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Brückenkolloquium
2510-7895
expert verlag Tübingen
2020
41
Herausgegeben von Bernd Isecke Jürgen Krieger 4. Brückenkolloquium Fachtagung für Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken Tagungshandbuch 2020 Herausgegeben von Dir. Prof. Dr.-Ing. Jürgen Krieger Prof. Dr.-Ing. Bernd Isecke 4. Brückenkolloquium Fachtagung für Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken Tagungshandbuch 2020 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb. dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2020. Alle Rechte vorbehalten. expert verlag GmbH Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen E-Mail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-8169-3518-6 (Print) ISBN 978-3-8169-8518-1 (ePDF) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · D-73760 Ostfildern E-Mail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Vorwort Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist eine der wesentlichen Grundvoraussetzungen für nachhaltige Mobilität und wirtschaftliches Wachstum und trägt entscheidend zur Erhöhung der Lebensqualität bei. Prognosen zur Entwicklung des Güterverkehrs lassen bereits heute erkennen, dass der Verkehrsträger Straße auch künftig eine maßgebliche Rolle im Umfeld eines intermodalen Verkehrssystems spielen wird. Aus einer weiteren Zunahme des Güterverkehrs ergeben sich für einen signifikanten Anteil der Brücken, als maßgeblicher Teil der Straßenverkehrsinfrastruktur, Beanspruchungen bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit. Zusätzlich erwachsen aus den Folgen des Klimawandels in Verbindung mit einer zu erwartenden Zunahme von Extremwetterlagen neue Herausforderungen. Neben Sicherheit und Dauerhaftigkeit sind künftig verstärkt auch Aspekte der Resilienz hinsichtlich der Gewährleistung von Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit der Straßeninfrastruktur zu betrachten. Der Lebenszyklus von Brückenbauwerken ist von der Planung über den Bau und die Erhaltung bis zum Abbruch bzw. Ersatz noch in wesentlichen Teilen geprägt von traditionellen Verfahren. Die Möglichkeiten der Digitalisierung werden bislang nur für Teilprozesse genutzt. Aufgrund der rasant fortschreitenden Entwicklung neuer Technologien und Möglichkeiten zur Verarbeitung und Bewertung komplexer Datensätze versprechen neue Verfahren für Beurteilung, Planung, Bau und Betrieb von Brücken zukünftig immer größeres Potenzial. Ziel des Brückenkolloquiums ist ein interdisziplinärer Erfahrungs- und Wissensaustausch von Forschern, Planern, Eigentümern, Betreibern und Industrie zu neuen und innovativen Methoden, Verfahren und Technologien. Im Vordergrund stehen deshalb innovative Vorgehensweisen, Verfahren und Baustoffe sowohl für Ersatzneubau im bestehenden Verkehrsnetz als auch für Instandsetzung und Ertüchtigung des Bestands. Ebenso sind Methoden und Verfahren zur Bestandsanalyse und -bewertung, zur Ermittlung von Zustand, Zuverlässigkeit und Restnutzungsdauer, Überwachungsverfahren für Bestandsbauwerke sowie die Potentiale von BIM und weiteren Technologien der digitalen Transformation für Brücken im Lebenszyklus Bestandteil der Vorträge des Kolloquiums. Beim 4. Brückenkolloquium werden mehr als 80 Fachvorträge in vier parallelen Sessions zu folgenden Themenschwerpunkten angeboten: • Zustandserfassung • zerstörungsfreie Prüfung (ZfP) • Nachrechnung - Richtlinie und Fallstudien • Nachweisverfahren • Einwirkungen • Instandsetzung • Bauen unter Verkehr • Verstärkung und Verstärkung mit Carbonbeton • Innovative Bauverfahren • SMART-DECK • Fallbeispiele aus unterschiedlichen Blickwinkeln • Holzbrücken • Erhaltungsmanagement • Lebenszyklusmanagement • BIM • Digitalisierung Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über neue und innovative Methoden, Verfahren und Technologien zur Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken. Weitere Informationen unter: www.tae.de/ go/ bruecken 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Inhaltsverzeichnis 0. Plenarvorträge 0.1 Erhalt und Modernisierung des Brückenbestandes der Bundesfernstraßen - Die neue Erhaltungsstrategie für Planung und Bau von Brücken auf den Hauptverkehrsrouten 3 Gero Marzahn 0.2 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme - Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung von Fahrbahnplatten 7 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer 0.3 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem 15 Josef Hegger 1. Nachrechnung - Fallstudien 1.1 Häufige Fragen bei der Nachrechnung von Spannbetonbrücken * Frederik Teworte 1.2 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung 27 Prof. Dr. Ivan Markovic, dipl. Bauing. TU/ SIA, Dr. Alexander Kagermanov, dipl. Bauing. TU 1.3 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 35 Hermann Weiher, Ilaria Galasso, Katrin Runtemund, Sascha Weber 2. SMART-DECK 2.1 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts 47 Dr.-Ing. Till Büttner 2.2 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung 57 Viviane Adam, Norbert Will, Josef Hegger 2.3 SMART-DECK: Vollflächiges Feuchtemonitoring und präventiver Kathodischer Korrosionsschutz (pKKS) * Carla Driesssen-Ohlenforst 3. Bauen unter Verkehr 3.1 Gründungsertüchtigung eines Bestandspfeilers im Zuge des Neubaus der Schiersteiner Rheinbrücke 67 Dr.-Ing. Heiko Huber (Autor), Dipl.-Ing. Wolfgang Kissel und Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Krajewski (Co-Autoren), M.Sc., Dipl.-Ing. (FH) André Scholl (Co-Autor) 3.2 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Generalerneuerung 73 Ing. Thomas Kozakow 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 3.3 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung 79 Dipl.-Ing. Hans-Peter Doser, Sven Kina M.Sc. 3.4 Gerüststellungen für die Sanierung von Hängebrücken am Beispiel der Mülheimer Brücke Köln und der Rheinbrücke Emmerich 89 Josef Teupe 3.5 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW - Bestandsuntersuchungen zum Erhalt der Unterbauten, dem ingenieurmäßigen Rückbau und für die bauzeitliche Verkehrsführung 95 Dipl.-Ing. Friso Friese und Dipl.-Ing. Ines Nordhaus 4. Innovative Bauverfahren 4.1 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen 107 Christian Knorrek, Sven Bosbach, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger 4.2 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise 119 Eckhard Held, Stefan Kimmich, Roland Sauer 4.3 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde 129 Michael Girmscheid, Felix Lehmann, Thorsten Balder, Hartmut Hangen 5. Nachrechnung/ Nachweisverfahren 5.1 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen 141 Dipl.-Ing. Dr.techn. Tobias Huber, o. Univ.Prof. Dr. Ing. Johann Kollegger, Dipl.-Ing. Dr. techn. Patrick Huber 5.2 Neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten bestehender Spannbetonbrücken aus aktuellen Labor- und Feldversuchen 149 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer, Nicholas Schramm, M.Sc., Sebastian Felix Gehrlein, M.Sc. 5.3 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden 157 Dr.-Ing. Martin Herbrand, Viviane Adam, M. Sc., Univ.-Prof. Josef Hegger 5.4 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand 171 Nicholas Schramm, M.Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer 5.5 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung 181 Eva Stakalies, Reinhard Maurer 5.6 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken 189 Dr.-Ing. Matthias Müller 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 6. Digitalisierung 6.1 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding 205 Matthias Haslbeck, Christian Merkl, Thomas Braml 6.2 KI zur Erkennung und Beurteilung von Oberflächenschäden an Betonbauwerken 215 Referent: Nicolai Nolle, Projektleiter AI4I NFRA 6.3 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann 217 Jens Kühne, Co-Autor: Dr.-Ing. Carsten Ebert 6.4 Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze 227 Sarah Dabringhaus 6.5 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken 235 Ralph Holst, Guido Morgenthal, Norman Hallermann 6.6 Brückenprüfung und Digitalisierung mittels AI und Cloud Computing 243 Albrecht Karlusch, MSc, MBA (Managing Director), DI Peter Furtner (Managing Director) und DI Ernst Forstner (Head of Operations) 7. Erhaltungsmanagement 7.1 Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement 253 Andreas Socher, Matthias Müller 7.2 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement 259 Prof. Dr.-Ing. Jan Akkermann, Simon Weiler M. Eng., Dr.-Ing. Jörg Bödefeld, Sarah Elting M. Eng. 7.3 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen 269 François Marie Nyobeu Fangue ,Annemarie Seiffert, Dr. Jörg Bödefeld 8. Instandsetzung 8.1 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg 281 Dr.-Ing. Johannes Bach, Dipl.-Wirtsch.-Ing. M. Eng. Felix Bach, Dipl.-Ing. Jan Rassek, Max Franksmann, B. Eng. 8.2 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken 293 Daniel Oberhänsli, dipl. Bauingenieur FH, Dr. Thorsten Eichler, Bauingenieur 8.3 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee 299 Lars Wolff, Michael Bruns 9. Lebenszyklusmanagement 9.1 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen 313 Andreas Jansen, M.Sc., Karsten Geißler, Prof. Dr.-Ing. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 9.2 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen 323 Alois Vorwagner, Maciej Kwapisz, Dominik Prammer, Prof. Werner Lienhart, Christoph Monsberger, Madeleine Winkler, Urs Grunicke 9.3 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke 331 Thomas Lehmann 9.4 Über die Zuverlässigkeit von Monitoring-basierten Frühwarnsystemen für Brücken 339 Marian Ralbovsky, Dominik Prammer, Alois Vorwagner 10. Verstärkung 10.1 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben 349 Jürgen Feix, Johannes Lechner 10.2 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung 359 Jens Heinrich, Thomas Zenk, Reinhard Maurer 10.3 Ganzheitliche Verstärkung von Brückenbauwerken mit innovativen Materialkombinationen und Applikationsverfahren 373 Christian Dommes, Christian Knorrek, Josef Hegger 10.4 Nutzung des Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) im ASTRA - Rückblicke und Perspektiven 381 Stéphane Cuennet 10.5 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken 391 Balthasar Novák, Vazul Boros, Eberhard Pelke, Carolin Roth 10.6 Ertüchtigung und Instandsetzung von Stahlbrücken mit Hochfestem Beton am Beispiel der Rheinbrücke Maxau und die begleitende Bestimmung der dynamischen Brückeneigenschaften 401 Breuer P., Held S., Konopka E., Hochschule für Technik Stuttgart, Gorski P., Politechnika Opolska, Opole/ Polen, Mrotzek S., Contec International GmbH, Bad Waldsee, Serwin, B., Contec A/ S, Aarhus/ Dänemark 10.7 Innovative Verstärkungslösung mit Litzenbündelseilen für die Fuldabrücke A44 bei Bergshausen 415 Dipl.-Ing. Ludwig Demelt, Dipl.-Ing. Kay Löffler 10.8 Instandsetzung und Ertüchtigung von großen Hängebrücken 421 Bastian Kratzke 10.9 Die genieteten Yorckbrücken in Berlin - Instandsetzung und Umnutzung 427 Dr.-Ing Thomas Klähne, Thomas Abel 11. BIM 11.1 BIM-basiertes Projekt zur Instandsetzung einer Straßenbrücke * Ivan Markovic 11.2 smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings 441 Christof Ullerich, Matthias Grabe, Dr. Marc Wenner, Dr. Martin Herbrand 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 11.3 Erste Erfahrung und Mehrwert durch BIM im BMVI Pilotprojekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 451 Thomas Tschickardt M. Eng. 12. Zustandserfassung 12.1 Die objektspezifische Bestimmung des kritischen Chloridgehalts und die Auswirkung auf die Restlebensdauer 461 Carolina Boschmann Käthler, Ueli M. Angst 12.2 Schnelle ortsaufgelöste Chloridbestimmung mit der laserinduzierten Plasmaspektroskopie (LIBS) 465 Cassian Gottlieb, Christian Bohling, Steven Millar, Tobias Günther, Gerd Wilsch 12.3 Ultraschallbasierte Überwachung von Stahl- und Spannbetonkonstruktionen - erste Ergebnisse der DFG-Forschungsgruppe 2825 CoDA 473 Ernst Niederleithinger, Niklas Epple, Daniel Fontoura Barroso, Felix Clauß, Mark Alexander Ahrens, Peter Mark 13. Fallbeispiele - Gänstorbrücke 13.1 Monitoring von Brücken - Hintergründe, technische Möglichkeiten und Umsetzung am Beispiel der Ulmer Gänstorbrücke 483 Franz Knab, Robin Groschup 13.2 Standsicherheitsbeurteilung der Ulmer Gänstorbrücke unter Berücksichtigung von Bauwerksschäden und Messungen - Hintergründe zum Alarmierungssystem 495 Andreas Müller 13.3 Objektspezifische Bewertung der Verkehrsbeanspruchung an der Gänstorbrücke über die Donau 501 Dipl.-Ing. (FH) Marcel Nowak, M.Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer 14. Einwirkungen 14.1 Weiterentwicklung eines messbasierten Verfahrens zur Bewertung von Straßenbrücken 509 Prof. Dr.-Ing. habil. Karl G. Schütz 14.2 Mehrstufiges Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung von Straßenbrücken 517 Dipl.-Ing. Kay Degenhardt, Dr.-Ing. Nico Steffens, M.Sc. Josef Kraus, Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler 14.3 Anprall gegen Pfeiler von Bestandsbauwerken 531 Matthias Bettin, Reinhard Maurer, Dr.-Ing. Andreas Bach 15. ZfP 15.1 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten 549 Dipl.-Ing. Max Käding, Dr.-Ing. Gregor Schacht, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx 15.2 Detektion von Spannstahlbrüchen mit Acoustic Emission im Rahmen der Bauwerksüberwachung 561 Christian Sodeikat 15.3 Zerstörungsfreie Zustandserfassung der Moorbrücke BAB A27 575 Johannes F. Scherr (Autor, Referent), Jörg Alex (Co-Autor, Co-Referent), Christian U. Große (Co-Autor), Frank Kühn (Co-Autor) 15.4 Detektion korrosionsaktiver Bereiche an Brückenbauwerken aus Stahlbeton mittels Potentialfeldmessung 583 Gino Ebell, Andreas Burkert 15.5 Korrosionsdetektion an Brückenbauwerken: konventionell und innovativ * Sylvia Keßler 15.6 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht 589 Dr.-Ing. A. Hasenstab, Dipl.-Ing. H. Deeg 15.7 Ertüchtigung von Brückenbauwerken: Anwendungen von RADAR- und Ultraschall-Techniken 605 Otto Wurzer, Stefanie Setzer, Karin Reiter, Christian U. Große 16. Holzbrücken 16.1 Zeitgemäße Planung von Holzbrücken - Gestaltung und Prüfbarkeit 615 Frank Miebach 16.2 Bestehende Regelwerke zur Prüfung von Holzbrücken - Haben wir alles, was wir brauchen? 629 Dipl.-Ing. (FH) Florian Scharmacher 16.3 Feuchtemonitoringsysteme auf Holzbrücken 635 Andreas Müller, Marcus Schiere, Sébastien Bonifacio 17. Verstärkung Carbonbeton 17.1 Querkraftverstärkung aus Carbonbeton unter zyklischer Beanspruchung 643 Sebastian May, Alexander Schumann, Elisabeth Schütze, Univ.-Prof. Dr.-Ing., Dr.-Ing. E. h. Manfred Curbach 17.2 Generalinstandsetzung der Ludwigsbrücken in München * Dr.-Ing. Otto Wurzer 17.3 Ertüchtigung einer Stahlbetonplattenbrücke mit Carbonbeton 651 Dipl.-Ing. Oliver Steinbock, Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Manfred Curbach, Prof. Dr.-Ing. Thomas Bösche 17.4 Instandsetzung und Gewichtsreduzierung einer Brücke mit Leicht- und Carbonbeton in Kombination 663 Detlef Koch, Björn Neuberger 18. Hochstraße Elbmarsch 18.1 Verbreiterung der Hochstraße Elbmarsch in Hamburg, Erkenntnisse aus der Pilotmaßnahme 673 Dipl.-Ing. Gregor Gebert 18.2 Instandsetzung der Megastützenriegel der Hochstraße Elbmarsch 679 Dr. Sebastian Krohn 18.3 Austausch von 2000 Lagern - Untersuchungen an Elastomerlagern nach 45 Jahren Einsatzzeit 685 Dr.-Ing. Tobias Block 18.4 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) 693 Dr.-Ing. Andreas Schmitt, Dipl.-Ing. Michael Buschlinger * Manuskript lag bei Redaktionsschluss nicht vor. Anhang Programmausschuss 711 Beitragsverzeichnis nach Autorennamen 713 Plenarvorträge 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 3 Erhalt und Modernisierung des Brückenbestandes der Bundesfernstraßen - Die neue Erhaltungsstrategie für Planung und Bau von Brücken auf den Hauptverkehrsrouten Gero Marzahn Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Bonn Zusammenfassung Durch die ungünstige Altersstruktur der Bauwerke im Bundesfernstraßennetz kombiniert mit einer stetigen Steigerung von Fahrzeuggesamtgewichten und der Achslasten der Fahrzeuge in den vergangenen Jahrzehnten sind umfängliche Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen zur Verbesserung des Zustandes und zur Erhöhung der Tragfähigkeit vieler älterer Brücken erforderlich. Die Folgen sind viele Baustellen hauptsächlich auf den Autobahnen, welche in den nächsten Jahren eher noch zunehmen und damit die Verkehrsteilnehmer auf die Probe stellen werden. Moderne Strategien, die auf eine hohe Verfügbarkeit des Netzes abzielen, aber die bauliche Dringlichkeit der alten Bauwerke nicht aus den Augen verlieren, sind gefragt. Mit diesem Ziel wurde eine neue Strategie entworfen und festgeschrieben, die beide Sichtweisen vereint. Der eingeschlagene Weg wird zu einer Dynamisierung der Erhaltungsplanung führen, so dass neben den notwendigen baulichen Maßnahmen zukünftig stets auch die verkehrlichen Aspekte angemessen berücksichtigt werden. 1. Einleitung Im internationalen Vergleich verfügt Deutschland über eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur. Allerdings machen der überproportionale Anstieg des Schwerverkehrs in den vergangenen Jahrzehnten insbesondere im Güterverkehr sowie die Altersstruktur der Bauwerke umfängliche Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen zur Verbesserung des Zustandes und zur Erhöhung der Tragfähigkeit vieler älterer Brücken erforderlich. Viele Brücken müssen deshalb verstärkt oder - sofern wirtschaftlicher - erneuert werden, um eine sichere Abwicklung des aktuellen und zukünftigen Verkehrs auf Dauer gewährleisten zu können. Eine wachsende Anzahl von Baustellen hauptsächlich auf den Autobahnen ist die Folge, welche in den nächsten Jahren eher noch zunehmen und damit die Verkehrsteilnehmer auf die Probe stellen wird. Um den Verkehr dennoch flüssig zu halten, bedarf es einer modernen Strategie hinsichtlich der Durchführung von Planungs- und Baumaßnahmen, welche dynamisch auf unterschiedliche verkehrliche Anforderungen reagieren kann. Diese liegt inzwischen vor und soll Hilfestellung für zukünftige Entscheidungen hinsichtlich der Reihung von Maßnahmen bei der Umsetzung sein. 2. Erhaltung und Modernisierung von Brücken Wachsendes Verkehrsaufkommen in Verbindung mit steigendem Durchschnittsalter der Brücken sowie vorhandenen baulichen Defiziten vergangener Jahrzehnte machen generell umfängliche Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen an den Bauwerken erforderlich. Die unter diesen Stichworten zusammengefassten Maßnahmen beschreiben das Wesen der Brückenmodernisierung, bei der unter dem Dach der Bauwerkserhaltung eine Anpassung bestehender Brückenbauwerke an geänderte und/ oder gestiegene Anforderungen hinsichtlich Tragfähigkeit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit von Brücken verstanden wird. Je nach technischer Umsetzbarkeit und Wirtschaftlichkeit werden die Bauwerke neben der üblichen Instandsetzung ertüchtigt bzw. verstärkt oder - sofern wirtschaftlicher - gänzlich durch einen Ersatzneubau ersetzt. Unter dem Credo „Erhalt vor Neubau“ hat das BMVI im Rahmen des Investitionshochlaufs die notwendigen Erhaltungsmittel für die Bundesfernstraßen (Strecke und Brücke) in den letzten Jahren kräftig aufgestockt. Für das Jahr 2019 stehen insgesamt 4,1 Milliarden Euro bereit, die in der Finanzplanung bis 2022 schrittweise auf rd. 4,4 Milliarden Euro anwachsen werden. Der Anteil für Erhaltungsmaßnahmen an Bauwerken an der Gesamtsumme steigt dabei ebenfalls. Gemäß der Erhaltungsbedarfsprognose sollen von diesen Mitteln in diesem Jahr (2019) rund 1,43 Milliarden Euro in die Brü- 4 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erhalt und Modernisierung des Brückenbestandes der Bundesfernstraßen ckenerhaltung fließen, 2020 rund 1,46 Milliarden Euro, 2021 rund 1,57 Milliarden Euro und 2022 rund 1,64 Milliarden Euro. Damit wird der jährliche Anteil an den Erhaltungsmitteln für Bauwerke in einem Jahrzehnt von weniger als 25% in 2011 auf über 37% in 2022 steigen. Das sind gewaltige Summen, die zielgerichtet und zeitnah umgesetzt werden sollen. Die Anzahl an Baustellen lässt sich nur erahnen. Bautätigkeiten ungekannten Ausmaßes werden zukünftig unseren Alltag begleiten. Seit dem Haushaltsjahr 2015 werden die Mittel für Brückenmodernisierungsmaßnahmen mit einem Bauvolumen über 5 Mio. € in den Erhaltungstabellen des Straßenbauplans bereits gesondert dargestellt und als Programm Brückenmodernisierung erfasst. Ab dem Haushaltsjahr 2016 werden diese Maßnahmen zur besseren Übersichtlichkeit darüber hinaus separat im Straßenbauplan in eigenen Tabellen zur Berichterstattung geführt. Brückenmodernisierungsmaßnahmen mit einem Bauvolumen über 5 Mio. € sind zum Teil aber auch noch in Bedarfsplanmaßnahmen (BAB-Erweiterung) und Streckenbaumaßnahmen der Erhaltung veranschlagt. Die Erhaltungsanteile werden gemäß den vorstehenden zwei Punkten nunmehr mit ausgewiesen. Kleinere, im Programm nicht einzeln aufgeführte Brückenmodernisierungsmaßnahmen werden bisher aus den global zugewiesenen Erhaltungsmitteln finanziert. Seit 2017 werden für diese Maßnahmen in den Haushaltsansätzen des Brückenmodernisierungsprogramms pauschal 100 Mio. € pro Jahr gesondert bereitgestellt, um auch für die kleineren Brücken innerhalb eines Streckenabschnitts genügend Baumittel zur Verfügung zu stellen. Eine Übersicht zu den Haushaltsansätzen für das Programm Brückenmodernisierung ist in Tabelle 1 gegeben. Die Zuordnung der Mittel erfolgt fortlaufend und bedarfsgerecht entsprechend der Anmeldung der Länder. Hierbei gilt grundsätzlich, dass jede Maßnahme, die Baurecht erhält, auch finanziert wird. Tabelle 1: Haushaltsmittel für Maßnahmen der Brückenmodernisierung Haushaltsjahr 2019 2020 2021 2022 2023 Hauhaltsmittel (Mio.€) 760 780 855 950 959 Die Erfahrung hat gezeigt, dass es im Sinne der Durchlässigkeit des Netzes nicht ausreichend und auch nicht sinnvoll ist, sich nur auf besonders defizitäre Einzelbauwerke zu konzentrieren. Es entstehen viele Einzelbaustellen, die den Verkehr einschränken, jedoch nach Fertigstellung keinen direkten Verkehrswert ergeben. Ein tatsächlicher Verkehrswert ist erst dann gegeben, wenn alle Bauwerke eines Streckenabschnittes uneingeschränkt für den Verkehr nutzbar sind. Mit dieser Zielrichtung wurde die Strategie zur Brückenmodernisierung hin zu einer Korridorbetrachtung entscheidend erweitert und fortgeschrieben. Dabei wird auf die Modernisierung ausgewiesener, überwiegend hochbelasteter Transitstrecken fokussiert, um diese Strecken vordringlich zu ertüchtigen und zugleich übrige Strecken vorerst möglichst unbeeinträchtigt für die Verkehrsabwicklung zur Verfügung zu haben. Der Korridorgedanke führt zu einer konzentrierten und verkehrsgerechten Abfolge der Arbeiten und führte in der Konsequenz zu einem zukunftsfähigen Netz. Dieses Brückenmodernisierungsnetz (Bild 1) ist durch Transitkorridore mit einer Gesamtlänge von 6.600 km, fast die Hälfte des deutschen BAB-Netzes und annähernd deckungsgleich mit dem TEN-V Kernnetz, gekennzeichnet. Als Zielstellung gilt, bis 2030 die Korridore zukunftssicher ausgebildet zu haben. Übrige Strecken bleiben vorerst unangetastet und stehen weiterhin für die Verkehrsabwicklung zur Verfügung, bevor diese zu einem späteren Zeitpunkt modernisiert werden. Diese Vorgehensweise sichert sowohl eine durchgreifende Verbesserung der Leistungsfähigkeit (Zukunftsfähigkeit) des Netzes und seiner Brücken, als auch eine Durchlässigkeit der Infrastruktur auf den Nachbarrouten in den jeweiligen Bauphasen. Bild 1: Brückenmodernisierungsnetz 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 5 Erhalt und Modernisierung des Brückenbestandes der Bundesfernstraßen Die Festlegung der Korridore des Brückenmodernisierungsnetzes erfolgte in enger Abstimmung mit den zuständigen Straßenbauverwaltungen der Länder. Dabei waren neben den Fachbereichen Brückenbau auch die Bereiche für Planung und Streckenerhaltung eingebunden, um möglichst Baumaßnahmen beider Bereiche gekoppelt vorzubereiten und umsetzen zu können. Die unterlegte Strategie zur Brückenmodernisierung liefert die notwendige Entscheidungsvoraussetzungen und schafft folglich Planungsperspektiven sowie Planungssicherheit für einen vorausschauenden und bedarfsgerechten Mitteleinsatz. Darüber hinaus sind optimierte Eingriffe in den Verkehr, gerade vor dem Hintergrund eines hohen Verkehrsaufkommens und steigender Bautätigkeit mit wachsenden Investitionsvolumina, möglich. 3. Erhaltungsstrategie für Bauwerke der Bundesfernstraßen Die rund 52.000 Brückenbauwerke der Bundesfernstraßen in Deutschland nehmen eine Schlüsselstellung für die Straßenverkehrsinfrastruktur im Transitland Deutschland ein. Brücken sind dabei die neuralgischen Punkte unserer Infrastruktur, weil jede alters-, nutzungsund/ oder baulich bedingte Einschränkung der Verfügbarkeit zu unmittelbar spürbaren Einschränkungen und Engpässen im fließenden Verkehr führt. Meist sind sie im Netz wegen begrenzter Umfahrungsmöglichkeiten Nadelöhre und beeinflussen dadurch die Leistungsfähigkeit nicht nur lokal, sondern im wachsenden Maße auch regional. Hierbei sind die singulären Brückenquerungen, z. B. die Rheinquerungen, wegen ihrer begrenzten Anzahl besonders betroffen. Regelmäßig ergeben sich bei schädigungsbedingten Ausfällen oder Baumaßnahmen verkehrliche Probleme, welche sich potenzieren, wenn gleichzeitig mehrere, ggf. sogar benachbarte Brücken oder Bauwerke in den Zulaufbereichen zeitgleich bauliche Maßnahmen erfordern. Schädigungsbedingte Ausfälle von Bauwerken sowie Brückenbaustellen im Netz bedeuten meist Einschränkungen in der verkehrlichen Leistungsfähigkeit durch Reduktion von Fahrstreifen, Verschmälerung von Fahrstreifen, verringerte Fahrgeschwindigkeit etc. Die Folge ist, dass Verkehrsverlagerungseffekte im Netz und Stauverkehr im Bereich der Baustelle eintreten. Stau sowie Verlängerung der Reisezeiten führen zu einem erhöhten Energieverbrauch und gesteigerter Emissionen; überlastete Ausweichrouten können darüber hinaus zu einer ungünstigen Entwicklung der Unfallzahlen beitragen. In Summe werden in jedem Falle die Nutzerkosten steigen. Vor diesem Hintergrund sind gerade wegen zukünftig verstärkter Bautätigkeit bei weiterhin zunehmendem Verkehr die Möglichkeiten einer verkehrsgerechten Steuerung baulicher Maßnahmen voranzutreiben und stetig weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch, das Risiko ungeplanter Ausfälle zu minimieren, um die Eingriffe in den Verkehr infolge Erhaltungsmaßnahmen planbarer werden zu lassen. Dies eröffnet zugleich Möglichkeiten, Maßnahmen gezielt zu bündeln und dadurch Beschleunigungen in der Abwicklung zu generieren. Diese Betrachtungen lassen erkennen, dass es insbesondere bei Strecken mit hohem Verkehrsaufkommen nicht sinnvoll ist, wie in der Vergangenheit üblich, kleinste Schäden bei den Bauwerken sehr kurzfristig instand zu setzen, was für das Einzelbauwerk zur Vorbeugung aufwändigerer Schadensakkumulationen sicherlich sehr wirtschaftlich, aber durch häufige und unplanbare Eingriffe in den Verkehr aus Netzsicht wirtschaftlich kaum vertretbar ist. Wirtschaftlicher und verkehrsgerechter sind dagegen möglichst lange, ununterbrochene Nutzungszeiten von Strecken, bei denen die Schadensentwicklung am Bauwerk überwacht und kontrolliert ablaufen kann. Erst mit Erreichen ausgewiesener Warn- oder Schwellenwerte sind grundhafte Erhaltungsmaßnahmen zur Abhilfe zu ergreifen. Eine entsprechende Überwachung der Bauwerke durch Monitoring und/ oder Bauwerksprüfung wäre für dieses reaktive Vorgehen zwingend erforderlich, womit gleichzeitig der Einstieg in eine Lebenszyklusbetrachtung gelegt wird. Ebenso wären bei besonders hochbeanspruchten Strecken zeitlich fixierte Eingreifzyklen denkbar, wofür aufbauend auf Kenntnissen und Erfahrungen zum Alterungs- und Verschleißverhalten sowie zur Zuverlässigkeit von Materialien und Bauteilen vorausbestimmte Nutzungszyklen definiert werden müssen. Entsprechende Erhaltungsintervalle führen zu einem präventiven Vorgehen. Die unterjährige oder kontinuierliche Überwachung würde sich lediglich auf die Kontrolle der Übereinstimmung der Annahmen beschränken. Somit werden die Eingriffe in den Verkehr sehr planbar und es entstehen die geringsten Nutzerkosten. Vielfach wird allein schon aus Gründen der Verkehrssicherheit gestützt auf die Ergebnisse einer Bauwerksprüfung nach DIN 1076 eine Kombination beider Verfahren, also präventive und reaktive Erhaltungsplanung, möglich, sinnvoll und wirtschaftlich sein. Das örtlich vorhandene Verkehrsaufkommen könnte dabei die Wichtung in die eine oder andere Richtung verschieben. Die Grundlagen für diese strategischen Entscheidungen wurden vom Koordinierungsausschuss Erhaltung, einem Bund-Ländergremium, erarbeitet und sind in der gerade fertiggestellten RPE-ING [1] niedergelegt. Darüber hinaus können äußere Vorgaben, z. B. die Umsetzung des Brückenmodernisierungsnetzes, die Abwicklung von Erhaltungsmaßnahmen entsprechend der vorgehenden Ausführungen beeinflussen und eine andere Abfolge der Instandsetzungsmaßnahmen bedingen, indem gewisse Routen vorgezogen und baulich behandelt werden. Somit ergeben sich neue Abhängigkeiten, die planerisch in Übereinstimmung zu bringen sind. Sind exponierte und verkehrlich besonders wichtige Bauwerke in hoch belasteten Strecken betroffen, z. B. Rheinbrücken im Zuge von Autobahnen, sind ggf. individuelle Lösungen zu finden. Es hat sich in der praktischen 6 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erhalt und Modernisierung des Brückenbestandes der Bundesfernstraßen Planung gezeigt, dass es nicht ausreichend und auch nicht zielführend ist, sich auf einzelne Rheinquerungen als singuläre Punkte zu konzentrieren. Aus den Informationen und Handlungsoptionen zu den Einzelbauwerken (Einzelbetrachtung) allein ergibt sich keine unmittelbare sinnvolle Option zur Vorgehensweise in einer Region bzw. in einem Teilnetz der Bundesfernstraßen (Netzbetrachtung), weil nur eine begrenzte Anzahl an Rheinquerungen existiert und die Bauwerke daher trotz größerer Distanz in direkter verkehrlicher Abhängigkeit zu einander stehen. Folglich müssen regionale Sichtweisen, die neben den baulichen Maßnahmen an Einzelbauwerken gleichzeitig auch die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen durch Staus und Umleitungen infolge von Nichtverfügbarkeit oder beschränkter Nutzbarkeit von Verkehrswegen berücksichtigen, Eingang in die Planung von Erhaltungsund/ oder Erneuerungsmaßnahmen von Bauwerken finden. Die Bewertung auf Basis monetärer Aspekte, indem Nutzerkosten ermittelt und berücksichtigt werden, hat sich hierbei als geeignet erwiesen, insbesondere weil zumindest bei den Rheinbrücken verschiedene Baulastträger eingebunden werden müssen. Der Bund nahm die vorgenannten Erkenntnisse unter anderem zum Anlass, um im Rahmen eines Forschungsvorhabens ein strategisches Instrument zur optimierten Planung von Ertüchtigung und Erneuerung wichtiger Brücken der Bundesfernstraßen unter Beachtung einer gesamtwirtschaftlichen Bewertung der verkehrlichen Auswirkungen derartiger Maßnahmen erarbeiten zu lassen. Mit dem speziell für die Rheinbrücken entwickelten Software-Tool werden Eingreifzeitpunkte für bauliche Maßnahmen unter Berücksichtigung baulicher und verkehrlicher Aspekte über einen langen Zeitraum von bis zu 30 Jahren optimiert. So kann eine langfristig orientierte Maßnahmenplanung von vorrangigen Rheinbrücken oder allgemein Brücken an Bundesfernstraßen über Baulastträgergrenzen hinweg aufgebaut werden. Grundsätzlich lässt sich die dargestellte Thematik methodisch und regional verallgemeinern. Daher wird derzeit in einer Fortführung bzw. Erweiterung des Forschungsvorhabens die Betrachtung auf beliebige Teilräume im klassifizierten deutschen Straßennetz und auf die gleichzeitige Berücksichtigung von bis zu 50 Bauwerken ausgedehnt. 4. Fazit Es hat sich gezeigt, dass neben den baulichen Aspekten ebenso die verkehrlichen Aspekte bei der Planung von Erhaltungsmaßnahmen berücksichtig werden müssen, um den Verkehr trotz Baustellen einigermaßen flüssig zu halten und zugleich die gesamtwirtschaftlichen Kosten, die neben den Investitionskosten auch die Nutzerkosten umfassen, minimieren zu können. Ziel sollte sein, notwendige Erhaltungsmaßnahmen von der Reihenfolge und Bauabfolge her sowohl anhand der baulichen Kritikalität (z. B. Bauwerkszustände) als auch der verkehrlichen Kritikalität (z. B. Verfügbarkeit) auszurichten und so zu steuern oder Maßnahmen so zu kombinieren, dass der volkwirtschaftliche Schaden durch Stau, Verkehrsumleitungen und Emissionen etc. in der Gesamtschau minimal wird. Der Blick auf reine Investitionskosten reicht dafür nicht aus. Somit wird der eingeschlagene Weg zu einer Dynamisierung der Erhaltungsstrategie führen, die neben den notwendigen baulichen Maßnahmen zukünftig stets auch die verkehrlichen Aspekte angemessen berücksichtigt. Literaturhinweise [1] Richtlinie für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken (RPE-ING), Stand Oktober 2019, BMVI, noch unveröffentlicht 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 7 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme - Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung von Fahrbahnplatten Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer Technische Universität Dortmund, Dortmund, Deutschland Zusammenfassung Im Rahmen mehrerer anwendungsbezogener Forschungsvorhaben der BASt sowie von der DFG geförderter Grundlagenforschung, konnten in den letzten Jahren an deutschen Hochschulen erhebliche Fortschritte bei der Entwicklung genauerer Nachweisverfahren für verschiedene Schubprobleme bei Querkraft und Torsion erreicht werden. Damit können die entsprechenden Tragfähigkeiten bestehender älterer Betonbrücken wirklichkeitsnäher und zutreffender bestimmt werden. Die Nachweisverfahren wurden durch umfangreiche experimentelle Untersuchungen im Rahmen von Großversuchen kalibriert und validiert. Nachfolgend werden exemplarisch die neu entwickelten Nachweisverfahren für 3 häufige Schubprobleme der Bemessungspraxis vorgestellt, die Erweiterungen gegenüber den aktuellen Normen für Neubauten darstellen. 1. Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung Das Bemessungsmodell in Eurocode 2 gilt für eine reine Torsionsbeanspruchung bei einem Stahlbetonstab. Daraus resultieren aus den Gleichgewichtsbedingungen eine Torsionsbügel- und eine Torsionslängsbewehrung. Die Bügel dienen der Aufnahme der vertikalen Kraftkomponenten der unter dem Winkel Ѳ im Steg verlaufenden Betondruckstreben. Deren horizontale Kraftkomponenten beispielsweise an den Stirnflächen müssen durch die Torsionslängsbewehrung ins Gleichgewicht gesetzt und zurück verankert werden. Im Fall einer zusätzlichen äußeren Druckkraft P auf die Stirnflächen, z.B. aufgebracht durch eine Vorspannkraft über eine starre Platte, reduziert sich die erforderliche Torsionslängsbewehrung, bzw. bei ausreichend großer Kraft P ist sie nicht mehr erforderlich. Dann werden die horizontalen Kraftkomponenten der Betondruckstreben durch die Vorspannkraft P alleine ins Gleichgewicht gesetzt. Bei einem Spannbetonbalken sind die Trägerenden mit den Spanngliedverankerungen in der Regel ungerissen, sodass sich vergleichbare Verhältnisse einstellen, die eine Reduzierung der erforderlichen Torsionslängsbewehrung gemäß Eurocode 2 erwarten lassen (Bild 1). 8 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme: Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung Reine Torsion: Stahlbeton Reine Torsion: Spannbeton Kombinierte Beanspruchung: M + V + T Bild 1 Reine Torsion T und kombinierte Beanspruchung M + V + T Das nachfolgend beschriebene Bemessungsmodell beruht auf diesen Modellvorstellungen. Es wurde durch einige Großversuche an Spannbetonbalken als Durchlaufträger mit kombinierter Beanspruchung (M + V +T) überprüft. Die gesamte erforderliche Bügelbewehrung ergibt sich aus der Querkraftbewehrung unter Berücksichtigung des Betontraganteils (z.B. erweitertes Fachwerkmodell mit Betontraganteil [1], Druckbogenmodell [2] etc.) plus der vollen Torsionsbügelbewehrung nach Eurocode 2. Bei Torsion ist kein zus. Betontraganteil analog zur Querkraftbemessung zu erwarten. Dagegen wird die Längsbewehrung infolge Torsion unter Berücksichtigung der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion bemessen. Dazu wird zunächst die resultierende Längszugkraft (N TEd ) aus der statisch erforderlichen Torsionslängsbewehrung gemäß Eurocode 2 ermittelt. Diese wird dann als Zugkraft zentrisch im Schwerpunkt des Querschnitts angesetzt und bei der Biegebemessung berücksichtigt (Bild 2). Diese Idealisierung ist bei einer Beanspruchung überwiegend durch Biegung möglich. Torsionslängsbewehrung Asl bzw. zugehörige Torsionslängskraft ⇒ Nachweis der Längsbewertung infolge unter Mitwirkung der Längsspannglieder Bild 2 Längsbewehrung infolge MEd und TEd Bei dieser Vorgehensweise und überwiegender Biegebeanspruchung wird die günstige Wirkung aus der Überdrückung der Torsionslängszugkräfte im Bereich der Biegedruckzone infolge Biegung berücksichtigt. Die Tragwirkung, der aus Biegung nicht vollständig ausgenutzten Spannglieder, wird entsprechend ihrer tatsächlichen Lage im Querschnitt bei der Bemessung automatisch erfasst. Die Längsbewehrung wird auf diese Weise gegenüber einer Bemessung bei reiner Torsion reduziert [3]. 2. Schubfester Druckgurtanschluss bei Hohlkasten-brücken Nach DIN EN 1992-2/ NA: 2013-04 darf bei Nachweis der Biegetragfähigkeit gegliederter Querschnitt (Hohlkasten, Plattenbalken) nur derjenige Teil des Druckgurtes als mitwirkend berücksichtigt werden, der durch eine Querbewehrung und Betondruckstreben schubfest an den Steg angeschlossen ist. Die rechnerisch erforderliche Querbewehrung hängt entscheidend vom Winkel Ѳ f der Betondruckstreben ab. Die Bemessungsregeln nach Eurocode 2 liefern hierzu aufgrund eines unzutreffenden Rechenmodells [4] viel zu große Winkel Ѳ f , was dazu führt, dass sich dieser Nach- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 9 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme: Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung weis bei vielen der älteren Bestandsbrücken nicht führen lässt. Bild 3 Stabwerkmodell für den Kraftfluss in einem Kastenträger (aus C. Menn, Stahlbetonbrücken Müller entwickelt in seiner Dissertation [4] ein Bemessungsmodell, indem er für den Winkel Ѳ f der Betondruckstreben vom natürlichen Einleitungswinkel der Hauptdruckspannungen ausgeht. Dabei sind die Spannungen σ Ed und τ Ed Spannungen im GZT. Das Bemessungsmodell beruht auf einem Stabwerkmodell. Wie in Bild 3 anschaulich zu erkennen ist, wird der Winkel Ѳ f für die Druckstreben umso kleiner, je mehr sich, ausgehend vom Momentennullpunkt ohne Druckspannungen, die Druckgurtkraft zum Auflager hin aufbaut. Im Gegensatz zum Bemessungsmodell nach Eurocode 2 werden hier der Anstieg sowohl der Schubspannungen in der Anschlussfuge als auch der Druckspannungen im Druckgurt unter Laststeigerung berücksichtigt, wodurch mit anwachsender Normalspannung σ Ed der Winkel Ѳ f zunehmend flacher wird. Dagegen wird beim Bemessungsmodell im Eurocode 2, abweichend zu den tatsächlichen Verhältnissen, bei der Laststeigerung bis zum GZT nur die Schubspannung gesteigert, die Normalspannung aber konstant gehalten. Dadurch werden die Winkel Ѳ f der Betondruckstreben viel zu groß ermittelt, was zu den rechnerischen Defiziten bei der Gurtanschlussbewehrung führt. Zusätzlich entwickelte Müller einen alternativen Nachweis auf Grundlage des Hauptzugspannungskriteriums [4]. (i) Hauptzugspannungsnachweis Der Hauptzugspannungsnachweis wird in den Mittelflächen der Stege und Gurte geführt. Er darf nur in ungerissenen Bereichen des Druckgurtes angewendet werden. Querschnitte mit nachträglich verpressten Rissen gelten in diesem Zusammenhang als gerissen. Der Nachweis wird im GZT unter den Bemessungswerten der Lasten geführt. Nachweisgleichung: ⇒ mit und dabei ist und Ermittlung der Längsdruckspannung Der Bereich der Druckzone in der unteren Kastenplatte wird von der Auflagerachse bis zum Momentennullpunkt in Abschnitte der Länge ∆x unterteilt. Die Spannung σ x,GA,Ed kann beispielsweise softwaregestützt aus den zugehörigen Dehnungsebenen infolge P mt und M Ed 10 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme: Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung an den Abschnittsgrenzen bestimmt werden (Bild 4). Die Druckspannung σ x.GA,Ed sollte über die Höhe der Gurtplattendicke h f am Anschnitt zum Steg gemittelt werden. Bild 4 Ermittlung der Spannungen im GZT im ungerissenen Druckgurt Gleichgewichtsbedingung am Abschnitt ∆x • (eine Querschnittshälfte) Ermittlung der Schubspannungen infolge Querkraft und Torsion Ermittlung der Schubspannungen Infolge Querkraft: Dicke des Gurtes im Anschnitt zum Steg Differenz der Längsdruckkraft bezogen auf b Breite des Gurtes zwischen den Stegen Infolge Torsion A k Kernfläche innerhalb der Mittellinien der effektiven Schubwanddicken (Bredtscher Satz) Das Bemessungsmodell mit dem Hauptzugspannungskriterium wurde anhand von Versuchsergebnissen validiert (Bild 5). Bild 5 Vergleich von numerisch und experimentell mit dem Bemessungsvorschlag ermittelten Erstrisslasten (aus [4]) (ii) Schubfester Gurtanschluss mit Anschlussbewehrung Der schubfeste Anschluss des Druckgurts erfolgt im Zustand II mit Betondruckstreben unter dem Winkel Ѳ f und die zugehörige Querbewehrung. Druckstrebenwinkel Ѳf Der gedrückte Bereich der unteren Kastenplatte von der Auflagerachse bis zum Momentennullpunkt wird in Abschnitte der Länge ∆x ≤ h/ 2 unterteilt. An den Abschnittsgrenzen werden die zugehörigen Dehnungsebenen bestimmt (Bild 4). Bestimmung des Druckstrebenwinkels im Abstand h von der Auflagerachse mittlere Längsspannung in (aus Dehnungsebenen) Bestimmung des Druckstrebenwinkels im Momentennullpunkt Dazwischen darf ein linear veränderlicher Verlauf für Ѳ f angenommen werden (Bild 6). Über die Abschnittslänge ∆x darf jeweils der konstante Mittelwert angesetzt werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 11 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme: Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung Bild 6 Verlauf des Winkels Ѳf über die Länge des Druckgurtanschlusses Nachweise (Schubfluss ) Tragfähigkeit der Querbewehrung Tragfähigkeit der Druckstreben Konstruktion Durch die Querbewehrung muss die Querzugkraft einwandfrei an dem Steg angeschlossen werden Bild 7 Druckeinleitung in die Platte 3. Querkraftbemessung von Fahrbahnplatten ohne Querkraftbewehrung Im Allgemeinen wird angestrebt, die Fahrbahnplatteohne Querkraftbewehrung auszuführen. Leider werden derzeit in der Praxis die Berechnungsverfahren dazu teilweise sehr uneinheitlich angewendet. Je nach dem kann es dazu kommen, dass die Fahrbahnplatte eine Querkraftbewehrung erfordert oder nicht, ohne dass man immer eindeutig sagen kann, das Berechnungsverfahren sei richtig oder falsch. Derzeit gilt für die Bemessung DIN EN 1992-2 mit zugehörigem NA. Bauteile ohne rechnerisch erforderliche Querkraftbewehrung sind in Kapitel 6.2.2 geregelt. Für die Bemessung gelten die Gleichungen (6.2a) und (6.2b) sowie (6.3a DE) und (6.3b DE). Nach aktuellem Stand der Normung gilt auch das NCI zu 6.2.1 (3), wonach auch bei Bauteilen ohne Querkraftbewehrung V ccd + V td zum Querkraftwiderstand addiert werden. Die Berücksichtigung dieser Traganteile führt in vielen Fällen dazu, dass zumindest in den gevouteten Bereichen keine Querkraftbewehrung erforderlich ist. Vom wissenschaftlichen Standpunkt gesehen besteht Einigkeit, dass die Gl. (6.2) für die Bemessung von Platten bei Querkraft infolge konzentrierter Einzellasten konservativ ist. Dagegen gehen die Meinungen über den berechtigten Ansatz von V ccd +V td auseinander. Im Rahmen mehrerer FE-Vorhaben mit theoretischen und experimentellen Untersuchungen konnte mittlerweile die Nachweisgleichung (6.2) in DIN EN 1992-2 für Fahrbahnplatten unter konzentrierten Einzellasten so angepasst werden, dass die tatsächlichen Traglasten zutreffender ermittelt werden können [5], [6]. Im Rahmen eines FE-Antrags der BASt [7] wurde eine Bauherrenregelung zur Bemessung von Fahrbahnplatten ohne Querkraftbewehrung erarbeitet, die aber derzeit noch nicht per ARS eingeführt wurde. Wie nachfolgend dargestellt, sieht diese eine deutliche Anhebung des empirisch angepassten Faktors vor. Die Querkraftbeanspruchungen v Ed in Fahrbahnplatten unter konzentrierten Einzellasten sind sinnvoll mit der Methode der finiten Elemente zu ermitteln. Auch hierzu enthält die künftige Bauherrenregelung entsprechende Vorgaben. Die Bemessung von Fahrbahnplatten bzw. des Tragsystems in Querrichtung erfolgt üblicherweise für die Lastfälle - Eigenlasten (G k1 ) - Ausbaulasten (G k2 ) - Quervorspannung (P k ) - Verkehrslasten (Q k ). Nachfolgend werden die Empfehlungen für ein alternatives Bemessungskonzept als Bauherrenregelung kurz vorgestellt. Die Empfehlungen betreffen sowohl die Modellierung des Strukturmodells, die Schnittgrößenermittlung auf der Beanspruchungsseite sowie den angepassten Bemessungsvorschlag auf der Widerstandsseite, bei dem bisher ungenutzte Tragreserven aktiviert werden. Die Regelungen sollen zu gegebener Zeit verbindlich vom BMVI eingeführt werden. Nachfolgend werden die Empfehlungen in kurzer Form dargestellt. Für weitere Details wird auf [7] verwiesen. Vorschlag für eine Bauherrenregelung zur Vereinheitlichung der Nachweise bei Querkraft für Fahrbahnplatten ohne Querkraftbewehrung: Modellierung des Tragsystems als FE-Modell - Die Querkraftbeanspruchung in Fahrbahnplatten wird mittels FEM auf Grundlage einer möglichst realitätsnahen Strukturmodellierung ermittelt - Elementgröße ≤ 20 cm 12 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme: Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung - Modellierung der Fahrbahnplatte einer Plattenbalken- oder Hohlkastenbrücke mit Schalenelementen - Kopplung der Knoten am Anschnitt zum Steg als starre Rahmenecke - Bei Durchlaufträgern darf für das Längssystem ein repräsentativer Ersatzeinfeldträger in Feldmitte betrachtet werden - Querdehnzahl 0,2 Bild 8 Gesamtsystem Bild 9 Systemausschnitt: Faltwerk mit 20 cm Elementen Bild 10 Kopplung zwischen Fahrbahnplatte und Steg im jeweiligen Anschnitt Beanspruchung ν Ed,FEM : - Berücksichtigung der Abminderung aufl agernaher Einzellasten gemäß DIN EN 1992-2, der abzumindernde Bereich bis 2,0d vom Anschnitt wird auf d Anschnitt bezogen - Keine Lastausbreitung bis zur Plattenmitte, d.h. Belastungsfl äche 40 cm x 40 cm - Bei üblichen Hohlkasten- und Plattenbalkenquerschnitten kann die maßgebende Laststellung für die Verkehrslasten vereinfachend im Abstand 2d Anschnitt vom jeweiligen Anschnitt bzw. im Abstand 1,0d Knick vom Knickpunkt am Ende der Voute angenommen werden - Die Nachweise werden im Abstand 1,0d Anschnitt vom Steg geführt. Dadurch werden numerisch bedingte Singularitäten im Bereich der direkten Lasteinleitung vermieden. - Bei gevouteten Platten wird der Bereich der dünnen Platte zwischen den Vouten zusätzlich im Knickpunkt nachgewiesen. Dabei steht die Radlast im Abstand 1,0d Knick vom Knickpunkt. - Die Ermittlung der Schnittgröße ν Ed,FEM erfolgt rechnergestützt mithilfe eines geeigneten FE-Programms mit dem Verkehrslastmodell gemäß DIN EN 1990 bzw. DIN EN 1991-2. Die Schnittgröße (Querkraft) ist im Bemessungsschnitt in der Lastachse abzulesen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 13 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme: Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung Bild 11 Darstellung der Nachweisschnitte 1 (1d außen), 2 (1d innen) und 3 (Knickpunkt) Bild 12 Maßgebende Laststellung im Schnitt 1 bei üblichen Kragarmen ( ) Bild 13 Maßgebende Laststellung im Schnitt 1 bei langen Kragarmen ( ) Bild 14 Maßgebende Laststellung im Schnitt 2 ( ) Bild 15 Maßgebende Laststellung im Schnitt 3 ( ) Nachweisformat: Es ist sicherzustellen, dass die einwirkende Querkraft den Tragwiderstand ν Rd,c nicht überschreitet: Bemessungswert der Querkrafttragfähigkeit ν Rd,c : Der Nachweis ist im Abstand d von den Rändern der Radlast (Blocklast) zu führen. Bei gevouteten Trägern ist dabei die statische Nutzhöhe d am Längsträgeranschnitt maßgebend. Alternativ zu (Gleichung (6.2a) in DIN EN 1992-2 darf v Rd,c bei Anwendung des o.g. Vorgehens zur Ermittlung der Einwirkung v Ed wie folgt ermittelt werden. mit C* Rd,c = (0,225/ / g c )=0,15; f ck = charakt. Betonfestigkeit [N/ mm²] k = 1 + ≤ 2,0 mit d [mm]; r l = A sl / (b w d) ≤ 0,02; d = statische Nutzhöhe A sl = die Fläche der anrechenbaren Zugbewehrung, die mindestens (l bd + d) über den betrachteten Querschnitt hinausgeführt wird (s. Bild 6.3 in EC 2/ NA(D)) σ cp = N Ed / A c < 0,2f cd [N/ mm²]; N Ed die Normalkraft im Querschnitt infolge Vorspannung (N Ed > 0 für Druck. A c die Betonquerschnittsfl äche [mm²]; 14 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweisverfahren für einige Schubprobleme: Torsionslängsbewehrung, schubfester Druckgurtanschluss, Querkraftbemessung v min = (0,0525 / g c ) k 3/ 2 ·f ck 1/ 2 für d ≤ 600 mm v Rd,c in [kN/ m]; Mit dem Faktor C*Rd,c darf nur der Querkraftwiderstand für vorwiegend durch konzentrierte Einzellasten (LM1) beanspruchte Fahrbahnplatten ermittelt werden (nicht z.B. bei Wildbrücken). Was den Ansatz von Vccd bei gevouteten Platten betrifft, so gehen die Meinungen noch weit auseinander. Daher besteht hier weiter dringender Forschungsbedarf. Vorerst gilt: NCI zu 6.2.1(3) nach DIN EN 1992-2 entfällt bei Anwendung von C*Rd,c = 0,15. Es sei darauf hingewiesen, dass der erhöhte Vorfaktor C* Rd,c nur für den Querkraftnachweis im Abstand 1,0d vom Rand der Lastplatte gilt, da er entsprechend kalibriert wurde. 4. Literatur [1] Herbrand, M.; Hegger, J.: Beurteilung der Querkrafttragfähigkeit von Brücken im Bestand - erweiterte Bemessungsansätze, TAE Tagungsband, 3 Brückenkolloquium, 2018 [2] Maurer, R.; Gleich, P.; Stuppak, E.: Neue Erkenntnisse aus Versuchen mit Durchlaufträgern aus Spannbeton zum Tragverhalten bei Querkraft und Torsion, TAE Tagungsband, 3 Brückenkolloquium, 2018 [3] Maurer, R.; Stakalies, E.: Versuche und Bemessungsvorschlag zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung, Bauingenieur 95 (2020), Heft 1 [4] Müller, M.: Zum schubfesten Anschluss von Druckgurten in Hohlkastenbrücken, Dissertation, TU Dortmund, 2016 [5] Rombach, G.; Latte, S.; Steffens, R.: Querkrafttragfähigkeit von Fahrbahnplatten ohne Querkraftbewehrung, Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 1011, 2009 [6] Hegger, J.; Reissen, K.: Querkrafttragfähigkeit von einachsig gespannten Stahlbetonplatten unter Einzellasten. Versuchsdokumentation zum Forschungsvorhaben der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit DFG-GZ: HE 2637/ 22-1, Institutsbericht Nr. 380/ 2016, Aachen, 2016 [7] Maurer, R.; Hegger, J.; Rombach, G.; Zilch, K.: Querkraftbemessung von Brückenfahrbahnplatten - Erarbeitung einer einheitlichen Vorgehensweise zur Ermittlung der erforderlichen Querschnittsabmessungen von Fahrbahnplatten ohne Querkraftbewehrung, Schlussbericht zum Forschungsvorhaben FE 15.0639/ 2017/ FRB, BASt, 2019 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 15 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem Josef Hegger Institut für Massivbau, RWTH Aachen, Deutschland Zusammenfassung Die Altersstruktur des Brückenbestands der Bundesfernstraßen in Deutschland ist der wesentliche Grund für allgemein schlechten Gesamtzustand zahlreicher Brückenbauwerke. Neben alterungsbedingten Schäden spielen dabei die erhebliche Steigerung des Güterverkehrs und die mehrfache Weiterentwicklung der Normen während der vergangenen Jahrzehnte eine maßgebende Rolle. Dadurch ergeben sich häufi g rechnerische Defi zite. Genauere Nachweisformate können unter Umständen Abhilfe schaffen. Diese sind in der Nachrechnungsrichtlinie geregelt, die 2011 erschienen und 2015 erstmals erweitert wurde. Grundlage für die verfeinerten Bemessungsansätze sind im Wesentlichen Ergebnisse aus Forschungsvorhaben der vergangenen ca. 10 Jahre. Seit der ersten Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie wurden weitere Erkenntnisse hinsichtlich der Tragverhaltens von Spannbetonbrücken mit bestandstypischen Merkmalen gewonnen. Diese bilden die Grundlage für die 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie. Ein Teil der darin adressierten Neuerungen wurden im vorangegangenen Beitrag vorgestellt. Im Folgenden werden die Erweiterungen bezogen auf den Querkraftnachweis des Hauptragsystems betrachtet. 1. Einleitung Der Großteil des Brückenbestands der Bundesfernstraßen in Deutschland wurde vor 1985 gebaut [1]. Infolge von Verkehrssteigerungen [2] und strengeren normativen Anforderungen ergeben sich häufi g rechnerische Defi zite [3; 4]. Da ein wesentlicher Anteil der Brücken im Zuge der deutschen Bundesfernstraßen in Massivbauweise realisiert wurde [5], ergibt sich für Stahl- und Spannbetonbrücken ein nennenswerter Bedarf nach Lösungen, um den altersstrukturbedingten Defi ziten der Ingenieurbauwerke entgegenzuwirken. Zur Verlängerung der verbleibenden Nutzungsdauer der Bestandbrücken mit rechnerischen Mängeln können verfeinerte Bemessungsansätze Abhilfe schaffen, die höhere rechnerische Tragfähigkeiten ergeben. Diese sind in der Nachrechnungsrichtlinie geregelt [6; 7]. Die auf den Regelungen in den DIN Fachberichten basierende Nachrechnungsrichtlinie ist erstmals 2011 erschienen. Hintergründe sind z. B. in [8-10] zu fi nden. Die Nachrechnungsrichtlinie beinhaltet ein vierstufi ges Verfahren, wie in Abbildung 1 dargestellt, wobei in der Regel mit aufsteigender Nachrechnungsstufe einerseits die Genauigkeit der Berechnungsverfahren zunimmt, sich andererseits aber auch ein höherer Anwendungsaufwand ergibt. In Stufe 2 sind erweiterte Bemessungsansätze und in Stufe 4 alternative wissenschaftlich basierte Berechnungsverfahren zugelassen. So sind u.a. Modifi kationen in der Querkraft- und Torsionsbemessung bei Bestandsbrücken in Massivbauweise erlaubt, die in alten Normengeneration festgeschrieben waren (DIN 4227 vor 2003). Die Anwendung wissenschaftlicher Verfahren in Stufe 4 erfordert die Abstimmung mit der zuständigen obersten Baubehörde. Hierzu sind entsprechende Erfahrungen beim Anwender erforderlich. Weiterhin ist sicherzustellen, dass die verfahrensspezifi schen Anwendungsgrenzen eingehalten werden können und das erreichbare Sicherheitsniveau sinnvoll ermittelt werden kann. Abbildung 1 Vierstufi ges Verfahren der Nachrechnungsrichtlinie zur Bewertung der Standsicherheit von Brückenbauwerken im Bundesbestand In einem Forschungsvorhaben [11-13] wurden u.a. aufgrund mangelnder einheitlicher Vorschriften kurzfristige Lösungen zur Modifi kation bestehender Bemessungsansätze auf Grundlage bisher durchgeführter Forschungsvorhaben und gesammelter Erfahrungen im Zuge von Nachrechnungen und Gutachten zur Bewertung von 16 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem Bestandsbrücken erarbeitet, um auch Modifikationen zuzulassen, die bis dahin nur Anwendung in Gutachten fanden. Die Ergebnisse waren die Grundlage für die erste Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie [7]. Dadurch wurde auch wieder ermöglicht, die Betonzugfestigkeit bei der Bemessung in Ansatz zu bringen. In einem weiteren Forschungsprojekt [14] konnte anhand durchgeführter Versuche gezeigt werden, dass das erweiterte Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil, wie es bereits im Model Code 2010 [15] für Bestandstragwerke vorgesehen ist, die Querkrafttragfähigkeiten von Spannbetonträgern mit geringem Bügelbewehrungsgrad wirtschaftlicher abbilden kann als aktuelle Ansätze auf Basis eines reinen Fachwerkmodells. Außerdem wurden basierend auf weiteren Versuchen Konstruktionsregeln formuliert, um nach heutigem Stand nicht normkonforme Bügelformen in Bestandsbrücken bei der Querkraftbemessung in Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie anzurechnen [16]. Diese Forschungsergebnisse sowie weitere, im vorangegangenen Beitrag [17] vorgestellte Erkenntnisse aus neuesten Forschungsvorhaben bilden die Grundlage für die Regelungen in der 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie. Nachfolgend werden die bisherigen Regelungen für die Querkrafttragfähigkeit des Längssystem nach aktueller Normung sowie den Regelungen der Nachrechnungsrichtlinie und ihrer 1. Ergänzung zusammengefasst und die Erweiterungen für die 2. Ergänzung vorgestellt. 2. Querkraftbemessung nach DIN FB und EC2 2.1 Allgemeines Nach aktuellen normativen Vorgaben wird bei der Querkraftbemessung zwischen Bauteilen mit und ohne Querkraftbewehrung unterschieden. Dabei weisen balkenförmige Bauteile stets eine Mindestquerkraftbewehrung auf, während Stahlbetonplatten auch ohne Querkraftbewehrung zulässig sind. Zudem ist bei Platten in Ortbetonbauweise eine Ausführung ohne Querkraftbewehrung aus baupraktischer Sicht vorzuziehen, um den hohen Aufwand bei deren Einbau zu vermeiden. 2.2 Bauteile ohne Querkraftbewehrung 2.2.1 Schubzugversagen Für einen ungerissenen Betonquerschnitt können die Hauptspannungen nach der technischen Mechanik unter Annahme eines ebenen Spannungszustandes und linear-elastischer Materialgesetze bestimmt werden. Ein Versagen des Querschnitts tritt nicht ein, wenn die Hauptdruckspannungen die zulässige Betondruckfestigkeit und die Hauptzugspannungen die zulässige Betonzugfestigkeit nicht überschreiten. Ein Schubzugversagen tritt dann ein, wenn die schiefen Hauptzugspannungen die Betonzugfestigkeit vor der Biegerissbildung überschreiten, d. h., Schubrisse treten vor der Biegerissbildung auf. Dies kann insbesondere bei profilierten Bauteilen mit Vorspannung oder äußeren Drucknormalkräften der Fall sein. 2.2.2 Biegeschubversagen Der aktuelle Bemessungsansatz für Querkraft ohne Querkraftbewehrung nach EC 2 basiert auf dem Ansatz aus Model Code 1990 [18], der auf empirische Untersuchungen aus den 60er Jahren zurückgeht [19]. Anhand von knapp 200 Querkraftversuchen und theoretischen Vorüberlegungen zu potentiellen Einflussgrößen wurde über Regressionsanalysen einen Produktansatz für schlanke Bauteile hergeleitet, der aufgrund nachträglicher nach Auswertungen weiterer Versuche an gedrungenen Bauteilen leicht modifiziert wurde [20]. Bei der Überführung in MC 90 wurde ein Faktor zur Berücksichtigung des Maßstabseffekts ergänzt, der bis heute Anwendung findet. Dieser Ansatz wurde später ohne wesentliche Änderungen, abgesehen von der Vernachlässigung des Parameters für die Schubschlankheit, in den EC 2 übernommen. 2.3 Bauteile mit Querkraftbewehrung Dem Querkraftbemessungsansatz für Bauteile mit Querkraftbewehrung nach EC2 ohne den Nationalen Anhang für Deutschland liegt ein Fachwerkmodell mit variabler Druckstrebenneigung zugrunde. Dabei kann der Druckstrebenwinkel innerhalb vorgegebener Grenzen frei gewählt werden. Das Fachwerkmodell mit variabler Druckstrebenneigung basiert auf der Plastizitätstheorie. Im Gegensatz hierzu erfolgt nach Nationalem Anwendungsdokument für Deutschland die Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen mit rechnerisch erforderlicher Querkraftbewehrung auf Basis eines Fachwerkmodells mit Rissreibung [21], wie Abbildung 2 zeigt. Dabei besteht das Fachwerk aus Zug- und Druckgurten, die parallel zu den Bauteilkanten verlaufen und durch Zug- und Druckstreben miteinander verbunden sind. Über die Schubrisse im Winkel β r hinweg können in diesem Modell zusätzliche Kräfte aus Rissreibung übertragen werden, sodass sich flachere Druckstrebenwinkel ergeben. Der von der Querkraft- und Normalkraftauslastung abhängige Druckstrebenwinkel θ ist so definiert, dass sich ein konstanter Betontraganteil ergibt. Hierbei muss der Druckstrebenwinkel mindestens eine Neigung von etwa 30° (cot θ = 7/ 4) aufweisen und darf nicht steiler als ca. 60° (cot θ = 4/ 7) angenommen werden. Aufgrund des unterschiedlichen Rissverhaltens von Bauteilen ohne und mit Querkraftbewehrung entspricht der Betontraganteil beim Nachweis für Bauteile mit Querkraftbewehrung nicht der Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 17 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem Abbildung 2: Einfl uss der Rissreibung auf den Druckstrebenwinkel bei einem querkraftbewehrten Stahlbetonbalken nach [21]: a) Darstellung der Kräfte an entlang des Schubrisses abgetrennten Träger; b)-d): Spannungszustände im Beton und zw. den Rissen Der Nachweis der Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen mit Querkraftbewehrung umfasst sowohl den Nachweis der Druckstrebentragfähigkeit als auch den Nachweis der Zugstreben. Bei Bauteilen mit niedrigen Querkraftbewehrungsgraden tritt überwiegend ein Versagen der Zugstreben ein, da die Druckstrebentragfähigkeit aufgrund der Mindestwerte der Druckstrebenneigung nicht voll ausgenutzt wird. Weitergehende experimentelle Untersuchungen ergaben, dass nach dem teilweisen Ausfall der Rissreibung Umlagerungen auf andere Traganteile stattfi nden, sodass die aus dem Fachwerkmodell mit Rissreibung errechnete Traglast insbesondere bei Bauteilen mit geringen Schubbewehrungsgraden die tatsächliche Bruchlast unterschätzt [22; 23]. 3. Zusätzliche Regelungen in der Nachrechnungsrichtlinie für Querkraft 3.1 Anpassung des Druckstrebenwinkels für das modifi ziertes Fachwerkmodell mit Rissreibung In DIN FB 102 bzw. gemäß Nationalem Anhang für Deutschland zu EC2 ergibt sich eine Beschränkung der Druckstrebenneigungen durch ein Rissreibungskriterium. Zusätzlich gilt cot θ = 1,75 als unterer Grenzwert für den Druckstrebenwinkel für den Brückenneubau. Bei Brückennachrechnungen nach Stufe 2 darf der minimal zulässige Druckstrebenwinkel unter bestimmten Voraussetzungen auch auf 21,8° (cot θ = 2,5), bzw. 18,4° (cot θ = 3,0) verringert werden. Auf Basis aktueller Erfahrungswerte aus der Nachrechnung von Spannbetonbrücken mit geringen Querkraftbewehrungsgraden ist jedoch bekannt, dass eine Verringerung des zulässigen Druckstrebenwinkels θ infolge der zusätzlichen Begrenzung durch das Rissreibungskriterium in der Regel nicht möglich ist und es ergibt sich nur eine geringe Steigerung der Querkrafttragfähigkeit. 3.2 Hauptzugspannungsnachweis Für die Ergänzung [7] der Nachrechnungsrichtlinie aus 2011 [6] wurde zur Vereinfachung der Nachweisführung vorgeschlagen, den Querkraftnachweis als Hauptzugspannungsnachweis zu führen [11-13]. Für eine im Grenzzustand der Tragfähigkeit berechnete Schnittgrößenkombination kann so die Berechnung der Hauptzugspannungen in einem Nachweisschnitt jeweils in verschiedenen Abschnitten entlang der Querschnittshöhe erfolgen. Die maximalen Werte der Hauptzugspannung σ I,Ed können für verschiedene Leiteinwirkungen der Schnittgrößen (N Ed , M Ed , V Ed , T Ed ) auftreten. Hierbei sind die zu den jeweiligen Leiteinwirkungen zugehörigen Schnittgrößen zu verwenden. Die zusätzlichen Festlegungen beruhen auf Untersuchungen in [24; 25]. So wurden die zulässigen Randzugspannungen im Grenzzustand der Tragfähigkeit auf f ctm für den Fall erhöht, dass innerhalb der Flansche Zugspannungen infolge der Biegebeanspruchung des Längssystems auftreten. Für Spannbetonbauteile mit einem vorhandenen Querkraftbewehrungsgrad von mindestens etwa 50 % der nach DIN FB 102 erforderlichen Mindestquerkraftbewehrung ist nach den Bauteilversuchen kein sprödes Versagen zu erwarten. Da die Spannbetonträger mit zunehmender Vorspannung weniger duktil versagen, wird auf Basis der Untersuchungen für Bauteile, die mindestens über die nach DIN FB 102 erforderliche Mindestquerkraftbewehrung verfügen, eine Begrenzung der Beton Betondruckspannungen infolge Vorspannung in Höhe der Schwerachse auf σ cp ≤ 0,20 ∙ f ck empfohlen. Für Bauteile, bei denen der Querkraftbewehrungsgrad das 0,5-fache der nach DIN FB 102 erforderlichen Mindestquerkraftbewehrung unterschreitet, sind die Betondruckspannungen σ cp in Höhe der Schwereachse auf einen Maximalwert entsprechend 15 % der charakteristischen Betondruckfestigkeit zu begrenzen (0,15 ∙ f ck ). Die zulässigen Betondruckspannungen dürfen für Querkraftbewehrungsgrade zwischen dem 0,5 und 1,0-fachen der Mindestquerkraftbewehrung linear interpoliert werden. Für Bauteile, in denen weniger als das 0,5-fache der Mindestquerkraftbewehrung enthalten ist, wurde eine Begrenzung der zulässigen Hauptzugspannungen beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit auf 0,8·f ctd vorgeschlagen. Außerdem wurde hier ein Abminderungsbeiwert für die Betonzugfestigkeit von α ct = 0,85 eingeführt, um der Gefahr spröden Bruchverhaltens bei geringen 18 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem Querkraftbewehrungsgraden vorzubeugen. Für Bauteile, die mindestens einen 0,5-fachen Mindestquerkraftbewehrungsgrad aufweisen, darf dagegen ein gegenüber EC 2 erhöhter Beiwert von α ct = 1,0 verwendet werden, da nach Versuchen noch ausreichende Tragreserven nach der Schubrissbildung existieren [26]. 4. Erweiterte Querkraftnachweise für die 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie 4.1 Allgemeines Zur Bewertung älterer Brücken mit z.B. nach heutiger Definition unzureichender Mindestquerkraftbewehrung sind erweiterte Bemessungsmodelle erforderlich, die gegenüber der 1. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie für Stufe 2 eine flachere Druckstrebenneigung erlauben. Zur Klärung offener Fragen, wurden in einem weiteren Forschungsprojekt ergänzende experimentelle und theoretische Untersuchungen durchgeführt [14]. Hierfür wurden unter anderem Versuche an elf großformatigen Spannbetondurchlaufträgern [27-29] und elf kurzen Spannbetonträgerausschnitten (Substrukturversuche, [30]) durchgeführt, um das Tragverhalten von Durchlaufsystemen unter Querkraftbeanspruchung und teilweise zusätzlicher Torsion zu untersuchen. Dabei konnte u.a. festgestellt werden, dass sich bereits bei kleinen Querkraftbewehrungsgraden ( ρ w,vorh < ρ w,min ) deutlich höhere Querkrafttragfähigkeiten ergeben als rechnerisch über das Fachwerkmodell ermittelt werden. Dies konnte auch durch die Ergebnisse anderer Untersuchungen bestätigt werden [31-33]. Daher wurde ein erweitertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil hergeleitet, das die Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonträgern mit geringem Bügelbewehrungsgrad wirtschaftlicher abbilden kann als aktuelle Ansätze mit reinem Fachwerkmodell [34]. Weiterhin wurde ein Ansatz zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung formuliert [14]. Zudem wurden Möglichkeiten zur rechnerischen Anwendbarkeit von heute nicht mehr zulässigen Bügelformen in Bestandsbrücken vorgeschlagen [30]. 4.2 Erweitertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil Bereits bei den ersten Überlegungen, die Querkrafttragfähigkeit über ein Fachwerkmodell abzubilden, wurde bereits davon ausgegangen, dass nicht allein die Bügel die einwirkenden Querkräfte aufnehmen, sondern ein zusätzlicher Betontraganteil existiert [35]. Die Addition eines Betontraganteils, der dem Anteil eines unbewehrten Bauteils entspricht, war bereits in den Regeln von Model Code 1978 [36] enthalten. Auch in Model Code 2010 [15] wird als Ansatz für die Nachrechnung bestehender Tragwerke in LoA III (Level of Approximation) ein additiver Betontraganteil aufgeführt. Versuchskörper mit geringen Querkraftbewehrungsgraden wiesen beim Versagen einen einzelnen und konzentrierten Schubrisses auf und keine gleichmäßig verteilten Schubrisse wie bei Bauteilen mit höheren Schubbewehrungsgraden. Zudem verläuft dieser Schubriss nicht gerade, sondern gekrümmt (z. B. [37; 38]). Dies ist ein typisches Merkmal für das Querkraftversagen von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung. Versuche an Spannbetonträgern zeigen, dass eine Berücksichtigung der veränderlichen Druckzonenhöhe bei Ermittlung der Querkrafttragfähigkeiten zutreffendere Ergebnisse liefert (z. B. [26; 39; 40]). Diese und andere Beobachtungen aus experimentellen Untersuchungen [41; 42] belegen, dass ein kontinuierlicher Übergang des Tragverhaltens von Trägern ohne zu Trägern mit geringer Querkraftbewehrung existiert. In Anlehnung an die Regelungen in DIN FB [43] wurde daher ein empirisches Modell für den additiven Betontraganteil vorgeschlagen [14] und der bisherige Ansatz nach Gl. 6.2a aus dem DIB FB 102 übernommen. Der Berechnungsablauf für Bauteile mit geringen Querkraftbewehrungsgraden entsprechend en Gln. (1) bis (7) ermöglicht einen rechnerischen Übergang von Bauteilen ohne zu Bauteilen mit Querkraftbewehrung im Zuge der Querkraftbemessung von Bestandsbrücken. Details zu den Hintergründen und den zugrundeliegenden experimentellen Untersuchungen, die an der RWTH Aachen durchgeführt wurden, können bspw. [14; 27; 29] oder einem weiteren Beitrag dieses Kolloquiums [44] entnommen werden. (1) Dabei ist ein Duktilitätskoeffizient und ρ w,prov der vorhandener Querkraftbewehrungsgrad und ρ w,min der Mindestwert für den Querkraftbewehrungsgrad nach DIN-FB 102. Der Bemessungswert der Querkrafttragfähigkeit V Rd,ct biegebewehrter Bauteile ohne Querkraftbewehrung ist wie folgt zu ermitteln: (2) Wobei mit der Mindest- und mit der Höchstwert für den Betontraganteile zu überprüfen sind. Entsprechend der Regelungen in DIN FB 102 ergeben sich die nachfolgend aufgelisteten Werte für die einzelnen Parameter: - γ c : Teilsicherheitsbeiwert für bewehrten Beton nach DIN FB 102, II 2.3.3.2 γ c = 1,5; - Maßstabsfaktor ; d in [mm]; 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 19 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem - Längsbewehrungsgrad - Fläche der Zugbewehrung A sl , die mindestens um das Maß d über den betrachteten Querschnitt hinausgeführt und dort wirksam verankert ist (siehe DIN FB 102, Abb. 4.12). Bei Vorspannung mit sofortigem Verbund darf die Spannstahlfl äche voll auf A sl angerechnet werden.; - charakteristischer Wert der Betondruckfestigkeit f ck in [N/ mm²]; - Bemessungswert der Betonlängsspannung im Schwerpunkt des Querschnitts ; - Bemessungswert der Längskraft im Querschnitt infolge äußerer Einwirkungen oder Vorspannung N Ed (< 0 für Längsdruckkräfte); - kleinste Querschnittbreite innerhalb der Zugzone des Querschnitts b w ; - statische Nutzhöhe der Biegezugbewehrung d im betrachteten Bemessungsschnitt; - v min = (0,0525/ γ c ) ∙ k 3/ 2 ∙ f ck 1/ 2 für d ≤ 600 mm bzw. v min = (0,0375/ γ c ) ∙ k 3/ 2 ∙ f ck 1/ 2 für d > 800 mm wobei Zwischenwerte linear interpoliert werden dürfen. Der Beiwert ν für die aufnehmbare Druckspannung des gerissenen Betons ergibt sich zu (3) und der rechnerische Schubrisswinkel β r darf in den nachfolgend angegebenen Grenzen gewählt werden: (4) Die Druckstrebentragfähigkeit für eine Querkraftbewehrung rechtwinklig zur Bauteilachse ergibt sich zu (5) mit einem rechnerischen Druckstrebenwinkel von: (6) Der mechanische Querkraftbewehrungsgrad ergibt sich dabei zu: (7) Eine Veranschaulichung der Auswirkungen verschiedener Druckstrebenneigungen ist über eine Darstellung im Plastizitätskreis möglich, wie Abbildung 3 zeigt. Abbildung 3: Plastizitätskreis mit (1) Begrenzung des Druckstrebenwinkels θ auf cotθ = 2,5 und (2) / (3) Fachwerkmodelle mit Betontraganteil nach [14] Die in schwarz dargestellten Linien zeigen das Fachwerkmodell für verschiedene Druckstrebenwinkelneigungen. Für cot θ = 2,5 ergibt sich Linie (1). Die rot dargestellten Linien (2) und (3) zeigen Möglichkeiten für das Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil für unterschiedliche Winkel β r . Da rechnerisch Wertebereiche außerhalb des Plastizitätskreises möglich sind, wird cot β r entsprechend Gl. (8) begrenzt, Linie (3). Weitergehende Hintergrundinformationen können [14; 34] entnommen werden. (8 20 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem In Abbildung 4 werden die Ergebnisse einer in [11] beschriebenen Beispielbemessung für verschiedene Querkraftbemessungsansätze mit dem hier vorgestellten Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil für die 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie gegenübergestellt. Dazu wird der Quotient aus der einwirkenden Querkraft V Ed und der Querkrafttragfähigkeit entsprechend dem betrachteten Widerstandsmodell V Rd gebildet. Mit dem erweiterten Modell für Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie für die zweite Ergänzung ergibt sich eine höhere rechnerische Querkrafttragfähigkeit im Vergleich zu den anderen Ansätzen der Stufe 2. Auch wenn sich weiterhin ein konservativerer Ausnutzungsgrad als nach den wissenschaftlichen Modellen in Stufe 4 ergibt, ist dennoch der Vorteil des Fachwerkmodells mit additivem Betontraganteil für diese Beispielberechnung deutlich erkennbar. Im Zuge eines aktuellen Forschungsvorhabens [45] erfolgt derzeit die Validierung des Modells anhand weiterer realer Brückenbauwerke als Erweiterung zu den bislang durchgeführten Verifi zierungen über Versuchsergebnisse. Abbildung 4: Gegenüberstellung einer Beispielberechnung aus [11] mit dem Ergebnis nach dem vorgestellten Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil 4.3 Anrechnung nicht mehr normkonformer Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit Da viele bestehende Massivbrücken Bügel als Querkraftbewehrungselemente aufweisen, die nicht mehr den heutigen normativen Regelungen entsprechen, bestand die Frage, inwiefern solche Bügel im Zuge einer Brückennachrechnungen auf die Querkrafttragfähigkeit der Hauptträger angerechnet werden können. Dazu wurden im Zuge des abgeschlossenen Forschungsvorhabens [14] an der TU München Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgerausschnitten durchgeführt, die einerseits geringe Querkraftbewehrungsgrade und andererseits verschiedene typische Bügelformen älterer Brücken aufwiesen [30]. Aus den Ergebnissen wurden Regelungen für die rechnerische Berücksichtigung bei der Zugstrebentragfähigkeit des Fachwerkmodells für die fünf in Abbildung 5 dargestellten Bügelformen abgeleitet. Die Regelungen werden Eingang fi nden in die 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie und sind anwendbar für Bauteile, die höchstens den 1,5-fachen Werte der Mindestquerkraftbewehrung nach DIN FB 102 [43] aufweisen. Dabei ergibt sich die Querkrafttragfähigkeit der vorhandenen Querkraftbewehrung zu (9) wobei V Rd,sy der Querkrafttragfähigkeit der Querkraftbewehrung nach DIN FB 102 entsprechend Gl. (10) (10) und V Rd,sy,ad der zusätzlichen Querkrafttragfähigkeit nicht DIN-Fachbericht konformer Querkraftbewehrungsformen nach Gl. (11) entspricht. (11) Dabei ist A sw die Querschnittsfl äche der Bügel, s w der Achsabstand in Brückenquerrichtung und die Neigung des Schubrisses cot β r ergibt sich nach Gl. (4). Mit dem Wert k l,b in Gl. (11) wir die Wirksamkeit der verschiedenen Bügelformen in Abhängigkeit der effektiven Verankerung. Entsprechend der Angaben in Abbildung 5 ergeben sich für die fünf Fälle nicht normkonformer Bügelformen die nachfolgenden Regelungen: - Fall 1: Für U-förmige Bügel mit voller Verankerung der geraden Stabenden im Gurt ergibt sich keine Reduzierung. Es gilt daher k l,b = z. - Fall 2: Für U-förmige Bügel, deren Verankerung der geraden Stabenden im Steg erfolgt, ergibt sich eine Reduzierung der Wirksamkeit der Stecker um das Maß der erforderlichen Verankerungslänge zu k l,b = z - l b,Bü,net . - Fall 3: Für U-förmige Bügel mit teilweiser Verankerung im Gurt ergibt sich eine Reduzierung der Wirksamkeit der Stecker um das Maß des Anteils der Verankerungslänge im Steg zu k l,b = z - (l b,Bü,net - l f ). - Fall 4: Für U-förmige Bügel, die nur teilweise in den Steg ragen, ergibt sich eine Reduzierung der Wirksamkeit der Stecker, sodass die Bügelhöhe h Bü abzüglich der erforderlichen Verankerungslänge angerechnet werden kann. Damit ist k l,b = h Bü - l b,Bü,net . - Fall 5: Für übergreifende U-förmige Bügel mit zu kurzer Veranerungslänge ergibt sich eine Reduzierung der Wirksamkeit der zusammengesetzten Bü- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 21 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem gel um das Maß der fehlenden Übergreifungslänge k l,b = z - (l 0,Bü - l 0,Bü,prov ). Dabei ist l b,Bü,net die Verankerungslänge der geraden Stabenden des Bügels, l f die Einbindetiefe der geraden Stabenden im Gurt, l 0,Bü die erforderliche Übergreifungslänge der geraden Stabenden des Steckers nach Gl. (12) und l 0,Bü,prov die vorhandene Übergreifungslänge der geraden Stabenden. Die erforderliche Übergreifungslänge ergibt sich zu (12) wobei l b,rqd der Verankerungslänge des Betonstahls nach DIN FB 102 in Abhängigkeit der Betonfestigkeitsklasse und der Verbundbedingungen entspricht und sich α 1 als Beiwert für die Übergreifungslänge nach Tab. 5.5 in DIN FB 102 [43] II-5.2.4.1.3 (2)*P ergibt. Abbildung 5: Übersicht über die anrechenbaren Einfl usslängen der Querkraftbewehrung für die verschiedenen in der 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie adressierten Fälle nicht mehr normkonformer Bügelformen, Prinzipskizzen nach [14; 46] Es ist zu beachten, dass bei einer kombinierten Beanspruchung aus Querkraft und Torsion einseitig offene Bügel mit geraden Stabenden, die außerhalb eines Gurtes verankert sind (Fall 2 nach Abbildung 5 und Träger mit Rechteckquerschnitt) sowie einseitig offene Steckbügel, die nicht über die gesamte Querschnittshöhe reichen (Fall 4 nach Abbildung 5), nicht als Torsionsbügelbewehrung angerechnet werden dürfen. Einseitig offene Bügel (mit Endhaken oder geraden Stabenden), die vollständig im Gurt verankert und durch eine Querbewehrung im Gurt geschlossen sind, dürfen nach dem Vorschlag für die zweite Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie vollständig als Torsionsbügelbewehrung angerechnet werden. Erfolgt die Verankerung der Stabenden nur teilweise im Gurt (Fall 3 nach Abbildung 5), ist der Bemessungswert T Rd,Sy des aufnehmbaren Torsionsmomentes durch die Torsionsbügelbewehrung abzumindern. Details werden in der 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie geregelt. Die Hintergründe zu den vorgestellten Bemessungsvorschlägen sowie Details zu den Versuchen, die im Vorfeld durchgeführt wurden, sind [14; 30; 46; 47] zu entnehmen. 22 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem 5. Zusammenfassung Zahlreiche Bestandsbrücken sind für das Lastmodell SLW60 (DIN 1072) bemessen, was hinsichtlich der gestiegenen Anforderungen eine Unterbemessung darstellt. Bei einem Nachweis der betroffenen Brücken nach DIN EN 1992-2 ergibt sich im Vergleich zur vorhandenen eine deutlich höhere erforderliche Querkraftbewehrung. Die Nachrechnungsrichtlinie erlaubt eine Reihe von Modifikationen der Querkraft- und Torsionsnachweise in Stufe 2, die teilweise in den alten Normengenerationen (DIN 4227 vor 2003) üblich waren. Weitergehende Nachweisverfahren, die im Rahmen von Gutachten der Stufe 4 angewendet werden, sind in der Nachrechnungsrichtlinie (NRR) für die allgemeine Anwendung in Stufe 2 nach wie vor ausgeschlossen. Im von der Bundesanstalt für Straßenwesen geförderten Forschungsvorhaben (FE 15.0591/ 2012/ FRB) [14] sollten daher verschiedene weitergehende Bemessungsansätze zur Nachrechnung von Brücken unter Querkraft- und Torsionsbeanspruchung hergeleitet und validiert werden. Die Ergebnisse bilden die Grundlage für die zweite Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie. Im vorliegenden Beitrag wurden die Erweiterungen der Nachrechnungsrichtlinie für die Querkrafttragfähigkeit des Längssystems von Bestandsbrücken in Massivbauweise vorgestellt. Die Ergebnisse wurden auf Basis theoretischer und experimenteller Untersuchungen im Zuge neuerer Forschungsvorhaben erarbeitet. Der erweiterte Ansatz besteht aus einem Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil und es werden Regelungen zur Anrechenbarkeit nicht normkonformer Bügelformen ergänzt. Beide Vorschläge adressieren Brücken mit geringen Bügelbewehrungsgraden, sodass sich ein stetiger Übergang von Bauteilen ohne zu Bauteilen mit Querkraftbewehrung ergibt. 6. Zukünftige Untersuchungen Über die hier vorgestellten verfeinerten Bemessungsansätze hinaus besitzen Spannbetonbrücken im Bestand weitere nicht unerhebliche Tragreserven unter Querkraft- und Torsionsbeanspruchung. Hauptgründe für die vorhandenen Tragreserven sind zum einen die günstigen Einflüsse aus dem statischen System des Durchlaufträgers (geringere Schubschlankheit im Vergleich zum Einfeldträger), der Vorspannung (spätere Schubrissbildung) und der Belastungsart (Streckenlasten anstelle von Einzellasten in fast allen Versuchen). Alle drei Faktoren reduzieren die effektive Schubschlankheit und vergrößern die Querkrafttragfähigkeit. Zum anderen wird die Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen mit geringen Querkraftbewehrungsgraden (0,5bis 1,5-fache Mindestbewehrung) maßgeblich durch den Betontraganteil gesteuert. Auch die erweiterten Ansätze der Stufe 2 erfassen die gleichzeitige Wirkung von Beton- und Fachwerkanteil noch nicht im ausreichenden Maß. Der Betontraganteil ist dabei abhängig von der Querschnittsform (Rechteck-, T- und I-Querschnitt) und dem Vorspanngrad. Neben der Momenten-Querkraftinteraktion (Schubschlankheit) ist auch die gleichzeitige Beanspruchung durch Querkraft und Torsion bei Spannbetonbindern teilweise noch ungeklärt. Über neue Versuche mit für die Praxis relevanten Untersuchungsparametern soll die Basis für die erforderliche Weiterentwicklung der Bemessungsansätze in Stufe 2 der NRR geschaffen werden. Dies ist das Ziel eines im September 2020 startenden von der BASt geförderten Forschungsvorhabens [48]. Gleichzeitig sollen in diesem Projekt die wissenschaftlichen Verfahren in Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie adressiert werden. Hierbei ergeben sich Fragen, die insbesondere die verfahrensspezifischen Anwendungsgrenzen oder das erreichbare Sicherheitsniveau betreffen. Gezielte theoretische Untersuchungen in Form von Vergleichsberechnungen und Parameterstudien sollen entsprechende Antworten liefern. Deren strukturierte Dokumentation und die Erarbeitung von Handlungsanweisungen sollen die Anwendung der Stufe 4-Verfahren für Tragwerksplaner und Straßenbauverwaltungen erleichtern und die Vergleichbarkeit verschiedener Stufe 4-Verfahren herstellen. In das Forschungsprojekt werden die neuesten Ergebnisse aus einem seit Herbst 2019 laufenden Forschungsvorhaben berücksichtigt [45], bei dem der Einfluss des Längsbewehrungsgrades bei Spannbetonträgern mit schwachem Schubbewehrungsgrad im Vordergrund steht. Zusätzlich werden die Modellvorstellungen, die in die zweite Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie Eingang finden, an realen Brückenbauwerken validiert und eine erste Handlungsanweisung für die Anwendung der Kanadischen Norm im Zuge der Brückennachrechnung in Deutschland entworfen. Literatur [1] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehr - Strategie zur Ertüchtigung des Brückenbestands in Bundesfernstraßen. Bauingenieur 85 (2010), S. 210-216. 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Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem [31] Huber, P., Huber, T., Kollegger, J.: Experimental and theoretical study on the shear behavior of singleand multi-span Tand I-shaped post-tensioned beams. Structural Concrete 25 (2019), S. 266. [32] Huber, P., Kratzer, K., Huber, T., Kleiser, M., Kollegger, J.: Rechnerische Beurteilung der Schubtragfähigkeit einer Spannbetonbrücke mit geringem Querkraft bewehrungsgrad. Beton- und Stahlbetonbau 111 (2016), S. 706-715. [33] Huber, P., Kromoser, B., Huber, T., Kollegger, J.: Experimentelle Untersuchung zum Querkrafttragverhalten von Spannbetonträgern mit geringer Schubbewehrung. Bauingenieur 91 (2016), S. 238- 247. [34] Herbrand, M.: Shear Strength Models for Reinforced and Prestressed Concrete Members. Dissertation. Aachen 2017. [35] Talbot, A. N.: Tests of reinforced concrete beams: resistance to web stresses. Series of 1907 and 1908 1909. 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[41] Huber, P., Huber, T., Kollegger, J.: Influence of loading conditions on the shear capacity of post-tensioned beams with low shear reinforcement ratios. Engineering Structures 170 (2018), S. 91-102. [42] Huber, P., Kromoser, B., Huber, T., Kollegger, J.: Berechnungsansatz zur Ermittlung der Schubtragfähigkeit bestehender Spannbetonbrückenträger mit geringem Querkraftbewehrungsgrad. Bauingenieur 91 (2016), S. 227-237. [43] Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN): DIN- Fachbericht 102 - Betonbrücken. Berlin: Beuth (März 2009). [44] Herbrand, M., Adam, V., Hegger, J.: Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden. In: Krieger, J., Isecke, B. (Hg.): Brückenkolloquium Beurteilung, Ertüchtigung und Instandsetzung von Brücken. 4. Kolloquium, 08. und 09. September 2020. Ostfildern: Technische Akademie Esslingen, vorliegender Tagungsband. [45] Fischer, O., Hegger, J., Thoma, S., Schmidt, M.: Weiterentwicklung der Nachrechnungsrichtlinie - Validierung erweiterter Nachweisformate zur Ermittlung der Schubtragfähigkeit bestehender Spannbetonbrücken. Aktuelles Forschungsprojekt BASt FE 15.0661/ 2018/ FRB (2019). [46] Schramm, N., Fischer, O.: Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand. In: Krieger, J., Isecke, B. (Hg.): Brückenkolloquium Beurteilung, Ertüchtigung und Instandsetzung von Brücken. 4. Kolloquium, 08. und 09. September 2020. Ostfildern: Technische Akademie Esslingen, vorliegender Tagungsband. [47] Schramm, N.: Zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbalkenelementen unter besonderer Berücksichtigung der Bügelform. Dissertation (in Vorbereitung). München 2020. [48] Hegger, J., Fischer, O., Maurer, R., Kerkeni, N., Zilch, K., Adam, V., Thoma, S., Stakalies, E., Teworte, F., Stettner, C., N.N.: Experimentelle und theoretische Untersuchungen zur Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Betonbrücken im Bestand. Aktuelles Forschungsprojekt BASt FE 15.0664/ 2020/ DRB (2020). Nachrechnung - Fallstudien 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 27 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung Prof. Dr. Ivan Markovic, dipl. Bauing. TU/ SIA IBU Institut für Bau und Umwelt, HSR Hochschule für Technik Rapperswil, Rapperswil, Schweiz Dr. Alexander Kagermanov, dipl. Bauing. TU IBU Institut für Bau und Umwelt, HSR Hochschule für Technik Rapperswil, Rapperswil, Schweiz Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit fasst die Ergebnisse der Untersuchungen einer bestehenden Strassenbrücke aus Stahlbeton (Baujahr 1966) mit lokal korrodierten Bewehrung zusammen. Es handelt sich um ein Rahmentragwerk aus Stahlbeton mit einer Spannweite von 12 m und einer Breite von ca. 22 m auf einer sehr stark befahrenen Kantonsstrasse. Die Untersuchungen umfassten eine detaillierte Zustandserfassung der Brücke, eine statische Überprüfung mit linear-elastischen und nicht-linearen Stoffgesetzen, sowie diverse weiterführende Überlegungen zum aktuellen Zustand der Brücke. Die statische Nachrechnung mit linearer-elastischen Stoffgesetzen zeigt, dass die Tragsicherheitsnachweise auf Biegung und Querkräfte bei einem intakten (nicht-korrodierten) Zustand der Bewehrung knapp erfüllt sind. In der Wirklichkeit sind aber sowohl die Schubbügel als auch die untere Biegebewehrung mässig bis stark korrodiert. Aus diesem Grund wurde die Brücke in anschliessend in 3D mit nicht-linearer FEM modelliert und berechnet. Dabei wurde auch die Korrosion der Bewehrung mitmodelliert. Anschliessend wurde die Tragsicherheit der Brücke für verschiedene Szenarien der Bewehrungskorrosion ausgewertet. 1. Aufgabenstellung und Lösungsansatz Die vorliegende Arbeit beschreibt die Untersuchungen der Hochschule für Technik Rapperswil [HSR] im Zusammenhang mit der Brücke Nr. N1-220a im Kanton Aargau, Schweiz. An der Brücke wurde zuerst eine umfangreiche Zustandserfassung durchgeführt. Ausserdem wurde die Brücke in statischer Hinsicht mit lineare und nicht lineare FEM Berechnungen überprüft. Die Zustandserfassung hat gezeigt, dass an der Oberseite der Brücke von einem grösstenteils guten Zustand ausgegangen werden kann. Die Korrosionswahrscheinlichkeit im Fahrbahnbereich ist gering. Einzig bei den seitlichen Konsolenköpfen sind erhöhte Chlorid-Konzentrationen vorhanden, was das Korrosionsrisiko verstärkt. Die Untersuchungen an der Unterseite der Brücke haben diverse Stellen zum Vorschein gebracht, an welchen der Beton abgeplatzt ist und die Bewehrung sichtbar und korrodiert ist. Insbesondere sind die Schubbügel kritisch und bei einzelnen Spitzstellen kamen deutliche Querschnittsreduktionen zum Vorschein. Die Druckfestigkeitsprüfungen an mehreren Bohrkernen ergaben die Festigkeitswerte in der Grössenordnung von 70 - 90 N/ mm 2 . Der verwendete Bewehrungsstahl kann nicht eindeutig identifiziert werden, es besteht jedoch die Möglichkeit, dass bei genaueren Untersuchungen eine deutlich höhere Stahlspannung angesetzt werden könnte, als die Zugspannung nach der SIA 269/ 2 (Schweizer Erhaltungsnorm für Betonbau) Die linear-statischen Berechnungen wurden mit aktualisierten Materialkennwerten gem. SIA 269 durchgeführt. Bei den nicht-linearen FE-Berechnungen wurden zusätzlich der Einfluss von Korrosion in der unteren Längsbewehrungslage sowie eine ungenügende Bügelverankerung untersucht. 2. Beschreibung des Bauwerks Die Brücke N1-220a wurde im Jahr 1965/ 1966 geplant und gebaut. Die Brücke verbindet die Ortschaften Suhr und Oberentfelden und wird vom Autobahnzubringer Aarau West unterquert. Die Konstruktion besteht aus zwei durch eine Konstruktionsfuge getrennte Rahmentragwerke mit biegesteifen Ecken und seitlichen Widerlagerflügel. Zur Reduktion des Eigengewichts wurden in der ca. 1.20 m dicke Brückenplatte Cofratol-Rohre eingelegt. 28 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung Abbildung 1: N1-220a -Brücke in Aargau: Ansicht (Spannweite der Brücke = ca. 12 m) Abbildung 2: N1-220a -Brücke in Aargau: Grundriss (Gesamtbreite der Brücke = ca. 22 m) Das Objekt wurde im Jahr 2012 im Rahmen der dritten Hauptinspektion durch das Tiefbauamt vom Kanton Aargau untersucht. Im Inspektions-bericht wird das Objekt der Zustandsklasse 3 [ZK 3] zugeordnet. Dies bedeutet, dass sich die Brücke in einem schadhaften Zustand befindet. Die hierbei verwendete Einordung ist folgendermassen definiert: Tabelle 1: Einordnung der Zustandsklassen beim schadhaften Zustand Klasse Zustand ZK 1 Gut ZK 2 Annehmbar ZK 3 Schadhaft ZK 4 Schlecht ZK 5 Alarmierend Die Zustandsklasse 3 bedeutet, dass gewisse Bauteile kurz-/ bis mittelfristig ersetzt oder instandgesetzt werden müssen. Es wurden folgende Bauteile einer schadhaften bis schlechten Zustandsklasse zugeordnet: Tabelle 2: Zustandsklasse je nach Bauteil mit Empehlung für Instandsetzungsmassnahme Bauteil Material Empfehlung Brückenplatte Stahlbeton Instandsetzung Konsolenköpf Stahlbeton Instandsetzung Belag Gehweg Gussasphalt Ersatz Fahrbahnbelag Gussasphalt Ersatz Randabschlüsse Andere Bauart Instandsetzung Die Fahrbahn ist auf dem grössten Teil eigener Fläche gar nicht abgedichtet (nur in den Randbereichen ist Abdichtungs-Ölpapier vorhanden). Der Bericht der dritten Hauptinspektion zeigt, dass sich der Zustand einiger Bauteile gegenüber der vorgängigen Inspektion (2. Hauptinspektion im Jahr 2007) verschlechtert hat. Da seit diesem Bericht nur geringe Massnahmen durchgeführt wurden, kann davon ausgegangen werden, dass sich der Zustand seit 2012 weiter verschlechtert hat. 3. Zustandserfassung Die Zustandserfassung gliederte sich in folgende Teilbereiche: (i) Oberseite der Brücke, (ii) Brückenuntersicht, (iii) Widerlager. Die Oberseite wurde lokal mittels Belagsfenster untersucht. Die Brückenuntersicht und die Widerlager waren ab Fahrbahnebene von einer Seite her vollflächig zugänglich. Der Bereich der Widerlager konnten nicht eingesehen werden. 3.1 Oberseite der Brücke Die Oberseite der Brücke ist aufgrund Untersuchungen in den Belagsfenstern in einem guten Zustand. Die Bewehrungsüberdeckung beträgt von 50 bis 70 mm. Die vorgefundene Bewehrung zeigt, abgesehen von leichtem Flugrost, keine Anzeichen von Korrosion. Es ist aufgefallen, dass Bewehrungseisen mit unterschiedlicher Rippen vorhanden sind. Eine Fahrbahnabdichtung aus speziellem Ölpapier ist nur im Bereich vom Übergang zwischen Fahrspur und Trottoir, entlang den Randsteinen vorhanden. Die Chlorid-Messungen an den Konsolenköpfen zeigen an einigen Stellen kritische Chloridgehalte bis in eine Tiefe von ca. 30mm auf. Aufgrund der Georadarmessungen kann davon ausgegangen werden, dass die Cofratol-Rohre gemäss den Bestandesplänen verlegt wurden. Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Rohre mit Wasser gefüllt sind. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 29 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung Abbildung 3: Oberseite der Brücke mit Resultaten Potenzialmessung. Tiefste Werte mit einem Potenzial <-300mV sind als Lila dargestellt. 3.2 Brückenuntersicht An der Brückenuntersicht sind an diversen Stellen Abplatzungen sichtbar, wodurch die Bewehrung freigelegt ist. Insbesondere die Schubbügel sind von diesen Abplatzungen betroffen. Die Abplatzungen sind zu einem grossen Teil im Bereich der Brückenränder konzentriert. Auch Risse und weisse bzw. hell graue Verfärbungen im Beton können an diversen Stellen beobachtet werden. Die Biegebewehrung in der Haupttragrichtung liegt in den Schubbügeln und hat somit eine grössere Bewehrungsüberdeckung. Diese Bewehrungsstäbe wurden in den Spitzstellen intakt, respektive mit nur sehr geringen Querschnittreduktionen angetroffen. Es kann von einer grösstenteils intakten Biegebewehrung ausgegangen werden. Die Bewehrungsüberdeckung der Bügel-/ und Querbewehrung ist lokal sehr gering (bei Abplatzungen praktisch gleich Null). Die Carbonatisierungstiefe liegt meist zwischen 5-10mm, lokal ist die Carbonatisierung aber auch bis auf 15-20mm Tiefe vorgedrungen. Zusammen hat das Ganze dazu geführt, dass die Bewehrung in einzelnen Bereichen mittel bis stark korrodiert ist und teilweise bereits deutliche Querschnittsreduktionen beobachtet werden können. Die Chloridprüfungen haben an der Brückenuntersicht keine kritischen Chloridbelastungen ergeben. Dies würde darauf schliessen, dass die Korrosion primär auf die Carbonatisierung zurückzuführen ist. Die Untersuchungen von 2012 zeigten aber, dass an einzelnen Stellen (vor allem an Feuchtstellen an der Brückenuntersicht) sehr wohl kritische Chlorideinträge bis in eine Tiefe von 30mm vorhanden sind. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass lokal über längere Zeit undichte Stellen vorhanden waren, welche deutlich messbare Chlorideinträge hinterlassen haben. Obwohl ein Teil vom Deckbelag 2016 ersetzt wurde und die tiefsten Punkte der Brücke nicht auf ein akutes Dichtigkeitsproblem hinweisen, sind an der Untersicht immer noch Verfärbungen unbekannter Herkunft vorhanden. Die Potenzialfeld-Messungen der Bewehrung zeigen lokal sehr tiefe Potenziale und die Spitzfenster zeigen deutlich, dass die Bügelbewehrung in diesen Bereichen bis zu einem wesentlichen Grad korrodiert ist. Es besteht somit in Bereichen mit tiefen Potenzialen (~≤ -200mV) eine hohe Korrosionswahrscheinlichkeit. Abbildung 4: Übersicht der Korrosionswahrscheinlichkeit an der Brückenuntersicht (als Kombination zwischen vorhandenen Bewehrungsüberdeckung und Potentialfeldmessungen). Die Druckfestigkeitsprüfungen auf den Bohrkernen ergab durchs Band sehr hohe Festigkeitswerte (Mittelwert ~70 N/ mm²). Es kann von einer guten bis sehr guten Betonqualität ausgegangen werden. Eine Überlagerung der Resultate der Bewehrungs-Überdeckungsmessungen und der Potentialfeldmessungen ergibt eine Grafik mit Korrosionswahrscheinlichkeit und zwar in 4 Stufen (kleine, mittlere, erhöhte und hohe Korrosionswahrscheinlichkeit). Insbesondere dem Bereich mit hoher Korrosionswahrscheinlichkeit (rot) ist besondere Beachtung zu schenken. 3.3 Brückenwiderlager An den Brückenwiderlagern sind vereinzelte Abplatzungen sichtbar und zwar vor allem in den unteren Bereichen direkt neben der Strasse. Materialübergänge zeigen, dass kleinere Widerlagerbereiche bereits im Verlauf der Jahre saniert worden sind. Auf den Widerlagerwänden sind diverse feine vertikale Risse und grössere Bereiche mit Kiesnestern zu erkennen. Die Überdeckungsmessungen zeigen, dass geringe Bewehrungsüberdeckungen nur 30 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung lokal anzutreffen sind. Die meisten Bereiche vom Widerlager haben Bewehrungsüberdeckungen von >35mm. Die Potenzialmessungen zeigen insbesondere auf Fahrbahnhöhe tiefe Potenziale. Dies ist insofern plausibel, da in diesem Bereich ein erhöhter Anteil von chloridhaltigem Spritzwasser zu erwarten ist. Die entnommenen Bohrmehlproben zeigen kritische Chloridgehalte bis in eine Tiefe von ca. 40mm. Einzelne Bewehrungseisen in Spitzfenstern waren leicht korrodiert. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass an den Widerlagern auf Fahrbahnhöhe eine erhöhte Korrosionswahrscheinlichkeit vorhanden ist. Es gilt hierbei festzuhalten, dass es in einem nächsten Schritt wichtig wäre, Aufschluss über den Bereich zwischen Fahrbahn und Widerlagerfuss zu erhalten. 4. Statische Berechnungen 4.1 Berechnungen mit linear-elastischen Baustoff-Gesetzen Für die statischen Berechnungen mit linear-elastischen Baustoffgesetzen wurde das Tragwerk als Rahmentragwerk mit einer Platte und zwei Widerlagerwänden modelliert, wobei die Platte aufgrund der vorhandenen Cofratol-Rohre ein orthotropes Tragverhalten aufweist (siehe Abbildung 5). Ein relevanter Punkt besteht bei der Fuss-Einspannung vom Widerlager. Je stärker der Fuss eingespannt ist, desto steifer wird der Rahmenstiel und desto grösser wird auch das Einspannmoment zwischen Rahmenstiel und Brückenplatte. Für die Berechnungen wurde eine geringe Einspannung modelliert, welche sich aus einer abgeschätzten Bettungsziffer für das Widerlagerfundament berechnet. Die Berechnung wurde ohne bzw. ohne Baugrund-Bauwerksinteraktion durchgeführt, es wurde lediglich Erdruhedruck als seitliche Belastung auf Widerlagerwände verwendet. Die Tragsicherheits-Nachweise erfolgten vereinfacht unter der Annahme einer intakten (nicht-korrodierten) Bewehrung und einer korrekten konstruktiven Durchbildung der Bewehrung, insbesondere der Schubbügel. Keiner dieser beiden Bedingungen war am Bauwerk tatsächlich erfüllt. Die Lastmodelle sind mit aktualisierten Werten gemäss SIA 269/ 1 aufgeführt. Auf die ungenügende Verankerung der Bügelbewehrung wird im Abschnitt 4.2 näher eingegangen. Der Lastfall Temperatur wurde in der statischen Überprüfung nicht berücksichtigt Abbildung 5: Darstellung relevanter Nachweisschnitte für die statische Berechnung Abbildung 6: Erfüllungsgrad Tragsicherheitsnachweise am Tragwerk unter der Annahme einer nicht-korrodierten Bewehrung und einer korrekten konstruktiven Durchbildung der Schubbügel (*EG: Erfüllungsgrad, falls EG > 1.00 ist der entsprechende Tragsicherheitsnachweis erfüllt) Die Tragsicherheitsnachweise sind zwar gemäss der statischen Überprüfung am ialle erfüllt, trotzdem sind aus den folgenden Gründen weiterführende Überlegungen notwendig: • Die Schubbügel sind nicht korrekt verankert. Falls man die tatsächlich vorhandene Bügelverankerung berücksichtigt, erhalten wir einen Erfüllungsgrad für die Querkraft von ca. 0.65, was deutliche Defizite der Tragsicherheit bedeutet. • Die Schubbügel sind insbesondere am Brückenrand und in der Feldmitte zum Teil stark korrodiert. • Die untere Seite der Brückenplatte zeigte hohes Korrosionsrisiko. Die Biegebewehrung war auch zum Teil korrodiert. • Die Schnittkräfte aus einer linear elastischen Berechnung sind unrealistisch, da das Model keine Rissbildung und plastische Kraftumlagerung berücksichtigt. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 31 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung • Zusätzliche Tragreserven z.B. infolge Membranwirkung und seitlichen Erddruck sind nicht berücksichtigt. Diese können den Biege- und Schubwiderstand deutlich erhöhen. Um diese Punkte zu untersuchen wurden weitere Untersuchungen mit nicht linearen FEM entwickelt. 4.2 Nicht lineare FE Berechnungen Für die nicht lineare FE Berechnungen wurde das inhouse FE-Software IDEEA der HSR verwendet. Die Brücke wurde mit Schalenelementen modelliert, die sich auf einem geschichteten Scheibenmodel für gerissenen Beton basieren. Aus den Scheiben- und Plattenschnittkräften n, m und v werden die Normal- und Schubspannungen an jedem Schicht ermittelt. Diese werden anhand von Materialgesetzen aus den zugehörigen Dehnungen und Verzerrungen ermittelt. Abbildung 7: Geschichtete Schalenelement: Schnittgrössen und Membrane-Spannungen Ständige Lasten infolge Eigengewicht, Auflast und beidseitigem Erddruck sind als konstant definiert während die Verkehrslast inkrementell bis zum Versagen gesteigert wird. Die kritische Anordnung der Achslasten ergab sich in Feldmitte am Rand der Brückenplatte. Die anderen untersuchten Laststellen ergaben grössere Traglasten. Bei einer Laststellung in Feldmitte in der Mitte der Brückenplatte z.B. ergibt sich ein duktiles Biegeversagen mit Fliessen der unteren Biegezugbewehrung und bei einer Laststellung am Rand eher spröde auf Grund von Druckbiegeversagen. Abbildung 8: Last-Verschiebungs-Kurven und Bruchmechanismen unter Verkehrslast für verschiedene Laststellungen (am Fahrbahn-Rand links von der Feldmitte; in der Mitte der Fahrbahn in der Mitte der Spannweite; am Fahrbahn-Rand in der Mitte der Spannweite Eine gleichmässige Querschnittsreduktion der Biegezugbewehrung an der Unterseite der Brückenplatte entlang einer Breite von ca. 2.5m gem. Felduntersuchungen wurde angenommen. Da keine Messungen des korrodierten Stabdurchmessers vor Ort aufgenommen wurden, wurden hier drei unterschiedliche Korrosionsszenarien betrachtet: (i) geringe Korrosion mit einer Korrosionsrate von 1μA/ cm 2 , (ii) mässige Korrosion mit einer Korrosionsrate von 5μA/ cm 2 und (iii) starke Korrosion mit einer Korrosionsrate von 10μA/ cm 2 . Diese Werte entsprechen den Werten, die an Stahlbetonbauwerken gemessen wurden. Unter der Annahme einer konstanten Korrosionsrate kann der Querschnittsverlust in Abhängigkeit der Zeit im Betreib abgeschätzt werden. Eine Abminderung der Fliessgrenze, Bruchdehnung und Zugfestikgeit infolge Lochfrasskorrosion wurde wie folgt Berücksichtigt: wobei f y,o, f y,c, f u,o, f u,c, ε u,o, ε u,c sind nicht korrodierte und korrodierte Werte der Fliessgrenze, Zugfestigkeit und Bruchdehnung. Die empirischen Parameter wurden an- 32 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung hand von Zugversuchen an korrodierten Bewehrungseisen kalibriert. Tabelle 3 fasst die Materialparameter je Korrosionsgrad zusammen. Tabelle 3: Angenommene Korrosionsszenarien: Korrosionsrate, Querschnittsverlust nach 50 Jahren im Betreib, Fliessgrenze, Bruchdehnung und Zugfestigkeit. Abb. 9 zeigt die Last-Verschiebungs-Kurven für unterschiedliche Korrosionsszenarien. Korrosion verursacht eine Abminderung sowohl der Steifigkeit als auch der globalen Traglast der Brücke. Bei starker Korrosion reduziert sich die Traglast um 30%. Ausserdem ändert sich das Versagensmechanismus von duktil zum spröde auf Grund des Bruchs der Biegebewehrung. Ein Nachweis der Tragsicherheit kann gem. dem Sicherheitsformat des EC2 für nicht lineare Verfahren durchgeführt werden. Der Nachweis gilt als erfüllt, falls die folgende Bedingung eingehalten ist: wobei R d, E d die Bemessungswerte des Widerstands und der Einwirkung sind, f cm , f sm die Mittelwerte der Festigkeiten und γ R der globale Sicherheitsfaktor, welche die Unsicherheiten im Tragwerksmodel und Materialen berücksichtigt. Gem. EC2 ist dieser gleich 1.27 angenommen. Auf Bemessungsniveau befindet sich die Brücke praktisch im elastischen Zustand. Die Verkehrslast könnte auf Grund der vorhandenen Tragreserven noch um ein vielfaches gesteigert werden. Im schlimmsten Fall, d.h. starke Korrosion, ist der Nachweis mit 3.4>1.27 erfüllt. Abbildung 9: Last-Verschiebungs-Kurven für verschiedene Korrosionsszenarien (von keiner bis starken Korrosion, siehe dazu Tabelle 3) und Beurteilung der globalen Sicherheit gemäss EC2. Zu bemerken ist, dass eine starke Korrosion mit einem Querschnittsverlust von 46% deutlich auf der sicheren Seite liegt. Unserer Meinung nach entspricht eine geringe Korrosion von 5% besser dem beobachteten Zustand. Die ungenaue Verankerung der Bügelbewehrung wurde auch anhand FEM untersucht. Vereinfacht wurde keine Bügelbewehrung in oberen und unteren Elementen der Rippen definiert. Abb.10 zeigt, dass, obwohl die Tragfähigkeit der Brücke leicht reduziert wird, sich der Bruchmechanismus nicht ändert. In beiden Fällen findet das Fliessen der Bügelbewehrung sowohl mit korrekten als auch mit der defekten Verankerung statt (Abb.11). Abbildung 10: Last-Verschiebungs-Kurve unter Verkehrslast für korrekte und defekte Verankerung der Bügelbewehrung Abbildung 11: Spannungen in der Bügelbewehrung auf Bemessungsniveau und maximalen Traglast (Schwarz: korrekte Verankerung; Rot: defekte Verankerung) 5. Abschliessende Bemerkungen Die vorliegende Arbeit fasst die Ergebnisse der Zustandserfassung und der statischen Nachrechnung einer bestehenden Strassenbrücke aus Stahlbeton (Baujahr 1966) mit lokal korrodierten Bewehrung zusammen. Es handelt 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 33 Beurteilung des Tragvermögens einer bestehenden Stahlbeton-Brücke mit korrodierter Bewehrung sich um ein Rahmentragwerk aus Stahlbeton mit einer Spannweite von 12 m und einer Breite von ca. 22 m auf einer sehr stark befahrenen Kantonsstrasse. Die Untersuchungen umfassten eine detaillierte Zustandserfassung der Brücke, eine statische Überprüfung mit linear-elastischen und nicht-linearen Stoffgesetzen, sowie diverse weiterführende Überlegungen zum aktuellen Zustand der Brücke. Die statische Nachrechnung zeigt, dass die Tragsicherheitsnachweise auf Biegung und Querkräfte bei einem intakten (nicht-korrodierten) Zustand der Bewehrung erfüllt sind. In der Wirklichkeit sind aber die Schubbügel in den Verankerungszonen stark korrodiert. Auch untere Biegebewehrung in der Fahrbahnplatte ist lokal mässig bis stark korrodiert. Die Berechnungen der Brücke mit nicht-linearer FEM mit Betrachtung der vorhandenen Bewehrungskorrosion zeigen, dass die Brücke eine genügende Tragsicherheit aufweist und zwar trotz der vorhandenen Bewehrungskorrosion. Dies ist vor allem auf die grosse Robustheit der Brücke zurückzuführen (Rahmentragwerk mit einer dicken Fahrbahnplatte welche auf zwei Seiten biegesteif mit Widerlagerwänden verbunden ist). Danksagung Die Autoren bedanken sich beim Departement Bau, Verkehr und Umwelt (Sektion Brücken und Tunnel) des Kantons Aargau für das Zur-Verfügung-Stellen der detaillierten Projektdokumentation der Brücke und für den fachlichen Austausch während der Projektbearbeitung. Zudem danken die Autoren der Bauunternehmung Rothpletz-Lienhardt aus Aarau für technische Unterstützung bei der Zustandserfassung der Brücke. Literaturverzeichnis [1] Kanton Aargau, Departement Bau, Verkehr und Umwelt: Gesamte Projektdokumentation über Objekt N1-220a (intern zur Verfügung gestellt) [2] SIA-Norm 269/ 1 (Erhaltung von Tragwerken): Einwirkungen auf Bauwerke [3] SIA 269/ 6-1 (2011): Erhaltung von Tragwerken Mauerwerksbau, Teil 1: Natursteinmauerwerk 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 35 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Hermann Weiher, Ilaria Galasso, Katrin Runtemund matrics engineering GmbH, München, Deutschland Sascha Weber Autobahndirektion Südbayern, Kempten, Deutschland Zusammenfassung Die Illerbrücke Egelsee ist Teil der A7 und wurde 1969-1970 als semi-integrales, stark schiefwinkliges Spannbetonbauwerk über zwei Felder mit einzelligem Kastenquerschnitt erstellt. Das Bauwerk wurde für das Verkehrslastmodell LM1 nachgerechnet; hierbei ergaben sich umfangreiche Defizite. Aufgrund des geplanten 6-spurigen Ausbaus der A7 wurde zur Minimierung der baulichen Ertüchtigungsmaßnahmen das Ziellastniveau auf die BK60/ 30 und die Nutzungsdauer auf 30 Jahre (Nachweisklasse C) reduziert. Zur Sicherstellung der Tragfähigkeit des Bauwerks bis zum Ersatzneubaus konnte so der Verstärkungsumfang auf eine Ertüchtigung der Gurtanschlussbewehrung der Bodenplatte an die Stege mit Querspanngliedern sowie der Querkrafttragfähigkeit des Pfeilerfundamentes beschränkt werden. Herausforderung bei der Planung und Umsetzung der Maßnahme war die starke Schwiefwinkligkeit des Bauwerks, die sehr enge und komplexe Geometrie der Bestandsspannglieder der Stege und - damit verbunden - die erforderliche hohe Genauigkeit beim Herstellen der geneigten Kernbohrungen, um nicht nur eine Schädigung der Bestandsspannglieder, sondern auch der Bügelbewehrung auszuschließen. Die Querspannglieder wurden z.T. im nachträglichen Verbund innerhalb der Bodenplatte sowie als externe Spannglieder bodenplattennah durch die Stege bzw. unterhalb des Bauwerks geführt, wobei die Verankerung im letztgenannten Fall über eine Stahlkonstruktion an der Außenseite der Stege erfolgte. Die Ertüchtigung des Pfeilerfundamentes ist mithilfe von Verbundankerschrauben als nachträgliche Schubbewehrung geplant. Die Ertüchtigung des Überbaus wurde im Jahr 2019 und 2020 ausgeführt; die Verstärkung des Pfeilerfundamentes ist für 2021 vorgesehen. 1. Bauwerk Der Verkehr der A7 wird über zwei baugleiche Spannbetonüberbauten mit zwei Feldern geführt: - 1970 Fertigstellung - Semi-integrale Spannbetonbrücke mit 2 Feldern von je 80 m Länge (160 m), Schiefwinkligkeit 60 gon - Errichtung auf Gerüst in einem Bauabschnitt - Kastenquerschnitt mit quer vorgespannter Fahrbahnplatte, Träger stark gevoutet mit variabler Konstruktionshöhe zw. 2,21 m (WL) bis 4,49 m (Mittelpfeiler) - Stege, Boden- und Fahrbahnplatte des Hohlkastenquerschnitts in Längsrichtung im nachträglichen Verbund vorgespannt; Spanngliedgeometrie entsprechend Hauptspannungstrajektorien, ca. 430 verschiedene Spanngliedgeometrien, s. Bild 4 - Pfeiler monolithisch mit dem Überbau verbunden, Flachgründung - Widerlager, Flachgründung Bild 1: Bauwerk 36 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Bild 2: Bauwerk Ansicht, Längsschnitt, Draufsicht Bild 3: Querschnitt eines Überbaus Bild 4: Spanngliedgeometrie 2. Nachrechnung Die Nachrechnung des Überbaus einschließlich des Mittelpfeilers wurde in Stufe 1 (DIN Fachberichte bzw. Eurocode 2) und Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie für das Ziellastniveau LM1 durchgeführt. Mit dem Ziel eine Ertüchtigung des Überbaus zu vermeiden, erfolgte in Stufe 2 die Nachweisführung zusätzlich für das Ziellastniveau BK60/ 30 unter Ansatz der am Bauwerk durch Materialuntersuchungen festgestellten Betondruckfestigkeit des Überbaus von C50/ 60 (statt C30/ 37). Folgende wesentliche Defi zite wurden ermittelt: In Längsrichtung verblieben auch für das Lastmodell der BK60/ 30 sowie unter Ansatz einer höheren Betondruckfestigkeit von C5060 Defi zite beim Nachweis Querkraft und Torsion und beim Nachweis des Gurtanschlusses Steg / Bodenplatte. Tabelle 1: Maximale Ausnutzungsfaktoren für die wesentlichen Nachweise in Längs- und Querrichtung Tabelle 2: Maximale Ausnutzungsfaktoren für das Pfeilerfundament In Querrichtung konnten die Nachweise im GZT unter Ansatz des reduzierten Lastmodells der BK60/ 30 erfüllt werden. Für den Nachweis der Ermüdung waren aufgrund identischer Berechnungsannahmen die Ergebnisse der Stufe 1 maßgebend. Der Nachweis der Ermüdung des Spannstahles der Verankerungen und des Bewehrungsstahles kann unter Ansatz des Lastmodells ELM3 somit nicht erbracht werden. Bei der Nachrechnung des Pfeilers verbleiben für das Lastmodell BK60/ 30 Querkraftdefi zit des Pfeilerfundamentes. Nachfolgend sind in Bild 5 und Bild 6 exemplarisch die vorhandene und die erforderliche Bewehrung für den Nachweis Querkraft und Torsion sowie den Gurtanschluss Bodenplatte für die Berechnung in Stufe 2, C50/ 60 dargestellt. Bild 7 stellt die zulässigen und vorhandenen schädigungsäquivalenten Schwingbreiten der Bewehrung und des Spannstahls gegenüber. Während sich ein Ermüdungsbruch des Spannstahles und der Bewehrung durch Rissbildung am Bauwerk ankündigt, erfolgt ein Versagen infolge der Defi zite beim Querkraftnachweis und beim Nachweis der Gurtanschlussbewehrung der Bodenplatte i.d.R. spröde, d.h. ohne Ankündigung durch Rissbildung. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 37 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Bild 5: Querkraft/ Torsion, erforderliche Bügelbewehrung und Überschreitungen (rot), BK60/ 30 mit C50/ 60 Bild 6: Schubanschluss Bodenplatte an, erforderliche Bügelbewehrung und Überschreitungen (rot), BK60/ 30 mit C50/ 60 Bild 7: Vorhandene und zulässige Schwingbreiten der der Längs- (oben) und Bügelbewehrung (Mitte) und der Längsspannglieder (unten), defi zitäre Bereiche (rot) Die festgestellten Defi zite waren daher als kritisch einzustufen und weitere Maßnahmen (verkehrliche Kompensationsmaßnahmen, Notertüchtigung) zur Sicherstellung der Tragfähigkeit bis zur Umsetzung des geplanten Ersatzneubaus erforderlich. Mit dem Ziel eine Ertüchtigung des Bauwerks zu vermeiden bzw. zur Quantifi zierung der erforderlichen Maßnahmen und zum Nachweis der Wirksamkeit wurden noch weitere Tastrechnungen unter Ansatz - des Lastmodells BK60/ 30 bzw. BK60 mit/ ohne Seitenstreifensperrung (StS) und mit/ ohne reduzierten Restfl ächenlasten (RF) von 3,0 kN/ m² auf 1,0 kN/ m² (Bild 8) und - ggf. reduzierter Sicherheit der Eigengewichtslasten (Sicherheit 1,20 statt 1,35 → nicht verifi zierte Annahme) und - ggf. einer Nutzungsbeschränkung auf 20 Jahre infolge der Erhöhung des Grenzwertes des zulässigen Druckstrebenwinkels cotθ von 2,50 auf 3,00 (Nachweisklasse C) gemäß 1. Ergänzung zur Nachrechnungsrichtlinie, Abschnitt 12.4.3.3(3) und - ggf. Ansatz eines genauer (iterativ) ermittelten Schubrisswinkels bei der Ermittlung der Druckstrebenneigung beim Nachweis Querkraft und Torsion gemäß 1. Ergänzung zur Nachrechnungsrichtlinie, Abschnitt 12.4.3.3(2), Gl. 12.13 durchgeführt. Bild 8: Verkehrliche Kompensationsmaßnahmen Der Nachweis Querkraft und Torsion konnte bei einer Nutzungsbeschränkung auf 20 Jahre und unter Ansatz des Schubrisswinkels für das volle Lastmodell BK60/ 30 knapp mit einer Ausnutzung der Bewehrung von a sw,erf / a sw,vorh = 0,99 erfüllt werden. Auf eine globale, umfassendere Ertüchtigung des Überbaus mit z.B. einer externen Längsvorspannung kann unter diesen Randbedingungen somit verzichtet werden. Der Nachweis des Gurtanschlusses der Bodenplatte konnte auch unter dem reduzierten Lastmodell BK60 mit Seitenstreifensperrung und reduzierten Lasten aus Eigengewicht nicht erfüllt werden. 38 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Es verblieben Defi zite über eine Länge von ca. 50 m im Bereich des Mittelpfeilers, so dass eine Ertüchtigung bis zur Umsetzung des Ersatzneubaus bzw. für die Restnutzung von 20 Jahren gemäß Nachweisklasse C erforderlich wurde. 3. Ertüchtigung Bei der Nachweisführung in Längsrichtung verblieben in Stufe 2 für das Lastmodell BK60/ 30 und einer Nutzungsbeschränkung auf 20 Jahre Defi zite bei den Nachweisen - Gurtanschlusses der Bodenplatte - Querkraftnachweis der Fundamentplatte - Ermüdung des Spannstahls und der Bewehrung Die Defi zite beim Nachweis Ermüdung können derzeit als unkritisch bewertet werden, da im Rahmen der Hauptprüfung 2018 keine ermüdungsrelevanten Risse festgestellt wurden. Es wird daher auf eine Ertüchtigung der rechnerischen Defi zite verzichtet. Sofern der Querschnitt auch zukünftig in den betroffenen Bereichen im ungerissenen Zustand verbleibt, kann eine Ermüdungsbruchgefährdung ausgeschlossen werden. Die Risssituation ist hierzu zukünftig im Zuge der einfachen Prüfung der Hauptprüfung unter Beachtung der erarbeiteten Prüfanweisung zu erfassen und die Ermüdungsbruchgefahr zu bewerten. Zur Sicherstellung der Tragfähigkeit des Bauwerks bis zum Ersatzneu ist eine Ertüchtigung der Gurtanschlussbewehrung der Bodenplatte an die Stege mit Querspanngliedern und des Pfeilerfundamentes mit Verbundankerschrauben als nachträgliche Schubbewehrung vorgesehen. Als Ziellastniveau wurde die BK60/ 30 gemäß DIN1072 vereinbart. Die Nachweisführung erfolgte gemäß Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie für die Nachweisklasse C. Aufgrund des geplanten Ersatzneubaus wurden etwaige Defi zite im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit nicht untersucht/ betrachtet. 3.1 Ertüchtigung des Überbaus 3.1.1 Ertüchtigungsumfang Die Ertüchtigung der Defi zite der Anschlussbewehrung des Gurtanschlusses erfolgt durch Aufbringen einer Quervorspannung der Bodenplatte. Für die Verstärkung des Gurtanschlusses ist eine Quervorspannung der Bodenplatte mit insgesamt - 82 Stabspannglieder je Überbau mit einer dauerhaften Vorspannkraft im Endzustand von 500 - 750 kN und - 28 Stabspannglieder mit Feingewinde für die Montage einer Verankerungs-konstruktion mit einer dauerhaften Vorspannkraft von 200 kN erforderlich, vgl. Bild 9. Bild 9: Übersicht Quervorspannung der Bodenplatte Die Lasteinleitung muss möglichst bodenplattennah erfolgen. Aufgrund der komplexen Spanngliedgeometrie sind zur Vermeidung einer Schädigung der Bestandsspannglieder bei Herstellung der erforderlichen Kernbohrungen drei Spanngliedtypen erforderlich: Typ 1: Im Pfeilerbereich werden 12 Stabspannglieder je Überbau mit nachträglichem Verbund innerhalb der Bodenplatte geführt, vgl. Bild 10. Bild 10 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 39 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Bild 10: Spannglieder durch die Bodenplatte (Typ 1) am Mittelpfeiler Typ 2: Im Feldbereich werden 56 Stabspannglieder ohne Verbund extern ca. 20 cm oberhalb der Bodenplatte durch die Stege geführt, vgl. Die Verankerungen sind im Wesentlichen vergleichbar mit den in Bild 10 dargestellten des Typs 1 und werden nicht dargestellt. Bild 11: Spannglieder durch die Stege (Typ 2) Aufgrund der sehr engen Lage der Bestandsspanglieder wurden im Feldbereich 14 externe Stabspannglieder unterhalb der Bodenplatte geführt, vgl. Bild 12. Die Lasteinleitung erfolgt über eine an der Stegaußenseite montierte Stahlkonstruktion mit Druckplatten auf Höhe der Bodenplatte. Die 28 Stahlkonstruktionen werden zum Herstellen des Gleichgewichts mit je einem Stabspannglied (insgesamt 28 Stk.) mit schlupfarmen Feingewinde an den Steg gespannt. 40 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Bild 12: Spannglieder unterhalb des Bauwerks (Typ 3) mit Detail Stahlkonstruktion zur Lasteinleitung und Ansicht Steg (unten) und Ansichten der eingebauten Konstruktion Nachfolgende Abbildung zeigt die Übersicht der Maßnahme in Ansicht und Draufsicht. Bild 13: Ansicht und Draufsicht der Maßnahme 3.1.2 Spannverfahren Als Spannverfahren kam das System Stahlwerk Annahütte Stabspannverfahren St950/ 1050 gemäß ETA- 05/ 0122 in Kombination mit den Anwendungsregeln des Deutschen Instituts für Bautechnik für internen Einsatz mit Verbund gemäß Z-13.71-50122 und externe Führung gemäß Z-13.73-50122 zum Einsatz. 3.1.3 Ortung des Bestands und Kernbohrungen Zur Vermeidung einer Schädigung der Bestandsspannglieder und der Bügelbewehrung in den Stegen wurde bereits im Vorfeld der Baumaßnahme die planmäßige Lage der geneigten Kernbohrungen an der Trägeraußen- und Trägerinnenseite eingemessen und die Lage der Stegspannglieder sowie (Bügel-)Bewehrung erfasst. Die planmäßige Lage der Kernbohrungen wurde derart bestimmt, dass ein Mindestabstand zum nächstgelegenen Hüllrohr von mind. 10 cm eingehalten ist. Aufgrund der statisch bereits voll ausgenutzten vorhandenen Bügelbewehrung musste eine Beschädigung der Bewehrung am maßgebenden Steg durch Bewehrungsortung jeweils ausgeschlossen und begrenzt werden. Bild 14: Spannglieder- (rot) und Bewehrungs-(blau) Ortung 3.1.4 Verankerung Die durch die Bodenplatte und durch die Stege geführten Spannglieder wurden mit aufgesetzten und geneigten Stahlankerplatten auf dem Bestandsbeton verankert. Die Neigung der Ankerplatten ist variabel und beträgt planmäßig in vertikaler und horizontaler Richtung Richtung zwischen 0 - 4°. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 41 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Die Platten wurden gemäß ZTV-ING korrosionsgeschützt und wurden alle mit einem dünnen Mörtelbett zum Formschluss mit dem Bestandsbeton versehen. Die Lasteinleitung der unterhalb des Bauwerks geführten Spannglieder (Typ 3) erfolgt an der Stegaußenseite ausschließlich über den Bestand mithilfe - einer an der Stegaußenseite zuvor montierten Stahlkonstruktion mit angeschweißten Druckplatten im Bereich der Bodenplatte und im Stegbereich - über Ankerplatten an der Steginnenseite Die Stahlkonstruktion ist in Bild 15 dargestellt (Ansichten der ausgeführten Variante siehe Bild 12). Die obere Verankerung ist dabei nicht fest mit der Konstruktion verbunden. Damit konnte erreicht werden, dass eine Standardkonstruktion für alle geometrischen Varianten und Neigungen verwendet werden konnte. Die Neigungen wurden erforderlich, da die Lage der Kernbohrung für das obere, kurze Spannglied sowohl vertikal als auch horizontal an die Bestandsspannglieder und -bewehrung anzupassen war und die Lasteinleitung über die untere Druckplatte in Längsrichtung möglichst gleichmäßig verteilt zu erfolgen hatte. Bild 15: Stahlkonstruktion zur Lasteinleitung, Typ 3 Die Stahlkonstruktion besteht aus zwei UPE 300 Profi len, die mithilfe von fünf Stahllaschen miteinander verschweißt sind (blau dargestellt). Für die Lasteinleitung im Bereich der Spanngliedverankerungen werden zwei mit dem Stahlträger verschweißte Kreisplatten sowie zwei Rechteckplatten (rot dargestellt) als Druckplatten vorgesehen. Für die Lastweiterleitung der Verankerungsspannglieder in die Stahlkonstruktion wurde eine lose (d.h. nicht mit dem Stahlträger verschweißte) Lastverteilplatte mit Öffnung vorgesehen, so dass gewisse Abweichungen der tatsächlichen Lage der Kernbohrungen zur planmäßigen Lage ausgeglichen werden konnten. 3.2 Ertüchtigung des Pfeilerfundamentes Bild 16: Lage Mittelpfeiler Aufgrund der Überschreitung der Querkrafttragfähigkeit des Pfeilerfundamentes ist eine Ertüchtigung des Fundamentes erforderlich. Die Ertüchtigung der Querkraftdefi zite erfolgt mithilfe von Verbundankerschrauben TOGE TSM BC SB reLast gemäß Zulassung Z-15.1-339. Die Umsetzung der Maßnahme ist für 2021 geplant. 3.2.1 Ertüchtigungsumfang Eine Zusammenfassung des Ertüchtigungsbedarfs in Abhängigkeit der Betondruckfestigkeit und des gewählten Schraubendurchmessers kann Tabelle 3 entnommen werden. Gemäß Zulassung können maximal M24er Schrauben eingesetzt werden, wobei laut Herstellerangaben eine Schraubenfertigung bis 42 mm Durchmesser möglich ist. Derzeit wäre für die Anwendung der größeren Schrauben als Querkraftverstärkung eine Zustimmung im Einzelfall erforderlich. Mit dem Ziel die Anzahl der Querkraftverstärkungsmenge zu verringern, erfolgte eine Tastrechnung zur Ermittlung der Anzahl der Verbundschrauben unter Ansatz einer höheren Betondruckfestigkeit (statt C20/ 25). Der Ansatz einer geringfügig höheren Betondruckfestigkeit f ck = 23 N/ mm² liefert eine wirtschaftliche Ausnutzung von Schrauben- und Druckstrebentragfähigkeit und eine signifi kante Reduktion der Schraubenanzahl. Aufgrund des Fundamentsalters ist die Annahme einer entsprechenden Betonerhärtung sehr wahrscheinlich, sie ist jdeoch noch durch Materialuntersuchungen am Bauwerk zu bestätigen. Tabelle 3: Zusammenfassung Ertüchtigungsumfang Betondruckfestigkeit [MPa] Schraube TSM BC SB Längsabstände der Schrauben sl [cm] Querabstände der Schrauben sq [cm] Gesamtanzahl [-] ≥20 22 40 40 868 32 60 60 420 42 80 80 256 ≥23 42 80 120 132 42 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Bild 17: Einbaugeometrie in der Draufsicht und im Schnitt, exemplarisch TSM-42 BC SB, sl = 80 cm, sq = 120 cm 3.2.2 Schraubendaten Die TOGE TSM BC SB reLast Verbundankerschraube besteht aus einem Injektionsmörtel und einer Betonschraube sowie einer Nord-Lock Scheibe, einer Druckverteilungsscheibe und einer Mutter. Bild 18: Geometrie TSM BC SB reLast Verbundankerschrauben 3.2.3 Einbau Das Pfeilerfundament liegt z.T. im Uferbereich mit einer Erdüberdeckung von ca. 2,30 bis 4,20 m und z.T. im Flussbett der Iller mit einer Erdüberdeckung von ca. 1,80 bis 2,30 m bei einer Wassertiefe von ca. 1,00 m. Bild 19 zeigt die Gegebenheiten am Mittelpfeiler. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 43 Nachrechnung und Ertüchtigung der Illerbrücke Egelsee A7 Bild 19: Örtliche Gegebenheiten am Mittelpfeiler Um auf einen aufwendigen und schwer herzustellenden Verbau bei ganzer Freilegung des Fundaments zu verzichten und u.a. den Eingriff in den Fluss zu vermeiden, könnte der der Einbau der Querkraftverstärkung als Alternative zur Baugrube für das Ertüchtigen des Pfeilerfundaments in folgenden Schritten erfolgen (siehe auch Bild 20): 1. Vorbereiten des Bereichs um den Pfeiler im Flussbereich und Herstellen einer befahrbaren Schotterschicht 2. Bohrung (ca. 2 m lang mit Neigung ca. 8°) mit kleinem Bohrgerät (z.B. d = 200 mm) bis zur OK Pfeilerfundament 3. Reinigen Bohrloch und Fundamentoberfläche 4. Zentrisch geführte Stufenbohrung durch das Fundament 5. Ggf. Teilfüllung mit Verbundmörtel gem. Zulassung als Korrosionsschutz 6. Setzen und Andrehen der Betonschraube 7. Wiederholung für alle Schrauben 8. Rückbau Aufschüttung und Widerherstellen Böschung Bild 20: Einbaudetails beim Einbau ohne Baugrube 4. Beteiligte Bauherr : Autobahndirektion Südbayern, Dienststelle Kempten Nachrechnung und Planung: matrics engineering GmbH, München Prüfingenieur : Prof. Dr. Fritsche, Deggendorf Ausführung : Chembau GmbH, Mils/ Österreich 5. Kontakt Dr.-Ing. H. Weiher: matrics engineering GmbH, München 089 890 65 98 06 weiher@matrics-engineering.com SMART-DECK 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 47 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts Dr.-Ing. Till Büttner Massenberg GmbH, Essen Zusammenfassung Im Rahmen des Verbundforschungsvorhabens SMART-DECK, das als Beitrag der Initiative „HighTechMatBau“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde, wurde ein multifunktionales System zur Instandsetzung sowie dem Schutz von Infrastrukturbauwerken erarbeitet. Das System ermöglicht ein vollflächiges Echtzeit-Feuchtemonitoring, einen abschnittsweise steuerbaren präventiven kathodischen Korrosionsschutz (pKKS) und eine Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit bei Bestandsbrücken. Mit dem Monitoring können Schäden in der Abdichtungsebene frühzeitig erkannt und, in Kombination mit dem pKKS, Verkehrsbehinderungen vermieden werden, da eine Erneuerung des Brückenbelages in verkehrsgünstigere Perioden verschoben werden kann. Sowohl das Monitoring, der pKKS als auch die verstärkende Wirkung werden durch eine textile Carbonbewehrung in Kombination mit einem Spezialmörtel realisiert. Im Rahmen des Verbundforschungsvorhabens wurden sowohl Laboruntersuchungen durchgeführt als auch zwei unterschiedlich große Demonstratoren realisiert, um die Leistungsfähigkeit des Systems auch außerhalb einer Laborumgebung zeigen zu können. 1. Einleitung Die Dauerhaftigkeit von Infrastrukturbauwerken wird maßgeblich von unterläufigen Abdichtungen sowie schadhaften Fugen- oder Übergangsprofilen und dem damit verbundenen Eintrag von Chloriden in die Konstruktion negativ beeinflusst [1]. Trotz der regelmäßig alle drei bzw. sechs Jahre stattfindenden Bauwerksprüfungen kann die Korrosion der Bewehrung oft erst erkannt werden, wenn bereits ein erhebliches Schädigungsausmaß vorliegt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass bei den Bauwerksprüfungen nur die sichtbaren Flächen, d. h. die Unterseite der Fahrbahntafel, die Innenseite und Außenseiten eines Hohlkastens oder des Kragarms, untersucht werden können. Die Folge von Chlorideintrag von der Oberseite (d. h. durch die Fahrbahndecke und undichte Abdichtungen) in die Bauwerkskonstruktion sind umfangreiche Instandsetzungmaßnahmen, die zu erheblichen Verkehrsbehinderungen und signifikanten volkswirtschaftlichen Verlusten führen können [2]. Ein vollflächiges Monitoring hinsichtlich der Dichtigkeit der Abdichtung von Infrastrukturbauwerken ist aktuell nicht üblich und am Markt nicht verfügbar. Sofern ein Monitoring ausgeführt wird, sind es lokal messende Sensoren, die einen begrenzten Messradius aufweisen. Tritt außerhalb dieses Radius eine Undichtigkeit auf, kann diese nicht detektiert werden [3]. Das System SMART- DECK bietet erstmals am Markt eine vollflächige Monitoringlösung, die um zwei weitere Funktionalitäten erweitert wird, so dass das Gesamtsystem die folgenden Funktionalitäten aufweist: • vollflächiges Echtzeit-Feuchtemonitoring, • abschnittsweise steuerbaren, präventiven kathodischen Korrosionsschutz (pKKS), der mittels Fremdstrom die Depassivierung der Bewehrung verzögert [4] sowie • Erhöhung der Tragfähigkeit in Querrichtung (bei Bestandsbrücken). Das vollflächige Monitoring ermöglicht ein frühzeitiges Erkennen von Undichtigkeiten und damit einem möglichen Eindringen von Chloriden in die Konstruktion. Mittels des pKKS, der im Falle von Undichtigkeiten lokal aktiviert werden kann, ist es möglich die Stahlbewehrung des Überbaus aktiv vor Korrosion zu schützen und damit erforderliche Instandsetzungsmaßnahmen nicht unmittelbar ausführen zu müssen, sondern es besteht die Möglichkeit diese in verkehrsgünstige Perioden zu verschieben. Ferner wird mittels SMART-DECK der Überbau in Querrichtung verstärkt. Üblicherweise erfolgt die Verstärkung von Brückenbauwerken in Querrichtung momentan z.B. mit in Schlitzen eingebettetem Bewehrungsstahl. Textilbewehrte KKS-Systeme sind aktuell am Markt verfügbar - siehe u.a. [5] - allerdings handelt es sich um KKS-Systeme, bei denen die textile Bewehrung nicht als Sensor und Verstärkung verwendet wird. 48 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts Bild 1: Übersicht der Funktionalität von SMARTDECK und den Zustand der Abdichtung; grün: intakte Abdichtung, gelb: signifi kanter Widerstandsabfall; rot: Grenzwert Widerstand unterschritten, Undichtigkeiten vorhanden und pKKS erforderlich In Abhängigkeit der bei einem individuellen Bauwerk erforderlichen Maßnahmen, ist SMART-DECK modular aufgebaut, wie in dem nachfolgenden Bild dargestellt. Die maximale Ausbaustufe des Systems ist die Kombination aller drei Funktionalitäten, die anderen Möglichkeiten stellen sinnvolle Kombinationen oder Einzelanwendungen einer der möglichen Funktionalitäten dar. Liegt z.B. keine Notwendigkeit eines Monitorings vor, kann das System als ausschließliches Verstärkungssystem konzipiert werden. Die Anwendung als ausschließliches KKS-System ist keine planmäßige Anwendung von SMART-DECK, sondern das KKS soll immer als präventives KKS in Kombination mit einem Monitoring- System verwendet werden. Die Modularität hat auch zur Folge, dass der Einsatz des Systems grundsätzlich bei Neubauten oder bei Bestandsbauwerken möglich ist. Bild 2: Übersicht über die modularen Funktionalitäten von SMART-DECK Der grundsätzliche Aufbau des Systems SMART-DECK ist für alle Anwendungsfälle - Instandsetzung oder Neubau - identisch (vgl. Detail A; Bild 1): • 35 mm Hochleistungsmörtel mit • 2 Lagen Carbonbewehrung mit elektrischen Anschlüssen für Monitoring und pKKS, die nach außen geführt werden. Das System SMART-DECK wurde im Rahmen eines Verbundforschungsprogramms innerhalb der Förderlinie HighTechMatBau des BMBF erarbeitet. Innerhalb des Forschungsverbundes waren sowohl Partner aus der Forschung - das Institut für Bauforschung - Bauwerkserhaltung und Polymerkomposite (ibac) sowie dem Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen - als auch Partner aus der Wirtschaft vertreten. Die beteiligten Unternehmen waren die Eurovia Beton GmbH NL Bauwerksinstandsetzung (Projektkoordinator des Verbundprojektes/ Hofheim-Wallau), Solidian GmbH (Albstadt-Lautlingen), Massenberg GmbH (Essen), instakorr GmbH (Darmstadt) sowie die StoCretec GmbH, Tochtergesellschaft der Sto SE & Co. KGaA (Kriftel). Ferner war die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), die das System aus Sicht des späteren Nutzers beurteilt, an dem Forschungsvorhaben beteiligt. 2. Die Komponenten von SMART-DECK 2.1 Hochleistungsmörtel Das System SMART-DECK wird planmäßig mit einer konstanten Schichtdicke über die gesamte Fläche eines Brückenüberbaus ausgeführt, d. h. ein bei Brückenbauwerken eventuell erforderlicher Gradientenausgleich muss vor der Applikation von SMART-DECK erfolgen. Die planmäßige Mehrbelastung infolge des Systems beträgt mit dem planmäßigen Aufbau mit einer Schichtdicke von 35 mm rd. 80 kg/ m² (0,8 kN/ m²). Sofern die Mehrbelastung bei Bestandsbauwerken kompensiert werden muss, besteht z.B. die Möglichkeit einen sog. HANV-Belag [6] anstatt eines herkömmlichen Belagsaufbaus gemäß ZTV-ING [7] mit zwei Lagen Gussasphalt à 35 mm einzubauen. Die Einbettung der textilen Bewehrung erfolgt mittels eines speziell an die Anforderungen des Forschungsprojektes angepassten RM (bisher: PCC (Polymermodifi ed Cement Concrete)) des Forschungspartners StoCretec. Der Mörtel mit einem Größtkorn von 4 mm wurde iterativ entwickelt, so dass er den verschiedenen, konkurrierenden Anforderungen bezüglich Verstärkung, Monitoring, pKKS und Einbaupraxis entspricht. Neben den Anforderungen an die Mörtelzusammensetzung, waren die Anforderungen an die Einbaupraxis ebenfalls eine besondere Herausforderung. Der Mörtel muss zum einen eine ausreichende Fließfähigkeit aufweisen, um einen Einbau des Systems in einer Lage zu ermöglichen, als auch eine ausreichend hohe Förderleistung während des Einbaus realisieren zu können. Ferner muss der Mörtel eine ausreichende Standfestigkeit aufweisen, um bei Querneigungen von mindestens 2,5 % einbaubar zu sein 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 49 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts und bei dem Einbringen der Verdichtungsenergie nicht zu verlaufen. Die nachfolgenden Bilder zeigen unterschiedliche Entwicklungsstufen des Mörtels. Bild 3 zeigt einen für die Herstellung von SMART-DECK nicht geeigneten Mörtel, Bild 4 wiederum einen geeigneten Mörtel. Bild 3: Mörtelversuche - hier: Mörtel mit zu steifer Konsistenz für die Verwendung bei SMART-DECK (Foto: Till Büttner) Bild 4: Mörtelversuche - hier: Mörtel mit für den Einbau durch zwei Lagen textile Bewehrung geeignete Konsistenz (Foto: Till Büttner) Die Herstellversuche wurden an kleinformatigen Probekörpern mit einer Größe von 1 m² ausgeführt, wobei bei der Herstellung darauf geachtet wurde, dass die Verdichtung ausschließlich von oben in das Gesamtsystem eingebracht wird, da bei der realen Anwendung die Verdichtung ebenfalls nur von oben erfolgen kann. Die Mörtelversuche dienten sowohl zur Erarbeitung der Einbautechnologie als auch der Mörtelentwicklung bei dem Forschungspartner StoCretec. Die unter Baustellenbedingungen ermittelten Mörtelfestigkeiten sind in dem nachfolgenden Kapitel zu den Demonstratoren widergegeben. 2.2 Textile 3D-Bewehrung Die textile Bewehrung übernimmt bei allen drei möglichen Funktionalitäten von SMART-DECK eine wesentliche Aufgabe. Bei dem Monitoring ist die textile Bewehrung der Sensor, der den Widerstand des Mörtels zwischen den beiden Bewehrungslagen und damit den Feuchtegehalt des Mörtels misst. Steigt der Feuchtegehalt des Mörtels muss davon ausgegangen werden, dass Undichtigkeiten in der Abdichtungsebene der Brücke vorliegen und damit auch Chloride in das Bauwerk eindringen können. Bei dem pKKS wiederum stellt die textile Bewehrung die Anode dar. Sofern mit SMART- DECK der Brückenüberbau verstärkt wird, wird die Verstärkung durch die auf der Oberseite des Brückenüberbaus applizierte textile Bewehrung realisiert. In Abhängigkeit der Anforderung an die möglichen Module (siehe Bild 2) kann der Bewehrungsgrad von SMART-DECK variiert werden. Bei dem im Rahmen des Verbundforschungsvorhaben erarbeiteten Systems sind zwei Lagen textile Bewehrung erforderlich. Dabei kann allerdings der Rovingquerschnitt als auch der Rovingabstand variiert und an die Anforderungen des jeweiligen Projektes angepasst werden. Um eine Unterteilung der gesamten Einbaufläche in einzelne Messfelder sowie pKKS-Felder zu ermöglichen, muss die Bewehrung in Längsrichtung ohne Übergreifung (und damit ohne direkten elektrischen Kontakt) ausgeführt werden, in Brückenquerrichtung (Verstärkungsrichtung des Überbaus sowie des Kragarms) muss ein statisch wirksamer Übergreifungsstoß ausgeführt werden. Sofern keine Verstärkung erforderlich ist, kann in Querrichtung auf einen Übergreifungsstoß verzichtet werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass dann alle Bewehrungsfelder mit Kabeln an das Monitoring und pKKS-System angeschlossen werden müssen und sich somit unter Umständen der Verkabelungsaufwand deutlich erhöht. Als textile Bewehrung von SMART-DECK kommen sogenannten biaxiale Carbontextilien zum Einsatz, die eine lichte Maschenweite von 38 mm aufweisen und mit Epoxidharz im Herstellprozess getränkt werden. Die Maschenweite wurde im Rahmen des Forschungsprojektes unter Berücksichtigung des bei dem Projekt vorliegenden Mörtelgrößtkorns von 4 mm sowie der Herstellung - Einbau des Mörtels durch zwei Lagen Textilien und anschließendes Verdichten von der Oberseite - iterativ ermittelt. Die Herstellung des zweilagigen, sog. 3D-Textils, erfolgt bei der Textilherstellung. so dass die textile Bewehrung einbaufertig auf die Baustelle geliefert wird. Bei der Herstellung des 3D-Textils kommen spezielle nicht-leitende Abstandshalter zum Einsatz. Ferner sind die Abstandshalter für die Unterseite an der Bewehrung werksmäßig eingebaut. 50 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts Bild 5: Fertig verlegte 3D-Bewehrung vor dem Mörteleinbau - lichte Maschenweite: 38 mm (Foto: Till Büttner) Die textile Bewehrung wird für die vorliegende Anwendung mit einer Breite von 1,20 m hergestellt, dies entspricht der Breite der Messfelder in Brückenlängsrichtung. Die Länge der Bewehrung beträgt i.d.R. 5,00 m, um eine ausreichende Verarbeitbarkeit auf der Baustelle zu ermöglichen, wobei auch längere Lieferlängen grundsätzlich möglich sind. Das Verlegen der Bewehrung erfolgt nach der Herstellung der elektrischen Anschlüsse händisch gemäß einer vorher erstellten Verlegeplanung. Um ein Aufschwimmen der Textilien beim Verdichten zu verhindern, werden in regelmäßigen Abständen ebenfalls nicht-leitende Verankerungselemente angeordnet. Die Verwendung von nicht-leitenden Abstandshaltern und Verankerungselementen ist zwingend erforderlich, um Kurzschlüsse zwischen den Bewehrungslagen bzw. mit der Bestandsbewehrung zu vermeiden. Kurzschlüsse zwischen den Bewehrungslagen würden ein Messen der Feuchtigkeit innerhalb des Mörtels (und damit die Detektion von Undichtigkeiten) unmöglich machen, Kurzschlüsse zwischen textiler Bewehrung und Bestandsbewehrung würden zu einem nichtfunktionierenden pKKS führen. 3. Erprobung von SMART-DECK Das System SMART-DECK wurde im Rahmen des Verbundforschungsprojektes an zwei unterschiedlich großen Demonstratoren erprobt und ausgeführt. Nach 18 Monaten Projektlaufzeit wurde ein sog. Kleindemonstrator hergestellt, der die erste Übertragung aus dem Labormaßstab in den realen Maßstab des Systems darstellt. Zu Projektabschluss wurde ein Großdemonstrator hergestellt, der die Integration des Systems in ein reales Bauprojekt validiert. Die nachfolgenden beiden Abschnitte stellen die Arbeiten an beiden Demonstratoren vor. 3.1 Kleindemonstrator Der Kleindemonstrator stellt die erste Übertragung der Herstelltechnologie des Systems aus dem Labormaßstab in den realen Maßstab dar. Der Kleindemonstrator wurde auf einer speziell für das Projekt hergestellten Grundplatte mit einer Größe von rd. 80 m² ausgeführt. Die Grundplatte wurde bei der Bundesanstalt für Straßenwesen hergestellt und repräsentiert eine typische Fahrbahntafel einer Betonbrücke. Die Herstellung einer speziellen Grundplatte ermöglichte nach der Herstellung von SMART-DECK die Entnahme von insgesamt vier Probekörpern, zwei Referenzprobekörper sowie zwei Probekörper zur Quantifizierung des Verstärkungsgrades. Diese aus dem Kleindemonstrator entnommenen Probekörper ergänzen die unter Laborbedingungen hergestellten Probekörper, um eventuell aus den Baustellenbedingungen resultierende Einflüsse quantifizieren zu können [8]. Das nachfolgende Bild stellt den Kleindemonstrator schematisch dar. Bild 6: Übersichtszeichnung des Kleindemonstrators (Zeichnung: Till Büttner) Der in Bild 6 dargestellte Grundkörper weist die folgenden Besonderheiten auf: • Variation des Längs-/ Querbewehrungsgrades (kreuzweise identisch in den einzelnen Abschnitten verlegte Bewehrung): - 5,24 cm²/ m (Ø 10-15) - 10,26 cm²/ m (Ø 14-15) - 25,13 cm²/ m (Ø 20-10) • Bewehrung ausschließlich Einzelstäbe analog Brückenüberbauten gemäß ZTV-ING. • Neigungswechsel zur Simulation des Schrammbordbereichs eines Brückenüberbaus von +2,5 % auf -2,5 %. • integrierte Referenzelektroden für den pKKS. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 51 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts Bild 7: Aufnahme der unterschiedlich bewehrten Bereiche des Grundkörpers (Foto: Till Büttner) Bild 8: Detailaufnahme des Neigungswechsels (hier mit Randschalung, textiler Bewehrung und Rüttelbohle) (Foto: Till Büttner) Der Grundkörper wurde mittels Rüttelbohle verdichtet und anschließend mittels Folie ohne weitere Bearbeitung der Oberfläche sowie der Verwendung eines Nachbehandlungsmittels nachbehandelt. Als Beton für den Grundkörper wurde ein im Brückenbau üblicherweise verwendeter C30/ 37 (Größtkorn: 16 mm) nach Vorgaben der ZTV-ING [7] verwendet. Bei der Applikation von SMART-DECK wies der Grundkörper ein Alter von ca. 4 Monaten auf. Die Applikation wurde in den folgenden Schritten durchgeführt: • Untergrundvorbereitung mittels Kugelstrahlen (2-maliges Überfahren im Kreuzgang) gemäß ZTV- ING zum kuppenartigen Freilegen des Größtkorns, • Einbau einer Randschalung entlang der „Brückenränder“ sowie zwischen den Arbeitsabschnitten, • Einbau der textilen Bewehrung sowie Verankerung der Bewehrung am Untergrund und Einbau von Multiringelektroden für vergleichende Messungen, • Applikation des Mörtels mittels Schlauchförderung und Verdichtung mit einer Rüttelbohle sowie anschließendes Nachbehandeln unter Berücksichtigung der Vorgaben der ZTV-ING für den Einbau von PCCs bzw. Aufbetonen (siehe u.a. Teil 3 Abschnitte 4 und 7). Bild 9: Grundplatte des Kleindemonstrators mit verlegter Bewehrung des ersten Bauabschnitts und eingebauter Randschalung (Foto: Till Büttner) Bild 10: Textile Bewehrung des zweiten Bauabschnitte nach dem Einbau und in Brückenlängsrichtung vorhandenem Abstand zur Generierung der einzelnen Messfelder (vgl. Bild 1) - weiß: Abstandshalter der Textilien, schwarz: Verankerung der Bewehrung im Untergrund (Foto: Till Büttner) Der Einbau von SMART-DECK erfolgt ausschließlich von der Oberseite auf die vorbereitete Oberfläche. Der Verbund und damit die Schubkraftübertragung zum Bestandsbeton wird lediglich über die Fugenrauheit ohne die Verwendung von statisch wirksamen Verankerungen realisiert. Bei der Herstellung des Kleindemonstrators wurde darauf geachtet, dass alle Einzelschritte auf einem Brückenbauwerk ausführbar sind, d. h. alle Arbeitswege, Material- und Geräteandienung analog zu einer Brückentafel erfolgen. Auch erfolgte die Herstellung in zwei Bauabschnitten, um eine übliche Baustellenverkehrsführung bei Instandsetzungsbaustellen zu simulieren. Nach der Untergrundvorbereitung erfolgte die Verlegung der vorkonfektionierten textilen Bewehrung auf der Be- 52 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts tonoberfläche - siehe Bilder 9 und 10. Die Verankerung erfolgte in einem Raster von ca. 50 x 50 cm², wobei dieser Abstand an die jeweilige Örtlichkeit angepasst werden kann, so dass eine ausreichende Verankerung der textilen Bewehrung am Untergrund sichergestellt werden kann. Die Vorkonfektionierung der Bewehrung umfasst sowohl den passgenauen Zuschnitt der Bewehrung als auch die Herstellung der elektrischen Anschlüsse durch die Firmen Massenberg und instakorr. Die Verkabelung wird gemäß den Anforderungen an eine KKS-Verkabelung ausgeführt, d.h. die Verkabelung ist redundant ausgelegt. Um die Unterteilung in einzelne Messfelder - siehe Bild 1 - zu erreichen, wurde die Bewehrung in Längsrichtung des simulierten Brückenüberbaus ohne Übergreifung ausgeführt. In Querrichtung wurden statisch wirksame Übergreifungsstöße ausgeführt, um die gewählte Übergreifungslänge im Zuge der Versuche am Institut für Massivbau an den zwei entnommenen Probekörpern zu verifizieren. Nach dem Bewehrungseinbau erfolgte der Schalungsbau entlang der Ränder des Grundkörpers sowie entlang der Arbeitsfuge zwischen den beiden Bauabschnitten. Im Anschluss an die Schalarbeiten erfolgte der Einbau des Hochleistungsmörtels - siehe Bild 11. Der Einbau erfordert den Einsatz einer Arbeitsbühne, die vor der Rüttelbohle angeordnet war. Die Verwendung einer Arbeitsbühne ist unbedingt erforderlich, da ein Betreten der Bewehrung zu Beschädigungen an der Bewehrung infolge der geringen Quersteifigkeit des Carbons und der Veränderung der Lage führen kann, so dass dies zwingend ausgeschlossen werden muss. Weiterhin ist das getränkte Carbontextil vergleichsweise steif, so dass eine Überbelastung der Bewehrung zu Sprödbrüchen führt, die diese nachhaltig beschädigt und diese somit nicht mehr die volle Tragfähigkeit aufweist [9]. Die Förderung des Mörtels erfolgte direkt aus einem Silo mit angeschlossener Mischeinheit über eine Länge von max. 60 m Förderschlauch an die Einbaustelle (Bilder 11 und 12). Parallel zum Einbau der Bewehrung erfolgten Widerstandsmessungen, um Kurzschlüsse oder Beschädigungen der textilen Bewehrung unmittelbar detektieren zu können. Im Rahmen der Herstellung des Kleindemonstrators konnte keine Beschädigung der textilen Bewehrung festgestellt werden. Bild 11: Detailaufnahme des Mörteleinbaus vor dem Verdichten (Foto: Till Büttner) Bild 12: fertiggestellter erster Bauabschnitt des Kleindemonstrators (Foto: Till Büttner) Zur Qualitätssicherung wurden Mörtelproben der beiden Bauabschnitte hergestellt und die Druck- und Biegezugfestigkeit gemäß DIN EN 196-1: 2005 [10] ermittelt. Die nachfolgende Tabelle gibt die Festigkeiten, die bei dem Kleindemonstrator erzielt wurden, wieder. Die Proben wurden, abweichend von DIN EN 196-1: 2005, bis kurz vor der Prüfung neben dem Bauwerk gelagert, um die Festigkeiten des Mörtels des Kleindemonstrators zu ermitteln. Diese Festigkeiten dienten zum einen dem Vergleich mit zuvor im Labor ermittelten Festigkeiten als auch der Nachrechnung der entnommenen großformatigen Probekörper. Allgemein lässt sich feststellen, dass der Mörtel eine vergleichsweise schnelle Festigkeitsentwicklung sowie hohe Druck- und Biegezugfestigkeiten aufweist und die Festigkeiten im Bereich der im Labor ermittelten Festigkeiten des Mörtels liegen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 53 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts Tabelle 1: Mörtelfestigkeiten der beim Kleindemonstrator hergestellten Mörtelproben - Lagerung am Bauwerk [11] Bauabschnitt 1 Bauabschnitt 2 Prüfalter Druckfestigkeit in N/ mm² Biegezugfestigkeit in N/ mm² Druckfestigkeit in N/ mm² Biegezugfestigkeit in N/ mm² 1 d 25,5 5,2 27,9 5,9 7 d - - 51,3 5,9 14 d - - 61,7 8,7 28 d 66,8 10,5 60,6 10,4 Die Herstellung des Kleindemonstrators lässt sich wie folgt zusammenfassen: • die Ausführung von SMART-DECK in einem baustellengerechten Maßstab hat grundsätzlich funktioniert und das System kann mit dem erarbeiteten Verfahren eingebaut werden. • entlang der Schnittkanten zur Entnahme der großformatigen Proben konnten keine Hohlstellen oder Verschiebungen der Bewehrung aus der Solllage heraus festgestellt werden [8], [11]. Weitere zerstörende Prüfungen (außer der Entnahme der großformatigen Proben) wurden an dem Kleindemonstrator nicht durchgeführt, um Beschädigungen an der textilen Bewehrung sowie Verkabelung zu vermeiden. Somit konnte neben der Verstärkungswirkung auch das Monitoring und der pKKS am Kleindemonstrator und damit alle drei möglichen Funktionalitäten untersucht werden. Ferner wurde am Kleindemonstrator das für SMART-DECK erforderliche Monitoring sowie eine Datenfernübertragung mittels GSM-Modem installiert, um die Funktionalität aller für das Monitoring erforderlichen Komponenten - Messsensoren, Datenlogger und Datenfernübertragung - durch das ibac der RWTH Aachen zu validieren und zu prüfen [12]. Auch bei der Entwicklung des Monitorings wurde auf eine spätere Anwendbarkeit bei Brückenbauwerken, die nicht notwendigerweise über einen Dauerstrom- und Telefonleitungsanschluss verfügen, geachtet. Basierend auf den Arbeiten am Kleindemonstrator wurden die einzelnen Komponenten von SMART-DECK weiterentwickelt, um am Ende des Forschungsprojektes einen Großdemonstrator realisieren zu können. 3.2 Großdemonstrator Der am Ende des Forschungsprojekt realisierte Großdemonstrator diente der abschließenden Verifikation aller erarbeiteten Komponenten und sollte damit auch bei einem realen Bauvorhaben unter realistischen Bedingungen ausgeführt werden. Die Herstellung des Großdemonstrators erfolgte im Rahmen des Brückenneubaus „Ritterstraße“ der Stadt Mönchengladbach. Bei der Brücke handelt es sich um ein einfeldriges Rahmenbauwerk über den Fluss Niers, welches in zwei Bauabschnitten seitens einer ARGE, die nicht an dem Forschungsprojekt beteiligt ist, errichtet wurde. Das nachfolgende Bild 13 zeigt eine Ansicht der Brücke vor der Herstellung des Überbaus. Bild 13: Ansicht der Brücke Ritterstraße vor Herstellung des Überbaus (Foto: Till Büttner) Das neue Brückenbauwerk wurde sowohl als Ortbetonbauwerk (Widerlager) als auch in Halbfertigteilbauwerk (Überbau) ausgeführt. Zur Errichtung des Überbaus wurden zunächst Fertigteile auf die Lagerkonstruktion gelegt und anschließend mit einer bewehrten Ortbetonschicht zu einer Scheibe verbunden. Bei der Ortbetonschicht wurde die Rohbetonoberkante seitens der bauausführenden ARGE 35 mm niedriger fertiggestellt als ursprünglich geplant, um den Einbau von SMART-DECK ohne Anpassung der Gradiente vornehmen zu können. Die verbleibenden 35 mm wurden dann durch den Forschungsverbund mittels SMART-DECK hergestellt. Dabei wurde auf eine Anpassung der Bewehrungsführung in der Aufbetonschicht verzichtet, da SMART-DECK auf die Betondeckung angerechnet werden kann. Die Ausführung erfolgte aufgrund der Verkehrsführung vor Ort in zwei voneinander getrennten Bauabschnitten. Die grundsätzlichen Herstellschritte von SMART-DECK sind zu den zuvor in Kapitel 3.1 beschriebenen Schritten identisch, wobei sich sowohl bei den einzelnen Komponenten als auch bei der Einbautechnologie infolge der nach dem Kleindemonstrator durchgeführten Forschungsaktivitäten Änderungen im Detail ergeben haben. Die nachfolgenden Bilder zeigen die Herstellung der beiden Bauabschnitte des Großdemonstrators. Die Arbeiten zur Herstellung von SMART-DECK wurden jeweils ca. 14 Tage nach der Betonage der Ortbetonscheibe begonnen. 54 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts Bild 14: Vollständig verlegte textile Bewehrung des 2. Bauabschnitts (Foto: Till Büttner) Bild 15: Mörteleinbau des zweiten Bauabschnitts (Foto: Till Büttner) Bild 16: fertiggestellter erster Bauabschnitt (Foto: Till Büttner) Bild 17: fertiggestellter zweiter Bauabschnitt (Foto: Till Büttner) Im Zuge der Realisierung des Großdemonstrators konnte gezeigt werden, dass SMART-DECK auch unter realen Baustellenbedingungen herstellbar ist. Beide Bauabschnitte haben ferner ergeben, dass der Mörteleinbau bei SMART-DECK im Vergleich zu vorliegenden Leistungswerten für den Einbau von PCCs wirtschaftlich ausgeführt werden kann. Weiterhin hat die einbaubegleitende Qualitätskontrolle beim Großdemonstrator gezeigt, dass im Rahmen der Herstellung von SMART-DECK die textile Bewehrung nicht beschädigt wurde. Im Anschluss an die Herstellung des Großdemonstrator wird über die kommenden Jahre das Monitoring vom Institut für Bauforschung der RWTH Aachen - Bauwerkserhaltung und Polymerkomposite (ibac) betrieben, um eine breite Datenbasis für weitere Anwendungen vorliegen zu haben. Das in der Brücke Ritterstraße installierte Monitoring ermöglicht, wie auch bei dem Kleindemonstrator, eine Datenfernabfrage der aufgezeichneten Daten mittels GSM-Netz. 4. Zusammenfassung Die dargestellten Erkenntnisse zu SMART-DECK lassen sich wie folgt zusammenfassen: • SMART-DECK konnte im Rahmen des Klein - und Großdemonstrators unter Baustellenbedingungen, wenn auch in einem für Brückenbauwerken vergleichsweise kleinen Maßstab, realisiert werden. • Im Rahmen der Untersuchungen der verstärkenden Wirkung des Systems konnte gezeigt werden, dass durch SMART-DECK eine signifikante Steigerung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit der Brückenfahrbahnplatte erreicht werden kann. Zudem werden die Durchbiegungen bei Belastung verringert und es stellt sich ein feineres Rissbild ein. Die damit einhergehende Reduzierung der Rissweiten beeinflusst das Tragwerk in Hinblick auf das mögliche Eindringen von tausalzhaltigem Wasser in positiver Weite. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 55 SMART-DECK: Realisierung eines Konzepts • Die Grundlage für das Feuchte-Monitoring, die vollflächige Widerstandsmessung am Kleindemonstrator inklusive der Datenübertragung via Internet wurde erfolgreich getestet. Zusammenfassend lässt sich ebenfalls feststellen, dass auch bei Brückenneubauten die Anwendung von SMART-DECK langfristige wirtschaftliche Vorteile für den Nutzer erwarten lässt. Die Technologie des intelligenten multifunktionalen Verstärkungs- und Schutzsystems aus textilbewehrtem Hochleistungsmörtel ist später auf andere Anwendungsfelder (Parkbauten, Tunnel, Meeresbauwerke etc.) übertragbar. Literatur [1] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehr - Eine Bestandsaufnahme. In: Bauingenieur 85 (2010), Heft 1, S. 1-9 [2] Freundt, U.; Böning, S.; Kaschner, R.: Straßenbrücken zwischem aktuellem und zukünftigen Verkehr-Straßenverkehrslasten nach DIN EN 1991-2/ NA. In: Beton- und Stahlbetonbau 106 (2011), Heft 11, S. 736-746 [3] Raupach, M.; Gulikers, J.; Reichling, K.: Condition Survey with Embedded Sensors Regarding Reinforcement Corrosion: Bauwerksüberwachung mit eingebetteten Sensoren hinsichtlich der Korrosion von Stahl in Beton. In: Materials an Corrosion 64 (2013), Nr. 2, S. 141-146 ISSN 1521-4176 [4] Nürnberger, U.: Korrosion und Korrosionsschutz im Bauwesen. Band 1: Grundlagen, Betonbau. Band 2: Metallbau, Korrosionsprüfung. Wiesbaden; Berlin: Bauverlag, 1995 [5] Vennesland, O.; Haug. R.; Mork, J.H.: Cathodic protection of reinforced concrete - a system with woven carbon mesh. In: Concrete Repair, Rehabilitation and Retrofitting - Alexander (eds), Taylor & Francis Group London 2006, ISBN: 0 415 39654 9 [6] Hinweise für die Herstellung von Abdichtungssystemen aus Hohlraumreichen Asphalttraggerüsten mit Nachträglicher Verfüllung für Ingenieurbauten aus Beton; Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), Ausgabe 2015 [7] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING), Bundes-anstalt für Straßenwesen (bast), Ausgabe 10/ 2018 [8] Adam, V.; Will, N.; Hegger, J.: Verstärkung für Fahrbahnplatten von Massivbrücken aus Textilbeton: Versuche im Rahmen einer Demonstratorrealisierung, In: Bauingenieur 96 (2020) [9] Kulas, C.; Zum Tragverhalten getränkter textiler Bewehrungselemente für Betonbauteile, Dissertation RWTH Aachen, Eigenverlag, 2013 [10] DIN EN 196-1: Prüfverfahren für Zement - Teil 1: Bestimmung der Festigkeit; Deutsche Fassung, Ausgabe November 2006 [11] Adam, V., Driessen, C., Will, N., Raupach, M.: SMART-DECK: Multifunktionale Textilbetonschicht für Brückenfahrbahnplatten, 2. Brückenkolloquium - Beurteilung, Ertüchtigung und Instandsetzung von Brücken, Technische Akademie Esslingen, Tagungshandbuch 2016, pp. 413-421 [12] Driessen-Ohlenforst, C.; Faulhaber, A.; Raupach, M.: SMART-DECK: Monitoring und kathodischer Korrosionsschutz. In: Bauingenieur 96 (2020), 3 Danksagung Der Autor bedankt sich beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für die Förderung des Projekts und beim VDI Technologiezentrum GmbH, die seitens des BMBF mit der Beratung und der Umsetzung der Förderrichtlinien betraut wurden. Außerdem gilt der Dank allen Projektpartnern: der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt, Bergisch-Gladbach), Eurovia Beton GmbH NL Bauwerksinstandsetzung (Projektkoordinator des Verbundprojektes/ Hofheim-Wallau), Solidian GmbH (Albstadt-Lautlingen), Massenberg GmbH (Essen), instakorr GmbH (Darmstadt) und StoCretec GmbH, Tochtergesellschaft der Sto SE & Co. KGaA (Kriftel) sowie dem Institut für Bauforschung - Bauwerkserhaltung und Polymerkomposite (ibac) und dem Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen. Ferner gilt der Stadt Mönchengladbach und insbesondere Herrn A. Diefenbacher der Dank für die erfolgreiche Kooperation bei dem Bauvorhaben „Ritterstraße“. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 57 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung Viviane Adam Norbert Will Josef Hegger Institut für Massivbau, RWTH Aachen Zusammenfassung Im Verbundforschungsprojekt SMART-DECK wurden experimentelle und theoretische Untersuchungen zur Wirksamkeit einer Textilbetonschicht für Brückenfahrbahnplatten durchgeführt. Insgesamt sieben Partner aus Industrie und Forschung entwickelten dabei eine 35 mm dicke Ergänzungsschicht mit Carbonbewehrung, die drei Funktionen für die Brücke bietet: Monitoring, präventiver kathodischer Korrosionsschutz und Verstärkung. Bei dem Vortrag sollen die Ergebnisse der Untersuchungen zur Verstärkungswirkung der Textilbetonergänzungsschicht vorgestellt werden. Grundlage dafür waren insgesamt 20 durchgeführte großmaßstäbliche Versuche an verstärkten Plattenstreifen und unverstärkten Referenzbauteilen. Dabei konnte gezeigt werden, dass durch die dünne aber leistungsfähige Textilbetonergänzung hohe zusätzliche Tragfähigkeiten aktiviert werden, wodurch Defizite bei der Biege- und Querkrafttragfähigkeit von Bestandsbrücken ausgeglichen werden können. Der Beitrag beinhaltet die Ergebnisse von zehn Bauteilversuchen an Fahrbahnplattenausschnitten mit Textilbetonergänzung und begleitenden Kleinkörperversuchen am Verstärkungsmaterial und Referenzversuchen an unverstärkten Plattenstreifen. Die Verstärkung erfolgte unter Baustellenbedingungen durch einen der Projektpartner. Die Versuche wurden anschließend in den Versuchshallen des Instituts für Massivbau (IMB) der RWTH geprüft. 1. Einleitung Bekanntermaßen liegen bei einem erheblichen Teil des Brückenbestands der Bundesstraßen Schäden am Bestandstragwerk oder infolge Verkehrserhöhung bzw. strengerer Nachweisführung rechnerische Defizite vor. Um die Restnutzungsdauer der aktuell defizitären Bauwerke zu verlängern und so durch die Erweiterung des Planungshorizonts einen Ersatzneubau für einen Teil betroffenen Brücken zu verschieben, können verfeinerte Bemessungsmöglichkeiten Abhilfe schaffen, die höhere rechnerische Tragfähigkeiten erlauben. Diese sind in der Nachrechnungsrichtlinie geregelt [1, 2]. Kann ein Teil der erforderlichen Nachweise auch nach der genaueren Tragwerksanalyse nicht nachgewiesen werden, können Verstärkungsmaßnahmen sinnvolle Lösungen darstellen. Für Stahl- oder Spannbetonbrücken, die den Großteil des deutschen Brückenbestands darstellen [3], stehen klassische Verstärkungsverfahren, wie z. B. eine nachträgliche externe Vorspannung, Schublaschen oder eine Ortbetonergänzung zur Verfügung (z. Β. [4-6]). Innovative Materialien, wie UHPC oder Textilbeton können durch erhöhte Leistungsfähigkeit erhebliche Materialeinsparungen ermöglichen (z. B. [7-11]). Dadurch ergeben sich einerseits ein ressourcenschonenderer Materialeinsatz und andererseits ein reduziertes zusätzliches Eigengewicht, was die Unterbauten und die Gründung der verstärkten Brücke weniger belastet. Auch das hier vorgestellte System SMART-DECK, das im Zuge eine Forschungsprojekts mit insgesamt sieben Projektpartnern entwickelt wurde, bietet eine Möglichkeit zur Brückenverstärkung mit Textilbeton. Neben der Verstärkungswirkung wurden im Forschungsprojekt zwei weitere Funktionalitäten des Systems untersucht, Feuchtemonitoring und präventiver kathodischer Korrosionsschutz (pKKS, z. B. [12, 13] oder nachfolgender Beitrag). Ein weiterer Fokus der Untersuchungen lag in der Umsetzbarkeit und Herstellung des Systems auf der Brücke (z. B. [14, 15] oder vorangegangener Beitrag). SMART-DECK ist eine Textilbetonergänzungsschicht, die zwischen Bestandsbeton und Fahrbahnbelag aufgebracht wird. Sie besteht aus einem Hochleistungsmörtel und einer textilen Bewehrung aus Carbonfasern mit Epoxidharztränkung. Die Textilien werden zweilagig mit einem gegenseitigen Achsabstand von 15 mm und einem Randabstand zur Betonfuge und zur Oberseite von 10 mm eingebaut, sodass sich eine Gesamtschichtdicke von ca. 35 mm ergibt (Abbildung 1). 58 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung Abbildung 1: Aufbau von SMART-DECK (Quelle: IMB, RWTH Aachen) Das aus senkrecht zueinander verlaufenden Fasersträngen (Rovings) textile Gelege hatte eine Maschenweite von 38 mm. Das Grundmaterial Carbon bietet einerseits die für Monitoring und pKKS erforderliche elektrische Leitfähigkeit. Andererseits weist es in Kombination mit der Epoxidharztränkung gute Verbundeigenschaften zum umgebenden Beton auf und ist durch die hohe Zugfestigkeit (5bis 6-facher Wert von Betonstahl) sehr leistungsfähig. Die weiterhin charakteristische Korrosionsbeständigkeit des Materials erlaubt dann die Ausführung dünner Schichten. Gerade in Kombination mit einem massiven Bestandstragwerk, das eine hohe Steifi gkeit liefert, lassen sich diese vorteilhaften Eigenschaften des Textilbetons optimal ausnutzen und hohe Tragfähigkeitssteigerungen bei minimalem Materialeinsatz realisieren. 2. Durchgeführte Versuche 2.1 Allgemeines Abbildung 2 zeigt eine Detailaufnahme eines der verwendeten Textilien. Es sind die herstellbedingten Faserstränge in 0°(Schuss-) und 90° (Kettrichtung) zu erkennen. Der Wirkfaden entlang des Faserstangs in Kettrichtung ist jeweils deutlich sichtbar. Abbildung 2: Aufnahme von Textil T-1-38 (Quelle: IMB, RWTH Aachen) SMART-DECK soll auf der Brückenfahrbahnplatte entlang der gesamten Breite verarbeitet werden, die Textilien sollen in Längsrichtung jedoch abschnittsweise in einem defi nierten Abstand zu einander verlegt werden, um elektrisch getrennte Felder zu erhalten. Produktionsbedingt ist die Schussrichtung der Textilien auf die Anlagenbreite begrenzt. Aus diesem Grund wird diese in Längs- und die Kettrichtung in Querrichtung der Brücke verlegt. Die Hauptlastabtragsrichtung ergibt sich also entlang der 90°-Richtung der Carbonmatten. Die Zugversuche am Kompositwerkstoff wiesen daher die Kettrovings in Zugrichtung auf. Die Verstärkungswirkung von SMART-DECK wurde bereits im Zuge des Kleindemonstrators experimentell untersucht, der zur geplanten Projekthalbzeit realisiert wurde. Dazu wurde eine ca. 100 m² große Demonstratorplatte mit einer Dicke von h = 28 cm und Neigungswechsel hergestellt, die eine Bestandsfahrbahnplatte repräsentierte. Es erfolgte die Verstärkung von in etwa 80 % der Fläche, wobei die Umsetzung der Querschnittsergänzung selbst sowie die Herstellung der Messeinrichtung für das Monitoringsystem erprobt wurden. Im Anschluss erfolgten die Untersuchung der Anwendung des Monitorings (s. o.) und der erreichbaren Tragfähigkeitssteigerungen. Letzteres wurde durch Heraussägen von Plattenstreifen aus dem verstärkten und unverstärkten Bereich der Demonstratorplatte umgesetzt, die dann in insgesamt acht Belastungsversuchen am IMB bis zum Bruch getestet. Dabei wurden genauso wie in der hier vorgestellten Versuchsserie die Versagensarten Biegung und Querkraft untersucht. Es wurden Querkraftverstärkungsgrade von 24 - 56 % und Biegeverstärkungsgrade von 90 - 174 % erreicht [16]. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 59 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung 2.2 Bauteilversuche Zur Untersuchung der Verstärkungswirkung von SMART-DECK liegen insgesamt 15 Ergebnisse aus Bauteilversuchen mit statischer Last vor, wie die Übersicht in Tabelle 1 zeigt. Davon wurden zehn Versuche an verstärkten Plattenstreifen durchgeführt. Aus einem anderen Vorhaben kann auf einen doppelten Referenzversuch mit einem Längsbewehrungsgrad von r l = 1 % zurückgegriffen werden [17]. Ziel war die Untersuchung des Einflusses von SMART-DECK auf das Bauteilverhalten für die beiden maßgebenden Versagensarten Biegung (M) und Querkraft (Q, Versagen in der Fuge: F). Zur Steuerung des Biegemoments wurde der Lastabstand a = 0,7 / 1,0 / 1,3 m zwischen Last und Auflager variiert und zur Variation der Ausnutzung der Biegezugbewehrung wurde der Längsbewehrungsgrad bezogen auf den Stahl im Bestand zu r ll = 1,0 / 0,5 / 0,2 % festgelegt. Für den hohen und mittleren Längsbewehrungsgrad wurde Gewindestabstahl mit einer Festigkeitsklasse St900/ 1000 (Ø15/ 7,5 bzw. Ø15/ 15) und für den kleinen Längsbewehrungsgrad ein Rippenstahl der Güte B500 (Ø10/ 15) verwendet. Die Festigkeiten des Mörtels wurden an Prismen mit den Abmessungen B × H × L = 40 × 40 × 160 (mm) als Mittelwert aus drei Baustoffproben ermittelt. Die Bruchspannungen bzw. -dehnungen der Textilien wurden an versuchsbegleitenden Dehnkörperversuchen ermittelt, die zusammen mit der Verstärkungsschicht für die Bauteilversuche hergestellt wurden. Abgesehen von den Variationsparametern erfolgte die bauliche Durchbildung aller Versuchskörper auf die gleiche Art. In den Prüfbereichen wurde keine Querkraftbewehrung vorgesehen, da der Einbau von Querkraftbewehrung in Platten aufwendig und daher aus baupraktischen Gründen in realen Fahrbahnplatten unüblich ist. In Querrichtung zur Lastabtragsrichtung der Versuchskörper (Längsrichtung der Brücke) wurde eine Längsbewehrung von Ø10/ 20 entsprechend des normativen Mindestwertes vorgesehen. Diese Bewehrungsstäbe wurden jeweils außen von der Längsbewehrung der Versuchskörper angeordnet. Auf der Unterseite der Versuchskörper (Druckzone im Versuch) wurde stets eine Bewehrung in Hauptlastabtragsrichtung und orthogonal dazu vorgesehen. Die Dicke der Stahlbetonplatten war stets 28 cm, die Betondeckung betrug umlaufend 20 mm, sodass sich statische Nutzhöhen zwischen 24 und 26 cm ergaben. Die Betonage der Stahlbetongrundkörper erfolgte in den Versuchshallen des IMB mit einem Transportbeton mit einer Zielfestigkeit entsprechend eines C30/ 37 und einem Größtkorn d g = 16 mm. Die Versuchskörper wurden mithilfe eines Innenrüttlers verdichtet. Es wurden Baustoffproben (Zylinder Ø = 150 mm/ h = 300 mm und Würfel mit einer Kantenlänge von 150 mm) genommen, die parallel zu den Versuchskörpern gelagert und zum Versuchszeitpunkt geprüft wurden, um Rückschlüsse auf die im Bauteil erreichten Festigkeiten ziehen zu können. Die Herstellung von SMART-DECK erfolgte durch den Projektpartner Eurovia unter Baustellenbedingungen. SD-S2 wurde am IMB verstärkt, während die Textilbetonschicht der restlichen Versuchskörper ca. 1,5 Jahre später auf einem Werkshof des Projektpartners appliziert wurde. Die Ergebnisse der parallel hergestellten Dehnkörperversuche wurden im vorangegangenen Abschnitt vorgestellt. 60 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung Tabelle 1 Versuchsmatrix zu den Bauteilversuchen Bezeichnung Untersuchte/ beobachtete Versagensart Materialkombination Verstärkung Lastabstand Längsbewehrungsgrad Betondruckfestigkeit 1 Mörtelfestigkeit Textilfestigkeit 2 Verstärkungsgrad Bruchlast a [m] r l,s [%] f cm,cyl [N/ mm²] f cm,prism / f ct,fl [N/ mm²] σ Tex,u / e u [N/ mm²]/ [‰] η [-] V [kN] SD-S1-1 Q/ Q - 0,7 1,0 38,7 - - - 155 SD-S1-2 Q/ Q - 1,0 1,0 38,7 - 136 SD-S1-2 1 Q/ Q - 1,0 1,0 38,7 - 145 SD-S2-1 Q/ Q M3, T1 0,7 1,0 38,9 73,6 / 5,2 3141 / 14,1 1,31 203 SD-S2-2 Q/ Q+F M3, T1 1,0 1,0 38,9 1,03 144 SD-S3-1 Q/ Q - 0,7 0,5 35,6 - - - 118 SD-S3-2 Q/ Q - 1,0 0,5 35,6 - 110 SD-S4-1 Q/ F M4, T4 0,7 0,5 35,6 78,7 / 10,4 2874 / 12,1 1,05 124 SD-S4-2 Q/ F M4, T4 1,0 0,5 35,6 1,08 119 SD-S5-1 M/ Q M4, T4 1,0 0,2 35,6 2,89 107 SD-S5-2 M/ Q+F M4, T4 1,3 0,2 35,6 2,63 103 SD-S6-1 M/ M+F M4, T4 1,0 0,2 39,3 2,51 93 SD-S6-2 M/ M+F M4, T4 1,3 0,2 39,3 2,3 65 SD-S7-1 Q/ Q M4, T4 0,7 1,0 39,3 1,49 231 SD-S7-2 Q/ Q M4, T4 1,0 1,0 39,3 1,53 215 1 Betonfestigkeit des Bestands 2 Ermittelt am Dehnkörperversuch An jedem Versuchskörper wurden zwei Teilversuche durchgeführt. Die Belastung erfolgte stets an einem Kragarm, um eine Beanspruchung eines auf dem rechten Fahrstreifen fahrendem und damit den Kragarm der Fahrbahnplatte belastenden Lkw zu realisieren. Der Abstand der beiden Aufl ager zueinander betrug stets 1,7 m, der Lastabstand a (Lastachse bis Achse des lastnahen Aufl agers) wurde entsprechend der Angaben in Tabelle 1 variiert. Das lastferne Aufl ager wurde so ausgebildet, dass es die dort im Laufe des Versuchs entstehenden abhebenden Kräfte aufnehmen konnte. Abbildung 3 zeigt die Versuchsaufbauten. Die Last wurde über einen hydraulischen Zylinder aufgebracht und über eine quadratische Lastplatte von 40 × 40 (cm) entsprechend der Radaufstandsfl äche für Lkw nach Norm [18] in den Versuchskörper eingeleitet. Abbildung 3: Bauteilgeometrien und Versuchsaufbauten der Bauteilversuche am IMB (Quelle: IMB, RWTH Aachen) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 61 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung Alle Versuche hier vorgestellten wurden statisch belastet. Die Belastung erfolgte stufenweise bis zum Bruch. Dabei wurden die ersten vier Laststufen kraftgesteuert angefahren. Ab etwa der Hälfte der mindestens erreichbaren rechnerischen Bruchlast erfolgte die Belastung weggesteuert. Im Laufe der Beanspruchung entstand ein fein verteiltes Rissbild auf der Oberseite der Versuchskörper. Die deutlich größere Anzahl an Rissen bei gleichzeitig reduzierten Rissbreiten bei den verstärkten Bauteilen im Vergleich zu den unverstärkten Referenzversuchen ist grundsätzlich positiv in Hinblick auf den Einfl uss von SMART-DECK auf die Gebrauchstauglichkeit der Brücke einzuschätzen. Bei einem Teil der Versuche kam es bei fortgeschrittenem Belastungsverlauf zu einer Delamination zwischen dem Grundbeton und der Ergänzungsschicht. Da ein Großteil der Versuchsergebnisse von der Fugenschädigung unbeeinfl usst blieb, lassen sich dennoch belastbare Rückschlüsse ableiten. Neben der Rissbildung beeinfl usst SMART-DECK das Last-Durchbiegungsverhalten der Plattenstreifen. Abbildung 4 zeigt die Last-Verformungskurven der statischen Bauteilversuche. Hier erfolgte eine Unterscheidung nach dem Lastabstand a. Alle Bauteilversuche an verstärkten Versuchen sind mit durchgezogener Linie abgebildet, während die Referenzversuche an reinen Stahlbetonbauteilen gestrichelt dargestellt sind. Die Farbgebung erlaubt eine Unterscheidung zwischen den Längsbewehrungsgraden der stählernen Biegezugbewehrung ( r l = 1,0 % in blau, r l = 0,5 % in rot und r l = 0,2 % in blau). Die verstärkten Bauteile weisen bei gleichem Belastungsniveau geringere Durchbiegungen auf. Die Durchbiegungen wurden während der Versuchsdurchführung kontinuierlich über Wegaufnehmer unterhalb des Versuchskörpers in der Lastachse gemessen. Zur Ermittlung der erreichten Verstärkungsgrade der mit SMART-DECK ergänzten Versuche wurden die Bruchlasten mit den Tragfähigkeiten entsprechender unverstärkter Bauteile verglichen. Die in Tabelle 1 dargestellten Verstärkungsgrade entsprechen jeweils dem Verhältnis aus dem Bauteilwiderstand des verstärkten zum unverstärkten Bauteil. Abbildung 4: Last-Durchbiegungskurven der Bauteilversuche getrennt nach Lastabstand a (Quelle: IMB, RWTH Aachen) 62 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung Abbildung 5: Freigelegte Biegezugbewehrung im Bereich des Kragarmanschnittes von SD-S6 (Quelle: IMB, RWTH Aachen) Besonders hervorzuheben sind die Querkraftversuche SDS21, SDS71 und SDS72, die das erhebliche Potential zur Querkrafttragfähigkeitssteigerung von SMART- DECK verdeutlichen. SDS2 und SDS7 wurden gleich ausgeführt, allerdings zu unterschiedlichen Zeitpunkten durchgeführt, sodass sie abweichende Materialkombinationen in der Carbon-Beton-Kompositschicht aufwiesen. Bei SDS22 wurden aufgrund der noch unzureichenden Verarbeitbarkeit des Mörtels M1 Fehlstellen in der Fuge festgestellt. Hier fiel die Tragfähigkeitssteigerung im Vergleich zu SDS21 gering aus, in dessen Prüfbereich der Mörtel einen guten Verbund zum Bestand eingehen konnte. SD S21 wies hingegen eine überraschend hohe Querkrafttragfähigkeit auf. Der hier erzielte Verstärkungsgrad konnte im Folgejahr mit optimierten Materialien in der Verstärkungsschicht noch einmal deutlich gesteigert werden. Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse der Querkraftversuche erlaubt den Rückschluss, dass trotz der hauptsächlich in Hinblick auf die Biegetragfähigkeit günstigen Ausbildung der Verstärkungsschicht auch ein positiver Einfluss auf die Querkrafttragfähigkeit festzustellen ist. Bei beiden Teilversuchen am Versuchskörper SDS5 änderte sich infolge der Verstärkung mit SMART-DECK die Versagensart. Durch das sich einstellende Querkraftversagen konnte gezeigt werden, dass die Biegetragfähigkeit so weit gesteigert werden konnte, dass sie nicht maßgebend in Hinblick auf die erreichbare Bruchlast wurde. Daher konnte für diese Versuche eine maximale Steigerung des Biegewiderstands erreicht werden. Die Versuchsergebnisse untermauern weiterhin die Relevanz der Untersuchung beider potentieller Versagensarten (Querkraft und Biegung), was im Vergleich zu anderen Forschungsprojekten zur Textilbetonverstärkung von Stahlbetonplatten ein Alleinstellungsmerkmal des vorliegenden Teilprojekts darstellt. Während der Durchführung der Versuche am Versuchskörper SD-S6 war im letzten Viertel des Belastungsverlaufs mehrfach ein lautes Knallgeräusch zu hören, was durch einen kurzfristigen Lastabfall gekennzeichnet war. Gleichzeitig kam es zu einer signifikanten Öffnung eines Biegerisses im Bereich des Kragarmanschnitts. Im Anschluss daran ist die Fugenschädigung weit fortgeschritten. Weiterhin ist der an der Biegezugbewehrung im Stahlbetongrundkörper angebrachte Dehnmessstreifen ausgefallen, nachdem zuvor sehr hohe Werte gemessen wurden. Da dies einen Bruch der Biegezugbewehrung vermuten ließ, wurde der Versuch aus Sicherheitsgründen beendet. Nach der Versuchsdurchführung wurde die Stahlbewehrung im Kragarmanschnittbereich freigelegt, um die Biegezugbewehrung auf eventuelle plastische Schädigungen zu überprüfen (Abbildung 5). Es ist deutlich zu erkennen, dass die Biegezugbewehrung des Stahlbetongrundkörpers gerissen ist. Die dadurch freigewordene Kraft konnte anschließend trotz der partiellen Öffnung der Fuge zwischen Bestand und Verstärkung vollständig von der Textilbetonschicht aufgenommen werden, was durch die weiterhin mögliche Laststeigerung gezeigt werden konnte. Die Ergebnisse der Versuche an Versuchskörper SD-S5 und SD-S6 verdeutlichen das große Verstärkungspotential von SMART-DECK auch in Hinblick auf die Biegetragfähigkeit von Brückenfahrbahnplatten. 3. Zusammenfassung und Ausblick Die Textilbetonschicht SMART-DECK, die zwischen Bestandsfahrbahnplatte und Fahrbahnbelag aufgebracht werden soll, wurde hinsichtlich ihrer Tragfähigkeitssteigernden Wirkung untersucht. Im vorliegenden Beitrag wurden die Ergebnisse von insgesamt 15 Bauteilversuchen vorgestellt, von denen zehn an textilbetonverstärkten Plattenstreifen durchgeführt wurden. Es konnte gezeigt werden, dass sich sowohl hinsichtlich der Biegeals auch der Querkrafttragfähigkeit erhebliche Verstärkungsgrade einstellen. Die teilweise aufgetretenen Fehlstellen in der Verbundfuge zwischen Altbeton und Verstärkungsschicht führten zwar zu einer deutlichen Abnahme der Querkrafttragfähigkeitssteigerung. Das Biegetragverhalten wurde dadurch jedoch nicht maßgeblich gestört, so- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 63 Textilbetonschicht für Fahrbahnplatten von Betonbrücken zur Erhöhung der Biege- und Querkrafttragfähigkeit in Querrichtung dass auch bei stellenweisen Ablösungen in der Verbundfuge enorme Tragfähigkeitszuwächse möglich blieben. Die herstellbedingten Fehlstellen waren innerhalb des Projekts Anlass zur Optimierung des Mörtels, sodass bei späteren Herstellversuchen stets eine intakte Fuge erzielt werden konnte. Die Querkraftverstärkungsgrade, die sich bei den Versuchen mit vollständigem Verbund zwischen Altbeton und Ergänzungsschicht ergaben, haben die Erwartungen übertroffen und waren zudem reproduzierbar. Die Ergebnisse konnten weiterhin die Erkenntnisse aus den experimentellen Untersuchungen untermauern, die im Rahmen des zur Projekthalbzeit durchgeführten Kleindemonstrators erzielt wurden. Neben den Kleindemonstratorversuchen und den hier vorgestellten Untersuchungen, bei denen die Belastung statisch erfolgte, wurden weiterhin zwei zyklische Tastversuche durchgeführt, um die typischen auf Brücken herrschenden ermüdungswirksamen Beanspruchungen zu adressieren. Deren Ergebnisse, die in einem späteren Beitrag vorgestellt werden, konnten das über die statischen Versuche demonstrierte Potential von SMART-DECK unterstreichen. Über das nun abgeschlossene Forschungsprojet hinaus sind dahingehend jedoch weitere Untersuchungen erforderlich, um weitere Belastungssituationen experimentell abzubilden und die Leistungsfähigkeit des Systems abzusichern. Weiterhin wäre es denkbar, das System nicht nur auf die Tragfähigkeit des Quersystems sondern auch des Längssystems betroffener Bestandsbrücken anzusetzen. 4. Danksagung Die vorgestellten Versuche wurden im Rahmen eines Forschungsprojekts des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführt. Die Autoren bedanken sich für die Förderung des Projekts (Förderkennzeichen 13N13108) und beim VDI Technologiezentrum GmbH, das seitens des BMBF mit der Beratung und der Umsetzung der Förderrichtlinien betraut wurde, für die wertvolle Unterstützung. Außerdem gilt der Dank den Projektpartnern, der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Eurovia Beton GmbH NL Bauwerksinstandsetzung, Solidian, Massenberg GmbH, instakorr GmbH (Darmstadt), Sto Cretec GmbH, Tochtergesellschaft der Sto SE & Co. KGaA und dem ibac der RWTH Aachen für die kooperative Zusammenarbeit. Literatur [1] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand. Richtlinie, Ausgabe Mai 2011. [2] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand 1. Ergänzung. Ausgabe April 2015. [3] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Strategie zur Ertüchtigung der Straßenbrücken im Bestand der Bundesfernstraßen. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin Ausgabe Mai 2013. 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[16] Adam, V.; Will, N.; Hegger, J.: Verstärkung für Brückenfahrbahnplatten von Massivbrücken aus Textilbeton: Versuche zur Realisierung eines Demonstrators. In: Bauingenieur 95 (2020), Heft 3, S. 85-95. [17] Hegger, J.; Reissen, K.: Querkrafttragfähigkeit von einachsig gespannten Stahlbetonplatten unter Einzellasten - Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Förderkennzeichen HE 2637/ 22-1, Aachen Ausgabe 2017. [18] DIN EN 1991-1-4: 2010-12: Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 1-4: Allgemeine Einwirkungen - Windlasten; . Norm, Ausgabe Dezember 2010. Bauen unter Verkehr 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 67 Gründungsertüchtigung eines Bestandspfeilers im Zuge des Neubaus der Schiersteiner Rheinbrücke Dr.-Ing. Heiko Huber (Autor) CDM Smith Consult GmbH, Bickenbach, Deutschland Dipl.-Ing. Wolfgang Kissel und Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Krajewski (Co-Autoren) CDM Smith Consult GmbH, Bickenbach, Deutschland M.Sc., Dipl.-Ing. (FH) André Scholl (Co-Autor) Hessen Mobil Straßen- und Verkehrsmanagement, Wiesbaden, Deutschland Zusammenfassung Das Straßen- und Verkehrsmanagement Hessen Mobil realisiert in Zusammenarbeit mit dem Landesbetrieb Mobilität des Landes Rheinland- Pfalz den 6-streifigen Ausbau der BAB A643 zwischen dem Autobahnkreuz Wiesbaden und dem Autobahndreieck Mainz. Im Rahmen dieses Ausbaus ist es u.a. erforderlich, die zwischen den Anschlussstellen Wiesbaden-Äppelallee und Mainz-Mombach bestehende Schiersteiner Brücke über den Rhein durch einen Neubau zu ersetzen. Der Pfeiler A (Trennpfeiler) der bestehenden Brücke soll erhalten bleiben. Aufgrund einer notwendigen Pfeilerverstärkung sowie neuer, breiterer Überbauten vergrößern sich im Zuge des Brückenneubaus die Pfeilerlasten. Entsprechend war es erforderlich, geotechnische Maßnahmen zu ergreifen, um die Standsicherheit der Gründung des bestehenden Trennpfeilers zu gewährleisten. Die Ertüchtigungsmaßnahmen werden im nachfolgenden Bericht beschrieben. 1. Einleitung und Bauwerksbeschreibung Aktuell realisiert Hessen Mobil in Zusammenarbeit mit dem Landesbetrieb Mobilität des Landes Rheinland- Pfalz den 6-streifigen Ausbau der BAB A643 zwischen dem Autobahnkreuz Wiesbaden und dem Autobahndreieck Mainz. In Rahmen dieses Ausbaus ist es u. a. erforderlich, die zwischen den Anschlussstellen WI-Äppelallee und MZ-Mombach bestehende Schiersteiner Brücke über den Rhein durch einen Neubau zu ersetzen. Die bestehende Schiersteiner Brücke war bisher 4-streifig ausgebaut. Beidseitig der Straße verliefen auf den Brückenkappen Geh- und Radwege. Die Breite der Brücke betrug etwa 26 m. Die rund 1280 m lange Brücke wies 17 Felder auf. Die Brücke stand unter anderem auf 4 Strompfeilern, die im Zuge des Baus der Brücke (Baubeginn 1955) mit Druckluftsenkkästen gegründet wurden. Der Überbau der Brücke bestand aus einer vollwandigen, geschweißten Stahlkonstruktion mit einer maximalen Spannweite von 205 m. Im Zuge des Neubaus erhält die Schiersteiner Brücke jeweils für die Richtungsfahrbahnen Wiesbaden (Achse 1) und Mainz (Achse 2) getrennte Brückenbauwerke. Die Anzahl der Stützstellen reduziert sich dabei von 18 auf 15. Beide Richtungsfahrbahnen sollen 3-streifig ausgebaut werden. Je Brücke sind ein Standstreifen sowie ein Geh- und Radweg vorgesehen, sodass die Breite der neuen Brückenbauwerke im fertigen Zustand jeweils 21,50 m betragen wird. Die neue Brücke mit Fahrtrichtung Mainz (Achse 2) wurde vorab im Unterstrom der Bestandsbrücke errichtet. Nach Fertigstellung der Brücke und nach Umverlegung des Verkehrs auf das neue Brückenteil wurde die alte Brücke zurückgebaut und ortsgleich wurde die neue Brücke mit Fahrtrichtung Wiesbaden errichtet. Hierbei wurden mit Ausnahme der beiden Flusspfeiler in den Achsen H und I alle Stützstellen zurückgebaut. Ebenfalls erhalten blieb der sogenannte Trennpfeiler. Aufgrund der neuen, schwereren Überbauten sowie der erforderlich gewordenen Pfeilerverstärkungen vergrößerten sich die Pfeilerlasten. Entsprechend mussten geotechnische Maßnahmen ergriffen werden, um die Standsicherheit der Pfeilergründungen zu gewährleisten. Der Trennpfeiler A besteht aus einer 5-kammerigen, dreigeschossigen Stahlbetonkonstruktion mit einer Länge von ca. 36,3 m, einer Breite von ca. 7,0 m und einer Höhe von ca. 12,0 m (Abb. 1). Der Pfeiler ist statisch als Widerlager ausgebildet. Nach Norden beginnt von hier aus der Hessische Abschnitt der Schier-steiner Brücke. Nach Süden schließt das sogenannte Herzstück als Teil der Vorlandbrücke auf Rheinland-pfälzer Seite an. 68 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Gründungsertüchtigung eines Bestandspfeilers im Zuge des Neubaus der Schiersteiner Rheinbrücke Die Wandstärken der Außenwände des Trennpfeilers A betragen 1,0 m bzw. 0,8 m. Die Pfeilerwände sind außen mit einer etwa 0,2 m starken Granitsteinvorsatzschale verblendet. Im Pfeilerinnern sind vier quer verlaufende Wandscheiben mit Wandstärken von 0,5 m und zwei Zwischendecken mit Deckenstärken von 0,3 m und die Decke am Pfeilerkopf mit einer Stärke von 0,4 m vorhanden. Abb. 1: Gründungsebene des Trennpfeilers A Die Pfeileraußenwände sind auf einem umlaufenden 2 m hohen und 0,9 m breiten Fundament und die vier Pfeilerinnenwände auf Fundamenten mit 1,5 m Breite und 0,9 m Höhe gegründet. 2. Baugrund Die Baugrundverhältnisse im Bereich der Schiersteiner Brücke wurden im Herbst 2010 zur Ergänzung der bereits vorliegenden Ergebnisse früherer Bohrkampagnen mit insgesamt 52 Aufschlussbohrungen untersucht. Je Pfeiler wurden drei bzw. vier Bohrungen ausgeführt. Zwei weitere Bohrungen wurden im Bereich der Vorlandbrücke Schierstein auf der Mainzer Seite abgeteuft. Die Endteufen betrugen ca. 30 m bzw. 40 m. Weiterhin wurden 42 Archivbohrungen mit Endteufen zwischen etwa 10 m und 20 m aus dem Jahr 1959 zur Baugrundbeurteilung herangezogen. Die Bohrungen wurden in den Überlagerungsböden als Rammkern-Trockenbohrungen ausgeführt. In den tertiären Schichtenfolgen wurde das Bohrverfahren auf Rotation mit Spülhilfe umgestellt. In einem Teil der Bohrlöcher wurden Bohrlochrammsondierungen (BDP) ausgeführt. Ferner wurden Grundwassermessstellen DN 125 in den tertiären und den quartären Böden hergestellt. Zur Untersuchung der Lagerungsdichte der Überlagerungsböden wurden Sondierungen mit der Schweren Rammsonde (DPH) bis in Tiefen von maximal 16,0 m geschlagen. An 90 Bodenproben wurde ein umfangreiches bodenmechanisches Laborprogramm ausgeführt. Nach den Ergebnissen der Baugrunderkundung steht im Planungsgebiet unter der Geländeoberfl äche zunächst eine bis maximal 9 m dicke Schicht aus jungzeitlichen Schluffen und Sanden an, die lokal durch künstliche Auffüllungen ersetzt wird. Darunter folgen bis in Tiefen zwischen ca. 6 m und 12 m unter Gelände die Terrassenablagerungen des Rheins und des Mains. Im Bereich des Flussbetts weisen diese Sande und Kiese eine Schichtmächtigkeit zwischen ca. 0,8 m und 3,3 m auf. Im Liegenden folgen bindige tertiäre Hydrobienschichten (vgl. Baugrundschnitt in Abb. 2). Abb. 2: Baugrundschnitt Fahrrichtung Wiesbaden Freies Grundwasser in den Rhein- und Mainterrassen steht in Tiefen knapp oberhalb des Rhein-wasserstandes an. Innerhalb der sandigen Zwischenhorizonte und in den Festgesteinshorizonten der tertiären Schichtenfolgen ist das Grundwasser gespannt. Der Druckspiegel des tertiären Grundwassers liegt etwa auf dem Niveau des quartären Grundwassers. 3. Standsicherheitsuntersuchungen Zur Untersuchung der Standsicherheit der Gründung des Trennpfeilers wurden Grundbruchberechnungen durchgeführt. Die als Trägerrost ausgebildete Fundamentierung wurde vereinfachend als durchgehende Fundamentplatte angesetzt. Dies ist gemäß DIN 4017 nur dann erlaubt, wenn die Summe der Aussparungen nicht mehr als 20 % der gesamten umrissenen Sohlfl äche beträgt. Diese Voraussetzung war mit der Vergrößerung der quer verlaufenden Wandscheiben (vgl. Abb. 1) erfüllt. Die Untersuchungen zeigten, dass die Sicherheit des Bestandspfeilers gegen Grundbruch für die neuen Lasten unzureichend ist. Dementsprechend wurden mehrere Ertüchtigungsmaßnahem geplant und umgesetzt (vgl. Kapitel 4). 4. Ertüchtigungsmaßnahmen 4.1 Tiefgründung mittels Mikropfählen Als tragwerksplanerische Ertüchtigungsmaßnahme wurde der Bestandpfeiler mit innen liegenden Lisenen verstärkt. Die über die Lisenen abgeleiteten Lastanteile werden nach dem neuen Tragwerkskonzept nicht über die bestehende Flachgründung in den Baugrund geleitet. Vielmehr wurde hierzu eine Tiefgründung mit Mikropfählen ausgeführt. Es liegt somit eine Mischgründung vor, wobei die Mikropfähle so dimensioniert wurden, dass diese steifer sind als die Flachgründung. Die Zusatzlasten werden daher überwiegend von den steiferen Mikropfählen aufgenommen. Insgesamt wurden 52 Mikropfähle mit doppeltem Korrosionsschutz im Inneren des Bestandsbauwerks ausgeführt (vgl. Abb. 3). Die Pfähle reichen bis zum so genannten 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 69 Gründungsertüchtigung eines Bestandspfeilers im Zuge des Neubaus der Schiersteiner Rheinbrücke Erdgeschoss (EG) des Pfeilers. Das Untergeschoss wurde verdämmt. Abb. 3: Ertüchtigungsmaßnahmen am Trennpfeiler A Um das für die beschriebene Ertüchtigungsmaßnahme geeignete Mikropfahlsystem und Bohrverfahren zu bestimmen, wurden zunächst außerhalb des bestehenden Trennpfeilers sechs Probemikropfähle (3 Pfähle im System ISCHEBECK und 3 Pfähle im System GEWI) hergestellt. Die Mikropfähle wurden einer Probebelastung unterzogen. Als geeignetes Mikropfahlsystem wurde schließlich GEWI 63,5 mm mit doppeltem Korrosionsschutz gewählt. Zur Herstellung der Mikropfähle aus dem Bestandsbauwerk heraus wurden zunächst durch den Kammerfußboden im EG Kernbohrungen mit einem Durchmesser von D = 0,3 m ausgeführt. Die anschließenden Pfahlbohrungen wurden in diesen Bohrlöchern angesetzt und im Duplexbohrverfahren mit einem Bohrgerät vom Typ Klemm KR 702 hergestellt. Bei diesem Bohrverfahren werden die Außenverrohrung und das Innengestänge der Verrohrung gleichdrehend über einen gemeinsamen Drehantrieb angetrieben. Angetroffene Kalkstein-, Dolomit- und Algenkalk-Schichten wurden mittels Rollenmeißel oder Imlochhammer drehend bzw. drehschlagend gelöst. Um die temporäre Schwächung des Baugrundes unterhalb der bestehenden Flachgründung im Zuge der Bohrarbeiten zu minimieren und eine mögliche Verkippung des Bauwerkes zu vermeiden, wurden die Bohrarbeiten in Tag- und Nachtbetrieb wechselseitig entlang der Symmetrieachse des Bauwerks in den beiden Kammern A und B des Pfeilers hergestellt (Abb. 4) Die Mikropfahlgründung erfolgte unter sehr beengten Platzverhältnissen (vgl. Abb. 5, 6). Die zur Verfügung stehende Grundfl äche betrug je Kammer 5,85 m x 4,00 m, die freie Höhe zwischen OK Bodenplatte und UK Decke lag bei ca. 3,20 m. Aufgrund der begrenzten Raumhöhe erfolgte der Einbau des Tragglieds in Einzellängen von 1,7 m mit Muffenstößen. Die Bohrlöcher wurden im Kontraktorverfahren vom Bohrlochtiefsten bis zur Bohrebene verpresst. Abschließend wurden zur Verankerung der Mikropfähle die Kammern A und B im Erdgeschoss bis auf einen Durchgang zu den äußeren Kammern ausbetoniert. Abb. 4: Lageplan zur Mikropfahlherstellung Abb. 5: Kernbohrungen (l) und Mikropfahlbohrung (r) Abb. 6: Hergestellte Tragglieder der Mikropfähle 4.2 Mitteldruckinjektionen Die Baugrunderkundung zeigte, dass unterhalb der nachträglich eingebrachten Lisenen locker gelagerte Auffüllungen anstanden. Innerhalb der Auffüllungen wurden bereichsweise Hohlräume angetroffen. Um die notwendige seitliche Bettung der herzustellenden Mikropfähle in diesem Bereich zu gewährleisten und ein 70 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Gründungsertüchtigung eines Bestandspfeilers im Zuge des Neubaus der Schiersteiner Rheinbrücke Versagen durch Knicken auszuschließen, wurden Injektionsmaßnahmen zur Verbesserung der Materialeigenschaften der Auffüllungen geplant und durchgeführt. Hierzu wurde zunächst die bereits oben beschriebene Verdämmung des Untergeschosses ausgeführt. Die Verbesserung der unter dem Pfeiler anstehenden Auffüllungen erfolgte mit Mitteldruckinjektionen. Bei diesem Verfahren wird analog zum Düsenstrahl-verfahren der Boden mit einem Schneidstrahl aus Zementsuspension erodiert und mit der Suspension vermischt. Überschüssiges Injektionsmaterial tritt an Bohrlochmund aus, wird aufgefangen und fachgerecht entsorgt. Die Pumpendrücke sind mit ca. 50 bis 60 bar deutlich geringer als beim Düsenstrahlverfahren. Die Parameter der Mitteldruckinjektion wurden nach Durchführung der Probesäulen wie folgt gewählt: • Pumpendruck ca. 55-60 bar • Durchfl ussrate ca. 50-55 l/ min • Düse 1 x 4,0 mm • Ziehgeschwindigkeit ca. 20 cm/ min • w/ z - Wert 1,0 Die Mitteldruckinjektionen erfolgten an den Ansatzpunkten der Mikropfähle und wurden mit der Pfahlherstellung so koordiniert, dass keine unzulässige temporäre Schwächung des Baugrundes auftrat. Abb. 7: Injektionsbohrkrone (l) und Probesäule (r) Die vorgeschalteten Probeversuche hatten gezeigt, dass bei den Mitteldruckinjektionen ein Säulendurchmesser von 44 cm bis 48 cm zu erwarten war (Abb. 7). Der geplante Bohrdurchmesser der Mikropfähle lag bei 17,8 cm. Um einen möglichst großen Injektionskörper um den Bohransatzpunkt herum herzustellen, wurden die Mitteldruckinjektionen in vier Schritten von je 90° um den Ansatzpunkt herum verschwenkt und bis 7° gegen die Vertikale geneigt. 4.3 Bohrpfahlwand als konstruktive Sicherung Aufgrund baubetrieblicher Randbedingungen trat ein Bauzustand auf, bei welchem bereits höhere Lasten des Trennpfeilers wirksam waren, der Anschluss der Mikropfähle an das Bauwerk jedoch noch nicht erfolgt war. Lasten konnten in dieser Phase somit nicht über die Mikropfähle in den tieferen Baugrund abgetragen werden. Um auch die Standsicherheit für diesen Bauzustand zu gewährleisten, wurden auf der Wasserseite Bohrpfähle in einem Abstand von etwa 9 m zum Trennpfeiler als konstruktive Sicherung gegen Grundbruch hergestellt. Die Bohrpfähle sicherten die Gründung im Sinne einer Baugrundverdübelung. Hierzu wurden 13 m lange Bohrpfähle mit einem Durchmesser von 0,9 m hergestellt. Der Achsabstand der Pfähle beträgt 1,8 m (siehe Abb. 8). Der Abstand zum Trennpfeiler sowie die Bohrpfahllänge wurden so gewählt, dass die Bohrpfähle die theoretische Bruchmuschel der Grundbruchfi gur schneiden. Mit der konzipierten Maßnahme wird der Scherwiderstand der Pfähle aktiviert, bzw. es wird eine tiefer reichende Bruchfi gur erzwungen wodurch die Grundbruchsicherheit erhöht wird. Abb. 8: Anordnung Bohrpfahlverdübelung Die Wirksamkeit der Baugrundverdübelung mittels aufgelöster Bohrpfahlwand wurde numerisch nach der FEM nachgewiesen. Hierzu wurde der Modellraum um den Trennpfeiler mit einem Berechnungsnetz aus 116.641 10-knotigen tetrahedralen Elementen mit quadratischem Verformungsansatz dreidimensional abgebildet. Die aufgelöste Bohrpfahlwand wurde im Modell mittels zylindrischer Volumenelementen simuliert. Die Abbildung 9 zeigt die analytische Grundbruchfi gur ohne Berücksichtigung der Bohrpfahlverdübelung sowie den mittels numerischer Untersuchungen ermittelten Versagensmechanismus im Grenzzustand der Tragfähigkeit im Rahmen der Safety-Analyse (Grundbruch) unter Berücksichtigung der Bohrpfähle. Die mittels der numerischen Berechnungen ermittelte globale Sicherheit für den Lastfall maximale Vertikallast (max. V) beträgt η = 2,54. Somit konnte nachgewiesen werden, dass mit der Bohrpfahlverdübelung die Sicherheit gegen Grundbruchversagen im erforderlichen Maß erhöht werden konnte. Der Trennpfeiler wurde während der Bauarbeiten mit einem elektronischen Schlauchwaagensystem, geodätischen Messungen sowie einem digitalen Rissmonitoring überwacht. Die gemessenen Verformungen blieben mit 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 71 Gründungsertüchtigung eines Bestandspfeilers im Zuge des Neubaus der Schiersteiner Rheinbrücke maximalen Werten von 2,4 cm im erwarteten und zulässigen Bereich. Die messtechnische Überwachung des Pfeilers bestätigte das erdstatische Sicherungskonzept. Abb. 9: Untersuchung zur Bohrpfahlverdübelung 5. Aktueller Stand und Ausblick Die Ertüchtigungsmaßnahmen am Trennpfeiler wurden zwischenzeitlich erfolgreich abgeschlossen. Die Arbeiten zum Bau der Schiersteiner Brücke liegen derzeit voll im Zeitplan. Die Gesamtfertigstellung ist für das Jahr 2021 geplant. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 73 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Generalerneuerung Hochstrasse St. Marx Ing. Thomas Kozakow ASFINAG Bau Management GmbH Zusammenfassung Die Hochstraße St.Marx verläuft quer durch Wien in dicht verbautem Gebiet und wird täglich von rund 200.000 Fahrzeugen genutzt. Der 1978 eröffnete, 2,7 km lange Autobahnabschnitt führt über insgesamt 30 schlanke, vorgespannte Brücken und beinhaltet zwei Anschlussstellen, einen Autobahnknoten und insgesamt 25 Querungen von verschiedensten Verkehrswegen. In den letzten Jahrzehnten haben die Brücken eine Vielzahl an Instandsetzungsmaßnahmen und Adaptierungen erfahren, welche jedoch größtenteils nur rudimentär dokumentiert wurden. In diesem Spannungsfeld ist nun ab März 2020 eine Generalerneuerung sämtlicher Tragwerke unter voller Aufrechterhaltung des Verkehrs durchzuführen. Für diesen Zweck werden sechs Brücken verbreitert, zwei Tragwerke sind infolge der Gradientenanpassung mit Aufbeton zu versehen und ein Tragwerk ist aufzusteilen. Die komplexen Geometrien in Kombination mit der Verkehrsaufrechterhaltung stellen eine sehr anspruchsvolle Aufgabe für alle Projektbeteiligten dar. Aufgrund der neuen Normen und der geplanten Verbesserung des Lärmschutzes sind neben den Rückhaltesystemen und Randbalken auch größtenteils die Kragarme zu erneuern. Der Abbruch einer Anschlussstelle im Projektbereich ist in diesem Vorhaben ebenfalls enthalten. 1. Allgemeines Die Autobahn A23 - Südosttangente Wien ist eine der wichtigsten Nord - Süd Verbindungen für den motorisierten Individualverkehr im Großraum Wien. Auf der Gesamtlänge von rund 18 km verläuft die Autobahn auf ca. der Hälfte der Strecke auf Brücken die in den späten 60er und 70er Jahren errichtet wurden. Mit einem DTV von rund 200.000 KfZ/ 24h ist die Tangente der stärkst befahrenste Straßenabschnitt Österreichs. Die Hochstraße St.Marx ist in der Mitte der Strecke situiert und stellt einen massiven Kreuzungspunkt von Verkehrsströmen aller Art dar. Abb.1 - Lage im Großraum Wien 74 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Generalerneuerung 1.1 Projektüberblick Der geplante Umsetzungszeitraum für die Sanierungmaßnahmen ist von März 2020 bis Dezember 2022 geplant, die Gesamtprojektkosten betragen EUR 129 Mio. Die wesentlichen technischen Projektinhalte sind: • Instandsetzung von 30 Tragwerken • Instandsetzung von rd. 150.000 m² Belag und 120.000 m² Abdichtung • Abbruch und Erneuerung von 8 km Randbalken und Kragarm inkl. Ausrüstung • Tausch der Fahrbahnübergänge und Lager • Errichtung von 1.300m Brückenverbreiterung • Rückbau von drei Brücken in der Anschlussstelle Arsenal und Errichtung einer Betriebsumkehr 1.2 Rahmenbedingungen Aufgrund des innerstädtischen Verlaufes der Autobahn und der mannigfaltigen Bautätigkeiten neben und auch unter den Brücken ergeben sich sehr hohe Ansprüche an das Umfeldmanagement. Rund 15.000 direkte, private Anrainer und zahlreiche gewerblichen Betriebe sowie Bürobauten prägen das Umfeld. Das führt unter Anderem zu sehr starken Verkehrsspitzen in den Morgen- und Abendstunden, welche bereits bei der Baustellenlogistik zu berücksichtigen sind. Abb.2 - Projektgebiet Die Regelarbeitszeit ist von 6 - 22 Uhr, jedoch sind aufgrund der vorhandenen Straßen- und Bahnquerungen unter den Brücken vor allem beim Abtrag Nachtarbeiten unumgänglich, ebenso für sämtliche Verkehrseinrichtungsmaßnahmen. Diese Arbeiten sind auf den Tag genau zu koordinieren, da entsprechende Informationen an die Anrainer zu übermitteln sind. Erschwerend kommt hinzu, dass die Brücken teilweise nicht auf Eigengrund der ASFiNAG liegen. Dies zieht einen hohen Koordinierungsaufwand sowie kostenintensive Räumungen der Flächen unter den Brücken nach sich. Erschwerend auf die Bauausführung wirkt sich auch die hohe Bebauungsdichte nicht nur neben sondern auch unter den Brücken aus. Abb.3 - Parkhaus unter der A23 Bei der Ansschlussstelle Simmering bzw. Arsenal handelt es sich um eine nie für den Verkehr freigegebene Anbindung. Zum Zeitpunkt der Errichtung hätte in diesem Abschnitt eine weitere Autobahn einmünden sollen, die allerdings zu einem späteren Zeitpunkt an anderer Stelle errichtet wurde. So hat sich in diesem Bereich ein kleines, jedoch intensiv genutztes Naherholungsgebiet etabliert. Für die in diesem Umfeld abzubrechenden Brücken sind Baumfällungen und die Sperre des Gebietes erforderlich Die stellt gerade im städtischen Umfeld eine sehr sensible Aufgabe dar. 1.3 Verkehrsführung Sämtliche Relationen und Fahrstreifen sind während der Baumaßnahmen aufrecht zu erhalten. Dies macht eine ausgeklügelte Verkehrsführungsplanung erforderlich. Die Sperre eines Fahrsteifens auf der A23 hätte einen Verkehrskollaps im Großraum Wien zur Folge. Da sämtliche Flächen auf der Fahrbahn mit entsprechendem Übergriff zur nächsten Bauphase bearbeitet werden müssen, ist die Verkehrsführungsplanung unter Einhaltung der gültigen Regelwerke auf diese Notwendigkeiten abzustimmen. Insgesamt sind vierzehn Hauptverkehrsphasen mit rd. zwanzig Unterphasen geplant. Die Pla- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 75 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Generalerneuerung nung dieser Verkehrsführungsphasen in Abstimmung mit den Bauphasen und statischen Notwendigkeiten nahm rund zwei Jahre in Anspruch. Trotzdem sind örtliche Anpassungen in kleinerem Umfang immer wieder erforderlich. 2. Brückeninstandsetzung Im Grunde handelt es sich bei diesem Projektteil um eine routinemäßige Instandsetzung, die vorher beschriebenen Umstände der Baudurchführung sowie die statische Konzeption der Brücken verkomplizieren das Vorhaben jedoch maßgeblich. 2.1 Bestandsbrücken Die bestehende Brückenkette mit den Anschlussstellen Gürtel und St.Marx wurde im Jahr 1975 eröffnet. Die Tragwerke sind sehr schlanke, vorgespannte Hohlkästen mit durchschnittlichen Längen von rd. 150 m und Stützweiten um die 30 m. Problematisch auf den Teilabtrag der Kragarme wirkt sich die sehr geringe Lagerspreizung von ca. 3 m aus, die Brückenbreite beträgt 9 bis 11 m. Die Brücken sind größtenteils mit einem Stahlleitwandsystem ausgestattet, welches in Wien entwickelt wurde, jedoch teilweise nicht mehr dem Stand der Technik entspricht. Zahlreiche Umbauten und auch Brückenverbreiterungen wurden in den letzten 45 Jahren an diesen Tragwerken umgesetzt, die größte Maßnahme stellt hier die Verbreiterung einer Richtungsfahrbahn mit einem Stahlverbundtragwerk dar, das sich über ca. 1.200 m Länge erstreckt. Abb.4 - Verbreiterung Stahlverbundtragwerk Leider sind viele kleinere bauliche Maßnahmen nur teilweise oder gar nicht dokumentiert. Somit waren im Vorfeld zum Bauvorhaben die Planungsgrundlagen mit Bestandsvermessungen, Georadarmessungen sowie einer Unzahl von Bohrkernen zu ergänzen. Ebenso mussten die Fugenspalte im Bereich der Fahrbahnübergänge händisch vermessen werden, da durch mehrere Umbauten an den Fahrbahnübergängen eine teilweise völlig unklare Situation über die tatsächliche Form der Endquerträger und die Art und Form von einbetonierten Stahlteilen vorlag bzw. noch immer vorliegt. Umso wichtiger es eine ordnungsgemäße Dokumentation der umgesetzten Adaptierungsmaßnahmen anzufertigen. 2.2 Schadensbild Grundsätzlich sind die Brücken für Ihr Alter in einem guten Erhaltungszustand, Betonschäden sind in den Bereichen der Endquerträger und der zugehörigen Stützen vorhanden, hier sind Schädigungen durch undichte Fahrbahnübergänge und in weiterer Folge langzeitigen Salzwasserzutritt vorhanden, ebenso bei umläufigen Tagwasserabläufen und Abdichtungsentwässerungen. In den letzten Jahrzenten wurden bereits Betoninstandsetzungen durchgeführt, diese sind größtenteils leider wieder zu sanieren. Abb.5 - Zustand Endquerträger, bestehende Betonsanierung Chloridschäden finden sich auch innerhalb der Hohlkästen, hier konnte Salzwasser über schadhafte Entwässerungsleitungen und nachträglich unsachgemäß hergestellte Tragwerksdurchdringungen eindringen, die Schäden treten vor allem am Boden der Hohlkästen auf. Die Stahlbauteile weisen teilweise großflächige Ablösungen der Beschichtungen sowie Korrosionsschäden auf, die Fahrbahnübergänge sind durch Anfahrschäden von Schneepflügen stark in Mitleidenschaft gezogen. 2.3 Geplante Instandsetzungsmaßnahmen Die Kragarme der Tragwerke werden mit neuen Randbalken, Rückhaltesystemen und teilweise Lärmschutzwänden ausgestattet. Für die Einleitung der Kräfte aus den Rückhaltesystemen ist es auch erforderlich, den Kragarm teilweise abzubrechen, da dieser für die neuen Systeme unterdimensioniert ist. Hier erfolgt der Abtrag im Anschlussbereich an den Bestand mittels HDW, 76 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Generalerneuerung um die bestehende Bewehrung zu erhalten und an diese anschließen zu können. Dies stellt die bessere Methode gegenüber dem herkömmlichen Einbohren von Bewehrung dar - vor allem in einem so schlanken Bauteil. Abb.6 - Bestandsbewehrung nach HDW-Strahlen Resultierend aus den teilweise einseitigen Verkehrsführungen am Tragwerk in Verbindung mit der geringen Lagerspreizung, ist es in vielen Stützenachsen erforderlich, Kippsicherungen in Form von Unterstellungen einzubauen, bevor mit den eigentlichen Instandsetzungsmaßnahmen begonnen werden kann. Des Weiteren werden die Entwässerungsleitungen aus den Hohlkästen herausgenommen und unter der Brücke hängend neu gebaut um ein neuerliches Eindringen von Salzwasser durch undichte Rohrverbindungen zu verhindern. Der Tausch sämtlicher Fahrbahnübergänge stellt sich aufgrund des Bestandes teilweise als sehr schwierig heraus, da erst nach Abtrag der bestehenden Konstruktionen ein genaues Bild über die Situation erstellt werden kann. Zu diesem Zeitpunkt ist jedoch der neue Fahrbahnübergang schon auf der Baustelle. Deshalb wurden Betonbauseitig mehrere Szenarien überlegt, um mit einer flexibel geplanten Bewehrungsführung auf die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort reagieren zu können. Da die meisten Übergänge als Kragfingerkonstruktionen errichtet werden ist ein entsprechend tragfähiger Verbund zum Bestand unerlässlich. Ebenso sind teilweise Lager zu ersetzen oder zu sanieren. Über sämtliche Brücken verteilt sind partielle Betoninstandsetzungen durchzuführen, die Schäden innerhalb der Hohlkästen werden mittels chemischen Chloridentzug saniert. Im Bereich der Endquerträger ist es aufgrund der indirekten Lagerung (Lager nicht genau unter den Stegen des Hohlkastens situiert) notwendig zuerst die Längsträger bzw. die Steguntersichten zu sanieren. Danach werden die Stege provisorisch unterstellt und erst dann kann der Endquerträger instandgesetzt werden. Ohne diesen Zwischenschritt wäre das Risiko des Versagens bei zu hoher Querkraftbelastung gegeben. 3. Brückenneubau bzw. Verbreiterung Da alle Fahrstreifen über die Baudauer aufrecht zu erhalten sind, muss im Bereich der Anssschlusstelle Gürtel die Hauptfahrbahn in beiden Fahrtrichtungen auf eine Länge von rd. 1.300m um fünf Meter verbreitert werden. Diese Verbreiterungen werden im Endausbau als Pannenstreifen genutzt und tragen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit bei. Abb.7 - Brückenverbreiterungen und anschließdene Rampen 3.1 Verbreiterungen Hauptfahrbahn Um das sehr lückenhaft dokumentierte statische System der Bestandstragwerke nicht weiter zu verschlechtern und um im Endausbau ein homogenes Tragwerk zu erhalten, muss der Neubau dem Bestand in Steifigkeit und Stützenstellung angepasst werden. Es wurde ein vorgespannter T-Querschnitt gewählt, der als komplett eigenständiges Tragwerk konzipiert und nur über die Kragplatten mit dem Bestand verbunden ist. So werden auch größtenteils undefinierte Krafteinleitungen und -umlagerungen vermieden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 77 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Generalerneuerung Abb.8 - Gründungsarbeiten für die Verbreiterungen Durch die Schlankheit der Tragwerke ist die Gefahr von Schädigungen durch ungleiche Setzungen hoch, in der statischen Berechnung wurde eine Differenzsetzung von 5mm zwischen Altbestand und neuem Tragwerk berücksichtigt. Die Lastbzw. Konsolidierungssetzungen der Tiefgründungen werden über einen Zeitraum von 90 Tagen beobachtet, erst danach werden die Kragarme zusammenbetoniert. Für den eher wahrscheinlichen Fall, dass die Setzungen nach dem Anbetonieren das tolerierbare Maß überschreiten ist geplant, die neue Brücke wieder zu heben. Dafür wird in allen Lagern des Neubaus die Möglichkeit vorgesehen Stahlplatten einzulegen, um eine dauerhafte Hebung des Neubaus durchführen zu können. 3.2 Anpassung der Gradiente auf den Rampen Die vier an die Hauptfahrbahn anschließenden Rampenbrücken müssen an den neuen Brückenrand angepasst werden, da sich die Gradiente entsprechend verändert. Drei der Rampen liegen um bis zu 30cm zu tief um den Zwickelbereich zwischen den Brücken in der Bauphase überfahren zu können, eine liegt wiederum um 30cm zu hoch. Zwei der Brücken die zu tief liegen, werden mit einem mittragenden Aufbeton ausgestattet. Damit das Spannbetontragwerk nicht in den Zustand II übergeht, muss vor Aufbringen des Aufbetons die Unterseite der Brücke mit CFK-Lamellen verstärkt werden, da der Beton zuerst als Last auf das Tragwerk wirkt, bevor er nach dem Erhärten auch die entsprechende Tragwirkung entfaltet. In diesen Bereichen wurde das gesamte Lagerschema überarbeitet und es werden sämtliche Lager ausgetauscht. Bei einer zu tief liegenden Brücke ist es geometrisch möglich, das gesamte Tragwerk auf zu kippen, sodass die aufwändigen Maßnahmen der Tragwerksverstärkung nicht durchgeführt werden müssen. Bei jenem Tragwerk, welches zu hoch liegt, konnte mit einem Neubau des gesamten Kragarms das Auslangen gefunden werden. Für die beschriebenen Maßnahmen sind Sperren der Rampen erforderlich, aufgrund der verkehrlichen Bedeutung dieser Ab- und Auffahrten darf jede Brücke nur für 30 Kalendertage gesperrt werden. In diesem Zeitraumsind auch noch die komplette Abdichtung und der Fahrbahnbelag zu erneuern sowie die Fahrbahnübergänge auszutauschen. Diese Umstände führen dazu, dass der Kragarmabtrag und -neubau schon vorweg umgesetzt werden muss. Die Breite der Baubereiche in dieser Phase betragen unter zwei Meter und führen die erforderliche Technik an den Rand des Machbaren. Diese Bereiche stellen straßenplanerisch sicher eine der anspruchsvollsten Aufgaben dar, da die so umgebauten Straßenabschnitte auch ohne verkehrsgefährdende Querneigungswechsel befahren werden müssen. 4. Abbruch Anschlussstelle Arsenal Die Anschlussstelle Arsenal wurde für den Verkehr nie frei gegeben (siehe Pkt. 1.2.) und wird auch in Zukunft nicht mehr unter Verkehr gehen. Drei Brückenabschnitte müssten jetzt aufgrund ihres Erhaltungszustandes komplett instandgesetzt werden, deshalb hat man sich für die wirtschaftliche Variante, nämlich den Abbruch der Tragwerke und den Umbau in eine Betriebsumkehr entschieden. Die abzubrechenden Brücken sind ebenfalls vorgespannte Tragwerke, wobei zwei Rampen Teil eines Tragwerks sind auf denen die Hauptfahrbahn der A23 verläuft, somit handelt es sich hier um einen Teilabbruch. Das dritte Tragwerk führt mit einer lichten Höhen von 4,70m über die Hauptfahrbahn, die wiederum auch auf einer Brücke verläuft. 4.1 Konventionelle Abbruchmethoden Für den Abbruch der Brücken werden diese mit Seilschnitten von den bestehen bleibenden Brückenabschnitten getrennt, diese Schnitte sind jeweils nach Koppelfugen situiert, sodass der verbleibende Rest der Spannkabel eine tragfähige Verankerung hat. Im Nahbereich der verbleibenden Brückenteile wird das erste Stützenfeld unterstellt und in kleinere Teile geschnitten, die dann mit einem handelsüblichen Mobilkran ausgehoben und danach zerkleinert und abtransportiert werden. Die vom Bestand weiter weg liegenden Teile werden mittels Baggerzange abgetragen, hierbei wird die Betonstruktur rund um die Spann- und Bewehrungsstähle abgetragen und der jeweilige Abschnitt sukzessive abgebaut. 4.2 Tragwerksaushub Der Brückenteil über der A23 kann mit keiner der vorher beschriebenen Methoden abgetragen werden. Aufgrund der geringen lichten Höhe über der Hauptfahrbahn kann kein Gerüst für einen effektiven Schutz der darunterliegenden Brücke errichtet werden. Als risikoärmste Methode wurde der Aushub des kompletten Brückenfeldes 78 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Generalerneuerung identifiziert. Das Gewicht dieses Tragwerks beträgt rd. 580to. Vor dem Aushub wird der Brückenabschnitt zu beiden Seiten konventionell abgetragen und so verbleibt ein alleinstehendes Brückenfeld. Diese Möglichkeit besteht, da die Stützen im Tragwerk ohne Lager eingespannt sind. Danach erfolgt der Aufbau des Krans, ein Terrex CC 8800 von dem weltweit nur zwölf Stück verfügbar sind die Vergabe und Planung dieses Kraneinsatzes nimmt rund zwei Jahre in Anspruch. Abb.9 - Skizze Brückenaushub Nach dem Anschlagen der Brücke werden die vier Stützen mittels Seilschnitt vom Tragwerk getrennt - als Rückfallebene werden Joche errichtet, auf denen das Tragwerk im Ernstfall aufgelegt werden kann. Das getrennte Tragwerk wird danach ausgehoben und neben der Brücke der Hauptfahrbahn abgelegt, gesichert und mittels Hydromeißel zerkleinert. Dieses Unterfangen stellt sicher eines der Highlights dieses Projektes dar, und wie bei einigen anderen einzelnen Maßnahmen auch freuen wir uns als Projektteam schon auf die Umsetzung, werden aber ebenso erleichtert sein wenn es geschafft ist! 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 79 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung Dipl.-Ing. Hans-Peter Doser Doser Kempen Krause Ingenieure GmbH, Aachen, Deutschland Sven Kina M.Sc. KINA Ingenieurgesellschaft mbH, Bochum, Deutschland Zusammenfassung Im fünfarmigen Autobahnkreuz Aachen treffen die europäischen Verkehrsströme der A4 von Köln in die Niederlande und der A44 von Düsseldorf nach Belgien sowie die Aachener Stadtautobahn A544 zusammen. Da sich die Autoströme auf engstem Raum überlagern und kreuzen baut der Landesbetrieb Straßenbau NRW das Autobahnkreuz komplett um. Zur Entflechtung der extremen Verkehre werden die Fahrbeziehungen getrennt. Wesentlich sind dabei die Brückenbauwerke. Unter anderem wird eine aus Richtung NL über die A544 in Richtung Autobahnkreuz führende Spannbetonbrücke aus den 60-er Jahren erneuert, der sogenannte „Überflieger der A4“. Aufgrund von Tragfähigkeitsdefiziten wird das alte Bauwerk zurückgebaut und ein neues Bauwerk errichtet. Der gebogene Brückenverlauf (Radius 470m) und der geringe Platz für den Brückenpfeiler im Mittelstreifen der A544 machen die Errichtung des Bauwerks anspruchsvoll. lnsbesondere die große Überbaubreite in Verbindung mit dem kleinen Kreuzungswinkel von nur 26 gon bilden schwierige Randbedingungen für die Systemfindung des Tragwerks. Das Ergebnis des Brückenentwurfs ist ein vierfeldriger Stahlverbundüberbau mit einem Querschnitt aus drei zueinander parallelen Stahlhohlkästen und einer Verbundplatte aus ortbetonergänzten Stahlbetonfertigteilen. Abbildung 1: Autobahnkreuz Aachen (Quelle: https: / / www.strassen.nrw.de/ files/ oe/ ak-aachen/ projekt/ PDF/ fbreihe-akac-ueberflieger-2.0.pdf) 1. Daten und Fakten Überflieger-Brücke Gesamtlänge 172 m Gesamtbreite 24 Meter Teilung 4 Felder 36,00 - 2 x 48,25 - 39,5 Ausführung Stahlverbundkonstruktion Bauhöhe 2,75 m Baukosten ca. 16 Millionen Euro Bauzeit Herbst 2018 bis Ende 2020 Bauherr Landesbetrieb Straßen NRW Regionalniederlassung Ville-Eifel 80 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der Überfl ieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung Abbildung 2: Autobahnkreuz Aachen (Quelle: https: / / www.strassen.nrw.de/ fi les/ oe/ ak-aachen/ projekt/ PDF/ fbreihe-ak-ac-ueberfl ieger-2.0.pdf) 2. Beschreibung der Entwurfslösung 2.1 Statisches System Das Bauwerk ist als semiintegrale 4-Feldbrücke geplant. Der überführte Ast der A4 ist mit einem konstanten Radius von 470 m geführt. Die Gradiente ist als Kuppe ausgebildet, so dass das Längsgefälle von Achse 10 von ca. 0,5 % auf ca. 3,5 % in Achse 50 anwächst. Der Überbau weist eine Breite zwischen den Geländern von 22,95 m auf. Die Feldlängen von 36,00 m, 48,25 m, 48,25 m und 39,50 m summieren sich zu einer Gesamtlänge von 172,00 m. Als semiintegrales Bauwerk ist der Überbau mit den Pfeilern der Achsen 20, 30 und 40 biegesteif und schubfest verbunden. Auf den Widerlagern sind je zwei längs verschiebliche Elastomerlager mit je einer Querfesthaltung angeordnet. Abbildung 3: Überbauquerschnitt (© Straßen.NRW) Der Stahlverbundüberbau besteht aus drei parallel verlaufenden Stahlhohlkästen mit Abmessungen von 2,20 x 2,50 m. Die Längsträger bilden mit den Stahlquerträgern der Aufl agerachsen einen Trägerrost. Die darüber angeordnete Fahrbahnplatte wird aus 16 cm dicken Teilfertigteilen mit einer 34 cm starken Ortbetonergänzung gebildet. Im Bereich der Endquerträger verjüngen sich die Hauptträger im Verhältnis 1: 4 und erzeugen somit eine Verdickung der an dieser Stelle vorliegenden Ortbeton- Fahrbahnplatte. Die Stützquerträger der Achsen 20, 30 und 40 werden durch vertikal in den Pfeilern angeordnete Spannkabel an die Pfeiler angeschlossen. Die verhältnismäßig niedrigen Pfeiler mit 5,5 bis 6,50 m Höhe und die unter 26 gon stark schiefwinklig angeordnete Pfeilerachse 30 erfordern hier sehr hohe Vorspannkräfte, um ein Klaffen der Fuge zu verhindern. Die Spannkabel werden in den Pfeilerfundamenten verankert. Die Pfeiler der Achsen 20 und 40 werden durch rechtwinklig zur Überbauachse angeordnete Stahlbetonscheiben mit einer Grundfl äche von 2,50 x 5,0 m gebildet. Der lediglich 1,30 m dicke Pfeiler der Achse 30 verjüngt sich von 8,77 m am Fuß auf 5,54 m am Kopf. Dabei sind die Kanten nach oben hinzunehmend gebrochen, so dass sich vom rechtwinkligen Querschnitt am Fuß eine Grundfl äche des Stützquerträgers in Form eines abgefl achten Achtecks ergibt. Die Lasten der Unterbauten müssen aufgrund der mäßigen Baugrundeigenschaften durch eine Tiefgründung mittels Großbohrpfählen abgeleitet werden. Das Kastenwiderlager in Achse 10 ist hochliegend und gründet auf 11 Bohrpfählen mit Längen von je 24,0 m. Der Durchmesser war mit 1,00 m vorgesehen und musste im Zuge der Ausführungsplanung auf 1,20 m erhöht werden. Das Widerlager in Achse 50 ist aufgrund der nordöstlich anschließenden Winkelstützwand tiefl iegend und mit 16 Bohrpfählen desselben Durchmessers und Längen von 16,0 m gegründet. Die vorderen Bohrpfähle beider Widerlager wurden unter 10: 1 gegen die Vertikale geneigt. Die Pfeilerfundamente sind 2,50 m dick. In den Achsen 20 und 40 sind je 15 vertikale Bohrpfähle ∅ 1,00 m angeordnet, wodurch sich eine Fundamentabmessung von 8,0 x 14,0 m ergibt. Die Pfähle sind in Achse 20 18,0 m lang und in Achse 40 16,0 m. Die Gründung der parallel zur BAB A544 gedrehten Mittelachse 30 wird durch 10 Bohrpfähle ∅ 1,00 m mit Länge von je 20,0 m gebildet. Das Fundament ist hier 5,0 m breit und ebenfalls 14,0 m lang. 2.2 Herstellung der Verbundbrücke Die Herstellreihenfolge muss insbesondere die Belange der Vorspannung in den Pfeilerachsen berücksichtigen. Weiterhin ist der Entwurfsplanung entsprechend zunächst eine Betonage der Endfelder vorgesehen, bevor die Stützbereiche und die Innenfelder hergestellt werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 81 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung Zunächst werden alle Bohrpfähle sowie die Kastenwiderlager hergestellt. Bei der Herstellung der Pfeilerfundamente werden die Spannkabel für den Anschluss der Stützquerträger mit eingebaut und anschließend die Pfeilerscheiben bewehrt und betoniert. Dabei ist das Quergefälle des Überbaus von 6 % und die veränderliche Längsneigung von bis zu etwa 3 % im Pfeilerkopf abzubilden. Die angelieferten Querträger werden aufgesetzt und ausgerichtet und mit den eingefädelten Spannkabeln gegen die Pfeiler verspannt. Die Fuge wird mit Mörtel verfüllt. Anschließend werden die vorgefertigten Längsträger zwischen die Querträger eingehängt und mit diesen verschweißt. Nun können die Teilfertigteile der Endfelder verlegt werden und die Ortbetonergänzung bis ca. 4 m vor den Stützenachsen aufgebracht werden. Abschließend wird der übrige Bereich mit Fertigteilen belegt und mit Ortbeton vervollständigt. Der abschließende Ausbau von Abdichtung und Belag, Kappen, Schutzeinrichtungen, Geländer und Lärmschutzwand komplettiert das Bauwerk. Diese vereinfachte Darstellung der Herstellung zeigte in den Planungsdetails und der Ausführung einige Tücken und Schwierigkeiten, die im Weiteren aufgezeigt und erläutert werden. 3. Planung Gesamtsystem Für den semiintegralen Bauwerksbereich muss ein Gesamtsystem erstellt werden, um die wesentlichen Bauwerksreaktionen realistisch ermitteln zu können. Das Gesamtsystem besteht aus dem Überbau aus Stäben für den Stahlträgerrost und Flächenelementen für die Fahrbahnplatte sowie den biegesteif und schubfest angeschlossenen Pfeilerachsen. Die Pfeilerscheiben enthalten die Spannglieder für die Vorspannung der Kontaktfuge zwischen Stahlbau und Unterbauten. Zur Abbildung der Bodensteifigkeiten wurden die Bohrpfähle integriert und die horizontalen Bettungen entsprechend der Einbindetiefen in die unterschiedlichen Bodenschichten abgebildet. An diesem Gesamtsystem können alle erforderlichen Nachweise der Gründungsbauteile, der Fundamente, der Pfeiler und der Längsrichtung des Überbaus geführt werden. Für die Querträger und die Anschlüsse der Längsträger sind detaillierte Schalensysteme zu erstellen (s.u.), die für die am Gesamtsystem ermittelten Schnittgrößen bemessen werden. Das Bauwerk wird für die Lasten der aktuellen Eurocodes bemessen. Dabei ist die Bandbreitenuntersuchung der Bodensteifigkeit nach RE-Ing Teil 2, Abschnitt 5 durchzuführen. Damit liegen alle Schnittgrößen sowohl für den unteren (Minimalbettung) und den oberen Grenzwert (Maximalbettung) vor. Alle Bauteile wurden für beide Grenzzustände untersucht und bemessen. Bei der Betrachtung der Maximalbettung war dabei die horizontale Bettung der 2,50 m mächtigen Pfahlkopfplatten gesondert zu betrachten. Nach Entwurfsplanung sollte dieser Bereich gegen den im Boden verbleibenden Baugrubenverbau durch eine Weicheinlage vom passiven Erddruck entkoppelt werden. Damit sollten die Zwangsbeanspruchungen, die sich durch die Zwängung im Baugrund bei Temperaturänderungen ergeben, reduziert werden. Baupraktisch stellte sich die Frage, wie die Weicheinlage dauerhaft vor Schutz- und Feuchteeintritt geschützt werden kann, die vor allem dauerhaft die Lastentkopplung sicherstellen sollte. Daher wurde in Absprache mit dem Bodengutachter untersucht, welche Auswirkungen ein Bettungsansatz für den anstehenden Boden auf die Nachweisführung des Bauwerks hat. Schließlich konnte gezeigt werden, dass auch bei konservativem Ansatz der Bettungsmöglichkeit der oberen Bodenschichten keine negative Beeinflussung der Nachweise und Materialmengen zu verzeichnen ist. Letztlich konnte die Konstruktion der Weicheinlage ersatzlos entfallen. Das Bauwerk steht in der Nähe von Aachen in der höchsten deutschen Erdbebenzone 3. Dafür war nach Bauvertrag eine Bemessung mit einem Antwortspektrum durchzuführen. Da der Eurocode 8 für den Brückenbau in Deutschland nicht eingeführt ist, wurde mit dem Prüfingenieur die Nachweisführung auf Basis von DIN 4149 vereinbart. Die Bauwerksreaktion führt zu einer Erhöhung der erforderlichen Schubbewehrung in den Pfeilerachsen sowie zu deutlich höheren Kräften in den Schubdübeln in den Kontaktfugen zwischen Stahlüberbau und Pfeilern. 4. Ausführung der Unterbauten Der Baugrund ist durch eine Deckschicht aus Decklehm, eine mächtige Schicht aus pleistozänen Tonen und Sanden gekennzeichnet. Er in einer Tiefe von ca. 15 bis 20 m unter dem Fundament steht ein gut tragfähiger Boden aus Maasschotter an. Diese Schicht ist jedoch nur von geringer Mächtigkeit (etwa 3 m) und ist unterlagert von Sanden, die einen geringeren Spitzendruck der Pfähle aufnehmen können. Daher wurden im Vorfeld ausführlichere Baugrunduntersuchungen durch 3 Kernbohrungen bis in Tiefen von über 30 m durchgeführt. Auf dieser Grundlage konnten die Längen der Bohrpfähle ausreichend genau bestimmt werden, so dass die Mindesteinbindetiefe im Bauablauf erreicht wurde. 82 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung Für die Herstellung der Pfeilerfundamente mussten aufgrund der beengten Platzverhältnisse durch die querende Autobahn Verbauten zur Baugrubensicherung hergestellt werden. Dabei gestaltete sich die Planung durch die teilweise vorhandenen Fundamente des abgebrochenen Vorgängerbauwerks als aufwändig. Die aufgenommene Lage wich teilweise deutlich von den Bestandsunterlagen ab. Die Widerlagerfundamente konnten in geböschter Baugrube errichtet werden. In den Pfeilerachsen wurden vertikale Bohrpfähle Durchmesser 1,0 m eingesetzt. In Achse 30 kamen 10 Bohrpfähle mit einer Länge von 20 m zum Einsatz. In den Achsen 20 und 40 wurden je 15 Pfähle angeordnet mit einer Länge von 18 m in Achse 20 und 16 m in Achse 40. Unter den Widerlagern mussten die Bohrpfahldurchmesser von 1,0 auf 1,2 m zur Einhaltung der Druckspannungsnachweise erhöht werden. Die elf Pfähle des hochgesetzten Widerlagers der Achse 10 je 24 m lang konnten nicht planmäßig angeordnet werden. Der vorhandene Verbau zur Behelfsumfahrung verhinderte beim erforderlichen Bohrgerät das geneigte Abteufen des Randpfahls, so dass dieser nun vertikal eingebaut wurde. Die Nachweise konnten weiterhin erbracht werden. In Achse 50 war das Widerlager aufgrund der anschließenden Stützwand tiefgesetzt. Dadurch wurden 16 Bohrpfähle mit je 16 m Länge erforderlich, um alle Nachweise erbringen zu können. Beide Widerlager weisen Pfahlkopfplatten mit einer Dicke von 2,20 m auf. In Achse 10 schließt auf der Platte direkt die quer geneigte Lagerbank an, die am Tiefpunkt annähernd auf OK Fundament endet. Die Lagerbank ist 2,0 m dick. Die seitlichen Kammerwände neben dem Endquerträger sind entsprechend der Kragarmlängen des Überbau ca. 2,55 m breit. Die Flügel wurden entsprechend der ausfliegenden Kappen mit 2,18 m Dicke (Flügel Süd) und 1,75 m (Flügel Nord) gewählt. Der Flügelabschluss wird durch die 60 ° geneigte Hinterkante nach RIZ Flü1, Bild 1 gebildet. Die hintere Kammerwand bildet den Abschluss des Wartungsganges und ist erdseitig geneigt. Sie verdickt sich von 1,50 m am Anschnitt auf 80 cm am oberen Rand. Die Widerlagerwand der Achse 50 ist an der niedrigsten Stelle 3,7 m hoch und erhöht sich entsprechend des Quergefälles auf 4,9 m am südlichen Rand. Der Wartungsgang verläuft parallel zur 2,0 m breiten Lagerbank. Die Hinterkante der Widerlager- und Kammerwand ist ebenfalls geneigt, so dass sich die Dicke an OK Fundament von 4,95 m nach oben hin auf ca. 4,25 m verjüngt. Die Dicken der Flügel entsprechen Achse 10. Während der südliche Flügel ebenfalls mit 60 °-Schräge ausgebildet werden konnte, musste der nördliche Flügel in Anlehnung an RIZ Flü1 Bild 2 konstruiert werden, damit ein Abschluss gegen die tiefer sitzende und im Grundriss abknickende Stützwand gefunden werden konnte. Die Pfeiler sind zwischen 5,50 und 6,50 m hoch. Die Querschnitte der Pfeiler der Achsen 20 und 40 weisen Abmessungen von 2,50 x 5,00 m auf. In Achse 30 ist die Achse des Pfeilers auf ca. 26 gon gedreht und steht damit mit seiner starken Achse eher in Überbaulängsrichtung. Aufgrund der geringen Dicke von 1,30 m weist er damit eine sehr geringe Quersteifigkeit im Gesamtsystem auf. Die Anvoutung der Pfeilerbreite von 8,77 m am Fußpunkt auf 5,44 m am Kopf reduziert die Schnittgrößen in Bauwerkslängsrichtung. Der Pfeilerkopf wird von 1,30 m auf 1,94 m aufgedickt, um die Kontaktfläche zum Stahlbau zu erhöhen. Die Pfeilerscheiben müssen aufgrund der hohen Druckbeanspruchungen mit einer Betonfestigkeitsklasse C35/ 45 ausgeführt werden. Im Pfeilerkopf (ca. 1 m Höhe) kam C50/ 60 zum Einsatz. Die eigentliche Herausforderung der Unterbauplanung bildet die Ausführung der Pfeiler mit der darin vorgesehenen Vorspannung für die Anbindung des Stahlüberbaus. Abbildung 4: Ansicht Pfeiler Achse 30 vor dem Einheben des Stahlquerträgers (© Fa. Züblin) Die Dekompression in der Kontaktfuge ist nach RE-Ing für die charakteristische Einwirkungskombination nachzuweisen. Dafür wurden sehr hohe Vorspannkräfte erforderlich, die nach Bauvertrag durch Spannglieder im nachträglichen Verbund aufgebracht werden sollen. Die Kontaktfuge zwischen Pfeiler und Stahlbau ist mit hochfestem Mörtel zu vergießen. Aus dieser Konstruktion ergeben sich einige Schwierigkeiten in Planung und Ausführung: Die erforderliche Anzahl der Spannglieder musste für die erforderliche Blechanordnung in den Querträgern aufwändig optimiert (vgl. Kap. 5), bzw. so weit erhöht werden, bis der Platz innerhalb der Pfeiler aufgebraucht war. Zur Einhaltung der Achs- und Randabstände der Ankerkörper waren diese daher in die Fundamente einzubauen. Durch diesen relativ frühen Einbau der Anker, Hüllrohre und Litzen liegen die Litzen sehr lange unverpresst und somit ungeschützt im Hüllrohr. Daher sind die Hüllrohre bis zum Einpressen des Mörtels kontinuierlich mit getrockneter Luft zu bewittern, um den Korrosionsschutz sicher zu stellen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 83 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung Der Mörtel muss von unten in die vertikalen Hüllrohre eingepresst werden, um Hohlraumbildung im Verpressgut zu verhindern. Die Einfüllrohre müssen zur Fundamentoberseite geführt und während der Bauzeit vor Beschädigung geschützt werden. Der Lasteinleitungspunkt der im Stahlbau angeordneten Spannanker ist dafür zu planen, dass sowohl die Spannkräfte sicher im Stahlbau aufgenommen und in die Kontaktfuge eingeleitet werden (vgl. Kap.5), als auch beim Vergießen der Kontaktfuge der Vergussmörtel nicht in die Hüllrohre einfließen kann. Die Schwierigkeit besteht hier darin, dass die Hüllrohre nicht am Stahlbau abgedichtet werden können. Dieser Bereich ist in dieser Bauphase nicht mehr zugänglich. Die Lagesicherheit der vertikal stehenden, teilweise über 10 m langen Hüllrohre ist während der Herstellung der Pfeiler durch aufwändige Hilfskonstruktionen sicher zu stellen. Abbildung 5: Ansicht Hilfskonstruktion Lagesicherheit Spannlieder (© Fa. Züblin) Weiterhin wurde die Frage diskutiert, wie mit zeit- und materialabhängigen Spannkraftverlusten umgegangen werden kann. Die Länge des vorgespannten Betonquerschnitts (also des Pfeilers) ist mit 5,5 bis 6,5 m sehr gering. Die zur Verfügung stehenden Nachweisformate nach DIN EN 1992-2 gehen von einer linearen Spannungsverteilung im Querschnitt aus. Die Kontaktfugen weisen hohe Biegebeanspruchungen bei geringen Grundabmessungen auf. Die Spannglieder mussten daher in den Eckbereichen der Pfeiler konzentriert werden, so dass sich die Lasteinleitungsbereiche der Spannkräfte auf die gesamte Pfeilerhöhe ausdehnen. Damit erhöht sich die Unschärfe der Ermittlung der Spannkraftverluste infolge Kriechens. Um den vorgenannten Schwierigkeiten zu begegnen, wurden im Vorfeld alternative Vorspannsysteme untersucht. Infrage kamen dabei Systeme, deren Vorspannkraft auch etwa im Zuge einer Bauwerksprüfung geprüft und eventuell nachgespannt werden können. Diese Untersuchungen wurden mit verbundloser Vorspannung und mit Spannsystemen aus Schraubgebinden durchgeführt. Diese waren technisch möglich und dem vorgesehenen Vorspannsystem auch überlegen. Aus Kostengründen wurden diese Möglichkeiten jedoch verworfen und das ursprüngliche System mit nachträglichem Verbund weiterverfolgt. Aus den hier gemachten Erfahrungen wird jedoch empfohlen, bei künftigen Projekten mit vergleichbaren Randbedingungen auf entsprechend nachspannbare Systeme zurückzugreifen, die auch kein Verpressen für den Korrosionsschutz erfordern. Die Pfeilerköpfe insbesondere von Achse 30 stellen sowohl die Konstruktion als auch die Verlegung vor besondere Herausforderungen. Hier sind auf einer effektiven Grundfläche von ca. 1,30 m 5,7 m bei zusätzlich gebrochenen Ecken insgesamt 26 Spannglieder durchzuführen, vier Aussparungen für die Schubknaggen des Überbaus mit 28 x 33 cm vorzusehen und die bauzeitlichen Absetzpunkte des Querträgers einzuplanen. Bei der Spanngliedanordnung mussten zudem die Blechanordnungen im Stahlquerträger bedacht werden. Hier führten letztlich intensive und iterative Abstimmungen zwischen Werkstattplanung Stahlbau, Nachweisführung Stahlbau, Bemessung Pfeilerkopf und Konstruktion Bewehrungsführung zu einer umsetzbaren Lösung. Abbildung 6: Detailansicht Pfeilerkopfbewehrung mit Hüllrohren (©DKK) Der Verguss zwischen Pfeilerkopf und Stahlquerträger muss vollflächig sichergestellt werden. Daher wurde im Vorfeld ein Probeverguss durchgeführt. Dafür wurde der Pfeilerkopf der Achse 40 mit seiner Querneigung von 6 % und einer Längsneigung von 3 % als Testfeld mit Hüllrohrattrappen betoniert. Darin wurden die Schubknaggen und die temporären Auflagerbleche als Holzmodelle nachgebildet. Der Stahluntergurt wurde durch eine Plexiglasabdeckung ersetzt, um entsprechende Fehlstellen im Verguss detektieren zu können. Unterbrochen wurde die Plexiglasabdeckung durch die Öffnungen, die für die Hüllrohre im Stahlbau geschaffen wurden. Hier 84 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung sind zwischen den beiden Untergurtebenen tragende Bleche (vgl. Abbildung 10) um die Spannglieder angeordnet. Damit kann der Vergussmörtel beim Einpressen in diese Kanäle aufsteigen. Der seitliche Spalt zwischen den beiden Bauteilen wurde abgedichtet und der Vergussmörtel vom Tiefpunkt her eingepresst. Dabei zeigte sich eine sehr gute Vergussqualität auch im Bereich der Schubknaggen, die sehr gut vom Mörtel umflossen wurden. Es stellte sich beim Verguss jedoch heraus, dass sich der Mörtel deutlich weniger hydrostatisch verhält als zunächst angenommen. Dadurch bestand die Gefahr, dass der Mörtel im Hüllrohrkanal des Stahlbaus zu weit aufsteigt und damit in die nach oben offenen Hüllrohre des Spannsystems eindringen kann. Dieser Fall musste zwingend vermieden werden, da ein zulassungskonformes Verpressen der Hüllrohre dann nicht mehr möglich gewesen wäre. Es wurde eine visuelle Kontrollmöglichkeit der Vergusshöhe im Stahlbau durch abnehmbare Ankerplatten geschaffen. Weiterhin wurden zusätzliche Einpressstutzen angeordnet, um den Vergussvorgang nicht ausschließlich vom Tiefpunkt auszuführen, sondern sukzessive höher liegende Einfüllpunkte zu aktivieren. Damit konnte während des Vergießens der Querträger ein zu hohes Ansteigen des Mörtels im Spannkanal vermieden werden. Der Verguss konnte damit erfolgreich umgesetzt werden. Abbildung 7: Einheben Querträger Achse 30 (© Fa. Züblin) 5. Ausführung des Überbaus Abbildung 8: Ansicht Baufeld beim Einheben der Querträger (© Straßen.NRW) Der Stahlträgerrost besteht aus drei parallel angeordneten Längsträgern mit einer Höhe von 2,20 m und einer Breite von 2,50 m. Die Blechdicken des Obergurtes variieren zwischen 35 und 80 mm, die des Untergurtes zwischen 40 und 80 mm. Die Stege sind konstant 25 mm dick. Die Stege der Haupt- und Querträger sind mit jeweils zwei Trapezhohlsteifen gegen Beulen ausgesteift. Zusätzlich sind alle 4 m Querschotte mit Durchstiegsöffnungen vorgesehen. Die Querträger in den Achse 20 bis 40 sind ebenfalls als Stahlhohlkästen mit identischem Querschnitt ausgebildet und dienen den Hauptträgern als indirektes Auflager, welche die Kräfte in die darunterliegenden Pfeiler leiten. Für die Berechnung der Quersysteme wurden unterschiedliche FE-Systeme erzeugt. Diese beinhalteten neben den reinen Stahlblechen auch die Betonpfeiler als Volumenelemente und die vertikale Vorspannung als Stabelemente im Betonquerschnitt. Mit diesen Berechnungsmodellen wurden neben der reinen Bestimmung der Spannungen in den einzelnen Blechen und Schweißnähten unter den Bemessungssituationen GZT, GZG und GZE auch die Nachweise der klaffenden Fuge geführt. Hierfür wurden jeweils für die Bemessungsaufgabe angepasste Netzfeinheiten und Elemente gewählt. Im Zuge des Nachweises der klaffenden Fuge stellte sich heraus, dass im Zuge der Nachweisführung sowohl die im Entwurf gewählte Anordnung, als auch die Anzahl der Spannglieder angepasst und optimiert werden musste. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 85 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung Abbildung 9: montierter Querträger in Achse 20 (© Straßen.NRW) In den Achsen 20 und 40 wird der Querträger auf einer gevouteten Steifenebene abgesetzt. Diese verjüngt ihren Querschnitt auf die Pfeilerbreite und beinhaltet neben den durchgeführten Querschotten auch die tragenden Hüllrohre der vertikalen Vorspannung. Diese Hüllrohre waren notwendig um die hohen Beanspruchungen aus der Vorspannkraft, die in den Stahlquerschnitt eingeleitet werden, in den Betonpfeiler koppeln zu können. Hierbei setzen sich die Spannköpfe der Spannglieder auf Stahlplatten ab, welche die Kräfte über die Hüllrohre in den Betonpfeiler leiten und so die Fuge zwischen Beton und Stahl ständig überdrückt halten. Die im Entwurf vorgesehene Verfüllung der Aussteifungsebene schied im Projektverlauf aus fertigungstechnischen Gründen komplett aus. Abbildung 10: Ansicht FE-System Querträger Achse 20 (© Kina Ing.) Insgesamt mussten aufgrund der hohen Beanspruchungen im Steifenkasten durchweg große Blechdicken mit 60 - 120 mm verwendet werden. Im Bereich der unteren Lagerplatte der Aussteifungsebene wurden die Steifenlage und die Blechdicke mehrfach iteriert, damit sich hier neben der klaffenden Fuge auch die Betondruckspannungen nachweisen ließen. Letztendlich wurde mit einer Blechdicke der unteren Lagerplatte von 120mm die DIN EN 1993-2 hinsichtlich der Verwendbarkeit von Blechdicken vollständig ausgereizt. Zusätzlich mussten unterhalb der Lagerplatte noch Schubknaggen zum Abtrag der Querkräfte angeordnet werden. Abbildung 11: Anschluss des Diagonalblechs in Achse 30 In Querträgerachse 30 musste durch den kleinen Kreuzungswinkel eine besondere Konstruktion des Steifenkastens geplant werden. In die rautenförmige Konstruktion mussten aufgrund der großen Exzentrizitäten der Verkehrslasten in Brückenquerrichtung eine Vielzahl von vertikalen Spanngliedern angeordnet werden. Dazu kamen noch zahlreiche Aussteifungsbleche um die auftretenden Spannungen im Stahlbau aufnehmen zu können und die bereits oben beschriebenen tragenden Hüllrohre. Außerdem musste ein diagonales Blech in Form eines Diagonalschotts vom Steifenkasten in den Querträger hoch geführt werden. Der Schnitt, unter dem die Pfeilerkante und somit auch die Ecke des Steifenrostes gelagert ist, führt ansonsten zu großen Biegemomenten lokaler Art, die nicht aufgenommen werden können. Eine Besonderheit stellt der Anschluss dieses Diagonalschotts dar. Im Entwurf war hier die Anordnung eines Formstücks vorgesehen. Dieses musste allerdings unter anderem aufgrund mangelnder Fertigungszeit verworfen werden und es wurde ein Schweißdetail entwickelt, welches 5 Bleche in einem Punkt miteinander verbindet. 86 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der Überfl ieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung Abbildung 12: Ansicht FE-System Querträger Achse 30 (© Kina Ing.) Auch in der Querträgerachse 30 war die Nachweisführung der Betondruckspannungen und der klaffenden Fuge nur durch ein iteratives Optimieren der Spanngliedanzahl und -anordnung möglich. In der Endquerträgerachse wurde für die Einleitung der Lagerkräfte ein Lagerschott mit einer Blechstärke von 60 mm vorgesehen. Daran angeschlossen wurden die Lagersteifen, welche im vertikalen Verlauf in die Öffnungssteifen der im Lagerschott angeordneten Durchstiegsöffnungen übergehen. Dieser Übergang ermöglicht eine möglichst ermüdungsgerechte Konstruktion. Neben den Lagersteifen in Endquerträgerlängsrichtung wurden auch quer dazu verlaufende Steifen angeordnet, die gleichzeitig auch als Lasteinleitungspunkte für die Pressen im Falle eines Lagerwechsels dienen. In Verlängerung der Stege des mittleren Hohlkastens wurden Querschotte angeordnet, die neben der Formerhaltung auch der Lasteinleitung aus den Längsträgern in den Endquerträger dienen. Da sich durch die tiefere vertikale Lage des Endquerträgers zu den Längsträgern ein Versatz ergibt, greifen die Lasten aus dem Untergurt teilweise im relativ weichen Steg des Endquerträgers an. Da dieser nur eine Stegdicke von 20 mm aufweist, mussten hier Verstärkungen vorgesehen werden. Diese wurden in enger Absprache mit dem Prüfi ngenieur als dreiecksförmige Verstärkungsbleche auf Höhe des Untergurts ausgeführt. Abbildung 13: Dübelanordnung im Bereich der äußeren Hauptträger Für die Verbundsicherung des Überbaus wurden standardmäßig 22-er Kopfbolzendübel mit einer Länge von 250 mm verwendet. Auch die Anordnung der Dübel gestaltete sich in diesem Projekt als große Herausforderung. Hier mussten neben den normativen Vorgaben und Rechenansätzen für die Tragfähigkeit auch die Platzverhältnisse in den Dübeltaschen der Halbfertigteile berücksichtigt werden. Was im Bereich der Längsträger noch gut planbar war, erwies sich im Kreuzungsbereich als extrem schwierig. Neben der Tragwirkung der im Kreuzungsbereich angeordneten Dübel in Brückenlängsrichtung werden die Kopfbolzendübel hier auch in Brückenquerrichtung, also in Querträgerachse beansprucht. Dazu kommt die Verlegung der Halbfertigteile, welche die Lage der Dübeltaschen fest vorgibt. Durch die verringerte Tragfähigkeit der Kopfbolzendübel mit steigendem Abstand zum Steg ergab sich mit den oben aufgeführten Randbedingungen eine inselförmige Anordnung. Diese führte allerdings neben einer notwendigen Vergrößerung der im Entwurf geplanten Dübeltaschen im Hauptträgerbereich auch zu einer neuen Geometrie der Taschen im Kreuzungsbereich. Die Fahrbahnplatte wird durch 16 cm dicke Halbfertigteile gebildet, die mit einer 34 cm dicken und sich zur Kragarmaußenkante auf 16 cm verjüngenden Ortbetonschicht ergänzt werden. Die Halbfertigteile liegen auf Elastomerstreifen an den Rändern der Hauptträger auf. Damit spannen diese vom Rand des mittleren Hauptträgers zum Randhauptträger über ca. 4,50 m und über ca. 2,50 m über dem Randträger. Die anschließende Kragarmlänge beträgt über 3,0 m. Damit ergibt sich eine Gesamtlänge 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 87 Der Überflieger im Zuge des Autobahnkreuzes Aachen - Ersatzneubau als ingenieurtechnische Herausforderung von ca. 10 m. Alle Fertigteile sind ca. 2,0 m breit und weisen über dem Randhauptträger je eine Schubtasche mit 2,40 m Länge und 37,5 cm Breite sowie zwei weitere Schubtaschen am Rand mit jeweils halbierter Breite auf. Damit verbleibt zur Aufnahme des Frischbetondrucks eine Querschnittsbreite von ca. 1,25 m. Zur Aufnahme des Frischbetondrucks waren zunächst Gitterträger vorgesehen, um den Hebelarm für die Bemessung zu erhöhen. In der Ausführung konnten diese leider nicht umgesetzt werden, da die erforderlichen Gitterträger nicht als Querkraftbewehrung im Endzustand zugelassen sind und aufgrund des hohen rechnerischen Querkraftbewehrungsgrades nicht ausreichend Platz für zusätzliche Gitterträger vorhanden war. Die damit anzuordnende Biegebewehrung (inkl. Biegedruckbewehrung) reizte die Grenzen des normativ Baubaren aus. Im Stützbereich des Stahlträgerrostes aus Längs- und Querträgern waren deutlich mehr Kopfbolzendübel erforderlich (s.o.). Die Schubtaschen mussten hier noch deutlich vergrößert werden. Der verbleibende Restquerschnitt des Halbfertigteils konnte die Frischbetonlasten des Kragarms rechnerisch nicht mehr aufnehmen. Daher mussten die drei betroffenen Halbfertigteile durch ein bodengestütztes Traggerüst gehalten werden. Um hier die Verträglichkeit mit der Verformung der angrenzenden, nicht unterstützten Fertigteile sicher zu stellen, wurden Ausgleichsträger unter die Auskragungen gespannt und die erwartete Kragarmdurchbiegung im Traggerüst eingestellt. Die Fertigteile der Endfelder sind verlegt und die Ortbetonschicht ist aufgebracht. Momentan werden die restlichen Fertigteile verlegt, so dass mit der Fertigstellung des Überbaus zum Ende des Jahres gerechnet wird. Der Planungsprozess war von allen Projektbeteiligten durch einen hohen Einsatz und kurzfristige Kommunikation geprägt. Von Aufstellerseite dürfen wir uns hierfür sowohl beim Bauherrn als auch beim Prüfingenieur für die konstruktive Zusammenarbeit und zügigen Lösungsfindungen bedanken. 6. An Planung und Ausführung Beteiligte Ausführende Firma: ARGE A4/ A44/ A544 Umbau AK Aachen STRABAG AG / Ed. Züblin AG / Züblin Stahlbau GmbH Duisburg Ausführungsplanung: Doser Kempen Krause Ingenieure GmbH Aachen In Zusammenarbeit mit Kina Ingenieurgesellschaft mbH Bochum Prüfingenieur: Dr. Dobelmann HRA Ingenieurgesellschaft mbH Bochum Bauherr: Bundesrepublik Deutschland vertreten durch Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen RNL Ville-Eifel, Region 3 Würselen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 89 Gerüststellungen für die Sanierung von Hängebrücken am Beispiel der Mülheimer Brücke Köln und der Rheinbrücke Emmerich Josef Teupe Teupe & Söhne Gerüstbau GmbH, Deutschland Zusammenfassung Komplexe Aufgabenstellungen in der Brückenertüchtigung und -Instandsetzung sind generell und auch bezüglich erforderlicher Gerüstkonstruktionen und deren Nachweisführung anspruchsvoll. Am Beispiel aktueller Baumaßnahmen den Rheinbrücken Köln-Mülheim und Emmerich werden Aufgabenstellungen konstruktiv, statisch und auch mit wichtigen Details in der Ausführung vorgestellt. Die Konzeption, Planung und Ausführungsplanung wie auch die detaillierte Nachweisführung ist u.a. bezogen auf die jeweils konkreten Aufgabenstellungen, Zwischenbauzustände im Ablauf der Brückenertüchtigung/ -Instandsetzung und ggf. zeitgleich unterschiedlichen Nutzungsanforderungen mit der notwendigen Sorgfalt und Detailliebe anzugehen. Konstruktive Lösungsansätze für Aufgabenstellungen, die im Einzelfall auch anspruchsvolle technische Herausforderungen bedeuten, sind in der Ausführungsplanung und prüffähigen statischen Berechnung auf alle notwendigen Schnittstellen und Bauablaufanforderungen auszulegen, um einen ungestörten Bauablauf erreichen zu können. 1. Mülheimer Brücke Köln Aufgrund erheblicher Schäden an der Bauwerkssubstanz muss die weit über 60 Jahre alte Mülheimer Brücke umfassend saniert und verstärkt werden. Im Folgenden werden die an dem Bauwerk auszuführenden Instandsetzungsmaßnahmen bzw. die für diese Aufgabenstellung erforderlichen Anforderungen an die Gerüstkonstruktionen auszugsweise vorgestellt. 1.1 Das Bauwerk Die 1951 eröffnete Mülheimer Brücke ist nach einer Schiffbrücke von 1888 und einem Bauwerk von 1929 die dritte Brücke an gleicher Stelle und 682,80 m lang. Mit einer Spannweite von 315 m überführt die erdverankerte Hängebrücke die auch innerstädtisch sehr wichtige Bundesstraße 51 über den Rhein. 1977 wurden durch Umbau der Brückenfahrbahnen zwei Straßenbahnlinien hinzugefügt. Der 27,20 m breite Überbau ist als erster in Deutschland gebauter orthotroper Plattenbalken konzipiert. Zwischen Widerlager und Pylon beträgt der Achsabstand der Hänger 10,625 m, zwischen den Pylonen 10,862 m. Bild 1: Sanierung und Verstärkung Mülheimer Brücke 1.2 Aufgabenstellung Instandsetzung Strombrücke Die Strombrücke ist als wesentlicher Bestandteil des Mülheimer Brückenzuges nach mehr als 60 Jahren Standzeit sanierungsbedürftig und muss darüber hinaus verstärkt werden. Für die Stahlbau- und Korrosionsschutzarbeiten ist der Überbau u.a. unterseitig unter Beachtung der Lichtraumprofile mit einem über 14.000 qm umfassenden Hängegerüst komplett einzurüsten, ebenso die Tragkabel, die Hänger und die Pylone einschließ- 90 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Gerüststellungen für die Sanierung von Hängebrücken am Beispiel der Mülheimer Brücke Köln und der Rheinbrücke Emmerich lich Querriegel. Diese Gerüstkonstruktionen sind mit für schweren Korrosionsschutz geeigneten Einhausungen zu versehen. Unter Beachtung der für das Bauwerk maximal zulässigen Windlastbemessung aus Gerüsten und Einhausungen sowie der maximal zulässigen Lasteinleitung aus allen Baubehelfen in das unter Verkehr stehende Bauwerk (einschließlich Stadtbahnverkehr) ergeben sich im Zuge der sehr umfangreichen Arbeiten inklusive komplettem Hängertausch statisch jeweils relevante Bauzwischenzustände. So muss z.B. die Querträgerverstärkung stahlbauseitig abgeschlossen sein, bevor die Kragarmbereiche eingerüstet werden können. Für alle Gewerke, insbesondere für den Gerüstbau, ergeben sich statisch, terminlich und bauablaufbezogen unter zusätzlicher Berücksichtigung der immer nur in Teilbereichen begrenzt möglichen Einhausungsabschnitte besondere Herausforderungen. Auch der definiert vorgegebenen Sperrpause der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) für den gesamten Mülheimer Brückenzug sind die Bauabläufe dezidiert unterzuordnen. Mit immerhin vier parallel zu bearbeitenden Brückenbauwerken - der Deich-, Flut- und Strombrücke sowie dem Mülheimer Rampenbauwerk - sind sehr umfangreiche Abbruch- und Instandsetzungsarbeiten auf engem Raum unter Beachtung von laufendem Individual-, Straßen- und Stadtbahnverkehr zu koordinieren. 1.3 Konstruktive Ausführung und statische Bemessung Die termingerecht durchgeführte Einrüstung der Brückenuntersicht ist statisch, konstruktiv und logistisch sehr anspruchsvoll und muss neben der Eignung für den schweren Korrosionsschutz vor allem die durchzuführenden Stahlbauarbeiten ermöglichen. Durch die vorgegebenen Lichtraumprofile für die Rheinschifffahrt und bezüglich der Hochwasserpegelvorgaben ergeben sich für die Gerüstkonstruktionen sehr begrenzte Bauhöhen. Bild 2: Eingerüstete Brückenuntersicht Bild 3: Eingerüstete Brückenuntersicht (Detail: Andienungsöffnung) Das Hängegerüst ist u.a. konstruktiv auf den Quertransport und den Einbau von werkstattseitig vorkonfektionierten Verstärkungsträgern zwischen den Brückenhauptträgern auszulegen. Diese geometrisch und statisch anspruchsvolle Vorgabe wurde im Hängegerüst bei Sicherstellung der Gerüstnutzlast durch die Unterbrechung der Gerüsthaupttragglieder mit Bauteilen geringerer Bauhöhe gelöst. Die so geometrisch als Quertransportweg über die gesamte Brückenlängsrichtung über dem Rhein nutzbare tiefer angeordnete Gerüstebene 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 91 Gerüststellungen für die Sanierung von Hängebrücken am Beispiel der Mülheimer Brücke Köln und der Rheinbrücke Emmerich ist auch für die jeweilige Stahlbaumontagesituation einschließlich Montagedrehpunkt für den Stahlbau nutzbar. Nach der Stahlbau-Querträger - Bauwerksverstärkung wird das Hängegerüst im Kragarmbereich außen neben den beiden Brückenhauptträgern erweitert. Auch hier ist den statisch möglichen Aufhängepunkten für die Lasteinleitung in den jeweiligen Bauzwischenzuständen besondere Aufmerksamkeit in Konstruktion und Nachweisführung zu widmen. Bild 4: Gerüstbauseitig vorbereiteter Kragarmbereich Die Pyloneinrüstungen einschließlich Querriegel sind neben der besonderen Grundriss- und Lasteinleitungsgeometrie auch montagetechnisch besonders anspruchsvoll. Aufgrund nicht vorgesehener Schutzmaßnahmen bei laufendem Straßen- und Stadtbahnverkehr wurde die Gerüstmontage am ersten Pylon mit unserer patentgeschützten, am Gerüst elektrohydraulisch selbstkletternden Schutzeinhausung durchgeführt. Alle Lasteinleitungen aus der Klettereinhausung, vor allem die Windlasten, sind statisch geprüft nachgewiesen. Bild 5: Systemschnitt A - A Pyloneinrüstung Bild 6: Systemschnitt E - E Querriegeleinrüstung Die Einrüstung und Einhausung der Tragkabel unter Berücksichtigung der Hängertauscharbeiten steht noch aus und wird im weiteren Zuge des Bauablaufs getaktet. Hierbei sind diverse Bauzwischenzustände statisch zu bewerten und sowohl Lasteinleitungen in den Brückenbestand als auch die Windlasten aus den diversen Einhausungsstellungen nachzuweisen. 2. Rheinbrücke Emmerich An der seit 2002 denkmalgeschützten Schrägseilbrücke wurden bei verschiedenen Bauwerksprüfungen im Laufe der Jahre massive Schäden festgestellt. Die Instandsetzungsmaßnahmen, die von der ARGE Rheinbrücke Emmerich ausgeführt und hier auszugsweise in Bezug auf Aufgabenstellung und Ausführung der erforderlichen Gerüstkonstruktionen beschrieben werden, erstrecken sich über mehrere Jahre. 2.1 Das Bauwerk Die nördlichste Rheinbrücke Deutschlands wurde 1965 eröffnet. Mit 803 m ist sie die längste Hängebrücke Deutschlands und hat mit 500 m Stützweite zudem die größte Stützweite einer Brücke in Deutschland. Die beiden Pylone sind mit zur Brückenachse geneigten Stielen, die jeweils über einen Querriegel miteinander verbunden 92 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Gerüststellungen für die Sanierung von Hängebrücken am Beispiel der Mülheimer Brücke Köln und der Rheinbrücke Emmerich sind, 76,70 m hoch. Beide Tragkabel, bestehend aus 61 Einzelseilen, weisen einen Kabeldurchhang von gut 55 m zwischen Pylon und Brückenmitte auf. Die Hänger tragen mit einem Abstand von 15,15 m den knapp 23 m breiten Überbau. Bild 7: Ertüchtigung der Rheinbrücke Emmerich 2.2 Aufgabenstellung Instandsetzung Rheinbrücke Für die Stahlbau- und Korrosionsschutzarbeiten müssen u.a. die Pylone sowie die Hänger und Tragkabel jeweils einschließlich der Einhausungen zugänglich sein. Besonders sorgfältig bezüglich der Konstruktion und Nachweisführung der Baubehelfe ist auf die Hängertauscharbeiten zu achten. Dies gilt sowohl in Bezug auf die Geometrieanforderungen für den Aus- und anschließenden Neueinbau der Hänger, Bauzwischenzustände, uneingeschränkte Zugänglichkeit bei parallel verlaufenden Korrosionsschutzarbeiten mit geschlossener Einhausung als auch bezüglich Umverankerungen. Aufgrund teilweise beschädigter Bestandshänger und einer statisch bedingt generellen Hängertauschfolge bezogen auf den gesamten Überbau sind die Gerüstbauarbeiten zwingend der Taktung Hängertausch folgend zu konzipieren. Unter Beachtung der darüber hinaus durch den Bauherrn vorgegebenen maximal zulässigen Windlastbemessung durch die Einhausungen sind die gesamten Bauablaufbausteine terminlich, statisch und geometrisch sorgfältig zu planen. Planer / Bauherr haben diverse Schutzdächer über und unter dem Brückendeck ausgeschrieben. Für eine jederzeit und in allen Bauzwischenzuständen und Bauablaufphasen über laufendem Verkehr sichere Baustelle werden über dem Brückendeck im Bereich beider Pylone einschließlich Querriegel zwei große Schutzdachkonstruktionen erforderlich, die auch die Pylongerüste in den Baubestand abtragen. Bild 8 und 9: Montage der Schutzdächer über Brückendeck 2.3 Konstruktive Ausführung und statische Bemessung Die Arbeitsabläufe werden gemeinsam und in enger Abstimmung der ARGE-Partner untereinander minutiös getaktet. Die kurzen Hänger werden in Abhängigkeit ihrer Länge mittels Mobilkran von oben aus- und wieder eingebaut, die langen Hängerseile mit Windentechnik. Vor- und nachlaufende Korrosionsschutzarbeiten, die jederzeit zusätzlich auch parallel zum Hängertausch im Schutz von Einhausungen am Tragkabel durchgeführt werden müssen, werden durch mehrfache Umverankerung der Gerüstkonstruktionen begleitet. Die Einrüstung der Tragkabel erfolgt mit auf dem Brückendeck vormontierten Gerüsteinheiten, die mittels Windentechnik sowohl hochgezogen als auch bezüglich genauer Positionierung parallel zum Tragkabel eingestellt werden. Diese jeweiligen Gerüstbrücken werden im Stoßbereich mit speziellen statisch-konstruktiven Verbindungen untereinander gekoppelt. Der durch die Tragseilgeometrie bedingt erforderliche Neigungsausgleich erfolgt ebenfalls im Stoßbereich. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 93 Gerüststellungen für die Sanierung von Hängebrücken am Beispiel der Mülheimer Brücke Köln und der Rheinbrücke Emmerich Die Tragseileinrüstung erhält doppelte, direkt übereinander angeordnete Arbeits- und zusätzliche Schutzgerüstböden, um eine effektive, wirtschaftliche und jederzeit sichere Strahlschuttentsorgung zu gewährleisten. Bild 10: Gerüstkonstruktion für Tragkabel Die statisch maximal mögliche Länge der Einhausungen ausnutzend, werden diese jeweils präzise an den Bauablauf und die Zwischenbauzustände angepasst umgesetzt. Die Umsetzung der Einhausungen erfolgt verfahrbar auf dem Kopf der Gerüstkonstruktion, die der konkav verlaufenden Tragseilgeometrie folgt. Diese geometrisch anspruchsvollen Verfahrwege erfordern eine besondere Montage- und Umsetztechnologie, die dabei zugleich erhebliche Zeit- und auch Kostenvorteile für das Bauvorhaben verschafft, denn es fallen keine Kraneinsätze bzw. -kosten an. Außerdem entfällt die wiederholte, zeitaufwendige Demontage in Einzelteile und anschließende wiederum aufwendige Remontage. Dies ist insbesondere aufgrund der sehr kleinteilig zulässigen Einhausungsabschnitte für die Termintaktung der einzelnen Gewerke und den generellen Bauablauf sehr wichtig. Die Einrüstung der Pylone einschließlich Querriegel erscheint im Vergleich zur Aufgabe der Tragkabeleinrüstung weniger aufwendig. Dennoch erfordert eine sichere und gleichzeitig wirtschaftliche Durchführung bei statisch präziser Nachweisführung eine gute, detaillierte Vorbereitung in Konstruktion, Arbeitsvorbereitung und Montage. Durch die parallel zur Pylonneigung angeordneten Gerüstkonstruktionen werden bei minimalen Windangriffsflächen und störkantenfrei durchgängig optimalen Einhausungslinien für alle Gewerke sehr gute Arbeitsplatzbedingungen innerhalb der Einhausungen erreicht. Bild 11: 3-D - Ansicht Pylon 94 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Gerüststellungen für die Sanierung von Hängebrücken am Beispiel der Mülheimer Brücke Köln und der Rheinbrücke Emmerich Bild 12: Systemschnitte Pylon und Querriegel Bild 13: Aufsicht auf die Gerüstkonstruktionen an Tragkabeln bis zum Pylonkopf Bild 14: Arbeits- und Schutzgerüste an Pylonen, Querriegeln und Tragkabeln Das detailliert ausgearbeitete Flucht- und Rettungskonzept berücksichtigend erfolgt die permanente Sicherstellung der Höhenrettung durch besonders ausgebildete Gerüstbauer, die durchgehend während der gesamten Bauzeit auf der Baustelle vor Ort sind. Bild 15: Durchführung von Rettungsübungen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 95 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW - Bestandsuntersuchungen zum Erhalt der Unterbauten, dem ingenieurmäßigen Rückbau und für die bauzeitliche Verkehrsführung Dipl.-Ing. Friso Friese und Dipl.-Ing. Ines Nordhaus DEGES Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH Zimmerstraße 54 10117 Berlin 1. Vorbemerkungen Das gestiegene Verkehrslastaufkommen und die vorliegende Altersstruktur der Brückenbauwerke führen in Deutschland zu zahlreichen Modernisierungsmaßnahmen im Bundesautobahnnetz. Im Zuge der A1 in Nordrhein-Westfalen zwischen den Anschlussstellen AS Hagen/ Nord und AS Wuppertal/ Langenfeld werden 3 Ersatzneubauten von Talbrücken durch die DEGES realisiert. Dabei wurden auf Grund der vorhandenen Bauwerkssubstanz und der örtlichen Randbedingungen 3 unterschiedliche Herangehensweisen als Vorzugslösung festgelegt, geplant und ausgeschrieben. Alle 3 Maßnahmen befinden sich derzeit in der Bauausführung. Bild 1 - Blick auf das gerodete Baufeld der Talbrücke Volmarstein vor dem Brückanabbruch Die Talbrücke Volmarstein wurde 1959 als doppelzelliger Spannbetonhohlkasten mit einer Gesamtlänge von 315 m über 11 Felder errichtet. Die Brücke liegt in einer schwer zugänglichen Hanglage. 96 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW Bild 2 - Ersatzneubau Talbrücke Volmarstein, Widerlager und Pfeilerachsen werden versetzt Die Modernisierung erfolgt als vollständiger Ersatzneubau, die neuen Widerlager- und Pfeiler sind gegenüber den alten Standorten versetzt, so dass der Ersatzneubau ohne örtliche Konflikte mit den Bestandsgründungen errichtet werden kann. Untersuchungen am Bestandsbauwerk waren hier insbesondere für die bauzeitliche Verkehrsführung (4+0) auf dem alten Überbau erforderlich. Bild 3 - Die Schwelmetalbrücke im Stadtgebiet von Wuppertal vor Baubeginn Die Schwelmetalbrücke wurde 1960 als 2-zelliger Spannbetonhohlkasten mit einer Gesamtlänge von 207 m errichtet. Die 3-feldrige Brücke befindet sich unmittelbar an der Anschlussstelle Wuppertal-Langenfeld im Stadtgebiet und überführt die A1 u.a. über eine 5-gleisige, elektrifizierte Bahntrasse und die Bundesstraße 7. Seit dem Jahr 2006 besteht die Brücke aus 4 Teilbauwerken, die Brücken aus dem Jahr 1960 wurden von neuen Verbundhohlkastenbrücken umschlossen. Bild 4 - Ersatzneubau Schwelmetalbrücke, Widerlager und Pfeilergründungen bleiben erhalten Eine Modernisierung ist nur für die älteren, inneren Bauwerke notwendig. Auf Grund dieser komplizierten Randbedingungen wurden hier für den Ersatzneubau die Standorte der neuen Pfeiler und Widerlager beibehalten, wobei die Widerlager sowie die vorhandenen Brunnengründungen der Pfeiler weitergenutzt werden. Der Rückbau des Überbaus erfolgt unter Zuhilfenahme der Stahlträger für den neuen Überbau, die in dieser Phase als Traggerüst dienen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 97 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW Bild 5 - Die Brücke Hengstey am nahegelegenen Stausee vor Baubeginn Die Brücke Hengstey wurde 1960 als Spannbetonplattenbalkenbrücke mit einer Gesamtlänge von 88 m errichtet, 1980 wurde die Brücke im Zuge des Ausbaus der Autobahn mit einem Spannbetonhohlkörperträger beidseitig verbreitert. Das 37 m lange Hauptfeld führt die A1 über 8 elektrifizierte Bahngleise, die Randfelder über zwei lokale Straßen. Bild 6 - Ersatzneubau Brücke Hengstey, Widerlager und Pfeilerscheiben bleiben erhalten Der Überbau wird bei gleicher Querschnittsbreite komplett erneuert. Die Widerlager und die Pfeilerscheiben können erhalten bleiben, wofür umfangreiche Untersuchungen durchgeführt wurden. 2. Talbrücke Volmarstein: Untersuchungen für die Einrichtung des 4+0-Verkehrs Der Nachweis des 4+0-Verkehrs erfolgt im Regelfall durch eine Nachrechnung, die mindestens eine Brückenklasse 60 nach DIN 1072 ausweist. Des Weiteren ist die bisherige Mittelkappe zu einem bauzeitlichen Randabschluss umzubauen. Bei der Talbrücke Volmarstein konnte in der Nachrechnung die Brückenklasse 60 bestätigt werden. Jedoch ging aus den Bestandsunterlagen hervor, dass an der Fahrbahnplatte in der Vergangenheit erhöhte Chloridwerte nachgewiesen wurden. Die Unsicherheit über den potentiellen Schädigungsgrad hat eine Untersuchung notwendig gemacht. 98 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW Bild 7 - Spannstahlbruchortung mit Magnetremanenzverfahren bei nächtlicher, halbseitiger Verkehrssperrung An Stelle einer punktuellen Untersuchung wurde das Magnetremanenzverfahren zur flächendeckenden Spannstahlbruchortung angewendet. Dabei wurde das 315 m lange Bestandsbauwerk in zwei nächtlichen Einsätzen unter Sperrung jeweils einer Brückenhälfte mit einem Spezialfahrzeug detektiert. Die Detektion konnte einwandfrei durch die bestehende Asphaltdecke erfolgen, was eine schnelle Ausführung ermöglichte. Bild 8 - Spannstahlbruchortung (Systembild) Im Ergebnis zeigte sich für die Talbrücke Volmarstein nur im sehr geringen Maße und lokal eingegrenzte Schäden an Bewehrungs- und Spannstahl, so dass auf eine Öffnung der detektierten Schäden verzichtet werden konnte. Bei größeren Schädigungsbereichen ist es ratsam, diese Stellen im Nachgang zu öffnen und zu untersuchen. Für ein Untersuchungskonzept im Hinblick auf Spannstahlbrüche sind daher lokale Öffnungen im Nachgang der Detektion einzuplanen. Bild 9 - für die Talbrücke Volmarstein gewählter Randabschluss mit Super-Rail BW Mit den positiven Ergebnissen der Spannstahlbruchortung konnte die Standsicherheit der Fahrbahnplatte in Querrichtung nachgewiesen werden. Damit konnte auch der Randabschluss wie vorgesehen ausgebildet werden. Eingesetzt wurde eine Stahlschutzplanke Super Rail BW entsprechend der Systemzulassung. Die Auswahl der passiven Schutzeinrichtung ist stets in Zusammenarbeit mit der bauzeitlichen Verkehrsplanung und der Systemwahl im Streckenbereich zu treffen. Eine Produktausschreibung kann demzufolge begründet, muss aber sorgsam durchdacht werden. Nach Umbau der Randkappe konnte der bauzeitliche 4+0-Verkehr eingerichtet werden. Mittlerweile läuft der Verkehr bereits 6-streifig auf dem ersten fertiggestellten Teilbauwerk. 3. Schwelmetalbrücke: Untersuchungen für den Erhalt der Gründungen und Widerlager Während die massiven Widerlager unter Erneuerung der Auflagerbänke erhalten bleiben können, ist ein Erhalt der als Pendelstützen ausgebildeten Pfeiler nicht möglich. Da der Neubau als Stahlverbundkonstruktion erfolgt, nehmen die Gründungslasten gegenüber dem Bestand 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 99 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW nicht zu. Da weiterhin in den Bereichen zwischen Bahn, Schwelme und Straßenverkehrswegen wenig Platz für Spezialtiefbaugeräte zur Verfügung steht, wurde unter Berücksichtigung von Bauteiluntersuchungen ein Ertüchtigungsverfahren für die Bestandsgründung entwickelt. Bild 10 - die ertüchtigten Bestandsgründungen des Neubauteils zwischen den äußeren Rampenbauwerken, abgeleitet aus BIM-3DModell Die Bestandsgründungen bestehen aus Brunnenringen, die in einer offenen Baugrube bis zum Felshorizont hergestellt und dann im unteren Bereich mit Magerbeton und im oberen Bereich mit unbewehrtem Konstruktionsbeton aufgefüllt wurden. Die offene Baugrube wurde mit den Mitteln der damaligen Zeit rückverfüllt. Über den Brunnenringen wurde eine Pfahlkopfplatte errichtet um die Pendelstützen aufstellen zu können. Bild 11 -Bestandsgründungen der Pfeilerachsen Schwelmetalbrücke Zur Weiternutzung der Bestandsgründungen wurde ein Untersuchungsprogramm aufgestellt. Mit einem Sondierbohrgerät wurde unter dem Oberboden zunächst die bestehende Pfahlkopfplatte durchbohrt, darunter die mit Konstruktionsbeton aufgefüllten Brunnenbereiche, darunter die mit Magerbeton aufgefüllten Brunnenbereiche bis der Felshorizont erreicht war. Zudem wurden um die Brunnenringe Drucksondierungen durchgeführt, um die horizontale Steifigkeit abschätzen zu können- Bei der Bohrsondierung in den Brunnenringen erwies sich der Übergang zwischen Konstruktionsbeton und Magerbeton als trügerisch. In einem ersten Bohrverfahren wurde die Sondierung mit einem Einfachkernrohr durchgeführt. Die einfache Bohrkrone zermalmte im Zusammenhang mit dem Bohrwasser den Magerbeton, so dass dieser in der Kernkiste als sandiges Material in Erscheinung trat. Da der Bohrführer die Anweisung hatte, bis zur Unterkante Gründung zu bohren wurde die Bohrung hier abgebrochen und zunächst eine Gründung auf lockeren Sanden angenommen. 100 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW Bild 12 -Beide Sondierungsbohrungen sind ca. 50 cm versetzt im gleichen Brunnenrohr erfolgt. Die linke Bohrung mit Einfachkernrohr zerbohrte den Magerbeton bis zur Unkenntlichkeit Die rechte Bohrung mit Doppelkernrohr ließ Druckfestigkeitsuntersuchungen der Proben bis zur Festigkeit 29,7 MPA zu In der Diskussion dieser Ergebnisse und dem erneuten Studium der Bestandspläne wurde der Fehler erkannt und eine erneute Sondierung mit Doppelkernrohr durchgeführt. Auf die Gefahr des Zerbohrens von Felsmaterial in Übergangsbereichen wird im Merkblatt zur Qualitätssicherung bei der geotechnischen Erkundung MQGeoE hingewiesen und eine Sondierung mit Doppelkernrohr empfohlen. Mit diesem Verfahren konnten letztendlich ungestörte Magerbetonproben gezogen werden, an denen im Betonprüfstand Festigkeiten von bis zu 29,7 MPA nachgewiesen wurden. Trotz der guten Ergebnisse der Sondierungen mit Doppelkernrohr wurde eine Verstärkung der Brunnengründungen mit Mikropfählen ausgeschrieben und wird derzeit ausgeführt. Damit werden letzte Zweifel an der Materialbeschaffenheit beseitigt, es verbleibt eine sehr viel wirtschaftlichere und raumsparende Gründungslösung, als eine Neugründung mit Großbohrpfählen. Da die Umgebung der Ringe in den 50er Jahren wahrscheinlich ohne Verdichtung mit dem örtlich anstehenden Felszersatz verfüllt wurden, werden diese Bereiche zusätzlich mit Zementsuspension ertüchtigt. Bild 13 - Widerlagerrückansicht der verstärkten Widerlagerscheiben abgeleitet aus BIM-3DModell Die neu zu schaffenden Auflagerbänke werden mit Injektionsdübeln mit den bestehenden Widerlagerscheiben verbunden. Zusätzlich werden die Auflagerbänke mit Mikropfählen rückverankert. Damit kann auf einen Ersatzneubau der Widerlager verzichtet werden. Dies hat auf die bauzeitliche Verkehrsführung und die Sicherheit des Autobahnverkehrs sowie die Gesamtbauzeit einen erheblichen und günstigen Einfluss. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 101 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW Bild 14 - nach Öffung mit HDW festgestelltem Verpressfehler an einem stark geneigten Spannglied der Schwelmetalbrücke Die Abbruchplanung der Schwelmetalbrücke machten weitere Materialuntersuchungen notwendig, da der tatsächliche Verpresszustand der Spannglieder unbekannt war. Daher wurde nach Verkehrsumlegung die Spannglieder bereichsweise mit Hochdruckwasserstrahlen (HDW) freigelegt und die Hüllrohre geöffnet. Im Ergebnis wurde hierbei überwiegend ein vollständiger Verpresszustand detektiert, in stark geneigten Bereichen wurden jedoch lokale Verpressfehler festgestellt. Dennoch konnten mit diesen Ergebnissen die Rückbauzustände statisch nachgewiesen werden. 4. Brücke Hengstey: Untersuchungen für den Erhalt der Pfeilerscheiben Für die Pfeilerscheiben der Brücke Hengstey wurde seitens der DB AG trotz relativ naher Gleislage der Bestandsschutz festgestellt. Ein Neubau dieser Pfeilerscheiben müsste in einem weiteren Abstand zu den Gleisen erfolgen, was sowohl Auswirkungen auf die bahnparallel unterführten Kommunalstraßen und auf die Stützweitenverhältnisse und somit auf die Bestandswiderlager hätte. Zudem müsste bei einem Neubau der Pfeilerscheiben die gleisparallele Bahntechnik erheblich umgebaut werden. Daher war es das Ziel, die Pfeiler- und Widerlagerscheiben zu erhalten. 102 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW Bild 15 - Die Brücke Hengstey auf massiven Widerlagerscheiben vor Baubeginn Die massive Ausbildung der Pfeiler und Widerlager mit großformatiger Verblendung wurde bei der beidseitigen Erweiterung in den 80er Jahren aufgegriffen, so dass ein äußerst robuster Gesamteindruck der Unterbauten besteht. Dennoch wurden sämtliche Bereiche der aufgehenden Wände und auch der Gründungen aufwändig erkundet um die Weiterverwendung der Bauteile für die Lebensdauer des neuen Überbaus sicher zu stellen. Überraschend war, dass entgegen der Bestandszeichnungen in den älteren Pfeilerbereichen keine Bewehrung angetroffen wurde. Die Bauform der mittleren Pfeilerbereiche stellte sich als zwischen den Verblendsteinen lageweise betonierter Brückenpfeiler heraus. Gemäß der durchgeführten statischen Berechnung, die im Abstimmungsprozess auch dem Eisenbahnbundesamt vorgelegt werden musste, ergab sich unter Vernachlässigung der eigentlich mittragenden Verblendung eine statische Ausnutzung von nur 1,95 N/ mm². Zudem entsteht unterhalb der Auflagerbank nie eine klaffende Fuge. Demgegenüber ergaben die an den Bohrkernen durchgeführten Druckfestigkeitsproben die charakteristische Festigkeit eines C16/ 20. Mit dieser nachgewiesenen Druckfestigkeit war der Einsatz von Injektionsdübeln zur Verbindung zwischen neuer Auflagerbank und bestehenden Pfeilerscheibe möglich. Geringere Betonfestigkeiten wären zwar statisch unproblematisch, durch die Zulassungsbescheide der Dübelhersteller jedoch nicht regelkonform abgedeckt. Die Widerlager werden entsprechend der Brücke Schwelmetal mit Mikropfählen verstärkt, deren Ankerkopf im Bereich der neu zu schaffenden Auflagerbänke problemlos untergebracht wird. Bild 16 - Beim Schneiden der Brücke Hengstey zeigt sich ein guter Verpresszustand der Spannglieder, der anzusetzende Verbundkraft soll duch Versuche festgestellt werden. Bei der Brücke Hengstey werden an den bereits rückgebauten Bauwerksteilen für die Spannglieder Ausziehversuche durchgeführt, um festzustellen welche Spannkraft nach Durchschneiden der Spannstähle ansetzbar ist. Die hier gewonnenen Erkenntnisse sollen die weiteren Rückbauplanung einfließen. 5. Fazit Das Modernisierungsprogramm des Brückenbestandes in Deutschland setzt überwiegend auf den vollständigen Ersatzneubau von Brücken. In bestimmten Fällen bietet jedoch der Erhalt, insbesondere der Unterbauten bzw. der Gründungen erhebliche Vorteile. Dabei sind wirtschaftliche Betrachtungen in Bezug auf das konkrete Bauteil nur ein Teilaspekt. Weitere Aspekte sind die positiven Auswirkungen auf Verkehrsführungen und die Bauzeit im Zusammenhang mit der Vermeidung großer Baugruben und Verbauten sowie Eingriffen in den unterirdischen Bauraum. Dazu sollte bei der Erkundung, Planung und bauaufsichtlichen Abstimmung im Vorfeld umfangreich investiert werden. Eingehende Untersuchungen und Nachrechnungen des Bestands mit gutachterlichen Stellungnahmen im 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 103 Ersatzneubau von drei Autobahnbrücken im Zuge der A1 in NRW Zuge der Bauvorbereitung sind erforderlich, um in den Schritten der Bauvergabe und Baudurchführung die bautechnischen und bauzeitlichen Vorteile des Bestandserhalts sicher umzusetzen. Eine eingehende Nachrechnung mit Bestandsuntersuchung ist bei größeren Bauwerken weiterhin stets erforderlich, da der 4+0-Verkehr nachgewiesen werden muss und mindestens beim Umbau der Mittelkappe als bauzeitliche Randkappe Baumaßnahmen am Bestand notwendig sind. Daher sollte bereits zur Variantenuntersuchung eine eingehende Nachrechnung mit begleitendem Untersuchungsprogramm erfolgen. Die Varianten Ertüchtigung, Erneuerung des Überbaus beim Erhalt der Unterbauten und vollständiger Ersatzneubau können je besser abgewogen werden, je mehr über den Bestand bekannt ist. Der Nachweis von Abbruchzuständen ist in der Bauvorbereitung nur eingeschränkt möglich, da die Ausführungsplanung meist der beauftragten Firma obliegt und nach Verkehrsumlegung kurz vor Abbruch viel einfacher genauere, zerstörende Prüfverfahren angewendet werden können. Werden beim Abbruch Bauwerksteile zerstörend untersucht, sollten die Ergebnisse zum projektspezifischen und zum allgemeinen Erkenntnisgewinn ausgewertet werden. Die Ersatzneubauten im Zuge der A1 der Brücken Volmarstein, Schwelmetal und Hengstey sind Beispiele wie durch umfangreiche Bestandserkundung und der gezielten und vollkommen unterschiedlichen Art des Bestanderhalts Planrecht, Bautechnik und Bauzeit optimiert werden konnten. 6. Projektdokumentation Die DEGES begleitet die Ersatzneubaumaßnahmen an der A1 mit einer umfangreichen Projektdokumentation. Zahlreiche Hintergrundinformationen, Bilder und Videos sind zu finden unter: https: / / www.deges.de/ projekte/ Innovative Bauverfahren 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 107 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Christian Knorrek Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Sven Bosbach Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Zusammenfassung Im Rahmen eines durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geförderten Forschungsvorhabens wurden am Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen in enger Zusammenarbeit mit der Firma Nesseler Bau GmbH theoretische und experimentelle Untersuchungen durchgeführt und ein neuartiges Konzept für ein modulares Baukastensystem aus Betonfertigteilen entwickelt. Die entwickelte Systembrücke ermöglicht die Realisierung von ein- und zweifeldrigen Brücken mit Spannweiten bis 50 m und besteht überwiegend aus Betonvollfertigteilen mit nur geringem Einsatz von Ortbeton und Vergussmörtel, sodass die bei konventioneller Ortbetonbauweise übliche Bauzeit von 12 bis 15 Monaten bei der neuartigen Baukastenbrücke auf unter 100 Tagen reduziert wird. Im Zuge der Konzeptentwicklung wurden umfangreiche experimentelle Untersuchungen zu den verschiedenen Detailpunkten der entwickelten Konstruktionen und möglichen Herstellmethoden in Klein- und Großversuchen durchgeführt. Zusätzlich wurde eine vollständige statische Bemessung des Gesamtbauwerks mit allen Bau- und Endzuständen angefertigt und ein Verkehrsführungskonzept für die Bauphase entwickelt. Diese optimierte modulare Systembrücke erfüllt somit alle technischen Anforderungen und wurde bereits experimentell erprobt. In der nächsten Phase sollen die großen Vorteile des entwickelten Gesamtkonzeptes in einem Pilotprojekt bestätigt werden. 1. Einleitung In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Anforderungen an Brückenbauwerke im Bestand aufgrund stark gestiegener Verkehrsaufkommen insbesondere durch größere Fahrzeuggesamtgewichte und steigende Achslasten im Güterverkehr deutlich erhöht und werden sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen [1] - [3]. Nach aktuellen Untersuchungen muss deshalb in den nächsten Jahren eine große Anzahl der Brückenbauwerke Deutschlands saniert oder erneuert werden, um die jetzige Funktionalität der Verkehrswege zu erhalten. Um die Verkehrsbeeinträchtigungen durch Baumaßnahmen möglichst gering zu halten, sind besonders kurze Bauzeiten bei der Herstellung von Er-satzneubauten sinnvoll. Ein Lösungsansatz, der dieses Ziel verfolgt, ist die Nutzung von modularen Baukastensystemen, um tragfähige Brückenkonstruktionen mit kurzer Bau-/ Montagezeit zu realisieren und dadurch die Beeinträchtigungen des Verkehrs durch Sperrungen von Straßen und Autobahnen zu minimieren. Neben klassischen Stahlbetonlösungen bietet der Einsatz von neueren Materialen wie Hoch-leistungsbetonen oder nichtmetallischen Bewehrungen für die Fertigteile weitere Möglichkeiten. Durch die modulare Bauweise aus Fertigteilen mit nichtmetallscher Bewehrung und Hochleistungsbetonen können so besonders effiziente und qualitativ hochwertige Lösungen für schlanke Konstruktionen mit verkürzter Bauzeit und verbesserter Dauerhaftigkeit erreicht werden [4]. Im europäischen Ausland und Nordamerika wurde die Entwicklung der modularen Bauweise für Brücken-bauwerke in den letzten Jahren stark vorangetriebene und kommt inzwischen häufig zum Einsatz. Auch Fertigteilträger aus hochfestem bzw. ultrahochfestem Beton, die größere Spannweiten ermöglichen, wurden bereits ausgeführt [5], [6] (Bild 1 und 2). 108 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Bild 1: Montage von Spannbetonfertigteilen für eine Brücke aus hochfestem Beton [6] Bild 2: Fahrbahnplatte aus UHPC-Fertigteilträgern vor UHPC-Fugenverguss [7] Der Einsatz von Spannbetonfertigteilen aus UHPC stellte hierbei insbesondere bei der Überquerung bestehender Verkehrsstrecken eine wirtschaftliche Lösung dar [5]. Nichtmetallische Vorspannung spielt dabei ebenfalls eine immer wichtigere Rolle und wird in den USA inzwischen häufiger verwendet. Im Jahr 2001 wurde beispielsweise die erste mit carbonfaserverstärktem Kunststoff (CFK) vorgespannte mehrfeldrige Straßenbrücke Bridge Street Bridge (Bild 3) in Michigan errichtet. Bild 3: Mit CFK vorgespannte Bridge Street Bridge in Southfield, Michigan [10] Es bestehen somit positive Langzeiterfahrungen mit Spannbetonfertigteilbrücken aus Stahlbeton und neuartigen Hochfesten Materialen [8],[9]. Diese Erfahrungen zeigen bereits, dass durch die Anwendung korrosionsbeständiger Hochleistungswerkstoffe eine höhere Lebensdauer für Brückenbauwerke mit niedrigen Folgekosten bei gleichzeitig kurzen Montagezeiten erreicht werden kann. In Deutschland ist, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, der Einsatz von Fertigteilen im Brückenbau bisher stark reglementiert. Die Forschung in diesem Bereich wird mittlerweile aber verstärkt ausgebaut und erste Pilotprojekte konnten bereits realisiert werden oder befinden sich zurzeit in der Bauphase. Zwei dieser innovativen Pilotprojekte sind beispielsweise die Bausteinbrücke Hammacherstraße über die A46 in Hagen (Bild 4) oder die Segmentbrücke Speelbergerstraße bei Emmerich über die A3 [11]. Bild 4: Bausteinbrücke Hammacherstraße über die A46 in Hagen [11] 2. Entwurf einer modularen Baukastenbrücke Ziel des Forschungsprojektes war die Entwicklung eines modularen Baukastensystems mit eigenem Bemessungskonzept zur Herstellung von Spannbetonbrücken aus Fertigteilen unter Berücksichtigung moderner Hochleistungsbetone und Vergussmörtel, die für den Einsatz im deutschen Brückenbau geeignet sind. Hierzu wurden zunächst die Anforderungen an ein solches Brückenkonzept und sinnvolle geometrische und materielle Randbedingungen definiert, um einen späteren ökonomischen Einsatz für alle Beteiligte sicherzustellen. Die Kategorie der Ein- und Zweifeldbrücken mit einer Gesamtlänge von 2 - 50 m stellt einen Großteil der Bestandsbauwerke der Bundesfernstraßen dar [13], [14] (Bild 5). Zur schnellen Erstellung von Ersatzbauwerken unter Verkehr bietet sich für diese Stützweiten insbesondere die Verwendung von Fertigteilen an, da hier mit einer großen wiederkehrenden Anzahl von Konstruktionsdetails zu rechnen ist und dies somit die Entwicklung einer modularen Segmentbrücke wirtschaftlich sinnvoll macht. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 109 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Bild 5: Verteilung Brückenlängen im Bundesfernstraßennetz [14] Mit Spannweiten von bis zu 50 m können 6streifi ge Autobahnen ohne Mittelunterstützung zwischen den Richtungsfahrbahnen überbrückt werden. Durch eine schnelle Montage von Fertigteilbrücken wird die Beeinträchtigung des umgebenden Verkehrs insbesondere beim Ausbau von bestehenden Straßen minimiert. Neben dem Brückenneubau bieten sich Spannbetonfertigteile daher auch zum Ersatz von Bestandsbauwerken an, die zur Aufnahme der steigenden Verkehrslasten nicht geeignet oder aufwendig zu verstärken sind. Durch den möglichen Wegfall einer Mittelunterstützung werden zum einen Kosten für die Lagerkonstruktionen und zur Herstellung der Durchlaufwirkung reduziert und zum anderen die Flexibilität in der Verkehrsführung erhöht. Der Entwurf der neuartigen modularen Segmentbrücke wurde somit als einfeldrige Rahmenbrücke mit Stützweiten bis 50m konzipiert, um die Bauzeit und die Verkehrsbehinderungen möglichst gering zu halten. Um die Bauzeit noch weiter zu reduzieren, sollten die Widerlager der Brücke ebenfalls aus Fertigteilen errichtet und ein Bauablauf konzipierte werden, der mit möglichst wenigen Sperrungen und Verkehrsumlegungen durchführbar ist. Als Ziel wurde festgelegt, eine Bauzeit von unter 100 Kalendertagen für einen Ersatzneubau inklusive Abriss der vorhandenen Brücke zu realisieren. Eine weitere Anforderung an das entwickelte Konzept war der Einsatz von möglichst großen Vollfertigteilen, um die Fugenanzahl zu minimieren. Gleichzeitig sollte der Transport der einzelnen Fertigteile zur Baustelle mit einer möglichst geringen Anzahl von Sondertransportgenehmigungen auskommen. Dazu wurde das Gewicht der einzelnen Fertigteile auf maximal 40 t ausgelegt, hiervon ausgenommen sind lediglich die Brückenlängsträger des Überbaus. Die Anforderungen machten die Anwendung von hochfesten oder ultra-hochfesten Betonen unabdingbar, da sich mit diesen hochfesten Materialien schlanke Fertigteile ausführen lassen, die ein vertretbares Montagegewicht und eine hohe Tragfähigkeit aufweisen. Gleichzeitig ist aufgrund der im Vergleich zu üblichem Betonen geringeren Porosität eine erhöhte Dauerhaftigkeit zu erwarten. Ein hochfester Beton der Festigkeitsklasse C80/ 95 stellte sich dabei als besonders geeignet heraus. Dieser Beton erfüllt alle Anforderungen an die notwendige Tragfähigkeit und ist außerdem noch als Transportbeton für die späteren Betonergänzungen auf der Baustelle erhältlich. Die Erfahrungen aus vorangegangenen Pilotprojekten [11] zeigten bereits, dass die Herstellung der Rahmenecke zwischen Widerlager und Überbau bei Segmentbrücken von zentraler Bedeutung für die Gesamtkonstruktion ist und besonderes Augenmerk auf die Einhaltung von Maßgenauigkeit der Fertigteile für den reibungslosen Herstellungsprozess gelegt werden muss. Daher war eine weitere Zielvorgabe für das entwickelte Konzept eine einfache Ausbildung der Rahmentragwirkung und die Schaffung von Ausgleichsmöglichkeiten innerhalb der Konstruktion, um mögliche Toleranzen, die sich aufgrund von örtlichen Abweichungen auf der Baustelle ergeben, ausgleichen zu können. Die zuvor defi nierten Anforderungen und Randbedingungen für das entwickelte Konzept lassen sich auf folgende Punkte zusammenfassen: • Einfeldrige Rahmenbrücke aus Spannbeton (Spannweiten < 50 m) • Überbau und Unterbauten aus Fertigteilen • Bauzeit < 100 Tage, Verkehrsbehinderung möglichst minimieren • Möglichst große Vollfertigteile, Fugenanzahl minimieren • Robustere Toleranzen vorsehen • Einfache Ausbildung der Rahmentragwirkung • Maximales Transportgewicht der Fertigteile möglichst < 40 t • Einsatz von hochfestem Beton C80/ 95 Anhand dieser Kriterien wurde eine modulare einfeldrige Systembrücke mit Spannweiten bis 50 m entwickelt, die überwiegend aus Betonvollfertigteilen mit nur geringem Einsatz von Ortbeton und Vergussmörtel besteht, sodass die übliche Bauzeit von 12 bis 15 Monaten bei konventioneller Ortbetonbauweise auf unter 100 Tagen reduziert wird. In Bild 6 ist ein Modell der geplanten Systembrücke im Bauzustand abgebildet. 110 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Bild 6: Modell der entwickelten einfeldrigen modularen Segmentbrücke aus Betonfertigteilen Die Fundamente und aufgehenden Wände der Widerlager bestehen dabei aus gefügten Vollfertigteilen, welche horizontal und vertikal mit Gewindestangen ohne Verbund miteinander verspannt werden. Für die Fugen zwischen den Widerlagerfertigteilen wurde eine neuartige Kombination aus Nass- und Trockenfugen entwickelt, um einen kraftschlüssigen und wasserdichten Verbund zwischen den Fertigteilen sicherzustellen. Der Überbau wurde als vierstegiger Plattenbalken konzipiert (Bild 7). Die Längsträger bestehen dabei jeweils aus einem Spannbetonfertigteilträger mit einem Gewicht von jeweils ca. 70 t. Die Vorspannung der Längsträger erfolgt über Spannglieder im nachträglichen Verbund. 75% der erforderlichen Vorspannkraft werden dabei bereits im Werk aufgebracht. Die restliche Vorspannung erfolgt auf der Baustelle während der schrittweisen Montage der Fahrbahnplatten. Die Fertigteile der Fahrbahnplatten wurden ohne Längsfugen geplant und die Fugen in Querrichtung der Fahrbahnplatte werden als Trockenfugen ausgebildet. Nach der vollständigen Verlegung aller Platten werden diese mittels Monolitze ohne Verbund in Längsrichtung vorgespannt, um die Dichtigkeit und Tragfähigkeit der überdrückten Querfugen sicherzustellen. Die einzelnen Platten verfügen über mehrere Vergusstaschen, in denen die Anschlussbewehrung der Längsträger einbindet und der Überbau nach dem Vorspannen zum Verbundquerschnitt vergossen wird. Einen wichtigen Bestandteil der Konstruktion bildet das innovative Konzept der Rahmenecken zwischen dem Überbau und den Unterbauten. Diese wurde als nachträgliche Vergusstasche geplant, um mögliche Toleranzen auszugleichen. Die umliegenden Fertigteile dienen dabei als verlorene Schalung, so dass keine weiteren Schalarbeiten auf der Baustelle anfallen. Die Größe der Vergusstasche wurde dabei so gewählt, das ausreichend Platz zum Vorspannen der Überbaukonstruktion vorhanden ist. Die Längsträger verfügen im Widerlagerbereich zusätzlich über mehrere Pressenansatzpunkte, um Höhendifferenzen zwischen den Trägern auszugleichen. Besonders hervorzuheben ist hierbei die Lagerung der Längsträger, die im Bauzustand gelenkig ausgeführt wird. Die Konstruktion ist so ausgelegt, dass auf eine komplizierte Teileinspannung der Längsträger im Bauzustand verzichtet werden kann und die Rahmentragwirkung erst im Endzustand aktiviert werden muss. Nach vollständiger Montage der Widerlager und der Überbaukonstruktion, wird die Vergusstasche mit üblichen Bewehrungseisen und GEWI-Stößen bewehrt und ausbetoniert. Die Kappen der Segmentbrücke werden ebenfalls als Vollfertigteil hergestellt (Bild 7), und mittels Stahlknaggen und Stirnanker mit den Fahrbahnplatten verbunden. Die Abdichtung und der Belagsaufbau der Fahrbahn erfolgen nach der ZTV-Ing. Teil 7 [15]. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 111 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Bild 7: Überbauquerschnitt der entwickelten einfeldrigen modularen Segmentbrücke aus Betonfertigteilen In Bild 8 ist das Bauprinzip und der Bauablauf der entwickelten Segmentbrücke veranschaulicht. Bei einem Ersatzneubau muss zunächst die vorhandene Brücke abgerissen werden, was üblicherweise innerhalb einer Wochenendsperrpause realisierbar ist. Anschließend erfolgt der Erdaushub und die Herstellung der Sauberkeitsschicht (Bild 8, Schritt 1-2) sowie die Montage und das Verspannen der Fertigteile für den Unterbau (Fundamente und Widerlager) (Bild 8, Schritt 2-3). In den Schritten 4 und 5 werden die Längsträger und Fahrbahnplatten montiert und vorgespannt, was vollständig in der einzigen Wochenendsperrpause, die zum Erstellen der Brücke notwendig ist, realisiert wird. Nach dem Ende dieser Sperrpause werden in Schritt 6 die Vergusstaschen der Platten vergossen und anschließend die Rahmenecke zwischen Widerlager und Überbau hergestellt. Im Anschluss werden in Schritt 7 Schleppplatten im Hinterfüllbereich der Widerlager eingebracht und die Entwässerungs- und Erdarbeiten im Wiederlagerbereich ausgeführt. Abschließend erfolgt die Montage der Fertigteilkappen, die Herstellung des Oberbaus und die Verkehrsfreigabe. Die Gesamtbauzeit für einen Ersatzneubau kann so in unter 100 Kalendertagen erfolgen wobei lediglich zwei Wochenendsperrpausen für Abriss und Montage des Überbaus erforderlich sind. Die Verkehrsbehinderung während der Bauphase können so im Vergleich zu üblichen Ortbetonbauweise erheblich reduziert werden, was einen enormen volkswirtschaftlichen Vorteil darstellt. 112 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Bild 8: Bauprinzip der entwickelten einfeldrigen modularen Segmentbrücke aus Betonfertigteilen Dieser entwickelte Entwurf konnte in einer vollständigen statischen Bemessung mit Hilfe von FE-Berechnungen in allen Bau- und Endzuständen nachgewiesen werden. Zusätzlich entwickelte die Firma Nesseler Bau GmbH. ein Verkehrsführungskonzept für die Bauphase und ein ausgeklügeltes modulares Stahlschalungskonzept für die Fertigteile. Diese optimierte modulare Systembrücke erfüllt somit alle technischen Anforderungen und könnte zeitnah in einem Pilotprojekt realisiert werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 113 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen 3. Experimentelle Untersuchung 3.1 Allgemeines Bei der Herstellung von Fertigteilkonstruktionen kommt der Verbindung der einzelnen Fertigteilelemente der Tragstruktur eine besondere Bedeutung zu. Die Verbindungen müssen in Abhängigkeit der Beanspruchung in der Lage sein, Druck-, Zug- und Querkräfte sowie eine kombinierte Belastung abtragen zu können. Die Ausbildung der Fuge zwischen zwei Fertigteilen zur Druckkraftübertragung kann sowohl in Form einer Trockenals auch einer Nassfuge erfolgen. Trockenfugen stellen erhöhte Anforderungen an die Maßgenauigkeit der Segmente und erfordern nach [16] eine Begrenzung der Betondruckspannungen. Bei einer Nassfuge entstehen in den Bauteilen Querzugspannungen im Beton, die auf die Verankerung der Längsbewehrung im Stoßbereich und die Querdehnungsbehinderung des Fugenmaterials zurückzuführen sind. Diese Querzugbeanspruchungen sind durch eine entsprechende Querbewehrung aufzunehmen [17]. Die Wahl des Fugenmaterials, u.a. zum Ausgleich von Maßungenauigkeiten, ist abhängig von der Größe der zu übertragenden Druckkraft. Für zugtragfähige Verbindungen werden meistens Bewehrungsstäbe verwendet. Die Bewehrungsstäbe können hierbei sowohl durchlaufende Hauptbewehrungsstäbe als auch zusätzlich eingelegte Kurzstäbe im Bereich der Fuge sein. Ihr Verbund zum Bauteil kann entweder durch das Verpressen der Hüllrohre mit Zementmörtel oder Epoxidharz erfolgen. Unabhängig von der Herstellung sind die Verankerungslängen sowie die Umschnürung der Bewehrung sicherzustellen. Die Schubtragfähigkeit zwischen Betonfertigteilen kann durch Adhäsion, Reibung in der Stoßfuge, Oberfl ächenprofi lierung und Verdübelung der Bauteile übertragen werde. Da die Adhäsionskraft einer größeren Streuung unterliegt, wird bei der Bemessung i.d.R. eine gerissene Fuge angenommen. Bei Relativverschiebungen stellt sich ein Reibverbund ein, der von der Oberfl ächenrauhigkeit und der Pressung zwischen den Bauteilen abhängt (Bild 9, links). Eine entsprechende Oberfl ächenausführung kann die übertragbare Reibkraft erhöhen. Bild 9: Querkraftübertragung durch Reibung (links), Verdübelung (Mitte) [18] und profi lierter Fuge (rechts) Eine weitere Möglichkeit der Schubkraftübertragung stellt die Verdübelung der Fugen durch Bewehrung oder Bolzen dar (Bild 9, Mitte). Hierbei müssen allerdings lokal größere Einzelkräfte aufgenommen werden, die zu einer hohen Beanspruchung des Verbindungsmittels und des umgebenden Betons führen. Durch eine Profi lierung der Stoßfl ächen, z. B. durch Schubnocken, wird eine zusätzliche Schubtragkomponente aktiviert (Bild 9, rechts). Diese Art der Verbindung wird sowohl bei Tunneln in Tübbingbauweise als auch im Brückenbau bei der Segmentbauweise verwendet [19]. Dieser Zusammenhang verdeutlich, dass die Berechnung der Schubtragfähigkeit je nach gewählter Konstruktion stark variieren kann. Um ein Verständnis für das Trag- und Verformungsverhalten der im Zuge des Forschungsvorhabens entwickelten Fugenkonstruktion der modularen Segmentbrücke zu erhalten, wurden am Lehrstuhl und Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen umfangreiche experimentelle Untersuchungen durchgeführt. Mit den Ergebnissen dieser Untersuchung konnte im Anschluss die Konstruktion der Segmentbrücke hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit, Dauerhaftigkeit und des Herstellprozesses weiter optimiert werden. 3.2 Versuchsaufbau Im Rahmen der Untersuchungen zur Fugentragfähigkeit wurden elf Versuchsreihen an Kleinkörpern mit jeweils drei Versuchen durchgeführt. Hierbei wurden die Parameter Fugengeometrie und -ausbildung (Nass oder Trockenfugen), sowie die Vorspannung und die Schubnockenbewehrung variiert. Bild 10 zeigt den Versuchsaufbau der einzelnen Scherversuche. Die trocken gestoßenen Prüfkörper wiesen Außenmaße (L/ B/ H) von jeweils 60 x 20 x 30 cm auf. Die vermörtelten Prüfkörper sind aufgrund der zwei Mörtelschichten mit einer Dicke von jeweils 2 cm insgesamt 4 cm breiter. Die beiden äußeren Körper wurden dabei kontinuierlich gelagert. Der mittlere Körper wurde durch einen senkrecht nach unten wirkenden Hydraulikzylinder mit einer Prüfgeschwindigkeit von 0,3 mm/ min belastet und somit abgeschert. Die Scherfl ächen der Proben wiesen eine Fläche von 20 x 30 cm² auf und wurden für Versuchskörper mit Nassfuge mittels Oberfl ächenverzögerer aufgeraut. Mit Hilfe von Gewindestangen und starren Stahlplatten an den Seitenfl ächen der äußeren Betonkörper konnte eine zusätzliche Drucknormalspannung in das System eingeleitet werden. Somit wird eine mögliche Vorspannung im späteren Brückensystem simuliert. 114 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Bild 10: Versuchsaufbau Scherversuche: Versuchskörper im Versuchsstand (links), Ansicht (Mitte) und Draufsicht (rechts) Für die Nassfugen wurde ein hochfester Vergussmörtel verwendet, um der hohen Festigkeit des verwendeten Betons zu entsprechen. Hierfür wurde im Rahmen der Untersuchungen der Hochfestmörtel HF 10 der Firma Pagel genutzt. Eine Gesamtübersicht über alle durchgeführten Versuche ist in Tabelle 1 gegeben. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 115 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Tabelle 1: Übersicht der Scherversuche Aufbau Fugengeometrie Fugenausbildung Vorspannung Schubnockenbewehrung f cm,cyl E-Modul [-] [-] [-] [-] [-] [N/ mm²] [N/ mm²] -1 0,00 -2 0,00 -3 0,00 -1 1,00 -2 0,99 -3 0,98 -1 0,50 -2 0,50 -3 0,48 -1 0,51 -2 0,48 -3 0,66 -1 0,51 -2 0,50 -3 0,45 -1 0,68 -2 0,64 -3 0,48 -1 0,51 -2 0,53 -3 0,17 -1 0,46 -2 0,44 -3 0,50 -1 0,47 -2 0,43 -3 0,49 -1 0,51 -2 0,50 -3 0,50 -1 0,50 -2 0,46 -3 0,50 nein Name [-] S1 eben vermörtelt E0 nein S3 eben vermörtelt S2 eben vermörtelt nein E0,5 E1 nein S5 2 Schubnocken vermörtelt S2N0,5 S2T0,5 S4 2 Schubnocken trocken nein S2T0,5 nein S7 2 Schubnocken vermörtelt S6 2 Schubnocken trocken nein S2N0,5 nein S9 1 Schubnocke trocken S8 1 Schubnocke trocken ja S1T0,5B S1T0,5U nein S11 1 Schubnocke vermörtelt S10 1 Schubnocke vermörtelt ja S1N0,5B S1N0,5U 123,3 46630 118,3 45782 118,3 45782 117,6 45970 117,6 45970 122,7 47775 126,9 46849 126,9 46849 118,3 45782 124,9 45111 124,9 45111 Um die Verschiebung der drei Betonkörper gegeneinander zu erfassen, wurden induktive Wegaufnehmer an der Oberfläche der Prüfkörper angebracht. Insgesamt wurden pro Prüfkörper sechs Wegaufnehmer installiert. Vier davon ermitteln die horizontale Längsdehnung ∆u und zwei weitere Wegaufnehmer erfassen die vertikale Bewegung ∆v in der Fuge. Zusätzlich nahm ein Wegaufnehmer die Durchbiegung an der Prüfkörperunterseite ∆V auf. Die Anordnung der Messtechnik ist in Bild 11 für einen Prüfkörper mit ebener, vermörtelter Fuge schematisch dargestellt. 116 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Bild 11: Messtechnikplan der Scherversuche Neben der Erfassung relativer Bewegungen durch induktive Wegaufnehmer wurde zusätzlich das optische Kameramesssystem a raMiS genutzt, um Bauteilbewegungen zu erfassen. 3.3 Versuchsergebnisse Die erreichten Maximallasten sowie die weiteren Versuchsergebnisse der durchgeführten Scherversuche sind in Tabelle 2 zusammengestellt. Tabelle 2: Versuchsergebnisse der Scherversuche Das Schubspannungs-Durchbiegungsverhalten der Versuchskörper ist stark von der jeweiligen Fugenaus-bildung abhängig. Das generelle Tragverhalten vermörtelter und trocken gestoßener Versuchskörper mit einer Vorspannung lässt sich jedoch unabhängig von der Fugenausbildung in mit Hilfe von verschiedenen Berei-che charakterisieren. Das Tragverhalten der vermörtelten Versuchskörper lässt sich in drei Bereiche unterteilen (Bild 12). Im ersten Bereich weisen die Versuchskörper bis zu einem bestimmten Lastniveau eine konstante Steifi gkeit auf. Bild 12: Idealisiertes Tragverhalten vermörtelter und trocken gestoßener Versuchskörper Mit Bildung des ersten Risses im zweiten Bereich fällt die Traglast deutlich ab. Im anschließenden dritten Bereich weist der Versuchskörper verminderte Steifi gkeit auf. Die trocken gestoßenen Versuchskörper verhalten sich je nach Geometrie der Schubnocken unterschiedlich. Bei einer guten Verzahnung ohne größere Spaltenbildung in der Fuge durch Maßungenauigkeiten weisen die Körper eine annähernd so hohe Steifi gkeit wie die vermörtelten Versuchskörper auf (Bild 12). Ein Traglastabfall durch entstehende Risse tritt nicht auf, da sich die Fugen sukzessiv öffnen können. Die geringfügig kleinere Steifi gkeit resultiert in einer höheren Durchbiegung. Zusätzlich können die trocken gestoßenen Versuchskörper nur geringere maximale Schubspannungen in der Fuge übertragen. Falls die Betonkörper und somit auch die Schubnocken nicht optimal ausgebildet sind und ein 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 117 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen Spalt zwischen den Schubnocken entsteht (Bild 12), resultiert ein abweichendes Tragverhalten. Bis zwischen zwei Schubnocken ein direkter Kontakt entsteht, weisen diese eine verminderte Steifigkeit auf. Stützen sich zwei Schubnocken durch die Relativverschiebung der Betonkörper aufeinander ab und bilden eine Druckstrebe aus. Diese ist gleichwertig oder geringfügig höher als die Steifigkeit eines trocken gestoßenen Prüfkörpers mit guter Verzahnung. Das zum Teil bilineare Tragverhalten der trocken gestoßenen Versuchskörper erschwerte die Auswertung, da die Genauigkeit der Schubnockenausbildung einen größeren Einfluss auf das Bauteilverhalten als die zu untersuchende Variation der Fugenausbildung hatte. Der Vergleich der absoluten Durchbiegung ist deshalb nicht immer zielführend. Sinnvoller ist ein Vergleich der Steifigkeiten nach Eintreten des direkten Schubnockenkontakts. In den Versuchen wurde beobachtet, dass eine Mörtelschicht die maximale Schubkraftübertragung in der Fuge erhöht, während die resultierende Durchbiegung nur minimal beeinflusst wird (Bild 13). Dieser Effekt ergibt sich unabhängig von der Fugengeometrie. Bild 13: Schubspannungs-Durchbiegungsdiagramm der vermörtelten (grau) und trocken gestoßenen Versuchskörper (schwarz) mit zwei Schubnocken und einer Drucknormalspannung von 0,5 N/ mm² Die trocken gestoßenen Versuchskörper mit einer Schubnocke weisen eine höhere Steifigkeit als die trocken gestoßenen Versuchskörper mit zwei Schubnocken auf. Im Gegensatz dazu weisen die mit zwei Schubnocken ausgebildeten Versuchskörper mit einer Mörtelschicht eine höhere Steifigkeit auf (Bild 14). Eine ebene Fugenoberfläche führt zu den größten Durchbiegungen. Die Steifigkeit zu Belastungsbeginn und das Eintreten des Erstrisses sind unabhängig von der Schubnockenausbildung. Eine erhöhte Vorspannung führt zu einer geringeren Durchbiegung und bei vermörtelten Versuchskörpern zu einem späteren Eintreten des Erstrisses. Die maximale Tragfähigkeit erhöht sich für eine ebene Fugenoberfläche mit steigender Vorspannung. Dieser Effekt zeichnet sich auch bei mit zwei Schubnocken ausgebildeten, vermörtelten Versuchskörpern ab. Bei Trockenfugen bewirkt die Erhöhung der Vorspannung keine signifikante Steigerung der Traglast. Bild 14: Schubspannungs-Durchbiegungsdiagramm der vermörtelten (grau) und trocken gestoßenen Versuchskörper (schwarz) mit zwei Schubnocken und einer Drucknormalspannung von 0,5 N/ mm² Eine Schubnockenbewehrung führt zu einer erhöhten Steifigkeit bei niedriger Belastung. Mit fortschreitender Beanspruchung entstehen mehrere Traglastabfälle, sodass der positive Effekt der erhöhten Steifigkeit aufgehoben wird. 4. Fazit und Ausblick Im vorliegenden Beitrag wurde das neuartige Konzept einer modularen Baukastenbrücke aus Betonfertigteilen vorgestellt, das im Rahmen eines Forschungsvorhabens am Institut für Massivbau der RWTH Aachen in enger Zusammenarbeit mit der Firma Nesseler Bau GmbH entwickelt wurde. Die entwickelte Systembrücke ermöglicht die Realisierung von ein- und zweifeldrigen Brücken mit Spannweiten bis 50 m und kann in unter 100 Kalendertagen errichtet werden. Hierbei sollte das Baukastensystem nicht als uniforme „Einheitsbrücke“ verstanden werden. Vielmehr wurden für häufig wiederkehrende Elemente und Verbindungen typische Konstruktionsprinzipien erarbeitet, die unter Berücksichtigung der jeweiligen Randbedingungen kombinierbar und auf verschiedene Systeme, Stützweiten und Geometrien übertragbar sind. Die entwickelte Systembrücke ist somit adaptiv anpassbar und bietet hohe volkswirtschaftliche Kostenvorteile. Im Zuge der Konzeptentwicklung wurden außerdem umfangreiche experimentelle Scherversuche zu verschiedenen Fugenausbildungen zwischen den Fertigteilen durchgeführt. Die höchsten Tragfähigkeiten wiesen dabei Fugen mit profilierten Nassfugen auf. Durch eine ausreichende Verbundfestigkeit, die aufgebrachte Vorspannung und die Ausbildung von Druckstreben senkrecht zu den schräg geneigten Fugenoberflächen der Profilierung 118 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Untersuchungen zum Tragverhalten neuartiger modularer Baukastenbrücken aus Betonfertigteilen weisen diese Versuchskörper ein annähernd monolithisches Bauteilverhalten auf. Die Mörtelschicht sorgt für eine hohe Adhäsionskraft, weshalb ein hoher Widerstand überschritten werden muss, bis eine Schädigung der Fuge eintritt. Aufgrund der aufgebrachten Vorspannkraft konnte zudem der Traganteil der Reibung aktiviert werden. Die Belastung führt schließlich zu einem, durch starke Rissbildung angekündigtem, Versagen des Betons entlang der Druckstreben. Mit den Ergebnissen dieser Untersuchungen konnte in weiteren Großversuchen, die nicht Inhalt dieses Beitrags sind, die Fugenkonstruktion der Segmentbrücke hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit, Dauerhaftigkeit und des Herstellprozesses weiter optimiert und eine neuartige Kombination aus Nass- und Trockenfugen entwickelt werden, die einen kraftschlüssigen und wasserdichten Verbund zwischen den Fertigteilen sicherstellt. Zusätzlich wurde eine vollständige statische Bemessung des Gesamtbauwerks angefertigt und ein Verkehrsführungskonzept für die Bauphase entwickelt. Diese optimierte modulare Systembrücke erfüllt somit alle technischen Anforderungen und wurde bereits experimentell erprobt. In der nächsten Phase soll die entwickelte Segmentbrücke unter dem Namen n.Brücke von der Firma Nesseler Bau GmbH in einem Pilotprojekt realisiert werden. Danksagung Die vorgestellten und geplanten Untersuchungen werden vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) im Rahmen eines Forschungsprojektes des Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) gefördert, dem an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Literaturverzeichnis [1] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehr - Eine Bestandsaufnahme. Bauingenieur 85 (2010), Heft 1, S.1-9 [2] Naumann, J.: Brückenertüchtigung jetzt - Ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Mobilität auf Bundesfernstraßen. Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V., 2011 [3] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Strategie zur Ertüchtigung der Straßenbrücken im Bestand der Bundesfernstraßen. 2013 [4] Bosbach, S.; Stark, A.: C³-V2.9: Modulare Bausysteme Ingenieurbau. In: Tagungsband der 10. Carbon- und Textilbetontage 2018, 25.-26.09.2018, Dresden, S. 100-101 [5] Resplendino, J.: Ultra-High Performance Concretes - recent realizations and research programs on UHPFRC bridges in France; Ultra High Performance Concrete (UHPC) Second International Symposium on Ultra High Performance Concrete, Kassel, pp. 3144, 2008 [6] Pakhchanian, R.; Potter, J.; Pruski, K.: Pre-cast/ Prestressed Beam Fabrication, Transportation and Erection. High Performance Concrete - Struc-tural Designers´ Guide 2005. p. 49 - 58. [7] New York State Department of Transportation: Superstructure replacement of Route 31 over Canadaigua Outlet with deck bulb trees. https: / / www. nysdot.gov [8] Roberts-Wollmann, C.; Cousins, T.; Gomez, J.; Ozyildirim, C.: Use of High Performance Concrete in a Bridge Structure in Virginia. International Symposium on High Performance Concrete; PCI/ FHWA/ fib; Orlando; September 2000; p. 687696. 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IMB: 193/ 2007, Aachen, 2007 [14] Brückenstatistik der Bundesanstalt für Straßenwesen (bast), 2018. [15] Bundesanstalt für Straßenwesen (bast): Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING), Dortmund: Verkehrsblatt-Verlag 2019 [16] DIN EN 19922 (2010): Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln. Deutsches Institut für Normung (DIN), 2010 [17] König, G.; Minnert, J.: Hochfester Beton - Neue Möglichkeiten für die Fertigteilindustrie; Concrete Precasting Plant and technology BFT 2/ 1999, S. 54 62 [18] CEB/ FIB: Structural connections for precast concrete buildings. Bulletin 43, 2008 [19] Rombach, G.; Specker, A.: Segmentbrücken. Betonkalender 2004 - Teil I. S. 177-211 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 119 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Eckhard Held, Stefan Kimmich, Roland Sauer RIB Engineering GmbH, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Brückenneubauten oder Ersatzneubauten unter laufendem Verkehr erfordern innovative Lösungen für ein optimales Herstellungsverfahren bei gleichzeitig geringer Beeinträchtigung der Mobilität. Der Fokus liegt auf kurzen Bauzeiten bei gleichzeitig knappen Ressourcen mit nachhaltig hohen Qualitätsansprüchen. Dafür eignen sich besonders alle Brückentypen, die einen hohen Vorfertigungsgrad aufweisen und in Modulbauweise hergestellt werden können. Das können Betonverbundbrücken mit Spannbetonfertigteilen oder Stahlverbundbrücken mit Fertigteilen sein. Auch WIB-Brücken gehören dazu. Sämtliche Bauverfahren sind besonders bei Rahmenkonstruktionen als integrales Bauwerk ohne Mittelpfeiler sehr effizient einsetzbar. An verschiedenen Beispielen aus der Praxis wird gezeigt, welche planerischen Konzepte einen entsprechenden Erfolg bringen. 1. Brücken in Modulbauweise Ein großer Anteil der derzeitig vorgenommenen Ersatzneubauten fällt in die Sparte der modularen Bauweisen, weil sich damit rationell, wirtschaftlich und effizient Brückenprojekte umsetzen lassen. Dies gilt vor allem für Brücken mit kleiner bis mittlerer Spannweite (10 m bis ca. 45 m), welche in großer Zahl als untergeordnete Bauwerke entlang von Bundesstraßen und Autobahnen sowie Bahntrassen neu geplant und gebaut werden. Häufig werden bestehende Unterbauten weiterverwendet oder besondere Maßnahmen ergriffen, um unter laufendem Betrieb mit möglichst geringer Beeinträchtigung des Verkehrs die erforderlichen Baumaßnahmen durchzuführen. Bild 1: Brücken in Modulbauweise mit Betonverbund-, Stahlverbund- und WIB-Verbundträgern 1.1 Vorteile der Modulbauweise Folgende Merkmale machen den Einsatz einer Modulbauweise im Brückenbau interessant: • Bauausführung mit kurzen Bauzeiten, minimale Verkehrsbehinderungen und damit weniger Staus • Hoher Qualitätsstandard durch Vorfertigung der Fertigteilträger im Werk • Wegfall aufwendiger Trag- und Schutzgerüste • Paralleles Bauen von Überbau/ Unterbau • Paralleler Rückbau/ Neubau möglich • Wiederverwendung von Unterbauten teilweise möglich • Hohe Wirtschaftlichkeit bei ganzheitlicher Betrachtung von Bau-, Nutzungs- und Unterhaltungskosten 1.2 Grundlagen Ausgangspunkt für die Tragwerksentwürfe von Brücken in Modulbauweise ist die Vorfertigung. Grundlage der industriellen Vorfertigung ist die Digitalisierung von Planung und Produktionsprozessen einschließlich der Montage auf der Baustelle. Die Tragwerksplaner müssen sich hohen Herausforderungen stellen. Es ist nicht nur das aus dem Brückenbauwerk abgeleitete mechanische Modell zu bearbeiten, sondern bei der Modellierung ist der gesamte Herstellungs- und Montageprozess bis zur Fertigstellung des Bauwerks zu berücksichtigen. Modulare Brücken sind immer ganzheitlich unter Berücksichtigung aller Bauphasen zu betrachten. In jeder Bauphase liegen andere Randbedingungen vor, die zu berücksichtigen sind. Statisch gesehen liegt neben der Systemgeschichte und Belastungsgeschichte auch eine Querschnittsgeschichte vor. Es ändern sich entlang der Zeitachse sowohl die statischen Systeme und Belastungen als auch der Querschnittsaufbau. Das hat zur Folge, dass nicht nur das 120 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise primäre Querschnittskriechen und -schwinden, sondern immer auch das sekundäre Systemkriechen zu berücksichtigen ist. Dafür sind leistungsstarke Softwarelösungen erforderlich. Wegen der unterschiedlichen Steifigkeiten in Längs- und Querrichtung liegt z.B. für die Fahrbahnplatte eine orthogonale Orthotropie (Bild 2) vor. Für die FEM-Berechnung kommen kombinierte Modelle aus Stab- und Faltwerkssystemen zum Einsatz, die es erlauben, eine typengerechte Brückenmodellierung und gleichzeitig eine effiziente Lastgenerierung je Bauphase/ Bauzustand vorzunehmen. Folgende Aspekte sind dabei zu berücksichtigen: • Statische Bearbeitung stets am Gesamtsystem • Berücksichtigung der System-, Herstellungs-, Last- und Querschnittsgeschichte • Einsatz für verschiedene Querschnittstypen • Berücksichtigung der mitwirkenden Plattenbreiten • Effiziente Lastgenerierung mittels orthotroper Fahr-bahnplatte • Berücksichtigung von zeitabhängigen, sekundären Effekten • Vollständige und durchgängige Bemessung für die Grenzzustände der Tragfähigkeit, der Gebrauchstaug-lichkeit und der Ermüdung einschließlich Verbund-mittelnachweise bei Stahlverbundträgern Bild 2: Orthotropes Flächenmodell der Fahrbahnplatte 1.3 Brückentypen Die Längsträger bei modularen Brücken sind stets Ver-bundträger, die sich aus unterschiedlichen Materialien zusammensetzen. • Betonverbund: Spannbeton-Halbfertigteile als Plattenbalken mit Ortbetonergänzung. • Stahlverbund: Walzprofile oder geschweißte Profile mit Stahlbeton-Halbfertigteil, die bereits werksseitig auf die Stahlträger betoniert werden und später eine Ortbetonergänzung erhalten; Hohlkastenprofile, aber auch einfache I-Profile in VFT-Bauweise [10]. • Stahlverbund: Spezielle WIB-Profile und standardisierte Walzträger in Beton sind besonders einfach herstellbar. Alle Brückentypen eignen sich besonders für Überführungsbauwerke, die häufig als mehrstegige Rahmenkonstruktionen ohne Mittelpfeiler ausgeführt werden. Bei Stahlverbundbrücken liegt meistens aufgrund der großen Spannweiten ein gevouteter Stahlträgerverlauf vor. Die Frage, welche der genannten Brückentypen wann zum Einsatz kommen, wird im Wesentlichen durch folgende Faktoren beeinflusst: • Bauzeit • Baukosten • Kosten für den Unterhalt und Sanierung • Mobilitätseinschränkung / Stauvermeidung / sozioökonomische Kosten • Baubedingungen vor Ort • Dauerhaftigkeit Für eine objektive Beurteilung ist stets eine ganzheitliche Betrachtung bezogen auf die Lebensdauer erforderlich. 1.4 Betonverbundbrücken Der Überbau von Betonverbundbrücken besteht aus mehrstegigen, vorgespannten, T-förmigen Halbfertigteilen mit nachträglich ergänzter Ortbetonplatte. Der Einsatz dieser Spannbetonträger ist aufgrund des hohen Eigengewichts auf eine Länge von ca. 35 m begrenzt. Bei den kleineren Brücken, die entweder statisch bestimmt oder als Rahmenkonstruktion ausgeführt werden, liegt i.d.R. immer eine einstufige Vorspannung entweder mit sofortigem Verbund oder nachträglichem Verbund vor. Bei Durchlaufträgern wird aufgrund der Anforderungen an die Dauerhaftigkeit und des Fahrkomforts häufig eine zweistufige Vorspannung aus sofortigem und nachträglichem Verbund verwendet. Bild 3: Spannbeton-Halbfertigteil mit Ortbetonergänzung Die FEM-Berechnung des Gesamtbauwerks erfolgt i.d.R. in 4 Bauzuständen: • UB: Bauzustand Unterbau • FT: Bauzustand Fertigteil • VB: Bauzustand Verbund • PT: Bauzustand sekundäre Effekte 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 121 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Die Spannbetonbemessung wird auf der Zeitachse in 6 verschiedenen Zeitpunkten bearbeitet [8]: • t 0 : Eigengewicht FT und Vorspannung 1 • t 1 : Eigengewicht Ortbeton auf FT • t 2 : Verbund • t 3 : Vorspannung 2 • t 4 : Ausbau / Verkehr • t 5 : Zustand bei t ∞ Es werden alle wesentlichen Nachweise in den Grenzzuständen der Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Ermüdung geführt. 1.5 Stahlverbundbrücken in VFT-Bauweise Anders als im Massivbrückenbau ist die Beschreibung der Verbundquerschnitte wesentlich aufwendiger. Die Stahlträger können als Walzprofilträger oder als geschweißte I-Träger bzw. Kastenträger mit oder ohne Betonfertigteil in VFT-Bauweise [10] ausgebildet werden. Bild 4: Verbundquerschnittstypen Die Schnittgrößenermittlung und Spannungsberechnung einschließlich Kriechen und Schwinden erfolgt auf der Grundlage der Elastizitätstheorie mit dem Gesamtquerschnittsverfahren von Haensel [1], [9]. Dabei sind alle Systemeinflüsse der • Querschnittsgeschichte • Herstellungsgeschichte • Belastungsgeschichte • mitwirkende Plattenbreiten • Rissbildung • Kriechen und Schwinden und • sekundäre Effekte zu berücksichtigen. Im negativen Momentenbereich wirken gerissene und im positiven Momentenbereich ungerissene Querschnittsvarianten. Jede Änderung des statischen Modells infolge anderer bzw. neuer Querschnittsvarianten, Betonierabschnitte, Materialien, Lagerung, Gelenksteifigkeiten etc. erfolgt in einem separaten Bauzustand. Die Durchführung der Bemessungsnachweise erfolgt entlang der globalen Zeitachse entsprechend der Querschnitts- und Belastungsgeschichte einschließlich Kriechen, Schwinden sowie der sekundären Effekte für die ständige Bemessungssituation für t ∞ . Dabei werden alle wesentlichen Verbundnachweise in den Grenzzuständen GzT außer Ermüdung elastisch und plastisch, GzE, GzG für Baustahl, Beton, Bewehrung und Kopfbolzendübel geführt. Bei Trägern mit Querschnitten der Klasse 1 und 2 kann zusätzlich das elastische oder nichtelastische Verhalten zwischen Längsschubkraft und Querkraft berücksichtigt werden. 1.6 WIB-Brücken WIB-Brücken mit einbetonierten Stahlträgern sind nicht neu. Sie gehören zur Familie der Stahlverbundbrücken. Sie werden häufig für Eisenbahnbahnbrücken ausgeführt. Knapp 20% aller Eisenbahnbrücken in Deutschland werden für Spannweiten im Bereich von 10 bis 20 m als WIB-Brücken realisiert [2]. Die Konstruktionen können i.d.R. sehr schlank mit einer Schlankheit L/ h von 25 bis 30 hergestellt werden und haben trotzdem eine relativ hohe Steifigkeit. Durch die höheren Steifigkeiten treten geringere Verformungen auf. Weitere Vorteile ergeben sich durch den Wegfall der Schalungsgerüste, die Einfachheit der Bauweise und durch die schnelle Montage. Im Vergleich zu dem üblichen Stahlverbund treten bei Rahmenbrücken ausschließlich gerissene Querschnitte auf. Bei Einfeldträgern ist der Randbereich ungerissen. Im Feldbereich reißt der Betonquerschnitt unten auf, während im Stützbereich der Betonquerschnitt oben aufreißt. Das Verhalten einbetonierter Stahlträger hängt stark von dieser Rissbildung ab. Diese Besonderheit erfordert bei allen Nachweisen spezielle Anforderungen. Grundlage der Berechnung ist analog zum Stahlverbund das Gesamtquerschnittsverfahren [1]. Die Reduktionszahlen können wahlweise nach DS 804 Anlage 8, DIN EN 1992- 1-1 oder E c(t)- Verfahren [3] berechnet werden. Bild 5: Verteilung der Steifigkeit für Einfeldträger [4] 122 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Im ungerissenen Bereich wird der Verbundquerschnitt in einen äquivalenten Stahlquerschnitt transformiert während im gerissenen Bereich die Zustand II Querschnittswerte durch die Lage der plastischen Nulllinie bestimmt wird [5]. Der zugbeanspruchte Teil des Be-tonquerschnitts wird vernachlässigt. Bild 6: Spannungen bei positiver und negativer Biegung im Zustand II [7]. 2. Beispiele Nachfolgend werden einige erfolgreich ausgeführte interessante Brückenbauwerke aufgeführt, welche in den zurückliegenden Jahren in modularer Bauweise entstanden sind. Bei der Auswahl der Projekte wird der Focus eher auf die Bauweise und die verwendeten besonderen Berechnungs- und Bemessungsansätze gelegt als auf die Aktualität der Baumaßnahmen. 2.1 2.1. Ersatzneubau als Betonverbundbrücke Im Auftrag von Hessen Mobil in Kassel plante das Ingenieurbüro Kleffel den Ersatzneubau einer Straßenbrücke auf der Bundesautobahn A7 zwischen Flensburg und Füssen. Bild 7: Betonverbundbrücke im Bauzustand Der Ersatzneubau mit 5 Bauphasen als integrale, vorgespannte Betonverbundbrücke mit einer Trägerspannweite von 27,61 m und einer Bauwerksbreite von 40,50 m war durch den Amtsentwurf bereits vorgegeben. Die dabei angedachten Bauphasen berücksichtigen den Abriss der bestehenden Rahmenbrücke und den gleichzeitigen Neubau. Nicht nur die Realisierung des Ersatzneubaus erfolgt bei laufendem Betrieb: Auch während der Rückbauphase soll der Verkehr auf der A7 nach der Vorgabe des Auftraggebers kontinuierlich weitgehend unbehindert fließen. Bild 8: Bestandsbauwerk und Ersatzneubau Das erstellte räumliche Brückenmodell erfasst die schiefwinklige Rahmenbrücke als Faltwerksystem auf einer Pfahlgründung, welches die verschiedenen Bau-phasen mit insgesamt 13 statischen Bauzuständen und 145 Lastzuständen abbildet. Aufgrund der Baugrund-verhältnisse ist die Pfahlgründung unter den beiden Widerlagern unsymmetrisch angeordnet. Den Überbau bilden 2 x 8 Fertigteilträger, welche mit Spannbettvor-spannung hergestellt sind. Dabei wird die gesamte Brücke als 2 voneinander unabhängige Teilbauwerke in einem integralen Gesamtmodell mit Balken in Längsrichtung und einer orthotropen, lastverteilenden Fahrbahnplatte in Querrichtung erfasst. Die Fertigteilträger werden dabei über Stabstahlbewehrung in die Lagerwand elastisch eingespannt. Bild 9: Gliederung der Brücke in 2 Teilbauwerke Der Einsatz von Fertigteilträgern bei dieser Aufgabe erweist sich nicht nur als ingenieurtechnisch sinnvoll, sondern ebenso als wirtschaftlich: So kann bei der Ausführung auf das Anbringen aufwändiger Trag- und Schutzgerüste verzichtet werden. Da die Vorfertigung des Überbaus und die baustellenseitige Herstellung des Unterbaus parallel realisiert werden können, lässt sich damit die Gesamtbauzeit deutlich verkürzen. Die Verwendung von Fertigteilträgern machen darüber hinaus eine wirkungsvolle werksseitige Qualitätssicherung möglich eine solide Basis für eine hohe und gleichbleibende Ausführungsqualität. Nicht zuletzt sind nur in seltenen Fällen Sperrungen unterführter Verkehrswege erforderlich. Mit Fertigteilträgern in Betonverbundbauweise kann das Bauwerk in einem kürzeren Zeitfenster und gleichzeitig mit bester Qualität zu realisiert werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 123 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Im Vergleich zu einer Ausführung in Ortbeton ist das ein wichtiger Kostenfaktor. Bild 10+11: Verkehrssituation während der Bauzeit Kriechen und Schwinden sind in den Bemessungsansätzen stets zu berücksichtigen, was bei den verschiedenen Bau-, Last- und Betonierzuständen keine leichte Aufgabe darstellt. Die Teilbauwerke TBW1 und TBW2 der Brücke werden in einzelnen Bauphasen, die nur für einen bestimmten Zeitraum vorhanden sind, extremen Beanspruchungen ausgesetzt. Wie die finale Bemessungsergebnisse später zeigen, betrifft dies insbesondere die Bohrpfähle. Durch den Erddruck auf die in den Bauabschnitten teilweise freistehenden Widerlagerwände werden einzelne Bohrpfahlgruppen stark exzentrisch beansprucht. Bild 12: Extreme Belastungen in einzelnen Bauphasen Aus diesen Gründen müssen die Beanspruchungen aus jeder Bauphase berücksichtigt werden. Die hohe Belastung in den Bauzuständen führt in diesem Fall zu be-sonders hohen Bewehrungsgraden, wenn in der Bemessung die Biegetragfähigkeit (GZT) und die abgeschlossene Rissbildung (GZG) berücksichtigt wird. Bild 13: Betonverbundbrücke Zusätzlich muss das Kriechen und Schwinden im Verbundfertigteilträger stets berücksichtigt werden, weil dadurch der Nachweis der Tragfähigkeit und auch der Gebrauchstauglichkeit beeinflusst wird. D.h., dass sämtliche System- und Laständerungen über die gesamte Bauzeit im FE-Modell genau abgebildet werden müssen. Bild 14: Abbildung des Bauablaufs in Bauzuständen Durch eine geeignete Unterteilung der beiden weitgehend unabhängigen Teilbauwerke konnte der Modellierungsaufwand deutlich reduziert und die Bearbeitung der statischen Berechnung überschaubar und effizient gehalten werden. Bei dieser Brücke spielt insbesondere das Systemkriechen zwischen den Bauabschnitten eine wichtige Rolle. Durch Zeitunterschiede von bis zu 150 Tagen bauen sich große Zwängungen in der Ortbetonplatte auf, welche die Bemessung der Träger maßgeblich beeinflussen. Ohne die Berücksichtigung dieser zeitabhängigen Effekte kann eine integrale Bauweise dieses Brückentyps nicht realisiert werden. Bild 15: Beanspruchung und Bemessung des Bauwerks Für die anspruchsvollen Berechnungen und die relativ komplexe Bemessung der Pfahlgründung und der Fertig- 124 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise teilträger in Betonverbundbauweise setzten die Ingenieure aus Thüringen auf eine ganzheitliche Modellbildung mit einer vollständigen Erfassung der räumlichen und zeitlichen Effekte im Tragsystem der Brücke. Nur damit lassen sich die einzelnen Brückenbauteile durchgängig bemessen und sämtliche erforderlichen Detailnachweise führen. Fazit: Es zeigt sich im Fall der relativ einfachen Autobahnüberführung eindrücklich, welche besonderen ingenieurtechnischen Überlegungen notwendig sind, um den Neubau der Straßenbrücke unter Laufendem Verkehr sicher, effizient und wirtschaftlich zu erstellen. 2.2 Betonverbundbauweise in Serie Die IGS INGENIEURE GmbH & Co. KG aus Thüringen war im Auftrag des Regierungspräsidiums Karlsruhe im Rahmen eines Großprojekts am Ausbau der BAB A5 auf sechs Fahrstreifen beteiligt. Die Bundesautobahn A5, wichtigste Nord-Süd-Verbindung für den Fernverkehr im südwestdeutschen Raum und Transitstrecke nach Südeuropa, wurde zwischen den Anschlussstellen Baden-Baden und Offenburg auf sechs Fahrstreifen erweitert. Ein kontinuierlich gesteigertes Verkehrsaufkommen in den letzten Jahren macht diese umfassende Ausbaumaßnahme von mehr als 41 Kilometern Autobahn notwendig. Bild 16: Serielle Ersatzneubauten entlang der BAB A5 Im Rahmen dieses Projekts wurden mehr als 50 Brückenbauwerke auf diesem Abschnitt abgebrochen und wieder neu gebaut. 20 Überführungsbauwerke allesamt Betonverbundbrücken realisierte die IGS INGENIEURE GmbH & Co. KG in Fertigteilbauweise. Der Rück- und Neubau sämtlicher Brückenbauwerke erfolgte unter Laufendem Verkehr. Innerhalb eines eng abgestimmten Planungs- und Baumanagements konnte die IGS INGENIEURE GmbH & Co. KG die gesamte Planungsleistung für die ersten zehn Brücken in nur einem halben Jahr zu be-werkstelligen. Neben dem engen Zeitplan erforderte die Vorspannung der Überbauwerke besonderes Geschick. Die Umsetzung der einzelnen Brückenprojekte war sowohl auf Seite der Tragwerksplaner als auch für den Fertigsteilhersteller keine leichte Aufgabe. Aus technischen Gründen wurde im Bauablauf fast ausschließlich mit einer Spannbettvorspannung gearbeitet und auf etwas vorteilhaftere Kontinuitätsvorspannung über die Brückenpfeiler hinweg verzichtet. Die Stützweiten erforderten daher eine sehr hohe Vorspannkraft pro Fertigteil. Bild 17: Typische Betonverbundbrücke im Projekt. Für alle 20 Bauwerke produzierte derselbe Hersteller die benötigten anspruchsvollen Fertigteilträger. Der Vorteil dieser massiven Vorspannung: Die Schnelligkeit. Denn die Experten vor Ort aus der Baustelle verlieren keine Zeit durch nachträgliche Maßnahmen, wie beispielsweise das Einfügen weiterer Spannglieder oder den Einsatz von Hüllrohren. Auf diese Weise waren die Baubeteiligten in der Lage, einen schnellen und gleichzeitig flexiblen Baufortschritt sicherzustellen. Bild 18: System mit Stützen in Brückenmitte Eine besonders knifflige Aufgabe stellte die Baulogistik dar. Da diese wichtige Verbindungsroute Südwestdeutschlands während der Bauarbeiten nicht voll gesperrt werden konnte, erfolgten Anlieferung und Ein-hub der Fertigteile in Etappen. Die Fertigteile werden per LKW angeliefert. Bei Ankunft wird die Fahrbahn für eine halbe Stunde gesperrt. In dieser Zeit erfolgen Einhub und die anschließende Freigabe für den Verkehr. Nach einer weiteren halben Stunde wird die Fahrbahn erneut für den Einhub des nächsten Fertigteils gesperrt. Die Sperrzeiten bleiben also kurz und behindern den Verkehr nicht längerfristig. Erschwerend kommt für die Mannschaft auf der Baustelle hinzu, dass diese Sperrungen nur in der Nacht vorgenommen werden können. Das bedeutet Nachtschichten bei stets voller Konzentration für alle am Projekt Beteiligten. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 125 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Für eine perfekte Projektabwicklung musste in jeweils rund zwei Wochen die statische Bearbeitung und Optimierung für jedes Bauwerk erfolgen. Anschließend erfolgte eine umfassende Prüfung durch unabhängige Prüfingenieure. Für die effiziente Planung war eine einfache Modellbildung für das System und die Lastansätze sowie die durchgängige Bemessung der Brückenbauwerke von entscheidender Bedeutung. Die Möglichkeit, die Lastverteilung über eine orthotrope Plattenwirkung zu berücksichtigen ist für die intuitive Projektbearbeitung und eine effiziente Brückenbemessung ein entscheidender Aspekt. 2.3 Anspruchsvolle Rollbrücken mit Betonfertigteilen Die Erweiterung des Frankfurter Flughafens durch die 2.8 km lange Landebahn Nordwest wurde mit verschiedene Rollbahnbrücken über die BAB A3 und der ICE- Strecke Frankfurt-Köln realisiert. Mit der Planung der hoch komplexen integralen Brückenbauwerke war das Ingenieurbüro Dr. Binnewies aus Hamburg beauftragt. Bild 19: Übersicht Rollbrücken Flughafen Frankfurt Um Kosten und Bauzeiten entscheidend zu reduzieren wurde die vom Ingenieurbüro Binnewies vorgeschlagene Brückenkonstruktion als vorgespanntes integrales Spannbeton-Rahmenbauwerk mit Betonfertigteilen und Ortbetonergänzung umgesetzt. Der mit bis zu 30 gon enorm spitze Kreuzungswinkel zwischen Trägerlagen und Rollbahn stellte sich dabei als eine besondere Herausforderung heraus. Zusätzliche Anforderungen ergaben sich aus einer Brückenlänge von mehr als 200 m und den Bemessungslasten für die Flugzeuge mit beachtlichen 750 Tonnen. Bild 20: System und Abmessungen Rollbrücke Ost Die Modellbildung erfolgte nach dem Prinzip: So einfach wie möglich, so komplex wie nötig. Die Gründung von Pfeiler- und Widerlagerwänden erfolgte auf eingespannten Bohrpfählen. Darauf wurden fugenlose Widerlager- und Pfeilerwände errichtet. Der Überbau schließlich wurde aus vorgespannten Fertigteilen, Ortbetonergänzung und Kontinuitätsvorspannung realisiert. Im ersten Schritt wurden dabei die Fertigteilträger verlegt. Diese kamen werkseitig mit einer Vorspannung mit nachträglichem Verbund und inklusive Hüllrohren für die spätere Kontinuitätsvorspannung auf die Baustelle. Bild 21: Vorspannung Brückenträger im FE-Modell Dabei waren die Anschlussbewehrungen von Wänden und Fertigteilen exakt aufeinander abgestimmt und wurden daher sehr präzise hergestellt. Bei der Rollbrücke OST 1 mit einer Gesamtbrückenfläche von 20.000 Quadratmetern waren insgesamt 275 Fertigteilträger mit einem Gewicht bis zu 95 Tonnen zu montieren. Dabei war jedes Fertigteil ein Unikat und die Bemessung von Träger, Ortbetonplatte und Wandköpfen auf den Bauablauf abgestimmt. Bevor die Ortbetonplatte aufgebracht werden konnte musste zunächst die Rahmenwirkung der Gesamtkonstruktion realisiert werden. Dafür wurden die Bereiche an den Wandköpfen vorab bewehrt und betoniert. 126 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Bild 22: Nachtbaustelle und Einhub der Brückenträger Eine weitere Herausforderung war die Betonage der Brückenfläche mit rund 20.000 Kubikmetern Beton je Abschnitt in einem Zeitfenster von lediglich 60 Stunden. Schließlich wurden final die Kontinuitätsspannglieder eingeschossen und vorgespannt. Die Planung musste dabei durchweg perfekt sein, damit die drei bauausführenden Unternehmen in der Lage waren, ihre Arbeit optimal im vorgegebenen Zeit- und Budgetrahmen zu erledigen. Die Trägermontage erfolgte in der Regel bei Nacht, um eine möglichst geringe Verkehrs-beeinträchtigung zu gewährleisten. Die neuen Verbindungsrollbahnen auf dem Frankfurter Flughafen brachten sowohl technisch als auch organisatorisch eine Reihe von Herausforderungen mit sich. In knapp 16 Monaten waren rund 600 Schalpläne und ca. 800 Bewehrungspläne zu zeichnen und rechtzeitig auf die Baustelle zu liefern. Da es sich bei diesen Bauwerken nicht um Standardbrücken handelt, sondern Normen der „International Civil Aviation Organization“ (ICAO) greifen, war das Ingenieurbüro Binnewies auch darin gefordert, die normativen Regeln aus dem Bereich der Straßenbrücken auf die Spezialbauwerke eines Rollfelds zu übertragen. Denn die ICAO-Richtlinien beinhalten erforderliche Regularien für Planung und Bau in dieser Form nicht. 2.4 Ersatzneubau einer Stahlverbundbrücke Das Ingenieurbüro Kleb Erfurt hat für die Überführung einer Bahntrasse in Obervellmar/ Kassel mit einer Spannweite von 26,10 m und einer Breite von 12,10 m eine Ausführungsstatik erstellt. Es handelt sich dabei um zwei nebeneinanderliegende Rahmenbauwerke. Jeder Überbau besteht aus 5 gevouteten I-Trägern aus S355 mit werkseitig aufgebrachten Fertigteilplatten aus C35/ 45 und späterer Ortbetonergänzung aus C35/ 45 in VFT- Bauweise. Bild 23: Systemabmessungen VFT-Brücke Die Längsträger werden in die Endquerträger eingespannt. Als Verkehrsbelastung wurde die Kategorie 2 angesetzt. Bild 24: FE-Modell N p -Bauzustand der Rahmenbrücke Die FEM-Berechnung des Gesamtbauwerks erfolgte in 6 Bauzuständen einschließlich einer Berücksichtigung der sekundären Effekte. • N 0 -Bauzustand Unterbau • N 0 -Bauzustand Überbau als VFT-Trägersystem • N P -Langzeit Bauzustand • N 0 -Kurzzeit Bauzustand • N PT -Bauzustand • N S -Bauzustand Schwinden Die Steifigkeiten für Langzeitlasten werden zeitabhängig mit Reduktionszahlen umgerechnet. Für die Kurz-zeitlasten werden dagegen zeitunabhängige Reduktionszahlen verwendet. Die Verbundbemessung erfolgte für alle Grenzzustände. Bei den Verbundmitteln kam eine 4-reihige Kopfbolzendübel-Verteilung mit unterschiedlichen Höhen zum Einsatz. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 127 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Bild 25: Auslastungsübersicht der Verbundbemessung 2.5 Ersatzneubau einer Straßenbrücke in WIB- Bauweise Das Ingenieurbüro Kleffel hat für die Überführung der Hasel in Dillstädt/ Schwarza eine schiefwinklige WIB- Brücke mit einer Spannweite von 12,40 m und einer variablen Breite von 6,50 m bis 9,13 m eine Entwurfsstatik aufgestellt. Es handelt sich dabei um ein integrales Brückenbauwerk. Der Überbau aus C35/ 45 besteht aus 9 einbetonierten Stahlträgern jeweils mit einem HEM 400 - Profil und dem Material S355. Bild 26: Systemabmessungen WIB-Brücke Die Längsträger sind in die Endquerträger eingespannt, die wiederum auf tiefgegründeten Bohrpfählen lagern. Als Verkehrsbelastung wurde ein Lokalverkehr der Kategorie 4 angesetzt. Bild 27: Lageplan für den WIB-Überbau Die FEM-Berechnung des Gesamtbauwerks wurde in 5 Bauzuständen einschließlich einer Berücksichtigung der sekundären Effekte durchgeführt. • N 0 -Bauzustand • N P -Langzeit Bauzustand zeitabhängig • N 0 -Kurzzeit Bauzustand • N PT -Bauzustand zeitabhängig sekundär • N S -Bauzustand Schwinden sekundär Bild 28: Gesamtmodell mit Pfählen, Lasten und Verformungen Die Bemessung der Verbundträger erfolgte für alle Grenzzustände der Tragfähigkeit elastisch und plastisch, Ermüdung und Gebrauchstauglichkeit einschließlich den Verformungen im Zustand II. Bild 29: Auslastungsübersicht der Verbundbemessung 3. Zusammenfassung und Ausblick Für Brücken mit kleiner bis mittlerer Spannweite, die in großer Zahl in den nächsten Jahren unter laufendem Verkehr entweder verstärkt oder kurzfristig ersetzt werden müssen, eignet sich besonders die modulare Bauweise. Sie ist materialoffen und kann flexibel eingesetzt werden. Die Querschnittsformen werden stetig weiterentwickelt. Grundlage für den erfolgreichen Einsatz ist die industrielle Vorfertigung. Zusammen mit der Digitalisierung des Planungs- und Produktionsprozesses, welcher auch für die Liefer- und der Montagelogistik Vorteile bringt, eröffnen sich mit modularen Bauweisen interessante und vor allen auch wirtschaftliche Planungsalternativen. 128 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Brücken mit kurzer Bauzeit in Modulbauweise Aktuell sind neuartige modulare Baukastensysteme aus Betonfertigteilen in der Entwicklung [6]. Bei Hagen über die A46 konnte nach diesem Planungskonzept bereits ein Prototyp in 100 Kalendertagen erstellt werden. Der neue technische Fortschritt erlaubt es, modulare Brücken effizient mit hoher Leistungsfähigkeit ohne gravierende Mobilitätseinschränkungen herzustellen. Durch die Entwicklung von roboter- und computergestützten Fertigungstechniken sind weitere innovative Fortschritte mit lukrativen Möglichkeiten zu erwarten. Literatur [1] J.Haensel: Praktische Berechnungsverfahren für Stahlträgerverbundkonstruktionen unter Berücksichtigung neuerer Erkenntnisse zum Betonzeitverhalten, Mitteilung 75-2, IKI, Ruhr-Universität Bochum 1975. [2] C.Lerchner, G.Schimetta: Stahlbetonrahmen mit WIB-(Walzträger in Beton) Tragwerk, Beton- und Stahlbeton 97 (2002), Heft 10. [3] A.Iliopoulos: Zur rechnerischen Berücksichtigung des Kriechens und Schwindens des Betons bei Verbundträgern; Diss. Ruhr-Universität Bochum 2005. [4] A.Iliopoulos: Vorschlag zur Verformungsberechnung von WIB-Brücken, Stahlbau 78 (2009), Heft 8. [5] Stahlbaukalender 2010; S. 280. [6] J.Hegger, C.Knorrek, S.Bosbach: Neuartige modulare Brückenbauwerke aus Betonfertigteilen, Untersuchungen zum Tragverhalten, BFT International Kongressunterlagen 02.2019, Ulm. [7] Grundlagenhandbuch zu PONTIstahlverbund 20.0, RIB Software SE, 2020, Stuttgart. [8] Grundlagenhandbuch zu PONTIbetonverbund 20.0, RIB Software SE, 2020, Stuttgart. [9] K.Roik, R.Bergmann, J.Haensel, G.Hanswille: Verbundkonstruktionen - Bemessung auf der Grundlage des Eurocode 4 Teil 1, BK 1999 Teil II, Ernst&Sohn, Berlin. [10] Schmitt et al: VFT-Bauweise Entwicklung von Verbundträgern im Brückenbau, Beton- und Stahlbeton 96 (2001), Heft 4. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 129 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde Michael Girmscheid Thomas & Bökamp Ingenieurgesellschaft mbH, Münster, Deutschland Felix Lehmann ELE. Beratende Ingenieure GmbH, Essen, Deutschland Thorsten Balder Heitkamp Brückenbau GmbH, Herne, Deutschland Hartmut Hangen HUESKER Synthetic GmbH, Gescher, Deutschland Zusammenfassung Für den Ersatzneubau der Brücke „Stokkumer Straße“ wurden im Rahmen eines Pilotprojektes zur Reduzierung der Bauzeit moderne Technologien eingesetzt: Die Fertigung des Stahlverbundüberbaus inklusive Abdichtung und Kappen erfolgte auf einem benachbarten Parkplatz. Der ca. 40 m lange und 400 to schwere Überbau wurde mit Hilfe von SPMT-Einsatz in einer Wochenendsperrung eingefahren und auf den Widerlagern abgesetzt. Die Widerlager wurden aus geokunststoffbewehrter Erde hergestellt. Hierbei handelt es sich um eine nicht geregelte Bauweise. So finden sich in den Regelwerken der Straßenbauverwaltung für Brückenbauwerke keine Festlegungen hinsichtlich derartiger Widerlager, die sich im Hinblick auf ihr Trag- und Verformungsverhalten deutlich von massiven Brückenwiderlagern unterscheiden. Vor diesem Hintergrund wurden entsprechende Anforderungen und Nachweise zum Trag- und Verformungsverhalten der bewehrten Erde ausgearbeitet. Das Widerlager wurde mit einer umfassenden Messtechnik ausgestattet, um die Rechenannahmen zu verifizieren. 1. Grundlagen In NRW hat das Verkehrsministerium in Zusammenarbeit mit Straßen.NRW ein 8-Punkte-Programm vereinbart mit dem Ziel, Verkehrseinschränkungen durch Baustellen zu reduzieren [1]. Ein Baustein des 8-Punkte-Programms ist die funktionale Ausschreibung von Bauleistung, in der keine detaillierte Leistungsbeschreibung vorgegeben wird, sondern im Wesentlichen Ziele definiert werden. Im Rahmen einer solchen Funktionalausschreibung wurde das Projekt „Ersatzneubau Stokkumer Straße“ an die Firma Heitkamp Brückenbau GmbH vergeben. Ziel von Heitkamp war die Minimierung der Bauzeit durch innovative Bauverfahren. Im Rahmen eines Vorentwurfs wurden verschiedene Varianten diskutiert und schließlich in Abstimmung mit Straßen.NRW und dem BMVI festgelegt, die Brücke auf Widerlagern aus geokunststoffbewehrter Erde zu gründen. Zudem sollte der Brückenüberbau in Seitenlage auf einem benachbarten Parkplatz hergestellt und mit Hilfe von SPMT-Einsatz (self propelled modular transporter) in Endlage transportiert werden. Die Sperrung des überführten Wirtschaftsweges sollte nicht länger als 80 Tage andauern und der Verkehr auf der A3 nur an zwei Wochenendsperrungen beeinflusst werden. 2. Das Brückenbauwerk 2.1 Bestandsbauwerk Das zu ersetzende Bestandsbauwerk dient der Überführung eines Wirtschaftsweges über die A3 bei Emmerich an der niederländischen Grenze. Der einfeldrige, ca. 6,5 m breite Brückenüberbau ist in Längsrichtung vorgespannt und wurde als zweistegiger Plattenbalken ausgeführt. Bei einer Stützweite von 34 m und einer Konstruktionshöhe von 1,5 m ergibt sich eine Schlankheit von 22,7. Das Bestandsbauwerk wurde im Jahr 1961 erbaut und als Brückenklasse 12 nach DIN 1072 bemessen. Die geringe vorhandene Brückenklasse war Auslöser für Abbruch und Neubau der Brücke. 130 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde 2.2 Neubau Als Ersatzneubau wird ein einfeldriger Verbund-überbau mit zwei dichtgeschweißten Stahlkästen und Ortbetonergänzung gewählt. Die Querschnittshöhe beträgt 1,45 m bei einer Stützweite von 36,8 m. Die Stützweite wurde im Vergleich zum Bestandsbauwerk vergrößert, da die Belastung nicht direkt an der Kante der bewehrten Erde Konstruktion eingeleitet werden kann. Es ergibt sich somit eine Schlankheit von 25. Die dichtgeschweißten Kästen werden in S355, die 25 cm dicke Ortbetonergänzung wird mit Beton der Festigkeitsklasse C35/ 45 ausgeführt. Die Bemessung erfolgt nach DIN EN 1993 für das LM1 nach DIN EN 1991. Bild 1: Bauwerksentwurf - Regelquerschnitt In Bild 1 und Bild 2 werden Ansicht, Längsschnitt sowie Regelquerschnitt der Brücke dargestellt. Bild 2: Bauwerksentwurf - Ansicht und Längsschnitt Der Brückenüberbau lagert auf Stahlbetonbalken in Ortbetonbauweise auf. Die Stahlbetonbalken werden oberhalb der bewehrten Erde angeordnet und ermöglichen die Unterbringung von Lagersockeln, Pressenansatzpunkten sowie den Einbau der Übergangskonstruktion in Kammerwand und Überbau. Die bewehrte-Erde-Konstruktion wird mit Stahlbeton-fertigteilen verkleidet. Diese werden auf Konsolen, die an das Bestandsfundament angeschlossen werden, aufgestellt und an der Oberseite durch einen U-förmigen Ortbetonbalken ausgesteift. Es erfolgt eine Verfüllung des Spaltes zwischen Fertigteil und bewehrter Erde mit Blähton. Die Bemessung der Fertigteile erfolgt für Windlasten und Silodruck. Im Bereich der Flügelwände, die durch Winkelstützwände gebildet werden, erfolgt die Verkleidung mit Gabionenwänden, die horizontal an die bewehrte-Erde-Konstruktion angeschlossen werden. Dazu werden Geogitter in die Gabionenfugen eingelegt und im Erdkörper verankert. Bild 3: Verkleidung der bewehrten Erde durch Stahlbeton-Fertigteile und Gabionen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 131 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde 2.3 Statische Randbedingungen beim Transport Der Transport erfolgt mittels SPMTs der Firma Wagenborg an 4 Lastangriffspunkten unter jedem Stahllängsträger (Bild 4). Es werden kraftgesteuerte Pressen eingesetzt. Da die Anordnung von 2x4 Lastangriffspunkten zunächst eine statisch unbestimmte Lagerung darstellt, bei der es zu Zwängungen kommen kann, wurden die hydraulischen Pressen in den Radaufhängungen so in 3 Gruppen gesteuert, dass eine statisch bestimmte Lagerung entsteht. Es werden trotz der statisch bestimmten Lagerung verschiedene Zwängungszustände untersucht. Hierbei werden Relativverschiebungen der Auflagerpunkte von 1 cm bis 2 cm angesetzt. Daraus ergeben sich Zwangsbeanspruchungen in den Längsträgern und der Fahrbahnplatte, die bei der Bemessung berücksichtigt werden. Bild 4: Lagerung beim Transport - Konzept der hydraulischen Steuerung Aufgrund des relativ weichen Brückenüberbaus kommt es beim Absenken des Überbaus aus der Endverdrehung (Wechsel vom Einfeldträger mit Kragarm auf Einfeldträger) zu nennenswerten horizontalen Verformungen der Unterkante der Querträger in Richtung der Kammerwände. Der Überbau wird daher temporär auf Stahlprofile mit einer Gleitplatte mit PTFE Schicht abgelegt, wodurch eine freie Verformbarkeit gewährleistet wird. Danach erfolgt ein Anheben des Überbaus in den planmäßigen Pressenansatzpunkten und die Betonage der Lagersockel. 3. Widerlager aus geokunststoffbewehrter Erde 3.1 Grundlagen Die Verwendung geosynthetischer Bewehrungsprodukte zur Lösung geotechnischer Aufgabenstellungen ist aufgrund ökologischer und ökonomischer Vorteile gegenüber klassischen Bauweisen seit Langem üblich. Geokunststoffbewehrte Stützkonstruktionen nehmen hierbei eine besondere Stellung ein und stellen einen der ältesten und häufigsten Anwendungsbereiche dar. 132 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde KBE (Kunststoff Bewehrte Erde) Konstruktionen zeichnen sich im Vergleich zu konventionellen Bauweisen im Wesentlichen durch folgende Vorteile aus: 1. duktiles Tragverhalten ermöglicht reduzierte Anforderungen an Baugrund und Hinterfüllmaterialien 2. schnelle und daher kostengünstige Herstellung oder Entsorgung (bei temporären Konstruktionen) mit konventionellem Erdbaugerät 3. geringes globales Erwärmungspotenzial (GWP) 4. vielfältige architektonische Gestaltungsmöglichkeiten Ursprung dieser Bauweise ist die in den 60er-Jahren durch den Franzosen Herni Vidal [2] eingeführte s. g. Bewehrte Erde. Bereits in den 80er-Jahren wurden die hierbei eingesetzten Stahlbänder jedoch zunehmend durch vollflächige geosynthetische Bewehrungsprodukte ersetzt. Bild 5 zeigt am Beispiel eines Regelquerschnittes eines geokunststoffbewehrten Brückenwiderlagers das Prinzip einer KBE-Konstruktion mit den Hauptbestandteilen Zugbewehrung, Facingelement, Erdstoff (Bewehrter Erdkörper und Hinterfüllboden) sowie Belastungseinrichtung (z.B. Widerlagerbalken). Bild 5: Regelquerschnitt des bewehrten Brückenwiderlagers bei Ilsenburg [3] Neben den aktuellen Regelwerken, nach denen KBE-Konstruktionen bemessen werden in Deutschland sind dies zusätzlich zu den Dachnormen EC 7 [4], DIN 1054 [5], DIN 4084 [6] und EBGEO 2010 [7] gibt es weltweit mittlerweile eine überaus große Anzahl an wissenschaftlichen Arbeiten und Fachaufsätzen zu nahezu allen relevanten Fragestellungen im Zusammenhang mit solchen Konstruktionen. So findet man einen Überblick über die ersten Anfänge der Verwendung von Geokunststoffen als Bodenbewehrung für Stützkonstruktionen z. B. in Allen [8], eine systematische Erhebung und Auswertung des Bauwerksverhaltens repräsentativer KBE-Konstruktionen findet sich z. B. bei Crouse und Wu [9]. Bathurst [10] hingegen vermittelt einen Überblick zum derzeitigen Stand der Technik und aktuellen Entwicklungen von Bemessungskonzepten und Modellierungen; ein Review ausgewählter Beiträge der jüngsten Internationalen Geosynthetic Konferenz (10th ICG) in Berlin zu diesem Thema findet sich auch in Hangen [11]. 3.2 Geokunststoffbewehrte Brückenwiderlager Eine Vielzahl von Untersuchungen und Referenzprojekten haben gezeigt, dass Geokunststoffbewehrte Stützkonstruktionen auch extrem hohe Einwirkungen abtragen können, ohne zu versagen oder übermäßig große Verformungen zu zeigen. Sehr eindrucksvoll konnte dies z.B. im Rahmen von realmaßstäblichen Belastungsversuchen an der Landesgewerbeanstalt Nürnberg (LGA) [12] und [13] oder [14] demonstriert werden. Bild 6 und Bild 7 zeigen die Versuchsanordnung und die horizontalen und vertikalen Verformungen des untersuchten 4,5 m hohen KBE-Körpers für vertikale Belastung mit einem 1,0 m breiten und 3,0 m langen Betonbalken. Die horizontale Verformung des in zwei Stufen gefahrenen Versuches betrug für realistische Spannungen unter einem Brückenwiderlagerbalken von 200 bis 250 kN/ m² selbst bei Erstbelastung an der höchsten Stelle nur etwa 4 mm. Die Gesamtsetzung betrug bei der gleichen Belastung ca. 6 mm. Erst ab einer Auflastspannung von 500 kN/ m², welche bei der zweiten Belastung aufgebracht wurde und den Belastungsgrößen entspricht, welche im Rahmen der Stokkumer Straße zu erwarten sind, zeigte die Konstruktion Anzeichen merklicher Verformungen. Ein Versagen der Konstruktion konnte aber auch unter der maximal aufbringbaren Belastung von 650 kN/ m² nicht erreicht werden. In anderen Quellen wird die maximale Tragfähigkeit sogar mit bis zu 1200 kN/ m² angegeben [14]. Bild 6: Großversuche zur Untersuchung der Tragfähigkeit einer KBE an der LGA Nürnberg [12] und [13], Abmessungen und Anordnung der Messeinrichtungen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 133 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde Bild 7: Ergebnisse eines Großversuches an der LGA Nürnberg [12] und [13], gemittelte Setzung des Auflagerbalkens und horizontale Verschiebungen während der ersten Belastungsstufe 0 < σ < 400 kN/ m² Die bisherigen Erfahrungen mit Geokunststoffbewehrten Stützkonstruktionen legen daher nahe, dass diese Technik unter Verwendung hochwertiger Bewehrungs- und Erdstoffe auch für die Errichtung von hoch belasteten Brückenwiderlagern vorgesehen werden kann. Eine Reihe von Referenzbauwerken zeigt, dass dies grundsätzlich in der Praxis umgesetzt wurde und welche unterschiedlichen Optionen dabei bestehen [15]. Für ein Brückenbauwerk mit Abmessungen und baulichen Randbedingungen wie an der Stokkumer Straße wurde diese Bauweise in Deutschland aber bisher noch nicht eingesetzt. 3.3 Materialien Wie in Abschnitt 3.1 und 3.2 dargestellt, sind Geokunststoffbewehrte Erdkörper grundsätzlich in der Lage, hohe Vertikalspannungen bei geringer Verformung abzutragen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Erdkörper mit scherfestem und gut verdichtbarem Bodenmaterial ausgeführt wird. Außerdem sollten Geogitterbewehrungen verwendet werden, welche sich durch eine hohe Dehnsteifigkeit und geringes Kriechverhalten auszeichnen. Im vorliegenden Projekt wurde entschieden, diese Anforderungen mit Hilfe eines relativ stark schluffigen, leicht kiesigen Feinbis Mittel-sandes zu erfüllen, welcher durch Zugabe von Mischbindemittel insbesondere zur Erhöhung der Steifigkeit verbessert wurde. Ein wesentlicher Grund für die Wahl dieses Erdstoffes war dessen Verfügbarkeit in geringer Transportentfernung. Als Geogitter kam ein hochzugfestes biaxiales Geogitter aus dem Rohstoff PVAL (Polyvinylalkohol) zur Anwendung. Die Kurzzeitfestigkeit dieses Materials beträgt 400 kN/ m, ferner zeichnet sich das gewählte Geogitter durch seine Langzeitbeständigkeit in alkalischem Milieu aus. Geogitter aus dem Rohstoff PET hingegen verlieren in alkalischer Umgebung sehr schnell an Festigkeit und konnten daher nicht verwendet werden. 3.4 Bemessung Die Standsicherheits- und Gebrauchstauglichkeitsnachweise wurden gemäß den Anforderungen der DIN EN 1997-1 [4], DIN EN 1997-1/ NA und DIN 1054 [5] in Verbindung mit der EBGEO [7] geführt. Grundsätzlich umfassen die Standsicherheitsnachweise zunächst die bekannten Nachweise der äußeren Standsicherheit (Nachweise der Sicherheit gegen Kippen, Gleiten und Grundbruch der Gesamtkonstruktion sowie gegen Geländebzw. Böschungsbruch). Für die Nachweise der Sicherheit gegen Kippen, Gleiten und Grundbruch wird eine KBE-Konstruktion als quasi-monolithisches Bauwerk modelliert. Im vorliegenden Fall wurde der Nachweis der Sicherheit gegen Grundbruch für das Bestandsfundament erbracht, wodurch der analoge Nachweis für die KBE hinfällig war, da sich unter der KBE-Konstruktion keine vom Bestandsfundament unabhängigen Grundbruchkörper ausbilden können. Der Nachweis der Sicherheit gegen Geländebzw. Böschungsbruch wurde mit den Verfahren der DIN 4084 [6] geführt. In diesem Zusammenhang wurden auch Gleitlinien untersucht, die die KBE-Konstruktion durchdringen. Werden dabei Geogitterlagen geschnitten, ist aus dem Kräftedefizit zur Nachweisführung die Zugbeanspruchung der jeweiligen Geogitterlage abzuleiten. Zur inneren Standsicherheit zählen die Nachweise der Bemessungsfestigkeit der Bewehrung, des Herausziehwiderstandes der Bewehrung sowie Nachweis der Anschlüsse, der Bewehrungsstöße und der Frontausbildung. Die maßgebenden Zugbeanspruchungen liefert dafür hauptsächlich die Nachweisführung gegen Geländebzw. Böschungsbruch. Der Reibungsbeiwert f zur Bestimmung des Herausziehwiderstands in der Grenzfläche zwischen Geogitter und Boden bzw. Geogitter und Geogitter wurde für das gewählte Produkt nach Herstellerangaben zu f = 0,9 · tan (φ k ‘) angesetzt und im Rahmen von Laborversuchen im Großrahmenschergerät nachgewiesen. Die Front der KBE-Konstruktion wurde nach der Umschlagmethode ausgebildet, bei der an der Front ein Umschlag des Geogitters nach oben und unterhalb der nächsten Geogitterlage erfolgt. Die notwendigen Herausziehwiderstände werden über eine entsprechende Einbindung im Füllboden oberhalb des Umschlages gewährleistet. 3.5 Interaktion bewehrte Erde - Brückenüberbau Die hochgesetzten Stahlbeton-Widerlager wurden als klassische Flachgründung bemessen. Dabei sollten die maximalen mittleren Bodenpressungen in der Ersatzfläche (a’ · b’) 585 kN/ m² nicht überschreiten. Die vordere Kante des Widerlagers wurde um 0,5 m hinter der Vorderkante der bewehrte-Erde-Konstruktion angeordnet, um hohe Pressungen an der direkten Vorderkante zu vermeiden. 134 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde Bild 8: prognostizierte Vertikalverformungen Mittels FEM-Berechnungen wurden die in Bild 8 dargestellten vertikalen Verformungen der bewehrte-Erde-Konstruktion prognostiziert. Die hohen berechneten Verformungen und die Verdrehung um die Brückenquerachse haben Auswirkungen auf das Lichtraumprofil sowie auf die Verformungen der Lager und Übergangskonstruktionen. Diese zusätzlichen Verformungen wurden entsprechend bei der Dimensionierung berücksichtigt. 3.6 Messtechnik und -programm Aufgrund der nicht geregelten Bauweise von Brückenwiderlagen als KBE-Konstruktion ist für die Maßnahme die Erteilung einer Zustimmung im Einzelfall (ZiE) und damit verbunden eine geeignete messtechnische Begleitung erforderlich. Ziel des Messprogramms ist die Verifizierung der Berechnungsansätze bzw. der Verformungsprognosen und die Gewährleistung des Sicherheitsniveaus im Sinne der Beobachtungsmethode nach DIN 1054 [5] durch ein rechtzeitiges Erkennen eines möglichen Versagens. Das Messprogramm für die temporäre messtechnische Begleitung gemäß ZiE setzt sich aus Messungen der Verformungen und der Spannungen zusammen. Aufgrund der Frontverkleidung aus Stahlbetonfertigteilen und den seitlich angeordneten Gabionen ist die eigentliche KBE-Konstruktion vollständig verdeckt. Die Betrachtung von Verformungen ausschließlich mittels geodätischer Messungen wäre für die spätere Beurteilung folglich unzureichend. Um das Verformungsverhalten im Inneren des KBE-Körpers aufnehmen zu können, werden daher auch Messungen mittels Geogitterwegaufnehmern, Horizontalinklinometern und Erddruckmessdosen in der KBE durchgeführt. Mit Ausnahme der geodätischen Messungen erfolgen die Messungen ausschließlich unterhalb der Auflagerbank des festen Auflagerpunktes, da sich dort infolge des Abtrags der horizontalen Einwirkungen die maßgebenden Lastfälle und daher auch die maßgebenden Verformungen einstellen. Die Messbolzen für die geodätischen Messungen wurden so angeordnet, dass Veränderungen in Lage und Höhe und somit auch Setzungen, Setzungsdifferenzen und horizontale Verschiebungen an den Eckpunkten bzw. den maßgebenden Stahlbetonbauteilen des Bauwerks (Auflagerbalken, Bestandsfundament) erkannt werden können. Mit Hilfe der geodätischen Messungen können die tatsächlich eingetretenen Verformungen direkt mit den prognostizierten Verformungen der zuvor geführten FEM-Berechnungen bzw. den prognostizierten Setzungen und Verdrehungen der Bauteile verglichen werden. Mittels der Inklinometermessungen in der KBE-Konstruktion kann die Setzungsverteilungen über ihren gesamten Längsschnitt festgestellt werden. Da die vorgesehenen Inklinometerrohre etwa 3 m länger als die KBE-Konstruktion sind, kann auch das unterschiedliche Setzungsbzw. Verformungsverhalten zwischen der KBE-Konstruktion und dem Hinterfüllbereich erfasst werden. Darüber hinaus können Größenordnung und Verteilung der Setzungen infolge der Lastausbreitung unterhalb der Auflagerbank bestimmt werden. Zur Vermeidung von Kollisionen und Zwängungen zwischen den Inklinometerrohren und der übrigen Messtechnik wurde entschieden, die Inklinometerrohre übereinander und statt in der Symmetrieachse (Stokkumer Straße) leicht versetzt dazu anzuordnen. Unterhalb der Auflagerbank wurden Erddruckgeber angeordnet, um Bodenspannungen zu messen. Um die maßgebenden Spannungen zu erfassen, werden Messgeber zur Aufnahme von vertikalen Spannungen direkt unter dem Punkt der Krafteinleitung - den Auflagerpunkten des Überbaus - angeordnet. Ziel der Messungen ist die Verifizierung der Lastausbreitung von der Auflagerbank in die KBE und ein entsprechender Vergleich mit dem für die Verformungsprognosen angesetzten bodenmechanischen Modell. Zur Verifizierung der Lastansätze des Überbaus soll zudem die Kraft am festen Auflagerpunkt des Brückenüberbaus mittels Kraftmessdosen ermittelt werden. Ziel dieser Messung ist es, die gemessenen Bodenspannungen und Geogitterspannungen mit den tatsächlich wirkenden Lasten aus dem Überbau in Deckung zu bringen. An ausgewählten Bewehrungslagen der KBE wurden Geogitterdehnungsaufnehmer (Wegaufnehmer) angebracht. Über die gemessenen Dehnungen der Geogitter kann auf die Zugkräfte in den Geogittern geschlossen werden. Die Messungen dienen somit zur Verifi-zierung der Größenordnung der Zugbeanspruchung einerseits und der aktiven/ passiven Bereiche der KBE andererseits. Aufgrund dessen wurden die Wegaufnehmer dort angeordnet, wo mit potentiellen Scherfugen gerechnet wird. Bild 9 zeigt exemplarisch einen Wegaufnehmer während der Installation auf dem Geogitter. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 135 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde Bild 9: Geogitterdehnungsaufnehmer der Fa. Glötzl während der Installation Die Messwerterfassung erfolgt mit Ausnahme der Inklinometermessungen und der geodätischen Messungen durch Aufzeichnungen und intervallmäßiges Auslesen der Messergebnisse vor Ort. Hierzu wurde seitlich des Widerlagers an der Vorsatzschale ein Messkasten angebracht, in dem die Leitungen der Erddruckgeber, der Geogitterdehnungsaufnehmer und der Kraftmessdose zusammenlaufen. Die Inklinometermessungen und geodätischen Messungen sind Stichtagsmessungen zu vorzugebenden Zeitpunkten. Die insgesamt 9 Messintervalle richten sich nach den Bauzuständen und die Nullmessungen nach dem jeweiligen Baufortschritt (Einbau des jeweiligen Messgebers). 36 Monate nach der Verkehrsfreigabe soll die letzte planmäßige Messung erfolgen. Kurzfristig nach dem Auslesen bzw. der jeweiligen Messwerterfassung werden die Messergebnisse einer Erstauswertung unterzogen, um beurteilen zu können, ob unerwartete Belastungs- oder Verformungszustände vorliegen. Darüber hinaus sollen die Messergebnisse hinsichtlich der Modellbildungen im Detail ausgewertet werden. 3.7 Erste Messergebnisse Die Messergebnisse der ersten sechs Messphasen (Nullmessung bis 5. Folgemessung mit Ausbaulasten ohne Verkehrslasten) werden zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung im Detail noch ausgewertet. Die geodätischen Messungen der an den seitlichen Wänden des Auflagerbalkens angeordneten Messmarken zeigen Verformungen im unteren Millimeter-Bereich und bestätigen zugleich die erwartete geringe Verdrehung der Auflagerbank in Richtung des Überbaus. Absolut fallen die Verformungen des Auflagerbalkens deutlich geringer aus als mittels FEM-Berechnungen prognostiziert. Anhand der Erstauswertung der Geogitterdehnungsaufnehmer konnten die in den Geogittern aktivierten Zugspannungen abgeleitet werden. Diese betragen mit wenigen kN/ m nur einen Bruchteil der Bemessungsfestigkeit der eingebauten Geogitter. Zusammenfassend kann zum jetzigen, frühen Stand der Auswertung davon ausgegangen werden, dass deutliche Tragreserven in der Konstruktion aus bewehrter Erde vorhanden sind. Alle gemessenen Verformungen befinden sich in einem für die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit verträglichen Maß. 4. Bauausführung 4.1 Widerlager Die Bauarbeiten im Bereich des Bestandsbauwerkes begannen mit den Rückbauarbeiten im Bereich des vorhandenen Wirtschaftsweges auf den Rampen und dem Freilegen des Brückenbauwerkes. Für die später erforderliche Aufstellfläche der Fertigteilverkleidung wurde die Fundamentverbreiterung erstellt. Am Wochenende ab dem 20.09.19 um 22.00 Uhr wurde das alte Spannbetonbauwerk bis auf die Bodenplatte der Widerlager in einer ersten Vollsperrung der BAB A3 abgerissen und das Abbruchmaterial von der Baustelle gefahren. Am Sonntagmittag konnte die Autobahn wieder für den Verkehr freigegeben werden. Gänzlich ohne Beeinträchtigung des Autobahnverkehrs wurde dann in der darauffolgenden Woche parallel an beiden Achsen mit der Erstellung der geogitterbewehrten Erdwiderlager begonnen (Bild 10). Bild 10: Parallele Herstellung der beiden Widerlager ohne Verkehrseinschränkung 136 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde Für die schnelle und reibungslose Ausführung wurden im Vorfeld in einem 1: 1 maßstäblichen Probefeld die Einbautechniken und Geräteeinsätze optimiert und das Personal geschult. Durch diese Maßnahmen konnten die erforderlichen Einbaulagen des geogitterbewehrten Erdkörpers innerhalb von nur einer Woche bis UK Auflagerbalken fertiggestellt werden. Mit den einzelnen Schüttlagen erfolgte die Baugrubenverfüllung. Im östlichen Widerlager musste mit der geogitterbewehrten Erde umfangreiche Messtechnik in unterschiedlichen Lagen für das spätere Monitoring der Konstruktion eingebaut werden. Bild 11: Teilfertiggestelltes Widerlager Oberhalb der KBE Konstruktion wurden dann die Stahlbetonauflagerbalken mit den Kammerwänden und den späteren Lagersockeln in Ortbetonbauweise errichtet. Auch diese Arbeiten wurden parallel an beiden Achsen durchgeführt. Es folgte die Montage der dahinterliegenden Winkelstützelemente, die als Flügelersatz dienen. Diese Arbeiten nahmen ein Zeitfenster von ca. einem Monat in Anspruch. Danach wurden die hinter dem Auflagerbalken liegenden Bereiche der geogitterbewehrten Erde aufgebaut und die Baugruben weiter verfüllt. Währenddessen wurde auch die unabhängig vor dem Erdwiderlager stehende Betonvorsatzschale aus Stahlbetonfertigteilen als Widerlagerverkleidung an beiden Seiten der Autobahn montiert, die Gabionen im Flügelbereich aufgestellt, verfüllt und die Bauwerksausstattung (Entwässerungsrinne und Böschungstreppen) komplettiert. Bild 12: Herstellung der bewehrten Erde hinter dem Widerlagerbalken 4.2 Überbau Die Arbeiten an dem aus zwei Stahlhohlkästen bestehenden Stahlverbundüberbau begannen Anfang August mit der Sperrung des zum Brückenbauwerk nahegelegenen Autobahnparkplatzes „Hohe Heide“. Nach einigen vorbereitenden Tätigkeiten wurde hier das Traggerüst für die Herstellung des Überbaus aufgebaut. Mit der Anlieferung und dem Ablegen der Stahlhohlkästen auf den Stütztürmen und dem Aufbau der Schalung für die Verbundbetonplatte wurden die Leistungen fortgeführt. Es folgten der Einbau der Bewehrung für die Fahrbahnplatte und der Endquerträger. Die Lager wurden ebenso schon im Bereich der Endquerträger montiert, wie auch die Fahrbahnübergangskonstruktion an einem Überbauende eingebaut wurde. Die Fertigung des Überbaus erfolgte somit ganz konventionell, lediglich räumlich versetzt zum späteren Brückenbauwerk. Die weiteren Arbeitsschritte waren also das Aufbringen der Abdichtung, die Herstellung der Kappen samt Geländer und das Aufbringen der Schutzschicht. Wichtig für die korrekte und passgenaue Herstellung des Überbaus waren die korrekten Vorgaben der Verformungen in den unterschiedlichen Bauzuständen, die damit im Zusammenhang stehenden Bauteilabmessungen und die sorgfältige Bauvermessung, damit der Überbau auch später in der Endlage zwischen die Widerlager passt. 4.3 Transport Während der Planungsphase der Bauausführung spielte das später für das Einfahren des Überbaus nötige Transportkonzept eine wesentliche Rolle. Der sehr weiche Stahlverbundüberbau muss die aus den unterschiedlichen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 137 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde Transportu. Lagerungszuständen auftretenden Belastungen schadensfrei überstehen. Daher musste das Transportkonzept frühzeitig festgelegt werden, damit diese Angaben in der Statik berücksichtigt werden konnten. Bild 13: Anheben des Überbaus auf Endhöhe mittels Hubgerüst Die Herstellung des ca. 400 Tonnen schweren Überbaus auf dem Parkplatz in Endhöhe hätte ein sehr hohes Traggerüst erfordert und unnötige Schwierigkeiten bei der Andienung des Bauteils mit allen erforderlichen Baustoffen verursacht und die Zugänglichkeit für die Arbeiter verkompliziert. Daher sah das Konzept vor, den Überbau auf einem tiefliegenden Traggerüst herzustellen, das fertige Bauteil mit einem Hubgerüst unter den Endquerträgern auf Einbauhöhe anzuheben in der dann die Übernahme auf die SPMTs erfolgt. Die Anordnung der SPMTs für den darauffolgenden Längstransport konzentriert sich in den Drittelspunkten des Überbaus mit frei auskragenden Endquerträgern. Diese unterschiedlichen Verformungen mussten planerisch in der Statik ebenso abgesichert und berücksichtigt werden wie Setzungsdifferenzen in den Auflagerpunkten während der Fahrt. Durch mehrere gekoppelte Hydraulikkreise konnte für den Längstransport eine statisch bestimmte Lagerung erreicht werden (siehe auch 2.3). Nur zwei Monate nach dem Brückenabbruch konnte der komplette Überbau in einem Stück in Endlage eingefahren werden. Dazu wurde am Vortag der zweiten Vollsperrung der BAB A3 der Überbau mit dem Hubgerüst angehoben und auf den SPMTs abgesetzt. In der Nacht wurde dann die Mittelstreifenüberfahrt für das Einfahren in Endlage hergestellt. Am Samstagmorgen des 23.11.19 wurde in nur ca. 5 Stunden der Längstransport der Brücke über ca. 500 m und das Einfahren in Endlage erfolgreich durchgeführt. Der Überbau wurde auf temporären Absetzstapeln und Hydraulikpressen abgesetzt. In diesem Zustand konnten die vorbereiteten Lagersockel und die Lager vergossen werden. Es folgten die Rückbauarbeiten an der Mittelstreifenüberfahrt, bevor dann die Autobahn am Sonntagmorgen wieder freigegeben werden konnte. Bild 14: Brückenüberbau während des Transportes Nachfolgend zum Einfahren des Überbaus wurden dann die letzten Arbeiten an der Übergangskonstruktion durchgeführt und der Straßenbau des Wirtschaftsweges komplettiert, so dass die Maßnahme innerhalb der 80 Tage-Vorgabe erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Bild 15: Brückenüberbau beim Einheben Die Heitkamp Brückenbau GmbH hat die Bauweise patentrechtlich geschützt und als Marke unter „Heitkamp Schnellbaubrücke“ eintragen lassen. 5. Projektbeteiligte Bauherr: Straßen.NRW, ANL Krefeld Baufirma: Heitkamp Brückenbau GmbH Planung Bauwerk: Thomas & Bökamp Ingenieurgesellschaft mbH Planung bewehrte Erde: IBH - Herold & Partner Ingenieure Part mbB Geotechnischer Prüfer: Prof. Dr.-Ing. Dietmar Placzek, c/ o ELE Beratende Ingenieure GmbH, Essen Bautechnische Prüfung: Dr.-Ing. Renato Eusani Messtechnik: Fachhochschule Münster BIM Begleitung: TU Dortmund 138 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Pilotbrücke „Stokkumer Straße“: Ein innovatives Bauwerk mit Brückenwiderlagern aus geokunststoffbewehrter Erde 6. Literaturverzeichnis [1] Handout Infrastrukturpaket, 08. Mai 2018, Ministerium für Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen [2] Vidal, H.: Die bewehrte Erde. Annales de l’Institut Technique du Batiment et des Travaux Publics, Supplément au no. 299, Nov. 1972. [3] Herold, A.: Das erste Straßenbrückenwiderlager in Deutschland als Permanentkonstruktion in der Bauweise KBE-Kunststoffbewehrter Erde. In: Floss, R. (Hrsg.): Tagungsband der 7. Informa-tions- und Vortragstagung über „Kunststoffe in der Geotechnik“ (KGEO), März 2001, München, Sonderheft der Zeitschrift Geotechnik der DGGT, 2001, S.113- 119. [4] DIN EN 1997-1: 2014-03: Eurocode 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik- Teil 1: Allgemeine Regeln. Beuth Verlag, Berlin. [5] DIN 1054/ A2: 2015-11: Baugrund - Sicherheitsnachweise im Erd- und Grundbau - Ergänzende Regelungen zu DIN EN 1997-1; Änderung 2. Beuth Verlag, Berlin. [6] DIN 4084: 2009-01: Baugrund - Geländebruchberechnungen. Beuth Verlag, Berlin. [7] EBEGO (2010): Empfehlungen für den Bau und die Berechnung von Erdkörpern mit Bewehrungen aus Geokunststoffen, Deutsche Gesellschaft für Geotechnik, 2. Auflage, Ernst und Sohn, Berlin, 2010. [8] Allen, T.M.; Bathurst, R.J. und Berg, R.R.: Global level of safety and performance of geosynthetic walls: An historical perspective. Geosynthetics International 9 (5-6): 395-450, 2002. [9] Crouse, P.E.; Wu, J.T.H.: Long-Term Field Per-formance of Geosynthetic-Reinforced Soil Retaining Walls; Center for Mechanically Stabilized Backfill Research University of Colorado at Denver; Report No. CDOT-DTD-97-12, May 1996. [10] Bathurst, R.J.: Challenges an recent progress in the analysis, design and modelling of geosynthetic reinforced soil walls. In: Ziegler, M.; Bräu, G.; Heerten, G.; Laackmann, K. (Hrsg.): Tagungs-band der 10th ICG, Giroud Lecture auf der Inter-national Conference on Geosynthetics, 21. - 25.9. 2014 in Berlin, Deutsche Gesellschaft für Geo-technik e.V. (DGGT), ISBN 978-3-9813953-9-6, 2014, Paper 235. [11] Hangen, H.: Review ausgewählter Beiträge der 10th ICG - Geokunststoffbewehrte Gründungspolster auf vertikalen Traggliedern, Bewehrte Stützkonstruktionen, Interaktion Geogitter - Boden. In: Ziegler, M. (Hrsg.): Tagungsband der 15. FS-KGeo. 26.3.2015 in München, Deutsche Gesellschaft für Geotechnik DGGT, 2016, S. 11-16. [12] Alexiew, D.: Belastungsversuche an einem 1: 1 Modell eines geogitterbewehrten Brückenwider-lagers. In: Katzenbach, R. (Hrsg.): Tagungsband des 14. Darmstädter Geotechnik-Kolloquiums. März 2007, Mitteilungen des Institutes und der Versuchsanstalt für Geotechnik der Technischen Universität Darmstadt, Heft Nr. 76, 2007, 205-218. [13] Alexiew, D., Detert, O.: Analytical and Numerical Analyses of a Real Scaled Geogrid Reinforced Bridge Abutment Loading Test. In: Dixon, N. (Hrsg.): Proceedings of the 4th European Geo-synthetics Conference, Edinburgh, UK, Septem-ber 2008. [14] Bräu, G., Bauer, A.: Versuche im Boden mit gering dehnbaren Geogittern. In: Floss, R. (Hrsg.): Tagungsband der 7. Informations- und Vortragstagung über „Kunststoffe in der Geotechnik“ (KGEO), März 2001, München, Sonderheft der Zeitschrift Geotechik der DGGT, 2001, S.139-146. [15] Hangen, H., Bordbar, E.: Umsetzung geokunststoffbewehrter Stützkonstruktionen im Rahmen des Großprojektes Buitenring Parkstad. In: Vogt, C. & Moormann, C. (2018, Hrsg.): Tagungshandbuch zum 11. Kolloquium „Bauen in Boden und Fels“ der TA Esslingen, 16. und 17. Januar 2018, S. 193- 199 (Technische Akademie Esslingen). Nachrechnung/ Nachweisverfahren 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 141 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen Dipl.-Ing. Dr.techn. Tobias Huber TU Wien, Institut für Tragkonstruktionen, Wien, Österreich o. Univ.Prof. Dr. Ing. Johann Kollegger TU Wien, Institut für Tragkonstruktionen, Wien, Österreich Dipl.-Ing. Dr. techn. Patrick Huber FCP Fritsch, Chiari & Partner ZT GmbH, Wien, Österreich Zusammenfassung Die historische Ausführungsform der aufgebogenen Längsstäbe zur Schubsicherung ist nach den heutigen Regelwerken nur bedingt vorgesehen. Bei der Bewertung von bestehenden Tragwerken steht der Ingenieur daher vor der Herausforderung, dass die Anwendung der Querkraftmodelle nach Eurocode 2 aufgrund von konstruktiven Regeln in vielen Fällen nicht möglich ist. An der TU Wien wurde auf Basis großformatiger Belastungsversuche ein Nachweiskonzept entwickelt, welches eine realistische Bewertung dieser Situation ermöglicht. Das Modell des potentiellen Schubrisses (PSC-Modell) wird in diesem Beitrag anhand der Nachrechnung einer realen Stahlbetonplattenbrücke erläutert und die Vorteile in der Bestandsbewertung werden dabei aufgezeigt. Die neuen Erkenntnisse werden bereits in der neuen ÖNORM B4002-8 zur Bewertung der Tragfähigkeit bestehender Tragwerke berücksichtigt, wodurch ein Bogen der universitären Forschung in die Anwenderpraxis gespannt wurde. 1. Einleitung Die Anwendung der aktuellen Stahlbetonnormen [1,2] bei bestehenden Spann- und Stahlbetonbrücken birgt mitunter Probleme bei der Nachweisführung gegenüber Querkraftbeanspruchung. Diese Problematik wurde bereits in verschiedenen Arbeiten aufgezeigt [3-5] und es wird nach Möglichkeiten gestrebt, die Situation realistischer bewerten zu können. In den letzten Jahren wurde daher mit neu entwickelten Modellen für die Nachrechnung von Spannbetonbrücken [6-9], aber auch für breitere Anwendungen [8,9] reagiert. Die historische Bauweise der aufgebogenen Längsstäbe wurde im Zuge der Nachrechnungsproblematik in einem wissenschaftlichen Kontext nie genauer betrachtet, obwohl die Relevanz groß ist. In Österreich gelten neben den nur schwach querkraftbewehrten Stegen von Spannbetonbrücken insbesondere Stahlbetonplatten, welche unbewehrt oder mit aufgebogenen Längsstäben bewehrt sind aufgrund der Normenentwicklung als potentiell querkraftgefährdet [5]. In Deutschland zeigten exemplarisch durchgeführte Nachrechnungen von 27 Plattenbrücken aus Stahlbeton in [4], dass für rund ein Drittel der Brücken keine positiven Querkraftnachweise trotz der Anwendung der Nachrechnungsrichtlinie für bestehende Brückenbauten [10] erbracht werden können. Die Gründe hierfür liegen einerseits in der Tatsache, dass zur Bauzeit aufgrund der höheren normativen Querkraftwiderstände für Beton zum Teil schlichtweg keine Querkraftbewehrung eingebaut wurde und andererseits können die heutigen normativen Anforderungen an die Bewehrungsführung nicht erfüllt werden [4]. Der zweite Teil des Eurocode 2 (EC2) für die Bemessung im Brückenbau [1] übernimmt im Wesentlichen die Regelungen des Hochbaus bezüglich Querkraft, welche nachfolgend anhand der DIN-Reihe beschrieben werden. Generell wird zur Anwendung der Bemessungsregeln ein Mindestwert der bezogenen Rippenfläche vorausgesetzt, weshalb die Modelle für glatten Stahl nicht anwendbar sind. Bei Brücken mit Bewehrung der Klasse St I oder Torstahl ist somit ein Nachweis nur mit Hilfe der Nachrechnungsregelwerke [10, 11] möglich. Nach EC2 wird strikt zwischen Bauteilen mit und ohne rechnerisch erforderlicher Querkraftbewehrung unterschieden, wobei hier der Querkraftwiderstand des Betons V Rd,c das Kriterium ist (Gl. 1). (1) 142 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen mit dem Vorfaktor C Rk,c (0,15 nach [2]), dem Teilsicherheitsbeiwert für Beton γ c , dem Maßstabsfaktor k = 1+(200/ d [mm]) 1/ 2 , dem Bewehrungsgrad der Längsbewehrung ρ l ≤ 0,02, der charakteristischen Betondruckfestigkeit f ck , dem Faktor zur Berücksichtigung einer Normalkraft k 1 (0,12 nach [2]), der Normalspannung aufgrund einer Normalkraft σ cp , der geringsten Breite des Querschnitts b w und der statischen Nutzhöhe d. Sobald dieser Grenzwert überschritten wird, ist in der Regel im ganzen Bauteil, außer bei Platten (b/ h > 5 nach [2]) zumindest eine Mindestquerkraftbewehrung vorzusehen. Die Querkraftbewehrung kann im Brückenbau [2] mit unterschiedlichen Bewehrungselementen bewerkstelligt werden: Bügel, welche die Längszugbewehrung und die Druckzone umfassen, aufgebogene Stäbe sowie eine Kombination von beiden. Querkraftzulagen in Form von einschnitten Bügeln mit Haken oder Bügelkörben. Mindestens 50 % der Querkraft müssen jedoch von konventionellen Bügeln übernommen werden. Die genannten Regelungen lassen damit keine Anrechnung von aufgebogener Längsbewehrung zu, wenn diese alleine und nur an den Auflagern vorgesehen wurde. Im Zuge der Bemessung von Stahlbetonplatten kann bei geringer Ausnützung der Druckstrebentragfähigkeit V Rd,max (V Ed ≤ 1/ 3∙V Rd,max ) auch nach aktueller Normenlage die gesamte Querkraftbewehrung aus aufgebogenen Längsstäben bestehen. Diese sind ausreichend zu verankern (0,7∙l bd in der Druckzone, bzw. 1,3∙l bd in der Zugzone). Zur Berechnung des Querkraftwiderstands der Bewehrung V Rd,s wird kein eigenes Berechnungsmodell angegeben, womit lediglich das Fachwerkmodell mit Rissreibung herangezogen werden kann. Im EC2 [ 1 ] ist dafür folgende Formel vorgesehen (Gl. 2). (2) mit der Fläche der Querkraftbewehrung A sw , dem horizontalen Abstand der Bewehrungselemente s, dem Bemessungswert der Streckgrenze der Schubbewehrung f ywd , dem innerem Hebelarm z, dem Druckstrebenwinkel θ, dem Abminderungsfaktor der Festigkeit aufgrund von geneigten Rissen ν 1 , dem Beiwert zur Berücksichtigung der Vorspannung α cw , und der Neigung der Schubbewehrung bezogen auf die Bauteilachse α. Der Druckstrebenwinkel θ kann nach [ 2 ] in folgenden Grenzen gewählt werden (Gl. 3). (3) Der maximale Abstand s b für aufgebogene Längsstäbe soll kleiner als die statische Nutzhöhe d sein (s b ≤ d). So ist das Modell bei häufig vorkommenden größeren Abständen der Aufbiegungen oder bei unzureichender Verankerung der Stäbe ebenso nicht anwendbar. Zusammenfassend können folgende Probleme hinsichtlich der Nachrechnung von Stahlbetonplattenbrücken mit aufgebogenen Längsstäben angeführt werden: - Vorhandensein glatter Bewehrung - Bügelanteil kleiner als 50 % der gesamten Querkraftbewehrung - Keine Mindestquerkraftbewehrung im gesamten Bauteil (unbewehrte Bereiche) bei Balken - Zu große vorhandene Abstände der aufgebogenen Längsstäbe - Zu geringe Verankerung der Stäbe Um diesen Umständen gerecht zu werden, wird in diesem Beitrag ein Nachweiskonzept vorgestellt, welches die Nachrechnung von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen ermöglichen soll [13,14,15]. Das Potential des vorgestellten Modells wird anhand der Nachrechnung einer realen Stahlbetonplattenbrücke aufgezeigt. Das vorgestellte Modell bildet die Grundlage für die Formulierungen in der neuen ÖNORM B4008-2: Bewertung der Tragfähigkeit bestehender Tragwerke - Teil 2: Brückenbau [11]. 2. Querkraftmodell für Bauteile mit Aufbiegungen 2.1 Querkraftwiderstand Angrenzend an den Nachweisschnitt A-A wird ein Schubriss mit einem Winkel β cr konstruiert (Bild 1). Bewehrungsstäbe, welche innerhalb der Risslänge l cr von dem Schubriss gekreuzt werden, können in Abhängigkeit der vorhandenen Verankerungslänge bis zur Spannung σ sd,i belastet werden. Durch das Aufsummieren der vertikalen Anteile ergibt sich der Stahltraganteil V Rd,s . Zusätzlich kann ein Betontraganteil V Rd,c berücksichtigt werden. Wird kein Bewehrungsstab in der schrägen Länge gekreuzt, ist der Querkraftwiderstand für Beton ohne rechnerisch erforderlicher Querkraftbewehrung V Rd,c anzusetzen. Bild 1: Berechnung des Querkraftwiderstands in einem potentiellen Schubriss 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 143 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen Die Risslänge l cr kennzeichnet jenen Bereich im potentiellen Schubriss, in welchem Bewehrungsstäbe aktiviert werden können und wird mit Gleichung (4) ermittelt. Der innere Hebelarm darf vereinfacht mit z = 0,9∙d berechnet werden. Die Rissneigung β cr beträgt 45° und kann auf 36° abgemindert werden, wenn in einem Nachweisschnitt A-A in Bild 1 eine gerippte Aufbiegung geschnitten wird oder eine Mindestbügelbewehrung nach [ 1 ] vorhanden ist. (4) mit dem inneren Hebelarm z und dem Winkel β cr zwischen der Rissebene und der Schwerachse der Platte oder des Balkens. Der Querkraftwiderstand V Rd in einem potentiellen Schubriss wird mit Gl. (5) ermittelt. (5) mit dem Querkraftwiderstand der Stahleinlagen V Rd,s , dem Querkraftwiderstand des Betons V Rd,c und dem Interaktionsfaktor k i . Der Querkraftwiderstand der Stahleinlagen V Rd,s kann nach Gleichung (6) ermittelt werden. (6) und mit der Querschnittsfläche des Bewehrungsstabs A s,i , dem Bemessungswert der Stahlspannung eines Bewehrungsstabs σ sd,i , dem Winkel zwischen der Achse eines Bewehrungsstabs und der Schwerachse der Platte oder des Balkens αi, dem Bemessungswert der Streckgrenze eines Bewehrungsstabs f yd,i , der vorhandenen Verankerungslänge eines Bewehrungsstabs im Beton l b,eff nach Bild 1und dem Bemessungswert der Verankerungslänge l bd . Für Stäbe, welche die Mindestanforderungen an die bezogene Rippenfläche f R nach EC2 [1] erfüllen, kann der Bemessungswert der Verankerungslänge l bd nach EC2 [1] ermittelt werden. Für andere Stäbe können diese Werte vereinfacht mit dem Faktor 2,25 multipliziert werden (glatter Betonstahl). Alternativ dazu kann die Verankerungslänge mit anderen rechnerischen oder experimentellen Verfahren ermittelt werden, wenn diese die tatsächlichen Verbundeigenschaften des verwendeten Stahls besser abbilden können. Zur Vermeidung einer Spaltung in Längsrichtung ist bei aufgebogenen Längsstäben die Einhaltung der Mindestbiegeradien zu kontrollieren, welche sich unter Berücksichtigung der Mindestbiegerollendurchmesser nach EC2 [1] ergeben. Bei Einhaltung der historischen normativen Regelungen in der Bauausführung, sollte dies gewährleistet sein [15]. Der Querkraftwiderstand des Betons V Rd,c kann nach Gleichung (7) ermittelt werden. (7) mit dem Teilsicherheitsfaktor für Beton γ c , der Bauteilbreite b w [mm], der statischen Nutzhöhe d [mm], dem Längsbewehrungsgrad ρ an der Schnittstelle des Schubrisses mit der Längsbewehrung nach Bild 1 der charakteristischen Druckfestigkeit f ck , dem Beiwert zur Berücksichtigung der Rauigkeit im Schubriss d dg = 16+d g < 40 wobei der maximale Korndurchmesser d g [mm] für höherfeste Betone aufgrund von Kornbruch (f c > 60 MPa) mit d g ·(f c / 60) 2 abzumindern ist. Der Interaktionsfaktor k i zur Überlagerung der Stahltragwirkung V Rd,s mit einer Betontragwirkung V Rd,c ist bei Verwendung von Stäben, welche die Mindestanforderungen an die bezogene Rippenfläche f R nach EC2 [2] erfüllen mit Gl. (8) zu ermitteln. (8) Für Stäbe mit geringeren Werten der bezogenen Rippenfläche (Glatte Stäbe, Torstahl) ist der Beiwert k i = 0,0 zu setzen. 2.2 Nachweisführung Für jeden Nachweisschnitt A-A in Bild 1 und Bild 2 wird der Schubriss (A-B) entsprechend der vorhandenen Querkraftbewehrung im Schnitt A-A konstruiert (β cr , l cr ). In jedem Nachweisschnitt wird der Widerstand V Rd,s der Stahleinlagen (Gl. 6) und des Betons V Rd,c (Gl. 7) ermittelt. Die Querkraftdeckungslinie (siehe Bild 2) ergibt sich aus den entlang einer Platte oder eines Balkens ermittelten Widerständen unter Beachtung von Gleichung (5). Die Bemessungsquerkraft muss nicht näher als im Abstand l cr vom Auflager nachgewiesen werden. Zusätzlich ist nachzuweisen, dass die Querkraft am Auflager die Tragfähigkeit der Druckstrebe V Rd,max nach EC2 [1] bzw. an den Aufbiegepunkten 1/ 3∙V Rd,max nicht überschreitet. Für den Druckstrebenwinkel θ ist der Risswinkel β cr einzusetzen. 144 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen 3. Modellanwendung bei der Nachrechnung einer bestehenden Stahlbetonbrücke 3.1 Bauwerksbeschreibung Das Brückenobjekt besteht aus zwei getrennt hergestellten Überbauten, welche als Plattenbrücken im Jahr 1979 ausgeführt wurden. Das Einfeldsystem weist eine Stützweite von 10,75 m auf und der Querschnitt ist konstant 75 cm hoch (Bild 3). Die Tragwerke haben an der Plattenunterseite eine Plattenbreite von b = 4,89 m, welche nach oben hin einseitig breiter wird. Die ursprüngliche Querkraftbemessung erfolgte auf Basis des schweren Lastentzug „S-Zug“ nach [16] und es sind lediglich Aufbiegungen am Auflagerrand ausgeführt worden. Der Nachweis wird für einen Plattenstreifen mit einer Breite von 1,0 m geführt. Das Tragwerk wurde mit einer Betongüte B400 hergestellt. Dies entspricht in Anlehnung an die ÖNORM B4008-2 [11] in etwa einer Betongüte C25/ 30 nach EC2. Als Bewehrungsstahl wurde Rippentorstahl 50 verwendet. Bild 2: Ermittlung der Querkraftdeckungslinie durch das Verschieben des Schubrisses entlang einer Platte oder eines Balkens Tabelle 1: Materialkennwerte der verwendeten Baustoffe nach ÖNORM B4008-2 Baustoff Druck Zug E-Modul [-] [MPa] [MPa] [kN/ mm²] Beton B400 f ck = 26,4 f ctk,0.05 = 1,9 E cm = 31,9 Rippentorstahl 50 f yk = 500,0 E s = 205,0 Die Querkraftbewehrung im unmittelbaren Auflagerbereich besteht aus zwei Reihen von aufgebogenen Längsstäben (jeweils Ø30/ 360 mm, Bild 3). Für den Plattenstreifen können daher 2,78 aufgebogene Stäbe je Meter berücksichtigt werden. Zusätzlich wurden Ø30/ 180 mm durchgehend verlegt. Der untere Biegepunkt der ersten Reihe ist 1,22 m von der Auflagerachse entfernt, während der Abstand der Aufbiegungen untereinander 0,87 m beträgt (ρ w ≈ 0,16 %). Dieser ist somit höher als die statische Nutzhöhe von ca. 0,7 m, weshalb beim Querkraftnachweis nach EC2 nur der Betonwiderstand nach (Gl. 1) angesetzt werden kann (siehe Abschnitt 1 Eine zusätzliche Bügelbewehrung ist nicht vorhanden. In Querrichtung wurde eine Bewehrung Ø16/ 125 mm angeordnet, welche oberhalb der Hauptbewehrung liegt. Hier wurde ebenfalls jeder zweite Stab aufgebogen. Ein Bewehrungsnetz an der Plattenoberseite ist zudem vorhanden (längs: Ø16/ 170 mm, quer: Ø10/ 200 mm). 3.2 Einwirkung Die Ermittlung der Schnittgrößen erfolgt mit Hilfe einer Excel-Berechnung, wobei die Belastung vereinfachend über die gesamte Plattenbreite gemittelt wurde. Die ständigen Lasten wurden dabei gemäß Originalplänen ermittelt und die spezifischen Wichten nach Eurocode angesetzt. Diese Lasten beinhalteten das Eigengewicht der Konstruktion sowie die Ausbaulasten aufgrund des Schotterbetts, des Randbalkens, der Geländer sowie der Kabeltrasse. Im Rahmen dieser Beurteilung wurde das Lastmodell 71 [17] einschließlich des anzusetzenden Laststeigerungsfaktors α = 1,21 für den Neubau angesetzt. Die einwirkenden Lasten wurden zudem mit dem dynamischen Faktor vergrößert, welcher für Gleise mit sorgfältiger Instandhaltung ermittelt wurde. Zudem wur- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 145 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen de die nach [17] zulässige gleichmäßige Verteilung der Einzellasten des Lastmodells 71 angewendet, um einen günstigeren Querkraftverlauf zu erzielen. Bild 4 zeigt den Querkraftverlauf für die Umhüllende aus ständigen und veränderlichen Lasten (rote Linie). 3.3 Widerstand nach dem PSC-Modell Nachfolgend wird exemplarisch der Widerstand nach PSC-Modell (Abschnitt 2) für die Querkraftdeckungslinie in Bild 4 für drei Punkte ermittelt. Zu Beginn wird überprüft, in welchen Nachweisschnitten A-A aufgebogene Längsstäbe geschnitten wird. In all diesen Querschnitten darf die idealisierte Rissneigung des potentiellen Schubrisses auf 36° abgemindert werden, wenn gerippter Betonstahl verwendet wird. Anschließend werden die potentiellen Schubrisse mit ihrer idealisierten Rissneigung für jeden Schnitt konstruiert (Beispiel Schnitt A-B in Bild 1). Der Fußpunkt liegt auf der Schwerachse der Bewehrung, während der Kopfpunkt am unteren Ende der Druckzone (d c ≈ 0,8·z = 0,72·d) liegt. Eine zur Schwerachse um die Rissneigung β cr geneigte Linie kennzeichnet nun den schrägen Part des potentiellen Schubrisses, welcher zum jeweiligen Nachweisschnitt A-A gehört. Dadurch kann zugleich die äußerste Nachweisstelle ermittelt werden. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass der potentielle Schubriss durch den Rand der Auflagerplatte verläuft. Für die konstruierte schräge Linie (potentieller Schubriss) werden alle von der geneigten Linie geschnittenen Reihen von Bewehrungselementen (aufgebogene Längsstäbe und Bügel) zur Ermittlung des Querkraftwiderstands herangezogen. Für die Platte ergeben sich nun drei wesentliche Bereiche: Bereiche in dem keine, ein oder zwei aufgebogene Längsstäbe vom potentiellen Schubriss geschnitten werden. Bild 3: Beispielbrücke: (a) Querschnitt inkl. Randbalken und Aufbauten, (b) System in Längsrichtung, Details zur Querkraftbewehrung 146 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen 3.3.1 Bereiche, in denen keine aufgebogenen Längsstäbe vom potentiellen Schubriss geschnitten werden Im Bereich zwischen Schnitt 0, rechts in Bild 4 kann nach Gl. (5) lediglich der Betonwiderstand angesetzt werden (Gl. 7). In allen anderen Bereichen muss ebenfalls der Betonwiderstand berechnet werden, um den Gesamtwiderstand nach Gl. (5) zu ermitteln. Zu beachten ist, dass der Längsbewehrungsgrad, und somit der Querkraftwiderstand des Betons in Richtung des Auflagers, nach jeder Aufbiegung abnimmt. Der Querkraftwiderstand des Betons für verschiedene Bereiche ergibt sich zu: 3.3.2 Bereiche, in denen eine einzelne Reihe aufgebogener Längsstäbe mit unterschiedlicher Neigung βcr des potentiellen Schubrisses geschnitten wird Im Bereich zwischen Schnitt 0 und 1 bzw. 2 und 3 in Bild 4 werden die Traganteile von Beton und Stahl kombiniert und die Ermittlung der Querkraftwiderstands erfolgt nach Gl. (5). Da gerippter Bewehrungsstahl verwendet wird, kann der Interaktionsfaktor k i für jede Stelle gemäß Gl. (8) ermittelt werden. Die Komponente des Querkraftwiderstands der Bewehrung ergibt sich zu: mit mit mit Der Bemessungswert der Verankerungslänge l bd zur Ermittlung des anrechenbaren Bemessungswerts der Stahlspannung σ sd ist nach EC2 zu ermitteln. Da ein aufgebogener Längsstab zur Stabachse um den Winkel α i = 45° geneigt ist, kann Verbundbereich 1 bei der Ermittlung von η 1 in Rechnung gestellt werden. Der Beiwert η 2 ist 1,0 für Stäbe mit einem Durchmesser ϕ ≤ 32 mm. mit Der Gesamtwiderstand ergibt sich somit zu: mit mit mit 3.3.3 Bereiche, in denen zwei Reihen von aufgebogenen Längsstäben unter dem Winkel βcr = 36° geschnitten werden Im Bereich zwischen Schnitt 1 und 2 in Bild 4 werden die Traganteile von Beton und Stahl kombiniert und die Ermittlung des Querkraftwiderstands erfolgt ebenfalls nach Gl. (9). Der Interaktionsfaktor wird durch die im Vergleich zum Betontraganteil größeren Stahlanteile geringer. mit mit Der Gesamtwiderstand ergibt sich somit zu: mit 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 147 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen mit Bild 4: Berechnung des Querkraftwiderstands nach dem PSC-Modell 3.4 Beurteilung Bild 4 zeigt einen Vergleich des Querkraftwiderstands V Rd nach dem PSC-Modell (Schwarz) mit der einwirkenden Querkraft V Ed (Rot). Bei Ermittlung des Querkraftwiderstands nach EC2 ergibt sich ein rechnerisches Defizit im Auflagerbereich. Trotz des Vorhandenseins von aufgebogenen Längsstäben, kann lediglich der Betonwiderstand nach Gl. (1) angesetzt werden, da die zulässigen Abstände zwischen den Aufbiegungen nicht eingehalten werden. Während für dieses Brückenobjekt nach einer Beurteilung gemäß EC2 eine wirtschaftlich fragwürdige und aufwändige Schubverstärkung erforderlich wäre oder eine entsprechende Maßnahme für die Nutzung getätigt werden müsste, kann basierend auf dem in Abschnitt 2 erläuterten Nachweismodells eine ausreichende Querkrafttragfähigkeit V Rd bescheinigt werden (siehe Bild 4). Die Kombination der Tragmechanismen von Beton und Stahl (eine Reihe aufgebogener Längsstäbe) liefert die fehlende Schubtragfähigkeit zur Erfüllung des Nachweises im Auflagerbereich. Nur in einem kleinen Bereich können beide Reihen von aufgebogenen Längsstäben zum Nachweis angesetzt werden (1,60 ≤ x ≤ 1,90 in Bild 4). 4. Zusammenfassung In diesem Beitrag wurde das normative Modell des potentiellen Schubrisses zur Ermittlung des Querkraftwiderstands von Balken und Platten mit Aufbiegungen vorgestellt. Der potentielle Schubriss wird grafisch konstruiert und teilt das Bauteil gedanklich in zwei Hälften. Der Querkraftwiderstand wird auf Basis eines vertikalen Kräftegleichgewichts am Schnittufer dieses Schubrisses ermittelt. Je nachdem ob innerhalb des schrägen Rissufers eine Bewehrungsstab geschnitten wird, ergeben sich querkraftbewehrte und -unbewehrte Bereiche, wobei für jeden Bereich ein eigenes Modell angewendet wird. Für Bereiche ohne Bewehrungsstäbe wird ein bestehender Ansatz verwendet, welcher an der EPFL Lausanne entwickelt wurde und die Grundlage für die Neufassung des Eurocode 2 bildet. Für Bereiche mit Bewehrungsstäben wurde dieser dehnungsbasierte Modellansatz erweitert, und eine Überlagerung eines Stahltraganteils mit dem Betontraganteil abgeleitet. Die statische Nachrechnung einer Plattenbrücke mit Aufbiegungen zeigt zudem das Potenzial des hergeleiteten Ansatzes auf. Während eine Beurteilung der Querkrafttragfähigkeit nach dem aktuellen Normenstand Eurocode 2 eine aufwändige Ertüchtigung ergeben würde, kann die Schubtragfähigkeit auf Basis der vorgeschlagenen Berechnungsmodelle am Auflager nachgewiesen werden. Zum jetzigen Zeitpunkt konnte dieser Ansatz aufgrund fehlender experimenteller Untersuchungen nur anhand von Schubversuchen mit gerippten Stäben verifiziert werden. Im nächsten Schritt soll das Berechnungsmodell auch für die häufig verwendeten glatten Stäbe erweitert werden. Danksagung Diesem Artikel liegen Teile des im Auftrag der ÖBB- Infrastruktur AG durchgeführten Forschungsprojekts „Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken aus dem Zeitraum 1950 bis 1990“ zugrunde. Den Auftraggebern wird für deren finanzielle Unterstützung und die produktive Zusammenarbeit im Rahmen dieses Forschungsvorhabens gedankt. 148 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen Literatur [1] DIN EN 1992-2: Eurocode 2 - Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln. DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin, Ausgabe April 2013. [2] DIN EN 1992-2/ NA: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln. DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin, Ausgabe April 2013. [3] Hegger, J., Karakas, A., Pelke, E., Schölch, U.: Zu Querkraftgefährdung bestehender Spannbetonbrücken Teil 1: Grundlagen. In: Beton- und Stahlbetonbau 104 (2009), Heft 11, S. 737 - 746. [4] Fischer, O., Müller, A., Lechner, T., Wild, M., Kessner, K.: Ergebnisse und Erkenntnisse zu durchgeführten Nachrechnungen von Betonbrücken in Deutschland. In: Beton- und Stahlbetonbau 109 (2015), Heft 2, S. 107 - 127. [5] Huber, P.: Beurteilung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Stahlbeton- und Spannbetonbrücken. Dissertation, TU Wien, Fakultät Bauingenieurwesen, 2016. [6] Gleich, P., Kattenstedt, S., Maurer, R.: Erweitertes Druckbogenmodell für die Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von Stahl- und Spannbetonbalken. In: Beton- und Stahlbetonbau, 111(5) (2016), S. 268-277. [7] Huber, P., Kromoser, B., Huber T., Kollegger J.: Berechnungsansatz zur Ermittlung der Schubtragfähigkeit bestehender Spannbetonbrückenträger mit geringem Querkraftbewehrungsgrad. In: Bauingenieur 91 (2016), Heft 6, S. 227-237. [8] Herbrand, M., Kueres, D., Claßen, M., Hegger, J.: Einheitliches Querkraftmodell zur Bemessung von Stahl- und Spannbetonbrücken im Bestand. In: Beton- und Stahlbetonbau, 111(2) (2016), S. 58-67. [9] Marí, A., Bairán, J., Cladera, A., Oller, E., Ribas, C.: Shear-flexural strength mechanical model for the design and assessment of reinforced concrete beams. In: Structure and infrastructure engineering: maintenance, management, lifecycle design and performance. Taylor & Francis Online (2014), S. 1-21. [10] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand. Berlin, 2011. [11] ÖN B 4008-2: Bewertung der Tragfähigkeit bestehender Tragwerke - Teil 2: Brückenbau. Austrian Standards International, Wien, Ausgabe November 2019. [12] ÖN B 1992-1-1: Eurocode 2 - Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau - Nationale Festlegungen zu ÖNORM EN 1992-2, nationale Erläuterungen und nationale Ergänzungen. Austrian Standards International, Wien, Ausgabe Januar 2018. [13] Huber, T.: Beurteilung der Querkrafttragfähigkeit bestehender Stahlbetonplattenbrücken mit Aufbiegungen. Dissertation, TU Wien, 2019. [14] Huber, T., Huber, P., Fasching, S., Vill, M., Kollegger, J.: Querkrafttragverhalten von Stahlbetonbauteilen mit aufgebogenen Bewehrungsstäben auf Basis photogrammetrischer Messungen. In: Bauingenieur 95.6 (2020) [15] Huber, T., Huber, P., Kollegger, J.: Querkraftmodell für bestehende Stahlbetonbauteile mit aufgebogenen Längsstäben. Angenommen: Beton- und Stahlbetonbau 115(8) (2020) [16] ÖN B 4203: Berechnung und Ausführung der Tragwerke; Massivbau; Eisenbahnbrücken. Österreichisches Normungsinstitut, Wien, Ausgabe Juli 1963. [17] ÖN EN 1991-2: Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 2: Verkehrslasten auf Brücken. Österreichisches Normungsinstitut Wien. Ausgabe März 2012. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 149 Neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten bestehender Spannbetonbrücken aus aktuellen Labor- und Feldversuchen Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, München, Deutschland Nicholas Schramm, M.Sc. Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, München, Deutschland Sebastian Felix Gehrlein, M.Sc. Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, München, Deutschland Zusammenfassung Aufgrund der ansteigenden Verkehrslasten und der Fortschreibung der Nachweisformate für die Bauwerkswiderstände ergeben sich bei der Nachrechnung bestehender Brückenbauwerke mit aktuellen Regelwerken in vielen Fällen große rechnerische Defizite, vor allem in Bezug auf den Nachweis einer ausreichenden Querkrafttragfähigkeit. Während eine Berücksichtigung von Reserven bei der Planung von neuen Bauwerken sinnvoll ist und nur zu moderaten Zusatzkosten führt, ergeben sich dadurch im Bestand in der Regel aufwändige Ertüchtigungsmaßnahmen und Behinderungen des vorhandenen Verkehrs. Für die Nachrechnung und Beurteilung bestehender Brückenbauwerke kommt daher wirklichkeitsnahen Ansätzen und Modellen erhebliche Bedeutung zu. Als Grundlage für die Verfeinerung der Modellansätze dienen hierbei die Ergebnisse von entsprechenden experimentellen Untersuchungen. Der vorliegende Beitrag stellt diesbezüglich aktuelle experimentelle Forschungsvorhaben im Labor und in-situ an realen Bauwerken vor. Hierbei werden ausgewählte Ergebnisse der jeweiligen experimentellen Untersuchungen vorgestellt und diskutiert. Für die Versuche wurde der Fokus dabei auf Prüfkörper mit wirklichkeitsnahen baupraktischen Abmessungen gelegt. 1. Einleitung Ein Großteil des Brückenbestands in Deutschland weist Nutzungsdauern von 40 bis 60 Jahren auf und wurde zumeist in Stahl- und Spannbetonbauweise errichtet. Als Teil der Brückenertüchtigung werden zur Zustandsbeurteilung dieser Bauwerke Nachrechnungen durchgeführt. Diese sind insbesondere vor dem Hintergrund von im Vergleich zum Errichtungszeitraum erhöhten Verkehrsbeanspruchungen, geänderter Bemessungsvorschriften aufgrund von technischen Weiterentwicklungen sowie zur Bewertung der Auswirkungen von ggf. vorhandenen Schäden auf die Tragfähigkeit erforderlich. Bei der Nachrechnung von Spannbetonbrücken zeigen sich dabei häufig ausgeprägte rechnerische Defizite beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit (vgl. [1], [2]), wenngleich bei Brückenprüfungen nur selten damit korrelierende Schadensbilder festgestellt werden können. Aufgrund dieser Nachweisdefizite werden oftmals aufwändige Verstärkungsmaßnahmen bis hin zu Neubauten der Brücken gerechtfertigt, die eine erhebliche volkswirtschaftliche Belastung darstellen. Der Entwicklung von realitätsnäheren Ingenieurmodellen zur Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit von Brücken im Bestand kommt daher eine besondere Rolle zu. Vor diesem Hintergrund bilden wissenschaftliche Untersuchungen zur Querkrafttragfähigkeit auch heute noch einen wichtigen Schwerpunkt nationaler und internationaler Forschung. Zur Fortschreibung der Nachrechnungsrichtlinie für Straßenbrücken sind experimentelle Untersuchungen als Grundlage für die (Weiter-)Entwicklung realitätsnaher Querkraftmodelle von großer Bedeutung. Hierbei sind insbesondere großformatige Bauteilversuche mit baupraktisch relevanten Querschnittsabmessungen sowie gezielte Untersuchungen zu ausgewählten für Bestandsbrücken charakteristischen Merkmalen von großer Relevanz. Mit Blick auf die Ergebnisse diverser Nachrechnungen und bisher durchgeführter Versuche (vgl. [3]) wurde das Querkrafttragverhalten im Bereich der Innenstütze durchlaufender Spannbetonbrücke bisher nur unzureichend experimentell untersucht. Dies ist vor allem damit begründet, dass entsprechende Versuche im Labor in der Regel einen erheblichen Aufwand nach sich ziehen. Am Lehrstuhl für Massivbau der TUM wurden vor diesem Hintergrund im Rahmen zweier Forschungsvorhaben nicht-konventionelle Versuchskonzepte verfolgt, 150 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten bestehender Spannbetonbrücken aus aktuellen Labor- und Feldversuchen um Querkraftversuche im Bereich der Innenstütze von durchlaufenden Spannbetonträgern durchzuführen. So wurden einerseits in-situ Versuche an einem realen Bauwerk und andererseits spezielle Laborversuche an Teilsystemen (sog. Substrukturversuche) durchgeführt. Der vorliegende Beitrag stellt diese Konzepte kurz vor und geht auf ausgewählte neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten aus den Versuchen ein. 2. Aktuelle Forschung 2.1 Substrukturversuche im Rahmen des BASt-Forschungsvorhabens „Beurteilung der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand erweiterte Bemessungsgrundsätze“ Im Rahmen eines größeren Verbundforschungsprojektes (vgl. hierzu auch [4]-[9]) wurden an der Technischen Universität München umfangreiche experimentelle Untersuchungen zum Einfluss nicht mehr zugelassener Bügelformen, sowie generell von einem geringen Querkraftbewehrungsgehalt, auf die Querkrafttragfähigkeit durchgeführt (für weiterführende Informationen und Details wird auf [10], [11], [12] verwiesen). Um möglichst viele Einzelversuche mit vergleichsweise geringem Aufwand durchführen und gleichzeitig die Beanspruchungsverhältnisse im Bereich der Innenstütze möglichst realitätsnah abbilden zu können, wurde ein neuartiges Versuchskonzept angewendet. Dabei wurden lediglich ausgewählte Ausschnitte von Spannbetonträgern (sogenannte Substrukturen) geprüft. Abbildung 1 zeigt eine Animation des Versuchsstands und eine Darstellung des „Prüfbereichs“. Mit diesem Versuchskonzept können nahezu beliebige Momenten-Querkraft-Interaktionen für großmaßstäbliche Versuchskörper geprüft werden. Aufgrund des vergleichsweise geringen Aufwands bei der Versuchsdurchführung lassen sich zudem mehr Versuche durchführen. Abbildung 1: Versuchsanlage für die Prüfung von Balkenelementen nach dem Prinzip der „Substrukturtechnik“ [13] 2.2 Feldversuche „Saalebrücke Hammelburg“ Neben den Laborversuchen bilden in-situ Versuche am realen Bauwerk einen weiteren wichtigen Baustein zur Beurteilung des Querkrafttragverhaltens bestehender Spannbetonbrücken. Zum einen können mittels einzelner Feldversuche die Ergebnisse aus umfangreichen Testserien im Labor unter wirklichkeitsnahen Bedingungen überprüft und bestätigt werden. Zum anderen können am bestehenden Bauwerk weitere Parameter wie etwa Maßstabseffekte oder der Einfluss des Längsbewehrungsgrades untersucht werden, die unter Laborbedingungen oft nicht ausreichend darstellbar sind. Nach intensiver Recherche und umfangreichen Vorbereitungen konnte der Lehrstuhl für Massivbau der Technischen Universität München auf Initiative und mit Förderung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) sowie der Obersten Baubehörde im bayerischen Staatsministerium des Inneren im Jahr 2017 Feldversuche an einer stillgelegten Brücke in der Nähe der fränkischen Stadt Hammelburg durchführen. An der 1955 fertiggestellten Spannbetonbrücke (dreistegiger Plattenbalkenquerschnitt) konnten aufgrund der gegebenen Randbedingungen in fünf der sieben Felder Belastungsversuche bis in den Nachbruchbereich verwirklicht werden. Die dazu notwendigen Lasten, die in allen untersuchten Feldern zu einem auflagernahen Querkraftversagen des mittleren Steges führten, wurden mittels einer über die jeweiligen Felder spannenden Belastungseinrichtung mit insgesamt sechs weggesteuerten Hydraulikzylindern aufgebracht (vgl. Abbildung 2). Um klare Randbedingungen zu schaffen, wurde für die Versuchsdurchführung der Mittelsteg mittels Trennschnitten von den äußeren Randstegen gelöst. Der untersuchte Plattenbalkenquerschnitt hatte somit eine Gesamtbreite von 3,95 m, eine Höhe von 1,10 m und eine Stegbreite von 0,70 m (Feldbereich) bis 1,20 m (Stützbereich). Die Stützweite der untersuchten Felder betrug 20,0 m (Randfelder) bzw. 24,6 m (Innenfelder). Der Querkraftbewehrungsgrad lag im kritischen Bereich der Stege bei lediglich 30,7% bis 36,5% der aktuell nach DIN EN 1992-2 geforderten Mindestquerkraftbewehrung. Sowohl die Ausführung der Bügel aus glattem Stahl, die Bügelform (zweiteilige Bügel mit Endhaken) als auch der geringe Querkraftbewehrungsgrad sind typisch für die Konstruktionszeit der Bestandsbrücke. Die Materialeigenschaften der Längs- und Querkraftbewehrung, des verwendeten Betons und der Vorspannung wurden anhand von Begleitversuchen bestimmt. Die Streckgrenze des Betonstahls wurde mit 273,8 N/ mm² und die mittlere Vorspannung der Spannglieder mit 630 N/ mm² ermittelt, der Ortbeton des Überbaus wurde anhand der gemessenen Druck- und Spaltzugfestigkeiten in die Betonklasse C45/ 55 eingestuft. Weitere Angaben zur Konzeption der Versuche, zum Versuchsaufbau, dem Messprogramm sowie zu weiteren 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 151 Neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten bestehender Spannbetonbrücken aus aktuellen Labor- und Feldversuchen Parametern der untersuchten Bestandsbrücke sind [14], [15], [16] zu entnehmen. Abbildung 2: Querschnitt der untersuchten Plattenbalkenbrücke sowie der Belastungseinrichtung [14] 3. Erkenntnisse aus Labor- und Feldversuchen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken 3.1 Allgemeines Die im Rahmen der Forschungsvorhaben durchgeführten Versuche zielten insbesondere auf die Untersuchung der Einflüsse von für Bestandsbrücken typischen Charakteristika an großmaßstäblichen Versuchskörpern ab. Nachfolgend werden ausgewählte Ergebnisse der jeweiligen Versuchsreihen dargestellt. 3.2 Laborversuche an großformatigen Trägerausschnitten Abbildung 3 und Abbildung 4 zeigen beispielhafte Bruchbilder von Spannbeton-Durchlaufträger-elementen mit Rechteck und Plattenbalkenquerschnitt. Für beide Versuchskörper ist die klare Lokalisierung eines diskreten kritischen Schubrisses erkennbar. Abbildung 3: Bruchbild eines Spannbeton-Durchlaufträgerelements mit rechteckigem Querschnitt (h = 80 cm, σ cp = 2,5 MPa, ρ w = 0,905 ‰) [13] Abbildung 4: Bruchbild eines Spannbeton-Durchlaufträgerelements mit T-Querschnitt (h = 110 cm, σ cp = 2,0 MPa, ρ w = 1,005 ‰) [12] Ein Vergleich der bezogenen Betontraganteile der Querkrafttragfähigkeit (auf die statische Nutzhöhe, die Betondruckfestigkeit und die Querschnittsbreite bezogene und um den Bügeltraganteil sowie Vertikalanteil der Vorspannung bereinigte Querkrafttragfähigkeit) zeigt, dass dieser bei den Versuchskörpern mit Plattenbalkenquerschnitt um bis zu 22 % höher liegt als für Rechteckquerschnitte. Dies bestätigt somit eine generelle Erhöhung der Querkrafttragfähigkeit durch seitliche Flansche, die auch aus weiteren experimentellen Untersuchungen der Literatur weitestgehend bekannt ist. Bei T-Querschnitten bewirken die oben genannten Umstände, dass der kritische Schubriss mit fortschreitender Rissbildung oftmals als horizontaler Deliminationsriss entlang der Unterkante des Flansches verläuft, was auf eine deutliche Rotation des kritischen Schubrisses sowie eine Biegebeanspruchung des Flansches hindeutet. Dieser typische Rissverlauf konnte für alle Versuche mit Plattenbalkenquerschnitt beobachtet werden. Dabei zeigte sich ein seitliches Ausstrahlen des Risses in den Flansch. Im Vergleich zu den Trägern ohne Flansch war das Versagen duktiler, es kam zu keiner schlagartigen Lokalisierung des kritischen Schubrisses und durch die lastverteilende Wirkung des Flansches bildeten sich tendenziell mehr Risse aus. Darüber hinaus verfügten die Träger mit Plattenbalkenquerschnitt über höhere Restquerkraftwiderstände nach dem Bruch. Es zeigt sich somit ein deutlicher Einfluss der Querschnittsform, der in den meisten aktuellen Querkraftmodellen jedoch nicht oder nur unzureichend erfasst wird. Abbildung 6 stellt einen Vergleich der Rissbildung für einen Träger ohne Querkraftbewehrung (Abbildung 6a-c) und einen Versuchskörper mit einem Querkraftbewehrungsgehalt von ρ w = 2,513 ‰ (Abbildung 6d-f) für jeweils gleiche Laststufen dar. Bei einer Querkraft von 420 kN (Abbildung 6a und d), kurz nach Einsetzen einer ersten Schrägrissbildung, lag zunächst ein relativ ähnliches Rissbild vor. Bei weiterer Laststeigerung zeigte sich bei dem nicht querkraftbewehrten Träger jedoch eine weitaus stärkere Rissbildung und nach der deutlichen Ausbildung von Schrägrissen war nur noch eine vergleichsweise geringe Laststeigerung bis zum Bruch 152 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten bestehender Spannbetonbrücken aus aktuellen Labor- und Feldversuchen möglich. Diese Laststeigerung lässt sich auf einen Spannungszuwachs im Spannglied zurückführen, der sich auch in den Ergebnissen der kamerabasierten optischen Messungen (vgl. Abbildung 6c) in Form von Dehnungsänderungen entlang der Spanngliedachse deutlich zeigt. Für den Versuchsträger mit vergleichsweise hohem Bügelbewehrungsgehalt war nach Schrägrissbildung, durch die Aktivierung der Bügelbewehrung, noch eine deutliche Laststeigerung möglich. Der Vergleich verdeutlicht den Einfl uss des Querkraftbewehrungsgehaltes auf die Schubrissbildung. Dieser spiegelt sich auch in unterschiedlichen Werten für die Rissöffnung und -gleitung wieder. So liegen im Bruchzustand für Träger mit geringem Bügelbewehrungsgrad (ρ w = 0,5-1,0 ρ w,min , wie bei Bestandsbrücken üblich) im Vergleich zu Trägern mit hohem Querkraftbewehrungsgrad große Rissöffnungen vor. Dies führt wiederum dazu, dass der Querkrafttraganteil der Rissreibung in diesem Fall in Frage zu stellen ist. Abbildung 6: Vergleich der Rissbildung (dargestellt über die Hauptformänderung) für zwei Versuchsträger mit unterschiedlichem Querkraftbewehrungsgehalt [13] Ein Vergleich der Bruchlasten für die untersuchten Spannbetonträgerelemente mit Rechteckquerschnitt in Abhängigkeit des Querkraftbewehrungsgrades (vgl. Abbildung 5) verdeutlicht, dass die restlichen Traganteile neben denen der Bügelbewehrung sehr dominant sind. Neben eher untergeordneten Traganteilen sowie der Mitwirkung der geneigten Spannglieder basiert der Querkraftwiderstand der untersuchten Trägerelemente daher insbesondere auf dem Betontraganteil. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 153 Neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten bestehender Spannbetonbrücken aus aktuellen Labor- und Feldversuchen Abbildung 5: Einfluss des Querkraftbewehrungsgehaltes auf die maximale Querkrafttragfähigkeit für Spannbetonträgerelemente mit Rechteckquerschnitt [13] Ein Betontraganteil wird bei der Querkraftbemessung gemäß Fachwerkmodell nach EC 2 aktuell jedoch nicht explizit, sondern lediglich indirekt und in geringerem Maße über einen (für geringe Querkraftbewehrungsgrade fraglichen) Anteil aus Rissreibung berücksichtigt. Somit können aktuellere Modellvorstellungen, die einen „Betontraganteil“ explizit berücksichtigen, die Querkrafttragfähigkeit von Bestandsbrücken weitaus zutreffender beschreiben. Der Betontraganteil wird dabei in diesen Modellen entweder empirisch angesetzt, über das Tragverhalten eines Druckbogens beschrieben, oder der Druckzone zugesprochen. 3.3 Feldversuche an der Saalebrücke Hammelburg In Abbildung 7 ist exemplarisch die Rissbildung in den Mittelstegen für zwei der untersuchten Felder der Bestandsbrücke zum Zeitpunkt der maximalen Belastung dargestellt. Sowohl der kritische Schubriss als auch die sekundären Biegerisse im Bereich der Lasteinleitung sind deutlich erkennbar. Die Versuche in den Randfeldern wiesen einen deutlich flacheren Verlauf des kritischen Schubrisses auf, der mit einem etwas duktilerem Versagen dieser Träger korrelierte (vgl. Abbildung 7). Bedingt durch den flacheren Rissverlauf konnte bei diesen Versuchen - und analog zu den in Kapitel 3.2 beschrieben Laborversuchen - ein Teil der freiwerdenden Bruchlast durch Spannungszuwächse in den kreuzenden Spanngliedern aufgenommen werden. Eine deutliche Laststeigerung nach dem ersten Auftreten des kritischen Schubrisses war jedoch bei keinem Versuch zu beobachten. Bei den Versuchen in den Innenfeldern zeigte sich zudem ein sehr sprödes Versagen; mit oder kurz nach Bildung des ersten sichtbaren Schubrisses nahm die aufnehmbare Belastung schlagartig und deutlich ab. Abbildung 7: Vergleich der Rissbildung zwischen Auflagerachse und Hauptlasteinleitungspunkt für zwei der unter-suchten Mittelstege der Bestandsbrücke (Rand- und Innenfeld, vgl. [15]) Wie auch bei den Laborversuchen konnte bei allen in-situ Versuchen (in unterschiedlichem Umfang) ein horizontaler Deliminationsriss festgestellt werden. Dieser befand sich entweder zwischen Steg und Voute oder zwischen Voute und Flansch. Auch bei den Feldversuchen breiteten sich die Risse vom Deliminationsriss ausgehend sowohl schräg Richtung Lasteinleitung als auch diagonal Richtung Plattenrand aus. Anhand dieser Rissbildung im Flansch kann der an den Laborversuchen beobachtete Einfluss der Querschnittsform auf das Tragverhalten grundsätzlich bestätigt werden. In Abbildung 8 (oben) werden die Lastverformungskurven für vier der fünf durchgeführten Versuche (keine validen Messdaten für die Rissöffnung bei Versuch 4) dargestellt. Dazu wird die berechnete, über den Versuchsaufbau eingebrachte Querkraft am Ort des Hauptbelastungszylinders der vertikalen Verformung des Steges an dieser Stelle gegenübergestellt. Der deutliche Lastabfall nach Erreichen der Maximalkraft belegt das spröde Versagen, das bei den Querkraftversuchen an der Bestandsbrücke beobachtet werden konnte. Zudem zeigt sich das grundsätzlich ähnliche Verhalten der Versuche in den Rand- (V1 und V3) und Innenfeldern (V2 und V4). 154 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten bestehender Spannbetonbrücken aus aktuellen Labor- und Feldversuchen Die größere Steifigkeit der Versuche in den Randfeldern ist dabei hauptsächlich durch die geringere Feldlänge in den Randbereichen bedingt. Im unteren Teil von Abbildung 8 ist die zu der gemessenen Versuchskraft korrespondierende Rissöffnung des Steges wiedergegeben. Der dargestellte Wert bildet den mittleren Messwert von drei induktiven Wegaufnehmern ab, die die Höhenänderung des belasteten Steges aufzeichneten. Auch an dieser Messung lässt sich das spröde Versagen der Versuchsträger belegen. Für alle Versuche konnte erst unmittelbar vor oder mit Erreichen der maximalen Tragfähigkeit Rissöffnungen von mehr als 0,1 mm verzeichnet werden. Nach Auftreten der ersten messbaren Risse erhöhen sich diese Werte zudem schlagartig und deutlich. Die über die Höhenänderung des Stegs aufgenommenen, kritischen Schubrisse können dabei ab einem Lastniveau von 92,2 % (Versuch 5) bis 100 % (mit Erreichen der Traglast, Versuch 2) der maximalen Versuchslast verzeichnet werden. Der Mittelwert für das Lastniveau bei Schubrissbildung beträgt für die dargestellten Versuche 96,2 %. Speziell dieses hohe Lastniveau bestätigt einige der aus den Laborversuchen gewonnenen Erkenntnisse (vgl. Kapitel 3.1). Unter den gegebenen Randbedingungen der Versuche an einer bestehenden Brücke konnte kein signifikanter Einfluss aus Rissreibungseffekten auf die Querkrafttragfähigkeit festgestellt werden. Da sich die kritischen Risse erst kurz vor oder mit Erreichen der Maximallast bildeten, konnten über die zu diesem Zeitpunkt entstanden Risse im Maximalfall nur noch sehr geringe zusätzliche Lasten übertragen werden. Vielmehr resultiert die Laststeigerung nach Rissbildung aus einem Spannungszuwachs in den, den kritischen Schubriss kreuzenden, Spanngliedern. Ähnliches gilt für die, nur in sehr geringem Umfang vorhandene (vgl. Kapitel 2.2) Querkraftbewehrung. Aufgrund des geringen Querkraftbewehrungsgrades können die mit Rissbildung freiwerdenden Kräfte nicht von den vorhandenen Bügeln aufgenommen werden. Bei genauer Betrachtung der aufgetretenen Risse zeigte sich, dass alle den Schubriss kreuzenden Bügel an dieser Stelle ein Zugversagen (Bruch der Bügelbewehrung, vgl. [15]) aufwiesen. Aufgrund des geringen Einflusses der Bügelbewehrung und anderer Mechanismen wie der Rissreibung auf die Querkrafttragfähigkeit der untersuchten Brücke, kann - zumindest unter den gegebenen Rahmenbedingungen (massiver Plattenbalkenquerschnitt) - davon ausgegangen werden, dass ein überwiegender Teil der aufgenommenen Querkraftbelastung über Betontraganteile wie etwa eine Druckbogenwirkung oder über die Betondruckzone aufgenommen wird. Somit belegen auch die am realen Bauwerk durchgeführten Versuche die Vorteile von Modellvorstellungen, die einen „Betontraganteil“ explizit berücksichtigen. Dies gilt speziell für die Nachrechnung von bestehenden Brücken, die oft in massiver Bauweise und mit geringen Querkraftbewehrungsgraden erstellt wurden. Abbildung 8: Rissöffnung im Vergleich zur Lastverformungskurve für vier exemplarische in-situ Versuche (vgl. [15]) 4. Zusammenfassung und Ausblick Die in diesem Beitrag vorgestellten nicht-konventionellen Versuchskonzepte, die im Rahmen zweier Forschungsvorhaben am Lehrstuhl für Massivbau der Technischen Universität München verwirklicht wurden, tragen dazu bei speziell das Querkrafttragverhalten von Bestandsbrücken im Bereich der Innenstützen noch realitätsnaher darstellen zu können. Dadurch können die Entwicklung von Ingenieurmodellen, die die Querkrafttragfähigkeit von bestehenden (Spannbeton-) Brücken möglichst exakt darstellen, vorangetrieben und damit auf wissenschaftlicher Basis die notwendige Fortschreibung der aktuell gültigen Nachrechnungsrichtlinie angestoßen werden. Die Substrukturversuche im Labor und die in-situ Versuche an einer bestehenden Brücke ergänzen sich dabei in vielfältiger Weise und belegen u.a. den Einfluss der Querschnittsform auf die Querkrafttragfähigkeit. Weiterhin zeigten beide Versuchsreihen, dass der Anteil der Querkraftbelastung, der über Betontraganteile wie die Druckbogenwirkung oder die Betondruckzone abgetragen werden kann, aktuell noch nicht genügend berücksichtigt wird. Weitere Aspekte und Fragestellungen, die sich aus den Ergebnissen der vorgestellten Versuche ergeben haben, werden aktuell oder im Rahmen zukünftiger Forschungsvorhaben bearbeitet. Im Zuge dessen werden u.a. die Auswirkungen des Längsbewehrungsgrades, der Querschnittsform, der Spanngliedlage und die des Spannkraftzuwachses auf die Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Brückenbauwerken untersucht. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 155 Neue Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten bestehender Spannbetonbrücken aus aktuellen Labor- und Feldversuchen Danksagung Unser besonderer Dank gilt dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) sowie der Obersten Baubehörde im bayerischen Staatsministerium des Inneren für die Ermöglichung der Großbelastungsversuche an der Saalebrücke in Hammelburg. Darüber hinaus bedanken wir uns vor allem auch beim staatlichen Bauamt Schweinfurt für die hervorragende und stets konstruktive Zusammenarbeit, ohne die die Realisierung der Versuche so nicht möglich gewesen wäre. Zudem danken wir der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) für die Gewährung von Fördermitteln für das Verbundforschungsprojekt [4] zur Entwicklung erweiterter Bemessungsansätze für Querkraft und Torsion. Literaturverzeichnis [1] Fischer, O., et al.: Ergebnisse und Erkenntnisse zu durchgeführten Nachrechnungen von Betonbrücken in Deutschland. Beton- und Stahlbetonbau 109 (2014), H. 2, S. 107-127 [2] Fischer O., et al.: Nachrechnung von Betonbrücken, systematische Auswertung nachgerechneter Bauwerke. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bericht B 124, 2016 [3] Reineck, K.,H.; Kuchma, D.,A.; Fitik, B.: Erweiterte Datenbanken zur Überprüfung der Querkraftbemessung für Konstruktionsbetonbauteile mit und ohne Bügel, Deutscher Ausschuss für Stahlbeton, Heft 597, 2012 [4] J. Hegger, R. Maurer, O. Fischer, K. Zilch et al.: Beurteilung der Querkraft und der Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand - erweiterte Bemessungsansätze; BASt Projekt FE 15.0591/ 2012/ FRB, Schlussbericht, 2020 [5] Hegger, J. et al.: Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem. Beiträge zum 4. Brückenkolloquium - Fachtagung über Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken, 2020 [6] Herbrand, M.; Hegger, J.: Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden. Beiträge zum 4. Brückenkolloquium - Fachtagung über Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken, 2020 [7] Stakalies, E.; Maurer, R.: Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung. Beiträge zum 4. Brückenkolloquium - Fachtagung über Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken, 2020 [8] Gleich, P; Maurer, R.: Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Plattenbalkenquerschnitt. Bauingenieur 93 (2018), Heft 2, S. 51-61. [9] Herbrand, M.; Classen, M.; Adam, V.: Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Rechteck- und I-Querschnitt. Bauingenieur 92 (2017), Heft 11, S. 465-473. [10] Schramm, N; Fischer, O.; Scheufler, W.: Experimentelle Untersuchungen an vorgespannten Durchlaufträger-Teilsystemen zum Einfluss nicht mehr zugelassener Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit. Bauingenieur, Band 94, 2019, S. 9-20 [11] Fischer, O.; Schramm, N.; Gehrlein, S.: Labor- und Feldversuche zur realitätsnahen Beurteilung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Spannbetonbrücken. Bauingenieur 92, Heft 11, S. 455-463, 2017 [12] Schramm, N.; Gehrlein, S.; Fischer, O.: Querkrafttragverhalten von großformatigen Spannbetonbalkenelementen mit Plattenbalkenquerschnitt - Ergänzende Laborversuche zu den in-situ-Querkraftversuchen an der Saalebrücke Hammelburg. Beton- und Stahlbetonbau 115 (2020), H. 1, S. 2-12 [13] Schramm, N.: Zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbalkenelementen unter besonderer Berücksichtigung der Bügelform, Dissertation (in Bearbeitung), Technische Universität München, 2020 [14] Gehrlein, S.; Landler, J.; Oberndorfer T.; Fischer, O.: Großversuche zur Querkrafttragfähigkeit bestehender Spannbetonbrücken an der Saalebrücke Hammelburg. Teil 1: Konzeption, Beurteilung des Bestands und Durchführung der Versuche. Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018), H. 9, Ernst & Sohn, Berlin, S. 667-675 [15] Gehrlein, S.; Fischer, O.: Großversuche zur Querkrafttragfähigkeit bestehender Spannbetonbrücken an der Saalebrücke Hammelburg. Teil 2: Messprogramm, Versuchsergebnisse, Vergleich mit verschiedenen Berechnungsansätzen. Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018), H. 10, Ernst & Sohn, Berlin, S. 696-704 [16] Gehrlein, S.; Fischer, O.: Full-scale shear capacity testing of an existing prestressed concrete bridge. Civil Engineering Design, Volume 1 (2019), Issue 2, Ernst & Sohn, Berlin, S. 64-73 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 157 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden Dr.-Ing. Martin Herbrand WTM Engineers GmbH, Hamburg, Deutschland Viviane Adam, M. Sc. Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Univ.-Prof. Josef Hegger Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Zusammenfassung Infolge normativer Veränderungen in den letzten Jahrzehnten und gleichzeitig stark angestiegenen Verkehrslasten entsprechen zahlreiche Spannbetonbrücken im Bestand nicht den Anforderungen aktueller Normen. Bei der Nachrechnung von Brücken mit einem geringen Querkraftbewehrungsgrad ist daher oft die Anwendung von Ansätzen nach Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie erforderlich, um den Querkraftnachweis zu erbringen. Die Anwendbarkeit der unterschiedlichen Querkraftmodelle in Stufe 4 ist für Spannbetondurchlaufträger dabei bisher nicht ausreichend experimentell verifiziert gewesen. Daher wurden am Institut für Massivbau der RWTH Aachen Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern durchgeführt, die geringe Querkraftbewehrungsgrade aufwiesen. Neben der Bügelmenge wurde in den experimentellen Untersuchungen die Querschnittsform (Rechteck- und I-Profil) sowie die Belastungsart (Einzel- und Gleichlasten) variiert. Über die experimentellen und ergänzenden theoretischen Untersuchungen konnte ein erweitertes Fachwerkmodell hergeleitet werden, das die genauere Berechnung der Querkrafttragfähigkeit von Stahl- und Spannbetonträgern mit Querkraftbewehrungsgraden unterhalb des Mindestquerkraftbewehrungsgrades ermöglicht. Im Rahmen des Vortrags sollen die Versuche und der Berechnungsansatzvorgestellt werden. 1. Einleitung Die Anforderungen an die Straßeninfrastruktur nehmen aufgrund des stets steigenden Güterverkehrs zu [1],[2]. Während viele ältere Brücken in einem allgemein schlechten Zustand sind [3], verschärfen Änderungen in den Normen zu Lastannahmen und robustere Ansätze für die Bauteilwiderstände die Situation. Dadurch ergeben sich häufig Defizite in der rechnerischen Querkraft- und Torsionstragfähigkeit vieler älterer Bestandsbrücken [2]- [4]. Zur zutreffenden Bewertung der Tragfähigkeit von Brücken im Bestand ist die Frage nach einer möglichst realistischen Berechnung der Reserven der Bauteilwiderstände immer wichtiger geworden [5]. Um einen Teil der kritischen Infrastrukturbauwerke erhalten zu können, können genauere Nachweise die erforderliche Abhilfe schaffen [6]. Unter anderem durch die Tatsache, dass ein Großteil der für die Herleitung und Kalibrierung der Querkraftbemessungsansätze zugrunde gelegten Versuche an Einfeldträgern mit Einzellasten durchgeführt wurde [7], ergeben sich in realen Tragstrukturen oftmals rechnerisch ungenutzte Tragfähigkeitsreserven. Die meisten Brückenträger sind Mehrfeldträger und die maßgebende Belastung eher gleichförmig als konzentriert. Die Interaktion von Biegemoment und Querkraft ist hierdurch nicht hinreichend abgedeckt und bedarf der weiteren Erforschung. Außerdem existieren nur sehr wenige Versuche an vorgespannten Durchlaufträgern mit geringen Querkraftbewehrungsgraden, wie es bei älteren Brücken häufig der Fall ist [8]. Mit Einführung der Nachrechnungsrichtlinie [9] wurde für die Bewertung von Bestandbrücken ein vierstufiges Nachweisverfahren eingeführt, das in Stufe 2 erweiterte Bemessungsansätze und in Stufe 4 wissenschaftliche Berechnungsverfahren zulässt. In einem Forschungsvorhaben [6] wurden u. a. aufgrund mangelnder einheitlicher Vorschriften kurzfristige Lösungen zur Modifikation bestehender Bemessungsansätze auf Grundlage bisher durchgeführter Forschungsvorhaben und gesammelter Erfahrungen, bzw. Gutachten zur Nachrechnung von Bestandsbrücken erarbeitet, um auch Modifikationen zuzulassen, die bis dahin nur Anwendung in Gutachten fanden. Die Ergebnisse waren die Grundlage für die erste Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie [10]. 158 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden In einem darauf aufbauenden BASt-Forschungsprojekt wurden erweiterte Bemessungsansätze zur Beurteilung der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Bestandsbrücken erarbeitet [11], welche die Vorarbeiten für eine zweite Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie bilden. Hierbei wurden Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit kleinen Querkraftbewehrungsgraden unter Einzel- und Gleichstreckenlasten durchgeführt [8] [12], wobei neben Rechteckauch Plattenbalken- und I- Querschnitte verwendet wurden. Weitere Durchlaufträger wurden unter gleichzeitiger Wirkung von Biegung, Querkraft und Torsion getestet, wobei Möglichkeiten zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung untersucht wurden [13]. An Spannbetonträgerausschnitten wurde die Wirksamkeit nicht normkonformer Bügelformen bei Querkraftbeanspruchung von Spannbetonbrückenträgern mit kleinen Querkraftbewehrungsgraden untersucht [14]. Neben den experimentellen wurden auch theoretische Untersuchungen zu wissenschaftlichen Verfahren für Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie durchgeführt [15],[16]. Für die Querkraftbemessung in Stufe 2 wurde ein modifiziertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil vorgeschlagen, das eine verbesserte Genauigkeit in Bezug auf die Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit von Trägern mit geringem Querkraftbewehrungsgrad ( r w,vorh < r w,min ) erlaubt [17]. Im vorliegenden Beitrag werden einige Hintergründe zum Querkrafttragverhalten, ein Teil der durchgeführten Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Gleichstreckenlast sowie das vorgeschlagene Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil zur Querkraftbemessung von Bestandsbrücken mit kleinen Querkraftbewehrungsgraden vorgestellt. 2. Querkrafttragverhalten von Bauteilen mit kleinen Querkraftbewehrungsgraden 2.1 Rechnerische Abbildung Bild 1. Einfluss der Rissreibung auf den Druckstrebenwinkel bei einem querkraftbewehrten Stahlbetonbalken nach [23] a) Darstellung der Kräfte an entlang des Schubrisses abgetrennten Träger; b)-d): Spannungszustände im Beton und zwischen den Rissen Die Grundlage für die Berechnung der Querkraftübertragung in querkraftbewehrten Balken ist das parallelgurtige Fachwerkmodell von Ritter bzw. Mörsch, bestehend aus Ober- und Untergurten sowie Stahlzugstreben und Betondruckstreben im Steg. Nach der klassischen Fachwerkanalogie wird der Neigungswinkel der Druckstreben bei 45 ° angesetzt. Weiterführende Forschung zeigte, dass sich in der Regel größere Querkraftwiderstände einstellen, als sich nach dem 45 °-Fachwerkmodell ergeben. Im Zuge von Versuchen konnte festgestellt werden, dass die Differenz zwischen rechnerischer und experimenteller Tragfähigkeit in etwa der Schubrisslast von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung entsprach [18],[19]. Später erfolgte dann die Weiterentwicklung des 45°-Fachwerkbindermodells zu einem gleichgewichtsbasierten Fachwerkmodell mit variabler Druckstrebenneigung. Dabei wird die Fachwerkneigung nach der Plastizitätstheorie so definiert, dass Zug- und Druckstrebenversagen gleichzeitig auftreten. Für Träger mit kleinen Querkraftbewehrungsgraden ist dieser Ansatz weniger geeignet, da die Tragfähigkeit der Druckstreben auch durch Dehnungen infolge Querzug beeinflusst wird, die bei flachen Druckstreben überproportional anwachsen. Durch nachträgliche Definition weiterer Kompatibilitätsbedingungen für Dehnungen in gerissenen Stegen in verschiedenen Modellen ermöglichte die Ermittlung realistischerer Druckstrebenwinkel [20],[21]. Der Traganteil des Betons ergibt sich dabei entweder durch Berücksichtigung im Schubriss übertragbarer Rissreibungskräfte oder infolge Anrechnung von Zugspannungen im diagonal gerissenen Beton [20],[22],[23]. In den Modellen wird ein gleichmäßiges Rissbild von parallel verlaufenden Schrägrissen vorausgesetzt, weshalb Traganteile der Querkraftbewehrung nur dann berücksichtigt werden, wenn sie wenigstens dem Mindestquerkraftbewehrungsgehalt entspricht. Deren Wert ist innerhalb der verschieden Normen und Regelwerken zwar nicht gleich, jedoch in Abhängigkeit der Materialfestigkeiten sehr ähnlich definiert. Das Querkraftmodell des EC2 ohne NA(D) beruht auf einem Fachwerkmodell mit variabler Druckstrebenneigung, wobei der Druckstrebenwinkel innerhalb vorgegebener Grenzen frei gewählt werden darf (Plastizitäts- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 159 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden theorie). Im Gegensatz hierzu erfolgt die Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen mit rechnerisch erforderlicher Querkraftbewehrung nach EC2 NA(D) und DIN Fachbericht 102 auf Basis eines Fachwerkmodells mit Rissreibung [23]. Bild 1 zeigt das Prinzip: Das Fachwerk besteht aus parallel zu den Bauteilkanten verlaufenden Zug- und Druckgurten, die durch Zug- und Druckstreben miteinander verbunden sind. Über die Schubrisse im Winkel b r hinweg können in diesem Modell zusätzliche Kräfte aus Rissreibung übertragen werden, sodass sich geringere Druckstrebenwinkel ergeben. Der Winkel der geneigten Druckstreben θ ergibt sich damit in Abhängigkeit der Querkraft- und Normalkraftauslastung. 2.2 Versuchsergebnisse aus der Literatur Der Einbau von Querkraftbewehrung ermöglicht eine Steigerung der Querkrafttragfähigkeit von Stahlbetonbauteilen mit Einzellasten auch wenn der Mindestquerkraftbewehrungsgrad nicht erreicht wird [24]-[27]. Weiterhin konnte anhand von Versuchen festgestellt werden, dass das Querkraftversagen von Balken mit wenig Querkraftbewehrung in der Regel durch einen maßgebenden Biegeschubriss hervorgerufen wird (z. B. [28]-[30], was dem typischen Biegeschubversagen von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung entspricht. Dies konnte auch dann festgestellt werden, wenn eine Steigerung der Querkrafttragfähigkeit durch Einbau geringer Bügelmengen erreicht werden konnte. Demnach kann bereits eine geringe Menge Querkraftbewehrung bereits einen Effekt auf den Querkraftwiderstand haben, ohne die Versagensart zu beeinflussen. Daraus kann geschlossen werden, dass sich in diesen Fällen zwar kein Kraftfluss entsprechend dem Fachwerkmodell einstellen, jedoch das Risswachstum des versagensmaßgebenden Schubrisses in einem gewissen Maße kontrolliert werden kann. Bild 2 zeigt den Einfluss von Querkraftbewehrung auf das Rissbild im Bruchzustand. Während das Schubrissbild von Bauteilen mit sehr geringen Querkraftbewehrungsgraden (Bild 2b)-d)) dem von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung entspricht (Bild 2a), entsteht bei höheren Querkraftbewehrungsgraden das bei aktvierter Fachwerktragwirkung typische fächerartige Schubrissbild (Bild 2e) und f)). Größere Bügelmengen ermöglichen also nicht nur eine Steigerung der Querkrafttragfähigkeit, sondern auch eine Modifizierung des Tragverhaltens bzw. Versagensmechanismus. Die Abplatzungen des Betons bei dem Balken mit dem höchsten Querkraftbewehrungsgrad (Bild 2f)) zeigen das Bruchbild bei Betondruckversagen, das sich einstellt, wenn so viele Bügel vorhanden sind, dass die Fließgrenze der Zugstreben des Fachwerks beim Versagen der Druckstreben noch nicht erreicht ist. Die dargestellten Querkraftversagensbilder stammen alle aus Versuchen an Einfeldträgern mit Einzellasten. Wie bereits erwähnt, ergeben sich in Abhängigkeit des statischen Systems und der Belastungsart unterschiedliche Bauteilreaktionen bei Einbau sehr kleiner Bügelmengen. Es konnte in weiteren Versuchen jedoch auch festgestellt werden, dass sich das Querkrafttragverhalten von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung bei mehrfeldrigen Systemen oder unter Gleichstreckenlasten von dem üblicherweise herangezogener Einfeldträger mit Einzellasten unterscheidet [33]-[37]. Auch die wenigen vorliegenden Ergebnisse aus Prüfungen von Spannbetondurchlaufträgern mit Querkraftbewehrung [38]-[42] untermauern die Notwendigkeit, verstärkt vom Einfeldträger mit Einzellasten abweichende Systeme zu prüfen, welche die Randbedingungen bei Brücken deutlich realitätsnäher darstellen. 160 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden 3. Experimentelle Untersuchungen an Spannbetondurchlaufträgern 3.1 Versuchsprogramm Bild 2. Querkraftversagen bei Versuchen an Stahlbetonbauteilen mit verschiedenen Querkraftbewehrungsgraden; a) [31] b)-d) [30] e) [24] f) [32] Das Versuchsprogramm umfasste Bauteilversuche an insgesamt fünf vorgespannten Durchlaufträgern. Darin wurden die Einflüsse der Parameter Querkraftbewehrungsgrad, Querschnittsgeometrie und Belastungsart untersucht. Es wurden zwei unterschiedliche Querschnittsgeometrien verwendet, ein Rechteckquerschnitt und ein I-Profil, wobei erwartet wurde, dass profilierten Balken bei gleicher Stegbreite einen signifikant höheren Querkraftwiderstand erreichen als die Versuchskörper mit Rechteckprofil, da die Flansche ein vorzeitiges Versagen der Träger durch einen Schubdruckbruch oder infolge Ausfalls der Dübelwirkung verhindern. Die Variation des Querkraftbewehrungsgrades erfolgte in Abhängigkeit des Mindestquerkraftbewehrungsgrades nach EC2 NA(D). Im Zuge der Versuche wurden so Verhältnisse von geometrischem zu Mindestbewehrungsgrad von 0,5 bis 2,0 vorgesehen. Hierüber sollte der mechanische Übergang vom Fachwerkmodell mit Betontraganteil (singulärer Schubriss bei geringem Querkraftbewehrungsgrad) zu den geneigten Druckfeldern der Plastizitätstheorie (gleichmäßige verteilte Schubrisse bei höherem Querkraftbewehrungsgrad) festgestellt werden. Schließlich erfolgte ein Vergleich der Tragfähigkeiten bei unterschiedlicher Belastung durch Einzel- und Streckenlasten. Aus praktischen Gründen werden Querkraftversuche in der Regel an Einfeldträgern unter Einzellasten durchgeführt. Aus Versuchen an Einfeldträgern unter Streckenlasten ist jedoch bekannt, dass diese eine vergleichsweise höhere Querkrafttragfähigkeit aufweisen [43]. Die Streckenlast wurde über neun hydraulische Pressen in einem Abstand von 0,50 m je Feld aufgebracht. Im vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse der Versuche an den beiden Trägern mit Gleichstreckenlast vorgestellt (DLT 1.4 und DLT 1.5). Details zu den Versuchen mit Einzellasten (DLT 1.1 bis DLT 1.3) können [8] entnommen werden. Neben den Versuchen in Aachen wurden im Zuge des Forschungsprojekt weitere Querkraftversuche an Durchlaufträgern mit Plattenbalkenquerschnitt an der TU Dortmund durchgeführt [12]. Bild 3 zeigt eine Übersicht der Querschnitte, die im Zuge der im Projekt [11] durchgeführten Querkraftversuche verwendet wurden. Bild 3. Untersuchte Querschnittsformen bei den Querkraftversuchen [11], R- und I-Querschnitte wurden in Aachen (hier und [8]), T-Querschnitt in Dortmund [12] angewendet 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 161 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden 3.2 Materialien Betoneigenschaften Bild 4 Spanngliedführung der Versuchskörper [8] Für die Versuche wurde ein Transportbeton mit einem Größtkorndurchmesser von 8 mm und einer Zielfestigkeit entsprechend eines C30/ 37 verwendet. Die Frischbetoneigenschaften sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Begleitend zu den Bauteilversuchen wurden die Materialeigenschaften des Festbetons anhand von Baustoffproben ermittelt. Die Zylinderdruckfestigkeit f cm,cyl , der Sekantenmodul E cm und die Spaltzugfestigkeit f ctm,sp wurden an Zylindern mit einer Höhe von 300 mm und einem Durchmesser von 150 mm ermittelt. Die Würfeldruckfestigkeit f cm,cube150 bezieht sich auf Würfel mit einer Kantenlänge von 150 mm. Die Biegezugfestigkeit f ctm,BZ wurde an einem Balken mit Abmessungen von 150 × 150 × 700 (mm) ermittelt. Die Ergebnisse der Baustoffproben sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Die ermittelten Festigkeiten ergaben sich in der Regel als Mittelwerte aus mehreren Baustoffproben, wobei die Anzahl der Proben in Klammern angegeben ist. Das Betonalter in Tagen ist gleichzeitig das Alter des Trägers zum Versuchszeitpunkt. Betonstahl- und Spannstahleigenschaften Die mechanischen Eigenschaften des Betonstahls wurden als Mittelwerte von jeweils drei Zugproben bestimmt. Die Mittelwerte der 0,2 %-Dehngrenze f 0,2 , der Zugfestigkeit f yu und des E-Moduls E s sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Die Vorspannung des Trägers erfolgte im nachträglichen Verbund mit zwei parallelen Litzenspanngliedern, die aus jeweils drei 0,6“-Litzen und einem Metallhüllrohr (d = 47 mm) bestanden. Jede Litzen hatte eine Querschnittsfläche von 140 mm², sodass sich je Spannglied eine Gesamtfläche von 420 mm² ergibt. Die 0,1 %-Dehngrenze f p0,1 , die 0,2 %-Dehngrenze f p0,2 , die Zugfestigkeit f pt und der E-Modul E p des Spannstahls sind als Mittelwerte in Tabelle 4 angegeben. Vorspannung Der Verlauf der girlandenförmigen Spanngliedführung ist in Bild 4 dargestellt. Zur Sicherstellung des nachträglichen Verbundes zwischen Hüllrohr und Spannlitzen wurde nach dem Vorspannen Einpressmörtel verarbeitet. Dazu wurde entsprechend der Anforderungen ein Portland-Zement (CEM I 52,5R) verwendet. Der Wasser-Zementwert lag bei w/ z = 0,5. Es wurden jeweils Mörtelprismen (40 mm × 40 mm × 160 mm) hergestellt, an denen mithilfe des Biegezugversuchs die Zugfestigkeit f BZ ermittelt wurde. Nach der Spaltung der Körper während des Biegezugversuchs wurde die Druckfestigkeit f cm,prism ermittelt. Die Mörtelprismen lagerten bis zur 162 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden Prüfung der Druckfestigkeit bei einer durchschnittlichen Temperatur von 20°C in Wasser. Tabelle 5 zeigt die Vorspannkräfte und Spannkraftverluste der Versuchsträger. Zum Versuchszeitpunkt sollte sich eine mittlere Betonquerschnittspannung von 2,5 MPa infolge Vorspannung ergeben. Das Aufbringen der Vorspannung an beiden Spanngliedern erfolgte mit hydraulischen Pressen, die auf entgegengesetzten Trägerenden angeordnet waren. Dadurch sollten sich die Reibungsverluste der Spannglieder annähernd aufheben, sodass sich eine gleichmäßige Vorspannung über die Trägerlänge einstellt. Die Vorspannkraft zum Messzeitpunkt ist in Spalte 2 von Tabelle 5 angegeben. Die Reibungsverluste durch das Metallhüllrohr ∆ P µ (mit µ = 0,21) wurden für die Trägermitte berechnet. Die Spannkraftverluste aus Kriechen und Schwinden ∆ P KSR wurden über Setzdehnungsmessungen ebenfalls in Trägermitte bestimmt. Die Betondruckspannung σ cp,test im Schwerpunkt in Trägermitte unter Berücksichtigung der Spannkraftverluste zum Versuchszeitpunkt ist in der letzten Spalte angegeben. Durch die versetzte Anordnung der Pressen kann diese Querschnittsspannung als annähernd konstant über die Länge des Trägers angenommen werden. Tabelle 1 Frischbetoneigenschaften Bauteil CEM I 52,5R Wasser VZ FM w/ z Körnung 0-2 mm Körnung 2-8 mm Ausbreitmaß Frischbetonrohdichte [kg/ m3] [kg/ m3] [kg/ m³] [kg/ m³] [-] [kg/ m3] [kg/ m3] [cm] [t/ m³] DLT 1.4 320 160 0,92 2,21 0,5 1050,0 913,3 48,5 2,45 DLT 1.5 320 160 0,94 2,25 0,5 1044,7 924,7 47,5 2,45 Tabelle 2 Festbetoneigenschafen zum Versuchszeitpunkt Bauteil f cm,cyl E cm f cm,cube150 f ctm,sp f ctm,BZ Betonalter [MPa] [MPa] [MPa] [MPa] [MPa] [d] DLT 1.4 47,57 (3) 23 369 (3) 57,13 (5) 3,25 (3) 5,73 (1) 154 DLT 1.5 47,32 (3) 26 618 (3) 58,12 (7) 3,68 (4) 5,69 (1) 162 Tabelle 3 Eigenschaften des verwendeten Betonstahls Durchmesser f 0,2 f yu E s [mm] [MPa] [MPa] [MPa] Ø6 561 625 200 553 Ø8 531 656 196 673 Ø10 520 597 195 510 Ø12 555 637 194 990 Ø16 596 691 196 840 Ø25 557 658 201 370 Tabelle 4 Eigenschaften des verwendeten Spannstahls Litze A p f p0,1 f p0,2 f pt E p [mm²] [MPa] [MPa] [MPa] [MPa] 0,6“ 140 1729 1764 1950 190 000 Tabelle 5 Vorspannkräfte und Spannkraftverluste je Spannglied Versuch P t=0. ∆ P m=0,21 ∆ P m=KSR σ cp,test [kN] [kN] [kN] [MPa] DLT 1.4 335 -65,4 -20,5 2,49 DLT 1.5 510 -99,4 -7,0 2,52 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 163 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden Tabelle 6 Zusammenfassung der untersuchten Parameter und Ergebnisse der Querkraftversuche an Durchlaufträgern aus [20] Versuch Querschnitt Längsbewehrung Querkraftbewehrung r w,vorh / r w,min [‰] Belas-tung 1 Vorspannung σ cp [N/ mm²] Querkrafttragfähigkeit V u [kN] Feld 1 Feld 2 Feld 1 Feld 2 DLT 1.1 oben: 6Ø25 unten: 6Ø25 0,5 (Ø6/ 25) 1,5 (Ø10/ 25) EL 2,7 515 806 DLT1.2 oben: 4Ø25 + 6Ø16 unten: 4Ø25 + 6Ø16 0,5 (Ø6/ 25) 1,5 (Ø10/ 25) EL 2,5 721 1020 DLT 1.3 oben: 4Ø25 + 6Ø16 unten: 4Ø25 + 6Ø16 1,0 (Ø8/ 25) 2,0 (Ø12/ 25) EL 2,5 815 1154 DLT 1.4 oben: 6Ø25 unten: 6Ø25 0,5 (Ø6/ 25) 1,5 (Ø10/ 25) GL 2, 2,5 832 - DLT 1.5 oben: 4Ø25 + 6Ø16 unten: 4Ø25 + 6Ø16 0,5 (Ø6/ 25) 1,5 (Ø10/ 25) GL 3,6/ 3,5 (Feld 1/ Feld 2) 913 1280 DLT 2.1 oben: 16Ø12 unten, Feld: 3Ø16 + 2Ø20 unten, Stütz: 3Ø16 + 2Ø25 0,9 (Ø8/ 20) 2,3 (Ø12/ 20) EL 3,7 1012 1100 DLT 2.2 oben: 16Ø12 unten, Feld: 3Ø16 + 2Ø20 unten, Stütz: 3Ø16 + 4Ø20 0,8 (Ø6/ 20) 1,8 (Ø10/ 20) EL 3,7 935 1222 DLT 2.3 oben: 16Ø12 unten, Feld: 3Ø16 + 2Ø20 unten, Stütz: 3Ø16 + 4Ø20 0,5 (Ø6/ 30) 1,0 (Ø8/ 20) EL 3,7 909 1019 DLT 2.4 oben: 16Ø12 unten, Feld: 3Ø16 + 2Ø20 unten, Stütz: 3Ø16 + 10Ø20 0,9 (Ø6/ 20) 1,5 (Ø8/ 20) GL 3,7 1480 1781 1 EL: Einzellast, GL: Gleichlast 164 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden 3.3 Versuchsaufbau und -durchführung Um das Trag- und Verformungsverhaltens der Träger mit zunehmender Belastung kontinuierlich zu erfassen, wurden Dehnungsmessstreifen (DMS), induktive Wegaufnehmer (WA), Kraftmessdosen und ein photogrammetrisches Messsystem verwendet. Durch Messrechner wurde für eine kontinuierliche Messwerterfassung gesorgt. Für die Photogrammetriemessung wurde mit Sprühfarbe ein kontrastreiches Zufallsmuster innerhalb eines Messfeldes aufgetragen, das sich in den Schubfeldern befand. Die Erstellung der Bilder erfolgte bei den Einzellastversuchen jeweils bei Laststufen im Abstand von 50 kN. Am Mittelauflager und unterhalb der Pressen wurden die Kräfte mittels Kraftmessdosen erfasst. Die Durchbiegung der Träger wurde unterhalb der Lasteinleitung mit induktiven Wegaufnehmern (WA) gemessen. Auf der Betonoberfläche im Schubfeld erfolgte eine Dehnungs- und Verformungsmessung mittels DMS- und Wegaufnehmerrosetten zur Bestimmung der Hauptdehnungsrichtungen. Zusätzlich wurde das Risswachstum mittels photogrammetrischer Messungen (DIC) an der Lasteinleitung erfasst. Die Bügeldehnungen wurden mit Stahl-DMS gemessen. Neben konventioneller Messtechnik wurden von der Bundesanstalt für Materialforschung Ultraschallsensoren im Beton des Trägers eingesetzt und mittels Codawelleninterferometrie ausgewertet [44]. Die Versuchsanordnung der Streckenlastversuche ist in Bild 5 dargestellt. Bei diesen Versuchen wurden neun einzelne hydraulische Pressen je Feld verwendet, um über das Prinzip der verschmierten Einzellasten eine gleichmäßig verteile Last zu erzeugen. Durch Zusammenschluss aller Pressen in einem Ölkreislauf, übten alle Zylinder auch bei zwangsläufig entstehenden abweichenden Hubwegen die gleiche Kraft aus. Aus praktischen Gründen wurde der Träger verkehrt herum aufgebaut, sodass die Pressen unterhalb der Träger angeordnet waren und die Auflager des Trägers über Traversen in das Spannfeld rückverankert wurden. Auf diese Weise wurde keine lastverteilende Traverse in Längsrichtung benötigt. Die bei den Einzellastversuchen vorgenommene Messtechnik wurde bei den Streckenlastversuchen analog eingesetzt. Die Last wurde in Schrittweiten von 10 kN bezogen auf einen einzelnen Zylinder aufgebracht. Kurz vor dem Versagen des schwächer bewehrten Schubfelds sollte der Versuch unterbrochen und das Schubfeld mit Schubspangen verstärkt werden, um durch anschließende Wieder- und Weiterbelastung bis zum Versagen des stärker bewehrten Schubfelds zwei Teilversuche zu ermöglichen. Während die bei Träger DLT 1.5 gelang, kam es im ersten Teilversuch von Träger DLT 1.4 zu einem Versagen in der Biegedruckzone, sodass kein zweiter Teilversuch durchgeführt werden konnte. 3.4 Ergebnisse Die während der Versuche dokumentierten Rissbilder sind in Bild 6 dargestellt. Bei Versuchen kam es erwartungsgemäß zu einem Schubversagen am Auflager. Es ist zu erkennen, dass sich mindestens zwei kritische Schubrisse sich entlang der Verbindungslinie von Lasteinleitung und Auflager gebildet haben, sodass der Rückschluss zugelassen werden kann, dass diese Schubrisse auf den direkten Lastabtrag ins Auflager zurückzuführen sind. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 165 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden Bild 5. a) Versuchsanordnung und Messtechnik Streckenlastversuch; Versuchsaufbau von b) DLT 1.4, c) DLT 1.5 (Quelle: IMB, RWTH) In Bild 7 sind die Verformungskurven in Abhängigkeit der im Schubfeld wirkenden Querkräfte angegeben. Die Querkräfte wurden aus den gemessenen Pressenlasten und der am Mittellager gemessenen Auflagerkräfte unter Vernachlässigung des Vertikalanteils der Spannglieder ermittelt. Während die Belastung wie beschrieben in beiden Feldern parallel gesteigert wurde und stets gleich hoch war, zeigen die Last-Durchbiegungskurven, dass sich in den weniger schubbewehrten Feldern eine größere Durchbiegung bei gleichem Lastniveau einstellte. Die Querkräfte wurden in jedem Diagramm in jeweils drei Schnitten ermittelt. Der erste Schnitt bezieht sich auf die Auflagervorderkante und die weiteren Schnitte auf die Vorderkanten der weiter im Feld liegenden Lasteinleitungsplatten. Ein Vergleich mit den erreichten Querkrafttragfähigkeiten der Einzellastversuche [8] zeigt, dass die Streckenlastversuche am Auflager deutlich höhere Querkräfte aufnehmen können als Einzellastversuche. Dies ist auf die direkte Lasteinleitung der auflagernahen Pressen zurück-zuführen. Die Querkräfte bei den Gleichstreckenlastversuchen in einem Schnitt von a = 1,375 m Entfernung von wAuflager entsprechen in etwa der Querkrafttragfähigkeit der entsprechenden Einzellastversuche. Diese Länge stimmt in etwa mit dem 1,8-fachen Wert der statischen Nutzhöhe d überein. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die übliche Bemessungsvorschrift, den Nachweisschnitt für Querkraft im Abstand d vom Auflager zu positionieren, für Innenauflager von Spannbetonträgern tendenziell konservativ ist. Die erreichten Querkräfte sind zusammen mit den Bruchlasten der anderen im Zuge des Forschungsprojektes durchgeführten Querkraftversuche an Stahlbetondurchlaufträgern und den wichtigsten Eigenschaften der Versuche in Tabelle 6 zusammengefasst. 166 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden Bild 6. Rissbilder nach Durchführung der Versuche an DLT 1.4 (oben) und DLT 1.5 (unten, Quelle: IMB, RWTH) Bild 7. Last-Verformungskurven der Versuche: a) DLT 1.4 im Vergleich mit DLT 1.1 mit Einzellasten, b) DLT 1.5, 1. Teilversuch und c) DLT 1.5, 2. Teilversuch (Quelle: IMB, RWTH) 4. Bemessungsvorschlag für Bestandsbrücken 4.1 Hintergrund Das Fachwerkmodell mit variablem Druckstrebenwinkel basiert auf den Regeln der Plastizitätstheorie. Der Zusammenhang zwischen vorhandener Querkraftbewehrung und Querkrafttragfähigkeit kann in Bezug auf die geometrischen und Materialeigenschaften der betrachteten Bauteile normiert im Plastizitätskreis anschaulich dargestellt werden, wie Bild 8 zeigt. Die in schwarz dargestellten Linien zeigen das Fachwerkmodell für verschiedene Druckstrebenwinkelneigungen. Für cot θ = 2,5 ergibt sich z. B. Linie (1). Es ist jedoch auch ersichtlich, dass sich ohne Querkraftbewehrung (ω w = 0), demnach auch keine Traglast ergibt (v sy = 0), die sich über die Tragfähigkeit der Zugstreben bestimmt. Bei Einbau von wenig Schubbewehrung erhöht sich der Querkraftwiderstand zwar überproportional, viele ältere Bestandsbrücken befänden sich bei Eintrag in die Grafi k jedoch außerhalb des Plastizitätskreises. Die rot dargestellten Linien (2)/ (3) in Bild 8 zeigen Möglichkeiten für das Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil für unterschiedliche Winkel b r . Dies ermöglicht durch Berücksichtigung einer Grundtragfähigkeit von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung (gedanklich durch Verschub des Minimums aus dem Ursprung des Koordinatensystems entlang der Abszisse), rechnerisch auch Bereiche außerhalb des Plastizitätskreises zu erfassen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 167 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden Bild 8. Plastizitätskreis mit (1) Begrenzung des Druckstrebenwinkels θ auf cot θ = 2,5 und (2) / (3) Fachwerkmodelle mit Betontraganteil nach Zur Begrenzung der rechnerischen Wertebereiche außerhalb des Plastizitätskreises, wird cot b r entsprechend Gl. (1) begrenzt, Linie (3). Weitere Details sind in [17] beschrieben. (1) 4.2 Berechnungsansatz Im Folgenden wird der Vorschlag für zweite Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie entsprechend der Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt [11] zur Querkraftbemessung der Längsträger älterer Spannbetonbrücken mit kleinen Schubbewehrungsgraden durch ein Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil vorgestellt. Es gilt die Vorzeichennotation nach DIN Fachbericht, da dieser der Nachrechnungsrichtlinie zugrunde liegt. Anders als nach EC2 werden hierbei Druckspannungen negativ und Zugspannungen positiv defi niert. Die Querkrafttragfähigkeit nach dem Modell ergibt sich nach Gl. (2). (2) Dabei ist wird ein Duktilitätskoeffi zient k ct berücksichtigt (Gl. (3)), um dem Übergang vom spröden Biegeschubversagen zum duktileren Zugstrebenversagen Rechnung zu tragen. (3) mit r w,vorh. vorhandener Querkraftbewehrungsgrad r w,min Mindestwert für den Querkraftbewehrungsgrad nac h DIN-Fachbericht 102, II-5.4.2.2 Der Bemessungswert der Querkrafttragfähigkeit V Rd,ct biegebewehrter Bauteile ohne Querkraftbewehrung als Grundwert des additiven Betontraganteils entspricht Gleichung (4). (4) Dabei sind die Begrenzungen nach den Gl. (5) und (6) zu berücksichtigen, die den Mindestbzw. Höchstwert angeben. V v b d Rd ct min min cd w , , , 0 15 (5) (6) Dabei ist g c der Teilsicherheitsbeiwert für bewehrten Beton nach DIN-Fachbericht 102, II2.3.3.2 k ein Maßstabsfaktor mit k = 1 + (200/ d) 0,5 ≤ 2,0 mit d in [mm] r l der Längsbewehrungsgrad mit r l = A sl / (b w d) ≤ 0,02 A sl die Fläche der Zugbewehrung, die mindestens um das Maß d über den betrachteten Querschnitt hinausgeführt und dort wirksam verankert wird (siehe DINFB 102, Abb. 4.12). Bei Vorspannung mit sofortigem Verbund darf die Spannstahlfl äche voll auf A sl angerechnet werden. f ck der charakteristische Wert der Betondruckfestigkeit in N/ mm² σ cd der Bemessungswert der Betonlängsspannung in Höhe des Schwerpunkts des Querschnitts mit σ cd = N Ed / A c ≤ 0,4f cd in N/ mm² N Ed der Bemessungswert der Längskraft im Querschnitt infolge äußerer Einwirkungen oder Vorspannung (N Ed < 0 als Längsdruckkraft) b w die kleinste Querschnittbreite innerhalb der Zugzone des Querschnitts d die statische Nutzhöhe der Biegezugbewehrung im betrachteten Querschnitt v min = (0,0525/ g c ) ∙ k 3/ 2 ∙ f ck 1/ 2 für d ≤ 600 mm v min = (0,0375/ g c ) ∙ k 3/ 2 ∙ f ck 1/ 2 für d > 800 mm Für 600 mm < d ≤ 800 mm darf interpoliert werden. Der Beiwert ν für die aufnehmbare Druckspannung des gerissenen Betons ergibt sich nach Gleichung (7). 168 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden (7) Der rechnerische Schubrisswinkel b r darf in den in Gl. (8) angegebenen Grenzen gewählt werden. (8) Die Druckstrebentragfähigkeit für eine Querkraftbewehrung rechtwinklig zur Bauteilachse ergibt sich nach Gl. (9). (9) Der rechnerische Druckstrebenwinkel θ zur Berechnung von V Rd,max ergibt sich nach Gl. (10). (10) Der mechanische Querkraftbewehrungsgrad ergibt sich nach Gl. (11). (11) 4.3 Vergleich mit Versuchsergebnissen Ein Vergleich der bezogenen Querkrafttragfähigkeiten (V exp aus einem Versuch zu V calc entsprechend eines Berechnungsansatzes), die sich durch Anwendung des in Abschnitt 4.2 beschriebenen Ansatzes auf die im Zuge des Forschungsprojekts [11] durchgeführten Querkraftversuche gemäß Tabelle 6 ergeben, mit den bezogen Querkrafttragfähigkeiten entsprechend der aktuellen Regeln der 1. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie ist in Bild 9 in Abhängigkeit des Querkraftbewehrungsgrades dargestellt. Bei der Auswertung wurden die Teilversuche mit erreichten Bruchlasten (dreieckige Markierungen) getrennt von den Versuchen ausgewertet, die vorzeitig beendet wurden, um einen zweiten Teilversuch am Träger durchführen zu können (runde Markierungen). Infolge der auf der sicheren Seite liegend gewählten Lasten zum Zeitpunkt der Verstärkung der ersten Trägerhälfte wurden die erreichten Beanspruchungsniveaus von beiden Ansätzen deutlich unterschätzt (gestrichelte Trendlinien). Bei den Teilversuchen, die ihre Bruchlast erreichten (durchgehende Trendlinien), zeigt sich eine gute Vorhersage der Querkrafttragfähigkeiten auf Basis des Vorschlags für Stufe 2. Im Vergleich zum aktuellen Bemessungsansatz können insbesondere für geringe Querkraftbewehrungsgrade zutreffendere Ergebnisse erzielt werden. Bild 9. Vergleich der Querkrafttragfähigkeiten der in [11] durchgeführten Großversuche mit den rechnerischen Tragfähigkeiten 5. Zusammenfassung und Ausblick Im vorliegenden Beitrag wurde ein Teil der Querkraftversuche vorgestellt, die im Zuge eines von der BASt beauftragten Forschungsprojektes durchgeführt wurden. Ziel des Projekts war es, durch experimentelle und theoretische Untersuchungen verfeinerte Bemessungsmöglichkeiten für die Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand zu entwickeln. Am Institut für Massivbau der RWTH Aachen wurden Querkraftversuche an insgesamt fünf großformatigen Spannbetondurchlaufträgern durchgeführt. Dabei wurden der Querkraftbewehrungsgrad, die Querschnittsform (Rechteck- und I-Profil) sowie die Belastungsart (Einzel- und Gleichstreckenlast) variiert. Alle Träger wiesen geringe Querkraftbewehrungsgrade vom 0,5bis 2,0-fachen Wert der Mindestquerkraftbewehrung nach DIN Fachbericht 102 auf. Während die Versuche mit konzentrierter Belastung in einem anderen Beitrag bereits vorgestellt wurden, erfolgte hier die Beschreibung der Versuche mit Gleichstreckenbelastung. Insgesamt wiesen die Bauteile erhebliche Querkrafttragfähigkeiten in Bezug auf die geringen Bügelbewehrungsmengen auf. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse wurde ein modifiziertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil entwickelt und vorgestellt, das eine zutreffendere Ermittlung der Querkrafttragfähigkeiten gering schubbewehrter Spannbetonträger erlaubt, die sich häufig in älteren Bestandsbrücken wiederfinden. Dieses Modell wurde als Ansatz für Stufe 2 der 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie vorgeschlagen und erlaubt gegenüber der aktuellen Nachrechnungsrichtlinie die rechnerische Aktivierung weiterer Tragreserven. Der Betontraganteil des Modells ist dabei identisch zur Bie- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 169 Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden geschubtragfähigkeit für Bauteile ohne Querkraftbewehrung und der Fachwerktraganteil verwendet einen flacheren Druckstrebenwinkel. Obwohl die Bemessungsansätze durch dieses Forschungsvorhaben weiter verbessert werden konnten, besitzen Spannbetonbrücken im Bestand noch erhebliche Tragreserven unter Querkraft- und Torsionsbeanspruchung. Diese könnten durch erweiterte Bemessungsansätze genutzt werden, um einen Weiterbetrieb ohne Verstärkung oder vorzeitigen Ersatzneubau zu ermöglichen. Hauptgründe für die vorhandenen Tragreserven sind zum einen die günstigen Einflüsse aus dem statischen System des Durchlaufträgers (geringere Schubschlankheit im Vergleich zum Einfeldträger), der Vorspannung (spätere Schubrissbildung) und der Belastungsart (Streckenlasten anstelle von Einzellasten in fast allen Versuchen). Weitere offene Fragestellungen ergeben sich bei den Verfahren der Stufe 4. Zurzeit können beispielsweise nichtlineare FE-Berechnungen, das erweiterte Druckbogenmodell oder die Modified Compression Field Theory angewendet werden. Mit allen Verfahren lassen sich hohe rechnerische Tragreserven ermitteln, da sie das nichtlineare Materialverhalten und das Systemtragverhalten zutreffender erfassen als eine vereinfachte Nachweisführung. Allerdings ist die Anwendung um ein Vielfaches komplexer. Offene Fragen bestehen zu den Anwendungsgrenzen, der Vergleichbarkeit und vor allem zum erreichbaren Sicherheitsniveau. Diese Punkte sollen in den nächsten Jahren in einem weiteren Forschungsvorhaben adressiert werden. Danksagung Der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) wird für die Förderung des Projektes und den Mitgliedern des Betreuungsausschusses für die hilfreichen Diskussionen gedankt. Diesem Bericht liegen Teile der im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, unter FE-Nr. 15.0591/ 2012/ FRB durchgeführten Forschungsarbeit zugrunde. Die Verantwortung für den Inhalt liegt allein bei den Autoren. 6. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Strategie zur Ertüchtigung der Straßenbrücken im Bestand der Bundesfernstraßen. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin Ausgabe Mai 2013. [2] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehr - Eine Bestandsaufnahme. In: Bauingenieur 85 (2010), Heft 1, S. 1-9. [3] Zilch, K.; Weiher, H.: Untersuchung des Zustands der deutschen Spannbetonbrücken. In: Zilch, K. (Hrsg.): Tagungsband zum 10. Münchner Massivbau-Seminar. Eigenverlag der TUM, 2006, S. 1-18. [4] Maurer, R.; Bäätjer, G.: Sicherheit von Spannbetonbrücken - Entwicklung von Konstruktions- und Bemessungsgrundsätzen in Deutschland. 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Kolloquium Brückenbauten - September 2020 171 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand Nicholas Schramm, M.Sc. Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, München, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau, München, Deutschland Zusammenfassung Aufgrund von gestiegenen Anforderungen an Bestandsbrücken zeigen sich bei der Nachrechnung von Spannbetonbrücken häufig ausgeprägte rechnerische Defizite bezüglich der Querkrafttragfähigkeit, obwohl in der Praxis oftmals keine entsprechenden Schadensbilder am Bauwerk erkennbar sind. Diese Diskrepanz ist aktuell Gegenstand mehrerer Forschungsvorhaben. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach dem Einfluss von aktuell nicht mehr zugelassenen Bügelformen, sowie generell von einem geringen Querkraftbewehrungsgehalt (geringer als die aktuell geforderte Mindestbewehrung), auf die Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken. Diesbezüglich wurden durch den Lehrstuhl für Massivbau der Technischen Universität München (TUM) umfangreiche experimentelle Untersuchungen an insgesamt 14 Spannbetonträgerausschnitten mit einem innovativen Versuchskonzept unter Anwendung der Substrukturtechnik durchgeführt. Hierbei konnten wichtige neue Erkenntnisse zum Einfluss der Bügelform auf das Querkrafttragverhalten gewonnen werden. Auf Grundlage der experimentellen Untersuchungen wurden Vorschläge zur teilweisen Anrechnung dieser Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit erarbeitet. Der Beitrag stellt die Ergebnisse der experimentellen Untersuchungen sowie ein Bemessungskonzept zur Anrechenbarkeit nicht normgemäßer Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit dar. 1. Einleitung Bei der Nachrechnung von Massivbrücken finden sich häufig Querkraftbewehrungsformen, die nach heutigen Vorschriften nicht mehr zulässig sind, da sie die Anforderungen an die derzeit geforderte konstruktive Durchbildung nicht erfüllen. Bisher dürfen solche Bügelformen bei der Nachrechnung auf Grundlage der Nachrechnungsrichtlinie [1], [2] rechnerisch nicht für den Nachweis der Querkrafttragfähigkeit in Ansatz gebracht werden. In der Baupraxis finden sich diverse Abweichungen. So wurden in der Vergangenheit häufig zweiteilige Bügel mit kurzen Übergreifungslängen der vertikalen Bügelschenkel (vgl. Abbildung 1), oben offene Bügel mit geraden Stabenden oder Steckbügel, die nicht über die gesamte Steghöhe reichen (vgl. Abbildung 2), verwendet. Abbildung 1: Zweiteilige Bügelbewehrung mit kurzer Übergreifungslänge der Bügelschenkel in einem Feldquerträger der Rheinbrücke Bonn-Nord [3] 172 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand Abbildung 2: Einseitig offene Steckbügel mit geraden Stabenden, die nicht über die gesamte Querschnittshöhe reichen am Beispiel der Ruhrtalbrücke Mintard [3] Zum Einfl uss der genannten Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit fi nden sich, wenngleich diese zur damaligen Zeit normativ zulässig waren, nur wenige Versuche zur Absicherung der Wirksamkeit für die Abtragung von Querkräften. Vor diesem Hintergrund wurden am Lehrstuhl für Massivbau der Technischen Universität München im Rahmen eines großen Verbundforschungsvorhabens [4] (s. hierzu auch [5], [6], [7]) umfangreiche experimentelle Untersuchungen zum Einfl uss nicht mehr zugelassener Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit durchgeführt. Um möglichst viele Versuche (für verschiedene Bügelformen) mit vergleichsweise geringem Aufwand durchführen zu können und um gleichzeitig die Beanspruchungsverhältnisse im Bereich der Innenstütze von Spannbetonbrücken möglichst realitätsnah abbilden zu können, wurde hierbei ein neuartiges Versuchskonzept angewendet und es wurden lediglich Ausschnitte von Spannbetonträgern (sogenannte Substrukturen) geprüft (für nähere Informationen vgl. [4], [8], [9] und [10]). In dieser Weise wurden für die genannten Bügelformen (inkl. Referenzversuchen mit konventioneller und ohne Bügelbewehrung) insgesamt 14 Versuche durchgeführt. Der vorliegende Beitrag stellt die experimentellen Untersuchungen vor, geht auszugsweise auf die Versuchsergebnisse ein und legt ein Bemessungskonzept zur Anrechenbarkeit nicht normgemäßer Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit dar. 2. Experimentelle Untersuchungen 2.1 Allgemeines Um die Beanspruchungsverhältnisse im Bereich der Innenstütze eines vorgespannten Durchlaufträgers zu simulieren, wurde der entsprechende Teilbereich aus dem Gesamtsystem herausgelöst betrachtet (vgl. Abbildung 3). Abbildung 3: Betrachtetes Teilsystem im Bereich der Innenstütze eines Durchlaufträgers sowie zugehörige Weg- und Schnittgrößen [3] Es wurden zwei verschiedene Prüfkörpergeometrien, Rechteckquerschnitte und T-Querschnitte, untersucht und jeweils die Bügelform, der Querkraftbewehrungsgehalt sowie (für die T-Querschnitte) der Vorspanngrad als Parameter variiert. Insgesamt wurden elf Versuche mit Rechteckquerschnitt und drei Versuche mit Plattenbalkenquerschnitt durchgeführt. 2.2 Versuchstechnik Die experimentellen Untersuchungen wurden in einem neuartigen Versuchstand am Lehrstuhl für Massivbau der TUM durchgeführt. Dabei ist es mittels der realisierten Echtzeitsteuerung von sechs Hydraulikzylindern (doppeltwirkend, max. Druckkraft je Zylinder 1 600 kN, max. Zugkraft je 1 100 kN) und massive Stahl-Lasteinleitungsplatten möglich, vorgespannte Trägerausschnitte mit Querschnittshöhen bis 1,8 m mit einer Querkraft von bis zu 3,2 MN und einem maximalen Moment von bis zu 3,2 MNm zu belasten. Somit lässt sich, wie es bei den hier vorgestellten Versuchen der Fall war, z. B. auch die Momenten-Querkraft Interaktion im Bereich der Innenstütze eines Durchlaufsystems mit feldweisen Einzellasten (vgl. Abbildung 3) simulieren, siehe hierzu auch [11]. Die so untersuchten Trägerelemente werden dann jeweils durch eine konstante Querkraft sowie ein linear veränderliches Biegemoment (mit Momentennullpunkt in Trägermitte) beansprucht. [9] 2.3 Versuchsträger und -programm Die Versuchsträger mit Rechteckquerschnitt waren alle 3,5 m lang, 80 cm hoch und 25 cm breit. An den beiden Enden wurden diese jeweils auf eine Breite von 45 cm linear aufgeweitet. Die Prüfl inge mit T-Querschnitt waren 1,10 m hoch, 1,05 m breit und besaßen eine Stegbreite von 40 cm. Für beide Versuchsreihen wurde ein geringer Querkraftbewehrungsgrad gewählt und die Bügel- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 173 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand form variiert. Bei den Versuchen mit Plattenbalkenquerschnitt wurde ein glatter Betonstahl aus Baustahl S 275 verwendet. Für die Versuche mit Rechteckquerschnitt kam ein Betonstahl B500B zur Anwendung. Als Längsbewehrung wurden 6Ø25 (Rechteckquerschnitte) bzw. 10Ø25 (T-Querschnitte) gewählt. Die Trägerelemente wurden stirnseitig über Schubnocken an die Einleitungsplatten des Versuchstands angeschlossen. Tabelle 1 gibt einen zusammenfassenden Überblick über das Versuchsprogramm und die wesentlichen Parameter der Prüfkörper. Bei den Versuchskörpern mit Rechteckquerschnitt wurden oben offene Bügel mit geraden Stabenden (vgl. Abbildung 4a), zweiteilige Bügel mit geraden Stabenden und geringer Übergreifungslänge (vgl. Abbildung 4b) sowie einseitig offene Steckbügel, die nicht über die gesamte Steghöhe reichen, untersucht. Des Weiteren wurden Referenzversuche ohne und mit geschlossener Bügelbewehrung durchgeführt. Für die T-Querschnitte wurden lediglich geschlossene und einseitig (im Gurt) offene Bügel mit geraden Stabenden aus glattem Betonstahl untersucht. Abbildung 4: Untersuchte Bügelformen a) oben offene Bügel mit geraden Stabenden b) Zweiteilige Bügel mit geraden Stabenden und kurzer Übergreifungslänge c) einseitig offene Steckbügel, die nicht über die gesamte Querschnittshöhe reichen [3] Tabelle 1: Versuchsprogramm [3] In den Versuchen kam eine sehr umfangreiche Messtechnik zum Einsatz. Zum einen wurde konventionelle Messtechnik wie Weg- und Neigungssensoren und bis zu 71 Dehnmessstreifen je Versuch auf der Bügel- und Längsbewehrung verwendet. Darüber hinaus wurde ein kamerabasiertes optisches Messsystem mit einer Mess- 174 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand feldbreite von ca. 90 cm eingesetzt, um das Riss- und Verformungsverhalten (sowie insbesondere die Risskinematik) zu erfassen. Zudem wurden auf der Bügelbewehrung faseroptische Sensoren angebracht, wodurch die Beanspruchungen in der Bewehrung nicht nur sehr lokal, sondern quasi-kontinuierlich entlang der Bügelschenkel gemessen werden konnten. Dadurch war eine detaillierte Erfassung des Trag- und Verankerungsverhaltens der unterschiedlichen Bügelformen möglich. [9] Im Rahmen von Begleitversuchen wurde eine Würfeldruckfestigkeit zwischen 36,9 und 48,1 MPa ermittelt. 2.4 Versuchsergebnisse Bei allen 14 Trägern trat ein Querkraftversagen auf. Die Bruchquerkräfte lagen dabei zwischen 596 und 1 455 kN bei einer Schubrissneigung zwischen 17 und 35 ° (vgl. Tabelle 2). Das Verhältnis der Bruchquerkräfte zur Bruchlast des Versuchsträgers ohne Querkraftbewehrung für die Prüflinge mit Rechteckquerschnitt (vgl. Tabelle 2) verdeutlicht den dominanten Betontraganteil der untersuchten Spannbetonträgerelemente. Tabelle 2: Bruchquerkräfte (V max ), gemittelte Neigungen des kritischen Schubrisses (β r ), Schrägrisslasten (V cr ) und Verhältnis der Querkrafttragfähigkeiten mit und ohne Querkraftbewehrung (V max / V ult,ρw=0 ) [3] Um den Einfluss der Bügelform auf die Querkrafttragfähigkeit zu bewerten, wurde der Traganteil der Querkraftbewehrung für die Versuche mit Rechteckquerschnitt aus der Differenz der gemittelten Bruchlasten des jeweiligen Versuchsträgers (mit entsprechender Bügelform) und dem Mittelwert der Bruchlasten aus den Versuchen ohne Querkraftbewehrung errechnet (vgl. Abbildung 5). Für diesen vereinfachten Vergleich wurde der geringe Einfluss abweichender Betondruckfestigkeiten der einzelnen Versuche nicht berücksichtigt. Hierbei sei ferner erwähnt, dass der Bügeltraganteil bei Ermittlung aus der Differenz der Bruchlasten mit und ohne Bügelbewehrung unterschätzt wird, da keine Rissreibungsanteile des unbewehrten Trägers berücksichtigt werden. Für die grundsätzliche Betrachtung des Einflusses unterschiedlicher Bügelformen ist dies jedoch vernachlässigbar. Abbildung 5: Einfluss der Bügelform auf den Traganteil der Querkraftbewehrung bei konstantem Querkraftbewehrungsgrad ρ w [3] Es zeigt sich, dass der Bügeltraganteil für zweiteilige Bügel mit reduzierten Übergreifungslängen im Vergleich zu konventionellen, geschlossenen Bügeln nur unerheblich geringer ausfällt. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Tragwirkung im Vergleich zu einem geschlossenen Bügel lediglich in den Bereichen reduziert ist, in denen die Übergreifung der beiden Bügelteile durch Schubrisse gekreuzt wird. Zudem zeigen die Dehnungsmessungen (vgl. Abbildung 6), dass trotz der geringen Übergreifungslänge selbst im Stoßbereich nahezu die volle Bügelkraft übertragen werden kann. Diese Erkenntnisse decken sich auch mit den Untersuchungen von [12]. [3] Demgegenüber reduziert sich der Traganteil für oben offene Bügel mit geraden Stabenden deutlich. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der kritische Schubriss die Bügelschenkel zum Teil in Bereichen kreuzt, in denen sich die Bügelkraft durch die ungünstigere Verankerung (gerade Stabenden) nicht bis zur Streckgrenze aufbauen kann. Der Bügeltraganteil der oben offenen Bügel im Vergleich zu geschlossenen, konventionellen Bügeln reduziert sich daher abhängig von der Anzahl an Bügeln, die durch den kritischen Schubriss im Bereich der Verankerungslänge der oben offenen Stabenden gekreuzt werden. [3] 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 175 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand Abbildung 6: Beispielhafte Darstellung des Dehnungsverlaufs entlang eines unten offenen Steckers mit geraden Stabenden im Stützbereich (Messung lediglich an einem Bügelschenkel) [3] Für die Versuche an T-Querschnitten mit oben offener, glatter Bügelbewehrung lässt sich bei Vergleich der gemessenen Bruchquerkräfte hingegen auf keine Reduktion der Querkrafttragfähigkeit schließen. Selbiges wurde auch von [13] bei Versuchen an Spannbetonträgern mit I-Querschnitt und oben offener, gerippter Bügelbewehrung mit geraden Stabenden festgestellt. Der positive Einfluss der Gurte auf das Verankerungsverhalten der geraden Stabenden kann dabei insbesondere darauf zurückgeführt werden, dass der kritische (Biege-)Schubriss für die untersuchten Querschnitte bei Erreichen der maximalen Querkraft entlang der Kante zwischen Gurt und Steg verläuft und dieser sich somit nicht in den Flansch fortpflanzt. Es ist jedoch zu erwarten, dass dieses Tragverhalten lediglich bei voller Verankerung der geraden Stabenden im Gurt vorliegt und sich die Wirksamkeit der offenen Bügelbewehrung andernfalls (analog zu den Versuchen an Rechteckquerschnitten) entsprechend reduziert. Für die Träger mit einseitig offenen Steckbügeln (als Zulage im negativen Momentenbereich) verlagert sich das Versagen in den Feldbereich. Somit zeigt sich ein deutlicher Einfluss dieser Bügelform auf das Querkrafttragverhalten. Die zugehörigen Dehnungsmessungen machen generell deutlich, dass analog zu den über die gesamte Bauteilhöhe reichenden offenen Bügeln ein Fließen in den vertikalen Bügelschenkeln auftreten kann, falls der Bügel außerhalb der Verankerungslänge von einem Schubriss gekreuzt wird. [3] Ergänzend zu den Bauteilversuchen wurden Ausziehversuche mit glattem Betonstahl durchgeführt, um die ansetzbaren Verbundspannungen für Glattstahl nach [2] und anderen Ansätzen zu verifizieren. Hierbei zeigte sich, dass die Verbundspannung von glattem Betonstahl sehr großen Schwankungen unterworfen ist, da diese insbesondere auf die Haftreibung beruht, die wiederum von der relativ stark schwankenden Rauigkeit des Stahls abhängt. Die Verbundspannung für Glattstahl sollte daher mit einem auf der sicheren Seite liegenden Ansatz bestimmt werden. Da Bügelbewehrung aus glattem Betonstahl in der Vergangenheit jedoch in der Regel immer mit Haken am Stabende (die wiederum als punktuelle Verankerung angesehen werden können) ausgeführt wurde, kann diese auch für den Fall, dass sie nicht geschlossen ist grundsätzlich bis zur Streckgrenze ausgenutzt werden. Es zeigt sich jedoch, dass für die Aktivierung einer solchen Querkraftbewehrung größere Schubrissöffnungen erforderlich sind. 3. Ingenieurmodelle und Anwendungsregeln zur vereinfachten Berücksichtigung nicht normgemäßer Bügelformen Die nachfolgenden Ausführungen basieren zu großen Teilen auf [3], falls nicht anderweitig gekennzeichnet. Die Erkenntnisse zu den Versuchen und die zur Wirksamkeit der Bügelbewehrung angestellten theoretischen Überlegungen wurden für die verschiedenen Bügelformen in einen vereinfachten Bemessungsansatz zur Bestimmung des Bügeltraganteils überführt. Der wesentliche Fokus des nachfolgend vorgestellten Ansatzes, der so auch Eingang in die 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie [14] finden soll, lag auf einer einfachen baupraktische Anwendbarkeit sowie Konformität zu DIN-Fachbericht-102 [15]. Grundsätzlich setzt der nachfolgend vorgestellte Ansatz auf die Überlegungen nach [15] auf und ermittelt den ansetzbaren Bügeltraganteil über die Fachwerkanalogie. Da auf die Berücksichtigung eines Traganteils infolge Rissreibung und Dübelwirkung der Querkraftbewehrung verzichtet wird, sind der Risswinkel und Neigungswinkel der Druckstreben jedoch identisch, daher wird nachfolgend einheitlich nur der Begriff Risswinkel verwendet. Da die dem Ansatz zugrunden liegenden Versuche mit einem geringen Querkraftbewehrungsgrad (unterhalb der erforderlichen Mindestquerkraftbewehrung nach [15]) durchgeführt wurden, beschränken sich die Anwendungsregeln auf Querkraftbewehrungsgehalte von ρ w,vorh < 1,5 ∙ ρ w,min . Die Bügelbewehrung wird erst durch eine Schrägrissbildung für die Abtragung von Querkräften aktiviert. Der Bügeltraganteil ergibt sich somit aus der Summe der durch einen Schubriss gekreuzten Bewehrungselemente. Der Risswinkel wird als diskreter Riss mit idealisierter Neigung β r betrachtet, der sich analog zu [14], [16] und [17] nach Gleichung (1) bestimmen lässt: cot β r = 1,2 + f ck / (150 ∙ ρ w ∙ f yk ) - 2,4 ∙ σ cp / f ck ≤ 2,25 (1). mit: β r Rissneigungswinkel f ck char. Wert der Betondruckfestigkeit ρ w vorh. Querkraftbewehrungsgehalt f yk char. Streckgrenze des Betonstahls σ cp char. Vorspannung im Schwerpunkt 176 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand Beim Vergleich mit den in den Versuchen bestimmten Schubrisswinkel zeigt sich eine sehr gute Übereinstimmung für die Rechteckquerschnitte und eine etwas schlechtere (aber auf der sicheren Seite liegende) Übereinstimmung für die T-Querschnitte (vgl. Abbildung 7). Die schlechtere Übereinstimmung für die Plattenbalkenquerschnitte ist dabei darauf zurückzuführen, dass die Querschnittsform selbst einen Einfluss auf die Rissreibung besitzt und das Vorhandensein einer glatten Bügelbewehrung womöglich zu flacher geneigten Schubrissen führt. Abbildung 7: Vergleich der experimentell und nach Gleichung (1) ermittelten Kotangens der Schubrisswinkel in Abhängigkeit der Beton- und Betonstahlkennwerte für Rechteck- und Plattenbalkenquerschnitte [3] Aus den eigens durchgeführten Versuchen geht hervor, dass der kritische Schubriss die Bügelschenkel zum Teil in Bereichen kreuzt, in denen sich die Bügelkraft durch die teilweise unzureichende Verankerung bzw. unterschiedlichen Verbundbedingungen der nicht normenkonform ausgeführten Bügelbewehrung nicht bis zur Streckgrenze aufbauen kann. In den restlichen Bereichen kann hingegen die gleiche Querkraft wie bei konventionellen Bügeln abgetragen werden. Demnach kann der innere Hebelarm z zur Berechnung des Bügeltraganteils um das Maß der Verankerungsbzw. Übergreifungslänge der Bügelschenkel reduziert werden, sodass sich aus den geometrischen Beziehungen ein reduzierter Bereich für die Anrechnung der Bügelbewehrung im jeweiligen Bemessungsschnitt ergibt. Für oben offene Bügel mit geraden Stabenden, die über die gesamte Querschnittshöhe reichen, ist zu unterscheiden, ob die geraden Stabenden vollständig im Gurt verankert sind (die Verankerungslänge wird dann vollständig durch den Gurt eingeschlossen), ob diese lediglich teilweise im Gurt verankert sind (Verankerungslänge nur teilweise vom Gurt umfasst), oder aber vollständig außerhalb des Gurtes verankert werden. Bei vollständiger Verankerung im Gurt (Einbindelänge der geraden Stabenden im Gurt größer als die erforderliche Verankerungslänge nach DIN-Fachbericht-102 [15]) darf die Querkraftbewehrung voll in Ansatz gebracht werden. Dies gilt auch für den Fall, dass ein entsprechender Gurt in der Zugzone liegt, da davon ausgegangen werden kann, dass sich der kritische Schubriss wenn dann erst im postkritischen Bereich bzw. infolge der resultierenden Versagenskinematik in den Gurt fortpflanzt. Dementsprechend zeigt sich weder bei den eigenen noch bei Versuchen aus der Literatur (vgl. [13]) eine merkliche Reduktion der Querkrafttragfähigkeit für diesen Fall. Der Bügeltraganteil berechnet sich folglich nach Gleichung (2): V Rd,sy,ad = a sw ∙ z ∙ f ywd ∙ cot β r (2). mit: f ywd Bemessungswert der Streckgrenze des Betonstahls a sw Querschnittsfläche der Querkraft-bewehrung auf 1 m Länge bezogen z Hebelarm der inneren Kräfte Für den Fall, dass die Verankerung der geraden Stabenden jedoch nur teilweise im Gurt erfolgt (Einbindelänge der geraden Stabenden im Gurt geringer als die nach DIN- Fachbericht-102 [15] erforderliche Verankerungslänge), ist der Hebelarm der inneren Kräfte zu reduzieren, um den reduzierten Wirkungsbereich der Bügelbewehrung zu berücksichtigen (vgl. Abbildung 8). Abbildung 8: Ermittlung des Bügeltraganteils für oben offene Bügel mit geraden Stabenden, bei teilweiser Verankerung im Gurt [3] Der innere Hebelarm z wird daher um die Differenz der erforderlichen Verankerungslänge und der Einbindelänge im Gurt reduziert, so dass sich der Bügeltraganteil für diesen Fall wie folgt berechnet (Gl. (3)): V Rd,sy,ad = a sw ∙ (z - (l b,Bü,net l f )) ∙ f ywd ∙ cot β r (3), mit: l b,Bü,net Verankerungslänge der geraden Stabenden des Bügels nach [15] l f Einbindetiefe der geraden Stabenden im Gurt Liegt eine Verankerung der geraden Stabenden der offenen Bügel außerhalb eines Gurtes vor, wie dies beispielsweise bei Querträgern ohne einen ausgeprägten Gurt, bei 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 177 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand einer Verankerung im Steg oder allgemein bei Rechteckquerschnitten der Fall ist (vgl. Abbildung 9), so ist der Hebelarm der inneren Kräfte um die gesamte erforderliche Verankerungslänge der geraden Stabenden zu reduzieren. Dadurch wird geometrisch gesehen lediglich die Bügelbewehrung außerhalb des Bereichs der Verankerungslänge der geraden Stabenden (wirksamer Bereich) berücksichtigt. Abbildung 9: Ermittlung des Bügeltraganteils für oben offene Bügel mit geraden Stabenden, bei Verankerung ohne Gurt [3] In den Versuchen konnte für diesen Fall eine deutliche Reduktion der Querkrafttragfähigkeit im Vergleich zu Trägern mit konventioneller, geschlossener Bügelbewehrung festgestellt werden. Dies kann damit begründet werden, dass der kritische Schubriss die Bewehrungselemente vollständig im Bereich der Verankerungslänge kreuzt. Der Verankerungsbereich ist somit für die Anrechenbarkeit der Querkraftbewehrung auszuschließen. Demnach kann für die Berechnung des Bügeltraganteils in diesem Fall Gleichung (4) angewendet werden: V Rd,sy,ad = a sw ∙ (z l b,Bü,net ) ∙ f ywd ∙ cot β r (4). Das gleiche Vorgehen kann auch für einseitig offene Steckbügel, die nicht über die gesamte Querschnittshöhe reichen, angewendet werden. Dabei ist dann in Gleichung (4) der Hebelarm der inneren Kräfte durch die Höhe der Steckbügel zu ersetzen ist. Da diese Bügelform häufig als Zulagebewehrung im Stützbereich von oben eingebracht wurde und somit in der Regel nur in einem beschränkten Bereich des Trägers vorzufinden ist, darf eine solche Bewehrung zudem nur dann in Ansatz gebracht werden, wenn sie mindestens um das Maß e = 0,5 ∙ cot β r ∙ z über den im Nachweis betrachteten Bemessungsschnitt reicht. Zweiteilige Bügel mit kurzer Übergreifungslänge dürfen analog zu einer geschlossenen Bügelbewehrung behandelt werden, wenn die vorhandene Übergreifung der geraden Stabenden größer oder mindestens gleich der (im Vergleich zu DIN-Fachbericht-102 [15] reduzierten) Länge l 0,Bü nach Gleichung (5) ist. l 0,Bü = 2/ 3 ∙ l b,rqd (5) Abbildung 10: Ermittlung des Bügeltraganteils für zweiteilige Steckbügel mit unzureichender Übergreifungslänge [3] Für den Fall, dass die vorhandene Übergreifungslänge den reduzierten Wert l 0,Bü nach Gleichung (5) dennoch unterschreitet (vgl. Abbildung 10), ist der effektive Bügeltraganteil wie folgt zu ermitteln (Gl. (6)): V Rd,sy,ad = a sw ∙ (z - (l 0,Bü l 0,Bü,prov )) ∙ f ywd ∙ cot β r (6) mit: l 0,Bü erforderliche Übergreifungslänge der geraden Stabenden des Bügels nach [15] l 0,Bü,prov vorhandene Übergreifungslänge der geraden Stabenden des Bügels Die aufgezeigten Regeln sind auch für eine Anwendung bei glattem Betonstahl zulässig. In der Regel finden sich in der Baupraxis jedoch keine geraden Stabenden aus Glattstahl. Die Stabenden wurden bei Vorhandensein von glattem Betonstahl fast ausnahmslos mit Haken am Stabende ausgeführt und bis zu einem Stabdurchmesser von 25 mm als punktuelle Verankerung betrachtet. Vor diesem Hintergrund kann die erforderliche Verankerungsbzw. Übergreifungslänge mit einem reduzierten Hakenbeiwert von α a = 0,5 unter Ansatz einer mittleren Verbundspannung für Glattstahl (hier: gute Verbundbedingungen) nach Gleichung (7) berechnet werden: f bd = 0,36 ∙√(f ck ) ∙ 1/ γ c (7). Aufgrund der großen Streuung der Verbundspannungen für glatte Bewehrung infolge einer schwankenden Oberflächenrauigkeit (vgl. hierzu auch die Ergebnisse von Ausziehversuchen mit glattem Betonstahl in [3]) ist die ansetzbare Verbundspannung beim Vorhandensein von geraden Stabenden ohne geometrische Umlenkstellen zusätzlich mit dem Faktor 0,5 zu reduzieren. Für die Versuche mit Rechteckquerschnitt wurde ein Vergleich der Modellansätze mit den Ergebnissen der eigenen Versuche durchgeführt, indem der versuchstechnisch bestimmte Bügeltraganteil aus der Differenz der Bruchlasten mit und ohne Bügelbewehrung ermittelt wurde. Für die Versuche mit geringem Querkraftbewehrungsgehalt konnte im Versuch aus photogrammetrischen Messungen der Risskinematik kein Traganteil der Rissreibung verifiziert werden, wohingegen für die Referenzversuche ohne Bügelbewehrung ein geringer Rissreibungsanteil festgestellt werden konnte. Demnach wurde dieser für den 178 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Beitrag nicht normgemäßer Bügelformen zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken im Bestand Vergleich zwischen Versuch und Modell rechnerisch berücksichtigt. Mit dieser Vorgehensweise zeigt sich eine gute Übereinstimmung zwischen den Modell- und den Versuchslasten. 4. Zusammenfassung Im vorliegenden Beitrag wurden ausgewählte Ergebnisse aus einem Programm mit 14 Versuchen an Spannbetonbalkenelementen vorgestellt. Die Versuche wurden mithilfe der Substrukturtechnik durchgeführt, die es ermöglicht, die Momenten-Querkraft-Interaktion im Bereich der Innenstütze eines Durchlaufträgers wirklichkeitsnah abzubilden. Zudem lassen sich die Versuche damit deutlich schneller durchführen, als die im Rahmen konventioneller Untersuchungen an vollständigen Durchlaufträgern möglich wäre. Der Schwerpunkt der experimentellen Untersuchungen lag dabei auf der Analyse der Wirksamkeit einer nicht normenkonform ausgeführten Bügelbewehrung auf die Querkrafttragfähigkeit. Die Versuchsergebnisse zeigen, dass nicht normenkonform ausgeführte Bügelbewehrung den Querkraftwiderstand merklich erhöht, auch wenn die Mitwirkung dieser Bewehrungsformen im Vergleich zu geschlossenen Bügeln deutlich reduziert sein kann. Der Beitrag stellt einen vereinfachten Ansatz zur Anrechnung solcher Bügelformen dar und stützt sich auf den Ergebnissen der Versuche sowie auf theoretischen Überlegungen ab. Danksagung Der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) wird für die Gewährung von Fördermitteln für das Verbundforschungsprojekt [4] zur Entwicklung erweiterter Bemessungsansätze für Querkraft und Torsion und die gute Zusammenarbeit gedankt. Literaturverzeichnis [1] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS): Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). Berlin, 05/ 2011 [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI): 1. Ergänzung zur Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). Berlin, 04/ 2015 [3] Schramm, N.: Zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbalkenelementen unter besonderer Berücksichtigung der Bügelform, Dissertation (in Bearbeitung), Technische Universität München, 2020 [4] Hegger, J.; Maurer, R.; Fischer, O.; Zilch, K.; et al.: Beurteilung der Querkraft und der Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand - erweiterte Bemessungsansätze; BASt Projekt FE 15.0591/ 2012/ FRB, Schlussbericht, 2020 [5] Hegger, J. et al.: Erweiterte Nachweise zur Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem. Beiträge zum 4. Brückenkolloquium - Fachtagung über Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken, 2020 [6] Herbrand, M.; Hegger, J.: Querkrafttragfähigkeit von Spannbetondurchlaufträgern mit geringen Bügelbewehrungsgraden. Beiträge zum 4. Brückenkolloquium - Fachtagung über Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken, 2020 [7] Stakalies, E.; Maurer, R.: Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung. Beiträge zum 4. Brückenkolloquium - Fachtagung über Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken, 2020 [8] Schramm, N; Fischer, O.: Spezielle Aspekte der Querkrafttragfähigkeit - Laborversuche an Teilsystemen. In: Beiträge zum 21. Münchener Massivbau Seminar, S. 43-52, 2017 [9] Schramm, N; Fischer, O.; Scheufler, W.: Experimentelle Untersuchungen an vorgespannten Durchlaufträger-Teilsystemen zum Einfluss nicht mehr zugelassener Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit. 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In: Vorträge zum „Betontag 1975“, Wiesbaden: Deutscher Beton-Verein [13] Rupf, M.: Querkraftwiderstand von Stahlbeton- und Spannbetonträgern mittels Spanungsfeldern, Ecole Polytechnique federale de Lausanne, Diss., 2014 [14] Nachrechnungsrichtlinie - 2. Ergänzung. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur - Abteilung Straßenbau: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand, (Nachrechnungsrichtlinie) - 2. Ergänzung, 2020 (in Vorbereitung) [15] DIN Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN- Fachbericht 102 Betonbrücken. Beuth Verlag GmbH, März 2009 [16] Görtz, S.: Zum Schubrissverhalten von Stahlbeton- und Spannbetonbalken aus Normal- und Hochleistungsbeton. Aachen, RWTH Aachen University, Diss., 2004 [17] Herbrand, M.: Shear strength models for reinforced and prestressed concrete members / Querkraftmodelle für Bauteile aus Stahl- und Spannbeton, RWTH Aachen University, Diss., 2017 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 181 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung Eva Stakalies TU Dortmund, Dortmund, Deutschland Reinhard Maurer TU Dortmund, Dortmund, Deutschland Zusammenfassung Im Rahmen von Brückennachrechnungen gemäß Nachweisstufe 1 und 2 der Nachrechnungsrichtlinie [1] ergibt sich häufig ein Defizit beim Nachweis der Torsionslängsbewehrung [2,3]. Da hierbei die Nachweise auf Querschnittsebene für die Schnittgrößen M, V und T jeweils getrennt geführt und die Bewehrungen anschließend überlagert werden stellt sich die Frage, in welchem Umfang nicht voll ausgenutzte Spannglieder, auch wenn sie nicht entsprechend der Theorie für reine Torsion in den Ecken des Querschnitts angeordnet sind, auf die Torsionslängsbewehrung angerechnet werden können. Hierzu wurden an der TU Dortmund, basierend auf Versuchen mit reiner Momente-Querkraft-Interaktion (M+V), Versuche an drei großformatigen Spannbeton-Durchlaufträgern mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) durchgeführt. Alle Versuchsträger wurden mit einem erweiterten Bemessungsmodell für die Torsionslängsbewehrung bei kombinierter Beanspruchung ausgelegt, welches im folgenden Beitrag erläutert wird. 1. Einleitung Da nur wenige experimentelle Untersuchungen an vorgespannten Versuchsbalken mit einer kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) existieren, wurden an der TU Dortmund im Rahmen eines Forschungsvorhabens im Auftrag der BASt, in Kooperation mit der RWTH Aachen, Großversuche an zweifeldrigen Spannbetonbalken (5,75m je Feld) durchgeführt [4]. Insgesamt drei Großversuche bauen auf bereits durchgeführten Versuchen auf, die an baugleichen Versuchsbalken ohne zusätzliche Torsionsbelastung durchgeführt wurden, so dass unmittelbar die Vergleichbarkeit gegeben ist. Ziel der Versuche mit zusätzlicher Torsionsbelastung ist die Untersuchung zum Einfluss der Bügel- und insbesondere der Torsionslängsbewehrung auf die Traglast unter kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T). Alle Versuchsträger wurden mit einem erweiterten Bemessungsmodell für die Torsionslängsbewehrung bei kombinierter Beanspruchung ausgelegt. 2. Torsionsverhalten bei kombinierter Beanspruchung aus M+V+T 2.1 Allgemeines Die Bemessungsformeln in Eurocode 2 (EC2) [5] gelten für reine Torsionsbeanspruchung bei einem Stahlbetonstab. Während beispielsweise bei den Stegen die vertikalen Kraftkomponenten der unter dem Winkel θ geneigten Betondruckstrebenkräfte durch die Bügel aufgenommen werden, müssen deren horizontalen Kraftkomponenten an der Stirnfläche durch die Torsionslängsbewehrung ins Gleichgewicht gesetzt und zurückverankert werden. 182 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung Reine Torsion: Stahlbeton Reine Torsion: Spannbeton Kombinierte Beanspruchung: M+V+T Bild 1 Modellvorstellung - Reine Torsion (T) und kombinierte Beanspruchung (M+V+T) Im Falle einer zusätzlichen äußeren Druckkraft P auf die Stirnflächen, z. B. aufgebracht über eine starre Platte durch eine Vorspannkraft, reduziert sich die erforderliche Torsionslängsbewehrung, bzw. bei ausreichend großer Kraft P ist sie nicht mehr erforderlich, da die horizontalen Kraftkomponenten der geneigten Druckstrebenkräfte durch die Vorspannkraft P ins Gleichgewicht gesetzt werden. Bei einem Spannbetonbalken sind die Trägerenden mit den Spanngliedverankerungen i. d. R. ungerissen, so dass sich vergleichbare Verhältnisse ergeben, die eine Reduzierung der Torsionslängsbewehrung gemäß Eurocode 2-2 (EC2-2) [6] erwarten lassen (Bild 1). Basierend auf diesen Modellvorstellungen wird eine Vorgehensweise zur Ermittlung der Torsionslängsbewehrung für die Auslegung der Versuchsträger mit kombinierter Beanspruchung (M+V+T) zugrunde gelegt. Dabei wird die Belastung zur Erzeugung einer zusätzlichen Torsion gegenüber den Referenzversuchen exzentrisch zur Balkenachse aufgebracht. 2.2 Torsionsbelastung bei kombinierter Beanspruchung (M/ T-Verhältnis) Im Rahmen von Voruntersuchungen wurde der Einfluss des M/ T-Verhältnisses auf die Tragfähigkeit von Plattenbalkenquerschnitten im Brückenbau anhand von umfangreichen Untersuchungen an ausgewählten Brückenbauwerken durchgeführt [7]. Dabei ergaben sich für reale Brücken M/ T-Verhältnisse zwischen 10 - 15 für gedrungene Plattenbalken Querschnitte. Überträgt man diese Verhältnisse auf die Versuchsträger, erhält man eine Exzentrizität zwischen 5 und 10 cm. Für den in Bild 2 dargestellten Biege- und Torsionsmomentenverlauf lässt sich das Verhältnis von Torsions- und Biegebeanspruchung für den Feldbereich wie folgt herleiten: Bei den Versuchsträgern DLT 2.5 und DLT 2.6 wurde eine Exzentrizität von 7,5 cm zugrunde gelegt, bei dem Versuchsträger DLT 2.7 wurde die Exzentrizität feldweise deutlich vergrößert. Um eine konstante durchlaufende Torsionslänsgbewehrung bei variierendem Druckstrebenneigungswinkel zu realisieren, ergab sich für Feld 1 eine Exzentrizität von 11,3 cm und für Feld 2 eine Exzentrizität von 15,0 cm. Eine Übersicht über die Exzentrizitäten und M/ T-Verhältnisse ist in Tabelle 1 dargestellt. Tabelle 1 Exzentrizität und M/ T Verhältnisse Träger Exzentrizität e M/ T - Verhältnis Feld 1 Feld 2 Feld 1 Feld 2 [m] [m] [-] [-] DLT2.5 0,075 0,075 13,2 13,2 DLT2.6 0,075 0,075 13,2 13,2 DLT2.7 0,113 0,150 8,8 6,6 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 183 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung Bild 2 Übersicht, System und Schnittgrößenverteilung unter exzentrischer Belastung [4] 2.3 Ermittlung der zusätzlichen Bügelbewehrung infolge Torsion (M+V+T) Grundlage für die Bemessung der Versuchsträger mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) bilden die Referenzversuchsträger DLT 2.2 (Feld 1) und DLT 2.3 (Feld 2) mit reiner Querkraftbiegung (M+V) [4]. Ausgehend von den Referenzversuchen mit bekannter Versuchstraglast F u sowie den zugehörigen Schnittgrößen M u und V u wurde zunächst die aus Torsion infolge der Lastexzentrizität e zusätzlich erforderliche Torisonsbügelbewehrung mit dem räumlichen Fachwerkmodell nach EC2-2 ermittelt und in voller Größe zusätzlich eingebaut. Wie bereits in [8] gezeigt, resultiert die gesamte erforderliche Bügelbewehrung aus der Querkraftbewehrung unter Berücksichtigung des Betontraganteils beispielsweise nach dem Druckbogenmodell (entsprechend den Referenzträgern), superponiert mit dem ermittelten zusätzlichen Anteil aus der nach EC2-2 erforderlichen Torsionsbügelbewehrung. Während bei der Querkraftbeanspruchung eine deutlich reduzierte Bügelbewehrung aus dem Druckbogenmodell resultiert, wurde die erforderliche Torsionsbügelbewehrung nach Norm vollständig eingebaut, da bei Torsion keine Druckbogenwirkung als zusätzlicher Betontraganteil analog zur Querkraft / Momentenbeanspruchung zu erwarten ist. 2.4 Ermittlung der zusätzlichen Längsbewehrung infolge Torsion (M+V+T) Hinsichtlich der Längsbewehrung wurden die Versuchsträger so konzipiert, dass eine Bemessung der zusätzlich erforderlichen Torsionslängsbewehrung unter Berücksichtigung der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion erfolgte [8]. Es wurde dabei die resultierende Längszugkraft (N Tu ) aus der statisch erforderlichen Torsionslängsbewehrung ermittelt. Diese wurde dann als Zugkraft zentrisch im Schwerpunkt des Querschnitts angesetzt und bei der Biegebemessung berücksichtigt (Bild 3). Diese Idealisierung erfolgt bei einer Beanspruchung überwiegend durch Biegung. 184 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung Bild 3 Längsbewehrung infolge M u + N Tu : A s(M,T) [8] Bei der Ermittlung der zusätzlichen Längsbewehrung infolge Torsion wird zunächst von dem, durch die Torsionslängsbewehrung aufnehmbaren Torsionsmoment T u nach EC2-2 [6] ausgegangen, wobei für Versuchsnachrechnungen die Mittelwerte der Festigkeiten eingesetzt werden: (1) Daraus geht durch Umstellung der Gleichung (1) die zugehörige Längskraft aus Torsion N Tu hervor, die im Schwerpunkt des Querschnitts bei der Biegebemessung mit angesetzt wird: (2) Bei dieser Vorgehensweise wird für überwiegend biegebeanspruchte Bauteile der positive Effekt aus der Überdrückung der Torsionslängszugkräfte im Bereich der Biegedruckzone infolge Biegung, sowie der Tragwirkung der Spannglieder entsprechend ihrer Lage im Querschnitt bei der Bemessung berücksichtigt. Auf diese Weise kann die Längsbewehrung gegenüber einer Bemessung bei reiner Torsion deutlich reduziert werden. Tabelle 2 Versuchsprogramm - Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion Versuch Querschnitt Längsbewehrung Querkraftbewehrung ρ w,geo / ρ w,min [‰] Belastung Beton Vorsp. σ cp [MPA] Feld 1 Feld 2 Referenz versuche DLT 2.2 - Feld 1 DLT 2.3 - Feld 2 T A s,o = 16Ø12 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 0,77 (Ø6/ 20) (a sw,V ) 1,04 (Ø8/ 20) (a sw,V ) M+Q Einzellast C30/ 37 3,9 DLT 2.5 T A s,o =14Ø12+2Ø20 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 A s,Steg = 4Ø12 je Seite 1,03 (Ø8/ 20) (a sw,V+T ) 1,66 (Ø10/ 20) (a sw,V+T ) M+Q+T Einzellast exzentrisch C35/ 45 3,3 DLT 2.6 T A s,o = 16Ø12 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 1,03 (Ø8/ 20) (a sw,V+T ) 1,66 (Ø10/ 20) (a sw,V+T ) M+Q+T Einzellast exzentrisch C35/ 45 3,3 DLT 2.7 T A s,o =14Ø12+2Ø20 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 A s,Steg = 4Ø16 je Seite 1,74 (Ø8/ 10) (a sw,V+T ) 2,72 (Ø10/ 10) (a sw,V+T ) M+Q+T Einzellast exzentrisch C35/ 45 3,3 3. Versuche mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) 3.1 Versuchsprogramm Das Versuchsprogramm der Versuche mit kombinierter Beanspruch aus Biegung, Querkraft und zusätzlicher Torsion an der TU Dortmund umfasst Bauteilversuche an drei vorgespannten Durchlaufträgern. An jedem der zweifeldrigen Spannbetonträger werden zwei Teilversuche durchgeführt. Dazu weisen die beiden Felder unterschiedliche Querkraft- und Längsbewehrungsgrade auf. Eine Übersicht über das Versuchsprogramm der Versuche mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion ist in Tabelle 2 dargestellt. Die Versuche mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion stellen eine Erweiterung des Versuchsprogramms der Versuche mit reiner Querkraftbiegung dar [9,10]. Folglich sind die Versuche hinsichtlich der Trägergeometrie, der Bewehrungsführung und dem Vorspanngrad weitestgehend in Übereinstimmung mit den reinen Querkraftversuchen, so dass diese als Re- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 185 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung ferenzversuche herangezogen werden können und entsprechend in Tabelle 2 mit aufgeführt sind. Die Versuchslasten wurden durch zwei kraftgesteuerte hydraulische Pressen mit einer Kapazität von 2,0 MN aufgebracht. Die Einzellasten sind jeweils in einem Abstand von 3,50 m von der Innenstützte exzentrisch zur Längsachse des Trägers angeordnet. Dadurch entsteht im Bereich zwischen Lasteinleitung und Innenstütze eine konstante Torsionsbeanspruchung mit wechselndem Vorzeichen an der Innenstütze, vergleich bar mit der Beanspruchung an den Innenstützten von Plattenbalkenbrücken mit Querträgern. Der so belastete Balken wurde über einen nachträglich anbetonierten Querträger ins Gleichgewicht gesetzt. Die Querschnittsgeometrien der Versuchsträger entsprechen den in Bild 4 bis Bild 6 dargestellten T- Querschnitten. Die Versuchsträger weisen eine Stützweite von 5,75 m bei einer Gesamtlänge von 12,0 m auf. Die Querschnittshöhe beträgt 0,8 m bei einer Plattenbreite von ebenfalls 0,8 m. Die Stegbreite wurde zur besseren Aufnahme des Torsionsmomentes über den Ersatzhohlkasten sowie zur Vermeidung eines Versagens der Betondruckzone bzw. der Betondruckstreben im Steg an der Innenstütze von 0,30 m auf 0,35 m im Vergleich zu den Referenzversuchen verbreitert. Zur Aufnahme der Vorspannkräfte sind die Querschnitte an den Enden des Trägers aufgeweitet, so dass die Stegbreite hier 0,60 m betragen. Je Spannglied werden 5 x 0,6‘‘-Litzen der Festigkeit St1570/ 1770 verwendet. Bild 4 Stützquerschnitt - DLT 2.5[4] Bild 5 Stützquerschnitt - DLT 2.6 [4] Bild 6 Stützquerschnitt - DLT 2.7 3.2 Versuchsergebnisse Rissbilder In Bild 7 sind die Rissbilder der Versuchsträger im Bruchzustand dargestellt. Im Bruchzustand sind die Versuchsträger über die gesamte Länge gerissen, wobei die kritischen Risse, die im stärker bewehrten Feld zum endgültigen Bruch geführt haben, rot eingezeichnet sind. Während der Versuchsträger DLT 2.5 durch eine Überbeanspruchung der Bügelbewehrung versagte, zeigte sich bei dem Versuchsträger DLT 2.6 ohne zusätzliche Tor- 186 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung sionslängsbewehrung eine deutliche Zunahme der Rissbildung bis in den Bereich der Druckzone an der Innenstütze hinein. Dies ließ ein bevorstehendes gleichzeitiges Versagen sowohl der Bügel als auch der Druckzone an der Innenstütze vermuten. Beim Versuchsträger DLT 2.7 führte ein Versagen der Druckstreben in Feld 2 zum Bruchzustand. Ursache war ein starker Zuwachs bei der Exzentrizität e infolge von Effekten nach Theorie II. Ordnung durch die unerwartet große Verdrehung des Balkens im Bereich der Lasteinleitung und entsprechende Schiefstellung der Pressen, wodurch die Torsionsmomente stark überproportional anstiegen. Die Auswertung und Quantifizierung der Effekte nach Theorie II. Ordnung in Feld 2 sind derzeit noch Gegenstand der weiteren Forschung. Last-Durchbiegungskurven In Bild 8 bis Bild 10 sind die Last-Durchbiegungskurven der Träger DLT 2.5 bis DLT 2.7 jeweils für den ersten Teilversuch, bis zur Verstärkung des schwächer bewehrten bzw. belasteten Feldes und den zweiten Teilversuch, bis zum Bruch des stärker bewehrten bzw. belasteten Feldes, dargestellt. Versagen der Versuchsträger DLT 2.5 und DLT 2.6 trat jeweils im stärker bewehrten Feld an der Lasteinleitung durch Bruch der Druckzone ein. Bei dem Versuchsträger DLT 2.7 trat das Versagen an der Innenstütze durch Druckstrebenbruch in Feld 2 auf. Das Bemessungskonzept für die Bewehrung konnte bei Versuchsträger DLT 2.5 durch das Erreichen von 97 % der Traglast im Vergleich zu den Referenzversuchen bestätigt werden. Der Versuchsträger DLT 2.6 konnte dagegen erwartungsgemäß nur ca. 90 % der Traglast der Referenzversuche erreichen (Tabelle 3), da er gänzlich ohne zusätzliche Torsionslängsbewehrung ausgeführt wurde. Von einer Mitwirkung der Spannglieder kann dementsprechend ausgegangen werden. Das endgültige Versagen trat bei beiden Trägern in Feld 2 nahe der Lasteinleitungsstelle letztlich durch den Bruch der stark eingeschnürten Betondruckzone auf. Primäre Ursache für das Versagen war das Fließen der Bewehrung in Verbindung mit großen Stahldehnungen. Bei dem Versuchsträger DLT 2.7 kam es durch die starke Vergrößerung der Exzentrizität, ausgehend von 11,3cm (Feld 1) bzw. 15,0cm (Feld 2), zu Effekten nach Theorie II. Ordnung, die das Torsionsmoment stark überproportional vergrößert haben. In Feld 1 konnte die Traglast des Referenzversuchsträgers trotz überproportionaler Vergrößerung der Exzentrizität und der damit verbundenen höheren Torsionsbeanspruchung erreicht werden. Das Betondruckstrebenversagen, trat schlussendlich im Bereich der Innenstütze des durch Torsion wesentlich höher belasteten Feld 2 auf. Eine Übersicht über die erreichten Traglasten im Verhältnis zu den Referenzversuchsträgern gibt Tabelle 3. Tabelle 3 experimentell ermittelte Versuchstraglasten Versuchsträger Versuchstraglast Referenzversuch Abweichung DLT2.5 - Feld 1 1549 kN 1607 kN -3,2 % DLT2.5 - Feld 2 1792 kN 1798 kN -0,2% DLT2.6 - Feld 1 1453 kN 1607 kN -9,2% DLT2.6 - Feld 2 1688 kN 1798 kN -6,1% DLT2.7. - Feld 1 1603 kN 1607 kN -0,25% DLT 2.6 DLT 2.7 Bild 7 Rissbilder im Bruchzustand (Versagensrisse rot) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 187 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung Bild 8 Experimentell bestimmte Last- Durchbiegungskurven - DLT 2.5 [4] Bild 9 Experimentell ermittelte Last- Durchbiegungskurven - DLT 2.6 [4] Bild 10 Experimentell ermittelte Last- Durchbiegungskurven - DLT 2.7 - Feld 1 4. Zusammenfassung und Ausblick Im vorliegenden Beitrag wurden Ergebnisse von drei Versuchsträgern mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion vorgestellt. Dabei wurde ein erweiterter Ansatz für die Bestimmung der Torsionslängsbewehrung vorgestellt und durch die Versuche verifiziert. Außerdem wurde gezeigt, dass die aus dem analytischen Druckbogenmodell ermittelte Bügelbewehrung für Querkraft mit der vollen Torsionsbügelbewehrung nach EC2 überlagert werden muss, für die gesamte erforderliche Bügelbewehrung unter der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. Aufgrund unterschiedlicher Torsionsbügel- und -längsbewehrung in beiden Felder, konnten sechs verschiedene Varianten hinsichtlich der Torsionsbewehrung und Größe der Torsionsmomente experimentell untersucht werden. Alle Versuchsträger wurden mit einem erweiterten Bemessungsmodell für die Torsionslängsbewehrung bei kombinierter Beanspruchung ausgelegt. Bei dieser Vorgehensweise wird für überwiegend biegebeanspruchte Bauteile der positive Effekt aus der Überdrückung der Torsionslängszugkräfte im Bereich der Biegedruckzone infolge Biegung, sowie der Tragwirkung der Spannglieder entsprechend ihrer Lage im Querschnitt bei der Bemessung berücksichtigt. Auf diese Weise kann die Längsbewehrung gegenüber einer Bemessung bei reiner Torsion deutlich reduziert werden. Durch den Versuchsträger DLT 2.7 mit deutlich erhöhter Exzentrizität aufgrund von Effekten nach Theorie II. Ordnung konnte das erweiterte Bemessungsverfahren für Feld 1 des Versuchsträgers mit einem M/ T-Verhältnis < 10 ebenfalls verifiziert werden. Die Auswertung und Quantifizierung der Effekte nach Theorie II. Ordnung müssen im Rahmen der weiterführenden Forschung noch näher analysiert werden. Der umfassende Einsatz von Messtechnik bildet die Basis für noch folgende weitergehende Untersuchungen hinsichtlich des Tragverhaltens von vorgespannten Durchlaufträgern bei kombinierter Beanspruchung. Dabei soll besonderes Augenmerk auch auf die ergänzende Simulationsberechnung mittels der nichtlinearen FEM, zum besseren Verständnis des Tragverhaltens gelegt werden. Literaturverzeichnis [1] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), Berlin, 2011. [2] Haveresch, K.-H.: Erfahrungen bei der Nachrechnung und Verstärkung von Brücken. Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015), booklet 2, p. 96-112 [3] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehrt - Eine Bestandsaufnahme, Bauingenieur 85 (2010), Heft 1, S. 1-9. 188 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung [4] Hegger, J.; Maurer, R.; Fischer, O.; Zilch, K. et. al.: Beurteilung der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand - erweiterte Bemessungsansätze, Schlussbericht zu BASt FE 15.0591/ 2012/ FRB, 2018. [5] DIN EN 1992-1-1, Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau mit zugehörigem nationalen Anhang DIN EN 1992-1-1: 2011, Deutsche Fassung, Ausgabe 2011. [6] DIN EN 1992-2: Eurocode 2-2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln mit zugehörigem nationalen Anhang DIN EN 1992-/ NA: 2013; Deutsche Fassung, Ausgabe 2013. [7] Bondarzew, V.: Einfluss des M/ T-Verhältnisses auf die Tragfähigkeit von Rechteck- und Plattenbalkenquerschnitten im Brückenbau, Abschlussarbeit (2017), TU Dortmund. [8] Maurer, R.; Stakalies, E.: Versuche und Bemessungsvorschlag zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung, Bauingenieur 95 (2020), Heft 1 [9] Maurer, R.; Gleich, P.; Zilch, K.; Dunkelberg, D.: Querkraftversuche an einem Durchlaufträger aus Spannbeton. Beton- und Stahlbetonbau (2014), Heft 10. [10] Gleich, P; Maurer, R.: Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Plattenbalkenquerschnitt, In: Bauingenieur 93 (2018), Heft 2. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 189 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Dr.-Ing. Matthias Müller Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Zusammenfassung Zur Ermittlung der Tragfähigkeit der schubfesten Verbindung zwischen Bodenplatte und Steg in der Biegedruckzone bestehender Hohlkastenbrücken werden genauere Nachweisformate vorgestellt. Mit diesen Rechenverfahren wird die für diese Bereiche charakteristische Beanspruchungsverteilung berücksichtigt und dem günstigen Einfluss der Interaktion zwischen vorhandener Längsdruckkraft und zugehöriger Längsschubkraft Rechnung getragen. Einige Besonderheiten im Tragverhalten des Druckgurtanschlusses von Bodenplatten in Hohlkastenbrücken, die die Grundlage für die Nachweismodifikationen darstellen, werden erläutert. Darüber hinaus erfolgt die exemplarische Anwendung der Nachweisformate auf ein konkretes Brückenbauwerk im Bestand sowie der Vergleich mit den Ergebnissen bei einer Berechnung auf Grundlage der Regelungen nach DIN EN 1992-2/ NA. 1. Herausforderung Die Anforderungen an Brückenbauwerke haben sich in den vergangenen Jahren infolge ständig steigender Verkehrslastzahlen deutlich erhöht. Gleichzeitig wurden die Bemessungsvorschriften zum Nachweis des schubfesten Anschlusses von Gurten an die Stege kontinuierlich weiterentwickelt. Die für Neubauten konzipierten Nachweisformate zur Ermittlung der Gurtanschlussbewehrung führen derzeit teilweise zu erheblichen rechnerischen Tragfähigkeitsdefiziten bei der Nachrechnung bestehender Brückenbauwerke. Hierbei stellen sich insbesondere die Bodenplatten von Hohlkastenbrücken im Bereich der Druckgurtanschlüsse über den Innenstützen häufig als besonders kritisch heraus. Dieses Ergebnis kann nur zum Teil auf die im Laufe der Jahre deutlich gestiegenen und derzeit bei der Nachrechnung anzusetzenden Verkehrslasten zurückgeführt werden, die nur einen kleinen Beanspruchungsanteil an den gesamten Bemessungsschnittgrößen im GZT liefern. In der Regel stellen die relativ hohen Eigengewichtsanteile bereits etwa 70% der Gesamtbeanspruchung. Von Maurer et al. in [1, 2] durchgeführte Untersuchungen zu den Auswirkungen der mit Einführung der Eurocodes für den Brückenbau geänderten Verkehrslastmodelle auf die Gesamtbeanspruchungen bestätigen diese Aussage. Folglich sind die Ursachen für die bei der Nachrechnung festzustellenden rechnerischen Tragfähigkeitsdefizite auf Querschnittsebene vor allem auf die mit der Weiterentwicklung der Regelwerke geänderten Bemessungsvorschriften und Konstruktionsregeln zurückzuführen. Die Bemessung des schubfesten Anschlusses von Gurten gegliederter Querschnitte erfolgt in Deutschland derzeit analog zum Querkraftnachweis für Stegquerschnitte mit einem Fachwerkmodell unter Berücksichtigung eines zusätzlichen Betontraganteils infolge Rissreibung. Die Neigung des Druckstrebenwinkels innerhalb des Fachwerks wird bei Anwendung dieses Bemessungsmodells auf die Gurte gegliederter Querschnitte nicht auf Grundlage des tatsächlichen Spannungszustandes bei Erstrissbildung festgelegt. Stattdessen erfolgt die Festlegung des Winkels auf Basis eines rein rechnerischen Spannungszustandes, mit einer theoretisch zur Schubrissbildung führenden Schubspannung [3], wobei die Längsspannung σ x nicht gleichermaßen mit der Schubspannung τ xy gesteigert wird. Tatsächlich wachsen unter einer Laststeigerung bis zum GZT die Spannungen τ xy und σ x im Gurtanschnitt gleichermaßen an. In den in [3] durchgeführten Untersuchungen zum Tragverhalten von Druckgurtanschlüssen wurde gezeigt, dass diese Vorgehensweise das tatsächliche Tragverhalten nicht hinreichend genau berücksichtigt. Dies führt insbesondere in Gurtbereichen, die unter hohen Längsdruckspannungen stehen, zu konservativen Ergebnissen. Es wurden daher Bemessungsvorschläge erarbeitet, die die tatsächlichen Spannungsverhältnisse und die wahrscheinliche Rissbildung mit größerer Genauigkeit erfassen. Die Anwendungsmöglichkeiten für die unterschiedlichen Bemessungsvorschläge werden hier beschrieben und anhand von Beispielrechnungen mit den derzeitigen Bemessungsregeln nach DIN EN 1992 [4, 5, 6] verglichen. Die Nachweisverfahren für die 2. Ergänzung der Nach- 190 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken rechnungsrichtlinie werden vorgestellt. Dabei orientieren sich die Formulierungen im Hinblick auf Gliederung, Abkürzungen und Formelzeichen an der derzeit gültigen Fassung der Nachrechnungsrichtlinie, Stand Mai 2011 [8], inkl. der ersten Ergänzung, Stand April 2015 [9]. 2. Nachweisformate für den Druckgurtanschluss 2.1 Hintergründe Bei der Anwendung der DIN EN 1992-2/ NA bzw. des DIN Fachberichts 102, der die Grundlage der Stufe 1 der Nachrechnungsrichtlinie darstellt, erfolgt der Nachweis der schubfesten Verbindung zwischen Balkenstegen und Gurten in gegliederten Querschnitten auf Basis der gleichen Modellvorstellung wie die Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit in Stegquerschnitten. Beiden Nachweisen liegt ein Fachwerkmodell zur Ermittlung der Beanspruchungen im Betonquerschnitt und der Bewehrung zugrunde. Die Druckstrebenneigung wird hierbei auf Grundlage eines theoretischen Schubrisswinkels, der durch einen Betontraganteil infolge Rissverzahnung modifiziert wird, ermittelt. Die Gleichungen zur Ermittlung des theoretischen Risswinkels erfordern hierbei die Berücksichtigung des Bemessungswerts der Betonlängsspannung in Höhe des Schwerpunktes des Querschnitts. Die gleichzeitig im Querschnitt wirkende Schubspannung geht jedoch nicht in die Berechnung ein. Stattdessen berücksichtigt das Verfahren implizit eine fiktive Schubspannung, durch die in Kombination mit der tatsächlich vorhandenen Betonlängsspannung die resultierende Hauptzugspannung die Betonzugfestigkeit gerade erreicht [10, 11]. Die mit diesem Verfahren ermittelte Richtung der Hauptdruckspannung entspricht dem theoretischen Risswinkel β bei Erreichen der Betonzugfestigkeit unter ansteigender Schubbeanspruchung, allerdings konstant gehaltener Längsspannung [10]. Dieses Vorgehen wurde für die Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit von Balkenstegen entwickelt, bei welchen die vorhandenen Normalkräfte in der Regel weitgehend unabhängig von den zu übertragenden Querkräften sind. Für den Nachweis der schubfesten Verbindung zwischen Gurt und Stegquerschnitten stellt diese Vorgehensweise jedoch eine grobe Vereinfachung dar, die insbesondere für unter Biegelängsdruckspannungen stehende Bodenplatten von Hohlkastenbrücken zu sehr konservativen Ergebnissen führt. Ein ausführlicher Vergleich der Unterschiede im Tragverhalten von Gurt und Stegquerschnitten gegliederter Querschnitte ist in [10] zu finden. 2.2 Interaktion zwischen Längs- und Schubspannung Die mitwirkenden Gurtflächen gegliederter Querschnitte stellen in Bauteilen unter vorwiegender Biegebeanspruchung eine Erweiterung der jeweiligen Biegezugbzw. Biegedruckzone dar. Die Ausbreitung bzw. allmähliche Einleitung der Biegedruckbzw. Biegezugspannungen vom Steg in die daran anschließenden Gurte wird durch die Schubspannung im Anschnitt zwischen Gurt und Steg bewirkt. Die vorhandenen Längskräfte in den Gurten sind folglich direkt abhängig von den Schubspannungen im Anschnitt zwischen Steg und Gurt. Die Längsspannungen in den Gurten und die Schubbeanspruchungen im Gurtanschnitt folgen in ihrer Verlaufscharakteristik den Biegemoment- und Querkraftverläufen des Längssystems. Der Anstieg der Gurtlängsspannung wird hierbei immer durch ein Polynom höheren Grades beschrieben als der Verlauf der zugehörigen Schubbeanspruchung im Gurtanschnitt. Dieser Zusammenhang gilt für alle Druckgurtanschlüsse unabhängig davon, ob es sich um die Fahrbahnplatte eines Plattenbalkens oder Hohlkastens handelt, oder ob der Druckgurtanschluss einer Bodenplatte in einer Hohlkastenbrücke betrachtet wird. Dennoch unterscheidet sich letzterer hinsichtlich des Zusammenwirkens von Schub- und Längsdruckspannung ganz wesentlich vom Tragverhalten in den übrigen Bereichen, da in Mehrfeldsystemen im Bereich von Zwischenstützungen die maximalen Längsdruckspannungen und die maximalen Schubbeanspruchungen in den Bodenplatten von Hohlkästen im gleichen Querschnitt auftreten. Hierdurch treten die hohen Längsdruckspannungen, die den Schubwiderstand durch eine flachere Druckstrebenneigung signifikant vergrößern, in den selben Querschnitten wie die zu übertragenden hohen Schubbeanspruchungen auf. Dieser Zusammenhang ist für die Druckgurtbereiche von Fahrbahn- und Bodenplatte einer Hohlkastenbrücke anschaulich in Bild 1 dargestellt. Die im Verhältnis zu den Schubbeanspruchungen in den Gurtanschlüssen stärker anwachsenden Längsdruckspannungen in den Gurten führen zu flacher werdenden Neigungswinkeln der resultierenden Hauptdruckspannungen, die der theoretischen Rissrichtung entsprechen. Von diesem positiven Einfluss der Längsdruckspannungen infolge Biegung profitiert insbesondere der Tragwiderstand der schubfesten Verbindung zwischen Bodenplatte und Steg in den Stützbereichen des Hohlkastens. 2.3 Nachweisformate für die Nachrechnung bestehender Bauwerke Die nachfolgend beschriebenen Nachweisformate berücksichtigen das zuvor dargestellte günstige Zusammenwirken von Schub- und Längsdruckbeanspruchung im Bereich des Druckgurtanschlusses von Bodenplatten in Hohlkastenbrücken. Das erste Nachweisformat kann ohne rechnerische Berücksichtigung der vorhandenen Gurtanschlussbewehrung für ungerissene Druckgurtanschlüsse angewandt werden. Das zweite Nachweisformat berücksichtigt den Gurtanschluss als gerissenen Querschnitt. Grundlage ist das Fachwerkmodell in DIN Fachbericht 102 (Stufe 1). Die rechnerisch anzunehmenden Druckstrebenwinkel werden jedoch auf Basis der tatsächlichen Spannungsverhältnisse und den zu erwartenden Risswinkeln senkrecht zu σ I modifiziert. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 191 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Bild 1: Interaktion der Beanspruchungen infolge Biegung im Bereich der Druckgurtanschlüsse einer Hohlkastenbrücke Vorschlag für den Nachweis der Schubkräfte zwischen Balkensteg und Druckgurt unter Vernachlässigung der Gurtanschlussbewehrung In ungerissenen Bereichen der Bodenplatten von Hohlkastenbrücken (auch keine verpressten Risse) kann der Nachweis der schubfesten Verbindung zwischen Gurt- und Stegquerschnitt unter Vernachlässigung der vorhandenen Gurtanschlussbewehrung auf der Grundlage des Hauptzugspannungskriteriums mit den Spannungen σ Ed , τ Ed im GZT in folgenden Bereichen erfolgen: • Querschnittsbereiche, die infolge Biegung mit Längskraft unter Längsdruckspannungen stehen. • Querschnittsbereiche, die nicht im unmittelbaren Wirkungsbereich von Spanngliedverankerungen liegen. • Gurtbereiche, in denen die Biegezugspannungen infolge Querbiegung aus Eigengewicht am Querschnittsrand den Wert f ctd nicht überschreiten (hierdurch wird die Anwendung auf Bodenplatten mit großen Spannweiten in Querrichtung ausgeschlossen). Der Bemessungswert der Betonzugfestigkeit ergibt sich hierbei nach Gleichung (1): (1) mit und In Bereichen, die die genannten Anforderungen erfüllen, darf der Nachweis der schubfesten Verbindung zwischen Druckgurt und Steg durch den Nachweis der schiefen Hauptzugspannungen im Anschnitt in der Mittelfl äche des Gurtquerschnitts erbracht werden. Aufgrund der über die Länge der Gurtanschlussfuge veränderlichen Hauptzugspannungen sowie des Einfl usses einer etwaigen Biegerissbildung am gezogenen Rand des Gesamtquerschnitts sind die maximalen Bemessungswerte der Hauptzugspannungen über die volle Gurtanschlusslänge in verschiedenen Schnitten „i“ zu ermitteln. Für den Bemessungswert der Hauptzugspannung ist die Bedingung nach Gleichung (2) nachzuweisen. (2) 192 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Bild 2 Bezeichnungen für den Anschluss der unter Längsdruckspannungen stehenden Bodenplatte an den Hohlkastensteg beim Nachweis in ungerissenen Bereichen Der Abstand der Nachweisschnitte „i“ darf h/ 2 nicht überschreiten (siehe Bild 2). Darüber hinaus sind ggf. Querschnittsänderungen und Spanngliedverankerungen (außerhalb des Gurts) bei der Wahl der Nachweisschnitte und bei der Ermittlung der Beanspruchungen zu berücksichtigen. Der Ansatz einer verminderten rechnerisch mitwirkenden Gurtbreite ist bei dieser Nachweisführung nicht zulässig, da die hierbei unterstellte Beanspruchungsumlagerung eine Rissbildung erforderlich macht. 2.4 Nachweis der Schubkräfte zwischen Balkensteg und Druckgurt unter Berücksichtigung der Gurtanschlussbewehrung Der Nachweis des schubfesten Anschlusses von unter Längsdruckspannungen stehenden Bodenplatten in Hohlkastenbrücken darf auf Grundlage der nach Gleichungen (3) im Nullpunkt der Biegemomentenlinie bzw. (4) im Abstand h von der Zwischenunterstützung ermittelten Druckstrebenwinkel cot q f geführt werden. Ein Anteil infolge einer Rissreibung tritt nicht auf [3, 10]. Der Verlauf über die Gurtanschlusslänge darf zwischen den Punkten näherungsweise linear veränderlich angenommen werden (siehe Bild 3). Bild 3 Verlauf der Druckstrebenneigung über die Länge des Druckgurtanschlusses im Bereich von Stützmomenten Bild 4 Bezeichnungen für den Anschluss der unter Längsdruckspannungen stehenden Bodenplatte an den Hohlkastensteg beim Nachweis unter Berücksichtigung der Gurtanschlussbewehrung (3) (4) Dabei sind mittlere Längsspannung in Gurtmitte Schubspannung aus der Längskraftdifferenz im Gurt infolge Biegung mit Längskraft. Für die Ermittlung der Schubspannung darf die Längskraftdifferenz ∆ F d in über die Länge a v ≤ h konstant angenommen werden (Bild 4) Resultierende Längsdruckkraft im mitwirkenden Teil des Druckgurts im betrachteten Schnitt mitwirkende Gurtfläche im betrachteten Schnitt mit b eff,i gem. DIN FB 102, II2.5.2.2.1 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 193 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Schubspannung infolge Torsion (mit W T = 2A k ·h f ) Daraus resultiert die maximale Schubspannung zu Kann der Nachweis der schubfesten Verbindung zwischen Balkensteg und Gurt nicht auf Grundlage der mitwirkenden Gurtbreite nach [7] erbracht werden, darf der Nachweis im GZT unter Berücksichtigung einer verminderten rechnerisch mitwirkenden Gurtbreite erfolgen. Alle Nachweise im GZT sind hierbei unter Berücksichtigung der reduzierten mitwirkenden Gurtbreite zu führen. 3. Anwendung auf ein bestehendes Brückenbauwerk 3.1 Bauwerk Beim vorliegenden Bauwerk handelt es sich um eine vorgespannte Hohlkastenbrücke aus dem Jahr 1968. Die als Zweifeldträger errichtete Brücke mit einer Gesamtlänge von 112 m wurde mit girlandenförmig geführten Längsspanngliedern in den Stegen im nachträglichen Verbund vorgespannt. Tabelle 1: Angaben zur Konstruktion des Bauwerks Brückentyp Spannbetonhohlkasten Anzahl Felder 2 Stützweiten 66,4m - 46,0m Brückenklasse BK 60 nach DIN 1072 Beton B 450 nach DIN 1045 bis 1972 → C30/ 37 Betonstahl BSt IIIb nach DIN 488 f yk =420 MPa Vorspannung SIGMA St 145/ 160 oval 40 Koppelfugen Nein Angaben zur Konstruktion sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Die nachfolgenden Betrachtungen beziehen sich ausschließlich auf die schubfeste Verbindung zwischen Druckgurt (Bodenplatte) und Steg. Weitere Defizite und potentielle Schwachstellen (bspw. der verwendete spannungsrisskorrosionsgefährdete Spannstahl, siehe Tabelle 1) sind nicht Gegenstand der hier dargestellten Untersuchungen. 3.2 Querschnitte und Beanspruchungen Der Überbau ist über die Brückenlänge gevoutet ausgeführt. Die Konstruktionshöhe variiert dabei zwischen 1,6 m im Feld und 3,3 m im Bereich der Mittelstütze. Die für die Nachrechnung des Gurtanschlusses im Stützbereich maßgebenden Querschnittsabmessungen sind in Bild 5 dargestellt. Bild 5 Querschnitte des Bauwerks im Stützbereich und resultierende Höhenlage der Spannglieder Die Änderung der Querschnittsabmessungen über die Bauwerkslänge betrifft neben der Gesamthöhe des Hohlkastens auch eine Aufweitung der Stege und der Bodenplatte mit zunehmender Nähe zum Mittelauflager. In Tabelle 2 sind die für die Bemessung des Gurtanschlusses maßgebenden Beanspruchungen zusammengestellt. Hierbei wurden das Biegemoment M y,d und die Querkraft V z,d jeweils ohne den statisch bestimmten Anteil aus Vorspannwirkung angegeben. 194 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Tabelle 2: Beanspruchungen in den Schnitten 1 bis 7 QS M y,d [MNm] V z,d [MN] M p,dir [MNm] V p,dir [MN] N p [MN] 1 -160 -17,30 44,63 0 -40,84 2 -124 -15,58 39,15 1,40 -40,82 3 -91,8 -13,87 30,53 2,65 -40,75 4 -63,2 -12,15 19,89 3,25 -40,71 5 -27,4 -9,58 3,02 3,56 -40,68 6 0 -7,00 -8,24 2,22 -28,50 7 13,5 -5,28 -12,85 1,65 -28,54 Die Ermittlung der Längskräfte in der Bodenplatte erfolgt durch Auswertung der Dehnungsebenen in den Querschnitten 1 bis 7 für die gegebenen Gesamtbeanspruchungen im GZT unter der ständigen und vorübergehenden Bemessungskombination (Tabelle 2). Hierbei werden die Spannungs-Dehnungs-Linien für die Querschnittsbemessung gemäß DIN EN 1992 verwendet. Der statisch bestimmte Anteil der Vorspannwirkung wird in Form einer Vordehnung des Spannstahls in den einzelnen Querschnitten berücksichtigt. Die Auswertung der Längsbeanspruchungen der Bodenplatte ist in Tabelle 3 zusammengestellt. Die mitwirkende Druckgurtbreite wurde gemäß DIN EN 1992 ermittelt. Im vorliegenden Fall kann die ganze geometrische Druckgurtbreite als mitwirkend in Ansatz gebracht werden. Tabelle 3: Dehnungen, Spannungen und resultierende Kräfte im Druckgurt QS ε BP,u [‰] ε BP,o [‰] σ BP,u [MPa] σ BP,o [MPa] N BP [MN] 1 -1,922 -1,361 -16,97 -15,26 -28,39 2 -1,408 -1,090 -15,51 -13,48 -23,07 3 -1,071 -0,904 -13,33 -11,89 -17,95 4 -0,851 -0,755 -11,39 -10,41 -14,52 5 -0,61 -0,557 -8,79 -8,15 -9,11 6 -0,342 -0,324 -5,31 -5,06 -5,57 7 -0,204 -0,206 -3,29 -3,22 -3,55 (BP: Bodenplatte; o, u: Oberer Rand, Unterer Rand) 1v Ed je Steganschnitt (2 vorhanden) 3.3 Nachweis des Druckgurtanschlusses Der Nachweis des schubfesten Druckgurtanschlusses erfolgt nachfolgend auf Basis des Nachweisformats der DIN EN 1992 sowie nach Abschnitt 2.3. 3.4 Vereinfachtes Fachwerkmodell nach DIN EN 1992-2/ NA Für den Nachweis des schubfesten Anschlusses von Druckgurten an die Stege gegliederter Querschnitte darf gemäß DIN EN 1992 der Neigungswinkel der Betondruckstreben im Fachwerkmodell vereinfachend zu cot θ = 1,20 angenommen werden. Im Zuge der Anwendung des vereinfachten Fachwerkmodells werden die zulässigen maximalen Gurtabschnittslängen ∆ x=a v rechnerisch berücksichtigt. Der Maximalwert, der für ∆ x angesetzt werden darf, ist der halbe Abstand zwischen Momentennullpunkt und betragsmäßigem Momentenmaximum. Die Ergebnisse der Berechnung sind in Tabelle 4 zusammengestellt. Die Ermittlung der erforderlichen Gurtanschlussbewehrung erfolgt nach Gleichung (5). (2) Tabelle 4: Erforderliche Anschlussbewehrung für den Druckgurt gem. vereinfachtem Verfahren nach DIN EN 1992-2/ NA ∆ x [m] F d [MN] F d +∆F d [MN] v Ed 1 [MN/ m] cot θ [-] erf. a s [cm²/ m] 1 6,60 -5,6 -14,5 0,67 1,2 15,4 2 6,60 -14,5 -28,4 1,05 1,2 24 Die auf diese Weise ermittelte Bewehrung ist je Steganschnitt erforderlich. Auf die Darstellung des Nachweises der Betondruckstreben wird hier verzichtet.Fachwerkmodell mit Rissreibung nach DIN EN 1992-2/ NA Bei diesem Nachweisformat erfolgt die Ermittlung des Druckstrebenwinkels analog zum Nachweis der Querkrafttragfähigkeit schubbewehrter Stegquerschnitte nach Gleichung (6). (6) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 195 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Mit Für die Übertragung dieser Gleichungen zur Ermittlung des Druckstrebenwinkels auf den Druckgurt ist b w =h f zu setzen. Da im hier vorliegenden Beispiel die Ermittlung des Widerstands pro laufenden Meter Gurtanschlusslänge erfolgt, wurde z= ∆ x=a v =1,0 in der Gleichung für v Rd,cc bereits berücksichtigt. Die tatsächliche Länge des betrachteten Gurtabschnitts wird bei der Ermittlung der Beanspruchung v Ed je laufenden Meter berücksichtigt. Für s cp wird gemäß DIN EN 1992-2/ NA die mittlere Beton- 2v Ed je Steganschnitt (2 vorhanden) 3 erf. as ohne Berücksichtigung des Grenzwinkels von cot θ = 1,75 längsspannung s cp,m = N BP / (h f ·b eff ) im anzuschließenden Gurtabschnitt mit der Länge ∆ x=a v angesetzt. Durch die zunehmend größeren Längsdruckspannungen im Gurt stellen sich immer flacher werdende Neigungswinkel für die Druckstreben ein. Um die Auswirkungen der zur Mittelstützung hin größer werdenden Längsdruckspannungen in der Gurtscheibe zu berücksichtigen, erfolgt die Nachweisführung daher anders als zuvor beim vereinfachten Verfahren nach DIN EN 1992-2/ NA in kürzeren Gurtabschnittslängen. Für die konkrete Nachrechnungspraxis ist es darüber hinaus empfehlenswert eine möglicherweise abgestufte Gurtanschlussbewehrung bei der Festlegung der Abschnittslängen zu berücksichtigen. Die erforderliche Gurtanschlussbewehrung nach DIN EN 1992-2/ NA ist in Tabelle 5 zusammengestellt. Tabelle 5: Erforderliche Anschlussbewehrung für den Druckgurt je Steganschnitt gem. DIN EN 1992-2/ NA Q N BP [MN] ∆x [m] h f,M [m] ∆ cp,m [MPa] v Rd,cc [MN/ m] v Ed 2 [MN/ m] cot θ [-] erf. as [cm²/ m] erf. as 3 [cm²/ m] 1 -28,39 2,2 0,425 -15,45 0,00 1,21 2,47>1,75 18,9 13,4 2 -23,07 2,2 0,375 -13,6 0,011 1,16 2,30>1,75 18,2 13,8 3 -17,95 2,2 0,335 -11,8 0,042 0,78 2,30>1,75 12,2 9,3 4 -14,52 3,3 0,285 -9,7 0,067 0,82 2,15>1,75 12,8 10,4 5 -9,11 3,3 0,25 -6,7 0,098 0,54 2,15>1,75 8,5 6,9 6 -5,57 2,2 0,25 -4,12 0,132 0,46 2,15>1,75 7,2 5,9 7 -3,55 3.5 Anwendung des Vorschlags zur Nachrechnung von Druckgurtanschlüssen mit vorhandener Gurtanschlussbewehrung In Abschnitt 2 werden Unterschiede im Tragverhalten zwischen Gurt- und Stegquerschnitten beschrieben. Diese und die Ausführungen in [3, 10] zeigen, dass die Übertragung des für Stegquerschnitte hergeleiteten Fachwerkmodells mit Rissreibung auf die unter hohen ansteigenden Längsdruckspannungen stehenden Bereiche von Druckgurten nicht sinnvoll ist. Die sehr niedrigen Werte für den Rissreibungsanteil v Rd,cc in Tabelle 5 im Bereich der Mittelstützung sind ein Beleg für den in [3, 10] beschriebenen geringen Einfluss dieses Traganteils unter diesen Randbedingungen. Nachfolgend wird die erforderliche Gurtanschlussbewehrung daher nach dem Verfahren in Abschnitt 2.3 unter Berücksichtigung der vorhandenen Gurtanschlussbewehrung ermittelt. Hierbei erfolgt die Festlegung des Neigungswinkels der Druckstreben im Fachwerkmodell unter Berücksichtigung der vorhandenen Hauptspannungsrichtungen im Druckgurt im Bereich der Mittelstütze (Abstand h vom Zwischenauflager) nach Gleichung (4). Für die Längs- und Schubspannung im Abstand h = 3,3m werden die die mittleren Spannungen zwischen Q2 (Abstand 2,2m) und Q3 (Abstand 4,4m) verwendet (siehe Tabelle 6). Zum Vergleich sind die maßgebenden Beanspruchungen in den Bildern 8 und 9 markiert. Längsspannung σ x,Ed = σ cp,m =-13,6 MPa Schubspannung (im Gurtanschnitt) τ Ed = v Ed / h f = 3,1 MPa → maßgebend: 196 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Die vorhandene Längsspannung s x,Ed im Momentennulldurchgang entspricht mit -3,6 MPa der Spannung infolge des zentrisch wirkenden Anteils der Vorspannung auf den Gesamtquerschnitt. Die Neigung der Betondruckstrebe wird durch Einsetzen in Gleichung (3) wie folgt ermittelt: → maßgebend: Bild 6 Wahl der Druckstrebenwinkel in den verschiedenen Gurtabschnitten 4v Ed je Steganschnitt (2 vorhanden) Die Wahl der Druckstrebenwinkel in den verschiedenen Gurtabschnitten ist in Bild 6 dargestellt. Darüber hinaus sind die zugehörigen Berechnungsergebnisse für alle Abschnitte in Tabelle 6 zusammengefasst. Innerhalb eines Abschnitts wird analog zum Vorgehen nach DIN EN 1992-2/ NA ein konstanter Winkel für die Neigung der Betondruckstrebe angenommen. Zur Überprüfung der Plausibilität der mit diesem Verfahren gewählten Druckstrebenwinkel erfolgt zusätzlich die Auswertung der Neigungswinkel der schiefen Betondruckstreben bzw. der numerisch am Faltwerkmodell mit Schalenelementen ermittelten Risswinkel. Hierbei wird das physikalisch nichtlineare Materialverhalten des Betons unter Berücksichtigung der Rissbildung beachtet. Da der Druckgurt unter Bemessungslasten ungerissen ist, erfolgt eine weitere Berechnung mit um den Faktor 1,25 erhöhten Bemessungslasten sowie unter Ansatz der Bemessungszugfestigkeit. Um diese Laststufe erreichen zu können, wurde für diese Rechnung die Druckfestigkeit eines C50/ 60 in Ansatz gebracht. Tabelle 6: Erforderliche Anschlussbewehrung für den Druckgurt je Steganschnitt gem. Berechnungsvorschlag für Druckgurtanschlüsse mit vorhandener Gurtanschlussbewehrung Q N BP [MN] ∆x [m] h f,M [m] σ cp,m [MPa] v Ed 4 [MN/ m] θ[°] cot θ [-] v Rd,max [MN/ m] erf. as [cm²/ m ] 1 -28,39 2,2 0,425 -15,45 1,21 15 3,73 1,35 8,9 2 -23,07 2,2 0,375 -13,6 1,16 15 3,73 1,19 8,6 3 -17,95 2,2 0,335 -11,8 0,78 18 3,0 1,26 7,1 4 -14,52 3,3 0,285 -9,7 0,82 22 2,5 1,26 8,9 5 -9,11 3,3 0,25 -6,7 0,54 27 2,0 1,29 7,4 6 -5,57 2,2 0,25 -4,12 0,46 31 1,73 1,40 7,3 7 -3,55 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 197 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Bild 7 Hauptdruckspannungen und zugehörige Winkel q f im Gurt unter Bemessungslasten (oben) und unter 1,25-fachen Bemessungslasten inkl. Vergleich mit Winkeln des Bemessungsvorschlags (unten) 198 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Bild 7 enthält die Darstellung der so ermittelten Hauptdruckspannungswinkel im Druckgurt unter Bemessungslasten (obere Darstellung). Die Veränderung der Neigungswinkel bei weiterer Laststeigerung im FE-Modell ist in der unteren Darstellung zu erkennen. Die Druckstrebenwinkel im Gurtanschnitt im FE-Modell sind durch Linien oberhalb der Gurtdarstellungen ausgewertet. Im unteren Teilbild sind zusätzlich die rechnerischen Druckstrebenwinkel des hier angewendeten Bemessungsvorschlags aufgetragen. Es ist zu erkennen, dass die Entwicklung der Druckstrebenneigung im FE-Modell gut mit der des Bemessungsvorschlags angenähert wird. Dabei führt der Bemessungsvorschlag mit etwas größeren Winkeln im Vergleich zu den rechnerischen Risswinkeln in der FE-Berechnung zu auf der sicheren Seite liegenden Ergebnissen. 3.6 Anwendung des Vorschlags zur Ermittlung der mit der vorhandenen Anschlussbewehrung aktivierbaren Gurtbreite Da der Nachweis einer ausreichenden Tragfähigkeit der schubfesten Verbindung zwischen Balkensteg und 5v Ed je Steganschnitt (2 vorhanden) Druckgurt auch unter Berücksichtigung der im Vergleich zum Ansatz nach DIN EN 1992-2/ NA deutlich flacheren Druckstrebenwinkel mit dem hier vorgeschlagenen Bemessungsansatz nicht erbracht werden kann, wird nachfolgend die mitwirkende Gurtbreite soweit reduziert, dass die übrigen Nachweise im GZT am Gesamtquerschnitt noch erbracht werden können. Bei einer maximalen Reduktion der rechnerischen Druckgurtbreite um 0,85 m kann der Nachweis der Tragfähigkeit für Biegung mit Längskraft noch erbracht werden. Die Grenzdehnung in Gurtmitte wurde hierbei gemäß DIN EN 1992-2/ NA auf 2‰ festgesetzt. Die auf Basis der reduzierten Gurtbreite ermittelten resultierenden Längsdruckkräfte wurden durch Auswertung der Dehnungsebenen in den verschiedenen Schnitten ermittelt und sind ebenso wie die erforderliche Anschlussbewehrung in Tabelle 7 zusammengestellt. Die rechnerische Druckstrebenneigung bleibt unverändert. Tabelle 7: Erforderliche Anschlussbewehrung für den Druckgurt je Steganschnitt gem. Berechnungsvorschlag für Druckgurtanschlüsse mit reduzierter Gurtbreite Q N BP [MN] ∆x [m] h f,M [m] σ cp,m [MPa] v Ed 5 [MN/ m] θ[°] cot θ [-] v Rd,max [MN/ m] erf. as [cm²/ m] 1 -22,95 2,2 0,425 -16,1 0,9 15 3,73 1,35 6,6 2 -18,97 2,2 0,375 -14,3 0,9 15 3,73 1,19 6,6 3 -15,0 2,2 0,335 -12,4 0,66 18 3,0 1,26 6,1 4 -12,06 3,3 0,285 -10,1 0,67 22 2,5 1,26 7,3 5 -7,62 3,3 0,25 -7,1 0,45 27 2,0 1,29 6,1 6 -4,67 2,2 0,25 -4,4 0,38 31 1,73 1,40 6,1 7 -2,98 3.7 Anwendung des Vorschlags zur Nachrechnung von ungerissenen Druckgurtanschlüssen mit geringer Anschlussbewehrung Die Bodenplatte im Innenstützenbereich des hier betrachteten 50 Jahre alten Bauwerks weist bis zum heutigen Tag keine erkennbare Rissbildung auf. Die Schubkraftübertragung zwischen Balkensteg und Druckgurt kann folglich gewährleistet werden, ohne dass die Hauptzugspannungen die vorhandene Betonzugfestigkeit erreichen bzw. überschreiten. Aus dieser Beobachtung lässt sich jedoch noch kein Rückschluss auf die vorhandene Sicherheit im Hinblick auf ein Aufreißen des Anschlussbereichs ableiten, da das Bauwerk zum einen tatsächlich nur den Gebrauchsbeanspruchungen ausgesetzt ist und zum anderen nicht bekannt ist wie hoch die tatsächlich vorhandenen Zugspannungen im Beton sind. Das nachfolgende Nachweisformat dient der Einschätzung, ob der in der Beobachtung vor Ort festgestellte Bauteilzustand (ungerissener Zustand I) auch im GZT 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 199 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken unter Bemessungslasten mit ausreichender Sicherheit zu erwarten ist. In den Bildern 8, 9 und 10 sind die ermittelten Dehnungsebenen in verschiedenen Schnitten des Längssystems qualitativ dargestellt. Es ist zu erkennen, dass der Gesamtquerschnitt im Bereich der Mittelstütze auf der Biegezugseite (Fahrbahnplatte) bereits infolge Biegung gerissen ist. Je nach vorhandener Auslastung der Biegedruckzone (Beton) und der Biegezugzone (Spannstahl bzw. Betonstahl) kommt es zu einer Abnahme der Druckzonenhöhe. Dies führt dazu, dass die Längsspannungen im Druckgurt verglichen mit einer linear elastischen Rechnung am ungerissenen Gesamtquerschnitt schneller ansteigen (siehe Bild 8). Entsprechend ändert sich auch der Schubfluss bzw. die Schubspannungen im Anschnitt vom Steg an den Gurt (siehe Bild 9). Aus diesem Grund ist es erforderlich, die Rissbildung im Gesamtquerschnitt infolge Biegung mit Längskraft bei der Nachweisführung zu berücksichtigen. Überdies sind ggf. die Spannungszustände infolge der Lasteinleitung von Spanngliedverankerungen, die außerhalb des Druckgurtes verankert sind, zu ermitteln und bei der Nachweisführung zu beachten. Die Ermittlung der Beanspruchungen erfolgt an einem Stabquerschnitt mit einem Knotenabstand von 55 cm. Der geringe Abstand der Rechenknoten wird gewählt, um die Ungenauigkeit, die durch die Vergleichmäßigung des Schubflusses zwischen zwei Schnitten entsteht, möglichst gering zu halten. Die Ermittlung der Zusatzbeanspruchung bzw. des Wirkungsbereichs der Lastausbreitung eines im Steg verankerten Spanngliedes erfolgte im vorliegenden Beispiel durch eine Zusatzbetrachtung an einem Schalenmodell. Aus dieser Betrachtung wurden Eingangswerte für eine Modifikation der am Stabmodell ermittelten Spannungen abgeleitet: • Wirkungsbereich von l Einl =3,4 m vor und hinter der Verankerung (dies entspricht einer Lastausbreitung von etwa 30°). • Der Schubfluss wird im Wirkungsbereich hinter der Verankerung um ∆ F U / l Einl vergrößert. • Die Längsdruckspannung hinter der Verankerung wird infolge des Verankerungsschubflusses modifiziert. Die auf der unsicheren Seite liegende positive Wirkung der zusätzlichen Drucknormalkraft infolge des Spannungssprungs am Stabsystem wird auf diese Weise rechnerisch entfernt (siehe gestrichelte rote Linie in Bild 8). • Der Schubfluss wird im Wirkungsbereich vor der Verankerung um 1/ 3· ∆ F U / l Einl vergrößert. ∆ F U Längskraftunterschied in der Bodenplatte im Querschnitt der Zwischenverankerung des Spannglieds am Stabmodell l Einl Einleitungslänge von ∆ F U in die Bodenplatte Eine Zusatzbetrachtung an einem Schalenmodell zur Ermittlung der Beanspruchungen örtlicher Lasteinleitungen sollte in jedem Einzelfall zur Plausibilisierung vereinfachter Rechenannahmen erfolgen, da die Randbedingungen des Beispiels nicht allgemeingültig übertragbar sind. In Bild 10 ist zu erkennen, dass nach allen Verfahren die ermittelten Hauptzugspannungen in der Mittelfläche des Gurtquerschnitts im Anschnitt zum Steg kleiner sind als der abgeminderte Bemessungswert der Betonzugfestigkeit. Überdies ist erkennbar, dass der Einfluss der Rissbildung auf die Dehnungsebene und den Spannungszustand infolge Biegung mit Längskraft im Gesamtquerschnitt sowie der Spanngliedverankerung im Steg auf die Spannungsverläufe nicht vernachlässigbar ist und immer beachtet werden muss. Bei dem vorgestellten Ansatz handelt es sich um ein Näherungsverfahren, das die Realität unter Berücksichtigung von Vereinfachungen beschreibt. Der tatsächliche Spannungszustand einer Spannbetonbrücke, beeinflusst durch Eigenspannungen, Schnittgrößenumlagerungen durch Kriechen des Betons nach Systemwechseln, etc. lässt sich im Rahmen einer Nachrechnung nicht bestimmen. Das Verfahren dient daher primär der Abschätzung der Wahrscheinlichkeit einer Schubrissbildung in den Druckgurtanschlüssen bestehender älterer Bauwerke, die bislang keine Risse aufweisen. Bild 8 Vergleich der Längsspannungen im Druckgurtanschnitt ermittelt nach verschiedenen Verfahren 200 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken Bild 9 Vergleich der Schubspannungen im Druckgurtanschnitt ermittelt nach verschiedenen Verfahren Bild 10 Vergleich der Hauptzugspannungen im Druckgurtanschnitt ermittelt nach verschiedenen Verfahren 4. Zusammenfassung und Ausblick 4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse In Bild 11 sind die nach den unterschiedlichen Verfahren ermittelten erforderlichen Gurtanschlussbewehrungsmengen der vorhandenen Bewehrung gegenübergestellt. Es ist zu erkennen, dass das vereinfachte Nachweisformat der DIN EN 1992-2/ NA, in dem der Druckstrebenneigungswinkel im Fachwerkmodell für die Berechnung des Druckgurtanschlusses pauschal zu cot θ=1,20 angesetzt werden darf, zu sehr konservativen Bemessungsergebnissen führt. Die genauere Berechnung nach DIN EN 1992-2/ NA auf Basis des Fachwerkmodells mit Rissreibungsanteil führt zu deutlich geringen erforderlichen Bewehrungsmengen im Vergleich zum vereinfachten Verfahren. Jedoch wird in der zweiten Hälfte des Druckgurtes (zwischen ~60 m und 67 m) die positive Wirkung der vorhandenen hohen Längsdruckspannung durch das Fachwerkmodell mit Rissreibung, selbst unter Berücksichtigung eines verringerten zulässigen Grenzwinkels für die Druckstrebenneigung von cot θ ≤ 3,0, nicht hinreichend berücksichtigt. Der minimal mögliche Druckstebenneigungswinkel nach DIN EN 1992-2/ NA errechnet sich hierbei im betrachteten Beispiel zu cot θ= 2,47 und die Rissreibungskomponente geht mit zunehmender Längsdruckkraft erwartungsgemäß allmählich gegen Null (siehe Tabelle 5). Bild 11 Vergleich der vorhandenen Gurtanschlussbewehrung mit der nach verschiedenen Nachweisverfahren rechnerisch erforderlichen Bewehrung Durch den vorgestellten Berechnungsvorschlag unter Berücksichtigung einer an den vorhandenen Scheibenspannungsverhältnissen orientierten Wahl der Betondruckstrebenwinkel q f für den Nachweis der erforderlichen Gurtanschlussbewehrung können die rechnerischen Defizite erheblich reduziert werden. Der Auslastungsgrad der Anschlussbewehrung konnte von maximal über 300% beim Nachweis nach derzeitigem Regelwerk auf maximal 120% reduziert werden. Durch Anwendung des Hauptspannungskriteriums konnte der Nachweis im vorliegenden Beispiel erbracht werden (siehe Bild 10). 4.2 Ausblick Das Schubtragverhalten der Gurt- und Stegquerschnitte von Spannbetonbrücken unterscheidet sich in mehreren Punkten voneinander. Direkte Druckstreben, Sprengwerk- oder Druckbogentraganteile und damit vergleichbare Mechanismen, die zum Tragwiderstand von Stegquerschnitten beitragen, sind auf die Gurtscheiben gegliederter Querschnitte nicht übertragbar [3, 10]. Darüber hinaus wird das Rissverhalten maßgeblich vom sich stetig über die Bauwerkslänge ändernden Längsspannungszustand beeinflusst. Die exemplarische Anwendung der vorgeschlagenen Nachweisformate auf ein älteres Spannbetonbrückenbauwerk und der Vergleich der Ergebnisse mit den nach aktuellen Regelwerken ermittelten, macht das Potential der Nachweisformate für die Beurteilung bestehender Bauwerke deutlich. Gleichzeitig sind die hohen rech- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 201 Nachweis der Tragfähigkeit von Druckgurtanschlüssen bei bestehenden Hohlkastenbrücken nerischen Defizite (>200%), die teilweise bei der Nachrechnung nach aktuellen Regelwerken errechnet werden, ein deutlicher Hinweis darauf, dass die aktuellen Nachweisformate das Tragverhalten nicht zutreffend und zu konservativ erfassen. Diese Herangehensweise bei der Bemessung kann für die Planung von Neubauten durchaus sinnvoll sein, da sie zu einer robusten und zukunftsfähigen Tragwerksauslegung führt und sich die Mehrkosten durch die so ermittelte Bewehrung gleichzeitig in Grenzen halten. Allerdings sind für die Bewertung bestehender Bauwerke genauere Verfahren notwendig, da nachträgliche Verstärkungen in diesem Bereich sehr aufwändig und oft technisch fragwürdig sind. Die bereichsweise sehr geringen Druckstrebenneigungswinkel nach dem hier vorgeschlagenen Berechnungsansatz werden daher nur für die Tragfähigkeitsbewertung bestehender älterer Bauwerke vorgeschlagen. Nichtsdestotrotz erscheint im Hinblick auf die zukünftige Regelwerksbearbeitung eine Differenzierung zwischen Gurt- und Stegquerschnitten bei der Festlegung der Grenzwinkel der Druckstrebenneigung auch für den Neubau sinnvoll. Der vorgestellte Ansatz zur Ermittlung der Tragfähigkeit über den Nachweis der schiefen Hauptzugspannungen erscheint insbesondere für ungerissene Gurte sinnvoll. Hierdurch soll nicht nur die augenscheinliche Rissfreiheit rechnerisch bestätigt werden, sondern durch die Nachweisführung auf Bemessungslastniveau und die Festlegung einer abgeminderten Bemessungszugfestigkeit als Nachweisgrenze soll vielmehr gezeigt werden, dass der betrachtete Gurt mit einer ausreichenden Sicherheit ungerissen ist und auch weiterhin keine Rissbildung zu erwarten ist. In den durchgeführten Untersuchungen wurde jedoch auch deutlich, dass die derzeit vorhandene Versuchsdatengrundlage sehr gering ist. So existieren insgesamt nur sehr wenige Versuche zum Tragverhalten von Druckgurten. Bei einem überwiegenden Teil der Versuche trat der Bruch im Experiment darüber hinaus nicht als Folge eines Versagens des Gurtanschlusses ein. Weitere experimentelle Untersuchungen zum Tragverhalten des schubfesten Anschlusses der Gurte gegliederter Querschnitte an die Stege sind daher zur Verifikation genauerer Bemessungsverfahren erforderlich. Literatur [1] Maurer, R., Arnold, A. und Müller, M.: Auswirkungen aus dem neuen Verkehrslastmodellnach DIN EN 1991-2/ NA bei Betonbrücken. In: Beton- und Stahlbetonbau 106(11/ 2011), S. 747-759. [2] Maurer, R. et al.: Anpassung von DIN-Fachberichten „Brücken“ an Eurocodes, Teil 2: Anpassung des DIN-Fachberichts 102 „Betonbrücken“ an Eurocodes. BASt Heft B 77,Bergisch Gladbach, 2011. [3] Müller, M.: Zum schubfesten Anschluss von Druckgurten in Hohlkastenbrücken. Dissertation. Technische Universität Dortmund, 2016. [4] DIN EN 1992-1-1: 2011: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau, Deutsche Fassung EN 1992-1-1: 2004 + AC: 2010. Beuth Verlag, Berlin, 2011. [5] DIN EN 1992-2: 2010: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln, Deutsche Fassung EN 1992- 2: 2005 + AC: 2008. Beuth Verlag, Berlin, 2010. [6] DIN EN 1992-2/ NA: 2013: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln. Beuth Verlag, Berlin, 2013. [7] DIN-FB 102: 2009: DIN-Fachbericht 102 Betonbrücken (2009). Beuth Verlag, Berlin, 2009. [8] Nachrechnungsrichtlinie: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) Ausgabe 05/ 2011. BMVBS, 2011. [9] Nachrechnungsrichtlinie: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) Ausgabe 05/ 2011, 1. Ergänzung Ausgabe 04/ 2015. BMVI, 2015. [10] Müller, M., Maurer, R.: Untersuchungen zum Tragverhalten von Druckgurtanschlüssen in Hohlkastenbrücken. In: Beton- und Stahlbetonbau 112 (02/ 2017), S. 60-74. [11] Reineck, K.-H.: Hintergründe zur Querkraftbemessung in DIN 1045-1 für Bauteile aus Konstruktionsbeton mit Querkraftbewehrung. In: Bauingenieur 76 (4/ 2001), S. 168-179. Digitalisierung 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 205 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Matthias Haslbeck Universität der Bundeswehr München Institut für Konstruktiven Ingenieurbau Werner-Heisenberg-Weg 39 85577 Neubiberg matthias.haslbeck@unibw.de Christian Merkl Institut für Konstruktiven Ingenieurbau Universität der Bundeswehr München Thomas Braml Institut für Konstruktiven Ingenieurbau Universität der Bundeswehr München Zussammenfassung Sicherheit ist der Zentralbegriff der Nachrechnung. Sicherheit kann dann geschaffen werden, wenn es gelingt die Unsicherheit in den Systemparametern zu reduzieren. Um statische Systeme in den tatsächlichen Systemeigenschaften zu beschreiben, sind Messungen unabdingbar. Im Rahmen des vorgestellten Forschungsvorhabens wurden Versuche an einer Spannbetonbrücke geplant und durchgeführt, die es ermöglichen, aus den am Bestandsbauwerk beobachteten Systemreaktionen Rückschlüsse auf die strukturellen Eigenschaften des Systems zu ziehen. Die Prozesskette der Systemidentifikation erstreckt sich dabei von der Versuchsplanung über die Versuchsdurchführung und Datenauswertung bis zum Nachjustieren des Finite-Elemente-Modells durch Bayes’sches Updating. Neben der Beschreibung der durchgeführten Belastungsversuche wird im Rahmen dieses Beitrags besonderes Augenmerk auf die verwendeten Messsysteme gelegt. Zum Einsatz kamen unter anderem Verfahren der drohnengestützten Photogrammetrie, des Lasertrackings, der elektrischen und faseroptischen Dehnungsmessung und der optischen Bewegungs- und Verformungsanalyse (Digitale Bildkorrelation). Da sich im Rahmen des Rückbaus die Möglichkeit bot, Teile der Versuchsbrücke einer genaueren Untersuchung an der Universität der Bundeswehr München zu unterziehen, wurden zudem Verfahren der hochgenauen Geometrieerfassung und zur Detektion von Spanngliedbrüchen angewendet. 1. Modellupdating im Kontext der Nachrechnung und des Building Information Modeling Die statische Modellbildung in der Berechnung baulicher Strukturen basiert im Wesentlichen auf normativ festgelegten Material- und Systemparametern sowie auf Erfahrungswerten. Diese Annahmen sind jedoch erheblichen Schwankungen unterworfen, wie in [1] eingehend ausgeführt wird. Im Rahmen von Nachrechnungen soll die Ermittlung der vom Tragwerk aufnehmbaren Bemessungslast so realitätsnah und objektspezifisch wie möglich durchgeführt werden, jedoch auch mit dem erforderlichen Augenmaß erfolgen, um einen optimalen Ausgleich zwischen den Zielsetzungen der Sicherheit, der Minimierung des Nachrechnungsaufwands und einer größtmöglichen Lebensdauer des Bauwerks zu erzielen (Abbildung 1). 206 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Abb. 1: Zielkonfl ikt bei den Anforderungen an die Nachrechnung Eine Methodik für die realitätsnahe Beschreibung des vorhandenen Systems bietet die Systemidentifi kation durch Bayes‘sches Updating. Dabei können aus Versuchen gewonnene Systemreaktionen dazu genutzt werden, die rechnerischen Modellannahmen derart anzupassen, dass diese die gemessenen Daten bestmöglich approximieren. Die Kenntnis dieser verbesserten Modellannahmen ermöglicht neue Wege in der Bewertung von Bestandsbauten und der Anreicherung von BIM-Modellen um die so upgedateten Systemparameter. 2. Zielsetzung der Untersuchungen Diese Arbeit geht auf die Gewinnung von Messdaten für das Updating statischer Modelle ein und stellt dabei verschiedene Messverfahren zur Bestimmung von Bauwerksreaktionen vor. Im Rahmen der weiteren Forschung soll die Eignung dieser unterschiedlichen Verfahren zur Ermittlung der Messgrößen untersucht werden, um das Updating bzw. die Kalibrierung von FE-Modellen durch gemessene Daten zu einem validen Teil der Nachrechnungspraxis im Bauingenieurwesen werden zu lassen. 3. Beschreibung der Versuchsbrücke Beim untersuchten Brückenbauwerk handelt es sich um eine Kastenbrücke mit einer Gesamtlänge von 137 m. Die Konstruktion aus dem Jahr 1965 überführte die Bundesstraße 85 als Dreifeldträger über den Fluss Regen bei Roding. Die Einzelfeldlängen betrugen 39 m + 55 m + 39 m. Durch eine verhältnismäßig geringe Überbauhöhe von 1,2 m bis maximal 2,25 m ergab sich eine große Schlankheit des vorgespannten Tragwerks. Eine zeichnerische Darstellung des untersuchten Bauwerks kann den Abbildungen 2 und 3 entnommen werden. Abb. 2: Regelquerschnitt der Versuchsbrücke Roding Abb. 3 : Längsschnitt der Versuchsbrücke Roding 4. Geometrieerfassung durch drohnengestützte Photogrammetrie Aufgrund des großen Einfl usses geometrischer Größen in den Berechnungs- und Bemessungsformeln, beispielsweise des Trägheitsmoments, wurde mit UAV-Photogrammetrie ein spezifi sches Augenmerk auf ein modernes, umfassendes und schnelles Objekterfassungsverfahren gelegt. Als Photogrammetrie werden Verfahren bezeichnet, bei denen die geometrischen Größen eines Messobjekts aus der Interpretation von fotografi schen Aufnahmen gewonnen werden [2],[3]. Instrumentierte und unbemannte Fluggeräte, kurz Drohnen oder UAVs, bieten die Möglichkeit, ohne die Notwendigkeit zusätzlicher Zugangstechnik zum Bauwerk, die äußere Gestalt von Objekten digital zu erfassen. Obwohl die geometrische Beschreibung von Bauwerken unter Verwendung von Drohnenbefl ügen eher die Aus- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 207 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding nahme als die Regel darstellt, finden photogrammetrische Untersuchungen zunehmend Eingang in die Ingenieurpraxis [4]. Abbildung 4 zeigt das entstandene Modell, welches aus den Aufnahmen des Instituts für Baustatik und Baudynamik der Universität der Bundeswehr München generiert wurde. Hierfür wurde die opensource-Software meshroom verwendet, welche auf aktuellen Forschungsergebnissen der Computer Vision beruht und dabei zunächst gemeinsame Features zwischen den einzelnen Bildern erzeugt und verknüpft, eine grobe Punktwolke durch einen „Structure from Motion“-Prozess berechnet und diese anschließend mittels Deep-Mapping verfeinert. Bezüglich der Umsetzungsdetails sei auf die Literaturquellen verwiesen, welche auf alicevision.org für den Ablaufprozess detailliert hinterlegt sind. [6] Innerhalb des Arbeitsprozesses werden die aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommenen Bilder mittels des sogenannten Bündelblockverfahrens [3],[5] in dreidimensionale Geometrieinformationen in Form von Punktwolken überführt. Diese Form von Bestandsaufnahme bietet die Möglichkeit, den gewonnenen Daten die geometrischen Abmessungen der Struktur zu entnehmen, was speziell bei fehlenden Bestandsunterlagen oder zur Überprüfung von geometrischen Annahmen sinnvoll ist. Abb. 4: Durch Verfahren der Photogrammetrie erzeugtes 3D-Modell der Versuchsbrücke Roding Abb. 5: Übersicht über die untersuchten Messgrößen und die verwendeten Verfahren 5. Datengewinnung im Rahmen der Belastungsversuche Um Messdaten zur Kalibrierung des FE-Modells zu generieren, wurden im Mai 2019 Versuche durchgeführt, die, ausgehend von definierten und separat erfassbaren Versuchslasten, als Eingangsdaten für den Updating-Prozess fungieren. Der Auswahl der Messtechnik fiel im Rahmen der Datenerhebung eine besondere Bedeutung zu. 5.1 Messgrößenkonzept Besondere Bedeutung für die spätere Verwendbarkeit der Ergebnisse fällt der Auswahl der Messorte und der zu messenden physikalischen Größen zu. Als Messorte wurden die Brückenmitte (M1), der Stützbereich über 208 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding dem Pfeiler in Fahrtrichtung Schwandorf (M2) und die Mitte des Randfeldes am Widerlager Schwandorf (M3) ausgewählt. Abbildung 5 zeigt eine Übersicht über die Messstellen und die verwendete Sensorik. Bei der Konzeption wurde berücksichtigt, dass lediglich zerstörungsfreie Messverfahren verwendet wurden und die Messungen an Orten eingeplant wurden, die sowohl eine ausreichende Signalstärke als auch eine gute Zugänglichkeit boten. Zudem wurde darauf geachtet, dass Redundanz in der Erfassung der Messgrößen bestand, um die durch verschiedene Messsysteme erlangten Daten vergleichen zu können. 5.2 Versuchsfahrzeuge Zur Berechnung der Systemparameter ist eine detaillierte Kenntnis des Belastungszustands erforderlich, weswegen Versuchsfahrzeuge mit definierten Lastbeträgen und Lastverteilungen zu verwenden sind. Bei der Planung muss weiterhin darauf geachtet werden, Versuchsfahrzeuge zu verwenden, welche ausreichend starke Messsignale erzeugen, um die messtechnische Erfassbarkeit der auftretenden Bauwerksreaktionen gewährleisten zu können. Die Wahl fiel auf zwei verschiedene Fahrzeugtypen, um deren Eignung untersuchen zu können. Bei den Messungen kamen deshalb ein Bergepanzer und ein mit Erdreich beladener Muldenkipper zum Einsatz (Abbildungen 6 und 7). Im Falle des eingesetzten Kettenfahrzeugs konnte zur Lastspezifikation auf tabellierte Angaben zurückgegriffen werden. Zur Bestimmung der durch den LKW aufgebrachten Last wurde eine mobile Achslastwaage verwendet. Abb. 6: Bergepanzer auf der Versuchsbrücke Abb. 7: Muldenkipper während des Belastungsversuchs 6. Im Belastungsversuch eingesetzte Messtechnik Zur Erforschung der Möglichkeiten und Grenzen unterschiedlicher Messverfahren in der Brückennachrechnung wurden im Rahmen dieses Großversuchs eine Vielzahl von Messverfahren angewandt, von denen eine Auswahl nachfolgend vorgestellt wird. Auf die Darstellung von Methoden der Ingenieurgeodäsie, der Neigungsmessung, der Messung von Beschleunigungen am Bauwerk und der Spannungsermittlung durch Messung von Ultraschalllaufzeiten wird an dieser Stelle verzichtet. 6.1 Elektrische und faseroptische Dehnungsmessung Die am weitesten verbreitete Methode zur Bestimmung mechanischer Dehnungen ist die Änderung des elektrischen Widerstands eines Drahtes durch dessen Verzerrungsänderung. Diese ist in gewissen Grenzen annähernd linear, was die Möglichkeit bietet, die mechanische Dehnung in elektrische Signale umzuwandeln und digital zu verarbeiten. Für eine genauere Darstellung der Anwendungsmöglichkeiten und der Funktion von elektrischen Dehnmessstreifen wird auf [8] verwiesen. Neben den Verfahren der elektrischen Dehnungsmessung finden zunehmend auch auf optischen Messprinzipien beruhende Sensorsysteme Verbreitung. Die verwendeten Sensoren basieren auf dem Prinzip der Rückstreuung von Licht an zuvor definierte Messpunkte. Die Glasfaser wird hierfür von Seiten des Herstellers mit einer Resonanzstruktur versehen, dem sogenannten Faser-Bragg-Gitter. Dieses reflektiert Licht einer definierten Wellenlänge zurück an das Endgerät. Je nach Dehnungszustand des Messobjekts verändert sich die Wellenlänge, was einen Rückschluss auf die herrschenden Dehnungen zulässt. Neben der Konfektionierung der Sensoren zur Dehnungsmessung werden zudem Temperatursensoren zum Kauf angeboten, was eine Kompensation von Temperatureinflüssen auf die Dehnungsmessung ermöglicht. [9] 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 209 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Abbildung 8 zeigt eine Übersicht zur Sensoranbringung unterhalb der Stege. Abb. 8: angebrachte Dehnungssensoren unter der Brücke 6.2 Optische Bewegungs- und Verformungsanalyse Neben den Verfahren der elektrischen Messung von Dehnungen und Verformungen oder den Methoden der Ingenieurvermessung fi nden zunehmend auch Verfahren der optischen Bewegungs- und Verformungsanalyse Eingang in die wissenschaftliche und industrielle Praxis. Das Hauptanwendungsgebiet liegt jedoch noch vor allem in kleinformatigen Probekörpern der Automobil- und Konsumgüterindustrie, welche hauptsächlich unter Laborbedingungen getestet werden. [10] Für die meist großformatigen Probekörper und Bauteile des Bauwesens bieten sich hierfür die Verfahren der digitalen Bildkorrelation an, welche sich am menschlichen Sehen orientieren. Anhand der Versuchsbrücke Roding wird die Anwendbarkeit dieser berührungslosen Bewegungs- und Verformungsanalyse auf Brückenbauwerksabschnitte untersucht und Erfahrungen bei Messungen im Feldversuch gesammelt. Hierzu wurden zwei Systeme der Firma GOM ® vom Typ „ARAMIS“ nahe der Mitte des Randfeldes am Widerlager in Fahrtrichtung Schwandorf eingesetzt [11]. Eine Übersicht über den Messaufbau gibt die Abbildung 9. Abb. 9: Eingesetztes System zur 3D-Bewegungs- und Verformungsanalyse während der Messkampagne Die optische Bildanalyse ermöglicht die Messung von Verformungen, Beschleunigungen, Geschwindigkeiten und Dehnungen. Dabei wird ein mittels vorheriger Kalibrierung defi nierter, kubischer Messbereich durch zwei hochaufl ösende Stereokameras aufgenommen. Zusammen mit einem geeignet festzulegenden Kameraabstand können so basierend auf dem Strahlensatz mathematisch Bewegungen im Raum ermittelt werden, was eine dreidimensionale Messung ermöglicht. Neben statischen Veränderungen am Objekt lassen sich anhand von passend gesampelten Bilderserien auch dynamische Prozesse verfolgen. Das Grundprinzip der berührungslosen Verformungsmessung ist also ebenso wie in Abschnitt 4 eine photogrammetrische Aufnahme des Messbereichs durch hochaufl ösende Digitalkameras mit geeigneter Bildfrequenz und die anschließende Auswertung anhand von Verfahren der digitalen Bildkorrelation. [7] Für die Aufnahme räumlicher Bewegungen kommen sowohl defi nierte und durch die Systeme erkennbare Messmarken in Frage, als auch stochastisch gemusterte Flächen, aus welchen innerhalb fi xer Pixelareale sogenannte Facettenpunkte wiedererkennbar generiert und anschließend nachverfolgt werden. Hierbei sind die Verformungen der Mess- und Facettenpunkte direkt erfassbar. Die Verzerrungen können dann entweder aus dem Verhalten zweier in Relation gesetzter Messmarken oder aus der Veränderung der Pixelareale je Facettenpunkt hergeleitet werden. Durch dieses Verfahren ist somit auch eine vollfl ächige Verformungsanalyse größerer Messfl ächen möglich. [11] Eine Visualisierung der daraus resultierenden fl ächigen Verformungen sowie der punktuell messbaren Verformungsvektoren zeigt die nachfolgende Abbildung 10. 210 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Abb. 10: Verformung der Fläche an der Messposition M3 verursacht durch den Versuchs-LKW im mittleren Feld 7. Durchführung der Belastungsversuche Die Versuchsplanung der im Mai 2019 durchgeführten Versuche umfasste sowohl eine Vielzahl an statischen Belastungsversuchen als auch die Aufzeichnung der dynamischen Bauwerksreaktionen auf mehrere unterschiedliche Überfahrtsszenarien. Im Rahmen der statischen Messungen wurden vom Kettenfahrzeug jeweils die Feldmitten der Brücke angefahren. Zudem erfolgte eine Positionierung des LKWs entlang der Fahrbahnmitte und des nördlichen Fahrbahnrandes. Für die statischen Messungen in Querschnittsmitte wurden 33 Messungen durchgeführt, was einem Abstand der Messpositionen von jeweils 4 Metern entspricht. Während der dynamischen Überfahrten erfolgte die Aufzeichnung von Zeitreihen durch die jeweiligen Messsysteme, wobei die Versuchsfahrzeuge die Brücke mit Geschwindigkeiten von 10, 30 und 50 km/ h überfuhren. Abbildung 11 zeigt das ermittelte Messsignal bei der Überfahrt des LKWs für eine Geschwindigkeit von 10 km/ h. Für das Kettenfahrzeug wurden die untersuchten eschwindigkeiten bis 50 km/ h um eine weitere eschwindigkeitsstufe von 70 km/ h erweitert. Eine zusätzliche Versuchsreihe wurde mit über die Fahrbahn gelegten Holzbrettern als künstliche Hindernisse durchgeführt, um die dynamischen Bauwerksreaktionen in ihrem Betrag zu verstärken. Abbildung 12 zeigt die ermittelten Dehnungen bei der Überfahrt des Bergepanzers über die Holzbretter bei einer Geschwindigkeit von 10 km/ h im Vergleich zur Überfahrt ohne Hindernisse. Abb. 11: Dehnungen in Brückenmitte bei Überfahrt des LKWs Abb. 12: Rohdaten der Dehnungsmessung bei Überfahrt von Holzbrettern mit einer Höhe von 12 cm (orange) und bei nahezu ebener Fahrbahn (blau) Zur Untersuchung der Brückeneigenschwingung wurde als weitere Art der Anregung ein Dirac-artiger Einzelimpuls durch das schlagartige Herabfallen einer vordefinierten Last von der Brücke erzeugt. Mit Hilfe eines 1,7 t-Gewichts wurde eine Auslenkung des dritten Randfeldes herbeigeführt, sodass im anschließenden Ausschwingvorgang die Eigenfrequenzen und Dämpfungsparameter beobachtet werden können (Abbildung 13). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 211 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Abb. 13: Angehängtes Gewicht kurz vor dem Durchtrennen des Halteseils zur Erzeugung einer Impulsantwort kurz vor dem Durchschneiden des Halteseils Der Graph aus Abbildung 14 zeigt die zugehörigen Aufzeichnungen des Dehnmessstreifens in der Mitte des Randfeldes (M3) nach Lösen der Verbindung. Abb. 14: Dehnung am MP3 nach Impulsanregung 8. Detailuntersuchungen an den Trägerstegen Durch den Rückbau der Brücke ergab sich die Möglichkeit, Teile des Bauwerks zur genaueren Untersuchung an die Universität der Bundeswehr München zu verbringen. Deshalb wurden insgesamt fünf Teile des nördlichen Stegs nach München transportiert. Im Fokus der Untersuchungen standen die photogrammetrische Aufnahme der Bauteile zur Beurteilung der Maßabweichungen der Stegbreite sowie die metrologische, hochgenaue Erfassung der Stegschnitte zur Quantifizierung des auftretenden Spanngliedschlupfs nach dem Durchtrennen der Stege beim Abbruch. Im Rahmen einer Kooperation mit dem Institut für Massivbau der Technischen Universität Dresden wurden sowohl während der Versuche in Roding als auch an den nach München verbrachten Stegteilen gezielt Drahtbrüche in den im Verbund liegenden Spanndrähten erzeugt und die während des Bruchvorgangs imitierten Schallwellen aufgezeichnet. 8.1 Detektion von Spanngliedbrüchen Die Zustandsbewertung von Spanngliedern steht immer wieder im Fokus verschiedener Forschungsarbeiten. Das Grundproblem der Beurteilung besteht darin, dass die häufig hochbeanspruchten Tragelemente gut verborgen im Inneren der Betonkonstruktion liegen und kaum zugänglich sind. Schäden, die z.B. durch Spannungsrisskorrosion oder Ermüdung am Spannstahl auftreten, können dementsprechend nur schwer festgestellt werden. Diese können jedoch insbesondere bei älteren Brücken aufgrund konstruktiver Besonderheiten (z.B. fehlende Robustheitsbewehrung) zu kritischen Zuständen führen, die mit herkömmlichen Inspektionsmethoden kaum feststellbar oder gar prognostizierbar sind. Für die Detektion von Drahtbrüchen ist die Schallemissionsanalyse ein vielversprechendes Monitoringverfahren. Drahtbrüche sind in der Regel energiereiche Ereignisse, die von anderen Geräuschen, wie beispielsweise Verkehr, zuverlässig abgegrenzt werden können. Die Güte dieser Klassifizierung ist jedoch von der Menge und Qualität der Vergleichsdaten und anderen Randbedingungen abhängig, die u.a. durch materialabhängige Dämpfungseffekte und die Messstellenanordnung beeinflusst werden. Das Ziel des Forschungsprojektes von Herrn Dipl.-Ing. Max Käding unter Leitung von Herrn Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx ist daher, die Charakteristiken bei der Entstehung und Ausbreitung eines Drahtbruchs besser zu verstehen und die technischen Prozesse zu optimieren. Um die Fragestellungen mit Messdaten einer „realen“ Struktur untersuchen zu können, wurden verschiedene Messungen durchgeführt. Am Bestandsbauwerk wurden zuvor für einen begrenzten Zeitraum Betriebsgeräusche aus Verkehr erfasst und die Trennung eines Spanngliedes begleitet. Einen Eindruck der im Hohlkasten angebrachten Messtechnik vermittelt Abbildung 15. 212 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding Abb. 15: Messtechnik zur Schallemissionsanalyse im Hohlkasten (Bild: Max Käding) An zwei der Trägerelemente wurden im Folgenden ca. 120 Drahtbrüche herbeigeführt, welche mit verschiedenen Messinstrumenten aufgezeichnet wurden. Einerseits wurde der Luftschall mit handelsüblichen Mikrofonen erfasst, andererseits wurden die Festkörperwellen mit piezoelektrischen Sensoren in verschiedenen Frequenzbereichen aufgezeichnet. Die umfangreichen Messeinrichtungen und eine exemplarisch herausgegriffene Messstelle zeigen die Abbildungen 16 und 17. Abb. 16: Messeinrichtung zur Detektion von Spanngliedbrüchen an den Trägerstegen (Bild: Max Käding) Abb. 17: offengelegte und durchtrennte Spannglieder und angebrachte Sensorik an einem der Stegteile (Bild: Max Käding) 8.2 Nahbereichsphotogrammetrische Untersuchungen Neben der geometrischen Beschreibung der gesamten Brückenstruktur durch die drohnengestützte Photogrammmetrie wurden die nach München verbrachten Trägerstücke auch im Einzelnen aus dem Nahbereich photogrammetrisch untersucht. Hierzu zeigt Abbildung 18 das Aufnahmeergebnis in Form des erzielten texturierten, dreidimensionalen Abbildungsobjekts eines mit einer handelsüblichen Digitalkamera aufgenommenen Trägerteils. Abb. 18: Fotorealistische Darstellung eines der Trägerteile Hierbei basiert die Nahbereichsphotogrammetrie selbst auf einer Vielzahl von Bildaufnahmen aus unterschiedlichen, sich überlappenden Perspektiven. Dabei wird das untersuchte Bauteil aus dem dreidimensionalen, realen Objektraum mittels Zentralprojektion durch das Projektionszentrum der Kamera auf den zweidimensionalen Bildraum übertragen. Auf allen Bildern werden zunächst mittels „Natural Feature Selection“ wiedererkennbare Pixelgruppen identifiziert. Darauf aufbauend dienen die gleichen Features anschließend der Verknüpfung und Orientierungsberechnung zwischen den einzelnen Bil- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 213 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding dern. Daraus generiert das „Structure from Motion“-Prinzip, welches auf der Verbindung der Projektionsstrahlen der einzelnen Features durch das Projektionszentrum und dem Strahlensatz basiert, im ebenfalls dreidimensionalen, digitalen Objektraum eine erste grobe Punktwolke aller miteinander übereinstimmenden Features. Diese wird anschließend durch den „Semi-global Matching“- Algorithmus sowie einer darauffolgenden 3D Delauney Triangulation verfeinert und anhand der farbigen Bilddaten texturiert. Dieser Schritt erfolgte vollständig in der durch die EU geförderten Computer Vision Software „meshroom“ [6]. Ziel der photogrammetrischen Aufnahme im Nahbereich ist die Ermittlung der tatsächlichen Maßabweichungen in Breitenrichtung unter angemessenem Aufnahmeaufwand. Die gewonnenen Kenntnisse über den Betrag und den Ort der Abweichungen ermöglichen dabei die genauere Berücksichtigung der Schwankungen geometrischer Abmessungen im Rahmen der probabilistischen Nachrechnung von Bestandsbauwerken. Als Referenz für diese photogrammetrischen Aufnahmen dient eine vergleichende Bestimmung der Bauteilgeometrie mit Hilfe eines Laserscanners vom Typ ATS600 der Firma Leica, welche eine hochgenaue Aufnahme des Messobjekts ermöglichte. Hieraus soll iterativ ermittelt werden, welche Erfassungsgenauigkeit für die noch experimentelle Nahbereichsphotogrammetrie erforderlich ist, um aufwändigere und kostenintensivere Laserscans ersetzen zu können. 8.3 Laserscan der Schnittkanten Bedingt durch das Freiwerden der Vorspannkraft beim Zerschneiden der Stege traten an den Schnittkanten (Abbildung 19) Relativverschiebungen zwischen den Spannstahlgliedern und den umgebenden Stahlbetonquerschnitten auf. Die Größe dieser als Schlupf bezeichneten Verschiebungen sind charakteristisch für die Güte der Verankerung des jeweiligen Spannglieds. Zur Bestimmung des Betrags der Verschiebung wurden die Schnittkanten mit Hilfe eines handgeführten Laserscanners, der auf dem Lichtschnittverfahren beruht, abgetastet und eine hochgenaue 3-D-Punktwolke generiert. Zum Einsatz kam ein Handscanner vom Typ T-Scan und ein LV-Trackingsystem der Firma Zeiss. Dieses System erfasst Oberfl ächen mit einer Genauigkeit von ca. 80 µm [12]. Einen Ausschnitt des entstandenen Netzes zeigt Abbildung 20. Aufgrund der Empfi ndlichkeit des Systems auf natürliches Licht, welches durch die photogrammetrische Nachverfolgung des T-Scans durch Infrarotkameras im LV-Tracker bedingt ist, wurde die Messung unter einem Messzelt durchgeführt (Abbildung 21). Zur Ermittlung und Quantifi zierung des Schlupfes werden mit der Flächenrückführungssoftware Geomagic Design X Ebenen und NURBS-Oberfl ächen aus den mittels „meshroom“ erzeugten STL-Dreiecksnetzen extrahiert und anschließend verglichen. Abb. 19: Spannglieder an der Schnittkante Abb. 20: Generiertes Netz der Schnittkante Abb. 21: Betrieb des Handscanners zur Erfassung der Schnittkantengeometrie 9. Schlussfolgerung und Ausblick Die Alterung von Brückenbauwerken und die sich gleichzeitig verstärkende Verkehrsbelastung im deutschen Straßennetz führen zur unabdingbaren Notwendigkeit der Neubewertung bestehender Brückenbauwerke in Bezug auf deren Standsicherheit, Ermüdungsfestigkeit und Gebrauchstauglichkeit [13]. 214 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Daten als Grundlage für KI-Anwendungen - Beispielprojekt Brücke Roding In diesem Beitrag werden die in Roding durchgeführten Messungen beschrieben und die angewendeten Messverfahren diskutiert Diese ermöglichen eine systematische Datengewinnung zum Zweck einer besseren Beschreibung des zu verwendenden Modells im Rahmen von statischen Berechnungen. Innerhalb der Prozesskette der Identifikation des statischen Systems sind dabei sowohl Aspekte der Versuchsdurchführung, der Messtechnik als auch der späteren Auswertung der gewonnenen Daten zu berücksichtigen. Im Rahmen des Projekts wurden auf verschiedene Arten Systemreaktionen erzeugt und durch unterschiedlichste Messverfahren aufgezeichnet. Mit Hilfe der so gewonnenen Vorinformationen soll das statische System durch Verfahren der künstlichen Intelligenz dahingehend trainiert werden, dass eine bessere Beschreibung des tatsächlichen Systemverhaltens durch ein upgedatetes FE-Modell möglich wird. Ein detaillierter Vergleich der verschiedenen Verfahren soll zudem zeigen, welche Möglichkeiten die einzelnen Messmethoden bieten und wie sich diese für die Kalibrierung von statischen Systemen durch Bayes‘sches Updating nutzen lassen. Das Updating der Eigenschaften bestehender Ingenieurbauwerke bietet die Chance, die getroffenen Modellannahmen mit am Bauwerk gemessenen Daten derart zu verfeinern, dass eine realitätsnähere Bewertung von Bestandsbauwerken den Erhalt bestehender Strukturen ermöglicht. Danksagung Die Autoren danken herzlich Herrn Univ.-Prof. Dr.-Ing. Otto Heunecke, Herrn Dr.-Ing. Thorsten Strübing und Herrn Günter Kraus vom Institut für Geodäsie der Universität der Bundeswehr München, sowie Herrn Maximilian Garsch vom Institut für Baustatik der Universität der Bundeswehr München, welche durch ihre Mitarbeit dieses Projekt erst möglich gemacht haben. Zudem möchten sich die Autoren bei Herrn Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx und Herrn Dipl.-Ing. Max Käding für Ihre Beteiligung am Projekt und für die fachliche Unterstützung bei der Erstellung dieses Beitrags bedanken. Für die Hilfe bei der Durchführung der Messungen sind die Autoren dem Laborpersonal des Instituts für Konstruktiven Ingenieurbau der Universität der Bundeswehr München, namentlich Herrn B.Eng. Maik Hopke und Herrn Nedim Husacovic zu Dank verpflichtet. Ferner soll der Panzerbrigade 12 „Oberpfalz“ unter Herrn Brigadegeneral Björn Schulz vielmals für die logistische Unterstützung während der Versuche und für die Bereitstellung des Versuchsfahrzeugs und der Besatzung gedankt werden. Für die Bereitstellung des Muldenkippers und die organisatorische Hilfe möchte sich das Autorenteam herzlich bei der Firmengruppe Max Bögl, Sengenthal, bedanken. Der Zugang zum Bauwerk wurde freundlicherweise durch das Staatliche Bauamt Regensburg ermöglicht. 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Praxisseminar Photogrammetrie. 2017 [6] alicevision.org, abgerufen: 03.07.2020 [7] SCHUTH, M., BUERAKOV, W.: Handbuch Optische Messtechnik - Praktische Anwendung für Entwicklung, Versuch, Fertigung und Qualitätssicherung [8] KEIL, S.: Dehnungsmesstreifen, Springer Verlag, 2.Auflage 2017 [9] STROBEL,O.: Lichtwellenleiter - Übertragungs- und Sensortechnik, VDE-Verlag, 3.Auflage, 2014 [10] www.gom-conference.com/ de, abgerufen: 01.07.2020 [11] GOM GmbH: GOM Testing - Grundlagen der digitalen Bildkorrelation und Dehnungsberechnung (Technisches Dokument ab V8 SR1) [12] SCHMIEDER, L.: Untersuchung der Geometrie von Testkörpern aus Beton mittels Photogrammetrie, Laserscanning und Lasertracking, Bachelorarbeit am Institut für Geodäsie der Universität der Bundeswehr München, 2020 [13] MAURER, R., HEEKE, G., KIZILITAN, H., KO- LODZIEJCZYK, A. ZILCH, K. DUNKELBERG, D., FITIK, B.,: Nachrechnung von Betonbrücken zur Bewertung der Tragfähigkeit bestehender Bauwerke (BASt-Bericht B89), 2012 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 215 KI zur Erkennung und Beurteilung von Oberflächenschäden an Betonbauwerken Nicolai Nolle, Projektleiter AI4I NFRA Viscan Solutions GmbH Wie kann künstliche Intelligenz bei der Unterhaltung, Inspektion und Instandsetzung unserer Infrastruktur eine Hilfe sein? Diese Frage beantworten wir im Rahmen des AI4INFRA Projektes. Das Projekt ist ein Konsortium aus Start-Up, Ingenieurbüros, Hochschule, der Deutschen Bahn und dem Verkehrsministerium BW. Wir haben die Aufgabe, ein Standardverfahren und eine öffentlich zugängliche Plattform für den Einsatz von KI zu entwickeln und bereitzustellen. Die Plattform eignet sich für die Auswertung, Kartierung und das Reporting von oberflächigen Schadstellen an Bahngleisen, auf Autobahnen oder an Brückenbauwerken und soll die Schnittstellen der Objektdatenbanken in unserem Fall die SIB-Datenbank bedienen. Im Zuge unserer Entwicklungen erarbeiten wir auch praktische Lösungen zur Digitalisierung von Bauwerksprüfungen vor Ort am Objekt. Darunter UAS/ UAV, Smartphone/ Tabletlösungen oder das dokumentieren und kartieren im Modell. Im Rahmen des Projektes wird gemeinsam mit dem Steinbeis Institut an einer möglichen Lösung zur Ermittlung der Tiefenstruktur eines oberflächigen Schadens geforscht. Im Rahmen unseres Vortrags berichten wir über den aktuellen Stand im Projekt und welche Lösungen bereits eingesetzt werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 217 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann Autor: Jens Kühne, Wölfel Engineering GmbH + Co. KG, Höchberg, kuehne@woelfel.de, 0172/ 6424695 Co-Autor: Dr.-Ing. Carsten Ebert, Wölfel Engineering GmbH + Co. KG, Höchberg, ebert@woelfel.de Zusammenfassung Dieser Vortrag vergleicht die zum Industriestandard gewordenen Systeme zur Rotorblatt- und Tragstrukturüberwachung aus der Windenergie sowie deren Einfluss auf die wiederkehrenden, periodischen Prüfungen mit den Predic-tive-Maintenance-Ansätzen bei Brückenbauwerken. Design, Errichtung und Betrieb von Brücken und Windenergieanlagen (WEA) weisen wesentliche Unterschiede, aber auch viele Gemeinsamkeiten auf. Was also ist zu tun, um die im Windenergiemarkt so erfolgreichen Monitoring-Lösungen auch für die Betriebsüberwachung von Brücken nutzen zu können? Wie wichtig ist die Bauwerkshistorie, was leistet Standardisierung, wie treiben Zugangsprobleme, KI und smart data-Ansätze die Innovation und wie kann dadurch die Bewirtschaftung der Assets wirtschaftlicher werden? Fragen, die in der Windenergie weitestgehend beantwortet sind und die uns den Weg zum effizienten Einsatz von intelligenten Zustandsüberwachungssystemen aufzeigen. Wölfel hat leistungsfähige und marktgerechte Lösungen für die messtechnische Überwachung von Windkraftanlagen entwickelt. Das Unternehmen setzt bei der Datenanalyse zunehmend neue Methoden und digitale Instrumente ein und überträgt nun das Know-How dieser hocheffizienten Monitoring-Lösungen auf den Brückenmarkt. 1. Einleitung Ziel der Zustandsüberwachung von Brückenbauwerken nach DIN 1076 [1] ist die Gewährleistung der Standsicherheit sowie eine hohe und lange Verfügbarkeit. Die volkswirtschaftliche Dimension der Vermeidung von Sperrungen und Staus und die damit einhergehende Aufrechterhaltung der Mobilität der Bürger und der Lieferketten von Industrie und Handel bilden dabei den monetär nur abschätzbaren Zielrahmen. Kostenkontrolle spielt vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen jedoch eine zunehmend bedeutende Rolle. Der Ruf nach Zustandsinformationen, welche die Inspektionsergebnisse ergänzen, ist derzeit im Wesentlichen an zwei Ereignisse gekoppelt - Schadenseintritt (Schadensüberwachung) und eingeschränkte Nachweisführung (messtechnische Ermittlung von Parametern, die die Nachweisführung ermöglichen). Dies führt fälschlicherweise dazu, dass Dauermesstechnik nur im letzten Lebensabschnitt der Bauwerke zum Einsatz kommt (Schadensbegrenzung) [2]. Im Gegensatz zum Bestand an Brückenbauwerken werden Windparks profitorientiert betrieben. Offshore sorgen der erschwerte und teure Transfer per Schiff oder Hubschrauber und die faktische Unzugänglichkeit bei Extremwetterlagen dafür, dass die Betreiber der Parks ein hohes Interesse an der permanenten Verfügbarkeit von Zustandsinformationen über die Windenergieanlagen haben. Auch gibt die lückenlose Dokumentation von Einwirkungen im Verkaufsfall der Anlagen/ Parks Aufschluss über den Verschleiß der Anlagen und begünstigt eine Due-Dilligence-Bewertung maßgeblich. Neben Zustandsaussagen zu einzelnen Anlagen nimmt die Bestandsbewertung des gesamten Parks bzw. des gesamten Portfolios (Fleet-Management) einen immer breiteren Raum ein. So lässt sich der Erhaltungsaufwand ganzheitlich steuern und minimieren. 2. Treiber und Hemmnisse Die Betreiber der Verkehrsinfrastruktur stehen vor der Herausforderung, die bestehenden Prozesse, Richtlinien und Aufgaben für völlig neue digitale Herangehensweisen zu öffnen, um die Sicherheit weiter zu verbessern, die Verfügbarkeit zu erhöhen und die Effizienz der Bewirtschaftung maßgeblich zu verbessern (kurze Reaktionszeiten, Kostenreduktion), und zwar ohne die bestehenden hohen Sicherheitsstandards zu gefährden. Gehemmt wird die digitale Umwälzung durch fehlende Rahmenvorgaben und Standards (auch in den bestehenden Regelwerken), lange Zeiträume zur Anpassung dieser Regelwerke, Zurückhaltung der Betreiber (Mangel an Erfahrung, Scheu vor Zusatzaufwand, fehlende Prozesse), bisheriger Nichtnachweisbarkeit der langfristigen Wirtschaftlichkeit der neuen Methoden oder Angst vor technologischen Sackgassen. Treiber einer schnellen Digitalisierung ist die Vereinheitlichung und Zusammenführung aller verfügbaren Bauwerksinformationen vor dem Hintergrund volkswirtschaftlicher Zwänge wie 218 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann - Erhöhung der Verfügbarkeit - Verbesserung des Netzzustandes - Ausnutzung der Restlebensdauer - intelligente Verkehrssteuerung - Kostenkontrolle und -reduktion. Auch Erfahrungen und Ergebnisse aus anderen Branchen sowie zunehmende Ressourcenknappheit befördern den Gedanken „intelligenter Strukturen“. Im Windenergiemarkt ist der Einsatz intelligenter Überwachungssysteme längst fester Bestandteil der Erhaltungsstrategien und Inspektionskonzepte (VDI 4551, VDI 3834 [3; 4]). Nach vielen Messungen im Rahmen von Forschungsprojekten und einer mehrjährigen Lernkurve sind Technik und Algorithmen so gut, dass der wirtschaftliche Betrieb der Anlagen ohne diese Systeme nicht mehr denkbar ist. 3. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Brücken und WEA Tab. 1: Gemeinsamkeiten Konstruktion • Designgrundlagen (Eurocode, BIM, Nachweise) • Struktureigenschaften (Gründung, Tragstruktur) • Entwicklungstools (Software) • Lastmodelle Bau • Fundamenterstellung (Pfahlgründung, Flachgründung) Betrieb • Regelmäßige Prüfungen • (6 Jahre / 4 Jahre) • Vermeidung von Nutzungseinschränkungen (Sperrungen / Stillstand) • Weiterbetrieb (Nachrechnung bzw. Gutachten mit analytischem Teil) Tab. 2: Unterschiede Brücke WEA Konstr. • Nur Strukturkomponenten (kaum bewegte Teile) • Struktur- (Fundament, Turm, Rotorblatt) und Maschinenkomponenten (Antriebsstrang, Rotor) • Vorwiegend statische Nachweise (aber auch dynamische, insbesondere bei Stahl und schlanken BW) • Gesamtdynamische Berechnung inkl. aeroelastischer Kopplung (aber auch statische Nachweise, Standsicherheit) • Individ. Design • (aber auch zunehmend Standardkomponenten (Lager, ÜKO) und modulare Bauweisen, Clusterung möglich • hoher Standardisierungsgrad (aber auch anlagenindividuelle Bestandteile (Gründungen, teilweise handgeschweißte Nähte) • überwiegend Beton (aber auch Stahl) • Überwiegend Stahl und GFK (aber auch Betongründungen und -türme) Bau • Projektgeschäft überwiegend im Bestand (aber auch Neubau) • Projektgeschäft überwiegend Neuerschließung (aber zunehmend auch Ersatz) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 219 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann Brücke WEA Betrieb • Geplant 100 Jahre • 20/ 25 Jahre + Verlängerung • Gute Zugänglichkeit (aber nicht überall) • Schlechte Zugänglichkeit (offshore) • Notensystem für Zustandsbewertung (Anpassung Prüfzeiträume möglich, aber nur Verkürzung) • Zustandsbericht (Möglichkeit der Fokussierung von Prüfszenarien und Anpassung der Prüfzeiträume) • Kein Monitoring vorgeschrieben (außer Nachrechnungs-RiLi, Teil 3) • Dauerüberwachung von ~ 10 % aller Offshore-Strukturen (SHM); ca. 100 % CMS für Antriebsstrang • Dauerhaft ein behördlicher Betreiber • Private Betreiber, Weiterverkauf möglich Fazit: Trotz vieler konstruktiver Unterschiede und abweichender Eigenschaften und Nutzung gibt es viele verbindende Elemente. Diese ermöglichen die grundsätzliche Übertragbarkeit der Technologien und Ansätze aus der Windenergie auf den Brückenbau. 4. Was die Brücke von der WEA lernen kann 4.1 Lektion 1: Historie ist wichtig für die Zukunft! Für WEA existieren fertige Lösungen für verschiedene Überwachungsszenarien. Die Systeme werden bereits in der Produktionsphase der Anlage oder bei deren Errichtung eingebaut und in Betrieb genommen. Die Dauerüberwachung beginnt mit der ersten Betriebsstunde (teilweise schon während des Rammprozesses der Gründung) und wird bis zur Abschaltung (20/ 25 Jahre) kontinuierlich betrieben. So sind zu jeder Zeit Aussagen über Lasten und Zustand von Struktur, Blättern und Maschinen möglich, welche dann mithilfe von Modellen auf den Park übertragen werden können. Brücken hingegen werden für 100 Jahre Betriebsdauer geplant. In den ersten Jahren nach der Errichtung können interessante Effekte durch Kriech- und Schwindeffekte sowie Setzerscheinungen entstehen, dann folgt in der Regel eine eher ruhige Phase, in der die Brücke weitestgehend mängelfrei betrieben werden kann. Wenn erste Schäden bei der handnahen Prüfung sichtbar werden, sind meist auch schon unsichtbar Veränderungen aufgetreten, die sich nachträglich nur schwer oder nicht mehr messtechnisch erfassen lassen. Daher greift man in diesen Fällen zur Nachrechnung. Sie hilft, unter Zugrundelegung aller Randbedingungen (Lastmodelle, Lasten, Schäden, etc.) den Zustand und die zu erwartende Restlebensdauer zu bestimmen. Dabei entsteht in der Regel ein konservativ gerechnetes Ergebnis, da Annahmen - beispielsweise für Verkehrslasten - getroffen werden müssen und man die Historie des Bauwerks nicht sicher kennt. Es ist naheliegend, die Unsicherheiten aus dem fehlenden Wissen zur Bauwerkshistorie künftig zu beseitigen und damit die Datenbasis für notwendige Nachrechnungen deutlich zu verbessern, indem man bereits in frühen Lebensphasen Messungen durchführt. Ein zielführender Ansatz wird durch das periodische Messen (Abb. 1) beschrieben. Hierbei wird nach der Errichtung im Rahmen der Bauabnahme eine Nullmessung (dynamisch und geometrisch) durchgeführt, um zu prüfen, wie Designannahmen und Modellgrößen mit der Realität übereinstimmen. Bei der Erfassung der Geometrie, beispielsweise mittels Drohne, entsteht ein digitaler 3D-Zwilling, der - über das Designmodell gelegt - geometrische Abweichungen und Toleranzen sichtbar macht. Deren Auswirkungen auf den Betrieb und die Dauerhaftigkeit des Bauwerks können damit bewertet werden. Bei der späteren Beurteilung von Schadensbildern helfen diese Resultate bei der Ursachenforschung. Die Messungen können vor Ablauf der Gewährleistungszeit und anschließend bei jeder zweiten Hauptprüfung wiederholt werden, sodass sich ein zusammenhängendes Bild über die gesamte Betriebszeit ergibt. Erst bei Auftreten standsicherheits- oder dauerhaftigkeitsrelevanter Veränderungen/ Schäden ergänzen Dauermesssysteme die periodischen Messungen. Abb. 1: Schematische Darstellung periodischer Messungen an Brücken 4.1.1 Exemplarische Beispiele zu Lektion 1 1. Die Schäden an einer WEA sind anfangs nicht sichtbar, aber messbar! 220 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann Abb. 2: Visualisierung von Ermüdungslasten an einer WEA 2. Im Rahmen der Umsetzung des o.g. Konzeptes periodischer Messungen wurde an der Hochmoselbrücke im Anschluss an die erste Hauptprüfung eine Nullmessung zur Dokumentation der dynamischen Eigenschaften durchgeführt. Abb.: 3: Exemplarische Ergebnisse dynamische Messung 4.2 Lektion 2: Eingeschränkte Zugänglichkeit ist ein Innovationstreiber! Die Zustandsüberwachung von Rotorblättern und Tragstruktur, insbesondere von Offshore-WEA, ist eine große Herausforderung. Ähnlich der Pfeilerprüfung bei Brücken müssen die Blätter und Türme beklettert und vollständig geprüft werden (bis 1.000 m²/ WEA). Dafür muss die Anlage stundenweise die Produktion stoppen, was zu wirtschaftlichen Verlusten führt. In den letzten Jahren setzten sich Dauermess-Systeme durch. Sensoren erfassen sowohl die Umwelteinfl üsse (Lasten) als auch Strukturantworten (Schwingungen, Verformungen). Aus Zeitreihen werden verschiedene KPIs (Key-Performance-Indikatoren) abgeleitet. Eine wesentliche Information ist die Ermittlung von Ermüdungsbeanspruchungen mittels Rainfl ow-Analyse [5]. Wölfel hat ein zertifi ziertes Verfahren entwickelt, um aus Beschleunigungsmessungen in Verbindung mit einem Digital Twin segmentweise die Beanspruchungen am Turm und Fundament sehr kostengünstig bestimmen zu können, die dann mit Designannahmen verglichen werden können [6]. Intelligente Algorithmen verknüpfen anschließend die Daten zu Schädigungskollektiven und leiten daraus Lebensdauerprognosen für die Strukturen ab (siehe Lösungen zu Lektion 2). Seit einiger Zeit unterstützen Drohnen erfolgreich die wiederkehrende Prüfung von Rotorblättern. Verschiedene optische Sensorsysteme erkennen Schadstellen (Risse, Delamination). Handnahe visuelle Inspektionen durch Seilkletterer und die damit verbundenen Stillstandszeiten können so deutlich reduziert werden. Auch Bereiche von Hang-, Fluss- und hohen Talbrücken sind für Bauwerksprüfer oft schwer erreichbar. Die benötigte Zugangstechnik (Gerüste, Untersichtgeräte) ist teuer, Verkehrseinschränkungen oft unumgänglich. In vielen Forschungsprojekten wurden Bauwerke bereits befl ogen, wobei der Fokus auf Verformungsmessungen, Rissbildanalysen und thermischen Untersuchungen (auch Erkennen von Feuchte) lag. Eine praxisorientierte Lösung für unzugängliche Brücken- oder Teilbauwerke stellt beispielsweise die Befl iegung ergänzend zur periodischen Messung in Lektion 1 oder die Kamera-Befahrung hoher Hohlpfeiler dar. Die Tätigkeit der hochqualifi zierten Prüfer lässt sich so auf die Prüfschwerpunkte lenken. Um die Technologie abschließend beurteilen zu können, sollten geeignete Brückenbauwerke gefunden und befl ogen werden (Siehe Lösungen zu Lektion 2). Die Ergebnisse erlauben die Validierung des Verfahrens hinsichtlich Zuverlässigkeit, Genauigkeit und Wetterabhängigkeit, wodurch eine Überführung in die Regelwerke schneller möglich wird. 4.2.1 Exemplarische Beispiele zu Lektion 2 1. WEA: Der Turm wird in Höhen- und Winkelsegmente geteilt, in jedem Segment werden die Ermüdungsbeanspruchungen ermittelt, welche sich zum Gesamtlebensdauerverbrauch aufsummieren (siehe auch Lösungen zu Lektion 3) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 221 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann Abb. 4: Segmentweise Ermüdungslastermittlung bei Windenergieanlagen mittels SHM.Tower 2. Brücke: Nach der Verkehrsübergabe im Winter 2019 wurde im Frühjahr 2020 die Hochmoselbrücke befl ogen. Ziel war eine Georeferenzierung und bildgestützte geometrische 3D-Rekonstruktion des Bauwerks als Grundlage für wiederkehrende Bauwerksprüfungen. Außerdem wurden an verschiedenen Stellen Risse aufgenommen. Abb. 5: Befl iegung der Hochmoselbrücke 4.3 Lektion 3: Standardisierung ermöglicht die Übertragbarkeit von Ergebnissen (Fleet Management)! Zustände miteinander vergleichen hier kann die Windenergieanlage auch von den Brücken lernen! Vorgaben zum ergänzenden Einsatz von Messtechnik waren bereits in den ersten Konstruktions-Richtlinien für Offshore- WEA enthalten. Aufgrund des hohen Standardisierungsgrades der WEA wird bisher jedoch nicht an allen Anlagen eines Offshore-Parks ein Strukturmonitoring umgesetzt, sondern nur an etwa jeder zehnten Anlage. Ausgewählt werden Anlagen mit erhöhten Risiken und Einwirkungen (höhere Wellen, tiefere oder weichere Gründung, mehr Wind, etc.). Die ermittelten Performance-Indikatoren geben durch Vergleich mit den Designannahmen Auskunft über die verbrauchte Betriebszeit und werden durch Parkmodelle und Annahmen auf die nicht gemessenen Anlagen übertragen. Durch Einsatz von KI und entsprechenden (Kurzzeit)-Vergleichsmessungen werden die Modelle und damit die Korrelationen zunehmend besser. Ziel ist es jedoch, künftig maßgeschneiderte kompakte Mess-Systeme an allen Anlagen zu haben, um die individuellen Charakteristika besser berücksichtigen zu können. Die fl ächendeckende Prüfung von Brücken basiert im Wesentlichen auf der DIN 1076 sowie den Richtlinien zur Bauwerkserhaltung RI-ERH-ING [7]. Am Ende des Prüfprozesses steht eine bauwerksindividuelle Zustandsnote, die unter Berücksichtigung bestimmter Rahmenbedingungen beispielsweise als Substanzkennzahl durchaus eine netzweite Vergleichbarkeit der Bauwerkszustände ermöglicht. Dabei sind die Zustandsnoten ein seit Jahrzehnten etabliertes System, was aufgrund seiner Langzeiterfahrung zu validen Ergebnissen führt. Die Dokumentation erfolgt mit Hilfe der SIB-Bauwerke-Software. Analysen sind möglich, jedoch schwierig und zeitaufwendig. Eine Novellierung ist zwingend notwendig und steht mit der Version SIB Bauwerke 2.0 bevor. Das Strukturmonitoring an Brücken ist leider noch so selten, so schwachstellen- und so bauwerksbezogen, dass eine Übertragbarkeit von Ergebnissen auf andere Bauwerke derzeit nahezu unmöglich ist. Lediglich die Wirksamkeit der Methoden wird im Rahmen der Projekte nachgewiesen, aber Standard-Lösungen für vergleichbare Messaufgaben gibt es nicht [8]. Dabei helfen sie, die subjektiv variierenden Zustandsnoten zu objektivieren, was insbesondere bei der Prognose der Restnutzungsdauer wichtig wäre. Einen Einstieg in dieses Thema markiert das Forschungsprojekt BrAssMan, bei dem für Brücken vergleichbarer Bauart mit ähnlichem Alter und ähnlichen Schadensbildern Standardlösungen entwickelt werden. So sollen Unterschiede in Performance und Tragreserven offengelegt und die Auswirkungen im gesamten Fernstraßennetz bewertet werden können. 4.3.1 Exemplarische Beispiele zu Lektion 3 1. Das Strukturmonitoring an jeder WEA im Windpark erlaubt es, das statische und dynamische Tragverhalten zu beurteilen und Unterschiede von Ermüdungsbeanspruchungen festzustellen [9]. Der Betrieb kann optimiert (z.B. Unwuchterkennung), die Lebensdauer verlängert werden (Fleet Management). Abb. 6: SHM.Tower (messdatenbasierte Lebensdauerverteilung verschiedener WEA) (DEL = Damage Equivalent Load) 222 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann 2. Forschungsprojekt BrAssMan (Bridge Asset Management): Das Projekt geht davon aus, dass eine Vergleichbarkeit von Brücken mit ähnlichen Tragstrukturen bzw. Eigenschaften einfacher herzustellen ist, als eine Standardisierung über alle Brückenarten. Daher wird der Bestand nach Brücken gleicher Bauart, ähnlicher Altersstruktur und ähnlicher Nutzung geclustert. Für Teile dieser Brücken, welche sich über einheitliche Modelle abbilden lassen, werden vergleichbare Key Performance Indikatoren (KPI) und standardisierte Messkonzepte entwickelt. Ziele: • Ermittlung ZUSÄTZLICHER Informationen (inkl. Vergleichbarkeit mit Zustandsnoten) • Ermittlung ERSETZENDER Informationen (inkl. Vergleichbarkeit mit Zustandsnoten) • Herstellen Vergleichbarkeit von KPI’s der Brücken gleichen Clusters • Prüfen Vergleichbarkeit von KPI‘s der Brücken unterschiedlicher Cluster Abb. 7: Vergleichbarkeit von Zustandskenngrößen iterative Lösungsfindung in BrAssMan 4.4 Lektion 4: Ingenieure wissen viel, Maschinen rechnen schnell! In der Herangehensweise der Ingenieure spielen mechanische Modelle eine wichtige Rolle. Diese werden mit Eingangsgrößen gefüttert, die vom Modell gelieferten Ergebnisse werden dann bewertet. Dabei bietet die Kenntnis des Modells hohe Transparenz, es ist jedoch meist unvollständig und bildet die Realität im Regelfall nur näherungsweise ab. Modelle sind mehrdimensional, die Anzahl der Parameter ist jedoch begrenzt. Künstliche Intelligenz (KI) basiert auf der Analyse der Realität. Die Übertragungsfunktion (Modell) zwischen Ein- und Ausgangsgrößen wird gesucht. Die Methoden erlauben hochdimensionale Betrachtungen, die Zuverlässigkeit der Aussagen hängt jedoch vom Betrachtungszeitraum ab. Oft gibt es auch keine Antwort. Abb. 8: Die zwei Paradigmen zur Problemlösung Der Einsatz von KI kann die Aussagekraft eines Kennwertes nochmals deutlich verbessern, ersetzt aber nicht die Analyse und Modellierung mithilfe der Physik und des Ingenieurwissens. Die Methoden des maschinellen Lernens bieten wertvolle Zusatznutzen hinsichtlich der Ausschöpfung des vollen Informationsgehaltes der Messdaten. Die Nachweise für die Grenzzustände von Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit basieren für WEA und Brücken auf den gleichen ingenieurtechnischen Verfahren und Herangehensweisen. Messungen im Rahmen der Nachweisführung erfordern daher die Ermittlung ähnlicher Kennwerte, die sich aus Größen wie Schiefstellung, Verformung, Beulen, Schwingspielen und -amplituden ergeben. Neben den Ingenieurmodellen kommen zunehmend KI-Methoden zum Einsatz. 4.4.1 Exemplarische Beispiele zu Lektion 4 1. Die Schiefstellung einer WEA hat Auswirkungen auf die Gebrauchstauglichkeit. Für eine Beurteilung ist meist der quasistatische Anteil der Neigung von Interesse, der jedoch durch äußere Einwirkungen (insb. Wind) im Regelfall um ein Vielfaches von den dynamischen Anteilen aus dem Betrieb maskiert wird. Kurzzeitige Messungen im Zuge der wiederkehrenden Prüfung sind kaum geeignet verlässliche Ergebnisse hierfür zu liefern. Neben deterministischen Verfahren nutzen wir insbesondere mittels KI trainierte Modelle zur Kompensation der äußeren Einflüsse, um hohe Genauigkeiten und Sensitivitäten zu erreichen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 223 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann Abb. 9: Neigung = f (Leistung, Wind, Azimut, Temp.) - Ingenieurmodell vs. KI-Methode 4.5 Lektion 5: Viele Daten, wenig Information? ! Bei der Messung insbesondere schnell veränderlicher Vorgänge am Bauwerk entstehen große Datenmengen. Je nach Abtastrate und Aufl ösung entstehen schnell mehrere Hundert Megabyte Rohdaten pro Monat. Ziel jeder Datenanalyse ist es, aus den monatlich auflaufenden Daten die für das Auslösen einer Aktivität notwendigen Informationen zu selektieren. Die Umsetzung erfolgt über mehrere Prozessschritte auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Umgebungen. Zu beachten ist, dass es im Rahmen der Beweissicherung notwendig sein kann, Daten (auch Rohdaten) über längere Zeiträume aufzuheben. Daher ist die Erarbeitung eines Konzeptes für Datenerhebung, Datenreduktion, -selektion und -bevorratung notwendig. 4.5.1 Exemplarische Beispiele zu Lektion 5 1. Noch vor dem Weitertransport der Daten eines Windparks ist eine edgeseitige Datenreduktion und Datenselektion im Regelfall geboten. Hierfür werden die Daten aller WEA über glasfaserbasierte Bussysteme zusammengeführt, plausibilisiert, analysiert und die Features (zum Beispiel Neigung oder Verformung) in einfach übertragbare Übergangsgrößen umgerechnet (zum Beispiel Min., Max., Mittelwert). Es werden dabei nur die für die Informationsgewinnung notwendigen Daten selektiert und gesichert. In einem nächsten Schritt werden auf einer Analyse-Plattform (Server, Cloud) durch Anwendung von Physik und Ingenieurwissen (Algorithmen) sowie Machine Learning (KI- Methoden) [10] Key Performance Indikatoren generiert, welche aufgrund ihrer hohen Aussagekraft Basis für die letzte Phase sind in der Betriebszentrale löst ein Algorithmus, der entsprechende Aktivitäten- und Meldungspläne repräsentiert, eine Warnung bzw. einen Alarm, die dann, nach einer Plausibilisierung, entsprechende Maßnahmen (Abschaltung, Sperrung, Serviceeinsatz, etc.) auslöst. Abb. 10: Schematische Darstellung von Datenanalyse und Datenreduktion Zum besseren Verständnis der Daten und einer Absicherung der Entscheidung durch den Betreiber ist eine nutzerfreundliche und übersichtliche Visualisierung der gerechneten Ergebnisse unerlässlich. Abb. 11: gezielte Datenreduktion durch KI 224 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann 4.6 Lektion 6: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Obwohl Messungen an Brücken meist erst initiiert werden, wenn die Prüfingenieure allein die Sicherheit nicht mehr nachweisen können, werden die meisten Messprojekte öffentlich ausgeschrieben und oft einzig unter Zugrundelegung des angebotenen Preises vergeben. Die Spezifikationen der Aufgabe und der Erwartungen sind oft unvollständig, was zu großen Preisspannen bei den Angeboten, wichtiger aber zu völlig unbekannten Qualitätsunterschieden bei der Umsetzung und damit Risiken bei der Bewertung der Ergebnisse führt. Jeder Anbieter kann eigene HardundSoftware programmieren und einsetzen, ohne dass unabhängige Stellen deren Funktion überprüft haben. Notwendig wird daher die Definition von Mindeststandards für Lieferanten, Mess-Systeme und Algorithmen! Ein erster ernst zu nehmender Schritt in Richtung Normierung von messtechnischen Anwendungen gelang 2018 mit dem Merkblatt des DBV „Brückenmonitoring - Planung, Ausschreibung und Umsetzung“ [11]. Es unterstützt die Betreiber bei der Umsetzung von Projekten, gibt aber keinerlei technischen Rahmen für Überwachungssysteme oder Lösungen vor. Technische Hilfestellung wird die derzeit überarbeitete DGZfP-Richtlinie B9 „Automatisierte Dauerüberwachung im Ingenieurbau“ bieten. Auch eine Technische Richtlinie ist bereits konzeptionell in Vorbereitung beim Normenausschuss DIN/ VDI. Parallel dazu ist es notwendig, die verwendeten Algorithmen hinsichtlich ihrer Aussagekraft zu bewerten, um die Richtigkeit der Ergebnisse sicher zu stellen. Im Bereich der Windenergie ist es üblich, dass nahezu alle eingesetzten Systeme und Lösungen, aber auch das Strukturdesign von unabhängigen Institutionen zertifiziert werden. Das führt zunächst zu zusätzlichen Kosten, die aber durch eine Sicherstellung der Einhaltung von Mindeststandards im Zuge des Betriebes mehr als ausgeglichen werden. 4.6.1 Exemplarische Beispiele zu 6 1. Zertifizierungen von messtechnischen Lösungen von der Sensorik über das Datenmanagement bis hin zur Plausibilität der Ergebnissen sind im Windenergiemarkt üblich. Abb. 12: SHM.Tower - Zertifizierung nach DNVGL-SE-0439 [12] 5. Fazit Konstruktive Unterschiede gibt es und sie spielen bei der Auswahl der Methoden eine Rolle. Aber wie groß ist der „kleine Unterschied“ zwischen Windenergieanlagen und Brückenbauwerken wirklich? Welche Ansätze aus dem Bereich Windenergie sind für das Brückeningenieurwesen adaptierbar, welche müssen einer wissenschaftlichen Prüfung unterzogen werden? Mobilität wird komplexer langfristige Verkehrsprognosen werden schwieriger. Immer neue und unberechenbare Nutzungsszenarien (Platooning, Gigaliner, illegale Überlasten, Grenzlastbetrieb) erfordern mehr Wissen über die Verkehrsinfrastruktur. Der Einsatz intelligenter Überwachungssysteme ist daher notwendig, um die künftigen Herausforderungen moderner Mobilität zu bewältigen. Wichtig ist die schnelle Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für den flächendeckenden Einsatz der erfolgreich getesteten Technologien. Dabei hilft der Blick auf Branchen, in denen Monitoring und KI längst Stand der Technik sind! 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 225 Was die Brücke von der Windenergieanlage lernen kann 6. Literaturangaben [1] DIN 1076, Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung, Ausgabe 1999 [2] Jens Kühne, Jennifer Rudloff-Grund: Messkonzepte und teilstandardisierte Ausstattung von Brücken mit Messtechnik, TAE, 3. Brückenkolloquim, Fachtagung für Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken, 2018 [3] VDI, Richtlinie 4551, Strukturüberwachung und -beurteilung von Windenergieanlagen und Offshorestationen, Ausgabe 2020 [4] VDI, Richtlinie 3834, Messung und Beurteilung der mechanischen Schwingungen von Windenergieanlagen und deren Komponenten - Windenergieanlagen mit Getriebe, Ausgabe 2015 [5] Kraemer, Peter: Schadensdiagnoseverfahren für die Zustandsüberwachung von Offshore-Windenergieanlagen“, Siegen 2011 [6] Nuber, Andreas; Friedmann, Herbert; Häckell, Moritz; Kraemer, Peter: Offshore foundation monitoring - from R&D to an industrial application, Vortrag 7. Gigawind Symposium, 2017, Hannover [7] Bundesanstalt für Straßenwesen, Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten (RI-ERH-ING), Ausgabe 2017 [8] S. Dabringhaus, P. Haardt: Infrastruktur im Wandel - Die Intelligente Brücke, 6. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken, TAE Esslingen 2019 [9] Ebert, Carsten; Friedmann, Herbert: Offshore- Strukturmonitoring-Systeme zur Überwachung von Fundamenten und Grout-Verbindungen - Erfahrungen aus der Praxis und aus aktuellen Forschungsprojekten, Vortrag im Workshop „Groutverbindung in der Betriebsphase“ am 22. März 2017 bei Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, BAM, Berlin [10] Smarsly, K., Dragos, K., & Wiggenbrock, J.: Machine learning techniques for structural health monitoring. In Proceedings of the 8th European Workshop on Structural Health Monitoring, EWSHM 2016, Bilbao, Spain [11] DBV, Merkblatt „Brückenmonitoring - Planung, Ausschreibung und Umsetzung“, Ausgabe 2018 [12] DNVGL-SE, Certification of Condition Monitoring, 2016 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 227 Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze Sarah Dabringhaus Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Zusammenfassung Ziel des bei der BASt eingerichteten Themenschwerpunkts „Intelligente Brücke“ ist die Entwicklung von Lösungen, die es gestatten, relevante Informationen direkt am Bauwerk zu erfassen sowie ganzheitlich zu bewerten und für ein prädiktives Erhaltungsmanagement bereitzustellen. Voraussetzung dafür ist die Erzeugung hochqualitativer und plausibler Daten. Sowohl modellals auch datenbasierte Ansätze können dazu ihren Beitrag leisten. Durch eine Kombination beider Ansätze sollen zukünftig die Stärken eines jeden Ansatzes weit möglichst durch die Potenziale des anderen Ansatzes unterstützt werden. 1. Einleitung Das Netz der Bundesfernstraßen (BfSt) umfasst derzeit knapp 40.000 Brücken mit einer Brückenfläche von rund 31 Mio. m² (Bundesanstalt für Straßenwesen 2020). Durch regelmäßige Bauwerksinspektionen, die vornehmlich aus visuellen Prüfungen zur Erfassung von Schäden und Mängeln bestehen, werden Bauwerke der BfSt hinsichtlich Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit bewertet und ggf. erforderliche Maßnahmen zur Sicherstellung der Verfügbarkeit abgeleitet. Ein Großteil von Schäden entsteht im Inneren der Brückenkonstruktion. Diese werden meist erst bei fortschreitender Schädigung sichtbar und damit für einen Bauwerksprüfer als Grundlage für die Erhaltungsplanung erfassbar. Aus diesem Grund wird das derzeitige Erhaltungshaltungsmanagement für Brücken als reaktiv bezeichnet (Dabringhaus und Haardt 2019). Zu den aktuellen Herausforderungen der BfSt gehören vor allem steigende verkehrsbedingte und klimatische Einwirkungen sowie die Altersstruktur der Brücken, die mehrheitlich in den 1960er und -80er Jahren errichtet wurden (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2015). Um die Verfügbarkeit von Verkehrswegen langfristig bestmöglich sicherzustellen und den wachsenden Mobilitätsanforderungen gerecht werden zu können, gilt es vor allem den Herausforderungen adäquat zu begegnen und Voraussetzungen für vorausschauendes Handeln zu schaffen (Dabringhaus und Haardt 2019). Dafür wurde in der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) 2011 der Forschungsclusters „Intelligente Brücke“ ins Leben gerufen. Seither werden hierzu umfassende Konzeptionen und Machbarkeitsstudien erstellt, Messsysteme und Strategien zur Auswertung der erfassten Daten entwickelt, unter Realbedingungen erprobt, bewertet und weiterentwickelt. Dabei gilt es vor allem auch die durch die digitale Transformation entstehenden technologischen Entwicklungen für die Intelligente Brücke im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit zu bewerten. Moderne Datenanalyseverfahren bzw. ihre Kombination mit klassischen Methoden der Datenanalyse und -bewertung gewinnen dabei zunehmend an Bedeutung. 2. Die Intelligente Brücke Die „Intelligente Brücke“ ist ein modulares System, das permanent in nahezu Echtzeit maßgebliche Messgrößen hinsichtlich Bauwerkseinwirkungen und -reaktionen erfasst, analysiert und ganzheitlich bewertet. Die hiermit gewonnenen Informationen können als Grundlage für ein prädiktives Lebenszyklusmanagement dienen. Die Realisierung einer Intelligenten Brücke ist sowohl beim Neubau als auch bei Bestandsbauwerken mit ausreichend hoher Restnutzungsdauer möglich. Hierbei stehen Brückenbauwerke mit großer Bedeutung für das Bundesfernstraßennetz und/ oder repräsentative Bauwerke im Vordergrund. Die Intelligente Brücke behandelt vordergründig objektspezifische Fragestellungen. Bestimmte Erkenntnisse können dabei ggf. auch auf den Teil-/ Gesamtbestand übertragen werden. Das Konzept der Intelligenten Brücke hebt sich vor allem durch eine ganzheitliche Bewertung und eine im Rahmen der Nutzungsdauer zeitlich unbegrenzte Bauwerksüberüberwachung vom herkömmlichen Bauwerksmonitoring ab. Der Begriff „Monitoring“ beschreibt hingegen den Gesamtprozess zur Erfassung, Analyse und Bewertung von Bauwerksreaktionen und einwirkenden Größen über einen repräsentativen Zeit- 228 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze raum (Deutsche Beton- und Bautechnik-Verein E.V. 2018). In der Regel stehen die Überwachung bekannter Schäden im Fokus mit dem Ziel der Bewertung der Zuverlässigkeit und des Risikos der Bauwerksnutzung (Structural Health Monitoring). Zu den Kernkomponenten des Konzepts der Intelligenten Brücke zählt die Sensorik, Datenaufbereitung, -analyse, -bewertung und -management sowie eine Informationsplattform für den Betreiber. Das grundlegende Zusammenwirken dieser Komponenten ist in Bild 1 schematisch dargestellt. Mittels installierter Sensoren können Bauwerksreaktionen erfasst werden und Einwirkungen sowie das Widerstandsverhalten abgeleitet werden. Hierbei können sowohl drahtgebundene als auch drahtlose Sensornetzwerke zum Einsatz kommen. Zusätzlich können auch Sensordaten herangezogen werden, die nicht am Bauwerk installiert sind, wie z.B. Wetterdaten einer nahegelegenen Wetterstation. Die Aufbereitung und Analyse von Daten mit dem Ziel der Erzeugung hochqualitativer, plausibler Daten ist für die Bewertung der Daten von großer Bedeutung. Hierbei können sowohl physikalische Modelle als auch statistische Methoden zum Einsatz kommen. Durch die Einbindung aufbereiteter und analysierter Messdaten in Ingenieurmodelle können der Zustand und die Zuverlässigkeit eines Bauwerks und seiner Bauteile bestimmt und Aussagen über die Restlebensdauer abgeleitet werden. Anhand einer Informationsplattform sollen alle für den Betreiber relevanten Informationen zum Zustandsverlauf des Bauwerks und seiner Bauteile angezeigt werden. Bei relevanten Veränderungen soll der Bauwerkstreiber zeitnah beispielsweise per Mail oder SMS informiert werden. Ein Datenmanagement für die Intelligente Brücke ist unerlässlich, um im laufenden Betrieb eine optimale Nutzung der Daten in Bewertungsmodellen in nahezu Echtzeit gewährleisten zu können. Bei der Intelligenten Brücke fallen große Datenmengen an, die in unterschiedlichen Prozessschritten zu verarbeiten sind, bevor sie in Bewertungsmodellen eingesetzt werden können. Ein geeignetes Datenmanagement soll sämtliche Aspekte des Datenlebenszyklus der Intelligenten Brücke, u.a. Datenerfassung, -verarbeitung, -bewertung, -speicherung und -archivierung berücksichtigen. Darüber hinaus umfasst dieses auch die Aspekte der Datenqualität, -sicherung und -schutz (Dabringhaus und Haardt 2019). Aspekte wie der Datenschutz sind z.B. bei der Erfassung von Bild/ Videoaufnahmen zur Verifikation der Fahrzeugerfassung relevant. Der Nutzen der Intelligenten Brücke besteht ergänzend zur Bauwerksprüfung vor allem im Zugewinn an Objektivität und Sicherheit, in der Verbesserung der Verfügbarkeit von Bauwerken sowie der frühzeitigen Erkennung von Verhaltensänderungen, die als Indikator für eine zuverlässigkeitsbasierte Bauwerksprüfung dienen können. Damit wird eine Grundlage für ein optimiertes, prädiktives Lebenszyklusmanagement geschaffen. Anhand gewonnener Informationen können Systemannahmen sowie das Bauteil- und Bauwerksverhalten verifiziert werden und Ingenieurmodelle überprüft werden. Ggf. können daraus Anpassungen an Bemessungsnormen erfolgen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 229 Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze Bild 1 Schema der Intelligenten Brücke 3. Datenaufbereitung und -analyse Die Datenaufbereitung und -analyse sind essenziell für die Intelligente Brücke zur Erzielung des in Kapitel 2 beschriebenen Nutzens. Zu den wesentlichen Schritten der Datenaufbereitung und -analyse zählen u.a. die Datenreduktion, die zeitliche Synchronisierung von Messdaten unterschiedlicher Messsysteme zur gemeinsamen Auswertung, die Transformation und Fusion von Messdaten sowie die Datenplausibilisierung. Um zuverlässige Aussagen über den Zustand eines Bauwerks treffen zu können, müssen vor allem plausible Daten für die Einbindung in Bewertungsmodellen vorliegen. Ziel einer Plausibilisierung ist es, Anomalien in einem Datenstrom sicher zu erkennen und diesen ggf. geeignet zu bereinigen. Zu den gewöhnlichsten Anomalien von Sensordatenströmen zählen u.a. fehlende Daten, Ausreißer und Drifts. Um eine erkannte Anomalie bewerten zu können und ggf. Schlussfolgerungen für das Bauwerk oder das Messsystem ableiten zu können, ist es wichtig, die Ursache der Anomalie zu kennen (Bao et al. 2019). Ein Sensorsignal wird in der Regel durch Bauwerksreaktionen, welche von Bauwerkseinwirkungen und -widerstand beeinflusst werden, Umwelteinflüssen sowie dem Sensorzustand und -eigenschaften bestimmt. Um Anomalien durch Sensorsignalfehler wie z.B. Sensorausfall, Alterung von Sensoren und Störeinflüsse zu erkennen, werden in der Regel bei Monitoringanwendungen redundante Messungen durchgeführt (Sawo et al. 2015). Relevante Bauwerkseinwirkungen wie Verkehr und klimatische Einflüsse werden beim Bauwerksmonitoring u.a. ermittelt, um deren Effekte in Messdaten zu kompensieren und die Messdaten zu glätten. Von besonderer Bedeutung sind die Anomalien in Messdaten, die Veränderungen im Bauwerk repräsentieren. Für die Erkennung von u.a. Anomalien können zwei grundlegend verschiedenen Vorgehensweisen, das modellbasierte sowie das rein datengetriebene und modellfreie Verfahren, unterschieden werden. 3.1 Modellbasierte und rein datenbasierte Ansätze Die konventionelle Herangehensweise ist das modellbasierte Verfahren. Hierbei stehen zur Abbildung eines Prozesses physikalische Zusammenhänge und Eigenschaften im Vordergrund. Der größte Vorteil der modelbasierten Verfahren liegt in der Nachvollziehbarkeit ihrer Ergebnisse, was vor allem für sicherheitsrelevante Bereiche der Bauwerksüberwachung von größter Bedeutung ist. Grundvoraussetzung für diese Herangehensweisen ist jedoch die Verfügbarkeit physikalischer Modelle, die die Realität möglichst genau abbilden. Entsprechende Modellierungen können zum Teil mit sehr hohem Aufwand und teilweise unbekannten Parametern verbunden sein 230 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze (Sawo et al. 2015). Für manche Prozesse existieren derzeit noch keine Modelle, da u.a. noch kein ausreichendes Prozessverständnis zur Beschreibung von Modellen vorliegt (Thöns et al. 2015). Im Gegensatz zu den modelbasierten Verfahren liegen den rein datengetriebenen Ansätzen keine physikalischen Modelle sondern Datenmodelle zugrunde. Die Datenmodelle werden mittels Trainingsdaten aufgebaut. Grundlage für die Anwendung dieses Verfahrens ist die Verfügbarkeit großer Datenbestände, um anhand umfangreicher Trainingsdaten Datenmodelle zu erzeugen, die die Wirklichkeit so gut wie möglich abbilden und um die erzeugten Modelle evaluieren zu können. Der Einsatz von datengetriebene Ansätze bietet großes Potenzial, wenn sich die physikalischen Gesetzmäßigkeiten eines Bauwerks nicht oder nur mit einem hohem Auswand modellieren lassen. Datengetriebene Verfahren lassen sich in „überwachte“, „nicht überwachte“ und „semi-überwachte“ Verfahren unterscheiden. Beim „überwachten“ Verfahren werden die Datenmodelle anhand von Trainingsdatensätzen, deren Klassenzugehörigkeit bekannt ist, gelernt. Ein Beispiel hierfür ist die Erkennung von Schäden auf Fotos mittels eines Algorithmus, dessen Datenmodell mit Schadensfotos und den zugehörigen Schadensarten erstellt wurde. Werden Trainingsdaten ohne Label zur Erzeugung von Datenmodellen verwendet, handelt es sich um ein „nicht überwachtes“ Verfahren. Durch Mustererkennung können mit diesem Verfahren Anomalien, Defekte innerhalb eines Datenstroms sowie Zusammenhänge zwischen verschiedenen Datenströmen gefunden werden (Smarsly et al. 2016). Beispiele für datengetriebene Ansätze sind z.B. Gaußprozesse, statistische Lerntheorien, künstliche neuronale Netze, Data Mining sowie weitere maschinelle Lernalgorithmen. Für die aufgezählten Verfahren ist wenig Prozesswissen erforderlich. Jedoch ist mit diesen Verfahren eine Rückverfolgbarkeit der Ergebnisse nicht möglich. Eine weitere Herausforderung besteht in der geringen Verfügbarkeit von Daten, die einen Schädigungsfall abbilden (Sawo et al. 2015). 3.2 Simulierte Messdaten einer geschädigten Brücke Ein wesentliches Ziel des Brückenmonitorings ist die frühzeitige Erkennung relevanter Strukturveränderungen. Aufgrund des wechselnden Betriebszustandes von Brücken, der durch eine komplexe Ausprägung der Messdaten wiedergespiegelt wird, ist die Unterscheidung zwischen planmäßigen und unplanmäßigen Verhalten eine Herausforderung. Hierfür kann sowohl ein modellbasierter als auch ein rein datengetriebener Ansatz herangezogen werden. Beim modellbasierten Verfahren dienen Sensordaten zur kontinuierlichen Aktualisierung eines Finite-Elementen-Modells und ermöglichen damit eine solide Strukturanalyse. Ferner können sie auch für eine Schadenserkennung herangezogen werden. In Rahmen des mFund-Projekts „Online Sicherheitsmanagement für Brücken“ (OSIMAB) wurde u.a. eine Methode zur Modellierung von Litzen- und Spanngliedbrüchen entwickelt, die sich in ein Finite-Elemente-Modell integrieren lässt. Hierbei wurde die Wiederverankerung der Vorspannelemente berücksichtigt (Seiffert und Jansen 2019). Bei der rein datengetriebenen Vorgehensweise werden keine physikalischen Modelle für die Anomalieerkennung in Datenströmen herangezogen. Allein auf der Grundlage von Sensordaten wird zunächst ein „Normal-Modell“ des ungeschädigten Bauwerkszustands erzeugt und dieses im Laufe der Nutzungsdauer mit aufgezeichneten Sensordaten abgeglichen (Kleinert und Sawo 2020). Bei der Erstellung des „Normal-Modells“ sollten Daten über einen Überwachungszeitraum von mindestens einem Jahr herangezogen werden, um den temperaturbedingten Jahreszyklus abzudecken. Zur Unterscheidung der Ursache einer erkannten Anomalie und zur Überprüfung der Zuverlässigkeit von entwickelten Algorithmen können Daten, die während des Bauwerksbetriebs eine definierte Schädigung beschreiben, dienen. Dieser Zustand ist jedoch absichtlich kaum zu erzeugen und steht darüber hinaus im Widerspruch zum Erhalt der Bauwerks- und Verkehrssicherheit. Angesichts fehlender realer Messdaten bei unplanmäßigem Verhalten werden im Rahmen eines Projektes der BASt Kenngrößen-Zeitverläufe einer im Betrieb befindlichen Spannbetonbrücke mit einer Finiten Element Simulation erstellt. Diese werden für den ungeschädigten Zeitraum unter Berücksichtigung der Einwirkungen infolge schwankender Temperaturbeanspruchungen und Verkehrsbeanspruchungen über einen Zeitraum von 1 Jahr simuliert. Darüber hinaus werden Kenngrößen-Zeitverläufe für folgende Schadensszenarien über einen Zeitraum von 1 Monat simuliert: • lokal begrenzte und schleichend zunehmende Schädigung : Korrosion der Bewehrung im Überbauquerschnitt • lokal begrenzte und plötzlich eintretende Schädigung: Bruch eines oder mehrerer Spannglieder im Verbund • global wirkende und schleichend zunehmende Schädigung: Lagerversteifung Die erzeugten künstlichen Messdaten für das planmäßige und unplanmäßige Verhalten sollen ein Hilfsmittel für weitere Forschung zur Entwicklung bzw. Weiterentwicklung bereits vorhandener datengetriebener Algorithmen sowie zur Validierung bezüglich ihrer Zuverlässigkeit zur Früherkennung von unplanmäßigen Veränderungen im Systemverhalten dienen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die simulierten Daten von der Güte des FE-Modells abhängen und die Realität nicht in Gänze wirklichkeitsgetreu abbilden können. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 231 Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze 3.3 Konzept für die algorithmisch gestützte Sensordatenanalyse Mit einer Datenanalyse wird das Ziel verfolgt, relevante Informationen und Wissen aus Sensordaten abzuleiten. Datengetriebene Ansätze bieten ergänzend zu den konventionellen Methoden das Potenzial ohne explizites Vorwissen bisher unbekannte Zusammenhänge in Daten zu erkennen. Im Rahmen des von der BASt beauftragten Projekts „Intelligente Brücke - Verfahren zur Auswertung, Verifizierung und Aufbereitung von Messdaten“ wurde u.a. ein Konzept für die rein algorithmisch gestützte Sensordatenanalyse entwickelt mit dem Ziel, mögliche Zusammenhänge zwischen verschiedenen Datenströmen halbautomatisch zu erkennen ohne eine explizite Modellierung durch ein physikalisches Modell vorauszusetzen. Hiermit sollen Bauingenieure bei der Datenbewertung komplexer Bauwerksüberwachungen mit großen Datenbeständen zusätzlich zu den konventionellen Methoden unterstützt werden (Kleinert und Sawo 2020). Der schematische Ablauf des erarbeiteten Konzepts für die Analyse einzelner Datenströme ist in Bild 2 dargestellt. Bild 2 Ablauf der algorithmisch unterstützten Sensordatenanalyse (Kleinert und Sawo 2020) Voraussetzung für das erarbeitete Vorgehen ist die Verfügbarkeit von an einem Bauwerk erhobenen Messdaten, die in zeitlich synchronisierter Form und einem einheitlichen Format vorliegen. In einem ersten Schritt werden die zu untersuchenden Daten vorverarbeitet. Ziel der Vorverarbeitung ist die Extraktion relevanter Merkmale von Ausschnitten eines Datenstroms, die für eine vorliegende Fragestellung relevant sind. Bei dieser Vorgehensweise ist nur ein geringer Speicherbedarf und Rechenleistung erforderlich. Eine Herausforderung dahingegen besteht darin, eine minimale systematische Verzerrung (Bias) zu erzielen, so dass alle relevanten Merkmale erfasst werden. Zunächst werden die Signale einer Medianfilterung unterzogen, um Einflüsse von Prozessen mit zeitlich langsamer Veränderung zu separieren. Die Detektion von Merkmalen erfolgt durch die Bestimmung von lokal-dominanten Maxima im gefilterten Signal. Beim Schritt der Fensterung wird ein Ausschnitt des Signalverlaufs symmetrisch um das lokal-dominante Maximum ausgeschnitten. Die Fenstergröße wird automatisch über eine Skalenraumanalyse ermittelt und anschließend erfolgt eine Merkmalsextraktion. Der Einbettungsschritt beinhaltet eine Dimensionsreduktion und eine Transformation der Merkmalsdeskriptoren, so dass diese von den folgend eingesetzten Gruppierungsmethoden gut erkannt werden und Zusammenhänge in den Daten sichtbar werden. Vor allem Verfahren wie das „t-Distributed Stochastic Neighbor Embedding“ (t-SNE) oder das „Autoencoder“ Verfahren können nicht-lineare Zusammenhänge abbilden und sind als Einbettungsverfahren geeignet. Der nächste Schritt beinhaltet die Zusammenfassung von ähnlichen Merkmalen zu Gruppen. Die Anzahl an Gruppen kann auf die Anzahl an unterschiedlich ablaufenden Prozessen hindeuten. Sind keine scharf abgegrenzten Klassen erkennbar, weist dies auf eine geringe Güte der Einbettung hin. Geeignete Verfahren hierfür sind z.B.: „k-means“, „Dirichlet-Process means“ und „Density-based spatial clustering of aplications with noise” (DBSCAN). Der letzte Schritt wird als Attribuierung bezeichnet und beinhaltet die Einfärbung der eingebetteten Merkmale auf Grundlage einer weiteren Datenquelle. In diesem Schritt ist eine ausreichende zeitliche Synchronisation eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Attribuierung. Das vorgestellte Konzept wurde anschließend erweitert, um eine kombinierte Auswertung mehrere Sensorsignale zu realisieren. (Kleinert und Sawo 2020). Zur Demonstration des erarbeiteten Konzepts zur halbautomatischen Erkennung möglicher Zusammenhänge zwischen verschiedenen Datenströmen ohne eine explizite Modellierung (vgl. Bild 2) wurde ein einfaches und offensichtliches Beispiel ausgewählt. Für das Beispiel wurden Messdaten aus der Pilotstudie „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“ herangezogen. Bei dieser Pilotstudie handelt es sich um ein 2016 neuerrichtetes Ersatzbauwerk im Autobahnkreuz Nürnberg, das mit verschiedenen im Rahmen der BASt-Forschung entwickelten Bausteinen zu Demonstrations- und Weiterentwicklungszwecken ausgestattet wurde. An dem Bauwerk wurde ein Bauwerksinformationssystem, ein drahtloses Sensornetzwerk, instrumentierte Lager und Fahrbahnübergang installiert. Eine Besonderheit des instrumentierten Fahrbahnübergangs ist, dass dieser für die zwei Fahrspuren getrennt ist. Im Rahmen von verschiedenen Forschungsprojekten werden u.a. Strategien zur Datenauswertung für die verschiedenen Messsysteme entwickelt. Beim instrumentierten Fahrbahnübergang stehen dabei v.a. die Ableitung von Informationen hinsichtlich des Verkehrs sowie dessen Funktionsüberwachung im Fokus. Für die Demonstration wurden Messdaten eines Beschleunigungssensors an einer Lamelle der linken 232 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze Fahrspur herangezogen und zwei unterschiedliche Gruppierungsverfahren untersucht. Im ersten Fall wurde das t-SNE Verfahren auf vorverarbeitete Spektren angewendet und die Merkmalsvektoren damit in die Ebene abgebildet. Anschließend wurden die Merkmalsvektoren in Abhängigkeit von der Überfahrt auf der linken oder rechten Fahrspur eingefärbt, siehe Bild 3. Die Informationen über die Zuordnung der Fahrspur zur Einfärbung der Merkmalsvektoren wurden aus einem zusätzlichen Datensatz herangezogen. Das Maß an Übereinstimmung einer Einfärbungsfläche und eines Clusters kann auf die Güte des Zusammenhangs zwischen Einfärbungsattribut und durch den Cluster repräsentierten Signalverlauf hinweisen. Im zweiten Fall wurden die entsprechend zum ersten Fall eingebetteten Daten automatisch mittels des DBSCAN Algorithmus gruppiert, siehe Bild 4. Der Vergleich von Bild 3 und Bild 4 zeigt eine gute Übereinstimmung des Gruppierungsergebnisse sowie der gefundenen Fahrzeugüberfahrten auf der rechten und linken Fahrspur mittels des DBSCAN-Algorithmus (Kleinert und Sawo 2020). Bild 3 Eingebettete Merkmale eingefärbt nach Fahrspur (grün: Überfahrt links, blau: Überfahrt rechts, rot: nicht zugeordnet), (Kleinert und Sawo 2020) Bild 4 Eingebettete Merkmale eingefärbt nach Gruppierung durch den DBSCAN Algorithmus (rot: Ausreißer), (Kleinert und Sawo 2020) Das Beispiel deutet darauf hin, dass das Beschleunigungssignal des linken Fahrbahnübergangs trotz der Trennung der beiden Fahrbahnübergänge sowohl von Überfahrten auf der linken als auch auf der rechten Fahrspur beeinflusst wird. Hierbei handelt es sich um einen offensichtlichen Zusammenhang. In der Regel sind die physikalischen Vorgänge in einem Bauwerk sehr komplex. Daher wird eine große Expertise bei der Interpretation von gefundenen möglichen Zusammenhängen und ihrer Evaluierung hinsichtlich der Plausibilität durch einen Ingenieur benötigt. 4. Fazit Der Einsatz von datengetriebenen Ansätzen wird in vielen verschiedenen Bereichen aufgrund der Verfügbarkeit gestiegener Rechenleistungen und Speicherplatz sowie dem verstärkten Einsatz des Internet of Things (IoT) und der damit verbundenen Verfügbarkeit großer Datenmengen zunehmend realistisch. Einsatzmöglichkeiten bestehen für diese neben den konventionellen Methoden auch bei der Datenaufbereitung und -analyse während des Bauwerksmonitorings. Hierbei steht unterstützend zur Bauwerksprüfung die Gewährleistung der Sicherheit im Fokus, weshalb die Nachvollziehbarkeit von Lösungswegen unerlässlich ist. Diese ist jedoch in der Regel bei derzeitigen datengetriebenen Ansätzen nicht gegeben. Ergebnisse, die mittels modellbasierten Verfahren ermittelt wurden, sind hingegen in der Regel sehr gut nachvollziehbar. Die Komplexität der physikalischen Vorgänge in einem Bauwerk erfordert im Allgemeinen tiefes Expertenwissen. Um die Stärken eines jeden Ansatzes weit möglichst durch die Potenziale des anderen Ansatzes zu unterstützen und eine Verbesserung der Bauwerksüberwachung zu erzielen, sollten in Zukunft hybride Ansätze verfolgt werden. Diese kombinieren datengetriebene Ansätze und vorhandenes Expertenwissen (z.B. Ingenieurmodelle) miteinander. Zur Entwicklung eines Konzepts eines hybriden Modells für das Bauwerksmonitoring sind auf Grundlage der Potenziale und Grenzen beider Ansätze Anwendungsgebiete für datengetriebene Ansätze beim Brückenmonitoring zu identifizieren, erforderliche Schritte zur zielgerichteten Verknüpfung von Expertenwissen und datengetriebenen Methoden zu erarbeiten und dafür notwendige Voraussetzungen zu definieren. Die Verwendung von simulierten Messdaten (siehe Kapitel 3.2), die mittels Expertenwissen erzeugt wurden, kann bei rein datengetriebenen Methoden neben anderen einen Teilaspekt eines hybriden Ansatzes darstellen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 233 Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze Literaturverzeichnis Bao, Yuequan; Chen, Zhicheng; Wei, Shiyin; Xu, Yang; Tang, Zhiyi; Li, Hui (2019): The State of the Art of Data Science and Engineering in Structural Health Monitoring. In: Engineering 5 (2), S. 234-242. DOI: 10.1016/ j. eng.2018.11.027. Bundesanstalt für Straßenwesen (2020): Brückenstatistik. Hg. v. Bundesanstalt für Straßenwesen. Online verfügbar unter https: / / www.bast.de/ BASt_2017/ DE/ Ingenieurbau/ Statistik/ statistik-node.html. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2015): Brückenmodernisierung im Bereich der Bundesfernstraßen. Hg. v. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Dabringhaus, Sarah; Haardt, Peter (2019): Infrastruktur im Wandel - Die Intelligente Brücke. 6. Kolloquium : Erhlatung von Brückenbauwerken. Hg. v. Technische Akademie Esslingen. Deutsche Beton- und Bautechnik-Verein E.V. (Hg.) (2018): DBV Merkblatt Brückenmonitoring. Kleinert, Markus; Sawo, Felix (2020): Intelligente Bauwerke- Verfahren zur Auswertung, Verifizierung und Aufbereitung von Messdaten. Schlussbericht FE 15.0636/ 2016/ GRB. Sawo, Felix; Klumpp, Vesa; Beutler, Frederik (2015): Intelligente Bauwerke - Anforderungen an die Aufbereitung von Messgrößen und ihrer Darstellungsform. Hg. v. Bundesanstalt für Straßenwese. Online verfügbar unter http: / / bast.opus.hbz-nrw.de. Seiffert, Annemarie; Jansen, Andreas (2019): A practical approach for modeling tendon and wire failures for model-based damage detection of prestressed concrete bridges. 5th International Conference on Smart Monitoring, Assessment and Rehabilitation of Civil Structures. Potsdam. Smarsly, Kay; Dragos, Kosmas; Wiggenbrock, Jens (2016): Machine leraning techniques for structural health monitoring. Hg. v. Bauhaus University Weimar, Chair of Computing in Civil Engineering. 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Kolloquium Brückenbauten - September 2020 235 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken Ralph Holst Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach Guido Morgenthal Bauhaus-Universität Weimar, Professur Modellierung und Simulation - Konstruktion, Weimar Norman Hallermann Bauhaus-Universität Weimar, Professur Modellierung und Simulation - Konstruktion, Weimar Zusammenfassung Innovative digitale Technologien können uns zukünftig bei der Bewältigung der anstehenden und immer komplexeren Herausforderungen im Bereich der Straßenverkehrsinfrastruktur unterstützen. Der Tagungsbeitrag stellt aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet der Bauwerksprüfung nach DIN 1076 dar und zeigt auf, wie mit Hilfe des Einsatzes von Unbemannten Flugsystemen (UAS unmanned aerial system) in Kombination mit Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) die Bauwerksprüfung zukünftig unterstützt werden kann. UAS bieten die Möglichkeit einer schnellen, automatisierten und sicheren Erfassungen von Bauwerksdaten in Form von hochaufgelösten digitalen Bildern, die einerseits für eine hochgenaue 3D-Rekonstruktion der IST-Geometrie und somit auch für die Erfassung kleinster geometrischer Veränderungen und andererseits für die automatische Detektion und Quantifizierung von visuell erfassbaren Schäden an der Bauwerksoberfläche genutzt werden können. Letzteres wird durch den Einsatz moderner Methoden des maschinellen Sehens (Computer Vision) und den Einsatz von KI-Methoden möglich. 1. Einleitung/ Hintergrund Die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland bildet das Rückgrat der Wirtschaft, indem es ermöglicht Waren möglichst schnell und störungsfrei von einem Ort zum nächsten zu transportieren. Bundesfernstraßen nehmen hierbei eine sehr wichtige Rolle ein. Dafür muss die Funktionsfähigkeit dieser aber gewährleistet sein. Diese wiederum wird durch unterschiedliche vorhersehbare und ungeplante Einwirkungen negativ beeinflusst. Das führt dazu, dass Maßnahmen, im Allgemeinen baulicher Art, geplant und durchgeführt werden müssen. Damit diese aber bestmöglich und mit möglichst geringem Einfluss auf die Nutzer und die Umwelt durchgeführt werden können, ist es notwendig, dass der Straßen-baulastträger im Vorfeld so umfassend wie möglich über den Zustand der Verkehrsinfrastruktur informiert ist. Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und hierbei insbesondere Brücken, stellen eine besondere Herausforderung dar. Denn diese Bauwerke können unterschiedlichste Schäden aufweisen, die so weit fortgeschritten sein können, dass ein statisches Versagen nicht mehr ausgeschlossen werden kann und ggf. Sofortmaßnahmen ergriffen werden müssen. Eindringliche Beispiele hierfür stellen die Sperrung der Leverkusener Rheinbrücke für den LKW- Verkehr und der Brücke der B1 am Altstädter Bahnhof in Brandenburg an der Havel sogar für den gesamten Verkehr dar. Die Sperrungen mussten sehr kurzfristig angeordnet werden und führte zu erheblichen Belastungen für die Wirtschaft, nicht nur im direkten Umfeld, sondern auch weit darüber hinaus. Hierfür gibt es bekannte und eingespielte Verfahren. 2. Stand der Technik zur Zustandserfassung und -bewertung von Ingenieurbauwerken 2.1 Einleitung/ Hintergrund Die Erfassung des Zustandes von Bauwerken und das daraus abgeleitete zukünftige Verhalten bilden die wichtigste Grundlage für die Eigentümer und Betreiber dieser Infrastruktur hinsichtlich kurz-, mittel- oder langfristig zu ergreifenden Maßnahmen. Für diese Aufgabe gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen und Methoden. Am bekanntesten und in fast allen europäischen und außereuropäischen Ländern verbreitet ist die Aufnahme von Mängeln und Schäden durch entsprechend ausgebildetes 236 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken Prüfpersonal. Diese Vorgehensweise ist im Allgemeinen eine visuelle und dabei wird vorausgesetzt, das Mängel und Schäden von außen bzw. an der Oberfläche des Bauwerks bzw. der Bauteile zu erkennen sind. Was sich in der inneren Konstruktion abspielt, ist zunächst nicht erkenn- und somit auch nicht bewertbar. Zudem stellt diese Art der Aufnahme nur eine Momentaufnahme dar, da Bauwerksprüfungen in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden. Werden kontinuierliche Informationen über Schadensverläufe bzw. Veränderungen über die Zeit benötigt, kann es sinnvoll sein, ein sogenanntes Monitoring durchzuführen. Hierbei werden mit entsprechenden Sensoren Messgrößen, wie z.B. Verschiebungen, Verdrehungen, Temperaturen oder auch Überfahrten von Fahrzeugen erfasst, ggf. vorausgewertet und gespeichert. Zur Erfassung von Konstruktions- und Zustands-informationen aus dem Inneren einer Konstruktion können sogenannte zerstörungsfreie Prüfverfahren, kurz ZfP, eingesetzt werden. Mit diesen indirekten Verfahren werden Messgrößen, z.B. Laufzeitveränderungen von Wellen, aufgezeichnet und auf Basis von vorher durchgeführten Kalibrierungen Indizien für Veränderungen an Bauteilen detektiert. 2.2 Nach DIN 1076/ RI-EBW-PRÜF In Deutschland wird seit Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts eine Prüfung der Bauwerke im Zuge von Straßen auf Basis der DIN 1076 [1] durchgeführt. Diese Norm regelt die grundsätzliche Vorgehensweise der Prüfung, indem unterschiedliche Prüfungsarten und deren Intervalle definiert werden. Das wichtigste an dieser Norm ist die Tatsache, dass diese für alle Baulastträger von Brücken unter öffentlichem Verkehr bindend ist und diese zu einer regelmäßigen Bauwerksprüfung verpflichtet. Für den Bereich der Bundesfern-, Landes- und Staatsstraßen gibt es darüber hinaus die Richtlinie RI-EBW-PRÜF [2]. Diese regelt die Art der Schadenserfassung und -bewertung und stellt den Algorithmus zur Berechnung der Zustandsnote und der Substanzkennzahl bereit. Diese Art der Zustandsbewertung ist in Deutschland für die Bundesfern-, Landes- und Staatsstraßen vorgeschrieben. Die Zustandsnote ist vergleichbar einem Schulnotensystem aufgebaut. Dabei bedeutet eine 1,0 einen neu, komplett ungeschädigten Zustand, während eine 4,0 sofortigen Handlungsbedarf bis hin zu Verkehrseinschränkungen oder sogar der Sperrung einer Brücke bedeutet. Dabei signalisiert die Zustandsnote, dass an dem Bauwerk Handlungsbedarf besteht. Die Höhe der Note gibt zwar einen Anhalt über die Dringlichkeit einer Maßnahme, aber nicht über das zeitliche und finanzielle Ausmaß zur Beseitigung einer schlechten Zustandsbewertung. 2.3 Ansätze moderner bildgebender Methoden und Verfahren in Verbindung mit KI in der Bauwerksprüfung Bildgebende Verfahren, wie die Nahbereichsphotogrammetrie, bieten aufgrund der enormen technischen Weiterentwicklungen, wie z.B. im Bereich der Kamera- und Drohnentechnologie aber auch auf Seiten der Computerhardware zur Auswertung der Bilddaten, in den letzten Jahren ein enormes Potential, die Zustandserfassung wesentlich effizienter sowie objektiver zu gestalten und zugleich in ihrer Qualität zu steigern. Drohnengestützt können Bauwerke bereits teilautomatisiert auf vorgeplanten Flugrouten schnell und sicher aus kurzer Distanz erfasst werden. Die erfassten extrem hochaufgelösten digitalen Bilddaten liefern die Grundlage einerseits für die Extraktion geometrischer Bauwerksinformationen, wie z.B. georeferenzierte 3D-Punktwolken oder texturierte 3D-Bauwerksmodelle und andererseits für die automatische Bildanalyse zur Erfassung von visuell erfassbaren Schäden an der Bauwerksoberfläche. In Verbindung mit neuen leistungsfähigen Methoden der künstlichen Intelligenz, wie z.B. die Nutzung von Convolutional Neural Networks (CNN oder auch Faltungsnetze), die derzeit einem immensen Entwicklungsschub unterliegen, können sehr große Bilddatensätze effizient und automatisch ausgewertet werden, um weitere Bauwerkszustandsinformationen zu extrahieren. So können beispielsweise Risse auf Betonoberflächen in den 2D-Bilddaten erkannt werden. Über eine entsprechende Georeferenzierung am Bauwerk und der Bilder können quantitative Schadensinformationen, wie z.B. die Rissbreite, ermittelt werden. Durch die bildbasierte und georeferenzierte 3D-Rekonstruktion können die 2D-Schadensinformationen exakt am Bauwerk bzw. im Bauwerksmodell verortet werden, was mit Blick auf eine kontextbezogene Speicherung aller Daten im Lebenszyklus eines Bauwerks unter Nutzung von BIM-Ansätzen unabdingbar ist. Die voran genannten Methoden und Verfahren können bei konsequenter und normativ geregelter Umsetzung unter Einhaltung qualitativer Mindestanforderungen in der Datenerfassung und -auswertung eine nahezu lückenlose Schadenserfassung, -dokumentation und -fortschrittsentwicklung ermöglichen. Durch wiederholte Aufnahmen im Zuge regelmäßiger Bauwerksprüfungen können Unterschiede in den 2D- und 3D-Datensätzen erkannt und entsprechend visualisiert werden. Eine Gesamtmethodik für die drohnen- und bildbasierte Zustandserfassung im Zuge der wiederkehrenden Bauwerksprüfung wurde bereits von Morgenthal et. al [3] entwickelt und das Potential moderner Technologien für eine digitale Instandhaltungsstrategie von Hallermann et. al [4] aufgezeigt. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 237 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken 3. Innovative Technologien 3.1 Anforderungen Die unter 2.2 beschriebenen Verfahren und Methoden sind teilweise schon sehr lange im Einsatz, sind stetig weiterentwickelt und angepasst worden und haben sich im Rahmen der Möglichkeiten bewährt. Allerdings haben diese Verfahren ihre Grenzen. Diese Grenzen werden nicht nur durch die Verfahren selbst, sondern auch durch geänderte Rahmenbedingungen oder Anforderungen an Baulastträger defi niert. So ist es mittlerweile weit verbreitet ein Management-System zur Optimierung der Erhaltung von Bauwerken einzusetzen, um nicht mehr nur die Betriebsphase, sondern den gesamten Lebenszyklus in die Betrachtung mit einzubeziehen, siehe Abbildung 1. Hierfür werden zusätzliche Informationen benötigt, die bisher so nicht erhoben wurden bzw. werden konnten. Daneben haben sich in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten ganz wesentliche Fortschritte auf dem Gebiet der Zustandserfassung ergeben und die Digitalisierung stellt die Verantwortlichen nicht nur vor neue Heraus-forderungen, sondern bietet auch neue Möglichkeiten. Diese gilt es zu erkunden und soweit sinnvoll und zielführend in die bestehenden Abläufe zu integrieren oder sogar neue Vorgehensweisen zu ermöglichen. Unter dem Begriff der „Digitalisierung“ sind dabei nicht nur die Umstellung von analogen Abläufen und Vorgängen in digitale Vorgehensweisen zu verstehen, sondern insbesondere die Erzeugung eines Mehrwertes dadurch, dass Informationen digital verfügbar und somit kombiniert und zusammenhängend auswertbar werden. Diese verdichteten Informationen müssen und können dann ebenfalls mit digitalen Methoden besser verständlich dargestellt werden. Damit können diese Informationen auch Personen und Institutionen vermittelt werden, die zur Beurteilung der fachlichen Hintergründe ansonsten nicht das notwendige Hintergrundwissen haben. Abbildung 1: Bauwerksprüfung im Kreislauf „Erhaltung“ 3.2 UAS/ UAV Die visuelle, handnahe Bauwerksprüfung aller Bauteile, z.B. an einer Brücke, ist mit sehr hohen Anforderungen an das Prüfpersonal verbunden. Neben dem nicht immer einfachen, teils nur mit zusätzlichen Besichtigungs-geräten möglichen Zugang zu allen Bauteilen unter Lärm- und Staubbelastung und nahe am befahrenen Verkehrsraum, kann zu Gefährdungen des Prüfpersonal und zusätzlichem Stress führen. Zudem kann es passieren, dass z.B. nach einem Unfall, ein schneller Zugang zu Bauteilen erreicht werden muss, ohne im Vorab alle sonst notwendigen Sperrungen durchführen zu lassen. Unter anderem für diesen Fall bietet es sich an, sogenannte unmanned aerial vehicles bzw. systems (UAV/ UAS) unterstützend einzusetzen, wie in der nachfolgende Abbildung 2 dargestellt. Abbildung 2: Einsatz einer Drohne (Typ: Intel Falcon 8+) an einem Brückenbauwerk zur Generierung von Bilddaten aus kurzer Distanz für die 3D-Rekonstruktion und automatische Schadenserfassung. 238 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken Hiermit können fast alle Bauteile von Ingenieurbau-werken im Zuge von Straßen schnell und ohne Gefährdung des Prüfpersonals und Verkehrs erreicht werden. Mit der verfügbaren Kameratechnik können in kurzer Zeit sehr viele, qualitativ hochwertige Bildaufnahmen von Einzelbauteilen bzw. vom gesamten Bauwerk erfasst und anschließend verarbeitet werden. Sowohl die Flugals auch die Aufnahmetechnik kann als so ausgereift bezeichnet werden, dass ein Einsatz unter normalen Wetterbedingungen plan- und durchführbar ist. Regen und böiger Wind in Bauwerksnähe stellen zurzeit noch Herausforderungen bzw. Beschränkungen dar. Es ist aber zu erwarten, dass auch hierfür, z.B. durch aktive Kollisionsvermeidungs-assistenten oder Abstandskontrollen zum Bauwerk, zukünftig Verbesserungen erzielt werden können. Gleiches gilt auch für die möglichen Flugzeiten, die zurzeit noch durch die geringen Kapazitäten der Akkus und hohe Nutzlasten erheblich eingeschränkt werden. Da der Austausch der Akkus aber sehr schnell durchgeführt werden kann und wenn das Untersuchungsobjekt nicht zu weit vom Start-/ Landeplatz entfernt ist, sind die Zeitverluste hierdurch überschaubar. Es steht derzeit eine „Basistechnologie“ zur Verfügung, die eine Bauwerksprüfung bereits punktuell unterstützen kann. Für einen flächendeckenden und „vollautomatisierten“ Einsatz am Bauwerk zur Erzeugung qualitativ sehr hochwertiger Bilder aus kurzer Distanz sind aber noch weitere technische Entwicklungen erforderlich, die insbesondere den Piloten in seiner Arbeit unterstützen. Erst die Fusion einer verlässlichen Abstandssensorik mit der Flugroutenplanung und automatischen Befliegung, insbesondere bei schlechten GPS-Bedingungen, wie z.B. in Bauwerksnähe oder unterhalb von Bauwerken, ermöglicht eine automatisierte Aufnahme des gesamten Bauwerks. Zudem können durch Integration noch leistungsfähigerer Kameras hochwertige Daten aus größerer Entfernung zum Objekt und somit auch sicherer und bei tendenziell weniger Daten mit gleicher Aussagekraft erfasst werden. 3.3 Künstliche Intelligenz (KI) Die einfache bildhafte Dokumentation von Sach-verhalten an Bauwerken in digitaler Form stellt an sich schon eine sehr gute Unterstützung der bisheriger Prüfaufgaben dar, u.a. da diese Bildinformation auch für ein Building Information Modelling (BIM) genutzt werden können, um einzelne Schäden im Zusammen-hang mit der aktuellen Gesamtzustands-bewertung des Bauwerks besser verstehen zu können. Allerdings ermöglicht die Digitalisierung eine noch sehr vielweitreichendere Unterstützung. Digitale Bildauf-nahmen enthalten eine Vielzahl von unterschiedlichen Information über Mängel und Schäden an Bauwerken. Tagtäglich werden im Rahmen von Bauwerksprüfungen Bildaufnahmen von Schäden erfasst, die zwar grundsätzlich ähnlich, aber im Einzelfall doch sehr unterschiedlich sein können. Die Methoden der KI und hierbei insbesondere die Mustererkennung unter Einsatz von CNNs befassen sich genau mit dieser Fragestellung, aus ähnlichen, aber doch verschiedenen Mustern eine grundsätzlich gemeinsame Charakteristik zu erkennen, die auf eine bestimmte Art von Schädigung, z.B. Risse auf Betonoberflächen, hinweist. Die Anforderungen an die Qualität der gelieferten Bilddaten sind hierfür noch sehr hoch, da auch kleinste Risse detektiert werden sollen, sodass eine Schadenserkennung sehr frühzeitig gewährleistet und eine Schadensfortschrittsentwicklung von Beginn an ermöglicht wird. Insbesondere die Struktur von Betonoberflächen an Bauwerken, die unterschiedlichen Licht- und Schattenverhältnissen unterliegen, stellen die Algorithmen zurzeit noch vor erhebliche Herausforderungen. Der große Vorteil am Ansatz der künstlichen Intelligenz ist es, dass die Algorithmen die Qualität der Aussagen durch jedes weitere Trainingsbild und zusätzliche Bild-informationen stetig verbessern. Hierfür werden allerdings qualitativ hochwertige Trainingsdatensätze mit typischen Schadensbildern benötigt, um die Algorithmen auf das entsprechende Schadensmuster so zu trainieren, dass eine ausreichend hohe Erkennungs-wahrscheinlichkeit erreicht wird. Abbildung 3 zeigt exemplarisch die typische Kette zur Entwicklung eines geeigneten Neuronalen Netzes zur bildbasierten Schadenserkennung. Abbildung 3: Arbeitsschritte zur Entwicklung einer bildbasierten Schadenserkennung mit maschinellem Lernen. [5] Im Forschungsvorhaben „Unterstützung der Prüfung gemäß DIN 1076 durch (halb-) automatisierte Bildauswertung u. a. mittels UAV - FE 89.0334/ 2017) [5] konnten erste verwendbare Trainingsdatensätze und KI- Methoden mit Blick auf die Risserkennung erfolgreich umgesetzt werden. Durch Annotation visuell erfassbarer Schäden in den Bildern müssen in einem manuellen sehr aufwendigen Prozess zunächst geeignete Trainings-bilder zum Anlernen des Erkennungs-Algorithmus erzeugt werden. Bewährt sich ein ausgewähltes neuronales Netz bei der Erkennung ausgewählter Schäden, muss dieses Netz weiter trainiert werden, um eine ausreichend hohe Trefferquote bei der Schadens-detektion zu erreichen. Dies geschieht durch die Verwendung einer sehr hohen Anzahl typischer Schadensbilder (meist mehrere hundert tausend). Wurde das neuronale Netz ausreichend trainiert, können Schäden in den digitalen Bildern visuali- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 239 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken siert und die Schadenserkennung bewertet werden. Die nachfolgende Abbildung 4 zeigt exemplarisch das Ergebnis einer automatischen Risserkennung, die im Zuge von Forschungsarbeiten an der Bauhaus-Universität Weimar entwickelt wurde. Abbildung 4: Beispiel einer automatischen Rissdetektion auf einer Betonoberfl äche von einer drohnenbasierten Aufnahme, oben: Originalaufnahme, unten: Rissdetektion (Rissbreite: 0,15 mm). Somit kann davon ausgegangen werden, dass heute noch nicht oder nur schwer detektierbare Schädigungen sehr bald mit sehr hoher Trefferwahrscheinlichkeit erkannt werden können. Dies bedeutet eine sehr große Unterstützung des Prüfpersonals im Zuge der Vor- und Nachbereitung Bauwerksprüfungen oder sogar direkt vor Ort. In Kombination mit weiteren modernen Technologien der Datenvisualisierung, z.B. Virtual Reality (VR) oder auch Augmented Reality (AR), können den Prüfern aus den Bilddaten extrahierte Bauwerkszustands-informationen aufgabenbezogen am 3D-Bauwerks-modell in VR oder sogar am Bauwerk direkt mit AR visualisiert bzw. angezeigt werden. Zustands-informationen, wie 3D-Bauwerksdaten oder auch Bilder mit Schadensinformationen vergangener Prüfungen, können eingeblendet werden, sodass der Bauwerks-prüfer „auf einen Blick“ entsprechende Veränderungen über die Zeit sehen kann. 4. Einsatz im Rahmen der Zustandserfassung und -bewertung von Ingenieurbauwerken Zahlreiche Pilotstudien und abgeschlossene Forschungsvorhaben der BASt und an der Bauhaus-Universität Weimar in den letzten Jahren haben bereits gezeigt, dass der Einsatz von Drohnen in Verbindung mit einer bildbasierten Bauwerkserfassung und Nutzung leistungsfähiger Methoden des maschinellen Sehens (Computer Vision) sowie neuer Methoden der KI in der Zustandserfassung von Bauwerken enormes Potential bietet, den gesamten Prozess der Bauwerksprüfung von der Bauwerksaufnahme über die Datenauswertung und Speicherung (Dokumentation) bis hin zur Visualisierung digital neu zu denken. In der Praxis kommt diese Technologie bisher aber noch kaum oder nur punktuell zur Anwendung. Dies ist einerseits in fehlenden Vorgaben und Regularien zur Datenerfassung (insbesondere der Datenqualität) und andererseits in der noch immer großen Unsicherheit in Bezug auf die Datenmengen und weiteren Verwendbarkeit der digitalen Daten begründet. Die Einbindung digitaler Zustandsinformationen in Bauwerksinformations-modelle existiert derzeit in der Praxis noch nicht. Aktuelle Forschungsarbeiten zeigen Konzepte zur Datenintegration und prototypische Umsetzungen. Im Rahmen des aktuellen Verbundforschungsvorhabens „AISTEC - Bewertung alternder Infrastrukturbauwerke mit digitalen Technologien“ an der Bauhaus-Universität Weimar [6] werden Technologien von der Aufnahme über die Auswertung bis hin zur Visualisierung von Bauwerksdaten für eine effi ziente Bauwerksprüfung entwickelt. Dabei werden die Endanwender, Infrastrukturbetreiber aber auch Ingenieurbüros für die Planung und Unterhaltung von Infrastrukturbauwerken von Beginn an als Praxispartner eingebunden, die Anwendungsszenarien und entsprechende Anforderung an die neuen digitalen Verfahren defi nieren. Die Grundlage der Zustandserfassung und daraus resultierenden Zustandsbewertung des Bauwerks bilden digitale, sehr hochaufgelöste und qualitativ hochwertige Bilddaten, die wenn möglich automatisiert z.B. unter Einsatz von Drohnen am Bauwerk erfasst werden. Da diese Bilddaten sowohl für eine photogrammetrische 3D-Rekonstruktion des Bauwerks als auch für die automatische Bildanalyse zur Schadenserkennung genutzt 240 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken werden, entstehen folglich sehr große Bilddatensätze, die mit leistungsfähiger Hard- und Software ausgewertet werden müssen. Aus den Bilddaten können visuelle 2D- (z.B. Risserkennung mit Rissbreite) und geometrische 3D-Zustands-informationnen (z.B. Verformungen von Bauteilen) abgeleitet werden. Abbildung 5 zeigt beispielhaft einen 28 m hohen Brückenpfeiler (Grundfläche 1,50 x 6,00 m) mit einer vorgeplanten Flugroute in einem konstanten Aufnahmeabstand zum Objekt. Ziel der Aufnahme war die Erfassung der Ist-Geometrie, sowie aller visuell erfassbaren Schäden auf der Betonoberfläche. Abbildung 5: Beispiel einer berechneten Flugroute (Kamera-position mit Blickrichtung) für einen Brückenpfeiler zur Erfassung eines überlappenden Bildverbandes für die 3D-Rekonstruktion und Ermittlung des Verformungszustandes. Für den dargestellten Pfeiler wäre rechnerisch ein Bildverband von ca. 25.000 Bildern erforderlich, um mit einer automatischen Bildanalyse eine Rissbreite von 0,1 mm sicher zu detektieren, beim Einsatz einer Kamera vom Typ Sony Alpha7R mit 35mm Objektiv. Für eine Rissbreite von 0,3 mm wären immer noch 4000 Bilder erforderlich, die in einem Abstand von ca. 1,70 m zum Objekt erfasst werden müssten. Der Pfeiler wurde zur Ermittlung der Ist-Geometrie mit 450 Bildern erfasst, sodass eine Objektauflösung (3D-Auflösung) von ca. 1 mm/ Pixel erreicht wurde. Die zu unterschiedlichen Temperaturen wiederholte Aufnahme und erzeugten 3D-Punktwolken mit ca. 25 Mio. Punkten des Pfeilers wurden u.a. für die Ermittlung der temperaturbedingten Verformungen des Pfeilers genutzt. Die Anzahl der Bilder allein zeigt, dass die Anforderungen an die zu erfassenden Daten bzw. zu extrahierenden Zustandsinformationen für die Bewertung des Bauwerkszustandes vor der Bauwerks-aufnahme aufgabenspezifisch definiert sein müssen, um unnötig große Datenmengen zu vermeiden. So sind Zweck und Ziel der Inspektions-/ Messaufgabe einhergehend mit der Benennung von Grenzwerten und Zielgrößen sowie -qualität festzulegen. Wie unter 3.3 und in Abbildung 4 bereits gezeigt, können die Bilddaten bei entsprechender Auflösung und Qualität für automatische Schadensanalysen, z.B. die Risserkennung genutzt werden. Neben der visuellen Darstellung können weitere Informationen der Rissstrukturen, wie Risslänge und -breite, extrahiert werden. Aus den Bilddaten können aber auch geometrische 3D-Bauwerksinformationen generiert werden, wie z.B. eine hochgenaue Ist-Geometrie oder der aktuelle Verformungszustand eines Brückenpfeilers. Werden Risse oder nicht erwartete Verformungs-änderungen festgestellt, muss deren Einfluss auf die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit untersucht werden. Hierfür können Finite Elemente Modelle (FEM) genutzt werden, die sowohl unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verformungen die exakte Geometrie des Bauwerkes als auch erkannte Schädigungen enthalten und für Simulationen des Tragverhaltens und die Bestimmung der Resttragfähigkeit genutzt werden. Unter Verwendung eines Referenzzustandes werden Belastungs- und Schädigungsmodelle kalibriert, sodass der aktuelle mechanische Tragwerkszustand für Simulationen genutzt werden kann. Auf Basis dieser Daten erfolgt eine Bewertung des aktuellen Bauwerkszustandes für kritische Belastungszustände. Für die Ableitung der geometrischen Zustands-informationen, globaler (Pfeilerverformungen) wie auch lokaler Art (Abplatzungen), werden sehr hochaufgelöste und detaillierte 3D-Bauwerksmodelle in Form von 3D-Punktwolken und vermaschter texturierter 3D-Oberflächenmodelle benötigt. Diese Modelle bieten aufgrund ihres enormen Detailgrades darüber hinaus die Möglichkeit, gewisse Arbeiten im Rahmen der Bauwerksprüfung am digitalen Bauwerk durch-zuführen, auch mit mehreren Experten gleichzeitig. Abbildung 6 zeigt die Visualisierung eines digitalen 3D-Bauwerksmodell in einer kolla- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 241 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken borativen Virtual-Reality-Umgebung. Mit dem Digital Bauhaus Lab (DBL) verfügt die Bauhaus-Universität Weimar über eine sehr leistungsfähigste Forschungsinfrastruktur zur Visualisierung von sehr großen 3D-Daten in Mehrbenutzer-Umgebungen der Virtuellen Realität. Hier können bis zu sechs Experten gleichzeitig an einem 3D-Bauwerksmodell, 3D-Punktwolken oder vermaschte und texturierte 3D-Oberfl ächenmodelle, in unterschiedlichen Detaillierungsgraden arbeiten. Abbildung 6: Integrierte Visualisierung registrierter 3D-Bauwerksmodelle in einer kollaborativen VR-Umgebung. [Foto: S. Beck, Bauhaus-Universität Weimar] Ein wesentlicher Vorteil der Verwendung digitaler Bilddaten gegenüber der konventionellen Bauwerks-prüfung ist, die Verknüpfung von extrahierten visuellen 2D-Schadensinformationen mit der 3D-Bauwerks-geometrie. Somit können identifi zierte Schäden gemessen sowie exakt im digitalen Bauwerksmodell respektive am Bauwerk verortet und betrachtet werden. Schäden können zudem im 3D-Modell selbst annotiert und mit weiteren Informationen versehen werden. Die Speicherung aller Informationen erfolgt kontextbezogen mit entsprechenden zeitlichen Referenzen in einem Bauwerksinformationsmodell, sodass zurückliegende Prüfkampagnen jederzeit im Vergleich betrachtet werden können und eine nahezu lückenlose Dokumentation der Schadensfortschrittsentwicklung gewährleistet ist. Abbildung 7 und 8 zeigen die Arbeiten an einem geschädigten Bereich eines Brückenpfeilers in einer VR-Umgebung. Abbildung 7: Manuelle Markierung und automatische Annotation von Schadstellen am Detail eines hochaufgelösten und in 3D rekonstruierten Brückenpfeilers innerhalb einer VR-Umgebung. [Foto: Beck, Bauhaus- Universität Weimar] Abbildung 8: Lokale Einblendung automatisch detektierter Risse (grün) mittels einer Linsenmetapher (blauer Bereich). [Foto: Beck, Bauhaus-Universität Weimar] Darüber hinaus können zusätzliche Informationen aus Tragwerkssimulationen zur Zustandsbewertung des Bauwerks in das digitale Bauwerksmodell zurückgespielt werden, sodass auch solch komplexe Simulationsergebnisse direkt im hochaufgelösten Bauwerksmodell visualisiert werden können. Verformungszustände des Tragwerks wie z.B. aus Temperaturänderungen oder auch dynamischen Lasten lassen sich so zusammen mit etwaigen sichtbaren Schäden darstellen. Abbildung 9 zeigt die Visualisierung der Ergebnisse einer Tragwerks-simulation aus einer dynamischen Last (Fahrzeug-überfahrt) am 3D-Bauwwerksmodell in der VR-Umgebung. 242 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 UAS und KI - Potentiale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung von Brücken und Ingenieurbauwerken Abbildung 9: Visualisierung einer Tragwerkssimulation in einer VR-Umgebung. [Foto: Beck, Bauhaus-Universität Weimar] Weitere Informationen zum Projekt AISTEC und den erzielten Ergebnissen können auf der Projektwebseite unter www.uni-weimar.de/ aistec eingesehen werden. 5. Zusammenfassung Eine Zustandserfassung und -bewertung von Ingenieurbauwerken der Straßeninfrastruktur stellt die wichtigste Grundlage für eine zielführende Erhaltung dieser dar. Somit wächst der Anspruch an die Qualität und Aussagekraft dieser Erfassung bei gleichzeitigem Wunsch die Gefährdungen und Kosten die davon sowohl für das Personal, als auch Dritte ausgehen zu minimieren. Da sich gleichzeitig innovative Technologien zur Datenerfassung, -auswertung und -speicherung anwendungsreif weiterentwickelt haben, ist es die logische Konsequenz diese zur Unterstützung der Bauwerksprüfung einzusetzen. Durch diese entwickelten digitalen Methoden kann zukünftig der Zustand von Infrastrukturbauwerken genauer, sicherer, objektiver und effizienter überwacht werden. Dadurch können Inspektionen bedarfsgerechter durchgeführt und Inspektionslücken geschlossen werden, sodass Schäden früher erkannt werden und somit ein schnelleres und gezielteres Eingreifen möglich wird, bevor Nutzungseinschränkungen oder sogar die Sperrung des Bauwerks drohen. Durch die lückenlose Zustandserfassung und konsistente Speicherung aller im Prozess der Bauwerkprüfung anfallenden Daten in einem digitalen Zwilling wird die Grundlage für ein zukünftiges digitalisiertes Anlagenmanagement der Verkehrsinfrastruktur geschaffen. Bis diese Technologie für alle Situationen fehlerfrei anwendbar ist, ist noch eine Menge an Forschungs-, Entwicklungs- und Umsetzungsarbeit zu leisten. Aber gute praktisch anwendbare Ergebnisse sind schon jetzt für Teilbereiche möglich und somit kann und wird es gelingen den Mehrwert der Digitalisierung auch im Baubereich zu etablieren. Dieser ist gekennzeichnet durch lange Nutzungszeiten, individuelle Bauwerke sowie hohe Investitionskosten und erfordert damit längere Vorlauf- und Prüfzeiten, als andere Bereiche der Wirtschaft. Denn einmal gemachte Fehler oder Fehlentwicklungen bleiben sehr lange im Straßennetz erhalten und können erst nach und nach mit viel Zeit-, Personal- und Finanzmitteleinsatz korrigiert werden. 6. Literatur [1] DIN 1076 (1999) Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung. Berlin: Beuth. [2] RI-EBW-PRÜF, Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Aus-wertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Bonn 2017 [3] Morgenthal, G., Hallermann, N., Kersten, J., Taraben, J., Debus, P., Helmrich, M., Rodehorst, V.: Framework for Automated UAS-based Structural Condition Assessment of Bridges. Automation in Construction 97 (2019), pp. 77-95 [4] Hallermann, N., Helmrich, M., Morgenthal, G., Schnitzler, E.: UAS-basierte Diagnostik von Infrastrukturbauwerken - Teil einer digitalen Instandhaltungsstrategie. Bautechnik 95 (2018) [5] Morgenthal, G., Rodehorst, V., Hallermann, N., Debus, P., Benz, C.: Unterstützung der Prüfung gemäß DIN 1076 durch (halb-) automatisierte Bildauswertung u. a. mittels UAV (unmanned aerial vehicles). Schlussbericht zu FE 89.0334/ 2017 (2019). Unveröffentlicht [6] URL: https: / / www.uni-weimar.de/ aistec, Zugriff: 28.06.2020 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 243 Brückenprüfung und Digitalisierung mittels AI und Cloud Computing Albrecht Karlusch, MSc, MBA (Managing Director), DI Peter Furtner (Managing Director) und DI Ernst Forstner (Head of Operations) PALFINGER Structural Inspection GmbH (STRUCINSPECT), Wien, Österreich Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag präsentiert die innovative AI-basierte Strukturinspektions-Plattform STRUCINSPECT, welche mit der Nutzung einer Artificial Intelligence (AI) die Brückeninspektion schneller, sicherer und nachhaltiger macht. STRUCINSPECT ist eine All-in-one-Solution, welche zum einen die Erstellung von Digitalen Zwillingen und BIMs, die AI-basierte Schadenserkennung von Rissen, Abplatzungen, offenen und korrodierten Bewehrungen sowie Asset Management und eine transparentere Strukturinspektion erlaubt, zum anderen aber auch als Kommunikations- und Arbeitsplattform zwischen dem Auftraggeber (Strukturbetreiber), Auftragnehmer (Ingenieur), Service Partnern (Data Capturer) und Technologie-Bereitstellern dient. Zusätzlich erhalten die Ingenieure die Möglichkeit ihre Prozesse zu digitalisieren und mit der AI-basierten Schadenserkennung zu beschleunigen. Die Strukturbetreiber können mit Hilfe von STRUCIN- SPECT auch eine präzisere Lebenszyklusanalyse durchführen. 1. Einleitung Ingenieurbauwerke (= Kunstbauten) haben Anforderungen hinsichtlich Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit zu erfüllen. Kunstbauten sind daher einer periodischen Inspektion zu unterziehen. Diesbezüglich gibt es in den meisten Ländern entsprechende Gesetze und Regelwerke. Beispielsweise sind dies in Deutschland die DIN 1076 und die RI-EBW-Prüf und in Österreich die RVS Reihe 13.03.XX und das Dokument „06.01.02 Instandhaltung / / Instandhaltungsplan“ der ÖBB Infrastruktur AG. Der vorliegende Beitrag präsentiert die innovative Inspektions-Plattform von STRUCINSPECT, welche mit Hilfe von Fotos Digitale Zwillinge und BIM-Modelle erstellt. Auf diesen 3D-Modellen werden mit einer Artificial Intelligence (AI) Schäden detektiert, klassifiziert und dokumentiert. Die Plattform dient dabei nicht ausschließlich als Bearbeitungs-Tool sondern erfüllt auch die Funktion eines Kommunikations- und Präsentations-Tools für den Infrastrukturbetreiber. 2. Eine kollaborative AI-basierte Plattform für Ingenieure und Infrastrukturbetreiber 2.1 Das Joint Venture STRUCINSPECT STRUCINSPECT ist ein JV von PALFINGER, VCE und der ANGST Gruppe, also von drei Spezialisten aus verschieden Bereichen des Bauwesens. PALFINGER stellt Spezialausrüstung für Bauwerksinspektionen zur Verfügung, die den Zugang von Kontrollorganen und Bauingenieuren zu schwer zugänglichen Bereichen ermöglicht. VCE arbeitet als High-Tech-orientiertes Ingenieurbüro, spezialisiert auf Zustandsinspektionen und Bewertungen von Infrastrukturbauwerken. Die ANGST Gruppe ist Spezialist für mobile Kartierung, professionellen Drohnenbetrieb und Fotogrammmetrie. Gemeinsamen haben diese drei Firmen eine AI-basierte Plattform zur kollaborativen Strukturinspektion der Zukunft entwickelt. Auf der STRUCINSPECT Plattform können die Bauwerksprüfer eine komplette, AI-basierte und digitale Strukturanalyse durchführen sowie gleichzeitig mit dem Infrastrukturbetreiber die Zwischen- und Endergebnisse teilen. Dies ermöglicht höchste Transparenz bei gleichzeitiger Effizienzsteigerung und Zeitersparnis. Aktuell bietet die STRUCINSPECT Plattform folgende Services an: Management von Bauwerken und Bauwerksprüfungen, Digitaler Zwilling und BIM-Erstellung, AI-Schadensanalyse, Verortungs-, Dokumentations- und Visualisierungsservice, Ergebnis- und Be- 244 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Brückenprüfung und Digitalisierung mittels AI und Cloud Computing funds-Toolbox für Bauwerksprüfer, Zusammenarbeit und Teilen von Ergebnissen sowie Lebenszyklusanalyse und Asset-Management-Service. 2.2 Die STRUCINSPECT Plattform für kollaboratives, interdisziplinäres Arbeiten Auf der STRUCINSPECT Plattform können Ingenieure Zwischenergebnisse ihrer Prüfung teilen und gleichzeitig gemeinsam an Projekten arbeiten. Das Endergebnis können Bauwerksprüfer direkt mit den Kunden bzw. Bauwerkserhaltern teilen. Zudem können die Bauwerkserhalter sämtliche Ergebnisse mit Dritten, z.B. Ingenieurbüros und Bauunternehmen, teilen und für weitere gemeinsame Arbeiten, z.B. für die Instandhaltung und Instandsetzung, nutzen. Zusätzlich können Bauwerkserhalter, die bereits aktive STRUCINSPECT Plattform Kunden sind, die erhaltenen Ergebnisse in ihre Asset-Management-Systeme einpfl egen bzw. an diese Systeme anbinden. Bild 1 Mögliche Austauschprozesse unter den Teilnehmern der Plattform 2.3 Management von Bauwerken und Prüfungen Mit einem sicheren Login erhält der Nutzer Zugang zu allen Services, Projekten, Visualisierungen und Befunden. Neue Projekte können angelegt und an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden. Um welches Bauwerk handelt es sich? Welche Art von Inspektion benötige ich? Möchte ich einen Digitalen Zwilling erstellen? Möchte ich die AI-Analyse-Services in Anspruch nehmen? Brauche ich Schadenszuordnung und Georeferenzen? Bild 2 Projektübersicht mit den zugeordneten Kunden und Strukturen 2.4 Datenerfassung Grundlage für die weiteren Analysen ist die vollfl ächige Aufnahme des gesamten Bauwerks mit hochaufl ösenden Bildern nach vorgegebenen Qualitätskriterien. Der Bauwerksprüfer kann diese Daten (Bilder) selbst aufnehmen oder optional über die Plattform Unterstützung von Experten für die Datenbeschaffung (Bildaufnahme) anfordern und auch beauftragen. Diese Experten beschaffen die Daten in der Luft (mittels UAVs), zu Land und zu Wasser (z.B. per Boot), je nach Anforderung und Zugangsmöglichkeit. Die derart erfassten Daten werden nach dem Hochladen auf der STRUCINSPECT Plattform automatisiert auf ihre Vollständigkeit und Qualität geprüft. Die Datenqualität und Vollständigkeit ist essentiell für die weitere Bearbeitung, wie die AI-basierte Schadensanalyse sowie die Erstellung eines exakten Digitalen Zwillings und eines IFC-konformen BIM-Modells. Deswegen wurde von STRUCINSPECT ein verbindlicher Qualitäts- und Schnittstellenkatalog mit harten Kriterien erarbeitet (z.B. Aufl ösung, Überlappung, GSD, Fokus Art) die jedenfalls erfüllt werden müssen, bevor die Daten zur Weiterverarbeitung akzeptiert werden. Bild 3 Interface zum Strukturen-Management auf der STRUCINSPECT Plattform 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 245 Brückenprüfung und Digitalisierung mittels AI und Cloud Computing 2.5 Digitaler Zwilling und BIM Bei der Erstellung des Digitalen Zwillings aus den aufgenommenen Bildern können verschiedene Qualitätsstufen ausgewählt werden: In der „Basic“ Version wird ein 3D-Zwilling als Punktwolke erstellt, welche absolute Georeferenzierung zur genauen Lokalisierung von Schäden ermöglicht. Die „Premium“ Version beinhaltet die Erstellung eines hochaufl ösenden texturierten 3D-Zwillings, welcher so genau ist, dass er eine virtuelle, manuelle Inspektion und eine 3D-Schadenskontrolle ermöglicht. Die „Premium“ Version beinhaltet auch die Erstellung eines IFC-konformen BIM-Modells im ausgewählten LOD (Level of Detail). Zusätzlich werden zu allen 3D-Modellen alle erforderlichen und vorhandenen Bauwerksdaten aufgenommen, wie z.B. Nutzung, Alter des Bauwerks, Bauwerktyp oder Länge der Brücke. Bild 4 Originalaufnahme: Drauquerung, Kunde: ÖBB Bild 5 Punktwolken Digitaler Zwilling Bild 6 Texturierter Digitaler 3D-Zwilling 2.6 AI-Schadensanalyse Die AI-basierte Schadenserkennung, kann Risse, Abplatzungen, freiliegende Bewehrungen, die Korrosion von Bewehrungen, Rostfahnen, Hohlstellen, Feuchtigkeit, Kiesnester und Bemoosungen mit einer Erkennungsrate (TPR) von 99,9%, vollautomatisch erkennen. Neben der Erkennung und Markierung der Schäden erfolgt auch eine automatische geometrische Analyse (z.B. Rissbreitenmessung, Bestimmung der Schadensfl äche). Dabei können die gewünschten Genauigkeitskriterien und Klasseneinteilungen vorab festgelegt werden. So kann eine defi nierte Rissbreite von 0,1mm bei Spannbeton- 246 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Brückenprüfung und Digitalisierung mittels AI und Cloud Computing bauwerken und von 0,3mm bei Stahlbetonbauwerken vorgegeben werden. Unterbrochene, jedoch zusammengehörende Risse und Netzrisse werden als ein zusammenhängender Schaden erkannt, markiert und dokumentiert. Abplatzungen mit einer einstellbaren Mindestgröße werden ebenfalls automatisch von der AI als Schaden erkannt, markiert und vermessen. Bild 7 Original Bild mit Abplatzung, freiliegender Bewehrung und Korrosion Bild 8 Segmentiertes Bild und von der AI markierte Schäden Bild 9 Original Bild mit Abplatzung und offener korrodierender Bewehrung Bild 10 Darstellung auf der STRUCINSPECT Plattform mit markierter Abplatzung und offener korrodierender Bewehrung Bild 11 Von AI aus schrägem Winkel erkannte, markierte und gruppierte Risse auf der STRUCINSPECT Plattform 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 247 Brückenprüfung und Digitalisierung mittels AI und Cloud Computing Bild 12 Frontalaufnahme mit von AI erkannten und gruppierten Rissen zu einem Schaden (Rahmen) auf der STRUCINSPECT Plattform Bild 13 Große Rissgruppe an einem Brückenpfeiler, von AI erkannt und zugeordnet, auf der STRUCINSPECT Plattform Bei Artifi cal Intelligence Systemen wird die Qualität der Erkennungsrate anhand von drei Kennzahlen defi niert und gemessen: Die True Positive Rate (TPR) oder auch „Recall“ genannt, setzt die Anzahl von gefundenen Schadensobjekten eines Datensatzes ins Verhältnis zur Gesamtanzahl der Schäden des Datensatzes. Die False Positive Rate (FFR) oder auch „Fall out“ genannt, setzt die Anzahl von fälschlicherweise als Schaden klassifi zierten Stellen ins Verhältnis zur Gesamtzahl schadensfreier Stellen. Der Positive Prediction Value (PPV) auch „Precision“ genannt, setzt die Anzahl von gefundenen Schadensobjekten eines Datensatzes ins Verhältnis zu der Anzahl vorhergesagter Schäden. [1] Die von STRUCINSPECT genutzte AI hat folgende Werte dafür: Tabelle 1 AI-Erkennungs-KPIs von STRUCINSPECT True Positive Rate > 99% False Positive Rate < 50% Positive Prediction Value > 80% 2.7 AI-basierter Zuordnungs-, Dokumentations- und Visualisierungsservice Mit Hilfe der AI werden die erkannten Schäden auf 2D- Bildern (Originalbilder) und 3D-Bildern (georeferenzierter Digitaler Zwilling) mit einer eigenen, eindeutigen Identifi kationsnummer zugeordnet und dokumentiert. Wird der selbe Schaden auch auf weiteren Bildern und aus anderen Winkeln detektiert, erfolgt ein automatischer Abgleich und eine automatische Zuordnung zu dieser Identifi kationsnummer. Ein und derselbe Schaden, auch wenn dieser auf mehreren Bildaufnahmen detektiert wird, wird nur einmal in die Schadensdatenbank aufgenommen.. Alle Schäden mit ihrer eindeutigen Identifi kationsnummer sind absolut georeferenziert auf dem 3D-Digitalen Zwilling verankert. Bild 14 Mit Identifi kationsnummern markierte Schäden auf dem 3D-Modell Bild 15 Farsund Brücke in Norwegen als texturiertes 3D-Modell auf der STRUCINSPECT Plattform (Schäden ausgeblendet) 248 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Brückenprüfung und Digitalisierung mittels AI und Cloud Computing Bild 16 Zoomausschnitt eines texturierten 3D-Modells des Brückenpfeilers mit eingeblendeten Schäden 2.8 Ergebnis- und Befunds-Toolbox für Ingenieure Alle gefundenen Schäden werden in der Datenbank gespeichert und können in 2D und 3D mit nur ein paar Klicks bearbeitet werden. Der Bauwerksprüfer kann Schadensempfehlungen und Bewertungen annehmen, modifi zieren, erweitern oder ablehnen. Eventuelle Folgemaßnahmen können ebenfalls hinzugefügt werden. Bild 17 STRUCINSPECTs Plattform-Toolbox für Ingenieure: (1) Sortierte Identifi kationsnummern der Schäden, (2) Schadensempfehlung von AI, kann vom Ingenieur überprüft und gegebenenfalls geändert werden, (3) Schäden werden Komponenten zugeordnet, kann ebenfalls vom Ingenieur geändert werden, (4) Angaben zu eventuellen Folgemaßnahmen 2.9 Zusammenarbeit und Teilen von Ergebnissen, Asset Management Die Bauwerksprüfer können ihren Kunden, den Infrastrukturbetreibern, und auf Wunsch der Kunden auch anderen Service-Partnern defi nierten Zugriff auf die generieten Ergebnisse gewähren und somit für höchste Transparenz sorgen und die Zusammenarbeit vereinfachen. Die Befunde, welche von den Infrastrukturbetreibern eingesehen werden können, beinhalten Schadenskataloge, Ratings, (empfohlene) Maßnahmen und vieles mehr. Sämtliche Ergebnisse können außerdem als Schadensdatensatz, BIM-Datensatz oder als PDF-Bericht heruntergeladen werden. Auch die direkte oder indirekte Anbindung an bereits beim Kunden vorhandene Bauwerksdatenbanken und Asset-Management-Systeme ist zum einfachen Datenaustausch möglich Als weitere umfangreiche Leistungen ermöglich die STRUCINSPECT Plattform unter anderem die Durchführung von Lebenszyklusanalysen und Erhaltungsplanungen auf Basis von diversen Alterungsmodellen und Kostenmodellen. Ein Management-Center ermöglicht jedem Nutzer einen einfachen Überblick über alle seine Projekte, Bauwerke und Daten. 3. Mehrwert Im Vergleich zur herkömmlichen Bauwerksprüfung nach dem Stand der Technik ist die STRUCINSPECT Plattform eine zeitsparende, effektive und effi ziente Alternative. Wesentliche Vorteile von STRUCINSPECT sind die absolute Objektivität und Wiederholbarkeit der Bearbeitung, die vollständige und lückenlose Dokumentation des Zustandes der gesamten Bauwerksoberfl äche (auch schadensfreie Bereiche werden vollständig dokumentiert) und die einfache und automatisierte Dokumentation des Schadensfortschrittes bei aufeinanderfolgenden, periodischen Prüfungen. 4. Ausblick und Weiterentwicklung Die STRUCINSPECT Plattform ist in einem konstanten Weiterentwicklungsprozess, wodurch auf explizite Wünsche, Feedback und Inputs von Nutzern zeitnaheeingegangen werden kann. Weitere geplante Features in der aktuellen Entwicklungspipeline sind so zum Beispiel: zusätzliche Asset-Management-Features mit Kollaborationen bzw. Plug-ins für Asset-Management-Software-Systeme von Dritten, die Inspektion und Prüfung von weiteren Asset-Klassen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 249 Brückenprüfung und Digitalisierung mittels AI und Cloud Computing (Straßen, Tunnel) sowie die Integration eines vertieften Datenaufnahme- und Auswertungsverfahrens (multispektral) für zusätzliche Schadenstypen. 5. Literaturangaben [1] Powers David M W (2011. „Evaluation: From Precision, Recall and F-Measure to ROC, Informedness, Markedness & Correlation”. Journal of Machine Learning Technologies. 2 (1): 37-63 Erhaltungsmanagement 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 253 Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement Andreas Socher, Matthias Müller Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Zusammenfassung Ziel des Verbundforschungsprojekts OSIMAB ist die Entwicklung eines ganzheitlichen Konzepts zur kontinuierlichen Überwachung, Bewertung und Prognose des Zustandes von Straßenverkehrsbrücken. Es soll der Grundstein für ein prädiktives Erhaltungsmanagement gelegt werden. Ziel ist es, Verkehrsbeschränkungen zu minimieren, indem größere Zeiträume für die Planung und Durchführung von Baumaßnahmen geschaffen werden. Das Projekt konzentriert sich auf repräsentative Bauwerke des Brückenbestandes, deren vorausschauende Zustandsanalyse einen großen volkswirtschaftlichen Nutzen bietet. 1. Analyse des Brückenbestandes 1.1 Einleitung Mit zunehmender Komplexität der Baurechtserlangung, Planung und Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen wird es erforderlich, frühzeitig die Notwendigkeit derartiger Maßnahmen zu erkennen. Da der Brückenbestand einem kontinuierlichen Degradationsprozess unterliegt, gilt es, neue Methoden zur Früherkennung von Schäden und Mängeln an bestehenden Brückenbauwerken zu finden, um ein prädiktives Erhaltungsmanagement zu betreiben. Das Projekt OSIMAB zielt darauf ab, Bausteine für einen derartigen Lösungsansatz zu entwickeln. Der bestehende, umfangreiche Datenbestand des Bundes bildet in diesem Zusammenhang die Grundlage für die Identifizierung relevanter Brückenbauwerke. Um die für das Projekt relevanten Bauwerke zu finden, ist eine Systemidentifikation erforderlich, die über ein modulares Bewertungssystem verfügt. Diesbezüglich werden systematische Bauwerksschwachstellen, überwachungsrelevante Bauteile und Einflussparameter analysiert und bewertet. Dabei werden die gängigen Bauarten von Stahl-, Stahlverbund-, Stahlbeton- und Spannbetonbrücken untersucht. Anhand dieser Vorgehensweise kann ein Großteil der Brückenfläche des deutschen Bundesfernstraßennetzes bewertet werden [1]. Vor diesem Hintergrund repräsentieren Spannbetonbrücken 70% der gesamten Brückenoberfläche [1]. Dementsprechend wird diese Bauart im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Die Systemidentifikation, das Clustern relevanter Brückenbauwerke, wird daher am Beispiel der Spannbetonbrücken veranschaulicht. 1.2 Aufschlüsselung und Filterung Aufgrund des angestrebten Ziels, werden nur Brücken betrachtet, die im Sinne ihres vorgesehenen Verwendungszwecks in erster Linie dem motorisierten Verkehr dienen. Hierdurch reduziert sich die Gesamtzahl von 52.288 Teilbauwerken in der Straßeninformationsbank, Teilsystem Bauwerke, auf 40.428. Zu den ausgeklammerten Bauwerken gehören u.a. Wildtierübergänge sowie Brücken, die ausschließlich für Fußgänger und Radfahrer vorgesehen sind. Im Rahmen der Beurteilung des Brückenbestandes werden zudem vereinzelt gebaute (z.B. Hub- oder Klappbrücken) und überschüttete Brückenbauwerke nicht berücksichtigt. Infolgedessen reduziert sich der Gesamtbestand an bewerteten Teilbauwerken weiter auf 37.030. Die Verwendung von Bewertungsmodulen, die sich auf typische schädliche Einflüsse sowie Defizitrisiken beziehen, wird auf diese Weise ermöglicht. Da sich das Projekt OSIMAB auf Brücken konzentriert, die noch für ein prädiktives Erhaltungsmanagement geeignet sein sollen, wird auch die Substanzkennzahl (SK) der Teilbauwerke zum Filterkriterium. Die Substanzkennzahl jedes Brückenbauwerks wurde durch fachkundige Prüfingenieure anhand vorgeschriebener, handnaher Bauwerksprüfungen entsprechend der DIN 1076 [2] sowie der RI-EBW-PRÜF [3] bestimmt. Zur Ermittlung der Substanzkennzahl werden die vorherrschenden Schäden und Mängel im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Standsicherheit und Dauerhaftigkeit des Bauwerks bewertet. Die Substanzkennzahl kann den folgenden Noten entsprechen: 1,0 - 1,4: sehr gut; 1,5 - 1,9: gut; 2,0 - 2,4: befriedigend; 2,5 - 2,9: ausreichend; 3,0 - 3,4 nicht ausreichend; 3,5 - 4,0: ungenügend [2]. 254 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement Mit einer Note von 2,4 und besser befindet sich ein Bauwerk mindestens in einem befriedigenden Zustand und gehört somit zur Zielgruppe in Bezug auf ein prädiktives Erhaltungsmanagement. Eine Substanzkennzahl mit befriedigender Note (2.0 ≤ SK ≤ 2.4) besagt, dass nach dem derzeitigen Zustand des Bauwerks Folgeschäden oder Schadensausbreitungen auftreten können, jedoch nicht zu erwarten sind [2]. Die Notwendigkeit kurzfristiger Erhaltungsmaßnahmen wird daher per Definition als unwahrscheinlich angesehen [2]. Für Bauwerke, deren aktuelle Substanzkennzahl einen höheren Wert aufweist, besteht mittel- oder kurzfristig der Bedarf entsprechende Instandhaltungsmaßnahmen zu ergreifen. Da dieser Handlungsbedarf bereits bekannt ist, werden die entsprechenden Bauwerke herausgefiltert. Nach der Durchführung der erforderlichen Maßnahmen zur Schadensbzw. Mängelbeseitigung werden die Bauwerke, deren Substanzkennzahl sich entsprechend verbessert hat, wieder in die weiteren Auswertungen aufgenommen. Durch die kontinuierliche Durchführung derartiger Bewertungen kann sich das OSIMAB-System den Anforderungen des Brückenbestandes stetig anpassen. Nach Anwendung des Filterkriteriums der Substanzkennzahl (SK ≤ 2.4) bleiben 28.027 Brückenbauwerke (Stand 26.10.2018) für die weitere Durchführung der Systemidentifikation erhalten. Diese, als zukunftsfähig betrachteten Brückenbauwerke, teilen sich auf die folgenden Baustoffe auf: 18.403 Stahlbeton-, 8.842 Spannbeton-, 632 Stahlverbund- und 150 Stahlbauwerke. Für jeden Baustoff wurde im Rahmen der Systemidentifikation eine materialspezifische Bauwerksclusterung durchgeführt. 1.3 Prinzip des modularen Bewertungssystems Das modulare Bewertungssystem, das ein Teil der Systemidentifikation repräsentiert, ermittelt aus typischen Schädigungseinflüssen sowie konstruktiven Schwachstellen, die in sich jeweils Schädigungspotenziale darstellen, individuelle Punktzahlen. Die einzelnen Bewertungsmodule beziehen sich auf die verwendeten Baustoffe, Bauarten, die Konstruktionsparameter sowie den erfassten Verkehr. Dazu werden die Brückenbauwerke in mehreren Modulen bewertet, die auf verkehrstechnischen, materialspezifischen und konstruktiven Kriterien basieren. Im Kontext der verschiedenen Baustoffe werden die einzelnen Bewertungsmodule in allgemein anwendbare und baustoffspezifische Module unterteilt. Die Einzelbewertungen der verschiedenen Modultypen werden später je Bauwerk zu einer Gesamtbewertung zusammengefasst. 1.4 Baustoffspezifische Bewertungsmodule Die baustoffspezifischen Bewertungsmodule basieren in erster Linie auf der Historie von Richtlinien und Verordnungen. Dieser Ansatz nutzt den historischen Verlauf der Erkennung und Beseitigung von konstruktiven und materialbezogenen Schwachstellen. Da die Bauwerksclusterung anhand von Tausenden von Brückenbauwerken durchgeführt werden soll, werden nur weit verbreitete Schwachstellen in Betracht gezogen. Das Prinzip der Bewertung basiert auf dem Bewertungsverfahren von Kaschner et al., 2009 [4]. Das Konzept der Schädigungspotenziale berücksichtigt die relevanten Erkenntnisse in der zeitlichen Entwicklung der Bauweisen, welche auch zu entsprechenden Anpassungen der Regelwerke für den Brückenbau führten. Hierzu zählen beispielsweise Änderungen der Bemessungsvorschriften, der Konstruktionsregeln oder der Lastannahmen. Für die verschiedenen Bauweisen wurden die für die Standsicherheit und Dauerhaftigkeit relevanten historischen Entwicklungen bereits in mehreren Veröffentlichungen, bspw. in [5, 6 und 7] zusammengestellt. Es folgt eine Auflistung von Schädigungspotenzialen exemplarisch für Spannbetonbrücken, die im Zuge des Bewertungssystems jeweils einzelne Module darstellen: Nicht überdrückte Koppelfugen, die daraus resultierende erhöhte Ermüdungsbeanspruchung sowie die damit durch die Rissbildung verbundene, eingeschränkte Dauerhaftigkeit sind typische Schädigungspotenziale, bzw. Defizite, älterer Spannbetonbrücken. Die seinerzeit angewandte Bemessungsphilosophie unterstellte Rissfreiheit unter der Voraussetzung einzuhaltender Hauptzugspannungen für Schub und machte zum Teil nur sehr geringe Betonstahlbewehrungsgehalte erforderlich. Diese Bewehrung kann aus heutiger Sicht hinsichtlich ihrer konstruktiven Durchbildung nicht auf die vorhandene Bewehrung angerechnet werden. Aus dem gegebenen Zusammenhang weisen die betroffenen Bauwerke Schädigungspotenziale auf. Verstärkt werden diese konstruktiven Defizite durch die zum Teil unzureichende Berücksichtigung der Auswirkungen infolge von Temperaturbeanspruchungen und stetig steigenden Verkehrslasten. Die zunächst nicht beachtete und später unterschätzte Mindestbewehrung hinterließ Bauwerke, die diesbezüglich weitere Defizite aufweisen. Der mangelnde Schutz von Spanngliedern vor Umwelteinflüssen, insbesondere vor Chloriden, sowie die Gefahr, die von Spannungsrisskorrosion ausgeht, wurden als zwei weitere Schädigungspotenziale identifiziert [6, 8]. 1.5 Allgemein anwendbare Bewertungsmodule Unabhängig vom verwendeten Baustoff kommen drei Bewertungsmodule zum Einsatz, deren Ergebnisse für alle Bauwerke gleichermaßen Gültigkeit haben. Das erste Modul bezieht sich ausschließlich auf den durchschnittlichen täglichen Schwerverkehr (DTV-SV), um auf Grundlage des aufgezeichneten Verkehrs eine Differenzierung der Bauwerke zu ermöglichen. Die bauwerksspezifischen Verkehrsdaten sind das Ergebnis einer Verknüpfung von Verkehrs- und Bauwerksdaten. Die Daten der Straßeninformationsbank, Teilsystem Bau- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 255 Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement werke, wurden um Informationen aus Datensätzen der manuellen und automatischen Verkehrszählstellen erweitert. Insgesamt wurden auf diese Weise die Daten aus 1736 automatischen und 10684 manuellen Straßenverkehrszählungen den Brückenbauwerken der Bundesfernstraßen zugeordnet. Das Modul ist somit in der Lage die Verkehrsbelastung nahezu aller Brückenbauwerke der Bundesfernstraßen zu bewerten. Für die Implementierung des zweiten Moduls wurden Verkehrseinwirkungen auf Basis der ermittelten Schwerverkehrsstärken und Zusammensetzungen der Verkehrsströme abgeschätzt. Hierzu wurden die Verkehrsdaten der einzelnen Bauwerke sowie die „Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand“ herangezogen [9]. Im Anschluss wurden die Verkehrseinwirkungen mit den theoretischen Widerständen der Bauwerke verglichen. Das Modul bewertet im Anschluss die Defizite der theoretischen Widerstände im Hinblick auf die abgeschätzten Verkehrseinwirkungen. Das dritte Modul nutzt die Ergebnisse eines bereits abgeschlossenen Forschungsvorhabens [10]. In diesen Analysen wurden Verkehrseinwirkungen eines typisierten, simulierten Verkehrsflusses den normierten Beanspruchungen unterschiedlicher theoretischer Widerstände gegenübergestellt und die Differenz der Biegemomente in Prozent angegeben. Bei diesen Untersuchungen wurden unterschiedliche Varianten von Brückenbauwerken untersucht, die sich u.a. in ihren Feldanzahlen, Spannweiten und Widerständen unterscheiden. Durch dieses Modul werden Bauwerke besonders berücksichtigt, die hinsichtlich der vorhandenen Randbedingungen des statischen Systems sensitiv auf die abgeschätzten Verkehrseinwirkungen reagieren. 1.6 Zusammenführung der Modulbewertungen Um die Einzelbewertungen der unterschiedlichen Module nutzbringend einsetzen zu können, werden die einzelnen Punktzahlen innerhalb ihrer jeweiligen Modulkategorie aufsummiert. Die Gesamtbewertung eines Bauwerks setzt sich im Anschluss gleichermaßen aus den Summen der beiden Kategorien zusammen. Die Gesamtbewertung dient der qualitativen Abschätzung des Potenzials zukünftiger Mängel und Schäden und bildet auf diese Weise die Grundlage für die anschließende Bauwerksclusterung. 2. Systemidentifikation 2.1 Zielvorstellung Die Systemidentifikation ist die Suche nach Referenzstrukturen für die Entwicklung des OSIMAB-Systems. Diese Bauwerke sollen nicht nur den Brückenbestand der Bundesfernstraßen repräsentieren [1], sondern auch auf Grundlage der ermittelten bauwerksspezifischen Schwachstellen als Basis für prädiktive Zustandsanalysen dienen. Die Eignung für ein prädiktives Erhaltungsmanagement sollte dennoch gegeben sein; daher werden lediglich Bauwerke berücksichtigt, die sich zumindest noch in einem befriedigenden Zustand befinden (SK ≤ 2,4). 2.2 Verifikation der Bewertungsmethode Um die Funktionsweise der vorgestellten, qualitativen Bewertungsmethode zu verifizieren, werden die Gesamtbewertungen der Brückenbauwerke in ein Verhältnis zur Substanzkennzahl gesetzt. Es ist zu prüfen, ob sich eine Bewertung anhand von Schädigungspotenzialen als geeignet erweist. Sofern sich eine eindeutige Korrelation zwischen den Gesamtbewertungen und den Substanzkennzahlen ableiten lässt, kann davon ausgegangen werden, dass die beschriebene modulare Bewertungsmethode eine hinreichende Aussage über das Potenzial für zukünftige Schäden und Mängel liefert. Um diesen Zusammenhang zu visualisieren, werden alle bewerteten Bauwerke anhand ihrer Substanzkennzahl unterteilt. Darüber hinaus werden die jeweiligen Bauwerksanzahlen dargestellt, siehe Abbildung 1. Es zeigt sich, dass eine starke Korrelation zwischen der Substanzkennzahl und der Gesamtbewertung besteht: Die Gesamtbewertung steigt linear zur Substanzkennzahl an. Daher kann die Gesamtbewertung als Indikator für zukünftige Schäden und Mängel angesehen werden. Abbildung 1: Gesamtbewertung und Bauwerksanzahl in Bezug zur Substanzkennzahl (SK) 256 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement 2.3 Bildung des Bauwerksclusters Aus den bewerteten Spannbetonbrücken, die eine Substanzkennzahl unter 2,5 aufweisen, wird ein Bauwerkscluster gebildet. Da der Fokus auf Bauwerke gelegt werden soll, die ein hohes Potenzial für zukünftige Schäden und Mängel aufweisen, wird ein abschließendes Filterkriterium erforderlich: Es wird ein Schwellenwert in Bezug zur Gesamtbewertung festgelegt, der lediglich 10% der höchstbewerteten Spannbetonbrücken mit einer Substanzkennzahl unter 2,5 für das vorgesehene Cluster zulässt. Da Brückenbauwerke die gleiche Punktzahl aufweisen können, deckt das Cluster mehr Bauwerke ab, als der Prozentsatz vermuten lässt (913 von 8.842). Unabhängig der Substanzkennzahl wurden insgesamt 13.000 Spannbetonbrücken bewertet. Die Zusammensetzung der clusterspezifischen Bauwerkseigenschaften wurde bereits genutzt, um typische, aussagekräftige Merkmale der relevanten Brücken zu identifizieren. Auf Grundlage dieser Ergebnisse wurden relevante systematische Bauwerksschwachstellen, die diesbezüglichen überwachungsrelevanten Bauteile sowie deren Einflussparameter identifiziert. Darauf aufbauend wurden Sensorkonzepte entwickelt, die eine standardisierte, messtechnikgestützte Untersuchung signifikanter Anteile des Brückenbestandes ermöglichen. 2.4 Ergebnisse 2.4.1 Spannbetonbrücken Das Cluster der Spannbetonbrücken besteht aus 913 Bauwerken und weist folgende Eigenschaften auf: Der DTV- SV des Clusters konzentriert sich vorwiegend auf höhere Werte, siehe Abbildung 2. Abbildung 2: Durchschnittlicher täglicher Schwerverkehr aller bewerteten und geclusterten Spannbetonbrücken Darüber hinaus sind die Brückenlängen des Clusters im Vergleich zum bewerteten Bestand der Spannbetonbrücken im Durchschnitt größer. Die entscheidenden Baujahre des Clusters reichen von 1959 bis 1979, wie in Abbildung 3 dargestellt ist. Abbildung 3: Baujahre aller bewerteten und geclusterten Spannbetonbrücken Die Anzahl der Felder zeigt, dass Einfeldbauwerke im Cluster deutlich unterrepräsentiert sind, wohingegen Mehrfeldbauwerke im Hinblick auf die Feldanzahlen stets überrepräsentiert sind. Die Spannweiten der geclusterten Brücken liegen im Wesentlichen zwischen 15 m und 45 m. Während sich der Bestand der bewerteten Spannbetonbrücken auf verschiedene theoretische Widerstände, Brückenklasse 60, 60/ 30 sowie Lastmodell 1, aufteilt, konzentrieren sich innerhalb des Clusters Bauwerke der Brückenklasse 60, wie Abbildung 4 zu entnehmen ist. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 257 Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement Abbildung 4: Theoretische Widerstände aller bewerteten und geclusterten Spannbetonbrücken Die entscheidenden Bauwerksarten sind die Folgenden: Hohlkastenbrücken, Plattenbrücken und Plattenbalkenbrücken. Abgesehen von Hohlkastenbrücken, die eine erhebliche Überrepräsentierung erfahren, spiegelt das Cluster in diesem Zusammenhang den gesamten bewerteten Bestand an Spannbetonbrücken wieder. 2.4.2 Gesamter Brückenbestand Die kombinierte Betrachtung der Cluster der Bauarten, Stahlbeton, Spannbeton, Stahlverbund und Stahl, ergab die folgenden Erkenntnisse: Die Bauwerkslängen, Spannweiten und Stützweiten der geclusterten Brückenbauwerke sind in den meisten Fällen deutlich größer als Die des korrespondierenden Anteils des bewerteten Bestandes. Darüber hinaus weisen die Bauwerkscluster, mit Ausnahme der Stahlverbundbrücken, eine hohe Konzentration bei der Brückenklasse 60 auf. Im Cluster der Stahlverbundbrücken fokussieren sich die Bauwerke neben der Brückenklasse 60 auch auf Brückenklasse 60/ 30. In Bezug auf die Baujahre ist festzustellen, dass die 1960er und 1970er Jahre die entscheidenden Zeiträume für die Bauwerkscluster der Spannbeton- und Stahlbetonbrücken darstellen. Darüber hinaus kann festgestellt werden, dass im Durchschnitt eine hohe Schwerverkehrsbelastung bei den geclusterten Brückenbauwerken vorliegt. Dementsprechend weisen die Teilbauwerke der Cluster größere Breiten auf, als der korrespondierende bewertete Bestand, i.d.R. 15 m und mehr. In Bezug auf die Bauarten ist festzustellen, dass Hohlkastenbrücken, Plattenbrücken und Plattenbalkenbrücken überwiegend in den Bauwerksclustern vertreten sind. 2.5 Fazit Die Systemidentifikation bildete die Grundlage für die weitere Entwicklung des Projekts OSIMAB: Die Sensorkonzepte für die Instrumentierung relevanter Brückenbauwerke basierten auf den Charakteristika der geclusterten Bauwerke. Die gewonnenen Erkenntnisse über die systematischen Bauwerksschwachstellen, überwachungsrelevanten Bauteile sowie deren Einflussparameter sind zudem in die Entwicklung der Methoden der Zustandsanalyse eingeflossen. Die Ergebnisse der Systemidentifikation wurden für die Erstellung der Systemmodelle sowie für die Berücksichtigung und Einbindung relevanter Schädigungsszenarien genutzt. Insbesondere im Zuge der Herleitung der Schädigungsszenarien ist es unerlässlich gewesen, dass die vorherrschenden Problemstellungen des Brückenbestandes, u.a. Spannungsrisskorrosion von Spanngliedern, in Bezug auf ihre Häufigkeit untersucht wurden. Schließlich wurde ein Demonstrator, ein einzelnes Brückenbauwerk, das das Cluster der Spannbetonbrücken repräsentiert, ausgewählt. Es handelt sich um die Talbrücke Sachsengraben auf der A45 südlich von Dortmund, siehe Abbildung 5. Abbildung 5: Talbrücke Sachsengraben auf der A45 - Demonstrator des Projekts OSIMAB Das Bauwerk entspricht hinsichtlich seiner konstruktiven Eigenschaften einem signifikanten Anteil des Brückenbestandes. Im Rahmen des Projekts wurde die Brücke bereits mit Messtechnik ausgestattet. Derzeit werden umfangreiche Datensätze gesammelt, die die weiteren Arbeiten zur Analyse der Zustandsentwicklung unterstützen. Im Fokus der Untersuchungen stehen nicht nur die Einwirkungen und korrespondierenden Bauwerksreaktionen, sondern auch die bereits aufgetretenen Schäden, u.a. durchgehende Querrisse. Aus diesem Grund kann nicht nur das Projekt OSIMAB, sondern auch die zuständige Straßenbaubehörde, Straßen.NRW, von der kontinuierlichen Zustandsanalyse des Demonstrator-Bauwerks profitieren. 258 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement Das Verbundforschungsprojekt OSIMAB wird im Rahmen des Modernitätsfonds „mFUND“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gefördert. Darüber hinaus wird das Projekt von Straßen. NRW, der Straßenbaubehörde des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, vielseitig unterstützt. 2.6 Projektkonsortium Das Verbundforschungsprojekt OSIMAB wird gemeinschaftlich durch die folgenden Partner bearbeitet: • Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach (Verbundforschungskoordination) • Rheinische Friedrich-Wilhelms- Universität Bonn Bonn-Aachen International Center for Information Technology • Hottinger Baldwin Messtechnik GmbH, Darmstadt • ITC Engineering GmbH & Co. KG, Stuttgart • Technische Universität Berlin Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren - Stahlbau Literatur [1] Brückenstatistik: Interne Auswertung der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, 2018. [2] DIN 1076: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung, Beuth Verlag, Berlin, 1999. [3] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (2017). Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 (RI-EBW-PRÜF 2017), Ausgabe 22.02.2017. [4] Kaschner, R., Roder, C., Mayer, T., Brang, C.: Ermittlung relevanter Bauwerke zur Ertüchtigung des Brückenbestandes der Bundesfernstraßen. Sachstand: Mai 2009; Datennacherhebung und Priorisierung: September 2009. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, 2009. [5] Hegger, J., Beutel, R., Karakas, A.: Handlungsanweisung für die Berechnung und konstruktive Durchbildung schubkraftgefährdeter Bauwerke. Abschlussbericht für das Hessische Landesamt für Straßen- und Verkehrswesen, Bericht -Nr. IMB: 193/ 2007, Aachen, 2007. [6] Schnellenbach-Held, M. et al.: Intelligente Brücke - Schädigungsrelevante Einwirkungen und Schädigungspotenziale von Brückenbauwerken aus Beton. In: BASt Schriftenreihe B, Heft B 110, ff. 42-44. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, 2015. [7] Neumann, W., Brauer, A.: Nachrechnung von Stahl- und Verbundbrücken - Systematische Datenauswertung nachgerechneter Bauwerke. In: BASt Schriftenreihe B, Heft B 144, ff. 48-53. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, 2018. [8] Fingerloos, F.: Historische technische Regelwerke für den Beton-, Stahlbeton- und Spannbetonbau. Bemessung und Ausführung. 1. Ausgabe. Ernst & Sohn, Berlin, 2009. [9] Nachrechnungsrichtlinie: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), Ausgabe 5/ 2011, BMVBS, 2011. [10] Geißler, K.: Auswirkung der Zulassung von 60t- Lkw auf Brückenbauwerke im Zuge der Bundesfernstraßen. In: BASt Schriftenreihe B, Heft B 68, p. 325. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, 2007. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 259 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Prof. Dr.-Ing. Jan Akkermann Institut für Angewandte Forschung Hochschule Karlsruhe Simon Weiler M. Eng. Institut für Angewandte Forschung Hochschule Karlsruhe Dr.-Ing. Jörg Bödefeld Referat Infrastrukturmanagement Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Sarah Elting M. Eng. Referat Infrastrukturmanagement Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Zusammenfassung Die übliche Zustandsbewertung im Kontext der DIN 1076 erfolgt aktuell nach den Vorgaben der RI-EBW-PRÜF. Hierbei werden zunächst Schäden in den Bauwerkshauptprüfungen nach Intensität, Art und Einfluss auf Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit klassifiziert. Die strukturelle Leistungsfähigkeit von Brückenbauwerken und Teilen hiervon, auf diese Schäden vulnerabel oder robust zu reagieren, stellt einen wesentlichen Indikator für die Ausfallwahrscheinlichkeit dar. Die konstruktionsinhärente Bauwerksrobustheit ist damit eine zusätzliche Ausgangsinformation für eine qualifizierte Zustandsbewertung im Erhaltungsmanagement und für die Priorisierung von Maßnahmen. Ursprünglich für Verkehrswasserbauwerke konzipiert, wird die von der Hochschule Karlsruhe (HsKA) in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) entwickelte Methode zur Ermittlung der Bauwerksrobustheit und deren Verknüpfung von Schadensprozessen zu einem „Schadensindex“ auf Brückenbauwerke der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) übertragen. Hierdurch werden perspektivisch sowohl eine typologische Clusterung gleichartiger Bauarten in Bezug auf Schadensprozesse als auch Maßnahmenreihungen im Bauwerksportfolio ermöglicht. Gleichzeitig ergeben sich aus der Systematik ggf. erweiterte Anforderungen an die Bauwerksprüfung und -dokumentation. Der Beitrag stellt die Systematik der Methode sowie die exemplarische Anwendung auf Brückenbauwerke dar. 1. Einleitung - Erhaltungsmanagement von Brücken Der Erhalt der bundesdeutschen Verkehrsinfrastruktur stellt eine der wesentlichen Aufgaben im aktuellen Brückenbau dar. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 sieht mit 70% der veranschlagten Mittel erstmalig den Erhalt bedeutender als Neu- und Ausbau an. Wesentlicher Steuerparameter im Erhaltungsmanagement sind Zustandserfassung und -bewertung. Die Regelungen für Straßenbrücken im Kontext von DIN 1076 und RI-EBW-PRÜF [1] sind die Basis für Einzel- und Portfoliobewertungen - sowohl für den Hoheitsbereich des BMVI als auch auf kommunaler Ebene. Während sich für Bundesfernstraßen durch konzertierte Erhaltungs- und Erneuerungsprogramme die problematischen Bauwerksbewertungen (Noten > 3,5) verbessern konnten [2], nimmt die Bewertung des Bauwerksportfolios insgesamt ab. Abb. 1 verdeutlicht bspw. eine zunehmende Verschlechterung der Bauwerksnoten an Bundesautobahnen. Gleiches lässt sich für die geschätzten 100.000 kommunalen Straßenbrücken feststellen. 260 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Abb. 1 Zustandsnoten nach RI-EBW-PRÜF an Bundesautobahnen nach M arzahn [2] Für die Brücken im Hoheitsbereich der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV), die grundsätzlich auch nach [1] beurteilt werden, stellt sich der aktuelle Zustand etwas günstiger dar (Abb. 2). Gleichwohl ist auch hier eine kontinuierliche Degradation des Zustandes zu erkennen. Abb. 2 Zustandsnoten und Substanzkennzahlen der Brückenprüfung nach DIN 1076 von Straßen- und Wegebrückenanlagen im Verantwortungs-bereich der WSV Bei der üblichen Bewertung gemäß RI-EBW-PRÜF [1] nach Standsicherheit (S), Verkehrssicherheit (V) und Dauerhaftigkeit (D) sind im bautechnischen Erhaltungsmanagement insbesondere die Werte von S und D von Interesse, welche zusammen die Substanzkennzahl ergeben. Schlechte Substanzkennzahlen sind zunächst Indikatoren für einen mittel- oder kurzfristig kritischen Bauwerkszustand und damit für die qualitative Ausfallwahrscheinlichkeit einer Brücke. Die kontinuierliche Degradation der Bauwerke überlagert sich aktuell mit erheblicher Ressourcenknappheit. Obgleich beim Bund finanzielle Mittel in bedeutendem Umfang bereitgestellt werden, fehlt es in der Verwaltungsstruktur, gerade auch in Kommunen, an Personal zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben. Zwecks Priorisierung von Instandsetzungsmaßnahmen sind daher erweiterte Zustandsbewertungen der Bauwerke an sich und eine Einbeziehung der Ausfallfolgen [3] in die Maßnahmenreihung sinnvoll. 2. Bauwerksrobustheit 2.1 Robustheitsdefinition und -kriterien Wie in [4], [5] bereits festgestellt, liegt in einer normenkonformen Planung von Brückenbauwerken nicht automatisch eine in allen Aspekten hohe Nachhaltigkeit der Konstruktion begründet. Vielmehr stellt die Möglichkeit einer Konstruktion, während ihrer Lebensdauer auch auf unvorhergesehene Einflüsse „gutmütig“ zu reagieren, ein entscheidendes Qualitätsmerkmal dar. Als unvorhergesehenes Ereignis kann hierbei sowohl eine außergewöhnliche Belastung, bspw. ein Unfallereignis, aber insbesondere auch die unplanmäßige Degradation des Bauwerks durch verzögerte und unterlassene Instandhaltung angesehen werden. Trotz aktuell gültiger, deskriptiver Bemessungskonzepte zur Dauerhaftigkeit in gültigen Normen sind die Streuungen der Lebensdauerprognosen erheblich. Insbesondere aber bei älteren Brückenbauwerken, denen in ihrer Entstehungszeit noch nicht moderne Nachhaltigkeitsbemessungen (z. B. Betongüte, Betondeckung; Rissbreitenbegrenzung usw.) zugrunde lagen, zeigt sich oft ein signifikanter Unterschied bei den Auswirkungen gleichartiger Schädigungen auf Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit. Bei der ursprünglich für Schleusenbauwerke [6] entwickelten Methode zur Bewertung der Bauwerksrobustheit hinsichtlich Alterungs- und Abnutzungsschäden im Erhaltungsmanagement, wurde die Robustheit als Differenz der strukturellen Leistungsfähigkeit zwischen einem ungeschädigten und einem geschädigten System definiert (Abb. 3). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 261 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Abb. 3 Definition der Robustheit als Maß der strukturellen Leistungsfähigkeit: a) üblicher Ansatz von Schädigung im Erhaltungs-management, b) Robustheit als erweiterte Bauwerksqualität hinsichtlich des Schädigungsgrades [6] In der für Verkehrswasserbauwerke gültigen Nachrechnungsvorschrift BAW-TbW [7] wird Robustheit ähnlich definiert: „Robustheit (Schadenstoleranz) ist die Eigenschaft eines Tragwerks, unvorhergesehenen bzw. unberücksichtigten Beanspruchungen oder Ausfällen zielgerecht zu widerstehen.“ Zur qualitativen aber auch quantitativen Bewertung der Bauwerksrobustheit, um sie sowohl potentiellen als auch realen Schäden gegenüberzustellen, bedarf es der Definition von Robustheitskriterien, die sich sowohl auf die Tragfähigkeit als auch auf die Gebrauchstauglichkeit erstrecken. Hierzu wurden für Brücken im Hinblick auf deren Entwurf bereits qualitative Vorschläge unterbreitet [8] (Tab. 1). Tab. 1 Robustheitskriterien Brückenentwurf nach [8] Robustheitskriterium 1 Redundanz (Alternativer Lastpfad) 2 Ausfallsicherheit gegenüber außergewöhnlichen Einwirkungen 3 Stabilisierende Konstruktion (Stabilitätsgefährdung) 4 Duktilität 5 Monolithische Bauweise 6 Verformungsfähigkeit 7 Kraftflussorientierte Form 8 Kompaktheit 9 Austauschbarkeit 10 Anpassungsfähigkeit 11 Fehlerunanfällige Herstellbarkeit In einer eigenen Betrachtungsweise [6] werden diese Kriterien neu geordnet, zusammengefasst und auf die bei Bestandsbauwerken zu erwartenden Alterungsschäden bezogen. Hieraus ergeben sich zunächst sieben Robustheitskriterien (Tab. 2). Tab. 2 Robustheitskriterien Schleusen nach [6] Robustheitskriterium 1 Redundanz (bestimmt durch den statischen Ausnutzungsgrad) 2 Progressiver Kollaps 3 Duktilität 4 Verformungsfähigkeit 5 Nutzungsintensität (Ermüdung) 6 Instandsetzungsaufwand 7 Globale Standsicherheit (Geotechnik) Für alle Kriterien werden qualitative Bewertungen mit Noten zwischen 1 und 4 vergeben. Hierbei können die statischen Ausnutzungsgerade für die Kriterien Redundanz und Ermüdung direkt aus den Ergebnissen der Bauwerksnachrechnung nach TbW [7] entnommen werden, sofern diese vorliegen (Abb. 4a und 4b). Für die anderen Kriterien werden Noten nach qualitativen Gesichtspunkten vergeben (Abb. 4c). Diese Noten werden für unterschiedliche Bauwerksbereiche ermittelt und ergeben 262 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement nach Überlagerung eine Gesamtnote zur Bewertung der Robustheit des Gesamtbauwerks. Abb. 4 Robustheitsnoten 1-4 für: a) „Redundanz“ bei Biegenachweisen im Grenzzustand der Tragfähigkeit; b) „Nutzungsintensität“ bei Ermüdungsnachweisen im Grenzzustand der Tragfähigkeit; c) „Instandsetzungsaufwand“ [6] In einer aktuellen Fortentwicklung der Methode [9] für Verkehrswasserbauwerke aus Stahlbeton wird die Anzahl der Robustheitskriterien nochmals reduziert und sehr stark auf die Berechnungsergebnisse nach TbW [7] bezogen. Die primär hinsichtlich des quantitativen Kriteriums Ausnutzungsgrad benoteten Nachrechnungen der Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit sowie Ermüdung - sowohl für die Konstruktionselemente als auch die Geotechnik - werden durch qualitative Kriterien wie Lastumlagerung, Verformungsfähigkeit, Nutzungsintensität und Instandsetzungsaufwand graduell korrigiert. Tab. 3 optimierte Robustheitskriterien nach [9] Robustheitskriterium 1 Ausnutzungsgrad (Note 1-4) • Tragfähigkeit • Gebrauchstauglichkeit • Geotechnik 2 Korrekturfaktoren zu 1 (+/ - 0,1) aus a) Lastumlagerung • Kraftflussorientierte Form • statische Bestimmtheit • stabilisierende Bettung • Bewehrungsreserven b) Verformungsfähigkeit • Ankündigungsverhalten • Duktilität Stahl • Mindestbewehrung • Rotationsvermögen • Mindestdruckzone c) Nutzungsintensität • Anzahl Nutzlasten d) Instandsetzungsaufwand • Erhalt Funktionstüchtigkeit Mögliche Lastumlagerungen oder eine hohe Duktilität relativieren bspw. hohe Ausnutzungsgrade. Bei statisch bestimmten Konstruktionen wirkt sich eine hohe Ausnutzung hingegen negativ auf die Robustheit aus. Bei Schleusen werden im Kammerquerschnitt die in Abb. 5 dargestellten Bereiche und Regel-Berechnungsschnitte berücksichtigt. Abb. 5 Nachweisbereiche und Berechnungsschnitte in Schleusenkammerquerschnitten [9] 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 263 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement 2.2 Robustheit von Brücken Die vorgenannten Robustheitskriterien nach [9] (Tab. 3) lassen sich sinngemäß auf Stahlbetonbzw. Spannbetonbrücken übertragen. Zunächst bietet die Nachrechnungsrichtlinie des Bundesverkehrsministeriums (NRR) [10] ebenso wie die TbW [7] im Ergebnis Ausnutzungsgrade in den Einzelnachweisen an. Die in der Anlage 2 zur NRR dargestellte Ergebniszusammenfassung beinhaltet ebenfalls die Ergebnisse zu Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Ermüdung. Zusätzlich werden - soweit vorhanden - die Brückenlager rechnerisch bewertet. Die Lage der Nachweisführung im Querschnitt ist i.d.R. durch die NRR vorgegeben (Abb. 6). Neben einer Querschnittbetrachtung ist auch das statische System in Längsrichtung von Bedeutung (Abb. 7). Nach [8] sind lagerfreie (integrale) Stahlbetonbrücken, die zumeist statisch unbestimmt sind, als robuster einzustufen. Basierend auf den Ausnutzungsgraden gemäß NRR können somit für alle Brückenbereiche in Längsrichtung und jeweiligem Querschnitt die Robustheitsnoten ermittelt werden. Die Auswertung der Robustheit kann sodann bezogen auf: • Brückenquerschnitt • Nachweisformat (z. B. Spanngliedermüdung) • Spezialbauteile (z. B. Lager) • Gesamtbauwerk erfolgen. Abb. 6 Nachweisbereiche in Brückenquerschnitten gemäß Anlage Nachrechnungsrichtline [10] Abb. 7 Nachweisbereiche in Brückenlängsrichtung gemäß Anlage Nachrechnungsrichtline [10] Das prinzipielle Vorgehen wird an zwei Fallbeispielen (Tab. 4 und 5) überschlägig erläutert. 264 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Tab. 4 Fallbeispiel 1: Stahlbeton-Halbrahmen Bereich: Rahmenecke Widerlagerwand Randbedingung Kriterium Note Ausnutzung Rahmeneckbewehrung 95% Ausnutzung 3 Schlaff bewehrt, höherduktiler Stahl BSt III Verformungsfähigkeit, Duktilität -0,1 Hinterfüllung Widerlager Lastumlagerung, Bettung Baugrund -0,1 statisch unbestimmt Lastumlagerung -0,1 Mindestbewehrung vorh. Verformungsfähigkeit -0,1 Rotationsvermögen vorh. Verformungsfähigkeit -0,1 Kreisstraße (DTV-SV < 1000) Intensität -0,1 einfacher Fahrbahnbelag Instandsetzungsaufwand -0,1 Korrigierte Robustheitsnote 2,3 Der in Tab. 4 dargestellte Fall eines einfachen Stahlbeton-Halbrahmens (s. Beispielbauwerk in Abb. 8) weist alle Merkmale einer robusten Konstruktion auf. Die zunächst geringe Robustheit (Note 3) wird durch mehrere Kriterien signifikant erhöht. Die hohe Ausnutzung der betrachteten Rahmeneckbewehrung würde im Fall eines Alterungsschadens, z. B. chloridinduzierte Korrosion aufgrund defekter oberseitiger Abdichtung, dennoch nicht zu einem Globalversagen führen. Abb. 8 Beispiel: Straßenbrücke über Kanal als Stahlbetonrahmen [WSV] Die in Tab. 5 behandelte Spannbetonbrücke (s. Beispielbauwerk in Abb. 9) hat zwar grundsätzlich eine geringere Ausnutzung des Spannstahls in Feldmitte, weist aber gleichzeitig wenig robuste Merkmale auf. Die Robustheitsnote ist daher in Summe schlechter als bei dem Stahlbeton-Halbrahmen. Abb. 9 Beispiel: Straßenbrücke über Kanal als Spannbeton-Einfeldträger [WSV] Es sei daran erinnert, dass bei beiden Bauwerken die normative Bemessung als eingehalten angenommen wird. Ferner wird bislang keinerlei Schädigung des betrachteten Bereiches berücksichtigt. Die unterschiedliche Robustheitsnote verdeutlicht jedoch, dass ein im Zuge einer Bauwerksinspektion festgestellter Schaden sich bei der Spannbetonbrücke in Feldmitte - unabhängig von den Ausfallfolgen des Bauwerks - ungünstiger auswirken würde als beim Stahlbeton-Halbrahmen in der Rahmenecke. Bei gleicher Verkehrsbedeutung der Bauwerke und gleicher Schadensintensität wäre daher die Spannbetonbrücke priorisiert zu behandeln. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 265 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Tab. 5 Fallbeispiel 2: Spannbeton-Einfeldträger Bereich: Feldmitte Randbedingung Kriterium Note Ausnutzung Spannbewehrung 90% Ausnutzung 3 Spannstahl Verformungsfähigkeit, Duktilität +0,1 statisch bestimmt Lastumlagerung +0,1 Lastabtrag nur durch Lager Lastumlagerung, Bettung Baugrund +0,1 keine Robustheitsbewehrung Verformungsfähigkeit +0,1 Bundesstraße (DTV-SV > 2000) Intensität +0,1 Flussquerung Instandsetzungsaufwand +0,1 Korrigierte Robustheitsnote 3,6 3. Einfluss von Bauwerksschäden 3.1 Schäden an Verkehrswasserbauwerken Im Zuge der Bauwerksinspektionen werden festgestellte Schäden nach BAWMerkblatt MSV [11] in Schadensklassen von 1 bis 4 eingeteilt. Hierbei wird in verschiedene Schadensprozesse unterschieden. Für eine Korrelation der Schadensprozesse mit der jeweiligen Robustheit in den betrachteten Bauwerksbereichen wird in [6] eine Zuordnungsmatrix erstellt. Die quantitative Überlagerung erfolgt gewichtet. Hieraus wird ein Schadensindex SI als erweiterte Zustandsnote ermittelt. (1) Hierbei nehmen die Parameter folgende Werte an: SI Schadensindex 0 - 16 R maßgebende Robustheitsnote am Betrachtungsort i 0 - 4 W Wichtung der Kriterien 1 - 3 SK Schadensklasse 1 - 4 F Faktor Zusammenhangs von Schaden und Kriterium; vereinfachend 1 1 i Betrachtungsorte 1 - 16 j Kriterien 1 - 7 Zur besseren Verständlichkeit wird anschließend der Schadensindex SI auf Werte zwischen 0 und 1 normiert. Ein Schadensindex von 1 ergibt sich aus geringer Robustheit bei gleichzeitig hohem Schaden. Ein Vergleich von Schleusenquerschnitten unterschiedlicher Bauart (Abb. 10) verdeutlicht den relativierenden Effekt der um die Bauwerksrobustheit erweiterten Zustandsbetrachtung. Die in Tab. 6 gezeigten Bewertungsergebnisse zeigen, dass Schleusen mit hohen Schadensklassen aufgrund guter Robustheitsnoten in der Priorisierung von Instandsetzungsmaßnahmen zurückstehen. So weist die Schleuse Bachhausen zwar eine hohe Schadensklasse nach Bauwerksinspektion aus, hat aber aufgrund der gedrungenen Rahmenstruktur eine hohe Robustheit. Hierdurch wird der Schadensindex signifikant reduziert. 266 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Tab. 6 Vergleich Schleusenquerschnitte [6] Schleuse Zustandsnote Schadensindex Anzahl > 0,72 Robustheit Schnitt Schadensklasse Maßgeb. Verfallsprozess Erlangen 3,9 1,00 15 0,19 1 4 Fugen und Dichtungen Eibach 3,9 1,00 8 0,23 2 4 Fugen und Dichtungen Leerstetten 4,0 1,00 5 0,66 2 4 Fugen und Dichtungen Strullendorf 4,0 1,00 4 0,29 13 4 Fugen und Dichtungen Nürnberg 3,9 0,88 2 0,19 5 3,1 Risse im Stahlbeton Uelzen I 4,0 0,61 0 0,44 13 3,2 Oberflächenschäden Beton Oberhausen 3,2 0,50 0 0,59 7 3,2 Oberflächenschäden Beton Herne-Ost 4,0 0,34 0 0,58 3 2,2 Oberflächenschäden Beton Kelheim 4,0 0,32 0 0,69 7 2,9 Fugen und Dichtungen Bachhausen 4,0 0,30 0 0,84 13 3,1 Oberflächenschäden Beton Zeltingen 2,1 0,25 0 0,62 15 2,1 Risse im Stahlbeton Henrichenburg 3,2 0,18 0 0,67 9 1,9 Oberflächenschäden Beton Abb. 10 Parameterstudie an unterschiedlichen Schleusenquerschnitten [6] 3.2 Schäden an Brückenbauwerken Die an Brückenbauwerken im Rahmen der Bauwerksinspektion festgestellten Schäden werden nach [1] klassifiziert. Die ergänzend zur RI-EBW-PRÜF zur Verfügung gestellten Schadensbeispiele legen den Rahmen für die Bewertung der Kriterien S/ V/ D fest. Allerdings erfolgt die Bewertung hinsichtlich der Gebrauchs- und Tragfähigkeit nur überschlägig. Die Auswirkungen auf das Bauwerksverhalten werden größtenteils implizit beurteilt. Bei gleichem Schadensbild und gleicher Konstruktionsart wird die gleiche Schadensbewertung vorgenommen - unabhängig von den Konsequenzen auf das Gesamtbauwerk. Zur Verdeutlichung werden die vorherigen Fallbeispiele wieder aufgenommen. Fall 1: Stahlbeton-Halbrahmen Beispiel-ID 002-05 Tragbewehrung liegt im karbonatisierten Bereich und ist korrodiert ⇒ S = 1; D = 3 Fall 2: Spannbeton-Einfeldträger Beispiel-ID 201-04 einsetzende Korrosion der Spannstähle (verpresste Hüllrohre) ⇒ S = 1; D = 3 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 267 Bauwerksrobustheit als erweiterter Zustandsindikator im Erhaltungsmanagement Die festgestellten, sich ähnelnden Schäden führen quasi zu gleichen Bauwerksnoten im Prüfbericht. Perspektivisch ist jedoch der Fall 2 aufgrund der geringeren Bauwerksrobustheit von viel größerer Bedeutung im Erhaltungsmanagement. Anders als bei Verkehrswasserbauwerken werden die Schäden von Brücken über zwei Schadensbewertungen klassifiziert. Hierbei geht die Dauerhaftigkeitsbewertung D immer der Standsicherheitsbewertung S voraus. Im Kontext von Schadensprozessmodellen gilt es hier Korrelationen herzustellen. Eine vereinfachende Umrechnung könnte hierbei wie folgt lauten: (2) 4. Zusammenfassung und Perspektive Die im vorliegenden Beitrag vorgestellte Bewertung der Robustheit von Infrastrukturkonstruktionen ermöglicht eine detailliertere Bewertung der Bauwerke, als dass sie über die reine Zustandsbewertung der Bauwerksprüfung möglich ist. Im Ergebnis ergibt sich auf Basis einer nach NRR [10] durchgeführten Nachrechnung ein Robustheitsindex zwischen 0 und 1, der durch Überlagerung mit der Zustandsnote zu einem Schadensindex zusammengeführt wird. Je nach in der Bauwerksprüfung festgestellter Schadenspropagation können damit die Instandsetzungsmaßnahmen gezielter für geringer robuste Bauwerke priorisiert werden. Für eine verlässlichere Überlagerung von aus Nachrechnungsergebnissen gewonnenen Robustheitsnoten mit Schadensprozessen wäre ein Abgleich von Nachweisbereichen nach NRR [10] und Dokumentationsbereichen in der Hauptprüfung von Vorteil. Bislang erfolgt die Verbuchung von Schäden in der Bauwerksdatenbank SIB-Bauwerke nur grob nach Brückenkomponenten (Überbau, Unterbau, etc.). Digitale Dokumentationshilfen ermöglichen hier zukünftig genauere Ortsangaben. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2017) Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 (RI-EBW-PRÜF). Bonn 2017. [2] Marzahn, G. (2018) Straßenbrücken der Zukunft -Anforderungen aus Sicht eines Bauherrn. Symposium Intelligente Brücke - Neue Entwicklungen. Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach. [3] Schmidt-Bäumler, H. (2016) Risikobetrachtungen bei der Instandhaltung von Infrastrukturbauwerken. Kolloquium Instandhaltung von Wasserbauwerken. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe [4] Kersken-Bradley, M. (1992) Unempfindliche Tragwerke - Entwurf und Konstruktion. Bauingenieur, Band 67, S. 1-5. [5] Pötzl, M. (1996) Robuste Tragwerke - Vorschläge zu Entwurf und Konstruktion. Bauingenieur, Band 71, S. 481-488. [6] Akkermann, J., Weiler, S., Bödefeld, J., Meier, J. (2018) Die Bauwerksrobustheit im Kontext eines risikobasierten Erhaltungsmanagements. Beton- und Stahlbetonbau 113, H. 10, S. 716-726, doi: 10.1002/ best.201800057. [7] Bundesanstalt für Wasserbau (2016) BAW- Merk-blatt: Bewertung der Tragfähigkeit bestehender, massiver Wasserbauwerke (TbW). [8] Pötzl, M. (1996) Robuste Brücken. Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig/ Wiesbaden. [9] Akkermann, J., Wild, M. (2020) Robustheit von Verkehrswasserbauwerken - Systemoptimierung. FuE-Vorhaben der Bundesanstalt für Wasserbau, Institut für Angewandte Forschung, Hochschule Karlsruhe, 1. Zwischenbericht (unveröffentlicht) [10] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2011) Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). [11] Bundesanstalt für Wasserbau (2015) BAWMerkblatt Schadensklassifizierung an Verkehrswasserbauwerken (MSV). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 269 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen François Marie Nyobeu Fangue Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Annemarie Seiffert Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Dr. Jörg Bödefeld Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Zusammenfassung In diesem Beitrag wird die Fehlermöglichkeiten- und Ausfallanalyse (FMEA) zur qualitativen Bestimmung der strukturellen Zuverlässigkeit von Verkehrswasserbauwerken verwendet. Ziel ist es, zusätzlich zu den aktuellen Zustandsnoten Kennzahlen zu entwickeln, die den Entscheidungsprozess hinsichtlich der Dringlichkeit von Instandsetzungsmaßnahmen unterstützen können. Sie werden auf der Grundlage von Expertenbefragungen und Inspektionsergebnissen ermittelt und sollen ein genaueres Bild über die Auswirkungen von Schäden auf bestimmte Bauwerksanforderungen liefern. Die ursprünglich für Wasserbauwerke entwickelte Methodik wird auf Brückenbauwerke übertragen und exemplarisch auf zwei Straßenbrücken (Schachtschleuse und Bierweg) angewendet. Trotz ihrer identischen Zustandsnote lässt die Anwendung der FMEA auf einen vorrangigen Instandsetzungsbedarf des Überbaus der Brücke „Schachtschleuse“ schließen. 1. Einleitung Die Erhaltung der Verkehrswasserbauwerke, insbesondere Schleusen, Wehre und Brücken, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV). Der heterogene Wasserbauwerksbestand in Deutschland ist gekennzeichnet durch eine beträchtliche Anzahl von Bauwerken, die sich aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters und den veränderten Umwelt- und Nutzungsbedingungen in einem unzureichenden Zustand befinden [1]. Unzureichende Unterhaltungsmaßnahmen aufgrund begrenzter personeller und finanzieller Ressourcen haben zudem zu einem Rückstand an notwendigen Erhaltungsmaßnahmen geführt. Aufgrund ihres Alters ist damit zu rechnen, dass die Zahl der erhaltungsbedürftigen Bauwerke in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird. Die aktuelle Entscheidung über notwendige Erhaltungsmaßnahmen orientiert sich stark an der Zustandsnote, die auf Basis von Inspektionsergebnissen, generiert wird. Diese Kennzahl geht jedoch nicht explizit auf die Auswirkungen der Schäden auf die strukturelle Zuverlässigkeit der Bauwerke ein. Zur Behebung des Problems hat die Bundesanstalt für Wasserbau die Methodik „Fehlermöglichkeiten- und -Ausfallanalyse (FMEA)“ für eine Anwendung zur strategischen Priorisierung von Instandsetzungsmaßnahmen an Schleusen und Wehren angepasst [2, 3]. Das Forschungsvorhaben wurde im Rahmen des dritten Themenfeldes „Verlässlichkeit der Verkehrsinfrastruktur erhöhen“ des BMVI-Experten-netzwerks initiiert. Die FMEA ist ein weitverbreitetes Instrument zur Bewertung und Priorisierung des Risikos potentieller Fehler an Produkten oder Prozessen mithilfe einer Risikoprioritätszahl. In diesem Beitrag wird eine mögliche Übertragung des Ansatzes auf Brückenbauwerke der WSV vorgestellt. Unter Berücksichtigung von Expertenbefragungen wird mit Hilfe der Methodik eine fundierte Entscheidungsbasis für die Priorisierung des Instandhaltungsbedarfs geschaffen. Zu Beginn steht ein kurzer Überblick über die Brücken, die sich im Zuständigkeitsbereich der WSV befinden. Dem schließt sich eine Darstellung des erarbeiteten FMEA-Ansatzes zur Priorisierung von Instandsetzungsmaßnahmen an Brücken bis hin zu seiner beispielhaften Anwendung auf zwei Stahlbetonbrücken der WSV an. 2. Hintergrund Zu den Brückenbauwerken, für deren Betrieb und Erhaltung die WSV zuständig ist, gehören rund 1.300 Straßen- und Eisenbahnbrücken, die Bundeswasserstraßen 270 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen queren. Hierunter fallen 1.052 Straßen- und Wegebrückenanlagen, an denen regelmäßig nach DIN 1076 „Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen“ [4] Schäden erfasst und im Hinblick auf ihren Einfluss auf die Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit bewertet werden. Anders als die übrigen wasserbaulichen Anlagen im Zuständigkeitsbereich der WSV, stammt mit einem Anteil von knapp 70 % die Mehrzahl der Straßenbrücken aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, was zu einem mittleren Alter der Bauten von 45 Jahren führt, siehe Abbildung 1. Angesichts dieser Altersstruktur spricht die in Abbildung 2 dargestellte Zustandsverteilung mit 200 Bauwerken (14 %) in einem nicht ausreichenden bzw. ungenügenden Zustand für ein Optimierungspotential bei der Planung und Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen. Gerade der hohe Anteil von Bauwerken mit einem Zustand im mittleren Bereich deutet darauf hin, dass in Zukunft ein erhöhter Instandhaltungsbedarf zu erwarten ist, für dessen zielgerichteten Abbau im Folgenden ein mögliches Vorgehen aufgezeigt wird. Abbildung 1: Altersstruktur der 1.052 Straßen- und Wegebrückenanlagen im Zuständigkeitsbereich der WSV Abbildung 2: Zustandsnotenverteilung der 1.052 Straßen- und Wegebrückenanlagen im Zuständigkeitsbereich der WSV 3. Methodik Der Grundgedanke der Fehlermöglichkeiten- und Ausfallanalyse (FMEA) ist es, bereits in der frühen Phase der Produktentstehung bekannte und potenzielle Fehler, die die Funktionsfähigkeit eines Produktes beeinträchtigen könnten, zu identifizieren und zu verhindern, dass diese den Kunden erreichen [5]. Auch bezeichnet als Fehlerzustandsart- und Auswirkungsanalyse, ist die FMEA eine formalisierte und qualitative Methode zur systematischen und vollständigen Erfassung potentieller Fehler in Konstruktion, Planung und Produktion (DIN EN 60812) [5]. In der industriellen Praxis wird sie insbesondere zur präventiven Fehleranalyse und Qualitätssicherung von Produkten eingesetzt. Bereits in der Produkt- und Prozessentwurfsphase sollen potentielle Fehlerarten, die während der Herstellung oder Nutzung eines Produktes durch den Kunden auftreten könnten, identifiziert werden. Zu diesem Zweck werden von einem funktionsübergreifenden und multidisziplinären Team für jedes Produktelement die Fehlerursachen und deren möglichen Folgen auf die Kunden- und Qualitätsanforderungen abgeleitet. Die frühzeitige Kenntnis von Fehlern, Ursachen und deren Folgen ermöglicht es, das Risiko eines Fehlers abzuschätzen und geeignete Gegenmaßnahmen einzuleiten. Die erste Anwendung der FMEA geht auf das Jahr 1949 zurück, als die Methode vom amerikanischen Militär in der Luft- und Raumfahrtindustrie zur Erhöhung der Zuverlässigkeit und Sicherheit von Produkten und Prozessen während der Konstruktions- und Produktionsphase eingeführt wurde [7]. Von 1977 an wurde die FMEA zur Verbesserung der Produktqualität und zur Vermeidung von Rückrufen für Autos in der Automobilindustrie eingesetzt. Seitdem wurde die FMEA in verschiedenen Industriezweigen, einschließlich der Nuklear-, Elektronik-, Chemie-, Mechanik- und Gesundheitsindustrie, in denen Sicherheit und Zuverlässigkeit von entscheidender Bedeutung sind, umfassend eingesetzt [8]. 3.1 Schritte Die FMEA ist eine induktive, qualitätssichernde Methode, die in den vier Schritten Systemanalyse, Funktionsanalyse, Fehleranalyse und Risikobewertung durchgeführt wird, siehe Abbildung 3 [5]. In der Systemanalyse werden die Elemente des betrachteten Systems identifiziert und zu einer hierarchischen Systemstruktur angeordnet. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 271 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen Abbildung 3: Ablauf einer FMEA zur Risikobewertung Hierfür werden alle relevanten Informationen über das System gesammelt und ausgewertet. In einer Top-down- Vorgehensweise wird ein System in einzelne Elemente untergliedert und die Schnittstellen zwischen ihnen ermittelt. Ziel des Schrittes ist die genaue Definition des zu berücksichtigenden Umfangs des betrachteten Systems. Den ermittelten Systemelementen werden in der darauffolgenden Funktionsanalyse Funktionen zugeordnet, die zu einer Funktionsstruktur miteinander verknüpft werden. Sie dient der Beschreibung der funktionalen Zusammenhänge zwischen den Systemelementen. Aus der System- und Funktionsstruktur resultiert die Fehlfunktionsstruktur, in der mögliche Fehlfunktionen abgeleitet werden. Häufig erfolgt die Ermittlung von Fehlfunktionen durch eine einfache Negation der Erfüllung der Funktionen der Elemente. Ziel dieser Fehleranalyse ist es, die kausalen Zusammenhänge zwischen dem Eintritt eines Fehlers und der Nichterfüllung einer geforderten Funktion bzw. Anforderung zu erkennen. Neben den Fehlerarten werden mögliche Fehlerfolgen und Fehlerursachen eindeutig identifiziert und in Zusammenhang gebracht. Es resultiert die in Abbildung 4 dargestellte Ursache-Wirkungskette (UWK), durch die sich Risiken im Prozess und ihre Wirkung auf das Produkt bzw. den Endkunden bestimmen lassen [5]. Abbildung 4: Ursache-Wirkungsketten mit den zugehörigen Kriterien: Bedeutung (B), Auftreten (A), Entdeckung (E) Der letzte Schritt, die Risikobewertung, dient der Erarbeitung von Vermeidungs-, Entdeckungs- oder Verbesserungsmaßnahmen zur Risikominimierung. Hierfür werden die Bedeutung der Fehlerfolge (B), die Auftretenshäufigkeit der Fehlerursache (A) und die Entdeckungswahrscheinlichkeit der Fehlerart (E) vor Übergabe an den Kunden abgeschätzt, siehe Abbildung 4. Aus der Multiplikation der drei Faktoren ermittelt sich die Risikoprioritätszahl (RPZ), die mit Werten von 1 bis 1000 das Gesamtrisiko jedes potentiellen Fehlers anzeigt. Die Berücksichtigung potentieller Verbesserungsmaßnahmen in einer erneut durchgeführten Risikobewertung ermöglicht schließlich eine Einschätzung der Effektivität bzw. Dringlichkeit der Maßnahmen. 3.2 Anpassung der FMEA Die Originalität der vorliegenden Studie besteht darin, dass die FMEA nicht in der Planungsphase, sondern in der Nutzungsphase für das Erhaltungsmanagement eines großen Objektportfolios eingesetzt wird. Zielstellung der angepassten FMEA ist es, zusätzliche Kennzahlen zur Priorisierung von Instandsetzungsmaßnahmen an Bauwerken zu entwickeln. Die Eingangsdaten für die Durchführung der Methodik sind die Ergebnisse der regelmäßigen Bauwerksinspektionen, die als qualitative Daten vorliegen. Die FMEA wird als Methodik gewählt, da sie sich eignet um nicht nur die Zuverlässigkeit von Bauwerken qualitativ mithilfe von Expertenbefragungen zu beschreiben, sondern auch eine Aussage über die kausalen Zusammenhänge zwischen den erfassten Schäden und den strukturellen Anforderungen zu machen. Die Anwendung der FMEA zu einem anderen Verwendungszweck hat unterschiedliche Anpassungen erforderlich gemacht, die im Folgenden erläutert werden. Der Begriff Fehler ist in der konventionellen FMEA je nach Verwendungszweck mit einer unterschiedlichen Bedeutung hinterlegt. Für den Einsatz der FMEA im Erhaltungsmanagement werden als Fehler die Schäden gesehen, die im Rahmen der Bauwerksinspektionen nach DIN 1076 [4] erfasst werden und deren Instandsetzungsmaßnahmen priorisiert werden. Die Fokussierung auf Bauwerksschäden hat zu der in Abbildung 5 dargestellten Ursache-Wirkungskette geführt, die den Zusammenhang zwischen Schadensart, Schadensfolge und Schadensbild aufführt. Abbildung 5: Modifizierte Ursache-Wirkungskette und zugehörige Kriterien: Bedeutung (B), Auftretenshäufigkeit (A), Effektivität (E) In Abbildung 5 wird der erste Unterschied zur herkömmlichen Ursache-Wirkungskette deutlich, der darin besteht, dass an der Stelle der Fehlerursache das Schadensbild, als eine Gruppierung von Schäden ähnlicher 272 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen Gestalt, steht. Hintergrund ist, dass die Schadensbilder einen direkten kausalen Zusammenhang zur Schadensfolge aufweisen. Auf eine zusätzliche Identifizierung möglicher Schadensursachen wird verzichtet, da die verfügbaren Inspektionsberichte keine ausreichenden Informationen über die Ursachen der verschiedenen Schäden geben. Zur Ermittlung der Ursachen wären umfangreiche Untersuchungen der Materialeigenschaften und der Schadensmechanismen erforderlich. In der konventionellen FMEA wird mit der Bewertungszahl B die Bedeutung der Fehlerfolge für das Gesamtsystem bewertet, welches stets aus Sicht des Endverbrauchers geschieht [5]. Im Kontext des Erhaltungsmanagements bewertet die Bewertungszahl B die Sensitivität eines Objekts bzw. dessen Robustheit gegenüber der jeweiligen Schadensfolge. Dementsprechend wird die Nichteinhaltung vorgegebener Anforderungen (Tragfähigkeit, Dauerhaftigkeit und Gebrauchstauglichkeit) aufgrund der Schadensfolgen als Zielgröße für die B-Bewertung angesehen. Beispielsweise kann eine Schadensakkumulation/ -vergrößerung zu einer Beeinträchtigung der Anforderung an die Dauerhaftigkeit führen. Beim Kriterium Auftretenshäufigkeit (A) wird äquivalent zur herkömmlichen FMEA auf Erfahrungswerte und statistischen Auswertungen vorhandener Schadensdaten zurückgegriffen. Üblicherweise soll mit der Entdeckungswahrscheinlichkeit (E) geprüft werden, wie groß der nicht entdeckte, fehlerhafte Anteil in einem Gesamtlos eines Produktes ist. Zu diesem Zweck wird ermittelt mit welcher Wahrscheinlichkeit die Entdeckung der Fehlerursache vor der Auslieferung an den Kunden gelingt. Die E-Bewertung wird entsprechend der Effektivität bzw. Wirksamkeit der Entdeckungsmaßnahmen der jeweiligen Fehlerursachen vergeben [5]. Anders als in der konventionellen FMEA steht beim hier vorgestellten Ansatz die Priorisierung von Instandsetzungsmaßnahmen von Schäden, die bereits aufgetreten sind, im Vordergrund. Die Behebung einer Schadensursache und die Verbesserung des baulichen Zustands hängen zumeist von der Effektivität der Instandsetzungsmaßnahme ab. Sie wird daher als ein Maß für die Qualitätssicherung verwendet. Durch die Instandsetzung eines hoch bewerteten Schadens lässt sich der Zustand des Bauwerks effektiver auf ein gewünschtes Niveau heben als durch die Instandsetzung eines niedrig bewerteten Schadens. Aus diesem Grund wird die Effektivität einer Instandsetzungsmaßnahme in Abhängigkeit der Schadensbewertung beurteilt. 4. Anwendung auf zwei Beispielbrücken Im Folgenden wird das Verfahren exemplarisch auf zwei Teilbauwerke von zwei Straßenbrücken im Verwaltungsbereich der WSV angewendet. Dabei handelt es sich um das zweite Teilbauwerk der „Straßenbrücke Schachtschleuse“ (Bauwerksnr. 6501280), die unweit von Eisenhüttenstadt die Oder überquert, und das erste Teilbauwerk der „Straßenbrücke Bierweg“ (Bauwerksnr. 5857010) in der Nähe der Stadt Marienwerder. Die Bauwerke wurden ausgewählt, weil sie als Stahlbeton-Plattenbalkenbrücken die Mehrzahl der Straßenbrücken der WSV repräsentieren. Die Überbauten der beiden Straßenbrücken weisen die gleiche Zustandsnote in von 3,0 auf. Ziel der im Folgenden dargestellten FMEA ist es daher eine stärkere Differenzierung zwischen den Bauwerken vorzunehmen, um das Bauwerk mit dem vordringlichen Instandsetzungsbedarf zu identifizieren. Auf eine vollständige Systemanalyse wird in diesem Fall verzichtet und stattdessen die Systematik am Systemelement Überbau aufgezeigt. Als seine Hauptfunktion wird die Weiterleitung von Lasten in den Unterbau und damit die mögliche Fehlfunktion keine Weiterleitung von Lasten in den Unterbau identifiziert. Die für die beiden Brücken durchgeführte Fehleranalyse und Risikobewertung wird im Folgenden erläutert. 4.1 Fehleranalyse Zentraler Bestandteil bei der Durchführung einer FMEA ist eine Fehleranalyse. Zur Sicherstellung der Qualität eines Produktes, müssen Abweichungen von festgelegten oder vorausgesetzten Funktionen bzw. Anforderungen an ein Produkt vermieden werden. Basierend auf der System- und Funktionsstruktur werden potentielle Fehlerarten, -folgen und -ursachen der Systemelemente identifiziert. Ein Fehler ist dabei als die Nichterfüllung einer Anforderung definiert. Die kausalen Zusammenhänge zwischen den drei Faktoren werden durch Ursache-Wirkungsketten (UWK) abgebildet, die anhand von Erfahrungen und Expertenbefragungen ermittelt werden. Tabelle 1 zeigt die Ursache-Wirkungsketten, die für Überbauten aus Stahlbeton von Straßenbrücken entwickelt wurden. Die Funktionen des Bauteils einer Brücke werden mit den Anforderungen an die Dauerhaftigkeit, Standsicherheit und Verkehrssicherheit nach DIN EN 1992-1-1 [9] beschrieben, deren Überschreiten eine fehlende Funktionsfähigkeit des Bauwerks bedeutet. Ihre Beeinträchtigung führt damit auf die untersuchten Schadensarten. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 273 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen Tabelle 1: Ursache-Wirkungsketten für den Überbau von Straßenbrücken aus Stahlbeton Schadensart Schadensfolge Schadensbild Eingeschränkte Dauerhaftigkeit Schadensakkumulation/ -vergrößerung Oberflächenabtrag nicht über Verkehrsraum Offenporige Oberfläche Risse ohne Trennrisse/ Gefügelockerung Feuchtigkeitsbzw. Wassereintritt Fugenschäden Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes Verschmutzung Eingeschränkte Standsicherheit Bauteilversagen Lageänderung Korrosion Trennrisse, Risse mit Gefügelockerung Eingeschränkte Verkehrssicherheit Eingeschränkte Funktionsfähigkeit Durchbiegung Oberflächenabtrag über Verkehrsraum Zu Beginn steht die Aggregation möglicher Schäden am Massivbau zu Schadensbildern, welche die mögliche Ursache für die Nichteinhaltung einer Anforderung darstellen. Die in den Schadensbeispielen der „Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 (RI-EBW-PRÜF)“ [10] genannten Schäden werden zu zehn Schadensbildern aggregiert: - Oberflächenabtrag, nicht über Verkehrsraum (OA); - Offenporige Oberfläche (OO); - Risse ohne Trennrisse, Risse ohne Gefügelockerung (R1); - Fugenschäden (FS); - Verschmutzung (VS); - Lageänderung (LÄ); - Korrosion (K); - Trennrisse oder Risse mit Gefügelockerung (R2); - Durchbiegung (DB); - Oberflächenabtrag, über Verkehrsraum (OAV). In einem zweiten Schritt werden als mögliche Folgen der Schadensbilder die Schadensakkumulation/ -vergrößerung, der Feuchtigkeitsbzw. Wassereintritt, die Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes, das Bauteilversagen und die eingeschränkte Funktionsfähigkeit identifiziert. Sie werden entsprechend ihrer Wirkung hinsichtlich der Dauerhaftigkeit, Standsicherheit oder Verkehrssicherheit klassifiziert. 4.2 Durchführung der Risikobewertung Das Ziel der FMEA-Implementierung im Erhaltungsmanagement ist die Ableitung zusätzlicher Kennzahlen, die die aktuelle Zustandsnote bei der Priorisierung von Instandsetzungsmaßnahmen an Bauwerken ergänzen können. Hierbei wird das potentielle Risiko jeder einzelnen Schadensart- Schadensfolge- Schadensbild-Kombination bewertet und geeignete Gegenmaßnahmen identifiziert. Als Basis für die Risikobewertung werden für jede Kombination (Ursache-Wirkungskette) folgende Bewertungskriterien qualitativ festgelegt: die Bedeutung der Schadensfolge (B), die Auftretenshäufigkeit (A) und die Effektivität der Maßnahmen (E) Aus den drei Bewertungskriterien wird durch Multiplikation die Risikoprioritätszahl (RPZ) errechnet, wobei die Werteskala zur Bewertung der drei Kriterien die ganzzahligen Werte von 1 bis 10 umfasst. Der Wertebereich für die RPZ erstreckt sich folglich von 1 bis 1000. Die RPZ ist ein Maß für das Gesamtrisiko jeder einzelnen möglichen Schadensart und dient als grober Richtwert für die Dringlichkeit von Instandsetzungsmaßnahmen. 4.2.1 Bedeutung der Schadensfolge (B) Die Bewertung der Bedeutung der Schadensfolge (B) wird in zwei Schritten durchgeführt. Die Bewertung wird für jeden Hauptbaustoff getrennt vorgenommen. Im ersten Schritt werden normative Anforderungen für den betrachteten Hauptbaustoff aufgestellt. Im zweiten Schritt wird die Auswirkung der Schadensfolgen auf die normativen Anforderungen bewertet. Die betrachteten Brückenüberbauten bestehen beide aus Stahlbeton, weshalb sie die gleiche B-Bewertung erhalten. Als normative Anforderung an Stahlbetonbauteilen wird die innere Tragfähigkeit, Dauerhaftigkeit, Gebrauchstauglichkeit und äußere Tragfähigkeit identifiziert und hinsichtlich ihrer relativen Bedeutung zueinander bewertet. Zum Einsatz kommt dabei die Bewertungsmethode analytischer-hierarchischer Prozess (AHP) entsprechend Tabelle 2 [11]. Die Festlegung der Bewertungszahl B erfolgt im Anschluss, indem in einer Evaluationsmatrix in Zeilen die Anforderungen an Bauwerke und in Spalten die Schadensfolgen gegenübergestellt und erneut paarweise verglichen werden. Das Vorgehen führt für Stahlbetonbauteile auf die in Tabelle 3 dargestellten Bedeutungen. 274 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen 4.2.2 Auftretenshäufigkeit des Schadensbildes (A) Mit der Bewertung der Auftretenshäufigkeit (A) soll die Anfälligkeit der Bauart bzw. Konstruktionsweise gegenüber dem jeweiligen Schadensbild bewertet werden. Eigentlich wird die Bewertungszahl auf der Grundlage einer Kombination aus statistischen Auswertungen der vorhandenen Inspektionsergebnissen und Expertenwissen abgeleitet. Zum jetzigen Zeitpunkt steht jedoch noch keine flächendeckende statistische Auswertung der Schadenshäufigkeit an Brücken der WSV zur Verfügung. Tabelle 2: Paarweiser Vergleich der Anforderungen an Stahlbetonbauteilen Innere Tragfähigkeit Gebrauchstauglichkeit / Betriebssicherheit Äußere Tragfähigkeit Dauerhaftigkeit Rang (Faktor f) Innere Tragfähigkeit 1,0 3,0 0,5 3,0 0,3 Gebrauchstauglichkeit / Betriebssicherheit 0,3 1,0 0,3 2,0 0,1 Äußere Tragfähigkeit 2,0 3,0 1,0 4,0 0,5 Dauerhaftigkeit 0,3 0,5 0,3 1,0 0,1 Summe 3,7 7,5 2,1 10,0 Tabelle 3: Ermittlung der Bedeutung der Schadensfolge (B) für Stahlbetonbauteile Faktor f Schadensakkumulation/ -vergrößerung Feuchtigkeitsbzw. Wassereintritt Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes Bauteilversagen Eingeschränkte Funktionsfähigkeit Faktor 2 Innere Tragfähigkeit 0,3 1 1 0 2 1 0,6 Gebrauchstauglichkeit / Betriebssicherheit 0,1 1 1 1 2 2 0,3 Äußere Tragfähigkeit 0,5 1 0 0 2 1 0,9 Dauerhaftigkeit 0,1 2 2 1 1 1 0,2 Summe 1,1 0,6 0,2 1,9 1,1 2,0 Bedeutung 5 3 1 10 6 10 Um dennoch die Systematik der FMEA illustrieren zu können, werden die Werte auf Basis einer Schadensauswertung an Straßenbrücken, die in den Zuständigkeitsbereich der Straßenbauverwaltung fallen und damit keine Wasserstraßen überführen, generiert [12]. Darin sind typische Schadensbilder speziell für Überbauten getrennt nach Konstruktionsweisen aufgeführt. Die Überbauten der Brücke „Schachtschleuse“ und „Bierweg“ sind beide in der Konstruktionsform „Plattenbalken“ ausgeführt. Da die A-Bewertung für bestimmte Konstruktionsweisen festgelegt wird, resultieren für die Bauten dir in Tabelle 5 aufgeführten identischen A-Bewertungen. 4.2.3 Effektivität der Maßnahmen (E) Ausgangspunkt für die Bewertung der Effektivität der Maßnahmen (E) sind die Zustandsberichte der betrachteten Brücken, die am 29.06.2020 aus SIB-Bauwerke ausgelesen wurden. Die darin enthaltenen Schäden werden den in der Ursache-Wirkungskette genannten Schadensbildern zugeordnet. Ausschlaggebend für die Beurteilung der Effektivität ist dabei stets der Schaden mit der schlechtesten Schadensbewertung eines Schadensbildes. Dabei wird entsprechend der Zuordnung des Schadensbildes zur Schadensart, siehe Tabelle 1, die Schadensbewertung der „Standsicherheit“, der „Verkehrssicherheit“ 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 275 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen oder der „Dauerhaftigkeit“ verwendet. Unter Berücksichtigung des Schadensumfangs wird ein Zuschlag (+0,1) oder ein Abschlag (-0,1) auf die vom Inspektionspersonal vergebene Schadensbewertung addiert, um die modifizierte Zustandsnote auf der Schadensebene zu erhalten. Beispielsweise wird für eine „mehrfach“ aufgetretene „Abplatzung mit freiliegender Bewehrung“ mit einer Schadensklasse 3 auf Schadensebene eine modifizierte Note von 3,1 berechnet. Zur Vereinheitlichung der Notenskalen wird die Bewertung der Effektivität im Anschluss auf eine Bewertungsskala von 0 bis 10 umgerechnet (Tabelle 4), welches auf die in Tabelle 5 aufgeführten I-Bewertungen führt. Tabelle 4: Skalierung der Benotung der Effektivität Note auf Schadensebene E-Bewertung 1 1 1,1 2 1,9 3 2 4 2,1 5 2,9 6 3 7 3,1 8 3,9 9 4 10 5. Ergebnisse Tabelle 5 zeigt die Werte der drei Bewertungskriterien B, A und E, die für die Überbauten der zwei Straßenbrücken „Schachtschleuse“ (2. Teilbauwerk) und „Bierweg“ (1. Teilbauwerk) ermittelt wurden. Unter Verwendung der drei Bewertungskriterien (B, A und E) wurde die Risikoprioritätszahl für jedes Schadensbild berechnet und in Abbildung 6 dargestellt. Anhand Abbildung 6 lassen sich drei Haupttendenzen erkennen. Die erste Hälfte des Risikoprofils, einschließlich der Schadensbilder Oberflächenabtrag, nicht über Verkehrsraum (OA), offenporige Oberfläche (OO), Risse ohne Trennrisse/ Gefügelockerung (R1), Fugenschäden (FS) mit Werten bis 320, besteht hauptsächlich aus der Bewertung von Schäden, die die Dauerhaftigkeit des Bauwerks einschränken könnten. Dort ist zu erkennen, dass der Überbau der Straßenbrücke „Schachtschleuse“ im Vergleich zu der Straßenbrücke „Bierweg“ stärker von dauerhaftigkeitsrelevanten Schäden betroffen ist. Das wesentliche Schadensbild für den Überbau der Straßenbrücke Schachtschleuse ist das massive Auftreten von dauerhaftigkeitsrelevanten Rissen (R1), die langfristig die Standsicherheit des Bauwerks beeinträchtigen könnten. Hervorzuheben ist auch, dass im Gegensatz zum Überbau der Straßenbrücke „Schachtschleuse“ die Auswertung des Überbaus der Straßenbrücke „Bierweg“ verkehrssicherheitsrelevante Schäden aufweist. In Bezug auf standsicherheitsrelevante Schäden (Lageänderung (LÄ), Korrosion (K) und Trennrisse oder Risse mit Gefügelockerung (R2)) zeigen beide Überbauten den gleichen Trend. Besonders die Korrosion des Betonstahls steht offenbar als Hauptursache für die strukturellen Schäden der Bauten im Vordergrund. Obwohl beide Überbauten die gleiche Zustandsnote aufweisen, deuten die berechneten Risikoprioritätszahlen auf einen höheren Bedarf an Instandsetzungsmaßnahmen der Brücke „Schachtschleuse“ hin. Die dauerhaftigkeitsrelevanten Risse sollten beseitigt werden, um eine weitere Verschlechterung des baulichen Zustands der Straßenbrücke „Schachtschleuse“ zu vermeiden. Tabelle 5: Resultierende FMEA für die Überbauten der Brücken „Schachtschleuse“ (Teilbauwerk 2) und „Bierweg“ (Teilbauwerk 1) Brücke Schachtschleuse Brücke Bierweg Schadensbild B A E RPZ B A E RPZ OA 5 8 8 320 5 8 8 320 OO 5 4 8 160 5 4 6 120 R1 5 7 8 280 5 7 0 0 FS 3 3 6 54 3 3 0 0 VS 1 2 0 0 1 2 0 0 LÄ 10 2 0 0 10 2 0 0 K 10 10 5 500 10 10 5 500 R2 10 4 0 0 10 4 0 0 DB 6 3 0 0 6 3 0 0 OAV 6 5 0 0 6 5 2 60 276 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen Abbildung 6: Risikoprofile der Überbauten, grau hinterlegt Schadensbilder mit Auswirkungen auf die Standsicherheit 6. Zusammenfassung und Ausblick In diesem Beitrag wird ein Ansatz zur qualitativen Bewertung der strukturellen Zuverlässigkeit von Wasserbauwerken mittels der FMEA vorgestellt. Ausgehend von den Auswirkungen verschiedener Schäden auf die spezifischen Anforderungen an Bauwerken werden zusätzliche Kennzahlen entwickelt. Zur Ermittlung der kausalen Zusammenhänge zwischen Schäden und den normativen Anforderungen (Standsicherheit, Dauerhaftigkeit und Verkehrssicherheit) dienen Ursache-Wirkungs-Ketten. Das Risiko der einzelnen Kombinationen wird durch eine Risikoprioritätszahl (RPZ), die sich aus dem Produkt der Bewertungskriterien Bedeutung (B), Auftretenshäufigkeit (A) und Effektivität der Maßnahme (E) zusammensetzt. Auf Grundlage von Ergebnissen der RPZ können in Ergänzung zur derzeitigen Zustandsnote Instandsetzungsmaßnahmen priorisiert werden. Die FMEA-Methodik wird beispielhaft auf die Überbauten von zwei Stahlbetonbrücken der WSV angewendet, welches auf einen höheren Instandsetzungsbedarf der Brücke „Schachtschleuse“ führt. Die Bewertung der Kriterien (B, A und E) wurde durch Erfahrungs- und Expertenwissen unterstützt. Aus diesem Grund können sie mit Unsicherheiten behaftet sein, die berücksichtigt werden müssen. Darüber hinaus müssen auch die Schwächen der FMEA berücksichtigt werden, wie die relative Bedeutung der Risikofaktoren und das Fehlen eines mathematischen Hintergrundes für die Formulierung der RPZ als Produkt von B, A und E. Daher besteht die zukünftige Forschung darin, Unsicherheitstheorien (Fuzzy-Set-Theorie) [13] und Methoden der multikriteriellen Entscheidungsfindung anzuwenden, um die Aussagefähigkeit der FMEA-Ergebnisse zu steigern [8]. 7. Literatur [1] Westendarp, Andreas; Becker, Holger; Bödefeld, Jörg; Fleischer, Helmut; Kunz, Claus; Maisner, Matthias et al. (2015): Erhaltung und Instandsetzung von massiven Verkehrswasserbauwerken. In: Frank Fingerloos und Johann-Dietrich Wörner (Hg.): Beton-Kalender 2015 Schwerpunkte. Bauen im Bestand Brücken. 5th ed. Hoboken: Wiley (Beton-Kalender (VCH) *), S. 186-246. [2] Panenka, Andreas; Nyobeu, François (2018a): Condition assessment based on results of qualitative risk analyses. In: Robby Caspeele, Luc Taerwe und Dan M. Frangopol (Hg.): Life Cycle Analysis and Assessment in Civil Engineering. Proceedings of the Sixth International Symposium on Life-Cycle Civil Engineering (IALCCE 2018), 28-31 October 2018, Ghent, Belgium. Milton: Chapman and Hall/ CRC (Life-Cycle of Civil Engineering Systems Ser, v.5), S. 3053-3060. [3] Panenka, Andreas; Nyobeu, François (2018b): Maintaining an Aging Infrastructure based on a Fuzzy Risk Assessment Methodology. In: Kok- Kwang Phoon (Hg.): Proceedings of the 6th International Symposium on Reliability Engineering and Risk Management. Proceedings of the 6th International Symposium on Reliability Engineering and Risk Management. Singapore. Singapore: Research Publishing Services, S. 833-838. [4] DIN 1076: 1998-03: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen. [5] Bertsche, Bernd; Lechner, Gisbert (2004): Zuverlässigkeit im Fahrzeug- und Maschinenbau. Ermittlung von Bauteil- und System-Zuverlässigkeiten. 3. Auflage (VDI-Buch). Berlin Heidelberg: Springer- Verlag. [6] DIN EN 60812: 2006: Analysetechniken für die Funktionsfähigkeit von Systemen - Verfahren für die Fehlzustandsart- und -auswirkungsanalyse (FMEA) (IEC 60812: 2006) Deutsche Fassung EN 60812: 2006. [7] Paciarotti, Claudia; Mazzuto, Giovanni; D’Ettorre, Davide (2014): A revised FMEA application to the quality control management. In: Int J Qual & Reliability Mgmt 31 (7), S. 788-810. DOI: 10.1108/ IJQRM-02-2013-0028. [8] Liu, Hu-Chen (2016): FMEA using uncertainty theories and MCDM methods. Singapore: Springer Science+Business Media. [9] DIN EN 1992-1-1: 2011-01: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau; Deutsche Fassung EN 1992-1-1: 2004 + AC: 2010. [10] BMVI (2017): Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten (RI-ERH-ING). Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 (RI-EBW-PRÜF). [11] Peters, Malte L.; Zelewski, Stephan (2002): Analytical Hierarchy Process (AHP) - dargestellt am 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 277 Ein FMEA-Ansatz zur besseren Auswertung von Inspektionsergebnissen Beispiel der Auswahl von Projektmanagement- Software zum Multiprojektmanagement. Universität Essen, Fachbereich 5: Wirtschaftswissenschaften. Essen. [12] Schnellenbach-Held, Martina; Peeters, Michael; Miedzinski, Gregor (2015): Intelligente Brücke - Schädigungsrelevante Einwirkungen und Schädigungspotenziale von Brückenbauwerken aus Beton. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt); Wirtschaftsverlag N.W. Verlag für Neue Wissenschaft. Bremen (Berichte der Bundesanstalt für Strassenwesen - Brücken- und Ingenieurbau (B)). [13] Bowles, John, B.; Peláez, Colón, E. (1995): Application of fuzzy logic to reliability engineering. In: Proceedings of the IEEE, March 1995 83 (3), S. 435-449. Instandsetzung 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 281 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg Gewölbe und Unterbauten - Planung und erfolgreiche Instandsetzung - Dr.-Ing. Johannes Bach BACH + BACH Ingenieure, Planer / Pretzien Dipl.-Wirtsch.-Ing. M. Eng. Felix Bach BACH + BACH Ingenieure, Planer / Pretzien Dipl.-Ing. Jan Rassek w+s bau-instandsetzung gmbh / Kassel Max Franksmann, B. Eng. w+s bau-instandsetzung gmbh / Kassel Steckbrief Hauptmaßnahme: Ausführung: Juni 2016 - Dezember 2020 AG: Landeshauptstadt Magdeburg Der Oberbürgermeister 66 Tiefbauamt 39090 Magdeburg Planung: BACH + BACH Ingenieure, Planer Große Sorge 3 39217 Pretzien Ausführung: w+s bau-instandsetzung gmbh Crumbacher Straße 23-25 34277 Fuldabrück-Berghausen 3 Kassel Zusammenfassung Die Anna-Ebert-Brücke über die Alte Elbe wurde am 10. Juni 1882 nach nur zwei Jahren Bauzeit in Betrieb genommen. Nach 138 Jahren erfüllt sie noch immer ihre wesentliche Funktion. Dies ist vornehmlich ihrer grundsoliden Konstruktion und der damals erfolgten, sorgfältigen Bauausführung zu verdanken, wobei die verkehrlichen Anforderungen stark zugenommen haben, in zwei Kriegen wesentliche Bauteile der Brücke beschädigt wurden, die Unterhaltung vernachlässigt wurde und immer wiederkehrender Hochwässer der Elbe zu Schäden führten. Das Jahrhunderthochwasser der Elbe im Juni 2013 hat die vorgeschädigte alte Brücke mit einem bisher noch nie dagewesenen Höchstwasserstand bis knapp unter die Scheitel der Gewölbebögen schwer getroffen und in der Folge zu einem kritischen Bauwerkszustand geführt. Nach Auswertung der Sonderprüfung im Jahr 2015 musste als Folge der vorgefundenen Schäden als Zustandsnote eine 4,0 vergeben werden. Sofortmaßnahmen zur Reduzierung der verkehrlichen Belastung waren umgehend umzusetzen. Auf Basis umfangreicher Voruntersuchungen und Probeinstandsetzungen, die 2015 an den unterschiedlichen Bauteilen anliefen, konnte eine in zwei Bauphasen gegliederte Instandsetzung geplant werden. Das darin definierte Instandsetzungsziel beinhaltet unter anderem die Wiederherstellung des beschädigten Klinkermauerwerks der Gewölbebögen mittels Rasterinjektion und die Querverspannung der Gewölbebögen. Die Bedeutung des denkmalgeschützten Bauwerks erforderte auch die Erfüllung sehr umfangreicher denkmalpflegerischer Aufgaben, welche in die Instandsetzungsplanung und -ausführung zu integrieren waren. Aufgrund der verkehrlichen Bedeutung für die Landeshauptstadt Magdeburg waren sämtliche Arbeiten unter vollem Verkehr auszuführen. Aktuell befindet sich die Instandsetzung in der zweiten Bauphase, noch in der Umsetzung. Die Fertigstellung ist für Dezember 2020 avisiert. Ein wichtiger Meilenstein wurde jedoch bereits im Dezember 2019 mit dem Abschluss der „Statischen Sicherung der 11 Gewölbebögen“ erreicht. 282 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg Abb. 1: Luftaufnahme Anna-Ebert-Brücke von Südwesten 1. Historie und Verkehrsbedeutung Zur Brückeneinweihung am 10. Juni 1882 war die Anna-Ebert-Brücke, damals noch Lange-Brücke genannt, reich verziert. Den seitlichen Abschluss bildete eine durchbrochene Sandstein-Balustrade mit Granitabdeckung. Über den Gruppenpfeilern befanden sich verzierte, ca. 7 m hohe, Obelisken. Als Brückenwächter dienten ursprünglich vier überlebensgroße Löwenskulpturen aus hellem Kalkstein, die auf Postamenten über den beiden Widerlagervorköpfen thronten. Die verbliebenen Pilaster und Gewölbeschlusssteine sind mit stark plastischen Reliefs, die Wappen, Tierkreiszeichen sowie Köpfe von Göttern und Fabelwesen zeigen, verziert. Deren Entwürfe sind auf die Bildhauer Emil Hundrieser und Ernst Habs zurückzuführen. Die Anna-Ebert-Brücke steht unter Denkmalschutz und gilt, u. a. wegen der zuvor beschriebenen reichlichen Verzierungen, als größtes und bedeutendstes wilheminisches Bauwerk ihrer Art in Sachsen-Anhalt [3]. Die Brückenzier ist heute nur noch zum Teil vorhanden, teilweise stark beschädigt und musste im Rahmen der beschriebenen Baumaßnahme gesichert bzw. auch an vielen Stellen rekonstruiert werden. Die Balustrade wurde dem Verfall preisgegeben und in den 1960´er Jahren durch eine geschlossene Mauer ersetzt, an deren Stelle wiederum in den 1970er Jahren ein schmuckloses Füllstabgeländer gebaut wurde. Dabei erfolgte die Entsorgung der Überreste der Balustrade, der seitlichen Konsolverbreiterungen der Gehbahnen, aber auch von Obelisken, Wappensteinen und weiteren Elementen der Bauzier durch Verkippen in die Alte Elbe. Schäden durch Kriegseinwirkungen betreffen vornehmlich die Untersichten und Ansichten der Gewölbebogen. Wahrscheinlich hat die Druckwelle einer neben der Brücke explodierenden Luftmine zu einem Teilversatz des Brückenpfeilers 1 geführt hat. Historisch bedeutend und später auch eine Erschwernis für das hier beschriebene Projekt, ist der Zusammenhang der Brückenerrichtung mit der Magdeburger Festung. Wesentliche Hochwasserschäden aus der Vergangenheit vor 2013 sind nicht bekannt. Die Anna-Ebert-Brücke ist in der Landeshauptstadt Magdeburg von hoher verkehrlicher Bedeutung, da sie als Bestandteil von nur zwei verfügbaren Brückenzügen die Elbquerung ermöglicht. Täglich wird die Brücke durch ca. 25.000 PKW und in Spitzenzeiten durch zusätzlich 360 Straßenbahnen befahren. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 283 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg Abb. 2: Lage der Anna-Ebert-Brücke (Quelle: google earth) 2. Konstruktion und Bauweise Mit einer Gesamtlänge von ca. 194 m zwischen den Widerlagern überspannt die Anna-Ebert-Brücke die Alte Elbe, einen durch die Insel Rothehorn im Zentrum von Magdeburg gebildeten Seitenarm der Stromelbe. Das Tragwerk der Brücke bilden 11 aus Klinkern gemauerte, flache Kreissegmentbögen, für die ca. 750.000 Klinker vermauert worden sind. Die Bögen stützen sich auf den beiden Widerlagern, zwei mächtigen Gruppenpfeilern sowie acht Zwischenpfeilern ab. Widerlager und Pfeiler bestehen außen aus feinfugig versetzten und vergossenen Werksteinquadern aus Sächsischem Sandstein und im Kern aus einem Konglomerat aus gebrochenem, hochfestem Kalkstein und Mörtel. Kämpfersteine und Stirnringe bestehen aus mächtigen, bossierten Sandsteinquadern. Vor und hinter den Pfeilern sind massige Vorköpfe, aus großen, abgerundeten Sandsteinblöcken bestehend, angeordnet. Über die Gründung der Brücke lagen zum Planungszeitpunkt nur unzureichende Angaben vor. In historischen Quellen wird eine Gründung direkt auf dem Fels beschrieben, der ca. 2 m bis 7,5 m unter dem Flussgrund ansteht und stark verspringt [2]. Im Strombereich der Alten Elbe sind an einigen Pfeilern die Überreste von Spundkästen aus Eichenpfählen vorhanden. Der Aufbau der zwei Pfeilertypen ist Abb. 3 zu entnehmen. Abb. 3: Teilschnitte durch die Pfeiler der AEB Die zwischen den Geländern 11,6 m breite Geh- und Fahrbahn ist auf einem, den Raum oberhalb der zwischen 0,9 m und 1,3 m dicken Gewölbebögen vollständig ausgleichenden Füllmauerwerk aus aufgelagert. Dort sind schätzungsweise weitere 750.000 Ziegel verbaut worden. Eine 19 cm bis 27 cm dicke, bewehrte Lastverteilungsplatte liegt seit Mitte der 1990er Jahre zwischen Füllmauerwerk und Fahrbahnaufbau. Ein Planauszug der nördlichen Brückenansicht ist in der Abb. 4 auf der folgenden Seite dargestellt. Abb. 4: Nordansicht der Brücke 3. Untersuchungen Die Durchführung zahlreicher Untersuchungen ist aus Bestandsunterlagen der Brücke in ihren annährend 140 Betriebsjahren mehr oder meist weniger detailliert überliefert. Eine akribische Durchsicht dieser Unterlagen war Bestandteil der Planung. Hier aufgeführte Untersuchungen beschränken sich auf die Zeit ab 1990 und den Zeitraum der beschriebenen Planung. 3.1 Vorangegangene Untersuchungen Wahrscheinlich bedingt durch die schon in den 1990er Jahren vorhandene hohe Verkehrsbelastung, gab es frühzeitig signifikante Schäden am Bauwerk. Auch die Schä- 284 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg den durch Kriegseinwirkungen wurden nicht vollständig beseitigt. Die Erkenntnisse mehrerer statischer Nachrechnungen des Brückentragwerks aus den Jahren 1990, 1995 und 2014 dienten für die Planungsarbeiten als erste rechnerische Grundlage. Bemerkenswert dabei war zum einen die Begleitung der Nachrechnungen 1995 und 2014 durch aufwändige Belastungsmessungen und zum anderen die bis nach 1995 noch immer gegebene hohe Lasteinstufung (Brückenklasse 30/ 30) des Bauwerks. Zu diesem Zeitpunkt war die Ertüchtigung des Überbaus mit einer Lastverteilungsplatte und einer Instandsetzung der Brückenabdichtung kurz vor der Umsetzung. Erst mit der messwertgestützten Nachrechnung 2014 wird dokumentiert, dass eine Einstufung des Bauwerks nach Eurocode nicht möglich ist. Zunehmend wurden Schäden verzeichnet, mit denen eine Verschlechterung der Zustandsnote von 2,7 auf 3,8 im Rahmen der Zustandskontrolle im Zeitraum zwischen 1999 und 2014 verbunden war. Als Maßnahme nach der Hauptprüfung 2013 wurden bereits verkehrliche Einschränkungen für den Straßenbahnverkehr veranlasst und eine Verkürzung des Prüfintervalls auf zwei Jahre empfohlen [7]. Als wesentliches, wiederkehrendes Schadensbild werden Längsrisse in den Gewölben verzeichnet. Rissursachen und -entwicklung wurden jedoch bis dahin nicht detailliert dokumentiert. Ein Rissmonitoring beschränkte sich auf die an sich unkritischen Stirnringrisse. Ergebnisse von Baugrund- und Gründungsuntersuchungen, bei unklarer Gründungssituation und bekannt komplizierten Baugrundverhältnissen im Bereich der Alten-Elbe, lagen, über kurze textliche Erwähnungen hinausgehend, nicht vor. Bis auf die Flügelwände beider Widerlager, waren augenscheinlich jedoch auch keine Gründungsschäden vorhanden. Die Dokumentation eines Tauchereinsatzes im Zusammenhang mit der Hauptprüfung 2013, zeigt teilweise fehlenden Kolkschutz und ausgewaschene Fugen der Strompfeilern. Erste Erkenntnisse zum Bauwerksaufbau konnten mehrfache Entnahmen von Probekörpern zu unterschiedlichen Prüfungszeitpunkten aus dem Sandstein der Pfeiler und der Stirnringe und aus dem Mauerwerk der Gewölbe und der Aufmauerung im Zuge der vorgenannten Untersuchungen liefern. Wesentlich ist die Erkenntnis der starken Durchfeuchtung der Gewölbebögen, die auch nach der eigentlichen Instandsetzung der Brückenabdichtung 1995 in Prüfberichten adressiert wird. Weiterhin wurden die Materialeigenschaft von Klinkern und Natursteinen untersucht, wobei bei den Klinkern die mittlere Druckfestigkeit 1990 bei ca. 40 N/ mm² und 2009 bei ca. 32 N/ mm² liegt. Von den verwendeten Mörteln wurden nur Festigkeiten im Bereich der Gewölbe, nicht aber die chemische Zusammensetzung, untersucht. 3.2 Ergänzende Untersuchungen Aus dem Vorkapitel ist zusammenfassend festzustellen, dass mehrfach umfangreiche Untersuchungen durchgeführt wurden, ohne dass, vom Ertüchtigungsversuch des Überbaus 1995 abgesehen, die Erkenntnisse zielgerichtet in Instandsetzungsmaßnahmen umgesetzt werden konnten. Als Ergebnis war eine stetige Verschlechterung des Bauwerkszustandes über die Nutzungsdauer festzustellen. Im Rahmen einer nach dem Jahrhunderthochwasser 2014 durchgeführten Sonderprüfung, ging eine erste Kostenschätzung von ca. 3,5 Mio. € für die statische Ertüchtigung der Anna-Ebert-Brücke aus. Aufgrund der weiteren Zustandsverschlechterung als Folge des Hochwassers 2013 wurde 2015 eine weitere Prüfung aus besonderem Anlass von der Landeshauptstadt beauftragt. Dabei wurde erstmals ein detailliertes Rissaufmaß und fotogrammetrisch gestütztes Schadenskataster aller Gewölbebögen erarbeitet. In Abbildung 5 ist dies beispielhaft für den am stärksten geschädigten Bogen 4 (BG 4) dargestellt. Die aufgenommenen Risse sind in Magenta hervorgehoben. Abb. 5: Riss- und Schadensaufmaß am Beispiel des BG 4 Den ergänzenden Untersuchungen sind weiterhin alle Arbeiten zugeordnet, die im Zusammenhang mit der Instandsetzungsplanung zur Feststellung differenzierter Schadensbilder und zum Beibringen der für die Instandsetzung notwendigen Information, z. B. zur tiefergehenden Erkundung vom Aufbau der Brücke, ausgeführt wurden. Auch die Grundlagen zur Erstellung von Bestands- und Planungszeichnungen mit ausreichendem Detaillierungsgrad waren praktisch nicht vorhanden. In Ergänzung zur Ingenieurvermessung wurde daher zur Zeichnungserstellung eine Fotogrammmetrie der Gewölbe und Unterbauten beauftragt. Das war auch erforderlich, um den Aufwand zur Zeichnungserstellung bei der Bauteilkomplexität unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu begrenzen. Auch innovative Verfahren, wie z. B. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 285 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg die Infrarot-Thermografie kam zum Einsatz, um Hohllagen im Mauerwerk aufzuspüren. Weitergehende materialtechnische Laboruntersuchungen mit erneuter Entnahme von Probekörpern aus Gewölben, Stirnmauerwerk und Pfeilern wurden beauftragt. Positiv hervorzuheben ist die Herangehensweise der Landeshauptstadt Magdeburg, die für umfangreiche Voruntersuchungen die notwendigen Mittel bei vereinfachten Vergabemodalitäten bereitgestellt hat. In dieser Phase wurden vorausschauend bereits die Denkmalbehörden eingebunden sowie die Erarbeitung eines umfassenden restauratorischen Gutachtens veranlasst. Hier auszugsweise zu nennende Untersuchungen sind: - Probeinjektion im Gewölbebogen 2 - Probefugeninstandsetzung des Klinker- und des Natursteinmauerwerks der Unterbauten - Reinigungsverfahren auf Natur- und Kunststein - Materialuntersuchungen von Restaurierungsmaterialien mit Unterstützung eines hoch spezialisierten und sehr engagierten Mörtelherstellers - Chemische Laboruntersuchungen zur Belastung des Mauerwerks und zu Materialzusammensetzungen Da keinerlei Zeichen für Gründungsschäden festzustellen waren, wurden keine derartigen Untersuchungen durchgeführt, was sich in der Ausführung aus problematisch herausgestellt hat. 3.3 Untersuchungsergebnisse Als am stärksten geschädigt galt bis zur Nachrechnung von 2104 der Bogen 8, der durch Bombensplittereinwirkung großflächige Oberflächenschäden aufwies. Aus dem detaillierten Rissaufmaß ging jedoch hervor, dass mittlerweile der Zustand vom BG 4 (s. Abb. 5) deutlich schlechter zu bewerten war. Mehrere parallele Längsrisse, teilweise über die komplette Gewölbelänge, unterteilten den Bogen in einzelne Lamellen mit teilweise sehr geringen Breiten unter 2,5 m. Auf der Basis des Rissaufmaßes wurde eine Nachrechnung vorgenommen. Einzelne Gewölbebögen der Brücke waren danach für die bereits reduzierte Verkehrsbelastung nicht mehr nachweisbar. Schwerpunkte der Instandsetzung waren damit zum einen die Ertüchtigung des Gewölbemauerwerks und zum anderen die Sicherung der notwendigen Querverteilung der Lasten in den Gewölbebögen. Auf Grund der vorgefundenen Schäden und des kritischen Ausmaßes im BG 4 wurde, als weitere Sondermaßnahme ein teilautomatisiertes Bauwerksmonitoring mittels Extensiometern geplant und installiert. Übliche Maßnahmen, wie ein nochmals verkürztes Prüfintervall oder eine vermessungstechnische Lagekontrolle, waren aufgrund der baulichen Gegebenheiten sowie des möglichen Versagensmechanismus nicht umsetzbar. Aus der Probeinjektion im Gewölbe 2 konnten wertvolle Informationen gewonnen werden. Die grundsätzliche Schwierigkeit bestand darin, ein Injektionsmaterial mit einer an die Mauerwerksfestigkeit angepasster Festigkeit und guten Fließeigenschaften zu finden. Ein in der Denkmalpflege eingesetztes Standardmaterial erwies sich als ungeeignet, da die Fließeigenschaften für die Gegebenheiten unzureichend waren. Im handwerklich hervorragend ausgeführten Sandsteinmauerwerk entsprach bspw. die Injektionsmenge einem verfüllten Hohlraumgehalt von ca. 1,2 Vol. % und im Klinkermauerwerk ca. 0,7 Vol. % bei maximalen Injektionsmengen bis zu 15 l/ Packer. Das ursprünglich angedachte Injektionsraster musste von 4 auf 8 Packer je/ m² erhöht werden. Der desolate Zustand der äußeren Mauerwerksschale des Klinkermauerwerks führte zu der Erkenntnis, dass die Fugeninstandsetzung der Injektion zwingend vorlaufen muss, da sonst ein praktisch nicht umsetzbarer Verdämmungsumfang entsteht. Anhand von in den Probeinstandsetzungen der Fugen und des Klinker- und Natursteinmauerwerks angelegten Musterflächen konnten Materialien, deren Farbigkeit und Ausführungsdetails zur Einarbeitung in das spätere Leistungsverzeichnis der Instandsetzung am denkmalgeschmützten Objekt gemeinsam mit der Restauratorin und der Denkmalpflege festgelegt werden. Da Gewölbe und Unterbauten auch ausgeprägte, großflächige Verkrustungen, Aussinterungen und Graffiti aufwiesen, konnten die notwendigen Reinigungsverfahren festgelegt werden. Chemische Reiniger erwiesen sich auf dem Sandstein als ungeeignet. Abrasive Reinigungsverfahren, z. B. Hochdruck-Heißwasserwasserwaschen mit bis zu 500 bar, führten zu hohen Schädigungen bei sämtlichen Materialien an der Brücke, daher werden Restverschmutzungen zugunsten schonender Reinigungsverfahren in Kauf genommen. Als Ergebnis der Materialuntersuchungen konnten aus den Bemusterungen Fugen- und Antragungsmörtel festgelegt werden, die auch in die Ausschreibung einfließen konnten. Wie zu erwarten war, liegt infolge des jahrzehntelangen Einsatzes von Tausalzen, in Verbindungen mit der mangelhaften Abdichtung, eine sehr hohe Salzbelastung vor. In Laboruntersuchungen der entnommenen Proben aus dem Klinkermauerwerk konnten Chloridgehalte bis zu 0,54 M % nachgewiesen werden. Im Vergleich dazu zeigt der Sandstein, außer an den exponierten Pfeilervorköpfen, eine deutlich geringere Belastung. Dies war bei der Materialauswahl, z. B. durch eine geeignete Mörtelauswahl zu berücksichtigen. Die in Teilbereichen ermittelten Feuchtekonzentrationen in den Unterbauten lassen auf einen Durchfeuchtungsgrad von bis zu 100 % schließen. Auch unter Berücksichtigung früherer Prüfbemerkungen ist davon auszugehen, dass dieser Zustand schon lange andauert. Bindemittelanalysen waren ebenfalls für die Auswahl von geeigneten Injektionsmaterialien und Mörteln unerlässlich. Bei der Errichtung wurden Romankalk als Fugen- und Vergussmörtel der Sandsteine und hydrauli- 286 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg scher Kalk sowie Kalk-Zementmörtel für die Klinkergewölbe eingesetzt. In Teilbereichen nachgewiesene Gipsanteile werden in den labortechnischen Untersuchungen [8] auf Einwirkungen von Schwefeldioxid aus der Luft zurückgeführt. Da in der Vergangenheit bereits umfangreiche Bohrkernentnahmen- und Untersuchungen stattgefunden haben (vgl. 3.1), wurden aus den Untersuchungen gezielt fehlende Informationen gewonnen. So konnten Druckfestigkeiten des Konglomerats in den Pfeilerkernen im Mittel von 78,4 N/ mm² und 67,3 N/ mm² bei augenscheinlich sehr homogener Gefügezusammensetzung festgestellt werden. Unter Berücksichtigung der Bedeutung des Denkmals und zur Vervollständigung der Voruntersuchungen, wurden durch die restauratorische Bestandserfassung und die Erstellung eines umfangreichen restauratorischen Gutachtens, die benötigten Arbeitsanweisungen für sämtliche Bauteile zur Verfügung gestellt. 4. Instandsetzungskonzept Die einleitend geschilderte verkehrliche Bedeutung und die Komplexität der Instandsetzungsaufgabe waren maßgeblich in der Entwicklung des Instandsetzungskonzepts. Durch den zwingend aufrecht zu erhaltenden Verkehr war es nicht möglich, den bei einer derartigen Instandsetzung erforderlichen ersten Schritt, das Abdichten des Bauwerks von oben, vorzunehmen. Es war somit klar, dass auch nach der statischen Sicherung weiterhin Wasser von der Oberseite in die Gewölbe und Unterbauten gelangen wird und diese weiter schädigt. Als weitere Prämisse galt die Ausführung der Maßnahme in zwei Bauphasen. Dies ermöglichte das Planen einer örtlich begrenzten Notsicherung in Bauphase 1 zur Beseitigung der unmittelbaren Gefahr eines Bauwerksversagens. Außerdem bot die Aufteilung auch die Möglichkeit, gewonnene Erkenntnisse für die Umsetzung der Hauptleistung in Bauphase 2 zu nutzen. Weiterhin war bei weiterer Zunahme der Schäden im Bogen 4 eine Vollsperrung der Brücke nicht mehr auszuschließen, wodurch eine zeitliche Vorspannung bestand. 4.1 Instandsetzungsziele und Nicht-Ziele Aus den oben genannten Prämissen lassen sich folgende, hier nur stichpunktartig gefasste, wichtige Instandsetzungsziele ableiten: - Beseitigung der Schäden am und im Klinkermauerwerk der Gewölbebögen - Homogenisierung des gemauerten Tragwerks durch Rasterinjektion - Wiederherstellen der Quertragwirkung der Gewölbebögen durch Einbau von leicht vorgespannten Horizontalankern - Austausch geschädigter Sandsteine von Stirnringen und Pfeilern - Vollständige Erneuerung der Verfugung des Natursteinmauerwerks - Beseitigung von Kriegsschäden - Erneuerung der Fahrdrahtaufhängung der Straßenbahn und der Brückenbeleuchtung - Denkmalschutzgerechte Ausführung der Leistung und weitgehende Beschränkung auf den Einsatz mineralischer Materialien - Schnittstellentauglichkeit aller Leistungen zum zukünftigen, zweiten Bauabschnitt - Notsicherung als Behelfsbrücke mit dem Hauptziel der weiteren verkehrlichen Nutzung bis zur Fertigstellung des neuen Strombrückenzugs - Ausführung unter strengen Naturschutzauflagen - Winterbau zur Einhaltung der zeitlichen Vorgaben - Ausführung unter Verkehr mit nur minimalen nächtlichen Sperrpausen Wichtig war es auch in der Planung, auf Grund der zuvor beschriebenen Randbedingungen, u. a. folgende Punkte für die anstehende Maßnahme auszuschließen: - Abdichtung des Brückenüberbaus - Instandsetzung der Entwässerung des Überbaus - Wiederherstellung der ursprünglichen Breite des Überbaus - Vollständige denkmalschutzgerechte Wiederherstellung 5. Vergabe Mit dem geschilderten Leistungsumfang und den für die Maßnahme berechneten Kosten musste das Bauvorhaben jeweils europaweit ausgeschrieben werden. Die Komplexität der Arbeiten zeigt sich u. a. in einem Leistungsverzeichnis mit mehr als 500 Einzelpositionen. Aus Sicht der Planer ist die aktuelle Vergabepraxis nach EU-Recht für ein solches Vorhaben mit einem derartigen Anspruch an die Ausführungsqualität und die denkmalpflegerischen Anforderungen, nicht zielführend, da der damit einhergehende Preiswettbewerb nicht zwingend zu der notwendigen Ausführungsqualität führt. Die Verfahrensführung erfolgte durch die Zentrale Vergabestelle der Landeshauptstadt Magdeburg. Im Rahmen eines nichtoffenen Verfahrens mit öffentlichem Teilnahmewettbewerb wurden in Bauphase 1 aus einem Teilnehmerkreis von 11 Firmen in einem ersten Schritt drei geeignete Bieter ermittelt, welche nach Prüfung und Vervollständigung der Bewerbungsunterlagen dann zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert wurden. Für die Vergabe der Bauphase 2 musste das Verfahren trotz nachgewiesener Leistungsfähigkeit der Ausführungsbetriebe und der bereits gewonnenen Erfahrungen erneut durchgeführt werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 287 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg Eine besondere Schwierigkeit bestand darin, die sehr unterschiedlichen Hauptleistungen - Spezialinstandsetzung und Restaurierung mit hohem denkmalpflegerischem Anspruch in einem Projekt zu bündeln. Die zuvor erwähnte Ausführung in zwei Bauphasen war mit dem Risiko von zwei Vergaben an unterschiedliche Ausführungsbetriebe verbunden, eröffnet aber auch die Möglichkeit gewonnene Erfahrung in das Hauptprojekt einfließen zu lassen und die Massen- und Kostensicherheit zu erhöhen. 6. Ausführung der Instandsetzungsmaßnahme Zunächst muss an dieser Stelle auf die urbane Lage der Brücke verwiesen werden. Wie bereits beschrieben, befindet sich das Bauwerk in enger räumlicher Bebauung (vergleiche Abb. 2). Des Weiteren grenzen an die Anna- Ebert-Brücke FFH-Gebiete, welche die Flächenverfügbarkeit für eine Baustelleneinrichtung ebenfalls beeinträchtigen. Die zwei Weltkriege beschädigten nicht nur die Brücke sondern sie führten auch dazu, dass im Rahmen der Ausführung erhebliche Kampfmittelsondierungen durchzuführen waren. Diese beinhalteten sowohl Flächenals auch Tiefensondierungen für die Gründung umfangreicher Baubehelfe. Gemäß der Ausschreibung beinhaltet das Baustellenlogistikkonzept eine zentrale BE-Fläche auf der Westseite, eine kleinere BE-Fläche auf der Ostseite, zwei Turmdrehkrane und einen Spundwandkasten inkl. Fahrdämme. Letzterer Kasten sollte eine Trockenlegung der Pfeilerschäfte ermöglichen. Dies wird in der nachfolgenden Abbildung 6 dargestellt. Abb. 6: Schnitt d. Baubehelfe (Quelle: Planungsbüro BACH+BACH) Das Gerüstbaukonzept sah vor, die Gewölbebögen mittels Standgerüst im Schutz des Spundwandkastens einzurüsten. Lediglich in der Hauptströmungsachse der „Alten Elbe“ war ein Hängegerüst geplant. Hierbei sollten immer zwei nebeneinanderliegende Gewölbe eingerüstet und bearbeitet werden. Ein drittes Gerüst sollte für einen entsprechenden Vorlauf als „Springer“ fungieren, sodass auch nach Abschluss eines Gewölbes ein zweites direkt zur Bearbeitung zur Verfügung stehen sollte. 6.1 Vorbereitende Arbeiten Gerüstbau, Kampfmittelsondierung Im Zuge der vorbereitenden Arbeiten sind zunächst die bereitgestellten Flächen des AG´s eingemessen und gegenüber der FFH-Gebiete mittels eines Schutzzaunes abgegrenzt worden. Die außerhalb des Gewässers liegenden BE-Flächen konnten via Flächensondierung von Kampfmitteln befreit werden. Die Baubehelfe im Gewässer wurden unter Aufsicht von Feuerwerkern im Rahmen der Kampfmittelsondierung begleitet. Die Gründungsebenen der Turmdrehkrane und der Spundwände wurden im Vorfeld über Tiefensondierungen auf Kampfmittel überprüft. Bis auf zwei Verdachtsfälle, Munition und kleinerer Granaten wurden glücklicherweise keine größeren Objekte vorgefunden. Abb. 7: Hängegerüst Bogen 8 Nachdem die Dämme in die „Alte Elbe“ eingebracht wurden, sollte mit der Errichtung des Spundwandkastens begonnen werden. Es zeigte sich jedoch nach kurzer Bearbeitungszeit, dass der anstehende Felshorizont deutlich höher angetroffen wurde. Infolgedessen musste die Ausführung der geplanten Leistung unterbrochen werden. Nach weiteren Untersuchungen und in Abstimmung mit allen Beteiligten musste festgestellt werden, dass die Erstellung einer trocknenden Baugrube wirtschaftlich nicht darstellbar ist. Aus diesem Grund musste nachträglich der gesamte Bauablauf sowohl technisch als auch organisatorisch grundlegend überarbeitet werden. Die Gerüste konnten im Bereich der Ufer als Standgerüst aufgebaut werden. Im Bereich des Gewässers wurden die Gerüste, wie in Abbildung 7 dargestellt, vollständig als Hängegerüst ausgebildet. Aufgrund der technischen Änderung der Gerüste folgte eine organisatorische Änderung des Bauablaufes. Dies war notwendig, da die Last der Hängegerüste teilweise über die Pfeiler abgetragen wurde. Aus diesem Zusammenhang konnten die Pfeiler nicht zeitgleich mit den Gewölben bearbeitet werden. Hieraus resultierte, dass die Bearbeitung der Pfeiler im Nachgang zu den Gewölben erfolgen musste. Die Scheibengerüste der Pfeiler 288 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg wurde auf kleinen Erweiterungen der beiden Dämme in Pfeilerachse aufgestellt. Sämtliche Arbeiten wurden in enger Abstimmung mit dem Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt abgestimmt. Das Ergebnis der Abstimmung wurde in einem Gerüstrückbaukonzept festgehalten. In diesem Konzept wurden wasserstandsbezogene Arbeitsanweisungen hinterlegt. 6.2 Statische Sicherung Im Wesentlichen besteht die statische Sicherung der Anna-Ebert-Brücke aus insgesamt drei Arbeitsschritten, wobei der erste nur indirekt zur statischen Sicherung beiträgt. Es handelt sich hierbei um die Widerherstellung des Klinkermauerwerks der Gewölbeuntersichten. Dieser Arbeitsschritt ist aufgrund des erheblichen Verdämmungsumfanges aus wirtschaftlicher Sicht zwingend notwendig. Der zweite Schritt der statischen Sicherung beinhaltet die Wiederherstellung eines homogenisierten Tragwerkes mittels Rasterinjektion. Diese wurde sowohl in den Untersichten der Gewölbe als auch in den Pfeilern und den Widerlagern der Brücke ausgeführt. Der letzte Schritt der statischen Sicherung umfasst die Ertüchtigung der Quertragwirkung der Gewölbebögen durch den Einbau von vorgespannten Horizontalankern. 6.2.1 Rasterinjektion Bei der Ausführung der Rasterinjektion kamen grundlegend zwei verschiedene Injektionsraster zur Anwendung. Im Bereich der Pfeiler wurden ca. vier Injektionspacker pro Quadratmeter eingebaut. Die eingebrachten Injektionsbohrungen wurden drehendschlagend bis auf eine Tiefe bis ca. 150 cm erstellt. Der Durchmesser betrug hierbei 18 mm. Die Injektion der Gewölbeunterseiten erfolgte, abweichend von der Probemaßnahme, über ca. zwölf Packer je Quadratmeter, wobei diese ebenfalls einen Durchmesser von 18 mm aufwiesen. Die Rasterverdichtung ist aufgrund eines deutlich besseren Injektionserfolges vorgenommen worden. Festgestellt wurde dies in der 1. Bauphase, durch anlegen weiterer Probeflächen. Die Tiefe der Injektionsbohrung im Gewölbe betrug jedoch lediglich 90 cm. Bei beiden Injektionsrastern wurden Schraubpacker verwendet (siehe Abbildung 8). Abb. 8: Injektionsraster Gewölbeuntersicht (Quelle: Ingenieurbüro Bruno Timme) Damit ein optimales Injektionsergebnis erzielt werden konnte, wurden die Injektionen vertikal aufsteigend ausgeführt. Dies bedeutet, dass die Pfeiler vom Sockel aufsteigend zum Kämpferbereich verpresst wurden. Die Gewölbe wurden jeweils mit zwei Injektionsanlagen ausgehend vom Kämpfer zum Gewölbescheitel verpresst. Gemäß Ausschreibungsunterlagen wurden druck- und mengengesteuerte Injektionsanlagen zum Einsatz gebracht. Für die Aufbereitung des Materials ist eine hochtourige Mischanlage eingesetzt worden. Durch Umpumpen in einen entsprechenden Pufferbehälter konnte durch konstante Rührgeschwindigkeit mit einem hohen Aufschlussgrad bis zu 11000 U/ min die Pumpbarkeit des Verpressgutes gewährleistet werden. Die Verwendung von Doppelplungerpumpen garantierte einen konstanten Verpressdruck und eine gleichbleibende Fördermenge bei beständigen Materialeigenschaften. Die Steuerungs- und Datenspeichereinheit sicherte die Nachvollziehbarkeit der Verpressung und ermöglichte eine Abrechnung der Injektionsarbeiten nach Verpressmenge und -zeit. Die automatische Verpressdrucküberwachung visualisierte fortlaufend die Momentanwerte, die über elektronische Druck- und Mengensensoren kontinuierlich erfasst wurden. Eingebracht wurde eine Suspension mit einem Bindemittel- Größtkorn von d95 < 40μm und einer Druckfestigkeit von ca. 15 N/ mm². Im Zuge der Verpressarbeiten wurden im Mittel je Gewölbe 14.300 ltr. Suspension verpresst. Dies stellt durchschnittlich ein Volumen von ca. 5,7 Litern pro Packer dar. Die Qualitätssicherung der Injektionsarbeiten erfolgte gemäß Ausschreibungsunterlagen. Diese umfassten umfangreiche grafische Auswertungen und Überwachungen der Injektionsdaten sowie Prüfungen am Bauwerk, am frischen und ausgehärteten Injektionsgut. In Abbildung 9 ist beispielhaft eine grafische Auswertung zu einem Gewölbebogen dargestellt. Es wurden alle Packer mit der aufgenommenen Menge in einer Grafik zusammengefasst. Nur auf diesem Weg ist, aufgrund der hohen Anzahl an Packern (ca. 2.300 Stück pro Gewölbe), eine nachvollziehbare Darstellung möglich. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 289 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg Abb. 9: Grafi sche Auswertung Die oben genannten Prüfungen am Bauwerk beinhalteten WD-Versuche und Bohrkernentnahmen. Die durchgeführten W/ D-Versuche dienten vor der Injektion zur Erfassung der Ausgangslage und nach der Injektion als Nachweis zur Erreichung des Injektionsziels. Die W/ D- Versuche der Ausgangslage wurden in den W/ D-Bohrungen gemessen, die Nachweise „Reduzierung der Wasserwegigkeiten“ werden mit Erreichen des vorgegebenen Lugeon-Wertes in den Kontrollbohrungen verifi ziert. Grundsätzlich wurden die Kontrollbohrungen erst nach ausreichender Erhärtung des Injektionsgutes der Gewölbebögen abgeteuft. Ein Großteil der Kontrollbohrungen wurden im späteren Verlauf zu Fledermausschlafplätzen ausgebaut. Eine visuelle Begutachtung des Injektionserfolgs war anhand der Bohrkerne der Horizontalanker möglich. Diese wiesen eine deutlich erkennbare Füllung der Klüfte und Wegigkeiten mit Zement auf. Die Dokumentation erfolgte mittels Kamerabefahrung. Die Prüfung des angemischten Injektionsguts während der Ausführung erfolgte durch eine permanente Eigenüberwachung der angemischten Suspensionen nach DWA Merkblatt 506 (Bestimmung der Rohdichte, Temperatur, Auslaufzeit Marshtrichter, Sedimentation, Fließgrenze und Viskosität). Zur Qualitätskontrolle des erhärteten Injektionsguts wurde die Bestimmung der Rohdichte, sowie der Druck- und Biegezugfestigkeit der Zementsuspension an hergestellten Prismen durchgeführt. 6.2.2 Einbau der Horizontalanker Im Zuge der Sanierungsarbeiten an der „Anna-Ebert- Brücke“ in Magdeburg war es notwendig, Spannanker in die Gewölbebögen einzubauen um diese zu sichern. Insgesamt wurden je Gewölbebogen zwölf Anker verbaut. Abb. 10: Lage d. Horizontalanker (Quelle: Planungsbüro BACH+BACH) Die Spannanker befi nden sich, wie in Abbildung 10 dargestellt, in der Gewölbeunterseite. Sie weisen einen Abstand von ca. 50 cm von der Unterkante der Gewölbebögen auf. Die Regelausführung beinhaltet einen „doppelten“ Ankerkopf, der zum Einen das eigentliche Gewölbe spannt und zum Anderen eine Sicherung der Stirnringe darstellt. Diese Ausführung wird in der folgenden Abbildung 11 dargestellt. Abb. 11: Detail des doppelten Ankerkopf (Quelle: Planungsbüro BACH+BACH) Für das Einbringen der Ankerbohrungen ist ein hydraulisches Bohrgerät verwendet worden. Die Bohrungen entstanden im Endlosbohrverfahren mit Diamantkopfbesatz. Das Spülwasser wurde dem Trinkwassernetz der Stadt Magdeburg entnommen. Der Spannvorgang erfolgte mittels zweier unterschiedlicher Hohlkolbenzylinder, da während der Ausführung festgestellt wurde, dass ein größerer Zylinder einen besseren Arbeitsablauf garantierte. Während des Spannvorganges sollte sichergestellt werden, dass keinerlei Krafteinleitungen für die Vorspannung über die Stirnringe erfolgt. Die Vorgehensweise an den Gewölben beinhaltete das Spannen der Anker vom Kämpferbereich in den 290 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg Gewölbebogenscheitel. Dies bedeutet, dass zunächst abwechselnd die Anker im Bereich der Kämpfer gespannt wurden und anschließend der jeweils nächste Anker in Richtung Gewölbescheitel. Grundlegend wird der Einbau der Horizontalanker in vier Arbeitsabläufe eingeteilt. Hierbei umfasst der Erste das Erstellen der Horizontalbohrungen für die Befestigung der Stirnringsteine, inklusive der händisch eingebrachten Nuten. Darauffolgend werden die Anker eingebaut und gespannt, wobei in diesem Fall die Vorspannkraft 215 kN betrug. Nachdem ein Gewölbe vollständig gespannt wurde, werden die Ankerkanäle (Hohlraum zwischen Horizontalanker und Bohrungswandung) verpresst. Der abschließende vierte Arbeitsgang umfasst das Befestigen der Stirnringe mittels Spritzbetonplombe. 6.3 Natursteinarbeiten und denkmalpflegerische Restauration Im Zuge der Notsicherung der Anna-Ebert-Brücke wurde neben der statischen Instandsetzung auch eine denkmalgerechte Restauration der Natur- und Kunststeine nötig. Hierbei umfasste der Arbeitsumfang neben der bereits erwähnten Instandsetzung der Brückenunterseiten auch die Instandsetzung der Pfeilerschäfte sowie der Gewölbebogenansichten. Im Bereich der Brückenunterseiten sind Kunststeine vorzufinden, welche als Klinkersteine ausgebildet sind. Hier wurden sowohl ein umfangreicher Steinersatz als auch Antragungen durchgeführt. Des Weiteren sind sämtliche Fugen erneuert worden. In den weiteren Bereichen der Brücke wurden ausschließlich Natursteine verbaut, für deren Restauration vorwiegend Antragungen, Formergänzungen sowie Vierungen verbaut wurden. Eine Besonderheit der Antragung und Formergänzung ist, dass die Antragungsbzw. Ergänzungsmasse vor der Verarbeitung dem Bauteil entsprechend eingefärbt wurde. Dieser außergewöhnliche Arbeitsschritt ist aufgrund der hohen Salzbelastung der Brücke notwendig. Die üblicherweise eingesetzten Retuschen würden in kurzer Zeit durch Salzausblühungen wieder zerstört werden. Die hohe Salzbelastung der Brücke führte weiterhin dazu, dass die eingesetzten Vierungen und Ersatzsteine zur Restauration einen sehr hohen Qualitätsstandard entsprechen müssen. Neben den üblicherweise bekannten Maßnahmen zur denkmalpflegerischen Widerherstellung werden außerdem bis heute umfangreiche Arbeiten an der Brückenzier durchgeführt. Diese umfassen die Restauration und Wiederherstellung der Wappen und Schlusssteine sowie die Aufarbeitung der Pfeilervorkopfabdeckung. 6.4 Sonstige Arbeiten Im Rahmen der statischen Sicherung wurde zudem die Fahrdrahtanlage der Straßenbahn erneuert. Hierzu wurden die vorhandenen Maste der Anlage zurückgebaut und neue Mastfundamente inkl. Fahrleitungsmasten erstellt. Das Besondere an den Fundamenten ist, dass sie durch eine Rückverankerung an die Brücke gehangen werden. Dabei bestehen die Anker in Summe aus vier eingeklebten Stahlankern. Jeder Anker weist eine Länge von 4 Metern und einen Durchmesser von 32 mm auf. Die Ankerbohrungen wurden mittels hydraulischem Kernbohrgerät in den Brückenkörper abgeteuft. Jede Bohrung ist sowohl in der horizontalen als auch in der vertikalen Achse abgeteuft. In Abbildung 12 ist ein Mastfundament exemplarisch dargestellt. Abb. 12: Detail Mastfundament (Quelle: Planungsbüro BACH+BACH 6.5 Besonderheiten Besonders zu erwähnen ist, dass die Baumaßnahme auch im Winter stattfinden musste. Dies war ursprünglich nicht eingeplant, sondern ein Resultat daraus, dass der Bauablauf aufgrund einer nicht zu realisierenden Spundwandkastens grundlegend neu geplant werden musste. Durch die Verschiebung des Projekts in die Wintermonate musste ein erheblicher Aufwand betrieben werden um einen konstanten Bauablauf zu gewährleisten. Dies beinhaltete eine aufwendige Winterschutzeinhausung für die jeweiligen eingerüsteten Gewölbe und eine in diesem Zusammenhang aufgebaute Heizungsanlage für die Bereiche. Als weitere Besonderheit ist anzusehen, dass während der Bauzeit mehrfach Hochwasser herrschte und die errichteten Behelfsdämme in der Elbe mehrfach repariert und teilweise neu hergestellt werden mussten. Bezüglich der durchgeführten Injektionen ist besonders hervorzuheben, dass sehr lange Wegstrecken zwischen dem Injektionskomplex und dem zu verpressenden Bau- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 291 Notsicherung und denkmalgerechte Instandsetzung der Anna-Ebert-Brücke in Magdeburg teil überwunden werden mussten. Hieraus folgten Leitungslängen von bis zu 120 m, welche es vor Witterungseinflüssen zu schützen galt. 7. Schlussbemerkung Die vorherrschenden Gegebenheiten und Eigenschaften der Anna-Ebert-Brücke stellten alle Projektbeteiligten vor eine große Herausforderung. Eine erfolgreiche Instandsetzung konnte nur durch eine intensive Zusammenarbeit realisiert werden. Bogen 4 wurde bereits in 2016 gesichert. Seitdem wurde in diesem Bereich keine neue Längsrissbildung verzeichnet. Die statische Sicherung der übrigen Bögen wurde nun im Jahr 2019 planmäßig abgeschlossen. Die verkehrliche Einschränkungen bleiben jedoch, da die Maßnahme zwar eine Bestandssicherung, nicht aber eine Zustandsverbesserung darstellt. In naher Zukunft wird die Hauptverkehrslast auf den aktuell in Magdeburg entstehenden neuen Brückenzug übergehen. Durch die starke Salzbelastung kann es zu einer Rückversalzung neu eingesetzter Baustoffe kommen, die bereits nach kurzer Zeit zu erneutem Substanzverlust und zu starken Salzablagerungen auf sämtlichen Bauteiloberflächen führen kann. Dies wird vermutlich für ein saniertes Bauwerk eine unbefriedigende Ansicht darstellen. Aus Sicht des Planers ist dies bei vergleichbaren Projekten zu berücksichtigen. In einem 2. Bauabschnitt werden voraussichtlich die vollständige denkmalschutzgerechte Ertüchtigung und die Erneuerung des Oberbaus mit der dringend erforderlichen Brückenabdichtung erfolgen. Literaturverzeichnis [1] BACH + BACH: Sprengstofffund in der Anna- Ebert-Brücke über die Alte Elbe in Magdeburg, VSVI-Jahreszeitung, Magdeburg, 2016 [2] Beer, M.: Über den Brückenbau im Allgemeinen und speziell über die Elbbrücke bei Magdeburg, Blätter für Handel, Gewerbe und soziale Leben, Magdeburg, April 1882 [3] Grimm-Remus, Corinna: Restauratorisches Gutachten zur Erhaltenden Bauzier und Mauerwerksoberflächen, Schadensglossar und Empfehlungen zur Konservierung, Magdeburg, Juni 2016 [4] Beyer, Prof. Dipl.-Ing. Dieter: Gutachten zur Einschätzung der Standsicherheit der Anna-Ebert-Brücke, Magdeburg nach dem Hochwasser 2013, Nr. 4824/ 15, Magdeburg, Dezember 2015 [5] NBI GmbH: Prüfbericht 201/ 09, Nordhausen, September 2009 [6] NBI GmbH: Erweiterter Untersuchungsbericht der Anna-Ebert-Brücke, Materialtechnische Untersuchungen durch Prüfungen nach Vorgabe, Nordhausen, Mai 2016 [7] Schulze, M.: Anna-Ebert-Brücke Prüfbericht 2013 H nach DIN 1076, Magdeburg, Oktober 2013 [8] FEAD GmbH: Materialanalysen Anna-Ebert-Brücke, Magdeburg, Berlin, Juli 2015 8. Kontakt: Felix Bach, Dipl.-Wirtsch.-Ing. M. Eng. BACH + BACH Ingenieure, Planer Große Sorge 3 39217 Schönebeck, OT Pretzien Tel: (039200) 7828-10 Fax: (039200) 7828-11 f.bach@bachundbach.de Jan Rassek, Dipl.-Ing. Geschäftsführer w+s bau-instandsetzung gmbh Crumbacher Straße 23-25 34277 Fuldabrück-Berghausen Tel: (0561) 94878-0 Fax: (0561) 94878-20 jan.rassek@ws-bau.de 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 293 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken Daniel Oberhänsli, dipl. Bauingenieur FH Geschäftsführer, suicorr AG, Bernstrasse 388, CH-8953 Dietikon, daniel.oberhaensli@suicorr.com Dr. Thorsten Eichler, Bauingenieur Geschäftsführender Gesellschafter, CORR-LESS Isecke & Eichler Consulting GmbH & Co.KG, Ruhlsdorfer Straße 7, DE-14513 Teltow, eichler@corr-less.de Nachdem Heinrich Gottfried Gerber erstmals im Jahr 1867 die nach ihm Benannten Gerbergelenke einsetzte, um aus dem statisch unbestimmten Durchlaufsystem ein statisch bestimmtes zu machen, wurden diese für viele Jahrzehnte zum Standard. Gerbergelenke haben jedoch einen entscheidenden Nachteil: Die darüberliegenden Fahrbahnübergänge werden oft undicht, so dass chloridhaltiges Wasser an die Endverankerungen der Brückenplatten gelangen kann. Eine Instandsetzung dieser Flächen ist mit konventionellen Methoden äusserst schwierig und häufig sogar unmöglich. Mittels kathodischem Korrosionsschutz lässt sich an beweglichen Gelenken trotz eingedrungener Chloride die Korrosionsrate auf ein vernachlässigbares Niveau reduzieren, so dass die Nutzungsdauer der Brücke trotz der vorhandenen substanzschädigenden Agenzien deutlich erhöht werden kann. Der kathodische Korrosionsschutz (KKS) wird in Europa seit Mitte der Achtzigerjahre erfolgreich für die Instandsetzung von Stahlbetonstrukturen eingesetzt. Geregelt wird die Projektierung und Ausführung des KKS in der EN ISO 12696 [1]. Aktuell wird in Europa diese Art des Korrosionsschutzes vorwiegend im Rahmen von Instandsetzungsmaßnahmen verwendet, wenn die Integrität des Bauwerks noch nicht so stark gefährdet ist, dass eine statische Ertüchtigung erforderlich wäre und der Ist-Zustand im Wesentlichen konserviert werden soll. Die präventive Anwendung des Verfahrens im Zuge des Neubaus eines Objektes ist nicht nur möglich, sondern wäre häufig eine wünschenswerte und geeignete Maßnahme um die Lebensdauer des Bauwerks mit wirtschaftlichen Mitteln signifikant zu erhöhen. Aufgrund der Einwirkung von Chloriden (Winterdienst) oder der Karbonatisierung (CO 2 in der Luft) entstehen unterschiedliche Bedingungen für den Stahl im Beton. Abhängig von den Rahmenbedingungen verliert der Bewehrungsstahl stellenweise seine Passivität. Er ist damit teilweise ungeschützt und der Korrosionsprozess setzt ein. Dabei kann es am Stahl im zu starker Elementbildung kommen, die mit sehr hohen Korrosionsraten einhergeht. An den weiterhin geschützten Stellen wird der Stahl zur Kathode und an der ungeschützten Stelle zur Anode. Infolge des daraus resultierenden Potentialdifferenz und der notwendigerweise fließenden Elementströme korrodiert der Stahl in den anodischen Bereichen. Die Wirkungsweise eines KKS mit Fremdstrom entspricht dem einer Elektrolysezelle, in der der natürliche, aber zerstörende Korrosionsstrom durch Schaltung der gesamten Bewehrung als Kathode entgegengewirkt wird. Zu diesem Zweck werden dauerhafte Anoden in das Objekt eingebaut, über welche später der Schutzstrom abgegeben wird. Dieses Verfahren hat den grossen Vorteil, dass chloridkontaminierte oder karbonatisierte Betonschichten nicht zwingend abgetragen werden müssen. Bereits vorhandene oder neu eintretende Chloride können in der Struktur verbleiben. Dadurch gestaltet sich der Eingriff in die Tragstruktur deutlich geringer. Lärmemissionen aufgrund von Höchstdruckwasserstrahlarbeiten werden reduziert und Bauzeiten verkürzt. Ausserdem werden provisorische statische Abstützungsmassnahmen wesentlich verringert oder sind nicht mehr notwendig. Ein weiterer Vorteil des kathodischen Korrosionsschutzes ist seine Anwendbarkeit auf Strukturteile, die von aussen nicht direkt zugänglich sind. Dazu werden beispielsweise Stabanoden in Bohrlöcher eingeführt und mit einem fliessfähigen Mörtel verpresst. Mit dieser Anodenart können auch Korrosionsherde in der Tiefe einer Struktur gezielt auf eine technisch nicht relevante Grösse reduziert werden. KKS an der Achereggbrücke Die 16 Meter breite und 200 Meter lange Hohlkastenbrücke bei Stansstad im Kanton Nidwalden besteht aus drei festen Abschnitten und zwei zusätzlichen Einhängeträgern. Die Konstruktion entspricht einem statisch bestimmten Gerberträgersystem. In Längsrichtung ist die Brücke mit dem BBRV-System vorgespannt. 294 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken Abb. 1: Grössenverhältnisse des Querträgers Quelle: luftbild-drohne.ch Eine Voruntersuchung zeigte, dass die zu erhöhende Schubtragsicherheit in den Gelenkbereichen sowie die chloridinduzierten Korrosionsschäden an der Vorspannung und an der Bewehrung die wesentlichen Herausforderungen darstellten. Die Zugänglichkeit zu den Quer- und Längsträgern ist im Gelenkbereich sehr schlecht, weshalb der Zustand der Vorspannung und der Bewehrung nicht lückenlos erhoben werden konnte. Eine konventionelle Instandsetzung war aus gleichem Grund nicht an allen erforderlichen Stellen möglich. Die Verhinderung des weiteren Schadensfortschrittes war nur mit dem kathodischen Korrosionsschutz realisierbar. Abb. 2: Querträger vor der Instandsetzung Abb. 3: Querträger nach der Instandsetzung Das entsprechende Instandsetzungsprojekt sollte die Nutzungsdauer der 50 jährigen Brücke um weitere 50 Jahre verlängern. Dazu gehörten auch der Ersatz sämtlicher Fahrbahnübergänge, die neben ihrer Hauptfunktion zugleich den Schutz der Gerbergelenke vor chloridhaltigem Strassenabwasser gewährleisten müssen. Die Schäden am Betontragwerk wurden durch Betonersatz umfassend instandgesetzt. Dort, wo die Beweh- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 295 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken rung korrosionsbedingte Querschnittsverluste zeigt, wurde sie zur Wiederherstellung des ursprünglichen Tragwiderstands durch neue Bewehrung ergänzt. Die Längs- und Querträger der bestehenden Konstruktion wurden, zur Sicherstellung ihrer Tragwirkung, im Gelenkbereich mit kathodischem Korrosionsschutz ausgerüstet. Konkret sah das Schutzkonzept vor, sowohl die Gesamtstruktur der Querträger als auch die der angrenzenden Längsträger auf einer Länge von ca. 1.5 Metern mit einem KKS auszurüsten. Als weitere Herausforderung war zu beachten, dass die Brücke längsvorgespannt ist. Die für die Stabanoden erforderlichen Bohrungen mussten sehr genau platziert werden, um die Spannkabel nicht zu beschädigen. Dazu wurde im Vorfeld die Lage der verschiedenen Kabel bis in eine Tiefe von 30 Zentimetern geortet und markiert. Während der Ausführungsarbeiten zeigte sich, dass die Markierungen sehr genau passten und keine Kabel beschädigt wurden. Abb. 4: aufgeklebte Tapete mit Bewehrungslagen Abb. 5: Montage der Stabanoden Die vorab installierte KKS-Musterfläche, als auch die Hauptinstallation, zeigten, dass die Anforderungen an den künftigen Korrosionsschutz einwandfrei erfüllt werden. Sowohl die schlaffe Bewehrung als auch die Verankerung der Spannglieder können mit dem KKS geschützt werden. Der dafür benötigte permanent fliessende Strombedarf ist vergleichsweise gering. Bei einer Spannung von ca. 2-5 Volt ist ein Strom von ca. 10-15mA / m 2 Bewehrungsoberfläche zu erwarten. Die elektrische Leistung des gesamten Objekts entspricht damit ungefähr der Leistung einer permanent leuchtenden Glühbirne. KKS an der Megastütze der Elbhochstraße Die Elbhochstraße (K20) ist ein Teil der zurzeit längsten Straßenbrücke Deutschlands (Hochstraße Elbmarsch). Die Hochstraße ist wiederum ein Teil der Autobahn A7 und liegt in Hamburg südlich vor dem neuen Elbtunnel. Erstellt wurde das Bauwerk zwischen 1971 und 1974. Im Regelbereich besteht die Autobahnbrücke aus zwei 17.75m breiten und 2.1m hohen Überbauten mit Stützweiten von 35m. Vier neben einander liegende Spannbetonfertigteilträger bilden die Basis des Plattenbalkenquerschnittes welcher als Überbau dient. Die vorgespannten Träger lagern im Regelquerschnitt auf einem Querbalken, welcher wiederum auf drei Rundstützen aufliegt. An zwei Stellen entlang der Brücke lässt die darunterliegende Straßenführung den beschriebenen Regelaufbau nicht zu. Anstatt die Querriegel auf drei Stützen abzustellen, lagert pro Fahrrichtung ein deutlich größerer Querriegel auf einer zentralen Megastütze. Im Rahmen des Fahrstreifenausbaus von sechs auf acht Spuren soll auch eine Betoninstandsetzung der bestehenden Struktur erfolgen. Eine vorgängige Zustandsuntersuchung zeigte diverse Korrosionsprobleme auf. Insbesondere der Querriegel wurde aufgrund von undichten Fahrbahnübergängen über Jahre mit chloridhaltigem Wasser beaufschlagt. 296 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken Abb. 6: Grössenverhältnisse des Querträgers Abb. 7: Darstellung der Wasserläufe entlang dem Querträger Die Zugänglichkeit für eine konventionelle Instandsetzung stellte bei den chloridhaltigen Bauteilen eine sehr grosse Herausforderung dar und ist ohne umfangreiche Abbrucharbeiten nicht möglich. Diese Arbeiten führen wiederum zu grossen Beeinträchtigungen der Verkehrsführung der stark befahrenen Autobahn. Abb. 8: Nachbarträger bei welchem konventionell Beton abgetragen wurde Abb. 9: Korrosionsschäden am Querträger Aus erwähnten Gründen hat sich daher die Bauherrschaft DEGES dazu entschieden eine KKS-Musterfläche anlegen zu lassen. Die suicorr Deutschland GmbH wurde beauftragt in Zusammenarbeit mit der CORR-LESS Isecke & Eichler Consulting GmbH & Co.KG ein KKS-Konzept zu erstellen, eine numerische Simulation der Schutzwirkung durchzuführen, als auch die Musterfläche zu realisieren. Bei der Erarbeitung des Schutzkonzeptes zeigte sich, dass die von der Bauherrschaft gewünschte Schutzwirkung durch verschiedene Anodensysteme erreicht werden könnte. Aus praktischer Sicht musste erkannt werden, dass der Einbau von Stabanoden aufgrund der vielen Vorspannkabel im Querträger wenn überhaupt möglich sehr schwierig sein würde. Für die weiteren Projektphasen rückten daher Bandanoden ins Zentrum welche auf dem aufgerauten Beton aufgelegt würden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 297 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken Abb. 10: Teilflächen der Musterfläche Abb. 11: Resultat eines Vorversuches der Fläche Nr. 1 im Labor Auf der unteren vertikalen Fläche (Nr. 3) des Querträgers war dies kein Problem und entspricht einer üblichen KKS-Anwendung. Bereits bei der horizontalen Fläche (Nr. 2) waren die örtlichen Verhältnisse erschwert da nur eine lichte Höhe von ca. 20 cm zur Verfügung stand. Die Fläche Nr. 1 bedurfte aber einigen Vorabklärungen damit diese realisiert werden konnte. Da nur gerade eine ca. 10-15 cm breite Öffnung zwischen dem Querträger und dem Plattenbalken bestand und die Musterfläche auf einer Tiefe von ca. 2m angelegt werden sollte war dies ein echtes Problem. Nach einigen Versuchen im Labor der suicorr AG konnte eine Schalung entwickelt werden, mit welcher die Bandanoden, als auch der Einbettmörtel, eingebracht und anschließend die Schalung wieder entfernt werden konnte. Abb. 12: KKS-Fläche im Zwischenraum (Nr. 1) Abb. 13: fertiggestellt Fläche Nr. 3 298 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Der kathodische Korrosionsschutz an Brückengelenken Nach einer zwei monatigen Betriebsdauer der Anlage konnte nachstehendes Fazit gezogen werden: - Das eingebaute Monitoringsystem bestätigte die Wirksamkeit der KKS-Anlage. - Die nach Norm geforderten Schutzkriterien konnten erreicht werden. - Eine KKS-Anlage kann unter den vorliegenden objektbedingten stark erschwerten Bedingungen eingebaut werden. - Der KKS ist für den vorliegenden Fall eine Alternative gegenüber der konventionellen Instandsetzung. Leider kam der kathodische Korrosionsschutz für die Hauptmassnahme nicht zur Anwendung. Nach Abschluss aller Untersuchungen bezüglich dem KKS zeigten sich am Objekt weitere Schäden wie z. B. AKR (Alkali-Kieselsäure-Reaktion) was schlussendlich zu einer konventionellen Instandsetzung führte. Literatur [1] DIN EN ISO 12696 Kathodischer Korrosionsschutz von Stahl in Beton (ISO 12696: 2017); Deutsche Fassung EN ISO 12696: 2017, D. D. I. f. N. e.V., Berlin, 2017. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 299 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee Lars Wolff, Michael Bruns Ingenieurbüro Raupach Bruns Wolff, Aachen, Deutschland Zusammenfassung Die Umschlaganlage Voslapper Groden in Wilhelmshaven ist ein Tiefwasseranleger für den Umschlag von chemischen Produkten. Errichtet wurde die Anlage in den Jahren 1979 bis 1980. Der etwa 2,1 km lange Anleger besteht aus einer 1,3 km langen Transportbrücke zwischen Deich und Anlegerabzweig sowie einer etwa 800 m langen Anlegerbrücke. Die auf Stahlpfählen aufgelagerte Konstruktion besteht aus Stahl- und Spannbetonfertigteilen mit einer Spannweite von bis zu 35 m. Infolge der Exposition im Meerwasser zeigen die Stahlbeton- und Spannbetonbauteile verschiedene, komplexe Schadensbilder, die eine umfangreiche Instandsetzung des Bauwerks erfordern. So weisen eine Vielzahl der Bauteile ausgeprägte Schäden in Form von Rissen und großflächigen Hohllagen infolge Alkali-Kieselsäure-Reaktion (AKR) auf. Weiterhin haben aus dem Meerwasser stammende Chloride bereits großflächig zu Bewehrungskorrosion geführt. Die beiden für sich gesehen getrennt ablaufenden Schädigungsmechanismen überlagern sich im vorliegenden Fall, so dass im Zuge einer Instandsetzung der betreffenden Stahl- und Spannbetonbauteile beide Schädigungsmechanismen berücksichtigt werden mussten. Im Zuge einer Pilotinstandsetzung in den Jahren 2010 und 2011 wurden erste Teile der Umschlaganlage durch Kombination verschiedener Instandsetzungsprinzipien, u.a. durch Anwendung des Prinzips des kathodischen Korrosionsschutzes (KKS) instandgesetzt. Im Jahr 2019 erfolgten erneut Untersuchungen an den beiden in den Jahren 2010 und 2011 instandgesetzten Bauteilen der Umschlaganlage. Im Zuge dieser Untersuchungen konnten keine neuen Schäden an den instandgesetzten Bauteilen festgestellt werden. Basierend auf diesen Erfahrungen wurde im Jahr 2020 mit der Instandsetzung weiterer Bauteile der Umschlaganlage begonnen. 1. Einleitung Die Umschlaganlage Voslapper Groden in Wilhelmshaven ist ein Tiefwasseranleger für den Umschlag von chemischen Produkten. Errichtet wurde die Anlage zwischen 1979 und 1980. Die etwa 2,1 km lange Konstruktion besteht aus einer 1,3 km langen Transportbrücke zwischen Deich und Abzweigbauwerk sowie einer etwa 800 m langen Verbindungsbrücke, welche zu den drei Anlegerbauwerken führt. Die Transportbrücke wiederum besteht aus zwei getrennten parallel verlaufenden Brücken, der Zufahrts- und der Montagebrücke. Die auf Stahlpfählen aufgelagerte Konstruktion besteht aus Stahl- und Spannbetonfertigteilen mit einer Spannweite von bis zu 35 m. Die Gründung erfolgte auf eingerammten Stahlpfählen mit einem Pfahlkopf aus Stahlbeton. Auf diesem Pfahlkopf liegt ein Jochbalken auf, der den Pfahlkopf (im Fall der Verbindungsbrücke) oder die beiden Pfahlköpfe (im Fall der Transportbrücke) ringförmig umschließt. Im Fall der Transportbrücke weisen die Joche einen aufgelösten Querschnitt auf, d.h. zwischen den beiden Pfahlköpfen befindet sich ein nach unten offener kastenförmiger Querschnitt, siehe auch Bild 12. Auf den Jochen liegen die Spannbeton-Überbauteile der Zufahrts-, Montage- und Verbindungsbrücke sowie die Unterkonstruktionen für die Medienleitungen für die Versorgung der naheliegenden chemischen Produktionsanlagen auf. Bild 1 gibt einen Eindruck von der Größe und Konstruktion der Umschlaganlage. 300 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee Transportbrücke Verbindungsbrücke Bild 1: Umschlaganlage Voslapper Groden, Luftbild (oben, Quelle: Niedersachsen Ports GmbH & Co. KG) und Blick vom Deich auf die Transportbrücke mit Zufahrtsbrücke (rechts im Bild) und Montagebrücke (links im Bild) sowie im Hintergrund die Verbindungsbrücke (unten) Infolge der Exposition im Meerwasser zeigen die Stahlbeton- und Spannbetonbauteile verschiedene komplexe Schadensbilder, die eine umfangreiche Instandsetzung des Bauwerks erfordern. So weisen eine Vielzahl der Bauteile ausgeprägte Rissbilder auf, die u.a. auf Treiberscheinungen des Betons hindeuten. Infolge der unterschiedlichen Konstruktion und Belastung der einzelnen Bauteile, z.B. der Vorspannung des Überbaus, ist die Ausprägung dieser Rissbilder bauteilbezogen jedoch höchst unterschiedlich. Des Weiteren zeigen die Stahl- und Spannbetonbauteile deutlich erhöhte Chloridgehalte sowie eine z.T. bereits fortgeschrittene Bewehrungskorrosion. Infolge der exponierten Lage im Meerwasser und der komplexen, sich z.T. überlagernden Schadensbilder sind die klassischen Instandsetzungsprinzipien, z.B. nach [12], nicht oder nur bedingt anwendbar. 2. Vorgehensweise bei den Bauwerksuntersuchungen Sowohl aufgrund der Größe des Bauwerks mit einer Gesamtlänge von 2,1 km, der unterschiedlichen Konstruktion der Transport- und Verbindungsbrücke, des dazwischen liegenden Abzweigbauwerks und der Anlegerbauwerke sowie der deutlich dreistelligen Gesamtanzahl an Stahl- und Spannbetonfertigteilen ist der Ist-Zustand eines derartigen Bauwerkes nur mit einem abgestuften Untersuchungsprogramm sinnvoll zu erfassen. Erschwerend kommt hinzu, dass einzelne Bauteile, dazu zählen beispielsweise die Innenseiten der Joche der Transportbrücke zwischen den beiden Pfahlköpfen oder die Anlegerbauwerke, nicht mit einem Brückenuntersichtgerät, sondern nur mit Hilfe sehr aufwändiger Hängegerüste vollflächig untersucht werden können. Bei widrigen Witterungsbedingungen mit starkem Wind und hohem Wellengang besteht hier stets die Gefahr, dass Teile des Gerüstes durch Wellenschlag zerstört werden, so dass derartige Untersuchungen nur in Jahreszeiten mit einer geringen Sturmwahrscheinlichkeit durchgeführt werden können. Zur Untersuchung des Ist-Zustandes der Umschlaganlage Voslapper Groden als Basis für die Erarbeitung von Instandsetzungskonzepten wurde ein abgestuftes Untersuchungsprogramm erarbeitet. Hierbei wurden bestimmte Bauteilgruppen, dazu zählen beispielsweise die Joche als Unterkonstruktion, sehr ausführlich untersucht, während andere Bauteilgruppen exemplarisch untersucht wurden und der Zustand nur visuell untersuchter Bauteile anhand der umfassend untersuchten Bauteile abgeschätzt wurde. In einem ersten Schritt erfolgten zunächst intensive Begehungen der Umschlaganlage, sowohl auf der Oberseite, als auch mittels der unterhalb der Zufahrts- und Verbindungsbrücke verlaufenden Kontrollgänge, siehe Bild 2 links. Durch eine Befahrung mittels Schiff, welche unmittelbar unter der Brücke aufgrund der starken Gezeitenströmung nur in einem engen Zeitfenster von etwa einer Stunde bei Hoch- oder bei Niedrigwasser durchgeführt werden kann, konnte zudem ein Eindruck vom Zustand der Untersicht der Joche, der Anlegerbauwerke oder des Abzweigbauwerks zwischen Transport- und Verbindungsbrücke gewonnen werden, siehe auch Bild 2 unten. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 301 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee Bild 2: Beispiel für den unterhalb der Brücken verlaufenden Kontrollgang (oben), Ansicht einer der Anlegerplattformen vom Schiff aus (unten) Nach dieser Begehung wurden für ein erstes fünftägiges Untersuchungsprogramm insgesamt vier Joche der Transport- und Verbindungsbrücke ausgesucht, die mittels Hängegerüst handnah untersucht werden konnten. Bei diesen Jochen war von außen visuell erkennbar ein unterschiedlich stark ausgeprägtes Schadensbild vorhanden. Ergänzend wurden stichpunktartig direkt zugängliche Bauteile, wie z.B. die auflagernahen Bereiche einzelner Spannbeton-Überbauteile sowie kleine Teilflächen der Anlegerbauwerke untersucht. Ein wesentlicher Schwerpunkt dieser Untersuchungen war der Nachweis einer AKR u.a. mit den in diesem Beitrag beschriebenen Bauwerks- und Laboruntersuchungen. Auch wurde in Teilflächen eine Potentialfeldmessung mit ergänzender Bestimmung von Chloridtiefenprofilen und Inspektionsöffnungen durchgeführt. Parallel erfolgte eine Auswertung der vorliegenden Unterlagen, wie z.B. den Bautagebüchern, Informationen bzw. Eignungsprüfungen zu den in der Bauzeit verwendeten Baustoffen, Ergebnissen aus Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 [15] sowie bereits erfolgter Instandsetzungsmaßnahmen einzelner Bauteile. Vor allem die detaillierte Auswertung der vorliegenden Ergebnisse aus Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 [15] erlaubte eine Bewertung der bisherigen Schadensentwicklung, z.B. die Zunahme von Rissen bei einzelnen Bauteilgruppen. Auch konnte anhand der Bautagebücher sowie des visuell bei einigen Bauteilen vorhandenen höchst unterschiedlich ausgeprägten Schadensbildes eine Zeitspanne in der Bauphase festgestellt werden, in der vermutlich Abweichungen in der Ausführung bei Erstellung der Spannbeton-Überbauteile auftraten, da Bauteile aus dieser Zeitspanne unabhängig von der Lage am Bauwerk ein deutlich ausgeprägteres Schadensbzw. Rissbild zeigten als andere Bauteile. Nach Abschluss dieses ersten Untersuchungsprogramms war es möglich, die wesentlichen Ursachen der umfangreichen Schadensbilder bauteilbezogen zu erfassen sowie die Vielzahl an unterschiedlichen Rissbildern verschiedenen Ursachen und begleitenden Faktoren zuzuordnen. Auch konnte anhand dieses ersten Untersuchungsprogramms ein erster überschläglicher Instandsetzungsaufwand abgeschätzt und dem Bauherrn vorgestellt werden. Für das weitere Vorgehen war in Rücksprache mit dem Bauherrn zunächst abzuklären, welche Anforderungen der Bauherr an die weitere Nutzungsdauer des Bauwerks stellt, um die möglichen Optionen bei Erarbeitung des Instandsetzungskonzeptes berücksichtigen zu können. Um die angestrebte Nutzungsdauer zu erreichen, stehen nach DIN EN 1504-9 [16] grundsätzlich folgende Optionen zur Verfügung: a) keine Maßnahmen für eine bestimmte Zeitdauer, jedoch Überwachung des Bauwerks; b) erneuter Nachweis der Tragfähigkeit, der möglicherweise zu einer reduzierten Einstufung der Funktionstüchtigkeit des Betontragwerks führt c) Vermeidung oder Verminderung einer weiteren Verschlechterung des Zustandes des Tragwerks; d) vollständige oder teilweise Verstärkung oder Instandsetzung und Schutz des Betontragwerks; e) vollständige oder teilweise Rekonstruktion oder Austausch des Betontragwerks; f) vollständiger oder teilweiser Abriss des Betontragwerks. Seitens des Bauherrn wurde die Option d) der vorgenannten Optionen gewählt. In einem zweiten wesentlich umfangreicheren sechswöchigen Untersuchungsprogramm wurden alle Joche der Transport- und Verbindungsbrücke umfassend untersucht, da diese aufgrund der direkten Nähe zum Meerwasser eine deutlich größere Schädigung infolge AKR sowie chloridinduzierter Korrosion aufwiesen als die darüber angeordneten Spannbeton-Überbauteile. Die Untersuchung erfolgte parallel mittels Brückenuntersichtgerät sowie Hängegerüsten, die im Fortschritt der Untersuchungen von Joch zu Joch umgehängt wurden. Im Rahmen dieses Untersuchungsprogramm erfolgten 302 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee u.a. vollflächige Potentialfeldmessungen, begleitet von Schadenskartierungen und ergänzenden Bohrkernentnahmen. An den entnommenen Bohrkernen wurden u.a. die Druckfestigkeiten des Bauwerksbetons als auch weitere Bestimmungen des AKR-bedingten Resttreibpotentials vorgenommen. Im Rahmen ergänzender Untersuchungsprogramme erfolgten zudem ergänzende Untersuchungen direkt zugänglicher Bauteile, z.B. eine flächige Potentialfeldmessung der Fahrbahn der Zufahrtsbrücke. 3. Beschreibung der Bauwerksuntersuchungen 3.1 Allgemeines Zur Bestimmung der Schadensursachen sowie als Grundlage zur Entwicklung geeigneter Instandsetzungskonzepte wurden durch das Ingenieurbüro Raupach Bruns Wolff in Kooperation mit dem Institut für Bauforschung der Aachen University, ibac, umfangreiche Bauwerks- und Laboruntersuchungen durchgeführt. Zu den Bauwerksuntersuchungen zählten unter anderem: - Risskartierung an Spannbetonträgern der Transport- und Verbindungsbrücke - Schadenskartierung der Joche der Transport- und Verbindungsbrücke - Exemplarische Bestimmungen der Betondeckung - Potentialfeldmessungen - Bestimmung von Chloridtiefenprofilen - Anlegen von Inspektionsöffnungen zur Bestimmung des Korrosionszustands der Bewehrung - Entnahme von Bohrkernen zur weitergehenden Untersuchung im Labor In anschließenden Laboruntersuchungen wurden im Wesentlichen die Ursachen und Auswirkungen der am Objekt vorhandenen Rissbildungen bestimmt. Hierzu zählten im Einzelnen: - Licht- und Rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen an Bauwerksproben und Dünnschliffen zur Klärung des Vorhandenseins sowie der Ursachen von Treiberscheinungen - Bestimmung des Resttreibpotentials infolge einer Alkali-Kieselsäurereaktion AKR sowohl ohne als auch mit einer zusätzlichen Alkalizufuhr von außen - Bestimmung der Betondruckfestigkeit vor und nach Bestimmung des Resttreibpotentials 3.2 Erfassung und Kartierung bauteiltypischer Rissbilder Das Bauwerk zeigt verschiedene bauteilspezifische Rissbilder, deren wesentliche Ursachen sowohl konstruktiver Art, herstellungsbedingt als auch Folge von Treiberscheinungen im Beton sind. So weisen die Spannbeton-Überbauteile der Fahrbahnen vor allem im Bereich der Endverankerungen der Spannglieder Rissverläufe auf, die etwa den Drucktrajektorien des Bauteils folgen. Innerhalb des Druckbogens der Träger hingegen sind kaum Rissbildungen vorhanden. Bild 3: Spannbeton-Überbauteil der Transportbrücke, Rissbildung im Bereich der Endverankerung der Spannglieder (oben) und netzförmige Risse im Bereich der Kappen (unten) Genauere Untersuchungen dieser Bauteile zeigten unter anderem, dass die im Bereich der Endverankerungen vorhandenen Rissbilder auf eine Überlagerung verschiedener Ursachen zurückzuführen sind. Dazu zählen u.a.: • Fehlerhafte Bewehrungsführung, vor allem bzgl. der Verbügelung der Trägerenden • Unzureichender Bewehrungsgrad der Spaltzugbewehrung • AKR-bedingte Rissbildung im nicht durch die Vorspannung überdrückten Bereich des Betons 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 303 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee Exemplarische Bauteilöffnungen im Bereich der Endverankerungen zeigten, dass hier entgegen den Vorgaben der Bewehrungspläne keine Verbügelung der Trägerenden vorhanden ist. Diese fehlende Verbügelung ist vor allem für die parallel zu den Trägerenden verlaufenden Risse verantwortlich. Die Tatsache, dass in den Kappen im Bereich der Trägerenden verstärkt netzförmige Risse vorhanden sind, nicht jedoch innerhalb des Druckbogens, zeigt, dass das Auftreten AKR-bedingter Treiberscheinungen durch die Vorspannung überlagert wird. So ist bekannt, dass durch AKR entstehende Spannungen durch Druckspannungen im Bauteil, z.B. durch die im vorliegenden Fall vorhandene Vorspannung, effektiv überdrückt werden können. Eine schädigende Rissbildung tritt, je nach Bauteilgeometrie, Reaktionsrate der AKR sowie Größe der vorhandenen Druckspannungen somit nur in geringerem Maße oder im Extremfall gar nicht zu Tage. Die Größe der für eine Inhibierung der AKR erforderlichen Druckspannungen im Beton wird in [1] mit etwa 3 bis 10 N/ mm² angegeben. In [2] wird in Versuchen eine signifikante Abnahme der Dehnungen bei Druckspannungen größer als etwa 10 N/ mm² gezeigt. Die Jochbalken der Transportbrücke sowie der Anlegerbauwerke weisen vor allem im Bereich der Auflagerung auf den Pfahlköpfen konstruktionsbedingte, im Wesentlichen vertikal verlaufende Risse, z.T. aber auch netzförmige Risse auf, siehe Bild 4. Auch in diesem Fall liegt eine Überlagerung konstruktionsbedingter Ursachen mit AKR-bedingten Treiberscheinungen, verstärkt durch die bestehende Art der Entwässerung rund um die Pfahlköpfe, vor. So weisen die Joche, je nach Typ, ein bis zwei konusförmige Aussparungen auf, welche auf den Pfahlköpfen aufliegen. Der Ringspalt zwischen Joch und Pfahlkopf ist nicht verschlossen, so dass zwischen den Überbauteilen herablaufendes Wasser in diesen Ringspalt eindringt und damit die Joche im Bereich der Pfahlköpfe praktisch dauerhaft wassergesättigt sind. Erkennbar wird dies u.a. an wasserführenden Rissen auf den an die Pfahlköpfe angrenzenden Innenseiten der Joche, siehe Bild 5. Bild 4: Bereiche netzförmiger Risse (Schraffierung) im Bereich der Pfahlköpfe; Joch der Transportbrücke (oben) sowie Joch eines Anlegerbauwerks (unten) Der erhebliche Einfluss dieser Wassersättigung auf den Schädigungsgrad des Betons infolge AKR wurde auch beim Vergleich der unterschiedlich exponierten Bereiche innerhalb eines Bauteiltyps, z.B. der Joche, oder zwischen unterschiedlichen Bauteilen deutlich. So wurden Hohllagen im Beton, welche im Wesentlichen auf eine AKR zurückgeführt werden können (vergleiche Kapitel 3 sowie Bild 11), nahezu ausschließlich auf den Innenseiten der Joche der Transportbrücke gefunden. Hier liegen aufgrund der unmittelbaren Lage über dem Wasser und dem nach oben geschlossenen Querschnitt dauerhaft hohe Luftfeuchten vor, so dass die Innenwände dieser Joche praktisch dauerhaft wassergesättigt sind, auch wenn diese nicht direkt wasserbeaufschlagt werden. Auf den Außenseiten der Joche hingegen wurden netzförmige Risse u.a. als Anzeichen einer AKR vorwiegend im Bereich rund um die Pfahlköpfe festgestellt. Hier liegt aufgrund der beschriebenen Konstruktion ebenfalls eine hohe Wassersättigung des Betons vor. 304 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee Ringspalt Bild 5: Ursache der Wasserführung in den bauteilspezifischen typischen Trennrissen der Joche im Bereich der Pfahlköpfe: Aufstehendes Wasser auf einem Joch im Bereich des Ringspaltes zwischen Joch und Pfahlkopf (oben) und Ablauffahnen im Bereich von Rissen auf der an einen Pfahlkopf angrenzenden Innenwand eines Joches (unten) Andere Bereiche hingegen, wie z.B. die Flügelwände der Joche, welche zwar direkt beregnet werden aber auch infolge Wind und Sonneneinstrahlung trocknen können, waren lange Zeit weitgehend frei von AKR-typischen Schadensbildern. Hier traten nennenswerte Schäden erst deutlich später auf. 3.3 Untersuchungen zum Korrosionszustand der Bewehrung Zur Lokalisierung im Hinblick auf Bewehrungskorrosion kritischer Bereiche wurde zunächst eine Potentialfeldmessung der Joche, der Seitenflächen einzelner Spannbeton- Überbauteile sowie der Zufahrtsbrücke im Bereich der Fahrbahn durchgeführt. Während im Bereich der untersuchten Spannbeton-Überbauteile lediglich lokal Hinweise auf eine korrosionsaktive Bewehrung gefunden wurden, zeigte sich im Bereich der Joche ein wesentlich differenzierteres Bild. Ergänzend zu Potentialfeldmessungen an allen Jochen erfolgte eine Kartierung von Schadstellen. Im folgenden Bild 6 ist die Potentialfeldmessung an der Außenseite eines Joches beispielhaft dargestellt. Bild 6: Potentialfeldmessung an der Außenseite eines Jochs vom Brückenuntersichtgerät aus Ausführliche Informationen zur Auswertung der Potentialfeldmessungen im vorliegenden Fall sind in [8] enthalten. Vor allem aufgrund der lokal sehr unterschiedlichen Wassersättigung in Teilbereichen der Joche und damit verbundener Belüftungsunterschiede waren im Zuge der Auswertung der Potentialfeldmessungen besondere Überlegungen erforderlich, um Fehlinterpretationen der gemessenen Potentiale zu vermeiden. Hier bestätigte sich einmal mehr, dass feste Potentialgrenzwerte bei Auswertung von Potentialfeldern nicht existieren. Weitere Informationen zu diesem Thema finden sich z.B. auch in [3] bis [5]. Im vorliegenden Fall konnten objektbezogene Potentialgrenzen, ab denen mit hoher Wahrscheinlichkeit von korrodierender Bewehrung auszugehen ist, vor allem durch ergänzende Bauteilöffnungen bestätigt werden. Bei den Jochen wurden auf Basis der beschriebenen Vorgehensweise Potentialwerte, bei denen von einer sehr hohen Korrosionswahrscheinlichkeit auszugehen ist, von -400 bis -450 mV CSE ermittelt. Inspektionsöffnungen im Bereich von Potentialen kleiner -450 mV CSE zeigten an allen angelegten Inspektionsöffnungen Korrosionserscheinungen der freigelegten Bewehrung. Die Auswertung der Potentialfelder vor dem Hintergrund der Festlegung des erforderlichen Instandsetzungsaufwandes 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 305 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee erfolgte unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Inspektionsöffnungen, des Vorhandenseins von Potentialgradienten in den Potentialfeldern, den bestimmten Chloridtiefenprofilen, der Exposition der Bauwerksteile sowie vorhandener Schadensbilder wie z.B. Risse oder Hohllagen. Beispiele für zwei deutlich unterschiedliche Potentialfelder zweier nahe beieinander liegender Joche sind in Bild 7 gegeben. Bild 7: Vergleich der Potentialbilder von zwei nahe beieinander liegenden Jochen der Transportbrücke mit deutlich unterschiedlich ausgeprägten Potentialverteilungen 4. Untersuchungen zur Bewertung der Schädigung infolge AKR 4.1 Allgemeines Die so genannte Alkali-Silika-Reaktion AKR beschreibt die Reaktion von Gesteinskörnungen, die alkalilösliche Kieselsäure enthalten, mit Alkalihydroxid der Porenlösung des Betons. Die Alkalien, vornehmlich Natrium, stammen entweder aus dem Zement oder dringen infolge der Exposition von außen in den Beton ein (z.B. Tausalze im Straßenbau, Salze aus Meerwasser). Gesteinskörnungen gelten nach [6] dann als alkaliempfindlich, wenn sie diese reaktionsfähige amorphe und wasserhaltige Modifikationen der Kieselsäure enthalten. Grundsätzlich kann eine AKR bei allen SiO 2 -haltigen Gesteinskörnungen ablaufen. I.d.R. sind die Reaktionsraten sowie die gebildeten Gelmengen jedoch so klein, dass keine Schäden auftreten. Als kritisch im Hinblick auf eine schädigende AKR gelten nach [7] alle amorphen, kryptokristallinen und gittergestörten SiO 2 -Minerale. In [6], [7] und [8] werden u.a. folgende Gesteinsarten genannt: • Opalsandsteine (Opal. Chrisobalit) • Kieselkreide, Kieselkalke (Chalcedon, kryptokristalliner Quarz) • Obsidian (vulkanisches Glas) • Gebrochene Grauwacken • Gebrochener Kies des Oberrheins • Silikathaltiger dolomitischer Kalkstein • Gläser • Gebrochener Quarzporphyr (Rhyolith) • Rezyklierte Gesteinskörnungen; Die an der Umschlaganlage Voslapper Groden u.a. verwendeten Gesteinsvarietäten, Grauwacken sowie Porphyre, sind somit grundsätzlich als AKR-gefährdet einzustufen. Des Weiteren sind offensichtlich im verwendeten Jadesand Kieselkalke, d.h. Kalksteine mit einem eingelagerten Anteil an überwiegend mikrokristallinem SiO 2 vorhanden, die laut vorgenannter Aufstellung ebenfalls AKR-gefährdet sein können. Bevorzugt findet die AKR bei Temperaturen zwischen 10 bis 40 °C und hoher Wassersättigung des Betons statt. Meerwasserbauwerke unterliegen somit infolge der i.d.R. dauerhaft hohen Wassersättigung des Konstruktionsbetons sowie der stetigen Alkalizufuhr aus dem Meerwasser einem deutlich höheren Risiko einer AKR als Bauwerke in anderen Expositionen. Die AKR verläuft je nach Gesteinsvarietät sowie klimatischen Randbedingungen unterschiedlich schnell. So können erste Schäden an Bauwerken sowohl bereits nach wenigen Monaten bis 2 Jahren als auch erst nach mehr als 20 bis 30 Jahren auftreten. Nach [7] kann die AKR in drei Reaktionstypen eingeteilt werden: • Alkali-Silika-Reaktion • Alkali-Silikat-Reaktion • Alkali-Carbonat-Reaktion 306 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee Die häufigste Reaktion ist die Alkali-Silika-Reaktion. So reagiert bei dieser Reaktion amorphe Kieselsäure, ausgehend von der Oberfläche eines Gesteinskorns, sehr schnell mit der alkalischen Betonporenlösung. Die Folge sind eine starke Gelbildung sowie hohe Treibraten, die bereits nach wenigen Jahren zu umfangreichen Schäden der Bauteilstruktur führen können [9]. Bei der Alkali-Silikat-Reaktion hingegen dringen Alkalien vornehmlich über Mikrorisse in das Gesteinskorn ein, wobei geringe Gelmengen gebildet werden. Mit der Zeit wird das Gesteinskorn entlang dieser vorgeprägten Schwächezonen durch die Gelbildung aufgesprengt, die Risse setzen sich in der Betonmatrix fort. Der Schadensverlauf ist gegenüber der klassischen AKR i.d.R. deutlich langsamer. Typischerweise tritt dieses Schadensbild bei Grauwacken, Quarzporphyren oder auch gebrochenen quarzitischen Zuschlägen auf [9]. Ein Schema dieser beiden Schadensformen der AKR nach [9] ist im folgenden Bild 8 gezeigt. Bild 8: Ablaufschema der Alkali-Kieselsäure-Reaktion oder Alkali-Silikat-Reaktion bei verschiedenen Gesteinstypen nach [9] Die dritte Variante der AKR, die Alkali-Carbonat-Reaktion hingegen ist eher selten und in ihren Reaktionsmechanismen sowohl weitgehend unbekannt als auch umstritten [7]. Äußerlich kann sich eine AKR sowohl in Form von einer großflächigen Zerstörung des Gefüges, z.B. in Form von Rissbildungen, Schalenbildungen etc. als auch lokal in Form so genannter „Pop-Outs“ äußern. Ein Beispiel eines solchen „Pop-Outs“ an einem Joch der Umschlaganlage Voslapper Groden ist im folgenden Bild 9 gezeigt. Bild 9: „Pop-Out“ infolge AKR-bedingter Umwandlung eines oberflächennahen, kleinen Gesteinskorns an einem Joch der Umschlaganlage 4.2 Laboruntersuchungen zum Nachweis einer AKR Neben den in Bild 9 dargestellten, am Objekt vorhandenen „Pop-Outs“ zeigten auch die entnommenen Bohrkerne klare Hinweise auf Gefügeschädigungen infolge AKR. So wiesen einige der entnommenen Bohrkerne nicht nur quer zur Oberfläche sondern auch parallel zur Oberfläche verlaufende Schalenrisse auf, die sich am Bauteil i.d.R. akustisch durch Abklopfen mit einem Hammer bereits als Hohllage wahrnehmen ließen. Ein vergleichbares Rissbild wie das in den folgenden beiden Bildern wurde auch am Eidersperrwerk an entnommenen Bohrkernen festgestellt [10]. Auch in [11] wird eine parallel zur Oberfläche verlaufende Rissbildung in Form von Schalenrissen als ein typischer Hinweis auf eine Schädigung infolge AKR angesehen. Bild 10: Beispiele für Bohrkerne mit Schalenrissen parallel zur Bauteiloberfläche (Quelle: Institut für Bauforschung der Aachen University, ibac) Im Anschluss an die visuelle Untersuchung der Bohrkerne erfolgte eine Untersuchung der Bohrkerne am Lichtmikroskop. In diesen Untersuchungen wurde zum Teil eine nahezu vollständige Umwandlung kleiner Gesteinskörnungen infolge AKR festgestellt, deren Herkunft ver- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 307 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee mutlich der zur Herstellung der Betonbauteile verwendete Jadesand in der Körnung 0 bis 2 mm ist. Auch lichtmikroskopische Untersuchungen an Dünnschliffen sowie Untersuchungen am Rasterelektronenmikroskop zeigten Gefügestörungen infolge AKR. So wurden auch an den Dünnschliffen Risse an den groben Gesteinskörnungen festgestellt, die sich in der Matrix fortsetzen. Eine signifikante Gelbildung wurde nicht festgestellt, da im vorliegenden Fall offenbar in erster Linie eine Alkali-Silikat-Reaktion abläuft. Lediglich bei kleinen Gesteinskörnungen aus dem Jadesand spielte auch eine Alkali-Silika-Reaktion eine Rolle. Wesentlich für die Bewertung der zukünftig zu erwartenden AKR-bedingten Dehnungen sowie die sich daraus ergebenden Möglichkeiten der Instandsetzung ist das anhand von Lagerungsversuchen an Bohrkernen ermittelte Resttreibpotential des Betons (vgl. z.B. [10] oder [13]). Durchgeführt wurde ein zweistufiges Verfahren. Zunächst erfolgte eine konstante Lagerung bei 60 °C über Wasser. Anschließend erfolgte ein zyklisches Verfahren mit einer Alkalizufuhr von außen. Details zu den durchgeführten Lagerungsversuchen können u.a. [17] entnommen werden. Die Ergebnisse zeigten hinsichtlich der Lagerungsbedingungen signifikante Unterschiede. Bei der konstanten Lagerung bei 60 °C über Wasser wurde lediglich bei einigen Bohrkernen eine gewisse Zunahme der Dehnungen infolge der erhöhten Feuchte- und Temperaturverhältnisse beobachtet. Bei der zyklischen Lagerung mit Alkalizufuhr hingegen zeigten alle Bohrkerne eine unterschiedlich stark ausgeprägte Zunahme der Maximaldehnungen. So erreichen einzelne Bohrkerne aus den Jochen Gesamtdehnungen von bis etwa 3 mm/ m und mehr. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen beispielsweise auch Seyfarth und Giebson [13] oder Breitenbücher und Sievering [14]. Auch in ihren Versuchen nahm die Dehnung unter einer äußeren Alkalizufuhr z.T. um den Faktor 3 bis 4 gegenüber einer alkalifreien Lagerung zu. 5. Instandsetzungskonzept Basierend auf den durchgeführten Bauwerksuntersuchungen wurde in einem ersten Schritt bauteilbezogen für jedes Joch bzw. deren Teilflächen der Instandsetzungsbedarf erarbeitet. Da eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Instandsetzung eine zielgerichtete Entwässerung ist, wurde parallel die Wasserführung bzw. Wasserableitung von Niederschlagswasser von den Verkehrsflächen der Umschlaganlage geändert. Zur Vermeidung einer chloridinduzierten Korrosion stehen dem Planer gemäß RL SIB [12] mehrere Verfahren, wie z.B. R-Cl, W-Cl oder K bzw. Kathodischer Korrosionsschutz KKS zur Verfügung. Die Instandsetzung durch AKR geschädigter Bauteile ist grundsätzlich nur durch Trockenlegung der Konstruktion, nicht selten sogar nur durch einen partiellen Austausch des AKRgeschädigten Betons möglich. Bei Meerwasserbauten ist die Trockenlegung aufgrund der Exposition grundsätzlich kritisch, häufig sogar unmöglich. Wesentliches Kriterium für die Bewertung geeigneter Instandsetzungskonzepte ist die Ermittlung des Resttreibpotentials der Gesteinskörnungen infolge AKR. Ist praktisch kein weiteres Treibpotential vorhanden, kann eine Instandsetzung dauerhaften Erfolg haben, ohne dass mit weiteren Rissbildungen und zunehmenden Festigkeitseinbußen gerechnet werden muss. Bei einem weiterhin vorhandenen Resttreibpotential hingegen ist i.d.R. auch nach Instandsetzung dauerhaft von einem erhöhten Instandhaltungsaufwand sowie ggf. Nutzungseinschränkungen auszugehen (Reduktion der Verkehrslast etc.). Zur Klärung der Umsetzbarkeit der erarbeiteten Instandsetzungskonzepte wurden im Rahmen einer Probeinstandsetzung in den Jahren 2010 und 2011 zwei hinsichtlich des Schädigungsgrades höchst unterschiedliche Joche ausgewählt. Bei diesen Jochen wurde das zuvor erarbeitete Instandsetzungskonzept umgesetzt. Dieses Instandsetzungskonzept sah für die beiden Joche teilflächenbezogen die Instandsetzungsprinzipien R-Cl sowie den Kathodischen Korrosionsschutz vor. Die Wahl geeigneter Instandsetzungskonzepte für die Teilflächen erfolgte anhand der zuvor beschriebenen Bauwerks- und Laboruntersuchungen. So wurden die Innenwände beider Joche mittels Prinzip R-Cl instandgesetzt. Für die Außenflächen wurde in Teilflächen ein KKS-System installiert, z.T. war aufgrund der geringen Korrosionswahrscheinlichkeit und praktisch nicht vorhandenen Vorschädigung die Applikation eines Oberflächenschutzsystems ausreichend. Im Bild 11 sind beispielhaft Teilflächen eines Joches nach Betonabtrag mittels HDW-Handlanze dargestellt. Die Reprofilierung der HDW-gestrahlten Flächen erfolgte mit einem Spritzmörtel gemäß der damals geltenden Ausgabe 2004 der ZTV-W LB 219 [18] in Verbindung mit dem BAW-Merkblatt „Spritzmörtel/ Spritzbeton nach ZTV-W LB 219 [19]. Allerdings wurde in Absprache mit dem Produkthersteller ein Austausch des Zementes gegen einen NA-Zement vorgenommen. Als Anoden für die Außenwandflächen kam ein KKS- System mit in Schlitzen angeordneten Ti/ MMO-Bandanoden zum Einsatz. Abschließend wurde vollflächig an den Innen- und Außenseiten der Joche ein Oberflächenschutzsystem der Klasse OS 5b (Polymer-Zementschlämme) nach RL SIB [12] aufgetragen. 308 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee Bild 11: Teilflächen eines Jochs nach begonnenem Betonabtrag mittels HDW-Handlanze; Untersicht des Jochs im Bereich eines Pfahlkopfes (oben) sowie Innenwand zwischen zwei Pfahlköpfen (unten) Die Probeinstandsetzung der beiden Joche wurde im Jahr 2011 abgeschlossen. 6. Bauwerksuntersuchungen im Jahr 2019 Etwa 9 Jahre nach Abschluss der Probeinstandsetzung wurde eines der beiden in den Jahren 2010/ 2011 instandgesetzten Joche erneut handnah untersucht. Bei diesem Joch lagen im Jahr 2010 vor Beginn der Instandsetzung bereits große oberflächenparallele Hohllagen an den Innenseiten der Wände vor, zudem waren lokal auch bereits nennenswerte korrosionsbedingte Querschnittsverluste vorhanden. Dieses Joch war zum Zeitpunkt der damaligen Bauwerksuntersuchungen als ein besonders stark geschädigtes Joch eingestuft worden. Für die Untersuchung im Jahr 2019 wurde das Joch teilweise eingerüstet, um vor allem den innenliegenden Bereich zwischen den beiden Pfahlköpfen vollflächig untersuchen zu können. Bild 12 zeigt diesen Bereich im Jahr 2019. Im Zuge der handnahen Untersuchungen wurden keine erneut aufgetretenen Hohllagen festgestellt. Lediglich vereinzelt zeigten sich kleine Aussinterungen im Bereich von an die Pfahlköpfe angrenzenden Wandflächen sowie lokal einzelne kleinflächige Beschädigungen des OS 5b Systems. Bild 12: Mittlerer Bereich eines der im Jahr 2010/ 2011 instandgesetzten Joche im Jahr 2019 Auch bei dem zweiten Joch, welches im Jahr 2019 allerdings nicht handnah untersucht wurde, zeigten sich von einem Brückenuntersichtgerät keine Hinweise auf erneut aufgetretene Schäden. 7. Geplante Instandsetzungsmaßnahmen Aufgrund der positiven Erfahrungen mit den beiden im Zuge einer Probeinstandsetzung instandgesetzten Joche wurde beschlossen, nun auch die Instandsetzung weiterer Joche nach dem gleichen Prinzip vorzunehmen. Aufgrund der fortgeschrittenen Schädigungen wurde allerdings das Prinzip W-Cl nach RL SIB [12], d.h. das alleinige Aufbringen eines Oberflächenschutzsystems, an den Außenwandflächen nicht mehr angewendet, sondern nur noch die Instandsetzungsprinzipien R-Cl und KKS. Basierend auf den Ergebnissen der Ist-Zustandserfassung und den nachfolgenden Bauwerksprüfungen wurden in einem ersten Schritt besonders stark geschädigte Joche für eine Instandsetzung ausgewählt. In den kommenden Jahren sollen entsprechend ihres Ist-Zustandes weitere Joche folgen. 8. Zusammenfassung und Ausblick Die Komplexität bei der Bewertung von Schäden an Offshore-Bauten wurde anhand der Umschlaganlage Voslapper Groden in der Nordsee beschrieben. So beeinflussen die Konstruktion, die verwendeten Baustoffe, die Bauausführung sowie die Exposition die einzelnen Schädigungsmechanismen erheblich. Dieser Umstand erschwert die Auswahl geeigneter Instandsetzungskonzepte, da es durchaus sein kann, dass ein Instandsetzungsprinzip zwar einen Schädigungs- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 309 Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigten Anlegerbrücke in der Nordsee mechanismus stoppen, einen anderen jedoch verstärken kann. Auf Basis von Probeinstandsetzungen von zwei Jochen und der bislang positiven Erfahrungen über einen Zeitraum von 9 Jahren wurde im Jahr 2020 mit der Instandsetzung weiterer Joche begonnen. Nach und nach sollen nun sämtliche besonders stark geschädigten Joche der einzelnen Brücken sowie der Flächenbauwerke nach einem vergleichbaren Schema instandgesetzt werden. In Abhängigkeit des höchst unterschiedlichen Schädigungsgrades sind hier lokal jeweils bauteilspezifische Anpassungen erforderlich. Dies betrifft beispielsweise die bauteilflächenbezogene Auswahl der jeweils anzuwendenden Instandsetzungsprinzipien. 9. Literaturverzeichnis [1] Herrador, M.F. ; Martinez-Abella, F. ; Rabunal Dopicp, J.R.: Experimental Evaluation of Expansive Behavior of an Old-Aged ASR-Affected Dam Concrete: Methodology and Application. In: Materials and Structures (RILEM) 41 (2008), Nr. 1, S. 173-188 [2] Multon, S. ; Toutlemonde, F.: Effect of Applied Stresses on Alkali-Silica Reaction-Induced Expansions. In: Cement and Concrete Research 36 (2006), Nr. 5, S. 912-920 [3] RILEM TC 154-EMC ; Elsener, B. ; Andrade, C. ; Gulikers, J. ; Raupach, M.: Half-Cell Potential Measurements - Potential Mapping on Reinforced Concrete Structures. 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Zeitschrift Restoration of Buildings and Monuments. 2012 [18] ZTV-W LB 219: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen Wasserbau (ZTV-W) für die Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken (Leistungsbereich 219). Ausgabe 2004 [19] BAW-Merkblatt „Spritzmörtel/ Spritzbeton nach ZTV-W LB 219, Abschnitt 5“ Ausgabe 2005. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe. Lebenszyklusmanagement 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 313 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen Andreas Jansen, M.Sc. Technische Universität Berlin, Berlin, Deutschland Karsten Geißler, Prof. Dr.-Ing. Technische Universität Berlin, Berlin, Deutschland Zusammenfassung Die Ausreißererkennung mit Methoden des maschinellen Lernens kann genutzt werden, um Bauwerksschäden als Veränderungen in den Messdaten von kontinuierlichen Brückenmessungen zu identifizieren. Damit bietet dieser Ansatz großes Potenzial für die kontinuierliche Strukturüberwachung von Bestandsbrücken. Der vorliegende Aufsatz erläutert das zugrundeliegende Konzept der Ausreißererkennung. Am Beispiel des Monitorings einer Straßenbrücke mit unterschiedlichen Sensortypen werden vier Signalmerkmale zur Strukturüberwachung aufgeführt: die temperaturabhängige Auflagerverschiebung, die Schwingungseigenschaften sowie die Verhältniswerte von Integralen (R-Signatur) und Extremwerten von Dehnungsmessungen während Fahrzeugüberfahrten. Die Abhängigkeiten der Merkmale von äußeren Einflüssen, vorrangig der Temperatureinwirkungen, werden diskutiert. Die Anwendung der Ausreißererkennung mit unterschiedlichen Modellen des maschinellen Lernens wird anhand der Messdaten eines Jahres demonstriert. Dabei erweisen sich die Signalmerkmale der Dehnungsmessdaten als besonders geeignet zur Strukturüberwachung. 1. Einführung Beim Brückenmonitoring können zwei Bereiche unterschieden werden (Bild 1): zum einen Monitoring als Ergänzung einer statischen Nachrechnung und zum anderen die kontinuierliche Strukturüberwachung, engl. Structural Health Monitoring (SHM). Die Ergänzung der Nachrechnung durch Brückenmonitoring ist Stand der Technik und wird von spezialisierten Firmen bereits kommerziell angeboten. Im Rahmen des Monitorings wird i.d.R. zunächst eine Systemidentifikation vorgenommen, d.h. rechnerische Annahmen werden mittels der Messdaten überprüft und gegebenenfalls angepasst. Häufig wird dazu ein Finite Elemente- Modell anhand der Messdaten kalibriert. Bei einer automatisierten Anpassung der FE- Parameter durch Optimierungsalgorithmen wird von FE-Update gesprochen. Neben einem genaueren Berechnungsmodell bietet Monitoring die Möglichkeit, die Einwirkungen und Beanspruchungen am Bauwerk zu erfassen. Zur messtechnischen Erfassung von Ermüdungsbeanspruchungen können beispielsweise Dehnmessstreifen (DMS) an mehreren Querschnitten appliziert und die Messdaten durch Rainflowzählung ausgewertet werden. Für den Grenzzustand der Tragfähigkeit kann die Datenauswertung durch Extremwertstatistik erfolgen. Die objektspezifische Beanspruchung kann daraufhin in das Sicherheitskonzept zur Nachrechnung eingeordnet werden [1]. Zur genaueren Identifikation der Einwirkungen besteht neben der direkten Messung von Temperatur und Wind auch die Möglichkeit, Achslasten näherungsweise zu ermitteln. Entsprechende Verfahren werden unter Bridge Weigh-in- Motion (BWiM) zusammengefasst. Außerdem können bauwerksspezifische Fragestellungen, wie die Verfolgung von Rissbewegungen oder Setzungen, auf der Basis von Messungen untersucht werden. Die benötigte Messdauer für Monitoring als Ergänzung zur Nachrechnung erstreckt sich von einem Tag für die Systemidentifikation bis zu mehreren Monaten für die Identifikation von Beanspruchungskollektiven und Einwirkungen. 314 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen Bild 1 Teilbereiche des Brückenmonitorings Bei der Strukturüberwachung ist die Messung keine Ergänzung der Nachrechnung, sondern ein eigenständiges Bewertungsinstrument, durch das ein Bauwerksschaden erkannt werden soll, bevor er ein kritisches Ausmaß annimmt. Die Schadenserkennung wird dadurch erreicht, dass die Messdaten im ungeschädigten Zustand durch ein mathematisches Modell erfasst werden. Ein Schaden kann daraufhin durch die Abweichung neuer Messdaten im Vergleich zu den Vorhersagen des Modells erkannt werden. Als Modelle können physikalische Modelle, oder nichtphysikalische Modelle genutzt werden. Als physikalische Modelle kommen üblicherweise FE-Modelle zum Einsatz, die durch FE-Update kalibriert werden [2]. FE- Modelle bieten den Vorteil, dass der Ort und das Ausmaß eines Schadens, z.B. in Form einer lokalen Steifi gkeitsreduktion, direkt bewertet werden kann. Bei FE-Modellen besteht die Schwierigkeit, alle auftretenden Effekte, wie z. B. temperaturabhängige Steifi gkeiten zu erfassen. Ein weiterer Nachteil ist die Berechnungsintensität. Nicht-physikalische Modelle erfassen ausschließlich die Struktur der Messdaten. Hier fi nden zunehmend Methoden des maschinellen Lernens Anwendung [3], insbesondere Ansätze zur Ausreißererkennung. Diese Methoden sind fl exibler und weniger berechnungsintensiv als FE- Modelle. Ein Nachteil ist, dass die physikalischen Abhängigkeiten u. U. verborgen bleiben und lediglich die Präsenz einer Abweichung in den Messdaten erkannt werden kann. Diese kann durch einen Bauwerksschaden verursacht werden, aber beispielsweise auch durch einen Sensordefekt. Die Beurteilung einer Abweichung muss unbedingt durch eine Bauingenieur*in erfolgen. Unabhängig von den verwendeten Modellen basieren die meisten Ansätze zur Strukturüberwachung in der Literatur auf der Überwachung des Schwingungsverhaltens der Brücke. Die schwingungsbasierte Strukturüberwachung von Brücken konnte sich allerdings bisher nicht in der Praxis durchsetzen [4]. Aus diesem Grund werden in der jüngeren Forschung verstärkt Signalmerkmale untersucht, die Messungen von Weggrößen, wie Dehnungen [5], Neigungen [6] oder Verschiebungen [7] nutzen. Im Folgenden wird das Konzept der Ausreißererkennung für die Strukturüberwachung dargelegt. Am Beispiel einer Brücke wird ein Messsystem vorgestellt, das unterschiedliche Sensortypen nutzt, um möglichst viele Eigenschaften des Bauwerks zu erfassen. Neben den Schwingungseigenschaften werden drei weitere Signalmerkmale beschrieben, die für eine Strukturüberwachung mittels Ausreißererkennung verwendet werden. Die Abhängigkeiten der Merkmale von äußeren Einfl üssen werden beschrieben und eine Ausreißererkennung beispielhaft durchgeführt. 2. Konzept der Ausreißererkennung Mithilfe der Ausreißererkennung sollen Veränderungen des normalen Tragverhaltens durch einen Bauwerksschaden in den Signalen erkannt werden. Ausreißer bzw. Anomalien sind Punkte, die so weit von den restlichen Daten abweichen, dass ein Verdacht besteht, dass sie durch einen anderen Mechanismus entstanden sind [8]. Die Erkennung von Ausreißern ist für eine Vielzahl von Anwendungen relevant. Ein einfacher Fall ist der Ausschluss von Datenpunkten bei der Anpassung von statistischen Verteilungen oder Regressionsgeraden, auch als robuste Anpassung bezeichnet. Komplexere Anwendungsfälle fi nden sich beispielsweise in der Erkennung von Kreditkartenbetrug und im IT-Sicherheitsbereich. Erste Veröffentlichungen zur Anwendung für die Schadenserkennung bei mechanischen Strukturen fi nden sich um das Jahr 2000, z. B. [9]. Bild 2 Schematischer Ablauf der Strukturüberwachung mittels Ausreißererkennung Die Ausreißererkennung fällt beim maschinellen Lernen in die Kategorie der Klassifi zierung. Maschinelles Lernen soll hier als Oberbegriff für Methoden verstanden werden, die automatisch Muster in Daten erkennen und dadurch Vorhersagen bezüglich neuer Daten erlauben [10]. Die Eingangsgrößen einer Methode des maschinellen Lernens werden Merkmale (Features) genannt. Die 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 315 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen Aussagekraft der Merkmale bestimmt im großen Maße die Güte einer Vorhersage. Für die Strukturüberwachung ist das Ziel der Ausreißererkennung, den momentanen Bauwerkszustand anhand der Messdaten in die Kategorien ungeschädigt (normal) und geschädigt (anomal) zu klassieren. Der Ablauf der Strukturüberwachung einer Brücke mithilfe einer Ausreißererkennung ist schematisch in Bild 2 dargestellt. Die Rohdaten werden zunächst von der Brücke an einen zentralen Server übermittelt. Aus der großen Menge an Rohdaten werden daraufhin Merkmale extrahiert. Abhängig von der Art der Merkmale wird eine Vorverarbeitung der Daten (Abschnitt 4) benötigt. Da die Verkehrseinwirkung beim Brückenmonitoring im Regelfall nicht direkt gemessen werden kann, sollten geeignete Merkmale möglichst unabhängig von der Verkehrseinwirkung sein. Zusätzlich sollten die verwendeten Merkmale möglichst schadenssensitiv sein, sich also im Fall eines Bauwerksschadens wesentlich verändern. Die Ausreißererkennung wird durch einen Vergleich der Merkmale der neuen Messdaten x mit den Vorhersagen x* eines Modells realisiert. Die Abweichung wird dabei auch als Rekonstruktionsfehler ε bezeichnet und wird durch eine geeignete Norm, z.B. der euklidischen Distanz (Gl. 1) oder dem durchschnittlichen absoluten Fehler, berechnet. Überschreitet der Rekonstruktionsfehler eine defi nierte Schwelle, liegt ein Ausreißer vor. ε(x, x*) = || x x*|| 2 (1) Bei der Strukturüberwachung können als Modelle Regressionsmethoden oder Methoden zur Dimensionsreduktion genutzt werden (Bild 3). Bei Regressionsmethoden wird die Abhängigkeit f(ξ) eines Merkmals x von einer Einfl ussgröße ξ direkt abgebildet. Dies kann zum Beispiel die Abhängigkeit der Aufl agerverschiebung einer Brücke von der Außentemperatur sein. Abhängig von der Art des Zusammenhangs (linear/ nicht-linear) kommen z. B. Lineare-/ Polynomregression, Gauß-Prozess-Regression oder Regression mit neuronalen Netzen infrage. Bei einem Regressionsansatz besteht der Nachteil, dass die Einfl ussgröße in der Bauwerksmessung aufgezeichnet werden muss. Bild 3 Ansätze für die Ausreißererkennung: (a) Regression (b) Dimensionsreduktion mit anschließender Rekonstruktion Bei einem Ansatz über eine Dimensionsreduktion besteht der Aufbau aus einer Funktion f e (x), die eine Transformation der Merkmale x auf eine Variable ξ* in einem reduzierten Raum durchführt. Diese Funktion wird Encoder genannt. Die Variable ξ* enthält die wesentliche Information der Daten, auch Code oder latente Repräsentation genannt. Eine zweite Funktion f d (x), der Decoder, rekonstruiert die ursprünglichen Merkmale x* anhand der latenten Repräsentation. Als Beispiel sollen die Auflagerverschiebung und die Eigenfrequenz einer Brücke betrachtet werden. Angenommen bei beiden Merkmalen besteht eine Temperaturabhängigkeit, so können die Merkmale mittels des Encoders aus dem zweidimensionalen Raum auf die eindimensionale Variable ξ* reduziert werden. Durch ξ* wird die Temperaturabhängigkeit berücksichtigt, ohne dass diese gemessen wird. Werden mehrere Merkmale mit komplexeren Zusammenhängen berücksichtigt, ist es allerdings nicht gegeben, dass ξ* direkt einer realen physikalischen Einfl ussgröße ξ entspricht. Im Fall einer Temperaturabhängigkeit ist diese einfach zu messen. Der Vorteil eines solchen Vorgehens besteht allerdings darin, dass auch andere Einfl üsse, die schwieriger zu messen sind, erfasst werden, z.B. Abhängigkeiten von Fahrzeugeigenschaften während Überfahrten. Eine einfache Methode zur Dimensionsreduktion ist die Hauptkomponentenanalyse, engl. Principal Component Analysis (PCA). Mit der Hauptkomponentenanalyse kann ein Datensatz mit korrelierenden Variablen auf eine Linearkombination weniger unkorrelierter Variablen (Hauptkomponenten) reduziert werden [10]. Es handelt sich um eine lineare Transformation. Sollen auch nicht lineare Zusammenhänge abgebildet werden, eignen sich Ansätze mit neuronalen Netzen, sogenannte Autoencoder [10]. Je nach Aufbau der neuronalen Netze und der Art der verwendeten Schichten können äußerst komplexe Zusammenhänge berücksichtigt werden. Mit mehrschichtigen Netzen (Deep Learning) und Schichten, die auch zeitliche Abhängigkeiten erfassen können, z.B. Long Short-Term Memory- (LSTM-) Schichten, ist es theoretisch möglich, die Rohdaten direkt zu verarbeiten 316 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen und damit auf eine Vorverarbeitung und eine Extraktion von Merkmalen gänzlich zu verzichten (Bild 2). Ein solches Vorgehen ist allerdings zunächst sehr rechenintensiv und für die Anwender*in u. U. nur schwer zu interpretieren. 3. Bauwerk und Messsystem Die Merkmale zur Strukturüberwachung sollen anhand einer einfeldrigen im Grundriss gekrümmten (R = 525 m) Stahlhohlkastenbrücke der Stützweite L = 47 m mit schiefwinkliger Lagerung aus dem Jahr 1971 demonstriert werden. Die Brücke überführt eine stark befahrene Bundesstraße auf zwei getrennten Überbauten. Der Verkehr wurde aufgrund von Korrosionsschäden von zwei Spuren auf derzeit eine Spur je Überbau begrenzt. Das Messsystem nutzt unterschiedliche Sensortypen, um verschiedene Eigenschaften der Brücke kontinuierlich zu überwachen (Bild 4). Ziel der Konzeption des Messsystems ist es, mit einer geringen Anzahl an Sensoren sowohl globale Eigenschaften der Brücke wie die temperaturbedingte Aufl agerverschiebung oder Eigenfrequenzen als auch lokale Beanspruchungen durch DMS zu erfassen. Je Überbau wird die Verschiebung der Rollenlager (Bild 4b) auf der Loslagerseite mit jeweils einem induktiven Wegaufnehmer (WA) gemessen (a-wa, b-wa in Bild 4a). Mithilfe von zwei Beschleunigungsaufnehmern (BA) in Feldmitte wird das Schwingungsverhalten der Brücke aufgezeichnet. Insgesamt sechs DMS befi nden sich je Überbau in Feldmitte an den Stegblechen der jeweiligen Hauptträger (HT). Aufgrund der Schiefwinkligkeit liegen die Sensoren am HT-a und HT-b (b01-b04, a01, a02 in Bild 4a) nicht in einem Querschnitt. Die befahrene Fahrspur (FS) 2 liegt oberhalb des HT-b. Weitere DMS zur Erfassung von Fahrzeuglasten befi nden sich an den Fahrbahnrippen und den Querträgern. Diese Sensoren werden für die Strukturüberwachung allerdings nicht berücksichtigt. (a) (b) Bild 4 Auszug der verwendeten Sensorik: (a) DMS im Querschnitt in Feldmitte, (b) Wegaufnehmer am Rollenlager des HT-b Die Bauwerks- und Außentemperatur wird mit insgesamt 10 Temperatursensoren gemessen. In der Auswertung hat sich gezeigt, dass vor allem die Temperatur unterhalb des Deckblechs und am Untergurt einen Einfl uss hat. Aus der Differenz der beiden Temperaturen ergibt sich ein Temperaturgradient ΔT über der Querschnittshöhe. Die Sensoren werden mit 50 Hz abgetastet. In der folgenden Auswertung werden die Messdaten eines Jahres für einen Überbau betrachtet. 4. Datenvorverarbeitung Für die Berechnung der Merkmale müssen die Signale zunächst in ihre Anteile aufgeteilt werden. Die Signale von Sensoren, die Weggrößen messen, setzen sich bei kleineren Straßenbrücken vorrangig aus einem langwelligen Anteil aus Temperatureinwirkung und einem kurzwelligen Anteil aus Verkehrseinwirkung zusammen. Die Signalanteile können außerdem in statische Anteile mit Frequenzen, die wesentlich niedriger sind als die Eigenfrequenzen des Bauwerks und dynamische Anteile mit Frequenzen in der Nähe und oberhalb der Eigenfrequenzen zerlegt werden. Ein letzter Signalanteil besteht aus Messfehlern, wie z. B. elektrischem Rauschen, Brummen oder Sensordrifts. Im Rahmen der Vorverarbeitung der Messdaten der DMS und der WA wird der Anteil aus Temperatur- und Verkehrseinwirkung getrennt (Bild 5). Die weiteren Signalanteile zeigen nur einen geringen Einfl uss, weshalb auf eine weitere Trennung verzichtet wird. Die Merkmale werden dann separat für den Temperaturanteil x T (Abschnitt 5.1) und den Anteil aus Verkehr x V berechnet. Als Merkmale während Verkehrseinwirkung wird das numerische Integral I (Abschnitt 5.3) und der Extremwert E (Abschnitt 5.4) je Überfahrt betrachtet (vgl. Bild 5a). Die Messdaten der Beschleunigungssensoren enthalten nur dynamische Anteile. Die Vorverarbeitung der Daten für die Modalanalyse (Abschnitt 5.2) beschränkt sich auf eine Trendbereinigung, sodass die Zeitreihen einen Mittelwert von Null haben. Die Datenvorverarbeitung und die Extraktion der Merkmale erfolgen automatisiert in einem Datenbanksystem. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 317 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen (a) (b) Bild 5 Datenvorverarbeitung durch Trennung der Signalanteile aus Verkehrs- und Temperatureinwirkung: (a) Detailansicht für Sensor b01mit Extremwert E und Integral I als Merkmal, (b) Tagesverlauf für Sensor b-wa 5. Merkmale 5.1 Aufl agerverschiebung durch Temperatureinwirkung Aus den Signalen der WA an den Rollenlagern wird die temperaturabhängige Aufl agerverschiebung als Merkmal extrahiert. Nach der Trennung der Signalanteile wird dazu der Mittelwert von x T je 15-Minuten Zeitfenster gebildet. Durch die Berechnung dieses Merkmals soll die Funktionsfähigkeit des Lagers überwacht werden und Schäden, wie das Blockieren eines Lagers, erkannt werden. Der zeitliche Verlauf der Messdaten ist in Bild 6 zu sehen. Der Verlauf der Verschiebung ist bei beiden Lagern synchron. Am Sensor a-wa kam es im Mai und Juni 2019 zu Ausfällen. Während Wartungsarbeiten am 09.04.2020 hat sich die Kalibrierung der Sensoren verändert. Die Veränderung der Kalibrierung lässt sich einfach in den Daten entfernen, allerdings soll sie hier beibehalten werden, um zu demonstrieren, wie die Abweichung mittels der Ausreißererkennung identifi ziert werden kann (Abschnitt 6). Bild 6 Verlauf der temperaturbedingten Aufl agerverschiebungen über den Messzeitraum In Bild 7 ist die Aufl agerverschiebung des Rollenlagers in Abhängigkeit der Temperatur unterhalb des Deckblechs dargestellt. Es ist zu sehen, dass sich nahezu ein linearer Zusammenhang ergibt. Dieser lineare Zusammenhang kann durch lineare Regression (LR, n in = 1) angenähert werden. Wird in der Regression zusätzlich die Temperatur am Untergurt als Eingangswert berücksichtig (n in = 2), kann ein größerer Anteil der Varianz der Daten erfasst werden. Bild 7 Aufl agerverschiebung in Abhängigkeit von der Temperatur unterhalb des Deckblechs mit linearer Regression 5.2 Schwingungseigenschaften Ein Vorteil der Schwingungseigenschaften (Eigenfrequenzen, Schwingungsform und modale Dämpfung) als Merkmale besteht darin, dass sie bei Straßenbrücken i.d.R. nur unwesentlich von der Verkehrsbelastung abhängig sind und dadurch unter Betriebsbedingungen einfach bestimmt werden können. Allerdings besteht der Nachteil, dass sich insbesondere Eigenfrequenzen infolge von Bauwerksschäden nur geringfügig ändern. Zusätzlich unterliegen die Eigenfrequenzen Variationen infolge von Temperatureinwirkungen, die deutlich größer sein können als Veränderungen durch Schäden. Als 318 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen eine wesentliche Einfl ussgröße wird dabei die temperaturabhängige Steifi gkeit des Asphaltbelags identifi ziert, s. a. [11]. Aus den Beschleunigungsmessdaten werden Eigenfrequenzen und Schwingungsformen mithilfe der Frequency Domain Decomposition (FDD) berechnet [12]. Es erfolgt eine automatische Erkennung von lokalen Maxima in den Spektren des ersten und zweiten Singulärwerts. Es wird zunächst angenommen, dass die Verkehrseinwirkung bei der betrachteten Brücke nur einen geringen Einfl uss hat. Aus diesem Grund erfolgt die Modalanalyse ohne eine Trennung unterschiedlicher Signalanteile jeweils für Zeitfenster von 15 Minuten. Die Frequenzen und Schwingungsformen der Maxima werden gespeichert. Auf eine Ermittlung der modalen Dämpfung wird verzichtet. Drei Schwingungen mit Mittelwerten der Frequenzen von f 1 = 2.20 Hz (Biegung), f 2 = 3.38 Hz (Torsion), f 3 = 8.95 Hz (Biegung) können verlässlich identifi ziert werden. Der zeitliche Verlauf der Eigenfrequenzen ist in Bild 8 dargestellt. Insbesondere bei f 3 lässt sich eine Temperaturabhängigkeit feststellen. Bei f 1 zeigt sich ein sprunghafter nicht-linearer Anstieg bei Temperaturen um 0 °C (Bild 10). Ähnliche Beobachtungen zeigen Veröffentlichungen zu anderen Brücken [11]. Bild 8 Verlauf der Eigenfrequenzen über den Messzeitraum Für die Eigenfrequenzen wird aufgrund der nicht-linearen Eigenschaften ein Regressionsansatz mit einem neuronalen Netz, ein Multi-Layer Perceptron (MLP) [10], mit einer versteckten Schicht (25 Neuronen, TanH- Aktivierungsfunktion, Adam-Solver), gewählt. Zunächst wird nur die Temperatur unterhalb des Deckblechs als Eingangsgröße genutzt (n in = 1). Die Ergebnisse sind in Bild 9 dargestellt. Ähnlich wie bei der Aufl agerverschiebung zeigt sich, dass ein größerer Anteil der Varianz der Daten durch die zusätzliche Berücksichtigung der Temperatur am Untergurt erfasst werden kann (n in = 2). Dies gilt hauptsächlich für Temperaturen über 25 °C. Es zeigt sich, dass im Bereich zwischen 0 °C und 30 °C weiterhin größere Abweichungen zwischen dem Modell und den Messdaten bestehen. Hier ist zu klären, ob die Verkehrseinwirkung eine weitere Einfl ussgröße ist. Beispielsweise könnte die Haftreibung der Lager erst ab einer gewissen Verkehrslast überwunden sein, wodurch die Eigenfrequenzen beeinfl usst werden. Für diesen Fall ist die Modalanalyse für ein 15 Minuten- Zeitfenster ungeeignet, stattdessen ist eine Analyse des Ausschwingverhaltens der Brücke jeweils unmittelbar nach einer Überfahrt zielführender. Bild 9 Erste Eigenfrequenz in Abhängigkeit von der Temperatur unterhalb des Deckblechs mit MLP-Regression Im Bereich von tiefen Temperaturen (< 3 °C) kommt es hier ebenfalls zu größeren Abweichungen, s. Bild 9. Da der Messzeitraum in ein relativ warmes Jahr fällt, liegen für diese niedrigen Temperaturen nur wenige Daten vor, was die Güte der Anpassung des Modells in diesem Bereich negativ beeinfl usst. 5.3 Integrale Für ein Fahrzeug, das eine Brücke genau mittig auf der Fahrspur quert, kann gezeigt werden, dass das Integral I k über das Signal s k eines Sensors k, der eine Weggröße misst, proportional zur Masse und reziprok proportional zur Geschwindigkeit des querenden Fahrzeugs ist [13]. Ein Einfl uss der Fahrzeuggeometrie, also der Achsabstände besteht nicht. Wird der Verhältniswert zwischen dem Integral I j des Sensors j und dem Integral I k des Sensors k betrachtet, so entfällt die Fahrzeugmasse sowie die Geschwindigkeit und der Wert ist theoretisch konstant (Gl. 2). R(s j , s k ) = I j / I k = const. (2) Dieser Verhältniswert wird als R-Wert bezeichnet und in einer anderen Veröffentlich der Autoren, die zeitnah erscheinen soll, genauer behandelt [14]. Die R-Werte aller möglichen Sensorpaare können in einem Vektor zusammengefasst werden. Dieser Vektor wird als R-Signatur bezeichnet. Ähnlich einer Schwingungsform gibt die R-Signatur Auskunft über die Steifi gkeitsverteilung im Tragwerk. Ändert sich die Steifi gkeitsverteilung durch 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 319 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen einen Bauwerksschaden, zeichnet sich dies in der R-Signatur ab. Simulationen mit einem FE-Modell, in dem ein unterschiedlich langer Riss in den Untergurt des beschriebenen Bauwerks eingeprägt wird, zeigen, dass die R-Signatur deutlich empfi ndlicher auf diesen Schaden reagiert, als die vorab betrachteten Eigenfrequenzen. Entsprechend erweist sich die R-Signatur als ein sehr geeignetes Merkmal zur Strukturüberwachung. In Realität variieren die Positionen in Brückenquerrichtung, in denen Fahrzeuge die Brücke queren. Es zeigt sich (Bild 10a), dass die Variation dieser Spurlage innerhalb einer Fahrspur einen annähernd linearen Einfl uss auf die R-Werte zwischen den verschiedenen Sensorpaaren hat. Diese Beobachtung deckt sich mit den Ergebnissen der Simulationen [14]. Dieser lineare Zusammenhang von einer Größe, die nicht gemessen wird, kann in geeigneter Weise durch die Hauptkomponentenanalyse erfasst werden [10]. In Bild 10a ist die Richtung der ersten Hauptkomponente (PC 1) dargestellt. Neben der Spurlage ist ein schwacher linearer Einfl uss der Temperatur zu verzeichnen (Bild 10b). Der Verlauf von drei R-Werten über den Messzeitraum ist in Bild 11 dargestellt. Insgesamt stehen im Messzeitraum rund 110.000 Überfahrten von Fahrzeugen über 7.5 t zur Verfügung. Der Mittelwert und die Varianz der Merkmale bleiben über den Messzeitraum annähernd konstant. Werden die Mittelwerte je Tag betrachtet, verringert sich der Einfl uss der Spurlage und der Einfl uss der Temperatur ist schwach erkennbar. (a) (b) Bild 10 (a) Lineare Abhängigkeiten zwischen R-Werten mit erster Hauptkomponente (PC 1), (b) R-Wert in Abhängigkeit von der Temperatur unterhalb des Deckblechs mit linearer Regression Bild 11 Verlauf von drei R-Werten über den Messzeitraum 320 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen Bild 12 Verlauf von drei M-Werten über den Messzeitraum 5.4 Extremwerte Als viertes Signalmerkmal soll der Verhältniswert der Extremwerte, also der Minimal- und Maximalwerte, zwischen den Signalen s verschiedener Sensoren j und k während einzelnen Fahrzeugüberfahrten betrachtet werden (Bild 5, Gl. 3). Dieser Zusammenhang wird mit M bezeichnet. M(s j , s k ) = E j / E k (3) Anders als der R-Wert ist das Verhältnis der Extremwerte abhängig von der Fahrzeuggeometrie, also den Achsabständen. Es zeigt sich allerdings, dass dieser Einfl uss für die betrachteten Sensoren gering ist. Der zeitliche Verlauf für drei Sensorpaare ist in Bild 12 zu sehen. Der Mittelwert und die Varianz der Merkmale bleiben über den Messzeitraum annähernd konstant. Die Abhängigkeiten von der Spurlage und der Temperatur ergeben sich äquivalent zu den R-Werten. 6. Anwendung der Ausreißererkennung Eine Ausreißererkennung wird exemplarisch anhand der vorgestellten Merkmale durchgeführt. Um eine Vergleichbarkeit der verschiedenen Merkmale zu erhalten, werden die Daten zunächst standardisiert, so dass sich für jedes Merkmal ein Mittelwert von 0 und eine Standardabweichung von 1 ergeben. Für die Aufl agerverschiebung und die Eigenfrequenzen wird ein Regressionsansatz, für die Integrale und Extremwerte ein Ansatz über eine Dimensionsreduktion mit anschließender Rekonstruktion mittels Hauptkomponentenanalyse verwendet. Die Modelle werden anhand der Daten von Mai 2019 bis einschließlich Februar 2020 angepasst (Lernphase). Dabei werden nur 80 % der Daten der Lernphase für die eigentliche Anpassung verwendet (Trainingsdaten) und 20 % für die Validierung des Modells (Testdaten). Nur wenn sich ein vergleichbarer Fehler bei der Anwendung des Modells auf die Trainings- und die Testdaten ergibt, gilt das Modell als valide. Als Anwendungsphase wird März und April 2020 defi niert. Für die Ausreißererkennung wird die durchschnittliche Summe der absoluten Fehler als Rekonstruktionsfehler betrachtet. Da es insbesondere bei den Merkmalen, die einzelne Überfahrten bewerten, vereinzelt zu großen Fehlern kommt, wird der Median des Rekonstruktionsfehlers je Tag für die Ausreißererkennung herangezogen. Eine Schwelle für den Rekonstruktionsfehler, ab der ein Tag als Ausreißer gewertet wird, kann durch Anpassungen von Verteilungsfunktionen statistisch begründet werden. Hier wird vereinfacht das empirische 99%-Quantil des Medians des Rekonstruktionsfehlers der Lernphase verwendet. Als Merkmal für die temperaturbedingte Aufl agerverschiebung werden die Daten des Sensors b-wa genutzt. Als Modell wird die lineare Regression (n in = 2) mit der Temperatur unterhalb des Deckblechs und am Untergurt verwendet (Abschnitt 5.1, Bild 7). Der zeitliche Verlauf des Rekonstruktionsfehlers ist in Bild 13a zu sehen. Im Vergleich zu den anderen Merkmalen unterliegt der Fehler nur wenigen Streuungen innerhalb eines Tages. Allerdings zeigt sich, dass das Modell nicht alle Einfl ussgrößen abbildet und es insbesondere im Mai 2019 und März 2020 zu größeren Fehlerwerten kommt. Die veränderte Kalibrierung am 09.04.2020 ist klar als Ausreißer zu identifi zieren. Dies demonstriert, dass z. B. Sensorausfälle durch das Vorgehen erkannt werden können. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 321 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen (a) (b) (c) (d) Bild 13 Anwendung der Ausreißererkennung - Verlauf der Rekonstruktionsfehler: (a) temperaturbedingte Aufl agerverschiebung am Aufl ager HT-b, (b) Erste Eigenfrequenz, (c) R-Werte, (d) M-Werte Für die Überwachung der Eigenfrequenzen wird die erste Eigenfrequenz mit dem Regressionsmodell MLPR (n in = 2) betrachtet (Abschnitt 5.2, Bild 9). Hier kommt es in der Lernphase zu vereinzelten Ausreißern (Bild 13b). Dies ist durch die Abweichung zwischen Modell und Messung für gewisse Temperaturbereiche zu erklären (Abschnitt 5.2). Für die überwiegende Zeit, insbesondere für den Anwendungszeitraum, liefert die Rekonstruktion relativ konstante Fehler. Für die Verhältniswerte der Integrale und der Extremwerte werden die Sensoren am b01, b02, a01 und a02 berücksichtigt. Es ergeben sich sechs verschiedene Sensorpaare je Merkmal. Mithilfe der Hauptkomponentenanalyse werden die jeweils sechs Verhältniswerte auf eine Linearkombination von drei Hauptkomponenten reduziert. Es zeigt sich, dass durch drei Hauptkomponenten nahezu die gesamte Varianz der Daten erfasst wird. Die Anzahl an Hauptkomponenten stimmt außerdem mit der Anzahl der bekannten Einfl üsse überein: der Spurlage, der Temperatur unterhalb des Deckblechs und der Temperaturgradient. Der durchschnittliche Rekonstruktionsfehler für die R-Signatur ist in Bild 13c und für die Verhältniswerte der Extrema in Bild 13d dargestellt. Bei beiden Fehlergrößen ergeben sich für einzelne Überfahrten innerhalb eines Tages vereinzelt höhere Werte. Der Median je Tag bleibt allerdings für den gesamten Messzeitraum konstant niedrig, insbesondere im Vergleich zu den anderen Merkmalen. Zusammen mit den Simulationen (siehe [14]) bestätigt sich, dass sowohl die R-Signatur als auch die Verhältniswerte der Extrema geeignete Merkmale zur Strukturüberwachung darstellen. In der Anwendungsphase wird nur für die Aufl agerverschiebung ein Ausreißer erkannt. Dies spricht dafür, dass der verursachende Mechanismus entweder ein Sensorschaden oder ein Bauwerksschaden mit sehr lokalem Einfl uss ist. Im vorliegenden Fall ist bekannt, dass die Neukalibrierung des Sensors den Ausreißer verursacht. Bei einer unbekannten Ursache muss sowohl das Messsystem als auch das Bauwerk auf Schäden untersucht werden. 7. Schlussfolgerungen und weitere Forschung Durch eine Kombination der Merkmale aus Wegmessungen an den Aufl agern, Beschleunigungs- und Dehnungsmessungen überwacht das vorgestellte System eine Bandbreite an Bauwerkseigenschaften. Die Merkmale, die aus den Dehnungsmessungen extrahiert werden (R- und M- Werte) zeigen nahezu konstante Rekonstruktionsfehler über den Verlauf der Messung und erweisen sich damit 322 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ausreißererkennung zur Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring mit vier Signalmerkmalen als besonders geeignet für die Strukturüberwachung. In der Anwendungsphase der Ausreißererkennung wird demonstriert, dass eine Veränderung der Signalmerkmale durch eine Neukalibrierung eines Sensors erkannt wird. Aus den Untersuchungen ergeben sich folgende weitere Forschungsansätze: • Es ist zu untersuchen, welche Bauwerksschäden und ab welchem Schadensausmaß diese durch das System sicher erkannt werden können. Da 1: 1 Versuche mit gezielter Schadenseinprägung für Brücken quasi nicht möglich sind, muss das zunächst durch FE- Simulationen erfolgen. In diesen Simulationen müssen die komplexen Temperatureinflüsse auf die Bauwerkseigenschaften detailliert berücksichtigt werden. • Bei der temperaturbedingten Auflagerverschiebung und der ersten Eigenfrequenzen kann das verwendete Modell nicht alle real auftretenden Variationen abbilden. Hier wird geprüft, ob die Modelle verbessert werden können. Bei den Eigenfrequenzen wird weiterhin untersucht, ob durch eine Modalanalyse je Überfahrt Einflüsse durch das Fahrzeuggewicht identifizierbar sind. • Im weiteren Verlauf der Messung wird sich zeigen, wie das System auf ungewöhnlich hohe oder tiefe Temperaturen reagiert. Da die Modelle in Bereichen mit wenigen Daten schlechter angepasst sind, werden für extreme Temperatureinwirkungen größere Rekonstruktionsfehler erwartet. Hier ist zu untersuchen, wie eine Bewertung der Struktur unter außergewöhnlicher Einwirkung erfolgen kann. • Bisher werden separate Modelle für die unterschiedlichen Merkmale verwendet. Es ist zu prüfen, ob es Vorteile birgt, die Merkmale aller Sensoren in einem einzigen Modell zu vereinen. Aufgrund der nicht-linearen Eigenschaften der Eigenfrequenzen, ist hierzu ein Autoencoder ein geeigneter Ansatz. Danksagung: Die Autoren möchten sich beim Landesbetrieb für Straßenwesen Brandenburg für die Bereitstellung der Messdaten und die Ergebnisdiskussion bedanken. 8. Literatur [1] Geißler, K.; Steffens, N.; Stein, R.: Grundlagen der sicherheitsäquivalenten Bewertung von Brücken mit Bauwerksmonitoring. In: Stahlbau 88 (2019), Heft 4, S. 338-353. [2] Teughels, A.; De Roeck, G.: Damage detection and parameter identification by finite element model updating. In: Revue Européenne de Génie Civil, Vol. 9 (2005), Iss. 1-2, pp. 109-158. [3] Farrar, C. R.; Worden, K.: Structural health monitoring: a machine learning perspective. John Wiley & Sons, Chichester, 2012. [4] Brownjohn, J. M.; De Stefano, A.; Xu, Y. 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Kolloquium Brückenbauten - September 2020 323 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen Alois Vorwagner, Maciej Kwapisz, Dominik Prammer Center for Mobility Systems AIT Austrian Institute of Technology GmbH, Wien, Österreich Prof. Werner Lienhart, Christoph Monsberger, Madeleine Winkler Institut für Ingenieurgeodäsie und Messsysteme (IGMS) Technische Universität Graz, Graz, Österreich Urs Grunicke UHG Consult ZT, Infrastructure Asset Management, Salzburg, Österreich Zusammenfassung Risse, deren Entstehung, Rissmuster und fortlaufende Änderungen dienen als wichtige Indikatoren für die Bauwerksbeurteilung. Änderungen der Tragwerksbeanspruchung korrelieren meist mit typischen Rissmustern, sodass eine umfassende Registrierung und Dokumentation, insbesondere der Rissweiten, und Veränderungen von Rissmustern für eine Zustandserfassung wie Brücken- oder Tunnelinspektion erforderlich ist. Risse und deren Änderungen werden an Bestandsbauwerke derzeit meist visuell anhand von Rissweitenschablonen oder Risslupen bestimmt und kartiert. Ein automatisches Monitoring mit beispielsweise Fissurometer oder Weggebern liefert in Sonderfällen an diskreten Punkten Messwerte auch über einen längeren Zeitraum. Auch wenn bereits automatisierte Inspektionssysteme auf Basis optischer Erfassungssystemen vorhanden sind, sind diese oft in der räumlichen Auflösung begrenzt, unzureichend zuverlässig und benötigen immer einen freien Blick und Zugänglichkeit auf die Konstruktion. In diesem Beitrag wird die Anwendung eines neuen Verfahrens basierend auf verteilten faseroptischen Messungen und dessen mögliche Anwendung an Bestandsbauten vorgestellt. Mit nachträglich am Bauwerk angebrachten Glasfaserkabeln können u.a. Dehnungsmessungen mit einer hohen Messpräzision von ca. 1µm/ m alle 10 mm mit Messlängen bei bis 70 m bzw. unter Einschränkungen auch bis zu mehreren km Faserlänge durchgeführt werden. Damit wird die Identifizierung lokaler Schäden wie Risse in der Struktur oder unerwartete Veränderungen im Dehnungsmuster und der Temperatur möglich. Da das System nachträglich auf die Betonoberfläche appliziert werden kann, können auch nicht zugängliche Bereiche (z.B. hinter Verkleidungen zur Brandschutzertüchtigung) überwacht werden. Aus den gemessenen Dehnungsprofilen kann die effektive Rissbreite auf bis zu 0,01 mm genau ermitteln werden. 1. Einleitung Risse und deren Veränderungen sind in der Bestandsbeurteilung von Gebäuden oder Tragwerken ein wichtiger Parameter für die Bewertung des Zustandes. Deren Verlauf oder Muster sowie deren Veränderungen können Rückschlüsse auf Änderungen in Beanspruchungen oder Materialschäden geben und sind somit auch ein wichtiges Vorhersageinstrument in der Bauwerksbeurteilung. Für Ingenieurbauwerke (Brücken, Tunnel) finden Risskartierungen im Zuge der Bauwerksinspektionen in üblichen Intervallen zwischen 6 (Brücke) und 12 Jahren (Tunnel) statt. Anlassbezogen können diese Intervalle kürzer ausfallen oder das Tragwerk einem dauerhaften Monitoring versehen werden. 1.1 Risserfassung Grundsätzlich muss bei der Erfassung von Rissen zwischen der automatischen Rissdetektion und der Bestimmung der Breite und Tiefe von bereits bekannten Rissen unterschieden werden. Ist die Position von Rissen bereits bekannt, so kann deren Breite im einfachsten Fall manuell durch einen visuellen Abgleich mit einem Rissbreitenlinear erfolgen. Diese Aufnahme ist jedoch subjektiv, eine genaue Kartierung schwierig und eine kontinuier- 324 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen liche Messung nicht möglich. Um die Veränderung von Rissen automatisch zu beobachten, können punktuell lineare Wegaufnehmer eingesetzt werden. Diese ermöglichen die Bestimmung der Änderung in eine Richtung. Für eine Bestimmung der Rissbewegung in alle drei Raumrichtungen können Fissurometer verwendet werden. Diese stellen eine Sonderform des linearen Wegaufnehmers dar. Durch spezielle Aufnahmeköpfe auf beiden Seiten eines Risses können mittels mehrerer manueller oder automatischer Wegaufnehmer die Verschiebungen in zueinander orthogonale Richtungen erfasst werden. Auch wenn diese Messverfahren die genaue Messung der Veränderung eines einzelnen Risses ermöglichen, ist eine Bestimmung des Rissbildes damit nicht möglich. Die Lokalisierung von einzelnen Rissen und die Bestimmung von Rissbildern ist nur mittels lückenlosen Messverfahrens möglich. Zum Stand der Technik gehören dabei bildgebende Messverfahren und Laserscanning. Bildgebende Messverfahren verwenden Ansätze aus der Photogrammmetrie, der Bildverarbeitung und des maschinellen Sehens. Beleuchtungsqualität und Luftqualität sind entscheidend. Eine geringe Lichtstärke und staubige Luft liefern Bilder mit hohem Rauschen, wodurch eine genaue Auswertung schwierig oft auch unmöglich wird. Weiters kann sich Schmutz an den Rissen ablagern, sodass diese in den Bilddaten größer als tatsächlich erscheinen oder gar nicht erst erkennbar sind. Laserscanningverfahren eigen sich sehr gut, um großräumige Aussagen zu treffen. Für die Detektion von feinen Rissen ist die Divergenz der ausgesandten Laserstrahlen jedoch zu groß. Das Abtastraster des Lasers beträgt üblicherweise ein Vielfaches der Rissbreite, weshalb die Risse in der Punktwolke nur ungenügend abgebildet werden. All diese Techniken zur Rissbilderfassung zeichnen sich derzeit noch durch starke manuelle Arbeit aus und sind oft auch subjektiv. Zusätzlich erfordern nahezu alle der derzeitigen Verfahren eine Zugänglichkeit zum Bauteil oder freie Sichtverbindungen. Falls diese durch Verkleidungen abgedeckt sind oder nicht ausreichend nah erreicht werden, können in diesen Bereichen auch keine Risse detektiert werden. 2. Verteilte optische Fasermessungen Verteilte faseroptische Messverfahren (Distributed Fibre Optic Sensing, DFOS) basieren auf optischen Sensorkabeln, welche in das Bauteil eingegossen oder nachträglich verklebt werden können. Die Glasfaser agiert gleichzeitig Leitmedium und Sensor. Der wesentliche Vorteil ist, dass damit nicht nur punktuelle Messungen bei bereits bekannten Schadstellen durchgeführt, sondern strukturelle Informationen über die gesamte Faserlänge bestimmt werden können. Damit ist eine Erfassung von Dehnungs- und Temperaturzuständen über die gesamte Sensorkabellänge entlang ganzer Bauwerke möglich. In der Boden- und Felsmechanik sind aktuell vermehrt DFOS-Anwendungen in der Literatur bekannt. Beispielsweise eignen sich DFOS Systeme zur Erfassung von Dehnungsverteilungen entlang von Anker- oder Pfahlsystemen, aus welchen sich mechanische Kraftflüsse ableiten lassen, siehe [1] oder [2]. Des Weiteren sind ebenso Anwendungen im maschinellen und konventionellen Tunnelbau bekannt [3]. Durch die nachträgliche Applikation können mit dieser Technologie gerade für die Zustandserfassung und Rissmessung entlang von bestehenden Infrastrukturbauten neue Monitoring-Möglichkeiten geschaffen werden. 2.1 Messprinzip Das grundlegende Messprinzip faseroptischer Sensoren beruht auf einem optischen Lichtpuls, der durch eine Ausleseeinheit (Interrogator) in eine Glasfaser eingekoppelt wird, welche gleichzeitig als Mess- und Leitmedium dient. Eine grundlegende Unterscheidung ist das verwendete Messprinzip, womit der Auflösungsgrad der Messung definiert wird. In Abbildung 1 sind drei der grundlegenden Verfahren dargestellt. Bei quasiverteilten Messungen mit Faser-Bragg-Gitter/ FBG-Sensoren wird das Glasfaserkabel mit (Bragg) Gittern vorbehandelt. Damit ist die Messung nicht lückenlos und es bleiben blinde Flecken zwischen den Messpunkten vorhanden. Verteilte faseroptische Sensorsysteme besitzen den wesentlichen Vorteil, dass das Messkabel weder vorbehandelt werden muss und zudem auch sehr kostengünstig sein können. Grundlegend wird dabei bei der Dehnungsmessung zwischen zwei unterschiedlichen Messverfahren unterschieden. Brillouin Messungen ermöglichen typischerweise eine Ortsauflösung von 0.5m. Folglich verschmieren sich Risse über einen größeren Bereich und treten möglicherweise nicht aus dem Rauschen heraus. Außerdem können mehrere Risse nur ein kombiniertes Signal liefern, wodurch lokale Effekte wie Risse im Messsignal nicht detektierbar sind. Im Gegensatz zu Brillouin Messungen können mit Messverfahren basierend auf der Rayleigh-Rückstreuung Dehnungen lückenlos und mit einer Ortsauflösung von 1 cm oder weniger erfasst werden. In der Vorstellung ist dies ein Sensor, der aus einer Kette von tausenden Dehnmesstreifen entlang eines einzelnen Kabels im Abstand von 1 cm oder weniger besteht. Neue Risse können detektiert und die zugehörige Rissweitenänderungen abgeleitet werden. Abbildung 1 Risserfassung mit faseroptischen Messverfahren: FBG Messverfahren (links oben), rechts oben 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 325 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen Brillouin Messverfahren (rechts oben) und Rayleigh Messverfahren (unten). Ein entwickeltes Rayleigh-Messsystem wurde bereits erfolgreich zur Erkennung und Lokalisierung und von Rissen in bewehrten Betontübbingen eingesetzt [4]. Abbildung 3 zeigt, dass Risse bei einem bewehrten Belastungstest durch lokale Dehnungsspitzen erkennbar sind. Abbildung 2 Rissdetektion im Inneren von Tübbingen mit verteilten faseroptischen Messungen basierend auf der Rayleigh-Rückstreuung [4] 2.2 Rissbestimmung Zur Identifi kation neuer Risse müssen die gewählten Sensorkabel und die Befestigungsmittel aufeinander abgestimmt werden. Theoretisch geht eine Rissbildung mit einer sprunghaften Dehnungszunahme einher. Da die Dehnung als ε = ΔL/ L defi niert ist, bedeutet dies hypothetisch ε = ΔL/ L = ∞, eine unendliche hohe Dehnung an der Position des Risses. Würde die Messfaser die Bewegung des reißenden Betons 1: 1 mitmachen, kann diese die hohe Dehnung nicht aufnehmen und würde ebenfalls reißen. In der Realität besitzt aber jedes Messkabel einen mehrschichtigen Aufbau, weshalb diese Dehnungsspitze über eine größere Basislänge L ≠ 0 verteilt wird. Um aus dem verschmierten Messsignal die tatsächliche Rissbreite bestimmen zu können, ist daher eine geeignete Faser für den erwarteten Rissbereich zu verwenden. Dazu sind folgende Fragestellungen zu beantworten: • Zusammenhang zwischen Dehnungsspitze, Dehnungsverlauf und Rissbreite. Dies ist essentiell, damit nicht nur eine Rissentstehung detektiert wird, sondern auch seine Breite bestimmt werden kann. • Rissprognosemodell: numerische Nachbildung, damit Rissentstehung und unterschiedliche Eingangsparameter wie Neigung, Rissverlauf in der Berechnung der Rissweite richtig berücksichtigt werden. • Zuverlässigkeit der Messung bzw. Messbereich, in welchem kein Bruch der Messfaser oder Verklebung entsteht bzw. durch eine Hysterese verfälscht werden. • Maximal erfassbare Rissweite. Für Langzeitanwendungen ist es essentiell, dass die Messfaser auch beim Auftreten von Rissen nicht zerstört wird. Falls ein Faserbruch auftritt, kann nur mehr bis zum Ort des Bruches gemessen und die dahinterliegende Messstrecke nicht mehr erfasst werden. Einige der oben genannten Punkte stehen im Gegensatz zueinander. Ein robusteres Sensorkabel verschmiert das Signal stärker, sodass die minimal detektierbare Rissbreite verschlechtert wird. Ein sensitiveres Kabel kann zwar Risse exakter erkennen, birgt aber die Gefahr, dass es leichter reist. Eine optimale Abstimmung wurde im Zuge von Versuchen evaluiert. Ein Sensorkabel, bestehend aus Faser und Ummantelung, kann wie in Abbildung 3 sowohl nachträglich auf dem Tragwerk appliziert werden, eingegossen oder in einem Schlitz verklebt werden. Abbildung 3 Aufbau und unterschiedliche Applikationen von Glasfaserkabel oder Sensor (1), Ummantelung (2) und Verklebung (3). 3. Rissweitenbestimmungen Der Fokus der beschriebenen Untersuchungen liegt auf Bestandstragwerken. Bei Neubauten kann die Faser grundsätzlich in die Schalung eingelegt bzw. in den Frischbeton eingebettet werden. Anschließend wird eine Nullmessung der Faser durchgeführt (vgl. bespielweise Tübbinge [4]). Bei Bestandstragwerken kann die Glasfaser nachträglich auf dem Bauteil appliziert werden, wobei Kleber und Faser optimal aufeinander abgestimmt sein müssen. Als geometrische Änderung des Objektes können lediglich Längenänderungen gemessen werden, weshalb Umwelteinfl üsse, insbesondere Temperatureinfl üsse, kompensiert werden müssen. Dazu wird üblicherweise zusätzlich die Bauteiltemperatur über ein Referenzkabel in einem zusätzlichen, nicht verklebten Sensorstrang gemessen und direkt kompensiert. Zur Verifi zierung und Entwicklung der Methodik und Beantwortung der in Abschnitt 2.3 gestellten Fragestellungen wurde sowohl Laborversuche als auch ein Berechnungsmodell von Faser und Rissentwicklung erstellt und im Detail analysiert. Durch Referenzmessungen mit bekannten Systemen (Weggeber, Risslupen…) wurden im Zuge dieser Tests eine zuverlässige Konfi guration aus 326 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen Fasertyp und Klebeapplikation gefunden und die Ableitung von Rissbreiten W R aus den Dehnungsmessungen durchgeführt. 3.1 Versuchssetup und Durchführung Auf 3 Probekörper wurden Glasfasern mit unterschiedlichen Verklebungen, Applikationsarten und Kreuzungswinkel zum Riss getestet. Insgesamt wurden auf den 3 Testplatten mit den Abmessung 2,5 m x 0,9 m x 0,2 m in der Güte C25/ 30/ XF3/ XC3 bis zu 9 verschiedene Applikationsarten untersucht. Die Versuchskörper wurden im Dreipunktbiegezugversuch belastet und waren so ausgelegt, dass Rissweiten bis zu W R = 2,5 mm möglich waren. Dazu wurden die Bewehrung sehr tief verlegt und zusätzlich mit externer Vorspannung belastet, um versuchstechnisch eine gute Ansteuerung der Rissweiten zu ermöglichen. Neben unterschiedlichen Kabeln und Klebermaterial wurden auch unterschiedliche Kreuzungswinkel (30°/ 60°/ 90°) zur Faser (Versuch #2 und #3) variiert. Die Versuchskörper und Sensoranordnung sind in Abbildung 4 in einer Draufsicht ersichtlich. Abbildung 4 Draufsicht Versuchskörper Im Rahmen des Versuchs wurde zunächst in 10 kN Laststufen bis zur Erstrissbildung belastet. Danach wurden 5 Be- und Entlastungszyklen zwischen W R = 0,20 und 0,80 mm Rissweite in 0,20 mm Schrittweite durchgeführt. Zum Schluss wurde mit einer Dauerschwinglast mit einer Rissamplitude von 0,40 bis 0,80 mm belastet. Detaillierte Informationen zu den Versuchssetup finden sich in [3]. Auszüge der Versuchsergebnisse sind folgend dargestellt. 3.2 Erstrissbildung und Rissprognose Es stellt sich die Frage wie weit eine Rissankündigung durch die Messung möglich ist. Dazu wurde die Erstbelastung Phase 1 detailliert betrachtet. Wie in Abbildung 5 & 6 ersichtlich, tritt bei einer Laststeigerung jenseits der 90 kN erstmalig ein Riss auf. Dieser ist durch eine sprunghafte, lokale Zunahme der Dehnung klar erkennbar. Da die Faser in der Ummantelung nicht starr verbunden ist, kommt es zu einer Dehnung über einen Bereich L von ca. 10 cm um die Rissstelle. Die Faser bleibt intakt und über das Integral der Dehnungskurve kann durch Annäherung mit einer Dreiecksverteilung eine Rissweite von W R ≈ε max / 2*L ≈ 0,1 mm berechnet werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 327 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen Abbildung 5 Laststufen bis Erstrissbildung (oben), Dehnungsverteilung gemessen am Versuchskörper #1 (mitte) und mit vereinfachtem Modell berechnet (unten). Mittels einem auf Finte Elementen basierenden Modell wurde die Faser, deren Aufbau sowie die Verklebung detailliert entsprechend Abbildung 3 (links) nachgebildet und der Rissvorgang simuliert. Das Modell wurde mittels Anpassung von Materialparameter anhand der Versuchsergebnisse nachkalibriert und, darauf aufbauend, die Versuche nachgerechnet. In der Abbildung 6 sind Dehnungsverläufe um den Riss für Messung als auch für das nachgerechnete FE-Modell sichtbar. Die Rissweiten können auch mit dem Modell verifi ziert werden, wobei aufgrund der Modellierung die Bestimmung des Verlaufs der Dehnungskurve mit höherer Aufl ösung möglich ist und die Stufen der Laststeigerung detaillierter nachvollzogen werden können. Anzeichen einer Verformungskonzentration sind im Versuch bereits bei einer Laststufe von F=79,3 kN erkennbar, was auf eine Rissindizierung durch Microrissbildung hindeutet. Eindeutig gerissen ist der Körper im Versuch #1 bei einer Last von F=88,7 kN, wobei die Dehnungsmessungen immer nur an den Lasthaltepunkte durchgeführt wurde und somit der exakte Dehnungsverlauf direkt vor Rissbildung nicht gemessen werden konnte. Zusätzlich wurde während der Messung eine Schwankung der Versuchslast von ca. ±2,5 kN festgestellt. Abbildung 6 Erstrissbildung im Detail: Gemessene Dehnungsprofi le im Versuch #1 (oben) und entsprechende FE-Rechnung (unten). Mit dem FE-Modell können die Messwerte detaillierter nachvollzogen werden. Eine Rissentstehung ist vorab nur über das Auffi nden der Grenzdehnung, bei welcher der Riss entsteht, bestimmbar. Eine Vorankündigung im Dehnungsverlauf über die Länge war selbst beim Dreipunktbiegeversuch nicht eindeutig versuchstechnisch erkennbar, da diese spröd und damit ohne deutliche Vorwarnung eintrat. Eine Prognose des Erstrisseintritts kann nur bedingt bei bekannter Arbeitslinie und Grenzdehnung des Materials rückgerechnet werden. Dies setzt aber voraus, dass das Bauteil bei Aufbringung der Faser bzw. Nullmessung noch spannungsfrei oder bekannt ist. Da bekanntlich die Zugspannung bzw. Grenzzugdehnungen von Betontragwerken sehr streut, macht dies eine Vorankündigung noch schwieriger. Im durchgeführten Versuch war bei einer Dehnung von 160 µm/ m gerade noch kein Riss erkennbar. Unmittelbar danach konnte ein sprunghafter Anstieg auf 1600 µm/ m festgestellt werden, was einer Rissweite von W R =0,09 mm entspricht. Sind Risse entstanden, sind diese gut im Messignal durch lokale Dehnungsspitzen (hier Faktor 10) erkennbar. 328 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen 3.3 Rissüberwachung Mittels des mechanisch abgestimmten FE-Modells können die Rissweiten sehr gut berechnet werden. Für die weiteren durchgeführten Laststufen sind in Abbildung 7 der Verlauf der Dehnung für Rissöffnung für die Stufen W R = 0,4 mm, 0,6 mm und 0,8 mm dargestellt, wobei Mess- und Modellwerte direkt verglichen werden. Dazu wurden im Modell wie im Rahmen des Versuchs die Be- und Entlastungszyklen berücksichtigt. Abbildung 7 Vergleich Modell und Versuche unter 90° Kreuzungswinkel zwischen Faser und Riss. Die Versuche (durchgezogene Linien) zeigen klar, dass das faseroptische Messsystem keine Hysterese aufweist und die einzelnen Kurven der 5 Be- und Entlastungskurven auch nach mehreren Zyklen eine gute Übereinstimmung haben. Die Einleitungslänge der gewählten Faser beträgt ca. ± 12 cm. Die berechnete Modellkurve stimmt ebenfalls gut überein. Die Rissweiten können über das Integral des Dehnungsverlaufs gut angenähert werden und sind über das Prognosemodell noch exakter ermittelbar. Auch kann bis zum begrenzten Maße das Rissatmen, also neben Rissöffnung auch das Schließen der Risse nachvollzogen werden, wenn die Entlastungskurven siehe beispielsweise [5] für die Auswertung herangezogen werden. All diese Überlegungen gelten, solange der Kreuzungswinkel zwischen Riss und Faser annähernd 90° entspricht. Bei neuen unbekannten Rissen ist auch der auftretende Kreuzungswinkel unbekannt. Aus diesem Grunde wurden hier auch Untersuchungen unter geneigten Applikationen durchgeführt und im Detail analysiert. Abbildung 8 Versuchsergebnisse unter 90°(oben) 60 ° Mitte und 30 ° unten der Probekörperserie 2. Abbildung 8 zeigt die Messwerte im Vergleich für einen Kreuzungswinkel von 90°, 60° und 30° für die 3 Rissweitenstufen Stufen W R =0,4 mm, 0,6 mm und 0,8 m. Bei allen Winkelapplikationen können auch bei mehreren Be- und Entlastungszyklen gute Übereinstimmungen gefunden werden, die Hysterese ist hier wiederum grundsätzlich gering. Klar erkennbar ist, dass mit Abnahme des 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 329 Neue Möglichkeiten zur Rissweitenbestimmung an bestehenden Betonkonstruktionen mittels verteilter optischer Fasermessungen Winkels die Messsignale verrauschter werden. Die Störeinflüsse sind beispielsweise bei 60° Neigung bei einer Rissweite von W R =0,8mm erkennbar. Beim 30° Winkel treten diese bereits bei der Stufe W R =0,4 mm auf. Schematisch ist dieser Effekt entsprechend in Abbildung 9 dargestellt. Stimmen Bewegung und Faserrichtung überein, wird die Faser im Kabel gedehnt, und die Dehnung bildet sich bei Entlastung auch wieder zurück. Bei stark geneigten Anordnungen kommt es durch die Schiefstellung zu einem Versatz über der Rissstelle. Dadurch entstehen die Störeinflüsse, die in den Messignalen in Abbildung 8 deutlich sichtbar sind. Abbildung 9 Mechanismus bei 90° und 30° Kreuzungwinkel. Bei einem Kreuzungswinkel von 90° bis 75° können die Rissweiten genau bestimmt werden, jedoch ist kein Rückschluss auf den Winkel möglich. Bis ca. 60° werden die Rissweiten geringfügig unterschätzt, wobei die Signalstörungen im Peak-Bereich auf einen flacheren Winkel hindeuten. Ab 45° findet eine wesentliche Unterschätzung der Rissweiten statt. Diese Winkel werden gut durch Signalstörung im Rissbereich angedeutet. 4. Fazit In diesem Artikel wurde ein entwickeltes Messsystem basierend auf verteilten faseroptischen Messungen und dessen mögliche Anwendung an Betonbestandsbauten vorgestellt. Mit nachträglich am Bauwerk angebrachten Glasfaserkabel können u.a. Dehnungsmessungen mit einer hohen Genauigkeit von ca. 1 µm/ m alle 10 mm bei bis 70 m Kabellänge bzw. unter Einschränkungen bis zu mehreren km Faserlänge durchgeführt werden. Aus den gemessenen Dehnungsprofilen kann die effektive Rissbreite im Labor auf bis zu 0,01 mm genau ermitteln werden. Somit können die im Massivbau üblicherweise relevanten Rissweiten zwischen Haarriss < 0,1 mm bis mehrere mm gemessen werden. Auch die Änderungen der Rissweiten und Rissbewegungen wie Öffnen und Schließen können erfasst werden. Das entwickelte System wurde im Zuge von Laborversuchen und numerischer Nachrechnung verifiziert. Aktuell werden praktische Versuche unter realen Umgebungsbedingungen in einem Tunnel durchgeführt, welche fortlaufend ausgewertet werden, um die Auswertung zu optimieren und ein mögliches Konzept für Epochenmessungen zu entwickeln. Da das System nachträglich auf die Betonoberfläche appliziert werden kann, können auch nicht zugängliche Bauteiloberflächen im Tunnel oder an Brücken dauerhaft gut überwacht werden. Folglich ist eine Erfassung der Rissweitenentwicklung auch über längeren Zeitraum ohne physischen Zugang des Bauwerks möglich. Die Forschungen sind im Rahmen des Förderprogramms Mobilität der Zukunft- VIF 2017 (Fördernummer 866968) finanziert worden, die Autoren danken den dem österreichischen Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK), der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft ASFiNAG, der ÖBB Infrastruktur AG sowie der Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) für die gute Zusammenarbeit und Unterstützung. Literatur [1] C.M. Monsberger, W. Lienhart, M. Hayden (2020): Distributed fiber optic sensing along driven ductile piles: Design, sensor installation and monitoring benefits. Journal of Civil Structural Health Monitoring 10 (4): 627-637; doi: 10.1007/ s13349-020- 00406-3 [2] C. Monsberger, H. Woschitz, W. Lienhart, V. Racanský, D. Gächter, R. Kulmer (2017): Überwachung von Ankerausziehversuchen im Rahmen der Hangsicherung für den Neubau einer Raffinerie. Proc. 32nd Christian Veder Kolloquium ‘Zugelemente in der Geotechnik‘, TU Graz, Gruppe Geotechnik 58: 173-192 [3] C.M. Monsberger, W. Lienhart, B. Moritz (2018): In-situ assessment of strain behaviour inside tunnel linings using distributed fibre optic sensors. Geomechanics and Tunnelling 11 (6): 701-709; doi: 10.1002/ geot.201800050 [4] C. Monsberger, W. Lienhart (2017): In-situ Deformation Monitoring of Tunnel Segments using High-resolution Distributed Fibre Optic Sensing. Proc. 8th International Conference on Structural Health Monitoring of Intelligent Infrastructure - SHMII-8, Brisbane, Australia: RS1-9, 12p [5] M. Winkler, C.M. Monsberger, W. Lienhart, A. Vorwagner, M. Kwapisz (2019): Assessment of crack patterns along plain concrete tunnel linings using distributed fiber optic sensing. Proc. 5th International Conference on Smart Monitoring, Assessment and Rehabilitation of Civil Structures 2019 - SMAR, Potsdam, Germany: 8p 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 331 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke Thomas Lehmann Leonhardt, Andrä und Partner Beratende Ingenieure VBI AG, Stuttgart Zusammenfassung Die Vogelsangbrücke wird instandgesetzt, für das Ziellastniveau LM 1 ertüchtigt und mit einem Dauerüberwachungs-system ausgestattet, um eine Nutzung für weitere 20 Jahre trotz der Defizite aus der Nachrechnung und der vorhandenen spannungsrisskorrosionsgefährdeten Spannstähle zu ermöglichen. Das Überwachungskonzept baut systematisch auf der Nachrechnung der Vogelsangbrücke und den vorangegangenen Untersuchungen bezüglich der Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion (HA) auf. Der Umgang mit diesen nicht alltäglichen Instandsetzungs-, Ertüchtigungs- und Bauwerküberwachungsmaßnahmen ist Thema dieses Vortrags. 1. Einführung Die Stadt Esslingen am Neckar ist mit drei großen Neckarbrücken an die Bundesstraße B10 und somit an das übergeordnete Straßennetz angebunden. Die Hanns- Martin-Schleyer Brücke wurde 1964 als erste der drei Brücken errichtet. Daraufhin folgte in den Jahren 1966 bis 1970 der Bau der Adenauerbrücke und von 1971 bis 1973 der Vogelsangbrücke. Die vorhandenen Bauwerksschäden, Defizite aus der Nachrechnung und das Vorhandensein von spannungsrisskorrosionsgefährdetem Spannstahl in den Brückenüberbauten führte nach weiteren Untersuchungen und Studien zu dem Ergebnis, dass für alle drei Brückenbauwerke ein Ersatzneubau erforderlich ist. Im nächsten Schritt wurde die Realisierbarkeit der umfangreichen Ersatzneubaumaßnahmen überprüft, insbesondere hinsichtlich des Aufrechterhalten des Verkehrs, der Leitungsverlegungen und Berücksichtigung der erforderlichen Planungs- und Genehmigungszeiträume. Ein zeitgleicher Neubau der drei Neckarbrücken sowie der weiterführenden Hochstraßen und Rampen ist aus logistischer und finanzieller Sicht nicht möglich. Um weiterhin einen sicheren Betrieb zu ermöglichen und die Standsicherheit und Verkehrssicherheit über diesen Zeitraum zu gewährleisten, wurde ein entsprechendes Konzept ausgearbeitet. Der Problematik spannungsrisskorrosionsgefährdeter Spannstahl und Defizite aus der Nachrechnung wird als Sofortmaßnahme mit Sonderprüfungen in regelmäßigen Abständen begegnet und die Überbauten werden hinsichtlich der Schadensankündigung untersucht. Wo möglich, erfolgten Entlastungen der Bauwerke durch Reduzierung von Fahrspuren. Bis zum Ersatzneubau wird die Vogelsangbrücke instandgesetzt, ertüchtigt und mit einem Dauerüberwachungssystem ausgerüstet, so dass diese noch über weitere 20 Jahre genutzt werden kann und die Standsicherheit und Verkehrssicherheit über diesen Zeitraum gewährleistet ist. In den folgenden Kapiteln werden die Besonderheiten und Maßnahmen im Zuge der Planung und Ausführung von Instandsetzungs-, Ertüchtigungs- und Dauerüberwachungsmaßnahmen am Beispiel der in 2019 und 2020 im Bau befindlichen Vogelsangbrücke vorgestellt. 2. Allgemeines Die Vogelsangbrücke besteht aus 13 Teilbauwerken und überführt die Landstraße L1150 mit beidseitigen Gehwegen über den Neckar, den Neckartalradweg, Gleise der DB, die Ulmer Straße, die Ein- und Ausfahrt zum Parkhaus Pliensauturm, die Neckar Straße, die Vogelsangstraße sowie verschiedenste Parkplatzflächen. 332 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke Abbildung 1: Übersicht Teilbauwerke der Vogelsangbrücke Von Defiziten aus der Nachrechnung und dem Vorhandensein von spannungsrisskorrosionsgefährdetem Spannstahl sind die Überbauten der Neckarbrücke (TBW B1 und B2), der Hochstraßenbrücke (TBW C1 und C2) sowie der Rampenbrücken (TBW C3 und C4) betroffen. Bei der Konstruktion der Teilbauwerke B1 und B2 handelt es sich jeweils um einen Dreifeldträger mit angeschlossenem Kragarm, welcher auf Lehrgerüsten und als Spannbetonhohlkastenquerschnitt ausgeführt wurde. Die Überbaulänge liegt bei ca. 110 m, Stützweiten der einzelnen Felder sowie die Bauhöhen sind unterschiedlich. Die getrennten Überbauten (B1 und B2) weiten sich am südlichen Brückenende geringfügig auf. Abbildung 2: TBW B1 und B2, Grundriss, Längsschnitt, Regelquerschnitt Am nördlichen Brückenende schließen die Teilbauwerke C1 und C2 mit den seitlichen Rampen C3 und C4 als Hochstraße an die Teilbauwerke B an. Die Hauptbrücke (TBW C1 und C2) bildet sich aus zwei getrennten, 8-feldrigen Durchlaufträgern mit einer Gesamtlänge von 192,5 m. Die Stützweiten der einzelnen Felder sind unterschiedlich. Die Querschnitte sind als einstegige Plattenbalken mit Hohlquerschnitten (Verdrängungsrohren) ausgebildet. Der westliche Abzweig (TBW C3) bildet sich aus einem 5-feldrigem Durchlaufträger, welcher durch einen Übergangsbereich an die Hauptbrücke angeschlossen ist. Der östliche Abzweig (TBW C4) bildet sich aus einem 5-feldrigem Durchlaufträger welcher durch einen Übergangsbereich an die Hauptbrücke angeschlossen ist. Die Querschnitte sind als einstegige Plattenbalken mit Hohlquerschnitten (Verdrängungsrohren) analog den Teilbauwerken C1 und C2 ausgebildet. Abbildung 3: TBW C1 und C2, Grundriss, Längsschnitt, Regelquerschnitt 3. Bauwerksuntersuchungen 3.1 Bauwerksprüfungen Im Zuge der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 wird in einem ersten Schritt der Bauwerkszustand auf empirische Art und Weise festgestellt. Dabei ergeben sich nachfolgende Zustandsnoten für die Teilbauwerke. Teilbauwerk: B1 B2 C1 C2 C3 C4 Zustandsnote: 3,0 3,0 3,0 3,0 2,9 2,8 Die Ergebnisse, deren Ursachen und Bewertungen werden näher analysiert. Die meisten Schäden sind auf normale Abnutzung und Verschleiß zurückzuführen, für einige sind Ausführungsfehler und Unterhaltungsmängel ursächlich. Grundsätzlich gibt es jedoch keine Schäden, die sich nicht mit einer grundhaften Instandsetzung beheben lassen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 333 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke 3.2 Nachrechnung Im Rahmen dieser statischen Berechnung werden die Überbauten in Längs- und Querrichtung sowie die Lager und Pfeiler nach Stufe 1 bzw. 2 der aktuellen Fassung der Nachrechnungsrichtlinie Fassung (05/ 2011) mit einem Ziellastniveau LM1 nachgerechnet. Zum Abschluss der Nachrechnung erfolgt eine Empfehlung über die Einordnung des Bauwerks in eine Nachweisklasse, die Aufschluss über die Nachweisführung und über erforderliche Nutzungseinschränkungen gibt. Für Brücken mit empfindlichem Spannstahl gegenüber Spannungsrisskorrosion darf höchstens die Nachweisklasse B und unter Verwendung der speziellen Regelung für den Nachweis der Dekompression höchstens die Nachweisklasse C zugeordnet werden (vorläufig eingeschränkte Nutzungsdauer von 20 Jahren). Bei den Überbauten aller Teilbauwerke ergeben sich bei den Nachweisen Defizite und keines der Bauwerke kann einer Nachweisklasse zugeordnet werden. Dieses Ergebnis führt zu weiteren Untersuchungen. Die Machbarkeit von Ertüchtigungsmaßnahmen in Kombination mit Nutzungsänderungen wird untersucht und ausgearbeitet, um das Bauwerk der Nachweisklasse C mit einer vorläufig eingeschränkten Nutzungsdauer von 20 Jahren zuordnen zu können. 3.3 Spannungsrisskorrosion Beim Bau der Brücke ist Spannstahl Holzmann KA 141/ 40, Sigma oval 40 der Festigkeitsklasse St 145/ 160 und Holzmann/ Interspan KA 40 St 145/ 160 (Bezeichnung „Neptunbzw. Sigma-Stahl“) zur Anwendung gekommen. Dieser Spannstahldraht neigt zu wasserstoffinduzierter Spannungsrisskorrosion auch im alkalischen Umfeld des Hüllrohrs. Brücken, in denen der gefährdete Spannstahl eingebaut ist, können in sich ein Risiko bergen, wenn sich der Versagenszustand des Tragwerks nicht rechtzeitig ankündigen kann. Ein Versagen würde spontan erfolgen. Mit einem rechnerischen Nachweis zum Ankündigungsverhalten nach dem Riss-vor-Bruch-Kriterium lässt sich das Versagensrisiko eines Bauwerks beurteilen. Ein ausreichendes Ankündigungsverhalten und damit eine Risikominimierung sind gegeben, wenn sich bereits frühzeitig und unter Gebrauchslasten eine deutlich erkennbare Rissbildung einstellt, noch bevor unter voller Verkehrsbeanspruchung die Tragsicherheit auf ein unzulässig niedriges Niveau fällt. Anhand der Handlungsanweisung wird ein Nachweis des Ankündigungsverhaltens auf Querschnittsebene und der stochastische Nachweis des Ankündigungsverhaltens auf Systemebene untersucht. Die Überprüfung des Ankündigungsverhaltens erfolgt durch Berechnung mit den im Rahmen der Nachrechnung erzeugten Systemen. Dabei ist für den Nachweis des Ankündigungsverhaltens jenes Verkehrslastmodell zu berücksichtigen, welches der Ausführungsstatik zu Grunde liegt. Hier ist somit die Brückenklasse BK 60 nach DIN 1072 angesetzt. Dem vorliegenden Bauwerk kann auf Querschnittsebene kein ausreichendes Ankündigungsverhalten nachgewiesen werden. Die Gründe liegen zum einen in der nicht gegebenen Detektion der Stützbereiche und in der nicht gegebenen Restsicherheit von γp ≥ 1,1 auf die Verkehrsschnittgröße mit Ansatz der Restspannstahlfläche. Das vereinfachte Nachweisverfahren zur Überprüfung auf Systemebene wird zur Einschätzung des Gesamtbauwerks für alle Untersuchungsbereiche durchgeführt. In den Bereichen mit erforderlichem Monitoring (Stützquerschnitte) wird dieses als gegeben vorausgesetzt. Für die einzelnen Untersuchungsbereiche ergeben sich unterschiedliche Ergebnisse. Diese sind am Beispiel der Teilbauwerke B1 und B2 dragestellt. In dem dunkelgrünen Bereich kann der stochastische Nachweis ohne zusätzliche Dauerüberwachungsmaßnahmen (Stützbereiche) eingehalten werden, in den hellgrünen Bereichen sind Dauerüberwachungsmaßnahmen erforderlich um die geforderte Restsicherheit einzuhalten. In den orangen Bereichen kann der stochastische Nachweis nicht eingehalten werden und in den roten Bereichen sind nicht ausreichend Einzelquerschnitte mit Ankündigung (Rissbildung bei gleichzeitiger Resttragfähigkeit) vorhanden um den stochastischen Nachweis zu führen. Der schwarz markierte Bereich umfasst zu wenig Nachweisquerschnitte zum Nachweis über das stochastische Verfahren. Abbildung 4: Einteilung in unterschiedliche Betrachtungs-bereiche Für die einzelnen Untersuchungsbereiche des Bauwerkes besteht kein durchgehendes, ausreichendes Ankündigungsverhalten. Um ein ausreichendes Ankündigungsverhalten und eine Restsicherheit für das Bauwerk zu erreichen, wird die Machbarkeit von Ertüchtigungsmaßnahmen und Dauerüberwachungsmaßnahmen untersucht und ausgearbeitet. 334 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke 4. Verstärkungsmaßnahmen Die Defizite aus der Nachrechnung und Bereiche ohne Ankündigungsverhalten bei Spannstahlausfall werden durch verschiedene Ertüchtigungsmaßnahmen und Nutzungsänderungen behoben. Bei den Teilbauwerken B1 und B2 erfolgt eine Ertüchtigung der Bodenplatte mit einer Aufbetonverstärkung von 20 cm über einen Bereich von knapp 20 m im Hohlkasten. Abbildung 5: Verstärkung Bodenplatte TBW B1 und B2 Bei den Teilbauwerken C3 und C4 werden die Torsionsdefizite durch Umbaumaßnahmen beseitigt. Durch Reduzierung der Fahrstreifenanzahl von 2 auf 1, Verschmälerung der Fahrbahn von 7 m auf 5,3 m und symmetrischen Anordnung zur Bauwerksachse lässt sich ein nachweisbarer Zustand erreichen. Den Torsionsdefiziten an den Überbauten der Teilbauwerke C1 und C2 wird durch eine geänderte Lagerung des Überbaus in den Achsen 8 und 9 begegnet. Im Bestand sind hier mittig unter dem Überbau Einzelstützen mit querfesten Topflagern angeordnet. Die Stützenköpfe werden umgebaut und mit einem Spannbetonhammerkopf versehen, auf dem jeweils zwei neue Brückenlager angeordnet werden. Abbildung 6: Umbau Stützenkopf Bereiche ohne ausreichendes Ankündigungsverhalten werden verstärkt. Generell ist die Verstärkung so zu dimensionieren, dass ein ausreichendes Sicherheitsniveau ohne Mitwirkung des spannungsrisskorrosionsgefährdeten Spannstahls in allen Querschnitten gegeben ist. Die Verstärkungsmaßnahmen zur Absicherung des Ankündigungsverhaltens lassen keine Rückschlüsse auf die zu erwartende Restnutzungsdauer zu. Es muss davon ausgegangen werden, dass der spannungsrisskorrosionsgefährdete Spannstahl jederzeit ausfallen kann. In diesem Fall ist jedoch durch die Verstärkungsmaßnahmen eine ausreichende Restsicherheit und ein duktiles Tragwerksverhalten gewährleistet. Sobald sich jedoch ein Spannstahlausfall ankündigt, sind Sofortmaßnahmen, Spannstahluntersuchungen sowie ggf. zusätzliche Verstärkungsmaßnahmen oder ein Ersatzneubau notwendig. Mit Hilfe der durchzuführenden Voruntersuchungen (Untersuchung auf Rissbildung) kann jedoch eine bereits vorhandene und bisher unbemerkte Vorschädigung des Spannstahls ermittelt werden und in Abhängigkeit vom Ergebnis der Voruntersuchungen das ökonomische Risiko der Verstärkungsmaßnahme bewertet werden. Es gibt jedoch keine gesicherten Erkenntnisse über einen Zusammenhang zwischen dem Vorschädigungsgrad des Spannstahls und dessen zukünftigen Ausfallrisiko. Abbildung 7: zu verstärkende Bereiche bei TBW C1 und C2 ohne Ankündigungsverhalten Die Verstärkung erfolgt über CFK-Lamellen, so dass die Steifigkeit des Querschnittes nur geringfügig beeinflusst wird. Dabei sind einige Feldquerschnitte zu verstärken. Der erste Querschnitt ist soweit zu ertüchtigen, dass die Restsicherheit bei der Rissbildung erfüllt wird, der zweite Querschnitt ist lediglich soweit zu verstärken, dass die erforderliche Restspannstahlfläche auf ein verträgliches Maß zum Nachweis der Versagenswahrscheinlichkeit des Spannabschnittes eingehalten wird. Ein Nachweis der Restsicherheit bei Rissbildung ist für diesen Querschnitt nicht zwingend erforderlich, da bereits 50% der Querschnitte über ein Ankündigungsverhalten verfügen. 5. Dauerüberwachung 5.1 Problematik Das Überwachungskonzept baut systematisch auf der Nachrechnung und der vorangegangenen Untersuchungen auf. Die in der nachfolgenden Abbildung markierten Stützbereiche sind nicht einsehbar und es kann nach HA kein Ankündigungsverhalten nachgewiesen werden. Eine Ankündigung des Bruchversagens durch Spannungsrisskorrosion in Form von Betonbiegerissen würde in diesen Bereichen an der Bauteiloberseite unter dem Belag auftreten, daher ist eine visuelle Überwachung unmöglich. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 335 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke Abbildung 8: Bereiche mit Ankündigungsverhalten aber ohne Möglichkeit der visuellen Überwachung Rechnerisch stellt sich in den Querschnitten des Bauwerks überwiegend eine Ankündigung des Versagens durch das „Riss vor Bruch Verhalten“ ein. Die folgenden Abbildungen zeigen die vorhandene Restspannstahlfläche bei Rissbildung und bei Bruch nach HA. Die schwarzen Quadrate stellen die Position der Stützenachsen dar. Die übrigen Teilbauwerke zeigen einen vergleichbaren qualitativen Verlauf und sind deshalb hier nicht aufgeführt. Abbildung 9: Restvorspannung TBW B2, Riss/ Bruch In den Stützbereichen müssen demnach 30-50 % der Spannstahlfläche ausfallen bis zur Rissbildung nach HA unter der häufigen Einwirkungskombination (1.0*G + 0.5 Q). Die Querschnitte weisen bei Rissbildung überwiegend eine Restsicherheit bis zum Bruch auf, sodass sich eine Versagensankündigung (Riss vor Bruch) einstellen kann. Bis zum Versagen nach HA unter erhöhter Bruchlast (1.0*G + 1.1 Q) müssen 50-70% der Spannstahlfläche ausfallen. Abbildung 10: Restvorspannung TBW C3, Riss/ Bruch 5.2 Ziele und Maßnahmen Bisher wurde die ungeschädigte Spannstahlfläche der Längsbewehrung nur rechnerisch gemäß HA ermittelt. Allerdings handelt es sich bei den Berechnungen um eine konservative Annahme und die Bauwerksuntersuchungen (2018) deuten nicht auf Schäden infolge Spannungsrisskorrosion hin. Resultierend wird die tatsächliche ungeschädigte Spannstahlfläche höher eingeschätzt. Eine solche Einschätzung des aktuellen Bauwerkszustands mit Bezug auf die Berechnungen nach HA und Risikobewertung des Versagens durch Spannungsrisskorrosion soll erfolgen, um ein zusätzliches Sicherheitsniveau für die Überwachung des Bauwerks über die Restlebensdauer zu schaffen. Zusätzlich soll eine Überwachung des gesamten Überbaus für die Restlebensdauer von 20 Jahren bezüglich zukünftigen Schäden und Versagensankündigung durch Spannungsrisskorrosion erfolgen. Ein stufenweiser Maßnahmenplan im Umgang mit der Problematik der Spannungsrisskorrosion an der Vogelsangbrücke wird für das Überwachungskonzept formuliert: 1. Probebelastung zur Identifikation von Tragwerksreserven bezüglich der Restspannstahlfläche vor Beginn der Instandsetzungsmaßnahme 2. Detaillierte Bestandserfassung bezüglich Spannungsrisskorrosion mit Rissuntersuchung und magnetsicher Streufeldmessung während den Bauphasen der Instandsetzungsmaßnahme 3. Monitoringsystem zur Überwachung des Bauwerkzustands bezüglich zukünftigen Schädigungen des Bauwerks durch Spannungsrisskorrosion für die Restlebensdauer von 20 Jahren 5.3 Probebelastung zur Identifikation von Tragwerksreserven Die Belastungsversuche werden vor Beginn der Instandsetzungsarbeiten durchgeführt. Das Konzept für den Belastungsversuch bezieht sich auf die Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion und die DAfStb Richtlinie: Belastungsversuche an Betonbauwerken. Die Probebelastung dient der Identifikation von Tragwerks- 336 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke reserven mit Bezug auf die Berechnungen nach der HA. Die Hypothese der Belastungsversuche lautet, dass mindestens 10% mehr Restspannstahlfläche der Längsvorspannung im Überbau ungeschädigt sein soll als nach HA anrechenbar. Diese Hypothese wird durch die anschließende Rissuntersuchung überprüft, somit kann ein zusätzliches Sicherheitsniveau für die Restlebensdauer und das Monitoringsystem geschaffen werden. Die Ziellast soll im betreffenden Querschnitt größer als 110% der häufigen EWK nach HA betragen. Wenn keine Rissbildung detektiert wird, können rechnerisch über 10% zusätzliche Restspannstahlfläche angesetzt werden. Die Probelast wird für die kritischen Stützenquerschnitte definiert. Das Biegemoment aus der Probebelastung unterschreitet das maximale Biegemoment aus der einfachen Verkehrsbelastung für BK60 an jeder Stelle. Der Puffer gibt an um welchen Prozentsatz die Spannungen am Querschnittsrand aus der häufige EWK durch die Ziellast überschritten werden. 5.4 Detaillierte Bestandserfassung Die detaillierte Bestandserfassung setzt sich aus der Rissuntersuchung und der magnetischen Streufeldmessung zusammen. Ziel der Rissuntersuchung ist die Überprüfung der Hypothese des Belastungsversuchs bezüglich der vorhandenen Restspannstahlfläche und Ziel der magnetischen Streufeldmessung ist eine zusätzliche Einschätzung über eventuelle Korrosionsschäden an den Spanngliedern. 5.4.1 Rissuntersuchung Nach dem Abtrag des Belags- und Abdichtungsaufbaus wird die Betonoberfläche gereinigt und angefeuchtet, so dass sich mögliche Risse, insbesondere auch mit sehr geringer Rissbreite abzeichnen und erkennen lassen. Sind nach der Probebelastung keine Biegerisse vorhanden, kann die rechnerische Restspannstahlfläche gemäß HA um 10% erhöht werden. 5.4.2 Magnetische Streufeldmessung Die Längsspannglieder werden soweit möglich (Betondeckung der Spannglieder maximal 25 cm) mittels Streufeldmessung auf Spannstahlbrüche untersucht. Sollten bruchartige Signale detektiert werden, so werden diese Bereiche vorsichtig geöffnet und das Spannglied auf Schäden untersucht. 5.4.3 Ergebnis der Bestandserfassung Aus den Ergebnissen der Bestandserfassung lässt sich der Bauwerkszustand und das Risiko der Spannungsrisskorrosion nun genauer abschätzen und die Ergebnisse liefern ein zusätzliches Sicherheitsniveau für das Überwachungssystem und die weitere Nutzung. Bei Rissfreiheit nach der Probebelastung können mindestens 10% mehr Restspannstahlfläche gegenüber den Berechnungen nach HA angesetzt werden, entsprechend erhöht sich auch die Resttragfähigkeit bis zum Bruch. Mit den Ergebnissen der magnetischen Streufeldmessung lassen sich zudem stochastische Auswertung der wahrscheinlichen Restspannstahlfläche tätigen. 6. Grundlagen des Monitoringsystems 6.1 Allgemeines Das Monitoringsystem dient der Überwachung des Bauwerkszustands bezüglich Spannungsrisskorrosion für die Restnutzungsdauer von 20 Jahren. Nach den Verstärkungsmaßnahmen ist in allen Überbauquerschnitten eine ausreichende rechnerische Resttragfähigkeit bei Rissbildung bis zum Bruch gegeben, sodass ein plötzliches Versagen des Bauwerks ausgeschlossen werden kann. Im Rahmen der detaillierten Bestandserfassung wird ein erhöhtes Sicherheitsniveau von 10% neben der HA auf Basis des tatsächlichen Bauwerkszustands geschaffen. Bedingt durch die intensiven Voruntersuchungen wird das Monitoringsystem nicht als sicherheitsrelevantes Alarmsystem ausgelegt. Die Erfassung einer tendenziellen Schädigung ist daher ausreichend und kann als Vorwarnstufe dienen. Bei fortschreitender Schädigung mit Erreichen der Grenztragfähigkeit muss dennoch ein Hinweissignal ausgelöst werden. 6.2 Auswahl der Messgröße Für das Monitoringsystem ist die Überwachung der Verformungen des Bauwerks als Indikator für Schäden infolge Spannungsrisskorrosion vorgesehen. Insbesondere die Neigungsmessung mithilfe von Inklinometern stellt erfahrungsgemäß eine effiziente und sensible Überwachungsmöglichkeit dar. Diese globale Formänderungsgröße spiegelt im Gegensatz zu einer Dehnungsmessung alle Verformungsinformationen des Bauwerks wieder. Eine Messbasis ist für die Neigungsmessung nicht erforderlich. Über die Ergebnisse der Neigungsmessung [φ in m°] an den Endpunkten eines Untersuchungsbereiches lässt sich die mittlere Krümmung [m°/ m] des Bereiches [Δs] als globale Verformungsgröße bestimmen: 6.3 Dimensionierung der Systemgenauigkeit Das Messsystem muss für die kontinuierliche Überwachung des Tragwerkszustandes geeignet sein, um Schädigungen infolge Spannungsrisskorrosion flächig zu detektieren. Die erforderliche Genauigkeit des Messsystems ist so auszulegen, dass plastische Schädigungen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 337 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke des Bauwerks infolge Spannungsrisskorrosion frühzeitig identifiziert werden können. Im Folgenden wird die Schädigung beispielhaft über die Verformung des Bauwerks definiert. Der Schädigungsverlauf beginnt mit der Dekompression des Betons über die Rissbildung des Betons bis hin zum Versagen des Querschnitts und des Gesamtsystems. Die folgende Abbildung zeigt das allgemeine Last-Verformungs-Verhalten eines Spannbetonbalkens bis zum Versagen des Bauteils. Abbildung 11: Last-Verformungsverhalten eines Spannbetonbalkens (aus Betonkalender 2017) Gemäß der HA soll die Spannungsrisskorrosion bereits mit einsetzender Rissbildung des Betons detektiert werden. Resultierend muss die Sensorik in der Lage sein den Bereich der Rissbildung bis zum Fließen der Bewehrung zu identifizieren. Das Fließen der Bewehrung muss dabei den absoluten Grenzwert der Verformung darstellen und stellt das Erreichen der Grenztragfähigkeit dar. Für die Bestimmung der Messgenauigkeit wird das Last- Verformungsverhalten für drei Zustände der Vorspannung untersucht. • 100% Vorspannung: unbeschädigtes Bauwerk (0.9*P0) • 44% Vorspannung: Schaden durch Sprk aber keine Rissbildung unter häufigen Einwirkungen nach HA • 34% Vorspannung: Schaden durch Sprk und Rissbildung unter häufigen Einwirkungen nach HA Für die folgenden Abbildungen gilt: Dekompression/ Rissbildung (A), Fließen der Stahlbewehrung (B), Bruch des Querschnitts (C). Abbildung 12: Last-Verformungsverhalten am Beispiel von Teilbauwerk B 1 Entgegen den Berechnungen nach HA können die Querschnitt ein größeres Zwangsmoment aufnehmen, da das Mitwirken des Betons im Zugbereich berücksichtigt wurde. Die erforderliche Genauigkeit des Messsystems lässt sich aus der Verformung auf der X-Achse zwischen den Bereichen A und B ableiten. • Die erforderliche Genauigkeit des Messsystems bezüglich Neigung beträgt 1m° • Die erforderliche Genauigkeit des Messsystems bezüglich Dehnung beträgt 0,1 mm/ m 6.4 Kalibrierung des Monitoringsystems Im Rahmen der Inbetriebnahme des Monitoringsystems ist eine Kalibrierung des Ausgangszustands erforderlich. Eine 50t Verkehrslast wird als Referenz das Bauwerk überfahren. Die resultierenden Querschnittsspannungen liegen unter der häufigen EWK, und stellen somit zu keinem Zeitpunkt ein Risiko für die Tragsicherheit dar. Das zugehörige Tragwerksverhalten wird über die Messeinrichtung aufgenommen und dient als Ausgangszustand für das Monitoringsystem. Die resultierenden Neigungen (mrad) im Messbereich des TBW B1 Achse 2 sind in der Abbildung beispielhaft für eine Belastung in Feldmitte dargestellt. 338 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erhöhung der Restnutzungsdauer am Beispiel der Vogelsangbrücke Abbildung 13: Darstellung der resultieren Neigung Diese Berechnung soll nur ein Beispiel zur Veranschaulichung der Machbarkeit zeigen. Die exakten Verformungen werden sich aus den Messwerten ergeben. 6.5 Betrieb des Messsystems Das folgende Beispiel soll den Regelbetrieb und den Alarmplan verdeutlichen. Im Rahmen des planmäßigen Verhaltens wird der Krümmungs-Zeit-Verlauf ausgelesen (folgende Abb.). Die Vorwarnstufe wird eingeleitet. Im Fall einer tendenziellen Schädigung des Tragwerks stellt sich unter gleichen Randbedingungen eine veränderte mittlere Krümmung im Überwachungsbereich ein. Eine erneute Probebelastung mit 50t wird durchgeführt und die resultierende mittlere Krümmung des Überwachungsbereichs wird mit dem Ausgangswert der Kalibrierung verglichen. Abweichende Randbedingungen müssen bei dem Vergleich berücksichtigt werden. Eine Alarmierung erfolgt stufenweise. Abbildung 14: beispielhafte Aufzeichnung der Neigung über den Jahresverlauf 6.6 Ausführung des Messsystems Die Sensoren und die Verkabelung werden abschnittsweise mit der Instandsetzungs- und Ertüchtigungsmaßnahme am Bauwerk jederzeit zugänglich an der Überbauunterseite angebracht. Nur im Bereich über der Bahn werden die Sensoren in Nischen in der Fahrbahnplattenoberseite und über dem Neckar an der Fahrbahnplattenunterseite im Hohlkasten montiert. Die Basisstation wird im Widerlager der Teilbauwerke B1 und B2 installiert. Die Installation soll bis Anfang 2021 abgeschlossen werden und anschließend die Kalibrierung und Testphase starten. Zum Ende 2021 soll die Dauerüberwachungsanlage in den Regelbetrieb gehen. 7. Fazit Am Beispiel der Vogelsangbrücke wird deutlich, wie mit ingenieurmäßigem Verstand Möglichkeiten zu einem sinnvollen Umgang mit dem Brückenbestand eingesetzt werden können. Durch die Verwendung und Kombination von Werkzeugen zur Instandsetzung und Ertüchtigung, gepaart mit der Dauerüberwachung, lassen sich verborgene Resourcen aktivieren und das Bauwerk für weitere 20 Jahre sicher nutzen. Dadurch kann, wie in vorliegendem Fall wichtige Zeit verschafft werden, um der großen Aufgabe zur Planung und Ausführung eines Ersatzneubaus, ohne zeitliche Zwänge und Nutzungsausfälle zu begegnen. Literatur [1] DIN-Fachbericht 101 - Einwirkungen auf Brücken, März 2019 [2] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). Ausgabe Mai 2011 mit Ergänzung April 2015. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur [3] Handlungsanweisung zur Überprüfung und Beurteilung von älteren Brückenbauwerken, die mit vergütetem, spannungsrisskorrosions-gefährdetem Spannstahl erstellt wurden (Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion). Ausgabe Juni 2011, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 4. Brückenkolloquium - September 2020 339 Über die Zuverlässigkeit von Monitoring-basierten Frühwarnsystemen für Brücken Marian Ralbovsky AIT Austrian Institute of Technology GmbH, Wien, Österreich Dominik Prammer AIT Austrian Institute of Technology GmbH, Wien, Österreich Alois Vorwagner AIT Austrian Institute of Technology GmbH, Wien, Österreich Zusammenfassung Bei der Anwendung von Brückenüberwachung wird oft das Ziel der Früherkennung von Schäden verfolgt, um eventuell eine Warnung auszusenden und risikoreduzierende Maßnahmen einzuleiten. In diesem neuen System „Brücke-Überwachung-Maßnahme“ spielt die Zuverlässigkeit der Überwachungsanlage eine wichtige Rolle. Wenn ein bestimmtes Niveau der operativen Zuverlässigkeit gewährleistet werden soll, muss u.a. die Frage der Zuverlässigkeit des Überwachungssystems beantwortet werden. Zu diesem Zweck wurde eine Umfrage unter erfahrenen Betreibern von Überwachungssystemen durchgeführt und Daten über die Ausfallraten verschiedener Komponenten wurden gesammelt. Die gewonnenen Informationen wurden statistisch evaluiert und probabilistische Verteilungen für Ausfallraten verschiedener Komponenten wurden ermittelt. Diese Untersuchung liefert Basisdaten, die verwendet werden können, um die Zuverlässigkeit von Überwachungssystemen abzuschätzen, wenn keine spezifischeren Informationen über das verwendete Überwachungssystem vorhanden sind. 1. Einführung Die messtechnische Überwachung der Brückentragwerke dient der kontinuierlichen Erfassung von Messgrößen, die für die Erhaltungsplanung oder die Nutzung des Tragwerks relevante Informationen liefern. Die klassische Art der Anwendung von Überwachungssystemen sieht vor, die Entwicklung von bekannten Tragwerksschäden (z.B. Risse, Setzungen) zu verfolgen. Dies ist eine Weiterentwicklung der Einzelmessungen bei Sonderprüfmethoden im Zuge von Tragwerksprüfungen. Weiterhin wurde versucht, auch aus Messdaten von unbeschädigten Tragwerken Indikatoren abzuleiten, die auf potenzielle Degradation des Tragwerks hinweisen. Hier wurden verschiedene Methoden entwickelt, die meistens auf Vibrationsdaten [1] oder gemessenen Dehnungen [2], [3] basieren und hauptsächlich einen qualitativen Charakter haben. Um den Zustand des Tragwerks auch quantitativ zu bewerten, ist i.d.R. ein Vergleich mit simulierten Schädigungsszenarien notwendig, wie die Literaturbeispiele basierend auf Dehnungsdaten [4] oder Vibrationsdaten [5] zeigen. Neben der Erfassung des Brückenverhaltens im Normalbetrieb werden Überwachungssysteme auch zur Feststellung der Brückenantwort bei Extremereignissen, sowie zur Verifikation der Ausführung vor allem nach Sanierungsarbeiten [6] verwendet. Schon lange etabliert ist die Überwachung im Bau, wo die gemessene Brückendeformation den Bauprozess direkt beeinflusst. Insbesondere ist hier die Funktion als Frühwarnsystem bei unplanmäßigen Tragwerkszuständen von Wichtigkeit. Im Normalbetrieb kann ein Überwachungssystem auch als Frühwarnsystem verwendet werden, wenn das kritische Ereignis ein Ankündigungsverhalten hat (d.h. nicht plötzlich auftritt), welches eine Reaktion innerhalb einer angemessenen Zeit erlaubt. Dies ist oft bei Setzungsproblemen der Fall, oder auch bei Rissentwicklung im Stahlbeton. Wenn das kritische Ereignis nicht von der Brückendegradation abhängt, sondern ausschließlich von der Verkehrslast bestimmt wird, müssten die Verkehrslasten in ausreichendem Abstand vor der Brücke gemessen werden, um die Ankunft der überkritischen Verkehrslast an der Brücke rechtzeitig zu verhindern. Diese Problematik wurde z.B. für den Grenzzustand des Kippens bei 1-stützigen Brückenpfeilern in [7] untersucht. Ein Monitoring-basiertes Frühwarnsystem kann in Kombination mit entsprechenden Maßnahmen, die nach Überschreitung der Warnschwelle gesetzt werden, ein 340 4. Brückenkolloquium - September 2020 Über die Zuverlässigkeit von Monitoring-basierten Frühwarnsystemen für Brücken kritisches Ereignis (z.B. Tragwerksversagen) verhindern. Daher beeinfl usst ein funktionierendes Frühwarnsystem die Versagenswahrscheinlichkeit der Brücke. Mit der Quantifi zierung dieses Einfl usses hat sich das Forschungsprojekt [8] beschäftigt, welches auch die Grundlage und Datenbasis für den hier präsentierten Beitrag liefert. Bei der Quantifi zierung des Einfl usses von Frühwarnsystemen auf die Versagenswahrscheinlichkeit muss auch die Zuverlässigkeit des Frühwarnsystems selbst berücksichtigt werden, denn Überwachungssysteme unterliegen auch Störungen und Ausfällen. Daher muss auch der Fall berücksichtigt werden, wenn das Monitoringsystem temporär nicht funktioniert. Wie zuverlässig die Komponenten eines Monitoringsystems sind, wird in diesem Beitrag gezeigt. 2. Überwachung und Tragwerkszuverlässigkeit In diesem Abschnitt wird schemenhaft der Einfl uss von Brückenüberwachung auf die operative Zuverlässigkeit des Tragwerks dargestellt (Bild 1). Aus den Messdaten des Überwachungssystems wird laufend ein Indikator des Brückenzustands ermittelt, der mit der Tragwerkszuverlässigkeit β zusammenhängt. Im Falle der Überschreitung einer Warnschwelle (I warn ) wird eine Warnung ausgelöst und eine entsprechende Maßnahme zur Risikominderung wird eingeleitet. Dazu bietet sich eine Verkehrsbeschränkung oder Brückensperre an. Zwischen den Zeitpunkten der Warnungsauslösung (τ warn ) und der Maßnahmenumsetzung (τ action ) kann sich die Tragwerksschädigung weiterentwickeln. Deshalb sollte die Maßnahme möglichst schnell umgesetzt werden, damit die Zuverlässigkeit nicht den Grenzwert β lim unterschreitet. Bild 1: Schema des Zusammenhangs zwischen Indikator und Tragwerkszuverlässigkeit, sowie der Einfl uss der eingeleiteten Maßnahme Durch die temporäre Verkehrsbeschränkung / Brückensperre wird die Tragwerkszuverlässigkeit erstmal nur durch Lastminderung gesteigert (Zeitpunkt τ action ), bis eine Verstärkung oder Sanierung des Tragwerks die Aufnahme des Vollbetriebs wieder erlaubt. Damit die Tragwerkszuverlässigkeit gewährleistet werden kann, muss auch der Fall der Funktionsstörung des Überwachungssystems berücksichtigt werden. Im Falle einer Störung kann der Indikator nicht ermittelt werden, wodurch sich der Zeitpunkt der Maßnahmenumsetzung τaction deutlich verzögern kann, weil die Auslösung der Warnung fehlt. Während bei einer funktionierenden Anlage die Maßnahme innerhalb von wenigen Stunden umgesetzt werden kann, wird bei einer Störung diese Zeit bis auf mehrere Wochen ausgedehnt. Dies beeinfl usst die operative Zuverlässigkeit des Systems Brücke-Überwachung-Maßnahme. Deshalb sollten die Störungen möglichst selten vorkommen und deren Behebung möglichst kurz dauern. Die Ausfallsraten der Geräte sowie die Reparaturzeiten werden im Abschnitt 5 dargestellt. 3. Zuverlässigkeit der Messgeräte Über die Zuverlässigkeit der Messgeräte und Messketten sind in der Literatur nur spärliche Informationen zu fi nden. Das Projekt „Sustainable Bridges“ [9] hat ein Konzept für die Zuverlässigkeit der Messanlagen vorgestellt, in dem die wichtigsten Größen und Zusammenhänge erläutert sind. Aus dieser Quelle wurden die Bezeichnungen und Gleichungen übernommen. Hier ist die Zuverlässigkeit eines Sensors R(t) als die Wahrscheinlichkeit, dass der Sensor zum Zeitpunkt t noch nicht ausgefallen ist, defi niert (Gl. 1). Dabei ist der Zeitpunkt des tatsächlichen Sensorausfalls mit t f bezeichnet. Die Ausfallsrate h(t) ist der Anteil der noch funktionierenden Sensoren, die innerhalb einer Zeiteinheit versagen, d. h. Anzahl der Neuausfälle durch Anzahl der noch funktionierenden Sensoren. Der Zusammenhang zwischen Ausfallsrate h(t) und Zuverlässigkeit R(t) ist durch Gl. 2 gegeben. Gl. 1 Gl. 2 Gl. 3 Obwohl es anzunehmen ist, dass die Ausfallsrate aufgrund der Abnutzung mit der Zeit steigt, wird oft einfachheitshalber eine konstante Ausfallsrate benützt. Bei einer konstanter Ausfallsrate h(t)=λ ergibt sich eine exponentielle Funktion der Sensorzuverlässigkeit (Gl. 3). Diese zwei Fälle sind beispielhaft im Bild 2 dargestellt, wobei der Fall 1 eine steigende und der Fall 2 eine konstante Ausfallsrate (hier λ=3%/ Jahr) annimmt. 4. Brückenkolloquium - September 2020 341 Über die Zuverlässigkeit von Monitoring-basierten Frühwarnsystemen für Brücken Bild 2: Zwei Beispiele des Zusammenhangs zwischen Sensorzuverlässigkeit R und Ausfallsrate h. Weitere wichtige Kennzahlen sind die mittlere Dauer zwischen Ausfällen (MTTF - mean time to failure) und die mittlere Reparaturdauer (MTTR - mean time to repair), aus denen sich die Betriebsbereitschaft (A) ableitet. Die mittlere Dauer zwischen Ausfällen ergibt sich aus der Sensorzuverlässigkeit (Gl. 4) und bei konstanter Ausfallsrate gleicht sie dem Kehrwert der Ausfallsrate (Gl. 5). Die Betriebsbereitschaft A (Gl. 6) beschreibt den Anteil der Zeit, in der der Sensor funktionsfähig ist. Gl. 4 Gl. 5 Gl. 6 Um dieses Konzept anwenden zu können, werden konkrete Werte der Ausfallsraten benötigt. Da diese in der Literatur nicht zu fi nden waren, wurde eine Umfrage zur Erhebung der nötigen Daten durchgeführt. 4. Erhebung der Erfahrungswerte durch Umfrage Die Umfrage wurde an die Anbieter von Überwachungsdienstleistungen gerichtet, die Dauerüberwachungsanlagen betreiben, und daher Erfahrungen über die tatsächlichen Ausfallraten der Brückenmonitoringsysteme besitzen. Diese Umfrage wurde web-basiert durchgeführt. Es konnten Antworten von 17 Dienstleistern aus Österreich, Deutschland, Portugal, Belgien, Niederlande und Kroatien gesammelt werden. In dieser Umfrage wurden insbesondere die Erfahrungen mit Ausfallsraten einzelner Komponenten der Überwachungsanlagen abgefragt. Neben den Erfahrungen mit verschiedenen Sensortypen wurde hier auch auf die Ausfallsraten anderer Komponenten, wie z.B. Signalwandler, Industrie-PC und der Fernkommunikation, eingegangen. Weiterhin wurden auch Informationen zur geschätzten Reparaturdauer gesammelt, sowie Informationen über die Erfahrung der Dienstleister, wie z.B. die Anzahl der bisher betriebenen Anlagen. Um die Umfrage benutzerfreundlich zu gestalten, wurden die Antwortsoptionen in Form von Wertebereichen vorgegeben. Zum Beispiel bei der Frage „Gemäß Ihrer Erfahrung, wie hoch ist die jährliche Ausfallsrate vom Sensortyp …? “ wurden 5 Antwortsoptionen geboten: a) weniger als 1%, b) 1-2%, c) 2-4%, d) 4-8%, e) mehr als 8%. Bei der Auswertung wurde dann programmintern jedem gebotenen Wertebereich eine probabilistische Verteilung zugewiesen, die die jeweilige ausgewählte Antwort mathematisch beschreibt. Hierbei wurde die Beta-Verteilung benützt, mit einer defi nierten Unter- und Ober-grenze. Bild 3 zeigt die kumulativen Dichtefunktionen dieser Verteilungen, die den Antworten a) und c) zugewiesen wurden. Bild 3: Angenommene Verteilungen, die den Wertebereichen „weniger als 1%“ (links) und „2-4%“ (rechts) zugewiesen wurden. Unter anderem wurde auch die Frage: „Was ist die durchschnittliche Reparaturdauer eines Defektes? “ mit den Optionen: a) weniger als 1 Tag, b) 1-2 Tage, c) 3-6 Tage, d) 7-14 Tage, e) 15-30 Tage, gestellt. Neben den Ausfallsraten wurden auch Informationen über die Plausibilität der vorhandenen Messdaten erhoben, sowie über manche Folgen des Ausfalls von elektronischen Komponenten. In die letztere Kategorie gehörte z.B. die Frage: „Wenn ein Defekt an einem Signalwandler auftritt, wie viele Sensoren sind im Durchschnitt davon betroffen? “, die sich auf die Konnektivität der Sensoren mit Signalwandlern bezieht. 5. Auswertung der erhobenen Daten Bei der Auswertung der Umfrage wurden die Antworten aller Teilnehmer kombiniert, wobei sie mit der Anzahl der bisher betriebenen Anlagen jedes Teilnehmers gewichtet wurden. Somit sind die Antworten der Dienstleister mit größerer Erfahrung entsprechend stärker ins Gewicht gefallen. Programmintern wurden die Antworten zunächst in probabilistische Verteilungen umgewandelt, aus denen 342 4. Brückenkolloquium - September 2020 Über die Zuverlässigkeit von Monitoring-basierten Frühwarnsystemen für Brücken Stichprobensätze erstellt wurden. Diese wurden dann unter allen Umfrageteilnehmern kombiniert. Aus den so erstellten Daten wurden Histogramme gebildet, die in diesem Abschnitt unten dargestellt sind. Weiterhin wurde eine geeignete Verteilung an diese Daten angepasst, die diese Daten am besten repräsentiert. 5.1 Ausfallsraten Die Bedeutung der Ausfallsrate wurde im Abschnitt 3 beschrieben. Wenn z.B. eine Komponente eine Ausfallsrate von 5 % pro Jahr hat, ist mit ihrem Ausfall nach ca. 20 Betriebsjahren (durchschnittlich) zu rechnen. In den unten gezeigten Bildern wird pro Sensortyp das Histogramm der Erfahrungswerte aus Umfragen, sowie die darauf angepasste Verteilung gezeigt. Für numerische Beschreibung der gezeigten Verteilungen wird auf den Bericht [8] verwiesen. Hier ist anzumerken, dass diese Ausfallsraten nicht rein die Langlebigkeit der Produkte beschreiben, sondern auch die Qualität der Montage, Einfluss der Umgebungsbedingungen, sowie unvorgesehene Ereignisse miteinschließen. Bild 4, Bild 5 und Bild 6 zeigen jeweils die Erfahrungswerte der Ausfallsraten von Vibrationssensoren, Dehnmessstreifen (DMS) und anderen Dehnungssensoren. Bild 4: Verteilung der Ausfallsraten für Beschleunigungsaufnehmer (links) und Geophone (rechts). Bild 5: Verteilung der Ausfallsraten für geklebte (links) und verschraubte (rechts) Dehnmessstreifen. Bild 6: Verteilung der Ausfallsraten für Schwingsaitensensoren (links) und optische Fasern (rechts). Dass hier die Montagequalität miteinbegriffen ist, ist am besten am Bild 5 sichtbar, welches die geklebten und verschraubten DMS vergleicht. Bei geklebten DMS ist das Risiko von Fehlern bei der Montage an der Brücke höher als bei verschraubten DMS. Das spiegelt sich deutlich an den Ausfallsraten wider. Die Erfahrungen verschiedener Betreiber unterschieden sich in manchen Fällen deutlich. Dies ist z.B. am Histogramm der Ausfallsraten für Schwingsaitensensoren (Bild 6 links) ersichtlich. Hier sind zwei Wertegruppen zu erkennen: erste im Bereich 2-4 %, zweite im Bereich über 8 %. Der Grund für diese unterschiedlichen Erfahrungen einzelner Betreiber ist leider nicht bekannt. Konsistent niedrig wurden die Ausfallsraten der Neigungs- und Temperatursensoren bewertet (Bild 7). Bild 7: Verteilung der Ausfallsraten für Neigungssensoren (links) und Temperatursensoren (rechts). Der Vergleich zwischen induktiven Wegaufnehmern und Laserdistanzsensoren (Bild 8) spricht zugunsten der kontaktlosen Messtechnik. 4. Brückenkolloquium - September 2020 343 Über die Zuverlässigkeit von Monitoring-basierten Frühwarnsystemen für Brücken Bild 8: Ausfallsraten für induktive Wegaufnehmer (links) und Laserdistanzsensoren (rechts). Stärker als durch Ausfälle der Sensoren wird die Zuverlässigkeit der Überwachungsanlage durch Ausfälle von elektronischen Komponenten beeinflusst. Dazu gehören Signalwandler, Industrie-PCs und Modems. Die Ausfälle dieser Komponenten sind vor allem der Langlebigkeit dieser Produkte zuzuschreiben, die den wechselnden Umgebungsbedingungen (Temperatur, Feuchtigkeit) standhalten müssen. Im Bild 9 sind die Ausfallsraten der Industrie-PCs und der Fernkommunikation (Modems) dargestellt. Beim Ausfall des Industrie-PCs, der die Sensordaten sammelt, kann es auch zum Datenverlust kommen, abhängig von der Beschädigung der Festplatte. Die Ausfälle der Fernkommunikation kommen häufiger vor, bedeuten i.d.R. aber keinen Datenverlust, sondern eine Verzögerung in der Datenlieferung. Bild 9: Verteilung der Ausfallsraten für Industrie-PCs (links) und die Fernkommunikation (rechts). Die Erfahrungswerte zeigen, dass die Signalwandler seltener ausfallen (Bild 10 links) als Industrie-PCs oder Modems. Neben ihrer Ausfallsrate ist hier auch die Anzahl der betroffenen Sensoren wichtig, denn an einen Signalwandler sind i.d.R. mehrere Sensoren angeschlossen. Am kritischsten ist jedoch der Ausfall des Industrie-PCs, weil er den Gesamtausfall der Anlage verursacht. Bild 10: Verteilung der Ausfallsraten für Signalwandler (links) und die Anzahl der davon betroffenen Sensoren (rechts). 5.2 Ungültige und fehlende Daten Aufgrund der oben beschriebenen Ausfälle kommt es zur Unterbrechung der Datenaufzeichnung an einzelnen Sensoren oder in der gesamten Anlage. Bild 11 zeigt Erfahrungswerte über den geschätzten Gesamtanteil der Daten, der dadurch fehlt. Bild 11: Erfahrungswerte über den Gesamtanteil der fehlenden Daten. Zusätzlich können durch unterschiedliche Störungen ungültige Daten auftreten. Am häufigsten kommt hier die Überschreitung des Messbereichs vor, es können aber auch elektrische Störungen in der Übertragung der Analogsignale oder mechanische Störungen an der Sensorhalterung vorkommen. Bild 12 zeigt beispielhaft die erhobenen Erfahrungswerte über Anteil der ungültigen Daten an zwei Sensortypen. 344 4. Brückenkolloquium - September 2020 Über die Zuverlässigkeit von Monitoring-basierten Frühwarnsystemen für Brücken Bild 12: Erfahrungswerte über den Anteil von ungültigen Daten an Laserdistanzsensoren (links) und Neigungssensoren (rechts). 5.3 Verfügbarkeit Eine der wichtigsten Größen, die die Verfügbarkeit bestimmen, ist neben der Ausfallsraten die Reparaturdauer. Es wird angenommen, dass beim Auftreten einer Störung der Überwachungsanlage die Beseitigung der Störung umgehend eingeleitet wird. Die Umfrageteilnehmer haben in ihren Kommentaren angemerkt, dass die Reparaturdauer sehr unterschiedlich sein kann, abhängig von der Art des Defektes, und insbesondere vom Lagerbestand der Ersatzteile. Nichtsdestotrotz muss eine Annahme über eine voraussichtliche Reparaturdauer getroffen werden. Bild 13 zeigt die durch die Umfrage erhobenen Erfahrungswerte. Es zeigt sich, dass viele Störungen innerhalb einer Woche behoben werden können, aber in einigen Fällen sich die Reparatur über mehrere Wochen hinzieht. Bild 13: Erfahrungswerte über die Reparaturdauer. Aus diesen Daten ergab sich eine mittlere Reparaturdauer von MTTR = 8,42 Tage. Weiterhin wurden aus den erhobenen Daten mittlere Ausfallsraten bestimmt, und durch dessen Kehrwert wurde die mittlere Dauer zwischen Ausfällen (MTTF) berechnet. Daraus wurde die Verfügbarkeit (A) berechnet. Diese Werte sind in der Tabelle 1 gelistet. Tabelle 1: Verfügbarkeit von Komponenten Komponente MTTF [Jahre] A [%] Beschleunigungssens. 72,0 99,968 Geophon 118,7 99,981 Neigungssensor 74,2 99,969 Induktiver Wegaufn. 48,2 99,952 Laserdistanzsensor 98,3 99,977 DMS geklebt 15,1 99,847 DMS verschraubt 92,9 99,975 Optischer Dehnungs. 58,6 99,961 Schwinsaitensensor 26,4 99,913 Temperatursensor 82,1 99,972 Industrie-PC 29,1 99,921 Signalwandler 50,6 99,955 Hier ist anzumerken, dass dies die Verfügbarkeit der Komponenten darstellt, aber noch nicht die Verfügbarkeit der Daten. Bei der Bestimmung der Verfügbarkeit von Daten muss die gesamte Messkette berücksichtigt werden, in der sich ein Ausfall jedes Elementes auf die Datenverfügbarkeit auswirkt. 6. Schlussfolgerungen Der Bedarf, Dauerüberwachungssysteme für Brücken zum Auslösen von sicherheitsrelevanten Maßnahmen einzusetzen, stellt neue Fragen auf. Diese beziehen sich insbesondere auf das garantierte Sicherheitsniveau des neuen Systems „Brücke-Überwachung-Maßnahme“, und folglich auf die Zuverlässigkeit des Überwachungssystems selbst. Dieser Beitrag befasste sich mit der Zuverlässigkeit verschiedener Komponenten einer Dauerüberwachungsanlage, und hat somit Teilaspekte dieses Problems beleuchtet. Basierend auf Erfahrungswerten, die unter Betreibern der Anlagen gesammelt wurden, wurden Ausfallsraten verschiedener Sensortypen und anderen Komponenten vorgestellt. Hierbei zeigte sich, dass auch die Montageart die Ausfallsraten beeinflusst. Beispielsweise die geklebten DMS, deren Anbringung an Brücken oft problematisch ist, zeigten auch die größten Ausfallsraten. Verschiedene Betreiber haben in manchen Fällen sehr unterschiedliche Erfahrungswerte berichtet, wie z.B. im Falle von Schwingsaitensensoren. Den größten Einfluss auf die Zuverlässigkeit der Überwachungsanlage haben aber die elektronischen Komponenten der Datenerfassung und Fernkommunikation. Deshalb sollte hier bei der Umsetzung der Überwa- 4. Brückenkolloquium - September 2020 345 Über die Zuverlässigkeit von Monitoring-basierten Frühwarnsystemen für Brücken chungsanlage besonders auf die Langlebigkeit dieser Komponenten geachtet werden. Die mittlere Reparaturdauer einer Störung an der Überwachungsanlage wurde hier mit ca. 8 Tagen bestimmt. Für eine schnelle Reparatur ist insbesondere die Verfügbarkeit von Ersatzteilen wichtig. Die erhobenen Werte liefern eine Datenbasis, die bei der Bestimmung der Zuverlässigkeit von Dauerüberwachungssystemen eingesetzt werden kann. Die hier vorgestellten Werte wurden aus einer relativ breiten Sammlung an Erfahrungswerten ausgewertet, und eignen sich insbesondere dann zum Einsatz, wenn keine genaueren Angaben zu der im konkreten Fall eingesetzten Überwachungsanlage vorhanden sind. Es versteht sich von selbst, dass wenn spezifischere Daten zu der Anlage im Einsatz vorhanden sind, diese vorzuziehen sind. Diese könnten z.B. aus langjährigen Störungsprotokollen von Überwachungsanlagen eines Betreibers oder eines bestimmen Anlagentyps stammen. Danksagung Das Forschungsprojekt, aus dem dieser Beitrag entstanden ist, wurde durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) finanziert. Die Autoren bedanken bei BASt für die Unterstützung und das entgegengesetzte Vertrauen. Literatur [1] S. Maas, A. Zürbes, D. Waldmann, M. Waltering, V. Bungard, G. De Roeck: Damage assessment of concrete structures through dynamic testing methods. Part 2: Bridge tests, Engineering Structures vol. 34, 2012, p. 483-494. [2] Y.Y. Li: Hypersensitivity of strain-based indicators for structural damage identification: A review, Mechanical Systems and Signal Processing vol. 24, 2010, p. 653-664. [3] A. J. Reiff, M. Sanayei, R. M. Vogel: Statistical bridge damage detection using girder distribution factors, Engineering Structures vol. 109, 2016, p. 139-151. [4] S.-Z. Chen G. Wua, D.-C. Feng: Damage detection of highway bridges based on long-gauge strain response under stochastic traffic flow, Mechanical Systems and Signal Processing vol. 127, 2019, p. 551-572. [5] F. Magalh-es, A. Cunha, E. Caetano: Vibration based structural health monitoring of an arch bridge: From automated OMA to damage detection, Mechanical Systems and Signal Processing, 2011. [6] Y. Fujino, D. M. Siringoringo, Y. Ikeda, T. Nagayama, T. Mizutani: Research and Implementations of Structural Monitoring for Bridges and Buildings in Japan, Engineering vol. 5, 2019, p. 1093-1119. [7] L. Ge, D. Dan, X. Yan, K. Zhang: Real time monitoring and evaluation of overturning risk of single-column pier box-girder bridges based on identification of spatial distribution of moving loads, Engineering Structures vol. 210, 2020, https: / / doi. org/ 10.1016/ j.engstruct.2020.110383 [8] M. Ralbovsky, D. Prammer, S. Lachinger, A. Vorwagner: Verfahren und Modelle zur Quantifizierung der Zuverlässigkeit von dauerüberwachten Bestandsbrücken, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft B 151, Bergisch Gladbach, Mai 2020, ISBN 978-3-95606-505-7. [9] B. Luczynski, P.H. Nielsen, F.S. Collette, Deliverable D5.2-S4: Estimating Reliability of Monitoring Systems for Bridges, FP6-project “Sustainable Bridges”, contract no. TIP3-CT-2003-001653, 2007. Verstärkung 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 349 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben Jürgen Feix Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich Johannes Lechner Prof. Feix Ingenieure, München, Deutschland Zusammenfassung In den letzten Jahrzehnten haben sich auf der einen Seite die Brückenlasten und auf der anderen Seite auch das Verkehrsaufkommen auf mitteleuropäischen Hauptverkehrswegen drastisch erhöht. Berücksichtigt man das durchschnittliche Alter des Großteils des Brückenbestandes von 40 - 50 Jahren, so ergibt sich eine bedeutende Zahl an instandzusetzenden bzw. zu verstärkenden Infrastrukturbauwerken. Wie zahlreiche Untersuchungen und Erfahrungen aus Nachrechnungen zeigen, ergeben sich sehr häufig Defizite an vorhandener Querkraftbewehrung in Bestandsbrücken. Aus diesem Grund wurde in den letzten Jahren an Universität Innsbruck ein neues Verstärkungsverfahren der nachträglichen Querkraft- und Durchstanzverstärkung entwickelt. Dieses neue Verfahren basiert auf der Nutzung von modifizierten Betonschrauben, die aus der Verankerungstechnik bekannt sind, als nachträgliche Bewehrung. In Versuchen konnte die hervorragende Eignung des Systems gezeigt werden und auf den Versuchsergebnissen aufbauend ein Bemessungsmodell auf Basis des Eurocode 2 Bemessungskonzeptes abgeleitet werden. Somit war es möglich in den letzten Jahren einige Pilotprojekte in Deutschland und Österreich an Infrastrukturbauten umzusetzen. Dabei konnte gezeigt werden, dass das System durch die Möglichkeit des Einbaus von einer Seite und die sehr schnelle Installation auch unter laufendem Betrieb des Tragwerks durchgeführt werden kann. Im September 2019 wurde nun für das neue Verfahren eine bauaufsichtliche Zulassung des Deutschen Instituts für Bautechnik erteilt, die auch für dynamisch beanspruchte Tragwerke, wie Brücken gilt. Damit wird diese neue Verstärkungstechnologie einem breiten Anwenderkreis zugänglich gemacht. 1. Einleitung Ein Großteil der vorhandenen Brückentragwerke der zentraleuropäischen Staaten wurde in den Jahren zwischen 1960 und 1990 errichtet (vgl. [1]). Die Brückentragwerken an den deutschen Bundesfernstraßen sind mit über 45 % der Bauwerksfl ächen heute zwischen 60 und 40 Jahre alt. Eine Betrachtung der verwendeten Materialwahl bei diesen Brücken der Deutschen Bundesanstalt für Straßenwesen [1] zeigt, dass der überwiegende Teil fast 90 % der Tragwerke in den Bauweisen Stahlbeton- oder Spannbeton errichtet wurde. Neben dem zunehmenden Alter der Brückeninfrastruktur im zentral-europäischen Raum spielt aber auch die Steigerung des Verkehrsaufkommens und speziell das des Schwerverkehrs eine bedeutende Rolle für Verschlechterung der Brückeninfrastruktur. So zeigt etwa das Beispiel der Brennerautobahn in Österreich, welche Ende der 1970er Jahre errichtet wurde, sehr deutlich, dass sich die Lasten auf die Infrastruktur seit Inbetriebnahme massiv gesteigert haben. Abbildung 1 zeigt die Verzehnfachung der transportierten Güter über den Brennerpass seit Ende der 1970er Jahre. Abbildung 1: Entwicklung der transportierten Güter über den Brenner-Pass in Österreich, nach [2] 350 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben Ähnlich kann der Verkehrsstatistik der Bundesanstalt für Straßenwesen [3] entnommen werden, dass auch auf deutschen Fernstraßen das durchschnittliche Verkehrsaufkommen zwischen 1960 und heute von etwa 7000 auf knapp 50 000 KFZ/ 24 h angestiegen ist. Mit dieser massiven Zunahme des Verkehrs geht auch eine deutliche Zunahme der Lasten einher, welche auf die vorhandenen Tragwerke einwirkt. Insbesondere durch den wachsenden Schwerverkehr und neue größere Güterfahrzeuge. Abbildung 2: Entwicklung der Zustandsnoten der Brücken an Deutschen Bundesfernstraßen zwischen 2000 und 2015, aus [4] und [5] Durch die zunehmende Alterung der Infrastruktur und die gleichzeitige steigende Belastung hat sich in den letzten Jahren der Zustand der Infrastrukturbauwerke vor allem durch übermäßigen Verschleiß deutlich verschlechtert, wie die Abbildung 2 zeigt. Hier ist allen voran erkennbar, dass der Anteil der mit gut oder sehr-gut bewerteten Brücken in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen hat. Untersuchungen wie etwa [6] und [7], welche sich mit der Nachrechnung von Bestandsbrücken im Zuge der neuen Normenansätze infolge der Einführung der Eurocode-Serie beschäftigten, zeigen, dass bei der Nachrechnung von Bestandsbrücken zahlreiche Tragfähigkeitsdefi zite auftreten. Große Defi zite ergeben sich vor allem im Bereich der Querkrafttragfähigkeit, wie die Untersuchungen in [6] zeigen. Darin wird dargestellt, dass von 142 untersuchten Brückentragwerken 72 Bauwerke Defi zite im Bereich der Querkraftragfähigkeit auf Basis der aktuellen Normung aufweisen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich für diese Tragwerke ein enormer Verstärkungsbedarf, um solche Bauwerke weiterhin im Netz halten zu können. Um diese Defi zite an vorhandener Querkraftbewehrung in bestehenden Strukturen auszugleichen braucht es innovative Verstärkungssysteme. Diese müssen nicht nur eine hohe Verstärkungswirkung bei geringem Einsatz an Verstärkungselementen aufweisen, sondern auch eine möglichst schnelle und einfache Installation ermöglichen. Idealerweise soll die Verstärkung von der Unterseite in das Tragwerk eingebaut werden können, um den Verkehr am Tragwerk nicht einzuschränken. Zudem kann dadurch ein kostspieliger Abtrag des Fahrbahnaufbaus und der Abdichtung verhindert werden. 2. Betonschrauben als Verstärkungselement Der Einsatz von Betonschrauben als nachträgliche Querkraft- und Durchstanzverstärkung kann diese Erfordernisse erfüllen. Daher wurde in den vergangenen zehn Jahren an der Universität Innsbruck an diesem neuen Verstärkungssystem geforscht und in zahlreichen Versuchsserien anhand von Bauteilversuchen die Eignung der Schrauben als nachträgliche Bewehrung untersucht (vgl. [8] - [11]). Auf Basis dieser Untersuchungen wurden im September 2019 zwei bauaufsichtliche Zulassungen für das System durch das Deutsche Institut für Bautechnik erteilt. Die Zulassungen Z-15.1-339 [12] bzw. Z-15.1-344 [13] regelt den Einsatz der Betonschrauben als nachträgliche Querkraftbewehrung, die Zulassungen Z-15.1-340 [14] bzw. Z-15.1-345 [15] den Einsatz als nachträgliche Durchstanzverstärkung. 2.1 Tragwirkung der Betonschrauben Betonschrauben sind seit Beginn der 1990er Jahre als Verankerungselement in Stahlbetonstrukturen bekannt und wurden in den vergangenen Jahren vermehrt eingesetzt. Ein großer Vorteil von Betonschrauben gegenüber anderen Ankermitteln sind die schnelle Installation und die sofortige Belastbarkeit, welche sich durch den mechanischen Verbund der Schraube mit der Betonstruktur ergibt. Betonschrauben werden in ein vorgebohrtes Loch mit entsprechendem Durchmesser eingedreht und schneiden sich dabei ein Gewinde in die Bohrlochwandung, wodurch eine Verzahnung mit dem Beton erzeugt wird. Damit ergibt sich eine kraftschlüssige Verbindung, die sofort belastet werden kann, wie in Abbildung 3 ersichtlich ist. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 351 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben Abbildung 3: Tragwirkung der Betonschrauben als Kombination aus mechanischem und Klebeverbund Um die Tragfähigkeit der Betonschrauben weiter zu erhöhen, wurden die sogenannten Verbundankerschrauben entwickelt, bei denen ein Vinylesthermörtel vor dem Eindrehen der Schrauben in das Bohrloch injiziert wird. Damit wird der existierende Ringspalt zwischen Schraube und Beton verfüllt, was durch die größere Aufl agefl äche des Gewindes und den Klebeverbund (vgl. Abbildung 3) zu größeren Traglasten führt. Der Auszugswiderstand der Schrauben kann mittels Verklebung um etwa 40 % gesteigert werden, wie auch in [16] gezeigt wird. 2.2 Betonschrauben für die Tragwerksverstärkung Diese Verbundankerschrauben werden für den Einsatz als nachträgliche Querkraft- und Durchstanzverstärkung in etwas modifi zierter Art gemäß den Zulassungen verwendet. Abbildung 4 Betonschrauben nach den bauaufsichtlichen Zulassungen [12] - [15] zur Anwendung als nachträgliche Querkraft- und Durchstanzverstärkung Für den Einsatz als nachträgliches Bewehrungselement, welche eine Rückverankerung der eingeleiteten Kraft am hinteren Ende der Schraube erfordert, wurden Rückverankerungselemente entwickelt, wie Abbildung 4 zeigt. Dies wird über eine Unterlegplatte mit einer Keilsicherungsfederscheibe und eine Mutter am ISO-Gewinde der Schraube an der Außenseite des Tragwerks ausgeführt. Über die Mutter an der Außenseite ist es auch möglich eine Vorspannung in der Schraube durch Andrehen zu erzeugen Gemäß der Zulassungen sind die Schraubentypen TSM- 22 und TSM-16, welche sich hinsichtlich des Bohrlochnenndurchmessers (d 0 = 22 mm bzw. d 0 = 16 mm) unterscheiden, als nachträgliche Verstärkungselemente zugelassen. Die Länge der Schrauben kann an das jewei- 352 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben lige Verstärkungsprojekt angepasst werden und ist in den Zulassungen über die maximale Bohrlochtiefe (200 cm für die Querkraftverstärkung, 100 cm für die Durchstanzverstärkung) begrenzt. Bei Bohrungen über 170 mm für die TSM-16 bzw. 210 mm für die TSM-22 Schrauben sind Stufenbohrungen auszuführen, um das korrekte Eindrehen der Schrauben zu gewährleisten. Alle Schrauben des zugelassenen Systems werden aus Stahl mit einer charakteristischen Fließspannung von mindestens f ywk = 500 MPa gefertigt und mit einem speziellen Korrosionsschutzsystem versehen. Dieser Schutz gewährleistet eine Korrosionsschutzklasse nach C5-I gemäß DIN EN ISO 12944-6. Diese Korrosionsschutzklasse ermöglicht somit auch den Einsatz des Systems in stark korrosiven Umgebungen, wie z.B. auf Brücken bei Einsatz von Tausalz. Die Verwendung des des Verbundmörtels erhöht den Korrosionsschutz durch die Verfüllung des Ringspaltes zusätzlich. 3. Wissenschaftliche Untersuchungen zur Zulassung Als Ergebnis eines Vergleichs der Eigenschaften verschiedenster Verankerungselemente, wurden Betonschrauben aufgrund ihres mechanischen Verbundes, der schnellen und einfachen Installation und der hohen Tragfähigkeit als ideales nachträgliches Bewehrungselemente identifi ziert. Um die Eignung der Schrauben als nachträgliche eingebaute Bewehrung zu zeigen wurden in den letzten Jahren insgesamt 5 Versuchsreihen zur nachträglichen Querkraft- und 4 Versuchsreihen zur nachträglichen Durchstanzverstärkung mit über 80 einzelnen Bauteilversuchen durchgeführt. 3.1 Durchstanzversuche Die generelle Eignung des Systems konnte bereits 2012 anhand von ersten Durchstanzversuchen eindrucksvoll nachgewiesen werden, wie zum Beispiel in [17] gezeigt wird. Dazu wurden Versuchsplatten mit einer Plattenstärke von 20 cm und einem Durchmesser von 2,7 m hergestellt. An diesen Platten wurde ein Stützenstummel vorgesehen, über welchen im Versuch mittels einer hydraulischen Presse die Durchstanzlast aufgebracht wurde. Über eine Rückverankerung an den Plattenrändern konnte so eine Durchstanzbeanspruchung einer Stahlbetonplatte auf einer Stütze als Ausschnitt abgebildet werden. Anhand dieser Versuche konnte gezeigt werden, dass je nach verwendeter Schraube und Installationsart die Traglaststeigerung bei Verwendung von 32 Schrauben im Versuch um bis zu 53 % gegenüber einem Versuch ohne Durchstanzbewehrung gesteigert werden konnte, wie auch die obere Grafi k der Abbildung 5 zeigt. Abbildung 5: erzielte Traglaststeigerungen einiger durchgeführter Durchstanzversuche gegenüber Referenzversuchen ohne Durchstanzbewehrung mit dem reLAST Verstärkungssystem Auf Basis dieser Versuche wurden in den letzten Jahren im Zuge von zwei Forschungsprojekten weitere Durchstanzversuche mit Betonschrauben als nachträgliche Durchstanzverstärkung durchgeführt. Dabei wurden weitere Parameter untersucht, wie etwa die Verklebung der Schrauben, die Setztiefe der Schrauben, die Schraubenanzahl und der Längsbewehrungsgrad in den Probekörpern. Ebenfalls wurden mehrere Versuche mit zyklischen Lasten durchgeführt, wobei gezeigt werden konnte, dass bei Belastungen zwischen einem Drittel und der Hälfte der statischen Bruchlast bei zwei Millionen Lastwechseln kein Versagen infolge dynamischer Lasten eintritt. Erst bei Wiederbelastung mit statischen Lasten konnte nach der dynamischen Lasteinwirkung das Versagen der Versuchskörper herbeigeführt werden. Details zu diesen Versuchen und den Ergebnissen werden auch in [18] und [19] beschrieben und diskutiert. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 353 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben 3.2 Querkraftversuche An der Universität Innsbruck wurden in 32 Versuchen die generelle Eignung des Systems experimentell auch unter dynamischen Lasten untersucht und ausgezeichnete Resultate für statische und dynamische Lasten erzielt (vgl [8], [9] und [10]). Zur Erlangung der Zulassung wurden weitere Versuche, speziell an Plattenstreifen erforderlich. Die Versuchsergebnisse dieser Versuche sind unter anderem in [20] diskutiert. Im Zuge des Zulassungsverfahrens wurden vom Gutachter zu den bereits durchgeführten 32 Versuchen der ersten drei Versuchsreihen weitere Versuche an Balken mit größerer Höhe und an Plattenstreifen gefordert. Daher wurden weitere Versuchsreihen durchgeführt, wobei die Balkenversuche an der Universität Innsbruck als Vierpunktbiegeversuch durchgeführt wurden. Hier wurden zwei Balkenhöhen von 32 cm und 44 cm untersucht, wobei der Schraubendurchmesser und die Setztiefe der Schrauben variiert wurden. Die erzielten Traglaststeigerung der Balkenversuche mit einer Höhe von 44 cm sind in Abbildung 6 dargestellt. Hier konnten maximale Traglaststeigerungen von bis zu 150 % gegenüber Versuchen ohne Querkraftbewehrung erzielt werden. Abbildung 6: Versuchsergebnisse der durchgeführten Querkraftversuche an Balken mit h = 44 cm zur Erlangung der bauaufsichtlichen Zulassung Die Versuche an den Plattenstreifen konnten aufgrund der hohen erforderlichen Prüfl asten nicht in der Versuchsanstalt der Universität Innsbruck durchgeführt werden. Diese Versuche wurden daher im Labor der Universität der Bundeswehr in München an einer 10 MN Prüfmaschine durchgeführt. Abbildung 7 zeigt die Querkraft-Verformungskurven der durchgeführten Versuche an Plattenstreifen mit einer Breite von 88 cm und einer Höhe von 32 cm. Jede Platte war mit jeweils 12 Schrauben in verklebter Installation verstärkt, wobei der Schraubendurchmesser (TSM-22 und TSM-16) sowie die Installationstiefe variiert wurden. Die Installationstiefe wurde zum einen mit d = 29 cm so gewählt, dass die Spitze der Schraube auf Höhe der Oberkante der oberen Längsbewehrung lag, zum anderen mit d = 26 cm so, dass die Schraube unter der oberen Längsbewehrung lag. Abbildung 7: Versuchsergebnisse der durchgeführten Querkraftversuche an Plattenstreifen mit h = 32 cm zur Erlangung der bauaufsichtlichen Zulassung Die Versuchsergebnisse zeigen dementsprechend einen Einfl uss der Verankerung unter oder auf Höhe der oberen Längsbewehrung, wie in Abbildung 7 ersichtlich ist. So liegt die erzielte Traglaststeigerung mit 90 % bei größerer Bohrlochtiefe deutlich über den erzielten 64 % Traglaststeigerung, wenn unter der oberen Längsbewehrung verankert wird. Nahezu identisch stellt sich dies bei Verwendung der Schrauben mit kleinerem Nenndurchmesser dar, wobei hier die erzielbaren Traglaststeigerungen mit 84 % bzw. 53 % generell etwas unter denen der Schrauben mit größerem Durchmesser liegen. 3.3 Bemessungskonzept Auf Basis der durchgeführten Versuche wurde sowohl für das System der Querkraftverstärkung als auch für die Durchstanzverstärkung ein Bemessungsmodell abgeleitet, welches in die Zulassung aufgenommen wurde. Beide Bemessungskonzepte basieren auf den Bemessungsmodellen des Eurocode 2 und somit auf der akutellen Normung für die Stahlbetonbemessung. Bei der Bemessung der erforderlichen Querkraftverstärkung wird das erweiterte Fachwerkmodell für die Bemessung von Betonstrukturen mit Querkraftbewehrung verwendet, wobei der nach Eurocode 2 variable Druckstrebenwinkel θ bei der Bemessung der Betonschraubenverstärkung mit θ = 45° fi xiert wird. Ebenso wird der Winkel der Betonschrauben mit α = 90° gegenüber der Stablängsachse fest defi niert. Der Nachweis der Betondruckstrebe V Rd.max des Fachwerkmodells erfolgt unter Berücksichtigung dieser beiden Winkel unverändert zu den Regelungen des EC 2. Der Nachweis der Zugstrebe V Rd.s, also der erforderlichen 354 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben Verstärkung, erfolgt ebenfalls mit der Gleichung des Eurocode 2 bei Beachtung der beiden genannten Winkel. Allerdings wird anstelle des vollen Bemessungswerts der Streckgrenze der Querkraftbewehrung eine effektive Fließspannung der Schrauben fywd.ef in der Bemessung verwendet. Da die Gleichung zur Ermittlung der Fließspannung aus den Versuchsergebnissen durch statistische Verfahren abgeleitet wurde, gehen darin über zwei Faktoren c 1 und c 2 der Schraubendurchmesser und die Verankerungstiefe ein, die einen wesentlichen Einfluss auf die Verstärkungswirkung haben, wie die Versuchsergebnisse gezeigt haben (vgl. Abbildung 6 und Abbildung 7). Bei der Bemessung der Durchstanzverstärkung mit dem reLAST-System wird ebenfalls das Bemessungskonzept des Eurocode 2 verwendet. Bei Überschreiten des Durchstanzwiderstandes des Betons V Rd.c darf der Durchstanzwiderstand V Rd.cs bis zu einer Größe von 1.4 • V Rd.c mit Verbundankerschrauben gesteigert werden. Dafür wird ähnlich zur Querkraftverstärkung ein effektiver Bemessungswert der Streckgrenze fywd.ef der Durchstanzbewehrungselemente ermittelt, welcher ebenfalls auf den Ergebnissen der durchgeführten Durchstanzversuche basiert und in den unter anderem der Schraubendurchmesser einfließt. Neben den Gleichungen zur Ermittlung der notwendigen Verstärkungselemente geben die Zulassungen ebenfalls Regelungen zur konstruktiven Anordnung der Verstärkung an, welche zum einen auf den Versuchsergebnissen, aber auch auf den konstruktiven Regeln des Eurocode 2 basieren. 4. Pilotprojekte Auf Basis der erzielten Erkenntnisse der Versuche und den daraus abgeleiteten Bemessungsmodellen konnten in den letzten Jahren bereits einige Pilotanwendungen mit den beiden neuen Verstärkungssystemen ausgeführt werden. Es zahlreiche Brücken aber auch Tiefbaubauwerke nachträglich erfolgreich verstärkt. 4.1 Biege- und Querkraftverstärkung einer Balkenbrücke Die Eisenbahnüberführung über die Bundesautobahn A70 wurde als zweifeldrige Spannbetonbrücke 1967 errichtet. Die Brücke wurde mittels des damals gebräuchlichen Sigma Oval Spannstahl vorgespannt. Dieser Spannstahl ist nach heutigem Wissenstand stark spannungsrisskorrosionsgefährdet. Aufgrund dessen wurde eine Nachrechnung durchgeführt, welche keine verbleibende Restlebenszeit ergab, da für den Fall einen Spanngliedbruches kein Ankündigungsverhalten nachweisbar war. Um das Schlüsselbauwerk weiterhin im Netz halten zu können und eine Totalsperrung der wichtigen Eisenbahnstrecke zu vermeiden, wurde eine Verstärkungsmaßnahme geplant, um die Restlebenszeit der Brücke auf 20 Jahre zu erhöhen. Aufgrund der Gefährdung durch den verwendeten Spannstahl musste nicht nur eine Querkraft-, sondern auch eine Biegeverstärkung vorgenommen werden. Diese wurde durch externe Bewehrung in Form von Stahllaschen an beiden Seiten des Hohlkörpers ausgeführt, wie auch in Abbildung 8 zu erkennen ist. Diese Stahllaschen wurden in Form von einzelnen Schüssen mit Betonschrauben an den Stegen befestigt und anschließend miteinander verbunden und vorgespannt. Diese Stahllaschen wurden mit Betonschrauben mit ca. 2 m Länge in die Endquerträger der Brücke rückverankert. Zusätzlich wurden etwa 1,25 m lange Betonschrauben als nachträgliche Querkraftbewehrung durch den Hohlkörper der Brücke von unten eingebaut. Abbildung 8: Verkehr unter und auf der Brücke während der Ausführung der Verstärkungsmaßnahme Eine wesentliche Vorgabe bei der Ausführung der Verstärkung war dabei, dass der Eisenbahnverkehr auf der Brücke nicht unterbrochen werden darf. Es konnten dementsprechend keine Maßnahmen von der Oberseite der Brücke durchgeführt werden. Gleichzeitig durfte unter der Brücke jedoch auch lediglich jeweils ein Fahrstreifen der Autobahn A70 gesperrt werden. Dazu wurde ein spezielles Verstärkungskonzept erarbeitet mit dem die gesamte Maßnahme innerhalb von 4 Wochen ohne Störung 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 355 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben des Eisenbhanverkehrs und mit lediglich geringfügiger Störung des Verkehrs unter der Brücke umgesetzt werden konnte (vgl. Abbildung 8). 4.2 Querkraftverstärkung einer Plattenbrücke Die Eisenbahnunterführung unterführt eine zweispurige Straße unter einer Eisenbahnstrecke, wobei das Tragwerk im Eingangsbereich eines Bahnhofes liegt und dadurch eine Weiche auf dem Bauwerk angeordnet ist. Die Brücke ist in Form einer einfeldrigen Plattenbrücke mit einer Spannweite von 11,3 m bei einer Breite von ca. 18 m errichtet worden. An der Unterführung wurden im Zuge eine Bauwerksprüfung Schubrisse an den Plattenseiten erkannt. Daraufhin wurden Monitoring-Maßnahmen durchgeführt. Gleichzeitig wurde eine statische Nachrechnung des Tragwerks nach aktueller Normung beauftragt, welche zu dem Ergebnis führte, dass die Tragfähigkeit der Struktur aufgrund zu geringer Schubbewehrung nicht gegeben ist. Die in den 1980er Jahren errichtete Unterführung wurde mit den damals üblichen Schubaufbiegungen der Längsbewehrung als Querkraftbewehrung hergestellt. Diese Schubaufbiegungen sind auch in Abbildung 9 zu erkennen. Aufgrund der großen Längsabstände der Schubaufbiegungen genügen diese jedoch heute nicht mehr den konstruktiven Anforderungen der aktuellen Norm und können dementsprechend nicht für die Tragfähigkeit der Platte berücksichtigt werden. Abbildung 9: geplante Verstärkung der Platte mit Hilfe von TSM-22 Betonschrauben als nachträgliche Querkraftverstärkung Aufgrund der Bedeutung des Bauwerks und dem damit verbundenen Verkehrsaufkommen sowie der vorhandenen Weiche auf der Brücke wurde von Seiten des Betreibers beschlossen, dass das Tragwerk ausschließlich von der Unterseite ertüchtigt werden kann und keine Maßnahmen auf der Brückenoberseite möglich sind. Die ursprünglich geplante Verstärkung beruhte auf in einem 45◦ Winkel eingebohrter und geklebter Bewehrung, die zwischen die Aufbiegung eingebaut werden sollte. Mit dem neuen System reLAST war es jedoch im Zuge einer Umplanung möglich die Anzahl an Verstärkungselemente zu reduzieren und vor allem den Einbauaufwand, den die geneigten Bohrungen erzeugt hätten drastisch zu reduzieren. Die Verstärkung wurde in 4 Reihen parallel zu den Auflagerrändern geplant, wie im oberen Bild der Abbildung 9 zu sehen ist. In den stumpfen Ecken der im Grundriss leicht schiefen Brücke war eine etwas größere Bewehrungsmenge erforderlich (vgl unteres Bild der Abbildung 9). Abbildung 10: von unten ausgeführte Verstärkung mit reLAST TSM-22 Betonschrauben der Plattenbrücke, Bild mit freundlicher Genehmigung der ÖBB Die Abbildung 10 zeigt die ausgeführte Verstärkung, die gänzlich von unten von den beiden Gehwegen aus eingebaut werden konnte. Somit stellte die Verstärkung auch keine Beeinträchtigung des Verkehrs unter der Brücke dar und konnte innerhalb weniger Tage ausgeführt werden. 4.3 Durchstanzverstärkung einer Plattenbrücke Ebenfalls konnte eine punktgestützte Plattenbrücke einer Schnellstraße verstärkt werden, bei der die vorhandenen Schubaufbiegungen um die Punktlagerungen nicht zur Aufnahme der Durchstanzlasten in der Platte ausreichten. Daher wurde eine Verstärkung mit radial um die Punktlager angeordneten reLAST TSM-22 Schrauben geplant und ausgeführt, wodurch die Durchstanz-Traglast auf das geforderte Niveau der aktuellen Normung gebracht werden konnte. Wie die Abbildung 11 zeigt, wurde auch hier die Verstärkungsmaßnahme komplett von der Tragwerksunterseite unter Aufrechterhaltung des Verkehrs auf der Brücke 356 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben durchgeführt. Durch den Einsatz von kleinen Rüstungen um die Stützen zum Einbau der Verstärkung konnte auch die Verkehrsbehinderung unter der Brücke auf ein Minimum reduziert werden und der Einbau der Verstärkung innerhalb weniger Tage umgesetzt werden. Abbildung 11: Einbau der Durchstanzverstärkung in die Plattenbrücke von unten, Bild mit freundlicher Genehmigung der Asfinag 5. Zusammenfassung Seit Anfang September 2019 sind die reLAST Verbundankerschrauben als nachträgliche Querkraft- und Druchstanzbewehrung durch das Deutsche Institut für Bautechnik zugelassen. Dem gingen jahrelange wissenschaftliche Untersuchungen und zahlreiche Bauteilversuche an der Universität Innsbruck voraus. Diese Versuche zeigten, dass mit Hilfe der nachträglich eingebauten Betonschrauben die Traglasten gegenüber Referenzversuchen ohne Schubbewehrung um bis zu 150 % bei Querkraftverstärkung und um bis zu 55 % bei Durchstanzverstärkung gesteigert werden können. Zudem konnte über Versuche nachgewiesen werden, dass das System uneingeschränkt für dynamische Belastungen geeignet ist. Auf Basis der Versuchsergebnisse wurden anschließend Bemessungskonzepte abgeleitet, die auf den Bemessungsmodellen der aktuellen Normung basieren. Diese Bemessungskonzepte, die nun auch in den Zulassungen enthalten sind, ermöglichen dem planenden Ingenieur eine einfache Dimensionierung der Verstärkung mit Hilfe der bekannten Gleichungen der Normung. Wie zahlreiche durchgeführte Pilotprojekte gezeigt haben, liegt der große Vorteil der nachträglichen Verstärkung mit Betonschrauben in der einfachen Installation und sofortigen Belastbarkeit. Das Verstärkungssystem kann aufgrund der Tragwirkung auf dem Prinzip des Hinterschnitts von einer Seite in die zu verstärkende Struktur eingebaut werden. Damit entfällt der Abtrag von Fahrbahnaufbauten an der Oberseite. Dadurch kann die Verstärkung unter laufendem Betrieb ausgeführt werden, wie die exemplarisch gezeigten Pilotprojekte zeigen. Das neue System der Tragwerksverstärkung mit Betonschrauben zeichnet sich somit durch die einfache und schnelle Installation während des laufenden Betriebs des Tragwerks aus. Literatur [1] Bundesanstalt für Straßenwesen, „Brücken an Bundesfernstraßen-Brückenstatistik09/ 2019“,2019.[Online]. Verfügbar unter: https: / / www.bast.de/ BASt_2017/ DE/ Statistik/ Bruecken/ Brueckenstatistik.pdf; jsessionid=B8402C5DC792B15352D4823E5F45FEF4. live11291? __blob=publicationFile&v=13. [Zugegriffen: 08-Jan-2020]. [2] Amt der Tiroler Landesregierung, „Verkehr in Tirol - Bericht 2018“, Innsbruck, 2018. [3] A. Fitschen und H. Nordmann, „Verkehrsentwicklung auf Bundesfernstraßen 2015“, Bergisch Gladbach, 2018. [4] O. Fischer, T. Lechner, M. Wild, A. Müller, und K. Kessner, Nachrechnung von Betonbrücken- Systematische Datenauswertung nachgerechneter Bauwerke, Heft B 124. Bergisch Gladbach: Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, 2016. [5] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, „Brückenmodernisierung im Bereich der Bundesfernstraßen“, Berlin, 2015. [6] O. Fischer, A. Müller, T. Lechner, M. Wild, und K. Kessner, „Ergebnisse und Erkenntnisse zu durchgeführten Nachrechnungen von Betonbrücken in Deutschland“, Beton- und Stahlbetonbau, Bd. 109, Nr. 2, S. 107-127, 2014. [7] R. Maurer, A. Arnold, und M. Müller, „Auswirkungen aus dem neuen Verkehrslastmodell nach DIN EN 1991-2 / NA bei Betonbrücken“, Beton- und Stahlbetonbau, Bd. 106, Nr. 2011, S. 747-759, 2011. [8] J. Feix, J. Lechner, und R. Schneider, „Nachträgliche Verstärkung von Betonbauwerken mit Betonschrauben“, EI- Eisenbahningenieur, Bd. 67, Nr. 2, S. 28-33, 2016. [9] J. Feix, J. Lechner, R. Walkner, und M. Spiegl, „Betonschrauben als Querkraftverstärkung für dynamisch belastete Stahlbetonbauteile“, 3. Grazer Betonkolloqium, S. 65-73, 2016. [10] J. Lechner und J. Feix, „Development of an efficient shear strengthening method for dynamically loaded structures“, in The 11th fib International PhD Symposium in Civil Engineering, 2016, S. 753-761. [11] J. Lechner und J. Feix, „First experiences with concrete screw-anchors as post-installed shear reinforcement in concrete bridges“, Civ. Eng. Des., Bd. 2019, Nr. 1, S. 17-27, 2019. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 357 Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben [12] Deutsches Institut für Bautechnik, „Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung - TOGE TSM BC SB reLAST für die Querkraftverstärkung“, Z-15.1- 339, 2019. [13] Deutsches Institut für Bautechnik, „Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung - Würth Verbundankerschraube RELAST in Durchmesser 16 mm und 22 mm zur Anwendung als nachträglich verankerte Querkraftbewehrung“, Z-15.1-344, 2019. [14] Deutsches Institut für Bautechnik, „Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung - TOGE TSM BC SB reLAST für die Durchstanzverstärkung“, Z-15.1- 340, 2019. [15] Deutsches Institut für Bautechnik, „Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung - Würth Verbundankerschraube RELAST in Durchmesser 16 mm und 22 mm zur Anwendung als nachträglich verankerte Durchstanzbewehrung“, Z-15.1-345, 2019. [16] J. Lechner, N. Fleischhacker, C. Waltl, und J. Feix, „Zum Verbundverhalten von Betonschraubdübeln mit großem Durchmesser“, Beton- und Stahlbetonbau, Bd. 112, Nr. 9, S. 589-600, 2017. [17] J. Feix, P. Wörle, und A. Gerhard, „Ein neuer Ansatz zur Steigerung der Durchstanztragfähigkeit bestehender Stahlbetonbauteile“, Bauingenieur, Bd. 87, 2012. [18] M. Spiegl, R. Walkner, H. Axmann, E. Pilch, A. Schön, und J. Feix, „Betonschrauben als Durchstanzertuechtigung für statisch und zyklisch belastete Platten“, Bauingenieur, Bd. 93, Nr. 7, S. 274-285, 2018. [19] R. Walkner, M. Spiegl, und J. Feix, „Experimentelle Untersuchungen und Vorstellung eines Bemessungsansatzes zur Durchstanzverstärkung von Betonbauteilen mit Betonschrauben“, Bauingenieur, Bd. 95, Nr. 1, S. 26-36, 2020. [20] J. Lechner, J. Feix, und R. Hertle, „Strengthening of a City Center Tunnel with Concrete Screw Anchors under Special Boundary Conditions“, in 20th Congress of IABSE, 2019, S. 1493-1502. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 359 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung Jens Heinrich Technische Universität Dortmund, Dortmund, Deutschland Thomas Zenk Hilti Entwicklungsgesellschaft mbH, Kaufering, Deutschland Reinhard Maurer Technische Universität Dortmund, Dortmund, Deutschland Zusammenfassung Mit Veröffentlichung der ETA-18/ 0122, Ausgabe März 2019 in Verbindung mit dem EOTA TR 066, Ausgabe April 2019 steht mit den HCC-B Schubverbindern ein System zur Verbundsicherung bei einer nachträglichen Verstärkung durch Aufbeton auch bei Ermüdungsbeanspruchung zur Verfügung. Im Gegensatz zum Bemessungskonzept nach Eurocode 2 wird ein expliziter Ermüdungsnachweis als „Gesamtsystem Verbundfuge“ mithilfe eines Goodman-Diagramms geführt. Liegt das Verhältnis der Höhe der Ermüdungsbeanspruchung in der Verbundfuge zur statischen Tragfähigkeit unterhalb eines bestimmten Grenzwertes, ist nicht mit einem ermüdungsbedingten Versagen der Verbundfuge zu rechnen. Diese Aussage konnte u. a. an der TU Dortmund anhand von Bauteilversuchen mit Verbundfugen der Rauigkeitskategorie „verzahnt“ (R t ≥ 3mm) und einem entsprechenden Verbundbewehrungsgrad bestätigt werden. Ferner konnte gezeigt werden, dass bei ausreichend begrenzten Ermüdungsbeanspruchungen so kleine Relativverformungen zwischen der alten und neuen Betonschicht und damit einhergehend so geringe Stahlspannungen in den Schubverbindern entstehen, dass auf einen expliziten Nachweis der Verbundmittel gegen Ermüdung verzichtet werden kann. 1. Einleitung Das Bemessungskonzept für die Schubkraftübertragung in Fugen nach DIN EN 1992-2, 6.2.5 [1] wurde für den Neubau bei nachträglicher Ergänzung von Fertigteilen mit Ortbetonergänzung entwickelt. Bei dem Nachweis wird der Bemessungswert der Schubtragfähigkeit in der Fuge τ Rdi der einwirkenden Schubkraft τ Edi gegenübergestellt. Die entsprechenden Gleichungen sind nachfolgend für den in Deutschland geltenden Nationalen Anhang DIN EN 1992-2/ NA [2] aufgeführt, wobei die Notation für die Schubspannungen τ nach Model Code 2010 (MC2010) [3] verwendet wurde: Bemessungswert der Schubkraft in der Fuge ([2]Gl. 6.24) Bemessungswert der Schubtragfähigkeit in der Fuge ([2] Gl. 6.25) Der Tragwiderstand τ Rdi ergibt sich aus der Summe verschiedener Traganteile: Anteil aus Adhäsion (c∙f ctd ), Anteil aus Reibung infolge einer senkrecht zur Fuge wirkenden Druckspannung (µ∙σ n ), Anteil aus Schubbewehrung (ρ∙f yd (1,2µ∙sinα + cosα)). Die Beiwerte c, µ und ν werden durch die Oberflächenbeschaffenheit bestimmt. In Anlehnung an das DAfStb- Heft 525 wird zwischen vier Rauigkeitskategorien (sehr glatt, glatt, rau und verzahnt) unterschieden. Als wesentliche Kenngröße zur Einstufung einer Oberfläche dient die mittlere Rautiefe nach Kaufmann (R t ) [4]. Für Bauteile wie z.B. Brücken, die einer Ermüdungsbeanspruchung ausgesetzt sind, sieht das Bemessungskonzept des Eurocode 2 keinen expliziten Ermüdungsnachweis vor. Gemäß DIN EN 1992-2/ NA ist vielmehr der Nachweis für den statischen Bemessungswert der Schubspannung zu führen, wobei der Traganteil aus der Adhäsion mit (c = 0) vollständig vernachlässigt wird. Da der Traganteil aus der senkrecht zur Fuge wirkenden Be- 360 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung anspruchung i.d.R. sehr klein ist und daher üblicherweise ebenfalls nicht angesetzt wird, muss die gesamte Schubspannung durch den Traganteil aus der Schubbewehrung aufgenommen werden. Durch diese sehr konservative Vorgabe ergeben sich zum einen sehr große Bewehrungsgrade in der Schubfuge, die bei Neubaumaßnahmen bei der Bewehrungsplanung berücksichtigt werden können, sowie zum zweiten zusätzliche Tragreserven durch die vollständige Vernachlässigung des Betontraganteils. Bei der Anwendung dieses Bemessungskonzeptes bei der Verstärkung bestehender Bauwerke mit einer nachträglich aufgebrachten Ortbetonschicht, ergeben sich allerdings große Probleme. So muss die erforderliche Verbundfugenbewehrung nachträglich hergestellt werden. Diese kann eigentlich nur in den bestehenden Beton gebohrt und anschließend eingeklebt werden. Der Eingriff in die bestehende Konstruktion ist somit groß und kann schnell bei hohen erforderlichen Bewehrungsgraden die Grenzen der Machbarkeit erreichen. Des Weiteren kann bei der nachträglichen Verstärkung mit Aufbeton die erforderliche Verankerungslänge l bd nach DIN EN 1992-2 für die Verbundbewehrung nicht realisiert werden. Die nachträgliche Verbundbewehrung kann nur als Dübel nachgewiesen werden. Bis zum April 2019 existierte kein Produkt, welches zum Zweck der nachträglichen Verstärkung von Bauteilen mit Ermüdungsbeanspruchung zugelassen war. Bei der Ausführung wurde eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) von der obersten Verkehrsbehörde erforderlich. Mit der Veröffentlichung der ETA-18/ 0122 [5] (European Technical Assessment) in Verbindung mit dem EOTA TR 066 [6] (Technical Report) hat die Firma Hilti mit dem HCC-B Schubverbinder ein entsprechend System zur Verfügung gestellt, welches auf einem alternativen Bemessungskonzept beruht und ausschließlich für die nachträgliche Verstärkung mit Aufbeton ausgelegt ist (Bild 1). Zur Verifikation des im EOTA TR 066 hinterlegten Bemessungskonzeptes wurden u.a. an der TU Dortmund Bauteilversuche unter statischer und zyklischer Belastung (Ermüdung) durchgeführt. Bild 1 Schematische Darstellung des Schubverbinders Hilti HCC-B im Einbauzustand, Auszug aus [5] 2. Nachweiskonzept nach EOTA TR 066 2.1 Statische Tragfähigkeit Zur Nachweisführung der Schubkraftübertragung in der Verbundfuge ist im EOTA TR 066 [6] ein Bemessungsmodell basierend auf dem MC2010 [4] angegeben. Dieses unterscheidet zwischen bewehrten und unbewehrten Verbundfugen. Die nachfolgenden Betrachtungen beziehen sich ausschließlich auf bewehrte Verbundfugen. Der aufnehmbare Bemessungswert der Schubspannung in der Verbundfuge τ Rdi wird nach folgender Gleichung ermittelt und gilt für bewehrte Schubfugen unter statischer bzw. quasistatischer Beanspruchung: mit N Rd maßgebender Widerstand des Verbundmittels nach DIN EN 1992-4 c r , µ, κ 1 , κ 2 , β c Beiwerte nach Tab. 1 α k1 , α k2 Produktspezifische Beiwerte des Verbundmittels Gegenüber dem Bemessungskonzept des MC2010 wurden einige Modifikationen vorgenommen, die nachfolgend kurz beschrieben werden. So wird vorausgesetzt, 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 361 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung dass die Verbundmittel ausschließlich senkrecht eingebaut werden (α = 90°). Zudem wird bei dem Traganteil der Schubreibung bzw. „Klemmwirkung“ die aus N Rd berechnete Stahlspannung σ s des Schubverbinders anstatt der Streckgrenze angesetzt. N Rd bezeichnet hier den maßgebenden Widerstand als axiale Zugkraft des Verbundmittels mit der Querschnittsfläche A s , der aus den Verankerungsnachweisen als Dübel nach DIN EN 1992-4 [7] ermittelt wurde. Die Beiwerte für die Fugenoberflächenbeschaffenheit (Tab. 1) sind im EOTA TR 066 angegeben und entsprechen den Vorgaben des Model Code 2010. Tabelle 1 Beiwerte für Fugenoberfläche in Abhängigkeit der Rauigkeitskategorie Kat. R t c r κ 1 κ 2 β c µ f ck ≥20 f ck ≥35 Verzahnt ≥3,0 0,2 0,5 0,9 0,5 0,8 1,0 Rau ≥3,0 0,1 0,5 0,9 0,5 0,7 Glatt - 0 0,5 1,1 0,4 0,6 Sehr glatt - 0 0 1,5 0,3 0,5 In der ETA sind die produktspezifischen Kennwerte des Schubverbinders (HCC-B), des Injektionsmörtels (HIT- RE 500 V3) sowie allgemeine Anforderungen an die Verbundfugenvorbereitung, den Aufbeton oder die Montage der Verbundmittel beschrieben. Für den HCC-B Schubverbinder gilt die ETA-18/ 0122 [5]. Bei den Beiwerten α k1 und α k2 handelt es sich um zwei Faktoren zur Berücksichtigung der verminderten Duktilität des verwendeten Dübelmaterials (α k1 = 0,8) bzw. der höheren Biegetragfähigkeit eines Kreisringquerschnittes gegenüber einem Vollquerschnitt (α k2 = 1,3), die entsprechend in der ETA zu finden sind. 2.2 Nachweis gegen Ermüdung Im Gegensatz zu dem Bemessungskonzept im Eurocode 2 ist im EOTA TR 066 ein expliziter Ermüdungsnachweis für die Verbundfuge vorgegeben. Hierbei handelt es sich um einen Nachweis auf Grundlage eines Goodman-Diagramms (Bild 2): für für Der Nachweis wird mit den Schubspannungen in der Verbundfuge infolge der häufigen Einwirkungskombination geführt. Die Beanspruchungen aus der häufigen Einwirkungskombination werden wiederum auf den statischen Tragwiderstand τ Rdi bezogen. Die maßgebende Kenngröße stellt hier der Wert η sc dar. Dieser beschreibt die zulässige Schwingbreite bei N * = 2∙10 6 Lastwechseln bei Schwellbeanspruchung mit einer Unterlast von genau 0. Dieser Wert ist in der ETA des Schubverbindersystems angegeben und wird experimentell bestimmt. Für den HCC-B Schubverbinder beträgt der Wert η sc = 0,4 (vgl. Bild 2). Bild 2 Weyrauchbzw. Goodman-Diagramm für bewehrte, hochdruckwassergestrahlte Verbundfugen (R t ≥ 3mm) zur Ermittlung der zulässigen Schwingbreiten bei N * = 2∙10 6 Lastwechseln, hier mit η sc = 0,4, aus [8] Zur Bestimmung dieses Wertes wurden Ermüdungsversuche von den Universitäten Innsbruck [9] und Delft [10] sowie von der Firma Hilti [10] durchgeführt. Anhand dieser Versuche wurde in [9] bereits eine 5%-Quantilsfunktion bestimmt, deren Wert bei der Grenzschwingspielzahl N * = 2∙10 6 mit 0,42 abgelesen werden konnte (vgl. Bild 3, rote Linie). Dieser Wert wurde auf 0,40 abgemindert und in dieser Form bereits als pauschale Abminderung der Tragfähigkeit bei ermüdungswirksamer Beanspruchung in den MC2010 übernommen. Da es sich bei den Versuchen um Kleinteilversuche mit einer begrenzten Anzahl von Verbundmitteln handelte, wurden zusätzlich an der TU Dortmund Ermüdungsversuche an Großbauteilen durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Versuche sind ebenfalls in Bild 3 dargestellt. Zusätzlich wurde die 5%-Quantilsfunktion unter Berücksichtigung der Großbauteilversuche an der TU Dortmund bestimmt. Ohne Berücksichtigung der „Durchläufer“ konnte festgestellt werden, dass die Versuchsergebnisse grundsätzlich etwas günstigere Ergebnisse liefern als die Kleinbauteilversuche. Auf eine Erhöhung des Beiwertes wurde jedoch bewusst verzichtet. 362 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung Bild 3 Übersicht der Versuchsergebnisse von bewehrten Verbundfugen bei Ermüdungsbeanspruchung In den folgenden Kapiteln werden die Versuchsergebnisse etwas detaillierter vorgestellt. Weitere Informationen zu den Versuchen, die an der TU Dortmund durchgeführten wurden sind in [8] und [12] enthalten. Für die Anwendung des Bemessungskonzeptes sind folgende Randbedingungen einzuhalten: • Die Oberfläche der Verbundfuge muss mittels Hochdruckwasserstrahlen (HDW) aufgeraut werden, so dass das Korngerüst freiliegt und eine mittlere Rautiefe R t ≥ 3mm nach Kaufmann erreicht wird. • Die Verbundfuge ist kurz vor der Betonage der Aufbetonschicht von Verschmutzungen gründlich zu reinigen und anzufeuchten. • Die Festigkeitsklasse des bestehenden Betons muss ≥ C30/ 37, des Aufbetons ≥ C40/ 50 betragen. • Für den Aufbeton ist eine möglichst fließfähige und schwindarme Betonrezeptur zu verwenden. Das Ausbreitmaß sollte F ≥ 380mm besser F ≥ 450mm betragen. • Der Aufbeton soll ein geschlossenes Gefüge durch vollständige Verdichtung aufweisen. 3. Experimentelle Untersuchungen 3.1 Beschreibung der Versuchskörper Die Versuche wurden als 3-Punkt Biegeversuche konzipiert, bei denen die Schubspannung über eine horizontale Verbundfuge zwischen Gurt und Steg des T-Querschnittes übertragen werden musste (Bild 5). Die Abmessungen des Steges betrugen 4,00/ 0,25/ 0,30m. Die Aufbetonschicht wurde nach der Fugenvorbereitung (Aufrauen mit HDW, Setzen der Verbundbewehrung, Säubern) als 50cm breiter Gurt mit einer Stärke von 10cm nachträglich aufbetoniert. Für den Transport des Versuchsträgers wurde die Aufbetonschicht nicht bis zum Trägerende angeordnet, damit hier Transportanker angeordnet werden konnten. Durch eine ausreichende Bewehrung des Steges sollte ein vorzeitiges Versagen des Versuchsträgers infolge Biegung oder Querkraft vermieden werden. Ziel war es, ein Versagen der Verbundfuge sicherzustellen. Als Längsbiegebewehrung wurden insgesamt 6Ø25mm und als Bügelbewehrung im Steg Ø12/ 12,5cm vorgesehen. Die Aufbetonschicht wurde dagegen rein konstruktiv bewehrt (längs: 4Ø10mm, quer: Stecker Ø8/ 38cm). An den Schäften der Verbunddübel wurden gegenüberliegend Dehnmessstreifen (DMS) appliziert, damit während der Versuche die Dehnungen gemessen und aufgezeichnet werden konnten (Bild 4). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 363 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung Bild 4 In Bohrlöcher geklebte HCC-B Schubverbinder mit DMS, aus [12] Bild 5 Abmessungen der Versuchskörper für die Bauteilversuche, aus [12] Bild 6 Abmessungen der Versuchskörper für die Bauteilversuche, aus [12] Neben der Pressenkraft (F), der Durchbiegung in Feldmitte (WA mitte ) und den horizontalen bzw. vertikalen Relativverschiebungen (WA1 bis WA8) in der Verbundfuge wurden ebenfalls die Dehnungen in den Schubverbinder mittels Dehnmessstreifen (D01 bis D16) erfasst (Bild 6). 364 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung 3.2 Statische Versuche Die statischen Versuche wurden weggesteuert durchgeführt. Hierbei wurde die Belastung in 50kN-Schritten gesteigert und anschließend für wenige Minuten unterbrochen, um die Rissbildung am Versuchsträger zu dokumentieren. Nach dem Erreichen der Laststufe von 400kN wurde der Versuchsträger bis zum Bruch belastet. Es wurden fünf verschiedene Versuchsreihen (A bis E) durchgeführt. Die Versuchsreihe A wurde mit maximalen Anforderungen an die Verbundfuge ausgeführt. Die Verbundfuge wurde dazu durch HDW aufgeraut, so dass weitgehend die Kategorie „verzahnt“ erreicht wurde. Der Verbundbewehrungsgrad betrug ρ = 1,1‰. In den weiteren Versuchsreihen sollte ausgehend von der Versuchsreihe A die Betonoberflächenrauigkeit (Versuchsreihe C) oder der Verbundbewehrungsgrad (Versuchsreihen D und E) variiert werden (Tab. 2). Der Versuch B1 war ein Referenzversuch, der ohne Verbundfuge monolithisch hergestellt wurde. Mit Ausnahme der Versuche B1 und E2 trat das Versagen ausschließlich in der Verbundfuge auf. Bei B1 und E2 versagte aufgrund des sehr hohen Bewehrungsgrades jeweils die Betondruckzone. In Tab. 3 sind die in den statischen Versuchen erreichten Traglasten F u,test enthalten. Aus der Traglast F u,test kann mit die zugehörige mittlere Schubspannung in der Verbundfuge τ iu,test mit der Stegbreite b w und dem inneren Hebelarm z bestimmt werden. Bei den nachfolgend dargestellten Auswertungen wurde das Eigengewicht der Versuchsträger vernachlässigt. Tabelle 2 Übersicht der statischen Bauteilversuche Versuch Oberflächenvorbereitung R t,m [mm] ρ[‰] Betonfestigkeitsklasse Altbeton Aufbeton A1 HDW 2,8 1,1 C20/ 25 C30/ 37 A2 HDW 4,0 1,1 C20/ 25 C30/ 37 B1 - - - C30/ 37 C1 HDW 2,6 1,1 C20/ 25 C30/ 37 C4 abgezogen 0,7 1,1 C16/ 20 C25/ 30 D1 HDW 3,3 0 C20/ 25 C30/ 37 D2 HDW 4,1 0,3 C16/ 20 C30/ 37 E1 HDW 3,5 1,9 C16/ 20 C25/ 30 E2 HDW 3,2 3,0 C16/ 20 C25/ 30 Tabelle 3 Versuchsergebnisse der statischen Bauteilversuche Versuch ρ[‰] F u,test [kN] F u,test / F u,B1 τ iRm,cal [kN/ m²] τ iu,test [kN/ m²] τ iu,test / τ iRm,cal A1 1,1 487,8 0,86 2.081 3.252 1,56 A2 1,1 424,4 0,75 2.089 2.829 1,35 B1 - 564,8 1,00 - - - C1 1,1 463,2 0,82 2.213 3.088 1,40 C4 1,1 251,5 0,45 - 1.677 - D1 0 322,1 0,57 1.470 2.147 1.46 D2 0,3 328,1 0,58 1.559 2.187 1.40 E1 1,9 531,6 0,94 2.482 3.544 1.43 E2 3,0 570,3 1,01 3.170 3.802 1.20 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 365 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung Bild 7 Lastdurchbiegungsverläufe der statischen Versuche, aus [12] Die Ermittlung des zu erwartenden mittleren rechnerischen Tragwiderstandes in der Verbundfuge τ iRm,cal erfolgt mit der aus den Kleinbauteilversuchen von Randl und Wicke in [11] hergeleiteten Gleichung: Da diese Gleichung ausschließlich für HDW-gestrahlte Verbundfugen gelten, konnten diese nicht für den Versuch C4 verwendet werden. Der Vergleich der Verbundspannungen aus den übrigen Versuchen zeigt, dass die im Versuch erreichten Verbundspannungen τ iu,test immer deutlich über den rechnerisch zu erwartenden Verbundspannungen τ iRm,cal als Mittelwerte aus Kleinkörperversuchen liegen. Des Weiteren wurde das Verhältnis der erreichten Versuchstraglast F u,test zur Traglast des monolithischen Referenzbalkens B1 (F u,B1 ) ermittelt. Hieraus geht hervor, dass bei den Versuchen A1 und A2 mit einem Verdübelungsgrad von ρ = 1,1‰ nur ca. 75-86% der maximalen Traglast des Versuchsträgers B1 erreicht werden konnte. Mit einer weiteren Reduzierung des Verbundbewehrungsgrades (Versuchsreihe D) sinken auch die Traglasten der Versuchsträger. Daraufhin wurde in der Versuchsreihe E der Verbundbewehrungsgrad deutlich erhöht. Mit den Versuchen E1 und E2, mit Verbundbewehrungsgraden von ρ = 1,9‰ bzw. 3,0‰, konnte die maximale Traglast aus dem Referenzversuch B1 zu 94% bzw. vollständig erreicht werden. Die Lastdurchbiegungsverläufe aller Versuche sind in Bild 7 dargestellt. Die schwarze Linie steht dabei für den Referenzversuch B1 (monolithisch). Der Versuch E1 erreicht nahezu die Tragfähigkeit von B1, der Versuch E2 erreicht die gleiche Traglast wie Versuch B1. Jedoch weist der Versuch E2 gegenüber dem Versuch B1 ein deutlich verkürztes Fließplateau auf. Generell ist bei allen Versuchen mit Aufbetonergänzung im Bruchzustand ein eher sprödes Versagen zu erkennen. Hiervon ausgenommen ist der Versuch C4 (glatte Fuge), der nach Überwinden des Haftverbundes ebenfalls ein ausgeprägtes Fließplateau, allerdings bei deutlich niedrigerer Traglast, aufweist. 3.3 Ermüdungsversuche Für die Durchführung der Ermüdungsversuche musste sichergestellt werden, dass sich die Verbundfuge im gerissen Zustand befindet, da nur in diesem Fall mit nennenswert ermüdungswirksamen Spannungsschwingbreiten in den Verbunddübeln zu rechnen ist. Eine ungerissene Fuge wirkt sich äußerst günstig aus, da keine Ermüdungsbeanspruchung in den Dübeln in der Verbundfuge entsteht. Um Sicherzustellen, dass in der Verbundfuge vor dem Start der zyklischen Belastung keine Adhäsionskräfte wirksam sind, wurde ein Verbundbrecher verwendet, zudem wurde der Versuch einer Vorbelastung ausgesetzt, wobei kontinuierlich die Stahldehnungen in den Schubverbindern messtechnisch überwacht wurden. Sobald diese deutlich angestiegen sind, wurde der Versuch auf die vorgesehene Mittellaststufe gefahren und anschließend die zyklische Belastung gestartet. Die Oberlast (F max ) der zyklischen Beanspruchung wurde in Relation zur experimentell bestimmten statischen Tragfähigkeit festgelegt. Als Bezugswert für letztere wurde der Mittelwert (F um,test = 458,5kN) aus den in den 366 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung statischen Versuchen erreichten Traglasten der Versuche A1 (F u,test = 487,8kN), A2 (F u,test = 424,4kN) und C1 (F u,test = 463,2kN) berücksichtigt, da bei diesen die gleichen Versuchsbedingungen (HDW-gestrahlte Oberfläche, Verbundbewehrungsgrad) galten. Obwohl die mittlere Rautiefe des Versuchs C1 mit R t,m = 2,6 mm etwas unterhalb des Grenzwertes von 3mm lag, wurde dieser mit berücksichtigt, da die Traglast im Bereich zwischen den beiden Versuchen A1 und A2 lag und auch ansonsten kein negativer Einfluss aus der geringen Unterschreitung von R t,m = 3mm festzustellen war. 1) Ermüdungsbruch der Längsbewehrung 2) Kein Versagen, Versuch wurde vorzeitig gestoppt 3) Ermüdungsbedingtes Versagen in der Verbundfuge Tabelle 4 Übersicht der Ermüdungsversuche Versuch Oberflächenvorbereitung R t,m [mm] ρ[‰] Betonfestigkeitsklasse Altbeton Aufbeton A3 HDW 3,4 1,1 C20/ 25 C25/ 30 A4 HDW 3,9 1,1 C20/ 25 C25/ 30 A5 HDW 3,0 1,1 C20/ 25 C25/ 30 A6 HDW 3,0 1,1 C20/ 25 C35/ 45 A7 HDW 4,0 1,1 C16/ 20 C25/ 30 C2 HDW 2,5 1,1 C20/ 25 C35/ 45 C3 HDW 2,2 1,1 C20/ 25 C25/ 30 Tabelle 5 Ergebnisse der Ermüdungsversuche Versuch α Oberlast Unterlast Schwingbreite Lastwechselzahl Ursache des Versagens stat. Bruchlast nach der zykl. Belastung F max [kN] τ i,max [kN/ m²] F min [kN] τ i,min [kN/ m²] ∆F max [kN] ∆τ i [kN/ m²] F u,test [kN] τ iu,test [kN/ m²] A3 0,56 254,6 1.697 50,9 339 203,7 1.358 1.924.421 1) - - A4 0,37 169,8 1.132 34,0 227 135,8 905 2.011.829 2) 522,0 3.480 A5 0,74 339,5 2.263 67,9 453 271,6 1.811 136.459 3) - - A6 0,50 22,3 1.529 45,9 306 183,4 1.223 2.029.343 2) 559,5 3.730 A7 0,65 298,0 1.987 49,6 397 238,4 1.589 90.100 3) - - C2 0,60 275,1 1.834 55,0 367 220,1 1.468 821.903 2) 445,8 2.972 C3 0,63 288,9 1.926 57,8 385 231,1 1.541 860.527 2) 513,4 3.422 Die Oberlast F max der zyklischen Belastung wurde anschließend im Verhältnis zu F stat,m angegeben: Die Unterlast der zyklischen Belastung F min wurde mit 20% der Oberlast angesetzt, um abhebende Lasten während der Versuchsdurchführung zu verhindern: Insgesamt wurden sieben Ermüdungsversuche in zwei Versuchsreihen durchgeführt (Tab. 4 und 5). Die Versuchsreihe C unterschied sich lediglich in der Oberflächenbeschaffenheit von der Versuchsreihe A (R t < 3mm). Aufgrund der langen Versuchslaufzeiten wurden die Versuche der Versuchsreihe C bereits nach einer Grenzschwingspielzahl von N G = 800.000 (log N G = 5,9) gestoppt. Begründet wurde diese Maßnahme damit, dass der Erwartungswert der Mittelwertfunktion aus Bild 2 bereits überschritten wurde. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 367 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung Die Versuche C2 und C3 zeigten bis zum Versuchsende gegenüber den Versuchen A4 und A6 größere Durchbiegung (Bild 8) und Spannungsschwingbreiten in den Schubverbindern. Insbesondere bei den Spannungsschwingbreiten waren kurz vor Versuchsende deutliche Zuwächse zu erkennen (Bild 10). Diese deuten darauf hin, dass ein ermüdungsbedingtes Versagen kurz bevorstand. Daher wurden die Versuche anschließend auch nicht als „echte Durchläufer“ gewertet. Bild 8 Verläufe der maximalen Durchbiegungen in Feldmitte über die Schwingspielzahl, aus [8] Bild 9 Verläufe der Spannungsschwingbreiten (zentrische Zugspannungen) in den Schubverbindern (Versuche A5 und A6, R t ≥ 3 mm), aus [8] Bild 10 Verläufe Spannungsschwingbreiten (zentrische Zugspannungen) in den Schubverbindern (Versuchsreihe C, R t < 3 mm), aus [8] 368 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung Bild 11 Gemessene Relativverschiebungen (horizontal und vertikal) in der Verbundfuge, beispielhaft für A5 und A6, aus [8] In Bild 9 sind die Spannungsschwingbreiten in den Schubverbindern, die aus den gemessenen Stahldehnungen über den E-Modul rechnerisch ermittelt wurden, für die Versuche A5 und A6 dargestellt. Der Versuch A5 steht beispielhaft für einen Versuch, der infolge Ermüdung in der Verbundfuge versagte. Der Versuch A6 dagegen zeigt geringe und konstant verlaufende Stahlspannungen, die bei einem Versuch ohne Versagen (Durchläufer) zu erwarten sind. Die gestrichelte Linie gibt die Dauerschwingfestigkeit des Schubverbinders ∆σ Rk,HCC-B = 85,6N/ mm² an, die im Vorfeld an freischwingenden Schubverbindern unter zentrischer Zugbeanspruchung ermittelt wurde [8]. Bei dem Versuch A5 ist unmittelbar nach Beginn der zyklischen Belastung ein Anstieg der Spannungsschwingbreiten oberhalb dieser Dauerschwingfestigkeit zu verzeichnen. Ein ermüdungsbedingtes Versagen der Schubverbinder war somit nicht unwahrscheinlich und konnte bereits nach wenigen Lastwechselzahlen erwartet werden. Ein ähnliches Verhalten ist bei den Relativverschiebungen in der Verbundfuge zu erkennen. Mit zunehmender Schwingbreite steigen mit den Stahlspannungen auch die Relativverschiebungen an. Während diese jedoch bei dem Versuch A6 in Ihrem Verlauf stabil verlaufen und unterhalb eines Maximalwertes von 0,1mm liegen, steigen diese beim Versuch A5 bereits nach wenigen Lastwechselzahlen überproportional an. Hier betragen die maximal gemessenen Werte der Relativverschiebungen 0,5 bis 1,0 mm. 4. Diskussion der Ergebnisse 4.1 Statische Versuche Grundsätzlich konnten bei den Bauteilversuchen unter statischer Belastung gegenüber den Kleinkörperversuchen höhere Tragwiderstände festgestellt werden. In Bild 12 sind die in den Versuchen ermittelten Schubspannungen über die bezogene Spannung in der Verbundbewehrung dargestellt. Der Mittelwert der Streckgrenze lag bei den Versuchen an der TU Dortmund bei f ym =504 N/ mm². Die in den Versuchen ermittelten Schubspannungen τ iu,test liegen alle oberhalb der Mittelwertkurve für τ iRm,cal . Die Ursache liegt vermutlich im Mittelungseffekt aus der größeren Fläche der Verbundfuge eines Bauteils im Vergleich zu Kleinkörperversuchen. Diese sind maximal mit zwei bis drei Schubverbindern getestet worden, wobei sich zufällige, lokale Effekte stärker auswirken. Die maximale Verbundfläche betrug 0,15m². Die in den Großbauteilversuchen vorhandene Verbundfläche war fast 6-mal größer. Durch die größere Verbundfläche bestand ein größeres Potenzial zur Umlagerung lokaler Spannungsspitzen. Auch die größere Anzahl von Verbunddübeln sorgt für eine gleichmäßigere Verteilung der Beanspruchungen. Mit den Versuchen E1 und E2 konnte gezeigt werden, dass bei einer ausreichenden Fugenrauigkeit (R t ≥3,0mm, HDW-gestrahlt) und einem entsprechend hohen Verbundbewehrungsgrad die gleichen Traglasten wie bei einem monolithisch hergestellten Versuchsträger erreicht werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 369 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung Bild 12 Vergleich der Versuchsergebnisse an der TU Dortmund mit den Kleinbauteilversuchen 4.2 Ermüdungsversuche Wie bereits zu Beginn des Beitrags in Bild 2 vorweggenommen wurde, konnte der Wert η = 0,40 bei der Verwendung der HCC-B Schubverbinder auch für Bauteilversuchen unter Ermüdungsbeanspruchung bestätigt werden. Die Versuche A5 (α = 0,74) und A7 (α = 0,65) versagten deutlich vor dem Erreichen der Grenzschwingspielzahl N * = 2∙10 6 . Ursache war das ermüdungsbedingte Versagen der Verbundfuge. Dieses Versagen wurde durch einen stetigen Anstieg der in den Schubverbinder gemessenen Stahldehnungen sowie den zugehörigen Relativverschiebungen in der Verbundfuge begleitet. Die Relativverschiebungen charakterisieren das Ermüdungsverhalten der Verbundfuge. Sind die Relativverschiebungen über die Anzahl der Lastwechsel ausreichend klein und in ihrem Verlauf stabil, sind die Spannungsschwingbreiten in den Verbundmitteln unkritisch und brauchen daher nicht explizit nachgewiesen zu werden. Daraus folgt unmittelbar der maßgebliche Einfluss aus der Beschaffenheit der Verbundfuge (Rauigkeit R t ≥ 3mm) und des Aufbetons (Konsistenz des Frischbetons, Gefüge- und Festigkeitseigenschaften den erhärteten Betons). Mit zunehmenden Relativverschiebungen steigen zusätzlich die Biegebeanspruchungen und damit die Stahlspannungen in den Verbunddübeln stark an, so dass letztendlich das Ermüdungsversagen erfolgt. 4.3 Abschließende Bewertung der Versuche an der TU Dortmund Abschließend ist festzuhalten, dass die Ermittlung der Tragfähigkeit von bewehrten Verbundfugen für ruhende Belastungen sowohl nach Eurocode 2 als auch nach MC2010 zumindest für die üblichen Bewehrungsgrade bei Brückenverstärkungen zu vergleichbaren Ergebnissen führt. Die Grundlage für das Bemessungskonzept nach MC2010 wurde seinerzeit an Kleinbauteilversuchen entwickelt. Die Ergebnisse konnten anhand der Bauteilversuchen, die an der TU Dortmund durchgeführt wurden, bestätigt werden. Das Tragverhalten einer Verbundfuge bei Ermüdungsbeanspruchung wird bei geeigneter Zusammensetzung, vollständiger Verdichtung beim Einbau und ausreichender Festigkeit des Aufbetons wesentlich von der Rauigkeit und Festigkeit der Oberfläche des Altbetons und bei gerissener Fuge vom Verbundbewehrungsgrad beeinflusst. Für HDW-gestrahlte Fugen mit einer Rautiefe R t ≥ 3mm und entsprechend geringen Schwingbreiten der Schubspannungen in der Verbundfuge (α ≤0,50) konnten experimentell eine ausreichende Ermüdungsfestigkeit festgestellt werden. Es sei zudem darauf hingewiesen, dass das Nachweiskonzept für Ermüdung nach EOTA TR 066 sich auf den Bemessungswert des statischen Tragwiderstandes τ iRd bezieht. Die in den Versuchen ermittelten Beanspruchungsverhältnisse α beziehen sich dagegen auf Mittelwerte. Somit sind bei der Anwendung dieses Bemessungskonzeptes noch zusätzliche Sicherheitsreserven enthalten. 5. Bemessungsbeispiel 5.1 Ausgangssituation für die Bemessung Im Folgenden werden die Bemessungskonzepte nach Eurocode 2 und EOTA TR 066 am Bemessungsbeispiel einer Brückenverstärkung unter Ermüdungsbeanspruchung verglichen. Grundlage hierfür ist die Verstärkung der Lippebrücke in Hünxe, deren Fahrbahnplatte durch eine 10cm starke Aufbetonschicht verstärkt werden soll. Im Zuge der Ausführungsplanung durch KHP Dortmund erfolgte die zusätzliche wissenschaftliche Begleitung der Verstärkungsmaßnahme durch den Lehrstuhl Betonbau der TU Dortmund. Die Beanspruchungen in der Verbundfuge sowie die erforderlichen Materialkennwerte sind in Tabelle 6 aufgeführt. Für die Verstärkungsmaßnahme soll der Hilti HCC-B Schubverbinder verwendet werden. Gemäß ETA-18/ 0122 kann für diesen ein charakteristischer Wert der Streckgrenze f yk = 400N/ mm² angesetzt werden. Die Betonfestigkeit des bestehenden Brückenbauwerks 370 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung entspricht etwa der heutigen Festigkeitsklasse C20/ 25. Zudem wird für die Verstärkungsmaßnahem eine Oberflächenrauigkeit von R t > 3mm vorausgesetzt, die durch HDW-Strahlen herzustellen ist. Für den Aufbeton wird ein Beton der Festigkeitsklasse C35/ 45 verwendet. 5.2 Bemessung nach Eurocode 2 Durch Umstellen der Gleichung für die Ermittlung des Tragwiderstandes in der Verbundfuge ergibt sich unter Vernachlässigung der Druckspannung senkrecht zur Verbundfuge (σ n = 0) die erforderliche Bewehrungsmenge für eine statische Beanspruchung zu: Bei einer ermüdungswirksamen Beanspruchung darf der Adhäsionstraganteil (c = 0) nicht berücksichtigt werden: Da der Betontraganteil nicht angesetzt werden darf, kann die rechnerische Spannungsschwingbreite in den Schubverbindern unter der häufigen Einwirkungskombination formal wie folgt ermittelt werden: Tabelle 6 Übersicht der maßgebenden Kenngrößen des Bemessungsbeispiels Beanspruchungen Bemessungswert der Spannung in der Verbundfuge 500 kN/ m² maximale Spannung in der Verbundfuge infolge häufiger EWK 340 kN/ m² minimale Spannung in der Verbundfuge infolge häufiger EWK 150 kN/ m² 1) sofern die Bemessung nicht mit der Querkraftgrenzlinie erfolgte Werkstoffeigenschaften Betondruckfestigkeit Altbeton (maßgebend) 20N/ mm² Streckgrenze Schubverbinder HCC-B gemäß ETA 400N/ mm² Produktspezifische Beiwerte für den HCC-B Schubverbinder nach ETA 0,8 1,3 Bemessungsergebnisse nach EC 2 erf. Bewehrungsgrad bei statischer Beanspruchung mit c = 0,5 0,16‰ erf. Bewehrungsgrad bei Ermüdungsbeanspruchung mit c = 0 1,33‰ rechn. Spannungsschwingbreite in den Schubverbindern unter der häufigen EWK, mit c = 0 und ρ dyn = 1,33‰ 132N/ mm² Bemessungsergebnisse nach EOTA TR 066 erf. Bewehrungsgrad bei statischer Beanspruchung 0 erf. Bewehrungsgrad bei Ermüdungsbeanspruchung, σ sd = 113,3N/ mm² 0,90‰ erf. Bewehrungsgrad bei Ermüdungsbeanspruchung, σ sd = f yd 0,54‰ Mindestbewehrungsgrad der Verbundbewehrung 1) 1,1‰ 5.3 Bemessung nach EOTA TR 066 Die statische Tragfähigkeit gemäß EOTA TR 066 für σ n = 0 kann analog ermittelt werden: Da bereits der Betontraganteil großer ist als die Schubbeanspruchung (c r ∙ f cm (1/ 3) = 0,523N/ mm² > τ Edi,stat ) ergibt 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 371 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung sich hier ein rechnerischer Verbundbewehrungsgrad von null. Die Ermittlung des erforderlichen Bewehrungsgrades unter ermüdungswirksamer Beanspruchung kann iterativ erfolgen. Hierbei ist zunächst die anzusetzende Stahlspannung im Verbundmittel σ sd aus den Verankerungsnachweisen nach DIN EN 1992-4 [7] zu ermitteln. Nach DIN EN 1992-4 sind eine Vielzahl von verschiedenen Nachweisen zu führen: • Stahlbruch des Befestigungsmittels • Betonausbruch im Alt- und Neubeton • Herausziehen des Befestigungsmittels • Kombiniertes Versagen aus Herausziehen und Betonausbruch Maßgebende Kenngrößen, die sich auf die Widerstände auswirken, sind neben der Verankerungslänge des Befestigungsmittels auch die Betonzugfestigkeit sowie die Abstände der Verbundmittel. Die für die Nachweise erforderlichen Beiwerte können wieder der entsprechenden ETA entnommen werden. Bei dem Bemessungsbeispiel wird von einer minimalen Verankerungslänge des Verbundmittels im Neubeton h ef,ov = 50 mm (vgl. Bild 1) ausgegangen, damit unter Berücksichtigung der Betondeckung eine dünne Ausführung der Aufbetonschicht möglich wird. Auf der sicheren Seite wird bei den Nachweisen von einer gerissenen Betonschicht ausgegangen, da eine Rissbildung insbesondere in den Stützbereichen des Brückenbauwerks nicht ausgeschlossen werden kann. Die geringste Tragfähigkeit des Befestigungsmittels ergibt sich aus dem Nachweis gegen Betonausbruch in der Aufbetonschicht: Zur Erklärungen für die verschiedenen Beiwerte wird auf die DIN EN 1992-4 [7] verwiesen. Die anzusetzende Stahlspannung σ sd in den Schubverbindern ergibt sich bei einer nominellen Stahlfläche A s = 109,5N/ mm² [5] zu: Die Ermittlung des erforderlichen Bewehrungsgrades in der Verbundfuge für ermüdungswirksame Beanspruchungen erfolgt iterativ, bis die nachfolgende Nachweisbedingung gerade erfüllt ist: Für einen Bewehrungsgrad von ρ dyn = 0,9‰ ergibt sich ein statischer Tragwiderstand in der Schubfuge von τ Rdi = 642kN/ m². Durch Einsetzen kann anschließend der Ermüdungsnachweis geführt werden: 5.4 Vergleich der Ergebnisse Im Vergleich zu dem Bemessungskonzept nach Eurocode 2 reduziert sich der erforderliche Verbundbewehrungsgrad von 1,33‰ (12,1 Stk/ m²) auf 0,9‰ (8,2 Stk/ m²). Dies entspricht einer Einsparung von ca. 4 Verbundmitteln auf einen m² Brückenfläche. Die Verankerungsnachweise nach DIN EN 1992-4 haben gezeigt, dass nur ca. 33% der Streckgrenze des Verbundmittels f yd ausgenutzt werden darf. Wenn durch konstruktive Maßnahmen (z.B. dickere Aufbetonschicht, Erhöhung der Betongüte, Anordnung einer Querbewehrung, …) die Wirksamkeit gesteigert werden kann, reduziert sich auch der erforderliche Verbundbewehrungsgrad. Daher wird zusätzlich der erforderliche Bewehrungsgrad bei Ermüdungsbeanspruchung unter dem Ansatz des Bemessungswerts der Streckgrenze für den Schubverbinder σ sd = f yd als unterer Grenzwert bestimmt. Hierbei ergibt sich ein erforderlicher Bewehrungsgrad von ρ dyn = 0,54‰ (4,9 Stk/ m²). Dies ist gleichbedeutend mit einer Einsparung von ca. 7 Schubverbindern pro m² Brückenfläche. Wird der Nachweis für die Querkraftgrenzlinie geführt kann der Ansatz einer Mindestbewehrung ρ min = 1,1‰ entfallen [6]. 6. Zusammenfassung Mittels mehrerer Versuchsreihen wurde anhand von Versuchsträgern mit nachträglich verstärkter Aufbetonschicht ein Bemessungskonzept validiert, welches als EOTA TR-066 veröffentlicht wurde. Dieses Bemessungskonzept hat auch schon in ähnlicher Weise seinen Niederschlag im MC2010 gefunden und ist für Beton-Beton-Verbundfugen bei nachträglichen Verstärkungen mit Aufbeton ausgelegt. Mit der Einführung der ETA-18/ 0122 steht mit den HCC-B Schubverbindern zusätzlich ein entsprechendes System zur Verbundsicherung bei einer nachträglichen Verstär- 372 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische und Ermüdungsbeanspruchung kung durch Aufbeton auch bei Ermüdungsbeanspruchung zur Verfügung. In den Versuchen unter statischer Beanspruchung sowie unter Ermüdungsbeanspruchung konnte festgestellt werden, dass insbesondere die Fugenrautiefe in Verbindung mit einer ausreichend gewählten Verbundbewehrung die maßgeblichen Einflussparameter für die Schubkraftübertragung in der Verbundfuge sind. Ein wesentliche Ergebnis aus den statischen Versuchen ist, dass mit einer HDW-gestrahlten Fuge (R t = 3mm) sowie einem entsprechend hohen Verbundbewehrungsgrad die gleiche Traglast erreicht werden, wie bei einem Versuchsträger, der monolithisch und somit ohne Verbundfuge hergestellt wurde. Dieses Ergebnis ist insofern interessant, als dass bei der Bemessung von Verbundfugen von einem monolithischen Tragverhalten des Bauteils ausgegangen wird. Das Bemessungskonzept des EOTA TR 066 bei Ermüdungsbeanspruchung sieht vor, dass bei einem Verhältnis der Höhe der Ermüdungsbeanspruchung in der Verbundfuge zur statischen Tragfähigkeit unterhalb eines bestimmten Grenzwertes nicht mit einem ermüdungsbedingten Versagen der Verbundfuge zu rechnen ist. Diese Aussage konnte u. a. an der TU Dortmund anhand von Bauteilversuchen mit Verbundfugen der Rauigkeitskategorie „verzahnt“ (R t ≥ 3 mm) und einem entsprechenden Verbundbewehrungsgrad bestätigt werden. Ferner konnte gezeigt werden, dass bei ausreichend begrenzten Ermüdungsbeanspruchungen so kleine Relativverformungen zwischen der alten und neuen Betonschicht und damit einhergehend so geringe Stahlspannungen in den Schubverbindern entstehen, dass auf einen expliziten Nachweis der Verbundmittel gegen Ermüdung verzichtet werden kann. Abschließend wurde ein kleines Bemessungsbeispiel einer Brückenverstärkung mittels nachträglicher Aufbetonschicht vorgestellt, bei denen die Bemessungskonzepte nach DIN EN 1992-2/ NA sowie EOTA TR 066 verglichen werden. Es konnte gezeigt werden, dass das Bemessungskonzept nach EOTA TR 066 zu deutlich geringeren erforderlichen Bewehrungsmengen in der Verbundfuge führen kann, wodurch sich wiederum der Aufwand der Bauausführung ebenfalls reduziert. Literaturverzeichnis [1] DIN EN 1992-2: 2010-12 - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln, 2010 [2] DIN EN 1992-2/ NA: 2013-04 - Eurocode 2: Nationaler Anhang, Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln, 2013 [3] International Federation for Structural Concrete (fib) - fib Model Code for Concrete Structures, Verlag Ernst & Sohn, Berlin, 2013. [4] Kaufmann, N.: Das Sandflächenverfahren. In: Straßenbautechnik 24, Heft 3, S. 131-135, 1971. [5] ETA-18/ 1022: 2019-03 - European Technical Assessment: Verbinder zur Verstärkung bestehender Betonkonstruktionen durch Aufbeton. Deutsches Institut für Bautechnik, 2019. [6] EOTA TR 066: 2019-04 - EOTA Technical Report: Design and requirements for construction works of post-installed shear connection for two concrete layers, 2019. [7] DIN EN 1992-4/ 2019-04 - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 4: Bemessung der Verankerung von Befestigung in Beton, 2019. [8] Heinrich, J.; Zenk, T.; Maurer, R.: Bewehrte Beton- Beton-Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Ermüdungsbeanspruchung. In: Bauingenieur 95, Heft 4, S. 115-125, 2019 [9] Randl, N.; Wicke, M.: Auswertung der dynamischen Versuche Verbund Alt-Neubeton, Orojekt „CCLT-Fatigue“. Institut für Betonbau - Universität Innsbruck, 8 S., 2000 (unveröffentlicht). [10] Pruijssers A. F.: Aggregate Interlock and Dowel Action under Monotonic and Cyclic Loading. Delft, Delft University of Technology, Dissertation, 1988. [11] Hilti New Business & Technology, Gleichwertigkeitstests HCC-Gusselement 2002, Test Report TWU 08/ 02, 72 S. 2002 (nicht veröffentlicht). [12] Heinrich, J.; Zenk, T.; Maurer, R.: Bewehrte Beton- Beton-Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische Tragfähigkeit. In: Bauingenieur 94, Heft 11, S. 425-435, 2019. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 373 Ganzheitliche Verstärkung von Brückenbauwerken mit innovativen Materialkombinationen und Applikationsverfahren Christian Dommes Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Christian Knorrek Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Josef Hegger Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Zusammenfassung Brücken sind für die Verkehrsinfrastruktur von höchster Bedeutung und stellen kritische Punkte im Bundesfern- und kommunalen Straßennetz dar. Die Traglastreserven der Brückenbauwerke stoßen in vielen Fällen bereits an ihre Grenzen und müssen dringend erhöht werden, auch um für das zukünftige Verkehrsaufkommen ausgelegt zu sein. Derzeitige Verstärkungssysteme können nur beschränkt eingesetzt werden oder wirken nur lokal. Zusätzlich wird der Verkehrsfluss durch langwierige Instandsetzungsmaßnahmen erheblich belastet. Am Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen werden daher theoretische und experimentelle Untersuchungen durchgeführt, um ein neuartiges Konzept zur ganzheitlichen Verstärkung von Bestandsbrücken in Massivbauweise zu entwickeln. Zur Aktivierung der Verstärkung müssen die auftretenden Kräfte in der Fuge übertragen werden können. Gängige Bemessungsansätze schätzen die Tragfähigkeit der Fugen allerdings deutlich zu konservativ ab, daher wurde die Schubkrafttragfähigkeit in 26 PushOff Tests mit variierender Fugenausbildung experimentell bestimmt und mit verschiedenen Bemessungsansätzen verglichen. 1. Einleitung Brücken sind für die Verkehrsinfrastruktur von höchster Bedeutung und stellen wichtige Verbindungen im Bundesfern- und kommunalen Straßennetz sowie im Schienenverkehr dar. Allein bei den Bundesfernstraßen gibt es weit über 2200 Brücken, die in einem kritischen Zustand sind. Davon sind mehr als 90% in Stahl- oder Spannbetonweise gebaut. Neben dem stark gestiegenen Verkehrsaufkommen sind Tragfähigkeitsdefizite aufgrund des Alters der Bestandsbrücken und der Bauart sowie einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes für den hohen Sanierungsbedarf verantwortlich. So sind gerade in den alten Bundesländern eine Vielzahl der bestehenden Brücken in der Nachkriegszeit errichtet worden. Die damaligen Lastananahmen decken die prognostizierte Zunahme der Beförderungsleistungen im Straßengüterverkehr zwischen 1980 und 2030 von 760% nicht ab. Durch das BMVI wurde 2013 daher die „Strategie zur Ertüchtigung der Straßenbrücken im Bestand der Bundesfernstraßen“ mit dem Ziel der Erhöhung bzw. Wiederherstellung der Tragfähigkeit von bestehenden Brückenbauwerken entwickelt. Neben Brückenneubauten soll dabei die Brückenertüchtigung als wirtschaftliche Alternative verfolgt werden. Dazu stellt das BMVI jährlich mehr Geld zur Verfügung. So wurden im Zeitraum von 2015 bis 2018 insgesamt 1.970 Mio. € vom Bund für Instandsetzungsmaßnahmen bewilligt, davon 640 Mio. € allein im Jahr 2018 [1]. Beton-Bestandsbrücken müssen in mehreren Bereichen verstärkt werden. Für eine Verstärkungsmaßnahme entscheidend ist im Allgemeinen nicht das Bauteil, sondern die Beanspruchungsart. So müssen Brückenquerschnitte sowohl für Zug- und Druckals auch für Querkraftbeanspruchungen verstärkt werden. Bestehende Verstärkungskonzepte weisen allerdings gravierende Nachteile auf, weil diese aufgrund des Platzbedarfes häufig nur beschränkt eingesetzt werden können, nur lokal wirken oder das Eigengewicht drastisch erhöhen. Zudem ist die Instandsetzungsmaßnahme i.d.R. langwierig und bedarf einer umfangreichen Sperrung von Fahrbanen, sodass der Verkehrsfluss erheblich belastet wird. Es müssen daher effektive, schnelle und kostengünstige Lösungen zur Instandsetzung und Verstärkung entwickelt werden, damit die Bestandstragwerke bestmöglich ertüchtigt und die geplante Lebensdauer eingehalten werden kann. Innovative Lösungen mit einem Preisleistungsvorteil stellen für Bund, Länder, Kommunen und private Brückeneigner 374 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ganzheitliche Verstärkung von Brückenbauwerken mit innovativen Materialkombinationen und Applikationsverfahren eine wirtschaftliche Alternative dar und reduzieren das Problem der ausgereizten Traglastreserven und der Überbelastung deutlich. Am Lehrstuhl und Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen University wurden daher theoretische und experimentelle Untersuchungen durchgeführt, um neue und innovative Konzepte zur ganzheitlichen Verstärkung von Bestandsbrücken zu entwickeln. 2. Experimentelle Untersuchung 2.1 Versuchskörper Um eine Verstärkungsschicht aktivieren zu können, müssen die auftretenden Kräfte von der Fuge zwischen Bauwerk und Ertüchtigungsmaterial aufgenommen werden können. Zur Untersuchung dieser Kraftübertragung wurden insgesamt 26 Schubversuche an Verbundfugen durchgeführt. Hierbei wurden zwei verschiedene Verstärkungssysteme aus einem Ultrahochfesten Beton (UHPC) und einem mikrobewehrten hochfesten Mörtel auf einen Altbeton (C20/ 25) appliziert. Der Altbeton repräsentiert eine Bestandsbrücke aus den 1950-Jahren. Die Einflüsse der Oberflächenrauigkeit und mechanischer Verbundmittel wurden für verschiedene Fugenlängen untersucht (siehe Tabelle 1). Die vorhandene Bewehrung in den Versuchskörpern diente zur Sicherstellung eines gezielten Versagens in der Fuge. Es wurde keine fugenkreuzende Bewehrung angeordnet. Lediglich die mit einer Mörtelschicht mit Mikrostahlarmierung verstärkten Versuchskörper wiesen eine Bewehrung parallel zur Fugenoberfläche auf, siehe dazu Abbildung 1. Tabelle 1 - Versuchsmatrix Material Fugenfläche Anzahl Verbundmittel Rautiefe ØSchubspannung [-] [cm] [-] [-] [mm] [N/ mm²] UHPC 35 x 20 7 - 6 3,7 35 x 20 7 1 x Hilti HUS6 6 3,3 Mörtel mit Mikrostahlarmierung 35 x 20 3 - 1,5 3,3 35 x 20 3 1 x Ducon 12.9 Ø6mm 1,5 3,2 70 x 20 3 - 1,5 2,8 70 x 20 3 2 x Ducon 12.9 Ø6mm 1,5 2,9 2.2 Versuchsaufbau und -durchführung Um die in der Fuge übertragbaren Spannungen zu ermitteln, wurden zwei L-förmige Versuchskörper in Push-Off Versuchen bis zum Versagen belastet. Der Versuchsstand ist in Abbildung 2 dargestellt. Auf den Altbetonkörper wurden in horizontaler Position die verschiedenen Verstärkungsschichten betoniert. Um Schiefstellungen während der Versuche auszugleichen, wurde die Kraft mittels einer Kalotte in die Prüfkörper eingeleitet. Die Belastung erfolgte weggesteuert, d.h. die erforderliche Druckkraft zum Erzeugen der Verformung wurde kontinuierlich gemessen. Die verwendeten Materialien und die Baustoffkennwerte können Tabelle 2 entnommen werden. Abbildung 1 - Anordnung der Mikrostahlarmierung Tabelle 2 - Baustoffkennwerte Material Druck festigkeit E-Modul Größtkorn [-] [N/ mm²] [N/ mm²] [mm] Altbeton 25 30000 32 UHPC 190 54000 2 Mörtel mit Mikrostahlarmierung 100 38000 1 - 2 Um die Bauteilverformungen während der Versuche zu erfassen, wurden sowohl induktive Wegaufnehmer auf der Oberfläche der Versuchskörper angebracht als auch ein optisches Messverfahren genutzt. Dazu wurde ein Punkteraster auf die Betonoberfläche gesprüht. Mit Hilfe einer Kamera wurde anschließend der Abstand der Punkte zueinander gemessen. Durch Veränderungen der Abstände während der Versuchsdurchführung können Verschiebungen in zwei Raumrichtungen ermittelt werden. Neben der Fugenöffnung vertikal zur Fugenebene wurde die Fugenverschiebung parallel zur Fugenebene mit Wegaufnehmern dokumentiert. In Abbildung 3 ist die Anordnung der Messtechnik für einen Versuchskörper mit 35 cm Fugenlänge dargestellt. Durch das beidseitige Aufbringen der Wegaufnehmer konnte eine ungewollte 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 375 Ganzheitliche Verstärkung von Brückenbauwerken mit innovativen Materialkombinationen und Applikationsverfahren Verdrehung des Versuchskörpers während der Belastung ausgeschlossen und somit ein symmetrischer Lastabtrag nachgewiesen werden. Abbildung 2 - Versuchsaufbau der 26 PushOff Tests Abbildung 3 - Anordnung der Messtechnik 2.3 Ergebnisse 2.3.1 Auswertungskonzept Die Versuche werden mit Hilfe von Schubspannungs- Verformungsdiagrammen ausgewertet. Dazu wird die gemessene Kraft auf die Fugenfläche nach Tabelle 1 aufgeteilt. Die Diagramme wurden um den Effekt des Kriechens bereinigt, welcher während der Belastungspausen zum Dokumentieren der Risse auftrat. Unabhängig von den variierten Parametern zeigte sich über die Versuchsreihe, dass die größte Fugenöffnung in Fugenmitte auftritt. Aufgrund ihrer Länge messen die Wegaufnehmer nicht die reine Fugenöffnung, sondern erfassen zusätzlich eine Verformung der Prüfkörper. Parallel zu einem Zylinder mit zentrischer Druckbelastung erfährt der Versuchskörper die größten Querdehnungen auf der Hälfte seiner Höhe, Abbildung 4 verdeutlicht diesen Effekt. a) Verformung eines Zylinders unter zentrischer Druckbelastung b) Qualitative ermittelte Verformung der Prüfkörper Abbildung 4 - Verformung durch Druckkraft Während der Belastung wurden auftretende Risse dokumentiert. Diese lassen sich in zwei Kategorien einteilen, siehe dazu Abbildung 5: • Biegerisse im Altbeton • Schubrisse im Fugenbereich Die Biegerisse treten lediglich aufgrund des Versuchsaufbaus auf und sind nicht Gegenstand der Untersuchung. Aufgrund der geringeren Festigkeit treten die Biegerisse fast ausschließlich im Altbetonkörper auf. 376 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ganzheitliche Verstärkung von Brückenbauwerken mit innovativen Materialkombinationen und Applikationsverfahren Abbildung 5 - Optische Auswertung der Verformungen Die Auswirkungen auftretender Biegerisse werden durch die Auswertung der Verformungen über die fugennahen Wegaufnehmer der Verstärkungsschicht minimiert. Aufgrund des höheren EModuls der Verstärkungsschicht erfassen diese geringere Stauchungen im Betonkörper als der entsprechende Wegaufnehmer am Altbeton. Schubrisse im Fugenbereich treten erst bei höheren Belastungen unmittelbar vor dem spröden Versagen der Fuge auf und sind dadurch schwer zu erfassen. Ein repräsentatives Bruchbild eines mit einer UHPC-Schicht verstärkten Versuchskörpers ohne Verbundmittel ist in Abbildung 6 dargestellt. Abbildung 6 - Rissbild nach Versagen der Fuge zwischen Altbeton und UHPC-Schicht In Abbildung 7 sind die Bruchfl ächen zweier verschiedener Versuchskörper dargestellt. An den unterschiedlichen Färbungen der Bruchfl ächen ist zu erkennen, dass das Versagen bei Versuchskörper a) im Altbeton (hellgrau) nahe der Fuge und bei Versuchskörper b) in der Fuge (Wechsel von hell- und dunkelgrau) auftrat. Bis auf Untersuchungen mit bewusst geschwächtem Verbund trat das Versagen im Altbeton immer parallel zur Fugenfl äche auf. Somit wurde allgemein die Tragfähigkeit des Altbetons maßgebend. a) Versagen im Altbeton b) Versagen in der Fuge Abbildung 7 - Bruchfl ächen zweier Versuchskörper 2.3.2 Einfl uss der Verbundmittel Die Hälfte der Versuchskörper wurde mit einem mechanischen Verbundmittel ausgebildet, siehe Tabelle 1. Die Schubspannungs-Verformungsbeziehungen reprä- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 377 Ganzheitliche Verstärkung von Brückenbauwerken mit innovativen Materialkombinationen und Applikationsverfahren sentativer Versuchskörper mit Verbundmittel sind in Abbildung 8 in schwarz bzw. der Versuchskörper ohne Verbundmittel in grau dargestellt. Unabhängig vom gewählten Verbundmittel wurde keine Traglaststeigerung durch die Dübel beobachtet. Die Maximallast der Versuchskörper mit Verbundmittel liegt teilweise unter der Tragfähigkeit der Versuchskörper ohne Verbundmittel, da durch das nachträgliche Einbringen der Verbundmittel teilweise eine Schädigung der Betonmatrix resultiert. Randl führt eine Abminderung in der Traglast in [10] auf einen ähnlichen Effekt zurück. Die Einbindelänge der Dübel in den Altbeton und die Verstärkungsschicht reichte nicht aus, um die Traglast zu erhöhen. Stattdessen zog sich der Dübel nach Versagen der Fuge bei weiterer Belastung aus dem Altbeton heraus. Abbildung 8 - Auswirkung von mechanischen Verbundmitteln auf die übertragbare Schubspannung in der Fuge Nach dem Schubversagen der Fuge können die Versuchskörper ohne Verbundmittel keine Lasten mehr übertragen, die zwei L-Körper sind voneinander gelöst. Die Versuchskörper mit Verbundmittel können nach dem Fugenversagen eine deutlich abgeminderte Kraft entsprechend dem Scherwiederstand des Dübels abtragen. Dieser wird allerdings erst mit dem Bruch in der Fuge und dem damit verbundenen Ausfall des Adhäsionstraganteils in der Fuge aktiviert [6]. 2.3.3 Einfluss der Rautiefe in der Fuge In Abbildung 9 sind die SchubspannungsVerformungsdiagramme von Versuchskörpern mit einer Rautiefe von 6 mm in schwarz und mit einer Rautiefe von 1,5 mm in grau dargestellt. Die höhere Rautiefe führt zu einer ca. 15% höheren übertragbaren Schubspannung in der Fuge bei gleichzeitig geringeren Verformungen. Randl [9] bestätigt den positiven Einfluss der Oberflächenrauigkeit in der Fuge auf deren Schubsteifigkeit. Abbildung 9 - Auswirkung der Rautiefe auf die übertragbare Schubspannung in der Fuge Die größere Rautiefe ermöglicht zudem eine Kraftübertragung bei sich öffnenden Fugen. Die entsprechenden Verläufe sind in Abbildung 10 in schwarz dargestellt. Es ist zu erkennen, dass die Kraft für eine Rautiefe von 6 mm mit steigender Rissöffnung länger übertragen werden kann. Abbildung 10 - Auswirkung der Rautiefe auf die Fugenöffnung 2.3.4 Einfluss der Fugenlänge Der Einfluss der Fugenlänge ist in Abbildung 11 anhand von Versuchen mit einer Fugenlänge von 35 cm (schwarz) und 70 cm (grau) dargestellt. Die Fugenverschiebung wurde dazu über die Fugenlänge normiert. Die Körper weisen unabhängig von der Fugenlänge eine ähnliche Steigung auf, somit hat die Fugenlänge keinen sichtbaren Einfluss auf die Steifigkeit der Fuge. Nach Claßen [3] werden Schubspannungen überwiegend über die Randbereiche der Fuge übertragen, daher können 378 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ganzheitliche Verstärkung von Brückenbauwerken mit innovativen Materialkombinationen und Applikationsverfahren über kürzere Fugen höhere mittlere Spannungen übertragen werden. Aus diesem Grund nehmen die über die Fugenfl äche gemittelten Spannungen mit zunehmender Länge der Fugen ab. Abbildung 11 - Auswirkung der Fugenlänge auf die übertragbaren Schubspannungen in der Fuge 3. Versuchsnachrechnung Zur Überprüfung gängiger Bemessungsansätze werden die rechnerischen Tragfähigkeiten für die durchgeführten Versuche bestimmt. Die Schubkrafttragfähigkeit in der Fuge wird je nach Bemessungsansatz auf verschiedene Traganteile zurückgeführt. Die hier dargestellten Ansätze setzen in der Fuge folgende drei additive Traganteile an: • Adhäsion • Reibung • Bewehrung Der Reibung wird aufgrund der fehlenden Kraft senkrecht zur Fugenfl äche für die vorgestellte Versuchsreihe kein Traganteil zugeordnet. Abweichungen in den rechnerischen Tragfähigkeiten kommen daher aus unterschiedlich anzusetzenden Adhäsionsbeiwerten je nach Rauigkeit und den eingesetzten Verbunddübeln. In Abbildung 12 sind die rechnerischen Schubtragfähigkeiten der Fuge nach dem Eurocode 2 + NA(D) [4, 5], den Modelcodes von 1990 [7] und 2010 [8] und der amerikanischen AASHTO 2014 [1] für die mit einer UHPC- Schicht verstärkten Körper dargestellt. Zu erkennen ist, dass kein Bemessungsansatz die Tragfähigkeit annähernd richtig quantifi ziert. Die höchste Tragfähigkeit, die durch die AASHTO berechnet wird, liegt bei weniger als der Hälfte der im Versuch ermittelten Schubspannung in der Fuge. Nach MC90 ergibt sich die geringste Tragfähigkeit von 1 N/ mm² übertragbarer Schubspannung. Das unterschiedliche Größtkorn des Altbetons und der Verstärkungsschichten wird durch keinen Bemessungsansatz berücksichtigt. Abbildung 12 - Rechnerische Tragfähigkeiten der UHPC Fugen mit einer Rautiefe von 6 mm In Abbildung 13 sind die Tragfähigkeiten für eine Fuge mit 70 cm Länge dargestellt. Da die Fugenlänge in den Bemessungsansätzen nicht berücksichtigt wird und ein Maßstabseffekt somit nicht berücksichtigt werden kann, liefern die Bemessungsansätze hier für die längeren Fugen qualitativ bessere Ergebnisse. Die rechnerische Tragfähigkeit setzt sich aus den Traganteilen der Adhäsion und der Bewehrung zusammen, obwohl die experimentelle Untersuchung zeigt, dass keine Traglaststeigerung durch den Einsatz von Verbunddübeln erreicht werden konnte. Der AASHTO ermittelt auch für die langen Fugen die besten Ergebnisse. Im Gegensatz dazu liefert der MC10 die geringste Tragfähigkeit. Abbildung 13 - Rechnerische Tragfähigkeit der 70 cm Fugen mit Verbunddübeln und einer Rautiefe von 1,5 mm Aus dem Vergleich der Bemessungsansätze untereinander und dem Vergleich mit den Versuchsergebnissen können zwei Schlussfolgerungen abgeleitet werden: • Die untersuchten Bemessungsansätze liefern für alle Prüfkörper eine deutlich verminderte rechnerische 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 379 Ganzheitliche Verstärkung von Brückenbauwerken mit innovativen Materialkombinationen und Applikationsverfahren Tragfähigkeit in der Fuge gegenüber den durchgeführten Versuchen. • Obwohl nur Bemessungsansätze verglichen werden, welche die Fugentragfähigkeit auf die identischen drei Traganteile zurückführen, unterscheiden sich die rechnerischen Tragfähigkeiten erheblich. Diese großen Unterschiede zeigen, dass bisher keine einheitliche Bemessungsgrundlage existiert. Auch das simple additive Zusammenführen der unterschiedlichen Traganteile ist in der Literatur umstritten. Untersuchungen von Reinecke [11] beschreiben die zeitlich versetze Aktivierung der unterschiedlichen Traganteile. Dieser Ansatz wird durch den Euro sowie die Model Codes nicht aufgegriffen. 4. Zusammenfassung und Ausblick Brückenbauwerke in Deutschland müssen in den kommenden Jahren ertüchtigt werden, um den erheblich gestiegenen Verkehrslasten standhalten zu können. Gängige Bemessungsansätze schätzen die Schubkraftübertragung vom Bestandsbauwerk in die Verstärkungsschicht allerdings deutlich zu konservativ ab, dadurch verlieren viele Ertüchtigungsvorhaben ihre Wirtschaftlichkeit bereits in der Planungsphase. Die am Lehrstuhl und Institut für Massivbau der RWTH Aachen University durchgeführten Schubversuche zeigen, dass die rechnerische Tragfähigkeit nach dem in Deutschland gültigen Eurocode 2 je nach Fugenausbildung nicht einmal 50% der experimentell bestimmten Last entspricht. Der Vergleich zu weiteren Bemessungsansätzen verdeutlicht, dass keine einheitliche Bemessungsgrundlage für die Schubkraftübertragung in Fugen existiert. Die durchgeführten Versuche zeigen, dass das nachträgliche Einbringen von Verbundmitteln zu keiner Traglaststeigerung in der Fuge führt. Eine größere Rauigkeit der Fugenoberfläche ermöglicht neben der erhöhten Tragfähigkeit auch eine längere Kraftübertragung bei einer sich öffnenden Fuge. Die über die Fugenfläche gemittelte Schubspannung ist für Fugen mit kleiner Fläche höher. Um Brückenertüchtigungen auch für die ausführenden Firmen attraktiver zu machen, muss die Bemessung der Verbundfugen an aktuelle Forschungsergebnisse angepasst werden. Nur so kann die Brückenproblematik entschärft und damit das wirtschaftliche Potential Deutschlands ausgeschöpft werden. Danksagung Die vorgestellten Untersuchungen wurden durch das Förderprogramm „Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWI) gefördert. Die Autoren bedanken sich für die Unterstützung. Literaturverzeichnis [1] American Association of State Highway and Transportation Officials: AASHTO LRFD Bridge Design Specifications. Customary U.S. Units 7th Edition 2014, American Association of State Highway and Transportation Officials, Washington, (2014) [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2016): Brückenmodernisierung im Bereich der Bundesfernstraßen [3] Classen, Martin; Adam, Viviane; Hillebrand, Matthias: Torsion Test Setup to Investigate Aggregate Interlock and Mixed Mode Fracture of Monolithic and 3D-Printed Concrete, in: Derkowski, W; Gwozdziewicz, P; Hojdys, L; Krajewski, P; Pantak, M. (Hrsg.): Concrete - Innovations in Materials, Design and Structures: Proceedings of the 2019 fib Symposium. fib Symposium 2019, Krakow, Poland, (2019), S. 521-528 [4] Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN): Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-2: Allgemeine Regeln - Tragwerksbemessung für den Brandfall. Deutsche Fassung EN 1992-1-2: 2004 + AC: 2008 (DIN EN 1992-1-2: 2010-12), Beuth, Berlin, (2010) [5] Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN): Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-2: Allgemeine Regeln - Tragwerksbemessung für den Brandfall (DIN EN 1992-1-2/ NA: 2010-12), Beuth, Berlin, (2010) [6] Heinrich, Jens; Zenk, Thomas; Maurer, Reinhard: Bewehrte Beton-Beton-Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische Tragfähigkeit, in: Bauingenieur 94 (11), (2019), S. 425-435 [7] Comite Euro-International du Béton: CEB-FIP Model Code for Concrete Structures. Design Code (Model Code 1990), Thomas Telford, London, Großbritannien, (1991) [8] International Federation for Structural Concrete: Model Code 2010. Final draft - Volume 2, International Federation for Structural Concrete (fib), Lausanne, Switzerland, (2012) [9] Randl, Norbert: Untersuchungen zur Kraftübertragung zwischen Alt- und Neubeton bei unterschiedlichen Fugenrauigkeiten. Dissertation, Fakultät für Bauingenieurwesen und Architektur. Leopold-Franzens-Universität, Innsbruck, (1997) [10] Randl, Norbert; Wicke, Manfred: Schubübertragung zwischen Alt und Neubeton: Experimentelle Untersuchungen, theoretischer Hintergrund und Bemessungsansatz, in: Beton- und Stahlbetonbau 95 (8), (2000), S. 461-473 [11] Reinecke, Ralf: Haftverbund und Rissverzahnung in unbewehrten Betonschubfugen. Dissertation. TU München, München, (2004) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 381 Nutzung des Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) im ASTRA - Rückblicke und Perspektiven Stéphane Cuennet Bundesamt für Strassen (ASTRA)- Ittigen (CH) Zusammenfassung Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) ist seit seiner Gründung 1998 die Schweizer Fachbehörde für die Strasseninfrastruktur und den individuellen Strassenverkehr. 2005, also weniger als 10 Jahre nach seiner Gründung, führte das ASTRA bereits zwei Projekte mit UHFB durch, wobei dieser handwerklich auf bestehenden Brückenteilen eingebracht wurde. 2014 wurde der Chillon-Viadukt auf über fünf Hektaren mit einer dünnen Schicht maschinell eingebrachtem UHFB verstärkt. Seither kam UHFB bei mehreren ähnlich dimensionierten Grossprojekten auf unserem Strassennetz zum Einsatz. Auch im Tunnelbau zeigt man Interesse an diesem Hightech-Baustoff. Im Frühling 2019 wurde beschlossen, für die N01 zwischen Genf und Lausanne eine ganz neue Generation von integralen Überführungen mit einem Überbau aus vorgespanntem UHFB zu planen. Für UHFB zählen wir derzeit rund zehn Interventionsarten bei gut zwanzig Anwendungen in Projekten unterschiedlichen Umfangs. 1. Lange vor dem ASTRA - ein kurzer Blick zurück 1.1 Ein Vogelnest als Inspiration Die Idee, ein homogenes Trägermaterial mit Fasern zu verstärken, ist wohl kaum eine Erfindung des Menschen. Schon seit Jahrhunderten baut der Rosttöpfer, eine kleine südamerikanische Vogelart, seine Nester aus Erde und Lehm, dem er Strohhalme beimischt. Der Bau des Nestes, an dem sich beide Elternteile beteiligen, dauert rund eine Woche. Die Vögel verwenden verschiedene Materialien (Schlamm, Haare, Halme, Wurzeln, Fäkalstoffe usw.) für den «Mörtel», den sie mit dem Schnabel an die gewünschte Stelle packen. Die Regelmässigkeit der Nestformen dieser Gattung lässt auf eine angeborene Verhaltensweise schliessen. Abb. 1 Lehmnest des Rosttöpfers (Familie der Töpfervögel) 1.2 Der erste Verbundstoff der Menschheitsgeschichte Als erster Verbundstoff der Geschichte gilt Lehm, der aus einer plastischen Matrix (Ton-Sand-Mischung) und verstärkenden Fasern (Pflanzenfasern oder Tierhaaren) besteht. 382 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nutzung des Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) im ASTRA - Rückblicke und Perspektiven Lehm wird seit dem Neolithikum im europäischen Raum für den Hausbau verwendet. Die Kelten nutzten diese Technik für den Bau ihrer Wallanlagen. Der Lehmbau ist typisch für Regionen mit tonhaltiger Erde, die leicht klebt und bröckelt und durch Zugabe von Stroh verbessert wird. Ausgehend von den rudimentären Anfängen und überlieferten Einsatzmöglichkeiten hat der menschliche Erfindergeist die Idee stetig weiterentwickelt - bis hin zur «Hightech»-Version UHFB mit hydraulisch erhärteter Matrix. Originalität ist meistens nichts anderes als ein noch nicht entdecktes PlagiatVoltaire (1694-1778) 2. Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit [1] Dieses Kapitel gibt einen kurzen Überblick über die Baustoffe, die in verschiedenen Epochen bei Kunstbauten verwendet wurden, wobei nicht auf lokale Bautraditionen eingegangen wird. 2.1 Bis zum 18. Jahrhundert Die Zeit bis zum Ende des Jahrhunderts der Aufklärung gilt - abgesehen von Holzbrücken - als Ära der Brücken aus Natursteinmauerwerk. Diese Bauten, die in erster Linie Druckbelastungen standhalten müssen, haben sich bis heute als ausserordentlich beständig erwiesen. Gewisse Brücken aus der Römerzeit sind auch nach zwei Jahrtausenden und allen Jahreszeitenzyklen immer noch «fit» und verkehrstüchtig. Diese Bogenbrücken aus Natursteinmauerwerk zeigten sich dem wachsenden und wandelnden Verkehrsaufkommen - vom Pferdegespann bis zum 40-Tönner - eindrücklich gewachsen. Schöne Beispiele finden sich in vielen europäischen Grossstädten. 2.2 Das 19. Jahrhundert Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter der Industrialisierung und der imposanten Konstruktionen aus genietetem Stahl. Sie faszinierten auch den impressionistischen Maler Claude Monet (1840-1926), der dem Genie der Ingenieure dieser Brücken zur Moderne ein Denkmal setzte. 2.3 Das 20. Jahrhundert Das 20. Jahrhundert sah die Entwicklung des Stahlbetonbaus, von Spannbetonbrücken mit enormer Spannweite, Hänge- und Schrägseilbrücken und orthotropen Platten, die auch bei weitgespannten Brücken besonders schlanke Überbauten ermöglichten. In diesem Jahrhundert entstand der grösste Teil des Schweizer Nationalstrassennetzes, wobei die meisten Kunstbauten aus Stahl- und Spannbeton gebaut wurden. Heute müssen wir uns der «Kinderkrankheiten» dieses Baustoffs annehmen; denn die Kenntnisse dieses Baustoffs waren zum Zeitpunkt, als der Grossteil unserer Kunstbauten entstand (nur 10% der Strassenbauinfrastruktur wurde nach dem Inkrafttreten der modernen SIA-Normen von 1989 erstellt), noch unzureichend. 2.4 Das 21. Jahrhundert Dieses Jahrhundert brachte in der Industrie den Durchbruch von bewehrtem Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB), einem Hybridmaterial zwischen Beton und Stahl. Abb. 2 Pont de la République in Montpellier (2011) Dieser moderne Baustoff ermöglicht Ingenieuren viel gestalterische Freiheit bei der Planung von kühnen Bauten, die mit schlanken Formen und gleichzeitig hoher Beständigkeit bestechen. In Kombination mit Betonstahl und/ oder Spannstahl bieten sich Möglichkeiten für die Realisierung eleganter und hocheffizienter Fahrbahnplatten. Das Verhältnis von Eigenlast zu Nutzlast ist günstig im Vergleich zu einem Bauwerk in Stahlbeton- oder Spannbetonbauweise. Effizienzmässig ist die UHFB-Struktur zwischen einer orthotropen Platte und einer Fahrbahnplatte aus Stahl- oder Spannbeton anzusiedeln. 3. Die Suche nach dem Gleichgewicht zwischen den Regeln der Kunst und der Freiheit der Kunst Unsere Generation erlebt derzeit eine in der Weltgeschichte noch nie dagewesene Dynamik des Wandels. Dies ist in allen Bereichen zu beobachten und gilt natürlich auch für das Bauwesen. Allzu dogmatische Regeln schränken die Freiheit der Kunst unnötig ein. Die stetige Suche nach dem fragilen Gleichgewicht zwischen einem zu starren Regelwerk und einer zu grossen Gestaltungsfreiheit stellt denn auch eine tägliche Herausforderung für das ASTRA dar. Die Veränderung packt man besser am Schopf, bevor sie einen an der Gurgel packt Winston Churchill (1874-1965) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 383 Nutzung des Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) im ASTRA - Rückblicke und Perspektiven 3.1 Standards für Nationalstrassen Das ASTRA legt Standards für Nationalstrassen fest, die es unter www.astra.admin.ch bereitstellt. Diese umfassen Weisungen, Richtlinien, Fachhandbücher und Dokumentationen, welche die technischen Grundlagen für die Projektierung bilden. Damit die Nationalstrassen, wie von Art. 5 des Bundesgesetzes über die Nationalstrassen verlangt, den hohen verkehrstechnischen Anforderungen genügen und eine sichere und wirtschaftliche Abwicklung des Verkehrs gewährleisten, müssen die Fachhandbücher stets den neusten technischen Anforderungen entsprechen. Sie werden deshalb regelmässig überarbeitet. Wenn die Standards vom technisch-wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen keine akzeptable Lösung bieten, kann der Projektverfasser jedoch eine andere technisch machbare und dem Kosten-Nutzen-Verhältnis angemessene Lösung erarbeiten und unterbreiten. Die Allgemeine Einleitung zu den Fachhandbüchern nennt 12 Ziele, die mit den Fachhandbüchern zu erreichen sind. Dabei wird auch erwähnt, dass die Fachhandbücher zwar dem Stand der Technik entsprechen, aber keine fertigen Rezepte liefern, um den projektierenden Ingenieuren Spielraum und Flexibilität für die Projektentwicklung zu gewähren. Auch ist klar festgehalten, dass Fachhandbücher die Forschung und Entwicklung von technischen Produkten nicht unnötig behindern dürfen. Und nicht zuletzt entbinden Fachhandbücher die Projektverfasser nicht von ihrer Aufgabe, eine durchdachte und an die Verhältnisse angepasste Lösung zu finden. In diesem Sinne bieten Pilotprojekte dem ASTRA eine Gelegenheit zur Umsetzung von innovativen Produkten oder Technologien. Pilotprojekte sollen Erfahrungen im Hinblick auf einen allfälligen künftigen Einsatz als Norm liefern. Beispiel eines derartigen Pilotprojekts ist etwa die Verstärkung der Brücken Boli, Mettlen und Linden auf der N04 mit einer Abdichtung aus UHFB. 3.2 Allgemeine Grundsätze für die Projektierung von Kunstbauten Bei der Projektierung und Ausführung von Kunstbauten für Nationalstrassen sind Projektierungsgrundsätze bezüglich Konzept, Robustheit, konstruktive Einzelheiten, Unterhalt, zukunftsorientierte Nutzung und Ästhetik zu berücksichtigen. 3.2.1 Konzept Bewährte Konzepte bürgen normalerweise für die Qualität der Kunstbauten. Erprobte Lösungen müssen jedoch auf ihre Verträglichkeit mit den lokalen Bedingungen geprüft und an Sonderfälle angepasst werden. Innovative Lösungen sucht man in der Regel bei Aufgaben, für welche übliche Lösungen nicht befriedigen. In diesem Fall muss das ASTRA in einer frühen Phase der Projektierung beteiligt werden. Das ASTRA kann den Beizug eines oder mehrerer Fachexperten für Projektierung und Projektbegleitung verlangen. Dies war der Fall bei der Instandsetzung des Chillon-Viadukts und bei der neuen Generation von Überführungen (ÜF), die im Folgenden vorgestellt werden. 3.2.2 Konstruktive Einzelheiten Gut gearbeitete Details sind erfahrungsgemäss für das Verhalten der Bauwerke und deren Dauerhaftigkeit von grösster Bedeutung. Sie müssen vom Konzept und ihrer Ausgestaltung (Form, Material, Ausführung) her immer wohl durchdacht sein. Unsere Normen sind angesichts unserer Bautradition mehrheitlich auf die baulichen Einzelheiten der Betonbauweise angelegt. Mit dem steigenden Anteil von Strukturen in Mischbauweise mit Stahlbeton und UHFB wird sich die Dokumentation diesem Trend anpassen. Der Teufel steckt im Detail Friedrich Nietzsche (1844-1900) 3.2.3 SIA-Normen Auch die SIA-Normen tragen dieser schnellen technologischen Entwicklung Rechnung mit der Veröffentlichung technischer Merkblätter mit einer Gültigkeit von 5 Jahren (erneuerbar), insbesondere dem Merkblatt SIA 2052 «Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) - Baustoffe, Bemessung und Ausführung», sowie einem in jeder Norm enthaltenen Kapitel «Abweichungen». Unter bestimmten Bedingungen ist eine Abweichung von den SIA-Normen und den technischen Merkblättern absolut zulässig. Die Forschungsberichte zum Brückenbau der AGB erfüllen beispielsweise diese Bedingungen und kommen täglich zum Einsatz, um unnütze und kostspielige Verstärkungsarbeiten an unseren Kunstbauten zu vermeiden. Bei der Erhaltung von bestehenden Werken gilt beispielsweise die Anwendung der Normenreihe SIA 269 als Grundlage, die durch die neusten bestätigten Forschungsergebnisse ergänzt werden muss. 4. Verschiedene Anwendungen im Rückblick UHFB kam beim ASTRA erstmals 2006/ 2007 zum Einsatz, also gut zehn Jahre vor dem Inkrafttreten des technischen Merkblattes SIA 2052. Diese Premiere bestand aus dem Einbau von UHFB auf Leitmauern einer Brücke sowie auf dem Schutzelement eines Mittelpfeilers einer Überführung der N01 im Kanton Aargau. Dass wir uns zunehmend für diesen «Hightech»-Baustoff interessieren, hat mit seinen herausragenden Eigenschaften zu tun, insbesondere seiner hohen Festigkeit, die einerseits die Dauerhaftigkeit der Elemente verbessert und anderseits den Unterhaltsbedarf senkt. Dies wieder- 384 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nutzung des Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) im ASTRA - Rückblicke und Perspektiven um bedeutet weniger Beeinträchtigungen für unsere Endkunden - die Verkehrsteilnehmer. Gegenwärtig zählen wir über zwanzig Anwendungen, die bereits realisiert oder noch in Planung sind. Rückblickend lassen sich die verschiedenen Anwendungen wie folgt einteilen: Mischbauweise UHFB-Beton: 1. Verstärkung und/ oder Abdichtung der Fahrbahnplatte und verschiedener Tragewerke 2. Schutz vor chemischen Einflüssen (Chloridwiderstand): Mittelpfeiler, Widerlager, Leitmauern und Konsolköpfe 3. Schutz vor mechanischer Belastung (starker Abrieb): Gewölbebogen 4. Profilierung von Elementen (Ersatz für herkömmlichen Mörtel) Die Besonderheit dieses Baustoffes liegt in seiner Fähigkeit, gleichzeitig die funktionalen Anforderungen aller Anwendungen zu erfüllen. Tragewerke in UHFB: 5. Neues Strukturelement am Bauwerk: Streben an Brückenkonsolen Die nun folgenden Beispiele verstehen sich nicht als abschliessende Präsentation, sondern sollen einen kurzen Überblick geben über die Problemstellung, den jeweiligen Lösungsansatz und die Erfahrungen aus den Prüfungen. 4.1 Verstärkung und «Abdichtung» der Fahrbahnplatte - N09 Chillon-Viadukt [2] Dieses Bauprojekt ist aus zahlreichen Publikationen und Präsentationen bekannt, weshalb hier nur die wichtigsten Erfahrungen und Erkenntnisse zusammengefasst werden sollen. Der Beton dieser 2 km langen Zwillingsbrücke weist gegenüber anderen Schweizer Bauwerken eine sehr hohe Reaktivität aus. Er wurde zwischen 1966 und 1969 mit Gesteinskörnungen aus dem Genfersee und der Rhonemündung hergestellt (langsam fortschreitende AAR). Das ASTRA sah sich bei der Instandsetzungsplanung damit konfrontiert, das Bauwerk kurzfristig zu unterhalten, um noch von einer relativ gesunden Trägerstruktur profitieren zu können. Bei einem Aufschub der Erhaltungsarbeiten um 20 Jahre hätte Gefahr bestanden, das gesamte monumentale Bauwerk ersetzen zu müssen. Ein schnelles Eingreifen war deshalb angezeigt, um die Risiken zu identifizieren und zu kontrollieren - eine Herausforderung, die nur im Team und dank dem Engagement aller Beteiligten erfolgreich gemeistert werden konnte. Zusammenkommen ist ein Beginn, zusammenbleiben ist ein Fortschritt, zusammenarbeiten ist ein Erfolg Henri Ford (1863-1947) Ziel der Intervention war, die Auswirkungen der AAR zu begrenzen und Bedingungen für eine langsamere Schadensentwicklung zu schaffen sowie die Tragfähigkeit der Fahrbahnplatte durch bewehrten UHFB zu ertüchtigen. Die Fahrbahnplatte war 2014 beispielsweise gerade noch konform, bei allfälligen künftigen mechanischen Verschlechterungen infolge der AAR wäre die Konformität jedoch nicht mehr gewährleistet gewesen. Durch das Ausbringen einer dünnen Schicht von 4 bis 5 cm UHFB konnte die Fahrbahnplatte verstärkt und die strukturelle Reserve dieses vitalen Elements erhöht werden. Obwohl UHFB wasserdicht ist, entschieden wir uns, die gesamte vorgängig mit Hochdruckwasserstrahl bearbeitete und mit einer PMMA-Grundierung behandelte Oberfläche mit Dichtungsbahnen (PBD EP5) abzudecken. Technische Gründe für diese Wahl: 1. Gewährleistung einer totalen Abdichtung der UHFB-Arbeitsfugen durch Vermeidung jeglicher Wasserzufuhr, auch lokaler, die die AAR antreiben könnte. 2. Bestmögliche Haftung des Gussasphalts MA-H auf dem UHFB. Wir wollten keine «schwimmende» Lösung mit dem Risiko, dass sich an der Schnittstelle zwischen UHFB und Belag Wasser ansammelt. 3. Verringerung der UHFB-Schicht bei gleichzeitigem Schutz der Bewehrung, deren theoretischer Schutz lokal ungenügend war. Eine zusätzliche Schicht von 1 cm UHFB, wie sie lokal zur Umhüllung nötig gewesen wäre, hätte mehr gekostet als die PBD-Abdichtung. Um unseren Wissensstand im Hinblick auf künftige Projekte zu erweitern, liessen wir den Verbund von UHFB mit Gussasphalt MA von der ETH Lausanne [3] mittels vier als aussagekräftig geltenden Prüfverfahren testen. Die Prüfreihe brachte für nur ein einziges Produkt zufriedenstellende Ergebnisse. Eine direkte Haftung ohne Haftmittel wurde nicht geprüft. Ohne Erfahrungswerte bezüglich der Haftung wurde das Risiko (Auswirkung x Eintretenswahrscheinlichkeit), auf eine PDB-Dichtungsbahn an der über fünf Hektaren grossen Schnittstelle zwischen UHFB und MA zu verzichten, als zu hoch eingestuft. Diese von vornherein vorsichtige Annahme sollte sich bei der Umsetzung als richtig herausstellen. Der Experte «UHFB Ausführung» [4] hielt in seinem Schlussbericht fest: «Die Option zur Abdichtung der Arbeitsfugen (und die anschliessende pragmatische Ausweitung auf die gesamte Oberfläche) erwies sich für den hoch thixotropen UHFB des Chillon-Viaduktes somit als angebracht.» 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 385 Nutzung des Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) im ASTRA - Rückblicke und Perspektiven Um eine sichere Abdichtung zu gewährleisten, wurden die Arbeitsfugen gemäss den Vorschriften des technischen Merkblatts SIA 2052 Art. 5.4.3 ausgeführt. Die Erfahrung sowie die Versuchsreihen an durchbiegenden Prüfkörpern im Labor (LMC EPFL) zeigten, dass die Arbeitsfugen auch unter Belastung (Schwingungsreduktion und Biegezugfestigkeit) ihre Funktion erfüllten. Trotz aller Aufmerksamkeit für diesen Punkt und ungeachtet der eigens dafür entwickelten Stahlschalungen reichte die Vibrationsenergie der Einbaumaschine nicht aus, um den hoch thixotropen Frisch-UHFB unter die Schalungen einzubringen, erst recht nicht bei Quergefälle. Abb. 3 Arbeitsfuge in der UHFB-Schicht mit Stahlschalung - links: korrekte Ausführung / rechts: problematische Ausführung Das ASTRA ist sich bewusst, dass dieser hochwertige - und entsprechend kostspielige - Hightech-Baustoff bestens genutzt werden sollte. Deswegen lancierten wir Pilotprojekte für den Einsatz von UHFB zur Verstärkung und Abdichtung von Fahrbahnplatten. Diese Projekte [9] zeigten, dass auch ohne Haftmittel ein guter Haftverbund zwischen HFB und MA erreicht werden kann. Aufgrund der Versuchsergebnisse, insbesondere zur Problematik der Arbeitsfugen bei Verwendung eines hoch thixotropen UHFB sowie gestützt auf die Resultate des Monitoringprogramms und künftiger Forschungsarbeiten hoffen wir, dass die mineralische Abdichtung in eine der nächsten Ausgaben der Norm SN 640 450 «Abdichtungssysteme und bitumenhaltige Schichten auf Betonbrücken» (Ausgabe 2017-12) Eingang fi nden wird. 4.2 Schutz vor chemischen Einfl üssen - N1 Überführung Chlosterstrasse [5, 6] Bei der Instandsetzung des Mittelpfeilers der Überführung Chlosterstrasse der N1 zwischen Dietikon und Schlieren wurde ein Vergleichstest durchgeführt zwischen einem Schutz mit UHFB (Typ Holcim 707, Stahlfasern 3,0 Vol.-% [240 kg/ m 3 ]) auf der einen Hälfte des Prüfabschnitts und einem bewehrten Faserbeton mit OS2-Beschichtung auf dem restlichen Abschnitt gemäss Schema unten. Abb. 4: Querschnitt des Mittelpfeilers mit unterschiedlichen Instandsetzungsmethoden auf einer Höhe von 3 m Bei der Ausführung zeigte sich, dass der Einbau von UHFB keine zusätzlichen Erfahrungen gegenüber herkömmlichen Betonarbeiten unter vergleichbaren Umständen erfordert. Derartige Arbeiten können von Unternehmen, die sich auf die Instandsetzung von Betonbauten spezialisieren, kompetent ausgeführt werden. Von den Kosten für Monitoring und Vorversuchen einmal abgesehen, belaufen sich die Kosten für die Instandsetzung mit Faserbeton auf ungefähr CHF/ m 2 1500.- gegenüber CHF/ m 2 2300.- mit einem UHFB. Da es sich hier jedoch um ein «Pilotprojekt» handelt, können die Kosten für den UHFB-Einsatz nicht unbedingt als repräsentativ gelten. Für künftige Anwendungen von UHFB dürften die Kosten um gut 10 bis 30% tiefer ausfallen. Beim Abschluss des Monitorings im Jahr 2023 wird man ebenfalls 386 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nutzung des Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) im ASTRA - Rückblicke und Perspektiven den erhofften Mehrwert in Bezug auf Beständigkeit der UHFB-Lösung berücksichtigen können. Der Pfeiler wurde mit Sensoren bestückt und wird bis 2023 (während zehn Jahren) eng überwacht. Das Monitoringprogramm umfasst nichtdestruktive Prüfungen (Fühler) sowie Entnahmen aus Probekörpern, die am Fusse des Pfeilers unter gleichen Bedingungen lagern. 1,5 Jahre nach der Umsetzung wurde ein Zwischenbericht für das Monitoring verfasst. Leider ist der Zeitabstand noch zu kurz für einen aussagekräftigen Vergleich über die Unterschiede bezüglich Eindringen von Chloridionen und Fortschreiten der Karbonisierung zwischen den beiden Interventionsmethoden. Optisch sind jedoch an einigen Stellen auf der Oberfläche Haarrisse im UHFB zu erkennen. Die Fläche muss vorgängig mit Wasser besprüht werden, damit die Risse von blossem Auge einfach zu erkennen sind. Die Rissweitenöffnungen liegen mehrheitlich bei 0,1 mm bzw. lokal bei 0,2 mm und haben keine Auswirkungen auf die Dauerhaftigkeit. Der Schlussbericht des Monitorings wird 2023 erstellt. 4.3 Schutz vor mechanischer Belastung (Abrieb) - N01 Durchlässe Gobé [7] Die Durchlässe des Gobé (Gobé supérieur und Gobé inférieur) sind insgesamt an die 300 m lang und befinden sich in der Nähe der Verzweigung Le Vengeron. Der Innendurchmesser des Durchlasses beträgt 2,00 m, die Dicke liegt zwischen 25 und 30 cm, je nach Höhe der Aufschüttung auf der Kalotte. Die Durchlässe sind mit Zustand 3 als «defekt» qualifiziert. Gewisse Bereiche der Sohle sind erodiert, die Bewehrungseisen sind sichtbar und korrodiert. Im Gesamtkonzept wurden die folgenden Varianten analysiert: Instandsetzung mit Harz, Instandsetzung mit Hobas-Rohren und Instandsetzung mit einer 3 cm dicken UHFB-Schicht. Die UHFB-Variante erwies sich als vorteilhafteste Lösung und wird für die weiteren Projektphasen empfohlen. Im Vergleich zu einem Beton C30/ 37 kann mit UHFB der Abrieb um ungefähr 60% reduziert werden. Ausserdem erfolgt der Festigkeitsverlust allmählich und ohne Gefährdung der Struktur [8]. 4.4 Profilierung von Elementen - N04 Brücken Boli-Mettlen-Linden [9] Diese drei Zwillingsbrücken zeigen die vielfältige Anwendungspalette dieses Baustoffs zur Verstärkung, Abdichtung und Profilierung (Pilotprojekte des ASTRA). Besondere Erwähnung verdient die Instandsetzung vor Ort der Stege/ Sockel der Träger mit UHFB anstelle einer Profilierung mit herkömmlichem Mörtel. Die Matrix des UHFB besteht aus Körnungen, deren Durchmesser nicht grösser ist als jener eines herkömmlichen Mörtels, weshalb sich der Baustoff bestens als Betonersatz (Grundsatz 3 gemäss Tabelle 5 SIA 269/ 2) eignet. Vorteile gegenüber herkömmlichem Mörtel (Klasse R3/ R4) bei vergleichbarem Preis: • Ausgezeichnete Haftung am fachgerecht vorbereiteten Trägermaterial • Mischbauweise UHFB-Beton bewirkt beim Element aufgrund des hohen Fasergehalts eine Selbstspannung, was Rissbildung vermeidet bzw. markant verringert • Hydrophobe Oberfläche mit Chloridschutz 4.5 Neues Strukturelement am Bauwerk - N09 Paudèze-Brücken [10] Im Osten von Lausanne wurde an den Brücken über die Paudèze eine weitere UHFB Anwendung getestet. Hier sollen nur kurz die Vorteile erwähnt werden, die diese Lösung für die Bauherrschaft beinhaltet. In Längsrichtung angebrachte Streben (Anordnung nach Warren-Träger) stützen die um einige Dezimeter erweiterten Auskragungen der Paudèze-Brücken (kein Ausbau der Verkehrskapazität). Die statischen Analysen zeigten, dass die Streben aufgrund der Verbreiterung des Überbaus und mit dem Erhalt der Fahrbahnplatte im Mittelteil notwendig waren. Für die neuen Elemente fiel die Wahl auf vorfabrizierte UHFB-Teile, dies aufgrund der einfacheren Montage, des geringeren Gewichts und um den Charakter einer Freivorbaubrücke aus Beton zu erhalten. Die vorfabrizierten Streben wurden mithilfe von vor Ort betonierten UHFB-Riegeln sukzessive in die bestehende Struktur integriert. Im Gegensatz zur klassischen Methode mit einer Stahlkonstruktion, die am Überbau künstlich ausgesehen hätte (wie eine Prothese), integrieren sich die Streben bestens in das Bauwerk. Die Variante mit Stahlprofilen hätte zudem regelmässige Kosten für die Erneuerung des Korrosionsschutzes (Schutzdauerklasse H > 15 Jahre) bedeutet - eine komplexe und kostspielige Operation, da sie unterseitig und unter Einhaltung strenger Umweltschutzanforderungen zu erfolgen hätte. Die geringeren Unterhaltskosten und die formale Eleganz überzeugten den Bauherrn von der UHFB-Lösung. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 387 Nutzung des Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) im ASTRA - Rückblicke und Perspektiven Abb. 5 UHFB-Fachwerks (Riegel und Streben) 5. Gegenwart und Visionen für die Zukunft Neue und mögliche künftige Anwendungen für UHFB sind: Ausblick 1. Brückenplatten oder sogar vollständige Überbauten (vorfabrizierter und/ oder vor Ort gegossener UHFB, Mischbauweise mit UHFB); 2. Tunnelbauelemente (spritzbarer UHFB usw.) 3. Neue Brückenränder 4. … Platz für Kreativität und neue Ideen 5.1 Neue Generation von Überführungen (ÜF) zwischen Genf und Lausanne [11] Der Unterhaltsplan (UPlaNS) des ASTRA sieht einen Spurausbau (von 2x2 auf 2x3 Fahrstreifen) der Autobahn N01 zwischen Le Vengeron und Nyon vor mit dem Ziel, diesen Abschnitt zu unterhalten und die durch die konstante Verkehrszunahme entstandenen Engpässe zu beseitigen. Die im Rahmen des Generellen Projekts (GP) auf dem Abschnitt Le Vengeron-Coppet-Nyon geplanten Erweiterungen machen Arbeiten an den Kunstbauten nötig, wie den Rück- und Neubau der Überführungen (ÜF), da deren aktuelle Bemessung keinen Spurausbau auf 2x3 Fahrstreifen ermöglicht. Ein Ingenieur- und Architektenduo erarbeitete im Rahmen eines Ideenauftrags ein Architektur- und Landschaftskonzept für die Überführungen (ÜF) zwischen Genf und Lausanne mit einer neuen Generation von ÜF. Das gewählte Konzept ist eine beidseitig eingespannte Balkenbrücke mit T-Trägern ganz aus UHFB. Das Siegerprojekt besticht mit einer eleganten, schlanken Linienführung, die die historische Form des Tragewerks aufgreift und ihre statische Effi zienz neu interpretiert. Das statische System beidseitig eingespannter integraler Brücken ist delikat, aber bewährt. Abb. 6 3D-Ansicht der neuen Generation von ÜF mit UHFB-Platte [11] 388 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nutzung des Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) im ASTRA - Rückblicke und Perspektiven Abb. 7 Konzeptidee [11] Abbildung 7 illustriert die Entwicklung ausgehend von der bisherigen Form der Kunstbauten mit Pfeiler bis zur neuen Generation von modernen integralen ÜF, die dank einem innovativen und langlebigen Baustoff wie UHFB möglich wurde. Dass weder Fahrbahnübergänge noch Tragwerke vorhanden sind, erleichtert den Unterhalt deutlich. Mit UHFB kann grundsätzlich auf eine weitere Abdichtung verzichtet werden (laufende Pilotstudie beim ASTRA). UHFB ist ein zwar teurer, jedoch auch ausgesprochen hochwertiger Baustoff, was nach einer optimalen Dimensionierung der Bauwerke verlangt, damit die Kosten dieser Bauweise im Rahmen herkömmlicher Brückenprojekte liegen. Das Konzept ist unserer Ansicht nach sinnvoll und innovativ, aber dennoch kühn. Da UHFB immer häufi ger zum Einsatz kommt, verfügen wir inzwischen doch über einen Erfahrungsschatz von zwei Jahrzehnten. Bevor wir das Konzept bei einer ganzen Serie von Bauwerken anwenden, wollen wir es im Rahmen vorgezogener Massnahmen an zwei Projekten auf der N09 zwischen Genf und Lausanne testen. Die Projekte werden angesichts ihres innovativen Charakters durch einen Experten begleitet. Das gemäss Ideenauftrag vorgeschlagene Konzept soll von den Projektverfassern in Zusammenarbeit mit dem Architekten des ausgezeichneten Entwurfs verfeinert werden. Es geht nicht darum, einen Industriellen Standard für ÜF auszuarbeiten, wie damals für die Realisierung des Autobahnnetzes in den 1960er-Jahren. Die baulichen Umgebungsbedingungen beinhalten zu viele Zwänge, als dass sich die Bauten einfach serienmässig wiederholen liessen. Das Ziel ist vielmehr, eine gewisse konzeptuelle und ästhetische Einheit zu schaffen und ein Gefühl von Kohärenz zu vermitteln. Beide Bauwerke werden mit einem Monitoringsystem ausgerüstet, um das kurz- und längerfristige Verhalten der Bauwerke zu überwachen. Mittels Anpassungen beidseitig der Widerlager möchten wir diese beiden ÜF während mindestens zwei Jahren ohne Asphaltbetonbelag in Gebrauch nehmen, um den Oberfl ächenzustand der UHFB-Platte zu kontrollieren (Fehlen von Rissbildung nach 2 Jahreszeitenzyklen). Wir müssen deshalb die Oberfl ächenbehandlung für UHFB festlegen, damit die Verkehrstauglichkeit nach den gleichen Kriterien wie bei Betonstrassen gewährleistet ist. Unter den Arbeitsfugen können Feuchtigkeitsfühler eingebaut werden, die eventuelle Wasserinfi ltrationen erkennen und jederzeit Aufschluss geben über die Wasserdichtigkeit der vor Ort eingebauten UHFB-Schicht. Wir sind zuversichtlich, zusammen mit unseren Partnern und Experten bald ein Konzept entwickeln und den Verkehrsteilnehmern präsentieren zu können. Wer baut, wirkt mit der Erde zusammen: bauen heisst, einer Landschaft ein menschliches Siegel aufzuprägen, das sie für immer verändert Marguerite Yourcenar (1903-1987) 5.2 Pilotprojekte in den Tunneln des Nationalstrassennetzes [12] Der bergseitige Abschnitt der N16 zwischen La Heutte und Bözingenfeld zählt mehrere Tunnel, die zwischen 1960 und 1970 gebaut wurden. Die Bauwerke befi nden sich in einem schlechten Allgemeinzustand mit zahlreichen Wasserinfi ltrationen im Fahrraum. Zudem entsprechen sie nicht mehr den geltenden Normen und Standards des ASTRA, sodass Instandsetzungsarbeiten notwendig sind. Die Gewölbeschicht aus nicht bewehrtem Beton wurde ohne eine irgendwie geartete Abdichtungsschicht direkt gegen den Fels betoniert. Normalerweise würde man zur dauerhaften Behebung des Problems zuerst den Innenring aus Beton demolieren, dann eine Abdichtungsschicht und darauf eine neue Betonverkleidung einbringen. Gemäss den Rahmenbedingungen des ASTRA für die Unterhaltsplanung müssen während Bauarbeiten bei Tag stets zwei Fahrspuren offen bleiben. Bei einem vollständigen Abbruch des Betoninnenrings im Tunnel bestünde hingegen das Risiko, dass der Tunnel bei Tag nicht geöffnet werden könnte. Drei Pilotprojekte, darunter zwei Projekte mit UHFB, sollen dank innovativen Lösungsansätzen ein Resultat erzielen, das im Vergleich mit einem Neubau gut abschneidet, und das ohne den kompletten Abbruch des Bauwerks. Beide Projekte bauen auf einer Optimierung des ersten Pilotprojekts auf, das ein partielles Abfräsen des Gewölbes und den Einbau eines Entwässerungssystems und einer Abdichtung vorsieht, auf die anschliessend eine neue Verkleidung aus SCC-Beton betoniert wird. Dieses Basis-Pilotprojekt befi ndet sich derzeit in 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 389 Nutzung des Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) im ASTRA - Rückblicke und Perspektiven einem der Tunnel in Ausführung. Die beiden Varianten aus UHFB stehen in der Projektentwicklungsphase und werden von einem Experten [6] begleitet. VA: Instandsetzung mittels UHFB-Gewölbe Eine Instandsetzungsoption besteht in der Ausführung des Innenrings aus UHFB anstelle von herkömmlichem Beton. Aufgrund der Merkmale von UHFB erübrigt sich das Anbringen von Dichtungsbahnen, sodass auch weniger vom bestehenden Gewölbe abgefräst werden muss. Im Gegensatz zur VB ist bei vor Ort gegossenem UHFB jedoch ein mobiles Schalgerüst notwendig. Weltweit wurde bis heute noch kein einziges Tunnelgewölbe integral in UHFB realisiert, noch dazu in einer einzigen Betonierungsetappe und bei gleichzeitiger Gewährleistung von zwei offenen Fahrstreifen während des Tages. Vor Beginn der Arbeiten wird ein Testversuch unter realen Bedingungen durchgeführt. VB: Instandsetzung mittels UFB-Fertigteilen Bei dieser Variante ist geplant, für den Innenring aus Beton sehr dünne UHFB-Fertigelemente anstelle von Ortsbeton mit Verschalung zu verwenden. Mit dieser Methode lassen sich die Nachteile des Einsatzes einer Verschalung umgehen. Überdies kann allenfalls die Höhe der im bestehenden Gewölbe abzufräsenden Schicht reduziert werden. Diese Methode wurde international bereits erfolgreich angewandt [13], jedoch bei erheblich grösseren Deckendicken und mit einer vollständigen Schliessung der Tunnel. 5.3 Neue Brückenränder [14] Leitmauern und Brückenränder von Strassenbrücken stellen Verschleissteile dar; sie gelten generell als nichttragend und sind Salzwasserspritzern ausgesetzt. Diese Schutzeinrichtungen nehmen bei einem Aufprall die Kräfte auf und ermöglichen die Abdichtung der Fahrbahnplatte. Sie werden regelmässig nach unseren Standards instandgesetzt oder erneuert. Folglich wird ihr Beitrag an die Beständigkeit des Bauwerks wenig beachtet. Die Aussenränder von Brücken mit einer Konsolkopfbreite von 70 cm sind jedoch massive Elemente mit einem Totgewicht von ungefähr 10 kN/ m. Mit einer neuen Lösung für Leitmauern bzw. neuer Brückenränden aus UHFB könnten diese Elemente die gleiche Lebensdauer aufweisen wie das Gesamtbauwerk, was den Bedarf an Instandsetzungs- und Erneuerungsarbeiten - und damit den Einsatz von Schalwagen - reduziert. Entsprechende Forschungsarbeiten wurden bereits in Zusammenarbeit mit der École Polytechnique de Montréal, Kanada, [15] durchgeführt. Die neue Lösung dürfte mit Sicherheit die Geometrie der L-förmigen, aufgesetzter Brückenränder [14] optimieren, um mit einer schlanken und materialsparenden Anwendung das Kosten-Nutzen-Verhältnis weiter zu verbessern. Diese neue Art von Konsolköpfen wird für die neue Generation von Überführungen entwickelt, die wir in Abschnitt 5.1 vorgestellt haben. Damit wir die Wahl dieser Lösung auch wirtschaftlich begründen können, werden wir ihre konstante Annuität im Vergleich zu einem Konsolkopf in traditioneller Betonbauweise mit regelmässigem Instandsetzungsbedarf nach UPlaNS analysieren. 6. Schlussfolgerungen Die vorgestellten Projekte illustrieren die breite Palette von Anwendungsmöglichkeiten dieses Hochleistungsbaustoffes im Bereich Kunstbauten des ASTRA. Sie zeigen uns auch den Weg auf, den wir in den 15 Jahres des Einsatzes von UHFB auf unserem Nationalstrassennetz bereits zurückgelegt haben. Die in diesem Artikel angesprochene grösste Herausforderung wird sein, mit nur einem Überbau ganz aus UHFB die gesamte Autobahnbreite zu überbrücken. Der breitere Einsatz dieses Baustoffs dürfte die Konkurrenz beleben und damit die Gestehungs- und Umsetzungskosten nochmals senken, was die Attraktivität von UHFB zusätzlich steigern sollte. Unsere Standards sind angesichts unserer Bautradition mehrheitlich auf die baulichen Einzelheiten der Betonbauweise angelegt. Bei ihrer Weiterentwicklung werden hingegen zweifellos die zahlreichen praktischen Erfahrungen mit diesem Hochleistungsbaustoff zu berücksichtigen sein. Die Eigenschaften dieses Baustoffs ermöglichen eine signifikante Reduktion der Unterhaltszyklen. Dies macht ihn besonders interessant für Bauherren, die sich täglich mit dieser Problematik konfrontiert sehen, denn die Instandsetzungszyklen bedeuten erhebliche direkte und indirekte Kosten für die Allgemeinheit. Angesichts der unaufhaltsamen Zunahme des Verkehrsaufkommens sind Lösungen gefragt, die die Unterhaltsmassnahmen und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen für die Verkehrsteilnehmer auf ein Minimum beschränken. Du kannst alles wagen - schwierig ist nur, mit Weisheit zu wagen Bernard Fontenelle (1657-1757) Referenzen [1] Motto der Gründer der Wiener Secession (Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession), die sich 1897 in Abspaltung (Secession) vom Wiener Künstlerhaus formierten. [2] Projektverfasser: MONOD-PIGUET + ASSOCIES SA [3] Belag des Chillon-Viadukts - Schnittstelle UHFB-Belag - Prof. A.-G. Dumont (2014) 390 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Nutzung des Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) im ASTRA - Rückblicke und Perspektiven [4] OPAN Concept SA: Blaise Fleury - Experte UHFB Ausführung: Auszug aus dem Expertenbericht über die Kontrolle der UHFB-Realisierung auf dem Chillon-Viadukt N9 [5] Projektverfasser: Locher Ingenieure AG [6] Prof. Dr. Dipl. Ing ETH/ SIA/ IABSE - Eugen Brühwiler EPFL [7] Gruppe TCIN - Arbeiten durch T ingénierie SA [8] Fachtagung UHFB vom 27.10.2011 - Exemples conceptuels d’utilisation du BFUP (Blaise Fleury, Cornelius Oesterlee, Kerstin Wassmann) ISBN 978-2-8399-0951-8 [9] N04 Brücken Boli-Mettlen-Linden: Projektverfasser und öBL: INGE A4SZ (Jauslin Stebler AG [Pilotprojekt], B+S AG, Locher Ingenieure AG) / Ausführung: Konsortium ARGE N4 EP KüBru c/ o Implenia Schweiz AG (Porr AG, Cellere) [10] Projektierung: LIG-A c/ o Lombardi SA - Projektverfasser: INGPHI concepteurs d’ouvrages d’art [11] Atelier Jordan + Comamala-lsmaïl Architectes / Sollertia Ingenieure [12] Gruppe GIS - Arbeiten durch IUB Engineering SA [13] Beispiele: http: / / www.crezza.com/ category/ realizzazioni/ [14] Richtlinie ASTRA 12004 K04 Brückenrand und Mittelstreifen (Abbildung 15) [15] Prof. J.-P. Charron und Bruno Massicotte, Ecole polytechnique de Montréal (Canada) - Utilisation structurale des BFUP pour les parapets préfabriqués (rapport de recherche SR13-05 - Mai 2013). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 391 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken Balthasar Novák Universität Stuttgart, Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren, Stuttgart, Deutschland Vazul Boros Jochen Reinhard Schömig-Plan, Kleinostheim / Stuttgart, Deutschland Eberhard Pelke Hessen Mobil, Wiesbaden, Deutschland Carolin Roth Hock Beratende Ingenieure, Haibach, Deutschland Zusammenfassung Der Beitrag zeigt zwei innovative Verstärkungsmaßnahmen, mit deren Hilfe bei den beiden vorgestellten Bauwerken die ursprünglich vorhandenen rechnerischen Defizite wesentlich reduziert werden konnten, um so den Betrieb bis zum Ersatzneubau aufrechterhalten zu können. Die erste Verstärkung kombiniert zwei Maßnahmen. Der Überbau wird einerseits mit Schrägstielen unterstützt, um die hochausgenutzten auflagernahen Bereiche zu entlasten. Die Aktivierung der Schrägstiele erfolgt hierbei mittels verbleibenden hydraulischen Hubpressen. Zudem wurden spezielle Federelemente eingesetzt, um zeitabhängige Veränderungen der Anpresskraft zu reduzieren. Zusätzlich wurden ausgewählte Bereiche der Stege lokal mittels nachträglichen Schubbügeln unter einer Aufbetonschicht verstärkt. Bei dem zweiten Bauwerk war es das Ziel, die Ermüdungsbeanspruchung an den messtechnisch überwachten, kritischen Koppelfugen zu reduzieren. Nach einem modularen System wurden Stahlfachwerktürme entworfen, die so jeweils an die Überbauhöhe an der zu unterstützenden Koppelfuge angepasst werden können. Eine Wippenkonstruktion am Turmkopf mit Gegengewicht ermöglicht das Aufbringen einer definierten, konstanten, aufwärtsgerichteten Vertikalkraft zur Entlastung der Koppelfuge. 1. Einleitung Das Bundesfernstraßennetz in Deutschland beinhaltet aktuell knapp 40.000 Brücken, deren überwiegende Mehrzahl in den alten Bundesländern zwischen 1965 und 1985 errichtet wurde und nun eine Lebensdauer von 50 Jahren erreicht [1]. Die Güterverkehrsleistung in der Bundesrepublik, die eines der wichtigsten Transitländer im europäischen Binnenmarkt darstellt, nimmt derweil stetig zu. Auch die Anzahl von genehmigungspflichtigen Schwertransporten steigt Jahr für Jahr [2]. Die Brückenbauwerke der Bundesfernstraßen sind somit einer Belastung aus dem Straßenverkehr ausgesetzt, die zum Zeitpunkt ihrer Errichtung nicht prognostiziert wurde. Die Entscheidungsträger haben in Deutschland die Gefahren der alternden Verkehrsinfrastruktur erkannt und eine Strategie zu der Ertüchtigung des Brückenbestands entwickelt. Einerseits wurden unter der Federführung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) bereits im Jahr 2010 in Abstimmung mit den Bundesländern mehr als 2000 Teilbauwerke von überwiegend Spannbetonbrücken identifiziert, die vorrangig zu untersuchen sind. Zweitens wurde 2011 die Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (kurz Nachrechnungsrichtlinie) [3] herausgegeben, um den objektbezogenen Nachrechnungen für diese Bauwerke einen normativen Rahmen zu bieten. Das Dokument wurde dann basierend auf den ersten Erfahrungen und den zwischenzeitlich gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnissen mit der im Jahr 2015 erschienenen 1. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie [4] fortgeschrieben. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Regelungen in Bezug auf die Querkraftnachweise für Betonbrücken. In [5] wurden bereits die Erfahrungen aus der Praxis bei der Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand anhand von drei interessanten Beispielbauwerken dargestellt. Wenn auch mit den ergänzenden Regelungen die Nachweise nicht erbracht werden können, können für das Bauwerk einschränkende Nutzungsauflagen eingeführt werden. Sofern auch diese Maßnahmen nicht zum Ziel führen, muss die Brücke entweder verstärkt oder ersetzt werden. Häufige Verstärkungsmaßnahmen sind hierbei das Aufbrin- 392 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken gen einer zusätzlichen Vorspannung, in der Regel durch externe Spannglieder [6], eine Querkraftverstärkung mit Stabspanngliedern oder Schublaschen aus Stahl bzw. durch aufgeklebte oder in Schlitze eingeklebte CFK-Lamellen sowie das Ergänzen einer Aufbetonschicht mit Verdübelung [7]. Wie die Ergebnisse der bundesweiten Nachrechnungen zeigen, kann ein bedeutender Teil des deutschen Brückenbestandes den zwischenzeitlich gewachsenen Anforderungen durch den Straßenverkehr nicht mehr standhalten. Selbst wenn sich der Ersatzneubau eines Bauwerks bereits in der Planung befindet, muss oft die Zeitspanne bis zu dessen Inbetriebnahme noch überbrückt werden. Bei der für Autobahnen üblichen Bauweise mit getrennten Überbauten für die beiden Fahrtrichtungen muss das marode Bauwerk zudem gerade in diesem kritischen Zeitraum die zweifache Verkehrsstärke aufnehmen können. Sofern die bereits beschriebenen üblichen Maßnahmen bereits ausgeschöpft sind oder keinen Erfolg versprechen, müssen Sonderlösungen erarbeitet werden. Zwei solche innovativen Verstärkungsmaßnahmen werden nachfolgend vorgestellt. 2. Verstärkung der Salzbachtalbrücke Bei der ersten Verstärkungsmaßnahme handelt es sich um eine hochfrequentierte innerstädtische Brücke, bei dem der Schwerpunkt auf der Kompensation der Querkraftdefizite lag. In Anbetracht der speziellen Randbedingungen und der verbleibenden Defizite trotz bereits erfolgter externer Vorspannung kam bei dem Bauwerk nur eine Sonderlösung in Frage. 2.1 Beschreibung des Bauwerks Die Salzbachtalbrücke überführt die Bundesautobahn A66 über eine Bundestraße, die Gleisanlagen der Deutschen Bahn und den Salzbach. Auf den getrennten Überbauten mit jeweils 14,5 m Breite sind je zwei Fahrspuren einer Fahrtrichtung angeordnet. Das Bauwerk hat eine Gesamtlänge von 304,0 m und spannt als Durchlaufträger über fünf Felder mit Spannweiten zwischen 46,00 m und 69,0 m. Der Überbau hat eine Konstruktionshöhe von 3,5 m und eine lichte Höhe von ca. 25,0 m. Das Bauwerk wurde 1963 errichtet und für die Brückenklasse 60 ausgelegt. Es wurde im Jahr 2013 mit jeweils vier externen Spanngliedern pro Überbau verstärkt, die zwischen den beiden Stegen des Plattenbalkenquerschnitts angeordnet wurden. Das Bauwerk vor der Verstärkung ist in Bild 1 im Längsschnitt und in Bild 2 im Querschnitt dargestellt. Bild 1: Längsschnitt der Salzbachtalbrücke Bild 2: Querschnitt der Salzbachtalbrücke Das Bauwerk wurde nachgerechnet und weist erhebliche Defizite auf, deshalb soll es durch einen Ersatzneubau erneuert werden [8, 9]. Zuerst wird der südliche Überbau zurückgebaut und ersetzt. In diesem Zeitraum ist es vorgesehen, den gesamten Verkehr auf den nördlichen Überbau zu verlegen (4+0 Verkehrsführung). Für diesen Belastungszustand weist der bestehende Überbau jedoch insbesondere Defizite im Bereich der Querkraft auf. Des Weiteren ist zu beachten, dass der verwendete Spannstahl als spannungsrisskorrosionsgefährdet einzustufen ist. Um für die zusätzliche Belastung während der Bauzeit die erforderliche Standsicherheit für das Bauwerk zu gewährleisten, wurde eine Verstärkungsmaßnahme für den nördlichen Überbau vorgesehen. 2.2 Beschreibung der Maßnahme Die Verstärkungsmaßnahme kann grundsätzlich in zwei Teile gegliedert werden. In den am höchsten belasteten Bereichen neben den Auflagern wird der Überbau in jeweils ca. 7 m Abstand von den Pfeilern durch eine Stahlkonstruktion mit Schrägstielen unterstützt. Diese Konstruktion entlastet die Stege und leitet die Lasten direkt in die Fundamente. Der anschließende Stegbereich mit geringerer Querkraftüberschreitung wird durch zusätzliche Bügelbewehrung und eine Aufbetonschicht verstärkt. Die Verstärkung erfolgt durch zusätzliche Bügel im an die Unterstützung anschließenden Bereich der Stege (in den Achsen C, D und E). Die Bügel werden durch eine Aufbetonschicht von 10 cm Dicke geschützt und mit dem Bestandsbauwerk verbunden. Eine Übersicht der Verstärkungsmaßnahme zeigt Bild 3. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 393 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken Bild 3: Übersicht der Verstärkungsmaßnahme Die Stahlträger bei den Pfeilern in den Achsen B bis D haben eine Neigung von annähernd 64° und sind mit Ausnahme der Länge des vertikalen Abschnitts baugleich. Die Umlenkung der Auflagerkräfte erfolgt über Zugstreben am Pfeilerkopf und Druckglieder in Pfeilermitte. Die Vertikalstreben ruhen nicht auf den Pfeilerfundamenten, sondern auf durchgesteckten Stahlträgern, welche über Betonsockel die Lasten auf den Füllbeton im Inneren des Pfeilers verteilen. Dadurch konnte die zeit- und kostenintensive Freilegung der Fundamente vermieden werden. Dies war lediglich beim vierten Pfeiler in Achse E erforderlich, da dieser bezogen auf die Achse der Brücke in einem Winkel von etwa 10° verdreht errichtet wurde. Die einzelnen Träger wurden über Windverbände miteinander verbunden und ausgesteift. Bild 4 zeigt die Stahlkonstruktion zur Verstärkung am Pfeiler B. Bild 4: Verstärkung durch die Stahlkonstruktion mit Schrägstielen Um die Verstärkung auch für ständige Lasten zu aktivieren, wurden unter dem Überbau Hubpressen angeordnet, die mit 2000 kN angefahren werden. Die verbleibenden Hubpressen (Bild 5) werden anschließend mit Stellringen gesichert und in regelmäßigen Abständen überprüft und rekalibriert. Bild 5: Verbleibende Hubpressen unter den Bestandsstegen Am Fuß der Verstärkung wurden Federelemente mit definierter Steifigkeit angeordnet. Dadurch wird der Einfluss der nicht exakt bekannten Überbausteifigkeit auf die Unterstützungskraft reduziert. Auch die Differenzen in der Auflagerkraft aus veränderlichen Lasten (insbesondere der Temperaturdifferenzen zwischen Bauteilen) werden verringert. Während der Montage wurden Platzhalter für die Federelemente eingebaut, bis sämtliche Stahlbauteile montiert und alle Anschlüsse hergestellt wurden. Eine technische Zeichnung des eingesetzten Federelements zeigt Bild 6. 394 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken Bild 6: Schnitt durch das eingesetzte Federelement Der Überbau wird bei den Achsen C, D und E beidseitig ausgehend von den Pressenansatzpunkten auf einer Länge von 7,0 m in Richtung Feldmitte mit zusätzlichen Bügeln mit 14 mm Durchmesser in jeweils 50,0 cm Abstand verstärkt. Die Bügel werden in Bohrlöchern von 32 mm Durchmesser unmittelbar unter der Fahrbahnplatte durch den Steg geführt. Die Bohrlöcher werden anschließend mittels eines Injektionssystems mit gültiger Zulassung vermörtelt. Die Bügel werden mit einer Aufbetonschicht von 10 cm Dicke gesichert. Die Einleitung der Kräfte aus den Bügeln und dem Aufbeton in die Stege erfolgt über Schubverbinder und die Verzahnung zwischen Alt- und Neubeton. Das Detail der Aufbetonschicht ist in Bild 7 im Längsschnitt und in Bild 8 im Querschnitt dargestellt. Bild 7: Zusatzbügel in der Aufbetonschicht im Längsschnitt Bild 8: Zusatzbügel in der Aufbetonschicht im Querschnitt Der Verbund zwischen der Aufbetonschicht und dem Bestandsbauwerk wird durch die Herstellung einer verzahnten Fuge gemäß DIN EN 1992-1 [10] (mittlere Rautiefe ≥ 3mm) und durch den Einsatz von Schubverbindern gesichert. Die Bügel sind zudem in vertikalen Nuten angeordnet, um den Verbund zusätzlich zu verbessern. Die Bohrlöcher der Schubverbinder sowie die Kernbohrungen zum Schließen der Bügel mussten unter Berücksichtigung der Längsspannglieder der Stege des Bestandsüberbaus angeordnet werden. Bild 9: Zusatzbügel mit Schubverbindern und aufgerauter Betonoberfläche Bild 9 zeigt die Zusatzbügel mit Schubverbindern und aufgerauter Betonoberfläche vor der Herstellung der Aufbetonschicht. 2.3 Ergebnis der Maßnahme Da für diese neue Verstärkungsmethode noch keine Erfahrungen vorlagen, wurde beschlossen, diese auch messtechnisch zu überwachen. An den Federelementen wurden Wegaufnehmer und an zahlreichen Stellen am Bauwerk Temperatursensoren installiert. Bereits beim 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 395 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken Aktivieren der Verstärkung durch Anfahren der Hubpressen zeigten die Verschiebewege der Federn eine gute Übereinstimmung mit dem im Vorfeld ermittelten theoretischen Wert. Die seither fortgeführten Dauermessungen zeigten, dass durch die Federelemente die Variation der Auflagerkraft aufgrund der Temperaturdifferenzen auf ca. 10% reduziert werden kann. 3. Notunterstützung der Talbrücke Sechshelden Bei der zweiten Maßnahme lag der Fokus auf der Ermüdung der Koppelfugen. Diese lange Talbrücke weist eine Vielzahl von Koppelfugen auf, die bezüglich ihres Ermüdungsverhaltens deutliche Unterschiede aufzeigen. Es galt, eine Notunterstützung zu entwickeln, die es in Kombination mit einer umfangreichen messtechnischen Überwachung erlaubt, die kritischen Koppelfugen zu identifizieren und gezielt zu entlasten. 3.1 Beschreibung des Bauwerks Die Talbrücke Sechshelden befindet sich auf der BAB 45 zwischen AS Dillenburg und AS Haiger-Burbach und überführt die Autobahn mit 19 Feldern über die Dill, die B277 und Gleisanlagen der Deutschen Bahn. Das Bauwerk wurde 1968 hergestellt. Die in Längs- und Querrichtung beschränkt vorgespannte Betonbrücke besteht aus zwei getrennten Überbauten mit zweistegigem Plattenbalkenquerschnitt. Die Überbauhöhe beträgt konstant 2,8 m, die Fahrbahnbreite 12,75 m. Die Spannweiten variieren zwischen 32,38 m und 74,19 m. Die lichte Höhe der Brücke beträgt maximal ca. 23 m. Das Bauwerk wurde für Brückenklasse 60 bemessen. Das Bauwerk ist in Bild 10 im Längsschnitt und in Bild 11 im Querschnitt dargestellt. Bild 10: Längsschnitt der Talbrücke Sechshelden Bild 11: Querschnitt der Talbrücke Sechshelden Bei der Bauwerksprüfung im Jahr 2005 wurden Risse im Bereich der Koppelfugen festgestellt. Die durchgeführten Untersuchungen zur Dauerhaftigkeit der Koppelfugen sowie die Ermittlung der Restnutzungsdauer ergaben Defizite für die Koppelfugen. Somit wurde eine Verstärkung der Koppelfugen durch eine externe Zusatzvorspannung im Sinne einer Instandsetzung erforderlich. Selbst mit dieser Verstärkung, wurde für den Bestandsüberbau der Talbrücke Sechshelden eine rechnerische Restnutzungsdauer bis Ende des Jahres 2017 ermittelt und es ist daher geplant, den Überbau Süd nach diesem Zeitpunkt verbunden mit einem Monitoring sukzessive außer Betrieb zu nehmen [11]. Ab diesem Zeitpunkt, bzw. bis zur Fertigstellung des Ersatzneubaus Süd, soll der gesamte Verkehr (Verkehrsführung 4+0) planmäßig auf den Nordüberbau verlegt werden. Durch die Durchführung der Notunterstützung soll eine verkehrliche Nutzung der Brücke in diesem Zeitraum sichergestellt werden. 3.2 Beschreibung der Maßnahme Durch die Notunterstützung sollen als kritisch identifizierte Koppelfugen kurzfristig entlastet werden können. Bild 12 zeigt beispielhaft den zeitabhängigen rechnerischen Schädigungsfortschritt an einer der Koppelfugen bei postuliertem Ausfall der untersten Lage im Jahr 2017. Durch die externe Vorspannung konnte die jährliche Zunahme der Schädigung zwar drastisch reduziert werden, aber die bereits akkumulierten Schäden verbleiben. Sofern man die Schädigung der zweiten Spanngliedlage an dem Ermüdungsversagen der ersten Lage kalibriert, wird ersichtlich, dass diese noch Reserven aufweist. Ziel der Notunterstützung ist es, bei einem Ermüdungsversagen der ersten Spanngliedlage durch eine kurzfristige, gezielte Entlastung der kritischen Koppelfugen die Restnutzungsdauer zu verlängern. Somit muss die Notunterstützung derart flexibel geplant werden, dass sie bei jeder in Frage kommenden Koppelfuge eingesetzt werden kann. Bei Koppelfugen, die bereits nach aktuellem Stand als kritisch zu betrachten sind, wurde die Notunterstützung sofort errichtet. Für den Fall, dass weitere Koppelfugen in den kommenden Jahren anhand des Monitorings als kritisch eingestuft werden müssen, wurden zusätzliche Elemente für die Notunterstützung eingelagert, um bei Bedarf schnellstmöglich dort errichtet werden zu können, wo es erforderlich wird. 396 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken Bild 12: Beispielhafte Darstellung des zeitabhängigen rechnerischen Schädigungsfortschrittes an den Koppelfugen bei postuliertem Ausfall der untersten Lage im Jahr 2017 Die Notunterstützung wir unter dem äußeren Steg des nördlichen Überbaus angeordnet, im Bereich der bisherigen LKW-Fahrstreifen mit der größten Ermüdungsbeanspruchung. Da sich direkt unter dem Bauwerk keine Bebauung befindet und eine gute Zugänglichkeit gewährleistet ist, erfolgt die Unterstützung des Überbaus direkten im Bereich der Koppelfugen. Durch einen Waagebalken mit Gegengewichten wird eine konstante, aufwärtsgerichtete, entlastende Kraft erzeugt. Die Anzahl der erforderlichen Gegengewichte kann hierbei durch das günstige Verhältnis der Hebelarme reduziert werden. Bei der Festlegung der erforderlichen Ballastierung für die einzelnen Türme war auch die Interaktion zwischen den benachbarten Koppelfugen zu berücksichtigen. Das Gesamtgewicht des Ballasts für die bereits aufgestellten Türme variiert zwischen 4,8 t und 28,8 t, die Konstruktion ist jedoch für ein Gegengewicht von bis zu 48 t ausgelegt. Die Stahlfachwerktürme bestehen aus üblichen Walzprofilen und weisen ein modulares Konzept mit drei unterschiedlichen Elementgrößen für die Zwischenmodule auf. Dadurch können mit wenigen Elementtypen Türme mit variabler Höhe erstellt werden. Die einzelnen Module bleiben im Rahmen gebräuchlicher Transportgrößen und -gewichte und die Montage auf der Baustelle erfolgt nur durch Schraubanschlüsse. In Bild 13 ist das allgemeine Konzept der Notunterstützung ersichtlich. Bild 13: Konzept der Notunterstützung Die Tragkonstruktion der Notunterstützung besteht im Wesentlichen aus je einem Turm mit vier im Grundriss quadratisch angeordneten Stielen aus Walzprofilen (HEA 240), die mit horizontalen Querstäben (HEA 140) verbunden und mit Diagonalen (L 80x8) ausgesteift werden. Die Türme unterstützen vorerst sieben kritische Koppelfugen des nördlichen Teilbauwerks. Jeder Turm ruht auf 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 397 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken einem bewehrten Ortbetonfundament von 6,5 m Länge, 3,5 m Breite und 1,0 m Dicke. Bei manchen Türmen mit ungünstigeren Baugrundverhältnissen wurde ein Bodenaustausch vorgenommen. Die wesentlichen Komponenten des modular aufgebauten Fachwerkturms sind in Bild 14 dargestellt. Wohl auch aufgrund der hohen Wiederholungsrate konnte die Konstruktion mit einem wesentlich geringeren Einheitspreis für die Stahlkomponenten errichtet werden, als es z. B. bei der Verstärkung der zuvor vorgestellten Salzbachtalbrücke der Fall war. Bild 14: Wesentliche Komponenten des modular aufgebauten Fachwerkturms Als Ballastgewichte wurden handelsübliche Beton-Formsteine mit je 2,4 t Gewicht vorgesehen. Um ein Schwingen der Gegengewichte zu unterbinden, wurde der Stahlrahmen für deren Halterung an drei Punkten an den Turm gekoppelt. Der Höhenausgleich unter der Modulgröße erfolgt durch die Anpassung der Einbautiefe der Einbauteile, die in die Fundamente eingesetzt werden. Die Türme werden gegen Vandalismus mit einer Umzäunung geschützt. In Bild 15 ist beispielhaft ein Fachwerkturm der fertiggestellten Notunter-stützung abgebildet. Bild 15: Ein Fachwerkturm der fertiggestellten Notunterstützung Um die Spaltzugkräfte bei der Lasteinleitung in den Überbau zu reduzieren, wurden im Kontaktpunkt Lastverteiler angeordnet. Der Lastverteiler wurde knochenförmig ausgebildet, um seitlich ausreichend Platz für die Wegaufnehmer des Monitorings an der Koppelfuge zu lassen. Die Befestigung am Steg erfolgte mittels Stahllaschen, die so weit nach oben geführt wurden, bis eine Befestigung ohne Gefährdung der internen Spannglieder erfolgen konnte. Zwischen dem Lastverteiler und dem Waagebalken ermöglicht ein Gleitlager mit Gelenkanschluss die temperaturbedingten Verschiebungen des Überbaus. Der Waagebalken ruht auf Kalottenlagern und ist zudem durch eine Gabellagerung gehalten. Bild 16 zeigt das Kopfdetail der Notunterstützung. 398 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken Bild 16: Kopfdetail der Notunterstützung 3.3 Ergebnis der Maßnahme Durch die messtechnische Überwachung mittels Wegaufnehmer an den Koppelfugen konnte die Wirksamkeit der Notunterstützung sogleich verifiziert werden. In Bild 17 sind die Ergebnisse der Messungen an den Koppelfugen mit gleichzeitiger Darstellung der Bauwerkstemperatur abgebildet. Es ist ersichtlich, dass der gleitende Mittelwert der gemessenen Wege an den Koppelfugen im Wesentlichen dem Temperaturverlauf folgt. Gleichzeitig kann aber auch festgestellt werden, dass die Schwankung zwischen den hellgrau dargestellten Mindest- und Maximalwerten nach dem mit dem grauen Pfeil markierten Zeitpunkt der Notunterstützung erheblich abgenommen hat. Folglich ist davon auszugehen, dass auch die ermüdungsrelevanten Spannungsschwingbreiten in der Koppelfuge entsprechend reduziert werden konnten. Bild 17: Ergebnisse der Messungen an den Koppelfugen mit Darstellung der Bauwerkstemperatur 4. Zusammenfassung und Ausblick Die Instandhaltung von Brücken im Bestand stellt Betreiber und Ingenieure immer wieder vor neue Herausforderungen. Hierbei sind neben den gebräuchlichen Verstärkungsmethoden, wie das Aufbringen einer zusätzlichen Vorspannung durch externe Spannglieder oder das Ergänzen einer Aufbetonschicht, immer häufiger auch spezielle, an die jeweiligen Randbedingungen des Bauwerks angepasste Sonderlösungen gefragt. Die Autoren sind der Ansicht, dass ein Austausch der Erfahrungen bei solchen Maßnahmen sowohl national als auch international [12] von großer Bedeutung ist, da diese als Inspiration für neuartige Lösungen bei anderen Bauwerken dienen können. 5. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2016): Bericht „Stand der Ertüchtigung von Straßenbrücken der Bundesfernstraßen“. Berlin 14. November 2016. [2] Kaschner, R. et al. (2009): Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Heft B 68. Auswirkungen des Schwerlastverkehrs auf die Brücken der Bundesfernstraßen. [3] Nachrechnungsrichtlinie (2011): Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwickelung. [4] Nachrechnungsrichtlinie (2015): Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand - 1. Ergänzung. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwickelung. [5] Boros, V. & Novák, B. (2018): Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand - Drei Erfah-rungsberichte aus der Praxis. 3. TAE Brückenkolloquium 2018, Ostfildern. [6] Pelke E. & Schölch, U. (2011): Strengthening the major bridges on the A45 motorway: recalculation immediate measures reinforcement concepts. Taller, Longer, Lighter: IABSE-IASS Symposium, London. [7] M. Schnellenbach-Held et al. (2016): „Verstärkung älterer Beton- und Spannbetonbrücken Erfahrungssammlung Dokumentation 2016“, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Bergisch Gladbach, Forschungsbericht FE 15.0570/ 2012/ NRB. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 399 Innovative Verstärkungsmaßnahmen für Bestandsbrücken [8] Novák, B. & Reinhard, J. (2016): „Machbarkeitsstudie bezüglich baulicher Kompensationsmaßnahmen, die eine Inbetriebhaltung der Salzbachtalbrücke über 12. 2017 hinaus sicherstellen“. Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren Universität Stuttgart. [9] Novák, B. & Reinhard, J. (2017): „Ganzheitliche Betrachtungen und Beurteilungen an der Salzbachtalbrücke“. Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren Universität Stuttgart. [10] DIN EN 1992-1-1 (2005): Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau. [11] Novák, B. & Reinhard, J. (2016): „Machbarkeitsempfehlung für eine Notunterstützung des Bestandsbauwerkes im Zuge des Ersatzneubaus der Talbrücke Sechshelden“. Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren Universität Stuttgart. [12] Novák, B. et al. (2018): Strengthening of Two Major Highway Viaducts in Germany. 40 th IABSE Symposium: Tomorrow’s Megastructures, Nantes. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 401 Ertüchtigung und Instandsetzung von Stahlbrücken mit Hochfestem Beton am Beispiel der Rheinbrücke Maxau und die begleitende Bestimmung der dynamischen Brückeneigenschaften Breuer P., Held S., Konopka E., Hochschule für Technik Stuttgart Gorski P., Politechnika Opolska, Opole/ Polen Mrotzek S., Contec International GmbH, Bad Waldsee Serwin, B., Contec A/ S, Aarhus/ Dänemark Zusammenfassung Die im Jahr 1966 eröffnete Rheinbrücke der B10 in Maxau bei Karlsruhe wurde im Jahr 2018 in vier Bauabschnitten mit einem extra für diesen Zweck entwickelten Stahlbetonsystem, mit einem hochfesten Stahlfaserbeton erfolgreich instandgesetzt. Bei der Planung wurden die Betoneigenschaften und die Details der Bewehrung des Systems an die örtlichen Gegebenheiten, nach den langjährigen Erfahrungen des dänischen Herstellers des Trockenbetons der Firma Contec A/ S aus zahlreichen ähnlichen Baumaßnahmen in den Niederlanden angepasst. Vor Beginn der Instandsetzung und in der Bauphase wurden die dynamischen Eigenschaften der Brückenkonstruktion durch die Partnerhochschulen, Hochschule für Technik Stuttgart und Politechnika Opolska/ Polen bestimmt. Die registrierten, charakteristischen Eigenschaften der Brückenkonstruktion sollen in der Zukunft ermöglichen, eine schnelle und zerstörungsfreie Bestimmung von eventuellen negativen Veränderungen in den instandgesetzten Stahlkonstruktionen, bzw. eine Grundlage für ein dauerhaftes Monitoring der Brücke bilden. 1. Einführung Die ständig zunehmende Verkehrsentwicklung in Deutschland führte bei den nach dem Zweiten Weltkrieg projektierten Stahlbrücken bereits in den 1990-er Jahren zu ersten signifikanten Ermüdungserscheinungen in Form von Rissen an den Schweißnähten. Nach einer ähnlichen Situation in den Niederlanden hat das zuständige Ministerium (Rijkswaterstaat) gemeinsam mit der Uni Delft und der dänischen Firma Contec A/ S aus Aarhus die Anwendung von ultrahochfesten Betonen (UHPC) für die Ertüchtigung orthotroper Fahrbahnplatten der Stahlbrücken im Rahmen eines langjährigen Forschungsprojektes untersucht [1, 2]. Die Ergebnisse der langjährigen Forschung wurden im Mai 2003 für die Verstärkung der Stahlplatte der Caland-Brücke und die Verhinderung der Bildung von weiteren Ermüdungsrissen als Pilotprojekt umgesetzt. Seit 2003 wurden mit dem neuen System insgesamt 12 große Stahlbrücken in den Niederlanden dauerhaft verstärkt [3]. Im Netz der Bundesstraßen in Deutschland befinden sich derzeit mehr als 51.000 Brücken, davon sind 5,8 % der Bauwerke aus Stahl [4]. Die rasante Verkehrsentwicklung mit der Zunahme des KFZ-Verkehrs von 1970 bis 2015 nur auf den Bundesautobahnen um ca. 220 % führt bei Straßenbefestigungen und Bauwerken zu immer größeren Beanspruchungen. Nach den neuesten Verkehrsprognosen wird der Güterverkehr auf den Straßen der EU bis 2030 nochmals um etwa 40 % zunehmen. Auch die nach StVZO zulässigen Gesamtgewichte und Achsenlasten sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen [5]. Eine im Jahr 2011 in Deutschland durchgeführte Machbarkeitsstudie hat ergeben, dass die Verstärkung der orthotropen Fahrbahnplatten der Stahlbrücken am besten durch das Aufbringen einer dünnen Schicht aus Hochfestem (HPC) oder Ultrahochfestem Beton (UHPC) erreicht wird. Für die geplante Verstärkung von Stahlbrücken in den Niederlanden hat die Firma Contec A/ S einen Kompositzement „Binder N“speziell für diesen Zweck entwickelt und ein fugenloses UHPC-Stahlbeton-System mit Stahlfasern „Contec-Ferroplan®“ patentieren lassen. In der Betontechnologie werden Betone von der Festigkeitsklasse C55/ 67 bis einschließlich C100/ 115 als Hochfester Beton und alle Betone mit der Druckfestigkeit von > 115 N/ mm² (MPa) als Ultrahochfester Beton bezeichnet. In Deutschland wird Hochfester Beton seit 1990 im Hochbau eingesetzt [6]. Das „Contec-Ferroplan®“-System wurde durch das Deutsche Institut für Bautechnik in Berlin als „Contec Ferroplan®“-Estrichdichtschicht“ im Anwendungsbereich der Abdichtung von Rückhalteeinrichtungen in Anlagen zum Lagern, Abfüllen und Umschlagen (LAU-Anlagen) wassergefährdender Flüssigkeiten mit der Allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung Z-74.1-71 gemäß der technischen 402 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ertüchtigung und Instandsetzung von Stahlbrücken mit Hochfestem Beton am Beispiel der Rheinbrücke Maxau Regel wassergefährdender Stoffe (TRwS) 781, 782 und 784 zugelassen. 2. Instandsetzung der Rheinbrücke in Maxau Die Rheinbrücke Maxau im Zuge der B 10 bei Karlsruhe wurde für maximal 33.000 Fahrzeuge pro Tag als eine Schrägseilstahlbrücke mit je zwei Fahrstreifen pro Fahrtrichtung und mit einer Länge von 292 m projektiert. Sie ist im Jahr 1966 für den Verkehr freigegeben worden. Die Dicke der orthotropen Stahlfahrbahnplatte beträgt 12 mm. Über die Maxau-Brücke fahren täglich rd. 80.000 Fahrzeuge mit einem Schwerverkehrsanteil von rund 9 %. Abbildung 1: Maxau-Brücke, Ansicht von Nord-Ost Bereits in 1990-er Jahren wurden die ersten Ermüdungsrisse an den Schweißnähten festgestellt. Im Jahr 2007 wurden die ersten Instandsetzungsmaßnahmen der aufgetretenen Schweißnahtrisse durchgeführt. Eine vom Regierungspräsidium Karlsruhe im Jahr 2011 veröffentlichte Machbarkeitsstudie hat auf Grundlage eines durchgeführten Vergleichs ergeben, dass die optimale Verstärkung mit einer dünnen Schicht aus Ultrahochfestem Beton die vorteilhafteste Methode aus technischer und wirtschaftlicher Sicht sei [7]. Da eine Instandsetzung von Stahlbrücken mit einem UHPC-System in Deutschland noch nicht angewandt worden war, hat das Land Baden-Württemberg beschlossen, vor dem geplanten Einsatz auf der Rheinbrücke Maxau ein UHPC- System im Rahmen eines Pilotprojektes an einer kleinen Stahlbrücke zu erproben. Für diesen Zweck wurde die kleine Bahnbrücke in Beimerstetten im Zuge der L 1239 bei Ulm gewählt. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 403 Ertüchtigung und Instandsetzung von Stahlbrücken mit Hochfestem Beton am Beispiel der Rheinbrücke Maxau Abb. 2: Pilotprojekt in Beimerstetten, links Verlegen des Betons im Zelt, rechts Befüllen eines Zwangsmischers mit dem vorgefertigen Contec-Trockenbeton aus einem Big-Bag Die Betonarbeiten in Beimerstetten wurden im Jahr 2014 durch die Firma Leonhardt Weiss aus Göppingen ausgeführt. Die Firma Contec International GmbH, Bad Waldsee hat den vorgeschriebenen Trockenbeton mit der Festigkeitsklasse C90/ 105 mit einem Stahlfasergehalt von 80 kg/ m³ geliefert. Die tragenden Längs- und Querbewehrung wurde mit einem Durchmesser von 12 mm in einem Raster von 75 mm ausgeführt. Der Hochfeste Beton wurde in einer Schichtdicke von 65 mm eingebaut. Die Betonoberfl äche wurde mit einer mit Bauxitsplitt abgestreuten Epoxidharzschicht zur dauerhaften Sicherstellung einer ausreichenden Fahrbahngriffi gkeit beschichtet. Das in Beimerstetten verwendete HPC-System wurde mit dem Innovationspreis bei der internationalen Bauausstellung BAUMA 2015 geehrt. Bei dem aktuellen Projekt wurde im Rahmen der geplanten Verstärkung der Maxau-Brücke ein neues Belagssystem als Ersatz für den alten Asphaltbelag auf der Fahrbahntafel aufgebracht, nämlich: Haftschicht Boligrip W/ MB, HPC-System Contec-Ferroplan® nach der Allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung Nr. Z-74.1-71 des Deutschen Instituts für Bautechnik, Berlin, Tabelle 2, Variante B und Dünnbelag Boligrip W24414/ 4. Die Haftzugfestigkeit Boligrip W/ MB-Schicht wurde durch die Planer mit ≥ 7,0 N/ mm², des HPC-Systems auf der Boligrip W/ MB-Schicht von ≥ 3,0 N/ mm² und der Boligrip W24714/ 4-Schicht ≥ 3,5 N/ mm² vorgeschrieben. Die Ebenheit der dünnen Boligrip W24714/ 4-Schicht sollte 3 mm/ 3 m betragen. 2.1 System „Contec Ferroplan®“ Die Entwicklung der modernen Zusatzmittel, sog. Superplastifi katoren (z. B. Polycarboxylatether (PCE)), und die Verwendung von Siliziumdioxid (Nano- und Mikropartikel) hat ermöglicht, die Betonfestigkeiten von mehr als 115 N/ mm² auch unter Baustellenbedingungen sicher zu erreichen. Das von der Firma Contec A/ S entwickelte „Contec-Ferroplan®“-System basiert auf dem zuvor Kompositzement „Binder N“, der mit der Anwendung von modernsten Betonzusatzmitteln und Zusatzstoffen so hergestellt wird, dass das Zugabewasser stark reduziert und die Betondruckfestigkeit auf den Baustellen bis zu 180 N/ mm² sicher erreicht werden kann, je nach der Art der verwendeten Gesteinskörnungen. Der vor Ort hergestellten HPC-Betons wird in dünnen Schicht von 40 mm bis 70 mm aufgebracht. Die Entstehung unerwünschter Rissbildung mit Rissbreiten von > 0,1 mm wird durch die Zugabe von speziellen Stahlfasern verhindert. Die Hauptbewehrung besteht aus einer engmaschigen Betonstahlmatte, die durch Schraubanker oder eingeschweißte bzw. aufgeklebte Niederhalter mit Haken mit dem jeweiligen Untergrund dauerhaft verbunden wird. 404 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ertüchtigung und Instandsetzung von Stahlbrücken mit Hochfestem Beton am Beispiel der Rheinbrücke Maxau Abb. 3: Schematische Darstellung der Verstärkung von Stahlbrücken mit Contec Ferroplan ® 2.2 Erstprüfung der Betonmischung Nach der Baubeschreibung wurde im Labor der Öffentlichen Baustoffprüfstelle an der Hochschule für Technik Stuttgart eine umfangreiche Erstprüfung (Eignungsprüfung) durchgeführt. Im Rahmen dieser Erstprüfung wurden folgende Frisch- und Festbetonprüfungen ausgeführt: am Frischbeton: Bestimmung von Rohdichte, Luftgehalt, Ausbreit- und Verdichtungsmaß bei unterschiedlichen Frischbetontemperaturen und am Festbeton: Ermittlung von Druckfestigkeit im Alter von 24 h, 7 d, 14 d, 28 d, 56 d und 90 d, Biegezugfestigkeit, Biegezugfestigkeit und Nachrissbiegezugfestigkeit nach DAfStb-Richtlinie „Stahlfaserbeton“, Elastizitätsmodul, Frost- und Tausalzwiderstand mit dem CDF-Test, Chloridwiderstand nach der NT Build 492 „Nordtest Method“ und Entwicklung der Hydratationswärme. 2.3 Probefeld Nach der erfolgreichen Erstprüfung wurde vor der Betonage auf der Brücke durch das Generalunternehmen eine Probeplatte auf dem Baustellengelände vorbereitet, an der das Auftragen der Haftschicht (Epoxidharz mit Bauxit-Splitt), das Aufkleben der Niederhalter und der Randstellprofile, das Verlegen der Bewehrung einschließlich der Abstandshalter, sowie der Einbau des HPC-Betons erprobt werden sollte. An der o. g. Probeplatte wurden die Eigenschaften der geplanten Verstärkung bestimmt und deren angestrebte Qualität erfolgreich bestätigt. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 405 Ertüchtigung und Instandsetzung von Stahlbrücken mit Hochfestem Beton am Beispiel der Rheinbrücke Maxau Abb. 4: Probefeld auf der Baustelle in Maxau 2.4 Bauphase - Betonierarbeiten Die Betonierarbeiten erfolgten in vier Abschnitten vom 19./ 20.04.19 und bis zum 26.10.2019. Die Betonherstellung erfolgte auf der Baustelle aus separat gelagerten Ausgangstoffen: Contec „Binder N“, Contec Quarzsand B9 mit der Körnung 0,1-1,5 mm, Contec Hyperit-Splitt B7 2 - 5 mm und 75 kg/ m³ Stahlfasern 0,4 x 12,5 mm mit einem w/ Binder-Wert von 0,32. Der Frischbeton wurde mit Betonmischfahrzeugen zur Brücke transportiert. Dort wurde er in speziell für diesen Zweck hergestellte, auf Traktoranhängern befestigten Behältern mit einem Volumen von 1 m³ umgefüllt und zur Einbaustelle mit kleinen Traktoren transportiert. Jede Betoncharge wurde nach ihrer Herstellung in den Mischfahrzeugen auf die vorgeschriebenen Frischbetoneigenschaften an der stationären Betonmischanlage überprüft. Der Einbau und die Verdichtung des Betons erfolgte mit einem speziell für diesen Zweck vorbereiteten Straßenfertiger in einem Schutzzelt mit Klimatisierung und bei Vollsperrung des Verkehrs. Unmittelbar nach der Verdichtung erfolgte das Glätten und im Nachgang wurde der flüssige Verdunstungsschutz „Contec AC“ mit einer Menge von 100 g/ m² aufgespritzt (Curring-Mittel). Abb. 5: Längs- und Querbewehrung des 1. Bauabschnittes im klimatisierten Zelt am 19.04.2019 406 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ertüchtigung und Instandsetzung von Stahlbrücken mit Hochfestem Beton am Beispiel der Rheinbrücke Maxau Abb. 6: Transport des Frischbetons mit einem Traktor zur Einbaustelle und der Einbau des Betons mit einem speziellen Fertiger Abb. 7: Verlegen des Betons und Aufbringen des Verdunstungsschutzes nach dem Verdichten 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 407 Ertüchtigung und Instandsetzung von Stahlbrücken mit Hochfestem Beton am Beispiel der Rheinbrücke Maxau Abb. 8: mechanisches Glätten der Betonoberfläche Nach dem Erreichen der Druckfestigkeit von mind. 35 N/ mm² wurde die Betonoberfläche für das Aufbringen des Dünnschichtbelags Boligrip W24414/ 4 mittels Kugelstrahl-Behandlung vorbereitet. Nach dem Aufbringen des Dünnschichtbelags und der erfolgreichen Durchführung aller Bestätigungsprüfungen konnte die Brücke für den Straßenverkehr freigegeben werden. 3. Monitoring der charakteristischen dynamischen Eigenschaften der Brückenkonstruktion Windlast regt schlanke Bauwerke, wie Türme, Kamine und Brücken, zu Eigenschwingungen an. Brücken werden zusätzlich durch Verkehrsbelastung zu Schwingungen angeregt. Die Hochschule für Technik Stuttgart und die Politechnika Opolska/ Polen befassen sich seit Jahrzehnten im Rahmen ihrer Hochschulpartnerschaft mit der Quantifizierung von Auslenkungen und Schwingungen an der Spitze von hohen Türmen und Kaminen sowie an Brücken mittels GPS-Monitoring. Hierbei wurde das sog. GPS-Basislinienverfahren im kinematischen Modus eingesetzt, das unter günstigen Bedingungen für die Bestimmung der horizontalen Auslenkung eine relative Lagegenauigkeit von < 5 mm liefert. Die von den Autoren bisher überwachten Bauwerke wiesen Eigenschwingungen auf mit einer Periodendauer von 2 bis 6 Sekunden. Die GPS-Positionen bei der Auslenkung durch Windeffekte wurden mit Datenfrequenzen von 1, 2, 10 und 20 Hertz aufgezeichnet. Bei einer Datenregistrierung mit 20 Hz und einer Schwingungsperiode von 2 bis 6 Sekunden wird eine Anzahl von 40 bis 120 Stützpunkten pro Schwingungsperiode aufgezeichnet. Aus dieser hohen Zahl der Stützpunkte in Verbindung mit einem längeren Beobachtungsintervall lassen sich die Schwingungsparameter mit hoher Signifikanz ermitteln und analysieren. Die Schwingungsparameter (Frequenz, Amplituden, Phase, Dämpfung) werden durch die statischen und dynamischen Eigenschaften des Bauwerkes und von der Ausbildung seines Fundamentes bestimmt. Es ist davon auszugehen, dass eine Veränderung der Schwingungsparameter gewisse Hinweise geben auf Änderungen der Bauwerkseigenschaft aufgrund von Schäden und Materialermüdung. 3.1 GPS-Methode Bei dem angewendeten GPS-Monitoring wurde von dem verfügbaren GNSS (Global Navigations-Satellite System) bisher nur das amerikanische GPS (Global Positioning System Navstar) genutzt. Bei allen satellitengestützten Systemen ist aufgrund der geometrischen Konstellation im Satelliten-Orbit die erreichbare Lagegenauigkeit in der Grundriss-Ebene deutlich besser als die Genauigkeit der Höhenbestimmung. Der mittlere Fehler bei der Ermittlung der Höhenkomponente z ist ungefähr um den Faktor 2 größer als derjenige der Lage-Komponenten x und y. Aus diesem Grund war es interessant, das bisher angewendete GPS-Verfahren an einer Brücke zu erproben, einem Projekt an dem die vertikale Schwingungskomponente von großem Interesse ist. Das GPS-Monitoring an der Maxau-Brücke wurde begleitetet durch eine gleichzeitige Messung mit einem 408 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ertüchtigung und Instandsetzung von Stahlbrücken mit Hochfestem Beton am Beispiel der Rheinbrücke Maxau Accelerometer im Inneren des Brückenkörpers. Diese Messungen wurden von Mitgliedern der Politechnika Opolska ausgeführt. Die Ergebnisse der unterschiedlichen Messmethoden sollten verglichen und gleichzeitig die Eignung der GPS-Methode für eine zuverlässige Bestimmung der Höhenkomponente getestet werden. Aufgrund des geplanten zeitlichen Ablaufes der Brücken-Instandsetzung entstand die Idee, die dynamischen Eigenschaften des Bauwerkes vor Beginn der Bauarbeiten und während der Bauphase sowie nach der Beendigung der Baumaßnahmen zu bestimmen und eventuell auftretende Veränderungen mit den theoretischen Erwartungen zu vergleichen. Für die Überwachungsmessungen an der Brücke sollten folgende Zeitpunkte ins Auge gefasst werden: der Zustand vor dem Umbau, nach dem Ausbau des alten Fahrbahnbelages, nach der Ertüchtigung der Brücke mit dem modifi zierten „FER- ROPLAN®“-System und abschließend nach der Inbetriebnahme aller vier Fahrbahnen. Abbildung 9 zeigt eine Skizze der ‘einhüftigen‘ Schrägseilbrücke. Abb. 9: Rheinbrücke Karlsruhe-Maxau im Längsprofi l mit Markierung der GPS-Messstellen im westlichen Brückenfeld Die Brückenachse verläuft annähernd in West-Ost- Richtung. Die Höhe des Mittelpylons beträgt 66 m. Dieser teilt den Brückenkörper in zwei asymmetrische Felder von 175 m (West) und 117 m Länge (Ost). Jedes Brückenfeld ist am Pylonen an drei Seilbündeln aufgehängt, die im Mittelstreifen der Brücke verankert sind (Abb. 9 und 10). Am 16.06.2016 - vor Beginn der Umbaumaßnahmen - fanden Accelerometer-Messungen im Innern des Brückenkörpers und gleichzeitig GPS-Messungen auf der Brücke an den äußeren Fahrbahnrändern statt. Nachfolgend werden diese GPS- Messungen beschrieben und ihre Ergebnisse mit den Resultaten der Accelerometer-Messung verglichen. Die GPS-Messungen beschränkten sich auf das längere westliche Brückenfeld, wo die größeren Vibrationen durch Verkehrsbelastung zu erwarten sind. Innerhalb dieses Brückenfeldes wurden jeweils einander gegenüberliegend - entlang des südlichen und des nördlichen Straßenrandes in gleichen Abständen nacheinander eine Reihe von GPS-Messungen ausgeführt. Die Positionen dieser Mess-Stellen auf Parallelen zur Brückenachse waren durch die Lage der Kammern im Brückenkörper vorgegeben, wo die Messungen mit dem Accelerometer stattfanden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 409 Ertüchtigung und Instandsetzung von Stahlbrücken mit Hochfestem Beton am Beispiel der Rheinbrücke Maxau Abb. 10: Positionierung der GPS-Antennen in Bezug auf das Brücken-Querprofi l 3.2 Messverfahren Als Hilfsmittel für die GPS-Beobachtungen standen 4 Receiver von Leica Geosystems zur Verfügung mit einer Aufzeichnungsrate von 20 Hz. Bei der Messung wurde das Basislinien-Verfahren angewendet, das für den 3D- Vektor zwischen Referenz und Rover eine hohe relative Genauigkeit verspricht. Hierbei wird für die Referenz- Station ein unveränderlicher stabiler Standpunkt gewählt. Die Rover-Antenne wird am zu beobachtendem Objekt befestigt. Wählt man die Basislinie, die Raumstecke zwischen Referenz und Rover, kürzer als 10 km, so fallen für den 3-Vektor zwischen beiden Stationen die Einfl üsse der Ionosphäre und der Atmosphäre auf die Ausbreitung der Satellitensignale weitgehend heraus. Die Referenz-Station wurde nördlich der Brücke in einer Entfernung von rund 250 m am rechtsrheinischen Ufer installiert (Abb. 11). Die verbleibenden 3 Receiver wurden als Rover-Stationen eingesetzt, zwei als Permanent- Stationen und eine als mobile Station. Die erste Einheit wurde in der Mitte des westlichen Brückenfeldes am südlichen Straßenrand auf einem Stativ als permanente Rover-Station r0 aufgestellt. Ein zweiter ortsfester Receiver wurde als permanente Rover-Station in der Mitte des westlichen Brückenfeldes (in Verlängerung der Geraden R11-r0) auf dem südlichen Brückengeländer befestigt, im Abstand von 4 m zu Rover r0 (Abb. 10). Die verbleibenden 3 Receiver wurden als Rover-Stationen eingesetzt, zwei als Permanent-Stationen und eine als mobile Station. Die erste Einheit wurde in der Mitte des westlichen Brückenfeldes am südlichen Straßenrand auf einem Stativ als permanente Rover-Station r0 aufgestellt. Ein zweiter ortsfester Receiver wurde als permanente Rover-Station in der Mitte des westlichen Brückenfeldes (in Verlängerung der Geraden R11-r0) auf dem südlichen Brückengeländer befestigt, im Abstand von 4 m zu Rover r0 (Abb. 10). Das Prinzip des Basislinien-Verfahrens besteht darin, dass auf beiden Endpunkten der Basis gleichzeitig die Signale identischer Satelliten empfangen werden. Für das angestrebte Verfahren der kinematischen Lösung ist eine Mindestanzahl von fünf verfügbaren Satelliten erforderlich. Diese Bedingung ist täglich bei freier Sicht zum Himmel über 24 Stunden weitgehend gesichert. 410 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ertüchtigung und Instandsetzung von Stahlbrücken mit Hochfestem Beton am Beispiel der Rheinbrücke Maxau Abb. 11: GPS-Referenz-Station, 250 m fl ussabwärts am rechten Rheinufer Sichthindernisse zwischen Receiver und Satellit, wie Bäume, Bauwerke oder Leitungen, schirmen die Satellitensignale ab oder refl ektieren diese, wodurch verlässige Positionsbestimmungen erschwert oder verhindert werden. Da in der nördlichen Hemisphäre die Spuren der Satelliten einen gewissen Himmelssektor aussparen, sind beim vorliegenden Objekt auf der Südseite der Brücke bessere Empfangsbedingungen zu erwarten als auf der nördlichen Brückenseite. Für die Nordseite stellen der Mittelpylon und die Schrägseile wegen ihrer Süd-Lage gewisse ‚Sichthindernisse‘ dar. Bei der nachfolgenden Auswertung traten die genannten Probleme kurzzeitig bei der Auswertung der Messungen auf den Rover-Stationen R8-R15 auf. Die 15 Rover-Positionen (r1-r7 und R8-R15) wurden jeweils für 10 Minuten besetzt und lieferten pro Standpunkt 12.000 Datensätze. Die beiden permanenten Rover-Positionen (r0 und HR=Handrail) erfassten die Beobachtungsdaten über rund 5 Stunden und lieferten bis zu 360.000 Datensätze. Abb. 12: GPS-Rover-Station R8 am nördlichen Fahrbahnrand 3.3 Auswertung der GPS-Messungen Die Auswerte-Ergebnisse für die beiden stationären Messpunkte und die 15 mobilen Messpunkte werden in Tabelle 1 gemeinsam mit den Ergebnissen der Accelerometer-Messung aufgelistet, welche von der Politechnika Opolska ausgeführt und ausgewertet wurden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 411 Ertüchtigung und Instandsetzung von Stahlbrücken mit Hochfestem Beton am Beispiel der Rheinbrücke Maxau Tabelle 1: Vergleich der Frequenz-Bestimmung für die Eigenschwingung aus der Höhenkomponente mittels GPS- und Accelerometer-Messungen [11] Die Tabelle enthält die Zusammenstellung aller Frequenzbestimmungen für die natürliche Grundschwingung (Eigenschwingung) aus der Höhenkomponente. Die Ergebnisse beider Messmethoden, der GPS- und der Accellerometer-Messung werden verglichen. Die Positionen der Mess-Stellen sind den Abbildungen 9 und 10 zu entnehmen. Die Accelerometer-Sensoren wurden innerhalb des Brückenkastens, die GPS-Antennen an identischen Grundrisspositionen oberhalb dieser Sensoren auf der Oberfläche der Brücke positioniert. Beide Mess- Verfahren liefen am selben Tag ab, jedoch in unabhängiger zeitlicher Reihenfolge. Die drei GPS-Langzeitmessungen im oberen Teil von Tabelle 1 stimmen sehr gut überein (Mittel 0.523 Hz). Im unteren Tabellenteil wurden die 10-Min-GPS-Sessions den 15-Min-Intervallen der Accelerometer-Messung gegenübergestellt. Über die 15 Messungen jeder Serie wurden das arithmetische Mittel und die Standardabweichung der Stichproben errechnet. Die Mittelwerte aus den beiden voneinander unabhängigen Mess-Verfahren stimmen sehr gut überein (f=0.519 Hz und f=0.520 Hz). Die errechneten Standardabweichungen der Stichproben unterscheiden sich stärker (GPS ±0.009 Hz, Accelerometer ±0.005 Hz), betragen jedoch nur 2% bzw. 1% der gemessenen Größe. Die größere Unschärfe der GPS- Messung erklärt sich aus der bekannten schwächeren Bestimmung der GPS-Höhenkomponente. Beiden Messreihen ist gemeinsam, dass sich die Frequenz der Brückenschwingung unabhängig zeigt von der Position der Mess-Stelle. Zu Beginn der Messreihe wurde versehentlich bei den drei 10-min-Sessions die Daten nicht mit 20 Hz (20 sps=samples per second), sondern nur mit 2 Hz (2 sps) aufgezeichnet. In Tabelle 1 ist abzulesen, dass diese 10-fach geringere Dichte der Registrierungen 412 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ertüchtigung und Instandsetzung von Stahlbrücken mit Hochfestem Beton am Beispiel der Rheinbrücke Maxau die Ergebnisse der Frequenzanalyse offensichtlich nicht beeinflusst. Hieraus kann geschlossen werden, dass mit einer Steigerung der GPS-Registrierungsrate, beispielsweise auf 50 sps, vermutlich keine Genauigkeitssteigerung bei der Bestimmung der Schwingungsfrequenz erreichbar ist. Bei der Accelerometer-Messung wurden neben der Grundschwingung eine Reihe von harmonische Oberschwingungen (annähernd ganzzahlige Vielfache der natürlichen Grundschwingung) nachgewiesen. 3.4 Ergebnisse An der 292 m langen Schrägseilbrücke der B10, die bei Karlsruhe den Rhein überquert, wurden an 17 Positionen des westlichen Brückenfeldes die von der Verkehrsbelastung verursachten vertikalen Schwingungen mittels GPS und Accelerometer gemessen. Bei der GPS-Messung kam das Basislinien-Verfahren mit Dual-Frequenz- Empfängern und einer Aufzeichnungsrate von 20 Hz (20 sps) zur Anwendung. Obwohl die Genauigkeit von GPS in Bezug auf die Höhenkomponente etwa um den Faktor 2 geringer ist als die Positionierungsgenauigkeit in der Horizontal-Ebene, wurden bei der Bestimmung der vertikalen Eigenschwingung der Brücke signifikante Ergebnisse erzielt. Verformungen der Brücke durch globale Strahlung oder durch Windlast waren während der Messkampagne nicht nachweisbar. Die Mittelwerte aller Frequenzbestimmung aus GPS- und Accelerometer- Anwendung stimmen überein (f=0.519 Hz und f=0.520 Hz). Die Standardabweichung der Bestimmung sind bei GPS etwa doppelt so groß (SA=±0.009 Hz) wie bei der Accelerometer-Messung (SA=±0.005 Hz). Oberschwingungen zur Eigenschwingung der Brücke waren nur mittels des Accelerometers signifikant nachweisbar. Aus den 17 Positionen der GPS-Messungen auf dem Brückenfeld wurden ein Längs- und ein Querprofil zusammengestellt und die Schwingungsparameter verglichen. Die Frequenzen zeigten sich konstant und unabhängig von der Position im Brückenfeld. Gegenläufige Schwingungen an gegenüberliegenden Fahrbahnrändern waren nicht nachweisbar. Es wurde bestätigt, dass GPS-Methoden für die Messung der Eigenschwingung eines Brückenbauwerkes geeignet sind 4. Zusammenfassung und Ausblick Die wirtschaftliche und praktische Verwendung von Hochfesten bzw. Ultrahochfesten Betonen für die Ertüchtigung von Stahlbrücken wurde auf mehreren Baustellen in den Niederlanden und auf zwei Stahlbrücken in Deutschland erfolgreich bestätigt. Die zuvor in Kapitel 3 beschriebenen Verfahren zur Bestimmung der Frequenz der Eigenschwingung der Brücke sollen dazu dienen, eine eventuelle Veränderung der dynamischen Eigenschaften des Bauwerks im Laufe seiner Lebenszeit zu erkennen. Hierbei wird davon ausgegangen, dass sich Schäden am Bauwerk, Umbauten und Renovierungsarbeiten oder Alterungsprozesse auf die dynamischen Eigenschaften der Brücke auswirken. Bei der Rheinbrücke Karlsruhe-Maxau wurden die Eigenschwingungen des Bauwerks vor Beginn der Sanierungsarbeiten durch zwei unabhängige Messmethoden signifikant und übereinstimmend erfasst. Weitere Messungen wurden während der Bauzeit ausgeführt. Nach Abschluss der Bauarbeiten sollten weitere Messungen folgen, die jedoch wegen der Corona-Virus-Pandemie nicht stattfinden konnten. Der Vergleich der ersten Messung mit den Folgemessungen wird mit Spannung erwartet. Literatur [1] Braam, R., Research Contec Ferroplan, Various tstreports, Delft University of Technology, 2002 - 2005, Delft [2] Braam, R., Buitelaar, P., Kaptijn, N., HPC as bridge deck overlay. Technolygical-, structuraland durability aspects, Nr. 3, Cement 2003 [3] Denkinger, M., Buitelaar, P., Ertüchtigung orthotroper Fahrbahnplatten von Stahlbrücken, Stahlbau, Heft 7, ISSN 0038-9145 [4] Friedrich, H., Quaas, B., Stahlbrücken. Bestandanalyse Erhaltung und Erweiterung, Tagungsband, 27.09.2017, Fachgespräch Stahlbrückenbau, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach [5] Marzahn, G., Brückenbau und Brückenerhaltung im Bundesfernstraßennetz, Tagungsband, 27.09.2017, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach [6] König, G., Grimm, R., Mayer, J, Erläuterungen zur Richtlinie Hochfester Beton, Bautechnik 74 (1997), Heft 4 [7] Zembrot, M., Ertüchtigung der Rheinbrücke Maxau, Tagungsband, 27.09.2017, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach [8] Kämpf/ Stadelmayer, Erprobung kinematischer GPS-Methoden zur Bestimmung kurz und lang periodischer Bauwerksbewegungen an der Kochertal-Autobahnbrücke A6, unveröffentlichte Diplomarbeit 1999, HFT Stuttgart [9] Breuer, P., Konopka, E., Messung der Auslenkung von Türmen und Kaminen mittels GPS-Methoden. Monitoring displacements of towers and chimneys applying GPS methods. Monitoring przemieszczeń wysokich obiektów budowlanych metodą GPS, Forschungsberichte der HFT Stuttgart Band 98 (2008) ISBN 978-3-940670-09-3 [10] Held, S., Schwingungsanalyse eines Brückenbauwerkes mittels verschiedener geodätischer Verfahren - unveröffentlichte Masterarbeit, HFT Stuttgart 2017 [11] Breuer, P., Konopka, E., Messung der Auslenkung von Türmen und Kaminen mittels GPS-Methoden. Monitoring displacements of towers and chimneys applying GPS methods. Monitoring przemieszczeń 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 413 Ertüchtigung und Instandsetzung von Stahlbrücken mit Hochfestem Beton am Beispiel der Rheinbrücke Maxau wysokich obiektów budowlanych metodą GPS, Forschungsberichte der HFT Stuttgart Band 110 (2019) ISBN 978-3-940670-20-5 [12] P., Górski, Breuer, P., Konopka, E., Napieraj, M., Effectivness of GPS technology in monitoring of traffic induced response of highway steel bridge, 9. International Symposium on Steel Bridges 2018, Tagungsband, Prag [13] Breuer, P., Chmielewski, T., Górski, P., Konopka, E., Application of GPS technology to measurements of displacements of high-rise structures due to weak winds, Journal of Wind Engineering an Industrial Aerodynamic, 90, 2002 [14] Górski, P., Dynamic characteristic of tall industrial chimney estimated from GPS measurement and frequency domain decomposition, Engineering Structures, 148, 2017 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 415 Innovative Verstärkungslösung mit Litzenbündelseilen für die Fuldabrücke A44 bei Bergshausen Dipl.-Ing. Armin Demelt DYWIDAG-Systems-International GmbH, Langenfeld (Rheinland) Lifespan Management, Repair and Strengthening Dipl.-Ing. Kay Löffler DYWIDAG-Systems-International GmbH, Langenfeld (Rheinland) Lifespan Management, Repair and Strengthening Zusammenfassung Die ca. 700 m lange Stahlfachwerkbrücke im Zuge der A44 bei Kassel-Bergshausen überspannt über sieben Felder mit einer maximalen Spannweite von 143 m das Tal der Fulda und verbindet das Autobahnkreuz Kassel-West mit dem Autobahndreieck Kassel-Süd. Aufgrund zunehmender Verkehrsbelastung war eine umfangreiche Ertüchtigung des Bauwerkes erforderlich. Das Konzept sah dabei eine feldweise Unterspannung der Fachwerkkonstruktion vor. Dabei sollen am älteren Nordüberbau Litzenbündelseile, wie sie üblicherweise bei Schrägseilbrücken zwischen dem Pylon und dem Brückendeck verwendet werden, in diesem Projekt eine auf Zug belastete Verbindung zwischen dem Fachwerkträger im Stützenbereich und in Feldmitte unterhalb des Trägers angeordneten vertikale Stützträger, sogenannten Pins, herstellen. Die in die bis zu 73 m langen Litzenbündelseile eingebrachte Vorspannung führt dabei in Feldmitte zu Druckkräften in den Pins und somit zu einer mittigen Stützwirkung für den Fachwerkträger. Zum Einsatz kamen insgesamt 56 DYWI- DAG-Litzenbündelseile des allgemein bauaufsichtlich zugelassenen DYWIDAG-Schrägseilsystems DYNA Grip® mit je 31 Stück (Typ DG-P31) 7-drähtigen, verzinkten, gewachsten und PE-ummantelten Litzen der Güte St 1570/ 1770. Die Litzenbündel sind zusätzlich von einem PE-Rohr vor mechanischen Belastungen und zur Erhöhung der UV-Beständigkeit geschützt. Die Festanker des Schrägseilsystems wurden dabei im Bereich der Pins in Feldmitte und die Spannanker im Bereich der Stütze angeordnet. Aufgrund des festgestellten Ertüchtigungsbedarfs konnte die Autobahnbrücke nur bis zur Fertigstellung der Maßnahme unter eingeschränkter Verkehrsführung und unter Sperrung für LKWs über 3,8 to weitergenutzt werden. Daher war der zügige Einbau der Verstärkungssysteme unter laufendem Verkehr entscheidend für die Wahl des DYWIDAG Systems. Nach vorbereitenden Arbeiten im vierten Quartal 2018 erfolgte die Ausführung der Seilmontagen zwischen Februar 2019 und Mai 2019, wobei trotz der besonderen Herausforderungen hinsichtlich der Montage der Schrägseilsysteme unterhalb der Fachwerkträger die Arbeiten zügig abgeschlossen werden konnten und die vorgesehene volle Verkehrsführung Anfang Mai 2019 bereitgestellt wurde. 1. Einleitung Die insgesamt ca. 700 m lange, aus sieben Einzelfeldern und zwei getrennten Überbauten bestehende Autobahnbrücke im Zuge der A44 über die Fulda verbindet im Süden Kassels das Autobahnkreuz Kassel-West und Kassel-Süd. Als Stahlfachwerkkonstruktion haben Nachrechnungen der Resttragfähigkeit eine dringende Verstärkung des Nordüberbaus ergeben. Das gewählte Konzept sah dabei die Montage von in der Mitte der Felder angeordneten Stahlkonstruktionen sogenannten Pins vor, von denen eine Unterspannung jeweils zu den angrenzenden Stützenauflagern geführt und dort verankert wurden. Durch eine Vorspannung der Unterspannsysteme wird dann der Pin auf Druck belastet und somit die Biegebeanspruchung des bestehenden Stahlfachwerkträgersystems aufgrund des so geschaffenen neuen Auflagers reduziert. Aufgrund der freien Bewitterung der Unterspannsysteme und der damit verbundenen erhöhten Anforderungen an die Robustheit und UV-Beständigkeit, wurde als System das DYWIDAG-Litzenbündelseilsystem des Typs DYNA-Grip® gewählt, welches bereits bei mehreren Schrägseilprojekten in Deutschland und im Ausland erfolgreich eingesetzt wurde (u.a. neue Ziegelgrabenbrücke, Stralsund, Waschmühltalbrücke). Nach Ausschreibung der Verstärkungsmaßnahme durch Hessen Mobil im Oktober 2017 und Vergabe der Gesamtmaßnahme an die SEH Engineering GmbH wurde DYWIDAG-Systems International im Februar 2018 mit der Lieferung 416 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Verstärkungslösung mit Litzenbündelseilen für die Fuldabrücke A44 bei Bergshausen und Montage von 56 DYWIDAG-Litzenbündelseilen des Typs DYNA-Grip® beauftragt. Bild 1: Fuldabrücke, Bergshausen Bild 2: Unterspannung eines Feldes mit DYNA-Grip® Bild 3: Spannanker im Bereich des Pins (Feldmitte) 2. Eigenschaften des DYWIDAG-Litzenbündelseils Das allgemein bauaufsichtlich zugelassene und fremdüberwachte DYWIDAG-Litzenbündelseilsystem besteht im Projekt Fuldabrücke aus je 31 Stück 7-drähtigen, verzinkten, gewachsten und PE-ummantelten Litzen der Güte St 1570/ 1770. Ebenso wie für das Gesamtsystem liegt auch für das Litzenzugglied eine eigene für die Anwendung als Schrägseilsystem geprüfte allgemeine bauaufsichtliche Zulassung vor. Die parallelgeführten Einzellitzen werden in einem dickwandigem, UV-resistenten Hüllrohr mit einem Durchmesser von 160 mm geführt und mittels Keilen am Spannbzw. Festanker im Ankerblock verankert. Im Unterschied zu üblichen Spannsystemen im Bereich des Brückenbaus sind die aktiv auf die Zugglieder aufgebrachten Spannkräfte geringer, jedoch unterliegen Unterspannbzw. Schrägseilsysteme deutlich höheren dynamischen Belastungen. Daher wurden die verwendeten Einzelkomponenten im Rahmen der Zulassungsversuche auch mit bis zu ca. dreifach höheren Schwingungsamplituden geprüft, wie es für Spannsysteme im Brückenbau üblich ist. Während der Ankerblock bzw. Keilträger am Festanker die Spannkraft der Litzen über die Keile direkt auf die Verankerungsplatte überträgt, verfügt der Ankerblock des Spannankers zusätzlich über ein Außengewinde, auf die eine Ringmutter aufgeschraubt wird. Die Kraft wird hierbei vom Ankerblock über die Ringmutter auf die Verankerungsplatte und damit auf das Bauwerk übertragen. Die zusätzliche Ringmutter ermöglich somit noch ein späteres Anpassen der Gesamtbündelkraft durch Abheben und Nachsetzen der Ringmutter über eine sogenannte Gradientenpresse. Im Vergleich zu anderen Abspannsystemen wie z.B. vollverschlossenen Seilen besteht das Gesamtbündel aus einzelnen individuell korrosionsgeschützten Einzellitzen, die im Bedarfsfall einzeln ausgetauscht werden können, ohne das Gesamtsystem entspannen zu müssen. Im Projekt Fuldabrücke erfolgte die Anordnung der Festanker stets im Bereich der Pins und somit in Feldmitte. Die Spannanker wurden dagegen im Bereich der Stützen vorgesehen. Je Brückenfeld und Überbau wurden vier übergreifende Bündellitzenseile eingebaut. Abhängig von der Spannweite der sieben Brückenfelder zwischen 79,2 m und 143,2 m betragen die Einzelseillänge zwischen ca. 35,50 m und 71,40 m. 3. Montage der DYWIDAG-Litzenbündelseile Die Montage der DYWIDAG-Litzenbündelseile erfolgte unter eingeschränkter Verkehrsführung und unter Sperrung für LKWs über 3,8 to. Jedoch war eine Nutzung für den Last- und PKW Verkehr bis 3,8 to für den gesamten Zeitraum der Verstärkungsmaßnahme möglich. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 417 Innovative Verstärkungslösung mit Litzenbündelseilen für die Fuldabrücke A44 bei Bergshausen 3.1 Konfektionierung und Montage der PE-Hüllrohre Während der Montage der Druckpins in Feldmitte durch SEH erfolgte bereits die Vorfertigung der PE-Hüllrohre der Litzenbündelseile durch DYWIDAG. Aufgrund der eingeschränkten Verkehrsführung konnte auf der Brücke der freie Bereich zur Lagerung und Konfektionierung der PE-Hüllrohre genutzt werden. Die PE-Hüllrohrstücke sind mit einer PE-Schweißdrahtwendel versehen, die die ggf. durch Wind induzierten Schwingungen des Bündels deutlich reduziert. Um Umweltbzw. Temperatureinflüsse auszuschließen, wurde die Spiegelschweißung der PE-Hüllrohrabschnitte zur Gesamthüllrohrlänge eines Rohres in einem entsprechend eingerichteten Schweißcontainer durchgeführt. Für die Zugänglichkeit und den Materialtransport für die Gesamtverstärkungsmaßnahme sind unterhalb der Fahrbahn im Bereich des Fachwerks entlang der gesamten Brücke zwei Gitterrostlaufgänge sowie ein Laufkatzenträger angeordnet worden. Diese wurden auch dazu genutzt, die vorkonfektionierten PE- Hüllrohre an den finalen Einbauort zu verbringen. Vom Fahrbahnniveau wurden dabei die PE-Hüllrohre über eine temporäre Rampe auf das Niveau des Gitterrostgangs verbracht, an die Laufkatzenbahn angeschlagen und in Längsrichtung verzogen. Nach der Montage der Verankerungen wurde dann zwischen Spann- und Festanker ein temporäres Hilfsseil gespannt, das PE-Hüllrohr von der Laufkatzenbahn auf das Hilfsseil umgehängt und in seine finale Lage gebracht. Nach Montage und Lagesicherung durch eine Pilotlitze konnte dann das Hilfsseil entfernt werden. Bild 4: Zwischenlagerung der Hüllrohr Bild 5: Schweißcontainer zur Konfektionierung der PE- Hüllrohre Bild 7: Transport der PE-Hüllrohre über Laufkatzenbahn Bild 8: Temporäres Anhängen des PE-Hüllrohres an Hilfsseil 418 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Innovative Verstärkungslösung mit Litzenbündelseilen für die Fuldabrücke A44 bei Bergshausen Bild 9: Sicherung der PE-Hüllrohre durch eine Pilotlitze 3.2 Bestückung der Litzenbündelseile und Aufbringen der Vorspannen Die Lagerung der Schrägseillitzen erfolgte in speziellen Dispensern auf Fahrbahnniveau jeweils im Bereich der Stützen. Die Bestückung der Litzenbündelseile erfolgte mittels Einstoßgeräten, die ebenfalls auf der Fahrbahn positioniert, die Schrägseillitze kontrolliert und steuerbar durch ein Fädelrohr auf das Spannankerniveau und dann bis zum Festanker im Bereich des Pins in das PE- Hüllrohr einschiebt. Zur Sicherstellung einer parallelen Litzenanordnung wurden die Litzen in einer vorher festgelegten Reihenfolge in das PE-Hüllrohr eingefädelt und in die entsprechenden Bohrungen in den Ankerblöcken eingefädelt. Zur gleichmäßigen Belastung des Fachwerkträgersystems erfolgte die Bestückung eines Feldes jeweils mit den inneren vier Litzenbündelseilen, wobei i.d.R. bis zu sechs Einzellitzen jeweils abwechselnd zwischen dem nördlichen und südlichen Seilen eingestoßen und auf eine erste Spannstufe fixiert wurden. Anschließend erfolgte die Bestückung der äußeren Seile eines Feldes auf gleicher Weise. Um eine Überbelastung des Anschlusses am Pin in Längsrichtung zu vermeiden, durfte die Längskraftdifferenz zwischen den Ost und West Seilen eines Feldes nur in einer zuvor definierten Toleranz voneinander abweichen. Die Vorspannung der Seile erfolgte mittels dem DYWIDAG ConTen® Verfahren, bei dem das gleichmäßige Vorspannen der Litzen eines Bündels im Bezug zu einer Referenzlitze sichergestellt wird. Da u. a. auch die Steifigkeit des Gesamtbauwerkes Einfluss auf die Vorspannkraft jeder individuellen Litze hat, erfolgte die Aufstellung des Spannprogramms in enger Abstimmung zwischen dem verantwortlichen Planungsbüro (Ingenieurgruppe Bauen) und der Technischen Abteilung der DYWIDAG. Die Vorspannung wurde in insgesamt fünf Durchläufen aufgebracht, wobei nach einer initialen Spannstufe, abwechselnd die äußeren und inneren Litzenbündelseile feldweise in zwei Spannstufen vorgespannt wurden. Nach Abschluss der Spannarbeiten wurden die Keile noch einmal mit einer definierten Kraft nachverkeilt und sowohl in die Keile als auch in die Konusbohrungen in den Ankerblöcken Korrosionsschutzmasse eingepresst. Anschließend erfolgte die Montage der Bündelungselemente hinter der Verankerung, die Aktivierung der Dichtungen zwischen den Schrägseillitzen und den Ankerblöcken sowie das Schließen der PE-Verrohrung. Mit dem Korrosionsschutz der Litzenüberstände und Montage der Hauben wurde die Installation der Litzenbündelseile im September 2019 abgeschlossen. Bild 10: Vorgespannte Litzenbündelseile vor Aufbringen des Korrosionsschutzes im Verankerungsbereich 4. Zusammenfassung und Resümee Die Arbeiten im Rahmen der Verstärkungsmaßnahme Fuldabrücke Kassel-Bergshausen, bei denen 56 DYWI- DAG-Litzenbündelseile mit 31 Einzellitzen als Unterspannung der Stahlfachwerkkonstruktion des Nordüberbaus eingebaut wurden, konnten durch einen optimierte Bauablaufplanung und der engen Zusammenarbeit zwischen dem Generalunternehmer und DYWIDAG trotz eines, durch vorauseilende allgemeinen Verzögerungen verursachten, verspäteten Einbaubeginns, durch DYWI- DAG fristgerecht zur vollen Verkehrsführung Anfang Mai vollumfänglich abgeschlossen werden. Insbesondere der durch die Erfahrung der DYWIDAG deutlich beschleunigte Einbau der PE-Hüllrohre sowie eine Optimierung der Spannvorgänge haben zu wesentlichen Vorteilen für den Generalunternehmer geführt. Im Rahmen des Projekts Fuldabrücke Kassel-Berghausen wurden die DYWIDAG-Litzenbündelseile in Deutsch- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 419 Innovative Verstärkungslösung mit Litzenbündelseilen für die Fuldabrücke A44 bei Bergshausen land erstmalig nicht für den Brückenneubau sondern für die Verstärkung einer Bestandsbrücke eingesetzt. Durch den Einsatz im Bestand wurde erneut die Flexibilität der DYWIDAG-Systeme erfolgreich gezeigt. Literaturverzeichnis [1] Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung Z-14.7- 759 - DYWIDAG-Litzenbündelseile, DYWIDAG- Systems International GmbH 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 421 Instandsetzung und Ertüchtigung von großen Hängebrücken Bastian Kratzke Leonhardt, Andrä und Partner Beratende Ingenieure VBI AG, Stuttgart Zusammenfassung Was Instandsetzung und Ertüchtigung angeht stellen große Hängebrücken wie die Rheinbrücke Köln-Mülheim (Eröffnung 1951, Länge 485 m, maximale Spannweite 315 m, erste Brücke weltweit mit orthotropem Deck) oder die Rheinbrücke Emmerich (Eröffnung 1965, Länge 803 m, maximale Spannweite 500 m, Brücke mit längster Spannweite in Deutschland) den Ingenieur vor besondere Herausforderungen. Der Umgang mit diesen nicht alltäglichen Instandsetzungs- und Verstärkungsmaßnahmen ist Thema dieses Vortrags. 1. Einleitung Großbrücken sind oft nicht nur reine Infrastrukturbauwerke, sondern prägen unseren Lebensraum derart, dass sie oft als „Landmark“ - als Sehenswürdigkeit - wahrgenommen werden, mit denen sich Städte oder ganze Länder identifizieren. So kann man sich heutzutage San Francisco ohne die Golden-Gate Bridge, New York ohne Brooklyn und Manhattan Bridge oder Sydney ohne die Harbour Bridge kaum noch vorstellen. Und wenngleich der globale Bekanntheitsgrad unserer Großbrücken an Rhein und Elbe vielleicht geringer ist, so lässt sich dies durchaus genau so auch auf unsere Großbrücken übertragen. Anders als bei vielen kleineren Infrastrukturbauwerken ist daher hier oft die Erhaltung - und damit verbunden eine Instandsetzung und/ oder Ertüchtigung - die Vorzugsvariante, auch, wenn es sich hier nicht immer um die wirtschaftlich günstigste Variante handelt. Filigrane Hängebrücken, bis in die 1960er Jahre oft der einzig wirtschaftliche Brückentyp um Spannweiten von 300 m und mehr zu realisieren, sind mittlerweile Exoten im Großbrückenbau, die von Schrägkabelbrücken weitestgehend abgelöst wurden. Aufgrund Ihrer Konstruktionsweise stellen sie besondere Herausforderungen an alle Beteiligten, was die Instandsetzung und Ertüchtigung angeht. So sind Korrosionsschutz und Austauschbarkeit von Tragkabel und Hängern, Umgang mit Ermüdungsschäden an einem orhtotropen Deck und auch eine hohe Empfindlichkeit auf Veränderungen beim Eigengewicht Problemstellungen, die einem bei Spannbeton- und Verbundbrücken nicht begegnen. Aufgrund der geringen Grundgesamtheit an Hängebrücken ist oft auch eine viel individuellere Betrachtung erforderlich, bereits vielfach erprobte „Patentlösungen“ gibt es üblicherweise nicht. In den folgenden Kapiteln wird daher auf die gesammelten Erfahrungen bei der Instandsetzungs- und Ertüchtigungsplanung der Rheinbrücken Köln-Mülheim und Emmerich eingegangen und es werden die hier erarbeiteten, individuellen Lösungen vorgestellt. 2. Rheinbrücke Köln-Mülheim 2.1 Allgemeines Abbildung 1: Mülheimer Brücke, Strombrücke, 2017 © Bastian Kratzke Der Brückenzug „Mülheimer Brücke“ überführt den Rhein und verbindet die Kölner Stadtteile Mülheim und Riehl. Der gesamte Brückenzug besitzt eine Länge von ca. 1054 m und besteht aus den vier Teilbauwerken Deichbrücke, Flutbrücke, Strombrücke und Rechtsrheinische Rampe. In diesem Beitrag wird in erster Linie auf die Strombrücke, eine erdverankerte Hängebrücke mit 485 m Länge und 315 m Hauptspannweite, eingegangen. Es handelt sich hierbei auch um die erste Großbrücke, bei der ein orthotropes Fahrbahndeck verwendet wurde. Eine weitere Besonderheit ist bei diesem Bauwerk die Belastung aus einer Kombination aus Straßenbahn- und MIV-Verkehr. 422 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung und Ertüchtigung von großen Hängebrücken Für den Mülheimer Brückenzug war zunächst nur eine grundhafte Instandsetzung angedacht, doch aus der Nachrechnung und den hier festgestellten rechnerischen Defi ziten hat sich ergeben, dass eine umfängliche Ertüchtigung der Strombrücke sowie teilweise ein Ersatzneubau der Vorlandbrücken erforderlich ist, um den Anforderungen an das Verkehrslastmodell LM1 zu genügen. 2.2 Nachrechnung Es wurde eine umfangreiche Nachrechnung nach Nachrechnungsrichtlinie [7] durchgeführt, es wird hier jedoch nur auf die Ermüdungsnachweise eingegangen. Die Auswertung der einzelnen Kerbdetails hat an mehreren Bauteilen Defi zite aufgezeigt. Der Untergurt des Versteifungsträgers, der aus mit Nieten verbundenen Blechen besteht, hat sich als kritischster Punkt herausgestellt. Abbildung 2: Schadenssumme für das Detail genieteter Untergurt Die akkumulierte Schadenssumme für den genieteten Untergurt des Versteifungsträgers betrug D = 7,0. Dieses Ergebnis hätte bedeutet, dass rein rechnerisch ein Ersatzneubau erforderlich ist. 2.3 Dynamische Messungen Abbildung 3: Übersicht Dehnmessstreifen am Bauwerk Wären die rechnerischen, sehr hohen Schädigungen für das reale Bauwerk repräsentativ, so müsste sich dies auch durch tatsächliche Schäden am Bauwerk äußern. Aus den Brückenprüfungen war jedoch bekannt, dass solche Schäden bisher nicht aufgetreten sind. So wurde in enger Abstimmung mit dem Bauherrn entschieden, neue Wege zu gehen, und auf Basis von dynamischen Messungen ein bauwerksspezifi sches, realitätsnahes Ermüdungslastmodell zu erarbeiten. Dieses Vorgehen entspricht Stufe 3 der Nachrechnungsrichtlinie [7]. Hierzu wurden über die Brücke verteilt insgesamt 48 Dehnmessstreifen (DMS) an den Versteifungsträgern, Querträgern, Längsrippen sowie den Hängern angebracht (Abbildung 3). Zusätzlich wurden auf einem der Pylonriegel zwei Kameras installiert, mit denen es möglich war, die gemessenen Dehnungsbzw. daraus abgeleiteten Spannungsverläufe direkt entsprechenden Fahrzeugtypen zuzuordnen (Abbildung 4). Abbildung 4: Diskrete Zuordnung der Spannungen zu realen Fahrzeugen aus [8] © GMG Das installierte Messsystem konnte ebenfalls für den Abgleich der Rechenmodelle mit dem realen Tragwerk genutzt werden. Hierzu wurden Belastungsversuche unter Sperrung des gesamten Brückenzuges durchgeführt, bei denen eingewogene Fahrzeuge in vorgegebenen Fahrspuren und Kombinationen (aus Straßenbahn und Schwerfahrzeug) über die Brücke gefahren sind. Diese Versuche wurden dann an den Rechenmodellen nachvollzogen und die sich ergebenden Dehnungen verglichen. Hier haben sich insgesamt sehr gute Übereinstimmungen gezeigt. Die eigentlichen Dehnungsmessungen des realen Verkehrs liefen über einen Zeitraum von vier Monaten. Die Auswertung hat dann gezeigt, dass die Annahmen, die für die Auftretenshäufi gkeiten von Begegnungsereignissen zunächst getroffen wurden, viel zu konservativ waren. Doch bevor es möglich war, diese Erkenntnis in die Nachweise einfl ießen zu lassen, musste zunächst ein bauwerksspezifi sches Ermüdungslastmodell entwickelt werden. 2.4 Das bauwerksspezifi sche Ermüdungslastmodell Das bauwerksspezifi sche Ermüdungslastmodell sollte nicht nur die tatsächlichen ermüdungswirksamen Einwirkungen möglichst realitätsnah - jedoch im Vergleich zu den Messungen auf der sicheren Seite - abbilden, sondern im gleichen Zug auch noch möglichst anwenderfreundlich sein. Es sollte vermieden werden, den Rechenaufwand unnötig zu erhöhen, und damit eine Genau- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 423 Instandsetzung und Ertüchtigung von großen Hängebrücken igkeit vorzutäuschen, die sich nicht erreichen lässt. Für eine detaillierte Erläuterung sei auf [1] verwiesen. Abbildung 5: Wöhlerlinie für Kerbfall 71 mit Bezugszeitpunkt 2013 Für das bereits angesprochene, maßgebende Kerbdetail des genieteten Untergurts ergibt sich mit dem bauwerksspezifi schen Ermüdungslastmodell für den Bezugszeitpunkt 2013 eine Schädigung von D = 0,24 (im Vergleich zu vorher D = 7,0). Zur Veranschaulichung sind die Unterschiede zwischen dem bauwerksspezifi schen Ermüdungslastmodell und dem modifi zierten Ermüdungslastmodell 4 gemäß NR-RiLi [7] anhand der Wöhlerlinie für diesen Bezugszeitpunkt dargestellt (Abbildung 5). Leicht zu erkennen ergibt sich für das ELM 4 gemäß NR-RiLi bereits für das Ereignis 6 alleine eine Schädigung größer 1,0 (Nvorh > Nzul), wohingegen das gleiche Ereignis bei den angepassten Häufi gkeiten auf Basis der Messungen noch weit unter der Wöhlerlinie liegt (Nzul < Nvorh). Durch die angedachte Anhebung des Verkehrslastniveaus von Brückenklasse 60 gemäß DIN 1072 auf LM1 gemäß DIN-Fachbericht waren auch Verstärkungen (z.B. zwei zusätzliche Fachwerklängsträger, siehe [4]) am Bauwerk erforderlich, die die Ermüdungsbeanspruchung in den Versteifungsträger-Untergurten ebenfalls für die Zukunft günstig beeinfl ussen. So lässt sich nun auch eine angestrebte Restnutzungsdauer von 100 Jahren noch mit einer rechnerischen Schädigung von insgesamt D = 0,64 realisieren. 2.5 Erkenntnisse Wie gezeigt wurde konnten durch die Entwicklung eines bauwerksspezifi schen Ermüdungslastmodells die Dauerfestigkeitsnachweise an der Strombrücke mit ausreichender Sicherheit geführt, das Bauwerk erhalten, und ein Ersatzneubau vermieden werden. Die Brückenprüfungen hatten hierbei eine große Bedeutung; sie gaben als erstes Aufschluss darüber, ob bereits Ermüdungsschäden aufgetreten sind und der Aufwand für die dynamischen Messungen und die Entwicklung eines bauwerksspezifi schen Ermüdungslastmodells überhaupt gerechtfertigt werden kann. Abbildung 6: Verkehrsbelastung der Mülheimer Brücke im Vergleich zu anderen Brücken aus [8] © GMG Es hat sich auch gezeigt, dass die Mülheimer Brücke aufgrund ihrer besonderen innerstädtischen Lage individuell betrachtet werden muss. Vergleicht man den Schwerverkehrsanteil auf der Mülheimer Brücke mit dem von nahegelegenen Autobahnen (Abbildung 6) wird schnell deutlich, dass die Belastung real viel geringer ist, als nach den zunächst gewählten normativen Ansätzen. 3. Rheinbrücke Emmerich 3.1 Allgemeines Abbildung 7: Rheinbrücke Emmerich © Bastian Kratzke Die „Rheinbrücke Emmerich“ überführt als nördlichste Rheinbrücke Deutschlands den Rhein und verbindet die Städte Emmerich und Kleve im Zuge der Bundesstraße B220. Zusammen mit der Vorlandbrücke und den beiden Verankerungskörpern besitzt der Brückenzug eine Länge von ca. 1235 m. Bei der Strombrücke (Abbildung 7) handelt es sich um eine erdverankerte Hängebrücke mit zwei parallelen Tragkabelebenen, welche von 1962 bis 1965 hergestellt wurde. Mit einer Hauptspannweite von 500 m und zwei Seitenfeldern mit je 151,5 m ergibt sich die Gesamtlänge der Strombrücke zu 803 m. Die Tragkabel sind in zwei Kabelebenen mit einem Abstand von 16,8 m angeordnet und tragen die als Fachwerk ausgebildeten Versteifungsträger (Abbildung 8). 424 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung und Ertüchtigung von großen Hängebrücken Abbildung 8: Regelquerschnitt Rheinbrücke Emmerich 3.2 Nachrechnung Abbildung 9: 2D-Rechenmodell, Rheinbrücke Emmerich Auch bei komplexen Tragwerken wie bspw. einer Hängebrücke ist es oft sinnvoll, zunächst ein einfaches 2D- Modell (Abbildung 9) zu verwenden, dessen Ergebnisse sich leicht mit der Bestandsstatik abgleichen lassen und erst darauf aufbauend kompliziertere 3D-Modelle zu erstellen, falls überhaupt erforderlich. Auch bei diesem Bauwerk kommt dem Bauablauf (bzw. der Seileinstellung) eine besondere Bedeutung zu, da - um eine möglichst gleichmäßige Auslastung des Tragwerks unter Verkehrslasten zu erreichen - beim Bau über die Werkstattform so genannte „Montagemomente“ eingeprägt wurden. Das Abbilden dieser Montagemomente war von essentieller Bedeutung, um realistische Aussagen über das tatsächliche Spannungsniveau treffen zu können. An diesem vereinfachten Modell ergaben sich Spannungsüberschreitungen von bis zu 23% für die Fachwerk-Längsträger, sowohl im Stromals auch in den Seitenfeldern. Zumindest für das Stromfeld lag die Vermutung nahe, dass sich durch die Torsionsverbände (Abbildung 10) eine signifikante Querverteilung ergibt, unter der sich günstigere Ergebnisse erzielen lassen und die Längsträger möglicherweise doch nachgewiesen werden können. Abbildung 10: Rheinbrücke Emmerich, Untersicht mit Torsionsverband im Hauptfeld Daher wurde sich dazu entschieden, ein globales 3D- Modell (Abbildung 11) zu erstellen, in welchem diese Querverteilung durch die Torsionsverbände abgebildet werden kann. Abbildung 11: 3D-Global-Rechenmodell, Rheinbrücke Emmerich Wie zu erwarten war findet in den Seitenfeldern ohne Torsionsverbände nahezu keine Querverteilung statt, die Spannungen in beiden Modellen stimmen hier nahezu überein. Im Strom-feld konnten die Spannungsüberschreitungen jedoch durch diese Betrachtung kompensiert werden (siehe Tabelle 1). Tabelle 1: Spannungsvergleich max σ x 2D-Modell max σ x 3D-Modell Abweichung max M y Seitenfeld 435 N/ mm² 437 N/ mm² ± 0 % max M y Hauptfeld 433 N/ mm² 346 N/ mm² -25 % min M y Pylonbereich -352 N/ mm² -329 N/ mm² -7 % Das orthotrope Deck bestehend aus Querträgern, Längsrippen und Deckblech wurde an verschiedenen lokalen Modellen untersucht. Die Querträger wurden als lokale Einfeldträger-Modelle abgebildet, wobei die biegesteifen Anschlüsse der Querträger an die Versteifungsträger-Obergurte über Drehfedern im Modell berücksichtigt wurden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 425 Instandsetzung und Ertüchtigung von großen Hängebrücken Abbildung 12: Verteilung der Anschlusssteifigkeiten der Querträger über die Bauwerkslänge Aus Abbildung 12 ist ersichtlich, dass in Bereichen großer globaler Steifigkeiten bspw. am Widerlager oder am Pylon die Anschlusssteifigkeiten der Querträger ebenfalls sehr groß sind. Ebenfalls der Einfluss der Hänger ist zu erkennen. Am deutlichsten zeigt die Darstellung allerdings den Einfluss des Torsionsverbandes im Stromfeld auf die Anschlusssteifigkeiten der Querträger und man erkennt deutlich die geringere Steifigkeit in den Seitenfeldern. 3.3 Erkenntnisse Am Beispiel der Rheinbrücke Emmerich ist gut zu erkennen, welche Vorteile eine räumliche Modellierung einer Bestandsstruktur haben kann. Der Torsionsverband im Hauptfeld hat einen sehr günstigen Einfluss auf die Lastverteilung zwischen den beiden Versteifungsträgern. Nur durch die räumliche Modellierung konnten diese stillen Tragreserven identifiziert und zusätzliche Verstärkungen vermieden werden. Abbildung 13: Torsionsverband Seitenfelder Den Torsionsverband im Hauptfeld auf die Seitenfelder auszuweiten (Abbildung 13) stellt zudem eine sehr wirtschaftliche Variante zur Verstärkung der Seitenfelder dar. Mit sehr geringem Materialaufwand lässt sich hier eine erhebliche Reduktion der Spannungen erreichen, da die vorhandenen Versteifungsträger besser ausgenutzt werden können. 4. Zusammenfassung Bei großen Hängebrücken sind die bekannten Herangehensweisen aus dem Spannbeton- und Verbundbrückenbau oft nicht zielführend. Sie erfordern - erlauben aber auch - Herangehensweisen, die bei kleineren Bauwerken kaum gerechtfertigt werden können, wie bspw. die Entwicklung eines bauwerksspezifischen Ermüdungslastmodells bei der Rheinbrücke Köln-Mülheim. Ziel muss auch sein, dass etwaige Verstärkungen möglichst geringes zusätzliches Eigengewicht für das Bauwerk bedeuten, um zu vermeiden, dass das Tragwerk zwar lokal verstärkt wird, aber global höhere Beanspruchungen erfährt. Die bessere Ausnutzung der bereits vorhandenen Versteifungsträger bei der Rheinbrücke Emmerich durch nachträglichen Einbau eines Torsionsverbandes ist ein gutes Beispiel, für solch eine Verstärkung. Literatur [1] K ratzKe , B. Ertüchtigung der Brücke Köln-Mülheim. 17. Symposium Brückenbau Leipzig, Ausgabe 1/ 2 2017, S. 26-31 [2] K ratzKe , B.; U phoff , h. Instandsetzungsplanung der Rheinbrücke Emmerich. Bautechnik, 95 (2018), Heft 2, S. 139-147 [3] K ratzKe , B.; U phoff , h., h anKe , S. Instandsetzung und Ertüchtigung des Mülheimer Brückenzuges in Köln. Stahlbau, 87 (2018), Heft 8, S. 759-768 [4] S tadt K öln . Die neue Köln Mülheimer Brücke, Köln, 1951 [5] e rnSt , f.; r äderScheidt , h.J. Umbau- und Unterhaltungsmaßnahmen an der Rheinbrücke Köln- Mülheim. Stahlbau, 10 (1976), S. 301-307 [6] din-f achBericht 101. Einwirkungen auf Brücken, März 2019 [7] r ichtlinie zUr n achrechnUng von S traSSenBrü cKen iM B eStand (n achrechnUngSrichtlinie ). Ausgabe Mai 2011 mit Ergänzung April 2015. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur [8] g eiSSler , K.; S tein , r., r eichardt , a. Monitoring Rheinbrücke Köln-Mülheim - Messbericht. GMG, 2014 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 427 Die genieteten Yorckbrücken in Berlin - Instandsetzung und Umnutzung Dr.-Ing Thomas Klähne KLÄHNE BUNG Beratende Ingenieure im Bauwesen, GmbH, Berlin Thomas Abel KLÄHNE BUNG Beratende Ingenieure im Bauwesen, GmbH, Berlin Zusammenfassung Die Yorckbrücken in Berlin stellen mit ihren insgesamt noch 33 Brücken ein Gesamtensemble dar und haben aus Sicht des Denkmalschutzes und ihrer städtebaulichen Einordnung eine besondere Bedeutung für die Stadt. Ursprünglich waren sie Teil der Potsdamer, Anhalter und Dresdner Bahn. 24 der noch vorhandenen Brücken sind derzeit ohne Nutzung. Fünf Brücken des gesamten Ensembles wurden in den Jahren 2019-2020 umgebaut, um als Geh- und Radwegbrücken die beiden anliegenden Parks zu verbinden und damit Bestandteil des Radfernweges Berlin - Leipzig zu werden. Bei der Umplanung und Bauausführung waren neben den verkehrlichen und normativen Forderungen vor allem Denkmalschutzanforderungen zu berücksichtigen. Im Beitrag wird ausgehend von dem vorgefundenen Zustand der Brücken auf die konstruktiven und gestalterischen Änderungen im Zusammenhang mit der Umnutzung eingegangen. Besonderer Wert wird dabei auf die Ertüchtigung der genieteten Stahlkonstruktionen durch die Anwendung der Niettechnik, durch Änderung und Reparatur stahlbaulicher Details sowie Neuaufbau der Fahrbahn und Ausstattungen gelegt. 1. Entwicklung des Stahlbrückenbaus zwischen 1870 und 1920 in Deutschland und Niettechnik Die Entwicklung des Stahlbrückenbaus ist in den Jahren 1870-1920 insbesondere durch den Eisenbahnbrückenbau und die rasante Entwicklung des deutschen Eisenbahnschienennetzes gekennzeichnet. Mit der Einführung des Bessemerverfahrens konnte das durch das Puddelverfahren erzeugte Schmiedeeisen durch Flussstahl abgelöst werden, welches bereits Streckgrenzen in der Größe eines heutigen S 235 erreichte. Bleche mit Dicken bis zu 28 mm wurden verwendet [1]. Bei Notwendigkeit stärkerer Blechdicken wurden mehrere Lamellen angeordnet. Die damalige Verbindungstechnik war hierbei vorzugsweise das Nieten; das Schweißen wurde erst in den dreißiger Jahren in Deutschland entwickelt. In Abbildung 1 ist ein typisches Bauwerk aus jener Zeit dargestellt. Es handelt sich um die Bösebrücke, die in den Jahren 1912-1916 errichtet wurde. Abb. 1: Konstruktion der Hindenburgbrücke (heute Bösebrücke, Berlin) [2] Das Nieten ist dadurch gekennzeichnet, dass durch Zusammenhalten der zu verbindenden Bleche der im Nietofen weißrot geglühte Niet in das Nietloch eingesetzt, gegengehalten und durch Schlagen des Niets mittels 428 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Die genieteten Yorckbrücken in Berlin - Instandsetzung und Umnutzung Döpper zusammengepresst wird und damit das Nietloch vollständig ausfüllt. Durch die nachfolgende Abkühlung und damit Verkürzung des Niets kommt es zusätzlich zu einer Vorspannung der miteinander vernieteten Bauteile. Die Nieten selbst können in der Regel eine Länge bis zu 5 x d (max. 9 x d) erreichen und damit mehrere Blechpakete miteinander verbinden. Die Nietverbindungen sind damit eigentlich vorgespannte Scherlochleibungsverbindungen, das eingeklemmte Blechpaket verhält sich gleichwohl nicht starr. Bei den Nieten wird im Regelfall dennoch die Streckgrenze erreicht. Durch die verwendeten Werkzeuge ist ein gewisser Abstand der Niete vonnöten. Es entwickelten sich aus der Bemessung, Konstruktion und Herstellung konstruktive Grundsätze, die von den damaligen Stahlbaufi rmen bei der Niettechnik berücksichtigt wurden. 2. Die Entwicklung des Yorckbrückenensembles in Berlin 2.1 Yorckbrücken als Bestandteil der Potsdamer, Dresdner und Anhalter Bahn Die Yorckbrücken wurden zur Überquerung der Yorckstraße in Berlin Schöneberg errichtet. Dabei stellt der östliche Teil den Bereich der Dresdner Bahn und der westliche Teil den Bereich der Anhalter Bahn dar. Insgesamt wurden zur Überquerung der Yorckstraße 45 Brücken errichtet, wobei die älteste Brücke von 1875 stammt, die übrigen historischen Bauwerke wurden zwischen 1905 und 1934 errichtet. Der überwiegende Teil der Yorkbrücken wurde von den Architekten Franz Schwechten und Heinrich Seidel für die Anhalter Bahn entworfen. Es handelt sich hier um Blechträgerbrücken, die auf gelben klinkerverblendeten Widerlagern und gusseisernen Hartungschen Säulen aufl agern. [3]. Abb. 2: Lage der heute noch vorhandenen Yorckbrücken 2.2 Konstruktion der Yorckbrücken Die Konstruktion der einzelnen Yorckbrücken sind im Wesentlichen gleich: Es handelt sich um Gerbergelenkbrücken, wobei der mittlere, die Straßen überspannende Teil ein Einfeldträger mit einer Länge von ca. 15,60 m mit leicht seitlich auskragenden Teilstücken ist, welcher auf Stützen gelagert ist. An den Enden dieses Einfeldträgers schließt jeweils über ein Gerbergelenk der 6,40 m lange Teilträger an, der den Gehweg überspannt und sich einerseits auf das Widerlager und andererseits auf dem Gerbergelenk abstützt. Die Stützen stehen unmittelbar am Fahrbahnrand und sind daher anprallgefährdet. Abb. 3: Die Yorckbrücken vor Beginn der Sanierung Die Brücken sind Trogbrücken, die durch Verbände in der Untergurtebene ausgesteift werden. Sie sind über Querträger miteinander verbunden. Zwischen den Querträgern und den beiden Hauptträgern sind jeweils Buckelbleche angeordnet, auf denen die Schotterfahrbahn ruht. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 429 Die genieteten Yorckbrücken in Berlin - Instandsetzung und Umnutzung Grundsätzlich können die Konstruktionen der noch vorhandenen 33 Yorkbrücken den unterschiedlichen Entstehungszeiten zugeordnet werden. Die Brücken nach 1880 sind genietete Blechträgerbrücken, die auf Hartungschen Säulen gelagert wurden. Diese Pendelstützen bestehen aus Gussrohren, die zur Mitte hin dicker werden und am Kopf und Fuß Gelenke besitzen. Bei einigen dieser Brücken wurden die ursprünglichen Hartungschen Säulen durch die BVG aus Verkehrssicherungsgründen gegen geschweißte Stahlstützen ersetzt. Bei anderen wurde der Fußbereich aus Gründen des Anprallschutzes mit Beton ummantelt. Die S-Bahn Brücken der Anhalter und Dresdner Bahn sind ebenfalls vernietete Blechträgerbrücken, die auf portalartig vernieteten Stützen aus Walzstahlprofil lagern. Abb. 4: Hartungsche Säulen; Quelle: DB Netz AG 3. Planung der Sanierung und Umnutzung 3.1 Aufgabenstellung Das Ziel der Baumaßnahme bestand in der Herstellung einer durchgängigen Fuß- und Radwegeverbindung zwischen dem Park am Gleisdreieck auf der Nordseite und dem Flaschenhalspark auf der Südseite. Dabei sollten die Brücken 10,11,14 und 17 zu Geh- und Radwegbrücken umgebaut und Teil des Radfernweges Berlin-Leipzig werden, siehe Abbildung 5. Abb. 5: Geplante Verbindung des Flaschenhalsparks und des Parks am Gleisdreieck durch die Yorckbrücken; Quelle: Grün Berlin Bei der Planung waren zunächst einmal die Denkmalschutzanforderungen zu berücksichtigen. Durch den Entfall des Bestandsschutzes waren die aktuellen technischen Regeln und Vorschriften hinsichtlich Lastannahmen, Berechnungsmodellen und Bemessungskonzepten sowie Verwendbarkeit von Bauprodukten einzuhalten. Weitere Forderungen entstanden aus den einzuhaltenden Lichtraumprofilen, der Notwendigkeit einer Entwässerung und einer Absturzsicherung sowie der weiter unten dargestellten funktionalen und physischen Trennung der Stützen von den Brücken. 3.2 Anforderungen des Denkmalschutzes Im Laufe der Zeit und letztlich durch die Neuorganisation des Eisenbahnnetzes in Berlin (Pilzkonzept) wurde eine Vielzahl der Yorckbrücken nicht mehr benötigt. Die Abrisspläne der Deutschen Bahn AG wurden nicht umgesetzt, da sie zum einen kostenintensiv und zum anderen infolge einer öffentlich angestoßenen Diskussion zum Erhalt der Yorckbrücken als Baudenkmal nicht mehr ohne weiteres möglich waren. Seit der Aufnahme der Yorckbrücken in die Denkmalliste Berlins im Jahre 1993 unterliegt das gesamte Brü- 430 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Die genieteten Yorckbrücken in Berlin - Instandsetzung und Umnutzung ckenensemble dem Denkmalschutz. Das bedeutet unter anderem, dass alle Bestandteile wie Einzeldenkmale zu behandeln sind und Änderungen immer dem denkmalrechtlichen Genehmigungsvorbehalt unterliegen. Die älteste Brücke 5 wurde im August 2012 nach der Sanierung wieder eingesetzt, wobei sie zunächst ohne weitere Nutzung blieb. In dem zwischen der DB AG und der Stadt Berlin geschlossenen Yorckbrückenvertrag 2014 wurde festgelegt, dass ein Teil der Yorckbrücken saniert und zu Geh- und Radwegbrücken umgenutzt werden. Die Brücken 11, 14, 15 und 17 wurden im Januar 2016 ausgehoben, um sie zu sanieren. Für die Sanierung dieser Brücken bestand die wesentliche Forderung des Denkmalschutzes in der langfristigen Sicherung, Instandsetzung und dem Erhalt der gusseisernen Hartungschen Säulen sowie der originalgetreuen Sanierung der Überbauten. Zierelemente sollten nicht ersetzt werden, sodass eine deutliche gestalterische Unterscheidung von neuen und historischen Elementen, zum Beispiel bei den Geländern möglich war. Es wurde weiter gefordert, dass die Niettechnik zum Einsatz kommen sollte - was bedeutete, dass hochfeste oder nietähnliche Schrauben oder auch HRC-Schrauben, die im Regelfall bei derartigen Sanierungen zum Einsatz kommen, nicht verwendet werden durften. Weitere Forderungen waren die originalgetreue Mauerwerkssanierung der Widerlagerfl ächen, der Erhalt von Natursteinabdeckungen sowie die Entfernung der in der Zwischenzeit angeordneten Betonummantelung der Sockelfüße aus Gründen des Anprallschutzes. 3.3 Vorgefundener Zustand Vor Beginn der Planung wurde der Zustand der zu sanierenden Brücken festgestellt. Wegen der unsachgemäßen Demontage und ungeschützten Lagerung der ausgehobenen Brücken waren diese allerdings in einem bedauernswerten Zustand. Im Wesentlichen wurde folgendes festgestellt: - erhebliche Schäden des Korrosionsschutzes, teilweise großfl ächige Durchrostungen, Korrosionsschutz nicht mehr vorhanden, weitere Schäden durch Bewuchs, Graffi ti - nicht mehr vorhandene oder stark abgerostete Nieten - grobe Schäden infolge unsachgemäßen und unplanmäßigen Schneidens mit Schneidbrenner bei der Demontage, insbesondere im Bereich der ehemaligen Gerbergelenke - Anprallschäden, fehlende Ausstattungsbauteile (Geländer, Verzierungen) - Lagerbänke und Kammerwände durch Frost-Tauwechsel und Wurzeldruck teilweise zerstört, Lager durch Korrosion zerstört oder nicht mehr vorhanden - Stützen: Korrosionsschutzschäden, Betonummantelungen zum Anprallschutz Abb. 6: Vorgefundener Zustand Überbauten Abb. 7: vorgefundener Zustand Überbauten Abb. 8: Unsachgemäßer Trennschnitt in den Gerbergelenken Abb. 9: Bewuchs 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 431 Die genieteten Yorckbrücken in Berlin - Instandsetzung und Umnutzung Abb. 10: Lagerbank mit Resten vorhandener Lager 3.4 Wesentliche Konstruktionslösungen der Planung 3.4.1 Grundsätzliche technische Lösung Seit der Entscheidung zur Umnutzung der Brücken wurden mehrere Anläufe genommen, um eine genehmigungsfähige Sanierungsplanung zu erstellen. Zur grundsätzlichen technischen Lösung gab es verschiedene Variantenuntersuchungen, bei denen die unterschiedlichen Randbedingungen berücksichtigt werden mussten. Hierbei war es erforderlich, neben den technischen Möglichkeiten und den denkmalschutzrechtlichen Anforderungen auch die Belange des späteren Baulastträgers (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin) sowie die Bedürfnisse weiterer Beteiligter zu berücksichtigen. Eine der schwersten Einschränkungen bei allen Überlegungen zur Sanierung und Umnutzung stellte die Stellung der Stützen im Bezug zu den Fahrbahnen der Yorckstraße dar. Bis auf eine Brücke befi nden sich alle Stützen am unmittelbaren Fahrbahnrand der vielbefahrenen Yorckstraße im unmittelbar durch Anprall gefährdeten Bereich. Dieser Umstand hatte in früheren Jahren dazu geführt, dass beinahe alle Stützen mit einem als Anprallschutz fungierenden Betonsockel versehen wurden, die aber dem Denkmalschutz zuwiderliefen. Um dieses Problem zu lösen, wurden im Rahmen der Sanierungsplanung mehrere Varianten untersucht: - Nachweisführung der Stützen auf Anprall - Verringerung der Straßenbreite (womit die Stützen aus dem Anprallbereich herausfallen) - Veränderung der Stützenposition (Verlegung weg vom Fahrbahnrand) - Änderung des statischen Systems der Überbauten, um die Stützen überfl üssig zu machen Abb. 11: Änderung des statischen Systems zum Einfeldträger durch Gerbergelenk- und Stützenentfall Von den genannten Varianten wurde die letzte als wirtschaftlich und statisch vertretbare Lösung weiterbearbeitet. Aus den Gerbergelenkträgern der Überbauten sollten Einfeldträger gemacht und die Überbauten von den Stützen getrennt werden, siehe Abbildung 11. Diese Lösung stellte für den Denkmalschutz eine erhebliche Herausforderung dar, da die ursprüngliche Funktion der Stützen entfi el und diese nur noch als Stadtmöbel fungieren würden. Letztlich wurde gemeinsam mit dem Denkmalschutz nach Abwägung aller Schutzziele und Anforderungen die Variante als der geringste Eingriff in die Substanz gewertet. 3.4.2 Konstruktive Detaillösungen und Sanierungsarbeiten Folgende konstruktive Detaillösungen wurden im Zusammenhang mit der Änderung des statischen Systems erforderlich. - Schließen der Gerbergelenke - Anordnung und Vernietung zusätzlicher Lamellenpakete - Trennung der Stützen vom Überbau und Einbau einer Sicherungskonstruktion im Falle eines Fahrzeuganpralls sowie Sicherung des Überbaus gegen Schwingungen 432 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Die genieteten Yorckbrücken in Berlin - Instandsetzung und Umnutzung Folgende weitere Sanierungsarbeiten wurden im Zusammenhang mit den Stahlbauarbeiten erforderlich: - Instandsetzung von korrosionsgeschädigten Bauteilen - Ersatz von Bauteilen, die nicht mehr instandgesetzt werden konnten - ersatzlose Demontage von Bauteilen, die stark geschädigt waren und nicht der ursprünglichen Bauzeit der Brücken zuzuordnen waren - vollständige Erneuerung des Korrosionsschutzes Folgende weitere Sanierungsarbeiten wurden im Zusammenhang mit der Gesamtbaumaßnahme weiter erforderlich: - vollständige Erneuerung von Lagerbänken und Lagersockeln - Sanierung des Sichtmauerwerks unter Begleitung eines Restaurators - Einbau neuer Brückenlager - Änderung der Gehbahnen durch Entfernung des alten Gleisbettes und Einbau einer neuen Gehbahn bestehend aus einer Leichtbetonschicht und darauf aufgebrachtem Gußasphalt - Einbau einer neuen Übergangskonstruktion zwischen Brückenbelag und angrenzendem Parkweg - Einbau neuer Geländer - Installation von Vogelschutzmaßnahmen Die wesentlichen Sanierungsarbeiten sind nachfolgend in Planung und Ausführung beschrieben. Abb. 12: Geplanter Querschnitt 4. Ausführung Reinigung und Instandsetzung geschädigter Bauteile Nach dem Transport der Brücken zum Fertigungsbetrieb wurden alle Brückenteile gereinigt. Wegen der unsachgemäßen Lagerung führte die Kombination aus Korrosionsschäden, mechanischen Schäden und Pfl anzenbewuchs zunächst zur untypischen Grundreinigung, die darin bestand, erhebliche Erdanhaftungen und Pfl anzenbewuchs zu beseitigen. Nach dieser Grundreinigung wurden die Brücken von den restlichen Asphaltanhaftungen im Bereich der ehemaligen Gleisbetten befreit. Die ursprünglich geplante Entfernung der Asphaltreste durch Sandstrahlen erwies sich als untauglich, weil es durch den hohen Energieeintrag beim Sandstrahlen zu einer Erwärmung des Asphalts kam und dieser lediglich auf dem Stahl zusammengeschoben wurde. Die Asphaltreste mussten also in mühevoller Handarbeit abgestemmt werden. Abb. 13: Typisches Schadensbild im Bereich der Auflager Nachdem die Brücken von Asphalt und Erdanhaftungen befreit waren, konnten sie mittels Sandstrahlen gereinigt werden und erhielten unmittelbar im Anschluss einen Grundierungsanstrich als Montagebeschichtung. Bei der darauffolgenden Schadensaufnahme sollten möglichst viele Schäden systematisiert werden, was aber nur teilweise gelang. Der größte Teil der Schäden war an allen Brücken zu beobachten, so dass für bestimmte Schadensbilder Regeldetails für die Sanierung entwickelt werden konnten. Dies betraf vor allem Schäden an Bauteilen der Dienstgehwege sowie an den außenseitigen Bauteilen der Brücken. Alle Brücken wiesen in den Lagerbereichen Korrosionsschäden auf, die darauf zurückzuführen waren, dass die Brückenenden direkt mit dem Erdreich in Kontakt waren. Die Abbildungen 13 und 14 zeigen typische Schadensbilder im Bereich der Aufl ager. Abb. 14: Typische Schadensbilder in den Lagerbereichen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 433 Die genieteten Yorckbrücken in Berlin - Instandsetzung und Umnutzung Auch horizontale Flächen, von denen das Wasser schlecht ablaufen konnte, waren bei allen Brücken stark korrodiert. Teilweise waren die Flansche der Untergurte an den Hauptträger vollständig abgerostet. Weiter waren vereinzelt über die gesamte Brückenlänge linienförmige Korrosionsschäden an den Hauptträgerstegen erkennbar, die tragfähigkeitsrelevant waren und nach rechnerischer Überprüfung zwingend zu verstärken waren. Die gemessenen Abrostungen betrugen teilweise bis zu 8 mm an den ursprünglich 12 mm dicken Stegen. Die Verstärkung durch ein aufgenietetes durchgehendes Pfl aster ist in Abbildung 15 gezeigt. Abb. 15: Aufgenietetes Pfl aster als Stegverstärkung infolge Abrostung Im Bereich der Gehbahn waren die Konstruktionen teilweise durch Asphaltanhaftungen geschützt. Allerdings zeigte sich nach der Reinigung und einer stichprobenartigen Demontage von Anbauteilen, dass auch dort erhebliche Korrosionsschäden vorhanden waren. An den Nieten wurden ebenfalls Schäden erkannt, die für alle Brücke nahezu identisch waren. Ausnahmslos alle Schäden an Verbindungsmitteln waren durch Korrosion verursacht, wobei der Schädigungsgrad von Brücke zu Brücke variierte. Oft war das Umgebungsmaterial um die Niete erheblich geschädigt, während die Niete selber fast unbeschädigt waren. Dies ist möglicherweise auf das unterschiedliche Material des Grundwerkstoffs und der Nieten in Bezug auf die elektrolytische Reihe zurückzuführen (Abbildung 16). Abb. 16: Materialschwächungen Alle diese Schäden sollten unter strenger Beachtung des Denkmalschutzes saniert werden. Da aufgrund der nur bedingt schweißgeeigneten Materialien umfangreiche Schweißarbeiten nicht ausgeführt werden konnten, hieß das letztendlich, dass alle neu einzubauenden Verstärkungen durch Nieten zu verbinden und die nicht mehr funktionsfähigen Niete durch neue Niete zu ersetzen waren. Schließen der Gerbergelenke Zum Schließen der Gerbergelenke (Abbildungen 8 und 17) mussten sowohl die Stege als auch die Gurte der Hauptträger konstruktiv verändert werden. Dabei waren auch die während des Ausbaus der Brücken entstandenen Schäden zu berücksichtigen. Die geplante Stegverstärkung besteht aus Blechen, die auf den Innen- und Außenseiten der Hauptträger das Gelenk überbrücken. Dazu mussten die neben den Gelenken angeordneten Steifen entfernt und die durch den Ausbau der Brücken entstandenen unkontrollierten Brennschnitte durch Begradigung der Schnittkanten beseitigt werden. Diese Schäden rühren daher, dass beim Ausbau der Brücken die Gelenkbolzen nicht gelöst wurden, sondern die Blechpakete im Gelenkbereich mit Brennschnitten zertrennt wurden, siehe Abbildung 17. Abb. 17: Zustand der Gerbergelenke vor der Sanierung Nach der Demontage der gelenknahen Steifen und überfl üssig gewordener Bleche wurden alle Kanten sauber beschliffen. Eine Forderung des Denkmalschutzes war, dass sich das Nietbild der Verstärkungen an dem historischen Nietbild orientiert, d.h. Nietdurchmesser und - abstände sollten mit den originalen Nietbildern optisch zumindest harmonieren und im besten Fall übereinstimmen. Hinzu kam die Forderung des zukünftigen Unterhaltungslastträgers nach dem Verschluss nicht mehr genutzter Nietlöcher. Um beiden Forderungen mit möglichst wenig Aufwand gerecht zu werden, wurden die 434 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Die genieteten Yorckbrücken in Berlin - Instandsetzung und Umnutzung vorhanden Nietlöcher genau vermessen und die Bemessung für die neuen Blechlaschen darauf abgestimmt. Abb. 18: Zertrennte Blechpakete im Gelenkbereich Das Ergebnis sind Steglaschen, denen man kaum ansieht, dass sie nachträglich angebaut wurden, siehe Abb. 19. Abb. 19: Planung und Ausführung der Gelenkschließung Tab. 1: Korrosionsschutzangaben Anordnung neuer Gurtlamellen Zur Erhöhung der Biegesteifigkeit war es erforderlich, die Lamellenpakete der Ober- und Untergurte zu verstärken. Diese Lamellenpakete wurden geöffnet und durch zusätzliche Lamellen verstärkt. In Brückenmitte war es nicht erforderlich, die Anzahl der Lamellen zu erhöhen. Lediglich die Länge der Lamellenpakete wurde erhöht und so dem neuen Momentenverlauf angepasst. Korrosionsschutz Nach Abschluss der stahlbaumäßigen Bearbeitung wurde der Aufbau des Korrosionsschutzes gemäß ZTV-ING und Abstimmung mit dem Baulastträger gemäß Tab. 1 in der Werkstatt ausgeführt. Dies erfolgte überwiegend mit Spritzpistole im Schutzzelt. Schwer zugängliche Bereiche wurden mit Pinsel und Rolle bearbeitet. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 435 Die genieteten Yorckbrücken in Berlin - Instandsetzung und Umnutzung Trennung der Überbauten und Sicherung gegen Schwingungen Die Trennung der Überbauten von den Stützen vollzog sich relativ einfach, da die Lager und die Lagersockel erneuert werden mussten. Die Höhe der neuen Lagersockel wurde so abgestimmt, dass unter Volllast noch ein planmäßiger Spalt von 2 cm zwischen OK Stütze und UK Hauptträger bleibt. Da die Brücken Teil einer Parkanlage sind, die sich sehr großer Beliebtheit bei jungen Leuten erfreut und im Umfeld regelmäßig Veranstaltungen stattfinden, wurde auch die eher dem Vandalismus zuzurechnende Belastung aus der theoretisch möglichen gezielten Schwingungsanregung durch größere Menschenmengen beachtet. Die 1. vertikale Eigenfrequenz der Brücken liegt mit ca. 2,6 Hz außerhalb des kritischen Bereiches. Trotzdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine harmonische Anregung durch größere Menschenmengen zu Schwingungsamplituden führt, die für das Bauwerk unerwünscht sind und durch die sich die Brücken auf den Stützen absetzen könnten. Zu diesem Zweck wurden auf den Stützenköpfen Elastomerkissen angeordnet, die einen harten Stoß dämpfen und eine weitere Amplitudenzunahme unmöglich machen. Stützensanierung und Einbau der Sicherungskonstruktionen gegen Fahrzeuganprall Die Stützen wurden im Rahmen der Sanierung in ihre Einzelteile zerlegt wobei, wobei sich nur geringe Schäden zeigten. Diese Schäden waren vorrangig auf die Verzierungselemente beschränkt. Irreparabel geschädigte Elemente wurden gemäß den Forderungen des Denkmalschutzes jedoch nicht ersetzt, so dass an den sanierten Stützen die zeitabhängigen Schäden noch ablesbar sind. Da die Stützen nach der Sanierung weder die Betonummantelung haben noch mit den Brücken verbunden sein sollten, wären sie ohne konstruktive Änderungen nicht standsicher gewesen. Die Lösung bestand darin, in die Stützen ein Rohr einzusetzen, welches in das Fundament einbetoniert wird. Die Kapitelle, die ursprünglich fest mit den Brücken verbunden waren und ein Kalottenlager enthielten, wurden kraftschlüssig mit Stütze und Rohr verbunden. Auf den Oberseiten der Kapitelle wurden Elastomerkissen angebracht. Im Endzustand entsteht so der Eindruck, dass die Stützen immer noch die Brücken tragen. Die nun als Stadtmöbel deklarierten Stützen sind gemeinsam mit ihrem innen liegenden Tragrohr für eine verminderte Anpralllast bemessen, so dass sie im Falle eines Unfalls nicht schlagartig versagen. Einbau neuer Brückenlager einschl. Erneuerung der Lagerbänke und -sockel Die historischen Brückenlager bestanden aus Gleitlagern aus Stahl. Diese Lager waren teilweise durch Korrosion fast vollständig zerstört und mussten ersetzt werden. Aus unterhaltungstechnischen Gründen wurde entschieden, moderne Elastomerlager einzubauen. Da auch die Lagersockel und Lagerbänke aufgrund ihres Zustandes erneuert werden mussten, stellte der Einbau neuer Lager keine größere Herausforderung dar. An den Brücken wurde das Ziel verfolgt, die obere Lagerplatten und die Keilplatten so schmal wie möglich auszubilden, damit sie nur wenig über die tatsächlich sehr schmalen Untergurte der Hauptträger hinausragen. Die Kammerwände, Lagersockel und Lagerbänke wurden an allen Brücken erneuert. Aus Gründen der Dauerhaftigkeit wurden diese Bauteile in Stahlbeton ausgeführt. Die Kammerwände wurden durch eine gemauerte Vorsatzschale der historischen Optik angepasst. Parallel zur Sanierung der Brücken und Lagerbereiche wurde durch die DB AG auch das Vorsatzmauerwerk aller angrenzenden Bereiche saniert. Oberhalb der Yorckstraße wurden parkseitig die Balustraden neu hergestellt und mit Geländern versehen (Abbildung 20). Abb. 20: Gemauerte Vorsatzschale in historischer Optik Einbau einer neuen Gehbahn einschl. Entwässerung und Übergangskonstruktion Für die Nutzung als Geh- und Radwegbrücken wurden zwei Varianten der Gehbahnausbildung untersucht. Die Variante der Ausbildung mit einem GFK-oder Holzbelag 436 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Die genieteten Yorckbrücken in Berlin - Instandsetzung und Umnutzung wurde relativ schnell verworfen, weil die Frage der Entwässerung nicht zufriedenstellend gelöst werden konnte und zudem der Belastungsansatz eines Dienstfahrzeuges nicht oder nur sehr schwer hätte realisiert werden können. Als zweite und schließlich auch umgesetzte Variante wurde die Ausbildung einer Asphaltdeckschicht auf einer Betonunterlage mit dazwischenliegender Bitumenabdichtung untersucht. Hierzu wurden die Buckelbleche erhalten und im Falle von Undichtigkeiten korrosionsgeschützt. Zu beachten waren dabei die Einhaltung konstruktiver Regeln für den Beton, die Mindestdicke der Asphaltdecke, die Ausbildung der Entwässerung sowie die Führung der Abdichtung. Insbesondere die Führung der Abdichtung aus Bitumenschweißbahnen erwies sich dabei als Zwangspunkt, da in den Randbereichen der Gehbahnen eine große Menge an Nieten vorhanden waren und die Verklebung oder Klemmung der Bitumenbahnen in diesen Bereichen nicht möglich ist. Andererseits wurde die Betondicke geringgehalten, um das Gewicht der Gehbahn zu reduzieren. Der endgültige Querschnitt ist in Abb. 21 dargestellt. Abb. 21: Neuer Gehbahnaufbau Der Bereich vom Boden der Buckelbleche bis über die Querträger wurde mit Leichtbeton aufgefüllt. Die erforderliche Dicke des Betons über den Querträgern ergab sich aus der Höhe der Entwässerungsrinnen, die in den Asphalt und den Beton eingelassen ist. Die Abdichtung wird seitlich auf die Schotterbegrenzungsbleche geführt und dort mit einer Klemmleiste befestigt. Damit endet die Abdichtungsebene unterhalb der über die Brückenlänge durchgehenden Nietreihe zur Befestigung der Schotterbegrenzungsbleche am Steg der Hauptträger, siehe Abbildung 22. Die Entwässerung der Brücken erfolgt von der Mitte der Brücken ausgehend in Längsrichtung zu den Widerlagern. Durch die Ausbildung von Gefällebereichen wird das Wasser zu den an den Brückenenden nahezu mittig angeordneten Entwässerungsrinnen geführt. Abb. 22: Gefälleausbildung Die erforderlichen Gefälle auf dem Belag wurden bereits im Leichtbeton angelegt, so dass der Asphalt an allen Stellen die gleiche Dicke aufweist, siehe Abbildung 23. Während der Bauausführung stellte sich heraus, dass die Kombination aus Leichtbeton, Bitumenschweißbahn und Asphalt nicht unproblematisch ist. Die Entwicklung der Restfeuchte des Leichtbetons ist gegenüber Normalbeton deutlich verzögert und die erreichbare Restfeuchte liegt aufgrund der Zuschläge im Beton ohnehin über der von Normalbeton. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 437 Die genieteten Yorckbrücken in Berlin - Instandsetzung und Umnutzung Abb. 23: Gehbahn Randdetail Bei ungünstigen Witterungsverhältnissen kann dieser Schichtenaufbau dazu führen, dass sich die erforderliche Restfeuchte im Leichtbeton nicht einstellt und es nach dem Aufbringen der ersten Asphaltschicht zur Blasenbildung im Asphalt kommt. Um das Risiko einer solchen Blasenbildung zu vermeiden wurden eine Probefläche angelegt und daraufhin unter Hinzuziehung eines Sachverständigen der Schichtenaufbau optimiert. Einbau neuer Geländer Da die Brücken als kombinierte Geh- und Radwege genutzt werden sollen, mussten neue Geländer mit einer Höhe von 1,30 m ab OK Gehbahn installiert werden. In Abstimmung mit dem Denkmalschutz wurde ein Geländerentwurf ausgewählt, der durch seine Sachlichkeit die Charakteristik der Brücken als Technikdenkmal unterstreicht und durch seine Farbgebung als nachträglich ergänztes Element erkennbar sein soll, siehe Abbildung 24. Aus gestalterischen Gründen wurde festgelegt, die Fußplatten der Geländerpfosten mit der Brücke zu vernieten. Die Fußplatten sitzen auf den Lamellen und die Nietlöcher mussten auf das Nietbild der Lamellenbefestigung abgestimmt werden, was zu individuellen Geometrien für jede Fußplatte führte. Abb. 24: Geländerplanung Auch die Geländerpfosten sind Einzelfertigungen, da sie wegen der abgestuften Lamellenpakete in ihrer Länge differieren. Die endgültige Ausführung der Geländer ist in Abbildung 25 gezeigt. Abb. 25: Geländerausführung 5. Projektbeteiligte Bauherr Grün Berlin Stiftung - Brücken 10, 11, 14, 17 DB Netz AG - Brücke 15 Unterhaltung nach Fertigstellung Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz - Brücken 10, 11, 14, 17 DB Netz AG - Brücke 15 Entwurfsverfasser Klähne Beratende Ingenieure im Bauwesen GmbH LPH 4 - 9 KLÄHNE BUNG Beratende Ingenieure im Bauwesen GmbH BUNG Ingenieure AG, Heidelberg Prüfingenieur Dipl.-Ing. Josef Seiler Bauausführung Heckmann GmbH & Co. KG 438 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Die genieteten Yorckbrücken in Berlin - Instandsetzung und Umnutzung Denkmalschutz Landesdenkmalamt Berlin Untere Denkmalschutz-Behörde Tempelhof-Schöneberg Literaturverzeichnis [1] Georg Mehrtens: Der deutsche Brückenbau im XIX. Jahrhundert, Verlag von Julius Springer, Berlin 1900 [2] F.Krause; F.Hedde: Die Brückenbauten der Stadt Berlin von 1897 bis Ende 1920, Zeitschrift für Bauwesen, Jahrgang 1022; Verlag von Wilhelm Ernst u. Sohn, Berlin [3] www.wikipedia.de: Yorckbrücken BIM 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 441 smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings Christof Ullerich Hamburg Port Authority AöR, Hamburg, Deutschland Matthias Grabe Hamburg Port Authority AöR, Hamburg, Deutschland Dr. Marc Wenner MKP GmbH Marx Krontal Partner, Hannover, Deutschland Dr. Martin Herbrand WTM Engineers GmbH, Hamburg, Deutschland Zusammenfassung Zyklische, handnahe Inspektionen nach DIN 1076 [1] bilden die Datenbasis für die Instandhaltungsplanung unserer Ingenieurbauwerke, die Berechnung von Zustandsnoten erfolgt dabei auf Grundlage erkannter Schäden. Die Dokumentation der Prüfung erfolgt überwiegend im Programmsystem SIB-BW. Das System sorgt für einen vergleichsweise einheitlichen Bewertungsstandard und ermöglicht in begrenztem Umfang retrospektive und prospektive Betrachtungen für die Instandhaltungsplanung. Neuere Entwicklungen wie BIM oder die in anderen Wirtschaftszweigen etablierte kontinuierliche, sensorbasierte Zustandserfassung bleiben bislang konzeptionell unberücksichtigt. Vor dem Hintergrund der digitalen Transformation stellt sich die Frage, wie sich die etablierte manuelle und die digitale Zustandsbeurteilung sowie BIM generierte Daten in eine durchgängige digitale Prozesskette integrieren lassen und welcher Nutzen sich so generieren lässt. Die Hamburg Port Authority (HPA) hat daher das Projekt „smartBRIDGE Hamburg“ initiiert, das prototypisch, anhand der Köhlbrandbrücke in Hamburg das Konzept des digitalen Zwillings pilotiert. Der digitale Zwilling dient dazu BI-Modell sowie analoge und elektronische Zustandserfassung konzeptionell zu vereinigen und die über mehrere Schichten aggregierten Daten unterschiedlichsten Nutzergruppen bedarfsgerecht bereitzustellen. Der Beitrag stellt Prämissen und Grundüberlegungen zur Projektinitiierung vor. Er wurde bereits in der Zeitschrift „Bautechnik“ Ausgabe 2/ 2020 veröffentlicht [2]. Cyclic inspections by hand according to DIN 1076 [1] are the basis for planning maintenance and repair measures for our engineering structures. The calculation of condition ratings is performed based on detected deficiencies. The documentation of the inspection is done primarily within the program system SIB-BW. The system offers a comparably uniform rating standard and enables a limited retrospective and prospective view for maintenance planning. New developments like BIM or continuous, sensor-based monitoring, which is established in other branches, are not yet conceptually integrated. In light of the digital transformation the question arises how the well established manual and the digital assessment as well as BIM generated data can be unified within one continuous process chain and which benefits can by created by doing so. Therefore, the Hamburg Port Authority (HPA) has initiated the “smartBRIDGE Hamburg” project which prototypically tests the concept of the digital twin using the Koehlbrandbruecke in Hamburg. The digital twin is used to conceptually unify the BI-model as well as analogue and electronic assessment data and to provide aggregated data in a form that meets the needs of different user groups. This paper presents premises and basic considerations prior to project initiation. It has already been published in the journal “Bautechnik” in issue 2/ 2020 [2]. 442 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings 1. Intention Ausgangspunkt der Initiative ist die Überlegung, die Datengrundlage für Prognostik im Sinne „Was wird wann passieren? “ (prädiktive Instandhaltung) zu verbessern, indem man den zyklischen Informationsfl uss (Bauwerksprüfung) durch einen kontinuierlichen (Sensorik) ergänzt. Die klassische Erhaltungsplanung ist primär reaktiv. Prädiktive Instandhaltung ist aus Sicht eines Infrastrukturbetreibers wie der Hamburg Port Authority (HPA) wünschenswert, denn durch kontrollierte Schadensentwicklung und anschließend kontrollierte Alterung werden Maßnahmen potenziell besser plan-, steuer- und koordinierbar. Gleichzeitig kann der Ressourceneinsatz optimiert und nachhaltiger gestaltet werden, was letztlich eine bessere Verfügbarkeit und weniger Verkehrsstörungen verspricht. Bild 1 - Köhlbrandbrücke Hamburg (hpa-Bildarchiv: Martin Elsen) Diese Aspekte kommen besonders zum Tragen, wenn es schon Defi zite gibt, deren Parameter es kontinuierlich zu überwachen gilt. Die HPA beschäftigt sich sehr intensiv mit der Optimierung ihrer Instandhaltungsstrategie, denn das gewachsene, multimodale Verkehrsnetz des Hafens muss täglich erhebliche Verkehrsmengen bewältigen. Im bereits hoch ausgelasteten Verkehrsnetz des Ballungsgebietes Hamburg sind Kompensationsreserven rar, folglich verursachen Erhaltungsmaßnahmen, Ersatzneubauten und Havarien heute nahezu immer schwere Störungen im Verkehrsfl uss. Hafenwirtschaft, Sondertransporte, Spediteure und Pendlerverkehr erwarten jedoch eine durchgängig hohe Leistungsfähigkeit und Verfügbarkeit der Infrastruktur. Neben dem Status Quo gilt es die zukünftige Entwicklung zu berücksichtigen: Der Individualverkehr und das Transportgewerbe stehen in der nächsten Dekade vor gewaltigen Veränderungen. Stichworte sind hier Mobilität als Service, autonome Mobilitäts- und Transportplattformen sowie die Kommunikation von Fahrzeugen mit infrastrukturellen Einrichtungen (C2X). Mobility 4.0 verheißt völlig neue digitale Verkehrsdienstleistungen mit robotischer Effi zienz, was potentiell zu bisher unbekannten Nutzungsintensitäten führt. Dass diese Entwicklung kommt ist unstrittig. Wie sie sich konkret darstellt, lässt sich nicht vorhersehen. Vorhersehbar ist jedoch, dass der mit der Entwicklung einhergehende massive Grad der Vernetzung ganz neue Maßstäbe an die Planung, Durchführung und Koordination im Bereich der Bauwerksunterhaltung setzen wird. Im besten Fall gibt es durch die Vernetzung der Transportsysteme mehr systemische Redundanzen, im schlechtesten Fall nur weitere Abhängigkeiten. Von Infrastrukturbetreibern, wie der Hamburg Port Authority (HPA), wird erwartet, dass sie die daraus resultierenden Veränderungen antizipieren und proaktiv strategisch berücksichtigen. 2. Fachliche und allgemeine Einordnung Zum Verständnis des Umsetzungskonzeptes ist es notwendig eine fachliche und allgemeine Einordnung vorzunehmen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 443 smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings Für Ingenieurbauwerke ist seit 1930 die handnahe, zyklische Inspektion nach DIN 1076 [1] (mehrfach überarbeitet) Stand der Technik. Die Dokumentation der Prüfung nach RI-EBW-PRÜ [3] erfolgt meist im Programmsystem SIB-BW, wobei die Struktur und der Umfang der Bauwerksdaten durch die ASB-ING [4] definiert werden. Zusammen mit der RPE-Ing [5] hat Deutschland ein sehr gutes, einheitliches, konzeptionell schlüssiges und bewährtes System zur Erhaltung von Ingenieurbauwerken. Anzumerken und zu beklagen ist in diesem Zusammenhang, dass es kein einheitliches Bauwerksmanagement- System (BMS) gibt. Wie viele anderen Infrastrukturbetreiber wendet auch die HPA die durch den obigen Kanon der Regelungen vorgegebene Methodik an. Vor dem Hintergrund der digitalen Transformation besteht ein hohes Interesse die Prozesse in Richtung einer digitalen Prozesskette zu entwickeln und dabei die Zustandsbeurteilung eng mit dem Erhaltungsmanagement System (EMS) [6] der Hansestadt zu verbinden. Der Beitrag fokussiert dabei die Asset Klasse Brücken und konstruktive Bauwerke. Das Erhaltungsmanagement der Hansestadt kennt eine strategische und eine operative Ebene [Bild 2]. An der Schnittstelle der Ebene werden fachtechnische Daten in finanztechnische Daten transformiert. Das hier behandelte Thema ist der operativen Ebene zuzuordnen. Es geht um die Bestands- und Zustandserfassung (1) und die Prognostik bzw. daraus abgeleitete Szenarien (2) gemäß [Bild 2]. Der Zweck ist Werterhalt durch ausreichende Investitionen. Erhaltungsziel ist es, einen Bauwerkszustand und eine Tragfähigkeit sicherzustellen, die den regelmäßigen Verkehrsbedürfnissen genügen. Bild 2 - Elemente des zentralen Unterhaltungsmanagements und Prozess der Operativen Ebene des Erhaltungsmanagements (Quelle: Drucksache 21/ 13592 3. Sensorik Die Durchführung zyklischer Inspektionen (zeit- oder nutzungsabhängig) bildet auch in vielen anderen Wirtschaftsbereichen die Grundlage für Handlungs- und Entscheidungsprozesse im Rahmen des Erhaltungsmanagements. In nahezu allen Bereichen werden diese Inspektionen heute durch automatisierte, sensorbasierte Zustandsbeurteilungen begleitet oder ergänzt. Entsprechende IT-Systeme geben Auskunft zu aktuellen Betriebs- oder Vitalparametern und erzeugen die Datenbasis für Handlungsstrategien. Im Vergleich zum Maschinenbau sind die Assets im Bauwesen und speziell im Brückenbau sehr individuell ausgebildet (Unikate) und von vergleichsweise großer räumlicher Ausdehnung. Im Vergleich zu anderen Geräten des täglichen Gebrauchs sind Bauwerke darüber hinaus für eine sehr hohe Lebensdauer angelegt (>50 Jahre), sodass sich Schäden oft graduell über große Zeiträume entwickeln. Deshalb kann die automatisierte Zustandsbeurteilung heute (und auch weit in der Zukunft) immer nur Teilaspekte einer vollumfänglichen Bauwerksinspektion abdecken und unterstützend funktionieren. Die zyklische Inspektion nach DIN 1076 wird noch viele Jahrzehnte das Kernelement der Zustandsbeurteilung bleiben müssen und die Sensorik wird sich auf Assistenzfunktionen beschränken. Extrapoliert man jedoch die Entwicklung aus anderen Wirtschaftsbereichen ist davon auszugehen, dass Sensorik auch im Bereich der Infrastruktur für Individual- und Netzbetrachtungen zunehmende Verbreitung finden wird. So scheint es durchaus zweckmäßig bei komplexen Bauwerken grundsätzlich eine sensorische Grundausstattung für sensible Bauteile vorzusehen, die dann im Lebenszyklus des Bauwerkes bedarfsgesteuert ergänzt werden kann. Wird diese Ausstattung mit der Erstellung geplant, so wie ein Inspektionskonzept für die Bauwerksprüfung, sind Aufwand und Kosten dafür im Gesamtaufwand marginal. 444 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings Vorteile sind: • Durch die kontinuierliche Datenerfassung entsteht eine Datenhistorie, mit der sich im Zuge der Inspektion gefundene Schäden plausibilisieren lassen. Die Beurteilung von Schäden (z. B. OSA) kann schneller erfolgen, da bereits Messdaten vorliegen. • Die Datenhistorie ermöglicht es ungestörte oder gestörte Alterungsverläufe zu detektieren und zu verfolgen, was die Grundlage für eine Prognostik ist. • Einflüsse von Nutzungsänderungen oder Sondernutzungen (Schwertransporte, Überladung, Verkehrslenkungsmaßnahmen) können verfolgt werden. • Durch die kontinuierliche Überwachung von maßgebenden Stellen wird die Bauwerksprüfung der überwachten Defizite (Sonderprüfung) entlastet. • Die Wirksamkeit von Kompensationsmaßnahmen kann überwacht bzw. individualisiert werden. • Aus den Daten können zusätzliche Dysfunktionen, Schäden oder kritische Entwicklungen von Schäden erkannt werden, die im Zuge einer Inspektion zu begutachten sind. Aus den Messungen können der Ort und der Zeitpunkt einer erforderlichen Inspektion anlassbezogen definiert werden. Bild 3- DBV Merkblatt Brückenmonitoring Klassisches Monitoring [7] [Bild 3], wie wir es heute im Bereich der Infrastruktur betreiben, ist primär reaktiv oder anlassbezogen: Monitoring wird eingesetzt, wenn das Problem da ist. Der Gedanke kontinuierlicher Zustandserfassung über Sensorik im gesamten Lebenszyklus ist bisher kaum etabliert. Folglich gibt es auch keinen übergreifenden Standard (wie z.B. für Streckenstationen) oder einen konzeptionellen Rahmen (z. B. Digitaler Zwilling), in den sich entsprechende Systeme einfügen. Die Wertschöpfung aus den Daten bleibt mangels durchgängiger digitaler Prozesse auf der Fachebene [Bild 4] stecken. Es gibt bereits seit längerem unterschiedlichste Bestrebungen automatisierte Zustandsbeurteilung von Brückenbauwerken zu realisieren. Insbesondere die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) widmet sich dem Thema in einem 2011 aufgelegten Projektcluster „Intelligente Brücke“ [8] und hat hier unschätzbare Grundlagenarbeit geleistet. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 445 smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings Bild 4- Wertschöpfung aus Daten Das Projekt „smartBRIDGE Hamburg“ identifi ziert sich ausdrücklich mit den dort vorgestellten Zielen. Gegenüber dem primär forschungsgetriebenen Projektcluster verfolgt „smartBRIDGE Hamburg“ einen agilen, operativ getriebenen Ansatz. 4. BIM In Deutschland wurde die Einführung der digitalen Arbeitsmethode Building Information Modeling (BIM) für Infrastrukturprojekte durch das BMVI festgeschrieben. BIM ist eine Planungsmethode, deren Ergebnis ein physisches Objekt und eine digitale Repräsentanz in Form eines bauteilkatalogbasierten Modells ist. Bild 5- BIM Anwendungsfall sensorische Planung Je nach Level of Detail (LOD) bildet dieses Modell das Bauwerk mehr oder weniger detailliert ab. Nach Fertigstellung werden die Daten mit dem Bauwerk an den Betrieb übergeben. Zwangsläufi g stellt sich die Frage, wie diese hochwertigen und aufwendig erstellten Datenmodelle in der Bauwerkserhaltung effi zient und sinnvoll genutzt werden können. Leider ist festzustellen, dass das Know-how darüber, welche Daten langfristig im Betrieb gebraucht werden und wie diese fachgerecht aufzubereiten sind, selten vorhanden ist. Ohne einen regulatorischen Rahmen ist zu befürchten, dass BIM bei vielen Infrastrukturbetreibern nicht als Digitaler Zwilling, sondern als Datenmüll endet. Die HPA pilotiert daher neben den klassischen Anwendungsfällen (Planung und Durchführung von Grundinstandsetzung sowie Rückbau) die Möglichkeiten zur Schadensvisualisierung am Modell. Für den Anwendungsfall ist zur Zeit überwiegend Handarbeit erforderlich ein typisches Beispiel für eine unvollständige digitale Prozesskette. Wünschenswert wäre eine Integration von BIM in SIB-BW oder zumindest eine Schnittstelle von SIB-BW zu BIM, die einen direkten Schadensimport aus dem SIB-BW Programmsystem zulässt. Für den Bereich der Ingenieurbauwerke sollte dies nicht schwerfallen, da die Bauteil-Taxonomie durch die ASB-Ing vorgegeben ist. Die Vorteile wären jedoch vielfältig, u. a.: genaue Ortung der Schäden, zeitliche Verfolgung der Schadensentwicklung, Vernetzung der Schäden nach Ort und Kategorie und Ermöglichung einer detaillierten Analyse. Im Kontext des Projektes wird das BI-Modell für den Anwendungsfall der sensorischen Planung [Bild 5] und Dokumentation verwendet. Ergänzend wird das BI-Modell [Bild 6] so aufbereitet und konvertiert, dass es als Benutzerschnittstelle des Digitalen Zwillings und zur Visualisierung des Zustands-Status nutzbar ist. Dies ermöglicht es für verschiedene Nutzergruppen einen intuitiv nutzbaren Zugang zu den Daten bereit zu stellen. Die erwähnte Transformation ist erforderlich, da das aktuelle Datenmodell von BIM für diesen Anwendungsfall nicht direkt nutzbar ist. 446 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings Bild 6 Modell zur Visualisierung am Bauwerk (aus BI-Modell abgeleitet) 5. Digitaler Zwilling Ein Digitaler Zwilling ist eine digitale Repräsentation bzw. eine aktive, dynamische Simulation, die alle Daten und die damit gespeisten Modelle vereint. Der Digitale Zwilling aktualisiert sich selbst, wobei er unterschiedlichste Ressourcen (Services) nutzt, um sein reales Gegenstück möglichst genau repräsentieren zu können. Der Begriff ist unspezifi sch, wie z. B. „Lebewesen“, welcher vielfältige individuelle Ausprägungen kennt. Letztendlich ist ein digitaler Zwilling das, was man daraus macht. Seine Detaillierung und seine Ausstattung (Sensorik, Analytik, Geometrie- und Simulationsmodelle) richten sich, ähnlich wie die Level of Detail (LOD) bei BIM, nach dem Anwendungsfall. Ein digitaler Zwilling kann sich aus mehreren digitalen Zwillingen zusammensetzen und digitale Zwillinge lassen sich vernetzen. Dies ist eine sehr wichtige Eigenschaft für Infrastrukturbetreiber. Denn Infrastrukturbetreiber möchten nicht nur einzelne Objekte analysieren dies ist primär die Sicht der operativen Ebene. Auf der strategischen Ebene besteht vielmehr der Bedarf nach Netzanalysen oder Analysen von Asset-Klassen, was sich über vernetzte Zwillinge realisieren lässt. Ein weiterer Aspekt ist die Fähigkeit verschiedene Informationen in einem einheitlichen Format zu repräsentieren. Im betrachteten Kontext wäre das z. B. der Zustands- Status eines Brückenbauwerkes. Zuvor muss natürlich die Analyse der Daten erfolgen, um den aktuellen Status zu ermitteln. Um ihr Gegenstück aus der realen Welt im Sinne von Verhalten korrekt zu beschreiben, werden Algorithmen benötigt. Meist handelt es sich dabei um Simulationsmodelle, die die Eigenschaften und das daraus resultierende Verhalten des digitalen Zwillings simulieren. Ein BI-Modell ist kein digitaler Zwilling, denn ein digitaler Zwilling ist ein dynamisches, vernetzungsfähiges Modell eines Assets und besitzt Kopplung zur realen Welt [Bild 7]. BI-Modelle sind statische Modelle, die sich ohne manuelle Eingriffe (händische Modellpfl ege) nicht ändern, sie lassen sich nicht vernetzen. BIM ist nicht für betriebliche Echtzeitreaktionen ausgelegt, was die Nutzbarkeit im Kontext des Unterhaltungsmanagements einschränkt. Es gibt daher Bestrebungen die Capability Map von BIM zu erweitern. Die Abgrenzung zwischen BIM und Digitalem Zwilling verdeutlicht, dass der Digitale Zwilling ein (dezentrales) Metakonzept ist und BIM sowie sensorische und manuelle Zustandserfassung nur eine Teilmenge dieses Konzeptes sind. 6. Ingenieurbauwerke als Digitaler Zwilling Vor dem Hintergrund des Netzgedankens ist ein Einzelbauwerk, wie eine Brücke, nur ein Datenpunkt im Verkehrsnetz, dessen Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit (allg. Status) es zu berücksichtigen gilt. Brücken kommt eine besondere Bedeutung zu, da sie Zwangspunkte für den Verkehrsfl uss darstellen und i. d. R. nicht ohne weiteres ertüchtigt oder ersetzt werden können. Die Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit von Streckenabschnitten oder ganzer Teilnetze hängt ggf. von wenigen Einzelbauwerken ab. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 447 smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings Bild 7- Schema Interaktion digitaler und realer Zwilling Das Konzept des digitalen Zwillings [Bild 7] ist als konzeptioneller Rahmen sehr attraktiv, da es ausreichend groß und flexibel ist, um BIM, die etablierten Prozesse der Zustandsbeurteilung nach DIN 1076 und automatisierte Zustandserfassung (Sensorik) zu vereinen. Das Konzept ist auch mächtig genug, um Simulationen, Schädigungs- und Strukturmodelle (z. B. FEM, Probabilistik) sowie Erhaltungsstrategien (RPE-Ing) zu integrieren. Dennoch kann man sich fragen, ob ein dynamisches Modell im Ingenieurbau sinnvoll und zweckmäßig ist. Um diese Frage positiv zu beantworten, muss man einige Prämissen bejahen: • Es besteht der Anspruch die Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit (Status) von Einzelbauwerken, Teil- oder Gesamtnetzen ad hoc beurteilen zu können. • Es besteht der Anspruch netzweite Analytik (AI/ ML) und / oder Simulationen (Prognostik) auf Basis einer starken Datensammlung / Datenhistorie durchzuführen. • Es besteht der Anspruch den gesamten Lebenszyklus und den Zustandsverlauf (Stichwort RPE-Ing und Instandhaltungsstrategie) von Einzelbauwerken aber vor allem auch des Gesamtnetzes dynamisch verfolgen und prognostizieren zu können. • Es besteht der Anspruch dies über eine möglichst durchgängige und damit effiziente digitale Prozesskette zu realisieren, um die strategische und die operative Ebene des Erhaltungsmanagement möglichst nahtlos digital zu verbinden Aus obigen Prämissen lassen sich im Kontext technologische Bedarfe ableiten: 1. Systeme zur automatisierten Zustandserfassung und -überwachung, welche die etablierten Beurteilungs- und Inspektionsprozesse nach DIN 1076 unterstützen, ergänzen oder integrieren. 2. Leistungsfähige Techniken, die es den Infrastrukturbetreibern und Eigentümern ermöglichen ad hoc den Bauwerksstatus oder Netzstatus zu bewerten und zu visualisieren. 3. Tools, die den Baulastträger beim Lebenszyklus-Lebenszyklus Management (ASB-ING) unterstützen. Punkt eins formuliert den hardwareseitigen Bedarf (Sensorik und intelligente Bauteile) und lässt sich heute nur begrenzt befriedigen, wir stehen hier am Anfang der Entwicklung. Der in Punkt zwei formulierte Bedarf kann mit den heutigen Techniken zur Visualisierung nahezu vollständig bedient werden, auch wenn BI-Modelle leider (noch) nicht als Datenbasis direkt verwendet werden können. Zu Punkt drei gibt es z. B. in [3 und 5] Ansätze, die die Möglichkeit einer softwaretechnischen Umsetzung bieten. 7. smartBRIDGE Hamburg Inhalt des Projektes [Bild 8] ist die Erstellung eines Großdemonstrators mit dem Schwerpunkt auf sensorischer Zustandserfassung. Die erfassten Daten werden anschließend in den fachbezogenen Kontexten verarbeitet und ausgewertet. Dieser Auswertungsprozess verläuft kaskadierend über mehrere Stufen mit dem Ziel einer fachlichen Bewertung und einer abschließenden Abstraktion auf die Stufe von Kennzahlen (Condition Indicators). Die Zustandskennzahlen (Condition Indicators) ermöglichen es Dritten (in der Regel 448 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings keine Fachleute) einen schnellen Überblick über den Zustand des Bauwerks zu gewinnen. Bild 8smartBRIDGE Hamburg Bild 9 - Handlungsfelder und Anwendungsfälle Globalziel ist es dabei, die aktuell vorhandenen, technologischen Möglichkeiten zur Bauwerksüberwachung und Zustandserfassung in einem breiten Spektrum zu erproben und eine Methodik zu entwickeln diese in Kennzahlen zu abstrahieren. Die Systemarchitektur soll so ausgelegt sein, dass ein modulares, adaptives und massiv skalierbares System zur integralen Bauwerksüberwachung entsteht. Gegenüber klassischen Monitoringsystemen, die primär problembezogen konzipiert werden und bei denen die Datenauswertung auf Fachebene endet, grenzt sich das Projekt „smartBRIDGE Hamburg“ durch sein Metakonzept (Digitaler Zwilling) ab: „smartBRIDGE Hamburg“ integriert klassisches Monitoring, geht jedoch konzeptionell und in der strategischen Zielsetzung deutlich darüber hinaus. Das gewünschte Ergebnis ist eine 360 Grad Sicht auf das Bauwerk, sowohl auf visueller als auch auf bautechnischer Ebene. Die in den jeweiligen Handlungsfeldern [Bild 9] zu instrumentierenden Subsysteme sind somit nur ein Teilaspekt der Projektzielsetzung. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 449 smartBRIDGE Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings Das Ziel ist Reduktion von Komplexität und eine intuitive und transparente Informationsbereitstellung für einen möglichst breiten Nutzerkreis. Konkret handelt es sich um die Öffentlichkeit, Eigentümer oder Entscheider, die mit hochaggregierten Daten arbeiten. 8. Ausblick Das Thema Digitaler Zwillinge ist nicht so neu wie es ggf. scheint. Wir alle besitzen schon einen mehr oder weniger gut ausgestatteten Digitalen Zwilling im Internet. Durch unsere Interaktionen mit dem Netz (Handy, Suchanfragen, Onlinekäufe, Navigation, Fitnesstracker und soziale Medien) speisen wir mehr oder weniger intensiv und permanent unser digitales Ich. Erweitert und zentralisiert man diesen Datenbestand um Daten aus anderen Bereichen (Krankenkasse, Rentenkasse, Versicherung, Bankdaten, Arbeitgeber) erhält man eine eindrucksvolle digitale Repräsentation der eigenen Person. Verknüpft mit mächtigen Analysewerkzeugen (KI / Statistik) ergeben sich nahezu unbegrenzte Möglichkeiten. Was mit Blick auf den Datenschutz unbedingt zu verhindern ist, ist in der unbelebten Welt der Produkte und Assets durchaus wünschenswert. Per se wird diese Entwicklung dort getrieben, wo Daten erzeugt werden und einen hohen Wert darstellen, denn der digitale Zwilling entsteht durch Datenaustausch mit seinem realen Konterpart. Mobility 4.0 wird daher das Zentrum der Entwicklung sein. Als Infrastrukturbetreiber möchte die HPA diese Entwicklung frühzeitig aufgreifen und aktiv mitgestalten, indem vorhandenes Fachwissen genutzt und in neue, innovative Prozesse transformiert wird. Diese Transformation gilt es nachhaltig zu gestalten, also Innovation nicht um ihrer selbst willen zu betreiben, sondern am Bedarf auszurichten. Das Projekt „smartBRIDGE Hamburg“ fühlt sich diesem Gedanken verpflichtet. Literatur [1] DIN 1076 (1999): Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung. Stand Nov. 1999, Beuth Verlag GmbH, Berlin [2] Ullerich, C., Grabe, M., Wenner, M., Herbrand, M. (2020): smartBridge Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings, Bautechnik 97 H. 2, S. 118-125, Verlag Ernst & Sohn [3] RI-EBW-PRÜF (2017): Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten (RI-ERH-ING) - Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur [4] ASB-ING (2013): Anweisung Straßeninformationsbank Segment Bauwerksdaten, Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung, Abteilung Straßenbau [5] RPE-ING (2019): Richtlinie für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken. Entwurf [6] Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft: Drucksache 21/ 13592, Grundsätze des Erhaltungsmanagements der Freien und Hansestadt Hamburg [7] DBV-Merkblatt „Brückenmonitoring“, Fassung August 2018, Deutscher Beton- und Bautechnik- Verein e.V., Berlin 2018 [8] Bundesanstalt für Straßenwesen (2018) Intelligente Brücke [online]. [Zugriff am: 28. Okt. 2019]. https: / / www.intelligentebruecke.de/ ibruecke/ DE/ Home/ home_node.html Autoren Dipl.-Ing. Matthias Grabe Hamburg Port Authority Neuer Wandrahm 4 20457 Hamburg Dipl.-Ing. Christof Ullerich Hamburg Port Authority Neuer Wandrahm 4 20457 Hamburg Dr.-Ing. Marc Wenner MKP GmbH Uhlemeyerstraße 9+11 D-30175 Hannover Dr.-Ing. Martin Herbrand WTM Engineers GmbH Johannisbollwerk 6-8 20459 Hamburg 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 451 Erste Erfahrung und Mehrwert durch BIM im BMVI Pilotprojekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ Thomas Tschickardt M. Eng. Wayss & Freytag Ingenieurbau AG, Frankfurt am Main, Deutschland Zusammenfassung Die BIM-basierte Methode der Projektabwicklung befindet sich aktuell im Infrastrukturbau - insbesondere in der Ausführungs- und Erhaltungsphase - noch in der Erprobung. Im Rahmen der nationalen Pilotprojekte zur Vorbereitung und Erprobung des vom Stufenplan Digitales Planen und Bauen vorgegebenen Leistungsniveaus 1 im Verkehrswegebau wurden mit dem Projekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ von der Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DE- GES) im Auftrag des Landes Brandenburg und des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) BIM-Anwendungsfälle ausgeschrieben und vergeben. Es handelt sich um das erste Pilotprojekt, bei dem Planung, Ausführung und Erhaltung mit BIM aus einer Hand erfolgen. Das Vorhaben geht also mit einem in die operativen Prozesse integrierten BIM-Ansatz bis in die Erhaltung über die Erfahrungen der bisherigen Pilotprojekte des BMVI hinaus. Im Folgenden werden erste Erfahrungen und Mehrwerte aus der Implementierung und Umsetzung dieses BIM-Projektes vorgestellt. Der Beitrag ist eine Fortschreibung von [1] und bezieht sich auf [2]. 1. Projekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 1.1 Projektvorstellung Das Projekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“, welches als eines der Pilotprojekte des BMVI zur Vorbereitung und Erprobung des vom Stufenplan Digitales Planen und Bauen vorgegebenen Leistungsniveaus 1 ausgewählt wurde, erweist sich für die Anwendung der BIM-Methode als besonders geeignet, da wesentliche Teile der Wertschöpfungskette von Planung, Bau und Erhaltung aus einer Hand erfolgen. Der Auftragnehmer Havellandautobahn GmbH & Co. KG ist ein Konsortium aus der Royal BAM Group und der HABAU Hoch- und Tiefbaugesellschaft. Planungs- und Bauleistungen werden durch die ARGE A10/ A24 Havellandautobahn erbracht, Betrieb und Erhaltung erfolgen durch die Havellandautobahn Services GmbH & Co. KG. Die Leitung des BIM- Managements liegt bei der BAM-Konzerngesellschaft Wayss & Freytag Ingenieurbau AG. Die Vertragsstrecke umfasst rund 64,2 km und wird in weniger als fünf Jahren unter laufendem Betrieb ausgebaut bzw. erneuert, um dem künftigen Verkehrsaufkommen gerecht zu werden. 1.2 Leistungsumfang und BIM-Vertragsabschnitt Die BIM-Vertragsstrecke im Projekt umfasst den vierten Bauabschnitt auf der BAB A24 (Abbildung 1) im Bereich von Km 222+675 bis Km 228+175. Der Bauabschnitt hat eine Länge von 5.500m und beinhaltet zwei Tank- und Rastanlagen: Die Tank- und Rastanlagen Linumer Bruch Nord und Süd befinden sich zwischen Km 224+660 bis Km 225+210. Weiterhin beinhaltet der Bauabschnitt mehrere Ingenieurbauwerke: den Ersatzneubau des Brückenbauwerks (BW2) über die Ortsverbindungsstraße Kuhhorst - Linum bei Km 226+104, eine Lärmschutzwand (LSW) mit einer Länge von 265m im Bereich Km 225+246 bis Km 225+511 und zwei Verkehrszeichenkragarme (VZK) bei Km 224+730 und Km 225+405. Die BAB A 24 ist mit einem System zur Nutzung des Seitenstreifens (Temporäre Seitenstreifenfreigabe, TSF) durch Fahrzeuge ausgestattet. Die TSF-Anlage trägt bei hoher Verkehrsbelastung zur Verflüssigung des Verkehrs bei. Die Breitenausdehnung der BIM-Anwendungen versteht sich bis Vertragsgrenze, einbezogen werden alle Anlagenteile inkl. Bestand (Brückenbauwerk, Strecke, Tank- und Rastanlagen, Ausstattung, Entwässerung, Sparten, TSF, Fernmeldeanlagen, Landschaftsbau etc.). 1.3 BIM-Anwendungsfälle Ein BIM-Ziel ist ein vom AG definierter und in der Zukunft liegender Zustand, der durch die Anwendung der BIM-Methode erreicht werden soll. Als allgemeines Ziel verfolgt der AG den Erfahrungsgewinn mit der Anwendung der BIM-Methode bei ÖPP-Projekten. Im Vordergrund stehen für den Erfahrungsgewinn hierbei die Einbeziehung aller im Leistungsumfang enthaltenen Gewerke (Strecke, Konstruktiver Ingenieurbau etc.), die 452 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erste Erfahrung und Mehrwert durch BIM im BMVI Pilotprojekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ gesamte Wertschöpfungskette (Planung, Bau, Erhaltung) und die Durchführung der BIM-Methode bei einer Verkehrswegebaustelle. Gemäß den Vergabeunterlagen ist die Umsetzung folgender Anwendungen vertraglich gefordert: • Erstellung BIM-Modelle • Kollaboration und Kommunikation • BIM-Koordination Planung und Bau • Planableitung • 4D-Bauablaufplanung • 4D-Soll-Ist-Vergleich und Statusanzeige Erhaltung • Visualisierung der Erhaltungsmaßnahmen • Visualisierung gem. ZT-Funktionen StB A 10/ A 24 Die aufgelisteten Anwendungen resultierten in spezifischen BIM-Anwendungsfällen und werden in Kapitel 2 ausgiebig beschrieben. Abbildung 1: Projektübersicht A 10/ A 24 und BIM-Vertragsstrecke 1.4 Software Architektur In Abbildung 2 ist die Software-Architektur in Bezug auf die in Kapitel 2 umgesetzten BIMAnwendungs-fälle im Projekt zu sehen. Der Austausch der BIM-Modelle erfolgt mittels IFC-Format, aber auch mittels CPA-Format, dem spezifischen Projektformat der Koordinationssoftware. Zur Kommunikation von Ansichtspunkten, kritischen Punkten etc. wird das BCF-Format eingesetzt. 2. BIM im Lebenszyklus 2.1 BIM-Dokumente Grundlage für die digitale Planungsmethode ist die Erstellung der BIM-Dokumente „Auftraggeber-Informations-Anforderung“ (AIA) und „BIM-Abwicklungsplan“ (BAP) - die „Baubeschreibung“ für BIM-Projekte. In den AIA werden die Informationsbedürfnisse des AG definiert. Vor dem Hintergrund der umfangreichen Leistungsübertragung beim Projekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ (Planung, Bau, Betrieb und Erhaltung) hat 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 453 Erste Erfahrung und Mehrwert durch BIM im BMVI Pilotprojekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ sich der AG dazu entschlossen, in den Vergabeunterlagen (VGU) lediglich BIM-Mindestanforderungen im Sinne einer funktionalen Leistungsbeschreibung festzulegen, die Verantwortung für die Erstellung der AIA hingegen liegt beim AN. Der BAP wird in kooperativer Arbeitsweise mit dem AG und den Fachplaner erstellt. Die Zielsetzung ist, das Beste für das Projekt zu erreichen, gemeinschaftlich die Inhalte mit den hierfür zu erbringenden Leistungen aller Projektbeteiligten zu definieren und einen nationalen Standard zu entwickeln. Durch den BAP werden die Aufgaben, die Verantwortlichkeiten und die Interaktionen von jeder Organisation in Bezug auf die BIM-Informationen und die BIM-Modelle definiert. Aufgrund der rapiden Entwicklung in allen Bereichen des digitalen Planens und Bauens handelt es sich beim BAP um ein lebendes Dokument, welches im Projektverlauf kontinuierlich fortgeschrieben wird. Um die Wiederverwendbarkeit des entwickelten Dokuments zu gewährleisten, hat sich das BIM-Team dazu entschlossen, den BAP des Verfügbarkeitsmodells A 10/ A 24 mit projektspezifischen Anlagen zu entwickeln. Diese bestehen aus: • Anlage 1 - BIM-Terminplan Listet vertragsrelevante Termine, Meilensteine, Zyklus der Datenübergabepunkte der Lieferobjekte (engl. Data Drops) und den Zyklus der BIMKoordinationssitzungen auf. • Anlage 2 - BIM-Anwendungsfälle Prozesse und Durchführung Stellt die BIM-Anwendungsfälle in Teilprozessen erschöpfend dar. Es werden Zielsetzung, Anforderungen, Prozesseigner, Softwarevoraussetzungen, Ergebnisse des Lieferobjektes und Liefertermine beschrieben. Die Interaktionen aller BIMAnwendungsfälle werden in der Gesamtprozesslandkarte dargestellt. • Anlage 3 - Modellierungsrichtlinie Definiert die Vorgaben, die im Rahmen der Modellierung eingehalten werden sollen, um den Austausch der Fach- und Teilmodelle zu garantieren • Anlage 3.1 - LOG/ LOI Richtlinie Stellt alle Modellelemente und deren alphanumerische Informationen in den unterschiedlichen Projektphasen dar. • Anlage 4 - CDE Guideline Definiert die Verfahren für die kollaborative Zusammenarbeit und die Struktur der Projektplattform. • Anlage 4.1 - Checkliste 1 - Modellübergabe Stellt das Stage Gate zwischen Fachplaner und AN dar und dient zur internen fachlichen und formalen Prüfung (Qualitätsicherungsbericht) des Fachplaners, um die Fach- und Teilmodelle qualitätsgerecht an den AN zu übergeben. • Anlage 4.2 - Checkliste 2 - Modellprüfung Stellt das Stage Gate zwischen AN und AG dar. Die Prüfung dient der geometrischen- und informationstechnischen Qualitätssicherung aller Fach- und Teilmodelle sowie zur gewerkeübergreifenden Koordinierung. • Anlage 4.3 - Checkliste 3 - Modelleingang Dient zur Eingangsprüfung (Plausibilisierung) von Fach-, Teil- und Koordinationsmodellen auf deren informationstechnische Qualität. Der Prüfvorgang dient der informationstechnischen Qualitätssicherung. Die Prüfergebnisse unterstützen als Entscheidungsvorlage den Freigabeprozess des AG. 454 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erste Erfahrung und Mehrwert durch BIM im BMVI Pilotprojekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ Abbildung 2: Software Architektur im Projekt • Anlage 5 - BCF-Austauschrichtlinie Defi niert die Anforderungen an die BCF-Datei und beschreibt den Austauschprozess, um Kollisionen, kritische Punkte, fehlerhafte Merkmale oder Planungsänderungen standardisiert zu kommunizieren. • Anlage 6 - Master-Informationslieferplan & Aufgaben-Informationslieferpläne Der Master-Informationslieferplan (engl. Master Information Delivery Plan, MIDP) ist eine abgestimmte Zusammenstellung aller Lieferobjekte, die in den Aufgaben-Lieferinformationsplänen (engl. Task Information Delivery Plan, TIDP) der Fachplaner festgelegt sind. Die Dokumente sind Bestandteil der DIN ISO EN 19650. • Anlage 7 - Modellelement-Erstellungsplan Der Modellelement-Erstellungsplan (engl. Model Production Delivery Table, MPDT) zeigt die projektspezifi schen Verantwortlichen sowie die Detailierungsgrade der einzelnen Fach- und Teilmodelle und Modellelemente in Abhängigkeit der Projektphasen auf. • Anlage 8 - Schulungskonzept Es werden Schulungsmaßnahmen für den AG detailliert aufgelistet und beschrieben. • Anlage 8.1 - BIM-Assessment Der BIM-Kenntnisstand der Projektbeteiligten wird abgefragt und ermittelt den projektspezifi schen Schulungsbedarf für die Projektbeteiligten. 2.2 Planungsphase In der Planungsphase werden Entwurfsplanung für Ingenieurbauwerke und Ausführungsplanung für Strecke und Ingenieurbauwerke als Voraussetzung für die Ausführungsphase erstellt. Nachfolgend werden die BIM-Anwendungsfälle der Planungsphase beschrieben. 2.2.1 Erstellung und Fortschreibung Fachmodelle Die Fach- und Teilmodelle sind die Grundlage der BIM- Anwendung. Daher muss die Modellerstellung und -fortschreibung georeferenziert und nach den defi nierten Rahmenbedingungen (z.B. alphanumerischer und geometrischer Entwicklungsgrad) erfolgen. Die festgelegten Entwicklungsstadien sind dabei zu berücksichtigen. Nachfolgend sind die Fach- und Teilmodelle aufgelistet: 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 455 Erste Erfahrung und Mehrwert durch BIM im BMVI Pilotprojekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ Tabelle 1: Fach- und Teilmodelle im Projekt Fachmodelle Teilmodell Gelände Bestand Gelände Neues Gelände Baugrund Bodenschichten Höchster Grundwasserstand Ingenieur-bauwerk Bestand Brückenbauwerk Brückenbauwerk Lärmschutzwand Verkehrszeichenkragarm Strecke Bestand Streckenbau Bestand Sparten Streckenbau Sparten Entwässerung Ausstattung Temporäre Seitenstreifenfreigabe Fernmeldeanlage Landschaftsbau Tank- und Rastanlage Bestand Verkehrsflächen Bestand Sparten Verkehrsflächen Sparten Entwässerung Ausstattung Die Trennung zwischen dem Fachmodell Strecke und Tank- und Rastanlage folgt dem Umstand, dass für diese Fachmodelle zwei unterschiedliche Fachplaner verantwortlich zeichnen. Die Fach- und Teilmodelle sind sogenannten „Phasenmodellen“ zugeteilt: • Grundlagenmodell Beinhaltet das Geländemodell, das Baugrundmodell, welches auf Basis der Erkundungen und bestehenden Baugrundinformationen abgeleitete Bodenschichten enthält, und die Bestandsmodelle (Bauwerke, Straßen, Sparten und Nebenanlagen). • Entwurfsmodell Entspricht dem geometrischen Detaillierungsgrad einer Entwurfsplanung und enthält finale geometrische und technische Eckpunkte sowie Trassierung und Querschnitte als Baugruppen für die Zuordnung und Ableitung von für die Durchführung der Anwendungsfälle relevanten Kennzahlen. • Ausführungsmodell Entspricht dem geometrischen Detaillierungsgrad einer Ausführungsplanung und wird mit Baubehelfsplanungen ergänzt. • Übergabemodell Entspricht dem Bestand nach Abschluss der Bauausführung und spiegelt die Bestandsplanung wider. Das Modell wird in der Erhaltungsphase mit weiteren Informationen angereichert. 2.2.2 BIM-Koordination Die Modellkoordination und -qualitätskontrolle ist ein zentraler Bestandteil der BIM-basierten Arbeitsweise. Da BIM-Modelle weitaus mehr Informationen enthalten müssen als herkömmliche Zeichnungen und da sie im Projektverlauf für verschiedenste Anwendungsfälle geeignet sein müssen, wird die Qualität der BIMModelle fortwährend streng geprüft. Die Planungsbesprechungen mit AG und Fachplanern, die sogenannten BIM-Koordinationssitzungen, werden im zwei-Wochen-Zyklus, unterstützt durch das BIM-Modell, durchgeführt. Dabei finden insbesondere die folgenden Kriterien Beachtung und es werden die nachfolgend beschriebenen spezifischen Prüfungen durchgeführt: Geometrische Richtigkeit • Geometrie-Prüfung: Prüft die Modellelemente auf fehlerfreie Geometrie im Sinne von geschlossenen Volumenkörpern, die ein mathematisch eindeutig berechenbares Volumen aufweisen. Sind die Volumenkörper nicht geschlossen oder Dreiecke der Oberflächen nicht richtig orientiert, kommt es zu Fehlermeldungen. 456 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erste Erfahrung und Mehrwert durch BIM im BMVI Pilotprojekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ Abbildung 3: 2D-Planableitung aus dem Brückenmodell • Kollisionsprüfung: Ermittelt Überschneidungen zwischen Modellelementen. Somit können die Modelle auf Massendoppelungen überprüft werden. Für die Kollisionsprüfung kann eine Toleranz defi niert werden, wodurch Kollisionen unterhalb eines defi nierten Grenzwertes ignoriert werden. Bei der Kollisionsprüfung ist es wichtig, dass die ermittelten Kollisionen subjektiv auf ihre Aussagekraft untersucht werden. Darüber hinaus sind für Kollisionskontrollen zwischen zwei verschiedenen Fachmodellen größere Toleranzen anzusetzen als innerhalb eines Fachmodells. Besonders für große bzw. lange Modelle ist aufgrund von Abweichungen und Verzerrungen in den Koordinatensystemen darauf zu achten, dass sich fehlerbedingte Überschneidungen ergeben können. Zu beachten ist, dass diese Toleranzen nicht den Planungsgenauigkeiten entsprechen. Die Planungsgenauigkeiten orientieren sich nach den Vorgaben der jeweiligen Leistungsphasen. Alphanumerische Richtigkeit • ID-Prüfung: Prüft die Modelle bzw. alle Modellelemente auf Eindeutigkeit. Jedes Modellelement muss eindeutig über eine GUID (engl. Globally Unique Identifi er) identifi zierbar sein, somit darf ein GUID nicht doppelt vorkommen. • Merkmal-Prüfung: Prüft Modelle und Modellelemente auf ihren Informationsgehalt. Geprüft wird, ob die einzelnen Modellelemente die in der LOG/ LOI Richtlinie geforderten Merkmale und Parameter aufweisen. Technische Richtigkeit • Technische, funktionale und vertragliche Vorab-Prüfung: Identifi ziert Abweichungen zu technischen Regelungen und vertraglichen Vereinbarungen. 2.2.3 Modellbasierte Visualisierungen Die Öffentlichkeitsarbeit wird durch das Ableiten von Visualisierungen und Renderings aus den BIMModellen unterstützt. Ebenfalls wird das Brückenmodell mit einem 3D-Drucker gedruckt und ausgestellt. 2.2.4 2D-Planableitungen aus den Fachmodellen Die 2D-Planableitungen umfassen die Entwurfs- und Ausführungspläne der BIM-Vertragsstrecke. Die RA- BIng-Entwürfe der Ingenieurbauwerke werden aus dem Entwurfsmodell im LOD 200, die Ausführungspläne sowie die Bewehrungspläne werden aus dem Ausführungsmodell im LOD 400 abgeleitet. Die Maßstäbe und Planinhalte entsprechen den jeweiligen Richtlinien und Projektvorgaben. Die Standarddetails (bis zu einem Maßstab M 1: 50) werden als 2DZeichnung auf den Planableitungen ergänzt. Sicherzustellen sind zu Beginn der Planableitung kollisionsfreie Modelle und die Einhaltung der Modellierungsrichtlinie. Abschließend werden die 2D-Pläne zur Durchführung der Planfreigabe auf der Projektplattform (engl. Common Data Environment, CDE) bzw. Planmanagementsystem (PMS) zur Verfügung gestellt. Der Anwendungsfall verfolgt das Ziel, die Vermeidung von redundanten Informationsquellen, eine Erhöhung der Qualität der Planungsunterlagen, sowie eine Verringerung des Koordinations- und Erstellungsaufwandes. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 457 Erste Erfahrung und Mehrwert durch BIM im BMVI Pilotprojekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 2.2.5 Bemessung und Nachweisführung Für die Tragwerksplanung wird das analytische Modell aus dem geometrischen Brückenmodell im Autorenprogramm abgeleitet. Dies ist in der Modellierungssoftware bereits eingeschränkt möglich. Standard- Bauteile (sog. Systemfamilien) können bereits automatisch generiert werden. Für die weitere Bemessung werden weitere Eingaben wie Lasten und Auflager gewählt. Dabei ist nach dem gegenwärtigen Stand der Technik und in Anbetracht der normgeforderten Lastmodelle das Statik-Programm das geeignetere Eingabeformat. Das analytische Modell benötigt nur gefilterte Daten (z.B. zum Material), ebenfalls werden geometrische Darstellungen und Randbedingungen simplifiziert. Eine prüffähige Statik konnte somit erstellt werden. Der BIM-Anwendungsfall wurde prototypisch getestet und ist nicht vertraglich gefordert. 2.3 Ausführungsphase Nach Abschluss der Planungsphase werden nachfolgend aufgeführte BIMAnwendungsfälle umgesetzt. Diese wurden in einer Mock-Up-Phase zu Projektbeginn bereits prototypisch getestet, um die Umsetzung während der Ausführungsphase sicherzustellen. 2.3.1 Verlinkung Pläne, Dokumente etc. Alle relevanten Planunterlagen, Dokumente, Produktblätter werden mit den spezifischen Modellbereichen und -elementen verknüpft. Hierzu wurde eine übergreifende Namensbezeichnung entwickelt, die ein regelbasiertes Verknüpfen ermöglicht. 2.3.2 4D-Bauablaufvisualisierung Die 4D-Bauablaufvisualisierung umfasst die zeitbezogene Visualisierung der Fach- und Teilmodelle in der Entwurfs- und Ausführungsplanung. Dabei werden die Vorgänge des Terminplans mit den dazugehörigen Bauteilen regelbasiert verknüpft, um den geplanten Bauablauf darzustellen. Die Baubesprechungen werden durch das 4D- Modell unterstützt. Mit Hilfe der 4DBauablaufvisualisierung werden der Bauablauf während der Planung und während der Bauausführung analysiert und die Prozesse stetig optimiert. 2.3.3 4D-Soll-Ist-Vergleich Ziel des Anwendungsfalls ist ein visualisierter SollIstAbgleich des Baufortschritts. Über eine mobile Applikation und Endgeräte wird der tatsächliche Bauablauf von der Bauleitung dokumentiert. Dabei werden die tatsächlichen IstDaten der einzelnen Terminplanvorgänge in das 4D-Modell eingepflegt und den SollDaten gegenübergestellt. Dadurch werden Abweichungen zwischen dem geplanten Bauablauf und dem tatsächlichen Baufortschritt frühzeitig identifiziert und ggf. erforderliche Gegenmaßnahmen können eingeleitet werden. Zusätzlich zu der grafischen Darstellung wird eine tabellarische Gegenüberstellung der geplanten und ausgeführten Bauleistung in der Terminplanungssoftware erstellt. 2.3.4 Qualitätsmanagement Das Qualitätsmanagement während der Bauausführung wird durch mobile Endgeräte, den BIM-Modellen sowie mit klassischen Plandokumenten unterstützt. Es werden Baumängel über eine mobile Applikation von der Bauleitung erfasst. Das Vertrags- und Qualitätsmanagement überwacht die Eingaben über die Browseranwendung und leitet die aufgenommenen Mängel an die entsprechenden Firmen und Personen weiter. Der Schriftverkehr wird stets zu den Mängeln in der Datenbank hinzugefügt. Statusänderungen signalisieren der Bauleitung, dass ein dokumentierter Mangel vom Nachunternehmer abgearbeitet wurde und überprüft werden muss. Des Weiteren werden Sicherheitsverstöße von der Bauleitung aufgenommen. Der BIM-Anwendungsfall ist nicht vertraglich gefordert. 2.3.5 5D-Mengenermittlung und -controlling Die Mengenberechnung erfolgt modular und teilweise automatisiert anhand der modellierten Bauteile. Die zur Verfügung stehenden Mengeninformationen bilden anschließend die Grundlage der Kalkulation und des späteren Controllings. Der BIM-Anwendungsfall ist nicht vertraglich gefordert. 2.4 Erhaltungsphase Während der Erhaltungsphase werden gemäß Projektvertrag zwei BIM-Anwendungsfälle durchgeführt: die Visualisierung der Erhaltungsmaßnahmen und der Zustandswerte gemäß ZTV Funktion StB A 10/ A 24. Eine Erweiterung der Nutzung für Betrieb und Erhaltung wird derzeit geprüft. 2.4.1 Visualisierung der Erhaltungsmaßnahmen Die Erhaltungsmaßnahmen werden am Übergabemodell während der Erhaltungsphase visualisiert. Dabei werden am Modell der BIM-Vertragsstrecke die einzelnen Erhaltungsmaßnahmen dargestellt und verortet. Somit besteht die Möglichkeit, die Verkehrsbeeinflussung darzustellen. 2.4.2 Visualisierung der Zustandswerte gemäß ZTV Funktion StB A 10/ A 24 Die Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für das Verfügbarkeitsmodell A10/ A24 AS Neuruppin bis AD Pankow (ZTV Funktion StB A10/ 458 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Erste Erfahrung und Mehrwert durch BIM im BMVI Pilotprojekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ A24) definieren Funktionsanforderungen in Form von Zustands- und Schadensmerkmalen (S = Standsicherheit, V = Verkehrssicherheit, D = Dauerhaftigkeit und ZN = Gesamtbauwerkszustand) für die Herstellung und Erhaltung der Vertragsstrecke. Tabelle 2: Farbwerte für Ingenieurbauwerke Abkürzung Übergabe-bereich Rückgabe-bereich Erhaltungs-bereich über Erhaltungs-bereich S* 0 0 < x ≤ 1 1 < x < 3 ≥ 3 V* 0 0 < x ≤ 1 1 < x < 3 ≥ 3 D* ≤ 2 - 2 < x < 3 ≥ 3 ZN ≤ 1,9 1,9 < x ≤ 2,4 2,4 < x ≤ 2,9 > 2,9 Die im Rahmen der Prüfungen ermittelten Zustandswerte werden den vorgegebenen Übergabe-, Rückgabe- und Eingreifwerte gegenübergestellt, kategorisiert und das Ergebnis wird im BIM-Modell visualisiert. Für die Visualisierung wurden den Werten bestimmte Farben zugewiesen. In Tabelle 2 sind diese Farbwerte nach Gesamtbauwerkszustand und Einzelschadensbewertung der Ingenieurbauwerke aufgelistet. 3. Erkenntnisse Technische Voraussetzungen Für den offenen Modellaustausch wurde die Nutzung von IFC als plattformunabhängiges Austausch-/ Koordinationsformat im Verkehrswegebau evaluiert. Hierbei ermöglichte die genutzte Version IFC 4.0 zwar bereits prinzipiell eine systemoffene Zusammenarbeit, allerdings nur unter Berücksichtigung zahlreicher Einschränkungen und Workarounds. So mussten bspw. aufgrund des ungenügenden IFCExports in einigen Autorenprogrammen Merkmale in der Koordinationssoftware bereinigt oder sogar komplett angelegt werden. Auch wurde oftmals CPIXML als offenes Datenformat anstelle von IFC gewählt. Standards zur Qualitätssicherung Die Modellkoordination und -qualitätskontrolle ist ein zentraler Bestandteil der BIM-basierten Arbeitsweise. Hierbei ist es unabdingbar, Standards für den Koordinations- und Prüfprozess zu definieren. So wurde bspw. der Einsatz des BCF-Austauschformats entlang eines klar strukturierten Koordinationsworkflows mit Checklisten zur formalen und fachlich-technischen Modellprüfung vorgeschrieben. Partnerschaftliche Kooperation über gesamte Wertschöpfungskette Wichtige Voraussetzung für die effiziente Implementierung von BIM im Projekt war eine enge Kooperation von Anfang an zwischen der ARGE und AN, dem AG, den Fachplanern sowie Softwareanbietern. Nur so konnten die projektspezifischen BIM-Ziele und Anwendungsfälle transparent erfolgreich ausgestaltet sowie ein konkreter Nutzwert und die Akzeptanz der Anwender gewährleistet werden. Qualifizierte Mitarbeiter und Projektpartner Die Verankerung von BIM als Werkzeug im operativen Tagesgeschäft aller Anwendungsbereiche stellte und stellt alle Projektbeteiligten vor enorme Herausforderungen. Zur Gewährleistung der erforderlichen Qualifikation und Akzeptanz wurde ein ganzheitliches Konzept für projekt- und rollenspezifische BIM-Trainings und Schulungen eingeführt. Hierbei wurden auch externe Fachplaner und der AG eingebunden. Literatur [1] Tschickardt, T.; Krause, D. (2019) BIM im Verkehrswegebau am Beispielprojekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“, Bautechnik 95 (2019) Heft 03. [2] Krause, D.; Tschickardt, T.; Riedel, F. (2018) BIM- Abwicklungsplan für die Planung, Ausführung und Erhaltung im Projekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“, Havellandautobahn GmbH & Co. KG, Berlin, 2018. Zustandserfassung 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 461 Die objektspezifische Bestimmung des kritischen Chloridgehalts und die Auswirkung auf die Restlebensdauer Carolina Boschmann Käthler ETH Zürich, Institut für Baustoffe, Zürich, Schweiz Ueli M. Angst ETH Zürich, Institut für Baustoffe, Zürich, Schweiz Zusammenfassung In Tau- und Meersalzexpositionen ist chlorid-induzierte Korrosion eine der häufigsten Schädigungsmechanismen. Auf Grund von Makroelementbildung kann diese zu beachtlichen Korrosionsgeschwindigkeiten führen. Eine realistische Einschätzung des Korrosionsrisikos ist deshalb zwingend erforderlich. Das standardmässige Verfahren heutzutage ist der Vergleich von Chloridprofilen mit dem definierten kritischen Chloridgehalt C crit . Mangels einer ausführbaren Testmethode, ist dieser Wert für alle Bauwerke und Expositionsklassen gleich - mit minimalen Anpassungsmöglichkeiten. Dieser Beitrag stellt eine neue Testmethode für C crit am Bauwerk vor. Es zeigt sich, dass der C crit deutlich von Bauwerk zu Bauwerk variiert. Durch die Anwendung dieser Testmethode kann das Korrosionsrisiko an Bauwerken präziser abgeschätzt werden und das Erhaltungsmanagement somit besser geplant werden. 1. Einleitung Chloridinduzierte Korrosion ist bis heute eine der häufigsten Schadensmechanismen von Bewehrungsstahl in Beton [1]. Die Korrosionsschäden verursachen hohe Kosten für die Betreiber der Strasseninfrastruktur [2, 3]. Zusätzlich entstehen volkswirtschaftliche Kosten durch Strassensperrungen, Spurabbau und Umleitungen. Obwohl in den vergangenen 50 Jahren intensiv zu dem Thema der chloridinduzierten Korrosion, insbesondere dem kritischen Chloridgehalt C crit , geforscht wurde [4], ist bisher keine Einigkeit über die Existenz des Wertes oder dessen Betrag erreicht worden. C crit streut stark, und somit konnte bisher kein praxisrelevanter Wert festgelegt werden. Die Normen einigen sich bisher auf eher konservative Werte zwischen 0.4 und 0.6 M% bez. auf Zem. gew. [5, 6]. C crit ist einer der Haupteinflussparameter auf Lebensdauermodellierungen und Evaluation von Zustandserfassungen (Chloridprofile) und somit ein entscheidender Parameter in der Planung von Instandsetzungsmassnahmen. Die praxisnahe Bestimmung von C crit ist also dringend erforderlich. Die hier vorgestellte Methode beinhaltet die Messung des C crit am Bauwerk und zeigt den Einfluss auf die Lebensdauermodellierung. Die Methode ist ausserdem ausführlich in [7, 8] beschrieben. 2. Methodik 2.1 Probennahme aus Bauwerken 150-mm-Bohrkerne mit einem zentrisch liegenden Bewehrungsstahl wurden an Bauwerken entnommen, um an diesen den C crit zu bestimmen. Der Stahl muss zum Zeitpunkt der Entnahme noch passiv sein. Zur Bestimmung von Mittelwert und Standardabweichung wurden pro Bauwerk mindestens sechs Bohrkerne entnommen. Für diesen Beitrag wurden zwei Bauwerke beprobt: zwei Wandelemente einer Galerie und ein Widerlager einer Brücke mit horizontaler und vertikaler Bewehrung. Beide Bauwerke stehen in den Schweizer Alpen. Die Bauwerke und die gemessenen Parameter sind in einer Datenbank [9] erfasst. 2.2 Probenvorbereitung im Labor Im Labor wurde die Bewehrungsüberdeckung auf ca. 15 mm reduziert. Zur kontinuierlichen Potenzialfeldmessung wurde auf einer Stahlseite mittels Kabelendschuh und Kabel eine Schraubverbindung befestigt. Zum Schutz der Stahlenden vor Korrosionsinitiierung wurde der Beton um diese Stahlenden entfernt und mit einem dichten, hochalkalischen Mörtel verfüllt. Die exponierte Länge wurde auf 60 mm mittels eines Epoxidharz- 462 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Die objektspezifi sche Bestimmung des kritischen Chloridgehalts und die Auswirkung auf die Restlebensdauer anstrichs reduziert, ebenso wurde die Mantelfl äche des Bohrkerns mit Epoxidharz vor Chlorideintrag geschützt. (vgl. Bild 1) Bild 1 - Vorbereitete Proben für den Ccrit-Test. 2.3 Test zur Bestimmung des kritischen Chloridgehalts Die Proben wurden eine Woche in Leitungswasser ausgelagert. Danach wurde der NaCl-Gehalt schrittweise von 3.5 M-% bis max. 10 M-% erhöht. Während der Auslagerung wurden die Bohrkerne mit einem Datenlogger verbunden. Mit einer externen Referenzelektrode (Ag/ AgCl sat ) wurde das Potenzial kontinuierlich gemessen. (vgl. Bild 2) Bild 2 - Laborauslagerung der Proben. Ein Potenzialabfall von mindestens 150 mV innerhalb 24 h zeigte eine Korrosionsinitiierung. Bei Stabilisierung des Potenzials auf dem tieferen Wert für mindestens 7 d wurde der Bohrkern aus der Expositionslösung entnommen und anschliessend längs des Stahls gespalten. Die Betonprobe zur Chloridanalyse wurde auf Bewehrungsniveau herausgeschnitten. Der totale Chloridgehalt wurde gemäss Norm [10] bestimmt und entspricht dem kritischen Chloridgehalt C crit dieser Probe. Für jedes Bauwerk wurde eine logarithmische Normalverteilung für die gemessenen C crit gefi ttet. Diese gefi ttete Verteilung wurde für die Lebensdauermodellierung verwendet. 2.4 Lebensdauermodellierung Die Lebensdauermodellierung basiert auf der Berechnung des Chlorideintrags auf Bewehrungsniveau über die Zeit und dem Vergleich mit dem C crit . Übersteigt der aktuelle Chloridgehalt C(x,t) den angesetzten C crit ist von Korrosionsinitiierung auszugehen. Im Falle eines tieferen C(x,t) als der angesetzte C crit ist Korrosion unwahrscheinlich. Mit der Fehlerfunktion wird der Chloridgehalt C(x,t) berechnet: mit Zeitpunkt t, Betonüberdeckung x, der Chloridoberfl ächenkonzentration C s und dem zeitabhängigen Diffusionskoeffi zienten D app : mit dem Diffusionskoeffi zienten D app,0 zur Referenzzeit t 0 (=28 d) und dem Alterskoeffi zienten n (=0.3). Die Modellierung wurde vollprobabilistisch durchgeführt, um Unsicherheiten von Eingangsparametern zu berücksichtigen. Alle Eingangsparameter sind somit normalverteilt, mit Ausnahme des Alterskoeffi zienten n (ohne Verteilung) und des C crit , welcher einer logarithmischen Normalverteilung folgte. Eine Monte-Carlo-Simulation ermöglicht die Berechnung der Initiierungswahrscheinlichkeit über die Zeit. Tabelle 1 zeigt die gewählten Eingangsparameter für die modellierten Lebensdauern. Die Parameter wurden am Bauwerk direkt an einem Beispielbauwerk T2 (Bezeichnung gemäss [9]) gemessen. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 463 Die objektspezifi sche Bestimmung des kritischen Chloridgehalts und die Auswirkung auf die Restlebensdauer Tabelle 1 - Eingangsparameter für Lebensdauermodellierung. Die Einheit für Cs und Ccrit ist M% bez. auf Zementgewicht. Element Betonüberdeckung x (mm) Diffusionskoeffi zient D app,0 (10 - 12 m 2 / s) Oberfl ächen-konzentration C s (M%) Kritischer Chloridgehalt C crit (M-%) Referenz [5] - - - 0.6 / 0.15 (beta- Vert.) T2- W1 27 / 5 2.0 / 1.5 0.3 / 0.5 (2 m) 0.37 / 0.43 (log. Norm. Vert.) 1.1 / 0.5 (0.3 m) T2- W2 36 / 9 1.6 / 1.5 0.3 / 0.5 (2 m) 1.22 / 1.11 (log. Norm. Vert.) 1.1 / 0.5 (0.3 m) 3. Resultate & Diskussion 3.1 Objektspezifi scher kritischer Chloridgehalt Der C crit variiert deutlich von Bauwerk zu Bauwerk (vgl. Bild 3, Tabelle 2) und weicht zum Teil stark von den angenommenen Grenzwerten ab. Bild 3 - Kumulative Verteilungsfunktionen Ccrit für zwei unterschiedliche Bauwerke. Die Bezeichnung der Bauwerke ist analog der Datenbank [9]. Zum Vergleich wird noch die angegebene Verteilungsfunktion Ccrit aus dem FIB Model Code for Service Life Design [5] dargestellt (rot). Tabelle 2 - Statistische Parameter für die gefi tteten log-Normalverteilungen aus Bild 3. Die Einheiten für und Mittelwert ist M% bez. auf Zementgewicht. Bezeichnung analog zu [9] (M%) (-) MW µ (M%) SD (-) T2-W1 Tunnel 2 Wand 2 -1.42 0.86 0.37 0.43 T2-W2 Tunnel 2 Wand 2 -0.10 0.60 1.22 1.11 B3- A1-V Brücke 3 Widerlager 1 vertikale Bewehrung -1.06 1.03 0.58 0.78 B3- A1-H Brücke 3 Widerlager 1 horizontale Bewehrung 0.30 0.73 1.94 2.02 Einige der Einfl ussparameter, die C crit beeinfl ussen, sind innerhalb eines Bauwerks vergleichbar. Somit lassen sich die Unterschiede im C crit zwischen den einzelnen Bauwerken teilweise erklären. Zu diesen Parametern gehören zum Beispiel die Betoneigenschaften, Betonüberdeckung, Stahldurchmesser, Stahlmikrostruktur und Expositionsbedingungen. Durch eine Bestimmung des C crit am Bauwerk kann somit eine höhere Genauigkeit des angenommenen C crit erreicht werden. 3.2 Auswirkungen auf die Lebensdauer Bild 4 zeigt den bedeutenden Einfl uss des C crit auf die Initiierungswahrscheinlichkeit. Während in a) die Initiierungswahrscheinlichkeit hauptsächlich von der Oberfl ächenchloridkonzentration abhängt, ist das Resultat in b) nun auch deutlich vom Element abhängig. Dies liegt an der Annahme des am Bauwerk bestimmten C crit , welcher für T2-W1 deutlich tiefer ist als für T2-W2. 464 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Die objektspezifi sche Bestimmung des kritischen Chloridgehalts und die Auswirkung auf die Restlebensdauer Bild 4 - Korrosionsinitiierungwahrscheinlichkeit als vollprobabilistische Lebensdauermodellierung. a) zeigt die Annahme eines fi xen Ccrit für Elemente 1 und 2, b) beschreibt die Initiierungswahrscheinlichkeit beider Elemente für den am Bauwerk bestimmten Ccrit. Im Falle von T2-W1 wird die Initiierungswahrscheinlichkeit somit unterschätzt, wenn ein C crit gemäss Norm angenommen wird. Die Instandsetzungsarbeiten würden folglich zu spät ausgeführt werden und somit eine erhöhte Kostenfolge nach sich ziehen. Im Falle von T2-W2 wird das Korrosionsrisiko deutlich überschätzt, Instandsetzungsarbeiten würden somit verfrüht ausgeführt werden und verursachen somit unnötige Ausgaben. 4. Schlussfolgerungen Die Anwendung der C crit -Testmethode reduziert teilweise die Unsicherheit der Lebensdauermodellierungen, da die Annahme des C crit nicht universell angesetzt wird, sondern objektspezifi sch bestimmt werden kann. Durch die präzisere Bestimmung des C crit können einerseits sowohl Kosten für unnötige Instandsetzungsmassnahmen gespart werden (im Falle eines höheren C crit als gemäss Norm) als auch ein erhöhtes Korrosionsrisiko ausgeschlossen werden (im Fall eines tieferen C crit als gemäss Norm). Literatur [1] British Cement Association, Development of an holistic approach to ensure the durability of new concrete construction, British Cement Association, Crowthorne, UK, 1997. [2] G. Koch, Cost of corrosion, Trends in Oil and Gas Corrosion Research and Technologies, Woodhead Publishing, Boston, 2017, pp. 3-30. [3] G.H. Koch, Corrosion cost and preventive strategies in the United States, Turner-Fairbank Highway Research Center, Springfi eld, 2002. [4] U. Angst, B. Elsener, C.K. Larsen, Ø. Vennesland, Critical chloride content in reinforced concrete - A review, Cem. Concr. Res., 39 (2009) 1122-1138. [5] fi b, Model Code for Service Life Design, International Federation for Structural Concrete (fi b), Lausanne, 2006. [6] SIA, SIA 269/ 2: Erhaltung von Tragwerken - Betonbau, Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein, Zürich, 2011. [7] U.M. Angst, C. Boschmann, M. Wagner, B. Elsener, Experimental Protocol to Determine the Chloride Threshold Value for Corrosion in Samples Taken from Reinforced Concrete Structures, J Vis. Exp., 126 (2017). [8] A.C. Boschmann Käthler, U. Angst, Der kritische Chloridgehalt - Bestimmung am Bauwerk und Einfl uss auf die Lebensdauer, Bautechnik, 97 (2020) 41-47. [9] C. Boschmann Käthler, U. Angst, B. Elsener, A data collection for critical chloride contents for steel corrosion in concrete, https: / / doi.org/ 10.3929/ ethz-b-000282371, ETHZ, Zurich, 2018. [10] SIA, SIA EN 14629 - Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Prüfverfahren - Bestimmung des Chloridgehalts von Festbeton, SIA, SIA, Zürich, 2007. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 465 Schnelle ortsaufgelöste Chloridbestimmung mit der laserinduzierten Plasmaspektroskopie (LIBS) Cassian Gottlieb, Christian Bohling SECOPTA analytics GmbH Steven Millar CORR-LESS Isecke & Eichler Consulting GmbH & Co. KG Tobias Günther, Gerd Wilsch Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung Zusammenfassung Im Zuge der Ist-Zustandserfassung von Stahl- und Spannbetonbauwerken spielt die chemische Analyse von Beton eine zentrale Rolle. Durch den externen Eintrag von schädigenden Substanzen wie Chlorid oder Alkalien aus Tausalzen oder Meerwasser, kann u.U. der Beton und/ oder die Stahlbewehrung angegriffen werden. Bei Überschreitung kritischer korrosionsauslösender Chloridgehalte, z.B. bei Stahlbeton 0,4 M.-% (bzw. 0,5 M.-%) und Spannbeton 0,2 M.-% bezogen auf den Zement, erhöht sich das Risiko für eine Chlorid-induzierte Korrosion. Für die Beurteilung eines Instandsetzungsbedarfs und, sofern notwendig, der Erarbeitung eines Instandsetzungskonzeptes muss nach der Rili-SIB 1 ein sachkundiger Planer herangezogen werden. Standardmäßig werden für die chemische Analyse Bohrkerne bzw. Bohrmehlproben aus dem zu untersuchenden Bauwerk entnommen und nach aufwendiger Probenvorbereitung nasschemisch analysiert (nach DAfStb Heft 401 oder DIN 14629). Dabei wird der Gesamtchloridgehalt bezogen auf die Einwaage angegeben. Eine Umrechnung auf den Zementgehalt erfolgt i.d.R. durch Schätzwerte. Der Einsatz der laserinduzierten Plasmaspektroskopie (LIBS) wird seit Mitte der 90er Jahren an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung erforscht, um den Chloridgehalt durch eine ortsaufgelöste Elementanalyse an einer Betonprobe möglichst genau zu ermitteln. Die zweidimensionale LIBS-Messung mit einer lateralen Auflösung von 100 µm x 100 µm erlaubt die Berücksichtigung der Heterogenität von Beton. Dabei lassen sich die Bindemittelmatrix und die Gesteinskörnung separat betrachten, wodurch sich die Aussagekraft der Ergebnisse und somit die Sicherheit der chemischen Zustandserfassung erhöht. Durch die stetige Weiterentwicklung von Komponenten wie Laser, Spektrometer und analytischer Auswerteroutinen sind mittlerweile automatisierte Systeme für die schnelle LIBS-Analyse auf dem Markt verfügbar. In diesem Vortrag wird der aktuelle Stand der Technik anhand von Praxisbeispielen präsentiert und entscheidende Vorteile gegenüber dem Standardverfahren herausgestellt. Aufgrund der Möglichkeit für eine simultane Multielementanalyse mit LIBS werden weitere Anwendungen, wie z.B. die Ermittlung der Karbonatisierungstiefe, Untersuchungen von Transportprozessen, Chlorideintrag entlang von Rissen oder Untersuchungen von Elementverteilungen im Kontext einer AKR vorgestellt. 1 Rili-SIB: Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen („Instandsetzungs-Richtlinie“) 1. Motivation Die schnelle Chloridbestimmung stellt bei der IST-Zustandserfassung von Beton- und Stahlbetonbauwerken, wie z.B. von Parkhäusern und Brücken, eine zentrale Rolle dar. Durch den externen Eintrag von schädigenden Substanzen wie Chloriden oder Alkalien aus Tausalzen oder Meerwasser, kann u.U. der Beton und/ oder die Stahlbewehrung angegriffen werden. Bei Überschreitung kritischer korrosionsauslösender Chloridgehalte nach der Europäischen Norm DIN EN 206, z.B. bei Stahlbeton 0,4 % (bzw. 0,5 % nach der Rili-SIB) und Spannbeton 0,2 % bezogen auf den Zement, erhöht sich das Risiko für eine chlorid-induzierte Korrosion [1]. Für die Beurteilung eines Instandsetzungsbedarfs und der Erarbeitung eines Instandsetzungskonzept muss ein sachkundiger Planer herangezogen werden, welcher standardmäßig eine chemische Analyse von Bohrkernen bzw. Bohrmehlproben in Auftrag gibt. Diese Proben werden aus dem zu untersuchenden Bauwerk entnommen und nach 466 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Schnelle ortsaufgelöste Chloridbestimmung mit der laserinduzierten Plasmaspektroskopie (LIBS) aufwendiger Probenvorbereitung nasschemisch analysiert (nach DAfStb Heft 401 oder DIN 14629) [2-3]. Hier stellt das nasschemische Verfahren der potentiometrischen Titration ein weit verbreitetes und anerkanntes Messverfahren dar [4]. Da sich die Ergebnisse einer solchen nasschemischen Analyse allerdings stets nur auf die Gesamtmasse beziehen lassen, d.h. ohne die Berücksichtigung der ebenfalls gemahlenen Gesteinskörnung, ist die direkte Aussagekraft eingeschränkt. Für eine richtige Abschätzung des Korrosionsrisikos durch extern zugeführte Chloride muss der Chloridgehalt auf den Zementanteil bezogen werden. Aus diesem Grund müssen die Ergebnisse von der Gesamtmasse auf den Zementgehalt umgerechnet werden, was i.d.R. durch die Verwendung von Schätzwerten erfolgt 2 . Dieses Vorgehen ist in der Branche der Baustoffanalytik fest etabliert und anerkannt, allerdings werden folgende Nachteile in Kauf genommen: 1. Keine direkte Berücksichtigung der Heterogenität möglich (nur Schätzwerte) 2. Anwendung eines Schätzwertes für alle Tiefen (keine Berücksichtigung von Entmischungen) 3. Lokale „Hotspots“ können nicht erkannt werden (z.B. an Rissen, Fugen und Aufl ager) 4. Keine Untersuchung bzw. Analyse von inhomogenem Eindringverhalten In den letzten Jahren ein laserbasiertes Messverfahren an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) entwickelt worden, welches eine zweidimensionale Analyse direkt am Festbeton ermöglicht [5]. Die grundlegenden Untersuchungen zur Anwendung der sogenannten laserinduzierten Plasmaspektroskopie im Zuge der Baustoffanalyse wurden im Wesentlichen durch Wiggenhauser und Wilsch in der Zeit von 1998 bis 2008 durchgeführt [6-16]. Die entscheidenden Vorteile von LIBS gegenüber anderen Spektroskopischen Verfahren, wie z.B. der Röntgenfl uoreszenzanalyse (XRF) oder der optischen Emissionsspektroskopie mit induktiv-gekoppeltem Plasma (ICP-OES), bestehen in der Möglichkeit zur direkten Analyse am Feststoff ohne aufwendige Probenvorbereitung, die Messung unter atmosphärischen Bedingungen ohne Vakuum und die Analyse aller Elemente (auch leichte Elemente wie Wasserstoff) [17-22]. 2. Moderne Baustoffanalytik mit der laserinduzierten Plasmaspektroskopie (LIBS) Die laserinduzierte Plasmaspektroskopie ist ein qualitatives Verfahren der Atom-Emissionsspektroskopie. Durch 2 Umrechnungsfaktor von ca. 6,86, berechnet aus dem angenommenen Standardverhältnis nach DIN EN 14629 zwischen Zement und Gesamtmasse von 2400 kg/ m³ zu 350 kg/ m³ die Fokussierung von Kurzpuls-Laserstrahlung (ns-Pulse) wird auf einer Probenoberfl äche eine hohe Intensität von einigen GW/ cm² erzeugt, durch die ein geringer Teil des Probenmaterials (einige ng bis µg) abgetragen wird. Die hohe Intensität bewirkt eine schlagartige Temperaturerhöhung an der Oberfl äche von einigen 10.000 °C, wodurch das Probenmaterial verdampft (sublimiert) wird. Das verdampfte Material geht kurzzeitig in einen plasmaförmigen Zustand über, in dem die Bindungen der verschiedenen Moleküle aufgebrochen worden sind und freie Ladungsträger (Elektronen, Atome, Ionen) angeregt vorliegen. Nach einigen hundert Nanosekunden (ns) relaxiert das Plasma und kühlt sich aufgrund von seiner Expansion ab. Die Abkühlung bewirkt eine Abregung der Ladungsträger und durch Übergänge der Atome wird elementspezifi sche Strahlung ausgesendet [23]. Die folgende Abbildung 1 zeigt das Grundprinzip der laserinduzierten Plasmaspektroskopie. Abbildung 1: Grundprinzip von LIBS Diese Strahlung kann durch einen optischen Aufbau mit Lichtleitfasern und Spektrometern detektiert werden. In Abbildung 2 ist ein Foto eins laserinduzierten Plasmas an einer Beton-Querschnittsfl äche dargestellt. Die detektierte Strahlung des Plasmas wird als Spektrum dargestellt, welches die Intensität der Strahlung wellenlängenabhängig präsentiert. Durch einen Abgleich mit Linien aus verschiedenen Datenbanken lassen sich den Wellenlängen Elemente zuordnen [24]. Durch die Kombination von LIBS mit einem motorisierten Scanner lassen sich zweidimensionale Elementkarten (Element-Mapping) erstellen. Mit Hilfe der Visualisierung kann die Gesteinskörnung berücksichtigt, lokale „Hotspots“ erkannt und eine Analyse quer zum Rissverlauf durchgeführt werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 467 Schnelle ortsaufgelöste Chloridbestimmung mit der laserinduzierten Plasmaspektroskopie (LIBS) Abbildung 2: Foto eines laserinduzierten Plasmas auf einer Querschnittsfl äche von Beton In den letzten Jahren wurde die Forschung um die Anwendung von LIBS in der Baustoffanalytik als modernes Verfahren weiter vorangetrieben. Neben einigen wissenschaftlichen Arbeiten in Deutschland beschäftigen sich auch internationale Forschungsgruppen mit der Thematik der ortsaufgelösten Chloridbestimmung im Beton mit LIBS mit der Einführung neuer Messmethoden durch die Verwendung von atomarer, ionischer und molekularer Emission, die Untersuchung von Einfl ussfaktoren der Zusatzstoffe und der Validierung der LIBS-Ergebnisse im Vergleich zum Standardverfahren der nasschemischen Analyse unter Berücksichtigung aktueller Regelwerke [25-47]. 3. Vom Labor in die Praxis Heutzutage wird die Betonanalyse hauptsächlich mit der nasschemischen Analyse von Bohrmehlen durchgeführt. Die aufwendige Probenvorbereitung zur Analyse von Betonbohrkernen stellt dabei einen wesentlichen Zeitfaktor dar. Die direkte Analyse von Bohrmehl geht dabei deutlich schnelle, allerdings ist die analytische Aussagekraft, aufgrund der oben aufgelisteten Nachteile, begrenzt. Die Abbildung 3 zeigt einen Vergleich des etablierten Standardverfahrens gegenüber einer schnellen Messung mit LIBS. Abbildung 3: Vergleich zwischen Nasschemie mit aufwendiger Probenvorbereitung (oben) und schnelle LIBS-Messung an einer Beton-Querschnittsfl äche (unten) Die Chloridbestimmung mit der LIBS-Technik erfolgt direkt an der Querschnittfl äche von Beton. Ein i.d.R. trocken geschnittener Betonbohrkern wird dabei in einem festen Messraster ortsabhängig gescannt. 3.1 Schnelle, ortsaufgelöste Chloridbestimmung Die einzelnen Werte werden durch eine matrixabhängige Kalibrierung in quantitative Werte umgerechnet und ortsaufgelöst dargestellt. Abbildung 4: Messraster einer ortsaufgelösten LIBS- Messung und Ergebnisdarstellung einer 2D-Chloridverteilung in Falschfarbendarstellung Dabei werden mit einem Punktabstand von ca. 0,2 mm Spektren aufgenommen, wobei sich für einen Bohrkern mit einer Größe von 50 mm x 40 mm eine gesamte Anzahl an Spektren von über 50.000 ergibt. Die gesamte Messzeit zur Aufnahme aller Spektren inklusive Analyse beträgt hier nur 5 min bis 6 min. Für eine aussagekräftige Interpretation der Ergebnisse, werden die Messwerte der einzelnen Messpositionen in der Elementverteilung mit Falschfarben dargestellt, wobei in Abbildung 4 eine hohe Cl-Belastung in rot und eine geringe Konzentration in weiß verwendet wird. Ein großer Vorteil der LIBS-Analyse besteht in der simultanen Erfassung verschiedener Elemente innerhalb einer Messung. Aus diesen Messdaten lassen sich wichtige Informationen bzgl. dem externen Eintrag von Alkalien oder Sulfaten, sowie Transportprozessen in der Betonprobe ableiten. 468 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Schnelle ortsaufgelöste Chloridbestimmung mit der laserinduzierten Plasmaspektroskopie (LIBS) Abbildung 5: Elementverteilungen durch eine simultane Multielementanalyse mit LIBS [Ergebnisse wurden bereitgestellt durch die Valtest AG, 50] Diese elementabhängigen Informationen lassen sich neben der Schadensanalyse durch die Chloride auch im Zuge der AKR-Untersuchung verwenden. 3.2 On-Site Chloridbestimmung durch ein mobiles LIBS-System (Praxisbeispiel am Küstenbauwerk) Die Anwendung der laserinduzierten Plasmaspektroskopie hat bereits breite Verwendung in der Laboranalytik als ergänzendes Verfahren zur Standardanalytik gefunden. Das stetig steigende Interesse an einer schnellen, zuverlässigen und aussagekräftigen Chloridbestimmung ist groß. Aus diesem Grund hat die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung ein mobiles LIBS entwickelt, mit dem eine direkte Bestimmung am Bauwerk (z.B. einem Küstenbauwerk oder einem Parkhaus) möglich ist [48-49]. Im Folgenden wird ein Beispiel einer Vor-Ort Analyse an einem Küstenbauwerk in den Niederlanden in Zusammenarbeit mit der Rijkswaterstaat präsentiert. Abbildung 6: Foto des Vor-Ort Einsatzes des mobilen LIBS-Systems an einem Küstenbauwerk Ziel der Vor-Ort Untersuchung bestand in der Eruierung, ob eine Korrelation zwischen Oberfl ächenexposition und externem Cl-Eintrag an einem Küstenbauwerk besteht. Falls ja kann zum einen, durch die schnelle Cl-Bestimmung mit LIBS, die Entnahme von Betonbohrkernen vermieden bzw. die Anzahl verringert werden und zum anderen eine gezielte Lokalisierung der Entnahmestellen erfolgen. In Abbildung 6 ist der Aufbau und die Messung der Oberfl ächenexposition mit einem mobilen LIBS System zu sehen. Insgesamt wurden 23 Messtellen mit LIBS analysiert (siehe Abbildung 7a). Im Anschluss wurden Betonbohrkerne entnommen und im Labor erneut mit LIBS gemessen, um den externen Cl-Eintrag durch eine zweidimensionale LIBS-Auswertung zu bestimmen. (a) Zeichnung des Abschnitts an denen LIBS-Messungen durchgeführt worden sind (b) Mittlere Cl-Konzentrationen der verschiedenen Messfl ächen für den Wand-Bereich. Abbildung 7: Zeichnung des Brückenabschnitts mit gemessenen Bereichen (a) und LIBS-Ergebnisse (b) Die Ergebnisse der Oberfl ächenmessung sind in Abbildung 7b zu sehen. Für jede Messtelle sind ca. 5000 Einzelspektren analysiert und die mittlere Cl-Konzentration ist in Abhängigkeit der Messposition dargestellt worden. Die lokal signifi kanten Unterschiede in der Oberfl ächenkonzentration zeigen potentiell gefährdete Bereiche des Küstenbauwerkes und lassen eine gezielte Bohrkernentnahme zu. Die Untersuchungen zeigen keine direkte Korrelation zwischen Oberfl ächenkonzentration und Cl-Eintrag in das Bauwerk. Dennoch ermöglicht die mobile vor-Ort LIBS-Messung eine schnelle und großfl ächige Erfassung der Chloridbestimmung. 4. Zusammenfassung und Ausblick In dem vorliegenden Manuskript sind die Vorteile einer schnellen und ortsaufgelösten LIBS-Messung, im Zuge der Baustoffanalytik und IST-Zustandserfassung, dargestellt worden. Durch ein automatisiertes Laborsystem ist eine simultane Multielementanalyse möglich, wodurch wichtige Informationen über Chloride und Alkalien sowie die Matrixelemente der Betonzusammensetzung gewonnen werden können. Im Weiteren wurde die Anwendung eines mobiles LIBS-Systems zur Vor-Ort Analyse an einem Küstenbauwerk vorgestellt, durch die eine 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 469 Schnelle ortsaufgelöste Chloridbestimmung mit der laserinduzierten Plasmaspektroskopie (LIBS) direkte Cl-Bestimmung an der Betonoberfläche erfolgen kann. Die Oberflächenexposition durch die Chloride aus dem Meerwasser ist je nach Messposition signifikant unterschiedlich. Mit einer flächendeckenden LIBS-Analyse können potentiell gefährdete Bereiche identifiziert und Bohrkerne gezielt entnommen werden. Literatur [1] DIN EN 206: 2017-01 Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität; Deutsche Fassung EN 206: 2013+A1: 2016. [2] DAfStb Heft 401: Anleitung zur Bestimmung des Chloridgehaltes von Beton, 1989. [3] DIN EN 14629 Produkte und Systeme für den Schutz und die Indtandsetzung von Betontragwerken - Prüfverfahren - Bestimmung des Chloridgehaltes in Festbeton, 2007. [4] F. Hunkeler, H. Ungricht, and F. Deillon, „Untersuchungen zur Chloridbestimmung im Beton und Durchführung eines 2-stufigen Ringversuchs,“ Forschungsauftrag Nr. 88/ 97 aif Antrag der Arbeitsgruppe Brückenforschung, Wildegg2000. [5] H. Wiggenhauser, D. Schaurich, and G. 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Kolloquium Brückenbauten - September 2020 473 Ultraschallbasierte Überwachung von Stahl- und Spannbetonkonstruktionen - erste Ergebnisse der DFG-Forschungsgruppe 2825 CoDA Ernst Niederleithinger Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin Niklas Epple Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin Daniel Fontoura Barroso Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin Felix Clauß Ruhr-Universität Bochum Mark Alexander Ahrens Ruhr-Universität Bochum Peter Mark Ruhr-Universität Bochum Zusammenfassung Die Überwachung von Bauteilen aus Stahl- oder Spannbeton mit Ultraschall hat in Labor- und Technikumsversuchen schon vielversprechende Ergebnisse gezeigt. Besonders gute Resultate wurden dabei mit eingebetteten Ultraschalltransducern und bei Auswertung der Daten mit der hochsensiblen Codawelleninterferometrie erzielt. Erfasst werden können neben Temperatur- und Feuchteeffekten auch Belastungszustände und jegliche Art von Schädigung, die mit Mikro- oder Makrorissbildung einhergeht. Seit 2019 untersucht die DFG-Forschergruppe 2825 „CoDA“ (Sprecher: Prof. Christoph Gehlen, TU München) verschiedenste Aspekte dieser innovativen Technologie mit dem Ziel, Einflussgrößen quantitativ zu erfassen, Umwelteinflüsse zu korrigieren und 3D-Auswerteverfahren zu verbessern. Final soll eine am Bauwerk einsatzfähige Methode entstehen, die klassische Monitoringverfahren ergänzt und erweitert sowie Input zu einem Update des statischen Systems liefert. Aufgaben der BAM in der Forschergruppe ist neben Verbesserung und Adaptierung der Messsystem und Sensorik auch Langzeitversuche an einem Großobjekt und Testinstallationen an Realbauwerken. Hierzu liegen erste Ergebnisse vor, die zeigen, dass die Technologie auch außerhalb des Labors einsatzfähig ist. 1. Einführung Die instrumentierte Überwachung von Stahl- und Spannbetonbauwerken gewinnt in Anbetracht der Alterung der Infrastruktur immer mehr an Bedeutung. Bei einigen Bauwerken ist die Nutzung nur noch aufgrund einer ständigen Überwachung überhaupt möglich. Neben Vorwarnungen bzgl. Versagens sollen die eingesetzten Systeme aber auch quantitative Werte für Lebensdauerprognosen sowie statisch/ dynamische Analysen und die Nachrechnung liefern. Die momentan eingesetzten Verfahren ergeben meist entweder globale Informationen ohne oder mit sehr beschränkter Auflösung (z. B. Modalanalyse) oder lokale Werte mit beschränkter Fähigkeit zur Extrapolation. (z. B. Dehnungsmesstreifen). Das im Folgenden beschriebene Verfahren hat das Potenzial, diese Lücke zu schließen - ohne die bisherigen Systeme überflüssig zu machen. Ultraschall-Transmissionsmessungen werden seit Jahrzehnten erfolgreich zur Prüfung und Qualitätssicherung von Baustoffen und Bauteilen im Bauwesen eingesetzt. Sie sind z. B. in DIN 12504-4 geregelt [1]. Ziel ist meist 474 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ultraschallbasierte Überwachung von Stahl- und Spannbetonkonstruktionen - erste Ergebnisse der DFG-Forschungsgruppe 2825 CoDA die Bestimmung von Änderungen in der Druckfestigkeit oder die Verfolgung von Schädigungen. Direkte analytische Zusammenhänge zwischen den gemessenen physikalischen Parametern und den gesuchten bautechnischen Werten gibt es nicht. In Versuchen lassen sich jedoch statistisch quantitative, material- und objektspezifi sche Zusammenhänge fi nden. Zu folgenden relevanten Material- und Zustandsgrößen bzw. zu den Änderungen bestehen Zusammenhänge, oft mit Querabhängigkeiten [3]: • Zementtyp, Wasser-Zementwert, Zuschlag, Verdichtung • Bewehrung • Porosität, Wassersättigung • Druckfestigkeit • Rissverteilung, Rissgröße • Temperatur • (mechanische) Spannung Die bisher eingesetzte Mess- und Auswertetechnik hat jedoch Grenzen. Die in der Regel extern aufgesetzten Ultraschalltransducer unterliegen während längerer Versuche oft Schwankungen in der Ankopplung und sind empfi ndlich gegenüber externen Einfl üssen bis hin zu Vandalismus. Die verwendeten Indikatoren und Auswertealgorithmen sind gegenüber geringen, langsamen Änderungen wenig sensitiv. Seit einigen Jahren werden Ultraschallmessungen auf veränderte Weise auch zur Überwachung von Stahl- und Spannbetonbauteilen eingesetzt, bisher allerdings fast ausschließlich im Labor. Durch eingebettete Sensoren [3] und Anwendung der Codawelleninterferometrie werden hierbei bisher nicht erreichbare Sensibilitäten und Sensitivitäten erreicht und räumliche Abbildungen von Zuständen ermöglicht (z. B. [5] bis [8]). Seit 2019 untersucht die DFG-Forschungsgruppe 2825 „CoDA“ (Sprecher: Prof. Christoph Gehlen, TU München) verschiedenste Aspekte dieser innovativen Technologie mit dem Ziel, Einfl ussgrößen quantitativ zu erfassen, Umwelteinfl üsse zu korrigieren und 3D-Auswerteverfahren zu verbessern. Final soll eine am Bauwerk einsatzfähige Methode entstehen, die klassische Monitoringverfahren ergänzt und erweitert sowie Input zu einem Update des statischen Systems liefert. Teilnehmer sind zwei Lehrstühle der TU München (Prof. Gehlen und Prof. Bletzinger), zwei Lehrstühle der Ruhruniversität Bochum (Prof. Mark und Prof. Meschke), die Hochschule Bochum (Prof. Saenger) und die BAM. 2. Messtechnik 2.1 Eingebettete Ultraschalltransducer Die Verwendung von in das Objekt eingebetteten Ultraschalltransducern hat vor allem in Bezug auf reale Objekte folgende prinzipielle Vorteile: • Konstante Ankopplung • Verringerung externer Einfl üsse • Sicherheit vor Vandalismus • Bei massiven Objekten Positionierung nahe dem interessierenden Bereich möglich. Den möglichen Nachteilen (z. B. keine Reparaturmöglichkeit) muss durch Redundanzen im Messsystem begegnet werden. Ultraschalltransducer können in Bauwerken über Jahrzehnte funktionstüchtig bleiben [9]. Bild 1. Ultraschall-Transducer ACS S0807 zur Einbettung in Beton An eingebetteten Ultraschalltransducern wird schon seit längerem geforscht [10]. Keine uns bekannte Entwicklung hat es jedoch zur Serienproduktion gebracht. Vor einiger Zeit hat die Firma ACS im Auftrag und nach Vorgaben der BAM neuartige Transducer entwickelt, die robust und langlebig sind und als Sender oder Empfänger eingesetzt werden können (ACS S0807, Bild 1). Ihre Leistungsfähigkeit bzw. Empfi ndlichkeit reicht für Messtrecken von bis zu vier Metern aus. Die Transducer können aber auch in Laborprobekörpern (Standardmaß in der Forschergruppe 40 x 10 x10 cm³) eingesetzt werden. Kleinere Transducer für kleinere Laborproben sind in der Entwicklung. 2.2 Datenerfassung Die Datenerfassung kann überwiegend mit kommerziellen Komponenten für die Ultraschallmessungen erfolgen. Ein Setup, dass sich an der BAM bei verschiedenen Versuchen bewährt hat, ist z. B. in [11] beschrieben. Ein- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 475 Ultraschallbasierte Überwachung von Stahl- und Spannbetonkonstruktionen - erste Ergebnisse der DFG-Forschungsgruppe 2825 CoDA zige proprietäre Komponente ist dabei ein an der BAM entwickelter Ultraschall-Sendeimpulsgenerator. Dieses Setup wird im Rahmen der Forschergruppe auch für die Technikumsversuche an der Ruhruniversität Bochum eingesetzt (s. Abschnitt 3.1). Um die Vielzahl der in der Forschergruppe geplanten Experimente zu ermöglichen, wurde auf Basis eines studentischen Projekts zusätzlich eine Low-Cost-Messapparatur („W-Box“, Bild 2) auf Basis eines Rasberry- Pi-Einplatinencomputers entwickelt. Mehrere Exemplare sind nunmehr an der BAM und an der TU-München im Einsatz und sollen auch für Feldversuche verwendet werden. Bild 2. Ultraschall-Messapparatur „W-Box“ 2.3 Auswertung mit Codawelleninterferometrie Die meisten Ultraschall-Transmissionsmessungen (typische Signale in Bild 3) beruhen auf Laufzeitmessungen bis zum ersten Eintreffen des Signals (direkte Wellen, „Ersteinsatz“, Bild 4 oben) vom Sender zum Empfänger. Ändert sich etwas in der Struktur oder in den elastischen Eigenschaften des Materials, ändern sich der Wellenweg und/ oder die Geschwindigkeit, was sich in einer veränderten Laufzeit bemerkbar macht. Diese Änderung ist aber oft so gering, dass sie nur schwer quantitativ zu messen ist. (Bild 3 unten links) In späteren Teilen des registrierten Signals, der sogenannten Coda, haben die Wellen aber sehr viel längere Wege zurückgelegt und den interessierenden Bereich durch Reflexion und Streuung mehrfach durchlaufen. Hierdurch sind die Laufzeitunterschiede größer und machen sich in Signalverschiebungen bemerkbar (Bild 3 unten rechts). Der Einflussbereich ist größer und die einzelnen Wellenwege sind nicht zu trennen. Man spricht daher auch von diffusen Wellen (Bild 4 unten). Mit Hilfe der Codawelleninterferometrie (engl. coda wave interferometry, CWI) können auch kleine Änderungen quantitativ mit hoher Genauigkeit und Auflösung erfasst werden. Die Methode erfordert eine Referenzmessung vor der Änderung im Objekt und erfasst nur relative Unterschiede zu diesem Referenzzustand. Wir setzen zur Berechnung der Veränderungen aus den Signalen in der Regel die sogenannte Stretching-Methode ein [4]. Hierbei wird das Signal mit einem sehr kleinen Faktor ν gedehnt bzw. gestaucht (x) und anschließend mit dem Referenzsignal y verglichen. Die Ähnlichkeit der Signale wird über die Kreuzkorrelation ohne Zeitverschiebung nach Gleichung (1) bestimmt: (1) Bild 3. Ultraschall-Messsignale ohne (blau) und mit Belastung (rot). 476 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ultraschallbasierte Überwachung von Stahl- und Spannbetonkonstruktionen - erste Ergebnisse der DFG-Forschungsgruppe 2825 CoDA Bild 4. Ultraschall-Laufwege für den frühen Teil des Signals (Bild 4 unten links) und die Coda (Bild 4 unten rechts). Rot schattiert: Einflussbereich der Messung. Dabei bezeichnen x i , y i die Einzelwerte der Zeitreihen (um den Faktor ν gestrecktes Messsignal bzw. Referenzsignal) und , die zugehörigen Mittelwerte. Der Korrelationskoeffizient CC( ν ) nimmt bei perfekter Übereinstimmung den Wert 1 an, bei völlig unkorrelierten Signalen ist er 0, bei bzgl. der Amplitude spiegelverkehrten Signalen -1. Der Korrelationskoeffizient wird nun schrittweise für einen bestimmten Wertebereich des Faktors ν berechnet, um den optimalen Wert für ν (größtmöglicher Korrelationskoeffizient) zu finden. Dieser Werte entspricht der Geschwindigkeitsänderung im Material im Einflussbereich der Messung. Der dabei erzielte Korrelationskoeffizient ist ein Maß dafür, wie gut sich die Signalveränderung durch eine reine Geschwindigkeitsveränderung erklären lässt: der Wert 1 zeigt perfekte Übereinstimmung an, größerer Abweichungen nach unten immer größere Änderungen in der Struktur. Die Codawelleninterferometrie ist so empfindlich, dass sie relative Geschwindigkeitsänderungen in der Größenordnung von 0,01 % detektieren kann [4]. Bei zu großen Änderungen der Signalform, wie sie auch bei den hier beschriebenen Versuchen auftraten, versagt sie jedoch. Man kann dann zu einem schrittweisen Verfahren übergehen, bei dem die Änderung nicht zu einer festen Referenz, sondern zur jeweils vorhergehenden Messung bestimmt wird. Die relativen Änderungen der Geschwindigkeit können dann aufmultipliziert, also wieder auf den Ausgangszustand bezogen werden [8][12]. Für den Korrelationskoeffizienten geht dies nicht er beschreibt also dann die Ähnlichkeit zur vorhergehenden Messung. Die ermittelte Geschwindigkeitsänderung ist ein gewichtetes Mittel für den Volumenbereich um die für die Messung gewählten Transducer. Zur Rekonstruktion flächenhafter oder volumetrischer Veränderungen aus Messungen in einem Transducer-Netzwerk sind in der Forschung Ansätze verfügbar und wurden auch schon an belasteten Betonbauteilen erfolgreich getestet [6][[13] [14][15]. Ein vereinfachter Ansatz wird in [7] und [8] gezeigt. 3. Technikumsversuche 3.1 Belastungsversuch an Stahlbetonbalken An der Ruhr-Universität Bochum (RUB) werden im Rahmen der Forschungsgruppe unter anderem Versuchen an Stahlbetonbalken zur Verifizierung und Validierung der Technologie unternommen. In erster Instanz wurde ein Stahlbetonbalken im Vierpunkt-Biegeversuch belastet und die Ergebnisse der Codawelleninterferometrie (CWI) mit denen der Digital Image Correlation (DIC, hier nicht vorgestellt) und faseroptischer Sensorik (FOS) verglichen. Hierzu wurde 14 der in Abschnitt 2.1 vorgestellten Transducer in einen 2,4 m langen Stahlbetonbalken (Stützweite 2 m) eingebaut (Bild 5). Der Balken wurde bis zum Versagen belastet. Eine ausführliche Beschreibung findet sich in [16]. Bild 5. Versuchsaufbau Technikumsversuch RUB [16]. Die beiden aus der CWI ermittelten Parameter, Korrelationskoeffizient und relative Geschwindigkeitsänderung, sind für ein Transducerpaar im unteren Bereich des Trägers in Bild 6 dargestellt. Da die Veränderungen über den Versuchsverlauf sehr groß sind, wurde das schrittweise Verfahren angewandt. Die größten Veränderungen sind im Bereich 30 kN bis 45 kN Last zu erkennen. Dies entspricht den Vorhersagen zur Rissbildung, nach denen erste Makrorisse bei etwa 30 kN und das vollständige Rissbild für etwa 40 kN zu erwarten war. Bereits vor sichtbarer Rissbildung ändern sich die Signale aber signifikant und zeigen das Potenzial für die Entwicklung eines Frühwarnsystems. Die Geschwindigkeitsänderung verhält sich vor uns nach der Rissbildung annähernd linear zur Belastung, was zukünftig eine Kalibrierung ermöglichen könnte. Die Belastungsgrenze war bei 160 kN noch nicht erreicht. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 477 Ultraschallbasierte Überwachung von Stahl- und Spannbetonkonstruktionen - erste Ergebnisse der DFG-Forschungsgruppe 2825 CoDA Bild 6. Korrelationskoeffizient und rel. Geschwindigkeitsänderung in Abhängigkeit von der Belastung für ein Transducerpaar im Technikumsversuch RUB. Der schattierte Bereich zeigt den Bereich der primären Rissbildung [16]. Bild 7 und Bild 8 zeigen das flächenhaft interpolierte Ergebnis der faseroptischen Dehnungssensorik und der CWI für den zentralen Bereich des Balkens. Grundsätzliche zeigen sich im unteren Bereich wie zu erwarte starke Dehnungen und im oberen Bereich betragsmäßig geringere Kompression. In der CWI zeigt sich die Dehnungszone durch stark erniedrigt Geschwindigkeitswerte. In der Kompressionszone wäre eine leichte Geschwindigkeitserhöhung zu erwarten. Wie in 2.3 erläutert, zeigen die Ergebnisse aber über größerer Raumbereich gemittelte Werte. Dies führt hier zu leicht erniedrigten Geschwindigkeitswerten. Quantitativ genauere Werte ließen sich durch die bei BAM und TU München in der Forschergruppe in Entwicklung befindliche Rekonstruktionsrechnungen erzielen. Im erfassten Bereich liegen zwei starke Dehnungsanomalien (Bild 7, Pfeile), die auf sich bildende Risse hindeuten. Diese sind trotz der erwähnten Mittelungsproblematik auch in den Geschwindigkeitsänderungen ablesbar (Bild 8, Pfeile). Bild 7. Ergebnis der faseroptischen Dehnungsmessung für den zentralen Bereich des Trägers bei Belastung 25 kN [16]. Bild 8. Ergebnis der CWI für den zentralen Bereich des Trägers bei Belastung 25 kN [16]. 3.2 Dauerversuch zu Umwelteinflüssen Ein wesentliches Problem bei der Bewertung von Monitoring-Ergebnissen ist der Einfluss von Umweltfaktoren wie Temperatur und Niederschlag. Dieser muss aus den Daten beseitigt werden, um laufende Schädigungsprozesse zuverlässig identifizieren zu können. Auf dem Testgelände BAM-TTS bei Horstwalde ca. 50 km südlich von Berlin werden Langzeitversuchen an eine Großprobekörper durchgeführt. Bei „All inclusive“ (Bild 9) handelt es sich um eine 4 x5 x0,8 m³ große Stahlbetonplatte mit einer 1 m breiten Auskragung an der Schmalseite. Neben Ultraschall- und Temperatursensoren (jeweils ca. 0,4 m unter der Oberkante) sind diverse Einbauten enthalten mit denen später lokale Veränderun- 478 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ultraschallbasierte Überwachung von Stahl- und Spannbetonkonstruktionen - erste Ergebnisse der DFG-Forschungsgruppe 2825 CoDA gen und Schädigungen verursacht werden sollen (Last, Korrosion, Hochtemperatur, Feuchte). Derzeit liegt der Fokus auf Erfassung von Umwelteinfl üssen und deren Korrektur. Eine ausführliche Darstellung erfolgt in [17]. Bild 9. Probekörper „All Inclusive“ auf dem Testgelände BAM-TTS. Oben: Foto. Unten: Aufsicht mit Lage der 19 Ultraschall-Transducer und der fünf Temperatursensoren. Maße in mm [17]. Seite Ende 2019 wurden mit nur kurzfristigen Unterbrechungen (Stromausfälle) sowohl Ultraschallals auch Temperaturmessungen im Probekörper vorgenommen. Eine Temperaturerhöhung führt der Literatur nach zu einer Geschwindigkeitsabnahme [4]. Bei den folgenden Betrachtungen wurde das Vorzeichen der Geschwindigkeitsänderung gedreht, um den Zusammenhang graphisch deutlicher sichtbar zu machen. Der Zusammenhang zwischen den Geschwindigkeitsänderungen und der Temperatur im Inneren (Bild 10) ist offensichtlich. Dies zeigt sich auch, wenn man Geschwindigkeitsänderung und Temperatur gegeneinander aufträgt (Bild 11). Hieraus lässt sich eine Ausgleichgerade ableiten, die zur Korrektur der Geschwindigkeitswerte genutzt wurde. Bild 10. Probekörper „All Inclusive“: Verlauf der Temperatur und der negativen Geschwindigkeitsänderung für ein ausgewähltes Sensorpaar [17]. Bild 11. Probekörper „All Inclusive“: Abhängigkeit der negativen Geschwindigkeitsänderung von der der Temperatur im Inneren des Probekörpers [17]. Wendet man die Ausgleichsgerade aus Bild 8 als Korrektur auf die Geschwindigkeitsdaten an, sind die langfristigen Änderungen weitgehend verschwunden (Bild 12, blaue Kurve). Die kurzfristigen Schwankungen (Temperatur-Tagesgang) verbleiben jedoch fast unverändert. Dies liegt daran, dass der Tagesgang einen nur sehr geringen und zeitverzögerten Einfl uss auf die Temperatur im Inneren des Objekts. Der Einfl ussbereich der Ultraschallmessungen umfasst jedoch ein wesentlich größeres Volumen und reicht bis an die Oberfl äche hat. Daher müssen diese Einfl üsse separate korrigiert werden, z. B. durch eine Tiefpass-Filterung (Bild 12, schwarze Kurve). Die verbleibenden Änderungen im Laufe der Zeit sind gering und pendeln um den Nullwert. Es handelt sich daher wahrscheinlich um weitere Umwelteinfl üsse (z. B. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 479 Ultraschallbasierte Überwachung von Stahl- und Spannbetonkonstruktionen - erste Ergebnisse der DFG-Forschungsgruppe 2825 CoDA Feuchtigkeit). Die Messungen werden noch einige Monate fortgesetzt, bevor Schädigungen im Objekt indiziert werden. Hiermit wird zunächst gezeigt, dass sich langfristig stabile Messungen ohne Einfl uss von Umweltfaktoren realisieren lassen. Bild 12. Probekörper „All Inclusive“: Korrektur der ermittelten Geschwindigkeitsänderungen (Orange) um langfristige Temperatureinfl üsse (blau) und zusätzlich um kurzfristige Schwankungen (schwarz) [17]. 4. Vorversuche an Realbauwerken In früheren Projekten sind bereits mehrere Realbauwerke mit den in 2.1 beschriebenen Transducern erfolgreich instrumentiert worden (z. B. [18][19]). Es handelte sich aber bisher um relativ kurzfristig genutzte Installationen, etwa um die Funktion und Sensibilität der Methode nachzuweisen. Die erste Instrumentierung eines Realbauwerks im Rahmen der Forschungsgruppe, der Gänstorbrücke in Ulm, war für März 20202 vorgesehen. Pandemiebedingt haben sich die Arbeiten bis nach Redaktionsschluss dieses Manuskripts verzögert. Vorgesehen ist dort die Instrumentierung eines Zugglieds und der Feldmitte. Die Brücke und die bereits implementierten Monitoringsysteme sind in anderen Beiträgen zu dieser Tagung ausführlich beschrieben. Ziel der Arbeiten dort wird es sein, Das Ultraschallmonitoring im Vergleich zu den anderen Systemen zu validieren sowie nachzuweisen, ob sich ein Zusatznutzen ergibt. 5. Schlussfolgerungen und Ausblick Die ersten in der Forschungsgruppe CoDA erzielten Ergebnisse zeigen das große Potenzial des Monitorings mit Ultraschall. Sensorik und Auswertemethodik haben sich bewährt. Im weiteren Verlauf der Forschungsarbeit werden zusammen mit den Partnern die fehlenden Bausteine ergänzt, etwa die Herleitung quantitativer Zusammenhänge zwischen Ultraschall- Features und Material- und Bauwerksparametern durch Experimente und Simulationen sowie die Entwicklung einer Methodik zum 3D-Imaging in realen Konstruktionen. 6. Danksagung Die hier beschriebenen Arbeiten werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen der Forschergruppe 2825 CoDA gefördert. Die Instrumentierung der Gänstorbrücke geschieht zum Teil im Rahmen eines Auftrags der Bundesanstalt für Straßenwesen. 7. Literatur [1] DIN EN 12504-4: 2004: Prüfung von Beton in Bauwerken-Teil 4: Bestimmung der Ultraschallgeschwindigkeit. [2] Wolf, J.; Niederleithinger, E.; Mielentz, F.; Grothe, S.; Wiggenhauser, H.: Überwachung von Betonkonstruktionen mit eingebetteten Ultraschallsensoren. Bautechnik 91 (2014), Heft 11, S. 783-96, doi: 10.1002/ bate.201400073. [3] Niederleithinger, E.; Wolf, J.; Mielentz, F.; Wiggenhauser, H.; Pirskawetz, S.: Embedded Ultrasonic Transducers for Active and Passive Concrete Monitoring. Sensors 15, no. 5 (May 2015): 9756- 72. doi: 10.3390/ s150509756. [4] Planès, T.; E. Larose.: A Review of Ultrasonic Coda Wave Interferometry in Concrete. Cement and Concrete Research 53 (November 2013): 248-55. doi: 10.1016/ j.cemconres.2013.07.009. [5] Niederleithinger, E.; Sens-Schönfelder, C.; Grothe, S.; Wiggenhauser, H.: Coda Wave Interferometry Used to Localize Compressional Load Effects on a Concrete Specimen. In Proceedings of 7th European Workshop on Structural Health Monitoring (EWSHM). Nantes, France, 2014. [6] Zhang, Y.; Planès, T.; Larose, E.; Obermann, A.; Rospars, C.; Moreau, G.: Diffuse Ultrasound Monitoring of Stress and Damage Development on a 15-Ton Concrete Beam. The Journal of the Acoustical Society of America 139, no. 4 (April 2016): 1691-1701. doi: 10.1121/ 1.4945097. [7] Niederleithinger, Ernst, Martin Herbrand, und Matthias Müller. „Monitoring von Querkraftversuchen an Spannbetondurchlaufträgern mit Ultraschall und Codawelleninterferometrie (Monitoring of shear tests on prestressed concrete continuous beams using ultrasound and coda wave interferometry)“. Bauingenieur 2017, Nr. 11 (2017): 474-81. [8] Niederleithinger, Ernst, Xin Wang, Martin Herbrand, und Matthias Müller. „Processing Ultrasonic Data by Coda Wave Interferometry to Monitor Load Tests of Concrete Beams“. Sensors 18, Nr. 6 (19. Juni 2018): 1971. https: / / doi.org/ 10.3390/ s18061971. 480 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ultraschallbasierte Überwachung von Stahl- und Spannbetonkonstruktionen - erste Ergebnisse der DFG-Forschungsgruppe 2825 CoDA [9] Niederleithinger, E.; Krompholz, R.; Müller, S.; Lautenschläger, R.; Kittler, J.: 36 Jahre Talsperre Eibenstock - 36 Jahre Überwachung des Betonzustands Durch Ultraschall. In: 38. Dresdner Wasserbaukolloquium 2015 „Messen Und Überwachen Im Wasserbau Und Am Gewässer“, Dresden, 2015. [10] Song, G.; Gu, H.; Mo, Y.-L.: Smart Aggregates: Multi-Functional Sensors for Concrete Structures— a Tutorial and a Review. Smart Materials and Structures 17 (2008), No. 3: 033001. doi: 10.1088/ 0964- 1726/ 17/ 3/ 033001. [11] Niederleithinger, E., et al.: Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken - Erfassung von Spannungszuständen in Spannbetonversuchsträgern mit Ultraschallsensoren. 2. Zwischenbericht zum BASt-Forschungsvorhaben FE89.0312/ 2015, Bundesanstalt für Materialforschung und prüfung, Vorhaben 8274, 2017. [12] Shokouhi, P.; Niederleithinger, E.; Zoëga, A.; Barner, A.; Schöne, D.: Using Ultrasonic Coda Wave Interferometry for Monitoring Stress-Induced Changes in Concrete. In 23rd SAGEEP Symposium on the Application of Geophysics to Engineering and Environmental Problems (Proceedings), 650-54. Keystone, Colorado, USA: Environmental and Engineering Geophysical Society, 2010. [13] Pacheco, C.; Snieder, R.: Time-Lapse Travel Time Change of Multiply Scattered Acoustic Waves. The Journal of the Acoustical Society of America 118, no. 3 (2005): 1300. doi: 10.1121/ 1.2000827. [14] Planes, T.; Rosseto, V.; Larose, E.; Margerin, L.: “Locating a Small Change in a Multiple Scattering Environment (LOCADIF): Application to Monitoring Concrete.” The Journal of the Acoustical Society of America 128, no. 4 (2010): 2375. doi: 10.1121/ 1.3508438. [15] Niederleithinger, E.; Sens-Schönfelder, C.; Grothe, S.; Wiggenhauser, H.: Coda Wave Interferometry Used to Localize Compressional Load Effects on a Concrete Specimen. In Proceedings of 7th European Workshop on Structural Health Monitoring (EWSHM). Nantes, France, 2014. [16] Clauß, F.; Epple, N.; Ahrens, M. A.; Niederleithinger, E.; Mark, P.: Comparison of Experimentally Determined Two-Dimensional Strain Fields and Mapped Ultrasonic Data Processed by Coda Wave Interferometry. Sensors, under review, 2020. [17] Epple, N.; Fontoura Barroso, D.; Niederleithinger, E.; Towards Monitoring of Concrete Structures with Embedded Ultrasound Sensors and Coda Waves - First Results of DFG FOR CoDA. Submitted to EWSHM, 2020. [18] Wang, X..; Chakraborty, J.; Niederleithinger, E; Noise reduction for improvement of ultrasonic monitoring using the coda wave interferometry method on a real bridge. Submitted to sensors, 2020 [19] Wang, X.; Niederleithinger, E.; Method to install embedded ultrasonic transducer inside an old bridge for monitoring load test using coda wave interferometry technique. To be submitted to SHM. Fallbeispiele - Gänstorbrücke 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 483 Monitoring von Brücken - Hintergründe, technische Möglichkeiten und Umsetzung am Beispiel der Ulmer Gänstorbrücke Franz Knab, Robin Groschup Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat GmbH, München, Deutschland Zusammenfassung Die Verkehrsbelastung stellt zunehmend höhere Anforderungen an die vorhandene Verkehrsinfrastruktur und deren Verfügbarkeit. Aufgrund der laufenden Beanspruchung aber auch technisch ungünstiger Bauweisen früherer Jahre ergibt sich regelmäßiger Instandsetzungsbedarf. Mithin werden Neubauten erforderlich. Bis diese realisiert werden können, müssen schadhafte oder alte Brücken oft noch Jahre im laufenden Betrieb bleiben und im Hinblick auf eine sichere Nutzung hinsichtlich weiterer Zustandsverschlechterungen überwacht werden, bei Bedarf in Echtzeit. Hierfür stehen mittlerweile komplexe Messsysteme zur Verfügung, die eine zielgerichtete Überwachung des Gesamtbauwerks oder einzelner Bereiche erlauben. Die Anwendung ist dabei nicht auf Bestandsbauwerke beschränkt, sondern kann auch bei Neubauten eine sinnvolle oder notwendige Option sein. Je nach Messsystem und zugrundeliegender Technik werden verschiedene Zustände, beispielsweise Dehnungen, oder Ereignisse, beispielsweise Schallemissionen, detektiert. Die Interpretation der Messdaten ist in der Praxis nicht immer einfach. Typische Bauwerksreaktionen auf den alltäglichen Betrieb müssen von außergewöhnlichen Ereignissen unterschieden und diese analysiert und bewertet werden. Hierfür ist in der Regel die kombinierte Auswertung der Daten verschiedener, sich ergänzender Messsysteme nach einer vorherigen bauwerkspezifischen Lernphase erforderlich. Der Beitrag zeigt technisch und wirtschaftlich verfügbare Möglichkeiten zur Überwachung von Brückenbauwerken in Echtzeit. Vorgestellt werden verschiedene Verfahren, beispielsweise Acoustic Emission und Dehnungsmessungen, und deren praktische Implementierung in einem gemeinsamen Überwachungssystem am Beispiel der Ulmer Gänstorbrücke. Neben technischen Hintergründen und der praktischen Umsetzung der Installation wird auch auf automatisierte Alarmierungen und den laufenden Zugriff bzw. die Visualisierung von aktuellen Messdaten eingegangen. Dabei wird das Vorgehen bei der Datenanalyse zur Vorbereitung der tragwerksplanerischen Beurteilung exemplarisch an realen Ereignissen am Bauwerk ebenso kurz geschildert, wie das Implementieren von aus der tragwerksplanerischen Nachrechnung abgeleiteten Schwellwerten für die Alarmierung. 1. Einleitung Die Substanz der Verkehrsinfrastruktur befindet sich in einem ständigen Spannungsfeld: Einerseits altern die Bauwerke, unterliegen schädigenden Einwirkungen oder wurden in früheren Jahren bereits mit Defiziten errichtet. Als Stichworte seien hier beispielsweise der regelmäßige Einsatz von Tausalzen oder die frühere Verwendung von heute als spannungsrisskorrosionsempfindlich bekannten Spannstählen genannt. Andererseits müssen die Bauwerke möglichst laufend für eine Nutzung unter tendenziell steigender Belastung verfügbar sein. Selbst wenn Ersatzneubauten geplant werden, können bis zu deren Errichtung und Inbetriebnahme Jahre vergehen, in denen ein sicherer Betrieb des Bestands nur unter regelmäßiger Überwachung möglich bleibt. Für ein solches Monitoring stehen seit einiger Zeit zunehmend leistungsfähigere Möglichkeiten zur Verfügung, die bei Bedarf auch eine Überwachung in Echtzeit erlauben. Ebenso können neu errichtete Bauwerke von Anfang an mit entsprechender Messtechnik ausgestattet werden, falls die klassische Bauwerksprüfung später nicht uneingeschränkt möglich ist. 2. Monitoring von Brückenbauwerken 2.1 Überblick Die Überwachung bzw. das Monitoring von Brücken kann beschrieben werden als die Beobachtung/ Erfassung des Ist-Zustands bzw. von Zustandsveränderungen mit dem Ziel des Abgleichs mit dem Soll-Zustand zur weiteren Beurteilung. Im einfachsten Fall erfolgt dies über diskrete Untersuchungen, ggf. in regelmäßigen Intervallen. Klassisch 484 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Monitoring von Brücken - Hintergründe, technische Möglichkeiten und Umsetzung am Beispiel der Ulmer Gänstorbrücke wären dies die Bauwerksprüfungen nach DIN 1076, [1], oder Sonderprüfungen aus verschiedenen Anlässen. Wesentlicher Nachteil dieser Art der Überwachung ist, dass die Erkenntnisse nur zu einzelnen Zeitpunkten oder in gröberen Zeitintervallen zur Verfügung stehen. Dies erschwert die Bewertung: • Randbedingungen zum Zeitpunkt der Untersuchungen beeinfl ussen das Ergebnis, beispielsweise Temperaturdehnungen die Verformungen und Rissbreiten. • Prognosen zum zukünftigen Zustand müssen auf Basis weniger, größtenteils vergangenheitsbasierter Daten getroffen werden. • Plötzliche Zustandsveränderungen werden verspätet und ggf. erst dann erfasst, wenn ein kritischer Zustand erreicht ist, beispielsweise Spanndrahtbrüche. Deutlich leistungsfähiger und mittlerweile marktreif verfügbar sind laufende Untersuchungsmethoden, die idealer Weise in Echtzeit Daten liefern. Bisher von wesentlicher Bedeutung sind dabei: • Dehnungsmessungen Dehnungen können einfach mit Hilfe von applizierten Dehnmessstreifen (DMS) an diskreten Stellen oder über integral verlängerte, am Bauwerk installierte induktive Wegaufnehmer über eine Messlänge verschmiert (und damit ggf. gegenüber lokalen Störeinfl üssen robuster) gemessen werden. Noch relativ neu und technisch sehr anspruchsvoll ist alternativ die Messung von Dehnungen mittels am bzw. im Bauwerk installierten Lichtwellenleitern mit deren Hilfe Dehnungen (und Temperaturen) entlang des Lichtwellenleiters unter Anwendung der OFDR- Technologie (Optical Frequency Domain Refl ectometer) und Rayleigh-Scatter gemessen und lokal aufgelöst werden können. • Verformungsmessungen Verformungen können lokal, z.B. an Rissen, mit Hilfe von induktiven Wegaufnehmern gemessen werden. Für Verformungsmessungen im größeren Maßstab bieten sich photogrammetrische Verformungsmessungen, Bild 1, an, wobei anzumerken ist, dass diese aufgrund des Aufwands in der Regel nicht im Dauerbetrieb durchgeführt werden können, sondern sich eher für kürzere Überwachungszeiträume eigenen. Bild 1: Messaufbau für photogrammetrische Verformungsmessungen an der Ulmer Gänstorbrücke während Probebelastungen am 17./ 18.11.2018. Bildquelle: Fa. Dantec Dynamics • Acoustic Emission (AE) Das Acoustic Emission Verfahren beschreibt das Messen und Interpretieren von Schallemissionen bei spontaner Energiefreisetzung im Bauwerk, beispielsweise bei Auftreten eines Spanndrahtbruchs. Von Interesse sind in der Regel nicht nur das Auftreten und die Intensität eines Ereignisses, sondern auch dessen generelle Charakteristik, Dauer und Energie sowie die Lokalisierung am Bauwerk. Dies wird über die verteilte Anordnung mehrerer Messköpfe möglich. Bild 2: Exemplarisches Schallsignal mit den wesentlichen Parametern; [2] • Temperatursensoren Dehnungen und Verformungen beinhalten stets auch eine temperaturabhängige Komponente. Die Interpretation von Dehnungs- und Verformrungsmessungen ist daher nur mit genauer Kenntnis der Temperaturen am Bauwerk möglich. • Videoüberwachung Die gemeinsame Auswertung verschiedenster Messdaten an einem realen, ggf. vorgeschädigten Objekt 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 485 Monitoring von Brücken - Hintergründe, technische Möglichkeiten und Umsetzung am Beispiel der Ulmer Gänstorbrücke ist eine sehr komplexe Aufgabe. Die Analyse von Videodaten zum Objekt kann bei der Interpretation sonstiger Messdaten sehr hilfreich sein. Selbstverständlich ist auf entsprechenden Datenschutz zu achten. In der Regel ist die Kombination mehrerer Verfahren erforderlich, da einzelne Messdaten häufig für sich nicht eindeutig zu interpretieren sind. Der Einsatz der genannten Systeme ist dabei nicht nur auf die Nachrüstung an alten Bauwerken begrenzt. Auch Neubauten können mit entsprechender Sensorik versehen werden, beispielsweise wenn sie für spätere Untersuchungen nicht mehr zugänglich sind. 2.2 Datenspeicherung und Datenzugriff Je nachdem, wie komplex ein installiertes Monitoringsystem aufgebaut ist, entstehen erhebliche Datenmengen. Zur Vermeidung unnötig großer Datenmengen haben sich bisher folgende Strategien bewährt: • Dehnungs- und Verformungsmessungen erfolgen nur mit den für eine angemessene örtliche Auflösung von Schwerlastüberfahrten erforderlichen Abtastraten, z.B. rd. 10 Hz bis 100 Hz. • Daten aus der AE werden laufend, d.h. mit Abtastraten von rd. 10 MHz bis 40 MHz am A/ D-Wandler aufgenommen. Hierdurch entstehen riesige Datenmengen. Gespeichert werden daher nur bestimmte Zeitspannen vor- und nach einem sogenannten transienten Signal. • Daten aus Temperatursensoren werden mit geringeren Abtastraten gemessen, da sich die Temperaturen am Bauwerk nicht sehr schnell ändern. • Die Videoüberwachung erfolgt über Einzelbilder, die im Abstand von mehreren Sekunden aufgenommen und in einem sich zyklisch überschreibenden Ringspeicher gehalten werden. Sobald eines der anderen Monitoringsysteme ein Ereignis meldet, beispielsweise eine große Dehnung oder ein AE-Ereignis, werden die für diesen Zeitpunkt und eine kurze Zeitspanne davor und danach im Ringspeicher gehaltenen Bilder ausgelesen und separat dem Ereignis zugeordnet und permanent gespeichert. Sämtliche Daten werden laufend auf lokalen Rechnern und Medien am Objekt zwischengespeichert und periodisch (z. B. stündlich) auf einen zentralen Datenserver zum Zweck der Sicherung und vertieften Weiterverarbeitung übertragen. Folgende weitere Punkte sind im Zusammenhang mit der Datenspeicherung und dem Datenzugriff zu beachten: • Der Daten- und Systemzugriff sollte von außen wie auch zu Wartungszwecken vor Ort möglich sein. • Auf eine ausreichende Bandbreite und Stabilität der Datenanbindung zum zentralen Datenserver ist zu achten. Eine hohe Zuverlässigkeit ist vor allem auch dann sehr wichtig, wenn Alarmierungen über diese Leitungen mit übertragen werden. • Die Datenspeicherung sollte auch dann weiter erfolgen, wenn die Netzanbindung zum zentralen Datenserver eine Funktionsstörung aufweist. Die lokalen Speicherkapazitäten sind entsprechend auszulegen. • Die Akquisitions- und Speichersysteme sollten mit einer USV ausgestattet und auf die örtlichen Expositionen angepasst konfiguriert sein. • Sämtliche Messsysteme sollten regelmäßig auf ein gemeinsames Zeitsignal kalibriert werden, um im Nachgang die Zuordnung und gemeinsame Auswertung von Daten zu erleichtern. 2.3 Datenverarbeitung und Datenvisualisierung Die unmittelbare Datenverarbeitung läuft zunächst auf den Rechnersystemen vor Ort, die in Echtzeit die Daten im Hinblick auf alarmierungsrelevante Ereignisse verarbeiten. Wichtig ist hierbei, dass die Systeme so konfigurierbar sind, dass Alarmierungsgrenzen fortlaufend angepasst werden können, beispielsweise um die Alarmschwellen von Dehnungs- und Verformungswerten an die Bauwerkstemperatur anzupassen, und dass die Systeme in der Lage sind, die Rohdaten zu prozessieren, beispielsweise um bei der Identifikation von Grenzwertüberschreitungen ein Hintergrundrauschen von den eigentlichen Messdaten zu trennen. Unabhängig davon finden häufig ergänzende Auswertungen der Daten im Nachhinein statt, beispielsweise um Alarmereignisse vertieft zu beurteilen oder statistische Erhebungen durchzuführen. Für die Visualisierung der Daten stehen zum einen Softwareprogramme der Hersteller zur Verfügung. Alternativ bieten sich auch herstellerunabhängige Programme an. Office-Programme eignen sich aufgrund der Datenmengen in der Regel nur begrenzt. Als sehr sinnvoll kann sich der Aufbau eines Dashboards mit verschiedenen Ebenen des Datenzugriffs und der Visualisierung erweisen. Vorteile sind: • Zugriff auf visuell aufbereitete Daten in Echtzeit und gemeinsam für verschiedene Überwachungssysteme. • Zugriff über eine einheitliche Softwareschnittstelle. Anwender benötigen keine herstellerspezifischen Softwarekenntnisse. • Zusammenschalten mehrerer Bauwerke zu einer zentralen Überwachung möglich. 486 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Monitoring von Brücken - Hintergründe, technische Möglichkeiten und Umsetzung am Beispiel der Ulmer Gänstorbrücke 2.4 Systemausfälle und Wartung Wie alle technischen Systeme können Monitoringsysteme altern und ausfallen und müssen daher regelmäßig gewartet werden. Wichtig sind hier u.a. folgende Punkte: • Beachten der typischen Lebensdauer der Komponenten und einer ggf. erkennbaren Vorankündigung eines Ausfalls oder einer Störung • Abklären der (zukünftigen) Verfügbarkeit von Ersatzkomponenten • Abklären der Zugänglichkeiten vor Ort und der Möglichkeiten zur Fernwartung • Einplanen einer ausreichenden Redundanz (Sensoren können ggf. auch unzugänglich oder nur unter extremem Aufwand zugänglich eingebaut sein) • Definition erforderlicher Reaktionszeiten bei Systemausfällen • Festlegen erforderlicher Wartungsintervalle • Abklären der Erfordernisse zur Fortsetzung der Überwachung während der Wartung • Wirtschaftliche Aspekte. Ein Wartungsplan sollte erstellt werden. 2.5 Alarmierung und Reaktion auf Ereignisse Jedes Bauwerk verhält sich entsprechend seiner Konstruktion und des Zustands sowie der Beanspruchung anders. Eine pauschale Festlegung von Alarmgrenzen ist nicht möglich. Stattdessen werden zunächst auf Basis von Erfahrungswerten und tragwerksplanerischen Analysen „sinnvolle“ Grenzwerte definiert und das Alarmierungssystem in einer ersten Phase von mindestens 3-6 Monaten, besser einem Jahr Dauer „trainiert“, um bauwerksspezifische Erfahrungen zu sammeln, Grenzwerte festzulegen und anzupassen und das System bei Bedarf noch zu modifizieren. Eine Alarmierung bedarf auch einer Reaktion. Deshalb müssen Grenzwerte nicht nur definiert, sondern auch ein bauwerksspezifischer Plan erstellt werden, wie mit Alarmereignissen umzugehen ist. Wichtige Punkte hierbei sind: • Definition verschiedener Alarmierungsstufen, beginnend bei einem Voralarm, ggf. bis hin zur sofortigen Sperrung des Bauwerks. Ein Ausbleiben der planmäßigen Datenübertragung auf den externen Server löst ebenfalls ein Alarmsignal aus. • Definition erforderlicher Reaktionszeiten und Bereitschaften bei der Analyse von Alarmereignissen (Stichworte: Alltagsarbeit, Nacht, Wochenende, Feiertag, Urlaub, Krankheit). • Festlegen von genauen Alarmierungsketten und Zuständigkeiten, vor allem bei ggf. erforderlichen Sofortmaßnahmen. Fehlalarme können in der „Trainingsphase“ naturgemäß noch etwas häufiger als im späteren Regelbetrieb auftreten. Um ungewollte Panikreaktionen zu vermeiden, empfiehlt es sich deshalb, bei einem mehrstufigen Alarmmodell kritische Alarmschwellen erst dann zu aktivieren, wenn der Erfahrungsstand ausreichend groß ist, und bis dahin die Reaktionszeiten zur vertieften Signalanalyse entsprechend kurz zu halten. Dies erfordert selbstverständlich, dass der Bauwerkszustand dies noch zulässt. 3. Praktische Umsetzung am Beispiel der Ulmer Gänstorbrücke 3.1 Bauwerk und Konstruktion Die im Jahr 1950 geplante und gebaute Gänstorbrücke, Bild 3, verbindet die Städte Ulm und Neu-Ulm über die Donau mit zwei parallelen Überbauten, die jeweils als gelenklose, zur Feldmitte hin überhöhte Rahmen konstruiert sind, Bild 4. Die Spannweite beträgt rd. 82,4 m bei einer Gesamtlänge von rd. 96,1 m. Bild 3: Fotoaufnahme der Gänstorbrücke von der Ulmer Seite in Blickrichtung Neu-Ulm; Bildquelle: Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat Bild 4: Konstruktion der Gänstorbrücke über die Donau zwischen Ulm und Neu-Ulm; Bildquelle: Planunterlagen der Stadt Ulm Die oberen Rahmenriegel bestehen aus 2-stegigen Spannbeton-Plattenbalken (Vorspannung in Längsrichtung, beschränkte Vorspannung in Querrichtung). Die 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 487 Monitoring von Brücken - Hintergründe, technische Möglichkeiten und Umsetzung am Beispiel der Ulmer Gänstorbrücke Rahmenecken und die Rahmenstiele bestehen aus Stahlbetonscheiben, sich aus den Rahmenriegeln fortsetzenden Spannbeton-Kragbalken und Spannbeton-Zuggliedern. Die Fundamente stützen sich horizontal gegen alte Fundamente einer früheren Brücke an dieser Stelle ab. Als Spannsystem kam eine frühe Version des Spannsystems Dywidag der Firma Dyckerhoff & Widmann zum Einsatz (Rundstäbe d = 26 mm, Stahlgüte St 60/ 90). Jeder Steg des Plattenbalkens ist im Querschnitt mit 36 (Feldbereich) bis 92 (über der Pfeilerscheibe), teilweise in die Überbauplatte ausgelagerten Spanngliedern bewehrt. Je Zugstrebe wurden 80 Spannglieder eingebaut. 3.2 Zustand und Erfordernis eines Monitorings Schäden an der Brücke sind seit den 1980er und 1990er Jahren bekannt. Damals wurden Teilinstandsetzungen und -verstärkungen in Form zusätzlicher Endquerträger und Erdanker zur Unterstützung der bereits damals als schadhaft erkannten Zugglieder vorgenommen. Im Jahr 2018 fanden im Zug einer Nachrechnung des Bauwerks vertiefte Untersuchungen zu verschiedenen Materialeigenschaften und zum Zustand der Spannbewehrung statt. Dabei wurden umfangreiche, zum Teil äußerlich nicht sichtbare Schäden an der Vorspannung festgestellt, [3]: • Verpressfehler im Bereich der Längs- und Quervorspannung sowie an den Zuggliedern • Starke Korrosion im Bereich von Spannstabkoppelstellen der Längsvorspannung mit lokalen Querschnittsverlusten von bis zu 30%, Bild 5 • Chloridinduzierte Korrosion an den Spannköpfen der Längsvorspannung • Starke Korrosion an einem Teil der Vorspannung der Zugglieder infolge von Betonier- und Verpressfehlern sowie chloridhaltigem Wasser, das über umläufi ge ÜKOs an die Zugstreben gelangte und dort aufgrund sehr geringer Betondeckungen und aufgrund von Betonagefehlern bis zur Spannbewehrung vordringen konnte, Bild 6 und Bild 7. Bild 5: Korrosion und Verpressfehler an Koppelstelle der Längsvorspannung; [3] Bild 6: Fortgeschrittene Korrosion an Spannglied einer Zugstrebe; [3] Bild 7: Korrosion am Übergang eines Stegs zu einem Zugglied infolge von chloridhaltigem Wasser aus der ÜKO; [4] Die festgestellten Schäden waren/ sind nicht mehr instandsetzbar. Da weitergehende Analysen ergaben, dass eine schnell umsetzbare und dauerhafte Verstärkung nicht möglich ist, wurde die Entscheidung für einen Ersatzneubau getroffen. Bis dahin soll ein Monitoringsystem den sicheren Betrieb der Brücke erlauben. Auf Basis der Untersuchungsergebnisse und tragwerksplanerischer Berechnungen wurde die Brücke zur Reduzierung der Belastungen zunächst teilgesperrt (Wegnahme von einer Fahrspur je Plattenbalken), um Reserven gegenüber dem Grenzzustand der Tragfähigkeit zu schaffen. 488 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Monitoring von Brücken - Hintergründe, technische Möglichkeiten und Umsetzung am Beispiel der Ulmer Gänstorbrücke 3.3 Monitoringkonzept 3.3.1 Allgemeines Die deutlichen Korrosionsschäden an der Spannbewehrung bedingen, dass nur eine Überwachung in Echtzeit geeignet ist, die weitere Entwicklung des Zustands der Brücke angemessen zuverlässig zu beurteilen. Das Monitoring-System wurde aus den nachfolgenden Komponenten zusammengestellt, Bild 8: • AE-Sensoren zur Überwachung des Überbaus auf Hinweise für Spanndrahtbrüche • DMS an ausgewählten Spanngliedern der Plattenbalken und Zugglieder zur Erfassung von Dehnungen und Schwingbreiten • Integral verlängerte Wegaufnehmer zur Messung der Dehnungen des Überbaus in Feldmitte, aufgrund teilweise unter einer rissüberbrückenden Beschichtung ggf. vorhandener Rissbildung verschmiert über eine Länge von 2 m • Temperatursensoren in definierten Querschnitten zur tiefengestaffelten Messung der Temperaturen und Temperaturverteilungen am Überbau • Überwachungskamera zur visuellen Kontrolle der Ereignisse auf der Brücke bei Alarmereignissen. Bild 8: Schema zum Monitoringsystem an der Gänstorbrücke; Bildquelle: Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 489 Monitoring von Brücken - Hintergründe, technische Möglichkeiten und Umsetzung am Beispiel der Ulmer Gänstorbrücke Bild 9: Schema zur Anordnung der Sensorik im Monitoringsystem an der Ulmer Gänstorbrücke; Bildquelle: Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat 3.3.2 Praktische Umsetzung Bild 9 zeigt eine schematische Übersicht zur Anordnung der an der Gänstorbrücke für das Monitoring installierten Sensoren. Das AE-System besteht aus 36 piezobasierten Schallemissionssensoren (Typ Vallen VS30-SIC-46dB, Frequenzbereich 25 - 80 kHz, Bild 10; je 7 Sensoren je Plattenbalkensteg, seitlich montiert, Bild 11, je 1 Sensor je Zugglied). Die Anordnung der Sensoren erlaubt bei Schallereignissen eine Zuordnung zum Steg oder einem individuellen Zugglied und die Ortung der Lage eines Ereignisses entlang der Stege. Bild 10: Schallsensor Vallen VS30-SIC-46dB mit Vorverstärkung und zugehörigem Frequenzspektrum; Bildquelle: Fa. Vallen Bild 11: Verschiedene Phasen bei der Installation eines AE-Sensors; Bildquelle: Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat Bild 12 zeigt eine schematische Darstellung der verschiedenen Komponenten innerhalb des AE-Systems und deren Zusammenspiel. Als DMS wurden als Halbbrücken mit zwei um 90° zueinander versetzten Gittern konzipierte DMS der Fa. HBM verwendet, die an mehreren, auf alle Zugglieder und Stege verteilten Spannstäben, appliziert wurden. Derzeit werden parallel 16 DMS in Echtzeit überwacht. Bei der Installation wurden zusätzliche DMS eingebaut, um bei Ausfällen Redundanzen zu haben. 490 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Monitoring von Brücken - Hintergründe, technische Möglichkeiten und Umsetzung am Beispiel der Ulmer Gänstorbrücke Bild 12: Schematische Darstellung der Komponenten innerhalb des AE-Systems an der Gänstorbrücke; [2] Bild 13: Nahe einer Koppelstelle eines Spannglieds mit deutlichen Korrosionsschäden in einem Steg an der Gänstorbrücke installierter DMS vor dem Einbau der Schutzabdeckung über dem DMS und dem Wiederverschließen der Öffnungsstelle; Bildquelle: Fa. HBM im Auftrag Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat Zur indirekten Beobachtung der Durchbiegungen des Überbaus werden in Feldmitte aller vier Stege über 2 m Länge verschmiert die Dehnungen gemessen. Dazu wurde ein entsprechend langer CFK-Stab am Überbau montiert, der an einem Ende fest, am anderen Ende in Längsrichtung verschieblich, spannungsfrei gelagert ist, Bild 14. Am beweglichen Ende übertragt der Stab seine Bewegung auf einen induktiven Wegaufnehmer, der so in guter Näherung die Verschiebung des freien Endes bzw. in Relation zur Bezugslänge die Dehnung im Bereich der Unterseite des Stegs misst. Die Temperaturen werden in 13 Querschnitten mit bis zu 9 Messfühlern vom Typ PT 1000 tiefengestaffelt gemessen (insgesamt 96 Kanäle), Bild 15. Bild 14: Messaufbau zur Messung der über 2 m verschmierten Dehnung im Bereich der Feldmitte eines Stegs (Messaufbau LGA); Bildquelle: Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat Bild 15: Messaufbau zur tiefengestaffelten Messung von Temperaturen mit Hilfe von PT 1000 Messfühlern; Bildquelle: Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat 3.3.3 Datenspeicherung, Datenzugriff und Visualisierung Alle Einzelsysteme speichern lokal ihre jeweiligen Messdaten zwischen und sind per Mobilfunkmodem fernwartbar. Die Daten werden zyklisch auf einen externen zentralen Datenserver übertragen. Für die Datenvisualisierung wurde ein Dashboard programmiert, Bild 16, das für erste Analysen eine einfache Anzeige und Download-Funktion der laufenden und zurückliegenden Messergebnisse bietet. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 491 Monitoring von Brücken - Hintergründe, technische Möglichkeiten und Umsetzung am Beispiel der Ulmer Gänstorbrücke Bild 16: Exemplarische Darstellung der Funktionalität eines Prototyps des Dashboards (Programmierung Fa. Vallen); Bildquelle: Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat 3.3.4 Trainingsphase, Alarmierungsketten und Reaktion auf Ereignisse Unmittelbar nach der Inbetriebnahme des Monitoringsystems fanden in der Nacht vom 17. auf den 18.11.2018 Probebelastungen mit defi nierten Belastungen statt. Dazu wurden mit drei verschieden schweren Kranwägen defi nierte Überfahrten und Bremsmanöver auf der Brücke durchgeführt und über das Monitoringsystem, ergänzt um photogrammetrische Messungen, Bild 1, die Reaktionen der Brücke gemessen. Folgende Ziele sollten dabei erreicht werden, [3]: • Kalibrierung des Rechenmodells (Grundlage für die Festlegung von Grenzwerten) • Identifi kation von systematischen Abweichungen beim Verformungsverhalten beider Teilüberbauten • Überprüfung von Daten für Betriebsfestigkeitsnachweise. Auf Basis der Ergebnisse wurden erste Alarmierungsgrenzwerte für die Dehnungsmessungen in Feldmitte abgeleitet. Diese wurden nach einiger Zeit mit einer Temperaturkompensation versehen, die allerdings während der Lernphase bislang mehrfach angepasst werden musste und daher hier nicht näher erläutert wird, Bild 17, [3]. Mit Defi nition der Grenzwerte wurde ein mehrstufi ger Alarmierungsplan erstellt. Da die Lernphase noch nicht abgeschlossen ist, wurden erst Alarmereignisse der Stufe 1, d.h. noch ohne selbstaktivierende Sofortmaßnahmen „scharf geschalten“. Alarmierungen werden via E-Mail und SMS an einen ausgewählten Personenkreis versendet. Bild 17: Exemplarische Längenänderungen (Dehnungen) in Feldmitte des westlichen Außenstegs mit dazugehörigen Temperaturdaten und temperaturkompensiertem vorläufi gem Alarmierungsgrenzwert; [3] Eine Notfall-Ampelschaltung wird derzeit hardware- und software-technisch in das Monitoringsystem integriert. Damit kann bei kritischen Grenzwertüberschreitungen vollautomatisch eine Brückensperrung ausgelöst werden. Für Alarmierungen dieser Art werden derzeit genaue Alarmierungsketten entworfen, die beispielsweise u.a. folgende Punkte regeln: • Eigenständige Maßnahmen der Anlage (z.B. Ampelschaltung zur Sperrung der Brücke, Benachrichtigung der Leitstellen der Rettungsdienste in Ulm und Neu-Ulm, der Polizei und anderer betroffener Organe der öffentlichen Hand) • Defi nition von Reaktionszeiten zur ersten Überprüfung und Bestätigung des Schadensereignisses • Defi nition der Reaktionen auf Fehlalarmierungen • Defi nitionen bezüglich des weiteren Vorgehens bei tatsächlichen Schäden, u.a. zur genaueren Diagnose und zwischenzeitlichen Möglichkeiten einer teilweisen Wiederaufnahme einer einseitigen Verkehrsführung auf einem der beiden Überbauten. 3.3.5 Zwischenzeitliche Erfahrungen Insgesamt läuft das Monitoringsystem seit gut anderthalb Jahren sehr zuverlässig. An einigen Stellen konnte jedoch Optimierungspotential gegenüber der Erstinstallation festgestellt werden: • In der Anfangsphase traten bei einzelnen Komponenten oder im Zusammenhang mit der Datenübertragung auf den zentralen Datenserver vereinzelt Systemabstürze auf, die jedoch mit der Zeit durch Austausch einzelner Hardwarekomponenten und immer bessere Abstimmung der Softwareprotokolle laufend weniger wurden. Da die Daten auch lokal zwischengespeichert werden, sind bisher im Zusammenhang mit der Datenübertragung keine Datenverluste aufgetreten. 492 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Monitoring von Brücken - Hintergründe, technische Möglichkeiten und Umsetzung am Beispiel der Ulmer Gänstorbrücke Temporäre Ausfälle einzelner Komponenten traten auf, konnten aber stets schnell durch einen Neustart des Systems behoben werden, so dass bis auf wenige kurze Ausnahmen eine lückenlose Überwachung möglich war. • Im Zusammenhang mit den DMS zeigten sich im praktischen Betrieb der ersten etwa anderthalb Jahre zwei wesentliche Punkte: a) Auf eine sehr gute Ausführung der Kabelverbindungen, insbesondere bei Lötstellen ist zu achten. b) Die Elektronik ist derzeit im Widerlager Ulm installiert. Bei einzelnen DMS im Bereich der Zugglieder im Neu-Ulmer Widerlager musste mit sehr hohen Kabellängen von bis zu über 100 m gearbeitet werden. Daraus resultiert an diesen DMS ein hohes Signalrauschen. Dies wird bei einer zukünftig ggf. vorgesehenen Erweiterung des Überwachungssystems auf mehr Kanäle behoben. Mehrfach kam es zu „Fehlalarmen“, aufgrund von Bauarbeiten auf der Brücke oder in den Widerlagerkammern, da die AE-Sensoren entsprechende Ereignisse detektierten. Diese lassen sich jedoch aufgrund der Signalcharakteristik schnell als solche identifi zieren. Zur sicheren Plausibilisierung solcher Ereignisse ist eine enge Abstimmung zwischen Bauwerksbetreibern und den Betreibern des Monitoringsystems notwendig. Als hilfreich hat sich hier auch die Überwachungskamera erwiesen, mit der eine sofortige Sichtüberprüfung des Betriebs auf der Brücke möglich ist. 3.3.6 Ausgewählte Ereignisse aus der Testphase Nach genauerer Feststellung des Schadensbilds im Jahr 2018 wurde die Brücke, wie bereits erwähnt, verkehrsbeschränkt und eine Gewichtsbeschränkung vorgegeben. In der Folge kam es dennoch mehrfach zu Überfahrten von deutlich zu schweren Fahrzeugen, Bild 18. Die Spitze bildete am 17.05.2019 ein Schwertransport mit 77 t Fahrzeuggewicht. Bild 18: Exemplarische Überfahrten unzulässigen Schwerverkehrs und dazugehörige Dehnungen in Feldmitte und Aufnahmen des Kamerasystems; Bildquelle: Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat Das System löste entsprechende Alarmierungen aus. Die Verformungsmessungen zeigten bleibende Verformungen nach den Überfahrten, Bild 19. Die längere Analyse der Dehnungsverläufe zeigt ähnliche bleibende Verformungen auch in die andere Richtung, allerdings in kleineren Schritten, so dass hierfür auch Rutschungen im Bereich der unbzw. teilverpressten Spannglieder als Ursache in Frage kommen. Ähnliche Effekte wurden auch an einem einzelnen DMS im Rahmen der Probebelastung festgestellt, Bild 20. In der Folge wurde zunächst eine Höhenbegrenzung an der Gänstorbrücke installiert, Bild 21, und die Brücke für den Schwerverkehr mit Ausnahme von Linienbussen und Einsatzfahrzeugen gesperrt. Leider zeigte sich, dass auch diese Maßnahmen keinen Erfolg hatten, da die Beschilderung regelmäßig ignoriert wurde. Bild 19: Exemplarische Überfahrten unzulässigen Schwerverkehrs und dazugehörige zumindest temporär bleibende Dehnungen in Feldmitte; Bildquelle: Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 493 Monitoring von Brücken - Hintergründe, technische Möglichkeiten und Umsetzung am Beispiel der Ulmer Gänstorbrücke Bild 20: Dehnungsverlauf eines DMS während der Probebelastung, Überlagert mit AE-Ereignissen (Parameter Energie); [3] Bild 21: Installation einer Höhenbegrenzung an der Gänstorbrücke, hier Seite Neu-Ulm Richtung Ulm; Bildquelle: Stadt Neu-Ulm Zwischenzeitlich wurde die Zufahrt zur Brücke baulich verengt und mit einem Schrankensystem für größere Fahrzeuge versehen, um neben PKWs nur noch Linienverkehr durch Busse und Einsatzfahrzeuge die Überfahrt zu ermöglichen. Die Messungen des Monitoring-Systems bestätigen die Wirksamkeit der Maßnahmen: Bild 22 zeigt eine Rainfl owcount-Auswertung der Dehnungsmessung in Feldmitte eines Stegs aus dem Jahr 2019. Gut zu erkennen ist, dass der Schwerverkehr mit Einführung der verschärften Gewichtsbeschränkung deutlich begrenzt wurde und dass die Gänstorbrücke offensichtlich von zwei Typen von Linienbussen regelmäßig befahren wird. Dennoch zeigten die Messungen auch, dass die Begrenzung leider trotz Beschilderung immer wieder ignoriert wurde, so dass die letztlich die baulichen Maßnahmen erforderlich wurden. Bild 22: Exemplarische Rainfl owcount-Auswertung von Messdaten aus dem Jahr 2019 zu den maximalen Dehnungen in Feldmitte eines Stegs bei Überfahrtereignissen; [3] Am 11.11.2019 kam es zum bisher lautesten aufgezeichneten AE-Ereignis an einem Zugglied im Widerlager Ulm. Dieses Ereigniss korrelierte nicht mit einem Überfahrtereignis oder Baumaßnahmen. Auf Basis der Messdaten kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um einen Spanngliedbruch handelt. Bild 23: Bisher lautestes gemessenes AE-Ereignis an einem Zugglied der Brücke am 11.11.2019, möglicher Spanngliedbruch; [3] Da die Brücke an keinem der Überwachungssensoren bleibende Reaktionen auf das Ereignis zeigte und je Zugglied 80 Spannglieder eingebaut sind, unterstützt durch die in den 1980er Jahren nachträglich installierten Erdanker, bleibt in Verbindung mit den umgesetzten Lastbegrenzungen ein Weiterbetrieb der Brücke möglich. 4. Ausblick Das System an der Gänstorbrücke wird laufend verfeinert und im Hinblick auf Alarmierungen mit eigenständiger Einleitung von Sofortmaßnahmen um letzte erforderliche Komponenten ergänzt. Ferner ist geplant, das Dashboard so zu erweitern, dass auch andere Brückenbauwerke integriert werden können. Der Neubau der Ersatzbrücke wird erst in einigen Jahren fertiggestellt. Bis dahin kann dank freundlicher Unterstützung und Kooperation der Städte Ulm und Neu-Ulm im Rahmen eines Forschungsprojekts der vom DFG geförderten Forschungsgruppe CoDA, Concrete Damage Assessment by Coda Waves parallel zum bisherigen Monitoringsystem ein zusätzliches System zur Überwachung mit Hilfe von Codawellen installiert und im Praxiseinsatz an einem bereits eng überwachten Bauwerk erprobt werden. Bei dieser Technologie werden die späten Teile einer Ultraschallwelle analysiert, um Rückschlüsse auf die Belastung und strukturelle Integrität des durchschallten Betons zu ziehen, [5]. So leistet die Gänstorbrücke zum Ende Ihrer Lebensdauer noch einen kleinen Beitrag, um eines Tages eine weitere zerstörungsfreie Überwachungsmethode zum Monitoring von Brücken zur Verfügung zu haben. Literatur [1] DIN 1076: 1999-11: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung. Beuth Verlag GmbH. Berlin. 1999. [2] Sodeikat, C.; Groschup, R.; Knab, F; Obermeier, P.: Acoustic Emission in der Bauwerksüberwachung zur Feststellung von Spannstahlbrüchen. Beton und Stahlbetonbau 114 (2019), Heft 10., S. 707 - 723. [3] Müller, A.; Sodeikat, C.; Schänzlin, J.; Knab, F.; Albrecht, L.; Groschup, R.; Obermeier, P.: Die Gänstorbrücke in Ulm - Untersuchung, Probebelastung und Brückenmonitoring. In: Beton- und Stahlbetonbau 115 (2020), Heft 3, Ernst & Sohn Verlag, Berlin. 2020. [4] Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat GmbH: Bauwerksuntersuchungen und Belastungsversuche an der Gänstorbrücke. Pressehandout anlässlich von Probebelastungen am 17./ 18.11.2018. München. 2018. [5] Internetauftritt der Forschungsgruppe CoDA, Ingenieurfakultät Bau Geo Umwelt, Technische Universität München: https: / / www.bgu.tum.de/ coda/ projekt/ [Stand 11.07.2020]. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 495 Standsicherheitsbeurteilung der Ulmer Gänstorbrücke unter Berücksichtigung von Bauwerksschäden und Messungen - Hintergründe zum Alarmierungssystem Andreas Müller Konstruktionsgruppe Bauen AG, Kempten, Deutschland Zusammenfassung Bei der 1950 in Ulm über die Donau errichteten Gänstorbrücke handelt es sich um eine der ältesten Spannbetonbrücken in Deutschland. Sie besteht aus zwei nahezu baugleichen Teilbauwerken. Bereits bei Untersuchungen in den 1980er Jahren zeigte sich, dass Spanngliedhüllrohre unvollständig verpresst wurden, der Spannstahl Korrosionserscheinungen aufweist und lokal Chlorideintragungen in den Beton stattgefunden haben. Im Jahr 2018 wurden bei umfangreichen Bauwerksuntersuchungen erhebliche, standsicherheitsrelevante Korrosionsschäden an Spanngliedern vorgefunden. Unter Berücksichtigung der festgestellten Schäden konnte die Standsicherheit nur unter Verwendung von Stufe-4-Nachweisverfahren (nichtlineare Berechnungen) für reduzierte Verkehrslasten nachgewiesen werden. Seit Juni 2018 ist je Teilbauwerk nur noch einer von zwei Fahrstreifen befahrbar. Da eine vollumfängliche Zustandsprüfung aufgrund der großen Anzahl an Spanngliedern nicht mit vertretbarem Aufwand möglich ist und nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich der Bauwerkszustand bis zur Realisierung eines Ersatzneubaus weiter verschlechtert, wurde ein Monitoring- und Alarmierungssystem in Betrieb genommen. Zur Kalibrierung des Messsystems und zur Festlegung von Alarmwerten wurde eine Probebelastung mit definierten Verkehrslasten durchgeführt. Im Rahmen dieses Beitrags wird schwerpunktmäßig die Vorgehensweise bei der Beurteilung der Standsicherheit und der Festlegung der Alarmwerte vorgestellt. 1. Hintergründe Die am Ende des zweiten Weltkriegs zerstörte Donaubrücke beim Ulmer Gänstor wurde 1950 in veränderter Form - als integrales Spannbetonbauwerk - neu errichtet. Nachdem Biege- und Schrägrisse festgestellt wurden, folgten Anfang der 1980er Jahre umfangreiche Untersuchungen zum Bauwerkszustand. Unter Berücksichtigung der vorgefundenen Schäden wurde das Bauwerk gezielt verstärkt und von der ursprünglichen Brückenklasse 45 in die Brückenklasse 30 herabgestuft. Zwangsbeanspruchungen infolge von Temperaturunterschieden wurden bei der damaligen Nachrechnung nicht berücksichtigt. Bei den in der Folge durchgeführten Bauwerksprüfungen offenbarte sich ein zunehmender Sanierungs- / Handlungsbedarf. Zur Schaffung einer Grundlage für die Festlegung der weiteren Vorgehensweise wurde von den Städten Ulm und Neu-Ulm zunächst die Nachrechnung der Gänstorbrücke in Auftrag gegeben. In Anbetracht der bereits aus den 1980er Jahren bekannten Schäden war es unerlässlich, parallel zur Nachrechnung u.a. den Schädigungsfortschritt detailliert zu überprüfen. Aufgrund der im Sommer 2018 festgestellten Schäden (vgl. Abschnitt 3) und darauf aufbauenden Nachrechnungsergebnissen wurde der Verkehr auf der Gänstorbrücke eingeschränkt (vgl. Abschnitt 4). Jedes Teilbauwerk ist seither nur noch einstreifig (ein Fahrstreifen je Richtung, anstatt zwei) befahrbar. Da bzgl. des tatsächlichen Schädigungszustandes weiterhin Unsicherheiten bestehen und kaum vorhersehbar ist, wie sich der Zustand bis zur Fertigstellung eines Ersatzneubaus verändern wird, wurde das Tragverhalten im Rahmen einer Probebelastung (vgl. Abschnitt 6) untersucht und ein Brückenmonitoringsystem installiert, mit dem kontinuierliche Messungen und automatische Alarmierungen möglich sind. Wesentliche Ergebnisse der seit 2018 durchgeführten Untersuchungen wurden bereits in [1] veröffentlicht. Bevor im Rahmen des vorliegenden Beitrags neue Messergebnisse und ergänzende Überlegungen zur Festlegung von Stufe-2-Alarmierungsgrenzwerten vorgestellt werden, gilt es, die zum Verständnis wichtigen Grundlagen und Vorüberlegungen zusammenzufassen (siehe auch [1]). 496 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Standsicherheitsbeurteilung der Ulmer Gänstorbrücke unter Berücksichtigung von Bauwerksschäden und Messungen 2. Bauwerk und Historie Die 1950 errichtete Gänstorbrücke besteht aus einem gelenklosen Rahmen mit 82,40 m Spannweite und 15 m Höhe ab Unterkante Fundament bis Oberkante Fahrbahn. Die Rahmenstiele sind in Stabdreiecke aufgelöst, bestehend aus dem verlängerten Rahmenriegel, einer lotrechten Druckstütze und einer vorgespannten, schrägen Zugstrebe. In der Längsachse ist die 18,60 m breite Brücke durch eine Fuge in zwei gleiche Hälften geteilt. Die Gesamtlänge der Fahrbahn beträgt 96,10 m. Der Überbauquerschnitt jedes Teilbauwerks besteht aus einem 2-stegigen Plattenbalken. Die Konstruktionshöhe variiert zwischen ca. 1,20 m im Scheitel und ca. 4,20 m im Anschlusspunkt zu den Druckstützen. Der Überbau wurde in Längs- und Querrichtung beschränkt vorgespannt. Es wurden Stabspannglieder mit nachträglichem Verbund (Stabdurchmesser jeweils 26 mm bzw. Kernquerschnitt 25 mm im Bereich der Stabenden mit kaltgewalztem Gewinde; Spannstahlgüte St 60/ 90) verwendet. Je Träger (Steg + Fahrbahnplatte) befinden sich im Scheitel 36 Längsspannglieder, über den Druckstützen 92 und je Zugstrebe 80. Angewendete Bemessungsgrundsätze, Details zur Vorspannung und zur Spanngliedführung gehen z.B. aus [2] hervor. Bei umfangreichen, Anfang der 1980er Jahre durchgeführten Untersuchungen wurden u.a. Biegerisse in den Stegen im mittleren Drittel des Überbaus, Schrägrisse in den Außenstegen im Bereich der Pfeiler, zahlreiche unverpresste Hüllrohre und örtlich erhöhte Chloridgehalte im Beton (z.B. im Bereich der Zugstreben) festgestellt (vgl. [3]). Unter Berücksichtigung von rechnerischen Untersuchungen zur Standsicherheit wurden in den 1980er Jahren mehrere bauliche Maßnahmen umgesetzt. Hierzu zählen die Verstärkung der Zugstreben mittels Dauerankern (je Zugstrebe zwei parallel zur Zugstrebe verlaufende Anker, die jeweils unter den Fundamenten im Boden und in den Endquerträgern verankert sind) (vgl. [4]). Bei Untersuchungen im Jahr 1990 wurden im Scheitelbereich der Außenstege teilweise erhebliche Korrosionsschäden vorgefunden. Bei einzelnen Längsspanngliedern waren korrosionsbedingte Querschnittsschwächungen von bis zu 20 % festzustellen. In Summe wurde je Außensteg davon ausgegangen, dass die Querschnittsfläche der 36 Längsspannglieder im Scheitelbereich durch Korrosionsschäden um weniger als 10 % reduziert wurde [5]. Mit dem Ziel, den weiteren Korrosionsfortschritt zu unterbinden, wurden die im Bereich der Hüllrohre vorgefundenen Chloride mittels Höchstdruckwasserstrahlen entfernt und im mittleren Drittel über eine Länge von ca. 20 m eine Spritzbetonbeschichtung um die Außenstege aufgebracht (1990). Darüber hinaus wurde die Oberfläche (Brückenunterseite, Stege, Pfeiler) mit einem elastischen, rissüberbrückenden Material beschichtet (Fertigstellung 1992). 3. Aktuelle Bauwerksuntersuchungen Bei den in der Folge durchgeführten Bauwerksprüfungen offenbarte sich ein zunehmender Sanierungs- / Handlungsbedarf. Vermehrt wurden Risse und größere Hohlstellen in der Spritzbetonbeschichtung der Außenstege sowie Risse, Betonabplatzungen und freiliegende Bewehrungselemente in den Zugstreben festgestellt. Zur Schaffung einer Grundlage für die Festlegung der weiteren Vorgehensweise wurde zunächst die Nachrechnung der Gänstorbrücke gemäß [6] durchgeführt (Stufe 1 und 2, vgl. Abschnitt 4). Parallel dazu wurde der aktuelle Zustand detailliert untersucht. Hierzu zählen u.a.: • Bestimmung der noch vorhandenen Spannkraft je Daueranker neben den schrägen Spannbetonzugstreben (mittels BRIMOS-Methode) • Überprüfung des Ziellastniveaus + Bereitstellung von Angaben für Betriebsfestigkeitsnachweise auf der Grundlage von Verkehrszählungen und Simulationsberechnungen • Überprüfung der Eigenlasten mit Hilfe von detaillierten Vermessungsarbeiten (3D-Laserscan), Ultraschalldickenmessungen der Fahrbahnplatte, Betonrohdichtebestimmungen und Berechnungen der Wichte des bewehrten Betons • Bestimmung von weiteren Betonkennwerten (Betondruckfestigkeit, E-Modul, Temperaturausdehnungskoeffizient) • Überprüfung des Korrosionszustandes der Bewehrung mit dem Ziel, Schadensszenarien festzulegen, die bei der Nachrechnung zu berücksichtigen sind. • Dehnungsmessungen an Spanngliedern als Grundlage für Betriebsfestigkeitsnachweise Maßgeblich für die weiteren Schritte war die Erkenntnis, dass sich der Korrosionszustand der Bewehrung gegenüber den Feststellungen aus den 1980er und 1990er Jahren systematisch und deutlich verschlechtert hat. Details zu diesen und weiteren Untersuchungen gehen z.B. aus [1] und [7] hervor. 4. Nachrechnung Obwohl bei der Nachrechnung in Stufe 1 und 2 alle planmäßig vorhandenen Bewehrungselemente voll mitwirkend angesetzt wurden, d.h. ohne Schädigungen und mit vollem Verbund zwischen Stahl und Beton, konnten für das Ziellastniveau BK 30/ 30 wesentliche Nachweise nicht erfolgreich geführt werden. Hierzu zählen z.B. die GZT-Nachweise für Querkraft und Torsion (Brückenlängsrichtung), die Ermüdungsnachweise für die Längsspannglieder und der GZG-Dekompressionsnachweis. Es sei erwähnt, dass in der Bestandsstatik z.B. Zwangsbeanspruchungen aus Temperatureinwirkungen nicht berücksichtigt wurden. Die Querkraftbewehrung besteht im mittleren Drittel je Steg aus 2-schnittigen Bügeln mit ∅ 8 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 497 Standsicherheitsbeurteilung der Ulmer Gänstorbrücke unter Berücksichtigung von Bauwerksschäden und Messungen alle 30 cm. Heutige Anforderungen, z.B. an die Mindestquerkraftbewehrung, werden nicht eingehalten. Nach dem Bekanntwerden der in Abschnitt 3 erwähnten Korrosionsschäden wurden ergänzende Berechnungen unter Berücksichtigung folgender Annahmen durchgeführt: • Längsspannglieder: Reduktion A p um 15% • Querspannglieder: Reduktion A p um 10% • Zugstrebenspanngl.: Reduktion A p um 20% • Betonstahlstäbe in den Zugstreben: Reduktion A s um 50% • Kein Festigkeitszuwachs bei Spannstahldehnung > 2,5 ‰ aufgrund des schlechten Verbunds: σ p,max,d = 590 / 1,15 = 513 MPa. Es zeigte sich, dass die Biegetragfähigkeit in Längsrichtung nur für eine reduzierte Verkehrslast nachgewiesen werden kann - und zwar nur dann, wenn keine Zwangsbeanspruchungen aus Temperatur und Setzungen angesetzt werden. Für die Nachweise wurden Berechnungen an einem Stabwerk- und einem Faltwerkmodell durchgeführt. Bei den Faltwerksberechnungen konnten unter Zugrundelegung eines physikalisch nichtlinearen Materialverhaltens Umlagerungsmöglichkeiten und Gleichgewichtszustände nachgewiesen werden - d.h., dass Zwangsbeanspruchungen im Grenzzustand der Tragfähigkeit in erheblichem Maß durch Rissbildungen abgebaut werden und die oben erwähnte Annahme vertretbar erscheint. Auf der Grundlage der Nachweise der Biegetragfähigkeit wurde am 28.06.2018 die Teilsperrung der Gänstorbrücke umgesetzt. Seit diesem Tag ist je Teilbauwerk, der jeweils linke Fahrstreifen über dem Innensteg für den Verkehr gesperrt. Zwischenzeitlich wurden die Schadensszenarien erweitert und auch der komplette Ausfall von kurzen Längsspanngliedern im Rechenmodell berücksichtigt (vier je Steg). Die Spannanker dieser Spannglieder sind jeweils durch chloridinduzierte Korrosion stark geschädigt. Es ist davon auszugehen, dass über Undichtigkeiten im Bereich der ÜKOs in den Beton eingetragene Chloride zu einem Fortschreiten der Schädigung führen werden und diese Spannglieder kurzfristig ausfallen können. Über ergänzende geometrisch und physikalisch nichtlineare Berechnungen (Theorie 2. Ordnung + nichtlineares Materialverhalten) wurden diese Schadensszenarien für Beurteilungen der Standsicherheit angesetzt. Dabei zeigte sich, dass für die Lastfallkombination „maximales Feldmoment in Feldmitte“ das Sicherheitsniveau am kleinsten ist und sich das Versagen im Grenzzustand der Tragfähigkeit durch größere Verformungen in Feldmitte ankündigt. Ohne nennenswerte Spannungszuwächse in den Spanngliedern (bis zur Streckgrenze) könnten die GZT-Nachweise nicht erfolgreich geführt werden. Die fehlende Aussicht auf eine umfassende, mit vertretbarem Aufwand schnell realisierbare, dauerhafte Verstärkung bildete zusammen mit den oben erwähnten Berechnungen sowie weiteren Betrachtungen zur Robustheit (vgl. [8]) die Grundlage für die Konzeptionierung eines Monitoringsystems. 5. Monitoring- und Alarmierungskonzept Eine zuverlässige Abschätzung, inwieweit bereits Spannstahlbrüche aufgetreten sind und ob und in welcher Zeit zukünftig mit Spannstahlbrüchen gerechnet werden muss, ist unmittelbar anhand der vorliegenden Untersuchungsergebnisse nicht möglich. Für den fortlaufenden Betrieb der Brücke bis zu einem Ersatzneubau ist es deshalb erforderlich, weitergehende Schädigungen, wie z.B. Spannstahlbrüche und/ oder Rissbildung im Brückenquerschnitt, welche letztlich die Tragfähigkeit der Brücke in Frage stellen können, durch ein gesamtheitliches Monitoring dauerhaft und kontinuierlich zu überwachen. Das Monitoringkonzept umfasst folgende Einzelsysteme (vgl. [1]): • Schallemission zur Detektion von Spannstabbrüchen • Messung der Dehnungen am Spannstahl mittels Dehnmessstreifen • Messung der Verformung an der Unterseite der Stege zur Detektion zunehmender Verformungen infolge Spannstabausfall / Systemwechsel: Jeweils in Feldmitte an der Unterseite der vier Stege wurden integral verlängerte Wegaufnehmer montiert. Dabei überträgt ein 2 m langer CFK-Stab, der nur an einer Seite fest mit dem Bauwerk verbunden ist, Bewegungen auf einen induktiven Wegaufnehmer. Dadurch werden über die Länge des Stabes „verschmierte“ Dehnungen erfasst. • Messung der Temperatur in definierten Querschnitten Das Alarmierungssystem ist 2-stufig aufgebaut. Falls über das Schallemissionssystem Spannstabbrüche angezeigt oder definierte Stufe-1-Verformungsgrenzwerte in Feldmitte überschritten werden, wird ein ausgewählter Personenkreis automatisch per Email und SMS benachrichtigt. Maßnahmen, wie z.B. die Sperrung der Brücke für den Verkehr werden - falls erforderlich -erst nach einer sorgfältigen Prüfung der Messwerte durchgeführt. In der 2. Stufe des Alarmierungssystems soll - auf Wunsch des Bauherrn - durch die direkte Ansteuerung einer Ampelanlage im Bedarfsfall eine automatische, kurzfristige Sperrung des Bauwerks möglich sein. Maßgebend für diesen Alarmierungsfall ist der Vergleich der Verformungen in Feldmitte („verschmierte“ Dehnungen an den Stegunterseiten) mit Stufe-2-Grenzwerten. Da Fehlalarme vermieden werden sollen, sind die Stufe-2-Grenzwerte etwas großzügiger als die Stufe-1-Alarmwerte. Die Stufe-2-Alarmierung wurde bisher noch nicht aktiviert (Stand: Juni 2020), da zum einen die Steuerung der Ampelanlage durch das „Monitoringsystem“ hardware- 498 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Standsicherheitsbeurteilung der Ulmer Gänstorbrücke unter Berücksichtigung von Bauwerksschäden und Messungen technisch noch nicht möglich ist und zum anderen die Stufe-2-Grenzwerte noch nicht mit allen Entscheidungsträgern abgestimmt wurden. Die Festlegung der Stufe-2-Grenzwerte basiert zu einem großen Teil auf den Erfahrungen aus Kurzzeit- (siehe Abschnitt „Probebelastung“) und Langzeitmessungen (mindestens 1 Jahr, vgl. Abschnitt 6). 6. Probebelastung Erste wichtige Anhaltspunkte für die Festlegung der Verformungsgrenzwerte lieferte im Herbst 2018 eine Probebelastung. Als Probebelastung wird hier die Überfahrt eines Fahrzeuges mit definierten Rad- und Achslasten über ein Teilbauwerk bezeichnet. Es wurden mehrere Überfahrten mit drei unterschiedlichen Fahrzeugen durchgeführt. Durch den Vergleich zwischen rechnerischen Dehnungen und Verformungen unter definierten äußeren Beanspruchungen mit Messwerten konnte u.a. eine Modellkalibrierung durchgeführt werden. Markant war, dass sich während der Überfahrten der Probebelastungsfahrzeuge beim östlichen Teilbauwerk systematisch größere vertikale Verformungen und größere Schwingbreiten bei den “verschmierten” Dehnungen in Feldmitte ergaben als beim baugleichen westlichen Teilbauwerk. Als Ursache für das unterschiedliche Tragverhalten der beiden Teilbauwerke kommen z.B. abweichende eingeprägte Zwangsbeanspruchungen oder vorhandene Schädigungen, wie z.B. Spannstabbrüche, in Frage. An einer einzelnen DMS-Messstelle an einem Längsspannglied im Überbau wurde während der Probebelastung eine bleibende Dehnung registriert (vgl. [1]). Diese resultiert vermutlich auf einer Rutschung (Überwindung der Haftreibung am Kontaktpunkt zum Hüllrohr) des Spannstahls innerhalb des Hüllrohrs, das über eine Länge von mehreren Metern nicht verpresst war. Weitere Informationen zur Probebelastung können [1] entnommen werden. Vorläufige Stufe-1-Alarmwerte für die „verschmierten“ Dehnungen in Feldmitte wurden im Dezember 2018 auf der Grundlage der Ergebnisse der Probebelastung definiert. Seit dem 21.12.2018 ist die Stufe-1-Alarmierung funktionsfähig. 7. Monitoring 7.1 Stufe-1-Alarmierung Die Stufe-1-Alarmierung basierte zunächst ausschließlich auf dem Vergleich zwischen einem temperaturabhängigen Grenzwert und dem Extremwert der je 10-min-Intervall gemessenen „verschmierten“ Dehnung (hier vorzeichenbedingt „Min“-Wert). Über einen Zeitraum von ca. 15 Monaten sind in Bild 1 die relevanten 10-min-Werte für den Sensor 1 dargestellt, d.h. für den Außensteg des westlichen Teilbauwerkes. Aus dem Vergleich zwischen den Durchschnittswerten (avg) und den „Min“-Werten lässt sich der Einfluss von Verkehrslasten auf die Verformungswerte erkennen. Durch Temperatureinwirkungen veränderten sich die mittleren Verformungen (avg) im betrachteten Zeitraum deutlich. Zusätzlich dargestellt ist in Bild 1 der „vorläufige“ Alarmierungsgrenzwert für den Sensor 1, der in Abhängigkeit von der am Sensor gemessenen Temperatur angepasst wird. Der Grenzwert enthält drei Anteile: 1. Extremwert der verschmierten Dehnung aus der Probebelastung (max. Fahrzeugmasse: 48 t) 2. (Lineare) Anpassung in Abhängigkeit von der am Sensor gemessenen Temperatur 3. Pauschaler Zuschlag zur Berücksichtigung des Verformungsanteils aus einem ungünstig wirkenden Temperaturunterschied zwischen der Brückenober- und -unterseite Anhand der Temperaturmessungen ist eine verfeinerte Temperaturbereinigung möglich. Hierzu werden aus den je Teilbauwerk an (mindestens) sechs Temperaturmessquerschnitten aufgezeichneten Temperaturen ingenieurmäßig eine Bauwerkstemperatur T N und ein Temperaturgradient ∆ T M zwischen der Ober- und Unterseite abgeschätzt. In Bild 2 sind die temperaturbereinigten extremalen Verformungswerte für den Sensor 1 dargestellt („Min“-Werte je 10-min-Intervall) - und zwar über den gleichen Zeitraum wie in Bild 1. Zusätzlich dargestellt sind die Verläufe der Temperaturänderungen gegenüber dem Sensornullstellungszeitpunkt (t0) kurz vor dem Start der Probebelastung: • ∆ T N (t t0) = T N (t) - T N (t0) (Der Index W im Diagramm steht für „westliches Teilbauwerk“.) • ∆ T M (t - t0) = ∆ T M (t) - ∆ T M (t0) Die ingenieurmäßig ermittelte Bauwerkstemperatur T N variierte im dargestellten Auswertungszeitraum zwischen -3 und 31 °C, der Temperaturgradient ∆ T M (obenunten) zwischen -4 und 10 K. Aus dem Verlauf der temperaturbereinigten Messdaten ist ersichtlich, dass trotz der vorgenommenen Temperaturbereinigung eine im hier betrachteten Messzeitraum tendenziell zunehmende Restverformung verbleibt. Da sich diese Tendenz lediglich beim Sensor 1 deutlicher zeigt, wird angenommen, dass die bereits in Abschnitt 5 erwähnten „Rutschungen“ zwischen Spannstab und Hüllrohr hierfür ursächlich sind. Im betrachteten Messzeitraum fanden z.B. mehrere unzulässige Überfahrten von Schwertransporten über das westliche Teilbauwerk statt. Dies konnte über eine Videoüberwachung und die Messungen (Dehnungen + verschmierte Dehnungen) dokumentiert werden (vgl. [1]). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 499 Standsicherheitsbeurteilung der Ulmer Gänstorbrücke unter Berücksichtigung von Bauwerksschäden und Messungen Bild 1: Längenänderung am Sensor 1 in Feldmitte (Außensteg des westlichen Teilbauwerkes) mit Temperaturmesswerten am Sensor und dem „vorläufigen“ Stufe-1-Alarmierungsgrenzwert Bild 2: Temperaturbereinigte „Längenänderung“ in Feldmitte (hier: Außensteg des westlichen Teilbauwerkes) 500 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Standsicherheitsbeurteilung der Ulmer Gänstorbrücke unter Berücksichtigung von Bauwerksschäden und Messungen 7.2 Stufe-2-Alarmierung Auf der Grundlage der in Bild 2 dargestellten temperaturbereinigten Messwerte ließe sich im Grunde genommen auch eine Stufe-2-Grenzwertabfrage realisieren. Angesichts der erheblichen Auswirkungen einer automatischen Sperrung der Gänstorbrücke auf den städtischen Verkehr ist ein möglichst robustes, fehlerunempfindliches Stufe-2-System unerlässlich. Derzeit wird eine Lösung favorisiert, bei der die Temperaturbereinigung vereinfacht auf der Grundlage der Sensortemperaturen (in Feldmitte) durchgeführt wird. Alle relevanten Daten stammen bei dieser Variante aus einem einzigen Datenerfassungssystem. Die im ersten Jahr festgestellten maximalen Unterschiede zwischen der „genaueren“ und der „vereinfachten“ Temperaturbereinigung werden bei der Festlegung der Stufe-2-Grenzwerte berücksichtigt. Aufgrund der festgestellten Unterschiede wird je Stegsensor (in Feldmitte) ein sensorspezifischer Grenzwert definiert. Durch physikalisch nichtlineare Berechnungen können unter Berücksichtigung von Effekten aus der Theorie 2. Ordnung Versagensszenarien simuliert und „GZG“sowie „GZT“-Verformungen abgeschätzt werden. Die durchgeführten Berechnungen deuten darauf hin, dass sich die Schwachstelle beider Teilbauwerke in Feldmitte befindet und sich ein mögliches Versagen über größere Verformungen in Feldmitte ankündigen würde. Folgende Einschränkung ist allerdings zu beachten: Der genaue Schädigungszustand beider Teilbauwerke ist nicht bekannt. Durch Ausfälle von Zugstrebenspanngliedern kann sich die „Schwachstelle“ z.B. in Richtung Zugstreben verlagern. Anpassungen des Überwachungskonzeptes können dadurch notwendig werden. 8. Zusammenfassung Beide Teilbauwerke der 1950 errichteten Gänstorbrücke weisen erhebliche, systematische, irreparable und standsicherheitsrelevante Schädigungen auf. Das normativ geforderte Standsicherheitsniveau kann unter Berücksichtigung der festgestellten Schädigungen nur für den Zustand der Teilsperrung durch den Einsatz von wissenschaftlichen Methoden (Stufe 4) nachgewiesen werden. Der genaue Schädigungszustand lässt sich aufgrund der Vielzahl an Spanngliedern durch zerstörungsfreie Prüfmethoden nicht allumfassend feststellen. Es gibt aktive, chloridinduzierte Korrosionsvorgänge, die sich kaum stoppen lassen und zu weiteren Schädigungen führen werden. Um das Bauwerk bis zur Fertigstellung eines Ersatzneubaus weiterhin nutzen zu können, wurde ein Monitoringsystem konzipiert und installiert. Durch das Monitoringsystem ist es möglich, Veränderungen des Bauwerkszustandes (z.B. Spannstabbrüche) und des Tragverhaltens (Verformungen / Dehnungen) kontinuierlich zu erfassen. Basierend auf den Ergebnissen einer Probebelastung wurden Alarmierungsgrenzwerte definiert. Seit Dezember 2018 ist die erste Stufe des Alarmierungssystems aktiv. Im Falle einer Stufe-1-Grenzwertüberschreitung wird seither ein ausgewählter Personenkreis automatisch per SMS / E-Mail informiert. Es musste festgestellt werden, dass wiederholt unzulässige Überfahrten von bis zu 77t-schweren Fahrzeugen stattgefunden haben. Dabei kam es z.B. an Messstellen in Feldmitte zu bleibenden Verformungen, die nach derzeitigem Stand auf Rutschungen zwischen Spanngliedern und den unzureichend verpressten Hüllrohren zurückzuführen sind. Zur Verhinderung von weiteren unzulässigen Überfahrten wurden von den Städten Ulm und Neu-Ulm im August 2019 Höhen- und im Februar 2020 Fahrstreifenbreitenbegrenzungsvorrichtungen mit einer Schrankenanlage für den Busverkehr und Rettungsfahrzeuge installiert. Durch diese Maßnahmen, die auch eine Gewichtsbeschränkung auf 3,5 t vorsehen, kann der verkehrslastbedingte Schädigungsfortschritt in den korrodierten Spanngliedern verringert werden. Der Ersatzneubau der für den städtischen und regionalen Verkehr sehr wichtigen Gänstorbrücke soll nach derzeitigem Stand bis 2024 fertiggestellt werden. Solange die beiden vorhandenen Teilbauwerke unter Verkehr stehen, bleibt das Monitoringsystem aktiv. Literaturverzeichnis [1] Müller, A., et al.: Die Gänstorbrücke in Ulm - Untersuchung, Probebelastung und Brückenmonitoring. Beton- und Stahlbetonbau 115 (2020), H. 3, S. 164-178 [2] Finsterwalder, U.; König, H.: Die Donaubrücke beim Gänstor. Der Bauingenieur 26 (1951), Nr. 10, S. 289-293 [3] Dyckerhoff & Widmann AG: EW-Bericht. Gänstorbrücke Ulm. München, 21.12.1981 (unveröffentlicht) [4] Dyckerhoff & Widmann AG: Gänstorbrücke Ulm. Konzept für die Sanierung. München, 21.07.1982 (unveröffentlicht) [5] Göhler, B.: Abschließende Stellungnahme zu den 1990 festgestellten Korrosionsschäden an der Gänstorbrücke und deren Sanierung. Schreiben an das Tiefbauamt der Stadt Ulm vom 18.01.1991 (unveröffentlicht) [6] BMVI: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie, 05/ 2011) mit 1. Ergänzung (04/ 2015) [7] Nowak, M.; Fischer, O.; Müller, A.: Realitätsnahe Verkehrslastansätze für die Nachrechnung der Gänstorbrücke über die Donau. Beton- und Stahlbetonbau 115 (2020), Nr. 2, S. 91-105 [8] Müller, A.: Nachrechnung der Gänstorbrücke Ulm - Zusatzbetrachtungen zur Robustheit. Münchener Massivbau Seminar 2017, München, 2017 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 501 Objektspezifische Bewertung der Verkehrsbeanspruchung an der Gänstorbrücke über die Donau Dipl.-Ing. (FH) Marcel Nowak, M.Sc. Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer Technische Universität München, Lehrstuhl für Massivbau Zusammenfassung Im Rahmen umfangreicher Maßnahmen zur Nachrechnung und Bewertung der Gänstorbrücke über die Donau erfolgt eine objektspezifische Bewertung der Verkehrslastansätze. Hierbei werden die tatsächlichen Verkehrsbeanspruchungen realitätsnah abgebildet, durch konkreten Objektbezug hinsichtlich Verkehr und Tragwerk. Der Lehrstuhl für Massivbau der Technischen Universität München (TUM) hat hierzu Verkehrsmessungen zur Erfassung der lokalen Verkehrscharakteristik, sowie hierauf aufbauend numerische Simulationsberechnungen zur Abbildung der Verkehrsbeanspruchung für verschiedene Szenarien der Verkehrsführung am Brückenbauwerk durchgeführt. Zur Verifizierung der Simulationsmodelle werden zusätzliche Messdaten von an Spanngliedern applizierten Dehnmessstreifen ausgewertet. Auf Grundlage der Untersuchungsergebnisse erfolgt eine Bewertung der tatsächlichen Verkehrsbeanspruchung und Festlegung sinnvoller und realistische Lastansätze für die Brückennachrechnung. 1. Einführung Die 1950 errichtete Gänstorbrücke über die Donau stellt eine der wenigen innerstädtischen Straßenbrücken zwischen den Städten Ulm und Neu-Ulm dar. Bereits bei Untersuchungen am Tragwerk in den 1980er Jahren wurden zahlreiche Mängel entdeckt, was verschiedene Sanierungsmaßnahmen sowie eine Rückstufung der Brückenklasse des Bauwerks zur Folge hatte. Aufgrund seither festgestellter zusätzlicher Mängel (Bauwerksprüfungen) ergab sich jedoch in jüngster Zeit ein zunehmender Handlungs- und Sanierungsbedarf für das historische Brückenbauwerk. [1] Eine in diesem Kontext durchgeführte Nachrechnung der Brücke gemäß aktueller Nachrechnungsrichtlinie für Straßenbrücken im Bestand [2], [3] unter Berücksichtigung des tatsächlichen Bauwerkszustands soll als Grundlage für die Festlegung der weiteren Vorgehensweise während der verbleibenden Restnutzungsdauer des Tragwerks dienen [4]. Das in dieser Nachrechnung zu Grunde gelegte Ziellastniveau erfordert aufgrund fehlender Messdaten zum Verkehr und besonderer verkehrliche Randbedingungen an der Brücke eine Verifizierung. Hierzu erfolgt eine objektspezifische Bewertung der Verkehrslastansätze, mit Hilfe derer die tatsächliche Verkehrsbeanspruchung durch konkreten Objektbezug hinsichtlich Verkehr und Tragwerk realitätsnäher abgebildet werden kann [5]. Der Lehrstuhl für Massivbau der TUM hat hierzu eine messtechnische Erfassung der lokalen Verkehrscharakteristik, numerische Simulationsberechnungen zur Abbildung der Verkehrsbeanspruchung am Brückenbauwerk, sowie Auswertungen von Bauwerksmessdaten von an Spanngliedern applizierten Dehnmessstreifen (DMS) durchgeführt. Die Untersuchungsergebnisse erlauben eine Bewertung der tatsächlichen Verkehrsbeanspruchung und somit eine Plausibilisierung der für die Nachrechnung verwendeten Lastansätze, sowohl hinsichtlich des Grenzzustands der Tragfähigkeit (GZT) als auch bezüglich Ermüdung. 2. Bauwerk und Randbedingungen Die Gänstorbrücke wurde als gelenkloses Rahmentragwerk mit einer Spannweite von 82,4 m errichtet. Die Rahmenstiele des Bauwerks sind aufgelöst, und bestehen aus einer Verlängerung des Überbaus, einem auf Druck beanspruchten Pfeiler, und einer vorgespannten Zugstrebe. Die Gesamtbreite des Bauwerks beträgt 18,6 m, der Überbau ist jedoch durch eine mittige Längsfuge in zwei Hälften geteilt. Je Überbauhälfte besteht der Querschnitt aus einem zweistegigen Plattenbalken (Bild 1), mit über die Länge bogenförmig veränderlichen Konstruktionshöhen von 4,2 m am Widerlager bis 1,2 m in Feldmitte (siehe Bild 2) [1]. Die Verkehrsführung auf der Brücke bestand ursprünglich aus insgesamt vier Fahr- 502 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Objektspezifi sche Bewertung der Verkehrsbeanspruchung an der Gänstorbrücke über die Donau spuren, mit zwei Fahrspuren je Fahrtrichtung. Da jedoch im Zuge der Untersuchungen am Bauwerk im Juni 2018 an ausgewählten Stellen am Tragwerk gravierende Korrosionsschäden an Spanngliedern festgestellt wurden, veranlassten die Städte Ulm und Neu-Ulm als sofortige Kompensationsmaßnahme eine Teilsperrung des Brückenbauwerks (Sperrung des jeweils in Fahrtrichtung innenliegenden Fahrstreifens), die seither Bestand hat. Bild 1: Brückenquerschnitt mit Bezeichnung der Brückenträger Bild 2: Gänstorbrücke, 2018 Durch die Trennung des Überbaus in zwei Hälften über eine Längsfuge im Bauwerk wird jede Überbauhälfte in einer einzelnen Fahrspur befahren (siehe Bild 3). Die Länge der Fahrbahn beträgt insgesamt 96,1 m. Jenseits der Brückenenden befi nden sich auf beiden Seiten reguläre Verkehrsampeln mit defi nierten Taktzeiten. Bild 3: Verkehrsführung mit Teilsperrung auf der Gänstorbrücke Für die bisherige Nachrechnung der Gänstorbrücke wurde das Ziellastniveau BK 30/ 30 gemäß DIN 1072: 1985 [6] vereinbart [4]. Für die aktuelle Situation der Teilsperrung auf der Brücke entspricht dies einem Ansatz von BK 30, da aufgrund der reduzierten verbleibenden Fahrbahnbreite nur noch ein rechnerischer Fahrstreifen für das Lastmodell auf dem Brückenüberbau angeordnet werden kann. Jedoch liegen für die zur Festlegung des geforderten Ziellastniveaus für die Brückennachrechnung (gemäß [2], Tabelle 10.2 in Kapitel 10.1.2, (5)) erforderlichen Kennwerte des durchschnittlichen täglichen Schwerverkehrsaufkommens (DTSV) und der durch die Zusammensetzung des Schwerverkehrs charakterisierten Verkehrsart keine verlässlichen Messdaten für die Gänstorbrücke vor. Hinzu kommen die besonderen örtlichen Gegebenheiten (innerstädtische Lage, Ampelanlagen an der Brücke), deren möglicher Einfl uss auf die Charakteristik der resultierenden Verkehrsbeanspruchungen laut [2], 10.1.2, (11) zu berücksichtigen, und das Ziellastniveau gegebenenfalls anzupassen ist. All dies macht deutlich, dass der bisher in der Nachrechnung gewählte Lastansatz von BK 30 zwingend einer fundierten und umfassenden Überprüfung bedarf. Zudem dienen die Untersuchungen als Grundlage für die Festlegung eines realitätsnahen Ermüdungslastansatzes für die Brückennachrechnung. 3. Monitoring Für die objektspezifi sche Bewertung der Verkehrsbeanspruchung an der Gänstorbrücke stehen Daten von Verkehrsmessungen vor Ort, und von Messungen direkt am Tragwerk zur Verfügung. 3.1 Verkehrsmessungen Für die Verkehrsmessungen kommen Laser-Scanner (Profi ling-System TIC501 der Fa. SICK) zum Einsatz, welche an einem Laternenmast auf einer Verkehrsinsel kurz nach Brückenende auf Seite der Stadt Neu-Ulm installiert werden (siehe Bild 4). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 503 Objektspezifi sche Bewertung der Verkehrsbeanspruchung an der Gänstorbrücke über die Donau Bild 4: Messsystem an der Gänstorbrücke, mit Darstellung der Messquerschnitte für die Laser-Scanner (oben), beispielhafter Fahrzeugdetektion des Laser-Scanners (unten links) und Bildmaterial der Webcam (unten rechts) [7] Das installierte System erfasst separat jedes einzelne, den Messquerschnitt passierende Fahrzeug, mit Informationen zu Fahrzeugtyp, Abmessungen, Geschwindigkeit und Fahrstreifen. Die Klassifi zierung der Fahrzeuge erfolgt auf Grundlage der durch den Laser-Scan erfassten Fahrzeugsilhouette (siehe Bild 4, unten links). Ergänzend wird eine Webcam angebracht, die Bildmaterial des Verkehrsfl usses auf der Brücke liefert, das zu Kontrollzwecken sowie zur Auswertung weiterer Parameter (v.a. Stauhäufi gkeit, Achsanzahl der Schwerverkehrsfahrzeuge) herangezogen werden kann (siehe Bild 4 unten rechts). Die Verkehrsmessungen haben vorrangig das Ziel, wesentliche Parameter zur Beschreibung des Verkehrsaufkommens (Gesamt- und Schwerverkehrsaufkommen), des Verkehrsfl usses (Häufi gkeit von Fließ- und Stauverkehr auf der Brücke) und der Verkehrszusammensetzung (Klassifi zierung der Schwerverkehrsfahrzeuge) am Bauwerk zu erfassen. Ein alternatives Vorgehen zur Verkehrsmessung mit zusätzlicher Erfassung der Fahrzeuggewichte war unter den gegebenen Randbedingungen sowie aus Zeit- und Kostengründen nicht realisierbar. Die Verkehrsmessungen wurden von Juni bis August 2018 durchgeführt. Für die Datenauswertung stehen 32 vollständige Tagesdatensätze von Werktagen zur Verfügung. Die Ergebnisse der Auswertung dienen als Eingangsgrößen für die numerischen Simulationen. 3.2 Dehnungsmessungen am Tragwerk Im Zuge der allgemeinen Untersuchungen zur Bestandsbewertung der Gänstorbrücke wurden verschiedene Messsysteme zur Aufzeichnung von Bauwerksmessdaten installiert. Im Rahmen dieses Beitrags werden die Messdaten von an Spanngliedern applizierten Dehnmessstreifen (DMS) analysiert. Die DMS erfassen die Dehnungsänderung der Spannstäbe infolge Belastung des Tragwerks z.B. infolge Verkehr. Für die Bauwerksmessungen wurden insgesamt 16 DMS an ausgewählten Stellen im Tragwerk installiert (siehe Bild 5), v.a. an den Zuggliedern an beiden Widerlagern, im Drittelspunkt und in Feldmitte [4]. Bild 5: Übersicht Messpunkte mit DMS an Spanngliedern Von den 16 verschiedenen DMS-Messpunkten innerhalb des Tragwerks werden die folgenden Sensoren am Außenträger IV der östlichen Überbauhälfte für die weiteren Untersuchungen herangezogen: • Zugglied am Widerlager Ulm • Stegunterseite im Drittelspunkt der Brücke • Stegunterseite in Feldmitte der Brücke Für die Auswertungen stehen die folgenden Messdaten zur Verfügung (nur komplette Datensätze von Werktagen werden ausgewertet): 504 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Objektspezifi sche Bewertung der Verkehrsbeanspruchung an der Gänstorbrücke über die Donau • Juli bis August 2018: Messung unter freiem Verkehr bei Brücke mit Teilsperrung (insgesamt 20 vollständige Datensätze für Werktage, Messdaten nur für Zugstrebe und Steg im Drittelspunkt verfügbar) • Februar bis Juli 2019: Messung unter freiem Verkehr bei Brücke mit Teilsperrung (insgesamt 111 vollständige Datensätze für Werktage, Messdaten für alle drei Messpunkte vorhanden) 4. Objektspezifi sche Bewertung der Verkehrsbeanspruchung Die Plausibilisierung der gewählten Lastansätze für die Brückennachrechnung erfolgt durch Untersuchung und Bewertung der objektbezogenen Verkehrsbeanspruchung gemäß der in [5] beschriebenen Methodik. Hierfür werden, sowohl für die Bewertung des Extremwertverhaltens als auch für die Ermüdungsbeanspruchung, numerische Verkehrssimulationsmodelle (auf Grundlage von Daten aus der Verkehrsmessung an der Gänstorbrücke) und Messdaten von an Spanngliedern applizierten DMS ausgewertet. Die resultierenden, repräsentativen Werte der simulierten und der gemessenen Beanspruchungen werden dann verglichen mit den Referenzbeanspruchungen aus dem Ansatz von Normenlastmodellen (BK 30 für Extremwertverhalten und ELM 4 für Ermüdung). 4.1 Extremwertverhalten Für die Untersuchung des Extremwerthaltens und der entsprechenden charakteristischen Werte der Tragwerksreaktion an den untersuchten Messpunkten werden numerische Simulationen durchgeführt, im Rahmen derer die Verkehre GTBSim (auf Grundlage der Datenauswertung der Verkehrsmessungen, vgl. auch [7]) sowie Mittelstreckenverkehr (MS) und Ortsverkehr (OV) gemäß [8] (jeweils mit Ansatz DTSV von 1.000 Lkw/ d) für die Tragwerksreaktion an den drei untersuchten Messpunkten ausgewertet werden. Parallel hierzu werden auch die Messdaten der DMS an den Spanngliedern ausgewertet. Diese Auswertung erfolgt jeweils getrennt für die beiden Datensätze der Monate Juli/ August 2018 (GTBDMS2018, jedoch keine Messdaten für den Steg in Feldmitte verfügbar) und Februar bis Juli 2019 (GTBDMS2019). Dabei werden die charakteristischen Werte aus den Kennwert-Zeitverläufen über die Methode der Klassendurchgangszählung mit Fit einer Rice-Funktion [9] ermittelt. Zusätzlich erfolgt eine Betrachtung realer, extremer Belastungsereignisse (ein Mobilkran mit 66 t oder zwei Sattelschlepper mit je 48 t und 5 m Mindestabstand, in jeweils ungünstigster Laststellung). Die für die Untersuchungen erforderlichen Einfl ussfl ächen der einzelnen Messpunkte werden mit Hilfe eines an Probebelastungen kalibrierten numerischen Tragwerksmodells (siehe [4]) ermittelt. Bild 6 zeigt die Kennwerte der Verkehrsbeanspruchungen aus numerischen Untersuchungen und Auswertung der Messdaten, jeweils in Relation zur Beanspruchung infolge des Lastansatzes BK 30. Zu Vergleichszwecken ist auch das Lastniveau infolge des Lastansatzes BK 60 dargestellt. Bild 6: Kennwerte der Verkehrsbeanspruchung an Messpunkten, aus Simulation und Messdaten Die Auswertung des Extremwertverhaltens zeigt, dass die tatsächliche, auf Grundlage der Messdaten ermittelte Verkehrsbeanspruchung an den Messpunkten Zugglied und Drittelspunkt deutlich geringer ist als die Beanspruchungen infolge numerischer Verkehrssimulationen. Lediglich für den Messpunkt in Feldmitte erreicht das gemessene Beanspruchungsniveau die Werte der Simulationen. Insgesamt kann jedoch beobachtet werden, dass keiner der Kennwerte das Referenzniveau infolge des Lastansatzes BK 30 überschreitet. Dies bestätigt und plausibilisiert den in der bisherigen Nachrechnung verwendeten Lastansatz. 4.2 Ermüdungsbeanspruchung Für die Bewertung der Ermüdungsbeanspruchung erfolgt ein Abgleich der Messdaten mit numerischen Simulationen sowie normativen Lastansätzen. Für die Zählung der ermüdungswirksamen Beanspruchungszyklen der unterschiedlichen Beanspruchungszeitverläufen aus Messung, Simulation und normativen Lastansätzen wird der Rainfl ow-Zählalgorithmus gemäß [10] angewandt. Die Auswertung der Ermüdungsbeanspruchung für die Messdaten erfolgt monatsweise für die Daten aus dem 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 505 Objektspezifi sche Bewertung der Verkehrsbeanspruchung an der Gänstorbrücke über die Donau Zeitraum Februar bis Juli 2019. Zu Vergleichszwecken werden die Beanspruchungszeitverläufe aus den numerischen Simulationen für den Verkehr GTBSim (auf Grundlage der Datenauswertung der Verkehrsmessungen, siehe auch [7]) ebenfalls hinsichtlich Ermüdungsbeanspruchung ausgewertet. Zusätzlich erfolgt auch eine Untersuchung normativer Lastansätze. Zum einen werden folgenden Ermüdungslastmodelle gemäß [2] ausgewertet: • modifi ziertes ELM 4 für Verkehrskategorie 2 (Mittlere Entfernung, ME), mit jährlichem Schwerverkehrsaufkommen von 600.000 Fahrzeugen und Schwerverkehrszusammensetzung gemäß [2], Tabelle 10.6, Spalte 6 • modifi ziertes ELM 4 für Verkehrskategorie 3 (Ortsverkehr, OV), mit jährlichem Schwerverkehrsaufkommen von 600.000 Fahrzeugen und Schwerverkehrszusammensetzung gemäß [2], Tabelle 10.7, Spalte 6 Zum anderen erfolgt eine Auswertung eines auf Grundlage der Verkehrsmessungen an der Gänstorbrücke modifi zierten Ermüdungslastmodells 4, mit einem jährlichen Schwerverkehrsaufkommen von 150.000 Fahrzeugen und einer Schwerverkehrszusammensetzung gemäß Tabelle 1. Tabelle 1: Schwerverkehrszusammensetzung für modifi ziertes ELM4 für Gänstorbrücke Ulm Fahrzeugklasse Anteil 1 62,1 % 2 18,7 % 3 6,1 % 4 8,5 % 5 4,6 % Die Ergebnisse werden als inverse tägliche Summenhäufi gkeit aufgetragen (siehe Bild 7). Diese Darstellungsform erlaubt eine bessere Beurteilung der zu erwartenden resultierenden Ermüdungsschädigung (ohne diese Schädigung mittels Wöhlerlinie zu berechnen), sowie einen zusätzlichen Abgleich mit den normativen Lastansätzen. Eine explizite Berechnung der Ermüdungsschädigung erfolgt an dieser Stelle nicht, da hierfür erforderliche nähere Informationen über Materialkennwerte und zu verwendete Wöhlerlinie nicht vorliegen. Bild 7: Inverse tägliche Summenhäufi gkeit der Spannungsamplituden der Beanspruchungszyklen aus realen Messdaten, simulierten Verkehr und normativen Lastansätzen Die Auswertung der Ergebnisse zeigt, dass die gemessene Ermüdungsbeanspruchung am Sensor Träger IV, Drittelspunkt sowohl durch den numerisch simulierten Verkehr als auch durch die normativen Lastansätze gut abgedeckt wird. Für den Sensor am Zugglied ist zu beobachten, dass die Ermüdungsbeanspruchung infolge der simulierten Verkehre und der gemessenen Daten einen sehr ähnlichen Verlauf aufweisen, jedoch kommt es am oberen Ende des Spannungsspektrums zu einer Überschreitung der Beanspruchung im Vergleich zu den normativen Lastansätzen. Eine ähnliche Beobachtung lässt sich für den Sensor in Feldmitte machen, mit dem Unterschied, dass die aus dem simulierten Verkehr resultierende Ermüdungsbeanspruchung die gemessene Beanspruchung im oberen Drittel des Spannungsspektrums nicht abdecken kann. Das Ausmaß der Überschreitungen der normativen Lastansätze durch die gemessenen Werte befi ndet sich jedoch noch in einem vertretbaren Rahmen (und wird zudem durch die logarithmische Darstellung der Ordinate auch etwas verzerrt dargestellt). Interne Vergleichsrechnungen haben gezeigt, dass durch die deutliche Reserve, die für die Ermüdungsbeanspruchungen aus den normativen Lastansätze gegenüber den Messdaten diesseits der Überschreitungen vorhanden ist, auch die zu erwartenden größere Ermüdungsschädigungen infolge dieser Überschreitungen mit abgedeckt werden kann. Insgesamt kann somit festgestellt werden, dass der Ansatz eines auf Grundlage der Verkehrsmessungen an der 506 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Objektspezifische Bewertung der Verkehrsbeanspruchung an der Gänstorbrücke über die Donau Gänstorbrücke modifizierten Ermüdungslastmodells 4, mit einem jährlichen Schwerverkehrsaufkommen von 150.000 Fahrzeugen und einer Schwerverkehrszusammensetzung nach Tabelle 1 eine gute Näherung für die Abbildung der Ermüdungsbeanspruchung infolge Straßenverkehr an der Gänstorbrücke darstellt, und somit als Grundlage für weitere Betrachtungen zur Ermüdung im Rahmen der Brückennachrechnung dienen kann. 5. Zusammenfassung Im Rahmen der vorliegenden Untersuchungen werden numerischen Verkehrssimulationsmodelle und Messdaten von an Spannstäben applizierten Dehnmessstreifen an der Gänstorbrücke über die Donau hinsichtlich einer Verifizierung realitätsnaher Verkehrslastansätze für die Brückennachrechnung ausgewertet. Auf Grundlage der gemessenen Tragwerksbeanspruchungen infolge Verkehr für die während des Messzeitraums aktuelle Verkehrsführung (Teilsperrung des Brückenbauwerks) werden für drei ausgewählte Messpunkte (Träger IV: Zugglied, Drittelspunkt und Feldmitte) mittels Extremwertanalyse die repräsentativen Werte ermittelt, und mit den entsprechenden Werten aus Verkehrssimulation sowie mit normativen Lastansätzen verglichen. Die Untersuchungsergebnisse zeigen zum einen, dass der Lastansatz BK 30 das Extremwertverhalten der gemessenen Tragwerksbeanspruchungen gut abdeckt. Weiterhin kann beobachtet werden, dass auch das Extremwerthalten des simulierten Verkehrs das Verhalten der gemessenen Beanspruchungen an allen drei Untersuchungspunkten gut abdeckt. Diese Beobachtung kann als eine Art Verifizierung des Simulationsmodells interpretiert werden, womit auch die Untersuchung möglicher zukünftiger Verkehrsszenarien ermöglicht wird (z.B. Szenario einer möglichen bauzeitlichen Verkehrsführung mit Begegnungsverkehr auf einer Überbauhälfte, siehe [7]). Auch für die Bewertung der aus der Verkehrsbeanspruchung am Bauwerk resultierenden Ermüdungsbeanspruchung erfolgt ein Abgleich der Bauwerksmessdaten mit numerischen Simulationen und normativen Lastansätzen. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass ein modifiziertes Ermüdungslastmodell ELM 4 mit einer auf Grundlage der Verkehrsmessungen an der Gänstorbrücke definierten Schwerverkehrszusammensetzung und einem jährlichen Schwerverkehrsaufkommen von 150.000 Fahrzeugen ganzheitlich gesehen die tatsächliche Ermüdungsbeanspruchung und die zu erwartende Ermüdungsschädigung an den drei untersuchten Messpunkten (Träger IV: Zugglied, Drittelspunkt und Feldmitte) für das aktuelle Szenario Brücke mit Teilsperrung realitätsnah abbilden kann. Dieser Lastansatz ist entsprechend für die Nachrechnung des Bauwerks in diesem Szenario geeignet. Literaturverzeichnis [1] M üller , A.: Nachrechnung der Gänstorbrücke Ulm - Zusatzbetrachtungen zur Robustheit. Münchener Massivbau Seminar 2017, München, 2017. [2] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), Berlin, 05/ 2011. [3] Nachrechnungsrichtlinie, 1. Ergänzung. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), Berlin, 04/ 2015. [4] M üller , a. et al .: Die Gänstorbrücke in Ulm - Untersuchung, Probebelastung und Brückenmonitoring. Beton- und Stahlbetonbau 115 (2020), H. 3, S. 164-178. [5] n owaK , M.; f iScher , o.: Objektspezifische Verkehrslastansätze für Straßenbrücken. Beton- und Stahlbetonbau 112 (2017), H. 12, S. 804-814. [6] DIN 1072: 1985-12: S traSSen - und W egbrücken , L aStannahmen . [7] n owaK , M. et al : Realitätsnahe Verkehrslastansätze für die Nachrechnung der Gänstorbrücke über die Donau. Beton- und Stahlbetonbau 115 (2020), H. 2, S. 91-105. [8] f reUndt , U.; B öning , S.: Verkehrslastmodelle für die Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Heft B 82, Bundesanstalt für Straßenwesen, 2011. [9] c reMona , c.: O ptimaL extrapOLatiOn Of traffic LOad effectS . Structural Safety 23 (2001), S. 31-46. [10] c lorMann , U. h.: S eeger , t.: Rainflow-HCM - Ein Zählverfahren für Betriebsfestigkeitsnachweise auf werkstoffmechanischer Grundlage. Stahlbau 55 (1986), S. 65-71. Einwirkungen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 509 Weiterentwicklung eines messbasierten Verfahrens zur Bewertung von Straßenbrücken Prof. Dr.-Ing. habil. Karl G. Schütz Dr.-Ing. Michael Schmidmeier DR. SCHÜTZ INGENIEURE - Beratende Ingenieure im Bauwesen PartG mbB An der Stadtmauer 13, 87435 Kempten (Allgäu) www.drschuetz-ingenieure.de Zusammenfassung Aktuell erfolgt die Bewertung von bestehenden Brückenbauwerken auf Grundlage der Nachrechnungsrichtlinie [1]. Im folgenden Beitrag wird über weitere Anwendungen eines bereits in [2] vorgestellten messbasierten Verfahrens zur realitätsnahen Bewertung von Verkehrseinwirkungen im Bestand berichtet. Neue Ergebnisse, die im Rahmen von zwei weiteren Langzeitmessungen an einer Spannbetonbrücke und einer Stahlbrücke gewonnen wurden, werden vorgestellt. Abschließend werden diese neuen sowie auch bisherige eigene und zwischenzeitlich veröffentlichte Erkenntnisse zu dieser Thematik zusammengefasst und mit Blick auf die Fortschreibung der Nachrechnungsrichtlinie aufbereitet. 1. Einleitung Zur Bewertung bestehender Straßenbrücken hinsichtlich ihrer Trag- und Ermüdungssicherheit ist aktuell die Nachrechnungsrichtlinie (NRR) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) anzuwenden [1]. In Ergänzung dazu wurde von den Autoren ein messbasiertes Verfahren entwickelt, über das u.a. in [2] bereits berichtet wurde. Im Folgenden wird zunächst das Verfahren nochmals in knapper Form vorgestellt und anschließend über dessen weitere Anwendung an einer Spannbeton- und einer Stahlbrücke berichtet. Abschließend werden die bisher gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst und mit Blick auf die aktuell beim BMVI laufende Fortschreibung der NRR aufbereitet. 2. Beschreibung des Verfahrens Durch die Vorgabe hoher Ziellastniveaus (z.B. LM 1 nach DIN-Fachbericht 101 bzw. nach DIN EN 1991-2) und durch den Ansatz des aktuellen Ermüdungslastmodells LM3 ergeben sich bei Nachrechnungen bestehender Brücken häufig rechnerische Defizite bei deren Trag- und Ermüdungssicherheit. Bei der Ergebnisbewertung ist allerdings zu beachten, dass die aktuellen Lastmodelle schweren Verkehr im Bundesfernstraßennetz bzw. den Hauptstrecken Europas zukunftssicher abbilden sollen. Deshalb ist zu erwarten, dass die damit einhergehenden Beanspruchungen insbesondere im untergeordneten Straßennetz (Bundesstraßen, Landstraßen, etc.) in der Regel nicht erreicht werden. Aus dem Ansatz solcher Lastmodelle resultierende rechnerische Nachweisüberschreitungen sind somit in der Regel nicht mit tatsächlichen Standsicherheitsdefiziten gleichzusetzen. Eine Bewertung solcher Ergebnisse kann zwar aktuell über die gestufte Vorgehensweise der Nachrechnungsrichtlinie [1] erfolgen. Eine Differenzierung in Bezug auf den tatsächlich vorliegenden Verkehr ist dabei jedoch insbesondere im untergeordneten Straßennetz nur bedingt möglich. Zur Bewertung der Standsicherheit von bestehenden Brückenbauwerken wurde deshalb vom Ingenieurbüro DR. SCHÜTZ INGENIEURE, Kempten, ein auf Bauwerksmessungen basierendes alternatives Verfahren zur objektspezifischen Bewertung der tatsächlichen Verkehrsbeanspruchungen entwickelt. Durch Kombination des Verfahrens mit rechnerischen Untersuchungen und einer Kalibrierung des Tragwerksmodells mittels definierter Kurzzeitmessungen kann der Installations- und Messaufwand vor Ort minimiert werden. Über das Verfahren wurde bereits in [2] berichtet. Die Bewertung der Ermüdungssicherheit erfolgt dabei über eine Schädigungsermittlung nach Palmgren-Miner, bei der die Messdaten mittels Rainflow-Analyse ausgewertet und maßgebenden Kerbdetails gegenübergestellt werden. Zur korrekten Bewertung von tragsicherheitsrelevanten Belastungssituationen erfolgt eine Temperatur- 510 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Weiterentwicklung eines messbasierten Verfahrens zur Bewertung von Straßenbrücken bereinigung der Messdaten unter Berücksichtigung von Stausituationen. Die Wahl von Annahmen zur Beschreibung und zur Zusammensetzung des vorliegenden Verkehrs, die im Vorfeld in der Regel „auf der sicheren Seite“ liegend gewählt werden müssen, sind bei diesem Verfahren nicht erforderlich. Dies stellt sich insbesondere im Vergleich zu der alternativen Herangehensweise über aufwändige Simulationsrechnungen bzw. Nachrechnungen mit dem Ermüdungslastmodell LM 4 als ein großer Vorteil in Bezug auf die Aussagegenauigkeit dar. Um die Messergebnisse mit charakteristischen Werten eines normativen Lastmodells vergleichen zu können, erfolgt eine statistische Auswertung in Anlehnung an DIN EN 1991-2. Um künftige Verkehrsentwicklungen mit zu erfassen, erfolgt zudem der Ansatz eines objektbezogenen Prognosefaktors. Für dessen Ermittlung und Zuschärfung ist der im Messzeitraum dokumentierte Verkehr hinsichtlich besonderer (Extrem-) Ereignisse auszuwerten (Erfassung von Überfahrten schwerer Einzelfahrzeuge / Mobilkräne, Sondertransporten, Unfallsituationen, etc.). Über Vergleichsrechnungen können abschließend unmittelbar zukunftssichere Aussagen über die Trag- und Ermüdungssicherheit des untersuchten Bauwerks getroffen werden. Über die Ableitung von Anpassungsfaktoren („ α -Werten“) kann auch ein quantitativer Vergleich zu den Beanspruchungen aus normativen Lastmodellen abgeleitet werden (z.B. α · LM 1). Über die Vorgehensweise und die Ergebnisse an zwei vor kurzem abgeschlossenen Langzeitmessungen wird im Folgenden berichtet. 3. Beispiel 1: Spannbetonbrücke 3.1 Vorgeschichte Im Zuge einer Nachrechnung des Bestands nach [1] wurden in den Stufen 1 und 2 erhebliche rechnerische Defizite im Bereich der Trag- und Ermüdungssicherheit festgestellt. Als besonders kritisch wurde demnach die Ermüdungssicherheit der durch Querkraftabtrag beanspruchten Schubbügel in den Hauptträgern eingestuft. Zum weiteren Vorgehen wurde von den Planern ein mehrjähriges Monitoring mit insgesamt rund 150 (! ) Sensoren sowie umfangreiche weitere Berechnungen in Anlehnung an die Stufen 3 und 4 nach [1] vorgeschlagen. Die Autoren wurden auf Grundlage ihrer messtechnischen Erfahrungen (prüfseitig) zu den Untersuchungen hinzugezogen. Zur unabhängigen Bewertung erfolgten zunächst rechnerische Untersuchungen, aus denen wiederum eine minimierte Messanlageninstallation und Datenauswertung an einem Teilbauwerk abgeleitet wurde. 3.2 Beschreibung des Bauwerks Das Bauwerk überführt die Bundesstraße B4 über die Callenberger Straße und einen Bach im Stadtgebiet von Coburg. Es setzt sich aus mehreren Teilbauwerken zusammen, die in den Jahren 1978 bis 1980 errichtet wurden. Die nachfolgend beschriebenen messtechnischen Untersuchungen erfolgten am Teilbauwerk Überbau Ost. Bild 1: Längsschnitt durch Überbau Ost Der Überbau Ost ist als Spannbetontragwerk mit einer Gesamtbreite von 9,73 m als Zweifeld-Durchlaufträger mit 2 x 52,6 m Spannweite ausgebildet. Der massive Pfeiler in Bauwerksmitte ist biegesteif mit dem Überbau verbunden. Bild 1 zeigt einen Längsschnitt durch das Teilbauwerk. Im Regelquerschnitt besteht der Überbau aus einem zweistegigen Plattenbalken, der im Bereich der Auflagerungen in massive Querträger einbindet. Die Konstruktionshöhe der Plattenstege beträgt 2,00 m bzw. 2,12 m. Bild 2 zeigt den Querschnitt des östlichen Überbaus im Bereich des Mittelpfeilers. Der Überbau Ost überführt zweispurigen Richtungsverkehr mit nördlicher Fahrtrichtung. Der DTV-SV liegt gemäß einer Verkehrszählung aus dem Jahr 2015 bei rund 750. Nach den Angaben der Straßenbauverwaltung ist der Verkehr einer „Mittleren Entfernung“ nach [1] zuzuordnen. Die ursprüngliche Bemessung des Bauwerks erfolgte für die Brückenklasse 60/ 30 nach DIN 1072. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 511 Weiterentwicklung eines messbasierten Verfahrens zur Bewertung von Straßenbrücken Bild 2: Querschnitt Überbau Ost 3.3 Durchführung der Messungen Entscheidend bei der Konzeption der prüfseitigen Messanlage war die rechnerisch abgeleitete Erkenntnis, dass der Überbau unter den tatsächlichen (Verkehrs-) Einwirkungen im Zustand 1, also in einem überdrückten / ungerissenen Zustand verbleibt. Im Gegensatz zu den über ein Fachwerkmodell unter Annahme von gerissenem Beton, d.h. im Zustand 2, ermittelten planungsseitig berechneten (hohen) Werten, wurden deshalb insbesondere in den Schubbügeln keine nennenswerten ermüdungsrelevanten Beanspruchungen erwartet. Zum messtechnischen Nachweis wurde dem entsprechend auch nur an einem aufl agernahen Schubbügel eine Spannungsmessung vorgesehen. Als zentrale Bewertungsgröße wurden prüfseitig die Spannungen in der Längsbewehrung im Feldbereich angesehen. Hier wurden (insbesondere aus Gründen der Redundanz in Verbindung mit der schwierigen Zugänglichkeit) an zwei Längseisen des äußeren Hauptträgersteges Dehnmessstreifen (DMS) angebracht. In der Summe erfolgte somit die Bauwerksüberwachung über lediglich drei Messkanäle, in denen jeweils über zwei entsprechend verschaltete DMS die Normalspannungen in den beschriebenen Bewehrungseisen gemessen wurden. Zur Kalibrierung des Tragwerksmodells wurden Kurzzeitmessungen durchgeführt. Dabei wurde das Bauwerk mit einer rund 49 to schweren Fahrzeug-Anhänger-Kombination mit fünf belasteten Achsen befahren. Die rechnerischen Annahmen zum Tragverhalten wurden dabei in vollem Umfang bestätigt. Es ergab sich qualitativ und quantitativ eine sehr gute Übereinstimmung zwischen Rechnung und Messung unter Ansatz eines linear-elastischen Dehnverhaltens des vorgespannten Verbundquerschnitts aus Beton mit Spann- und Schlaffstahlbewehrung. Die Beanspruchungen in den Schubbügeln blieben den Erwartungen entsprechend vernachlässigbar. 3.4 Bewertung Ermüdungssicherheit Das Ergebnis der einjährigen Messung war im Hinblick auf die Bewertung der Ermüdungssicherheit eindeutig. So zeigten sich in den aufl agernahen Schubbügeln in allen Belastungszuständen systematisch lediglich vernachlässigbare Spannungsschwingbreiten von unter 2 N/ mm². Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass das vorgespannte Tragwerk seit seiner Errichtung im Wesentlichen im Zustand 1 vorlag und deshalb bislang auch keine relevanten Ermüdungsbeanspruchungen aus der Querkraftableitung ertragen musste. Erfolgen keine gravierenden verkehrlichen Veränderungen und ergeben sich bei den handnahen Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 keine Veränderungen (z.B. Rissbildung), so kann dieses aus Sicht der Ermüdung günstige Tragverhalten auch künftig unterstellt werden. Ein ähnlich positives Ergebnis zeigte sich für die Längsbewehrung im Feldbereich. Auch hier blieb die Höhe und die Häufi gkeit der aufgezeichneten Schwingbreiten so weit unter der normativ anzusetzenden Kerbkategorie von 173 N/ mm², dass sich keine Einschränkungen hinsichtlich der Ermüdungssicherheit ergaben. Der Nachweis der Ermüdungssicherheit war damit für das Haupttragwerk messtechnisch erbracht. Weitere diesbezügliche Untersuchungen (insbesondere aufwändige Simulationsrechnungen auf Grundlage eines aus den Messungen abgeleiteten Ermüdungslastmodells LM 4) sind somit nicht erforderlich. Im Zuge weitergehender Auswertungen wurde das objektspezifi sche Niveau des Ermüdungslastmodells LM 3 nach DIN EN 1991-2 präzisiert. Unter Beibehaltung aller geforderten normativen Sicherheiten können die tatsächlichen Ermüdungsbeanspruchungen des Haupttragwerks zukunftssicher über ein auf 48 % abgemindertes ( λ -fach angesetztes) Ermüdungslastmodells LM 3 beschrieben werden. Diese Erkenntnis kann als Grundlage für die rechnerische Bewertung weiterer Tragelemente des gleichen Überbaus (z.B. der Fahrbahnplatte) bzw. zur Übertragung auf die weiteren Teilbauwerke und deren Bewertung verwendet werden. 3.5 Bewertung Tragsicherheit Wie bereits in Abschnitt 2 erläutert, sind die Messdaten zur Analyse der verkehrsbedingten Beanspruchungen zunächst um die Temperatureinfl üsse zu bereinigen. Bei dieser Auswertung zwingend zu berücksichtigen sind jedoch auch Mittelwertveränderungen, die nicht temperaturbedingt sind, sondern auf Belastungseinfl üsse zurückgehen (z.B. bei Stausituationen). Exemplarisch zeigt dazu Bild 3 die temperaturbereinigten 60-Sekunden-Maximalwerte im Juni 2020 (Kanal 0 = Längsbewehrung, Kanal 8 = Schubbügel). 512 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Weiterentwicklung eines messbasierten Verfahrens zur Bewertung von Straßenbrücken Bild 3: Auszug Messintervall M-06 mit temperaturbereinigten 60-Sekunden-Maximalwerten Wie bereits erläutert, zeigt sich das insgesamt vernachlässigbare Niveau der verkehrsbedingten Spannungen in den Schubbügeln (grüne Maximalwerte des Kanal 8 im Bereich < 1 N/ mm²). Anhand der Messdaten von der Längsbewehrung (Kanal 0, schwarze Maximalwerte) können dagegen anschaulich die folgenden Erkenntnisse aufgezeigt werden. Zum ersten werden die häufi gen Überfahrten durch schwerere Fahrzeuge mit einem Beanspruchungsniveau bis etwa 16 N/ mm² erkennbar (blaue Grenzlinie). Dies entspricht bei kompakter Geometrie - Lkw’s und Sattelschleppern mit etwa 40 to Gesamtgewicht. Regelmäßig, aber in der Summe deutlich seltener treten höhere Beanspruchungen von bis zu rund 25 N/ mm² auf (orange Grenzlinie). Diese Ereignisse gehen in der Regel auf Überholvorgänge mit zwei beteiligten Lkw zurück. Abschließend fi ndet sich im vorigen Mitschrieb auch das Maximalereignis der einjährigen Messung (roter Rahmen). Den zu letzterem zugehörigen Spannungs-Zeit-Verlauf zeigt Bild 4. Bild 4: Überfahrt eines rund 97 to schweren Fahrzeugs Die detaillierte Auswertung und der Vergleich mit der Kalibriermessung führte zu dem Schluss, dass es sich dabei vermutlich um die Einzelüberfahrt einer rund 97 to schweren Fahrzeugkombination gehandelt hat. Rechnerisch blieb das Haupttragwerk auch während dieser Überfahrt im Zustand 1. Informativ sind in der vorigen Abbildung auch die zugehörigen Normalspannungen im Schubbügel (rote Linie, Kanal 8, Werte zwischen + 0,35 N/ mm² bzw. - 0,60 N/ mm²) eingetragen. Für die Extrapolation der Messdaten auf charakteristische Werte erfolgte eine statistische Auswertung der Messdaten im hier interessierenden Extremwertbereich. Herangezogen wurden für diese Auswertung die insgesamt knapp 200 extremalen Einzelereignisse aus der einjährigen Messung (ohne das obige Extremereignis), die mittels Normalverteilung angenähert und hinsichtlich ihres 99,9 % - Fraktilwertes ausgewertet wurden. Der daraus für die maßgebende Messstelle K4 abgeleitete Beanspruchungswert (29 N/ mm²) wurde zur Berücksichtigung zukünftiger Verkehrszunahmen um 36 % erhöht. Dieser aus veröffentlichten Untersuchungen abgeleitete Wert ist als insgesamt deutlich auf der sicheren Seite liegend anzusehen. Als zukunftssichere charakteristische Beanspruchungshöhe resultierte daraus ein Wert von 39 N/ mm², der damit auch das einmalige Maximalereignis und die Überfahrt von extrem schweren Einzelfahrzeugen bis rund 100 to abdeckt. Ursprünglich bemessen wurde das Bauwerk für die Brückenklasse 60/ 30 nach DIN 1072. Rechnerisch resultiert daraus ein unmittelbar vergleichbarer Beanspruchungswert aus den Verkehrslasten von 56 N/ mm². Somit erreicht die aus Messung abgeleitete zukunftssichere Verkehrsbeanspruchung hierzu im Vergleich lediglich einen Anteil von rund 70 %. Bezogen auf das aktuelle Lastmodell LM 1 nach DIN EN 1991-2 reduziert sich dieser Wert auf rund 47 %. Die objektspezifi sche Abminderung der charakteristischen Verkehrseinwirkungen kann - analog zum vorigen Ergebnis bei der Ermüdungsbewertung - im Rahmen von weiteren Standsicherheitsnachweisen (der Fahrbahnplatte, der weiteren Teilbauwerke, etc.) angesetzt werden. 4. Beispiel 2: Stahlbrücke 4.1 Vorgeschichte Aufgrund vorhandener Schäden am Bauwerk erfolgte zunächst dessen Nachrechnung mit dem Schwerpunkt auf Fragestellungen zur Ermüdungssicherheit der Rundstahlhänger und des Überbaus. Dabei zeigten sich verschiedene Defi zite, zu deren weiterer Bewertung ein einjähriges Monitoring am Bauwerk erfolgte. Im Zuge dieser Untersuchungen wurden ergänzende Überlegungen zum tatsächlichen Verkehrsaufkommen und zur realitätsnahen Bewertung der Trag- und Ermüdungssicherheit des Überbaus angestellt. 4.2 Beschreibung des Bauwerks Bei dem Bauwerk handelt es sich um die Neue Deichbrücke in Eisenhüttenstadt. Sie ist als eine Durchlaufträger- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 513 Weiterentwicklung eines messbasierten Verfahrens zur Bewertung von Straßenbrücken brücke in Ganzstahlbauweise über drei Felder konzipiert. Der Überbau wurde im Jahr 1996 nach Abbruch des Vorgängerbauwerks auf den bestehenden Unterbauten neu errichtet. Das Mittelfeld (58,50 m) ist als Stabbogenbrücke ausgebildet. Der Versteifungsträger des Überbaus wurde als durchlaufend ausgebildete Deckbrücke in die beiden Randfelder (je 19,50 m) verlängert. Bild 5 zeigt eine Ansicht des Bauwerks von der Deichseite aus. Bild 5: Ansicht der Neuen Deichbrücke in Eisenhüttenstadt Das Bauwerk überführt eine innerstädtische zweispurige Straße (Breite 5,50 m) mit örtlichem Verkehr und sehr geringem Schwerverkehrsanteil über den Spree-Oder- Kanal („Ortsverkehr“ nach [1]). Zuständiger Baulastträger ist die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV). Den Regelquerschnitt des Überbaus im Bereich des Stabbogens zeigt Bild 6. Bild 6: Regelquerschnitt Neue Deichbrücke Mittelfeld Die Bemessung des Überbaus erfolgte für die Brückenklasse 30/ 30 nach DIN 1072. 4.3 Durchführung der Messungen Unter Berücksichtigung der vorhandenen Schäden am Tragwerk im Anschlussbereich der Rundstahlhänger und der Ergebnisse der Nachrechnung erfolgte die Installation einer Messanlage mit insgesamt 16 DMS (9 DMS im Bereich von vier Hängern, 7 DMS im Bereich des Haupt- und Quertragwerks). Nach der Installation wurden zunächst Kurzzeitmessungen durchgeführt. Dabei wurden zum einen die Eigenfrequenzen der Hänger ermittelt. Zum anderen wurden die Tragwerksbeanspruchungen aus der Überfahrt eines vermessenen und verwogenen Lkw’s (42 to, 5 Achsen) bestimmt und damit im Rahmen von Vergleichsrechnungen die Funktionsfähigkeit und Genauigkeit des Tragwerksmodells nachgewiesen. Es zeigten sich dabei bereits verschiedene Auffälligkeiten am Bauwerk: - erhebliche Abweichungen bei der Verteilung der Hängerkräfte mit zum Teil daraus resultierenden sehr niedrigen Hänger-Eigenfrequenzen, - Auffälligkeiten bei der Lastabtragung im Bereich der zum Teil bereits mehrfach wiederverschweißten Schadensstellen im Bereich der Hänger-Durchdringungen durch das Fahrbahnblech, - eine deutliche Schwingungsanfälligkeit des Bauwerks und der Hänger bei Überfahrten mit höheren Geschwindigkeiten. 514 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Weiterentwicklung eines messbasierten Verfahrens zur Bewertung von Straßenbrücken 4.4 Bewertung Ermüdungssicherheit Die bereits rechnerisch nicht ausreichende Ermüdungssicherheit der Hänger und ihrer Anschlussbereiche wurde durch die Messungen bestätigt. Als geringste Restnutzungsdauer ergaben sich aus der Messung an einer Stelle nur noch 39 Jahre. Hierfür mitentscheidend waren: - Anregung von Hängern durch wirbelerregte Querschwingungen, - Systematische, resonanzartige Anregung der Hänger durch überquerende Fahrzeuge, mutwilliges Handaufschaukeln der (gut erreichbaren) längeren Hänger. Exemplarisch für den zuvor genannten zweiten Punkt ist in Bild 7 die Anregung eines Hängers durch die Überfahrt eines rund 12 to schweren Fahrzeugs dargestellt, das mit geringer Geschwindigkeit (< 20 km/ h) das Bauwerk quert. Bild 7: Anregung eines langen Hängers durch Fahrzeugüberfahrt Bereits während der Überfahrt des Fahrzeugs (Kanal 10, schwarze Linie, Spannungsverlauf im Versteifungsträger) schaukelt sich eine im Anschluss mehrminütig andauernde Schwingung in der ersten Eigenfrequenz des Hängers von ca. 3,5 Hz auf (Kanal 1, rote Linie). Durch den insgesamt geringen Verkehr auf dem Bauwerk konnte hingegen der Ermüdungsnachweis des restlichen Haupt- und Quertragwerks durch die Messung ohne Einschränkungen erbracht werden. Aus der einjährigen Messung konnte ein objektspezifisches Ermüdungslastniveau für den Straßenverkehr von lediglich 15 % des normativen Ermüdungslastmodells LM 3 (inklusive λ -Faktoren) ermittelt werden. Für die Instandsetzung des Bauwerks wurden konstruktive Veränderungen im Hängeranschlussbereich sowie ein Austausch der derzeitigen Rundstahlhänger (mit Ø 85 mm) gegen Seilhänger (mit Ø 40 mm) vorgeschlagen. Mit dieser Maßnahme werden sowohl die Eigenfrequenzen als auch die Dämpfung der Hänger signifikant erhöht. Zudem können damit die aus einer nicht fachgerechten Montage des Bauwerks herrührenden Schadensbereiche an der Durchdringung der Knotenbleche durch die Fahrbahnbleche dauerhaft beseitigt werden. Auf Grundlage des WSV-internen Erlasses [3] kann der Einsatz von Seilhängern ohne eine gesonderte Zustimmung im Einzelfall erfolgen. 4.5 Bewertung Tragsicherheit Ergänzend zu den Ermüdungsuntersuchungen erfolgte auch eine Ermittlung des objektspezifischen Niveaus der Verkehrslastbeanspruchungen. In der Summe konnte die Einstufung des Verkehrs in einen „Ortsverkehr“ nach [1] bestätigt werden. Als Extremereignis wurde die Überfahrt eines Mobilkrans mit rund 58 to Gesamtgewicht dokumentiert. Aus der statistischen Auswertung der einjährigen Messung unter Ansatz eines abgeleiteten Prognosefaktors von 1,20 für zukünftige Verkehrszunahmen wurden wie zuvor erläutert die charakteristischen Werte der Verkehrsbeanspruchung ermittelt. Dabei ergab sich zunächst ein Niveau von rund 32 % bezogen auf das Lastmodell LM 1 nach DIN EN 1991-2. Um beim vorliegenden (verkehrlich geringer belasteten) Bauwerk auch messtechnisch nicht erfasste ungünstige Belastungskonstellation mit abzudecken, erfolgten weitergehende Überlegung zu Unfall- und Stauszenarien. Auf dieser Grundlage wurde abschließend ein objektspezifisches Niveau von 43 % des LM 1 nach DIN EN 1991-2 abgeleitet und für künftige Tragsicherheitsbewertungen empfohlen. 5. Verallgemeinerung der Erkenntnisse In [2] wurden auf Grundlage von Messungen an vier Bauwerken Anpassungsfaktoren für den Trag- und Ermüdungsnachweis in Abhängigkeit des Kennwertes DTV-SV vorgeschlagen. Hintergrund dabei war die Erkenntnis, dass die in [1] definierten Verkehrslastvorgaben insbesondere für Bauwerke im untergeordneten Straßennetz in der Regel die tatsächlichen Verkehrsverhältnisse deutlich überschätzen. Diese Erkenntnisse sowie auch die Ergebnisse weiterer Untersuchungen (u.a. [4, 5]) sollen nun bei der Fortschreibung der Nachrechnungsrichtlinie berücksichtigt werden. Im Zuge der Überarbeitung ist aktuell auch vorgesehen, die bisherigen Bewertungsstufen mit Bezug auf die „alten“ Lastmodelle nach DIN 1072, nach DIN-Fachbericht 101, etc. durch den alleinigen Bezug auf das aktuelle Lastmodell LM 1 nach DIN EN 1991-2 (nachfolgend als „LMM“ bezeichnet) zu ersetzen. Hierzu sollen Anpassungsfaktoren („ α -Werte“) eingeführt werden, die eine objektbezogene Bewertung auch für geringere Verkehrsanforderungen unter Ansatz des LMM erlauben. Seitens der Autoren wurden dazu die bislang vorliegenden Untersuchungsergebnisse zusammengefasst und den aktuellen Regelungen in der NRR gegenübergestellt. Bild 8 zeigt dazu die Ergebnisse zur Tragsicherheitsbewertung bei „Ortsverkehr“ und „Mittlerer Entfernung“. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 515 Weiterentwicklung eines messbasierten Verfahrens zur Bewertung von Straßenbrücken Die Ordinate zeigt dabei die α -Werte, die jeweils aus dem Bezug zum Lastmodell LMM nach DIN EN 1991-2 ermittelt wurden. Der rechnerische Ansatz des Lastmodells erfolgte dabei gemäß den normativen Vorgaben, das heißt also gegebenenfalls auch in querverschobener Lage auf dem Überbau. Analog dazu sind in Bild 9 aus Messungen abgeleitete Ermüdungsbewertungen den Vorgaben nach [1] gegenübergestellt. Die sich aus den zuvor dargestellten Langzeitmessungen ergebenden Datenpunkte sind in den beiden Bildern mit der Abschnittsnummer gekennzeichnet („3“ = Spannbetonbauwerk aus Abschnitt 3, „4“ = Stahlbrücke aus Abschnitt 4). Gestrichelt eingetragen sind in den Diagrammen die ungefähren α -Wert-Niveaus, die über Vergleichsrechnungen an drei zweispurigen Bauwerken entsprechend den Vorgaben in der NRR ermittelt wurden (gemäß Tabelle 10.1 für Richtungsverkehr bzw. Tabelle 10.2 für Begegnungsverkehr für DTV-SV bis 2.000 in [1]). Sowohl bei der Tragals auch insbesondere bei der Ermüdungssicherheit bestätigt sich zusammenfassend, dass bei Anwendung des aktuellen Regelwerks [1] insbesondere im Bereich geringer Schwerlast-Verkehrsstärken die tatsächlichen Verkehrseinwirkungen im Bestand rechnerisch nennenswert überbewertet werden. Bild 8: aus Bestandsuntersuchungen abgeleitete α LMM - Werte zur Tragsicherheitsbewertung im Vergleich zur NRR [1] Bild 9: aus Bestandsuntersuchungen abgeleitete α LM 3 - Werte zur Ermüdungsbewertung im Vergleich zur NRR [1] Eine Integration dieser Erkenntnisse ist bei der aktuell über die vom BMVI koordinierte Fortschreibung der Nachrechnungsrichtlinie vorgesehen. Die hierzu gehörigen Vorschläge zur Modifi zierung der Lastannahmen in den Stufen 1 und 2 werden aktuell erarbeitet. Überdies hinaus sind auch Präzisierungen zur Vorgehensweise in Stufe 3 geplant. Dabei ist vorgesehen, diese Stufe explizit künftig auch für eine messtechnische Erfassung und Bewertung von Verkehren zu öffnen. Abschließend sind im Zuge der Fortschreibung textliche Ergänzungen und Präzisierungen insbesondere an Stellen vorgesehen, an denen sich bei der bisherigen Anwendung unterschiedliche Handhabungen und Interpretationen zeigten (z.B. bei der Ermittlung des DTV-SV, bei der Zuordnung / Auswahl von Verkehrszusammensetzungen, etc.). 516 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Weiterentwicklung eines messbasierten Verfahrens zur Bewertung von Straßenbrücken Literaturangaben [1] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), Stand 05/ 11. [2] Schmidmeier, Schütz, Ehmann, Willberg: Nachrechnung bestehender Straßenbrücken auf Grundlage messbasierter Lastmodelle, Bauingenieur, Band 92, April 2017. [3] Erlass des BMVI mit dem Aktenzeichen WS 12/ 5257.14/ 11 vom 02.05.2018. [4] Ehmann: FuE-Abschlussbericht „Verkehrslastmodelle für WSV-Brücken“, B3951.01.04.70004, Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Mai 2019. [5] Geißler, Kraus, Steffens: Methodik zur Bestimmung des Ziellastniveaus für Brückenbauwerke im Landesstraßennetz in Ortsdurchfahrten und auf freier Strecke auf der Basis gemessener Lastkollektive, TU Berlin, Stand 17.09.2019. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 517 Mehrstufiges Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung von Straßenbrücken Dipl.-Ing. Kay Degenhardt Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg, Hoppegarten, Deutschland Dr.-Ing. Nico Steffens GREGULL + SPANG Ingenieurgesellschaft für Stahlbau mbH, Stahnsdorf, Deutschland bis 04/ 2020 Technische Universität Berlin, Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren - Stahlbau, Deutschland M.Sc. Josef Kraus Technische Universität Berlin, Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren - Stahlbau, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler Technische Universität Berlin, Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren - Stahlbau, Deutschland Zusammenfassung Zum Planungsbzw. Bauzeitraum einer Vielzahl von Straßenbrücken, die in Deutschland vor der Einführung des DIN-Fachberichtes 101 im Jahr 2003 errichtet wurden, konnte die rasante Entwicklung der Verkehrsbelastung noch nicht gebührend berücksichtigt werden. Bis zur Ertüchtigung oder Erneuerung dieser Bauwerke muss der zuständige Straßenbaulastträger dennoch die sichere Nutzung gewährleisten. Zur Untersuchung der vielzähligen Bestandsbauwerke wurde im Jahr 2011 vom Bundesverkehrsministerium die Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand veröffentlicht. Während die Richtlinie unter Berücksichtigung der Vorgaben für das Bundesfernstraßennetz eindeutig angewendet werden kann, ergeben sich für Brücken im nachgeordneten Netz aufgrund verschiedener Faktoren Interpretationsspielräume, welches Ziellastniveau erforderlich ist. Aus diesem Grund wurde für eine breite Anwendung im nachgeordneten Netz an zwei Pilotbauwerken im Land Brandenburg ein verfeinertes Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus entwickelt und im Rahmen einer Pilotstudie erfolgreich getestet. 1. Einleitung Unser gesellschaftliches Zusammenleben in Europa und insbesondere in Deutschland wird bisher durch ein sehr hohes Maß an Mobilität geprägt. In der Vergangenheit entwickelte sich dieser Mobilitätsgrad vorrangig im Bereich des Individual- und Güterverkehrs auf der Straße. Damit einhergehend war und ist eine stetige Anpassung der Straßenverkehrsinfrastruktur verbunden. Notwendige Anpassungen bedingen sich insbesondere durch immer weiter steigende Verkehrszahlen und neue Fahrzeugkonfigurationen in Volumen und Gewicht. Die zur Bewältigung des Straßenverkehrs erforderlichen Ressourcen, vor allem der Flächenbedarf zur Anlage neuer oder erweiterter Straßen, sind hingegen endlich. All dies wird letztendlich zu einer weiter steigenden Lastkonzentration auf Straßen und Brücken führen. Diese Entwicklung ist im Grunde nichts Neues und sie besteht seit Beginn der motorisierten Mobilität auf der Straße. Schon die ersten, nach einheitlichen Standards errichteten, Straßenbrücken in Deutschland waren auf das damals schwerste anzunehmende Fahrzeug ausgelegt; die Straßendampfwalze in der Ausprägung von 7 bis 24 Tonnen Gesamtgewicht. Heute werden Straßenbrücken für die fiktive Aufnahme von gleichzeitig bis zu drei Schwerlastfahrzeugen in der Ausprägung 60, 40 und 20 Tonnen konzipiert. Die Schwierigkeit besteht darin, den Bestand trotz steigender Belastung weiter nutzungssicher und wenn möglich bis zum Ende seiner normativ angedachten Nutzungsdauer betreiben zu können. Zudem entspricht diese normativ angedachte Nutzungsdauer einem sehr langen Zeitraum von in Regel 70 bis 130 Jahren. Aus diesem Grund veranlasste das Bundesverkehrsministerium schon in den 2000-er Jahren erste Untersuchungen, um zum einen die Schwachstellen im bestehenden Netz zu identifizieren und zum anderen bedarfsgerecht darauf reagieren zu können. Ein Ergebnis dieser umfangreichen Untersuchungen und Überlegungen ist die Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) [1] mit ihrer erstmaligen Ausgabe 518 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Mehrstufiges Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung von Straßenbrücken im Jahr 2011. Ein wesentlicher Bestandteil der Richtlinie ist die Bestimmung und Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus als Grundlage für die weitere Nachrechnung. Für den Bundesfernstraßenbereich ist dieses durch die Vorgabe der Verkehrsart „Große Entfernung“ bisher abschließend geregelt. Das heißt, Straßenbrücken im Zuge von Bundesfernstraßen bedürfen in der Regel eines Ziellastniveaus der Einwirkungen nach DIN FB 101 [2] oder Brückenklasse (BK) 60/ 30 nach DIN 1072 [3]. Brücken die diesem Ziellastniveau nicht entsprechen, sind entweder zu ertüchtigen oder mittelbis langfristig zu erneuern. Je nach Maßgabe des Ergebnisses einer objektbezogenen Nachrechnung bedarf es darüber hinaus eventuell kurzfristiger Kompensationsmaßnahmen. 2. Situation bestehender Straßenbrücken im nachgeordneten Netz am Beispiel der Landesstraßenbrücken im Land Brandenburg 2.1 Netzbelastung im Allgemeinen Das Bundesfernstraßennetz, bestehend aus den Bundesstraßen außerhalb großer, kreisfreier Städte und insbesondere den Bundesautobahnen bildet das Rückgrat der überregionalen Straßenverkehrsmobilität. Dementsprechend sind in diesem Netz auch die größten Steigerungen der Verkehrsbelastung zu verzeichnen und zukünftig zu erwarten. Im nachrangigen Netz, angefangen von den Landes- und Staatstraßen, über die Kreisstraßen bis hin zu kommunalen Straßennetzen, ist die Situation sehr heterogen einzuschätzen. In diesen Netzen können sich sowohl äußerst hoch belastete Abschnitte befinden als auch Abschnitte mit einer sehr geringen Auslastung. Insofern bedarf es bei der Betrachtung bestehender Straßenbrücken eines durchaus differenzierten Blickes. Zum einen muss eine sichere Nutzung des Bestandes zweifelsfrei garantiert sein, zum anderen sind die, zum Teil stark begrenzten, Ressourcen zur Ertüchtigung und Erneuerung sehr zielgenau einzusetzen. 2.2 Verkehrsbelastung der Landesstraßen im Land Brandenburg Die zuvor allgemein vermerkte Heterogenität in der Verkehrsbelastung nachgeordneter Netze zeigt sich auch deutlich im Landesstraßennetz des Landes Brandenburg. Das Landesstraßennetz des Landes Brandenburg, ausgenommen der kreisfreien Städte Potsdam, Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg (Havel), umfasst eine Länge von ca. 5.650 km. Bild 1 Landesstraßennetz im Land Brandenburg Eine der höchst belasteten Abschnitte befindet sich auf der L 40 - der Nuthe-Schnellstraße - als Zubringer von der A 115 in die Potsdamer Innenstadt. Nach Verkehrszählungsdaten von 2015 [4] passieren werktäglich ca. 45.500 Kfz/ 24 h diese vierstreifig ausgebaute Landesstraße. Der Schwerverkehrsanteil liegt bei ca. 2,7 % und beträgt werktäglich rd. 1.250 Kfz/ 24 h. Nicht zuletzt bedingt durch neue Netzbeziehungen sehen die Verkehrsprognosen bis 2030 [5] eine Vervierfachung des Schwerverkehrs, d. h. Busse, LKW > 3,5 t und Lastzüge, für diesen Streckenabschnitt voraus. Am anderen Ende der L 40, im Dahme-Spree-Seengebiet wird sich voraussichtlich eine gegensätzliche Situation einstellen und die Verkehrsbelastung eher sinken. Auf vielen Landesstraßen, vor allem im ländlichen Raum, sind auch Schwerverkehrsbelastungen deutlich unter 100 Kfz/ 24 h nicht unüblich. Aufgrund abnehmender Dichte des Zählstellennetzes, besonders in den niederfrequentierten Strecken, sinkt auch deutlich die Aussagegenauigkeit solcher Zahlen. 2.3 Straßenbrücken im Landesstraßennetz des Landes Brandenburg Im Netz der rd. 5.650 km Landesstraßen befinden sich 819 Brücken (Teilbauwerke nach ASB-ING [6]). 718 Brücken davon befinden sich in der Baulast des Landes und 101 Brücken in der Baulast des Bundes. Die Baulast des Bundes betrifft Bauwerke, bei denen eine Landesstraße über eine Bundesstraße oder eine Autobahn überführt wird. Zu den 718 Brücken in der Baulast des Landes kommen noch 31 Brücken die entlang oder über Landesstraßen führen, z. B. Geh- und Radwegbrücken entlang einer Landesstraße. Der Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg hat somit insgesamt 749 Brücken [7] mit der Zugordnung zur Baulast des Landes zu betreuen. Nachfolgende Daten und statistische Angaben stellen ausschließlich auf diese Bauwerksmenge ab. Die Gesamtfläche aller in der Baulast des Landes befindlichen Brücken beträgt rd. 140.000 m². Das Bruttoanlagevermögen im volkswirtschaftlichen Sinn eines Wieder- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 519 Mehrstufiges Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung von Straßenbrücken beschaffungswertes beläuft sich auf ca. 0,5 Mrd. €. Der Modernitätsgrad als Quotient aus Netto- und Bruttoanlagevermögen liegt bei rd. 0,65, was einen durchaus soliden Wert darstellt. Die Altersverteilung stellt sich wie folgt dar: Bild 2 Verteilung Alter mit Bezug auf die Anzahl Bild 3 Verteilung Alter mit Bezug auf die Fläche In absoluten Werten ergibt sich eine Einstufung zu folgenden Tragfähigkeitsklassen: Bild 4 Verteilung der Tragfähigkeitseinstufung Für 215 Brücken stellt sich die Frage, ob die aktuelle Tragfähigkeitseinstufung mittel bis langfristig noch der Nutzung gerecht wird. Für die elf Brücken, welche der Tragfähigkeit der Brückenklasse 30 nach DIN 1072 zugeordnet sind, kann das bereits verneint werden, da diese Einstufung bereits heute Nutzungseinschränkungen bzw. einen nicht Regelkonformen Querschnitt von mindestens zwei vollständigen Fahrsteifen bedingt. Es verbleiben somit 204 Brücken, die einer näheren Untersuchung ihrer Tragfähigkeit bedürfen. Diese Menge entspricht nahezu einem Drittel des gesamten Brückenbestandes in der Baulast des Landes Brandenburg. Das Nettoanlagevermögen dieser Brücken beträgt noch circa 43 Mio. Euro. Zur Erneuerung ad hoc wären schätzungsweise über 110 Mio. Euro aufzuwenden. 3. Traglastindex am Beispiel der Landesstraßenbrücken in der Baulast des Landes Brandenburg Zur Verdeutlichung der Spreizung zwischen dem nach Nachrechnungsrichtlinie geforderten Ziellastniveau und der vorhandenen Tragfähigkeitseinstufung einer Straßenbrücke benötigt es eines entsprechenden Kennwertes; ähnlich der Zustandsnote nach RI-EBW-PRÜF [8]. Anfänglich der Nachrechnungsrichtlinie war kein solcher Kennwert verfügbar. Aus diesem Grund entschied sich der Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg im Jahr 2016 bei der Aufstellung seiner Bedarfslisten für die Brückenerhaltung hilfsweise und unter Vorwegnahme eines zukünftigen Traglastindex zunächst eine sogenannte Tragfähigkeitsdifferenzklasse (TDK) anzuwenden. Die TDK definierte sich hierbei wie folgt: TDK = F Ziel-Lastniveau - F Ist-Lastniveau ≥ 0 (1) Tabelle 1 Faktor F Tragfähigkeit für Einwirkung nach Faktor F FB 101 LM 1 u. EC 1 LM 1 50 DIN: 60/ 30 49 DIN: 60 47 DIN: 30/ 30 45 DIN: 24/ 24 40 DIN: 30 35 DIN: 16/ 16 30 DIN: 24 25 DIN: 16 20 DIN: 9/ 9 15 DIN: 6/ 6 10 DIN: 9 5 DIN: 6 u. G+R 0 Unter der Maßgabe einer Zuordnung aller Brücken im Zuge einer Landestraße zur Verkehrskategorie „Mittlere Entfernung“ nach Nachrechnungsrichtlinie ergibt dieser pragmatische Ansatz folgende Verteilung: 520 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Mehrstufiges Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung von Straßenbrücken Bild 5 Verteilung TDK Bei insgesamt 180 Brücken ist dementsprechend ein größeres Defizit ihres langfristigen Nutzungsvermögens zu vermuten. Bei 27 Brücken ist dieses Defizit deutlich angezeigt. Mit der Bekanntgabe des Allgemeinen Rundschreibens 09/ 2020 des BMVI „Einführung des Traglastindex“ [9] zum 30.03.2020 und der zugehörigen „Grundkonzeption für den Traglastindex (TLI)“ steht nunmehr ein verbindlicher Kennwert zur Anzeige der Spreizung zwischen Ziellastniveau und vorhandener Tragfähigkeitseinstufung zur Verfügung. Wiederum unter der Maßgabe gesehen, dass alle Brücken im Zuge einer Landesstraße der Verkehrsart „Mittlere Entfernung“ zuzuordnen sind, stellt sich die Verteilung des TLI für die Landesstraßenbrücken in der Baulast des Landes Brandenburg nunmehr folgendermaßen dar: Bild 6 Verteilung TLI Traglastindex und Tragfähigkeitsdifferenzklasse bilden eine sehr gute Übereinstimmung. Der Traglastindex berücksichtigt neben der Differenz zwischen Ziellastniveau und vorhandener Tragfähigkeitseinstufung noch weitere Aspekte; so z. B. die Gefahr der Spannungsrisskorrosion bei älteren Spannbetonbrücken und des Stegblechbeulens bei älteren Stahltragwerken, was zur Einstufung in den TLI = V führt. Wesentliches Kriterium bleibt jedoch die Spreizung des Lastniveaus, welches sich maßgebend durch die entsprechende Verkehrsart nach Nachrechnungsrichtlinie bestimmt und genau hierin liegen die großen Unsicherheiten begründet. 4. Erfordernis einer Verifizierung des erforderlichen Ziellastniveaus Das Ziellastniveau wird von der Straßenbauverwaltung bestimmt und richtet sich gemäß Nachrechnungsrichtlinie nach der durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärke der Fahrzeugarten des Schwerverkehrs (DTV-SV) und nach einer von drei über die Nachrechnungsrichtlinie näher spezifizierten Verkehrsarten. • Verkehrsart „Große Entfernung“ • Verkehrsart „Mittlere Entfernung“ • Verkehrsart „Ortsverkehre“ Die Verkehrsarten symbolisieren eine gewisse Verkehrszusammensetzung und dienen als Entscheidungshilfe zur Beurteilung der Verkehrseinwirkung. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Verkehr mit hohem mehrachsigen LKW-Anteil überwiegend im überregionalen Streckennetz mit großen Entfernungen, der Verkehr mit relativ gleichmäßig verteiltem LKW-Anteil im regionalen Streckennetz mit Entfernungen bis zu 100 km und der örtliche Lieferverkehr mit einem hohen LKW-Anteil mit zwei und drei Achsen im Ortsverkehr stattfindet. Entscheidend ist die Tabelle 10.3 der Nachrechnungsrichtlinie, die über den Verhältniswert der Anteile der Gruppen 1 und 2 am DTV-SV einen Anhaltswert zur Bestimmung der objektbezogenen Verkehrsart ermöglicht. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 521 Mehrstufiges Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung von Straßenbrücken Bild 7 Tabelle 10.3 der Nachrechnungsrichtlinie [1] mit Kennzeichnung der Gruppe 1 und 2 Die praktische Handhabung dieser Tabelle wird durch folgende Aspekte erschwert: • Verfügbarkeit belastbarer DTV-SV-Werte (Zählung, Prognose für das unmittelbar betrachtete Bauwerk) • Interpretation der Zuordnung von Verhältniswerten im Bereich 25-75 bis 85-15 (> 0,33 bis < 5,66) zu den drei, fest bestimmten Klassenwerten • Interpretation bei sehr kleinen DTV-SV-Werten Nachgeordnete Netze weisen in der Regel weniger automatisierte Zählstellen auf, so dass manchmal gar keine oder keine objektscharfen DTV-SV-Werte zur Verfügung stehen. Stehen Werte zur Verfügung und liegt der hierrüber ermittelte Verhältniswert der Gruppe 1 zur Gruppe 2 zwischen zwei Klassen, z. B. im Extremfall genau zwischen zwei Klassen mit 37,5 zu 62,5 (0,6) oder 67,5 zu 32,5 (2,07), ist keine zweifelsfreie Entscheidung mehr möglich. Auf der sicheren Seite liegend müsste man stets die höhere Verkehrskategorie wählen, sobald ein Stufenwert überschritten ist. Weiterhin wird die Interpretation bei sehr geringen DTV- SV-Werten durchaus fragwürdig, wie am Beispiel der nachfolgenden zwei fiktiven Szenarien deutlich zu erkennen ist. Beispiel: Brücke mit zwei Fahrstreifen und nicht mehr als einen Fahrstreifen pro Richtung (analog Bild 10.2 der Nachrechnungsrichtlinie) Szenario 1: DTV-SV = 1.000 Kfz/ 24 h Anteil Gruppe 1 = 90 % (900 Kfz / 24 h) Anteil Gruppe 2 = 10 % (100 Kfz / 24 h) = = > Verkehrsart = „Ortsverkehr“ = = > Ziellastniveau = BK 30/ 30 Szenario 2: DTV-SV = 111 Kfz/ 24 h Anteil Gruppe 1 = 10 % (11 Kfz / 24 h) Anteil Gruppe 2 = 90 % (100 Kfz / 24 h) = = > Verkehrsart = „Große Entfernung“ = = > Ziellastniveau = BK 60/ 30 Die Anzahl der Fahrzeuge an der Gruppe 2 ist bei beiden Szenarien identisch. Trotz der wesentlich höheren Anzahl von Gesamtfahrzeugen beim Szenario 1 bedingt dieses Szenario aber aufgrund des günstigeren Verhältniswertes ein geringeres Ziellastniveau gegenüber Szenario 2. Durch die Unsicherheiten ergeben sich folgende Zielkonflikte bei der Festlegung des Ziellastniveaus. Bild 8 Zielkonflikte bei der Festlegung des Ziellastniveaus Da sich solche Unsicherheiten bei rd. 200 Brücken im Zuge von Landesstraßen einstellen, die der Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg in der Baulast des Landes Brandenburg betreut, entschloss sich der Landesbetrieb 2017 in Kooperation mit der Technischen Universität Berlin, eine verfeinerte Methodik zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus zu entwickeln und 522 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Mehrstufiges Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung von Straßenbrücken damit seine bisherigen Festlegungen entsprechend verifizieren zu können [10]. 5. Herangehensweise Die einfachste und zunächst wirtschaftlichste Herangehensweise ist die direkte Festlegung des Ziellastniveaus ausgehend von einer speziell objektbezogenen Verkehrszählung. Dieses Vorgehen entspricht prinzipiell bereits dem vorhandenen Ansatz der Nachrechnungsrichtlinie, wobei der Genauigkeitsgewinn in der Berücksichtigung objektbezogener Verkehrsdaten liegt. Die bereits erwähnten Ungenauigkeiten hinsichtlich des derzeit in der Nachrechnungsrichtlinie anzuwendenden Verfahrens müssen dabei beachtet und sollten möglichst ausgeräumt werden. Alternativ zu dieser Herangehensweise kann durch eine spezielle, objektbezogene Verkehrszählung und anschließende Simulationsrechnung ebenfalls das erforderliche Ziellastniveau abgeleitet werden. Ein solches Herangehen erscheint für einen Masseneinsatz noch praktikabel und wirtschaftlich zu sein. Darüber hinaus kann das erforderliche Ziellastniveau durch indirekte Messung der Verkehrslast (Messung der Beanspruchungen am Bauwerk) begründet werden. Das Verfahren führt, je nach Maßgabe des Betrachtungszeitraumes und des damit verbundenen Zuverlässigkeitsniveaus, zur größten Genauigkeit in der Bestimmung des erforderlichen Ziellastniveaus. Aufgrund des hohen Aufwandes kann diese Herangehensweise nur begründeten Einzelfällen vorbehalten bleiben. Eine Massenanwendung auf eine Vielzahl von Bauwerken ist nicht praktikabel. Betrachtet man diese drei grundsätzlichen Möglichkeiten zur Festlegung des Ziellastniveaus, stellt sich die Frage, ob sich damit annähernd objektbezogen gleiche Genauigkeiten erzielen lassen und ob diese dann insgesamt wesentlich größer als gegenüber der Herangehensweise nach Regelwerk sind, so dass sich der damit verbundene Aufwand für den Straßenbaulastträger auch rechtfertigt. Die drei zuvor beschriebenen Ansätze wurden an zwei konkreten Bauwerken - der Spreebrücke im Zuge der L 35 in Fürstenwalde (Spree) und der Spreebrücke im Zuge der L 443 in Kossenblatt - zunächst konzeptionell entwickelt und anschließend praktisch umgesetzt. Anhand der Ergebnisse wurde eine verallgemeinerte Methodik in Form eines mehrstufigen Verfahrens beschrieben und anschließend in den Stufen 1 und 2 an weiteren sechs Brücken im Zuge von Landesstraßen pilothaft erprobt. 6. Beschreibung des Verfahrens Im Ergebnis wird ein mehrstufiges Verfahren gemäß Bild 9 vorgeschlagen. Bild 9 Mehrstufiges Verfahren zur Festlegung des Ziellastniveaus Die Stufenbezeichnung dient ausschließlich zur Abgrenzung der unterschiedlichen Herangehensweise in der Bestimmung des Ziellastniveaus und ist nicht mit den Stufen des Nachweises nach Nachrechnungsrichtlinie gleichzusetzen. 6.1 Ermittlung Ziellastniveau Stufe 1- Ziellastniveau aus Verkehrsdaten In der niedrigsten Stufe wird das erforderliche Ziellastniveau auf Basis von Verkehrsdaten bestimmt. Dies können Verkehrsdaten angrenzender Dauerzählstellen oder auch aus eigens durchgeführten objektbezogenen Fahrzeugzählungen sein. Die eigentliche Festlegung des Ziellastniveaus erfolgt noch nach dem bekannten Verfahren der Nachrechnungsrichtlinie, bei dem je nach Verkehrszusammensetzung eine Verkehrsart zu ermitteln ist. Es werden jedoch vorhandene bzw. zusätzlich gewonnene Verkehrszahlen detaillierter betrachtet. Hierbei lassen sich folgende drei Unterstufen unterscheiden. • 1a - Verkehrszahlen angrenzender Dauerzählstellen In der Stufe 1a werden die Verkehrszahlen angrenzender Dauerzählstellen (DZS) angesetzt. Hierzu muss sichergestellt sein, dass die Verkehrsstärke der DZS höher (oder zumindest genauso) und die Verkehrscharakteristik (/ -zusammensetzung) ähnlich ist, wie an dem zu untersuchenden Bauwerk. Im Rahmen dieses Vorhabens werden folgende Kriterien für eine geeignete DZS gewählt: - gleiche Landesstraße - Abstand der DZS zum Bauwerk nicht mehr als 20 km • 1b - Kurzzeit-Verkehrszählungen in Kombination mit angrenzenden Dauerzählstellen Für die verbleibenden Brücken, bei denen nach Stufe 1a keine ausreichende Brückenklasse vorliegt, können Kurzzeit-Verkehrszählungen in Kombination mit angrenzenden DZS (Hochrechnung) durchgeführt werden (Stufe 1b). Hierdurch werden etwas konkre- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 523 Mehrstufi ges Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung von Straßenbrücken tere Informationen zum Verkehr an den zu untersuchenden Bauwerken hinzugezogen. Das allgemeine Vorgehen der Erhebungsbzw. Hochrechnungsmethodik zur Bestimmung von DTV-Werten ausgehend von stichprobenhaften Zählungen wird in der Schriftenreihe „Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen“, Unterreihe V, unter dem Titel „Straßenverkehrszählung 2010: Methodik“ geregelt [11]. • 1c - Verkehrszählung am Bauwerk Eine (manuelle) (Dauer-)Verkehrszählung in Stufe 1c liefert noch genauere Informationen zum tatsächlichen Verkehr. Die Dauerverkehrszählung kann manuell vor Ort, manuell / automatisiert anhand von Videobzw. Bildsequenzen oder durch Bauwerksmessungen erfolgen. Die Fahrzeugklassifi zierung erfolgt gemäß den „Technischen Lieferbedingungen für Streckenstationen“ (TLS) [12]. In Bild 10 sind die Fahrzeugtypen ihrer Achslastkonfi guration zugeordnet. Bild 10 Klassifi zierungen der Fahrzeugtypen gemäß TLS [12] Die Dauer der Verkehrszählung zur Bestimmung des DTV-SV-Wertes sollte eine Woche nicht unterschreiten. Im Gegensatz zum PKW-Verkehr ist die Schwerverkehrsstärke über das Jahr gesehen relativ konstant. Der DTV-SV-Wert auf Grundlage einer Werkswoche (Mo.-Fr.) ist daher ausreichend genau. 6.2 Ermittlung Ziellastniveau Stufe 2- Ziellastniveau aus Verkehrslastsimulationen In der zweiten Stufe erfolgt zur Ermittlung von Extremwerten der Beanspruchungen eine Verkehrslastsimulation mit Häufi gkeitsverteilungen der Verkehrslasten unter bestimmten bekannten Randbedingungen. Eine objektspezifi sche Kalibrierung der Lastmodelle, basierend auf Verkehrslastsimulationen, ist in vielen Fällen bereits mit überschaubarem Aufwand möglich [13]. Die Kalibrierung ist besonders vorteilhaft, wenn das lokale Verkehrsaufkommen deutlich geringer ist, als es den normativen Lastmodellen zugrunde liegt. Zusätzliches Potenzial bietet das tatsächlich vorhandene statische System, da das normative Lastmodell zwar für eine Vielzahl an Systemen geeignet ist, aber dabei häufi g auch Sicherheiten aufweist, um seine Allgemeingültigkeit zu wahren. Eingangsgrößen einer Verkehrslastsimulation sind in Bild 11 zusammengefasst. Bild 11 Eingangsgrößen einer Verkehrssimulation [14] Die in Stufe 1c gewonnenen Informationen zur Verkehrsstärke und Fahrzeugtypenverteilung werden um zusätzliche Daten von Weigh-In-Motion-Anlagen vergleichbarer oder ungünstigerer Standorte ergänzt, wie zum Beispiel den Fahrzeuggesamtgewichten oder dem genehmigungspfl ichtigen Schwerverkehr. Während der Simulation wird ein quasi-unendlich langes zufälliges Verkehrsband erzeugt und die Schnittgrößen anhand der Einfl usslinie ausgewertet. Bild 12 Quasi-unendliches Verkehrsband im Zuge der Verkehrssimulation Ergebnis der Verkehrssimulation in Stufe 2 ist ein objektspezifi scher charakteristischer Wert der Verkehrsbeanspruchung für eine gewählte Wieder-kehrperiode. Hieraus wird eine Ableitung eines Nachrechnungsbzw. Anpassungsfaktors α NR bzw. des objektspezifi schen Ziellastniveaus / Lastmodells möglich. Ähnlich wie bei Stufe 1 lassen sich auch hier weitere zwei Unterstufen unterscheiden. 524 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Mehrstufiges Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung von Straßenbrücken • 2a - Simulationen ausgehend vom plangestützten FE- Modell In Ziellaststufe 2a wird ein FE-Modell erstellt, ausgehend von den statischen Unterlagen bzw. den Bestandsplänen. Aufgrund der ggf. nicht realistisch abgebildeten Geometrie, den Anschluss- und Bauteilsteifigkeiten oder dem Lastabtrag sind bei diesen Modellen noch Unsicherheiten enthalten. Diese Unsicherheiten relativieren sich jedoch bei der Ableitung des objektspezifischen Ziellastniveaus, sofern sich nicht prinzipiell die Form der Einflusslinie ändert, da diese sowohl seitens der Simulation als auch der normativen Lastmodelle bei der Bestimmung charakteristischer Werte einfließt. • 2b - Simulationen ausgehend vom messwertgestützten kalibrierten FE-Modell In Ziellaststufe 2b wird im Rahmen einer Systemmessung als Kurzzeitmessung das FE-Modell entsprechend der tatsächlichen Steifigkeiten kalibriert. Hierzu wird das FE-Modell derart angepasst, dass gemessene Beanspruchungen infolge einer bekannten Last (Belastungsfahrzeug) mit den berechneten Beanspruchungen bei gleicher Last nahezu über-einstimmen. Die hiernach ermittelte Einflusslinie - als Eingangsparameter für die Simulationen - liefert ein noch realistischeres Ziellastniveau. 6.3 Ermittlung Ziellastniveau Stufe 3 - Ziellastniveau aus Verkehrsmonitoring In der dritten Stufe werden die extremalen Beanspruchungen infolge Verkehrslasten über ein Bauwerksmonitoring ermittelt. Mit Hilfe der Ergebnisse von Dehnungsmessungen unter Verkehr lassen sich u. a. • das Rechenmodell kalibrieren (Systemmessung) • und • die Einwirkungen bzw. Beanspruchungen realitätsnah erfassen. Darüber hinaus können durch ein Bauwerksmonitoring Spureinflüsse, Einflüsse der Fahrzeuggesamtgewichte bzw. einzelner Achsen und Einflüsse von Bauwerksschwingungen erfasst werden. Ergebnis des Verkehrsmonitorings ist in diesem Fall ein messwertgestützter charakteristischer Wert der Verkehrslast. Hieraus wird - analog der Stufe 2 - ebenfalls eine Ableitung eines Nachrechnungsbzw. Anpassungsfaktors α bzw. des objektspezifischen Ziellastniveaus / Lastmodells möglich, siehe auch [16]. Für die Auswertung von Extremwerten aus gemessenen Dehnungs-Zeit-Verläufen bedarf es Wochenextremwerten. Ab einer Messdauer von einem Jahr liegen ausreichend viele Wochenextremwerte für eine Extremwertanalyse vor. Bei geringeren Bezugszeiträumen der Extremwerte treten teilweise je nach objektspezifischer Verkehrscharakteristik noch Multimodale-Extremwertverteilungen auf. Weitere Hintergründe sind in [15] gegeben. Um die unterschiedlichen gemessenen Beanspruchungen am Tragwerk der Belastungssituation zuordnen zu können, ist eine Kamera zur Aufzeichnung des Verkehrs erforderlich. Die Dehnungsmessung am Tragwerk erfolgt permanent über den gesamten Messzeitraum. Aus Gründen der Handhabbarkeit werden mit der Kamera Fotos im Abstand von einer Sekunde aufgenommen. Bild 13 Lastbild zum extremalen Ereignis im Messzeitraum an der Spreebrücke Fürstenwalde 6.4 Bestimmung des Ziellastniveaus aus dem Nachrechnungsbzw. Anpassungsfaktor a Für die Ableitung des Ziellastniveaus ausgehend von dem simulationsgestützten (Stufe 2) bzw. messwertgestützten (Stufe 3) charakteristischen Wert wird der Quotient aus diesen Werten und einem normativen charakteristischen Wert gebildet. Dieser Nachrechnungsbzw. Anpassungsfaktor wird für alle relevanten normativen Brückenklassen (Lastmodelle nach jeweiliger Norm) berechnet. (2) Der Nachrechnungsbzw. Anpassungsfaktor α NR stellt den Bezug zwischen dem realen Verkehrslastniveau und dem normativen Lastmodell dar. Es geht hierbei also um die Größe des anzusetzenden erforderlichen charakteristischen Wertes für das Lastmodell, um die realen Verkehrslasten mit ausreichender Sicherheit abzudecken. Bezüglich des Ergebnisses des Nachrechnungsbzw. Anpassungsfaktors sind folgende Aussagen zutreffend. α NR,i ≤ 1 Die Brückenklasse / das Lastmodell gemäß Norm deckt die realen Verkehrslasten ab. Die Bezugs-Brückenklasse ist ausreichend. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 525 Mehrstufiges Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung von Straßenbrücken α NR,i > 1 Die Brückenklasse / Lastmodell gemäß Norm deckt die realen Verkehrslasten nicht ab. Es muss die nächst größere Bezugs-Brückenklasse als erforderliches Ziellastniveau gewählt werden. Mit Zahlenwerten beispielhaft belegt, könnten sich bei einem abgeleiteten messwertgestützten bzw. simulationsgestützten charakteristischen Wert die in Tabelle 2 dargestellten Nachrechnungsfaktoren für die jeweiligen Bezugs-Brückenklassen (/ normative Lastmodelle) ergeben. Der größte Nachrechnungsfaktor, der kleiner als 1 ist, liefert das gesuchte Ziellastniveau. Tabelle 2 Beispielhafte Größenordnung der Nachrechnungsfaktoren je Bezugs-Brückenklasse für eine Brücke Nachrechnungsfaktor α NR E k ,Norm (Brückenklasse) … z. B. 1,12 BK 30/ 30 … z. B. 1,05 BK 60 … z. B. 0,70 < 1 → Ziellastniveau BK 60/ 30 … z. B. 0,50 LM1 DIN-FB … z. B. 0,30 LM1 EC 6.5 Nachrechnungsbzw. Anpassungsfaktor α NR mit Bezug zu DIN-FB 101 oder EuroCode Aus dem vorgenannten Zahlenbeispiel zeigt sich, dass mit diesem auf die bisherigen Brückenklassen bezogenen Verfahren zur Festlegung des Ziellastniveaus ggf. Tragwerksreserven nicht voll ausgeschöpft werden. Dies liegt an den Lastsprüngen zwischen den Lastmodellen. In dem gezeigten Zahlenbeispiel würden theoretisch 70 % der Lasten der Brückenklasse 60/ 30 ausreichen, um die realen Verkehrslasten abzudecken. Die nächst kleinere Brückenklasse 60 reicht wiederum nicht aus zur Abdeckung der realen Lasten. Ein von den bisherigen Brückenklassen losgelöstes Verfahren zur Festlegung des Ziellastniveaus zum Beispiel direkt in Form des Nachrechnungsbzw. Anpassungsfaktors mit einem festen Bezug auf zum Beispiel das LM1 des DIN-FB 101 oder des EuroCodes (DIN EN 1991- 2+NA) könnte diese zusätzlichen Reserven im Lastmodell aktivieren. Das zur Nachrechnung anzusetzende Lastmodell ist dann immer das LM1 gem. DIN-FB 101 oder EuroCode unter Ansatz eines objektspezifischen Nachrechnungsbzw. Anpassungsfaktors. LM NR = α NR_DIN−FB 101 * E k ,LM1_DIN−FB 101 (3) oder LM NR = α NR_EC * E k ,LM1_E (4) 6.6 Kalibrierung des FE-Modells durch Belastungsversuch Der normative charakteristische Wert ergibt sich unter Ansatz eines gewählten normativen Lastmodells und - im Falle der Stufe 2b - dem kalibrierten Systemmodell aus einer FE-Berechnung. Sofern Stufe 3 angewandt wird, sollte zunächst immer ein Belastungsversuch mittels bekannten Belastungsfahrzeugs (Achskonfiguration und -last) durchgeführt werden, um das FE-Modell an das reale Tragverhalten anzupassen. 7. Pilotbauwerke und Pilotstudie Wie bereits erwähnt wurde das Verfahren an zwei Pilotbrücken entwickelt und im Rahmen einer Pilotstudie für die Stufen 1a bis 2b an sechs weiteren Bauwerken erprobt. 7.1 Pilotbauwerke - Spreebrücke Fürstenwalde und Spreebrücke Kossenblatt Die 1961 errichtete Spreebrücke in Fürstenwalde (Spree) überführt die innerstädtisch gelegene, dreistreifige L 35 über die Fürstenwalder Spree und den Archenarm. Das Bauwerk besteht aus zwei, hintereinander liegenden Teilbauwerken, einer Stahlverbundkonstruktion (Stw. 25,45 - 28,00 - 29,80) und einem Stabbogen (Stw. 67,00 m). Bild 14 Spreebrücke Fürstenwalde - Stabbogen Bei der Brücke über die Spree i. Z. d. L 443 in Kossenblatt handelt es sich um eine einzellige Hohlkastenbrücke über vier Felder aus Spannbeton. Die Stützweiten betragen 20,25 - 27,50 - 20,25 - 17,25 m. Das Bauwerk wurde 1968 errichtet. 526 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Mehrstufiges Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung von Straßenbrücken Bild 15 Spreebrücke Kossenblatt Beide Bauwerke sind aktuell in die Brückenklasse 30/ 30 eingestuft und weisen zudem unterschiedliche konstruktive Probleme auf. Das Ankündigungsverhalten hinsichtlich Spannungsrisskorrosion der Spannbetonbrücke in Kossenblatt ist vermutlich ungenügend, so dass das Bauwerk zum einen dem Traglastindex V zugeordnet wurde und zum anderen aktuell vertiefte Untersuchen laufen. Der Stabbogen in Fürstenwalde bildet aufgrund der Anordnung von Spannbändern zur Aufnahme des Bogenschubes eine technisch erhaltenswürdige Konstruktion. Die Stahlverbundkonstruktion des anschließenden Archenarms enthält die Unzulänglichkeit eines bisher nicht ausreichend erfassten Stegbeulens und ist deshalb auch zunächst dem Traglastindex V zugeordnet. Auch hierzu werden aktuell detaillierte Untersuchen veranlasst. Bei einer verbalen Zuordnung zur Verkehrsart „Mittlere Entfernung“ und unbeachtet der konstruktiven Mängel wäre die Spreebrücke in Fürstenwalde dem Traglastindex IV und die Spreebrücke in Kossenblatt dem Traglastindex III zuzuordnen. Weiterhin ist die Verkehrsbelastung bei beiden Brücken sehr unterschiedlich. Die L 35 in Fürstenwalde ist eine vielbefahrene, innerstädtische, dreistreifige Landesstraße. Die Brücke befindet sich zudem zwischen zwei stark frequentierten Knotenpunkten zum kommunalen Netz. Die Verkehrsdaten sind dementsprechend mit großen Unsicherheiten behaftet. Die L 443 in Kosssenblatt (unterer Spreewald) in typisch zweistreifiger Ausführung verzeichnet hingegen eine sehr geringe Belastung. Die vorliegenden Verkehrsdaten beziehen sich auf eine weit vom Bauwerk entfernte Zählstelle. Beide Brücken wurden vollständig mit Messtechnik (Dehnungsmessaufnehmer; Videoüberwachung) bestückt und nahezu zwei Jahre überwacht. Gleichfalls wurden an beiden Brücken Belastungsversuche zur Kalibrierung der jeweiligen FE-Modelle durchgeführt. Tabelle 3 Ergebnisse Spreebrücke Fürstenwalde Spreebrücke Fürstenwalde Verfahrens-stufe Ziellastniveau (Bezug Brückenkl.) Anpassungsfaktor α NR in Bezug zum LM1 DIN_FB_101 Stufe 1 a BK 60/ 30 - Stufe 1 b BK 60 - Stufe 1 c BK 60 - Stufe 2 a - - Stufe 2 b BK 60 0,87 Stufe 3 BK 30/ 30 0,70 Tabelle 4 Ergebnisse Spreebrücke Kossenblatt Spreebrücke Kossenblatt Verfahrens-stufe Ziellastniveau (Bezug Brückenkl.) Anpassungsfaktor α NR in Bezug zum LM1 DIN_FB_101 Stufe 1 a BK 60 - Stufe 1 b BK 30/ 30 - Stufe 1 c BK 30/ 30 - Stufe 2 a - - Stufe 2 b BK 60 0,70 Stufe 3 BK 30/ 30 0,56 Unbeachtet der konstruktiven Unzulänglichkeiten würden beide Brücken nach diesen Ergebnissen dem Traglastindex II zuzuordnen sein. Spreebrücke Fürstenwalde • vor der Untersuchung TLI = IV • nach der Untersuchung TLI = II 1 Spreebrücke Kossenblatt • vor der Untersuchung TLI = III • nach der Untersuchung TLI = II 1 Zu beachten ist, dass in der Simulation der Stufe 2 ca. 1,0 % Ersatzfahrzeuge für genehmigungspflichtigen Schwerverkehr enthalten sind und sowohl Stufe 2 als auch Stufe 3 bereits eine Hochrechnung sowie einen jährlichen Ver- 1 ohne Berücksichtigung der konstruktiven Unzulänglichkeiten 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 527 Mehrstufiges Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung von Straßenbrücken kehrszuwachs von 1,1 % beinhaltet und dadurch eine gewisse Robustheit gegenüber Verkehrsschwankungen aufweisen. Auf die Bedeutung des genehmigungspflichtigen Schwerverkehrs wird später noch eingegangen. 7.2 Erprobung des Verfahrens (Stufe 1 a bis 2 a) an sechs weiteren Brücken im Landesstraßennetz Zur Erprobung des Verfahrens wurden sechs weitere Bauwerke im Landesstraßennetz ausgewählt. Unter der verbalen Annahme einer Verkehrsart „Mittlere Entfernung“ sind alle sechs Brücken dem Traglastindex III zuzuordnen. Die Ergebnisse der Stufen 1 a bis 2 a beschreiben sich tabellarisch wie folgt. Tabelle 5 Ergebnisse Pilotstudie L 15 - Brücke Fürstenberg Verfahrens-stufe Ziellastniveau (Bezug Brückenkl.) Anpassungsfaktor α NR in Bezug zum LM1 DIN_FB_101 Stufe 1 a BK 60/ 30 - Stufe 1 b BK 60/ 30 - Stufe 1 c BK 60 - Stufe 2 a BK 60 0,77 L 372 - Brücke Eisenhüttenstadt Verfahrens-stufe Ziellastniveau (Bezug Brückenkl.) Anpassungsfaktor α NR in Bezug zum LM1 DIN_FB_101 Stufe 1 a BK 60 - Stufe 1 b - - Stufe 1 c BK 30/ 30 - Stufe 2 a BK 30/ 30 0,58 L 23 - Brücke Rieplos Verfahrens-stufe Ziellastniveau (Bezug Brückenkl.) Anpassungsfaktor α NR in Bezug zum LM1 DIN_FB_101 Stufe 1 a BK 60 - Stufe 1 b BK 60/ 30 - Stufe 1 c BK 60 - Stufe 2 a BK 30/ 30 0,56 L 63 - Brücke Lauchhammer - Binnengraben Verfahrens-stufe Ziellastniveau (Bezug Brückenkl.) Anpassungsfaktor α NR in Bezug zum LM1 DIN_FB_101 Stufe 1 a BK 60 - Stufe 1 b BK 60/ 30 - Stufe 1 c BK 60/ 30 - Stufe 2 a BK 30/ 30 0,64 L 63 - Brücke Lauchhammer - Schwarze Elster Verfahrens-stufe Ziellastniveau (Bezug Brückenkl.) Anpassungsfaktor α NR in Bezug zum LM1 DIN_FB_101 Stufe 1 a BK 60 - Stufe 1 b BK 60/ 30 - Stufe 1 c BK 60/ 30 - Stufe 2 a BK 60 0,73 L 14 - Brücke Stolpe Verfahrens-stufe Ziellastniveau (Bezug Brückenkl.) Anpassungsfaktor α NR in Bezug zum LM1 DIN_FB_101 Stufe 1 a BK 60/ 30 - Stufe 1 b - - Stufe 1 c BK 60/ 30 - Stufe 2 a BK 30/ 30 0,67 528 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Mehrstufiges Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung von Straßenbrücken Tabelle 6 Vergleich TLI Bauwerk TLI vor der Untersuchung 2 TLI nach der Untersuchung 2 L 15 - Brücke Fürstenberg III (3) III (3) L 372 - Brücke Eisenhüttenstadt III (3) II (2) L 23 - Brücke Rieplos III (3) II (2) L 63 - Brücke Lauchh. - Binnengr. III (3) II (2) L 63 - Brücke Lauchh. - Schw. El. III (3) III (3) L 14 - Brücke Stolpe III (3) II (2) An vier von sechs Bauwerken ergab das Verfahren bis zur Stufe 2 a einen kleineren Traglastindex gegenüber einer verbalen Vorgabe der Verkehrsart „Mittlere Entfernung“. Bei zwei Bauwerken wurde der bestehende Traglastindex bestätigt. 8. Erwarteter Einsatzumfang des Verfahrens beim Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg Insgesamt stellt sich aktuell eine Betroffenheit von 196 Teilbauwerken im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg bei Brücken im Zuge von Landesstraßen und in der Baulast des Landes ein, bei denen das Ziellastniveau anhand des aufgezeigten Verfahrens zu verifizieren wäre. Nach aktueller Bedarfsplanung ergibt sich bei 64 Brücken altersund/ oder zustandsund/ oder bauartbedingt bis 2025 voraussichtlich sowieso ein Ersatz (ERS), eine Teilerneuerung mit Verstärkung (TEmV) oder ein ersatzloser Rückbau. Weitere 100 Brücken sollen bis 2035 folgen. Das mittlere Alter dieser Bauwerksmenge beträgt zurzeit 63 Jahre. Insgesamt verbleiben voraussichtlich nur drei Brücken, die auf Dauer bzw. bis weit nach 2035 zu erhalten sind. 2 ohne Berücksichtigung der konstruktiven Unzulänglichkeiten Bild 16 Verifizierungsbedarf auf Grundlage der Bedarfsplanung Brücken 2021 ff; Arbeitsstand 06/ 2020 Auf Grundlage der Bedarfsplanung wären zunächst die drei Brücken, welche über 2035 erhalten sowie die 29 Brücken, die erst nach 2035 erneuert werden sollen, vorrangig zu untersuchen. Nachfolgend und in Abhängigkeit der Finanz- und Personalressourcen für den Ersatz oder die Teilerneuerung mit Verstärkung (TEmV) der Brücken im Zeitraum von 2026 bis 2035 wären dann zunächst diese 100 Brücken näher zu betrachten. Legt man die Verteilung der Gruppen 1 und 2 nach Tab. 10.3 der Nachrechnungsrichtlinie als Kriterium einer Priorisierung zu Grunde, ständen zunächst 12 Brücken im Vordergrund, deren Verhältniswert unter 1,0 liegt und die somit gegebenenfalls sogar der Verkehrsart „Große Entfernung“ zugeordnet werden müssten. In Abhängigkeit der zurzeit noch laufenden Detailuntersuchungen zur Priorisierung ist davon auszugehen, dass der abschließende Verifizierungsbedarf voraussichtlich ca. 88 bis 132 Brücken betreffen wird. Bis zu welcher Stufe die Verifizierung des Ziellastniveaus dann jeweils durchgeführt wird, kann noch nicht abschließend gesagt werden und hängt letztendlich ebenfalls vom Ergebnis der zurzeit noch laufenden Untersuchungen ab. Zur Einbindung externer Dienstleister - insbesondere zur Durchführung der Stufen 1 b bis 1 c - wurde zudem bereits im Rahmen des Kooperationsprojektes mit der TU Berlin eine entsprechende Handlungsanweisung erarbeitet. Hinzu kommen gegebenenfalls weitere Brücken im Zuge von Bundesstraßen, sofern sich hier eine dringende Notwendigkeit im Abstimmung mit dem BMVI oder neuer Regelwerksvorgaben ergibt. 9. Weiterer wissenschaftlicher Untersuchungsbedarf Einen erheblichen Einfluss auf die Ergebnisse nach Stufe 2 hat die Anzahl von Ersatzfahrzeugen zur Simulation des genehmigungspflichtigen Schwerverkehrs. Objektbezogene Angaben liegen in der Regel deutschlandweit nicht vor, so dass gängig mit Anteilen von 0,1 bis 1,0 % gerechnet wird. Der genehmigungspflichtige Schwerverkehr kann durchaus und je nach Ausprägung seiner Achslasten und seiner Achskonfiguration zu einer normativen Auslastung 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 529 Mehrstufiges Verfahren zur Festlegung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung von Straßenbrücken von 100 % führen. Wie häufig so ein Fall eintritt und mit welcher Wahrscheinlichkeit dann gegebenenfalls auch Überschreitungen der normativen Auslastung verbunden sein könnten, lässt sich derzeit aufgrund fehlender Daten nicht gesichert vorhersagen. Hierzu müssten zunächst die fortlaufend vorliegenden Genehmigungsdaten statistisch erfasst, aufbereitet und ausgewertet werden. Erst auf dieser Grundlage wären verlässlichere Aussagen möglich. Neben der statischen Auslastung eines Bauwerks spielen diese Beanspruchungsszenarien auch eine wesentliche Rolle in der Frage der Ermüdungsfestigkeit einer Brücke. 10. Resümee und Empfehlung Das vorgestellte Verfahren ermöglicht eine sehr genaue Ermittlung des erforderlichen Ziellastniveaus für die Nachrechnung einer Straßenbrücke unter Beachtung der Sicherheit und Wirtschaftlichkeit. Durch seine mehrstufige Ausprägung ist es insbesondere in der Stufe 1 und 2 für eine breite Anwendung im nachgeordneten Netz geeignet. Die Anwendung der Stufe 3 sollte Einzelfällen vorbehalten bleiben. Unabhängig der Nachweisführung für die aktuelle und mittelfristige Situation wird empfohlen, aufgrund der stetigen Zunahme der Fahrzeuggewichte langfristig keine Straßenbrücke im Nutzungsvermögen unterhalb der Brückenklasse 60 nach DIN 1072, Ausgabe 1967 [17] zu belassen. Damit einhergehend ist ein weiterhin notwendig hoher Investitionsbedarf für die Ertüchtigung und Erneuerung der bestehenden Straßeninfrastruktur, speziell der Brücken unabdingbar. Durch die fixen Brückenklassen der ehemaligen DIN 1072 können, bedingt durch die Systematik der globalen Klassenstufen, bei der Ermittlung des zwischenzeitlich nutzbaren Tragvermögens einer Straßenbrücke keine vorhandenen Reserven generiert werden. Sinnvoller wäre hingegen eine vollständige Umstellung aller Nachweise der Nachrechnungsrichtlinie auf einen semiprobabilistischen Ansatz unter ausschließlicher Verwendung eines Anpassungsfaktor α NR für das Ziellastniveau auf Grundlage der Lastmodelle des DIN FB 101 oder der DIN EN 1991-2 + NA. Es wird eine dahingehende Fortschreibung der Nachrechnungsrichtlinie empfohlen. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS): Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand. Ausgabe 05/ 2011. [2] DIN-Fachbericht 101: Einwirkungen auf Brücken. Beuth Verlag. Berlin. März 2009. [3] DIN 1072: 1985: Straßen- und Wegbrücken. Lastannahmen. Beuth Verlag. Dezember 1985. [4] Land Brandenburg: Automatische Straßenverkehrszählungen. Datenauswertung Jahr 2015. Hg. v. Landesbetrieb Straßenwesen [5] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Verkehrsverflechtungsprognose 2030. Schlussbericht (2014). [6] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS): Anweisung Straßeninformationsbank für Ingenieurbauten, Teilsystem Bauwerksdaten (ASB-ING) [7] Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg: Zahlen und Fakten | Landesbetrieb Straßenwesen. Online verfügbar unter https: / / www.ls.brandenburg.de/ sixcms/ detail.php/ bb1.c.313082.de? nav_level=2, zuletzt geprüft am 25.06.2020. [8] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS): Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 (RI-EBW-PRÜF) [9] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Allgemeines Rundschreiben Straßenbau Nr. 09/ 2020. Sachgebiet 05.8: Brücken- und Ingenieurbau; Erhaltung, Bautenschutz. Einführung des Traglastindex; Übergabe der Daten an die Bundesanstalt für Straßenwesen. Bonn. 2020. [10] Geißler, K.; Steffens, N.; Kraus, J. K.: Methodik zur Bestimmung des Ziellastniveaus für Brückenbauwerke im Landesstraßennetz in Ortsdurchfahrten und auf freier Strecke auf der Basis gemessener Lastkollektive. Abschlussbericht. unveröffentlicht. Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren - Stahlbau, TU Berlin. 2019. [11] Lensing, N.: Straßenverkehrszählung 2010 - Methodik. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Verkehrstechnik. Heft V 234. 2013. [12] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS): Technische Lieferbedingungen für Streckenstationen (TLS) 2012. [13] Kraus, J. K.; Geißler, K.: Verkehrslastsimulationen zur Bewertung der Trag- und Ermüdungssicherheit stählerner Straßenbrücken. In: Deutscher Ausschuß für Stahlbau DASt (Hg.): 21. DASt-Forschungskolloquium. TU Kaiserslautern. 2018. [14] Kraus, J. K.: Zur analytischen Herleitung von Verkehrslastmodellen für die Tragfähigkeit und Ermüdung von Straßenbrücken. Dissertation. Technische Universität Berlin. 2020. [15] Steffens, N.: Sicherheitsäquivalente Bewertung von Brücken durch Bauwerksmonitoring. Dissertation. TU Berlin. 2019. [16] Geißler, K.; Steffens, N.; Stein, R.: Grundlagen der sicherheitsäquivalenten Bewertung von Brücken mit Bauwerksmonitoring. Stahlbau 88 (2019). Heft 4 [17] DIN 1072: 1967: Straßen- und Wegbrücken. Lastannahmen. Beuth Verlag. November 1967. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 531 Anprall gegen Pfeiler von Bestandsbauwerken Matthias Bettin TU Dortmund, Dortmund, Deutschland Reinhard Maurer TU Dortmund, Dortmund, Deutschland Dr.-Ing. Andreas Bach Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH Zusammenfassung Der Anprall von Fahrzeugen gegen Pfeiler von Brücken kann bei Bestandsbauwerken eine maßgebliche Gefährdung darstellen. Bei der Bemessung und Konstruktion von Neubauten sowie bei der Nachrechnung von Bestandsbauwerken ist dieser Gefährdung Rechnung zu tragen. Die aktuell gültige Norm in Deutschland für die Lastermittlung infolge Anprall, die DIN EN 1991-1-7 fordert die Bemessung von Unterbauten in der Nähe von Straßen mit statisch äquivalenten Lasten von bis zu 1500 kN in Fahrtrichtung sowie 750 kN senkrecht zur Fahrtrichtung. In den vor Einführung der DIN EN 1991- 1-7 gültigen Regelwerken (u.a. DIN FB 101) waren im Vergleich zur DIN EN 1991-1-7 abweichende Bemessungslasten enthalten. Die maximalen statisch äquivalenten Anpralllasten betrugen in Fahrtrichtung 1000 kN bzw. senkrecht zur Fahrtrichtung 500 kN. Die Einführung der DIN EN 1991-1-7 hat somit eine Erhöhung der Bemessungslast von 50% zur Folge. Neben einer Bemessung mittels quasistatischer Ersatzkraft sind Brückenunterbauten zusätzlich durch besondere Maßnahmen in Form einer abweisenden Leiteinrichtung oder eines Betonsockels zu schützen. Darüber hinaus ist konstruktiv die Ausbildung einer Zerschellschicht erforderlich. Zusätzlich sind die Anforderungen der Richtlinie für passive Schutzsysteme zu berücksichtigen. Eine einheitliche Bewertung von bestehenden Bauwerken, die nicht nach den aktuellen Regelwerken geplant und gebaut wurden, erfolgt nach der Nachrechnungsrichtlinie. Sie enthält derzeit noch keine Regelungen für den Anprall an Brückenunterbauten. Insbesondere die Normung in der Schweiz enthält sehr differenzierte Ansätze zur Anprallbemessung, die als Basis für ein Nachweiskonzept bei Bestandsbauwerken geeignet erscheinen. 1. Problemstellung Der Anprall von Fahrzeugen gegen Pfeiler von Brücken stellt eine maßgebliche Gefährdung dar. Durch den Anprall wird der betroffene Pfeiler, gleichzeitig zur vertikalen Belastung aus dem Überbau, horizontal durch die Stoßeinwirkung beansprucht. Versagt dabei der Pfeiler wird dem Überbau somit sein Auflager entzogen. Sofern der Überbau nicht im Stande ist durch Tragreserven und Lastumlagerungen eine neue Gleichgewichtslage einzunehmen, kommt es im äußersten Fall zu einem Einsturz des Überbaus. Beispiele für dieses Szenario sind die Einstürze der Brücke über die A2 in Dortmund im Jahre 1979 sowie der Brücke über den mittleren Ring in München im Jahre 1981. Bei der Bemessung und Konstruktion eines Bauwerks ist dieser Gefährdung Rechnung zu tragen. Regelungen hierzu sind in den aktuellen sowie vormals gültigen Regelwerken enthalten. Die aktuell gültige Norm in Deutschland für die Lastermittlung infolge Anprall, die DIN EN 1991-1-7 fordert die Bemessung von Unterbauten in der Nähe von Straßen mit statisch äquivalenten Lasten von bis zu 1500 kN in Fahrtrichtung sowie 750 kN senkrecht zur Fahrtrichtung. Abbildung 1 Einsturz von Brückenbauwerken als Folge eines Anpralls [1]. 532 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Anprall gegen Pfeiler von Bestandsbauwerken In den vor Einführung der DIN EN 1991-1-7 gültigen Regelwerken (u.a. DIN FB 101) waren im Vergleich zur DIN EN 1991-1-7 abweichende Bemessungslasten enthalten. Die maximalen statisch äquivalenten Anpralllasten betrugen in Fahrtrichtung 1000 kN bzw. senkrecht zur Fahrtrichtung 500 kN. Die Einführung der DIN EN 1991-1-7 hat somit eine Erhöhung der Bemessungslast von bis zu 50% zur Folge. Neben einer Bemessung mittels quasistatischer Anprallkraft sind Brückenunterbauten durch besondere Maßnahmen in Form einer abweisenden Leiteinrichtung oder eines Betonsockels zu schützen. Darüber hinaus ist konstruktiv die Ausbildung einer Zerschellschicht.erforderlich, da das Bauwerksverhalten für die dynamischen Einwirkungen beim Anprall auch sehr stark lokal durch Rissbildung, Abplatzungen und Plastizierung im Aufprallbereich beeinflusst wird. Zusätzlich sind die Anforderungen der Richtlinie für passive Schutzsysteme zu berücksichtigen. Eine einheitliche Bewertung von bestehenden Bauwerken, die nicht nach den aktuellen Regelwerken geplant und gebaut wurden, erfolgt nach der Nachrechnungsrichtlinie. Sie enthält derzeit noch keine Regelungen für den Anprall an Brückenunterbauten. 2. Stand der Technik - Normung in Deutschland DIN EN 1990 [6] verfolgt das Konzept der Klassen für Schadensfolgen, die die Konsequenzen aus dem Ausfall eines Teils oder der gesamten Tragstruktur eines Bauwerks beschreiben. Es ist unmöglich, ein Risiko gänzlich auszuschließen und teilweise ist es nicht vermeidbar, ein bestimmtes Restrisiko zu akzeptieren, das von verschiedenen Faktoren, wie beispielsweise dem Verlust von Menschenleben oder sozialökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten bestimmt wird. DIN EN 1991-1-7 verfolgt zwei Strategien, um diese Risiken zu minimieren. Die erste Strategie verfolgt das Ziel Gefährdungen zu identifizieren, die zweite besteht darin die Folgen aus einem lokalen Versagen zu begrenzen. Für Brücken werden folgende Ereignisse in Betracht gezogen: - Anprall von Straßenfahrzeugen, Zügen oder Schiffen an Pfeiler, Überbauten oder andere tragende Elemente - Feuer durch kollidierende Lastwagen mit entflammbaren Gütern - Überlastung durch ein unzulässig schweres Fahrzeug Im Allgemeinen empfiehlt DIN EN 1991-1-7 Strategien für Unfallsituationen auf der Grundlage der Klassen der Schadensfolgen zu entwickeln und Brückenbauwerke mehrheitlich als Klasse CC2 zu definieren. CC2 Brücken werden mit einer vereinfachten Nachweisform, d.h. mit einer äquivalenten statischen Ersatzlast auf Anprall bemessen. Für CC3 Strukturen, die ein erhöhtes Gefährdungspotenzial aufweisen, kann es notwendig sein, eine Risikoanalyse und verfeinerten Methoden wie beispielweise eine dynamische Analyse in Verbindung mit nicht-linearen Verfahren anzuwenden, um die Wechselwirkungen zwischen der dynamischen Einwirkung und der Struktur zu beurteilen. 2.1 Stoßvorgang In der DIN EN 1991-1-7 wird zwischen einem harten und weichen Stoß differenziert. Bei einem harten Stoß wird die Energie hauptsächlich durch den kollidierenden Körper abgeleitet, während sich bei einem weichen Stoß die Struktur verformt und so die Aufprallenergie absorbiert. Ein harter Stoß verformt den kollidierenden Körper, ein weicher verformt die Struktur. Es sei darauf hingewiesen, dass in der einschlägigen Fachliteratur eine gegensätzliche Definition der beiden Stoßarten üblich ist. Im Folgenden wird die Definition des Eurocodes verwendet, bei dem „hart“ oder „weich“ jeweils das Verhalten des Bauwerks charakterisiert und nicht des Anprallobjekts. Bei Stützen ist eine Definition des vorherrschenden Stoßphänomens (hart oder weich) nicht eindeutig abzugrenzen. Da sich sowohl das Anprallobjekt (Fahrzeug) als auch das Tragwerk lokal im Anprallbereich plastisch verformen kann, siehe hierzu auch die Versuche von Popp. Es herrscht also in Abhängigkeit von der Querschnittsausbildung des Pfeilers eine Kombination aus hartem und weichem Stoß vor. 2.2 Äquivalente statische Anprallkraft Neben der lokalen Zerstörung des Betons im unmittelbaren Stoßbereich erfolgt eine globale Beanspruchung des gestoßenen Bauteils, die mit Hilfe einer quasistatischen Horizontalkraft ermittelt werden kann. Beim Bauwerk ist eine Kombination von globalen und lokalen Verhalten zu berücksichtigen. Die Einführung der Eurocodes (DIN EN 1991-1-7) führte zu einer Erhöhung der äquivalenten statischen Ersatzlasten für die Anprallkräfte von nun 1500 kN in Fahrrichtung und 750 kN quer zur Fahrtrichtung anstelle der bisherigen 1000 kN und 500 kN. Einen Überblick über die für den Anprall abirrenden Straßenfahrzeuge anzusetzenden Ersatzkraftgrößen gibt. Die Anprallkräfte F dx und F dy sind nicht gleichzeitig wirkend anzusetzen. Bis auf die Kraftgrößen für „Straßen außer Orts“, für von PWK befahren Verkehrsflächen in sowie der Grenzziehung der Eigengewichte für PKW (nunmehr 30 kN, zuvor 25 kN) sind zu keine Veränderungen eingetreten. Der Angriffspunkt der Last wirkt bei LKW h = 1,25 m und bei PKW h = 0,5 m über Gelände. Im Falle von Pfeilern ist die vereinfachende Einordnung ob ein harter oder weicher Stoß als Grenzfall vorliegt nicht einfach zu wählen. Je nach Struktur und Größe des Fahrzeugs und Ausbildung des Tragwerks kommt es im Anprallbereich zu einer stärkeren Verformung sowohl der Stütze des Tragwerks als auch des Fahrzeugs. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 533 Anprall gegen Pfeiler von Bestandsbauwerken Tabelle 1 Äquivalente statische Anprallkräfte aus Straßenfahrzeugen [9] 2.3 Zusätzliche Schutzmaßnahmen Die Stützen und Pfeiler von Brücken über Straßen sind zusätzlich zur Bemessung auf Anprall von Kraftfahrzeugen durch besondere Maßnahmen zu sichern. Als besondere Maßnahmen gelten abweisende Leiteinrichtungen, die in mindestens 1,00 m Abstand von den zu schützenden Bauteilen vorzusehen sind, oder Betonsockel unter den zu schützenden Bauteilen, die mindestens 0,8 m hoch sind und parallel zur Fahrrichtung mindestens 2,00 m und rechtwinklig dazu mindestens 0,5 m über der Außenkante dieser Bauteile hinausragen. Auf besondere Maßnahmen darf innerhalb geschlossener Ortschaften mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung von ≤ 50 km/ h sowie neben Gemeinde- und Hauptwirtschaftswegen verzichtet werden. Zusätzlich ist die Richtlinie für passive Schutzeinrichtungen an Straßen zu berücksichtigen. Über die Notwendigkeit einer passiven Schutzeinrichtung entscheidet der kritische Abstand zur Gefahrenstelle. 534 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Anprall gegen Pfeiler von Bestandsbauwerken Abbildung 2 Formen für einen Anprallschutz Ausgehend von dem Grundsatz, dass dem Schutz unbeteiligter Dritter eine besondere Bedeutung zukommt, gilt für schutzbedürftige Bereiche der erweiterte Abstand AE und für Hindernisse der Abstand A. Nach DIN EN 1991-1-7/ NA: 2010-12 bemessene oder nach DIN EN 1992-2 / NA: ausgebildete Stützen/ Pfeiler an Seiten- und Mittelstreifen gelten, entweder aufgrund der Querschnittsabmessung oder durch die Bemessung auf Anprall, immer als nicht einsturzgefährdet und werden daher als Hindernis deklariert. Für vorschriftsmäßig ausgeführte Unterbauten ist daher der Abstand A maßgebend. Grundsätzlich ist die Schutzeinrichtung so zu wählen, dass der Wirkungsbereich kleiner oder gleich dem Abstand zwischen der Vorderkante der Schutzeinrichtung und der Vorderkante der Gefahrenstelle ist. Der Abstand der Vorderkante der Schutzeinrichtung von der Bezugslinie sollte 0,5m nicht unterschreiten. Ist der maßgebliche Abstand kleiner oder gleich der kritischen Abstände, so ist mit Hilfe eines Ablaufdiagramms in Abhängigkeit von der zulässigen Geschwindigkeit zu entscheiden, ob eine Schutzeinrichtung erforderlich ist und welche Aufhaltestufe diese mindestens aufweisen muss. Im Falle von Brückenunterbauten ist die Gefährdungsstufe (3) maßgebend. Dies beinhaltete Hindernisse mit besonderer Gefährdung von Fahrzeuginsassen z.B. nicht verformbare flächenhafte Hindernisse senkrecht zur Fahrtrichtung (Anprallsockel von Verkehrszeichenbrücken aus Beton), sowie nicht verformbare punktuelle Einzelhindernisse. Abbildung 3 kritische Abstände zum Wirkungsbereich für Straßen mit V zul > 100 km/ h und für Autobahnen und autobahnähnliche Straßen mit V zul ≤ 100 km/ h 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 535 Anprall gegen Pfeiler von Bestandsbauwerken In Mittelstreifen von zweibahnigen Straßen mit V zul > 50 km/ h sind aufgrund des Gefährdungspotentials grundsätzlich durchgängig Schutzeinrichtungen der Aufhaltestufe H2 aufzustellen. In Bereichen mit erhöhter Abkommenswahrscheinlichkeit für LKW und einem DTV(SV) > 3000 Kfz/ 24 h ist die Aufhaltestufe H4b vorzusehen. In Seitenstreifen von zweibahnigen Straßen mit V zu l > 50 km/ h sind durchgängig Schutzeinrichtungen der Aufhaltestufe H1 anzuordnen. In Bereichen mit besonderer Gefährdung Dritte (z. B. Tank- und Rastanlagen an Autobahnen oder einsturzgefährdete Bauwerke) und einem DTV(SV) > 3000 Kfz/ 24 h ist eine Aufhaltestufe H2 erforderlich. Besteht zusätzlich eine erhöhte Abkommenswahrscheinlichkeit (Lkw) ist die Aufhaltestufe auf die Klasse H4b zu erhöhen. Abbildung 4 Ablaufdiagramm für Mittel- und Seitenstreifen Bei Anordnung von zwei einseitigen Schutzeinrichtungen mit getrennter Wirkung darf die zweite Schutzeinrichtung nicht im Wirkungsbereich der ersten Schutzeinrichtung stehen (bei unterschiedlichen Wirkungsbereichen ist der größere maßgebend). Diese Einschränkung gilt nicht für einseitige Schutzeinrichtungen, die in einer Anprallprüfung nach DIN EN 1317-2 [10] nachgewiesen haben, dass sie im Verbund miteinander wirken. Wenn sich Gefahrenstellen innerhalb des kritischen Abstandes befinden und die erforderlichen Längen nicht eingehalten werden, können Anpralldämpfer erforderlich werden 536 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Anprall gegen Pfeiler von Bestandsbauwerken Abbildung 5 Ablaufdiagramm Gefährdungsstufen Fehler! 2.4 Fälle, in denen keine Anprallbemessung erforderlich ist Eine Bemessung auf Anprall ist dann nicht erforderlich, wenn bestimmte Grenzabmessungen von Pfeilern und anderen stützenden Bauteilen gemäß DIN EN 1992-2 / NA: nicht unterschritten werden: 1) massive Stützen und Scheiben l ≥ 1,60 (in Fahrrichtung) b= 1,6 - 0,2 l ≥ 0,9 m 2) volle runde bzw. ovale Stützen l ≥ 1,60 + x (in Fahrrichtung) b ≥ 1,6 - x l ≥ 1,20 m 3) Hohlpfeiler Mindestwanddicke ≥ 0,60 m 2.5 2.6 Konstruktive Durchbildung anprallgefährdeter Stützen Werden diese Grenzabmessungen unterschritten, so ist eine bewehrte Zerschellschicht entsprechend dem Anhang NA.VV in auszubilden (Abbildung 6): - Zerschellschichtstärke 12,5 cm - Längsbewehrung 2-lagig bis mindestens 2,0 m über Anprallbereich ungestoßen ausbilden - Umschließung der inneren und äußeren Längsbewehrung mittels Bügeln oder Wendel Ø 12mm 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 537 Anprall gegen Pfeiler von Bestandsbauwerken Abbildung 6 Ausbildung der Zerschellschicht Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. Die Regelung zur Ausbildung einer Zerschellschicht wurde 1967 in der DIN 1072 erstmalig normativ verankert. Die damals geforderte Zerschellschichtstärke von 10 cm sowie die konstruktive Bügelbewehrung von Ø12/ 120 blieb bis zur Einführung von unverändert. 3. Evolution der Normung für Anpralllasten Die Anpralllasten sind in der Einwirkungsnorm DIN EN 1991-1-7 geregelt Abbildung 7 Evolution der Normung [11] Ihren Ursprung besitzt die derzeitig gültige DIN EN 1991-1-7: 2010-12 in der im Jahre 1998 herausgegebenen europäischen Vornorm ENV 1991-2-7, welche erstmalig für den europäischen Raum die außergewöhnlichen Einwirkungen in einer einzigen Norm zusammenfasste. Gleichzeitig resultierte aus dieser Vornorm ein Konzept für eine nationale deutsche Norm für außergewöhnliche 1 War im Bundesfernstraßenbereich nicht eingeführt (Gem. ARS 10/ 2003 wurde das ARS 1/ 1986, mit welchem die DIN 1072 -12/ 85 im Fernstraßenbereich eingeführt wurde durch FB 101: 2003 abgelöst). Einwirkungen, die DIN 1055-9: 2003-08 deren Inhalte zuvor nicht existent oder in unterschiedlichsten Regelwerken wie DS 804, DIN 1072, DIN 1075 und DIN 1055-3 zu fi nden waren. Nachdem Mitte des Jahres 2006 DIN EN 1990 in die Musterliste der technischen Baubestimmungen aufgenommen worden war, fand die bauaufsichtliche Einführung am 01.01.2007 statt. Gleichzeitig vollzog sich eine Weiterentwicklung der ENV 1991-2-7 zur EN 1991-1-7: 2006 auf europäischer Ebene. DIN EN 1991-1-7 datiert in einer frühen Fassung auf 2007-02, wobei auch Regelungen aus nationalen Normen Eingang fanden. Mit Blick auf den europäisch vereinbarten Stichtag zur Veröffentlichung der Eurocodes, dem 01.01.2011, wurde ein Nationaler Anhang ausgearbeitet. Dieser Nationale Anhang repräsentiert viele bereits mit DIN EN 1990 praktizierte nationale Konventionen. Zusammen mit einer europäischen erarbeiteten Berichtigung zur EN 1991-1-7, AC: 2010 wurde DIN EN 1991-1-7: 2010-12 sowie der zugehörige Nationale Anhang NA: 2010-12 vom DIN publiziert. 3.1 Entwicklung der deutschen Normen für Anpralllasten Die Entwicklung der deutschen Regelungen im Einwirkungsbereich für die Anpralllasten, hat sich in den folgenden Normen vollzogen: - DIN 1072 - September 1944 [1] - DIN 1072 - Juni 1952 DIN 1072 - November 1967 DIN 1072 - Dezember 1985 DIN 1055- 9 - August 2003 1 DIN Fachbericht 101 (2001 1 , 2003 F und 2009 DIN EN 1991-1-7/ NA, Entwurf, Februar 2008 1 DIN EN 1991-1-7/ NA Dezember 2010 Tabelle 2 gibt eine Übersicht zur Entwicklung der anzusetzenden Anprallast und der ggf. zusätzlichen Bestimmung zur Anordnung von Schutzeinrichtungen. Die normativ geforderte Belastung kann bis ins Jahr 1944 zurückverfolgt werden. Bereits damals war der Nachweis auf Anprall mit einer statischen Ersatzlast von 100 to (1000 kN) in Längs- und Querrichtung zu erbringen. Es ist zu vermuten, dass diese Werte im Wesentlichen auf Empirie basieren. Eine genaue Quelle, welche die 100 to begründet, kann bislang nicht ausgemacht werden. Deutlich zu erkennen ist, dass die anzusetzende Anpralllast seit 1944 bis zum Stichtag dem 01.01.2011 in außerörtlichen Bereichen durchweg längs 1000 kN (= 100 to = 100Mp) und quer 500 kN (=50 to = 50 Mp) betragen hat. Eine Ausnahme stellt der Entwurf der DIN EN 1991-1-7/ NA: 2008-02 mit einer statischen Ersatzlast von 1800 kN dar. Auch wenn diese letztlich nicht in die Norm aufgenommen 538 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Anprall gegen Pfeiler von Bestandsbauwerken wurde, so ist der Betrag dieser Ersatzlast insofern interessant, als dass dieser Wert von 1800 kN gemäß in den USA als statische Ersatzlast für eine Anprallbemessung dient und in einem Realversuch ermittelt wurde. Ein direkter Zusammenhang scheint möglich, ist jedoch nicht belegt. Für den innerörtlichen Bereich sind hingegen bezüglich des Lastansatzes sowohl für die Längsals auch die Querrichtung Schwankungen erkennbar. Interessant ist die Entwicklung der Interaktion zwischen der Nachweisführung und der Anordnung von Schutzmaßnahmen. So konnte in 1 War im Bundesfernstraßenbereich nicht eingeführt (Gem. ARS 10/ 2003 wurde das ARS 1/ 1986, mit welchem die DIN 1072 -12/ 85 im Fernstraßenbereich eingeführt wurde durch FB 101: 2003 abgelöst). 2 Gilt nicht für DIN FB 101 - 2009 den Jahren 1944 - 1952 auf einen Nachweis für Anprall bei der Anordnung von nicht weiter definierten Schutzvorrichtungen verzichtet werden. Im Jahre 1967 werden erstmalig konkrete geometrische Anforderungen an die Schutzeinrichtungen gestellt, die bis heute Bestand haben. Ab 1972 waren diese geometrischen Anforderungen zwingend zusätzlich erforderlich und stellten ab diesem Zeitpunkt kein Kriterium für den Entfall einer Nachweisführung für Anprallasten dar. Die RPS findet erstmalig 2003 Einzug in den Normtext. Tabelle 2 Entwicklung der Lastansätze und Regelungen für Schutzvorrichtungen DIN Zerschellschichtstärke konstruktive Durchbildung der Zerschellschichtbewehrung Anmerkungen DIN 1075; 1955 keine konstruktive Regelung vorgesehen - DIN 1072; 1967 10 cm Bügel Ø12/ 120 Baustoffanforderung: Betonstahl I, B300 Richtlinien für die Bemessung und Ausführung massiver Brücken; 1973 10 cm Bügel Ø12/ 120 Baustoffanforderung: Betonstahl 22/ 34 oder 42/ 50, Bn250 DIN 1075; 1981 10 cm Bügel Ø12/ 120 Baustoffanforderung: Betonstahl 220/ 340 oder 420/ 500 B35 DIN 1055-9; 2003 1 2 10 cm Bügel Ø12/ 120 Nachweis gegen Anprall kann durch geometrische Grenzabmessungen (analog DIN EN 1992-1-7/ NA 2010) entfallen DIN FB 102 2003 u. 2009 10 cm Bügel Ø12/ 120 - DIN EN 1992 - 2/ NA 2013 12,5 cm Bügel Ø12/ 100 Nachweis gegen Anprall kann durch geometrische Grenzabmessungen (analog DIN EN 1992-1-7/ NA 2010) entfallen 3.2 Entwicklung der deutschen Normen für den Bemessungsbereich Die Entwicklung der deutschen Regelungen im Bemessungsbereich vollzog sich in den folgenden Normen: - DIN 1075 - April 1955 DIN 1072 - November 1967 (Kommentar zur Bemessung in Lastnorm enthalten) Richtlinie für die Bemessung und Ausführung massiver Brücken - August 1973 (Ersatz für DIN 1075 - April 1055 DIN 1075 - Ausgabe April 1981 [23] 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 539 Anprall gegen Pfeiler von Bestandsbauwerken - DIN 1055- 9 - August 2003 1 (Kommentar zur Bemessung in Lastnorm enthalten) FDIN Fachbericht 102 (2003 [24] und 2009 [25]) - DIN EN 1992-2/ NA: 2013-04, Nationaler Anhang Betonbrücken Die Recherche zur Normung im Bemessungsbereich geht bis in das Jahr 1955 zurück. Es ist zu konstatieren, dass bis zum Jahr 1967 keine konstruktiven Regellungen für die Durchbildung von auf Anprall zu bemessenden Stützen und Pfeilern er- 1 War im Bundesfernstraßenbereich nicht eingeführt (Gem. ARS 10/ 2003 wurde das ARS 1/ 1986, mit welchem die DIN 1072 -12/ 85 im Fernstraßenbereich eingeführt wurde durch FB 101: 2003 abgelöst). wähnt werden. Erst auf Grundlage der 1965 durchgeführten Anprallversuche unter der Leitung von Camillo Popp [7] wird die bauliche Durchbildung einer Zerschellschicht von 10 cm Stärke in DIN 1072 - November 1967 manifestiert. Diese vorgeschriebene Zerschellschichtausbildung bleibt unter Berücksichtigung einer Anpassung der jeweils normativ gültigen Baustoffe zwischen den Jahren 1967 und 2011 unverändert. Tabelle 3 Entwicklung der Zerschellschichtausbildung DIN Zerschellschichtstärke konstruktive Durchbildung der Zerschellschichtbewehrung Anmerkungen DIN 1075; 1955 keine konstruktive Regelung vorgesehen - DIN 1072; 1967 10 cm Bügel Ø12/ 120 Baustoffanforderung: Betonstahl I, B300 Richtlinien für die Bemessung und Ausführung massiver Brücken; 1973 10 cm Bügel Ø12/ 120 Baustoffanforderung: Betonstahl 22/ 34 oder 42/ 50, Bn250 DIN 1075; 1981 10 cm Bügel Ø12/ 120 Baustoffanforderung: Betonstahl 220/ 340 oder 420/ 500 B35 DIN 1055-9; 20032 10 cm Bügel Ø12/ 120 Nachweis gegen Anprall kann durch geometrische Grenzabmessungen (analog DIN EN 1992-1-7/ NA 2010) entfallen DIN FB 102 2003 u. 2009 10 cm Bügel Ø12/ 120 - DIN EN 1992 - 2/ NA 2013 12,5 cm Bügel Ø12/ 100 Nachweis gegen Anprall kann durch geometrische Grenzabmessungen (analog DIN EN 1992-1-7/ NA 2010) entfallen 4. Normung in der Schweiz - SIA 261 SN 505261 (2014-00-00) - Ergänzung zur Norm SIA 261 (2005) Für die Ausarbeitung eines Vorschlags für ein Nachweiskonzept das für die Nachrechnungsrichtlinie geeignet ist, erfolgte zunächst eine Recherche entsprechender Regelungen auf internationaler Ebene. Besonders vielversprechend erschien dabei das Schweizer Regelwerk. Die in der Schweiz anzusetzenden statischen Ersatzkräfte für den Anprall, die im Rahmen einer Grundlagenermittlung festlegt wurden, sind in der Norm SIA 261/ 2014 D - Einwirkungen auf Tragwerke - angegeben [26]. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf eine Ergänzung zur SIA 261. Diese Ergänzung - Anprall von Straßenfahrzeugen auf Bauwerksteile von Kunstbauten (2005) - ermöglicht eine weitaus differenziertere Bestimmung der statischen Ersatzkraft für den Anprall unter Berücksichtigung von Einflussfaktoren wie z.B. Abstand des Tragwerks von der Straße, Verkehrsaufkommen oder bestehende Schutzeinrichtungen. Die Ergänzung ist grundsätzlich für Neubauten gültig. Zusätzlich sind Kriterien zur Beurteilung der Tragsicherheit bestehender Bauwerke in Bezug auf die durch den Anprall von Schwerlastverkehr hervorgerufenen Einwirkungen angegeben. 540 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Anprall gegen Pfeiler von Bestandsbauwerken Der Anprall von Straßenfahrzeugen ist zu berücksichtigen, wenn sich das gefährdete Bauteil in einer Entfernung bis zu einem bestimmten Abstand vom Fahrbahnrand befindet, bei der eine Gefährdung durch Anprall gegeben ist. Abhängig vom Straßentypus und der zulässigen Geschwindigkeit betragen diese Abstände zum Fahrbahnrand: - 10 m bei Autobahnen, Auto- und Außerortsstraßen mit Verkehrsgeschwindigkeiten ≥ 80 km/ h - 3 m bei Innerortsstraßen mit einer Verkehrsgeschwindigkeit von 50 bzw. 60 km/ h Diese „Grenzdistanzen“ stammen aus einer Untersuchung der „American Association of State Highway and Transportation Officials“ (AASHTO) [20]. Abbildung 8 zeigt eine Wahrscheinlichkeitsverteilung für die seitliche Distanz in der, mit von der Straße abgekommenen Fahrzeugen zu rechnen ist. Die angegebene Verteilung basiert auf Beobachtungen von abgeirrten Fahrzeugen in vergleichsweise ebenen Mittelstreifen von Autobahnen. Sie ist jedoch nicht vollständig statistisch abgesichert. Die teils hypothetisch angenommene Wahrscheinlichkeitsverteilung ergibt, dass eine Abirrdistanz von 10 m bei weniger als 20% aller Unfälle erreicht bzw. überschritten wird. Abbildung 8 Wahrscheinlichkeitsverteilung der seitlichen Abirrdistanz in ebenen Mittelstreifen von Autobahnen nach AASHTO [26] 4.1 Ausgangswerte der Anprallkraft Zur Ermittlung eines Bemessungswerts für die Anprallkraft gibt die Richtlinie Ausgangswerte vor. Ausgehend davon kann mittels einer Gleichung, der Bemessungswert bestimmt werden. Der relevante Wert für Straßen außerorts ist mit 1500 kN identisch zur Vorgabe nach Tab. NA.2-4.1 des nationalen deutschen Anhangs. Die Schweizer Richtlinie bietet jedoch bei Erfüllung gewisser Voraussetzung die Möglichkeit der Lastreduktion. Für den frontalen Anprall an Stützen und den seitlichen Anprall an Wände ist die Anprallkraft horizontal auf einer rechteckigen Fläche von 0,40 m auf 1,50 m (bzw. Bauteilbreite, falls kleiner) wirkend anzusetzen. Diese Krafteinwirkung ist sowohl für den Anprall von Fahrzeugen sowie für den Anprall von Fahrzeugaufbauten und Ladungen anzunehmen. - Beim frontalen Anprall an Stützen ist die Anprallkraft unter einem Winkel α zwischen 0 und 30°, ausgehend von der Straßenachse (x-Richtung), anzunehmen. Maßgebend ist der für die Bemessung ungünstigste Anprallwinkel α. - Beim seitlichen Anprall an Wände ist die Anprallkraft in y-Richtung wirkend anzunehmen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 541 Anprall gegen Pfeiler von Bestandsbauwerken Tabelle 4 Ausgangswerte zur Bestimmung der Bemessungswerte der Anprallkraft bei Autobahnen und Autostraßen sowie Außerortsstraßen mit v = 80 km/ h [26] Abbildung 9 Übersicht Anprall von Fahrzeugen [26] Aus einer französischen Studie - Accidents avec Sortie de Chaussée en Terre-Plein Central sur Autoroutes de Liaison (1987) - ging hervor, dass der Winkel, unter dem Fahrzeuge abirren, nur bei 10% der Unfälle mehr als 30° beträgt. Gemäß den Resultaten der Studien, sind Abirrwinkel mit mehr als 30° sogar nur in 5% der Fälle zu erwarten. Abbildung 10 zeigt die so festgestellte Verteilung der Anprallwinkel an die Schutzeinrichtungen im Mittelstreifen. Abbildung 10 Wahrscheinlichkeitsverteilung der Anprallwinkel an Schutzeinrichtungen im Mittelstreifen von Autobahnen [26] 4.2 Bemessungswerte der Anprallkraft Einwirkungen in Folge von Fahrzeuganprall sind als außergewöhnliche Einwirkungen (γ f = 1,0) zu behandeln. Die angegebenen Anprallkräfte können daher betragsmäßig unmittelbar als Bemessungswerte berücksichtigt werden. Bei Autobahnen und Autostraßen sowie bei Ausserortsstraßen mit einer Verkehrsgeschwindigkeit v = 80 km/ h wird der Bemessungswert der Anprallkraft Q d aus den Ausgangswerten mittels Reduktions- und Erhöhungsfaktoren wie folg ermittelt: Q d = Q o ∙ ψ s ∙ ψ v ∙ψ r Ausgangswert zur Bestimmung des Bemessungswerts der Anprallkraft [kN] 542 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Anprall gegen Pfeiler von Bestandsbauwerken Reduktionsfaktor zur Berücksichtigung der Distanz des Tragwerks vom Fahrbahnrand Erhöhungsfaktor zur Berücksichtigung des Verkehrsaufkommens Reduktionsfaktor zur Berücksichtigung von Fahrzeugrückhaltesystemen Einfluss der Distanz des Tragwerks vom Fahrbahnrand Der Reduktionsfaktor ψ s zur Berücksichtigung der Distanz des Tragwerks vom Fahrbahnrand wird gemäß dem Diagramm in Abbildung 11 bestimmt. Maßgebend ist dabei der Abstand s o bei ebenem Gelände neben der Fahrbahn. Für Tragwerke mit einem Abstand s o > 10 m muss die Gefährdung durch Fahrzeuganprall nicht berücksichtigt werden (ψ s = 0). Abbildung 11 Reduktionsfaktor ψs zur Berücksichtigung der Distanz des Tragwerks vom Fahrbahnrand [26] Im Fall von neben der Fahrbahn ansteigenden oder abfallenden Böschungen wird die zur Ermittlung des Reduktionsfaktors ψ s maßgebende Distanz s o mit Hilfe des folgenden Diagramms aus der Distanz s und der Böschungsneigung bestimmt (Ablesebeispiel: s= 7m, abfallende Böschung mit Neigung 1: 2 → s o = 4,50 m). Abbildung 12 Diagramm zur Bestimmung der für ebenes Gelände maßgebenden Distanz so aus der Distanz und der Böschungsneigung [[26] 4.3 Einfluss des Verkehrs Der Erhöhungsfaktor ψv zur Berücksichtigung des Verkehrsaufkommens, kann dem Diagramm in Abbildung 13 entnommen werden. Er ist abhängig vom durchschnittlichen täglichen Verkehr (DTV) und vom Anteil des Schwerverkehrs (ASV) am Gesamtverkehr. Bei einem mittleren ASV beträgt der Anteil der Schweren Lastfahrzeuge am Gesamtverkehr 6%. Das Diagramm, zeigt den Bereich zwischen einem kleinen Schwerverkehrsanteil (ASV = 3%) und einem großen Anteil Schwerverkehr (ASV = 9%). Abbildung 13 Erhöhungsfaktor ψ v zur Berücksichtigung des Verkehrs [26] 4.4 Einfluss von Fahrzeugrückhaltesystemen Durch die Anordnung von Fahrzeugrückhaltesystemen können von der Straße abirrende schwere Lastfahrzeuge ganz oder teilweise zurückgehalten bzw. umgelenkt werden. Daher besteht für ein hinter einem Fahrzeugrückhaltesystem liegendes Tragwerkteil die Möglichkeit der Anpralllastreduktion. Die Höhe dieser Reduktion ist dabei von der Rückhaltewirkung des Systems und von der Distanz des Rückhaltesystems zum gefährdeten Bauteil abhängig. Betonschutzwände sowie Betonsockel, die gemäß der geltenden Norm ausgeführt werden, sind starre Fahrzeugrückhaltesysteme, welche auch beim Anprall schwerer Lastfahrzeuge praktisch nicht deformiert und kaum durchbrochen werden. Bei Tragwerken, welche durch Betonschutzwände oder Betonsockel geschützt sind, darf der Nachweis gegen einen Fahrzeuganprall daher entfallen (ψ r = 0). Für Fahrzeugrückhaltesysteme aus Stahl kann der Reduktionsfaktor ψ r mit Hilfe des folgenden Diagramms in Abbildung 14 in Abhängigkeit von der Rückhaltestufe ermittelt werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 543 Anprall gegen Pfeiler von Bestandsbauwerken Abbildung 14 Reduktionsfaktor ψ r zur Berücksichtigung von Fahrzeugrückhaltesystemen [26] 5. Zusammenfassung Mit Einführung der Eurocodes (DIN EN 1991-1-7) erfolgte eine Erhöhung der äquivalenten statischen Ersatzlasten für die Anprallkräfte gegen Pfeiler von bisher 1000 kN auf nun 1500 kN in Fahrrichtung und von bisher 500 kN auf 750 kN quer zur Fahrtrichtung. Diese Erhöhung kann Auswirkungen bei der Bewertung von Bestandsunterbauten auf der Grundlage einer Nachrechnung haben, wenn diese für die neue Bemessungslast nicht mehr nachweisbar sind. Eine Literaturrecherche ergab, dass hinsichtlich der Evolution der anzusetzenden statisch äquivalenten Anpralllasten, die normativ geforderte Belastung spätestens seit dem Jahr 1944 mit 100 to (1000 kN) in Längs- und 50 to in Querrichtung betrug. Bis zur Einführung der DIN EN 1991-1-7/ NA: 2010-12 erfuhr diese für die außerörtlichen Bereiche keine Änderung. Eine wissenschaftlich basierte Grundlage für die 100 to Anpralllast konnte nicht recherchiert werden. Es ist jedoch zu vermuten, dass dieser Wert einer pragmatischen Festlegung aus den Anfangszeiten der Motorisierung geschuldet ist. Ein Forschungsbericht aus dem Jahre 1965 stütz diese These. Eine Recherche zur Entwicklung der Interaktion zwischen der Nachweisführung und der Anordnung von zusätzlichen Schutzmaßnahmen ergab, dass zunächst zwischen den Jahren 1944 - 1952 auf einen Nachweis für Anprall bei der Anordnung von nicht weiter definierten Schutzvorrichtungen verzichtet werden konnte. Ab dem Jahre 1967 waren erstmalig konkrete geometrische Anforderungen an die Schutzeinrichtungen gestellt worden, die bis heute Bestand haben und mit Beginn des Jahres 1972 zwingend zusätzlich erforderlich waren. Sie stellten in der Folge kein Kriterium mehr für den Entfall einer Nachweisführung gegen Anprall dar. Im Hinblick auf die Entwicklung der Ausbildung einer Zerschellschicht als konstruktive Maßnahme gegen lokale Zerstörung am Anprallort ist zu konstatieren, dass bis zum Jahr 1967 keine Regellungen für die konstruktive Durchbildung für die auf Anprall zu bemessenden Stützen und Pfeilern festgelegt wurden. Erst auf Grundlage der 1965 durchgeführten Anprallversuche unter der Leitung von Camillo Popp wurde die bauliche Durchbildung einer Zerschellschicht von 10 cm Stärke und einer zweilagigen Verbügelung und Längsbewehrung in DIN 1072 - November 1967 vorgegeben. Diese vorgeschriebene Ausbildung der Zerschellschicht blieb lediglich unter Berücksichtigung einer Anpassung der jeweils normativ gültigen Baustoffe zwischen den Jahren 1967 und 2011 unverändert. Erst mit Erhöhung der Anpralllasten erfolgte eine Anpassung der konstruktiven Ausbildung der Zerschellschicht. Der Vergleich von internationalen Bemessungsrichtlinien, deckte zum Teil hohe Diskrepanzen in Bezug auf den Ansatz der statischen Ersatzanpralllast auf. So betragen beispielweise die äquivalenten Anprallkräfte in Australien und Neuseeland 2000 kN während in Südafrika eine Anprallbemessung mit einer statischen Ersatzlast von nur 375 kN geführt wird. In Deutschland durchgeführte aktuelle Untersuchungen zur Fahrzeuganprallthematik konnten nicht recherchiert und analysiert werden. Eine großmaßstäbliche Versuchsreihe aus den 1960er Jahren zur Verifizierung der Anpralllast in Höhe von 100 to, legte den Fokus auf die empirische Herleitung einer konstruktiven Durchbildung (Zerschellschicht). Die Festlegung/ Erhöhung der statischen Ersatzlast (1500 kN) erfolgte auf rein theoretischer Ebene durch eine Untersuchung der Bauhaus-Universität Weimar [27]. Hier war festzustellen, dass die mechanischen Zusammenhänge in der Herleitung sehr konservativ und stark idealisiert betrachtet wurden. Beispielsweise fanden das Bauteilverhalten der dem Anprall ausgesetzten Struktur sowie die strukturellen Parameter des Fahrzeugs in der Berechnung keine Berücksichtigung (physikalisches Stoßmodell: Harter Stoß). Des Weiteren zeigte sich nach einem Vergleich mit realen deutschen Verkehrsdaten sowie mit internationalen Normtexten, dass die in der Untersuchung angenommene Unfallwahrscheinlichkeit, sehr konservativ angesetzt wurde. Eine Auswertung der Bauwerksdatenbank der BASt ergab, dass in Deutschland zwischen den Jahren 1995 und 2014 keine signifikanten Schäden an Unterbauten, die die Standsicherheit betreffen, zu verzeichnen waren. Dieser Umstand ist offensichtlich auf die Wirksamkeit der zusätzlichen Anordnung der passiven Schutzeinrichtung für gefährdete Bauteile zurückzuführen. Die sehr differenzierte Vorgehensweise in der Schweizer Norm hinsichtlich einer möglichen Reduktion der Anpralllast durch Berücksichtigung vielfältiger Einflussfaktoren erscheint sinnvoll. Ein ähnlicher Umgang mit der Thematik sollte für die Nachrechnungsrichtlinie in Betracht gezogen werden. Danksagung Der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) wird für die Beauftragung der beschriebenen Versuche, den Mitgliedern des Betreuungsausschusses für die hilfreiche Diskussion gedankt. Die Verantwortung liegt allein bei den Autoren. 544 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Anprall gegen Pfeiler von Bestandsbauwerken Literaturverzeichnis [1] Joachim Scheer, Versagen von Bauwerken: Band 1: Brücken, 1.Auflage, Oktober 2000, Ernst & Sohn, ISBN 978-3433018026 [2] DIN EN 1991-1-7, Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke -Teil 1-7: Allgemeine Einwirkungen - Außergewöhnliche Einwirkungen; Deutsche Fassung EN 1991-1-7: 2006 + AC: 2010 [3] DIN - Fachbericht 101: Einwirkungen auf Brücken, 2009 [4] DIN EN 1992-2/ NA: 2013-04: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton - und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken-Bemessungs - und Konstruktionsregeln [5] RPS: Richtlinie für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme; Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen - Ausgabe 2009 [6] DIN EN 1990 Grundlagen der Tragwerksplanung; Deutsche Fassung EN 1990: 2002 + A1: 2005 + A1: 2005/ AC: 2010 [7] Popp, C; Untersuchung über den Stoßverlauf beim Aufprall von Kraftfahrzeugen auf Stützen und Rahmenstiele aus Stahlbeton, DAfStb Heft 172; 1965 [8] H. Kramer: Angewandte Baudynamik, 2.Auflage, Ernst & Sohn, 2013. [9] DIN EN 1991-1-7/ NA: 2010-12: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 1-7: Allgemeine Einwirkungen - Außergewöhnliche Einwirkungen [10] DIN EN 1317-2 Rückhaltesysteme an Straßen - Teil 2: Leistungsklassen, Abnahmekriterien für Anprallprüfungen und Prüfverfahren für Schutzeinrichtungen und Fahrzeugbrüstungen; Deutsche Fassung EN 1317-2: 2010 [11] C. Kunz: Außergewöhnliche Einwirkungen nach DIN EN 1991-1-7, In Betonkalender 2012, Ernst & Sohn, ISBN 978-3-433-02989-3 [12] DIN 1072: 1944-09: Straßenbrücken, Belastungsannahmen [13] DIN 1072: 1952-06: Straßen- und Wegbrücken, Lastannahmen [14] DIN 1072: 1967-11: Straßen- und Wegbrücken, Lastannahmen [15] DIN 1072: 1985-12: Straßen- und Wegbrücken, Lastannahmen [16] DIN 1055-9: 2003-08: Einwirkungen auf Tragwerke; Teil 9: Außergewöhnliche Einwirkungen [17] DIN - Fachbericht 101: Einwirkungen auf Brücken, 2001 [18] DIN - Fachbericht 101: Einwirkungen auf Brücken, 2003 [19] DIN EN 1991-1-7/ NA: 2008-02, Entwurf: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 1-7: Allgemeine Einwirkungen - Außergewöhnliche Einwirkungen [20] AASHTO LRFD Bridge Design Specifications, 6th edition; 2014 [21] DIN 1075: 1955-04: Massive Brücken, Berechnungsgrundlagen [22] Richtlinie für die Bemessung und Ausführung massiver Brücken - August 1973 (Ersatz für DIN 1075 - April 1055 [23] DIN 1075: 1981-04: Betonbrücken, Bemessung und Ausführung [24] DIN - Fachbericht 102: Betonbrücken, 2003 [25] DIN - Fachbericht 102: Betonbrücken, 2009 [26] Bundesamt für Straßen (Schweiz) Einwirkungen auf Tragwerke SIA 261/ 2014 D - Ergänzung zur Norm SIA 261 (2005); Anprall von Strassenfahrzeugen auf Bauwerksteile von Kunstbauten (2005) [27] Anprall an Stützen und Pfeiler; Bauhaus-Universität Weimar Fakultät Bauineieruwesen, Lehrstuhl Verkehrsbau; 2009 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 545 ZfP 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 549 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten Dipl.-Ing. Max Käding Marx Krontal Partner, Weimar, Deutschland Dr.-Ing. Gregor Schacht Marx Krontal Partner, Hannover, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx Technische Universität Dresden, Institut für Massivbau, Dresden, Deutschland Zusammenfassung Ein Problem bei der Beurteilung der Standsicherheit älterer Spannbetonbrücken ist die Spannungsrisskorrosion. Bei dieser Schädigungsart kann die Empfi ndlichkeit bestimmter Spannstähle zu Spanndrahtbrüchen und damit zu tragsicherheitsrelevanten Zuständen führen. Um eine zuverlässige Einschätzung zum ablaufenden Schädigungsprozess zu erhalten und die Früherkennung kritischer Zustände zu ermöglichen, können messtechnische Methoden wie das akustische Verfahren Schallemissionsanalyse zu Anwendung kommen. Die Anwendung des Sondermessverfahrens bringt jedoch in den verschiedenen Phasen eines Projektes neue Herausforderungen mit sich. Hierauf nimmt der Beitrag Bezug und diskutiert Besonderheiten bei der Entwicklung von Monitoringkonzepten für verschiedene Tragwerkstypen und legt eine bauwerksbezogene Bewertungsstrategie dar. 1. Einleitung und Motivation Die rechtzeitige und zuverlässige Erfassung von Degradationsprozessen gewinnt für die Gewährleistung der Tragsicherheit und den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur immer mehr an Bedeutung. Zum einen führt die extreme Zunahme des Schwerverkehrs mit stetig steigenden Lasten zu bisher nicht erwarteten Beanspruchungen. Zum anderen nimmt der Anteil älterer Brücken, die sich kurz vor Ablauf ihrer vordefi nierten Lebensdauer befi nden, aktuell immer weiter zu. Die Bestandsbrücken sind den infolge der Zunahme des Verkehrs notwendigen Erweiterungen und den zukünftig abzutragenden Beanspruchungen nicht gewachsen, weshalb sie in der Regel durch Neubauten ersetzt werden müssen. Jedoch können nicht alle Brücken gleichzeitig rück- und wieder aufgebaut werden, weshalb die bestehenden Spannbetonbrücken für eine begrenzte Zeitdauer weiterhin genutzt werden müssen. Um für diese Restnutzungsdauer die Standsicherheit sicherzustellen, können Methoden der messtechnischen Dauerüberwachung einen wichtigen Beitrag leisten [1]-[3]. Eine Schädigungsart, die in diesem Kontext stetig an Aufmerksamkeit gewinnt, ist die Spannungsrisskorrosion. Bei diesem Prozess kann es unter spezifi schen Voraussetzungen zu einem sukzessiven Ausfall des Spannstahls kommen. Dieser ist jedoch nicht ohne weiteres festzustellen, da die Spannglieder i. d. R. in der Betonkonstruktion eingebaut liegen und daher schlecht inspizierbar sind. Weisen diese Bauwerke historisch bedingt quantitative und konstruktive Abbildung 1: Messprinzip der Schallemissionsanalyse Defi zite bei der Betonstahlbewehrung auf, kann beim Ausfall des Spannstahls keine ausreichende Robustheit und Resttragsicherheit gewährleistet werden. In diesem 550 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten Fall ist eine dauerhafte Überwachung des Bauwerks erforderlich, um die Betriebssicherheit gewährleisten zu können. Für diese Anwendung ist die Schallemissionsanalyse (SEA) ein vielversprechendes Messverfahren (siehe Abbildung 1), da Drahtbrüche hiermit sehr gut detektiert und lokalisiert werden können. Drahtbrüche treten unter realen Bedingungen i. d. R. nur selten auf. Im vorliegenden Beitrag werden daher Laboruntersuchungen vorgestellt, bei denen eine umfangreiche Stichprobe (112 Drahtbrüche) künstlich erzeugt wurde. Die Ergebnisse werden genutzt, um die Drahtbruchquelle statistisch zu beschreiben und ein Modell für den optimalen Entwurf eines Sensornetzwerkes zu entwickeln. Im Weiteren werden wichtige Aspekte der messdaten- und bauwerksbezogenen Bewertung diskutiert und ein Ansatz für die Definition von Grenzwerten auf Grundlage der rechnerischen Untersuchungen nach [4] vorgestellt. 2. Entwicklung und Erfahrung im Brückenbau Die Vorteile der akustischen Methoden für die Dauerüberwachung wurden bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkannt. Die erste dokumentierte Anwendung einer akustischen Überwachung von Drahtbrüchen im Brückenbau stellt wohl eine Hängebrücke in Portsmouth aus dem Jahr 1939 dar. An den Verankerungen der Haupttragkabel wurden Brüche infolge Korrosion festgestellt, weshalb zur Beobachtung der Schadensentwicklung Wachpersonal in den Verankerungskammern postiert wurde. Sie berichteten daraufhin weitere Drahtbrüche in stillen Nächten gehört zu haben. Die Beobachtung der akustischen Ereignisse mit dem menschlichen Ohr veranlasste den Betreiber sämtliche Kabel der Brücke zu erneuern [5]. Die konventionelle Inspektion der Tragkabel von Schrägkabel- oder Hängebrücken war lange Zeit mit einem hohen apparativen Aufwand verbunden. Die Drähte mussten von den umlaufenden Schutzhüllen oder anderen Tragwerksteilen freigelegt werden, bevor eine stichprobenartige Kontrolle erfolgen konnte. Um Zugang zu den Tragkabeln zu erlangen, waren diese teilweise sehr langwierigen Eingriffe mit Nutzungseinschränkung des Bauwerks verbunden. Seit Anfang der 90er Jahre wurden daher Ansätze weiterentwickelt, die eine integrale und dauerhafte Überwachung von Schallemissionen (SE) im Ultraschallbereich ermöglichen. Zu diesem Zeitpunkt war die SEA bereits ein gut entwickeltes zerstörungsfreies Prüfverfahren mit zahlreichen praktischen Anwendungen bspw. im Druckgerätebau und an Stahlbrücken [6], [7]. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit von kosteneffizienter Erfassungs- und Signalverarbeitungshardware einerseits und entsprechender Analyse- und Datenmanagementsoftware andererseits wurde die kontinuierliche und zeitweise unbeaufsichtigte, ferngesteuerte Anwendung sukzessive erleichtert bzw. überhaupt erst ermöglicht. Über die ersten Anwendungen zur Spanndrahtbruchdetektion an den Tragkabeln einer Hängebrücke (Virginia in 1991) berichtet Carlos [8] und prägte für diese Form der Dauerüberwachung den Begriff „BigBang“ Monitoring. Der „proof of concept“ des Drahtbruchmonitorings konnte durch diese und weitere Anwendungen an Schrägkabel- oder Hängebrücken (siehe auch [9], [10]) erfolgreich erbracht werden. Dies motivierte die Übertragung dieser Idee auf Spannbetonbrücken. Wenig später in 1994 erfolgte bereits eine erste Überwachung dieser Art an einer vorgespannten Parkhausdecke [11]. Aufgrund der mangelhaften Inspizierbarkeit der im Verbund liegenden Spanndrähte und des großen finanziellen Aufwands für eine flächendeckende Untersuchung entschied man sich für ein Schallemissionsmonitoring (SEM). In den 1980er und 1990er Jahren wurde insgesamt eine zunehmende Anzahl von Schadensfällen infolge Spannungsrisskorrosion an Spannbetonbrücken verzeichnet. Dies motivierte Cullington die Überwachungsmethode 1997 am Huntington Eisenbahnviadukt zu evaluieren [12]. Bei diesen Untersuchungen konnten künstlich erzeugte Drahtbrüche erfolgreich detektiert und mit sehr hoher Genauigkeit lokalisiert werden. Durch Yuyama und Fricker fanden weitere, vergleichbare Anwendungen im Spannbetonbrückenbau mit flächendeckender Instrumentierung des Bauwerks und umfassender Berücksichtigung von Verkehrs- und Umweltgeräuschen statt [13], [14]. Auch hier wurden Drahtbrüche erfolgreich detektiert und mit geringer Abweichung zum Bruchort (0,10,2 m) lokalisiert. Fricker gelang es sogar spontane Drahtbrüche durch anschließende Bauteilöffnungen zu verifizieren. Der Ort der Drahtbrüche korrelierte in diesen Fällen stark mit einer unzureichenden Verpressung im Hüllrohr. In den letzten Jahren bekommt das Verfahren auch in Deutschland verstärkt Aufmerksamkeit [15], [16]. Erste Anwendungen wie bspw. an der Stennertbrücke zeigen, dass hierdurch zusätzliche Sicherheit für den Betrieb des Bauwerks zuverlässig gewonnen werden kann [16]. Insbesondere bei spannungsrisskorrosionsgefährdeten Bauwerken können durch die Dauerüberwachung die konstruktiven Defizite und die daraus resultierende fehlende Versagensvorankündigung kompensiert und so ein wichtiger Beitrag für den ressourcenschonenden und verantwortungsvollen Umgang mit den meist vollständig intakten Bauwerken geleistet werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 551 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten Tabelle 1: Erfahrungswerte zum Schallemissionsmonitoring aus Anwendungen an Spannbetonbrücken Forscher Sensorabstand Antwortspektrum des Sensors Dämpfung Cullington [12] 5 m 1..20 kHz - Yuyama [13] 6 m 40..100 kHz 4,3 dB/ m Fricker [14] 8,3 m 20..200 kHz 3,7 dB/ m Sodeikat [15] >10 m 25..80 kHz - Schacht [16] 10 m 25..80 kHz 3,0 dB/ m 3. Grundlagenermittlung und Messkonzept Eine messdatengestützte Bewertung des Bauwerkszustands setzt voraus, dass die Schadensereignisse durch die gewählte Messtechnik und Applikationstechnologie zuverlässig erfasst und hinreichend aufgelöst werden können. Bei konventionellen Verformungsmessungen werden hierzu bspw. rechnerische Untersuchungen angestellt, um die Erwartungsgröße der Verformungsänderung bei Schadenseintritt vorherzusagen, um dann die Messtechnik gezielt hierauf anzustimmen. Diese Vorgehensweise ist prinzipiell auch auf das SEM übertragbar. Für die Auswahl der messtechnischen Komponenten und die Defi nition der Sensoranordnung ist zunächst die Kenntnis bestimmter Parameter erforderlich, bevor die Messtechnik ausgewählt und die Messtellenanordnung festgelegt werden kann. Hierzu zählen - die Amplitude des nachzuweisenden Schadens (in unserem Fall Spanndrahtbruch), - die Amplitude der Betriebsgeräusche an den Stellen der geplanten Messpositionen zur Festlegung der Triggerschwelle (Threshold) und - die material- und bauwerksspezifi sche Dämpfung. In der Regel wird mit der Schallemissionsmessung das Ziel verfolgt, die Schadensereignisse nicht nur zu detektieren, sondern auch zu lokalisieren. Ein Ereignis muss daher, je nach Art der Lokalisierung (linear, 2-D, etc.), durch mindestens zwei Sensoren erfasst werden. Der maximal zulässige Sensorabstand ist daher eine wichtige Eingangsgröße für die Verteilung der Sensoren am Bauwerk, da hierdurch sichergestellt wird, dass ein Ereignis mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit an allen erforderlichen Sensoren detektiert wird. Der maximale Sensorabstand dmax kann aus dem Dynamikbereich und der spezifi schen Dämpfung berechnet werden (siehe Abbildung 2). Der Dynamikbereich ist hierbei der Abstand zwischen der Triggerschwelle (Treshold) und einer Schätzung eines unteren Quantilwertes des Schadens. Je größer der Abstand zwischen diesen beiden Punkten ist, desto größer kann der Sensorabstand in Abhängigkeit der Dämpfung gewählt werden. Die Betriebsgeräusche und die materialbzw. bauwerksspezifi sche Dämpfung können am Untersuchungsobjekt i. d. R. problemlos im Zuge von Voruntersuchungen ermittelt werden. Im Gegensatz dazu ist das gesuchte Schadensereignis nicht immer klar quantifi zierbar oder kann durch Messungen im Vorfeld Abbildung 2: Herleitung des Dynamikbereichs zwischen Verkehrsgeräuschen und Schadensereignis zur Bestimmung des maximalen Sensorabstands Abbildung 3: Voruntersuchungen an einer Straßenüberführung mit BT-500 Fertigteilelementen Abbildung 4: Brückenquerschnitt, Sensorposition und Dämpfungsprofi l in Brückenquerrichtung 552 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten ermittelt werden. Im Abschnitt 4 werden hierzu Laboruntersuchungen an Fertigteilträgern und die Ergebnisse einer Vielzahl von Drahtbrüchen vorgestellt. Das Erfordernis von Voruntersuchungen muss für jedes Bauwerk individuell festlegt werden. Aufgrund der vielfältigen Erfahrungen (siehe Tabelle 1) liegen mittlerweile bereits gut abgesicherte Anhaltswerte für die Entwicklung der Sensoranordnung vor. Dabei sollte jedoch mindestens der Spanngliedverlauf und konstruktiv bedingte akustische Trennungen bspw. durch Koppelstellen o. ä. (Spannplan, Fugen, Takt) Berücksichtigung finden, da die Signalausbreitung bei einem Spanndrahtbruch vorrangig im Spannglied stattfindet und dieses als hervorragender Wellenleiter wirkt [16]. Bei bestimmten Tragwerkstypen sind Voruntersuchungen jedoch sehr empfehlenswert, wie das Beispiel einer Brücke aus BT-500 Fertigteilträgern zeigt (siehe Abbildung 3). Die Träger (L/ B/ H: 11 m/ 1 m/ 0,5 m) sind mit einer Ortbetonschicht verbunden (siehe Brückenquerschnitt in Abbildung 4), für die eine akustische Kopplung nicht vorausgesetzt werden kann. Ohne Grundlagen aus der Voruntersuchung müsste jedes Trägerelement isoliert betrachtet und instrumentiert werden. Um eine Lokalisierung längs des Trägers zu ermöglichen sind in diesem Fall je Brückenfeld 20 Sensoren erforderlich (inkl. Randträger). Im Zuge der Voruntersuchung wurde das Dämpfungsverhalten in Brückenquerrichtung genauer quantifiziert. Hierzu wurden im Bereich des Pfeilers und des Widerlagers (WL) je eine Messreihe in ca. 1,5 m Abstand zum angrenzenden Unterbau durchgeführt. Die Messstelle wurde am Längsträger 1 (LT 1) appliziert. An den anderen Trägern wurden mit einem Rückprallhammer Signale erzeugt. Die Verteilung der Signalamplituden ist in Abbildung 4 in Abhängigkeit der Trägernummer aufgetragen. Es zeigt sich, dass die Signale über die gesamte Tragwerksbreite gut übertragen werden. Die Träger sind also akustisch gekoppelt und der Überbau kann als „akustische Platte“ angesehen werden. Dennoch ist die Dämpfung nicht über die gesamte Tragwerksbreite konstant. In den ersten Fugen treten die größten Dämpfungen von bis zu 12 dB/ Fuge auf. Hierfür können frequenzabhängige Effekte verantwortlich sein, die am Anfang eine stärkere Dämpfung des Signals zur Folge haben. Im Vergleich zur Längsrichtung ist die Dämpfung in Querrichtung damit drei bis vier Mal so groß. Die Sensorabstände müssten demnach um das drei bis vier-fache verringert werden. Dies bedeutet, dass etwa jeder dritte bis vierte Träger mit Sensoren ausgestattet werden muss. In Abhängigkeit anderer Anforderungen an das Messkonzept, wie bspw. Redundanz im Fall eines Sensorausfalls o. ä., kann für dieses Beispiel die Anzahl der Messstellen auf weniger als die Hälfte reduziert werden. Damit einhergehend verkürzen sich die erforderlichen Installations-, Sperr- und Gerätezeiten, etc. Mit einem geringen initialen Mehraufwand ergab sich für dieses Projekt hierdurch ein erhebliches Kostenersparnis. 4. Untersuchungen zur statistischen Quantifizierung des Spanndrahtbruchsignals 4.1 Konzept und Durchführung Es ist in vielerlei Hinsicht von Interesse den Spanndrahtbruch als Quellereignis statistisch, durch eine möglichst große Stichprobe abgesichert, beschreiben zu können. Auf dieser Grundlage können nämlich ein kosteneffizientes Monitoring konzeptioniert sowie robuste Kriterien und Analysen für die Drahtbrucherkennung entwickelt werden. In Abgrenzung zu anderen Signalquellen (bspw. Verkehr) kann hierdurch die Detektionswahrscheinlichkeit quantifiziert und der Sicherheitsgewinn bei der bauwerksbezogenen Bewertung bewertet werden. Diesen Zielen folgend, wurden an der Leibniz Universität Hannover zerstörende Untersuchungen an einem BT500 Fertigteilträger Abbildung 5: BT-500 Fertigteilträger Abbildung 6: Geöffnetes Hüllrohr und bruchortnahe Applikation der Sensoren auf dem Hüllrohr durchgeführt, der bei einem Brückenabbruch gewonnen wurde (siehe Abbildung 5). Der Anlass für den Abbruch war der Spannstahl aus Hennigsdorfer Produktion und die davon ausgehende Gefährdung durch Spannungsrisskorrosion. Der Fokus der Untersuchung lag auf der sauberen, übersteuerungsfreien Erfassung des Drahtbruchsignals in 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 553 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten unterschiedlichen Abständen zum Quellort. Hierfür wurden die Sensoren an der Betonoberfläche, am Hüllrohr oder unmittelbar neben die Bruchstelle auf den Spanndraht geklebt (siehe Abbildung 6). In dem Träger waren zwei BSG-50 Spannglieder mit jeweils 16 ovalen Drähten verbaut. Die Spannglieder wurden an sechs Stellen freigelegt und das Hüllrohr über einen Bereich von wenigen Zentimetern geöffnet. Diese Öffnung war erforderlich, um auch die rückseitigen Drähte nach dem Ausbau der vorderen noch gut erreichen zu können. Die Trennung der Drähte erfolge in diesen Fällen mit einem Dremel. Hierbei wurde immer das Ziel verfolgt, die Drähte mit dem Dremel anzuschneiden, jedoch rechtzeitig abzusetzen, so dass der Draht infolge der thermischen Spannung beim Abkühlen spontan bricht. An zwei weiteren Stellen wurde das Hüllrohr nicht freigelegt und ein direkter Trennschnitt mit einer Flex vorgenommen (siehe Abbildung 7). Für diesen Fall kann angenommen werden, dass keine Verbundschädigung vorliegt und der Draht sich unmittelbar neben der Trennstelle wieder zu verankern beginnt. Für die Drahtbruchdetektion ist dies der ungünstigste Fall, da die Menge der freiwerdenden Energie am geringsten ist. Abbildung 7: Trennschnitt am unbearbeiteten Hüllrohr Grundsätzlich wird die Intensität eines Drahtbruchsignals maßgeblich durch die lokal vorherrschenden Verbundbedingungen und die Vorspannkraft beeinflusst. Je schlechter der Verbund und je höher die Vorspannkraft sind, desto mehr Energie wird freigesetzt. Im Umkehrschluss sind für die Ermittlung der unteren charakteristischen Amplitude des Drahtbruchereignisses die besten Verbundbedingungen und die kleinste (brückenbautypische) Vorspannkraft maßgebend. Dies bedeutet, dass die Spanndrähte an einem bestenfalls unbeschädigten Spannglied getrennt werden. Dies setzt jedoch oft leistungsstarke Trennschleifer voraus, die wiederum vergleichsweise starke Nebengeräusche erzeugen, welche die Drahtbruchsignale überlagern. Im Zuge der Untersuchungen wurden daher die Drahtbrüche an unterschiedlich großen Öffnungen erzeugt, um den Einfluss der Verbundsituation zu simulieren. Insgesamt konnten an diesem Träger 112 Drahtbrüche und 872 Signale in unterschiedlichem Abstand zur Bruchstelle aufgezeichnet werden. 27 von diesen Drahtbrüchen wurden als spontane Ereignisse ohne Trennschleifer- oder Dremelgeräusche erfasst. 4.2 Datenerfassung und -aufbereitung Zur Datenerfassung wurden verschiedene Sensortypen mit unterschiedlichem Frequenzantwortspektrum eingesetzt. Für die vorliegende Auswertung wurden jedoch nur die Ergebnisse von Sensoren mit dem Spektrum von 2580 kHz verwendet. An die Sensoren wurden Dämpfungselemente von 20 dB oder -40 dB angeschlossen, um eine vollständige Erfassung der Drahtbruchsignale zu ermöglichen. Ohne zusätzliche Dämpfung übersteuert das Messsignal am Eingang des Messverstärkers. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Sensoren sehr nah zur Bruchstelle angeordnet sind. Die tatsächliche Signalamplitude wird dann auf den maximal möglichen Eingangswert abgeschnitten. In folgenden Analysen kann dies zu Verzerrungen der Ergebnisse führen. Um die gemessenen Amplituden der unterschiedlichen Konfigurationen vergleichen zu können, wurde der Anteil der Dämpfung herausgerechnet. Alle Angaben Abbildung 8: Einfluss der Verbundbedingungen (simuliert durch die freigelegte Drahtlänge) auf die Signalamplitude zu Amplituden beziehen sich im Folgenden auf eine Vorverstärkung von 0 dB. 4.3 Auswertung der Drahtbruchsignale Eine wichtige Grundlage für die Ermittlung der charakteristischen Amplitude ist die statistische Verteilung der Drahtbruchsignale, die bei direkten Trennschnitten aufgezeichnet wurden (siehe Abbildung 7). Für diese Signale kann angenommen werden, dass die freigesetzte Energie am geringsten ist und damit der Abstand zur Triggerschwelle (Dynamikbereich, siehe Abbildung 2) am kleinsten wird. Folglich ergibt sich hieraus der kleinste Sensorabstand, der eine Aufzeichnung sicherstellt. Um dennoch den Einfluss der Verbundbedingungen quantitativ bewerten zu können, wurde die Länge der 554 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten Öffnungen am Hüllrohr variiert. In Abbildung 8 ist der festgestellte Zusammenhang dargestellt. Die Ergebnisse spiegeln deutlich wider, dass mit schlechterem Verbund (größerer freier Drahtlänge) der Mittelwert Ā der Signalamplituden zunimmt. Bei der Darstellung ist zu beachten, dass beim direkten Trennschnitten (freie Drahtlänge von 0 cm) nur etwa 52 % der Signale sättigungsfrei erfasst wurden. Die Verteilung ist durch diesen Umstand in Richtung der niedrigeren Amplituden verzerrt. Für die Bestimmung der charakteristischen Amplitude liegen die Messergebnisse damit auf der sicheren Seite, jedoch ist die Verteilung nicht geeignet, um statistische Parameter (bspw. Standardabweichung) für die Berechnung eines Quantilwertes zu bestimmen. Die statistischen Parameter sollten anhand einer möglichst großen Stichprobe mit möglichst geringem Anteil verzerrender Ereignisse errechnet werden. Hierfür wurden die Drahtbruchsignale verwendet, die an 5 bis 10 cm großen Öffnungen erzeugt wurden. Die Drahtbrüche wurden unter gleichen Randbedingungen erzeugt und aufbereitet. Qualitativ sind die Daten daher gut vergleichbar. Verändert ist nur die Abbildung 9: Verteilungsfunktionen für Drahtbrüche mit einer freien Länge von ca. 5-10 cm, aufgezeichnet in verschiedenen Abständen x zum Quellort Tabelle 2: Stichprobenumfang, Güte und Parameter der Normalverteilung für die Drahtbruchsignale in unterschiedlichem Abstand x zur Bruchstelle Abstand x zur Bruchstelle Signalanzahl Anteil ohne Übersteuern µ = Ā σ 0,0 m (Hüllrohr) 35 97,1% 161,4 5,65 0,3 m 106 91,5% 156,2 4,90 1,3 m 106 72,6% 149,7 4,07 5,0 m 48 100% 139,6 3,95 freiliegende Länge des Drahtes und damit die Menge an Energie, die beim Bruch freigesetzt wird. Es wird daher angenommen werden, dass die statistische Verteilung für bruchstellennahe Signale unverändert bleibt und sich nur der Mittelwert Ā verschiebt. In Abbildung 9 wurden die Ergebnisse hierfür aufbereitet und in Abhängigkeit des Abstands zwischen Bruchstelle und Sensorposition dargestellt. Es wurden sowohl die Histogramme als auch die hieraus abgeleiteten Funktionen der Normalverteilungen visualisiert. In Tabelle 2 sind Angaben zur Stichprobe und die Funktionsparameter dokumentiert. Die Ergebnisse zeigen, dass die Streuung mit zunehmendem Abstand zwischen Sensor und Bruchstelle abnimmt. Die größte Streuung ist unmittelbar an der Bruchstelle selbst festzustellen. Der Sensor war in diesem Fall auf dem Hüllrohr appliziert. Abbildung 8 und Abbildung 9 liefern die Grundlagen für die Berechnung der charakteristischen Amplitude. Bei guten Verbundbedingungen beträgt der Mittelwert der Amplituden Ā = 148,9 dB und die stärkste Streuung beträgt in der Nähe der Bruchstelle σ = 5,95. Die Werte für das 5% oder 1%-Quantil ergeben sich daraus zu ca. A0,05 = 139,6 dB und A0,01 = 135,8 dB. Nimmt man nun an, dass die lautesten Betriebsgeräusche etwa 95100 dB betragen und der Triggerschwellwert entsprechend festgelegt wird, ergibt sich ein Dynamikbereich von ca. 40 dB, welcher der Berechnung des Sensorabstand zugrunde gelegt werden kann. Die vorgestellten Ergebnisse besitzen alleinstehend keine allgemeine Gültigkeit für verschiedene Spannstahltypen (oval, quer) und Vorspanngrade. Es ist davon auszugehen, dass bei anderen Querschnitten und Vorspannkräften Abweichungen hierzu auftreten. Die Ergebnisse stehen jedoch nicht im Widerspruch zu den Erfahrungen anderer Autoren. Yuyama und Fricker berichteten in ihren Arbeiten von Drahtbuchamplituden von 110-140 dB bzw. 110- 130 dB [13], [14]. Diese Angaben sind zwar geringer als die vorgestellten Ergebnisse, sind jedoch auch zu einem unbekannten Anteil gedämpft. Um hinsichtlich der Stichprobengröße und anderer, brückenbautypischer Varian- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 555 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten ten mehr Sicherheit zu erlangen, wurden bereits weitere Trägerelemente beim Rückbau von Brücken gewonnen, untersucht bzw. stehen für solche Untersuchungen zur Verfügung. Die Auswertungen werden den vorgestellten Ergebnissen in folgenden Veröffentlichungen gegenübergestellt. An dieser Stelle wird auch noch einmal betont, dass die Signalamplitude bei einem Monitoring ein wichtiges Kriterium bei der Identifikation von Drahtbrüchen sein kann, i. d. R. jedoch nicht allein für eine zweifelsfreie Zuordnung ausreicht. Für eine robuste Bewertungsstrategie sind daher weitere messdatenbasierte Analysen erforderlich (siehe Abschnitt 5). 4.4 Vergleich mit typischen künstlichen Quellen Künstliche und gut reproduzierbare Signalquellen spielen in der Schallemissionsanalyse bei verschiedenen Anlässen eine wichtige Rolle, bspw. bei der Kalibrierung der Messtechnik oder Funktionstest der Monitoringanlage während der Installation oder im Betrieb. Für das Drahtbruchmonitoring ist dabei von Interesse, dass die Quellen unterschiedliche Energieniveaus aufweisen. Je nach Anwendung kommen typischerweise - Bleistiftminenbrüche (BM) zur Verifizierung der Sensorankopplung (Hsu-Nielson Test) - Ultraschallimpulse (US) zur automatischen wiederkehrenden Prüfung der Sensorankopplung oder - Rückprallhammerschläge (RH) bei manuellen Prüfungen oder Blind-Tests im Betrieb bzw. bei Voruntersuchungen zur Bestimmung material- und bauwerksspezifischer Parameter zum Einsatz. An dem BT-500 Träger wurden Signale dieser Prüf- und Referenzquellen zu Vergleichszwecken erzeugt und aufgezeichnet. Die Verteilungen der Signalamplituden sind in Abbildung 10 den Drahtbruchereignissen aus dem direkten Trennschnitt (ungünstigste Bedingungen) gegenübergestellt. Auch hier wurden die Amplituden auf eine Vorverstärkung von 0 dB bezogen. Es ist zu erkennen, dass die Bleistiftminenbrüche und Rückprallhammerschläge vergleichsweise wenig streuen. Die genauste Reproduzierbarkeit weisen die Ultraschallsignale auf. Die Amplituden der Rückprallhammerschläge und Drahtbrüche grenzen sich Abbildung 10: Verteilung der Signalamplituden verschiedener Quellen (Bleistiftmine (BM), Ultraschallpulser @450V (US), Rückprallhammer (RH) und Drahtbruch bei direktem Trennschnitt (DB)), Angabe des Abstands zwischen Quelle und Sensor Abbildung 11: Dämpfungsprofil für Drahtbruch- und Rückprallhammersignale, Trennung der Drähte an ca. 5 bis 10 cm großen Öffnungen, Einleitung der Rückprallhammerschläge ins Spannglied erwartungsgemäß sehr gut von den beiden anderen Quellen ab, sind jedoch untereinander durchaus vergleichbar. Dieser Zusammenhang wird in Abbildung 11 noch deutlicher. Hier ist das Dämpfungsprofil über die Trägerlänge dargestellt. Als Drahtbruchsignale wurden diejenigen verwendet, die an 5 bis 10 cm großen Öffnungen erzeugt wurden. Bei diesen Signalen ist die Anzahl übersteuerter Signale geringer, so dass die statistische Verteilung weniger verzerrt ist. Erstaunlich ist, dass die Mittelwerte der beiden Signalquellen in diesem Fall sehr gut übereinstimmen. Zudem ist die festgestellt Dämpfung sehr ähnlich. Diese Ergebnisse unterstreichen die Eignung des Rückprallhammers als Referenzsignal für das Drahtbruchmonitoring. 5. Bewertungsstrategie 5.1 Prinzipielle Vorgehensweise Beim Schallemissionsmonitoring finden im Anschluss an die Datenerfassung typischerweise eine Reihe automatisierter und teilautomatisierter Prozesse statt, auf deren Grundlage Drahtbruchereignisse identifiziert werden sollen. Bei dieser messdatenbezogenen Bewertung (sie- 556 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten he Abbildung 12) steht i. d. R. das Erkennen des Drahtbruchs im Vordergrund und eine zusätzliche Bewertung aller übrigen Signale ist von untergeordnetem Interesse. Aus der Menge aller erfassten Signale werden in einem ersten Schritt diejenigen automatisch vorselektiert, deren Charakteristik am ehesten der eines Drahtbuches gleicht. Die Kriterien hierfür können je nach Anwendungsfall individuell festgelegt werden, müssen jedoch für die Charakterisierung geeignet sein und zutreffende Ergebnisse liefern. Üblicherweise spielen hierbei Filterungen, Klassifizierungsalgorithmen und die Lokalisierung eine wichtige Rolle. In den Abschnitten 5.2.1 bis 5.2.3 wird jedes Kriterium hinsichtlich dieser Anforderungen genauer betrachtet. Liegt durch die automatische Selektion ein Hinweis auf einen Drahtbruch vor, muss das Ereignis immer durch einen Schallemission-Fachingenieur validiert werden. Im Anschluss kann eine Mitteilung an den AG erfolgen und die Information in Abhängigkeit der Anforderungen des AG mit einer hohen zeitlichen Verfügbarkeit bereitgestellt werden. Sollten durch die automatische Selektion keine Ereignisse identifiziert werden, sind die Daten in regelmäßigen Intervallen von bspw. mehreren Monaten zu kontrollieren und plausibilisieren. In diesem Zuge sollte die Datenqualität durch geeignete Maßnahmen verifiziert werden (siehe Abschnitt 5.2.4). Im Ergebnis der messdatenbezogenen Bewertung liegt eine Information über Häufigkeit und Verteilung der Drahtbrüche seit dem Beginn des Monitorings vor. Auf dieser Grundlage kann die Aktivität des Spannungsrisskorrosionsprozesses und der Bauwerkszustand qualitativ bewertet werden, es fehlen jedoch quantitative Kriterien, um Entscheidungspfade zu definieren, die in Abhängigkeit des bestehenden Sicherheitsrisikos angemessene Maßnahmen zur Folge haben. Letztlich muss für eine bauwerksbezogene Bewertung der Abbildung 12: Bewertungsstrategie beim Schallemissionsmonitoring Messergebnisse festgelegt werden, welche Anzahl korrelierter oder unkorrelierter Drahtbrüche gerade noch vertretbar ist. Hierfür wird unter Abschnitt 5.3 ein Ansatz vorgestellt, welcher die Ergebnisse der rechnerischen Untersuchung nach Handlungsanweisung [4] berücksichtigt. 5.2 Messdatenbezogene Bewertung 5.2.1 Parameterbasierte Filterung Signalparameter sind einfache Kenngrößen eines Signals und können sowohl im Zeitals auch im Frequenzbereich bestimmt werden. Typische Parameter sind Amplitude, Dauer, Counts oder Energie [17]. Sie können genutzt werden, um den Anteil der Betriebs- oder anderer Störgeräusche bereits bei der Datenerfassung zu minimieren. Hierzu werden einfach Filterschwellen (Thresholds) eingestellt. Die Schwellwerte können auf Grundlage von Erfahrungswerten definiert und für das Bauwerk im Verlauf 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 557 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten des Monitorings angepasst werden. Grundsätzlich sollte hierdurch keine zu strenge Selektion vorgenommen werden. Für die Definition der Schwellwerte sollten daher im Vergleich zu einem Drahtbruch eher „leise“ Signalquellen, wie bspw. ein Bleistiftminenbruch, als Referenz verwendet werden. 5.2.2 Signalbasierte Klassifizierung Aus Sicht der Signalverarbeitung ist die Detektion von Schäden eine klassische Aufgabe der Mustererkennung. Das zu erkennende Muster ist in diesem Fall der Schaden. Grundsätzlich können modell- oder datenbasierte Ansätze zur Anwendung kommen. Modellbasierte Verfahren greifen hierbei auf bestimmte Kenntnisse und Annahmen zum Schaden zurück und übersetzen dieses Verständnis in einen Algorithmus. Datenbasierte Verfahren, zu denen bspw. die Verfahren des Maschinellen Lernens (ML) gehören, setzen dieses Verständnis nicht voraus und können hiervon unabhängige Ergebnisse liefern. Im Folgenden wird ein Klassifikator vorgestellt, der auf der Linearen Diskriminanzanalyse (LDA) basiert. Als Grundlage für diese Methode werden aus dem Frequenzspektrum jeden Signals eine Vielzahl von Features extrahiert und in Feature-Feature Abbildungen aufgetragen. Auf diese Weise entsteht ein multidimensionaler Vektorraum. Für das Training des Klassifikators werden die Signale in bekannten Gruppierungen (bspw. Schadenssignale, Betriebssignale) in den Algorithmus gegeben. Die Güte eines Klassifikators wird im Allgemeinen durch seine Präzision (eng.: precision) und seine Empfindlichkeit (eng.: recall) bewertet. Die Präzision gibt an, wie hoch der Anteil relevanter Ereignisse in einer als relevant klassifizierten Menge ist, und die Empfindlichkeit, wie viele relevante Ereignisse aus der Menge der tatsächlich relevanten Ereignisse richtig zugeordnet wurden. Je höher die Präzision und die Empfindlichkeit sind, desto geeigneter ist der Klassifikator für die Anwendung. Am Beispiel eines Monitoring-Projektes lässt sich die Wirksamkeit dieser Klassifikation verdeutlichen. Hierfür wurde der Algorithmus mit ca. 110 Abbildung 13: Lokalisierungsgenauigkeit von Rückprallhammerschlägen bei verschiedenen Sensoranordnungen Drahtbruchsignalen (ca. 80 Drahtbrüche) und mehr als 7000 Verkehrssignale trainiert. Im Test konnten hierdurch eine Empfindlichkeit von ca. 90% und Präzision von 20% ermittelt werden. Das bedeutet, dass aus der Summe der Signale, die als Drahtbrüche klassifiziert werden, nur 20% auch tatsächlich Drahtbrüche sind. Die Präzision ist damit nicht besonders hoch und es werden tendenziell zu viele Ereignisse als Drahtbrüche eingestuft, jedoch liegen die Ergebnisse damit auf der sicheren Seite und weitere Entscheidungskriterien wie bspw. die Lokalisierung können zur Validierung herangezogen werden. In dem Projekt wurden durch diesen Klassifikator ca. 452.000 Signale analysiert. Aus dieser Menge wurden nur 54 Signale der Klasse „Drahtbruch“ zugeordnet. Die Anzahl der Ereignisse, die manuell validiert werden müssen, kann durch diesen Bestandteil in der Bewertungskette enorm reduziert werden. 5.2.3 Lokalisierung Die Lokalisierung erfolgt für gewöhnlich über Laufzeitdifferenzen. Hierfür sind die Ankunftszeit und die Ausbreitungsgeschwindigkeit wichtige Eingangsparameter. Die Lokalisierung energiereicher Signale wurde bereits durch andere Forscher untersucht [12]-[14]. In der Regel wurden Abweichungen von 2-4 % bezogen auf den Sensorabstand ermittelt. Im Zuge von eigenen Versuchen wurde die Lokalisierungsqualität für Rückprallhammerschläge bei verschiedenen Sensoranordnungen ausgewertet. Es hat sich gezeigt, dass die Mehrzahl aller Signale (ca. 90 %; siehe Abbildung 13) innerhalb einer etwa 1 m² großen Fläche um die Signalquelle lokalisiert wurde. Die Sensorabstände betrugen mehrere Meter. Für Drahtbrüche kann daher davon ausgegangen werden, dass eine hinreichend genaue Lokalisierung möglich ist. 5.2.4 Qualitätssichernde Maßnahmen Die Glaubwürdigkeit eines Messergebnisses und Aussagekraft einer Bewertung werden entscheidend durch die 558 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten Qualität der Messdaten und damit zusammenhängenden Erfassung-, Aufbereitungs- und Auswerteprozesse beeinflusst. Während der Installations- und Betriebsphase müssen daher geeignete qualitätssichernde Maßnahmen ergriffen werden, um die Qualität quantitativ bewerten zu können. Die automatisierte Eigenüberwachung der Messanlage hinsichtlich der Stromversorgung, Datenübertragung oder der Erreichbarkeit von messtechnischen Bestandteilen sollte daher genauso zum „Status quo“ eines Monitorings gehören, wie regelmäßige Funktionstests durch Überwachung bestimmter Messgrößen oder Testmessungen. Beim Schallemissionsmonitoring sind diese Maßnahmen umso wichtiger, da die Signale des Schadens nur im Moment seiner Entstehung erfasst und nicht reproduziert werden können. Üblicherweise werden hierzu verschiedene Tests mit künstlichen Signalen durchgeführt (siehe Abschnitt 4.4). 5.3 Bauwerksbezogene Bewertung Wie bereits unter Abschnitt 5.1 erwähnt, kann die bauwerksbezogene Bewertung auf Grundlage der validierten Drahtbrüche qualitativ, ohne definierte Grenzwerte erfolgen. Solange keine Drahtbrüche gemessen werden, ist diese Information ausreichend, um den weiteren Betrieb sicherzustellen. Dieses Szenario tritt voraussichtlich in der Mehrzahl der SEM-Anwendungen bei Spannungsrisskorrosion ein. Je höher die Anzahl gemessener Bruchereignisse, desto kritischer ist der Zustand einzuschätzen. Der prozessuale Ablauf der Spannungsrisskorrosion lässt sich aufgrund der vielfältigen Abhängigkeit durch ein Modell nicht abbilden, so dass in einem solchen Szenario davon ausgegangen werden muss, dass der Prozess bereits seit der Fertigstellung kontinuierlich aktiv ist und sich ggf. beschleunigt. Um die verbleibende Sicherheit im Tragsystem quantifizieren zu können, ist ein Grenzwert erforderlich. Der im Folgenden vorgeschlagene Ansatz baut auf den Ergebnissen der rechnerischen Untersuchung nach der Handlungsanweisung [4] auf. Prinzipiell ist dieses Vorgehen aber auch für die Nachrechnungsrichtlinie der DB AG [19] anwendbar, da die beiden Nachweisformate in den ersten Schritten vergleichbar aufgebaut sind. In Abbildung 14 ist ein typisches Ergebnis der querschnittsweisen Untersuchung für einen Einfeldträger dargestellt. Es wurden die Restspannstahlfläche A Z,r bei Rissbildung des Betons und die erforderliche Spannstahlfläche A Z,r,erf zur Einhaltung einer Restsicherheit von γP = 1,1 prozentual zu vorhandenen Spannstahlfläche A Z angegeben. In den Randbereichen ist erkennbar, dass die erforderliche Spannstahlfläche die Restspannstahlfläche überschreitet. In diesen Bereichen liegt kein Ankündigungsverhalten des Bauwerks vor und kann i. d. R. auch mit dem stochastischen Nachweis für das Tragwerk nicht erbracht werden. Für das SEM ist das Ankündigungsverhalten und damit verbundene visuelle Feststellbarkeit der inneren Schädigung jedoch nicht relevant. Entscheidend ist, dass an keinem Punkt, die für eine bestimmte Restsicherheit erforderliche Spannstahlfläche A Z,r,erf unterschritten wird. Für die Ermittlung eines Grenzwertes kann in diesem Zusammenhang die Stelle mit der größten erforderlichen Spannstahlfläche als maßgebend angesetzt Abbildung 14: Qualitative Darstellung eines typischen Untersuchungsergebnisses für einen Einfeldträger nach Handlungsanweisung [4] werden. In dem Fall des Einfeldträgers ist dies die Feldmitte. In Bezug zur vorhandenen Spannstahlfläche kann hieraus die maximale Anzahl möglicher Drahtbrüche im kritischen Querschnitt A Z,DB,max bestimmt werden. Dieser Wert ist eine obere Grenze, die unter Berücksichtigung des Ausgangszustand des Tragwerks abgemindert werden muss. Die Definition von quantitativen Grenzwerten unterstützt im Entscheidungsprozess und hilft die Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmter Szenarien besser einschätzen zu können. In Abhängigkeit der Entscheidungspfade können bestimmte Situationen besser antizipiert und frühzeitig erforderliche Schritte eingeleitet werden. Für den Bauherrn entsteht so ein kontrolliertes Risiko- und Kostenmanagement. 6. Zusammenfassung Innerhalb des Verkehrswegenetzes in Deutschland gibt es eine Reihe von Spannbetonbauwerken, die aufgrund einer Schädigung infolge Spannungsrisskorrosion während ihrer Restnutzungsdauer überwachungsbedürftig sind. Von Bedeutung bei der Überwachung bzw. bei der Zustandsbeurteilung sind dabei vor allem Informationen über den Zustand der Spannglieder bzw. der Spanndrähte. Ein wesentliches Hindernis bei der Erfassung deren Zustands ist, dass die im Beton liegenden Spannglieder von außen nicht zugänglich sind. Die Schallemissionsanalyse ist in dieser Hinsicht ein vielversprechendes Messverfahren. Ein erfolgreiches SE-Monitoring setzt jedoch ein individualisiertes, auf den speziellen Anwendungsfall und dessen spezifische Fragestellungen zugeschnittenes Gesamtkonzepts voraus, welches die Randbedingungen der 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 559 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten Konstruktion und des Betriebes berücksichtigt. Hierfür muss ein Sensornetzwerk entwickelt werden, welches eine möglichst hohe Detektionswahrscheinlich gewährleistet. In Laboruntersuchungen wurde mit diesem Ziel ein großer Stichprobenumfang an Drahtbrüchen gewonnen und hieraus eine Modellvorstellung für die Bestimmung der maximal zulässigen Sensorabstände entwickelt und dargelegt. Die gemessenen Schallemissionsdaten können in verschiedenen Stufen und mit unterschiedlichen Methoden sehr zuverlässig ausgewertet und Drahtbrüche identifiziert, sowie lokalisiert werden. Bei kontinuierlicher Anwendung sind somit jederzeit validierte Aussagen zur Anzahl und zur Verteilung der Brüche innerhalb des Messzeitraums möglich. Für den Betreiber entsteht so die Möglichkeit, die Aktivität und den Spannstahlzustand qualitativ zu einzuschätzen. Eine fachliche Bewertung der Messdaten sollte jedoch stets durch Bauingenieure erfolgen, die nachweisbare Erfahrungen in der Detektion von Drahtbruchereignissen und tiefgehende Fachkenntnisse über die Brückenkonstruktionen und den spezifischen Schädigungsprozess haben. Für diese Bewertung wurde ein Konzept zur Definition von Grenzwerten (Anzahl örtlich korrelierter Drahtbrüche) vorgeschlagen, welches auf den rechnerischen Untersuchungen nach [4] aufbaut. Dies ermöglicht Entscheidungspfade klar zu definieren und auch in kritischen Szenarien das Risiko einzuschätzen. Literatur [1] Bolle, G.; Mertzsch, O.; Marx, S. (2017): Messtechnische Dauerüberwachung zur Absicherung der Restnutzungsdauer eines spannungsrisskorrosionsgefährdeten Brückenbauwerks. Beton- und Stahlbetonbau 122 (2), S. 75-84 - DOI: 10.1002/ best.201600067 [2] Wenner, M.; Käding, M.; Marx, S. (2018): Messtechnische Überwachung bei Brückenbaumaßnahmen. Bautechnik 95(1), S. 44-52 - DOI: 10.1002/ bate.201700101 [3] Marx, S.; Wenner, M.; Käding, M.; Wedel, F.: Vom Rechnen und Wissen - Monitoring an den Talbrücken der Neubaustrecke Erfurt-Halle/ Leipzig. In: Curbach, M. (Hrsg.): Tagungsband zum 28. Dresdner Brückenbausymposium am 12./ 13.3.2018 in Dresden, Dresden: Institut für Massivbau der TU Dresden, 2018, S. 41-56 [4] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS, Hrsg.): Handlungsanweisung zur Überprüfung und Beurteilung von älteren Brückenbauwerken, die mit vergütetem, spannungsrisskorrosionsgefährdetem Spannstahl erstellt wurden (Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion). Ausgabe 2011 [5] Hopwood, T.; Prine, D.W. (1987): Acoustic Emission Monitoring of In-Service Bridges. Transportation Cabinet Commonwealth of Kentucky and Federal Highway Administration U.S. Department of Transportation [6] Pollock, A.A.; Smith, B. (1972): Stress-Wave Emission Monitoring of a Military Bridge. Nondestructive Testing 30(12), S. 348-353 [7] Prine, D.W.; Hopwood, T.: Improved Structural Monitoring with Acoustic Emission Pattern Recognition. Kentucky Transportation Center Research, 1983 [8] Carlos, M.F.; Cole, P.T.; Vahaviolos, J.; Halkyard, T.: Acoustic emission bridge Inspection/ monitoring stategies. In: Alampalli, S. (Hrsg.): Structural Materials Technology: An NDT Conference. Atlantic City, 2000, S. 179-183 [9] Paulson, P.; Elliot, J.; Youdan, D. (2001): Continuous acoustic monitoring of bridges. Stahlbau 70(4), S. 245-250 - DOI: 10.1002/ stab.200100880 [10] Paulson, P.: Continuous acoustic monitoring of suspension bridges and cable stays. In: Proc. SPIE 3400, Structural Materials Technology III: An NDT Conference. 31 March 1998, S. 205-2014 - DOI: 10.1117/ 12.300092 [11] Elliott, J.F. (1996): Monitoring Prestressed Structures. Civil Engineering, American Society of Civil Engineers 66(7), S. 61-63 [12] Cullington, D.W.; Paulson P.; Elliott P. (2001): Continuous Acoustic Monitoring of Grouted Post- Tensioned Concrete Bridges. NDT&E International (Non Destructive Test & Evaluation) 34(2), S. 95-106 [13] Yuyama, S.; Yokoyama, K.; Niitani, K.; Ohtsu, M.; Uomoto, T. (2007): Detection and evaluation of failures in high-strength tendon of prestressed concrete bridges by acoustic emission. Journal of Construction and Building Materials 21(3), S. 491- 500 - DOI 10.1016/ j.conbuildmat.2006.04.010 [14] Fricker, S. (2009): Schallemissionsanalyse zur Erfassung von Spanndrahtbrüchen bei Stahlbetonbrücken. Disertation ETH Zürich, Zürich, 168 S. [15] Sodeikat, C., Groschup, R., Knab, F. and Obermeier, P. (2019), Acoustic Emission in der Bauwerksüberwachung zur Feststellung von Spannstahlbrüchen. Beton- und Stahlbetonbau, 114: 707-723. doi: 10.1002/ best.201900041 [16] Schacht, G., Käding, M., Bolle, G. and Marx, S. (2019), Konzepte für die Bewertung von Brücken mit Spannungsrisskorrosionsgefahr. Beton- und Stahlbetonbau, 114: 85-94. doi: 10.1002/ best.201800087 [17] DIN EN 13554 (2011): Zerstörungsfreie Prüfung - Schallemissionsprüfung - Allgemeine Grundsätze, Stand April 2011, DIN 560 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Schallemissionsmonitoring im Spannbetonbrückenbau - Herausforderungen und Möglichkeiten [18] [53] Marx, S.; Hahn, O.; Wenner, M.: Monitoring an Brücken, Möglichkeiten und Grenzen. In: Ingenieurakademie West e.V. (Hrsg.): Brückenbau im Fokus, 25.11.2016, Essen [19] DB Netz AG (Hrsg.): Bauwerke mit spannungsrisskorrosionsgefährdeten Spannstählen - Nachrechnungskonzept. 22.07.2013 [20] [54] DIN EN 13554: 2011-04: Zerstörungsfreie Prüfung - Schallemissionsprüfung - Allgemeine Grundsätze. Berlin, 2011 4. Brückenkolloquium - September 2020 561 Detektion von Spannstahlbrüchen mit Acoustic Emission im Rahmen der Bauwerksüberwachung Christian Sodeikat Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat GmbH, München, Deutschland Zusammenfassung Die Schallemissionsanalyse (Acoustic Emission AE) wird insbesondere bei vorgespannten Ingenieurbauwerken zunehmend angewendet, um Spannstahlbrüche zu detektieren. Hierzu sind andere Messverfahren nicht oder erst bei einer sehr großen Anzahl an Brüchen in der Lage. Die Langzeitdetektion von Spannstahlbrüchen an Bauwerken mit AE ist möglich, die Schallsignale infolge Spannstahlbrüche können von anderen Schallereignissen unterschieden werden. Für Schallereignisse sind in der Steuerungsbzw. Auswertesoftware Schwellwerte festzulegen, die bei potentiellen Bruchereignissen Alarme für den zuständigen Personenkreis generieren, jedes Alarmereignis ist nachträglich zu analysieren. Dabei ist zu bewerten, ob es sich ich tatsächlich um einen Bruch handelt oder eine andere Schallquelle alarmauslösend war. Die Sensorik muss für jedes Bauwerk speziell geplant werden, hierzu empfehlen sich Vorversuche am Bauwerk. Eine wesentliche Stärke der AE liegt darin, dass ein ganzes Bauwerk mit einer begrenzten Anzahl von Sensoren überwacht werden kann. Auf die Planung des Sensornetzwerks ist hierbei besonderes Augenmerk zu richten, um alle möglichen Bruchorte am Bauwerk abzudecken. 1. Einleitung Brückenbauwerke werden in Deutschland regelmäßigen Prüfungen nach DIN 1076 unterzogen. Diese 3-jährigen Prüfzyklen mit den eingesetzten Prüfverfahren reichen bei zahlreichen älteren Bauwerken jedoch nicht aus, um den sicheren Betrieb zu gewährleisten. Besonders gefährdete Bauwerke müssen einer Dauerüberwachung unterzogen werden, um das Tragverhalten kontinuierlich zu überprüfen und zunehmende Schädigungen im zeitlichen Verlauf zu erfassen. Ferner sollen singuläre Ereignisse/ Schädigungen erfasst werden, die auf ein Bauteilversagen, im schlimmsten Fall auf ein Bauwerksversagen, hindeuten bzw. dieses ankündigen. Eine Dauerüberwachung besteht in der Regel aus unterschiedlichen Messverfahren, die in Kombination zu erfassen und auszuwerten sind. Häufig kombiniert werden z.B. Verformungsmessungen am Bauwerk, Temperaturmessungen (zur Kompensation der daraus resultierenden Verformungen), Dehnungsmessungen an Bauteilen (z.B. am Spannstahl), Schwingungsmessungen (zum Erfassen veränderlicher Steifigkeiten) und Messungen zur Detektion von Rissen (z.B. mit Glasfaseroptik). Bei Bauwerken, bei denen mit Spannstahlbrüchen zu rechnen ist, empfiehlt sich die gezielte Überwachung mit Schallsensorik. Mit dem Messverfahren der AE können Spannstahlbrüche detektiert und bei geeigneter Anordnung der Sensoren auch lokalisiert werden. 2. Einsatzgebiete von AE an Brücken Bei folgenden Bauwerken bzw. Bauwerkssituationen bietet AE gegenüber anderen Messmethoden entscheidende Vorteile, siehe auch [1, 2]: 2.1 Spannungsrisskorrosionsempfindliche Spannstähle [1] AE stellt bei Bauwerken, die mit spannungsrisskorrosionsempfindlichen Spannstählen hergestellt wurden, das einzige Monitoringverfahren dar, mit dem Spannstahlbrüche kontinuierlich erfasst werden können. Das Versagen erfolgt schlagartig und verformungsarm (Sprödbruch). Korrosionsnarben und Anrisse an Spannstählen können auch in Hüllrohrabschnitten entstehen, welche ordnungsgemäß verpresst sind und keine erhöhten Chloridgehalte aufweisen. Mögliche Korrosionsursachen können z.B. sein: • Vorkorrosion der Spanndrähte durch zu lange Verweilzeit der Drähte im Hüllrohr vor der Injektion des Einpressmörtels • Vorkorrosion der Spanndrähte durch eingedrungenes Blutwasser aus dem Betoniervorgang • Verpressfehler während der Injektion • Entmischung des Einpressmörtels durch ungünstige hydraulische Verhältnisse im Hüllrohr 562 4. Brückenkolloquium - September 2020 Detektion von Spannstahlbrüchen mit Acoustic Emission im Rahmen der Bauwerksüberwachung • Fehlerhafte Zusammensetzung des Einpressmörtels und infolgedessen Entmischung des Einpressmörtels. 2.2 Spannstahlbrüche ohne Spannungsrisskorrosionsgefahr Spannstähle können bruchgefährdet sein, auch wenn die Stähle selbst nicht spannungsrisskorrosionsgefährdet sind. Über nicht funktionsfähige Abdichtungen und Übergangskonstruktionen, wasserführende Risse, Spritzwasser etc. können Tausalze bis zu den Hüllrohren und den Spannstählen gelangen und chloridinduzierte Korrosion auslösen. Je nach Rissbzw. Kerbempfindlichkeit können bereits kleine Korrosionsnarben zum Reißen der Spannstähle führen [3]. 2.3 Entmischter Injektionsmörtel infolge hoher Verpressdrücke Eine hoch korrosive Umgebung innerhalb von Hüllrohren kann entstehen, wenn nicht sedimentationsstabile Verpressmörtel mit hohen Drücken eingepresst werden. Durch Entmischungen des Verpressmörtels entstehen Anreicherungen an Alkalien und damit verbunden sehr hohe pH-Werte. Durch eine gleichzeitige Absenkung des elektrochemischen Potentials durch Sauerstoffverarmung wird ein sehr korrosiver Bereich innerhalb des Pourbaix- Diagramms erreicht. Spannstähle können innerhalb weniger Monate und Jahre soweit geschädigt werden, dass sie reißen. Gefährdete Bauwerke sind z.B. Brücken und hohe Türme [4, 5]. 2.4 Unverpresste Hüllrohre In größeren Hohlräumen innerhalb von Spanngliedern oder im Bereich der Spannanker kann es durch die eingeschlossene Luftfeuchtigkeit und wechselnden Temperaturen zu einem zyklischen Tauwasseranfall kommen. Durch den Wasseranfall und durch aus dem Verpressmörtel gelöste und auf den Spannstählen abgelagerte Salze kann es zu einem starken Korrosionsangriff kommen [6]. 2.5 Kompensation normativ geforderter Bauwerksprüfungen durch AE Durch besondere konstruktive Randbedingungen kann es vorkommen, dass Bauwerke nicht nach den normativen Vorgaben nach DIN 1076 oder RIL 804, Module 804.8001 und 804.8002 Ril visuell überprüft werden können, z.B. weil die Bauwerksunterseite nicht mehr zugänglich ist. In diesen Fällen ist die fehlende Inspizierbarkeit durch ein Bauwerksmonitoring zu kompensieren, wobei AE ein Teilsystem sein kann. 2.6 Bauwerkskontrolle während Probebelastungen Mit AE können Bauwerke während Probebelastungen überwacht werden. Je nach Randbedingungen sind z.B. Rissbildungen im Betonquerschnitt, Rissuferversätze und Spannstahlbrüche detektierbar [3]. 2.7 Überwachung rechnerisch nicht nachweisbarer Bauwerke Hier kann AE einen wichtigen Baustein für ein Gesamtmonitoring von Bauwerken darstellen, welche auch unter Anwendung fortgeschrittener tragwerksplanerischer Analysen nicht mehr ausreichend zuverlässig nachgewiesen werden können. Gelingt z.B. der rechnerische Nachweis Riss-vor-Bruch nach der Nachrechnungsrichtlinie nicht, kann eine zunehmende Schädigung des Bauwerks in Form von Spannstahlbrüchen durch AE im zeitlichen Verlauf erfasst werden. 2.8 Stahlbrücken und Stahlverbundbrücken Mit AE kann an Stahlbrücken eine fortlaufende Rissbildung an Schweißnähten erfasst und überwacht werden. 3. Grundlagen des Messverfahrens AE 3.1 Schallwellenarten Mit dem Messverfahren Acoustic Emission werden Schallemissionen (SE) gemessen, welche sich als elastische Wellen bei spontaner Energiefreisetzung in Festkörpern ausbreiten. In Festkörpern mit Oberflächen entstehen bei Schallereignissen folgende drei unterschiedliche Wellenarten, Bild 1, [7, 8]: • Kompressionswelle oder Longitudinalwelle (p-Welle), Wellengeschwindigkeit in Beton rd. 3.500 - 4.500m/ s • Scherwelle (s-Welle); Wellengeschwindigkeit in Beton rd. 2.400 - 2.900m/ s • Oberflächenwelle (R-Welle); Wellengeschwindigkeit in Beton rd. 2.200 - 2.600m/ s Für die Auswertung von AE Daten kann es dabei entscheidend sein, welche Wellenart gemessen wird. Zu beachten ist ferner, dass sich der Schall auch entlang des Bewehrungs- und Spannstahls ausbreitet und die Schallgeschwindigkeit mit 5.900 m/ s (p-Welle) und 3200 m/ s (s-Welle) deutlich größer ist. 4. Brückenkolloquium - September 2020 563 Detektion von Spannstahlbrüchen mit Acoustic Emission im Rahmen der Bauwerksüberwachung Bild 1: Unterschiedliche Wellenarten in Festkörpern. Bild aus: Spektrum der Wissenschaft. 3.2 Schallquellen Schallereignisse in Bauwerken können verschiedene Quellen haben und werden wie folgt eingeteilt: Primäre Schallquellen [9] Allgemeine Bruchereignisse, Spannstahlbrüche, Betonstahlbrüche, Rissentstehung im Beton oder Stahlbauteilen, Verbundversagen zwischen Bewehrung und Beton, Aufreißen von Schweißnähten Sekundäre Schallquellen [9] Reibung von Rissufern, Interaktion von Bewehrung und Beton, Reibung von Spannstahl in unverpressten Hüllrohren Tertiäre Schallquellen [1] Schallereignisse mit Ursprung außerhalb des Bauwerks, z.B. Arbeiten am Bauwerk (Ausführung von Bohrungen, Arbeiten mit mechanischen Hämmern etc.), Unfallbzw. Anprallereignisse, Kratzen von Schaufeln von Schneeräumfahrzeugen an Fahrbahnoberflächen etc. 3.3 Sensorik An Bauteiloberflächen entstehen durch Schallwellen Bewegungen senkrecht zur Bauteiloberfläche, welche i.d.R. von den piezoelektrischen Elementen der AE Sensoren aufgenommen und in elektrische Signale bzw. elektrische Spannungen umgewandelt werden. AE Signale weisen ein breites Frequenzspektrum zwischen 10 und 200 kHz auf [7]. Die Stärke (Amplitude) der gemessenen Schallsignale umfasst viele Größenordnungen, weshalb der Auswahl der richtigen Sensoren entscheidend ist. Bei der Überwachung von Betonbauwerken werden üblicherweise Breitbandsensoren mit einem Frequenzbereich zwischen 20 kHz und 100 kHz und Verstärkungen von rd. 46 dB verwendet, exemplarisch dargestellt in Bild 2. Bild 2: Exemplarischer Schallsensor mit Vorverstärkung und zugehörigem Frequenzspektrum, Bild Fa. Vallen GmbH Zur Überprüfung der Ankopplungsgüte der Sensoren ist es üblich, Bruchtests mit Bleistiftminen, sogenannte „PLB“ (pencil-lead breaks nach DIN EN 13477-2: 2010 [10]) durchzuführen. Hierzu werden mit einem Druckbleistift (dies entspricht einer sogenannten Hsu-Nielson Quelle: Mienenhärte 2H, Minendurchmesser 0,5 mm, genormter Distanzring zur Sicherstellung eines definierten Bruchwinkels) an jedem Sensor in einem Abstand von rd. 10 cm von der Sensormitte fünf Bleistiftminenbrüche erzeugt, welche von den Sensoren aufgezeichnet werden müssen. Nach [11] haben Zugrisse in Beton etwa die gleiche Größenordnung der Amplitude wie Bleistiftminenbrüche. 3.4 Datenaufzeichnung und -analyse Ankommende Schallsignale bzw. die mechanischen Wellen werden mit AE Sensoren ununterbrochen aufgenommen und durch A/ D-Wandler mit hohen Abtastrate von üblicherweise zwischen 25 ns und 100 ns in elektrische Signale umgesetzt. Diese Daten werden nicht alle gespeichert, da hierzu eine zu große Datenmenge gespeichert werden müsste. Die AE unterscheidet zwischen kontinuierlicher Schallemission, dies kann ein permanentes akustisches Rauschen sein, Bild 3, und sogenannten transienten Schallsignalen. Transiente Signale haben einen zeitlich erkennbaren Anfang und Ende. Dieses Ereignis wird als auch „Hit“ bezeichnet. Die Speicherung von AE Signalen erfolgt in zeitlichen Abschnitten, die Auslösung der Speicherung erfolgt über Triggerkriterien. Wird ein vorab eingestelltes Triggerkriterium erreicht, d.h. ein Schwellwert (threshold) überschritten, wird die Auf- 564 4. Brückenkolloquium - September 2020 Detektion von Spannstahlbrüchen mit Acoustic Emission im Rahmen der Bauwerksüberwachung zeichnung begonnen und theoretisch nach Unterschreiten des Schwellwerts wieder beendet. Für die nachträgliche Interpretation des Schallereignisses sind sowohl Messwerte vor Erreichen des Schwellwerts als auch Messwerte danach erforderlich. Aus diesem Grund wird eine vorab auf Basis von Voruntersuchungen defi nierte Vorlaufals auch Nachlaufzeit gespeichert. Bild 3: Kontinuierliches Schallsignal durch Arbeiten mit einer Bohrmaschine. Bild aus [1] Bild 4: Schallsignal (Amplituden/ Zeitverlauf) mit Darstellung der wesentlichen Schallparameter. Bild aus [1] Eine direkte signalbasierte Datenanalyse, bei der exakt nachgewiesen wird, wie welche Wellen entstanden sind, welche Wege sie genommen haben, wie sie gedämpft wurden etc. ist schwierig, die Rechenalgorithmen sind noch Gegenstand der Forschung. Der gravierende praktische Nachteil ist jedoch, dass die Berechnungen erst im Anschluss an die Messungen erfolgen können. Bruchereignisse, z.B. Spannstahlbrüche sollen in realen Bauwerken jedoch Alarmmeldungen in Echtzeit generieren, um ggf. schnell Maßnahmen einleiten zu können. In der Dauerüberwachung von Bauwerken wird deshalb eine parameterbasierte Datenanalyse durchgeführt, wobei die Auswertung der Schallsignale in der Regel über die folgenden 5 Parameter erfolgt, Tab. 1, Bild 2: Tab. 1: Wesentliche Parameter bei der Auswertung von AE Signalen, Tabelle aus [1] Parameter Beschreibung Counts [-] Anzahl der positiven Schwellwertüberschreitungen Amplitude [dB oder mV] Relative Signalstärke dB = 20 log (Vsensor/ 1mV) Energie [eu] Gemessene Energie 1 eu = 10-18 Ws => 10-14 V²s Risetime R [ms] Anstiegszeit von Überschreitung Schwellwert bis Erreichen des Maximums D Duration [ms] Zeitdauer von Erreichen bis Unterschreiten des Schwellwerts 4. Feststellung von Bruchereignissen Wird an einem Bauwerk über vorab eingestellte Triggerkriterien eine Alarmmeldung ausgelöst, welche auf ein Bruchereignis hindeutet, muss dieses Ereignis eingehend analysiert werden, um den Bruch zu bestätigen oder zu verwerfen. Das Vorgehen hierzu wird nachfolgend eingehender erläutert. Eventbildung - Bestätigung eines lokalisierten Events Ein Hauptkriterium bei der Bestätigung von Bruchereignissen stellt die sogenannte Event-Bildung dar. Bei sinnvoller Sensoranordnung wird ein Bruchsignal i.d.R. von mehreren Sensoren detektiert. Die Signale werden dabei aufgezeichnet und bewertet wobei folgende Defi nitionen gelten: - Hit: transientes Signal mit Anfang und Ende - Event: Zuordnung mehrerer Hits zu einem Ereignis - Localised Event (LE): lokalisiertes Ereignis Die Zuordnung zu einem Event bzw. einem Localised Event bedeutet, dass aufgrund der Analyse der Schallsignale nach den ermittelten Signalankunftszeiten bestätigt werden kann, dass alle an allen Sensoren ermittelten Schallsignale aus einer einzigen Schallquelle, dem Bruch kommen. Typische Schallparameter Ein Spannstahlbruch weist i.d.R. die folgenden Parameter auf, vgl. auch Bild 4: 4. Brückenkolloquium - September 2020 565 Detektion von Spannstahlbrüchen mit Acoustic Emission im Rahmen der Bauwerksüberwachung - Schallenergie/ Amplitude => hoch - Rise time => relativ kurz - Duration => relativ kurz - Counts => relativ wenige Lokalisierung von Schallereignissen Die Lokalisierung eines Ereignisses ist bei der Beurteilung, ob es sich bei einem Schallereignis um einen Bruch handelt, von maßgebender Bedeutung, nicht nur weil man bei der Anzeige eines Spannstahlbruchs möchte wissen wo, im besten Fall welcher Spannstahl gerissen ist. Zur Lokalisierung ist der Einsatz mehrerer AE Sensoren erforderlich. Bei der Überwachung nur eines Spannglieds (1D-Fall) sind mindestens zwei AE Sensoren, bei der Überwachung von Spanngliedern in einer Ebene (2D-Fall; z.B. Detektion von Spanngliedern an der Brückenunterseite) mindestens 3 AE Sensoren, bei räumlicher Detektion mindesten vier AE Sensoren erforderlich. In letzterem Fall müssen die Sensoren allerdings räumlich verteilt sein. Dies ist an realen Bauwerken häufi g nicht möglich. Die AE Sensoren sollten räumlich so verteilt angeordnet werden, dass potentielle Schallereignisse innerhalb des Sensornetzes auftreten, da dann die Lokalisierung am genauesten bzw. überhaupt erst möglich ist. Die Position der AE Sensoren ist genau einzumessen und in der Auswertesoftware einzugeben. Bild 5: Lokalisierung eines Spannstahlbruchs im 1-D Fall Bild 6: Lokalisierung eines Spannstahlbruchs im 2-D Fall Die Lokalisierung der Schallquelle erfolgt über einen Rechenalgorithmus, unter Ansatz der unterschiedlichen Ankunftszeiten der aufgezeichneten Hits an den ein-zelnen AE Sensoren. Entscheidend hierbei ist, dass die aufgezeichneten Hits aus einem Schallereignis kom-men. Die Hits werden dann zum Event zusammengefasst. Würden in einem Lokalisierungsprozess Hits aus verschiedenen Schallereignissen verwendet werden, würden sich unsinnige bzw. falsche Ergebnisse ergeben. Die Sensorhersteller verwenden zur Lokalisierung jeweils eigene Rechenalgorithmen, welche für den Anwender i.d.R. nicht einsehbar sind 5. Sensoranordnung, Dämpfung, Schallgeschwindigkeit 5.1 Grundlagen Zur Feststellung von Bruchereignissen ist die Lokalisierung von entscheidender Bedeutung. Die Lokalisierung wiederum ist maßgebend von der Sensoranordnung, der Dämpfung und der Schallgeschwindigkeit abhängig. Die erforderliche Anzahl der eingesetzten AE Sensoren zur Lokalisierung von Schallereignissen wird bestimmt durch die Stärke der Schallquelle und der Signaldämpfung innerhalb des Schalllaufweges. Ein Großteil der Dämpfung der Signale ist geometrisch bedingt. Die in einer angenommenen Punktquelle freigesetzte Energie wird auf eine sich ausbreitende Wellenfront verteilt, ohne dass Energie verloren geht. Eine weitere Dämpfung erfolgt durch Streuung der Wellen und Absorption, wobei die Dämpfungsanteile durch Absorption sehr gering sind. Die Dämpfung wird von der Bauteilgeometrie und dem konstruktiven Aufbau beeinfl usst. Schallwellen werden entlang von Stahl weniger gedämpft als quer dazu, außerdem ist die Schallausbreitungsgeschwindigkeit entlang des Stahls schneller als in Beton. Dies ist bei der Bewer- 566 4. Brückenkolloquium - September 2020 Detektion von Spannstahlbrüchen mit Acoustic Emission im Rahmen der Bauwerksüberwachung tung der Ankunftszeiten der Schallereignisse an den einzelnen Sensoren zu berücksichtigen. Eine Übersicht von Einfl ussgrößen bei der Lokalisierung von Schallquellen ist [11] zu entnehmen. 5.2 Bestimmung der Schallwege und Schalllaufzeiten an einer Eisenbahnbrücke In einem Versuch an einer längs- und quervorgespannten Eisenbahnbrücke wurde die Ausbreitung der Schallwellen infolge Spannstahlbrüche untersucht. Die Brüche wurden künstlich an geöffneten Spanngliedern durch Anfl exen hergestellt, Bild 7. Bild 8 zeigt die Reihenfolge der ankommenden Schallsignale. Der Bruch wurde an einem Längsspannglied ausgelöst (in Bild 8 horizontal verlaufend dargestellt). Man erkennt, dass sich der Schall wesentlich schneller entlang der Längsspannglieder ausbreitet als quer dazu entlang des Betons. Die Schallsignale erreichen z.B. die Sensoren Ch10, Ch9 und Ch8 schneller als den Sensor Ch1 obwohl dieser 50 % weniger weit entfernt ist [12]. Bild 7: Freilegung von Spanngliedern zur Untersuchung des Spannstahls und Versuchsdurchführung zur Spannstahlbruchdetektion. 5.3 Versuche zur Bestimmung der Schallwege und Schalllaufzeiten an der Gänstorbrücke Ulm [3] An der Gänstorbrücke in Ulm wurden im Vorfeld der Installation eines Acoustic Emission Systems Vorversuche zur Bestimmung der Sensoranordnung durchgeführt. Die Dämpfung der Konstruktion wurde durch Schallereignisse untersucht, welche durch einen handelsüblichen Rückprallhammer ausgelöst wurden. Die aufgezeichneten Schallsignale, Bild 9, bestätigen die rechnerischen Simulationen, Bild 10 und Bild 11. Je nach Entfernung zur Schallquelle werden an den AE Sensoren zuerst Oberfl ächenwellen oder Raumwellen aufgezeichnet. Die Schallsignale mit den höchsten Amplituden und dem vergleichsweise „ungleichmäßigsten“ Verlauf stellen die Oberfl ächenwellen (R-Wellen) dar, die Schallsignale der Raumwellen (p- und s- Wellen) sind hingegen gleichmäßiger im Verlauf und weisen wesentlich geringere Amplituden auf. Eine weitergehende Analyse der Schallwege zeigte, dass die Schallwellen „verschiedene Wege durch das Bauwerk gehen“ und je nach Schallleiter (Betonstahl, Spannstahl, Beton) keine einheitlichen Schallgeschwindigkeiten bestehen, was die Lokalisierung von Schallereignissen erschwert. Man erkennt jedoch auch, dass an der Oberfl äche von Stahlbetonbauwerken ausgelöste Schallereignisse eine andere Signalform aufweisen als Schallereignisse im Inneren, z.B. infolge von Spannstahlbrüchen. Damit können Schallereignisse von einem Anprall an das Bauwerk von Bruchereignissen unterschieden werden. 5.4 Rechnerische Simulationen zur Bestimmung von Schallwegen Zur Veranschaulichung von Schallmessungen, vgl. vorangegangene Abschnitte, wurden Simulationsberechnungen durchgeführt, mit denen eine Schallquelle an der Bauteiloberfl äche (Rückprallhammerschlag) und im Bauteilinneren (Spannstahlbruch) nachgestellt wurden. Beton und Stahl wurden als homogene, isotrope Materialien angesetzt. Die Berechnungen erfolgten mit dem FDTD (Finite Difference Time Domain, numerische Simulation im Zeitbereich) Verfahren unter Ansatz von E- Modul, Querdehnzahl und Dichte in einem 2D-Modell [13]. Simulation eines Spannstahlbruchs Der Spannstahlbruch wurde an einem Betonbauteil mit 2000 mm Länge, 400 mm Höhe und einem Spannstahl in 100 mm Tiefe simuliert. Schallwellen breiten sich unmittelbar ab dem Bruchzeitpunkt vom Bruchort (Quelle) zunächst in Spannstahllängsrichtung aus. Anschließend erfolgt die Wellenausbreitung (Raumwellen, d.h. p- und s-Wellen) weiter entlang im Spannstahl) und ausgehend von der Quelle im Beton. Vom Spannstahl werden Schallwellen (Raumwellen) ständig auch in den umgebenden Beton emittiert, so dass sich verschiedene Wellenfronten und Wellenarten ergeben, die sich fortlaufend überlagern. Je nach Abstand von der Quelle kommen an der Bauteiloberfl äche zuerst die Raumwellen aus dem Beton an, wobei aufgrund der höheren Schallgeschwindigkeit zuerst die p-Welle ankommt, bevor die s-Welle die Oberfl äche erreicht. Mit zunehmendem Abstand von der Quelle überholen die vom Spannstahl emittierten Raumwellen die Raumwellen, welche direkt von der Quelle ausgehen, Bild 10. Die Simulation zeigt, dass zur Lokalisierung von Schallquellen/ Bruchorten die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Schallwellen im jeweiligen Bauteil anhand der möglichen Schalllaufwege im Beton und im Spannstahl zutreffend abgeschätzt werden muss. 4. Brückenkolloquium - September 2020 567 Detektion von Spannstahlbrüchen mit Acoustic Emission im Rahmen der Bauwerksüberwachung Simulation eines Hammerschlags Zur Simulation eines (Hammer)Schlages wurde unter Ansatz der obigen Randbedingungen eine Schallquelle an der Bauteiloberseite erzeugt. In Bild 11 ist der Verlauf der Wellenfronten zum Zeitpunkt 298 ms nach Schallemission dargestellt. Man erkennt auch hier, dass die verschiedenen Wellen zu unterschiedlichen Zeiten an der Bauteiloberfläche ankommen. Der Hammerschlag löst im Beton seitlich eine s-Welle aus und nach unten eine p-Welle, welche sich als s-Welle im Stahl fortpflanzt. Obwohl sich die Schallquelle an der Betonoberfläche befindet, überholen die vom Stahl abgestrahlten Raumwellen nach etwa 750 mm die direkte s-Welle des Betons. D.h. auch hier müssen die Schalllaufwege richtig eingeschätzt werden, um eine Schallquelle ausreichend genau zu lokalisieren. 6. Anwendungsbeispiele Nachfolgend werden Anwendungsbeispiele für AE Systeme an Brücken dargestellt, welche aufzeigen, dass Spannstähle aus sehr verschiedenen Gründen bruchgefährdet sein können und eine sinnvolle Überwachung ohne AE nicht möglich ist. 6.1 Altstadtringtunnel München - spannungsrisskorrosionsgefährdeter Spannstahl [1] Der zwischen 1967 und 1972 in Deckelbauweise errichtete Altstadtringtunnel stellt eine wichtige Ost-Westverbindung im Innenstadtbereich dar. Die Blöcke des Haupttunnels sind überwiegend 1-achsig in Längsrichtung vorgespannt und mit Verdrängungskörpern hergestellt. Die vorgespannten Blöcke wurden mit Spannstahl vom Typ Sigma St 145/ 160 oval 40 hergestellt, welcher gemäß der Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion als spannungsrisskorrosionsgefährdet eingestuft wird. Im Rahmen von Bauwerksuntersuchungen wurden zum Teil starke Korrosionserscheinungen mit entsprechender Anrissbildung infolge Spannungsrisskorrosion fest-gestellt. Für den Bauherrn stellte sich nunmehr die Frage, ob und unter welchen Randbedingungen er das Bauwerk weiter betreiben kann. Aufgrund des geringen Feuchtegehalts des Einpressmörtels (Selbstaustrocknung) ist erst einmal davon auszugehen, dass die Korrosionsprozesse am Spannstahl stark verlangsamt ablaufen. Unter der Annahme, dass die Einwirkungen auf den Spannstahl gleich bleiben, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Altstadtringtunnel uneingeschränkt über einen Zeitraum von 25 bis 30 Jahren weiter genutzt werden kann. Da ein gewisses Restrisiko verbleibt, wurden von Seiten des Bauherrn jedoch Maßnahmen beschlossen, das Verhalten des Bauwerks langfristig zu überwachen und für einen möglichen Versagensfall einzelner Tunnelblöcke Vorkehrungen zu treffen. Im Rahmen einer 2-jährigen Versuchsphase an 4 Tunnelblöcken wurden durch das installierte AE System 4 unprovozierte/ spontane Spannstahlbrüche detektiert, dies zeigt die Sinnhaftigkeit der Dauerüberwachung mit AE. 6.2 Gänstorbrücke Ulm - Bruchgefahr durch Korrosion infolge unverpresster Hüllrohre [3] Voruntersuchungen ergaben eine lokal sehr starke Korrosionsschädigung der Spannstähle. Trotz großer Querschnittsverluste wurden noch keine Spannstahlbrüche aufgefunden, dies lässt darauf schließen, dass der Spannstahl ein vergleichsweise gutmütiges Bruchverhalten aufweist und nicht kerbempfindlich ist. Dennoch kann nicht zuverlässig abgeschätzt werden, inwieweit bereits Spannstahlbrüche aufgetreten sind und ob und in welcher Zeit zukünftig mit Spannstahlbrüchen gerechnet werden muss. Aufgrund der großen Querschnitte der Spannstähle und der vergleichsweise geringen Anzahl an Spannstählen wirken sich Spannstahlbrüche prozentual auf die Tragsicherheit der Gänstorbrücke wesentlich stärker aus, als beispielsweise Spanndrahtbrüche an Brücken mit Sigma-Oval-Stählen. Zur dauerhaften Überwachung auf Spannstahlbrüche wurden 36 AE Sensoren verteilt auf den vier Stegen und acht Zuggliedern angebracht. 6.3 Gänstorbrücke Ulm - Bruchgefahr durch chloridinduzierte Korrosion infolge undichter Ükos Im Bereich der vorgespannten Zugglieder wurde ein starker Chlorideintrag durch eine undichte Übergangskonstruktion festgestellt. Im Verlauf des ersten Jahres der AE Messungen wurde bereits ein Spannstahlbruch an einem Zugglied detektiert. Anmerkung zur Gänstorbrücke: Die Gänstorbrücke ist bereits so stark geschädigt, dass eine Sanierung nicht mehr möglich ist. Das installierte Monitoringsystem soll den sicheren Betrieb bis zum fertig gestellten Neubau gewährleisten. 6.4 Adenauer Brücke Ulm - Bruchgefahr im Bereich der Koppelfugen An der Adenauerbrücke sind Risse an der Koppelfuge aufgetreten. Die Nachrechnung hat ergeben, dass der Spannstahl infolge Ermüdung aufgrund der zu großen Schwingbreiten bruchgefährdet ist. Das installierte AE System soll den sicheren Betrieb bis zur statischen Ertüchtigung der Koppelfugen gewährleisten. 7. Ausblick Anhand der Schallemissionsanalyse AE ist es möglich, an Bauwerken singuläre Schadensereignisse, z.B. Spannstahlbrüche oder Schadensfortschritte, z.B. das Aufreißen von Schweißnähten zu detektieren. 568 4. Brückenkolloquium - September 2020 Detektion von Spannstahlbrüchen mit Acoustic Emission im Rahmen der Bauwerksüberwachung Bei den meisten Brücken mit rissgefährdetem Spannstahl kann ein zunehmender Spannstahlausfall nicht anhand zunehmender Verformungen detektiert werden. Erst bei einem Aufreißen des Brückenquerschnitts oder einer großen Anzahl von Spannstahlbrüchen werden die Verformungen so groß, dass sie über Verformungsmessungen eindeutig identifiziert werden können. In diesem Fall bedeutet dies aber häufig, dass das Bauwerk bereits schwer geschädigt ist und nicht weiter betrieben werden kann. Es ist im Interesse des Bauherrn, ständig über einen zunehmenden Schadensfortschritt Bescheid zu wissen, um rechtzeitig Maßnahmen einleiten zu können, wie z.B. die Planung/ Umsetzung einer Instandsetzung/ Verstärkung, falls dies möglich ist, oder eines Ersatzneubaus. Die Langzeitdetektion von Spannstahlbrüchen an Bauwerken mit AE ist möglich, die Schallsignale infolge Spannstahlbrüche können von anderen Schallereignissen unterschieden werden. Für Schallereignisse sind in der Steuerungsbzw. Auswertesoftware Schwellwerte festzulegen, die bei potentiellen Bruchereignissen Alarme für den zuständigen Personenkreis generieren. Jedes Alarmereignis ist nachträglich zu analysieren. Dabei ist zu bewerten, ob es sich ich tatsächlich um einen Bruch handelt oder eine andere Schallquelle alarmauslösend war. Die Sensorik muss für jedes Bauwerk speziell geplant werden. Es empfiehlt sich, anhand von Vorversuchen die Dämpfungseigenschaften und Schallgeschwindigkeiten des Bauwerks zu bestimmen. Anhand dieser Kennwerte sind dann Schall-sensoren mit geeigneter Verstärkung auszuwählen und die Sensoranordnung möglichst so festzulegen, dass Bruchsignale von mehreren Sensoren detektiert werden können, um den Bruchort zu bestimmen. Eine wesentliche Stärke der AE liegt darin, dass ein ganzes Bauwerk mit einer begrenzten Anzahl von Sensoren überwacht werden kann, ohne dass die Detektion von Ereignissen davon abhängt, ob Schäden an beliebigen Stellen im Bauwerk zu messbaren Veränderungen im Bereich lokaler Messstellen führen, beispielsweise lokalen Verformungen oder Dehnungsänderungen. Dennoch entfaltet die Technologie aufgrund der komplexen Bewertung erst in Kombination mit anderen Messsystemen ihre wahre Leistungsfähigkeit, indem Ereignisse in der Gesamtschau mehrerer Systeme analysiert werden können. AE stellt deshalb bei Bauwerken, welche einem Dauermonitoring unterliegen, zumeist nur eines von mehreren, kombiniert eingesetzten Messverfahren dar. Die Einbindung verschiedener Messsysteme in ein Gesamt-Monitoringsystem muss sorgfältig geplant werden, um alle Messdaten in geeigneten Datenformaten und insbesondere zeitsynchron zu erhalten. Die Datenaufnahme, Datenspeicherung, Datenfusion und das Postprocessing der Messdaten erfolgen üblicherweise über sogenannte Edge-Server. Die Datenvisualisierung und das Reporting erfolgt in Dashboards, in welchen die Daten für einen bestimmten Personenkreis einsehbar und auf verschiedenen Arten darstellbar aber nicht mehr manipulierbar sind. In Bild 12 ist das geplante Monitoringsystem eines Straßentunnels mit spannungsrisskorrosionsempfindlichem Spannstahl dargestellt. 4. Brückenkolloquium - September 2020 569 Detektion von Spannstahlbrüchen mit Acoustic Emission im Rahmen der Bauwerksüberwachung Bild 12: Beispiel der Datenaufnahme/ Datenverarbeitung eines Monitoringsystems für einen Straßentunnel mit spannungsrisskorrosionsempfi ndlichem Spannstahl. Integriert werden die Messsysteme (Messarten) Verformungsmessungen, Temperaturmessungen, Acoustic Emission, Korrosionsmonitoring mit der Option der Einbindung weiterer Messsysteme. 570 4. Brückenkolloquium - September 2020 Detektion von Spannstahlbrüchen mit Acoustic Emission im Rahmen der Bauwerksüberwachung Reihenfolge der aufgezeichneten Schallsignale der einzelnen Sensoren 4. Brückenkolloquium - September 2020 571 Detektion von Spannstahlbrüchen mit Acoustic Emission im Rahmen der Bauwerksüberwachung Bild 8: Reihenfolge der aufgezeichneten Schallsignale an den Sensoren Ch1 bis Ch10 (von oben links nach unten rechts). Das erste Schallsignal wurde an Sensor Ch5 detektiert (Bild oben links), das letzte an Sensor Ch6 (Bild unten rechts). 572 4. Brückenkolloquium - September 2020 Detektion von Spannstahlbrüchen mit Acoustic Emission im Rahmen der Bauwerksüberwachung Bild 9: Aufgezeichnete Schallsignale von Schlägen durch den Rückprallhammer zur Bestimmung der Schallgeschwindigkeiten und Dämpfung. Bild aus [1]. Bild 10: Rechnerische Simulation der Wellenausbreitung infolge eines Spannstahlbruchs; Wellenfronten zum Zeitpunkt 146 ms nach Schallemission. Bild aus [1]. 4. Brückenkolloquium - September 2020 573 Detektion von Spannstahlbrüchen mit Acoustic Emission im Rahmen der Bauwerksüberwachung Bild 11: Rechnerische Simulation der Wellenausbreitung eines „Hammerschlags; Wellenfronten zum Zeitpunkt 298 ms, Bild aus [1]. Literatur [1] Sodeikat, C.; Groschup, R.; Knab, F; Obermeier, P.: Acoustic Emission in der Bauwerksüberwachung zur Feststellung von Spannstahlbrüchen. Beton und Stahlbetonbau 114 (2019), Heft 10., S. 707 - 723. [2] Schacht, G.; Käding, M.; Bolle, G.; Marx, S.: Konzepte für die Bewertung von Brücken mit Spannungsrisskorrosionsgefahr: In: Beton- und Stahlbetonbau 114 (2018), Heft 12, Ernst & Sohn Verlag, Berlin. [3] Müller, A.; Sodeikat, C.; Schänzlin, J.; Knab, F.; Albrecht, L.; Groschup, R.; Obermeier, P.: Die Gänstorbrücke in Ulm - Untersuchung, Probebelastung und Brückenmonitoring. In: Beton- und Stahlbetonbau 115 (2020), Heft 2, Ernst & Sohn Verlag, Berlin. [4] Bertolini, L., Carsana, M.: High pH Corrosion of Prestressing Steel in Segregated Grout, In: Andrade C., Mancini G. (eds) Modelling of Corroding Concrete Structures. RILEM Bookseries, vol 5. Springer, Dordrecht. [5] Sodeikat, Ch.; Mayer, K.; Obermeier, Ph.: Corrosion on prestressing wires due to segregation of the injection mortar - Detection of injection defects with Ultrasonic-Echo Technique. ICCRRR 2018, Cape Town South Africa. [6] Sodeikat, Ch.; Schönemann, U.; Lautz, M.; Schießl, P.; Gehlen, Ch.: Untersuchung an den Spannverankerungen dreier Straßenbrücken in München. In: Beton- und Stahlbetonbau 99 (2004), Heft 4, S. 278-288, Ernst & Sohn Verlag, Berlin. [7] Graff, K.F.: Wave Motion in Elastic solids. New York, NY: Dover Publications, Inc., 1991. [8] Gibson A., Popovics J.S.: Lamb wave basis for impact-echo method analysis. Journal of Engineering Mechanics, 131 (4) , pp. 438-443, 2005. [9] Große, Ch.; Schumacher, Th.: Anwendung der Schallemissionsanalyse an Betonbauwerken. Bautechnik 90 (2013), Heft 11, S. 721-731. Ernst & Sohn Verlag, Berlin. [10] DIN EN 13477-2: 2013-04: Zerstörungsfreie Prüfung - Schallemissionsprüfung - Gerätecharakterisierung -Teil 2: Überprüfung der Betriebskenngrößen; Deutsche Fassung EN 13477-2: 2010. [11] Fricker, St.: Schallemissionsanalyse zur Erfassung von Spanndrahtbrüchen bei Stahlbetonbrücken. ETH Zürich, Research Collection, 2010. [12] Roger, M.; Sodeikat, Ch.; Diewald, F.: Detektion von Spannstahlbrüchen mittels Acoustic Emission. Wissenschaftlicher Kurzbericht Nr. 47 (2020). TU München, Ingenieurfakultät Bau Geo Umwelt, Centrum Baustoffe und Materialprüfung. [13] www.simsonic.fr; Bossy et al, JASA 115, 2314- 2324, 2004. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 575 Zerstörungsfreie Zustandserfassung der Moorbrücke BAB A27 Johannes F. Scherr (Autor, Referent) Technische Universität München, München, Deutschland Jörg Alex (Co-Autor, Co-Referent) INROS LACKNER SE, Hamburg, Deutschland Christian U. Große (Co-Autor) Technische Universität München, München, Deutschland Frank Kühn (Co-Autor) Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr, Hannover, Deutschland Zusammenfassung: Die 1,46 km lange Moorbrücke überführt die Bundesautobahn A 27 über ein Moorgebiet östlich von Bremerhaven. Die Besonderheit der Konstruktion besteht in der direkt befahrenen Fahrbahnplatte, die aus einer Kiesbetontrag- und Splittbetonverschleißschicht besteht, die frisch in frisch herzustellen war. Es zeigte sich, dass der Verbund zwischen diesen beiden Betonschichten vielfach nicht mehr gegeben ist. Die Brücke ist als nicht zukunftsfähig eingestuft, muss aber bis zu ihrem Ersatz in zehn bis 20 Jahren erhalten werden. Ein Gesamtschadensbild wurde hierzu mit Hilfe der zerstörungsfreien Prüfmethode Impakt-Echo aufgenommen. Der entwickelte Impakt-Echo Scanner erlaubt eine schnelle und zuverlässige Schadensdetektion der Stahlbetonfahrbahnplatten. Bei drei Untersuchungen wurde insgesamt eine Fläche von 17 600 m 2 gemessen. Die Richtungsfahrbahn Süd (RF Walsrode) zeigte starke Delaminationsschäden und wurde, basierend auf den Ergebnissen, auf 1,46 km Länge in den Jahren 2018 und 2019 instand gesetzt. Hierzu wurde die obere Splittbetonverschleißschicht mit einem Höchstdruckwasserstrahl abgetragen und neu aufgebaut. Das Ergebnis wurde abschließend mit der zweiten Messreihe überprüft und zeigt einen guten Verbund von neuer und Bestandsbetonschicht. Die lokalisierten Fehlstellen wurden automatisch klassifiziert und in einen CAD-Plan eingetragen. Die gewonnenen Informationen helfen eine Schädigung für jede Fahrbahn und Brückenabschnitt auszuweisen. Eine mögliche Instandsetzung kann besser geplant oder vermieden werden. 1. Einleitung In den Jahren 1969 / 1970 wurde im Zuge des Neubaus der BAB 27 von Walsrode nach Cuxhaven unmittelbar nördlich der Anschlussstelle Bremerhaven-Mitte und nördlich der Brücke über die Geeste (BW 1008) von km 127,365 bis km 128,827 die Moorbrücke (BW 1007) errichtet. Die verkehrliche Bedeutung liegt in der Anbindung der Stadt Cuxhaven an das Netz der BAB und der Verbindungfunktion zwischen den Anschlussstellen Bremerhaven-Mitte und Bremerhaven-Überseehäfen begründet. Der DTV / SV (2016) beträgt 41776 Kfz / 4231 Kfz. Die Brücke überführt die BAB 27 über ein tiefgründiges Moorgebiet östlich von Bremerhaven. Die Moorbrücke hat eine Länge von etwa 1460 m und eine Gesamtbreite von 28,65 m. Die Überbauten der jeweiligen Richtungsfahrbahnen sind mit einer 5 cm breiten Fuge getrennt. In Längsrichtung ist das Bauwerk in insgesamt 14 Felder unterteilt, 13×104,47 m und 1×91,87 m. Am südöstlichen Ende des Bauwerkes ist es für die Beschleunigungsspur der Anschlussstelle Bremerhaven Mitte in Fahrtrichtung Cuxhaven verbreitert. Die Brücke ist auf ausbetonierten Stahlpfählen Hoesch Profil UP 103 mit Fußverbreiterung tief gegründet. Die Köpfe der Pfähle binden in etwa 80 cm hohe und 50 cm breite Querträger ein. Monolithisch verbunden sind diese Querträger wiederum mit der 40 cm dicken Überbauplatte. Ein Fahrbahnbelag im heutigen Sinne ist nicht vorhanden. Laut Bestandsplänen sollte 33 cm Konstruktionsbeton (B300, Kiesbeton) und darüber frisch in frisch 7 cm „Verschleißschicht“ (B400, Splittbeton) mit Edelsplittgemisch als Zuschlag eingebaut werden. Aus den Bestandsunterlagen und der Beprobung geht hervor, dass diese „Verschleißschicht“ Bestandteil der tragenden 576 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zerstörungsfreie Zustandserfassung der Moorbrücke BAB A27 Konstruktion ist. Die obere Bewehrungslage liegt innerhalb der „Verschleißschicht“. Die Betonfahrbahn ist direkt befahren, es ist kein Fahrbahnbelag mit Fahrbahnabdichtung vorhanden. Die Bauweise der Brücke entspricht den Vorgaben der DIN 1075 „Massive Brücken Berechnungsgrundlagen“, Abschnitt 4.2 „Unmittelbar befahrene Stahlbeton-Fahrbahnplatten“ und stellt zum Planungs- und Bauzeitpunkt eine normativ geregelte Bauweise dar. Der Übergang der Felder ist jeweils mit einem Fahrbahnübergang (Fingerprofi l) ausgebildet. Das endende Teilbauwerk ist jeweils mittels verschieblicher Stahllager auf dem Querträger des Nachbarfeldes aufgelagert. Die Brücke ist als „nicht zukunftsfähig“ eingestuft und soll daher in den kommenden zehn bis 20 Jahren ersetzt werden. Bis dahin muss die Nutzbarkeit und damit die Tragfähigkeit und Verkehrssicherheit der Brücke gewährleistet sein. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit die Schädigungen durch zerstörungsfreie Prüftechniken (ZfP) auf effi ziente und zuverlässige Weise zu erfassen, zu bewerten und zu dokumentieren. Die Straßenbehörde testete in der Vergangenheit mehrere ZfP-Techniken, darunter Ultraschall, manuelles Impakt- Echo und Infrarot-Thermografi e. Ultraschall- und manuelle Impakt-Echountersuchungen zeigten an einer Brückenprobefl äche mit bekannter Schädigung gute Ergebnisse. Die Infrarot-Thermografi e Untersuchung, die unter laufendem Verkehrs erfolgte, lieferte hingegen große Abweichungen zum realen Schadensbild. Die positiv getesteten Methoden Ultraschall und manuelles Impakt-Echo lagen nicht als automatisierte Verfahren vor und kamen hinsichtlich des Zeitaufwandes und der erforderlichen Fahrbahnsperrungen nicht für eine gesamte Fahrbahnbeprobung in Betracht. Abb. 1: Zeichnung des Brückenquerschnitts. Beide Richtungsfahrbahnen sind auf separaten Überbauten montiert. 1.1 Schadensursachen und weitere Untersuchungen Zur Verifi zierung der Impakt-Echo-Messungen der TU München vom Mai 2017 erfolgte eine Bohrkernentnahme und eine Untersuchung durch die MPA Bremen. Durch die Bohrkerne konnten sowohl die detektierten Delaminationen und auch die als ungeschädigt ausgegebenen Bereiche stichpunktartig bestätigt werden. Weitere Aufgaben bestanden in der Ermittlung der Schadensursache der Delaminationen, sowie der Erweiterung der bestehenden Datengrundlage zu den mechanischen Eigenschaften des Bestandsbetons; • Ermittlung des E-Moduls des Bestandsbetons • Ermittlung der erreichten Verbundfestigkeit in den Probeinstandsetzungsfl ächen • Ermittlung der Verbundfestigkeit im Bestand zwischen Kiesbeton und Splittbeton im delaminationsungeschädigten Bereich • Verifi zierung der Messergebnisse der Impakt-Echo- Messungen vom Mai 2017 im Bereich bisher unbekannter Delaminationsstellen • Ermittlung der Ursachen für den unterschiedlichen Schadensumfang der einzelnen Teilbauwerke Die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchungen: • Die Betondruckfestigkeit wurde an einem Befund mit C35/ 45 ermittelt. • Der Chloridgehalt in Höhe der oberen Bewehrungslage liegt über dem Wert 0,5 M.-% Chlorid • Bauteilöffnungen auf Grundlage einer Potentialfeldmessung ergaben jedoch nur sehr vereinzelt beginnende Chloridkorrosion an der Betonstahlbewehrung. • Karbonatisierungstiefen i.M. ca. 3-4 mm, maximaler Einzelwert 12 mm (bei planmäßiger Betondeckung 4 cm) 1.2 Zerstörungsfreie Zustandserfassungen an der Moorbrücke Das Abklopfen von Betonoberfl ächen ist eine bewährte und zuverlässige Methode. Im Rahmen der Hauptprüfun- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 577 Zerstörungsfreie Zustandserfassung der Moorbrücke BAB A27 gen nach DIN 1076 kommt dieses Verfahren standardmäßig zum Einsatz. Die zertifizierten Bauwerksprüfer sind aufgrund der Erfahrungen in der Lage Hohlstellen durch Abklopfen zu identifizieren. Ultraschall: Das Prinzip einer Ultraschallprüfung besteht in der Messung von Reflexionen akustischer Wellen in Bauteilen. Die ausgesendeten elastischen Wellen werden an Schichtgrenzen unterschiedlicher akustischer Impedanz reflektiert, wobei die reflektierte Energie mit steigendem Impedanzunterschied zunimmt. An einer Grenzfläche von Beton zu Luft besteht nahezu Totalreflexion wobei Luftschichtdicken im Submillimeterbereich genügen, so wie sie bei Delaminationen zu erwarten sind, um die Reflexion zu ermöglichen. Damit ist vom Messprinzip her das Verfahren geeignet, allerdings müssen die Prüfköpfe meist mit dem Bauteil gekoppelt werden, woraus sich ein erheblicher zeitlicher Aufwand ergibt [1] Infrarot-Thermografie: Unterschieden wird die passive und aktive Infrarot-Thermografie. Für die aktive Thermografie wird die Probeoberfläche beheizt, um einen Temperaturgradienten zu erzeugen. Die passive Infrarot-Thermografie hingegen nutzt die natürliche Wärmestrahlung der Probefläche. Aus diesem grundlegenden Unterschied ergeben sich auch die Maßgeblichen Vor- und Nachteile der Methoden. Die aktive Infrarot-Thermografie benötigt eine Sperrung der Fahrbahn, das Aufheizen der Oberfläche benötigt Zeit und Energie. Durch die aktive Erwärmung sind Unterschiede aufgrund des veränderten Wärmeflusses, beispielsweise infolge eines Hohlraumes unter der Oberfläche, nach Abschalten der Wärmequelle erkennbar. Die hier getestete passive Infrarot-Thermografie kann jedoch nur die witterungsbedingten Temperaturunterschiede über einen Tag und Nachtzyklus für eine Auswertung nutzen. Erschwerend hinzu kommen die Einflüsse der fahrende Fahrzeuge, die ebenfalls Wärmequellen darstellen, insbesondere die warmen Abgase erschweren die Auswertung und führen zu einer Beeinflussung der Ergebnisse [1]. Impakt-Echo: Die Impakt-Echo (IE)-Methode wurde in den 1980er Jahren vom National Institute of Standards and Technology und der Cornell University als zerstörungsfreie Prüftechnik für plattenförmige Betonstrukturen entwickelt [2]. Seitdem hat sich IE in zahlreichen Situationen als anwendbar erwiesen, einschließlich der Fehlstellenlokalisierung, der Dickenmessung von Platten und der Materialcharakterisierung [3-6]. Es handelt sich um ein Verfahren mit elastischen Wellen, welches die transiente Schwingungsantwort einer plattenartigen Struktur auf einen mechanischen Stoß untersucht [7]. Die zugrundeliegende Lamb-Wellen-Theorie definiert eine lateral unendliche ausgedehnte Platte durch drei unabhängige Parameter: Scherwellengeschwindigkeit, Poissonzahl und Dicke [8]. Ein transienter Stoß erzeugt eine Resonanz, die eine gekoppelte Längs- und Querbewegung aufweist, die in symmetrische (S) und antisymmetrische (A) Moden unterteilt ist. Der Punkt der Nullgruppengeschwindigkeit (ZGV) der symmetrischen (S1) Lamb-Moden-Dispersionskurve erster Ordnung entspricht der so genannten IE-Frequenz [9]. Bei bekannter P-Wellengeschwindigkeit kann die IE-Frequenz empirisch mit der Plattendicke in Beziehung gesetzt werden, mit wobei h die Plattendicke und β ein Korrekturfaktor ist, der von der Poissonzahl des Materials abhängt (0,945 bis 0,957 für Beton [9]); bezeichnet die P-Wellengeschwindigkeit und die Dickenresonanz. Die Formel kann invers verwendet werden, um die IE-Frequenz bei bekannter Plattendicke und P-Wellengeschwindigkeit zu berechnen. Die Berechnung der Plattendicke wird aufgrund falscher Annahmen der Poissonzahl oft unterschätzt [10]. Für die vorliegende Fallstudie werden solche Abweichungen als vernachlässigbar angesehen, da der Fokus auf der Fehlstellensuche und nicht der Plattendickenbestimmung liegt. Die Schwingungsantwort der Platte wird im Frequenzspektrum analysiert, wobei ein Maximum bei der IE-Frequenz in einer ungestörten Platte sichtbar ist [11]. In einer delaminierten Platte dominieren, abhängig von der Tiefe des Defekts, niederfrequente flexurale Biegeschwingungen das Frequenzspektrum, die die Schwingung des delaminierten Teils repräsentieren und weisen auf Schädigungen hin [7, 11]. Die gemessene Frequenz bezieht sich auf die Tiefe des Defekts, wobei niederfrequente Biegeschwingungen auf flache Defekte hinweisen, während höhere Frequenzen als die IE-Frequenz auf tief liegende Defekte hinweisen [12]. Ein Prüfer kann normalerweise den Unterschied zwischen einer intakten und einer delaminierten Platte hören, wenn sowohl die IE-Frequenz als auch die Frequenz der flexuralen Biegeschwingungen in der menschlichen Hörfläche liegen. Um das Problem dieses subjektiven Eindrucks zu beheben, können oberflächengebundene Beschleunigungssensoren und Mikrofone eingesetzt werden, um das Signal aufzuzeichnen. Für kleine Untersuchungen mag dies ausreichend sein, für große Brückenplatten sind jedoch eine automatische Impulsanregung und eine berührungslose Signalaufzeichnung erforderlich. 1.3 Bestehende Impakt-Echo Messgeräte In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Impact- Echo-Scanner vorgestellt, die eine schnelle Beurteilung des Zustandes einer Brückenfahrbahn ermöglichen. Alle beruhen auf einem mechanischen Impakt auf die Betonoberfläche, während die Empfänger entweder luftgekoppelte Mikrofone oder an der Oberfläche befestigte Beschleunigungssensoren sind. Gucunski hat eine bewegliche Roboterplattform entwickelt, die vier zerstörungsfreie Bewertungstechniken umfasst: Impakt-Echo, Georadar, elektrische Widerstandstomographie und Ul- 578 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zerstörungsfreie Zustandserfassung der Moorbrücke BAB A27 traschall-Oberflächenwellen sowie optische Kameras. Das Gerät vermisst bis zu 1000 m 2 Straßenoberfläche pro Stunde [13]. Mazzeo entwickelte ein Impakt-Echo Messgerät welches die sogenannte chain drag method nutzt. Hierbei werden Stahlketten um Räder gewickelt die hinter einem Anhänger gezogen werden. Die Drehung der Räder und der punktförmige Kontakt der Ketten auf der Fahrbahnoberfläche erzeugt die akustischen Wellen im Beton. Mit einer Geschwindigkeit von 10 km/ h bis 55 km/ h, gehört es zu den schnellsten verfügbaren Geräten [14]. Das Impakt-Echo Messgerät nach Guthrie verwendet einen Stahlhammer zusammen mit einem luftgekoppelten Mikrofon in einer scannenden Fahrweise, ähnlich dem an unserem Lehrstuhl entwickelten System [15]. Zhu zeigt, wie luftgekoppelte Sensoren eine mechanische Kopplung überflüssig machen, und Ham beschreibt weiter die Eignung von Micro-Electro-Mechanical-Systems (MEMS) -Mikrofonen für den Einsatz an Betonbauteilen [12, 16]. Andere Geräte wurden von Tinkey [17], Zhang [18] oder Sun [19] konstruiert. 2. Impakt Echo Scanner Der entwickelte Impakt-Echo Scanner besteht aus drei Impaktor- und Empfängereinheiten, einer Signalverarbeitungseinheit, einem RTK-GPS (Real Time Kinematic Global Positioning System) und einem beweglichen Wagen, auf dem die Einheiten montiert sind [20]. Die Impaktoren- und Empfängereinheiten sind jeweils mit drei Impaktoren und einem Mikrofonarray mit 30 cm Durchmesser (0,07 m 2 ) ausgestattet, das 35 MEMS-Mikrofone umfasst. Die Impaktoren sind als Stahlkugel-Hubmagnete mit einem internen Schocksensor konstruiert, der die Signalaufzeichnung initialisiert. Das mehrfache Prellen des Impaktors auf der Betonoberfläche wird durch das Anheben der Stahlspitzen kurz nach dem Aufprall verhindert. Die Schlaghäufigkeit der Impaktoren ist an die Geschwindigkeit des Gerätes gekoppelt, wobei die maximale Geschwindigkeit bei 600 m/ h liegt. Die von der Betonoberfläche abgestrahlte IE-Mode wird von denen im Mikrofonarray verbauten Mikrofonen aufgezeichnet, wobei die Form des Arrays (Abb. 2) die größte Empfindlichkeit für die senkrecht zur Betonoberfläche abgestrahlte Welle gewährleistet und den seitlichen Verkehrslärm dämpft [21]. Die Aufnahmezeit des Mikrofonarrays beträgt 12,5 ms nach jedem Impakt. Der Abstand von der Impaktposition zum äußeren Rand des Mikrofonarrays beträgt 3,5 cm. Zur Reduzierung der Umgebungsgeräusche wurde zur zusätzlichen Schalldämmung ein Schaumstoffring um das Array angebracht. Abb. 2: Blick auf die Unterseite einer Impaktor- und Empfängereinheit. Sichtbar sind die drei Hubmagnetenhämmer sowie das Mikrofonarray. Ein an einem Rad des Wagens angebrachtes Messrad misst die gemessene Wegstrecke. Durch den modularen Aufbau des Scanners mit bis zu drei Impaktor- und Empfängereinheiten kommt es zwischen den einzelnen Modulen zwangsweise zu einem Abstand von 60 cm. Der Scanner erlaubt eine Messfläche von 0,9 m 2 pro geschobenen Meter und 540 m 2 pro Stunde. Um die gesamte Breite abzudecken, muss der Scanner nach jeder Messfahrt um 30 cm versetzt werden. Da die Dickenfrequenz nur im Bereich der Aufprallposition angeregt wird, nimmt jede Impaktor- und Empfängereinheiten nur ihr eigenes Signal auf und nicht das Signal der Einheit nebenan. Als Größe einer detektierten Delamination wird die Fläche des Mikrofonarrays mit 0,07 m 2 , angenommen. Abbildung 3 zeigt eine Frontalansicht des Scanners während der Messung. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 579 Zerstörungsfreie Zustandserfassung der Moorbrücke BAB A27 Abb. 3: Frontalansicht des Fahrbahnscanners im Aufbau mit drei Impaktor- und Empfängereinheiten, der Signalverarbeitungseinheit, montiertem Laptop und RTK-GPS Antenne. 3. Datenverarbeitung Nach jedem Aufprall wird die abgestrahlte Druckwelle an jedem der 35 MEMS-Mikrofone aufgezeichnet. Um das Signal-Rausch-Verhältnis zu erhöhen, werden die 35 Signale gestapelt. Eine schnelle Fourier-Transformation (FFT) wird durchgeführt, um die dominanten Peaks im Spektrum zu analysieren. Ein Bandpassfilter filtert das niederfrequente Umgebungsrauschen heraus und ermöglicht somit eine klarere Auswertung der IE-Frequenz und der Frequenzen der Biegeschwingungen. Die Daten werden als Distanz-Frequenz-Plots dargestellt, die die IE- Frequenz und die Frequenzen der Biegeschwingungen zeigen. Jedes aufgezeichnete Signal wird mit einer GPS- Marke und einem Wegpunkt versehen, um eine genaue Positionierung zu ermöglichen. Eine automatische Delaminierungserkennung ist in der Auswertung so implementiert, dass eine Delamination angezeigt wird, wenn die IE-Frequenz nicht auftritt und eine tieferfrequente Biegeschwingung an der gleichen Stelle sichtbar ist. 4. Messreihen und Resultate Auf der Moorbrücke wurden drei Messkampagnen im Mai 2017, April 2019 und Oktober 2019 durchgeführt, bei denen insgesamt ca. 17 600 m 2 Fahrbahnfläche der Moorbrücke untersucht wurden. Zu allen Terminen waren die zu messenden Fahrstreifen wegen laufender Bauarbeiten gesperrt. Der Verkehr wurde auf dem angrenzenden Fahrstreifen geführt. Der zweiteilige Überbau hat zwei Fahrstreifen und einen Standstreifen pro Richtungsfahrbahn. Die Fahrbahnplatte, mit einer Dicke von 40 cm, ist zu den Querträgern leicht auf 45 cm Dicke gevoutet. Die Querträger haben eine Breite von 50 cm und einen Abstand von 6,30 m. Der Überbau besteht aus 33 cm bewehrtem Kiesbeton und einer 7 cm dicken Verschleißschicht aus Splittbeton die auch die oberste Bewehrungslage enthält. Die Bohrkernauswertungen zeigten, dass die Dicke der Verschleißschicht schwankt und bis zu 12 cm betragen kann. Die Brückenkonstruktion wird somit als 40 cm dicke Platte mit unendlicher seitlicher Ausdehnung betrachtet. Ein Straßenbelag mit Dichtung als weitere oder gar elastische Grenzschicht existiert nicht. Die Bohrkernauswertungen zeigten weiter, dass bereits mit der Herstellung der Verschleißschicht eine Trennschicht auf der Kiesbetontragschicht bestand und damit keine frisch in frisch Herstellung vorlag. Die IE-Frequenz der Brücke wird bei 4900 Hz-5100 Hz gemessen, und mit einer bekannten Plattendicke von 40 cm kann die P-Wellengeschwindigkeit mit der obigen Formel auf 4083 m/ s bis 4250 m/ s berechnet werden. Im Bereich der Voute und besonders der Querträger ist eine andere Frequenz zu erwarten. Der Scanner wurde mit einer Geschwindigkeit von 500 - 600 m/ h geschoben, wobei die neun Hubmagneten etwa 300 Impakte pro Quadratmeter erzeugten. Die Daten wurden auf einem montierten Laptop gespeichert und teilweise während der Messungen verarbeitet. 580 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zerstörungsfreie Zustandserfassung der Moorbrücke BAB A27 Abb. 4: Distanz-Frequenz-Plot eines Teilfeldes mit intakter Plattenstruktur. Die IE-Frequenz ist bei 5 kHz zu sehen, mit Unterbrechungen alle 6,3 m aufgrund von Querträgern. Das durchgehende Frequenzband zwischen den Traversen zeigt eine intakte Platte ohne Delaminationen an. Die roten Pfeile zeigen die Lage der Querträger. Im Mai 2017 wurden ca. 2200 m 2 der beiden südlichen Richtungsfahrbahnen gemessen, wobei 689 Delaminationen gefunden wurden. Zur Verifizierung der Impakt- Echo Messungen erfolgten begleitende Bohrkernentnahmen. Die Verteilung der Delaminationen ist nahezu regelmäßig über alle Teilbauwerke und betrifft Stütz- und Feldbereiche. Wegen dieser flächigen Verteilung der Delaminationen beschloss die zuständige Straßenbehörde, die Hauptspur der RF Walsrode auf kompletter Länge instand zu setzen. Bei der Instandsetzung wurden die obersten 10-15 cm des Bestandsbeton mit einem Höchstdruckwasserstrahl (HDW)- Roboter abgetragen, die Verbundfläche gereinigt, 70 000 Verbundanker gesetzt, geschädigte Bewehrung ergänzt und eine planmäßige Bewehrung verlegt und die so vorbereiteten Bereiche betoniert. Abbildung 4 zeigt einen 45 m langen Distanz- Frequenz-Plot einer Messung auf einem Teilfeld. An der Position der tragenden Querträger ist die Plattenstruktur unterbrochen, was die Bildung von Lambwellen verhindert, so dass keine IE-Frequenz sichtbar ist. In der zweiten Messkampagne im April 2019 war es unter anderem die Aufgabe, die Qualität der Instandsetzung des Hauptfahrstreifens der RF Walsrode zu beurteilen. Darüber hinaus wurden ausgewählte Teilbereiche der RF Cuxhaven (Nord) untersucht, um Delaminationen zu detektieren. Die Verbindung von neu aufgebrachtem- und Bestandsbeton wird als Erfolg angesehen, wenn die instand gesetzte Richtungsfahrbahn die gleiche IE-Frequenz wie vor der Reparatur aufweist. Ein unzureichender Verbund würde sich als tieffrequente, flexurale Biegeschwingung im Signal zeigen. Auf der instand gesetzten Hauptfahrbahn in Richtung Süden wurde eine Fläche von 2600 m 2 untersucht, wobei nur wenige Verdachtsstellen gefunden wurden. Eine Bohrkernentnahme an diesen Stellen zeigte keine Delaminationen, sondern nur leichte Anomalien im neuen Betongefüge. Auf Grundlage dieser Ergebnisse kam die Straßenbehörde zu dem Schluss, dass die Instandsetzung der Fahrbahn erfolgreich war. Im Jahr 2019 wurde die Überholspur der RF Walsrode instand gesetzt, so dass nun beide Fahrstreifen in südlicher Richtung eine neue Betonoberfläche aufweisen. Mit einer dritten Messkampagne im Oktober 2019 wurden 2600 m 2 der zuvor instand gesetzten Überholspur in südlicher Richtung und 10 200 m 2 der Richtungsfahrbahn in nördlicher Richtung untersucht. Die instand gesetzte Überholspur in südlicher Richtung zeigte noch wenige verbliebene Verdachtsstellen gegenüber dem Hauptfahrstreifen und bestätigen damit eine erfolgreiche Instandsetzung. Die Hauptspur der RF Cuxhaven weist 51 Delaminationen auf und die Überholspur 80 Delaminationen. Im letzten Schritt der Datenauswertung wurden alle Delaminationen in eine CAD-Datei der Brücke importiert, um eine Gesamtschadensbewertung zu ermöglichen. Die meisten Delaminationen wurden auf den beiden Fahrspuren Richtung Süden gefunden vor der Instandsetzung. Die nicht instand gesetzten Fahrspuren in Richtung Norden weisen deutlich weniger Delaminationen auf als die Fahrspuren Richtung Süden vor der Instandsetzung. Der Scanner wurde insgesamt über eine Strecke von 20 km geschoben, was etwa 50 Arbeitsstunden, verteilt auf 8 Tage, erforderte. Abbildung 5 zeigt einen Distanz- Frequenz-Plot eines Brückenteilfeldes mit detektierten Delaminationen. Das IE-Frequenzband ist an mehreren Stellen unterbrochen, und Biegeschwingungen werden durch hohe Amplituden bei niedrigen Frequenzen angezeigt. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 581 Zerstörungsfreie Zustandserfassung der Moorbrücke BAB A27 Abb. 5: Distanz-Frequenz Plot eines Teilfeldes mit Delaminationen. Die IE-Frequenz ist bei 5 kHz sichtbar, mit Unterbrechungen alle 6,30 m aufgrund von Querträgern. Das unterbrochene Frequenzband bei 65-66 m, 78 m und 83-84 m mit höheren Amplituden bei niedrigen Frequenzen weist auf eine delaminierte Plattenstruktur hin. Die roten Pfeile zeigen die Lage der Querträge, die blauen Pfeile die Lage der Delaminationsstellen. 5. Diskussion Größe und Tiefe der Delaminationen sind bei Impact- Echo-Messungen schwer zu quantifizieren. Im vorliegenden Fall werden in den Daten nur Biegeschwingungsfrequenzen gefunden, die niedriger als die IE-Frequenz sind was auf flache Defekte hindeutet. Es wird angenommen, dass die Größe der Delamination gleich der Größe des Mikrofonarrays ist, weil durch Stapelung der einzelnen 35 Signale, das Signal über die Größe des Arrays gemittelt wird. Es ist daher möglich, die Größe von Defekten, die kleiner als die Array-Größe sind, zu überschätzen. Ein dichtes Messraster kann eine Unterschätzung der Defektgröße vermeiden. In dieser Feldstudie lag der Fokus auf einer Gesamtschadensübersicht, weniger an der genauen Lage der einzelnen Delaminationen. Die Auflösung der Größe einer einzelnen Delamination wird somit als ausreichend angesehen. Mit einer Abtastfähigkeit von 540 m 2 / h ist das Gerät wesentlich schneller als eine manuelle Sondierung, jedoch zu langsam für den Einsatz im fließenden Verkehr. 6. Schlussfolgerung Das primäre Ziel dieser Studie, die großflächige Schadensbeurteilung durch Erkennung von Delaminationen an der Moorbrücke, wurde schnell und zuverlässig durchgeführt. Gezogene Bohrkerne bestätigten die gefundenen Delaminationen durch die Impakt-Echo-Messungen. Das sekundäre Ziel, die Beurteilung der Verbindung von frischem und Bestandsbeton und somit der Nachweis der erfolgreichen Instandsetzung wurde erfolgreich durch die Messung der gleichen IE-Frequenz vor und nach der Reparatur verifiziert. Alle Messungen fanden bei laufendem Verkehr in der Umgebung statt, wobei der Lärm erfolgreich durch die Konstruktion der Empfänger-Arrays unterdrückt werden konnte. Die gemessenen Richtungsfahrbahnen zeigen signifikante Unterschiede in der Schädigung, was die Annahme einer Schädigung durch eine fehlerhafte frisch in frisch Betonage auf den Fahrbahnen in Richtung Süden unterstützt. Auf der Grundlage der Impakt-Echo-Messungen wurden die Entscheidungen zur Reparatur der RF Süd getroffen, was die große Bereitschaft zeigt, den Messdaten zu vertrauen. Da die Messungen der RF Nord wesentlich geringere Delaminationen aufweisen, kann hier der Instandsetzungsaufwand verringert werden. Danksagung Die Autoren sind dankbar für die wertvollen Beiträge von Sebastian Münchmeyer (Elektroingenieur am Institut), der bei der Durchführung der Messungen geholfen hat. Die ursprüngliche Entwicklung des Fahrbahnscanners wurde von der Bundesanstalt für das Straßenwesen (BASt) in Bergisch Gladbach und im Auftrag des Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur unter FE-Nr. 08.0238/ 2015/ CRB gefördert. Literatur [1] Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V. 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Kolloquium Brückenbauten - September 2020 583 Detektion korrosionsaktiver Bereiche an Brückenbauwerken aus Stahlbeton mittels Potentialfeldmessung Gino Ebell, Andreas Burkert Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Berlin, Deutschland Zusammenfassung Durch das alkalische Porenwassermilieu wird Stahl im Beton durch Ausbildung einer Deckschicht vor Korrosion geschützt. Unter ungünstigen Umgebungsbedingungen (Karbonatisierung, Chlorideintrag) kann die passive Deckschicht auf der Stahloberfläche zerstört werden. Im weiteren Verlauf können sich durch Volumenexpansion der Korrosionsprodukte korrosionsbedingte Folgeschäden, wie Risse und Abplatzungen am Bauwerk ergeben. Um notwendige Sanierungsmaßnahmen sind frühzeitige und weitgehend zerstörungsfrei ermittelte Informationen über das aktuelle Korrosionsverhalten der Stahlbewehrung von großer Bedeutung. Die Potentialfeldmessung ist ein etabliertes und weit verbreitetes Verfahren zur Beurteilung des Korrosionszustandes der Bewehrung in Stahlbetonbauwerken. Mit Hilfe dieses Verfahrens können Bereiche aktiv korrodierender Bewehrung zerstörungsfrei lokalisiert werden. In der Regel kommt diese Messmethode bei der Detektion chloridinduzierter Korrosion zum Einsatz. 1. Einleitung In der Regel ist die korrosive Beanspruchung der Bewehrung von Stahlbetonbauwerken der lebensdauerbestimmende Faktor eines Bauwerkes. Für die Instandsetzung eines Bauwerkes ist es somit entscheidend, im Vorfeld ein Messverfahren zu verwenden, dass aktive Korrosion detektieren kann, um den Umfang von Instandsetzungsmaßnahmen zielgerichtet planen zu können. Die Potentialfeldmessung ist ein Verfahren zur Ermittlung korrodierender Bewehrung in Beton [1]. 2. Messverfahren Die Potentialfeldmessung (Abbildung 1) ist ein weit verbreitetes, quasi zerstörungsfreies Messverfahren zur Detektion von aktiv korrodierender Bewehrung in Stahlbetonbauwerken. Dieses Verfahren ist aufgrund der nötigen Kontaktierung der Bewehrung quasi zerstörungsfrei. Mit dem Messverfahren können Potentialdifferenzen zwischen der Bewehrung und einer auf der Betonoberfläche aufgesetzten, externen Bezugselektrode ermittelt werden [2,3]. In der Praxis werden die Potentialdifferenzen in einem zuvor definierten Messraster auf der jeweiligen Messfläche aufgenommen. Bei großflächigen Messungen werden sogenannte Radelektroden eingesetzt, bei denen die ortsaufgelöste Potentialzuweisung über einen integrierten Wegaufnehmer realisiert wird. Diese Radelektroden gibt es als Einzelelektrode oder auch als „Vierradelektrode“, die eine Messbreite von bis zu 60 cm je Messtrecke abdeckt und somit einem Messrastervon 20 cm in der Breite entspricht. Abbildung 1: Prinzipskizze Potentialfeldmessung Abbildung 2 zeigt einen sogenannten „Potentialtrichter“ der als solcher erst in der dreidimensionalen Darstellung erkennbar ist. Die Detektion solcher Potentialtrichter ist ein deutlicher Hinweis auf einen aktiv korrodierenden Bereich, wobei die Potentiallage selbst nur eine untergeordnete Rolle spielt. Gemäß [1, 4] liegt das Hauptaugenmerk auf der Detektion von lokalen Potentialgradienten, die einen Potentialtrichter ausbilden. Im ASTM Standard C876 [5] wird dies anders gehandhabt. Hier werden Korrosionswahrscheinlichkeiten festen Potentialbereichen zugewiesen. Die Aus- und Bewertung einer Potential- 584 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Detektion korrosionsaktiver Bereiche an Brückenbauwerken aus Stahlbeton mittels Potentialfeldmessung feldmessung gemäß [5] wird nicht empfohlen, da es keine direkte Korrelation der Korrosionswahrscheinlichkeit und dem gemessenen Potential gibt ohne die Grundgesamtheit zu betrachten. Abbildung 2: Prinzipskizze eines Potentialtrichters Die Durchführung der Potentialfeldmessung und die Anforderungen an das Prüfpersonal sind sowohl im Merkblattes B 3 „Elektrochemische Potentialmessung zur Detektion von Bewehrungsstahlkorrosion“ der Deutschen Gesellschaft für zerstörungsfreie Prüfung (DGZfP) als auch im Merkblatt 2006 „Planung, Durchführung und Interpretation der Potenzialmessung an Stahlbetonbauten“ [4] des schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) ausführlich beschrieben. 3. Prüfpersonal Aufgrund der hohen Anforderungen an das Prüfpersonal beschreibt das Merkblatt B3 die Qualifikation an das Prüfpersonal wie folgt. „Die Durchführung der Potentialmessung bis zur Formulierung einer zuverlässigen Prüfaussage erfordert eine ausreichende Sachkunde sowohl auf dem Gebiet der Korrosion und des Korrosionsschutzes als auch auf dem Gebiet der Betontechnologie sowie zumindest Grundkenntnisse aus dem Bereich des konstruktiven Ingenieurbaus. Der Nachweis dieser Sachkunde kann z.B. durch Zeugnisse oder Ausbildungsnachweise und Nachweise entsprechender Fortbildungen erfolgen [1]. Die Messungen selbst können, unter Anleitung und Überwachung durch die sachkundige Person, auch durch Personal ohne auseichende Sachkunde durchgeführt werden. 4. Aus- und Bewertung der Potentialfeldmessung Für die Interpretation einer Potentialfeldmessung sind stets ergänzende Messverfahren durchzuführen, die mögliche Einflüsse wie z.B. eine variierende Betonfeuchte oder Beton-deckung auf die Messergebnisse beschreiben können. 4.1 Zusatzuntersuchungen Die aufgeführten Zusatzuntersuchungen sind zwingend erforderlich für eine fachgerechte Aus- und Bewertung einer Potentialfeldmessung., Bei den erforderlichen Zusatzuntersuchungen handelt es sich um: - Vollflächige Betondeckungsmessung - Vollflächiges Abklopfen zur Hohlstellenfindung - Vollflächige Untersuchung der Betonoberfläche auf: - freiliegende Bewehrung - Abdichtungsreste - OS-Systeme - Risse - Entwässerungseinrichtungen - Durchdringungen metallischer Bauteile - Chloridbestimmung - Stichprobenartige Bestimmung der Karbonatisierungstiefe - Sondierungsöffnungen Ergänzende Zusatzuntersuchungen sind z.B.: - Betonwiderstandsuntersuchungen - Betonfeuchtemessung mittels Mikrowellen - Messung des elektrischen Betonwiderstands 4.2 Grafische Darstellung der Messergebnisse Die grafische Darstellung der Messergebnisse soll stets mit geeigneten Randparametern erfolgen, deren Wahl eine eindeutige und wirkungsvolle Visualisierung erlaubt. Abbildung 3 zeigt eine Farbdarstellung mit einer Bereichseinteilung von 50 mV je zugewiesener Farbe. In diesem Fall kennzeichnen die dunkelroten bis hin zu dunkelorangen Farbzuweisungen die korrosionsaktiven Bereiche (Potentiale von -350 bis -500 mV, gemessen gegen eine Kupfer - Kupfersulfat Elektrode). Bei der Darstellung der Potentialfeldmessergebnisse in Farbdarstellung sollte die Signalwirkung der Farben Beachtung finden. So sollten, wie dargestellt, z.B. dunkelrote Farben für die negativsten gemessenen Potentialbereiche Verwendung finden. Die statistische Analyse (Häufigkeits- oder Summenhäufigkeitsverteilung) von Potentialfeldmesswerten zur Festlegung von Grenzwerten zwischen aktiv korrodierender und passiver Bereiche sind ohne große Fachkenntnis nicht zu empfehlen. Hierbei kann es aufgrund variierender Durchfeuchtungen des Betons zu einer fehlerhaften Grundgesamtheit kommen und somit zu falschen Grenzwerten. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 585 Detektion korrosionsaktiver Bereiche an Brückenbauwerken aus Stahlbeton mittels Potentialfeldmessung Abbildung 3: Darstellung einer Potentialfeldmessung vs. Cu/ CuSO4 sat. 5. Abschließende Begutachtung und Sondierung Nach grafi scher Auswertung der Potentialfeldmessung muss eine Freilegung der Bewehrung zur Feststellung des tatsächlichen Schädigungsgrades erfolgen. Hierzu werden die Bereiche mit den negativsten Potentialen erneut mit einer Handelektrode eingemessen und die Beton-deckung in diesem Bereich entfernt. Die freigelegte Bewehrung muss anschließend hinsichtlich ihres Korrosionszustandes bewertet werden. Auch in Bereichen von Rissen sowie in Bereichen, in denen eine eindeutige Zuweisung der Potentialwerte nicht möglich ist, muss eine Freilegung der Bewehrung erfolgen. Diese Vorgehensweise ist für jede Messfl äche erforderlich, eine messfl ächenübergreifende Aussage für das gesamte Bauwerk ist nicht möglich. Nach Validierung der Messergebnisse mit den zugehörigen Sondierungen kann eine abschließende Beurteilung des Instandsetzungsbedarfs erfolgen. 6. Lehrgang zum Erwerb des Sachkundenachweises zur Durchführung von Potentialfeldmessungen Der Lehrgang zum Erwerb des Sachkundenachweises zur Durchführung von Potentialfeldmessungen wird über die GfKORR mit Unterstützung der DGZfP Ausbildung und Training GmbH im jährlichen Rotationserfahren an drei Standorten in Deutschland (Aachen, Berlin, München) angeboten. Der Lehrgang ist in einen theoretischen und einen praktischen Ausbildungsteil gegliedert und nimmt inkl. der theoretischen und praktischen Prüfung einen Zeitraum von drei Tagen ein. Im Rahmen der theoretischen Ausbildung werden folgende Themen behandelt: - Grundlagen der Korrosion - Korrosion von Stahl in Beton - Elektrochemische Messungen - Das Merkblatt B03 der DGZfP - Einordnung der Potentialfeldmessung in das Konzept der Bauwerksdiagnose - Fehlerquellen in der Praxis Die praktische Schulung erfolgt an einem großformatigen Probekörper, an dem sowohl korrodierende Bewehrung als auch praxisrelevante Fehlerquellen verdeckt eingebaut sind. In Abbildung 4 ist exemplarisch der Probekörper der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung in Berlin dargestellt. An diesem Probekörper und weiteren Probekörpern erfolgt die praktische Ausbildung, zur Durchführung der Potentialfeldmessung, Betondeckungsmessung, elektrischer Betonwiderstand und weiteren notwendigen Messverfahren. Abbildung 4: Großformatiger Probekörper der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin Im Anschluss erfolgt eine 90-minütige schriftliche Prüfung sowie eine praktische Prüfung ohne zeitliche Beschränkung. Die Durchführung der Potentialfeldmessung hat in der Prüfung eigenständig zu erfolgen und wird über die Dauer der Prüfung begutachtet. 586 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Detektion korrosionsaktiver Bereiche an Brückenbauwerken aus Stahlbeton mittels Potentialfeldmessung 7. Beispiel aus der Praxis Im Rahmen des Kooperationsprojektes „ZfPStatik“ zwischen der Universität der Bundeswehr München und der BAM wurde die Erstellung der Rückbaustatik eines Brückenbauwerkes durch die Einbeziehung von Informationen aus ZfP-Untersuchungen unterstützt. Dabei wurden die Querkraftbewehrung und die Längsspannglieder lokalisiert [6]. Darüber hinaus wurden an exponierten Bereichen Potentialfeldmessungen durchgeführt und der Elektrolytwiderstand des Betons ermittelt. Abbildung 5 zeigt den Messbereich unterhalb der Brückenkappe sowie den Steg des Hohlkastenprofi ls mit dem zugehörigen Messraster von 15 x 15 cm. Rot umrandet ist ein freier Ablauf von Oberfl ächenwasser, welches im Bereich der Brückenkappe unterläufi g ist. Die Entwässerung besteht aus unlegiertem Stahl der stark korrodiert ist. Eine elektronenleitende Verbindung zur Bewehrung ist nicht gegeben. Unterseite des Kragarms Steg des Hohlkastenprofi ls Abbildung 5: Übersicht der Messbereiche an Kragarm und Steg des Hohlkastenprofi ls Bevor die Oberfl äche für die Potentialfeldmessung befeuchtet wurde, ist mittels Wennersonde der Elektrolytwiderstand ermittelt worden. Die Ergebnisse sind in Abbildung 6 bis 8 dargestellt. Abbildung 6: Übersicht Widerstandsmessung mit Wennersonde In den Abbildungen 7 und 8 sind die jeweiligen Widerstände grafi sch aufbereitet. Im Bereich des Kragarms/ Brückenkappe sind deutlich geringere Widerstände als am Steg ermittelt worden. Dies hängt mit der Durchfeuchtung der Brückenkappe bzw. mit dem Eintrag von Tausalzen in die Betonmatrix zusammen. Abbildung 7: Ergebnis der Widerstandsmessung an der Kragarmunterseite Abbildung 8: Ergebnis der Widerstandsmessung am Steg des Hohlkastenprofi ls Im Nachgang an die Widerstandsmessungen sind Potentialfeldmessungen an der Unterseite des Kragarms und am Steg durchgeführt worden. Die grafi sche Darstellung der Ergebnisse ist in den Abbildungen 9 bis 11 abgebildet. Abbildung 9: Übersicht Potentialfeldmessung an Kragarm und Steg des Hohlkastenprofi ls Im Bereich des Kragarmes sind anodische Teilbereiche sowohl am Abfl uss als auch am Übergang zur Brückenkappe zu verorten. Gekennzeichnet sind diese durch die sehr niedrigen Potentiale. Eine Validierung der Messergebnisse durch Sondieröffnungen erfolgte nicht. Stattdessen sind Bohrkerne entnommen worden, deren Auswertung noch aussteht. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 587 Detektion korrosionsaktiver Bereiche an Brückenbauwerken aus Stahlbeton mittels Potentialfeldmessung Abbildung 10: Ergebnis der Potentialfeldmessung an der Kragarmunterseite Im Bereich des Steges (Abbildung 11) sind keine anodischen Teilbereiche verortet worden. Lediglich der Einfl uss der deutlich negativeren Potentiale aus dem Kragarm sind an dessen Übergang festzustellen. Abbildung 11: Ergebnis der Potentialfeldmessung am Steg des Hohlkastenprofi ls Bei der Begehung des Hohlkastenprofi ls ist eine defekte Entwässerungsleitung der Fahrbahnentwässerung vorgefunden worden. Das Oberfl ächenwasser der Fahrbahn wurde, aufgrund der gebrochenen Leitung, nicht durch das Hohlkastenprofi l hindurch geleitet, sondern in das Hohlkastenprofi l hinein. Die Korrosionserscheinungen (Abbildung 12) an der Entwässerungsleitung lassen darauf schließen, dass dieser Schaden über Jahre hinweg keinerlei Beachtung fand. Die Ablaufspuren des Wassers auf dem Boden des Hohlkastenprofi ls sind im rechten Bild von Abbildung 12 deutlich zu erkennen. Am Gefälle-Tiefpunkt befi ndet sich eine Öffnung im Hohlkasten, so dass das eindringende Wasser frei in den darunter befi ndlichen Fluss gelangen kann. Abbildung 12: Defekte Entwässerungsleitung und Ablaufspuren im Hohlkastenprofi l In Abbildung 13 ist die Widerstandsmessung in Teilbereichen des Hohlkastenprofi ls dargestellt, das Messraster beträgt auch hier 15 x 15 cm. Im Bereich des Ablaufes im Hohlkastenprofi l ist der deutliche Widerstandsanstieg außerhalb der Ablaufspuren zu erkennen und deckt sich mit den deutlich positiveren Potentialen in diesem Bereich (Abbildung 14). Ablauf Ablaufspur Abbildung 13: Widerstandsmessung im Hohlkastenprofi l Die Potentialfeldmessung wurde mit einer Radelektrode fl ächendeckend durchgeführt, das Messraster beträgt ebenfalls 15 x 15 cm. Da die Entwässerungsleitung hier elektronenleitend mit der Bewehrung verbunden ist kann zwischen aktiv korrodierender Bewehrung und der gusseisernen Leitung nicht unterschieden werden. Nach 2,7 m und 3,3 m Messstrecke fi nden sich weitere Bereiche, die als aktiv korrodierend zu bewerten sind. Weniger deutlich, aber dennoch als kritisch zu betrachten, sind die Bereiche mit negativeren Potentialen bei ca. 7,0, 7,8 und 9,0 m (rote Pfeile). Abbildung 14: Potentialfeldmessung im Hohlkastenprofi l 588 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Detektion korrosionsaktiver Bereiche an Brückenbauwerken aus Stahlbeton mittels Potentialfeldmessung Eine Validierung der anodischen Teilbereiche durch Sondieröffnungen, wurde in diesem Fall nicht vorgenommen. Die Korrosivität im Hohlkasteninnenraum ist allgemein als gering einzustufen (XC1). In diesem Fall ist sie, aufgrund der defekten Entwässerungsleitung, partiell in die Expositionsklasse XD3 einzustufen. Diese Schäden sind im Rahmen der Brückenprüfung als kritisch einzustufen und können langfristig zu einer massiven Schädigung des Bauwerks führen. Literarturverzeichnis [1] DGfZP: Merkblatt B 03 - Merkblatt für Elektrochemische Potentialmessung zur Detektion von Bewehrungskorrosion: DGfZP 2014 [2] Kessler, Sylvia, Gehlen, Christoph, Ebell, Gino et al., Potential mapping and its probability of detection, In: Beton- und Stahlbetonbau 106, 481- 489, Jul, (2011) [3] Ebell, Gino, Burkert, Andreas und Mietz, Jürgen, Detection of Reinforcement Corrosion in Reinforced Concrete Structures by Potential Mapping: Theory and Practice, In: International Journal of Corrosion 2018, 3027825, 2018/ 09/ 30, (2018) [4] SIA, „Merkblatt 2006 Planung, Durchführung und Interpretation der Potenzialmessung an Stahlbetonbauten,“ Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein, 2013. [5] ASTM, “C 876-15 Standard Test Method for Corrosion Potentials of Uncoated Reinforcing Steel in Concrete,” ASTM, 2015. [6] Küttenbaum, S., Maack, S., Braml, T., Taffe, A. and Haslbeck, M. (2019), Bewertung von Bestandsbauwerken mit gemessenen Daten. Beton- und Stahlbetonbau, 114: 370-382. doi: 10.1002/ best.201900002 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 589 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht Dr.-Ing. A. Hasenstab, Ingenieurbüro Dr. Hasenstab GmbH, Augsburg (D) Dipl.-Ing. H. Deeg, BIB Kutz GmbH & Co KG, Karlsruhe-Durlach, (D) Einleitung Es gibt viele, spektakuläre Brücken über reißende Flüsse, tiefe Täler, ja sogar über Meeresengen und zu Inseln. Zusätzlich gibt es sehr viele Brücken, die bei den Bundesfernstraßen den Verkehr auf Autobahnen und Bundesfernstraßen über Flüsse, Täler und andere Verkehrswege leiten. Recht unspektakulär, aber in einer nahezu unzählbaren Fülle leisten Brücken auf Landstraßen, Staatsstraßen, Nebengleisen und Fußwegen ihren Dienst. Im folgenden Beitrag sollen zerstörungsfreie Untersuchungen an diesen Brücken vorgestellt werden mit welchen ohne Aufzubohren innere Schäden, Abmessungen von Bauteilen und die Lage von inneren Einbauteilen bestimmt werden kann. Im Einzelnen werden erfolgreiche Messungen mit dem akustischen Ultraschallecho-verfahren an einer Betonbrücke in Ostallgäu vorgestellt. Dieses Verfahren ermöglicht u.a., wo die Lage von - möglicherweise verbauten - Hohlkörpern in einer Stahlbetonbrücke bestimmt werden sollte. Es konnte die reale Länge der Verdrängungskörper bestimmt werden und so die Angaben im Plan „aktualisiert“ werden und dies bei der Sanierung berücksichtigt werden. Nach wie vor werden viele Brücken für Fußgänger und Radfahrer aus dem Werkstoff Holz gefertigt. Zwar gibt es bei Holzbrücken kaum cloridinduzierte Korossion und Lochfraß - dennoch kann es zu Schäden kommen. Die Schäden bei Holzbrücken stellen sich meist durch Fäulnisschäden dar. Auch kann es sein, dass eine Holzbrücke wegen dem Verdacht auf Schäden abgetragen werden soll - und eine intensive Untersuchung ausbleibt. Im Beitrag werden Messungen an einer Brücke aus Bougossi im Münsterland und eine Nadelholzbrücke aus dem schwäbischen vorgestellt. Bei letzterer wurden viele Schäden angenommen - welche sich aber bei der schon todgesagten Brücke als nicht real herausstellten. Das Bauwerk erfreut sich einer lebhaften Gesundheit und ein Abriss konnte vermieden werden. Lediglich der konstruktive Holzschutz wurde verbessert. Um den Reigen der Werkstoffe abzuschließen, sollen Untersuchungen an alten Stahlbrücken der Bahn vorgestellt werden, wo Voruntersuchungen erhebliche Schäden reklamierten. Eine genaue Untersuchung mittels handnaher Prüfung zusammen mit zerstörungsfreier Ultraschallmessung zur Bestimmung der Restquerschnitte und eine genaue Nachrechnung ergab, dass die Brücken noch gut ihren Dienst erfüllen können. Ziele der zerstörungsfreien Prüfung im Bauwesen Das Ziel einer Anwendung der ZfPBau-Verfahren ist • die zerstörungsfreie Bauwerksuntersuchung, • frühes Erkennen und die Eingrenzung von Schäden, • die Kostenabschätzung bei Instandsetzung sowie • die zerstörungsfreie Dokumentation und Integritätsprüfung des Bauteilzustandes. Hierbei kann es sich - in Abhängigkeit vom Baustoff - um Schäden wie • Hohlstellen, Kiesnester, • fehlende Bewehrung und • Innenfäule • oder um Fragestellungen wie Lage der • Spannglieder, Leitungen, • vorhandenen Bewehrung und • deckengleicher Unterzüge und Bauteildickenmessungen etc. handeln. Zerstörungsfreie Prüfverfahren Eine grobe Zusammenstellung der verwendeten Verfahren kann Tabelle 1 entnommen werden. Eine umfangreiche Liste der zfP-Bau-Verfahren kann dem DBV-Merkblatt „ Anwendung zerstörungsfreien Prüfverfahren im Bauwesen“oder dem Bauphysikkalender entnommen werden. 590 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht Tabelle 1: Zerstörungsfreie Prüfverfahren im Bauwesen (zfPBau) Elektromagnetische Verfahren: Radar Thermographie (passiv / aktiv) Durchstrahlung Akustische Verfahren: Ultraschall-echo Impact Echo Pfahlprüfung Sonstige Verfahren: Bohrwiderstand, LIBS, Endoskopie, Potentialfeldmethode, Rückprallhammer, Bewehrungsortung Radar (auch Impulsradar, Georadar) Radar ist ein zerstörungsfreies Prüfverfahren, mit dem Störungen und Inhomogenitäten in massiven Körpern (Bauwerken, Bauteilen, Boden) durch Reflexionen von elektromagnetischen Wellen festgestellt werden können. Gemessen wird die Laufzeit und Amplitude der empfangenen Radarwellen und deren Messposition. Die Anwendungsmöglichkeiten von Radar sind vielfältig. So wird Radar • im Beton- und Stahlbetonbau, • in historischen Bauwerken (Mauerwerk, Holz ), • für Verkehrswege (Schichtaufbau, Tragschicht), • für Erdbauwerke/ Dämme, • für Baugrunduntersuchungen sowie • in der Archäologie mit dem Ziel verwendet, den strukturellen Aufbau (Schalen, Abmessungen), Einbauteile (Bewehrung, Klammern, Dübel, Anker, Leitungen, Fundamente) und Schadstellen (Risse, Ablösungen) zu orten. Die physikalischen Grenzen von Radar sind • das Vorhandensein von Metall (z. B. einer Alufolie in einer Bitumenbahn) → führt zu Totalreflexion, • nasse Oberflächen → führt teilweise zu extremer Signaldämpfung. Je nach Umgebung und Antennengröße kann die Messung von Hand, mit einem kleinen Wagen oder vom Auto aus durchgeführt werden. Weiterführende Literatur zum Thema Radar kann dem Anhang entnommen werden. Ultraschallecho Die Ultraschall-Echotechnik beruht auf der Reflexion von Schallwellen an Diskontinuitäten wie Werkstoff-Inhomogenitäten, Grenzflächen, Hohlstellen oder der Bauteilrückwand. Im Bauwesen kann Ultraschallecho an Beton und Holz angewendet werden. Grenzen von Ultraschallecho liegen zum einen in der Zugänglichkeit des Bauteils (ein direktes Ankoppeln an das Bauteil ist erforderlich), zum anderen wenn eine Materialschicht auf dem zu untersuchenden Bauteil aufgebracht ist (z. B. Estrich und Folie auf einer Betonplatte). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 591 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht Abbildung 1: Ultraschallechomessung am Bauwerk Bohrwiderstandsmethode Das Verfahren dient zur punktuellen Untersuchung von Holz. So können Bauteilabmessungen (gleichmäßige Dicke, Aussparungen, Zapfenverbindungen) sowie inneren Schäden (Hohlstellen, breiten Rissen parallel zur Oberfläche, Fäulnis, ausgeprägtem Insektenbefall) detektiert werden. Bei Brücken- und Kirchenprüfungen erfolgt in der Praxis sehr häufig eine Kombination aus flächiger Ultraschallecho- und punktueller Bohrwiderstandsmethode. Die Untersuchung mit einer 3mm breiten Bohrnadel hinterlässt kaum wahrnehmbare Löcher. Mit den Bohrwiderstandsmessungen können Bauteile schnell untersucht werden und bei Schäden diese sehr gut eingegrenzt werden.Für die weiteren Entscheidungen können Restquerschnitte für die statische Berechnung bestimmt werden. Oft sind die in der Vergangenheit „großzügig“ bemessenen Querschnitte trotz Schaden für den EC5 ausreichen. Rückprallhammer / Betonprüfhammers nach Schmidt Mit dem Betonprüfhammer nach Schmidt kann die oberflächennahe Druckfestigkeit von Beton punktweise gemessen werden Aus den auf dem Prüfhammer angezeigten Rückprallwerten kann die Würfeldruckfestikeit des Betons und somit auch die Betongüte abgeleitet werden. Die Messergebnisse können nur bei nicht karbonatisierten Beton ausgewertet werden, da sonst zu hohe Werte erzielt werden. Exakte Werte können mittels Bohrkernentnahme und Druckprüfung erzielt werden. Abbildung 2: Rückprallhammer Betondruckfestigkeit „Echte“ Druckfestigkeiten des Betons können mittels Bohrkern (z.B. Durchmesser 5cm) und einer Druckprüfung im Speziallabor bestimmt werden. Feuchtemessung Die Baustofffeuchte kann kapazitiv oder mittels Widerstandsmessung bestimmt werden. Besonders bei Holz ist die Feuchte von großer Bedeutung, da eine Holzfeuchte über 20% zu einer Fäulnis des Holzes führen kann. Bewehrungsortung Die Lage der oberflächennahen Bewehrung (bis etwa 7cm) kann mit unterschiedlichen Bewehrungsortungsgeräten bestimmt werden. Die exakte, millimetergenaue Tiefenlage mit genauem Durchmesser, was z.B. für eine Brandschutznachweis erforderlich ist, kann nur mittels kleiner Bauteilöffnung bestimmt werden. Ohne Kenntnis des Durchmessers und ohne Kenntnis der Betondeckung kann keine genaue belastbare Aussage getroffen werden. 592 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht Abbildung 3: links: Betondeckungsmessung; rechts: Ergebnis einer Betondeckungsmessung Praxisbeispiel: Restquerschnittbestimmung bei alten Stahlbrücken mit Ultraschall Bei einer Stahlbrücke (Eisenbahnüberführung) aus dem Jahre 1898 waren deutliche Schädigungen der Stahlkonstruktion durch Abrostung zu erkennen. Das Büro BIB Kutz GmbH & Co KG, Karlsruhe, wurde beauftragt eine Nachrechnung der EÜ durchzuführen und die Restnutzungsdauer unter Berücksichtigung der noch vorhandenen Stahlquerschnitte durchzuführen. Um die tatsächlichen Restquerschnitte zu ermitteln wurden an den maßgeblichen Bauteilen Ultraschallmessungen durchgeführt. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 593 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht Abbildung 4: Stahlbrücke von 1898 bei Walpertskirchen Abbildung 5: Planansicht mit Lage der Träger Abbildung 6: Foto Messbereich Decke mit Darstellung der 2 unterschiedlichen Konstruktionsbereiche Die Messungen wurden direkt am Bauwerk durchgeführt. Es wurde eine handnahe Prüfung vorgenommen - und an Schadstellen der Restquerschnitt zerstörungsfrei bestimmt. So ist eine schnelle Reaktion auf das Feststellen von Schäden möglich. Weiter wurden die Abmessungen der Deckbleche bestimmt. 594 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht Abbildung 7: links: parallel durchgeführte handnahe Untersuchung der Konstruktion; rechts: Querschnittbestimmung mit Ultraschall Abbildung 8: Foto von Brückenausschnitt, oben Messung an Deckblech 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 595 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht Abbildung 9: links: Restquerschnittbestimmung an Schaden; rechts: Untersuchung an Stahlträgern des Foto Messbereich 7/ 6 bei Achse C, Lage siehe auch Plan Um eine hohe Aussagesicherheit zu erlangen wurden umfangreiche Messungen durchgeführt. So wurden alle erreichbaren Deckbleche untersucht. Mit den Ultraschallmessungen war es möglich, von den geschädigten Blechen Restquerschnitte zu bestimmen. So war eine Weiternutzung der Brücke möglich. Die umfangreiche örtliche Untersuchung der Schädigungen war der Grundstein für die genaue Berechnung der Restnutzungsdauer der Brücke. Somit konnte eine Weiternutzung der Brücke über einen längeren Zeitraum ermöglicht werden. Praxisbeispiel Hohlkästen bei Bestandsbrücke aus Beton lokalisieren Bei dem Bauwerk handelt es sich um eine Brücke im Allgäu von 1959 mit Hohlkästen und Spanngliedern zwischen den Hohlkästen. Im Zuge einer Brückensanierung sollen die vorhandenen Hohlkästen im Überbau von unten angebohrt werden um Entwässerungsöffnungen zu schaffen. Ziel ist es, diese Öffnungen exakt am Tiefpunkt, also vor den Endquerträgern an den Wiederlagern, zu platzieren. 596 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht Abbildung 10: links: Brückenansicht bei Bauarbeiten; rechts: Zeichnung des Brückenquerschnitts mit Lage der Hohlkörpern Abbildung 11: links: Untersuchung mit Ultraschallecho am Bauwerk; rechts: Messergät → stetige Kontrolle der Datenqualität unbedingt erforderlich 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 597 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht Abbildung 12: Ergebnisse einer Untersuchung mit Ultraschallecho, Transversalwellen 55kHz; Lage der Hohlkästen gelb markiert; Tiefenlage der Hohlkästen ab Unterkante der Brücke (Stärke des Betons 16 - 16 - 20 - 20 - 20cm) 598 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht Abbildung 13: Unteransicht der Brücke, Lage des Hohlkastens am Bauwerk markiert (Bohrung Nummer 10 rot markiert) Abbildung 14: Unteransicht der Brücke, Lage der Punkte für die Bohrungen grob skizziert - reale Lage siehe Bauwerk 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 599 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht Die Untersuchungen mit Ultraschallecho ergaben, dass alle 20 Hohlkörper eindeutig gefunden werden können. Auf diese Ergebnisse aufbauend sind am Bauwerk 20 Punkte für Bohrungen rot markiert. Die Bohrungen haben das Ziel, etwaiges Wasser in den Hohlkästen abzulassen. Die Ultraschallechomessungen ergaben zudem, dass der Beton eine homogene Struktur aufweisst. Beispiel Bongossibrücke mit Ultraschall- und Bohrwiderstandsmessung und Feuchtemessung Bei mehreren Holzbrücken aus Bongossiholz im Raum Münster waren Untersuchungen im Rahmen der Objektbezogenen Schadens Analyse (OSA) erforderlich. Die Untersuchung von Holzbrücken aus Bongossi stellt sich als sehr schwierig dar, da im Inneren der Holzquerschnitte oft eine ausgeprägte Fäulnis vorliegt, welche selbst durch Abklopfen nicht lokalisiert werden kann. Um die inneren Schäden auszuschließen werden die Verfahren Ultraschallecho und Bohrwiderstand kombiniert. Das Ziel ist, mit den Messungen die Schäden einzugrenzen und so das hohe Sicherheitsniveau des Bauwerks nachzuweisen. Durch das Eingrenzen der Schäden kann eine Sanierung konkret geplant werden und so der Aufwand und die Kosten optimiert werden. Bei der folgend dargestellten Brücke handelt es sich um Bongossibrücken aus dem Jahre 1987/ 88. Der Zustand der Konstruktion sollte untersucht werden, damit das Ingenieurbüro w+b ingenieure GmbH eine Nachrechnung durchführen und eine etwaige Sanierung planen kann. Abbildung 15: Brückenansicht - Brücke besteht aus Bongossi-Balken 600 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht Abbildung 16: Brücke besteht aus sehr vielen Bongossi-Balken Abbildung 17: Untersuchung der Brücke; links: Bohrwiderstandsmessung; rechts: Ultraschallechomessungen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 601 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht Abbildung 18: Planausschnitt der Brücke; Lage der Bohrwiderstandsmessungen und Ultraschallechomessungen eingetragen 602 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht Abbildung 19: Lage einer Bohrwiderstandsbohrung Abbildung 20: Ergebnis einer Bohrwiderstandsmessung; von außen nicht zu erkennbare innere Schäden 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 603 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht Abbildung 21: Lage einer Ultraschallechomessung Abbildung 22: Ergebnis einer Ultraschallechomessung; Echo Bohrwiderstandsbohrung Die sehr umfangreichen Untersuchungen an der Brücke ergaben, dass sehr deutlich zwischen den unteren Balken und dem „Geländer“ unterschieden werden muss. Die Untersuchungen ergaben, dass sich die unteren Balken in einem verhältnismäßig sehr guten Zustand befinden. Hingegen wurden beim obersten Balken teils erhebli- 604 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestandsbrücken, wie Stahlbetonbrücken mit Hohlkörpern, Holzbrücken und alte Stahlbrücken zerstörungsfrei untersucht che Schäden festgestellt. Diese Tendenz wird an Hand von Bohrwiderstandsmessungen an mehreren Untersuchungsbereichen deutlich. Mit der Kombination von flächigen Ultraschallechomessungen und punktuellen Bohrwiderstandsmessungen wurden drei sehr geschädigte Bongossibrücken bei Karlsruhe genau untersucht und es war möglich, an Hand der „gesunden“ d.h. Unbeschädigten Balken und der genauen Kenntnis der Restquerschnitte bei den Schäden die Bauwerke zu erhalten und nach Lastreduktion und Ergänzungen weiter zu nutzen. Zusammenfassung: Im Beitrag wurden sowohl gängige Anwendungen der zerstörungsfreien Prüfverfahren im Rahmen einer objektbezogene Schadensanalyse OSA als auch Sonderfälle beschrieben. Neben den sehr ausgeprägten Möglichkeiten der zerstörungsfreien Verfahren müssen aber auch die Grenzen der Verfahren berücksichtigt werden, um Fehler zu vermeiden. Das Ultraschallechoverfahren erfordert einen direkten Kontakt zum Bauwerk und ermöglicht die Dickenbestimmung und Strukturuntersuchung von Beton, Holz und Stahl auf innere Risse, Hohlstellen, Fäulnis. Anwendungsbeispiele an einer Spannetonbrücke, einer Stahlbrücke und einer Bongossibrücke wurden vorgestellt. Mit Radar kann bei trockenen Medien die innere Struktur von Mauerwerk, Beton, Boden bestimmt werden und vor allem metallische Einbauteile wie Anker, Bewehrung, Spannglieder bestimmt werden. Auch können Abmessungen von Fundamenten unter Bodenplatte etc. bestimmt werden. Mit dem Bohrwiderstandsverfahren ist es möglich, an Holz bei einem Verdacht punktuell auf lokale Schäden hin zu untersuchen. Die Restquerschnittbestimmung wurde im Beitrag vorgestellt. Die Beispiele konnten zeigen, dass es möglich ist, dass mittels zerstörungsfreier Untersuchungen wertvolle Erkenntnisse über die Brücke ermittelt und so fundierte Aussagen zur weiteren Nutzung des Bauwerks ermöglicht werden. Literatur: [BAM2004] Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM): ZfPBau-Kompendium, http: / / www.bam.de/ zfpbau-kompendium.htm (2004) [WAL2012] Walter, A. und A. Hasenstab: Zerstörungsfreie Prüfverfahren zur Bestimmung von Materialparametern im Stahl- und Spannbetonbau in: Fouad N. (Hrsg.); Bauphysik-Kalender 2012, Berlin: Ernst und Sohn (2012) [HAS2008] Hasenstab, A., Jost, G., Taffe, A., Wiggenhauser, H.: Zerstörungsfreie Prüfung im Bauwesen - angewandte Forschung und Praxis. Jahrestagung DGzfP DACH, St. Gallen 2008 [HAS2007] Hasenstab, A., Homburg, S., Maierhofer, C., Arndt, R.: Holzkonstruktionen mit Radar und Thermografie zerstörungsfrei untersuchen Tagungsband der DGZfP-Jahrestagung 2007, Poster 14, 14.-16.05.2007 Fürth [HAS2005] Hasenstab, A.: Integritätsprüfung von Holz mit dem zerstörungsfreien Ultraschall-echoverfahren. Dissertation an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) und der Technischen Universität Berlin, Fakultät VI, Prof. Dr. Hillemeier (TU Berlin), Prof. Scheer (TU Berlin), Dr. Krause (BAM) [HAS2008] Hasenstab, A.: Ultraschall- Echo - ein ZfP-Verfahren zum Lokalisieren von Fehlstellen in Brettschichtholz (BSH) und Vollholz - Praxisbeispiele, (Bauwerksdiagnose Berlin, 21.-22.02.2008, Poster 14 2006, Berlin) [HAS2012] Hasenstab A., Steiger A., . Hunkeler F., Schiegg Y.: Zerstörungsfreie Prüfung an Tiefbauten in der Schweiz mit Ultraschallecho und Radar Tagungsband der DGzfP Fachtagung Bauwerksdiagnose, 23.-24. Februar 2012, Berlin [STR2008] Straußberger D., Hartmann I., Hasenstab A.: Straßenuntersuchungen mit Radar, Ultraschallecho und FWD, (Bauwerksdiagnose Berlin, 21.- 22.02.2008, Poster 13 2006, Berlin) [TAF2006] Taffe A., Wiggenhauser H.: Garant für gute Qualität, Werkzeug für fundierte Analysen: Was leisten zerstörungsfreie Prüfverfahren im Bauwesen? (DIB 2006 7-8, Seite 22) [WIG2004] Wiggenhauser, H. und A. Taffe: Zerstörungsfreie Prüfung im Bauwesen, in: Cziesielski, E. (Hrsg.); Bauphysik-Kalender 2004, Berlin: Ernst und Sohn (2004) Kap. C1, S. 305-418 [HAS2015] Hasenstab A., Lechner T.: „Gesundprüfen“ von augenscheinlich defekter neuer Stahlbetonbrücke in Stockholm mit Ultraschallecho, Rückprallhammer und Karstenschen Prüfröhrchen; DGzfP Jahrenstagung Salzburg 2015 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 605 Ertüchtigung von Brückenbauwerken: Anwendungen von RADAR- und Ultraschall-Techniken - am Beispiel der Ludwigsbrücke in München und der Donaubrücke Otto Wurzer, Stefanie Setzer, Karin Reiter, Christian U. Große WTM Engineers München GmbH, Deutschland Zusammenfassung Die Beurteilung und Bewertung des Zustands von Brückenbauwerken ist ein wesentliches Element im Hinblick auf Instandsetzungs- und Ertüchtigungsmaßnahmen. Eine solche Beurteilung sollte nach Möglichkeit auf Daten aus zerstörungsfreien Messungen beruhen, oder aus einer Kombination von Beprobungen und Messungen. Anhand zweier sehr unterschiedlicher Bauwerke wird die Leistungsfähigkeit einer kombinierten Analyse unter Berücksichtigung von Ultraschall- und RADAR-Messdaten zur Detektion und Lokalisierung von Bewehrung in Bestandsbauwerken demonstriert. Bei den Aufgabenstellungen einerseits hinsichtlich der Instandsetzung einer Bogenbrücke und andererseits zur Ertüchtigung einer Spannbetonkonstruktion konnten dieselben zerstörungsfreien Verfahren eingesetzt werden. Es werden die Herausforderungen vor allem in messtechnischer Hinsicht vorgestellt. Ein Schwerpunkt liegt auf der Beschreibung und den Ergebnissen der durchgeführten Ultraschall- und RADAR-Untersuchungen vor allem hinsichtlich der Lageermittlung der Bewehrungselemente. Hierbei werden Möglichkeiten und auch Grenzen der Verfahren diskutiert. 1. Motivation Bei der Instandsetzung und insbesondere bei der Ertüchtigung von Bestandsbauten der Infrastruktur werden zunehmend zerstörungsfreie Prüftechniken eingesetzt. Für den Planer stellen sich dabei oft Fragen hinsichtlich der genauen Lage der Bewehrung bzw. der Abmessungen von Bauwerkselementen (Bauteildicken, Einbauteile etc.) und für diese Aufgaben eignen sich zerstörungsfreie Prüftechniken, sofern deren Messgenauigkeit hinreichend groß ist. Drei Verfahren haben sich aktuell für solche Untersuchungen durchgesetzt. Neben den Techniken basierend auf magnetischer Induktion werden aktuell die Ultraschallprüfung und RADAR am meisten eingesetzt. Diese Techniken standen auch im Vordergrund bei der Voruntersuchung von zwei Brückenkonstruktionen, deren konstruktiver Aufbau sich stark unterscheidet und bei denen unterschiedliche Ertüchtigungskonzepte vorgeschlagen wurden. Deswegen können hier Unterschiede bei der Handhabung und Auswertung gut herausgearbeitet, sowie Möglichkeiten und Grenzen der Verfahren diskutiert werden. 2. Zerstörungsfreie Prüftechniken Es gibt mehrere zerstörungsfreie Prüfverfahren, die eine Detektion und vor allem eine Lokalisierung von Bewehrungselementen in Beton ermöglichen [1]. Diese Verfahren und die entsprechenden Messgeräte haben alle unterschiedliche Vor- und Nachteile. 2.1 Magnetische Induktion Das induktive magnetische bzw. ferromagnetische Messverfahren bietet generell die Möglichkeit zur schnellen, einfachen und kontaktfreien Detektion von ferromagnetischen Bewehrungselementen in geringer Tiefe. Die meisten kommerziell für das Bauwesen verwendeten Messgeräte verwenden ein magnetisches Wechselfeld im eher niedrigen Frequenzbereich und detektieren ferromagnetische Bewehrungselemente durch das induzierte Sekundärfeld. Unter realistischen Messbedingungen bei Insitu-Messungen an Ingenieurbauwerken können keine Elemente aus Edelstahl gefunden werden. Möglich ist die Detektion und Lokalisierung von Bewehrungsstäben mit Durchmessern um die 20 mm bis zu die Detektionstiefen zwischen 60 und 70 mm [2]. Problematisch ist eine besonders dichte Bewehrung. Laut DBV-Merkblatt [1] muss der Achsabstand zweier Stäbe mindestens das Doppelte der Betondeckung betragen. Nähere Informationen enthält das Merkblatt der Deutschen Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung (DGZfP) zur Bewehrungsortung [3], welches sich aktuell in der Überarbeitung befindet. 606 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ertüchtigung von Brückenbauwerken: Anwendungen von RADAR- und Ultraschall-Techniken 2.2 RADAR Beim RADAR-Verfahren wird über eine Antenne oder über ein Antennenarray eine elektromagnetische Welle als kurzer Wellenimpuls kontaktfrei in das Bauteil eingeleitet. Dieser Wellenimpuls wird zum Teil refl ektiert, wenn sich im Bauteil ein Objekt mit abweichenden elektromagnetischen Eigenschaften (Permitivität) befi ndet. Im Fall von Stahl wird sogar die gesamte Welle refl ektiert. Je nach Antennenfrequenz (meist oberhalb von 1 GHz) können Objekte in Tiefen von bis zu 35 cm detektiert werden. Je höher die Antennenfrequenz ist, umso höher ist die laterale Aufl ösung von Objekten wie Bewehrungsstäben, allerdings wird auch die Eindringtiefe geringer. Grundsätzlich können Objekte mit einem Achsabstand gleich oder sogar etwas geringer als die Einbautiefe noch aufgelöst werden. Der Feuchtegehalt spielt hier (wie auch bei ferromagnetischen Messverfahren) eine große Rolle und beeinfl usst u.a. die Lokalisierungsgenauigkeit. Ohne Kenntnis der Permitivität (z.B. aus Kalibriermessungen) ist die Tiefenortung unterschiedlich stark fehlerbehaftet. Nähere Informationen enthält das entsprechende Merkblatt der DGZfP [4]. 2.3 Ultraschall Die Ultraschalltechnik unterscheidet sich stark von den beiden oben beschriebenen Verfahren. Es werden elastische Wellen im unteren Ultraschallbereich verwendet, die über einen oder mehrere Ultraschallgeber (Sender) ins Bauteil eingeleitet und anschließend über einen oder mehrere Empfänger aufgezeichnet werden. In modernen Geräten werden Arrays mit mehreren Sendern und Empfänger verwendet, die sich im selben Gehäuse befi nden und eine Messung in Refl exion ermöglichen. Zur Untersuchung von Betonbauteilen muss das Sender-Empfänger-Array an die Oberfl äche angekoppelt werden. Hier haben sich in den letzten Jahren Arrays mit sogenannten Punktkontaktprüfköpfen durchgesetzt. Da das Messverfahren im Vergleich zu den oben beschriebenen nicht kontaktfrei ist, ist der Messfortschritt deutlich geringer. Auch hier hat die Prüffrequenz einen maßgeblichen Einfl uss auf die laterale Aufl ösung und die Eindringtiefe. Bei handelsüblichen Messgeräten wird eine Refl exionstiefe von bis zu 50 cm oder sogar darüber angegeben. Für die laterale Aufl ösung gelten ähnliche Werte wie für RADAR. Die Bauteilfeuchte hat einen geringen Einfl uss auf eine Ultraschallmessung, dafür spielen die Oberfl ächenrauigkeit und vor allem Hohlräume und Luftporen (Verdichtungsporen) eine große Rolle. Weitere Details zum Ultraschallverfahren im Bauwesen enthält das entsprechende Merkblatt der DGZfP [5]. 3. Generalsanierung der Ludwigsbrücke in München Die 1935 fertiggestellte Ludwigsbrücke in München befi ndet sich auf dem nördlichen Teil der Isarinsel zwischen Deutschem Museum und der Grünanlage auf der Vater-Rhein-Insel und führt in zwei Teilbauwerken über den inneren und äußeren Arm der Isar, der sogenannten Großen bzw. Kleinen Isar [6]. Das Tragwerk der Äußeren Ludwigsbrücke mit einer Gesamtlänge von rund 71 m und einer Breite von ca. 28,50 m besteht aus zwei Dreigelenkbögen aus Stahlbeton mit einer Spannweite von jeweils 33,10 m und einem Stich von 3,84 m. Die Dicke des Bogens beträgt 0,50 m im Scheitelbereich und 0,60 m an den Kämpfern. Die Fahrbahnplatte ist auf in Längsrichtung verlaufenden Zwischenwänden (Schotten) aufgeständert, so dass sich das Tragwerk im Querschnitt als 10-zelliger Hohlkasten darstellt. Die Brücke ist mit Naturstein (Muschelkalk) verkleidet. Im Rahmen der Sanierung wird die Fahrbahnplatte komplett erneuert. Außerdem wird eine Ertüchtigung der Querbewehrung des Bogens ober- und unterseitig erfolgen. Im Scheitelbereich wird an den Brückenrändern (jeweils im Bereich der beiden äußeren Kammern auf Nord- und Südseite) die Konstruktion durch den Einbau von Betonschrauben verstärkt. Im mittleren Bereich wird der Beton des Scheitelgelenks vollständig erneuert, d.h. der Beton des Bogens wird örtlich abgebrochen, die Bewehrung ertüchtigt und anschließend reprofi liert. Zur Entlastung der Scheitelgelenke und Aufnahme der Bogenkräfte ist eine Stützkonstruktion („Kraft-Bypass“) erforderlich. Das Sanierungskonzept (Abb. 1) sieht Ankerblöcke für diesen Kraft-Bypass vor (Durchankern durch den Bogen). Insgesamt sind mehrere Bohrungen durch die schlaff-bewehrten Bögen vorgesehen, wobei die Anwendung von zerstörungsfreien Prüfverfahren Bohrtreffer verhindern soll. Abb. 1: Detail der vorgesehenen Ertüchtigung der Ludwigsbrücke. Zur Voruntersuchung wurden die drei oben beschriebenen Verfahren eingesetzt, um die tatsächliche Lage der Bewehrungselemente zweifelsfrei zu klären. Die Umsetzung erfolgte in Kooperation mit der Technischen Universität München, Lehrstuhl für Zerstörungsfreie Prüfung, wobei die Untersuchungen von außen auf der Unterseite der Bögen sowie im Inneren im Bereich der Kämpfergelenke vom östlichen Widerlager aus stattfanden. Sie sollten die Detektierbarkeit sowie die Genauigkeit der Lokalisierung der Bewehrungselemente klären. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 607 Ertüchtigung von Brückenbauwerken: Anwendungen von RADAR- und Ultraschall-Techniken 3.1 Messungen und Messdaten Eingesetzt wurden zwei unterschiedliche RADAR-Systeme, ein Messgerät zur magnetischen Induktion sowie Ultraschall-Phased-Array. Abb. 2 zeigt die Messung mit RADAR parallel zur Fahrbahnrichtung auf der Oberseite einer Kammer (Deckplatte) und hinter einem der Querschotts. Abb.2. Beispiel für RADAR-Messungen in der östlichen Kammer der äußeren Ludwigsbrücke. In Brückenlängsrichtung wurden in diesem Bereich auf der Bodenplatte (Bogenoberseite) zum Bogenscheitel hin mehrere parallele Längsprofile gemessen sowie an der Unterseite der Fahrbahnplatte ein 2D-Imagescan. Zudem wurden unterschiedliche RADAR-Systeme verwendet. Abb. 2 zeigt ein Beispiel für eines der Messprofile am Boden der Kammer im Tiefenschnitt sowie die gemessenen Bewehrungsabstände und Tiefenlagen sowie eine statistische Auswertung. Profil 244 x-Richtung Absolute Pos. der Bewehrung [mm] Delta [mm] Tiefe [mm] 220 81 566 319 86 904 338 89 1254 350 83 1588 334 55 1871 283 83 2270 399 75 2668 398 69 3029 361 70 3345 316 63 3690 345 62 Mittelwert: 344 74 Standardabweichung 36 11 Abb. 3. Beispiel für RADAR-Messungen in der östlichen Kammer der äußeren Ludwigsbrücke in Fahrtrichtung in Richtung Scheitelgelenk. Danach liegt der mittlere Abstand zwischen den Scheitelpunkten der schlaffen Bewehrung in Brückenlängsrichtung gerundet bei etwa 34 cm mit einer Streuung von etwa 4 cm. In Brückenquerrichtung liegt der Bewehrungsabstand bei 13 bis 18 cm (laut Bewehrungsplan1430-12: 6 Stäbe pro laufendem Meter (Pos. 1 bzw. 3). Die mittlere Tiefenlage wird zu 7 cm mit einer Standardabweichung von 1 cm bestimmt. Weitere Messungen zeigten, dass die Tiefe stark streut und Werte zwischen 1 und 9 cm annehmen kann. Die Streuungen werden überwiegend auf Einbauungenauigkeiten zurückgeführt, wobei die Messgenauigkeit aufgrund der Vielfachmessung zu etwa ± 1 cm bestimmt wird. Verfahrensbzw. gerätebedingt sind die untere Bewehrungslage in mehr als 40 cm Tiefe sowie das Rückwandecho in 50 cm Tiefe in den Radargrammen nicht zu erkennen. Die laterale Ortungsgenauigkeit wird also mit ± 1 cm angenommen, wobei dies auch die Einmessung der Profile berücksichtigt. Sofern hierbei eine Messgenauigkeit von ± 2 mm überschritten wird, muss der genannte Wert für die laterale Messgenauigkeit nach oben korrigiert werden. Interessant ist ein Vergleich von RADAR- und Ultraschallmessergebnissen anhand von Querprofilen auf der Bogenoberseite. 608 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ertüchtigung von Brückenbauwerken: Anwendungen von RADAR- und Ultraschall-Techniken Abb. 4. Vergleich eines Radargramms (oben) mit einem Ultraschall-B-Scan (unten). Im Radargramm in Abb. 4 (oben) sind die Bewehrungselemente in einem Bereich von etwa 60 cm als Reflexionshyperbeln gut zu erkennen. Das Radargramm ist bis zu einer Tiefe von 21 cm dargestellt. Der B-Scan darunter (basierend auf Phased-Array-Messungen) zeigt einen größeren Messbereich; die Detektionsschärfe für die Elemente der oberen Bewehrungslage ist nicht optimal, allerdings ist das Rückwandecho in etwa 50 cm Tiefe gut zu erkennen. Die obere Bewehrungslage kann leider nicht geortet werden. Vermutlich ist dafür einerseits die Energie der Wellenreflexionen von der Bewehrung zu gering. Abb. 5. 3D-RADAR-Messungen auf der Oberseite der Kammer aus Abb. 1. Andererseits ist zu vermuten, dass sich die oberen Bewehrungselemente meist genau unter den unteren Elementen befinden und diese das Ultraschallecho abschirmen. Abb. 6. Zusatzbewehrung mit Schrägaufbiegung zur Verstärkung der Bewehrung im Bereich des Querschotts (vgl. mit Abb. 4). Zusätzlich zu einzelnen Längs- und Querprofilen wurden auch C-Scans bzw. 3D-Radargramme angefertigt. Ein Messbeispiel von der Unterseite der Fahrbahnplatte in der nord-östlichen Kammer im Bereich des Querschotts zeigt Abb. 5. Originalpläne zeigen (Abb. 6), dass diese Elemente offenbar zu einer Zusatzbewehrung mit Schrägaufbiegung gehören, die die Konstruktion im oberen Bereich des Querschotts verstärken. In den Daten erkennt man Bewehrungselemente von etwa 2-3 cm Länge zusätzlich zur durchgehenden schlaffen Bewehrung in Längsrichtung. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 609 Ertüchtigung von Brückenbauwerken: Anwendungen von RADAR- und Ultraschall-Techniken 3.2 Messergebnisse und Interpretation Die Messungen weisen eine ausreichende Genauigkeit der Bestimmung der Bewehrungselemente mit zerstörungsfreien Prüfverfahren nach, auch wenn die für die Tiefenbestimmung notwendige Permitivitätskalibrierung [4] bislang noch nicht durchgeführt wurde, da dies eine lokale Öffnung erfordert. Die Anforderung, die Bewehrungselemente so genau einzumessen, dass ein Bohrtreffer vermieden wird, kann auch ohne Kalibrierung knapp erreicht werden, sofern an den betreffenden Stellen die Technik wie beschrieben eingesetzt werden kann und die Standardabweichungen in einem ähnlichen Bereich liegen. Setzt man den halben Stabdurchmesser mit 1 cm an, die Toleranz der lateralen Lokalisierung mit 1 cm, den halben Bohrdurchmesser mit 2 cm, die Toleranz der Bohrung (Aufsetz- und Winkelgenauigkeit) mit 2 cm und fügt einen Sicherheitsabstand von 2 cm zusätzlich dazu, dann erhält man einen Mindestabstand von den eingemessenen Bewehrungselementen von 8 cm. Dies ermöglicht mit den Werten aus Messungen wie in Abb. 3 parallel zur Fahrbahn einen ausreichenden Abstand möglicher Bohrungen von der schlaffen Bewehrung einzuhalten. Quer zur Fahrbahn wird der notwendige Abstand von 8 cm bei einem mittleren Bewehrungsabstand von 15 cm vermutlich knapp unterschritten. Sofern von beiden Bauteilseiten eine Messung möglich ist, können auch zusätzliche Bewehrungselemente z.B. im Zwischenbereich zuverlässig aufgefunden werden. Grundsätzlich sind also Messungen von beiden Seiten notwendig. Die detektierten Bewehrungselemente auf der Ober- und Unterseite und die dazu gehörenden Messraster müssen zusammengeführt werden, wofür sich z.B. das PX 10 Transpointer-Messsystem der Fa. Hilti eignet, mit dem man die Position des Senders auf der abgewandten Seite durch ein Magnetfeld auch bei der vorhanden Bauteildicke von einem halben Meter mit einer Genauigkeit von ± 2 cm bestimmen kann. 4. Ertüchtigung der Donaubrücke Donauwörth Bei dieser Brücke handelt es sich um eine einzellige Spannbetonhohlkastenbrücke aus dem Jahr 1968 mit einer Gesamtlänge von 184,5 m (Abb. 7) [7]. Die geplante Ertüchtigung sieht Maßnahmen in Längsrichtung (Torsion) und Querrichtung (Gurtanschluss und Querbiegung) vor. Ursprünglich war der Einbau einer Zulagebewehrung zusätzlich zur erforderlichen Bewehrung für Querbiegung und eine Zulagebewehrung zusätzlich zur erforderlichen Torsionslängsbewehrung in den Stegen vorgesehen (Abb. 8). Abb. 7. Spannbetonbrücke in Donauwörth. Unter anderem wäre dazu eine Durchführung durch die vorhandenen Spannglieder wünschenswert. Voraussetzung hierfür wären Bohrungen in Bereichen mit zahlreichen Spanngliedern für die Verankerung der Zulagebewehrung. Weitere Informationen zur Ertüchtigungsmaßnahme enthält ein weiterer Vortrag zu diesem Bauwerk. Abb. 8. Beispiel für eine Ertüchtigungsmaßnahme im Stegbereich durch unterschiedliche Ergänzungsbewehrungen. Linienscans mit RADAR und „Ferroscan“ wurden durchgeführt, um daran die 3D-RADAR-Imagescans zu kalibrieren, die im Folgenden dargestellt werden. Nachdem auf Stemmöffnungen zur Verifikation der Messungen verzichtet wurde, erfolgte die Kalibrierung der RADAR- Scans durch Überlagerung mit den „Ferroscan“-Messungen. Aufgrund der Schiefwinkeligkeit und den vorhandenen Vouten kam es zu Abweichungen zwischen den nach den Bestandsplänen vorbereiteten Messplänen und den tatsächlich vor Ort gemessenen Bereichen. Die Vouten konnten aus Geometriegründen nicht als 3D-Imagescan gemessen werden. Unter anderem wurden Messungen im Querträger mit den bereits oben beschriebenen ZfP- Messverfahren durchgeführt (Abb. 9). Eine Lokalisierung der Spannglieder (sowie der schlaffen Bewehrung) sollte die beschädigungsfreie Durchbohrung von oben durch die Fahrbahnplatte und Voute in die Hohlkastenstege der entsprechenden Bauwerksbereiche und das Durchführen externer Spannglieder ermöglichen. 610 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ertüchtigung von Brückenbauwerken: Anwendungen von RADAR- und Ultraschall-Techniken Abb. 9. Messraster für RADAR-Messungen im Querträger der Donaubrücke. ZfP-Messungen sollten klären, ob alle Spanngliedlagen im Steg aufgefunden werden können. Dazu wurden u.a. 3D-Imagescans mit RADAR in den zwei Messfeldern aufgenommen, die in Abb. 9 rechts und links vom Durchgang zu erkennen sind. Es handelte sich konkret um vier Imagescans links (RS_344 bis 347) und vier rechts (RS_348 bis 351). Die entsprechenden Messdaten enthält Abb. 10. Abb. 10. 3D-RADAR-Imagescans zusammengeführt für die Messbereiche aus Abb. 9. Die Bügel-, Längs- und Querbewehrung in Steg, Voute und Fahrbahnplatte konnte gemäß den Bestandsunterlagen bestätigt werden. Zudem ist die erste Lage der Spannstahlbewehrung in den vorgenannten Bauteilen gut ersichtlich und plankonform (vgl. mit dem Plan in Abb. 9). Die zweite Spanngliedlage kann in Abgleich mit den Plänen bereichsweise erkannt werden. Sie ist jedoch hinsichtlich ihrer genauen Lage nicht verlässlich zu detektieren, da sich die Geometrie- und Verschattungseffekte aufgrund des engen Bewehrungsrasters zu stark auswirken. Tiefere Bewehrungslagen sind nicht zu erkennen. Parallel wurden entlang der gleichen Messraster Messungen mit dem Ultraschall-Verfahren durchgeführt. Die Tiefenlage und Position der Schlaff- und Spannstahlbewehrung im Voutenbereich stimmen überein. Der schräge, dreidimensionale Verlauf der Längsspannglieder wird aus den Scans ebenfalls ersichtlich. Aufgrund des engeren Messrasters liegt der B-Scan der Ultraschallmessung mit einer höheren Genauigkeit und Aufl ösung gegenüber der RADAR-Messung vor. Jedoch konnte auch aus den Ultraschallmessungen keine Lokalisierung der zweiten Spanngliedlage erfolgen. 4.1 Messergebnisse und Interpretation Bei der Untersuchung der Donaubrücke kam vor Ort vor allem das RADAR-Verfahren zum Einsatz. Damit konnten in mehreren sowohl die schlaffe Bewehrung, wie auch die oberste Spanngliedlage lokalisiert werden. Das ferromagnetische Verfahren wurde lediglich an wenigen Stellen zur RADAR-Kalibrierung eingesetzt. Ultraschall diente zur weiteren Verifi zierung und zur Detektion der Bauteildicke (Rückwandecho). Die insgesamt erzielte Genauigkeit bei der Ortung der Bewehrungslagen liegt ohne Bauteilöffnungen in einer Größenordnung von ± 1-2 cm (in Abhängigkeit der lokalen Bedingungen). Lokale Bauteilöffnungen können hier ggfs. noch eine verbesserte Lokalisierungsgenauigkeit liefern. Grundsätzlich gilt, dass die zweite Spanngliedlage meist von der ersten verschattet wird. In den Voutenbereichen sind Spannglieder in mehreren Lagen über- und nebeneinander vorhanden, die zu den Verankerungen hin verzogen werden. Hier lieferten weder das RADARnoch das Ultraschall-Verfahren belastbare Messergebnisse. Abgesehen davon konnten bei den detektierbaren Spanngliedern bis auf wenige Ausnahmen keine Lageabweichungen gegenüber der Plandarstellung festgestellt werden. 5. Zusammenfassung Die vergleichenden Ultraschall-Messungen der TU München in den Vouten lieferten aufgrund des engeren Messrasters zwar höher aufl ösende und dadurch genauere Ergebnisse, konnten jedoch ebenfalls weder die zweite noch die weiteren Spanngliedlagen zweifelsfrei detektieren. Darüber hinaus wird durch das erforderliche en- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 611 Ertüchtigung von Brückenbauwerken: Anwendungen von RADAR- und Ultraschall-Techniken gere Messraster der Messfortschritt gegenüber der RA- DAR-Messung stark verlangsamt. In den Voutenbereichen sind Spannglieder in mehreren Lagen über- und nebeneinander vorhanden, die zu den Verankerungen hin verzogen werden. Hier lieferten weder das RADARnoch das Ultraschall-Verfahren belastbare Messergebnisse. Die Ultraschallmessungen erlaubten einen direkten Vergleich zu den RADAR-Daten an den Stellen, an denen parallel gemessen werden konnte. Ein Vorteil stellte die höhere Tiefenreichweite des Verfahrens dar, das meist eine Überprüfung der Dicke des Bauteils erlaubt. 6. Literatur [1] Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein; DBV-Merkblatt: Anwendung zerstörungsfreier Prüfverfahren im Bauwesen, Eigenverlag, Berlin 2014. [2] Taffe, A. und B. Jungen: Untersuchungen zur Genauigkeit von magnetisch induktiven Betondeckungsmessungen. In: Beton- und Stahlbetonbau 111 (2016) 8, S. 484-495. [3] DGZfP-Merkblatt B02 zur zerstörungsfreien Betondeckungsmessung und Bewehrungsortung an Stahl- und Spannbetonbauteilen, Berlin: DGZfP, 2014, 54 S. [4] DGZfP-Merkblatt B10 über das Radarverfahren zur zerstörungsfreien Prüfung im Bauwesen, Berlin: DGZfP, 2008, 41 S. [5] DGZFP-Merkblatt B04, Ultraschallverfahren zur Zerstörungsfreien Prüfung im Bauwesen. DGZfP-Fachausschuss für Zerstörungsfreie Prüfung im Bauwesen, Unterausschuss Ultraschallprüfungen, Berlin: DGZfP (2018), 67 S. [6] Christine Rädlinger, Geschichte der Münchner Brücken, Hrsg. Landeshauptstadt München, Baureferat, München 2008, S. 252, 253 [7] https: / / www.stbaa.bayern.de/ strassenbau/ projekte/ B71S.ABBD0024.00.html, gesehen am 03.08.2020 Holzbrücken 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 615 Zeitgemäße Planung von Holzbrücken - Gestaltung und Prüfbarkeit Frank Miebach Einleitung Im Bereich des Brückenbaus nimmt der Holzbrückenbau eine vermeintlich kleine Rolle ein. Prozentual liegt der Anteil der Holzbrücken in der Baulast des Bundes bei geschätzt 0,4% aller Brückenbauwerke [1]. Schaut man jedoch zu kleineren Verwaltungseinheiten der Länder, Landkreise und Kommunen, zeigt sich ein deutlich anderes Bild: bei größeren Kommunen liegt der Holzbrückenanteil bereits bei rund 15%, und bei kleineren ausgewählten Kommunen sogar bei über 40% [2] ! Somit haben Holzbrücken deutschlandweit durchaus eine hohe Relevanz. Grundlagenbetrachtung zum Einsatz von Holz im Brückenbau Für die Planung und Bemessung von Tragwerken ist Holz ein gut geeigneter Werkstoff, um statische Anforderungen zu erfüllen. Dies spiegelt sich beispielsweise bei großen Hallentragwerken eindrucksvoll wieder. Im Bereich des Brückenbaus kommt jedoch neben der statischen Anforderung eine wichtige Komponente hinzu: Eine exponierte Bauweise bewirkt zumeist eine Bewitterung von tragenden Bauteilen. Holz sollte jedoch generell nicht bewittert für tragende Zwecke eingesetzt werden. Somit stellt diese Erkenntnis eine spezielle Herausforderung für den Einsatz von Holz im Brückenbau dar. Um demnach Brücken aus Holz zu errichten, die gleichwertig zu anderen Materialien gelten können, sind Maßnahmen des konstruktiven Holzschutzes unabdingbar. Dies bedeutet vereinfacht einen Schutz der tragenden Teile vor oberseitiger Befeuchtung durch Regen, aber auch einen ausreichenden seitlichen Schlagregenschutz. Ein oberseitiger Schutz kann durch dichte Beläge aus anderen Materialien bestehen, aber auch durch eine separate Abdichtung bis hin zu einem Dach ausgeführt werden. Ein seitlicher Schutz hingegen kann entweder durch eine Verkleidung, aber auch durch ausreichenden Überstand eines Belags erzielt werden. 616 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zeitgemäße Planung von Holzbrücken - Gestaltung und Prüfbarkeit Lebensdauerbetrachtung Holzbrücken Zur Beurteilung der Sinnhaftigkeit von konstruktiven Schutzmaßnahmen spielt das Kosten-Nutzen-Verhältnis und damit die Dauerhaftigkeit eines Bauwerks eine zentrale Rolle. Unter die Kategorie „konstruktiv geschützt“ fallen Holzbrücken, wenn die Haupttragstruktur vor direkter Bewitterung geschützt wird. Dies kann beispielsweise mit einem geschlossenen, ausreichend überkragenden Belag erreicht werden, aber auch durch Blechabdeckungen oder andere wasserdichte Abdeckungen unter einem offenen Belag erzielt werden. Offiziell geregelt ist dies durch die Ablösungsbeträge- Berechnungsverordnung (ABBV) vom Bundes-verkehrsministerium BMVI. Danach liegt die Nutzungsdauer konstruktiv geschützter Holzbrücken aktuell bei 60 Jahren und der Prozentsatz der jährlichen Unterhaltungskosten bei zwei Prozent. Brücken mit Überbauten aus Stahlbeton schreibt die Verordnung eine Nutzungsdauer von 70 Jahren bei 0,8 Prozent Unterhaltungskosten zu. Auszug Ablöserichtlinie des deutschen Bundesverkehrsministeriums BMVI (Stand 2010) Brückenüberbauten aus Holz Theor. Nutzung Jährl. Unterhalt Geh- / Radweg (Ungeschütztes Tragwerk) 30 Jahre 2,5 % v.H. Geh- / Radweg (geschütztes Tragwerk) 60 Jahre 2,0 % v.H. StraSSen (geschütztes Tragwerkwerk) 60 Jahre 2,0 % v. H. Konstruktiver Holzschutz Grundlage von Entwürfen moderner Holzbrücken ist die geschützte Bauweise gemäß des nationalen Anhangs zur DIN EN 1995-2 [3]. Dieser unterscheidet für geschützte Bauweisen drei unterschiedliche Fälle: a) Brücke mit untenliegender Verkehrsbahn b) Brücke mit obenliegender Verkehrsbahn c) gedeckte Brücke Abb. 1 Baulicher Holzschutz nach [3] In allen Fällen sind tragende Holzkonstruktionen durch eine wasserdichte Ebene zu schützen, so dass eine mittlere Materialfeuchte unter 20 % gewährleistet und Pilz oder Insektenbefall ausgeschlossen sind. Die Variante c) beschreibt dabei das ursprüngliche Holzschutzprinzip historischer Holzbrücken. Die Varianten a) und b) stellen modernere Entwurfsprinzipien dar, wobei sich die Variante b) mit einem ausreichenden seitlichen Überstand (>30°) eines dichten Belages auch ohne seitliche Verschalung ausführen lässt. Entsprechend der Lage und Exponiertheit der Brücke kann es empfehlenswert sein, den Überstand deutlich zu erhöhen. Weitere Regelungen zum Holzschutz sind in den Teilen 1 und 2 der DIN 68800 [4,5] festgelegt. Siehe dazu auch Handbuch „Entwurf von Holzbrücken“ [6]. Vorgaben aus der DIN 68800 Die Normenreihe der DIN 68800 priorisiert den baulichen (konstruktiven) Holzschutz gegenüber dem Einsatz von chemischen Holzschutzmitteln. Im Sinne einer nachhaltigen Bauweise gilt dieser Ansatz auch für den Holzbrückenbau. Brückenentwürfe sind so zu gestalten, dass ein möglichst großer Anteil der Bauteile problemlos recycelt bzw. einer späteren thermischen Nutzung zugeführt werden kann. Teil 1 [4] der Normenreihe definiert 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 617 Zeitgemäße Planung von Holzbrücken - Gestaltung und Prüfbarkeit in der Tabelle 1 Gebrauchsklassen, die einer definierten Feuchteexposition entsprechen. Teil 2 [5] der Norm enthält ergänzend besondere bauliche Maßnahmen, deren Ziel es ist, Konstruktionen so zu gestalten, dass alle tragenden Holzbauteile geschützt sind und eine Ausführung ohne Holzschutzmittel möglich ist. Sofern alle konstruktiven Maßnahmen erschöpft sind, lässt sich durch den Gebrauch heimischer Holzarten mit hoher Eigenresistenz dennoch auf chemischen Holzschutz verzichten. Für nicht tragende Bauteile wie Bekleidungen, Verschalungen oder Geländerfüllungen, deren konstruktiver Schutz nicht wirtschaftlich herstellbar ist, ist grundsätzlich kein chemischer Holzschutz vorzusehen. Mit resistenteren einheimischen Holzarten oder modifizierten Hölzern lässt sich eine längere Lebensdauer gewährleisten. Andernfalls sind Bauteile entsprechend häufiger auszutauschen. Brückenträger überdachter Brücken über Wasser werden der Gebrauchsklasse 2 zugeordnet [4 Anhang D Tabelle D.1]. In Rahmen eines Forschungsprojektes ließ sich keine erhöhte Belastung für Bereiche von Holzbrücken über Gewässern feststellen, sofern ein ausreichender Abstand zur Geländeoberfläche eingehalten ist [7]. Mit entsprechenden konstruktiven Maßnahmen lassen sich Bauteile bei Brücken gem. Tabelle 1 bzw. Abb. 2 zuordnen. Regelungen zu vorbeugenden chemischen Holzschutzmaßnahmen werden in Teil 3 der DIN 68800 [8] beschrieben - grundsätzlich ist der Einsatz durch konstruktive Maßnahmen zu vermeiden und bei geschützten Holzbrückenkonstruktionen nicht erforderlich. Abb. 2 Gebrauchsklassen bei gängigen Brückenquerschnitten 618 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zeitgemäße Planung von Holzbrücken - Gestaltung und Prüfbarkeit Tabelle 1 Bauteile GK und Holzarten Häufige Bauweisen im Holzbrückenbau Deckbrücken Deckbrücken bestehen aus zwei oder mehr Hauptträgern, das Tragwerk liegt unter der Fahrbahn und wird durch den Belag abgedeckt. Diese Bauweise ist besonders einfach und wirtschaftlich. Sie wird häufig als einfeldrige Konstruktionen eingesetzt, die statisch als Biegebalken wirken. Ab Spannweiten von 10 m werden meistens zusätzliche Maßnahmen für einen Lastabtrag horizontaler Einwirkungen wie Wind erforderlich. Für eine offene Konstruktion eignet sich ein Diagonalverband aus Rundstählen. Ist die Fahrbahn wasserdicht ausgeführt, lässt sich diese als Scheibe umsetzen oder alternativ zwischen den Hauptträgern ein Fachwerk aus Holzstäben bilden. Das Holztragwerk wird durch einen wasserführenden Belag oder oberseitige Abdeckungen aus Blech oder Kunststoff vor der Witterung geschützt. Schutz vor Schlagregen bieten eine seitliche Bekleidung oder ein ausreichender Überstand der Fahrbahn. Bei wasserdurchlässigen Belagskonstruktionen ist der Schutz der Trägerinnenseiten erforderlich. Mit dieser Bauweise lassen sich Spannweiten bis 20 m wirtschaftlich realisieren. Durch den Einsatz von Unterspannungen können noch größere Distanzen überbrückt werden 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 619 Zeitgemäße Planung von Holzbrücken - Gestaltung und Prüfbarkeit Abb. 3 Deckbrücke mit Plattenbelag Blockträgerbrücken Bei dieser Bauweise bilden zu Blöcken verklebte Träger aus Brettschichtholz das unter der Fahrbahn liegende Haupttragwerk. Durch den massiven Querschnitt lassen sich statisch geringere Konstruktionshöhen erzielen. Ein Blockträger kann horizontale Einwirkungen durch Wind kompakt ohne zusätzlichen Aussteifungsverband abtragen. Die Blockträger sind durch eine dauerhafte Dichtebene oberseitig zu schützen. Ein ausreichender Überstand einer wasserdichten Fahrbahn oder eine Verschalung stellen den seitlichen Witterungsschutz sicher. Blockträgerbrücken zeichnen sich durch eine besonders kompakte Querschnittsform aus. Die Blockverklebung ermöglicht eine Herstellung von in mehrere Richtungen gekrümmten Bauteilen, wodurch sich nahezu beliebige Geometrien mit Spannweiten bis ca. 45 m realisieren lassen. 620 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zeitgemäße Planung von Holzbrücken - Gestaltung und Prüfbarkeit Abb. 4 Blockträgerbrücke mit Asphaltbelag Trogbrücken Das Tragwerk einer Trogbrücke besteht aus zwei Hauptträgern aus Brettschichtholz, die in Geländerebene liegen und einen Trog bilden. Die Fahrbahn liegt zwischen den Hauptträgern auf U-förmigen Aussteifungsrahmen aus Stahl. Die horizontale Aussteifung erfolgt zumeist über einen Rundstahlverband. Ein Vorteil dieser Bauweise besteht in der geringen Konstruktionshöhe zwischen Oberkante des Belags und Unterkante der Brücke. Sie lässt auch bei großen Spannweiten höhere Durchflussquerschnitte für Hochwasser oder Freiraumprofile über Verkehrswegen zu. Für eine hohe Lebensdauer werden alle tragenden Elemente aus Holz oberseitig und seitlich verschalt. Trogbrücken sind wirtschaftlich mit Einzelspannweiten von bis zu 50 m realisierbar. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 621 Zeitgemäße Planung von Holzbrücken - Gestaltung und Prüfbarkeit Abb. 5 Trogbrücke mit Holzbelag Fachwerkbrücken Die gedeckte Fachwerkbrücke gilt als traditionsreichste Ausführung von Holzbrücken. Das Tragwerk besteht aus einer aufgelösten Struktur aus Gurten, Pfosten und Diagonalen. Die statische Nutzung kleinformatiger Holzstäbe ermöglichte bereits vor der Entwicklung von Brettschichtholz Spannweiten bis zu 40 m. Heutzutage werden Fachwerkbrücken mit bis zu 80 m Länge realisiert. Die Fahrbahn ist meist an die Untergurte angeschlossen und die Obergurte dienen zusätzlich als Auflager für die schützende Dachkonstruktion. Verbandsebenen unterhalb des Belags sowie in Ebene der Obergurte nehmen die Horizontalkräfte auf. Biegesteife Rahmenkonstruktionen am Auflager aus Stahl, Beton oder Holz tragen die Horizontallasten aus der Obergurtebene in die Fundamente ab. Neben dieser klassischen Gestaltung lassen sich weitere Fachwerkformen und Unterarten differenzieren. Dazu können neben Gitterträgerkonstruktionen auch Hänge- und Sprengwerke sowie Kombinationen aus diesen gezählt werden. Der konstruktive Holzschutz wird durch einen ausreichenden Dachüberstand und/ oder eine seitliche Verschalung gewährleistet. Die früher oft geschlossene Ausführung der Verschalung wird heute teilweise durch eine offene Lamellenverschalung ersetzt. Die offene Konstruktionsweise erfordert eine sorgfältige Planung der baulichen Holschutzmaßnahmen, da durch Verwirbelungen oder Schnee geschützte Bereiche belastet werden können. 622 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zeitgemäße Planung von Holzbrücken - Gestaltung und Prüfbarkeit Abb. 6 Abschnitt Fachwerkbrücke Holz-Beton-Verbundbrücken Holz-Beton-Verbundbrücken zeichnen sich durch die statisch sinnvolle Kombination von Holz und Beton in einem Tragwerk aus. Ziel ist die optimale Ausnutzung ihrer mechanischen Eigenschaften: Der Holzquerschnitt wird auf Zug beansprucht und die Betonplatte übernimmt die Druckkräfte. Diese Zuordnung lässt sich in Einfeldsystemen nutzen. Der Verbund wird hergestellt durch Kerven mit eingeklebter Bewehrung, Dübelleisten oder z.B. HBV®-Schubverbindern. Holz-Beton-Verbundbrücken eignen sich für Straßenbrücken mit Spannweiten bis 40 m. Der oberseitige Aufbau aus Beton bietet die Möglichkeit, die RiZ [9] der BASt ohne weiteren Planungsaufwand anzuwenden, sodass sich oberhalb des Holzträgers eine mit Betonbrücken vergleichbare Ausführung realisieren lässt. Das Holztragwerk wird als Trägerschar oder Blockträger ausgeführt und durch die auskragende Betonplatte konstruktiv gut geschützt. Die notwendige Schalung zwischen den Trägern sowie die seitliche Auskragung der Betonplatte lassen sich im Werk vorfertigen, damit unmittelbar nach Einhub die Bewehrungs- und Betonarbeiten beginnen können. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 623 Zeitgemäße Planung von Holzbrücken - Gestaltung und Prüfbarkeit Abb. 7 Holz-Beton-Verbundbrücke Weitere Brückentypen siehe hierzu auch Handbuch „Entwurf von Holzbrücken“ [4]. Geländer aus Holz Holz wird bei der Herstellung von Geländern häufig wegen seiner einfachen Verarbeitbarkeit und Gestaltungsvarianz verwendet, zumeist bei Haupttragelementen wie Pfosten, Holmen oder Füllungen und Handläufen. Als Holzarten empfehlen sich die Kernhölzer von Lärche, Douglasie, Eiche oder Robinie ohne Behandlung. Darüber hinaus ist der Einsatz von modifizierten Hölzern möglich. Geländer sind stets der Witterung ausgesetzt mit der Folge besonderer Anforderungen an den Holzschutz. Details müssen besonders sorgfältig geplant werden, um stehende Nässe durch geneigte Flächen, ausreichende Abstände oder geschützte Verbindungen zu vermeiden. Alle Bauteile sollten leicht austauschbar und auch mit Blick auf etwaigen Vandalismus dimensioniert sein. Je nach Ausführung beträgt die Lebensdauer einer Geländerkonstruktion aus Holz 20 bis 30 Jahre. Tabelle 2 bietet Anhaltswerte für die Lebensdauer von Geländerkonstruktionen aus unterschiedlichen Holzarten. Abmessungen der Einzelbauteile für Holzgeländer in Standardbauweise lassen sich den MuZ (Musterzeichnungen) H-Gel 1 bis 5 entnehmen Tabelle 2 Anhaltswerte für die Lebensdauer von Geländerbauteilen aus Holz 624 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zeitgemäße Planung von Holzbrücken - Gestaltung und Prüfbarkeit Abb. 8 Geländer aus Holz nach MuZ H-Gel 1-5 Verschalungen und Abdeckungen Eine entscheidende Herausforderung für den Entwurf von Holzbrücken ist der zuverlässige Witterungsschutz aller tragender Konstruktionsteile. Lässt sich dieser nicht durch einen ausreichenden Überstand einer Dichtebene oder eines dichten Fahrbahnbelags über dem Tragwerk sicherstellen, ist eine seitliche Verschalung und oberseitige Abdeckung anzuordnen [1]. Grundsätzlich eignen sich Bekleidungen entsprechend der Fachregeln für Gebäudefassaden [8] und oberseitige Abdeckungen entsprechend der Fachregeln des Dachdeckerhandwerks. Neben dem Werkstoff Holz sind Materialien wie Kunststoff, Metall, Stein oder auch Glas möglich. Primärer Zweck der Verschalungen und Abdeckungen ist der Schutz des Tragwerks vor Witterungseinflüssen. Seitliche Verschalungen Seitliche Verschalungen bilden eine vertikale Ebene für den Witterungsschutz des Tragwerks, sei es als geschlossene oder teildurchlässige Ausführung. Neben der Schutzfunktion tragen sie maßgeblich zur Bauwerksgestaltung bei. Geschlossene Verschalungen - Prüfbarkeit von tragenden Bauteilen Geschlossene Bekleidungen bilden eine witterungsdichte, meist vertikale Ebene zum Schutz des Tragwerks. Sie bestehen meist aus profilierten, horizontal oder vertikal angeordneten Holzbrettern mit einer Dicke von 18-24 mm, die durch Überlappen oder Nut und Feder eine geschlossene Ebene herstellen. Für Bekleidungen, die zur Verkehrsfläche angeordnet sind, empfehlen sich Dicken ≥ 21 mm, um Vandalismus vorzubeugen. Zur Vermeidung von Verletzungen ist der Einsatz gehobelter und gefaster Bretter vorzuziehen. Zur Hinterlüftung werden die Schalungsbretter auf einer Unterkonstruktion aus Latten (Sortierung gemäß DIN 4074-1 „10“ [9]) mit einem Abstand e ≤ 400 mm befestigt. Für das schnelle Abtrocknen ist eine Luftschicht von mindestens 20 mm vorzusehen. Informationen zur Ausführung orientieren sich an Gebäudefassaden und sind in den Fachregeln des Zimmererhandwerks - Außenwandbekleidungen aus Holz und Holzwerkstoffen [8] detailliert beschrieben. Entsprechend der Zugänglichkeit des Haupttragwerks sollten geschlossene Verschalungen mit einfachen Mitteln demontierbar sein, damit tragende Bauteile handnah geprüft werden können (siehe auch MuZ H-Schutz 6). Dies gilt auch für den etwaigen Austausch der Verschalung. Bei Überschneidungen mit anderen Konstruktionsteilen - bei- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 625 Zeitgemäße Planung von Holzbrücken - Gestaltung und Prüfbarkeit spielsweise bei Trogbrücken mit dem Belag - sind Verschalungen entsprechend zu trennen. Es empfiehlt sich, Bauteile, die schlecht zugänglich oder einer hohen Spritzwasserbelastung ausgesetzt sind, mit dauerhafteren Materialien auszuführen. Grundsätzlich werden Verschalungen bei Brücken mit korrosionsbeständigen Verbindungsmitteln befestigt, um eine hohe Standzeit und einen späteren Austausch zu sichern. Alternativ zu Verschalungen aus Holz lassen sich Plattenwerkstoffe wie Furnierschichtholz, HPL-Platten oder Faserzementplatten einsetzen. Weitere Möglichkeiten stellen Holzschindeln, Bleche aus Titanzink, Aluminium oder Kupfer und Glas als Schindeln oder geschlossene Flächen dar. Abb 9 Vorschlag für innen- und außenseitige Verschalung einer Trogbrücke Offene Verschalungen Alternativ zu geschlossenen Verschalungen bieten offene Konstruktionen aus horizontalen Lamellen die Möglichkeit zur Realisierung eines transparenten Witterungsschutzes. Die Anordnung der Lamellen übereinander erfolgt dabei so, dass vom Tropfpunkt des oberen Brettes bis zur oberen Kante des unteren Brettes ein Schlagregenwinkel von mindestens 30° eingehalten wird. Im Gegensatz zu geschlossenen Bekleidungen ergibt sich der Nachteil, dass Regen und Schnee bei starkem Wind hinter die Verschalungsebene gelangen können. Gefährdete Konstruktionsteile in diesem Bereich - beispielsweise Fachwerkknotenpunkte - sind entsprechend zu schützen (Abb. 8.5). Von Vorteil bei offenen Bekleidungen ist die gute Einsehbarkeit der tragenden Holzbauteile. Eine Demontagemöglichkeit für Prüfungen muss nicht berücksichtigt werden. 626 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zeitgemäße Planung von Holzbrücken - Gestaltung und Prüfbarkeit Abb 10 Offene Lamellenbekleidung Oberseitige Abdeckungen Sofern kein wasserdichter Fahrbahnbelag das Tragwerk abdeckt, ist der Schutz der Holzbauteile durch eine Abdichtungsebene herzustellen. Es lassen sich sowohl flächige als auch bauteilbezogene Abdichtungen einsetzen. Aufgrund der höheren Witterungsbelastung und schlechten Einsehbarkeit eignen sich für zusätzliche Abdichtungen Materialien wie Metall oder Kunststoffe besser als Holz oder Holzwerkstoffe. Grundlage für die Ausführung bilden die Regelungen für das Dachdecker und Spengler Handwerk. Für flächige Abdichtungen mit geringer Neigung lassen sich die Regelungen der DIN 18531 Teil 1-5 [10] anwenden. Für Abdichtungen unter Asphaltbelägen gelten zudem Teil 7 Abschnitt 1 und 2 aus den ZTV-ING [11]. Bei Abdichtungen unter offenen Belägen ergeben sich erhöhte Belastungen durch mechanische Einwirkungen, den Einsatz von Streusalzen oder Verschmutzungen. Neigungen und Aufbauten sind deshalb entsprechend zu wählen. Bei Vorgaben zu Mindestneigungen von Unterkonstruktionen sind stets die Verformungen des Tragwerks zu beachten. Schneeablagerungen können zusätzliche Abdichtungsmaßnahmen in vor Schlagregen geschützten Bereichen erfordern, zum Beispiel im Inneren von gedeckten Fachwerkbrücken. Abdeckungen aus Metall Für die flächige Abdeckung von Holztragwerken oder oberseitige und seitliche Abdeckung von Einzelträgern und Anschlussbereichen sind Titanzink-, Aluminium-, Edelstahl- oder Kupferbleche verwendbar. Die Regeldachneigung liegt je nach Ausführung bei mindestens 7°. Ein Gefälle von minimal 3° oder gefällelos (nur Edelstahl) kann durch Zusatzmaßnahmen wie zusätzliche Abdichtungen erreicht werden. Dehnungsstöße sind mindestens alle 8 m anzuordnen. Für Abdeckungen, die einer Tausalzbelastung ausgesetzt sind, eignen sich resistentere Metalle oder Kunststoffe. Titanzink oder Aluminium sind hierfür nicht geeignet. Darüber hinaus sind mögliche Kontaktkorrosionen mit Verbindungsmitteln oder Einbauteilen aus Metall zu berücksichtigen. Eine Gefahr durch Tauwasserausfall an Abdeckungen ist durch geeignete Trennlagen zu vermeiden. Weitere Informationen zur Ausführung und Verarbeitung sind in den Fachregeln für Metallarbeiten im Dachdeckerhandwerk aufgeführt. Abb 11 oberseitige Abdeckung von Hauptträgern Abdeckungen aus Kunststoff und Bitumen unter offenen Belägen Für die Ausführung von Abdichtungen mit geringem Gefälle von ≥ 1,5 % ist der Einsatz von Bitumen oder Kunststoffbahnen im Holzbrückenbau verbreitet. Die Teile 1 - 4 der DIN 18531 [10] enthalten Regelungen für die Ausführung von genutzten und nicht genutzten Dächern und lassen sich auch bei Brücken anwenden. Für Abdichtungen unter offenen Belägen liefern die Angaben aus Teil 5: Balkone, Loggien und Laubengänge spezifische Hinweise. Die Abdichtungsebene unter offenen Belägen lässt sich mit den meisten Polymerbitumenbahnen und allen Kunststoff- oder Elastomerbahnen gemäß DIN 18531 [10] Teil 2 umsetzen. Randabschlüsse, Rinnen oder Einbauteile sind als Standardteile aus Verbundblechen oder vorbehandelten Metallen verfügbar. Als Unterkonstruktion eignen sich belüftete Holzwerkstoffplatten oder Vollholzschalungen. Zur Redundanz lassen sich zusätzliche diffusionsoffene Abdichtungen unterhalb der Belüftungsebene anordnen. Schutzschichten gegen mechanische Belastungen sind bei Abdichtungsebenen unter offenen Belägen erforderlich. Hierfür eignen sich beispielsweise Bautenschutz- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 627 Zeitgemäße Planung von Holzbrücken - Gestaltung und Prüfbarkeit matten aus Gummigranulat mit einer Mindestnenndicke von 6 mm. Zusätzlich sind Abstandshalter - beispielsweise Unterlagen aus EPDM - für die Unterkonstruktion vorzusehen, die eine ausreichende Distanz zur Abdichtungsebene schaffen Abb 12 Blockträgerbrücke, Abdichtung unter Bohlen, links Stehfalzdeckung, rechts Kunststoff-/ Bitumenbahn Hirnholzseitige Abdeckung Wegen ihrer Faserstruktur nehmen Stirnseiten von Holzstäben und Blockträgern Feuchtigkeit besonders schnell und tief auf. Diese Bereiche sind daher sorgfältig zu schützen. Hierzu lässt sich entweder die seitliche Bekleidung um das Hirnholz herumführen oder eine zusätzliche Blechabdeckung vorsehen. Erhöhte Sicherheit schaffen wasserdichte und schmutzdichte Übergangskonstruktionen. Fazit Bei Anwendung der konstruktiven Holzschutzregeln kann man mit Holz sehr dauerhafte Brückenbauwerke errichten. In Kombination mit anderen Materialien ist aber nicht nur eine zeitgemäße Formensprache möglich, sondern es lassen sich auch Bauwerke mit beachtlichen Spannweiten errichten. Die technische Entwicklung im allgemeinen Holzbau erzeugt nun eine ähnliche Situation wie für Stahl und Beton im Zuge der Industrialisierung zum Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Dies wird auch den Holzbrückenbau positiv beeinflussen. Quellenverzeichnis [1] Dipl.-Ing. Tabea Neumann-Schwarzkopf: Vortrag Fachgespräch Holzbrücken - Der holzbrückenbau im Bereich der Bundesfernstraßen, 19. September 2018 [2] Prof. Dr.-Ing Thomas Uibel: Vortrag Fachgespräch Holzbrücken - Entwicklung von Standardbrücken für Geh- und Radwege, 19. September 2018, Fachhochschule Aachen, 2018 [3] DIN EN 1995-2, Bemessung und Konstruktion von Holzbauten - Teil 2: Brücken, DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin, 2011 [4] DIN 68800-1, Holzschutz - Teil 1: Allgemeines, DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin, 2011 628 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Zeitgemäße Planung von Holzbrücken - Gestaltung und Prüfbarkeit [5] DIN 68800-2, Holzschutz - Teil 2: Vorbeugende bauliche Maßnahmen im Hochbau, DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin, 2012 [6] Qualitätsgemeinschaft Holzbrückenbau e.V.: Entwurf von Holzbrücken, 2019 [7] Koch, Simon: Untersuchung der langfristigen Holzfeuchteentwicklung an geschützten Holzbrücken. In: 7. Doktorandenkolloquium Holzbau Forschung + Praxis, S. 105-112, Institut für Konstruktion und Entwurf, Universität Stuttgart, DE-Stuttgart, 2018 [8] DIN 68800-3, Holzschutz - Teil 3: Vorbeugender Schutz von Holz mit Holzschutzmitteln, DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin, 2012 [9] Richtzeichnungen für Ingenieurbauten (RiZ-ING), Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, 2017 [10] Außenwandbekleidungen aus Holz und Holzwerkstoffen - Fachregeln des Zimmererhandwerks, Bund Deutscher Zimmermeister, 2014 [11] DIN 4074-1 Sortierung von Holz nach der Tragfähigkeit - Teil 1: Nadelschnittholz, DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin, 2012 [12] DIN 18531 1-5 Abdichtung von Dächern sowie von Balkonen, Loggien und Laubengängen, DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin, 2017 [13] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING), Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, 2017 Abb.1 - 12: Qualitätsgemeinschaft Holzbrückenbau e.V.: Entwurf von Holzbrücken, 2019 Tabelle 1, 2: Qualitätsgemeinschaft Holzbrückenbau e.V.: Entwurf von Holzbrücken, 2019 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 629 Bestehende Regelwerke zur Prüfung von Holzbrücken - Haben wir alles, was wir brauchen? Dipl.-Ing. (FH) Florian Scharmacher, M.Sc ö.b.u.v. Sachverständiger für Holzbau und Holzschutz Ingenieurberatung Scharmacher München, Deutschland Zusammenfassung Die Prüfung von Holzbrücken wird über die Regelwerke DIN 1076 sowie die RI-EBW-PRÜF geregelt. In der Praxis zeigt sich jedoch häufig, dass die Vorgaben teilweise zu Verwirrungen bei Bauwerksprüfern führen. Dies betrifft insbesondere die Beispielsammlung zur RI-EBW-PRÜF. Teils missverständliche Beispiele und Zuordnungen gepaart mit einem für die Prüfer eher seltenen Baustoff führen vereinzelt zu nicht nachvollziehbaren Bewertungen. Im Rahmen dieses Beitrages werden die vorhandenen Regeln zur Prüfung von Holzbrücken diskutiert, Erfahrungen aus Holzbrückenprüfungen dargelegt sowie Lösungsvorschläge für die Praxis erarbeitet. 1. Einleitung Die Prüfung von Holzbrücken wird über die Regelwerke DIN 1076 [1] sowie die RI-EBW-PRÜF [2] geregelt. In der Praxis zeigt sich jedoch häufig, dass die Vorgaben teilweise zu Verwirrungen bei Bauwerksprüfern führen. Dies betrifft insbesondere die Beispielsammlung zur RI- EBW-PRÜF. 2. Bestehende Regelwerke 2.1 DIN 1076: 1999 [1] Die DIN 1076 - Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen, Überwachung und Prüfung ist in Deutschland das grundlegende Regelwerk zur Zustandserfassung von Ingenieurbauwerken. Entsprechend der DIN 1076, Abschnitt 5.1 sind alle Ingenieurbauwerke in regelmäßigen Abständen zu prüfen. Hierbei sind bei früheren Prüfungen gemachte Feststellungen besonders zu berücksichtigen. Für die Prüfberichte sind Protokolle zu erstellen. Diese sind durch Skizzen und fotographische Dokumentationen gegebenenfalls zu ergänzen. Eine erste Hauptprüfung ist vor Abnahme der Bauleistung, eine zweite vor Ablauf der Verjährungsfrist der Gewährleistung und im Anschluss in jedem sechsten Jahr durchzuführen. Für Holzbrücken bestehen abweichende Regelungen gemäß RI-EBW-PRÜF, in welchen z. T. geringere Prüfintervalle vorgegeben werden. Im Rahmen der Hauptprüfung sind alle Bauwerksteile handnah zu prüfen, das gilt auch für schwer zugänglichen Bauwerksteile. Hierzu sind Abdeckungen zu entfernen und die Bauwerksteile zu reinigen, damit auch versteckte Mängel und Schäden ermittelt werden können. Mängel und Schäden welche bei darauffolgenden einfachen Prüfungen, oder in kürzeren Zeiträumen, erneut zu prüfen sind, müssen gekennzeichnet werden. Insbesondere gilt dies für Mängel oder Schäden, die in absehbarer Zeit Auswirkungen auf die Standsicherheit, die Verkehrssicherheit oder die Dauerhaftigkeit haben. Gemäß Abschnitt 5.2.6 sind bei Holzkonstruktionen insbesondere zu prüfen: • „tragende Teile auf Verformungen, • Schrauben und sonstige Verbindungen auf festen Sitz, • auf Druck beanspruchte Stoßflächen auf sattes Aufeinandersitzen, • Stöße oder Risse auf Eindringen von Feuchtigkeit, • Klebfugen auf Unversehrtheit, • alle Teile auf etwaige Bildung von Wassersäcken und Fäulniserscheinungen, • alle Teile auf Befall durch Holzschädlinge, • Verschleißteile auf Abnutzung, • Oberflächenschutz auf Mängel/ Schäden, • Verkehrsflächen auf Griffigkeit.“ 630 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestehende Regelwerke zur Prüfung von Holzbrücken - Haben wir alles, was wir brauchen? 2.2 RI-EBW-PRÜF 2017 [2] Ergänzend zur DIN 1076 sind für die Prüfung von Holzbrücken gemäß der „Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfung gemäß DIN 1076“ (RI-EBW- PRÜF) zusätzliche Vorgaben einzuhalten. Die maßgeblichen Kriterien für eine Holzbrückenprüfung sind im Folgenden dargestellt. Holzfeuchtemessungen An konstruktiv sinnvollen Stellen müssen bei jeder Prüfung von Holzbrücken Feuchtemessungen durchgeführt werden. Die Holzfeuchte ist anhand des elektrischen Widerstands mit einem Holzfeuchtemessgerät zu messen. Die Holzfeuchte ist in einem Drittel der Querschnittstiefe (mind. 4 cm Tiefe) zu bestimmen, hierbei sind Spitzenelektroden mit Schaftisolierung zu verwenden. Es ist von einer erhöhten Feuchtebeanspruchung des Bauteils auszugehen, wenn der Grenzwert von 20 M-% überschritten wird. Anpassung der Prüfintervalle Besteht ein Verdacht auf schwerwiegende Schäden, ist die Prüfung teilweise oder ganz auf eine Hauptprüfung zu erweitern. Soweit erforderlich sind weitere „zerstörungsfreie“ bzw. „zerstörungsarme“ Prüfverfahren anzuwenden. Für Holzbrücken, ohne ausreichenden konstruktiven Holzschutz und/ oder der Lage im Bereich von Gewässern, ist die Hauptprüfung jährlich durchzuführen. Eine Gefährdungsanalyse ist für geschützte Konstruktionen durchzuführen, falls der Verdacht auf eine erhöhte Feuchtebeanspruchung besteht. Aufgrund dessen kann eine Verkürzung der Prüfintervalle nach DIN 1076 empfehlenswert sein. Schadensbewertung Im Zuge der Bauwerksprüfung gemäß DIN 1076 ist für jeden Einzelschaden eine Schadensbewertung getrennt nach den Kriterien „Standsicherheit“, „Verkehrssicherheit“ und „Dauerhaftigkeit“ durchzuführen. Berücksichtigt werden dabei lediglich die aktuellen Einflüsse des Schadens. Bei der Dauerhaftigkeit erfolgt die Bewertung hinsichtlich der zeitlichen Auswirkung des Schadens. 3. Probleme in der Praxis 3.1 Qualifikation der Prüfer Entsprechend der DIN 1076 müssen die Prüfungen von einem sachkundigen Ingenieur durchgeführt werden, der ebenfalls die Statik und Konstruktion der Bauwerke beurteilen kann. Um die Aus- und Fortbildung der Ingenieurinnen und Ingenieure der Bauwerksprüfung zu fördern wurde der „Verein zur Förderung der Qualitätssicherung und Zertifizierung der Aus- und Fortbildung von Ingenieurinnen/ Ingenieuren der Bauwerksprüfung“ VFIB im Jahr 2008 gegründet. In der Regel wird die Vorlage des Lehrgangszertifikats als Nachweis der Sachkunde von den Straßenbauverwaltungen in Deutschland verlangt. Der Holzbrückenbau wird dabei im Grundlehrgang des VFIB kaum thematisiert. Holzbrücken nehmen jedoch aufgrund des organischen Werkstoffs bei den Ingenieurbauwerken eine Sonderstellung ein. Für eine Beurteilung des Bauzustandes sind vertiefte Kenntnisse des Werkstoffs Holz erforderlich. Ebenso muss der Prüfer sowohl über Kenntnisse der modernen Holzbrückenkonstruktionen als auch über historische Bauweisen verfügen. In der Praxis zeigt sich leider häufig, dass bei den Brückenprüfern teilweise weder die materialspezifischen noch konstruktionstypischen Fachkenntnisse für Holz(brücken) vorliegen. 3.2 Vorgaben der DIN 1076 und RI-EBW-PRÜF Ein zudem vorhandenes Problem zeigt sich in den Vorgaben der DIN 1076 und der RI-EBW-PRÜF, welche immer wieder zu Verwirrungen bei Bauwerksprüfern führen. Dies betrifft insbesondere die Beispielsammlung zur RI-EBW-PRÜF. Teils missverständliche Beispiele und Zuordnungen gepaart mit einem für die Prüfer eher seltenen Baustoff führen vereinzelt zu nicht nachvollziehbaren Bewertungen. Nachfolgend wird dies anhand einiger Schadensbeispiele aufgezeigt. Holzfeuchte Holz ist aufgrund seines zellförmigen Aufbaus und seiner Porosität hygroskopisch. Je nach Umgebungsklima nimmt Holz Feuchte aus der Luft auf oder gibt Feuchte ab. In Abhängigkeit von Temperatur und relativer Luftfeuchte stellt sich in Holzbauteilen eine Gleichgewichtsfeuchte ein. Die Holzfeuchte hat dabei einen maßgebenden Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften und die Dauerhaftigkeit des Holzes. Dazu gehören die Steifigkeit und Festigkeit, die Form- und Querschnittsbeständigkeit und auch die Gefährdung durch holzzerstörende Insekten und Pilze. Die Schadensbeispiele der RI-EBW-PRÜF enthalten nur allgemeine Aussagen zum Brückenüber- und unterbau und sind dabei unspezifisch (Tabelle 1). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 631 Bestehende Regelwerke zur Prüfung von Holzbrücken - Haben wir alles, was wir brauchen? Tabelle 1: Schadensbeispiele der RI-EBW-Prüf zur „Holzfeuchte“ BSP-ID Beschreibung S V D Bemerkung Brücken Überbau, Unterbau 015-20 032-09 Hauptbauteile durchfeuchtet bzw. zu hoher Feuchtegehalt (>20%) 0-1 0 1-3 Aus Tabelle 1 wird ersichtlich, dass keine differenzierte Bewertung der Holzfeuchte anhand der Schadensbeispiele möglich ist. Es wird weder auf die im Einbauzustand zu erwartende Holzfeuchte noch auf die Messtiefe eingegangen. Eine Holzfeuchte größer 20 M-% ist an der Oberfläche eher zu tolerieren als in mehreren Zentimetern Tiefe, da hier nicht von einer zeitnahen Rücktrocknung ausgegangen werden kann. In der weiteren Bewertung müsste hinsichtlich der Gefährdung mit holzzerstörenden Pilzen (ab Fasersättigung bei ca. 30 %) und zwischen der stetigen Reduzierung mechanischen Festigkeiten bei Erhöhung der Holzfeuchte unterschieden werden. Die Festigkeitswerte in den Bemessungsnormen gelten für eine Holzfeuchte von 12 M-%. Mit zunehmender Holzfeuchte nehmen insbesondere das Elastizitätsmodul (E-Modul) und die Biegefestigkeit ab. Bei der Tragwerksplanung im Holzbau sind diese Effekte mit der entsprechende Nutzungsklassen zu berücksichtigen. Die pauschale Festlegung des Grenzwertes mit Feuchtegehalt > 20 M-% ist somit maximal ein erster Anhaltspunkt, aber für eine Bewertung hinsichtlich des Handlungsbedarfs nicht zielführend. Pilzbefall Bei einem Pilzbefall wird generell in holzverfärbende und holzzerstörende Pilze unterschieden. Zu den holzverfärbenden Pilzen gehören die Bläue- und Schimmelpilze. Holzverfärbende Pilze führen durch die Verfärbung des Holzes oder eines oberflächigen Angriffes nur zu einer ästhetischen Beeinträchtigung. Ein Holzabbau findet nicht statt. Schimmelpilze können jedoch zu gesundheitlichen Problemen führen. Ein Befall mit holzzerstörenden Pilzen ist ab einer Holzfeuchte über dem Fasersättigungspunkt von ca. 30 M-% möglich. Bekannte Vertreter der im Bauwesen relevanten holzzerstörenden Pilze sind der Echte Hausschwamm, der Braune Kellerschwamm, die Porenschwämme und die Blättlinge. Holzzerstörende Pilze führen zu einem Abbau der Holzsubstanz bis hin zur vollständigen Zerstörung des Bauteils und dem damit verbundenen Tragverlust. Bei den Schadensbeispielen der RI-EBW-PRÜF erfolgt die Bewertung eines Pilzbefalls maßgeblich anhand des Myzels (Tabelle 2). Tabelle 2: Auszug aus den Schadensbeispielen der RI-EBW-PRÜF zu „Pilzbefall“ BSP-ID Beschreibung S V D Bemerkung Brücken Unterbau/ Überbau 015-08 032-01 Pilzbefall an den Hauptbauteilen, vereinzelt ≥1 0 ≥2 OSA zur quantitativen Bestimmung der Schadensausbreitung 015-09 032-02 Mittlerer bis starker Pilzbefall/ Myzel an den Hauptbauteilen, fortgeschrittenes Stadium, Fruchtkörper sichtbar ≥2 0 ≥3 OSA zur quantitativen Bestimmung der Schadensausbreitung 015-16 Anzeichen auf Innenfäule im Haupträger, äußerlich geringe Zerstörung erkennbar 1-3 0 3 OSA zur quantitativen Bestimmung der Schadensausbreitung Beläge 245-05 Pilzbefall vereinzelt, geringer Schadensgrad 1 1 2 245-05 Starker Pilzbefall, fortgeschrittenes Stadium, Fruchtkörper sichtbar, mittlerer bis hoher Schadensgrad 2 2-4 2 Geländer 231-18 Pfosten lose, verfault/ vermodert, mit Pilzbefall, geringer Schadensgrad 1 1 2 231-19 Pfosten lose, verfault/ vermodert, mit Pilzbefall, mittlerer bis hoher Schadensgrad, Querschnittsschwächung ≥ 30 % 1 2-4 2 632 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestehende Regelwerke zur Prüfung von Holzbrücken - Haben wir alles, was wir brauchen? Bei den Schadensbeispielen zum „Pilzbefall“ gibt es je nach Bauteil unterschiedliche Definitionen und auch eine unterschiedliche Bewertung hinsichtlich der Kriterien. Abgesehen von der Bewertung beim Abschnitt Geländer wird dabei keine Querschnittsminderung berücksichtigt. Die Bewertung eines Schadens durch holzzerstörende Pilze lediglich anhand des Oberflächenmyzel kann je nach Pilzart zu einer falschen Bewertung führen. Blättlingspilze beispielsweise lösen eine sogenannte Innenfäule aus, sodass am Träger außen kein Pilzmyzel gebildet wird. Fruchtkörper sind in der Regel erst sichtbar, wenn es bereits zu einem massiven Abbau der Holzsubstanz gekommen ist (Abbildung 1). Entscheidend für die Bewertung der Tragfähigkeit ist insbesondere die Schädigungstiefe und der verbleibende Restquerschnitt des Bauteiles, unabhängig davon welche Pilzart den Schaden verursacht. Abbildung 1: Innenfäule an einem Pfosten; typisches Schadbild für Blättlingspilze [3] Risse Das Auftreten von Rissen ist in Holzkonstruktionen nicht zu vermeiden. Es ist hierbei zwischen Rissen aus klimatischen Einwirkungen (Schwindrissen, Delaminierungen) und Risse aus mechanischen Einwirkungen (Querzugrisse, Schubrisse) zu unterscheiden. Schwindrisse sind dabei in der Regel im ungeschwächten Holzquerschnitt aus statischen Gesichtspunkten zu vernachlässigen. Im Bereich von Verbindungsmitteln ist der mögliche Einfluss von Schwindrisse jedoch zu berücksichtigen. Schwindrisse Risse sind deutlich von Delaminierungen abzugrenzen. Als Delaminierungen werden Öffnungen direkt in der Klebfuge oder im Grenzbereich zum Holz bezeichnet (Abbildung 2). Bei Delaminierungen ist die Aufnahme der vorhandenen Risstiefen zwingend erforderlich und ggfs. die Entnahme von Bohrkernen zur Beurteilung der Klebfugengüte notwendig. Abbildung 2: links: Schematische Darstellung eines Schwindrisses (rot) im Holz, rechts: Schematische Darstellung einer Delaminierung (rot) in der Grenzfläche zwischen Holz und Klebfuge Die Schadensbeispiele der RI-EBW-PRÜF zu Rissen sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Tabelle 3: Schadensbeispiele der RI-EBW-PRÜF zu „Rissen“ BSP-ID Beschreibung S V D Bemerkung Brücken Überbau, Risse 016-01 033-01 Vollholz, Risse t ≤ 1/ 3 b einseitig bzw. t ≤ 1/ 6 b beidseitig 0 0 0 016-02 033-02 Vollholz, Risse 1/ 3 b < t ≤ 1/ 2 b ≥2 0 ≥2 016-03 033-03 Vollholz, Risse t > 1/ 2 b ≥2 0 ≥3 OSA = statischer Nachweis erforderlich 016-04 033-04 Brettschichtholz, Klebefuge (KF) gerissen A Riss ≤ 0,03 A KF (A Riss= t * l) 0 0 1 Risstiefe in den Viertelspunkten des Risses gemessen 016-05 033-05 Brettschichtholz, Klebefuge (KF) gerissen 0,03 A KF < A Riss ≤ 0,1 A KF (A Riss = t* l) 1 0 2 Risstiefe in den Viertelspunkten des Risses gemessen 016-06 033-06 Brettschichtholz, Klebefuge (KF) gerissen A Riss > 0,1 A KF (A Riss = t * l) 2 0 3 OSA = statischer Nachweis erforderlich Bei den Schadensbeispielen wird lediglich eine Unterteilung der Risse hinsichtlich des Materials vorgenommen. Aussagen zur Rissursache werden nicht betrachtet. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 633 Bestehende Regelwerke zur Prüfung von Holzbrücken - Haben wir alles, was wir brauchen? Beispielsweise wären insbesondere bei Rissen infolge Querzugbeanspruchung Sofortmaßnahmen erforderlich. Bereits kleinste Änderungen in der Beanspruchungssituation könnten zu einem Risswachstum und im schlimmsten Fall zu einem Tragwerksversagen führen. Ebenfalls sind die Kriterien zur Risstiefe zu Hinterfragen. Die in den Schadensbeispielen genannten Kriterien gibt es lediglich im Bereich der Brückenprüfung. Hierbei ist insbesondere die Bewertung von Klebfugenrissen (Delaminierungen) hinsichtlich der Rissfläche A zu hinterfragen. Eine Bewertung nach der Rissfläche bei Brettschichtholz ist in den anderen Bereichen des Holzbaus nicht üblich und somit nicht nachvollziehbar. Ebenso ist die Praxistauglichkeit zu bezweifeln, da für jeden einzelnen Riss erst die Fläche berechnet werden muss. Die zulässigen Risstiefen der Schadensbeispiele weichen von den üblichen im Holzbau (Hochbau) ab. Entsprechend den allgemein anerkannten Regeln der Technik erfolgt die Bewertung von Rissen in Holzbauteilen anhand folgender Kriterien: Zulässige Risstiefen für Vollholz, Sortierklasse S10 gemäß DIN 4074-1, [4]: • R T ≤ 50 % des Querschnitts (gilt für Schwindrisse) • Zulässige Risstiefe Brettschichtholz gemäß RADO- VICS/ WIEGAND 2005 [5]: • Biege-Schubbeanspruchung R T ≤ 33 % des Querschnitts • Querzugbeanspruchung R T ≤ 25 % des Querschnitts Die Risstiefen werden dabei gemäß DIN 4074 (Abbildung 6) ermittelt: Abbildung 6: Bestimmung der Risstiefe gemäß DIN 4074 [4] Für Risse von beiden Seiten ergibt sich bei Brettschichtholz somit eine zulässige Risstiefe von 1/ 6 der Trägerbreite. Risse in Folge mechanischer Einwirkungen sind nie zulässig. Verbindungsmittel Holzbrücken sind keine monolithischen Bauwerke sondern haben eine Vielzahl an Fügestellen, bei denen i. d. R. stabförmige Bauteile miteinander verbunden werden. Aufgrund dessen ist die Aufnahme mangelhafter Verbindungen ein maßgeblicher Bestandteil der Bauwerksprüfung. Bewertungsmöglichkeiten von Verbindungen beschränken sich anhand den Schadensbeispielen der RI-EBW-PRÜF lediglich auf die einzelnen Verbindungsmittel (Tabelle 4). Tabelle 4: Schadensbeispiele der RI-EBW-PRÜF zu „Verbindungsmitteln“ BSP-ID Beschreibung S V D Bemerkung Brücken, Verbindungsmittel 017-01 034-01 Verbindungsmittel bei Hauptbauteilen locker, lose in Abhängigkeit von der Anzahl 1-3 0 1-3 017-02 034-02 Verbindungsmittel bei Hauptbauteilen gerissen, abgeschert, fehlt in Abhängigkeit von der Anzahl 2-4 0 2-4 017-03 034-02 Verbindungsmittel bei Hauptbauteilen korodiert in Abhängigkeit von der Anzahl 1-3 0 1-3 Bewertungsbespiele für gesamthafte Knotenpunkte wie beispielsweise biegesteife Schlitzblechverbindungen oder reine Holz-Holz-Verbindungen sind nicht vorhanden. 4. Lösungsansätze 4.1 Qualifikation der Prüfer Für die Bauwerksprüfung von Holzbrücken sollte ein Aufbaulehrgang für die Prüfer vorgeschrieben werden. Hierfür wäre die Entwicklung eines passenden Ausbildungskurses erforderlich. 4.2 Vorgaben der DIN 1076 und RI-EBW-PRÜF Prüfhandbuch Als Hilfestellung zur Bauwerksprüfung sollte das Muster Prüfhandbuch der Qualitätsgemeinschaft Holzbrückenbau [6] herangezogen werden. Im Rahmen des For- 634 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Bestehende Regelwerke zur Prüfung von Holzbrücken - Haben wir alles, was wir brauchen? schungsprojektes „Entwicklung einheitlicher Richtlinien für den Entwurf, den Bau, die Überwachung und Prüfung geschützter Holzbrücken - Protected Timber Bridges (ProTimB)“ [7] wurde das o. g. Muster- Prüfhandbuch für Holzbrücken entwickelt. Das Muster-Prüfhandbuch gibt bauwerksspezifische Prüfhinweise- und Anweisungen für die Prüfung von Holzbrücken, welche deutlich über die Vorgaben der DIN 1076 sowie der RI-EBW- PRÜF hinausgehen. Neben der Prüfung sollten Holzbrücken auch regelmäßig gewartet werden, hierfür ist die Erstellung eines ergänzenden Wartungshandbuches empfehlenswert. Überarbeitung der Schadensbeispiele Das Muster-Prüfhandbuch enthält lediglich bauwerksspezifische Prüfhinweise- und Anweisungen für die Prüfung von Holzbrücken. Eine Überarbeitung der Schadensbeispiele und der Schadensbewertung gemäß RI-EBW-PRÜF erfolgte hierbei nicht. Wie in Kapitel 3 aufgezeigt wurde ist eine Überarbeitung und Ergänzung der Schadensbeispiele aus Sicht des Verfassers dringend erforderlich. Dies betrifft insbesondere die Schadens- und Bewertungsbeispiele hinsichtlich Holzfeuchte, Pilzschäden, Risse und Verbindungen. 5. Literatur [1] DIN 1076 - Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen; Überwachung und Prüfung, Ausgabe 11/ 19999 [2] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfung nach DIN 1076 (RI-EBW-PRÜF), 2017 [3] Scheiding et al.: Holzschutz, Holzkunde-Pilze und Insekten-Konstruktive und chemische Maßnahmen-Technische Regeln-Praxiswissen, Hanser Verlag München, 2016. [4] DIN 4074 1 - Sortierung von Holz nach der Tragfähigkeit, 2012 [5] Radovic, B.; Wiegand, T.: Oberflächenqualität von Brettschichtholz, 2005 [6] Qualitätsgemeinschaft Holzbrückenbau: Prüfhandbuch für Holzbrücken (Muster), 2018 [7] Entwicklung einheitlicher Richtlinien für den Entwurf, den Bau, die Überwachung und Prüfung geschützter Holzbrücken - Protected Timber Bridges (ProTimB), Forschungsvorhaben Fachhochschule Erfurt 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 635 Feuchtemonitoringsysteme auf Holzbrücken Andreas Müller Berner Fachhochschule, Architektur, Holz und Bau, Institut für Holzbau, Tragwerke und Architektur, Biel, Schweiz Marcus Schiere Berner Fachhochschule, Architektur, Holz und Bau, Institut für Holzbau, Tragwerke und Architektur, Biel, Schweiz Sébastien Bonifacio Berner Fachhochschule, Architektur, Holz und Bau, Institut für Holzbau, Tragwerke und Architektur, Biel, Schweiz Zusammenfassung Brückentragwerke aus Holz sind dem Aussenklima ausgesetzt. Durch das hygroskopische Verhalten des Holzes, kommt es zu einer Variation der Holzfeuchte im Tragquerschnitt. Holzfeuchten von 15 bis 20 Massenprozenten werden in der Regel in konstruktiv geschützten Bauteilen gemessen. Anhand heute üblicher punktueller Messungen z.B. mit der Widerstandsmessung, ist es nicht möglich ein gesamtes Brückentragwerk messtechnisch zu überwachen. Die Bestimmung der Holzfeuchte bleibt auf die bekannten kritischen Stellen, wie bei Anschlüssen oder an den Fahrbahnübergangen, begrenzt. Mit einer gewissen Erfahrung gelingt es meist mit der Langzeitüberwachung dieser „Hotspots“, frühzeitig signifikante Abweichungen in der Holzfeuchte festzustellen. Ziel der aktuellen Forschungsaktivitäten ist es, durch eine flächige Messwerterfassung der Feuchte direkt unter der Abdichtungsebene, konkrete Aussagen über den Zustand der Abdichtung zu treffen, um damit Schäden an der Fahrbahnplatte zu vermeiden. 1. Einführung Zwei wichtige Aspekte sind entscheidend, um die Sicherheit und Funktionstüchtigkeit der Brücke während der gewünschten Lebensdauer zu gewährleisten [1]. Erstens muss die Planung auf dieses Ziel ausgerichtet sein und zweitens der Zustand des Bauwerks während der ganzen Betriebsphase überwacht werden. Die Überwachung und der Unterhalt sind schon von Anfang an zu planen und während der gesamten Lebensdauer des Bauwerks durchzuführen. Zur Überwachung gehören nicht nur regelmäßige visuelle Kontrollen und Inspektionen, sondern auch Kontrollmessungen der Holzfeuchte [1]. Alle tragenden Bauteile sollten dabei zugänglich sein, um eine handnahe Sichtkontrolle zu ermöglichen. Schwer kontrollierbare und verdeckte Komponenten sind bei „geschützten“ Holzbrücken oft nicht zu vermeiden. Die Abdichtungssysteme können i.d.R. nicht oder nur mit aufwändigen Sondierungen kontrolliert werden. Dies erfolgt meist erst dann, wenn Schäden an der Fahrbahnplatte bereits erkennbar sind [2]. Durch den Einbau von Messsensoren können Messdaten in festgelegten Intervallen erfasst und auf einem Webserver gespeichert werden. Dies ermöglicht, dass diese in Echtzeit z.B. vom Arbeitsplatz aus eingesehen werden. Mit dieser Lösung sind die Daten immer weltweit verfügbar. Der Server kann die Messdaten auswerten und Warnungen bzw. Alarm auslösen. Nach der Inbetriebnahme arbeitet das System autonom. Die verschiedenen Komponenten Messstellen, Messgerät, Gateway und Benutzeroberfläche bilden dabei zusammen das Monitoringsystem. 2. Monitoringsysteme bei Strassen- und Radwegbrücken Durch Einsatz von abgesicherten Systemlösungen für Abdichtungssysteme und Asphaltbeläge auf Fahrbahnplatten aus Holz, kann die Dauerhaftigkeit der Holzbrücken erhöht und der Wartungsaufwand signifikant reduziert werden. Der Fahrbahnaufbau kann eine schwimmende Verlegung der Abdichtung (Aufbau ohne Verbund) nach SN 460 450 oder ein schubfester Aufbau mit Vollverbund aufweisen [3]. Bei beiden Systemlösungen sind die Schadenmechanismen im Fall einer Leckage sehr unterschiedlich. Bei dem Aufbau mit Vollverbund, verursacht die Leckage eine lokale Erhöhung der Holzfeuchte in der Trägerplatte. Der Verbund zwischen Abdichtung und Unterlage verhindert die Ausbreitung des eindringenden Wassers unter der Abdichtung. Bei einem Aufbau ohne Verbund kann sich die eindringende Feuchtigkeit in der Trennlage (oft aus mehrlagigen Glasvliesbahnen) verteilen. Eine Erhöhung der Holzfeuchte über eine größere 636 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Feuchtemonitoringsysteme auf Holzbrücken Fläche der Fahrbahnplatte im Vergleich zum Aufbau mit Vollverbund ist die Folge (Abbildung 1). Abbildung 1: Schadenmechanismus im Falle einer Leckage in der Abdichtung, ohne und mit Verbund mit der Holzunterlage. In beiden Fahrbahnaufbauten kann ein Flächenmonitoring zur Überwachung der Funktionstüchtigkeit des Abdichtungssystems zum Einsatz kommen. Bei festgestellten Leckagen kann so sofort eingegriffen, und Schäden an den Bauteilen vermieden werden. 2.1 Monitoring von Abdichtungssysteme ohne Verbund Im Rahmen des Forschungsprojekts ‘Abdichtungssysteme und bitumenhaltige Schichten auf Brücken mit Fahrbahnplatten aus Holz’ [3] wurde eine Fuß- und Radwegbrücke zwischen Rupperswil und Auenstein (CH) mit einem Monitoringsystem zur Überwachung von Leckagen in der Abdichtung ausgerüstet. Ergänzend werden auch Klimadaten, Materialtemperatur und Holzfeuchte gemessen (Abbildung 2). Abbildung 2: Monitoringsystem Fuss- und Radwegbrücke zwischen Rupperswil und Auenstein [4]. Die Fahrbahn hat einen schwimmenden Aufbau auf der Trägerplatte (3-Schichtplatte aus Nadelholz), mit Trennschicht aus Glasvlies, Polymer-Bitumen-Dichtungsbahn (PBD) und 2-lagigem Gussasphalt. Dank dem Dachgefälle und der Trennschicht aus Glasvlies fl ießt, im Fall einer Leckage, das eingedrungene Wasser in die beiden Randzonen der Fahrbahnplatte. Genau hier wurden Bandsensoren zwischen Holzplatte und Glasvlies eingebaut (Abbildung 3). Diese 90 m langen Bandsensoren sind entlang der Brücke verlegt und mit der Messeinheit verbunden. Die Bandsensoren bestehen aus einem Gitter aus Kunststoff und vier Edelstahldrähte. Die Messeinheit misst den elektrischen Widerstand zwischen den Drähten und wertet die Daten aus. Bei intakter Abdichtung sind die Widerstände hoch. Im Fall einer erhöhten Feuchte oder Nässe fallen die elektrischen Widerstände tiefer aus. Die Messeinheit sendet die Messdaten mit Mobilfunk an einen Webserver, und können so jederzeit weltweit abgerufen werden. Bei Erreichen von kritischen Grenzwerten werden Warnungen bzw. Alarm ausgelöst. Die Warnung- und Alarmgrenzen werden nach der Inbetriebnahme anhand von Erfahrungswerten für das einzelne Messobjekt defi niert. Die spezifi schen (Grenz-) Widerstände werden im trockenen Zustand ermittelt. Abbildung 3: Sensoren auf der Holzplatte (oben) und Verlegung des Glasvlies und der PBD-Abdichtung (unten). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 637 Feuchtemonitoringsysteme auf Holzbrücken Die Bandsensoren sind effi zient und unkompliziert zu verlegen und bilden beim Aufbau ohne Verbund eine wirtschaftliche Lösung. Sie bieten sich auch zur Überwachung von kritischen linienförmigen Stellen, wie zum Beispiel Fahrbahnübergänge, an. Die Sensorbänder können in verschiedenen Sektoren unterteilt werden, sodass die Ortung von Leckagen vereinfacht wird. 2.2 Monitoring von Abdichtungssystemen mit Vollverbund In der Schweiz wird bei Strassenbrücken mit Fahrbahnplatten aus Holz in der Regel ein Fahrbahnaufbau mit schwimmendem Verbund gewählt. Dieser entspricht der zurzeit hierfür gültigen Normen SN 640 451. Ein abgesicherter Fahrbahnaufbau mit Vollverbund, wie bei Strassenbrücken sonst üblich, wird momentan in einem Forschungsprojekt auch für Holzbrücken erarbeitet. Wie bereits beschrieben, kann in diesem Fall sich bei einer Leckage in der Abdichtung das eindringende Wasser nicht in der Trennschicht verteilen und die ansteigende Feuchte ist nur lokal zu messen (Abbildung 1). Bei diesen Fahrbahnaufbauten ist eine fl ächige Überwachung der Funktionstüchtigkeit der Abdichtung notwendig. Der Einbau von leitfähigen Werkstoffen, wie z.B. spezielle Glasvliese, ermöglicht dabei Feuchteänderungen festzustellen. Diese leitfähigen Glasvliese werden auch für die Überwachung von Flachdächern angewendet. Bei Flachdächern wird das Glasvlies unter der Abdichtung und ohne Verbund verlegt. Im Rahmen des Forschungsprojekts ‘Abdichtungssysteme und bitumenhaltige Schichten auf Brücken mit Fahrbahnplatten aus Holz’ [3], wird die Anwendung von Flächenmonitoringsystemen bei Aufbauten mit Vollverbund und mit der Beanspruchung von Straßenbrücken untersucht. Das Glasvlies (Smartex 120 g, ProGeo, Grossbeeren) wurde in die Epoxidharzversieglung (Sikadur 188) integriert (Abbildung 4). Der Einfl uss auf die mechanischen Eigenschaften des Verbundes ist dabei von Bedeutung. Erste Versuche haben gezeigt, dass bei einem Einbetten des „Mess“-Vlieses in der Versiegelung, die mechanischen Eigenschaften (Schubverbund) nicht beeinfl usst werden. Abbildung 4: Applizierung von Epoxidharzversiegelung mit leitfähigem Glasvlies auf Brettsperrholzplatte. Da die elektrischen Eigenschaften des durchgedrängten leitfähigen Glasvlieses wesentlich sind, wurde an einem Versuchsaufbau Kabel eingelegt, um einen Pol eines magnetischen Feldes zu erzeugen. Der zweite Pol wird an der Gussasphaltoberfl äche gesetzt. Bei einem Regenereignis bildet sich ein Wasserfi lm über die Fahrbahn und wirkt als zweiter Pol. Mit dieser Methode ist es so möglich, eine fl ächige Messung über die ganze Fahrbahn durchzuführen. Die Labormessungen haben drei Situationen untersucht. (1) Eine erste Messung dient als Referenzmessung und beschreibt die Situation unmittelbar nach der Erstellung des Bauwerks mit intaktem Abdichtungssystem. (2) Bei der zweiten Messung wurde eine Leckage simuliert. (3) Eine dritte Messung wurde nach der Reparatur der Leckstelle durchgeführt (Abbildung 5). Abbildung 5: Referenzmessung bei intakter Abdichtung (oben), Messung im Fall einer Leckage (Mitte) und Messung nach der Reparatur der Leckstelle (unten) 638 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Feuchtemonitoringsysteme auf Holzbrücken Die Messungen haben gezeigt, dass eine Leckage eine deutliche Senkung des elektrischen Widerstands verursacht. Die elektrischen Widerstände liegen bei der Referenzmessung bei 13 GOhm. Sobald eine Leckstelle entsteht, sinken die Werte auf 500 kOhm. Nach der Reparatur der Leckstelle steigen diese wieder auf 6 GOhm (Abbildung 6). Abbildung 6: Messungen des elektrischen Widerstands des Prüfkörpers mit Epoxidharzversiegelung mit leitfähigem Glasvlies, PBD-Bahn und Gussasphalt Die Messungen zeigen, dass die Anwendung von leitfähigem Glasvlies in der Epoxidharzversiegelung die Ortung von Leckagen ermöglicht. Darüber hinaus ist es mit einem geeigneten Kabelraster in der elektrisch leitenden Schicht auch möglich, die Leckage zu orten. Dadurch wird die Sanierungsarbeit vereinfacht und effi zienter durchgeführt. Das Monitoringsystem verbleibt auch nach der Reparatur weiter im Einsatz. 3. Monitoringsystem zur Untersuchung der Klimabedingungen von Wildtierüberführungen in Holzbauweise Im Sommer 2020 wird über die A1 bei Suhr (AG) die erste Wildtierüberführung der Schweiz in Holz gebaut [5]. Eine zweite folgt im Herbst 2020 in Neuenkirch (LU) [6]. In mehreren Machbarkeitsstudien wurden weitere Standorte bereits überprüft, deren konkrete Umsetzung in Holz noch anstehen [7]. Die Konstruktion muss dauerhaft und robust ausgeführt werden, um eine mit dem Massivbau vergleichbare Lebensdauer von 100 Jahren zu ermöglichen [7]. Die ausreichende Tragfähigkeit von Holz bei Wildtierüberführungen wird selten hinterfragt. Die anstehenden Fragen betreffen meist die Sicherstellung einer ausreichenden Dauerhaftigkeit des Holzbauwerkes. Erste positive Erfahrungen und Erkenntnisse aus den seit 2005 in Deutschland gebauten vier Wildtierüberführungen bilden eine wesentliche Planungsgrundlage [8][9][10]. Für diese Bauwerke wurden in Deutschland Holzarten mit einer höheren natürlichen Dauerhaftigkeit wie Lärche bzw. Douglasie eingesetzt. Bereits bekannte Ergebnisse aus Überwachungen in Wildtierüberführung geben Hinweis darauf, dass die Holzfeuchte nur kurzzeitig den Grenzwert für Feuchteklasse 2 von 20 M% übersteigt. Damit wäre der Einsatz der regional ausreichend verfügbaren Holzarten Fichte/ Tanne möglich. In den geplanten Projekten bei Suhr und Neuenkirch wird als zusätzliche Sicherheit Brettschichtholz mit zuvor kesseldruckimprägnierten Lamellen in der Holzart Fichte verwendet. Diese chemische Holzschutzmaßnahme wurde gewählt, da die zu erwartende Holzfeuchte nicht genügend bekannt ist. Wissenschaftlich abgesicherte Belege liegen hierfür noch nicht vor. Diese chemische Holzschutzmaßnahme könnte also überfl üssig sein und die Verklebung erschweren. Im Rahmen des Forschungsprojekts ‘Klimabedingungen bei Wildtierüberführungen in Holzbauweise‘ [11] wird ein Monitoringsystem mit dem Ziel eingebaut, durch konsequente Klima- und Feuchteüberwachung die klimatischen Rahmenbedingungen im Bauwerk zu erfassen und wissenschaftlich auszuwerten. Von besonderem Interesse ist dabei der Einfl uss des Verkehrs. Die Erwartung ist, dass durch Sprühnebel die Holzkonstruktion mit größeren Mengen an Wasser beaufschlagt wird. Andererseits wirkt sich der Verkehr positiv auf den Luftwechsel (Strömung) im Bauwerk und damit auf das Austrocknungsvermögen der Konstruktion aus. Ferner wird die Holzkonstruktion der Wildtierüberführung mit Erde in unterschiedlicher Menge (0,60 bis ca. 4 m) überschüttet. Kondensatbildung auf der Tragkonstruktion infolge der Temperaturunterschiede zwischen der Lufttemperatur und der im Sommer durch die Erdüberdeckung kühlen Dachkonstruktion müssen ausgeschlossen werden. Abbildung 7: Hauptfaktoren, welche die Holzfeuchte in Wildtierüberführungen beeinfl ussen: Temperaturunterschiede, Luftwechsel und Sprühnebel. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 639 Feuchtemonitoringsysteme auf Holzbrücken Aus diesem Forschungsprojekt sollen Eignung und Hinweise zur Anwendung von Holz als tragendes Material in Wildtierüberführungen noch weiter untersucht werden. Die Instrumentierung des Bauwerks ist so geplant, dass es einfach zu installieren ist und möglichst wenige Teile über den Fahrbahnen verlaufen. Die Daten werden über ein mobiles Datennetz übertragen und werden auf einem Server gespeichert. Der Zugang ist jederzeit möglich. Für die Instrumentierung der Wildtierüberführung wird ein drahtloses Messystem mit LoRaWAN-Technologie (Long Range Wireless Area Network) verwendet. Die LoRaWAN-Technologie erlaubt eine Datenübermittlung über mehrere Kilometer, ist jedoch nur auf tiefe Messfrequenzen beschränkt. Bei der Überwachung von Holzfeuchte und Aussenklima, wird eine Messfrequenz von ein bis 3 Stunden als ausreichend erachtet. Bei der Überwachung der Wildtierüberführungen kommen kombinierte Sensoren zum Einsatz, welche Luftfeuchte und gleichzeitig Temperatur messen (Sorptionsmethode). Diese Sensoren werden in kleine Bohrungen im Holz eingebaut und luftdicht verschlossen. Die Überwachung der Holzfeuchte wurde bislang oft mittels der Widerstandsmethode durchgeführt [2], heute wird auch vermehrt die Sorptionsmethode verwendet (Abbildung 8). Die Widerstandsmethode ist zwar robuster in Bezug auf Langzeitmessungen, im Gegensatz dazu, ist die Sorptionsmethode messgenauer bei chemisch behandeltem Holz oder Einfl uss von Tausalzen. Für die Messung kleinere Feuchteunterschiede wird die Sorptionsmethode empfohlen. Abbildung 8: Schematische Darstellung der Einsetzbarkeit der Widerstandsmethode und Sorptionsmethode bei Messungen der Holzfeuchte. Sämtliche Sensoren sind mit Kabel (kurzer Kabelweg) an einer LoRa-Sendebox (Node) angeschlossen. Von dieser Node aus werden die Messdaten an eine zentrale Datenempfangsstation (Gateway) per LoRa Netzwerk gesendet (Long Range Radio; <1Ghz Funkfrequenz). Das Gateway sendet die Daten direkt an einen Webserver, der diese dann in Echtzeit dem Benutzer zur Verfügung stellt. Diese Messtechnik wird seit einigen Jahren in verschiedenen Infrastrukturbauprojekten im Straßenbau und Gleisbau, aber auch in Structural Health Monitoring-Anwendungen (SHM) erfolgreich eingesetzt. Bei diesen Anwendungen werden eine hohe Zuverlässigkeit und Stabilität der Messtechnik und Datenerfassung verlangt. Mit dem eingebauten Monitoringsystem wird nicht nur die Verwendung der einheimischen Holzarten Fichte/ Tanne ohne chemischen Holzschutz bei Wildtierüberführungen mit wissenschaftlichen Methoden ausgewertet, sondern das Bauwerk auch punktuell überwacht. Das Monitoringsystem ist so auch Teil der Qualitätssicherung. 4. RFID-Tags zur Überwachung der Holzfeuchte Die Monitoringsysteme unterscheiden sich in zwei Hauptgruppen je nach Art der verwendeten Sensoren in aktive oder passive Sensoren. Als aktive Sensoren werden jene bezeichnet, die eine Versorgungsspannung benötigen und anschließend ein Ausgangssignal generieren. Passive Sensoren arbeiten ohne Versorgungsspannung und nutzen die Energie z. B. vom Lesegerät bei der Kontrolle. Zu den passiven Sensoren gehören auch einige Radio Frequency Identifi cation (RFID)-Tags („Identifi zierung mit Hilfe elektromagnetischer Wellen“). Die RFID-Tags sind kleine Geräte, die Radiowellen mit geringer Leistung nutzen, um Daten zu empfangen, zu speichern und an Lesegeräte in der Nähe zu übertragen. Abbildung 9: gleichzeitige Messung von mehreren RFID-Tags, die im Holzprobekörper eingebaut sind und Komponenten eines RFID-Tags ohne Versorgungsspannung. Im Rahmen des Forschungsprojekts ‘Abdichtungssysteme und bitumenhaltige Schichten auf Brücken mit Fahrbahnplatten aus Holz’ [3], wurde die Eignung von RFID- Tags zur Messung der Holzfeuchte bewertet. Es wurden zwei Arten von RFID-Sensoren (Sensor DOGBONE und Sensor PATCH der Firma Smartrac) untersucht und sowohl an der Oberfl äche wie auch zwischen zwei Holzlamellen angebracht (Abbildung 4). Die Versuche haben gezeigt, dass der Einbau von diesen Tags innerhalb vom Holzbauteil eine punktuelle Messung der Holzfeuchte erlaubt, jedoch noch mit größerer Unsicherheit gegenüber 640 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Feuchtemonitoringsysteme auf Holzbrücken der Widerstands- oder Sorptionsmethode. Die Tags sind auch im Bauteil lesbar, solange die Materialschichten das Signal nicht abschirmen. So ist es möglich schwer erreichbare und nicht sichtbare Bauteile ohne Stromversorgung zu überwachen. Den RFID-Sensoren wird eine Lebensdauer von 50 Jahre zugeschrieben. 5. Fazit Ein Monitoringsystem zur Bauwerksüberwachung ist schon in der Planungsphase zu berücksichtigen. Die Holzfeuchte ist während der gesamten Lebensdauer regelmäßig oder kontinuierlich zu messen. Neu kann auch bei Brücken ein Flächen-Monitoring die Funktionstüchtigkeit des Abdichtungssystems überwachen. Dabei wird mittels eines elektrischen Spannungsfelds die Abdichtung kontrolliert und die Leckage- Position ermittelt. Dies ermöglicht bei Undichtigkeiten unverzüglich Maßnahmen einzuleiten, bevor Schäden an der Konstruktion eintreten. Ein Monitoringsystem muss auch eine Flexibilität, an welche Messgrössen erfasst werden können, aufweisen. An dem gleichen Gateway können verschiedene Messgerät angeschlossen werden. Die Messgeräte können dezentral sein und mit dem Gateway verbunden sein. Oder Messgeräte und Gateway können in einer einzigen Messeinheit eingebaut sein. Die Möglichkeit auch andere Messgrössen zu erfassen, kann für die Auswertung helfen. Die Messungen von Klima (Lufttemperatur und relative Luftfeuchte), die punktuellen Messungen der Holzfeuchte über Widerstands- oder Sorptionsmethode oder ein Regensensor ergänzen das Monitoringsystem und erhöhen die Genauigkeit der Auswertung. Anhand dieser Messwerte können auch Plausibilitätsprüfungen durchgeführt werden. Kontrollmessungen können auch mit passiven Sensoren durchgeführt werden, die keine Energiequelle benötigen. Mit Hilfe von RFID-Sensoren können nicht erreichbare Punkte überwacht und die Holzfeuchte anhand der Messwerte abgeschätzt werden. Aufgrund der sehr geringen Kosten dieser Sensoren ist es möglich, mehrere Sensoren an den zu überprüfenden kritischen Stellen einzusetzen und so die Messsicherheit der zu verbessern. Mit dem Einbau eines flächigen Monitoringsystems, kann die Funktionstüchtigkeit des Abdichtungssystems, bereits durch Kontrollmessungen während der Bauphase, überprüft werden. Auf diese Weise können Ausführungsmängel sofort festgestellt und beseitigt werden. Für jeden Messwert, der die Sicherheit oder Gebrauchstauglichkeit beeinträchtigen kann, werden zwei Grenzwerte festgelegt: Meldewert und Alarmwert. Ausgehend von der Schwere des Ereignisses müssen Maßnahmen definiert werden. Bei einer Fehlfunktion des Messsystems muss ebenfalls ein Alarm ausgelöst werden. Die Sanierungs- und Erneuerungsarbeiten am Bauwerk müssen zukünftig nicht mehr in regelmäßigen Abständen eingeplant werden, sondern können z.B. auf dem tatsächlichen Zustand der Abdichtung basieren. Die Inspektionsintervalle und die Art der Inspektion können auch auf der Grundlage, der vom Monitoringsystem gemessenen Werte geplant werden. 6. Danksagung Das Forschungsprojekt ‘Abdichtungssysteme und bitumenhaltige Schichten auf Brücken mit Fahrbahnplatten aus Holz’ ist finanziell durch das Bundesamt für Strassen ASTRA gefördert und von den Projektpartner PROGEO Monitoring GmbH und Makiol Wiederkehr AG begleitet. Das Forschungsprojekt ‘Klimabedingungen bei Wildtierüberführungen in Holzbauweise‘ ist finanziell durch das Fonds zur Förderung der Wald- und Holzforschung des Bundesamtes für Umwelt BAFU gefördert und wird von den Projektpartner Timbatec Holzbauingenieure Schweiz AG, Roth AG, terra vermessungen AG und Lignum begleitet. 7. Literaturangaben [1] ASTRA, Richtlinie 12002, Überwachung und Unterhalt der Kunstbauten der Nationalstraßen, 2005 [2] Franke B., Franke S., Müller A., Case studies: longterm monitoring of timber bridges, Journal of Civil Structural Health Monitoring 5 (2), pp. 195-202, 2014 [3] Berner Fachhochschule, IMP Bautest AG, Aeschlimann AG, Asphaltbeläge auf Holzbrücken - Untersuchung der schubfesten Fahrbahnaufbauten für Holzbrücken, Forschungsprojekt ‘Abdichtungssysteme und Bitumenhaltige Schichten auf Brücken mit Fahrbahnplatten aus Holz’ [4] Makiol Widerkehr AG, Fuss- und Radwegbrücke über die Aare, Submissionsprojekt 2019 [5] Ingenieurgemeinschaft WUEF, UEF Wildtierkorridor (LU2) Neuenkirch, Detailprojekt 2018 [6] Ingenieurgemeinschaft 2B, UEF Wildüberführung Rynetal (AG 6) Suhr, Detailprojekt 2018 [7] Müller A., Bonifacio S., Fachliche Stellungnahme zu der geplanten Wildtierüberführung über die A2 in Tenniken/ Dietgen und deren Gebrauchstauglichkeit über 100 Jahre vom 27.9.2019, Institut für Holzbau, Tragwerke und Architektur, Berner Fachhochschule AHB, 2019 [8] Beitrag aus mikado 10.2012, Es bewegt sich was, 2012 [9] Bauer M., Erfahrungsbericht über die Grünbrücke bei Luckenwalde, 4. Internationale Holzbrückentage IHB 2016 [10] ProTimb, Wartungshandbuch - Prüfplan, Erfurt Deutschland, 2019 [11] Berner Fachhochschule, Timbatec Holzbauingenieure Schweiz AG, Roth AG, terra vermessungen AG, Lignum, Forschungsprojekt Klimabedingungen bei Wildtierüberführungen in Holzbauweise Verstärkung Carbonbeton 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 643 Querkraftverstärkung aus Carbonbeton unter zyklischer Beanspruchung Sebastian May TU Dresden / CARBOCON GmbH, Dresden, Deutschland Alexander Schumann CARBOCON GmbH, Dresden, Deutschland Elisabeth Schütze CARBOCON GmbH, Dresden, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing., Dr.-Ing. E. h. Manfred Curbach TU Dresden, Dresden, Deutschland Zusammenfassung Im Rahmen zweier Forschungsprojekte im Rahmen des Vorhabens C 3 - Carbon Concrete Composite wurden zahlreiche kleinteilige Versuche und Großbauteilversuche zum Ermüdungsverhalten von Carbonbeton durchgeführt. Dabei wurden neben den reinen Materialprüfungen der Carbonbewehrungen zur Bestimmung von S-N-Kurven auch drei Plattenbalken mit Carbongelegen einlagig verstärkt und auf ihr zyklisches Tragverhalten untersucht. Die Stahlbetonplattenbalken wiesen dabei vor der Carbonbeton-Verstärkung ein Defizit in der Querkrafttragfähigkeit auf. Die zyklischen Bauteilprüfungen wurden über 2 × 10 6 Lastwechsel auf unterschiedlichen Lastniveaus gefahren. Anschließend wurden die Resttragfähigkeiten bestimmt. Als Referenz dienten dabei sowohl unverstärkte Probekörper im rein statischen als auch im zyklischen Bauteilversuch sowie zwei verstärkte Plattenbalken unter statischer Last. Alle zyklisch beanspruchten, verstärkten Bauteile hielten der geforderten Lastwechselzahl stand und versagten bei der Resttragfähigkeitsprüfung auf demselben Lastniveau wie die Referenzbalken. Bei den unverstärkten Bauteilen wurde hingegen ein Abfall um ~30 % infolge einer zyklischen Belastung bei der Resttragfähigkeit festgestellt. Eine Eignung der Carbonbeton-Verstärkung für zyklisch beanspruchte Bauteile ist somit gezeigt. 1. Einleitung Ein großer Anteil der Stahl- und Spannbetonbrücken in Deutschland, insbesondere von Bundesfernstraßen, wurde im Zeitraum von 1965 bis 1985 errichtet [1], [2]. Diese sind demnach seit vielen Jahrzehnten ständig wachsenden Beanspruchungen durch Verkehr ausgesetzt. Vor allem durch die hohe dynamische Beanspruchung, u. a. durch die Zunahme des Güterverkehrs, für den diese Brücken bei ihrer Errichtung nicht ausgelegt waren, weist der Bestand häufig Tragfähigkeitsdefizite auf [3]. Neben Torsionslängsbewehrung, Gurtanschluss und Ermüdung in den Koppelfugen zeigt die Nachrechnung der Bestandsbauwerke vor allem bei der Querkraft rechnerische Defizite [4]. Diese sind im Allgemeinen auf einen nach früheren Normen ausgelegten, nach heutigem Kenntnisstand aber zu geringen Querkraftbewehrungsgrad zurückzuführen. Kann die Querkrafttragfähigkeit auch mit alternativen Nachweisformaten nicht nachgewiesen werden, ist eine Querkraftverstärkung erforderlich, um einen Ersatzneubau zu vermeiden. Eine Option zur Verstärkung solcher Bauwerke stellt der Verbundwerkstoff Textilbzw. Carbonbeton dar. Dieses seit über 20 Jahren erforschte Material besteht aus einer gitterartigen textilen Carbonbewehrung und einem feinkörnigen Hochleistungsbeton und hat sich aufgrund seiner hervorragen Eigenschaften für eine Vielzahl von Anwendungen bewährt. Da Carbon nicht korrodiert und eine hohe Tragfähigkeit aufweist, kann Carbonbeton insbesondere für dünne Schichten und Bauteile eingesetzt werden. Das zeigt sich sowohl in Anwendungen für den Neubau, wie z. B. Fassadenelementen und Schalentragwerken (vgl. z. B. [5], [6]), als auch im Einsatz als Instandsetzungs- und Verstärkungsmaterial für verschiedenste Tragwerke (vgl. z. B. [7], [8]). In beiden Haupteinsatzbereichen nehmen mit zunehmendem Kenntnisstand zur Leistungsfähigkeit von Carbonbeton hinsichtlich Material- und Tragverhalten die Anwendungen im Brückenbau immer 644 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Querkraftverstärkung aus Carbonbeton unter zyklischer Beanspruchung mehr zu. Die ersten textilbewehrten Brücken enthielten noch Glasbewehrungen, ergänzt durch eine Längsvorspannung mit Monolitzen (s. bspw. [10] und [11]). Durch die hohe Tragfähigkeit von Carbon ist aber mittlerweile auch der Bau reiner Carbonbetonbrücken möglich (s. bspw. [12] und [13]). Beispiele für den Einsatz von Carbonbeton für die Brückensanierung wie [14] zeigen zudem, dass das Material erfolgreich beim Bauen im Bestand Anwendung findet. Ein nächster wichtiger Schritt in der Entwicklung der Carbonbetonbauweise ist nun die Verstärkung von Brückenbauwerken mit Carbonbeton. Das betrifft neben dem bereits gut erforschten und mit einem etablierten Bemessungskonzept hinterlegten Bereich der Biegeverstärkung (vgl. bspw. [15]) vor allem auch die häufig erforderliche Querkraftverstärkung. Erste vielversprechende Untersuchungen zur Querkraftverstärkung finden sich bereits bei Brückner [16]. Der Carbonbeton ist bei der Anwendung im Brückenbau allerdings nicht nur quasi-statischen Belastungen ausgesetzt, sondern muss auch Ermüdungsbelastungen standhalten. Auch Untersuchungen zur Ermüdung wurden in kleinerem Umfang bereits an verschiedenen Textilien sowie an verstärkten Bauteilen durchgeführt ([17] bis [21]). Die Untersuchungen hatten jedoch bislang eher Stichprobencharakter. Zudem wurden die verwendeten Bewehrungsmaterialien seitdem kontinuierlich weiterentwickelt und hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit wesentlich verbessert, was teilweise aber auch abweichende Tragmechanismen zur Folge hatte. Deshalb wurden umfangreiche Untersuchungen zur Ermüdungsfestigkeit von Carbonbeton mit den aktuellen Hochleistungsmaterialien in den C 3 -Vorhaben V1.2 und V2.1 [22] durchgeführt. Dabei wurde sowohl das Materialverhalten von Carbonbeton unter Ermüdungsbeanspruchung erforscht als auch die Verstärkungswirkung in Bauteilversuchen unter quasi-ständiger und unter zyklischer Belastung untersucht. Im Folgenden werden die Ergebnisse dieser Versuche vorgestellt. Der Fokus liegt auf den zyklischen Bauteilversuchen mit Querkraftverstärkung, anhand derer das Potential für den Einsatz von Carbonbeton für die Querkraftverstärkung ermüdungsbeanspruchter Bauteile, wie bspw. Brückenträger, gezeigt werden soll. 2. Zyklische Großbauteilversuche zur Querkrafttragfähigkeit carbonbetonverstärkter Balken 2.1 Ermüdungsverhalten Carbonbeton Als Basis für die Bewertung des Ermüdungsverhaltens von Carbonbeton wurden in den C 3 -Projekten V1.2 und V2.1 an verschiedenen stabförmigen und textilen Carbonbewehrungen Versuche zum Materialverhalten unter zyklischer Belastung durchgeführt. Dabei wurde sowohl das Zugtragverhalten des Verbundwerkstoffs unter Zugschwellbelastung untersucht als auch das Verbundermüdungsverhalten. Das Vorgehen bei den experimentellen Untersuchungen und die bisherigen Ergebnisse zu den textilen Bewehrungen sind beispielsweise in [23] und [24] veröffentlicht. In den Untersuchungen wurde festgestellt, dass sich das Ermüdungsverhalten von Carbonbeton nicht einheitlich charakterisieren lässt. So zeigen Wagner et al. [23] in einem Vergleich von zwei verschiedenen textilen Carbonbewehrungen beispielsweise, dass sich sowohl die Lastniveaus (Oberspannung), bei denen eine Ermüdungsbeanspruchung zum Versagen führt, als auch der Einfluss weiterer Parameter, wie Unterspannung und Amplitude, auf die erreichbaren Lastwechselzahlen von Material zu Material unterscheiden. Gemeinsam ist den untersuchten Materialien aber, dass eine messbare Materialermüdung erst bei sehr hohen Oberspannungen eintritt. So kam es im Falle des Carbongeleges, anhand dessen anschließend die Querkraftverstärkung untersucht wurde, erst bei Oberspannung von mindestens 60 % der Textilzugfestigkeit zu einem Versagen vor Erreichen der Grenzschwingspielzahl von 2 × 10 6 Lastwechseln, siehe Abbildung 1. Für das geprüfte Material konnte eine Abhängigkeit der erreichbaren Lastwechselzahl von der Unterspannung und somit auch von der Amplitude festgestellt werden: je größer die Amplitude, desto geringer die Schwingspielzahl. Anhand des Treppenstufenverfahrens wurde die Dauerschwingfestigkeit individuell für verschiedenen Unterspannungen ermittelt, wie Abbildung 1 zu entnehmen ist. Interessant war auch, dass Proben, die bei Erreichen der Grenzschwingspielzahl nicht versagt hatten, nur bei sehr großen Amplituden geringe Anzeichen einer ermüdungsinduzierten Schädigung zeigten. Dies wurde anhand von Restfestigkeitsprüfungen festgestellt, in denen für Unterspannungen von mehr als 30 % im Mittel keine Reduktion der Festigkeit nach der zyklischen Belastung nachgewiesen werden konnte. Bei der geringsten Unterlast von 30 % gab es vereinzelt Restfestigkeiten, die merklich unterhalb der Zugfestigkeit des Textils lagen - erst hier wird möglicherweise der Beginn einer Schädigung sichtbar. Die für die Bauteilversuche gewählte Carbonbewehrung zeigt also in weiten Lastbereichen ein sehr gutes Ermüdungsverhalten mit hoher Ermüdungsfestigkeit. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 645 Querkraftverstärkung aus Carbonbeton unter zyklischer Beanspruchung Abbildung 1: S-N-Kurven der Materialkombination SITgrid 040 und Pagel TF10, entnommen aus [23] 2.2 Probekörper Die zyklisch untersuchten Großbauteile entsprachen geometrisch und materiell den statisch geprüften Balken. Für eine ausführliche Beschreibung sei auf [25] und [26] verwiesen. Nachfolgend werden die wesentlichen Daten zur Nachvollziehbarkeit noch einmal genannt. Als Probekörper kamen Plattenbalken mit den Abmessungen nach Abbildung 2 zur Anwendung. Die Länge der Probekörper war 5,1 m. Die Probekörper wurden mit Bügeln Ø6-25 bewehrt. Um ein Querkraftversagen zu erzielen, wurde gezielt ein niedriger Querkraftbewehrungsgrad gewählt. Als Längsbewehrung wurden 6Ø25 angeordnet. Abbildung 2: Verwendeter Probekörper Die Bauteile wurden mit einem Beton der Festigkeitsklasse C20/ 25 in einem Fertigteilwerk hergestellt. Als Stahlbewehrung kamen konventionelle Bewehrungsstäbe B500B zum Einsatz (Tabelle 1). Tabelle 1: Eigenschaften der Stahlbewehrung, ermittelt nach [28] Eigenschaft Symbol Einheit Wert Streckgrenze Ø6/ 8/ 12/ 25 f ym N/ mm² 513/ 529/ 542/ 551 Zugfestigkeit Ø6/ 8/ 12/ 25 f tm N/ mm² 621/ 623/ 646/ 669 E-Modul Ø6/ 8/ 12/ 25 E sm N/ mm² 188.299/ 187.916/ 185.152/ 208.475 Nach der Betonage wurden die Bauteile 2 Tage in der Schalung belassen und nachbehandelt. Anschließend erfolgte die Lagerung der Bauteile vor Witterung geschützt bis zur Verstärkung der Bauteile. Vor der Verstärkung der Bauteile nach 28 Tagen wurden die rauen Oberflächen der Probekörper mittels Sandstrahlen hergestellt. Die erforderliche Rautiefe orientierte sich an den Anforderungen aus der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) für das Verstärken von Bauteilen mit Textilbeton [27]. Die Carbonbetonverstärkung wurde nach 28 Tagen im Spritzverfahren in Dresden aufgebracht (Abbildung 3). Die Verstärkung wurde dabei nur auf die Seitenflächen des Steges aufgebracht (Abbildung 2). Abbildung 3: Verstärkung der Bauteile mit Carbonbeton im Spritzverfahren Die Verstärkung erfolgte mit dem in der abZ geregelten Feinbeton (Pagel TF10) und einem neuartigen Carbongelege (SITgrid040). Der Feinbeton wies die Eigenschaften nach Tabelle 2 auf. Tabelle 2: Eigenschaften des Feinbetons, ermittelt am Mörtelprisma 160 mm × 40 mm × 40 mm nach [29] Eigenschaft Symbol Einheit Wert Biegezugfestigkeit R fm N/ mm² 5,82 Druckfestigkeit R cm N/ mm² 79,42 646 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Querkraftverstärkung aus Carbonbeton unter zyklischer Beanspruchung Das Carbongelege wurde im Rahmen des C³-Projektes V1.2 entwickelt [22]. Es weist die geometrischen Kenngrößen nach Abbildung 4 und die statischen nach Tabelle 3 auf. In Tragrichtung besitzt das Carbongelege eine Bewehrungsfläche von 141 mm²/ m. Abbildung 4: Verwendetes Carbongelege SITgrid040 Die Plattenbalken wurden mit einer 10 mm dicken Carbonbetonschicht, die eine Lage Carbongelege enthielt. verstärkt. Nach den Verstärkungsarbeiten erfolgte eine intensive Nachbehandlung der Balken. Die Prüfungen wurden 28 Tage nach der Verstärkung im Otto-Mohr-Laboratorium der Technischen Universität in Dresden gestartet. Tabelle 3: Eigenschaften der Carbonbewehrung Eigenschaft Symbol Einheit Wert Tränkungsmaterial - - Polyacrylat Bewehrungsfläche Kett- (KR)/ Schussrichtung a t mm²/ m 141,0/ 28,0 Kett-/ Schussfadenabstand s t mm 12,7/ 16 Bruchspannung 1-/ 2-lagig KR (nach [30]) f tm,f N/ mm² 3.160/ 3.340 Bruchdehnung 1-/ 2-lagig KR (nach [30]) ε mf ‰ 15,1/ 14,0 E-Modul 1-/ 2-lagig KR (nach [30]) E mf N/ mm² 211.277/ 238.265 2.3 Versuchsaufbau und -durchführung Insgesamt wurden 8 Bauteile experimentell untersucht, 3 unverstärkte und 5 verstärkte Plattenbalken. Die statischen Prüfungen, sowohl verstärkt als auch unverstärkt, dienten als Referenz zur Festlegung der zyklischen Lastniveaus. Zur Definition eines Gebrauchslastniveaus wurde auf Basis der statischen Referenzversuche unter Berücksichtigung eines globalen Abminderungsbeiwertes von 1,75 die Lastniveaus in Tabelle 4 definiert. Zusätzlich wurde für einen verstärkten Plattenbalken ein weiteres Lastniveau gewählt, bei welchem die Mittellast der Bruchlast des statischen Referenzversuches des unverstärkten Plattenbalkens entspricht. Somit sollte zusätzlich eine überhöhte zyklische Beanspruchung untersucht werden. Für alle zyklisch beanspruchten Balken wurde eine Ziellastwechselanzahl von 2,0 Millionen definiert. Tabelle 4: Festgelegte Lastniveaus Probekörper Belastung Verstärkt PB-S-1 statisch - PB-S-2 statisch - PB-S-9 statisch Ja PB-S-10 statisch ja PB-S-22 zyklisch (240/ 291/ 343) 1 Ja PB-S-24 zyklisch (510/ 600/ 690) 1 Ja PB-S-25 zyklisch (240/ 291/ 343) 1 - PB-S-26 zyklisch (338/ 410/ 483) 1 Ja Die Probekörper wurden im 4-Punkt-Biegeversuch nach Abbildung 5 auf ihre Tragfähigkeit untersucht. Die Bauteile wiesen dabei eine Schubschlankheit von 3,3 auf. Die Messeinrichtung für die Bauteilversuche zeigt Abbildung 6. Ausführlichere Informationen zu Versuchsaufbau, -durchführung oder Messkonzept sind [25] zu entnehmen. Abbildung 5: Prüfaufbau nach [25] 1 Unter-/ Mittel-/ Oberlast 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 647 Querkraftverstärkung aus Carbonbeton unter zyklischer Beanspruchung Abbildung 6: Messkonzept nach [25] 2.4 Ergebnisse 2.4.1 Ergebnisübersicht Alle vier zyklisch geprüften Bauteile erreichten die definierte Lastwechselzahl von 2 Mio. Anschließend wurden die Bauteile auf ihre statische Resttragfähigkeit geprüft. In der nachfolgenden Tabelle sind die erreichten Resttragfähigkeiten und die Prüflasten der Referenzprobekörper gegeben, ebenso die dazugehörigen Betonfestigkeiten des Altbetongrundkörpers, die am Tag der Resttragfähigkeitsprüfung bestimmt wurden. Tabelle 5: Betonkennwerte und Bruchlasten Probekörper Altbeton [N/ mm²] Bruchlast f cm,zyl E cm f ct,sp [kN] PB-S-1 1 35,8 26.618 2,46 606 PB-S-2 1 36,5 28.217 1,91 595 PB-S-25 2 36,0 28.528 2,81 394 PB-S-9 3 37,8 28.512 2,69 845 PB-S-10 3 34,9 27.417 1,74 847 PB-S-22 4 37,7 26.655 2,73 864 PB-S-24 4 39,6 26.473 3,01 831 PB-S-26 4 36,0 28.528 2,81 786 Die dazugehörigen zyklischen und statischen Kraft-Verformungs-Kurven sind in Abbildung 7 gezeigt. 1 unverstärkt, statisch 2 unverstärkt, zyklisch 3 verstärkt statisch 4 verstärkt, zyklisch Abbildung 7: Kraft-Verformungs-Diagramm, statische und zyklische Bauteilprüfungen 2.4.2 Unverstärkte Probekörper Die beiden unverstärkten statischen Referenzbalken (PB- S-1/ -2) versagten bei einer mittleren Bruchlast von 601 kN, vgl. [25]. Der unverstärkte, zyklisch beanspruchte Plattenbalken PB-S-25 versagte hingegen schon bei der Last von 394 kN. Dies entspricht einem Abfall von 34 %. Im Diagramm ist zu erkennen, dass während der zyklischen Prüfung zudem die Mittendurchbiegung deutlich größer als im statischen Test war. Zu Beginn der zyklischen Belastung lag die Bauteilverformung bei ca. 8 mm, am Ende bei ca. 17 mm. Die hohe Zunahme der Verformung bei gleichbleibendem Lastniveau lässt auf eine Schädigung und damit einhergehend eine Abnahme der Steifigkeit des Bauteils während der zyklischen Beanspruchung schließen. Nach dem vollständigen Entlasten wurde eine Verformung von 7 mm in Feldmitte gemessen. Dieser Anstieg der Verformung unter Eigengewicht spricht ebenso für eine Schädigung des Grundkörpers infolge der zyklischen Beanspruchung. Die statischen Referenzprüfungen sind in [25] ausführlicher dargestellt. Das Bauteilversagen des zyklisch beanspruchten Probekörpers ist in Abbildung 8 gezeigt. Dabei ist neben dem offenen kritischen Schubriss ein Verbund-/ Verankerungsversagen der Längsbewehrung zu erkennen. bei den statischen Referenzbauteilen konnte nur ein Reißen der Bügelbewehrung festgestellt werden. Während der zyklischen Beanspruchung muss es daher zu einer Schädigung des Verbundes/ der Verankerung der Längsbewehrung im Auflagerbereich gekommen sein. Des Weiteren konnte während der zyklischen Prüfung ein Aufgehen des maßgebenden Schubrisses festgestellt werden. Neben dem Verankerungsversagen wird aufgrund der Schubrissbreite auch ein Bügelversagen vermutet. Welche der beiden Versagensarten für den Probekörper PB-S-25 schlussendlich maßgebend geworden ist, wird in [26] weiter untersucht. 648 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Querkraftverstärkung aus Carbonbeton unter zyklischer Beanspruchung Abbildung 8: PB-S-25: Schubriss und Verbundbzw. Verankerungsversagen der Längsbewehrung 2.4.3 Verstärkte Probekörper Die verstärkten Referenzbauteile PB-S-9/ -10 erreichten eine Bruchlast von 845 bzw. 847 kN. Die beiden Bauteile versagten u. a. durch ein Aufbrechen/ Ablösen der Verstärkungsschicht vom Grundkörper, siehe [25]. Die statischen Prüfungen der Resttragfähigkeiten ergaben für die Bauteile PB-S-22 eine Prüflast von 864 kN, für PB- S-24 von 831 kN und PB-S-26 von 786 kN. Die Abweichungen der drei zyklisch vorbelasteten Bauteile liegen nur bei ca. ± 5 % gegenüber den rein statisch geprüften Plattenbalken. Die verstärkten Bauteile und somit auch die verwendete Carbonbewehrung zeigen dadurch eine nahezu gleichbleibende Ermüdungsfestigkeit auf Höhe der Kurzzeitfestigkeit für die untersuchten Lastniveaus. Während der zyklischen Prüfungen der verstärkten Plattenbalken stellte sich im Vergleich zum unverstärkten zyklisch beanspruchten Balken PB-S-25 eine deutlich geringere Zunahme der Mittendurchbiegung ein (vgl. Abbildung 7). Die carbonbetonverstärkten, zyklisch- und querkraftbeanspruchten Bauteile zeigen alle ähnliche Versagensmechanismen wie die Referenzbalken PB-S-9/ -10 (vgl. [25]). Neben dem Lösen der Verstärkungsschicht im schubbeanspruchten Bereich sowie unterhalb des Druckgurtes und am unteren Bereich des Steges war ein Aufbrechen des Plattenbalkensteges zu erkennen. Diese Versagensart ist noch relativ unbekannt (vgl. [25]) und wird daher u. a. aktuell vertieft untersucht [26]. Abbildung 9: PB-S-24: links: Lösen der Verstärkungsschicht; rechts: Aufbrechen des Plattenbalkensteg 3. Zusammenfassung und Ausblick Gegenüber den unverstärkten Referenzbalken konnten die verstärkten Bauteile eine deutliche Laststeigerung zeigen. Die zyklische Beanspruchung des unverstärkten Plattenbalkens setzte dessen Resttragfähigkeit um ca. 1/ 3 hinab. Diese Abnahme ist auf eine Verbundschädigung zwischen der Stahllängsbewehrung und dem Beton zurückzuführen. Die verstärkten Bauteile zeigten trotz teils höherer zyklischer Beanspruchung keinen Abfall der statischen Tragfähigkeit im Vergleich zum unverstärkten Referenzträger. Die Carbonbeton-Verstärkung hat somit sowohl ihr Potential bei der nachträglichen Ertüchtigung von querkraftbeanspruchten als auch zyklisch beanspruchten Stahlbetonbauteilen gezeigt. Ein Übergang aus der Forschung an einzelne Pilotprojekte im Brückenbau ist daher denkbar. Die hochfeste Carbonbewehrung zeigt des Weiteren eine nahezu gleichbleibende Ermüdungsfestigkeit auf Höhe der Kurzzeitfestigkeit, für die hier untersuchten Lastniveaus, Probekörper und Materialien. Dank Die Autoren des Artikels möchten an dieser Stelle dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für die Förderung der Vorhaben C³-V1.2 (FKZ: 03ZZ0312) und C³-V2.1 (FKZ: 03ZZ0321), den den Kolleg*innen des Otto-Mohr-Laboratoriums für die Versuchsdurchführung sowie den beteiligten Projektpartnern für den aktiven Wissensaustausch danken. 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Thomas Bösche HTW Dresden - Lehrgebiet Massivbau, Friedrich-List-Platz 1, 01069 Dresden Curbach Bösche Ingenieurpartner Beratende Ingenieure PartG mbB; Bergstraße 21a, 01069 Dresden (CBing) Zusammenfassung Innerhalb des Projektes V 1.2 Nachweis- und Prüfkonzepte für Normung und Zulassung im Rahmen von C³-Carbon Concrete Composites wird in Sachsen nun erstmals ein Brückenbauwerk mit Carbonbeton verstärkt. Im konkreten Vorhaben arbeiten Planungsbüro und Forschungseinrichtung eng mit dem Bauherrn zusammen, sodass im August 2020 eine schiefwinklige Stahlbetonplattenbrücke mit einer Stützweite von 8,30 m auf Biegung verstärkt wird. Ziel der Verstärkung ist es, dass Ziellastniveau von der Brückenklasse BK 30/ 30 auf die Brückenklasse BK 60/ 30 anzuheben, da sich die Brücke im Umleitungsbereich der BAB A 4 befi ndet und somit einer erhöhten Beanspruchung unterliegt. Da erstmals eine Brücke mit Carbonbeton verstärkt wird, war eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) notwendig. Der Beitrag fasst die notwendigen Untersuchungen zur Erlangung der ZiE zusammen und zeigt die Besonderheiten auf, die bei der statischen Bemessung bzw. Ausführung der Konstruktion mit Carbonbeton zu beachten sind. 1. Einführung Abbildung 1: Prozentuale Verteilung des Straßenbrückenbestandes in Deutschland nach Verwaltungsebene bezogen auf die Anzahl von Brückenbauwerken nach [1] und [2]; Grafi k: O. Steinbock In Bezug auf die Anzahl der Straßenbrücken liegt etwa jede zweite Brücke in der Verantwortung der Kommunen, siehe hierzu [1]. Nur etwa 1,2 % stehen unter Verwaltung der Wasserstraßen. Das andere Gros der Brücken wird durch Bund und Länder verwaltet, siehe Abbildung 1. Dem Bund als oberste Verwaltungsebene obliegen dabei ≈ 39.600 Brücken [2], was einem Anteil von ≈ 29 % entspricht. Ungefähr ein Fünftel (≈ 20 %) werden durch die Länder verwaltet. Die Brücken in der Baulast des Bundes sind in der Regel Bestandteil von Verkehrswegen höherer Ordnung. Zwangsläufi g ergeben sich hierdurch größere Stützweiten. 652 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ertüchtigung einer Stahlbetonplattenbrücke mit Carbonbeton Abbildung 2: Prozentuale Verteilung des Straßenbrückenbestandes in Deutschland nach Verwaltungsebene und Hauptwerkstoff des Überbaus bezogen auf die Brückenfläche nach [1] und [2]; Grafik: O. Steinbock Dies zeigt ein Vergleich der Anteile unterschiedlicher Baustoffe mit Bezug auf die Brückenfläche in der Verwaltung von Kommunen und Bund. Die annähernd 70.000 Brücken in der Verwaltung der Kommunen stellen meist Bauwerke mit kleiner Stützweite dar. Dies kann bei einer Betrachtung der Brückenfläche bestätigt werden. Nach [3] liegt die durchschnittliche Brückenfläche einer Brücke des Bundes bei ≈ 760 m², die einer kommunalen Brücke bei ≈ 180 m² [1]. Mit ≈ 87 % auf Bundesebene und ≈ 70 % auf kommunaler Ebene bilden die Stahl- und Spannbetonbrücken die Mehrheit, siehe Abbildung 2. Auffällig hierbei ist jedoch die gegenläufige Verteilung der Anteile an Stahlbeton und Spannbetonkonstruktionen. Während die Brücken in der Verwaltung des Bundes vornehmlich als Spannbetonkonstruktionen (≈ 69 %) ausgeführt sind, sind es bei den Kommunen ≈ 54% des Gesamtbestandes, die der Stahlbetonweise zugeordnet werden. Dies ist wiederrum auf die kleineren Stützweiten kommunaler Brücken zurückzuführen. Die Betrachtung zeigt die besondere Relevanz von Stahlbeton- und Spannbetonbrücken im Brückenbestand von Deutschland. Abbildung 3: Prozentuale Verteilung des Straßenbrückenbestandes in Deutschland nach Verwaltungsebene und Bauwerksalter bezogen auf die Anzahl von Brückenbauwerken nach [1] und [2]; Grafik: O. Steinbock Ergänzend hierzu wird das Bauwerksalter der Brücken in der Verwaltung von Bund und Kommunen betrachtet, siehe Abbildung 3. Es zeigt sich, dass die kommunalen Brücken tendenziell älter sind als die Brücken des Bundes. Etwa 17 % der kommunalen Brücken stammen noch aus der Vorkriegszeit, ein ähnlicher Anteil aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. Somit sind rund ein Drittel der Bauwerke in kommunaler Verwaltung älter als 60 Jahre. Bei den Bundesfernstraßen liegt der Anteil mit ≈ 8% deutlich niedriger. Eine große Bautätigkeit kann in den Jahren zwischen 1960-1980 bzw. 1985 ausgemacht werden. 2. Verstärkungsmethoden im Überblick Grundsätzlich kann zwischen Sanierungsmaßnahmen (vornehmlich zur Wiederherstellung der Dauerhaftigkeit) und Verstärkungsmaßnahmen (Sicherstellung der Tragfähigkeit) unterschieden werden. Weiter können Verstärkungsmaßnahmen in Instandsetzung und Ertüchtigung unterteilt werden, siehe Abbildung 4. Während die Instandsetzung einen Erhalt der Tragfähigkeit vorsieht (z. B. Koppelfugeninstandsetzung), wird bei der Ertüchtigung eine Erhöhung der Tragfähigkeit angestrebt (z. B. Biegeverstärkung zur Erhöhung der Brückenklasse). 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 653 Ertüchtigung einer Stahlbetonplattenbrücke mit Carbonbeton Sanierungsmaßnahme Ziel: Dauerhaftigkeit Verstärkungsmaßnahme Ziel: Tragfähigkeit Instandsetzung Ziel: Tragfähigkeit erhalten Ertüchtigung Ziel: Erhöhung der Tragfähigkeit Abbildung 4: Unterscheidung in Instandsetzung und Ertüchtigung bei der Verstärkung von Tragwerken; Grafik: O. Steinbock Bei Verstärkungsmaßnahmen empfiehlt sich die Unterscheidung in globale und lokal begrenzte Verstärkungsmaßnahmen. Einen ausführlichen Überblick über mögliche Verstärkungsmaßnahmen und deren Anwendungen geben [4] sowie [5]. Hinsichtlich der Verstärkungsmethoden kann zwischen systembezogenen und querschnittsergänzenden Maßnahmen unterschieden werden, siehe Abbildung 5. Die systembezogenen Maßnahmen bewirken z. B. durch das Aufstellen zusätzlicher Hilfsstützen oder Längsträger eine Änderung des statischen Systems in Längsrichtung des Linienbauwerkes Brücke. Daher sind sie den globalen Verstärkungsmaßnahmen zuzuordnen. Systembezogene Maßnahmen Querschnittsergänzende Maßnahmen Homogen - Bewehrung in Nuten - Stahlbetonergänzungen - Textilbetonverstärkungen Änderung des statischen Systems zusätzliche Hilfsstützen zusätzliche Längsträger Extern externe Vorspannung Geklebt aufgeklebte Zugelemente Abbildung 5: Mögliche Verstärkungs- und Ertüchtigungsmaßnahmen; Grafik: O. Steinbock Die querschnittsergänzenden Maßnahmen können sowohl lokal als auch global erfolgen und führen nur in Sonderfällen (z. B. Wegfall von Gelenken) bzw. nur indirekt (z. B. Änderung der Steifigkeiten) zu Änderungen am statischen System. Weiter kann hier zwischen externen, geklebten und homogenen Maßnahmen unterschieden werden. Während vollständig im Verbund liegende Zugelemente mit üblichen Bemessungsmethoden nachgewiesen werden können, sind für geklebte Bewehrungen besondere Bemessungsansätze notwendig. Eine Alternative zu den querschnittsergänzenden Maßnahmen im Verbund stellt die externe Vorspannung dar. Sie bietet einen vergleichsweise hohen Verstärkungsgrad und ist für vorgespannte Tragwerke gängig [5]. Eine Carbonbetonverstärkungsmaßnahme kann aufgrund ihres großflächigen Auftrages auf das Altbetonbauteil zu den homogenen Verstärkungsmaßnahmen gezählt werden. 3. Aktuelle Rahmenbedingungen für die Anwendung von Carbonbetonverstärkungsmaßnahmen Das Verfahren zur Verstärkung von Stahlbetontragwerken mit Textilbeton ist seit dem 01.06.2015 bauaufsichtlich zugelassen [6] und bereits gängige Praxis. Die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) beschränkt sich auf den Hochbau bzw. Innenbauteile. Die Anforderungen für eine Anwendung im Brückenbau bzw. Ingenieurbau sind höher. Zum einen treten im Brückenbau vorwiegend nicht ruhende Lasten auf, zum anderen handelt es sich bei einer Brücke in der Regel um Außenbauteile mit den einhergehenden chemischen und klimatischen Einflüssen. Die in abZ [6] zugelassene Materialkombination wird den Anforderungen des Brückenbaus nicht gerecht. Daher ist es notwendig auf andere Kombinationen des Verbundwerkstoffes Carbonbeton zurückzugreifen. Im Rahmen von Zustimmungen im Einzelfall (ZiE) kann die Verstärkungsmethode mit Carbonbeton aber auch auf Brückenbauwerke erweitert werden. Eine entsprechende ZiE wurde für die Verstärkungsmaßnahme einer Brücke im Rahmen des Projektes V1.2 Nachweis- und Prüfkonzepte für Normung und Zulassung im Rahmen von C 3 -Carbon Concrete Composite erreicht. Die Planung und Konzeption der Verstärkungsmaßnahme sowie die notwendigen Untersuchungen zur Erlangung der ZiE wurden in Rahmen der wissenschaftlichen Tätigkeit (IMB) sowie im Rahmen der Tätigkeit im Planungsbüro (CBing) vom Hauptautor durchgeführt und begleitet. Die Umsetzung des Bauvorhabens ist hierbei Teil des 100-Bauwerke-Programms des Freistaates Sachsen zur Verbesserung des Zustands von Bauwerken im Zuge von Staatsstraßen. Als Bauherrenvertreter (LASuV Landesamt für Straßenbau und Verkehr) und Projektpartner fungiert die LISt (LISt Gesellschaft für Verkehrswesen und ingenieurtechnische Dienstleistungen mbH). 4. Beschreibung des Tragwerks 4.1 Ziel der Verstärkungsmaßnahme Bei dem betrachteten Brückenbauwerk handelt es sich um eine einfeldrige Stahlbetonbrücke, die eine Staatsstraße über einen Bach überführt. Das Bauwerk liegt in unmittelbarer Nähe zur BAB A4 und ist Bestandteil 654 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ertüchtigung einer Stahlbetonplattenbrücke mit Carbonbeton einer Ausweichroute der Autobahn. Aufgrund örtlich ansässiger Firmen sowie der Nutzung als Ausweichroute ist die Belastung durch Schwerverkehr für die Straßenkategorie ungewöhnlich hoch. Daher wird eine Ertüchtigung des Tragwerks in die Brückenklasse BK 60/ 30 angestrebt. Dabei darf das Lichtraumprofil nicht weiter eingeschränkt werden, um einen Einstau des unterseitigen Baches im Falle eines Hochwasserereignisses auszuschließen, siehe Abbildung 6. Abbildung 6: Seitenansicht Bestand; Foto: Oliver Steinbock 4.2 Bauwerksübersicht Die Brücke liegt in Landkreis Bautzen in Sachsen. Die Stützweite des im Grundriss schiefwinkligen Tragwerks beträgt ≈ 9,30 m. Der Überbau ist schlaff bewehrt und wurde 1951 errichtet. Das Bauwerk ist in die Brückenklasse 30/ 30 eingestuft. Eine rechnerische Bewertung des Bestandsbauwerks ergab einen hohen Auslastungsgrad auf Biegung. Abbildung 7: Bestandszeichnung und Bewehrungsanordnung der Stahlbetonbrücke Das Plattentragwerk des Überbaus ist mit einem Dachgefälle in Längsrichtung, sowie einem Gefälle in Querrichtung mit 3% ausgeführt, sodass sich variable Konstruktionshöhen des Überbaus ergeben. Diese variiert somit zwischen ≈ 0,52 m und ≈ 0,78 m. Die Auflagerausbildung erfolgte als bewehrtes Linienlager. Der Überbau wurde mit Betonstahl der Güte St I glatt bewehrt. In der Stahlbetonplatte wurden keine Bügel verbaut, sodass die Bewehrungsführung auf Längs- und Querreisen reduziert ist. Zeittypisch sind die zu den Auflagerbereichen hin aufgebogenen Längseisen zur Aufnahme der schrägen Hauptzugspannungen. Einen Überblick über den Verlauf der Bewehrungsführung gibt Abbildung 7. Im Rahmen von Bauwerkserkundungen wurde eine widerlagerparallele Anordnung der Querbewehrung festgestellt. Das Bauwerk ist repräsentativ für noch häufig im Bestand vertretene kleine Bauwerke von Kommunen und Staatsstraßen. Wie in der Einführung erläutert, weisen diese Brücken im Durchschnitt ein höheres Bauwerksalter auf und sind daher nach älteren Konstruktionsprinzipien und Regelwerken entworfen. 4.3 Baustoffe Die Betongüte des Überbaus ist in den Planunterlagen mit B 225 angegeben. Nach [7] und [8] könnte dieser lediglich der Festigkeitsklasse C12/ 15 nach [9] zugeordnet werden. Aufgrund der geringen Betonfestigkeit wurden in Abstimmung mit dem Bauherrn am Bauwerk zusätzliche Bauwerksuntersuchungen vorgenommen. Neben der Entnahme von Bohrkernen wurden auch Haftzugfestigkeiten am Bauwerk ermittelt. Trotz der lokal schwankenden Betonfestigkeit konnte der Beton in die Festigkeitsklasse C 25/ 30 eingestuft werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 655 Ertüchtigung einer Stahlbetonplattenbrücke mit Carbonbeton Abbildung 8: Ermittelte Haftzugfestigkeiten am Bauwerk; Grafik: O. Steinbock In einem ersten Durchlauf wurden die Haftzugfestigkeiten an der Betonoberfläche ermittelt. Auch hier kam es zu einer vergleichsweise großen Streuung. Die Ergebnisse gemessen an der teils angewitterten Oberfläche blieben hierbei unter den Anforderungen an einen Erwartungswert von σ Hz ≈ 1,0 N/ mm², der für eine Verstärkungsmaßnahme mit Carbonbeton notwendig ist, zurück. Daher wurden in einem zweiten Schritt die Oberflächenzugfestigkeiten in einer Tiefe von ≈ 10 mm ermittelt, da nach erfolgter Oberflächenvorbereitung auch in dieser Tiefe die spätere Verstärkung appliziert werden soll. Mit Ausnahme einer geringen Unterschreitung an Bohrkern BK 2 wurden die erforderlichen Haftzugfestigkeiten erreicht, siehe Abbildung 8. Der verbaute Betonstahl weist die Güte St I auf. Der Durchmesser der Längseisen beträgt im vorliegenden Fall Ø = 35 mm, wohingegen in Querrichtung lediglich Stabdurchmesser mit Ø= 12 mm verbaut wurden. Aufgrund des geringen Bewehrungsgrades wurde auf eine Untersuchung des Materials verzichtet und die in den Regelwerken [7] und [8] ausgewiesenen Materialkennwerte übernommen. Gegenüber heute üblichen kaltgeformten Betonstahl B 500 S weist der verbaute Betonstahl geringere Festigkeiten auf. Des Weiteren handelt es sich um einen warmgeformten Betonstahl, dass sich in einer abweichenden Werkstoffkennlinie mit zwei ausgeprägten Fließplateaus, darstellt. Zudem ist der Betonstahl glatt und weist somit ein schlechteres Verbundverhalten als gerippter Betonstahl auf. Bisher im Labor untersuchte und verstärkte Bauteile waren stets mit Betonstahl der Güte B 500 S und gerippter Oberfläche ausgeführt, siehe [10] bzw. [11]. Außerdem wiesen die Bauteile nur für den Hochbau übliche Durchmesser bis 20 mm auf, sodass für die Zulassung im Einzelfall zusätzliche Untersuchungen notwendig wurden. Für die die Verstärkungsmaßnahme ist das sogenannte Referenzentextil des C³-Vorhabens (SITgrid 040) vorgesehen. Ein für den Brückenbau geeigneter Feinkornbeton ist bereits in der abZ [6] enthalten und erfüllt die Anforderungen an die Expositionsklassen. Im Konkreten handelt es sich hierbei um eine Fertigmischung der Firma Pagel Spezial-Beton TF 10. Für die Verarbeitung wird lediglich Wasser zugegeben, wobei die Konsistenz hier durch die Wasserzugabe an die Umgebungsbedingungen angepasst wird. Das Zugtragverhalten an Kleinbauteilversuchen, welches bereits in den verschiedenen Forschungsvorhaben aus C 3- Carbon Concrete Composite erforscht wurde (z. B. [12] oder [13]) , kann jedoch nicht ohne weiteres auf das Tragverhalten am Bauteil übertragen werden. Grund hierfür ist, dass insbesondere im Brückenbau die Besonderheiten des Bestandsbauwerks berücksichtigt werden müssen. Die kleinbauteiligen Versuche zeigen aber das mögliche Potenzial des Verbundwerkstoffes und bilden die Grundlage für die Vorbemessung der Verstärkungsmaßnahme. Der Teilsicherheitsbeiwert von γ tex = 1,20 wurde aus der abZ [6] übernommen. Jüngere Untersuchungen zeigen, dass aufgrund der verbesserten Ausführungsqualität der Ausgangsmaterialien hier eine Reduktion denkbar ist, siehe [14]. 5. Experimentelle Untersuchungen für die Erteilung der ZiE 5.1 Grundlagen Zusätzlich zu den Kleinbauteilversuchen werden ebenfalls Großbauteilversuche benötigt, um die Übertragbarkeit aus den Kleinbauteilen auf die Großbauteilversuche zu bestätigen oder Anpassungen zu verifizieren. Nachfolgend sind die durchgeführten Großbauteilversuche aufgezeigt. Im Rahmen der Entwurfsplanung wurde ein Verstärkungsgrad mit Carbonbeton von drei Lagen textiler Bewehrung in Längsrichtung und einer zusätzlichen Lage in Querrichtung für die Stahlbetonplatte ermittelt. Die Herausforderung bei der Übertragung der Kräfte in der Verbundfuge bei mehreren Lagen Carbonbetonverstärkung bedurften keiner weiteren Untersuchung, da die vorgesehene Anzahl der Gelege keine abweichenden Tragmechanismen gegenüber der abZ [6] erwarten ließ. Die abZ [6] ermöglicht eine unbewehrte Feinkornbetonschichtstärke von bis zu 30 mm zwischen tragender Verstärkungsschicht und Übergangsfuge (Altbeton - Verstärkungsschicht). Die vorgeschlagene Lösung sieht mit einem Gesamtaufbau von ≈ 25 mm und somit einem maximalen Abstand von ≈ 20 mm für die in Querrichtung verlegte Matte, eine geringe Stärke vor. Die Versuche konnten somit auf ein- und zweilagig verstärkte Balken reduziert werden. Das Bauwerk soll jedoch bereits nach einer kurzen Sperrpause wieder für den Verkehr freigegeben werden. Aufgrund der vorwiegend nicht ruhenden Belastung, sowie der angestrebten schnellen Verkehrsfreigabe, war das Versuchsprogramm an die Anforderungen anzupassen. 656 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ertüchtigung einer Stahlbetonplattenbrücke mit Carbonbeton Abbildung 9: Schal- und Bewehrungsplan in Feldmitte der Prüfkörper PK 1 bis PK 3; Grafik: O. Steinbock Die Untersuchungen an den Großbauteilen erfolgten an teilverstärkten Plattenstreifen mit einer Stützweite von ≈ 5,4 m. Diese Stützweite ist notwendig, um die erforderlichen Spannungen in den Bewehrungselementen zu erzeugen und das Tragverhalten am Bauwerk nachzuempfinden. Es wurden gängige 4-Punkt-Biegeversuche vorgesehen. Die Geometrie der Prüfkörper betrug 20 x 50 cm, siehe Abbildung 9. Um nahe an der späteren Ausführung zu verbleiben, wurden die Plattenstreifen mit großen Stabdurchmessern (Durchmesser 35 mm) bewehrt. Des Weiteren wurden glatte Rundeisen als Stäbe in der Stahlgüte St37 verwendet. Hierfür kann warmgeformter Baustahl verwendet werden, da dieser im Materialverhalten historischen Betonstählen gleicht. Anzumerken ist jedoch, dass das vorliegende Material höhere Festigkeiten gegenüber dem im Bauwerk verbauten St I erreichte. Die Herstellung der Probekörper erfolgte in einem Fertigteilwerk. Erfahrungsgemäß sind hier keine Betonrezepturen mit Festigkeiten ≤ C30/ 37 verfügbar. Die Vergleichbarkeit mit dem Bauwerk in situ ist dennoch gegeben, da eine höhere Auslastung der Verbundfuge im Rahmen des Versuchsprogramms erfolgte. In Summe wurden vier Großbauteilversuche durchgeführt. Der Prüfkörper PK 1 verblieb unverstärkt und diente als Ausgangsbasis um den Verstärkungsgrad zu erfassen. Prüfkörper PK 2 und PK 4 umfassen zwei zyklische Versuche bei einlagiger Verstärkung, wobei PK 4 mit konventionellem Betonstahl BSt 500 S und Durchmesser 25 mm bewehrt wurde. Dadurch konnten mögliche Unterschiede im Tragverhalten verifiziert werden. Abgerundet wird das Versuchsprogramm durch den Probekörper PK 3. Hier wurde eine zweilagige Verstärkungsschicht appliziert, um Auswirkungen eines höheren Verstärkungsgrades beurteilen zu können. Die Applikation der Verstärkungsschicht erfolgte an der Unterseite der Versuchsträger über eine Breite von etwa 35 cm. Die geringe Breite ist damit zu begründen, dass ansonsten nicht die Biegezugzone versagt hätte, sondern die Betondruckzone. Der Probekörper ist zudem mit Querkraftbügeln ausgeführt um ein Versagen auf Querkraft auszuschließen. Diese Anpassungen sind der Übertragung auf den Labormaßstab geschuldet. 5.2 Verstärkung der Bauteile Abbildung 10: Verstärkungsschema der Probekörper 2 bis 4; Grafik: N. Oette Die Herstellung im Fertigteilwerk ermöglichte die Anordnung einer Waschbetonschicht im Rahmen der Produktion. Hierbei wurde eine mittlere Rautiefe von 1,0 mm angestrebt, die über einen sogenannten Waschlack sichergestellt wurde. Die Rauigkeit wurde somit in geringerer Qualität als am späteren Bauwerk gefordert, ausgeführt (≥ 1,5 mm). Einen Überblick über den Verstärkungsaufbau gibt Abbildung 10. Die Verstärkung der Bauteile erfolgte in der am Bauwerk vorgesehenen Konfiguration mit SITgrid 40 in Materialkombination mit Pagel TF 10 und wurde im Laminierverfahren aufgebracht. Analog der geplanten Ausführung am Bauwerk wurde eine Übergreifungslänge der Gelege von 70 cm vorgesehen. Die Applikation folgte dem Verfahren nach der abZ [6], jedoch nicht mit Schichtdicken von 6 mm sondern 5 mm. Da im Rahmen der ZiE bereits Bauteilversuche nach sieben Tagen durchgeführt wurden, wurde die Dauer der Nachbehandlung verkürzt. Im Konkreten wurde diese auf fünf Tage reduziert, da an der Verstärkungsschicht Messtechnik anzubringen war. Hierfür war eine trockene Unterlage notwendig bzw. musste die Messtechnik einen Tag vor dem Belastungsversuch appliziert werden. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 657 Ertüchtigung einer Stahlbetonplattenbrücke mit Carbonbeton Abbildung 11: Applikation der Verstärkungsschicht und Einbetten der Gelege, Foto: O. Steinbock 5.3 Belastungsregime bzw. Versuchsdurchführung Aufgrund des vorliegenden begrenzten Versuchsumfangs von vier Probekörper wurde ein spezielles Belastungsregime entwickelt. Dies wurde notwendig, da keine Referenzversuche an 28 Tage alten verstärkten Probekörper durchgeführt wurden, alle bisherigen Großbauteilversuche aus [10], [11] bzw. parallel laufenden Forschungsvorhaben [12] jedoch auf ebensolchen basieren. Daher wurde ein dreistufiges Lastregime für die verstärkten Probekörper entwickelt. In Abschnitt 1 erfolgt eine zweistufige statische Belastung des Probekörpers. In der ersten Stufe verblieb die Prüflast unterhalb des Niveaus der Erstrissbildung. In der anschließenden Stufe wurde eine Last oberhalb des abgeschlossenen Rissbildes gewählt und somit ein Rissbild in den Probekörper eingeprägt. Im anschließenden Abschnitt 2 wurde die zyklische Belastung des Probekörpers durchgeführt. Im Konkreten wurden hierzu 10.000 Lastwechsel über dem Auslastungsniveau der häufigen Kombination ausgeführt. Die Oberlast lag zwischen der in Abschnitt 1 angefahrenen Lasten womit eine zyklische Belastung an einem Probekörper mit abgeschlossenem Rissbild durchgeführt werden konnte. Die Unterlast wurde hier sehr gering gewählt und ergibt sich aus der versuchstechnischen Durchführung, da eine Mindestauflast im System verbleiben muss um ein Aufschwingen des Versuchskörpers zu verhindern. Der abschließende Abschnitt 3 untersuchte die Resttragfähigkeit des zuvor statisch und zyklisch belasteten Prüfkörpers. Dabei wurden drei Haltezeiten von jeweils 1 min eingelegt, die sich auf dem Niveau der Oberlast des zyklischen Abschnittes, einem Lastniveau welches der Beanspruchung des rechnerischen Grenzzustandes der Tragfähigkeit am Bauwerk entspricht, sowie auf Bruchlastniveau des unterstärkten Körpers PK 1. Nach diesen Haltezeiten wurde der verstärkte Träger bis zum Bruch belastet. Somit war es möglich eine Aussage zur Tragfähigkeit von sehr früh belasteten Verstärkungsschichten zu treffen. Exemplarisch hierfür steht der Versuchsablauf zu PK 2 in Abbildung 12. Abbildung 12: Belastungsregime PK 2 An den Probekörpern wurden jeweils zwei Dehnmessstreifen (DMS) an der Betonoberseite angebracht. Um die vertikalen Durchbiegungen aufnehmen zu können, wurden vier vertikale Wegaufnehmer in punktsymmetrischer Anordnung angebracht. Ergänzt wurden die konventionellen Messmittel durch zusätzlich eingelegte Glasfaserkabel, die auf die Bewehrungselemente geklebt wurden. Für die Stahlbewehrungselemente bzw. im Probekörper verbaute Elemente wurden hierfür stahlummantelte Glasfasern verlegt. Auf den Carbongelegen wurden ebenfalls Glasfasern, jedoch ohne zusätzliche Ummantelung verlegt. Die Messfasern dienten dem Abgreifen der Spannungen in den einzelnen Zugelementen. Da diese für den vorliegenden Beitrag nur von untergeordneter Relevanz sind, werden die Ergebnisse nur in Auszügen für PK 2 dargestellt. Weitere Informationen hierzu können zeitnah der in Arbeit befindlichen Veröffentlichung [16] entnommen werden. 5.4 Versuchsbegleitende Untersuchungen Gemäß abZ [6] sind zur Überprüfung der Ausführungsqualität Haftzugprüfungen notwendig. Üblicherweise werden diese 28 Tage nach Ausführung der Verstärkungsschicht durchgeführt. Es sind verschiedene Versagensformen bei Carbonbetonverstärkungen möglich: • Versagen im Altbeton (nachfolgend VA) • Versagen in der Verbundzone zwischen Altbetonbauteil und Verstärkungsschicht (VZ) • Versagen in der Textilebene (TE) • weitere Versagen (SON) Nach abZ [6] wird ein Versagen in der Altbetonschicht gefordert (siehe Tabelle 1/ Anlage 3 in [6]). Tritt dagegen ein Versagen in einer anderen Ebene der Verstärkungsschicht auf, sind im Mittel 3 N/ mm² bzw. der kleinste Werte ≥ 2 N/ mm² zu erreichen. Da diese Werte die Haftzugfestigkeiten für eine vier Wochen alte Verstärkung vorgeben, sind diese für das Bauvorhaben nicht maßgebend. Grund hierfür ist, dass das Bauwerk bereits nach ≈ 10 Tagen für den Verkehr wieder freigegeben werden soll. Daher sind für die Baumaßnahme neue Kennwerte zu definieren. 658 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ertüchtigung einer Stahlbetonplattenbrücke mit Carbonbeton Abbildung 13: Versagensarten bei Verstärkungsmaßnahmen mit Carbonbeton, Grafik entnommen aus [17] Daher wurden Haftzugprüfungen an allen verstärkten Prüfkörpern durchgeführt. Die Prüfungen erfolgten im Anschluss der Bauteilversuche in den Bereichen, die im Versuch nur gering beansprucht wurden bzw. in denen die Verbundfuge unbeschädigt war. Die Prüfung der Bauteile erfolgte stets sieben Tage nach der Verstärkungsmaßnahme. Die Haftzugprüfungen wurden am 8. Tag durchgeführt, da in Anschluss an die Bauteilprüfungen zunächst die Ringnut zu bohren, der Stempel aufzukleben war und der Kleber anschließend aushärten musste. Im Mittel ergaben sich Haftzugfestigkeiten von 2,08 N/ mm² bei Versagen in der Verbundzone (6 Werte) bzw. 2,10 N/ mm² bei Versagen in der Textilebene (10 Werte). Da beide Versagensmechanismen auftraten kann davon ausgegangen werden, dass im Mittel eine Haftzugfestigkeit von ≈ 2,09 N/ mm² in der Verbundzone vorhanden ist. Wie bereits erwähnt ist das Versagen in der Textilebene mit dem frühen Prüfzeitraum zu begründen. Nennenswerte Unterschiede hinsichtlich der erreichten Haftzugfestigkeiten können aus den Versagensarten nicht abgeleitet werden. Um Eingangswerte für die Qualitätskontrolle bei der baulichen Umsetzung ableiten zu können, wird auf Grundlage der Untersuchungen ein Quantilwert abgeleitet. Dieser liegt im Bauwesen bei den üblichen 5%. Die Auswertung erfolgte hierbei in Anlehnung an DIN EN 1990-0. Unabhängig von der Versagensart wurde zur Überprüfung der Ausführungsqualität ein Wert von f HZ,0,05 = 1,19 N/ mm² beziehungsweise im Mittel von f HZ,MW = 2,09 N/ mm² am Bauwerk festgelegt. 5.5 Versuchsergebnisse Großbauteile Es erfolgt eine ausführliche exemplarische Darstellung für Versuchskörper Pk 1 und PK 2. Die übrigen Versuchskörper wurden analog bewertet und beurteilt. Die einzelen Auswertungsschritte können aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht dargestellt werden. PK 1 dient als Referenzbalken für die Versuche an glattstahlbewehrten Probekörpern mit großen Durchmessern bei gleichzeitig niedriger Stahlfestigkeit, siehe Abbildung 14. Abbildung 14: Referenzprüfkörper PK 1 während Bauteilversuch; Foto: O. Steinbock Abbildung 15 zeigt das Kraft-Verformungsverhalten des Referenzbalkens PK 1 in Bauteilmitte. Bereits bei einer geringen Beanspruchung zeigt sich der Übergang vom Zustand I in den Zustand II bei Berücksichtigung der Anfangsverformungen infolge Eigengewicht. Die Verformungen nehmen anschließend nahezu linear zu. Ab einer mittigen Verformung von ≈ 50 mm bzw. einer Prüflast von ≈ 82 kN geht der Bewehrungsstahl ins Fließen über und die Verformungen nehmen ohne weitere Laststeigerung zu. Der Probekörper erreichte eine Versagenslast von ≈ 83 kN. Wie prognostiziert stellte sich ein Versagen der Zugzone bzw. ein Fließen der Bewehrung ein. Trotz des zu erwartenden schlechteren Verbundes des Glattstahls gegenüber heutigen Rippenstählen stellte sich ein verteiltes Rissbild mit einem Rissabstand von 10-20 cm ein (siehe Abbildung 16). Abbildung 15: Last-Verformungsverhalten PK 1; Grafik: O. Steinbock Bei PK 2 handelt es sich um einen zu PK 1 analog bewehrten Probekörper, jedoch mit einlagiger Carbonbetonverstärkung an der Unterseite. Das Belastungsregime sah hier zunächst zwei statische Versuche mit anschließender zyklischer Belastung und abschließender Prüfung der Tragfähigkeit vor, siehe Abbildung 12. Für die bes- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 659 Ertüchtigung einer Stahlbetonplattenbrücke mit Carbonbeton sere Anschaulichkeit werden lediglich die Verformungen in Feldmitte wiedergegeben (siehe Abbildung 17). Da der Prüfkörper gemäß Belastungsregime dreimal statisch belastet wurde, ist das Verformungsverhalten dieser drei Abschnitte dargestellt. Das Verformungsverhalten während des zyklischen Versuches wurde in einem separaten Diagramm dargestellt (siehe Abbildung 18). Abbildung 16: Rissbild an PK 1; Foto: O. Steinbock Da im zyklischen Abschnitt des Versuches keine nennenswerte bzw. erkennbare Zunahme (≤ 0,1 mm) der Verformung zu verzeichnen ist, konnten die Verformungsanteile der einzelnen Versuchsreihen addiert werden. Das Bauteil geht verbunden mit der Erstrissbildung analog PK 1 sehr schnell in den Zustand II über. Ein ähnliches Steifi gkeitsverhältnis stellt sich bei der Zweitbelastung ein, wobei das Bauteil soweit belastet wurde, bis sich ein ausgeprägtes Rissbild (Rissweiten ≤ 0,2mm) einstellte. Somit wurde ein am Bauteil zu erwartender Risszustand eingeprägt, um einen realitätsnahen Zustand für die anschließende zyklische Prüfung zu erzeugen. Abbildung 17: Last-Verformungsverhalten PK 2 mit Erstbelastung - Zweitbelastung - zyklischer Lastwechsel - Traglastbestimmung; Grafi k: O. Steinbock Ein feiner abgestuftes Rissbild zeigt sich nach erfolgter Bauteilprüfung mit größeren Rissweiten in Verbindung mit einem Rissabstand von 8-17 cm, siehe Abbildung 19. Ergänzt wird an dieser Stelle ein Kommentar zur Rissbildung in der Verstärkungsschicht. Hier zeigt sich ein noch feineres Rissbild (u. a. auf das Verbundverhalten des Textils zurückzuführen). Abbildung 18: Last-Verformungsverhalten PK 2 - zyklischer Versuchsabschnitt, Grafi k: O. Steinbock Hinsichtlich des Last-Verformungs-Verhaltens zeigt sich im Anschluss an den zyklischen Versuch ein für Stahlbeton eher untypisches Verhalten, siehe Abbildung 17. Gegenüber den ersten beiden Belastungen zeigt sich ein merklich steiferes Bauteilverhalten. Vergleichbares wurde bereits in früheren zyklischen Versuchen, u. a. in [18] beobachtet, als Laststeigerungen bei zyklischen Versuchen verzeichnet wurden. Eine mögliche Begründung war hier, dass einen höheres Betonalter der verstärkten Träger gegenüber den Referenzträgern vorhanden war, jedoch wurden auch Gefügeverfestigungen durch die stetige Belastung nicht ausgeschlossen. Jüngste Untersuchungen von [19] bestätigen diesen versteifenden Effekt an kleinteiligen Dehnkörpern. In diesem Zusammenhang überrascht es nicht, dass die Durchbiegungen bei gleichem Lastniveau geringer sind als am Referenzbauteil. Dennoch zeigt sich ein hohes Verformungsvermögen des Bauteils, sodass durch die Verstärkungsmaßnahme die Rotationsfähigkeit des Querschnitts nur in geringem Maße beeinfl usst wurde. Die beiden Haltezeiten bei ≈ 60 kN und 83 kN zeigen versuchsbedingt (weggesteuerter Versuch) einen geringen Abfall der Prüfl ast. Zusätzliche Verformungen oder Rissbildungen bei den Haltezeiten konnten nicht beobachtet werden. 660 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ertüchtigung einer Stahlbetonplattenbrücke mit Carbonbeton Abbildung 19: Rissbild Pk 2 nach Versagen, Foto: O. Steinbock Da sich beim Einzelriss bzw. geringer Rissbildung, bedingt durch die unterschiedlichen Verbundeigenschaften unterschiedliche Einleitungslängen (l s bzw. l p ) ergeben, resultieren hieraus auch unterschiedliche Spannungen in den Bewehrungselementen. Das schlechtere Verbundverhalten von Glattstählen gegenüber üblichen Bewehrungsstählen mit gerippter Oberfläche ist nicht nur bedingt durch das einerseits ungünstigere Verhältnis von Stabdurchmesser zu Kontaktfläche (Glattstähle weisen i. d. R. größere Durchmesser auf, da die Festigkeiten geringer sind) sondern auch durch die Oberfläche. Während dies bei der Bemessung von Stahlbetontragwerken im Grenzzustand der Tragfähigkeit (abgeschlossenes Rissbild) vernachlässigbar ist, da die verbundbedingten Spannungsumlagerungen innerhalb des Querschnittes im ausgeprägten Zustand II (GZT) nur noch eine untergeordnete Rolle spielen, sind diese bei Einzelrissen bzw. im ungerissenen Zustand I von besonderer Relevanz. Daher sind z.B. bei Ermüdungsnachweisen die unterschiedlichen Spannungen der Bewehrungselemente zu berücksichtigen um die tatsächliche Spannungsschwingbreite im jeweiligen Bewehrungselement zu erhalten. In EC 1992, siehe auch [20] wird dies über den Korrekturfaktor η berücksichtigt. Dieser basiert auf der Annahme, dass die Dehnungsverläufe von Beton- und Spannstahl affin zueinander sind, womit über den Verhältniswert der gemittelten Verbundfestigkeiten ξ = τ pm / τ sm die Spannungsumlagerungen unter Berücksichtigung der Lage im Querschnitt bei Biegebeanspruchung ausreichend genau bestimmt werden kann. Diese Analogie soll auch auf textilverstärkte Bauteile im Gebrauchszustand übertragen werden und ist Gegenstand der Arbeit von [16]. Unabhängig davon konnte die Effektivität der Verstärkung mit Carbonbeton auch bei glattem Betonstahl mit großen Durchmessern nachgewiesen werden. Insbesondere zeigte sich, dass bereits nach sieben Tagen sehr große Kräfte übertragen werden können. Die erreichten Spannungen im Carbongelege lagen im Bereich von 2107 N/ mm² bis 2139 N/ mm² für die glattstahlbewehrten Probekörper. Auf der sicheren Seite liegend wurde lediglich eine charakteristische Festigkeit am Bauteil von ≈ 2050 N/ mm² angesetzt, da der Versuchsumfang vergleichsweise gering war. Die Ergebnisse zeigten damit, dass die Brücke bereits nach sieben Tagen wieder für den Verkehr freigegeben werden könnte. Da die am Großbauteil erreichten Spannungen unterhalb der in kleinteiligen Versuchen ermittelten Zugfestigkeiten lagen, sind die am Großbauteil bestimmten Werte maßgebend. Unter Berücksichtigung von Abminderungs- und Sicherheitsfaktoren konnte eine Bemessungsspannung von ≈ 1460 N/ mm² im Carbongelege angesetzt werden. 6. Umsetzung am Bauwerk Die Ausführung sieht im Detail eine Verstärkungsmaßnahme mit drei Lagen Carbongelege in Längsrichtung und einer zusätzlichen Lage in Querrichtung vor, exemplarisch hierzu siehe Abbildung 20. Damit wird weiterhin die lastverteilende Wirkung der Platte sichergestellt. Die Ausführung erfolgt mit Matten in der Größe 5,0 m x 2,5 m. Diese Größe stellt eine gute Handbarkeit beim Einbau sicher. Die Oberflächenvorbereitung erfolgt im Sandstrahlverfahren. Die Applikation der Verstärkungsmaßnahme wird im Spritzdüsenverfahren „frisch in frisch“ hergestellt. Nach aktuellen Planungen werden die Verstärkungsarbeiten inklusive Nachbehandlung maximal 10 Tage in Anspruch nehmen. Im Anschluss wird die Tragfähigkeit des Tragwerks mittels einer Probebelastung überprüft und somit die höhere Brückenklasse experimentell belegt. Über die baubegleitenden zusätzlichen Versuche, die Erfahrungen aus der Umsetzung sowie die Probebelastung wird an anderer Stelle berichtet. Abbildung 20: Planauszug zu Bewehrungslage 1 - Stahlbetonplatte; Planerstellung: F. Papst (CBing) 7. Resümee und Danksagung Die Ausführungen zeigen das Potenzial von Verstärkungsmaßnahmen mit Carbonbeton in Hinblick auf die Erhaltung des Brückenbestandes in Deutschland. Die Carbonbetonbauweise könnte sich hier als wirtschaftliche Instandsetzungs- und Verstärkungsmaßnahme sowie minimalinvasive Methode gegenüber anderen baulichen Maßnahmen durchsetzen. An dieser Stelle möchten wir zum einem dem Fördermittelgeber Projektträger Jülich für die finanzielle Unterstützung des Vorhabens, zum anderen einigen Kollegen danken. Seitens des Instituts für Massivbau gilt besonde- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 661 Ertüchtigung einer Stahlbetonplattenbrücke mit Carbonbeton rer Dank Elisabeth Schütze und Juliane Wagner für die Bereitstellung von Unterlagen, seitens des Büros CBing an Ferdinand Papst und Alexander Peter für die zeichnerisch konstruktive Umsetzung der Verstärkungsmaßnahme. Zudem sei Herrn Niclas Oette bei der Zusammenstellung von Versuchsergebnissen im Rahmen seiner Diplomarbeit gedankt. Literatur [1] Deutsches Institut für Urbanistik GmbH (Hrsg.): Ersatzneubau Kommunale Straßenbrücken. Endbericht. Online unter: https: / / www.bauindustrie.de/ media/ documents/ Studie_Ersatzneubau-Bruecken. pdf, geprüft am 17.6.2019 [2] Homepage der Bundesanstalt für Straßenbau (BASt) - Brückenstatistik 2019: https: / / www.bast. de/ BASt_2017/ DE/ Statistik/ Bruecken/ Brueckenstatistik.pdf? __blob=publicationFile&v=11, geprüft am 17.06.2019 [3] Naumann, J.: Brückenertüchtigung jetzt - Ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Mobilität auf Bundesfernstraßen. In: Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V. (Hrsg.): Studie im Auftrag von Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.; Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V.; Bundesverband Baustoffe - Steine und Erden e.V.. Berlin: 2011. [4] Schnellenbach-Held, M.; Peeters, M.; Scherbaum, F.: Sachstand Verstärkungsverfahren - Verstärken von Betonbrücken im Bestand. In: Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen BASt (Hrsg.): Brücken und Ingenieurbau Heft B 75. Gladbach. 2010. [5] Schnellenbach-Held, M.; Welsch, T.; Fickler, F.; Hegger, J.; Reißen, K.: Verstärkungen älterer Beton- und Spannbetonbrücken. In: Bundesanstalt für Straßenwesen BASt bzw. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.): Erfahrungssammlung - Dokumentation 2016. 2016. [6] Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung Z.31.10- 182. Verfahren zur Verstärkung von Stahlbeton mit TUDALIT (Textilbewehrter Beton). Deutsches Institut für Bautechnik. Geltungsdauer: 01.06.2015 bis 01.06.2016. bzw. Verlängerung: 01.12.2016 bis 01.06.2021. Berlin. [7] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.): Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). Ausgabe 2011-05. [8] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.): Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). Ausgabe 05/ 2011. 1. Ergänzung. 2015-04 [9] DIN EN 206-1; Beton-Teil 1: Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität. Ausgabe 2001-07. Deutsche Fassung [10] Curbach, M.; Lorenz, E.; Schütze, E.; Schladitz, F.; Weiland, S.: Gesamtbericht der experimentellen Untersuchungen zur allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung für ein Verfahren zur Verstärkung von Stahlbeton mit TUDALIT® (Textilbewehrter Beton), Dresden: 2014, unveröffentlicht, dem Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) vorliegend. [11] Beckmann, B; Frenzel, M.; Lorenz, E.; Schladitz, F.; Rempel, S.: Biegetragverhalten von textilbetonverstärkten Platten. Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015) Spezial, S. 47-53. [12] Homepage C 3 -Carbon Concrete Composites. https: / / www.bauen-neu-denken.de/ , geprüft am 24.07.2020 [13] Schütze, E.: Prüfmethoden für die Charakterisierung von Carbonbeton. Dissertation in Vorbereitung: Institut für Massivbau der TU Dresden. Dresden. [14] Häußler-Combe, U.; Weselek, J.: Ermittlung von Teilsicherheitsbeiwerten bei Carbonbeton. Beton- und Stahlbetonbau. 115 (2020) 3, S. 209-217. [15] Curbach, M; Schladitz, F.; Weselek, J.; Zobel, R: Eine Vision wird Realität. Der Betonbau der Zukunft ist nachhaltig, leicht, flexibel und formbar - dank Carbon. Der Prüfingenieur 51 (2017) 11, S. 20-35. [16] Steinbock, O.: Verstärkung von Stahl- und Spannbetonbrücken unter der Verwendung von Carbonbeton. Dissertation in Vorbereitung: Institut für Massivbau der TU Dresden. Dresden. [17] Verstärken mit Textilbeton nach abZ Z-31.10-182: TUDALIT (Hrsg.): Ein Leitfaden für planende Architekten und Ingenieure, für Ausführungsunternehmen und für Bauherren. Dresden. 2016. [18] Curbach, M; Wellner, S.; Ortlepp, R.; Scheerer, S. Curbach, M.: Plattenbalken mit Querkraftverstärkung aus Textilbeton unter nicht vorwiegend ruhender Belastung. Beton- und Stahlbetonbau 108 (2013) 3, S. 169-178. [19] Wagner, J.; Zum Tragverhalten von Carbonbeton unter zyklischer Beanspruchung. Dissertation in Vorbereitung: Institut für Massivbau der TU Dresden. Dresden. [20] Handbuch Eurocode 2 Betonbau - Bemessung und Konstruktion von Betonbrücken (basierend auf DIN EN 1992-2 und Nationaler Anhang CI zu 3.3.7) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 663 Instandsetzung und Gewichtsreduzierung einer Brücke mit Leicht- und Carbonbeton in Kombination Detlef Koch Koch GmbH, Kreuztal, Deutschland Björn Neuberger Koch GmbH, Kreuztal, Deutschland Zusammenfassung Im Zuge der Sanierung eines Parkhauses in Siegen sollte eine Verbindungsbrücke zwischen dem vielbefahrenen Parkhaus und einem Kaufhaus saniert werden. Dabei sollte sowohl die Gebrauchstauglichkeit verbessert (Reduktion Durchbiegung und Rissbreiten), als auch die Eigenlast reduziert werden. 1. Bauwerk Das betrachtete Teilstück der Brücke (Abbildung 1) ist ca. 220 m² groß und 25 Jahre alt, die ein vielbefahrenes Parkhaus mit einem Einkaufszentrum verbindet. Die Exposition des Bauwerks ist hauptsächlich durch Witterungswechsel, Tausalze, Schneeräumung und hohe mechanische Belastungen ein- und ausparkender Fahrzeuge geprägt. 1.1 Schäden und Ursachen Gründe für die notwendige Sanierung waren vor allem die starke und bereits mit bloßem Auge erkennbare Durchbiegung, sowie eine mangelhafte Entwässerung, welche sich durch stehendes Wasser (mit hohem Chloridanteil) auf einem Großteil der Fläche bemerkbar machte. Erste Prüfungen ergaben, dass die ca. 16 cm dicken Betonfertigteilplatten (Abbildung 2), welche auf der Stahlbetonkonstruktion auflagen, in der ursprünglichen Bemessung nicht berücksichtigt wurden. Durch die Überbeanspruchung ließ sich die starke Durchbiegung erklären. Ziel war es daher, die vorhandene Aufbauhöhe der angrenzenden Flächen zu erreichen und dabei eine möglichst geringe Auflast zu generieren. Weiterhin sollte die bereits vorhandene Gefällesituation für ein neues Entwässerungssystem verbessert werden. Nach dem Abtrag der Betonfertigteilplatten zeigte sich, dass unter diesen eine Schicht von bis zu sechs Lagen Bitumenschweißbahn vorhanden war, die als flächige Abdichtung zum Altbeton auch weiterhin genutzt werden konnte. Eine anschließende Vermessung ergab Höhendifferenzen von bis zu 24 cm zwischen Untergrund und Oberkante des Aufbetons. Das Höhenprofil ist Abbildung 3 zu entnehmen. 2. Instandsetzungskonzept Um solche Höhenunterschiede mit geringer Auflast und dennoch hoher mechanischer Tragfähigkeit zu überbrücken, entwickelte die Koch GmbH eine Individuallösung auf Basis eines Leichtbetons in Kombination mit Carbonbeton. 2.1 Carbonbeton Carbongelege werden aus einer Vielzahl einzelner Garne gewebt und gebündelt als Roving bezeichnet. Aus den Rovings werden über spezielle Maschinen die individuellen Bewehrungsstrukturen gelegt. Typische Maschenweiten können so zwischen 8 und 42 mm rechteckig oder quadratisch variiert werden. Die spezifischen Gewichte der entstehenden Armierungsgelege reichen dabei typischerweise zwischen 310 und 650 g/ m², wobei Flächenquerschnitte von 30-142 mm²/ m erzielt werden. [1] Durch Tränkungen und Oberflächenmodifikation erhöhen sich der Verbund zu Mörtel-/ Betonmatrix, sowie die ausnutzbare Zugfestigkeit um ein Vielfaches. Dies kann sich zudem günstig auf die Rissanzahl bzw. Rissabstand und Rissbreiten auswirken (v.A. bei besandeten Gelege). [2] Die Vorteile von Carbonbeton gegenüber Stahlbeton sind vielfältig. So ist das verwendete Carbon beispielsweise korrosions- und oxidationsbeständig. Aber auch mechanisch hebt sich Carbon vor allem durch eine deutlich höhere Zugfestigkeit (1700-4000 N/ mm²) von Stahl-, Glasfaser- oder Basaltbewehrungen ab. 664 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung und Gewichtsreduzierung einer Brücke mit Leicht- und Carbonbeton in Kombination Der gute Verbund, sowie die hohe Beständigkeit gegenüber chemischen Einwirkungen ermöglichen deutlich geringere Betondeckungen wodurch zusätzliche Materialeinsparungen möglich sind. Die gängigsten Einbettmaterialien sind rein zementgebundene Mörtel und Feinbetone. Aber auch Fließbeschichtungen, sowie kunststoffmodifizierte Zementprodukte kommen immer häufiger zum Einsatz. Dabei können auch elastifizierte Lösungen konzipiert werden, die großflächig den Boden verstärken und abdichten oder kleinere Bereiche wie Risse oder Fugen schützen. [3] 2.2 Leichtbeton Leichtbetone werden hauptsächlich in vier verschiedene Kategorien eingeteilt. Dazu gehören gefügedichte Leichtbetone, haufwerksporige Leichtbetone, Porenbetone sowie Porenleichtbetone (Schaumbeton). Gefügedichte Leichtbetone besitzen, ähnlich wie Normalbetone, ein dichtes Gefüge aus Zementleim. Der wesentliche Unterschied liegt bei der Verwendung von leichter Gesteinskörnung mit geringer Kornrohdichte (z.B. Lavaschlacke, Naturbimbs, Blähglas oder Blähton). Zudem findet bei diesem Leichtbeton ein verändertes Tragverhalten im Gefüge statt, da die leichte Gesteinskörnung eine geringere Festigkeit und ein niedrigeren E- Modul als der Zementstein besitzt. Ein Lastabtrag ist somit nur begrenzt über die Gesteinskörnung möglich und die Endfestigkeit steht somit im direkten Zusammenhang mit der erreichten Betondichte. Bei haufwerksporigen Leichtbetonen wird die Gesteinskörnung (normal oder leicht) lediglich mit dem Zementleim umhüllt, sodass kein dichtes Gefüge entsteht. Durch die Hohlräume zwischen den Körnern können so deutliche Reduzierungen der Betondichte erreicht werden. Eine weitere Maßnahme zum Erreichen eines haufwerksporigen Leichtbeton ist die Verwendung lediglich einer Korngruppe (Einkornbeton), sodass durch gezieltes Auslassen feinerer Bereiche der Sieblinie ein undichtes Gefüge erzielt wird. Solche Leichtbetone werden größtenteils für Mauersteine oder Drainbetone verwendet. Bei Porenbeton werden durch geplante chemische Reaktionen Luftporen im Gefüge bewirkt. Dabei reagieren die beigemischten Aluminiumpartikel mit dem Calciumhydroxid und Wasser des Zementleims zu Calciumaluminathydrat und Wasserstoff. Der dabei entweichende, gasförmige Wasserstoff bildet die Luftporen. Die Fertigung zur Gewährleistung gleichbleibender Betonzusammensetzungen und Baustoffeigenschaften findet dabei ausschließlich stationär in Werksanlage (meist unter Autoklavierung) statt. Porenleichtbeton bzw. Schaumbeton kann entweder als physikalisch oder mechanisch aufgeschäumter Beton hergestellt werden. Für eine physikalische Aufschäumung werden dem Beton maßgeblich Luftporenbzw. Schaumbildner beigefügt. Die Erzeugung der Poren wird dabei durch die Mischenergie erzielt. Bei mechanisch aufgeschäumtem Beton wird einem bereits gemischten Feinbeton (< 1mm GK) ein Tensid- oder Proteinschaum untergerührt. Dieser wird mittels Schaumgenerator hergestellt. Auf Grund der vorliegenden Gegebenheiten (Mischen vor Ort, Gefällefähigkeit, Gefügedichtheit etc.) fiel die Wahl auf einen gefügedichten Leichtbeton 2.3 Entwicklung In Kooperation mit der Firma Pagel wurde im Vorfeld der Maßnahme eine Versuchsreihe angelegt, um einen gefällefähigen Leichtbeton auf Blähglasgranulat-Basis zu konzipieren, welcher trotz geringer Dichte eine ausreichende mechanische Performance liefert. Besonders relevant war dabei eine für diesen Individualfall benötigte Frühfestigkeit zur weiteren Bearbeitung der Fläche. Weiterhin sollte der neue Leichtbeton mit einer Mindestaufbauhöhe von 30 mm so eingebaut werden können, dass ausreichend Gefälle zu den neu gesetzten Ablaufkörpern entstand, was wiederum eine spezielle Einbaukonsistenz erforderte. In der nachfolgenden Tabelle sind Auszüge der entwickelten Leichtbetone dargestellt. Tabelle 1: Dichten, Druck- und Biegezugfestigkeiten der entwickelten Leichtbetone Bezeichnung / Eigenschaft LB v1 LB v2 LB v3 ρ cm,6d (g/ cm³) 0,89 1,27 1,5 f cm,1d (N/ mm²) n.m. 10,55 22,2 f cm,4d (N/ mm²) 2,1 12,25 27,2 f cm,7d (N/ mm²) 2,7 14,7 31,5 f ctm,1d (N/ mm²) n.m. 3,1 4,4 f ctm,4d (N/ mm²) 0,7 3,2 4,8 f ctm,7d (N/ mm²) 0,9 3,5 4 Logistisch werden solche Betone meist mittels Kübeln oder Silos gefördert, da bei der Verwendung von Pumpen unter Umständen durch einen erhöhten Pumpdruck Wasser aus dem Zementleim in die Kornporen gedrückt wird und somit eine Komprimierung stattfindet. Die dadurch geringere Wassermenge im Zementleim kann zusätzlich ein zügigeres Ansteifen des Betons verursachen. Des Weiteren dehnt sich unter einem abfallenden Förderdruck die eingeschlossene Luft in den Gesteinskörnungen aus, wodurch angebundenes Wasser aus dem Korn herausgedrückt wird. Die Folge ist ein Wassersaum um die Gesteinskörnung, welcher nach der Aushärtung als poröser Ring eine lokale Schwachstelle darstellt. Zudem können Förderleitung unter Abfall des Förderdrucks und 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 665 Instandsetzung und Gewichtsreduzierung einer Brücke mit Leicht- und Carbonbeton in Kombination der damit verbundenen Ausdehnung der Porenluft im Leichtbeton vollständig verstopfen. Beim Mischen des gefügedichten Leichtbetons ist zwingend auf eine schonende Mischtechnik zurückzugreifen, da Hochleistungsmischer mit Metallpaddeln die leichte Gesteinskörnung zerstören bzw. zermahlen können. Ein Aufschwimmen der Gesteinskörnung ist bei der Eingestellten Konsistenz nicht möglich. 3. Instandsetzung Der entwickelte Leichtbeton wurde auf der gesamten Fläche aufgetragen und als eine Art schwimmender Estrich verlegt. Dabei wurden die vorhandenen Unebenheiten ausgeglichen und eine neue Gefällesituation hergestellt (Abbildung 4). Auf Grund seiner rauen Oberfläche und der Tatsache, dass bei diesem Leichtbeton nicht die Glaskörnung die Haupttragfähigkeit gewährleistet, sondern der besonders feine Zementleim, konnte auf eine zusätzliche Untergrundvorbereitung (z.B. Kugelstrahlen) für die weitere Aufbetonschicht verzichtet werden. Der entwickelte Leichtbeton besitzt im Vergleich zu bereits bekannten, porösen Systemen eine deutlich geringere Wasseraufnahmefähigkeit an der Oberfläche. Somit konnte nach Aufbringen einer Haftbrücke problemlos nass-in-nass der Aufbeton eingebaut werden (Abbildung 5). Um bei der Aufbetonschicht zusätzlich Gewicht zu sparen, und gleichzeitig eine Aussteifung mit statischer Verstärkung zu ermöglichen, fiel die Wahl auf Carbonbeton. Als Bewehrung wurde für diese Anwendung ein SBR-getränktes, quadratisches Carbongelege der Güte 24K gewählt. Die Einbettung erfolgte in einem PCC-M3-Mörtel (ca. 50 N/ mm² Druckfestigkeit nach 28 Tagen) mit einem Größtkorn von 2 mm. Um die zuvor hergestellte Gefällesituation beizubehalten, wurde der Carbonbeton mit konstant 3 cm Schichtdicke im Laminierverfahren aufgebaut (Abbildung 6). Lediglich in den Rampenbereichen (Anschluss zu den Bestandsflächen) musste mehrlagig gearbeitet werden. Für einen zusätzlichen Verschleißschutz wurde die Brücke anschließend mit einem OS 11a-Beschichtungssystem versehen (Abbildung 7). Die seitlichen Anschlüsse erfolgen als OS-10 mit Vliesarmierung. Durch den Einsatz des Leichtbetons konnte insgesamt etwa die Hälfte der Auflast im Vergleich zu gewöhnlichen Konstruktionsbetonen gleicher Schichtdicke eingespart werden. 4. Fazit Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die Kombination aus Leicht- und Carbonbeton optimal für Anwendungen im Bereich der Lastreduzierung mit besonderen Anforderungen an die Oberflächenbeschaffenheit (v.A. geringe Rissbreiten) eignet. Durch den Einsatz des Leichtbetons konnte etwa die Hälfte der Auflast im Vergleich zu gewöhnlichen Konstruktionsbetonen gleicher Schichtdicke eingespart werden. Durch den Entfall von aufwendigen Arbeitsschritten wie Abstützungen, Verstärkungen, Neubemessung, Fördertechnik etc. und deutlich geringeren Sperrzeiten sind sogar Kostenreduzierungen mit dieser Methode realisierbar. Literaturverzeichnis [1] C. Kulas, Zum Tragverhalten getränkter textiler Bewehrungselemente für Betonbauteile, RWTH Aachen: Dissertation, 2013. [2] D. Koch und B. Neuberger, Der Zukunftspreis in Parbauten, Esslingen: Tagungsband Parkbauten, TAE, 2017. [3] D. Koch und B. Neuberger, „Neue Anwendungsmöglichkeiten für Carbonbeton in der Betoninstandsetzung,“ Der Bausachverständige, Nr. 5, 2019. 666 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung und Gewichtsreduzierung einer Brücke mit Leicht- und Carbonbeton in Kombination Anhang Abbildung 1 Verbindungsbrücke 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 667 Instandsetzung und Gewichtsreduzierung einer Brücke mit Leicht- und Carbonbeton in Kombination Abbildung 2 Betonfertigteilplatten und Schweißbahnen 668 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung und Gewichtsreduzierung einer Brücke mit Leicht- und Carbonbeton in Kombination Abbildung 3 Gefällesituation bewirkt mangelhafte Entwässerung Abbildung 4 Einbau des Leichtbetons als schwimmender Estrich 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 669 Instandsetzung und Gewichtsreduzierung einer Brücke mit Leicht- und Carbonbeton in Kombination Abbildung 5 Zementöse Haftbrücke auf dem Leichtbeton Abbildung 6 Einlaminieren des Carbongeleges im Instandsetzungsmörtel 670 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung und Gewichtsreduzierung einer Brücke mit Leicht- und Carbonbeton in Kombination Abbildung 7 Fertige Brücke mit Oberflächenschutzsystem Hochstraße Elbmarsch 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 673 Verbreiterung der Hochstraße Elbmarsch in Hamburg, Erkenntnisse aus der Pilotmaßnahme Dipl.-Ing. Gregor Gebert DEGES GmbH, Berlin Zusammenfassung Über die Verbreiterung der 3,8 km langen Hochstraße Elbmarsch in Hamburg wurde bereits auf dem 2. Brückenkolloquium 2016 berichtet. In Vorbereitung auf die vorgesehene Verbreiterung erfolgten umfangreiche Bauwerksuntersuchungen. Von besonderer Bedeutung war dabei die vorgezogene Verbreiterung eines 100 m langen Abschnitts der Hochstraße als Pilotmaßnahme. Diese Maßnahme ist inzwischen abgeschlossen und es konnten wertvolle Erkenntnisse für die Ausführung der Gesamtmaßnahme gewonnen werden. Dies betrifft die Gründung in Bezug auf die Vermeidung von Mitnahmesetzungen und die Wirtschaftlichkeit, den Abbruch der Gesimskappe bei Erhalt der Anschlussbewehrung, das Einbringen von nachträglichen Bewehrungsanschlüssen in die bestehende Kragplatte der Fahrbahn, das Anbetonieren der neuen Verbundplatte an den Bestand und den Einbau der Querspannglieder mit Kopplung an die bestehenden Stabspannglieder. Im Zuge der Pilotmaßnahme erfolgten auch Untersuchungen zum Einfluss des Verkehrs auf die Betonage der Fahrbahnplatte sowie zum Austausch der Lager. 1. Einleitung Die Hochstraße Elbmarsch befindet sich südlich des Elbtunnels im Gebiet des Hamburger Hafens und umfasst mit der Anschlussstelle Hamburg-Waltershof die wichtige Verknüpfung zur Köhlbrandbrücke (Abb. 1). Das Bauwerk wird im Zuge der 8-streifigen Erweiterung der A7 um je einen und damit auf vier Fahrstreifen pro Richtung verbreitert. Die Gesamtbreite der Überbauten vergrößert sich von 17,75 auf 22,35 m. Bemerkenswert ist, dass dieses Szenario bereits bei der Herstellung des originären Bauwerks berücksichtigt wurde. Aufgrund des vorgehaltenen Raums zwischen beiden Überbauten kann die Verbreiterung nach innen, ohne zusätzlichen Grunderwerb erfolgen. Des Weiteren wurden die konstruktiven Voraussetzungen für die Verbreiterung geschaffen. Abb. 1: Hochstraße Elbmarsch mit AS HH-Waltershof 2. Das Bestandsbauwerk Das Spannbeton-Bauwerk besteht aus insgesamt 109 Feldern, die Breite der Überbauten beträgt jeweils 17,75 m. Zwischen beiden Überbauten besteht eine 10,5 m breite Lücke (Abb. 2). Die Regelstützweite beträgt zwischen ca. 32 und 35 m. Das Längssystem besteht aus einer Kette von Einfeldträgern. Jeweils drei Felder sind über Federplatten gekoppelt, so dass sich in Längsrichtung jeweils ca. 100 m lange Abschnitte ergeben, die zusammenwirken. Zwischen diesen Abschnitten sind mehrschlaufige Fahrbahnübergangskonstruktionen angeordnet. Abb. 2: Bestandsbauwerk mit „Lücke“ 674 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Verbreiterung der Hochstraße Elbmarsch in Hamburg, Erkenntnisse aus der Pilotmaßnahme Bei den Überbauten handelt es sich um 4-stegige Plattenbalken (Abb. 3). Die vorgespannten Hauptträger wurden in einer Feldfabrik gefertigt und mit einem Verlegegerät montiert. Danach erfolgte die Ergänzung der Querträger und der Fahrbahnplatte mit anschließender Quervorspannung. Die Unterbauten bestehen jeweils aus drei Einzelstützen in Verlängerung der mit Großbohrpfählen ausgeführten Tiefgründung. Im Auflagerbereich sind die Stützen durch einen Kopfbalken verbunden. Neben der beschriebenen Regelbauweise gibt es noch Sonderbereiche wie z.B. den Bereich der AS Waltershof mit verbreitertem Querschnitt zur Aufnahme zusätzlicher Fahrstreifen für die Aus- und Einfahrten. 3. Durchgeführte Voruntersuchungen Der Bauwerkszustand wurde im Vorfeld sorgfältig untersucht. Hierzu gehörten die Auswertung der Bauwerksprüfungen, Materialuntersuchungen, die Nachrechnung aller Teilbauwerke sowie die Beurteilung der Restnutzungsdauer. Die Untersuchungen ergaben, dass sich das Bauwerk entsprechend der Nutzungsdauer von 45 Jahren in einem insgesamt guten Zustand befindet und dass die vorhandenen Schäden durch Instandsetzungsmaßnahmen behoben werden können bzw. unkritisch sind für die weitere Nutzung. Die Nachrechnung gemäß Stufe 1 der Nachrechnungsrichtlinie erbrachte den Nachweis für das angestrebte Ziellastniveau Lastmodell LM1 gemäß DIN-Fachbericht. Dies ist für ein Bauwerk aus den 70er Jahren bemerkenswert, da seinerzeit die Bemessung für die geringeren Lasten der Brückenklasse 60 erfolgte. Die Berechnungen zur Restnutzungsdauer ergaben, dass die angestrebte Nutzung bis 2045 mit sehr großer Wahrscheinlichkeit erreicht wird. Durch die weitere Nutzung ergeben sich zunächst einmal deutlich niedrigere Kosten gegenüber einem Neubau. Ein weiterer, wesentlicher Aspekt ist, dass die verkehrlichen Auswirkungen in der Bauphase deutlich geringer sind, da das vorhandene Bauwerk weiter für die Verkehrsführung zu Verfügung steht. 4. Die Verbreiterung Der bestehende Überbau wird durch eine Stahlverbundkonstruktion (Abb. 3, 4) ergänzt. Abb. 3: Regelquerschnitt des verbreiterten Überbaus Ausschlaggebend für die Wahl einer Verbundkonstruktion waren die Gewichtsreduzierung in Bezug auf die rechnerisch sehr hoch ausgenutzten Bestandsgründungen sowie die im Vergleich zu einer Spannbetonlösung geringeren Zwangskräften infolge Schwinden und Kriechen in der Längsfuge zum Bestand. Die Stahlverbundkonstruktion wird über die Fahrbahnplatte monolithisch mit dem Bestand verbunden (Abb. 6). Abb. 4: Verbundquerschnitt der Verbreiterung (VFT- Träger) mit Anschluss an den Bestand Für die Kopplung des Neubauteils mit dem Bestand wird die vorhandene Quervorspannung in der bestehenden Fahrbahnplatte genutzt (Abb. 5). Bei der Errichtung des originären Bauwerks war diese Möglichkeit im Hinblick auf eine zukünftige Verbreiterung bereits berücksichtigt worden. Die im Abstand von 50 cm verlegten Einstabspanngliedern verfügen daher über ein Endgewinde, an welches der Verbreiterungsteil angekoppelt werden kann. Die durchgeführten Materialuntersuchungen hatten gezeigt, dass diese Gewinde noch immer funktionstüchtig sind. Die statischen Berechnungen haben zudem ergeben, dass nur jedes dritte Spannglied gekoppelt werden muss. Über die Kopplung der Querspannglieder hinaus ist der Einbau von zusätzlicher, schlaffer Bewehrung erforderlich, die über nachträgliche Bewehrungsanschlüsse realisiert werden müssen. Des Weiteren sind die Bügel der vorhandenen Kappenbewehrung beim Abbruch des Gesimses zu erhalten (Abb. 5). Abb. 5: Ausbildung der Fuge zwischen Bestand und Verbreiterung 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 675 Verbreiterung der Hochstraße Elbmarsch in Hamburg, Erkenntnisse aus der Pilotmaßnahme Zur Reduzierung der Zwangsbeanspruchungen aus Kriechen und Schwinden sowie aus Differenzsetzungen wird zwischen Neubau und Bestand zunächst eine 50 cm breite Längsfuge offengelassen, die erst nach dem Aufbringen der Ortbetonergänzung und einer 3-monatigen Ballastierung des Neubauteils mit Big-Packs ausbetoniert wird. Im Hinblick auf folgende Besonderheiten wurde für die Anschlussfuge eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) erteilt: - Einsatz von Verbunddübeln (nachträgliche Bewehrungsanschlüsse) für nicht ruhende Einwirkungen - Kopplung der Quervorspannung der Fahrbahnplatte mit Spezialanfertigung einer Reduziermuffe (Übergang Stabspannglied Bestand D = 26 mm auf Stabspannglied Verbreiterung D = 26,5 mm) - Quervorspannung der Fahrbahnplatte mit Spanngliedern mit nachträglichem Verbund. 5. Die Pilotmaßnahme 5.1 Veranlassung Das Bauen im Bestand und insbesondere die Weiternutzung vorhandener Bauteile birgt stets erhebliche Risiken. Die Kopplung von alten und neuen Überbauten stellt darüber hinaus besondere Anforderungen bzgl. der Setzungs- und Verformungsverträglichkeit. Aufgrund der erheblichen Dimension der Gesamtmaßnahme, die Verbreiterung erfolgt auf 2 x 3,8 km Länge, waren daher besondere Überlegungen erforderlich, um diese Risiken zu minimieren. Ein ca. 100 m langes Teilstück der Verbreiterung wurde daher in den Achsen 9 - 12 als Pilotmaßnahme vorab realisiert (Abb. 6). Abb. 6: Lage der Pilotmaßnahme Mit der Pilotmaßnahme wurden wesentliche Erkenntnisse gewonnen, die Grundlage für die Ausschreibung der Gesamtmaßnahme waren. Für die besonderen Herausforderungen wurden spezifische Lösungen gefunden, die nun als erprobte Bauweise zur Verfügung stehen. 5.2 Gewonnene Erkenntnisse Gründung Analog zum Bestand wird auch der Ergänzungsteil tiefgegründet, wobei strenge Anforderungen bzgl. der zulässigen Setzungen gestellt wurden. Für den Endzustand war die Setzungsdifferenz zwischen Bestand und Neubau auf 5 mm zu begrenzen. Des Weiteren waren die Mitnahmesetzungen für die Bestandsgründungen während der Pfahlherstellung auf 10 mm begrenzt. Im Zuge der Pilotmaßnahme wurden zwei verschiedene Pfahltypen ausgeführt: In den Achsen 9 und 10 Ortbetonrammpfähle (Franki-Pfahl) und in den Achsen 11 und 12 Vollverdrängungsbohrpfähle. Für beide Pfahltypen wurden Pfahlprobebelastungen an Probepfählen durchgeführt. Bei der Ausführung hat sich gezeigt, dass Ortbetonrammpfähle ungeeignet sind, da diese zu größeren Mitnahmesetzungen am Bestand führten. Für die gesamte Verbreiterung werden daher ausschließlich Vollverdrängungsbohrpfähle vorgesehen. Im oberen Bereich stehen auf einer Tiefe von ca. 7 - 8 m Torfe und Kleie an. Die Ausführung der Vollverdrängungsbohrpfähle war daher zunächst mit einem Hülsenrohr vorgesehen. Die Hülsenrohre führen, bezogen auf die Gesamtmaßnahme, zu Mehrkosten von ca. 7 Mio. €. Es wurde daher untersucht, ob auch ohne Hülsenrohr eine qualitativ einwandfreie Pfahlausführung möglich ist. Dazu wurde ein weiterer Probepfahl ohne Hülsenrohr hergestellt, der dann vollständig freigelegt und geborgen wurde (s. Abb. 7). Das positive Ergebnis bestätigte die Erwartungen, so dass für die Gesamtmaßnahme auf Hülsenrohre verzichtet werden kann. Abb. 7: Freigelegter Vollverdrängungsbohrpfahl Abbruch Gesimskappe Für den Anschluss der neuen Verbundplatte an den Bestand waren die vorhandene Kappenanschlussbewehrung und insbesondere die Kopplungen für die Quervorspannung schadlos zu erhalten. Der Abbruch der Gesimskappe musste daher mit großer Sorgfalt durchgeführt werden. Bewährt hat sich schließlich der Abtrag mittels Hochdruckwasserstrahlen unter Einsatz eines Strahlroboters (Abb. 8, 9). Der Arbeitsfortschritt betrug hier ca. 16 - 18 m / Tag. 676 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Verbreiterung der Hochstraße Elbmarsch in Hamburg, Erkenntnisse aus der Pilotmaßnahme Abb. 8: Abbruch durch HDW unter Einsatz eines Strahlroboters Abb. 9: Freigelegte Bewehrung und aufgeraute Fuge Herstellen der nachträglichen Bewehrungsanschlüsse Über die Kopplung der Querspannglieder und die zu erhaltende Kappenbewehrung hinaus ist der Einbau weiterer Bewehrung erforderlich, die als nachträgliche Bewehrungsanschlüsse in der bestehenden Fahrbahnplatte zu verankern sind. Ursprünglich war vorgesehen, diese Bewehrungsanschlüsse mit dem Hammerbohrverfahren auszuführen. Als Problem stellte sich hier jedoch dar, dass die Bohrungen aufgrund der ungenau eingebauten Längsbewehrung im Bestand nicht im vorgesehenen Lochraster realisiert werden konnte. Damit ergaben sich teilweise erhebliche Abweichungen zu den der Statik zugrundeliegenden Annahmen. Das Bohrverfahren wurde daher auf ein Kernbohrverfahren umgestellt. Damit war es möglich, die im Weg befindliche Bewehrung - die mit dem Wegfall der Bestandsbrüstung ihr statisches Erfordernis verliert - zu durchbohren. Hiermit konnte ein der Statik entsprechendes, sauberes Lochraster realisiert werden (Abb. 10, 11). Die erteilte ZiE „Fuge“ war entsprechend anzupassen. Abb. 10: Ausführung der Bohrungen für die nachträglichen Bewehrungsanschlüsse Abb. 11: Sauberes Lochbild mit dem Kernbohrverfahren Einbau der Querspannglieder und der Bewehrung, Toleranzen und Höhenausgleich Für die Pilotmaßnahme war die Ausführung mit VFT-Trägern vorgesehen worden, aufgrund der Vorteile in Bezug auf eine serienmäßige Vorfertigung, den Verzicht auf eine Schalung vor Ort und damit eine insgesamt kürzere Bauzeit. Bei der Ausführung hat sich jedoch gezeigt, dass die Lage des Bestandes, maßgebend hier der Höhenverlauf der Außenkante, teilweise erheblich vom Sollzustand abweicht. Diese Abweichungen, die bis zu 9 cm betrugen, konnten nur teilweise durch eine Lagekorrektur der VFT-Träger und Höhenausglich der Ortbetonergänzung ausgeglichen werden. Dies hat den Einbau der Bewehrung und der Spannglieder teilweise erheblich erschwert (Abb. 12, 13). Die zusätzliche Last aus der Ortbetonergänzung erforderte auch eine entsprechendes Nachführen der Statischen Berechnung. Ein weiterer Punkt war, dass die vorhandenen Spanngliedkopplungen nicht exakt in der vorgesehenen Neigung eingebaut lagen, wodurch das Koppeln und Verlegen der neuen Spannglieder zu- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 677 Verbreiterung der Hochstraße Elbmarsch in Hamburg, Erkenntnisse aus der Pilotmaßnahme sätzlich erschwert wurde. Hierbei hat sich die Ausführung als VFT-Träger mit dem bereits aufbetonierte Teil der Verbundplatte als hinderlich erwiesen, da damit der Spielraum für eine höhenmäßige Anpassung der neuen Verbundplatte erheblich eingeschränkt wird und sich damit eine Begrenzung der Toleranzen ergibt, die baupraktisch nur schwer zu realisieren ist. Als Erkenntnis aus der Pilotmaßnahme wurde daher formuliert, dass die Verbundplatte für die Gesamtmaßnahme in Ortbetonbauweise zu erfolgen hat. Dies erfordert zwar das Einschalen der Verbundplatte vor Ort, dafür ist jedoch eine deutlich bessere Anpassung an die örtlichen Gegebenheiten möglich. Zudem reduzieren sich die Gewichte für das Einheben der Träger deutlich. Abb. 12: Kopplung der Querspannglieder (links Neubau / Rechts Bestand) Abb. 13: Vollständig verlegte Bewehrung Betonerhärtung unter Verkehr Beim Betonieren unter Verkehr stellt sich grundsätzlich die Frage, inwieweit die dabei induzierten Schwingungen die Erhärtung des Betons negativ beeinflussen. Da diese Schwingungen auf dem Bestandsüberbau bereits physisch deutlich spürbar sind, stellte sich die Frage, ob für die Betonage der Verbreiterung Verkehrseinschränkungen auf der A7 notwendig sein würden. Neben den Auswirkungen der Erschütterung auf die Festigkeit des jungen Betons wurden auch die möglichen Relativbewegungen im Bereich der Fuge zwischen Verbreiterung und Bestand als kritisch eingeschätzt. Von Interesse war auch, ob sich eine ausreichende Verbundfestigkeit entlang der einzubetonierenden und unter Schwingung stehenden Bewehrungseisen ausbilden würde. Dazu wurden am Bauwerk umfangreiche Versuche durchgeführt (s. Abb. 14). Es konnte gezeigt werden, dass die auftretenden, verkehrsinduzierten Erschütterungen und Relativverformungen beider Fugenränder keinerlei negativen Einfluss auf die Festigkeitsentwicklung des Betons haben. Die im Erhärtungszeitraum gemessenen maximale Schwinggeschwindigkeiten überstiegen nicht den in der Literatur genannten Grenzwert von v max = 20 mm/ s. Eine unzulässige Rissbildung infolge der Erschütterungen bzw. Relativbewegungen konnte ebenfalls nicht festgestellt werden. Abb. 14: Versuchskonzept Auf Verkehrseinschränkungen auf der A7 kann somit während der Betonierarbeiten entlang der 3,8 km langen Hochstraße verzichtet werden. Der damit verbundene volkswirtschaftliche Nutzen durch Stauvermeidung und Bauzeitverkürzung ist erheblich. Hierzu ist ein Fachaufsatz in Vorbereitung, der in Kürze in der Zeitschrift „Beton- und Stahlbetonbau“ erscheinen wird. Austausch der Lager Im Rahmen der Verbreiterung der K20 ist auch der Austausch der über 2000 Lager des Bestandsbauwerks vorgesehen. Bei den Lagern handelt es sich überwiegend um Elastomerlager bzw. Elastomergleitlager. Um hier Erfahrungen zu gewinnen, erfolgte mit der Pilotmaßnahme auch der Austausch der Lager am betreffenden Teil des Bestandsbauwerks. Zum einen ging es um die Frage, wie der Austausch der Lager im Detail funktioniert (Einsatz der Hilfskonstruktionen, Erneuerung Lagersockel etc.). Ein wesentlicher Aspekt war aber die Frage, wie der Zustand der äußerlich in einem guten Zustand befindlichen Lager generell zu beurteilen ist oder anders gefragt: Ist tatsächlich der Austausch aller 2000 Brückenlager erforderlich? Hierfür wurden einige der ausgebauten Lager gewonnen und bzgl. ihrer mechanischen und chemischen Eigenschaften untersucht. Im Er- 678 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Verbreiterung der Hochstraße Elbmarsch in Hamburg, Erkenntnisse aus der Pilotmaßnahme gebnis konnte festgestellt werden, dass die Verformungseigenschaften der Elastomere im Rahmen der Normwerte für neue Lager liegen. Mit dieser Erkenntnis war es möglich, den Umfang der auszutauschenden Lager für die Gesamtmaßnahme erheblich zu reduzieren, was bei der Gesamtzahl von über 2000 Lagern zu einer erheblichen Kosteneinsparung führt (s. auch Beitrag im Tagungsband „Austausch von 2000 Lagern - Untersuchungen an Elastomerlagern nach 45 Jahren Einsatzzeit“). 6. Fazit Die Hochstraße Elbmarsch ist schon aufgrund ihrer Länge ein herausragendes Fallbeispiel für den Umgang mit dem Bestand und den Erhalt vorhandener Bausubstanz. Die Komplexität der Aufgabe wird durch die Verknüpfung mit der Verbreiterung des Bauwerks nochmals erhöht. Die Vergabe für die Verbreiterung ist im Frühjahr 2020 erfolgt und die Maßnahme befindet sich in der Bauausführung. Mit der Pilotmaßnahme wurden wesentliche Erkenntnisse gewonnen, die in die Ausschreibung der Gesamtmaßnahme eingebracht wurden. Für die spezifischen Herausforderungen wurden praktikable Lösungen gefunden, die nun im größeren Maßstab als erprobte Bauweise umgesetzt werden. Ingenieurtechnische Innovation ist heute beim Bauen mit dem Bestand im Regelfall mehr gefordert, als beim Neubau. Während für den Neubau das aktuelle technische Regelwerk anzuwenden ist, entstehen beim Bauen im Bestand spezifische Fragestellungen, die durch das Regelwerk nicht ausreichend bzw. nicht zufriedenstellend geklärt sind. Dies führt zu erhöhten Ausführungs- und Genehmigungsrisiken. Mit der Pilotmaßnahme wurde ein Weg aufgezeigt, wie mit solchen Risiken präventiv umgegangen werden kann. Projektlegende Bauherr : Bundesrepublik Deutschland Auftragsverwaltung : Freie und Hansestadt Hamburg, vertreten durch Behörde für Verkehr, Wirtschaft und Innovation Projektdurchführung : DEGES GmbH Bauwerksentwurf : Ingenieurgemeinschaft K20 (Grassl/ Schüßler-Plan/ BUNG) Standort : Hamburg Fotonachweis: alle Abb. Quelle DEGES außer Foto 1 (Quelle LSBG Hamburg) 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 679 Instandsetzung der Megastützenriegel der Hochstraße Elbmarsch Dr. Sebastian Krohn DEGES GmbH, Berlin Zusammenfassung Im Bereich kreuzender Verkehrswege lagert der vorhandene Spannbetonüberbau der Hochstraße Elbmarsch in insgesamt 7 Achsen auf sogenannten Megastützen auf. Diese bestehen im Wesentlichen aus einer Großrundstütze und massiven, vorgespannten, beidseitig auskragenden Riegeln. Für die 8-streifige Erweiterung der A7 sollen die Riegel durch Einhängeträger ergänzt werden, die als Auflager für die Überbauverbreiterung dienen werden. Zur Aufnahme der zusätzlichen Lasten ist es notwendig, ergänzende Spannglieder im Bestandsriegel einzubauen. Bereits in den 1970er Jahren wurden zu diesem Zweck Leerrohre in die Megastützenriegel einbetoniert. Um zu prüfen, ob die Bestandskonstruktion und die Technologie, die in den 70er Jahren für die Verbreiterung vorgesehen worden war, den heutigen Anforderungen an Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit gerecht werden kann, erfolgten im Vorfeld der Ausschreibung umfassende Untersuchungen. Neben statischen Berechnungen bis zur Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie wurden Potentialfeldmessungen zur Bewertung der Bewehrungskorrosion durchgeführt. Der Zustand der in den Riegeln befindlichen Leerrohre wurde untersucht, um die Machbarkeit für den Einbau der nachträglich zu ergänzenden Spannglieder abzusichern. Zudem wurden mehrere KKS-Testflächen angelegt, um Möglichkeiten für den Einsatz des kathodischen Korrosionsschutzes zum Erhalt der Bestandskonstruktion zu prüfen. Bei einer der Megastützen wurde aufgrund einer AKR-Schädigung des Riegels eine grundhafte Instandsetzung mit großflächigem Betonersatz als vorgezogene Maßnahme durchgeführt. Auch hierbei wurden wertvolle Erkenntnisse für die übrigen Megastützen gewonnen. Im Ergebnis aller Untersuchungen wurde letztlich entschieden, bei der Mehrzahl der Megastützen einen Komplettaustausch der Riegel vorzunehmen, da eine Sanierung im Hinblick auf eine angestrebte weitere Nutzungsdauer von rund 70 Jahren nicht nachhaltig erschien. Dennoch können 4 von 14 Megastützen im Zuge des 8-streifigen Ausbaus erhalten werden. Das in den 70er Jahren vorgedachte Konzept der Verbreiterung kommt dort zur Anwendung. 1. Ausgangslage Aufgrund des guten Erhaltungszustandes sowie der vergleichsweise hohen Tragfähigkeitsreserven im Regelbereich der Hochstraße Elbmarsch (kurz K20) fiel in der Vorplanung die Entscheidung zum Erhalt des Bestandsüberbaus bis zum Jahr 2045, vgl. [1]. Somit ist für den 8-streifigen Ausbau der A7 in Bereich der K20 die Verbreiterung des Bestandsüberbaus vorgesehen. Ergebnis der Vorplanung und der durchgeführten Wirtschaftlichkeitsbetrachtung war zudem, dass die Unterbauten mindestens bis zum Jahr 2084 weiter genutzt werden sollten. Somit wurde für die Bestandsunterbauten eine fast 40 Jahre längere Restnutzungsdauer festgelegt als für den Bestandsüberbau. Von den insgesamt 110 Auflagerachsen der K20 sind 103 als einfache Stützen-Riegel-Konstruktion, Widerlager oder Pfeilerscheiben ausgebildet. Die vorgenannten Konstruktionen sind vergleichsweise robust, für Prüfungen und Untersuchungen sind sie in der Regel gut erreichbar und innerhalb der geplanten 8-streifigen Erweiterung ohne Veränderungen der bestehenden Bauteile integrierbar. In den verbleibenden 7 Achsen war die Ausbildung der vorgenannten Standardkonstruktionen aufgrund von unter der Hochstraße kreuzenden Verkehrswegen nicht möglich, sodass hier Großrundstützen (sog. Megastützen) mit einem Durchmesser von ca. 6 m zum Einsatz kamen, auf denen nach beiden Seiten auskragende, vorgespannte Spannbetonriegel ergänzt wurden, um ein Auflager für die Überbauten der Hochstraße zu schaffen, s. Abb. 1 und Abb. 2. 680 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung der Megastützenriegel der Hochstraße Elbmarsch Abb. 1: Megastütze beim Bau der Hochstraße 1971-74 Während zum Erhaltungszustand der meisten Unterbauten (rund 94%) relativ gesicherte Erkenntnisse vorlagen bzw. im Laufe der Planung gewonnen werden konnten, waren aufgetretene Schäden und deren Ursachen im Bereich der Megastützen (rund 6% der Unterbauten) zum Beginn der Entwurfsplanung noch nicht vollständig aufgeklärt. 1.1 Erhaltungszustand der Megastützen Die bis 2015 erstellten Untersuchungsberichte wiesen keine wesentlichen Schäden an den Megastützen aus. Abgesehen von Betonabplatzungen und Chloridschäden an den frei bewitterten Riegelköpfen, gab es keine nennenswerte Rissbildung an Riegeln oder Stützen. Einzige Ausnahme war der Riegel in Achse 55 west, Abb. 2. Hier wurde bereits Anfang der 2000er Jahre ein Rissbild an den Riegelköpfen festgestellt, welches u.a. auf eine AKR hindeutete. Abb. 2: Megastütze in den Achse 55 west Abb. 3: Riegelkopf der Megastütze Achse 55 west Die ersten Untersuchungen hierzu fanden bereits 2003 statt. Seitdem wurden fortschreitende Betonabplatzungen und Rissbildungen mit Aussinterungen an den Kopfbereichen dieses Stützenriegels in Achse 55 west festgestellt, s. Abb. 3. 1.2 Risikoanalyse und Arbeitsprogramm Bei den Megastützen handelt es sich um Sonderkonstruktionen, die bereits in den 70er Jahren für eine mögliche Verbreiterung zum Teil mit leeren Hüllrohren versehen worden waren, um zusätzliche Spannglieder für den Fall eines 8-streifigen Ausbaus später nachrüsten zu können. Für die Verbreiterung war es angedacht, Einhängeträger auf den bestehenden Riegeln zu lagern und auf diesen Trägern die Verbreiterung des Überbaus abzulegen, s. Abb. 4. Der Erhalt der bestehenden Megastützen hätte also nicht nur den Erhalt des Status Quo für die Bestandsriegel zur Folge gehabt, sondern würde die Integration von neuen Spanngliedern und Vorspannkräften innerhalb der Bestandsriegel sowie die Veränderung der äußeren Lasten durch die Verbreiterung nach sich ziehen. Abb. 4: Prinzip der Verbreiterung mit Einhängeträger Gleichzeitig hätte eine Weiternutzung und der Ausbau der vorhandenen Riegel enorme Vorteile für den Bauablauf, da die Eingriffe in den Verkehr auf ein Minimum beschränkt wären. Somit kam der Entscheidung über Erhalt bzw. Ersatz der Megastützen eine zentrale Bedeutung für die Bauablaufplanung und Ausschreibung der gesamten 8-streifigen Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch zu. In einer Risikobetrachtung waren die Auswirkungen von Schäden an den Riegeln, die erst während der Ausfüh- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 681 Instandsetzung der Megastützenriegel der Hochstraße Elbmarsch rung entdeckt werden würden, bezüglich der Gesamtbauzeit und zugehörigen Kosten als sehr groß bewertet worden. Jeder Eingriff in den Verkehr der A7 wie auch in das hochbelastete Hafennetz, der sich aus Änderungen der ausgeschriebenen baulichen Lösung für die Megastützen ergeben würde, hätte aufgrund der exponierten Lage innerhalb der Verkehrsknotenpunkte erhebliche Auswirkungen auf den Bauablauf und würde die angespannte verkehrliche Situation im Hafengebiet weiter verschärfen. Daher bargen die Megastützen trotz ihres relativ geringen Anteils an der Gesamtmenge der Unterbauten (ca. 6%) ein erhebliches Risiko für Kostensteigerungen und Bauzeitverlängerungen im Gesamtprojekt, sodass intensive Untersuchungen als Grundlage zur Entscheidungsfindung über Erhalt oder Ersatz unerlässlich waren. Von 2016 bis zur geplanten Ausschreibung in 2019 wurden daher folgende Maßnahmen ergriffen: • Vorgezogene Instandsetzung der Megastütze mit dem größten bekannten Schadensumfang in Achse 55 west, um vertiefte Erkenntnisse zum Schadensbild zu gewinnen und Erfahrungen mit möglichen Instandsetzungsverfahren zu sammeln. • Vertiefende Betonuntersuchungen an allen Megastützenriegeln mittels zerstörungsfreier Prüfmethoden sowie Bewertung durch Gutachter und sachkundige Planer für Betoninstandsetzung. • Nachrechnung der Megastützen in den Stufen 1 und 2 (zum Teil auch 4) mit dem Ziel, die rechnerischen Beanspruchungsgrenzen der Bestandskonstruktion so genau wie möglich zu ermitteln. • Kamerabefahrung der Leerrohre in den Megastützenriegeln und Bewertung der Verwendbarkeit zum Einbau heute zugelassener Spannglieder durch einen Fachmann für Vorspanntechnik. • Planung und Realisierung eines Testfeldes für den kathodischen Korrosionsschutz an einem Megastützenriegel und Bewertung der Einsatzmöglichkeiten für KKS. 2. Instandsetzung und Zustandsbewertung 2.1 Instandsetzung der Achse 55 west Die Instandsetzung der Achse 55 west wird in [2] umfassend beschrieben, sodass hier nur eine kurze Zusammenfassung folgt. Der Beton wurde intensiv hinsichtlich seiner Neigung zur Alkalikieselsäurereaktion untersucht. Zum einen wurde das Reaktionspotential durch Nebelkammerlagerung von oberflächennahen Proben und Proben aus größeren Bauteiltiefen ermittelt. Darauf aufbauend konnten Vorgaben für geeignete Instandsetzungsprodukte sowie Angaben zur Oberflächenvorbereitung und Verarbeitung gemacht werden, die eine AKR im Bestandsbeton wirksam verhindern. Die Ergebnisse der zerstörungsfreien Prüfungen, wie Gefügeschäden, die mittels Ultraschall in einer Tiefe von ca. 40 cm, bis maximal 70 cm lokalisiert worden waren, ließen sich nach dem stufenweisen Betonabtrag bestätigen. Die vorgefundenen Rostnarben an der Bewehrung korrelierten gut mit den vorgefundenen Chloridwerten und den mittels Potentialfeldmessung lokalisierten Hot Spots. Trotzdem der z.T. hohen Chloridwerte hielten sich die festgestellten Abrostungsgrade der Bewehrung in Grenzen, sodass die Nachrechnung des Stützenriegels in Achse 55 west auch unter Berücksichtigung der korrosionsbedingten Querschnittsschwächungen eine ausreichende Standsicherheit unter den Ausbaulasten der 8-streifigen Erweiterung ergab. Hierfür war allerdings eine sehr aufwändige, nichtlineare FE-Berechnung gemäß Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie erforderlich, s. Abb. 5. Abb. 5: FE-Modell für Nachrechnung in Stufe 4 Für den Erhalt der Megastützenriegel wäre es Grundvoraussetzung, alle Korrosionsprozesse an der vorhandenen Bewehrung selbst bei weiterem Chlorideintrag zu unterbinden. Eine geeignete Methode hierfür kann der kathodische Korrosionsschutz (KKS) sein. Bei diesem Verfahren fließt ein Schutzstrom zwischen Anode (z.B. Titannetz auf der Bauteiloberfläche, vgl. Abb. 6, oder Titanstabanode im Bohrloch) und Kathode (Bewehrung) und verhindert den Korrosionsfortschritt selbst bei ungünstigen Feuchte- und Chloridgehalten im Beton. Abb. 6: Verlegen des Anodennetzes für den KKS 682 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung der Megastützenriegel der Hochstraße Elbmarsch Abb. 7: KKS-Musterfläche am Megastützenriegel Um die Machbarkeit für den KKS zum Schutz des gesamten Riegels nachzuweisen, wurde eine KKS-Musterfläche am Riegel installiert und ein kathodischer Korrosionsschutz über 2 Monate hinweg testweise betrieben, s. Abb. 7. Die Messdaten zeigten, dass sich das erforderliche Schutzziel für die kritischen Bereiche des Riegels durch die Kombination von Anodennetz und Stabanoden erreichen ließe. Diese an Achse 55 gewonnen Erkenntnisse zum KKS waren auch auf andere Megastützenriegel übertragbar. Damit war das „Einfrieren“ der Bewehrungskorrosion für alle Riegel als technisch machbar einzustufen. Zu Beginn der Entwurfsplanung gab es keinerlei Erkenntnisse zum Zustand der leeren Hüllrohre (im Folgenden Leerrohre), die in die Megastützenriegel inkl. Ankerplatten eingebaut worden waren, um das spätere Nachrüsten von Spanngliedern der 2ten Ausbaustufe zu ermöglichen. Laut Planunterlagen waren diese Leerrohre mit einem innenliegenden Korrosionsschutz versehen und luftdicht verschlossen. Die Instandsetzungsmaßnahme an der Achse 55 west eignete sich aufgrund des ohnehin erforderlichen Betonabtrages hervorragend dazu, die Leerrohrenden freizulegen und den Zustand zu untersuchen, s. Abb. 8. Für die Untersuchung wurde eine Spezialfirma gebunden, die Rohrreinigung, Hindernisbeseitigung und Kamerabefahrung für die Leerrohre mit lediglich ca. 6 cm Durchmesser und einer Länge von jeweils bis zu rund 28 m durchführen konnte. Abb. 8: Riegelkopf mit verpressten Spannankern der ersten Ausbaustufe und offenen Leerrohren der zweiten Ausbaustufe Obwohl kein innenliegender Korrosionsschutz gefunden wurde, waren bei etwa 80% der Leerrohre keine nennenswerten Schäden festzustellen. Der Querschnitt war nicht eingeschränkt und Spannglieder waren grundsätzlich einbaubar. Jedoch gab es bei etwa 20% der Leerrohre stehendes Wasser in den Tiefpunkten, z.T. erhebliche Korrosionsschäden und vereinzelt Beulen in der Blechwandung und damit Querschnittsreduktionen sowie Verschlüsse, sodass der Einbau von Spanngliedern bei diesen Leerrohren stark eingeschränkt und z.T. unmöglich war. Ursache für die Korrosion innerhalb der Rohre waren vermutlich Entlüftungsröhrchen, durch die Wasser eindringen konnte. Abb. 9 zeigt Korrosion an einer betroffenen Ankerplatte. In Abb. 10 ist beispielhaft eine Aufnahme aus der Kamerabefahrung mit Schäden der Leerrohrwandung dargestellt. Abb. 9: Korrosion an Leerrohr und Ankerplatte Abb. 10: Kamerabefahrung: beschädigte Rohrwandung 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 683 Instandsetzung der Megastützenriegel der Hochstraße Elbmarsch 2.2 Untersuchungen weiterer Megastützen Von einigen Besonderheiten abgesehen sind 10 der insgesamt 14 Megastützen an der K20 grundsätzlich so konstruiert wie die besonders vorgeschädigte Megastütze in Achse 55 west. Nachdem sich die Leerrohrbefahrungen mittels Kamera, die Chloriduntersuchungen und Potentialfeldmessungen, sowie auch die detaillierte Nachrechnung an Achse 55 methodisch bewährt hatten, wurden diese Untersuchungen auch auf die anderen Megastützen ausgeweitet. Im Ergebnis wiesen die ähnlich konstruierten Megastützen auch ähnliche Schäden auf. In einem deutlich besseren Zustand zeigten sich 4 Megastützen in den Achsen 96 und 97. Hier waren bereits 1970 alle für die 2te Ausbaustufe notwendigen Spannglieder eingebaut und verpresst worden. Zudem gibt es hier keine Chloridschäden, da es konstruktionsbedingt keine Fahrbahnübergänge über diesen vorgenannten 4 Megastützen gibt. 3. Schlussfolgerungen Aufgrund der durchweg positiven Befunde kann für die 4 Megastützen in den Achsen 96 und 97 die Verbreiterung so erfolgen, wie es bereits in den 1970er Jahren vorgedacht worden war. Ein Einhängeträger wird auf den dafür vorgesehenen Konsolen der Megastützenriegel eingelagert, sodass die Verbreiterung darauf abgelegt werden kann und der darunter befindliche Verkehrsraum stützenfrei bleibt, Prinzip wie in Abb. 4. Für die verbleibenden 10 Megastützen wurden die Querschnittsschwächungen an der Betonstahlbewehrung hinsichtlich der Auswirkungen auf die Standsicherheit bewertet. Die Nachrechnung in Stufe 4 zeigte sehr deutlich, welche erheblichen Tragreserven noch in der Konstruktion stecken. Eine ausreichende Tragfähigkeit wäre grundsätzlich gegeben, sofern sich alle laufenden Korrosionsprozesse stoppen ließen. Durch die KKS-Musterfläche konnte zweifelsfrei belegt werden, dass der kathodische Korrosionsschutz bestens geeignet ist, um die Korrosion wirkungsvoll zu unterbinden. Zusammen mit Fachleuten für Vorspanntechnik wurden zugelassene Spannglieder gefunden, die nur mit geringen Modifikationen in die vorhandenen Leerrohre einzubauen und auch an den vorhandenen Ankerplatten zu spannen und zu verankern waren. Die statische Nachrechnung zeigte zudem, dass man die vorgeschädigten Leerrohre (ca. 20%) nicht unbedingt für den sicheren Endzustand benötigt, wenn man die intakten Leerrohre mit einem geringfügig größeren Spannstahlquerschnitt bestückt als seinerzeit in der Ursprungsstatik vorgesehen war. Auch die Betoninstandsetzung an der Achse 55 west war als vorgezogene Maßnahme erfolgreich abgeschlossen worden. Die Hilfsabfangung zur temporären Entlastung des Riegels hatte gut funktioniert. Die ausgewählten Instandsetzungsprodukte erwiesen sich als geeignet, die Betonagen im Zuge der Instandsetzung konnten ohne Verkehrseinschränkungen stattfinden, vgl. [2]. Obwohl es adäquate Lösungen für die aufgeworfenen technischen Fragestellungen gab, entschied man sich nach Abwägung aller Risiken dennoch für den Ersatzneubau der 10 vorgeschädigten Megastützen inklusive ihrer Riegel. Neben der relativ aufwändigen Instandhaltung mittels eines aktiven KKS-Systems, gab es Bedenken zur Ermüdungssicherheit des zum Teil durch Lochfraßkorrosion vernarbten Betonstahls, s. Abb. 11. Abb. 11: Lochfraßkorrosion am Betonstahl des Riegels Eine Ermüdungsfestigkeit ließ sich durch die Kerbwirkung der Rostnarben nicht mehr angeben, sodass mindestens jährliche Sonderprüfungen die Folge gewesen wären. Vor dem Hintergrund der vorgegebenen Restnutzungsdauer aller Unterbauten bis mindestens zum Jahr 2084, wäre ein Erhalt der Konstruktion unter diesen Bedingungen wirtschaftlich nicht vertretbar gewesen. Somit bleiben 4 von insgesamt 14 Megastützen erhalten. Die übrigen 10 werden durch Neubauten ersetzt. 4. Ausblick Der Ersatzneubau der Megastützen unter laufendem Verkehr der A7 sowie unter Aufrechterhaltung des Bahn- und Straßenverkehrs im Hamburger Hafen ist sehr komplex. In Abb. 12 ist die Abstützung der Überbauten der A7 sowie der Abbruch der bestehenden Megastütze als Prinzipskizze dargestellt. 684 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Instandsetzung der Megastützenriegel der Hochstraße Elbmarsch Abb. 12: Skizze zum Abbruch des Bestandsriegels Um den Verkehr der A7 über die gesamte Zeit aufrechtzuhalten wird der gut 2m breite Streifen zwischen den Überbauten, auf dem der Riegel direkt befahren wird, mit speziell für diesen Fall entwickelten Abdeckplatten überbrückt. Nachdem die Überbauten der A7 abgefangen wurden, wird der alte Bestandsriegel ebenfalls unterstützt, um zunächst den Rückbau der Rundstütze darunter durchzuführen. Anschließend wird der Bestandsriegel abgesenkt und bodennah abgebrochen. Der neue Riegel wird ebenfalls bodennah hergestellt, hochgepresst und schließlich wird die neue Stütze unterhalb des Riegels betoniert. Dieser Bauablauf ist aufwändig und für jede der 10 zu erneuernden Megastützen in ähnlicher Art und Weise durchzuführen. Mit Blick auf die Gesamtmaßnahme trägt die Entscheidung zum Ersatz von 10 der 14 Megastützen jedoch erheblich dazu bei, die Kosten- und Terminrisiken der Bauausführung und den Unterhaltungsaufwand der kommenden Jahrzehnte auf ein angemessenes Maß zu reduzieren. Literatur [1] Gebert, G.: Verbreiterung der Hochstraße Elbmarsch in Hamburg -Erkenntnisse aus der Pilotmaßnahme, Tagungsband 4. Brückenkolloquium, Technische Akademie Esslingen 09/ 2020 [2] Peters, F.; Krohn, S.; Mangold, M.: K20 Hochstraße Elbmarsch - Planung und Ausführung der Instandsetzung einer Megastütze unter Verkehr, Tagungsband 6. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken, Technische Akademie Esslingen 01/ 2019 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 685 Austausch von 2000 Lagern - Untersuchungen an Elastomerlagern nach 45 Jahren Einsatzzeit Dr.-Ing. Tobias Block ISB Block und Becker Beratende Ingenieure PartGmbB Bochum Zusammenfassung Mit einer Länge von 3,8 km ist die Hochstraße Elbmarsch (K20) immer noch Deutschlands längste Straßenbrücke. 45 Jahre nach ihrer Fertigstellung werden am Bauwerk nun umfangreiche Instandsetzungsmaßnahmen vorgenommen. Alleine aufgrund ihrer Anzahl spielen dabei die verbauten Elastomerlager eine wesentliche Rolle. Der Bericht beschreibt das experimentelle und analytische mehrstufige Vorgehen zur Beurteilung dieser Bauteile, das dazu geführt hat, das der größte Teil der Brückenlager für eine weitere Nutzung im Bauwerk verbleiben kann. 1. Experimentelle Untersuchungen im Rahmen der Pilotmaßnahme 1.1 Einleitung Um eine Einschätzung über den Einfluss der Alterung und die Leistungsfähigkeit der Bestandslager vornehmen zu können, sind im Rahmen einer Pilotmaßnahme Elastomerlager aus dem Brückenbauwerk in den Achsen 10 bis 12 des Bauwerkes K20 an der Autobahn 7 entnommen worden. Im Zuge der Erstellung eines Lageraustauschkonzeptes erfolgte eine Bestandsaufnahme aller Lager, die sich im Bauwerk K20 befinden [1]. Insgesamt sind 2020 Lager verbaut worden. Den größten Anteil davon machen 1100 Elastomerlager ohne Gleitteil (54 %) und 840 Elastomerlager mit Gleitteil (42 %) aus. Die in diesem Beitrag beschriebenen Untersuchungen konzentrieren sich daher auf diese beiden Lagertypen, die beispielhaft in den Abbildungen 1 und 2 dargestellt sind. Abbildung 1 Typ 3, Elastomerlager ohne Gleitteil (allseitig beweglich) Abbildung 2 Typ 1, Elastomerlager mit Gleitteil (allseitig beweglich) Um eine Aussage über den gealterten Zustand der Lager treffen zu können, ist ein Versuchsprogramm entwickelt worden, das das Verhalten der Lager in unterschiedlichen Belastungssituationen experimentell abbildet. Korres- 686 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Austausch von 2000 Lagern - Untersuchungen an Elastomerlagern nach 45 Jahren Einsatzzeit pondierend dazu wurden visuelle Kontrollen und Materialuntersuchungen durchgeführt [8]: 1. Statische Druckversuche nach DIN EN 1337-3 • Beurteilung der vertikalen Tragfähigkeit • Ermittlung von Schädigungen • Bestimmung des Drucksekantenmoduls 2. Statische Schubversuche nach DIN EN 1337-3 • Beurteilung der horizontalen Verformbarkeit • Ermittlung von Schädigungen • Bestimmung des Schermoduls 3. Gleitreibungsprüfungen nach DIN EN 1337-2 • Beurteilung der Funktion von Gleitteilen • Bestimmung von Reibungszahlen 4. Bestimmung der Shore-Härte (Shore A) • Bestimmung der oberflächennahen Werkstoffhärte 5. Thermogravimetrische Analyse (TGA) • Bestimmung von Massenanteilen verschiedener Bestandteile des Elastomers 6. Wasserstrahlschneiden • Verifizierung des Schichtaufbaus und der Schichtdicken • Ermittlung von eventuell vorliegenden Schädigungen Tabelle 1 fasst die durchgeführten Untersuchungen in Abhängigkeit der Lagertypen zusammen. Tabelle 1 Übersicht über die experimentellen Untersuchungen 1.2 Statische Druckversuche nach DIN EN 1337-3 Im Rahmen von statischen Druckversuchen nach DIN EN 1337-3 [3] wurde das Druckstauchungsverhalten der Lagertypen 1 und 3 anhand von jeweils fünf ausgebauten Lagern untersucht. Die Versuchsdurchführung nach [3] sieht zwei vollständige Be- und Entlastungszyklen sowie eine anschließende stufenförmige Belastung mit fünf Stufen vor (20%, 40%, 60%, 80% und 100% der maximalen Last). Bei jedem Schritt muss die Last für mindestens 2 min konstant gehalten werden. Als maximale Prüflast wurde die maximale Designlast der Auflagerkräfte in Höhe von 3.400 kN für alle Lagertypen angesetzt. Dadurch ergab sich eine maximale Druckspannung von 20,1 N/ mm 2 für den Lagertyp 3 (ohne Gleitteil) und 20,5 N/ mm 2 für den Lagertyp 1 (mit Gleitteil). Aus den ermittelten Versuchsdaten lassen sich die Drucksekantenmodule E CS berechnen, die in Abbildung 3 aufgeführt sind. Die Lager zeigten bei maximaler Last ein gleichmäßiges Ausbauchen der Elastomerschichten in den Randbereichen, was für einen guten Haftverbund nahe der Oberfläche spricht. Bei zwei der untersuchten Lager vom Typ 1 konnten radial umlaufende, oberflächennahe Risse mit Rissweiten zwischen 0,1 und 0,5 mm festgestellt werden. Diese führten jedoch nicht zu einem Abfall oder einem Abknicken in der Last-Verformungskurve. Abbildung 3 Drucksekantenmodule nach DIN EN 1337-3 1.3 Statische Schubversuche nach DIN EN 1337-3 In statischen Schubversuchen nach DIN EN 1337-3 [3] wurden die Schermodule an fünf Elastomerlagern ohne Gleitteil (Typ 3) bestimmt. Die Versuchsdurchführung sieht zwei Schubverformungszyklen bei einer gleichzeitig wirkenden Druckspannung von 6 N/ mm 2 vor. Die Höhe der Schubverformung sollte zwischen 0,7 und 1,0 der durchschnittlichen Ausgangsdicke aller bei Schub wirkenden Elastomerschichten (T q ) betragen und wurde im vorliegenden Fall zu 0,825 ( ≙ 33 mm Schubverformung) festgelegt. Die experimentell ermittelten Schermodule konnten anschließend zu 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 687 Austausch von 2000 Lagern - Untersuchungen an Elastomerlagern nach 45 Jahren Einsatzzeit mit t s2 Scherspannung bei 0,58 T q t s1 Scherspannung bei 0,27 T q e q2 Scherbeanspruchung bei 0,58 T q e q1 Scherbeanspruchung bei 0,27 T q berechnet werden. Abbildung 4 zeigt die ermittelten Schermodule für den Lagertyp 3 in Abhängigkeit der einzelnen Belastungsäste. Abbildung 4 Schermodule nach DIN EN 1337-3 Die Lager zeigten während der gesamten Versuchsdurchführung eine gleichmäßige Aufnahme der Scherspannung, welche typischerweise einen S-förmigen Charakter hat. Während der Versuche konnten keine augenscheinlich wahrnehmbaren Schädigungen der Lager beobachtet werden. 1.4 Gleitreibungsprüfungen An den Elastomerlagern mit Gleitteil (Typ 1) sind Gleitreibungsprüfungen in Anlehnung an DIN EN 1337-2 [2] durchgeführt worden. Durch diese Untersuchungen konnten Gleitreibungskoeffizienten (Haft- und Gleitreibung) bei unterschiedlichen Pressungen in Abhängigkeit von der Versuchsgeschwindigkeit ermittelt werden. Die Versuchsdurchführung erfolgte dabei mit nicht gereinigten Gleitteilen, um eine realistische Aussage über das Verhalten im Bestand treffen zu können. Bei dieser Vorgehensweise konnte jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Prüfergebnisse durch die zusätzliche Verschmutzung der Gleitflächen während des Ausbaus beeinflusst wurden. Die Gleitreibungsuntersuchungen wurden auf zwei unterschiedlichen Lastniveaus (während des Versuches wirkende vertikale Auflast) durchgeführt, da die Reibungskoeffizienten der vorliegenden Werkstoffkombinationen von diesem Parameter abhängig sind. Als minimale vertikale Auflast wurde die minimale Designlast der Auflagerkräfte in Höhe von 831 kN angesetzt. Dadurch ergibt sich in der Gleitebene eine Druckspannung von 7,7 N/ mm 2 . Das zweite Lastniveau ergab sich aus der maximalen Kapazität des Versuchsstandes und wurde zu 2.800 kN ( ≙ 26 N/ mm 2 ) festgelegt. Eine Zusammenstellung der wichtigsten Versuchsparameter zeigt Tabelle 2. Anhand der ermittelten Daten können die Haftreibungs- und Gleitreibungskoeffizienten unter Berücksichtigung des Einflusses der Reibung aus dem Gegenlager wie folgt bestimmt werden: Abbildung 15 fasst die Ergebnisse der Reibungskoeffizienten in Abhängigkeit der Versuchsparameter zusammen. Tabelle 2 Versuchsparameter der Gleitreibungs-prüfungen Abbildung 5 Reibungskoeffizienten nach DIN EN 1337-2 Eine Schädigung einzelner Bauteile der Lager war während und nach der Versuchsdurchführung nicht zu beobachten. Die Reinigung der verwendeten PTFE-Platten hat ergeben, das lediglich in den Schmiertaschen der Randbereiche leichte Abnutzungserscheinungen zu beobachten waren. 688 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Austausch von 2000 Lagern - Untersuchungen an Elastomerlagern nach 45 Jahren Einsatzzeit 1.5 Auftrennen der Lager Nach Durchführung der mechanischen Prüfungen sind einzelne Lager beider Typen mittels Wasserstrahlschnitt aufgetrennt worden, um den Schichtaufbau sowie die vorhandenen Schichtdicken zu ermitteln. Diese geometrischen Größen waren zur Ermittlung der in den Abschnitten 1.1 und 1.2 dargestellten mechanischen Kennwerte (Drucksekantenmodule, Schermodule) notwendig. Weiterhin ergab sich durch diese Vorgehensweise die Möglichkeit zur Entnahme und Untersuchung von Materialproben aus dem Inneren der Lager (s. Abschnitt 1.4). Abbildung 6 zeigt beispielhaft ein Bild eines aufgetrennten Probekörpers vom Typ 3. Eine augenscheinliche Schädigung im Inneren der Lager war nicht feststellbar. Die Überdeckung der Stahlbleche sowie der Verbund zwischen Stahlblechen und Elastomerschichten waren bei den untersuchten Probekörpern ohne Beanstandung. Abbildung 6 Aufgetrenntes Lager vom Typ 3 (Randbereich) 1.6 Thermogravimetrische Analyse Mit Hilfe der Thermogravimetrischen Analyse (TGA) kann auf die Zusammensetzung einzelner Gruppen von Bestandteilen im Elastomer geschlossen werden. Um eine Aussage darüber treffen zu können, ob es Veränderungen in der Materialzusammensetzung gegeben hat, die auf den Einfluss der Alterung zurückzuführen sind, wurden an einem repräsentativen Lager vom Typ 3 Elastomerproben aus dem Inneren und aus der Deckschicht entnommen. Während das Elastomer im Lagerinneren geschützt ist, ist die Deckschicht über die Dauer des Einsatzes im Brückenbauwerk Umwelteinflüssen ausgesetzt gewesen. An den entnommenen Proben wurde eine Thermogravimetrischen Analyse nach ISO 9924-1 und -2 [4] durchgeführt. Unter Zugabe von Spülgasen und Sauerstoff wurden die Proben erhitzt und die dadurch eintretenden Masseänderungen bestimmt. Tabelle 3 zeigt eine Zusammenfassung der festgestellten Massenanteile. Die Abweichungen zwischen Innen- und Deckschicht sind innerhalb der einzelnen Gruppen sehr gering. Leicht flüchtige Stoffe im Elastomer, wie Weichmacher und Beschleuniger, fallen in die Gruppe der pyrolisierbaren Bestandteile. Anhand der entnommenen Proben am Lager sind auch hier die Massenanteile mit 51,0 % (Deckschicht) und 53,4 % (Innenschicht) vergleichbar und geben somit keinen Hinweis auf eine signifikante Änderung in der Materialzusammensetzung infolge Alterung. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, das jeweils nur eine Probe aus einem einzigen Lager untersucht wurde. Dieses befand sich jedoch an einem Randträger mit maximaler Exposition. Für eine allgemeingültige Aussage wäre eine deutlich höhere Anzahl an Untersuchungen an unterschiedlichen, über die Gesamtlänge des Bauwerkes verteilten Lagern wünschenswert. Tabelle 3 Massenanteile der durch die TGA festgestellten Bestandteile 1.7 Bestimmung von Shore-Härten Die Shore-Härte ist eine Kennzahl, die über die Eindringtiefe eines Eindringkörpers (federbelasteter Stift) in das Elastomermaterial ermittelt wird und somit ein Maß für die Werkstoffhärte ist. Mit einem manuellen Härteprüfer sind an den Oberflächen der ausgebauten Brückenlager Shore-Härten (Shore A) ermittelt worden. Für die umlaufenden Deckschichten wurden dabei Werte zwischen 66 und 75 Shore A an beiden Lagertypen gemessen. Bei den Lagern vom Typ 3 sind nach Entfernung der Riffelbleche zusätzlich Messungen an den Grundflächen (Kontaktflächen) der Lager durchgeführt worden. Diese Flächen waren durch die Riffelbleche geschützt und optisch in einem deutlich besseren Zustand als die Mantelflächen. Die Shore-Härten lagen bei diesen Flächen zwischen 60 und 65 Shore A. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass eine Verhärtung des Materials an den Mantelflächen, die unter Umwelteinflüssen gestanden haben, stattgefunden hat. Durch das geringe Verhältnis zwischen Mantelfläche und Volumen der Lager von 0,01 1/ mm (Formfaktor S = 12,17) ist davon auszugehen, dass die Verhärtungen nur kleine Bereiche der Lager betreffen. Da das Verfahren zur Bestimmung der Shore-Härte nicht unter Laborbedingungen unter Einhaltung der erforderlichen Rahmenbedingungen nach DIN ISO 7619-1 [5] angewendet werden konnte (Einsatz eines Messständers; 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 689 Austausch von 2000 Lagern - Untersuchungen an Elastomerlagern nach 45 Jahren Einsatzzeit Oberfläche, Ebenheit, Dicke der Probekörper) sollten die ermittelten Ergebnisse nicht als Absolutwerte verwendet werden. Sie sind aber gut geeignet, innerhalb der untersuchten Stichprobe Tendenzen festzustellen. 1.8 Zusammenfassung der experimentellen Untersuchungen Die Untersuchungen umfassten die Ermittlung von mechanischen Kennwerten in unterschiedlichen Belastungssituationen sowie Materialparametern des Werkstoffes Elastomer. Folgende Kernaussagen konnten für die untersuchten Lager getroffen werden: • In zentrischen Druckversuchen konnten die maximalen rechnerischen Designdruckspannungen von den Lagern aufgenommen werden. Das Spannungs-Dehnungsverhalten ist dabei immer progressiv gewesen (kein Abfall der Druckspannungen). Die Streuung der Drucksekantenmodule ist gering. An zwei Lagern vom Typ 1 sind bei maximaler Druckspannung oberflächennahe Risse in Höhe der Elastomerschichten aufgetreten, die jedoch keinen Einfluss auf das Spannungs-Dehnungsverhalten der Lager hatten. Eine ausreichende Überdeckung der Bewehrungsbleche war weiterhin vorhanden. • Die nach EN 1337-3 [3] an den Lagern Typ 3 ermittelten Schermodule liegen im Bereich neuwertiger bewehrter Elastomerlager (G min = 0,86 MPa, G max = 0,95 MPa, G neu = 0,90 MPa). • Die in Anlehnung an DIN EN 1337-2 [2] untersuchten Gleitteile sind vollständig funktionsfähig. Die Änderung der Gleitreibungskoeffizienten in Abhängigkeit von der Druckspannung und der Verformungsgeschwindigkeit ist plausibel. An einer gereinigten PTFE-Platte waren nur geringe Abnutzungserscheinungen in den Randbereichen feststellbar. • Die anhand einer TGA-Analyse ermittelten Massenanteile von 2 Elastomerproben, die aus dem Inneren eines Lagers und aus deren Mantelfläche entnommen wurden, sind vergleichbar und geben somit keinen Hinweis auf eine signifikante Änderung in der Materialzusammensetzung infolge Alterung. • Die an den Mantelflächen der Lager ermittelten Shore-Härten (Shore A) fallen höher aus, als die an den Kontaktflächen ermittelten Werte, die durch Riffelbleche geschützt waren, was auf eine Alterung infolge Umwelteinflüssen zurückzuführen sein könnte. Die verhärteten Bereiche sind jedoch klein im Vergleich zum Gesamtvolumen der Lager (< 10 %). • Der äußerliche Erhaltungszustand der untersuchten Lager war abgesehen von Verschmutzungen ohne Beanstandung. Zusammenfassend kann anhand der untersuchten Elastomerlager kein Einfluss infolge Alterung festgestellt werden, der die Funktion dieser Bauteile signifikant beeinträchtigen könnte und somit gegen eine weitere Nutzung spricht. 2. Lageraustauschkonzept Unter Berücksichtigung der in Abschnitt 1 dargestellten Erkenntnissen ist im Anschluss an die Pilotmaßnahme ein mehrstufiges Lageraustauschkonzept entwickelt worden, das sowohl den Erhaltungszustand der vorhandenen Lager, als auch veränderte Lastverteilungen und Erfordernisse aus dem Bauablauf berücksichtigt. 2.1 Lagersonderprüfung nach DIN 1076 Um eine erste Bewertungsgrundlage zu schaffen, sind sämtliche Lager des Brückenbauwerkes K20 im Rahmen einer Lagersonderprüfung nach DIN 1076 [6] abschnittsweise untersucht worden. In Abhängigkeit vom Lagertyp wurden dabei insbesondere Schädigungen untersucht, die im Zusammenhang mit einem fortgeschrittenem Alterungsprozeß oder einer Be-einträchtigung der Funktionweise stehen. Weiterhin wurde eine umfangreiche Fotodokumentation erstellt, die es erlaubte, den größten Teil der Lager umlaufend darzustellen. Die Schadensauswertung erfolgte im Nachgang nach RI- EBW-PRÜF [7] in den Kategorien Standsicherheit (S), Verkehrssicherheit (V) und Dauerhaftigkeit (D). 2.2 Prüfung durch den Lagergutachter Die in Abschnitt 2.1 ermittelten Daten stellten die Grundlage für eine nachgelagerte Beurteilung durch den Lagergutachter dar. Hierbei wurden über den gesamten Untersuchungsumfang 22 verschiedene Auffälligkeiten festgestellt. Diese sind entsprechend ihrer Auswirkungen auf die Funktion der Lager bzw. auf deren Dauerhaftigkeit kategorisiert worden, wobei auch mögliche Instandsetzungsmaßnahmen in die Beurteilung mit eingeflossen sind. Die Beurteilung jedes Lagers resultierte in einem Vorschlag zur weiteren Verwendung des Bauteils (Verbleib im Bauwerk, Austausch des Lagers, erforderliche Instandsetzungsmaßnahme, weitere Nutzung unter der Voraussetzung regelmäßiger Kontrolle). Beispielhaft sei der “Schadenstyp 1” genannt, bei dem sich Mörtelreste entlang der Seiten der Elastomerlager befinden (Abbildung 7). 690 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Austausch von 2000 Lagern - Untersuchungen an Elastomerlagern nach 45 Jahren Einsatzzeit Abbildung 7 Schadenstyp 1 Die horizontale Verformbarkeit dieser Lager ist eingeschränkt. Es besteht weiterhin die Gefahr, dass der Elastomerwerkstoff durch Kontakt bei horizontaler Verformung beschädigt wird. Das dargestellte Problem läßt sich jedoch durch Abstemmen der Mörtelreste beheben, sodass das Lager im Bauwerk verbleiben kann, wenn es ansonsten unbeschädigt und intakt ist. Geringe Gleitspalthöhen bei Gleitlagern, tiefe Risse im Elastomer oder stark korrodierte Führungsleisten bei einachsig verschiebbaren Lagern führten jedoch zu einem vollständigen Austausch der betroffenen Lager. 2.3 Statische Nachrechnung Mit der geplanten Verbreiterung der K20 gehen eine Ergänzung des statischen Systems und eine Änderung der Auflagerkräfte für bestimmte Bereiche einher. Zudem wird die Verteilung der Horizontalkräfte auch durch neu einzubauende Lager mit unterschiedlichen Geometrien und Steifigkeiten verändert. Im Rahmen einer statischen Bewertung wurde überprüft, ob ein zusätzlicher Austausch intakter Lager aufgrund von Lasterhöhungen erforderlich war. 2.4 Anforderungen aus dem Bauablauf In großen Bereichen des Bauwerkes sind gleichartige Lagerungssysteme zur Anwendung gekommen. Hier sind zum Einen die in den Durchlaufträgersystemen mittig angeordneten “K-Achsen” zu nennen, in denen frei bewegliche sowie geführte rechteckige Elastomerlager ohne Gleitteil angeordnet wurden (s. Abbildung 1) . In den Endfeldern unterhalb der Übergangskonstruktionen (“Ü-Achsen”) wurden aufgrund der größeren horizontalen Verschiebungen runde Elastomerlager mit Gleitteil verwendet (s. Abbildung 2). Beim Austausch eines einelnen Lagers innerhalb einer K- Achse und dem damit verbundenen Anhub der gesamten Achse wäre ein unplanmäßiges Ablösen einzelner Lagerbauteile erfolgt. Dadurch hätte nicht sichergestellt werden können, dass sich die nicht auszutauschenden Lager nach dem Absetzvorgang wieder in ihrer ursprünglichen Position befinden. Weiterhin wäre durch den Anhub der Haftverbund zwischen der oberen Lagerplatte und dem Mörtelbett oder zwischen oberer Lagerplatte und dem Elastomerpad überwunden worden, womit eine spätere Übertragung von Verformungen in horizontaler Richtung nicht mehr sichergestellt gewesen wäre. Aus diesem Grund führte der Austausch eines einzelnen Lagers innerhalb einer K-Achse immer zu einem Austausch aller Lager der betroffenen Achse. Anders stellte sich die Situation an den Ü-Achsen dar. Durch die verwendeten Gleitteile oberhalb der Elastomerlager führte der Anhub der gesamten Achse zu einem planmäßigen Ablösen der Gleitplatte vom Gleitmaterial aus PTFE. Durch das vorherige und begleitende Einmessen der Lager wurde sichergestellt, dass sich die Lager nach dem Absetzen der Brückenachse wieder in der ursprünglichen Position befinden. Um die im Rahmen eines Anhubs nicht auszutauschenden Gleitlager in ihrer Position zu sichern, wurde eine Krallenkonstruktion entwickelt, die den oberen Gleitteil des Lagers gegen zugehörigen Längsträger verspannt hat. Somit konnten die Lager, bei denen ein Austausch aufgrund der in Abschnitt 2.1 bis 2.3 beschriebenen Gründen nicht erforderlich war, für die weitere Nutzung im Bauwerk verbleiben. Abbildung 8 Lagerwechsel, Achse 30 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 691 Austausch von 2000 Lagern - Untersuchungen an Elastomerlagern nach 45 Jahren Einsatzzeit Abbildung 9 Hydraulische Presse und Krallenkonstruktion Abbildung 10 Demontage eines Lagers 3. Fazit Im Rahmen von experimentellen Voruntersuchungen an Bestandslagern mit 45 Jahren Einsatzdauer konnte die grundsätzliche Eignung für eine weitere Nutzung der Bauteile festgestellt werden. Mit Hilfe der dargestellten mehrstufigen Analyse wurden anschließend die Brückenlager identifiziert, die unter dem Aspekt einer Restnutzungsdauer bis in das Jahr 2045 auszutauschen sind. Weiterhin wurden über eine statische Nachrechnung und Anforderungen, die sich aus dem Bauablauf ergaben, weitere Lager für einen Austausch ermittelt. Insgesamt ergab sich dadurch eine Gesamtanzahl von 483 auszutauschenden Lagern. Gegenüber dem ursprünglich vorgesehenen Wechsel von allen 2020 Brückenlagern ergab sich durch die beschriebene Vorgehensweise eine Einsparung in Höhe von mehr als 10 Mio € sowie eine deutliche Reduzierung der Bauzeit. Quellen: [1] Ingenieurbüro Grassl GmbH, H17555, Sonderprüfung der Lager nach DIN 1076, Gesamtbericht vom 27.06.2019 [2] DIN EN 1337-2, Lager im Bauwesen - Teil 2: Gleitteile, Juli 2004 [3] DIN EN 1337-3, Lager im Bauwesen - Teil 3: Elastomerlager, Juli 2005 [4] ISO 9924, Kautschuk und Kautschukerzeugnisse - Bestimmung von Vulkanisaten und unvulkanisierten Mischungen durch Thermogravimetrie [5] DIN ISO 7619-1, Elastomere oder thermoplastische Elastomere - Bestimmung der Eindringhärte - Teil 1: Durometer-Verfahren (Shore-Härte), Februar 2012 [6] DIN 1076, Ingenieurbauten im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung, November 1999 [7] RI-EBW-PRÜF, Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfung nach DIN 1076, Ausgabe 2013 [8] fobatec GmbH, Gutachten zu experimentellen Untersuchungen an Elastomerlagern aus dem Bauwerk K20 in Hamburg, 17.05.2018 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 693 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) Dr.-Ing. Andreas Schmitt BBV Systems GmbH, Bobenheim-Roxheim, Deutschland Dipl.-Ing. Michael Buschlinger BBV Systems GmbH, Bobenheim-Roxheim, Deutschland Zusammenfassung Das BBV 1030 Stabspannverfahren wurde für das Vorspannen und die Verstärkung von Stahlbeton- und Verbundkonstruktionen entwickelt. Je nach Randbedingungen kann das Spannverfahren intern mit oder ohne nachträglichen Verbund sowie extern außerhalb des Tragwerks eingesetzt werden. Es kommen Spannstäbe der Stahlgüte St835/ 1030 und der Ermüdungsfestigkeitsklasse 1 zum Einsatz. Zur Verankerung können neben Ankerplatten aus Stahl auch Hybridankerplatten aus hochfestem Mörtel verwendet werden. Die Anwendung des Stabspannverfahrens wird anhand des 8streifigen Ausbaus der Hochstraße Elbmarsch (K20) vorgestellt. Im Rahmen der Baumaßnahme wird der Überbau der Hochstraße durch eine Verbreiterungsmaßnahme von drei auf vier Fahrspuren erweitert. Der Anschluss an das Bestandsbauwerk erfolgt mithilfe einer Spanngliedkopplung in Form einer Sondermuffe an die bestehende Quervorspannung. Zudem sind die Stabspannglieder aufgrund der Geometrie der Fahrbahnplatte gekrümmt. Die Stabspannglieder werden mit nachträglichem Verbund hergestellt und mithilfe von Hybridankerplatten des Typs CAB 32 verankert. 1. Stabspannverfahren im Betonbau 1.1 Entwicklung und aktueller Stand Mit den Anfängen im 19. Jahrhundert und den umfangreichen Untersuchungen, Neu und Weiterentwicklungen im 20. Jahrhundert, ist der Spannbetonbau nach einer mehr als 100jährigen Erfahrung insbesondere im Konstruktiven Ingenieurbau nicht mehr wegzudenken. Den Großteil der eingesetzten Spannverfahren machen interne und externe Litzen- oder Drahtspannverfahren für die Längs- oder Quervorspannung von Bauteilen und Bauwerken aus. Im Vergleich dazu sind Stabspannglieder hinsichtlich der verbauten Menge bzw. Tonnage pro Jahr eher als Produkt für spezielle Sonderanwendungen einzuordnen. Die Produktauswahl der derzeit in Deutschland bauaufsichtlich zugelassenen Stabspannverfahren und Spannstabstähle ist deshalb sehr begrenzt. Ein Grund dafür ist sicher der zeit- und kostenintensiver Zulassungs- und Überwachungsprozess bei gleichzeitig relativ kleinem Markt. Trotzdem bieten Stabspannglieder je nach Anwendungsgebiet gewinnbringende Vorteile und stellen einen wichtigen Bestandteil im Bereich des Spannbetonbaus dar. Grundsätzlich sind Spannstabstähl als Glattstäbe mit Feingewinden an den Stabenden oder mit Gewinderippen über die gesamte Stablänge verfügbar. Gegenüber Litzen und Drähte weisen diese eine niedrigere Streckgrenze und Zugfestigkeit auf. In Deutschland werden derzeit die Nenndurchmesser 26,5 mm, 32 mm, 36 mm und 40 mm und die beiden Stahlgüten St 835/ 1030 und St 950/ 1050 eingesetzt. Die Festigkeiten werden im Herstellungsprozess durch Warmwalzen, anschließendes Kaltrecken und optionales Anlassen erreicht. Warmgewalzte Spannstabstähle weisen eine ausgedehnte Streckgrenze mit anschließendem Plateau und Verfestigung auf. Die Spannstäbe können im Spannsystem intern mit Verbund, intern ohne Verbund sowie extern außerhalb des Tragwerks eingesetzt werden. 1.2 Vor- und Nachteile Ein bedeutender Vorteil von Stabspanngliedern ist ein hoher Vorfertigungsgrads, der durch eine werkseitige Montage erreicht werden kann. Durch den Einsatz von Fertigspanngliedern kann individuell auf die vorliegen- 694 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) den Randbedingungen eingegangen werden und bei Bedarf ein schneller Baufortschritt realisiert werden. Ein weiterer Vorteil sind die sehr geringen Schlupfwerte des Feingewindes beim Absetzen der Pressenkraft auf die Verankerung. Bei kleinen Spanngliedlängen von wenigen Metern (z. B. bei Schubverstärkungen oder Querspanngliedern) müssen bei Stabspanngliedern nur geringe Spannkraftverluste im Vergleich zum Keilschlupf bei Litzenspannverfahren berücksichtigt werden. Insbesondere wenn der zulässige Schlupf in der Verankerung nur sehr gering ausfallen darf, sind Glattstäbe mit Feingewinden den ebenfalls am Markt verfügbaren Stäben mit Gewinderippen vorzuziehen. Bei tiefen Öffnungen oder Kernbohrungen überzeugen Stabspannglieder auch durch Ihre Steifigkeit, da eine Durchführung oder Verlegung im Vergleich zu einem weichen Litzenbündel deutlich erleichtert wird. Darüber hinaus finden der Spannvorgang und die Übertragung der Spannkraft auf die Verankerung bei Stabspanngliedern mit einer einfach zu bedienenden Pressentechnik statt. Stabspannglieder sind in der Regel nur für Spanngliedlängen von einigen Metern wirtschaftlich, da die maximale Lieferlänge von Spannstäben meist auf 12 m begrenzt ist. Bei Längen darüber hinaus müssen die Stäbe mit Muffen gekoppelt werden. Dies ist mit einem erhöhten Aufwand verbunden und führt außerdem zu einem erschwerten Transport und Handling der Stabspannglieder. Im Vergleich zu Litzen oder Drähten, welche abgewickelt von Coils individuell in ihrer Länge bis mehrere hundert Meter angepasst werden können, stellt dies einen Nachteil dar. Der größte in Deutschland bauaufsichtlich zugelassene Spannstabdurchmesser beträgt 40 mm. Die maximale Vorspannkraft eines Stabspannglieds ist dadurch auf ca. 1000 kN begrenzt. Die Anwendung von größeren Stabdurchmessern 47 mm, 50 mm, 63 mm oder 75 mm ist lediglich in europäischen ETAs geregelt oder muss mit einer Zustimmung im Einzelfall erteilt werden. Gleiches gilt für Spannstäbe aus Edelstahl. Aufgrund der hohen Steifigkeit von Spannstäben ist in vielen Fällen nur eine gerade Spanngliedführung sinnvoll. Die Krümmung von Spanngliedern im plastischen Bereich des Stahls ist zwar möglich, muss jedoch bereits vor dem Einbau mit geeigneten Geräten durch Kaltverformung hergestellt werden. 1.3 Anwendungsgebiete Die Anwendungsgebiete von Stabspanngliedern können in drei Bereiche untergliedert werden: - Instandsetzungs- und Verstärkungsmaßnahmen - Neubaumaßnahmen - Temporäre Baubehelfe und Verbindungstechnik Die in Kapitel 1.2 beschriebenen Vorteile verdeutlichen, dass sich der Einsatz von Stabspanngliedern insbesondere bei Instandsetzungs- und Verstärkungsmaßnahmen anbietet. Dazu gehören beispielsweise nachträgliche Schubverstärkungen (siehe Abb. 1) oder Quervorspannungen von Brückenüberbauten (siehe Abb. 2). Ein weiteres Einsatzgebiet ist die Quervorspannung von Ankerblöcken oder Umlenkkonsolen zur Verankerung oder Umlenkung von externen Längsspanngliedern. Außerdem werden Stabspannglieder häufig bei Kopf- und Fußverstärkungen an Betonstützen und -pfeilern eingesetzt. Im Neubau finden Spannstäbe oft Anwendung als Längsvorspannung von Segmentbrücken (siehe Abb. 3). Mit werksgefertigten Fertigspanngliedern können solche Segmentbauwerke in kurzer Zeit, z. B. im Rahmen von Sperrpausen, in die richtige Position versetzt und vorgespannt werden. Außerdem bieten sich Stabspannglieder für den Neubau oder die Verbreiterung von Brückenüberbauten an (siehe Kapitel 2). Abb. 1: Schubverstärkung Peter-Bruckmann-Brücke in Heilbronn; Ansicht Spannanker nach dem Verpressen 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 695 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) Abb. 2: Quervorspannung Carl-Francke-Straße in Bremen; Spannanker (links) und Spanngliedführung im Hohlkasten (rechts) Abb. 3: Längsvorspannung einer Segmentbrücke in Stambach; Zustand nach dem Ausrichten und Vorspannen der Stabspannglieder Neben dem Einsatz bei Instandsetzungs-, Verstärkungs- oder Neubaumaßnahmen werden Spannstäbe auch als temporäre Baubehelfe oder in der Verbindungstechnik eingesetzt. Beispiele sind der Einsatz zum Bau von temporären Absicherungs- und Rückhaltemaßnahmen oder die Nutzung als Rückverankerung des Vorschubschnabels beim Taktschiebeverfahren. 1.4 Normative Grundlagen und Richtlinien zu Spannsystemen und Spannstählen im Brückenbau Bemessungsgrundlage Eurocode 2 Grundsätzlich ist in Europa die Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton und Spannbetontragwerken in der DIN EN 199211 für den Hochbau [1] bzw. in der DIN EN 19922 für Betonbrücken [2] geregelt. Diese beinhalten die Festlegung von Vorspannkräften, die Berechnung von sofortigen und zeitabhängigen Spannkraftverlusten, Regelungen zum Grenzzustand der Tragfähigkeit, zu den Grenzzuständen der Gebrauchstauglichkeit und zur Ermüdung sowie allgemeine Bewehrungsregeln. Länderspezifi sche Sonder- oder Nachregelungen für Deutschland werden seit April 2013 in den zugehörigen Nationalen Anhängen DIN EN 199211/ NA [3] bzw. DIN EN 19922/ NA [4] erfasst. Im Gegensatz zu den europäische Dokumenten wird in den Nationalen Anhängen auch Bezug auf Europäisch Technische Bewertungen (European Technical Assessment = ETA) und nationale allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen (abZ) genommen, welche für den Einsatz von Spannverfahren und Spannstählen stets benötigt werden. Zulassung des Spannverfahrens Für die Verwendung von Spannverfahren ist in Deutschland zwingend eine Zulassung (abZ oder ETA mit nationaler Ergänzung) erforderlich. Die Grundlage für die Zulassung von Spannverfahren ist die ETAG 013 [5] (Leitlinie für die Europäische Technische Zulassung: Vorspannung von Tragwerken) bzw. seit 2016 das EAD 160004000301 [6] (European Assessment Document: Posttensioning kits for prestressing of structures). In den beiden Dokumenten ist festgelegt, welche theoretischen und experimentellen Untersuchungen erforderlich sind, damit eine Zulassung erteilt werden darf. In den Zulassungen von Spannverfahren werden alle relevanten Angaben für die Planung, Bemessung und Ausführung gemacht. Hierzu gehören die Spezifi kation des Spannstahls (Form (Litze, Draht oder Stab), Stahlgüte, Durchmesser bzw. Querschnittsfl ächen, Oberfl ächenbeschaffenheit) und die Angabe der zulässigen Vorspannkräfte. Außerdem werden die möglichen Verankerungsvarianten zusammen mit den zugehörigen Achs- und Randabständen sowie der erforderlichen Zusatzbewehrung und Betondruckfestigkeiten detailliert dargestellt. Die Zulassungen beinhalten auch Hinweise zum Einbau und zur Ausführung auf der Baustelle. Ein weiterer 696 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) wichtiger Punkt ist die Beschreibung der Ausführungsvarianten (mit nachträglichem Verbund, ohne Verbund, extern) und der zugehörigen Korrosionsschutzsysteme. Die unterschiedlichen Ausführungsvarianten werden üblicherweise in getrennten Zulassungen und nicht im gleichen Dokument erfasst. Zulassung des Spannstahls Die Regelung des Spannstahls selbst ist nicht Bestandteil der System bzw. Verfahrenszulassung. In den europäischen Teilen des Eurocodes 2 bzw. in für Spannverfahren erteilten ETAs wird bei der Beschreibung des Spannstahls stets auf die EN 10138 [7] verwiesen. Diese befindet sich jedoch in einer Entwurfsfassung (prEN) und wurde noch nicht in das Verzeichnis harmonisierter Normen aufgenommen. In Deutschland gelten die Regelungen der EN 10138 jedoch nicht. Es wird für den Spannstahl eine separate allgemeine bauaufsichtliche Zulassung benötigt. Diese beinhaltet unter anderem Angaben zum Herstellverfahren, zu Nennquerschnitten bzw. Nenndurchmessern, zur Stahlgüte, zu den mechanischen Eigenschaften (Festigkeit, Duktilität, Elastizitätsmodul, Ermüdung, Relaxation) und zur chemischen Zusammensetzung. In Deutschland zugelassene Nenndurchmesser sind 26,5 mm, 32 mm, 36 mm und 40 mm mit den Stahlgüten St 835/ 1030 oder St 950/ 1050. Ein Spannverfahren darf dementsprechend in Deutschland immer nur in Kombination mit einer separaten Zulassung für den Spannstahl angewendet werden (siehe Abb. 8). Allgemeines Rundschreiben Straßenbau (ARS) Nr. 22/ 2012 Die Abteilung Bundesfernstraßen des BMVIs ist für den Erhalt des Straßennetzes im Verantwortungsbereich des Bundes (Bundesautobahnen und Bundesstraßen) zuständig und berichtet den Obersten Straßenbaubehörden der Länder über Änderungen oder Anpassungen der technischen Baubestimmungen. Die Umstellung von DIN 10451 und DIN FB 102 auf die neuen technischen Regelwerke DIN EN 199211 und DIN EN 19922 als neue Bemessungsgrundlage wurde am 26.11.2012 offiziell durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Intrastruktur BMVI (damals: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung BMVBS) veröffentlicht. Gemäß Allgemeinem Rundschreiben Straßenbau (ARS) Nr. 22/ 2012 [8] wurde der 01.05.2013 als Stichtag definiert, ab welchem die Eurocodes bei Entwurf und Planung von Brückenneubauten zugrunde gelegt werden müssen. Darüber hinaus wurden weitere Hinweise und Nachregelungen zur Anwendung des Eurocodes 2, Teil 2 „Betonbrücken“ gegeben, welche zu beachten und in Ausschreibungsunterlagen aufzunehmen sind. Eine für Spannverfahren und Spannstähle wichtige Nachforderung gemäß ARS Nr. 22/ 2012 ist: Es dürfen nur Spannstähle verwendet werden, die der Klasse 1 nach E DIN EN 19922/ NA, Tabelle 6.4DE „Parameter der Ermüdungsfestigkeitskurven (Wöhlerlinien) für Spannstahl“ entsprechen. Die Werte für Klasse 1 sind durch eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung für den Spannstahl nachzuweisen. Diese Nachforderung wurde nach der Bekanntmachung für Litzen und Drähten zeitnah umgesetzt. Bei Spannstäben wird in öffentlichen Ausschreibungsunterlagen zwar oft der Hinweis auf Berücksichtigung des ARS Nr. 12/ 2020 und der Klasse 1 als Nachregelung bzw. Ergänzung zur ZTV ING gegeben, bei der Bauausführung findet die Klasse 1 derzeit jedoch nur selten eine Anwendung, da die damit verbundenen Hintergründe und Erfordernisse bei den Projektbeteiligten oft nicht klar ist. Neben den vorhandenen Wissenslücken verstärken die nur begrenzt verfügbaren Produkte am Markt noch zusätzlich, dass bei Stabspannverfahren häufig die Klasse 1 nicht eingesetzt wird. ZTV-ING (Bundesanstalt für Straßenwesen) Weitere Regelungen für den Einsatz von Spannstählen in Ingenieurbauten werden in der von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) veröffentlichten ZTVING (Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten, [9]) gegeben. Relevant für den Betonbrückenbau ist v. a. der Teil 3 (Massivbau) der ZTVING. Im Abschnitt 2 (Bauausführung) wird darauf hingewiesen, dass eingesetzte Spannstähle den Anforderungen der DIN EN 19922 genügen müssen und über eine beim Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) gelistete, allgemeine bauaufsichtliche Zulassung verfügen müssen. Hinsichtlich der Ausführung auf der Baustelle ist der Einbau von Spannstählen mit leichtem Flugrost zulässig, solange keine erkennbaren Korrosionsnarben auf der Stahloberfläche vorhanden sind. Abschnitt 7 der ZTVING beschäftigt sich mit der Verstärkung von Betonbauteilen. Die Regelungen sind beispielsweise bei Stabspanngliedern für eine nachträgliche Schubverstärkung oder bei der Quervorspannung von Ankerblöcken für eine nachträgliche externe Längsvorspannung einzuhalten. Auch an dieser Stelle wird auf die Verwendung von Spannverfahren mit allgemeiner bauaufsichtlicher Zulassung oder mit Europäischer Technischer Bewertung (ETA) in Verbindung mit einer allgemeinen Bauartgenehmigung hingewiesen. Zudem müssen bei Verstärkungsmaßnahmen mit Stabspanngliedern immer Glattstäbe mit Feingewinde eingesetzt werden. Spannstäbe mit Gewinderippen sind nicht zulässig. Hintergründe sind die deutlich geringeren Schlupfwerte sowie ein grundsätzlich höherer Widerstand von Glattstäben gegen Ermüdung und Korrosion. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 697 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) 1.5 Ermüdungsfestigkeit von Spannstahl Die Ermüdungsfestigkeit von Spannstählen ist eine wesentliche Eigenschaft und ein sensibles Thema im Spannbetonbrückenbau. Ausgelöst durch eine mangelhafte Ausführung während den Anfängen des Spannbetonbaus in den 50er Jahren und durch den Einsatz von noch ungeeigneten Materialien entstand bei vielen Spannbetonbrücken die sogenannte Koppelfugenproblematik. Durch die Entstehung von ausgeprägten Rissen im Bereich von Koppelfugen und die daraus resultierenden, höheren Beanspruchungen der Spannglieder bzw. des Spannstahls traten häufi g Ermüdungsbrüche des Spannstahls auf. Die Koppelfugenproblematik wurde in der Vergangenheit intensiv untersucht [10]. Aus den Forschungsergebnissen wurden u. a. konstruktive Maßnahmen abgeleitet, z. B. eine erhöhte Mindestbewehrung oder die Beschränkung der Kopplung von max. 70% der Spannglieder in der gleichen Achse, welche sich in den aktuellen Regelwerken niederschlagen. Grundsätzlich weisen Spannstähle im Vergleich zu schlaffen Stählen eine deutlich höhere Kerbempfi ndlichkeit auf. Deshalb sind vor allem beim Einbau und während des Betriebs mechanische Veränderungen der Spannstahloberfl äche zu vermeiden, um die Lebensdauer nicht negativ zu beeinfl ussen. Insbesondere bei chloridinduzierter Lochfraßkorrosion oder wasserstoffi nduzierter Spannungsrisskorrosion wird die Ermüdungsfestigkeit von Spannstahl erheblich reduziert. Glatte Spannstähle verhalten sich hierbei günstiger als profi lierte Litzen und Drähte oder Stäbe mit Gewinderippen [10]. Kalt aufgerollte Gewinde erhöhen im Vergleich zu eingeschnittenen Gewinden die Ermüdungsfestigkeit des Spannstahls deutlich [11]. Zur Erwirkung einer allgemein bauaufsichtlichen Zulassung von Spannstabstahl werden nach DIN EN ISO 156303 [12] neben Zug-, Biege-, Relaxations- und Korrosionsversuchen auch Dauerschwingversuche durchgeführt, um die Ermüdungsfestigkeitsklasse zu ermitteln. Die Dauerschwingversuche werden an unterschiedlichen Stabdurchmessern und Stahlschmelzen durchgeführt. Die Proben werden im Versuch mit einer Oberspannung σ up von 70 % der tatsächlich vorhandenen Zugfestigkeit R m,Ist des Stahls durchgeführt. Bei einem Spannstahl der Güte St 835/ 1030 und einer Zugfestigkeit R m,Ist von beispielsweise 1043 N/ mm² beträgt die Oberspannung 730 N/ mm² (siehe Abb. 4). Die Unterspannung σ lo wird variabel festgelegt (hier exemplarisch 510 N/ mm²). Aus Ober- und Unterspannung ergibt sich im Beispiel eine sogenannte Spannungsschwingbreite ∆σ von 220 N/ mm². Die Probe wird mit dieser festgelegten Spannungsschwingbreite und einer Frequenz f (bei Stäben mit maximal 120 Hz) so lange zyklisch belastet, bis diese bricht und der Versuch beendet ist. Abb. 4: Exemplarisches Lastwechsel-Diagramm für St 835/ 1030 in Anlehnung an [12] Für die Planung der Versuche wird entsprechend Eurocode 2 ein bilinearer Wöhlerlinienverlauf zugrunde gelegt, der in die Bereiche unterhalb und oberhalb der Lastspielzahl N* von 10 6 Lastwechsel unterteilt wird (siehe Abb. 5). Die Schwingbreiten ∆σ im Versuch werden je nach Erfahrungswerten für den untersuchten Spannstahl so festgelegt, dass die Spannstahlbrüche gleichmäßig über die beiden Bereiche k 1 und k 2 der Wöhlerlinie auftreten und in Summe zwischen 0 und 10 Mio. Lastwechselzyklen mindestens 24 Versuchsergebnisse bzw. Spannstahlbrüche vorliegen. Die Auswertung der Dauerschwingversuche und die Festlegung der Ermüdungsfestigkeitsklasse gemäß DIN EN 199211/ NA bzw. DIN EN 19922/ NA (Tabelle 6.4DE) erfolgt nach Vorgaben des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt) [13]. Abb. 5: Wöhlerlinienverlauf gemäß [3] und [4] Abb. 6 zeigt, welche Spannungsschwingbreiten in Abhängigkeit der Ausführungsvariante (sofortiger oder nachträglicher Verbund; gerades oder gekrümmtes Spannglied; Kunststoff oder Stahlhüllrohre) nach Eurocode 2 vom Spannstahl ertragen werden müssen. Neben der bereits in DIN 10451 und DIN Fachbericht 102 defi nierten Parameter der Ermüdungsfestigkeitskurven (entspricht heute der Klasse 1) wurde ab 2013 mit Einführung des Eurocode 2 im Nationalen Anhang für Deutschland eine zweite Spannstahlklasse (Klasse 2) mit reduzierter Ermüdungsfestigkeit eingeführt. Der Grund hierfür waren bereits zugelassene Spannstähle, die die Anforderungen der Klasse 1 nicht erfüllt hatten. Die Werte der Klasse 2 können demnach in der Regel bei der Bemessung immer angesetzt werden. Die Werte für Klasse 1 sind jedoch im Rahmen des Zulassungsverfahrens und durch eine all- 698 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) gemeine bauaufsichtliche Zulassung nachzuweisen. Die Angaben der Zulassung des verwendeten Spannstahls sind bei der Erarbeitung der Ausschreibungs- und Ausführungsunterlagen zu beachten und bei der Bauausführung unbedingt zu überprüfen [14]. Abb. 6: Parameter der Ermüdungsfestigkeitskurven (Wöhlerlinien) für Spannstahl in Anlehnung an [4] Abb. 7 zeigt für gerade Stabspannglieder die Anzahl der zu ertragenden Lastwechsel in Abhängigkeit der Spannungsschwingbreite für die beiden Klassen 1 und 2. Abb. 7: Lastwechsel in Abhängigkeit der Spannungsschwingbreite 1.6 BBV Stabspannverfahren und besondere Eigenschaften Die Stabspannverfahren der BBV Systems GmbH Die nachfolgende Abb. 8 gibt eine Übersicht über die von der BBV Systems GmbH eingesetzten Stabspannverfahren und Spannstabstählen. Die beiden Europäisch Technischen Bewertungen ETA07/ 0046 [15] und ETA16/ 0286 [16] setzen zwar den gleichen Spannstahl und das gleiche Korrosionsschutzsystem ein, regeln jedoch unterschiedliche Verankerungsvarianten. ETA07/ 0046 nutzt kompakte Ankerplatten aus Stahl, welche eine Zusatz und Wendelbewehrung benötigen und häufi g bei Neubaumaßnahmen eingesetzt werden. Die Verankerungsvarianten aus ETA16/ 0286, eine Stahlankerplatte mit Gewindebohrung sowie eine Hybridankerplatte aus faserverstärktem, ultrahochfestem Beton, wurden speziell für Instandsetzungs- und Verstärkungsmaßnahmen entwickelt. Abb. 8: Übersicht der Stabspannverfahren und Spannstabstähle der BBV Systems GmbH 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 699 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) Wie bereits in Kapitel 1.4 ausführlich beschrieben, darf in Deutschland eine Europäisch Technische Bewertung (ETA) nur in Verbindung mit einer allgemeinen Bauartgenehmigung eingesetzt werden. Diese liegen sowohl für die interne Anwendung mit oder ohne Verbund als auch für die externe Anordnung außerhalb des Betonquerschnitts vor. Außerdem ist die Verwendung von Spannverfahren in Deutschland nur in Kombination mit einem bauaufsichtlich zugelassenen Spannstahl zulässig. Die BBV Systems GmbH nutzt glatte Spannstabstähle mit den Nenndurchmessern 26,5 mm, 32 mm, 36 mm und 40 mm gemäß Z12.4138 [17]. Zur Verankerung der Stäbe werden an den Stabenden kalt aufgerollte Feingewinde hergestellt. Die Stäbe besitzen die Stahlgüte St 835/ 1030 und entsprechen der Klasse 1 (siehe Anforderungen des ARS Nr. 22/ 2012). Entgegen üblicher Verankerungen mir Stahlankerplatte und Mutter gibt es bei den in Abb. 8 aufgeführten Stabspannverfahren einige Besonderheiten, die im Folgenden näher erläutert werden. Stahlankerplatte mit Gewindeloch nach ETA16/ 0286 Bei den Stahlankerplatten mit Gewindeloch nach ETA16/ 0286 wird das Feingewinde des Spannstabs direkt in ein Gewinde in der Ankerplatte eingeschraubt. Es entfällt der zusätzliche Einsatz einer Mutter. Außerdem ist die Position des Stabs gleichzeitig fi xiert, da eine axiale Verschiebung in Relation zur Ankerplatte verhindert wird. Die Stahlankerplatte mit Gewindeloch bietet insbesondere bei der Anwendung als Festanker bei einer nachträglichen Schubverstärkung Vorteile, da sich die Verankerungshöhe und gleichzeitig die benötigte Nischentiefe im Bestand (z. B. Fahrbahnplatte) deutlich reduziert (siehe Abb. 9). Je nach Festlegung der Achs- und Randabstände kann die Verankerung mit oder ohne Zusatzbewehrung ausgeführt werden. Abb. 9: Ankerplatte mit Gewindeloch als Festanker in einer Fahrbahnplatte (links) sowie im 3DModell (rechts) Hybridankerplatten Die Hybridankerplatten nach ETA16/ 0286 bestehen aus faserverstärktem, ultrahochfestem Beton. Die innovativen Hybridankerplatten zeichnen sich durch mehrere Weiterentwicklungen im Vergleich zu üblichen Stahlplatten aus. Es existieren zwei Ausführungsvarianten: - Hybridankerplatte CoP: Applikation auf dem Bauwerk (aufgesetzte Ankerplatte), siehe Abb. 10 - Hybridankerplatte CAB: Integration im Bauwerk (einbetonierte Ankerplatte), siehe Kapitel 2 Die Geometrie bzw. Neigung der aufgesetzten Variante CoP kann je nach Erfordernis fl exibel an die Geometrie von Bestandsbauwerken angepasst werden. Dabei sind Neigungen bis zu einem Winkel von 30° möglich. Diese Eigenschaft kann häufi g bei der Quervorspannung von Brückenüberbauten nützlich sein. Die Hybridankerplatten werden dann projektbezogen mit der richtigen Neigung produziert und können beim Einbau ohne die Herstellung eines aufwändigen, schrägen Mörtelbetts erfolgen (siehe Abb. 10). Die aufgesetzte Hybridankerplatte darf ohne Zusatzbewehrung eingebaut werden. Abb. 10: Verankerung mit einer auf den Bestandsbeton aufgesetzten Hybridankerplatte des Typs CoP Das Gefüge des ultrahochfesten Betons ist sehr dicht und bietet einen dauerhaften Korrosionsschutz. Zusätzliche Korrosionsschutzmaßnahmen, z. B. das Aufbringen einer Beschichtung, sind nicht notwendig. Aufgrund der geringeren Rohdichte von Beton im Vergleich zu Stahl sind Hybridankerplatten deutlich leichter als Stahlplatten. In den Hybridankerplatten ist bereits ein Verpressanschluss integriert. Darüber hinaus bieten sie eine saubere Betonoptik. Winkelausgleich der geraden Ankermutter Bei den Stabspannverfahren der BBV werden aus Wirtschaftlichkeitsgründen bei den Verankerungen, abgesehen von der Ankerplatte mit Gewindeloch, immer gerade Ankermuttern verwendet. Um trotz der geraden 700 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) Ankermutter bauliche Toleranzen ausgleichen zu können, wurden die Verankerungen im Rahmen der Zulassungsversuche immer unter Einsatz von Keilplatten mit einem planmäßigen Winkel geprüft. Da die Funktions- und Tragfähigkeit in den Versuchen nachgewiesen werden konnte, dürfen auch die Spannverfahren nach ETA07/ 0046 und ETA16/ 0286 mit Winkelabweichungen von bis zu 2° ohne Traglastverlust eingesetzt werden. Der planmäßige Ausgleich von größeren Winkeln ist in der Praxis nicht sinnvoll oder zulässig, da selbst beim Einsatz von Kugelbundmuttern die Verdrehung des Stabs durch die Geometrie der Ankerplatte mit oder ohne Stutzen ohnehin auf wenige Grad begrenzt ist (siehe Abb. 11). In diesen Fällen muss mit Keilplatten aus Stahl oder der o. g. Hybridankerplatte gearbeitet werden. Abb. 11: Winkelausgleich bei Stabspannverfahren mit gerader Ankermutter (links) und mit Kugelbundmutter (rechts); ungespannter Zustand Der Ausgleich von unplanmäßigen Toleranzen von bis zu 2° ist deshalb sowohl mit Kugelbundmuttern als auch mit geraden Ankermuttern ohne Probleme möglich. 2. Projektbeispiel: Verbreiterung der Hochstraße Elbmarsch (K20) in Hamburg 2.1 Beschreibung der Neubaumaßnahme Im Rahmen der Neubaumaßnahme fi ndet auf der Hochstraße Elbmarsch (K20) auf der A7 ein 8streifi ger Ausbau statt. Die ursprüngliche Hochstraße mit einer Gesamtlänge von ca. 3,8 km besteht aus zwei baulich getrennten Überbauten mit jeweils drei Richtungsfahrstreifen. Über die Länge des Bauwerks K20 gesehen gliedert sich die Hochstraße Elbmarsch in verschiedene Bereiche. Die beiden Überbauten im Regelbereich bestehen aus längs- und quervorgespannten Einfeldträgern mit einem Plattenbalkenquerschnitt (siehe Abb. 12). Bei der in den Fahrbahnen vorhandenen Quervorspannung handelt es sich um Stabspannglieder. Zur Übertragung von Normalkräften in Längsrichtung und Realisierung einer kontinuierlichen Fahrbahnplatte sind die Einfeldträger über zwei oder drei Felder mit einer Federplattenkonstruktion miteinander verbunden. Abb. 12: Regelquerschnitt des Bestandsbauwerks und der Überbauverbreiterung (Quelle: DEGES GmbH) Im Zuge des Ausbaus von sechs auf insgesamt acht Fahrbahnstreifen werden die beiden Überbauten innenseitig verbreitert (siehe Abb. 12, blauer Bereich). Die Überbauverbreiterung wird aus einem Verbundüberbau in Form eines 3FeldDurchlaufträgers hergestellt. Dieser wird mithilfe von Spanngliedkopplungen an jedes dritte Quer- 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 701 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) spannglied des bestehenden Spannbetonüberbaus angeschlossen. Darüber hinaus werden zusätzliche Verbunddübel und die im Bestand vorhandene Kappenbewehrung verwendet, um einen monolithischen Verbund (verzahnte Fuge) zwischen Neubau und Bestand herzustellen. Die neue Fahrbahnplatte ist im Querschnitt in einem Teilbereich gekrümmt, weshalb auch die im Neubau vorgesehenen Stabspannglieder abschnittweise mit einem Biegeradius von 8,0 m gekrümmt sind (siehe Abb. 13). Abb. 13: Spanngliedkopplung zwischen Bestand und Neubau bei Pilotmaßnahme 2 (Quelle: DEGES GmbH) Die im Bestand vorhandenen Stabspannglieder quer zur Fahrtrichtung mit dem Nenndurchmesser ∅ 26 entsprechen der Zulassung IV B 8 - 9151/ 1 - 17 vom 25. Mai 1972. Sowohl das Stabspannverfahren als auch der Nenndurchmesser 26 mm werden heute nicht mehr verwendet bzw. sind in Deutschland nicht mehr bauaufsichtlich zugelassen. Die Kopplung und Verlängerung des Spannglieds muss deshalb mit einem abweichenden Stabdurchmesser und folglich mit einer speziellen Sondermuffe in Form einer Reduziermuffe hergestellt werden. Die maximale Vorspannkraft der Spannglieder im Neubau ist auf die maximal zulässige Vorspannkraft der vorhandenen Spannglieder zu begrenzen. Grundsätzlich sind die Anforderungen an eine Quervorspannung in Fahrbahnplatten in DIN EN 19922/ NA geregelt. Diese fordert eine interne Vorspannung ohne Verbund, die Verwendung von Kunststoffhüllrohren sowie eine Austauschbarkeit der Spannglieder. Entgegen der Regelungen des DIN EN 19922/ NA werden bei der Verbreiterung der Hochstraße Elbmarsch die angekoppelten Querspannglieder mit nachträglichem Verbund hergestellt, da auch die im Bestand liegenden Stabspannglieder mit Verbund hergestellt wurden. Eine nachträgliche Austauschbarkeit ist deshalb nicht gewährleistet. Da die geplante Standzeit des Bestandsüberbaus inklusiver Verbreiterung voraussichtlich nur ca. 20 Jahre beträgt und im Anschluss im Zuge einer Zweitmaßnahme der Überbau durch einen Neubau ohne Quervorspannung ersetzt wird, konnte auf die Austauschbarkeit verzichtet werden. Aufgrund der begrenzten Nutzungsdauer der Spannglieder wird entgegen der Vorgabe eines Kunststoffhüllrohrs ein Stahlhüllrohr eingesetzt. Außerdem werden die Spannglieder nach dem Spannen verpresst. Zur Erprobung der geplanten Bauweise werden vor Durchführung der Gesamtmaßnahme auf den ca. 3,8 km zuerst zwei Pilotmaßnahmen ausgeführt (siehe Tab. 1). 702 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) Tab. 1: Übersicht über die Pilotmaßnahmen und die Gesamtmaßnahme Pilotmaßnahme 1 (K20) Pilotmaßnahme 2 (K20) Gesamtmaßnahme (K20) Ziel Erprobung der Bauweise Erprobung der Bauweise (im Rahmen des BV „Ersatzneubau Ingenieurbauwerk K30“) Überbauverbreiterung der gesamten Hochstraße Elbmarsch Verbundüberbau Stahl-Hohlkasten mit Halbfertigteil-Fahrbahnplatte und Ortbetonergänzung Stahl-Hohlkasten mit Ortbetonergänzung Stahl-Hohlkasten mit Ortbetonergänzung Länge und Lage des Abschnitts ca. 100 m langes Teilstück, Achse 9 bis 12, eine Richtungsfahrbahn ca. 209 m langes Teilstück, Achse 107 bis 110, beide Richtungsfahrbahnen Gesamtlänge ca. 3,8 km Anzahl der Spannglieder ca. 83 Stück, L ≈ 4,3 m ca. 335 Stück, L ≈ 4,3 m ca. 5400 Stück, L ≈ 4,3 m Gekrümmter Bereich R = 8,0 m, L = 761 mm R = 8,0 m, L = 205 bzw. 881 mm R = 8,0 m, L = variabel Ausführung Spannglieder Mai 2018 bis November 2018 März 2020 bis Juli 2020 ab Ende 2020 2.2 Stabspannverfahren und projektbezogene Besonderheiten Stabspannverfahren und Spannstabstahl (Pilotmaßnahme 1 und 2) Die Kopplung und Verlängerung der bestehenden Querspannglieder fand bei den beiden Pilotmaßnahmen (siehe Tab. 1) mit dem BBV 1030 Stabspannverfahren gemäß ETA16/ 0286 statt. Zur Verankerung der Spannkraft wurden Hybridankerplatten des Typs CAB 32 (siehe Abb. 14 links) eingesetzt. Als Spannstabstahl wird ein Glattstab ∅ 32 der Stahlgüte St 835/ 1030 nach Z12.4138 (zuvor Z12.4-59) mit kaltgerollte Feingewinde an den Stabenden verwendet (siehe Abb. 14 rechts). Hinsichtlich der Ermüdungsfestigkeit wird der Spannstahl der Klasse 1 zugeordnet. Die zulässige Vorspannkraft nach dem Absetzen der Pressenkraft auf die Verankerung P m0(x) für den Nenndurchmesser 32 mm beträgt 571 kN. Die im Bauvorhaben erforderliche Vorspannkraft nach dem Absetzen der Spannpresse auf die Verankerung P mo(x) beträgt mit 301 kN nur knapp über 50 % der maximal zulässigen Kraft des Spannglieds. Abb. 14: Hybridankerplatte CAB 32 (links) und Glattstab ∅ 32 mit Feingewinde (rechts) Die in Kapitel 2.1 beschriebenen, projektbezogenen Randbedingungen erfordern eine ausführliche Betrachtung von zwei Details: - Spanngliedkopplung zwischen bestehendem und neuem Spannglied in Form einer Sondermuffe - Abschnittsweise Krümmung der neuen Spannglieder 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 703 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) Sondermuffe für die Spanngliedkopplung Da die Kopplung an ein nicht mehr existierendes Stabspannverfahren erfolgt, wurde von BBV Systems eine Sondermuffe entwickelt, die den neuen Stab ∅ 32 gemäß ETA16/ 0286 und Z12.4138 auf den bestehenden Stab ∅ 26 reduziert. Die nicht bauaufsichtlich zugelassene Sondermuffe wurde hinsichtlich ihrer Funktionsfähigkeit und Tragfähigkeit untersucht und durch eine ZiE nachgewiesen. Die Länge und der Durchmesser der Muffe wurden an die Abmessungen der Standard-Muffe ∅ 32 gemäß ETA16/ 0286 angepasst. Zur Spanngliedkopplung wurde in die Muffe nur einseitig das Standardgewinde ∅ 32 und auf der anderen Seite ein kleineres, an den Stab mit dem ∅ 26 angepasstes Sondergewinde hergestellt (siehe Abb. 15). Das Sondergewinde ∅ 26 wurde unter Einhaltung von üblichen Toleranzen für Feingewinde gefertigt. Besonderes Augenmerk wurde auf die Vermessung des Gewindes und Prüfung der Schraubbarkeit von mehreren Musterstücken gelegt. Dadurch konnte sichergestellt werden, dass auch die am besehenden Spannstab ∅ 26 auftretenden Toleranzen aufgenommen werden. Abb. 15: Geometrie der Sondermuffe Zur Überprüfung der Tragfähigkeit wurde die Sondermuffe in einem axialen Zugversuch unter statischer Last geprüft. Zur Herstellung der Muffenverbindung wurden die beiden Stäbe mit unterschiedlichen Nenndurchmessern 26 mm und 32 mm jeweils zur Hälfte in die Sondermuffe eingeschraubt und in eine kalibrierte Prüfmaschine beidseitig eingespannt. Die Muffenverbindung wurde in drei Belastungszyklen mit der aufzubringenden Vorspannkraft von ca. 301 kN belastet und wieder entlastet und anschließend zu Bruch gefahren. Im Versuch konnte eine maximale Last von 550,4 kN ermittelt werden (siehe Abb. 16). Abb. 16: KraftZeitDiagramm des Zugversuchs [18] Das Versagen der Muffenverbindung trat in der freien Länge des Gewindes mit einem Nenndurchmesser von 26 mm außerhalb der Sondermuffe auf. Nach dem Bruch des Stabes konnten keine Beschädigungen an der Sondermuffe oder an dem Stab mit dem Nenndurchmesser 32mm festgestellt werden. Die Sondermuffe war nach dem Bruch immer noch intakt und schraubbar. 26 mm 32 mm Abb. 17: Versagensbild der getesteten Muffenverbindung [18] Die Untersuchungen an Geometrie, Schraubbarkeit und Tragfähigkeit der Sondermuffe bestätigen die Eignung 704 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) für den Einsatz als Spanngliedkopplung bei der Verbreiterung der Hochstraße Elbmarsch. Krümmung der Stabspannglieder Aufgrund der Geometrie der Kragarmbzw. Fahrbahnverbreiterung ist eine abschnittsweise Krümmung der Stabspannglieder erforderlich (siehe Abb. 13 und Abb. 18). Die erforderliche Krümmung wurde mit einem Biegeradius von 8,0 m (bei Stab ∅ 32 = 250xStab ∅ ) hergestellt. Die Krümmung von Spannstäben muss in der Regel durch Kaltbiegen hergestellt werden. Dabei sind geeignete Verfahren einzusetzen, die eine gleichmäßige Krümmung erzeugen (z. B. Walzrunden oder Rundbiegen). Ein polygonzugartiger Verlauf der Krümmung, beispielsweise durch Biegen mit einem Dorn, ist unzulässig. Beim Biegen der Stäbe sind plastische Verformungen im Bereich der Gewinde an den Stabenden zwingend zu vermeiden. Nach Herstellen der Krümmung sind die Spannstäbe auf der ganzen Länge auf Risse oder Beschädigungen zu untersuchen. Abb. 18: Kaltgebogene Spannstäbe St 835/ 1030 mit R = 8,0 m Das erforderliche Kaltbiegen der Stäbe stellt zum eingesetzten Stabspannverfahren eine Abweichung dar, da nach ETA16/ 0286 nur gerade Spannglieder verwendet werden dürfen. Grundsätzlich ist jedoch eine gekrümmte Spanngliedführung für das eingesetzte Stabspannverfahren und Spannstähle der Güte St 835/ 1030 möglich. Die Verformungseigenschaften des Stahls St 835/ 1030 werden regelmäßig in Biegeversuchen gemäß DIN EN ISO 156303 sowie während der kontinuierlichen Fremdüberwachung überprüft. Die Versuche stellen sicher, dass bei einer plastischen Verformung keine Anrisse und Brüche am Stab entstehen. Folgende Punkte müssen bei der Verwendung von gekrümmten Stabspanngliedern berücksichtigt werden: - Eine Krümmung der Stäbe mit minimal 200xStab ∅ darf nicht unterschritten werden - Zur Berechnung des Spannwegs muss ein an die Krümmung angepasstes Arbeitsmodul A ermittelt werden - Spannkraftverluste durch Reibung müssen berücksichtig werden - Infolge der gekrümmten Spanngliedführung im Stahlhüllrohr reduziert sich die zulässige Spannungsschwingbreite ∆ σ Rsk von 150 N/ mm² auf 120 N/ mm² (bei Klasse 1) Unter Beachtung der o. g. Punkte ist aus technischer Sicht ein Kaltbiegen der Stäbe St 835/ 1030 unbedenklich und ausführbar. Die grundsätzliche Eignung für eine gekrümmte Anwendung bei der Verbreiterung der Hochstraße Elbmarsch wurde durch eine ZiE nachgewiesen. Bauliche Ausführung des Spannverfahrens Grundsätzlich fand eine werkseitige Vormontage der Stabspannglieder statt, um den Spannstahl gegen Beschädigung während des Transports zu schützen, Korrosionserscheinungen während der Lagerung zu vermeiden und den Einbau auf der Baustelle zu beschleunigen. Zuerst wird das Hüllrohr aus Stahl auf den Spannstab aufgeschoben und an der Spannankerseite die Hybridankerplatte CAB 32 inkl. PEStutzen montiert. Der Übergang zwischen PEStutzen und Hüllrohr wird temporär abgeklebt und die Position der Ankerplatte mit einer Ankermutter fixiert. Die Mutter und der Stabüberstand am Spannanker werden temporär mit einer Korrosionsschutzbinde geschützt. Auf das andere Stabende wird die Sondermuffe aufgeschraubt und eine Schiebemuffe montiert. Die stirnseitige Öffnung der Schiebemuffe wird mit Klebeband abgeklebt. Die vormontierten Stabspannglieder wurden im Anschluss für einen sicheren Transport in Bündeln zusammengefasst (siehe Abb. 19). Abb. 19: Vormontierte und gebündelte Stabspannglieder Die Zusammenbauzeichnung des Stabspannglieds ist in Abb. 20 dargestellt. 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 705 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) Abb. 20. Zusammenbauzeichnung des Stabspannglieds Vor der Kopplung der neuen Stabspannglieder ∅ 32 an die bestehenden Spannglieder ∅ 26 werden die Brückenkappen aufgebrochen und die Spanngliedverankerungen im Bestand inklusive Ankerplatte, Mutter und Stabüberstand freigelegt (siehe Abb. 21). Die Kopplung an den vorhandenen Stabüberstand fi ndet mit der entwickelten Sondermuffe statt. An die Sondermuffe wird der neue Spannstab ∅ 32 mit einer Länge von ca. 4,32 m (Pilotmaßnahme 1) bzw. ca. 4,52 m (Pilotmaßnahme 2) angeschlossen (siehe Abb. 22). In der freien Länge wird ein Hüllrohr 45/ 51 (di/ da) verwendet. In dem Bereich der Kopplung wird eine Schiebemuffe 55/ 61 (di/ da), ebenfalls aus Stahl, eingesetzt. Im Bereich der Spanngliedkopplung wird eine Entlüftung für den späteren Verpressvorgang angeordnet (siehe Abb. 23). Alle Stoßbereiche von Hüllrohr und Schiebemuffe werden mit PE-Klebeband abgeklebt. Abb. 21: Spanngliedverankerung im Bestand ( ∅ 26) Abb. 22: Spanngliedkopplung mit Sondermuffe Abb. 23: Entlüftung im Bereich der Spanngliedkopplung Der Spannanker am Kragarmende wird mit einer Hybridankerplatte des Typs CAB 32 mit Zusatzbewehrung ausgebildet (siehe Kapitel 1.6). Diese bestehen aus faser- 706 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) verstärktem, ultrahochfestem Beton und besitzen bereits einen Anschluss für das Verpressen der Spannglieder. Ein Stutzen aus PE ermöglicht den sauberen Anschluss an das Hüllrohr in der freien Länge (siehe Abb. 24). Abb. 24: Spannanker mit Hybridankerplatte CAB 32 Nach dem Verlegen der Spannglieder ist im Durchschnitt jedes dritte Bestandsspannglied mit einem neuen Spannglied gekoppelt (siehe Abb. 25). Anschließend wird die neue Fahrbahnplatte betoniert, die Anschlussfuge zum Bestand wird hierbei vorerst noch ausgespart. Erst nach einer Vorbelastung des Bauwerks, um einen Teil der zu erwartenden Setzungen vorwegzunehmen, wird die Anschlussfuge geschlossen und die Quervorspannung aufgebacht. Abb. 25: Verlegte Stabspannglieder vor der Betonage der Fahrbahn 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 707 Stabspannverfahren für Neubau- und Sanierungsmaßnahmen: Anwendung am Beispiel der Erweiterung der Hochstraße Elbmarsch (A7) 3. Erkenntnisse und Ausblick Die beiden Pilotmaßnahmen haben gezeigt, dass auch anspruchsvolle Projekte mit neuen Fragestellungen und Herausforderungen in einer gemeinschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber, Planer und ausführenden Unternehmen erfolgreich zum Ziel geführt werden können. Das eingesetzte Stabspannverfahren, bestehend aus einer Hybridankerplatte aus ultrahochfestem Beton (Spannanker), einer gekrümmten Spanngliedführung und einer Sondermuffe zur Ankopplung an die Bestandspannglieder, hat sich hervorragend für die Realisierung der beiden Pilotmaßnahmen geeignet. Die BBV Systems GmbH bedankt sich bei allen Projektbeteiligten für die konstruktive Zusammenarbeit, die gemeinsamen Lernerfahrungen und das Vertrauen in unsere Kompetenz und Erfahrungen im Bereich des Spannbetonbaus. Die Überbauverbreiterung der Hochstraße Elbmarsch (K20) über die Gesamtlänge von ca. 3,8 km findet voraussichtlich ab Ende 2020 statt. Die Anzahl der Stabspannglieder über die gesamte Länge beträgt ca. 5400 Stück. Die beiden Pilotmaßnahmen haben wichtige Erkenntnisse gebracht, die bei der Bauausführung der Gesamtmaßnahme einfließen werden. Literaturverzeichnis [1] DIN EN 199211 (2011) Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau. [2] DIN EN 19922 (2010) Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken. [3] DIN EN 199211/ NA (2013) Nationaler Anhang zum Eurocode 2: Teil 1-1. [4] DIN EN 19922/ NA (2013) Nationaler Anhang zum Eurocode 2: Teil 2. [5] ETAG 013 (2006) Leitlinie für die Europäische Technische Zulassung für Bausätze zur Vorspannung von Tragwerken. [6] EAD 160004000301 (2016) European Assessment Document - Posttensioning kits for prestressing of structures. [7] EN 10138 (2009) Spannstähle - Teil 1: Allgemeine Anforderungen, Teil 2: Draht, Teil 3: Litze, Teil 4: Stäbe. [8] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (2012) Allgemeines Rundschreiben Straßenbau (ARS) Nr. 22/ 2012. [9] Bundesanstalt für Straßenwesen (2019) Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTVING). [10] Zilch, K.; Zehetmaier, G. (2006) Bemessung im Konstruktiven Betonbau. [11] Goris, A.; Hegger, J. (2011) Stahlbetonbau aktuell 2011: Praxishandbuch. [12] DIN EN ISO 15630-3 (2011) Stähle für die Bewehrung und das Vorspannen von Beton - Prüfverfahren - Teil 3: Spannstähle. [13] DIBt (2014) Ergänzung zur Richtlinie für Zulassungs- und Überwachungsprüfungen für Spannstähle - Bestätigung der Einhaltung der Wöhlerlinien nach EN 1992-1-1 in Verbindung mit DIN EN 1992-1-1/ NA (kurz: EC2/ NA) im Zulassungsverfahren. [14] Fingerloos, F.; Hegger, J.; Zilch, K. (2012) Eurocode 2 für Deutschland (Kommentierte Fassung). [15] ETA-07/ 0046 (2017) Macalloy 1030 Post-Tensioning System. [16] ETA-16/ 0286 (2017) BBV 1030 Stabspannverfahren. [17] Z12.4138 (2019) Spannstabstahl St 835/ 1030 warmgewalzt, gereckt -rund, glatt, gerade mit NennDurchmesser: 26,5 - 32,0 - 36,0 - 40,0 (Klasse 1) [18] Technische Universität München (2017) Untersuchungsbericht - Zugversuch an einer Spannstahl- Muffenverbindung. Anhang 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 711 Programmausschuss - Brückenkolloquium Der Programmausschuss für das Brückenkolloquium setzt sich aus anerkannten Experten aus Forschung und Entwicklung, Industrie und Praxis zusammen. Zu seinen Aufgaben gehören die Formulierung der Zielsetzung und Festlegung der Themenschwerpunkte der Fachtagung, die Begutachtung und Auswahl der eingereichten Vortragsvorschläge für das Tagungsprogramm und die fachliche Beratung des Veranstalters. Vorsitzende Dir. Prof. Dr.-Ing. Jürgen Krieger Bundesanstalt für Straßenwesen 51427 Bergisch Gladbach Prof. Dr.-Ing. Bernd Isecke Corr-LESS Isecke & Eichler Consulting GmbH & Co. KG 12207 Berlin Mitglieder Dr.-Ing. Thorsten Eichler Corr-LESS Isecke & Eichler Consulting GmbH & Co. KG 12207 Berlin Prof. Dr.-Ing. Ursula Freundt Ingenieurbüro Prof. Dr. Ursula Freundt 99423 Weimar Dipl.-Ing. Susanne Gieler-Breßmer IGF Ingenieurgesellschaft für Bauwerksinstandsetzung Gieler-Breßmer & Fahrenkamp GmbH 73079 Süßen Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger RWTH Aachen University 52056 Aachen DI Dr. Michael Kleiser ASFINAG Baumanagement GmbH 1130 Wien (Österreich) Hans-Gerhard Köpf Fachverband Kathodischer Korrosionsschutz e. V. 73728 Esslingen Prof. Dr. Ivan Markovic Hochschule für Technik Rapperswil 8640 Rapperswil (Schweiz) Prof. Dr.-Ing. Gero Marzahn Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Referat Brücken- und Ingenieurbau 53175 Bonn Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer Technische Universität Dortmund 44227 Dortmund Dr.-Ing. Matthias Müller Bundesanstalt für Straßenwesen 51427 Bergisch Gladbach PD Dr. rer. nat. Ernst Niederleithinger Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung 12205 Berlin Dipl.-Bauing. (FH) Daniel Oberhänsli suicorr AG 8953 Dietikon (Schweiz) Dipl.-Ing. Wolfgang Wassmann Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH 40470 Düsseldorf Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Dr.-Ing. E. h. Konrad Zilch ZILCH + MÜLLER INGENIEURE GmbH 80636 München 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 713 Autorenverzeichnis AAbel, Thomas 427 Adam, Viviane 57, 157 Ahrens, Mark Alexander 473 Akkermann, Jan 259 Alex, Jörg 575 Angst, Ueli M. 461 BBach, Johannes 281 Bach, Felix 281 Bach Andreas 531 Balder, Thorsten 129 Bettin, Matthias 531 Block, Tobias 685 Bödefeld, Jörg 269, 259 Bohling, Christian 465 Bonifacio, Sébastien 635 Boros, Vazul 391 Bosbach, Sven 107 Bösche, Thomas 651 Boschmann Käthler, Carolina 461 Braml, Thomas 205 Breuer, P. 401 Bruns, Michael 299 Burkert, Andreas 583 Buschlinger, Michael 693 Büttner, Till 47 CClauß, Felix 473 Cuennet, Stéphane 381 Curbach, Manfred 643, 649 DDabringhaus, Sarah 227 Deeg, Dipl.-Ing. H. 589 Degenhardt, Kay 517 Demelt, Ludwig 145 Dommes, Christian 373 Doser, Hans-Peter 79 EEbell, Gino 583 Ebert, Carsten 217 Eichler, Thorsten 293 Elting, Sarah 259 Epple, Niklas 473 FFeix, Jürgen 349 Fischer, Oliver 149, 171, 501 Fontoura Barroso, Daniel 473 Forstner, Ernst 243 Franksmann, Max 281 Friese, Friso 95 Furtner, Peter 243 GGalasso, Ilaria 35 Gebert, Gregor 673 Gehrlein, Sebastian Felix 149 Geißler, Karsten 313, 517 Girmscheid, Michael 129 Gorski, P. 401 Gottlieb, Cassian 465 Grabe, Matthias 441 Groschup, Robin 483 Große, Christian U. 605 Grunicke, Urs 323 Günther, Tobias 465 HHallermann, Norman 235 Hangen, Hartmut 129 Hasenstab, A. 589 Haslbeck, Matthias 205 Hegger, Josef 15, 57, 107, 157, 373 Heinrich, Jens 359 Held, Eckhard 119 Held, S. 401 Herbrand, Martin 157, 441 Holst, Ralph 235 Huber, Heiko 67 Huber, Tobias 141 Huber, Patrick 141 JJansen, Andreas 313 KKäding, Max 549 Kagermanov, Alexander 27 Karlusch, Albrecht 243 Kimmich, Stefan 119 Kina, Sven 79 Kissel, Wolfgang 67 Klähne, Thomas 427 Knab, Franz 483 Knorrek, Christian 107, 373 Koch, Detlef 663 Kollegger, Johann 141 Konopka, E. 401 Kozakow, Thomas 73 Krajewski, Wolfgang 67 Kratzke, Bastian 421 Kraus, Josef 517 Krohn, Sebastian 679 Kühn, Frank 575 Kühne, Jens 217 Kwapisz, Maciej 323 LLechner, Johannes 349 Lehmann, Felix 129 Lehmann, Thomas 331 Lienhart, Werner 323 Löffler, Kay 415 MMark, Peter 473 Markovic, Ivan 27 Marx, Steffen 549 Marzahn, Gero 3 Maurer, Reinhard 7, 181, 359, 531 May, Sebastian 643 714 4. Kolloquium Brückenbauten - September 2020 Ein Großteil unserer Seminare wird unterstützt durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Profitieren Sie von der ESF-Fachkursförderung und sichern Sie sich bis zu 70 % Zuschuss auf Ihre Teilnahmegebühr. Alle Infos zur Förderfähigkeit unter www.tae.de/ foerdermoeglichkeiten Merkl, Christian 205 Miebach, Frank 615 Millar, Steven 465 Monsberger, Christoph 323 Morgenthal, Guido 235 Mrotzek, S. 401 Müller, Matthias 189, 253 Müller, Andreas 495, 635 NNeuberger, Björn 663 Niederleithinger, Ernst 473 Nolle, Nicolai 215 Nordhaus, Ines 95 Novák, Balthasar 391 Nowak, Marcel 501 Nyobeu Fangue, François Marie 269 OOberhänsli, Daniel 293 PPelke, Eberhard 391 Prammer, Dominik 323, 339 RRalbovsky, Marian 339 Rassek, Jan 281 Reiter, Karin 605 Roth, Carolin 391 Runtemund, Katrin 35 SSauer, Roland 119 Schacht, Gregor 549 Scharmacher, Florian 629 Scherr, Johannes F. 575 Schiere, Marcus 635 Schmitt, Andreas 693 Scholl, André 67 Schramm, Nicholas 149, 171 Schumann, Alexander 643 Schütz, Karl G. 509 Schütze, Elisabeth 643 Seiffert, Annemarie 269 Serwin, B. 401 Setzer, Stefanie 605 Socher, Andreas 253 Sodeikat, Christian 561 Stakalies, Eva 181 Steffens, Nico 517 Steinbock, Oliver 651 TTeupe, Josef 89 Tschickardt, Thomas 451 UUllerich, Christof 441 VVorwagner, Alois 323, 339 WWeber, Sascha 35 Weiler, Simon 259 Weiher, Hermann 35 Wenner, Marc 441 Will, Norbert 57 Wilsch, Gerd 465 Winkler, Madeleine 323 Wolff, Lars 299 Wurzer, Otto 605 ZZenk, Thomas 359 BAUWESEN, ENERGIEEFFIZIENZ UND UMWELT 2020 AN B I E T E R FÜ R WE I T E R B I L D U NG FOCUS -BUSINESS 0 3 | 2 0 1 9 DEUTSCHLANDS WEITERBILDUNGS - ANBIETER IM VERGLEICH Geotechnik Verkehrswegebau und Wasserbau Konstruktiver Ingenieurbau Bautenschutz und Bausanierung Umwelt- und Gesundheitsschutz Energiee zienz Baubetrieb und Baurecht Facility Management SEMINARE, LEHRGÄNGE, FACHTAGUNGEN Infos und Anmeldung: www.tae.de Ein Großteil unserer Seminare wird unterstützt durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Profitieren Sie von der ESF-Fachkursförderung und sichern Sie sich bis zu 70 % Zuschuss auf Ihre Teilnahmegebühr. Alle Infos zur Förderfähigkeit unter www.tae.de/ foerdermoeglichkeiten Bis zu 70% Förderung möglich! Besuchen Sie unsere Seminare, Lehrgänge und Fachtagungen. www.tae.de Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist eine der wesentlichen Grundvoraussetzungen für nachhaltige Mobilität und wirtschaftliches Wachstum und trägt entscheidend zur Erhöhung der Lebensqualität bei. Prognosen zur Entwicklung des Güterverkehrs lassen bereits heute erkennen, dass der Verkehrsträger Straße auch künftig eine maßgebliche Rolle im Umfeld eines intermodalen Verkehrssystems spielen wird. Aus einer weiteren Zunahme des Güterverkehrs ergeben sich für einen signifikanten Anteil der Brücken, als maßgeblicher Teil der Straßenverkehrsinfrastruktur, Beanspruchungen bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit. Zusätzlich erwachsen aus den Folgen des Klimawandels in Verbindung mit einer zu erwartenden Zunahme von Extremwetterlagen neue Herausforderungen. Neben Sicherheit und Dauerhaftigkeit sind künftig verstärkt auch Aspekte der Resilienz hinsichtlich der Gewährleistung von Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit der Straßeninfrastruktur zu betrachten. Der Lebenszyklus von Brückenbauwerken ist von der Planung über den Bau und die Erhaltung bis zum Abbruch bzw. Ersatz noch in wesentlichen Teilen geprägt von traditionellen Verfahren. Die Möglichkeiten der Digitalisierung werden bislang nur für Teilprozesse genutzt. Aufgrund der rasant fortschreitenden Entwicklung neuer Technologien und Möglichkeiten zur Verarbeitung und Bewertung komplexer Datensätze versprechen neue Verfahren für Beurteilung, Planung, Bau und Betrieb von Brücken zukünftig immer größeres Potenzial. Ziel des Brückenkolloquiums ist ein interdisziplinärer Erfahrungs- und Wissensaustausch von Forschern, Planern, Eigentümern, Betreibern und Industrie zu neuen und innovativen Methoden, Verfahren und Technologien. Im Vordergrund stehen deshalb innovative Vorgehensweisen, Verfahren und Baustoffe sowohl für Ersatzneubau im bestehenden Verkehrsnetz als auch für Instandsetzung und Ertüchtigung des Bestands. Ebenso sind Methoden und Verfahren zur Bestandsanalyse und -bewertung, zur Ermittlung von Zustand, Zuverlässigkeit und Restnutzungsdauer, Überwachungsverfahren für Bestandsbauwerke sowie die Potentiale von BIM und weiteren Technologien der digitalen Transformation für Brücken im Lebenszyklus Bestandteil der Vorträge des Kolloquiums. Der Inhalt Zustandserfassung zerstörungsfreie Prüfung (ZfP) Nachrechnung Richtlinie und Fallstudien Nachweisverfahren Einwirkungen Instandsetzung Bauen unter Verkehr Verstärkung und Verstärkung mit Carbonbeton Innovative Bauverfahren SMART-DECK Fallbeispiele aus unterschiedlichen Blickwinkeln Holzbrücken Erhaltungsmanagement Lebenszyklusmanagement BIM Digitalisierung Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über neue und innovative Methoden, Verfahren und Technologien zur Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken. Die Zielgruppe Architekten Ingenieure in Entwurfs- und Planungsbüros, Bauunternehmen, Bauverwaltungen, Behörden, Forschungseinrichtungen, Institutionen Bauleiter Bausachverständige Fach- und Führungskräfte im Baugewerbe und in der Bauindustrie Bauwerkseigentümer und -betreiber Baustoffhersteller Softwareanbieter ISBN 978-3-8169-3518-6