16) Hierbei gehen die Tagessumme der Globalstrahlung R Gd , die spez. Verdunstungswärme L, durchschnittliche Windgeschwindigkeit ν m2 , Sonnenscheindauer S R , Tagesmitteltemperatur T m , Steigung der Dampfdruckkurve s und die Psychrometerkonstante γ ein. Das genaue Vorgehen hierbei ist [1] zu entnehmen. Die Niederschlagswerte wurden folglich mit der ermittelten Verdunstung modifiziert und als table-function angesetzt. Somit ergeben sich auch negative Werte für den Wasserzufluss in unser Modell, welche die Evapotranspiration darstellen: Abbildung 10: Darstellung der Lufttemperaturen (Tagesmittel) und modifizierten Niederschlagsdaten Für den Zeitraum der Prä-Monitoringphase (vor Mai 2019) wurden Messwerte von geographisch nahe gelegenen Wetterstationen herangezogen und in gleicher Weise modifiziert. GIL: Infolge der Bestromung kommt es im Leiter durch die Ohm’schen Verluste zu einer Temperaturentwicklung. Diese konnte durch einen im Leiter geführten linienförmigen Sensor erfasst werden. Zudem wurden die Temperaturen am Außenmantel der GIL erfasst. Somit hätte die thermische Randbedingung wieder einfach über die Messwerte definiert werden können. Auf diese Weise hängen die Temperaturen im Leiter allerdings nicht vollständig von den Wärmetransportprozessen oder der Witterung ab. Stattdessen wurden die Ohm’schen Verluste P V ermittelt und als Energiezufluss an der Oberfläche des Innenleiters angesetzt. (Gl.17) Die hierfür nötigen Angaben zur Stromstärke I lag während der Bestromungsphasen bei 5000A. Der Leiterspezifische Widerstand kann aus den geometrischen Abmessungen ermittelt werden. Diese stellen jedoch vertrauliche Daten dar und können nicht explizit genannt werden. Die Temperaturabhängigkeit des spezifischen Widerstands von Aluminium kann in der Modellierung leider berücksichtigt werden. Als Folge wurde er mit den maximalen Messtemperaturen bei 80°C ungünstig gewählt. P v lässt sich darauffolgend über die Länge des Leiters in in W/ umrechnen und anschließend über den Außenumfang des Innenleiters in eine Wärmestromdichte qv, welche als Eingabeparameter für den Wärmezufluss in PLAXIS2D dient. In unserem Fall ergab sich qv zu 280 W/ m². Die Intervallweise Bestromung wurde bei der Randbedingung über eine binäre Tabellenfunktion berücksichtigt. 318 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Modellierung der gekoppelten thermischen und hydraulischen Transportprozesse in ZFSV-Bettungen bei erdverlegten Höchstspannungsleitungen Abbildung 11: Verlauf der Zufluss-Wärmestromdichte am Innenleiter des GIL-Systems Abbildung 12: Darstellung der Randbedingung GIL am Innenleiter des Übertragungssystems Da bei der GIL die Wärme im Gasraum zum größten Teil über Konvektion übertragen wird, müssen für diesen Gasraum thermische Ersatzparameter definiert werden. Grund hierfür ist, dass sich diese Konvektion im Gasraum bei PLAXIS2D nicht abbilden lässt. Die Ersatzparameter wurden durch variieren und vergleichen mit den Messwerten der Sensorik ermittelt. Bei Untersuchung der Messwerte fiel auf, dass durch nicht quantifizierbare Randeinflüsse (Thermik des Isolationsgases, Ausmitte des Leiters) ein größerer Wärmestrom an die Oberkante der GIL geleitet wird als an die Unterkante. Als Folge wurde der Gasraum aufgeteilt und mit λ Gas,oben =1,0 W(mk)/ und λ Gas,unten =0,4 W/ (mk) unterschiedliche Wärmeleitfähigkeiten festgelegt. 3.5 Aufbau der Berechnung Um den Ausgangszustand des Bodens hinsichtlich der Temperaturverläufe und der Sättigung zu Beginn der Monitoringphase zu erhalten, wird an der Randbedingung GOK die Witterung über eine transiente Rechnung angesetzt. Anschließend wurden die einzelnen Bauphasen (Ausheben des Grabens, Verfüllen mit ZFSV etc.) über die einzelnen Stages in PLAXIS festgelegt und durchgerechnet. Im letzten Schritt wurde die Randbedingung GIL aktiv geschalten und somit die Bestromungsphasen gerechnet. Genauere Angaben zu den einzelnen Berechnungsschritten ist [1] zu entnehmen. 4. Vergleich der FEA mit messtechnischen Daten 4.1 Vergleich im ungestörten Bereich In den nachfolgenden Abbildungen sind die Messwerte der Sensorik und die Ergebnisse aus PLAXIS2D dargestellt. Um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erhalten, wurden die berechneten Temperaturen in den Sensorlagen ausgelesen. Im Sommer liegen die Ergebnisse durchschnittlich 2 Kelvin unterhalb der gemessenen Temperaturen, was auf das Nichtberücksichtigen der Sonneneinstrahlung zurückzuführen ist. Im Winter hingegen liegen die FEA-Ergebnisse oberhalb der Messergebnisse, was auf die höheren Windgeschwindigkeiten im Herbst und Winter zurückzuführen ist. Diese werden im Modell nicht berücksichtigt und würden in einer höheren Wärmeübergangszahl α resultieren. Abbildung 13: Messwerte der Bodentemperaturen im ungestörten Bereich infolge Witterung über verbaute LWL- Sensorik Abbildung 14: Ergebnisse der FEA im ungestörten Bereich infolge Witterung Beim Vergleich der Temperaturen im Bereich der erdverlegten Leitung sind die Ergebnisse zur besseren Übersicht in die Bereiche ober- und unterhalb der Leitung aufgeteilt. Zudem wird nur die Dauerbestromungsphase zwischen Mai und Oktober 2020 diskutiert. Der Abstand des Messpunkts zur Oberbzw. Unterkante des GIL-Mantels ist in der Legende angegeben. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 319 Modellierung der gekoppelten thermischen und hydraulischen Transportprozesse in ZFSV-Bettungen bei erdverlegten Höchstspannungsleitungen 4.2 Vergleich im gestörten Bereich (GIL) Beim direkten Vergleich der Temperaturverläufe lässt sich eine deutliche Übereinstimmung feststellen. Sowohl die Werte, als auch die Zeitpunkte von charakteristischen Maxima und Minima passen zueinander. Die Abweichungen der Mantel- und Leitertemperaturen liegen über den gesamten Berechnungszeitraum unter 5 Kelvin. Die Temperaturen an der Geländeoberfläche weichen stellenweise ab, was durch das Vernachlässigen der Sonneneinstrahlung und variierende Windgeschwindigkeiten zu erklären ist. Deutlich zu erkennen ist auch der Einfluss von Niederschlagsereignissen auf den Wärmetransport. So bewirkt der Starkregen im August 2020 einen konvektiven Wärmetransport und einen Anstieg der Wärmeleitfähigkeit des Bodens, was im Modell in einem zeitverzögerten Temperaturabfall an OK und OK+0,15 resultiert. Es gilt außerdem zu berücksichtigen, dass die Temperaturen aus Sensorik und FEA nicht vollends miteinander vergleichbar sind. Im Versuchsaufbau ist der Leiter bautechnisch bedingt nur auf 90% der Gesamtlänge erdverlegt, wodurch vor allem im Winter Wärme über die Außenluft abtransportiert wird und die Leitertemperaturen absinken. In der FEA wird hingegen eine vollständige Erdbettung modelliert. Abbildung 15: Messwerte der Bodentemperaturen oberhalb der GIL-Hülle Abbildung 16: Bodentemperaturen aus PLAXIS2D oberhalb der GIL-Hülle Vergleicht man die Temperaturen der Sensorik und FEA im Bereich unterhalb der GIL, so erhält man ein ähnliches Bild. Auch hier bleiben die Abweichungen der Berechnung unterhalb von 5 Kelvin und es ist ein ausgeprägter Einfluss der Regenereignisse auf den Wärmetransport zu beobachten. Deutlich zu erkennen ist der zeitlich verzögerte Anstieg der Temperaturen in größeren Tiefen unterhalb der GIL. Abbildung 17: Messwerte der Bodentemperaturen unterhalb der GIL-Hülle 320 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Modellierung der gekoppelten thermischen und hydraulischen Transportprozesse in ZFSV-Bettungen bei erdverlegten Höchstspannungsleitungen Abbildung 18: Bodentemperaturen aus PLAXIS2D oberhalb der GIL-Hülle Zusätzlich zu den Temperaturen können die Wassergehalte in gleicher Manier untersucht werden. Die hohe Sättigung im Bereich des Flüssigbodens sowie dessen Widerstand gegen Austrocknung ist gut erkennbar. Beim Sand hingegen wurden andere Bodenparameter und somit eine andere Wasserspannungskurve zugeordnet, weshalb dort bei ausbleibendem Niederschlag ein Abfallen der Kurven erkennbar ist (OK+0,65). Da die Parameter für die Wasserspannungskurve allerdings nicht über Laborversuche, sondern nachträglich über die Messtechnik ermittelt wurde, sind Abweichungen unvermeidlich. Zusätzlich ist zu beachten, dass die Feuchtesensoren bei Bestromung Temperatureinflüssen unterliegen. Abbildung 19: Messwerte der vol. Wassergehalte Abbildung 20: Volumetrische Wassergehalte aus PLA- XIS2D 5. Zusammenfassung und Fazit Die Übertragungsleistung von erdverlegten Stromleitungen hängt maßgeblich von dem Abtransport der Verlustwärme ab. Zur Bemessung werden häufig ungünstige Wärmeleitfähigkeiten aus der Literatur genommen und der stoffgebundene Wärmetransport im Wasser vernachlässigt. Das führt zu einer unwirtschaftlichen Auslegung der Leitungen und damit hohen Kosten. Da im Zuge des Netzausbaus verstärkt auf Erdverlegung zurückgegriffen werden soll, besteht somit ein erhebliches Einsparpotenzial. Mit PLAXIS2D handelt es sich zudem um ein branchentypisches Programm, welches eine einfache Modellierung ermöglicht. Die Nichtlinearität der Sättigungsabhängigkeit der Wärmeleitfähigkeit lässt sich auch in PLAXIS über die PythonSchnittstelle implementieren, wodurch die Qualität der Ergebnisse nochmals gesteigert werden kann. Auch die Sonneneinstrahlung kann über das Ansetzen einer weiteren Randbedingung an der Geländeoberkante definiert werden. Hiervon wurde jedoch abgesehen, da die Einstrahlungs-Intensität nur unzureichend bekannt (z.B. Schatten etc.) war. Während im Rahmen dieser Arbeit nur der Wärme- und Wassertransport berücksichtigt wurde, ist es in PLAXIS auch möglich die mechanische Komponente miteinzubeziehen und temperaturbedingte Kräfte bzw. Verformungen zu ermitteln. Zusätzlich können so die Einflüsse der Lagerungsdichte auf die Wärmeleitfähigkeit und den Wassertransport berücksichtigt werden. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 321 Modellierung der gekoppelten thermischen und hydraulischen Transportprozesse in ZFSV-Bettungen bei erdverlegten Höchstspannungsleitungen Literaturverzeichnis [1] Zrenner, L.: Modellierung des gekoppelten thermischen und hydraulischen Verhaltens von ZFSVBettungen bei erdverlegten Höchstspannungsleitungen, 2021. [2] Rutqvist, J., Börgesson, L., Chijimatsu, M., Kobayashi, A., Jing, L., Nguyen, T. S., Noorishad, J., Tsang, C.F.: Thermohydromechanics of partially saturated geological media: governing equations and formulation of four finite element models. International Journal of Rock Mechanics and Mining Sciences 38 (2001), H. 1, S. 105-127. [3] R. B. J. Brinkgreve, S. Kumarswamy, A. Haxaire, 2015: Thermal and coupled THM analysis. Plaxis. [4] Lucas Abraham Willemsen, 2011: Validation and Verification of Thermo-Hydro-Mechanical (THM) Coupling in Plaxis. Master Thesis. Luleå University of Technology. [5] Kurzweil, P., Frenzel, B., Gebhard, F.: Physik Formelsammlung: Mit Erläuterungen und Beispielen aus der Praxis für Ingenieure und Naturwissenschaftler. Wiesbaden: Springer Vieweg, 4. Aufl., 2017. [6] Milly, P. C. D.: A Simulation Analysis of Thermal Effects on Evaporation From Soil. Water Resources Research 20 (1984), H. 8, S. 1087-1098. [7] Cass, A., Campbell, G. S., Jones, T. L.: Enhancement of Thermal Water Vapor Diffusion in Soil. Soil Science Society of America Journal 48 (1984), H. 1, S. 25-32. [8] Lu, S., Ren, T., Yu, Z., Horton, R.: A method to estimate the water vapour enhancement factor in soil. European Journal of Soil Science 62 (2011), H. 4, S. 498-504. [9] Plaxis: PLAXIS Material Models CONNECT Edition V20. Build 10265. Plaxis. [10] Marek, R., Nitsche, K.: Praxis der Wärmeübertragung: Grundlagen - Anwendungen - Übungsaufgaben : mit 778 Abbildungen, 62 Tabellen, 50 vollständig durchgerechneten Beispielen sowie 168 Übungsaufgaben mit über 300 Seiten ausführlicher Lösungen zum Download, 5. Aufl., 2019. [11] Grigull, U., Sandner, H.: Wärmeleitung. Berlin, Heidelberg: Springer, 2. Aufl., 1990. [12] Penman, H. L.: Estimating evaporation. Transactions, American Geophysical Union 37 (1956), H. 1, S. 43. [13] Feist, W.: Grundlagen der Gestaltung von Passivhäusern. Darmstadt: Verlag Das Beispiel, 1996. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 323 Resonanzfrequenzmessungen an Festgesteins- und Mörtelproben Andreas Becker Fachgebiet Bodenmechanik und Grundbau, Technische Universität Kaiserslautern, 67663 Kaiserslautern Alexander Stegnos Fachgebiet Bodenmechanik und Grundbau, Technische Universität Kaiserslautern, 67663 Kaiserslautern Ronald Günther Fachgebiet Bodenmechanik und Grundbau, Technische Universität Kaiserslautern, 67663 Kaiserslautern Christos Vrettos Fachgebiet Bodenmechanik und Grundbau, Technische Universität Kaiserslautern, 67663 Kaiserslautern Zusammenfassung Resonanzfrequenzmessungen stellen eine nach ASTM C215 empfohlene, zerstörungsfreie Methode zur Bestimmung der dynamischen Steifigkeit von Beton dar. Mit der zugehörigen Versuchsapparatur wird im Labor die aus einer Impulsanregung resultierende transiente Antwort eines zylindrischen Probekörpers gemessen und daraus die Resonanzfrequenz ermittelt. Die Methode lässt sich auch bei Festgestein sowie bei verfestigten Böden anwenden. Im Rahmen einer Pilotstudie wurden Versuche an intaktem Festgestein sowie an Mörtelproben durchgeführt. Die dynamischen Moduln (Elastizität- und Schubmodul) werden mit statischen Werten aus gängigen einaxialen Druckversuchen verglichen. Beziehungen zur einaxialen Festigkeit werden vorgestellt. 1. Einleitung Das Spannungs-Dehnungsverhalten von Böden und Festgestein ist bekanntlich nichtlinear. Die beiden steifigkeitsbeschreibenden Materialparameter E (Elastizitätsmodul) und G (Schubmodul) ändern sich signifikant in Abhängigkeit des Dehnungsbzw. Spannungszustandes. Im Bereich kleiner Spannungen weisen Boden- und Festgesteinsproben vergleichsweise hohe Steifigkeiten auf, wohingegen kleine Steifigkeiten im Bereich des Versagenszustandes vorliegen. Im Bereich kleiner Dehnungen, die typischerweise bei dynamischen Fragestellungen auftreten, kann ein annähernd lineares Materialverhalten mit konstanten Materialparametern E0 und G0 angenommen werden. Entsprechende Untersuchungsmethoden, die auf der Theorie der Wellenausbreitung in festen Körpern basieren, finden aufgrund ihrer Einfachheit zunehmend Zuspruch (Clayton, 2011). Die Materialparameter bei kleinen Dehnungen korrelieren mit anderen Bodenkenngrößen und können daher mit weiteren Bodeneigenschaften verknüpft werden. So lassen sich bspw. auch Hinweise auf die Festigkeitsentwicklung beim Aushärtungsprozess von zementverfestigten Böden ableiten, Toohey & Mooney (2012). Als zerstörungsfreie Laborversuche stehen neben direkten Messmethoden, wie die Verwendung von Bender-Elementen (Arulnathan et al., 1998), auch indirekte Methoden zur Verfügung. Zu nennen sind der Resonant- Column-Versuch (Drnevich et al., 1978) und die hier eingesetzte Resonanzfrequenzmethode. Letztgenanntes Verfahren wurde auch bei der Beurteilung der Steifigkeit von zementverfestigten Böden eingesetzt (Åhnberg & Holmen, 2011). Bei der freien Resonanzfrequenzmethode wird ein prismatischer oder zylindrischer Probekörper durch eine kontinuierliche Schwingungsanregung oder durch einen Einzelimpuls angeregt. Beide Verfahren versetzen den Probekörper in Dehn-, Biege- oder Torsionsschwingungen, aus denen die entsprechende Resonanzfrequenz der Grundschwingung bestimmt wird. Basierend auf der Theorie eindimensionaler Wellenausbreitung in einem elastischen Stab lassen sich bei bekannter Dichte und Geometrie des Probekörpers je nach Anregungsmodus die beiden Materialparameter E0 und G0 berechnen. Die Streubreite der Ergebnisse kann hierbei durch Unsicherheiten in Bezug auf die statischen und dynamischen Randbedingungen der Probenauflagerung und dem Verhältnis zwischen Probendurchmesser und Probenlänge erklärt werden, Brant et al. (2013). Als derzeit geltendes Regelwerk lässt sich neben der ASTM C215 die DIN EN 14146 heranziehen. 324 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Resonanzfrequenzmessungen an Festgesteins- und Mörtelproben 2. Probenmaterial Als Untersuchungsmaterial wurden Proben aus intaktem Festgestein gewählt. Bei dem erbohrten Festgestein handelte es sich um Sandsteine unterschiedlicher Festigkeit und Klüftigkeit. Bild 1 zeigt exemplarisch vier Bohrkerne, aus denen Proben für die weiteren Prüfungen herausgeschnitten wurden. Neben dem unterschiedlichen Probenaufbau (Grob- und Feinsandstein, Durchtrennungsgrad bzw. Klüftigkeit) unterscheiden sich die Proben in den geometrischen Abmessungen. Bei gleichem Durchmesser von ca. 10 cm variiert die Probenlänge zwischen 17 cm und 28 cm (vgl. Bild 1). Die unterschiedlichen Probenlängen resultierten aus der Notwendigkeit, einen möglichst ungestörten Bereich aus dem jeweils vorliegenden Bohrkern zu gewinnen. Bild 1: Sandsteinproben K1 bis K4 Insgesamt wurden sieben Sandsteinproben K1 bis K7 mit den Eigenschaften und Abmessungen der Tabelle 1 untersucht. Hierbei sind h die Probenhöhe, d der Durchmesser, mf die Feuchtmasse, w der Wassergehalt und rd die Trockendichte. Tabelle 1: Abmessungen, Masse, Wassergehalt und Dichte der Sandsteinproben Probe h [cm] d [cm] mf [kg] w [%] ρd [Mg/ m3] K1 20,0 9,25 3,309 0,20 2,46 K2 17,0 9,25 2,901 0,04 2,54 K3 28,1 9,26 4,884 0,05 2,58 K4 17,4 9,21 2,863 0,16 2,47 K5 19,1 9,40 3,141 0,33 2,36 K6 22,0 9,52 3,762 0,36 2,39 K7 19,0 9,26 3,117 0,18 2,44 Die Proben decken eine praxisnahe Streubreite bei der Untersuchung einer Festgesteinsart ab. Um einen möglichen Einfluss der vorliegenden Inhomogenitäten hinsichtlich Festigkeit und Geometrie bei der Anwendung der Prüfmethode erfassen zu können, wurden zudem definierte Mörtelproben hergestellt. Die homogenen Proben mit einem Durchmesser von 10,5 cm und einer Länge von 30,5 cm bestanden aus einer Mischung aus Wasser (w), Zement (z) und Sand (s) der Körnung 0 bis 2 mm im Massenverhältnis in kg m w : m z : m s = 3,5 : 5,38 : 31,09 bei einem Wasser-Zement-Wert w/ z von 0,65. Bild 2 zeigt einen ausgehärteten Probekörper. Bild 2: Mörtelprobe B2 3. Versuchsgerät und Versuchsdurchführung Als zerstörungsfreies Prüfverfahren wurde die bereits genannte Resonanzfrequenzmethode verwendet. Hierfür wurde die Versuchsapparatur RTG-01 von Olson Instruments Inc. eingesetzt, bei der eine frei gelagerte Probe impulsartig mit einem Schlaghammer angeregt wird. Das Bild 3 zeigt die Gerätschaften mit einem vorbereiteten Versuchskörper. Zur Beschreibung und Durchführung des Prüfverfahrens wurde die Vorgehensweise nach ASTM C215 sowie DIN EN 14146: 2004 zugrunde gelegt. Die zylindrische Probe liegt horizontal auf einer etwa 20 mm dickem, weichen Polyurethanschaummatte, um annähernd freie Randbedingungen zu gewährleisten. Der verwendete Hammer konzentriert die Schlagenergie auf einen Anregungspunkt auf der Probe und hat einerseits eine ausreichende Masse, um eine mechanische Schwingung in der Probe zu erzeugen, die andererseits aber nicht zu einer Zerstörung bzw. Beeinträchtigung der Probe führt. Es werden die fundamentalen Longitudinal-, Transversal-, und Torsionsresonanzfrequenzen f L , f Tr und f T der frei gelagerten zylindrischen Probekörper durch einen Schlagimpuls angeregt. Die Schwingungsantwort des Probekörpers wird mit Hilfe eines Beschleunigungssensors gemessen und der entsprechende Zeitverlauf aufgezeichnet. Je nach Schwingungsmodus erfolgt die Erregung sowie Messung der Antwort an unterschiedlichen Positionen des Probekörpers, wie in Bild 4 schematisch dargestellt. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 325 Resonanzfrequenzmessungen an Festgesteins- und Mörtelproben Bild 3: Versuchsapparatur nach ASTM C215, RTG-01 von Olson Instruments Inc. Bild 4: Positionen von Anregung und Antwortmessung bei unterschiedlichen Schwingungsmoden Neben dem zeitlichen Verlauf des Messsignals ergibt sich für jeden Schwingungsmodus mittels der FFT (Fast Fourier Transformation) jeweils eine ausgeprägte Eigenfrequenz. Bild 5 zeigt exemplarisch das Ergebnis einer Prüfung an einer Mörtelprobe für die drei Moden. Basierend auf der Theorie zur eindimensionalen Wellenausbreitung in einem elastischen, isotropen Stab wird der Zusammenhang bspw. zwischen Schubmodul G 0 und der zugehörigen Eigenfrequenz f T in folgender Form hergestellt: G 0 = ρ·v s 2 = ρ·(2 h f T ) 2 wobei ρ die Dichte, v s die Scherwellengeschwindigkeit und h die Probenlänge sind. In analoger Vorgehensweise ergibt sich der Elastizitätsmodul E 0 mittels der longitudinalen Eigenfrequenz f L und der Geschwindigkeit der Kompressionswelle v p . Bild 5: Schwingungsantwort einer angeregten Mörtelprobe für Longitudinal-, Transversal- und Torsionsschwingungen Dieser Vorgehensweise liegt die Annahme zugrunde, dass die Wellenlänge λ der schwingenden Probe gleich der zweifachen Probenlänge ist (λ = 2 h). Für frei-frei gelagerte Probekörper mit d/ h ≤ 0,5 wird dies als zutreffend angesehen (ASTM C215, 1991; Toohey & Mooney, 2012). Bei der Prüfung anisotroper Materialien, wie es bei einem stark geklüfteten Gestein zutrifft, kann die Antwort im Frequenzbereich mehrere dominante Frequenzen aufweisen. Im Hinblick auf die einfache Versuchsdurchführung wurde jede Probe in jedem Schwingungsmodul etwa 20-mal getestet, um Streubreiten über einen statistischen Mittelwert abzudecken. Nach Abschluss der zerstörungsfreien Prüfungen wurde die einaxiale Druckfestigkeit der Probekörper nach DIN 18141: 2014-05 ermittelt. 4. Versuchsergebnisse 4.1 Resonanzfrequenzversuche Als Ergebnis der zerstörungsfreien Prüfung sind im Bild 6 die Ergebnisse eines Prüfsatzes für den Kern K3 dargestellt. Für die stark geklüftete Probe deuten sich mehrere Resonanzfrequenzen in den einzelnen Moden ab. Bei der nahezu homogenen Sandsteinprobe K5 hingegen lassen sich in jedem Schwingungsmodus deutliche Eigenfrequenzen feststellen, ähnlich wie es bei den homogenen Mörtelproben (Bild 5) der Fall ist. 326 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Resonanzfrequenzmessungen an Festgesteins- und Mörtelproben Dieses Ergebnis wird auch bei der Ermittlung der Materialparameter G 0 und E 0 deutlich. In der Tabelle 2 sind die maßgeblichen Resonanzfrequenzen als Mittelwerte aus jeweils 20 Einzelversuchen für die Sandsteinproben K1 bis K7 und die vier Mörtelproben A1, A3, B1 und B2 zusammengestellt. Mit Hilfe der gemessenen Eigenfrequenzen f Tr , fL und f T sowie der Probenabmessungen und der Materialdichte lassen sich die Materialparameter E Tr (dyn. Elastizitätsmodul aus Biegeresonanzfrequenz), E L (dyn. Elastizitätsmodul in Längsrichtung aus der Longitudinalresonanzfrequenz, entspricht E 0 ) und G T (dyn. Schubmodul aus Torsionsresonanzfrequenz, entspricht G 0 ) berechnen. Die hierzu benötigten Gleichungen sind in den Regelwerken ASTM C215 bzw. DIN EN 14146 zusammengestellt, so dass auf eine Wiedergabe an dieser Stelle verzichtet wird. Bild 6: Gemessene Schwingungsantworten der geklüfteten Sandsteinprobe K3 (Longitudinal-, Transversal- und Torsionsschwingung) 4.2 Einaxiale Druckversuche Als Ergebnisse der einaxialen Druckversuche an den Sandsteinsowie Mörtelproben sind, neben der Trockendichte ρ d und dem Wassergehalt w, in der Tabelle 3 die einaxialen Druckfestigkeiten q u zusammengestellt. Ausgewählte Bruchfiguren nach Versuchsende sind für eine Mörtelprobe und zwei Sandsteinproben im Bild 7 dargestellt. Tabelle 2: Eigenfrequenzen fTr, fL, fT (Prüfergebnisse) und zugehörige Materialparameter ETr, EL und GT für die Sandstein- und Mörtelproben fTr fL fT ETr EL GT [Hz] [GPa] K1 2738 4435 3268 9,0 7,8 4,3 K2 1731 2593 1755 2,2 2,0 0,9 K3 821 1596 751 2,7 2,5 0,5 K4 2308 4749 2308 3,7 6,8 1,6 K5 3817 6703 4135 13,5 15,6 5,9 K6 1427 1528 1554 3,1 1,7 1,2 K7 2604 2953 2264 6,5 3,3 2,5 A1 2308 4816 3263 17,9 18,0 8,3 A3 2338 4841 3322 18,5 18,5 8,7 B1 2352 4931 3298 17,9 18,5 8,3 B2 2330 4799 3344 17,2 17,1 8,4 Tabelle 3: Ergebnisse einaxialer Druckversuche für Sandstein- und Mörtelproben rd w qu [Mg/ m3] [%] [MPa] K1 2,46 0,20 18,7 K2 2,54 0,04 13,5 K3 2,58 0,05 11,9 K4 2,47 0,16 5,4 K5 2,36 0,33 23,5 K6 2,39 0,36 14,4 K7 2,44 0,18 18,0 K8 2,23 0,06 18,0 A1 1,97 0,84 15,8 A3 2,00 0,74 15,6 B1 1,95 0,88 15,3 B2 1,96 0,81 16,3 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 327 Resonanzfrequenzmessungen an Festgesteins- und Mörtelproben Bild 7: Bruchbilder nach Versuchsende des einaxialen Druckversuchs für Mörtelprobe A3 und Sandsteinproben K3, K5 4.3 Zusammenführung der Versuchsergebnisse Die Ergebnisse der statischen einaxialen Druckversuche wurden den dynamischen Materialparametern gegenübergestellt. Wegen der hohen Reproduzierbarkeit und der geringen Streubreite bei den Mörtelproben kann hierfür aus den Ergebnissen folgender Wertebereich zwischen den Moduln E L und G T und der einaxialen Druckfestigkeit q u angegeben werden: E L / q u = 1050 … 1200 G T / q u = 500 … 575 Für die natürlichen Sandsteinproben kann der nennenswerte Einfluss des anisotropen Materialverhaltens und der unterschiedlichen Probenschlankheit in der starken Streuung der Messergebnisse aus Bild 8 deutlich erkannt werden. Bild 8: Elastizitätsmodul EL und Schubmodul GT in Abhängigkeit der einaxialen Druckfestigkeit qu für die Sandsteinproben 5. Zusammenfassung An Sandsteinproben wurden Resonanzfrequenztests als zerstörungsfreie Materialprüfung durchgeführt. Die aus Bohrkernen entnommen Proben weisen unterschiedlich starke Anisotropiegrade auf. Als Vergleichsproben für die Untersuchungen wurden kontrolliert hergestellte Mörtelproben herangezogen. Hinsichtlich der Probengeometrie wurden Standardabmessungen genormter Versuchstechniken gewählt. Die Untersuchungen zeigen, dass die eingesetzte zerstörungsfreie Prüfmethode erfolgreich verwendet werden kann und zu reproduzierbaren Ergebnissen führt. Als Einschränkung ist jedoch die unvermeidliche Streuung der Messergebnisse bei den natürlichen Festgesteinsproben zu nennen, die der inhärenten Anisotropie der Proben zugeschrieben wird. Entsprechend dem geltenden Regelwerk sind Untersuchungskörper von Gesteinen, die sichtbar Anisotropieebenen (z. B. Klüfte, Schichtung, Schieferung) aufweisen, mit ihrer Längsachse parallel oder senkrecht zu diesen Ebenen vorzubereiten und zu testen. Diese Forderung kann für Festgesteinsproben, die aus gängigen Bohrkernen gewonnen werden, nicht erfüllt werden und bietet Raum für künftige Untersuchungen. 328 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Resonanzfrequenzmessungen an Festgesteins- und Mörtelproben 6. Literatur [1] Åhnberg, H., Holmen, M., 2011. Assessment of stabilized soil strength with geophysical methods. Ground Improvement 164(3), 109-116. [2] Arulnathan, R., Boulanger, R.W., Riemer, M.F., 1998. Analysis of bender element tests. Geotechnical Testing Journal 21(2), 120-131. [3] ASTM C215-19, Standard test method for fundamental transverse, longitudinal, and torsional resonant frequencies of concrete specimens, ASTM International, West Conshohocken, PA, 2019. [4] Brant, L.C., Nikolaou, S., Moss, C., 2013. Resonant frequency testing of New York City rock types. 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Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 329 Untersuchungen zum Einfluss der Mikrowellenbestrahlung auf die Änderung der Festigkeitseigenschaften von unterschiedlichen Gesteinsarten Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schmitt, Prof. Dr.-Ing. Ulrich Burbaum Hochschule für angewandte Wissenschaften Darmstadt Gabriel Lehmann, M.Sc. Herrenknecht AG, Schwanau-Allmannsweier, Lehrstuhl für Ingenieurgeologie, Technische Universität München Dr. rer. nat. Heiko Käsling Lehrstuhl für Ingenieurgeologie, Technische Universität München Zusammenfassung Bereits seit mehreren Jahrzehnten wird über den Einsatz von Mikrowellen zum Abbau von Festgestein diskutiert. Durch die Mikrowellenbestrahlung wird das Gestein erwärmt, wodurch Spannungen im Gestein entstehen und eine Reduzierung der Festigkeit des Gesteins herbeigeführt wird. Die Erwärmung und die Zerstörung des Gesteins hängen dabei maßgeblich von dessen dielektrischen Eigenschaften ab. Um die Auswirkung der Mikrowellenbestrahlung auf die Zerstörung bzw. Festigkeitseigenschaften zu untersuchen, wurden Versuchsreihen an unterschiedlichen Gesteinsarten durchgeführt. Dabei wurden verschiedene Einflussfaktoren wie z. B. die Bestrahlungsdauer variiert und die Festigkeit in Punktlastversuchen und einaxialen Druckversuchen bestimmt. Im Rahmen des Beitrags werden die wesentlichen Ergebnisse und die daraus gewonnenen Erkenntnisse der Versuchsreihen vorgestellt und erläutert. 1. Einleitung Seit mehreren Jahrzehnten wird über den Einsatz von Mikrowellen zum Abbau von Festgestein diskutiert. Durch die Mikrowellenbestrahlung wird das Gestein erwärmt, wodurch Spannungen im Gestein entstehen und eine Reduzierung der Festigkeit des Gesteins herbeigeführt wird. Die Erwärmung und die Zerstörung des Gesteins hängen dabei maßgeblich von den dielektrischen Eigenschaften des Gesteins ab [1]. Die dielektrischen Materialeigenschaften beschreiben das Verhalten eines Festkörpers beim Anlegen eines elektrischen Wechselfeldes, das im Material einen elektrischen Strom verursacht, Wärme erzeugt und mit der Dielektrizitätskonstante (Permittivität) definiert wird. Zu den dielektrischen Materialien gehören schwach- oder nichtleitende Materialen, mitunter Gesteine und Mineralien, deren dielektrische Eigenschaften verantwortlich für die Erwärmung und beispielsweise abhängig vom Wassergehalt, Korngröße, Porosität, Temperatur und der angelegten Mikrowellenfrequenz sind. Um die Auswirkung der Mikrowellenbestrahlung auf die Zerstörung bzw. Festigkeitseigenschaften zu untersuchen, wurden bereits verschiedene Versuche bzw. Forschungsprojekte (vgl. [2] bis [8]) durchgeführt. Die untersuchten Gesteine umfassenden dabei magmatische Gesteinsarten wie z. B. Granit, Basalt, Granodiorit und Norit. Sedimentgesteine wie z. B. Sandstein oder Kalkstein wurden i. d. R. dabei nicht untersucht. Hier liegen bisher keine Erkenntnisse vor bzw. wurden hierzu keine Ergebnisse aus Versuchen veröffentlicht. Um die Auswirkung einer Mikrowellenbestrahlung auf die Festigkeitseigenschaften von Sedimentgesteinen zu untersuchen, wurden Versuche am Odenwälder Buntsandstein (s. Abs. 2.1., Abs. 3.1 und Abs. 4.1) und am Eibelstädter Muschelkalk (s. Abs. 2.2, Abs. 3.2 und Abs. 4.2) durchgeführt. Insbesondere wurde der Einfluss des Wassergehaltes der Probekörper analysiert. Aufgrund der Ergebnisse aus den Versuchen am Odenwälder Buntsandstein und am Eibelstädter Muschelkalk wurden zusätzliche Versuche an einer magmatischen Gesteinsart, dem Tittlinger Granit (s. Abs. 2.3, Abs. 3.3 und Abs. 4.3), durchgeführt. 330 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Untersuchungen zum Einfluss der Mikrowellenbestrahlung auf die Änderung der Festigkeitseigenschaften von unterschiedlichen Gesteinsarten 2. Untersuchte Gesteinsarten Im Rahmen der durchgeführten Versuche wurde folgende Gesteinsarten untersucht: • Odenwälder Buntsandstein • Eibelstädter Muschelkalk • Tittlinger Granit 2.1 Odenwälder Buntsandstein Der im Natursteinsektor als Odenwälder Buntsandstein bezeichnete Quarzsandstein aus dem Unteren Buntsandstein wurde für die Versuche aus dem Steinbruch Grasellenbach entnommen. Er ist feinkörnig und überwiegend dickbankig ausgebildet. Die Körner weisen einen Überzug aus Eisenoxiden auf, die dem Gestein seine charakteristische rotbraune Farbe geben. Im Gegensatz zu anderen Buntsandsteinen aus der Region, besitzt dieser keine Karbonatzementflecken oder die daraus entstehenden Hohlräume. Die Sandsteinbänke sind überwiegend massig oder schräg geschichtet und besitzen ebene Bankflächen. Sie sind durch dünne, tonig-schluffige Zwischenlagen voneinander getrennt. Einzelne Gesteinsproben besitzen kleine Tonlinsen im Gefüge (s. Bild 1). Hauptbestandteile des Odenwälder Buntsandsteins sind Quarz, Plagioklas und Kalifeldspäte. Bild 1: Odenwälder Buntsandstein Bild 2: Eibelstädter Muschelkalk 2.2 Eibelstädter Muschelkalk Bei den untersuchten Probekörpern, die aus den Steinbrüchen der Kirchheimer Kalksteinwerke GmbH stammen, handelt es sich um den sog. Eibelstädter Muschelkalk, der dem oberen Muschelkalk zuzuordnen ist. Der unregelmäßig porige Kalkstein mit einer gräulichen Grundfarbe weist rotbräunlichen Poren auf (s. Bild 2). Die Größe und die Häufigkeit der Poren variieren in den einzelnen Schichten. Viele Poren sind durch ein gelblich bis überwiegend rötliches gefärbtes Material, vermutlich ein Eisenoxid zusammen mit etwas Ton, gefüllt. Der Hauptbestandteil ist Calcit. Untergeordnet können Quarz, Pyrit und Feldspat vorhanden sein. 2.3 Tittlinger Granit Der sog. Tittlinger Granit, der aus dem Steinbruch Höhenberg im Bayerischen Wald stammt, ist ein graues, relativ homogenes, gleichkörniges, mittelkörniges Gestein (s. Bild 3). Die Hauptbestandteile sind Quarz, Plagioklas und Alkalifeldspat (vgl. [9]). Bild 3: Tittlinger Granit 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 331 Untersuchungen zum Einfluss der Mikrowellenbestrahlung auf die Änderung der Festigkeitseigenschaften von unterschiedlichen Gesteinsarten 3. Laborversuche und Versuchsdurchführung 3.1 Versuche Odenwälder Buntsandstein An insgesamt 144 Versuchskörpern (Handstücke mit den Abmessungen 29 mm bis 51 mm x 40 mm bis 89 mm x 42 mm bis 94 mm) wurde untersucht, wie sich der Wassergehalt der Sandsteinproben und die Dauer der Bestrahlung durch Mikrowellen auf die Druckfestigkeit der Versuchsköper auswirken. Das Versuchsprogramm gliederte sich dabei in drei Untersuchungsschritte. Im ersten Schritt wurde an zwölf Proben die Ausgangsfestigkeit mittels Punktlastversuch (s. Bild 4) bestimmt. Zwölf weitere Proben wurden vor dem Punktlastversuch getrocknet. Dies diente zum einen zur Bestimmung des Wassergehalts und zum anderen, um Unterschiede in der Festigkeit zwischen feuchter und trockener Probe aufzuzeigen. Die Trocknung erfolgte mittels der Ofentrocknungsmethode nach DIN EN ISO 17892-1 bei 105°. Die Proben wurden mindestens 24 Stunden lang getrocknet. Weitere zehn Proben wurden vor dem Punktlastversuch unter Atmosphärendruck in Wasser gesättigt („nasse“ Probe). Dazu wurden diese Proben 43 Stunden in Wasser gelagert. Dies sollte aufzeigen, ob das Gestein hierdurch seine Festigkeitseigenschaft verändert. Hierbei wurde unter anderem die Festigkeit als weiterer Referenzwert für die Untersuchungen im dritten Schritt bestimmt. Im zweiten Schritt wurde untersucht, welchen Einfluss verschiedene Bestrahlungszeiten auf die Festigkeitseigenschaften des Sandsteins nehmen. Jede der bestrahlten Probe wurde dabei ohne Veränderung des natürlichen Wassergehalts bestrahlt. Für die Bestrahlungszeiten wurden im Vorfeld mehrere Probeläufe durchgeführt. Durch diese Probeläufe wurden die Bestrahlungsintervalle festgelegt und eingegrenzt. Aus den Probeläufen wurde ein Untersuchungsbereich zwischen 30 s und 300 s mit Intervallen von je 30 s festgelegt. In jedem Intervall wurden jeweils zehn Proben bestrahlt, um die Ergebnisse der Punktlastversuche nach Versuchsoption 2 der Empfehlung Nr. 5 „Punktlastversuche an Gesteinsproben“ 2010 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der DGGT (vgl. [10]) durchführen zu können. Diese Auswertungsmethode bietet ein Mindestmaß an statistischer Genauigkeit, ohne den Versuchsrahmen zu sprengen. Die Bestrahlung erfolgte mittels einer handelsüblichen Mikrowelle mit einer Frequenz von 2,45 GHz und einer maximalen Leistung von 3,2 kW. Der Probenkörper wurde auf einer Glasschale so positioniert, dass er sich im Zentrum der Mikrowelle befand (s. Bild 5), um eine möglichst homogene Bestrahlung der Probe zu gewährleisten. Bild 4: Punktlastgerät Bild 5: Position der Probe in der Mikrowelle Im dritten Schritt wurde der Einfluss des Wassergehalts auf den Wirkungsgrad der Mikrowellen untersucht. Hierfür wurden jeweils zehn Proben im trockenen, feuchten und nach Sättigung unter Atmosphärendruck erreichten Zustand bei einer Bestrahlungszeit von maximal 300 s bei voller Leistung mit Mikrowellen bestrahlt. 3.2 Versuche Eibelstädter Muschelkalk An insgesamt 169 Versuchskörpern (Quader mit den Abmessungen 50 mm x 50 mm x 50 mm) wurden wie bei den Versuchen am Odenwälder Buntsandstein zur Bestimmung der Druckfestigkeit Punktlastversuche durchgeführt. Auch hier wurden der Wassergehalt und die Bestrahlungsdauer variiert. Die Versuchsdurchführung entspricht der Beschreibung im Abs. 3.1 für den Odenwälder Buntsandstein. Bei den Versuchen mit dem Eibelstädter Muschelkalk wurden die Intervalle auch mit jeweils 30 s festgelegt. Die maximale Bestrahlungszeit wurden allerdings auf 180 s beschränkt, da in Vorversuchen mit einer längeren Bestrahlungszeit deutlich wurde, dass eine längere Bestrahlungszeit keinen nennenswerten 332 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Untersuchungen zum Einfluss der Mikrowellenbestrahlung auf die Änderung der Festigkeitseigenschaften von unterschiedlichen Gesteinsarten Einfluss auf die Druckfestigkeit der Versuchskörper aufweist. Bei den Versuchen mit dem Eibelstädter Muschelkalk wurden unmittelbar nach dem Punktlastversuch Messungen der Kerntemperatur mit einem Temperaturmessgerät in der Mitte im Bereich der Bruchfläche durchgeführt. In Bild 6 sind exemplarisch die Messepunkte (rote Kreise) für die Messung der Kerntemperatur dargestellt. Bild 6: Messpunkte für die Temperaturmessung im Kern eines Probekörpers des Punktlastversuches 3.3 Versuche Tittlinger Granit An insgesamt 10 Versuchskörpern (Zylinder mit den Abmessungen Durchmesser 49,1 mm bis 50,7 mm und Länge 103,5 mm bis 104,650 mm) wurden zur Bestimmung der Druckfestigkeit Einaxiale Druckversuche entsprechend der Empfehlung Nr. 1 „Einaxiale Druckversuche an zylindrischen Gesteinsprüfkörpern“ 2004 des Arbeitskreises 3.3 „Versuchstechnik Fels“ der DGGT (vgl. [11]) durchgeführt (s. Bild 7). Die Bestrahlung erfolgte ohne die Veränderung des natürlichen Wassergehalts. Die Bestrahlungszeiten lagen bei 20 s, 40 s, 60 s, 90 s, 120 s, 255 s und 390 s. Bild 7: Einaxialer Druckversuch am Tittlinger Granit 4. Versuchsergebnisse 4.1 Versuchsergebnisse Odenwälder Buntsandstein Bei Betrachtung des Wassergehaltes der Proben zeigte sich eine Schwankungsbreite von 1,83 % bis 6,40 %. Der Mittelwert lag bei 4,32 %. Bei Bestrahlung der Proben begann das Wasser nach ca. 20 s bis 30 s Bestrahlungszeit zu verdampfen. Teilweise bildeten sich Blasen beim Verdampfen des Wassers. Dies konnte allerdings nicht bei allen Proben beobachtet werden. Nach einer Bestrahlungszeit von 30 s waren die Proben teilweise noch feucht. Nach einer Bestrahlungszeit von 60 s war das Wasser augenscheinlich vollständig verdampft. Durch die Bestrahlung konnten keine äußerlichen Risse an den Proben beobachtet werden. Die Punktlastversuche erfolgten ausschließlich an unregelmäßig geformten / quaderförmigen Prüfkörpern. Bei keinem der Punktlastversuche war eine unzulässige Bruchform festzustellen (s. Bild 8). Um vergleichbare Ergebnisse erzielen zu können, wurden die Prüfkörperabmessungen auf die Standardabmessungen 50 mm x 50 mm umgerechnet. Dies erfolgte nach der empirischen Gleichung nach [12] mit der nachfolgenden Formel: is(50) = (A/ 2500) 0,225 x is (1) Dabei bezeichnet is(50) den Punktlastindex mit Standardabmessungen von 50 mm x 50 mm. is stellt den Punktlastindex aus dem Einzelversuch dar und A definiert die Probenkörperfläche. Bei der Auswertung der Punktlastversuche wurde auf eine Umrechnung der Punktlast in die einaxiale Druckfestigkeit verzichtet. Bild 9 zeigt die Versuchsergebnisse der 144 Probekörper in Abhängigkeit von den Bestrahlungszeiten und dem Wassergehalt. Die Ordinate gibt den Punktlastindex is(50) an. Auf der Abszisse ist die Bestrahlungszeit aufgetragen. Die Versuche Probe 1 bis 24 und 125 bis 134 zeigen, dass ohne eine Mikrowellenbestrahlung, die trockenen Proben höhere Druckfestigkeiten und die wassergesättigten „nassen“ Proben geringere Druckfestigkeiten aufweisen. Die Probekörper 25 bis 114 zeigen einen deutlichen Einfluss der Bestrahlungszeit auf die Druckfestigkeit der Proben. Mit einer Bestrahlungsdauer von 30 s weisen die Probekörper die geringste Druckfestigkeit auf. Bei zunehmender Bestrahlungsdauer steigt die Druckfestigkeit bis zu einer Bestrahlungszeit von 120 s an. Ab 120 s Bestrahlungszeit bewegt sich die Druckfestigkeit der Proben bis 210 s Bestrahlungszeit auf einem konstanten Niveau. Ab einer Bestrahlungszeit von 210 s verringert sich dann die Druckfestigkeit der Proben. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 333 Untersuchungen zum Einfluss der Mikrowellenbestrahlung auf die Änderung der Festigkeitseigenschaften von unterschiedlichen Gesteinsarten Beim Vergleich der Druckfestigkeit bei einer maximalen Bestrahlungszeit von 300 s (Probekörper 105 bis 124 und 135 bis 144) ergibt sich wie bei den unbestrahlten Probekörpern ein ähnliches Bild: Die trockenen Proben weisen höhere Druckfestigkeiten und die wassergesättigten „nassen“ Proben geringere Druckfestigkeiten auf. Allerdings liegen hier die Druckfestigkeiten der „feuchten“ Proben auf einem ähnlichen Niveau wie die „nassen“ Proben. Bild 8: Beispiel Odenwälder Buntsandstein Bruchfläche der Probe nach Bestrahlung und nach Punktlastversuch a) Probe vor Bestrahlung von oben b) Probe vor Bestrahlung von der Seite c) Bruchfläche der Probe nach Bestrahlung und nach Punktlastversuch d) Probe nach Bestrahlung von oben Beim Vergleich der trockenen Proben (1 bis 12) ohne Bestrahlung mit den „feuchten“ Proben (45 bis 94) mit Bestrahlungszeiten von 90 s bis 210 s fällt auf, dass diese eine Druckfestigkeit in derselben Größenordnung aufweisen. Erst ab einer Bestrahlungsdauer von 240 s kommt es zu einer Reduzierung der Druckfestigkeit. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass es erst nach einer längeren Bestrahlungsdauer zu einer Strukturänderung im Gestein kommt. Hier wurde testweise ein zusätzlicher Versuch mit einer Probe gefahren. Die Probe wurde dabei 840 s lang bestrahlt. Im Punktlastversuch ergab sich ein deutlich reduzierter Punktlastindex von is(50) = 2,095 MN/ m 2 . Bild 9: Mittlere Punktlastfestigkeit und Streuung für verschiedene Bestrahlungszeiten und Wassergehalte Odenwälder Buntsandstein 4.2 Versuchsergebnisse Eibelstädter Muschelkalk Beim Eibelstädter Muschelkalk lag der Wassergehalt der Proben zwischen 1,83 % bis 6,40 %. Der Mittelwert betrug 0,7 %. Grundsätzlich waren bis zur einer Bestrahlungsdauer von 120 s bei den feuchten und trockenen Probekörpern keine Auffälligkeiten, zu beobachten. Zudem waren auch mit bloßem Auge keine äußerlichen Veränderungen zu erkennen. Bei einer Bestrahlungszeit über 120 s traten teilweise kritische Reaktionen auf. Bei den wassergesättigten „nassen“ Proben war nach ca. 10 s der Beginn der Wasserverdunstung zu beobachten. Mit zunehmender Bestrahlungszeit waren Dampf- und Bläschenbildungen an den Probekörpern zu sehen. Ab einer Bestrahlungsdauer von ca. 50 s bis 60 s schienen die Probekörper äußerlich vollständig trocken zu sein. Einige Probekörper, die länger als 120 s bestrahlt wurden, wiesen nach der Bestrahlung eine Farbveränderung auf. Sie wurden stellenweise heller. Mit zunehmender Bestrahlungsdauer waren auch Stellen mit dunkelweißem Farbton zu erkennen. Nach 180 s waren an allen Probekörpern Veränderungen der Farbe zu sehen. Ein erster Probedurchlauf zur Erprobung der maximalen Bestrahlungszeit erzeugte innerhalb der Mikrowelle starke Reaktionen und führte zum Abbruch des Versuchs. Der Probekörper begann nach ca. 180 s an einer der rotbraunen Porenstellen, mit einem Durchmesser 0,5 cm bis 0,8 cm, zu glühen. Nach kürzester Zeit sprühten zusätzlich Funken, sodass sich die Mikrowelle nach einer Bestrahlungszeit von 195 s wegen Überhitzung automatisch abschaltete. Der Probekörper schien äußerlich unversehrt zu sein. Ähnliche Reaktionen in schwächeren Ausprägungen wurden auch an weiteren Probekörpern beobachtet. Diese Reaktionen entwickelten sich hauptsächlich in den Versuchsgruppen 334 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Untersuchungen zum Einfluss der Mikrowellenbestrahlung auf die Änderung der Festigkeitseigenschaften von unterschiedlichen Gesteinsarten der feuchten und trockenen Probekörper, die einer Bestrahlungszeit von 180 s ausgesetzt wurden. Das Einsetzen der Glutbildung variierte zeitlich von Probekörper zu Probekörper. An den Porenstellen lufttrockener Probekörper kam es ca. 5 s bis 10 s vor dem Ende der Bestrahlungsdauer zu erkennbarer Glutentwicklung (s. Bild 10). Die ofentrockenen Probekörper bildeten ca. 15 s bis 30 s vor dem Ende der Bestrahlungszeit auffällige Glutstellen. Jedoch blieben Funken und weitere extreme Reaktionen aus. Deshalb konnten diese Versuche bis zu dem Bestrahlungsende durchgeführt werden. Die Glut an den betroffenen Probekörpern war lokal und ausschließlich an den rötbräunlichen Porenstellen in einem Ausmaß von ca. 0.5 cm bis 1,5 cm. Bei der Durchführung der Punktlastversuche am Eibelstädter Muschelkalk (s. Bild 11) waren von den 169 Versuchen 38 Versuche ungültig. Die ungültigen Versuche traten verstärkt bei den feuchten Probekörpern auf. Bei der Analyse der Bruchbilder der ungültigen Versuche war deutlich zu erkennen, dass es primär zu Brüchen an Stellen mit einer ausgeprägten Porenbildung kam. Dies zeigt deutlich die Problematik von Punktlastversuchen an inhomogenem Material auf. Bild 10: Beispiel Probekörper Eibelstädter Muschelkalk Glutstellen während der Bestrahlung Bei der Auswertung der Punktlastversuche wurde auf eine Umrechnung der Punktlast in die einaxiale Druckfestigkeit verzichtet. Bild 13 zeigt die Versuchsergebnisse der 130 gültigen Versuche in Abhängigkeit von den Bestrahlungszeiten und dem Wassergehalt. Die Ordinate gibt den Punktlastindex i s (50) an. Auf der Abszisse ist die Bestrahlungszeit aufgetragen. Die Versuche der Versuchsgruppen 1 (VG 1), VG 6 und VG11 zeigen, dass ohne eine Mikrowellenbestrahlung, die feuchten Proben höhere Druckfestigkeiten und die wassergesättigten „nassen“ und die trockenen Proben geringere Druckfestigkeiten aufweisen. Nach einer Bestrahlungsdauer von 30 s kommt es bei den feuchten und wassergesättigten „nassen“ Proben (VG 2 und VG 9) zu einer deutlichen Reduktion der Druckfestigkeiten. Bei den trockenen Proben (VG12) ist im Grunde keine Reduktion der Druckfestigkeit feststellbar. Ab einer Bestrahlungsdauer von 60 s ergeben sich auch für die trockenen Proben (VG 3) wesentlich geringere Druckfestigkeiten bzw. liegen diese auf dem Niveau der feuchten und wassergesättigten „nassen“ Proben. Im Rahmen der Punktlastversuche am Eibelstädter Muschelkalk wurden die Temperaturen im Bereich des Kerns (s. Abs. 3.2) gemessen. Im Bild 12 sind die Mittelwerte der Oberflächentemperatur im Bereich des Probenkerns in Abhängigkeit von der Bestrahlungszeit aufgetragen. Hier lässt sich ein linearer Zusammenhang feststellen. Bild 11: Beispiel an einem Probekörper aus Eibelstädter Muschelkalk nach einer Bestrahlungsdauer von 120 s. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 335 Untersuchungen zum Einfluss der Mikrowellenbestrahlung auf die Änderung der Festigkeitseigenschaften von unterschiedlichen Gesteinsarten Bild 12: Mittelwerte Oberflächentemperatur Kern Eibelstädter Muschelkalk 4.3 Versuchsergebnisse Tittlinger Granit Da sich bei den Versuchen mit dem Odenwälder Buntsandstein (s. Abs. 4.1) im Gegensatz zu den Versuchen mit dem Eibelstädter Muschelkalk (s. Abs. 4.2) zeigte, dass es nach einer Bestrahlungsdauer von 30 s zu einer Zunahme der Druckfestigkeiten kommt, wurde eine weitere Gesteinsart dem Tittlinger Granit untersucht. Die Druckfestigkeiten wurden bei diesen Versuchen nicht mit dem Punktlastversuch sondern mit dem einaxialen Druckversuch (s. Bild 14) ermittelt. Dabei ging es im ersten Schritt darum, eine Tendenz bei der Veränderung der Druckfestigkeit durch die Mikrowellenbestrahlung festzustellen. Bild 13: Mittlere Punktlastfestigkeit und Streuung für verschiedene Bestrahlungszeiten und Wassergehalte Eibelstädter Muschelkalk In Bild 15 sind die einaxialen Druckfestigkeiten in Abhängigkeit von der Bestrahlungsdauer dargestellt. Hier zeigte sich, dass es nach einer Bestrahlungsdauer von 60 s zu keiner signifikanten Änderung der Druckfestigkeit kommt. Bei einer längeren Bestrahlungsdauer ist eine Zunahme der Druckfestigkeit messbar. Nach einer Bestrahlungszeit von 255 s ist eine Reduktion der Druckfestigkeit in geringeren Maße erkennbar. In einen darauffolgenden Versuch zerbrach der Probenkörper nach einer Bestrahlungsdauer von 390 s. Bild 14: Beispiel Bruchbild Probekörper Tittlinger Granit Weitere Versuche mit dem Tittlinger Granit werden zurzeit durchgeführt. Bild 15: Einaxiale Druckfestigkeit für verschiedene Bestrahlungszeiten Tittlinger Granit 4.4 Vergleich der Versuchsergebnisse Beim Vergleich der Ergebnisse der Versuche mit dem Odenwälder Buntsandstein und dem Eibelstädter Muschelkalk zeigen sich deutliche Unterschiede (s. Bild 16). Während beim Odenwälder Buntsandstein nach einer Bestrahlungsdauer von 30 s eine deutliche Reduktion der Druckfestigkeit erfolgt, steigt bei längeren Bestrahlungsdauern die Druckfestigkeit an. Erst ab einer Bestrahlungsdauer von 210 s reduziert sich die Druckfestigkeit merklich. Dagegen kommt es beim Eibelstädter Muschelkalk kontinuierlich mit zunehmender Bestrahlungsdauer zu einer Reduktion der Druckfestigkeit, die nach einer Bestrahlungsdauer von 60 s auf einem Niveau stagniert. Beim Vergleich der Ergebnisse zwischen den 336 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Untersuchungen zum Einfluss der Mikrowellenbestrahlung auf die Änderung der Festigkeitseigenschaften von unterschiedlichen Gesteinsarten Versuchsergebnissen des Odenwälder Buntsandstein mit denen des Tittlinger Granit (s. Bild 15) ist eine ähnliche Tendenz in der Entwicklung der Druckfestigkeiten in Abhängigkeit von der Bestrahlungsdauer zu erkennen. Bild 16: Vergleich Odenwälder Buntsandstein / Eibelstädter Muschelkalk Mittlere Punktlastfestigkeit für verschiedene Bestrahlungszeiten „feuchte“ Proben Tab. 1: Quarzanteil der einzelnen Gesteinsarten Gesteinsart Quarzanteil Quelle Odenwälder Buntsandstein 63,9 % [13] Eibelstädter Muschelkalk 3,18 % [14] Tittlinger Granit 23,8 % [15] Bei der Betrachtung des Quarzanteils der einzelnen Gesteinsarten (s. Tabelle 1) fällt auf, dass der Eibelstädter Muschelkalk nur einen sehr geringen Quarzanteil im Gegensatz zum Odenwälder Buntsandstein bzw. Tittlinger Granit aufweist. Danach scheint ein hoher Quarzgehalt im Gestein dazu zu führen, dass sich nach einer Bestrahlungsdauer, die länger als 30 s bzw. 60 s ist, die Druckfestigkeit des Gesteins vergrößern. Erst nach längeren Bestrahlungszeiten ergeben sich dann geringere Druckfestigkeiten im Gestein. 5. Zusammenfassung und Ausblick Die durchgeführten Versuche am Odenwälder Buntsandstein und Eibelstädter Muschelkalk zeigen deutlich, dass die Druckfestigkeit abhängig vom Wassergehalt und von der Bestrahlungszeit durch die Mikrowellen ist. Dabei hat die Bestrahlungszeit den maßgebenden Einfluss. Wieso beim Tittlinger Granit dieses Phänomen bei den bisherigen Versuchen nicht klar erkennbar ist, ist Inhalt weiterer Untersuchungen. Ein Grund hierfür kann das Gefüge sowie der Quarzgehalt der Gesteine sein. Bei den Versuchen am Eibelstädter Muschelkalk ist eine lineare Abhängigkeit der Oberflächentemperatur im Bereich des Probenkerns von der Bestrahlungszeit festzustellen. Die hier vorgestellten Ergebnisse zeigen jedoch auf, dass noch weitere Untersuchungen erforderlich sind. Hierbei sollen weitere Randbedingungen (z. B. weitere Gesteinsarten, längere Bestrahlungsdauern, höhere Bestrahlungsleistungen) analysiert sowie weitere Parameter (z. B. Porosität, Ultraschallgeschwindigkeit) untersucht werden. Literatur [1] Hartlieb, P.; Moser, P.: Mikrowellen zum Lösen von Festgestein, BHM Berg- und Hüttenmännische Monatshefte 156 (10), 2011, S. 390-393. [2] Satish, H.; Ouellet, J.; Raghavan, V. G. S.; Radziszewski, P.: Investigating microwave assisted rock breakage for possible space mining applications, Maney Publishing IOM Communications Ltd and the Australasian Institution of Mining and Metallurgy, Section A: Mining Technology, Vol. 115, 2006, S. 34-40. [3] Hartlieb, P.; Leindl, M.; Kuchar, F.; Antretter, T.; Moser, P.: Damage of basalt induced by microwave irradiation, Minerals Engineering, Vol. 31, 2012, S. 82-89. [4] Hassani, F.; Nekoovaght, P. 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[11] Mutschler, T.: Einaxiale Druckversuche an zylindrischen Gesteinsprüfkörpern, Neufassung der Empfehlung Nr. 1 des Arbeitskreises „Versuchstechnik Fels“ der Deutschen Gesellschaft für Geotechnik e. V., Bautechnik (81) 2004, Heft 10, S. 825-824. [12] Brook, N.: The equivalent core diameter method of size and shape correction in point load testing, International Journal of Rock Mechanics and Mining Sciences & Geomechanics Abstracts, Vol. 22, Issue 2, 1985, S. 61-70. [13] Ludwig, F.: Regional variation of chemical groundwater composition in Hessen, Germany, and its relation to the aquifer geology, Dissertati-on, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 2011. [14] TÜV LGA Bautechnik GmbH: Prüfbericht Petrographische Untersuchung eines Natursteins, Eibelstädter Muschelkalk, 18.07.2007. [15] Troll, G.: Das Intrusivgebiet von Fürstenstein (Bayerischer Wald). - Geologica Bavarica 52, 1964. Digitalisierung in der Geotechnik Connect with us karriere.arcadis.com Zur Verstärkung unserer Teams im Bereich Infrastruktur an den Standorten Darmstadt, Karlsruhe oder Stuttgart suchen wir Sie als Projektleiter*in / Projektmanager*in Geotechnik (w/ m/ d) Ihre Aufgaben: • Projektmanagement von komplexen Infrastruktur-Projekten in ganz Deutschland • Planung, Ausschreibung und Betreuung von Projektbeginn bis zur Schlussrechnung • Sicherstellen der Termin-, Kosten-, Qualitätskontrolle und -steuerung • Aufzeigen des Mehrwerts unserer erstklassigen Dienstleistung im Bereich Infrastruktur/ Geotechnik • Partner*in unserer Auftraggeber, um gemeinsam mit den Projektbeteiligten proaktiv neue Wege, Möglichkeiten und Chancen zu suchen und durchzusetzen • Anfertigen von geotechnischen Berichten inkl. zugehöriger Standsicherheits- und Gebrauchstauglichkeitsnachweise mit den gängigen Softwareprogrammen • Einbringen von Spezialwissen, persönlichen Erfahrungen sowie Ausschöpfen der fachlichen Kompetenzen des persönlichen Netzwerkes • Unterstützung von Kolleg*innen anderer Standorte Ideale Voraussetzungen: • Abgeschlossenes Studium des Bauingenieurwesens oder ein vergleichbarer Abschluss • Mehrjährige Berufserfahrung (mindestens 3 Jahre) in vergleichbarer Position, insbesondere im Bereich von Großprojekten in der Geotechnik • Fundierte Fachkenntnisse im Bereich Geotechnik und/ oder Ingenieur-/ Hydrogeologie und optimalerweise spezifische Kenntnisse zu Trassenneubauprojekten im Rahmen der Energiewende bzw. von Eisenbahninfrastruktur • Strukturierte Arbeitsweise und ausgeprägtes Organisationstalent • Zielorientiertes Arbeiten, Selbstständigkeit, Teamfähigkeit, Kommunikationsstärke • Sichere Kommunikation in Deutsch in Wort und Schrift; gute Englischkenntnisse Online-Bewerbung: bit.ly/ PMGeo 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 341 Die Transformation vom klassischen 2D zum digitalen 3D Beratungs- und Planungsprozess in der Geotechnik Dr.-Ing. Johannes Labenski b),c) Johannes.Labenski@arcadis.com Friedemann Kötzel, M.Sc. a),c) Friedemann.Koetzel@arcadis.com Dipl.-Ing. Sebastian Schnell a),b),c) Sebastian.Schnell@arcadis.com Dr.-Ing. Harald Vogel a),b),c) Harald.Vogel@arcadis.com a) Abteilung Geotechnik, Arcadis Germany GmbH, Am Kochenhof 10, 70192 Stuttgart b) Abteilung Geotechnik, Arcadis Germany GmbH, Griesbachstr. 10, 76185 Karlsruhe c) Abteilung Geotechnik, Arcadis Germany GmbH, Europaplatz 3, 64293 Darmstadt Zusammenfassung In diesem Paper wird der von Arcadis entwickelte Digital Subsoil Approach vorgestellt. Es handelt sich dabei um einen Work-in-Progress, der die Transformation vom klassischen 2D zum digitalen 3D Beratungs- und Planungsprozess in der Geotechnik veranschaulichen soll. Anhand von zwei Projektbeispielen sollen die Herausforderungen in diesem Prozess, aber auch die Vorteile und gewonnenen Erfahrungen aufgezeigt werden. Insbesondere soll verdeutlicht werden, dass es sich bei diesem Digitalisierungsprozess hauptsächlich um einen problemorientierten Lösungsprozess handelt, bei dem es weder ein „Richtig“ noch ein „Falsch“ gibt. Die beiden Projektbeispiele basieren auf Industrieprojekten, bei denen ein sehr heterogener Baugrund vorzufinden war. Beide Projekte machten es für den Projekterfolg erforderlich, dass etablierte Arbeitsprozesse hinterfragt und neue, digitale Prozesse entwickelt und eingeführt wurden. 1. Einführung Zu den Hauptaufgaben eines geotechnischen Beraters gehört es Baugrunduntersuchungen durchzuführen, auszuwerten und daraus Geotechnische Berichte gem. EC7 zu erstellen. Teil dieser Geotechnischen Berichte ist auch die Darstellung der Baugrunduntersuchungen in Form von z.B. 1D Bohrprofilen sowie 2D Geotechnischen Schnitten. Diese Darstellung und Arbeitsweise wird der zunehmenden Komplexität der Bauprojekte und Randbedingungen sowie den zunehmenden Forderungen nach einer Optimierung der Baukosten und des Materialeinsatzes im Sinne des Nachhaltigkeitsgedankens nicht mehr gerecht. Vielmehr muss auch in der Geotechnik, analog zum Hochbau, ein Umdenken zu einem ganzheitlichen 3D Planungsprozess stattfinden. Das umfasst auch die Darstellung des räumlich stark inhomogenen Mediums „Boden“ in einem 3D Modell. Die räumliche Visualisierung des Baugrunds ermöglicht es allen Projektbeteiligten in die Unbekannte Baugrund hineinzusehen, potenzielle Risiken zu identifizieren und eine optimierte Planung der Gründungsstruktur vorzunehmen. Eigene Erfahrungen zeigen eine deutliche Qualitätssteigerung des Planungsprozesses bei Nutzung digitaler 3D Baugrundmodelle, da insbesondere Personen ohne besondere Sachkunde der Geotechnik einen schnelleren Zugang zu den Problem- und Fragestellungen erhalten. Aufgrund dessen setzt Arcadis neben dem klassischen 2D-Baugrundmodell zukünftig vermehrt auf digitale 3D-Baugrundsowie Berechnungsmodelle. Es gibt vereinzelt Literatur, die sich mit dem Thema BIM in der Geotechnik [1] [2] [5] [6] [8] auseinandersetzt sowie seit 2018 den Arbeitskreis Digitalisierung in der Geotechnik der DGGT [3] [4], allerdings finden sich kaum Anwendungsbeispiele sowie Erfahrungsberichte aus der Praxis zur Thematik eines ganzheitlichen, digitalen 3D Beratungs- und Planungsprozesses in der Geotechnik. Ausnahme bilden Webinare durch das NGI [7]. Gerade für die Geotechnische Praxis ist es auch von Interesse, welche Programme sich z.B. für die Erstellung eines 3D Baugrundmodells als nutzbar erweisen bzw. mit welchen Einschränkungen zu rechnen ist. Aus diesem Grund soll mit dieser Veröffentlichung der von Arcadis genutzte Digital Subsoil Approach vorgestellt sowie an Projektbeispielen die entsprechende Umsetzung aufgezeigt werden. Arcadis möchte mit diesem Paper weitere Kollegen ermutigen den Schritt in die digitale 3D Planungswelt zu wagen und ihre positiven sowie negativen Erfahrungen weg vom klassischen 2Dhin zum digitalen 3D Baugrundmodell offen zu teilen. 342 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Die Transformation vom klassischen 2D zum digitalen 3D Beratungs- und Planungsprozess in der Geotechnik 2. Arcadis Digital Subsoil Approach Der Digital Subsoil Approach, als Prozess in Abb. 1 dargestellt, beschreibt einen ganzheitlichen, digitalen Ansatz beginnend bei der Datenerfassung, über die Datenverwertung bis hin zum Bericht bzw. Reporting. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei dieser Darstellung nicht um einen in Stein gemeißelten Prozess handelt. Vielmehr handelt es sich um einen auf eigenen Erfahrungen basierenden Prozessablauf, der jedoch projektabhängig zu hinterfragen und anzupassen ist. Der von Arcadis entwickelte Ansatz kann als ein Kreislauf betrachtet werden, dessen Kern eine Cloud ist, in welcher die Daten aus den verschiedenen Schritten liegen. Dabei muss es sich nicht nur um ein System handeln, vielmehr können verschiedene Cloudsysteme für verschiedene Anwendungszwecke zum Einsatz kommen. Wichtig dabei ist, dass Schnittstellen zwischen den verschiedenen Systemen etabliert werden können, um einen reibungslosen Datenaustausch zu gewährleisten. Am Anfang des Kreislaufes steht die digitale Erfassung der Daten im Feld bzw. auf der Baustelle (vgl. Abb. 1 (1)), z.B. mit einem Tablet. Durch die Cloudanbindung erfolgt eine Echtzeitdatenerfassung und gleichzeitige Datensicherung. Da an dieser Stelle die Datenerfassung mit Stift und Papier sowie in den meisten Fällen auch eine notwendige Nachbearbeitung im Büro zumindest teilweise wegfallen, wird nicht nur die Effizienz gesteigert, sondern auch die Fehleranfälligkeit deutlich reduziert. Die digital erfassten Baugrunddaten liegen in der Cloud und können von dort direkt in eine geologische Modellierungssoftware importiert werden (vgl. Abb. 1 (2)), um ein digitales 3D Baugrundmodell zu erstellen. Arcadis nutzt die Software Leapfrog Works der Fa. Seequent. Das gesamte Modell muss einer ständigen Qualitätskontrolle unterzogen werden, da das erzeugte Baugrundmodell zwar auf mathematischen sowie statistischen Ansätzen beruht, nicht aber den Sachverstand und die Erfahrung des Geotechnischen Gutachters hat, der letztlich für das Baugrundmodell verantwortlich ist. Eine Qualitätskontrolle kann z.B. über die Bewertung repräsentativer 2D Schnitte, extrahiert aus dem 3D Modell, erfolgen. Bis ein qualitätsgesichertes, nutzbares 3D Baugrundmodell entsteht sind erfahrungsgemäß einige Iterationsprozesse erforderlich. Im 3. Schritt des Digital Subsoil Approach erfolgt eine Überführung des 3D Baugrundmodells in die entsprechenden Berechnungsbzw. parametrischen Designmodelle (vgl. Abb. 1 (3)). Dabei ist zu beachten, dass projektbezogen ggf. auch nur Ausschnitte aus dem Baugrundmodell erforderlich sind, z.B. repräsentative 2D Schnitte. Neben dem geotechnischen Sachverstand sollte der bearbeitende Ingenieur insbesondere auch Erfahrung in der Programmierung mit z.B. Python aufweisen, da eine Schnittstelle zwischen den verschiedenen Softwareprodukten oft noch nicht besteht und Eigenentwicklungen erforderlich werden. Sobald sämtliche Berechnungen abgeschlossen sind, ist es erforderlich die Ergebnisse in Form von Berichten an den Auftraggeber zu übermitteln. Da das Baugrundmodell, die Berechnungsparameter und die Berechnungsergebnisse ohnehin in digitaler Form vorliegen, ist es nur konsequent auch die Erstellung des Berichts weitestgehend zu automatisieren (vgl. Abb. 1 (4)). Zum Beispiel über Python, aber auch über VBA Skripte lassen sich automatisiert standardisierte Berichte bzw. Berichtsanlagen produzieren. Auf diese Weise wird nicht nur die Bearbeitungszeit drastisch reduziert, es wird auch die Produktivität der Projektbearbeiter erhöht, da sich diese vollumfänglich auf die fachliche Bearbeitung konzentrieren können. Des Weiteren wird dem Kunden bei solch einer automatisierten Berichterstellung eine gleichbleibend hohe Berichtsqualität zugesichert. Mit Fertigstellung des Berichts ist ein Zyklus des Digital Subsoil Approach durchlaufen. Die Ergebnisse können im weiteren Verlauf des Projekts dazu dienen z.B. eine vollumfängliche geotechnische Baubegleitung oder weitere Baugrunduntersuchungen durchzuführen. Damit beginnt ein neuer Zyklus im Prozessablauf, um mit den neu gewonnenen Daten die verschiedenen Modelle weiter zu detaillieren und (Berechnungs-)Ergebnisse ggf. zu überprüfen bzw. zu überarbeiten. Zukünftiges Ziel sollte es zudem sein, auch die mehr und mehr verbauten Sensoren in den Prozess und die Modelle zu integrieren, um einen vollständigen, repräsentativen und glaubwürdigen digitalen Zwilling zu erzeugen, der das Objekt weit über die Bauphase hinaus repräsentiert. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 343 Die Transformation vom klassischen 2D zum digitalen 3D Beratungs- und Planungsprozess in der Geotechnik Abb. 1: Prozess des Digital Subsoil Approach 344 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Die Transformation vom klassischen 2D zum digitalen 3D Beratungs- und Planungsprozess in der Geotechnik Der Digital Subsoil Approach wird stetig weiterentwickelt, neue Tools implementiert und alte vereinfacht. Somit bleibt festzuhalten: • Es gibt nicht die eine richtige Lösung und verschiedene Ansätze können qualitativ gleichwertige Ergebnisse liefern. • Der Prozessablauf kann und muss stetig angepasst, weiterentwickelt und aktualisiert werden. Die Effizienz erhöht sich mit der gewonnenen Erfahrung der Projektbeteiligten. Auf Grund dessen sollten Erfahrungen und Erkenntnisse regelmäßig reflektiert, besprochen und bei Bedarf eingearbeitet werden. • Der hier gezeigte Prozessablauf kann mit großer Wahrscheinlichkeit in seinem vollen Umfang nicht auf ein anderes Unternehmen übertragen werden. Er kann jedoch als ein Leitfaden dienen, eigene Denkprozesse anregen und Ideen liefern, um einen Digitalisierungsprozess zu etablieren. 3. Projektbeispiele Der folgende Abschnitt beschreibt zwei ausgewählte Projektbeispiele, bei denen ein digitaler 3D Planungsprozess zur Anwendung kam und letztlich verantwortlich für den Projekterfolg war. Dabei soll es nicht nur um die Vorteile dieses digitalen Ansatzes gehen, sondern auch um die jeweiligen Herausforderungen. Beide Projekte haben gemeinsam, dass bei ihnen eine numerische Analyse der Boden- Bauwerks-Interaktion durchgeführt wurde, um das Last-Setzungsverhalten für die zu untersuchenden Lastfälle zu bestimmen. Zudem wurden die Baugrunduntersuchungen nicht im Auftrag von Arcadis durchgeführt, sondern vom Kunden übermittelt. Bei der klassischen Herangehensweise wird bei einem solchen Projekt eine homogene Baugrundschichtung auf Grundlage einer Grenzwertbetrachtung angesetzt. Bei den nachfolgend dargestellten Projekten hätte eine solche Herangehensweise zu keinem sicheren und wirtschaftlichen Entwurf geführt. Das numerische Berechnungsmodell hätte auf Grundlage dieser homogenisierten Randbedingungen keine realistischen Setzungen aus der Boden-Bauwerks-Interaktion geliefert und somit zu einem darauf aufbauenden falschen Entwurf geführt. 3.1 Projektbeispiel A: Zementsilo Bei Beispielprojekt A handelt es sich um die Tiefgründung eines Zementsilos über eine Pfahlgruppe. Das Zementsilo weist einen Durchmesser von ca. 55m und eine Gesamthöhe von ca. 60m auf. Das Silo selbst steht mit seinen Silowänden auf einem Ringfundament. Im inneren Bereich des Silos befinden sich drei Abzugsschächte, die unterhalb der Füllung des Silos liegen. Über diese wird der Zement aus dem Silo gefördert. Jeder der drei Schächte weist eine Querschnittsfläche von ca. 4m x 4m auf und wird entkoppelt vom Ringfundament ebenfalls tiefgegründet. Bei allen in diesem Projekt ausgeführten Pfählen handelt es sich um verrohrt hergestellte Bohrpfähle mit einem Durchmesser von 1,0m. Eine der Aufgaben während des Planungsprozesses war es die Anzahl der Pfähle so gut es geht zu optimieren, um Herstellungszeit und -kosten zu reduzieren. Durch ein iteratives Vorgehen konnte die Anzahl der Pfähle im Vergleich zum initialen Layout um ca. 15% auf eine Gesamtanzahl von 270 Bohrpfählen reduziert werden. Insgesamt wurden 10 Kernbohrungen mit einer Tiefe von bis zu 60 m u. GOK inkl. SPT alle 2m sowie CPTs mit einer Tiefe von bis zu 10 m u. GOK durchgeführt. Die Auswertung der Bohrungen und Sondierungen ergab, dass der Baugrund vorherrschend aus bindigen Bodenschichten mit geringer Festigkeit und Steifigkeit, einer dicht gelagerten Kiesschicht sowie einer Tonschicht mit einer hohen Festigkeit und darunter mehreren Felsschichten unterschiedlicher Verwitterung besteht. Als Absetzhorizont für die geplante Tiefgründung wurden die tieferliegenden Felsschichten festgelegt. Die Auswertung der Bohrprofile ergab zudem, dass der Schichtenverlauf sehr inhomogen ist. Insbesondere die Tiefe der tragfähigen Schicht schwankte mit Werten ≥ 10 m im Bereich unterhalb des Silos. Basierend nur auf den Bohrprofilen war es nicht möglich, ein gedankliches Baugrundmodell für die Boden- Bauwerks-Interaktion herzuleiten, welches zufriedenstellend, aber auch auf der sicheren Seite liegend, abbilden würde. Aus diesem Grund wurde, auch gemeinsam mit dem Auftraggeber, die Entscheidung getroffen, ein 3D Baugrundmodell zu erstellen, um • eine möglichst genaue Auswertung der Baugrunduntersuchung durchzuführen, • einen (mehr oder weniger) präzisen Schichtenverlauf unterhalb des Silos zu abzuleiten, • genaue Pfahllängen zu ermitteln, um die Herstellkosten sowie -zeit zu reduzieren, • den Einfluss der Pfahllänge und inhomogenen Baugrundschichtung auf das Last-Setzungsverhalten und die zu erwartenden Pfahlschnittgrößen mithilfe der Boden-Bauwerks-Interaktion in Form von 3D FE Berechnungen möglichst realitätsnah abzuschätzen. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 345 Die Transformation vom klassischen 2D zum digitalen 3D Beratungs- und Planungsprozess in der Geotechnik Abb. 2: Vergleichende Darstellung des 3D Berechnungsmodells (Leapfrog Works) mit dem 3D Berechnungs-modell (Plaxis) Das in Abb. 2 (links) dargestellte 3D Baugrundmodell enthält alle vorhanden Baugrundinformationen und wurde mittels Leapfrog Works erstellt. Mittels dieser Datengrundlage wäre Leapfrog lediglich in der Lage unterhalb des Silos ein zuverlässiges 3D Baugrundmodell zu erstellen. Dies würde zwar für die individuelle Bestimmung der Pfahllängen, nicht aber für die Boden-Bauwerks-Interaktionsberechnung mit Plaxis 3D reichen. In diesem speziellen Fall war eine Fläche von 200 m × 200 m um das Silo herum im FE Modell notwendig. Während eine Interpolation zwischen den Bohrpunkten in Abhängigkeit von den sonstigen Einstellungen in Leapfrog Works relativ akkurat ist, ist eine Extrapolation der Baugrundschichten weder zuverlässig noch erlaubt nach EC7. Aus diesem Grund wurden sogenannte „Dummy Bohrungen“ im Leapfrog Modell gesetzt, deren Schichtverlauf basierend auf der am nähesten liegenden Bohrung bestimmt wurde. Auf diese Weise wird der Schichtenverlauf außerhalb der eigentlichen Bereichsgrenzen in einen annähernd homogenen Verlauf „gezwungen“. Da für die Boden-Bauwerks- Interaktion das vertikale Pfahltragverhalten maßgeblich war, konnte diese „Vereinfachung der Realität“ hier akzeptiert werden. An dieser Stellte sollte festgehalten werden, dass für die Erstellung des 3D Baugrundmodells eine enge Abstimmung zwischen dem Leapfrog-Anwender, der sich fachlich im Bereich der Geologie und Geotechnik auskennen muss, und dem verantwortlichen Geotechnik Ingenieur stattgefunden hat, um die Richtigkeit des Schichtenverlaufs basierend auf den vorhandenen Informationen sicherzustellen. Im Zuge des Qualitätssicherungsprozesses waren mehrere Iterationen zwischen den Sachbearbeitern notwendig, bei denen hauptsächlich mithilfe von 2D Schnitten, aber auch anhand des 3D Modells eine Überprüfung und Bewertung des Baugrundmodells durch den verantwortlichen Ingenieur stattgefunden hat. Der Qualitätssicherungsprozess ist grundsätzlich vergleichbar mit der klassischen Arbeitsweise, bei der eine enge Abstimmung zwischen Geotechnischem Ingenieur/ Berater und technischem Zeichner zur Erstellung von 2D Schnitten stattfindet. Der große Vorteil des volldigitalen Ansatzes ist es aber, dass Änderungen quasi unmittelbar in das 3D Baugrundmodell eingearbeitet werden können und sämtliche daraus abgeleiteten 2D Schnitte bzw. 3D Anschichten in Echtzeit aktualisiert werden. Der generelle Arbeitsaufwand sowie die allgemeine Fehleranfälligkeit reduzieren sich damit. 346 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Die Transformation vom klassischen 2D zum digitalen 3D Beratungs- und Planungsprozess in der Geotechnik Im weiteren Projektablauf war es notwendig individuelle Pfahllängen basierend auf der Tiefe der tragfähigen Schicht zu bestimmen. Da eine händische Bestimmung der Pfahllängen bei 270 Pfählen nicht zielführend ist, wurden über eine aus Leapfrog exportierte Punktewolke und ein selbst erstelltes Python Skript innerhalb kürzester Zeit die notwendigen Informationen generiert. Auf Grundlage des 3D Baugrundmodells sowie der automatisch ermittelten, individuellen Pfahllängen wurde das 3D Berechnungsmodell in Plaxis erstellt. Analog zum vorgestellten Digital Subsoil Approach ist die Erstellung des Plaxismodells (teil-)automatisiert. Hauptsächlich der Import des 3D Baugrundmodells in Plaxis erforderte manuelle Prozesse, da zu diesem Zeitpunkt noch keine Schnittstelle zwischen Leapfrog und Plaxis etabliert war. So mussten individuelle Punktwolken für die verschiedenen Schichten in Plaxis importiert werden, um anschließend innerhalb von Plaxis sogenannte NURBS Flächen zu erzeugen, aus denen wiederum die Volumenkörper der Baugrundschichten erstellt werden konnten. Abb. 2 zeigt einen Vergleich zwischen dem 3D Baugrundmodell und dem 3D Berechnungsmodell. Eine vergleichende Auswertung ergibt, dass trotz der teils manuellen Ex- und Importprozesse, wenn überhaupt, nur ein geringer Verlust an Information stattgefunden hat und ein hinreichend genaues Berechnungsmodell erzeugt werden konnte. Des Weiteren sind in Abb. 2 die mit einem Python Skript ermittelten, individuellen Pfahllängen zu sehen, die alle, wie vorgegeben, 1 m in die tragfähige Schicht einbinden. Neben dem Last-Setzungsverhalten sind die Pfahlschnittgrößen ein weiteres Ergebnis der Boden-Bauwerks-Interaktionsberechnungen mit Plaxis 3D. Diese benötigt der Tragwerksplaner, um die innere Bemessung der Pfähle durchzuführen. Um die Schnittgrößen sowohl für den Tragwerksplaner aber auch für den eigentlichen Bericht aufzuarbeiten, werden diese mittels eines selbst entwickelten Python Skripts automatisiert aus Plaxis extrahiert, weitere Kenngrößen wie z.B. Pfahlfedersteifigkeiten bestimmt und anschließend visuell aufbereitet. Die nun in Form von Diagrammen vorliegenden Berechnungsergebnisse werden, ebenfalls automatisiert, kompiliert als Anlage eines Berichts. Diese Vorgehensweise reduziert den Aufwand für die Auswertung der Ergebnisse und die Berichtserstellung nicht nur auf ein Minimum, er gewährt gleichzeitig auch eine immer gleichbleibende Qualität der Ergebnisdarstellung. Anhand dieses Projekts konnten folgende Erfahrungen und Erkenntnisse gesammelt und erarbeitet werden: • Um ein nutzbares digitales 3D Baugrundmodell zu erzeugen, müssen zunächst, basierend auf den Baugrundaufschlüssen, sinnvolle Vereinfachungen der angesprochenen Baugrundschichten in Abstimmung mit den involvierten Geologen, Geotechnik Ingenieuren sowie Leapfrog Anwendern durchgeführt werden. • Partiell müssen in das 3D Baugrundmodell sogenannten „Dummy Bohrungen“ eingeführt werden, um einen bestimmten Schichtenverlauf zu erzwingen. Dies ist insbesondere dann notwendig, wenn zu wenig Baugrundaufschlüsse vorhanden sind bzw. wenn die Bereichsgrenzen des Modells, z.B. zur Erzeugung eines Berechnungsmodells, erweitert werden müssen. Für diesen Eingriff ist geologischer bzw. geotechnischer Sachverstand und entsprechende Erfahrung notwendig. • Zwischen den verschiedenen Modellen und Programmen besteht oftmals keine direkte Schnittstelle. Es ist dringend zu empfehlen, dass die Schnittstellen in einer frühen Projektphase etabliert werden, z.B. über selbst entwickelte Python Skripte. • Die Vorteile des digitalen 3D-Baugrundmodells sind vielseitig. Ein primärer Vorteil bleibt jedoch besonders hervorzuheben: Ein solches Modell kann nicht nur den beteiligten Ingenieuren helfen, sich visuell in das Projekt hineinzudenken und eine ausführbare sowie wirtschaftliche Lösung zu finden. Eine besondere Hilfestellung ist es auch bei Gesprächen mit Projektbeteiligten ohne geotechnisches Fachwissen (z.B. Bauherr), Schwierigkeiten und Baugrundrisiken visuell zu veranschaulichen. 3.2 Projektbeispiel B: XXL Großtank Projekt B wurde unmittelbar im Anschluss an Projekt A durchgeführt, sodass die gewonnenen Erfahrungen direkt in dieses Projekt einfließen konnten. Bei diesem Projekt handelt es sich um die Tiefgründung eines XXL Großtanks in Form eines Flüssiggastanks (LNG). Der LNG Tank, der einen Außendurchmesser von ca. 100 m aufweist, sollte über eine Pfahlgruppe bestehend aus ca. 400 Großbohrpfählen mit einem Durchmesser von 1,40 m gegründet werden. Für detailliertere Informationen über die Besonderheiten bei der Gründung von LNG Tanks und deren Bemessung wird auf Zachert & Brosz [9] sowie Zachert et al. [10] verwiesen. Basierend auf den durchgeführten und vom Auftraggeber übermittelten Baugrunduntersuchungen konnte der Untergrund in drei Hauptschichten eingeteilt werden: Unmittelbar unter der Geländeoberkante steht eine künstliche Auffüllung an. Dieser folgt eine Verwitterungszone in Form eines stark verwitterten Felses sowie der eigentliche Felshorizont, welcher lediglich leicht angewittert war. Der leicht angewitterte Felshorizont zeigte, auch durch die Auswertung von Pfahlprobebelastungen, eine ausreichend hohe Festigkeit und Steifigkeit um für den XXL Großtank als eine ausreichend tragfähige Schicht eingestuft werden zu können. Im Gegensatz zu Projektbeispiel A erwies sich die grundsätzliche Baugrundschichtung nicht als besonders komplex. Allerdings deuteten die Baugrundauf- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 347 Die Transformation vom klassischen 2D zum digitalen 3D Beratungs- und Planungsprozess in der Geotechnik schlüsse auf einen sehr unstetigen Höhenbzw. Tiefenverlauf der tragfähigen Schicht hin (Sprünge von bis zu 15 m unterhalb eines Tanks). In Abstimmung mit dem Auftraggeber wurde ein 3D Baugrundmodell entwickelt, • um den Absetzhorizont der Pfähle möglichst genau zu bestimmen und • eine möglichst realitätsnahe Boden-Bauwerks-Interaktionsberechnung in Form von 3D FE Berechnungen durchzuführen. Abb. 3: Isometrische Ansicht: Vergleichende Darstellung des parametrischen Design Modells (Rhino) mit dem 3D Berechnungsmodell (Plaxis) Abb. 4: Frontansicht: Vergleichende Schnitt-Darstellung des parametrischen Baugrundmodells (Rhino) mit dem 3D Berechnungsmodell (Plaxis) 348 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Die Transformation vom klassischen 2D zum digitalen 3D Beratungs- und Planungsprozess in der Geotechnik Das digitale Baugrundmodell wurde auf Grundlage zahlreicher 1D Bohrprotokolle sowie 2D Schnittführungen erarbeitet. Des Weiteren wurden geophysikalische Messungen zur Tiefenbestimmung des Felshorizonts durch den Auftraggeber durchgeführt, ausgewertet und in das Baugrundmodell eingearbeitet. Im nächsten Schritt der Projektbearbeitung mussten individuelle Pfahllängen bestimmt werden. Im Gegensatz zu Projektbeispiel A wurde hier nicht auf ein Python Skript sondern auf das kommerzielle Programm Rhino3D mit seiner visuellen Programmiersprache (VPL; Visual Programming Language) Grasshopper gesetzt. Dies hatte den Vorteil, dass die Baugrundschichtung aus dem 3D Baugrundmodell ebenfalls direkt für die Weiterverarbeitung in Plaxis3D aufbereitet und ein Parametrischer Design Prozess, wie z.B. automatische Koordinatentransformation und die parametrische Bestimmung der individuellen Pfahllängen, etabliert werden konnte. Da in diesem Projekt zudem verschiedene Koordinatensysteme von den jeweiligen Fachplanern genutzt wurden und entsprechende Transformationen durchgeführt werden mussten sowie neben den entsprechenden Pfahllängen auch die Schnitttiefen mit den anderen Baugrundschichten zu ermitteln waren, erschien der Ansatz über Rhino3D als der effizienteste. Eine vergleichende Darstellung des parametrischen Design Modells mit dem 3D Berechnungsmodell wird in Abb. 3 und Abb. 4 dargestellt. Die vergleichende Darstellung in Abb. 3 in isometrischer Ansicht zeigt visuell bereits eine entspreche Konformität zwischen den verschiedenen Modellen und die Funktionalität der entsprechenden Schnittstellen. Aber nur durch frontale Ansicht (Abb. 4) eines vergleichenden Schnitts beider Modelle wird ersichtlich, dass die Schnittstelle zwischen den Modellen nur mit einem minimalen Verlust an Informationen einher geht. Zusätzlich zu der bereits in Projektbeispiel A erläuterten automatisierten Berichtserstellung, wurde in diesem Projekt ein mittels Python erstelltes Dashboard zur Datenvisualisierung eingesetzt (vgl. Abb. 5). Über dieses Dashboard konnte den Projektbeteiligten eindrücklich und transparent der Zusammenhang zwischen verschiedenen Berechnungsergebnissen und Randbedingungen, wie z.B. die Abhängigkeit der Querkraftverteilung von der Pfahllänge, demonstriert werden. Die Anwender selbst benötigen dafür weder Programmiernoch Plaxiskenntnisse, können aber von überall auf der Welt zu jeder Zeit selbst dynamisch auf die Daten Abb. 5: a) Visualisierung über ein mit Python programmiertes Dashboard; b) Darstellung der Ergebnisse in den Anlagen zum Bericht zugreifen und so auch eigene, für sie relevante Abhängigkeiten untersuchen. Dies ist insbesondere für internationale Projekte mit Beteiligten aus verschiedenen Zeitzonen von großer Relevanz. Aber auch in „kleineren“, nationalen Projekten nimmt die Relevanz für eine dynamische Verarbeitung der Berechnungsergebnisse in Kombination mit einer statischen Auswertung der Daten in Form des Berichts weiter zu. Anhand dieses Projekts konnten folgende Erfahrungen und Erkenntnisse gesammelt und erarbeitet werden: • Die Intuitive Bedienung der eingesetzten Software und Tools ist ein Schlüsselpunkt bei der Digitalisierung der Arbeitsprozesse. Die eingesetzte Software muss intuitiv und damit schnell zu erlernen sein. Ein komplexes Programm mit einer aufwendigen Einarbeitungsphase wird, wenn überhaupt, nur sehr zögerlich und schleppend von Kollegen akzeptiert. • Parametrisches Design, wie z.B. die automatische Bestimmung der Pfahllängen, sollte ein visueller Prozess und kein reine Programmierarbeit sein. In diesem Zusammenhang erlauben gerade Programme wie Rhino3D mit der VPL Grasshopper eine unmittelbare visuelle Kontrolle und Überprüfung des Designs. Des Weiteren lassen sich Entwurfsanpassungen, wie z.B. eine sich während der weiteren Planungsphasen ändernde Baugrundschichtung, ohne größeren Aufwand in das Modell mit all seinen Abhängigkeiten übernehmen. • Auf Grundlage der von der Baustelle gelieferten Information können die digitalen Modelle stetig ange- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 349 Die Transformation vom klassischen 2D zum digitalen 3D Beratungs- und Planungsprozess in der Geotechnik passt und fortentwickelt werden. Dadurch lassen sich auch frühzeitig potenzielle Probleme in der Planung erkennen und beheben, bevor sie auf der Baustelle auftreten. • Ein voll digitaler Planungsprozess kann Herstellzeiten und -kosten reduzieren. Mit einem präzisen 3D Baugrundmodell können bereits in der Planung mehrere hundert Bohrpfahlmeter eingespart werden. In dem hier vorgestellten Projektbeispiel waren es im Vergleich zur initialen Planung ca. 1.300 m. 4. Zusammenfassung In dieser Veröffentlichung wurde einführend der von Arcadis eingesetzte Digital Subsoil Approach vorgestellt. Dieser Ansatz ist nicht in Stein gemeißelt und sollte projektabhängig hinterfragt und weiterentwickelt werden. Anhand zweiter Projektbeispiele wurde zudem die praktische Umsetzung dieses Prozesses und die damit einhergehenden Vorteile, aber auch Herausforderungen aufgezeigt. Die daraus gewonnenen Erfahrungen, die wiederum zukünftig in den Prozess einfließen werden, können wie folgt zusammengefasst werden: • Die Entwicklung eines digitalen 3D Baugrundmodells ist nicht trivial. Neben einer entsprechenden Datengrundlage spielt die Erfahrung und Expertise der entsprechenden Sachbearbeiter eine wichtige Rolle. Insbesondere der Qualitätssicherungsprozess nimmt im Vergleich zu den klassischen 2D Schnitten einen höheren Stellenwert ein, da das 3D Modell rein visuell eine gewisse Richtigkeit suggeriert. Es sind i.d.R. mehrere Iterationsschritte notwendig, bis ein qualitätsgesichertes Baugrundmodell erzeugt wurde. • Im Vergleich zum klassischen 2D Ansatz ist der initiale Aufwand zur Einführung eines digitalen 3D Ansatzes hoch. Neben spezieller Software müssen auch die Sachbearbeiter eine entsprechende fachliche Ausbildung und ein entsprechendes Interesse aufweisen. Allerdings zahlt sich dieser erhöhte Aufwand schnell aus, da Projekte nicht nur effizienter sondern auch mit einer höheren Qualität bearbeitet und abgeschlossen werden. Gerade in großen Infrastrukturprojekten wird durch die zunehmende Forderung des Einsatzes von BIM Methoden die Digitalisierung der Arbeitsprozesse und -weise nicht mehr aufzuhalten sein, sodass geotechnische Berater und Planer lieber früher als zu spät entsprechende Transformationsprozesse anstoßen sollten. • Insbesondere die Nutzung von 3D Baugrundmodellen unterstützt enorm die Kommunikation mit fachfremden Projektbeteiligten. Die Unbekannte Baugrund wird auf diese Weise greifbar und verständlich. Aber auch für die eigentlich Projektarbeit des Geotechnischen Ingenieurs ist dieses Modell von enormer Bedeutung, da gerade in größeren Projekten bzw. Projekten mit komplizierten Baugrundbedingungen der Einsatz eines 3D Baugrundmodells die Informationsverarbeitung stark unterstützt und erleichtert. Keines der beiden zuvor vorgestellten Projektbeispiele wäre ohne den Einsatz eines 3D Baugrundmodells erfolgreich abgewickelt worden. • Der Einsatz verschiedener Programme und Tools setzt eine intuitive Bedienung dieser voraus. Viele dieser Programme, darunter auch einige Platzhirsche, die heutzutage im Zusammenhang mit der Digitalisierung eingesetzt werden, verfügen über sehr viele Funktionen, sodass oft eine langwierige Einarbeitung notwendig ist. Dadurch verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass diese Programme durch den normalen Nutzer eingesetzt werden. Gerade selbst entwickelte Tools und Skripte sollten daher dem Minimum Viable Product (MVP) Ansatz folgen, um eine entsprechend große Akzeptanz unter den Nutzern herzustellen. • In der Regel besteht keine (gut) funktionierende Schnittstelle zwischen den verschiedenen Modellen. Je nach eingesetzter Software und Projektanforderungen müssen Schnittstellen z.B. über eigene Python Skripte selbst entwickelt werden. Diese Schnittstellen sollte möglichst frühzeitig im Projektverlauf etabliert werden. Arcadis möchte mit diesem Paper weitere Kollegen ermutigen den Schritt in die digitale 3D Planungswelt zu wagen und ihre positiven sowie negativen Erfahrungen weg vom klassischen 2Dhin zum digitalen 3D Beratungs- und Planungsprozess offen zu teilen. Literaturverzeichnis [1] BFA Spezialtiefbau, 2019. BIM in ground engineering: Technical Position Paper of the Federal Department of Ground Engineering in the German Construction Industry Federation (Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. Bundesfachabteilung Spezialtiefbau). [2] Henke, S., Erbers-Ernst, J., Rust, M. & Schäferhoff, G., 2020. Das BIM-Baugrundmodell im Kontext des BIM-Gesamtmodells - Testmodellerstellung unter Einbeziehung zahlreicher Fachgewerke, Kolloquium „Digitalisierung in der Geotechnik - Von der Entwicklung zur Anwendung eines digitalen Baugrundmodells“, 23.01.2020, Hannover, Germany: BAW (Bundesanstalt für Wasserbau). [3] Molzahn, M., Bauer, J., Henke, S., Tilger, K., 2021. Das Fachmodell Baugrund. Empfehlungen des Arbeitskreises 2.14 der DGGT „Digitalisierung in der Geotechnik“, geotechnik (44) Heft 1, S. 41-51. [4] Molzahn, M., Bauer, J., Henke, S., Tilger, K., 2021. Entwicklungsstufen und Attribuierung 350 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Die Transformation vom klassischen 2D zum digitalen 3D Beratungs- und Planungsprozess in der Geotechnik des Fachmodells Baugrund. Empfehlungen des Arbeitskreises 2.14 der DGGT „Digitalisierung in der Geotechnik“, geotechnik (44) Heft 3, S. 209-218. [5] Möller, O. & Mathutka, K.-P., 2018. BIM in der Geotechnik, Konzeptpapier, Hochschule 21, Buxtehude: Technical Report Nr. 10. [6] Nappa, V., Ventini, R., Ciotta, V., Asprone, D., de Silva, F., Fabozzi, S., 2019. A new frontier of BIM process: Geotechnical BIM, Reykjavik, Iceland, 01-06 September 2019, 7p.: Proceedings of the XVII ECSMGE-2019. [7] Norwegian Geotechnical Institute, 2020. BIM for GeoScience Webinars, https: / / www.ngi.no/ eng/ Services/ Technical-expertise/ BIM [8] Tawelian, L. & Mickovski, S., 2016. The implementation of geotechnical Data into the BIM process: Procedia Engeneering (143) 734-741. [9] Zachert, H. & Brosz, F., 2019. Herausforderungen bei der Planung großer Full-Containment Flüssiggastanks in Erbebengebieten, Pfahlsymposium 2019, pp. 523-550: Mitteilung 107 des Instituts für Grundbau und Bodenmechanik der Technischen Universität Braunschweig. [10] Zachert, H., Labenski, J. & Brosz, F., 2020. Der Hydrotest als Belastungsversuch - Numerische Simulation und Setzungsmessungen an einer mit 2000 MN belasteten Pfahlgruppe, Vorträge zum 27. Darmstädter Geotechnik-Kolloquium: Technische Universität Darmstadt. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 351 Parametrisierung und Attribuierung von BIM-Fachmodellen für Aufgabenstellungen aus dem Bereich der Geotechnik und des Tunnelbaus Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schmitt Hochschule für angewandte Wissenschaften Darmstadt Claudio Cortese M.Eng. Prof. Quick und Kollegen - Ingenieure und Geologen GmbH Dr. rer. nat. Joachim Michael Prof. Quick und Kollegen - Ingenieure und Geologen GmbH Dr.-Ing. Simon Meißner Prof. Quick und Kollegen - Ingenieure und Geologen GmbH Zusammenfassung Im Rahmen des Beitrages wird aufgezeigt, inwiefern es mit dem Stand der Technik und der Softwareentwicklung aktuell möglich ist, die Modellierung von Baugrund und die Schnittstellen zwischen den konstruktiv-statischen Randbedingungen eines Tunnelbauwerks und den geotechnisch-tunnelbautechnischen Parametern und Attributen zu bedienen. Hierbei wird ein besonderes Augenmerk auf die Grundlagen der Datenaustauschformate gelegt, da diese die Grundvoraussetzung für die Durchsichtigkeit und Durchgängigkeit der digitalen Daten während des BIM-Prozesses darstellen. 1. Einführung Building Information Modeling, (BIM) ist ein modellbasierter Prozess, in dem zunächst die Planung, die Ausführung eines Bauvorhabens und dessen Betrieb optimiert werden sollen. Hierzu werden in einem digitalen Gesamtmodell die verschiedensten Teil- und Fachmodelle mit speziellen BIM-Softwarelösungen integrativ bearbeitet. Im Hochbau wird die BIM-Methode schon angewendet, wohingegen die Herausforderungen für die Anwendung der BIM-Methode im Tiefbau/ Untertagebau noch bewältigt werden müssen. Im Rahmen des vorliegenden Beitrages soll aufgezeigt werden, inwieweit es mit dem Stand der Technik und der Softwareentwicklung aktuell möglich ist, die Modellierung von Baugrund und die Schnittstellen zwischen den konstruktiv-statischen Randbedingungen des Tunnelbauwerks und den geotechnisch-tunnel-bautechnischen Parametern und Attributen zu bedienen. Hierbei wird ein besonderes Augenmerk auf die Grundlagen der Datenaustauschformate gelegt, da diese die Grundvoraussetzung für die Durchsichtigkeit und Durchgängigkeit der digitalen Daten während des BIM-Prozesses darstellen. Anhand einer nach der klassischen Planungsmethode durchgeführten Erkundung für ein Tunnelbauwerk und dem daraus abgeleiteten Geotechnischen Gutachten wurde in einer Studie versucht, mit aktuell verfügbaren Softwarelösungen ein Baugrundmodell mit allen nötigen geotechnisch-tunnelbautechnischen Parametern und Attributen zu erzeugen. 2. Mehrdimensionale Planung von 2D bis xD Mit der BIM-Methode werden neue Planungsdimensionen in die bereits heute schon verwendeten 2D- und 3D-Planungen eingeführt. Ein zur heutigen Zeit schon übliches 3D-Modell einer Gebäudeplanung wird um die Faktoren Termine und Kosten erweitert. Bei der Implementierung von Terminen in ein vorhandenes 3D-Modell wird dies als 4D-Modell bezeichnet. Bei der Berücksichtigung von Terminen und Kosten handelt es sich um ein 5D-Modell. Ein BIM-Modell entsteht allerdings nicht nur durch die Implementierung von Dimensionen. Ein weitaus wichtigerer Schritt erfolgt bereits bei der Erstellung des 3D- Modells. Ziel ist es, ein Gesamtmodell (GM) zu entwickeln, welches aus verschiedenen Fachmodellen (FM) 352 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Parametrisierung und Attribuierung von BIM-Fachmodellen für Aufgabenstellungen aus dem Bereich der Geotechnik und des Tunnelbaus und diese wiederum aus verschiedenen Teilmodellen (TM) besteht. Das Gesamtmodell enthält dann alle relevanten Sachdaten, welche aus Parametern, Attributen und Relationen bestehen. Parameter beinhalten in erster Linie die geometrischen Eigenschaften jedes einzelnen Fachobjekts (FO). Attribute beschreiben alle Eigenschaften eines Fachobjekts. Diese können z. B. Materialeigenschaften (Betongüte, Expositionsklassen, Stahlgüte usw.), Bodenkennwerte, Herstellerangaben, Einbauhinweise etc. enthalten. Relationen beschreiben Beziehungen zwischen den einzelnen FO und ebenso die Bezüge zwischen den einzelnen FM, welche voneinander gegenseitig abhängig sein können. Die Relationen zwischen den FM bildet ausschließlich nur das GM ab. 3. Modellstruktur Für die Umsetzung eines Tunnelbauprojektes mit der BIM-Methode ist die Grundlagenermittlung in Form einer digitalen Aufbereitung der bei der Erkundung gesammelten Daten von großer Bedeutung. Die Herausforderung besteht darin, eine Modellstruktur für den Baugrund zu entwickeln und normativ und in offenen und neutralen Datenaustauschformaten zu etablieren. Dies ist obligatorisch, um die digitalen Daten kompatibel für die Nutzung in einem BIM-Modell, z. B. für den Tunnelbau zu machen. Dazu wird das Gesamtmodell in Fach- und Teilmodelle unterteilt. Für ein BIM-Modell Geotechnik ist es gemäß [1] sinnvoll, das Baugrund-Fachmodell in folgende Teilmodelle zu unterteilen: • Digitales Geländemodell (DGM) • Bodenschichtenmodell/ Homogenbereichsmodell/ Bohrprofile • Grundwasserstandsmodelle • Kampfmittelverdachtsmodell (ggf. auch eigenes Fachmodell) • Modell mit Altlastenverdachtsflächen • Modell für im Baugrund befindliche Bauteile/ bekannte Hindernisse 4. Modellgranularität Die Modellgranularität [2] beschreibt in verschiedenen Entwicklungsstufen für geometrische und semantische Informationen im BIM-Modell den Reifegrad der Planungsbzw. Entwicklungsstufe. Dazu haben sich die internationalen Begriffe Level of Geometry (LoG), Level of Information (LoI), Level of Detail (LoD) und Level of Development (LOD) etabliert. Im Hochbau werden LOD mit fünf Stufen von 100 bis 500 angewendet. 4.1 Modellgranularität LoX Baugrund Für den Baugrund liegen derzeit keine Empfehlungen für die Festlegung der Fertigstellungsgrade mit den Granularitäten LoG, LoI, LoD und LOD, wie im nachfolgenden Abschnitt für den Tunnelbau seitens [2] dargestellt, vor. Für das BIM-Baugrundmodell lassen sich die etablierten Modellgranularitäten aus dem Hochbau ebenfalls nicht direkt adaptieren. Entsprechend [5] hat man es in der Geotechnik mit einer „verhältnismäßig großen Unschärfe“ zu tun. Am Beispiel der LOD-Definition im Hochbau lässt sich erkennen, dass diese sich stark nach den Planungsphasen orientieren. Für das BIM-Baugrundmodell lässt sich diese nicht zu leicht anwenden. In [5] wird ein LOD geo vorgestellt, das eine Aussage über den Detaillierungsgrad des BIM-Baugrund-modells anhand der Anzahl der vorhandenen Aufschlüsse und Archivbohrungen in einem bestimmten Raster beschreibt. Es bleibt weiterhin fraglich, ob und wie die aus dem Hochbau bekannten Modellgranularitäten für ein BIM- Baugrundmodell angewendet werden können oder ob für ein BIM-Baugrundmodell oder auch „Bestandsmodell“, vereinfacht von einem LOD 100 ausgegangen werden kann. 4.2 Modellgranularität LoX Tunnelbau Für den Untertagebau hat der DAUB-Arbeitskreis Empfehlungen [2] und [3] für die Festlegung der Fertigstellungsgrade mit den Granularitäten LoG, LoI, LoD und LOD vorgelegt. Der Detaillierungsgrad der Parametrisierung, sprich der geometrischen Informationen der Bauteile eines BIM- Modells, wird gemäß der Empfehlung des DAUB-Arbeitskreises mit dem Level of Geometry (LoG) beschrieben. Speziell für den Untertagebau werden in der DAUB- Empfehlung LoG’s für „konventionelle Ausbruchs- und Sicherungsmethoden“ sowie für „Vortriebe mit maschinellem Vollausbruch und Sicherung mittels Tübbingen“ angegeben. Der Detaillierungsgrad wird in vier Hauptstufen von 100 bis 400 unterteilt. Diese beziehen sich auf die relevanten Methoden im Untertagebau wie Ausbruch, Ausbruchsicherung (Außenschale und weitere Sicherungsmittel), Abdichtung, Innenschale und Innenausbau. Es ist in der Projektkonzeptionierung in den Auftraggeber Informationsanforderungen (AIA) und dem BIM -Abwicklungsplan (BAP), festzulegen, welche Anwendungsfälle in bestimmten Projektphasen welchem LoG entsprechen. Der DAUB-Arbeitskreis gibt in der Anlage 1 „Vor-schlag zur Verwendung eines „Level of Geometrie“ (LoG) im konventionellen Tunnelbau“ sowie in der Anlage 2 „Vorschlag zur Verwendung eines „Level of Geometrie“ (LoG) im maschinellen Tunnelbau“ Hilfestellungen zur Festlegung der Detaillierungsgrade in den einzelnen 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 353 Parametrisierung und Attribuierung von BIM-Fachmodellen für Aufgabenstellungen aus dem Bereich der Geotechnik und des Tunnelbaus LoG-Stufen. Diese sind laut DAUB-Arbeitskreis als Empfehlungen zu betrachten, nicht als Richtlinie. Bild 1 zeigt ein Beispiel für ein LoG 400 für eine Tübbingsicherung. Das Level of Information (LoI) beschreibt den Detailierungsgrad der Attribuierung eines Bauteils im BIM-Modell. Neben semantischen Informationen zum jeweiligen Bauteil ist die Hinterlegung einer eindeutigen Kennung des Fachobjekts in Form eines GUID (Globally Unique Identifier) oder eines Simulationscodes von Nöten, der einzigartig für jedes Fachobjekt im BIM-Modell generiert wird. Bild 1: Beispiel LoG 400 Tübbingsicherung/ Bewehrung [4] Mit dem Level of Detail (LoD) wird gemäß [2] die Zusammenführung des LoG und LoI beschrieben. Hier wird zum Hochbau keine neue Definition vorgenommen, da der ursprüngliche Gebrauch des LoG aus dem Hochbau auf den Untertagebau übertragen werden kann. In der Stufe des LoD wird nach [2] die Zuordnung der Attribute (LoI) und des geometrischen Detaillierungsgrades (LoG) mit Bezug auf den verfolgten Anwendungsfall je Bauteil in der Modellierungsrichtlinie dokumentiert. Im Gegensatz zum Hochbau wird hier allerdings auf die Verwendung einer LoD 500 (as built) verzichtet, da sich der Reifegrad im Level of Development (LOD) beschreiben lässt. Das Level of Development (LOD) beschreibt den Reifegrad eines BIM-Modells. Die LODs werden in den AIA und im BAP festgehalten und vereinbart. Schon in der Projektkonzeptionierung wird eine Lebenszyklusbetrachtung des Bauwerks durchgeführt und damit die Anforderungen an einzelne Projektphasen definiert. Im Level of Development ist es unter anderem denkbar Betrachtungen zu der Trassenwahl, den Abtransport von Ausbruchmaterial und Kollisionen mit Bestands-bauwerken zu verwirklichen. Der DAUB-Arbeitskreis schlägt in [2] folgenden Modelle für einen fortgeschrittenen Planungsstand vor: • Konzeptmodell (Übersichten vor der Ausführung) • Ausführungsmodell (Reifegrad zur 2D-Planableitung) • Produktionsmodell (Einarbeitung der tatsächlich ausgeführten Leistungen wie z. B. Geologie und Vortriebsklassen) • „As built“ Modell (Modell zur Übergabe an den Betrieb, ab dann Bestands- oder Betreibermodel) 5. Stand der Technik und Datenaustauschformate Für die praktische Umsetzung der BIM-Methode müssen Werkzeuge in Form von Software-Lösungen entwickelt und angewendet werden. Für den Hochbau gibt es bereits hochwertige und benutzerfreundliche Software-Lösungen, die ein integratives Arbeiten im BIM-Raum ermöglichen. Neben dem vorhandenen Software-Angebot ist insbesondere der softwareübergreifende Datenaustausch von besonderer Bedeutung. Es fehlt noch an durchgängigen Standards, um interdisziplinär und softwareübergreifend Daten zwischen den verschiedenen Fachplanern auszutauschen. Nach dem BIM-Leitfaden für Deutschland [6] soll sich mit der Einführung der BIM-Methode für die Planung und das Bauen von Bauwerken der Open- BIM Standard etablieren. Im Hochbau setzt sich mehr und mehr das sogenannte Industry Foundation Classes (IFC) Format durch. Der Verein buildingSMART e.V. fördert offene Schnittstellen für die BIM-Methode und unternimmt große Anstrengungen, um Standards und Lösungen für technische Aufgabenstellungen zu finden und zu etablieren. 354 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Parametrisierung und Attribuierung von BIM-Fachmodellen für Aufgabenstellungen aus dem Bereich der Geotechnik und des Tunnelbaus 5.1 Open BIM-Standard Der Open BIM-Standard beschreibt offene und neutrale Schnittstellen für einen effektiven und transparenten Datenaustausch zwischen allen Projektbeteiligten eines mit der BIM-Methode geplanten Projektes. In Deutschland besteht die Bestrebung, dass die Daten-austauschformate nicht als Mittel zum Erlangen einer Monopolstellung eines Softwareherstellers instrumentalisiert werden. Es gibt bereits einige proprietäre Datenaustauschformate, die für bestimmte Fachanwendungen auch ihre Daseinsberechtigung haben [7]. Für Projekte der öffentlichen Hand im Infrastrukturbereich fordert der Stufenplan des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) [8] eine Umsetzung der mit der BIM-Methode geplanten Projekte mit dem Open BIM-Standard seit dem Jahr 2020. Da sich, wie oben erwähnt, einige proprietäre Datenaustauschformate bereits etabliert haben, können für die Lieferung von digitalen Daten an den Auftraggeber, neben den Daten im Open BIM-Standard, weitere Datenpakete in Form von proprietären Datenaustauschformaten als Zusatz übergeben werden. Die Lieferung der digitalen Daten muss aber nach dem Stufenplan des BMVI ganzheitlich mit dem Open BIM-Standard erfolgen, da sich durch den Einsatz von proprietären Datenaustauschformaten eine zu starke Bindung an bestimmte Softwarehersteller entwickelt, welche zu dem sogenannten Lock-In-Effekt führt [7]. Dies verhindert den Zwang, dass öffentliche Auftraggeber die Benutzung von bestimmten Softwareprodukten, eventuell sogar schon in den AIA, vorschreiben müssten. Dies würde wiederum zu einer Beeinflussung der allgemeinen Wettbewerbsbedingungen führen und würde den öffentlichen Auftraggeber in eine unerwünschte Bindung an die, meist international agierenden, Softwarehersteller zwingen [6]. Ein weiterer Vorteil der Open BIM-Methode entspringt der Tatsache, dass, gerade Infrastrukturprojekte, oft Jahrzehnte in der Planung und Ausführung benötigen und Nutzungsdauern von bis zu 100 Jahren haben. Bei einer Langzeitspeicherung der von den AN über-gebenen digitalen Daten kann nicht garantiert werden, dass ein proprietäres Datenaustauschformat über die Jahre weiterentwickelt und gepflegt wird. Die Benutzung des Open BIM-Standards verhindert einen Verlust von digitalen Daten, da die offenen Datenaus-tauschformate Softwarehersteller unabhängig weiter-entwickelt werden können. Herausforderungen bei der Implementierung des Open BIM-Standards ist die Programmierung von fehlerfreien Schnittstellen, welche frühzeitig getestet werden müssen und zu exportierende Daten so ausgeben, dass die importierende Seite diese auch mit allen exportierten Daten wieder einlesen kann. Um die komplexen digitalen BIM- Daten fehlerfrei zu ex- und importieren, ist weiterhin eine manuelle Konfiguration des Ex- und Imports durch den Benutzer durchzuführen [6]. 5.2 IFC - Industry Foundation Classes Die IFC Spezifikation ist ein offenes, genormtes Datenaustauschformat, in dem ein BIM-Modell mit allen Fachobjekten und deren Sachdaten (Parameter, Attribute und Relationen) in einem vorgegebenen Datenschema softwareübergreifend ausgetauscht werden kann. Seit der Veröffentlichung des IFC4-Standards im Jahre 2013 wurde dieser in weiteren Versionen fortgeschrieben [6]. Die Organisation buildingSMART International, in Deutschland als buildingSMART e. V. tätig, entwickelt ihre IFC-Austauschformate [9] stetig weiter und ist bemüht, ein offenes und neutrales IFC-Datenaus-tauschformat auch für andere Fachbereiche zu etablieren. Dazu zählen, die sich in Entwicklung befindlichen IFC-Bridge, IFC-Road, IFC-Rail und IFC-Tunnel für den Infrastrukturbereich. Für die o. g. Datenaustauschformate werden, in Zusammenarbeit mit verschiedenen Ländern, Universitäten und Unternehmen, welche sich für die Entwicklung der BIM- Methode einsetzen, die IFC-Formate unter Berücksichtigung der Anforderungen für die einzelnen Fachbereiche fortgeschrieben. Speziell für das Datenaustauschformat IFC-Tunnel werden und wurden an deutschen Universitäten zwei Forschungsprojekte vorangetrieben. Dies beschäftigen sich vor allem für die Definitionen für den Tunnelbau, für die Tunnelbaumaschinen und für die Detaillierungsgrade für BIM-Tunnelmodelle [10]. 5.3 Weitere Datenaustauschformate Neben dem IFC gibt es noch weitere proprietäre und offene Datenaustauschformaten, die sich bereits etabliert haben: • CityGML (City Geographic Markup Language) • gbXML (Green Building Extensible Markup Language) • COBie (Construction Operations Building information exchange) • XML (Extensible Markup Language) • OKSTRA (Objektkatalog für das Straßen- und Verkehrswesen) 5.4 Common Data Environment - CDE Die Common Data Environment (CDE) ist eine cloudbasierte Dateiumgebung, auf die alle Projektbeteiligten innerhalb eines mit der BIM-Methode geplanten Projektes Zugriff haben. In dieser Datenumgebung werden sämtliche Projektinformationen im Sinn der Single Source of Truth (SSOT) abgelegt und zentral verwaltet. Um einen möglichst neutralen und offenen Zugriff auf 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 355 Parametrisierung und Attribuierung von BIM-Fachmodellen für Aufgabenstellungen aus dem Bereich der Geotechnik und des Tunnelbaus die digitalen Daten des BIM-Projektes zu haben, wird die CDE oft mit der Möglichkeit des webbasierten Zugriffs auf die Projektdateien versehen. Dies ermöglicht es den Projektbeteiligten softwareunabhängig mindestens die Betrachtung der Projektdateien [11]. Die CDE basiert auf dem Prinzip des SSOT. Dieses besagt, dass alle Projektbeteiligten immer Zugriff auf die aktuellen Projektdaten haben und somit auch mit diesen aktuellen digitalen Daten arbeiten können. Es wird jedoch meist noch zwischen einer CDE für alle Projektbeteiligten und der für den Fachplaner selbst unterschieden. Denn es wird nicht jeder Planungs- und Bearbeitungsstand sofort mit allen Beteiligten geteilt. Erst mit einem definierten Reifegrad und erfolgter Qualitätssicherung werden die Daten zentral für alle verbindlich veröffentlicht [11]. 6. Modellierung des Baugrunds Für die Modellierung des Baugrundes im Rahmen der Projektstudie wurden zum einen die Software HoleBase SI Standard von Bentley (ehemals Keynetix) für die Erstellung einer Bohrdatenbank und zum anderen die Software Autodesk Civil 3D von Autodesk für die Erstellung des Baugrundmodells verwendet. Auf Erfahrungen in der Modellierung des Baugrunds mit anderer Software (z. B. Leapfrog Works) soll in einem zukünftigen Beitrag eingegangen werden. 6.1 Bohrdatenbank HoleBase SI Ein Großteil der Daten lag ausschließlich im Papierformat bzw. PDF-Format vor. Die Schichtenverzeichnisse lagen zusätzlich im proprietären bop-Format vor, welches das Dateiformat des Programms iDat WinBohr ist. Zunächst erfolgten eine Auswahl und Zusammenstellung von spezifischen Aufschlüssen im Tunnelbereich. Diese Auswahl wurde in einer Excel-Datei zusammengefasst und mit folgenden später in HoleBase SI zu hinterlegenden Parametern versehen: • Location ID - Eindeutiger Name der Bohrung • Easting [m] nach Gauß-Krüger Zone 3 • Northing [m] nach Gauß-Krüger Zone 3 • Ground Level [m] - Höhe über NN • Final Depth [m] - Bohrmeter je Ansatzpunkt • Trassierungskilometer [km] Neben den Parametern, den geometrischen Sachdaten, wurden auch Attribute in HoleBase SI hinterlegt. Hier ist zu beachten, dass speziell für das Erstellen von geologischen Objekten im BIM-Projekt, die Attribute teilweise abhängig von Parametern sind. Attribute stehen also in Relation zu Parametern in einem BIM-Objekt „Bohrprofil“. Diese Tatsache bezieht sich insbesondere auf die Lithologien sowie die Bodeneigenschaften, welche in Relation zum Parameter Bohrmeter stehen. Die Attribute der Bohrprofile aus den vorliegenden Schichtenverzeichnissen im PDF-Format wurden übernommen und händisch in HoleBase SI eingetragen. Hierzu zählen insbesondere die Bodenansprache inklusive Langtext-Beschreibung. HoleBase SI arbeitet mit einer verknüpften SQL-Datenbank. Da in diesem konkreten Fall keine CDE vorhanden war, wurden die Daten der Bohrdatenbank in einer lokalen SQL-Umgebung gespeichert. HoleBase SI wurde für den britischen Raum entwickelt und enthält bereits Anpassungen, v. a. für den amerikanischen Raum. Aus diesem Grund bedarf es einiger Voreinstellungen, um das Programm für den deutschen Raum nutzen zu können. Da es in HoleBase SI auch möglich ist, die Ergebnisse von Laborversuchen zu hinterlegen, können hier auch die Daten von Laboren, mit denen im Laufe des Projektes zusammengearbeitet wird, hinterlegt werden. Dies dient der Zuordnung der Laborergebnisse zum jeweiligen ausführenden Labor. Für die Eingabe der Bohrloch-Daten wurde das Profil Borehole Log verwendet. Hier können in acht Schritten folgende Daten hinterlegt werden: • Locations • Drilling Details • Wells and Water Strikes • Samples • Results - Insitu • Results - Environmental • Geology Im ersten Schritt Locations werden die Parameter für jede Bohrung festgelegt. Dazu zählen insbesondere eine eindeutige Location ID, Location Type, Final Depth [m], Ground Level [m], Northing [m], Easting [m]. Des Weiteren ist es möglich, ein Datum für den Beginn der Durchführung der Bohrung sowie der Beendigung der Bohrarbeiten zu hinterlegen. Somit ist eine eindeutige Identifizierung jeder Bohrung im BIM-Prozess möglich. Im zweiten Schritt Drilling Details können Informationen zum Bohrverfahren und zur Lage der Bohrung im Raum eingegeben werden. Dies ist für Bohrungen von Vorteil, welche nicht senkrecht abgeteuft werden, sondern aus geologischen Gründen, wie z. B. der räumlichen Lage des Trennflächengefüges oder Störungen, angezeigt sind. Des Weiteren können theoretisch Korrekturen für ursprünglich senkrecht geplante Bohrungen im Hinblick auf Abweichungen zur Soll-Lage der Bohrung vorgenommen werden. Im dritten Schritt Wells and Water Strikes können Informationen zum optionalen Ausbau zur Grundwassermessstelle gemacht werden. Dazu zählen z. B. Daten wie der Durchmesser des Standrohrs, das Datum des Ausbaus und zur Verfüllung des Hohlraums zwischen Bohrloch und Standrohr. 356 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Parametrisierung und Attribuierung von BIM-Fachmodellen für Aufgabenstellungen aus dem Bereich der Geotechnik und des Tunnelbaus Im vierten Schritt, ebenfalls Wells and Water Strikes, können Angaben zu angetroffenem Grundwasser gemacht werden. Im fünften Schritt Samples werden Informationen zu entnommenen Proben hinterlegt. Hier besteht die Möglichkeit jeder Probe eine eindeutige ID zuzuweisen und die Art der Probenentnahme zu definieren. Des Weiteren können Angaben zur Tiefenlage (Depth Top [m] und Depth Base [m]) und der Schlagzahl (Blows) gemacht werden. Im sechsten Schritt Results - Insitu werden die Ergebnisse der möglicherweise durchgeführten in situ-Ver-suche eingepflegt. Im siebten Schritt Results - Environmental können mit der aktuellen Voreinstellung Umweltbelastungswerte wie Ergebnisse zum FID (Flammenionisations-detektor)- und PID (Photoionisationsdetektor)-Versuch eingetragen werden. Hier wäre zu prüfen, ob stattdessen die Eingabe umweltgeotechnischer Laborergebnisse, wie z. B. Zuordnungsklassen nach LAGA, ebenfalls eingepflegt werden können. Für die spätere Modellierung eines BIM-Baugrund-modells von großer Bedeutung ist der achte Schritt Geology. Hier können die geologischen Daten aus der Bohrkernaufnahme mit Hilfe von Schichtgrenzen sowie der Lithologie hinterlegt werden (s. Bild 2). Mit dem Legend Code ist es möglich, die Zeichen für Bodenarten nach DIN EN ISO 14688-1 bzw. DIN 4023 und DIN 21920 abzubilden (s. Bild 3). Die hier hinterlegten Legend Codes werden später für, in HoleBase SI automatisch erstellte, Schichtenverzeichnisse herangezogen. Des Weiteren kann bei der späteren Erstellung der Bohrprofile in einem BIM-fähigen CAD- Programm, wie AutoDesk Civil 3D, zwischen der Darstellung mit Legend Codes oder Geology Codes gewählt werden. Bild 2: HoleBASE SI - Eingabe der geologischen Daten Bild 3: HoleBase SI - Legend Codes Geology Codes spielen eine entscheidende Rolle bei der späteren Modellierung des Baugrundes. Diese, wie auch die Legend Codes, können in HoleBase SI individuell angelegt und editiert werden (s. Bild 4). Die Festlegung der Geology Codes muss zwingend von einem erfahrenen Geologen oder Geotechniker vorgenommen werden, der die Bodenansprache fachgerecht in idealisierten Bodenschichten zusammenfassen kann. Bild 4: HoleBase SI - Anlegen von Geology Codes Neben der beschriebenen händischen Eingabe der Daten besteht in HoleBase SI auch die Möglichkeit des Imports von Aufschlussdaten. HoleBase SI bietet die Möglichkeit des Imports folgender Dateiformate: • AGS-Dateien • Key Logbook • gINT • pLog Tablet • Geodasy • CSV Der Import, der hier am ehesten dem OpenBIM-Standard entspricht, ist derjenige mit Hilfe von kommagetrennten CSV-Dateien. Die in HoleBase SI eingegebenen oder importierten Datensätze mit Hilfe von kommagetrennten CSV- Dateien können exportiert werden. Alternativ ist es möglich, AGS-Formate in den Dateiversionen 3.1, 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 357 Parametrisierung und Attribuierung von BIM-Fachmodellen für Aufgabenstellungen aus dem Bereich der Geotechnik und des Tunnelbaus 4 und 4 NZ zu exportieren. Die so exportieren Daten können dementsprechend für die weitere Bearbeitung mit der BIM-Methode verwendet werden. Ein spezielles Tool von HoleBase SI ist die Erweiterung HoleBase CONNECT Civil 3D Extension zur Integration von HoleBase SI in AutoDesk Civil 3D, weshalb es sich anbietet, das Baugrundmodell mit diesem Programm zu entwickeln, da hier eine verlustfreie Weitergabe der Daten möglich ist. Neben der Ausgabe der Bohrdaten als CSV-Dateien, bietet HoleBase SI die Möglichkeit DIN-konforme Protokolle unter dem Mantel einer voreingestellten Dokumentenvorlage auszugeben. So können sehr schnell und einfach die in HoleBase SI hinterlegten Daten z. B. als Schichtenverzeichnisse ausgegeben werden, die mit den voreingestellten Dokumentenvorlagen (Templates) allerdings britischen Normen bzw. Standards entsprechen. Hier wäre eine Fortschreibung der Dokumentvorlagen nach europäischem Regelwerk und den jeweiligen nationalen Anhängen sinnvoll. 6.2 Baugrundmodell AutoDesk Civil 3D Das Baugrundmodell wurde mit dem BIM-fähigen CAD-Programm Civil 3D erstellt. Dieses ist speziell für Linienbauwerke geeignet und beinhaltet viele nützliche Tools für den Gleis- und Straßenbau sowie Funktionen zur Integration von verschiedenen geodätischen Informationen. Mit dem HoleBase CONNECT Civil 3D Tool wurden die in der Bohrdatenbank gespeicherten Informationen in die CAD-Software übertragen. Dazu wird über o. g. Tool eine direkte Verbindung zur SQL-Datenbank erzeugt, aus der die digitalen Daten der Bohrdatenbank ausgelesen werden konnten. Das Hauptaugenmerk bei der Verbindung und Übernahme der digitalen Daten aus der SQL-Datenbank liegt auf den Parametern, mit allen beinhalteten geometrischen Eigenschaften, sowie den Attribut-Informationen zu den lithologischen bzw. petrographischen Eigenschaften. Im Augenblick der Verbindung mit der SQL-Datenbank wird das gewünschte Projekt, welches vorher in Hole- Base SI Standard angelegt wurde, ausgewählt und die digitalen Daten der Bohrdatenbank werden automatisch in die CAD-Zeichnung eingefügt. Die Erkundungsergebnisse und die in HoleBase SI hinterlegte Bodenschichtung kann in der 3D-Ansicht betrachtet werden (s. Bild 5). Die Standardeinstellung sieht eine Darstellung der Bodenschichtung anhand der vorher in HoleBase SI definierten Geology Codes vor. Wahlweise kann unter der Einstellung Locations die Darstellung nach Legend Codes, BGS Lexicon, Boundary oder Geology Code 2 vorgenommen werden. Letzteres gewinnt vor allem bei der Notwendigkeit einer zweiten Interpretation einen großen Vorteil. So können in HoleBase SI weitere Geology Codes festgelegt werden und die Zusammenfassung von ähnlichen Schichten unterschiedlich und mehrfach interpretiert werden. Bild 5: Civil 3D - Auszug der 3D-Ansicht der importierten Bohrprofile Die Bohrprofile werden automatisch als Blöcke eingefügt. Die Bohransatzpunkte sind im 3D-CAD-Raum durch die in HoleBase SI definierten Koordinaten-Parameter (Easting, Northing) sowie durch das Ground Level bestimmt. Die richtige Farbdarstellung der Geology Codes muss über die Layer in Civil 3D eingestellt werden. HoleBase SI erzeugt automatisch Layer, für jede Schicht und weitere Zeichenelemente. Die durch HoleBase SI erstellten Layer sind durch das Kürzel KNX, welches vor jedem Layer-Namen steht, zu identifizieren. Insbesondere für die weitere Bearbeitung ist darauf zu achten, dass die Bohrprofile automatisch mit einer 5-fachen Überhöhung dargestellt werden. Dies ist vor allem dann zu berücksichtigten, sollten weitere, nicht von HoleBase SI erstellte, Elemente z. B. ein digitales Geländemodell (DGM) in die 3D-Zeichnung geladen werden. Über den HoleBase SI Location Manager in Civil 3D können die angezeigten und zu berücksichtigen Bohrprofile ausgewählt werden. Auf diese Art und Weise können z. B. Teilfachmodelle für einen Planungsabschnitt erstellt werden oder nicht aussagekräftige Bohrungen oder Archivbohrungen aus der Modellierung ausgeschlossen werden. Entsprechend der in HoleBase SI festgelegten Geology Codes besteht die Möglichkeit, mit dem HoleBase CON- NECT Civil 3D Tool die Schichtgrenzen zunächst automatisch zu generieren (s. Bild 6). 358 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Parametrisierung und Attribuierung von BIM-Fachmodellen für Aufgabenstellungen aus dem Bereich der Geotechnik und des Tunnelbaus Bild 6: Civil 3D - Ausschnitt der automatisch erzeugten Schichtgrenzen Wie in Bild 6 zu erkennen ist, erzeugt das HoleBase CONNECT Civil 3D Tool Schichtgrenzen mittels linearer Interpolation im 3D-Raum zwischen den vorhanden Bohrprofilen. Die Schichtgrenzen sowie eventuelle Linsen sind nachzubearbeiten und fachgerecht zu interpretieren. Als zusätzliche Schichtgrenze der obersten Bodenschicht wird im Modell das digitale Geländemodell (DGM) eingefügt. Die automatisch erzeugte obere Schichtgrenze entspricht nicht der tatsächlichen Geländeoberfläche. Für spätere direkte Volumenberechnungen aus dem 3D-Modell spielt dies eine entscheidende Rolle, da die Genauigkeiten der Volumenberechnungen dadurch erhöht werden kann. In Bild 7 ist das automatisch erzeugte Schichtenmodell mit dem DGM als oberste Schichtgrenze zu erkennen. Das digitale Geländemodell und die Bohrpunkte werden hier mit einer 5-fachen Überhöhung dargestellt. Dies erleichtert das visuelle Verständnis der Baugrund-situation sehr stark und ermöglicht eine präzise Interpretation. Bild 7: Civil 3D - Perspektive Bohrprofile inklusive DGM Die Anpassung und Interpretation des 3D-Baugrundmodells erfolgt über die Erstellung von Schnitten der Interpretation- und Profile-Tools. Hier können an beliebiger Stelle im 3D-Raum Schnitte gesetzt werden und neben dem eigentlichen 3D-Modell als 2D-Schnitt (s. Bild 8) angelegt werden. Die Schnitte stehen in Relation zum 3D-Modell und jegliche Veränderung im 3D- Modell wirkt sich direkt auf den 2D-Schnitt aus und umgekehrt. Bild 8: Civil 3D - 2D-Schnitt mit HoleBase CONNECT Civil 3D Tool Nach der Anpassung der Schichtgrenzen in Civil 3D ergibt sich man ein annäherndes 3D-Modell des Baugrundes (s. Bild 9). Bild 9: Civil 3D - 3D-Modell mit teilweise angepassten Schichtgrenzen Gleichzeitig mit der bereits verbesserten Darstellung des 3D-Schichtenmodells stößt man mit den verwendeten Programmen aber auch an die Grenzen des technisch Möglichen. Es fällt auf, dass die Schichtgrenzen nicht alle vollständig erkannt und vom HoleBase CONNECT Civil 3D Tool verarbeitet werden können. Eine freihändige Bearbeitung der Schichtgrenzen ist nur begrenzt möglich. Dies ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass die Aufschlüsse für das zugrunde liegende Projekt nicht als BIM-Projekt geplant war. Die Anzahl der Aufschlüsse reicht dementsprechend nicht aus, um ein aussagekräftiges 3D-Baugrundmodell zu modellieren, was in Bild 10 deutlich wird. Bild 10: Civil 3D: Draufsicht 3D-Baugrundmodell 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 359 Parametrisierung und Attribuierung von BIM-Fachmodellen für Aufgabenstellungen aus dem Bereich der Geotechnik und des Tunnelbaus 7. Fazit Wie zuvor aufgezeigt, ist es möglich, mit der Software HoleBase SI Standard die Ergebnisse einer Bohrkampagne in einer zentralisierten Datenbank zu speichern und zu verwalten. Die Idee hinter dem Programm folgt durchgängig der BIM-Methode und ermöglicht es, digitale Daten auch nach dem OpenBIM-Prinzip zu importieren und exportieren. Die offene Datenaus-tausch-Schnittstelle beschränkt sich hierbei auf das kommagetrennte CSV-Format. Dies hat den Vorteil, dass die Daten softwareunabhängig eingesehen und bearbeitet werden können, birgt jedoch auch den Nachteil, dass die Daten nur in einem durch das Programm vorgeschriebenen Format ein- und ausgelesen werden können. Ein weiterer Diskussionspunkt ist die Kontrolle der Eingabedaten. Schichtenverzeichnisse werden vor Ort im Bohrkernlager oder in situ aufgenommen und handschriftlich erstellt. Es handelt sich nicht um maschinell erzeugte digitale Daten, wie z. B. von Vermessungsinstrumenten, die direkt mit dem Computer eingelesen werden können. Dies birgt eine gewisse Fehleranfälligkeit, da jeder Datensatz zu jedem Aufschluss nach der Bohrkernaufnahme noch einmal händisch digitalisiert werden muss. Erfolgt dies nicht umgehend in einer BIM-fähigen Bohrdatenbank, wie HoleBase SI, sondern in einem in der Branche üblichen Schichtverzeichnis-Programm, wie iDat WinBohr bzw. WinSchi, müssen die Daten noch einmal händisch in die BIM-fähige Bohrdatenbank übertragen werden. Dies erhöht die Fehleranfälligkeit und widerspricht eigentlich dem BIM-Prinzip. Andererseits ist es in der Aufarbeitung der Daten aus der Baugrunderkundung üblich, dass die geotechnischen Ansprachen des Bohrguts vor Ort auf der Grundlage der weiteren direkten (Labor- und Feldversuche) und indirekten (z. B. geophysikalische Ergebnisse) im Rahmen der Erstellung eines Geotechnischen/ Tunnelbautechnischen Gutachtens nochmals bewertet werden müssen. Spätestens an dieser Stelle beginnt die BIM-konforme Aufbereitung der Daten. Das Ziel bei der Erstellung einer, dem BIM-Gedanken folgender, Bohrdatenbank muss es sein, die Daten so schnittstellenneutral wie möglich zu speichern und verwalten zu können. Dabei zeigt sich durch die oben genannten Erfahrungen, dass die Fehleranfälligkeit gesenkt werden kann, wenn die Daten so wenig wie möglich händisch bearbeitet werden müssen. Um zentralisierte Bohrdatenbanken nach der BIM-Methode pflegen zu können, wäre es weiterhin notwendig, dass die durch den Geologen/ Geotechniker ermittelten tunnelbautechnischen Kennwerte direkt in der digitalen Bohrdatenbank hinterlegt werden können. Diese müssten als Attribut in Relation zu den definierten idealisierten Bodenschichten bzw. Homogenbereichen definiert werden können. Betrachtet man den weiteren Projektverlauf im BIM-Prozess, könnten die zu den Parametern der Lithologie und Schichtgrenzen in Relation stehenden geotechnisch/ tunnelbautechnischen Attribute bei der Modellierung und bei der Verwendung des BIM-Baugrundmodells als Berechnungsgrundlage für das konstruktiv/ statische BIM-Tunnelmodell verwendet werden. Dies ist zum heutigen Zeitpunkt technisch noch nicht umsetzbar. Die betreffenden tunnelbautechnischen Attribute müssen händisch im BIM-Baugrundmodell hinterlegt werden bzw. vom Tragwerksplaner des Tunnels händisch aus dem Baugrundgutachten in das konstruktive Berechnungsprogramm übernommen werden. Die Tools zur Interpretation der Bodenschichtung im HoleBase CONNECT Civil 3D Tool sind grundlegend gut durchdacht, beschränken den Anwender aber auch bei verhältnismäßig kleiner Aufschlussdichte und geringer Komplexität der Bodenverhältnisse, wie im vorliegenden Fall. Hier bleibt zu betrachten, ob der Ansatz nach [5] eine Methode darstellt, infolge derer die Anordnung der geplanten Bohransatzpunkte zu einem aussagekräftigen BIM-Baugrundmodell führen kann. Die Möglichkeit mit den Civil 3D Standard-Werkzeugen Linien, Flächen und Volumenkörper zu erstellen, besteht natürlich weiterhin. So würde sich auch aus linienförmig angeordneten Aufschlüssen ein BIM-Baugrundmodell extrapolieren lassen. Dies entspricht dann aber nicht mehr dem BIM-Gedanken der offenen und neutralen Datendurchgängigkeit, da die so erzeugten Zeichenelemente nicht mehr in direkter Verknüpfung zu den in der Bohrdatenbank hinterlegten digitalen Daten stehen. Alternativ besteht die Möglichkeit auf Archivbohrungen zurückzugreifen. Diese lassen sich, bei einer gut gepflegten Datengrundlage, in den BIM-Prozess integrieren. Die Daten der Archivbohrungen können in der Bohrdatenbank digitalisiert werden und über das HoleBase Civil 3D Tool mit dem BIM-Baugrundmodell verknüpft werden. Da Archivbohrungen aber nicht immer vorliegen bzw. oft erst in großer Entfernung zu finden sind, ist dies auch keine verlässliche Herangehensweise, um die Modellränder eines BIM-Baugrundmodells zu erschließen. Weiterhin wäre es für die Zukunft wünschenswert, dass die Archivbohrungen in offenen und neutralen Datenaustauschformaten bei den Landesämtern vorliegen, um diese für neue und aktuelle Projekte nutzen zu können. Abschließend lässt sich zusammenfassend feststellen, dass mit den Programmen HoleBase SI, Civil 3D und dem HoleBase CONNECT Civil 3D Tool bereits eine Umsetzung eines BIM-Baugrundmodells unter den o. g. Einschränkungen möglich ist. Die Einführung der BIM-Methode in ein Unternehmen ist mit einem großen Zeit- und Kostenaufwand für Mitarbeiterschulungen und Lernprozesse sowie für die Programme selbst verbunden. Allein die Konfiguration von HoleBase SI mit allen Anpassungen auf die Bedürfnisse des jeweiligen Unternehmens und auf die deutschen Normen und Standards bedarf einer nicht zu unterschätzenden Einarbeitungszeit. Hier sollte der Faktor Kosten-Nutzen berücksichtigt werden. Ebenso sind umfangreiche Kenntnisse und Erfahrungen im Umgang mit der CAD-BIM-Software Auto- 360 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Parametrisierung und Attribuierung von BIM-Fachmodellen für Aufgabenstellungen aus dem Bereich der Geotechnik und des Tunnelbaus Desk Civil 3D erforderlich. Auf lange Sicht wird sich die BIM-Methode durchsetzen, was nicht zuletzt z. B. durch den Stufenplan des BMVI bestätigt und gefordert wird. Es bedarf zur jetzigen Zeit an viel Pionierarbeit, die sich aber über die Jahre amortisieren und die Qualität, Offenheit und Durchsichtigkeit der Planung, Ausführung und des Betriebes verbessern wird. 8. Danksagung Die Autoren bedanken sich bei der Firma Bentley Systems für die zur Verfügungstellung der Software Hole- Base SI Standard. Literatur [1] Henke, S.; Ebers-Ernst, J.; Rust, M.; Schäferhoff, G.: Das BIM-Baugrundmodell im Kontext des BIM-Gesamtmodells - Testmodellerstellung unter Einbeziehung zahlreicher Fachgewerke, Kolloquium Digitalisierung in der Geotechnik, Bundesanstalt für Wasserbau, 23. Januar 2020, S. 23-29. [2] Deutscher Ausschuss für unterirdisches Bauen e.V. (DAUB)/ Arbeitskreis „BIM im Untertagebau: Digitales Planen, Bauen und Betreiben von Untertagebauten, BIM im Untertagebau, Stand Mai 2019. [3] Deutscher Ausschuss für unterirdisches Bauen e.V. (DAUB)/ Arbeitskreis „BIM im Untertagebau: Modellanforderungen - Teil 1 Objektdefinition, Codierung und Merkmale, Ergänzung zur DAUB- Empfehlung BIM im Untertagebau (2019), Stand November 2020. [4] Lu, C.: Entwicklung parametrisierter Bauteile zur Anwendung in BIM-Modellen im Bereich des Tunnelbaus, Masterarbeit, Hochschule für angewandte Wissenschaften Darmstadt, 2021, unveröffentlicht. [5] Prinz, I.: Digitale Baugrundmodelle: BIM in der Geotechnik, EI - Der Eisenbahningenieur, Heft 05- 2019, S. 22-27. [6] Egger, M.; Hausknecht, K.; Liebich, T.; Przybylo, J.: BIM-Leitfaden für Deutschland, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), 2013. [7] Borrmann, A., et al.: BIM4INFRA2020 Teil 8, Neutraler Datenaustausch im Überblick, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), April 2019. [8] planen-bauen 4.0 - Gesellschaft zur Digitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens mbH: Stufenplan Digitales Planen und Bauen, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), Dezember 2015. [9] buildingSMART international: IFC Specifications Database, buildingSMART international, Juni 2020. [10] König, M. et al.: Wissenschaftliche Begleitung der BMVI Pilotprojekte zur Anwendung von Building Information Modeling im Infrastrukturbau, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). [11] Oettinghaus, S.: BIM Collaboration - Digitale und interdisziplinäre Zusammenarbeit in openBIM Projekten, 43. Dresdner Wasserbaukolloquium 2020. Autoren: Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schmitt Hochschule für angewandte Wissenschaften Darmstadt Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwesen Haardtring 100, 64295 Darmstadt E-Mail: juergen.schmitt@h-da.de Claudio Cortese M.Eng., Dr. rer. nat. Joachim Michael, Dr.-Ing. Simon Meißner Prof. Quick und Kollegen - Ingenieure und Geologen GmbH Groß-Gerauer Weg 1, 64295 Darmstadt E-Mail: office@quick-ig.de 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 361 Erfahrungen zur 3D-, 4D- und 5D-Ebene im Rahmen der praktischen Anwendung von BIM bei der Planung einer tiefen Baugrube Janosch Sauerbrey M. Eng. CDM Smith Consult GmbH, Nürnberg, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schmitt Hochschule für angewandte Wissenschaften Darmstadt, Darmstadt, Deutschland Dr.-Ing. Hendrik Ramm CDM Smith Consult GmbH, Bickenbach, Deutschland Zusammenfassung Der Beitrag beschreibt die Erkenntnisse und Erfahrungen bei der Modellierung der 3D-, 4D- und 5D-Ebenen im Rahmen der BIM-Planung einer tiefen Baugrube. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der praktischen Einbindung von geotechnischer Berechnungssoftware und der Modellierung der Bauzeiten und Baukosten. 1. Einleitung Building Information Modelling ist eine Arbeitsmethodik, bei der ein digitales Modell eines Bauvorhabens mit allen im gesamten Lebenszyklus benötigten Daten erstellt wird. Für ein Bauwerksmodell werden aufeinander aufbauende Dimensionen definiert. Diese beschreiben die nD-Ebenen für den gesamten BIM Lebenszyklus. In Tabelle 1 sind die Ebenen für Projekte in der Geotechnik basierend auf [1] dargestellt. Tab. 1: Ebenen in der Geotechnik Ebene Bestandteile 3D - Dreidimensionale, digitale Abbildung - des Verbaus mit zusätzlichen Bau- - teilinformationen - Kollisionsprüfung 4D - Verknüpfung von in Zeitplänen dar-gestellten Bauaktivitäten (Bauzeitendauer aus dem Modell) - Simulation des Bauprozesses - Bewertung von Baubarkeit und Arbeitsablaufplanung 5D - Generieren von modellbzw. - objektbasierten Kostenbudgets im Zeitverlauf 7D - Nachhaltigkeitskomponente (In der Geotechnik z. B. in Bezug auf Boden und Grundwasserkontamination) 8D - Entwurfs- und konstruktionsrelevante Sicherheitsaspekte So wird das 3D-Modell z. B. in der 4D-Ebene um den Zeitfaktor und in der 5D-Ebene mit den dazugehörigen Kosten ergänzt. Während im Umgang mit der geometrischen 3D-Modellierung im Bereich der Geotechnik mittlerweile ausreichende Erfahrungen vorliegen, sind die praktischen Erfahrungen mit der 4D- und 5D-Ebene 362 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erfahrungen zur 3D-, 4D- und 5D-Ebene im Rahmen der praktischen Anwendung von BIM bei der Planung einer tiefen Baugrube nur sehr spärlich. Im Rahmen der praktischen Anwendung wurde für das BIM-Modell einer tiefen Baugrube ein durchgängiger digitaler Planungsprozess durchgeführt. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse bei der Einbindung von geotechnischer Berechnungssoftware in der 3D-Ebene sowie den Erfahrungen bei der Modellierung der 4D- und 5D-Ebenen werden im Rahmen des Beitrages vorgestellt, erläutert und bewertet. Insbesondere wird dabei ein Augenmerk auf die Schnittstellen der einzelnen Softwareapplikationen gelegt. 2. Verwendete Softwareapplikationen Für die nD-Modellierung wurden verschiedene Softwareapplikationen verschiedener Softwarehersteller verwendet. In Tabelle 2 sind die einzelnen Softwareapplikation und deren Einsatz in den verschiedenen Ebenen aufgeführt. Tab. 2: Übersicht verwendete Softwareapplikationen Software Version Software-hersteller Ebene Einsatz Civil 3D 2019 Autodesk 3D Gelände- und Baugrundmodellierung Holebase SI (jetzt: OpenGround) 2019 Keynetix (jetzt: Bentley Systems) 3D Zusatzmodul für einfachere und effizientere Baugrundmodellierung Revit 2020 Autodesk 3D Modellierung des Verbaus Navisworks 2020 Autodesk 3D Übersichtliche 3D-Darstellung des Baugrundmodells DC-Integra 5.0 DC-Software 3D Modellierung des Verbaus für nachfolgende Bemessung DC-Baugrube 7.64 DC-Software (8D) Bemessung des Verbaus Plaxis 2D 20.3.0.60 Bentley Systems (8D) Finite-Element-Berechnung des Verbaus Sofistik Re-inforcement Detailing 2020 Sofistik 3D Zusatzmodul für einfachere Bewehrungsmodellierung iTwo 2020 RIB Software 4D, 5D Bauzeiten- und Baukostenplanung 3. Angaben zum Bauprojekt und zur tiefen Baugrube Im Rahmen eines Projektes, bei dem ein Gebäudekomplex aus vier Gebäuden mit Bauwerkshöhen bis zu 75 m errichtet werden soll, wurde eine tiefe Baugrube geplant. Die Grundfläche der Baugrube beträgt ca. 10.000 m² (ca. 145 m x 75 m). Die Baugrube wurde mit einer Tiefe von maximal ca. 8 m geplant. Aufgrund der Nähe zu einem Fluss steht ein hoher Grundwasserspiegel an, so dass sich die Baugrube ca. 3 m im Grundwasser befindet. Daher wurde bei der Baugrube eine Bohrpfahlwand, die wassersperrend ist, als Verbau vorgesehen. In Bereichen ist auf die Bohrpfahlwand eine 2 m hohe Trägerbohlwand aufgesetzt. Außerdem wird die Bohrpfahlwand in tiefen Bereichen mit einer Ankerlage gesichert. Die Fläche wurde vorher industriell genutzt. Somit waren bei der Planung auch die umwelttechnische Randbedingungen von besonderer Bedeutung. 4. 3D-Modellierung Die Baugrubenplanung erfolgte durch eine 3D-Modellierung. Mit der Software Civil 3D wurde zuerst ein Modell des bestehenden Geländes erstellt (s. Abb. 1). Abb. 1: Geländemodell für die Verbauplanung Dieses Modell wurde als Grundlage für die weiteren Modelle verwendet. Die Daten der Bohrungen aus der der Baugrunduntersuchung wurden mit der Software Holebase SI in die Software Civil 3D überführt. Dort wurde 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 363 Erfahrungen zur 3D-, 4D- und 5D-Ebene im Rahmen der praktischen Anwendung von BIM bei der Planung einer tiefen Baugrube mit Hilfe von Schnitten das geotechnische Baugrundmodell konstruiert (s. Abb. 2). Abb. 2: Dreidimensionale Darstellung des Baugrundmodells Ebenso wurde das umwelttechnische Baugrundmodell mit der gleichen Herangehensweise erstellt. Bei der Baugrunduntersuchung wurden Daten zur LAGA-Bodenklassifizierung sowie zur Grundwasser- und Bodenluftbelastung gesammelt, die in das umwelttechnische Baugrundmodell überführt wurden (s. Abb. 3). Abb. 3: Umwelttechnisches Baugrundmodell Abschließend wurde neben einem Baugrubenmodell in Civil 3D, auch ein Modell des Baugrubenverbaus mit der Software Revit erstellt (s. Abb. 4). Abb. 4: 3D Modell des Verbaus 5. Geotechnische Berechnung Zur Dimensionierung und geotechnischen Bemessung des Baugrubenverbaus wurden zwei Softwareapplikationen, DC-Baugrube und Plaxis, angewendet. Die DC-Baugrube ist eine Software, die für die Erstellung von Standsicherheitsnachweisen und die Bemessung von Baugrubenverbauten verwendet wird. Plaxis ist ein universell einsetzbares Programm, das mit der Finite Elemente-Methode Spannungen und Verschiebungen im Baugrund ermittelt. Für die Anwendung DC-Baugrube mussten die Daten des Verbaus zuerst in das Tool DC-Integra übertragen werden. In DC-Integra kann der Lageplan der Baugrube als dxf-Datei sowie Geländepunkte als txt-Datei eingeladen werden. Sowohl der Verbau als auch einfache Baugrundmodelle können auf Basis dieser Grundlagen in DC-Integra modelliert werden. Aus dem Modell können Schnitte erzeugt werden, anhand derer die Bemessung in DC-Baugrube durchgeführt werden kann. Das 3D-Modell (ohne die Bewehrung) kann über das IFC-Format in Revit überführt werden. Die Abbildung 5 zeigt beispielhaft eine solche IFC-Datei (blau) in dem Modell des Verbaus in Revit. Abb. 5: IFC-Export aus DC-Integra Ein sehr interessanter Ansatz, mit dem die DC-Software effizient genutzt werden könnte, wäre es, zu Beginn des Projektes den Verbau zuerst in DC-Integra zu modellieren, die verschiedenen Positionen zu bemessen und den Verbau abschließend als IFC-Datei zu exportieren. Diese IFC-Datei könnte dann in Revit importiert und nachmodelliert werden und für die folgende Planung weiterverwendet werden. Ein Baugrundmodell für die Bemessung mit der DC-Software zu erstellen, ist nicht effizient. Es ist jedoch sinnvoll, die bereits vorhandenen Bohrpunkte in DC-Integra zu importieren, damit mit diesen und den dazugehörigen Bohrprofilen der Baugrund zumindest grob modelliert werden kann. In der Tabelle 3 ist eine Bewertung der DC-Software dargestellt. 364 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erfahrungen zur 3D-, 4D- und 5D-Ebene im Rahmen der praktischen Anwendung von BIM bei der Planung einer tiefen Baugrube Tab. 3: Bewertung der DC-Software Positiv Negativ Vordefinierte Verbauarten (kombinierbar) Import von Baugrundmodell benutzerunfreundlich, bei vielen Geländepunkten nicht sinnvoll Einfache Handhabung der Funktionen Modellierung des Baugrunds aufwendig Schnelle und einfache Bemessung der Bauteile Objektfang für Punkte aus dxf-Lageplänen funktioniert nicht durchgängig Schnelle und einfache Ergebnisausgabe In Teilen unübersichtliche Bedienelemente Alle erforderlichen Nachweise werden automatisch erstellt und können auf Plausibilität überprüft werden Berechnungsparameter nicht komplett in DC-Integra darstellbar -> Anpassungen des Berechnungsschnitts noch erforderlich Ermittelter Verbau exportierbar Viele Dateien (unübersichtliche Ordner) Neben der DC-Software wurde auch das Programm Plaxis 2D bzw. Plaxis 3D im Hinblick auf die potenzielle Nutzung in einem BIM-Projekt untersucht. Dazu wurde ein Schnitt aus Revit in Plaxis importiert und berechnet (s. Abb. 6). Abb. 6: Berechneter Querschnitt in der Software Plaxis 2D Der Import ist jedoch nicht direkt möglich. Aus Revit muss der Schnitt als dxf-Datei exportiert werden, in Autocad angepasst werden und kann dann erst in Plaxis eingefügt werden. Außerdem ist anzumerken, dass hiermit nur die Geometrie aus dem Modell übernommen wird. Die Bodenparameter müssen in Plaxis eingearbeitet werden. Weiterhin können die Daten aus Plaxis nicht in Revit zurückgeführt werden. In der Tabelle 4 ist eine Bewertung von Plaxis dargestellt. Tab. 4: Bewertung von Plaxis 2D Positiv Negativ Jegliche Art von dxf-Datei ist importierbar Kein Export des Verbaus möglich Import von IFC-Datei möglich Ergebnisausgabe nur einzeln möglich und zeitaufwendig Einfache Handhabung der Funktionen Nachweise nicht als Ergebnis ausgebbar Übersichtliches Arbeitsfenster Ungenauigkeiten oder doppelte Linien in der dxf-Datei führen zu Problemen in Plaxis, deren Lösung teils aufwendig ist Universelle geotechnische Berechnungen möglich Überführung von Revit in Plaxis aufwendig Baugrundmodell gut integrierbar Plaxis kann während des gesamten Planungsprozesses immer wieder verwendet werden, um bestimmte Verschiebungen im System zu berechnen. Der Import der Geometrien ist jedoch aufwendig und die Ergebnisse können nicht automatisch, sondern nur manuell, in das zentrale Modell zurückgeführt werden. Es ist aber auch hier zu hinterfragen, ob es sinnvoll ist, die Ergebnisse aus Plaxis in das Zentralmodell zu integrieren. 6. Modellierung der Bewehrung Die Bohrpfahlbewehrung kann in Revit ohne zusätzliche Software modelliert werden. Hierfür muss zuerst ein Plan mit verschiedenen Grundrissen, Ansichten und Schnitten erstellt werden. In diesen können dann die Bewehrungsbestandteile modelliert werden. Die Querkraftbewehrung kann nach dem Einstellen der Überdeckung eingearbeitet werden. Damit die Längsbewehrung korrekt im Bohrpfahl platziert werden kann, wurde eine Hilfskonstruktion gezeichnet (s. Abb. 7). Für weitere Bewehrungselemente, wie Montagering und Fußkreuz mit Fußplatte, müssen Familien, vordefinierte Bauteile, erstellt werden. Die Abstandshalter sind nicht in Revit vordefiniert. Um diese einzufügen, wurde das Sofistik-Add-In für Revit verwendet. Dieses Add-In hilft nicht nur bei speziellen Bewehrungsformen, sondern es vereinfacht und beschleunigt die Bewehrungsmodellierung und vor allem auch die Erstellung der Bewehrungspläne. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 365 Erfahrungen zur 3D-, 4D- und 5D-Ebene im Rahmen der praktischen Anwendung von BIM bei der Planung einer tiefen Baugrube Abb. 7: Hilfskonstruktion Bewehrungsmodellierung 7. 4D- und 5D-Modellierung Für die Bauzeiten- und Baukostenplanung wurde das Programm iTwo von RIB Software SE verwendet. Das Modell des Verbaus und der Baugrube kann aus Revit mit einem Add-In direkt über das CPIXML-Format in iTwo exportiert werden. Vor dem Export sollte darauf geachtet werden, dass im 3D-Modell die Objekte durch Parameter genau unterschieden werden können. Hierfür kann der SPTB1.0-Code verwendet werden. Dieser wurde vom Hauptverband der deutschen Bauindustrie e.V. [2] definiert. Weiterhin ist es empfehlenswert mit Phasen in Revit zu arbeiten. Dies vereinfacht die 4D- Planung in iTwo. 7.1 4D-Modellierung Damit in iTwo die Bauzeit anhand des 3D-Modells geplant werden kann, müssen in iTwo die Aufwandswerte in einem Katalog vordefiniert werden. Dieser wird nicht für ein Projekt, sondern projektübergreifend erstellt. Für die projektinterne Planung muss zuerst eine Art Leistungsverzeichnis erstellt werden. Die maßgebenden Bauteilmengen im LV werden aus dem 3D-Modell gezogen. Das Leistungsverzeichnis ist jedoch auf die Bauzeitenplanung abgestimmt und kann nur schwer für Kostenberechnung und Ausschreibung verwendet werden. Weiterhin muss das Grundgerüst des Balkenplans ohne die Dauer der einzelnen Bauschritte erstellt werden. Die Dauer der einzelnen Bauschritte kann in iTwo über die vordefinierten Aufwandswerte und die Mengen aus dem LV berechnet werden. Da in den Bauschritten die zugehörigen Objekte hinterlegt sind, kann abschließend eine Simulation des Bauablaufs erstellt werden (s. Abb. 8). Hiermit kann kontrolliert werden, ob der geplante Bauablauf in der Realität auch möglich ist. Abb. 8: Simulation der Bauzeiten und Baukosten 7.2 5D-Modellierung Die Baukosten wurden mit Hilfe eines Leistungsverzeichnisses berechnet. Hierfür wurde ein zweites Leistungsverzeichnis erstellt (s. Abb. 9). Abb. 9: Berechnung der Baukosten Das Leistungsverzeichnis, das für die Bauzeitplanung erstellt wurde, beinhaltet Positionen, die für Baukosten nicht relevant sind bzw. relevante Positionen fehlen. Während für den Aushub bei der Terminplanung pro Phase eine Position notwendig ist, gibt es bei der Baukostenermittlung nur eine Gesamtposition. Weiterhin werden beispielsweise bei den Ankerpositionen verschiedene Einheiten verwendet (Terminplanung: Meter, Baukosten: Stückzahl). Die Mengen im LV wurden wiederum zum größten Teil aus dem 3D-Modell ermittelt. Die Daten für die Vorhaltekosten wurden aus der Terminplanung übernommen. Die Einheitspreise sind in iTwo auch in den Katalogen unternehmensweit für alle Projekte vordefiniert. Die mit dem LV ermittelten Kosten sind nach Positionen gestaffelt und können dadurch den einzelnen Bauschritten zugeordnet werden. Somit sind die Kosten abschließend in der Bauzeitsimulation darstellbar und die Entwicklung der Kosten kann übersichtlich nachvollzogen werden. In der Tabelle 5 sind die positiven und negativen Aspekte bei der Anwendung der Software iTwo aufgeführt. 366 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Erfahrungen zur 3D-, 4D- und 5D-Ebene im Rahmen der praktischen Anwendung von BIM bei der Planung einer tiefen Baugrube Tab. 5: Bewertung von iTwo Positiv Negativ Cloud-Nutzung und somit paralleles Arbeiten am gleichen Projekt ist möglich Kein Rückgängig-Machen möglich Importschnittstelle ist einfach bedienbar und mit Kontrollfunktionen versehen Erstellung von verschiedenen LVs für Bauzeitensimulation und Kostenschätzung Parameter aus Revit sind einfach in iTwo weiter verwendbar (Erleichterung der Arbeit in iTwo) Teils unübersichtlicher Aufbau von Fenstern und Funktionen Große Teile vordefinierbar bzw. aus anderen Projekten übertragbar Problem mit „Generic Models“ (z. B. Anker) bei Import der Modelle Leistungsverzeichnis einfach und schnell (mit automatischer Mengenermittlung) erstellbar In der Bauzeitensimulation manche Bauteile, Prozesse nicht optimal darstellbar (DGM, Bohrung Bohrpfahl und Bohrschablone) Schnelle Kalkulation der Bauzeiten, sofern gut vordefinierter Katalog „Kostenarten“ vorhanden Bestimmte Massen (Aushub) nicht aus Modell ermittelbar, sondern manuelle Übertragung erforderlich Einfache und übersichtliche Verknüpfung von Kosten und Bauzeiten Keine automatische Aufrundung der berechneten Bauzeit möglich Weiterführende Funktionen, wie Vergleich der Kosten von verschiedenen Varianten oder Kostenkontrolle Anpassung der Druckvorlagen nicht selbsterklärend, vordefinierte Vorlagen teils zu klein/ nicht optimal 8. Fazit Es wurde gezeigt, dass die durchgehende Anwendung von BIM bei der Planung von tiefen Baugruben mit derzeit angebotenen Programmen im Prinzip möglich ist. Die Softwareapplikationen funktionieren in den einzelnen Planungsschritten jedoch unterschiedlich gut. Die Programme, die für die geotechnische Bemessung und Berechnung verwendet wurden, haben verschiedene Stärken und Schwächen. Bei beiden Programmen funktioniert der durchgehende BIM-Planungsprozess jedoch noch nicht einwandfrei. Die DC-Software ist sehr gut für die Planung der Elemente des Baugrubenverbaus auf Grundlage eines Lageplans geeignet. Eine Einschränkung hierbei ist jedoch, dass das Einladen aufwendiger Baugrundmodelle in das Programm ineffizient ist. Der berechnete Verbau kann schließlich als IFC-Datei exportiert werden. Somit ist der offene Datenaustausch gewährleistet. Plaxis hingegen lässt sich besser im fortgeschrittenen Planungsprozess verwenden, bei dem die Modellierung des Verbaus im Wesentlichen abgeschlossen ist. Bemessungsschnitte mit genauem Baugrundmodell können mit einer vorherigen Bearbeitung einfach importiert werden. Die Ergebnisse können jedoch nicht mehr in das zentrale Revit-Modell zurückgeführt werden. Die Termin- und Kostenplanung einer Baugrube mit iTwo funktionierten gut. Die Importschnittstelle zwischen Revit und iTwo ist anwenderfreundlich zu bedienen. Jedoch wurden teilweise bei den geotechnischen Bauteilen kleine Probleme beim Import festgestellt. Elementar für das effiziente Arbeiten mit iTwo sind gut definierte Standards für die Modellierung. Außerdem müssen die Grundlagewerte für die Planung, wie Aufwandswerte, Einheitspreise etc. vordefiniert sein. Sofern diese Elemente und Erfahrung im Umgang mit der Software vorhanden sind, kann das Programm sehr effizient genutzt werden. Durch die weiteren Funktionen von iTwo, Kostenkontrolle etc. kann BIM somit durchgehend in der Planung und im Bau einer Baugrube angewendet werden. Durch die Weiterentwicklung der Programme, vor allem durch die Nutzung von Clouds, sollte sich die Effizienz dieser Programme und dieses Planungsprozesses in den nächsten Jahren weiter steigern. Literatur [1] Stange, M.: Building Information Modelling im Planungs- und Bauprozess, Springer Vieweg, Wiesbaden, 2020. [2] BIM im Spezialtiefbau, Technisches Positionspapier der Bundesfachabteilung Spezialtiefbau im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V., 2. Auflage, Dezember 2019. Gründung 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 369 Realisierung eines 84 m hohen Hochhauses auf einem S-Bahntunnel in Berlin Bauvorhaben Dr.-Ing. Simon Meißner, Dr. rer. nat. Joachim Michael, Maximilian Kies (M. Eng.) Prof. Quick und Kollegen, Groß-Gerauer-Weg 1, 64295 Darmstadt Zusammenfassung Direkt nördlich des Berliner Hauptbahnhofes liegt das Baufeld 4. Hier entsteht der Neubau eines Bürogebäudes, bestehend aus einem Hochhaus mit 21 Obergeschossen und einem Sockelbau mit 6 Obergeschossen auf einer Fläche von 2.700 m². Auf dem Baufeld wurde eine rinnenförmige bis zu 15 m tiefe Muddeschicht erkundet. Unterhalb dieser Schicht stehen die bekannten tragfähigen Sande an. Im Westen des Baufeldes 4 grenzt der planfestgestellte Sicherheitsstreifen des S21-Tunnels sowie der teilweise noch im Bau befindliche S21-Tunnel selbst an. Dieser wird im Rahmen des Bauvorhabens Baufeld 4 in Teilbereichen überbaut und ist bei der Gründung des Hochhauses zu berücksichtigen. Weiter befindet sich der U5-Tunnel direkt neben dem S21-Tunnel und ist damit ebenfalls in der Planung zu berücksichtigen. Der Planfeststellungsbeschluss des S21-Tunnels berücksichtigte nicht die geplante Bebauung mit einem Hochhaus, sondern lediglich eine Belastung aus einer geplanten 6-geschossigen Bebauung. Folglich musste das Hochhaus derart geplant werden, dass sich keine größeren Einwirkungen als ursprünglich vorgesehen auf die Tunnelblöcke der S21 ergeben. Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Machbarkeit des Projektes war das Einhalten der zulässigen Blockfugendifferenzverschiebungen der Tunnelblockfugen der Tunnel S21 und U5. 1. Projekt Das Projektgebiet für das Bauvorhaben Baufeld 4 befindet sich im Berliner Bezirk Mitte in der Heidestraße 73 nahe der Berliner Hauptbahnhofs. Die aktuelle Planung sieht den Neubau eines Bürogebäudes, bestehend aus einem Hochhaus mit 21 Obergeschossen und einem Sockelbau mit 6 Obergeschossen. Das Gebäude ist vollflächig 1-fach unterkellert. Die Grundfläche des Neubaus beträgt ca. 2.700 m². Das Gebäude Baufeld 4 kommt zum Teil auf dem planfestgestellten S-Bahntunnel und direkt neben dem U5-Tunnelbauwerk zu liegen. Abb.1: Übersichtsplan Baufeld 4 (Quelle: Google), Lage der Tunnel S21 und U5 Der planfestgestellte Sicherheitsstreifen des S21-Tunnels wird im Westen durch die Schlitzwand des S-Bahntunnels begrenzt. Diese Schlitzwand reicht bis in eine Tiefe von ca. 7 mNHN und wurde in Richtung Baufeld 4 mit einer Ankerlage rückverankert. Die vorhandenen Anker haben Längen von ca. 40 m. Im Norden wird das Baufeld 4 durch die Jean-Monnet- Straße begrenzt. Im Osten grenzt unmittelbar das Baufeld 3 mit einem im Bau befindlichen Bürogebäude (3 UG + 7 OG) an das Baufeld an. Der Neubau ist auf einer durchgehenden Bodenplatte flach gegründet. Die Baugrube besteht aus einer Schlitzwand die im Bereich Baufeld 4 bereichsweise 2-lagig rückverankert ist. 370 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Realisierung eines 84 m hohen Hochhauses auf einem S-Bahntunnel in Berlin Bauvorhaben Abb. 2: Animationsbild geplante Bebauung Baufeld 4 und Nachbarbebauung Es galt anhand einer detaillierten Nachweisführung zusammen mit dem Realisierungsteam der S-Bahn die geotechnische Verträglichkeit zu bestätigen. 2. Baugrund- und Grundwasserverhältnisse Unterhalb der Auffüllungen stehen im Bereich des Baufeldes bereichsweise die holozänen, organischen Ablagerungen an. Bei diesen Böden der handelt es sich überwiegend um Torf, Mudde und humosen sandigen Schluff. Die Mächtigkeiten der verschiedenen Böden der variieren im Bereich des Baufeldes stark. Mit einer maximalen Mächtigkeit von ca. 27 m, weichen einzelne Aufschlüsse von den übrigen im Baufeld 4 deutlich ab, welche zwischen 8,3 m und 13 m liegen. Die organischen Bildungen werden von Talsanden des Urstromtals unterlagert. Innerhalb der anstehenden Talsande ist mit Einlagerungen von Braunkohlereibseln sowie mit dem Vorhandensein von Stein- und Gerölllagen und regellos verteilten Blöcken zu rechnen. 3. Numerische Berechnungen der Gründung Der Abtrag der Lasten des geplanten Bürogebäudes mit 21 Obergeschossen (inkl. EG) erfolgt über eine Kombiniere Pfahl-Plattengründung mit insgesamt 36 Pfählen mit Pfahllängen bis zu ca. 42,50 m. Der Sockelbau mit 6 Obergeschossen (inkl. EG) wird flach auf einer Bodenplatte gegründet. Unterhalb von hochbelasteten Stützen werden Baugrundverbesserungen (z.B. im Düsenstrahlverfahren) bis in die tragfähigen Sande geführt. Abb. 3: Gründungselemente - Hochhaus (Pfähle) und Flachbau (Baugrundverbesserungen) Für die geotechnische Verträglichkeit der Gründung des Bauvorhabens auf dem S-Bahn-Tunnel wurden ebenfalls numerische dreidimensionale Finite-Elemente Berechnungen mit dem Programmsystem Plaxis 3D durchgeführt. Abb. 4: Numerisches Modell konstruktive Elemente Dabei wurde das komplette Bauvorhaben Baufeld 4, bestehend aus Flachbebauung und Hochhaus, im Berechnungsmodell abgebildet. Das entwickelte dreidimensionale Berechnungsmodell bildet die folgenden konstruktiven Elemente ab: • Bodenplatten Flachbau und Hochhaus • Sylomer- und Lastverteilungsplatten • Gründungspfähle des Hochhauses • Aufgehende Außen- und Kernwände des Hochhauses • Baugrundverbesserungen Flachbau • Tunnelblöcke S21 und U5 • Blockfugen S21 und U5 • Gründungspfähle S21 Tunnel • Unterwasserbetonsohle S21 Tunnel • Verbauwand Baufeld 3 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 371 Realisierung eines 84 m hohen Hochhauses auf einem S-Bahntunnel in Berlin Bauvorhaben Abb. 5: Numerisches Modell konstruktive Elemente Im Rahmen der numerischen Berechnung wurden Verschiebungen im Bereich des Hochhauses und des Flachbaus untersucht und die hieraus resultierenden Mitnahmeverschiebungen und Blockfugendifferenzverformungen im Bereich der S21 und U5 ermittelt. Im Folgenden werden die Ergebnisse der wahrscheinlichen Setzungen und Mitnahmeverschiebungen der für den Nachweis der äußeren Gebrauchstauglichkeit maßgebenden Berechnungsphase mit der Lastkombination G+Q/ 3-A dargestellt. Tab. 1: Berechnungsergebnisse - wahrscheinl. Werte Lastkombination G+Q/ 3-A Gebäudeteil [-] Hochhaus Flachbau S21 max. Setzung [cm] 4,5 4,2 2,0 min. Setzung [cm] 3,2 1 < 0,5 Verkantung [-] <1/ 3200 1/ 1000 <1/ 2000 Winkelverdrehung [-] <1/ 1800 1/ 500 <1/ 1000 vertikale Blockfugendifferenzverformung [mm] - - < 5,0 Abb. 6: wahrscheinliche Setzungen Bodenplatte BF4 Abb. 7: wahrscheinliche Setzungen Tunnelsohlen Die Verschiebungen der Blockfugen des S21 - Tunnels infolge der Herstellung des Bauvorhaben 4 wurden ebenfalls mittels der vorgenannten numerischen Berechnung ermittelt. Die Auswertung erfolgte jeweils in maßgebenden Schnitten entlang der Tunnel S21 und U5. Abb. 8: Verschiebungen der Tunnelbauwerke 372 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Realisierung eines 84 m hohen Hochhauses auf einem S-Bahntunnel in Berlin Bauvorhaben 4. Baugrube und Wasserhaltung Zur Herstellung des Untergeschosses einschließlich Bodenplatte wurde eine druckwasserhaltenden Trogbaugrube in Verbindung mit einer Restwasserhaltung erforderlich (Abb. 8). Zur vertikalen Abdichtung wurden bereichsweise die bestehenden Baugruben- und Dichtsysteme der U5, S21 und Baufeld 3 genutzt, bereichsweise wurde eine überschnittene Bohrpfahlwand neu hergestellt. Als horizontale Abdichtung wurden die natürlich anstehenden, gering durchlässigen organischen Böden genutzt (natürliche Dichtsohle) (Abb. 9). Die Abmessungen der Baugrube betragen ca. 62 m x 43 m, die Grundfläche der Baugrube beträgt ca. 2.700 m². Die verschieden tiefliegenden Baugrubensohlen liegen ca. 0,35 m bis 1,75 m unterhalb des bauzeitlichen Grundwasserstandes (GWBau = +31,80 mNHN). Zur Dichtigkeitsprüfung wurden für verschiedene Bauzustände unterschiedliche Pumpversuche im Vorfeld erfolgreich durchgeführt, insbesondere um die Dichtigkeit der bestehenden Schlitzwände und Tunnelbauwerke zu prüfen. Abb. 9: schematische Darstellung der Wasserhaltung Abb. 10: Baugrundmodell und druckwasserhaltende Konstruktionen (überhöhte Darstellung) Aufgrund der Komplexität der Baugrube mit den Mitnutzung der Tunnelbauwerke erfolgte die Planung in 3D (Abb. 10). Abb. 11: 3D-Planung der Baugrube und der Gründung Abb. 12: 3D-Planung der Baugrube und der Gründung 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 373 Realisierung eines 84 m hohen Hochhauses auf einem S-Bahntunnel in Berlin Bauvorhaben 5. Mess- und Beweissicherungsprogram Das Beweissicherungsprogramm setzt sich wie folgt zusammen: • architektonische Beweissicherung • geodätische Beweissicherung • hydrogeologische Beweissicherung • erschütterungstechnische Beweissicherung • lärmtechnische Beweissicherung Insbesondere die Tunnelbauwerke der S21 und der U5 wurden detailliert mittels Messbolzen überwacht. Weiterhin wurden die Baugrubenwände mittels Inklinometer und Messbolzen sowie der Neubau mittels Setzungsbolzen überwacht. Die Auswirkung der Wasserhaltung auf das Umfeld wurde in Abstimmung mit der zuständigen Behörde u.a. an außerhalb und innerhalb der Baugrube liegenden Grundwassermessstellen überwacht. Für die Definition der Messwerte werden die Ausführungen gemäß EAB: Schwellenwert: Messwert in einem bestimmten Abstand zum Eingreifwert. Eingreifwert: Messwert ab dessen Erreichen Maßnahmen erforderlich werden. Alarmwert: Messwert der eine unplanmäßige, die Standsicherheit gefährdende Beanspruchung der Konstruktion anzeigt. Im Vorfeld der Spezialtiefbauarbeiten wurde mit allen Projektinvolvierten ein Alarm- und Handlungsplan sowie ein Havariekonzept aufgestellt. Abb. 13: Alarm- und Handlungsplan Die Restwasserhaltung innerhalb der Trogbaugrube konnte erfolgreich ausgeführt werden. Die durchschnittliche Förderrate über den gesamten Betriebszeitraum von 7 Monaten betrug bis 3,5 m³/ h und lag damit deutlich unter der genehmigten Förderrate von 19,6 m³/ h. Insgesamt wurden ca. 16.000 m³ Grundwasser im Rahmen der Wasserhaltung gefördert. Mit den durchgeführten Messung am Neubau und an den benachbarten baulichen Tunnelbauwerken konnten die Prognosewerte bislang gut bestätigt werden. Die Setzungen der Bodenplatte summieren sich derzeit auf ca. 2,0 cm auf (Abb. 14). Abb. 14: Zeit-Setzungslinie - Bodenplatte Hochhaus Mit dem gewählten Gründungssystem für das Baufeld 4 ergibt sich aktuell eine absolute Setzung des S21-Tunnels von < 2,0 cm sowie Blockfugendifferenzverschiebungen von < 0,3 cm. Beide Werte liegen unterhalb der planerischen Grenzwerte (Abb. 15). Abb. 15: Vertikale absolute Verschiebungen S21 - Auswertungsschnitt - wahrscheinliche Werte und Messergebnisse 374 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Realisierung eines 84 m hohen Hochhauses auf einem S-Bahntunnel in Berlin Bauvorhaben Abb. 16: Bautenstand 19.11.2021 6. Zusammenfassung Die Realisierung von Großprojekten in Ballungsräumen zeigt, dass anspruchsvolle Bauvorhaben im innerstädtischen Bereich nicht immer nur eine Herausforderung hinsichtlich der Bemessung und Nachweisführung sind, sondern auch einen vielfältigen Abstimmungsprozess unter der Mitwirkung aller an der Planung, Prüfung und Genehmigung beteiligter Dritter erfordern. Hierzu gehören nicht nur die Prüfer seitens der Bauaufsicht, sondern auch die Technische Aufsichtsbehörde und deren Prüfer. Mit Hilfe der Verwendung von numerischen Studien konnten die Grundlagen und Prognosen geschaffen werden, die für die Durchführung der Projekte unerlässlich sind. Die Auswertung der Verschiebungen sowie die komplexe Auswertung der vertikalen Blockfugendifferenzverschiebungen beim Bauvorhaben Baufeld 4 wären nur anhand analytischer Berechnungen nicht möglich gewesen. Zudem fungierten die numerischen Berechnungsergebnisse als Diskussionsgrundlage im Abstimmungsprozess und führten somit zu konstruktiven Lösungen im Planungsprozess. Das Bauvorhaben Baufeld 4 wurde erfolgreich mit einem umfangreichen Mess- und Beweissicherungsprogramm sowie mit Alarm- und Handlungsplan begleitet. Literatur [1] Dr. -Ing. S. Meißner, Dr. rer. nat. J. Michael, Prof. H. Quick, (2017): Hochhausbau auf und neben Tunnelbauwerken, Tunnelsymposium Würzburg Dr. -Ing. S. Meißner, Dr. rer. nat. J. Michael, Prof. H. Quick, Dr. rer. nat. J. Michael, M. Eng. M. Kies, (2019): Realisierung von geotechnischen Großprojekten in Ballungsräumen, Tunnelsymposium Würzburg [5] Dr. -Ing. S. Meißner, Dr. rer. nat. J. Michael, Prof. H. Quick, (2019): Zwei Hochhäuser in direkter Nachbarschaft einer geplanten U-Bahnstation - 26. Darmstädter Geotechnik-Kolloquium 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 375 Anwendung von verschiedenen Bodenverbesserungstechniken beim Innerstädtischen Spezialtiefbau in Göteborg - Westlink Project Robert Thurner Keller Grundläggning, Göteborg, Schweden Sami U. Raja Keller Grundläggning, Göteborg, Schweden Zusammenfassung Entsprechend der herausfordernden geologischen und innerstädtischen Randbedingungen werden beim Westlink-Projekt in Göteborg eine Vielzahl von verschiedenen Grundbautechniken angewandt. Im Fokus stehen dabei neben einer Lösung der technischen Herausforderung auch eine Minimierung des Einflusses auf die Umwelt sowie die zeitliche Optimierung der einzelnen Bauaufgaben. Als Bodenverbesserung wird neben diversen Injektionstechniken auch das Düsenstrahlverfahren sowie das Trockenmischverfahren zur Stabilisierung des teilweise hochsensitiven Tones / quick clays angewandt. 1. Überblick Das Västlänken (schwedisch für West-Verbindung) - Projekt besteht aus 5 Losen und ist ein 2-spuriger Eisenbahn-tunnel unter Göteborg. Er führt vom derzeitigen Kopfbahnhof Centralen unter der Altstadt nach Haga und über Korsvägen / Liseberg Richtung Süden, wo die Schienen wieder in die bestehende Bahnstrecke einbinden. Neben einer Kapazitätserhöhung werden auch zwei neue Bahnhöfe in Haga und Korsvägen errichtet. Aus der gewählten Linienführung in Lage und Höhe ergibt sich für den herzustellenden Tunnel ein geologisch sehr abwechslungsreiches Profil, welches von extrem weichen Tonen von bis zu über 50m Mächtigkeit bis zu dem typischen harten Felsen mit bis zu 200MPa einaxialer Druckfestigkeit reicht. Dementsprechend werden unter Berücksichtigung von örtlicher Bebauung, Grundwasserverhältnisse, Tiefenlage usw. in den Bereichen mit weichen Böden Bau-gruben mit unterschiedlichsten Bodenverbesserungen ausgeführt. Im Fels wurden entsprechende Tunnelbauwerke vorgesehen, wobei die Übergangsbereiche gesondert zu betrachten waren. Abb. 1: Trassenverlauf mit grober Geologie - Schnitt (Projektpräsentation WLC / TrV) 376 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Anwendung von verschiedenen Bodenverbesserungstechniken beim Innerstädtischen Spezialtiefbau in Göteborg - Westlink Project Abb. 2: Genereller Überblick Westlink (Projektpräsentation WLC / TrV) 2. Typische Anwendungen von Bodenverbesserungen Das in Skandinavien üblichen Trockenmischverfahren (oder auch Trockeneinmischtechnik genannt) wird neben der Limitierung von Setzungen durch Erhöhung der Steifigkeit vor allem zum Stabilisieren des anstehenden Bodens vor der Ausführung weiterer Geotechnischer Maßnahmen eingesetzt. Dazu gehört zB die in der nachstehenden Abbildung dargestellte Verbesserung des hochsensitiven Tones zur Herstellung von Schlitzwänden (Stichwort: Schlitzstabilität). Abb. 3: Schlitzwand-Baugrube mit vorlaufender Bodenverbesserung mittels Trockenmischverfahren Analog dazu wird es auch zur Aussteifung von Spundwandbaugruben eingesetzt, wobei in Abhängigkeit der Anforderungen hinsichtlich Verformungen manchmal der Zwischenraum zwischen den Säulen des Trockenmischverfahrens und der Spundwand mittels Düsenstrahlverfahren kraftschlüssig geschlossen wird (siehe Abb.4). Abb. 4: Spundwand-Baugrube in Kombination mit Trockenmischverfahren Die Ausführung des Trockenmischverfahrens erfolgt mittels speziell hergestellter Trägergeräte und mobiler silos (siehe Abb. 5). 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 377 Anwendung von verschiedenen Bodenverbesserungstechniken beim Innerstädtischen Spezialtiefbau in Göteborg - Westlink Project Abb. 5: Trockenmischverfahren - Trägergerät Das Düsenstrahlverfahren wird in der Regel zur Abdichtung zwischen Spundwand und dem anstehenden Fels verwendet. Dabei ist in der Regel eine „Einbindung“ von der Bohrung in Fels von ca. 1m gefordert, wobei naturgemäß sich die Säule erst im Überlagerungsboden und den darüber liegenden Ton ausbilden kann. Eine freigelegte Probesäule ist in Abb. 6 dargestellt. Abb. 6: DSV-Säule mit Felsanschluss Wie erwähnt spielt eine umwelttechnische Optimierung in diesem Projekt eine wesentliche Rolle. Dazu gehört auch die Verwendung von Rücklaufbehandlungsanlagen zur Minimierung der zu deponierenden Massen. Eine derartige Anlage ist in Abb. 7 ersichtlich. Abb. 7 Rücklaufbehandlung mittels Filterpresse 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 379 Verdrängungsprozess geschraubter Pfähle: neueste Erkenntnisse O. Bernecker Bernecker Ingenieur GmbH, Friolzheimer Straße 3A, 70499 Stuttgart K. Kliesch Frankfurt University of Applied Sciences, Nibelungenplatz 1, 60318 Frankfurt am Main L. Schneider Vormals Bernecker Ingenieur GmbH, Friolzheimer Straße 3A, 70499 Stuttgart C. Vogt-Breyer Hochschule für Technik, Schellingstr. 24, 70174 Stuttgart Zusammenfassung: Der Beitrag stellt aktuelle Forschungsergebnisse zu Versuchsreihen vor, die an der Frankfurt University of Applied Sciences und der Hochschule für Technik Stuttgart durchgeführt werden. Die Versuchsreihen sind eine konsequente Fortführung der bisherigen, um daraus das grundsätzliche Verdrängungsverhalten von Schraubpfählen anhand unterschiedlicher bodenmechanischer und photogrammetrischer Index-Versuche abzuleiten. Es ist gelungen, die Dreh- und Eindringbewegung versuchstechnisch im Labor so darzustellen, dass der Herstellprozess im unmittelbaren Pfahlumfeld durch Werkzeuge aus der Photogrammmetrie sichtbar gemacht wird. Bisherige Untersuchungen anderer Forscher zum Einflussbereich um den Pfahl basieren vornehmend auf numerischen Simulationen und auf kostenintensiven Probebelastungen. Die nun vorliegenden labormaßstäblichen Versuche können mit den Ergebnissen aus numerischen Simulationen und In-Situ-Versuchen verglichen werden. Der maßgebende Einflussbereich wird verifiziert und verlässlicher definiert. 1. Einleitung Das Tragverhalten von Schraubpfählen wird wesentlich durch die stattfindenden Verdrängungsvorgänge beeinflusst, die beim Herstellvorgang im angrenzenden Baugrund verursacht werden. Dieser Bereich wird als Einflussbereich bezeichnet. Erste Ansätze zur numerischen Modellierung des Verdrängungsverhaltens liegen mit den Veröffentlichungen in BUSCH[28] (2008) [6], GRABE et al. (2012) [14] und AUBRAM (2014) [1] vor. Zudem wurden von verschiedenen Autoren einzelne Schraubpfahlsysteme experimentell untersucht. Erste Ergebnisse systematischer Versuchsserien verschiedenartiger Schraubpfahltypen und die Auswirkung der Herstellvorgänge auf die Änderung der Lagerungsdichten im Pfahlumfeld wurden durch die Autoren vorgestellt (BERNECKER et al., 2014 [21]). Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurde die Versuchstechnik und Methodik konsequent weiterentwickelt und optimiert (SCHNIEDERMEIER, 2015 [26]; ROSHAN MONIRI, 2016 [23]). In Zusammenarbeit mit der Hochschule für Technik Stuttgart wurde die nun endgültig ausgereifte Versuchsmethodik entwickelt, die den Herstellungsprozess durch Dreh- und Drücken hinreichend und verlässlich nachvollzieht und übertragbar macht (SCHNEIDER [25]). Diese Ergebnisse können nun mit denen aus numerischen Simulationen und In-Situ-Versuchen verglichen werden. 2. Der Einflussbereich Die bislang vorliegenden Erkenntnisse zur Bestimmung des Einflussbereiches basieren auf Ergebnissen aus In-Situ-Versuchen (MAYERHOF, 1959 [18]; BRIEKE, 1993 [4]; SHAKHIREV, 1996 [27]; BUSCH, 2008 [6]), aus numerischen Simulationen (VERMEER et al., 2008 [28]; MAHUTKA & HENKE, 2009 [19]; PUCKER & GRA- BE, 2012 [21]; GRABE et al., 2012 [14]; AUBRAM, 2014 [1]) und aus Modellversuchen (BERNECKER et al., 2014 [2], LINDER, 1977 [18], SCHMITT, 2004 [24]). In den Tabellen 1 bis 3 wird der aus diesen Untersuchungen bisher radial zur Pfahlachse abgeleitete Einflussbe- 380 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Verdrängungsprozess geschraubter Pfähle: neueste Erkenntnisse reich zusammengefasst: dargestellt als Mehrfaches des äquivalenten Pfahldurchmessers D. Danach kann allerdings noch keine realistische und allgemein gültige (reproduzierbare) Einschätzung des Verdrängungsprozesses und der damit erreichten Tragfähigkeit abgeleitet werden. Tabelle 1: Bisher abgeleiteter radialer Einflussbereich aus In-situ-Versuchen (nach SCHNIEDER- MEIER, 2015 [26]) Autor Boden Einflussbereich (Faktor) bezogen auf den Pfahldurchmesser D Methode Lagerung L o cker M i t t e l dicht dicht BRIEKE [4] Sand 6 CPT BUSCH et al. [6] >2 INK Mayerhof (aus [18]) 4 4 CPT S h a k h i r e v [27] Ton 8 HzS (im Ton) CPT: Drucksondierungen INK: Inklinometermessungen HzS: Harzsupsension in Bohrlöchern Tabelle 2: Bisher abgeleiteter radialer Einflussbereich aus numerischen Simulationen (nach SCHNIE- DERMEIER, 2015 [26]) Autor Einflussbereich (Faktor) bezogen auf den Pfahldurchmesser D Lagerung Locker M i t t e l dicht dicht Aubram [1] 1-2 GRABE et al. [28] 4-7 4-7 Mahutka [19] 4-5 5-10 PUCKER & GRABE [18] >2 VERMEER et al. [28] 5 DEM: Diskrete Element Methode PIC: Particle-In-Cell-Methode SPH: Smoothed-Particle Hydrdynamics MPM: Material Point Methode FEM: Finite Element Methode ALE: Allgemeine Lagrange-Euler Methode CEL: Gekoppelte Euler-Lagrange Methode Autor Einflussbereich (Faktor) bezogen auf den Pfahldurchmesser D Methode Lagerung Locker Mitteldicht dicht Bernecker et al. [2] 2-5 5-6,5 DBA Linder [18] 3-4 FV Schmitt [24] 2-3 DV Schniedermeier [26] 6-9 10-11 VA 4-5* 9-12* ROSHAN MONIRI [23] 5-6 VA * Während der Pfahleinbringung DBA: Differenzbildanalyse nach GREIWE et al. (2011) [14] FV: Frostverfahren DV: Doppelverdrängungspfähle VA: Vektoranalyse nach GREIWE et al. (2011) [14] 3. Vergleich zwischen Modellversuch und In-Situ- Versuch Die durch BERNECKER et al. (2014) [2] vorgestellten Ergebnisse aus Modellversuchungen, die mittels der so genannten Differentialanalyse nach GREIWE et al (2014) [14] ausgewertet wurden, wurden durch SCHNIEDER- MEIER (2015) [26] an eigenen Versuchsreihen an locker gelagerten und dicht gelagerten Sanden weiterentwickelt und mittels der Vektoranalyse nach GREIWE et al [14] analysiert. Der ungünstig wirkende Modell-Effekt der angeordneten Glasscheibe zur photogrammetrischen Aufnahme des Herstellungsprozesses wurde durch Verlegung des Versuchspfahles in das Innere des Sandkörpers verringert. SCHNIEDERMEIER [26] konnte damit diesen Störfaktor nachhaltig ausschalten, ohne die Qualität der Auswertung zu beeinträchtigen. Die in den Versuchsserien aus der Verdrängung (nur Drücken) erfassten horizontalen Verschiebungen stimmen qualitativ mit den Werten aus numerischen Simulationen von PUCKER & GRABE (2012) [21] in Bezug gesetzt (siehe Abbildungen 1 und 2). PUCKER & GRABE, 2012 [21] zeigten die horizontale Verschiebung im Abstand von 2 D von der Pfahlachse im Mai Lou Sand über die Tiefe. Die Lagerungsdichte und das Verhältnis zwischen der Rotationsgeschwindig- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 381 Verdrängungsprozess geschraubter Pfähle: neueste Erkenntnisse keit und der Vortriebsgeschwindigkeit (vr / vz) wurden variiert. Die Autoren validierten ihre Ergebnisse mit den Inklinometer-Messungen von BUSCH (2011) [7]. Abbildung 1: Radiale Bodenverformungen infolge Eindrücken des Modellpfahls in dichter und lockerer Lagerung (SCHNIEDER-MEIER, 2015 [26]) 4. Systematische experimentelle Untersuchungen 4.1 Zielsetzung Die Laborversuchsreihen wurden an enggestuften Sanden durchgeführt, mit denen die Verdrängungsvorgänge im nahen Pfahlumfeld des gedrehten Pfahles erfasst und geklärt werden sollen. Hauptaugenmerk der Untersuchungen im Labor stellen dabei die Veränderungen der Lagerung während des kompletten Herstellvorgangs dar. Dabei wird im Labormaßstab systematisch ein Modellpfahl als modifizierter ATLAS-Pfahl mit verdickter Spitze untersucht (siehe Abbildung 3). Ziel ist es, die Verdrängungseffekte in Abhängigkeit von den Arbeitsphasen abzuleiten. Nachfolgend soll über die grundsätzliche Methodik und Ergebnisse aus echten Vollverdrängungsversuchen mit Modell-Schraubpfahl mit verdickter Spitze berichtet werden. Abbildung 2: Radiale Bodenverformungen infolge des Bohrprozesses mittels numerischer Simulation (PU- CKER & GRABE, 2012 [21]) Abbildung 3: Modellpfahl als modifizierter ATLAS- Pfahl mit verdickter Spitze (SCHNEIDER, 2020 [25]) 4.2 Methodik Die nachfolgenden Ergebnisse wurden an so genannten Sandkasten-Versuchen (siehe Abb. 4) mit trockenem Sand hoher Lagerungsdichte durchgeführt. Hierzu wurde eine Seite des Versuchskastens durch eine spiegelungsfreie PMMA-Glasscheibe ausgebildet, um daran 2-dimensionale hochauflösenden Fotos aufnehmen zu kön- 382 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Verdrängungsprozess geschraubter Pfähle: neueste Erkenntnisse nen. Pro Fotoserie können somit die Ausgangssituation und die jeweiligen Arbeitsschritte des Modellpfahles nacheinander dokumentieren werden. Abbildung 4: Versuchsaufbau zur hochauflösenden Bildaufnahme [25] Um die erforderliche Drehbewegung des Modellpfahles zu ermöglichen, wurde dessen Angriffspunkt in den Abständen A =2D/ 3D zur Glasscheibe positioniert und an der Hochschule für Technik Stuttgart eine eigene Drehlogistik hierfür entwickelt (siehe Abbildungen 5 und 6). Abbildung 5: Anordnung des Pfahlabstands zur PMMA- Scheibe [25] Abbildung 6: Aufbau der Pfahlführungskonstruktion mit Drehmomentmessung [25] Der Modellpfahl wird dabei weggesteuert in bis zu 17 Teilschritten bis zur Endtiefe in den Versuchsboden durch Drücken und Drehen eingebracht. Bei jedem Teilschritt wird photogrammetrisch der Zustand aufgenommen (BERNECKER, 2014 [2]). In den Abbildungen Bild 7 ist das Ergebnis einer so genannten Vektorbildanalyse an einem dichten Sand bei dem Eindringversuch eines eingepressten Verdrängungspfahles dargestellt. Die Fotoaufnahmen wurden durch SCHNEIDER [25] mit Hilfe der so genannten Nahbereichsphotogrammetrie (GEHRKE & GREIWE, 2011, [11]) durch Unterstützung und Beratung des Labors für Photogrammmetrie und Fernerkundung der Frankfurt University of Applied Sciences durchgeführt. Die etwa 120 hochauflösenden Fotoaufnahmen wurden durch Kalibrierung entzerrungsfrei erstellt und anschließend rund 1000 Differenzanalysen unterzogen. Bei der Differenzanalyse werden die Unterschiede zweier Bilder (Zustand 1: vor Eindringung des Modellpfahles; Zustand 2: z.B. nach Eindringung um 1 cm) aufeinander manuell (Fehler ca. 1 Pixel) registriert und software-gestützt ein Differenzbild gerechnet (siehe [11]). Die Auswertung der Differenzbilder erfolgt dann zusätzlich mit der Methodik der Vektoranalyse nach GEHRKE & GREIWE, 2011, [11]. Dabei können Lageveränderungen einzelner Sandkörner durch die Veränderung von zugeordneten Punkten (Key-Points) in zwei aufeinander folgenden digitalen Bildern als Vektoren visualisiert werden. Software gestützt wird also in einem ausgewählten Bereich nach markanten Punkten (Keypoints) gesucht. Anschließend wird in einem zweiten, fast identischen Bild für jeden markanten Punkt des Referenzbildes der korrespondierende Punkt identifiziert. Die Bewegung der gefundenen übereinstimmenden Punkte, wird in Form eines Vektors ausgegeben. Das nachfolgende Bild Abb. 7 zeigt das Ergebnis einer Vektoranalyse mit etwa 20fach überhöht dargestellten Be-wegungsvektoren im 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 383 Verdrängungsprozess geschraubter Pfähle: neueste Erkenntnisse Eindringintervall von 95 mm auf 100 mm. Deutlich zu erkennen sind die roten Bewegungsvektoren der Sandkörner, Die grünen Punkte kennzeichnen die identifizierten markanten Punkte im gesamten Bearbeitungsfenster sowie in den beiden Referenzgebieten. Neben den deutlichen Bewegungsvektoren im Einflussbereich des Modellpfahls sind auch einzelne Vektoren außerhalb des Bereichs verzeichnet. Diese Bewegungsvektoren entstehen durch ein fehlerhaftes Matching zweier markanter Punkte. Insgesamt gut erkennbar ist jedoch die aufwärts gerichtete Bewegung der Sandkörner, die eine sehr gute Übereinstimmung mit der Veränderung an der Oberfläche zeigt. Abbildung 7: Grafische Auswertung der Vektoranalyse mit hervorgehobenen Fehlstellen [25] 4.3 Ergebnisse Nachfolgend werden die Ergebnisse der durchgeführten Versuchsserie dargestellt und erläutert. Dabei werden Ergebnisse der ersten Serien aus den Jahren 2013, bei denen der Modellpfahl durch Penetration eingebaut wurde, den Versuchsserien aus dem Jahre 2020 gegenübergestellt. Bei den Versuchen mit eingedrehtem Modellpfahl sind während des Eindringprozesses strukturelle Veränderungen an der Sandoberfläche erkennbar. Es entsteht in den ersten 15 mm des Eindrehprozesses eine kleine kreisförmige Aufwölbung im Umfeld der Schneidespitze. Mit dem darauffolgenden Eindringen der Aufweitung, welche den Verdrängungskörper darstellt, nimmt die Aufwölbung an Höhe und Umfang zu. Im weiteren Verlauf des Eindringprozesses entsteht durch Nachfall eine trichterförmige Ausbildung der Erhöhung um den Pfahl. Abb. 8 und 10 zeigen diese Prozesse im Modellversuch. Abb. 9 verdeutlicht diese Vorgänge am ausgeführten Schraubpfahl und bestätigt somit die Laborbeobachtungen. Der Durchmesser des Trichters wurde bei den Versuchen mit 8 cm Durchmesser beobachtet. Dies entspricht etwa dem 2,8fachem Durchmesser des Verdrängungskörpers. Abbildung 8: Aufwölbung während des Eindringprozesses der Versuche V224 und V323 [25] Abbildung 9: Baustelle - Aufwölbung während des Eindringprozesses bei der Herstellung eines Schraubpfahls Abbildung 10: Ansichten der ausgebildeten Trichterformen der Versuche V224 und V323 [25] Der Durchmesser des Trichters wurde bei den Versuchen mit 8 cm Durchmesser beobachtet. Dies entspricht etwa dem 2,8fachem Durchmesser des Verdrängungskörpers. In der Gegenüberstellung der durch Penetration bzw. durch Eindrehen eingebauten Modellpfähle zeigen sich 384 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Verdrängungsprozess geschraubter Pfähle: neueste Erkenntnisse deutliche Unterschiede in der Bewegungsrichtung des den Pfahl umgebenden Sand. Während sich beim Eindrücken des Pfahles vornehmlich Sandkornbewegungen im unmittelbaren Umfeld der Pfahlspitze zeigen, ist beim eingedrehten Pfahl erkennbar, dass über die gesamte Eindringhöhe Sandkornbewegungen stattfinden. Die folgende Abbildung zeigt gegenüberstellend die Ergebnisse der Vektoranalysen der Versuchsreihen von SCHNEIDER (2020) [25] („drehend + drückend“) und jene von ROSHAN MONIRI (2016) [23]. Abbildung 11: Gegenüberstellung der Vektoranalyse für die unterschiedliche Pfahleinbringung, Links „drehend + drückend“, rechts: „drückend“ [25] Der sich aus dem Einbringprozess für die drehend + drückend eingebrachten Modellpfähle abzuleitende Einflussbereich zum Ende der vollständigen Pfahleinbringung zeigt die Abbildung 12. Dabei ist in guter Näherung eine kegelstumpfartige Ausprägung von Oberkante Verdrängungskörper bis zur Oberfläche klar erkennbar. Abbildung 12: Einflussbereich an der Projektionsebene, als Kegelstumpf idealisiert [25] Der Einflussbereich wird deshalb zur Charakterisierung in zwei Hauptebenen Ebene O und Ebene V unterteilt. Betrachtet man nun die Ausbildung des Einflussbereiches in diesen Ebenen in radialer Richtung und in 5 mm Eindringschritten, ergibt sich für die durchgeführten Versuchsserien im dicht gelagertem Sand folgendes Bild (Abbildungen Abb. 13 und 14): dargestellt sind die Serien, die in einem Abstand von 2*D und 3*D zur Bildebene (= Glasscheibe) durchgeführt wurden. Der Radius des Einflussbereiches R wird abhängig vom Durchmesser des Pfahlschafts in R/ D dimensionslos angegeben. In Abbildung 13 (Abstand von 2*D zur Projektionsebene) wird nach 35 mm Eindringtiefe eine erste Beeinflussung in der Bildebene erkennbar. Dies entspricht der Höhe des Verdrängungskörpers, gemessen von der Pfahlspitze aus. Mit dem vollständigen Eindringen des Verdrängungskörpers wird demnach die Verdrängung des Sandes in der Projektionsebene sichtbar und damit wirksam. In Abbildung 14 (Abstand von 3*D zur Projektionsebene) beginnt diese sichtbare Beeinflussung erst nach 55 bis 70 mm, also in etwa dem 1,6 - 2fachen Durchmesser. Mit weiterem Eindringen des Modellpfahles treten diese Effekte nicht mehr auf. Abbildung 13: Horizontaler Einflussbereich für die Serien 2D und 3D in Ebene O [25] 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 385 Verdrängungsprozess geschraubter Pfähle: neueste Erkenntnisse Abbildung 14: Horizontaler Einflussbereich für die Serien 2D und 3D in Ebene V [25] Die Mittelwerte (MW) für R/ D der festgestellten Einflussbereiche für die Ebene O (EO) und die Ebene V (EV) ergeben sich aus den Versuchen demnach wie folgt: MW EO = 5,9 MW EV = 3,6 5. FAZIT UND AUSBLICK Mit der entwickelten Versuchslogistik ist es nun endlich gelungen, den komplexen Herstellungsprozess aus Drehen und Drücken bei Schraubpfählen plausibel und realitätsnah zu modellieren. Die Analyse des Herstellvorganges und der damit einhergehenden Änderungen nichtbindiger Böden im Pfahlumfeld können nun mit den Ergebnissen aus numerischen Simulationen und In-Situ- Versuchen verglichen und verifiziert werden. Die Bewertung der Versuche im Hinblick auf die Veränderung der Lagerungsdichte im Umfeld von Pfählen wird nach wie vor als entscheidende Kenngröße zur Qualitätssicherung angesehen, nach der Ausführung die Herstellungsqualität und damit indirekt die Tragfähigkeit überprüfen zu können. Hier erscheinen numerische Methoden in Verbindung mit den vorliegenden Versuchsergebnissen ein vielversprechender Ansatz. Der durch mehrjährige umfangreiche Versuchsreihen eingeschlagene Weg wird weiterverfolgt. Literaturangaben [1] Aubram, D. (2014): Über die Berücksichtigung großer Bodendeformationen in numerischen Modellen. Vorträge zum Ohde-Kolloquium 2014. In: Mitteilungen des Instituts für Geotechnik der Technischen Universität Dresden (Heft 19), S. 109-122. 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Baugrundtagung 2012 in Mainz, S. 75-81, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e. V. [15] Greiwe, A. & Gehrke, R. & Gangl, C. (2011): Nutzung der Aerophotogrammetrie mit UAV für GIS- Fachanwendungen. In: STROBL ET AL . (Hrsg.): Angewandte Geoinformatik 2011- Beiträge zum 23. AGIT-Symposium Salzburg, 2011 [16] Handbuch Eurocode 7, Band 1 (2011): Band 1: Allgemeine Regeln - Vom DIN autorisierte konsolidierte Fassung.- Beuth Verlag GmbH Berlin [17] Handbuch Eurocode 7, Band 2 (2011): Band 2: Erkundung und Untersuchung - Vom DIN autorisierte konsolidierte Fassung.- Beuth Verlag GmbH Berlin [18] Linder, W.-R. (1977): Zum Eindring- und Tragverhalten von Pfählen in Sand. Dissertation. Berlin. [19] Mahutka, K.-P., Henke, S. (2009): Numerische Untersuchungen zur herstellungsbedingten Tragfähigkeit von Pfählen. Tagungsband zum Pfahlsymposium 2009. In: Veröffentlichungen des Instituts für Grundbau und Bodenmechanik der TU Braunschweig Heft 88, S. 471-492. [20] Nowak, T. 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Im Beitrag werden die Erkundungsziele, die Erkundungsmethoden unter den gegebenen örtlichen Randbedingungen, die Erkundungsergebnisse und die geotechnischen Herausforderungen bei den Nachweisen der Umfassungsmauern auch unter Ansatz der Einwirkungen aus Erdbeben (Erdbebenzone 3) beschrieben und erläutert. Zum Einsatz kommen neben analytischen Nachweisen auch numerische Berechnungen, um die Standsicherheit bei Erdbebeneinwirkung nachweisen zu können. 1. Einleitung Die Burg Hohenzollern in Bisingen-Zimmern, Zollernalbkreis, ist der Stammsitz des ehemals regierenden preußischen Königshauses und der Fürsten von Hohenzollern. Die erste Erwähnung des Burggebäudes („Castro Zolre“) datiert aus dem Jahr 1267 [1]. Sie wurde im Mai 1423 nach fast einjähriger Belagerung durch den Bund der schwäbischen Reichsstädte erobert und vollständig zerstört. Ab 1454 wurde die zweite Burg Hohenzollern größer und wehrhafter als zuvor erbaut. Im Hinblick auf den 30jährigen Krieg (1618 bis 1648) wurde sie zur Festung ausgebaut. Nach Kriegsende und dem Abzug der letzten österreichischen Besatzung 1798 verfiel die Burg, Anfang des 19. Jahrhunderts war sie eine Ruine. Als einziger nennenswerter Teil war die St. Michaelskapelle erhalten geblieben. Die sogenannte „Dritte Burg“ in ihrer heutigen Form wurde im Oktober 1867 eingeweiht. Im Gegensatz zu der reinen „Theaterarchitektur“ des Schlosses Neuschwanstein wurde die neu aufgebaute Burg primär wehrtechnisch funktional ausgebildet. Der bedeutendste Teil der Militäranlage ist der Bastionenkranz, der die gesamte Burg umgibt. Beim Wiederaufbau der Bastionen wurde die alte Form der Befestigungsanlagen des 17. Jahrhunderts beibehalten. Der ursprüngliche Bastionenkranz bestand vermutlich aus dem örtlichen Kalkstein oder aus zugekauftem Stubensandstein. Bei der Reparatur bzw. dem Wiederaufbau erfolgte vor allem eine Erneuerung sämtlicher Oberflächen aus Angulatensandstein, der in der Ebene unterhalb der Burg gewonnen wurde. Nach über 150 Jahren weisen der Bastionenkranz sowie die spindelförmige Auffahrtsrampe („Schnecke“) erhebliche Schäden und Verformungen im Mauerwerk auf. Der bauliche Bestand und die Schäden wurden 2013 durch das Ingenieurbüro Barthel & Maus Beratende Ingenieure GmbH, München, systematisch erfasst, die Schadensursachen ermittelt und Konzepte für Instandsetzungsarbeiten vorgeschlagen [2]. Mit der Planung der Instandsetzungsarbeiten wurden die EHS beratende Ingenieure für Bauwesen GmbH, Stuttgart, beauftragt. Für die Planung und die statische Bemessung waren weitere Untersuchungen des Mauerwerks und der Hinterfüllung sowie Standsicherheitsbetrachtungen erforderlich. 2. Lage und Geologie Der Hohenzollern ist ein markanter, bis rund 855 m hoher Zeugenberg südlich von Hechingen. Der Gipfel des Berges mit der Burg Hohenzollern liegt auf der Gemarkung der Gemeinde Bisingen, zu deren Ortsteil Zimmern sie gehört. Der Berg ist namengebend für die geographische Region Zollernalb, Teil der Schwäbischen Alb. Er ist dem Trauf der Schwäbischen Alb rund einen Kilometer vorgelagert. Geographisch ist er ein Zeugenberg, der sich in einer geologischen Verwerfungszone, dem so genannten Hohenzollerngraben, befindet. Durch Reliefumkehr wurde das grabeninnere Terrain weniger stark 390 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage erodiert als die Umgebung und so blieben unter anderem das Zeller Horn, der vorgelagerte Hohenzollern und nordwestlich davon die Wilhelmshöhe erhalten. Abb. 1: Burg Hohenzoller (Quelle: Burg Hohenzollern) Die Kuppe des Hohenzollern besteht aus den Schichten der sog. „Wohlgeschichteten Kalke“ (Weißer Jura beta, ox2), auf denen die Burg gegründet ist. Dabei handelt es sich um eine etwa 40 m bis 50 m mächtige, eintönige Kalksteinserie. Die Bankmächtigkeiten dieses harten aber spröden Kalksteins liegen in der Regel zwischen 15 cm und 60 cm. Die Klüftung, vermutlich auch bedingt durch die seismisch aktive Zone des Hohenzollerngrabens, ist überwiegend engständig, weshalb das Gestein unter Belastung häufig stückig zerfällt. Gemäß der DIN EN ISO 14689-1, Benennung, Beschreibung und Klassifizierung von Fels, ist der Kalkstein nicht veränderlich, frisch bis verfärbt und von hoher bis sehr hoher Festigkeit. Erfahrungsgemäß können Festigkeiten bis 200 MPa auftreten. Die Grenze zu den darunterliegenden Impressamergeln (Weißer Jura alpha, ox1), liegt auf etwa 790 mNN bis 800 mNN. 3. Bauweise Nach den bisherigen Kenntnissen [2] handelt es sich bei der Bastionsmauer heute um eine typische „dreischalige“ Bauweise mit einer Außenmauer aus Angulatensandstein und einer Innenmauer aus Weißjura-Kalkstein. Dazwischen wurde der Mauerkern aus kleinteiligem Weißjura-Bruchsteinmaterial mit reichlich Mörtel hergestellt. Zwischen Mauerkern und Innenmauer ergab sich ein fließender Übergang. Der für die Außenmauer verwendete Angulatensandstein stammt geologisch aus dem sog. „Hauptsandstein“ der Angulatensandstein-Formation (he2, Angulatenschichten, Schwarzjura alpha 2), der im Albvorland in der Vergangenheit als wichtigster Naturstein in zahlreichen Steinbrüchen gewonnen wurde [3, 4, 5]. Es handelt sich um feinkörnigen Sandstein von 0,025 mm bis 0,08 mm Durchmesser und um Kalksandstein. Der Hauptbestandteil des Sandsteins ist Quarz. Die Sandsteinlagen sind meist feingeschichtet und ebenflächig. Die Sandsteinbänke sind überwiegend dünn bis mittel bankig (20 cm - 60 cm), die Klüftung ist mittelbis weitständig (20 cm - 150 cm). In unverwittertem Zustand ist der Angulatensandstein graublau, der durch Oxidation und Auslaugung des kalkigen Bindemittels eine mehr oder weniger dicke, gelblich-poröse Rinde bekommt. Der Kalkanteil schwankt je nach Auslaugung zwischen 10% und 45%. Nach [6] wurde beim Wiederaufbau der Burg für die Hoffassade des Schlosses, den Torturm, die Ecktürme auf den Basteien und sämtliche Treppensteine Werksteine von Ostdorf verwendet, während für die ganze bastionierte Umfassung, den Rampenturm, den Wilhelmsturm und große Teile des Schlosses Werksteine von Engstlatt, Steinhofen und Weilheim verwendet wurden. 4. Schäden und Baumaßnahme Im Bereich des Bastionskranzes sind weite Teile der Maueroberflächen im Gefüge geschädigt. Es hat sich gezeigt, dass der Angulatensandstein von der Oxidation sehr nachteilig beeinflusst wird, wenn er, was häufig der Fall ist, Schwefelkies (Pyrit) in größerer Menge, zumal in Form von ganzen Knollen, enthält. Dieser zersetzt sich an der Luft und durch Aufnahme von Wasser zu Eisensulfat, das wasserlöslich überall eindringt und auf das kalkige Bindemittel des Sandsteins ätzend und auflockernd einwirkt. Durch weitere Oxidation wird dann Eisenoxydhydrat erzeugt, das hässliche braune Flecken und Streifen in der Nähe der in frischem Zustand kaum bemerkbaren Schwefelkiesknollen hervorbringt. Die Hauptgründe dafür sind salzhaltige Wässer, die vom Burghofareal durchs Mauerwerk und durch undichte Entwässerungssysteme eindringen sowie die Abdichtung des Mauerwerks durch einen stark zementhaltigen Mörtel, der den Abtransport der Feuchtigkeit aus dem Mauerwerk behindert [2]. Die durch die Wintersalzung eingetragenen NaCl-Salze lösen das karbonatische Bindemittel und führen zu Abplatzungen durch Kristallisationsdruck der sich aus der Lösung neu bildenden NaCl-Kristalle. Die Steinoberflächen fallen z. T. in Schollen ab oder sind flächig zerrüttet. Der Mauerzug beult örtlich nach außen aus; die äußere Mauerschale hat sich z. T. flächig gelöst. Nach Standsicherheitsuntersuchungen ist die Mauer - je nach Annahmen - rechnerisch gerade noch standsicher bis nicht mehr standsicher. Zudem sind Einschränkungen der Gebrauchstauglichkeit durch Verkippungen zu erwarten. Die Bastionsmauern müssen deshalb flächig instandgesetzt und statisch gesichert werden. Die Baumaßnahme soll in fünf Bauabschnitten (BA I bis BA V) durchgeführt werden, wobei im Bereich der Schnarrwachtbastei vorab (BA 0) neben dem Eingang ein Personen- und Lastenaufzug angebaut wird. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 391 Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage 5. Bauwerkserkundung mittels Bauradar und Kernbohrungen Wie häufig bei denkmalgeschützten Bauwerken in Baden-Württemberg soll für den Austausch der geschädigten Natursteinblöcke möglichst das bauzeitlich verwendete Originalmaterial verwendet werden [5]. Allerdings existieren schon seit Jahrzehnten keine Steinbrüche mehr im Angulatensandstein. Deshalb wurde im Jahr 2013 das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau in Freiburg (LGRB) vom Landesamt für Denkmalpflege (LAD) mit der Recherche nach Ersatzmaterial für den verwitterten Angulatensandstein im Vorland der Burg beauftragt. Mit Unterstützung des Ingenieurbüros Taberg, Freiburg, wurde man im etwa 8,5 km entfernten Gewann Heiligenhölzle bei Grosselfingen fündig. Dort erfolgt seit Beginn der Sanierungsarbeiten 2020 der Abbau von Natursteinblöcken. Im Jahr 2015 wurden erstmals alle Mauern der Bastei zerstörungsfrei mittels Bauradar durch die GGU mbH, Karlsruhe, untersucht [7]. Dabei wurden elektromagnetische Wellen mit dem hochfrequenten 900 MHz- und 400 MHz-Sensor in die Mauern gesendet und die reflektierten bzw. transmittierten Signale kontinuierlich registriert (Abb. 2). Anhand der Radargramme konnten oberflächennahe Schwächezonen der Wand erkannt werden (Abb. 3). Die Eindringtiefe ist allerdings beschränkt. Es wurden deshalb 2018 und 2020 durch die GGU mbH, Karlsruhe, zunächst im Bereich der Neuen Bastei und der Kurtine mit dem niederfrequenten 200 MHz-Sensor weitere Bauradar-Untersuchungen durchgeführt [8, 9, 10]. Von Januar 2020 bis April 2020 wurden auf Grundlage der Bauradar-Untersuchungen entlang von markanten Schnittlinien eine Kombination aus lotrechten Kernbohrungen vom Bastionskranz und dem Kapellenhof aus und horizontale Kernbohrungen durch die Bastionsmauern durchgeführt. Das Ziel der Erkundung war, Informationen zur Ausbildung der Bastionsmauer, deren Hinterfüllung und zur Tiefenlage der Felsoberfläche zu erhalten. Abb. 2: Durchführung der Bauradar-Untersuchungen durch die GGU mbH Abb. 3: Ansicht einer Bastionsmauer mit Ergebnissen der Bauradar-Untersuchungen sowie Lage und Tiefe der Horizontal-Bohrungen 392 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage Insgesamt wurden durch die Firma Terrasond, Günzburg, 17 lotrechte Bohrungen mit Tiefen bis zu 12 m im Bereich der Hinterfüllung des Bastionskranzes und durch die Firmen renovum GmbH, Renningen, und Zedler Baugesellschaft mbH, Ober-Flörsheim, 47 horizontale Kernbohrungen bis zu 7 m Länge durch das Mauerwerk und die Hinterfüllung durchgeführt. Aufgrund der beengten Verhältnisse der spindelförmigen Zufahrt konnten die lotrechten Bohrungen nur mit einem Kleinbohrgerät Beretta T44 mit Raupenfahrwerk und einem Maschinengewicht von rund 4,5 t ausgeführt werden (Abb. 4). Für die horizontalen Bohrungen kam eine portable Bohreinheit mit einer Bohrlafette der Firma Morath zum Einsatz, die an einem Arbeitsgerüst montiert werden musste (Abb. 5). Dabei hat sich gezeigt, dass trotz Verankerung des Gerüstes am Mauerwerk der erforderliche Anpressdruck nicht immer erreicht wurde, was sich dann an einer schlechteren Kernqualität bemerkbar machte. Aus den Bohrkernen wurden von der Materialprüfungsanstalt der Universität Stuttgart (MPA Stuttgart, Otto- Graf-Institut (FMPA), Abteilung 41) Mörtel- und Mauerwerksproben entnommen und in deren Labor untersucht [11]. Abb. 4: Baugrunderkundung in exponierter Lage Abb. 5: Horizontal-Bohrungen 6. Erkundungsergebnisse und Bauwerks-/ Baugrundmodell Mit Hilfe der punktuellen Kernbohrungen und deren Bohrfortschritt, den flächigen Bauradar-Untersuchungen sowie unter Berücksichtigung der baugeschichtlichen Erkenntnisse konnte eine Modellvorstellung des Maueraufbaus, der Hinterfüllung und der Felsoberfläche erarbeitet werden (Abb. 6). Die Bastionsmauer ist dreischichtig aus einer Außenmauer, einer Innenmauer und einem Mauerkern dazwischen aufgebaut. Die Mauersteine der Außenmauer, die beim Wiederaufbau der Burg ab 1850 vollständig erneuert wurde, bestehen aus Feinsandstein und Kalksandstein der Angulatensandstein-Formation. Die abgeschätzte Druckfestigkeit ist stark anisotrop. Vertikal zur Schichtung ist sie sehr hoch (100 MPa bis 250 MPa), horizontal mäßig hoch bis hoch (25 MPa bis 100 MPa). Die ermittelte Zugfestigkeit [11] zwischen 0,05 MPa und 7,10 MPa ist dagegen im unteren Bereich der Werte extrem gering und erklärt den oft kleinstückigen Zerfall bei horizontalen mechanischen Einwirkungen. Dies hat zur Folge, dass die Bohrkerne durch den Bohrvorgang häufig stückig zerfallen. Die Ursache der stark anisotropen Festigkeiten und des unterschiedlichen mechanischen Verhaltens der Steine ist, neben dem Grad der Verwitterung, genetisch bedingt. Durch die Ablagerungsbedingungen in Küstennähe entstanden feinste horizontale Schichtfugen mit flächigem Korngefüge. Diese Gefügeebenen sind i. d. R. Ebenen bevorzugter Spaltbarkeit bzw. abgeminderter Festigkeit. Schon geringe Schubspannungen können deshalb die horizontale Scherfestigkeit übersteigen und zum Bruch führen. Die Dicke der Außenmauer wurde an ihrem Fuß in der BK 1 mit rund 1 m, ansonsten etwa zwischen 0,45 m und 0,7 m erbohrt. Mit scharfem Übergang folgt hinter der Außenmauer die Innenmauer. Sie besteht überwiegend aus Kalkstein-Material der „Wohlgeschichteten Kalke“ (Weißer Jura beta, ox2). Örtlich trat auch Material der Stubensandstein- Formation, der Angulatensandstein-Formation und Ziegel-Bruchstücke auf. Der Mauerkern aus kleinteiligem Weißjura-Bruchsteinmaterial mit reichlich Mörtel konnte nur örtlich festgestellt werden. Die erbohrte Dicke der Innenmauer beträgt etwa 1,6 m bis 2,5 m. Die Gesamtdicke der Mauer beträgt damit zwischen rund 2,4 m und rund 3,2 m. Nach den Bauradar-Messungen nimmt die Dicke der Mauer oberhalb von etwa 5 m bis 6 m Höhe auf bis zu ca. 1,5 m ab. Die Bastionsmauer ist vollständig hinterfüllt. Nach den Erkundungsergebnissen ist die Hinterfüllung sehr heterogen aus überwiegend bindigem oder überwiegend kiesigem Material. Das bindige Material besteht aus einem kiesigen bis stark kiesigen, schwach steinigen, lagenweise auch organischen Schluff von meist weicher Konsistenz. Die Kies- und Steinkomponenten sind kantig und 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 393 Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage bestehen, ebenso wie die überwiegend kiesigen und steinigen Lagen, aus Kalksteinen der unterlagernden Wohlgeschichteten Kalke (ox2, wj ß). An Fremdbestandteilen treten nur vereinzelt meist kleine Ziegelbruchstücke auf. Die Mächtigkeit der Hinterfüllung erstreckt sich im Bereich der Bastionsmauer auf fast die gesamte Höhe der Mauer. Zum Hochschloss hin nimmt die Mächtigkeit vollständig ab. Der Übergang von der Hinterfüllung in den darunter liegenden Fels, bestehend aus den Schichten der sog. „Wohlgeschichteten Kalke“ (Weißer Jura beta, ox2), auf denen die gesamte Burg gegründet ist, konnte sicher erfasst werden. Die Bankmächtigkeiten dieses harten aber spröden Kalksteins liegen in der Regel zwischen 15 cm und 60 cm. Die Klüftung, vermutlich auch bedingt durch die seismisch aktive Zone des Hohenzollerngrabens, ist überwiegend engständig, weshalb das Gestein unter Belastung häufig stückig zerfällt. Gemäß der DIN EN ISO 14689-1, Benennung, Beschreibung und Klassifizierung von Fels, ist der Kalkstein nicht veränderlich, frisch bis verfärbt und von hoher bis sehr hoher Festigkeit. Erfahrungsgemäß können Festigkeit bis 200 MPa auftreten. Die Felsoberfläche steigt vom Fundament der Bastionsmauer zum Hochschloss hin steil an. Die Neigung der Felsoberfläche meist zwischen 30° und 45°, örtlich auch bis 70°. Abb. 6: Schnitt durch die Bastionsmauer 394 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage 7. Bautechnische Empfehlungen Auf Grund der durchgeführten Voruntersuchungen und den Vereinbarungen der Planer und Prüfer, die Stützwände für die Belastungen im Lastfall Erdbeben nach DIN EN 1998-1 NA 2018 (2021) rechnerisch nachzuweisen, waren die zu untersuchenden Umfassungswände neben der eingeschränkten Gebrauchstauglichkeit als nicht mehr ausreichend standsicher einzustufen. Nach der Neubeurteilung der Einwirkungen aus Erdbeben in Deutschland in DIN EN 1998-1 NA 2018 ergibt sich für den Standort der Burg Hohenzollern, etwa im Zentrum der höchsten Erdbebenbeanspruchung in Deutschland, eine Spitzenbodenbeschleunigung von a gR = 1,54 m/ s² (T = 475 a). Diese ist nahezu doppelt so hoch als nach den aktuellen Regelungen der DIN 4149. Damit kommt den Nachweisen zur Standsicherheit im Lastfall Erdbeben eine besondere Bedeutung zu. Abb. 7: Vergleich der Spitzenbeschleunigung nach DIN 4149 und DIN EN 1998-1 NA 2018 Auf Grund der Befunde und den anzusetzenden Einwirkungen waren damit sowohl die innere Tragfähigkeit der Mauer als auch die äußere Standsicherheit unter Berücksichtigung der Belange des Denkmalschutzes nach den nachfolgend genannten Grundsätzen [12] zu ertüchtigen: • Gewährleistung der Standsicherheit mit möglichst wenigen, aber effizienten Eingriffen, • Gefügeerhalt (Lage und Wechselbeziehung der einzelnen Konstruktionselemente in einem Bauteil) und • Erhalt einer möglichst großen historischen Aussagekraft für spätere Generationen durch Beschränkung der Maßnahmen auf das absolut Notwendige. Für die Gesamtstandsicherheit, das System Mauer-Baugrund (Hinterfüllung), gelten aus Sicht des Denkmalschutzes folgende grundsätzliche Sanierungsmöglichkeiten [13]: • Stabilisierung - luftseitig mittels Strebensysteme, Stützpfeiler oder vorgeblendete Stützwand, - erdseitig Verankerung, Vernagelung oder rückwärtige Pfeiler, - beidseitig mittels verankerter bzw. vernagelter Pfeiler oder Wände, - Sondermaßnahmen mittels Zusatzgründungen für Pfeiler, Vertikalanker oder Kopfverbreiterung. • Entlastung - Zugglieder mittels Vernagelung mit tellerförmigen Injektions-Körpern an der Mauerrückwand oder Verankerung mit Entlastungsplatte, - Schlepp-Platte auf Teilböschung oder auf kompressibler Schicht, - Entlastungsbzw. Abschirmwände oder - Erddruckabminderung durch veränderte Erdstoffeigenschaften mittels Hinterfüllung aus Leichtbaustoffen oder aus stabilisierten Erdstoffen bzw. durch Injektionen. Unter Berücksichtigung aller Randbedingungen wurde hier zur Erhöhung der Standsicherheit des Gesamtsystem einer Vernagelung den Vorzug gegeben. Bei der Verna- 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 395 Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage gelung werden senkrecht zur Mauerwerksoberfläche in den Boden (Hinterfüllung) Zugstäbe rasterförmig eingebracht, die in der Hinterfüllung einen tragenden Verbundkörper erzeugen. Aus Denkmalschutzgründen ist der Kopf des Zugstabes hinter dem Mauerwerk anzuordnen bzw. in der Mauer zu verbergen. Für die Aufnahme der Nagelkopfkräfte wird entweder ein kleines Widerlager aus Beton in die Mauer eingebaut, oder es werden die Kopfplatten der Nägel auf größere in der Mauer vorhandene Steine und ein Mörtelbett aufgesetzt und durch die Vorsatzschale verblendet [14, 15]. Die innere Standsicherheit wird durch eine Vernadelung, die einen rechnerischen Ansatz von aufnehmbaren Zugkräften im Mauerwerk ermöglicht, empfohlen und rechnerisch geprüft. Zur Mauwerksvernadelung werden kreuzweise Edelstahlanker innerhalb des Mauerwerks ohne Kopfausbildung eingebracht. Besonders stark geschädigte Bereiche des Mauerwerks müssen, auch aus temporären Standsicherheitsgründen, durch bewehrte Spritzbetontragglieder hinter der Vorsatzschale ertüchtigt werden. Auf Grund der hier maßgeblichen Belastung aus Erdbeben wurden umfangreiche numerische Untersuchungen zur Festlegung von Nagelabständen und -einbindelängen durchgeführt, um den Eingriff in den Bestand weitgehend minimieren zu können [16]. Die Bemessung der Mauer erfolgt analytisch, wobei die Größe des dynamischen Erddrucks mithilfe der durchgeführten dynamischen Berechnungen ermittelt wurde. Auch die in der Bemessung der Mauer im Lastfall Erdbeben anzusetzende (phasenverschobene) Beschleunigung des Mauerwerks wurde mithilfe der FEM-Berechnung ermittelt. Grundlage dieser Berechnungen waren in Jungingen aufgenommene und skalierte Erdbebenereignisse (16.01.1978 und 22.03.2003) und ein synthetisch erzeugter Beschleunigungs-Zeitverlauf. Alle Beschleunigungsverläufe wurden auf die für den Standort der Wand gemäß DIN EN 19981/ NA: 2018-10 (Entwurf) prognostizierte Spitzenbodenbeschleunigung a gR = 1,54 m/ s² (T = 475 a) skaliert. Das Anregungssignal wurde zusätzlich mit einen „topographischen Verstärkungsfaktor“ 1,2 verstärkt. Die Hinterfüllung der Bastionsmauer wurde mit dem elastoplastischen HS small Modell und alternativ mit einem elastischen Materialmodell beschrieben. Zur Simulation des Mauerwerks wird für jede der Mauerschalen ein eigener Parametersatz definiert, wobei die Mauerwerksfugen über horizontale und vertikale „Kluftscharen“ abgebildet werden. Die Scherfestigkeit der Fugen wurde zu Beginn rechnerisch so gewählt, dass die Standsicherheit der Mauer im Ist-Zustand ca. η = 1,0 beträgt. Abb. 8: Finite Element Modell und Vergleich von statischen und dynamischen Erddruckbelastungen auf die Bastionsmauer Im Ergebnis konnte für das iterativ ermittelte Nagelraster mit den zugehörigen Nagellängen der dynamischen Erddruck auf die Wand mit Time-History Analysen ermittelt und für Berechnungen in weiteren Berechnungsschnitten Anpassungsfaktoren für das klassischen Verfahren zur Ermittlung dynamischer Erddrücke, das sogenannte Mononobe-Okabe (M-O) Verfahren, bestimmt werden. Vorteilhaft bei den dynamischen Berechnungen mittels Finite Element Methode war, dass der Angriffspunkt der Horizontalkraft im Gegensatz zum M-O für jeden Erdruckverlauf eindeutig bestimmt werden und damit alle inneren Nachweise der Wand auch ohne auf der sicheren Seite liegenden Annahmen geführt werden konnten. 8. Zusammenfassung und Ausblick Auf Basis der umfangreichen Erkundungsmaßnahmen konnten die geotechnischen Herausforderungen unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes vollumfänglich geplant werden. Voraussetzung waren dabei die in insgesamt 13 Schnitten entlang der Bastionsmauer ausgeführten vertikalen und horizontalen Erkundungsbohrungen, mit deren Hilfe die Felsoberfläche, die Zusammensetzung der Hinterfüllung und die Mauergeometrie gut beschrieben werden konnten und Basis der ausgeführten Standsicherheitsberechnungen sind. In Verbindung mit den direkten horizontalen Erkundungsbohrungen konnte mittels Radar der Zustand der Mauer als Grundlage für Planung der Mauersanierung selbst flächig erfasst werden. Mittels aufwändigen Finite-Element-Berechnungen konnten die erforderlichen Eingriffe in die Bastionswand zum Erreichen einer ausreichenden Standsicherheit auch unter Berücksichtigung der aus der Neueinschätzung der Erdbebengefährdung stark erhöht anzunehmenden Einwirkung weitgehend minimiert werden. 396 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Burg Hohenzollern - Baugrunderkundung und Geotechnische Beratung in exponierter Lage Literatur: [1] Kayser, Chr.: Burg Hohenzollern, ein Jahrtausend Bau-geschichte; Südverlag GmbH, Konstanz 2017 [2] Gutachten über den statisch-konstruktiven Zustand und notwendige Instandsetzungsmaßnahmen der Burg Hohenzollern, Bastionärbefestigung mit Auffahrt, Textteil und Anlagenteil, Barthel & Maus Beratende Ingenieure GmbH, München, 16.08.13 [3] Blatt 7619 Hechingen der Geologischen Karte (M 1: 25000) von Baden-Württemberg mit Erläuterungen, Geologisches Landesamt B.-W., Stuttgart 1985 [4] Werner et al.: Naturwerksteine aus Baden-Württemberg - Vorkommen, Beschaffenheit und Nutzung; Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB), Freiburg im Br., 2013 [5] Abschlussbericht zu Erkundung und probeweiser Gewinnung von Angulatensandstein zur Renovierung der Burg Hohenzollern (Zollernalbkreis); Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB), Freiburg im Br., 17.11.2018 [6] Achenbach: Geognostische Beschreibung der Hohenzollernschen Lande; Zeitschr. der deutschen geol. Gesellschaft 1856 [7] Ergebnisse der zerstörungsfreien Prüfung mittels Bauradar 900 MHz- und 400 MHz-Sensor, GGU mbH, Karlsruhe, 9.2015 [8] Bestimmung der Mauerdicke mittels Bauradar Schnarrwachtbastei 200 MHz-Sensor, GGU mbH, Karlsruhe, 8.2018; [9] Bestimmung der Mauerdicke mittels Bauradar, Burg Hohenzollern, Bastionenring, Neue Bastei NB, 400 MHz-Sensor, 7 Anlagen, GGU mbH, Karlsruhe, 01.2020 [10] Bestimmung der Mauerdicke mittels Bauradar, Burg Hohenzollern, Bastionenring, Neue Bastei NB, 200 MHz-Sensor, 8 Anlagen, GGU mbH, Karlsruhe, 02.2020 [11] Untersuchungsbericht Nr. 903 5758 000 zur Prüfung von Bohrkernen aus dem Mauerwerk, Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart, 26.10.18 [12] Fichtner, W. und Cook, D.: Sicherungstechniken für altes Mauerwerk, Bergbau und Denkmal 2, Sonderforschungsbereich 315, Universität Karlsruhe, 13/ 1995 [13] Wendt, R.: Alte Stützmauern - Schäden und Sanierungsmöglichkeiten, Bautechnik 72, 1995 [14] Wichter, L. und Meiniger, W.: Zum Stand der Bodenvernagelung in Deutschland; Geotechnik 27, Nr. 3, 2004 [15] Kudella, P.: Kopplung von GZ 1B und GZ 1C beim Nachweis von Stützmauervernagelungen nach DIN 1054: 2005; Bautechnik 82, Heft 12, 2005 [16] Benz, Th., Mey, A. und Jud, H.: Dynamischer Erddruck auf Wände - Ein Beispiels aus der Praxis; Vortrag in der Reihe „Numerik in der Geotechnik“, Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, 2019 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 397 Mehrphasige messtechnische Überwachung eines Rutschhangs an der Benediktinerabtei Plankstetten / Oberpfalz Dr. Ralf Plinninger Dr. Plinninger Geotechnik, Bernried, Deutschland Klaus Keilig, Dr. Judith Festl Baugeologische Büro Bauer, München, Deutschland Dr. John Singer AlpGeorisk, Unterschleißheim, Deutschland Zusammenfassung Die im 11. Jahrhundert gegründete Benediktinerabtei Plankstetten liegt im fränkischen Jura, südlich von Neumarkt in der Oberpfalz. Die an der Talflanke des Sulztals gelegene Klosteranlage liegt am Fuß eines rd. 150 m hohen Hangs, der aus Gesteinen des Braunjura (Dogger) und Weißjura (Malm) aufgebaut wird. Im Januar 2018 wurde mit den Aushubarbeiten für einen Anbau begonnen, der hangseitig der Bestandsgebäude des Klosters etwa 10 m in das bestehende Gelände einbinden sollte. Bereits während des Voraushubs traten deutliche Verformungen im Hang oberhalb der Baugrube auf, woraufhin die Aushubmaßnahmen umgehend eingestellt und eine Vorschüttung zur provisorischen Stabilisierung der Bewegung hergestellt wurde. Der Beitrag stellt im Gesamtkontext der hochdynamischen Hangbewegung und deren Erkundung die verschiedenen Messverfahren und Messergebnisse vor, die zur Untersuchung der Hangbewegung, zur Planung der Stabilisierungsverfahren und schließlich auch für die Überwachung der Aushubarbeiten eingesetzt wurden. 1. Situation im Frühjahr 2018 1.1 Geographie und Geologie des Projektareals Die im 11. Jahrhundert gegründete Benediktinerabtei Plankstetten (Abb. 1) liegt im fränkischen Jura, südlich von Neumarkt in der Oberpfalz. Die an der Talflanke des Sulztals gelegene Klosteranlage liegt am Fuß eines rd. 150 m hohen Hangs, der im unteren Bereich aus tonig-mergeligen Gesteinen des Braunjura (Dogger) und im oberen Bereich aus massigen Kalken des Weißjura (Malm) aufgebaut wird. Abb. 1: Luftaufnahme des Benediktinerklosters Plankstetten im Sommer 2018. Im Hintergrund der mit Vorschüttung gesicherte Voraushub der Baugrube (Foto: Dr. Singer). 398 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Mehrphasige messtechnische Überwachung eines Rutschhangs an der Benediktinerabtei Plankstetten / Oberpfalz 1.2 Aktivierung der Rutschung 2018 Im Januar 2018 wurde mit den Aushubarbeiten für einen Anbau begonnen, der hangseitig der Bestandsgebäude des Klosters etwa 10 m in das bestehende Gelände einbinden sollte. Bereits während des Voraushubs traten deutliche Verformungen und Bodenrisse im Hang oberhalb der Baugrube auf (Abb. 2), woraufhin die Aushubmaßnahmen umgehend eingestellt und eine Vorschüttung zur provisorischen Stabilisierung der Bewegung hergestellt wurde. Abb. 2: Frische Bodenrisse und gespannten Wurzeln im bewaldeten Hang oberhalb der Baugrube, Frühjahr 2018 (Foto: BBB). 2. Erkundung und Überwachung 2018/ 2019 Zur weiteren Erkundung der Rutschungssituation und zur Erhebung geologischer und geotechnischer Grundlagen für eine Böschungsstabilisierung wurde im Frühjahr 2018 die Baugeologisches Büro Bauer GmbH, München eingebunden. Durch die Geologen des BBB wurde unmittelbar eine Kartierung und Vermessung der Oberflächensituation sowie eine Planung geotechnischer Messungen begonnen. 2.1 Oberflächenkartierung und -monitoring Noch vor Beginn der detaillierten Geländeaufnahme, wurde u. a. in der Georisk-Datenbank des Bayerischen Landesamts für Umwelt (LfU) nach Informationen zu bereits bekannten Massenbewegungen in der Umgebung des Klosters recherchiert. In der Georisk-Datenbank finden sich mehrere Einträge in unmittelbarer Umgebung, wobei ein Objekt direkt oberhalb des Klosters verortet ist. Hierbei handelt es sich um einen kombinierten Prozess aus Driftbewegungen und Rotationsrutschungen, die als Teil eines größeren Rutschhangs zu deuten sind. Während sich die Abrisskante im Weißjura (Malm α/ β) befindet, wird der Gleithorizont im Ornatenton (Dogger ξ) vermutet. Im Zuge der Kartierung wurde der gesamte Hang, von der Baugrube am Kloster bis hinauf zur Steilstufe der Malmkalke und Teile des Plateaus des Tafelbergs detailliert ingenieurgeologisch aufgenommen. Basierend auf der Kartierung, der Auswertung verfügbarer Bestandsbohrungen und -daten sowie der Vermessungsergebnisse konnte ein erstes Modell der Massenbewegung aufgestellt werden (Abb. 3). Auf dieser Grundlage erfolgte die weitere Planung und Erkundung erfolgen. Hierbei zeigte sich, dass das Kloster am Fuße einer alten prähistorischen Großrutschung liegt, bei der eine Großscholle der Juragesteine abgebrochen und talwärts gerutscht ist. Die Gleitbahn dieser Großrutschung wurde in mind. 16-18 m Tiefe vermutet. Bei der Geländeaufnahme wurde der gesamte Hang in Abhängigkeit der Bewegungen in insgesamt 4 Zonen unterteilt: • In Zone 1, am obersten Ende des Hanges, wurden helle anstehende Malmkalke dokumentiert, die keinerlei Ablösung vom Felsverbund oder Verkippungen erkennen lassen. • Direkt unterhalb, in Zone 2, befinden sich, intern noch weitgehend intakte, aber bereits nachgebrochene und/ oder abgerutschte Felsformationen, an denen eine Verkippung von ca. 5-12° beobachtet wurde. • In der hangabwärts folgenden Zone 3 beginnt die eigentliche Hauptrutschmasse, in der rotierte und verstellte Schollen „intakter“ Felsformationen zu finden sind. Hier weisen die Schollen eine sehr deutliche Verkippung von 20-35° auf. • In Zone 4 liegen die alten Rutschmassen in zunehmend aufgelöstem Zustand vor. Es handelt sich hierbei überwiegend um Gesteinsschuttmassen (gemischtkörnige Böden), in denen Steine und Blöcke unterschiedlicher Größe eingebettet sind. Die im Zuge des Baugeschehens 2018 aktivierten Bewegungen haben sich in Zone 4 ereignet. Dies wird zum einen durch die frischen Zerrspalten (offene Spalten bis 1 m Tiefe, siehe Abb. 2) an der Oberfläche in diesem Bereich, aber auch durch die Ergebnisse der an der Oberfläche eingerichteten Beobachtungslinien zur Vermessung von Hangdeformationen bestätigt (bis zu 75 cm im Zeitraum Februar 2018 bis Dezember 2018). Es ist davon auszugehen, dass eine zumindest bis mehrere Meter mächtige Schicht des Hangs reaktiviert wurde. Auf Grundlage der Felderkundungen wurden im Rahmen einer verdichtenden Erkundung zusätzliche Schwere Rammsondierungen durchgeführt, geoelektrische Widerstandstomografie entlang mehrerer Profile hangquer und hangparallel erfasst, die Vermessungsprofile ausgebaut, Konvergenzmessstrecken ergänzt sowie eine detaillierte hydrogeologische Bestandsaufnahme bestehender Schächte, Pegel und Quellen durchgeführt. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 399 Mehrphasige messtechnische Überwachung eines Rutschhangs an der Benediktinerabtei Plankstetten / Oberpfalz Abb. 3: Erstes ingenieurgeologisches Übersichtsprofil des Jurahangs. Im Zuge des Aushubs 2018 wurden Bereiche (rote Linie) in Zone 4 aktiviert (Grafik: BBB). 2.2 Einrichtung kombinierter Inklinometer-/ Porenwasserdruck-Messstellen Zusätzlich zu den verdichtenden Erkundungsmaßnahmen wurde ein geotechnisches Überwachungsprogramm geplant, das folgende Ziele erreichen sollte: 1. Erfassung der Tiefenlage des (oder der? ) Abscher- Horizonte; 2. Ermittlung von Bewegungsrichtung, Bewegungsgeschwindigkeit und -geschwindigkeitsveränderungen der Rutschmasse; 3. Erfassung der Porenwasserdrücke im Hang zur Identifizierung möglicher Triggerfaktoren; 4. sowie ggf. Monitoring der nachfolgenden Sanierungs- und Bautätigkeiten. Durch das Büro Dr. Plinninger Geotechnik, Bernried wurden daraufhin im August 2018 drei rd. 30-35 m tiefe, kombinierte Inklinometer- und Porenwasserdruck-Messstellen installiert. Die Messstellen wurden in zunächst wöchentlichem, später zweiwöchentlichen Turnus gemessen. Die Porenwasserdruckgeber wurden später mit einem Datenlogger für eine kontinuierliche Messdatenerfassung nachgerüstet. Der Einsatz des innovativen „fully grouted“-Verfahrens (siehe auch Priesack, et al., 2016) erlaubte hierbei die Messung von Verformungen und Porenwasserdrücken in verschiedenen Teufenniveaus in nur einer Messstelle. Mithilfe dieser Messtellen konnten Teufenlage, Bewegungsbeträge, Richtung, sowie Porenwasserdruckverhältnisse in verschiedenen Hangniveaus erfasst werden. 2.3 Ergebnisse der geotechnischen Messungen Aufgrund der nach wie vor bestehenden Dynamik des Rutschkörpers lieferten die kombinierten Messstellen innerhalb weniger Monate eindeutige, wenn auch besorgniserregende Ergebnisse (Abb. 4, Abb. 5). 400 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Mehrphasige messtechnische Überwachung eines Rutschhangs an der Benediktinerabtei Plankstetten / Oberpfalz Abb. 4: Messergebnisse der Inklinometer in A-Achse; Messstellen B30 und B31 im Zeitraum September bis Dezember 2018 (Grafik: PG). Abb. 5: Ergebnis einer Videobefahrung in Messstelle B32 bei ca. 3,1 m u. GOK: Das Inklinometer-Messrohr wurde aufgrund der hohen Verformungsbeträge an der Scherfuge bis zur Unbrauchbarkeit deformiert (Foto: PG). Die Inklinometermessungen konnten bis Dezember 2018, an einer Messstelle bis Januar 2019 durchgeführt werden, bevor die Messstellen durch Abscherung zerstört wurden. Die im Zeitraum von nur 3 Monaten erhobenen Messdaten wiesen auf eine Scherfuge bei rd. 2,5-4,5 m unter GOK und eine weiterhin hohe Bewegungsrate von bis zu rd. 12 mm/ Monat hin (Abb. 4, Abb. 5). Auch die Messergebnisse der Piezometer (siehe Abb. 7) zeigten eindrucksvolle Ergebnisse, die eine erhebliche Beeinflussung der Bewegung durch das Bergwasserregime nahelegten. Sie reagierten unabhängig von ihrer Tiefenlage innerhalb 1-3 Tagen auf den Eintrag von Niederschlägen. Die Verformung des Hangs korreliert mit den Porenwasserdrücken. Als Auslöser für stärkere Bewegungszunahmen reichen bereits Niederschläge geringer bis mittlerer Intensität aus. Abb. 6: Ganglinien der Porenwasserdruckmessungen im Vergleich mit den Niederschlagsdaten der Station Berching (CDC 2019; Grafik: BBB). 2.4 Rekonstruktion der Rutschung Auf Basis der vorliegenden Erkundungsergebnisse wurde vom BBB im Frühjahr 2019 ein ausführliches Gutachten erstellt, das erstmals eine zusammenfassende Bewertung der Hangbewegung und ihrer Ursachen, sowie eine Modellbildung für Sanierungszwecke erlaubte. Abb. 7: Deformation in einem Entwässerungsschacht (Foto: BBB). Die weiteren Erkundungsmaßnahmen, wie Bohrkerndokumentation, geoelektrische Widerstandstomografie, Inklinometer- und Piezometermessungen sowie die Oberflächenvermessung bestätigten insgesamt das zu Beginn 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 401 Mehrphasige messtechnische Überwachung eines Rutschhangs an der Benediktinerabtei Plankstetten / Oberpfalz aufgestellte geologische Modell der Massenbewegung am Kloster Plankstetten, konnten aber zu einer deutlichen Verfeinerung des Untergrundmodells beitragen. All diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass sich eine ca. 3-6 m mächtige Schicht der prähistorischen Rutschmasse im unteren Hangbereich (Abb. 8 bzw. Zone 4, Abb. 3) reaktiviert hat. Zwar ist die Tiefenlage der Scherbahn der reaktivierten Rutschmasse nur punktuell (in Inklinometermessstellen) definitiv nachgewiesen, jedoch unterstützen das Auftreten einer feinkörnigen Tonschicht in vielen der Aufschlüsse, die Beobachtungen aus der geoelektrischen Widerstandstomografie, abgescherte Grundwasserpegel sowie das Auftreten von Grund- und Böschungsbrüchen an der Oberfläche diese Annahme der Mächtigkeit und Tiefenlage (Abb. 8). Abb. 8: Vereinfachtes Hangmodell mit Darstellung des aktiven Rutschkörpers, den als Gleitbahn wirkenden Ton- Schluff-Horizonten sowie den dokumentierten Grund- und Böschungsbrüchen. Neben der individuellen Auswertung sämtlicher erhobener Messdaten wurden insbesondere die Verformungsmessungen, sowie die klimatischen und hydrologischen Daten gesamtheitlich als Zeitreihen dargestellt und weitergehend analysiert, um so das Verhalten und die Zusammenhänge potenzieller „Triggerfaktoren“ genauer zu untersuchen. Als „Trigger“ sind hier insbesondere Niederschlag (erhöhter Porenwasserdruck) aber auch Bautätigkeiten, insb. am Fuß, zu sehen. Wie bereits in Kap. 2.3 beschrieben, reagieren die Piezometer unabhängig ihrer Tiefenlage in etwa zeitgleich mit einer Reaktionszeit von 1-3 Tagen auf vorangegangene Niederschläge (Abb. 9). Und auch Bewegungen bzw. eine Beschleunigung der Bewegungen konnte nach Perioden erhöhter Niederschläge beobachtet werden. In Abb. 10 sind die Niederschläge im Zeitraum Februar 2018 bis Mai 2019 sowie die Deformationen an der Oberfläche an ausgewählten Profillinien dargestellt. Im April 2018, im Juli 2018 und von Dezember 2018 bis Mitte Januar 2019 war in allen Deformationsmessungen an der Oberfläche eine deutliche Beschleunigung festzustellen. Im Juli 2018 bzw. im Dezember 2018/ Januar 2019 versteilt sich die Summenkurve (Starkregen bzw. ergiebige Niederschläge). In diesen Perioden ist jeweils überdurchschnittlich viel Niederschlag (ca. 150-200 % des 30-jährigen Monatsmittel) gefallen. Anders sieht es im April 2018 aus. Hier kann dieser Zusammenhang nicht hergestellt werden. Vielmehr waren die Niederschläge im April 2018 unterdurchschnittlich gering. Hier sind die Bewegungen in Zusammenhang mit den Bautätigkeiten zu erklären. Nach der Einstellung der ersten Bautätigkeiten in Folge von deutlichen Bewegungen im Januar 2018 wurde etwa Mitte April damit begonnen die geplante Baugrube auszuheben. Daraufhin kam es mehr oder weniger unmittelbar mit dem Aushub und der damit einhergehenden Fußentlastung zu einer deutlichen Beschleunigung der Bewegungen (bis zu 63 cm zw. Messung vom 5. April und 24. April 2018). 402 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Mehrphasige messtechnische Überwachung eines Rutschhangs an der Benediktinerabtei Plankstetten / Oberpfalz Abb. 9: Zusammenhang zwischen Niederschlag (Summenkurve) und Deformationen an der Oberfläche (Niederschlagsdaten: CDC 2019; Grafik: BBB). Aufgrund sämtlicher Beobachtungen und den hier dargestellten Zusammenhängen zwischen Niederschlägen und Bewegungsverhalten ist davon auszugehen, dass der Rutschhang seit der ursächlichen Ingangsetzung der Bewegungen durch die Baumaßnahmen im Januar und April 2018 (Fußentlastung) sehr sensibel auf Niederschläge und/ oder Schneeschmelze reagiert. Zwar konnte keine konkrete Reaktionszeit zwischen Niederschlagsereignis und Einsetzen der Bewegungen auf Basis der vorliegenden Daten ermittelt werden, allerdings ist aufgrund der relativ geringen Tiefenlage der Scherbahn (3-6 m) und der kurzen Reaktionszeit zwischen Niederschlag und Anstieg im Porenwasserdruck von einer ebenso kurzen Reaktionszeit auszugehen. Insgesamt ist anzunehmen, dass sich der Hang vor Beginn der Bauarbeiten im Januar 2018 nahe dem Grenzgleichgewicht befand. Durch den begonnenen Aushub und die damit einhergehende Hangfußentlastung wurde der Ausnutzungsgrad deutlich in den instabilen Bereich verschoben (Ursache) und es wurde infolgedessen eine sehr stark erhöhte Sensitivität des Hanges auf Niederschläge beobachtet (Abb. 10). Abb. 10: Schematische Darstellung des Ausnutzungsgrades des Rutschhangs über die Zeit (Grafik: BBB). Ziel einer Sanierung musste es daher sein, die Hangbewegung nachweisbar (messtechnische Überwachung) wieder in einen Zustand zu überführen (Sicherungsmaßnahmen) und den destabilisierenden Einfluss von Niederschlagsereignissen zu reduzieren (Drainierung). 3. Sanierung des Rutschkörpers Auf Basis der Erkundungsergebnisse wurde im Sommer 2019 eine Stabilisierung des Rutschhangs mit Erdbeton- Stützlamellen (sog. HZV-Verfahren) ausgeführt. Ausgeführt wurden insgesamt 10 HZV-Stützscheiben mit einem Gesamtvolumen von 6.900,00 m³. Eine umfassende Darstellung der Bemessung und Ausführung der Sanierung ist dem Beitrag von Krüger & Stöger (2020) zu entnehmen, der auf dem 12. TAE-Kolloquium „Bauen in Boden und Fels“ vorgestellt wurde. Auf die Darstellung der Sanierungsmaßnahme selbst wird daher mit Verweis auf diesen Aufsatz verzichtet. Abb. 11: Messergebnisse der Inklinometerkette im Zeitraum des Baugruben-Aushubs vom 24.9.2021 bis 11.10.2021 (Grafik: AlpGeorisk). 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 403 Mehrphasige messtechnische Überwachung eines Rutschhangs an der Benediktinerabtei Plankstetten / Oberpfalz 4. Überwachung des Baugrubenaushubs Nach der Ausführung der Erdbeton-Stützlamellen trat eine Beruhigung der Situation ein und oberflächliche Bewegungen konnten danach nur noch in nicht signifikanter Größenordnung nachgewiesen werden. Da dennoch nicht auszuschließen war, dass es im prähistorisch vorbeanspruchten Rutschhang zu einer Aktivierung weiterer tieferliegender Scherhorizonte gekommen war, wurde der Aushub im Schutz einer Bohrpfahlwand und mit Fortführung des geotechnischen Monitorings wiederaufgenommen. Ziel des Monitorings war dabei die frühzeitige Erkennung einer erhöhten bergseitigen Last auf die Bohrpfahlwand aufgrund von weiterer Rutschungsaktivität. Dazu wurden drei Bohrpfähle im Bereich der Baugrubenwand im Herbst 2019 mit innenliegenden Inklinometer-Messrohren ausgestattet, wovon eine Messstelle mit einer Messkette aus neun hochgenauen, einaxialen Ketteninklinometer-Gebern bestückt wurde. Um eine sich ggf. einstellende Aktivierung des Hanges unmittelbar erkennen zu können, wurde das System mit einer Datenerfassungseinheit ausgestattet, die eine sofortige Übertragung der Daten in ein webbasiertes Datenmanagementsystem ermöglichte. Die im 30-Minuten-Takt erhobenen Daten konnten so jederzeit über das Internet abgerufen und bewertet werden. Die von der Messkette im Zeitraum des Baugrubenaushubs von Ende September bis Mitte Oktober erfassten Daten sind in Abb. 11 dargestellt. Diese zeigen deutlich die mit fortschreitendem Aushub der Baugrube sich einstellende talwärts gerichtete Verformung des überwachten Bohrpfahls. Dabei nahmen die Verformungen von unten nach oben inkrementell zu. Die beobachteten Gesamtverformungen (über die überwachte Länge aufsummiert) liegen maximal im niedrigen einstelligen Millimeterbereich und waren damit unkritisch. Nach Beendigung des Aushubs wurde das Monitoring weitere 4 Monate bis Mitte Februar 2020 fortgesetzt. In diesem Zeitraum konnten keine weiteren signifikanten Verformungen festgestellt werden. Abb. 12: Ausbau der Inklinometerkette aus der Bohrpfahlwand nach Beendigung der Überwachung im Februar 2020. Die batteriebetriebene Datenerfassung befindet sich in dem schwarzen Messkoffer am Fuß der Messstelle (Foto: Dr. Singer). 5. Schlussfolgerungen Am Kloster Plankstetten haben geringfügige Eingriffe in den Hangfuß eine flachgründige Rutschung mit hoher Dynamik ausgelöst. Der Rutschungskörper ist als eine Teil-Reaktivierung eines prähistorischen viel größeren Rutschhangs am Abbruch des Jura-Tafelbergs zu sehen. Durch ein Zusammenspiel aus klassischer geologischhydrogeologischer Grundlagenarbeit (Kartierung, Geländeaufnahme, Bohrkernaufnahme) mit modernen Erkundungsmethoden (geoelektrische Widerstandstomographie) und einer engen und innovativen messtechnischen Überwachung (Inklinometer, „fully-grouted“ Piezometer) mit detaillierter Analyse (Zeitreihenanalyse) konnte ein plausibles und detailliertes Untergrundmodell sowie schlüssige Hypothesen für Ursache und Auslösung der Rutschung aufgestellt werden. Damit konnten die Grundlagen für eine erfolgreiche Sanierung des Rutschkörpers und eine letztlich sichere und erfolgreiche Ausführung des Bauprojekt geschaffen werden. 404 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Mehrphasige messtechnische Überwachung eines Rutschhangs an der Benediktinerabtei Plankstetten / Oberpfalz Literatur [1] DWD Climate Data Center (CDC): Tägliche Stationsmessungen Niederschlagshöhe in mm für Deutschland,Version v19.3, abgerufen am 28.04.2019. [2] Krüger, B. & Stöger, J. (2020): Nachhaltige Stabilisierung von Kriechhängen mittels HZV-Verfahren: Bemessung und Ausführungspraxis.in Moormann, C. & Vogt-Breyer, C. (Hrsg., 2020): Tagungshandbuch zum 12. Kolloquium „Bauen in Boden und Fels“ der TA Esslingen, 21. und 22. Januar 2020, S. 97-104 (expert Verlag, Tübingen). [3] Priesack, T., Plinninger, R.J., Alber, M. & Salcher, B. (2016): Systematische Analyse innovativer Installationsverfahren für Porenwasserdruckgeber.in: Vogt, C. & Moormann, C. (Hrsg., 2016): Tagungshandbuch zum 10. Kolloquium „Bauen in Boden und Fels“ der TA Esslingen, 19. und 20. Januar 2016, S. 143-150 (Technische Akademie Esslingen). 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 405 Numerische Untersuchungen zur statischen Beurteilung von Baugrubenböschungen infolge Porenwasserdruck-Reaktionen auf Dilatanz Denis Maier Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland TU Bergakademie Freiberg, Freiberg, Deutschland Zusammenfassung Für die Standsicherheitsbeurteilung der Böschungen von Baugruben in Boden und Fels wird meist unter jeweils maßgebender Annahme von dränierten oder undränierten Bedingungen durchgeführt. Über den zeitlichen Verlauf des Versagens selbst liefern Standsicherheitsuntersuchungen, bei denen die Wechselwirkungen zwischen Verformungen und Porenwasserdrücken unberücksichtigt bleiben, keine Information. Grundsätzlich bietet eine Konsolidationsrechnung, die die Grundgleichungen ohne Vernachlässigung von Porenwasserdruckproduktion bzw. -dissipation löst, die Möglichkeit Standsicherheiten zeitabhängig und nicht nur für den jeweils als maßgebend angenommenen Grenzfall zu ermitteln. Ergibt die Konsolidationsberechnung einen ausreichend langsamen Versagensverlauf, besteht desweitern die Möglichkeit einer Beurteilung der Böschungsstandsicherheit im Rahmen der Beobachtungsmethode. In gering durchlässigen Böden und Felsmaterialien, wie in stark überkonsolidiertem Ton oder Tonsteinen können dilatante Verformungen zu einem langsamen Versagen führen, da entstehende Porenwasserunterdrücke die Scherfestigkeit des Materialgefüges zeitweise erhöhen. In diesem Beitrag wird der Einfluss dilatanten Materialverhaltens auf den Versagensmechanismus einer Baugrubenböschung in einem Boden geringer Durchlässigkeit anhand eines vereinfachten Beispiels dargestellt. 1. Einleitung Die Beurteilung der Standsicherheit von Hängen und oder künstlich hergestellten Böschungen ist eine in der geotechnischen Ingenieurpraxis häufig vorkommende Fragestellung. Die dabei erforderliche Stabilität bezieht sich auf den Zustand eines geneigten Boden- oder Felshangs, der einer Belastung ausgesetzt ist. Das Grenzgleichgewichtskonzept gilt als anerkannte Regel der Technik zur Beurteilung der Hangstabilität. Ziel hierbei ist die Bestimmung des Verhältnisses zwischen der verfügbaren Scherfestigkeit und der Grenzscherfestigkeit, bei der ein als Versagen postulierter Zustand bei Ansatz von Bemessungswerten für die Einwirkungen und die Scherparameter gerade noch nicht eintritt. In der Regel werden repräsentative zweidimensionale Schnitte unter der Annahme ebener Dehnungsbedingungen analytisch (Gleitkreise oder andere Bruchkörper) oder numerisch analysiert. Es erfolgt ein Vergleich von Kräften, die einer Bewegung widerstehen („haltende Kräfte“), mit solchen, die eine instabile Bewegung verursachen können („treibende Kräfte“). Hierbei werden Translations- oder Rotationsbewegungen auf einer angenommenen (analytische Ansätze) oder im Verlauf der numerischen Berechnung ermittelten Gleitfläche/ Bruchfläche an der Unterkante des versagenden Bodenkörpers berücksichtigt. Es gibt jedoch auch Aufgabestellungen, die eine über die Bedingungen des Versagens hinaus gehende Beurteilung erfordern. Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine geringe Standsicherheit in Kauf genommen werden, sofern das eigentliche Versagen hinreichend langsam erfolgt und sich dessen Entwicklung durch geeignete Messgeräte in einem für die Standsicherheit ausreichenden Maß genau beobachten lässt. Über den zeitlichen Verlauf des Versagens selbst liefern Standsicherheitsuntersuchungen keine Information. So können beispielsweise bei einer Analyse durch Abminderung der Scherparameter zwar Auftriebs- und etwaige Strömungskräfte berücksichtigt werden, die Wechselwirkungen zwischen Verformungen und hydraulischem Grundwasserpotential bzw. Porenwasserdrücken bleiben jedoch unberücksichtigt. Diese Interaktion zeigt sich bei dem Versagen von Boden- und Felshängen, wenn sich der Boden oder Fels dilatant verformt und die Durchlässigkeit in Bezug auf die Verformungsgeschwindigkeit gering ist. In diesem Beitrag werden Einflüsse der kinematisch-dynamischen Interaktion zwischen Bodenverformung und Porenwasserdruck auf die Standsicherheit von Boden- und Fels- 406 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Numerische Untersuchungen zur statischen Beurteilung von Baugrubenböschungen infolge Porenwasserdruck-Reaktionen auf Dilatanz hängen mit dilatantem Verhalten und geringer Durchlässigkeit aufgezeigt. 2. Grundlagen Das Model leitet sich ab von Biots Theorie [1] der Poroelastizität und berücksichtigt ein poröses Medium, dessen Matrix verformbar ist und dessen Porenraum mit einem ebenfalls kompressiblen Fluid gefüllt ist. Die Grundgleichungen zur Beschreibung des porösen Gesamtsystems bestehen aus der Massenbilanz der Fluidphase sowie den statischen Gleichgewichtsbedingungen am Bodenelement. Werden eine annähernde Wassersättigung des Porenraums (Sw>95%), bei dem Gas nur noch in Form insularer Bläschen vorliegt, und inkompressible Einzelbestandteile des Materialgefüges angenommen, so lässt sich die Massenbilanz entsprechend (1) beschreiben: Es handelt sich dabei um eine auf den Porenwasserdruck p bezogene Gleichung. Die Porosität n und die Kompressibilität des Porenfluid (Wasser-Gas Gemisch) K‘ ergeben den sogenannten Speicherkoeffizienten. εv sind die volumetrischen Dehnungen des Materialgefüges und mit q die Flüsse in das und aus dem betrachteten Kontrollvolumen. Die Flüsse q werden mittels Grundwasserströmungsgleichung nach Darcy mit der hydraulischen Durchlässigkeit ks und der Wichte von Wasser γw bestimmt. Der Anstieg des Porenwasserdrucks zu einem Zeitpunkt t entspricht somit der Differenz des durch die Volumenänderung des Materialgefüges verringerten Hohlraumvolumens und des Wasservolumens, dass aus dem betrachteten Kontrollvolumen im Zeitinkrement ein oder ausfließen konnte. Der Speicherterm gibt an, wie stark der Porenwasserdruckanstieg bei gegebener Hohlraumvolumenänderung ist. Dabei kann die volumetrische Dehnung des Materialgefüges nicht nur als treibende Kraft wirken, sondern nimmt im gekoppelten System über die Rückkopplung des Porenwasserdrucks p mit den effektiven Spannungen ∂‘ in den statischen Gleichgewichtsbedingungen (2) auch die Rolle eines zusätzlichen Speicherterms ein. Das Eigengewicht des Boden- oder Felskörpers wirkt sich als Volumenkraft f aus. I ist der Einheitstensor. Durch diese bidirektionale Kopplung ergibt sich bei gegebenem Fluss eine Aufteilung der totalen Spannungen auf Porenwasserdruck und effektiven Spannungen anhand des Verhältnisses der Kompressionssteifigkeit des Porenfluid und der des Materialgefüges. Die Deformationen, insbesondere die volumetrischen Dehnungen, die wie beschrieben in die Massenbilanz der fluiden Phase eingehen, werden aus dem zugrunde gelegten Stoffgesetz des Boden- oder Felsmaterials berechnet. In numerischen Programmen wird jedoch fast ausschließlich die Verschiebungsformulierung angewandt, bei der die effektiven Spannungen mittels approximierter Steifigkeiten als Verformungen ausgedrückt werden, und das Stoffmodell dann dazu dient neue Näherungen für die Steifigkeiten und effektiven Spannungen zu bestimmen (siehe z.B. [2]) 2.1 Dränierte, undränierten oder Konsolidations- Berechnung? Eine regelwerkkonforme Beurteilung der Hangstabilität sieht keine Berücksichtigung der kinematisch-dynamischen Interaktion zwischen Bodenverformung und Porenwasserruck vor, wenn die Standsicherheit für eine lange Standzeit des Erdbauwerks gewährleistet werden soll (Langzeitverhalten). Die Beurteilung entsteht dann mittels sogenannter dränierter Berechnungen, da der Zustand am Ende eines Konsolidierungsvorganges betrachtet wird, wenn alle Porenwasserüberdrücke bzw. -unterdrücke dissipiert sind. Diese Herangehensweise wird meist für Entlastungsfälle angewandt, wobei ggf. auftretende Porenwasserunterdrücken, die die effektiven Spannungen der Materialgefüges und damit ihre Scherfestigkeit erhöhen, nicht berücksichtigt werden. Der drainierte Zustand stellt für Entlastungsfälle also in Hinblick auf die Festigkeit des Materialgefüges meist den ungünstigsten Fall dar. Bei Belastungsfällen wird für den Anfangszustand unmittelbar nach Aufbringen der Belastung oder während der Belastungsaufbringung wird der Boden meist als undräniert betrachtet (Kurzzeitverhalten), da hier Porenwasserüberdrucke auftreten und demensprechend die effektiven Spannungen und damit die Festigkeiten der Materialgefüges reduziert werden. Im undränierten Fall werden bei einem als inkompressibel angenommenem Porenfluid der Boden als vollständig wassergesättigt angenommen, die kinematische Bedingung der Volumenkonstanz des Bodenkörpers vorausgesetzt und undränierte Scherparameter herangezogen. Hierbei bleibt jedoch die Dissipation des Porenwasserüberdrucks komplett unberücksichtigt. Besitzt das Porenfluid eine Kompressibilität (z. B. durch eingeschlossene Gasbläschen, siehe [3]), kann die undränierte Berechnung trotzdem durchgeführt werden, da in diesem Fall die Volumenveränderung des Boden- oder Felsmaterials der Volumenveränderung des Porenfluids entspricht und sie so als zusätzliche Unbekannte eliminiert werden kann. Es wurde bereits mehrfach über die Herangehensweise zur Bestimmung der maßgebenden Modellierungsgrundlage diskutiert (z. B. Vermeer und Meier [4], Wehnert [5] und Stelzer [6]), 1998; , 2006, 2016). Bei temporärer mechanischer oder hydraulischer Belastung oder bei temporären Stützmaßnahmen ist jedoch zu beachten, dass die Zeit der Einwirkung möglicherweise 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 407 Numerische Untersuchungen zur statischen Beurteilung von Baugrubenböschungen infolge Porenwasserdruck-Reaktionen auf Dilatanz weder lang genug ist, um die Bedingungen für den drainierten Zustand zu erfüllen oder nicht kurz genug ist um einem völlig undränierten Zustand zu entsprechen. Eine geeignete Größe zur Abschätzung der Dränage-Verhältnisse kann die dimensionslose Konsolidationszeit Tv aus der eindimensionalen Konsolidationstheorie nach Terzaghi [7] liefern. Diese wird nach (3) mit dem Konsolidationsbeiwert cv, dem Drainageweg L, der Zeit t, der hydraulischen Durchlässigkeit k des Materialgefüges, dem Steifemodul Es des Materialgefüges und der Wichte γw von Wasser berechnet. Nach Verrujit [8] (? ? 95) sollten undränierte Bedingungen für Tv < 10-4 und dränierte für Tv > 2 angenommen werden, was der Zeit entspricht, nach der 1% bzw. 99% des Konsolidationsgeschehens beendet sind. Damit ergibt sich eine Zeitspanne von 10-4 < Tv < 2 in der beide Berechnungsansätze nur bedingt angewendet werden können. Komplexe Baugrubengeometrien und Randbedingungen sorgen des Weiteren durch z. B. räumlich oder zeitlich variierende Dränagelängen dafür, dass eine eindeutige Bestimmung der Konsolidationszeit nur eingeschränkt möglich ist. Es lässt sich zeigen, dass die beiden vorgestellten Berechnungsgrundsätze Grenzfälle der Konsolidationstheorie nach Biot sind. In dieser werden Porenwasserdruckproduktion und -dissipation durch bidirektionale Kopplung der Grundwasserströmungsberechnung und der statischen Berechnung des Materialgefüges ermittelt und verlangen so keine a priori Annahmen um die Komplexität des Verhaltens des Boden-Fluid-Gemischs stark zu vereinfachen. Die Unterschiede des jeweiligen Berechnungsansätze lassen sich anhand der Berücksichtigung von Porenwasserdruckproduktion sowie -dissipation wie in Tabelle 1 dargestellt einteilen. Tabelle 1: Einteilung der Berechnungsansätze über die Berücksichtigung vom Porenwasserdruckproduktion und -dissipation Porenwasser druck- Produktion ja nein Dissipation ja Konsoli-dation (Biot) dräniert (instationäre GW-Strömung) nein undräniert dräniert (stationäre GW-Strömung) Bei der Konsolidierungsberechnung sind Porenwasserdruckverteilung, effektive Spannungen und Verformungen sowie die Scherfestigkeit, die die Standsicherheit von Erdbauwerken beeinflussen, zeitabhängig. Es ist damit zum einen entscheidend, welche Modellannahmen und welcher Zeitpunkt maßgebend für die Standsicherheit von Erdbauwerken werden. Dazu ist zu beurteilen ob entstehende Porenwasserüberdrücke sowie -unterdrücke die Standsicherheit begünstigen oder herabsetzen. Zum anderen muss beurteilt werden, in wie fern die Randbedingungen, die zu günstigen Einwirkungen führen, sichergestellt werden, oder von im Bauablauf nur grob abzuschätzenden zeitlichen Randbedingungen abhängen. Grundsätzlich bietet die Konsolidationsrechnung die Möglichkeit deutlich günstigerer Standsicherheiten als der für den jeweils maßgebenden Grenzfall (drainiert oder undräniert), verlangt jedoch auch mehr Präzession bei der Bestimmung von Randbedingungen und Materialgrößen, wie Steifigkeit und Durchlässigkeit des Materialgefüges. 2.2 Dilatantes Materialverhalten / Scherinduzierte Porenwasserdruckdefizite In diesem Beitrag wird die Abhängigkeit der Standsicherheit von Boden- oder Felshängen von der Art der Berechnung (undräniert, drainiert, Konsolidationsberechnung) anhand der Porenwasserdruck-Reaktionen beim Versagen einer Böschung in stark überkonsolidierten Ton bzw. Tonstein mit dilatantem Verhalten untersucht. Dilatanz ist die Eigenschaft von Stoffen auf Scherspannungen mit Volumenvergrößerung zusätzlich zu den volumenkonstanten Scherverformungen zu regieren. Bei der daraus folgenden Auflockerung nimmt das Porenvolumen zu. Kann dieses nicht schnell genug mit Wasser gefüllt werden, entstehen Porenwasserunterdrücke, die der Volumenvergrößerung entgegenwirken und die effektiven Spannungen der Materialgefüges erhöhen. Bei dem Versagen von Boden- und Felshängen entsteht meist eine Gleitfuge, die in Abhängigkeit der Bodenparameter und der Belastung oberflächennah oder tief im Böschungskörper verlaufen kann. Während die Entstehung dieser Gleitfuge unter dränierten Bedingungen mit einer sehr raschen und großen Scherverformung verbunden ist, ergibt sich unter undränierten Bedingungen ein starker Porenwasserunterdruck in der Gleitfuge. Ob undränierte oder drainierte Bedingungen vorherrschen, ist abhängig von der Geschwindigkeit des Abschervorgangs, dem Verhältnis von Scherzu Volumenverformung (ausgedrückt durch den Dilatanzwinkel ψ), der genauen Lage der Scherfuge, der Durchlässigkeit des umgebenden, noch intakten Materialgefüges und der Zeit, die dem Material zur Druckdissipation zur Verfügung steht. Von dem Konzept der kritischen Zustände ausgehend, wird Dilatanz in Materialien erwartet, deren Dichte größer ist als die materialspezifische kritische Dichte, z. B. bei überkonsolidierten Tonen und dicht gelagerten San- 408 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Numerische Untersuchungen zur statischen Beurteilung von Baugrubenböschungen infolge Porenwasserdruck-Reaktionen auf Dilatanz de. Auch in Festgestein ist Dilatanz zu beobachten. [9]. Die Volumenzunahme ist dabei nicht unbegrenzt und wird geringer, desto größer der Scherweg. Dies bedeutet, dass mit der Scherverformung die Interaktion mit dem Porenfluid ebenso abnimmt. Untersuchungen, die Scherwegabhängigkeit der Materialantwort an Elementtests berücksichtigen sind von Nitzsche und Herle [10] durchgeführt worden. 3. Modellaufbau und Methodik Um ein besseres Verständnis der die Standsicherheit von Böschungen bestimmenden stabilisierenden und destabilisierenden Faktoren zu gewinnen, wird der Baugrubenaushub in Tonstein untersucht. In dieser Analyse stehen die Wechselwirkungen zwischen mechanischen und hydraulischen Eigenschaften im Fokus, die jeweils durch die Scherfestigkeit sowie die hydraulische Durchlässigkeit maßgebend charakterisiert werden. Zeitliche Aspekte des Böschungsversgens sind gerade bei hohem Ausnutzungsgrad (geringe Standsicherheit) von grundsätzlichem Interesse im Kontext der Beobachtungsmethode. Die Berechnungen wurden mit der quelloffenen und lizenzfreien Finite-Volumen-Software OpenFOAM und einem an der Bundesanstalt für Wasserbau entwickelten Zusatzmodul (poroMechanicalFoam) durchgeführt. Für die Untersuchung wurde die Geometrie des Standardfalls, der um 45° zur Horizontalen geneigten, 10m hohen, homogenen zweidimensionalen Böschung, ausgewählt. Das Modellgebiet hat eine Breite von 40m und eine Gesamthöhe von 20m. Die Geometrie ist in Abbildung 1 dargestellt. Die seitlichen Modellränder wurden als unverschieblich in Vertikalrichtung angesetzt. Während der linke Modellrand als undurchlässig definiert ist, wurde am rechten Modellrand ein festes hydraulisches Potential vorgegeben, den Wasserstand eines angrenzenden Vorfluters wiederspiegeln soll. Der untere Modellrand ist sowohl vertikal als auch horizontal gehalten und ebenfalls als undurchlässig definiert. Die Böschung und Baugrubensole werden mit zeitlich veränderlichen mechanischen sowie hydraulischen Einwirkungen belastet. Die Geländeoberkante ist unbelastet. Abbildung 1: Geometrie der Baugrubenböschung mit in Blau dargestelltem Finite Volumen Gitter. Das eingesetzte Stoffmodell für das Erdbauwerk ist das Mohr-Coulomb Stoffgesetzt mit assoziierter Fließregel (ψ=φ). Das dilatante Verhalten ist in diesem Modell konstant. Eine Reduktion der Volumenzunahme mit dem Scherweg wird nicht berücksichtigt, was in der folgenden Beurteilung berücksichtigt werden muss. Die mechanischen und geohydraulischen Bodenparamter sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Es wurden effektive Scherparameter als charakteristische Werte genutzt. Tabelle 2: Mechanische und geohydraulische Eigenschaften des untersuchten Tonsteins Eigenschaft Einheit φ-c Reduktion Konsolidation Wichte γ kN/ m 3 23 23 Elastizitätsmodul E MN/ m 2 40 40 Querdehnungszahl ν - 0,3 0,3 Durchlässigkeit k m/ s - 1e-7 Fluid-Kompressionsmodul K’ MN/ m 2 - 4 effektiver Reibungswinkel φ’ ° Start: 20 =φ crit effektive Kohäsion c’ kN/ m 2 Start: 25 = c crit Dilatanzwinkel ψ ° = φ = φ crit Der Steifemodul des Porenfluids ergibt sich aus einer angenommen Wassersättigung von ca. 98%. Eine Sättigung von 100% führt zu einem nahezu inkompressiblen Porenfluid (Steife von Wasser). Gassättigungen von 2 % und der sich daraus ergebene Speicherkoeffizient sind nach Beobachtungen von Köhler [11] konsistent mit Messungen der Porenwasserdruckdissipation in Erddämmen. Die Böschung wurde aufgrund der hohen kapillaren Steighöhe von stark tonhaltigen Böden als vollgesättigt angenommen, die Porenwasserdruckverteilung ergibt sich jedoch aus den als Randbedingungen vorgegebenen Grundwasserpotentialen an Böschung und dem seitlichen Modellrand. Bei Konsolidationsrechnungen sind im Gegensatz zu den nicht gekoppelten Berechnungen auch die Geschwindigkeiten des Aushubvorgangs und der Wasserstandsabsenkung ausschlaggebend. Im vorliegenden Beitrag wird angenommen, dass der Bruch erst bei Fertigstellung der Baugrube eintritt, sodass lediglich der Endzustand der Böschung untersucht wurde (“wished-in-place”). Beim Aushub einer Baugrube ist zu erwarten, dass der mechanische Teil der Einwirkung 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 409 Numerische Untersuchungen zur statischen Beurteilung von Baugrubenböschungen infolge Porenwasserdruck-Reaktionen auf Dilatanz (Entlastung durch Reduktion der Auflast) im drainierten Fall am kritischsten ist, weil im undränierten Fall Porenwasserunterdrücke die Scherfestigkeit des Bodens erhöhen. Dieser Fall entspricht einem sehr langsamen Baufortschritt. Um diesen Effekt darzustellen wurden ein Fall untersucht, der den Einfluss der mechanischen Teileinwirkung isoliert und beurteilbar machen sollen. Um dies zu ermöglichen wurde angenommen, dass der Grundwasserspiegel vor dem Baugrubenaushub bis zur geplanten Böschungssohle abgesenkt wurde. Abbildung 2: Stationäre Porenwasserdruckverteilung nach Absenken des Grundwasserstandes auf geplante Baugrubensole, weiß Potentiallinien, gelb Grundwasseroberfläche (Sickerlinie, p = 0 Pa). Abbildung 3: Bruchmechanismus am Ende der φ-c Reduktion. Die Farbskalar stellt die Deviatordehnung da. Die sich aus den hydraulischen Randbedingungen ergebene stationäre Porenwasserdruckverteilung ist in Abbildung 2 dargestellt. Das Potenzial am rechten Rand liegt bei h = 15 m, während in der Baugrube ein Potenzial in Höhe der Baugrubensole (h = 10 m) vorgegeben wurde. Durch Anwendung der Festigkeitsreduktionsmethode (φ-c Reduktion) wurde dann der Bruchzustand unter drainierten (kritischen) Bedingungen ermittelt. Die aus der drainierten φ-c Reduktion ermittelten, kritischen Scherparameter wurden in einem zweiten Schritt für die Konsolidationsberechnung genutzt und der Verlauf des Versagens unter Berücksichtigung der Dilatanz untersucht. 4. Ergebnisse Die φ-c Reduktion liefert einen sogenannten Sicherheitsfaktor η, der sich aus dem Verhältnis η=tanφ ⁄ tan φ krit =c⁄c krit berechnet. Die drainierte Berechnung liefert dabei einen Sicherheitsfaktor von η=1.87 mit dem in Abbildung 3 dargestellten Bruchmechanismus. Abbildung 3 macht klar, dass beim Bruch eine Scherfuge im Innern des Böschungskörpers entsteht. Die Konsolidationsrechnung, beginnend vom Anfangszustand 0^ (“wished-inplace”) mit den um η=1.87 abgeminderten Scherparametern zeigt, dass in den gekoppelten Berechnungen der Scherung ein Porenwasserunterdruck entgegengesetzt ist. Abbildung 4 stellt dies mit Hilfe des hydraulischen Potentials h = p/ γw + z, mit der geodätischen Höhe z dar. Das Bezugsniveau z=0 liegt am unteren Rand des Modellgebiets. Durch die sich ausbildenden Scherfuge. entsteht ein Bereich geringeren Potentials. Dies bewegt umgebendes Porenfluid dazu, sich in Richtung des geringeren Potentials zu bewegen und induziert Strömungskräfte auf das Materialgefüge. Da die Strömungskräfte allseitig in Richtung Scherfuge wirken, nehmen die effektiven Spannungen in der Bruchfuge zu und die Scherfestigkeit nimmt entsprechend des Reibungswinkels zu. Das Drainageverhalten nach Gleichung (3) ist nur schwer einzuordnen, da die Bestimmung der Drainagelänge a priori nicht eindeutig bestimmbar ist. Abbildung 4: Porenwasserunterdrücke, dargestellt als hydraulisches Potential. Abbildung 5 zeigt den zeitlichen Verlauf des Versagens der Böschung. 0,5 Sekunden nach dem Start der Berechnung sind noch keine nennenswerten Scherungen zu erkennen. Mit dem hier verwendeten Parametersatz, setzt der Versagensmechanismus jedoch mit nur geringer Verzögerung nach ca. einer Sekunde berechneter Standzeit ein. Dies ist dem geringen Reibungswinkel und der daraus resultierenden geringen Festigkeitszunahme durch die Porenwasserunterdrücke geschuldet. Ob die Böschung durch die entstehenden Porenwasserunterdrücke standsicher wird, hängt damit maßgeblich vom effektiven Reibungswinkel ab. Ca. 0.9 Sekunden nach dem Start der Berechnung bildet sich eine Scherzone aus, die nach einer Sekunde voll ausgebildet ist. Die Scherzone, die sich in der Konsolidationsberechnung ergibt besitzt 410 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Numerische Untersuchungen zur statischen Beurteilung von Baugrubenböschungen infolge Porenwasserdruck-Reaktionen auf Dilatanz eine größere Breite als jene, die unter Annahme dränierter Bedingungen ermittelt wurde. Die dilatanten Eigenschaften, die hydraulische Durchlässigkeit und das Verhältnis von kohäsiver zu reibungsbedingter Scherfestigkeit haben Einfluss auf den genauen Verlauf des Versagens in der Konsolidationsberechnung Abbildung 5: Zeitlicher Bruchvorgang bei Konsolidationsberechnung. Die Farbskalar stellt die deviatorische Dehnungen da. Die Verformung ist 10-fach überhöht dargestellt. 5. Fazit und Diskussion Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Standsicherheitsbeurteilung von Boden- und Felshängen mit geringer Durchlässigkeit unter Berücksichtigung der Wechselwirkung von durch Dilatanz verursachten volumetrischen Dehnungen und dem Porenwasserdruck. Die Konsolidationsberechnungen zeigt, dass der Versagensmechanismus, selbst bei Zugrundelegung des zeit- und geschwindigkeitsunabhängigen Mohr-Coulomb Materialgesetz, einen zeitlichen Verlauf aufweist, in dem Porenwasserunterdrücke initial die Belastung aufnehmen. Der angesetzte Reibungswinkel entscheidend maßgeblich über den Festigkeitszunahme bei gegebener Porenwasserdruckreaktion. In vorgestellten Fall reichte der entstandene Porenwasserunterdruck nur für eine sehr geringe Standzeit (ca. eine Sekunde) aus, da durch die phi-c Reduktion ein sehr kleiner Reibungswinkel angesetzt wurde. Mit der Dissipation der entstandenen Porenwasserunterdrücke wird die Belastung wieder zurück auf das Korngerüst überführt, die Scherfestigkeit des Korngerüsts wird wieder verringern, was zum Versagen der Böschung mit zeitlichem Versatz führt. Für weitere Untersuchungen sollte das Versagen nicht durch den Ansatz von reduzierten Scherparametern herbeigeführt werden, da diese das Verhalten der Böschung im Versagensfall nicht realitätsnah beschreiben. Stattdessen sollte ein Fall untersucht werden, bei dem die Böschung mit charakteristischen Scherparametern nicht mehr standsicher ist. Dies kann z.B. erreicht werden, indem die Böschungsneigung variiert wird bis sie den Grenzzustand der Tragfähigkeit erreicht. Zudem sind Untersuchungen nötig, um den Einfluss von Materialgrößen wie hydraulischer Durchlässigkeit und Verhältnis von kohäsiver zu reibungsbedingter Scherfestigkeit zu bestimmen. Des Weiteren sind die genauen dilatanten Eigenschaften von großer Bedeutung, was den Einsatz von höherwertigen Stoffmodellen (z.B. Hypoplastizität) erfordert. Literaturverzeichnis [1] Biot, M. A. (1941). General theory of three-dimensional consolidation, Journal of Applied Physics, vol. 12, pp. 155-164. [2] Anandarajah, A.. (2010). Computational Methods in Elasticity and Plasticity: Solids and Porous Media. 10.1007/ 978-1-4419-6379-6. [3] Montenegro, H.; Stelzer, O. (2014). Untersuchung des Einflusses von Gaseinschlüssen unterhalb des Grundwasserspiegels auf Druckausbreitung und Bodenverformung mittels gekoppelter FE-Berechnungen. Mitteilungsheft 19 des Instituts für Geotechnik, Technische Universität Dresden. [4] Vermeer, P.A., Meier, C.-P. (1998). Standsicherheit und Verformungen bei tiefen Baugruben in bindigen Böden. Vorträge der Baugrundtagung in Stuttgart. Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e.V.: 133-148; Verlag Glückauf [5] Wehnert, M. (2006). Ein Beitrag zur drainierten und undrainierten Analyse in der Geotechnik. Mitteilung 53 des Inst. für Geotechnik, Universität Stuttgart. [6] Stelzer, O (2016). Zur Berücksichtigung der Kopplung von Grundwasserströmung und Bodenverformung bei der numerischen Berechnung der Porenwasserdruckverteilung. BAWMitteilungen 99, https: / / hdl.handle.net/ 20.500.11970/ 102503 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 411 Numerische Untersuchungen zur statischen Beurteilung von Baugrubenböschungen infolge Porenwasserdruck-Reaktionen auf Dilatanz [7] Terzaghi, K. (1925). Erdbaumechanik auf bodenphysika-lischer Grundlage, Deuticke, Wien. [8] Verruijt, A. (1995). Computational Geomechanics. Kluwer Academic Publishers, Dordrecht. [9] Nitzsche, K. & Herle, I. (2020). Böschungsstandsicherheit unter Berücksichtigung des Spannungs- Dehnungs-Verhaltens bei Scherung. geotechnik. 44. 10.1002/ gete.202000041. [10] Ungewitter, C., Kauther, R. & Lempp, C. (2020). A contribution on the unusual behaviour in the stressstrain-relationship of mudrocks. Beiträge zum 1. Hard Soil - Soft Rock (HSSR) Minisymposium, Graz. [11] Köhler, H.-J. (1997). Boden und Wasser - Druck und Strömung. Mitteilungsheft der Bundesanstalt für Wasserbau, Nr. 76. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 413 Planung einer komplexen Hangsicherung mittels Böschungsvernagelung am Beispiel BAB A 70 in Thurnau M.Sc. Hassan Alkayyal Boley Geotechnik GmbH - Beratende Ingenieure, München, Deutschland M.Sc. Philipp Siebert Boley Geotechnik GmbH - Beratende Ingenieure, München, Deutschland Zusammenfassung Nahe Thurnau (Oberfranken) soll die BAB A 70 auf einer Länge von rd. 3 km verlegt werden. Die Verlegungstrasse ist gekennzeichnet durch komplexe Baugrundverhältnisse in Form einer Wechsellagerung von stark zerlegten Sandsteinen sowie bindigen Zwischenlagen. Innerhalb des Sandsteines liegen zudem stark schwankende Poren- und Kluftwasserdrücke vor. Zur Gewährleistung der Standsicherheit der bis zu 21 m hohen Einschnittsböschungen wurde auf einer Trassenlänge von rd. 200 m eine Hangsicherung mittels Böschungsvernagelung geplant und ausgeführt. Die Hangsicherungsmaßnahme erfolgte als selbstspannende Bodenvernagelung mittels Bodennägel. Zur Entwässerung von Stau- und Hangwasser wurden horizontale Drainagebohrungen eingesetzt. Ferner wurde eine Außenhaut aus Stahlgittergeflecht mit Kantkornhinterfüllung zur Verhinderung vom Steinschlag sowie zur Vermeidung des Bruchs der oberflächennahen Böschungsbereichen infolge der Erosionsempfindlichkeit des anstehenden Baugrunds ausgeführt. 1. Projektbeschreibung und Bauablauf Die bestehende Bundesautobahn A70 Schweinfurt - Bamberg - Bayreuth verläuft bei Thurnau in einem nach Süden einfallenden Rutschhang. Eine durchgeführte Variantenstudie ergab, dass die Verlegung der Trasse um ca. 200 m hangaufwärts aus dem Rutschbereich heraus die einzig verbleibende und fachtechnisch sinnvolle Maßnahme darstellt (Abbildung 1). Die gesamte Baumaßnahme beinhaltet umfangreiche Erdarbeiten einschließlich der Herstellung der bis zu 21 m hohen Einschnittsböschungen, die Schüttung von Dammbauwerken sowie die Herstellung von zwei Brückenbauwerken. Abb. 1: Darstellung des Projektgebiets Für die Baumaßnahme war zunächst ein zweiphasiger Bauablauf vorgesehen. In der ersten Phase wurde ein Großteil der Erdarbeiten in den Einschnitts- und Dammabschnitten durchgeführt. In der zweiten Bauphase sollten dann die Einschleifbereiche sowie die Anschlussstelle hergestellt werden. Die Vormaßnahme wurde im Rahmen der geotechnischen Bauüberwachung begleitet. Im Zuge dieser geotechnischen Baubegleitung wurden u.a. die Baugrund- und Grundwasserverhältnisse eingehend kartiert und das Baugrundmodell aus der vorab durchgeführten Baugrunderkundung nach EC7-7 sowie DIN 4020 angepasst. Auf Grundlage des angepassten Baugrundmodells wurden erneute Standsicherheitsnachweise für die einzelnen Trassenabschnitte durchgeführt. Als Resultat dieser Berechnungen war eine Hangsicherung im Bereich der größten Böschungshöhen auf einer Abschnittslänge von rd. 200 m (km 106+300 bis km 106+500) erforderlich. 2. Baugrundverhältnisse 2.1 Geologische Schichten Das Untersuchungsgebiet befindet sich geologisch gesehen in den Gesteinsfolgen des nordbayerischen Deckgebirges. Im Projektgebiet Thurnau treten vor allem Gesteine des Keupers (mittlerer bis oberer Keuper) mit einer Schichtneigung von ca. 10° nach S bzw. SW zu Tage. 414 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Planung einer komplexen Hangsicherung mittels Böschungsvernagelung am Beispiel BAB A 70 in Thurnau Der Projektabschnitt verläuft dabei überwiegend in den geologischen Schichten des Rhätolias. Diese bestehen aus seiner Wechselfolge von feinbis mittelkörnigen, tonig-quarzitisch gebundenem Rhätsandstein sowie bindigen Zwischenlagen. Hinsichtlich der Festigkeit stellt der Sandstein ein heterogenes Schichtpaket dar, bei dem sich unverwitterte Lagen mit rostbraunen stark entfestigten und zersetzten Lagen abwechseln (Abbildung 2). Eine tendenzielle Zunahme der Gebirgsfestigkeit mit der Tiefe ist nicht gegeben. Abb. 2: Bohrkern im Sandstein, Tiefe 12-16 m Auf Grund des überwiegend tonigen Bindemittels und der Schwächung des Mineralgefüges infolge von Verwitterung weist der Sandstein einaxiale Druckfestigkeiten von überwiegend 5,0 bis 15,0 MPa auf. Weiterhin wurde nach dem Herstellen der Einschnittsböschungen eine rasche Abnahme der Festigkeit infolge von Witterungseinflüssen festgestellt, sodass der Sandstein als stark erosions- und verwitterungsempfindlich einzustufen ist. Der Sandstein ist durch ein ausgeprägtes Trennflächengefüge, insbesondere durch ein unregelmäßiges Kluftgefüge mit tendenziell steil stehenden und teils offenen Klüften gekennzeichnet. Für die Trennflächenanalyse wurden im Sandstein im gesamten Projektgebiet insgesamt 150 Trennflächen (Schichtung, Klüftung) eingemessen und die zugehörigen Polpunkte in die Lagenkugel übertragen. Abb. 3: Trennflächeninventar im Sandstein Auf Grundlage der Trennflächenauswertung liegt ein orthogonales Trennflächengefüge mit nahezu senkrechten Klüften und flach nach Südwest einfallenden Schichten vor. Die Kluftflächenschar K2 weist eine West/ Ost-gerichtete Streichrichtung parallel zur Achse der A70 auf. Die Kluftflächenschar K1 steht senkrecht auf der Kluftflächenschar K2 mit Nord/ Süd-gerichtetem Streichen. Im Liegenden des Standsteins stehen bindige Böden mit halbfester Konsistenz an, die maßgebend für die Grundwasserverhältnisse im Projektabschnitt sind. 2.2 Grundwasserverhältnisse Im Trassenabschnitt der Böschungssicherung sind (Grund-)Wasseraustritte in der Einschnittsböschung zu verzeichnen. Diese Wasseraustritte kommen i.d.R. oberhalb der wasserstauenden Schichten des Rhäts an ausstreichenden Klüften im Sandstein vor (Abbildung 4). Die Schüttmengen betragen im Mittel < 0,1 l/ s je m² durchströmte Böschungsfläche. Abb. 4: Wasseraustritte entlang der Böschung Für die Bewertung der Grundwasserspiegelschwankungen wurden die Messwerte einer im Trassenabschnitt liegenden Grundwassermessstelle herangezogen (Abbildung 5). Wie die Grundwasserganglinie zeigt, ist im vorliegenden Abschnitt mit kurzfristigen und ausgeprägten Grundwasserspiegelschwankungen von bis zu 4 m auszugehen. Für die statische Bemessung wurde daher auf der sicheren Seite liegend ein Lastfall betrachtet, bei dem der Bemessungsgrundwasserstand auf Höhe der Geländeoberkante liegt und die gesamte Böschung durchströmt wird. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 415 Planung einer komplexen Hangsicherung mittels Böschungsvernagelung am Beispiel BAB A 70 in Thurnau Abb. 5: Grundwasserganglinien 2.3 Baugrundmodell und Versagensmechanismus Basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen aus der Erkundung sowie der Baubegleitung wurde für die Planung der Hangsicherung ein Baugrundmodell erarbeitet, das im Wesentlichen durch folgende geomechanische sowie hydrogeologische Eigenschaften gekennzeichnet ist: • ausgeprägtes Trennflächengefüge mit offenen Klüften (φ = 0°, c = 0 kN/ m²) • orthogonales Trennflächensystem mit steil stehenden und trassenparallelen Klüften • ausgeprägte und kurzfristige Grundwasserspiegelschwankungen • erosionsempfindlicher Sandstein Auf Grund der südlichen Exposition der Einschnittsböschung sowie den geologischen Randbedingungen sind alle Trennflächenscharen im Sandstein potentiell mechanisch wirksam. Insofern stellt die Translationsrutschung, sprich das Abgleiten eines Sandsteinblockes auf bindigen Zwischenlagen den wahrscheinlichsten Versagensfall dar. 3. Planung 3.1 Beschreibung des Böschungssicherungssystems Die durchgeführten Standsicherheitsberechnungen für die kritischen Schnitte bei km 106+300, 106+340, 106+400 und 106+480 haben mit Ausnutzungsgraden von μ > 1,0 ein unzureichendes Sicherheitsniveau der Böschung in dem untersuchten Trassenabschnitt gezeigt. Zur Gewährleistung der Standsicherheit der Böschung in diesem Trassenabschnitt wurde eine Sicherungsmaßnahme mittels selbstspannender Bodenvernagelung geplant und bemessen. Als Bodennägel wurden die Ischebeck TITAN Mikropfähle 30/ 11, 40/ 16, 52/ 26 und 73/ 53 eingesetzt. Zur Verhinderung von Steinschlag sowie Abgleiten der oberflächennahen Böschungsbereiche infolge der Erosionsempfindlichkeit des Sandsteins wurde eine an den Nägeln befestigte Außenhaut in Form einer Vernetzung wie z. B. hochfestes Stahldrahtgeflecht in Kombination mit einer Steinschüttung ausgeführt. Dabei sollte die gewählte Vernetzungsart die Begrünung der Böschungsoberfläche zur Vermeidung von Ausspülen der Sandpartikel sowie Destabilisierung der oberflächennahen Böschungsbereichen ermöglichen. Für die Ausbildung der Außenhaut der Böschung wurde das 1-lagige System der Fa. KRISMER eingesetzt. Für die Erhöhung der Böschungsstandsicherheit wurde weiterhin horizontale 8,0 m lange Entwässerungsbohrungen in einem Achsabstand von 5,0 m in der Längsrichtung hergestellt. Durch diese Drainagebohrungen wird oberhalb der bindigen Schichten bzw. Zwischenlagen aufgestautes Grund-/ Hangwasser zur Reduzierung des Wasserdrucks aus der Böschung abgeleitet. Anhand der aufgeschlossenen Baugrund- und Grundwasserverhältnisse wurde die Anordnung der Entwässerungsbohrungen in zwei übereinanderliegenden Reihen als ausreichend erachtet. Zur Her- 416 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Planung einer komplexen Hangsicherung mittels Böschungsvernagelung am Beispiel BAB A 70 in Thurnau stellung der Entwässerungsbohrungen wurde das DRILL DRAIN System der Fa. Ischebeck verwendet. 3.2 Die Berechnungsmodelle und -verfahren Die Berechnungsmodelle ergeben sich aus der Böschungsgeometrie der entsprechenden Querprofile sowie aus den erkundeten Baugrundverhältnissen. Bei den durchgeführten Standsicherheitsberechnungen wurden insgesamt 4 Berechnungsmodelle entsprechend den Querprofilen bei km 106+300, 106+340, 106+400 und 106+480 erstellt. Abb. 6 zeigt die Lage der Berechnungsschnitte entlang der Böschung und Abb. 7 stellt beispielweise das Berechnungsmodell für den Schnitt bei km 106+480 dar. Abb. 6: Lage der Berechnungsschnitte Abb. 7: Berechnungsmodell für den Schnitt bei km 106+480 Die Durchführung der Standsicherheitsberechnungen und die Bemessung der Böschungssicherung erfolgten nach der Blockgleitmethode für die Bemessungssituation BS-P im Grenzzustand des Versagens durch Verlust der Gesamtstandsicherheit (GEO-3) gemäß den Angaben im EC7 sowie in der DIN 4084-2009. Tab. 1: Die charakteristischen Kennwerte der Baugrundschichten Schicht Wichte γ k Reibungswinkel φ k ` Kohäsion c k ` [kN/ m³] [ o ] [kN/ m²] Sandstein * 23,0 40,0 150,0 Rhät, bindig, steifhalbfest 20,5 20,0 25,0 * Scherfestigkeitsparameter senkrechter Klüfte K1/ K2: φ k,k ` = 0 [ o ], c k,k ` = 0 [kN/ m²], Winkel der Kluft w = -85 [ o ] Für die Durchführung der Standsicherheitsberechnungen sowie für die Bemessung der dafür erforderlichen Böschungssicherung wurden die folgenden charakteristischen bodenmechanischen Kennwerte angesetzt: Auf Höhe des Wirtschaftsweges wurde eine Verkehrslast (Ersatzflächenlast) von 52,0 kN/ m² angenommen. Mit diesem Lastansatz wird die Nutzung des Wirtschaftsweges ohne Beschränkung der Nutzlast modelliert. Der Ansatz der Verkehrslasten erfolgt gemäß EC1 - Teil 2 unter Berücksichtigung des Lastmodells 1. Der Bemessungswasserstand wurde auf der sicheren Seite liegend auf Höhe der Böschungsschulter angenommen. Die folgenden charakteristischen Mantelreibungen wurden für die Bemessung der zur Gewährleistung der Böschungssicherung notwendigen Bodennägel verwendet: Tab. 2: Die charakteristischen Werte der Mantelreibungen Baugrundschicht Bruchwert q s,k der Pfahlmantelreibung (verpresster Mikropfahl) [kN/ m²] Sandstein 255 Rhät, bindig, steifhalbfest 115 Die Standsicherheitsberechnungen sowie die Ermittlung der notwendigen Nagelkräfte erfolgten mit der Software GGU-Stability. Für die Betrachtung eines Worst-Case-Szenarios, in dem die Oberfläche der Tonschicht eine potentiell geologisch vorgegebene Gleitfläche darstellt, wurde eine ca. 50 cm mächtige Scherzone zwischen der Sandsteinschicht und der Tonschicht mit den folgenden charakteristischen Kennwerten modelliert. Die in der Tab. 3 angegebenen charakteristischen Kennwerte entsprechen den ermittelten Restscherfestigkeitsparametern der Tonschicht. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 417 Planung einer komplexen Hangsicherung mittels Böschungsvernagelung am Beispiel BAB A 70 in Thurnau Tab. 3: Die charakteristischen Kennwerte der Scherzone Schicht Wichte γ k Reibungswinkel φ k ` Kohäsion c k ` [kN/ m³] [ o ] [kN/ m²] Scherzone 20,0 16,0 0,0 Die Standsicherheitsberechnungen wurden nach der Blockgleitmethode durchgeführt. Hierzu wurden unterschiedliche Gleitkörper bestehend aus 3 Punkten untersucht. Der Punkt 1 wurde immer auf der Böschungsschulter definiert. Der Punkt 2 wurde ober-, innersowie unterhalb der Scherzone angenommen. Der Punkt 3 wurde auf dem Böschungsfuß gesetzt. Nach Ermittlung der Ausnutzungsgrade für alle 4 Modelle ohne Zugglieder unter Berücksichtigung aller Gleitkörper wurden die Bodennägel mit einem Durchmesser des Verpresskörpers von 125 mm in das Modell implementiert. Danach wurden die Anordnung sowie die Längen aller modellierten Nägel so iteriert, dass die Ausnutzungsgrade aus allen untersuchten Gleitkörpern < 1,0 sind und sich mindestens ein Drittel der Nagelgesamtlänge außerhalb der Scherzone befindet. Nach Optimierung der Nagellängen und -anordnung wurden die Nagelkräfte aus allen Bruchmechanismen bzw. Gleitkörpern ermittelt und die Nachweise der inneren und äußeren Tragfähigkeit der Nägel durchgeführt. 3.3 Ergebnisse der Bemessung Die Ergebnisse der durchgeführten Berechnungen sind exemplarisch für die Schnitte 2-2 und 4-4 in den nachfolgenden Tabellen zusammengefasst. Tab. 4: Die Berechnungsergebnisse Schnitt 2-2 (km 106+340) Nagellage Nagellänge Nagelneigung TITAN Typ L [m] β [ o ] [-] N11 30 30 73/ 53 N10 27 52/ 26 N9 24 40/ 16 N7 21 N6 18 30/ 11 N5 15 25 N4 12 20 N3 9 N2 6 N1 6 Die Abb. 8 stellt die erforderlichen Bodennägel für Schnitt 2-2 dar. Abb. 8: Berechnungsergebnisse Schnitt 2-2 (km 106+340) 418 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Planung einer komplexen Hangsicherung mittels Böschungsvernagelung am Beispiel BAB A 70 in Thurnau Tab. 5: Die Berechnungsergebnisse Schnitt 4-4 (km 106+480) Nagellage Nagellänge Nagelneigung TITAN Typ L [m] β [ o ] [-] N14 30 30 73/ 53 N13 27 52/ 26 N12 24 40/ 16 N11 21 N10 18 30/ 11 N9 15 N8 12 N7 12 N6 12 N5 6 20 N4 6 N3 6 N2 6 N1 6 Die Abb. 9 zeigt die zur Gewährleistung der Böschungsstandsicherheit erforderlichen Bodennägel für den Schnitt 4-4. Abb. 9: Berechnungsergebnisse Schnitt 4-4 (km 106+480) Die Herstellung der Bodennägel erfolgte ohne weitere Vorkommnisse (Abb. 10). Abb. 10: Herstellung der Bodennägel 3.4 Die Entwässerungsbohrungen Eine Entwässerung trägt zur Verringerung des anstehenden Wasserdrucks und somit zur Erhöhung der Standsicherheit der Böschung bei. Zur Entwässerung des sich oberhalb der bindigen Schichten bzw. Zwischenlagen (Tonschicht) aufgestauten Grundwassers wurde empfohlen, horizontale, 8,0 m lange Entwässerungsbohrungen in einem Achsabstand von 5,0 m in der Längsrichtung in zwei übereinanderliegenden Reihen anzuordnen. Für die Ausführung der Entwässerungsbohrungen ist das System DRILL DRAIN der Firma Ischebeck eingesetzt worden. Diese Art der Drainagebohrung besteht aus dem Stahltragglied TITAN 40/ 27 mit einem Verpresskörper aus Filterbaustoff, der einen Durchlässigkeitsbeiwert von K f -Wert ≈ 1 x 10 -4 m/ s nach DIN 18130 besitzt. Das DRILL DRAIN-System wird wie der Verpresspfahl TITAN direkt eingebohrt. Allerdings wird bei nicht standfesten Böden zur Bohrlochstabilisierung DRILL DRAIN Suspension (Mischungsverhältnis Drill Suspension zu Wasser 1: 50) verwendet und anschließend das Bohrloch über das Stahltragglied mit DRILL DRAIN Filterbaustoff injiziert (Mischungsverhältnis Filterbaustoff zu Wasser 2: 1). Bei der Ausführung ist wesentlich, dass der Drainageanker steigend mit ≥ 10% (ca. 6 Grad) eingebohrt wird, damit das zu drainierende Grundwasser drucklos durch den Filterbaustoff abfließen kann. Somit verschiebt sich die Sickerlinie im Boden bis zum Tiefsten des Filternagels. Der Boden hinter der Böschungssicherung bleibt erdfeucht und die Scherfestigkeit des Bodenmaterials bleibt erhalten. Die folgende Abb. 11 stellt eine Prinzipskizze des DRILL DRAIN-System der Fa. Ischebeck dar. 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 419 Planung einer komplexen Hangsicherung mittels Böschungsvernagelung am Beispiel BAB A 70 in Thurnau Abb. 11: Prinzipskizze Drainagebohrung DRILL DRAIN-System der Fa. Ischebeck 3.5 Die Außenhaut (Böschungssicherung-System der Fa. KRISMER) Zur Verhinderung vom Steinschlag sowie zur Vermeidung des Abgleitens der oberflächennahen Böschungsbereichen infolge der Erosionsempfindlichkeit des Sandsteins wurde die Ausführung einer an den Nägeln befestigte Außenhaut in Form einer Vernetzung als notwendig erachtet. Zur Ausbildung der Außenhaut ist das System der Fa. KRISMER zur Ausführung gekommen. Die Abb. 12 stellt eine Prinzipskizze für das System dar. Für den Einbau des KRISMER-Systems muss zunächst die Böschungsoberfläche möglichst gleichmäßig und eben hergestellt werden. Instabile Bereich sind zu entfernen. Lockeres Gestein ist zu beräumen. Vorhandene Vertiefungen sind ggf. durch mehrlagigen Einbau der Gittermatten gemäß Herstellerangaben auszugleichen. Ränder von Ausbruchstellen müssen abgerundet werden. Abb. 12: Prinzipskizze Böschungssicherung mit Vernagelung und die Ausbildung einer begrünbaren Außenhaut als Erosionsschutz Dann erfolgt der Einbau der 3D-Stahlgittermatten, die mit 40 Grad bis 55 Grad schräg zur Falllinie der Böschung im Verband zu verlegen sind. Die Gittermatten sind längs und quer gemäß den Herstellerangaben (2 Knoten, d.h. ca. 250 mm in Längsrichtung und 1/ 2 Welle d.h. ca. 40 mm in Querrichtung) zu überlappen. Die Pfeilkonten der Gittermatten müssen erdseitig liegen. Die Einbindung der Gitterpaneele in der Böschungskrone sowie in den seitlichen Randbereichen soll 1,5 m betragen. Abb. 13: Herstellung der Außenhaut Die Abstände der Verteilereisen richten sich nach dem Raster der T-Profil-Nägel. An den Randzonen der Böschungssicherung sind zusätzliche Verteilereisen vorzusehen und mit Nägeln (1 Stück/ m) zu sichern. Die Verteilereisen sind immer oberhalb der T-Profil-Nägel einzubauen. Die Seile sind horizontal und diagonal zwischen den Ankern gemäß den Herstellervorgaben einzubauen 420 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 Planung einer komplexen Hangsicherung mittels Böschungsvernagelung am Beispiel BAB A 70 in Thurnau Weiterhin sind die T-Profil-Nägel (Systemnägel) zum Teil mit d = 50 mm vorzubohren und zu verpressen. Am Bohrlochfuß sind die Nägel 30 - 50 cm einzurammen. Sie sind konstruktiv in einem Raster von 1,5 m x 1,5 m anzuordnen und 15 Grad zur Hangsenkrechten zu neigen. Die Nägel dürfen nicht in der vertikalen Flucht der Daueranker und der Drainagen angeordnet und nicht in der Horizontalen geneigt werden. Der Abstand zur vertikalen Flucht der Daueranker muss mindestens 25 cm betragen. Die Nägel müssen festsitzend und tragfähig sein. Im Zweifelsfall ist dies zu prüfen. Nach Fertigstellung des Einbaus des KRISMER-Systems erfolgt die Steinfüllung und die Ausbildung der Krallschicht. Das Einfüllen der Steinschüttung erfolgt aus gebrochenem Material der Korngröße 32 - 63 mm gemäß den Herstellerangaben. Die Abb. 13 und Abb. 14 stellen die Herstellung der Außenhaut mit dem KRISMER-System dar. Abb. 14: Steinfüllung und Ausbildung der Krallschicht Zur Herstellung einer Vegetationsschicht soll Oberboden im Spritzverfahren aufgebracht, verteilt, angedrückt und abgerichtet werden. Danach soll ein Decknetz aus Naturfaser (Maschenweite 30 mm x 30 mm) aufgeklammert werden. Abschließend ist eine Spritzbegrünung aufzubringen. Die Abb. 15 zeigt das Wachstum der Vegetationsschicht nach Fertigstellung der Baumaßnahme. Abb. 15: Wachstum der Vegetationsschicht Anhang 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 423 Programmausschuss Der Programmausschuss für das Kolloquium Bauen in Boden und Fels setzt sich aus anerkannten Experten aus Forschung und Entwicklung, Industrie und Praxis zusammen. Zu seinen Aufgaben gehören die Formulierung der Zielsetzung und Festlegung der Themenschwerpunkte der Fachtagung, die Begutachtung und Auswahl der eingereichten Vortragsvorschläge für das Tagungsprogramm und die fachliche Beratung des Veranstalters. Vorsitzende Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann Universität Stuttgart - Institut für Geotechnik (IGS) Pfaffenwaldring 35 70569 Stuttgart Prof. Dr.-Ing. Carola Vogt-Breyer Hochschule für Technik Stuttgart Schellingstr. 24 70174 Stuttgart Mitglieder Dipl.-Ing. Steffan Binde Keller Grundbau GmbH Niederlassung Renchen Schwarzwaldstr. 1 77871 Renchen Dipl.-Ing. (FH) Bernd Göhner Dr. Spang GmbH Esslingen Weilstraße 29 73734 Esslingen Dr.-Ing. Jan Kayser Bundesanstalt für Wasserbau Kußmaulstraße 17 76187 Karlsruhe Prof. Dr.-Ing. Manfred W. Keuser BUNG beratende Ingenieure Geisenhausener Straße 11A 81379 München Dr.-Ing. Bernd Kister geotechnical engineering and research Neckarsteinacher Straße 4B 69151 Neckargemünd Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Krajewski CDM Smith Consult GmbH Darmstädter Str. 3 64404 Bickenbach OR Dipl.-Ing. Otto Leibniz Geotechnische Beratung Am Wintergrund 3 8075 Hart bei Graz (Österreich) Prof. Dr. Ivan Markovic Hochschule für Technik Rapperswil Oberseestraße 10 8640 Rapperswil (Schweiz) Dr.-Ing. Bernhard Odenwald Bundesanstalt für Wasserbau, Abt. Geotechnik Kußmaulstraße 17 76187 Karlsruhe Prof. Dr.-Ing. Sascha Richter Hochschule RheinMain Kurt-Schumacher-Ring 18 65197 Wiesbaden Dr.-Ing. Thomas Rumpelt Smoltczyk & Partner GmbH Untere Waldplätze 14 70569 Stuttgart Prof. Dr.-Ing. Joachim Stahlmann Technische Universität Braunschweig Institut für Grundbau und Bodenmechanik Beethovenstraße 51b 38106 Braunschweig Dr.-Ing. Thomas Voigt Ed. Züblin AG Albstadtweg 3 70567 Stuttgart Dr.-Ing. Christian Wawrzyniak Sachverständiger für Geotechnik, Tunnel- und Felsbau Mauerpfefferweg 18 71665 Vaihingen an der Enz 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels - Februar 2022 425 Autorenverzeichnis AAlkayyal, Hassan 413 Astner, Markus 85 BBauer, Jörg 25 Becker, Andreas 323 Bernecker, O. 379 Blatt, Alexander 143 Brodbeck, Martin 389 Burbaum, Ulrich 329 CClostermann, Dennis 79 Cortese, Claudio 351 Cronen, Bernd 71 Cudmani, Roberto 51 DDallwig, Rainer 301 Daubner, Marcus 41 Düser, Olaf 283 EEdelhoff, Dennis 95 FFestl, Judith 397 Fillibeck, Jochen 123 Frühwirt, Thomas 139 Fuxjäger, Gerald 151 GGerressen, Franz-Werner 143 Griessmair, Tobias 151 Günther, Ronald 323 HHäring, Achilles 131 Hausperger, Thomas 45 Hohberg, Jörg-Martin 111 Huber, Heiko 197, 247 JJakobi, Andreas 103 Jessen, Johannes 123 Jud, Holger 389 KKäsling, Heiko 329 Keilig, Klaus 397 Kies, Maximilian 71, 369 Kirchner, Sven 247 Kliesch, K. 379 Kordeuter, Peter 103 Köthe, Sven 227 Kötzel, Friedemann 341 Krienen, Lisa 239 Kübel, Christin 197 Kugler, Till 15 Kupka, Michael 239 LLabenski, Johannes 341 Lächler, Annette 219 Lehmann, Gabriel 329 Leibniz, Otto 151 Liebl, Jana 269 MMachacek, Helen 187 Maier, Denis 405 Mamar Bachi, Mirna 61 Marte, Roman 151 Meinzer, Guido 79 Meißner, Simon 71, 351, 369 Merkl, Aline 131 Michael, Joachim 351, 369 Möllmann, Axel 131 Moormann, Christian 15, 269 Mutschler, Thomas 139 NNeidhart, Thomas 287, 311 OOdenwald, Bernhard 187, 211 PPena Olarte, Andres 51 Peter, Carsten 79 Plinninger, Ralf 139, 397 RRaja, Sami U. 375 Ramm, Hendrik 361 Ratz, Kerstin 211 Rumpelt, Thomas 239 Ryser, Jürg 255 SSauerbrey, Janosch 361 Schad, Monika 279 Schleeh, Moritz 269 Schmitt, Jürgen 197, 329, 351, 361 Schmitz, Christian 85 Schneider, L. 379 Schnell, Sebastian 341 Schröder, Daniel 263 Schulze, Bertram 227 Schwank, Stefan 143 Siebert, Philipp 413 Singer, John 397 Spirkl, Florian 287 Stegnos, Alexander 323 Strasser, Annette 219 TThurner, Robert 375 VVogel, Harald 341 Vogt-Breyer, C. 379 Vrettos, Christos 323 WWerth, Henning von der 247 Wilfing, Lisa 45 Witty, Andreas 51 ZZrenner, Louis 311 Der Ausbau der Infrastruktur sowie die Verdichtung in den Ballungsräumen führen dazu, dass die Bedeutung des Bauens in Boden und Fels sowie die Anforderungen bei der Errichtung unterirdischer Bauwerke zunehmen. Für Neubauten sind Bauverfahren zu entwickeln, die komplexen Bedingungen gerecht werden und eine Beeinträchtigung der Umgebung minimieren. Bei bestehenden Einrichtungen wird die wirtschaftliche und umweltgerechte Bauwerkserhaltung bzw. das Bauen im Bestand immer mehr zur ingenieurtechnischen Herausforderung. Ein aktuelles Thema mit weitreichenden Veränderungen ist die Digitalisierung im Bauwesen, die auch in der Geotechnik sowohl für vernetzte Planungen als auch zur Optimierung von Prozessen angewendet und weiterentwickelt wird. Dadurch ergeben sich bedeutende und interessante Fragestellungen für die Geotechnik, die beim 13. Kolloquium Bauen in Boden und Fels dargestellt und diskutiert werden. Der Inhalt Baugruben Baugrunderkundung Gründung Bauen im Grundwasser Erdbau Tunnelbau Hangsicherung Messtechnik Digitalisierung in der Geotechnik Forschung und Innovation Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik sowie neueste Entwicklungen und Trends in der Geotechnik. Die Zielgruppe Das Kolloquium richtet sich an Ingenieur: innen und Naturwissenschaftler: innen, die in planenden oder beratenden Büros, ausführenden Firmen, Verwaltungen, Hochschulen und Verbänden an der Weiterentwicklung von Techniken und Verfahren in der Geotechnik arbeiten. www.tae.de ISBN 978-3-8169-3545-2