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Brückenkolloquium
2510-7895
expert verlag Tübingen
2022
51
Herausgegeben von Bernd Isecke Jürgen Krieger 5. Brückenkolloquium Fachtagung für Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken Tagungshandbuch 2022 5. Brückenkolloquium 6. und 7. September 2022 Technische Akademie Esslingen Herausgegeben von Dir. Prof. Dr.-Ing. Jürgen Krieger Prof. Dr.-Ing. Bernd Isecke 5. Brückenkolloquium Fachtagung für Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken Tagungshandbuch 2022 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2022. Alle Rechte vorbehalten. expert verlag Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen E-Mail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-8169-3549-0 (Print) ISBN 978-3-8169-0125-9 (ePDF) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · D-73760 Ostfildern E-Mail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de 5. Brückenkolloquium - September 2022 5 Vorwort Brückenbauwerke sind unverzichtbarer Bestandteil der Straßenverkehrsinfrastruktur. Sie ermöglichen die Überwindung von Tälern, Gewässern oder anderer Verkehrswege und stellen somit die eigentliche Funktion der überführten Straße sicher. Allein im Netz der Bundesfernstraßen gibt es 39.928 Brückenbauwerke (Stand 09/ 2020). Aus einer weiteren Zunahme des Güterverkehrs ergeben sich für einen signifikanten Anteil der bestehenden Brücken Beanspruchungen bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Der Klimawandel in Verbindung mit einer zu erwartenden Zunahme von Extremwetterlagen stellt neue Herausforderungen. Neben der Verfügbarkeit und Sicherheit sind verstärkt auch Aspekte der Nachhaltigkeit und Resilienz von Verkehrsinfrastrukturen zu betrachten. Das Lebenszyklusmanagement von Brücken - von der Planung, Bauausführung, Instandhaltung und Betrieb bis zum Rückbau - ist in wesentlichen Teilen noch von traditionellen eher reaktiv ausgerichteten Strategien geprägt. Die Möglichkeiten der Digitalisierung werden hier bislang nur für Teilprozesse genutzt. Im Kontext einer rasant fortschreitenden Digitalen Transformation ermöglichen neue prädiktiv ausgerichtete Ansätze künftig eine integrierte und lebenszyklusorientierte Betrachtung. Ziel der bewährten Fachtagung zum Brückenbau ist ein interdisziplinärer Erfahrungs- und Wissensaustausch von Forschern, Planern, Ausführenden, Eigentümern, Betreibern und der Bauwirtschaft zu neuen und innovativen Methoden, Verfahren und Technologien im Brückenbau. Themenschwerpunkte beim 5. Brückenkolloquium mit mehr als 70 Plenar- und Fachvorträgen in vier parallelen Sessions sind: • Bauwerksausstattung (Kappen, Übergänge) • Beurteilung und Bewertung des Zustands • BIM und Digitalisierung • Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel • Einwirkungen • Fallbeispiele (Beton-/ Stahlbrücken) • Holzbrücken • Innovative Bauweisen, Bauverfahren und Bauprodukte • Instandhaltung und Bauwerksmanagement • Monitoring, Bauwerksprüfung, Schadenserfassung • Nachrechnung • Neue Erkenntnisse zur Querkraft- und Torsionstragfähigkeit • Normen und Regelwerke • Rückbau, Schadstoffe • Verstärkung, Ertüchtigung Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über neue und innovative Methoden, Verfahren und Technologien zur Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken. Weitere Informationen unter: www.tae.de/ go/ bruecken 5. Brückenkolloquium - September 2022 7 Inhaltsverzeichnis 0.0 Plenarvorträge 0.2 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick 17 Gero Marzahn 0.3 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken 37 Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler, Dr.-Ing. Josef Kraus 0.4 Analytische und numerische Verfahren zur Brückennachrechnung der NRR 47 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger 0.5 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) 57 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer, Eva Stakalies M. Sc. 0.6 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte 69 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer, Sebastian Thoma M.Sc. 1.0 BIM und Digitalisierung 1.1 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken 79 Jennifer Bednorz, M. Eng., Sonja Nieborowski M. Sc. 1.2 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik 89 Christina Fritsch M. Sc., Chris Voigt, M. Eng., Dipl.-Ing. Torsten Harke M. Sc. 1.3 BIM aus Sicht einer öffentlichen Auftraggeberin 97 Ing. Sabine Hruschka 1.4 From Pixel to Pset 99 Dipl.-Ing. Peter Furtner, B.Eng. (Honours), M. Sc. Arch. RAIA MIEAust Peter O’Brien 1.5 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen 107 Stephan Embers, Sven Zentgraf, Patrick Herbers, Firdes Celik, Benedikt Faltin, Prof. Dr.-Ing. Markus König, Jan-Derrick Braun, Jessica Steinjan, David Schammler, Sonja Nieborowski, Ralph Holst 1.6 Brückeninspektion: Datenerfassung, -prozessierung & -analyse - ein moderner Ansatz 119 DI Gerald Fuxjäger 1.7 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring 125 Andreas Jansen, Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler 1.8 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz 137 Yasser Alshaban Alqasem M. Sc., Prof. Dr.-Ing. Markus König 8 5. Brückenkolloquium - September 2022 1.9 Ereignisbasierte und bedarfsorientierte Datenerfassung für die 4-D-BIM-basierte Flugplanung von Drohnen 147 Thomas Tschickardt M. Eng., Fabian Kaufmann M. Eng., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Glock 1.10 Drohnengestützte Erfassung von Bestandsmodellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Managements von Brückenbauwerken 155 Fabian Kaufmann M. Eng., Thomas Tschickardt M. Eng., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Glock 2.0 Verstärkung, Ertüchtigung 2.1 Temperaturstabilität und Dauerhaftigkeit von geklebten CFK-Lamellen im Brückenbau 165 Dipl.-Ing. (FH) Florian Eberth 2.2 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr 169 Prof. Dr.-Ing. Jürgen Feix, Dr. Johannes Lechner, Dipl.-Ing. Matthias Egger 2.3 Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! 179 Alexander Schumann, Sebastian May, Felix Kniebel, Jan Geißler, Frank Thorwirth 2.4 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung 185 Dipl.-Ing. Michael Schrick, Dipl.-Ing. Janette Todt 2.5 Nachhaltige Verstärkung der 1,8 km langen Spannbetonbrücke auf der A13 bei Ferrara, Italien, durch externe Vorspannung 193 Dipl.-Ing. Kay Löffler, Ing. Marco A. Bizzozero 2.6 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws 197 Stéphane Cuennet, Jean-Marc Waeber 3.0 Monitoring, Bauwerksprüfung, Schadenserfassung 3.1 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring 207 Dr.-Ing. Matthias Bode, Dipl.-Ing. Ronald Stein, Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler 3.2 Von fehlenden Bestandsunterlagen zu einem belastbaren Bauwerksmodell für die handnahe und visuelle Prüfung von Infrastrukturbauwerken 217 Dipl.-Ing. BM Stefan S. Grubinger, Dipl.- Ing. Simon Jimenez, Dr. Wolfgang Walcher, Alexander Huber, MBA, Dipl.-Ing. Slaven Kalenjuk, Dipl.-Ing. Dipl.-Ing. Dr.techn. Matthias J. Rebhan, BM 3.3 Multi-Sensor measurements on a large-scale bridge model 223 Dr. Chun-Man Liao, Dr. Konstantin Hicke, Dr. Felix Bernauer, Dr. Heiner Igel, Dr. Celine Hadziioannou, Dr. Ernst Niederleithinger 3.4 Bedarfsorientierte Informationsanreicherung von Bestandsbrückenbauwerken im Kontext des SHM 231 Martin Köhncke M. Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Sascha Henke, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Sylvia Keßler 5. Brückenkolloquium - September 2022 9 4.0 Bauwerksausstattung (Kappen, Übergänge) 4.1 Grunewaldbrücke: Erneuerung der Fahrbahnübergänge auf der BAB A59 (DE) 239 Stefan Adam Dipl. Ing. (FH) 4.2 Ausbau des Radverkehrsnetzes der Stadt Freising 245 Magdalena Dimler M. Sc., Dipl.-Ing. (FH) Stefan Lankes, Tobias Reuther M. Sc. 4.3 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton 251 Iris Hindersmann, Heinz Friedrich 5.0 Innovative Bauweisen, Bauverfahren und Bauprodukte 5.1 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel 263 Dipl.-Ing. Dr. sc. ETH Zürich Bernhard Schranz, Dr.-Ing. Eva-Maria Ladner, Dipl-Bauing. Dr.sc. Julien Michels, MBA 5.2 UHPC-Traverse für die Querkraftverstärkung von Brückenstegen 273 Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Hermann Weiher 5.3 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten 281 Dipl.-Ing. Dipl.-Ing. Dr. techn. Erwin Pilch 5.4 Schnellbausystem „Expressbrücke“ 287 Dipl.-Ing. (TU) Theo Reddemann 5.5 Ersatz einer Brücke im Zuge der L171 über die DB 293 Prof. Dr.-Ing. Thomas Bösche, Felix Kaplan M.Sc., Dipl.-Ing. Alexander Ehrlich 5.6 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert 299 Dr.-Ing. Jan Bielak, Raphael Walach, Jochen Riederer, Thorsten Helbig, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger 5.7 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau 309 Sebastian May, Alexander Schumann, Enrico Lorenz 6.0 Normen und Regelwerke 6.1 Auswirkungen der geänderten Nachweisverfahren in prEN 1992-1-1: 2021 für die Begrenzung der Rissbreiten bei Stahlbeton-, Spannbeton- und Verbundbrücken 317 Eva Stakalies M. Sc., Univ. Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer, Dipl.-Ing. (FH) Fabian Kischkewitz M. Eng., Univ. Prof. Dr.-Ing. Bernd Naujoks 6.2 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau 323 Christian Dommes, M. Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger 6.3 Dauerhaftigkeit und Nutzungsdauer von Ingenieurbauwerken 335 Dr.-Ing. Maria Teresa Alonso Junghanns, Dr.-Ing. Peter Haardt, Dr.-Ing. Matthias Müller 10 5. Brückenkolloquium - September 2022 7.0 Fallbeispiele (Beton-/ Stahlbrücken) 7.2 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke 347 Prof. Dr.-Ing. Martin Herbrand, Timo Jabs M. Sc., Dr.-Ing. Gerhard Zehetmaier, Dipl.-Ing. Christof Ullerich 7.3 Herausforderung Brückenmodernisierung - Projektbeispiele der DEGES (Maßnahmen an der A1) 355 Dipl.-Ing. Gregor Gebert 7.4 Echelsbacher Brücke - Ersatzneubau unter Einbeziehung des denkmalgeschützten Bestandsbogens 361 Gerhard Pahl, Stefan Wilfer 8.0 Nachrechnung 8.1 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken 371 Dr.-Ing. Naceur Kerkeni, Dr.-Ing. Frederik Teworte, Dr.-Ing. Ehsan Sharei 8.2 Brückennachrechnung mit erweiterten Nachweisen der Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem 383 Maximilian Schmidt M.Sc., Dr.-Ing. Viviane Adam, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger 8.3 Neue Erkenntnisse aus Ermüdungsversuchen mit sehr hohen Lastwechselzahlen an Spannbetonbauteilen mit Spanngliedern im nachträglichen Verbund 393 Dipl.-Ing. Jens Heinrich, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer 9.0 Beurteilung und Bewertung des Zustands 9.1 Sonderprogramm Plattenbrücken des Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg 407 Felix Kaplan M. Sc., Dr.-Ing. Oliver Steinbock, Prof. Dr.-Ing. Thomas Bösche, Michael Grune M. Sc. 9.2 Experimental Measurement of the Anchorage Length of Interrupted Prestressing Reinforcement 413 Ing. Adam Svoboda, doc. Ing. Ladislav Klusá č ek, CSc., Ing. Petr Gajdoš, Ing. Michal Vajdák 9.3 Prestressed footbridge over Morava River in Kromӗríž - strengthening, rehabilitation and measurement using geodetic method in combination with advanced optical methods 419 doc. Ing. Ladislav Klusácek, CSc., Ing. Adam Svoboda, doc. Ing. Ji ř í Bureš, Ph.D., Ing. Petr Gajdoš, Ing. Michal Vajdák 5. Brückenkolloquium - September 2022 11 10.0 Instandhaltung und Bauwerksmanagement 10.1 Anwendung elektrochemischer Verfahren bei der Instandsetzung von Stahl- und Spannbetonbrücken - Schwerpunkt elektrochemische Chloridextraktion 429 Lars Wolff, Michael Bruns 10.2 Nachhaltig sichere Abdichtung und Schutz von Betonbauwerken auch bei niedrigen Temperaturen mit Silikattechnologie 435 Dr. Jörg Rathenow 10.3 Strategisches Bauwerkserhaltungsmanagement im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg 439 Dipl.-Ing. Kay Degenhardt, Felix Kaplan M. Sc., Martin Günther M. Sc. 11.0 Holzbrücken 11.2 Anschlussdetails für Abdichtungssysteme und Asphaltbeläge auf Fahrbahnplatten aus Holz 447 Prof. Dipl.-Ing. Andreas Müller, Marcus Schiere, Sébastien Bonifacio 11.3 Acetyliertes Buchen-Furnierschichtholz 453 Dipl.-Ing. Reiner Klopfer, Prof. Dr.-Ing Jürgen Graf 12.0 Neue Erkenntnisse zur Querkraft- und Torsionstragfähigkeit 12.1 Untersuchungen zur Schubrissbildung von Spannbetondurchlaufträgern mit baupraktischen Querschnittsabmessungen 459 Sebastian Lamatsch M.Sc., Prof. Dr.-Ing. Oliver Fischer 12.2 Experimentelle Untersuchungen zur Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonbindern unter gleichmäßig verteilten Lasten 467 Christian Dommes M. Sc., Dr.-Ing. Viviane Adam, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger 12.3 Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 477 Dipl.-Ing Vladimir Lavrentyev, Eva Stakalies M.Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer 12.4 Bewertung des Sicherheitsniveaus der kanadischen Norm in Bezug auf DIN-Fachbericht beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit 489 Remus Tecusan M. Sc., Dr.-Ing. Christian Stettner, Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Dr.-Ing. E. h. Konrad Zilch 12 5. Brückenkolloquium - September 2022 13.0 Einwirkungen 13.1 Objektspezifische Verkehrslastansätze im Rahmen des Ankündigungsnachweises nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ am Beispiel der Kreuzhofbrücken München 499 Thibault Tepho M.Sc. , Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer, Dipl.-Ing. (FH) Marcel Nowak M.Sc. 13.2 Untersuchung zum Einfluss der Fahrbahnqualität auf die Lebensdauer von Brückentragwerken aus Stahlbeton 505 Timo Hondl, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Glock 13.3 Konzept zur datenbasierten Bewertung der Verkehrsbeanspruchung kommunaler Straßenbrücken - DakomStra 511 M.Sc. Gregor Rösler, Prof. Dr.-Ing. Theda Lücken-Girmscheid, Dip.-Ing. Michael Girmscheid, Prof. Dr.-Ing. Alexander Buttgereit, M.Sc. Maria Koordt 13.4 Alternative Wege bei der Berechnung des Tragvermögens einer bestehenden Straßenbrücke aus Stahlbeton 517 Prof. Dr. Ivan Markovic, dipl. Bauing. 14.0 Rückbau, Schadstoffe 14.1 A 23 Autobahn Südosttangente Wien 523 Ing. Thomas Kozakow 14.2 Rückbau von Spannbetonbrücken 531 M. Sc. Caroline Barr, Dr.-Ing. Gregor Schacht 15.0 Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel 15.1 Bauwerksschäden an der Brücke am Altstädter Bahnhof 543 M. Sc. Felix Kaplan, Dr. Ing. Oliver Steinbock, Dipl. Ing. M. Sc. Katrin Saloga 15.2 Rückbau der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel 549 Dipl.-Ing. Stephan Pirskawetz, M. Sc. Sebastian Schmidt, Dr.-Ing. Oliver Steinbock 15.3 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel 555 PD Dr. rer. nat. Ernst Niederleithinger, Dr.-Ing. Falk Hille, Dipl.-Ing. Detlef Hofmann, Dr.-Ing. Thomas Kind 15.4 Neue Erkenntnisse zu wasserstoffinduzierten Spannungsrissen infolge korrosiver Belastung hochempfindlicher Spannstähle in Spannblockverfahren nach TGL 173-33 567 M. Eng. Gino Ebell, Dr.-Ing. Andreas Burkert 16.0 Anhang 573 16.1 Programmausschuss 575 16.2 Autorenverzeichnis 577 Plenarvorträge 5. Brückenkolloquium - September 2022 17 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Gero Marzahn Bundesministerium für Digitales und Verkehr 1. Einleitung Im internationalen Vergleich verfügt Deutschland über eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur. Allerdings machen der überproportionale Anstieg des Schwerverkehrs in den vergangenen Jahrzehnten insbesondere im Güterverkehr sowie die Altersstruktur der Infrastruktur umfängliche Erhaltungsmaßnahmen zur Verbesserung des Zustandes und Erhöhung der Tragfähigkeit vieler älterer Brücken erforderlich. Viele Brücken müssen verstärkt oder gar erneuert werden, um auch in Zukunft den Anforderungen aus dem Verkehr auf Dauer gerecht werden zu können. Während bislang jedes Bundesland einzeln auf die Brücken seines Gebiets geschaut hat, können wir jetzt - wo die Verwaltungsverantwortung für die Brücken im Autobahnnetz bei der Autobahn GmbH in einer Hand liegt - eine Gesamtbetrachtung vornehmen und das Autobahnnetz als Ganzes in den Blick nehmen. Daher wird mit dem vorliegenden Bericht eine Bilanz zu den Brücken an Bundesfernstraßen gezogen sowie eine Übersicht zum aktuellen Stand der Umsetzung der Modernisierung von Brücken an Bundesfernstraßen gegeben. 2. Brückenbestand an Bundesfernstraßen Mit Stand September 2021 befinden sich fast 40.000 Brücken in der Baubzw. Unterhaltungslast des Bundes, d. h. sowohl Brücken im Zuge von Bundesfernstraßen als auch zur Überführung von Straßen und Wegen über Bundesfernstraßen. Berücksichtigt man, dass bei Autobahnen i. d. R. jede Fahrtrichtung auf einem eigenen Brückentragwerk liegt oder große Flussbrücken in Strom- und Vorlandbrücken unterteilt werden, entspricht die Anzahl der o. g. Brücken 52.386 Teilbauwerken. Davon befinden sich 27.915 Teilbauwerke im BAB-Netz und 24.471 Teilbauwerke im Netz der Bundesstraßen. Da ein Teilbauwerke im Wesentlichen für ein Brückentragwerk steht, wird bei allen nachfolgenden Auswertungen jeweils auf Teilbauwerke bzw. gleichlautend auf Brücken-Teilbauwerke Bezug genommen, auch wenn nicht in jedem Einzelfall darauf gesondert hingewiesen wird. Wird z. B. die Lage der Brücken-Teilbauwerke betrachtet, befinden sich von den 27.915 Teilbauwerken im BAB- Netz 20.693 Teilbauwerke im Zuge einer BAB-Strecke, diese werden also direkt durch mehrstreifigen Autobahnverkehr belastet, während 7.222 Teilbauwerke als Überführungsbauwerke dienen. Im Bundesstraßennetz befinden sich von den gesamten 24.471 Teilbauwerken 19.393 Teilbauwerke im Zuge einer Bundesstraße, während 5.078 Teilbauwerke als Überführungsbauwerke genutzt werden. Die Gesamtbrückenfläche aller Bundesfernstraßenbrücken erreicht etwa 31 Mio. m 2 Brückenfläche (entsprechend ca. 4.350 Fußballfelder in Standardgröße 105 m x 68 m), die Gesamtlänge summiert sich auf zirka 2.150 km auf (entspricht etwa der Luftlinie Berlin-Rom). Die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg verlangte moderne, leistungsfähige Straßen. Groß angelegte Ausbauprogramme vor allem im Autobahnnetz waren die Antwort, weshalb die meisten, auch vielfach heute noch genutzten Brücken in den westlichen Bundes-ländern aus den Jahren 1960 bis 1985 stammen. In den östlichen Bundesländern setzte eine größere Erneuerungs- und Ausbauwelle im Autobahnbau nach der Wiedervereinigung 1990 ein, erkennbar am zweiten Peak der Altersstruktur der Brücken im Bild 1. Das Autobahnnetz in Ostdeutschland ist damit deutlich jünger als das in den westlichen Bundesländern einhergehend mit einem allgemein besseren baulichen Zustand und höheren Tragfähigkeit der Bauwerke. Auch wenn die großen Brücken meist sofort ins Auge fallen, so sind es doch die kleineren Brücken, die von der Anzahl her das Gros der Brücken bei den Bundesfernstraßen ausmachen. Fast 50 % der Brücken besitzen weisen Brückenlängen kleiner 30 m auf. Dagegen sind die Großbrücken mit Längen von mindestens 100 m mit knapp 7 % an der Gesamtanzahl vertreten (ca. 3.700 Teilbauwerke), dennoch verbirgt sich hierhinter eine große Brückenfläche von über 50 % der Gesamtbrückenfläche der Bundesfernstraßenbrücken. Gemessen an der Brückenfläche haben Spannbetonbrücken im Bereich der Bundesfernstraßen mit etwa 70-% den weitaus größten Anteil am Bestand, gefolgt von Brücken in Stahlbetonbauweise mit einem Anteil von etwa 17-%. Stahl- und Stahlverbundbrücken sind mit jeweils 7- % am Gesamtbestand vertreten. Andere Bauweisen, z.-B. Mauerwerkbrücken, rangieren deutlich darunter. 18 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 1: Altersstruktur der Brücken an Bundesfernstraßen anteilig nach Anzahl an Teilbauwerken 3. Bestandsaufnahme zum Bauwerkszustand 3.1 Zustandsnote - Bewertung des baulichen Zustands Regelmäßig werden die Brücken einer Brückenprüfung nach DIN 1076 unterzogen. Hierbei werden die Bauwerke durch besonders geschulte und langjährig erfahrene Bauwerksprüfingenieure im Wesentlichen handnah auf Schäden, Verschleiß und Alterungserscheinungen hin geprüft. Alle sechs Jahre findet eine „Hauptprüfung“ und drei Jahre nach der Hauptprüfung eine „Einfache Prüfung“ statt, ergänzt durch jährliche „Besichtigungen“ und halbjährliche „Laufende Beobachtungen“ ausgeführt durch geschultes Personal der Straßenmeistereien. Die Bewertung des vorgefundenen Zustands erfolgt anhand der Kriterien Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit. Mit einer Zustandsnote (ähnlich dem Schulsystem zwischen 1,0 und 4,0) inkl. einem Prüf bericht wird der bauliche Zustand der Brücke im Bauwerksbuch dokumentiert und in einer Bauwerksdatenbank abgelegt. Die Zustandsnote ist ein wichtiges Kriterium zur Planung von Erhaltungsmaßnahmen. Der aktuelle Zustand für Brücken der Bundesfernstraßen ist im Bild- 2 getrennt für Bundesautobahnen und Bundesstraßen dargestellt. Die roten Säulen repräsentieren die Zustandsnotenverteilung der Autobahnbrücken und die blauen Säulen die der Brücken an Bundesstraßen mit den stärksten Anteilen jeweils in den mittleren Zustandsnotenbereichen. Schlechtere Bauwerkszustände sind mit Zustandsnoten von drei und größer bewertet. Allerdings bedeutet eine ungenügende Zustandsnote von 3,5 nicht eine sofortige oder kurzfristige Sperrung des Tragwerks, vielmehr wird Bedarf zum Handeln aufgezeigt. Die Zustandsnoten sind bewusst so angelegt, dass bei der Ermittlung über alle Bauteile schlechtere Teilnoten durchschlagen, um den Verwaltungen frühzeitig die Möglichkeit einzuräumen, das Bauwerk instandzusetzen, bevor größere Schäden eintreten. 5. Brückenkolloquium - September 2022 19 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 2: Zustandsnotenverteilung für Brücken an Autobahnen und Bundesstraßen anteilig nach Brückenfläche Der bauliche Zustand von Bundesstraßenbrücken ist tendenziell besser als jener von Autobahnbrücken. Zurückzuführen ist dieser Sachverhalt auf das deutlich geringere Güterverkehrsaufkommen mit allgemein geringeren Fahrzeuggesamtgewichten auf den Bundesstraßen. Autobahnen sind deutlich schwerer beladen, was in Summe für die Autobahnbrücken zu einer permanent hohen Brückenauslastung führt mit allen negativen Konsequenzen, wie z. B. beschleunigte Alterung und Verschleiß. Insbesondere hohe Achslasten, teilweise auf Überladungen oder falsche Beladungen der Lkw zurückzuführen, setzen den Autobahnbrücken zu. Faktisch fast alle Schäden an den Rheinbrücken sind Folge einer zu hohen örtlichen Belastung durch hohe Achslasten. Von daher nehmen wir zukünftig nicht nur den baulichen Zustand der Brücken stärker in den Fokus, sondern werden auch Anstrengungen für eine engmaschigere Überwachung des Verkehrs unternehmen. Hinsichtlich der baulichen Zustände von Brücken fällt die Zustandsbewertung von Großbrücken (Brücken mit Längen größer 100 m) generell schlechter aus als jene von kleineren Brücken, weil sich statische Defizite und Schäden bei entsprechenden Brückenlängen aufsummieren. Im Bild-3 ist die Verteilung der Zustandsnoten in Bezug auf die Brückenanzahl und in Bezug zur Brückenfläche dargestellt. Durch die regelmäßige Bauwerksprüfung nach DIN 1076 ist sichergestellt, dass unter Verkehr stehende Brücken überwacht und Schäden rechtzeitig erkannt werden. Sofern erforderlich, z. B. zur Überwachung von geschädigten Bauteilen, werden die Brücken darüber hinaus mittels eines sensorischen Brückenmonitorings kontinuierlich im 24/ 7-Dauerbetrieb überwacht (z. B. Rheinbrücken Leverkusen A-1, Duisburg-Neuenkamp A-40, Rhein-Herne-Kanalbrücke A-43). Dadurch werden zusätzliche Informationen zum Brückenzustand oder spezielle Informationen zur Schadensentwicklung an ausgewählten Tragwerksstellen in Echtzeit gewonnen, die dann in die Zustandsbewertung einspeist werden können. Die Verkehrssicherheit ist somit stets gewährleistet. 20 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 3: Zustandsnotenverteilung für Großbrücken größer 100 m Länge an Bundesfernstraßen anteilig nach Anzahl an Teilbauwerken und Brückenfläche 3.2 Traglastindex - Bewertung der Tragfähigkeitseigenschaften Die Zustandsnote als Ergebnis einer äußeren, handnahen Sichtprüfung des Bauwerks ist nur bedingt geeignet, mögliche Tragfähigkeitsdefizite einer Brücke einzuordnen. Aus dem enorm gestiegenen Schwerverkehr sowie aus Schwächen in den ursprünglichen Bemessungsvorschriften können Defizite gegenüber den heute geforderten Anforderungen bestehen, die sich auch nicht zwingend aus dem äußerlich erkennbaren Zustand der Brücken ableiten lassen, sofern keine äußeren Schäden erkennbar sind. Es erfordert einen „Blick in das Innere“ eines Tragwerks, um u. a. Abweichungen vom Soll im Tragverhalten zu erkennen und Abhilfe zu schaffen. Diese Abweichungen können bereits daraus resultieren, dass aufgrund der hohen Verkehrsbeanspruchung die Ausnutzung des Tragwerks übermäßig hoch ist, somit die zulässige Beanspruchung übersteigt, weshalb die Nutzungsfähigkeit eingeschränkt wird und Alterung sowie Verschleiß zunehmen. Durch die überproportionale Verkehrsentwicklung haben die Brücken eine Nutzungsänderung erfahren. Der Traglastindex als ein neuer, weiterer zusätzlicher Kennwert ist hier besser geeignet. Er repräsentiert die strukturellen Eigenschaften eines Tragwerks, die maßgeblichen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit einer Brücke haben. Die Bewertung erfolgt in einem Soll-Ist-Vergleich zwischen erforderlicher bzw. zukunftsfähiger Brückentragfähigkeit (Ziellastniveau gemäß der vom Bund eingeführten Nachrechnungsrichtlinie) und der rechnerisch tatsächlich vorhandenen Tragfähigkeit. Darüber hinaus werden noch bauart- oder materialbedingte Parameter berücksichtigt. Die Bewertung erfolgt in fünf Stufen: I bis V. Mit aufwachsender Stufe nehmen die Abstände zum aktuellen Ziellastniveau zu: Stufe I = keine Abweichung, Stufe V = die meisten Abweichungen. Indirekt lassen sich aus der Stufung ebenfalls Dringlichkeiten ableiten; die Stufe V umfasst demnach auch die dringlichsten Problemstellungen. Die Einordnung in die Indexstufe V muss dabei nicht bedeuten, dass eine kurzfristige Brückensperrung erforderlich ist. Sie gibt aber den Hinweis, dass aufgrund der festgestellten Zahl an statisch relevanten Kriterien die vorhandenen Reserven der Brücke zunehmend aufgebraucht sein könnten. Hierdurch wird Handlungsbedarf aufgezeigt, der im Rahmen der Brückenmodernisierung abgearbeitet wird. Eventuell können belastungsmindernde verkehrliche Maßnahmen oder Beschränkungen notwendig werden, um die Restnutzungsdauer der Bauwerke zu verlängern. Eine aktuelle Verteilung der Traglastindizes getrennt nach Bundesautobahnen und Bundestraßen ist in Bild-4 dargestellt. Bauwerke mit höherem Traglastindex ab Stufe III werden hinsichtlich der Modernisierung besonders priorisiert angegangen, weil bei diesen Brücken die Reserven zunehmend aufgebraucht sind. Die große Anzahl an Bauwerken mit Handlungsbedarf weist auf die Herausforderungen hin, die für alle Beteiligten aus den Planungsbüros, den Baufirmen und den Verwaltungen bereits heute und auch in den nächsten Jahren anstehen. Angesichts der immensen Aufgabe ist es wichtig, den Beruf des Bauingenieurs attraktiv zu gestalten, um ausreichend viele Nachwuchsingenieure gewinnen zu können. 5. Brückenkolloquium - September 2022 21 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 4: Verteilung der Traglastindizes bei Brücken an Bundesautobahnen und Bundesstraßen anteilig nach Brückenfläche Von den 27.915 Brücken-Teilbauwerken im Autobahnnetz sind 8.665 Teilbauwerke der Stufe III und damit einer mittleren Dringlichkeit, 2.154 Teilbauwerke der dringlicheren Stufe IV und 1.001 Teilbauwerke der dringlichsten Stufe V zugeordnet (Tabelle-1). Wie bei den Zustandsnoten sieht die Verteilung der Indexstufen des Traglastindex bei den Brücken der Bundesstraßen günstiger aus. Von den 24.471 Teilbauwerken im Netz der Bundesstraßen sind gegenwärtig 3.307 Teilbauwerke der Indexstufe III, 824 Teilbauwerke der Indexstufe IV und 759 Teilbauwerke der dringlichsten Indexstufe V zugeordnet (Tabelle-2). Tabelle 1: Traglastindex für Brücken der Autobahnen nach Anzahl und Fläche der Teilbauwerke (A-Bauwerke = Bauwerke im Zuge von BAB, Ü-Bauwerke = Bauwerke über eine BAB) 1) Geh- und Radwegbrücken, 2) Wirtschaftswege oder Brücken ohne Tragfähigkeitseinstufung Tabelle 2: Traglastindex für Brücken der Bundesstraßen nach Anzahl und Fläche der Teilbauwerke (A-Bauwerke = Bauwerke im Zuge von B, Ü-Bauwerke = Bauwerke über eine B) 1) Rad- und Gehwege, 2) Wirtschaftswege oder Brücken ohne Tragfähigkeitseinstufung 22 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick 4. Aktuelle Herausforderungen im Brückenbau 4.1 Verkehrsentwicklung Der überproportionale Anstieg des Schwerverkehrs in den letzten Jahrzehnten, sowohl bei den Fahrzeuggesamtgewichten, den Achslasten als auch in der Häufigkeit (DTV und Jahresfahrleistung, Bild- 5), in Verbindung mit der Altersstruktur der Brücken machen Erhaltungsmaßnahmen zur Verbesserung des Zustandes und vor allem der Tragfähigkeit vieler älterer Brücken erforderlich. Dem Anstieg der Verkehrsleistung steht bei den älteren Brücken oftmals eine eingeschränkte Tragfähigkeit gegenüber, die sich neben bauartspezifischen Defiziten vor allem aus den damaligen normativ geforderten Brückentragfähigkeiten ergibt. Die Brückentragfähigkeit wird anhand der Brückenstatik festgelegt, indem entsprechende normative Verkehrslastmodelle bei der Dimensionierung der Tragwerke berücksichtigt werden. Hier hat sich in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Steigerung ergeben (Bild-6). Folglich sind ausgewiesene Brückentragfähigkeiten an jeweilige Normungsstände gebunden. a) Entwicklung des durchschnittlichen täglichen Verkehrs (DTV) in Kfz/ 24h b) Entwicklung der jährlichen Fahrleistung in Mrd. Kfz-km Bild 5: Entwicklung der Verkehrsleistung: a) DTV und b) Fahrleistung [1] 5. Brückenkolloquium - September 2022 23 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 6: Normative Verkehrslastmodelle in Verbindung mit der Entwicklung der zulässigen Fahrzeuggesamtgewichte und Achslasten gemäß StVO Im Bild-7 sind die vorhandenen Brückentragfähigkeiten aller Bauwerke an Bundesfernstraßen dargestellt. Aktuelle Brückenneubauten werden seit 2013 für das europäische Lastmodell LMM bzw. wurden davor seit 2003 für das Lastmodell LM1 nach DIN-Fachbericht 101 ausgelegt. Diese Brückengeneration erfüllt alle aktuellen Anforderungen an Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit. Bei den Brücken der Brückenklasse 60/ 30 erfüllen zumindest die jüngeren Bauwerke ab Herstelljahr 1985 weitgehend alle heute gestellten Anforderungen. Brücken älterer Jahrgänge vor 1985 sind jedoch für deutlich geringere Verkehrslasten ausgelegt worden. Immerhin zählen zu dieser Gruppe über 50 % der Bestandsbrücken an Bundesfernstraßen. Diese Bauwerke werden in den nächsten Jahren zu modernisieren sein. Bild 7: Tragfähigkeitsverteilung für Brücken im Zuge der Bundesfernstraßen anteilig nach Anzahl der Teilbauwerke Bei Brücken der Brückenklasse 60 oder geringer sind die einstmals vorhandenen Tragreserven inzwischen zunehmend aufgebraucht. Hier bedarf es Verstärkungen oder Ersatz älterer Bauwerke für einen möglichst ungehinderten Verkehrsfluss. Verkehrliche Einschränkungen, z. B. Lkw-Überholverbot, Lkw-Abstandsgebot auch im Stau etc. können eine Interimslösung sein, um Tragwerksschwächen zu kompensieren, solange die Verstärkung noch nicht umgesetzt oder der Ersatzneubau noch nicht fertiggestellt wurde. Die Kompensationsmaßnahmen sind in der Nachrechnungsrichtlinie des Bundes [2] geregelt. 4.2 Bauliche Defizite Bauliche Defizite aus der Herstellung der Bauwerke sind ebenfalls an Ausgabestände von Normen gebunden. Bei Spannbetonbrücken betrifft dies neben der Koppelfugenproblematik und der Verwendung von gegenüber Spannungsrisskorrosion sensitiven Spannstählen vorrangig das Querkrafttragverhalten, weil sich u. a. die Bemessungsansätze über die Jahrzehnte insbesondere bei Spannbetonbrücken mehrfach geändert haben und erst seit 1966 Mindestbewehrungsgrade zur Verhinderung eines spröden Versagens quantitativ gefordert werden. Bei Stahl- und Stahlverbundbrücken steht neben der Materialermüdung von Stahlbauteilen das Stabilitätsverhalten, z. B. das Beulen großer Blechfelder von Stahlträgern, bei den Untersuchungen im Vordergrund. Die Beulnachweise hoher Hauptträgerstege genügen erst seit 1978 den heutigen, aktuellen Anforderungen. Ältere Stahl- und Stahlverbundbrücken, die vor 1980 gebaut wurden und bei denen die Methodik der heutigen Nachweisverfahren noch keine Anwendung fand, können je nach Ausführung das systemische Problem einer zu geringen Beulsicher- 24 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick heit in sich tragen. Aufgrund der aktuellen Probleme mit der Rahmedetalbrücke, A-45, wurde eine entsprechende Untersuchung zu möglichen Beulverformungen für ähnlich aufgebaute Brücken bei den Ländern und der Autobahn GmbH des Bundes veranlasst. Bei der Entwicklung von Bauvorschriften werden regelmäßig erkannte Defizite und Schwächen adressiert und durch angepasste oder neue Regelungen bei der Normenfortschreibung abgestellt. So kann festgestellt werden, dass ab 1985 ein Normungsstand erreicht war, der in wesentlichen Zügen für die konstruktive Durchbildung der Tragwerke vielfach auch heute noch Bestand hat. 5. Modernisierung von Brücken der Bundesfernstraßen 5.1 Grundsätzliche Vorgehensweise bei der Brückenmodernisierung Die grundsätzliche Vorgehensweise bei der Modernisierung von Brücken ist im Bild-8 dargestellt. Durch eine Nachrechnung nach Nachrechnungsrichtlinie des Bundes [2] werden die Abweichungen vom Soll einer Brücke hinsichtlich Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit genau ermittelt, bewertet und mögliche Abhilfemaßnahmen erörtert, während der Traglastindex hierfür nur ein Indiz vermittelt. Anhand einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung erfolgt die Festlegung baulicher Maßnahmen, die dann finanziert und umgesetzt werden. Bild 8: Ablauf der Brückenmodernisierung Die Bauwerke, die prioritär zu untersuchen sind, müssen zuvor nach baulichen und/ oder verkehrlichen Kriterien aus dem zu untersuchenden Bauwerksbestand herausgefiltert werden. 5.2 Bisherige Priorisierung von Einzelbauwerken (BASt-Liste) Ausgehend von der von Bund und Ländern gemeinsam erarbeiteten „Strategie zur Ertüchtigung der Straßenbrücken im Bestand der Bundesfernstraßen“ wurden in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und den Ländern in einem ersten Schritt ca. 2.500 Teilbauwerke aus dem Gesamtbestand der Brücken der Bundesfernstraßen herausgefiltert und hinsichtlich ihrer Dringlichkeit zur statischen Untersuchung und ggf. Verstärkung gereiht. Weil sehr unterschiedliche Faktoren und Kriterien Einfluss auf die Dringlichkeit haben, wurde ein multi-kriterieller Ansatz zu Bewertung der Bauwerke gewählt: • Zustandsbewertung der Bauwerke: Zustandsnote und Substanzkennzahl, • Bauwerksalter, • Besondere Brückencharakteristika: Großbrücken (Länge ≥ 100 m), Brücken mit Einzelstützweiten ≥ 20 m, fehlende Temperaturlastfälle in der Brückenstatik, Angaben zu Koppelfugen und bestimmten Spannstählen bei Spannbetonbrücken in Abhängigkeit vom Baujahr, • Verkehrsbelastung: DTV-SV (durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke des Schwerverkehrs). Die Priorisierung der Bauwerke umfasste damit eine qualitative Bewertung sowohl der Streckenabschnitte als auch der darin befindlichen Brücken, indem mittels eines Punktesystems die Einzelkriterien benotet und mathematisch miteinander zu einer Bewertungsziffer (Prioritätszahl) verbunden wurden. Hohe Bewertungsziffern führen zu entsprechenden Dringlichkeiten, wodurch die Reihung letztlich gegeben war. Sie sind jedoch kein Ausdruck einer etwaigen Gefährdung von Bauwerken. Großbrücken stellten sich regelmäßig hierbei als besonders dringlich dar, weil diese Einzelschäden und Defizite aufsummieren. Die Bauwerksliste wurde aus Übersichtlichkeitsgründen anfangs auf 2.500 Teilbauwerke begrenzt, weshalb die BASt-Liste tatsächlich nur einen begrenzten Ausschnitt des gesamten Untersuchungsraums darstellt. Von den 2.500 Teilbauwerken ist inzwischen ein erheblicher Anteil abgearbeitet worden oder wird derzeit bearbeitet (Bild-9). Während 833 Teilbauwerke fertiggestellt wurden, befinden sich 1.157 Teilbauwerke in der Bearbeitung, d. h. diese werden statisch nachgerechnet oder hinsichtlich notwendiger Verstärkungsmaßnahmen beplant, oder es werden bereits die planerischen Vorarbeiten für einen Ersatzneubau vorangetrieben, wenn dieses Vorgehen wirtschaftlicher ist. Etwa 484 Bauwerke müssen noch bearbeitet werden. 5. Brückenkolloquium - September 2022 25 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 9: Stand der Abarbeitung besonders dringlich eingeschätzter Bauwerke (Bauwerke der BASt-Liste, BAB und B) 5.3 Neue Priorisierung von Einzelbauwerken im Netz der Autobahnen Vor dem Hintergrund vorliegender mehrjähriger Erfahrungen von Brückennachrechnungen wurden die Brücken des gesamten Bestandsnetzes der Bundesfernstraßen mit zugeschärften technischen Kriterien aktuell erneut ausgewertet und Bilanz gezogen. Hierbei wurde vor allem der Traglastindex erstmals herangezogen, der seinerzeit bei der ersten grundlegenden Auswertung der Bestandsbauwerke, die zur BASt-Liste führte, noch nicht verfügbar war. Das Ergebnis der Auswertung ist in Abschnitt 3.2, insbesondere in den Tabellen 1 und 2, wiedergegeben und beschrieben. Mit dem Traglastindex lässt sich die Priorisierung von Modernisierungsmaßnahmen der BASt-Liste sinnvoll fortschreiben, indem zum einen Brücken mit technischen Unzulänglichkeiten sehr einfach und schnell identifiziert, zum anderen durch die gestufte Indexdarstellung die Dringlichkeiten hinsichtlich notwendiger Modernisierungsmaßnahmen abgeleitet werden können. Darüber hinaus können mit dem Traglastindex ähnlich den Zustandsnoten aggregierte Darstellungen erzeugt werden, anhand derer Vergleiche von Brücken untereinander auch zu verschiedenen Zeitpunkten möglich werden. Die Priorisierung wird sehr transparent. Die sehr breite Untersuchungsbasis gewährleistet darüber hinaus, dass alle Bauwerke der ehemaligen BASt-Liste in der Priorisierung mit dem Traglastindex aufgehen. Von daher ist es folgerichtig, dass der Traglastindex die BASt-Liste als Priorisierungsinstrument ablöst. Bei der Netzanalyse gilt es jedoch zu beachten, dass der Traglastindex zwar als Leitgröße, jedoch nicht als alleinige Grundlage für die Priorisierung von Erhaltungs- und Ertüchtigungsmaßnahmen an Brücken dienen sollte. Eine Priorisierung erfordert zumindest auch die Berücksichtigung des baulichen Erhaltungszustandes der Brücken, also die Bewertung nach Zustandsnoten. Darüber hinaus können weitere Parameter, wie z. B. die Verkehrsbedeutung der Strecke (u. a. Korridorbetrachtung in der Brückenmodernisierung), geplante Um-, Ausbau oder Erhaltungsmaßnahmen der Strecke sowie eine geplante gemeinsame Abwicklung von Baumaßnamen an Strecke und Bauwerken im Sinne einer Baustellenkoordination berücksichtigt werden. Für eine Gesamtnetzanalyse im BAB-Netz werden in Summe alle Bauwerke im Zuge einer Autobahn und nur teilweise Überführungsbauwerke betrachtet, hier mit der Einschränkung nur für die Überführung höherwertiger klassifizierter Straßen über eine Autobahn (B-, L-, Kreisstraßen), also keine Gemeindestraßen und Wirtschaftswege. Gemeinde- und Wirtschaftswege werden nicht in die Untersuchung einbezogen, weil die verkehrliche Bedeutung und damit auch die Anforderungen an diese Kategorie von Straßen und Wegen geringer und nicht vergleichbar mit den übrigen Brücken sind. Insgesamt wurden damit 23.395 Bauwerke betrachtet. Damit ergibt sich eine erste Übersicht zur Anzahl der zu priorisierenden Bauwerke (Tabelle-3), aufgeschlüsselt nach den jeweiligen Stufen des Traglastindex, und Bauwerken, die keiner Maßnahme bedürfen. Von Bedeutung sind hierbei insbesondere jene Teilbauwerke, die einen Traglastindex III, IV oder V aufweisen. 26 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Tabelle 3: Priorisierung von Autobahnbrücken (A- und Ü-Bauwerke, jeweils Teilbauwerke) nach dem Traglastindex 1) Kleine Brücken oder Brücken ohne Tragfähigkeitseinstufung Die Priorisierung mit den Traglastindex fokussiert vor allem auf Tragfähigkeitsdefizite der Bauwerke. Brücken, die derzeit dem Traglastindex I zugeordnet sind, weisen in der Regel das Tragfähigkeitsniveau LM1 nach DIN- Fachbericht 101 oder LMM nach Eurocode 1 auf und erfüllen alle aktuellen Anforderungen an die Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit. Diese Brücken bedürfen keiner weiteren speziellen Untersuchung. Bauwerke, die derzeit in die Brückenklasse 60/ 30 (BK60/ 30) eingestuft sind und 1985 oder später gebaut wurden - hierbei handelt es sich um Bauwerke, die in Bezug auf die konstruktive Durchbildung den heutigen Anforderungen genügen, z. B. alle Brücken in Strecken der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit (VDE) - sind in Abhängigkeit von Stützweitenverhältnissen und der Verkehrsbelastung der Indexstufe III oder II zugeordnet und können aufgrund der vorhandenen Tragreserven und Robustheit nachrangig betrachtet werden oder sogar unberücksichtigt bleiben. Dagegen sind Bauwerke der Tragfähigkeitsklasse BK60/ 30 mit Baujahr vor 1985 trotz Traglastindex III als prioritär anzusehen, weil bei dieser Generation von Brücken technische Sachverhalte anders beurteilt wurden als heute. Das Verhältnis der Bauwerke mit einem Baujahr vor und nach 1985 wird in etwa als hälftig abgeschätzt. Bauwerke der Indexstufe IV und V weisen die größten Abweichungen vom Soll auf. Hierunter fallen viele Autobahnbrücken mit einer Brückenklasse 60 und geringer. Aufgrund der teilweise sehr großen Abweichungen zwischen IST- und SOLL-Tragfähigkeit bei Brücken der Indexstufe IV und V kann nahezu immer wegen fehlender technischer Machbarkeit oder Unwirtschaftlichkeit von Verstärkungsmaßnahmen eine Modernisierung durch einen Ersatzneubau angenommen werden. Im Bild- 10 ist die regionale Verteilung der Autobahnbrücken (Teilbauwerke) mit einer Indexstufe IV und V dargestellt. Eine Konzentration auf die älteren Autobahnen in den westlichen Bundesländern ist zu erkennen, d. h. hier ist ein entsprechend großer Bedarf an Modernisierungsmaßnahmen von Autobahnbrücken vorhanden. 5. Brückenkolloquium - September 2022 27 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 10: Regionale Verteilung von Autobahnbrücken (A- und Ü-Bauwerke, jeweils Teilbauwerke) mit einem Traglastindex der Stufe IV und V im Autobahnnetz) Teilbauwerke mit einem Traglastindex III und einem Baujahr vor 1985 werden verstärkt oder ebenfalls ersetzt, wohingegen Bauwerke mit einem Traglastindex III mit einem Baujahr nach 1985 oder auch Bauwerke mit dem besseren Traglastindex II im Regelfall wenig Verstärkungsaufwand erfordern und deshalb als nachrangig angesehen werden; aus statischer Sicht sind i. d. R. vorerst keine dringenden Maßnahmen erforderlich. Neben dem Traglastindex als Leitgröße fließt final auch der bauliche Zustand der Brücken in die Priorisierung ein. Dies gilt insbesondere für jene Teilbauwerke, die einen schlechten Bauwerkszustand aufweisen, weil Schäden, Alterungserscheinungen und Verschleiß sich mittelfristig nachteilig auf die Tragfähigkeit eines Bauwerks auswirken können. Deshalb werden zu den obigen Auswertungen nach dem Traglastindex folglich noch jene Teilbauwerke hinzugerechnet, die eine schlechte Zustandsbewertung (Zustandsnote >- 3,5) haben, jedoch nicht den Indexstufen III, IV oder V zugeordnet sind. Dies sind im Autobahnnetz 61 Teilbauwerke. 28 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Folglich lässt sich der voraussichtliche Gesamtbedarf an zu modernisierenden Autobahnbrücken (Teilbauwerke) wie folgt abschätzen: Traglastindex III zu 50 % 4.461 Teilbauwerke Traglastindex IV 2.287 Teilbauwerke Traglastindex V 1.274 Teilbauwerke Zustandsnote > 3,5 61 Teilbauwerke Gesamtnetz BAB 8.083 Teilbauwerke 5.4 Besonders dringliche Einzelbauwerke im Netz der Bundesstraßen Bei den Bundesstraßen lassen sich die Gesamtaufwendungen hinsichtlich Brückenmodernisierung in derselben Weise wie bei den Autobahnen zusammenfassen, indem alle Bauwerke im Zuge einer Bundesstraße und alle Überführungsbauwerke höherwertiger klassifizierter Straßen über eine Bundesstraße (B-, L-, K-Straßen), also keine Gemeindestraßen und Wirtschaftswege, in die Betrachtung einbezogen werden. Insgesamt wurden 20.552 Bauwerke bewertet. Tabelle 4: Priorisierung von Brücken der Bundesstraßen (Teilbauwerke) nach dem Traglastindex 1) Wirtschaftswege oder Brücken ohne Tragfähigkeitseinstufung, 2) Rad- und Gehwege Die Anzahl an zu priorisierenden Bauwerken ergibt sich aus der Zuordnung zu den Traglastindexstufen, wie in Tabelle-4 ersichtlich ist, aufgeschlüsselt nach den jeweiligen Traglastindexstufen. Wiederum von Bedeutung sind hierbei insbesondere jene Teilbauwerke mit einem Traglastindex IV oder V (Bild-11), und hälftig die der Indexstufe III. Auch wenn sich die schlecht bewerteten Brücken (Teilbauwerke) nicht an ausgewiesenen Hauptstrecken festmachen, so ist doch wie bei den Autobahnbrücken beim Traglastindex ein deutliches Ost-West-Gefälle zu beobachten. Wegen der schlechten Zustandsbewertung einiger Bauwerke sind trotz eines Traglastindex von I oder II noch etwa 100 Teilbauwerke mit einer Zustandsnote größer 3,5 hinzuzurechnen, so dass in der Gesamtschau ca. 3.000 Teilbauwerke im Bundesstraßennetz vordringlich zu modernisieren sind: Traglastindex III zu 50 % 1.576 Teilbauwerke Traglastindex IV 714 Teilbauwerke Traglastindex V 640 Teilbauwerke Zustandsnote > 3,5 100 Teilbauwerke Gesamtnetz BStr. 3.030 Teilbauwerke 5. Brückenkolloquium - September 2022 29 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 11: Regionale Verteilung von Brücken im Netz der Bundesstraßen (A- und Ü-Bauwerke, jeweils Teilbauwerke) mit einem Traglastindex der Stufe IV und V) 6. Modernisierung von Autobahnkorridoren (Brückenmodernisierungsnetz) Für eine systematische Modernisierung eines Autobahn- Gesamtnetzes ist es nicht sinnvoll und auch nicht zielführend, allein und losgelöst von zusammenhängenden Streckenzügen singuläre Bauwerke zu betrachten. Wegen der bedeutenden überregionalen Verbindungsfunktion der Autobahnen muss die Brückenmodernisierung im Autobahnnetz differenzierter angegangen werden. Anstelle von Einzelbauwerken müssen vielmehr wichtige Netzabschnitte und Korridore mit hoher Verkehrsbedeutung vordringlich modernisiert werden (Bild 12), um den Verkehr zwischen Metropolen, Industriezentren und Seehäfen verlässlich, verkehrssicher und mit hoher Verfügbarkeit aufnehmen und abwickeln zu können. Dringliche Autobahnabschnitte können somit schneller zukunftsfähig hergerichtet und in leistungsfähigerer Form verkehrswirksam werden; sie tragen somit in kürzerer Zeit zur Steigerung von Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs bei. 30 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 12: Brückenmodernisierungsnetz (gelb hinterlegte BAB-Strecken) Die Strategie zur Modernisierung von Autobahnbrücken wurde auf die Modernisierung von Brücken ganzer Streckenzüge ausgeweitet. Auf diese Weise konzentriert sich die Brückenmodernisierung zwar in erster Linie auf ein vordringlich herzurichtendes Teilnetz an BAB-Strecken (Brückenmodernisierungsnetz), derweil der Verkehr im übrigen Teilnetz fließen kann, lässt aber dennoch ausreichend Ressourcen für die Modernisierung von besonders dringlichen Einzelbauwerken außerhalb des prioritären Netzes und für eine ungeschmälerte Fortführung sonstiger Erhaltungsmaßnahmen an Autobahnbrücken zu. Denn trotz Fokussierung auf das Brückenmodernisierungsnetz dürfen besonders dringliche Einzelbauwerke außerhalb des Teilnetzes sowie die normalen Erhaltungsmaßnahmen an allen Brücken nicht vernachlässigt werden. Mit dieser durchgehenden Netzstrategie soll in den nächsten acht Jahren ein Teilnetz aus Autobahnstrecken mit leistungsfähigen Brücken zukunftssicher hergerichtet werden, während Nachbarstrecken außerhalb des Brückenmodernisierungsnetzes mit ausreichender Zuverlässigkeit den Verkehr abwickeln. Das Brückenmodernisierungsnetz deckt mit einer Länge von rund 7.000-km etwas mehr als die Hälfte des Autobahnnetzes ab und enthält 10.683 Teilbauwerke (Tabelle 5). 5. Brückenkolloquium - September 2022 31 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Die Festlegung der Korridore erfolgte in enger Abstimmung mit den Straßenbauverwaltungen der Länder, später auch unter Mitwirkung der Autobahn GmbH des Bundes. Hierbei wurden Maßnahmen des neuen Bedarfsplans 2016, Maßnahmen der Streckenerhaltung (soweit bekannt), Strecken des europäischen TEN-V-Kernnetzes, Zulaufstrecken zu Seehäfen sowie Strecken, die von der Schwertransportindustrie als besonders wichtig deklariert wurden, berücksichtigt. Während in den ersten Darstellungen des prioritären Netzes die Bundesautobahnen A 45 und A 81 nicht Bestandteil des Brückenmodernisierungsnetzes waren, sind sie seit diesem Jahr integraler Teil des Netzes. Dieser Schritt ist sinnvoll, weil beide Autobahnen zu großen Teilen nur aus Brückenbauwerken bestehen und kaum Umfahrungsmöglichkeiten für unplanmäßige Ausfälle bieten. Daher sind beide Strecken möglichst schnell zukunftsfest zu machen. Die Auswertung der aktuellen Tragfähigkeitseinstufung der Bauwerke im Zuge von BAB-Strecken des Brückenmodernisierungsnetzes inkl. der neu zugeordneten Autobahnen A-81 und A-45 (Tabelle-5) zeigt, dass in Bezug zur Gesamtanzahl von 10.683 Teilbauwerken im prioritären Netz etwas weniger als die Hälfte in die nicht zukunftsfähige Brückenklasse 60 oder geringer eingestuft sind, was einem Traglastindex IV und V und teilweise III (ca. 70-%) entspricht. Der Anteil ist hoch, aber auch nachvollziehbar. Denn tendenziell werden durch das Brückenmodernisierungsnetz die Hauptrouten im Autobahnnetz erfasst, vielfach in Westdeutschland, die durch ihre Verbindungsfunktion von Metropolen und Industriezentren besonders viel und vor allem schweren Güterverkehr zu tragen haben. Fast immer trifft es hierbei die älteren Autobahnen mit Brücken, die für deutlich geringere Verkehre vor 1985 gebaut wurden und die aufgrund des permanent hohen Verkehrsaufkommens eine andauernde hohe Bauwerksauslastung aufweisen. Tabelle 5: Traglastindex der Brücken im Brückenmodernisierungsnetz (Bauwerke nur im Zuge von BAB-Strecken) 1) Kleine Brücken oder Brücken ohne Tragfähigkeitseinstufung Für die Priorisierung im Brückenmodernisierungsnetz werden jene Teilbauwerke mit einem Traglastindex der Stufen IV und V sowie anteilig die Stufe III berücksichtigt. Der Anteil der Bauwerke der Stufe III wird hier mit etwa 70 % als dringlich angerechnet. In Summe ergeben sich Stand heute für das Brückenmodernisierungsnetz 3.946 zu modernisierende Teilbauwerke im Zuge von Autobahnen, darunter viele kleinere Standardbauwerke. Derzeit befinden sich 1.296 Teilbauwerke in verschiedenen Phasen der Planung oder des Baus, sind also in Bearbeitung und werden nachgerechnet, verstärkt, als Ersatzneubauten beplant oder sind bereits im Bau. Aus diesem Kontingent rekrutiert sich zu wesentlichen Teilen die Planungsreserve für die nächsten Jahre. Weitere 2.650 Teilbauwerke müssen einer Bearbeitung noch zugeführt werden (Tabelle-6). Tabelle 6: Abarbeitungsstand der Brücken im Zuge von Autobahnen im Brückenmodernisierungsnetz nach Anzahl der Teilbauwerke Anzahl noch zu modernisierender Teilbauwerke 3.946 Davon sind in Bearbeitung noch nicht in Bearbeitung 1.296 2.650 Auch wenn die Brückenmodernisierung noch nicht den eingeschwungenen Zustand erreicht hat und weitere Anstrengungen hinsichtlich Planungs- und Baubeschleunigung notwendig sind, so ist doch im Bild-13 zu erkennen, dass die massiven Investitionen in die Brückenerhaltung und -modernisierung den negativen Trend in der Zustandsentwicklung der Bauwerke gestoppt haben. Der Anteil der mit sehr gut bis gut bewerteten Bauwerke (grüne Farbkodierung) bezogen auf die Gesamtbrückenfläche aller Brücken der Bundesfernstraßen hat sich stabilisiert, der Anteil der Bauwerke mit schlechterem Zustand (Zustandsnote größer 3,0, rote Farbkodierung) ist spürbar verringert worden. 32 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 13: Zustandsnotenverteilung für Brücken an Bundesfernstraßen im Jahresvergleich anteilig nach Brückenfläche 7. Finanzierung und Mittelumsatz bei der Brückenmodernisierung Insgesamt hat das BMDV die Investitionen in die Erhaltung der Bundesfernstraßen (Strecke und Brücke) kräftig aufgestockt. Ausgehend von derzeit rund 4,5 Mrd. Euro pro Jahr, von denen im Jahr 2022 rund 1,6- Mrd. Euro in die Brückenerhaltung fließen werden, ist nun in Umsetzung des Koalitionsvertrages seitens des BMDV eine weitere schrittweise Erhöhung der Erhaltungsmittel auf 5,7 Mrd. Euro im Jahr 2026 angestrebt. Der jährliche Mittelbedarf für die Brückenerhaltung inkl. Modernisierung ist weiterhin hoch und muss zukünftig gesteigert werden. Mit den gesteigerten Investitionen sind alle geplanten jährlichen Maßnahmen ordnungsgemäß umsetzbar. Der höhere Mittelbedarf ist eng mit einer notwendigen Steigerung der Leistungsfähigkeit der Autobahn GmbH des Bundes verbunden. Wurden in den letzten Jahren im Mittel etwa 200 Autobahnbrücken modernisiert, so verlangt das immense Aufgabenportfolio nahezu eine Verdopplung des Bauumsatzes auf ca. 400 Autobahnbrücken pro Jahr (Bild-14), wenn die Brückenmodernisierung im Autobahnnetz in etwa zwei Dekaden geleistet werden soll. Bild-14: Geplanter jährlicher Aufwuchs der modernisierten und fertiggestellten Autobahnbrücken bis zum Jahr 2026 5. Brückenkolloquium - September 2022 33 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Anhand einer Modellrechnung mit Mittelwerten lässt sich der dafür erforderliche Mittelbedarf ableiten. Bezogen auf alle Brücken-Teilbauwerke im Autobahnnetz ergibt sich eine rechnerische Vergleichsbrücke mit folgenden Kenndaten: mittlere Länge 50 m, mittlere Breite 15 m und mittlere Brückenfläche 750 m 2 . Mittelbedarf für Brückenmodernisierung der Autobahnbrücken Wurden bisher im Mittel der letzten Jahre ca. 200 Autobahnbrücken (Teilbauwerke) in einem Jahr modernisiert, so ergeben sich anhand der Vergleichsbrücke mit einem aktuellen mittleren Kostenansatz von ca. 4000-EUR/ m² ein aktueller Mitteleinsatz von ca. 600 Mio. EUR pro Jahr für die Brückenmodernisierung im Autobahnbereich. Diese Summe ist in der Wirtschaftsplanung der Autobahn GmbH für das Jahr 2022 enthalten (Bild 15): 750 m² ´ 4000,00 EUR/ m² ´ 200 TBW = 600 Mio. EUR Da die Zahl der modernisierten Brücken im Autobahnnetz bis zum Jahr 2026 auf ca. 400 Autobahnbrücken (Teilbauwerke) pro Jahr ansteigen soll und darüber hinaus auf der Kostenbasis von 2022 eine 4 %ige jährliche Kostensteigerung in Ansatz gebracht werden muss (neuer Kostenansatz 1,04 4 ´ 4000 EUR/ m² = 4.700 EUR/ m²) ergibt sich ein notwendiger Haushaltmitteleinsatz von ca. 1,4 Mrd. EUR allein für die Autobahnen, für den wir uns einsetzen werden: 750 m² ´ 4700,00 EUR/ m² ´ 400 TBW = 1.410 Mio. EUR ≈ 1,4 Mrd. EUR Im Bild 15 ist der erforderliche Mittelaufwuchs für die Modernisierung der Autobahnbrücken dargestellt. * geschätzte 600-Mio.-€ sind in der Wirtschaftsplanung der Autobahn GmbH für die Jahre 2022 ff. bereits enthalten Bild 15: Erforderlicher Mittelaufwuchs für die Modernisierung von Autobahnbrücken Mittelbedarf für Brückenmodernisierung der Bundesstraßenbrücken Für die Brücken der Bundesstraßen sind analoge Betrachtungen anzustellen. Wurden in den letzten Jahren ca. 250 bis 300 Mio. EUR für die Brückenmodernisierung verausgabt, werden bei vergleichbarem jährlichen Modernisierungsaufwand inkl. einer 4-%igen jährlichen Preisentwicklung im Jahr 2026 bekanntermaßen etwa 400-Mio. EUR zu veranschlagen sein. Mittelbedarf für übliche Bauwerkserhaltung Die Aufwendungen der üblichen Erhaltungsmaßnahmen, z. B. Betoninstandsetzung bei Betonbrücken, Erneuerung des Korrosionsschutzes von Stahlbrücken, Lagertausch etc., werden sich für die Bundesfernstraßen (BAB und B) bei vergleichbarem Aufgabenumfang bis 2026 bei etwa ca. 700 Mio. EUR jährlicher Kosten (inkl. jährlicher Preisentwicklung) einpendeln. Gesamter Mittelbedarf für die Bundesfernstraßen In der Gesamtbetrachtung der Bauwerkserhaltung werden für die Brückenmodernisierung für die Bundesfernstraßenbrücken (BAB und B) im Jahr 2026 etwa 1,8 Mrd. EUR benötigt werden. Hinzukommen die Aufwendungen für übliche Erhaltungsmaßnahmen in Höhe von 700 Mio. EUR, so dass in Summe die erforderlichen Erhaltungsmittel auf ca. 2,5-Mrd. EUR im Jahr 2026 anwachsen werden (Bild 16). Für diese Summe werden wir uns einsetzen. 34 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick Bild 16: Erforderlicher Mittelaufwuchs für die Erhaltung der Bundesfernstraßen Es zeichnet sich folglich ab, dass die notwendigen Investitionsmittel in die Bauwerkserhaltung in den kommenden Jahren dringend verstärkt werden müssen, um die gewaltige Aufgabe der Zukunftssicherung der Brücken der Bundesfernstraßen zu stemmen. Für diesen Mittelaufwuchs werden wir uns bei den anstehenden Haushaltsverhandlungen einsetzen. Personalbedarf Zur Umsetzung der Investitionsmittel ist ein entsprechender Personaleinsatz erforderlich, so dass der jeweilige Bedarf stark mit dem Jahresbauprogramm verwoben ist. In Abhängigkeit vom verfügbaren eigenen Personalbestand (inkl. Personalaufwuchs) muss der darüber hingehende Bedarf über Drittmittelvergaben an Ingenieurbüros gedeckt werden, um das ambitionierte Bauprogramm sowohl bei den Bundesstraßen als auch bei den Bundesautobahnen realisieren zu können. Die notwendigen Ingenieurmittel (eigenes Personal und Ingenieurverträge) für die notwendigen Planungen lassen sich etwa mit 18 % der Baukosten abschätzen. 8. Rechtlich flankierende Maßnahmen für Ersatzneubauplanungen für Brücken im Zuge von Bundesfernstraßen Ein wesentlicher Zeitfaktor bei der Vorbereitung von Brückenmodernisierungsmaßnahmen ist die Schaffung von Baurecht. In Bezug auf Ersatzneubauplanungen für Brücken im Zuge von Bundesfernstraßen sind zwei Gesetzesanpassungen aus der letzten Legislaturperiode hervorzuheben: • Um den Ersatz von hoch belasteten Brücken zu beschleunigen, hat der Bund mit dem in 2018 in Kraft getretenen Gesetz zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich Regelungen zur Planungsbeschleunigung geschaffen. Dies bringt insoweit eine Erleichterung, als dass anstelle eines Planfeststellungsverfahrens auch dann ein Plangenehmigungsverfahren durchgeführt werden kann, wenn eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. • Mit dem Gesetz zur weiteren Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich aus 2020 wird der Begriff der „Änderung“ einer Bundesfernstraße in §-17 Abs. 1 Bundesfernstraßengesetz (FStrG) legaldefiniert und restriktiver gefasst, um Maßnahmen leichter als Unterhaltungsmaßnahmen und damit ohne Baurechtverfahren durchführen zu können. Über eine 1: 1 Wiederherstellung hinaus sind auch konstruktive Anpassungen der neuen Infrastruktur als Unterhaltungsmaßnahmen möglich. Rein konstruktive Verbesserungen der Straße zur Anpassung an aktuelle Regelwerke, Standards, Sicherheits- oder Verkehrsbedürfnisse können dann zwar eine bauliche Umgestaltung der Straße darstellen, aber überschreiten nicht zwingend die Erheblichkeitsschwelle, sind damit keine Änderungen im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG und werden somit nach einer Einzelfallprüfung als Unterhaltungsmaßnahmen qualifiziert. Bereits nach geltender Rechtslage kann der Ersatz einer abgängigen Autobahnbrücke an Ort und Stelle genehmigungsfrei und auch ohne Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgen. Maßgebend sind stets die Umstände des Einzelfalls. Empfehlenswert ist die frühzeitige Einbindung und Abstimmung des Vorhabenträgers mit den zuständigen Behörden. In dieser Legislatur stehen vor allem die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen und die Optimierung interner Verfahrensabläufe im Fokus. Eine Digitalisierung des Planungs- und Genehmigungsverfahrens ist geboten, um dieses Verfahren unter der Zielsetzung der Beschleunigung, Qualitätssicherung sowie unter Wahrung der Öffentlichkeitsbeteiligung zu modernisieren. Durch Digitalisierung können Schnittstellen eingespart und Entscheidungswege beschleunigt werden. Digitale Projekte, wie Wissensplattformen zum Datenaustausch, zum Beispiel beim Artenschutz, könnten zukünftig einen Beitrag zur Verfahrensbeschleunigung leisten. Auch die Nutzung von Building Information Modeling (BIM) soll weiter vorangetrieben werden. Neben der Digitalisierung spielt auch die Qualität interner Verwaltungsstrukturen und Prozesse eine entscheidende Rolle bei der Planungsdauer. Damit die internen Strukturen und Prozesse gut funktionieren, ist ausreichendes, gut ausgebildetes Personal erforderlich, das interdisziplinär zusammenarbeitet. Notwendig sind auch eine effiziente Projektorganisation, eine frühzeitige Ab- 5. Brückenkolloquium - September 2022 35 Brücken an Bundesfernstraßen - Bilanz und Ausblick stimmung mit allen Beteiligten, klare Entscheidungswege sowie ein effizientes Controlling. Darüber hinaus sollen auch alle noch bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten zur Planungsbeschleunigung ausgeschöpft werden. Welche Gesetzesanpassungen für die Baurechtsschaffung von Brückenersatzneubauten erfolgen können, wird aktuell geprüft. Dies schließt auch die Prüfung der Legalplanung für ausgewählte Brückenbauwerke als Pilotvorhaben ein. Generell gilt, dass mit der Genehmigung von Vorhaben auf Grundlage des Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes bislang noch keine praktischen Erfahrungen bestehen. Im Rahmen des derzeit laufenden Vertragsverletzungsverfahrens der EU KOM gegen dieses Gesetz hatte die Bundesregierung im Juli 2021 gegenüber der Europäischen Kommission ihre Position dargelegt. 9. Schlussfolgerungen und Ausblick Durch die ungünstige Altersstruktur mit vielen Brücken jenseits der 50 Jahre einerseits und der ungebremsten Zunahme des Güterverkehrs andererseits müssen viele Brückenbauwerke im deutschen Bundesfernstraßennetz verstärkt oder erneuert werden, um für die Zukunft gut aufgestellt zu sein. Die Problemstellungen der älteren Brücken sind erkannt; sie werden zielgerichtet angegangen. Dafür werden die Brücken nachgerechnet und Defizite aufgedeckt, Abhilfemaßnahmen erarbeitet und baulich umgesetzt. Fast immer sind die notwendigen Maßnahmen bei laufendem Verkehr durchzuführen. Zur zielgerichteten Umsetzung dieser Aufgabe wurde ein Programm zur Brückenmodernisierung aufgelegt, welches für die nächsten Jahre eine Schwerpunktaufgabe darstellt. Das Programm Brückenmodernisierung konzentriert planerische und bauliche Aktivitäten auf die zukunftssichere Ausrichtung verkehrswichtiger Korridore vorwiegend im Autobahnnetz. Die Korridore bestehen aus zusammenhängenden Autobahnstrecken, die in Summe das Brückenmodernisierungsnetz bilden und mit 7.000 km etwas mehr als die Hälfte des deutschen Autobahnnetzes umfassen. Darüber hinaus wird sichergestellt, dass ausreichend Ressourcen für die Modernisierung von einzelnen Brücken außerhalb des prioritären Netzes zur Verfügung stehen, um ungewollte Ausfälle zu verhindern. Ansonsten bleiben Strecken außerhalb des Brückenmodernisierungsnetzes möglichst frei von Baumaßnahmen, um den Autobahnverkehr flüssig abwickeln zu können. Sonstige Erhaltungsmaßnahmen an Autobahnbrücken werden bedarfsgerecht fortgeführt. Nach Fertigstellung des Brückenmodernisierungsnetzes werden die notwendigen Arbeiten in der verbliebenen Hälfte des Autobahnnetzes fortgesetzt. Ziel ist es, größere Streckenabschnitte für die Modernisierung zusammenzufassen, z. B. durch andere, funktionale Vergabeformen, um die Effektivität der Umsetzung von Modernisierungsmaßnahmen zu steigern. Unmittelbar verkehrswirksame Verbesserungen würden Raum gewinnen, je mehr zukunftssichere Autobahnabschnitte vorhanden sind und je länger die daraus zusammengesetzten Streckenabschnitte werden. Die Leistungsfähigkeit und Zukunftssicherheit des deutschen Autobahnnetzes hängen maßgeblich von einer erfolgreichen Brückenmodernisierung ab. Für eine Umsetzung in angemessenen Zeiträumen müssen insbesondere die personellen, aber auch die finanziellen Mittel bedarfsgerecht verstärkt und auf hohem Niveau über viele Jahre hinweg fortgeführt werden. Literatur [1] BMDV-(2020) Verkehrsinvestitionsbericht [2] BMVI- (2011) Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), Bonn/ Berlin, 05/ 2011, 1. Ergänzung, 04/ 2015 5. Brückenkolloquium - September 2022 37 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren - Stahlbau, Technische Universität Berlin Dr.-Ing. Josef Kraus GMG Ingenieurgesellschaft Berlin Zusammenfassung Der Brückenbestand des Straßennetzes weist insbesondere durch die in den letzten Jahrzehnten permanente Verkehrslaststeigerung systemische Probleme auf. Allerdings kann nicht jedes Bauwerk zügig ersetzt werden. Für die Bewertung der Brücken und damit die Priorisierung der Ersatzneubauten steht seit ca. 10 Jahren die „Nachrechnungsrichtlinie für Straßenbrücken“ zur Verfügung. Im vorliegenden Beitrag wird die Nachrechnung in den 4 Bewertungsstufen thematisiert. Auf die beiden für Stahlbrücken wichtigen Themenbereiche Beultragfähigkeit und Ermüdungssicherheit, für die häufig in den niedrigen Bewertungsstufen 1 und 2 rechnerisch kein befriedigendes Ergebnis erreicht werden kann, wird besonders eingegangen. Weiterhin wird die meist zielführende Einbindung von Bauwerksmonitoring in die Nachrechnung erläutert. 1. Normative Grundlagen der Bewertung Für die Bewertung von Brücken steht seit ca. 10 Jahren die Nachrechnungsrichtlinie für Straßenbrücken [1] zur Verfügung. Die Nachrechnung kann bedarfsweise in 4 Stufen verfeinert werden, wobei die Stufe 1 i.- W. den Regelungen für die Neubemessung eines Bauwerks entspricht. Aufgrund der Weiterentwicklung der Einwirkungs- und Bemessungsnormen ist es dabei systemisch, dass einige Nachweise in der Stufe-1 der Nachrechnung nicht erbracht werden können. In Stufe-2 der Nachrechnung können bestimmte Nachweise modifiziert angewandt werden, wobei diese Ergebnisse mit eingeschränkter Nutzungsdauer bzw. -parametern verbunden sind. Insofern die rechnerischen Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) und der Ermüdungssicherheit weiterhin kein befriedigendes Ergebnis aufweisen, ist das zwar ein Indiz für eine hohe Auslastung des Tragwerks, muss aber noch nicht dessen zu geringe Zuverlässigkeit bedeuten. Dieser Bereich wird durch die Stufen 3 und 4 der Nachrechnungsrichtlinie erfasst (siehe Abb. 1). Hier werden die weitergehenden Methoden zur noch gezielteren (objektspezifischen) Ausnutzung rechnerischer Reserven angegeben. Abb. 1: Bewertungsstufen Brückennachrechnung [1] Die Methoden der Stufe 3, also die Umsetzung von Messergebnissen zum Tragwerk, sollen dabei im Regelfall vor den speziellen „wissenschaftlichen“ Rechenmethoden der Stufe 4 eingesetzt werden, da erfahrungsgemäß durch die realistische Erfassung der Beanspruchungen bereits ein großer Nutzen erreicht werden kann. Die Methoden in Stufe 3 umfassen i. W.: - Systemmessungen mit bekannter Last (i.d.R. Lkw oder Kranfahrzeug) und anschließender Kalibrierung des rechnerischen Modells vom Tragsystem und punktuell wiederholter Nachweisführung, - Bauwerksmonitoring zur Erfassung der Beanspruchungskollektive, Extremwerte der Verkehrsbeanspruchung, Auftretenswahrscheinlichkeiten und Extremwerte der Beanspruchungen im Messzeitraum infolge zeitveränderlicher Begleiteinwirkungen (z.-B. Wind, Temperatur), - Bauwerksmonitoring und Extrapolation auf den Nutzungszeitraum zur Begründung objektspezifischer Lastmodelle, 38 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken - Bauwerksmonitoring zur kontinuierlichen Erfassung des zeitabhängigen Verhaltens der Bauteile oder des Tragsystems (z.B. Rissverhalten, Baugrundbewegungen). Ein sicherheitsrelevantes Bauwerksmonitoring ist der Stufe 4 zuzuordnen und bedingt eine zugehörige Maßnahmenkette bei Grenzwertüberschreitungen. Weiterhin betreffen die Methoden in Stufe-4 insbesondere die geometrisch und physikalisch nichtlinearen Berechnungsverfahren, zuverlässigkeitstheoretische Methoden bzw. Nachweise sowie Verkehrslastsimulationen zur rechnerischen Begründung objektspezifischer Lastmodelle im GZT bzw. für Ermüdung. Im Folgenden wird neben einem kurzen Kommentar zu den einwirkungsseitigen Aspekten auf zwei zentrale Problembereiche der Nachrechnung von Stahlbrücken, die Tragsicherheit (dabei insbesondere die Beulsicherheit) sowie die Ermüdungssicherheit, näher eingegangen. 2. Sicherheitskonzept und Einwirkungen Nach früheren Vorschriften geplante Tragwerke mit geringeren einwirkungsseitigen Bemessungswerten sind heute häufig - systemisch bedingt - bei Nachrechnung auf Basis der Eurocodes nicht nachweisbar. Eine „Neubauvorsorge“ ist allerdings in der Nachrechnung nur in wesentlich geringerem Umfang erforderlich. Es ist entsprechend zu prüfen, inwieweit das Defizit wegen einwirkungsseitig geringerer Werte früherer Bemessung durch begründete Minderung der aktuellen Teilsicherheitsbeiwerte etwas ausgeglichen werden kann. Bei Bestandsbauwerken liegen Vorkenntnisse vor, welche die bei der Planung anzusetzenden Unsicherheiten verringern. Dazu zählen Informationen über die tatsächlichen Abmessungen, Eigenlasten und Festigkeiten der Bauteile. Die Wahrscheinlichkeit grober Fehler in der Planungs- und Ausführungsphase ist bei Bestandsbauten, die viele Jahre schadensfrei gestanden haben und mindestens alle 6 Jahre inspiziert werden, deutlich verringert. In [3] wird vorgeschlagen, bei der Begründung der erforderlichen Teilsicherheitsfaktoren für die zeitveränderlichen Einwirkungen bzw. für probabilistische Nachweise davon auszugehen, dass für die Nachrechnung eines Bestandstragwerkes im guten Zustand ein Zuverlässigkeitsindex b erf =-3,2 ausreichend wäre. Es stellt sich die Frage, ob dieser Ansatz richtig ist, denn die gesellschaftlich akzeptierte Versagenswahrscheinlichkeit, d.h. die Zielzuverlässigkeit, sollte nicht verändert werden. Allerdings ist der rechnerische Spielraum für den Nachweis der Zuverlässigkeit bei Bestandsbauwerken größer, da mehrere Eingangsparameter wegen der reduzierten o. g. Unsicherheiten weniger streuen. Diese Thematik muss weiter aufgearbeitet werden, da viele Bauwerke trotz deren möglicherweise ausreichender Zuverlässigkeit nicht mehr mit den traditionellen Berechnungskonzepten nachweisbar sind. Unabhängig von diesen grundlegenden Fragen sind folgende Aspekte nach Auffassung der Autoren für die Nachrechnung von stählernen Straßenbrücken zu diskutieren: - Der Teilsicherheitsfaktor g G -=-1,20 für ein durch Aufmaß kontrolliertes Eigengewicht der Stahlkonstruktion ist akzeptabel. In diesem Fall sind spezifische Festlegungen zum Kontrollaufwand verbunden, womit die Streuung der jeweiligen Last eingegrenzt wird. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass die Gewichte der „Kleinbauteile“ wie Knoten-bleche, Verbindungsmittel, Korrosionsschutz etc. bei Nachrechnungen sorgfältig ermittelt werden müssen, da ein pauschaler Faktor von z. B. 5 % diese Gewichte stark unterschätzen kann. - Die Bemessungswerte der Beanspruchungen infolge vertikaler Straßenverkehrslasten sind - wie bereits festgelegt - mit dem Teilsicherheitsbeiwert g F -=-1,50 bei Ansatz des LM-1 nach DIN-Fb-101 zu ermitteln, da die charakteristischen Werte deutlich geringer als bei Ansatz des LMM nach EC-1 zur Abdeckung zukünftiger Straßenverkehrslasten sind. Wegen der relativ großen Streuung der Extremwerte der Straßenverkehrslasten ist pauschal zunächst keine günstigere Regelung möglich. - Nur auf der Basis von Bauwerksmonitoring (s. [15]) oder Verkehrslastsimulationen (s. [14]) können die charakteristischen Werte modifiziert begründet werden. In diesem Fall müssen die extremalen dynamischen Überhöhungen mit innerhalb des charakteristischen Wertes abgebildet werden. - Die heute gegenüber früheren Vorschriften ungünstigeren Temperatureinwirkungen sind besonders zu beachten. Für die Beurteilung der Temperatureinwirkungen spielt neben den bekannten Einflussfaktoren auch die geografische Ausrichtung des Bauwerks (insbesondere Richtung und Dauer der täglichen Sonneneinstrahlung) eine Rolle. - Für typische durch Straßenverkehr und vertikale Temperaturdifferenz gleichzeitig beanspruchte Tragwerke wurde durch probabilistische Analysen begründet (vgl. [4], [5], [6]), dass in der Nachrechnung der Kombinationsbeiwert y 0 -=-0,50 für die Temperatureinwirkung (im GZT als Begleiteinwirkung zum Straßenverkehr) möglich wäre. Der Teilsicherheitsbeiwert für die Temperatureinwirkung sollte aber mit 1,35 bestehen bleiben. 3. Grenzzustand der Tragfähigkeit 3.1 Erforderliche Nachweise Für die Nachweise der Querschnittstragfähigkeit werden analog zur Neubemessung die Bemessungswerte der Beanspruchungen und der jeweiligen Grenztragfähigkeit gegenübergestellt. Da früher die Vergleichsspannung nicht explizit nachgewiesen wurde, kann es in oberen bzw. unteren Randbereichen durchlaufender Stege über Innenstützen zu rechnerischen Überschreitungen des Nachweises kommen, die aber meist diskutiert werden können. Hinsichtlich der Tragfähigkeit von bis ca. 1970 noch verwendeten Nietverbindungen ergaben sich mit der bisherigen Regelung der Nachrechnungsrichtlinie (die analog 5. Brückenkolloquium - September 2022 39 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken zu den Schraubennachweisen ist) häufig zu ungünstige Nachweisergebnisse. Das mechanische Werkstoffverhalten der Niete ist allerdings nicht deckungsgleich mit dem spröderen Verhalten (hochfester) Schrauben, sondern eher mit dem des Grundmaterials zu vergleichen (vgl. erforderliche Bruchdehnung von ca. 30 % für Niete nach DIN-101, Abb. 2). Das gute Werkstoffverhalten der Niete kann berücksichtigt werden, indem der widerstandsseitige Teilsicherheitsbeiwert für den Abschernachweis der Niete St-34 bzw. St-36 und St-44 nicht mit g M2 -=-1,25, sondern wie für das Grundmaterial mit g M0 (bzw. alternativ ein entsprechend höherer Vorfaktor für die Abschertragfähigkeit, derzeit a-=-0,60) angesetzt werden kann. Abb. 2: Auszug aus DIN-101 (1952) zu Anforderungen an Nietwerkstoffe Für die Stabstabilität wird der Bezug auf die gemäß Eurocode erforderlichen Nachweise mit den differenzierteren europäischen Knickspannungslinien (einschließlich der zugehörigen rechnerischen Stabimperfektionen) hergestellt. Das Biegeknicken und das Biegedrillknicken kann wahlweise nach dem Ersatzstabverfahren oder mit einer Berechnung nach Theorie II. Ordnung nachgewiesen werden. Die Differenzierung der Teilsicherheitsbeiwerte für reines Festigkeitsversagen und für Stabilitätsversagen, wie es in der Neubemessung mit g M0 = 1,0 und g M1 = 1,10 angewandt wird, ist auch für die Nachrechnung notwendig. 3.2 Nachweis der Beultragfähigkeit Der Nachweis gegen Plattenbeulen ist mit Bezug auf DIN-EN-1993-1-5 [9] zu führen. Dabei ist in der Nachrechnung von Brücken zunächst das Verfahren mit Grenzbeulspannungen (DIN-EN-1993-1-5, Abschn.-10) mit den von dort referenzierten Beulabminderungskurven anzuwenden. Dieses Rechenverfahren ermöglicht auch die direkte Einbindung von FE-- Ergebnissen für komplex beanspruchte Beulfeldgeometrien. Abb. 3: Beulfelder an einem Kastenquerschnitt Die Beulabminderungskurve für Längsspannungen der DIN EN 1993-1-5 entspricht nur für das Gesamtfeld und einem Spannungsverhältnis y = 1,0 (konstanter Druck) früheren Festlegungen der DASt-Ri 012 [10] bzw. DIN 18800-3 [11]. Einzelfelder wiesen nach den früheren deutschen Normen etwas höher liegende und damit günstigere Beulabminderungskurven auf. Die Beulabminderungskurve für Schubspannungen liegt nach DIN EN 1993-1-5 für verformbare Auflagersteifen etwas tiefer als nach früheren deutschen Normen. Entsprechend ergeben sich Auswirkungen auf den Interaktionsnachweis. Abb.-4: Beulabminderungskurven für Längsspannungen mit y-=-1,0 nach DIN-EN 1993-1-5 und DIN-18800- 3, aus [12] Das alternative Rechenverfahren mit wirksamen Querschnitten berücksichtigt eine (überkritische) Umlagerung der Längsbeanspruchungen innerhalb des Querschnittes. Dieses Verfahren sollte erst zur Anwendung kommen, wenn die linear-elastischen Beulnachweise nach Abschnitt 10 (Grenzbeulspannungen) nicht erfüllt werden können. Deutliche Vorteile ergeben sich mit dem nichtlinearen Verfahren vor allem im Bereich der biegebeanspruchten Stege, da dort die Umlagerungen über der Querschnittshöhe häufig am größten sind. 40 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken Die in der Fertigung einzuhaltenden geometrischen Toleranzen der Beulfelder sind für Neubauten in der ZTV- ING geregelt, s. Abb. 5. Sollten diese Werte am Bestandsbauwerk überschritten werden, wird eine FE-Berechnung nach Th.- II.- Ordnung mit Imperfektionen (Vorbeulen) erforderlich. Die Größe der anzusetzenden Imperfektion muss dabei mindestens der gemessenen Geometrie entsprechen, allerdings unter Berücksichtigung, dass die Beanspruchungen infolge Eigengewicht bereits in die Konstruktion eingetragen sind. Im Einzelfall ist noch ein Zuschlag auf den Stich der gemessenen Geometrie der Vorbeulen zur Berücksichtigung von Eigenspannungen (strukturelle Imperfektion) vorzunehmen. Allerdings wäre die für stabförmige Bauteile geltende Näherung, dass geometrische und strukturelle Imperfektionen jeweils in ungefähr gleicher Größe rechnerisch anzusetzen sind, hier zu ungünstig. Man kann davon ausgehen, dass die strukturellen Imperfektionen beim Beulen deutlich kleiner sind, wobei belastbare Untersuchungen hierzu nicht vorliegen. Abb. 5: Toleranzen der Bauteile des Beulfeldes für den Neubau Auf die Notwendigkeit der Überprüfung des knickstabähnlichen Verhaltens der Beulfelder wird besonders hingewiesen, da dieser sicherheitsrelevante Nachweis erst seit ca. Mitte der 1970er-Jahre in der Neubemessung normativ zwingend geführt worden ist. Er kann im vorliegenden Endzustand vor allem im Innenstützbereich für die Bodenbleche, aber auch die Stege, durchlaufender Hohlkastenbrücken relevant werden. Der widerstandsseitige Teilsicherheitsbeiwert ist unabhängig vom Nachweisverfahren mit g M1 = 1,10 anzusetzen - hier ist zukünftig nochmal zu diskutieren, ob nicht eine Differenzierung angezeigt ist oder ob die höheren Versagensfolgen z. B. bei knickstabähnlichem Verhalten des Gesamtfeldes im Vergleich zum Beulen eines Einzelfeldes anderweitig im Nachweis berücksichtigt werden. 3.3 Beispiel für Verstärkungsmaßnahmen Eine mögliche Ertüchtigung hinsichtlich der Beultragfähigkeit soll am Beispiel einer größeren Stahlbrücke gezeigt werden. Das dreifeldrige Haupttragsystem mit Einzelstützweiten von 67,9-m, 143,3-m und 68,4-m besteht aus drei parallelen Hohlkästen. Die beiden äußeren Hohlkästen wurden im Jahr 1963 und der mittlere Hohlkasten 1977 errichtet. Die Überbauten sind durch Koppelverbände kraftschlüssig miteinander verbunden. Abb. 6: Ansicht und Querschnitt der Autobahnbrücke Im Rahmen der Nachrechnung dieses Bauwerks wurden u.a. Defizite der Beultragfähigkeit identifiziert, deren rechnerische Ursachen zum einen in der überarbeiteten Nachweisführung im Vergleich zur Ursprungsstatik sowie in der Anpassung der normativen Verkehrslastmodelle wegen Zunahme des Schwerverkehrs in den letzten Jahrzehnten liegen. Die Ertüchtigung erfolgt sowohl durch den Einbau neuer als auch durch Verstärkung bestehender Beulsteifen, hier vorwiegend an den Hauptträgerstegen der Innenstützbereiche. Rechnerisch liegt damit der Fall eines Beulfeldes mit unterschiedlichen Steifen vor, die sowohl hinsichtlich knickstabähnlichem Verhalten als auch der Neigung offener Steifen zum Drillknicken separat zu betrachten sind. 5. Brückenkolloquium - September 2022 41 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken Abb. 7: Ertüchtigung der Hauptträgerstege im Stützbereich) zur Erhöhung der Beultragfähigkeit Besondere Beachtung ist für Tragwerke der Bauzeit bis ca. 1970 der Schweißbarkeit der Stähle zu widmen. Bei zu hohem Kohlenstoffäquivalent ist eine besondere Abstimmung der eingesetzten Zusatzstoffe und Schweißverfahren vorzunehmen bzw. - wenn möglich - für ermüdungsbeanspruchte Bauteile ganz auf Schweißungen zu verzichten. Hier erfolgt deshalb der Anschluss an den Bestand über vorgespannte Passschrauben. Zu berücksichtigen ist der teilweise erhebliche Aufwand für Einpassarbeiten, z. B. an Querschotten oder Montagestößen, sowie ein eventuell erforderlicher Toleranzausgleich wegen Unebenheiten der Steg- und Bodenbleche. 4. Ermüdungssicherheit 4.1 Nachweisverfahren - allgemein Die realitätsnahe Beurteilung der Ermüdungssicherheit ist bei der Bewertung von Brücken von großer Bedeutung. Die Nachweisführung gegen Ermüdung kann grundsätzlich (mit steigendem Aufwand) erfolgen: - bei kleinem Maximalwert des Kollektivs der Spannungsdifferenzen als Dauerfestigkeitsnachweis, - als Betriebsfestigkeitsnachweis mit schädigungsäquivalenten Spannungsdifferenzen, für Straßenbrücken unter Ansatz des ELM-3 und zugehörigen Betriebslastfaktoren, - als Betriebsfestigkeitsnachweis mit direkter Berechnung der akkumulierten Schadenssumme über ein Mehrstufenkollektiv (für Straßenbrücken i.-d.-R. vereinfacht durch das ELM-4). 4.2 Nachweisverfahren nach Nachrechnungsrichtlinie [1], Bewertungsstufen 1 und 2 In Stufe 1 sind die Ermüdungsbeanspruchungen auf Grundlage des ELM-3 (Abb.-8) unter Berücksichtigung der Schadensäquivalenzfaktoren l zu ermitteln. Die sich ergebende schädigungsäquivalente Spannungsschwingbreite Δs E ist als Einstufenkollektiv mit n E =-2 ´ 10 6 äquivalent zum mehrstufigen Beanspruchungskollektiv des realen Verkehrs und wird zur Nachweisführung dem wiederum n E -fachen Kennwert des lokal vorliegenden Kerbfalls Δs C i.d.R. nach [13] gegenübergestellt. Abb.-8: ELM-3 - Modell mit 4 Achsen à 120-kN Wesentlich ist bei bestehenden Bauwerken die im Gegensatz zum Neubau bessere Datenlage hinsichtlich Verkehrsaufkommen und -zusammensetzung (l 2 ), s.a.-[14]. Das tatsächliche Verkehrsaufkommen wird über den Parameter N obs (Schwerverkehrsstärke je Jahr im 1. Fahrstreifen) gut abgebildet. Defizite lagen bisher jedoch bei der Berücksichtigung der Verkehrsart mit ihrem großen Einfluss vor. Diese war im Stahlbau bislang über Q m1 nicht abbildbar. Durch eine aktuelle Neuregelung wurde der Einfluss der Verkehrsart bzw. -zusammensetzung bereits in der ersten Stufe der Nachrechnung berücksichtigt (Tabelle-1 und Tabelle-2), was erheblichen Einfluss auf die Ergebnisse haben kann, siehe Abb.-9. Tabelle-1: Schadensäquivalenzfaktoren l 2 für Baustahl bis 2022 geltende Regelung Aktualisiert (2022) bei Neubauten: l 2 ≥ 1,10 n. ARS 22/ 2012 (Q m1 = 400 kN N obs = 2,0 ∙ 10 6 ) 42 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken Tabelle-2: Aktualisierung und Vereinheitlichung der Beiwerte für die Verkehrsart für Bauteile aus Spannbzw. Betonstahl (k 2 ) sowie Baustahl (m 2 -=-5) Beiwert Verkehrsart Große Entfernung Mittlere Entfernung Ortsverkehr m 2 = 5 bzw. k 2 = 5 1,0 0,90 0,73 k 2 = 7 1,0 0,92 0,78 k 2 = 9 1,0 0,94 0,82 Abb.-9: Vergleich bisheriger und aktualisierter Regelung zur Berücksichtigung der Verkehrsart über In Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie kann der Nachweis der Ermüdungssicherheit alternativ über die direkte Berechnung der Schadenssumme D erfolgen. Dieses Nachweisformat basiert auf einem modifizierten ELM 4 mit einer Gruppe von Lastkraftwagen, welche eine Analogie zum realen Schwerverkehr darstellen und je Lkw über ein zugehöriges (schädigungsäquivalentes) Gesamtgewicht, feste Achsabstände und Radaufstandsfläche definiert ist. Das ELM 4 ist in vielen Fällen genauer als das ELM 3, sollte jedoch nur angewendet werden, wenn „die gleichzeitige Anwesenheit von mehreren Lkw auf der Brücke unberücksichtigt bleiben kann“, ist also praktisch auf Bauwerke mit kurzen und mittleren Stützweiten oder mit sehr geringer Verkehrsstärke begrenzt. Mit dem Nachweisformat über das ELM 4 entfällt die Linearisierung der Bezugs-Wöhlerlinie, welche bei der Kalibrierung der Schadensäquivalenzfaktoren des ELM 3 erforderlich ist, vgl. [8]. Dadurch liefert der Nachweis (durch die mögliche Berücksichtigung einer Dauerfestigkeitsgrenze) realistischere Ergebnisse. 4.3 Weitergehende Ermüdungsnachweise gemäß Nachrechnungsrichtlinie, Stufen 3 und 4 Insofern in der Nachrechnung die rechnerischen Nachweise der Ermüdungssicherheit nach Stufen 1 oder 2 kein befriedigendes Ergebnis aufweisen, ist das zwar ein Indiz für eine hohe Auslastung des Tragwerks infolge Verkehrsbelastung, muss aber noch nicht dessen zu geringe Ermüdungssicherheit bedeuten. Dieser Bereich wird durch die Stufe 3 (s. Abschnitt 5) und Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie erfasst - mit den diesen Stufen wird das Potenzial geschaffen, rechnerische Reserven der Bauwerke noch besser auszunutzen. Die Methoden der Stufe 3, also die Umsetzung von Messergebnissen zum Tragwerk, sollen dabei im Regelfall vor den speziellen „wissenschaftlichen“ Rechenmethoden eingesetzt werden, da erfahrungsgemäß durch die realistische Erfassung der Beanspruchungen bereits ein großer Nutzen erreicht werden kann. Die objektspezifische - auf die Tragfähigkeit und/ oder Ermüdung bezogene - Kalibrierung des rechnerischen Lastmodells bietet für die Bewertung bestehender Brücken eine wichtige Alternative zu sonst erforderlichen Kompensationsmaßnahmen. 4.4 Beispiel für Ertüchtigungsmaßnahmen Die Detailausbildung älterer Stahlbrücken entspricht häufig nicht den heutigen Anforderungen hinsichtlich Ermüdung, insbesondere an Elementen der orthotropen Fahrbahnplatte sowie am Quertragsystem. Verstärkt wird das Problem durch die in den Anfangsjahren der großflächigen Schweißanwendungen teilweise noch reduzierte Schweißnahtqualität. Das Beispiel der o.-g. Stahlbrücke zeigt diese gravierenden Defizite der Ermüdungssicherheit u.-a. an den Details der Querrahmenkonstruktionen, s. Abb.- 10. Die lokal am Anschluss der Querträger an die Vertikalsteifen vielfach bereits aufgetretenen Ermüdungsrisse zeigen eindeutig, dass nicht nur ein rechnerisches Defizit vorliegt. Im Rahmen des Ertüchtigungskonzeptes wurde ein zweistufiges Vorgehen gewählt, bestehend a) aus einer Notinstandsetzung vorhandener und teilweise bereits in Richtung Hauptträgersteg gewachsener Risse sowie b) das nachträgliche Einsetzen relativ kerbfreier Eckbleche. Mit den Eckblechen werden die gerissenen Bereiche entlastet und die Kerbwirkung an den Schadensstellen verringert. Die Ermüdungsbeanspruchungen werden damit in weniger belastete bzw. weniger geschädigte Bereiche umgelagert. 5. Brückenkolloquium - September 2022 43 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken Abb.-10: Ermüdungsschäden an den Querrahmen-Eckbereichen, zugehöriges numerisches Modell Abb.-11: Sanierung der Querrahmenecken zur Verbesserung der Ermüdungssicherheit Aufgrund der schwach ausgebildeten Querrahmen sind hier die normativen Ermüdungsnachweise trotz umfangreicher Verstärkungsmaßnahmen nicht gänzlich erfüllbar (bzw. wären dies erst bei einem unwirtschaftlichen Mehraufwand). Die Ermüdungssicherheit wird jedoch mit den Maßnahmen im Gegensatz zum Ist-Zustand trotzdem um Größenordnungen verbessert. Für die verbleibende Nutzungsdauer wurde neben den in DIN 1076 vorgesehenen Prüfintervallen von 3 bzw. 6 Jahren eine mindestens jährliche Sonderprüfung der Stellen mit weiterhin rechnerisch unzureichender Ermüdungsfestigkeit festgelegt. Nach der so sichergestellten rechtzeitigen Feststellung neuer Ermüdungsrisse sind diese in Anlehnung an bereits erprobte Notinstandsetzungsmaßnahmen zu sanieren. 5. Messtechnische Bewertung in Stufe 3 5.1 Stand der Technik hinsichtlich Bauwerksmonitoring zur Brückenbewertung Grundsätzlich ist bei statischen oder dynamischen Messungen an Brücken zwischen Systemmessungen zur Modellkalibrierung mit entsprechend optimierter Berechnung und dem Bauwerksmonitoring zur Langzeiterfassung und Auswertung von Beanspruchungen bzw. ggf. objektspezifischen Kalibrierung der Lastmodelle zu unterscheiden, s. Abb.-12. Die Stufe 3 der Nachrechnungsrichtlinie beinhaltet nicht nur die Bauwerksmessungen an sich, sondern insbesondere auch ein vorgeschaltetes Konzept mit eindeutiger, auf den Ergebnissen der Stufe 2 basierender Zielstellung, und weiterhin die punktuell wiederholte Nachweisführung mithilfe der aus den Messungen gewonnenen zusätzlichen Informationen. Deshalb ist die Bezeichnung „Messwertgestützte Bewertung“ passend. Wegen der komplexen Thematik ist Stufe 3 auch nur von Ingenieuren/ innen, die über ausgewiesene Erfahrungen sowohl im Brückenbau als auch der Messtechnik verfügen, anzuwenden. Abb.-12: Überblick zu den Möglichkeiten in Stufe 3 Systemmessungen Durch die Systemmessung und die darauf basierende Modellkalibrierung kann man häufig bereits viel erreichen. In jedem Fall fördert sie das Verständnis für das tatsächliche Tragverhalten und damit die Beurteilung der Nachrechnungsergebnisse. Die Messungen finden unter definierter Belastung im Gebrauchslastbereich statt. Im Rahmen der Nachweisführung des GZT ist zu beachten, ob möglicherweise ein nichtlineares Verhalten des Bauteils bzw. Tragsystems oberhalb des (messtechnisch er- 44 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken fassten) Gebrauchslastniveaus auftreten könnte und dann rechnerisch zu berücksichtigen ist. Systemmessungen mit Modellkalibrierung werden normalerweise auch immer eingangs eines Bauwerksmonitoring durchgeführt. Durch Fahrten von Lkw unterschiedlicher Geschwindigkeit können Hinweise zum dynamischen Verhalten von Bauteilen bzw. des Tragwerks und seiner Steifigkeitsverteilung gewonnen werden. Eine automatisierte Modelloptimierung, die aber erst bei maßgeblichem Einfluss mehrerer Parameter sinnvoll wird, bezeichnet man als FE-Update. Statische oder dynamische Systemmessungen führen immer zu einer Reduzierung der Modellunsicherheiten (was man im Einzelfall rechnerisch begründet auch in reduzierten Teilsicherheitsbeiwerten ausdrücken kann) und in der Konsequenz zu einer präziseren Nachweisführung. Bauwerksmonitoring Bauwerksmonitoring, als kontinuierliche Messung über einen längeren Zeitraum, kann nach aktualisierter Ausgabe der Nachrechnungsrichtline bereits in Stufe 3 zur objektspezifischen Kalibrierung der Lastmodelle verwendet werden. Dies betrifft je nach Anforderung die Lastmodelle für die Nachweise der Tragfähigkeit (s. Abschnitt 5.2), vor allem aber der Ermüdungssicherheit (Abschnitt 5.3). Dabei ist zu bedenken, dass Bauwerksmonitoring den Ist-Zustand analysiert und daher im Zuge der Auswertung eine Verkehrsprognose für die Zukunft zu berücksichtigen ist. 5.2 Gemessene Extremwertverteilungen für Nachweise im GZT Die objektspezifische Kalibrierung der Lastmodelle für die Tragfähigkeit (a NR ∙LM-1 oder BK-xx, vgl. [7]) wird wegen der maßgeblichen Auswirkungen nur im Ausnahmefall und mit Zustimmung der Straßenbauverwaltung vorgenommen. Weiterhin ist zu beachten, dass bei objektbezogenen Lastmodellen die einfache Behandlung im Genehmigungsverfahren für Schwerverkehr verloren geht. Hierfür sind Messzeiträume von mindestens 12 Monaten erforderlich. Zu berücksichtigen sind immer auch mögliche Situationen des Baustellenverkehrs (im positiven wie negativen Sinn). Auf Grundlage der temperaturkompensierten Messdaten werden unter Beachtung des erforderlichen Grundzeitintervalls Verteilungen der Extremwerte gebildet, z. B. aus den 52 Wochenextrema bei einer einjährigen Messung und einer daran angepassten Gumbelverteilung, s. Abb.-13. Diese dient anschließend im Rahmen einer statistischen Extrapolation zur Ableitung eines charakteristischen Wertes, siehe z. B. [15] bei Ansatz der Gumbelverteilung: E K,Mess = m ∙ [1 - 0,78 ∙ v ∙ (0,5772 + ln {- ln q})] Mit diesem messtechnisch ermittelten charakteristischen Wert der Verkehrsbeanspruchung ist eine Kali-brierung des Ziellastniveaus, über einen Anpassungsfaktor a NR des LM-1, wie folgt möglich: Abb.-13: Gemessene Wochenextremwerte und Extrapolation auf den Bezugszeitraum Die das Tragwerk betreffenden Zwangsbeanspruchungen infolge Temperatur sind messtechnisch immer separat zu erfassen, d.h. bezüglich ihrer Extremwerte getrennt von den Verkehrsbeanspruchungen auszuwerten. Die Teilsicherheitsbeiwerte in der Nachrechnung sind analog den Festlegungen der Nachrechnungsrichtlinie zu verwenden. 5.3 Gemessene Beanspruchungskollektive für Nachweise der Ermüdungssicherheit Eine objektspezifische Kalibrierung der Ermüdungslastmodelle (ELM-3 oder ELM-4) oder ein direkter Ermüdungsnachweis ist auf Grundlage eines Messzeitraumes von i.d.R. 2 - 3 Monaten möglich, wobei zu beachten ist, dass die Messungen innerhalb des Regel-Verkehrszustandes stattfinden. Auf Grundlage der temperaturkompensierten Messdaten wird eine Rainflow-Zählung durchgeführt, die das Beanspruchungskollektiv infolge des Straßenverkehrs liefert. Die so berechenbare Schädigung D bzw. rückgerechnete schadensäquivalente Schwingbreite Δs E,Mess wird anschließend genutzt, um das Ermüdungslastmodell entsprechend den örtlichen Gegebenheiten zu kalibrieren. Der Vorteil dieser Methode ist, dass für die eigentliche Nachweisführung in Stufe 3 dann dieses Lastmodell genutzt werden kann, um Ermüdungsnachweise auch an den anderen Bauteilen des Tragwerks (eine gleichermaßen richtige Charakteristik durch das Ermüdungslastmodell vorausgesetzt) zu führen. Alternativ können die Ermüdungsnachweise auch direkt über eine Schadensakkumulationsberechnung mit den gemessenen Beanspruchungskollektiven geführt werden. Dieses Vorgehen kann allerdings nur an wenigen (maß- 5. Brückenkolloquium - September 2022 45 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken gebenden) Tragwerkspunkten realisiert werden, um den messtechnischen Aufwand vertretbar zu halten. Sinnvolle Einsatzszenarien sind Bauteile, wo Risse bereits aufgetreten sind oder potenziell an wenigen diskreten Stellen mit schlechtem Kerbfall und/ oder bei z. B. gleichzeitiger Beanspruchung infolge Verkehr und Wind (Hängeranschlusspunkte bei Stabbogen o. ä.) zu erwarten wären. Einwirkungsseitig sind beim Ermüdungsnachweis keine Sicherheitsbeiwerte erforderlich, da die Ermüdungsnachweise mit Gebrauchslasten geführt werden. Die widerstandsseitigen Teilsicherheitsbeiwerte sind analog der Festlegungen der Nachrechnungsrichtlinie anzusetzen. Für die o. g. Stahlbrücke ist das Tragsystem durch die nachträgliche Kopplung der Hohlkästen verschiedener Bauzeiten als kompliziert zu bewerten und Abweichungen der tatsächlichen Beanspruchungen von den berechneten nicht unwahrscheinlich. Um im Vorfeld der Ertüchtigung das rechnerische Tragwerksmodell zu verifizieren, die Beanspruchungen der zu verstärkenden Bauteile zweifelsfrei festzustellen und auch die Ursachen für die Entstehung der Ermüdungsrisse an Querrahmen und Querverbänden zu bestätigen, wurde die Brücke zeitweilig mit einer Dauermessanlage ausgerüstet, s. Abb.-14. Über die Klassierung der Verkehrsbeanspruchungen wurde eine belastbare Aussage zu den real einwirkenden Lastkollektiven möglich. Parallel dazu wurden die Beanspruchungskollektive an mehreren kritischen Tragwerkspunkten direkt gemessen, s. z.-B. Abb.-15, die als Grundlage für eine direkte Berechnung der Schadenssumme nach der Schadensakkumulationshypothese von Palmgren/ Miner dienten. Bereits anhand der Beanspruchungskollektive (Abb.-15) wurde für mehrere Messpunkte des Quertragsystems deutlich, dass die Beanspruchungen im hoch ermüdungswirksamen Bereich liegen und damit die Wahrscheinlichkeit für Ermüdungsrisse groß ist. Abb.-14: Messstellen am Quertragsystem Abb.-15: Gemessene Beanspruchungskollektive für Bauteile des Quertragsystems 6. Weitergehende Maßnahmen (Bewertungsstufe-4) Die Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie betrifft wissenschaftliche Methoden zum Nachweis ausreichender Tragbzw. Ermüdungssicherheit. Sie kann separat oder in Kombination mit Stufe 3 durchgeführt werden, da Messergebnisse als Eingangswerte gerade bei spezielleren Methoden sinnvoll sein können. Die Stufe 4 ist jedoch aufgrund der Komplexität und der notwendigen Erfahrung im Umgang mit den jeweiligen Methoden momentan nur im Einzelfall von Experten anzuwenden. Zu den geometrisch und physikalisch nichtlinearen Berechnungsverfahren zählen nach heutigem Kenntnisstand vor allem: - nichtlineare Berechnung der Beanspruchungen bei stetiger Laststeigerung und zugehörige Nachweise im GZT, - rechnerische Überprüfung des Umlagerungsvermögens und damit der Schadenstoleranz bzw. Robustheit von einzelnen Bauteilen und/ oder im Tragsystem, 46 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erfahrungen mit der Bewertung und Verstärkung stählerner Straßenbrücken - Ermüdungsberechnungen mit nichtlinearen Schadensakkumulationshypothesen einschließlich bruchmechanischer Berechnung der Restnutzungsdauer. Neben den nichtlinearen Berechnungsverfahren werden voraussichtlich in nächster Zeit die probabilistischen Berechnungsmethoden an Bedeutung gewinnen, konkret können das sein: - zuverlässigkeitstheoretische Analysen zur Begründung von Modifikationen der normativen Sicherheits- und Kombinationsfaktoren, - direkte zuverlässigkeitstheoretische Nachweise (Berechnung der Versagenswahrscheinlichkeit und Nachweis auf diesem Niveau). 7. Ausblick Die Nachrechnungsrichtlinie für Straßenbrücken bildet eine der wesentlichen Grundlagen, die Trag- und Ermüdungssicherheit der nicht selten hochbeanspruchten Bauwerke einzuschätzen und damit die erforderlichen Sanierungs-, Verstärkungs- und Ersatzbaumaßnahmen zu priorisieren. Trotz des bereits sehr entwickelten Regelwerkes sind in den nächsten Jahren weitere Ergänzungen bzw. Detaillierungen notwendig, um aus Sicht der Ingenieur*innen den anstehenden Aufgaben der Brückenbewertung zu entsprechen. Dazu sind insbesondere die in Bewertungsstufe 4 angeführten Maßnahmen für die breite praktische Anwendbarkeit weiterzuentwickeln, insbesondere die direkte und durchgängige Nachweisführung auf Basis der Zuverlässigkeitstheorie. Nur so werden einige - rechnerisch nach bisherigem Regelwerk nicht mehr nachweisbare - Bauwerke bei ausreichender Zuverlässigkeit unter Betrieb zu halten sein, denn nicht jedes Bauwerk kann sofort ersatzneugebaut oder auch „nur“ verstärkt werden. Es gilt in jedem Einzelfall, ein Optimum zwischen der uneingeschränkten Verfügbarkeit der Tragwerke und deren technischer Zuverlässigkeit zu finden. Die möglichst lange Weiternutzung der bestehenden Bauwerke kann übrigens einen wesentlichen Beitrag zum optimalen Umgang mit knapper werdenden Ressourcen (Material, Ingenieurkapazität, Baukapazität) darstellen. Literatur [1] BMVBS: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (2011) [2] Marzahn, G., et al.: Die Nachrechnung von bestehenden Straßenbrücken aus Beton (Beton-Kalender 2013: Lebensdauer und Instandsetzung) [3] DBV-Heft 24: Begründung eines reduzierten Zuverlässigkeitsindexes und modifizierter Teilsicherheitsbeiwerte für Stahlbetontragwerke im Bestand. Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein e.V. (Hrsg.), Berlin 2013, Autoren: Fischer,- A.; Grünberg,-J.; Schnell,-J.; Stauder,-F. [4] Frenzel, B., Freundt, U., König, G., Mangerig, I., Merzenich, G., Novak, B., Sedlacek, G., Sukhov, D.: Bestimmung von Kombinationsbeiwerten und -regeln für Einwirkungen auf Brücken, Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 715, Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, 1996 [5] Frenzel, B.: Kombination der kurzzeitigen Lasten Verkehrslast und Temperaturunterschied für massive Straßenbrücken, unveröffentlichter Bericht 1989 zur Überarbeitung der TGL 32274/ 01 „Lastannahmen für Bauwerke, Grundsätze“ [6] Geißler,- K.: Überarbeitung der Richtlinie 805 - Gutachten zum Kombinationsbeiwert für vertikale Temperaturdifferenz, Gutachten für DB Netz 09/ 2021, unveröffentlicht [7] Freundt, U., Böning, S., Kaschner, R., Geißler, K., Kraus, J. K.: Methodik zur Entwicklung neuer Verkehrslastmodelle für die Nachrechnung des Brückenbestandes, Schlussbericht FE 15.0629/ 2016/ FRB, BASt, 2018 [8] Geißler, K., Kraus, J. K., Freundt, U., Böning, S.: Zukunftssicherheit der Ermüdungslastmodelle nach DIN EN 1991-2, Schlussbericht FE 15.0629/ 2016/ FRB, BASt, 2018 [9] DIN- EN 1993-1-5: 2010-12: Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten - Teil 1-5: - Plattenförmige Bauteile. Deutsche Fassung EN 1993-1-5: 2006 + AC: 2009, Beuth-Verlag Berlin [10] DASt-Richtlinie 012: Plattenbeulen, Deutscher Ausschuss für Stahlbau [11] DIN-18800-3: Stahlbauten - Teil 3: Stabilitätsfälle, Plattenbeulen. Beuth Verlag, Berlin 1990 [12] Geißler, K.: Handbuch Brückenbau, Ernst und Sohn, 2014 [13] DIN- EN 1993-1-9: 2010-12: Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten - Teil 1-9: Ermüdung. Deutsche Fassung EN 1993-1-9: 2005 + AC: 2009, Beuth-Verlag-Berlin [14] Kraus, J. K.: Zur analytischen Herleitung von Verkehrslastmodellen für die Tragfähigkeit und Ermüdung von Straßenbrücken, Dissertation TU Berlin, 2021 [15] Steffens, N.: Sicherheitsäquivalente Bewertung von Brücken durch Bauwerksmonitoring, Dissertation TU Berlin, 2019 5. Brückenkolloquium - September 2022 47 Analytische und numerische Verfahren zur Brückennachrechnung der NRR Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger Institut für Massivbau (IMB), RWTH Aachen University Zusammenfassung Neben gestiegenen Verkehrslasten führen Weiterentwicklungen der Normen während der letzten Jahrzehnte zu höheren Anforderungen an Spannbetonbrücken. Darüber hinaus ist die Altersstruktur der Brücken im Bundesfernstraßennetz ein weiterer wesentlicher Grund für den schlechten Zustand zahlreicher Brückenbauwerke. Viele bestehende Spannbetonbrücken weisen aus den genannten Gründen rechnerische Defizite bei der Querkrafttragfähigkeit auf, obwohl sie trotz dieser Randbedingungen noch keine Querkraftrisse zeigen. Genauere Nachweise der Nachrechnungsrichtlinie, die 2011 erschienen, 2015 erstmals erweitert und jetzt in der BEM-ING nochmals verbessert sind, können hier helfen. Grundlage für die verfeinerten Bemessungsansätze sind Ergebnisse aus Forschungsvorhaben der vergangenen ca. zehn Jahre. Durch experimentelle und theoretische Untersuchungen in einem aktuellen durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) finanzierten Forschungsprojekt sollen verfeinerte Berechnungsansätze für die Querkrafttragfähigkeit erarbeitet werden, die gegenüber den aktuellen Bemessungsansätzen weitere Querkrafttragreserven berücksichtigen. 1. Einleitung Bei der Beurteilung der Standsicherheit bestehender Stahl- und Spannbetonbrücken ergeben sich auf Grundlage aktuell gültiger Bemessungsansätze in vielen Fällen konservative Tragfähigkeiten. Insbesondere die Querkrafttragfähigkeit von Bauwerken mit vergleichsweise geringen Querkraftbewehrungsgraden in den hoch vorgespannten Hauptträgern wird im Zuge der Nachrechnung teilweise erheblich unterschätzt. Infolgedessen wird der Zustand der betroffenen Bestandsbrücken schlechter eingeschätzt als wahrscheinlich erforderlich. Gründe für die rechnerischen Tragfähigkeitsdefizite sind vor allem das gestiegene Verkehrsaufkommen und die im Laufe der Zeit erhöhten Anforderungen an die bauliche Durchbildung der Bauwerke. Abb.-1: Altersstruktur der Straßenbrücken im Bestand in Deutschland nach [1]; Grafik: IMB, RWTH Aachen Ein Großteil der Brücken des Bundesfernstraßennetzes wurde vor 1985 gebaut (Abb. 1, blaue Bereiche). Seitdem sind beim Schwerlastverkehr erhebliche Steigerungen zu verzeichnen. Gemäß aktuellen Studien sind weitere Güterverkehrssteigerungen zu erwarten [2], wie Abb. 2 zeigt. Ein großer Teil der Bestandsbrücken wurde allerdings noch für das Lastmodell BK60 [3] bemessen. Abb.-2: Entwicklung der Beförderungsleistung auf Bundesfernstraßen [4], Grafik: IMB, RWTH Aachen Zudem gab es in den letzten Jahrzehnten in den Normen eine Reihe von Modifikationen, die insbesondere für früher übliche Bewehrungsführungen eine Anwendung der dem Eurocode 2 [5-8] zugrundeliegenden Modelle (z. B. [9-11]) nicht ohne Weiteres zulassen. Beispielsweise gab es erst Ende der 1960er-Jahre erstmals einen Mindestwert des Querkraftbewehrungsgrades für das Haupttragsystem [12]. Darüber hinaus erfolgten verschiedene Anpassungen der Bemessungsansätze für Querkraft. Dies führt neben den höheren Einwirkungen zu rechnerischen Defiziten bei der Nachrechnung von Bestandsbauwerken gemäß DIN-Fachbericht 102 [13]. Es ergeben sich daher 48 5. Brückenkolloquium - September 2022 Analytische und numerische Verfahren zur Brückennachrechnung der NRR rechnerisch erforderliche Querkraftbewehrungsgrade, die in den Stegen der Bestandsbauwerke nicht vorhandenen sind [14]. Hinzu kommt der allgemein schlechte Gesamtzustand vieler Bestandsbrücken infolge des hohen Alters und der hohen Verkehrsbelastung [15]. Die auf den Regelungen in den DIN-Fachberichten basierende Nachrechnungsrichtlinie ist erstmals 2011 erschienen. Hintergründe sind z.- B. in [8-10] zu finden. Die Nachrechnungsrichtlinie beinhaltet ein vierstufiges Verfahren (Abb.-3), wobei mit aufsteigender Nachrechnungsstufe sowohl die Genauigkeit der Berechnungsverfahren zunimmt als auch ein höherer Berechnungsaufwand entsteht. So sind in Stufe 2 u.a. Modifikationen in der Querkraft- und Torsionsbemessung bei Bestandsbrücken in Massivbauweise erlaubt, die entweder an die alte Normengeneration angelehnt sind (DIN-4227 vor 2003) oder auf neuen Erkenntnissen basieren. Abb.-3: Vierstufiges Verfahren der Nachrechnungsrichtlinie zur Bewertung der Standsicherheit von Brückenbauwerken Lässt sich trotz der verfeinerten Berechnungsansätze keine ausreichende rechnerische Tragfähigkeit nachweisen, kann in Abhängigkeit der verkehrlichen Bedeutung und der örtlichen Randbedingungen eine genauere Untersuchung in Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie erfolgen. Nichtlineare FE-Berechnungen ermöglichen neben Nachweisen zur Standsicherheit auch Untersuchungen zum Bauteiltragverhalten, die gezielte Hinweise für Bauwerkprüfungen (z.B. Bereiche mit Rissbildung) liefern. 2. Querkrafttragfähigkeit nach EC-2 [5-8] und DIN FB 102 [13] 2.1 Allgemeines Nach aktuellen normativen Vorgaben wird bei der Querkraftbemessung zwischen Bauteilen mit und ohne Querkraftbewehrung unterschieden. Dabei weisen balkenförmige Bauteile stets eine Mindestquerkraftbewehrung auf, während Stahlbetonplatten auch ohne Querkraftbewehrung zulässig sind. Zudem ist bei Platten in Ortbetonbauweise eine Ausführung ohne Querkraftbewehrung aus baupraktischer Sicht vorzuziehen, um den hohen Aufwand bei deren Einbau zu vermeiden. 2.2 Bauteile ohne Querkraftbewehrung 2.2.1 Schubzugversagen Für einen ungerissenen Betonquerschnitt können die Hauptspannungen nach der Technischen Mechanik unter Annahme eines ebenen Spannungszustandes und linearelastischer Materialgesetze bestimmt werden. Ein Versagen des Querschnitts tritt nicht ein, wenn die Hauptdruckspannungen die zulässige Betondruckfestigkeit und die Hauptzugspannungen die zulässige Betonzugfestigkeit nicht überschreiten. Ein Schubzugversagen tritt dann ein, wenn die schiefen Hauptzugspannungen die Betonzugfestigkeit vor der Biegerissbildung überschreiten, d.-h., Schubrisse treten vor der Biegerissbildung auf. Dies kann insbesondere bei profilierten Bauteilen mit Vorspannung oder äußeren Drucknormalkräften der Fall sein. 2.2.2 Biegeschubversagen Der aktuelle Bemessungsansatz für Querkraft ohne Querkraftbewehrung (Biegeschubversagen) nach EC-2 basiert auf dem Ansatz aus dem Model Code 1990 (MC 90) [16], der auf empirische Untersuchungen der 1960er Jahre zurückgeht [17]. Anhand von einigen Hundert Querkraftversuchen und theoretischen Vorüberlegungen zu potentiellen Einflussgrößen wurde über Regressionsanalysen ein Produktansatz für schlanke Bauteile hergeleitet, der aufgrund nachträglicher Auswertungen weiterer Versuche an gedrungenen Bauteilen leicht modifiziert wurde [18]. Bei der Überführung in MC 90 wurde ein Faktor zur Berücksichtigung des Maßstabseffekts ergänzt. Dieser Bemessungsansatz wurde später ohne wesentliche Änderungen, abgesehen von der Vernachlässigung eines Parameters für die Schubschlankheit, in den EC-2 übernommen. 2.3 Bauteile mit Querkraftbewehrung Dem Querkraftbemessungsansatz für Bauteile mit Querkraftbewehrung nach EC-2 mit Nationalem Anhang für Deutschland [8] liegt ein Fachwerkmodell mit Rissreibung zugrunde [10]. Entlang der im Winkel b r verlaufenden Schubrisse können in diesem Modell zusätzliche Kräfte infolge Rissreibung übertragen werden. Dadurch ergeben sich rechnerisch kleinere Druckstrebenneigungswinkel q. Aufgrund des unterschiedlichen Rissverhaltens von Bauteilen ohne und mit Querkraftbewehrung entspricht der Betontraganteil beim Nachweis für Bauteile mit Querkraftbewehrung nicht der Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung. Der Nachweis der Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen mit Querkraftbewehrung umfasst sowohl den Nachweis der Druckstrebentragfähigkeit als auch den Nachweis der Zugstreben, der bei Bauteilen mit niedrigen Schubbewehrungsgraden aufgrund der nicht voll ausgenutzten Druckstrebentragfähigkeit maßgebend wird. Experimentelle Untersuchungen haben ergeben, dass nach dem Ausfall der Rissreibung Umlagerungen auf andere Traganteile stattfinden, sodass die aus dem Fachwerkmodell mit Rissreibung errechnete Traglast insbesondere bei Bautei- 5. Brückenkolloquium - September 2022 49 Analytische und numerische Verfahren zur Brückennachrechnung der NRR len mit geringen Schubbewehrungsgraden die tatsächliche Bruchlast unterschätzt [19; 20]. 3. Zusätzliche Regelungen der Nachrechnungsrichtlinie 3.1 Querkraft 3.1.1 Hauptspannungsnachweis Für die Ergänzung [21] der Nachrechnungsrichtlinie von 2011 [22] wurde zur Vereinfachung der Nachweisführung und zur Vermeidung von iterativen Berechnungen vorgeschlagen, den Querkraftnachweis als Hauptzugspannungsnachweis zu führen [23-25], der für die unterschiedlichen Schnittgrößenkombinationen in mehreren Abschnitten entlang der Bauteilhöhe zu führen ist. Die zusätzlichen Festlegungen beruhen auf Untersuchungen in [26; 27]. So wurden die zulässigen Randzugspannungen im Grenzzustand der Tragfähigkeit für den Fall, dass innerhalb der Flansche Zugspannungen infolge der Biegebeanspruchung des Längssystems auftreten, auf f ctm erhöht. Außerdem ist für Spannbetonbauteile mit einem vorhandenen Querkraftbewehrungsgrad von mindestens etwa 50-% der nach DIN FB 102 erforderlichen Mindestquerkraftbewehrung nach den Bauteilversuchen kein sprödes Versagen zu erwarten. Da Spannbetonträger mit zunehmender Vorspannung weniger duktil versagen, wird auf Basis der Untersuchungen für Bauteile, die mindestens über die nach DIN FB 102 erforderliche Mindestquerkraftbewehrung verfügen, eine Begrenzung der Betondruckspannungen empfohlen. Die zulässigen Betondruckspannungen dürfen für Querkraftbewehrungsgrade zwischen dem 0,5- und dem 1,0-Fachen der Mindestquerkraftbewehrung linear interpoliert werden. Für Bauteile, in denen weniger als das 0,5-Fache der Mindestquerkraftbewehrung enthalten ist, wurde ein Abminderungsbeiwert für die rechnerische Betonzugfestigkeit von a ct -=-0,85 eingeführt, um der Gefahr eines spröden Bruchverhaltens bei geringen Querkraftbewehrungsgraden vorzubeugen. Für Bauteile, die mindestens einen 0,5-fachen Mindestquerkraftbewehrungsgrad aufweisen, darf dagegen ein gegenüber EC 2 erhöhter Beiwert von a ct -=-1,0 verwendet werden, da Versuchsergebnissen zufolge nach der Schubrissbildung noch ausreichende Tragreserven existieren [28]. 3.1.2 Modifiziertes Fachwerkmodell mit Rissreibung Im Nationalen Anwendungsdokument für Deutschland zum EC-2 wird die Druckstrebenneigung auf 29,7° (cot-q-=-1,75) als unterer Grenzwert für den Brückenneubau beschränkt. Bei Brückennachrechnungen nach Stufe 2 darf der minimal zulässige Druckstrebenwinkel unter bestimmten Voraussetzungen auch auf 21,8° (cot-q-=-2,5), bzw. 18,4° (cot-q-=-3,0) verringert werden, was jedoch häufig wegen der zusätzlichen Begrenzung durch das Rissreibungskriterium nicht möglich ist und daher nur eine geringe rechnerische Verbesserung der Querkrafttragfähigkeit ergibt. 3.2 Torsion Die Schnittgrößenverteilung in statisch unbestimmten Systemen hängt von den Steifigkeitsverhältnissen im Querschnitt ab. In Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass das Tragverhalten im Grenzzustand der Tragfähigkeit durch eine Abminderung der Torsionssteifigkeit der Hauptträger infolge Rissbildung realitätsnah abgebildet wird [23; 29]. In der ersten Ergänzung zur Nachrechnungsrichtlinie wurde daher unter Berücksichtigung einer Fallunterscheidung festgelegt, dass bei der Schnittgrößenermittlung mehrstegiger Plattenbalkenbrücken die Torsionssteifigkeit ohne weiteren Nachweis abgemindert werden darf. 4. Untersuchungen für die 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie 4.1 Allgemeines In [30] wurde u. a. festgestellt, dass sich insbesondere bei kleinen Querkraftbewehrungsgraden mit ρ w,vorh -<-ρ w,min deutlich höhere Querkrafttragfähigkeiten ergeben als rechnerisch über das Fachwerkmodell ermittelt. Dies konnte auch durch die Ergebnisse anderer Untersuchungen bestätigt werden [31-33]. Daher wurde ein erweitertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil hergeleitet, das die Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonträgern mit geringem Bügelbewehrungsgrad wirtschaftlicher abbildet als aktuelle Ansätze [34]. Weiterhin wurde ein Ansatz zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung formuliert und Anwendungsregeln für heute nicht mehr zulässige Bügelformen in Bestandsbrücken erarbeitet [30]. 4.2 Erweitertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil 4.2.1 Allgemeines Bereits in den Anfängen des Stahlbetonbaus wurde auf Basis von Versuchsergebnissen vermutet, dass zusätzlich zur Fachwerktragwirkung der Bügel ein Betontraganteil existiert [35]. Die Addition eines Betontraganteils, der dem Anteil eines unbewehrten Bauteils entspricht, war auch in den Regeln von Model Code 1978 [36] enthalten. Auch im Model Code 2010 [37] wird als Level-III-Ansatz ein additiver Betontraganteil vorgeschlagen, der mit der Querkrafttragfähigkeit eines Bauteils ohne Querkraftbewehrung identisch ist. Versuchskörper mit geringen Querkraftbewehrungsgraden weisen beim Versagen einen einzelnen konzentrierten Schubrisses und keine gleichmäßig verteilten Schubrisse wie bei Bauteilen mit höheren Schubbewehrungsgraden auf. Zudem verläuft dieser Schubriss nicht gerade, sondern oft gekrümmt, wie es für Bauteile ohne Querkraftbewehrung zu beobachten ist (z. B. [38; 39]). Weiterhin zeigen Versuche an Spannbetonträgern, dass eine Berücksichtigung der veränderlichen Druckzonenhöhe bei Ermittlung der Querkrafttragfähigkeiten zutreffendere Ergebnisse liefert (z. B. [28; 40; 41]). Diese Beobachtungen belegen, dass ein kontinuierlicher Übergang 50 5. Brückenkolloquium - September 2022 Analytische und numerische Verfahren zur Brückennachrechnung der NRR des Tragverhaltens von Trägern ohne zu Trägern mit geringer Querkraftbewehrung existiert. 4.2.2 Berechnungsvorschlag Zur Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung wurde der bisherige Ansatz nach Gl. 6.2a aus dem DIN FB 102 übernommen. Auf Grundlage einer Datenbankauswertung wurden lediglich die Beiwerte k 1 zur Berücksichtigung der günstigen Wirkung von Drucknormalspannungen infolge Vorspannung angepasst. Eingetragen im Plastizitätskreis ergeben sich u. a. die in Abb.-4 dargestellten Fälle. Abb.-4: Plastizitätskreis mit (1) Begrenzung des Druckstrebenwinkels q auf cot-q-=-2,5 und (2)/ (3) Fachwerkmodellen mit Betontraganteil, Grafik: nach [42], IMB, RWTH Aachen Die gestrichelt dargestellten Linien zeigen das Fachwerkmodell für verschiedene Neigungen des Druckstrebenwinkels, bspw. ergibt sich für cot q = 2,5 Linie (1). Die rot dargestellten Linien (2) und (3) zeigen Möglichkeiten für das Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil für unterschiedliche Winkel β r . Da rechnerisch Wertebereiche außerhalb des Plastizitätskreises möglich sind, wird cot β r begrenzt (Linie (3)). Weitere Informationen werden in [34; 42] gegeben. Das vorgestellte Modell ermöglicht einen rechnerisch fließenden Übergang von Bauteilen ohne zu Bauteilen mit Querkraftbewehrung. 5. Anwendungsbeispiel zur Nachrechnung in Stufe-4 5.1 Allgemeines Im Rahmen der Nachrechnung von Bestandsbrücken in Stufe-2 der Nachrechnungsrichtlinie lässt sich trotz der verfeinerten Berechnungsansätze nicht immer eine ausreichende rechnerische Querkraft- und Torsionstragfähigkeit nachweisen. Zur Sicherstellung der Tragfähigkeit des Bauwerks kann eine entsprechende Verstärkungsmaßnahme vorgesehen werden. Alternativ kann eine genauere rechnerische Untersuchung der Brücke in Stufe-4 der Nachrechnungsrichtlinie erfolgen. Eine Anwendung wissenschaftlicher Verfahren in Stufe-4 erfordert die Abstimmung mit der zuständigen obersten Baubehörde. Hierzu sind entsprechende Erfahrungen des Anwenders erforderlich. Weiterhin ist sicherzustellen, dass die verfahrensspezifischen Anwendungsgrenzen eingehalten werden können und das erreichbare Sicherheitsniveau sinnvoll ermittelt werden kann. Die Nachrechnung in Stufe-4 ist insbesondere dann sinnvoll, wenn aufgrund der verkehrlichen Bedeutung des Bauwerks im Straßennetz kompensatorische Einschränkungen bis zur Fertigstellung der Verstärkungsmaßnahme (z. B. Spursperrung, Gewichtsbeschränkung, Sperrung für Schwertransporte) nicht vertretbar sind. Darüber hinaus kann eine solche Berechnung zielführend sein, wenn eine bauliche Verstärkung bzw. ein Ersatzneubau aufgrund der örtlichen Randbedingungen (z. B. Lichtraumprofile) oder der Kombination vorhandener rechnerischer Defizite nicht ohne weiteres möglich ist. Die Berechnung in Stufe-4 der Nachrechnungsrichtlinie umfasst die Nachweisführung unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden. Hierzu gehören neben verfeinerten analytischen Ansätzen [43; 44] unter anderem räumliche nichtlineare Finite Elemente-Berechnungen. Da in der Regel eine Überprüfung bzw. Validierung einer Berechnung in Stufe-4 nur durch andere wissenschaftliche Methoden möglich ist, ist eine Kombination der verschiedenen Berechnungsansätze zielführend. Nichtlineare Finite Elemente-Berechnungen ermöglichen eine Untersuchung des Bauteiltragverhaltens nach Schubrissbildung unter Berücksichtigung möglicher Umlagerungsreserven im Zustand-II. Darüber hinaus können basierend auf der Ermittlung des rechnerischen Ankündigungsverhaltens bis zum Versagen (z. B. Rissentwicklung) gezielte Maßnahmen zur Überprüfung des Bauwerks festgelegt werden. Im Folgenden wird die Anwendung anhand eines Bauwerks mit rechnerischen Tragfähigkeitsdefiziten aufgezeigt, zu dem im Rahmen von gutachterlichen Stellungnahmen und der statischen Prüfung Brückennachrechnungen durchgeführt wurden. 5.2 Berechnung eines Plattenbalkenquerschnitts 5.2.1 Vorstellung des Bauwerks Das im Jahr 1959 errichtete Bauwerk dient der Überführung der BAB über eine Eisenbahntrasse und wurde für die Brückenklasse-60 nach DIN-4227 [45] bemessen. Der schiefwinklige Ortbetonüberbau wurde als längs vorgespannter Einfeldträger ausgebildet. Die Gesamtlänge des Überbaus beträgt 31,2-m bei einer Stützweite von 30,1-m. Die Konstruktionshöhe des 13,35-m breiten, sechsstegigen Plattenbalkenquerschnitts beträgt im Regelbereich 1,44-m. Der Überbau besitzt Endquerträger in beiden Auflagerachsen und Feldquerträger in den Viertelspunkten. Am östlichen Widerlager werden die Kräfte in Brückenlängsrichtung über längsfeste Lager abgetragen. In Querrichtung werden die Kräfte über querfeste Lager in einer Längsachse aufgenommen. An den übrigen verschieblichen Auflagerpunkten liegt der Überbau auf Kalottenlagern auf. Eine vorhergehende Nachrechnung des Bauwerks gemäß Nachrechnungsrichtlinie in den Stufen 1 und 2 für 5. Brückenkolloquium - September 2022 51 Analytische und numerische Verfahren zur Brückennachrechnung der NRR das Ziellastniveau BK-45 nach DIN-1072 [46] mit Fahrbahneinengung ergab deutliche rechnerische Defizite der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit der Längsträger. 5.2.2 Bauwerksmodellierung Die statische Berechnung und Nachweisführung nach Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie erfolgte mit Hilfe der nichtlinearen FEM-Software Limfes [47]. Dazu wurde der Überbau unter Berücksichtigung aller Voutungen und Querschnittsänderungen als räumliches Volumenmodell abgebildet. Abb.-5 zeigt einen Ausschnitt des dreidimensionalen Volumenmodells. Abb.-5: Bauwerksabbildung im FE-System Limfes Grafik: H+P Ingenieure Die vorhandene Betonstahl- und Spannstahlbewehrung wurde gemäß den Bestandsplänen diskret eingegeben (Abb. 6). Hierbei wurde neben der Längs- und der Querbewehrung der Fahrbahnplatte sowie der vorhandenen Bügelbewehrung in den Stegen auch die Spaltzugbewehrung der Spannglieder implementiert. Abb.-6: Betonstahlbewehrung der gesamten Brücke (oben) und parabelförmige Spannglieder in Feldmitte (unten), Grafik: H+P Ingenieure Das nichtlineare Werkstoffverhalten des Betons wurde unter Berücksichtigung der Betonzugfestigkeit durch das Microplane-Modell [48] beschrieben. Zur Abbildung der Bewehrungs- und Spannstahlelemente wurden elastischplastische Materialmodelle verwendet. 5.2.3 Berechnungsablauf Ziel der Untersuchung war es, die rechnerische Tragfähigkeit des Brückenüberbaus unter der maximalen Beanspruchung (Querkraft und Torsion mit zugehöriger Biegung) für die maßgebende Stelle nachzuweisen. Dieser Nachweis ist erbracht, wenn sich bei der Berechnung unter der maßgebenden Bemessungskombination im Grenzzustand der Tragfähigkeit (1) ein stabiles Gleichgewicht einstellt und (2) die Grenzdehnungen (Beton, Beton- und Spannstahl) eingehalten sind. Dann kann gemäß DIN-Fachbericht 102 [13] davon ausgegangen werden, dass der Widerstand des Tragwerks gegen Versagen mit ausreichender Sicherheit gegeben ist. Gemäß DIN FB 102 ist für die Einwirkungen die Ständige und Vorübergehende Bemessungssituation in Kombination mit einem einheitlichen Teilsicherheitsbeiwert von g R -=-1,3 für die Baustoffkennwerte zu betrachten sowie dem (vgl. DIN FB 102, Kap. A.2.1). Zur Nachweisführung in Stufe-4 werden vorab die relevanten Laststellungen auf Basis der Ergebnisse aus Stufe-2 identifiziert. In Abb.-7 sind die Ausbaulasten und die für die nichtlineare Berechnung maßgebende Verkehrslaststellung dargestellt. Bei der nichtlinearen Systemanalyse werden alle Lasten unter Berücksichtigung der Teilsicherheitsbeiwerte in einem Lastfall betrachtet, da das Superpositionsprinzip nicht gültig ist. Die Lastauf bringung in einer nichtlinearen FE-Berechnung erfolgt hierbei schrittweise. Zunächst werden alle ständigen Lasten und die Vorspannung aufgebracht. Danach erfolgte analog zu den ständigen Lasten schrittweise die Auf bringung der Verkehrslast, sodass das Gebrauchstauglichkeitsniveau (LS-GZG) erreicht wird. In den anschließenden Lastschritten wurden die ständigen Lasten und die Verkehrslast um die zugehörigen Teilsicherheitsbeiwerte von 1,35 bzw. 1,5 gesteigert. Zur Sicherstellung des nach DIN FB 102 geforderten Sicherheitsniveaus muss diese Laststufe in Verbindung mit dem einheitlichen Teilsicherheitsbeiwert der Baustoffkennwerte von 1,3 betrachtet werden. Die Laststellung LS-GZT bildet damit das Tragfähigkeitsniveau nach DIN Fachbericht [13; 49] ab. Alle weiteren Laststufen darüber hinaus dienen der Untersuchung eventueller Tragfähigkeitsreserven. Abb.-7: Ausbaulasten (links) und maßgebende Verkehrslaststellung (rechts), Grafik: H+P Ingenieure 52 5. Brückenkolloquium - September 2022 Analytische und numerische Verfahren zur Brückennachrechnung der NRR 5.2.4 Ergebnisse Das angestrebte Sicherheitsniveau unter Berücksichtigung des globalen Teilsicherheitsbeiwerts von g R -=-1,3 wurde erreicht. Die anschließende Steigerung der Verkehrslast bis zum Versagenszustand führte zu deutlichen Verformungen und Rissen. In Abb.-8 sind die Hauptdehnungen ε 1 in Hauptzugspannungsrichtung des Bauwerks im rechnerischen Grenzzustand der Tragfähigkeit und im Bruchzustand dargestellt. Der Hauptdehnungsverlauf kann hierbei dem Rissbild gleichgesetzt werden. Abb.-8: Hauptdehnung ε 1 im GZT und im Versagenszustand (oben, unten rechts) und Bügelspannungen im Versagenszustand (unten links), Grafik: H+P Ingenieure Unter den im GZT nach DIN FB anzusetzenden γ-fachen Lasten stellt sich eine Biegerissbildung im Feldbereich in den Stegen ein. Hierbei weist der Randsteg die größten Hauptzugdehnungen auf. Eine beginnende diagonale Schubrissbildung im Randsteg ist im Bereich des letzten Feldquerträgers festzustellen. Die Erhöhung der Verkehrslast führt bis zum Versagen sowohl zu einem deutlichen Wachstum dieses Schubrisses als auch zur Bildung zusätzlicher Schubrisse im Randsteg und den benachbarten Innenstegen. Die zweischnittige Bügelbewehrung (f yk = 240 N/ mm²) des Randsteges erreicht im Bereich der kreuzenden Schubrisse die Streckgrenze. Die große Laststeigerung zwischen rechnerischem GZT und Versagenszustand zeigt hierbei die Umlagerungsmöglichkeiten der Einwirkungen trotz des Fließens der Bügelbewehrung. Die damit verbundenen großen Verformungen des Überbaus resultieren in hohen Betonstauchungen. Die lokale Überschreitung der zulässigen Betondruckstauchungen (ε c >3,5 ‰) führt letztendlich zu einem Systemversagen, wobei vorher eine ausgeprägte Versagensankündigung oberhalb des nach DIN FB 102 geforderten Sicherheitsniveaus vorliegt. Neben dem rechnerischen Nachweis der Tragfähigkeit unter kombinierter Querkraft-, Torsions- und Biegebeanspruchung konnten durch die Ermittlung des Ankündigungsverhaltens die für Brückenprüfungen relevanten Trägerbereiche mit zugehörigen, kritischen Rissbildern identifiziert werden. 6. Vergleich mit Nachrechnungsbeispiel In Abb.-9 werden die Ergebnisse einer in [23] beschriebenen Beispielbemessung für verschiedene Querkraftbemessungsansätze mit dem Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil gegenübergestellt. Dazu wird der Quotient aus der einwirkenden Querkraft V Ed und der Querkrafttragfähigkeit entsprechend dem jeweiligen Modell V Rd gebildet. Abb.-9: Gegenüberstellung einer Beispielberechnung aus [23] mit dem Ergebnis nach dem vorgestellten Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil Mit dem erweiterten Modell für Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie ergibt sich eine höhere rechnerische Querkrafttragfähigkeit im Vergleich zu den anderen Ansätzen der Stufe 2. Obwohl die wissenschaftlichen Modelle nach Stufe 4, wie (1) das erweiterte Druckbogenmodell (Maurer), (2) die kanadische Norm und (3) FEM (hellblaue Balken in Abb. 9), geringere Ausnutzungsgrade ergeben, ist dennoch der Vorteil des Fachwerkmodells mit additivem Betontraganteil für diese Beispielberechnung deutlich erkennbar. 7. Zusammenfassung und aktuelle Untersuchungen Durch eine Erweiterung der Querkraftnachweise in Stufe-2 der Nachrechnungsrichtlinie ist unter Ansatz eines Fachwerkmodells mit Betontraganteil insbesondere bei Brücken mit geringen Querkraftbewehrungsgraden eine zutreffendere Ermittlung der Querkrafttragfähigkeiten möglich. Der Betontraganteil wurde so definiert, dass sich ein stetiger Übergang der Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung zu Bauteilen mit Querkraftbewehrung ergibt. Dadurch ist eine progressivere und vor allem realitätsnähere Bewertung der Standsicherheit älterer Massivbrücken hinsichtlich Querkraft und Torsion möglich. Darüber hinaus besitzen Spannbetonbrücken im Bestand weitere Tragreserven unter Querkraft- und Torsionsbeanspruchung. Hauptgründe für die noch vorhandenen Tragreserven sind zum einen die günstigen Einflüsse aus dem statischen System bei Durchlaufträgern (geringere Schubschlankheit im Vergleich zum Einfeldträger), der 5. Brückenkolloquium - September 2022 53 Analytische und numerische Verfahren zur Brückennachrechnung der NRR Vorspannung (spätere Schubrissbildung) und der Belastungsart (hohe Streckenlasten aus Eigengewicht im Vergleich zu Einzellasten aus Verkehr). Alle drei Faktoren reduzieren die effektive Schubschlankheit und vergrößern die Querkrafttragfähigkeit. Die Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbrücken mit geringen Querkraftbewehrungsgraden (0,5bis 1,5-fache Mindestbewehrung) wird maßgeblich durch den Betontraganteil gesteuert. Der Betontraganteil ist dabei abhängig von der Querschnittsform (Rechteck-, T- oder I-Querschnitt), dem Vorspanngrad, dem Spannungszuwachs der geneigten Spannglieder und auch der der Momenten- Querkraftinteraktion (Schubschlankheit). Bei der Aktivierung dieser Traganteile ist daher die Interaktion von Querkraft und Torsion genauer zu untersuchen. In einem von der BASt finanzierten Forschungsvorhaben werden aktuell experimentelle und theoretische Untersuchungen zu diesen Fragestellungen durchgeführt [50]. An dem Forschungsprojekt sind drei Hochschulinstitute (RWTH Aachen, TU München, TU Dortmund) und zwei Ingenieurbüros (H+P Ingenieure, ZMI Ingenieure) beteiligt. Anhand von für die Praxis relevanten Untersuchungsparametern soll in diesem Projekt die Basis für eine weitere Verbesserung der Bemessungsansätze in Stufe-2 der NRR geschaffen werden. Um das Tragverhalten von Durchlaufsystemen unter Querkraftbeanspruchung und auch mit kombinierter Torsion zu untersuchen, werden 28 Versuche an großformatigen Spannbetondurchlaufträgern (RWTH Aachen: 16, TU Dortmund: 12) und zwölf Versuche an Spannbetonträgerausschnitten (TU München) durchgeführt. Ziel ist es, mit verfeinerten Bemessungsansätzen eine genauere rechnerische Abbildung der Traglastreserven in der NRR zu ermöglichen. Außerdem werden die wissenschaftlichen Verfahren in Stufe-4 der Nachrechnungsrichtlinie adressiert. Zurzeit dürfen nichtlineare FE-Berechnungen, das erweiterte Druckbogenmodell oder die Modified Compression Field Theory angewendet werden, wenn sich die Ergebnisse der Berechnungen durch andere Methoden bestätigen lassen. Mit allen Verfahren lassen sich hohe rechnerische Tragreserven ermitteln, da sie das nichtlineare Materialverhalten und das Systemtragverhalten zutreffender erfassen als eine vereinfachte Nachweisführung. Da die Überprüfung einer solchen Berechnung nur durch andere wissenschaftliche Methoden möglich ist, ergeben sich Fragen, die insbesondere die verfahrensspezifischen Anwendungsgrenzen oder das erreichbare Sicherheitsniveau betreffen. Gezielte theoretische Untersuchungen in Form von Vergleichsberechnungen und Parameterstudien sollen entsprechende Antworten liefern. Darauf auf bauend sollen Handlungsanweisungen erarbeitet werden, welche die Anwendung der Stufe-4-Verfahren für Tragwerksplaner und Straßenbauverwaltungen erleichtern und die Vergleichbarkeit verschiedener Stufe-4-Verfahren herstellen. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (13.12.2018) Bericht „Stand der Modernisierung von Straßenbrücken der Bundesfernstraßen“. [2] Naumann, J. 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Dabei stellt sich die Frage, inwieweit hier auch M berücksichtigt werden muss, da auch M die Hauptdruckspannungen beeinflusst. Bei einer Bewertung bestehender Spannbetonbrücken durch eine Nachrechnung muss die Nachweisführung bei einer kombinierten Beanspruchung an die Nachweisformate der Stufe 2 und 4 angepasst werden. Dabei interessiert die Frage, ob durch ein genauere Nachweisführung unter Berücksichtigung von Interaktionsbedingungen Tragfähigkeitsreserven aktiviert werden können. Zusätzlich müssen ggf. auch von den heutigen normgemäßen Konstruktionsregeln abweichende konstruktive Durchbildungen bei der Bewehrung beachtet werden. Zu diesen Fragestellungen erfolgen im Rahmen eines FE-Auftrags der BASt [1] theoretische und experimentelle Untersuchungen im Rahmen von Großversuchen. Die dabei bisher gewonnenen Erkenntnisse und die daraus abgeleiteten Nachweisformate für die NRR werden nachfolgend im Beitrag vorgestellt. 1. Einleitung Bei der Bewertung bestehender Spannbetonbrücken durch eine Nachrechnung besteht häufig das Problem, dass die älteren Bauwerke nach heutigem Stand der Normung keinen ausreichenden Widerstand gegen Schubbeanspruchungen aus Querkraft und Torsion aufweisen. Daher besteht ein Bedarf nach genaueren Berechnungsverfahren, um weniger kritische Bauwerke auf der Grundlage einer Stufe 2 Nachrechnung ggf. mit Verstärkungsmaßnahmen weiter nutzen zu können und um kritische Bauwerke mit einer Stufe 4 Nachrechnung noch so lange unter Verkehr halten zu können, bis sie durch einen Ersatzneubau ersetzt werden können. Durch ein Forschungskonsortiums der Technischen Universitäten Aachen, Dortmund und München sowie den Ingenieurgesellschaften H&P, Aachen und ZMI, München wurden und werden im Rahmen von FE-Aufträgen der Bast genauere Nachweisverfahren mittels experimenteller und theoretischer Untersuchungen entwickelt. Diese sollen in der fortgeschriebenen Fassung der Nachrechnungsrichtlinie (BEM-ING, Teil 2) ihren Niederschlag finden. 2. Unterschiede im Tragverhalten von Hohlkasten- und Plattenbalkenbrücken bei Querkraft und Torsion (V+T) Die Bemessungsmodelle im Eurocode 2 gelten für reine Torsions- und reine Querkraftbeanspruchung. Bei einer kombinierten Beanspruchung werden die ermittelten Bewehrungen addiert. Zur Begrenzung der Hauptdruckspannungen im Beton, erfolgt für die geneigten Betondruckstreben im Steg infolge V+T der Nachweis auf Grundlage einer Interaktionsbedingung, die für Plattenbalkenbrücken und Hohlkastenbrücken unterschiedlich ist. Plattenbalkenbrücke: Hohlkastenbrücke: 2.1 Tragverhalten bei V+T von Plattenbalkenbrücken Grundsätzlich wird bei den offenen Querschnitten der zweistegigen Plattenbalken das Torsionsmoment aus einer exzentrischen Verkehrsbelastung anteilig durch Querschnittsverwölbung (unterschiedliche Stegbiegung) und anteilig durch St. Venant-Torsion aufgenommen. Die Querschnittsverwölbung wird durch die Querverteilung berücksichtigt, die von der Torsionssteifigkeit der Stege beeinflusst wird. Nachfolgend wird die St. Venant-Torsion in den Stegen betrachtet. Bei Plattenbalkenbrücken erzeugen die St.Venant-Torsionsmomente primär in den Stegen sowie zu einem gewissen Anteil in den angrenzenden Gurtplatten der 58 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Hauptträger im Zustand I umlaufende Schubspannungen, die tangential zu den Querschnittsrändern verlaufen. Die von den Gurtplatten anteilig aufgenommene Torsion wird in der Regel bei der Bemessung vernachlässigt, indem das Torsionsmoment vollständig den Stegen zugewiesen wird. Das Moment aus den umlaufenden Schubspannungen bezogen auf den Schubmittelpunkt ist gleich dem im Querschnitt wirkenden Torsionsmoment (St--Venant’sche Torsion). Im Zustand II erfolgt die Bemessung auf Grundlage eines räumlichen Fachwerkmodells am Ersatzhohlkasten mit der effektiven Wanddicke t eff,i . Das Tragverhalten im Zustand II ist in Bild 1 auf Querschnittsebene in Form von mittleren Schubspannungen über den Querschnitt dargestellt. Der Querschnittsbereich innerhalb des Ersatzholkastens beteiligt sich nicht nennenswert an der Aufnahme des Torsionsmomentes. Im dünnwandigen geschlossenen Profil des Ersatzhohlkastens ist der umlaufende Schubfluss infolge reiner Torsion konstant. Für die Schubspannung in einer Schubwand gilt daher Die Schubkraft V Ed,i in einer Schubwand i infolge Torsion wird wie folgt ermittelt: Bei Querkraft ist die mittlere vertikal gerichtete Schubspannung im Querschnitt über die gesamte Breite b w konstant. Bei einer kombinierten Beanspruchung kommt es im Bereich der seitlichen Schubwände des Ersatzhohlkastens zur Überlagerung der Schubspannungen aus Querkraft und Torsion. Auf einer Seite kommt es dabei zur Addition, wodurch die resultierende Schubbeanspruchung verstärkt wird, auf der anderen Seite heben sich die Schubspannungen teilweise auf. Aus der Darstellung ist klar zu erkennen, dass für den Tragwiderstand bei Querkraft die gesamte Stegbreite mitwirkt. Dagegen wirken beim Tragwiderstand für Torsion nur relativ schmale Randzonen mit, wobei die effektive Wanddicke t eff des Ersatzhohlkastens im deutschen NA als der doppelte Abstand von der Außenfläche bis zur Mittellinie der Längsbewehrung festgelegt ist. Dagegen darf nach EC2-1-1, 6.3.2 (1) für die effektive Dicke einer Schubwand t eff,i = A ⁄u ≥ 2 · d 1 . angesetzt werden. Bild 1: Tragverhalten bei Querkraft und Torsion eines Plattenbalkens auf Querschnittsebene Mit dem konservativeren Ansatz im NA soll in den hohen und sehr ungünstig beanspruchten Randzonen der Stege ein vorzeitiges Druckstrebenversagen verhindert werden, wie es bei einigen der nachfolgend beschriebenen Versuche beobachtet wurde. Dabei muss allerdings zwischen primärem und sekundärem Druckstrebenversagen unterschieden werden. Hierzu später mehr. Was die Querkrafttragfähigkeit betrifft, so trägt der Querschnitt über die gesamte Stegbreite zum Betontraganteil und damit zu einem sehr günstigen Tragverhalten bei. Dagegen ist das Tragverhalten bei Torsion eher 5. Brückenkolloquium - September 2022 59 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) ungünstig, da der Tragwiderstand nur in einer relativ schmalen Randzone mit nur einer Bewehrungslage aktiviert wird. Bei Spannbetonbrücken mit üblichen Betondeckungen beträgt die absolute effektive Wanddicke beispielsweise etwa mit: und ist damit deutlich kleiner als bei Hohlkastenbrücken. Die Fläche A k = b k · h k innerhalb der Mittellinie des Ersatzhohlkastens ist im Allgemeinen erheblich kleiner als bei Hohlkastenbrücken. 2.2 Tragverhalten bei V+T bei Hohlkastenbrücken Die geschlossenen Zellen von Hohlkastenquerschnitten sind optimal geeignet, um eine Torsionsbeanspruchung durch einen umlaufenden Schubfluss aufzunehmen (Bild 2). Sofern die Stegbreite kleiner ist als 1/ 6 der Kastenbreite (b w ≤ b/ 6), darf die gesamte Stegbreite b w für t eff,i angesetzt werden, wobei zwei Bewehrungslagen vorhanden sind, je eine auf der Innen- und eine auf der Außenseite des Steges. Dadurch entsteht eine optimale Tragwirkung zwischen Druck- und Zugstreben in den Schubwänden des räumlichen Fachwerks. Die Schubkräfte in einem Steg überlagern sich daher vollständig zu In geschlossenen dünnwandigen Profilen ist der umlaufende Schubfluss v Ed an jeder Stelle entlang des Querschnittsumfangs gleich groß. Entsprechend unterscheiden sich die Schubspannungen in ihrer Größe in Abhängigkeit von der lokalen Wanddicke t eff, i. Bild 2: Tragverhalten bei Querkraft und Torsion eines Hohlkastens auf Querschnittsebene 3. Bemessung der Bewehrung 3.1 Empfehlung für den Nachweis bei kombinierter Querkraft und Torsion Bei der Nachrechnung einer bestehenden Spannbetonbrücke werden im ersten Schritt die statisch erforderlichen Torsionsbügel ermittelt und von der vorhandenen Bügelbewehrung abgezogen. Mit der verbleibenden Bügelbewehrung wird der Nachweis der Querkrafttragfähigkeit geführt. Bei der Ermittlung der Torsionsbügel kann kein Betontraganteil in Ansatz gebracht werden. Die statisch erforderliche Torsionslängsbewehrung kann bei der Biegebemessung unter Berücksichtigung der Tragreserven der Spannglieder über eine zur Torsions- 60 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) längsbewehrung äquivalente Längszugkraft gemeinsam mit der Biegebewehrung ermittelt werden. 3.2 Torsionsbügelbewehrung Die Torsionsbügelbewehrung wird auf Grundlage eines räumlichen Fachwerkmodells nach DIN EN 1992-2 ermittelt und muss in voller Größe berücksichtigt werden. Die gesamte erforderliche Bügelbewehrung resultiert aus der Querkraftbewehrung basierend auf einem idealisierten Fachwerkmodell mit Betontraganteil (z.B. Druckbogenmodell) zuzüglich der vollen Torsionsbügelbewehrung. Bei der Torsionsbügelbewehrung erfolgt keine Reduzierung durch einen Betontraganteil. 3.3 Torsionslängsbewehrung Infolge der umlaufenden Druckstreben im räumlichen Fachwerk will sich der Balken strecken, d.h. verlängern. Daran wird er durch die Torsionslängsbewehrung gehindert, die die Kraftkomponenten der umlaufenden Druckstreben in Längsrichtung der Stabachse ins Gleichgewicht setzt (Bild 3). Durch das Auf bringen einer Vorspannkraft wird die erforderliche Torsionslängsbewehrung reduziert (Bild 4). Die horizontalen Kraftkomponenten der geneigten Druckstrebenkräfte können anteilig oder vollständig durch die Vorspannung ins Gleichgewicht gesetzt werden. Bild 3: Erforderliche Torsionslängsbewehrung bei reiner Torsion - Stahlbeton Bild 4: Reduzierte Torsionslängsbewehrung durch die Vorspannwirkung. Idealisierte Krafteinleitung von P durch starre Platte Bei dem aus diesen mechanischen Zusammenhängen entwickelten Bemessungsmodell wird zunächst aus der Torsionslängsbewehrung eine resultierende Längskraft (N Ed,T ) berechnet. Diese wird dann zentrisch im Schwerpunkt des Querschnitts angesetzt und bei der Biegebemessung berücksichtigt (Bild 5). Diese Idealisierung wurde durch die nachfolgend beschriebenen Versuche verifiziert. Die Idealisierung ist anwendbar bei einer Beanspruchung überwiegend durch Biegung, wie sie bei Plattenbalkenbrücken auftritt. Bild 5: Bemessung der Längsbewehrung infolge M Ed und N Ed,T : erf A s,M+NT Bei der Ermittlung wird zunächst von der Gleichung für das durch die Längsbewehrung aufnehmbare Torsionsmoment ausgegangen: Durch Umstellen der Gleichung geht daraus die äquivalente Längskraft hervor, die bei der Biegebemessung für M Ed im Schwerpunkt des Querschnitts zusätzlich angesetzt wird (Bild 5). Dabei wird der positive Effekt aus der Überdrückung der Torsionslängszugkräfte im Bereich der Biegedruckzone sowie der Tragwirkung der Spannglieder entsprechend ihrer Anordnung im Querschnitt automatisch mitberücksichtigt. 4. Schließen der Torsionsbügel Durch die Umlenkung der Druckstreben bei der räumlichen Fachwerktragwirkung besteht die Gefahr eines Ausbrechens der Ecken, dargestellt im Bild 6 für einen Rechteckquerschnitt. Das Ausbrechen der Ecken soll durch einen engen Bügelabstand und steife Längsstäbe in den Ecken, auf die sich die Druckstreben abstützen können, verhindert werden. Zudem fordert der Eurocode 2, dass bei Torsion nur geschlossenen Bügel verwendet werden dürfen. Bild 6: Ausbrechende Ecken infolge Umlenkung der Druckstreben (aus [2]) Die Konstruktionsregeln für die Torsionslängs- und Torsionsbügelbewehrung in DIN EN 1992-1-1 mit zugehörigem NA gelten für reine Torsion und Rechteckquerschnitte. Bei Brücken tritt immer eine kombinierte Beanspruchung aus überwiegender Querkraftbiegung mit 5. Brückenkolloquium - September 2022 61 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) zugehöriger Torsion auf. Daher ist eine Anpassung dieser Regeln an die brückenspezifischen Verhältnisse sinnvoll. Bei Brückenquerschnitten wird durch die in Querrichtung durchlaufende Fahrbahnplatte ein Ausbrechen der Ecken infolge Umlenkung der Druckstreben bei Torsion im oberen Stegbereich verhindert, weil die Querbewehrung der Fahrbahnplatte als starkes Zugband durchläuft und sich darunter die Biegedruckkraft aus der Quertragwirkung abstützt. Zusätzlich erfolgt die vertikale Verankerung der Ecken durch die Haken oder Winkelhaken als Verankerungselemente der Bügelschenkel. Bei den nachfolgen beschriebenen Versuchen an vorgespannten Plattenbalken wurde diese Form der konstruktiven Durchbildung untersucht. Das Schließen der Bügel erfolgte durch die obere Querbewehrung. Das Schließen der Bügel in den Stegen von Plattenbalkenbrücken, die durch Torsion beansprucht werden, darf durch die obere Querbewehrung in der durchlaufenden Fahrbahnplatte erfolgen. Im Zusammenwirken mit den Verankerungselementen der Bügelschenkel verhindert sie das Ausbrechen der oberen Eckbereiche, durch die Umlenkung der Druckstreben im räumlichen Fachwerkmodell (Bild 7). Bild 7: Schließen der Querkraft- und Torsionsbügel bei Plattenbalkenbrücken 5. Nachweis der Hauptdruckspannungen im Beton Bei einigen Versuchen an Durchlaufträgern wurde im Bereich unmittelbar vor den Innenstützen ein Betondruckversagen beobachtet, was durch Abplatzungen und einem Ablösen zunächst der seitlichen Betondeckung bis hinein in die Biegedruckzone eingeleitet wurde. Dabei kam es auch zum Ablösen der Betondeckung auf der Trägerunterseite in Verbindung mit einem tiefer gehenden lokalen Betonausbruch. Infolge der Querschnittsschwächung in der Biegedruckzone kam es in der Folge zu einem Biegebruch. In diesem Zusammenhang muss allerdings zwischen einem primären und einem sekundären Versagen des Betons unterschieden werden. Ein sekundäres Betonversagen im Bereich der Innenstützen der Durchlaufträger erfolgt, wenn die Bügel mit großen plastischen Dehnungen (10-20 ‰) Fließen, wodurch große Querdehnungen und Zugspannungen in die geneigten Betondruckstreben eingeleitet werden (Bild 8). Dadurch kommt es im Wirkungsbereich der Bewehrung zu einem deutlichen Festigkeitsabfall des Betons, der umso ausgeprägter ist, je flacher die Betondruckstreben geneigt sind. In der Folge löst sich zunächst die Betondeckung außerhalb der Bügel ab, was eine Querschnittsschwächung zur Folge hat. Es besteht dann die Gefahr eines anschließenden Versagens der Biegedruckzone auch innerhalb der Bügel, wie es bei den nachfolgend in Abschnitt 6 beschriebenen Versuchen teilweise zu beobachten war. Bild 8: a) Einleitung von Querzugspannungen in die Druckstreben im Steg; b) Abminderung der Betondruckfestigkeit infolge gleichzeitig auftretender Querzugbeanspruchung (schematisch) Ein primäres Betonversagen liegt vor, wenn die Bügel nicht Fließen oder nur mit geringen plastischen Dehnungen Fließen und es zu einem echten Druckstrebenbruch durch Überschreiten der Druckfestigkeit kommt. DIN EN 1992-2 mit zugehörigem NA sieht zur Vermeidung eines Druckstrebenbruchs eine Interaktionsbedingung für Querkraft und Torsion vor. Da die Hauptdruckspannungen im Beton auch vom gleichzeitig wirkenden Biegemoment M beeinflusst werden, stellt sich die Frage, ob das Biegemoment ebenfalls dabei berücksichtigt werden muss. Um all diesen Fragen nachzugehen, wurden in einer Versuchsreihe entsprechend konzipierte Versuche durchgeführt [3]. 6. Verifikation der Bemessungsmodelle durch Versuche 6.1 Versuchsprogramm Das hier vorgestellte Versuchsprogramm zur Verifikation der in Abschnitt 3 und 4 vorgestellten Bemessungsmodelle durch Versuche umfasst in Summe vier großformatige Durchlaufträger mit kombinierter Beanspruch aus Biegung, Querkraft und zusätzlicher Torsion, die an der TU Dortmund im Rahmen eines Forschungsvorhabens der BASt [1] getestet wurden. Wie bereits teilweise in [4] vorgestellt, wurden an jedem der zweifeldrigen Spannbetonträger zwei Teilversuche durchgeführt. Dazu weisen die 62 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) beiden Felder unterschiedliche Querkraft- und Längsbewehrungsgrade o-der unterschiedlichen Bewehrungsformen für die Torsionsbügel auf. Eine Übersicht über das Versuchsprogramm der Versuche mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion an Durchlaufträgern ist in Tabelle 1 dargestellt. Grundlage für die Versuche mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion stellen Versuche mit reiner Querkraftbiegung dar [6], [7], die hinsichtlich der Trägergeometrie, der Bewehrung (bis auf die zusätzliche Torsionsbügel und Torsionslängsbewehrung) sowie dem Vorspanngrad in Übereinstimmung mit den Versuchen unter kombinierter Beanspruchung sind. Sie können als Referenzversuche mit bekannter Versuchstraglast herangezogen und den Versuchstraglasten aus den Versuchsträgern DLT 5-DLT -8 gegenübergestellt werden (Tabelle 2). Die Versuchslasten der Versuchsträger DLT 5 - DLT 7 wurden durch zwei kraftgesteuerte hydraulische Pressen mit einer Kapazität von 2,0 MN aufgebracht. Die Einzellasten sind jeweils in einem Abstand von 3,50 m von der Innenstützte exzentrisch zur Längsachse des Trägers angeordnet. Dadurch entsteht im Bereich zwischen Lasteinleitung und Innenstütze eine konstante Torsionsbeanspruchung mit wechselndem Vorzeichen an der Innenstütze, vergleich bar mit der Beanspruchung an den Innenstützten von Plattenbalkenbrücken mit Querträgern. Der Versuchsträger DLT 8 wurde durch eine Streckenlast beansprucht. Auf Grund der Vielzahl an Einzellasten kann dabei in guter Näherung von einer Streckenbelastung ausgegangen werden. Die so belasteten Balken wurden über nachträglich anbetonierte Querträger an der Innenstütze zur Aufnahme der Torsion ins Gleichgewicht gesetzt. Während bei den Versuchsträgern DLT 5-DLT 7 primär das Bemessungskonzept für eine kombinierte Beanspruchung aus M+V+T (vgl. Abschnitt 3) verifiziert werden sollte, wurde bei dem Versuchsträger DLT 8 zusätzlich der direkte Vergleich einer unterschiedlichen Verankerung der Bügelbewehrung in der Gurtplatte getestet (vlg. Abschnitt 4). Hierzu wurde ein Feld mit offenen und ein Feld mit nach Norm geschlossenen Bügeln ausgeführt (Bild 9). Die offenen Bügel wurden durch die Querbewehrung der Gurtplatte geschlossen. Tabelle 1: Versuchsprogramm - Kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion Versuch Querschnitt Längsbewehrung Querkraftbewehrung ρ w,geo / ρ w,min [‰] Belastung Beton Vorsp. s cp [MPA] Feld 1 Feld 2 DLT 5 T A s,o =14Ø12+2Ø20 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 A s,Steg = 4Ø12 je Seite 1,03 (Ø8/ 20) (a sw,V+T ) 1,66 (Ø10/ 20) (a sw,V+T ) M+Q+T Einzellast exzentrisch C35/ 45 3,3 DLT 6 T A s,o = 16Ø12 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 1,03 (Ø8/ 20) (a sw,V+T ) 1,66 (Ø10/ 20) (a sw,V+T ) M+Q+T Einzellast exzentrisch C35/ 45 3,3 DLT 7 T A s,o =14Ø12+2Ø20 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 A s,Steg = 4Ø16 je Seite 1,74 (Ø8/ 10) (a sw,V+T ) 2,72 (Ø10/ 10) (a sw,V+T ) M+Q+T Einzellast exzentrisch C35/ 45 3,3 DLT 8 T A s,o =14Ø12+2Ø20 A s,u,Feld = 3Ø16+2Ø20 A s,u,Stütz = A s,u,Feld +2Ø20 A s,Steg = 4Ø16 je Seite 1,74 (Ø8/ 10) (a sw,V+T ) 1,74 (Ø8/ 10) (a sw,V+T ) M+Q+T Streckenlast exzentrisch C35/ 45 3,3 5. Brückenkolloquium - September 2022 63 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Feld- und Stützquerschnitt - Feld 1 - offene Bügel, geschlossen durch die Querbewehrung im Gurt Feld- und Stützquerschnitt - Feld 2 -Bügel geschlossen mit Steckbügeln Bild 9: Querschnittsgeometrie und Bewehrung Versuchsträger DLT 8 6.2 Versuchsergebnisse 6.2.1 Last-Durchbiegungskurven In Bild 10 sind die Last-Durchbiegungskurven der Träger DLT 5 bis DLT 8 jeweils für den ersten Teilversuch, bis zum Einbau der Verstärkung des schwächer bewehrten Feldes und den zweiten Teilversuch, bis zum Bruch des stärker bewehrten Feldes, dargestellt. Versagen der Versuchsträger DLT 5 und DLT 6 trat jeweils im stärker bewehrten Feld an der Lasteinleitung durch Bruch der Druckzone ein. Bei dem Versuchsträger DLT 7 trat das Versagen an der Innenstütze durch Druckstrebenbruch in Feld 2 auf. Bei DLT 8 waren beide Felder für die gleiche Traglast ausgelegt und unterschieden sich lediglich hinsichtlich der konstruktiven Ausbildung der Bügel (Bild 9). Da sich bis zum Eintreten der Bruchlast keine Unterschiede im Tragverhalten anhand von Rissbildung, Dehnungsmessungen oder Verformungen erkennen ließen, kam es zu keiner Verstärkung des vermeintlich konstruktiv schwächer ausgebildeten Feldes 1 mit offenen Bügeln, die über die Bewehrung der Gurtplatte geschlossen wurden. Das Bemessungskonzept aus Abschnitt 3 für die Bewehrung konnte bei Versuchsträger DLT 5 durch das Erreichen von 97 % der Traglast im Vergleich zu den Referenzversuchen bestätigt werden. Der Versuchsträger DLT 6 konnte dagegen erwartungsgemäß nur ca. 90 % der Traglast der Referenzversuche erreichen (Tabelle 2), da DLT 6 gänzlich ohne zusätzliche Torsionslängsbewehrung ausgeführt worden war. Dies hatte gegenüber dem Referenzversuch einen Abfall der Versuchstraglast um 10 % zur Folge. Das endgültige Versagen trat bei beiden Trägern in Feld-2 nahe der Lasteinleitungsstelle letztlich durch den Bruch der stark eingeschnürten Betondruckzone auf. Primäre Ursache für das Versagen war das Fließen der Bewehrung in Verbindung mit großen Stahldehnungen (vgl. Abschnitt 5). Bei dem Versuchsträger DLT 7 kam es durch die starke Vergrößerung der Exzentrizität infolge der überproportional zunehmenden Bauteilverformungen, ausgehend von 11,3 cm (Feld 1) bzw. 15,0 cm (Feld 2), zu Effekten nach Theorie II. Ordnung, wodurch das Torsionsmoment stark überproportional vergrößert wurde. In Feld 1 konnte die Traglast des Referenzversuchsträgers trotz überproportionaler Vergrößerung der Exzentrizität und der damit verbundenen höheren Torsionsbeanspruchung erreicht werden. Das Betondruckstrebenversagen, trat schlussendlich im Bereich der Innenstütze des durch Torsion wesentlich höher belasteten Feld 2 auf. Die Auswertungen für das Feld 2 sind noch nicht abgeschlossen. Daher fehlt die entsprechende Zeile in Tabelle 2 64 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Bild 10: Experimentell bestimmte Last- Durchbiegungskurven - DLT 5-8 6.2.2 Versuchstraglasten Eine Übersicht über die erreichten Traglasten im Vergleich zu den Referenzversuchsträgern aus [1] gibt Tabelle 2. Tabelle 2: Experimentell ermittelte Versuchstraglasten Versuchsträger Versuchstraglast Referenz-versuch Abweichung Versuchsträger Versuchstraglast Referenzversuch Abweichung DLT 5 - Feld 1 1549 kN 1607 kN -3,2 % DLT 5 - Feld 2 1792 kN 1798 kN -0,2 % DLT 6 - Feld 1 1453 kN 1607 kN -9,2 % DLT 6 - Feld 2 1688 kN 1798 kN -6,1 % DLT 7 - Feld 1 1603 kN 1607 kN -0,25 % DLT 8 - Feld 1 522 kN/ m 413 kN/ m 26,4 % DLT 8 - Feld 2 522 kN/ m 413 kN/ m 26,4 % Beim Streckenlastversuch DLT 8 wurde die Traglast des Referenzversuchs entsprechend dem Bemessungsvorschlag für die zusätzliche Torsionsbewehrung nicht nur erreicht, sondern wie aus Tabelle 2 ersichtlich, sogar um 26,4 % übertroffen. Diese höhere Versuchstraglast lässt sich allerdings auf die deutlich geringere Druckfestigkeit des Referenzversuchsträgers zurückführen. Bei dem Referenzversuchsträger wurde die Zielfestigkeit des bestellten Betons der Festigkeitsklasse C35/ 45 auf Grund der mangelhaften Qualität des Transportbetons nicht erreicht (f cm = 26,7 MN/ m²). Dieser Fehler konnte erst nach Erhärtung und Prüfung der ersten Probekörper bemerkt werden, wodurch der gesamten Versuchsbalken eine um 53 % reduzierten Druckfestigkeit gegenüber dem angestrebten Wert aufwies. Dieser Problematik geschuldet, kam es bei dem Versuchsträger DLT 8 mit f cm = 48,9 MN/ m² noch nicht zum Fließen der Bügelbewehrung als die Versagenslast des Referenzversuchsträgers erreicht war. Erst bei weiterer Steigerung der Last wurde die Streckgrenze der Bügelbewehrung erreicht, die plastischen Dehnungen nahmen zu und in der Folge kam es unter einer deutlich höheren Laststufe als beim Referenzversuch auf Grund einer Querschnittsschwächung durch Abplatzen der seitlichen Betondeckung ebenfalls zu einem sekundären Druckstrebenversagen. Primäre Versagensursache war das Fließen der Bügel. 6.2.3 Rissbilder In Bild 11 sind die Rissbilder der Versuchsträger im Bruchzustand dargestellt. Im Bruchzustand sind die Versuchsträger über die gesamte Länge gerissen, wobei die kritischen Risse, die im stärker bewehrten Feld zum endgültigen Bruch geführt haben, rot eingezeichnet sind. Während der Versuchsträger DLT 5 durch eine Überbeanspruchung der Bügelbewehrung versagte, zeigte sich 5. Brückenkolloquium - September 2022 65 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) bei dem Versuchsträger DLT 6 ohne zusätzliche Torsionslängsbewehrung eine deutliche Zunahme der Rissbildung bis in den Bereich der Druckzone an der Innenstütze hinein. Dies ließ ein bevorstehendes gleichzeitiges Versagen sowohl der Bügel als auch der Druckzone an der Innenstütze vermuten. Beim Versuchsträger DLT 7 führte letztlich ein Versagen der Druckstreben in Feld 2 zum Bruchzustand. Ursache war ein starker Zuwachs bei der Exzentrizität e infolge von Effekten nach Theorie II. Ordnung durch die unerwartet große Verdrehung des Balkens im Bereich der Lasteinleitung und entsprechende Schiefstellung der Pressen, wodurch die Torsionsmomente stark überproportional anstiegen. Die Auswertung und Quantifizierung der Effekte nach Theorie II. Ordnung in Feld 2 sind, wie bereits erwähnt derzeit noch nicht abgeschlossen. Bei dem Versuch mit Streckenlast (DLT 8) stellt sich ein gänzlich anderen Rissbild ein. Aufgrund der gegenüber den Einzellasten veränderten Schnittgrößenverteilung konzentriert sich die Ausbildung der schrägen Schubrisse im Wesentlichen auf den Bereich der Innenstütze, während sich im Feldbereich hauptsächlich vertikale Biegerisse einstellen. Das Versagen des Trägers DLT 8 erfolgte schlussendlich an der Innenstütze im Feld mit offener Bügelbewehrung infolge eines sekundären Druckzonenversagens. Auf Grund großer plastischer Dehnungen im Zuge des Fließens der Bügelbewehrung (10 - 20‰) kam es zu großen Querdehnungen und Zugspannungen in den geneigten Betondruckstreben und dementsprechend zu einen Festigkeitsabfall des Betons. Durch flächenhafte Betonabplatzungen kam es in der Folge zur Querschnittsschwächung, die schlussendlich das sekundäre Druckzonenversagen eingeleitet hat (Vgl. Abschnitt 5). Bis zum Versagen war kein Einfluss der Bügelbewehrungsform auf das Tragverhalten zwischen den Feldern erkennbar. 7. Torsionssteifigkeit In statisch unbestimmten Systemen ist die Verteilung der Schnittgrößen abhängig von den Steifigkeitsverhältnissen. Bei Plattenbalkenbrücken beeinflusst die Torsionssteifigkeit der Längsträger sowohl die Querverteilung als auch die absolute Größe der Torsionsmoment der Hauptträger. Daher ist es bei der Nachrechnung von bestehenden Plattenbalkenbrücken von Interesse, die Torsionssteifigkeit der Hauptträger für die Schnittgrößenermittlung im Grenzzustand der Tragfähigkeit aufgrund der Rissbildung abzumindern, um das Tragverhalten möglichst realitätsnah abzubilden. Bild 11: Rissbilder im Bruchzustand (Versagensrisse rot) 66 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Aus durchgeführten Forschungsvorhaben [5] ging in diesem Zusammenhang für die Nachrechnung von Bestandsbauwerken das Ergebnis hervor, dass die Torsionssteifigkeit GI T für die Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit bei der Schnittgrößenermittlung von mehrstegigen Plattenbalkenbrücken pauschal auf 40% des linearelastischen Wertes nach Zustand I abgemindert werden darf. Diese Empfehlung fand bereits in der 1. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie Berücksichtigung und stellt derzeit einen unteren Grenzwert für die pauschale Abminderung der Torsionssteifigkeit dar. Anhand der vorgestellten Versuchsträger unter kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion konnte der Abfall der Torsionssteifigkeit durch kontinuierliche Messung der Torsionsmomenten-Verdrillungs-Beziehung (M, ′) analysiert werden und der rechnerischen Torsionssteifigkeit nach Zustand I gegenübergestellt werden. Die rechnerische Torsionssteifigkeit nach Zustand I ist abhängig vom Schubmodul G und dem Torsionsträgheitsmoment I T , die sich wie folgt ermitteln: Dabei ist: für Beton Für gegliederte Vollquerschnitte, wie z.B. bei Plattenbalkenbrücken, setzt sich das Torsionsträgheitsmoment I T entsprechend den Regeln für Rechteckquerschnitte im Verhältnis der Steifigkeiten im Zustand I zusammen (Bild 12). Bild 12: Aufteilung von I T in Einzelquerschnitte Das Torsionsträgheitsmoment nach Zustand I für die Versuchsträger DLT 5 bis DLT 8 ermittelt sich daher wie folgt: Tabelle 1 enthält die rechnerischen Torsionssteifigkeiten GI T(cal) des Zustand I. Anhand der nichtlinearen Torsionsmomenten-Verwindungs-Zuordnung im gerissenen Zustand II kann mithilfe der mechanischen Zusammenhänge aus den Versuchen eine Tangenten- und Sekanten-Torsionssteifigkeit bestimmt werden. Dabei ist der grundsätzliche Unterschied zwischen Sekanten- und Tangentensteifigkeit von Bedeutung. Die unterschiedlich definierten Torsionssteifigkeiten werden in Bild 14 und Bild 15 veranschaulicht. Bild 13: Torsionsmoment I T und Widerstandsmoment W T für Rechteckquerschnitte mit linear-elastischem Werkstoff Tabelle 3: rechnerische Torsionssteifigkeit im Zustand I - DLT 5-8 f cm [MN/ m²] E cm [MN/ m²] G [MN/ m²] I T [m4] GI T(cal) [MNm²] DLT 5 46,31 34.844 14.518 8,498 × 10 -3 123 DLT 6 46,46 34.878 14.533 8,498 × 10 -3 124 DLT 7 57,53 37.187 15.495 8,498 × 10 -3 132 DLT 8 56,40 36.966 15.403 8,498 × 10 -3 131 5. Brückenkolloquium - September 2022 67 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Bild 14: Tangentensteifigkeit Bei der Tangentensteifigkeit wird die zugehörige aktuelle Steifigkeit zu einer schrittweisen Laststeigerung ermittelt, wie sie im Brückenbau z. B. für die Ermittlung der Querverteilung einer Plattenbalkenbrücke bei der Steigerung von 1,0-fachen auf g-fache Lasten erforderlich ist. Die Sekantensteifigkeit beschreibt die zu einer bestimmten Laststufe zugehörige Endsteifigkeit, wie es z.B. für die Verformungsberechnung unter einer bestimmten Laststufe von Interesse ist. Bild 15: Sekantensteifigkeit Die für einen Trägerabschnitt in Längsrichtung dargestellte Torsionsmomenten- Verwindungs- Beziehung, exemplarisch für den Versuchsträger DLT 5, weist ähnlich den Momenten-Krümmungs-Linien bei Biegebeanspruchung drei charakteristische Phasen auf: den ungerissenen Zustand I, den gerissenen Zustand II und den plastischen Bereich durch das Fließen der Bewehrung (Bild 16). Bei allen Versuchsträgern ist ein deutlicher Übergang vom linearelastischen ungerissenen Zustand I in den gerissenen Zustand II zu erkennen. Auch der Übergang zum Fließen der Bewehrung unter deutlicher Zunahme der Verdrehung bei nur noch sehr geringer Laststeigerung ist deutlich für alle Versuchsträger zu erkennen. Zur Quantifizierung des Abfalls der Torsionssteifigkeit wurde die Entwicklung der effektiven Torsionssteifigkeit in Abhängigkeit vom Torsionsmoment anhand der im Versuch ermittelten Verdrillung auf Basis von Differenzenquotienten in Bild 17 sowohl für die Tangentenals auch für die Sekantensteifigkeit exemplarisch für den Versuchsträger DLT 5 gegenübergestellt. Bild 16: Torsionsmomenten-Verwindungs-Beziehung - exemplarisch für DLT 5 (Feld 1) Zu erkennen ist, dass die Torsionssteifigkeit der Versuchsträger bereits im Zustand I auf Werte zwischen 85- 90% der Torsionssteifigkeit nach Elastizitätstheorie bedingt durch eine Mikrorissbildung reduziert wurde. Wie in Bild 17 zu erkennen erfolgt der Abfall der Torsionssteifigkeit im gerissenen Zustand II bei 40-60 % der Traglast zunächst aufgrund von Biegerissen. Durch fortschreitende Biege- und Torsionsrissentwicklung setzte sich der Abfall der Torsionssteifigkeit bis zu einem Lastniveau von etwa 60-80 % der Traglast auf 20-60 % des Ausgangswertes fort. Es wird deutlich, dass der Unterschied von Tangenten- zur Sekantensteifigkeit mit zunehmendem Torsionsmoment T größer wird. Bild 17: Entwicklung der effektiven Torsionssteifigkeit - (beispielhaft für den Versuchsträger DLT 5) 8. Fazit und Ausblick Im vorliegenden Beitrag wurden erweiterte Ansätze und konstruktive Details thematisiert, die im Rahmen der Bewertung bestehender Spannbetonbrücken durch eine Nachrechnung bei einer kombinierten Beanspruchung für Nachweisformate der Stufe 2 und 4 von großem Interesse sind. Zum einen wurde durch einen Bemessungsvorschlag zur Ermittlung der Torsionslängsbewehrung bei überwiegender Biegung gezeigt, dass im Zuge einer genaueren Nachweisführung unter Berücksichtigung von Interaktionsbedingungen Tragfähigkeitsreserven aktiviert werden können. 68 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) Dabei wurden Ergebnisse von insgesamt vier Versuchsträgern mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion vorgestellt über die der Ansatz für die Bestimmung der Torsionslängsbewehrung verifiziert werden konnte. Aufgrund unterschiedlicher Torsionsbügel- und -längsbewehrung in beiden Felder, konnten acht verschiedene Varianten hinsichtlich der Torsionsbewehrung und Größe der Torsionsmomente experimentell untersucht werden. Alle Versuchsträger wurden mit dem vorgestellten erweiterten Bemessungsmodell für die Torsionsbügel- und Torsionslängsbewehrung bei kombinierter Beanspruchung ausgelegt. Bei dieser Vorgehensweise wird für überwiegend biegebeanspruchte Bauteile der positive Effekt aus der Überdrückung der Torsionslängszugkräfte im Bereich der Biegedruckzone infolge Biegung, sowie der Tragwirkung der Spannglieder entsprechend ihrer Lage im Querschnitt bei der Bemessung berücksichtigt. Auf diese Weise kann die Längsbewehrung gegenüber einer Bemessung bei reiner Torsion unter Ausnutzung der Tragreserven der Spannglieder deutlich reduziert werden. Durch den Versuchsträger DLT 7 mit deutlich erhöhter Exzentrizität aufgrund von Effekten nach Theorie II. Ordnung konnte das erweiterte Bemessungsverfahren für Feld 1 des Versuchsträgers mit einem M/ T-Verhältnis < 10 ebenfalls verifiziert werden. Die Auswertung und Quantifizierung der Effekte nach Theorie II. Ordnung für das Feld 2 sind noch nicht abgeschlossen. Darüber hinaus wurde gezeigt, dass die aus dem analytischen Druckbogenmodell ermittelte Bügelbewehrung für Querkraft mit der vollen Torsionsbügelbewehrung nach EC2 überlagert werden muss, für die gesamte erforderliche Bügelbewehrung unter der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. Um die Grenzen der Anwendbarkeit und Gültigkeit dieses Bemessungsvorschlages weiter zu verifizieren, werden derzeit weitergehende Untersuchungen mit experimentellem Fokus vorangetrieben über deren erste Ergebnisse in einem weiteren Beitrag berichtet wird [3]. Zusätzlich konnte durch den Versuchsträgers DLT 8 bestätigt werden, dass die Torsionsbügel auch durch die Querbewehrung in der Gurtplatte geschlossen werden können. Der umfassende Einsatz von Messtechnik bildet die Basis für noch folgende weitergehende Untersuchungen hinsichtlich des Tragverhaltens von vorgespannten Durchlaufträgern bei kombinierter Beanspruchung. Dabei soll besonderes Augenmerk auch auf die ergänzende Simulationsberechnung mittels der nichtlinearen FEM, zum besseren Verständnis des Tragverhaltens gelegt werden. Abschließend wurde gezeigt, dass die Abminderung der Torsionssteifigkeit GI T für die Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit auf 40 % des linearelastischen Wertes nach Zustand I bei der Schnittgrößenermittlung im Zuge der Nachrechnung von Plattenbalkenbrücken berechtigt ist. Damit kann das Tragverhalten zutreffend und realitätsnah abgebildet werden. Literaturverzeichnis [1] Hegger, J.; Maurer, R.; Fischer, O.; Zilch, K. et. al.: Beurteilung der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand - erweiterte Bemessungsansätze, Schlussbericht zu BASt FE 15.0591/ 2012/ FRB, 2018. [2] Leonhardt, F.: Vorlesungen über Massivbau - Teil 1 Grundalgen zur Bemessung im Stahlbetonbau, Springer Verlag, 1984 [3] Lavrentyev, V.; Stakalies, E.; Maurer, R.: Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. Beitrag zum Tagungsband des 5. Brückenkolloquium der TAE, Esslingen, September 2022 [4] Stakalies, E.; Maurer, R.: Zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung. Beitrag zum Tagungsband des 4. Brückenkolloquiums der TAE, Esslingen, September 2020 [5] Hegger, J.; Maurer, R.; Zilch, K.; Rombach, G.: Beurteilung der Querkraft und Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand - kurzfristige Lösungsansätze. Schlussbericht zu BASt FE 15.0482/ 2009/ FRB, 2014.TAE 2020, ES [6] Maurer, R.; Gleich, P.; Zilch, K.; Dunkelberg, D.: Querkraftversuche an einem Durchlaufträger aus Spannbeton. Beton- und Stahlbetonbau (2014), Heft 10. [7] Gleich, P; Maurer, R.: Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Plattenbalkenquerschnitt, In: Bauingenieur 93 (2018), Heft 2. 5. Brückenkolloquium - September 2022 69 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer Lehrstuhl für Massivbau, Technische Universität München Sebastian Thoma, M.Sc. Lehrstuhl für Massivbau, Technische Universität München Zusammenfassung Die Querkrafttragfähigkeit von vorgespannten Betonträgern mit geringem Querbewehrungsgrad ist ein aktuelles und fortwährendes Thema, insbesondere im Hinblick auf die Beurteilung von bestehenden Betonbrücken. In diesem Beitrag werden Teile einer Versuchsreihe vorgestellt, die diesen Kontext aufgreift und gleichzeitig den Grad der Längsbewehrung im Sinne einer wirtschaftlichen Bemessung von Brückenquerschnitten deutlich reduziert, was im Einklang mit bestehenden Brückenquerschnitten und im Gegensatz zur großen Mehrheit der relevanten Versuchsreihen steht. Die konstruktive Durchbildung erlaubte in allen Versuchen ein Schubversagen des Systems bei teilweise plastischer Verzerrung der Längsbewehrung. Der Schwerpunkt der vorgestellten Inhalte liegt auf der lastabhängigen Risskinematik der Balkenelemente auf Grundlage der Messdaten aus digitaler Bildkorrelation. Es wird gezeigt, dass sich, in Abhängigkeit der Längsverzerrung des Querschnitts, Tragmechanismen, die auf den Gedanken der Rissreibung beruhen, mechanisch nur begrenzt begründen lassen und eine Erweiterung der plastizitätstheoretischen Vorstellungen einer Fachwerktragwirkung durch einen geneigten Druckgurt bzw. einen allgemeinen Betontraganteil der Druckzone konsistenter wirken. 1. Einleitung Vor dem Hintergrund offener Fragestellungen zur Bewertung des Querkrafttragverhaltens von Spannbetonquerschnitten in Bestandsbrücken sind in jüngster Vergangenheit theoretische und experimentelle Bemühungen intensiviert worden [1-4], wobei insbesondere charakteristische Tragmechanismen vorgespannter Durchlaufträger zur Diskussion standen und einzelne Parameter isoliert betrachtet wurden. Ein Umstand, der diesen experimentellen Untersuchungen gemein ist, findet sich im vergleichsweise hohen Längsbewehrungsgrad der Prüfkörper, der ein vorzeitiges Biegeversagen zu Gunsten des gewünschten Schubversagens ausschließen soll. Eine Versuchsreihe, die in Auszügen nachfolgend vorgestellt wird, untersucht den Einfluss eines sukzessive reduzierten Längsbewehrungsgrades, der die mögliche Längsverzerrung wirtschaftlich bemessener Brückenbauquerschnitte besser approximiert. Einer kurzen Beschreibung des Versuchsprogramms und ausgewählten Aspekten zum Trag- und Bruchverhalten folgend, werden auf Basis der Schubrissbildung, die anhand der digitalen Bildkorrelation analysiert wird, verschiedene Gedanken zur Annahme einer Fachwerktragwirkung und Betontraganteilen aus Rissreibung im Kontext der Versuchsergebnisse kritisch diskutiert. 2. Experimentelle Untersuchungen 2.1 Versuchskonzeption Die vorgespannten Balkenelemente orientieren sich am globalen System eines Referenzdurchlaufträgers mit einer Einzellast je Feld. Das freigeschnittene Subsystem bildet den Bereich zwischen maximalem Feldmoment unter der Einzellast und Mittelstütze ab. Der hierfür konzipierte Versuchsstand erlaubt somit die Untersuchung realitätsnah skalierter Prüfkörper bei Reduktion auf den wesentlichen Trägerausschnitt unter Berücksichtigung der Verträglichkeitsbedingungen an den definierten Schnittufern. Abbildung 1 zeigt angreifende Kräfte am verformten Balkenelement. Die Bewehrung des gemischt bewehrten Zuggurts (schlaffer Betonstahl und girlandenförmig verlaufende Spannglieder) sind jeweils in der Zugzone aus äußerer Last rückseitig in den einfassenden Schubnockenplatten verankert. Druckkräfte werden über den trockenen Kontakt in der Schubnockenfuge übertragen. Die gesteuerte Lastplatte bildet den Feldquerschnitt ab und stellt neben der vertikalen Auflast auch das Momentengleichgewicht mittels horizontaler Zylinderpaare sicher. Weitere, ausführliche Erläuterungen zur genutzten Substrukturtechnik finden sich hier [5, 6]. 2.2 Versuchsprogramm Anhand von acht Substrukturversuchen wird der Einfluss des Längsbewehrungsgrades auf die Querkrafttragfähigkeit untersucht. Dabei werden drei abgestufte Längsbewehrungsgehalte mit geripptem Betonstahl an Rechteck- und Plattenbalkenquerschnitt bei ansonsten gleichen Randbedingungen untersucht. Die wesentlichen Daten sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Der profilierte Plattenbalkenquerschnitt erlaubt zudem Rückschlüsse auf den Traganteil der Gurte, der auch in Relation zur Steifigkeit des Zugbandes zu sehen ist. Die Länge der Trägerausschnitte beträgt inklusive der Vouten (optimierte Kontaktfläche für Lastübertrag via Schubnocken) 4,5-m 70 5. Brückenkolloquium - September 2022 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte bei einer Querschnittshöhe von 80-cm. Damit ergibt sich eine Schubschlankheit von l ≈ 3. Darüber hinaus wird je Querschnitt ein Tastversuch mit glatter Längsbewehrung durchgeführt, die im Rahmen dieses Beitrags aber nicht weiter thematisiert werden. Alle Balkenelemente werden mit ca. 1,0-facher Mindestschubbewehrung ausgeführt. Alle Träger werden zudem mit Vorspannung im nachträglichen Verbund geprüft, wobei die Vorspannung erst nach Einbau in den Versuchstand aufgebracht wird. Tabelle 1: Auszug der Versuchsreihe, Variation des Längsbewehrungsgrades, Betonkennwerte [MPa], Vorspannung [MPa] und erreichte Bruchlasten ID ρ sl [-] (abs.) f c,cyl f ct,sp E cm s cp V max [kN] R25 0,016 (6D25) 41,9 3,03 28.810 2,50 484 R22 0,012 (6D22) 40,3 3,04 29.480 2,50 517 R18 0,008 (6D18) 44,4 3,04 28.630 2,50 585 T25 0,016 (6D25) 41,9 3,54 27.960 2,50 510 T22 0,012 (6D22) 53,7 3,67 31.260 2,50 609 T18 0,008 (6D18) 43,8 3,84 28.590 2,50 579 Abbildung 1: a) Schematische Darstellung der Substrukturtechnik, b) resultierende, qualitative Schnittgrößenverläufe 2.3 Charakteristisches Trag- und Bruchverhalten Alle Träger der Versuchsserie mündeten in einem Schubversagen. Das Versagen kann unter Berücksichtigung der gesamten Belastungshistorie ausnahmslos als klassisches Biegeschubversagen klassifiziert werden. Unter starker Rissöffnung kommt es zu einem Reißen der Querkraftbewehrung und gleichzeitiger Einschnürung der Druckzone. Insbesondere die Plattenbalkenquerschnitte zeigen vor Erreichen der Bruchlast aber auch vermehrt unmit- 5. Brückenkolloquium - September 2022 71 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte telbare Schubzugrisse in bereits gerissenen Druckspannungsfeldern in Feld- und Stützbereichen. Mit Erreichen der Bruchlast lokalisiert sich in einem kritischen Biegeschubriss bzw. einschießendem Schubzugriss die finale Bruchkinematik. Die freiwerdende Energie wird kann nur durch die Steifigkeit der Gurte bzw. das kreuzende Spannglied gedämpft werden, weshalb der Bruch der Versuche mit geringstem Längsbewehrungsgrad besonders abrupten Charakter zeigt. Im Rahmen der betrachteten Versuchsreihe beeinflusst ein reduzierter Längsbewehrungsgrad die Schubtragfähigkeit nicht nachteilig. Dies wird durch einen signifikanten Dehnungszuwachs der initial moderat vorgespannten Spannglieder ermöglicht. Das innere Kräftegleichgewicht im Bruchzustand ist von allgemeiner Systemverzerrung, den Steifigkeitsverhältnissen in den Zuggurten und dem gerissenen Druckspannungsfeld im Steg in Interaktion mit kreuzender Bewehrung und Spanngliedern abhängig. Der Dehnungszuwachs in den Spanngliedern erlaubt das innere Gleichgewicht der Kräfte in den Schnittufern unter maximaler Biegung aufrecht zu erhalten, sodass selbst bei plastischer Verzerrung der schlaffen Bewehrung der Lastpfad durch ein Schubversagen final definiert wird. Die Neigung kritischer Schubrisswinkel verläuft bei allen Versuchen flacher als der Schubrisswinkel br nach Gl. 12.13 (Abs. 12.4.3.3) der Nachrechnungsrichtlinie zulässt (cot- b r -≤ -2,25; b r ≤-25,45-°). Der Versuch T18 erreicht final einen Schubrisswinkel von 15,0 Grad. Die Mobilisierung eines derart flach geneigten Druckspannungsfeldes ermöglicht die unter Abschnitt 3.5 ausgewiesenen erreichten Traglasten. Vor dem Hintergrund der Nachrechnung von Bestandsbrücken ist - neben der begrenzten Datengrundlage - von einer weiteren Anpassung hin zu flacher ansetzbaren Schubrisswinkeln abzusehen, da damit implizit eine ausreichende Duktilität der Querkraftbewehrung angenommen wird. Dieser Umstand wird aber nicht geprüft, meist ist dies auf Basis der Bestandsunterlagen ohnehin nicht möglich. 3. Überlegungen zum Fachwerkmodell bei schwachem Schubbewehrungsgrad Die Wahl außerordentlich flacher Druckstrebenneigungswinkel erscheint problematisch, weil die Kompatibilität der Verzerrungen bei begrenzter Duktilität der Querkraftbewehrung nicht gewährleistet werden kann. Ein derart schwacher Querkraftbewehrungsgrad mit dünnen Bügelschenkeln DS-=-6-mm und gutem Verbund (Messung der bezogenen Rippenfläche f R,m -=-0,062) erlaubt nach initialer Rissöffnung nur eine geringfügige weitere Rissöffnung (max. w cr -=-0,3-mm) bevor die Stahldehnung im Riss sich der Maximaldehnung des Stahls im Verbund ohne weitere Kraftzunahme nähert und die Fachwerktragwirkung infolge Rissfortschritt noch vor Erreichen der Bruchlast lokal ausfallen kann. Begleitende Zugversuche zeigen eine Gesamtdehnung A gt -=-53,8 ‰, sodass im vertikalen Zuggurt eines Bügelschenkels in etwa von 8.8-‰ mittlere Stahldehnung möglich sind, bevor es zu einem Reißen der Bügel im Riss kommt [7, 8]. Dies lässt sich anhand der Betrachtung am Mohr’schen Verzerrungskreis nachvollziehen. ε z -=-ε 2 + (ε x ---ε 2 ) · cot 2 -q (1) Entsprechend der plastizitätstheoretischen Annahme, dass die statische Traglast gleichzeitig von Bügelbewehrung und Betondruckstrebe (effektive Festigkeit durch den Faktor k c reduziert) im Steg erreicht wird, kann ε 2 -=-ε c2 zur maximalen Betonstauchung gesetzt werden. Bei zunehmender Längsverzerrung und flachem Druckstrebenneigungswinkel wird der Querkraftbewehrung eine Verzerrung aufgezwungen, die nicht mit ihrer maximal möglichen plastischen Verzerrung vereinbar ist, die Kompatibilität kann nicht gewährleistet werden. Abbildung 2 zeigt beispielhaft die Auswertung der digitalen Bildkorrelation im Stützbereich des Balkens T22. Die ausgeprägte Biegerissbildung im Gurt des Plattenbalkenquerschnitts wird nicht von der DIC-Aufnahme erfasst, diese beschränkt sich auf die Stegebene. Aus den Biegerissen entwickeln sich unter zunehmender Last klassisch abdrehende Biegeschubrisse, wobei mit weiterer Entfernung vom maximalen Stützmoment die schiefen Hauptzugspannungen im Steg für die Rissbildung und -entwicklung eine immer dominantere Rolle einnehmen. Flach geneigte Schubzugrisse, die die Spangliedachse kreuzen (linker Rand des dargestellten Bereichs des DIC- Messfelds in Abbildung 2b) entfestigen das Druckspannungsfeld abrupt und definieren die finale Bruchlast. Zu diesem Zeitpunkt kann bereits abschnittsweise von einer reduzierten Fachwerktragwirkung ausgegangen werden, da auf Grundlage der DIC-Verzerrungen Bügeldehnungen jenseits der Maximalkraft oder sogar ein Reißen angenommen werden kann. 72 5. Brückenkolloquium - September 2022 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte Abbildung 2: Beispielhafte Auswertung des Balkens T22 im Stützbereich unter 90 % V max ; a) Kontur der Schubrissbildung im Steg aus DIC-Auswertung, b) Vertikale Verzerrung in ausgewählten Schnitten Abbildung 3: Verzerrung in Richtung der Bügel in Abhängigkeit der Druckfeldneigung und variierender Längsverzerrung 4. Entwicklung der Risskinematik 4.1 Ansätze zur Auswertung der digitalen Bildkorrelation Die Daten eines Zeitschritts der digitalen Bildkorrelation werden einer Normalisierung des Wertebereichs unterzogen, um den Kontrast eines DIC-Schrittes zu erhöhen und somit eine bessere Extraktion der Risskontur zu ermöglichen. Dieser Schritt entfernt auch etwaiges Rauschen. Diese Vorgehensweise verfälscht zwar die Absolutwerte der gemessenen relativen Pixelverschiebungen, dient aber nur als Grundlage weiterer morphologischer Methoden [9] zur Extraktion der Risskontur. Die Auswertung der Hauptverzerrungen erfolgt auf Basis der unverfälschten Daten. Die über die Laststufen dargestellten Risse in Abbildung 5 variieren zum Teil leicht, da nur die Hauptrisse unter der jeweiligen Laststufe mit einem Schwellenwert in Abhängigkeit von Median und Standardabweichung einer Korrelationsstufe ausgewertet werden. Die Standardabweichung wird zu s-=-0,33 angenommen, was sich als robuster Wert zur Isolierung der Risskonturen erwiesen hat. Auf dieser Basis kann jede Risskontur in ihrem Verlauf verfolgt und bei vergleichsweise feiner Diskretisierung der Normalenvektor beidseits aufgespannt werden. Die entsprechenden Vektoren c i und c j indizieren wiederum die lokalen Ergebnisse der digitalen Bildkorrelation, im Wesentlichen die Pixelrelativverschiebungen u und v. Diese lokal veränderlichen Informationen entlang eines Risspfades lassen Rückschlüsse auf die Relativbewegungen der Rissflanken zu, sodass anhand der Winkel zwischen Rissnormale c und resultierender Relativverschiebung r auf den Charakter der Bruchkinematik geschlossen werden kann, vgl. Abbildung 4. 5. Brückenkolloquium - September 2022 73 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte Abbildung 4: Auswertung der lokalen Risskinematik; a) Morphologisch detektierter Risspfad vor Verlauf der Hauptverzerrung aus DIC-Daten und beidseitige rissnormale Vektoren, b) Bezeichnung einzelner verwendeter Vektorkomponenten zur Bestimmung der Winkel g, c) Klassifizierung der Winkel 4.2 Analyse der Rissuferverschiebungen Die Risskinematik und der Charakter der Bruchprozesse werden im Rahmen der vorgestellten Auswertung für den größten und den kleinsten Längsbewehrungsgrad für Rechteck- und Plattenbalkenquerschnitte behandelt. Abbildung 5 zeigt den Kehrwert der Differenzwinkel entlang signifikanter Risspfade für ein Lastniveau mit den Hauptdehnungen e 1 aus den DIC-Daten skaliert. Die Länge der roten Linien wächst also mit dem Kehrwert der lokalen Rissbreite und indiziert damit Rissabschnitte, deren Rissöffnung ausreichend klein ist, um Kräfte zu übertragen - sofern überhaupt eine dominante gleitende Rissuferverschiebung vorliegt. Das beschriebene Vorgehen aus Abschnitt 4.1 reduziert das Rissbild auf die wesentlichen Risskonturen und verfälscht nicht den Eindruck, sodass ein sekundärer Rissprozess und sein möglicherweise erhöhter Anteil an erfassten Rissverschiebung nicht zu einem globalen Traganteil der Rissreibung beitragen kann, wenn er durch stark öffnende Schubzugrisse im Steg flankiert wird. Die Balkenelemente R25 und T25 mit einem hohen Längsbewehrungsgrad können aus phänomenologischer Sicht noch Traganteile aus mobilisierter Rissverzahnung unter moderatem Lastniveau entwickeln; für den Plattenbalkenquerschnitt scheint dies sogar eher möglich zu sein. Auch vorrangig vertikale Rissabschnitte vor einsetzender Rotation der Risswurzel weisen größere Tangentialverschiebungen der Rissflanken auf. Unter zunehmender Belastung und bei Erreichen des Grenzzustands der Tragfähigkeit bewegen sich die Rissflanken fast ausschließlich senkrecht zur Rissebene entsprechend Modus I einer bruchmechanischen Betrachtung. Einzelne unstetige Maxima, die als Artefakte der der feinen Diskretisierung entlang des Rissverlaufs zu werten sind, haben keine mechanische Bedeutung. Eine relevante Größenordnung vorliegender Rissverzahnung zur Beschreibung darauf auf bauender Tragmechanismen auf Bruchlastniveau scheint nicht gerechtfertigt. Dies gilt umso mehr für R18 und T18, die einen vergleichsweise geringen Grad an Längsbewehrung aufweisen und für wirtschaftlich konstruierte Brückenquerschnitte repräsentativ erscheinen. Hier bilden sich Rissprozesse, die sich nicht vorrangig öffnen, nur in wenigen Fällen, meist in Übereinstimmung mit einem abnehmenden Gradienten im Bereich der Rissprozesszone ausgehend von der Risswurzel aus [10]. Verschiedene bruchmechanische Ansätze können auch in diesem Bereich angewendet werden. Insbesondere neuere Untersuchungen mit Druckspannungen parallel zur Risskontur bieten hier einen möglichen Ansatz [11]. Vor diesem Hintergrund angestellter Untersuchungen und Auswertungen erscheint die Anwendung der weit verbreiteten, oft implizit angenommenen Traganteile aus Rissverzahnung (aggregate interlock) [12, 13] zur Ermittlung einer zugehörigen resultierenden globalen Tragfähigkeitskomponente bei der Formulierung des Querkraftwiderstandes nach Ansicht der Autoren nicht geeignet. Die Formulierung eines Querkrafttraganteils auf dieser Grundlage umgeht die Kontrolle des Systemgleichgewichts. Diese Vorgehensweise überschätzt im Zweifel den Beitrag aus Rissverzahnung und führt implizit zu einer falschen Denkweise in der Annahme einer Modellvorstellung in der Ableitung des inneren Tragverhaltens. Weitere Überlegungen und Diskussionen über die Grenzen des physikalischen Hintergrunds für einen Modellansatz zur Erfassung möglicher Phänomene aus Rissverzahnung finden sich auch in anderen neueren Studien [14-16]. Eine weitere Unschärfe in der Adaption möglicher Traganteile aus Rissreibung besteht im Charakter der skalierten Push-Off-Probekörper [12] zur Ableitung übertragbarer Schubspannungen in Abhängigkeit von Rissöffnung und Rissgleitung. Neben der vorgebrochenen Rissfläche erscheint vor allem die Annahme strikt konsekutiver Prozesse aus Rissöffnung und anschließender monotoner Rissgleitung nicht mit den Bruchmechanismen und inneren Umlagerungen praxisrelevanter Balkentragwerke vereinbar. Der Ansatz einer wirksamen Rissverzahnung erscheint für vorliegende vorgespannte Balkentragwerke bei geringem Schubbewehrungsgrad damit nicht konsistent. 74 5. Brückenkolloquium - September 2022 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte Abbildung 5: R25, R18 und T25, T18: Bewertung der Bruchkinematik für dominante Risspfade auf der Grundlage lokaler Risswinkel, skaliert anhand auftretender Hauptverzerrung zur Gewichtung der Rissbreite 5. Modellvergleich Abschließend werden die experimentellen Bruchlasten der vorgestellten Versuche mit den Traglastprognosen zweier Modellvorstellungen verglichen. Abbildung 6 zeigt die normalisierte Schubtragfähigkeit der Balkenelemente, geordnet nach Querschnittsform und Längsbewehrungsgrad. Vergleichend wird die Tragfähigkeit nach dem Biegeschubrissmodell (FSCM) [17, 18] und der Modifizierten Druckfeldtheorie (MCFT) [19, 20] den Versuchen gegenübergestellt. Während letztere einen impliziten Betontraganteil auf der Annahme der Rissreibung begründet und um einige empirische Modellfaktoren ergänzt, erlaubt das FSC-Modell die Berücksichtigung einer tragenden Komponente der Betondruckzone aus Biegung, die durch ein biaxiales Versagenskriterium begrenzt wird. Der explizite Betontraganteil darf in Ansatz gebracht werden, wenn der Vorspanngrad des Längssystems ausreichend ist. Die allgemeine Vorgehensweise des FSC-Modells sieht eine iterative Bestimmung des Nachweisschnitts in Abhängigkeit vorliegender Randzugspannungen vor. Für die MCFT-Analyse werden Schnittgrößen, Materialverzerrungen und Spanngliedneigung in einem Abstand d vom Beginn der Voute im Auflagerbereich berücksichtigt. Eine deutlich bessere Approximation der Bruchlasten zeigt sich unter der Annahme, dass Schubspannungen in der Betondruckzone einen dominanten Traganteil in vorgespannten Balkentragwerken mit geringem Schubbewehrungsgrad in Ergänzung zu den vergleichsweise geringen Fachwerkmechanismen der Bügelbewehrung und der vertikalen Komponente der Spannglieder bilden. Es sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Vorhersage nicht als Maß für eine Erklärung oder eine Plausibilitätsprüfung geeignet ist, da man natürlich auch vordergründig präzise Vorhersagen aus einem falschen Modell ableiten kann. Nur mechanisch konsistente Modelle, die auf kausalen Zusammenhängen auf bauen, erscheinen sinnvoll, da der experimentelle Stichprobenumfang selbst bei expliziter Modellrestriktion nie ausreichend sein kann. Wie bereits anhand verschiedener Blickwinkel auf diverse Fragen, die auf eine Beschreibung der Schubtragfähigkeit und deren verantwortliche Mechanismen [14, 18, 21], gezeigt wurde, bildet die Beschreibung des Tragverhaltens auf der Grundlage des statischen und kinematischen Gleichgewichts den logischsten Ansatz ab. 5. Brückenkolloquium - September 2022 75 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte Abbildung 6: Normierte Schubtragfähigkeit geprüfter Balkenelemente im Vergleich zu ausgewählten Modellvorstellungen 6. Fazit und Ausblick Die Versuche an vorgespannten Balkenelementen mit gestuft reduziertem Längsbewehrungsgrad erlauben die Untersuchung des Schubtragverhaltens bei repräsentativer Längsverzerrung im Querschnitt im Hinblick auf zu bewertende Bestandsbrücken. Die wesentlichen Erkenntnisse gliedern sich in folgende Aspekte: - Ein reduzierter Längsbewehrungsgrad beeinflusst die Schubtragfähigkeit nicht nachteilig, solange die Spannglieder entsprechenden Dehnungszuwachs mobilisieren können. - Die Annahme sehr flacher Druckstrebenneigungswinkel ist mit theoretisch einhergehender Verzerrung und vorhandener Duktilität der Bügelbewehrung nicht vereinbar. - Untersuchungen zur Risskinematik unterstreichen die vorherrschende Auffassung, dass Traganteile aus Rissreibung bei Spannbetonquerschnitten mit schwachem Schubbewehrungsgrad und entsprechender Entwicklung der Schubrissbreiten keine signifikante Rolle spielen können. - Die Annahme eines Betontraganteils, der der Druckzone aus Biegung zuzuordnen ist, bietet eine mechanisch plausible und quantitativ vielversprechende Möglichkeit zur additiven Formulierung den zu erwartenden Schubwiederstand unter Berücksichtigung des charakteristischen Trag- und Bruchverhaltens anzunähern. Literatur [1] N. Schramm und O. Fischer, „Zur Anrechenbarkeit von nicht normgemäßen Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit von Bestandsbrücken“, Bauingenieur, Jg. 95, Nr. 11, S. 408-418, 2020, doi: 10.37544/ 0005-6650-2020-11-66. [2] Martin Herbrand, „Shear strength models for reinforced and prestressed concrete members“. Phdthesis, RWTH Aachen; RWTH Aachen University, Aachen, Germany, 2017. [3] V. Adam, M. Herbrand und J. Hegger, „Querkrafttragfähigkeit von Brückenträgern aus Spannbeton mit geringen Querkraftbewehrungsgraden“, Bauingenieur, Jg. 95, Nr. 11, S. 397-407, 2020, doi: 10.37544/ 0005-6650-2020-11-55. [4] P. Gleich, S. Kattenstedt und R. Maurer, „Erweitertes Druckbogenmodell für die Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit von Stahl- und Spannbetonbalken“, Beton- und Stahlbetonbau, Jg. 111, Nr. 5, S. 268-277, 2016, doi: 10.1002/ best.201600008. [5] N. Schramm, O. Fischer und W. Scheufler, „Experimentelle Untersuchungen an vorgespannten Durchlaufträger-Teilsystemen zum Einfluss nicht mehrzugelassener Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit“, Bauingenieur, Jg. 94, 2019. [6] N. O. Schramm, „Zur Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonbalkenelementen unter besonderer Berücksichtigung der Bügelform“. Dissertation, Technische Universität München, München, 2021. [Online]. Verfügbar unter: https: / / mediatum.ub.tum. de/ 1601310- [7] P. Marti, M. Alvarez, W. Kaufmann und V. Sigrist, „Tension Chord Model for Structural Concrete“, Structural Engineering International, Jg. 8, Nr. 4, S. 287-298, 1998, doi: 10.2749/ 101686698780488875. [8] M. Alvarez, „Einfluss des Verbundverhaltens auf das Verformungsvermögen von Stahlbeton“, ETH Zürich. [9] S. van der Walt et al., „scikit-image: image processing in Python“, PeerJ, Jg. 2, e453, 2014, doi: 10.7717/ peerj.453. [10] M. Zink, Zum Biegeschubversagen schlanker Bauteile aus Hochleistungsbeton mit und ohne Vorspannung. Wiesbaden, Germany: Vieweg+Teubner Verlag, 2000. 76 5. Brückenkolloquium - September 2022 Einflüsse aus Schubrissbildung auf die Fachwerktragwirkung und vorgespannter Balkenquerschnitte [11] N. Hoang, P. Madura, R. Masoud, I. Mohsen, C. Gianluca und P. Bazant, „New perspective of fracture mechanics inspired by gap test with crack-parallel compression“, Proceedings of the National Academy of Sciences, Jg. 117, Nr. 25, S. 14015-14020, 2020, doi: 10.1073/ pnas.2005646117. [12] J. C. Walraven, Aggregate Interlock: A theoretical and experimental analysis. Delft University Press. [13] P. G. Gambarova und C. Karakoc, „A New Approach to the Analysis of the Confinement Role in Regularly Cracked Concrete Elements“, IASMiRT, S. 251-261, 1983. [Online]. Verfügbar unter: https: / / repository.lib.ncsu.edu/ handle/ 1840.20/ 26052. [14] A. Beck, „Paradigms of shear in structural concrete: Theoretical and experimental investigation“, ETH, Zu\elseü\firich, Switzerland, 2021. [15] M. Pundir, M. Tirassa, M. Ferna\elseá\findez Ruiz, A. Muttoni und G. Anciaux, „Review of fundamental assumptions of the Two-Phase model for aggregate interlocking in cracked concrete using numerical methods and experimental evidence“, Cement and Concrete Research, Jg. 125, S. 105855, 2019, doi: 10.1016/ j.cemconres.2019.105855. [16] I. Völgyi und A. Windisch, „Experimental investigation of the role of aggregate interlock in the shear resistance of reinforced concrete beams“, Structural Concrete, Jg. 18, Nr. 5, S. 792-800, 2017, doi: 10.1002/ suco.201600137. [17] P. Huber, T. Huber und J. Kollegger, „Experimental and theoretical study on the shear behavior of singleand multi-span Tand I-shaped post-tensioned beams“, Structural Concrete, Jg. 21, Nr. 1, S. 393- 408, 2020, doi: 10.1002/ suco.201900085. [18] P. Huber, T. Huber und J. 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Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Deutschland Sonja Nieborowski, M.Sc. Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Deutschland Zusammenfassung Mit der Einführung des Masterplans BIM Bundesfernstraßen [1] stellt das BMDV eine weiterführende Strategie der stufenweisen Implementierung der BIM-Methode im Bereich der Bundesfernstraßen bereit. Ziel ist der flächendeckende Einsatz von BIM als Regelprozess in der angestrebten vollen Ausbaustufe ab 2025. Auf Grundlage der durchgängigen und flächendeckenden Anwendung der BIM-Methode über den gesamten Lebenszyklus soll die physische Bundesfernstraßeninfrastruktur digital und in ihrer gesamten Komplexität langfristig in einem Digitalen Zwilling abgebildet werden. Der Fokus liegt dabei besonders auf der Digitalisierung und Unterstützung der Betriebsphase auf Basis Digitaler Zwillinge. Auf dem Weg hin zu einem digitalen Zwilling sind verschiedene Herausforderungen im Lebenszyklus von Brücken- und Ingenieurbauwerken zu bewältigen. Diesen stellt sich die aktuelle Forschung u. a. mit der (teil)automatisierten Erstellung von BIM-Modellen unter dem Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) und der Festlegung von Informationsanforderungen an BIM-Betriebsmodelle in Anlehnung an mögliche Anwendungsfälle im Betrieb. Ein Anwendungsfall im Betrieb ist die digitale Unterstützung der Bauwerksprüfung unter Einsatz von BIM in Kombinationen mit Anwendungen der erweiterten und virtuellen Realität in der Vor- und Nachbereitung sowie der Durchführung vor Ort. In diesem Beitrag wird auf die Möglichkeiten der Digitalisierung von Bestandsbauwerken unter Verwendung von KI-Methoden, Anforderungen an BIM-Betriebsmodelle, Anwendungsfälle im Betrieb, neue Technologien wie virtuelle und erweiterte Realität sowie die Potentiale eines Digitalen Zwillings im Hinblick auf ein verbessertes Lebenszyklusmanagement eingegangen. 1. Hintergrund Brücken und Ingenieurbauwerke in Deutschland sind großen Herausforderungen wie z.B. zunehmendes Alter, Einflüsse durch den Klimawandel und steigenden Verkehrslasten ausgesetzt. Die Bewältigung dieser und zukünftiger Herausforderungen im Bundesfernstraßennetz und der damit verbundenen erhöhten Anforderungen an Planung, Bau, Betrieb und Erhalt auch unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten kann durch Digitale Zwillinge unterstützt werden. Mit der Einführung des „Masterplans BIM Bundesfernstraßen“ und dem darin angestrebten Zukunftsbild eines gesamten Lebenszyklus auf Basis voll integrierter Digitaler Zwillinge wird dies auch durch das BMDV hervorgehoben. [2]. Auf Grundlage der durchgängigen und flächendeckenden Anwendung der BIM-Methode über den gesamten Lebenszyklus, liegt dabei der Fokus besonders auf der Digitalisierung und Unterstützung der Betriebsphase auf Basis Digitaler Zwillinge. Nach [1] bilden digitale Zwillinge die physische Bundesfernstraßeninfrastruktur mit allen relevanten Informationen digital und in ihrer gesamten Komplexität ab. Die BIM-Methodik und deren durchgängige Anwendung in Planung, Bau und Betrieb schafft somit die Grundlage für den Auf bau umfangreich vernetzter Digitaler Zwillinge und den sich daraus ergebenden Potenzialen für die Datenanalyse und -nutzung. Eine wesentliche Grundlage für den Auf bau digitaler Zwillinge bildet das digitale Bauwerksmodell mit den Daten aus den Phasen Planen und Bauen, das den tatsächlichen Bestand abbildet. Für den überwiegenden Teil der Brücken- und Ingenieurbauwerke auf Bundesfernstraßen liegen derzeit keine digitalen Modelle vor. Die essentiellen Fragen sind daher: - Welche Möglichkeiten bieten sich im Bereich der Digitalisierung von Bestandsbauwerken und kann dieser Prozess durch die Verwendung von künstlicher Intelligenz unterstützt werden? - Welche Anforderungen werden an die Modelle gestellt? - Welche Anwendungsfälle sind im Betrieb denkbar und wie können diese mit digitalen Technologien und Methoden unterstützt werden? - Welche Potentiale eines Digitalen Zwillings ergeben sich im Hinblick auf ein verbessertes Lebenszyklusmanagement? Im Rahmen dieses Beitrags wird auf die oben genannten Fragestellungen eingegangen und ein Überblick über 80 5. Brückenkolloquium - September 2022 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken die Forschungsaktivitäten der BASt gegeben. Die Forschungsergebnisse stellen wichtige Grundlagen dar, um die gewonnenen Erkenntnisse in die Konzeption und den Auf bau von Digitalen Zwillingen für Infrastrukturbauwerke einfließen zu lassen. 2. Vision Digitaler Zwilling Das übergeordnete Ziel, das mit dem Digitalen Zwilling eines Brückenbauwerks angestrebt wird, ist die bestmögliche Unterstützung der Bauwerksbetreibenden bei der Gewährleistung der Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit. Sie müssen sich zunehmend großen Herausforderungen infolge Alterung, Einflüssen des Klimawandels und steigender Verkehrslasten stellen. Zur Begegnung dieser Herausforderungen werden Werkzeuge benötigt, die den Übergang von einer aktuell überwiegend reaktiven Herangehensweise im Erhaltungsmanagement zu einem zukunftsfähigen prädiktiven Lebenszyklusmanagement unterstützen [7]. Hier zeigt die Vision des Digitalen Zwillings Brücke vielfältige Potenziale auf. Der Digitale Zwilling eines Ingenieurbauwerks ist ein digitales Abbild eines realen Bauwerks und spiegelt sämtliche Eigenschaften und sein Verhalten über dessen gesamten Lebenszyklus hinweg anhand verschiedener Modelle (u.a. Geometrie-, Struktursowie Datenmodelle). Der Digitale Zwilling aktualisiert sich kontinuierlich, um den aktuellen Status des realen Bauwerks sowie die daraus ableitbaren Prognosen in nahezu Echtzeit darzustellen. Zu diesem Zweck greift er auf große Datenmengen zurück, die u.a. am realen Bauwerk, dem Reallabor, gesammelt oder von bereits bestehenden Systemen bereitgestellt werden. Daneben kann er Informationen aus unkonventionellen Datenquellen wie z. B. vernetzten Fahrzeugen, Smartphones und sozialen Medien nutzen. In Anbetracht der großen Datenmengen kommen Big Data/ Smart Data- Anwendungen und Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI) zur Datenanalyse und -bewertung zum Einsatz. Darüber hinaus beinhaltet der Digitale Zwilling einen virtuellen Experimentierraum, in dem szenariobasierte Untersuchungen und Prognosen hinsichtlich des Bauwerksstatus erfolgen können. [2], [12]. Bild 1 zeigt den Zusammenhang der genannten Zukunftsfelder mit dem Digitalen Zwilling Brücke auf. Die Potenziale des Digitalen Zwillings Brücke zeigen sich vor allem in der Lebenszyklusphase des Betriebs. Das aktuelle Bauwerksmodell nach der BIM-Methodik stellt eine wesentliche Grundlage des Digitalen Zwillings dar, der weitere Komponenten wie zum Beispiel die Vernetzung von Echtzeitdaten aus Sensorik, Prognosen, Simulationen [1] sowie den bidirektionalen Datenfluss zum physischen Bauwerk einbindet. Die Generierung von BIM-Modellen im Bestand hat demnach auf dem Weg zum Digitalen Zwilling Brücke eine wichtige Bedeutung. Die BASt-Forschung beschäftigt sich intensiv mit diesem Thema, um den Weg zum Digitalen Zwilling und das prädiktive Lebenszyklusmanagement zu unterstützten. Bild 1: Relevante Felder des digitalen Zwillings Brücke 3. Digitalisierung von Bestandsbauwerken Der Masterplan BIM Bundesfernstraßen beschreibt die phasenweise Einführung der BIM-Anwendung für alle neu zu planenden Ingenieurbauwerke ab 2021. Allerdings machen die Neubauten nur einen geringen Anteil der Brücken im Bundesfernstraßennetz aus. Der überwiegende Teil der Brücken existiert bereits und wird auch noch für Jahre bzw. Jahrzehnte weiter genutzt werden. Das Potential, das sich mit dem Einsatz von BIM im Betrieb und in der Erhaltung eröffnet, kann erst dann voll ausgeschöpft werden, wenn für einen Großteil der Bestandsbrücken BIM-Modelle vorhanden sind. Eine zeitnahe ganzheitliche Anwendung von BIM in der Betriebsphase ist daher erst möglich, wenn BIM-Modelle für die bestehenden Brücken realisiert werden. Für die Einführung des BIM-gestützten Erhaltungsmanagements bei Bestandsbrücken ergibt sich die große Herausforderung, dass Daten vielfach nur begrenzt digital vorliegen. Fehlende Informationen müssen daher nachträglich ergänzt werden. Für den überwiegenden Anteil der Bestandsbauwerke liegen Ausführungsbzw. Bestandspläne (in Papierform oder nachträglich digitalisierte 2-D-Pläne) in unterschiedlicher Qualität vor. Zusätzlich sind in der Bauwerksdatenbank SIB-Bauwerke Detailinformationen gemäß ASB-ING zu den Bestandsbauwerken hinterlegt. Eine nachträgliche manuelle Erstellung eines BIM-Modells auf Grundlage der vorhandenen 2D- Pläne ist prinzipiell möglich, erfordert jedoch einen großen Arbeitsaufwand und ist daher flächendeckend zeitnah kaum umsetzbar. Hinzu kommt die Unsicherheit, inwieweit die Pläne mit der aktuellen Ist-Situation übereinstimmen. Mit der dynamischen Weiterentwicklung der Vermessungstechnik im Bereich des 3D-Laserscanning und der Fotogrammmetrie sowie der Methoden der KI erge- 5. Brückenkolloquium - September 2022 81 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken ben sich vielversprechende neue Optionen zur effizienten (teil)automatisierten Erstellung von BIM-Modellen. Vor allem durch die Weiterentwicklungen und Verbesserung der Praxistauglichkeit von Methoden und Ansätzen des maschinellen Lernens (ML) und des Deep Learnings (DL) gewinnt die Verwendung von KI zunehmend an Bedeutung [3], [4]. Unter ML wird das Konzept der Verwendung mathematischer Modellierung verstanden, um analytische Erkenntnisse aus der Erforschung komplexer Daten zu generieren. In diesem Zusammenhang können strukturierte Daten (z. B. klassifizierte 3-D-Punktwolken, annotierte Bilder usw.) oder unstrukturierte Daten (z. B. digitalisierte Textdokumentation) verstanden werden. DL ist ein Teilbereich des ML, die auf überwachte Lernmethoden zurückgreift, wobei das Wissen darüber, was die Daten darstellen und wie sie klassifiziert werden sollen, grundsätzlich bekannt ist. DL-Methoden versuchen also, auf der Grundlage eines Modells, das darauf trainiert ist, die gleichen Arten vorhandener Daten zu erkennen und darauf basierend vorherzusagen, was die Daten repräsentieren sollen. Dazu kann z. B. ein Bildklassifikationsmodell gehören, das auf verschiedenen Bildern von Abplatzungen auf Brückenoberflächen trainiert wurde und in der Lage ist, zu erkennen, ob ein bisher ungesehenes Bild einer Brückenoberfläche Abplatzungen enthält [5]. Sowohl MLals auch DL-Verfahren sind wichtige Werkzeuge für die (teil)automatisierte Generierung digitaler Darstellungen des Ist-Zustands von Bestandsbauwerken. Im Rahmen des Projekts „Entwicklung von Verfahren zur (teil)automatisierten Erstellung von BIM-Modellen für Straßenbrücken im Bestand“ wird ein Konzept zur (teil)automatisierten Erstellung von BIM-Modellen auf der Grundlage der vorhandenen Daten sowie der mit modernen Vermessungstechniken gewonnener Punktwolken bestehender Brücken des Bundesfernstraßennetzes entwickelt [6]. Damit soll der Aufwand zur Erstellung derartiger Modelle signifikant reduziert und die Grundlage für eine flächendeckende Erfassung von BIM-Modellen im gesamten Bundesfernstraßennetz geschaffen werden. Mit der Verwendung von Vermessungsdaten kann sichergestellt werden, dass die erstellten Modelle dem aktuellen Ist-Zustand des Bestands entsprechen. Bild 2 zeigt einen terrestrischen Laserscan der Dura- BASt-Brücke im Demonstrations-, Untersuchungs- und Referenzareal der BASt am Autobahnkreuz Köln-Ost. Die Aufnahmen des Laserscans dienen der Validierung des entwickelten Konzepts. Bild 2: Laserscan der DuraBASt-Brücke am Autobahnkreuz Köln-Ost Erfahrungsgemäß benötigt eine KI für eine Aufgabe der gegebenen Komplexität eine große Menge an Lerndaten. Diese Menge an Lerndaten durch echte Messungen von Punktwolken zu generieren würde einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten. Um eine ausreichende Menge an Lerndaten zu erzeugen, werden daher zusätzlich zu tatsächlich erfassten 3-D-Punktwolken künstliche BIM- Modelle generiert, deren Vermessung in einem späteren Schritt anhand einer virtuellen Befliegung simuliert wird. Für die Generierung der BIM-Modelle werden im Rahmen des Projekts als Tragwerkstypen einfache Systeme von Massivbrücken (z. B. zweistegiger Plattenplatten) mit konventioneller Lagerung und integralen Lösungen definiert. Die Tragwerke werden als Kombination unterschiedlicher Komponenten erzeugt. Ein Tragwerk ist dabei eine Kombination aus - zwei Widerlagern, - Stützen, sofern es mehrere Felder gibt und - einem Träger. Für diese drei Bauteilarten werden unterschiedliche Typen definiert und die Kombinierbarkeit der unterschiedlichen Varianten analysiert. Bild 3: virtuelle Befliegung [6] Bild 3 zeigt die Erstellung synthetischer Trainingsdaten, die durch die Simulation einer Befliegung per Drohne generiert werden. Das Hauptziel hier ist, möglichst nahe an der Realität zu bleiben, damit das angelernte Netz später die echten Daten klassifizieren kann. 82 5. Brückenkolloquium - September 2022 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken Neben den durch 3-D-Laserscanning oder Fotogrammmetrie zu erstellenden Punktwolken und synthetischer Trainingsdaten werden auch die bereits heute in digitaler Form vorhandenen Datengrundlagen zu Bestandsbrücken in die Modellbildung einbezogen werden. Dies sind insbesondere die in SIB-Bauwerke vorhandenen Daten. Im Rahmen der Grundlagenermittlung werden diese Daten analysiert und es wird evaluiert, welche Informationen, in welcher Form, in die Modellbildung einbezogen werden können. Eine Verknüpfung mit den Daten aus SIB-Bauwerke ist sowohl als Hilfestellung für die KI, als auch für die spätere Referenzierung der Bauteile sinnvoll. Das zu entwickelnde Konzept soll einerseits eine möglichst weitgehende Automatisierung erlauben aber gleichzeitig korrekte und reproduzierbare BIM-Modelle zuverlässig liefern. In einem ersten Schritt ist daher von einer teilautomatisierten Lösung auszugehen, bei der die automatisch generierten Vorschläge zur geometrischen Strukturierung und zur semantischen Erweiterung jeweils manuell geprüft und gegebenenfalls angepasst werden müssen. Mit jeder Anpassung im praktischen Einsatz wird das System weiter trainiert (zusätzlich zum initialen Training mit Beispieldaten), so dass mit zunehmender Einsatzdauer der Grad der Automatisierung zu- und die erforderlichen manuellen Eingriffe abnehmen werden [7]. 4. Informationsanforderungen an BIM-Betriebsmodelle Um die BIM-Methode im Erhaltungsmanagement von Brückenbauwerken anzuwenden und die BIM-Modelle über die Lebenszyklusphasen Planung und Bau auch im Betrieb durchgehend nutzen zu können, sind frühzeitig Definitionen und Anforderungen festzulegen, die an die BIM-Methodik für das Erhaltungsmanagement gestellt werden. Dazu wurde im Rahmen des Forschungsprojektes „BIM im Brückenbau“ [8] der gesamte Informationsfluss, der im Laufe des Lebenszyklus eines Brückenbauwerkes anfällt, untersucht und dabei insbesondere die für das Betriebs- und Erhaltungsmanagement notwendigen Informationen analysiert. Wesentlich dabei war es, zu identifizieren, welche Informationen relevant für die gängigen Anwendungsfälle und Szenarien im Erhaltungsmanagement sind. Der Fokus lag dabei auf der Praxistauglichkeit sowohl beim Erhaltungsmanagement, als auch im Informationsbeschaffungsprozess. Bild 4: Datenmanagement im BIM basierten Erhaltungsmanagement [8] 5. Brückenkolloquium - September 2022 83 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken Zur Ermittlung der Informationsanforderungen wurden Expertenbefragungen durchgeführt. Aus den Befragungen und Analysen des Status-Quo im Erhaltungsmanagement hat sich das in Bild 4 dargestellte Konzept entwickelt. Dargestellt ist zum einen das Frontend, also die Benutzeroberflächen, eines BIM-Bestandsmanagementsystems und zum anderen das Backend mit den jeweiligen Datenquellen. Bei der Analyse der Informationsanforderungen der einzelnen Anwendungsszenarien zur Erhaltung von Brückenbauwerken stellte sich heraus, dass einige Informationen, die im Status quo der Erhaltung verwendet werden, bereits nach der Planungs- und Bauphase in den Modellen enthalten sind. Diese Informationen werden in den Modellen durch Attribuierung der verschiedenen Bauteile vorgehalten und im Rahmen der Anwendungsfälle in der Planungs- und Bauphase weiterverwendet. Für die als notwendig identifizierten Informationen wurde untersucht, wie diese möglichst aufwandsarm erhoben und für den Betrieb bereitgestellt werden können. Aus den Datenanforderungen zur BIM-basierten Umsetzung der in Kapitel 5 genannten Anwendungsfälle ergeben sich die nachfolgend dargestellten Anforderungen an ein Asbuilt Modell. In Tabelle 1 werden die Informationen bauteilorientiert dargestellt. Dabei wird unterschieden, ob die Informationen als Attribut (x) im Modell hinterlegt werden sollen oder die Informationen mit dem Bauteil verknüpft (o) werden sollen. Für die Verlinkung zwischen den Daten wurde eine Konvention entwickelt, welche sich aus Ortsinformationen und Bauteilinformationen zusammensetzt. Zur Demonstration der entwickelten Konzepte erfolgte die Implementierung der BIM-Anwendungsfälle exemplarisch an einem konkreten Brückenbauwerk. Diese werden im nachfolgenden Kapitel näher erläutert. Tabelle 1: Auszug aus der Tabelle „Informationsanforderungen“ [8] Tabelle 2: Auszug aus der Konvention der Metadaten zur Verlinkung von Daten und Dokumenten [8] 84 5. Brückenkolloquium - September 2022 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken 5. Anwendungsfälle im Betrieb Mit der phasenweisen Einführung der BIM-Methodik im Bundesfernstraßenbau werden sukzessiv eine bestimmte Anzahl an Anwendungsfällen eingeführt. Tabelle 3 zeigt die Liste der standardisierten Anwendungsfallbezeichnungen in Anlehnung an [9] von AWF-Nr. 000 - AWF-Nr. 200. Farblich hervorgehoben sind die acht prioritären Anwendungsfällen der Phase I des Masterplans BIM Bundesfernstraßen, die in [10] anhand von Steckbriefen, Umsetzungsdetails sowie weiterer Zusatzmaterialien zur standardisierten Beschreibung in zusammengefasster Form dargestellt werden. Tabelle 3: Liste der standardisierten Anwendungsfallbezeichnungen in Anlehnung an [9], hervorgehoben die acht prioritären Anwendungsfällen der Phase I des Masterplans BIM Bundesfernstraßen Unter dem AWF-Nr. 200 „Nutzung für Betrieb und Erhaltung wurden in [8] für die in Tabelle 4 dargestellten Anwendungsfälle Bauwerksprüfung, Nachrechnung, Schwertransporte, Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen, Erweiterung des Bauwerks in Form von Um- und Ausbau sowie die Auswertung von Netzstatistiken der Einfluss von BIM, die Nutzung der Informationen sowie die daraus entstehenden Soll-Prozesse im Betrieb konzipiert. Tabelle 4: mögliche Anwendungsfälle in Betrieb und Erhaltung Im Rahmen dieses Papers wird auf den Anwendungsfall „Bauwerksprüfung“ eingegangen. Der Nutzen digitaler Arbeitsmethoden und Technologien wird hier besonders deutlich. Zur Erfassung des Ist-Zustandes, der Gewährleistung der Sicherheit und der frühzeitigen Schadenserfassung werden Bauwerksuntersuchungen nach DIN 1076 durchgeführt. Bei diesen Bauwerksprüfungen werden die Bauwerke nach einem systematischen Verfahren geprüft und festgestellte Schäden nach den Kriterien Verkehrssicherheit, Standsicherheit und Dauerhaftigkeit beurteilt. Das technische Personal ist bei der Bauwerksprüfung auf die Verfügbarkeit und anschauliche Darstellungen einer Vielzahl umfangreicher Informationen über das Bauwerk incl. seiner Schäden angewiesen, um den Zustand umfassend beurteilen zu können. Digitale Prozesse können als Unterstützung dienen und letztlich dazu beitragen, die Zukunftsfähigkeit von Brückenbauwerken auch bei steigendem Erhaltungsaufwand und geänderten Einwirkungen zu gewährleisten [7]. Mit dem Einsatz von BIM bzw. dem Linked-Data-Ansatz können in der Bauwerksprüfung die Grundlagendaten in einer höheren Qualität zur Verfügung gestellt werden. Zudem kann in einem modellorientierten digitalen Prozess eine objektorientierte Schadenserfassung durchgeführt werden. Eine ausführliche Prozessbeschreibung der vier wesentlichen Phasen der Bauwerksprüfung einschließlich der Informationsanforderung im BIM-Prozess ist in [7] zu finden. 5. Brückenkolloquium - September 2022 85 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken Der Mehrwert durch den Einsatz von BIM in der Bauwerksprüfung spiegelt sich in der Qualität der Grundlagendaten wider, da neben den Bestandsmodellen auch idealerweise der Bauablauf dargestellt ist. Eine Bewertung von Schäden und Mängel kann so besser und leichter erfolgen. Beispielsweise sind bauablauf bedingte Öffnungen im Modell der Ausführung fortzuschreiben, sodass die dadurch entstehenden Schäden, besser bewertet werden können. BIM kann dabei die Schadenserfassung unterstützen, indem Schäden objektorientiert beispielsweise per Marker direkt mit festem Bezug am digitalen Bauteil verortet werden. Durch eine Schnittstelle zwischen diesem Schadensmodell und der Bauwerksdatenbank, können entsprechende Attribute synchronisiert werden. Bilder und Schadensskizzen werden als verlinktes Dokument mit dem Schadensobjekt verbunden, sodass alle Komponenten (Bauwerksdatenbank, Modell und Dokumente) miteinander verknüpft sind. 6. neue Technologien wie virtuelle und erweiterte Realität BIM hat das Potenzial den Bauwerksprüfungsprozess nach DIN 1076 zu optimieren. Dieser beruht nach langjähriger Praxis auf eher konventionellen Methoden. Digitale Technologien finden nur selten Anwendung. Unterstützungsbedarfe werden jedoch vor allem in der Verfügbarkeit und Visualisierung von Informationen, der Verortung und Trendverfolgung von Schäden sowie dem kollaborativen Arbeiten gesehen. BIM zeigt Potenziale auf, große Teile dieser Bedarfe abzudecken. Damit die Potenziale im Anwendungsfall der Bauwerksprüfung durch die Prüfenden genutzt werden können, bedarf es darüber hinaus geeigneter Visualisierungsmöglichkeiten. Insbesondere für die handnahe Bauwerksprüfung werden Werkzeuge benötigt, die die strukturierte und anwendungsfreundliche Visualisierung von Modelldaten sowie die Bearbeitung damit fusionierter Informationen ermöglichen. Den Technologien der virtuellen und erweiterten Realität werden in diesem Bereich gewinnbringende Einsatzmöglichkeiten zugemessen. Eher aus der Spielindustrie bekannt, eröffnen sich durch neue Entwicklungen im Bereich leistungsstarker Computer, elektronischer Sensorik und hochauflösender Bildschirme auch jenseits der Spielindustrie innovative technische Möglichkeiten. Im Rahmen eines Forschungsprojekts [11] im Auftrag der BASt wurden, auf Basis der Anforderungen und Bedürfnisse in einer Bauwerksprüfung nach DIN 1076, ein modulares Konzept sowie Demonstratoren zur digitalen Unterstützung der Prüfenden entwickelt. Hierfür wurden die Potenziale des BIM sowie der erweiterten und virtuellen Realität kombiniert, um Anwendungsmöglichkeiten in der Vor- und Nachbereitung im Büro und der Durchführung der Bauwerksprüfung an einer Brücke zu untersuchen. Als Demonstratorbauwerk diente die Intelligenten Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn bei Nürnberg. Die Vor- und Nachbereitung der Bauwerksprüfung wird durch die virtuelle Realität unterstützt, indem die virtuelle und interaktive Begehung des 3-D-Bauwerksmodells ermöglicht wird. Die anwendende Person hat die Möglichkeit, das virtuelle Bauwerksmodell, das mit den Schadensdaten und weiteren Informationen verknüpft ist, zum Beispiel im Büro zu „durchlaufen“ und sich damit ein Bild von den Gegebenheiten vor Ort zu machen. Zu diesem Zweck wurde sowohl die Visualisierung anhand einer Desktopanwendung als auch anhand einer VR-Brille demonstriert. Verknüpfte Informationen werden verortet visualisiert. Hierbei wurde auf die Entwicklung eines kollaborativen Moduls geachtet. D. h. stellen Bauwerksprüfende vor Ort die gerade aufgenommenen Schadensdaten über die Cloud zur Verfügung, sind sie schon während der Prüfung auch in der virtuellen Realität im Büro einsehbar. Zur aufgenommenen Prüfung lassen sich außerdem Anpassungen oder Veränderungen vornehmen. Hiermit ergeben sich z. B. Möglichkeiten, spezifische, nicht eindeutige Schäden zu rekapitulieren, Beschreibung von Schäden zu verbessern, den Dialog im Kollegium zu suchen und eine zweite Meinung einzuholen sowie die Möglichkeit, bedeutende Schäden zu visualisieren und nachzubearbeiten. Bei der Prüfung vor Ort an der Brücke kommt ein Tablet mit Funktionalitäten der erweiterten Realität zum Einsatz. Auch hier wurden mehrere Funktionen demonstriert. Das Modell kann über Verortung, u.a. anhand von Markern durch die Kamera des Tablets, über das Abbild der Realität gelegt werden (s. Bild 5). Es besteht die Möglichkeit, nur das Modell einzublenden, es auszublenden oder transparent über das Abbild der realen-Umgebung-zu-legen. Bild 5: Überlagerung des virtuellen Models Schäden können in der Bauwerksprüfung vor Ort durch einfache Kameraaufnahmen verortet, mit dem 3-D-Bauwerksmodell verknüpft und mit weiteren Informationen zur Unterstützung der lückenlosen Protokollierung über den Lebenszyklus versehen werden (s. Bild 6). Die Schadenseingabe orientiert sich im endgültigen Prototyp an den Eingaben in SIB-Bauwerke. Über eine Cloud können die aufgenommenen Daten bereits während der Prüfung übertragen und vom Kollegium im Büro am 3-D- Bauwerksmodell mittels virtueller Realität begutachtet und weitergehend analysiert werden. Informationen zu 86 5. Brückenkolloquium - September 2022 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken Schäden, die in vergangenen Prüfungen aufgenommenen wurden, werden den Prüfenden vor Ort über das Tablet als digitale Überlagerung mittels erweiterter Realität angezeigt. Die vorhandenen Schäden können im neuen Prüfungszyklus mit weiteren Informationen und Fotos versehen werden. Auf diesem Weg wird eine Schadenshistorie erstellt, die mit der Schadenskugel im BIM-Modell verknüpft und durch die Prüfenden verortet einsehbar ist. Insgesamt wurden die folgenden Funktionalitäten anhand des Demonstrators zur Verwendung vor Ort aufgezeigt: • Überlagerung virtueller und verorteter Informationen wie Modelldaten und Schadensdaten • Schadensverortung und virtuelle Darstellung vorhandener Schäden mittels „Kugel“ samt hinterlegter Historie • Bildliche Dokumentation von Schäden und Verknüpfung mit Schadensort über Kameraaufnahme • Schadensbeschreibung über Menü mit Vorauswahl und manueller Eingabe weiterer Messdaten • Vermessung von Schadenslängen durch integriertes Messsystem • Synchronisierung der Daten über eine Cloud • Exemplarische Implementierung der Arbeitskarten in Form von Checklisten (zum Abhaken durchgeführter Aufgaben) • Ein- und Ausblenden des verorteten digitalen Modells (auch im Transparenzmodus) • Abrufen und Anzeigen von Arbeitshilfen, Normen oder anderweitigen Richtlinien über Cloudlösung Bild 6: Demonstrator im Hohlkasten einer Brücke Insgesamt hat das Forschungsprojekt aufgezeigt, dass Technologien, technische Möglichkeiten und Potenziale zur Unterstützung der Bauwerksprüfung vorhanden sind. In Praxistests der entwickelten Demonstratoren konnten die Bedarfe zur Nutzung eines digitalen Unterstützungssystems bei den Anwendenden festgestellt werden. Die Forschungsergebnisse zeigen außerdem, dass die Motivation, digitale Hilfsmittel zu nutzen, bei den Bauwerksprüfenden vorhanden ist. Ihre Reaktionen während der Demonstration erläuterten, dass sie aktuell noch auf bessere und geeignetere Werkzeuge warten und zukünftig angewiesen sind. Insgesamt können vor allem folgende Vorteile durch die Anwendung der Technologien gegenüber der herkömmlichen Vorgehensweise angenommen werden: Durch Verwendung eines ähnlichen Systems könnte die Qualität der Prüfung gesteigert werden. Teilnehmende haben in dem Workshop u.a. eine erhöhte Präzision bei der Lokalisierung von Schäden erwähnt. Die Informationen liegen an einem Ort vor und werden über die Technologien gebündelt für die Prüfung visualisiert. Bei einem Tablet-basierten Tool entfiele die Notwendigkeit, eine separate Kamera mitzuführen und Papier zu nutzen. Durch die digitale Schadenserfassung bieten sich Potenziale hinsichtlich einer konsistenten, weniger fehleranfälligen und lückenlosen Protokollierung der Schäden über den Lebenszyklus. Es wurde u.a. gezeigt, dass Informationen schnell zwischen Büro und Prüfung vor Ort ausgetauscht werden könnten. Damit ergibt sich eine Plattform für alle am Projekt Beteiligten und das kollaborative Arbeiten wird unterstützt. Nicht zuletzt ergibt sich auch ein Zeiteinsparungspotenzial während der Bauwerksprüfung. 7. Ausblick und Fazit In diesem Beitrag wurden exemplarische Forschungsprojekte der Bundesanstalt für Straßenwesen aufgezeigt, die zum Einsatz von BIM im Betrieb auf dem Weg zum Digitalen Zwilling Brücke beitragen. Das übergeordnete Ziel, das auf diesem Weg mit dem Digitalen Zwilling Brücke verfolgt wird, ist der Übergang zu einem prädiktiven Lebenszyklusmanagement. Die Forschungsaktivitäten zeigen vielfältige Optimierungspotenziale im Rahmen des Betriebs auf. Für BIM wurden diese exemplarisch bereits demonstriert. Der Digitale Zwilling Brücke verspricht darüber hinaus weitergehende Unterstützung in verschiedenen Anwendungsfällen des Betriebs. Anwendungsfälle und Potenziale werden z.B. in optimierten Betriebsprozessen, reduzierten und optimierten Erhaltungsmaßnahmen durch kontinuierliche Zustandserfassung sowie im strategischen Lebenszyklusmanagement anhand szenariobasierter Prognosen gesehen. Durch die umfängliche Datenerfassung und -analyse lassen sich potenziell Entscheidungsverfahren zukünftig auch unter Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten über den gesamten Lebenszyklus anhand des Digitalen Zwillings unterstützen. Der Digitale Zwilling von Ingenieurbauwerken schafft insgesamt das Potenzial bei maximaler Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit des Bauwerks den Einsatz von Ressourcen zu reduzieren und damit eine Verbesserung der Nachhaltigkeit der Straßeninfrastruktur zu erreichen [12]. 5. Brückenkolloquium - September 2022 87 BIM2Twin: Einsatz von BIM im Betrieb von Brückenbauwerken Literatur [1] BMDV (2021): Masterplan BIM Bundesfernstraßen. Online verfügbar unter https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StB/ masterplan-bim-bundesfernstrassen.html [2] Sarah Windmann, Sarah; Nieborowski, Sonja (2022): Digitaler Zwilling und Reallabor - Visionspapier der Abteilung B Brücken- und Ingenieurbau der Bundesanstalt für Straßenwesen, Version 1.1. Unveröffentlicht [3] Ioannidou, Anastasia; Chatzilari, Elisavet; Nikolopoulos, Spiros; Kompatsiaris, Ioannis (2017): Deep Learning Advances in Computer Vision with 3D Data: A Survey. In: ACM Comput. Surv. 50 (2). DOI: 10.1145/ 3042064. [4] Griffiths, David; Boehm, Jan (2019): A Review on Deep Learning Techniques for 3D Sensed Data Classification. In: Remote Sensing 11 (12), S. 1499. DOI: 10.3390/ rs11121499. [5] Isailović, Dušan; Stojanovic, Vladeta; Trapp, Matthias; Richter, Rico; Hajdin, Rade; Döllner, Jürgen (2020): Bridge damage: Detection, IFC-based semantic enrichment and visualization. In: Automation in Construction 112, S. 103088. DOI: 10.1016/ j. autcon.2020.103088. [6] Hajdin, Rade; Richter, Rico; Isailović, Dušan; Diederich, Holger; Hildebrand, Justus (2021): Entwicklung von Verfahren zur (teil-)automatisierten Erstellung von BIM-Modellen für Straßenbrücken im Bestand. unveröffentlichter Bericht zu FE 02.0436/ 2020/ ARB. [7] Bednorz, Jennifer; Hindersmann, Iris; Nieborowski, Sonja; Windmann, Sarah (2021): „BIM - auf dem Weg zum Digitalen Zwilling“ in Straße und Autobahn. [8] Seitner, Martin; Probst, Rebecca; Borrmann, Andre; Vilgertshofer, Simon (2021): Building Information Modeling (BIM) im Brückenbau. Schlussbericht FE 15.0622/ 2016/ RRB. Veröffentlichung in Vorbereitung. [9] BMDV (2021): Masterplan BIM Bundesfernstraßen - Ergänzung zu den Rahmendokumenten: Liste der standardisierten Anwendungsfallbezeichnungen. Online verfügbar unter https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StB/ masterplan-bim-bundesfernstrassen.html [10] BMDV (2021): Masterplan BIM Bundesfernstraßen - Rahmendokument: Streckbriefe der Anwendungsfälle - Version 1.0. Online verfügbar unter https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StB/ masterplan-bim-bundesfernstrassen.html [11] Bahlau, Sascha; Hill, Marcos; Klein, Florian; Kukushkin, Alexander; Oppermann, Leif; Riedlinger, Urs et al. (2021): Bauwerksprüfung mittels 3D-Bauwerksmodellen und erweiterter/ virtueller Realität. Abschlussbericht zum Forschungsprojekt 15.0666/ 2019/ LRB im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen. Abschlussbericht zu 15.0666. Veröffentlichung in Vorbereitung. [12] Dabringhaus, S.; Neumann, S.; Hindersmann, I. (2020): Monitoring, Intelligente Brücke, Digital Twin. Positionspapier der Abteilung B Brücken- und Ingenieurbau der Bundesanstalt für Straßenwesen. Unveröffentlicht. 5. Brückenkolloquium - September 2022 89 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik Christina Fritsch, M. Sc. MKP GmbH, Weimar, Deutschland Chris Voigt, M. Eng. MKP GmbH, Weimar, Deutschland Dipl.-Ing. Torsten Harke, M. Sc. MKP GmbH, Weimar, Deutschland Zusammenfassung Bauwerksdiagnostische Untersuchungen bilden eine wichtige Grundlage für die verlässliche Bewertung von bestehenden Tragwerken. Sie können aus unterschiedlichsten Anlässen über die Nutzungsphase eines Bauwerks erfolgen und tragen beispielsweise zu realitätsnahen rechnerischen Nachweisen oder möglichst effizienten Instandsetzungsmaßnahmen bei. Die dabei entstehenden Diagnostikdaten werden gegenwärtig im Allgemeinen jedoch nicht optimal auf bereitet: Die entstehenden Untersuchungsberichte oder -protokolle liegen häufig nur in analoger Form vor und sind inhaltlich nicht miteinander verknüpft. Die sich bietenden Potenziale für die Bauwerksbewertung können dadurch nicht umfassend genutzt werden. Ein Schwerpunkt der Digitalisierung des Bauwesens ist die Zusammenführung und Vernetzung heterogener Bestands- und Zustandsinformationen unterschiedlichster Herkunft, beispielsweise in Zusammenhang mit Building Information Modeling (BIM) sowie Digitalen Zwillingen, um bestehende Tragwerke in Zukunft effizienter und insbesondere länger sicher nutzen zu können. Dementsprechend müssen zwangsweise auch alle bauwerksdiagnostischen Daten konsequent digitalisiert und für die Integration in digitale Modelle vorbereitet werden. Sind die Daten einmal digital auf bereitet, stehen unzählige Möglichkeiten der Datenauswertung, Datenvisualisierung und -bereitstellung an unterschiedliche Nutzer zur Verfügung: Von der Erstellung von BIM-Fachmodellen der Diagnostik bis hin zur Entwicklung von VR-/ AR-Anwendungen zur interaktiven Erfassung der Daten. Im Rahmen des Tagungsbeitrags sollen unterschiedliche Anwendungsfälle und Lösungsbeispiele für eine solche digitale Bauwerksdiagnostik an Brücken gezeigt werden. 1. Einleitung Wie in so vielen Situationen des Lebens gilt auch im Erhaltungsmanagement von Ingenieurbauwerken: Wissen ist Macht. Erst, wenn möglichst alle zustandsrelevanten Daten zu einem Bauwerk bekannt sind, können wirklich effektive und effiziente Erhaltungsmaßnahmen erfolgen. All diese zustandsrelevanten Daten aus Bauwerksbüchern, Bauwerksprüfungen, Gutachten und Planunterlagen nur zu beziehen, reicht dabei jedoch bei weitem nicht aus. Um die Potenziale des sich über die Lebensdauer eines Bauwerks anhäufenden Datenschatzes optimal nutzen zu können, muss eine Zentralisierung, Strukturierung, Verknüpfung und Aggregation der Daten erfolgen. Der allgegenwärtige Prozess der Digitalisierung bietet in diesem Zusammenhang vielfältige technologische Möglichkeiten. Eine dieser Möglichkeiten für die kollaborative und interdisziplinäre Zusammenarbeit ist die Methode des Building Information Modeling (BIM), welches insbesondere in den Planungs- und Ausführungsphasen des Brückenneubaus zunehmend an Bedeutung gewinnt und künftig sogar verpflichtend Anwendung findet [1] [2]. Der Masterplan Bundesfernstraßen des BMDV sowie dessen Rahmendokumente bilden eine umfassende Grundlage für die Einführung der BIM-Methode bei Baulastträgern, Anlagenverantwortlichen und Planenden. Die innerhalb des Masterplanes definierten Anwendungsfälle beziehen sich im Wesentlichen auf die Planung und Ausführung von Ingenieurbauwerken im Zuge von Bundesfernstraßen. Demgegenüber steht der überproportionale Anteil bestehender Straßenbrücken, die sich gegenwärtig in Nutzung befinden und deren Betrieb sich bisher kaum in den BIM-Anwendungsfällen widerspiegelt (siehe auch Abbildung 1). Abbildung 1: Altersstruktur der Brücken im Zuge von Bundesfernstraßen aus [3] 90 5. Brückenkolloquium - September 2022 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik Abbildung 2: Anknüpfungspunkte von Bauwerksdiagnostik über den Lebenszyklus von Ingenieurbauwerken in Anlehnung an RPE-ING entsprechend [4] Vergleichbar schwach normativ geregelt ist das Gebiet der Bauwerksdiagnostik, wenngleich es eine Vielzahl an Möglichkeiten umfasst, den Bestand und Zustand bestehender Bauwerke möglichst realitätsnah zu erkunden. Bauwerksdiagnostische Daten besitzen eine entsprechend große Relevanz für die ganzheitliche Bewertung von Bestandsbauwerken und können zu unterschiedlichen Phasen der Erhaltung beitragen (siehe auch Abbildung 2). Voraussetzung für die Ausnutzung der Potenziale von Diagnostikdaten ist jedoch die anschauliche, strukturierte und rückführbare Dokumentation - beispielsweise im Kontext von BIM und Digitalen Zwillingen. Der nachfolgende Tagungsbeitrag strebt eine Verdeutlichung der Potenziale, aber auch Herausforderungen bei der digitalen Transformation der Bauwerksdiagnostik an. Anhand von praktischen Anwendungsfällen und prototypischen Entwicklungen soll der objektive Mehrwert einer künftigen digitalen Bauwerksdiagnostik verdeutlicht werden. Er soll helfen, das Verständnis für und Vertrauen in bauwerksdiagnostische Untersuchungen auf Seiten der Bauherren und Anlagenverantwortlichen zu stärken. Der Beitrag erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern schildert ausgewählte, aktuelle Erfahrungen der Autoren im Umgang mit Ingenieurbauwerken und den dabei anfallenden Diagnostikdaten. 2. Begriffsbestimmung Regelmäßig, ob im Zusammenhang mit Projekten oder auch Veröffentlichungen, wird deutlich, dass innerhalb der Ingenieurbranche kein gemeinschaftliches Verständnis von Bauwerksdiagnostik existiert. Eine Adaption überspannender Definitionen ist teilweise möglich: Diagnostik meint dementsprechend die Identifikation der Ursache und Herkunft bestimmter Zustände (in Anlehnung an [5]). Diese Definition schließt jedoch artverwandte Ingenieurdisziplinen, wie beispielsweise die normativ geregelt Bauwerksprüfung nach DIN 1076 [6] sowie das Bauwerksmonitoring, inhaltlich ein. Im nachfolgenden Tagungsbeitrag und Kontext der Straßen- und Bahnbrücken meint Bauwerksdiagnostik daher konkret: - die Anwendung einer Vielzahl von zerstörungsfreien, zerstörungsarmen und zerstörenden Untersuchungen mit dem Ziel einer ganzheitlichen Bewertung von Bauwerken - anlassbezogene Untersuchungen, die ortsdiskret erfolgen, in der Tiefe jedoch im Allgemeinen über den Umfang einer Bauwerksprüfung hinausgehen (Abgrenzung Bauwerksprüfung) - anlassbezogene Untersuchungen, die zu konkreten Untersuchungszeitpunkten, aber oft mehrstufig über die Lebensdauer eines Bauwerks, erfolgen (Abgrenzung Bauwerksmonitoring) Eine Besonderheit stellt in Verbindung mit Brücken auf Bundesfernstraßen die Objektbezogene Schadensanalyse (OSA) entsprechend [7] dar. Die OSA entspricht einer schadensbezogenen Bauwerksdiagnostik, die im Ergebnis einer Bauwerksprüfung angeordnet wird und deren Resultate unmittelbar Eingang in die Zustandsnoten des Bauwerks finden. 3. Status quo Das Image der Bauwerksdiagnostik ist teilweise verstaubt und überholt. Mitunter kursieren Vorurteile bezüglich des Erfordernisses diagnostischer Untersuchungen und insbesondere der damit verbundenen Eingriffe in die Bausubstanz. Dabei kann eine Vielzahl von invasiven Untersuchungen mittlerweile durch zerstörungsfreie Prüfverfahren (Zf P-Verfahren) ergänzt oder gar substituiert werden. Die Einsatzbereiche, und verbunden mit der wachsenden Erfahrung auch die Akzeptanz, nehmen stetig zu [8]. Eine tatsächliche Herausforderung, mit der die Bauwerksdiagnostik sowie artverwandte Fachgebiete der Bestandsbewertung und -erkundung zu kämpfen haben, ist die 5. Brückenkolloquium - September 2022 91 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik heterogene sowie dezentrale Dokumentation und Datenablage. Insbesondere bei komplexen Ingenieurbauwerken entstehen über den Lebenszyklus unterschiedlichste Gutachten, beispielsweise im Rahmen objektbezogener Schadensanalysen oder in Zusammenhang mit Erhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen. Aufgrund des geringen Standardisierungsgrades und der gegenwärtig schwachen Normenlage können Art, Umfang und Qualität der Gutachten sehr stark voneinander abweichen. Daraus folgend sind in der Vergangenheit durchgeführte Untersuchungen teilweise nicht rückführbar und damit nur bedingt verarbeitbar. Auch eine Verknüpfung unterschiedlicher Daten und Datenquellen miteinander wird dadurch deutlich erschwert [4]. Verstärkt wird diese Problematik durch die bisher übliche Dokumentation in Form von Untersuchungsberichten oder -protokollen, welche häufig nur in Papierform bei den Anlagenverantwortlichen vorliegen. Eine umfassende und überspannende Konsultation der zustandsrelevanten Daten ist unter diesen Randbedingungen kaum möglich. 4. Potenziale bauwerksdiagnostischer Untersuchungen Bauwerksdiagnostische Untersuchungen und deren Ergebnisse können auf unterschiedlichste Weise zu einer optimierten Bewertung von Ingenieurbauwerken beitragen. Insbesondere im Hinblick auf die sich weiter zuspitzende Klima- und Ressourcenkrise stellt Bauwerksdiagnostik ein wichtiges und vielfältiges Werkzeug im Umgang mit bestehenden Bauwerken dar. Denn die ressourcenschonende Verlängerung der Nutzungsdauer von Bestandsbauwerken erfordert eine möglichst umfassende Bewertungsgrundlage, um den Ansprüchen an Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit gerecht zu werden. Ein Kernziel diagnostischer Untersuchungen ist in der Regel die Ermittlung von realitätsnahen Bestands- und Zustandsinformationen über den rein visuellen Eindruck hinaus: Es wird ein Blick ins Bauteilinnere geworfen (beispielsweise mithilfe von Radarmessungen zur Erkundung der tatsächlichen Lage von Spanngliedern und Bewehrung entsprechend Abbildung 3). Dieser Einblick über den Oberflächenzustand hinaus ermöglicht es, Material- und Gefügeeigenschaften der unterschiedlichsten Baustoffe qualitativ und quantitativ zu erfassen, anstatt sie anhand von Bestandsunterlagen abzuschätzen. Darüber hinaus können verdeckte Schäden und Mängel erkundet werden, welche an der Oberfläche (noch) nicht sichtbar sind. Bei bereits aufgetretenen Schäden liefern bauwerksdiagnostische Untersuchungen oft wesentliche Grundlagen für die Bewertung der Schadensursache oder des Schadensverlaufs und tragen damit auch zu einer Optimierung der zur Zustandsverbesserung erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen bei (siehe auch [9]). Beispielhafte Anwendungsfälle der Bauwerksdiagnostik sind: der Abgleich der gebauten Realität mit vorhandenen Planungs- oder Ausführungsunterlagen, die Erfassung von (inneren) Konstruktionen und Materialeigenschaften bei fehlenden Bestandsunterlagen, die Ermittlung von tatsächlichen Materialeigenschaften zur Präzisierung der Eingangsparameter rechnerischer Bewertungen die Beurteilung der Dauerhaftigkeit von Bauteilen und Baustoffen als Grundlage für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen oder auch die Erfassung von Zuständen zur Prognostizierung von Schadensverläufen und Restnutzungsdauern. Verbunden mit der Weiterentwicklung der zerstörungsfreien Prüfverfahren und dem zunehmenden Digitalisierungsdruck in der Baubranche können die vorhandenen Potenziale der Diagnostikdaten für die Bestandsbewertung zunehmend besser genutzt werden. Die weitere Verlängerung der Wertschöpfungskette von diagnostischen Daten ist bereits Bestandteil verschiedener Forschungsansätze (siehe auch [10] und [11]) und wird auch in den kommenden Jahren einen Forschungsschwerpunkt bilden. Abbildung 3: Zerstörungsfreie Radarmessungen zur Erkundung von Spannglied- und Bewehrungsverläufen, Auf bauten und Gefügeeigenschaften 5. Herausforderungen der Digitalisierung Die digitale Transformation der Diagnostik ist richtig und relevant, aber in keinem Fall trivial. Die wohl größte Herausforderung in diesem Zusammenhang ist die generell schwache Normenlage, die unterschiedlichste Begriffsdefinitionen, Methodiken und inhaltliche Schwerpunkte bedingt. Man könnte sagen, dass der Diagnostik innerhalb des Bauingenieurwesens eine gemeinsame Sprache fehlt. Um nachhaltige, interoperable Werkzeuge für die Datenverarbeitung und -bereitstellung zu entwickeln, bedarf es jedoch einer gewissen Standardisierung oder zumindest Harmonisierung. Das betrifft neben Bezeichnungen und Definitionen unter anderem auch Datentypen oder Dateiformate (siehe auch [12]). Ein standardisiertes Datenmodell für die Bauwerksdiagnostik existiert bisher nicht, erste Anregungen dafür gibt es jedoch in der artverwandten Disziplin der Baugrunderkundung [13]. Die Entwicklung eines solchen Datenmodells ist eine wesentliche Voraussetzung für die interoperable Verwendung von Diagnostikdaten im Kontext von BIM und Digitalen Zwillingen. 92 5. Brückenkolloquium - September 2022 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik Einen Stolperstein auf dem Weg zur Standardisierung von Diagnostikdaten stellen insbesondere die Messdaten der zerstörungsfreien Prüfverfahren dar. Art und Umfang deren Dokumentation sind sehr heterogen, ebenso die Ausgabeformate der unterschiedlichen Gerätehersteller. Teils werden proprietäre Dateiformate verwendet und die Schnittstellen der herstellerspezifischen Auswertesoftwares sind sehr begrenzt. Eine Konvertierung der Messdaten in ein einheitliches, offenes Dateiformat ist teilweise möglich, beispielsweise durch teilautomatisierte Algorithmen (siehe auch [12]). Eine weitere Schwierigkeit stellt darüber hinaus die Digitalisierung bereits in der Vergangenheit erhobener Diagnostikdaten dar. Idealerweise können in Zukunft auch solche zustandsrelevanten Daten für Auswertungs- und Bewertungsmethoden herangezogen werden, die gegenwärtig noch unstrukturiert, dezentral und vorwiegend analog bei den Bauherren sowie Anlagenverantwortlichen vorliegen. Dafür bedarf es jedoch technologischer Hilfsmittel zur nachträglichen Digitalisierung derartiger Dokumente. Die vorgenannten Herausforderungen hemmen gegenwärtig noch die umfängliche Nutzung der Potenziale diagnostischer Daten, sind jedoch in keinem Fall unüberwindbar. Ein wichtiger Baustein für die erforderlichen Entwicklungen und Weiterentwicklungen ist die Umsetzung interdisziplinärer Pilot- und Forschungsprojekte sowie der Eingang dieser Fragestellungen in die Arbeitskreise und Gremien. 6. Einblicke in die Praxis Durch Marx Krontal Partner wurden in den vergangenen Jahren unterschiedliche Ansätze zur digitalen Transformation der Diagnostik erprobt. Eine Auswahl dessen soll nachfolgend dargestellt werden. Ziel ist die Darstellung der Möglichkeiten und des Mehrwerts einer digitalen Bauwerksdiagnostik. Dabei wird zwischen unterschiedlichen, praxisrelevanten Anwendungsfällen des Bauens im Bestand und insbesondere im Kontext von Ingenieurbauwerken unterschieden. 6.1 Anwendungsfall: Datenerfassung und Dokumentation Die strukturierte und einheitliche Datenerfassung ist die wesentliche Grundlage für alle denkbaren Datenverarbeitungsprozesse. Um dieser Forderung gerecht zu werden, wurde mit dem Forschungsprojekt Digitale Bauwerksdiagnose (Thüringer Auf baubank, FKZ 2019 FE 9114, MKP GmbH/ Fachhochschule Erfurt/ Bau-Consult Hermsdorf GmbH), ein digitales Erfassungstool für die Dokumentation von Diagnostikdaten vor Ort, im Labor oder auch im Büro entwickelt. Herzstück dieses Erfassungstools ist ein prototypisches Datenmodell für Diagnostikdaten, fokussiert bisher jedoch auf Ingenieurbauwerke aus Stahl- und Spannbeton. Innerhalb des hierarchischen Datenmodells sind IDs, Bezeichnungen, Datentypen und Beziehungen definiert. Eine grundlegende Variante des Erfassungstools wurde zunächst mittels Microsoft Access umgesetzt, womit vergleichsweise schnell und einfach Formulare zu den zugrundeliegenden Tabellen einer Datenbank erstellt werden können (siehe exemplarisch Abbildung 4). Im Praxiseinsatz wurde die Variante als nutzerfreundlich sowie intuitiv bewertet und die Vorteile gegenüber der ursprünglichen Dokumentation auf Papierprotokollen einschließlich der sich anschließenden fehleranfälligen Digitalisierungsschritte wurden sehr deutlich. Es zeigten sich jedoch auch Herausforderungen hinsichtlich der kollaborativen Bearbeitung und Kompatibilität mit unterschiedlichen mobilen Endgeräten. Eine darauf aufbauende Variante des Erfassungstools, welche webbasiert und hersteller- und geräteunabhängig laufen wird, befindet sich aktuell in der Entwicklung. Abbildung 4: Erfassungstool, Variante Microsoft Access (lizenzpflichtig) 6.2 Anwendungsfall: Fehlende Bestandsunterlagen Fehlende Bestandsunterlagen stellen keine Ausnahme dar. Verbunden mit der vorbeschriebenen, oft dezentralen und papiergebundenen Ablage, besitzen bauzeitliche Pläne auch rein physisch eine sehr heterogene Qualität. Die Durchführung bauwerksdiagnostischer Untersuchungen zur Kompensation unzureichender Bestandsinformationen ist daher ein typischer Anwendungsfall. Am Beispiel eines Stegabschnittes mit Spanngliedkoppelstelle einer zurückgebauten Spannbetonbrücke wurden unterschiedliche Möglichkeiten der äußeren und inneren Bestandserfassung erprobt, kombiniert und hinsichtlich ihres Mehrwerts für die Bestandsbewertung betrachtet. Die Erfassung der äußeren Geometrie des Bauteils erfolgte in Form eines Laserscans. Die aktuell auf dem Markt verfügbare Technik ermöglicht es, sehr schnell und unkompliziert einfache Punktwolkenmodelle zu erstellen. Die Punktwolke bildete eine Grundlage des Bestandsmodells und kann neben geometrischen Parametern auch Aufschluss über den oberflächlichen Bauteilzustand geben, da neben der Lage der Punkte auch Farb- und Bildinformationen erfasst werden (siehe Abbildung 5 links oben). 5. Brückenkolloquium - September 2022 93 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik Abbildung 5: Beispielhafte Darstellung der Visualisierung von Diagnostikdaten (Spanngliedverlauf, Bewehrungsverteilung) anhand des Stegabschnittes Darüber hinaus sind zerstörungsfreie magnetinduktive, Radar- und Ultraschallmessungen zur Erkundung der Lage der Bewehrung und Spannglieder am gesamten Bauteil erfolgt. Die resultierenden Messdaten wurden teilautomatisiert in ein 3-D-Modell des Stegabschnittes übertragen, welches aus der Punktwolke abgeleitet wurde. Auf bauend darauf hat der Nutzer die Möglichkeit, beispielsweise die Gleichmäßigkeit der Bewehrungsverteilung oder die Anordnung der Spannglieder im Bereich der Koppelstelle realitätsnah zu begutachten (siehe Abbildung 5 links und mittig unten). In einem nächsten Schritt wurden die bereits vorhandenen Erkenntnisse zum Verlauf der Bewehrungselemente mit zusätzlichen Betondeckungsmessungen grafisch überlagert. Auf Basis einer definierten Legende wurde dadurch auf einen Blick erkennbar, welche Bauteilbereiche aufgrund einer ungenügenden Betondeckung eine tendenziell verminderte Dauerhaftigkeit aufweisen. 6.3 Anwendungsfall: Eingangsparameter für die Planung im Bestand Im Zuge der Bahnstrecken sowie des Verantwortungsbereiches der Deutschen Bahn existieren vielzählige Ingenieurbauwerke, deren Erhalt und Weiterbetrieb wertvolle Ressourcen schonen. Eine Besonderheit gegenüber den Straßenbrücken stellen in diesem Zusammenhang die vielen Tausend Mauerwerksbrücken im Bestand der Deutschen Bahn dar. Nicht selten finden sich darunter Gewölbebogenbrücken, die bereits 100 Jahre und älter sind, und nach wie vor zuverlässig ihren Dienst erfüllen (siehe beispielsweise [14]). Bei der Bewertung, und erforderlichenfalls auch Ertüchtigung, von Gewölbebogenbrücken sind unter anderem Aussagen zum Auf bau, zu verwendeten Baustoffen und deren Eigenschaften erforderlich. Zur Erkundung der Bestandsbauwerke kommen in diesem Zusammenhang häufig zerstörungsarme Kern- und Sondierungsbohrungen zum Einsatz. Erfahrungsgemäß können aus den dabei entnommenen Bohrkernen jedoch nur bedingt Aussagen zum Zustand des inneren Gefüges getroffen werden. Gründe dafür sind beispielsweise das Zerschlagen von vergleichsweise weichen Baustoffen beim Bohrvorgang oder auch das Ausspülen geringfester Bestandteile im Zuge von Nassbohrungen. Das Ergebnis: Bei der visuellen Begutachtung der entnommenen Bohrkerne kann mitunter der Eindruck entstehen, dass bspw. großformatige Fehlstellen im Bauwerk vorhanden sind. Zur Kompensation dieser Unschärfe bei der Bewertung der Proben werden oft ergänzende videografische bzw. videoendoskopische Befahrungen der Bohrkanäle durchgeführt. Der Aufwand bei der manuellen Befahrung sowie Dokumentation vor Ort und insbesondere der Auf bereitung und Ergebnisdarstellung im Nachgang ist hoch. Darüber hinaus wird meist nur ein Teil des Bohrkanals auf den erzeugten Fotos und Videos deutlich, da den Kameraobjektiven der Rundumblick fehlt. Im Rahmen des Forschungsprojektes SI-Modeling (mFUND des BMDV, FKZ 19F2175A, MKP GmbH) wurde prototypisch der Einsatz eines Bohrkanalscanners aus der Geotechnik für die Dokumentation von Bohrkanälen in der Bauwerksdiagnostik erprobt. Mithilfe des Scanners kann am Bauwerk eine 360°-Aufnahme des Bohrkanals erfolgen. Als Ergebnis wird im Nachgang eine fotorealistische Abwicklung des Bohrkanals erzeugt. Diese kann weiterverwendet werden, um beispielsweise Auf bauten/ Materialien und etwaige Gefügeschäden zu kartieren oder kann zur Visualisierung des Bauwerksinneren als Grundlage für die Übertragung in 94 5. Brückenkolloquium - September 2022 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik 3-D-Modelle dienen (siehe exemplarisch Abbildung 6). Das Verfahren wurde im Rahmen des Forschungsprojektes sowohl an Laborprobekörpern als auch an einer realen Bahnbrücke erprobt. Die zusammenhängende Visualisierung des inneren Gefüges kann gegenüber der videoendoskopischen Befahrung deutlich Punkten. Wenngleich der Nachbereitungsaufwand in Abhängigkeit der konkreten Ziel-/ Aufgabenstellung dennoch relativ hoch sein kann, wird die Rückführbarkeit der Bewertungen erhöht und die Fehleranfälligkeit bei der Dokumentation vor Ort merklich reduziert. Abbildung 6: 3D-Modell eines Bohrkerns mit einer Oberflächentextur aus der fotorealistischen Abwicklung des Bohrkanals sowie der Kartierung von Rissen und Gefügen 6.4 Anwendungsfall: Rückbau von Talbrücken Der Rückbau von Talbrücken ist eine ingenieurtechnische Herausforderung [15]. Zur Minimierung der Risiken bei Planung, Ausschreibung und Ausführung des Rückbaus sind möglichst realitätsnahe Bestands- und Zustandsinformationen erforderlichen. Diagnostische Untersuchungen bieten dafür umfangreiche Möglichkeiten, die rückzubauenden Bauwerke zerstörungsfrei und zerstörungsarm zu erkunden (siehe dazu auch [16]). In der Regel gibt es drei Aspekte der Bauwerksdiagnostik als Grundlage für die Rückbauplanung: - Chemisch-physikalische Untersuchungen, geometrische Untersuchungen und statisch-konstruktive Untersuchungen. Die chemisch-physikalischen Untersuchungen dienen der umfassenden Grundlagenermittlung für die Planung von Entsorgung und Verwertung der Baustoffe nach dem Rückbau. Die geometrischen Untersuchungen dienen in erster Linie einem Soll-Ist-Abgleich zwischen der bauzeitlichen Planung und dem realen Bestandsbauwerk. Der Abgleich kann sowohl lokal anhand markanter Punkte erfolgen (bspw. Durchdringungen, ausgewählte Abwicklungen, o. Ä.) als auch mithilfe von 3-D-Modellen des gesamten Bauwerks (As-Maintained-Modell). Sie können als eine Grundlage für die Ermittlung des Eigengewichtes und darauf auf bauend die Anpassung des zugehörigen Teilsicherheitsbeiwertes dienen. Die statisch-konstruktiven Untersuchungen bilden im Allgemeinen den umfangreichsten Teil der Bauwerksdiagnostik für den Rückbau. Eine essenzielle Fragestellung ist dabei die Ermittlung der physikalischen Materialeigenschaften für die Nachweisführung. Dabei besteht nicht nur die Frage nach einer rechnerischen Festigkeit, sondern auch nach deren Streuung bzw. Verteilung (siehe auch [17]). Am Beispiel zweier Spannbetontalbrücken wurde in diesem Kontext für die Ermittlung der Betondruckfestigkeit ein stufenweises Vorgehen erprobt: Um einen Überblick über den Beton des Gesamtbauwerks zu erhalten, ohne dabei massive Eingriffe in die Bausubstanz vorzunehmen, wurden in einer ersten Stufe teilflächige zerstörungsfreie Ultraschalllaufzeitmessungen, verteilt in Längs- und Querrichtung, durchgeführt. Unter Berücksichtigung der Querschnittsdicken sind anhand der Ultraschalllaufzeit bzw. -geschwindigkeit Rückschlüsse auf das Betongefüge und die Betonqualität möglich. Die teilflächigen Messungen sollen Aufschluss darüber geben, ob das Betongefüge (und damit verbunden die Betondruckfestigkeit) eher homogen ist oder ob es Anzeichen für systematische Inhomogenitäten oder Ausreißer gibt. Für die Visualisierung dieser Daten erwiesen sich Farbstufengrafiken (Heatmaps) als geeignet. Darüber hinaus kann eine grafisch-statistische Aufbereitung in Form von Histogrammen sowie Boxplots hilfreich sein, um potenziell unterschiedliche Grundgesamtheiten zu identifizieren. Wie bspw. in Abbildung 7 auf bereitet, bilden die zerstörungsfrei erfassten Daten eine geeignete Grundlage für die visuelle Erfassung vergleichsweise großer Datenmengen und daraus auf bauend Auswahl konkreter Probeentnahmestellen sowie Probeentnahme zur Ermittlung der Betondruckfestigkeit entsprechend DIN EN 13791 [18] in der zweiten Stufe. Abbildung 7: vergleichende grafische Darstellung teilflächiger Ultraschalllaufzeitmessungen in entlang eines Brückenfeldes in Form von Farbstufengrafiken Da in Abhängigkeit der Größe und Komplexität der rückzubauenden Talbrücken schnell große Datenmengen entstehen, wurde deutlich, dass eine manuelle grafische Auf bereitung nicht nur fehleranfällig ist, sondern auch umfangreiche personelle Ressourcen bindet. Um dem entgegenzutreten, wurden das im Rahmen des Forschungsprojektes Digitale Bauwerksdiagnose entwickelte Erfassungstool und ergänzende Auswertealgorithmen angewendet. Mit Hilfe der Algorithmen wurden beispielsweise die erfassten Ultraschalllaufzeiten mit den sich veränderten Stegdicken (vertikale und horizontale Aufvoutungen der Brückenstege) in Ultraschallgeschwin- 5. Brückenkolloquium - September 2022 95 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik digkeiten umgerechnet, welche miteinander vergleichbar sind. Die Algorithmen ermöglichen eine grafisch sowie statistische Auswertung für beliebig viele Datensätze. Ebenfalls ist die Ermittlung der tatsächlichen Betondruckfestigkeit auf Grundlage der DIN EN 13791 möglich. Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde dies prototypisch mit einer Art Baukastenprinzip umgesetzt. Der Nutzer kann wählen, ob er nur direkte (Bohrkernentnahme) oder auch indirekte Prüfverfahren (Ultraschalllaufzeitmessung) verwenden will, ob die Bewertung anhand einer logarithmischen Normalverteilung erfolgen soll oder auch in welcher Form die Ergebnisse grafisch und numerisch ausgegeben werden sollen. In vergleichsweise kurzer Zeit lassen sich mithilfe dieses Algorithmus unterschiedliche Auswertekonfigurationen vergleichend gegenüberstellen [4]. 6.5 Anwendungsfall: Digitaler Zwilling Digitale Zwillinge werden in Zukunft eine essenzielle Rolle im Umgang mit Bestandsbauwerken spielen und damit verbunden den Betrieb sowie die Erhaltung von Infrastrukturbauwerken maßgeblich beeinflussen. Der Digitale Zwilling strebt dabei an, ein digitales Abbild eines physischen Objekts zu sein, welches sich dynamisch mit der Realität verändert. Er spiegelt zu jedem Zeitpunkt den aktuellen Bauwerkszustand wider und berücksichtigt dabei unterschiedlichste Datenquellen, wie insbesondere die Ergebnisse der Bauwerksprüfung sowie Messdaten eines Dauermonitorings oder anlassbezogener diagnostischer Untersuchungen. Im Projekt smartBRIDGE Hamburg wurde am Beispiel der Köhlbrandbrücke neben der Pilotierung eines Digitalen Zwillings für Ingenieurbauwerke auch die Integration von Diagnostikdaten prototypisch umgesetzt [12] [19]. Ein Kernziel von smartBRIDGE Hamburg ist die bedarfsgerechte und nutzerspezifische Visualisierung und Bereitstellung von fachlichen Informationen. Für die Bauwerksdiagnostik wurde dieses Ziel über ein mehrstufiges Drilldown erfüllt: Vom Bauwerk bzw. von der Bauteilgruppe aus gelangt man in erster Instanz auf die Ebene der Untersuchungsziele. Diese sind konstruktiv geprägt und dienen einer überspannenden Filterung (bspw. Untersuchungsziel Bestands- und Zustandserfassung Spannglieder). Von den Untersuchungszielen aus gelangt man zu den einzelnen Untersuchungsstellen (bspw. Sondierungsöffnung Spannglied), vergleichbar mit Messstellen eines Monitorings. Je Untersuchungsstelle werden unmittelbar die erfassten Parameter sowie Basisinformationen angezeigt, welche vor Ort erkundet wurden (siehe Abbildung 8). Abbildung 8: Einblick in smartBRIDGE Hamburg | conditionCONTROL Die detaillierten Untersuchungsergebnisse kann man in einer Expertenumgebung einsehen, der tiefsten Ebene des Drilldown. In smartBRIDGE Hamburg wird diese Ebene durch structureVIEW dargestellt: Einer fotorealistischen 360°-Umgebung des Bauwerks, in welcher die Untersuchungsstellen verortet sind und die Ergebnisse quasi auf der Wandoberfläche visualisiert werden können (siehe Abbildung 9). Der Nutzer kann sich in structureVIEW frei bewegen und die Ergebnisse verschiedener Untersuchungsstellen gemeinsam bewerten. Für den intuitiven Datenzugriff vor Ort wurde darüber hinaus eine prototypische AR-Anwendung entwickelt, mithilfe welcher beispielsweise ein Bauwerksprüfer vor Ort einen Überblick zu Art, Lage und Anzahl vorhandener Untersuchungsstellen, aber auch Schäden der Bauwerksprüfung sowie Messstellen eines Monitorings erhält. Abbildung 9: Einblick in smartBRIDGE Hamburg | structureVIEW Ein weiterer zentraler Aspekt von smartBRIDGE Hamburg ist die mehrstufige Aggregation fachlich komplexer Daten zu intuitiv verständlichen Zustandsindikatoren [12] [20]. Neben Messdaten eines Monitorings bilden Diagnostikdaten eine Grundlage für die Entwicklung von Zustandsindikatoren. Dies wurde anhand des Partial Condition Indicators (PCI) Korrosionsrisiko gezeigt. Der PCI Korrosionsrisiko berücksichtigt Diagnostikdaten zur Beschreibung des realen Referenzzustandes aus Sondierungskernbohrungen (Betondeckung, Carbonatisierungstiefe, bewehrungsnaher Chloridgehalt, 96 5. Brückenkolloquium - September 2022 Digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik usw.) sowie Messdaten aus der dauerhaften Erfassung der bauwerksklimatischen Verhältnisse (Bauteiltemperatur, Lufttemperatur, relative Luftfeuchte). Im Ergebnis der Aggregation steht die Bewertung eines qualitativen Korrosionsrisikos und dessen Auswirkungen auf die Dauerhaftigkeit des Bauwerks. Im Falle eines hohen Korrosionsrisikos erhält der Anlagenverantwortliche im Digitalen Zwilling eine Meldung und die Möglichkeit, die Ursache dafür zu erkunden, um mögliche Gegenmaßnahmen einzuplanen. Die Umsetzung des PCI dient als proof of concept für die Integration von Diagnostikdaten in eine Echtzeit-Zustandsbewertung und bildet eine Basis für die Weiterentwicklung von Zustandsindikatoren auf Grundlage bauwerksdiagnostischer Untersuchungen. 7. Fazit Die vorgenannten Anwendungsbeispiele zeigen, dass mithilfe digitaler Methoden und Technologien deutliche Mehrwerte bei der Wertschöpfung aus Diagnostikdaten generiert werden können. Eine digitale Bauwerksdiagnostik kann dazu beitragen, zustandsrelevante Daten verständlicher, zugänglicher und damit auch nachhaltiger für alle am Prozess der Bestandsbewertung beteiligten Nutzer zu machen. Neben den Vorteilen wurden auch bereits erkennbare Herausforderungen der digitalen Transformation beschrieben, welche jedoch keine unüberwindbaren Hürden darstellen und teilweise bereits jetzt in aktuellen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben angegangen werden. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Masterplan BIM Bundesfernstraßen. September 2021. [2] Deutsche Bahn AG: BIM-Strategie - Implementierung von Building Information Modeling (BIM) im Vorstandsressort Infrastruktur der Deutschen Bahn AG, 2022. [3] Bundesanstalt für Straßenwesen, Brückenstatistik, Datum 17.11.2021 https: / / www.bast.de/ DE/ Statistik/ Bruecken/ Brueckenstatistik.html [4] Schacht, G., Fritsch, C., Voigt, C., Ewert, E. and Arndt, R. (2022), Structural Information Modeling - Die digitale Transformation der Bauwerksdiagnostik. Bautechnik 99 (3), S. 213-221, 2022. [5] Stevenson, A.: Oxford Dictionary of English. Oxford University Press, 2010. [6] Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN 1076 Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung. Beuth Verlag, Berlin, November 1999. [7] BMVI (2007) Leitfaden Objektbezogene Schadensanalyse (OSA), Bonn. [8] Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein e. V.: DBV-Merkblatt „Anwendung zerstörungsfreier Prüfverfahren im Bauwesen“. Berlin, Fassung Februar 2014. [9] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Leitfaden zur Prüfung von Instandsetzungs- und Ertüchtigungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken (Abgrenzung Ersatzneubau), RPE-ING, Stand 2020/ 12 [10] Küttenbaum, S., Maack, S., Braml, T., Taffe, A. and Haslbeck, M. (2019), Bewertung von Bestandsbauwerken mit gemessenen Daten. Beton- und Stahlbetonbau 114 (6), S. 370-382, 2019. [11] Küttenbaum, S., Maack, S., Braml, T., Taffe, A. and Strübing, T. (2021), Bewertung von Bestandsbauwerken mit gemessenen Daten, Teil 2. Beton- und Stahlbetonbau 116 (3), S. 183-199, 2021. [12] Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein e. V.: Digitaler Zwilling - Strategie für den Bestandserhalt. DBV-Heft 51. Fassung Oktober 2021, Veröffentlicht 2022 [13] Beck, J. und Henke, S.: Building Information Modeling - zur Attribuierung des Fachmodells Baugrund. Bautechnik 98 (12), S. 953-961, 2021. [14] Hering, E., Lorenz, E., Meichsner, E., Schwedes, R., Herrmann, T. and Bösche, T. (2022), Das Heiligenborner Viadukt - 170-jähriges Eisenbahnviadukt - fit gemacht für den nächsten Nutzungsabschnitt. Beton- und Stahlbetonbau 117 (3), S. 206-216, 2022. [15] Schacht, G., Müller, L., Kromminga, S., Krontal, L. and Marx, S. (2018), Tragwerksplanung beim Rückbau von Spannbetonbrücken. Bautechnik 95 (1), S. 6-15, 2018. [16] 5. Brückenkolloquium der Technischen Akademie Esslingen, Tagungsbeitrag: Rückbau von Spannbetonbrücken - der Bauwerkszustand als Herausforderung für die Rückbauplanung [17] Gebauer, D., Schmidt, B., Schacht, G. and Marx, S. (2021), Beurteilung der Festigkeitseigenschaften bestehender Talbrücken aus Spannbeton. Beton- und Stahlbetonbau 116 (2), S. 76-88, 2021. [18] Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN 13791: 2020-02 Bewertung der Druckfestigkeit von Beton in Bauwerken und in Bauwerksteilen. Beuth Verlag, Berlin, Februar 2020. [19] Ullerich, C.; Grabe, M.; Wenner, M.; Herbrand, M.: smartBridge Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings. Bautechnik 97 (2), S. 118-125, 2020. [20] Herbrand, M.; Lazoglu, A.; Ullerich, C.; Marx, S.; Zehetmaier, G.: Aggregation von Zustandsindikatoren aus Inspektions- und Monitoringdaten im Brückenbau. Bautechnik 99 (2), S. 95-103, 2022. 5. Brückenkolloquium - September 2022 97 BIM aus Sicht einer öffentlichen Auftraggeberin Von BIM zu DIM Ing. Sabine Hruschka ASFINAG (Autobahn- und Schnellstraßen Finanzierungs Aktiengesellschaft), Wien, Österreich Zusammenfassung Unsere Zukunft ist digital und BIM ist aus unserem Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Im Jahr 2016 wurden die ersten 4 BIM-Pilotprojekte gestartet. Heute - 2022 - ist die Pilotierungsphase bereits seit über einem Jahr abgeschlossen. BIM ist in der Unternehmensstrategie verankert, umfangreiche Standards und neue Leistungsbilder liegen vor, eine eigene BIM-Datenstruktur und dazugehörige Modelliervorgaben wurden erarbeitet. Auch der Prozess für die Brückenprüfung mit BIM wurde bereits erarbeitet. Wie wir diesen Weg beschritten haben und welche Anforderungsstandards an unsere Auftragnehmer gestellt werden, berichten wir gerne. Im Vortrag geben wir auch Einblicke, wie die ASFINAG als eine der größten Infrastrukturbetreiberinnen Österreichs mit ihren Daten zukünftig umgeht und wie BIM die dazugehörigen Prozesse verändert. Ausgangssituation Mit lediglich 4 Projekten hat die ASFINAG 2016 erste BIM-Erfahrungen gesammelt. Diese dafür gegliedert in Brücken-, Straßen- und Tunnelbau. Erste Learnings haben gezeigt, dass BIM auch für die ASFINAG Vorteile bringt und diese auch im Rahmen der kooperativen Projektabwicklung von wesentlichen Nutzen sein kann. Von BIM zu DIM DIM steht für Digitalisierung im Infrastrukturmanagement. Dahinter steht ein langfristiges Projekt, um ein nachhaltiges Datenmanagement zu erarbeiten. Mittlerweile laufen mehr als 20 Projekte mit BIM in der ASFI- NAG. Wie in diesen Projekten und auch danach mit den Daten umzugehen ist, um keine Datenfriedhöfe zu erzeugen, wird in DIM neu gedacht. Schlussendlich sollen die relevanten Daten den Weg in die Erhaltung finden und danach wieder retour in die nächste Planungsphase. Dazu hat die ASFINAG gesellschaftsübergreifend eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die für ein nachhaltiges, durchgehendes und aktuelles Datenmanagement verantwortlich ist. Eine angepasste Datenstruktur ist dafür eine wesentliche Grundlage. Ebenso ist ein Prozess zu erarbeiten, wie sowohl die Daten als auch die Modelle über die Erhaltungsphase aktuell gehalten werden. Die Brückenprüfung mit BIM Auch sämtliche Zustandserfassungen können zukünftig mit BIM abgewickelt werden. Die Schadenkartierung wird im tatsächlichen Ausmaß dargestellt, da dies umfangreiche Vorteile für die nachfolgenden Nutzer des Fachmodells darstellt. Auch können langfristig gesehen, entsprechende Maßnahmenableitungen und Grobkostenschätzungen für Sanierungsprojekte erstellt werden. Ausblick Grundsätzlich soll BIM in den Projekten der ASFINAG Standard werden. Wie dieser Standard aussieht, ist noch in Erarbeitung. Möglichkeiten sind von der digitalen Bestandsaufnahme bis hin zum vollumfänglichen BIM-Projekt. Wieviel BIM in den Projekten Sinn macht, ist aber projektspezifisch festzulegen. Eine standardisierte Festlegung wie zum Beispiel „alle Projekte mit mehr als einer Million Auftragssumme“ ist nicht angedacht. 5. Brückenkolloquium - September 2022 99 From Pixel to Pset Automatisierte Erstellung eines IFC-4-konformen Fachmodells Bauwerksprüfung aus einer digitalen Bauwerksinspektion unterstützt durch KI Dipl.-Ing. Peter Furtner VCE, Vienna Consulting Engineers ZT GmbH, Wien, Österreich B.Eng. (Honours), M. Sc.Arch. RAIA MIEAust Peter O’Brien VCE, Vienna Consulting Engineers ZT GmbH, Wien, Österreich Zusammenfassung Dieser Beitrag beschreibt eine technologische Lösung zur digitalen Bauwerksinspektion, welche den ganzen Prozess, beginnend mit der Bildaufnahme vor Ort, bis hin zum IFC-4 konformen Endergebnis umfasst. Im Detail umfasst der Prozess folgende Schritte: • Digitale Bildaufnahme des gesamten Objekts vor Ort • Automatisierte Erstellung eines 3-D-Modells aus den Bilddaten in Form einer texturierten Punktwolke • Generierung eines BIM Teilmodells Geometrie aus der Punktwolke • Vollautomatisierte Schadenserkennung in den Originalbildern mittels KI (pixelgenau) • Exakt Lagerichtige Verortung der Schäden am 3-D-Modell als Polylinie und Verknüpfung der Schäden mit zugehörigen Schadensinformation in einer Datenbank (Bsp. Risslänge, Rissbreite, Schadensfläche) • Vollautomatisierte Erstellung eines IFC-4 konformen Fachmodells Bauwerksinspektion. 1. Einleitung Ingenieurbauwerke (= Kunstbauten) haben Anforderungen hinsichtlich Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit zu erfüllen. Kunstbauten sind daher einer periodischen Inspektion zu unterziehen. Diesbezüglich gibt es in den meisten Ländern entsprechende Gesetze und Regelwerke. Beispielsweise sind dies in Deutschland die DIN 1076 und die RI-EBW-Prüf und in Österreich die RVS Reihe 13.03.XX. Der vorliegende Beitrag präsentiert einen Prozess für eine digitale Bauwerksinspektion, welche die normgerechte Brückenprüfung unterstützt und in weiterer Folge die Instandsetzung unterstützt, von der Planung bis hin zur Durchführung. Abb. 1: Testobjekt auf der A99 in Bayern Der gesamte Prozess wird Anhand des Brückenobjekts BW32/ 1 auf der A99 der Autobahndirektion Nordbayern anschaulich präsentiert. Das Projekt und die technologische Lösung sind beim internationalen buildingS- MART Wettbewerb 2021 in der Kategorie „Technology“ aus mehreren hundert Einreichungen von einer weltweiten Jury zum Sieger gekürt worden. 2. Digitale Bauwerksaufnahme und laufende Zustandsdokumentation mittels Photogrammmetrie und Künstlicher Intelligenz 2.1 Digitale Datenaufnahme Grundlage für eine digitale bildbasierte Inspektion ist die vollflächige Aufnahme des gesamten Bauwerks mit hochauflösenden Bildern nach vorgegebenen Qualitätskriterien und einer speziell dafür entwickelten Aufnahmemethode. Der Bauwerksprüfer kann diese Daten (Bilder) selbst aufnehmen oder optional Unterstützung von Experten für die Datenbeschaffung (Bildaufnahme) anfordern und auch beauftragen. Die Datenaufnahme erfolgt aus der Luft (mittels UAVs), zu Land und zu Wasser (mittels Boot), je nach Anforderung und Zugangsmöglichkeit. Die Datenaufnahme erfolgt dabei mittels hochwertiger Digitalkameras bzw. mittels 360°-Kameras. Die derart erfassten Daten werden nach dem Hochladen auf 100 5. Brückenkolloquium - September 2022 From Pixel to Pset einer Online-Plattform wie Strucinspect automatisiert auf ihre Vollständigkeit und Qualität geprüft und gesichert. Abb. 2: Beispiel texturiertes Modell (3-D-Zwilling) Die Datenqualität und Vollständigkeit ist essentiell für die weitere Bearbeitung, wie die AI-basierte Schadensanalyse sowie die Erstellung eines exakten Digitalen Zwillings. Deswegen wurde ein verbindlicher Qualitäts- und Schnittstellenkatalog mit harten Kriterien erarbeitet (z. B. Auflösung, Überlappung, GSD, Fokus Art) die jedenfalls erfüllt werden müssen, bevor die Daten zur Weiterverarbeitung akzeptiert werden. 2.2 Digitaler 3-D-Zwilling Aus den hochauflösenden digitalen Bildaufnahmen wird mittels photogrammetrischer Auswertung ein Millimetergenauer digitaler 3-D-Zwilling als texturierte Punktwolke oder als Mesh-Modell erstellt. Die Auswertung erfolgt mittels leistungsfähigem Cloudcomputing, um die Auswertung in kürzester Zeit zu ermöglichen. Dieser digitale Zwilling kann mit allen Projektbeteiligten über einen geschützten Zugang in der Cloud geteilt und auch gemeinsam bearbeitet werden. Eine Überlagerung mit einem BIM-Modell ist möglich. 2.3 AI-(Artificial Intelligence-)basierte Schadensanalyse Im nächsten Schritt erfolgt eine AI-basierte Schadenserkennung. Diese kann Risse, Abplatzungen, freiliegende Bewehrungen, die Korrosion von Bewehrungen, Rostfahnen, Hohlstellen, Feuchtigkeit, Kiesnester und Bemoosungen etc. mit einer Erkennungsrate (TPR) von 99,9 %, vollautomatisch erkennen. Neben der Erkennung und Markierung der Schäden in den Einzelbildern erfolgt auch eine automatische geometrische Analyse (z. B. Rissbreitenmessung, Bestimmung der Schadensfläche). Alle Schäden werden mit einer Polylinie pixelgenau erfasst und die exakte Geometrie und geometrische Verortung sowie die Art des Schadens in einer Datenbank gespeichert. Dabei können die gewünschten Genauigkeitskriterien und Klasseneinteilungen vorab festgelegt werden. So kann eine definierte Rissbreite von 0,1mm bei Spannbetonbauwerken und von 0,3mm bei Stahlbetonwerken vorgegeben werden. Unterbrochene, jedoch zusammengehörende Risse und Netzrisse werden als ein zusammenhängender Schaden erkannt, markiert und dokumentiert. Abplatzungen mit einer einstellbaren Mindestgröße werden ebenfalls automatisch von der AI als Schaden erkannt, markiert und vermessen. 2.4 Zuordnung und Visualisierung Mithilfe der AI werden die erkannten Schäden auf 2-D- Bildern (Originalbilder) und dem 3-D-Zwilling mit einer eigenen, eindeutigen Identifikationsnummer exakt georeferenziert dargestellt und dokumentiert. Wird derselbe Schaden auch auf weiteren Bildern und aus anderen Winkeln detektiert, erfolgt ein automatischer Abgleich und eine automatische Vereinigung und Zuordnung zu dieser Identifikationsnummer. Ein und derselbe Schaden, auch wenn dieser auf mehreren Bildaufnahmen detektiert wird, wird nur einmal in die Schadensdatenbank aufgenommen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 101 From Pixel to Pset Abb. 3: Schadensanalyse am Bsp. A99 in Bayern Abb. 4: 3-D-Zwilling mit den am Objekt verorteten Schäden inkl. Mängel-I 102 5. Brückenkolloquium - September 2022 From Pixel to Pset Alle Schäden mit ihrer eindeutigen Identifikationsnummer sind absolut georeferenziert auf dem 3-D-Digitalen Zwilling verankert. Die Schadensinformationen, die originalen 2-D-Bilder und die von der KI durchgeführten Auswertungen sind über den 3-D-Zwilling durch Anklicken des Schadens zugänglich. 2.5 Befundung Alle gefundenen Schäden werden in der Datenbank gespeichert und können in 2-D und 3-D mit nur ein paar Klicks bearbeitet werden. Der Bauwerksprüfer kann Schadensempfehlungen und Bewertungen annehmen, modifizieren, erweitern oder ablehnen. Eventuelle Folgemaßnahmen können ebenfalls hinzugefügt werden. Durch den befugten Bearbeiter können Schäden und Informationen auch jederzeit bearbeitet werden. Schäden und sonstige Informationen können gelöscht (wenn nicht relevant) oder manuell hinzugefügt werden. Dies inkludiert eine Bewertung der schwere des Schadens / Mangels sowie die Zustandsbeurteilung des jeweiligen Bauteils und des Gesamtbauwerks durch den Bauingenieur. 2.6 Kollaboration - Zusammenarbeit und Teilen von Daten und Ergebnissen bis hin zum Asset- Management Die Bauwerksprüfer können ihren Projektpartnern, den Infrastrukturbetreibern, und auf Wunsch der Kunden auch anderen Service-Partnern definierten, vollen oder eingeschränkten Zugriff auf die generieten Ergebnisse gewähren und somit für höchste Transparenz sorgen und die Zusammenarbeit vereinfachen. Die Ergebnisse, welche eingesehen werden können, beinhalten Schadenskataloge, Ratings, (empfohlene) Maßnahmen und vieles mehr. Sämtliche Ergebnisse können außerdem als Schadensdatensatz, BIM-Datensatz oder als PDF-Bericht heruntergeladen werden. Auch die direkte oder indirekte Anbindung an bereits beim Kunden vorhandene Bauwerksdatenbanken und Asset-Management-Systemen ist zum einfachen Datenaustausch möglich. Ein übergeordnetes Management-Center ermöglicht jedem Nutzer einen einfachen Überblick über alle seine Projekte, Bauwerke und Daten. 3. Erstellung eines IFC-4-konformen As-Built BIM Teilmodells Geometrie und laufende Zustandsdokumentation IFC-4-konform als BIM Fachmodell 3.1 Von der Digitalen Datenaufnahme zu den BIM Teilmodellen Bauwerksgeometrie und zu Fachmodellen Bauwerksinspektion Die digitale Bauwerksinspektion, die KI-basierte Schadensdetektion, die Erstellung von 3-D-Geometriemodellen (Punktwolke und Mesh-Modell), die Schadensverortung am Objekt und die Dokumentation wurden bereits beschrieben. Ein noch größerer Mehrwert kann durch die Überführung all dieser Ergebnisse in IFC-konforme BIM-Modelle, genauer einem Teilmodell Bauwerksgeometrie und einem Fachmodell Bauwerksprüfung, erreicht werden. Diese As-Built-BIM-Modelle können als Grundlage für die Instandsetzungsplanung, die Bauausführung und die Dokumentation herangezogen werden. Durch fortlaufende digitale Aufnahmen und die Überführung in ein IFC-konformes Fachmodell Bauwerksinspektion können Veränderungen, wie z. B. Veränderung von Schäden oder ausgeführte Instandsetzungsmaßnahmen, laufend dokumentiert werden (4D-BIM). 3.2 Das Teilmodell Bauwerksgeometrie Die Erstellung eines Teilmodells Bauwerksgeometrie aus einer Punktwolke (die ein Ergebnis der photogrammetrischen Auswertung der digitalen Bauwerksaufnahme ist) stellt immer noch eine große Herausforderung dar. Eine manuelle Überführung durch den BIM-Modeller ist mit hohem Personalaufwand verbunden. Die vollautomatisierte Überführung ist nach aktuellem Stand bisher noch nicht möglich. Daher wird ein kombinierter Ansatz verfolgt. Im ersten Schritt erfolgt eine Segmentierung der Punktwolke zu Bauwerkselementen mit Unterstützung einer KI-Anwendung. Im zweiten Schritt wird diese Vorsegmentierung durch den Bearbeiter in ein Teilmodell Bauwerksgeometrie übergeführt. Maßgebend für den Aufwand ist die Wahl des LOD (Level of Detail). Aus Budgetgründen wird für die Erstellung der As-Built-Modelle aus der digitalen Bauwerksinspektion meist LOD 200 gewählt. Höhere Detailierungsgrade sind mit entsprechendem Mehraufwand möglich. 3.3 Das Fachmodell Bauwerksprüfung Das IFC-4-konforme Fachmodell Bauwerksprüfung wird mittels einer eigens dafür entwickelten Software auf Python Basis vollautomatisiert aus der Strucinspect Prüfergebnis-Datenbank abgeleitet. Dabei werden folgende Anforderungen erfüllt: • Übernahme der exakten Schadensgeometrie aus der Datenbank • Extrahierung der Geometrie normal zur Bauwerksoberfläche, um die Sichtbarkeit bei Verwendung mit Geometriemodellen sicher zu stellen • Übernahme sämtlicher Information zum Schaden aus der Datenbank • IFC-konformes Ergebnis, Software-neutral und nachhaltig • Verwendungsmöglichkeit des Fachmodells Bauwerksprüfung nicht nur mit BIM-Geometriemodellen, sondern auch mit rein geometrischen 3-D-Modellen, Punktwolken und Mesh-Modellen ist möglich. 5. Brückenkolloquium - September 2022 103 From Pixel to Pset Abb. 5: Teilmodell Bauwerksgeometrie am Bsp. A99 in Bayern 3.4 Ableitung von 2-D-Plänen Trotz der fortschreitenden Digitalisierung im Bauwesen sind in vielen Fällen noch 2-D-Bauwerksinspektionspläne erforderlich. Ohne digitale Bauwerksinspektion und dem daraus generierten Fachmodell Bauwerksprüfung ist die Erstellung solcher Pläne mit großem Aufwand verbunden. Die diesem Konzept zugrunde liegende Software ermögliche auch eine einfache Ableitung von 2-D Plänen aus dem Geometriemodell und dem Schadensmodell, wie nachfolgendes Beispiel zeigt. Mehrwert für den Infrastrukturerhalter 3.5 Mehrwert der digitalen Inspektion Im Vergleich zur herkömmlichen Bauwerksprüfung nach dem Stand der Technik ist die digitale Inspektion z. B. über die Strucinspect Plattform eine zeitsparende, effektive und effiziente Alternative. Wesentliche Vorteile sind die absolute Objektivität und Wiederholbarkeit der Bearbeitung, die vollständige und lückenlose Dokumentation des Zustandes der gesamten Bauwerksoberfläche (auch schadenfreie Bereiche werden vollständig dokumentiert) und die einfache und automatisierte Dokumentation des Schadensfortschrittes bei aufeinanderfolgenden, periodischen Prüfungen. Die Technologie ermöglicht eine schnelle, zuverlässige periodische Aufnahme eines gesamten Objekts oder nur von Teilen (z. B. bereits Instand gesetzten Fehlstehlen), mit exakter Verortung am Objekt und vollständiger digitaler Dokumentation in der Datenbank. Bei Bedarf können jederzeit teilautomatisiert Fortschrittsdokumentationen, Mängellisten, Prüf berichte etc. generiert werden. Die Erstellung eines BIM-Teilmodells Bauwerksgeometrie in Kombination mit dem BIM-Fachmodell Bauwerksprüfung auf Basis der digitalen Bauwerksprüfung bietet eine ausgezeichnete Grundlage für die Detailplanung, Ausführung und Dokumentation von Instandsetzungsmaßnahmen. Abb. 7: Ergebnis der Ableitung aus der Schadensdatenbank Abb. 6: Ableitung des BIM-Fachmodells Bauwerksprüfung aus digitaler Bauwerksprüfung mittels einer Python-Software 104 5. Brückenkolloquium - September 2022 From Pixel to Pset Abb. 8: Visualisierung von Rissen dokumentiert im BIM-Fachmodell Bauwerksprüfung am Geometriemodel Abb. 9: 2-D-Bauwerksinspektionsplan abgeleitet aus den BIM Modellen am Bsp. der A99 in Bayern 5. Brückenkolloquium - September 2022 105 From Pixel to Pset Neben der exakten Geometrie und Verortung der dokumentierten Mängel wird auch sämtliche in der Datenbank vorhandene Information (Art des Schadens, Massen, Bewertung etc.) mit in das IFC-konforme Schadensmodell übernommen. Bei aufeinanderfolgenden digitalen Bauwerksaufnahmen bzw. -prüfungen können die Schadensmodelle überlagert werden und somit eine Veränderung einfach erkannt und dokumentiert werden. Das IFC-4 konforme Ergebnis kann Softwareneutral und nachhaltig verwendet werden. Eine Kombination mit bereits bestehenden BIM-Modellen und auch anderen Modellen (Punktwolke, Mesh-Modell, rein geometrisches 3-D-Modell) ist möglich. 3.6 Einsatzmöglichkeiten in der Bauwerksinspektion und Bauwerkserhaltung Für den Bauwerkserhalter ergeben sich folgende Einsatzmöglichkeiten mit Zusatznutzen: • Gewährleistungsprüfung und Erstdokumentation sowie Folgeprüfungen: Digitale Aufnahme aller Kunstbauten, Erstellung eines digitalen Zwillings in Form einer Punktwolke oder eines Mesh-Modells, KI-basierte Identifikation aller Mängel (exakt georeferenziert, Art, Ausmaß etc.) am Objekt, Ablage in der Datenbank, Erstbericht, Visualisierung aller Ergebnisse am 3-D-Modell in der zugangsgesicherten Cloud, zugänglich für alle Projektbeteiligten. Eine Überlagerung mit einem bestehenden BIM-Modell ist möglich. • Planung von lokalen Instandsetzungsmaßnahmen: Verwendung der Datenbankdaten und des 3-D-Zwillings aus der Erstdokumentation für die Unterstützung der Planung der detaillierten Instandsetzung (Massen etc.). • Fortlaufende Dokumentation und Prüfung der durchgeführten Arbeiten: Die fortlaufenden Instandsetzungsarbeiten können durch digitale Aufnahme und KI-Auswertung (wie bei der Erstdokumentation) der betroffenen Bauteile dokumentiert, geprüft und visualisiert werden. Erforderlichenfalls können die durchgeführten Arbeiten am Modell mitdokumentiert werden. Zusätzlich zur „Digitale Bauwerksaufnahme und laufende Zustandsdokumentation mittels Photogrammmetrie und Künstlicher Intelligenz“ ermöglicht die Bearbeitung im IFC-konformen BIM die Aufnahme, Dokumentation und Visualisierung sämtlicher Instandsetzungsmaßnahmen (Typ der Instandsetzung nach RVS, verwendete Materialen, Ausmaß, Position etc.). Die Dokumentation der Instandsetzungsmaßnahmen und die Aufnahme nach erfolgter Instandsetzung könne für eine digitale Abrechnung herangezogen werden. 5. Brückenkolloquium - September 2022 107 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen Stephan Embers Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland Sven Zentgraf Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland Patrick Herbers Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland Firdes Celik Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland Benedikt Faltin Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Markus König Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland Jan-Derrick Braun HOCHTIEF ViCon, Essen, Deutschland Jessica Steinjan HOCHTIEF ViCon, Essen, Deutschland David Schammler HOCHTIEF ViCon, Essen, Deutschland Sonja Nieborowski Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Deutschland Ralph Holst Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Deutschland Zusammenfassung Die frühzeitige Erkennung von Schäden an Brücken ist aus finanziellen und ökologischen Gründen sehr wichtig. Dies kann nur durch regelmäßige und häufige Inspektionen durch Experten erreicht werden, die ihre Befunde meist handschriftlich dokumentieren. Ziel dieses Beitrags ist es, ein Konzept für ein Brückeninspektionstool vorzustellen. Dieses wird mehrere Arten von Hardware-Geräten verwenden, um das Brückeninspektionspersonal bei der Beurteilung und Dokumentation von Schäden zu unterstützen, wobei Kombinationen aus KI- und MR-Technologien eingesetzt werden. Hierfür wurden Interviews mit Bauwerksprüfern aus verschiedenen Unternehmen und Branchen durchgeführt, um wichtige Anforderungen zu ermitteln. Auf der Grundlage dieser Anforderungen wurde ein Konzept entwickelt, das mit bestehenden Datenbanken für Infrastrukturen kompatibel ist. 1. Einführung Aufgrund der Alterung, der veränderten Verkehrszusammensetzung, der Einflüsse des Klimawandels, und der zunehmenden Verkehrsbelastungen an Ingenieurbauwerken, müssen in erheblichem Umfang Maßnahmen zur Erhaltung dieser durchgeführt werden. In Deutschland sind diese Erhaltungsmaßnahmen in der DIN 1076 [1] definiert. Die Regeln der Schadensbewertung werden in der RI-EBW-PRÜF [2] aufgeführt. Bei der Prüfung von Brücken und anderen Ingenieurbauwerken nach diesen Normen kommt es darauf an, dass die vorgefundenen Schäden vollständig erfasst, sowie reproduzierbar und einheitlich bewertet werden. Dies ist insbesondere für die Beurteilung des Schadensverlaufs und damit für die Bewertung der Dringlichkeit von Instandsetzungsmaßnahmen unerlässlich. Dazu ist es wichtig, dass der 108 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen Brückeninspekteur seine Erfahrungen und Fähigkeiten in der Schadenserfassung und -beurteilung optimal einsetzt und bei Aufgaben unterstützt wird, die durch den Einsatz digitaler Technologien leichter erledigt werden können. Die Einführung von IT-gestützten Prozessen im Betrieb der Infrastruktur hat somit eine wichtige Bedeutung für die Reduzierung des erforderlichen Instandhaltungsaufwandes. Nach der deutschen Norm für Bauwerksprüfungen DIN 1076 [1] gliedert sich der Prozess der Brückenprüfung in drei Phasen: Datenvorbereitung, Datenerfassung vor Ort und Datenverarbeitung. Dieser Beitrag konzentriert sich auf Phase 2, die Datenerfassung vor Ort. Phase 2 beginnt vor Ort mit der Lokalisierung bekannter Schäden anhand schriftlicher Unterlagen und der Suchen nach möglichen neuen Schäden am Bauwerk. Die Schäden werden dann mit Digitalkameras dokumentiert und in schriftlicher Form kategorisiert. Anhand dieser Daten werden anschließend Entscheidungen über den Zustand des Bauwerks und möglichen Maßnahmen der Instandhaltung getroffen. Dieser Prozess lässt sich durch den Einsatz digitaler Technologien optimieren. Augmented und Mixed Reality (AR/ MR) bieten neue Möglichkeiten der Visualisierung virtueller Inhalte, der Informationseingabe, und der Informationsbereitstellung. Virtuelle Inhalte können Inspektionsmitarbeitern zur Verfügung gestellt werden, die damit die Möglichkeit haben, diese in ihre Entscheidungsfindung einzubeziehen und zu verarbeiten. Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) können eingesetzt werden, um Schäden an Bauwerken zu erkennen und zu analysieren. In Kombination mit AR kann die KI die vom AR/ MR-System aufgezeichneten Daten in Echtzeit verarbeiten, Muster erkennen und dem Benutzer über das AR/ MR-System eine Bewertung des Schadens liefern. Die Anwendung einer Kombination aus AR/ MR und KI kann den Prozess der Brückeninspektion unterstützen, wie ähnliche Studien zeigen [3]- [5]. Diese Studien zeigen, wie die Verwendung eines Geräts, meist eines Head-Mounted Displays (HMD), den Arbeitsablauf der Brückeninspektion verbessern kann. In den Beiträgen von [3], [5] wird das verwendete Gerät nur zur Anzeige von Informationen ohne Interaktion genutzt und bietet dem Benutzer nur begrenzte Möglichkeiten zur Interaktion mit dem System. Dies kann bei der Dokumentation komplexerer Daten, wie z. B. Schadensberichten, eine Herausforderung darstellen. Darüber hinaus ist die Navigation von großen Datenstrukturen oder das Inspizieren von Bauplänen auf HMDs schwierig. Durch den Einsatz von weiteren Geräten, wie z. B. Tablets, könnten die in diesen Studien vorgestellten Arbeitsabläufe verbessert werden. Die DIN 1076 empfiehlt, dass aus Sicherheitsgründen mindestens zwei Personen eine Hauptprüfung durchführen sollen. Dies wird im deutschen Arbeitsablauf der Brückenprüfung weitgehend akzeptiert und praktiziert. Aus diesem Grund schlägt der in diesem Beitrag vorgestellte Ansatz einen digitalisierten Arbeitsablauf für Brückenprüfungen mit zwei verschiedenen Geräten vor. Durch den Einsatz von zwei Geräten kann der Arbeitsablauf aufgeteilt werden, was die Arbeitsbelastung sowohl für die Prüfer als auch für die Geräte reduziert und die verschiedenen Geräte jeweils auf Informationsvisualisierung oder Dokumentation spezialisiert. 2. Verwandte Arbeiten Zur Unterstützung der Brückeninspektoren vor Ort werden Augmented Reality (AR) zur Informationsvisualisierung und künstliche Intelligenz (KI) zur Schadenserkennung eingesetzt. AR ist ein Mensch-Maschine- Interaktions-Paradigma, bei dem virtuelle Informationen über eine reale Umgebung gelegt werden. Dadurch kann der Benutzer die reale Umgebung mit zusätzlichen virtuellen Objekten sehen. AR soll die reale und die virtuelle Welt verbinden und in Echtzeit bedienbar sein. Darüber hinaus sollten Objekte im virtuellen und realen Raum in einer 3-dimensionalen Beziehung zueinander stehen [6]. Zu den Stärken von AR gehören die in Echtzeit interpretierten Informationen über die Umgebung des Benutzers und die einfache Darstellung dieser Umgebung. Durch die Überlagerung der digitalen Informationen mit der realen Umgebung kann z.B. eine Bedienungsanleitung auf dem Display angezeigt werden, ohne das zu nutersuchende Objekt aus den Augen zu verlieren. Weitere Stärken von AR sind die papierlose Bereitstellung großer Informationsmengen und die Möglichkeit, zusätzliche Geräte an das System anzuschließen. Viele dieser Stärken variieren je nach Anwendungsbereich. Ein solcher Anwendungsbereich ist die Brückeninspektion. Um die Stärken von AR bestmöglich zu nutzen, führten Moreu et al. [5] Interviews mit Interessenvertretern durch, um das Potenzial zur Erkennung, Analyse und Hervorhebung von Schäden an einer Brücke für den Inspektor vor Ort aufzuzeigen. Salamak & Januszka [3] stellen ein Konzept vor, wie ein AR-Brückeninspektionstool unter Verwendung eines HMD implementiert werden kann. Das vorgeschlagene System würde es den Inspektoren ermöglichen, Videos und Bilder von Schäden aufzunehmen und über ein visuelles Overlay zu interessanten Punkten geführt zu werden. Damit das System funktioniert, wäre ein digitales Modell der Brücke erforderlich. Riedlinger et al. [7] stellen einen weiteren Ansatz vor, bei dem ein digitales Modell verwendet wird, um den Prozess der Brückeninspektion mithilfe von AR zu verbessern und gleichzeitig sowohl die Vorbereitungsals auch die Nachbearbeitungsphase mithilfe von Virtual Reality zu optimieren. Da eine manuelle Inspektion in kleinen Zeitabständen nicht immer gewährleistet werden kann, hat sich die Forschung auf die bildverarbeitungsbasierte Automatisierung der Schadenserkennung konzentriert, die nicht nur eine häufigere, sondern auch eine zeit- und kosteneffizientere Überwachung und Inspektion ermöglichen würde. Die bildbasierte Erkennung von Betonschäden stellt jedoch eine große Herausforderung dar: Bilder von Brücken können inter- und intrakategorische Unterschiede bei den Schäden, Rauschelemente wie Graffiti, Pflanzen, Insekten, Müll, Verfärbungen, unterschiedli- 5. Brückenkolloquium - September 2022 109 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen che Lichtverhältnisse usw. enthalten. Es gibt bereits KIbasierte Methoden zur Erkennung von Schäden in Bildern, wie z. B. Support-Vektor-Maschinen [8], neuronale Netze [9], [10] und k-nearest neighbor [11]. Die Veröffentlichung von Krizhevsky et al. [12] und die jüngste Steigerung der GPU-Leistung, rückten das maschinelle Lernen in den Fokus der bildbasierten Schadenserkennung. Insbesondere die Verwendung von Convolutional Neural Networks (CNNs) führte zu guten Ergebnissen bei der Bilderkennung. In der Folge wurden CNNs als Basisarchitektur für die meisten auf maschinellem Lernen basierenden Methoden der Schadenserkennung verwendet. Diese Entwicklung wurde insbesondere durch die Einführung fortschrittlicher Erkennungsmethoden begünstigt. Dies sind insbesondere Bounding-Box-Objekterkennungsmethoden [13], semantische Segmentierungsmethoden [14] und Instanzsegmentierungsmethoden [15]. Karaaslan et al. [4] stellen ein AR-System vor, das eine künstliche Intelligenz (KI) verwendet und mit einem Strukturinspektor zusammenarbeitet, um Schäden an der Brückenstruktur zu identifizieren. Die vorgeschlagene AR-Anwendung wird während der Brückeninspektion auf einem HMD ausgeführt, auf dem auch die KI implementiert ist. Die KI kann u. a. Risse und Abplatzungen erkennen und die Größe dieser Schäden erfassen. Erkannte Schäden werden dem Bauwerksinspektor auf dem HMD durch eine virtuelle Überlagerung der realen Schäden angezeigt. Um Schäden an einem Brückenmodell zu lokalisieren und abzurufen, muss eine Form der Lokalisierung des Geräts und der erfassten Schäden durchgeführt werden. Das Lokalisierungsproblem ist ein Begriff aus der Robotik, der die Aufgabe beschreibt, die Pose eines Geräts (Position und Rotation) aus der Umgebung zu bestimmen. Die Pose kann auf ein Modell oder eine bereits besuchte Umgebung bezogen sein. Dieses Problem wird in der Literatur auch als „Kidnapped-Robot-Problem“ bezeichnet, bei dem ein Roboter nach dem Aufwachen in einer bekannten Umgebung seine eigene Position herausfinden muss. Die bekannteste Lokalisierungsmethode ist GPS, wobei die Position mithilfe eines Satellitennetzes bestimmt wird. Die Orientierung wird bei einem solchen System in der Regel durch ein Gyroskop und einen Kompass bestimmt. GPS kann zwar überall auf der Welt eingesetzt werden, seine Genauigkeit ist jedoch auf wenige Meter begrenzt. In geschlossenen Räumen, Tunneln oder Straßenschluchten kann sich die Genauigkeit weiter verringern. Nichtsdestotrotz kann es im Freien für Visualisierungen mit einem AR-Gerät verwendet werden [16]. Eine weitere Methode zur Lokalisierung sind lokale Signalstationen wie RFID- oder WiFi-Verteiler. Anhand der Signalstärke der verschiedenen Verteiler kann die Position eines Geräts mit einer Genauigkeit von weniger als einem Meter bestimmt werden [17]. Diese Methode setzt jedoch voraus, dass das Gebiet von einem Netz solcher Verteiler abgedeckt ist und das Netz entsprechend kalibriert wurde. Eine Möglichkeit, die Lokalisierung ohne externe Sensoren durchzuführen, ist die geometrische Lokalisierung. AR-Geräte können räumliche Kartierungstechniken (Structure-from- Motion, Tiefenkameras) verwenden, um die Geometrie ihrer Umgebung zu bestimmen und diese mit bestehenden Geometrien abzugleichen. Dazu gehören Ansätze wie der Punktwolkenabgleich [18] oder der Grundrissabgleich [19]. Diese Methoden können sehr genaue Posen bestimmen, sind aber an Orten mit sich wiederholender oder selbstähnlicher Geometrie unzuverlässig. In den letzten Jahren wurde auch verstärkt an KI-basierten Lokalisierungsmethoden geforscht. Mithilfe von CNNs kann ein Netzwerk eine Zuordnung zwischen Bildern und Posen erlernen [20]. Solche Ansätze haben in der Regel eine Genauigkeit von ein bis drei Metern und sind effizient in der Ausführung, aber für das Training ist eine beträchtliche Menge an Daten erforderlich. 3. Methodik Um mögliche Funktionen für das vorgeschlagene Brückenprüfsystem zu ermitteln, wurde eine Anforderungsanalyse durchgeführt. Im Zuge der Anforderungsanalyse wurde eine detaillierte Analyse des Brückenprüfungsablauf nach DIN 1076 [1], [21] durchgeführt, um entscheidende Prozessschritte innerhalb des Workflows zu identifizieren, die potenziell durch den Einsatz von AR oder KI optimiert werden könnten. Das Vorgehen bei der Anforderungsanalyse folgt den Prinzipien des Requirements Engineering und berücksichtigt Anforderungen, die sich aus dem Ablauf des Bauwerksprüfprozesses ergeben. Darüber hinaus wurden Interviews mit Bauaufsichtsbeamten verschiedener Unternehmen und aus unterschiedlichen Bereichen geführt. Die Befragten wurden aufgrund ihrer Erfahrung mit dem Prüfverfahren ausgewählt. Insgesamt wurden fünf Personen befragt, von denen drei auf die Instandhaltung von Brücken spezialisierte Bauwerksprüfer und zwei Projektleiter bei öffentlichen Auftraggebern für Infrastruktur sind. Die Interviews basierten auf der oben erwähnten detaillierten Analyse der DIN 1076 und wurden in einheitlicher Weise durchgeführt, wobei jeder Teilnehmer einen Überblick über das zugrundeliegende Projekt erhielt. Die Teilnehmer wurden nur gefragt, ob ein bestimmter Prozessschritt von einem AR- oder KI-Unterstützungssystem profitieren würde. Jeder einzelne Prozessschritt wurde gemeinsam besprochen, um genaue Anknüpfungspunkte für die zu entwickelnde AR-Anwendung und den Einsatz der unterstützenden KI zu identifizieren. Die Interviews dauerten jeweils eine Stunde und wurden online durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Interviews flossen in die Formulierung der notwendigen Anforderungen an das vorgeschlagene AR/ KI- Konzept ein. 110 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen Abb. 1: Neuer Brückenprüfungsablauf für das BISS Zusätzlich wurde eine Hardware-Analyse durchgeführt, um mögliche Kombinationen verschiedener Geräte zu ermitteln. In dieser Analyse werden die Geräte nach ihrem Potenzial zur Visualisierung und Verarbeitung von Daten, ihrer Benutzerfreundlichkeit und anderen Kriterien zur Unterstützung eines Bauwerkprüfers vor Ort bewertet. Auch die Kosten, die Verfügbarkeit, und die Akkulaufzeit der Geräte werden berücksichtigt. Um den in dieser Arbeit zu entwickelnden angepassten AR-gestützten Brückenprüfungsablauf zu spezifizieren, fließen diese Anforderungen in den anschließenden Konzeptionsvorschlag ein. 4. Ergebnisse Der folgende Abschnitt gliedert sich in die Ergebnisse der Experteninterviews, die Ergebnisse der Hardwareanalyse, und das vorgeschlagene System. 4.1 Ergebnisse der Experteninterviews Die detaillierte Analyse der einzelnen Prozessschritte des Brückenprüfablaufs nach DIN 1076 [1], [21] bietet verschiedene Ansatzpunkte für eine mobile AR-Anwendung mit integrierter KI zur Unterstützung des Prüfprozesses. In den Interviews wird ein Mehrwert für den Einsatz der neuen digitalen Technologien in der Reduzierung des Aufwands, insbesondere des manuellen Aufwands bei der Bereitstellung der Dokumente vor Ort, gesehen. Die automatische Hervorhebung von Schäden bei der Aufnahme und der direkte Vergleich mit früheren Zustandsdaten wird als Effizienzsteigerung genannt. Eine Bewertungsempfehlung als Leitfaden für die Schadensbeurteilung durch den Inspektor und die abschließende Bauzustandsnote könnte die Genauigkeit ebenfalls verbessern. Je nach Ausmaß und Größe des Schadens werden gemeinsame Bewertungsstufen vorgeschlagen. Auch die Zusammenführung und Auswertung der erfassten Daten für eine standardisierte Dokumentation wird als vielversprechend angesehen. Die Lokalisierung der Schäden am Bauwerk spielt bei der Schadensdokumentation eine große Rolle. Die KI soll vorhandene Schadensmuster identifizieren und Veränderungen seit der letzten Inspektion in der AR-Anwendung visualisieren. Obwohl es innerhalb des Brückenprüfablaufs noch weitere potenzielle Interessenspunkte gibt, wurden die oben genannten Schritte als die vielversprechendsten identifiziert. 4.2 Ergebnisse der Hardwareanalyse In diesem Beitrag werden zwei verschiedene technische AR-Systeme verwendet: ein AR-Tablet, das auf Googles ARCore basiert, und ein Trimble XR10-System mit einer angeschlossenen Microsoft HoloLens 2. Das Trimble XR10 System mit HoloLens 2 wurde speziell für den Einsatz in Bereichen mit erhöhten Sicherheitsanforderungen wie Baustellen, Offshore-Anlagen oder Bergbau entwickelt und entspricht dem AN-SI/ ISEA Industriestandard. Mehrere mobile AR-Geräte mit unterschiedlichen Betriebssystemen (Apple, Google, Microsoft) wurden evaluiert. Es wurden mehrere Konzepte für die Konfiguration eines Zwei-Geräte-Ansatzes untersucht: Tablet/ Tablet, Tablet/ HMD und HMD/ HMD. Die Tablet-/ Tablet-Konfiguration ist eine kostengünstige und robuste Methode, welche die analoge Arbeit auf Papier durch digitale Arbeit auf einem Tablet ersetzen soll. Die Akzeptanz und Erfahrung mit der Hardware ist in der Bevölkerung hoch, was die Umschulung vereinfacht. Eine erweiterte AR-Immersion ist mit dieser Konfiguration jedoch nicht möglich. Dies steht im Gegensatz zur HMD/ HMD-Konfiguration, bei der beide Brückenprüfer ein am Kopf getragenes AR-Gerät verwenden, um die Brückenprüfung durchzuführen. Diese Kombination würde viele innovative Interaktionen ermöglichen, wie immersive AR und Multi-User-Räume. Da es sich bei AR-HMDs jedoch um eine sehr neue Technologie handelt, ist für die Verwendung solcher Geräte eine umfangreiche Schulung erforderlich, und die Akzeptanz der Benutzer ist geringer. Darüber hinaus sind präzise Eingaben, wie das Tippen oder Bedienen eines Bauplans, mit einem HMD komplexer und insgesamt langsamer. 5. Brückenkolloquium - September 2022 111 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen Abb. 2: Datenauf bau innerhalb des ICDD-Containers Aus diesen Gründen wurde das Tablet/ HMD-Konzept gewählt, da es die Vorteile der oben genannten Konfigurationen vereint und gleichzeitig die Nachteile minimiert, indem es eine robuste Anwendung mit innovativen Methoden kombiniert. Die Dateneingabe und das Nachschlagen von vorhandenen Daten erfolgt auf dem Tablet, während die Datenerfassung und Visualisierung mit dem HMD erfolgt. Bei der Entwicklung wird darauf geachtet, die Kopplung zwischen den Geräten so flexibel wie möglich zu halten, damit das Hardwarekonzept in Zukunft leicht erweitert oder verändert werden kann. So soll beispielsweise nicht für jede Inspektion ein HMD notwendig sein, sondern ein einziges Tablet ausreichen. Dies würde einen flexiblen Einsatz der neuen Technologien ermöglichen. 4.3 Bridge Inspection Support System Basierend auf der Anforderungsanalyse erfolgt die detaillierte Spezifikation der zu implementierenden Funktionseinheiten der Anwendung zur Bauwerksprüfung im Brückenbau, fortan Bridge Inspection Support System (BISS) genannt. Im Folgenden wird auf den vorgesehenen Prozess des neuen Systems, die Systemarchitektur, die Visualisierung der Daten mittels AR, und die Mensch-Maschine-Interaktion mit dem BISS eingegangen. Für eine Brückenprüfung mit dem BISS ist eine Anpassung an das herkömmliche Verfahren notwendig. Zu diesem Zweck wird ein neuer Brückenprüfungsablauf entworfen, das den Einsatz des BISS integriert (Abb. 1). Der angepasste Prozess beginnt in der Datenschicht. Diese Schicht enthält die Bestandsdatenbank mit Informationen über den aktuellen Zustand des zu inspizierenden Bauwerks, z. B. einer Brücke, sowie Informationen über vergangene Inspektionen und deren erfasste Schäden. Um mit der bestehenden Bauwerksdatenbank kompatibel zu sein, wird eine zweite Datenbank für zusätzliche Informationen verwendet, die mithilfe des neuen Arbeitsablaufs gesammelt werden. Die Mesh-Datenbank enthält 3-D-Daten über aufgezeichnete Schäden aus vergangenen Brückeninspektionen und deren Umgebungsdaten, die später für die Relokalisierung von Schäden verwendet werden. Die Meshes werden im offenen glTF- Dateiformat gespeichert, während die Relokalisierungsdaten in einem proprietären Dateiformat gespeichert werden, das von der Microsoft HoloLens verwendet wird. Aus beiden Datenbanken werden die Brückendaten zu Beginn der Brückeninspektion aus der Datenebene auf einen Bürorechner importiert. Die vom Desktop-Computer aus den Datenbanken importierten Daten enthalten alle Daten über das zu prüfende Bauwerk, d. h. Baupläne, dokumentierte Schäden aus früheren Inspektionen, Umgebungsmeshes zu den Schäden, falls vorhanden, Beschreibungen und Bewertungen der dokumentierten Schäden, und andere für die Bauwerksprüfung erforderliche Daten. Der Datenprüfer bereitet die Vor-Ort Begehung in der Regel wie in der ersten Phase der DIN 1076 beschrieben vor (z. B. Einholung von Genehmigungen, Festlegung von Inspektionsterminen, usw.). Die erforderlichen Daten werden dann mit der BISS-Anwendung auf das für die Brückenprüfung verwendete Tablet übertragen. Ist dies geschehen, kann die Brückenprüfung vor Ort beginnen. Während der Brückenprüfung vor Ort verwendet der Dateninspektor, der Prüfer der für die Datenverwaltung zuständig ist, die BISS-Anwendung auf dem Tablet und der visuelle Inspektor, der die Schäden identifiziert und aufnimmt, das HMD. Dabei sendet der Daten- 112 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen inspektor die relevanten Bauwerksinformationen über das Tablet an das HMD des visuellen Inspektors. Anhand der vom Tablet empfangenen Daten kann der visuelle Inspektor das Bauwerk auf Schäden überprüfen. Dem Inspektor stehen mehrere Funktionen des BISS auf dem HMD zur Verfügung, die ihm bei der Bewertung der festgestellten Schäden helfen. Dokumentierte Schäden von früheren Inspektionen können mit der Relokalisierungsfunktion der HoloLens visualisiert werden. Neu entdeckte Schäden können aufgezeichnet und kategorisiert werden, einschließlich der aktuellen Position und der umgebenden Geometrie. In der zukünftigen Forschung können diese Schäden auch durch eine integrierte KI hervorgehoben werden, die in der Lage sein wird, Schäden automatisch zu markieren und zu kategorisieren. Wie in Abb. 1 zu sehen ist, besteht die Datenschicht des BISS aus unabhängigen Datenbanken. Die aktuellen Zustandsdaten für Brückenbauwerke werden in den Datenbanken gespeichert. Die für eine Brückenprüfung benötigten Daten werden über die von den Datenbanken bereitgestellten REST-Schnittstellen abgerufen. Dazu greift der Dateninspektor über die Desktop-Komponente auf die Datenbanken zu und kann so die Pläne, die bereits dokumentierten Schadensbilder sowie Beschreibungen und Bewertungen herunterladen und auf bereiten. Die auf bereiteten Daten werden dann über eine DIN SPEC 91391-2 konforme REST-API an die ICDD-Komponente übergeben und, sofern vorhanden, mit den Umgebungsmeshes, Relokalisierungs-Ankerpunkten, und Schadensmasken verknüpft und in einem Container abgelegt. Der Information Container for linked Document Delivery (ICDD) [22], veröffentlicht in der internationalen Norm ISO 21597-1, führt eine Datenstruktur ein, die die Verknüpfung von mit einem Container verknüpften Dokumenten unter Verwendung semantischer Webtechnologien ermöglicht [23]. Die Spezifikation DIN SPEC 91391-2 (bekannt als openCDE) kann verwendet werden, um den Austausch und den Zugriff auf verschiedene Arten von Informationscontainern zu ermöglichen [24]. Sie definiert Anforderungen für die Entwicklung einer offenen Web-API für die Speicherung, Verwaltung und Verteilung dieser Container. Die vom Dateninspektor in der ICDD-Plattform gespeicherten Daten der Brückeninspektion können in der Tablet-Komponente über die von der Büroanwendung bereitgestellte openCDE-API in Form eines ICDD-Containers heruntergeladen werden. Während der Brückenprüfung werden die vom visuellen Inspektor über die HMD-Komponente erfassten Schäden direkt an den Dateninspektor in der Tablet-Komponente zurückgespielt. Der Dateninspektor wertet die übermittelten Schäden aus und finalisiert diese. Abb. 2 zeigt den genauen Auf bau der Daten innerhalb des ICDD-Containers. Nach Abschluss einer Brückeninspektion werden die Bestandsdaten und die neu erfassten Schäden und Berichte wiederum in einem ICDD-Container gespeichert und über die openCDE-API zurück an die ICDD-Plattform übertragen. Von hier aus können die bei der Vor-Ort-Inspektion neu erfassten Daten dann mithilfe der Desktop- Komponente über die REST-Schnittstelle in die Datenbanken übertragen werden. Der Austausch von Daten innerhalb von BISS erfolgt dateibasiert. Die Verknüpfung der verwendeten Daten erfolgt über die in der ICDD- Plattform implementierten semantischen Webtechnologien. Eine Übersicht über die vorgeschlagene Systemarchitektur ist in Abb. 3 zu sehen. Abb. 3: BISS Systemarchitektur3 5. Brückenkolloquium - September 2022 113 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen Um die Schadenshistorie bei späteren Inspektionen visualisieren zu können, müssen die erfassten Informationen ortsbezogen gespeichert werden. AR-Geräte verwenden dazu sogenannte Ankerpunkte: Punkte im AR-Raum, die bestimmten Umgebungsmerkmalen im realen Raum zugeordnet sind. Ein Ankerpunkt speichert zum Beispiel lokale Bildinformationen oder die lokale Geometrie der Umgebung (in Form von Punktwolken oder Meshes). Beim Betreten eines Ortes, der bereits bei einer früheren Inspektion besucht wurde, vergleicht das AR-Gerät die Umgebung mit der Liste der gespeicherten Ankerpunkte. Wenn eine Übereinstimmung gefunden wird, kann der Ankerpunkt an der erkannten Stelle platziert werden, wodurch der AR-Raum der vorherigen Inspektion und der reale Raum der aktuellen Inspektion wieder zusammengeführt werden. Das BISS speichert mindestens einen Ankerpunkt pro Schaden. Es wäre zwar möglich, nur einen einzigen Ankerpunkt zu verwenden, von dem aus alle Schäden positioniert werden, aber die Genauigkeit der Lokalisierung nimmt ab, je weiter das Gerät von diesem Ankerpunkt entfernt ist. Stattdessen wird ein elastisches Netz von Ankerpunkten gebildet, dass die Positionierungsfehler zwischen den Ankerpunkten abmildern soll. Jedem erfassten Schaden wird ein Ankerpunkt zugewiesen, der einen Knoten im Netz bildet. Dieses Netz von Ankerpunkten wird am Ende einer Inspektion aus dem Gerät exportiert und in der Datenbank gespeichert, wobei pro Brücke ein Ankernetz verwaltet wird. Dies ermöglicht auch die Übertragung von Ankerpunkten auf andere Geräte. Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Entwicklung neuer Software, insbesondere bei neueren Technologien wie AR und der Verwendung neuer Hardware wie HMDs, ist die Benutzerfreundlichkeit der neuen Software. Der Aspekt der Benutzerfreundlichkeit hat auch einen direkten Einfluss auf die Akzeptanz der neuen Software durch die Benutzer. Aus diesem Grund wurde ein einfaches und intuitives Mensch-Maschine-Interaktionskonzept für die beiden verwendeten Systeme, das Tablet und die Holo- Lens, entwickelt. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den unterschiedlichen Interaktionsmethoden der Holo- Lens und den Benutzeroberflächen der beiden Geräte, mit denen der Nutzer interagiert. Die HoloLens bietet dem Benutzer mehrere Möglichkeiten, mit ihr oder ihrer Oberfläche zu interagieren. Die beiden am häufigsten verwendeten Interaktionsmöglichkeiten sind die Sprachsteuerung und die Gestensteuerung. Bei der Sprachsteuerung überträgt der Nutzer Befehle per Stimme an das HoloLens-Gerät; meist wird dies durch vorgegebene Schlüsselwörter initiiert. Bei der Gestensteuerung werden die Hände als Eingabemethode verwendet. Dabei können verschiedene Handgesten genutzt werden, um Befehle an die HoloLens weiterzugeben, zum Beispiel durch Winken oder Zeigen. Eine Unterkategorie der Gestensteuerung ist die Verwendung eines virtuellen Touch-Interfaces, das virtuelle Schaltflächen und Bedienelemente bereitstellt. Des Weiteren ist zu erwähnen, dass das Sichtfeld der HoloLens kleiner ist als das Sichtfeld des Nutzers, was bedeutet, dass die Informationen meist in der Mitte des Sichtfeldes des Nutzers angezeigt werden. Aus diesem Grund sollte bei der Platzierung von Schnittstellenkomponenten besonders darauf geachtet werden, dass der Nutzer nicht überfordert wird oder sein Sichtfeld verdeckt wird. Das vorgeschlagene Konzept besteht aus einer Kombination von Gestensteuerung und virtuellen Eingabeelementen. Durch diese Kombination kann eine fehlerfreie und einfache Bedienung gewährleistet werden. Darüber hinaus können die Vorteile beider Methoden weiter ausgebaut werden. Durch den Einsatz der reinen Gestensteuerung kann das Blickfeld des visuellen Inspektors bei der Brückenprüfung freigehalten werden und zusätzliche Informationen werden nur dann angezeigt, wenn sie benötigt werden. Darüber hinaus bieten die virtuellen Eingabeelemente einfache Bedienelemente für die Erfassung von Bauschäden, wenn diese benötigt werden. Während der Erfassung von Bauschäden werden zur besseren Übersicht nur die benötigten Informationen und Eingabeelemente angezeigt. Diese sind an das Sichtfeld des visuellen Inspektors gebunden, so dass der visuelle Inspektor beim Umschauen die Eingabeelemente nicht aus den Augen verliert. Sobald der visuelle Inspektor die Eingabe der benötigten Informationen beendet hat, werden die für diese Eingabe relevanten Eingabeelemente ausgeblendet, bis sie wieder benötigt werden. So hat der visuelle Inspektor jederzeit ein möglichst klares Sichtfeld. Bei Beginn der Bauwerksprüfung mit der HoloLens sieht der visuelle Inspektor zuerst ein komplett freies Interface ohne störende Interfaceelemente, um Schäden besser erkennen zu können. Mit dem Drehen der Handfläche nach oben, wird ein Kontextmenü geöffnet. Welche Hand zum Öffnen des Kontextmenüs genutzt wird spielt keine Rolle, da das Kontextmenü über beide Hände auf diese Weise geöffnet werden kann. Das Kontextmenü ist an die gedrehte Hand geankert, sodass das Menü der Handbewegung folgt, solange diese in der zuvor genannten „Handfläche nach oben“-Position verbleibt (Abb. 4). Wird die Hand wieder umgedreht, wird auch das Kontextmenü wieder geschlossen. Abb. 4: Öffnen der HoloLens Menüführung Über das Kontextmenü können das Schadensaufnahmemenü (Abb. 5), sowie die KI aufgerufen werden. Das Schadensaufnahmemenü bietet Werkzeuge zur Dokumentation von identifizierten Schäden am untersuchten Bauwerk. Hierzu gehören die Angaben des Schadentyps, 114 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen die Schadensbewertung über SVD, und die Aufnahme eines Fotos. Die so dokumentierten Daten können anschließend an die Tablet-Anwendung gesendet werden. Einige Interaktionen, wie z. B. die Auswahl von Strukturkomponenten oder die Anzeige von Strukturzeichnungen, würden eine größere Anzeigefläche erfordern und möglicherweise das gesamte Sichtfeld des Benutzers verdecken. Außerdem kann die Navigation in langen Listen von Bauteilen oder Bauwerkzeichnungen schwierig sein. Um dieses Problem zu umgehen, werden diese Interaktionen auf das Tablet des Dateninspektors ausgelagert. Abb. 5: Virtuelles Schadensaufnahmemenü der Holo- Lens Anwendung Die Tablet-Anwendung kann, wie jede herkömmliche mobile Anwendung, über das Hauptmenü des Tablets gestartet werden. Nach dem Starten und Einloggen der BISS-Anwendung erhält der Nutzer ein Menü zur Auswahl von den auf dem Gerät gespeicherten Brückeninspektionsdatensets. Hierbei muss die Brücke ausgewählt werden, für die die Inspektion durchgeführt werden soll. Nach der Auswahl des Bauwerks wird eine Übersicht der Baupläne angezeigt (Abb. 6). Über eine Schaltfläche können neue Schäden eingetragen werden. Bereits eingetragene Schäden von vorherigen Begehungen sind auf den Plänen markiert und können hier angewählt werden. Zudem wird ein Suchfilter zur Verfügung gestellt, um genauer nach bestimmten Bauteilen, Plänen, oder Schäden zu suchen. Bei Auswahl eines Filters werden nur passende Bauteile in der Liste angezeigt. Abb. 7 zeigt die Nutzeroberfläche für die Dokumentation von Neuschäden oder die Aktualisierung von Altschäden. Über diese Nutzeroberfläche können alle Informationen des Schadens eingetragen werden. Hierzu gehören unter anderen das Bauteil, an dem sich der Schaden befindet, die Schadensart, eine Kurzbeschreibung des Schadens und der ASB-ING Schlüssel. Weiter können Bilder des Schadens aufgenommen und eine präzisere Beschreibung des Schadens hinzugefügt werden. Eine Bewertung über die Standsicherheit, Verkehrssicherheit, und Dauerhaftigkeit ist ebenfalls vorgesehen. Sobald alle Daten eingetragen wurden, kann der Dateninspektor den Schaden speichern. Der so dokumentierte Schaden wird anschließend in der Liste der Schäden des zugehörigen Bauteils angezeigt. Abb. 6: Bauplan-Übersichtsanzeige der Tablet-Anwendung 5. Brückenkolloquium - September 2022 115 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen Abb. 7: Schadensaufnahmemenü der Tablet-Anwendung Abb. 8: Importmenü für das Importieren von gesendeten Daten der HoloLens 116 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen Alternativ kann der Vorgang der Schadensaufnahme über einen HoloLens-Import (XR-Import) gestartet werden (Abb. 8). In dem XR-Import-Reiter werden alle vom visuellen Inspektor aufgenommenen und verschickten Schäden der HoloLens an das Tablet angezeigt. Hier kann ein aufgenommener Schaden weiter dokumentiert und finalisiert werden, da der visuelle Inspektor, aufgrund von eingeschränkten Interaktionsmöglichkeiten der HoloLens, nicht alle Daten angeben kann. Um den Schaden in der Tablet-Anwendung aufzunehmen, muss zunächst das dazugehörige Bauteil zugeordnet werden und anschließend der Schaden über die Nutzeroberfläche importiert werden. Die so importierten Schadensdaten werden in die Schadensdokumentation-Nutzeroberfläche eingetragen. Hierbei werden alle Daten, die bereits auf der HoloLens erfasst wurden, in den dafür vorgesehenen Felder eingetragen, sodass nur noch die fehlenden Daten ergänzt werden müssen. Der Rest des Vorganges verläuft analog zu dem Vorgang der neuen Schadensaufnahme. 5. Fazit In diesem Beitrag wurde untersucht, wie der bestehende Prozess für Brückenprüfungen strukturiert ist und welche Potenziale für die Digitalisierung durch computergestützte Prozesse und neue Technologien bestehen. Darauf auf bauend wurde ein digitalisiertes Zwei-Geräte-Verfahren für Brückenprüfer zur Unterstützung des Prüfprozesses bei der Bewertung und Dokumentation von Schäden entwickelt, das Kombinationen aus KI- und MR-Technologien einsetzt. Die Hardware-Anforderungen wurden untersucht und geeignete Technologien definiert. Es wurde ein Konzept in Form einer Tablet-Anwendung auf dem Android-Betriebssystem und einer AR-Anwendung auf der Microsoft HoloLens entwickelt. Die vorgeschlagene Zwei-Geräte-Konfiguration nutzt die Vorteile der AR- Technologien (Immersion, Freihandnutzung) und mildert gleichzeitig die Nachteile (komplexe Bedienung, Nutzerakzeptanz). Das System soll es ermöglichen, Schäden digital zu beschriften und zu lokalisieren. Eine Schadenshistorie für jedes Bauteil kann eingesehen werden, um die Entwicklung und Veränderungen seit früheren Schadensinspektionen mithilfe der integrierten KI zu überwachen. Über räumliche Ankerpunkte können früher erfasste Schäden leicht abgerufen und zum Vergleich mit dem aktuellen Zustand eingeblendet werden. In einem nächsten Schritt wird ein Demonstrator entwickelt, der das vorgesehene Konzept beinhaltet. Es werden Tests durchgeführt, um die optimale Methode der Kommunikation zwischen den beiden Geräten vor Ort zu überprüfen. Besonderes Augenmerk wird auf die Modularität, Belastbarkeit, und Benutzerfreundlichkeit des Systems gelegt. Die trainierten KI-Netzwerke werden für den Einsatz vorbereitet und in die Geräte integriert. Darüber hinaus werden das Verfahren und der Demonstrator von Fachleuten anhand einer Aufwand-Nutzen-Analyse bewertet. 6. Danksagung Dieser Beitrag basiert auf Teilen des Forschungsprojekts, das im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr und seines Expertennetzwerks „Wissen - Können - Handeln“, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, im Rahmen des Forschungsprojekts FE-Nr. 69.0006/ 2020 durchgeführt wurde. Die Verantwortung für den Inhalt liegt allein bei den Autoren. Wir bedanken uns bei den Mitgliedern des Betreuerkreises für ihre hilfreichen Hinweise und Rückmeldungen. Literatur [1] DIN 1076: 1999-11, ‘Ingenieurbauwerke im Zuge von Strassen und Wegen - Überwachung und Prüfung’, Beuth Verlag GmbH, 1999. doi: 10.31030/ 8499929. [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, ‘RI-EBW-PRÜF’, 2017. [3] M. Salamak and M. Januszka, ‘BrIM bridge inspections in the context of Industry 4.0 trends’, in Maintenance, Safety, Risk, Management and Life-Cycle Performance of Bridges, CRC Press, 2018, pp. 2260-2267. doi: 10.1201/ 9781315189390-307. [4] E. Karaaslan, U. Bagci, and F. N. Catbas, ‘Artificial Intelligence Assisted Infrastructure Assessment using Mixed Reality Systems’, Transp. Res. Rec. J. Transp. Res. Board, vol. 2673, no. 12, pp. 413-424, Dec. 2019, doi: 10.1177/ 0361198119839988. [5] F. Moreu, C. Lippitt, D. Maharjan, M. Aguero, and X. Yuan, ‘Augmented Reality Enhancing the Inspections of Transportation Infrastructure: Research, Education, and Industry Implementation’, Transportation Consortium of South-Central States, Aug. 2019. [6] R. T. Azuma, ‘A survey of augmented reality’, Presence Teleoperators Virtual Environ., vol. 6, no. 4, pp. 355-385, 1997. [7] U. Riedlinger et al., ‘Supporting Bridge Inspectors with Interactive Mixed Reality Visualizations of BIM Process and Geometry Data’, in Proceedings of the International Bridge Conference 2021, Jun. 2021. [8] Z. Liu, S. A. Suandi, T. Ohashi, and T. Ejima, ‘Tunnel crack detection and classification system based on image processing’, in Machine Vision Applications in Industrial Inspection X, Mar. 2002, vol. 4664, pp. 145-152. doi: 10.1117/ 12.460191. [9] R. Oullette, M. Browne, and K. Hirasawa, ‘Genetic algorithm optimization of a convolutional neural network for autonomous crack detection’, in Proceedings of the 2004 Congress on Evolutionary Computation, Jun. 2004, vol. 1, pp. 516-521. doi: 10.1109/ CEC.2004.1330900. [10] H. C. S. Rughooputh, S. D. D. V. Rughooputh, and J. M. Kinser, ‘Automatic inspection of road surfaces’, in Machine Vision Applications in Industrial Inspection VIII, Mar. 2000, vol. 3966, pp. 349-356. doi: 10.1117/ 12.380090. 5. Brückenkolloquium - September 2022 117 Ansatz für künstliche Intelligenz und Mixed Reality zur Optimierung des Arbeitsablaufs bei Brückeninspektionen [11] M. S. Kaseko, Z.-P. Lo, and S. G. Ritchie, ‘Comparison of Traditional and Neural Classifiers for Pavement-Crack Detection’, J. Transp. Eng., vol. 120, no. 4, pp. 552-569, Jul. 1994, doi: 10.1061/ (ASCE)0733-947X(1994)120: 4(552). [12] A. Krizhevsky, I. Sutskever, and G. E. Hinton, ‘ImageNet classification with deep convolutional neural networks’, Commun. ACM, vol. 60, no. 6, pp. 84-90, May 2012, doi: 10.1145/ 3065386. [13] R. Girshick, J. Donahue, T. Darrell, and J. Malik, ‘Rich Feature Hierarchies for Accurate Object Detection and Semantic Segmentation’, in Proceedings of the IEEE Conference on Computer Vision and Pattern Recognition (CVPR), Jun. 2014. [14] J. Long, E. Shelhamer, and T. Darrell, ‘Fully Convolutional Networks for Semantic Segmentation’, in Proceedings of the IEEE Conference on Computer Vision and Pattern Recognition, 2015, pp. 3431-3440. [15] B. Hariharan, P. Arbeláez, R. Girshick, and J. Malik, ‘Simultaneous Detection and Segmentation’, in Computer Vision - ECCV 2014, Cham, 2014, pp. 297-312. doi: 10.1007/ 978-3-319-10584-0_20. [16] G. Schall et al., ‘Handheld Augmented Reality for underground infrastructure visualization’, Pers. Ubiquitous Comput., vol. 13, no. 4, pp. 281-291, May 2009, doi: 10.1007/ s00779-008-0204-5. [17] K. Chintalapudi, A. Padmanabha Iyer, and V. N. Padmanabhan, ‘Indoor localization without the pain’, in Proceedings of the sixteenth annual international conference on Mobile computing and networking, New York, NY, USA, Sep. 2010, pp. 173-184. doi: 10.1145/ 1859995.1860016. [18] M. Bueno, F. Bosché, H. González-Jorge, J. Martínez-Sánchez, and P. Arias, ‘4-Plane congruent sets for automatic registration of as-is 3D point clouds with 3D BIM models’, Autom. Constr., vol. 89, pp. 120-134, May 2018, doi: 10.1016/ j.autcon.2018.01.014. [19] P. Herbers and M. König, ‘Indoor Localization for Augmented Reality Devices Using BIM, Point Clouds, and Template Matching’, Appl. Sci., vol. 9, no. 20, p. 4260, Jan. 2019, doi: 10.3390/ app9204260. [20] F. Walch, C. Hazirbas, L. Leal-Taixe, T. Sattler, S. Hilsenbeck, and D. Cremers, ‘Image-Based Localization Using LSTMs for Structured Feature Correlation’, in Proceedings of the IEEE International Conference on Computer Vision, 2017, pp. 627-637. [21] DIN 1076, ‘Bauwerksprüfung nach DIN 1076. Bedeutung, Organisation, Kosten’, 2013. [22] L. Höltgen, F. Cleve, and P. Hagedorn, ‘Implementation of an Open Web Interface for the Container-based Exchange of Linked Building Data’, in 32. Forum Bauinformatik 2021, Darmstadt, Germany, 2021, p. 9. doi: 10.26083/ tuprints-00019496. [23] EN ISO 21597-1, ‘Information container for linked document delivery - Exchange specification - Part 1: Container’, 2020. [24] DIN SPEC 91391-1: 2019-04, ‘Gemeinsame Datenumgebungen (CDE) für BIM-Projekte - Funktionen und offener Datenaustausch zwischen Plattformen unterschiedlicher Hersteller - Teil 1: Module und Funktionen einer Gemeinsamen Datenumgebung’, Beuth Verlag GmbH, 2019. doi: 10.31030/ 3044838. 5. Brückenkolloquium - September 2022 119 Brückeninspektion: Datenerfassung, -prozessierung & -analyse - ein moderner Ansatz DI Gerald Fuxjäger Vermessung ADP Rinner ZT GmbH Zusammenfassung Brückeninspektionen haben nach österreichischen normativen Vorgaben spätestens alle sechs Jahre zu erfolgenden Bei Brückeninspektionen steht nach wie vor die subjektive Bewertung des Sachverständigen (SV) im Vordergrund. Durch sensorbasierte Datenaufnahmen, terrestrisch- oder Drohnengestützt, einhergehende Anwendung navigationsspezifischer und photogrammetrischer Methoden, weitgehend automatisierter Triangulation und darauf basierter Anfertigung eines Digital Twin sowie Schadensdetektion mittels künstlicher Intelligenz (KI) und automatisiertem Reporting als Cloud Service soll der Sachverständige (SV) entsprechend unterstützt und die Inspektionsbefundung objektiviert werden. Nachvollziehbare Ergebnisse der maschinellen Zustandsbewertung können somit in das Asset Management der Infrastrukturbetreiber einfließen. Besondere Herausforderungen stellen die Navigation, die erforderliche Bildqualität und die Zuverlässigkeit der KI-Ergebnisse dar. 1. Modernisierungsbedarf 1.1 Instandhaltungsvorgaben Gemäß den Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen (RVS), festgehalten in der RVS-Reihe 13.03. xx, sind Brücken und andere Ingenieurbauten (FSV 2012) alle 4 Monate zu überwachen, alle 2 Jahre zu kontrollieren und spätestens alle 6 Jahre zu prüfen (FSV 2011). Ziel der regelmäßigen bautechnischen Begutachtung ist die laufende Gewährleistung der Zuverlässigkeit und Verkehrssicherheit entsprechender Konstruktionen. Durch periodische Erhebung, Dokumentation und Bewertung des Erhaltungszustands von Brücken und ähnlichen Ingenieurbauwerken sind Mängel und allfällig eingetretene Schäden rechtzeitig zu erkennen und zu beheben, bevor ein größerer wirtschaftlicher Schaden eintritt bzw. die Zuverlässigkeit und/ oder die Verkehrssicherheit beeinträchtigt wird. Im Rahmen der Prüfung von Brücken und artverwandten Kunstbauten sind von einem sachkundigen Ingenieur mit einschlägiger Erfahrung Mängel und Schäden, die Einfluss auf die Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit des Bauwerks haben, festzustellen, zu dokumentieren und zu beurteilen. Zu den dabei qualitativ als auch quantitativ festzuhaltenden Mängeln und Schäden zählen dabei unter anderem Hohlstellen, Verschmutzungen, Bemoosungen, auffällige Verformungen, Risse, Roststellen, Korrosion der Bewehrung, freiliegende Bewehrung und Abplatzungen. 1.2 Traditionelle Inspektionspraktiken In der Regel wird der Erhaltungszustand bzw. die Funktionstüchtigkeit einer Brücke durch zwangsweise im Freien stattfindende Sicht- und gegebenenfalls Klopfprüfungen unter Verwendung besonderer Rüstungen und Geräte festgestellt. Hierfür begeben sich sachkundige Inspekteure nach Bewerkstelligung erforderlicher Verkehrsabsicherungen meist auf temporäre Baugerüste oder - um die Sicherheit des entsprechend geschulten und erfahrenen Fachpersonals zu erhöhen - auf fahrbare Brückenuntersichtgeräte (d.s. auf einem LKW montierte, vertikal ausfahrbare und horizontal schwenkbare Plattformen) und untersuchen die Brückenoberfläche auf kurzen Entfernungen visuell unter Zuhilfenahme einfacher Mittel wie Zollstock, Risslupe oder Rissmaßstab und Hammer (SEIM 2018). Zu Dokumentationszwecken werden die Schäden abfotografiert, deren Verortung skizzenhaft und deren Ausdehnungen quantitativ festgehalten, bevor sie schließlich einer Bewertung seitens des SV unterzogen werden. Damit sind herkömmliche Zugangstechniken und handnahe Inspektionspraktiken durch eine komplexe Logistik charakterisiert, mit einem hohen Risiko für Prüfer und Verkehrsteilnehmer verbunden und arbeits-, zeit- und kostenintensiv. Zudem erfolgt die Dokumentation, bedingt durch die ausschließliche Fokussierung auf Schäden, vorwiegend punktuell. Darüberhinaus ist die Zustandsbewertung zwangsläufig subjektiv, kaum nachvollziehbar und ist bei hohen Brückenbauwerken aufgrund der begrenzten Reichweite des Brückenuntersichtgerätes praktisch kaum vollständig durchführbar. 120 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brückeninspektion: Datenerfassung, -prozessierung & -analyse - ein moderner Ansatz Abb. 1: Brückeninspektionsgerät 1.3 Schwerpunktverlagerung: Digitalisierung Um den immensen Aufwand aus personeller, organisatorischer und finanzieller Sicht zu minimieren und gleichzeitig die mit den Inspektionsarbeiten verbundenen Sicherheitsrisiken von Prüfer und Verkehrsteilnehmer zu reduzieren, liegt es nahe, bereits bestehende digitale Lösungen, die in einem interdisziplinären Zusammenspiel an der Umsetzung der Optimierungsvorhaben beteiligt sind, geeignet miteinander zu verknüpfen und der Reihe nach einzusetzen. Im Folgenden wird eine bereits erfolgreich umgesetzte und in der Praxis abgedeckte Prozesskette der digitalisierten Bauwerksinspektion präsentiert, die es erlaubt den gesteigerten Einsatz von Brückenuntersichtgeräten zu reduzieren und dadurch ggf. notwendige Brückenbetriebseinschränkungen deutlich zu verkürzen, Dokumentationen unter Einbeziehung eines flächendeckenden Abbildes des gesamten Bauwerks auszuweiten, Zustandsbeurteilungen zu objektivieren und für eine zuverlässige Zustandsvergleichbarkeit zu homogenisieren. 2. Brückeninspektion 4.0 Text Das Konzept der digitalisierten Brückeninspektion ist in drei aufeinanderfolgende Arbeitspakete gegliedert (vgl. Abb. 1). Diese umfassen (1) die vorwiegend luftgestützte Datenerfassung mittels eigens entwickeltem und auf die Brückeninspektionsbedürfnisse angepasstem Flugroboter, (2) die als Cloud Service verpackte dreiteilige Datenprozessierung samt softwareunabhängiger visueller Auf bereitung und tabellarischer Auflistung eruierter Zustandsdaten in einem webbasierten geografischen Informationssystem (WebGIS), sowie (3) die Bereitstellung vorklassifizierter bzw. vorkalkulierter Ergebnisse (automatisiertes reporting), zur kontrollierten Vervollständigung und Integration in bestehende Berichte seitens des SV. Abb. 2: Prozesskette digitalisierte Brückeninspektion - von der vollständigen Erfassung und Digitalisierung des Bauwerks bis hin zur objektivierten Bauwerksanalyse und Zustandsbeurteilung (Quelle: STRUCIN- SPECT 2020A) 2.1 Datenerfassung mittels maßgeschneiderter UAV Die Herausforderungen zum konsequenten Einsatz von unbemannten Luftfahrzeugen, auch als UAV (engl. Unmanned Aerial Vehicle) bezeichnet, werfen diverse rechtliche, organisatorische und technische Fragen auf, wobei hier nur auf letztgenannten und da aktuell nur auf die RGB Datenerfassung mit Kameras für die optische Prüfung eingegangen wird. Für eine effiziente Datenauswertung, s. u., müssen die Bildaufnahmen, die mittels Drohnenbefliegung erzeugt werden, sowohl geometrische Kriterien erfüllen um eine photogrammetrische Triangulation und in weiterer Folge einen Digital Twin berechnen zu können, andererseits radiometrische oder Bildqualitätskriterien um die KI für die Schadensdetektion einsetzen zu können. Die wesentlichen zugehörigen Vorgaben dazu sind eine GSD (Bildauflösung am Objekt) mit 0,5 mm/ Pixel, eine ausreichende Überlappung der Bilder zueinander, eine sehr hohe Bildschärfe, geringstmögliches Bildrauschen und eine möglichst homogene Ausleuchtung. Die wichtigsten - meist behindernden - Randbedingungen sind die sichere Zugänglichkeit, die Vegetation in der unmittelbaren Umgebung, die Größe und Form des Objekts (der Brücke), die Verkehrsbehinderungen, die Lichtverhältnisse und die GNSS Abschattungen. Daraus abgeleitet ergibt sich folgende Anforderung an die Drohnenauswahl: möglichst großer Bildsensor auf möglichst kleiner Drohne, Aufnahmeabstand ca. 2-5 m und eine sichere und effiziente Steuerungsmöglichkeit sowie eine adäquate Beleuchtung. Abb. 3: Maßgeschneiderte UAV für die Datenerfassung: „Scorpion L“ 5. Brückenkolloquium - September 2022 121 Brückeninspektion: Datenerfassung, -prozessierung & -analyse - ein moderner Ansatz Die „Scorpion L“ ist ein unbemanntes Luftfahrzeug, ausgestattet mit einer Vollformatkamera und einer Beleuchtung mit einer Flugzeit von mehr als 10 Minuten. Mit einer Abmessung von unter 800mm und einem Aufnahmeabstand von 2-5 m ist das UAV perfekt für Aufnahmen unter Brücken und zwischen Baustrukturen geeignet. Das maximale Abfluggewicht beträgt unter 3,9 kg. Abb. 4: Die zum Flug notwendige FPV Kamera sitzt am Ende der Drohne um dem UAV-Piloten eine Third-Person-Perspektive zu erlauben. Abb. 5: Third-Person Perspektive aus der Sicht des zu steuernden UAV-Piloten Zur Einhaltung der notwendigen GSD bekommt der UAV Pilot durch eine LED Beleuchtung die Information über den momentanen Aufnahmeabstand zum Objekt. Dank der Third-Person-Perspektive kann der UAV Pilot durch Sicht auf die Ausleger der Drohne Abstände einschätzen, um gefahrlos an Hindernisse vorbei zu manövrieren. 2.2 Photogrammetrische Datenverarbeitung Die digitale Photogrammetrie ist als Überbegriff all jener berührungslosen Messmethoden und robusten Auswerteverfahren zu verstehen, mit denen die Lage, Form und optische Beschaffenheit von in digitalen Messbildern dargestellten Objekten rekonstruiert wird (KRAUS 1994). Das Ergebnis der photogrammetrischen Auswertung kann dabei die Form eines digitalen, photorealistischen Geometriemodells einnehmen, das in Informationssysteme einfließt - ein sogenannter Digital Twin. Ausgangspunkt zur weitgehend automatisierten, photogrammetrischen Erstellung eines digitalen Bauwerkszwillings stellt der Bildverband dar, bei dem es sich um eine Vielzahl von sich bis zu 90% überlappenden Bildern handelt, die von verschiedenen Standorten aus aufgenommene Objektpunkte der zu rekonstruierenden Bauwerksoberfläche in mindestens zwei Aufnahmen abbilden. Voraussetzung für die photogrammetrische Mehrbildauswertung ist die Bildorientierung, bei der die Aufnahmesituationen mathematisch rekonstruiert, d.h. die Positionen und Drehungen der Kamera bzw. der Bilder zu den Aufnahmezeitpunkten bestimmt werden. Die eigentliche Auswertung beruht auf dem Prinzip der Triangulation, bei der räumlich zu bestimmende Objektoberflächenpunkte zunächst individuell in mindestens zwei Bildern lokalisiert werden. In Verbindung mit den zugehörigen Orientierungsdaten der betroffenen Bilder können daraus in weiterer Folge korrespondierender Sehstrahlen rekonstruiert und für jeden der vielen Objektpunkte einzeln zum Schnitt gebracht werden. Das Ergebnis ist eine räumlich strukturierte, wenn auch unorganisierte und mit unscharfen Grenzen gekennzeichnete Menge von Punkten (OTEPKA et al. 2013), die als Diskretisierung der einzelnen Oberflächen der Bauwerkskomponenten zu verstehen ist. Die Punkte selbst sind dabei durch ihre dreidimensionalen, kartesischen Koordinaten in einem gemeinsamen Projektkoordinatensystem definiert. Die Einbindung des digitalen Zwillings in das übergeordnete Koordinatensystem geschieht für gewöhnlich über Passpunkte, die im Landeskoordinatensystem geodätisch eingemessen wurden, bzw. über RTK oder PPK der Aufnahmestandpunkte. Die georeferenzierte 3-D-Punktwolke kann anschließend mathematisch durch geometrische Formen (bspw. durch eine Dreiecksvermaschung) approximiert bzw. interpoliert werden. Die so entstehenden mehrdimensionalen Bauwerksmodelle bzw. -hüllen können in einem abschließenden Schritt mit den Texturen der zugehörigen Bilder versehen werden, um ein detailtreues digitales Abbild der Realität darzustellen. 2.3 KI-unterstützte Musterkennung Durch Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) werden Brückenschäden qualitativ (Schadenstyp) und quantitativ (Schadensintensität) klassifiziert (vgl. Abb. 2). Ein künstliches neuronales Netz (NN) mit zahlreichen Schichten zwischen Ein- und Ausgabeschicht, das mittels Deep Learning trainiert wird, sorgt dabei für eine automationsgestützte, schablonisierte Untersuchung auf sowie eine objektivierte Detektion, Markierung und Klassifikation von in den aufgenommenen Brückenbildern optisch erkennbaren Schäden, zu welchen u. a. Verschmutzungen, vegetativer Befall, auffällige Verformungen, Risse, Roststellen, Korrosion der Bewehrung, freiliegende Bewehrung und Abplatzungen zählen. Für das Trainieren der einzelnen Schadenstypen sind a) ausreichend Bilder - dies können tausende sein, die sowohl die allgemeinen, sich wiederholenden, als auch die konkreten projektspezifischen Muster und Aufnahme- und Lichtverhältnisse repräsentieren sollen, und b) Experten, die die 122 5. Brückenkolloquium - September 2022 Brückeninspektion: Datenerfassung, -prozessierung & -analyse - ein moderner Ansatz Schadensmuster fachlich korrekt manuell erfassen, notwendig. Nur dadurch kann die angestrebte False-Negative Rate ≤ 0,5 % und False-Positive Rate ≤ 10 % erreicht werden, weiters die in nachfolgenden Schritten notwendige Zusammenführung der detektierten Schäden aus mehreren Einzelbildern in jeweils einen eindeutigen zuordenbaren Schaden. Abb. 6: KI-basierte Schadensdetektion und -extraktion: Darstellung unterschiedlicher Schadenstypen im Originalbild (links) und KI-gestützte, klassifizierte Segmentierung (rechts) (Quelle: STRUCINSPECT 2020B) 2.4 Datenvisualisierung und -management Die softwareunabhängige Verfügbarmachung der dynamischen Visualisierung des digitalen Zwillings sowie der qualitativen als auch quantifizierten Schadensdokumentation erfolgt in einem Web-basierten geographischen Informationssystem (WebGIS) via Einbettung eines Viewers zur dreidimensionalen Modellbetrachtung sowie einer datenbankgestützten tabellarischen Auflistung exakt verorteter Schäden mit Klassifizierungsdetails. Dadurch wird dem erfahrenen Bauingenieur die Möglichkeit einer ortsunabhängigen, augenscheinlichen Bewertung geboten. Darüber hinaus sind dem Experten, der für die an die Vorklassifizierung anschließende Zuweisung von Zustandsnoten zuständig ist, strukturierte Archivierungs- und positionsbezogene Abfragemöglichkeiten hinsichtlich Brückenbestands- und -zustandsdaten gegeben. Zur Unterstützung des Bearbeiters bei der Berichterstellung verfügt das WebGIS zudem über einen Report Generator. Abb. 7: Dreidimensionales Modell einer Brücke im WebGIS Abb. 8: Georeferenzierte, durchnummerierte Bauwerksschäden dargestellt im WebGIS und auswählbar per Mausklick zur Weiterleitung zu korrespondierenden Klassifizierungsdetails (Quelle: STRUCINSPECT 2020B) 3. Zusammenfassung & Ausblick Brücken und artverwandte Ingenieurbauten haben Anforderungen hinsichtlich Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit sowie Verkehrssicherheit zu erfüllen. Sie sind daher in möglichst gleichmäßigen Zeitabständen, spätestens alle sechs Jahre, einer Inspektion zu unterziehen. Normative Regelwerke beschreiben diese insbesondere in Österreich und Deutschland seit Jahrzehnten und werden nicht zuletzt aufgrund der neuen digitalen Möglichkeiten in den nächsten Jahren überarbeitet. Traditionelle Brückenprüfungen mit dem Einsatz von Untersichtgeräten führen darüber hinaus zu massiven Verkehrseinschränkungen und Sicherheitsrisiken. Zudem sind sie subjektiv, kostenintensiv und schwer nachvollziehbar, womit nur schwierig verlässliche Aussagen zu Veränderungen der Bauwerkssicherheit und zur Kostenabschätzung von Sanierungen abgeleitet werden können. Vor diesem Hintergrund sind zur Ermöglichung vorbeugender Instandsetzungsmaßnahmen und die damit einhergehende laufende Gewährleistung zur sicheren Nutzbarkeit innovative Ansätze für Brückeninspektionen unter Einbeziehung von Technologien der Industrie 4.0 erforderlich. Durch nahtlose Kombination neuartiger Prozesse zur Datenerfassung (mittels maßgeschneiderter Drohnen als zentrale Sensorplattformen), zur Datenprozessierung (durch die Verwendung künstlicher Intelligenz zur automatisierten Detektion und Vorklassifizierung von Bauwerksschäden) sowie 5. Brückenkolloquium - September 2022 123 Brückeninspektion: Datenerfassung, -prozessierung & -analyse - ein moderner Ansatz zur Datenanalyse (mithilfe der Visualisierung des photogrammetrisch erstellten digitalen Zwillings und die übersichtliche Darstellung in einem Web-basierten geographischen Informationssystems) werden objektivierte und flächendeckende Zustandsinformationen erzeugt, Kosten für Verkehrssperren, Brückeninspektionsgeräte und Einrüstungen vermieden, sowie die Sicherheit und Verfügbarkeit der Verkehrsinfrastruktur und der damit verbundenen Versorgungssicherheit als auch die Minimierung der Verkehrsstörung bei Inspektionen sichergestellt. Aus technischer Sicht wird sich die Weiterentwicklung insbesondere auf den Bereich verbesserter automatisierbarer Datenerfassung konzentrieren, es werden weitere v.a. chemisch-physikalische Sensoren zur Erfassung z. B. der Chloridisierung oder Karbonatisierungstiefe adaptiert werden, im Bereich der Datenverarbeitung werden auch künstliche Intelligenz und die notwendige Anbindung an Asset-, bzw. Infrastrukturmanagement an Bedeutung zunehmen. Literatur [1] FSV (2011): RVS 13.03.11 Qualitätssicherung bauliche Erhaltung; Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten; Straßenbrücken, ausgearbeitet von der Österreichischen Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr. [2] FSV (2012): RVS/ Mkbl 13.03.01 Qualitätssicherung bauliche Erhaltung; Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten; Monitoring von Brücken und anderen Ingenieurbauwerken, ausgearbeitet von der Österreichischen Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr. [3] KRAUS, K. (1994): Photogrammetrie, Band 1, Grundlagen und Standardverfahren. 5., durchgesehene und erweiterte Auflage, Dümmler Verlag, Bonn. [4] OTEPKA, J., SAJID, G., WALDHAUSER, C., HOCHREITER, R. & PFEIFER, N. (2013): Georeferenced Point Clouds: A Survey of Features and Point Cloud Management. In: ISPRS International Journal of Geo-Information, vol. 2, no. 4, 1038- 1065. [5] SEIM, W. (2018): Bewertung und Verstärkung von Stahlbetontragwerken. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage, Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin. STRUCINSPECT (2020A): Aivolution of Structural Inspection, https: / / strucinspect.com/ wp-0adb9content/ uploads/ 2019/ 09/ Strucinspect-Folder-DE. pdf (11.11.2020) [6] STRUCINSPECT (2020B): Information provided by strucinspect, Vienna, 2020. Kontakt DI Gerald Fuxjäger ADP Rinner ZT GmbH Münzgrabenstr. 4/ 1 A-8010 Graz gerald.fuxjaeger@adp-rinner.at 5. Brückenkolloquium - September 2022 125 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Andreas Jansen Fachgebiet Entwerfen & Konstruieren - Stahlbau, Technische Universität Berlin, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler Fachgebiet Entwerfen & Konstruieren - Stahlbau, Technische Universität Berlin, Deutschland Zusammenfassung Methoden aus dem Bereich des maschinellen Lernens (ML) versprechen großes Potenzial für die Strukturüberwachung von Bestandsbrücken durch Bauwerksmonitoring. Mittels einer Anomalieerkennung auf Grundlage von ML-Methoden können Veränderungen in den Signalen durch Bauwerksschäden oder Fehler im Messsystem identifiziert werden. Im vorliegenden Artikel wird ein Ansatz zur Anomalieerkennung mit einem Temporal Convolutional Autoencoder untersucht. Temporal Convolutional Networks (TCN) sind eine Art von neuronalen Netzen, die speziell für die Anwendung auf Zeitreihen ausgelegt sind. Der verwendete Autoencoder kann entsprechend Sensorsignale direkt verarbeiten, ohne dass eine Extraktion von Merkmalen, wie z.-B. Eigenfrequenzen, für die Strukturüberwachung notwendig ist. Die Anomalieerkennung wird mit simulierten Dehnungssignalen einer stählernen Straßenbrücke unter realitätsnaher Verkehrs- und Temperatureinwirkung untersucht. Ein Ermüdungsriss im Haupttragwerk wird mit der vorgestellten Methodik erkannt und lokalisiert. Außerdem erfolgt die Identifikation von zwei simulierten Sensorfehlfunktionen. 1. Einleitung Die Strukturüberwachung durch Bauwerksmonitoring, engl. Structural Health Monitoring (SHM), kann insbesondere bei nicht für heutige Verkehrslasten ausgelegte Bestandsbrücken ein wichtiger Bestandteil eines modernen und digitalen Erhaltungsmanagements werden. Durch die Strukturüberwachung soll ein Bauwerksschaden zum frühestmöglichen Zeitpunkt erkannt werden. Dies kann den schlimmsten Fall des Brückeneinsturzes verhindern, v.-a. wird aber eine bessere Planbarkeit von Erhaltungsmaßnahmen erreicht. Konzeptionell wird die Schadenserkennung bei der Strukturüberwachung in fünf Stufen entsprechend Abb.-1 kategorisiert [1]. Abb.-1: Konzeptionelle Stufen der Schadenserkennung bei der Strukturüberwachung nach [1] Umfassende Forschung existiert vorrangig auf dem Gebiet der schwingungsbasierten Schadenserkennung [2]. Bei diesen Verfahren werden üblicherweise Beschleunigungsaufnehmer eingesetzt, um die Modaleigenschaften (Eigenfrequenzen, Schwingungsformen und modale Dämpfungen) einer Brücke zu bestimmen. Die Schwingungseigenschaften zeigen dabei Abhängigkeiten von äußeren Einflüssen, in erster Linie von der Bauwerkstemperatur, v. a. infolge temperaturabhängigen Steifigkeitseigenschaften des Asphaltbelags, aber auch die Wind- und Verkehrseinwirkung können eine Rolle spielen [3]. Für eine Schadenserkennung (Stufe 1) können die Abhängigkeiten der Schwingungseigenschaften in numerischen Modellen aus dem Bereich des maschinellen Lernens (ML) erfasst werden. Die Eigenfrequenzen werden dabei beispielsweise durch Regressionsmodelle anhand der Bauwerkstemperatur vorhergesagt [3], [4]. Die Schadenserkennung erfolgt dann durch eine Anomalieerkennung auf Grundlage des Vergleichs zwischen gemessener und vorhergesagter Eigenfrequenzen. Entsprechende Regressionsmodelle basieren dabei nur auf den Daten, d. h. es werden keine Annahmen über die physikalischen Eigenschaften des Bauwerks, wie z. B. dem E-Modul, getroffen. Für eine Lokalisierung eines Schadens (Stufe-2) kommen beispielsweise Methoden zum Einsatz, die Schwingungsformen betrachten [5]. Für die höheren Stufen der Schadenserkennung sind physikalische Modelle der Brücke nötig. Hier werden u.-a. Ansätze verwendet, die eine iterative Anpassung von Finite Elemente (FE)-Modellen anhand der Messdaten vornehmen (FE-Update) [6]. Die schwingungsbasierte Strukturüberwachung konnte sich bisher allerdings nicht in der Praxis durchsetzen, v.- a. da die Veränderungen von Eigenfrequenzen, die durch Schäden der Struktur hervorgerufen werden, meist nur sehr gering sind [2]. Neuere Entwicklungen zeigen sich in der Forschung durch den verstärkten Einsatz von ML- und Deep-Learning-(DL-)Modellen sowie u.-a. durch Methoden auf Basis von Dehnungs- [7],-[8],-[9], Neigungs--[10] oder Schallemissionsmessungen-[11]. 126 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring 2. Anomalieerkennung mit Autoencoder für die Strukturüberwachung von Brücken 2.1 Konzept Für die Strukturüberwachung wird angenommen, dass die Messdaten der ungeschädigten Struktur den normalen Ausgangszustand darstellen. Ein Modell zur Anomalieerkennung erfasst die Abhängigkeiten in den Messdaten. Anhand dieses Modells sollen Abweichungen der Abhängigkeiten, infolge von Veränderungen des Tragverhaltens durch einen Bauwerksschaden sowie Fehler des Messsystems, u.-a. Sensordefekte, als Anomalien bzw. Neuheiten frühzeitigt erkannt werden (s. Abb.-2). Abb.-2: Schema der Anomalieerkennung zur Schadenserkennung anhand von Messdaten einer Brücke Die im vorliegenden Artikel betrachteten Modelle sind Autoencoder, eine spezielle Architektur für neuronale Netze, die bei der Anomalieerkennung in die Kategorie der Rekonstruktionsmethoden fällt [12]. Der Auf bau eines Autoencoder besteht aus einer Funktion f e (x), die eine Transformation der Daten x auf eine Variable ξ * in einen Raum mit geringerer Dimension durchführt. Diese Funktion wird Encoder genannt. Die Variable ξ * enthält die wesentliche Information der Daten und wird auch als Code oder latente Repräsentation bezeichnet. Eine zweite Funktion f d (x), der Decoder, ermittelt eine Rekonstruktion x̂ der Daten anhand der latenten Repräsentation. Die Annahme bei der Rekonstruktion ist, dass normale Daten eine gewisse Korrelationsstruktur aufweisen bzw. formal in einem gewissen topologischen Raum liegen - im einfachsten Fall einer Linie oder Ebene. Als Anomaliewert wird bei Autoencodern üblicherweise ein Rekonstruktionsfehler ε betrachtet, der die Abweichungen zwischen neuen Messdaten x und der Rekonstruktion des Modells x̂ bewertet, z. B. die Summe der quadrierten Residuen. Liegt der Anomaliewert eines Datenpunkts oberhalb einer definierten Schwelle, wird dieser als anomal gekennzeichnet. Je nachdem, welche Arten von neuronalen Netzen verwendet werden, können Autoencoder quasi auf beliebige Daten angewendet werden. So ist es möglich, die Abhängigkeiten von Merkmalen, wie z. B. Eigenfrequenzen, mit Autoencoder abzubilden. Mit mehrschichtigen Neuronalen Netzen (Deep Learning) können aber die Zeitreihen der Sensoren auch direkt im Modell verarbeitet werden - eine Extraktion von Merkmalen entfällt. Weiterhin ist es möglich, verschiedene Merkmale oder auch Signale unterschiedlicher Sensoren in einem Autoencodermodell zu kombinieren. Im Gegensatz zu Regressionsmodellen werden die Abhängigkeiten der Daten implizit betrachtet, ohne dass eine Einflussgröße, z.-B. Temperatur, und eine Zielgröße, z.-B. eine Eigenfrequenz explizit definiert werden müssen. Die Parameter eines Autoencoders werden in einer Lernphase durch einen Optimierungsalgorithmus anhand von Trainingsdaten bestimmt, s. [13]. Ein übliches Vorgehen ist es, einen Teil der Trainingsdaten als Testdaten zu verwenden, um die Güte des Modells zu prüfen. Die Daten der Lernphase decken dabei möglichst den gesamten realistischen Wertebereich ab. Wegen des zumeist großen Einflusses der Temperatur bei der Strukturüberwachung von Brücken bedeutet dies, dass die Lernphase mindestens einen Sommer und einen Winter beinhalten sollte. Bei den Messdaten einer Brücke in der Lernphase sollten keine Beispiele für anomale Daten vorliegen. Damit fällt die Anomalieerkennung grundsätzlich in die Kategorie des unbetreutem Lernens. Implizit wird die Annahme getroffen, dass alle Daten der Lernphase normal sind, also das Bauwerk ungeschädigt ist. Manche Autoren nutzen deshalb auch die Bezeichnung semi-betreut. Ob die Annahme eines ungeschädigten Ausgangszustandes auch wirklich zutreffend ist, muss bei Praxisanwendungen auf Grundlage der Bauwerksprüfung und einer ersten Analyse der Messdaten bestätigt werden. 2.2 Stand der Forschung Erste Anwendungen mit Rekonstruktionsmethoden zur Strukturüberwachung von Brücken betrachten Eigenfrequenzen als Merkmale. Beispielsweise wird in [14] die Hauptkomponentenanalyse, engl. Principal Component Analysis (PCA), für die Schadenserkennung anhand von Eigenfrequenzen betrachtet. Die PCA wird dabei als lineares Rekonstruktionsmodell ähnlich zu einem Autoencoder verwendet. In einer anderen frühen Veröffentlichung wird ein Autoencoder, in diesem Fall als Auto-Associative Neural Network (AANN) bezeichnet, auf die Parameter eines Autoregressionsmodells als Merkmale angewendet [15]. Eine Schadenserkennung wird anhand von Beschleunigungsmessdaten eines Hochbaumodells im Labor demonstriert. Die Autoren des vorliegenden Artikels untersuchen in einer anderen Veröffentlichung ebenfalls, wie ein Autoencoder auf extrahierte Merkmale einer Brücke zur Schadenserkennung angewendet werden kann [8]. Es werden vier Signalmerkmale untersucht, u.- a. zwei Arten von Verhältniswerten von Dehnungs- und Wegsignalen, die als Rbzw. M-Signatur definiert werden. Die Schadenserkennung wird mit simulierten 5. Brückenkolloquium - September 2022 127 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Daten verifiziert. In realen Messdaten einer Brücke kann ein Fehler im Messsystem identifiziert werden. Veröffentlichungen mit Autoencodern, die DL-Ansätze mit wenigen Vorverarbeitungsschritten nutzen, finden sich im Bereich der Strukturüberwachung erst seit wenigen Jahren. In [16] wird beispielsweise ein 2-D Convolutional-Network-(CNN-)Autoencoder mit Beschleunigungsmessungen an einer kleinmaßstäblichen einfeldrigen Modellbrücke verwendet. CNNs werden häufig für Anwendungen mit Bilddaten (2-D) verwendet, z.-B. Computer Vision. In der Veröffentlichung werden die Signale zunächst mittels Wavelet-Transformation in die Zeit-Frequenz-Domäne übertragen. Der Autoencoder wird darauf hin auf die Bilddaten der Zeit-Frequenz- Darstellung angewendet. Das Lösen einer Schraubverbindung wird mit dem Modell erkannt und anhand der Sensorposition mit dem größten Fehlerwert lokalisiert. Eine direkte Anwendung eines 1-D-CNN-Autoencoders auf ambiente Beschleunigungssignale erfolgt in [17]. Die Anomalieerkennung wird hier anhand der latenten Repräsentation realisiert. Der beschriebene Ansatz wird mit simulierten Daten eines Hochbaus, eines kleinmaßstäblichen Brückenmodells sowie realen Daten der Tianjin- Yonghe-Brücke unter Schädigung demonstriert. Eine Anwendung, die explizit die Beschleunigungsantwort einer Brücke während Überfahrten von Fahrzeugen betrachtet, findet sich in [18]. Für eine einfeldrige Spannbeton-Straßenbrücke werden Überfahrten einzelner Fahrzeuge sowie zeitgleiche Überfahrten mehrerer Fahrzeuge simuliert. Als Schaden wird der Ausfall eines externen Spannglieds berücksichtigt. Ein CNN-Autoencoder wird direkt auf die simulierten Beschleunigungssignale angewendet. Deutlich verlässlichere Ergebnisse werden bei der Schadenserkennung unter der isolierten Betrachtung einzelner Überfahrten erreicht. In [19] werden ebenfalls Beschleunigungssignale während einzelner Fahrzeugüberfahrten sowohl in numerischen Untersuchungen als auch in einem kleinmaßstäblichen Laborversuch betrachtet. Hier wird ein 1-D-CNN-Variational-Autoencoder als Modell verwendet. Eine Schadenslokalisierung wird anhand des Zeitpunktes der Überfahrt (umgerechnet als Fahrzeugposition) mit dem größten Rekonstruktionsfehler erreicht. Ein CNN-Va-riational-Autoencoder wird ebenfalls in [20] zur Schadenserkennung angewendet. Als Signale werden hier Durchbiegungen einer kleinmaßstäblichen Modellbrücke aus Videodaten einer hochauflösenden Kamera extrahiert. Fahrzeugüberfahrten werden durch einen kleinen Modellwagen nachgeahmt. Anstelle eines fest installierten Monitoringsystems werden in [21] die Beschleunigungssignale von Fahrzeugen analysiert. Es wird davon ausgegangen, dass zukünftig Sensorik von Lkw-Flotten auch für die Schadenserkennung bei Brücken verwendet werden kann. Überfahrten von Fahrzeugen werden mit Stabwerksmodellen für eine einfeldrige und eine mehrfeldrige Balkenbrücke simuliert. Die Schadenserkennung erfolgt mit einem Autoencoder-Modell, das CNN- und Long-Short-Term-Memory- (LSTM-)Schichten kombiniert. Durch die LSTM-Schichten werden die Langzeitabhängigkeiten erfasst. Im Vergleich zur beschriebenen Literatur ist die vorgestellte Anwendung eines Autoencoders auf Dehnungssignale sowie die Verwendung von Temporal Convolutional Networks im Kontext der Strukturüberwachung von Brücken ein Novum. 2.3 Temporal Convolutional Autoencoder Temporal Convolutional Networks (TCN) sind eine Weiterentwicklung der CNNs speziell für die Anwendung auf Daten mit Zeitabhängigkeit, wie u.-a. Sensorsignale [22],-[23]. In CNNs und somit auch in TCNs wird die mathematische Operation der Faltung, engl. Convolution, mit sogenannten Filtern verwendet. Bezogen auf digitale Signale für SHM-Anwendungen, soll das Grundprinzip von 1-D-CNNs und TCNs nachfolgend kurz erläutert werden. Die Eingangsgröße einer 1D-Convolutional-Schicht sei ein Signal x mit n t × n S Datenpunkten für n t Zeitschritte und n S Kanälen bzw. Sensoren. Der Filter oder auch Kernel der Länge k sei w mit Dimension k × n S . Die Ausgangsgröße y der Schicht zum Zeitpunkt t berechnet sich dann über die Faltungsoperation nach Gl.-1. Anschaulich kann die Berechnung als das Gleiten des Filters über die Signale angesehen werden (s. Abb.-3). (1) Abb.-3: Exemplarischer Auf bau eines TCN-Blocks mit akausaler Faltung Konkret wird hier eine akausale Faltung betrachtet, d. h. es werden auch zukünftige Werte, z. B. x t+1 in der Berechnung berücksichtigt (s. [23]). Bei einer kausalen Faltung werden nur die Werte in der Vergangenheit verwendet. Weiterhin wird das Signal x am Anfang und Ende mit Nullen ergänzt, sodass die Ausgabe y die gleiche Länge n t in der Zeitdimension hat (same padding). Eine Schicht kann n F verschiedene Filter beinhalten. Die gesamte Ausgabematrix y hat entsprechend die Dimension n t × n F . Zuletzt wird i. d. R. eine nicht-lineare Aktivierungsfunktion auf die Ausgabe angewendet. Die Werte der Filter werden im neuronalen Netz gelernt. Je Filter werden bestimmte Signalanteile verstärkt oder unterdrückt. Auf diese Weise kann das neuronale Netz 128 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Muster in den Signalen identifizieren. Neben Convolutional-Schichten kommen in CNNs im Regelfall sogenannte Pooling-Schichten zur Anwendung (s.-[24]). In Pooling- Schichten werden statistische Kenngrößen wie der Mittelwert oder das Maximum je Fenster mit Länge n P entlang der Zeitdimension berechnet. Durch Pooling wird erreicht, dass die Ausgabe der Schicht invariant gegenüber kleineren Veränderungen der Position der erkannten Muster im Signal ist. Im Rahmen der vorgestellten Arbeit wird keine Überlappung angrenzender Fenster und keine Ergänzung mit Nullen in Pooling-Schichten berücksichtigt, so dass die Ausgabe einer Schicht der Dimension n t / n P entlang der Zeitachse entspricht. Durch eine Pooling-Schicht wird folglich eine Reduktion der Dimension vorgenommen. In einem CNN werden üblicherweise mehrere Blöcke aus Convolutional- und Pooling-Schichten hintereinander verwendet, um komplexe Zusammenhänge in den Signalen zu erfassen. Die Neuerung des TCN besteht aus einem hierarchischen Auf bau von Convolutional-Schichten, um sowohl Kurzzeitals auch Langzeitabhängigkeiten zu erfassen. In Veröffentlichungen wurde gezeigt, dass mit TCNs genauere Ergebnisse erzielt werden als mit LSTM-Netzen, die v.-a. für Zeitreihen gebräuchlich sind [22],-[23]. Die TCNs zeigen dabei Vorteile in der benötigten Rechenleistung. Ein TCN-Block berücksichtigt mehrere Convolutional- Schichten, wobei in jeder Schicht die Faltung über eine größere Ausdehnung (Dilation) betrachtet wird. Exemplarisch ist in Abb.-3 ein TCN-Block mit Ausdehnung d = (1, 2, 4) dargestellt. Bei Filtergröße k = 3 werden im Beispiel zur Berechnung des Ausgangsignals y t im Eingangssignal 15 Datenpunkte berücksichtigt. Die Langzeitabhängigkeiten innerhalb dieses Zeitraums werden entsprechend erfasst. Im vorliegenden Artikel wird ein TCN-Autoencoder in Anlehnung an die Basis-Architektur in [23] verwendet (s. Abb.-4). Encoder und Decoder bestehen dabei aus jeweils einem TCN-Block und einer Convolutional-Schicht. Die Convolutional-Schichten dienen dabei v.-a. dem Zweck, eine gewünschte Dimension der Daten durch lineare Transformation herzustellen. Eine weitere Dimensionsreduktion wird im Encoder durch eine Mittelwert-Pooling-Schicht erreicht. In der Upsampling-Schicht des Decoders werden die Eingangswerte auf die geforderte Länge in der Zeitdimension gebracht (Abtastratenerhöhung, s.-[23]). Weitere Details zum Modellauf bau werden in Abschnitt-4.1 beschrieben. (2) Die Filter w und weitere Parameter des TCN-Autoencoders werden durch Optimierung bzw. Minimierung einer Verlustfunktion anhand von n Signalausschnitten x als Trainingsdaten bestimmt. Als Verlustfunktion wird dabei die durchschnittliche quadratische Abweichung nach Gl.-2 zwischen Signalausschnitt x und Rekonstruktion x̂ = (f d ° f e ) x betrachtet. Zur Minimierung wird der gradientenbasierte ADAM-Algorithmus verwendet (s. [24]). Der Trainingsdatensatz wird während der Minimierung mehrfach dem neuronalen Netz zugeführt. Jeder Durchlauf wird dabei als Epoche bezeichnet. Die Batchgröße gibt an, wie viele Signalausschnitte zur Berechnung des Gradienten berücksichtigt werden. Abb.-4: Verwendete Architektur eines TCN-Autoencoders 3. Simulation von Messdaten Zur Validierung verschiedener Ansätze zur Schadenserkennung wurde am FG Stahlbau der TU Berlin ein simulierter Datensatz für eine einfeldrige Stahlbrücke unter realitätsnahen Verkehrs- und Temperatureinwirkungen mit einem detaillierten FE-Modell erstellt (s.-a.-[7],-[8]). Am realen Bauwerk (Baujahr 1971) wird eine Messanalage unter Verwendung von Dehnmesstreifen (DMS), Beschleunigungsaufnehmern sowie Wegaufnehmern an den Rollenlagern zur Überwachung der Struktur betrieben (s. Abb.-5). Für die Untersuchungen mit dem TCN-Autoencoder sollen die simulierten Signale von 20 DMS an den Stegen der Hauptträger (HT) während Fahrzeugüberfahrten betrachtet werden. Von diesen Sensoren wird mit vier DMS in Feldmitte am realen Bauwerk gemessen. Die weiteren DMS werden zusätzlich in der Simulation angenommen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 129 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Abb.-5: Übersicht zu Bauwerk und Sensorik in Schnitt (links) und Draufsicht (rechts) mit Temperatursensoren T und T UG , Wegaufnehmer b-d und a-d sowie 20 DMS Insgesamt werden Daten für den Zeitraum eines Jahres (Mai 2019-Mai 2020) generiert. Am Ende des Jahres wird ein Ermüdungsriss im Untergurt des HT-b in vier Schadensszenarien mit fortschreitender Risslänge betrachtet. Der Riss liegt bei ca. einem Drittel der Trägerlänge am Ort eines Dickensprungs im Blech des Untergurts und beginnt im Szenario S1 mit einer Risslänge L R von 20 cm (S2: 40 cm, S3: 80 cm). Im Szenario S4 wird ein vollständiger Riss des Blechs des Untergurts angenommen. Der ungeschädigte Ausgangszustand wird mit S0 bezeichnet. Im FE-Modell wird eine Asphaltschicht mit temperaturabhängigem E-Modul berücksichtigt. Der E-Modul variiert dabei in Abhängigkeit der Temperatur am Deckblech T, die als Eingangsgröße aus den Messdaten des realen Bauwerks übernommen wird. Die Signale der Fahrzeugüberfahrten werden mit Hilfe von Interpolationsmodellen generiert. Die Interpolationsmodelle h(x P , y, T) entsprechen dabei Einflussflächen unter zusätzlicher Abhängigkeit von der Temperatur. Die Stützstellen der Interpolationsmodelle werden für ein Raster an Achspositionen in Brückenlängsrichtung x P , -querrichtung y sowie für mögliche Temperaturen T im FE-Modell berechnet. Für jeden Sensor und jedes Schadensszenario werden einzelne Modelle unter Verwendung der Spline-Interpolation erstellt. Je Schadensszenario werden dabei 2520 FE-Lösungen berechnet. (3) Das Signal s k (x P ) eines DMS k während Überfahrten wird entsprechend Gl.-3 aus den Beiträgen der einzelnen Fahrzeugachsen i superponiert. Die Position x P gibt dabei die Position der ersten Fahrzeugachse an. Die Eingangsgrößen für Achslasten P i und -abstände a i werden aus den Daten einer Achslastzählstelle übernommen. Die Spurlage y der Fahrzeuge in Brückenquerrichtung wird normalverteilt variiert und während der Überfahrt als konstant angenommen. Die Standardabweichung s y wird dabei so gewählt, dass 3s y = 0.5 m entspricht (s. Abb.-5). Verkehr wird wie beim realen Bauwerk auch nur auf der Fahrspur (FS)-2 berücksichtigt. Die Signale der DMS werden unter einer angenommenen Fahrzeuggeschwindigkeit v in den Zeitbereich s(t) mit t = x P / v übertragen. Die Geschwindigkeit v wird normalverteilt angenommen mit Mittelwert 30 km/ h und einer Standardabweichung von 5 km/ h. Abb.-6: Darstellung der Signale des DMS b01 während 20 zufällig gewählten Überfahrten Für die Betrachtungen mit dem TCN-Autoencoder wird eine Abtastrate von 10 Hz gewählt. Je Überfahrt wird eine Matrix x von n t × n S Datenpunkten mit n t = 256 Zeitschritten und n S = 20 Sensoren betrachtet. Die maximale Zeitdauer von 25.6 s wird von allen Überfahrten unterschritten. Der Anfangszeitpunkt einer Überfahrt wird zufällig variiert. Den Signalen wird ein normalverteiltes Rauschen mit einer Standardabweichung von 1 µm/ m zugesetzt. Für das betrachtete Jahr wird je halbe Stunde eine einzelne Fahrzeugüberfahrt generiert, was einer Gesamtanzahl von 17 566 Überfahrten entspricht. In Abb. 6 sind die Signale des DMS b01 für einige Überfahrten exemplarisch dargestellt. Zur Einordnung: Die Überfahrt eines 40-t-LKW erzeugt ca. eine Maximalamplitude von 90 µm/ m. Es soll angemerkt werden, dass die Signalgenerierung nach dem beschriebenen Vorgehen auf der Annahme linear-elastischen Materialverhaltens ohne Berücksichtigung von dynamischen Bauwerksreaktionen basiert. Die Schädigungsprozesse werden entsprechend als abgeschlossen angesehen. 130 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring 4. Anwendung auf simulierte Messdaten 4.1 Modell zur Anomalieerkennung Für die Untersuchungen mit dem TCN-Autoencoder werden die simulierten Daten in eine Lernphase und eine Anwendungsphase eingeteilt. Die Lernphase umfasst rund 10 Monate von 01.-Mai-2019 bis zum 21.-Februar 2020. Dabei werden nur 85 % der Daten für die eigentliche Modellanpassung verwendet (Trainingsdaten) und 15 % für die Validierung des Modells (Testdaten). Die Anwendungsphase beginnt am 21. Februar und umfasst jeweils zwei Wochen für ein Kontrollszenario S0 im ungeschädigten Zustand und die Schadensszenarien S1-S4. Die Eingangsdaten des TCN-Modells werden anhand des Maximums der Trainingsdaten skaliert. Der Mo-dellaufbau erfolgt entsprechend Abb.- 4. Für die TCN-Blöcke werden jeweils 32 Filter mit Länge k = 5 verwendet. Im Encoder wird die Ausdehnung mit d = (1, 2, 4, 8, 16) spezifiziert und analog im Decoder in umgedrehter Reihenfolge. Es werden Rectified Linear Units (ReLU) als Aktivierung angewendet (s. [24]). Die Convolutional-Schicht im Encoder hat 8 Filter und die im Decoder 20 Filter jeweils mit der Länge k = 1. Die Convolutional-Schichten nutzen eine lineare Aktivierungsfunktion. Die Pooling- Schicht verwendet eine Fensterlänge n P von 16. Die Dimension der Daten je Überfahrt wird im Encoder folglich von 256 × 20 auf 16 × 8 reduziert. Dies entspricht einer Kompression im Verhältnis 40: 1. Das Modell wird für 100 Epochen mit einer Batchgröße von 32 trainiert. Als Abbruchkriterium wird eine Zunahme der Verlustfunktion für die Testdaten in fünf aufeinanderfolgenden Epochen definiert. Dieses Kriterium wird bei 80 Epochen erreicht. Der Wert der Verlustfunktion (Gl.-2) ist nach der Optimierung für Trainings- und Testdaten ähnlich und beträgt rund 4.7e-04. Abb.-7: Dichteverteilung des Anomaliewerts ε der Daten der Lernphase mit Fehlerschwelle ε th Als Anomaliewert ε wird die Summe der quadrierten Residuen als Rekonstruktionsfehler zwischen den simulierten Messdaten x und der Vorhersage des Modells x̂ je Überfahrt betrachtet (Gl. 4). Der Fehler wird dabei mit den skalierten Werten gebildet und ohne Einheiten betrachtet. Die Verteilung des Anomaliewerts der Trainingsdaten kann durch eine Log-Normalverteilung beschrieben werden (s. Abb. 7). Dass der Rekonstruktionsfehler der Testdaten der gleichen Verteilung entspricht, zeigt, dass ungesehene normale Daten durch das Modell ähnlich gut rekonstruiert werden. Als Schwelle ε th zur Anomalieerkennung wird das 99%-Quantil der Log-Normalverteilung mit einem Wert von 0.26 gewählt. (4) 4.2 Verbleibende Abhängigkeiten des Modells Ein Modell zur Anomalieerkennung soll möglichst unabhängig von den Variationen der normalen Betriebsbedingungen einer Brücke sein, sodass es nicht zu Fehlalarmen des Systems kommt, wenn beispielsweise extreme Temperaturen vorliegen oder ein außergewöhnlich schweres Fahrzeug die Brücke quert. Die Verwendung der simulierten Messdaten bietet die Möglichkeit, die Abhängigkeiten des Modells zu untersuchen. In Abb.-8 ist dazu der Anomaliewert der Lernphase den Eingangsgrößen der Simulation gegenübergestellt. Es zeigt sich, dass keine wesentlichen Abhängigkeiten zur Spurlage y, zur Temperatur T und zur Fahrzeuglänge vorliegen. Lediglich in den Randbereichen, bei selten auftretenden Werten für y und besonders großen Fahrzeuglängen zeigt die Trendlinie einen Anstieg. In Bereichen mit wenig Daten ist eine schlechtere Anpassung des Modells möglich, sodass größere Abweichungen hier nachvollziehbar sind. Eine leichte Zunahme der Anomaliewerte ist für steigende Fahrzeuggewichte feststellbar. Überschreitungen der Schwelle treten fast ausschließlich für Fahrzeuge über 25 t auf. Die Trendlinie überschreitet dabei die Schwelle für selten auftretende Fahrzeuge ab 50 t, liegt aber ansonsten darunter. 5. Brückenkolloquium - September 2022 131 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Abb.-8: Abhängigkeit des Rekonstruktionsfehlers ε der Daten der Lernphase von den Eingangsgrößen der Simulation. Die Trendlinie kennzeichnet den Median je Intervall für jeweils 20 Intervalle entlang der Abzisse. Abb.-9: Zeitliche Darstellung des Anomaliewertes ε für Lern- (links) und Anwendungsphase (rechts) Abb.-10: Signale x und Rekonstruktion x̂ ausgewählter DMS während einer Überfahrt im Schadensszenario S1 Für den überwiegenden Anteil der Daten wird die Abhängigkeit vom Fahrzeuggewicht als vertretbar angesehen. Der maximale Wert für ε von ca. 0.325 ist auf keine Ausfälligkeit in den betrachteten Größen zurückzuführen. Insgesamt wird die Anpassung des Modells als geeignet beurteilt. 4.3 Erkennung des Bauwerkschadens Die Anomalieerkennung mit den simulierten Daten ist in Abb.-9 für die Lern- und Anwendungsphase dargestellt. Neben den Anomaliewerten der einzelnen Überfahrten ist auch der Median je Tag zu sehen. Durch die Betrachtung des Medians werden langfristige Veränderungen in den Daten sichtbar und einzelne hohe Anomaliewerte, die z.-B. durch ein ungewöhnlich schweres Fahrzeug entstehen, fallen nur geringfügig ins Gewicht. Es ist davon auszugehen, dass sich ein Bauwerksschaden, aber auch eine Fehlfunktion des Messsystems, im Regelfall permanent in den Daten niederschlägt. Entsprechend kann der Median je Tag ein aussagekräftiger Indikator sein. Es zeigt sich, dass der Median in der Lernphase relativ konstant ist und dass die Anomaliewerte bis auf vereinzelte Ausnahmen unterhalb der Schwelle liegen. In der Anwendungphase ist zu sehen, dass die Anomaliewerte in allen Schadensszenarien S1-S4 die Schwelle überschreiten. Folglich wird der simulierte Bauwerksschaden erkannt. Die Anomaliewerte steigen dabei mit zunehmendem Schadensausmaß an, dies ist insbesondere am Median sichtbar. Entsprechend kann der Anomaliewert im Beispiel als qualitativer Indikator für das Schadensausmaß betrachtet werden. In Abb.-10 sind die Signale von vier DMS während einer einzelnen Überfahrt im Schadensszenario S1 dargestellt. Für die DMS b01 und b21 in der Nähe des Schadens (vgl. Abb.-5) ist eine deutliche Abweichung zwischen dem Signal x und der Rekonstruktion des Modells x̂ zu sehen. Folglich sind die Umlagerungen im Tragwerk infolge des 132 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Schadens hier messbar. Die DMS am HT-a zeigen keine wesentlichen Abweichungen. Die Ergebnisse aller Überfahrten können für den simulierten Datensatz als binäres Klassifizierungsproblem anhand von Kennzahlen bewertet werden (s. [13]). Die Richtig-positiv-Rate (TPR, für True Positive Rate) oder auch Sensitivität gibt dabei an, in wieviel Prozent der Fälle ein anomales Ereignis, in diesem Fall eine Überfahrt auf der geschädigten Brücke, auch als solches erkannt wird (Gl.-5). Sie ergibt sich aus dem Quotienten der Anzahl der richtig positiven Bewertungen (TP) und der Gesamtanzahl der bekanntermaßen anomalen Ereignisse (P). Die Richtig-negativ-Rate (TNR, für True negative Rate) wird analog gebildet mit TN für richtig negative (normale) Bewertung und N für die Gesamtzahl der normalen Daten. Weitere übliche Maßzahlen sind die Genauigkeit (ACC für Accuracy, s. Gl.-5) und die Fläche unter der Grenzwertoptimierungskurve (AUC für Area Under Curve). Der AUC-Wert gibt dabei unabhängig von der gewählten Schwelle an, wie gut ein Modell anomale und normale Daten unterscheiden kann. Bei einem Modell das zufällig eine Klasse wählt, liegt der Wert bei 0.5. Je näher der Wert bei 1.0 liegt, desto leistungsfähiger ist das Modell. (5) Die Bewertungen der Vorhersagen des TCN-Autoencoders für die einzelnen Szenarien in der Anwendungsphase sind in Tab.-1 zusammengefasst. Im Kontrollszenario S0 werden die Daten bei rund 99 % der Überfahrten als normal klassiert. Da das 99 %-Quantil als Schwelle für die Anomalieerkennung gewählt wurde, liegt dieser Wert im erwartbaren Bereich. Im Szenario S1 bei einer simulierten Risslänge von 20 cm wird der Schaden bereits bei 98 % der Überfahrten erkannt. Bei größeren Risslängen steigt die Rate und in den Szenarien S3 und S4 wird der Schaden bei jeder Überfahrt identifiziert. Für die Genauigkeit und den AUC-Wert werden die Daten von jeweils einem Schadensszenario S1-S4 mit dem Kontrollszenario S0 gemeinsam ausgewertet. Für beide Bewertungsmaße werden im simulierten Beispiel sehr hohe Werte erreicht mit ACC über 98 % und AUC quasi 1.0 in allen Szenarien. Tab.-1: Bewertung der Schadenserkennung Schadensszenario S0 S1 S2 S3 S4 TNR [%] 98.81 TPR [%] 98.07 99.25 100.00 100.00 ACC [%] 98.44 99.03 99.41 99.41 AUC [-] 0.997 1.0 1.0 1.0 4.4 Schadenslokalisierung Zur Lokalisierung von Bauwerkschäden wird hier ein heuristischer Ansatz betrachtet. Dabei wird angenommen, dass die größten Veränderungen des Tragverhaltens an den Sensoren in der Nähe des Schadens messbar sind. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass die größten Abweichungen zwischen den Messdaten und der Rekonstruktion des Modells entsprechend an diesen Sensoren vorliegen (vgl. [16]). Als Bewertungsgröße zur Lokalisierung wird der durchschnittliche Fehler ε k für den Sensor k über n Überfahrten betrachtet (Gl.-6). (6) Abb.-11: Schadenslokalisierung anhand des durchschnittlichen Fehlers ε k je DMS (s.-a. Abb.-5) Die Ermittlung des durchschnittlichen Fehlers erfolgt für jedes Schadensszenario S1-S4. Die Lokalisierung kann darauf hin durch einen qualitativen Vergleich der Fehler je Sensor vorgenommen werden. Die entsprechenden Werte sind in Abb. 11 für die Schadensszenarien S1 und S2 dargestellt. Bereits im Szenario S1 ist der höchste Fehlerwert für den DMS b21 feststellbar. Dieser Sensor liegt in unmittelbarer Nähe des Schadens (vgl. Abb. 5). Im Szenario S2 zeichnet sich das Maximum noch deutlicher am Sensor b21 ab. Die Schadenslokalisierung ist entsprechend mit dem untersuchten Ansatz im simulierten Beispiel möglich. 4.5 Erkennung von Sensorfehlfunktionen Exemplarisch wird anhand von zwei Fällen untersucht, ob das Autoencodermodell in der Lage ist, Sensorfehlfunktionen zu detektieren. Als simulierte Fehlfunktionen wird zum einen die Zunahme des Rauschens angenommen und zum anderen der komplette Ausfall eines Sensors (s.-a. [25]). In beiden Fällen wird der DMS a02 betrachtet. Zur Erhöhung des Rauschanteils wird dem Signal zusätzliches normalverteiltes Rauschen mit Standardabweichung 3-µm/ m beigefügt. Zur Simulation des 5. Brückenkolloquium - September 2022 133 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring Ausfalls wird die Signalamplitude konstant auf 0-µm/ m gesetzt. Die fehlerhaften Signale sind in Abb.-12 dargestellt. Die Anomaliewerte nach Gl.-4 liegen für beide Fälle oberhalb der Schwelle ε th von 0.26 - beim Sensorausfall sogar sehr deutlich. Folglich werden die Sensorfehlfunktionen durch die Anomalieerkennung erfolgreich identifiziert. Abb.-12: Signale x und Rekonstruktion x̂ für DMS a02 mit zusätzlichem Rauschen (oben) und bei Ausfall (unten) 5. Schlussfolgerungen und Ausblick In den durchgeführten Untersuchungen wird ein TCN- Autoencoder zur Anomalieerkennung in Zeitreihen mit dem Ziel verwendet, Bauwerksschäden und Fehler im Messsystem anhand der Signale von Monitoringanlagen von Brücken zu identifizieren. Die Ergebnisse sollen wie folgt zusammengefasst werden: • Zur Validierung der Schadenserkennung wird ein Ermüdungsriss im Hauptträger einer Stahlbrücke mit einem detaillierten FE-Modell in vier Szenarien S1-S4 mit zunehmenden Schadensausmaß simuliert. Basierend auf den FE-Berechnungen werden Dehnungssignale von 20 DMS unter realitätsnaher Verkehrs- und Temperatureinwirkung für den Zeitraum eines Jahres generiert. • Die wesentlichen Eigenschaften der Dehnungssignale werden im TCN-Autoencoder in komprimierter Form gelernt. Encoder und Decoder setzen sich dabei jeweils aus einem TCN-Block und einer separaten Convolutional-Schicht zusammen. Die TCN-Blöcke bestehen aus einem hierarchischen Auf bau von Convolutional-Schichten und können sowohl Kurzzeitals auch Langzeitabhängigkeiten in den Signalen abbilden. Die Daten werden durch den Encoder im Verhältnis 40: 1 komprimiert. • Der Autoencoder wird direkt auf die simulierten Dehnungssignale einzelner Überfahrten angewendet, ohne Datenvorverarbeitung und ohne Annahmen bzgl. der physikalischen Zusammenhänge in den Signalen. Es soll angemerkt werden, dass bei realen Messdaten eine Isolation einzelner Überfahrten als Vorverarbeitungsschritt nötig wäre, um ähnliche Daten zu erhalten. Jedoch ist in weiterer Forschung zu klären, ob dieser Schritt für das Modell erforderlich ist. • Als Anomaliewert wird die Summe der quadrierten Residuen zwischen neuen Messdaten und der Rekonstruktion des Autoencoders betrachtet. Der Anomaliewert hat eine ähnliche Verteilung für Trainings- und Testdaten, wodurch die Gültigkeit des Modells bestätigt wird. Als Schwellenwert für die Anomalieerkennung wird das 99 %-Quantil einer Log-Normalverteilung gewählt, die an den Anomaliewert der Trainingsdaten angepasst wird. • Der Anomaliewert zeigt eine geringe Abhängigkeit vom Fahrzeuggewicht der simulierten Überfahrten, ist ansonsten aber weitestgehend unabhängig von den betrachteten Eingangsgrößen der Simulation, d.-h. Position des Fahrzeugs in Brückenquerrichtung, Temperatur sowie Fahrzeuglänge. • Der simulierte Bauwerksschaden wird bereits im Schadenszenario S1 in 98 % der Überfahrten richtig erkannt. Die Anomaliewerte steigen mit zunehmenden Schadensausmaß und können im Beispiel als qualitativer Indikator für das Schadensausmaß betrachtet werden. In den höheren Schadenszenarien wird eine Richtig-Positiv-Rate nahe 100 % erreicht. Für Genauigkeit und AUC-Wert zeigt das Modell ebenfalls sehr hohe Werte. • Zur Schadenslokalisierung wird ein durchschnittlicher Rekonstruktionsfehler je Sensor betrachtet. Der Bauwerksschaden kann mit diesem heuristischen Ansatz bereits im Szenario S1 erfolgreich lokalisiert werden. • Als Fehlfunktionen eines Sensors wird zum einen starkes Rauschen des Signals und zum anderen ein kompletter Ausfall simuliert. Beide Fehlfunktionen werden durch die Anomalieerkennung identifiziert. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die vorgestellten Untersuchungen das Potenzial von TCN- Autoencodern und ähnlichen DL-Ansätzen für die Strukturüberwachung unterstreichen. Bis zu einem umfassenden Einsatz in der Bewertung und Überwachung des Brückenbestandes sind allerdings noch mehrere offene Fragen zu untersuchen. Nachfolgend sollen einige aus der Sicht der Autoren kritische Punkte umrissen werden: • Zunächst ist die Anwendung der vorgestellten Methodik mit realen Messdaten von Brücken zu demonstrieren. Insbesondere ist zu validieren, dass es möglich ist, reale Bauwerksschäden unter üblichen Betriebsbedingungen in der Anomalieerkennung zu identifizieren. Hierzu sind Messdaten von großangelegten Experimenten mit künstlich induzierten Schäden an Brücken am Ende ihrer Nutzungsdauer nach dem Vorbild der z24-Brücke wünschenswert. • Weiterführend ist zu untersuchen, welche Arten an Bauwerksschäden bei welchen Brückentypen grund- 134 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anomalieerkennung in Zeitreihen für die Strukturüberwachung von Brücken durch Bauwerksmonitoring sätzlich erkannt werden können sowie welche Sensortechnologien und Sensorpositionen dafür am geeignetsten sind. • Autoencoder für Zeitreihen bieten grundsätzlich die Möglichkeit, die Signale unterschiedlicher Sensortypen kombiniert zu verarbeiten. Hier ist zu untersuchen, welche Modell-Architekturen sinnvoll sind und wie beispielweise mit unterschiedlichen Abtastraten verschiedener Sensorgruppen umgegangen wird. • Ein Nachteil der vorgestellten Methodik besteht darin, dass ein Autoencoder zunächst mit den Messdaten einer Brücke über einen langen Zeitraum trainiert werden muss. Das Modell gilt dann auch nur für das betrachtete Bauwerk. Hier sind Ansätze zu entwickeln, wie Modelle auf unterschiedliche, beispielweise in der Konstruktionsart ähnliche Brücken, übertragen werden können (Transfer Learning). In diesem Zusammenhang muss für die Anwender interpretierbar sein, wie sich die Modelle in Bereichen mit wenig oder keinen Lerndaten verhalten (Extrapolation). • Für die Instandhaltung des Brückenbestands ist es nicht nur relevant, ob ein Bauwerksschaden an einer Brücke vorliegt, sondern v.-a. welche Konsequenzen daraus entstehen und ob das Bauwerk noch die geforderte Zuverlässigkeit bietet. Für diese höheren Stufen der Schadenserkennung werden physikalische Ingenieurmodelle benötigt. Hier sind Konzepte zu erarbeiten, wie die Information aus den nicht physikalischen DL-Modellen zur Anomalieerkennung in physikalische Modelle zur Bewertung der Zuverlässigkeit einfließen kann. Letztlich stellt sich dabei auch die Frage nach der Zuverlässigkeit und Modellunsicherheit der DL-Modelle. Literatur [1] Farrar, C. R., Worden K. (2010) An Introduction to Structural Health Monitoring. In: Deraemaeker, A.; Worden, K. [Hrsg.] New Trends in Vibration Based Structural Health Monitoring. 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Yasser Alshaban Alqasem Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Markus König Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland Zusammenfassung Anwendungen von Algorithmen des maschinellen Lernens bei der Sicherheitsbewertung von Elementen der Infrastruktur wie Straßen, Brücken, Windkraftanlagen, usw. sind in den letzten Jahren intensiv erforscht worden. Mit den zunehmenden Entwicklungen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz können heutzutage komplexe Entscheidungsmodelle abgebildet werden, die die Möglichkeit bieten, den Lebenszyklus der Infrastruktur auf der Grundlage großer Datenmengen zu bewerten. In diesem Beitrag wird die Erarbeitung eines maschinellen Lernmodels vorgestellt, das anhand von Daten aus verschiedenen Schadensszenarien bzw. Schadensmustern eine Entscheidung über den Zustand treffen kann. 1. Einleitung Die Funktionsfähigkeit der Straßeninfrastruktur spielt eine wichtige Rolle für die Entwicklung einer modernen Gesellschaft. Der Großteil der Brücken in Deutschland wurde in den 70er Jahren gebaut und in Betrieb genommen [1]. Aufgrund von vorhandenen Defiziten und der kontinuierlich anwachsenden Schwerverkehrsbelastung ist bei einem zunehmenden Anteil dieser Brücken das Ende der Nutzungsdauer erreicht. Um die Erhaltung der bestehenden Brücken zu optimieren, ist die Gesellschaft auf die Überwachung der Brücken angewiesen. Die bisherige Erhaltungsstrategie des Straßenbaublasträgers ist reaktiv und basiert seit Jahrzehnten auf der handnahen Bauwerksprüfung nach DIN 1076. Da die Bestandbrücken nicht mehr die aktuellen Anforderungen der Norm erfüllen, wurde ab 2011 die traditionelle Überwachung von Brücken durch die Einführung der Nachrechnungsrichtlinie [2] um rechnerische Methoden ergänzt, um die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit der nach alten Normungen bemessenen Brücken einheitlich zu bewerten [3]. Allerdings bleibt die Erhaltungsstrategie reaktiv. Es wird erst gehandelt, wenn die Schäden sichtbar sind. In den letzten Jahren hat die Forschung zur Echtzeit-Brückenüberwachung an Bedeutung zugenommen, um die Zustandserfassung von Brücken intelligent, und digital unterstützt weiter zu entwickeln. Die automatisierte Erkennung von Schäden und Bewertung von Risiken an der Straßeninfrastruktur stellt eine große Herausforderung für das Erhaltungsmanagement der Straßenbauverwaltungen dar. Die wesentliche Herausforderung bei der Schadenserkennung ist es, zum einen die Änderung im Tragverhalten, die Art, den Ort und das Ausmaß eines Schadens sowie ggf. eine Änderung im Tragverhalten zu identifizieren. In diesem Zusammenhang können Algorithmen der künstlichen Intelligenz (KI) zum Einsatz kommen. KI benötigt eine Menge von Daten bei unterschiedlichen Verkehrs- und Witterungsbedingungen über einen längeren Zeitraum, um sie aussagekräftig gestalten zu können sowie alle möglichen Szenarien abzudecken. Dazu sollen Daten aus messtechnisch ausgestatteten Brücken (Reallabore) unter realen Bedingungen gesammelt werden. Zu diesem Zweck sind weltweit Reallabore eingerichtet worden [4], um die Entwicklung von intelligenten Echtzeit-Überwachungssysteme voranzutreiben. Eine Brücke hat jedoch ein komplexes Tragverhalten, das von ihrer Konstruktion, den verwendeten Baumaterialien und der Qualität der Ausführung abhängt, so dass es schwierig ist, Schäden mittels traditioneller Vorgehensweisen zu erkennen oder festzustellen. Hinzu kommt, dass ein Großteil der Reallabore an Bestandsbauwerken eingerichtet wurde. Diese Bauwerke waren bereits längere Zeit dem Einfluss von Verkehr und Witterung ausgesetzt und Informationen über den Ausgangszustand sind in der Regel nicht vorhanden, so dass die Erkennung von neuen Schäden und die Erfassung von Veränderungen im Tragverhalten schwierig sind. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hat im Rahmen des Forschungsschwerpunktes „Intelligente Brücke“ Reallabore sowohl im Bestand als auch als Neubau eingerichtet, um die Entwicklung intelligenter Systeme zur Unterstützung der bisherigen Erhaltungsmanagementstrategie zu realisieren [5] [6]. Angesicht der fortschreitenden Digitalisierung und steigender Rechenkapazitäten sowie intensiver Entwicklung von Sensoren setzt sich die künstliche Intelligenz in vielen Branchen der Industrie durch. Big Data bezeichnet eine große Menge an strukturierten und unstrukturierten Messdaten oder Zustandsdaten, und bildet den Grundstein für die Entwicklung von intelligenten Systemen, die dank ihrer Lernfähigkeit Entscheidungen zu bestimmten Aufgaben treffen können [7] [8]. Rohdaten aus Messsensoren haben nur eine geringe Aussagekraft über den Zustand eins Bauwerks. Deshalb ist es 138 5. Brückenkolloquium - September 2022 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz notwendig, aus den Messdaten gewisse Kenngrößen bzw. Merkmale (eng. Features) abzuleiten [9], die charakteristische Eigenschaften eines Signals beschreiben [10]. Somit können Merkmale sinnvolle Informationen enthalten, die in einem maschinellen Lernmodell weiterverarbeitet werden können. Das Extrahieren von Merkmalen erfolgt mit Methoden der Signalverarbeitung im Zeit-, Frequenz- und Zeitfrequenzbereich [11]. Der Fokus dieses Beitrages liegt an der Erstellung eines grundlegenden Konzepts zur szenarien-basierten Schadenserkennung, die darauf basiert, virtuell Schäden an einem Bauwerk einzufügen und die Änderung im Tragverhalten abzuleiten (Szenario-basierte Simulation). Die gewonnenen Daten werden den Schadensarten zugeordnet, und mit einem maschinellen Lernmodell verarbeitet. Das Modell lernt das Verhalten jedes Szenarios und wird dadurch für neue, unbekannte Daten Vorhersagen treffen können. 2. Theoretische Grundlagen Seit über 50 Jahren ist künstliche Intelligenz (KI) Gegenstand der Forschung. Der Begriff KI wird dadurch definiert, dass eine Maschine bestimmte Entscheidungsstrukturen des Menschen nachbilden kann. Darüber hinaus beinhaltet KI gewisse Systeme, die ihre Umgebung erfassen und berücksichtigen und aus eigenen Erfahrungen lernen können [12]. Aufgrund der Lernfähigkeit der KI ist sie in verschiedenen Bereichen der Naturwissenschaft, Forschung, Medizin, Wirtschaft usw. intensive erforscht und angesetzt worden. KI ist mit zwei weiteren Begriffen verbunden: Maschinelles Lernen (ML = Machine Learning) und tiefes Lernen (DL = Deep Learning). DL ist Teilbereich des ML und unterscheidet sich von ML durch den Lernprozess. Beim ML werden mathematischen Methoden der Mustererkennung verwendet, um die Methodik der Lösung eines Problems zu lernen. ML benötigt menschliche Vorarbeit bei der Ableitung von Merkmalen. Im Gegensatz dazu richtet sich das DL nach der Struktur der menschlicheren Neuronen beim Lernen. Neuronen, die zur richtigen Lösung führen, werden durch Gewichtung verstärkt. Dadurch können neuronale Netze selbst aus den Daten Merkmale finden [13]. KI umfasst ein breites Spektrum von Algorithmen und Modellierungswerkzeugen, die für eine Vielzahl von Datenverarbeitungsaufgaben angesetzt werden können. Das allgemeine Ziel von maschinellem Lernen (ML) ist es, Muster in den Daten zu erkennen, die die Art und Weise bestimmen, wie Probleme behandelt werden, die bisher mit üblichen Verfahren nicht lösbar waren [14]. ML lässt sich in überwachtes Lernen (Supervised Learning), unüberwachtes Lernen (unsupervised Learning), halbüberwachtes Lernen (semi-supervised learning) und bestärkendes Lernen (reinforcement learning) unterteilen [15]. Der Zweck des überwachten Lernens ist es, ein Modell zu erstellen, dass auf Grundlage von gekennzeichneten (labeled) Lern- und Testdatensätzen eine Vorhersage über unbekannte Daten machen kann. Im Gegensatz dazu bedarf unüberwachtes Lernen keinen gekennzeichneten Datensatz. Bei diesen Modellen werden in den vorhandenen Datensätzen Mustern oder Strukturen gesucht [10]. Clustern ist die am weitesten verbreitete unüberwachte Lerntechnik [16] [15]. Beim halbüberwachten Lernen ist nur ein Teil der Datensätze gekennzeichnet. Beim bestärkenden Lernen wird der Algorithmus vorab nicht angelernt, wie eine Vorhersage getroffen werden kann, sondern der Algorithmus lernt aus den eigenen Erfahrungen, und somit kann er die Qualität seiner Entscheidung selbst evaluieren [17]. Im Folgenden wird das erarbeitete Konzept zur Schadenserkennung vorgestellt. Es lässt sich in vier grundlegende Schritte einteilen, siehe Abbildung 1. Der erste Schritt beginnt mit der Erstellung eines Finite-Elemente-Modells für das betrachtete Bauwerk. In dieses Modell werden im zweiten Schritt zu untersuchende Schadenzszenarien eingefügt. Aus der FE-Berechnung dieser Szenarien wird eine umfassende Datenmenge gesammelt. Die Daten sind entweder mechanische Größen wie statische oder dynamische Größen oder künstliche Messdaten. Anschließend werden die Daten zur Ableitung von Merkmalen verarbeitet. Abgeleitete Merkmale werden wiederum zum Trainieren eines Algorithmus verwendet und abschließend ist ein iterativer Prozess zur Optimierung des Modelles vorzunehmen. Wenn die angestrebte Genauigkeit erreicht ist, kann das Modell für neue unbekannte Daten verwendet werden [18]. Abbildung 1: Schematische Darstellung des Konzeptes zur szenarien-basierten Schadenserkennung 3. Künstliche Intelligenz in Zusammenhang mit numerischen Rechenmodellen KI kann aufgrund ihrer Lernfähigkeit und hohen Flexibilität beim Lösen stark nichtlinearer Problemstellungen unterstützen. Die Verwendung von KI an Daten, die durch numerische physikalische Modelle generiert sind, kann für das Monitoring von Echten Produkten Verwendung finden. In der Forschung gibt es bereits Ansätze zum Monitoring von Produkten wie Teile von Autos, Pumpen, Roboter, Flugzeuge usw. anhand aus physikalischen Modellen generierten Daten [19] [20]. Dazu kann KI für die Optimierung der Bemessung von Bauteilen verwendet werden. [21]. In diesem Abschnitt werden zwei Beispiele auf der Grundlage des in Abbildung 1 dargestellten Schemas behandelt. Im ersten Beispiel werden verschiedene Schadensszenarien an einem numerischen Modell eines Einfeldträgers erzeugt. Diese werden durch ein maschinelles Lernmodell erlernt und an einem neuen unbekannten Testdatensatz evaluiert. Im zweiten Beispiel werden die Schadenzszenarien unter Berücksichtigung des realen Verkehrs 5. Brückenkolloquium - September 2022 139 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz erstellt. Hierzu werden künstlich erzeugte Messdaten für imaginäre Neigungssensoren verwendet. 3.1 Numerisches Model zur Ermittlung von modalen Eigenschaften für verschiedene Schadensszenarien Ein Schaden an einem Bauwerk kann sich durch die Änderung der dynamischen Eigenschaften bezeichnen. Modale Eigenschaften, wie Eigenfrequenzen, Eigenformen und der Dämpfungsbeiwert können eine Änderung durch strukturelle Schäden aufweisen. Jeder Riss oder jede örtliche Beschädigung an einem Bauwerk kann die Steifigkeit verringern und die Dämpfung bzw. die Reibung erhöhen. Die Verringerung der Steifigkeit ist mit einer Veränderung der Eigenfrequenzen und der Eigenformen des Bauwerks verbunden. In dokumentierten Forschungsarbeiten wurde eines oder wurden mehrere der o.g. Eigenschaften verwendet, um einen Riss zu erkennen und zu lokalisieren. Oftmals wird die Änderung der Krümmung als Indikator zur Erkennung eines Schadens betrachtet. Veröffentlichungen zu diesem Thema sind in [22] und [23] zu finden. Zhu [24] zeigt, dass die Verarbeitung der Krümmung eines Bauwerks im Zeitfrequenzbereich ein mögliches Merkmal darstellt, um die Diskontinuitäten eines Signals zu erkennen. In diesem Beitrag wird der Fokus auf die Ableitung der Krümmung durch das Ableiten der ersten Verdrehungseigenform sowie das Verwenden von ML-Modellen zur Erkennung eines Schadens und des Schadensorts gelegt. Die Erkennung eines Schadens bzw. von mehreren gleichzeitig auftretenden Schäden wird mit Hilfe von ML erarbeitet. Für die Untersuchung wird ein numerisches Modell eines Einfeldträgers in MATLAB erstellt. MATLAB ist eine matrixbasierte Programmiersprache, mit der sich verschiedene mathematische und physikalische Probleme lösen lassen [25]. FEM wird verwendet, um sowohl die Verdrehungseigenformen als auch Verschiebungseigenformen zu berechnen. Die zweite Ableitung der Verdrehungseigenformen (Entspr. der ersten Ableitung der Krümmung) wird durch numerische Differentiation ermittelt [26]. An dem erstellten Modell werden fünf Schadensszenarien untersucht, um die Sensibilität der KI bei der Erkennung der Schäden darzustellen. Schadensszenarien werden durch die Verringerung des E-Moduls der Elemente erstellt [27]. Der Einfeldträger in Abbildung 2 wird in eine Reihe von 100 finiten Elementen in (MATLAB, Version R2021a) diskretisiert. Für jedes Element werden die Elementsteifigkeitsmatrix [k e ] und die Massenmatrix [me] formuliert. Anschließend werden alle Elementmatrizen der finiten Elemente in globalen Matrizen K und M zusammengestellt, siehe Gleichungen (2) und (3). An jedem Knoten eines Elements werden zwei Freiheitsgrade w (Verschiebung) und j (Verdrehung) in Betracht gezogen. Wenn alle Elemente zusammengesetzt sind, ergibt sich die endgültige Gleichung, siehe Gleichung (1): Abbildung 2: Darstellung des einfachen numerischen Modells (1) Wobei (2) (3) Nach dem Auf bauen der Steifigkeits- und Massenmatrix werden die Randbedingungen als fest angenommen. Die Steifigkeit wird durch die Geometrie und das Material des Einfeldträgers bestimmt. Die Berechnung zielt darauf ab, die Eigenformen der vordefinierten Freiheitsgrade (w und j) zu ermitteln. Modale Eigenschaften des ungedämpften Systems lassen sich durch die Gleichung (4) berechnen [28]. (4) Wobei w die Eigenfrequenz und {X}Eigenvektor des betrachteten Freiheitsgrads darstellt. Die ersten fünf ermittelten Eigenvektoren bzw. Eigenformen der betrachteten Freiheitsgrade w und j sind in Abbildung 3 und Abbildung 4 über die Modelllänge dargestellt. Abbildung 3: Darstellung der ersten fünf Verschiebungseigenformen 140 5. Brückenkolloquium - September 2022 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz Abbildung 4: Darstellung der ersten fünf Verdrehungseigenformen 3.1.1 Schadensszenarien Zunächst werden an dem Einfeldträger mehrere Schadensszenarien an verschiedenen Stellen betrachtet. Die Schäden werden jeweils durch eine Verringerung des E Moduls des beschädigten Elements um 10 % berücksichtigt, siehe Abbildung 5, Szenario B. Dies kann eine lokal plötzlich auftretende Schädigung wie z.B. Litzenbrüche eines Spanngliedes darstellen. Die Szenarien B, C, D und E unterscheiden sich durch den Ort des Schadens bzw. mehrerer Schäden. Szenario A steht für das Modell ohne Schäden. Im Weiteren wird jedes Szenario mit drei unterschiedlichen Längen 1-3 m und in einem Fall mit einer Verringerung der Elementsteifigkeit um 10 % mit der Länge L = 1 m analysiert. Dies kann z. B. eine geänderte Querschnittform repräsentieren. Die Variierung der Länge und Querschnittsform dient zur Abbildung 5: Schematische Darstellung der Szenarien. Gewinnung von Daten, die anschließend mit einem ML-Modell verarbeitet werden sollen. Das ML-Modell soll diese Daten lernen und anhand von neuen unbekannten Daten Entscheidungen treffen, an welcher Stelle Schäden entstanden sind. 3.1.2 Ergebnisse Insgesamt wurden 10 Eigenformen ermittelt. Für die weitere Berechnung sind nur die ersten Eigenformen von Interesse, siehe Abbildung 3 und Abbildung 4, jeweils blaue Linien. Die erste Verschiebungseigenform wird für die Ermittlung des ersten Merkmals der Szenarien verwendet. Das erste Merkmal wird statistisch mit der mittleren absoluten Abweichung von Median (MADm01) gerechnet, siehe Gleichung (5). (5) 5. Brückenkolloquium - September 2022 141 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz Abbildung 6: Darstellung der abgeleiteten Krümmung im Zeitfrequenzbereich (Short Time Fourier Transformation [STFT]). Szenario B (oben links), Szenario C: (oben rechts), Szenario D: (unten links), Szenario E: (unten rechts). Die durch numerische Differenzierung abgeleitete Krümmung wird im Zeitfrequenzbereich dargestellt, um die Änderung des Frequenzinhaltes am Schadensort zu kennzeichnen. Die Short Time Fourier Transformation (STFT) wurde dafür verwendet und als Spektrogramm dargestellt [29], siehe Abbildung 6. Es zeigt sich, dass sich am Ort des Schadens eine klare Änderung der Magnitude abzeichnet. Dies deutet darauf hin, dass sich die Frequenzinhalte der abgeleiteten Krümmung an der Stelle des Schadens verändert. Das Prinzip der STFT basiert auf der Erstellung eines Analysefensters, mit einer konstanten Länge, das schrittweise über die zu analysierenden Daten verschoben wird, um die Änderung im Frequenzinhalt der Daten zu erkennen [30]. Aus der Darstellung des Spektrogramms aller Szenarien wurden die Maxima und ihre Amplituden als weitere Merkmale für das maschinelle Lernen verwendet. Nachdem die Merkmale vorbereitet sind, werden sie in einem iterativen Prozesse mit einem Klassifikations-Ensemble Modell verarbeitet. Das Klassifikations-Ensemble Modell ist ein baumbasierter Ensemble-Lernalgorithmus, der dem Prinzip des Boosting folgt. Boosting ist dabei eine Technik, bei der mehrere schwache Lernalgorithmen verwendet werden, um einen starken Lernalgorithmus zu konfigurieren [31] [32]. Das Modell bedarf zweier Phasen, eine Lernphase mit 75 % und Testphase mit 25 % der Daten. Die Ergebnisse der szenarien-basierten Schadenserkennung mit maschinellem Lernen zeigen, dass das Lernmodell alle Szenarien wiedererkannt hat, siehe Abbildung 7. Das Modell wurde zusätzlich an neuen Szenarien mit der Variation des Schadensorts und der Anzahl der Schäden getestet. Das Modell konnte die zu testenden Schäden den ähnlich angelernten Szenarien zuordnen.In der Realität ist die Erkennung von Schäden anhand der Änderung der Eigenfrequenzen oder. Eigenformen schwierig, da die Änderung erst ab einem gewissen Schädigungsausmaß dargestellt werden kann [33]. Eine bessere Aussagequalität entsteht, wenn eine höhere Dichte von Sensoren verwendet wird und damit eine Aussage über den Zustand abgeleitet werden kann. Dies ist mit höheren Kosten und Rechenaufwand verbunden. In dem nächsten Beispiel werden künstlich erzeugte Messdaten für die Ableitung von Merkmalen unter real gemessenen Verkehrseinwirkungen verwendet. 142 5. Brückenkolloquium - September 2022 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz Abbildung 7: Konfusionsmatrix der validierten (links) und getesteten (rechts) Datensätze 3.2 Künstlich erzeugte Messdaten einer geschädigten Brücke Im Rahmen des Themenschwerpunkts „Intelligente Brücke“ der Bundesanstalt für Straßenwesen wurde im Jahr 2015 das vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) geförderte Reallabor „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“ auf der A9 zwischen Nürnberg und München eingerichtet [5]. Es handelt sich um eine gekrümmte Spannbetonbrücke mit einem begehbaren einzelligen Hohlkasten, siehe Abbildung 8. Die Brücke besteht aus vier Feldern und die einzelnen Spannweiten betragen 37,8 m, 45,0 m, 44,0 m, 29,0 m. Die Gesamtbreite des Überbaus beträgt 15,4 m zwischen den Geländern. Die maximale Querschnittshöhe beträgt 3,17 m. Um digitale Innovationen unter realen Bedingungen testen zu können, wurde das Bauwerk mit umfangreicher Messtechnik ausgestattet [34]. Unter anderem wurde damit das Verkehrsaufkommen im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte untersucht [34]. Für die Brücke wurde ein Schalenelementmodell in der kommerziellen Software InfoCAD der Firma InfoGraph erstellt, dem der reale Verkehr zugewiesen wurde. Dadurch wurden die Einflussflächen der Brücken berechnet, anhand derer künstliche Messdaten generiert wurden. Vertiefende Informationen sind in [34] zu finden. Abbildung 8: Querschnitt der intelligenten Brücke [34] 5. Brückenkolloquium - September 2022 143 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz Das Ziel der Generierung von Messdaten ist es, neuere KI-Entwicklungen testen zu können. Da die meisten neuen Brücken noch keine Schäden aufweisen und die bestehenden Brücken keine Referenzmessung aufweisen, ist es sinnvoll, Daten bei verschiedenen Schadensszenarien zu generieren und diese mit KI-Algorithmen zu bewerten. 3.2.1 Messkonzept Die intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn wurde im vierten Feld zwischen den Achsen 40 und 50 virtuell mit einem Monitoringsystem ausgestattet. Das virtuelle Monitoringsystem besteht aus fünf Messquerschnitten, an denen virtuelle Messsensoren angebracht sind, siehe Abbildung 9. Der Messquerschnitt über dem Pfeiler und dem Auflager ist identisch und beinhaltet je zwei Sensoren für die Neigungsmessung und die Verschiebungsmessung, die auf der unteren Platte des Hohlkastens zentriert sind, siehe Abbildung 10 oben. Die Messquerschnitte 2, 3 und 4 sind identisch. Sie bestehen aus vier virtuellen Dehnungsmessstreifen. Zwei befinden sich links und rechts an der Bodenplatte, zwei sind oben und unten zentriert. Dazu ist an der unteren Platte ein virtueller Neigungssensor angebracht, siehe Abbildung 10 unten. Die Messfrequenz der Sensoren beträgt 75 Hz. Abbildung 9: Darstellung der fünf virtuellen Messquerschnitte im vierten Feld der Brücke sowie der Ort der Szenarien sz1 und sz2 [34] Abbildung 10: Messsensoren in Messquerschnitt 1 und 5 MQ_1/ 5 (oben) und in Messquerschnitt 2, 3 und 4 MQ_2/ 3/ 4 (unten) [34] 3.2.2 Schadensszenarien An dem mit FEM erstellten Modell der Brücke werden zwei Schäden durch die Abminderung des E-Moduls und ein Schäden durch die Änderung der Lagerbedingungen verursacht. Das erste Schädigungsszenario (SZ1) stellt eine örtlich begrenzte, allmählich zunehmende Schädigung des Bauwerks dar. In der Realität kann dies z. B. eine chloridinduzierte Korrosion des Betonstahls sein [34]. Im Tragwerk wird der E-Modul allmählich mit der Zeit bis zu 30 % im Feld 4 vom Momentennullpunkt bis zur Achse 50 verringert [34], siehe Abbildung 9. Das Schädigungsszenario (SZ2) stellt einen lokal plötzlich eintretenden Schaden dar. Dies kann in der Realität als plötzlich eintretender Bruch eines Spanngliedes betrachtet werden. Der Schaden wurde durch die Verringerung des E-Modules um 50 % an der betrachteten Stelle abgebildet, siehe Abbildung 9. Das Schädigungsszenario (SZ3) stellt einen global schleichend eintretenden Schaden dar. Dies kann in der Realität als Blockierung eines Lagers verstanden werden. Die Lagerbedingungen wurden in der Analyse allmählich geändert. Die Verschiebung der Brücke in Längsrichtung wurde von freier Bewegung des Überbaus auf eine mit Feder behinderte Bewegung umgewandelt [34]. 3.2.3 Ableitung von Merkmalen Zunächst werden die künstlichen Messdaten aus den fünf Messquerschnitten herangezogen. Es werden Untersuchungen an jeden Messquerschnitt zu den Schadensszenarien durchgeführt. Aus dem Neigungssignal aller Messquerschnitte sowie Verschiebungssignal in Messquerschnitte 1 und 5 wurden Merkmale im Zeit- und Frequenzbereich abgeleitet. Im Zeitbereich betrifft dies den maximalen Signalwert, die Standardabweichung, den Impulsfaktor und den quadratischen Mittelwert. Für die Ermittlung der Merkmale im Frequenzbereich wird eine Spektralanalyse durchgeführt. Dabei werden die Zeitreihen mit einem autoregressivem (AR) Spektralschätzer im Frequenzbereich dargestellt. Mit einem AR Spektralschätzer können die Zeitreihen jedes Signals in einem Spektrum der Frequenzinhalte und ihre Amplituden umgewandelt werden. Der Vorteil dieses Modells im Gegensatz zur Fourier Transformation liegt darin, dass einerseits Rauschen unterdrückt werden kann, anderseits kann das Modell besser nahe beieinander liegende Amplituden trennen [35]. Mehr Informationen zum Thema Spektralanalyse sind in [36] [37] enthalten. oftmals sind die Daten im Frequenzbereich einfacher zu bearbeiten und können maßgebende physikalische Informationen über Änderungen eines Signals beinhalten. 3.2.4 Ergebnisse In der Abbildung 11a ist das Neigungssignal im Messquerschnitt 4 für die Schadensszenarien (S1, S2, S3) sowie den ungeschädigten Zustand (S0) dargestellt. Zusätzlich ist in der Abbildung 11b der Maßstab des Signals in markierten Bereich der Abbildung a vergrößert dargestellt, um zu erkennen, inwieweit sich die Szenarien im Zeitverlauf untereinander unterscheiden lassen. Aus dem 144 5. Brückenkolloquium - September 2022 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz Signal sind augenscheinlich keine Unterschiede der Neigungen zu erkennen. Jedoch ist aus der Darstellung der abgeleiteten Merkmale aus dem Frequenzbereich in der Abbildung 12 zu erkennen, dass der plötzliche Schaden (S2) in einer deutlich anderen Richtung als die anderen Schadensszenarien (S1 und S3) im Vergleich zum unbeschädigten Zustand (S0) verläuft. Die Szenarien S1 (Rot) und S3 (Violett) sind hinlänglich von dem unbeschädigten Zustand der Brücke S0 zu unterscheiden. Allerdings überlappen sich die Merkmale an manchen Stellen. Diese Überlappung führt zur Verschlechterung der Ergebnisse des ML-Modells. In der Tabelle 1 ist die Genauigkeit der Ergebnisse für die einzelnen Messquerschnitten aufgeführt. Das o.g. Klassifikations-Ensemble Lernmodell wird hier verwendet. 70% der Daten werden für das Trainieren und 30% für den Test angenommen. Die Ergebnisse zeigen, dass das Modell mit bis zu 87% Genauigkeit zwischen unbeschädigtem Zustand und den Schadensszenarien im Messquerschnitt 4 unter realen Verkehr unterscheiden kann. Eine Verbesserung der Ergebnisse kann mit der Zerlegung des Modells in mehrere Untermodelle erfolgen, wobei jedes Modell für ein Szenario zuständig ist. Dieser Schritt dient zur Verringerung der Überlappung der Merkmale. Die letzten zwei Zeilen in der Tabelle 1 stellen dar, dass bei der Verwendung von Untermodellen bis zu 97 % Genauigkeit erreicht werden kann. Dies entspricht der Steigerung der Genauigkeit um 12 % in den Messquerschnitten 3 und 5. Tabelle 1: Genauigkeit der berechneten Szenarien aus den fünf Messquerschnitten in %. Messquerschnitt_Szenarien Validation Test MQ1_S0S1S2S3 69 56 MQ2_S0S1S2S3 96 74 MQ3_S0S1S2S3 97 82 MQ4_S0S1S2S3 96 87 MQ5_S0S1S2S3 97 85 MQ5_S0S3 100 97 MQ3_S0S1S2 100 97 Abbildung 11: Darstellung der Neigung aus dem Messquerschnitt 4 im unbeschädigten Zustand S0 und bei den betrachteten Schadensszenarien S1, S2, S3 (a) Sowie bei der Vergrößerung des Neigungssignals im markierten Bereich der Abbildung a (b) In der Abbildung 13 sind die Merkmale aus dem Frequenzbereich für das Verschiebungssignal im Messquerschnitt 1 dargestellt. Die Merkmale für das Schadensszenario S3 (Violett) sind deutlich von dem unbeschädigten Zustand S0 (Blau) entfernt. Das deutet darauf hin, dass die Blockierung eines Lagers zur deutlichen Änderung der modalen Eigenschaften eines Bauwerks führt, und somit eine Genauigkeit von 100 % mittels maschinellen Lernens für dieses Szenario zu erwarten ist. 5. Brückenkolloquium - September 2022 145 Szenarienbasierte Schadenserkennung: Anwendungen der künstlichen Intelligenz Abbildung 12: Matrix-Plot der abgeleiteten Merkmale aus dem Frequenzbereich in Messquerschnitt 4 Abbildung 13: Matrix-Plot der abgeleiteten Merkmale aus dem Frequenzbereich in Messquerschnitt 1 4. Zusammenfassung und Ausblick In diesem Beitrag wurde die Anwendung von maschinellem Lernen bei mehreren Schadens- und Verkehrsszenarien für ein Brückenmonitoring dargestellt. Anhand zweier Beispiele wurde ein Konzept zur Unterscheidung zwischen unbeschädigtem und beschädigtem Zustand erarbeitet. Im ersten Beispiel wurde ein numerisches Modell eines Einfeldträgers erstellt, um Daten bei verschiedenen Schadensszenarien zu generieren, und wiederum mit maschinellem Lernen zu verarbeiten. Im zweiten Beispiel wurden künstlich erzeugte Messdaten einer echten Brücke herangezogen. Die Generierung der Daten erfolgte mit FEM unter Berücksichtigung des realen Verkehrs bei verschiedenen Schadensszenarien. Für die Erarbeitung eines maschinelles Lernmodells wurden Merkmale für beide Beispiele abgeleitet. Im ersten Beispiel wurden die Merkmale direkt aus mechanischen Größen (Verlauf der abgeleiteten Krümmung) ermittelt. Im Gegensatz zum ersten Beispiel sind die Merkmale aus dem Messsignal im Zeit- und Frequenzbereich abgeleitet. Es zeigte sich, dass es großes Potenzial zur Anwendung von KI in Brückenmonitoring gibt. Die Ergebnisse zeigen, dass KI Änderungen im Verhalten eines Bauwerks lernen und wiedererkennen kann, wenn eine Referenz zum normalen Zustand eines Bauwerks bei verschiedenen Verkehrsszenarien vorhanden ist. Bei der Entwicklung eines maschinellen Lernmodelles spielen die Merkmale eine entscheidende Rolle. Schadenssensitive Merkmale bestimmen die Aussagekraft eines Modelles. Merkmale können im Zeit-, Frequenz- und Zeitfrequenzbereich abgeleitet werden. Im Zeitfrequenzbereich kann die Änderung im Tragverhalten durch mechanische Größen bzw. Verläufe erkannt werden. Die Ergebnisse aus dem zweiten Beispiel zeigen, dass Merkmale im Frequenzbereich schadenssensibler als Merkmale im Zeitbereich sind, und eine Auskunft über die physikalische Änderung des Verhaltens eines Bauwerks geben. Mit bis zu 100 % Genauigkeit konnten die Schäden nach der Trainingsphase wiedererkannt werden. Die Erkennung von Schäden mit realen Messdaten stellt eine große Herausforderung dar, da es hier darum geht, mehrere Parameter aufgrund des Witterungseinflusses (z. B. Temperatur, Feuchtigkeit usw.) und des materialbedingten Verhaltens, wie z. B. Kriechen und Schwinden beim Beton und Relaxation bei Spanngliedern im unbeschädigten Zustand zu berücksichtigen. Es besteht Forschungsbedarf hinsichtlich des Einflusses dieser Parameter auf die Aussagekraft der künstlichen Intelligenz. Um die Genauigkeit des verwendeten Modelles an einem Messquerschnitt in allen Szenarien zu steigern, wird für die Zukunft angestrebt, eine kombinierte Verarbeitung von verschiedenen Messsignalen an einem Messquerschnitt zu verwenden. Literaturverzeichnis [1] „Brückenstatistik“, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), 01 09 2021. [Online]. Available: https: / / www.bast.de/ DE/ Statistik/ Bruecken/ Brueckenstatistik.pdf? __blob=publicationFile&v=17. [Zugriff am 29 April 2022]. [2] „Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie)“, 2011. [3] W. Neumann und A. Brauer, „Nachrechnung von Stahl- und Verbundbrücken: Systematische Datenauswertung nachgerechneter Bauwerke“, Bundesanstalt für Straßenwese (BASt): ISBN 978-3- 95606-395-4, Bergisch Gladbach, 2018. [4] D. Inaudi, „Overview of 40 Bridge Structural Health Monitoring Projects, SMARTEC SA, Switzerland, Roctest Ltd, Canada“, International bridge conference, IBC, 2010 , 2010. [5] S. Dabringhaus, S. 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Thomas Tschickardt Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Wayss & Freytag Ingenieurbau AG, Frankfurt, Deutschland M. Eng. Fabian Kaufmann Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Glock Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Zusammenfassung In der Ausführungsphase ist eine kurzyzklische Informationsbereitstsellung entscheidend, um bei auftretenden Störungen oder Verzögerungen direkt reagieren zu können. Der Erfassungsprozess kann heutzutage mittels autonom operienden Drohnen erfolgen. Eine zentrale Herausforderung bei der BIM-basierten Flugplanung mit Drohnen ist das Planen, Simulieren, Verifizieren, Optimieren und Ausführen einer modellbasierten Erfassung auf Basis eines 4-D-BIMs. Der vorgestellte „Lean Erfassungsprozess“ (LEP) löst eine Datenerfassung ereignisbasiert und bedarfsorientiert (Pull-Prinzip) für relevante Aktivitäten der Baustelle aus. Anschließend umfasst der LEP einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (PDCA) der eine modellbasierte Planung (Plan), eine realitätsnahe Simulation (Do), eine Validierung und einheitliche Bewertung (Check) sowie eine Anpassung (Act) der Flugplanung vorsieht. Durch dieses Vorgehen wird sichergestellt, dass ausschließlich relevante Daten und Informationen in der notwendigen Qualität aus dem Bauprozess erfasst werden. 1. Einleitung 1.1 Ausgangssituation Der „Masterplan BIM Bundesfernstraßen“ [1] des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr der Bundesrepublik Deutschland stellt den Regelungsrahmen für die bundesweite Anwendung der BIM-Methodik für öffentliche Infrastrukturprojekte in Deutschland dar. In der BIM-Methodik erstreckt sich der Lebenszyklus eines BIM von der Planungsphase über die Ausführungsphase bis hin zur Betriebs- und Erhaltungsphase [2]. Erste umfangreiche Praxiserfahrungen werden derzeit für die Planungsphase im Infrastrukturbau gesammelt [3] und sollen z. B. durch die Weiterentwicklung des IFC-Formats (Industry Foundation Classes) für die Infrastruktur standardisiert werden [4]. Abbildung 1: Informationsverlust während des Lebenszyklus eines Brückenbauwerks [5] 148 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ereignisbasierte und bedarfsorientierte Datenerfassung für die 4-D-BIM-basierte Flugplanung von Drohnen Die BIM-Methodik wird im Hoch- und Tief bau derzeit noch in der Ausführungs- [6] und Betriebs- und Erhaltungsphase erprobt. In der Ausführungsphase besteht eine hohe Frequenz an Entscheidungsfindungen, da Bauprozesse aufgrund der Einzelfertigung komplex und heterogen sind. Eine automatisierte Datenerfassung während der Bauphase ist unabdingbar zur Eröhung der Effizienz, um die notwendigen Informationen für diese schnelle Entscheidungsfindung, z. B. im Rahmen des Projektmanagements, zu generieren. Abbildung 1 zeigt den Verlust an Informationen während des Lebenszyklus eines Brückenbauwerks, insbesondere in der Bauphase. In der Entwicklungs- und Planungsphase sind die Daten und Informationen meist ganzheitlich mit dem BIM verknüpft. Die Datenerfassung und Dokumentation des Baufortschritts erfolgten dagegen noch in einem überwiegend manuellen, aufwändigen und fehleranfälligen Prozess. Informationen wie Bautagebücher, Pendellisten, Lieferscheine, Berichte zur Qualitätssicherung, Besprechungsprotokolle, Wetterdaten, Vermessungsprotokolle und andere werden täglich auf einer Baustelle generiert. Diese Daten und Informationen werden über verschiedene mögliche Informationskanäle erfasst. Einige werden handschriftlich erfasst, andere sind bereits in einem maschinenlesbaren Tool (z. B. Excel) enthalten und wieder andere gehen durch menschliche Fehler verloren. Erste Forschungsansätze, die auf einer automatisierten Datenerfassung basieren, sehen den Einsatz von photogrammetrischen Methoden und/ oder Laserscanning (Light Detection and Ranging, „LiDAR“) und die Auswertung der benötigten Informationen während der Ausführungsphase vor. Mit LiDAR-Sensoren ausgestattete Drohnen können die Dokumentation der Baustelle unterstützen. Wesentliche Vorteile sind der leichtere Zugang zu den meisten Teilen des Bauwerks, eine höhere Abdeckung und Genauigkeit, eine verbesserte Effizienz und eine erhöhte Sicherheit während der Datenerfassung durch die Verringerung der Absturzgefahr. Heute erfolgt eine drohnenbasierte Datenerfassung meist manuell, wobei die Qualität der erfassten Daten und die Abdeckung relevanter Bauwerksbereiche hauptsächlich von Erfahrungswerten der erfassenden Person abhängen [7]. Eine systematische Gestaltung und Planung der Datenerfassung wird in der Regel nicht durchgeführt. Die Planung und Validierung der Datenerfassung hilft, die Datenerfassung von relevanten Bauteilen des Bauwerks zu einem bestimmen Zeitpunkt sicherzustellen. Es ist noch wenig erforscht, wie die Planung der Datenerfassung automatisch auf der Grundlage des BIM durchgeführt werden kann [8]. Semantisch reichhaltige BIMs (d. h. 4-D-BIM [9]) können für die Automatisierung des Planungsprozesses genutzt werden. Darüber hinaus sollte das 4-D-BIM kontinuierlich mit neuen, aus den erfassten Daten aggregierten Informationen aktualisiert werden, um eine effiziente Informationsquelle in der Bauphase zu bieten. Derzeit mangelt es den Daten einer manuell geplanten Erfassung und Umsetzung an Genauigkeit und Abdeckungsgrad [10]. Die drohnengestützte Datenerfassung kann dies bereits unterstützen. Die Planung der Datenerfassung ist bisher arbeitsintensiv, fehleranfällig und ineffizient. Der Vermessungsingenieur muss manuell Informationen aus konventionellen 2-D-Zeichnungen oder nicht aussagekräftigen geometrischen Modellen extrahieren, den Standort relevanter Bauteile des Bauwerks identifizieren und schließlich einen Plan für die Datenerfassung erstellen. Dies führt zu einer Verringerung der Kosteneffizienz, einem „zu viel“ oder „zu wenig“ an Daten und einem Mangel an Effizienz [7]. Grundsätzlich wird die Erfassung baurelevanter Daten bis heute unzureichend gehandhabt. Laut einer Umfrage [11] unter Bauleitern beträgt der Zeitraum einer manuellen Erfassung baurelevanter Daten bis zur Verarbeitung in 65 % der Fälle eine Woche. Die Bautagebücher werden nur von 23 % der Befragten täglich geführt. Dieser lange Zeitraum erschwert es zusätzlich, ein aktuelles Bild der Bauprozesse zu erhalten. Die Automatisierung der Baudokumentation kann die Bauleitung hinsichtlich des Erfassungsaufwandes entlasten. Eine effiziente Datenerfassung kann durch einen vorgeschalteten Planungsoptimierungsprozess erreicht werden, der als „Planning For Scanning“ (P4S) bezeichnet wird [12]. Eine zentrale Herausforderung besteht darin, eine modellbasierte und drohnenbasierte automatisierte Datenerfassung auf Basis des 4-D-BIMs zunächst zu planen, zu simulieren, zu verifizieren, ggf. zu optimieren und schließlich auszuführen. 1.2 Zielsetzung Ziel der Forschung ist es, aktuelle Prozesse und Bautätigkeiten im Brückenbau zu evaluieren, um zu identifizieren, welche Vorgänge durch eine automatisierte Datenerfassung mittels Drohnen unterstützt werden können. Dies beinhaltet die Einbeziehung des Pull-Prinzips und der kontinuierlichen Verbesserung (PDCA) als Teil der Lean-Methodik in die Planung und Durchführung einer drohnenbasierten Datenerfassung in der Bauphase von Brückenbauwerken. Die Forschung konzentriert sich auf LiDAR-generierte Punktwolken anstelle von photogrammetrischen Punktwolken, da die Genauigkeit für eine Projekt- und Bauwerksdokumentation eine entscheidende Rolle spielt. 2. Stand der Wissenschaft Eine effektive und effiziente Datenerfassung kann durch einen vorausgehenden Planungsoptimierungsprozess erreicht werden [12]. In diesem Kapitel werden die Grundlagen von Lean Construction und der Stand der Forschung auf dem Gebiet der automatisierten drohnenbasierten Datenerfassung vorgestellt. 2.1 Lean Construction Ein Prozess ist eine Abfolge von aufeinanderfolgenden Handlungen. Die derzeitigen Abläufe und Rahmenbedingungen in der Bauwirtschaft haben häufig Termin- und Kostenüberschreitungen sowie Baumängel zur Folge, die nur mit großem Aufwand beseitigt werden können. Dies geschieht selbst bei gut organisierten Projekten und trotz großer Anstrengungen des Projektteams. Der Haupt- 5. Brückenkolloquium - September 2022 149 Ereignisbasierte und bedarfsorientierte Datenerfassung für die 4-D-BIM-basierte Flugplanung von Drohnen grund dafür ist der traditionelle lineare Planungsprozess [13]. Lean Construction ist eine der innovativen Methoden, um die Schwächen des konventionellen Ansatzes zu überwinden. Lean Construction umfasst die folgenden Prinzipien: Spezifizierung des Wertes aus der Sicht des Kunden, Just-in-Time-Ansatz, kontinuierliche Verbesserung (PDCA), wertstromorientierter Ansatz, Flussprinzip und Pull-Prinzip anstelle des Push-Prinzips. Abbildung 2: Pull-Prinzip [14] Lean Construction ist eine Philosophie, die auf den Lean- Prinzipien von Taiichi (Toyota Production System) basiert und als Lean-Manufacturing-Prinzipien aus dem Automobilbereich entwickelt und als Lean Construction und Lean Philosophy weiterentwickelt wurde. Das Ziel von Lean Construction ist die kontinuierliche Verbesserung, die Reduzierung von Verschwendung, ein hochwertiges Management von Projekten und Lieferketten sowie eine verbesserte Kommunikation auf der Baustelle und im Team. Der Ansatz basiert auf der Idee, das gesamte Projekt und seine Teilprozesse in der Planung und Ausführung gemeinsam kontinuierlich zu verbessern. Dies erfordert ein zugängliches und transparentes Informations- und Datenmanagement. Nur so können exzellente Prozesse auf der Baustelle erreicht werden. Nach [14] wird der Produktionsprozess durch einen Kundenauftrag angestoßen. Die Produktion ist nach dem Pull-Prinzip aufgebaut, so dass jeder Produktionsschritt die Produktion für den jeweils vorgelagerten Schritt auslöst. Dieser Ansatz erzeugt einen Nachfragesog. Der Auftrags- oder Informationsbedarf wird reziprok zum Materialfluss von Produktionsschritt zu Produktionsschritt weitergegeben (Abbildung 2). Abbildung 3: Kontinuierliche Verbesserung [13] Abbildung 3 zeigt den PDCA-Zyklus, der für die erfolgreiche Umsetzung der kontinuierlichen Verbesserung genutzt werden kann. Er beschreibt die Reihenfolge, in der Tätigkeiten durchgeführt, bewertet und anschließend verbessert werden können. Der Zyklus ermöglicht eine fortlaufende Verbesserung der Tätigkeit, indem der Zyklus ständig durchlaufen wird. Die Anwendung des PDCA- Zyklus bei der Planung der Datenerfassung ist Erfolg versprechend, da er sicherstellt, dass die Erfassung auf der Baustelle effizient durchgeführt werden und ihre Dauer auf ein Minimum reduziert wird. 2.2 Scanpositionen zur Abdeckung Es ist aufgrund der bereits erwähnten arbeitsintensiven, fehleranfälligen und ineffizienten Erfassungsplanung erforderlich, den derzeitigen manuellen Datenerfassungsprozess zu optimieren und eine Datenerfassung auf Grundlage eines BIM mit optimaler Abdeckung nach Lean-Prinzipien automatisiert zu erstellen. Die Verfasser in [12] geben in Ihrer Arbeit eine Übersicht über bisherige terrestrisch-basierte Ansätze zur Planung einer Datenerfassung. In dieser ist zu erkennen, dass die meisten Ansätze aktuell planbasiert und nicht modellbasiert umgesetzt werden. Der Ansatz von [7] konzentriert sich bei der Planung einzelner Standpunkte eines terrestrischen Laserscanners (TLS) auf die erfassten Oberflächen der Bauteile, da nicht nur ein einzelner Punkt eine ausreichende Genauigkeit aufweisen muss, sondern auch die Erfassung möglichst vieler Oberflächen von Bauteilen. Eine vollautomatische Abdeckungsplanung kann nach der Übersicht von [12] durch BIMs unterstützt werden, wobei nur die beiden Ansätze [7] und [15] eine Abdeckung von Flächen innerhalb eines BIMs vorgeschlagen haben. In [15] werden Oberflächen von Bauteilen mit homogen verteilten Punktmengen diskretisiert um so das Problem der Oberflächenabdeckung auf eine Punktabdeckung zu reduzieren. Im Gegensatz dazu versucht [7] die tatsächliche Oberflächenabdeckung der Bauteile zu bestimmen. Aus Sicht der Verfasser ist eine Verwendung der Oberfläche der Bauteile vorteilhaft, da hierdurch eine höhere Genauigkeit erreicht werden kann. Die Bauteiloberfläche kann zudem mit minimalem Aufwand aus dem 4-D- BIM und auf Grundlage von assoziierten Vorgängen abgeleitet werden. Die Planung der Datenerfassung kann dahingehend durchgeführt werden, dass Kriterien wie die Punktgenauigkeit (Level of Accuracy, „LOA“) [16], Punktdichte (Level of Detail, „LOD“) [16] und Oberflächenvollständigkeit (Level of Completeness, „LOC“) [7] berücksichtigt werden. 2.3 Flugplanung In [17] geben die Verfasser einen Überblick über drohnenbasierte Ansätze der Flugplanung. Der Überblick der Verfasser ist anhand folgender Kategorisierung aufgebaut (1) die Methode der Flugplanung (modellbasiert oder nicht modellbasiert); (2) sofern anwendbar der Typ des verwendeten geometrischen Modells (3-D, BIM, 2-D, Punktwolke oder Bilder); (3) die Art des Sensors an der Drohne (Kamera, Sonarkamera oder LiDAR); (4) die Rahmenbedingungen, die bei der Flugplanung berücksichtigt werden (Vibrationen, Geschwindigkeit, Wind, 150 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ereignisbasierte und bedarfsorientierte Datenerfassung für die 4-D-BIM-basierte Flugplanung von Drohnen Batteriekapazität und Freiheitsgrad der Drohne); (5) die Rahmenbedingungen, die bei der Generierung von Wegpunkten berücksichtigt werden (vollständige Abdeckung, überlappende Ansichten, Kritikalität und optimaler Pfad); (6) die Methode zur Generierung der Wegpunkte; (7) die Methode zur Generierung der Flugroute; und (8) den Anwendungsbereich (überwiegend Bauwerksinspektion). Ebenfalls in dieser Übersicht ist erkennbar, dass das Heranziehen eines BIMs noch kein Standard in der Flugplanung darstellt. In [17] wird der kürzeste Weg der Flugplanung mit Hilfe des genetischen Algorithmus, die Hindernisvermeidung mit dem A*-Algorithmus und die Raytracing-Berechnung für die optimale Abdeckung während der Erfassung auf der Grundlage eines geometrischen Modells berechnet. In [18] werden Qualitätskriterien einer bildbasierten Bestandsaufnahme zur Bewertung der Flugplanung vorgestellt. Die vorgeschlagenen Qualitätskriterien sind für die Bild- und drohnenbasierte Erfassung vielversprechend, müssen aber für die LiD- AR-basierte Erfassung noch weiterentwickelt werden. [19] stellen ebenfalls Metriken und Methoden zur Bewertung einer BIM-gestützten Datenerfassungsplanung vor, die auf kamerabestückte Drohnen oder Bodenfahrzeuge angewendet werden können. Die Metriken und Methoden berücksichtigen unter anderem die visuelle Abdeckung der Bauteile in den erfassten Fotos und die Auflösung jeder erfassten Komponente unter Verwendung des Oberflächenabstands. Der Ansatz in [20] verwendet bereits ein 4-D-BIM in IFC als Grundlage zur Erfassungsplanung. Die Aktivitäten und zugehörigen Bauteile, für die eine Datenerfassung erforderlich ist, werden im IFC über eine Schnittstelle manuell gefiltert, z. B. nach Fertigstellungstermin oder verantwortlichem Subunternehmer. Anschließend werden die Bauteile im frei navigierbaren Raum des Grundrisses dargestellt, um eine Reihe von Wegpunkten zu generieren, die eine vollständige Erfassung der identifizierten Elemente gewährleisten. Die umfangreiche Literaturrecherche abgeschlossener und noch laufender Forschungsprojekte zeigt, dass die drohnenbasierte Datenerfassung automatisiert werden sollte, um Wegpunkte auf Basis eines 4-D-BIMs zu ermitteln und die Flugplanung automatisiert zu planen, simulieren und zu validieren. Wesentliche Vorteile sind dabei, dass nur die notwendigen Daten erfasst werden und der Eingriff in das operative Tagesgeschäft minimiert wird. Die generierte Flugroute sollte unter Berücksichtigung der Flugdauer, der Batteriekapazität, des Abdeckungsgrades der Komponenten, der Bewegungsmöglichkeiten der Drohne, der zu erwartenden Wetterbedingungen während des geplanten Fluges, der Nutzlast und des Abfluggewichtes sowie der Drohne optimiert werden. Darüber hinaus besteht Forschungsbedarf, wie Wegpunkte aus 4DBIMs in IFC (bzw. in 4-D- Software) ermittelt werden können und welche Methoden geeignet sind, um daraus Wegpunkte und Flugpläne in einer automatisierten Datenerfassungsplanung abzuleiten. Zudem ist eine Auswertung des Flugplans mit realen Umgebungsbedingungen notwendig, um weitere Einflüsse, die einen entscheidenden Einfluss auf die Datenerfassung haben, zu identifizieren und in die Planung Design zu integrieren. Derzeit fehlt es an allgemein anerkannten Qualitätskriterien für die drohnenbasierte LiDAR-Datenerfassung, anhand derer die erfassten Daten in Bezug auf Abdeckung, Vollständigkeit und Genauigkeit sowie die Flugroute in Bezug auf die zu befliegenden Wegpunkte und die Flugdauer überprüft werden können. Im Gegensatz zu den evaluierten Forschungsmethoden werden in der vorgestellten Methodik die Wegpunkte auf Basis der semantischen und geometrischen Informationen des 4-D-BIM über die IFC-Schnittstelle (oder in einer 4-D-Software) und den Oberflächen der assoziierten Bauteile abgeleitet. Darüber hinaus erfolgt die Simulation der erfassten LiDAR-basierten Punktwolken und eine analytische Auswertung und Vollständigkeitsprüfung der erfassten Daten, um Qualitätskriterien zu erfüllen und die Flugplanung vor dem eigentlichen Flug zu optimieren. 3. Konzept für eine modellbasierte Flugplanung zur Automatisierung der Datenerfassung In diesem Kapitel wird das Konzept für eine Automatisierung der Planung einer Datenerfassung im Brückenbau vorgestellt. Eine Übersicht über das Konzept des Lean Erfassungsprozesses (LEP) ist in Abbildung 4 dargestellt. Abbildung 4: Konzept des Lean Erfassungsprozesses (LEP) 5. Brückenkolloquium - September 2022 151 Ereignisbasierte und bedarfsorientierte Datenerfassung für die 4-D-BIM-basierte Flugplanung von Drohnen 3.1 Konzeptvorstellung Die Datenerfassung wird zu Beginn der Methodik gemäß dem PullPrinzip ereignisbasiert und bedarfsorientiert für relevante Vorgänge und den assoziierten Bauteilen initiiert (siehe Pull in Abbildung 4), z. B. wenn ein Bauteil oder eine Schalung fertiggestellt ist oder wenn die Prüfung eines Bauteils ansteht. Die Flugroute wird im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses mit den Teilschritten Plan-Do-Check-Act (PDCA) fortlaufend optimiert, die Farben in Abbildung 4 sind korrespondieren zu denen in Abbildung 3. Die Optimierung erfolgt in folgenden Teilschritten: 1. eine automatisierte und modellbasierte Planung des Flugplans für die Datenerfassung (Plan), 2. eine Simulation der Datenerfassung unter Berücksichtigung der typischen Eigenschaften der Sensoren und Drohnen sowie der örtlichen Gegebenheiten (Do), 3. eine Validierung und einheitliche Auswertung mit Kennzahlen der Simulation (Check), sowie 4. eine Anpassung des entworfenen Datenerfassungsflugplans (Act). und wird nachfolgend kurz erläutert, bevor diese in dem kommenden Kapitel im Detail vorgestellt werden. Zunächst erfolgt eine automatisierte modellbasierte Planung der Datenerfassung (siehe PDCA - Plan in Abbildung 4). Hierbei werden aus dem bauzeitlichen BIM relevante Wegpunkte identifiziert. Dies kann auf Basis des herstellerneutralen und technologieoffenen Datenformats IFC, das für den standardisierten Datenaustausch in der Bauindustrie vorgesehen ist, oder in einer 4-D-Software erfolgen. Die Flugroute ist die Verbindung aller ermittelten Wegpunkte entlang eines Pfades und beinhaltet zusätzlich Start- und Landepunkte, die manuell definiert werden können. Zur Ermittlung der Flugroute können verschiedene Suchalgorithmen eingesetzt werden, um die kostengünstigste und/ oder kürzeste Route mit den wenigsten Hindernissen zwischen diesen Wegpunkten zu finden. Die Flugroute wird in einer Simulationssoftware validiert (siehe PDCA - Do in Abbildung 4), um unter anderen Kollisionen mit dem Brückenbauwerk auszuschließen und die Qualität der zu erfassenden Daten im Vorfeld überprüfen zu können. Die Validierung der synthetischen Datenerfassung soll über noch zu entwickelnde Qualitätskriterien erfolgen, die allgemeingültig und nicht fachspezifisch für eine LiDARbasierte drohnenbasierte Datenerfassung sein sollen (siehe PDCA - Check in Abbildung 4). Die Anpassung (siehe PDCA - Act in Abbildung 4) der Flugroute wird kontinuierlich und iterativ durchgeführt, bis alle Qualitätskriterien hinreichend erfüllt sind. 3.2 Initiierung der Datenerfassung Die Haupthypothese der eigenen Forschung ist, dass jede Datenerfassung einem bestimmten Informationsbedarf und Anwendungsfall (AWF) dienen sollte. Zu Anfang erfolgt eine Katalogisierung und Kategorisierung der zu erfassenden Daten und Informationen gemäß bundesweiten Richtlinien und Standards sowie dem internen Berichtssystem des beteiligten Unternehmens. Dazu gehört insbesondere die Bewertung der aktuellen Bauprozesse im Infrastrukturbau, insbesondere im Brückenbau, um festzustellen, welche Prozesse durch eine automatisierte Datenerfassung mittels Drohne unterstützt werden können. Nach der Katalogisierung und Kategorisierung wird die Datenerfassung dann z. B. durch Ereignisse im Bauablauf, wie z. B. der planmäßigen Fertigstellung von Vorgängen, ausgelöst. Diese Vorgehensweise stellt sicher, dass nur relevante Daten während des LEP erfasst werden. Abbildung 5: Ableitung der Wegpunkte zur Erfassung von Schalungselementen 3.3 Plan - Planung der Datenerfassung Die Planung der Datenerfassung für eine (teil-)autonome Befliegung kann aus dem 4-D-BIM im herstellerneutralen und offenen Datenformat IFC oder in einer 4DSoftware erfolgen. Auf Basis des 4-D-BIMs werden relevante Bauteile ereignis- und bedarfsorientiert durch die zugehörigen Vorgänge analog zu [20] identifiziert und Wegpunkte für eine drohnenbasierte Datenerfassung abgeleitet. Dies geschieht durch die Bestimmung der Bauteiloberflächen der relevanten Vorgänge und der entsprechenden IFC-Entitäten (IfcTask, IfcBuldingElement, IfcCartesianPoint) oder Verknüpfungen in der 4-D-Software. In Abbildung 5 ist bspw. der Vorgang „Schalung stellen“ eines Brückenbauwerks dargestellt. Ausschließlich die sechs markierten Flächen (Innenseite der Schalung) sind für die Datenerfassung relevant, da diese mit dem Vorgang „Schalung stellen“ verknüpft sind. Abbildung 6: Simulation der drohnenbasierten Datenerfassung Voraussetzung für die Berechnung der Wegpunkte sind u. a. die Konfigurationen des Laserscanners (vertikales und horizontales Sichtfeld sowie Messrate und Ge- 152 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ereignisbasierte und bedarfsorientierte Datenerfassung für die 4-D-BIM-basierte Flugplanung von Drohnen schwindkeit der Drohne). Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass der Wegpunkt eine ausreichende LiDAR-Abdeckung und -Qualität bei der Datenerfassung liefert. Der Flugroute wird dann mit Hilfe von Suchalgorithmen errechnet. 3.4 Do - Simulation der Datenerfassung Eine Simulation der Datenerfassung wird mit der Software AirSim (Shah et al., 2017) durchgeführt, um die Datenerfassung hinsichtlich der Qualität der erfassten Daten zu validieren und zu evaluieren. Die LiDAR-Sensoren werden von einer simulierten Drohne getragen, die die geplante Flugroute befliegt und kontinuierlich synthetische Daten erfasst. Eine Registrierung der erfassten synthetischen Daten ist nicht erforderlich, da alle Punkte entsprechend der Position der Drohne transformiert und auf ein gemeinsames Koordinatensystem bezogen werden. Dies ist für Zwecke der Baufortschrittskontrolle ausreichend. Die Simulation kann reales aerodynamisches Verhalten und mögliche Störungen berücksichtigen. Störungen treten unter anderem in Form von Böen auf, die die Drohne vorübergehend beeinflussen kann, und in Form von gestörtem GNSS-Empfang, der zu ungenauen Positionsmessungen führt. 3.5 Check - Bewertung der Datenerfassung An die Simulation schließt die Auswertung der synthetischen Datenerfassung an. Dabei werden die Methoden von Debus & Rodehorst und Ibrahim et al. (Debus & Rodehorst, 2021a; Ibrahim et al., 2021) adaptiert und hinsichtlich der Erfassungstechnik erweitert. Mithilfe statistischer Methoden werden die Qualitätskriterien (LOC, LOA und LOD) der synthetischen Punktwolke bestimmt, um ausreichende Anforderungen der einzelnen Bauteile zu gewährleisten. Folgende Kriterien fließen ebenfalls in die Bewertung des Flugroute ein: das Ziel der Datenerfassung (AWF), (d. h. Baufortschrittkontrolle, Projekt- und Bauwerkdokumentation); eine Kollisionsvermeidung, die Sichtbarkeit der Drohne und die Überprüfung der Abstandseinhaltung gemäß Vorschriften; sowie Umwelteinflüsse, (z. B. Wind); und Drohnendaten, (d. h. Geschwindigkeit, Positionsgenauigkeit und GNSSAbdeckung). Die Bewertung der Flugroute wird kontinuierlich durchgeführt, bis die gewünschten Ergebnisse in der Simulation erreicht sind. Dies ermöglicht die Planung einer automatisierten und LiDAR-gestützten drohnenbasierten Datenerfassung. Die Drohne ist dann in der Lage, auf Basis des Flugroute (teil)autonom zu operieren, wodurch ausschließlich relevante Bauteile in der notwendigen Qualität (Genauigkeit, Dichte und Vollständigkeit) erfasst werden. 3.6 Act - Anpassung der Datenerfassung Eine Anpassung der Flugroute kann vorgenommen werden, wenn die Auswertung des Simulationsprozesses ergibt, dass die Datenerfassung hinsichtlich der Flugparameter oder der Datenqualität unzureichend ist. Überschreitet die Flugdauer beispielsweise die Batteriekapazität, muss ein Batteriewechsel eingeplant werden. Darüber hinaus können die Wetterbedingungen oder die örtlichen Gegebenheiten eine Anpassung der Flugroute erforderlich machen. Wird die Qualität der erfassten Daten als unzureichend beurteilt, z. B. in Bezug auf die Abdeckung oder die Dichte (siehe Abbildung 6), müssen die Wegpunkte angepasst und eventuell zusätzliche hinzugefügt werden. Die angepasste Flugroute kann dann zur (teil-)autonomen Datenerfassung an die Drohne übertragen werden. Abbildung 7: Synthetische Datenerfassung mit der segmentierten Punktwolke 3.7 (Teil)-autonome drohnenbasierte Erfassung Auf der Grundlage des LEPs kann eine (teil-)autonome Datenerfassung durchgeführt werden. Trotz einer sorgfältigen realistischen Simulation der Flugplanung können unerwartete Hindernisse auf der Flugroute der Drohne auftreten. Daher ist es notwendig, dass die Drohne selbst mit einem System zur Kollisionsvermeidung ausgestattet ist und Hindernisse selbstständig erkennen und ausweichen kann. Darüber hinaus ist in Einzelfällen das Eingreifen der steuernden Person notwendig, um Ausnahmesituationen zu lösen. 4. Fazit und Ausblick In diesem Beitrag wird ein neuartiger Ansatz für die Datenerfassung vorgeschlagen, der so genannte „LEP“ (Lean-Erfassungsprozess). Die drohnenbasierte Datenerfassung wird zunächst ereignisbasiert und bedarfsorientiert ausgelöst und unter Berücksichtigung des Pull- Prinzips und der kontinuierlichen Verbesserung nach dem PDCA-Zyklus durchgeführt. Die Datenerfassung wird automatisch auf Basis des 4DBIMs im IFC-Format oder in einer 4-D-Software automatisiert geplant, realitätsnah simuliert, validiert, einheitlich bewertet und bei Bedarf angepasst. Dieses Vorgehen stellt sicher, dass nur relevante Daten und Informationen aus dem Bauprozess erfasst werden. Die erfassten Daten können anschließend genutzt werden, um das Ausführungs-BIM (insbesondere Ist-Termine der Vorgänge) mit bauteilspezifischen Informationen zu aktualisieren. Dies kann durch eine Objekterkennung in den erfassten Daten und deren Abgleich mit dem Ausführungs-BIM geschehen, um festzustellen, ob das Bauteil vorhanden ist oder nicht. Dies ermöglicht einen effizienten Prozess der Baufortschrittskontrolle. Darüber hinaus können die erfassten Daten zur geometrischen Aktualisierung des Ausführungs-BIM verwendet wer- 5. Brückenkolloquium - September 2022 153 Ereignisbasierte und bedarfsorientierte Datenerfassung für die 4-D-BIM-basierte Flugplanung von Drohnen den, bspw. mittels IfcOpenShell (Krijnen, 2021). Dies gewährleistet die Generierung eines Übergabemodells, welches für die Betriebs- und Erhaltungsphase genutzt werden kann. Abschließend können die generierten synthetischen Daten aus der Simulation als Trainingsdaten für die maschinellen Lernmethoden (Scan2BIM) [8, 21, 22] zur Objekterkennung oder für andere Zwecke verwendet werden. Durch die Umsetzung des Pull-Prinzips und der kontinuierlichen Verbesserung (PDCA) der Lean-Methodik im Rahmen der Datenerfassung kann sichergestellt werden, dass nur die Daten mit einer ausreichenden Qualität zielgerichtet erfasst werden. Außerdem kann durch dieses Vorgehen das Ausführungs-BIM effizient aktualisiert werden, um den Baufortschritt oder den aktuellen Zustand des Brückenbauwerks abzubilden. Der vorgestellte Ansatz eignet sich besonders für Infrastrukturprojekte, wie Brücken- und Straßenbau im Freiraum. Darüber hinaus sind auch Bauwerke wie Fußballstadien, große Fabrikhallen oder Offshore-Windparks/ Produktionsplattformen sowie große Betonkonstruktionen für Gebäude realisierbar. Innenausbau und beengte Räume sind dagegen nicht realisierbar, da die Drohne bestimmte geometrische Abmessung besetzt und das Empfangssignal jederzeit gegeben sein muss. Der vorgestellte Ansatz wird derzeit sukzessive implementiert, wobei die Schwerpunkte auf der drohnenbasierten Flugplanung und -simulation liegen. Die Schritte der Katalogisierung und Kategorisierung der erfassbaren Daten und die Festlegung, welche Bauprozesse mittels Drohne unterstützt werden können, werden derzeit noch untersucht. Ebenfalls in Bearbeitung befinden sich die Definition von Qualitätskriterien wie LOC und LOD, die bestimmte Werte zur Erfüllung nachfolgender Prozesse und Anwendungsziele erfordern. Der Ansatz gewährleistet eine automatisierte und qualitätsgesicherte Datenerfassung in kurzen Zyklusintervallen, was für das Projektmanagement des Bauwerks von Vorteil ist. Danksagung Diese Arbeit wird in Zusammenarbeit mit der Abteilung Unternehmensentwicklung und Prozessmanagement (UEPM) der Wayss & Freytag Ingenieurbau AG (W&F) durchgeführt. W&F ist eines der führenden Bauunternehmen in Deutschland und war das erste Unternehmen im Infrastrukturbereich in Deutschland, das das Zertifikat der ISO 19650 (Informationsmanagement mit Building Information Modeling) erhalten hat. Literatur [1] BMDV: Masterplan BIM - Bundesfernstraßen [2] Glock, Christian: Digitalisierung im konstruktiven Bauwesen. In: Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018), Nr. 8, S. 614-622 [3] Liebich, Thomas; Borrmann, André; Elixmann, Robert; Eschenbruch, Klaus; Hausknecht, Kerstin; Häußler, Marco; Hochmuth, Markus; König, Markus: Wissenschaftliche Begleitung der BMVI Pilotprojekte zur Anwendung von BIM im Infrastrukturbau : Endbericht Handlungsempfehlungen - Überprüfungsdatum 2021-12-10 [4] buildingSMART: Industry Foundation Classes, 2022. 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Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Thomas Tschickardt, M. Eng. Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Wayss & Freytag Ingenieurbau AG, Frankfurt, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Glock Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Zusammenfassung In der Ausführungs- und Betriebsphase eines Brückenbauwerks ist wenig erforscht, wie Daten und Informationen automatisiert erfasst und in Bauwerksinformationsmodelle (BIM) integriert werden können. Der vorgestellte Ansatz umfasst die autonome Datenerfassung mit Drohnen und die Erzeugung von BIMs bzw. eine Fortschreibung bestehender BIMs. Alle Schritte sollen automatisiert werden, um die Bereitstellung von Informationen in Echtzeit in kurzen Zyklen zu ermöglichen. Auf der Grundlage des 4-D-MonitoringBIM (4-D-MBIM) werden relevante Komponenten identifiziert und Wegpunkte für die drohnengestützte Datenerfassung abgeleitet. Anschließend wird die UAVMission auf Basis des 4-D- MBIM unter Berücksichtigung der Datenerfassungstechnologie, möglicher Hindernisse und anderer Randbedingungen geplant und per Simulation validiert. Die Datenerfassung erfolgt mithilfe von autonom operierenden UAVs. Innerhalb der erfassten Punktwolken wird eine Bauteilerkennung durchgeführt. Pro Objektklasse werden einzelne Objekte geclustert und anschließend (i) eine vollständige BIM-Rekonstruktion, (ii) ein BIM-Scan-Vergleich und (iii) eine weitere Informationsextraktion, z. B. die Erkennung von Betonrissen und Abplatzungen, durchgeführt. Alle Informationen werden gemäß der BIM-Methodik unter Verwendung offener Standards daargestellt. 1. Einleitung 1.1 Ausgangssituation Die Veröffentlichung des „Masterplans BIM im Bundesfernstraßenbau“ [1] sieht die digitale Methodik der Projektabwicklung für den Regelbetrieb im Jahre 2025 vor. Langfristig soll die Projektabwicklung gemäß dem Masterplan auf Basis digitaler Zwillinge erfolgen. Ein digitaler Zwilling stellt die physische Infrastruktur mit allen relevanten Informationen digital und in ihrer Komplexität dar. Dieses Zukunftsbild wird im „Masterplan Digitaler Zwilling Bundesfernstraßen“ wahrscheinlich im Jahr 2024 veröffentlicht werden. In diesem Zukunftsbild sollen Themen, wie die Vernetzung von Echtzeitdaten, modellbasierte Simulationen und Prognosen, die verstärkte Einbindung von Hersteller- und Maschinendaten, die Integration von künstlicher Intelligenz sowie die Vernetzung des digitalen Zwillings mit autonom operierenden Fahrzeugen betrachtet werden. Autonom operierende Fahrzeuge können bspw. das Bauwerk und dessen Zustand erfassen und eine kurzzyklische Informationsbereitstellung gewährleisten. Der Lebenszyklus eines Bauwerksinformationsmodells (BIM) reicht von der Entwurfsphase über die Ausführungsphase bis hin zur Betriebs- und Instandhaltungsphase [2]. In der Betriebsphase bildet eine ständige Aktualisierung der Informationen aus der Planungs- und Bauphase die Grundlage für einen zuverlässigen Betrieb über den gesamten Lebenszyklus. Die heutigen manuellen Verfahren zur Aktualisierung von Bestandsinformationen entsprechen jedoch noch nicht den Anforderungen eines BIM-basierten digitalen Bestandsmanagements während des Betriebs einer Infrastruktur. Erstens sind manuell erfasste Daten, z. B. aus visuellen Inspektionen, nicht mit der objektorientierten Struktur eines BIM verknüpft. Zweitens sind manuelle Datenerfassungsverfahren arbeitsintensiv und fehleranfällig, so dass regelmäßige Inspektionen nicht häufig, sondern nur jedes x-te Jahr durchgeführt werden [3-5]. Bei alternden Brücken sind häufigere Inspektionen unerlässlich, um einen zuverlässigen Betrieb, die frühzeitige Erkennung von Schäden und die Durchführung von Instandhaltungsmaßnahmen zu gewährleisten. 156 5. Brückenkolloquium - September 2022 Drohnengestützte Erfassung von Bestandsmodellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Managements von Brückenbauwerken Abbildung 1: Informationsverlust während des Lebenszyklus eines Brückenbauwerks [6] Abbildung 1 zeigt die Problematik der fehlenden Daten und Informationen während des Lebenszyklus eines Brückenbauwerks, insbesondere in der Bau- und Betriebsphase. Während der Entwicklungs- und Planungsphase sind die Daten und Informationen weitgehend mit dem BIM verknüpft. In der Bauphase sorgen sogenannte BIM- 2Field-Ansätze für eine regelmäßige Aktualisierung des BIMs in Richtung eines As-Built-BIM, obwohl Informationen wie Bautagebuch, Pendelliste, Auslieferungsnotizen, Qualitätssicherungs-/ Qualitätskontrollberichte, Besprechungsprotokolle, Stundenzettel, Wetterbedingungen, Vermessungsprotokolle und andere noch nicht vollständig in das BIM integriert sind und manuell aktualisiert werden. Während der Betriebsphase werden die manuellen Inspektionen in Zeichnungen und Fotos dokumentiert und mit Datenbanken verknüpft. Eine regelmäßige Organisation dieser Informationen innerhalb von BIM ist heute noch nicht erreicht, da die Integration heterogener Daten in BIM einen hohen manuellen Aufwand erfordert. Daher müssen BIM-konforme Datenerfassungsverfahren entwickelt und implementiert werden. Um auch bei häufiger Datenerfassung und BIM-Aktualisierung eine hohe Effizienz zu gewährleisten, müssen die Verfahren (i) automatisiert und (ii) auf Basis des BIMs geplant und validiert werden, um die Datenqualität und -integrität sicherzustellen. Derzeit gibt es erste Forschungsansätze, die auf einer automatisierten Daten- und Informationserfassung mithilfe photogrammetrischer Methoden und/ oder Laserscanning (Light Detection and Ranging, „LiDAR“) basieren, meist während der Ausführungsphase. Im Brückenbau können (teil)autonom operierende Drohnen diesen Prozess unterstützen, da sie sich besonders für die Befliegung und Datenerfassung von größeren Bauwerken eignen. Drohnen werden manuell nach einer groben Flugplanung gesteuert, was zu erheblichen Kosten durch ineffiziente Flugrouten und unzureichende Datenmenge und -qualität führt. Eine effektive und effiziente Datenerfassung lässt sich durch einen vorausgehenden Planungsoptimierungsprozess erreichen, der als „Planning for Scanning“ (P4S) bezeichnet werden kann [7]. Eine weitere Herausforderung besteht darin, aus der während des Fluges erzeugten unstrukturierten Punktwolke Informationen zu extrahieren, die in das BIM zu integrieren sind. Bei der Übersetzung von Punktwolken in BIMs ist die Bauteilerkennung ein wichtiger Schritt der semantischen Auswertung. Für die Bauteilerkennung in Punktwolken erscheint der Einsatz von Methoden der künstlichen Intelligenz vielversprechend und wird bereits von den Autoren [8] und anderen im Rahmen der Scan- Net Benchmark Challenge [9] erforscht. Die Methoden sind jedoch noch nicht ausreichend entwickelt, um in der Praxis in der Bauwirtschaft eingesetzt zu werden. Hier sind Weiterentwicklungen und intensive praktische Anwendungen erforderlich. Neben der eigentlichen BIM-Rekonstruktion und -fortschreibung von Elementen ist in der Betriebsphase vor allem die weitere Untersuchung von Schäden, Verformungen und allgemeinen Veränderungen des Bauwerks von Interesse. Hier bietet die drohnenbasierte Datenerfassung wesentliche Vorteile, da die Drohne mit verschiedenen anderen Sensoren wie Kameras, Tiefenkameras, etc. ausgestattet werden kann, um aus diesen Daten Informationen über Schäden abzuleiten. Vorarbeiten wurden z. B. zur Erforschung der bildbasierten Risserkennung in Betonstrukturen durchgeführt [10]. Eine vollständige Verbindung zum BIM mit offenen Datenaustauschstandards ist nur teilweise gegeben, da es 5. Brückenkolloquium - September 2022 157 Drohnengestützte Erfassung von Bestandsmodellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Managements von Brückenbauwerken noch Forschungslücken bei der Informationsextraktion und -verarbeitung gibt. 1.2 Zielsetzung Zunächst erfolgt die Entwicklung und Umsetzung eines drohnen-gestützten Datenerfassungsprozesses auf der Grundlage der Lean-Prinzipien zur kontinuierlichen Verbesserung der Flugplanung. Weil dieses Konzept in einem anderen Beitrag ausführlich dargestellt wird, liegt der Fokus dieser Arbeit auf der Analyse, Überführung und Integration der erfassten Punktwolke und der zugehörigen Daten in das BIM. Hierbei ist zu unterscheiden, ob ein BIM aus der Bauausführung vorliegt und in die Betriebsphase übergeben wird oder ob ein BIM basierend auf Punktwolken erst erzeugt werden muss. Aus Sicht des Betriebs und der Erhaltung müssen relevante zeitliche Informationen hinzugefügt werden, z. B. regelmäßige Wartungs- und Inspektionsintervalle pro Objekt. Mit solchen Informationen wird das BIM zum 4-D-Monitoring-BIM (4-D-MBIM) weiterentwickelt. Dabei ist zu beachten, dass alle zeitlichen Informationen nicht statisch bleiben, sondern entsprechend den Ergebnissen der digitalen Inspektionen aktualisiert werden. Werden Schäden am Bauwerk festgestellt, können im Rahmen des 4-D- MBIM zusätzliche, häufigere Inspektionen geplant werden, um Veränderungen zu verfolgen und vorausschauende Instandhaltungsmaßnahmen zur Vermeidung weiterer Schäden durchzuführen. Somit ist das 4-D-MBIM ein dynamisches digitales Asset, das den Betrieb und die Instandhaltung kontinuierlich unterstützt. Aus dem 4-D- MBIM wird nach festgelegten Inspektionszyklen ein Datenerfassungsereignis ausgelöst. Im Rahmen der Erfassungsplanung werden relevante Elemente im 4-D- MBIM identifiziert und mittels Drohne wie in [11] erfasst. Abweichungen können dann in einen Scan vs. BIM Abgleich erkannt und das BIM entsprechend fortgeschrieben werden. Liegt kein BIM aus der Bauausführung vor und kann dieses auch nicht aus vorhandenen Daten abgeleitet werden, muss das Bauwerk digital erfasst und in ein BIM-Modell überführt werden. Hierfür müssen zunächst Bauteile in den unstrukturierten Punktwolken erkannt werden, wofür maschinelle Lernverfahren und wissensbasierte Ansätze vorgestellt werden. Zudem wird dargestellt, wie aus der Gesamtmenge der einer Bauteilklasse zugeordneten Punkte einzelne Bauteile geclustert werden können. Mit Hilfe geeigneter Verfahren werden die geclusterten Bauteile anschließend geometrisch ausgewertet und in BIM- Objekte überführt. Auch das so erstellte BIM kann durch Ergänzung der für das digitale Asset Management erforderlichen Informationen zu einem 4-D-MBIM erweitert werden. Liegt das 4-D-MBIM vor, können weitere Informationen ergänzt werden, z. B. die bildbasierte Rissbzw. Schädigungserkennung und deren Abgleich mit dem BIM sowie die Rekonstruktion von Bewehrung, falls keine entsprechenden Bestandsdaten vorliegen, wofür hier geeignete Verfahren vorgestellt werden. 2. Stand der Wissenschaft und Technik 2.1 Erfassung Die Technologien und Geräte zur Datenerfassung wurden in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt. Neben traditionellen Methoden wie terrestrischem Laserscanning und Photogrammetrie stehen komplexe Technologien wie „Mobile Mapping Systeme“ und Drohnen zur schnellen Erfassung der Brückenbauwerke zur Verfügung [11]. Um sicherzustellen, dass die erfassten Punktwolken für die vorgesehene Anwendung geeignet sind, muss gewährleistet sein, dass alle Ziele der Flugroute mit der vorgegebenen Datenqualität und innerhalb des verfügbaren Zeitrahmens erfasst werden. Die Effizienz der Datenerfassung ist wichtig, um die Beeinträchtigung der Aktivitäten am Bauwerk zu reduzieren. 2.2 Scan vs. BIM Liegt ein BIM des Bauwerks vor, kann ein Abgleich von Punktwolke und BIM für verschiedene Anwendungen genutzt werden. Braun et al. stellen eine Methode vor, mit deren Hilfe die Baufortschrittserfassung durch einen Abgleich der Punktwolke mit dem vorhandenen BIM weitgehend automatisiert werden kann [12]. Zudem stellen Chen et al. eine Methode vor, bei der BIM und Punktwolke punktbasiert miteinander verglichen werden mit dem Ziel, Abweichungen zu erkennen [13]. 2.3 Bauteilerkennung in Punktwolken Bei der semantischen Segmentierung wird jeder Datenpunkt, z. B. jeder Pixel oder jeder Punkt in einer 3-D- Punktwolke, klassifiziert. Jedem Datenpunkt wird ein Label zugewiesen, das die jeweilige Klasse repräsentiert. Im Kontext von Scan-to-BIM-Workflows stellen die Klassen Bauwerkskomponenten dar. Eine texturierte und segmentierte Punktwolke ist in Abbildung 2 dargestellt. Abbildung 2: Texturierte und segmentierte Punktwolke Die Farbwerte entsprechen den Bauteilklassen, z. B. Wand, Decke, Fenster. Zur Lösung dieser Klassifikationsaufgabe können Verfahren des maschinellen Lernens und wissensbasierte Ansätze eingesetzt werden. Beim maschinellen Lernen wird ein Algorithmus durch ein Modell, das Trainingsdaten verarbeitet. Dazu wer- 158 5. Brückenkolloquium - September 2022 Drohnengestützte Erfassung von Bestandsmodellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Managements von Brückenbauwerken den künstliche neuronale Netze aufgebaut, die aus mehreren Millionen Neuronen bestehen, die miteinander verbunden sind. Das Lernen erfolgt durch Gewichtung der Verbindungen der Neuronen in der Vorwärtsberechnung. Einen guten Überblick über Implementierungen, die für die Bauteilerkennung in Punktwolken relevant sind, bietet die Scannet Benchmark Challenge, bei der die erreichbare Genauigkeit an einem Datensatz mit Innenraumszenarien getestet werden kann [9]. Neben Multi-View-CNNs konnten auch Implementierungen von „Submanifold Sparse Convolutional Neural Networks“ sehr gute Ergebnisse erzielen, wie von Graham et al. eingeführt [14]. Neben datengetriebenen Ansätzen verfolgt Ponciano für die semantische Segmentierung von Straßenszenarien einen wissensbasierten Ansatz, der sogar höhere Genauigkeiten erzielt als ein auf maschinellem Lernen basierender Ansatz [15]. In einer anderen Arbeit wird ein wissensbasierter Ansatz zur Erkennung von Bauteilen in Punktwolken von Brückenbauwerken vorgestellt [16]. Weil aktuell sowohl auf datengetriebene als auch wissensbasierte Ansätze hinsichtlich ihrer Robustheit und erzielbarer Klassifikationsgenauigkeit konkurrieren, sind beide Möglichkeiten für die weitere Entwicklung des hier vorgestellten Konzepts in Betracht zu ziehen. 2.4 Scan to BIM Die Erzeugung von BIM-Modellen aus Punktwolken geschieht weitgehend manuell, wie in [17] dargestellt. Dabei besteht die Schwierigkeit zudem darin, dass hochparametrisierte Autorenwerkzeuge für die Erstellung von BIMs von Brücken es meist nicht erlauben, die geometrischen Abweichungen des realen Bauwerkszustandes exakt abzubilden, weil hierfür die Werkzeuge zur Freiformmodellierung fehlen. 2.5 Bewehrung Zur dreidimensionalen Erfassung von Bewehrung werden in der Praxis sowohl Radarals auch Ultraschallverfahren angewendet. Geräte mit beiden Aufnahmetechnologien sind am Markt verfügbar, wobei manche Geräte die Möglichkeit bieten, Bewehrung auch flächenhaft zu erfassen und ein dreidimensionales Oberflächenmodell der Bewehrung zu erzeugen (z. B. Hilti PS1000 X-Scan). Diese Verfahren sind besonders geeignet im Hinblick auf die Integration in BIM, weil die erfassten 3-D-Oberflächenmodelle eine geometrische Rekonstruktion der Bewehrung mit den hier vorgestellten Verfahren erlauben. 2.6 Bildbasierte Schadenserkennung Einen Überblick über Verfahren zur bildbasierten, automatisierten Risserkennung und deren kritische Würdigung bietet [18]. Ein auf maschinellem Lernen basierendes Verfahren zur Erkennung von Abplatzungen mittels Regressionsanalyse ist in [19] dargestellt. Die hier diskutierten Methoden zielen zwar auf die Ableitung von Parametern (Länge, Breite, usw.) zur Beschreibung der Schädigungen ab, enthalten aber keine Ansätze zur Überführung der Schädigungen in ein BIM. 3. Überführung der erfassten Daten in BIM 3.1 Konzept Ein konzeptioneller Ansatz für die BIM-basierte Flugplanung, die automatische Datenerfassung und die semantische Informationsextraktion wird im folgenden Kapitel vorgestellt. Eine Übersicht ist in Abbildung 3 dargestellt. Kernelemente sind (2) die automatisierte Flugplanung [11], der (teil)autonome Flug, (4) die Bauteilerkennung in Punktwolken zur semantischen Anreicherung der erfassten Daten, die Abbildung anderer erfasster Daten (RGB/ RGB-D, etc.) auf das 4-D-MBIM und (5) Rekonstruktion, Abgleich und Analyse z. B. hinsichtlich Schäden am Bauwerk. Abbildung 3: Konzept der Methode für die Automatisierung von Prozessen im Rahmen der digitalen Verwaltung von Brückenbauwerken 5. Brückenkolloquium - September 2022 159 Drohnengestützte Erfassung von Bestandsmodellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Managements von Brückenbauwerken 3.2 Datenerfassung In der Betriebsphase kann ein Datenerfassungsprozess durch zuvor geplante Prüfzyklen ausgelöst werden oder bei Bedarf, wenn Änderungen im Zustand des Bauwerks durch Sensoren innerhalb des Structural Health Monitoring erkannt werden. Abhängig vom auslösenden Ereignis werden die relevanten Bauteile des Brückenbauwerks auf Basis des 4D MBIM, wie in [11] vorgeschlagen, bestimmt. 3.3 Objekterkennung und Rekonstruktion Für die Bauteilerkennung werden momentan die oben dargestellten datengetriebenen bzw. wissensbasierten Methoden erprobt und auf die Anwendung bei Brückenbauwerken angepasst. Nach erfolgter Bauteilerkennung werden in den Punktwolken pro Bauteilklasse einzelne Bauteile geclustert. Bei Bauteilen, die von planaren Seitenflächen begrenzt werden, erfolgt zunächst eine Segmentierung in Teilflächen mittels RANSAC Algorithmus [20]. Durch die Bestimmung des Abstandes zweier Teilflächen zueinander können zusammenhängende Bauteile, bspw. die beiden parallelen Flächen einer Wand, identifiziert werden. Hierfür muss der Abstand, bis zu dem zwei parallele Flächen einem Bauteil zugeordnet werden, vorher manuell durch einzelne Messungen bestimmt und dem Programm als Input vorgegeben werden. Bei gedrungenen Bauteilen (Stützen, usw.) können dichtebasierte Clustering-Algorithmen wie in [21] vorgestellt eingesetzt werden. Dieser Ansatz bietet den Vorteil, dass im Vergleich zu anderen Clustering-Algorithmen die Anzahl der gesuchten Cluster im Vorfeld nicht bekannt sein muss. Insbesondere bei Stützen bzw. Pfeilern ist im nächsten Schritt zu bestimmen, ob es sich um runde bzw. quadratische oder rechteckige Geometrien handelt. Hierfür können Verfahren zu Bestimmung der Oberflächenkrümmung wie in [22] vorgestellt und in CloudCompare [23] implementiert eingesetzt werden. Durch statistische Auswertung der Oberflächenkrümmung lassen sich so Bauteile mit rundem und quadratischem bzw. rechteckigem Querschnitt voneinander unterscheiden, wie Abbildung 4 zeigt. Abbildung 4: Bestimmung der Querschnittsform am Beispiel von Stützen Bei planaren, quaderförmigen Bauteilen erfolgt die Bestimmung der geometrischen Parameter (Lage, Orientierung, Länge, Breite) durch die Bestimmung der Horizontal ausgerichteten minimalen Umfassungsgeometrie (engl. horizontal aligned bounding box - h-obb), s. Abbildung 5. Dieses Verfahren wurde von den Autoren in [24] eingeführt und basiert auf der Vereinfachung, dass die obere und untere Begrenzungsfläche von Bauteilen horizontal liegt. Somit kann die Bestimmung der Abmessungen auf ein zweidimensionales Problem rückgeführt und eine hohe Zuverlässigkeit der Methode im Vergleich zu anderen Ansätzen zur Bestimmung der minimalen Umfassungsgeometrie, wie in [25] implementiert, erreicht werden. Weil aber gerade bei Brückenbauwerken häufig wandartige Bauteile mit geneigten Begrenzungsflächen, z. B. Flügelwände an Auflagern, vorkommen, ist eine Weiterentwicklung der Methode notwendig. Abbildung 5: h-obb am Beispiel einer Wand mit zwei Öffnungen Im Zuge der Rekonstruktion von Bewehrung erfolgt zunächst die Auf bereitung des aus der Erfassung vorliegenden Oberflächenmodells der Bewehrung durch Bereinigung und Erzeugung einer Punktwolke durch Sampling von Punkten auf dem Oberflächenmodell. Anschließend erfolgt die Auswertung mittels RANSAC [20], wobei in einem iterativen Ansatz durch kontinuierliche Anpassung der Parameter des RANSAC Algorithmus eine möglichst vollständige Zuordnung der Punkte zu Zylindern umgesetzt wird. Anschließend erfolgt die Umsetzung der ausgewerteten Geometrien zu BIM-Objekten mittels IfcOpenShell [26] als IfcRebar mit entsprechender Geometrierepräsentation. Das Ergebnis der Überlagerung von erfasstem Oberflächenmodell und rekonstruierten BIM ist in Abbildung 6 dargestellt. 160 5. Brückenkolloquium - September 2022 Drohnengestützte Erfassung von Bestandsmodellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Managements von Brückenbauwerken Abbildung 6: BIM-Rekonstruktion von Bewehrung 3.4 4-D-Monitoring BIM Integration Alle erfassten Informationen müssen in das 4-D-MBIM integriert werden. Um Interoperabilität zu gewährleisten, werden alle BIM-Objekte gemäß den geometrischen und semantischen Definitionen des IFC-Standards modelliert. Neben den Objekten, die im IFC-Standard beschrieben sind, müssen andere von Grund auf mit spezifischen geometrischen Darstellungen und Eigenschaftssätzen entwickelt werden. Ein Beispiel ist in Abbildung 7 dargestellt, das die Darstellung von Rissen und Abplatzungen in einem BIM einer Brücke zeigt. Das 4-D-MBIM bietet einen wertvollen Input für die Überwachung des Bauwerkszustands und die Ableitung von Zustandsindikatoren. Die Ermittlung und Bewertung von Schäden an Brückenbauwerken ist derzeit durch DIN 1076 und RI-EBW-PRÜF definiert und wird über das Programmsystem der SIB-Bauwerke [5] umgesetzt. Die summarischen Zustandsnoten für Teilbauwerke und Bauteilgruppen sowie die Bewertung von Einzelschäden werden über das Programm erfasst und können anschließend abgefragt werden. Dabei sind weder die Prozesse noch die Datenstruktur BIM-konform. Informationen aus der drohnengestützten Erfassung sollen daher automatisch ausgewertet und als BIM-Entitäten zur Verfügung gestellt werden. So können bestehende BIMs gezielt zu digitalen Modellen erweitert werden, die den Ist-Zustand des Bauwerks abbilden. Digitale Modelle, die digitale Verknüpfung mit Bestandsdaten und die Ableitung von Zustandsindikatoren bilden die Grundlage für ein integriertes Bauwerksmonitoring zur Verlängerung der Nutzungsdauer von Brückenbauwerken. Abbildung 7: BIM-Darstellungen von Betonrissen und Abplatzungen an einer Brücke 5. Brückenkolloquium - September 2022 161 Drohnengestützte Erfassung von Bestandsmodellen zur Automatisierung von Prozessen des digitalen Managements von Brückenbauwerken 4. Fazit und Ausblick In diesem Beitrag wird ein Ansatz vorgestellt mit dem Prozesse des digitalen Managements von Brückenbauwerken weiter automatisiert werden können. Dazu werden zunächst Daten autonom mit Drohnen erfasst, wobei der Flugplanung im Vorfeld auf Basis des 4-D-MBIM entworfen und in einer Simulation validiert wird. Der vorgestellte Ansatz orientiert sich an den Lean- Prinzipien und wird als „Lean Erfassungsprozess“ bezeichnet. Die Datenerfassung wird analog zum PullVerfahren bei Bedarf für relevante Aktivtäten ausgelöst und erfasst ausschließlich zugehörige Bauteile. Der Prozess umfasst die automatisierte und modellbasierte Planung (Plan), die realitätsnahe Simulation (Do), die Validierung und einheitliche Bewertung (Check) sowie die bedarfsorientierte Anpassung (Act). Durch diesen Ansatz wird sichergestellt, dass nur die benötigten Informationen erfasst werden, die auch erfasst werden sollen. Die erfassten Daten werden in BIMs integriert, wobei Bauteile in der Punktwolke zunächst detektiert, geometrisch rekonstruiert und anschließend zu einem 4-D- MBIM zusammengeführt. Zusätzlich können weitere Schadenserkennungsmethoden angewendet werden, um z. B. Risse und Abplatzungen zu erkennen und in das 4-D-MBIM zu integrieren. Der vorgestellte Ansatz wird derzeit sukzessive umgesetzt, wobei der Schwerpunkt derzeit auf der Drohnensimulation und der Generierung von synthetischen Trainingsdaten liegt. Ziel ist es, die Methode auf einer Infrastrukturbaustelle und an einem Brückenbauwerk einzuführen. Literatur [1] BMDV: Masterplan BIM - Bundesfernstraßen.- [2] Glock, Christian: Digitalisierung im konstruktiven Bauwesen. In: Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018), Nr. 8, S. 614-622.- [3] DIN 1076: 1999-11, Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung.- [4] BMDV: Richtlinie zur Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Ingenieurbauten (RPE-ING).- [5] BMDV: Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen (RI-EBW-PRÜF).- [6] Kaufmann, Fabian; Tschickardt, Thomas; Glock, Christian: Drone-based acquisition of as-built models for the automation of processes within the digital management of bridge assets. In: 8th International Symposium on Reliability Engineering and Risk Management (ISRERM 2022), 2022.- [7] Aryan, Afrooz; Bosché, Frédéric; Tang, Pingbo: Planning for terrestrial laser scanning in construction: A review. In: Automation in Construction 125 (2021), W2, S. 103551.- [8] Glock, Christian; Kaufmann, Fabian: Ready for BIM - Digitizing capturing and assessment of existing structures. In: FBF Betondienst GmbH (Hrsg.): Proceedings 65th BetonTage : Concrete Solutions, 2021, S. 63.- [9] Dai, Angela; Chang, Angel X.; Savva, Manolis; Halber, Maciej; Funkhouser, Thomas; Nießner, Matthias: ScanNet: Richly-annotated 3D Reconstructions of Indoor Scenes. 14.02.2017. URL http: / / arxiv.org/ pdf/ 1702.04405v2.- [10] Lee, Bang Yeon; Kim, Yun Yong; Yi, Seong-Tae; Kim, Jin-Keun: Automated image processing technique for detecting and analysing concrete surface cracks. In: Structure and Infrastructure Engineering 9 (2013), Nr. 6, S. 567-577.- [11] Tschickardt, Thomas; Kaufmann, Fabian; Glock, Christian: Lean and BIM-based Flight planning for automated data acquisition of bridge structures with LiDAR UAV during construction phase. In: 2022 European Conference on Computing in Construction, 2022.- [12] Braun, Alexander; Tuttas, Sebastian; Borrmann, André; Stilla, Uwe: Automated progress monitoring based on photogrammetric point clouds and precedence relationship graphs, Bd. 32. In: ISARC. Proceedings of the International Symposium on Automation and Robotics in Construction, 2015, S. 1.- [13] Chen, Jingdao; Cho, Yong K.: Point-to-point comparison method for automated scan-vs-bim deviation detection. 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In: 2022 European Conference on Computing in Construction, 2022.- [25] Zhou, Qian-Yi; Park, Jaesik; Koltun, Vladlen: Open3D: A Modern Library for 3D Data Processing. In: arXiv: 1801.09847 (2018).- [26] Krijnen, Thomas: IfcOpenShell. URL http: / / ifcopenshell.org/ -- Überprüfungsdatum 24.11.2021.- Verstärkung, Ertüchtigung WestWood ® Kunststofftechnik GmbH Tel.: 0 57 02 / 83 92 -0 · www.westwood.de PMMA für Betonfahrbahntafeln - BASt-Listung bis 0 °C Untergrundtemperatur verarbeitbar überarbeitbar nach 30 Minuten WW_WW_Tagungshandbuch_5._Brueckenkolloquium_210x145.indd 1 WW_WW_Tagungshandbuch_5._Brueckenkolloquium_210x145.indd 1 26.07.22 11: 46 26.07.22 11: 46 5. Brückenkolloquium - September 2022 165 Temperaturstabilität und Dauerhaftigkeit von geklebten CFK-Lamellen im Brückenbau CFK Lamellen unter Asphalt Dipl.-Ing. (FH) Florian Eberth S&P Clever Reinforcement GmbH, Bad Nauheim, Deutschland Zusammenfassung Die Glasübergangstemperatur von Epoxidharzklebstoffen für die CFK Verstärkung liegt bei ca. 50-60 °C. Ab dieser Temperatur beginnen die Klebstoffe ihre Festigkeit zu verlieren und die CFK Verstärkung verliert ihre statische Wirkung. Diese Temperaturen werden beim Überbau mit Asphalt deutlich überschritten und auch die direkte Sonneneinstrahlung auf die Asphaltdecke kann eine erhöhte Temperatur darstellen. Forschungsvorhaben [1], [2], [3] der Eidgenössischen Materialprüfanstalt (Empa) in der Schweiz zeigen, dass der Überbau mit Asphalt, das Auf bringen einer Bitumendichtbahn, sowie die Sonneneinstrahlung bedenkenlos möglich sind. 1. Einleitung Bauen im Bestand ist ein stetig wachsender Markt. Bestehende Bauwerke werden umgenutzt oder umgeplant und Stahlbetonbauteile müssen instandgehalten werden. Häufig entsteht dabei ein Eingriff in das statische System bzw. Belastung der Bauteile. Auch Fehler bei der Bemessung oder Ausführung können zu einem Defizit der Bewehrung in einem Bauteil führen. Für die Betoninstandsetzung und zur Verstärkung von Betonbauteilen haben sich faserverstärkte Kunststoffe (FVK oder Fiber reinforced polymeres = FRP) wie z.B. Kohlefaserlamellen (CFK Lamellen) etabliert. Bauaufsichtliche Zulassungen und Richtlinien für CFK Lamellen existieren in mehreren Ländern und regeln auch in Deutschland deren Einsatz und die Bemessung. Im Brandfall bzw. bei höheren Temperaturen (direkte Sonneneinstrahlung) ist die Glasübergangstemperatur des Klebstoffes der CFK Lamellen maßgebend, welche bei ca. 50-60 °C liegt. Ab dieser Temperatur beginnt der Klebstoff seine Festigkeit zu verlieren und die CFK Lamellen fallen rechnerisch aus. Im Idealfall werden die CFK Lamellen im Brandfall aber gar nicht benötigt. Dazu wird das Bauteil für den Brandfall nachgewiesen. In ca. 85 % der Fälle ist die Tragfähigkeit im Brandfall ohne Verstärkung ausreichend und es sind keine Brandschutzmaßnahmen für die CFK Lamellen zu ergreifen. Im Brückenbau ist eine häufig angewendete Methode die oberseitige Verstärkung der Kragarme. Hier werden die CFK Lamellen i.d.R. anschließend mit Asphalt überbaut. Zu den statischen Nachweisen gesellen sich somit zwei Fragestellungen: • wie verhält sich der Verbund im Zusammenspiel von Klebestoff und dem heißen Gussasphalt • und wie verhält sich das Verbundsystem im Hinblick auf die jahreszeitlichen Temperaturschwankungen 2. Temperaturstabilität von geklebten CFK-Lamellen Um eben diese Fragen zu untersuchen und zu beantworten, wurde ein Forschungsvorhaben [1] an der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa)/ Schweiz durchgeführt. Im Bereich der Brücke erfolgt der übliche Auf bau der Fahrbahn in drei Arbeitsschritten: • Einbau der CFK Klebelamellen mit dem Epoxitharzklebstoff direkt auf den Rohbeton oder in Schlitze verklebte CFK Lamellen • Darüber wird eine Polymerbitumen-Dichtungsbahn (PBD) verlegt • Anschließend wird der heiße Gussasphalt (ca. 220- 240°C im Fahrmischer) aufgebracht In einem ersten Teil des Forschungsprojekts wurden in Bauteilversuchen die Temperaturen in der Ebene der Klebstofffuge gemessen, beim Einbau der PBD (Abb. 1), sowie beim Einbau des Gussasphaltes (Abb. 2). Im Nachgang wurde die Haftzugfestigkeit der verklebten CFK Lamellen untersucht und mit den Referenzproben verglichen. 166 5. Brückenkolloquium - September 2022 Temperaturstabilität und Dauerhaftigkeit von geklebten CFK-Lamellen im Brückenbau Abb. 1: Auf bringen der PBD [1] Abb. 2: Einbau des Gussasphaltes [1] Aufgrund der hohen Einbautemperatur von Gussasphalt war zu erwarten, dass die Temperaturen im Bereich der CFK-Verstärkung die Glasübergangstemperatur des Klebstoffs übersteigen. Die Untersuchungen zur Temperaturentwicklung lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Die Temperaturen während des Auf bringens der PBD sind vernachlässigbar. Zwar ist die Temperatur relativ hoch jedoch ist die Einwirkungsdauer sehr kurz, so dass sich die Klebstofffuge kaum erwärmt. • Beim Auf bringen des Gussasphaltes, kann die Temperatur in der Epoxidharzschicht bis zu 80 °C betragen. Während des Asphalteinbaus können die CFK Lamellen also nicht statisch berücksichtigt werden. Die Abkühlphase bis die Temperatur wieder auf die maximal zulässige Dauerbauteiltemperatur (gemäß Zulassungen und Richtlinien) von 40-°C sinkt, beträgt ca. 3 h. Nach dieser Zeit können die CFK Lamellen wieder voll angesetzt werden. Versuche an den CFK Lamellen ergaben keine Änderung der Festigkeiten. • Die anschließend durchgeführte Prüfung der Haftzugfestigkeit zeigt nur eine minimale Beeinflussung des Verbundes. Diese Restfestigkeit ist jedoch höher, als die durch die Bemessung ansetzbare Verbundfestigkeit. Die Bemessung bzw. Bemessungsfestigkeiten müssen somit nicht angepasst werden. • Durch das beschleunigte Erhärten (i.d.R. wird ein Versuchsalter von 28 Tagen für die Glasübergangstemperatur herangezogen) steigt die Glasübergangstemperatur durch Nacherhärtungseffekte an. Eine untergeordnete Rolle spielt lediglich die Kontaktfläche zwischen CFK Lamelle und PDB. Aufgrund möglicher Diffusion von Weichmachern aus der CFK-Lamelle konnten hier teilweise kleinflächige Verbundstörungen beobachtet werden. Bei zusätzlichem Asphaltauf bau kann dies aufgrund des Eigengewichts des Asphalts jedoch vernachlässigt werden. Sofern es zu CFK Verstärkungen und anschließender PBD, ohne Auflast durch Asphalt o.ä. kommt, kann auf der sicheren Seite eine dünne Schutzbzw. Trennschicht (Bodenbeschichtung oder Epoxidharz) auf die CFK Lamellen aufgebracht werden. Versuche zeigen, dass geringfügige Blasenbildung somit verhindert werden kann. 3. Dauerhaftigkeit von geklebten CFK-Lamellen unter Temperatureinfluss In einem zweiten Teil der Studie wurden Langzeitüberwachungen an CFK Verstärkten Kragträgern durchgeführt [2], [3]. Die mit Asphalt überbauten verstärkten Platten wurden unter Gebrauchslast und jahreszeitlichen Umwelt- und Temperatureinflüssen, über vier Jahre beobachtet (Abb. 3) [2]. Um den Einfluss der Temperatur auf den Grenzzustand der Tragfähigkeit zu untersuchen wurden die Probekörper anschließend im Labor zum Versagen unter Bruchlast gebracht [3]. Abb. 3: Probekörper unter Umwelteinfluss [1] Über den gesamten Versuchszeitraum wurde der Temperaturverlauf in und auf den Probekörpern festgehalten. Die maximale Lufttemperatur betrug dabei ca. 38 °C. Aufgrund der direkten Sonneneinstrahlung auf die Probekörper wurde eine maximale gemessene Temperatur in der Klebstofffuge von 42 °C festgestellt. Die in den Bemessungsrichtlinien festgesetzte maximale Temperatur von 40 °C, wurde somit leicht überschritten. Diese ist als Dauerbauteiltemperatur definiert. Somit kann diese Grenze auch hier als intakt angesehen werden, aufgrund der nächtlichen Abkühlung. Im Laufe der Zeit, konnte bei höheren Temperaturen im Probekörper eine größere Dehnung festgestellt werden. Bei geringeren Temperaturen war die viskoelastische Verformung des Klebstoffs deutlich verringert. Der Anstieg der Dehnungen war im Vergleich zur Bemessungsdehnung jedoch moderat. Gleichzeitig war das Verhalten des Klebstoffs zu jeder Zeit stabil, ohne Anzeichen einer 5. Brückenkolloquium - September 2022 167 Temperaturstabilität und Dauerhaftigkeit von geklebten CFK-Lamellen im Brückenbau Delamination. Ein Zusammenhang von Dehnungszunahme der CFK Lamellen und Kriechen des Betons, aufgrund des viskoelastischen Klebstoffverhaltens, konnte durch eine MLR-Modellanalyse festgestellt werden. Die Reserve von ca. 10-20 °C von Glasübergangstemperatur zu der in den Richtlinien festgesetzte max. Dauerbauteiltemperatur ist somit eine sinnvolle Vorgabe. Bei den anschließenden Versuchen im Labor [3], bei welchen die Probekörper zum Bruch gebracht wurden, konnte zunächst eine etwas verringerte Biegesteifigkeit festgestellt werden (Abb. 4). Abb. 4: Bruchversuche im Labor [1] Das Versagen der Probekörper erfolgte aufgrund von Betonquetschungen, ohne sichtbares delaminieren der CFK Lamellen. Die Biegetragfähigkeit der mit Asphalt überbauten Platten übersteigt die der Referenzversuche ohne Asphalt. Dies wird auf den Betoneinschluss (Auflast) der CFK Lamellen zurückgeführt, wodurch höhere Dehnungen ermöglicht werden. Bei den Bruchversuchen konnte jedoch bereits ab Gebrauchslastniveau ein deutlicher Schlupf zwischen Asphalt und Beton beobachtet werden. Somit kann auch aufgrund der geringen Steifigkeit des Asphalts ausgeschlossen werden, dass dieser zur Biegetragfähigkeit beiträgt. Die Langzeitversuche haben entsprechend keinen Einfluss auf die Tragfähigkeit von verstärkten Bauteilen. Die Zunahme der Dehnungen in den CFK Lamellen betrifft lediglich die Gebrauchstauglichkeit. Die Auswertung der Restfestigkeit von mit Asphalt überbauten und mit CFK Lamellen verstärkten Platten zeigt, dass die gleichzeitige Beanspruchung bei höheren Temperaturen keine kritische Anwendung im Hinblick auf den Grenzzustand der Tragfähigkeit darstellt [3]. Literaturverzeichnis [1] Czaderski, C./ Gallego, J.M./ Michels, J. (2017): Temperature stability and durability of Externally Bonded CFRP strips in bridge constructio (Forschungsprojekt AGB 2012/ 001). Zürich, Schweiz. Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt [2] Breveglieri, M./ Czaderski, C. (2022): Reinforced concrete slabs strengthened with externally bonded carbon fibre-reinforced polymer strips under long-term environmental exposure and sustained loading. Part 1: Outdoor experiments. Zürich, Schweiz. Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt [3] Breveglieri, M./ Czaderski, C. (2021): RC slabs strengthened with externally bonded CFRP strips under long-term environmental exposure and sustained loading. Part 2: Laboratory experiments. Zürich, Schweiz. Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt 5. Brückenkolloquium - September 2022 169 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr Von der Forschung in die Praxis Prof. Dr.-Ing. Jürgen Feix Leopold-Franzens Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich Dr. Johannes Lechner Prof. Feix Ingenieure GmbH, München, Deutschland Dipl.-Ing. Matthias Egger Leopold-Franzens Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich Zusammenfassung In den letzten 10 Jahren wurde von den Autoren ein ganzer Werkzeugkasten an Methoden zur Verstärkung von Bestandsbauwerken entwickelt. Als besonders effektiv haben sich dabei zwei Verfahren herausgestellt. Zum einen der Einsatz von Verbundankerschrauben, die als nachträgliche Bewehrung in Betonquerschnitte eingebracht werden können und so vor allem fehlende Querkraft- und Durchstanzbewehrung ersetzen können. Zum anderen der Einsatz von dünnen, textilbewehrten Betonschichten, die auf Bestandstrukturen aufgebracht werden können, um die Tragfähigkeit für Biege-, Querkraft- und Torsionsbeanspruchungen zu verstärken. Die Wirksamkeit der Verstärkungsmethoden wurde in Versuchen und numerisch evaluiert und zur Zulassungsreife gebracht. Damit steht einer breiten Anwendung nichts mehr im Wege. Der Beitrag behandelt die Wirkungsweise der Verstärkungsmethoden an Hand von Forschungsergebnissen, aber vor allem an Hand von ausgeführten Pilotprojekten. 1. Einleitung Seit vielen Jahren wird an der Universität Innsbruck am Arbeitsbereich für Massivbau und Brückenbau intensiv an der nachträglichen Verstärkung von bestehenden Stahl- und Spannbetontragwerken geforscht. Durch neue und innovative Verstärkungsmethoden sollen speziell bestehende Infrastrukturbauwerke an die aktuellen Anforderungen in Hinsicht auf die steigenden Verkehrslasten und die gestiegenen normativen Anforderungen angepasst werden können. Für bestehende Tragwerke, insbesondere für Infrastrukturbauwerke braucht es Verstärkungssysteme, welche schnell und einfach und möglichst nur von einer Seite und damit unter weitestgehender Aufrechterhaltung der Nutzung des Tragwerks installiert werden können. Nur so können die Umwelteinflüsse einer Verstärkung etwa durch aufwändige Verkehrsumleitungen, Verkehrssperren o.ä. so gering wie möglich gehalten und somit ein Beitrag zur Nachhaltigkeit der vorhandenen Infrastruktur geleistet werden, wie auch in [1] beschrieben wird. 1.1 Verstärkung mit Betonschrauben Besonderes Augenmerk in der Forschung wurde unter anderem auf den Einsatz von Betonschrauben als nachträglich eingebaute Bewehrung für schubbeanspruchte Bauteile gelegt. Dabei werden aus der Verankerungstechnik bekannte und für diese Anwendung adaptierte Betonschrauben als nachträgliche Schubbewehrung in das Tragwerk eingebracht und ersetzen damit fehlende Querkraft- oder Durchstanzbewehrung. Die Anwendung von Betonschrauben als nachträgliche Querkraft- oder Durchstanzbewehrung wurde 2019 durch das Deutsche Institut für Bautechnik bauaufsichtlich als Verstärkungssystem zugelassen (vgl. [2], [3]). 170 5. Brückenkolloquium - September 2022 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr Abb. 1: In das Bohrloch installierte Betonschraube mit Rückverankerung an der Tragwerksaußenseite und mechanisches Tragsystem durch Hinterschnitt 1.1.1 Tragsystem der Betonschrauben Abbildung 1 zeigt eine der Schrauben, deren Anwendung durch die bauaufsichtlichen Zulassungen für die nachträgliche Verstärkung abgedeckt wird. In den Zulassungen sind zwei Schraubendurchmesser geregelt (d 0 = 22-mm und d 0 = 16 mm), die jeweils in zwei Ausführungen hinsichtlich des Anschlussgewindes eingesetzt werden können. In Abbildung 1 ist auch das Verbundgewinde am vorderen Ende der Schrauben zu erkennen, welches sich beim Eindrehen der Schrauben in das vorgebohrte Loch in die Bohrlochwandung schneidet. Damit wird ein sehr robustes Tragsystem auf Basis des Hinterschnitts erzeugt, welches unempfindlich gegenüber Ausführungsfehlern, wie etwa nicht ausreichend gereinigten Bohrlöchern ist. Zusätzlich wird in das Bohrloch vor dem Eindrehen der Schraube auch mit einem Verbundmörtel injiziert, der den Zwischenraum zwischen Bohrloch- und Schraubenoberfläche füllt, wodurch die Traglast nochmals um ein Drittel steigt, wie in [4] gezeigt wird. 1.1.2 Vorteile der Verstärkung mit Betonschrauben Der wesentliche Vorteil dieses Verstärkungssystems liegt in dem schnellen Einbau mittels konventionellem Bohrverfahren (Hammerbohren oder Kernbohren) und der sofortigen Belastbarkeit der Schrauben nach dem Einbau. Damit ist es möglich das System auch unter laufendem Verkehr auf der Brücke zu installieren bei gleichzeitig kurzen Bauzeiten. Dies ermöglicht eine minimale Störung des Tragwerks und des Verkehrsflusses auf und unter dem Brückentragwerk, da z.B. auch eine Installation von einem Brückeninspektionsgerät aus möglich ist. Durch den Einsatz des Verbundmörtels im Bohrloch wird nicht nur die Traglast durch den vergrößerten Hinterschnitt weiter erhöht, sondern auch ein dauerhafter Korrosionsschutz für die Schrauben durch Verfüllung des Ringspaltes sichergestellt. Im Zusammenwirken mit der vorhandenen Zinklamellenbeschichtung der Schrauben konnte so eine Korrosionswiderstandsklasse C5-I gemäß DIN EN ISO 12944-6 gutachterlich nachgewiesen werden. Das Verstärkungssystem ist daher auch für den Einsatz in stark korrosiven Umgebungen, wie z.B. bei Straßenbrücken mit dem Einsatz von Tausalz geeignet. 1.2 Verstärkung mit Textilbeton An der Universität Innsbruck am Arbeitsbereich für Massivbau und Brückenbau wurde erstmalig die Eignung von Textilbeton für dynamische Belastungen, wie im Brückenbau gegeben, mit experimentellen Methoden nachgewiesen [5]. Darauf auf bauend wurde ein Konzept zur Fahrbahnsanierung von Brücken, bei der eine dünne Textilbetonschicht neben einer Biegezugverstärkung die Funktionen der Abdichtung und des Fahrbahnbelags übernimmt, entwickelt. Die Methodik dieses Systems wurde an zwei Pilotprojekten in den Jahren 2013 und 2014 getestet [6], [7]. Ein zusätzlicher Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der textilen Bewehrungsentwicklung, hierbei werden Flächenbewehrungen mittels Sticktechnologie hergestellt [8]-[10]. Unter anderem wurden diese Bewehrungen in Großbauteilversuchen zur nachträglichen Querkraft- und Torsionsverstärkung von Stahlbeton-Plattenbalkenträgern verwendet und Bemessungsansätze abgeleitet. Das getestete Verstärkungssystem wird aktuell bei der Generalsanierung der Krumbachbrücke, einem dreifeldrigen längsvorgespannten Tragwerk mit einer Länge von 120m unter Verkehr, angewendet. 1.2.1 Aufbau einer Textilbetonverstärkung Die gängigsten Fasermaterialen für Textilbewehrungen sind Carbon und AR-Glas. Diese werden zu gitterartigen Bewehrungsstrukturen verarbeitet und mithilfe von geeigneten Tränkungsmaterialien wie Epoxidharz zur Verbesserung der Material- und Verarbeitungseigenschaften versehen. In Abhängigkeit vom Herstellungsverfahren und der gewählten Materialien gibt es eine Auswahl an unterschiedlichsten Bewehrungsprodukten für ein breites Anwendungsgebiet. Textilbewehrung können als Rollenware, als Mattenware oder als Formbewehrungen in unterschiedlichen Bewehrungsstärken bezogen werden. Auf der Baustelle werden diese im Laminierverfahren in einem Feinbetonmörtel eingebracht. Dabei wird im Vorfeld der Textilbetonverstärkung der Untergrund des Altbetons mittels geeigneten Verfahren wie dem Hoch- 5. Brückenkolloquium - September 2022 171 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr druckwasserstrahlen vorbereitet, der Untergrund gereinigt, vorgenässt und anschließend mit dem geplanten Materialschichtauf bau begonnen. Als Feinbetonmörtel können handelsübliche Instandsetzungsmörtel verwendet werden, welche aktuell im Nassspritzverfahren oder händisch aufgebracht werden und auf die Maschenweite der Textilbewehrung sowie der Exposition des Anwendungseinsatzes abgestimmt sind. Die Lagenanzahl der Textilbewehrung erfolgt nach statischer Erfordernis. Gängige Materialschichtstärken im Verstärkungsbereich liegen schlussendlich im Bereich zwischen 1,0 cm und 3,0 cm, wie in Abbildung 2 ersichtlich. Abb. 2: Gängige Textilbetonschichten zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken 1.2.2 Vorteile einer Textilbetonverstärkung Die verwendeten Textilbewehrungen sind im Unterschied zu Stahlbewehrungen korrosionsresistent, haben eine geringere Materialdichte und eine wesentlich höhere Zugfestigkeit im Bereich zwischen ca. 2.000 N/ mm² bis 3.600 N/ mm². Dadurch ist ein hohes Verstärkungspotential bei einem gleichzeitig geringen zusätzlichen Konstruktionseigengewicht gegeben. Zusätzlich wird die Bestandsbewehrung durch eine oberflächliche Textilbetonschicht gegen äußere Einflüsse geschützt und die Dauerhaftigkeit eines Ingenieurbauwerks erhöht. Die Tragfunktion einer Textilbewehrung ist sehr ähnlich zu der einer Stahlbewehrung. Unterschiedliche Schnittgrößen wie Biegung, Torsion oder Querkraft können aufgenommen werden. Für die Materialauslegung können bekannte Bemessungsansätze aus dem Stahlbetonbau mit Anpassungen an die Charakteristiken des Textilbetons übernommen werden. Neben einer Traglasterhöhung kann eine Textilbetonschicht auch lediglich die Funktion einer dauerhaften Schutzschicht übernehmen, wie bei einigen Sanierungsvorhaben gefordert. Hier übernimmt die Textilbewehrung die Aufgabe einer Rissverteilung und kann daher beispielsweise mit einem geringeren Bewehrungsgehalt ausgeführt werden. Aufgrund der hohen Vielfalt an Textilbewehrungskonfigurationen kann somit eine wirtschaftliche Lösung für unterschiedliche Randbedingungen erarbeitet werden. 2. Wissenschaftliche Untersuchungen Auf bauend auf den Grundideen wurden für die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung der Verstärkungssysteme mehrere Einzel- und Bauteilversuche durchgeführt, um zuerst die generelle Eignung nachzuweisen und in nachfolgenden Schritten einzelne Parameter des Verstärkungssystems zu untersuchen. Diese Untersuchungen wurden durch numerische Simulation mit der Finiten Elemente-Methode und nicht-lineare Materialmodell begleitet, um weitere Parameter kostengünstig untersuchen zu können. 2.1 Querkraftversuche mit Verstärkung mit Betonschrauben In einem ersten Schritt wurde die generelle Eignung der Verbundankerschrauben als nachträgliches Verstärkungselement sowohl für die Querkraftverstärkung, als auch für die Durchstanzverstärkung mit mehreren Versuchen erfolgreich nachgewiesen. Auf den Erkenntnissen der ersten Versuche auf bauend, wurde ein Versuchsprogramm entwickelt, welches zur bauaufsichtlichen Zulassung des Systems geführt hat. Im Folgenden werden einige Versuchsdetails der Zulassungsversuche gezeigt. Detaillierte Informationen zu den Versuchsergebnissen sind z.B. in [11]-[14] zu finden. Abbildung 3 zeigt den Versuchsauf bau für die Versuche an Stahlbetonplattenstreifen mit Verstärkung durch nachträglich eingebaute Verbundankerschrauben. Die Querkraftversuche wurden als Dreipunktbiegeversuche durchgeführt, wobei für diese Versuchsserie an Plattenstreifen verschiedene Schraubentypen und Installationsarten untersucht wurden. So wurden etwa die Setztiefe der Schrauben und der Schraubendurchmesser variiert. Abb. 3: Versuchsauf bau für die Querkraftversuche an Plattenstreifen mit Verstärkung durch Verbundankerschrauben Alle durchgeführten Versuche wurden jeweils mit Referenzversuchen ohne Querkraftbewehrung verglichen und zeigten je nach Konfiguration erreichbare Traglaststeigerungen von bis zu 150 % gegenüber den Referenzversuchen. In Abbildung 4 sind die Traglaststeigerungen der Versuche an Plattenstreifen mit einer Höhe von 32 cm dargestellt. Hier konnte eine maximale Traglaststei- 172 5. Brückenkolloquium - September 2022 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr gerung gegenüber Referenzversuchen ohne Querkraftbewehrung von maximal 90% erreicht werden. Die gezeigten Kurven stellen dabei Mittelwerte von jeweils drei Einzelversuchen dar. Abb. 4: Kraft-Verformungskurven von zwei dynamischen Querkraftversuchen mit 5-Mio Lastwechseln im Vergleich zu zwei statisch belasteten Versuchen mit identischer Konfiguration Darüber hinaus wurden auch dynamische Versuche an den Stahlbetonbalken mit zyklischen Lasten (5 Mio. Lastwechsel) mit wirklichkeitsnaher Schwingbreite durchgeführt. Bei allen Versuchen konnte kein Versagen während der zyklischen Belastung festgestellt werden, wie die Traglastkurven in Abbildung 4 zeigen. Darin wird ein Vergleich mit rein statisch belasteten Versuchen zu zyklisch belasteten Versuchen dargestellt. Es zeigt sich, dass die zyklische Belastung und anschließende statische Belastung bis zum Bruch sogar etwas größere Versagenslasten ergeben. Somit lässt sich keine Beeinträchtigung der Traglast des Systems bei dynamisch belasteten Bauteilen erkennen. 2.2 Querkraft- und Torsionsverstärkung mit Textilbeton Abbildung 5 zeigt ein Verstärkungskonzept eines Stahlbeton-Plattenbalkens auf Querkraft und Torsion bei der die gesamte Stegfläche sowie die Stegunterseite mittels einer Textilbetonschicht ummantelt wird. Die Textilbewehrung besteht aus Matten- und Formbewehrungen welche mit versetzten Überlappungsstößen im Trägerquerschnitt und in Trägerlängsrichtung eingebaut werden. Die Bewehrung wird über einen Textilbetonkragen über eine Länge von ca. 60-cm auf der Unterseite der Fahrbahnplatte sowie einem zusätzlichen punktuellen Verankerungssystem im Abstand von 50-cm verankert. Letzteres besteht aus einer Ankerplatte und einer Verbundankerschraube. Als Verbundankerschraube wird das System wie in Abbildung 1 dargestellt verwendet. Je nach statischer Erfordernis wird das Torsions- oder Querkraftdefizit durch eine einlagige, bei einer Schichtstärke von 2-cm, oder eine zweilagige Textilbewehrung, bei einer Schichtstärke von 3-cm, aufgenommen. Abb. 5: Querkraft- und Torsionsverstärkungskonzept von Stahlbeton-Plattenbalken mittels Textilbeton und Verankerungssystem Im Zuge dieser Systementwicklung wurden Klein- und Bauteilversuche durchgeführt. In einer ersten Bauteilversuchsserie wurden dabei fünf Bewehrungskonzepte mit unterschiedlichen Bewehrungsparametern sowie Kombinationen mit und ohne Verankerungssystem untersucht. Die schlussendliche Konfiguration mit der höchsten Traglast wurde anschließend in einer zweiten Bauteilserie auf Querkraft in einem Drei-Punkt-Biegeversuch und auf Torsion in einem dafür entwickelten Torsionsversuchstand geprüft. Die Probekörperabmessungen sowie der Stahl- und Textilbewehrungsgehalt wurde an einem Praxisbeispiel im Maßstab 1: 3 abgeleitet. In jeder Bauteilserie wurde ein Versuchskörper ohne Textilbetonverstärkung ausgeführt um den Laststeigerungsfaktor zu ermitteln. Abbildung 6 zeigt die Ergebnisse im Vergleich zu den unverstärkten Versuchskörpern. Die Querkraftversuche werden mit Q1 bis Q6 bezeichnet und der Torsionsversuch mit T1. Bei den Varianten Q4, Q5, Q6 und T1 wurde die oben beschriebene Verankerungskonstruktion verwendet. Die positive Funktionsweise ist im Vergleich zu den Varianten Q1 bis Q3 deutlich zu erkennen. Die Varianten Q6 und T1 wurden in der zweiten Bauteilserie getestet. Im Falle einer Querkraftverstärkung wurde ein Laststeigerungsfaktor von 1,67 und bei der Torsionsverstärkung ein Faktor von 1,47 erzielt. Dabei wurden im Unterschied zu den unverstärkten Versuchskörpern die gewünschten Versagensmechanismen auf Querkraft oder Torsion in der Textilbetonschicht nicht erreicht. Beim verstärkten Querkraftversuch wurde ein lokales Lasteinleitungsversagen beobachtet und beim Torsionsversuch war das vorhandene Verformungsvermögen des Versuchstands ausgeschöpft. Das bedeutet die erzielten Laststeigerungsfaktoren können als unterer Grenzwerte angesehen werden (vgl. [9], [15]). 5. Brückenkolloquium - September 2022 173 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr Abb. 6: Erzielte Laststeigerungsfaktoren in Bauteilversuchsserien mit dem Verstärkungskonzept im Vergleich zu unverstärkten Stahlbeton-Plattenbalken 3. Pilotanwendungen der Verstärkungssysteme Auf Basis der Versuchsergebnisse und der Erkenntnisse aus den Versuchen konnten in den letzten Jahren einige Pilotanwendungen mit den neuen Verstärkungsverfahren umgesetzt werden, wovon nachfolgend einige ausgewählte Projekte dargestellt werden. 3.1 Querkraftverstärkung einer Plattenbrücke Es wurde eine Eisenbahnunterführung der 1980er Jahre verstärkt, welche als Plattenbrücke ausgeführt ist und an welcher bereits deutliche Schubrisse an beiden Plattenrändern zu erkennen waren, wie auch in Abbildung-7 anhand des Monitorings an den Rissen ersichtlich ist. Abb. 7: Einfeldrige Plattenbrücke einer Eisenbahnüberführung mit bestehenden Schubrissen. Auf der Brücke liegen vier Gleise und Weichen einer Hauptverkehrsstrecke weshalb Baumaßnahmen von der Oberseite nicht möglich waren. Durch den Einbau von Betonschrauben als nachträgliche Querkraftverstärkung von der Unterseite in mehreren parallelen Reihen an beiden Seiten der Platte, wie in Abbildung 8 erkennbar ist, war es möglich die Platte auf das Designniveau des Eurocodes zu verstärken. Durch den Einbau von unten von den beiden Gehwegen neben der Straße (siehe Abbildung 7 und 8) war es möglich sowohl den Verkehr auf aber auch unter dem Tragwerk während der Verstärkungsmaßnahmen ohne Einschränkungen aufrecht zu erhalten. Abb. 8: Einbau der Querkraftverstärkung mit Betonschrauben in mehreren parallelen Reihen von unten in die Platte 3.2 Durchstanzverstärkung einer Plattenbrücke Im Zuge der Nachrechnung einer stark schiefwinkligen, dreifeldrigen Plattenbrücke aus den 1950er Jahren wurde ein Tragfähigkeitsdefizit hinsichtlich der Durchstanztragfähigkeit bei den Punktauflagern der Lagerachsen im Feld festgestellt. Die Brücke ist an den Zwischenauflagern einzelnen Pendelstützen gelagert, wie in Abbildung 9 und 10 zu erkennen ist. Eine Einstufungsberechnung aus dem Jahr 2006 ergab eine Brückenklasse 16/ 16 für das vorhandene Bauwerk. Daher wurde die Überfahrt über das Tragwerk auf 16to Fahrzeuge beschränkt. Da das Tragwerk für den Ausweichverkehr im Zuge naheliegenden Streckensperrung genutzt werden sollte, musste das Tragwerk auch für langsam fahrende Einzelfahrzeuge mit größeren Lasten freigegeben werden. Das Ziellastniveau der erneuten Nachrechnung lag damit bei der Brückenklasse 30/ 0. Die Nachrechnung mit diesen Lasten ergab im Wesentlichen ein Durchstanzdefizit bei den jeweils beiden äußeren Stützen an beiden Seiten der Zwischenauflagerachsen. 174 5. Brückenkolloquium - September 2022 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr Abb. 9: Plattenbrücke über 3 Felder mit punktgestützten Zwischenauflagern Um dieses Lasten aufnehmen zu können, wurde daher eine Durchstanzertüchtigung mit Betonschrauben vorgesehen. Der Einbau der Verstärkung erfolgte ausschließlich von der Tragwerksunterseite von einem Brückeninspektionsgerät aus, um den Fahrbahnbelag und die Abdichtung nicht erneuern zu müssen. In einem ersten Schritt wurde die vorhandene Bewehrung an der Tragwerksunterseite mittels zerstörungsfreier Prüfverfahren detektiert und die Einbaupunkte entsprechend angezeichnet. Aufgrund der großen Menge an Bewehrung in der oberen Lage der Platte über den Zwischenauflagern, wurde die Bohrtiefe der Verstärkung so gewählt, dass die Schraubenspitzen knapp unterhalb der oberen Bewehrungslage liegen und damit eine Beschädigung der oberen Biegebewehrung vermieden werden kann, was zu einer geringfügig geringeren Traglast führt, aber deutlich einfacher auszuführen ist. Ebenfalls wird mit diesem Vorgehen die Störung des Tragwerks minimiert, da Bewehrungsschäden der oberen Biegezugbewehrung weitestgehend vermieden werden können. Aufgrund der Querneigung der Brücke weist die Platte eine variierende Dicke über die Querrichtung auf, womit die Einbautiefe für jedes Bohrloch abweichend ist. Die erforderlichen Bohrlängen wurden vorab anhand der Bestandspläne bestimmt. Die Schrauben konnten jedoch in einer einheitlichen Länge geliefert werden, da das System über das Anschlussgewinde im hinteren Bereich mit den dazugehörigen Rückverankerungsmuttern (vgl. Abbildung 1) an die jeweilige erforderliche Länge angepasst werden kann. Abb. 10: Angezeichnete Einbaupunkte der Durchstanzverstärkung um die Stützen nach vorangegangener Bewehrungsdetektion mittels zerstörungsfreier Prüfverfahren 3.3 Biege- und Querkraftverstärkung einer Eisenbahn-Spannbetonbrücke Neben Querkrafttragfähigkeitsdefiziten weisen manche Spannbetonbrücken auch ein Defizit bei der vorhandenen Biegebewehrung auf. Insbesondere betroffen sind hier Bauwerke mit spannungsrisskorrosionsgefährdeten Spannstählen. Die zweifeldrige Spannbetonbrücke der Eisenbahnüberführung ist ein davon betroffenes Bauwerk. Die Brücke wurde mittels des damals gebräuchlichen Sigma Oval Spannstahl vorgespannt. Abb. 11: Konzept der Biege- und Querkraftverstärkung durch externe Biegebewehrung in Form von Stahllaschen und Querkraftverstärkung mittels durch den Hohlkörper installierte Betonschrauben Im Zuge einer Nachrechnung konnte kein Riss-vor-Bruch Nachweis geführt werden, weshalb keine Restnutzungsdauer des Tragwerks nachweisbar war. Um für einen Ersatzneubau jedoch ausreichend Planungszeitraum zu erhalten, wurde für das bestehende Tragwerk mittels Betonschrauben und Stahllaschen die Biege- und Querkraft- 5. Brückenkolloquium - September 2022 175 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr tragfähigkeit soweit angehoben, dass eine Restlebensdauer des Tragwerks von 20 Jahren erzielt werden konnte. Die Verstärkung wurde dabei zum einen durch externe Bewehrung in Form von Stahllaschen an beiden Seiten des Hohlkörpers ausgeführt, wie in Abbildung 11 zu erkennen ist. Die Stahllaschen wurden in Form von einzelnen Schüssen mit Betonschrauben an den Stegen befestigt und anschließend miteinander verbunden und vorgespannt. Diese Stahllaschen wurden mit Betonschrauben mit ca. 2 m Länge in die Endquerträger der Brücke rückverankert. Zum anderen wurden etwa 1,25 m lange Betonschrauben als nachträgliche Querkraftbewehrung durch die Hohlkörper der Brücke von unten eingebaut und damit die Querkrafttragfähigkeit des Tragwerks erhöht. Abb. 12: Einbau der Verstärkung von unten mit Sperrung einzelner Fahrspuren auf der Autobahn aber ohne Einschränkung auf dem Tragwerk Der Einbau der Verstärkung konnte durch das neue Verstärkungssystem mit den Betonschrauben mit mechanischer Tragwirkung unter vollem Verkehr auf dem Tragwerk erfolgen. Durch den Einbau der Biegeverstärkung durch Laschen in einzelnen Segmenten, welche anschließend über konventionelle Schraubenverbindungen miteinander verbunden und vorgespannt werden konnten, musste auf der Autobahn unter dem Tragwerk immer nur eine Fahrspur für den Einbau gesperrt werden, wie Abbildung 12 zeigt. Anlässlich dieser Pilotanwendung wurden auch die Umweltauswirkungen im Vergleich einer Ertüchtigung, eines Neubaus mit Abbruch des bestehenden Tragwerks und der Sperre eines Tragwerks für einen bestimmten Zeitraum untersucht (vgl. [16]). Die gezeigten Auswirkungen auf den Treibhauseffekt, die Versauerung und dem nicht-erneuerbaren kumulierten Energieaufwand werden jeweils auf die zeitliche Sperre des Tragwerks bezogen. Dabei zeigt sich, dass eine Sperrung des Tragwerks und der damit verbundenen Stauwirkung bzw. dem damit verbundenen Ausweichverkehr die mit Abstand größten Umweltauswirkungen mit sich bringen, wie Abbildung 13 zeigt. So liegen eben die Umwelteinflüsse infolge des Umleitungsverkehrs von einem Tag Sperrung des Tragwerks bei etwas unter der Hälfte des gesamten Ersatzneubaus inklusive Abbruch und etwa beim doppelten Umwelteinfluss gegenüber der gesamten Verstärkungsmaßnahme. Bei einem geschätzten Zeitraum für die Herstellung des Ersatzneubaues von etwa 1,5 Jahren zeigt sich, dass der Umwelteinfluss des Neubaus im Vergleich zu den Umweltauswirkungen des Ausweichverkehrs und der Staubildung mit einem Prozentsatz von deutlich unter einem Prozent verschwindend gering wird. Abb. 13: Betrachtung der Umweltauswirkungen der Ertüchtigungsmaßnahme am Tragwerk im Vergleich mit einem Tag Sperre und 1,5 Jahren Sperre, nach [16] 176 5. Brückenkolloquium - September 2022 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr 3.4 Textilbetonsanierung ÖBB-Bahnunterführung Kundl Bei einer ÖBB-Bahnunterführung wurden die straßenseitig zugewandten Betonoberflächen aufgrund von umfangreichen Korrosionsschäden an der Stahlbewehrung und erheblichen Mängeln an der Betonoberfläche einer umfangreichen Betonsanierungsmaßnahme unterzogen. Neben einer klassischen Betonsanierung wurden hierbei Testflächen für ein Sanierungskonzept mittels Textilbeton zur Verfügung gestellt mit dem Ziel einer dauerhaften und wartungsfreien Konzeptlösung. Zusätzlich diente das Projekt zum Erfahrungsgewinn für eine baupraktische Anwendung von Textilbeton. Vor allem in Bereichen, die einer Exposition von Taumitteln, insbesondere Streusalz, ausgesetzt sind, kann zukünftig der Einsatz einer textilen Bewehrung in Kombination mit passenden Instandsetzungsmörteln Vorteile mit sich bringen. Die Eignung der verwendeten Systemkomponenten für dieses Praxisprojekt wurde unter anderem an Frost-Tausalz-Wechselversuchen überprüft [17]. Als Beton wurde ein handelsüblicher Instandsetzungsmörtel R4, XF4 gem. [18] verwendet. Als Bewehrung wurde eine einlagige gestickte Carbon-Textilbewehrung eingesetzt. Vor dem Materialauftrag wurde der schadhafte Bestandsbeton entfernt und die Oberflächenvorbereitung abgeschlossen. Der Instandsetzungsmörtel wurde im Nassspritzverfahren aufgetragen und die Textilbewehrung oberflächennahe einlaminiert. Die abschließende Deckschicht wurde in einer planmäßigen Materialstärke von 1,25-cm aufgetragen. Abb. 14: Textilbeton-Testflächen an der ÖBB-Bahnunterführung in Kundl Im Unterschied zur klassischen Betonsanierung konnte dieser Materialauftrag in der bestehenden Betondeckung realisiert und somit die ursprüngliche Bauwerksgeometrie beibehalten werden. Des Weiteren wurde im Unterschied zur konventionellen Betonsanierung auf ein nachträgliches Oberflächenschutzsystem verzichtet, da von einer dauerhaften Textilbetonschicht ausgegangen wird. In Abbildung 14 ist die fertiggestellte Textilbeton- Testfläche zu sehen. Die im Zuge der Arbeiten gewonnene Erfahrungen sollen in zukünftigen Projekten und Leitlinien einfließen und als Grundlage für Richtlinien und Regelwerke zur Anwendung von Textilbeton in der Betonsanierung Verwendung finden (vgl. [19]). 3.5 Textilbetonverstärkung der Krumbachbrücke Die Krumbachbrücke wurde in den Jahren 1981 bis 1983 als dreifeldrige, längsvorgespannte Spannbetonkonstruktion mit Plattenbalkenquerschnitt mit jeweils vier Hauptträgern in den Randfeldern und als Hohlkastenquerschnitt mit drei Kammern im Mittelfeld, erbaut. Im Grundriss liegt die Brücke in einem Bogen mit Radien zwischen 71,5-m bis 143,5-m. Die gesamte Brückenlänge beträgt 120-m. Aufgrund von vorhandenen Schadensbildern an den Plattenbalkenquerschnitten der Randfelder, deutliche Schrägrissbilder und horizontale Verformungen der Stege zufolge Querkraft und Torsion sind erkennbar, ist die Dauerhaftigkeit und volle Tragfähigkeit ohne Verstärkung nicht mehr gegeben. Zusätzlich zeigte eine statische Nachrechnung defizitäre Bereiche der Fahrbahnplatte und ein bereichsweises Querkraft- und Torsionslängsbewehrungsdefizit der Hohlkästen. In Teilbereichen der Fahrbahnplatte liegt die Problematik in einer zu geringen Stegeinspannbewehrung und in Plattenquerrichtung in einem Querkraftdefizit sowie einer zu geringen oberen Biegebewehrung. Für diese Defizite wurden Verstärkungskonzepte auf Basis der Textilbetontechnologie erarbeitet um eine Restlebensdauer von weiteren 50 Jahren sicherzustellen. Abb. 15: Herstellung einer Textilbeton Testflächen am Bauwerk Die Entscheidungsgrundlage für eine solche Verstärkung wurde in unterschiedlichen Planungs- und Entwicklungsphasen mit mehreren Projektpartnern erarbeitet. Die Bauausführungsarbeiten haben im Mai 2022 begonnen. Die Fertigstellung ist im Herbst 2023 geplant. Schlussendlich werden alle Plattenbalkenquerschnitte sowie Teilbereiche der Hohlkastenquerschnitte mit einer gestickten Carbon-Textilbewehrung mit dem beschriebenen Verstärkungskonzept in Punkt 2.2 ausgeführt. Die obere Biegeverstärkung der Fahrbahnplatte wird ebenso mit Textilbetontechnologie realisiert. Die notwendige Rahmeneckverstärkung sowie die Querkraftverstärkung der Fahrbahnplatte wird mit Verbundankerschrauben nach dem Konzept in Punkt 2.1 bewerkstelligt. Zur Qualitätssicherung der aktuell noch nicht genormten Textilbetonbauweise wurde im Vorfeld eine dreistufige Vorgehensweise mit Maßnahmen vor, während und nach der Bauausführung gemeinsam mit dem Planer und Auftrag- 5. Brückenkolloquium - September 2022 177 Zur Verstärkung von Ingenieurbauwerken unter Verkehr geber eingeführt. So werden beispielsweise Mindestanforderungen an Kleinversuchen im Labor überprüft. Bild 15 zeigt die Ausführung einer Testfläche am Bauwerk, deren Qualitätsprüfung an Versuchen vor Ort und im Labor vorgenommen wurde (vgl. [15]). 4. Zusammenfassung Auf Basis von wissenschaftlicher Forschung konnten an der Universität Innsbruck von der Grundidee neuer Verstärkungsmöglichkeiten, Systeme für die nachträgliche Verstärkung von Brückenbauwerken entwickelt werden. Diese Systeme zeichnen sich durch einen schnellen Einbau unter laufender Nutzung der Tragwerke zum einen, aber zum anderen auch durch ressourcenschonenden Einsatz von Materialien aus. Durch die durchgeführten Einzel- und Bauteilversuche zu den Verstärkungssystemen konnten bauaufsichtliche Zulassungen für das Verstärkungssystem der nachträglich eingebauten Bewehrung in Form von Verbundankerschrauben erreicht werden. Darüber hinaus konnten die Verstärkungssysteme hinsichtlich ihrer Verstärkungswirkung und Wirtschaftlichkeit weiter optimiert werden. Damit konnten die Einbauzeiten nochmals verringert und die Störungen am Tragwerk selbst aber auch die Verkehrsstörungen durch die Maßnahmen auf ein Minimum reduziert werden. Durch zahlreiche Pilotprojekte, welche in den letzten Jahren umgesetzt werden konnten, wurden Erfahrungen mit dem Einsatz der neuen Verstärkungssysteme gewonnen. Dies gilt auch speziell für weitere Sonderanwendungen der Systeme, oder den kombinierten Einsatz der beiden. Dabei zeigte sich, dass bestehende Brückentragwerke aus Beton durch den Einsatz der Verstärkungssysteme wieder auf den aktuellen Stand der Technik gebracht werden können und somit viele weitere Jahre im Netz erhalten werden können. Auch damit kann ein wesentlicher Beitrag zur Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit im Bauwesen beigetragen werden. Literatur [1] Feix, J., & Lechner, J. (2020). Nachträgliche Querkraftverstärkung von Brückentragwerken mit Betonschrauben. 4. Brückenkolloquium - Beurteilung, Ertüchtigung und Instandsetzung von Brücken, Esslingen, 349-357. [2] Deutsches Institut für Bautechnik, „Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung - TOGE TSM BC SB reLAST für die Durchstanzverstärkung“, Z-15.1- 340, 2019. [3] Deutsches Institut für Bautechnik, „Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung - TOGE TSM BC SB reLAST für die Querkraftverstärkung“, Z-15.1- 339, 2019. [4] J. Lechner, N. Fleischhacker, C. Waltl, und J. Feix, „Zum Verbundverhalten von Betonschraubdübeln mit großem Durchmesser“, Beton- und Stahlbetonbau, Bd. 112, Nr. 9, S. 589-600, 2017 [5] J. Feix, M. Hansl, “Zur Anwendung von Textilbeton für Verstärkungen im Brückenbau,” in Festschrift zum 60. Geburtstag von Univ.-Prof. Dr.-Ing. Manfred Keuser - Berichte aus dem Konstruktiven Ingenieurbau, pp. 289-295, 2012. [6] J. Feix, M. Hansl, “Pilotanwendungen von Textilbeton für Verstärkungen im Brückenbau,” in 25. Dresdner Brückenbau Symposium, pp. 99-110, 2015. [7] M. Egger, J. Feix, “Textilbeton im Ingenieurbau,” in Tagungsband Innsbrucker Bautage, pp. 88-107, 2017. [8] M. Egger, J. Feix, “Gestickte textile Bewehrungen für die Beton-Leichtbauweise,” in Beiträge zur 5. DAfStb- Jahrestagung mit 58. Forschungskolloquium Band 1, pp. 110-121, 2017. [9] M. Egger, “Gestickte Textilbewehrungen für Beton,” Dissertation Universität Innsbruck, 2022. [10] M. Egger, C. Waltl, J. Konzilia, T. Fröis, “Gestickte Textilbewehrungen für Beton,” in Tagungsband Innsbrucker Bautage, pp. 79-107, 2022. [11] J. Lechner and J. Feix, “First experiences with concrete screw-anchors as post-installed shear reinforcement in concrete bridges,” Civil Engineering Design, vol. 2019, no. 1, pp. 17-27, 2019, doi: 10.1002/ cend.201800004. [12] J. Feix and J. Lechner, “Development of a new shear strengthening method for existing concrete bridges,” 2014. [13] R. Walkner, M. Spiegl, and J. Feix, “Experimentelle Untersuchungen und Vorstellung eines Bemessungsansatzes zur Durchstanzverstärkung von Betonbauteilen mit Betonschrauben,” Bauingenieur, vol. 95, no. 1, pp. 26-36, 2020. [14] M. Spiegl, R. Walkner, H. Axmann, E. Pilch, A. Schön, and J. Feix, “Betonschrauben als Durchstanzertüchtigung für statisch und zyklisch belastete Platten,” Bauingenieur, vol. 93, no. 7, pp. 274-285, 2018. [15] C. Waltl, M. Egger, N. Plattner, “Krumbachbrücke - Textilbetonverstärkung,” in Tagungsband Innsbrucker Bautage, pp. 433-456, 2022. [16] F. Gschösser, R. Schneider, A. Tautschnig, and J. Feix, “Retrofitting Measure vs. Replacement - LCA Study for a Railway Bridge,” in Sustainable Built Environment (SBE) Regional Conference Zurich 2016., 2016, pp. 472-477. doi: 10.3218/ 3774-6. [17] J. Konzilia, M. Egger, J. Feix, “Experimental investigation on salt frost scaling of textile-reinforced concrete,” in Structural Concrete, pp. 1-16, 2022. [18] ÖBV-Richtlinie, “Erhaltung und Instandsetzung von Bauten aus Beton und Stahlbeton,” Österreichische Bautechnik Vereinigung, Wien, 2019. [19] J. Konzilia, M. Egger, C. Waltl, K. Kutscher, “Dauerhafte Betonsanierung mittels Textilbeton,” in Tagungsband Innsbrucker Bautage, pp. 257-271, 2022. 5. Brückenkolloquium - September 2022 179 Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! Alexander Schumann CARBOCON GMBH, Dresden, Deutschland Sebastian May CARBOCON GMBH, Dresden, Deutschland Felix Kniebel Steinbacher Consult GmbH, Lützen/ Leipzig, Deutschland Jan Geißler SB Straßenbau, FB2 SG66 Tief- und Gartenbau, Stadt Naumburg, Deutschland Frank Thorwirth Karrié Bauwerkserhaltung GmbH, Erfurt, Deutschland Zusammenfassung Der Erhalt von bestehenden Bauwerken und Gebäuden trägt wesentlich zur Erreichung der gesetzten Klimaziele bei. Aus diesem Grund müssen Gebäude so lange wie möglich erhalten bleiben, insbesondere wenn es sich dabei um historische oder kulturelle Unikate handelt. In den letzten Jahren hat sich in der Bauwelt eine vielversprechende und nachhaltige Verstärkungslösung etabliert - das Verstärken von bestehenden Bauwerken mit Carbonbeton. Das Potential des innovativen Werkstoffs Carbonbeton wird anhand der Verstärkung der im Jahre 1893/ 94 errichteten Stahlbetonfußgängerbrücke über den Stadtgraben Thainburg in Naumburg/ Saale aufgezeigt. Mithilfe einer 9 - 12 mm dünnen Instandsetzungsschicht wurde die historische Brücke ertüchtigt und konnte vor dem Abriss gerettet werden. In diesem Artikel werden die Hintergrundinformationen der bestehenden Brücke sowie das Instandsetzungskonzept mit Carbonbeton vorgestellt. Zusätzlich werden Erkenntnisse aus der Bauausführung aufgezeigt. 1. Einleitung Der Klimawandel ist die Herausforderung unserer und zukünftiger Generationen - auch im Bausektor. Um die politischen Ziele zu erreichen, muss in der Baubranche schnellstmöglich ein Wandel eingeleitet werden, da der Bausektor nach aktuellen Studien direkt und indirekt für bis zu 50 % der globalen CO 2 -Emissionen verantwortlich ist [1]-[3]. Aus diesem Grund müssen im Neubaubereich vermehrt ressourceneffiziente und CO 2 -arme Materialien und Werkstoffe zum Einsatz kommen. Jedoch darf der Bereich des Bauens im Bestand nicht vernachlässigt werden, da dieser nicht minder essentiell für die Verminderung der Treibhausgasemissionen im Bausektor ist. Verschiedene Studien und Veröffentlichungen zeigen eindrucksvoll auf, dass der Erhalt unserer gebauten Umwelt im Gegensatz zum Abriss und Ersatzneubau einen wenn nicht sogar den größten Hebel zur Erreichung der Klimaziele besitzt, vgl. [4], [5]. Der Erhalt unserer Bauwerke kann in vielen Fällen, insbesondere unter Beachtung denkmalschutzrechtlicher Aspekte, nicht allein durch den Einsatz von „konventionellen“ Werkstoffen und Verfahren erreicht werden (z. B. Spritzbeton). Aus diesem Grund ist es unabdingbar, dass Neuerungen und innovative Verfahren und Werkstoffe auch im Bereich der Sanierung und Verstärkung vermehrt zum Einsatz kommen. Ein Beispiel für einen innovativen und ressourceneffizienten Werkstoff für die Sanierung und Verstärkung von bestehenden Gebäuden stellt Carbonbeton dar. Mit Carbonbeton können Bestandsstrukturen i. d. R. im Hochbau mit Schichtstärken von 10 - 15 mm und im Brückenbau von 10 - 35 mm instandgesetzt bzw. statisch verstärkt werden. Im vorliegenden Beitrag wird der Erhalt einer der ältesten Stahlbetonfußgängerbrücken Deutschlands durch den Einsatz von Carbonbeton aufgezeigt. Die hier genannte Brücke befindet sich in Naumburg in Sachsen-Anhalt und konnte im Jahr 2021 erfolgreich mit dem Werkstoff Carbonbeton instandgesetzt werden. 2. Die Geschichte und Konstruktion der Fußgängerbrücke Der Maurermeister Eduard Burckhardt errichtete circa 1893 die heute noch vorhandenen baugleichen Stadtvillen „Marienmauer 17“ und „Marienmauer 18“ in Naumburg/ Saale. In diesem Zuge bot Eduard Burckhardt der Stadt Naumburg an, die damit einhergehende und erforderliche Brücke über den Stadtgraben direkt mit zu errichten und dies sogar unentgeltlich. Im Gegensatz zu den damals üblichen Konstruktionen und Werkstoffen (u. a. Mauerwerk, Naturstein und Holz) wurde die Brücke mit dem neuen 180 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! Verbundwerkstoff Stahlbeton bzw. damals hieß es noch „Monier”-Beton bzw. „Eisenbeton“ nach einem der Pioniere des Stahlbeton - Joseph Monier errichtet. Die Fußgängerbrücke über den Stadtgraben wurde 1893/ 94 durch die Aktiengesellschaft für Monierbauten erbaut, deren Inhaber der bekannte Ingenieur Gustav Adolf Wayss war. Es handelt sich bei der genannten Brücke um eine reine Fußgängerbrücke ohne Nutzungsmöglichkeit für Fahrzeuge (auch nicht eingeschränkt). Ebenfalls befindet sich unter dem Bauwerk kein Verkehrsweg. Jedoch wird der Stadtgraben von Fußgängern genutzt, vgl. Abbildung 2. Das Bauwerk besteht aus einer Gewölbebrücke mit einer lichten Weite von 14,40 m und einem Stichmaß von 1,80 m (vgl. Abbildung 1). Die lichte Höhe im Scheitel beträgt etwa 4 m. Das Gewölbe liegt im Bereich der Marienmauer (Westseite) auf der alten Stadtmauer und im Bereich des Marienringes (Ostseite) auf einem Betonwiderlager, welches in der Böschung gegründet ist, auf. Der Stahlbetonbogen hat eine Dicke von 0,16 m im Scheitel und weitet sich im Auflagerbereich auf 0,24 cm auf. Der Auf bau auf dem Bogen besteht aus einem Magerbeton mit geringer Festigkeit. Dieser ist im Randbereich aufgekantet und bildet die Stirnwände des Bauwerks. Die Gründung besteht aus einer Flachgründung. Die Brückenbreite beträgt zwischen den Geländern 3 m und zwischen den Gesimsaußenkanten 3,4 m. Das Bauwerk steht aufgrund seiner historisch herausragenden Bedeutung für die Geschichte des Stahlbetonbaus im mitteldeutschen Raum unter Denkmalschutz. Insbesondere das ästhetische Erscheinungsbild, charakteristisch für die Konstruktion ist der sehr schlanke Bogen, ist erhaltenswert. Abbildung 1: Längsschnitt der Fußgängerbrücke, entnommen aus den Bestandsunterlagen 3. Planung der Instandsetzung Nach fast 130-Jähriger Nutzung musste die Fußgängerbrücke aufgrund verschiedener Schadensfälle instandgesetzt werden. Im Zuge der Zustandserfassung konnte festgestellt werden, dass sich das Bauwerk in einem bedenklichen Zustand befindet. Der Füll- und der konstruktive Beton waren infolge Tausalz und Nässeeinwirkung im Gefüge erheblich zerstört. Aus den Brückenflanken trat erhebliche Nässe aus, die auf eine fehlende Dichtung im Bauwerk schließen ließ. Sämtliche Oberflächen wiesen Abnutzungserscheinungen auf, die teils auf Feuchteeinwirkung und teils auf die natürliche Alterung des Bauwerks zurückzuführen waren. Zusätzlich zeigten die Bauwerksuntersuchungen und die Probenentnahmen, dass die Bestandsbewehrung im Feldbereich sehr starke Korrosionsgrade aufwies. Infolgedessen musste ein Instandsetzungskonzept gefunden werden, welches statisch die Bestandsbewehrung komplett ersetzt, an dem gekrümmten Bauwerk auch unter beengten Ausführungsverhältnissen eingesetzt werden konnte und welches die Anforderungen an den Denkmalschutz erfüllt. Hierbei war das oberste Ziel der Instandsetzungsmaßnahme der bestmögliche Erhalt der vorhandenen Bausubstanz, um den Forderungen der Denkmalbehörde gerecht zu werden. Aus diesem Grund sollten verschiedene planerische Lösungen unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes und des Erhalts des einmaligen Bauwerks erarbeitet werden. Im Zuge einer umfangreichen Variantenuntersuchung mit konventionellen Verfahren konnte aufgrund der hohen Anforderungen keine zufriedenstellende Lösung entwickelt werden. Um das Bauwerk jedoch erhalten zu können, wurden auch neuartige und innovative Verfahren mit in die Voruntersuchungen einbezogen. Hierbei fiel die Entscheidung aufgrund diverser Vorteile auf eine Instandsetzung mit Carbonbeton (an dieser Stelle wird auf den Werkstoff Carbonbeton nicht weiter eingegangen, für weiterführende Informationen siehe [6]-[11]). 5. Brückenkolloquium - September 2022 181 Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! Abbildung 2: Ansicht der Fußgängerbrücke aus dem Jahre 2017 (Foto: CARBOCON) Abbildung 3: Bestandsbild aus dem Jahre 2017 (Foto: CARBOCON) Wie in den zuvor gezeigten Abbildungen zu erkennen, befindet sich auf dem Tragbogen ein Magerbeton, der aufgrund der geringen Festigkeit nicht zum Lastabtrag herangezogen werden konnte. Jedoch stellte sich im Zuge der statischen Nachweisführung heraus, dass ohne Ansetzung des Magerbetons und durch die geringe Querschnittshöhe des Bestandsbogen und der stark korrodierten Bestandsbewehrung eine sinnvolle und wirtschaftliche Verstärkung auf der Unterseite nicht möglich gewesen wäre. Aus diesem Grund wurde sich zusätzlich zu der nachfolgend beschriebenen Carbonbetoninstandsetzung dazu entschieden, den Magerbeton der Brücke abtragen zu lassen und den Bestandsbogen durch eine 20 cm dicke konventionelle Auf betonschicht zu ergänzen. Im Zuge der Planung stellte sich heraus, dass für den vollständigen Ersatz der korrodierten Bestands(stahl)bewehrung auf der Unterseite des Stahlbetonbogens im Feld eine Lage vom Carbongitter Typ I nach der Zulassung/ Bauartgenehmigung CARBOrefit® - Verstärken von Stahlbetonbauteilen mit Carbonbeton (mit der Nummer Z-31.10-182 [12]) ausreichend war. Hierbei wurde extra ein flexibles Carbongitter gewählt, um am Bauwerk eine sichere Ausführung der Bogenform gewährleisten zu können. Zusätzlich wurde eine zweite Lage des gleichen Carbongitters um 90° gedreht eingebaut (quer zur Bogenlängsrichtung) und am Bogen nach oben sowie über die Oberseite des Bogens und über die neue Auf betonschicht geführt. Zur Veranschaulichung der Instandsetzungsmaßnahme dient Abbildung 4. Abbildung 4: Planungsausschnitt (Foto: CARBOCON) Durch die in Querrichtung des Bogens angeordnete zusätzliche Bewehrungslage konnte die erforderliche Querbewehrung sichergestellt werden und die Bestandskonstruktion zusätzlich abgedichtet werden, um die Dauerhaftigkeit der Konstruktion über die zukünftige Lebensdauer sicherzustellen. Die Abdichtung erfolgte in diesem Fall alleine durch die Carbonbetonschicht, da diese aufgrund des guten Verbundverhaltens und der dünnen Schichtdicken lediglich minimalste Rissbreiten aufweist. In Summe wurde die Bogenunterseite mit 2 La- 182 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! gen an Carbongitter mit einer Gesamtinstandsetzungsdicke von 6 mm und die Oberseite mit einer Lage und einer Gesamtdicke von 9 mm ausgeführt. Das Planungskonzept sah weiterhin vor, dass die Qualität des Magerbetons im Zuge der Abbrucharbeiten geprüft werden sollte, um den Magerbeton aufgrund des historischen Wertes erhalten und statisch ansetzen zu können. Jedoch zeigte sich während der Abbrucharbeiten, dass der Magerbeton nahezu vollständig in einem desolaten und nicht mehr ausreichenden Zustand war. Darauf hin wurde der Magerbeton vollständig abgebrochen. Nur an den Widerlagerbereichen war der Beton strukturell soweit in Takt, dass er auf dem Bauwerk verbleiben konnte. Das auf dem Querschnitt E-E in blau dargestellte Carbongelege wurde direkt auf die alte Bogenoberseite aufgebracht. Wo der historische Magerbeton noch intakt war, wurde das Carbongitter über diesen geführt. Betonschadstellen auf der Bogenoberseite wurden vorab fachgerecht saniert. Auf diese Carbonbetonlage kam dann der neu Auf beton, welcher wie im Bestand unbewehrt verbaut wurde. Lediglich die in Querschnitt E-E dargestellten Stirnwände erhielten eine Verankerung durch Stabstähle (siehe nachfolgende Abbildung). In Kombination mit der Auf betonschicht und der Carbonbetoninstandsetzung konnte ein Instandsetzungskonzept gefunden und ein Erhalt der Brücke sichergestellt werden. In Abbildung 4 ist der Plan der Instandsetzungsmaßnahme gezeigt. Die bestehende Gründung blieb erhalten. Da keine Schäden aus Setzung oder Verformung der Gründungen sichtbar waren, wurde davon ausgegangen, dass die Gründung intakt ist. Die einzutragenden Lasten bleiben in etwa gleich. Es bestand daher kein Anpassungsbedarf an der Gründung. Aufgrund der langen Standzeit war davon auszugehen, dass Setzungen abgeklungen waren. Dies konnte im Zuge der Bauausführung ebenfalls bestätigt werden. 4. Zustimmung im Einzelfall / vorhabenbezogene Bauartgenehmigung In Deutschland dürfen Bauwerke seit 2014 mit einer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) bzw. allgemeinen Bauartgenehmigung (aBG, nachfolgend wird vereinfacht nur noch von abZ gesprochen) verstärkt werden. Seit 2021 wurde die Zulassung durch ein neues Konsortium übernommen und in CARBOrefit® umbenannt und die Zulassung maßgeblich erweitert (vgl. [12]). Zum Zeitpunkt der Instandsetzungsplanung und der Bauausführung lag das Bauprojekt mit den speziellen Anforderungen außerhalb des Verwendungsbereiches der CAR- BOrefit®-Zulassung. Im hier vorliegenden Bauvorhaben wurde vom Anwendungsbereich der abZ insbesondere im Punkt Innenbereich abgewichen, da die Fußgängerbrücke kein Innen-, sondern ein Außenbauteil mit den sich daraus ergebenden Anforderungen und Expositionen ist. Aus diesem Grund musste für das Bauvorhaben eine Zustimmung im Einzelfall (ZiE) bzw. eine vorhabenbezogene Bauartgenehmigung (vBG) erlangt werden. Die Koordination der ZiE und das zur Erteilung erforderliche Gutachten wurde durch die Technische Universität Dresden, Institut für Massivbau durchgeführt. Zu erwähnen ist, dass der ZiE-Prozess ohne zusätzliche experimentelle Versuche auskam und durch die bereits vorliegenden Ergebnisse und Erkenntnisse beim Verstärken und Instandsetzen mit Carbonbeton argumentativ gelöst werden konnte. Somit konnte der zeitliche und monetäre Aufwand der ZiE auf ein Minimum reduziert werden. 5. Umsetzung der Instandsetzungsmaßnahmen Die Instandsetzungsmaßnahmen wurde von der Firma Karrié Bauwerkserhaltung GmbH umgesetzt. Die erste zu erbringende Leistung war das Stellen eines Trag- und Arbeitsgerüstes unterhalb und seitlich der Brücke. Es folgten der zerstörungsfreie Rückbau der Geländer und Abdecksteine aus Naturstein sowie der Abbruch der alten Asphaltschicht und deren Unterbau. Nachdem der Historische Brückenbogen freigelegt war, wurden mittels Hochdruckwasserstrahlen alle losen Betonteile abgetragen und Schadstellen freigelegt. Anschließend konnten die maßgeblichen Sanierungsmaßnahmen begonnen werden. Die Betonschadstellen wurden saniert und die Fläche der Brückenunterseite wurde mittels Spritzbeton egalisiert. Nun erfolgte der Auftrag der Carbonlagen. Diese wurden, wie bereits vorab beschrieben, zum Teil zweilagig aufgebracht. Dem folgte die Betonage der Stirnwände und des Auf betons. Worauf hin die Seitenwände nach historischem Vorbild verputzt und das Brückenpflaster hergestellt werden konnten. Ein besonderes Highlight stellt das Naumburger Stadtwappen dar, welches in mühevoller Kleinarbeit am Fuße der Brücke mittels Mosaikpflaster wiederhergestellt wurde. Abschließend wurde das frisch auf bereitete Geländer gesetzt und an dem ebenfalls restaurierten Natursteingesims befestigt, sodass am 17.12.2021 die Brücke mittels einer kleineren Eröffnungsfeier wieder an die Naumburger Fußgänger übergeben werden konnte. 5. Brückenkolloquium - September 2022 183 Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! Abbildung 5: Instandsetzungsmaßnahmen Abbildung 6: Brücke vor der Bauausführung (Foto von Bellach; Firma Karrié) Abbildung 7: Brücke nach der Ausführung (Foto von Bellach; Firma Karrié) 6. Fazit Bestehende Bauwerke zu erhalten, stellt einen der Schlüsselfaktoren zur Erreichung der Klimaziele dar. Neben den ökologischen Aspekten können durch den Erhalt anstelle eines Ersatzneubaus wertvolle Kulturgüter der Bautechnikgeschichte bewahrt und für zukünftige Generationen erhalten bleiben. Als anschauliches Beispiel dient die Instandsetzung der Fußgängerbrücke über den Stadtgraben im Zuge der Thainburg in Naumburg. Durch den Einsatz des ressourcenschonenden und innovativen Verbundwerkstoffs Carbonbeton konnte das bestehende Bauwerk, welches eine der ersten Stahlbetonbrücken Deutschlands ist, erhalten bleiben. Denn im Zuge der Planungstätigkeiten vor der Inbetrachtziehung von Carbonbeton war der Abriss und der Ersatzneubau der einmaligen und eleganten Fußgängerbrücke fast schon genehmigt. Glücklicherweise konnte dies, u. a. durch die Anerkennung des Bauwerks als Baudenkmal und durch die Instandsetzung mit Carbonbeton verhindert werden. Für den Erhalt der Brücke und die Wiederherstellung der Tragfähigkeit reichten 9 mm an Gesamtverstärkungsdicke auf der Unterseite und 6 mm an der Oberseite der Bestandskonstruktion aus. Dadurch, dass nur wenige millimeterdünne Schichten aufgetragen wurden, konnte das elegante Erscheinungsbild der Fußgängerbrücke auch erhalten bleiben, was das Vorher-/ Nachherbild in Abbildung 6 und 7 eindrucksvoll zeigt. Im Vergleich zu einem Abriss und eines Ersatzneubaus konnte das Baudenkmal nicht nur erhalten, sondern auch wertvolle Ressourcen und CO²-eingespart werden. Anhand des vorliegenden Beitrags und des Praxisprojektes konnte das Potential des Werkstoffes Carbonbeton im Bereich des Bauens im Bestand und der Erhaltung von bestehenden Bauwerken gezeigt werden. Denn die höchste Form der Nachhaltigkeit stellt immer das Nichtbauen oder der Erhalt von bestehender Bausubstanz dar. 7. Danksagung An dieser Stelle möchten wir uns stellvertretend für das gesamte Team noch einmal bei allen am Projekt Beteiligten für die gute Zusammenarbeit bedanken. Neben den hier genannten Unternehmen und Einrichtungen möchten wir uns auch beim Büro Trabert+Partner Ingenieurbüro für Statik+Konstruktion und beim Institut für Massivbau der Technischen Universität Dresden bedanken. Literatur [1] Weidner, S.; Mrzigod, A.; Bechmann, R.; Sobek, W.: Graue Emissionen im Bauwesen - Bestandsaufnahme und Optimierungsstrategien. Beton- und Stahlbetonbau 116 (2021), Heft 12, S. 969-977, https: / / doi.org/ 10.1002/ best.202100165 [2] Schadow, T.: Ressourcenschonung im Bauwesen - Aspekte aus der Planungspraxis. Bautechnik. Heft 1, S. 50-56, https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.2021001104 [3] Weidner, S.; Bechmann, R.; Sobek, W.: Ressourcenminimierung im urbanen Kontext. Bautechnik. Heft 1, S. 41-49, https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.2021 00093 [4] Elbers, U.: Ressourcenschonendes Bauen. Wege und Strategien der Tragwerksplanung. Bautechnik 99 (2022), Heft 1, S. 57-64, https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.202100114 [5] Elbers, U.: Die Ökobilanz spricht für die Sanierung. online. meistertipp.de, entnommen am 10.06.2022 [6] Schumann, A.; Schöffel, J.; May, S.; Schladitz, F.: Ressourceneinsparung mit Carbonbeton am Beispiel der Verstärkung der Hyparschale in Magdeburg In: Hauke, B. (Hrsg.): Nachhaltigkeit, Res- 184 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erhalt einer der ersten „Eisenbeton“-Brücken Deutschlands - dank Carbonbeton! sourceneffizienz und Klimaschutz. Konstruktive Lösungen für das Planen und Bauen - Aktueller Stand der Technik. Institut Bauen und Umwelt e.V. / DGNB e.V., 2021, S. 282-286 [7] Schumann, A.; May, S.; Hoinka, J.: Paradigmenwechsel im Bauwesen: gerade richtig oder schon zu spät? - Nachhaltiges Bauen im Bestand mit Carbonbeton. Nachhaltiges Bauen (2021), S. 13-15 [8] Steinbock, O.; Bösche, T.; Schumann, A.: Carbonbeton - Eine neue Verstärkungs-methode für Massivbrücken - Teil 2: Carbonbeton im Brückenbau und Informationen zur Zustimmung im Einzelfall für das Pilotprojekt Brücken über die Nidda im Zuge der BAB A 648. Beton- und Stahlbetonbau 116 (2021), Heft- 2, S.- 109-117. https: / / doi. org/ 10.1002/ best.202000106 [9] Curbach, M.; Müller, E.; Schumann, A.; May, S.; Wagner, J.; Schütze, E.: Verstärken mit Carbonbeton In: Bergmeister, K.; Fingerloss, F.; Wörner, J.- D. (Hrsg.): Beton-Kalender 2022 - Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Instandhaltung. Berlin: Ernst und Sohn, Veröffentlichung: Dezember 2021 [10] Riegelmann, P.; May, S.; Schumann, A.: Das Potential von Carbonbeton für den Brückenbestand - das ist heute schon möglich. In: Curbach, M. (Hrsg.): Tagungsband zum 30. Dresdner Brückenbausymposium am 8. und 9.3.2021 in Dresden. Institut für Massivbau der TU Dresden, 2017, S. 79-90 [11] Riegelmann, P.; Schumann, S.; May, S.; Bochmann, J.; Garibaldi, M. P.; Curbach, M.: Müthers shell structures in Germany a solution to avoid demolition. Proceedings of the Institution of Civil Engineers. Engineering History and Heritage (2020). Publ. online: 08.09.2020, S. 1-9. - DOI: 10.1680/ jenhh.20. 00012 [11] Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung/ Allgemeine Bauartgenehmigung Z-31.10-182 CARBOrefit® - Verfahren zur Verstärkung von Stahlbeton mit Carbonbeton, Stand: 27.05.2021 5. Brückenkolloquium - September 2022 185 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Dipl.-Ing. Michael Schrick König und Heunisch Planungsgesellschaft mbH Dortmund, Deutschland Dipl.-Ing. Janette Todt König und Heunisch Planungsgesellschaft mbH Dortmund, Deutschland Zusammenfassung Die Weserbrücke wurde 1955 als zweifeldrige gevoutete Balkenbrücke mit dreizelligem Hohlkastenquerschnitt im Stützbereich und zwei einzelligen Hohlkästen in den Feldbereichen, verbunden durch die in Querrichtung durchlaufende Fahrbahnplatte, gebaut. In Längsrichtung ist eine durchgängige Vorspannung in den Stegen vorhanden. Im Stützbereich wurde eine zusätzliche Längsvorspannung in der Fahrbahnplatte eingebaut. Im Feldbereich wurde in der Bodenplatte ebenfalls eine zusätzliche Längsvorspannung eingebaut. Diese zusätzlichen Vorspannung übergreifen sich nicht, so dass sich ein Bereich von ca. 10 m je Feld ergibt, in dem nur in den Stegen eine Längsvorspannung vorhanden ist. Hauptsächlich ergaben sich in der Nachrechnung für diesen Bereich erhebliche Defizite in Brückenlängsrichtung im Grenzzustand der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit. Aufgrund der bereits hohen Auslastung der Betondruckspannungen sowie der freizuhaltenden Wasserschifffahrtslinie scheiden herkömmliche Verstärkungsmaßnahmen aus. Resultierend aus der Querschnittsgeometrie des bestehenden Bauwerks und der nur in sehr geringem Umfang vorhandenen Tragreserven, musste hier eine unkonventionelle und nicht alltägliche Lösung erarbeitet werden. Die Verstärkung des Überbaus erfolgt durch eine Schrägabspannung in Verbindung mit einem nachträglich hergestellten A-Pylon in der Achse der Innenstütze. Durch diese Maßnahme wird der kritische Bereich von ca. 10 m je Feld entscheidend entlastet. Die große Herausforderung bestand darin, nachträglich einen neuen Pylon zu errichten einschließlich der Auf hängung der bestehende Brücke mittels Schrägkabeln sowie die Kompensation der bestehenden Defizite. Besonders mussten die neuen Feldquerträger zur Verankerung der Seile und Weiterleitung der stützenden Seilkräfte in den Überbau auf die Gegebenheiten des Bestandsbauwerks abgestimmt werden. 1. Bestandsbauwerk 1.1 Allgemeines Bei dem Bauwerk handelt es sich um die Weserbrücke i. Z. der Landstraße L755. Die L755 verbindet die Stadt Höxter westlich der Weser und die Stadt Fürstenberg östlich der Weser, so dass die Weserbrücke eine wichtige Verbindung zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Land Niedersachsen darstellt. Direkt angrenzend an das westliche Widerlager erstreckt sich eine Bahntrasse. Zusätzlich ist die Weserbrücke ein wichtiger Bestandteil für das Verkehrskonzept der Landesgartenschau 2023 in Höxter. 1.2 Bauwerksbeschreibung Die Brücke wurde im Jahr 1955 als einteiliges Bauwerk mit je einer Spur je Fahrtrichtung hergestellt. Der Überbau wurde als zweifeldrige Balkenbrücke mit Stützweiten von je 68,00-m gebaut, so dass die Brücke eine Gesamtlänge von 136,00-m aufweist. Im Stützbereich wurde die Brücke mit einem dreizelligen Hohlkastenquerschnitt hergestellt (Abb. 1). Abb. 1: Querschnitt Stützbereich Nach 18,00 m gemessen von der Stützenachse endet die Bodenplatte der mittleren Hohlkastenzelle, so dass die Feldbereiche (Abb. 2) aus zwei einzelligen Hohlkästen bestehen, die in Querrichtung durch die durchlaufende Fahrbahnplatte sowie jeweils 3 Querträgern in den Viertelspunkten der Felder verbunden sind. 186 5. Brückenkolloquium - September 2022 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Abb. 2: Querschnitt Feldbereich Die Konstruktionshöhe beträgt an den Widerlagern 1,32 m und erhöht sich ungefähr ab Feldmitte zum Mittelpfeiler auf maximal 5,00 m. Der Überbau wurde seinerzeit aus einem Beton der Festigkeitsklasse B 450 hergestellt. Als Betonstahl wurde glatter Rundstahl der Festigkeitsklasse BSt I sowie BSt II verwendet. Der Überbau ist monolithisch mit dem Mittelpfeiler verbunden, sodass ein semi-integrales Bauwerk entstanden ist. Die Gründung des Mittelpfeilers wurde als Tiefgründung mit Ortbetonrammpfählen ausgeführt. Die Widerlager sind flach gegründet und bestehen aus massiven Schwergewichtswiderlagern. Für die Unterbauten einschließlich der Gründung wurde ein Beton B- 300 und ebenso glatter Rundstahl der Festigkeitsklassen BSt-I sowie BSt-II verwendet. Auf den Widerlagern wurden nach einem Lagertausch im Jahr 1991 jeweils 8 Elastomerlager je Widerlager eingebaut. Auf dem Überbau wurde kein Belag aufgebracht, so dass die Fahrbahn direkt befahren wird. Die Kappen wurden monolithisch an den Überbau angeformt. Zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit wurde im Jahre 1999 auf der Fahrbahn sowie den Kappen eine Beschichtung aus Kratzspachtelung, Spritzfolie und PURHD-Belag mit einer Stärke von ca. 1,5 cm aufgetragen. Die Brücke wurde seinerzeit für die zivilen Verkehrslasten mit Brückenklasse 60 gemäß DIN 1072 [1] und nach STANAG für die Militärklasse MLC-R/ K-100/ 50 bemessen. 1.3 Vorspannung Bestand Der Überbau wurde in Längs- und Querrichtung vorgespannt. Dabei kam ein nicht erhöht spannungsrisskorrosionsgefährdeter Spannstahl St-140/ 160 im nachträglichen Verbund zum Einsatz. Für die Längsrichtung, die Querträger sowie für die Fahrbahnplatte wurden 40- t- Spannglieder verwendet und für die Bodenplatte überwiegend 7,5-t Spannglieder In Längsrichtung ist eine durchgängige Vorspannung in den Stegen vorhanden. Zur Sicherstellung der Tragfähigkeit sowie der Gebrauchstauglichkeit wurde im Stützbereich eine zusätzliche Längsvorspannung in der Fahrbahnplatte eingebaut, die ca. 17,00 m beidseits des Pfeilers endet. In der Bodenplatte wurde ebenfalls eine zusätzliche Längsvorspannung eingebaut, die in beiden Feldern ca. 27,00 m vor dem Pfeiler endet. Somit ist in einem Bereich von ca. 10 m je Feld nur in den Stegen eine Längsvorspannung vorhanden. 1.4 Notinstandsetzung Im Zuge der Nachrechnung wurde aufgrund der Nachrechnungsergebnisse sowie der Ergebnisse der Bauwerksprüfung und durch Erfahrungsberichte von der Bauausführung aus dem Jahre 1955 festgestellt, dass zwischen 29,80- m und 43,80- m, gemessen von Widerlagerachse A, einer minderwertigem Beton im Bereich der Fahrbahnplatte zum Einsatz kam. Der minderwertige Beton der Fahrbahnplatte wurde daher über die gesamte Fahrbahnbreite schachbrettartig abgetragen und im Zuge einer Notinstandsetzung erneuert. Für die Notinstandsetzung wurde ein Beton der Festigkeitsklasse C-35/ 45 und ein Betonstahl B 500 B gewählt. 1.5 Bauwerkszustand Bei einer Sonderprüfung nach der Notinstandsetzung gemäß DIN 1076 vom 20.12.2019 wurde das Bauwerk mit einer Zustandsnote von 2,3 bewertet. Der Überbau weist derzeit keine Anzeichen einer Schubrissbildung sowie Biege- und Ermüdungsrissbildung auf. Von einer akuten Gefährdung der Standsicherheit des Gesamtbauwerks muss derzeit nicht ausgegangen werden. 2. Nachrechnung Bestandsüberbau 2.1 Systemmodellierung und Schnittgrößenvergleiche Gemäß der vorliegenden Bestandsstatik wurde der Überbau seinerzeit für die Längsrichtung als Gesamtquerschnitt abgebildet und nachgewiesen. Abweichend von der Bestandsstatik wurde nach den derzeit anerkannten technischen Regeln für die Nachrechnung ein räumliches Tragwerk aus Stabelementen mit orthotroper Fahrbahnplatte generiert, so dass die Querverteilung der antimetrischen Lasten ausreichend berücksichtigt wird. Für die Systembildung wurden die äußeren Hohlkästen als Stab abgebildet, denen jeweils die gesamte Dehn- und Biegesteifigkeit der Hohlkastenquerschnitte in Längsrichtung zugeordnet wurde. Zur Sicherstellung der Querverteilung wurden gewichtslose orthotrope Plattenelemente verwendet. Aufgrund des Begegnungsverkehrs auf der Brücke wurde in Abstimmung mit Straßen.NRW das Lastmodell LM1 nach DIN-FB 101 [2] als Ziellastniveau festgelegt. Für symmetrische Lasten (ständige Lasten und Vorspannung) konnten sehr gute Übereinstimmungen der Schnittgrößen zwischen Bestandsstatik und Nachrechnung ermittelt werden. Als Beispiel ist der Momentenvergleich für das Eigengewicht (Abb. 3) dargestellt. Abb. 3: Momentenvergleich Eigengewicht Für Verkehrslasten konnten dagegen keine guten Übereinstimmung erzielt werden. Dies konnte nicht nur auf die gestiegenen Verkehrslasten zurückgeführt werden, 5. Brückenkolloquium - September 2022 187 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung sondern ebenfalls auf die antimetrischen Lasten aus Verkehr. Aufgrund der Systembildung und der sich daraus ergebenden Querverteilung sowie der gestiegenen Verkehrslasten konnte eine Zunahme der Momente infolge Verkehrslasten von bis zu 80% in Feldmitte (Abb. 4) festgestellt werden. Abb. 4: Momentenvergleich BK60 / LM1 2.2 Ergebnisse Nachrechnung Die Nachrechnung wurde auf Grundlage der Nachrechnungsrichtlinie [3] sowie der 1. Ergänzung [4] durchgeführt. In Querrichtung konnte der Überbau im Grenzzustand der Tragfähigkeit sowie für die Gebrauchstauglichkeit im Wesentlichen nach Stufe-1 der Nachrechnungsrichtlinie nachgewiesen werden. In Brückenlängsrichtung ergaben sich auch unter Berücksichtigung der Nachweise nach Stufe 2 erhebliche Defizite im Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) für die Biegetragfähigkeit (Druckversagen), die Schubtragfähigkeit sowie die Ermüdungsnachweise (Tab. 1). Tab.1: Defizite im GZT für LM1 Nachweise Ausnutzung Biegung h = 1,30 Querkraft und Torsion h = 4,72 Ermüdung Spannstahl h = 3,00 Darüber hinaus waren auch im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (GZG) die Nachweise fast vollständig überschritten (Tab. 2). Lediglich die zulässigen Spannstahlspannungen konnten nachgewiesen werden. Tab.2: Defizite im GZG für LM1 Nachweise Ausnutzung Dekompression s c = 3,38 MN/ m² Rissbreite w k = 0,28 mm Betondruckspannungen h = 1,65 Betonstahlspannungen h = 1,33 Die vorhandenen Defizite sind im Wesentlichen auf den Bereich begrenzt, in dem nur die Längsvorspannung in den Stegen vorhanden ist. Beispielhaft ist hier das Defizit der Schubbewehrung für den Nachweis Querkraft und Torsion dargestellt. Abb. 5: Schubbewehrung Nachrechnung für LM1 Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse wurde die Brücke umgehend für Verkehr über 3,5 t gesperrt. Zusätzlich wurde zur Sicherstellung der Betondruckfestigkeitsklasse auch für mögliche Verstärkungsmaßnahmen deren Überprüfung veranlasst. Hierzu wurden 12 Proben durch Kernbohrungen am Bauwerk entnommen, bei denen eine charakteristische Druckfestigkeit f ck,cal,BW = 50 N/ mm² festgestellt werden konnte. Unter Berücksichtigung der Verkehrseinschränkungen auf eine Verkehrsbelastung ≤-3,5-t sowie der festgestellten Betondruckfestigkeitsklasse konnten alle Nachweise im GZT und GZG erbracht werden. 2.3 Machbarkeitsstudie Da die Weserbrücke eine wichtige Verbindung zwischen den Ländern Nordrhein-Westfallen und Niedersachsen darstellt, wurden die Möglichkeiten eines Ersatzneubaus sowie Verstärkungsmöglichkeiten in Betracht gezogen. Ein kurzbis mittelfristiger Ersatzneubau ist aufgrund des einteiligen Überbaus, der Bedeutung der Brücke im Verkehrsnetz sowie aufgrund der angrenzenden Bahnstrecke nicht realisierbar. Somit muss die Brücke durch eine entsprechende Verstärkungsmaßnahme ertüchtigt werden, damit eine Verkehrsfreigabe für Verkehr->-3,5-t ermöglicht werden kann. Aufgrund eines möglichen Druckversagens bei der Biegetragfähigkeit im GZT sowie der bereits hohen Auslastung der Druckspannungen im GZG, der geringen lichten Höhe innerhalb der Brücke sowie der geometrischen Zwangspunkte der Querträger einschließlich deren Quervorspannung konnte eine Verstärkung der Brücke mit externer Vorspannung als nicht zielführend ausgeschlossen werden. Des Weiteren konnte durch die externe Vorspannung nur eine unwesentliche Verbesserung auf den Nachweis der Querkraftbewehrung festgestellt werden, so dass eine zusätzliche Querkraftverstärkung weiterhin erforderlich gewesen wäre. Eine Verstärkung der Querkraftbewehrung mit zusätzlichen Schubnadeln ist für die Weserbrücke nicht möglich, da die Wasserschifffahrtsrinne nicht eingeschränkt werden darf. Das Einbohren und Einkleben von zusätzlicher Querkraftbewehrung ist ebenfalls nicht möglich, da die Längsspannglieder einen zu geringen Abstand aufweisen und daher die Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung der vorhandenen Spannglieder sehr wahrscheinlich ist. Resultierend aus den Ergebnissen der Machbarkeitsstudie wurde in Zusammenarbeit mit Straßen.NRW eine unkonventionelle und nicht alltägliche Lösung erarbeitet. Die 188 5. Brückenkolloquium - September 2022 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Verstärkung des Überbaus erfolgt durch eine Schrägabspannung in Verbindung mit einem nachträglich hergestellten Pylon in der Achse der Innenstütze. Durch diese Maßnahme wird der kritische Bereich von ca. 10-m je Feld entscheidend entlastet. 3. Entwurfs- und Ausführungsplanung 3.1 Allgemeines Die Entwurfsplanung des Pylonen mit den Verankerungspunkten der Seile am Pylonkopf und speziell die Verankerung am Bestandsbauwerk, war entscheidend für die Konzeption der Verstärkungsmaßnahme. Dabei musste die Verankerung auf die vorhandene Querschnittsgeometrie sowie die vorhandenen Längsspannglieder im Steg sehr genau abgestimmt werden. Darüber hinaus musste die entlastende Wirkung der Seilvorspannung an die Steifigkeit des Bestandsbauwerkes angepasst werden. Zusätzlich zu den statischen Erfordernissen mussten weitere Anforderungen bei der Verstärkungsmaßnahme berücksichtigt werden. Dabei war die ästhetische Wahrnehmung der Verstärkungsmaßnahme auf die angrenzende denkmalgeschützte historische Altstadt einschließlich der Kirche zu berücksichtigen. Als Ergebnis der Abstimmung ergab sich für die Verstärkungsmaßnahme ein A-Pylon mit möglichst geringen Abmessungen. Dadurch sollte das Erscheinungsbild der Altstadt einschließlich der Kirche möglichst wenig beeinträchtigt werden. Des Weiteren wurden die Belange der Stadt Höxter sowie der Einwohner berücksichtigt, woraus eine möglichst kurze Vollsperrung der Brücke resultierte sowie die Möglichkeit der Brückenquerung für Rettungspersonal während gesamten Bauzeit. Abb. 6: Gesamtbauwerk einschließlich A-Pylon und Seilabspannung 3.2 Seile Zur Abspannung des Überbaus werden vier Litzenbündelseile aus einem St-1570/ 1770 verwendet. Am Pylonkopf wird die Verankerung durch eine Ankerbox aus Stahl hergestellt, die im Pylonkopf einbetoniert wird. Die Verankerung am unteren Seilende wird durch zwei neue Feldquerträger (Verankerungsträger) gewährleistet, die neu hergestellt werden. Die Seillängen zwischen den Ankerpunkten betragen im Mittel ca. 32 m. Als Litzenbündelseile werden Dyna-Grip - DG-P-43 aus einem Spannstahl St-1570/ 1770 eingesetzt, die zur Behebung der Defizite mit 4200-kN vorgespannt werden. Damit die Seile eine gleichmäßige Vorspannung erhalten und das Bauwerk planmäßig entlastet wird, muss das Anspannen der Seile gleichzeitig und gleichmäßig erfolgen. Der Festanker der Seile befindet sich in der Ankerbox und der Spannanker am Verankerungsträger. Für eine gleichmäßige und gleichzeitige Anspannung wird die Vorspannkraft in 11 Vorspannabschnitten aufgebracht, so dass maximal 4 Litzen je Seil gleichzeitig vorgespannt werden. 3.3 A-Pylon einschl. Gründung Für den A-Pylon wurde als Ergebnis der Berechnungen und Abstimmungen ein Querschnitt b/ h-=-1,50/ 1,50-m mit 15-cm angefasten Ecken aus einem Beton der Festigkeitsklasse C-50/ 60 gewählt. Zur Minimierung von möglichen vertikalen Setzungen resultierend aus der Seilvorspannung wurde eine Tiefgründung mit jeweils 3 Großbohrpfählen Ø-1,50m und einem Kopf balken gewählt. Darüber hinaus wurden zur Reduzierung der horizontalen Verformungen aus der Schiefstellung der Stiele zwei zusätzliche Zugbänder angeordnet, die beide Kopf balken miteinander verbinden. Durch diese Maßnahmen wurde ein möglichst vorformungsarmer A-Pylon erstellt, so dass 5. Brückenkolloquium - September 2022 189 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung die Reduktion der Seilkräfte durch mögliche Fußpunktverformungen im Wesentlichen ausgeschlossen werden kann. Die Herstellung des Pylons erfolgt in 13 Bauabschnitten. In den Bauabschnitten 1 bis 11 stehen die Pylonfüße eigenständig bzw. es werden zur Sicherstellung der Standsicherheit bauzeitlich 3 temporäre horizontale Zwischenabstützungen vorgesehen. Im Bauabschnitt 12 werden die Pylonfüße miteinander verbunden. Vor der Betonage des 13. Bauabschnittes wird die Ankerbox zur Aufnahme der Seile eingebaut. Abb. 7: A-Pylon einschließlich Gründung 3.4 Ankerbox zur Aufnahme der oberen Seilverankerung Zur Einleitung der Seilkräfte wird im Bauabschnitt-13 eine Ankerbox (Abb. 8) im A-Pylon eingebaut. Abb. 8: FEM-Modell Ankerbox Für die Bemessung der Ankerbox wurde ein 3D-FEM- Modell generiert. Unter Berücksichtigung der Vorspannung der Seile unter einer annähernd starren Bettung der Fußplatte wurden die entsprechenden Blechdicken bestimmt. Dabei ergaben sich Blechdicken für die Einzelbleche zwischen 30 und 80 mm. Zur Sicherstellung des Verbundes sowie der Weiterleitung von antimetrischen Lasten werden umlaufend an der Ankerbox Kopf bolzendübel Ø 22 angeordnet. Für die Einzelbleche wird ein Baustahl S 355 J2+N und für die Kopf bolzendübel ein S 235 J2+C470 verwendet. Abb. 9: 3D-Modell Pylonkopf einschließlich Ankerbox 3.5 Verankerungsträger zur Aufnahme der unteren Seilverankerung Die untere Seilverankerung am Bestandsbauwerk kann nicht direkt am Bestandsüberbau hergestellt werden, da die Kragarme des Bestandsüberbaus für die Lasteinleitung nicht ausreichend tragfähig sind. Des Weiteren würde die Verkehrsführung sowie der Fuß- und Radverkehr durch die schrägen Seile eingeschränkt. Somit muss für die unteren Seilverankerung ein zusätzlicher Verankerungsträger hergestellt werden. Dabei muss dieser für die Entlastung des Bestandsbauwerks möglichst nah an den defizitären Bereichen angeordnet werden und gleichzeitig muss der nachträgliche Einbau auf die vorhandenen Längsspannglieder abgestimmt werden. Durch eine iterative Bestimmung der erforderlichen Seilvorspannung, der Abmessungen des Verankerungsträgers sowie der geometrischen Vorgaben des Bestandsbauwerks wurde der Verankerungsträgers 22,80-m von der Stützenachse angeordnet. Die Abbildung 10 zeigt die Anordnung der Verankerungsträger für die inneren Stege der Hohlkästen unter Berücksichtigung der Spanngliedführung des Bestandes. Die Querschnittsabmessungen des Querträgers betragen im Mittel b/ h-=-2,10/ 1,00-m. 190 5. Brückenkolloquium - September 2022 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Abb. 10: Verankerungsträger im Bestand Damit die untere Seilverankerung keine Beeinträchtigung der Verkehrsführung zur Folge hat, kragt der neue Verankerungsträger einschließlich Seilverankerung 2,82 m über die Außenkante des Steges hinaus. Aufgrund dieser Auskragungen in Verbindung mit der Seilvorspannung muss der Verankerungsträger zur Sicherstellung der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit vorgespannt werden. Es werden insgesamt 5 Spannglieder (Suspa-Litze DW 6-22) je Verankerungsträger vorgesehen (Abb. 11). Abb. 11: Vorspannung Querträger Abb. 12: temporäre Verstärkung - Längsschnitt 5. Brückenkolloquium - September 2022 191 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Abb. 13: temporäre Verstärkung - Querschnitt Für die Verankerungsträger wird ein Beton der Festigkeitsklasse C 50/ 60 gewählt. Als Bewehrung ist Betonstahl B 500 B und Spannstahl St 1570/ 1770 vorgesehen. Für die Herstellung des Verankerungsträgers müssen die vier Hohlkastenstege des Bestandsbauwerks temporär geschwächt werden. Dabei muss die vorhandene Bewehrung der Stege, speziell die Bügelbewehrung, erhalten werden, so dass die Herstellung der Öffnungen durch Höchstdruckwasserstrahlen erfolgen muss. Zur Sicherstellung der Tragfähigkeit des Gesamtbauwerks dürfen die Stege nicht gleichzeitig geschwächt werden, sondern nur Steg für Steg, so dass sich für den Verankerungsträger vier Bauabschnitte ergeben. Für den Zeitraum der Stegschwächungen wird je Steg eine temporäre Verstärkung erforderlich. Die Abbildungen 12 und 13 zeigen die temporäre Stegverstärkung im Längs- und Querschnitt. Die temporäre Verstärkung besteht dabei aus geschweißten Stahlträgern oberhalb und unterhalb der Stege sowie aus insgesamt 20 Stabspanngliedern (Dywidag 36 WS). Die Stabspannglieder werden vorgespannt, so dass über Reibung eine Verbindung mit dem Bestandsbauwerk entsteht. Die temporäre Verstärkung wurde so ausgelegt, dass die Stabspannglieder die vorhandene Querkraft über die Stegöffnung hinweg übertragen können. Des Weiteren wurde die Vorspannung der Stabspannglieder sowie die Fläche der Stahlträger zur Aufnahme der Normalkraft aus der Fläche der Stegschwächung bestimmt. Aus der bauabschnittsweisen Herstellung der Querträger ergibt sich, dass die erforderliche Bewehrung durch Muffenstöße verbunden werden muss. Zusätzlich werden für die Spannglieder Hüllrohre eingebaut, die ebenso abschnittsweise durch entsprechende Muffen gekoppelt werden. Nach der Herstellung der vier Bauabschnitte wird die Querträgervorspannung nachträglich eingezogen und vorgespannt. Im Zuge der Herstellung der äußeren Bauabschnitte müssen die Einbauteile für die unteren Seilverankerungen berücksichtigt werden. Die Abbildung 14 zeigt die Ansicht der Seilverankerung nach der Herstellung. Abb. 14: untere Seilverankerung - Ansicht 4. Nachrechnung Bestandsüberbau unter Berücksichtigung der Verstärkungsmaßnahme Für die Bemessung der Verstärkungsmaßnahme sowie des Überbaus wurde das System der Nachrechnung durch die neuen Bauteile, den Pylon einschließlich der Gründung, die neuen Verankerungsträger sowie die Seile ergänzt. Die Abbildung 15 zeigt die Systembildung einschließlich der Verstärkungsmaßnahme. 192 5. Brückenkolloquium - September 2022 Außergewöhnliche Verstärkung einer Spannbetonbrücke durch nachträgliche Anordnung eines Pylons mit Schrägabspannung Abb. 15: System einschl. Verstärkungsmaßnahme Aufgrund des Begegnungsverkehrs wurde in Abstimmung mit Straßen.NRW die BKL 60/ 30 nach DIN 1072 [1] als Ziellastniveau für die Verstärkungsmaßnahme festgelegt. Die Berechnung des Bestandsüberbaus wurde auf Grundlage der Nachrechnungsrichtlinie einschließlich der 1. Ergänzung durchgeführt. Die neuen Bauteile der Verstärkungsmaßnahme wurden entsprechend der jeweils gültigen Eurocodes ausgelegt. Unter Berücksichtigung der Verstärkungsmaßnahme konnten für die Längsrichtung alle Nachweise im GZT mindestens nach Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie erbracht werden. Tab.3: GZT für BKL 60/ 30 nach Verstärkung Nachweise Ausnutzung Biegung h = 1,00 Querkraft und Torsion h = 1,00 Ermüdung Spannstahl h = 0,95 Die entlastende Wirkung der Seilvorspannung wird beispielhaft anhand der Schubbewehrung für den Nachweis Querkraft und Torsion dargestellt. In den kritischen Bereichen ist die vorhandene Schubbewehrung ausreichend. Für die Bereiche an den Brückenenden ist der Nachweis unter Berücksichtigung der Regeln der 1. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie [4] im Abstand d vom Auflager sowie unter Einschneiden der Querkraftdeckungslinie ebenfalls eingehalten. Abb. 16: Schubbewehrung nach Verstärkung Die Ergebnisse im GZG weisen nach der Verstärkung ebenfalls keine Defizite mehr auf. Tab.4: GZG für BKL 60/ 30 nach Verstärkung Nachweise Ausnutzung Dekompression s c < 0 Rissbreite w k = 0,02 mm Betondruckspannungen h = 1,00 Betonstahlspannungen h = 0,16 Auf Grundlage der Ergebnisse kann das Bauwerk nach der Verstärkungsmaßnahme wieder für den Verkehr freigegeben werden. Aufgrund der Anwendung der Regeln nach Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie wird das Bauwerk nach der Verstärkung in die Nachweisklasse C eingeordnet. Die vorläufig eingeschränkte Restnutzungsdauer beträgt 20-Jahre. Literatur [1] DIN 1072 Ausgabe Mai 1988 [2] DIN-FB 101 Ausgabe März 2009 [3] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) Ausgabe Mai 2011 [4] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) 1. Ergänzung Ausgabe April 2015 5. Brückenkolloquium - September 2022 193 Nachhaltige Verstärkung der 1,8 km langen Spannbetonbrücke auf der A13 bei Ferrara, Italien, durch externe Vorspannung Dipl.-Ing. Kay Löffler DYWIDAG-Systems-International GmbH, Langenfeld (Rheinland) Lifespan Management, Repair and Strengthening Ing. Marco A. Bizzozero DYWIDAG-Systems S.R.L, Cusago (MI) Senior technical manager Italy Zusammenfassung Die verkehrstechnisch hochbelastete, insgesamt 1,8 km lange Spannbetonbrücke auf der A13 nördlich von Ferrara verbindet die Stadt Bologna im Süden mit der Region Venedig. Die aus insgesamt 42 Feldern mit Spannweiten von 32-70 m bestehende Brücke mit zwei getrennten Überbauten ist im Bereich der Strombrücke als doppelstegiger Plattenbalken ausgeführt. Die Nachrechnung der Brücke hat ergeben, dass für eine nachhaltige Verstärkung die Brückenlängsträger durch Anordnung von jeweils insgesamt acht externen Spanngliedern, feldweise angeordnet in Spanngliedpaaren beidseitig der Träger und in polygoner Spanngliedführung, zu unterstützen sind. Besondere Herausforderung hierbei ist es, aufgrund der hohen Verkehrsbelastung der Brücke die Sperrzeiten auf ein Minimum zu beschränken. Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen der ersten Verstärkungsphase der Träger mit Spannweiten von 57-70 m vom Bauherrn erstmalig in Italien ein werksvorgefertigtes, bereits voll korrosionsgeschütztes und beliebig nachspannbares DYWIDAG-Draht EX Spannsystem gewählt, dass direkt von der Transporttrommel in die Verankerungs- und Umlenkelemente entlang der Träger eingezogen werden kann. In den insgesamt acht Feldern der ersten Verstärkungsphase wurden somit insgesamt 64 externe Draht EX-Spannglieder des Typs EX 30 (P m0 =1473 kN) bzw. EX 42 (P m0 =2062 kN) installiert. Je Feld betrug die Einbauzeit der jeweils acht Spannglieder von der Anlieferung bis zum Abschluss der Spannarbeiten weniger als fünf Tage, wobei die zeitweilige einseitige Sperrung der Autobahn auf den Einziehvorgang und die Spannarbeiten beschränkt wurden. Zusammen mit der Montage der Spannglieder wurde auch ein entsprechendes Monitoring-Konzept integriert, bei dem die Spannkraft jedes zweiten Spanngliedes sowie die Durchbiegung des Brückenträgers in Feldmitte kontinuierlich überwacht wird. Die Vorspannung von in Italien weitgehend standardisierten Brückengeometrien durch modulare, werksvorgefertigte, standardisierte DYWIDAG-Spannsysteme ermöglicht somit einen optimierten Einbaufortschritt und verbindet die Gegebenheiten der bestehenden Konstruktionsweise mit den Erfahrungen aus für die Verstärkung optimierten Spannsystemen. 1. Einleitung Die insgesamt ca. 1,8 km lange Autobahnbrücke über den Fluss Po sichert als Teil der am 6. Juni 1970 für den Verkehr freigegeben A13 die verkehrstechnische Anbindung der Region Emilia-Romana mit der Region Venezien und verbindet direkt die wirtschaftlichen Zentren Bologna im Süden mit Padua im Norden. Bild 1: Brücke über den Po (Flussfelder) Der aus zwei getrennten Überbauten bestehende Brückenzug ist als eine Reihe von insgesamt 42 vorgespannten Plattenbalken ausgebildet worden. Die Vorlandbrücken bzw. Brückenrampen (insgesamt 12 + 15 Felder) sind dabei 5-stegig, der Hauptbrückenzug ist dagegen 2-stegig. Die Spannweiten je Feld betragen zwischen 32 m und 70 m. Der Flussbereich besteht aus insgesamt sechs Feldern, wobei in diesem Bereich beide Überbauten auf gemeinsamen Flusspfeilern aufgelagert sind. Ähnlich wie in Deutschland wurden in den vergangenen Jahren auch in Italien Nachrechnungsrichtlinien entwickelt, um die Bestandsbauwerke vor dem Hintergrund einer kontinuierlich gestiegenen Verkehrsbelastung zu überprüfen. Im Rahmen der Verstärkungsmaßnahme dieser Brücke wurde vorgesehen, insbesondere die zweistegigen Plattenbalken der Flussfelder durch eine beidseitige Anordnung eines polygonförmig angeordneten, externen Spanngliedpaares in Längsrichtung zu verstärken. 194 5. Brückenkolloquium - September 2022 Nachhaltige Verstärkung der 1,8 km langen Spannbetonbrücke auf der A13 bei Ferrara, Italien, durch externe Vorspannung Bild 2: Polygonförmiger Spanngliedverlauf Daneben erfolgte eine entsprechende Betonsanierung der Träger und Flusspfeiler u.a. mit der Applikation von CFK-Lamellen. Die Verstärkungsmaßnahme erfolgte i.d.R. feldweise, wobei die Zugänglichkeit durch ein unter das entsprechende Feld abgehängtes Gerüst gegeben wurde, das über ein zwischen den Überbauten angeordnetes Zugangsgerüst jeweils erreicht werden konnte. Im Rahmen einer ersten Instandsetzungsphase wurden im Bereich des Flusses acht Felder mit insgesamt 64 Spanngliedern eingebaut und vorgespannt. 2. Auswahl des Spannverfahrens Durch die hohe Verkehrsbelastung der Brücke war eine wesentliche Maßgabe, Sperrzeiten z. B. zur Andienung von Materialien von der Autobahn zum Brückenträger so weit wie möglich zu minimieren. Relevante Arbeiten, die eine etwaige Verkehrssperrung bedurften, mussten entweder am Wochenende oder nachts durchgeführt werden. Der Verstärkungsmaßnahme lag ferner eine umfangreiche statische Nachrechnung zugrunde, die während des Einbaus und dem Vorspannen der Träger auch vermessungstechnisch begleitet wurde. So sollte das gewählte Spannverfahren die Möglichkeit bieten, die Spannkräfte, abhängig von der Brückenverformung, beliebig anzupassen, d. h. ggf. von den Vorgabewerten höhere und niedrigere Spannkräfte aufzubringen. Unter den o. g. Randbedingungen wurde durch den Bauherrn Autostrade per l’Italia das werksmäßig vorgefertigte und auf einer Transporttrommel direkt am Einbauort einziehbare DY- WIDAG-Draht EX Spannverfahren gemäß ETA-07/ 0186 [1] mit i.d.R. 42 Einzeldrähten und einer max. Vorspannkraft von P m0 =2062 kN gewählt. Bild 3: Spannankerkopf Abweichend davon kamen im Feld 27 (Nord und Süd), welches ein Übergangsfeld zu den Rampen darstellt, Spannglieder des gleichen Typs, jedoch mit 30 Drähten und einer max. Vorspannkraft von P m0 =1473 kN zum Einsatz. Durch die Werksvorfertigung der Spannglieder kann auf eine Anlieferung von Teilmaterialen und entsprechenden Maschinen zum Auf bau der Spannglieder auf dem Gerüst weitgehend verzichtet werden und die Zeit zur Andienung der Materialien minimiert werden. Ferner ist beim Draht EX-Spannsystem der Ringraum zwischen dem Zuggliedern (Drähten) und dem PE-Hüllrohr bereits im Werk mit Korrosionsschutzmasse ausinjiziert worden. Ein Injiziervorgang auf der Baustelle mit erhitzter Korrosionsschutzmasse und möglichen Leckagen kann so, insbesondere im ökologisch empfindlichen Flussbereich, vermieden werden. Da die Verankerung des Spanngliedes durch Gewindeelemente erfolgt ist eine Anpassung der aufzubringenden Vorspannkraft sowohl beim initialen Spannvorgang sowie auch zu einem späteren Zeitpunkt jederzeit möglich. Anders als bei litzenbasierten Spanngliedern, bei denen das Absetzten der Spannkraft systembedingt mit einem Keilbiss und damit einer oberflächlichen Beschädigung des Zuggliedes verbunden ist, wird bei den Draht EX-Systemen durch die Verwendung von Gewindeelementen und die Verankerung über Stauchköpfchen das Zugglied auch bei wiederholten Anpassungen der Vorspannkräfte nicht beschädigt. Dies ermöglich höchste zukunftssichere Flexibilität für den Auftraggeber. Seit über zwanzig Jahren in Deutschland, insbesondere auch bei der Brückenverstärkung, verwendet hat durch die Kombination der o. g. 5. Brückenkolloquium - September 2022 195 Nachhaltige Verstärkung der 1,8 km langen Spannbetonbrücke auf der A13 bei Ferrara, Italien, durch externe Vorspannung Systemvorteile mit den projektbezogenen Anforderungen das DYWIDAG-Draht EX-System erstmalig auch in Italien Anwendung gefunden. 3. Verankerungsbereiche und Umlenkungen Die Verankerung der beidseitig am Träger angeordneten Spanngliedpaare erfolgte insbesondere bei den Feldern mit einer Spannweite von 70 m durch Stahlkonsolen, die das Ende des Trägers -förmig umschlossen haben. Dadurch wurde u.a. auch das synchrone Vorspannen jeweils eines Spanngliedpaares erforderlich. In den Feldern 27 Nord und Süd war eine U-förmige Ankerkonsole konstruktiv aufgrund eines geschlossenen Stützquerträgers nicht möglich. Daher wurden in diesen Feldern die Stahlankerkonsolen mittels Stahlbolzen durch den Bestandsträger durchgeankert. Jeweils von den Ankern ausgehend wird das Spannglied nach ca. 9 m umgelenkt und parallel zum Untergurt des Trägers geführt. Die Umlenkung erfolgt auch hierbei durch unter den Gurt des Trägers angebrachte Stahlkonsolen. Zur höheren Flexibilität des Systems und kontrollierte Umlenkung der Spannglieder, werden in die Aussparungsrohre der Stahlkonstruktion Umlenkschalen aus Kunststoff eingelegt, die auch noch während des Spannprozesses entsprechend der individuellen Spanngliedlage ausgerichtet werden können, um eine optimale Stützung des Spanngliedes zu ermöglichen. Bild 4: U-förmige Verankerungskonsolen Bild 5: Verankerung in Feld 27 Bild 6: Umlenkkonsolen 4. Messkonzept für die spätere Spannkraftkontrolle Im Rahmen der Verstärkungsmaßnahme wurde durch den Brückenbetreiber auch ein umfangreiches Messkonzept entwickelt und umgesetzt. Jeweils vier der acht Längsspannglieder sind durch DYWIDAG mit Kraftmessdosen ausgestattet worden. Zusammen mit Dehnungsaufnehmern in Feldmitte und einer drahtlosen Datenkommunikation zu einem zentralen Server können somit etwaige Veränderungen der Konstruktion kurzfristig erkannt werden. 5. Einbau der Spannglieder Der Einbau der zusätzlichen Längsspannglieder erfolgte durch ein Team der DYWIDAG zusammen mit der örtlichen, für die Sanierungsmaßnahme durch die Autostrade per l’Italia beauftragten, Bauunternehmung. Bedingt durch die feldweise Verstärkung hat sich mit Fortgang des Projektes schnell auch ein sich wiederholender Einbauablauf eingespielt. Durch die hohe Flexibilität und enge Zusammenarbeit mit dem Team der Bauunternehmung konnte somit der Ablauf routiniert und zügig abgewickelt werden. 5.1 Anlieferung und Einziehen Die Anlieferung der Spannglieder erfolgte i.d.R direkt vor dem Einbau der Spannglieder. Erfolgte die Andienung der Spannglieder im Bereich der ersten Flussfelder noch über das Zugangsgerüst zwischen den Überbauten, so wurden die Spannglieder in Flussmitte von der Fahrbahn mittels eines Autokrans auf das Gerüstniveau herabgelassen und von dort aus direkt mittels einer Winde durch die Umlenksättel in die finale Spanngliedlage gebracht und temporär auf dem Gerüst abgelegt. Dies erfolgte in der Regel im Rahmen einer max. 6-8-stündigen Sperrung am Wochenende, wobei jeweils acht bis sechszehn Spannglieder im Rahmen einer Sperrung eingezogen werden konnten. Die Sperrung wurde u. a. auch erforderlich, damit das jeweilige Brückenfeld einer vermessungstechnischen 0-Messung unterzogen werden konnte. 196 5. Brückenkolloquium - September 2022 Nachhaltige Verstärkung der 1,8 km langen Spannbetonbrücke auf der A13 bei Ferrara, Italien, durch externe Vorspannung Bild 7: Andienung der Spannglieder Bild 8: Einziehen der Spannglieder auf Gerüstniveau Bild 9: Temporäres Ablegen des Spanngliedes 5.2 Spannen der Längsspannglieder Prinzipiell ist das Spannen von Längsspanngliedern auch unter Verkehr möglich, jedoch wurde im Rahmen dieses Projektes eine begleitende Verformungsmessung des Überbaus auf Fahrbahnniveau während der einzelnen Spannschritte durchgeführt, um die auftretende Anhebung des Trägers z. B. in Feldmitte mit den prognostizierten Werten zu vergleichen. Dadurch bedingt erfolgten die Spannarbeiten jeweils in einem Nachteinsatz (max. 6-8 Stunden) unter einer erneuten Sperrung des Brückenabschnitts. Die Auslesung der Kraftmessdosen am Festanker sowie des Hydraulikdrucks der Spannpressen am Spannanker und die Ergebnisse der festgestellten Verformungen auf der Fahrbahn führten darauf hin zu entsprechenden Anpassungen der finalen Absetzkräfte des Spannsystems. In Feld 27 kam erschwerend hinzu, dass zum Spannen der Draht EX-Spannglieder aufgrund des geschlossenen Stützquerträgers nur ein begrenzter Arbeitsraum von ca. 70 cm vorhanden war. Durch Verwendung entsprechender Sonderspannpressen konnten auch diese Felder voll vorgespannt werden. Bild 10: Spannen der Spannglieder 6. Zusammenfassung Die Verstärkung einer Bestandsbrücke mit Spanngliedern muss zügig und mit möglichst geringem Einfluss auf die Nutzung der Brücke durchgeführt werden können. Eine einfache Anpassung der Spannglieder an die jeweiligen Bedingungen und Anforderungen des Bestandbauwerkes ist Grundlage für eine erfolgreiche Abwicklung einer Verstärkungsmaßnahme. Im Rahmen der ersten Phase des Verstärkungsprojektes der Autobahnbrücke über den Po bei Ferrara konnten durch die Verwendung werksmäßig vorkonfektionierter DYWIDAG-Drahtspannglieder die für den Einbau der Spannglieder notwendigen Sperrungen zeitlich minimiert werden. Mit dem Einbau von insgesamt 64 Spanngliedern des Typs DYWIDAG-Draht EX in insgesamt acht Brückenfelder ist nun die Grundlage für eine weitere nachhaltige Nutzung der Bestandsbrücke gelegt. Durch die feldweise Sanierung und insbesondere die enge Zusammenarbeit zwischen der Autostrade per l’Italia, den beauftragten Bauunternehmen und DYWIDAG konnten die Arbeitsabläufe weiter optimiert und der Einbau der Spannglieder zügig durchgeführt werden. Der Anfang ist gemacht! Literaturnachweis [1] Europäische Technische Bewertung SUSPA-Draht EX, Externes Spannverfahren für das Vorspannen von Tragwerken mit 30 bis 84 Spannstahldrähten, DYWIDAG-Systems International GmbH 5. Brückenkolloquium - September 2022 197 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws Instandsetzung des Riddes-Viadukts Stéphane Cuennet Bundesamt für Strassen, Ittigen - CH Jean-Marc Waeber Bundesamt für Strassen, Ittigen - CH Zusammenfassung Das 1,25 km lange «Viadukt von Riddes» ermöglicht es einer Kantonsstraße, nacheinander eine Eisenbahnlinie (SBB- SBB), eine Nationalstraße (N09) und einen Fluss (Die Rhône) zu überqueren. Auf der Höhe der Autobahnüberquerung befindet sich ein Anschluss, der aus vier Rampen besteht. Dieses imposante Bauwerk, das zu 65 % dem ASTRA und zu 35 % dem Kanton Wallis im Eigentum steht, wurde 1976 in Betrieb genommen. Wie jedes Inventarobjekt unseres Netzes war es Gegenstand der alle fünf Jahre stattfindenden Hauptinspektionen. Trotzdem musste kürzlich von den Bauherren eine Sofortmassnahme beträchtlichen Umfangs ausgelöst werden. Ziel dieses Artikels ist es, anhand dieses Falles die Bedeutung und die Folgen nicht umfassender Inspektionen aufzuzeigen und die Sofortmassnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und zur Instandsetzung zu erläutern. Abb.1: Allgemeine Lage Abb 2: Gesamtübersicht 198 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws 1. Einleitung Anfang 2019 gab das Bundesamt für Strassen (ASTRA) eine Studie in Auftrag, um dieses Bauwerk, das in der Erdbebenzone (Z3b) mit der stärksten Erdbebengefährdung in der Schweiz liegt, zu sanieren und erdbebensicher zu machen. Trotz der schwierigen und beschwerlichen Zugänglichkeit wurden erstmals Besichtigungen im Inneren der gesamten Hohlkästen der Fahrbahndecke vorgenommen. Diese zeigten erhebliche, von außen nicht sichtbare Schäden, darunter Betonschäden aufgrund der Alkali-Aggregat-Reaktion (AAR) sowie erhebliche Querschnittsverluste durch Korrosion der passiven und aktiven Bewehrung, die durch das Eindringen von Chloriden verursacht wurde. Diese visuelle Zustandserfassung wurde im Sommer und Herbst 2019 durch eine umfangreiche Untersuchungskampagne ergänzt, um eine zuverlässige Bestandsaufnahme des gesamten Bauwerks zu erhalten. Die festgestellten schwerwiegenden Mängel erforderten als Vorsichtsmaßnahme eine sofortige Verkehrsbeschränkung, indem die Zufahrt auf das Viadukt nur noch für Fahrzeuge mit einem Maximalgewicht 3,5 t zugelassen wurde. Um eine Wiedereröffnung für den 40-t-Verkehr zu ermöglichen, und eine irreparable Verschlechterung aufgrund der Entwicklung der AAR zu vermeiden, wurden ein Massnahmenprojekt sowie Arbeiten als Sofortmaßnahme geplant. Das gewählte Konzept lenkte den gesamten Verkehrsfluss im Gegenverkehr auf das linke Viadukt und setzte das am stärksten beschädigte rechte Viadukt außer Betrieb. Der Bereich über der Nationalstraße mit den Anschlussrampen musste beibehalten werden, während beide Viadukte in Betrieb waren. Diese Änderung ermöglichte es, das Ausmaß der Eingriffe auf die für den Betrieb unbedingt notwendigen Erfordernisse zu optimieren. Die Arbeiten bestanden darin, die Brückendecke mit einer Schicht aus bewehrtem UHFB zu überziehen, um die Fahrbahnplatte und die Auflagerbereiche der Brückendecke zu verstärken. Das Auflagersystem wurde unter Berücksichtigung der seismischen Einwirkungen überarbeitet. Das defekte Entwässerungssystem wurde ausgebaut und durch ein neues ersetzt, das unter den Konsolen befestigt wurde. Im Inneren der Hohlkästen wurden lokale Reparaturen und Verstärkungen durchgeführt. 2. Geschichte des Bauwerks „Es stand von Anfang an unter keinem guten Stern! “ Nach weniger als fünfzehn Jahren in Betrieb wies das Bauwerk aufgrund von Konstruktionsfehlern bereits erhebliche Schäden auf, die seine Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit beeinträchtigten. Die Konstruktionsfehler, deren Auswirkungen bereits Ende der 80er-Jahre deutlich sichtbar waren, betrafen vor allem die Details der Abdichtung und des Belags sowie in den Verbindungen der Brückenplatte. Hier ist eine Chronologie der wichtigsten Fakten, die im Zusammenhang mit diesem Objekt erhoben wurden: 1972 Baubeginn des Viadukts 1976 Inbetriebnahme des Bauwerks 1988 Teilweise Inspektion des Inneren der Hohlkästen; Sanierung der stark gerissenen Beläge. 1990 Bericht „Dringlichkeit der auszuführenden Arbeiten“ 1992 Sanierungsprojekt 1994 Arbeiten der ersten Dringlichkeit: Auflager / Fahrbahnfugen / Anheben von Widerlagern / Verbreiterung von Pfeilerköpfen 1995-1998 Arbeiten der zweiten Dringlichkeit: Ausbesserung / vollständiger Austausch des Abdichtungssystems mit Abdichtung der Druckentlastungsöffnungen + Belag / Kanalisationen / vor Ort gegossene Brückenränder / Austausch der Rückhaltesysteme / lokale Betonreparaturen. 2012-2014 Konzept und Massnahmenprojekt basierend auf der Inspektion von 2009. Dieses Projekt umfasste lediglich einige lokale Instandsetzungsarbeiten an den Pfeilern in der Nähe der Autobahn sowie die Verbreiterung der Auflagerbänke. 2017 Erdbebensicherheitsstudie 2019 Mandatsvertrag zur Erstellung eines aktualisierten Massnahmenprojekts, das auf dem Projekt von 2014 sowie dem Konzept zur Erdbebenertüchtigung von 2017 basiert. Ende März 2019 wurde eine vollständige Inspektion des Inneren der Senkkästen durchgeführt. Die Hohlkästen waren 1988 nur teilweise inspiziert worden. 07.2019 Ein Verbot für den Verkehr > 3,5 t (Abb. 3) einschließlich einer Umleitungsstrecke für LKWs wurde eingerichtet. Initiierung einer großen Untersuchungskampagne als Sofortmaßnahme 01.2021 Grundsätzliche Bestätigung des Maßnahmenprojekts durch den Lenkungsausschuss und Bestätigung der Notwendigkeit, die Arbeiten so schnell wie möglich durchzuführen, um die Erhaltung der Bausubstanz garantieren zu können. 02.2021 Vorbereitungsarbeiten (Baustelleneinrichtung) 03.2021 Beginn der Arbeiten 12.2021 Verkehrsfreigabe auf dem Bauwerk im Frühling 2022 Ende der Bauarbeiten. 5. Brückenkolloquium - September 2022 199 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws Abb 3: Ausfahrt 24 Riddes verboten für Fahrzeuge mit +3,5 t 3. Ergebnisse der Zustandserhebung und der Untersuchungen In einem ersten Schritt wurde eine kritische Analyse des Bauwerks erstellt, die die anfänglichen konzeptionellen Defizite aufzeigte. Dazu gehörten eine hohe Schlankheit des Feldes über der Autobahn, niedrige Kastenhöhen, inhomogene Spannglieder und Bewehrungsdetails im Bauwerk, relativ geringe Betondicken sowie Probleme mit den Ausrüstungen. In einem zweiten Schritt wurden visuelle Inspektionen des Inneren der Hohlkästen durchgeführt. Dabei wurden zahlreiche Schäden festgestellt, darunter: Wasserinfiltrationen, Schäden am Entwässerungssystem, Schäden an den Spannkabeln, Risse in den Hohlkästen, Betonschäden an der Fahrbahn- und der Bodenplatte. In einem dritten Schritt wurden verschiedene vertiefende Untersuchungen an Beton, Bewehrung und Vorspannung verordnet und begutachtet. Daraus ergaben sich zahlreiche kritische Punkte. • Die Vorspannkabel sind durch Korrosion angegriffen und einige sind durchtrennt und entspannt; die Hüllrohre weisen Wassereinbrüche auf und der Füllmörtel ist mit Chloriden kontaminiert. • Die Hohlkästen sind in einigen Feldern trotz vollständiger Vorspannung ungewöhnlich stark gerissen. • Lokale Bereiche der Fahrbahnplatte und der unteren Platte weisen zerbröckelnden Beton mit stark korrodierten Bewehrungen auf. • Betonabplatzungen, die korrodierte Bewehrung freilegen, sind an der Innenseite der Fahrbahnplatte, der Stege und der unteren Platte vorhanden. • Eine signifikante Entwicklung der AAR bis zum Kern der Querschnitte mit einer Beeinträchtigung der mechanischen Eigenschaften ist im gesamten Bauwerk einschließlich der Fundamente vorhanden. • Die Chloridgehalte im Beton der Fahrbahnplatte sind lokal sehr hoch. • Die Karbonatisierungsfront erreicht in weiten Bereichen das Niveau der Bewehrung. • Die Abdichtung der Fahrbahnplatte und das Entwässerungssystem sind defekt. In den letzten Inspektionsberichten aus dem Jahr 2015 wurde das Viadukt als in akzeptablem Zustand (Zustandsklasse 2) eingestuft. Angesichts der Schäden und Mängel, die bei der umfassenden Inspektion des Hohlkasteninneren aufgelistet wurden, wurde er jedoch auf einen schlechten Zustand (Zustandsklasse 4) herabgestuft. Darüber hinaus mussten drei Bereiche des Viadukts aufgrund der kumulierten Schäden und der fortgeschrittenen Degradierung in einen alarmierenden Zustand (Zustandsklasse 5) eingestuft werden. Abb 4: Schäden an der Decke der Kästen Abb 5: sehr aggressive Korrosion an Spannstahl Angesichts der aufgelisteten Mängel und des pathologischen Entwicklungszustands der AAR auf dem gesamten Viadukt war eine Wiederinbetriebnahme des Bauwerks für den schweren Strassenverkehr ohne Verstärkungsmassnahmen nicht denkbar. Es ist zu betonen, dass der von der AAR verursachte Verfallsprozess anisotrop und schwer kontrollierbar ist. Die vorrangige Methode zur Wiederherstellung eines gesunden strukturellen Zustands und zur deutlichen Verlangsamung der Schädigungsprozesse bestand darin, dass durch die Fahrbahnplatte eindringende Wasser zu beseitigen und die Fahrbahnplatte zu verstärken. Die Dringlichkeit der Erhaltungsmassnahme ergab sich aus der Tatsache, dass das Bauwerk in diesem Zustand nicht mehr für den Schwerlastverkehr genutzt werden konnte. Tatsächlich waren die beobachteten Schäden schwerwiegend und laut Experten in der Schweiz bisher nur selten gemeldet worden. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Korrosion der Vorspannkabel und die Entwicklung der AAR zu einem erheblichen Verlust der mechanischen Eigenschaften geführt haben. Da- 200 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws rüber hinaus beschleunigen ungewöhnlich hohe Chloridwerte im Beton die Korrosionsprozesse. Abb 6: Bindemittelfüllungslücke und Risse in der Paste und den reaktiven Aggregaten Besonderheiten der Alkali-Aggregat-Reaktion (AAR) Aufgrund der Untersuchungen konnte davon ausgegangen werden, dass das gesamte Viadukt bis zum Kern signifikant von AAR betroffen ist. Selbst in visuell „gesunden“ Bereichen ist das Auftreten von AAR oft signifikant. Mikroskopische Analysen von Dünnschliffen zeigten eine systematische Ausrichtung der Risse parallel zu den Oberflächen der unteren Platten und der Deckschichten. Diese mikrostrukturelle Anisotropie induziert eine Anisotropie der mechanischen Eigenschaften, die teilweise nachgewiesen werden konnte. Dies deutet darauf hin, dass die gemessenen Verluste an mechanischen Eigenschaften derzeit wahrscheinlich unterschätzt werden. Diese Orientierung der AAR-Rissbildung in der Ebene war auch die Ursache dafür, dass es nicht möglich war, signifikante Anzeichen von AAR durch visuelle Inspektion in den Hohlkästen zu erkennen. Ohne Intervention wird sich das Schadensphänomen weiterentwickeln und beschleunigen, bis es allgemein das „pathologische“ Stadium erreicht, indem es den Verlust der mechanischen Eigenschaften des Betons vorantreibt: - durch die Entwicklung neuer Risse und die Verdichtung der Rissbildung, insbesondere jener, welche eine Blätterbildung des Betons in den Platten erzeugt, - durch die Entwicklung von Ablösungen zwischen der Zementmasse und den Aggregaten. Eine Verstärkung der Struktur war daher unerlässlich. Es ist anzumerken, dass 2012 durchgeführte Untersuchungen die AAR-Problematik erwähnten, ohne deren Entwicklung in den Betonen der Fahrbahn und der Pfeiler aufzuzeigen. Die Untersuchungen 2019-2020 zeigen nun, dass der Beton des Viadukts signifikant von AAR betroffen ist, was auf einen besonders schnellen Verfall hindeutet. 4. Tragwerksanalyse und Überprüfungen 4.1 IST-Zustand Bei der Prüfung der Struktur wurden verfeinerte Nachweise des bestehenden Bauwerks durchgeführt, die auf einer Aktualisierung der Materialwiderstände und der Einwirkungen basierten. Diese wurden unter Berücksichtigung von zwei Szenarien durchgeführt: „ohne“ und „mit“ Schäden, um eine geringere Betonqualität und Korrosion der Bewehrung bzw. der Spannglieder zu berücksichtigen. Aufgrund der vollständigen Vorspannung in Längsrichtung wies das bestehende Viadukt ein hohes Widerstandsniveau auf. Tatsächlich zeigte die Analyse der Brücke „ohne“ Schäden, dass die verschiedenen Abschnitte, einschließlich der Rampen, sowohl in Längsals auch in Querrichtung eine konforme Biege- und Querkraftfestigkeit aufwiesen. Nur ein Bereich wies eine unzureichende Querkraftfestigkeit auf. Die Analyse der Brücke „mit“ Schäden ergab hingegen mehrere Bereiche mit unzureichender Erfüllungsgraden, die verstärkt werden mussten. Die durchgeführten statischen Überprüfungen zeigten folgende kritische Punkte auf: • eine unzureichende seismische Kapazität, insbesondere in Bezug auf den Querkraftwiderstand der Pfeiler und Fundamente, • ein lokal unzureichender Schubwiderstand der Brückendecke, • in Längsrichtung: lokale Unzulänglichkeiten der Biege- und Querkraftwiderstände aufgrund des Verlusts von Vorspannkabeln durch Korrosion, • in Querrichtung: lokale Unzulänglichkeiten des Querkraftwiderstands der Fahrbahnplatte aufgrund der Entwicklung von AAR und dem Verlust von Bewehrungsquerschnitten, • unzureichender Widerstand der Pfeiler in der Nähe von Eisenbahngleisen gegenüber dem Anprall. 4.2 Verstärker Zustand 4.2.1 Statische Untersuchungen Im Rahmen des Massnahmenprojekts wurden statische Analysen durchgeführt, um die Verstärkung aus bewehrtem UHFB zu bemessen. Angesichts der Verstärkung der Fahrbahnplatte berücksichtigen die Verkehrslasten den Straßenverkehr bis 40 t, einschließlich mobiler Kräne bis zu 96 t. 4.2.2 Queranalyse Elastische Analyse: Die Kräfte in der Fahrbahnplatte wurden durch eine lineare elastische Analyse mithilfe eines Schalenmodells ermittelt. Parallel dazu wurde die Festigkeit durch Querschnittsberechnungen bewertet, die die mit der bewehrten UHFB Schicht verstärkte Fahrbahnplatte umfassten. Die Nachweise zeigten, dass die Festigkeit höher ist als die Beanspruchung, selbst unter Berücksichtigung von Betonschäden und Korrosion der Bewehrung. Darüber 5. Brückenkolloquium - September 2022 201 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws hinaus verfügt die Platte über Umlagerungsfähigkeiten für Biegebeanspruchungen. Die Querkraftwiderstand der durch AAR-Effekte beschädigten Platte kann sich schnell verschlechtern und einen lokalen Sicherheitsmangel darstellen. Die bewehrte UHFB Schicht, die fest mit der Platte verbunden ist, leistet selbst bei einer geringen Dicke (50 mm) einen wichtigen Beitrag zum Querkraftwiderstand und kompensiert die Festigkeitsverluste des beschädigten Betons aus. 4.2.3 Längsanalyse Elastische Analyse: Die statischen Nachweise in Längsrichtung wurden mit Finite-Elemente-Modellen vom Typ Balken modelliert. Querschnittsänderungen und Vorspannungen wurden ebenfalls in den Modellen berücksichtigt. Kritische Querschnitte wurden unter Einbeziehung von UHFB-Verstärkungen und Schäden überprüft. Einige Querschnitte im Feld „mit“ Beschädigung erreichten keinen einheitlichen Erfüllungsgrad. Die Widerstandsreserve auf der Stütze ermöglicht es jedoch, die Fehlstellen im Feld zu decken, wenn man von mäßigen Umlagerungsfähigkeiten der Kräfte ausgeht. Analyse nach der kinematischen Methode: Statische Längsanalysen für ein laufendes Feld des Hauptviadukts und ein laufendes Feld der Zubringer wurden mit der kinematischen Methode durchgeführt, um einen Wert für die Grenzlast zu ermitteln. Für diese Felder wurde der wahrscheinlichste Versagensmechanismus (Abb. 7) durch drei plastische Gelenke definiert. Die Gleichheit der Arbeitsgleichung ergibt dann den Koeffizienten, der die externe Arbeit und damit die Lasten erhöht. Abb 7: Versagensmechanismus eines laufenden Feldes • Die Bewertung der laufenden Spannweite eines Zubringers ergibt den Koeffizienten gM = 1,59. • Die Bewertung des laufenden Felds des Hauptviadukts ergibt den Koeffizienten gM = 1,75. • Gemäß dem in der Projektbasis festgelegten Ziel sollte dieser Gesamtwiderstandskoeffizient folgende Werte erreichen gM ≥ 1.2 erreichen, um die Anforderungen an die Tragsicherheit zu erfüllen. Nichtlineare Analyse Ein laufendes Feld des Hauptviadukts sowie ein laufendes Feld der Zubringer (Abb. 8) wurden mit Hilfe von 3-D-Finite-Elemente-Modellen detailliert analysiert. Die Struktur wurde durch ein Netz diskretisiert, das aus Volumenelementen für den Beton, aus „Kabel“-Elementen für die Vorspannung und aus Membranelementen für die passive Bewehrung bestand. Abb 8: Teil des Modells der Nordostspange (ohne Fahrbahnplatte) Geometrische und materielle nichtlineare Analysen wurden durchgeführt, um die Rissbildung im Beton zu berücksichtigen und so die Umlagerungsfähigkeit der Kräfte zwischen den Bereichen im Feld und den Bereichen auf den Pfeilern auszunutzen, wo der Beitrag der bewerten UHFB-Schicht wichtig ist. Diese Analyse ermöglichte es, mit zunehmender Belastung die Entwicklung der Spannungen und die Bildung von Plastikgelenken zu verfolgen und schließlich den Einsturzmechanismus zu ermitteln. Die Analyse wurde mit den charakteristischen Werten des Materials und der Belastung durchgeführt. Die bewehrte UHFB-Schicht wurde zunächst als Last betrachtet und dann aktiviert, um einen Spannungszustand zu erhalten, der für die Belastungsgeschichte repräsentativ ist. Anschließend wurden die Verkehrslasten aufgebracht. Während der Laststeigerung wurden die Einwirkungen durch ihre jeweiligen Lastfaktoren verstärkt. Die Gesamtheit der Einwirkungen wurde dann um einen Faktor erhöht, der als Gesamtwiderstandskoeffizient für das Material interpretiert werden kann. Dieser Koeffizient musste den Mindestwert von gM ≥ 1.2 erreichen, um die Anforderung an die strukturelle Sicherheit des Bauwerks zu erfüllen. Alle untersuchten nichtlinearen Berechnungsszenarien (mit und ohne verstärkende UHFB-Schicht) führten zu einem konformen Sicherheitsfaktor. Insgesamt ermöglichte die Hinzufügung einer verstärkenden UHFB-Schicht: • die Biege- und Torsionssteifigkeit der Struktur zu erhöhen und dadurch Verschiebungen und Drehungen zu reduzieren, • die maximale Öffnung von Rissen zu verringern, • die Spannungen in den Bügeln im Auflagerbereich gleichmäßiger zu verteilen. Die fortgeschrittenen nichtlinearen Berechnungen waren sehr nützlich, da die Ergebnisse zu einem besseren Verständnis des Tragverhaltens führten, indem sie realistischere Werte für die Festigkeit und signifikante Reserven 202 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws der Tragfähigkeit der mit bewehrtem UHFB verstärkten Struktur lieferten. 5. Sichernde Sofortmassnahmen und Instandsetzung 5.1 Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr Aufgrund der verschiedenen Beobachtungen, die im Laufe der Studien gemacht wurden, mussten Sofortmaßnahmen im Bereich des Verkehrsmanagements getroffen und angeordnet werden. • Das Bauwerk wurde zunächst für Sonder- und Spezialtransporte > 44 t gesperrt, nachdem Schäden im Inneren der Hohlkästen festgestellt worden waren. • Als Sofortmaßnahme wurde eine Untersuchungskampagne eingeleitet, um den Zustand der Vorspannkabel und des Betons zu untersuchen. • Das Bauwerk wurde darauf hin für den Schwerverkehr > 3,5 t gesperrt, da ein stark korrodiertes Spannkabel entdeckt wurde (siehe Abb. 3). • Es wurde eine Sondergenehmigung für im Einsatz befindliche Rettungsfahrzeuge bis 18 t (Blaulicht eingeschaltet) erteilt. • Das Verbot für Fahrzeuge > 3,5 t wurde bis zur Durchführung der Verstärkungen aufrechterhalten, da sich die Schäden in einigen Bereichen kumuliert haben. • Für Schneeräumfahrzeuge wurde eine Sonderbewilligung mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 60 km/ h und einem Abstand von 100 m zwischen den Lastwagen erteilt. Ziel der Erhaltungsmassnahme war es, das Viadukt für den freien Straßenverkehr wieder in Betrieb zu nehmen. Der rechte Viadukt wird nicht mehr genutzt, und der linke Viadukt unterstützt den Gegenverkehr. Am Autobahnanschluss wurden der linke und der rechte Viadukt in Betrieb gehalten, um die Funktion des Anschlusses zu gewährleisten. 5.2 Typologie der Hauptmaßnahmen 5.2.1 Umfang Die Sofortmaßnahmen umfassten: • Einbringen einer Verstärkungs- und Abdichtungsschicht aus armiertem, Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) auf der gesamten Fahrbahnplatte, um das Eindringen von Wasser zu verhindern und die Platte zu verstärken, • Lokale Sanierung der unteren Platte des Hohlkastens mit einer Schicht aus armiertem UHFB sanieren, • Kompensation inaktiver Spannglieder durch zusätzliche Vorspannung im Inneren der Hohlkästen in drei Bereichen der Passage über die Nationalstraße, • Verstärkung der Festigkeit der Querschnitte der Randfelder der Rampen mit unter die Fahrbahnplatte geklebten CFRP*-Lamellen, * Pultrudierte Lamellen aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff • Änderung des Straßenentwässerungssystems, um die Sammelleitungen im Inneren der Hohlkästen zu entfernen. • Verbreiterung einiger Pfeilerköpfe und Änderung des Auflagersystems, um den Anforderungen der Erdbebensicherheit zu entsprechen. Im Folgenden werden nur die ersten drei Maßnahmen näher erläutert. 5.2.2 Fahrbahnplatte Die Fahrbahnplatte wurde mit einer bewehrten UHFB- Schicht verstärkt und geschützt. Diese Schicht erfüllte die folgenden drei Funktionen: • Verstärkung der Fahrbahnplatte gegen Biegung und Schub, • Verstärkung der Fahrbahnplatte in Längsrichtung gegen Biegung und Querkraft in den aufgestützten Bereichen, • Abdichtung der Fahrbahnplatte. Diese Schicht wurde mit einer konstanten Dicke von 50 mm versehen, außer an den Rändern der Platte, wo die Dicke 80 mm beträgt, um die mechanische Verankerung mit den vorhandenen Bewehrungen zu erreichen. Ein UHFB der Klasse UB-C120 wurde für diese Verstärkung spezifiziert. Abb. 9: Einbau von Bewehrung (links), Einbau von UHFB abgeschlossen (rechts) Nach dem Abfräsen und Mikrofräsen des Belags und der Abdichtung wurde die gesamte Oberfläche der Fahrbahnplatte 20 mm dick hydroabgetragen, um den beschädigten Beton zu entfernen und eine ausreichend raue Oberfläche für die Verbindung des UHFB zu gewährleisten. In der Nähe der Brückenränder wurden 30 cm breite und 50 mm tiefe Einschnitte vorgenommen, um die UHFB- Schicht mit der vorhandenen Bewehrung zu verankern. Die Bewehrung bestand aus Stäben mit einem Durchmesser von 12 mm in beiden Richtungen. Der UHFB wurde hauptsächlich mechanisch mittels eines schienengebundenen Fertigers eingebaut. Für jeden Hohlkasten wurden zwei Queretappen mit einer Breite von 4,50 m für das Hauptviadukt und 3,60 m für die Rampen durchgeführt. Die Arbeitsfuge wurde in der Dicke der Verstärkung stufenförmig ausgeführt. Die be- 5. Brückenkolloquium - September 2022 203 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws wehrte UHFB-Schicht wurde mit einer gleichmäßigen Dicke eingebaut, die dem bestehenden Längenprofil der Betonfahrbahnplatte folgt. Die Unterseite der Fahrbahnplatte innerhalb der Hohlkästen wurde nicht instandgesetzt. Die UHFB-Verstärkung auf der Oberseite der Fahrbahnplatte ist ausreichend, um die festgestellten Schäden zu beheben. Die Entwicklung der Schäden wird jedoch weiterverfolgt. 5.2.3 Untere Platte des Hohlkastens Die stark beschädigten unteren Platten der Hohlkästen wurden mit einer Schicht aus bewehrtem UHFB mit einer konstanten Dicke von 55 mm saniert. Diese Instandsetzung war notwendig, um die Querschnitte wiederherzustellen, die für das Gleichgewicht der Biegekräfte in Längsrichtung in Verbindung mit einer Verstärkung der oberen Platte in den Auflagerbereichen erforderlich waren. Für diese Verstärkung wurde ebenfalls ein UHFB der Klasse UB-C120 spezifiziert. Die Oberseite der Platte wurde in den zu behandelnden Bereichen 30-50 mm dick hydroabgetragen, um den beschädigten Beton zu entfernen und die Bewehrung freizulegen. Die Verstärkungsbewehrung bestand ebenfalls aus Stäben mit einem Durchmesser von 12 mm in beiden Richtungen. Die Bewehrungsstäbe wurden in die Stege eingelegt, um die Verstärkung mit der Fahrbahn zu verbinden. In jedem behandelten Feld wurde vorab eine 1 x 1 m oder 1 x 2 m große Öffnung in der Fahrbahnplatte durch Kernbohrungen erstellt, um die Arbeiten durchzuführen (Abb. 10). Der UHFB wurde von Hand eingebracht und die Zwickel wurden mit der UHFB-Schicht wiederhergestellt. Diese Öffnung wurde anschließend wieder mit bewehrtem Beton geschlossen, bevor die Verstärkung der oberen Platte angebracht wurde. Abb. 10: Einbau von UHFB in die Kästen 5.2.4 Zusätzliche Vorspannung Bei den Untersuchungen der Vorspannung wurden 4 nicht injizierte und durchtrennte Spannkabel an mehreren Feldern des Viadukts im Bereich über der Nationalstraße und an einer Rampe festgestellt. Die statischen Analysen zeigten, dass trotz des Verlustes von 30 % des Querschnitts der Spannglieder die Gesamtsicherheit eines gängigen Feldes der Rampen gewährleistet ist. Folglich wurde der nachgewiesene Verlust dieses Spannkabels nicht kompensiert. Die Spannfelder der Überführung über die Nationalstraße mit nachgewiesenen Kabelverlusten sind hingegen besonders, da sie die Vorläufe der Rampen verbinden und daher überlastet sind. Für diese drei besonderen Spannfelder wurde eine zusätzliche externe Vorspannung eingesetzt, um die Verluste auszugleichen. Für jedes betroffene Feld bestand diese Vorspannung aus einem Kabel mit 7 Litzen, das im Inneren des Hohlkastens angeordnet war. Das Kabel hat einen polygonalen Verlauf und verläuft über ein bis zwei Felder. In einem Drittel des Feldes wurden Umlenkungen aus Stahlbeton errichtet. Die vorhandenen Streben ermöglichten die Umlenkung auf Abstützungen. An jedem Umlenker und an jeder Strebe wurden Stahlsättel angebracht, um das Kabel richtig auszurichten. An jedem Ende wurde hinter der aufgestützten Strebe bzw. vor der Endstrebe für Randfelder ein Verankerungsmassiv erstellt. Abb. 11: Zusätzliche Vorspannung für ein Feld des Übergangs über die N09 6. Überwachung und Ersatz des Bauwerks im Laufe der Zeit Die Verstärkung sowie die Instandsetzung und der Schutz des vorgespannten Stahlbetons mithilfe des bewehrten UHFB resultiert in einer Konstruktion, die in Bezug auf Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit verbessert wurde. So wird das verbesserte Viadukt eine Nutzungsdauer haben, die weit über die in der Nutzungsvereinbarung festgelegte Mindestanforderung von 15 Jahren hinausgeht, vorausgesetzt, dass die AAR infolge der Abdichtung der exponierten Betonoberflächen durch die UHFB-Schicht wirksam gebremst werden kann. Um die Entwicklung des Zustands des Bauwerks zu verfolgen, wird ein Überwachungskonzept für das sanierte Viadukt erarbeitet, das die Stabilisierung des Zustands bestätigen soll. Der beschädigte und ausser Betrieb genommene Teil des Bauwerks wird ebenfalls Teil des Überwachungskonzepts sein und durch die Ausarbeitung eines Rückbaukonzepts ergänzt werden. Eine Studie über den langfristigen Betrieb des Anschlusses wird durchgeführt, um den zukünftigen Rückbau dieses Bauwerks, das mit einer Gesamtfläche von 33 000 m 2 zu den grössten Bauwerken der Schweiz gehört, zu antizipieren. Die Studien werden wahrscheinlich zu einem in Bezug auf die Grösse optimierten Bauwerk führen. Es ist anzumerken, dass die aktuelle Massnahme es ermöglichen sollte, den Ersatz auf einen fernen Horizont von mindestens einem Vierteljahrhundert oder sogar darüber hinaus zu verschieben. Kennzahlen - Länge der Brücke: 3.300 m‘ - Inbetriebnahme: 1976 - Gesamtfläche: 33.000 m 2 - UHFB-Fläche: ~ 22.000 m 2 - Bauzeit: 02.2021 - Frühling 2022 - Kosten: 23,5 Mio. CHF ohne MwSt. 204 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sofortmaßnahmen für 40-t-Lkws 7. Schlussfolgerungen Die dringende Instandsetzung und Verstärkung dieses imposanten Viadukts wurde durch eine unvollständige und nicht sorgfältige Inspektion des Bauwerks über mehrere Jahrzehnte hinweg ausgelöst. Aufgrund des schwierigen Zugangs zum Inneren der Hohlkästen war in der Vergangenheit keine vollständige und sorgfältige Inspektion derselben durchgeführt worden. Ihr Zustand wurde als gesund angenommen, da von außen keine sichtbaren Schäden zu erkennen waren. Kürzlich ergab eine umfassende Inspektion jedoch, dass die Schäden im Inneren dieser Elemente fortgeschritten waren. Darüber hinaus haben Untersuchungen ergeben, dass das gesamte Viadukt bis zum Kern signifikant von AAR betroffen ist. Selbst optisch „gesunde“ Bereiche weisen oftmals signifikante Vorkommen von AAR auf. Um diesen vielfältigen Schadensursachen entgegenzuwirken, bestand die Hauptmaßnahme in der Erneuerung der Abdichtung der Fahrbahnplatte und der dauerhaften Verstärkung der gesamten Fahrbahnplatte durch eine Schicht aus bewehrtem UHFB, die auf der Oberseite des Decks verlegt wurde. Trotz des Umfangs der Aufgabe konnten die Planung und die Ausführung des Vorhabens dank der intensiven und reaktionsschnellen Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten unter Zeitdruck erfolgreich abgeschlossen werden. „Nehmen Sie nichts als gegeben an, wenn Sie es überprüfen können.“ Rudyard Kipling (englischer Autor 1865-1936) Bauherr: - Bundesamt für Strassen ASTRA (Schweiz) + Kanton von Wallis Entwurf und Tragwerksplanung und örtliche Bauleitung: - INGPHI SA Concepteurs d’ouvrages d’art, CH-1003 Lausanne Bauherrenunterstützung und Oberbauleitung: - Emch+Berger Ag - CH-3008 Bern Experten: - AAR: Dr J.G. Hammerschlag - TFB Romandie SA CH-1070 Puidoux - Vorspannung: Hans-Rudolf Ganz - Ganz Consulting CH-3178 Bösingen - UHFB: Prof. E. Brühwiler - Professor an der Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (ETH-L) Prüfingenieur: - Prof. E. Brühwiler - Professor an der Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (ETH-L) Ausführung: - «Consortium VEMA 111» (Weibel-Walo-Dénériaz-Evéquoz) Monitoring, Bauwerksprüfung, Schadenserfassung 5. Brückenkolloquium - September 2022 207 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring BAB A4, Brücke über die Fulda bei Bad Hersfeld Dr.-Ing. Matthias Bode Die Autobahn GmbH des Bundes, Niederlassung Nordwest Dipl.-Ing. Ronald Stein GMG Ingenieurgesellschaft Dresden Prof. Dr.-Ing. Karsten Geißler TU Berlin, Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren - Stahlbau Zusammenfassung Mit der Nachrechnungsrichtlinie [1] für Straßenbrücken wurde den Straßenverwaltungen seit 2011 ein Werkzeug zur Verfügung gestellt, das den besonderen Anforderungen an die Bewertung bestehender Brückenbauwerke gerecht wird. Die Bewertung der Tragfähigkeit und der Restnutzungsdauer kommt bei älteren Brücken allerdings häufig zu Ergebnissen mit Nachweisdefiziten. Über ein Bauwerksmonitoring nach Stufe 3 der Nachrechnungsrichtlinie kann zunächst das Tragwerksmodell optimiert werden. Zweitens können durch kontinuierliche Erfassung und Klassierung der objektbezogenen Einwirkungen bzw. resultierenden Beanspruchungen wichtige Informationen in die Nachrechnung eingebunden werden. Das betrifft sowohl die im GZT relevanten Extremwerte und Lastkombinationsfragen als auch die Beanspruchungskollektive für die Ermüdungsnachweise. Wichtig ist in jedem Fall, dass die Ziele der Messung klar definiert sind - dies wird auch mit der aktuellen Überarbeitung der Nachrechnungsrichtlinie noch einmal eindeutig gefordert. Nach eventueller Entscheidung für den Ersatz eines Bauwerkes vergehen bis zur Inbetriebnahme des Neubaus mehrere Jahre, in denen mit festgestellten Nachweisdefiziten verantwortungsvoll umgegangen werden muss. In diesen Fällen kann das sogenannte „sicherheitsrelevante Bauwerksmonitoring“ ein ergänzendes Element der Bauwerksprüfung bilden. Am Beispiel der Autobahnbrücke über die Fulda im Zuge der BAB A4 bei Bad Hersfeld werden die zur An-wendung kommenden Methoden und Ergebnisse des seit über 2 Jahren laufenden Bauwerksmonitorings im Detail dargestellt. Auf Basis der gemessenen Beanspruchungen konnte bei diesem Bauwerk die rechnerische Restnutzungs-dauer für die ermüdungskritischen Details soweit erhöht werden, dass diesbezüglich die weitere Nutzung bis zum Ersatzneubau sichergestellt ist. Darüber hinaus liefert das Monitoring Erkenntnisse, die auf andere Bauwerke übertragbar sind. Die Möglichkeiten, Grenzen und die sinnvolle Anwendung von Structural-Health-Monitoring werden mit Blick auf weitere Anwendungsbeispiele aus der Perspektive der Baulastträger, der Tragwerksplanung und der messtechnischen Umsetzung diskutiert. 1. Bauwerksmessungen und Bauwerksmonitoring an Straßenbrücken Bei der Bewertung der Tragfähigkeit und Ermüdungssicherheit von Straßenbrücken im Bestand bietet sich eine Möglichkeit, die es bei der Bemessung von Neubauten naturgemäß nicht gibt der Einsatz von Messungen und Monitoring am konkreten Bauwerk zur Feststellung der tatsächlichen Einwirkungen und Beanspruchungen. Mit der Unterscheidung Bauwerksmessung (im Sinne einer Kurzzeitmessung) und Monitoring sollen dabei jeweils etwas unterschiedliche Zielstellungen und Herangehensweisen charakterisiert werden. 1.1 Bauwerksmessung (Kurzzeitmessung) Unter Kurzzeitmessungen werden Messungen verstanden, die sich über einen Zeitraum von einem oder mehreren Tagen erstrecken und meist auf eine ganz konkrete Fragestellung abzielen. Dabei kann unterschieden werden: • Belastungsversuch: Messen der Tragwerksreaktionen (Dehnungen, Verschiebungen) unter einem definierten Belastungsfahrzeug und rechnerischer Vergleich • Statische Systemidentifikation: Gewinnen von Informationen über das Tragverhalten, z. B. Lage der neutralen Faser im Querschnitt, Zusammenwirken von Fahrbahn und Hauptträger, Querverteilung, Einspanngrade von Stabanschlüssen • Dynamische Systemidentifikation: Messung der Bauwerkseigenfrequenzen als Ausdruck der Systemsteifigkeiten und Vergleich mit den berechneten Eigenfrequenzen; Dies kann selbst dann sinnvoll sein, wenn das Bauwerk oder Bauteil gar keine Schwingungsprobleme aufweist, was bei Hauptträgern von Straßenbrücken den Normalfall darstellt. Die unmittelbare Gegenüberstellung von Messergebnissen und Berechnungen führt erfahrungsgemäß zu den besten Erkenntnissen. Daher ist es wichtig, neben den ge- 208 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring messenen Tragwerksreaktionen auch die Einwirkungen (i.A. Verkehrslasten) zu kennen. Wenn es sich einrichten lässt, ist ein Belastungsversuch mit einem eingewogenen Fahrzeug, das die Brücke auf genau definierten Spuren befährt, zu bevorzugen. Der Aufwand für die Sperrung der Brücke und die Bereitstellung eines geeigneten Belastungsfahrzeuges kann jedoch insbesondere bei Autobahnbrücken sehr hoch sein. In bestimmten Fällen können bei Verzicht auf einen Belastungsversuch mit Messungen unter fließendem Verkehr gute Ergebnisse erzielt werden. Durch Messung an Bauteilen mit kurzen Einflusslängen (z. B. Längsrippen bei orthotropen Fahrbahnplatten) können die Achsen von Fahrzeugen erkannt und anhand verschiedener, in diesem Beitrag vorgestellter Kriterien, kalibriert werden. Bei Kurzzeitmessungen ist zu berücksichtigen, dass zeitlich veränderliche Einflüsse z. B. infolge Temperatur das Ergebnis beeinflussen bzw. beeinträchtigen können. Eine Kurzzeitmessung ist immer nur eine Momentaufnahme. 1.2 Bauwerksmonitoring (Langzeitmessung) Bestimmte Informationen über Beanspruchungen von Straßenbrücken lassen sich nur durch Langzeitmessungen sinnvoll erfassen. Dazu gehören z. B.: • Beanspruchungskollektive infolge Verkehrslasten als Eingangsdaten für realitätsnahe Ermüdungsnachweise • Beanspruchungen infolge atmosphärischer Einflüsse wie Wind- oder Regen-Wind induzierte Schwingungen der Hänger von Stabbogenbrücken oder der Seile von Schrägkabelbrücken • Beanspruchungen infolge Temperatur bzw. Erddruck bei integralen Brücken • Häufigkeit bestimmter Einwirkungssituationen aus Verkehr (Sondertransporte, Stau, Begegnungshäufigkeiten) • Überlagerung der Extremwerte verschiedener Einwirkungen (z. B. Verkehr + Temperatur) Ein weiterer Aspekt, warum der Einsatz eines Bauwerksmonitorings sinnvoll sein kann, ist die Möglichkeit, bestimmte Zustände zu überwachen und Schäden zu erkennen (Structural-Health-Monitoring). Mit der Entwicklung der mobilen Datenübertragung in den letzten Jahren gewinnt dieser Aspekt immer mehr an Bedeutung. Damit solche Anlagen nicht auf der einen Seite ein trügerisches Sicherheitsgefühl erzeugen oder auf der anderen Seite durch häufige Fehlalarme für Verwirrung sorgen, sind solche Systeme sorgfältig zu planen [2]. 1.3 Nutzen von Bauwerksmessung und Monitoring Die bei Bauwerksmessungen erhobenen Daten sind nicht nur für das untersuchte Bauwerk interessant, die Erkenntnisse lassen sich häufig auch auf ähnliche Bauwerke übertragen. Sie können damit Impulse für die Weiterentwicklung von Berechnungsmethoden und Normen geben oder helfen, konstruktive Lösungen zu verbessern. Treten Schäden an einem Bauwerk auf, können Bauwerksmessungen häufig der Schlüssel zur Aufklärung der Schadensursachen sein. Mit der Einführung der „Richtlinie für die Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand“ [1], die in der Nachweisstufe 3 die Einbeziehung von Bauwerksmessungen erlaubt, wurde die normative Grundlage für deren Nutzung geschaffen. Wenn in den Nachweisstufen 1 und 2 Defizite festgestellt werden, ist die Durchführung von Bauwerksmessungen eine mögliche Lösung. In vielen Fällen zeigt es sich, dass durch Bauwerksmessungen und Monitoringmaßnahmen Reserven aufgedeckt werden können. Insbesondere wenn es um Ermüdungsnachweise von Stahlbrücken geht, ist ein Bauwerksmonitoring geeignet, realitätsnahe Eingangswerte für die Nachweisführung zu ermitteln. Bezüglich der Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit ist zu beachten, dass die Messungen auf Gebrauchslastniveau erfolgen und eine Extrapolation auf den GZT nicht ohne Weiteres möglich ist. Dennoch kann eine Systemidentifikation sinnvoll und zielführend sein. Da die größten Sicherheitsreserven häufig auf der Einwirkungsseite liegen, insbesondere bei exponierten Bauwerken, kann ein auf Monitoringdaten basierendes objektspezifisches Lastmodell ein Weg sein, die erforderlichen Sicherheiten nachzuweisen [3]. Die dafür zur Anwendung kommenden Methoden sind dann eher in Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie einzuordnen. Die meisten der hier angesprochenen Methoden der Bauwerksmessung wurden beim Bauwerk Fuldabrücke im Zuge der A4 angewendet und sollen in diesem Beitrag detailliert erläutert und bewertet werden. 2. Bauwerk BAB A4, Brücke über die Fulda 2.1 Tragwerk Das Bauwerk BW 2-2 Fuldabrücke im Zuge der BAB A4 bei Bad Hersfeld ist eine schiefe, dreifeldrige Brücke mit Stützweiten von 24,3 m - 36,45 m - 24,3 m. Die Stahlkonstruktion aus Hauptträgern und Querträgern ist genietet ausgeführt. Die Fahrbahntafel besteht aus Buckelblachen mit Auf beton. Der Überbau umfasst sieben Hauptträger aus Baustahl, die Gesamtbreite der Fahrbahntafel beträgt 24,0 m zwischen den Geländern, auf der 4 Fahrspuren und der Mittelstreifen angeordnet sind. Die Lagerachsen sind in einem schiefen Winkel von 68 gon zur Brückenachse ausgerichtet. Mit den Querträgern bilden die Hauptträger einen Trägerrost, welcher die Fahrbahnplatte trägt. Die Querträger sind in einem Abstand von 4,05 m angeordnet, der Hauptträgerabstand beträgt 3,73 m. 5. Brückenkolloquium - September 2022 209 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring Abb. 1: Querschnitt des Überbaues (Ausschnitt) Abb. 2: Ansicht Brücke A4 über die Fulda 2.2 Historie Das Bauwerk wurde 1938/ 39 errichtet und im Krieg teilweise zerstört. Instandsetzungen der Hauptträger erfolgten 1946/ 48 (Südseite) und 1957/ 58 (Nordseite), teilweise wurde geschweißt. 1957/ 58 wurde außerdem die Fahrbahn samt Beton auf den Buckelblechen grundhaft erneuert, wobei Bewehrung, aber keine dezidierten Verbundmittel in den Beton eingebaut wurden. Das Bauwerk befand sich bis 2020 in Baulastträgerschaft von Hessen Mobil, seit 2021 ist die Autobahn GmbH des Bundes zuständig. Das bestehende Bauwerk soll ab 2024 durch einen Neubau mit größerer Breite ersetzt werden. Die Planungen und die vorbereitenden Arbeiten sind im Gange. Während der Errichtung des Ersatzneubaus werden die beiden südlichen Hauptträger mit ihrer Fahrbahnplatte zurückgebaut, der übrige Bestand wird ohne Mittelstreifen für den bauzeitlichen Verkehr genutzt. 3. Kurzzeitmessung zur Systemidentifikation mit Belastungsversuch 3.1 Statische Nachrechnung Im Jahr 2015 wurde eine vollständige statische Nachrechnung nach der „Richtlinie für die Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand“ [1] einschließlich Ermüdungsberechnung durchgeführt. Diese Berechnung umfasste die Brücke über die Fulda sowie deren konstruktiv ähnliches Nachbarbauwerk, das die A4 über die B62 und eine DB-Strecke überführt. Im Ergebnis dieser Nachrechnungen zeigten sich bei beiden Bauwerken eine ausreichende Tragsicherheit im GZT, jedoch große Defizite im Nachweis der Ermüdung. Die Ermüdungsdefizite betrafen Nietanschlüsse und Schweißnähte in den Bereichen, die nach dem Krieg instandgesetzt wurden. Die sehr geringe Ermüdungsbeanspruchung aufgrund der Grenznähe bis 1990 wurde dabei berücksichtigt. Dennoch ergaben sich hohe Schädigungssummen aufgrund der nach 1990 stark gestiegenen Beanspruchungen. Es konnte keine ausreichende Restnutzungsdauer nachgewiesen werde. In der statischen Nachrechnung wurde richtlinienkonform kein Verbund zwischen Buckelblechen und Fahrbahn angesetzt. 3.2 Messziel und Umsetzung Mit dem Ziel der Identifikation von Systemreserven wurde Ende 2015 von der GMG Ingenieurgesellschaft mbH an den beiden Brücken im Zuge der A4 eine Kurzzeitmessungen mit Belastungsversuch durchgeführt. Systemreserven wurden vorrangig in einer Verbundwirkung zwischen Buckelblechen und Auf beton sowie in einer gegenüber der Berechnung besseren Querverteilung der Verkehrslasten auf mehrere Hauptträger vermutet. Deshalb sollten die Dehnungen an den Ober- und den Untergurten von vier benachbarten Hauptträgern jeweils in Feldmitte, an den Querträgern und an den Buckelblechen erfasst werden. Für die Messung wurden vorrangig elektrische Dehnmessstreifen (insgesamt 18 Stück) eingesetzt, die auf die geschliffene Oberfläche der Bleche und Walzprofile appliziert wurden. Ergänzt wurde die Messung durch induktive Wegaufnehmer, die auf Stativen in den Seitenfeldern die Durchbiegung der Hauptträger erfassten. Abb. 3: Anordnung der Messstellen an HT und QT 210 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring Gemessen wurde an der Fuldabrücke (BW 2-2) und an der Brücke über die B62 und die DB-Strecke (BW 1-3), wobei sich die Messung beim Bauwerk BW 1-3 aufgrund der einfachen Erreichbarkeit auf das Hauptfeld konzentrierte. Die Installation der Messanlage erfolgte Anfang Dezember 2015. Alle Messpunkte befanden sich unterhalb der Fahrbahn, so dass für die Installation keine Verkehrssperrungen erforderlich waren. Während mehrerer kurzzeitiger Sperrungen der Bundesautobahn A4 am 05.12.2015 überfuhr je Fahrtrichtung ein eingewogenes und vermessenes Belastungsfahrzeug in vorab festgelegten Fahrspuren mehrfach die Brücke. Als Belastungsfahrzeuge wurden zwei zweiachsige Fahrzeuge der Autobahnmeisterei eingesetzt (je ca. 22,5 t), um die Sperrzeiten zu reduzieren. Für den Zeitraum des Belastungsversuches wurde der Verkehr durch die Autobahnmeisterei an den benachbarten Anschlussstellen auf die inneren Spuren eingeengt und während der einzelnen Fahrten durch die Autobahnpolizei in beiden Fahrtrichtungen temporär angehalten. Insgesamt wurden acht Überfahrten durchgeführt. Abb. 4: Durchführung des Belastungsversuches Optimal für Belastungsversuche sind möglichst kompakte und schwere Fahrzeuge, die in gleichmäßiger, niedriger Geschwindigkeit auf vorgegebenen Spuren verkehren. Im Ergebnis der Auswertung solcher Fahrten ergibt sich eine Einflussfläche, die sehr gut mit der statischen Berechnung verglichen werden kann. 3.3 Auswertung Belastungsversuch Die Auswertung der Signale der Dehnmesstreifen (Abb. 5) bei Überfahrt eines Lkw zwischen Hauptträger 1 und 2 zeigt Zugdehnungen in den Messpunkten der Untergurte von Haupt- und Querträgern in der typischen Form der Einflusslinie des Mittelfeldes eines Dreifeldträgers. Die gemessenen Dehnungen sind, bezogen auf das Fahrzeuggewicht, ausgesprochen gering. Es zeigt sich eine gute Querverteilung (Hauptträger-3 erhält noch 50-%, Hauptträger 4 noch ca. 20 % der Beanspruchungen von Hauptträger 1 und 2. Abb. 5: Signale ausgewählter Aufnehmer während Überfahrt auf der äußeren Normalspur Die Dehnungen in den Hauptträgerobergurten sind kaum feststellbar. Die sehr geringe Druckdehnungen zeigen, dass die Messpunkte nur knapp oberhalb der neutralen Faser liegen. In den Signalen der DMS an der Fahrbahn zeichnen sich trotz des geringen Beanspruchungsniveaus die einzelnen Achsen ab. Nach der Überfahrt gehen die Signale auf den Nullwert zurück, es verbleiben keine Zwängungen im Tragwerk. Die Ziele der Messung, die Bestimmung der Lage der neutralen Faser und die Querverteilung konnten erreicht werden, indem die Signale aus den in den einzelnen Fahrspuren durchgeführten Überfahrten ausgewertet wurden (Abb. 6 und Abb. 7). Abb. 6: Ermittlung der Lage der neutralen Faser aus der Messung Abb. 7: Analyse der Querverteilung auf der Fuldabrücke aus den Messdaten (Dehnung und Durchbiegung) 5. Brückenkolloquium - September 2022 211 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring Da die Aufzeichnung während des Belastungsversuches kontinuierlich lief, wurden auch die Beanspruchungen aus dem regulären Straßenverkehr erfasst, wenn die Strecke zum Abbau des Staus freigegeben wurde. Außerdem wurden am BW 1-3 für einen Zeitraum von ca. 27 h vor Beginn der Belastungsfahrten bereits Signale aufgezeichnet. In Abb. 8 ist gut zu erkennen, wie sich die Fahrten der Belastungsfahrzeuge in den regulären Verkehr einordnen. Die leichte Signaldrift ist temperaturbedingt. Abb. 8: Signale der DMS an den Untergurten der Hauptträger 1 und 2 unter der rechten Spur Im Vergleich zur mit langsamer Geschwindigkeit erfolgten Überfahrt der Belastungs-Lkw erzeugen die regulären Fahrzeuge deutliche Schwingungen. Das maximale Ereignis innerhalb des Messzeitraums von 27 h erreichte eine Dehnung von ca. 95 µm/ m, dies entspricht einer Spannung von ca. 20 N/ mm². Abb. 9: Signale der HT-UG 1-4 infolge Überfahrten von zwei unterschiedlich beladenen Sattelschleppern 3.4 Nachweisführung nach Stufe 3 der Nachrechnungsrichtlinie Die Ergebnisse der Auswertung des Belastungsversuches konnten rechnerisch gut nachvollzogen werden. Die sich bei Berücksichtigung der besseren Querverteilung und vor allem der Mitwirkung des Fahrbahnbetons ergebenden niedrigeren Spannungen in den nachweisrelevanten Fasern führten zu deutlich niedrigeren kumulierten Schäden, so dass eine ausreichende Restnutzungsdauer bis zum angestrebten Zeitpunkt des Neubaus nachweisbar war. 4. Bauwerksmonitoring 4.1 Anlass und Ziel Im Jahr 2019 zeichnete sich ab, dass sich der ursprünglich anvisierte Zeitpunkt für den Ersatzneubau um einige Jahre verschieben würde. Die ausgewiesene Restnutzungsdauer, insbesondere die der Brücke über die Fulda im Zuge der BAB A4, war nicht ausreichend. Die GMG Ingenieurgesellschaft mbH wurde beauftragt, an der Fuldabrücke ein dauerhaftes Bauwerksmonitoring einzurichten. Dabei verfolgte das Bauwerksmonitoring im Wesentlichen zwei Ziele: a. Permanente Überwachung des Bauwerkszustandes als Unterstützung der in engeren Intervallen durchzuführenden Bauwerksprüfung mit Generierung von Warnmeldungen bei erkannten Systemveränderungen b. Erfassung der Verkehrseinwirkungen und der Beanspruchungen an den unmittelbar als ermüdungskritisch eingestuften Bauteilen zur genaueren Prognose der Restnutzungsdauer Welches Ausmaß ein Schaden annehmen muss, um durch die Messung sicher als solcher erkannt werden zu können, hängt von vielen Faktoren ab. Relativ sicher ist, dass kleine Anrisse in den hoch ermüdungsbeanspruchten Schweißnähten vom Monitoringsystem nicht detektiert werden können. Ein Versagen der Verbundfuge in größeren Bereichen wäre dagegen mit einer Verschiebung der neutralen Faser in Haupt- und Querträgern, einer Reduzierung der Querverteilung und mit einer deutlichen Erhöhung des Beanspruchungsniveaus bei gleichbleibendem Verkehr verbunden und könnte klar erkannt werden. Dadurch liefert das Monitoring eine zuverlässige Aussage zum Zustand der Verbundfuge. Die Verbundwirkung ist Grundlage der Ermüdungsbemessung. Sollte diese nicht mehr gegeben sein, nehmen die Spannungsschwingbreiten an den ermüdungskritischen Details zu, wodurch es zu einer Vergrößerung des zukünftigen rechnerischen Ermüdungsschadens kommt. Weitere Kompensationsmaßnahmen müssten dann eingeleitet werden. Wichtig zu beachten ist, dass die Verbundwirkung bei der Nachweisführung im Grenzzustand der Tragfähigkeit nicht angesetzt wurde. Somit hätte ein Verlust der Verbundwirkung keine Auswirkungen auf die entsprechende Nachweisführung. 4.2 Einrichtung Bauwerksmonitoring Die bezüglich Ermüdung als maßgebend festgestellten Nachweisstellen liegen an den Übergängen zwischen der ursprünglichen Konstruktion und den nach dem Krieg eingebauten Trägerteilen. Diese Bereiche befinden sich im Mittelfeld über der Fulda, wodurch die Zugänglichkeit erschwert war. Für die Installation wurden ein Längssteg auf den Untergurten von zwei Hauptträgern sowie ein Quersteg in Brückenmitte errichtet. Das Bauwerksmonitoring erfolgt wie die Kurzzeitmessung DMS-basiert in der Bauwerksmitte sowie in zusätzlichen Schnitten mit hohen Auslastungen des Ermüdungsnachweises. Ein großes Augenmerk wurde auf die 212 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring Erfassung der Verkehrseinwirkungen gelegt. Zur Verifizierung besonders auffälliger Überfahrtereignisse wurde zusätzlich eine datenschutzkonforme Webcam eingerichtet. Die Messanlage ist mit 14 Sensoren sehr kompakt, der Datenstrom ist somit noch gut beherrschbar. Die Aufzeichnung erfolgt permanent mit 50 Hz bei den Sensoren an den Hauptträgern und mit 100 Hz an der Fahrbahn auf einem lokalen Datenspeicher. Die Daten werden einmal pro Stunde per Mobilfunk auf einen zentralen Server übertragen und damit gesichert. Eine Fernwartung der Messanlage ist über die Mobilfunkverbindung möglich. In den zwei Jahren seit Inbetriebnahme der Anlage gab es einige Ausfälle, nachdem die Stromzuführung durchtrennt wurde. 4.3 Warnmeldungen und regelmäßige Auswertungen Nach einer Anlaufphase wurden für die einzelnen Aufnehmer Grenzwerte definiert, bei deren Überschreiten Warnmeldungen generiert werden. In Abstimmung mit Hessen Mobil wurde in Form eines Warn- und Alarmplanes festgelegt, welche Maßnahmen zu treffen sind und welche Personen in die Analyse einzubeziehen sind. Dieser Plan wurde mit Übergang des Bauwerks zur Autobahn GmbH angepasst. Für die Fuldabrücke wurde festgelegt, dass nach Auftreten von Warnmeldungen, die nach Überschreiten definierter Grenzwerte per E-Mail an die GMG Ingenieurgesellschaft versendet werden, zunächst immer per Fernwartung eine Kontrolle der Funktion der Messanlage zu erfolgen hat. Sollten dabei Auffälligkeiten bezüglich des Tragwerks der Fuldabrücke festgestellt und elektrische Störungen als Ursache ausgeschlossen werden können, wird der Bauwerksprüfer informiert, der vor Ort eine visuelle Kontrolle vornimmt. Die Grenzwerte der Aufnehmer wurden in Höhe der nach ca. sechs Monaten maximal erreichten Amplituden eingestellt. Dies führt dazu, dass in unregelmäßigen Abständen von wenigen Wochen Warnungen eingehen, die jedoch keineswegs mit einer kritischen Situation verbunden sein müssen. Neben den regelmäßigen Funktionskontrollen der Messanlage wird so die korrekte Funktion der Meldungen geprüft. Bisher wurden bei den Kontrollen nach Eingang von Warnungen per E-Mail keine Auffälligkeiten festgestellt, eine Weiterleitung der Warnung an die Autobahn GmbH erfolgte bisher nicht. In regelmäßigen Abständen von drei Monaten bzw. einem Jahr erfolgen Auswertungen in Form von Quartals- und Jahresberichten, die an die Autobahn GmbH übermittelt werden. Dabei werden neben der direkten Auswertung der Dehnungen auch die Ergebnisse einer Frequenzanalyse dargestellt (vgl. Kap. 4.4.4). Abb. 10: Ablaufschema Warn- und Alarmplan 5. Brückenkolloquium - September 2022 213 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring 4.4 Ergebnisse Bauwerksmonitoring 4.4.1 Maximalereignisse Wie sich bereits in der Kurzzeitmessung 2015 andeutete, sind das Spannungsniveau und die Spannungsschwingbreiten in den Hauptträgern gering. Einen guten Überblick über die gesamten Messdaten bieten die 1-h-Spannen der gemessenen Beanspruchungen (Differenz aus Maximal- und Minimalwert). An heißen Sommertagen sind in den 1-h-Spannen des äußeren Hauptträgers (HT 7) Anteile aus Temperaturzwang enthalten, im Wesentlichen resultieren diese Werte jedoch aus Verkehr. Abb. 11: 1-h-Spannen der Spannungen in den Hauptträger- Untergurten fünf benachbarter Hauptträger, Jahr 2021 In Abb. 11 ist gut zu erkennen, dass das Niveau der Beanspruchungen aus Verkehr im Messzeitraum relativ konstant ist, die Jahresextremwerte der Beanspruchungen Δs liegen zwischen 25 und 30 N/ mm². Die maximalen Ereignisse resultieren aus einzelnen Schwertransporten. Die Beanspruchungen bei Stauereignissen sind geringer, was bei den geringen Stützweiten des Bauwerks nicht verwundert. Bei Messungen an deutlich größeren Straßenbrücken wird jedoch ebenfalls regelmäßig festgestellt, dass einzelne Sondertransporte die Extremwerte der Beanspruchungen liefern. Höhere Beanspruchungen resultieren regelmäßig auch aus Überholvorgängen schwerer Lkw, wie in Abb. 12 dargestellt. Abb. 12: Überholvorgang mit Schwertransport auf der linken Fahrspur Bei den an den Untergurten der Querträger und an den Buckelblechen gemessenen Beanspruchungen ist deutlich ein Jahresgang zu erkennen (Abb. 13). Bei sommerlichen Temperaturen sinkt die Steifigkeit des Asphaltbelags und dessen Mittragwirkung, die Beanspruchungen steigen. Bei einer orthotropen Fahrbahnplatte wäre der Temperatureinfluss noch deutlich höher. Abb. 13: 1-h-Spannen der Spannungen in der Fahrbahn im Jahr 2021 4.4.2 Beanspruchungskollektive Die gemessenen Beanspruchungsverläufe werden mithilfe des Rainflow-Zählalgorithmus in Kollektive umgerechnet, die unmittelbar für die Schadensakkumulationsrechnungen bei der Ermüdungsbemessung genutzt werden können. Abb. 14: Gemessene Beanspruchungskollektive (Dehnungen) an den Hauptträger-Untergurten Veränderungen in den Beanspruchungskollektiven können außerdem als Indikator für Systemveränderungen genutzt werden, wenn der Verkehr als relativ konstant über der Zeit angenommen wird (Abb. 15). Abb. 15: Vergleich gemessene Beanspruchungskollektive (Spannungen) an den Hauptträger-Untergurten der Messjahre 2021 und 2020 214 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring 4.4.3 Analyse der Verkehrseinwirkungen Aus den Messdaten kann anhand der Sensoren an den Querträgern und dem Fahbahnblech eine Erfassung des einwirkenden Verkehrs erfolgen. Da bei der Fuldabrücke selbst die Elemente der Fahrbahn relativ große Einflusslinien haben, gelingt eine saubere Trennung einzelner Achsen nicht. Auch die Überfahrten von Pkw können nicht, wie bei Messungen an anderen Bauwerken mit Stahlfahrbahn, sicher erfasst werden. Dennoch liefert die Analyse der Verkehrseinwirkungen interessante Ergebnisse. Abb. 16: Stündliche Fahrzeuganzahlen Schwerverkehr in der rechten Fahrspur im Jahr 2021 Neben den Fahrzeugmassen erfolgt auch eine Erfassung der Fahrgeschwindigkeit. Dadurch ist die Häufigkeit von Stausituationen gut erkennbar. Gut erkennbar ist auch die höhere Durchschnittsgeschwindigkeit des Schwerverkehrs an den Wochenenden, an denen vorrangig kleinere Lkw unterwegs sind. Abb. 17: 1-h-Mittel der Fahrgeschwindigkeit des Schwerverkehrs im Jahr 2021 Die Kalibrierung der Fahrzeugmassen erfolgt anhand der „Peaks“ in den Kollektiven, die den typischen 40-t-Sattelschleppern zugeordnet werden können. Der Einfluss der Temperatur auf den Asphalt wird durch einen Faktor berücksichtigt. Mit diesen Informationen kann die aktuelle Zusammensetzung des Verkehrs (Häufigkeitsverteilung der Fahrzeugmassen) im Sinne der Tabellen 10.5 bis 10.7 Nachrechnungsrichtlinie [1] bestimmt werden. 4.4.4 Frequenzanalyse Straßenbrücken im Allgemeinen und auch die Fuldabrücke werden durch Verkehrslasten nur relativ schwach zu Schwingungen angeregt. Die zusätzlichen Beanspruchungen im Tragwerk durch die dynamische Überhöhung der Verkehrslasten spielen eine untergeordnete Rolle. Im Sinne einer dynamischen Systemidentifikation und im Sinne des Structural-Health-Monitorings ist die Auswertung der Bauwerksschwingungen aber interessant. Da bei der Fuldabrücke keine separaten Beschleunigungs- oder Schwinggeschwindigkeitsaufnehmer eingesetzt werden, erfolgt die Analyse aus den Dehnungsdaten (Abb. 18). Abb. 18: Frequenzspektrum und Spannen der Eigenfrequenzen Die Frequenzen sind temperaturabhängig. Im Sommer, wenn der Asphalt eine geringere Steifigkeit hat, sinken die Frequenzen, im Winter sind sie entsprechend höher. Durch vergleichende Berechnungen konnten die gemessenen Eigenfrequenzen eindeutig den entsprechenden Biege- und Torsionseigenformen zugeordnet werden (Abb. 18). Neben den Einflusslinien und anderen Informationen aus dem Belastungsversuch konnten auch die Eigenfrequenzen zur Kalibrierung des Berechnungsmodells genutzt werden. Abb. 19: Eigenformen, zugeordnet den Frequenzen 3,95 Hz (links), 4,21 Hz (mittig), 4,96 Hz (rechts) 5. Brückenkolloquium - September 2022 215 Sicherstellung der Verfügbarkeit einer Autobahnbrücke mithilfe von Bauwerksmonitoring 4.4.5 Ermüdungsnachweis Auf Basis der Daten des Bauwerksmonitorings ergeben sich mehrere Möglichkeiten zur Konkretisierung des Ermüdungsnachweises: c. bezüglich des Berechnungsmodells (Kalibrierung anhand der Messdaten) d. bezüglich der Verkehrszahlen DTV- SV (gegenüber 2015 Steigerung von ca. 1,43- ·-10 6 auf ca. 1,93- ·-10 6 (+ 35 %) e. bezüglich der messtechnisch ermittelten Verteilung der Fahrzeuggewichte f. durch direkte Auswertung der aus den gemessenen Signalen mit dem Rainflow-Algorithmus erzeugten Beanspruchungskollektive Selbstverständlich gelten die am Bauwerk erfassten Daten über die Verkehrseinwirkungen nur für den jeweiligen Messzeitraum. Für Vergangenheit und Zukunft muss auf Daten aus Verkehrszählungen und -prognosen oder sinnvolle Annahmen zurückgegriffen werden. Für das die Fuldabrücke konnte auf Basis des Monitorings nachgewiesen werden, dass gegenwärtig kein nennenswerter Schadenszuwachs erfolgt und auch der in der Vergangenheit akkumulierte Schaden wahrscheinlich deutlich unter den in den rechnerischen Nachweisen festgestellten Werten liegt. 5. Ausblick Zur Sicherstellung der Verfügbarkeit von Straßenbrücken werden in zunehmendem Maße Monitoringsysteme eingesetzt. Der Wunsch, aktuelle Informationen über den Zustand der Bauwerke ständig verfügbar zu haben, ist gewachsen und die technischen Möglichkeiten, wie die permanente, automatisierte Auswertung von Sensordaten und das Versenden von Warnmeldungen über das Mobilfunknetz sind gegeben. Der erfolgreiche und sinnvolle Einsatz von Bauwerksmessungen und Monitoringsystemen ist jedoch kein ausschließlich technisches Problem. Wenn eine Monitoringanlage betrieben werden soll, sind umfangreiche Abstimmungen zwischen dem Baulastträger und dem Betreiber der Monitoringanlage notwendig. Die Ziele, Methoden, Risiken und Schadensszenarien müssen allen Beteiligten klar sein, damit im Falle des Auftretens einer Warnmeldung besonnen gehandelt wird. Der lange Zeithorizont von mehreren Jahren für Monitoringsysteme darf sowohl in organisatorischer als auch in technischer Hinsicht nicht unterschätzt werden. Die Sicherstellung der personellen Kontinuität und des verlustfreien Übergangs der Informationen ist ein wichtiger Aspekt. Eine klar formulierte Messaufgabe und eine möglichst einfache und robuste Messanlage sind auch unter diesem Gesichtspunkt von großem Vorteil. Die vielfältigen Informationen über Einwirkungen und Beanspruchungen sowie ggf. den Schädigungszustand eines Bauwerks, die mithilfe einer Messanlage erfasst werden und ständig verfügbar sind, sollten nicht dazu führen, die regelmäßigen Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 zu vernachlässigen. Beide Methoden können sich sinnvoll ergänzen, wenn die Bauwerksprüfer und die Messingenieure eng zusammenarbeiten. Es ist sicher nicht zielführend, Bauwerksmonitoring unspezifisch und flächendeckend an allen Brückenbauwerken einzusetzen. Bei Bauwerken, bei denen sich bei einer statischen Nachrechnung Defizite oder Fragen bezüglich des Tragverhaltens ergeben haben, ist ein Einsatz im Rahmen der Stufe 3 der Nachrechnungsrichtlinie [1] jedoch in vielen Fällen sinnvoll. Auch bei der Einführung neuer Bauweisen, Konstruktionsformen oder zur Überwachung kritischer Montagezustände ist eine messtechnische Begleitung vorteilhaft. Nicht zu unterschätzen ist der Effekt, dass die Informationen, die bei Monitorings gewonnen werden, häufig auch auf andere Bauwerke ähnlicher Bauweise übertragbar sind. So kann Bauwerksmonitoring Impulse für die Weiterentwicklung von Regelwerken und konstruktiven Lösungen geben und damit letztlich einen Beitrag zum Erhalt und zum Ausbau der Infrastruktur leisten. Literatur [1] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand, BASt, 2015 [2] DBV-Merkblatt „Brückenmonitoring“ - Planung, Ausschreibung und Umsetzung, Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V., Berlin, 2018 [3] Geißler, K., Steffens, N., Stein, R.: Grundlagen der sicherheitsäquivalenten Bewertung von Brücken mit Bauwerksmonitoring. In: Stahlbau 88, Heft 4, Seiten 338-353 5. Brückenkolloquium - September 2022 217 Von fehlenden Bestandsunterlagen zu einem belastbaren Bauwerksmodell für die handnahe und visuelle Prüfung von Infrastrukturbauwerken Dipl.-Ing. BM Stefan S. Grubinger, Dipl.- Ing. Simon Jimenez recordIT GmbH, Graz, Österreich Dr. Wolfgang Walcher, Alexander Huber, MBA Robotic eyes GmbH, Graz, Österreich Dipl.-Ing. Slaven Kalenjuk Technische Universität Graz, Institut für Ingenieurgeodäsie und Messsysteme, Graz, Österreich Dipl.-Ing. Dipl.-Ing. Dr.techn. Matthias J. Rebhan, BM Technische Universität Graz, Institut für Bodenmechanik, Grundbau und Numerische Geotechnik, Graz, Österreich Zusammenfassung Mit zunehmendem Bauwerksalter, aber auch zu Folge der Abnahme des Erhaltungszustandes der Straßen- und Schieneninfrastruktur bzw. dem vermehrten Auftreten von Schäden und Schadensbildern, rücken Tätigkeiten wie die Prüfung und Inspektion von Infrastrukturbauwerken zusehends in den Vordergrund. Der Fokus liegt darin, den aktuellen Zustand eines Objektes bzw. dessen Veränderung möglichst zutreffend zu erfassen, um daraus folgend erforderliche Maßnahmen und Tätigkeiten abzuleiten, um die Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit der Infrastruktur gewährleisten zu können. Im gesamten Bauwesen ist ein Rückstand in der Digitalisierung zu erkennen, wobei Building Information Modelling diesem Umstand als maßgeblicher Einfluss in der Baubranche entgegenwirkt. Diese Methode zur Planung, Erhaltung und Bewirtschaftung bezieht sich jedoch im Regelfall auf den Bereich des Neubaus und damit stark auf den Hochbau - im Tief- und Infrastrukturbau kommt die Planung und Ausführung basierend auf BIM-Modellen und Prozessen nur eingeschränkt zum Einsatz. Im Bereich des Bauens im Bestandes, der Instandhaltung und Instandsetzung aber auch der Prüfung und Inspektion von Infrastrukturbauwerken sind digitale Lösungen meist Mangelware. Die Bandbreite des Datenbestandes zu einem Bestandsbauwerk reicht von teils digitalen Unterlagen über analoge Planungen bis zum kompletten Fehlen von Planungs- und Dokumentationsunterlagen. Bei Bauwerksprüfungen und Kontrollen aber auch bei der Erhaltung und Instandsetzung sind diese Unterlagen jedoch unerlässlich. Diese in der Praxis oftmals vorhandene Lücke gilt es zu schließen und gleichzeitig eine Grundlage für die zuvor angeführten Aufgaben zu bilden. Einen Mehrwert und Ansatz, diesen Umständen mit einer praktikablen Lösung zu begegnen, stellt die Softwarelösung inspect3d dar, welche eine Kombination der digitalen Datenerfassung und Dokumentation in Symbiose mit den Möglichkeiten von Bauwerksmodellen und innovativen Technologien wie Augmented Reality bietet. Das Ergebnis ist ein digitales Tool, welches die Einbindung unterschiedlicher Datenquellen ermöglicht. Diese Daten werden als Grundlage für die Erfassung von Schäden und Mängeln verwendet - ähnlich der analogen Erfassung in Skizzen und Plänen, jedoch mit dem Unterschied, dass zu Folge der digitalen Erfassung und dem Einfügen von Annotationen bereits vor Ort eine eindeutige Verortung, Kennzeichnung und Beschreibung der erfassten Informationen stattfindet. Im nachfolgenden Beitrag wird der hierzu anwendbare Workflow - sowie die sich daraus ergebenden Möglichkeiten anhand mehrerer Beispiele verdeutlicht. 1. Bestandsbauwerke im Infrastrukturbau Zur Sicherstellung der Zuverlässigkeit und der Verfügbarkeit von Straßen und Schienentrassen gerade in Ländern mit schwer zu erschließenden Regionen ist eine laufende Prüfung bzw. Inspektion dieser Bauwerke unerlässlich. Der Bestand an Bauwerken in Österreich (vgl. [1], [2] und [3]) zeigt, dass auf Grund der Topografie eine Vielzahl an Bauwerken vorhanden sind, welche eine Prüfung und Inspektion erfordern. Darüber hinaus kann auf Grund des steigenden Bauwerksalters eine Zunahme an Schäden und Mängeln erwartet bzw. auch bereits festgestellt werden. Neben den Einwirkungen aus steigenden Verkehrslasten und Zahlen ist hier, vor allem im Österreich, auch eine Steigerung von tausalz- und winterdienstbedingten Schäden (Korrosion, Forstabplatzungen, …) festzustellen, welche neben einer Abnahme der Dauerhaftigkeit in weiterer Folge auch eine Auswirkung auf die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit haben. Aus diesen Gründen wird eine hochwertige Prüfung immer wichtiger, um daraus folgend reaktive Maßnahmen in Form von Instandhaltungen und Instandsetzungen ableiten zu können, um eine weitere Abnahme des Erhaltungszustandes (vgl. [4]) sowie eine damit einhergehen- 218 5. Brückenkolloquium - September 2022 Von fehlenden Bestandsunterlagen zu einem belastbaren Bauwerksmodell für die handnahe und visuelle Prüfung von Infrastrukturbauwerken de Auswirkung auf die Streckenverfügbarkeit möglichst gering zu halten. Vor allem im Bestand sind hier innovative Lösungen erforderlich, um zukünftige Prüf- und Inspektionsaufgaben wahrnehmen zu können. 2. Bauwerksprüfung und Datengrundlage Wie einleitend angeführt, stellt die wiederkehrende Bauwerksprüfung für Bauwerkserhalter und Prüfpersonal eine große Herausforderung dar. Neben den zeitlichen und technischen Herausforderungen ist ein wesentlicher Teil für die Ausführung dieser Tätigkeit die Erhebung der Bestandsunterlage um eine qualitativ hochwertige Prüfung durchführen zu können. 2.1 Bauwerksprüfung Aufgrund der geografischen Lage und Topografie Österreichs sind beispielsweise Stützbauwerke und Brücken zur Errichtung von Infrastruktureinrichtungen wie Straßen- oder Schienentrassen erforderlich. Hieraus resultiert, dass die Durchführung von laufenden Kontroll- und Prüftätigkeiten unerlässlich für die Sicherheit und Verfügbarkeit ist. Ein Hauptbestandteil dieser Tätigkeiten stellt die Erfassung des Erhaltungszustands [4] dar. Hierbei werden Veränderungen, meist in Form von Schäden am Objekt durch das Prüfpersonal (Bauwerksprüfer) erfasst. Darauf auf bauend findet anschließend eine Beurteilung statt. Schäden an Bauwerken können in unterschiedlichen Ausprägungen, Erscheinungsformen und Schweregraden vorliegen [5]. In Abhängigkeit des Bauwerkstyps, des Errichtungszeitpunkts und der vorliegenden Schäden stellt die Prüfung von bestehenden Bauwerken eine große Herausforderung sowohl für Bauwerkserhalter als auch das Prüfpersonal dar ([6]). Bei einer Bauwerksprüfung wird der Erhaltungszustand (vgl. [4]) eines Objekts erfasst, um darauf auf bauend das von diesem Objekt ausgehende Risiko zu bestimmen und erforderliche Erhaltungsmaßnahmen durch das Prüfpersonal bzw. den Bauwerkserhalter abzuleiten. Hierzu können (in Österreich) unterschiedliche Prüftätigkeiten (laufende Überwachung, Kontrolle oder Prüfung) sowie eine Vielzahl an Methoden, vgl. [4] und [5] und erforderlichenfalls auch Sonderprüfungen zur Anwendung kommen. Im Bereich der Autobahnen- und Schnellstraßen [7] sowie den Landesstraßen werden derartige Prüfungen nach dem Stand der Technik, definiert durch die Richtlinien Verkehr und Straße (RVS), durchgeführt. In Ausnahmefällen, wie beispielsweise im Bereich von Stützbauwerken (vgl. [6]), wo „der Erhaltungsverpflichtete eine Risikobewertung der nicht geankerten Stützbauwerke durchführen und basierend auf dem Ergebnis den Anwendungsbereich“ können Änderungen zulässig sein. 2.2 Datengrundlagen Als Grundlage für Bauwerksprüfungen sind Planunterlagen unweigerlich erforderlich und notwendig. Diese bilden die Grundlagen für den erforderlichen Prüfumfang und liefern die erforderlichen bau- und sicherheitstechnischen Informationen zu einem Bauwerk, welche die Aufgabenstellung für das Prüfpersonal festlegen. Weiters bieten diese Unterlagen auch die Grundlage, um Informationen zur Bauwerksprüfung im Feld zu erfassen. Beispiele hierfür sind Schadstellenbereiche, Bildnummern, Änderungen im Vergleich zur Vorprüfung oder Änderungen des Erhaltungszustandes. Derartige Unterlagen sind aktuell digital in Form von Plänen (meist *.dxf oder *.dwg Format), im PDF-Format bis hin zu Scans der Bestandsunterlagen vorhanden. Jedoch gibt es auch Situationen in dehnen keinerlei Unterlagen zu einem Bauwerk vorhanden sind, woraus folgend diese im Zuge der Prüfung und Inspektion - bzw. vorbereitend - erstellt werden müssen, um eine entsprechende Qualität der Prüfung zu gewährleisten. Neben dem Fehlen von Unterlagen muss im Zuge der Prüfung und Inspektion zudem davon ausgegangen werden, dass die vorhandenen Unterlagen aus der Planungsphase stammen und auf Grund von Änderungen nur bedingt den aktuellen Zustand darstellen. Gerade bei der Geometrie kann von nicht vollständigen und schlüssigen Unterlagen ausgegangen werden. 3. Workflow einer digitalen Bauwerksprüfung und digitale Bauwerksmodelle Um den oben angeführten Problemstellungen bei Bestandsunterlagen entgegenzuwirken bzw. um einheitliche und universal nutzbare Modelle zu einem Bestandsbauwerk zu schaffen, und mit einer digitalen Bauwerksprüfung verbundenen Vorteile nutzen zu können, gilt es einen entsprechenden Workflow einzuhalten. Dieser reicht von der vorab stattfindenden Erstellung der erforderlichen Modelle (und Planungsunterlagen), über die Implementierung in eine digitale Prüfsoftware und die Anbringung von entsprechenden Verortungs- und Vermarkungsmerkmalen im Zuge der Prüftätigkeiten. Anschließend kann bei einem digitalen Prüfprozess, identisch zur bisherigen Prüfung auch ein Prüf bericht in „analoger“ Form ausgegeben werden, um in die Dokumentation des Bauwerkserhalters aufgenommen werden zu können. 3.1 Workflow inspect3d Die Softwarelösung inspect3d ist ein Kooperationsprodukt der recordIT GmbH und der robotic eyes GmbH und hat den Ansatz einer über die Prüfzyklen durchgängigen, einfachen und nachvollziehbaren Bauwerksprüfung aufgegriffen. Im Zuge dieser Zusammenarbeit wurden die Kernkompetenzen der recordIT GmbH - die digitale Prüfung und Inspektion von Bauwerken, mit jenen der robotic eyes GmbH - der Lokalisierung und Verortung von Informationen im freien Raum, zusammengeführt. Das Ergebnis ist eine Softwarelösung, mit welcher Bauwerksprüfungen nach den technischen Vorgaben der Auftraggeber und Bauwerkserhalter (z. B. [4]) vorgenommen werden kann. Neben der räumlichen Verortung von Fotos und Informationen, vor allem im Hinblick auf die langzeitige und kumulierende Dokumentation am Bauwerk, sowie das Erstellen eines digitalen Zwillings, bietet dies eine Grundlage für weitere Arbeiten, Instandhaltungen und Planungen. Die so generierte „Single Source of Truth“ 5. Brückenkolloquium - September 2022 219 Von fehlenden Bestandsunterlagen zu einem belastbaren Bauwerksmodell für die handnahe und visuelle Prüfung von Infrastrukturbauwerken (einzige Wahrheitsquelle) bildet die Grundlage für transparentes Reporting und zeitsparende Dokumentation. Anfallende Sperrzeiten für Arbeiten und Inspektionen können somit besser geplant und bezugnehmend auf aktuelle Methoden reduziert oder sogar gänzlich vermieden werden. Fotos und Informationen, die im Zuge von Kontrollen und Prüfungen erhoben und erstellt werden, werden noch vor Ort im 3D-Modell des Bauwerkes verortet und stehen für ein erneutes Aufrufen zur Verfügung. So wird sichergestellt, dass einmalig erfasste Informationen dauerhaft am Bauwerk verankert sind. Die Verortung und das Aufrufen der Informationen erfolgt über Tags (QR-Codes), welche entlang des Bauwerkes installiert sind und durch handelsübliche Hardware lesbar sind. Die obige Beschreibung der angeführten Softwarelösung inspect3d (vgl. [10]) lässt sich in Arbeitsschritten wie folgt anführen: 1. Erstellung eines 3D Modelles des Bauwerkes (vgl. 3.2) basierend auf fotogrammmetrischen oder Laserscandaten; 2. Ableitung eines digitalen Bauwerksmodelles; 3. Implementierung des Modelles in die digitale Prüflösung; 4. Durchführung der Prüfung inkl. automatisierter Vermarkung vorgefundener Mängel und Schäden im digitalen Bauwerksmodell; 5. Export des erforderlichen Prüfberichtes und/ oder Speichern der erhobenen Informationen online. Wie aus oben angeführtem Workflow zu erkennen ist, erfordert die Durchführung einer digitalen Bauwerksprüfung mit inspect3d ein digitales Bauwerksmodell. Die Grundlagen zu derartigen Modellen werden in Kapitel 3.2 näher ausgeführt. Abb. 1 zeigt die Erstellung eines derartigen Modelles robotergestützt und direkt am Bauwerk. Abb. 1: Erstellung eines 3D-Modelles des Bauwerkes Im Anschluss wird dieses 3D-Modell dazu verwendet, um ein Bauwerksmodell zu erstellen, welches in die Softwarelösung inspect3d übernommen wird. Diese Software ermöglicht eine Erfassung von Bildern im Zuge der Prüfung. Neben Bildern können zusätzlich Informationen direkt vor Ort erfasst werden. Diese reichen von einer einheitlichen Beschlagworten von Schadensbildern (z. B. freiliegende Bewehrung, Abplatzung, Feuchtstelle, …) bis hin zu frei definierbaren Anmerkungen und Bildbeschreibungen. Zudem bietet die Softwarelösung den Vorteil, dass gemeinsam durch mehrere Benutzer*Innen eine Prüfung parallel vorgenommen werden kann. Wie in Abb. 2 zu erkennen ist, können mehrere Personen ein Bauwerk gleichzeitig - ohne Informationsverlust und ohne eine erforderliche Überarbeitung - prüfen und erfassen. Abb. 2: Durchführung einer digitalen Bauwerksprüfung am Beispiel eines Tunnels Neben der Erfassung von Bildern und Informationen ist es auf Grund der angeführten Anbringung von Tags am Bauwerk (vgl. Abb. 7) möglich, automatisiert eine Vermarkung der Schadstellen direkt am Bauwerk vorzunehmen. Ein Beispiel hierfür ist in Abb. 3 zu erkennen. Abb. 3: Vermarkung von Schadstellen im digitalen Bauwerksmodell Dieses zeigt, dass in diesem Bereich (oranger Rahmen) ein Bild aufgenommen wurde, und bildet damit den Erhaltungszustand im Zuge der Prüfung ab. Ein großer Vorteil einer derartigen Lösung ist, dass damit neben dem Bildinhalt auch die genaue Position der Aufnahme sichergestellt ist, woraus folgend eine nachvollziehbare und reproduzierbare Prüfung und Inspektion gegeben ist. 3.2 Digitale Bauwerksmodelle zur Bauwerksprüfung Die Grundlage für die digitale Bauwerksprüfung mittels inspect3d sind 3D-Bauwerksmodelle. Diese können einerseits aus vorhandenen BIM-Modellen stammen und durch Informationen zum Ist-Zustand ergänzt werden. Zur Erfassung des Bestandes können 3D-Messverfahren wie Laserscanning oder Fotogrammmetrie eingesetzt werden. Diese beiden Technologien unterscheiden sich letztendlich in der geometrischen Qualität. Beide Verfahren liefern 3D-Punktwolken, die in weiteren digitalen Verarbeitungsschritten zu wasserdichten 3D-Modellen verarbeitet werden. Sind die Fotodaten lagerichtig ver- 220 5. Brückenkolloquium - September 2022 Von fehlenden Bestandsunterlagen zu einem belastbaren Bauwerksmodell für die handnahe und visuelle Prüfung von Infrastrukturbauwerken ortet, so können die 3D Modelle fotorealistisch texturiert werden. Mobile Mapping Systeme beschreiben „Kartierungssysteme“, welche im Vorbeifahren (Auto, vgl. Abb. 4) oder im Vorbeifliegen (Drohnen) Bild- und Scandaten von der Umgebung erfassen. Diese Systeme spielen insbesondere bei langen, linienförmigen Strukturen (Tunnel, Stützbauwerken, Brücken) sowie bei stark befahrenen Verkehrsabschnitten oder unzugänglichen Orten (Brückentragwerke) ihre Stärken aus. Die Verortungsgenauigkeit liegt dabei im cm-Bereich. Im Gegensatz zu anderen Anwendungsgebieten derartiger Methoden (vgl. [11]) ist hier die Auflösung und Genauigkeit der erfassten Modelle eher zweitrangig. Vielmehr steht hier die vollflächige und effiziente Aufnahme des Bauwerkes im Vordergrund. Abb. 4: Mobile Mapping System zur Erfassung von Infrastrukturbauwerken Neben der Erfassung der Geometrie des Bauwerkes im Ist-Zustand können durch die Erweiterung der verwendeten Messplattformen auch weitere Informationsquellen genutzt werden. Beispiel hierfür sind Wärmebildkameras, um beispielsweise Feuchtstellen zu erkennen oder auch um freiliegenden Bewehrungselement zu erkennen. Die Intensität des zurückgestreuten Laserlichtes lässt zudem Schilder bzw. Bodenmarkierungen erkennen. Derartige Auswertungen können einen erheblichen Mehrwert für die Bauwerksprüfungen bringen. 4. Beispiele zur digitalen Bauwerksprüfung an Infrastrukturbauwerken Der in Kapitel 3 vorgestellte Workflow inspect3d und die dazugehörige Erstellung von digitalen Bauwerksmodellen wurden bereits an einer Vielzahl an Infrastrukturbauwerken erprobt. Nachfolgend werden einige dieser Beispiele kurz dargestellt und beschrieben, um einen Einblick in die erforderlichen Tätigkeiten und die damit verbunden Möglichkeiten zu geben. Tunnelkontrolle Feldkirchen Nach einer Erhebung der Tunnelgeometrie wurde für die Missstandsaufnahme, im Zuge einer 2-jährigen wiederkehrenden Tunnelkontrolle, die Softwarelösung inspect3d eingesetzt, um die im Tunnel festgestellten Missstände und Fotos automatisch, lagerichtig und wiederauffindbar zu verorten. Der Ablauf für die Ingenieur*Innen wurde als positiv und intuitiv im Vergleich zu den herkömmlichen Methoden empfunden. Vor allem entfällt das aufwändige Verorten von Fotos am Plan oder auf Planblättern. Abb. 5: Datenerfassung im Zuge der Prüfvorbereitung Abb. 6: Abgeleitetes Modell eines Tunnels inklusive 3D-Polylinien zur Kennzeichnung der Tunnelblöcke Abb. 7: Angebrachtes Tags zur Lokalisierung innerhalb des Tunnels Wie bereits in Kapitel 3 (vgl. Abb. 3) angeführt, wird neben der Erfassung von Bildern und Informationen auch eine Vermarkung der Aufnahme im digitalen Bauwerksmodell ermöglicht. Ein derartiges Vorgehen, wie in Abb. 8 zu erkennen, ermöglicht es, dass neben der Sammlung 5. Brückenkolloquium - September 2022 221 Von fehlenden Bestandsunterlagen zu einem belastbaren Bauwerksmodell für die handnahe und visuelle Prüfung von Infrastrukturbauwerken der Informationen die Prüfung zudem nachvollziehbar dargestellt wird. Ein direkt hieraus generierbarer Vorteil ist, dass zukünftige Prüfungen neben den Bildern (mit dem erfassten Ist-Zustand) zudem auf die Lage der Aufnahme zugreifen können und somit eine erhebliche Zeitersparnis geschaffen wird. Abb. 8: Prüfergebnis basierend auf Augmented Reality im Onlineviewer Weiters kann diese Art der Darstellung auch dazu verwendet werden, um die Prüfung im Büro nachzuvollziehen. So kann das gesamte digitale Bauwerksmodell neben der Erfassung der Informationen auch zur Auf bereitung dieser verwendet werden. Vor allem für Bauwerkserhalter kann hieraus ein erheblicher Vorteil generiert werden, welcher von der Nachvollziehbarkeit der Prüfung bis zur Nachbereitung der Ergebnisse und die Auf bereitung von Sanierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen reicht. Unterflurtrasse Weiz Neben der Anwendung für Kontrollen und Prüfungen von Bauwerken eignet sich der in diesem Beitrag vorgestellte Workflow auch dazu Bauwerke bereits ab der Übernahme das Bauwerk zu dokumentieren. Ein Beispiel hierfür ist die Unterflurtrasse Weiz, welche im Jahr 2022 durch das Land Steiermark fertiggestellt wurde. Neben einer umfassenden Dokumentation dieser Linienbaustelle im Zuge der Errichtung (vgl. [9]) wurde ebenfalls eine digitale Übernahme des Bauwerks mit inspect3d vorgenommen. Abb. 9: Ansicht der Unterflurtrasse Weiz (vgl. [9]) im Zuge der Erfassung des digitalen Bauwerksmodelles Grundlage bietet das vorab generierte 3D-Modell welches als Grundlage für die Übernahme diente. Der Bauwerkserhalter konnte somit mit einer Aufnahme einerseits eine Grundlage für die zukünftigen Prüfungen und Kontrollen schaffen und erhielt andererseits ein Bauwerksmodell des gesamten Bauwerkes. Weitere Anwendungsbereiche Neben den oben angeführten Beispielen eines Tunnels oder einer Unterflurtrasse sind vor allem im Bereich der Straße auch Stützbauwerke und Brücken einer periodischen Prüfungen und Inspektion zu unterziehen. Neben der Erfassung der Schäden und Mängel sind hier, bedingt durch die Bauwerkhöhe und die Zugänglichkeit weitere technische Ausrüstung und Equipment erforderlich. In den beiden nachfolgenden Abbildungen ist dies schematisch für diese Bauwerkstypen dargestellt. Abb. 10: Erforderlicher Aufwand bei der Prüfung von geankerten Konstruktionen im Bereich der Schiene (vgl. [8]) Abb. 11: Prüfung einer Brücke mittels Brückeninspektionsgerät (vgl. [12]) Abb. 10 zeigt die Prüfung einer geankerten Konstruktion im Streckennetz der ÖBB. Wie in diesem Bild zu erkennen ist, ist hierzu neben einer Sperre des Gleises in diesem Bereich auch ein entsprechendes Hebegerät erforderlich, um eine handnahe und visuelle Prüfung des gesamten Bauwerkes zu ermöglichen. In Abb. 11 ist ein Brückeninspektionsgerät zur Zugänglichkeit der Unterseite einer Brücke zu erkennen. Hierzu ist ebenfalls eine (Teil-)Sperre dieses Streckenbereiches erforderlich, und ggf. entsprechende Verkehrsabsicherung. 222 5. Brückenkolloquium - September 2022 Von fehlenden Bestandsunterlagen zu einem belastbaren Bauwerksmodell für die handnahe und visuelle Prüfung von Infrastrukturbauwerken Diese beiden Beispiele lassen erkennen, dass mit einer Digitalisierung des Prüf- und Inspektionsprozesses durch die Schaffung digitaler Bauwerksmodelle und die darauf auf bauende Vermarkung und Annotierung von Schäden und Mängeln eine maßgebliche Reduktion des Prüfaufwandes einhergehen kann. Neben dem vereinfachten Wiederauffinden von Schadstellen und den gegebenen Vergleichsmöglichkeiten mit der Vorperiode, kann somit die Prüfung des Weiteren auch durch wechselndes Prüfpersonal ohne Informationsverlust nachvollziehbar rekonstruiert werden. Daraus folgend lässt sich einer Zeitersparnis im Zuge der Prüfung und Inspektion von Bauwerken ableiten, ohne dass hieraus folgend Einschränkungen oder eine Abnahme der Prüfqualität und des Prüfergebnisses zu erwarten ist. 5. Zusammenfassung und aktuelle Entwicklungen Mit dem hier vorliegenden Beitrag wurde ein aktuell in Entwicklung und bereits an Bauwerken erprobter Workflow vorgestellt, welcher sich mit der Digitalisierung von Bauwerksprüfungen im Infrastrukturbereich befasst. Hierbei liegt der Fokus in der Schaffung einer einheitlichen digitalen Grundlage - um den Ist-Zustand des Bauwerkes in Bezug auf seine Geometrie und seine Ausrüstung zu erfassen, und darauf auf bauend Mängel und Schäden einpflegen zu können. Es zeigte sich, dass auf Grund von fehlenden Bestandsunterlagen bzw. unzureichender Informationsdichte dieser, eine umfassende Auf bereitung des Bestandsbauwerkes erforderlich ist, um die Vorteile und Möglichkeiten einer digitalen Erfassung der Ergebnisse einer Bauwerksprüfung zu ermöglichen. Anhand einiger Beispiele konnte aufgezeigt werden, dass diese Form der digitalen Bauwerksprüfung bei einer großen Bandbreite an Infrastrukturbauwerken anwendbar ist. Neben Tunneln und Wannen können bei entsprechender Zugänglichkeit auch Brücken und Stützbauwerke - aber auch kleinere Bauwerke wie Überkopfwegweiser oder Lärmschutzwände entsprechend in den vorgestellten Workflow implementiert werden. Dieser besteht maßgeblich aus einem, basierend auf Laserscandaten erstellen, digitalen Modell des Bauwerkes, in welches Fehlstellen, Schäden und Mängel bereits vor Ort vermarkt und annotiert werden können. Neben der effizienteren Erfassung dieser Daten und Informationen im Zuge der Prüfung kann damit auch ein erheblicher Mehrwert für Folgeprüfungen generiert werden. Dieser besteht vor allem in der einfachen Vergleichsmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Prüfperioden und der daraus resultierenden Zeitersparnis. Zudem wird durch das digital erstellte Modell weiters eine Planungs- und Datengrundlage für erforderliche Sanierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen gegeben, welche durch den Bauwerkserhalter bzw. dessen Planer verwendet werden können. Neben der Digitalisierung des Prüfprozesses an sich konnte durch die Integration digitaler Techniken wie Augmented Reality ein interessanter Ansatz mit in die Bauwerksprüfung aufgenommen werden. Neben der Vereinfachung der Prüfung durch eine interaktive und intuitive Steuerung kann hiermit auch die Nachvollziehbarkeit der Prüfung - sowohl für das Prüfpersonal als auch Dritte - erhöht werden. Derartige Ansätze werden zukünftig zunehmen und bringen vor allem unter Beachtung steigender Kosten, einer Abnahme des Erhaltungszustandes, aber auch dem Fachkräftemangel eine zielführende Möglichkeit dar, um Bauwerksprüfungen - als Grundlage der Zuverlässigkeit von Bauwerken - gewährleisten zu können. Literaturverzeichnis [1] Rebhan, M.J.: Korrosionsschäden bei Winkelstützmauern. Dissertation TU Graz, 2019. [2] Grubinger, S. S.: Risikomanagement bei bestehenden Stützbauwerken im Streckennetz des Landes Steiermark. Masterarbeit, TU Graz. 2020. [3] Forschungsgruppe SIBS: Abschlussbericht Forschungsprojekt. SIBS - Sicherheitsbewertung bestehender Stützbauwerke. VÖBU. 2019. [4] RVS 13.03.61: Qualitätssicherung bauliche Erhaltung - Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Kunstbauten - Nicht geankerte Stützbauwerke. Österreichische Forschungsgesellschaft Straße, Schiene, Verkehr, Wien, 2014. [5] ÖGG: Empfehlungen zur vertieften Prüfung und Beurteilung bestehender, unverankerter Stützbauwerke. Österreichische Gesellschaft für Geomechanik, Salzburg, 2019. [6] Nöhrer, F., M.J. Rebhan, B. Saurug, R. Marte, S.S. Grubinger, G. Mauerhofer, Long-term experiences for the safety Assessment of existing retaining structures in Styria, Geomechanics and Tunnelling 12 (2019), No. 5. [7] Kirchmair, M.: Ungeankerte Stützbauwerke der ASFINAG, Erfahrungen und Vorgangsweise. Fachtagung Stützmauern, Bern, 2017. [8] Forschungsgruppe NAT. Abschlussbericht Projekt NAT - Neuerungen in der Ankertechnik. Technische Universität Graz. Institut für Bodenmechanik, Grundbau und Numerische Geotechnik. Noch nicht veröffentlicht. [9] Grubinger, S.S., Rebhan, M.J., Jimenez, S., Hinrichs, R., Rappold, M.; Dokumentation einer Straßenbaustelle - es muss ja nicht immer BIM sein! , 2. Kolloquium Straßenbau in der Praxis. TAE Esslingen. 2021. [10] https: / / inspect3d.at/ [11] Kalenjuk, S., Lienhart, W., & Rebhan, M. (2021). Processing of mobile laser scanning data for largescale deformation monitoring of anchored retaining structures along highways. Computer-Aided Civil and Infrastructure Engineering , 36(6), 678-694. https: / / doi.org/ 10.1111/ mice.12656 [12] https: / / blog.asfinag.at/ hinter-den-kulissen/ brueck entragwerkskontrolle/ 5. Brückenkolloquium - September 2022 223 Multi-Sensor measurements on a large-scale bridge model Dr. Chun-Man Liao Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Berlin, Germany Dr. Konstantin Hicke Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Berlin, Germany Dr. Felix Bernauer Ludwig-Maximilians-University, Munich, Germany Dr. Heiner Igel Ludwig-Maximilians-University, Munich, Germany Dr. Celine Hadziioannou Institute of Geophysics, University of Hamburg, Hamburg, Germany Dr. Ernst Niederleithinger Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Berlin, Germany Abstract This contribution introduces an investigation of a large-scale prestressed concrete bridge model (“BLEIB” structure at the BAM-TTS open air test site) by means of on-site cooperative measurements. This bridge has an external post-tensioning system and has been instrumented with the ultrasonic transducers, temperature sensors and optical fibers for Distributed Acoustic Sensing (DAS). Our experiment was designed to test the suitability of the novel 6C sensors developed within the framework of the GIOTTO project - the IMU50. The IMU50 sensor enables vibration measurements in translation along three axes and rotation around three axes. The geophone sensors were considered for complementary measurements of vertical velocity response. In the experiment, several perturbations were achieved by controlling the external influence factors such as loading and prestressing changes. The aim of the integrated measurement strategy was to fully observe the results of the condition change and to verify the effectiveness of multiple sensors for bridge monitoring. 1. Introduction Recently, the topic of bridge monitoring has become a focus in civil engineering. A proper inspection of the bridge condition benefits reliable diagnosis of the structural performance and prediction of the service time of the structure. This is a way of economic management to achieve the safety and sustainability of the civil structures during their operation. Thus, the ability of structural health monitoring (SHM) in civil engineering is important. The damage identification based upon changes in vibration characteristics can be an approach that monitor changes in the structures on a global basis [1]. With the aid of advanced technologies in sensors, real time monitoring can be conveniently carried out. In the framework of the project Giotto (abbreviated from Gebäudeschwingungen: kombinierte Zustandsanalyse mit innovativem Sensorkonzept), the multi-sensor measurements on a prestressed concrete bridge model were carried out. The goal of the Giotto project is to develop real time monitoring methods for civil structures during normal operation and to advance the current damage detection methods. In this project, an innovative 6C prototype sensor IMU50 that was produced for the navigation by 6-components (6C) was designed. To validate the application of this sensor for the purpose of real time monitoring, vibration tests were undertaken while the reference sensors, which are broadband seismometers, were applied. The tilt correction of the translation acceleration output will be compared with the direct measurement of rotation. This contribution presents an investigation of a large-scale prestressed concrete bridge model (“BLEIB” structure at the BAM-TTS open air test site). The specific feature of this bridge is its adjustable prestressing force system and the mounted instruments, including the temperature sensors, the ultrasonic transducers as well 224 5. Brückenkolloquium - September 2022 Multi-Sensor measurements on a large-scale bridge model as the distributed acoustic sensing (DAS), which can make available spatially resolved dynamic strain information from which vibrational states under operational conditions can be determined [2]. The aim of performing on-site cooperative measurements is to fully observe the integrated influence on the bridge caused by the environmental and structural condition change. At the same time, not only the effectiveness of the multiple sensors for bridge monitoring can be proved, but also the validation of the innovative 6C prototype sensor IMU50 can be achieved. In the experimental analysis, the structural condition change regarding the altered prestressing force and the various loads, was identified by the modal frequencies. The temperature effects on the long-term monitoring of the ultrasonic waves and the vibrational waves were compared by the coda wave interferometry (CWI) method. The coincidence of the translation and the rotation responses was also proved. In addition, the advantage of the DAS measurement was revealed by identifying the modal shapes. This paper shows the preliminary study of the applicability of the multi-sensors for bridge structural health monitoring (SHM). The further study of damage detection should be done by the profound analysis of the obtained measurement data. 2. Experiments 2.1 Test structure The test structure is a large-scale prestressed concrete bridge model “BLEIB” (fig. 1), at the BAM-TTS open air test site in Brandenburg. This bridge has 24-meter length and 0.9-meter width. It contains a built-in unbonded post-tensioning system. Thus, the prestressing force can be precisely adjusted. Fig. 1: Large-scale bridge model „BLEIB“ with the post-prestressing system. 2.2 Sensors 2.2.1 Compact 6C prototype sensor IMU50 is a type of 6-degree-of-freedon (6D) Fibre Optic Gyroscopes (FOGs) sensors (fig. 2). This sensor uses three perpendicular silicon based capacitive Micro-Electo Mechanical System (MEMS) accelerometers to measure translational motion, and three FOGs coiled around the translational axes to measure rotations [3]. The combination of 3D rotational and 3D translational vibration responses can provide condition information without the need for a reference frame. Fig. 2: Left: IMU50 sensor. Right: IMU50 in water protector - pot. 2.2.2 Seismic vibration sensors To validate the innovative 6C prototype sensor IMU50 for SHM, the on-site cooperative measurements provide a comparative examination. The multiple sensors which can record structural vibrations as the reference for the IMU50 measurement results, are shown in fig. 3. The broadband seismometer - Trillium Compact was used for measuring the translational motions in the direction of three-axes. The broadband rotation sensor - blueSies-3A was used for measuring the rotation motions along the three axes. The geophones were applied for measuring the vertical vibration velocity responses of the bridge. These sensors can be placed on the top of the bridge for measurements. Fig. 3: Vibration sensors (from left to right): Trillium Compact, blueSeis-3A, geophone. 5. Brückenkolloquium - September 2022 225 Multi-Sensor measurements on a large-scale bridge model 2.2.3 Embedded sensors For the non-destructive testing (NDT), the piezoelectric ultrasonic transducers (fig. 4 left) - designed for embedding into concrete have been mounted as the “BLEIB” bridge was constructed. This transducer can be applied as the active source to send the ultrasonic waves, it also can be applied as the receiver. The ultrasonic wave was generated with a central frequency of 60 kHz. The sampling rate was 2MHz. During the measurements, 10000 samples were taken. To observe the scattering of the ultrasonic waves in the area where the direct path between source and receiver, the coda wave interferometry (CWI) technique was considered to extract the wave velocity variation. In addition, the dynamic strain rate corresponding to vibrations induced by excitation of the structure was measured along the optical fibers (fig. 4 middle) embedded close to the surface of and in axial direction of the “BLEIB” bridge using a commercial distributed acoustic sensing (DAS) device. The measurement approach is based on measuring spatially resolved Rayleigh optical backscatter signals following sequential optical interrogator pulses propagating through the sensing fiber. Local dynamic strain of the fiber (exerted by the structure’s vibrations) within the gauge length defined by the interrogator pulse duration results in a linear change to the backscatter signal’s phase from which the strain (rate) and thus local vibrations can be determined [4]. The pulse propagation results in effective continuous multiplexing and thus makes spatially resolved vibration information available. This therefore enables DAS along the structure. Fig. 4 (from left to right): Acsys SO807 [5], optical fibers glued into grooves on the bridge surface, TEWA sensor [6]. For the evaluation of the influence of environmental aspects on the bridge, temperature sensors (TT0210KC3- T105-1500 from TEWA sensors as shown in fig. 4 right) were applied. The temperature sensors are calibrated for a temperature range of −10 ◦C to 35◦C and provide precise measurements in this range [6]. The temperature was taken every 30 minutes to monitor the ambient temperature and the temperature change in the concrete. 2.3 Set up 2.3.1 Vibration sensors The sensor instrumentation can reference to fig. 5. From no. 1 to no. 12 are the positions of the geophones. The sampling rate was set 500 Hz. The distance between geophones was 2 m except that the distance between no. 6 and no. 7 was 1.6 m. From no. 13 to no. 16 are the positions of the 6D stations. At each station, a broadband seismometer - Trillium Compact and a broadband rotation sensor - blueSies-3A were applied. Their sampling rates were set to 200 Hz. The four IMU50 sensors were also placed next to the geophones at the positions no. 3, no. 6, no. 9 and no. 12. This can be seen in fig. 2 right. The sampling rate was set to 100 Hz. 2.3.2 Embedded sensors In fig. 5, the cross sections A, B, C, D and E are the locations where the ultrasonic transducers are embedded. Two transducers were mounted at each cross section, one at the east side and the other at the west side (fig. 6). The wave propagation between A and B, and between D and E were considered to evaluate the structural properties at the mid-spans, where the most cracks have progressed. Fig. 5: Sensor plan. 226 5. Brückenkolloquium - September 2022 Multi-Sensor measurements on a large-scale bridge model Fig. 6: Two ultrasonic sensors at a cross-section. 2.4 Vibration tests The ambient vibration measurements were performed two times, 1 day in 2020 and 2-3 weeks in 2021. Only the environmental factors without any structural condition change interfered with the vibration responses of the bridge. Two days in Oct. 2021 were chosen for the measurements as the “BLEIB” bridge was subjected to different vertical excitations under various external conditions, which were caused by the prestressing force change and the loading cases. Thereby, the natural damage was induced by opening the already existing cracks. Reference to Tab. 1, the prestressing force was rearranged. Firstly, the prestressing force was reset to 0 kN, then raised up to level 1 (450 kN). Afterwards, the prestressing force was decreased by the amount of 50 kN for every level until level 6 (200 kN). Thereafter, the prestressing force was enhanced by the amount of 50 kN for every level until level 11 (450 kN). Between level 2 and level 5, and at level 10, the loads 300 kg. 600 kg and 900 kg were applied to the bridge (position reference to fig. 5) to obtain the different event extensions of the already existing cracks. Tab. 1: The alteration of prestressing force and loads Reset 0 kN Load case Level 1 450 kN 0 kg Level 2 400 kN 0 kg 300 kg 600 kg 900 kg Level 3 350 kN 0 kg 300 kg 600 kg 900 kg Level 4 300 kN 0 kg 300 kg 600 kg 900 kg Level 5 250 kN 0 kg 300 kg 600 kg 900 kg Level 6 200 kN 0 kg Level 7 250 kN 0 kg Level 8 300 kN 0 kg Level 9 350 kN 0 kg Level 10 400 kN 0 kg 300 kg 600 kg 900 kg Level 11 450 kN 0 kg At each changed structural condition, the 10-minute ambient vibrations and the 3-minute impulse vibrations were recorded. 3. Environmental influences During the ambient vibration monitoring, no excitation was applied and the background noise at the “BLEIB” bridge was not caused by traffic vibrations but by wind. This section introduced the environmental factor which can influence the propagation velocity of ultrasonic waves in the bridge and the velocity of vibrational waves. 3.1 uncertainty of ultrasonics Temperature is known to have an influence on the ultrasonic pulse velocity of solid concrete [7]. Since the field conditions are not as pure as in the laboratory, Niklas et al. carried out a long-term velocity monitoring experiment outside the laboratory and tried to find a correlation between changes in temperature and ultrasound [8]. In recent years, coda wave interferometry (CWI), originally developed in seismology, has been applied to ultrasonic measurements in concrete [9]. In CWI application, a reference ultrasonic signal should be chosen for comparison of changes in signals during the monitoring. The change will be reflected on the velocity variation of the waves. A stretching factor is defined as equivalent to an average wave velocity variation, in eq. [1]. [1] where α is the stretching factor, t is time, v is velocity. By stretching the compared wave, its cross-correlation with the reference wave can help us to find the velocity change. The following eq. [2] is for calculating the crosscorrelation of the stretched wave and the reference wave. [2] where u c (t + αt) and u r (t) represent the stretched signal and the reference signal, respectively. Through eq. [2], the highest CC determines the best stretching factor. Considering the linear regression, the ratios of velocity change to the temperature 1 K were obtained, as shown in fig. 7. This indicates the uncertainty of ultrasonics due to temperature alteration in different months. 5. Brückenkolloquium - September 2022 227 Multi-Sensor measurements on a large-scale bridge model Fig. 7: Linear regression of velocity to concrete temperature between position A and B (position reference to fig. 5). 3.2 uncertainty of seismic waves The natural frequency can be obtained by means of Frequency Domain Decomposition (FDD) [10] technique, which is commonly used as algorithm for the operational modal analysis (OMA) [11] of civil structures. According to the ambient vibration recordings for 17 hours at the four 6D stations, the first modal frequency was changed from 3.62 Hz to 3.7 Hz. The alteration was not obvious. However, a reference was chosen to calculate the frequency variation as shown in fig. 8. Fig. 8: Difference of first mode frequency in the 17-hour monitoring. To calculate the velocity change of the vibrational waves during the 17 hours monitoring, the vibration signals were filtered in the range of 1-4 Hz. A cross-correlation function as the seismic interferometry technique was adopted to reconstruct the virtual wave propagation between two 6D stations. Fig. 9 was obtained by applying CWI to the seismic interferometry between two 6D stations. In fig. 9, the positions of station 1, 2, 3, 4 refer to no. 13 no. 16 in fig. 5. Fig. 9: Velocity variation of the vibrational waves filtered in the frequency range 1-4 Hz. The scale of the alternation in both fig. 8 and fig. 9 infer that the velocity change has a linear relation to the natural frequency. In addition, the tendency of the velocity change and the frequency change indicated the temperature change. The higher temperature, the lower natural frequency and lower wave velocity. And vice versa. On the other hand, the accuracy of the translation measurement and that of the rotation measurement is approved by their coincident results in fig. 8 and fig. 9. 4. Vibration data and dynamic strain data The DAS measurement provides truly spatially continuous vibration information by dynamic strain data. In contrast, the 6D station combining 3-component (3C) translation seismometer and 3C rotation seismometer as well as the IMU50 sensors can measure only the point vibration responses of the structure, albeit providing higher precision and accuracy. Obtaining modal parameters from the recordings can help to describe the vibration characteristics of the “BLEIB” structure. Thus, spectral analyses of the dynamic strain data and 6D vibrations were conducted. 4.1 Spectral analysis Power spectra for each measurement position along the sensing fiber were calculated via FFT of the distributed vibration information obtained from the commercial DAS device for no load and the prestressing force 400kN shown in fig. 10. Vibrations were induced by hammer blow simulating a pulse-like (broadband) excitation of the structure. A 20 s time window after the onset of the pulse was used to calculate the spectra. The position of the hammer blow can reference to fig. 5. 228 5. Brückenkolloquium - September 2022 Multi-Sensor measurements on a large-scale bridge model Fig. 10: Spatially resolved spectra of hammer blow-induced vibrations measured by DAS, with prestress force 400kN and 0 kg load. Fig. 10 shows a distributed view of calculated spectra along one fiber run on top of the bridge (24 m). Several low-frequency vibrational modes can be seen. The spatial distribution corresponds to typical harmonic mode shapes with increasing order for a vibrating structure. Fig. 11 depicts the onset of the the structures’s vibrations in a distributed way via the measured strain rate in a waterfall plot. Fig. 11: Onset of vibrations induced by hammer blow measured by DAS along bridge length. On the other hand, the impulse vibration responses subjected to the same vertical excitation recorded at a 6D station (referring no. 14 in fig. 5) is shown in fig. 12. Fig. 12: Impulse responses at a 6D station (no.14 in Fig. 5) under prestressing force 400kN and 0 kg load. Fig. 13: Vibrations measured as strain rate using DAS at measurement position corresponding to a 6D station (no.14 in Fig. 5) under prestressing force 400kN and 0 kg load. For comparison, fig. 13 shows a time trace of the dynamic strain rate measured by the DAS device at an individual measurement position corresponding to the location of 6D station no.14. The corresponding time-dependent spectrum of the impulse response as measured at the 6D station (fig. 12) is shown in fig. 14. Analogously, the spectrogram calculated from the fiber sensors strain rate measurement at the same location (fig. 13) is depicted in fig. 15. Fig. 14: Spectrum of translation responses at a 6D station (no.14 in fig. 5) under prestressing force 400kN and 0 kg load. Fig. 15: Spectrogram calculated from DAS strain rate measurement at location no.14 in fig. 5 following a hammer blow under prestressing force 400kN and 0 kg load. Comparing fig. 14 with fig. 15, the modal frequencies observed from the DAS spectrum and from the translation vibration spectrum show a good match, though the observed temporal persistence (damping) of the various modes differ, resulting among other reasons from the different mechanical couplings of the sensors. 5. Brückenkolloquium - September 2022 229 Multi-Sensor measurements on a large-scale bridge model Further, the spectra of the translation responses under the same condition at four 6D stations were compared as shown in fig. 16. The distinct peaks indicate the first three modal frequencies 3.6 Hz, 5.8Hz and 15Hz. the positions of station 1, 2, 3, 4 refer to no. 13 no. 16 in fig. 5. Fig. 16: Spectra of translation responses at four 6D stations under prestressing force 400kN and 0 kg load. 4.2 Modal frequency change Furthermore, the modal frequencies were determined from the DAS data and from the 6D station measurements via OMA method, respectively. The comparison of the first 3 modal frequencies in fig. 17 shows a very good agreement and the same behavior under different conditions: the higher the prestressing force, the higher the mode frequencies and the heavier the loading, the lower the resulting frequencies. Fig. 17: Left: modal frequencies from DAS measurement data. Right: Modal frequencies tend obtained from translation vibration data via OMA. 5. Conclusion and outlook The IMU50 sensors, geophones and 6D broadband seismometers, as well as ultrasonics and DAS techniques were applied to fulfill the on-site cooperative measurements. The preliminary investigation was conducted by the vibration assessment and the ultrasonic analysis. From the results of the 6D vibration monitoring, the consistence of translation and rotation measurements by use of different sensors was confirmed. In the modal analysis of the 6D vibration recordings and the DAS measurements, the changes in the prestressing force and the loads were identified. Nevertheless, the deviation of the modal frequencies in DAS and in translation vibration results need to be examined. The reason has not yet discussed in this contribution. In addition, the CWI method was applied to show the influence of the temperature on the ultrasonics in the “BLEIB” bridge. The temperature effect was quantified by the linear regression of the velocity variation with respect to the concrete temperature. This can be used to dismiss the uncertainty of the temperature in the ultrasonic measurements to identify the velocity change in dependence of the prestressing force and the loads. Afterall, the assessment of the IMU50 sensors was not presented in this study. To validate the IMU50 sensors in SHM is our next work. Moreover, we tend to draw a distinction from the local/ global damage consequences of bridges and the prestress loss in the further study of this comprehensive measurements. 6. Acknowledgement This research is part of the Giotto Project financially supported by Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in the frame of “Früherkennung von Erdbeben und ihren Folgen” program (Grant No: 03G0885D). The authors thank the colleagues from BAM division 8.2 and 8.6 for their support of our experiment. Literature [1] Farrar, C. R., Doebling, S. W., & Nix, D. A.: Vibration-based structural damage identification. In: Philosophical Transactions of the Royal Society of London. Series A: Mathematical, Physical and Engineering Sciences, 359(1778)/ 2001, pp. 131-149. [2] Hicke, K., Hussels, M., Eisermann, R, Chruscicki, S. and Krebber, K.: Condition monitoring of industrial infrastructures using distributed fibre optic acoustic sensors. 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Brückenkolloquium - September 2022 231 Bedarfsorientierte Informationsanreicherung von Bestandsbrückenbauwerken im Kontext des SHM Martin Köhncke M. Sc. Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr, Hamburg, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Sascha Henke Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr, Hamburg, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Sylvia Keßler Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr, Hamburg, Deutschland Zusammenfassung Brückenbauwerke sind ein unverzichtbarer Teil unserer Infrastruktur. Ihre uneingeschränkte Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit sicherzustellen, ist eine große Herausforderung. Die Digitalisierung ist für diese Aufgaben unter Berücksichtigung der großen Anzahl an Brückenbauwerken ein hilfreiches Tool, das bisher nur unzureichend ausgeschöpft wird, weil eine einheitliche Methode zur Digitalisierung von Brückenbauwerken bislang fehlt. Neben der geometrischen Repräsentation sind insbesondere die Erfassung und Abbildung von semantischen Informationen wichtig. Allerdings werden nicht alle Informationen, die erfassbar sind oder vorliegen, auch zwingend benötigt. Dies ist von großer Bedeutung, um die Effizienz bei der Anreicherung von Bestandsbauwerksmodellen zu gewährleisten. Die benötigten Informationen sind daher in enger Abstimmung mit den Betreibern zu identifizieren und nach Möglichkeit nur diese zu überführen (Stichwort: Level of Information Need LoIN). Das übergeordnete Ziel eines laufenden Forschungsprojekts (dtec.bw SHM) ist die Entwicklung eines praxistauglichen Vorgehens für die Anreicherung von geometrischen Bauwerksmodellen für das Unterhaltungsmanagement. Das Vorgehen für die Anreicherung wird am Beispiel von zwei Bestandsbrücken der Autobahn GmbH Nord aufgezeigt. Die teilweise lückenund/ oder fehlerhafte Datenlage bei Bestandsbauwerken soll behoben werden und durch eine zentrale Informationsbereitstellung ergänzt werden. Durch die Ergänzung und Aktualisierung der benötigten Informationen in einem Building Information Model soll das Unterhaltungsmanagement in die digitale Welt überführt werden. 1. Einleitung Eine funktionierende Infrastruktur basiert im Wesentlichen auf der Zuverlässigkeit und somit der Verfügbarkeit ihrer baulichen Anlagen. Hierbei ist die große Anzahl an Bauwerken ein nicht zu vernachlässigender Faktor; aktuell befinden sich ca. 40.000 Brücken im Netz der Bundesfernstraßen [1]. Dem Erhaltungsmanagement der Brückenbauwerke kommt damit eine besondere Bedeutung zu, für das die Digitalisierung ein essentielles Werkzeug darstellt. Die Digitalisierung kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn mit effizienten und einfach anzuwendenden Methoden die notwendigen Ergebnisse erzielt werden. 1.1 Digitalisierungsansätze Innerhalb der Digitalisierung gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen, die verfolgt werden, um die knappen Ressourcen für die Instandhaltung von Bestandsbauwerken besser zu nutzen. Zum einen ist hier das Building Information Modeling (BIM) zu nennen. Hierbei werden digitale, geometrische Modelle mit semantischen Informationen von Bauwerken angereichert und zentral für alle Projektbeteiligten verfügbar gemacht. Dadurch soll unter anderem die Transparenz der Kommunikation der Beteiligten erhöht werden, damit zum Beispiel immer mit dem aktuellen Planungsstand weitergearbeitet werden kann. BIM eignet sich für den gesamten Lebenszyklus, wird aber bisher vornehmlich in der Planung und teilweise in der Bauphase eingesetzt [8]. Weiterhin steht auch die Nutzung von Informationstechnologien bei bisher analogen Tätigkeiten, wie z. B. der Bauwerksprüfung und -dokumentation sowie Verwaltung der Brückenbauwerke im Fokus. Dieser Beitrag fokussiert auf die Informationsanreicherung von Bestandsmodellen für das Structural Health Monitoring (SHM) von Brückenbauwerken im Kontext von BIM. Dafür ist zunächst eine Definition von BIM und SHM erforderlich. 232 5. Brückenkolloquium - September 2022 Bedarfsorientierte Informationsanreicherung von Bestandsbrückenbauwerken im Kontext des SHM BIM wird als „kooperative Arbeitsmethodik, mit der auf der Grundlage digitaler Modelle eines Bauwerks die für seinen Lebenszyklus relevanten Informationen und Daten konsistent erfasst, verwaltet und in einer transparenten Kommunikation zwischen den Beteiligten ausgetauscht oder für die weitere Bearbeitung übergeben werden“ definiert [2]. Insbesondere für den Betrieb von Bestandsbauwerken ergibt sich das Problem, dass die relevanten Informationen nicht aus einem digitalen Planungs- und Bauprozess kommen, sondern oft als papiergebundene Planungsunterlagen, Bildaufnahmen oder in unterschiedlichen Dateiformaten zur Verfügung stehen. Die Informationen müssen also erst aufwendig für ein digitales Bauwerksmodell aufbereitet werden. Hierbei wird der Aufwand für die Aufbereitung durch die Anzahl der Informationen sowie deren Heterogenität, Qualität und Verfügbarkeit beeinflusst. Qualität und Verfügbarkeit hängen dabei oft auch von dem Alter der Bauwerke ab. Zusätzlich ist die Anzahl der notwendigen Informationen durch die Ziele, die damit erreicht werden sollen, bestimmt. Die Ziele können dabei von einfachen Informationsintegrationen zum Beispiel der Kosten und Termine bis hin zu komplexen Simulationen reichen. In diesem Fall werden für ein SHM-System die notwendigen Informationen und ihre möglichen Wege für die Integration in ein BIM-Modell aufgezeigt. Unter SHM wird die kontinuierliche automatische Überwachung einer Struktur durch festinstallierte Sensorsysteme verstanden. Diese sollen Schäden zuverlässig detektieren und lokalisieren [3]. Zukünftig soll die Bewertung des Bauwerkszustandes auf Basis der SHM-Messwerte möglichst automatisiert erfolgen. Die Ergebnisse sollen dann im BIM abrufbar sein. Für jedes Bauwerk sind entsprechend darauf angepasste Auswertealgorithmen zu entwickeln. Dadurch können Instandhaltungsmaßnahmen zielgerichteter durchgeführt, die Verfügbarkeit erhöht und die Kosten durch frühzeitiges Eingreifen reduziert werden. Allerdings gibt es auch Herausforderungen bei der Verwendung eines SHM. Zunächst sind hier die Kosten des Systems zu nennen, wobei die Kosten für Sensoren durch eine zunehmende Miniaturisierung und Steigerung der Leistungsfähigkeit und Robustheit in der Herstellung und Wartung in den letzten Jahren gesunken sind [4]. Allerdings sind die Kosten für das Anbringen der Sensoren an den meist komplexen und wenig zugänglichen Brückenbauwerken nicht zu vernachlässigen. Zusätzlich stellt sich die Frage nach der optimalen Positionierung der Sensoren, damit alle etwaigen, auftretenden Schäden zuverlässig detektiert werden können. Bereits vorliegende Schäden sind vorab über Inspektionen zu detektieren und sollten durch geeignete Sensorik überwacht werden, um die Entwicklung der Defektgrößen zu kontrollieren. Dafür müssen die Position und die Merkmale der Schäden bekannt sein. Damit ein SHM-System effizient genutzt werden kann, sollten alle dafür notwendigen Informationen zentral zur Verfügung stehen. Ein möglicher Ansatz ist es, die Informationen in einem BIM-Bestandsmodell zu integrieren. Im BIM werden die Detailierungsgrade von Bauwerken oft in einem sogenannten Level of Develop-ment (LOD) angegeben. Dieser wird nachfolgend zunächst vom Konzept des Level of Information Need (LoIN) abgrenzt. 1.2 LODversus LoIN-Konzept Der LOD gibt den Entwicklungsstand eines Bauwerks wieder und setzt sich dabei aus geometrischen und semantischen Informationen zusammen. Allerdings werden i. d. R. in der Planung alle Bauteile und Abschnitte betrachtet und teilweise mit allen verfügbaren Informationen verknüpft. Es hat sich diesbezüglich in der praktischen Umsetzung ein Stufenkonzept in 100er-Schritten etabliert, welches versucht, konkrete Aussagen zu den zu liefernden Informationen einer Stufe zu machen [5]. Die geometrischen und semantischen Informationen müssen dabei nicht zwangsläufig immer auf der gleichen Stufe sein. Oft ergeben sich auch für unterschiedliche Teile der Planung unterschiedliche Ausarbeitungsgrade, sodass kein Gesamt-LOD für alle Teile der Planung angegeben werden kann [10]. Die Unterteilung unterscheidet sich auch nach den beteiligten Akteuren, da diese teilweise eigene Anforderungen definieren. Die Anforderungen an die Entwicklungsgrade sind direkt zu Projektbeginn zu definieren, eine allgemeingültige Normung für das LOD existiert bisher nicht. Dem gegenüber steht das LoIN-Konzept, welches versucht, die verschiedenen LOD-Definitionen im europäischen Raum mithilfe der Norm EN 17412 zu harmonisieren. Grundsatz des LoIN ist, dass die notwendigen Informationen in Abhängigkeit konkreter Anwendungsfälle definiert werden. Eine Unterteilung des Informationsgehaltes in verschiedene Stufen entfällt [5]. So kann zum Beispiel festgelegt werden, dass für den Betrieb und die zugehörigen Anwendungsfälle die Informationen zu Kosten und Terminen in der Bauphase des Bauwerks eine deutlich geringere Bedeutung haben und somit nicht notwendigerweise abgebildet werden müssen. Allerdings ist für jeden Anwendungsfall dezidiert zu bestimmen, welche Informationen wann benötigt werden. Hinzu muss im Rahmen der Festlegungen auch definiert werden, aus welchem Dokument oder Plan die jeweiligen Informationen übernommen werden. Im weiteren Verlauf werden die Anwendungsfälle Planung, Installation und Betrieb eines SHM-Systems untersucht. Zunächst werden jedoch zwei im Rahmen des gegenständlichen Forschungsprojektes untersuchte Referenzbauwerke kurz vorgestellt. 2. Vorstellung der Referenzbauwerke Bei den beiden Referenzbauwerken handelt es sich zum einen um eine Plattenbalkenbrücke aus dem Jahr 1972. Ihre Gesamtlänge beträgt 245 m mit einer Breite von 22,7 m. Sie wurde als 2-stegige Spannbetonbrücke konstruiert. Die Brücke ist durch eine Längsfuge in die Teilbauwerke Ost und West aufgeteilt. Diese Referenzbrücke 5. Brückenkolloquium - September 2022 233 Bedarfsorientierte Informationsanreicherung von Bestandsbrückenbauwerken im Kontext des SHM wurde zudem im Jahr 2015 um eine externe Vorspannung in Längsrichtung ergänzt. Zum anderen handelt es sich um eine Brücke (Baujahr 1972) über die Autobahn A7 mit einer Spannweite von 50 m und einer Breite von 6 m. Das Bauwerk ist ein Mischsystem bestehend aus Zweigelenkrahmen und Bogensystem mit Kragarm. Der Träger ist als einzelliger Hohlkastenquerschnitt mit Verjüngung ausgeführt. Beide Brücken sind Spannbetonbauwerke und stehen somit stellvertretend für ca. 70% aller Bestandsbrücken im Bundesfernstraßennetz [6]. Aus diesem Grund eignen sie sich besonders für Untersuchungen, da die Ergebnisse auf eine breite Anzahl an weiteren Bauwerken übertragbar sind, auch wenn die einzelnen Brücken durch eine hohe Individualität gekennzeichnet sind. 3. Anwendungsfälle eines SHM-Systems Die Anwendungsfälle werden zunächst in drei Phasen unterteilt: Planung, Installation und den Betrieb. Eine Übersicht der Anwendungsfälle ist in der Tabelle 1 dargestellt. Tabelle 1: Anwendungsfälle des SHM-Systems geordnet nach den Phasen Planung, Installation und Betrieb Planung Installation Betrieb Visualisierung Bauwerk inkl. Informationen der SIB- Datenbank Modellbasierte Ausführung Visualisierung prozessierte Zeitreihen Visualisierung Schäden Dokumentation Sensorinstallation Visualisierung Key Performance Indikatoren Auswahl und Position Sensoren Dokumentation Anschlüsse und Kabelführung Datenmanagement der Messwerte 3.1 Planung Die Planung eines SHM-Systems findet aktuell zumeist im Kontext von Bestandsbrücken statt, welche durch Schäden in den regelmäßigen Bauwerksinspektionen aufgefallen sind. Erste Forschungsarbeiten zu Brücken, die direkt mit Sensoren eines Structural Health Monitorings ausgestattet sind, befinden sich in der Umsetzung. Der Bedarf an Forschungsergebnissen zu Bestandsbauwerken ist aktuell größer. Aus diesem Grund wird nachfolgend ausschließlich auf den Fall von Bestandsbrücken eingegangen. Die Dauerüberwachung zur frühzeitigen Erkennung von Schäden soll dabei Aufschluss über die weitere Entwicklung von Schäden geben und ein rechtzeitiges Eingreifen ermöglichen. Allerdings werden derartige Systeme zumeist nur bei sehr wichtigen Bauwerken eingesetzt, deren Verfügbarkeit für die Infrastruktur kritisch ist. Im Rahmen der Planung eines SHM sind zunächst die Art der Sensoren inkl. ihrer Position festzulegen. Das beispielhafte Vorgehen und die zu beantwortenden Fragen hierzu sind in der Abbildung 1 schematisch dargestellt. Abbildung 1: Schematischer Ablauf bei der Planung der Sensoren Dafür ergeben sich mehrere Hauptinformationsbedarfe: • zum einen die Bestandsbrücke, mit - der Geometrie, - den verwendeten Materialien, - aktuellen Zustandsnoten sowie - weitere Informationen zum Typ des Bauwerks - Informationen aus der SIB-Datenbank • und zum anderen die detektierten Schäden an den Bauteilen des Bauwerks, mit - ihren Geometrien, - Merkmale und auch - Entwicklungen über die letzten Bauwerksinspektionen. Daraus folgen die einzusetzenden Sensoren mit ihren Informationen und Eigenschaften. Insbesondere die Anwendungen, Messbereich, Abtastrate und Messgenauigkeiten, Robustheit gegenüber Umgebungseinflüssen, Messfehler und Rauschdichte, Anbaubarkeit sowie Ausführungsart mit/ ohne Kabel sind bei der Planung eines SHM-Systems wichtig, damit für die Brücke passende Sensorkonzepte erarbeitet werden können. Zusätzlich sind die Informationen zu den in den Sensoren verwendeten Kommunikationsprotokollen und eingebetteten Algorithmen von besonderer Bedeutung, welche auch abgebildet werden müssen, aktuell aber noch weiterer Forschung bedürfen [11]. Schließlich sind auch die Umgebungs- und Witterungsbedingungen für die Planung relevant, damit ggf. geeignete Schutzsysteme für die Sensoren berücksichtigt werden können. Schließlich werden auch Informationen benötigt zu möglichen Anschlüssen ans Internet, um die Messdaten z. B. an den Betreiber zu 234 5. Brückenkolloquium - September 2022 Bedarfsorientierte Informationsanreicherung von Bestandsbrückenbauwerken im Kontext des SHM übermitteln, sowie an die Stromversorgung zum Betrieb des SHM-Systems. Eine vereinfachte Darstellung der benötigten Informationen ist in Abbildung 2 dargestellt. Abbildung 2: Schematische Darstellung der benötigten Informationen für die Planung eines SHM-Systems 3.2 Installation Bei der Installation stehen die modellbasierte Ausführung und die Dokumentation des SHM-Systems im Vordergrund. Die modellbasierte Dokumentation unterstützt das ausführende Unternehmen dabei, die Sensoren entsprechend der Planung zu montieren. Zudem ergibt sich die Möglichkeit, sich die Position der Sensoren im BIM-Modell in Zusammenspiel mit dem Bauwerk anzusehen und Herausforderungen einfacher visuell zu identifizieren sowie hierauf aufbauend den Montageablauf ggf. zu optimieren. Weiterhin kann das BIM-Modell durch die Hinterlegung von GPS-Koordinaten der Sensorpositionen zur Kontrolle der tatsächlichen Installation genutzt werden. Die Dokumentation des SHM-Systems umfasst die genauen georeferenzierten Positionen der Sensoren, damit diese mit den Planpositionen abgeglichen werden können, da die Vor-Ort-Bedingungen manchmal eine Anpassung der Sensorposition erfordern. Genauso werden die verbauten Sensoren mit den spezifischen Informationen und einer eindeutigen Bezeichnung im Modell hinterlegt, damit die Messungen immer der jeweiligen Position zugeordnet werden können. Des Weiteren sind Bilder zur Einbausituation als Basisinformationen sinnvoll. Neben den Sensoren stellen auch die Anschlüsse an den Vor-Ort-Messrechner, die Stromquelle und das Internet wichtige Informationen des SHM-Systems dar. Die Länge der Anschlusskabel ist für die Auswertung der Messergebnisse relevant und sollte entsprechend ebenfalls im Modell dokumentiert werden. 3.3 Betrieb Die Visualisierung von Messergebnissen in prozessierten Zeitreihen sowie von Key Performance Indikatoren bedarf vorheriger Festlegungen, welche Daten visualisiert werden sollen und in welcher Frequenz die zugrunde liegenden Daten aktualisiert werden sollen. Die Form der Visualisierung mit den entsprechenden Skalen und Grenzwerten aber auch das Programm oder die Webseite, in der die Visualisierung gezeigt werden soll, sind ebenfalls relevant. Der Betrieb eines SHM-Systems ist insbesondere durch eine große Menge an Daten, die während der Messung entstehen, gekennzeichnet. Dadurch wird die effiziente Verarbeitung der Messwerte, die Übertragung der Ergebnisse und die Bereitstellung von historischen Messdaten zu einer Herausforderung. Die Verarbeitung benötigt klare Informationen zu den anfallenden Datengrößen, den Leistungsmerkmalen der Recheneinheiten und den Übertragungsraten. Zu den historischen Messwerten muss bekannt sein, in welchem Umfang und Format diese zur Verfügung stehen sollen. Eine vollständige Ablage aller Messwerte eines SHM-Systems bietet oft nur wenige Vorteile gegenüber einer selektiven Speicherung von reduzierten Messwerten, insbesondere wenn die Messung weiter zurückliegt. Hier bietet sich oft eine Speicherung der historischen Extremwerte und eines bestimmten Zeitraums nach dem Ereignis an. Es ist vom Betreiber der Bauwerke festzulegen, welcher Datenumfang direkt im BIM-Modell des SHM-Systems hinterlegt sein soll. Eine allgemeingültige Aussage ist hierzu nicht möglich. 4. Erfassung und Abbildung semantischer Informationen Nachdem die Informationskategorien identifiziert sind, stellt sich die Frage, in welcher Form die Informationen vorliegen und woher diese Informationen kommen können, um sie anschließend in einem BIM-Modell abzubilden. Hierbei wird zunächst nur zwischen digitalen und papiergebundenen Informationen unterschieden. Später wird dann auf die Besonderheiten von PDF- und JPG- Dateiformaten eingegangen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 235 Bedarfsorientierte Informationsanreicherung von Bestandsbrückenbauwerken im Kontext des SHM Tabelle 2: Übersicht der Informationsformen und -quellen Kategorie Form Quelle Bauwerksinformationen papiergebunden z. B. Bauwerksbuch, Baupläne Sensoren digital z. B. PDF-Dateien Datenblätter, Messberichte Schäden digital z. B. JPG- Dateien, papiergebunden SIB-Bauwerkedatenbank, Inspektionsberichte, Nachrechnungen, Bilder von Schäden Umgebungsbedingungen digital, papiergebunden Wetterstation in Umgebung, Grundwasser- und Bodenkarten Anschlüsse papiergebunden, digital z. B. PDF-Dateien Versorgungspläne 4.1 Möglichkeiten der Informationsintegration Die Form und die Quellen stellen wichtige Einflussfaktoren auf die Integrationsfähigkeit in ein BIM-Modell dar. Es muss grundsätzlich unterschieden werden, ob die Informationen mit Bauteilen verlinkt sind oder tatsächliche Merkmale der Bauteile oder des Modells darstellen. Hier sei zum Beispiel die Möglichkeit genannt, das Datenblatt eines Sensors als PDF-Datei mit einer geometrischen Repräsentation zu verlinken. Dadurch wird die Information durch das BIM-Modell aufrufbar. Allerdings sind die Informationen in dem PDF nicht direkt maschineninterpretierbar und nur teilweise maschinenlesbar. Dadurch können die im Datenblatt enthaltenen Informationen oft nicht automatisiert weiterverarbeitet werden. Eine Alternative stellt die Modellierung der Informationen zum Beispiel als Merkmale des Sensors dar, wodurch diese wenigsten automatisiert ausgelesen werden können. Allerdings ist der manuelle Übertrag der Informationen in ein BIM- Modell mit einem erheblichen Aufwand verbunden, im Vergleich zum einfachen Verlinken der Informationen. Innovative Ansätze zur Interpretation von PDF-Dateien durch künstliche Intelligenz befinden sich aktuell in der Entwicklung. Dadurch könnte der Aufwand für die Anreicherung von BIM-Modellen signifikant reduziert werden. Bei der Übertragung aus bestehenden Datenbanken würde dadurch zudem die Fehleranfälligkeit reduziert werden. Aus diesem Grund muss innerhalb eines LoIN-Konzepts festgelegt werden, in welcher Form die Informationen verfügbar sein und mit welchen Schritten diese weiterverarbeitet werden sollen. Nachfolgend wird erläuternd dafür plakativ der Fall der Sensorpositionierung betrachtet. 4.2 Informationsanreicherung für Sensorpositionierung Die Sensorposition hängt vornehmlich von der Bauwerksgeometrie mit den Informationen zu den kritischen Bauteilen und den bisher detektierten Schäden ab. Diese Information vornehmlich in papiergebundener Form vor, weshalb hier aktuell noch großer manueller Aufwand für die Integration besteht. Wichtige Nebenbedingungen sind die Umgebungsbedingungen, wie Strahlungswerte, Temperaturbandbreite, Feuchte und weitere, sowie die Anschlussparameter. Insbesondere die Wetterdaten stehen heute schon digital über den Deutschen Wetterdienst zur Verfügung, hier können die Wetterdaten von 76 Wetterstationen über das Internet abgerufen werden. Es stehen auch historische Wetterdaten teilweise bis in das Jahr 1991 zur Verfügung. Die Anschlussparameter müssen dagegen meist wieder aus papiergebundenen Plänen entnommen werden. Die Verteilerkästen lassen sich aber auch bei Vor-Ort-Begehungen erfassen, allerdings fehlen dann oft weitere Informationen zum Leitungsverlauf, den bestehenden Leitungen und der Übertragungstechnik. All diese Informationen fließen aktuell in den Entscheidungsprozess eines oder mehrerer Ingenieure ein. Planungsalgorithmen für die Ermittlung der optimalen Sensorpositionen stehen noch nicht zur Verfügung, sodass bisher keine vollständige Automatisierung dieses Prozesses erfolgen kann. Dennoch entsteht durch die Zusammenführung aller relevanten Informationen in einem Modell der Vorteil, dass diese Informationen schneller auffindbar und leichter verknüpfbar sind. Abschließend lassen sich dann auch Bauteillisten für einen möglichen Beschaffungsprozess aus dem Modell ableiten. Der Informationsgehalt hängt dabei von dem Umfang der integrierten Informationen ab. Eine Besonderheit stellen bei der Informationsanreicherung von BIM-Modellen die Schäden dar, welche aktuell oft ausschließlich mit Bildern dokumentiert werden. Dadurch liegen zwar inhärente Informationen zu den Schäden, wie Größe und optischer Eindruck vor, diese können aber zumeist nur von Experten aus diesen Bildern herausgelesen und interpretiert werden. Weitere Informationen beispielsweise zu den Größen von Abplatzungen können anhand der Bilder zudem nicht ohne Weiteres erfasst werden. Weiterhin ist eine genaue Verortung der Schäden oft nur eingeschränkt möglich, da die Aufnahmen händisch in den Bauwerksplänen vermerkt werden. Diese Ungenauigkeit kann sich schließlich auf die Bewertung der Bauwerke auswirken. Aktuell werden zunehmend Versuche unternommen, durch Laserscanning in Verbindung mit Photogrammmetrie den IST-Zustand von Bauwerken zu dokumentieren. Die Vorteile einer genauen räumlichen Position und der Bestimmung der genauen Schadensgeometrie liegen dabei auf der Hand. Beispielsweise die Geometrieerfassung von Abplatzungen bietet die Möglichkeit tiefere Einblicke in das Ausmaß der Schädigung zu gewinnen, bspw. wie die verbleibende Betonüberdeckung ist. Allerdings 236 5. Brückenkolloquium - September 2022 Bedarfsorientierte Informationsanreicherung von Bestandsbrückenbauwerken im Kontext des SHM lassen sich solche feinen Geometrien aktuell nicht sehr gut in einem BIM-Modell abbilden, es sind aber erste Ansätze dokumentiert [7]. Zusätzlich bietet die Methode BIM auch die Möglichkeit das Management der großen Datenmengen aus den SHM effizient zu organisieren, sodass eine übergreifende Anwendung von BIM einen wesentlichen Vorteil gegenüber, der bisher nicht BIM-gestützten Umsetzung von SHM bietet [9]. 5. Zusammenfassung und Fazit Insgesamt lässt sich ein großer Bedarf für eine Digitalisierung von Bestandsbrücken feststellen, allerdings gibt es diesbezüglich aktuell noch keine einheitlichen Vorgehensweisen, die sich für das gesamte Fernstraßennetz eignet. Um dies zukünftig zu realisieren, sind insbesondere die Anwendungsfälle und die dafür benötigten Informationen von zentraler Bedeutung. Diese wurden am Beispiel eines SHM-Systems aufgezeigt, müssen aber noch detailliert ausgearbeitet werden. Erste Schritte in Richtung einer Digitalisierung mit BIM wurden genauso wie die Herausforderungen bei der Umsetzung diskutiert. Wesentliche Herausforderungen ergeben sich unter anderem aus der Form der Informationen (oft nicht digital bzw. i. d. R. nicht maschinenlesbar) und deren Quellen, welche eine automatisierte Integration in ein BIM-Modell erschweren. Des Weiteren gibt es Ansätze durch neue Technologien ergänzende Informationen aus den Bauwerksinspektionen für die Modellierung zu erlangen und zu nutzen. 6. Danksagung Die Autoren bedanken sich für die Förderung bei dtec. bw - Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr (https: / / dtecbw.de/ home) sowie der Autobahn GmbH Nord für ihre Unterstützung. 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Brückenkolloquium - September 2022 239 Grunewaldbrücke: Erneuerung der Fahrbahnübergänge auf der BAB A59 (DE) Dipl. Ing. (FH) Stefan Adam Geschäftsführer mageba gmbh, Im Rinschenrott 3A, 37079 Göttingen, Deutschland Zusammenfassung Die Grunewaldbrücke befindet sich auf der Autobahn A 59 zwischen Düsseldorf und Duisburg. Sie ist eine «der» Verkehrsadern in diesem dicht besiedeltem Teil im Westen Deutschlands. Aufgrund eines Spalts von ca. 15 cm in der bestehenden Übergangskonstruktion über die gesamte Fahrbahnbreite war es erforderlich, eine schnelle und nachhaltige Lösung zu finden. Nach dem Feststellen des Schadens musste dafür aus sicherheitsrelevanten Gründen die Grunewaldbrücke BAB A 59 kurzfristig in beide Richtungen voll gesperrt werden. Auf Basis umfangreicher Begutachtung der Übergangskonstruktion und sofortigen Handelns konnte eine schnelle und sichere Lösung zur baldigen Freigabe der Bundesautobahn gefunden werden. Dabei wurde sich für den Mini-Flyover entschieden, der für eine zügige Überfahrt und Überbrückung der schadhaften Stelle sorgt, während eine dauerhafte Lösung geplant und umgesetzt wird. Grunewaldbrücke 1. Einleitung Die Grunewaldbrücke ist 1.016 m lang. Das Kernstück des geschweißten Brückenzuges ist ein strählender Durchlaufträger über drei Felder mit starken Vouten an den Zwischenpfeilern. Die beiden Hauptträger sind Hohlkästen und die Fahrbahntafel ist als orthotrope Platte ausgebildet. Da bei den zwei Überbauten unterschiedliche Werkstoffe mit unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten aufeinandertreffen, muss die Übergangskonstruktion am Trennpfeiler entsprechend hohe Bewegungen aufnehmen. 2. Aufgabenstellung und Besonderheiten Altersbedingt und durch allgemeinen Wartungsstau musste die eingebaute Übergangskonstruktion generalsaniert werden. Im Folgenden werden die an den Bauwerken auszuführenden Instandsetzungsmaßnahmen bzw. die für diese Aufgabenstellungen erforderlichen Anforderungen an den Nachbau der Fahrbahnübergangskonstruktionen vorgestellt. Die im Jahr 2000 eingebaute Übergangskonstruktion in Lamellenbauweise, war aufgrund der hohen Belastung, Undichtigkeiten, Verschmutzung nicht mehr vollumfänglich funktionsfähig. Mini-Flyover der mageba gmbh 240 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grunewaldbrücke: Erneuerung der Fahrbahnübergänge auf der BAB A59 (DE) Grunewaldbrücke Mitarbeiter der Autobahnmeisterei entdeckten einen rund 15 cm breiten Spalt in der bestehenden Übergangskonstruktion über die gesamte Fahrbahnbreite. Um die Bundesautobahn baldmöglichst wieder freigeben zu können, wurde sich für den Mini-Flyover entschieden. In beiden Fahrtrichtungen auf je zwei Spuren wurden jeweils 8 Mini-Flyover installiert, welche bis zum finalen Tausch der Fahrbahnübergänge im Einsatz blieben. Mini-Flyover der mageba gmbh Der Flyover ist im Wesentlichen einen mobile, massive Stahlüberbrückung des Fahrbahnübergangs bestehend aus Anfahrtsrampe, Überbrückungsblech und Abfahrtrampe. Er kann über jede Art von Fuge installiert werden um temporär eine sichere Überfahrt zu ermöglichen. 3. Funktion und Konstruktion Abb. 1: Kasten in Kasten Fahrbahnübergang 4. Einbau des Mini-Flyover Der alte Fahrbahnübergang an einem Ende der Grunewaldbrücke auf der Autobahn A 59 zwischen Duisburg und Düsseldorf erforderte sofortige Maßnahmen. Nach dem Entfernen des Asphalts entlang der Seite der Dehnfuge werden die Stahlblöcke für den Anschluss des Flyover-Systems in Position geschweißt. 5. Brückenkolloquium - September 2022 241 Grunewaldbrücke: Erneuerung der Fahrbahnübergänge auf der BAB A59 (DE) Erste Probemontage des Flyover-Systems vor dem bohren der Gewindelöcher in den Stahlblöcken für die Verbindung der Flyover—Stahlplatten. Nach dem bohren der Gewindelöcher in die Stahlblöcke zur Befestigung der Flyover-Platten, wird der Mörtel um die Stahlblöcke gegossen. Ansicht des Fahrbahnübergangs nach Vorbereitung für die Platzierung der großen Flyover-Stahlplatten Ansicht der Fahrbahnübergangsfuge mit installiertem Flyover-System - beidseitig mit leicht abgeschrägten Platten, um die Überfahrt für die Autofahrer so angenehm wie möglich zu gestalten. Nach der Installation des Flyover-Systems kann die Fuge mit einer Geschwindigkeit von rund 40 km/ h passiert werden. 242 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grunewaldbrücke: Erneuerung der Fahrbahnübergänge auf der BAB A59 (DE) 5. Tausch der sanierungsbedürftigen Übergangskonstruktion Als neuer Fahrbahnübergang wird eine Lamellendehnfuge des Typs LR12-LS in Kasten-in-Kasten Bauweise installiert. Dadurch kann der Fahrbahnübergang ohne einen Eingriff ins Bauwerk ausgetauscht werden. Die vorhandenen Traversenkästen weitestgehend erhalten. Lediglich zur Reduzierung der Stützweiten war es erforderlich einige neue Traversenaussparungen herzustellen. Die neue Konstruktion wird zudem mit obenliegenden Lärmschutzelementen, sogenannten Sinusleisten versehen um die Überfahrgeräusche zu minimieren. Ausbau der Bestands-ÜKO - Lamellen Ausbau der Bestands-Übergangskonstruktion - Traversen Kompletter Ausbau der Bestands-Übergangskonstruktion 5. Brückenkolloquium - September 2022 243 Grunewaldbrücke: Erneuerung der Fahrbahnübergänge auf der BAB A59 (DE) Korrosionsschutz am Bestand Einhub und Ausrichten der neuen Übergangskonstruktion Neue Übergangskonstruktion in Bestandskasten und neuem Kasten Vorbereitung Einknüpfen Dichtprofil, Polymerbeton, Sinusleisten anschrauben und Korrosionsschutz 244 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grunewaldbrücke: Erneuerung der Fahrbahnübergänge auf der BAB A59 (DE) Fertige Übergangskonstruktion mit Polymerbetonbalken 6. Fazit Bei diesem Projekt war es notwendig eine schnelle und sichere Lösung zu finden, um die A 59 weiterhin befahrbar zu machen. Nach umfangreicher Voruntersuchungen konnte die Instandsetzung der Übergangskonstruktion erfolgen. Grund für die defekte Übergangskonstruktion waren Dreckablagerungen und zu lange Wartungsintervalle, wodurch sich letztendlich ein großer Spalt in der Konstruktion gebildet hat und zu Verkehrsbehinderungen geführt hat. Dipl. Ing. (FH) Stefan Adam Mai 2022 Literaturverzeichnis [1] mageba Group 5. Brückenkolloquium - September 2022 245 Ausbau des Radverkehrsnetzes der Stadt Freising Kappenverbreiterung von Großbrücken unter Verwendung von Leichtbeton, rostfreiem Betonstahl und Hohlbordrinnen Magdalena Dimler, M.Sc. ilp² Ingenieure GmbH & Co.KG, München Dipl.-Ing. (FH) Stefan Lankes ilp² Ingenieure GmbH & Co.KG, München Tobias Reuther, M.Sc. ilp² Ingenieure GmbH & Co.KG, München Zusammenfassung Für eine bessere und sicherere Radwegführung in der Isarstraße im Stadtgebiet Freising werden beidseitig gemeinsame Geh- und Radwege angeordnet. Um dies realisieren zu können, werden auf den beiden Großbrücken „Hochtrasse“ und „Luitpoldbrücke“ Kappenverbreiterungen nach innen und außen erforderlich. Durch die Verwendung von Leichtbeton wird vermieden, dass es zu Tragfähigkeitsüberschreitungen der Bestandsbauwerke kommt. Im Zuge der Maßnahme werden außerdem die Entwässerungseinrichtungen und Kabeltrassen erneuert. Über Hohlbordrinnen und Vorreinigungsanlagen wird das Wasser künftig in Vorfluter abgeführt. Des Weiteren finden umfangreiche Arbeiten an der Verkehrsanlage insbesondere in den anschließenden Knotenpunkten statt. Hier legt die Stadt Freising Wert auf einen barrierefreien Ausbau. 1. Verkehrsbedeutung und Zielsetzung Die Isarstraße ist eine für den lokalen und regionalen Verkehr bedeutende, innerstädtische Verkehrsader im Stadtgebiet der großen Kreisstadt Freising in Oberbayern. Sie ist gemäß RIN [1] als angebaute Hauptverkehrsstraße innerhalb eines bebauten Gebietes (HS) kategorisiert. Der Radverkehr läuft bisher auf Radspuren direkt neben dem motorisierten Verkehr. Zudem verlaufen mehrere Linien des ÖPNV entlang der Isarstraße. Innerhalb des Maßnahmenbereichs überführt die Isarstraße mit drei Brückenbauwerken mehrere innerstädtische Straßen, Gewässer I. und II. Ordnung, die Hauptstrecke 5500 München - Landshut der Deutschen Bahn, sowie untergeordnete Wegenetze und ein FFH-Gebiet. Übergeordnetes Ziel der Maßnahme ist die Verbesserung der Verkehrssicherheit mit Anpassung an die geänderten Ansprüche. So sollen sowohl von der Fahrbahn abgetrennte Geh- und Radwege, eine Anpassung der Verkehrsbeziehungen an den Kreuzungspunkten und eine Verbesserung des ÖPNV realisiert werden. Hierfür wird die Verkehrsführung auf einer Gesamtlänge von ca. 800 m optimiert. Neben den straßenbaulichen Anpassungen sind zur Zielerreichung Verbreiterungen der Brückenkappen der Ingenieurbauwerke sowohl nach innen als auch nach außen erforderlich. Die aktuell auf der Straße geführten Radfahrenden sollen in jeder Fahrtrichtung auf gemeinsamen Geh- und Radwegen auf den Brückenkappen geführt werden. Die Verkehrsbelastung liegt bei ca. 26.000 Kfz/ 24h und 1.000 SV/ 24h mit stark ausgeprägten Spitzen morgens und abends von ca. 2.500 Kfz/ h, da die Isarstraße die einzige Erschließung des gut ausgebauten P+R-Parkplatzes am Bahnhof Freising darstellt. 246 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ausbau des Radverkehrsnetzes der Stadt Freising Abb. 1 Luftbild mit Kennzeichnung der Maßnahme 2. Beschreibung der Maßnahme Um die Zielsetzung zu erreichen, wurden mehrere Szenarien untersucht. Es hat sich sehr früh herausgestellt, dass die Errichtung von getrennten Geh- und Radwegen in jeder Fahrtrichtung auf den Brückenkappen nur mit sehr aufwändigen und umfangreichen Umbauten und Verstärkungen der Brückentragwerke umsetzbar ist. Untersucht wurden in diesem Zusammenhang die maximal mögliche Verbreiterung der Brückenkappen nach außen sowie die mindestens erforderlichen Fahrbahnbreiten der in der Regel 4 Fahrstreifen. Umgesetzt wird die Errichtung von gemeinsamen Geh- und Radwegen auf den Brückenkappen mit Verbreiterung derselben nach innen und nach außen. 2.1 Brückenbauwerke Entlang der Ausbaustrecke verläuft die Isarstraße über die zwischen den Jahren 1972 und 1974 errichteten Brückenbauwerke „Angerbadergasse“, „Hochtrasse“ und „Luitpoldbrücke“. Bei dem Brückenbauwerk Angerbadergasse handelt es sich um ein überschüttetes, schlaff bewehrtes Rahmenbauwerk mit einer Stützweite von 11,25 m. Die vorhandene Gehwegbreite beträgt 2,50 m. Abb. 3 Regelquerschnitt Angerbadergasse Bestand Die anschließende Hochtrasse weist eine Gesamtlänge von 285 m auf. Sie ist als längs- und quervorgespannter zweistegiger Plattenbalken mit auskragenden Fahrbahnplatten ausgebildet. Die vorhandenen Kappenbreiten betragen derzeit 2,50 m. Zudem sind innerhalb der Kappen Sparten verlegt. Abb. 4 Regelquerschnitt Hochtrasse Bestand Die Bauweise der 172 m langen „Luitpoldbrücke“ gleicht der der Hochtrasse, jedoch sind in den Plattenbalken zusätzlich Hohlkammern angeordnet. Abb. 2 Darstellung der Örtlichkeiten mit den Straßenabschnitten und Brückenbauwerken 5. Brückenkolloquium - September 2022 247 Ausbau des Radverkehrsnetzes der Stadt Freising Die vorhandenen Kappen weisen ebenfalls eine Breite von 2,50 m auf. Ebenso verlaufen Sparten innerhalb der Kappen. Abb. 5 Regelquerschnitt Luitpoldbrücke Bestand Die Bestandsbrückenkappen weisen erhebliche Mängel auf. Neben der nicht mehr gegebenen Dauerhaftigkeit beeinflussen die Schäden im Bereich der Gesimse bereits die Tragfähigkeit. Die Standsicherheit der Einbauteile wie Geländer und Beleuchtungsmaste sowie die gefahrlose Nutzung der unter den Brückenbauwerken befindlichen Verkehrs- und Nutzflächen ist nicht mehr gegeben. Im Bereich der Bahnstrecke beim BW Hoch-trasse befindet sich ein horizontaler Berührschutz, welcher ebenfalls erhebliche Schäden aufweist. 2.2 Verkehrsanlagen Entlang der Ausbaustrecke befinden sich die drei Knotenpunkte „Korbiniankreuzung“, Kreuzung mit der Luitpoldstraße und die Einmündung der Ismaningerstraße. In sämtlichen Kreuzungsbereichen sind bisher keine Aufstellflächen für Radfahrende vorhanden, so dass die verkehrliche Situation in vielerlei Hinsicht unübersichtlich ist. Sowohl durch das Rechtsabbiegen von Kraftfahrzeugen und dem Aufstellen von Radfahrenden im toten Winkel als auch durch das direkte Linksabbiegen von Radfahrenden und dem dadurch erforderlichen Kreuzen der geradeausfahrenden Kraftfahrzeuge entstehen für den Radfahrenden gefährliche Situationen. Darüber hinaus sind die Kreuzungsbereiche bisher nicht barrierefrei ausgebildet. 2.3 Straßen- und Brückenentwässerung Die Brückeneinläufe der Hochtrasse münden in Zuleitungen, die an Längssammelleitungen angeschlossen sind. In den Widerlagerbereichen erfolgt die Übergabe an die Streckenentwässerung. Zusätzlich sind Tropftüllen mit Freifallentwässerung vorhanden. Die Brückeneinläufe der „Luitpoldbrücke“ münden in Fallleitungen, die ohne weitere Sammelleitung direkt per Freifall entwässern. Zusätzlich sind Tropftüllen mit Freifallentwässerung vorhanden. Bei beiden Bauwerken werden die an die Brückeneinläufe anschließenden Leitungen durch die Stegquerschnitte der Überbauten geführt, wodurch bereits lokal feuchteinduzierte Schäden an den Bauwerken entstanden sind. Das im übrigen Streckenabschnitt anfallende Niederschlagswasser (inkl. der Hochtrasse) wird bisher ungereinigt verschiedenen Vorfluten zugeführt bzw. versickert. 3. Umsetzung der Maßnahme 3.1 Ingenieurbauwerke Um dem Hauptziel der Maßnahme nach einer Verbesserung der Radwegführung gerecht zu werden, müssen die Brückenkappen verbreitert werden, so dass die in der ERA [2] geforderten Mindestbreiten von 2,50 m für gemeinsame Geh- und Radwege zuzüglich einem 50 cm breiten Sicherheitsstreifen erreicht werden können. 3.1.1 Variantenuntersuchung Zur Erzielung größerer Breiten wurde in der Vorentwurfsplanung zunächst eine Verbreiterung der Überbaukappen inkl. der Überbaukragarme nach außen verfolgt. Hierdurch treten jedoch bereits bei reiner Betrachtung des Tragwerks in Querrichtung deutlich höhere Beanspruchungen an den maßgebenden Kragarmanschnitten auf. Diese resultieren zum einen aus dem höheren Konstruktionseigengewicht in Kombination mit dem durch die Verbreiterung erzeugten größeren Hebelarm, zum anderen aus den nach DIN EN 1991-2 anzusetzenden Lastannahmen, die gegenüber den ursprünglich berücksichtigten Lastansätzen nach DIN 1072 gravierend erhöht wurden. Zur Aufnahme dieser höheren Beanspruchungen wären umfangreiche Verstärkungsmaßnahmen in Form von oberseitig aufgeklebten bzw. eingeschlitzten GFK-Lamellen, nachträglich eingeklebter Betonstahlbewehrung, oder Abfangung der Auskragung über außenliegende Stahlträgerkonstruktionen erforderlich. Nicht zuletzt wegen der sehr engmaschigen Quervorspannung der Kragarme sowie der Längsvorspannung des Überbaus selbst, erschienen diese Varianten mit voranschreitendem Planungsfortschritt als nicht zielführend. 3.1.2 Vertiefte Planung und Ausführung In der weiteren Planung wurde der Fokus neben einer Verbreiterung der Kappen nach außen auch auf eine Verbreiterung nach innen gelegt. Ein Versetzen der bisherigen Fahrbahnränder um 50 cm in Richtung Fahrbahn konnte auf beiden Seiten unter Achtung des bisherigen Verkehrsraumes mit 2 Fahrstreifen je Richtung und ÖPNV-Nutzung umgesetzt werden. Der Fahrbahnquerschnitt wurde hierdurch von 14,0 m zwischen den Schrammborden auf 13,0 m reduziert. In Kombination mit der Ausführung der Kragarmverlängerung und der Überbaukappen in Leichtbeton und der damit einhergehenden Reduktion des Konstruktionseigengewichts gegenüber Normalbeton konnten in der finalen Variante Kappenbreiten von 3,40 m (Hochtrasse) bzw. 3,55 m (Luitpoldbrücke) erzielt werden. Dies entspricht einer Verbreiterung der Überbaukappen um 90 cm (Hoch-trasse) bzw. 1,05 m (Luitpoldbrücke). Hierdurch stehen künftig 2,65 m bzw. 2,80 m nutzbare Breiten für die gemeinsamen Geh- und Radwege zur Verfügung. 248 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ausbau des Radverkehrsnetzes der Stadt Freising Durch die Verwendung von Hohlbordrinnen wird die Längsentwässerung in die Kappen integriert. Die Überbaulängen der Brückenbauwerke sind jedoch zu groß, um das anfallende Niederschlagswasser allein über den Durchflussquerschnitt der Hohlbordrinnen abführen zu können, so dass zusätzlich an den Kragarmunterseiten Sammelleitungen installiert werden müssen. Für die Entwässerungsabläufe können die bereits vorhandenen Durchdringungen der Überbaukragarme der bisherigen Brückenabläufe genutzt werden, wodurch eine Kollision mit der bestehenden Quervorspannung ausgeschlossen werden kann. Die bisher in den Stegen der Überbauten geführten gusseisernen und bereits stark korrodierten Fallleitungen werden im Zuge von Betoninstandsetzungsarbeiten dauerhaft verschlossen. Künftige Schädigungen der Überbauten durch Feuchteeintritt in den Konstruktionsbeton werden somit vermieden. Bei der Hohlbordrinne handelt es sich um ein bisher nicht bauaufsichtlich zugelassenes Bauprodukt, für das bei Verwendung eine Zustimmung im Einzelfall nach BayBO Art. 20 erforderlich ist. Diese wurde auf Basis einer Stellungnahme der BASt erteilt, in der unter Beachtung der üblichen Ausführungsregeln bei Granitborden (Rückverankerung über Gewindestangen im Kappenbeton, Abdichtung) und den bisher positiven Erfahrungen bei Vergleichsprojekten, keine Bedenken hinsichtlich des Einsatzes der Hohlbordrinnen geäußert wurden. 3.1.3 Beton-Betonverbinder in Leichtbeton Die gewählte Konstruktion weicht u.a. aufgrund der Bauweise in Leichtbeton und der Verwendung von nichtrostendem Bewehrungsstahl von herkömmlichen Überbaukappen ab, wodurch zusätzliche Betrachtungen in der Bemessung erforderlich wurden. Die Verankerung der Neubaukappen in den Überbaukragarmen erfolgt über Beton-Betonverbinder. Für deren Bemessung gelten zum derzeitigen Stand die produktspezifischen allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen in Verbindung mit DIN EN 1992-4 [3]. Jedoch beschränkt sich der Anwendungsbereich sämtlicher aktuell verfügbarer Betonschrauben auf die Anwendung in Normalbeton. Um die Forderungen des BayStrWG Art. 10 (1) für die Verwendung der Betonschrauben in Leichtbeton zu erfüllen, wurde für das Bauprodukt ebenfalls eine Zustimmung im Einzelfall gem. BayBO Art. 20 erwirkt. Basis für die positive Beurteilung stellt dabei eine gutachterliche Stellungnahme [4] dar. Im projektspezifischen Anwendungsfall betreffen die maßgeblichen Unterschiede in der Nachweisführung die Versagensmechanismen kegelförmiger Betonausbruch infolge Zuglast und Betonausbruch auf der lastabgewandten Seite infolge Querlast. Der Nachweis gegen kegelförmigen Betonausbruch kann durch Modifikation des Beiwertes k cr,n geführt werden, der in der bauartspezifischen abZ [5] für Normalbeton mit 8,5 angegeben ist. Die Gleichung nach [3, Gl. (7.2)] bleibt an sich unverändert. Die Modifikation des Beiwertes stützt sich dabei auf empirische Untersuchungen [6] und kann zu angenommen werden. Abb. 6 Regelquerschnitt Neubau und Umbau Luitpoldbrücke 5. Brückenkolloquium - September 2022 249 Ausbau des Radverkehrsnetzes der Stadt Freising Der Nachweis gegen Betonausbruch auf der lastabgewandten Seite kann durch Erweiterung des Terms in [3, Gl. (7.39a)] mit dem Beiwert zur Bestimmung der Zugfestigkeit von Leichtbeton η 1 [7, Gl. (11.1)] geführt werden. Die angepasste Gleichung lautet dann Die Geländerverankerung erfolgt gem. RiZ-ING Gel 14 [8] über eine Fußplatte mit nachträglich eingeklebten Verbundankern. Analog den Beton-Betonverbindern zur Kappenverankerung ist hierfür eine ZiE auf Basis einer gutachterlichen Stellungnahme erforderlich. Aufgrund der randnahen Verankerung sowie der Gruppenwirkung der Verbundanker sind hierbei weitere Versagensmechanismen zu betrachten. 3.1.4 Spartentrassen In den neuen Leichtbetonkappen sollen außer der Versorgung der stirnseitig angebrachten Beleuchtungsmaste künftig keine Sparten mehr verlegt werden. Zur Überführung der bisher in den Bestandskappen vorhandenen Leitungen sowie evtl. erforderlicher zusätzlicher Leitungen werden unterhalb der seitlichen Überbaukragarme der beiden Großbrücken abgehängte Spartentrassen mit jeweils 12 Leerrohren DN 125 je Seite angeordnet. 3.2 Verkehrliche Umgestaltung In den an die Brückenbauwerke angrenzenden Knotenpunkten werden die vergrößerten Breiten des gemeinsamen Geh- und Radweges aufgegriffen und weitergeführt. An den Querungsstellen werden die geradeausfahrenden Radfahrenden künftig über Radwegfurten auf die Fahrbahn geleitet. Für linksabbiegende Radfahrende sind indirekte Radwegführungen mit rechtsliegenden Aufstellflächen im Kreuzungsbereich vorgesehen. Zusätzlich werden zur Erhöhung der Sicherheit seh- und gehbehinderter Menschen taktile Leitsysteme in Form von Bodenindikatoren, akustischen Signalgebern und vibrierenden Anforderungstastern angeordnet. Neben den umfangreichen Straßenbau- und Markierungsarbeiten werden aufgrund der vorgenannten Maßnahmen auch Anpassungen der Lichtsignalanlagen und deren Schaltung sowie der Straßenbeleuchtung und -beschilderung erforderlich. 3.3 Straßen- und Brückenentwässerung Um eine umwelttechnische Verbesserung der bisherigen Entwässerungssituation zu erreichen, wird das im gesamten Streckenabschnitt anfallende Niederschlagswasser künftig mittels Sedimentationsanlagen vorgereinigt und anschließend wie bisher der Vorflut zugeführt bzw. versickert. Die Bemessung der Vorreinigungsanlagen erfolgt nach DWA-Merkblatt 153 [9]. In den Entwässerungsabschnitten, in denen das Niederschlagswasser an die Vorflut übergeben wird, werden Anlagen des Typs D25 mit Dauerstau und maximal 18 m³/ (m²*h) Oberflächenbeschickung bei r krit [9] verwendet. In den Bereichen mit Versickerung sind Anlagen des Typs D11 mit Retentionsbodenfilteranlagen zur weiteren Regenwasserbehandlung im Trennsystem nach Merkblatt DWA-M 178 [9] vorgesehen. 4. Bauablauf Die Umsetzung der Maßnahme erfolgt unter steter Aufrechterhaltung des öffentlichen Verkehrs, weshalb die Arbeiten nicht gleichzeitig stattfinden können und unterschiedliche Baufelder zu unterschiedlichen Zeitpunkten zur Verfügung stehen. In einer Vorabmaßnahme wurden 2021 zunächst die Vorreinigungsanlagen in lokal stark begrenzten Baubereichen eingebaut und weitestgehend an das bereits bestehende Kanalnetz angeschlossen. Hierdurch wird sichergestellt, dass nach den Umbaumaßnahmen an den Entwässerungseinrichtungen das anfallende Abwasser sofort in vorgereinigter Form den Vorfluten zugeführt bzw. versickert wird. Im Jahr 2022 erfolgt die Kappenerneuerung der Luitpoldbrücke. Dabei wird in einer bauzeitlichen Verkehrsführung mit einer Spurwegnahme zunächst die Ostseite hergestellt. Nach Fertigstellung und Freigabe für den öffentlichen Verkehr erfolgen im Anschluss die Bauarbeiten auf der Westseite in grundsätzlich gleicher Weise. Abb. 7 Einbau der Hohlbordrinne (Bridge Drainage) und Kappenanker (TOGE) 2023 werden die Brückenkappen der Hochtrasse, die angrenzenden Stützwände sowie die Überbaukappen des Brückenbauwerks Angerbadergasse angepasst. Das grundsätzliche Vorgehen gleicht dabei dem der Luitpoldbrücke. Zunächst erfolgen die Umbaumaßnahmen auf der Westseite, im Anschluss wird der Baubereich umgelegt und die Arbeiten auf der Ostseite werden ausgeführt. 250 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ausbau des Radverkehrsnetzes der Stadt Freising Abb. 8 Neuinstallierte Spartentrasse und Längsentwässerungsleitung der Luitpoldbrücke Grundsätzlich werden in jedem Bauabschnitt zuerst die Spartentrassen unter den Kragarmen in der endgültigen Lage montiert und die Sparten verlegt. Anschließend werden die Traggerüste an den Kragarmen montiert und die Kappen erneuert. Während der Baumaßnahme werden temporäre Lichtsignalanlagen installiert, die entsprechend den jeweiligen Behelfsverkehrsführungen koordiniert werden. Die Straßenbauarbeiten in den anschließenden Kreuzungsbereichen werden sukzessive durchgeführt, in dem die Baufelder der Ingenieurbauwerke temporär in die Knotenpunkte verlängert werden. Dies hat zwar eine Vielzahl von verschiedenen bauzeitlichen Verkehrsführungen zur Folge, jedoch kann der öffentliche Verkehr zu jedem Zeitpunkt der Maßnahme vollumfänglich aufrechterhalten werden. Es werden neue Lichtsignalanlagen installiert und die Straßenbeleuchtung erneuert. Die Gesamtmaßnahme abschließend erfolgt 2023 in nächtlichen Vollsperrungen der Isarstraße im gesamten Streckenbereich eine Deckschichterneuerung. 5. Schlussbemerkung Durch die intensive Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten und die detaillierte Bauablaufplanung befindet sich die Baustelle aktuell im Zeitplan. Mit den Stornierungen und Verschiebungen der Sperrpausen der Deutschen Bahn, den Lieferengpässen und gestiegenen Baustoffkosten, den behördlichen Auflagen im Zeitraum des G7-Gipfels und dem Bau unter Aufrechterhaltung aller Verkehrsbeziehungen waren bereits einige Herausforderungen zu bewältigen. Als Ziel wird eine deutliche Verbesserung der Verkehrssicherheit erreicht. Die durchgehenden Geh- und Radwege sowie die Installation der Straßen- und Brückenentwässerung mit den Regenwasserbehandlungsanlagen entspricht den Anforderungen einer modernen Gesellschaft. Literatur [1] FGSV, Arbeitsgruppe Verkehrsplanung, Richtlinien für integrierte Netzgestaltung, 2008 [2] FGSV, Arbeitsgruppe Straßenentwurf, Empfehlungen für Radverkehrsanlagen, 2010 [3] NABau, DIN EN 1992-4: 2019-04 + NA: 2019-04, Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 4: Bemessung der Verankerung von Befestigungen im Beton, 2019 [4] Fischer, O. Gutachterliche Stellungnahme, Kappenanker in Leichtbeton, 2019 [5] DIBt, Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung Z.21.8-1880, Toge Betonschraube TSM-B, BC, BS, BSH zur Verwendung als Beton-Betonverbinder, gültig bis 01.07.2019 [6] Block, K.; Becker, R: Untersuchungsbericht Nr. 11.02.26 U zum Tragverhalten von Kopfbolzendübel in Leichtbeton, Technische Universität Dortmund, Lehrstuhl für Betonbau - Befestigungstechnik, 2016 [7] NABau, DIN EN 1992-1-1: 2011-01 + NA: 2013- 04, Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau, 2011 [8] BASt, Richtzeichnungen für Ingenieurbauwerke (RiZ-ING), 2014 [9] DWA, Merkblatt DWA-M 153 Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Regenwasser, 2007 5. Brückenkolloquium - September 2022 251 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton Iris Hindersmann Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Germany Heinz Friedrich Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Germany Zusammenfassung Ältere Brücken mit orthotropen Fahrbahnplatten müssen aufgrund der starken Zunahme des Verkehrs und Defiziten, wie ermüdungsanfällige Konstruktionsdetails, die aus der Planung und Ausführung stammen, verstärkt werden. An orthotropen Fahrbahnplatten wurden in den letzten 15 Jahren vermehrt Schäden entdeckt, welche u.a. den Anschluss im Deckblech betreffen. Um den Schäden zu begegnen sind häufig zusätzlich zur Instandsetzung gerissener Schweißnähte auch Verstärkungsmaßnahmen erforderlich. Eine Verstärkung kann mit hochfestem Beton erfolgen, hierbei ist das Ziel, über die Verbundwirkung zwischen Fahrbahnbelag und orthotroper Fahrbahnplatte eine bessere Lastverteilung zu erreichen und damit eine Reduktion von Spannungen in den Schweißnähten und der Durchbiegung. Der Fahrbahnbelag wird durch eine Schicht aus stahlfaserverstärktem, bewehrtem hochfestem Beton ersetzt. Der Verbund dieser Schicht und des Deckblechs wird über eine zuvor mit Epoxidharz auf der Deckblechoberfläche verklebten Splittschicht erreicht. Die in den Niederlanden entwickelte Methode wurde in Deutschland mit Zustimmung im Einzelfall an vier Brücken angewendet. 1. Einleitung Im Netz der Bundesfernstraßen befinden sich etwa 40.000 Brücken [1]. Ein bedeutender Teil dieser Brücken muss dringend instandgesetzt, ertüchtigt oder erneuert werden. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Der Verkehr auf Bundesfernstraßen ist in den letzten Jahren stark angestiegen und der Güterverkehr hat dabei überproportional an Menge und Gesamtgewicht zugelegt. Als zusätzliche Herausforderung kommt die Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Brücken hinzu, die auf einen Rückstau der Erhaltungsmaßnahmen schließen lässt [2; 3]. Der Großteil der Brückenbauwerke in Westdeutschland wurde in den 1960er bis 1980er Jahren gebaut. Bedingt durch hohe Materialpreise und geringe Lohnkosten wurde der Materialeinsatz optimiert. Dieses gilt auch insbesondere für Stahlbrücken mit orthotropen Fahrbahnplatten, da die Kosten für Stahl im Verhältnis zu den Lohnkosten in dieser Zeit sehr hoch waren. 2. orthotrope Fahrbahnplatte Stahlbrücken mit orthotropen Fahrbahnplatten werden häufig eingesetzt, wenn große Spannweiten zu überwinden sind und dem Gewicht der Brücke eine besondere Rolle zugeschrieben wird. Orthotrop bedeutet „rechtwinklig zueinander unterschiedliche Steifigkeiten“ [4]. Abbildung 1: Aufbau einer orthotropen Fahrbahnplatte (in Anlehnung an 5) Der Aufbau der orthotropen Fahrbahnplatte ist in Abbildung 1 gezeigt. Die relevanten Bestandteile sind Deckblech, Längsteifen, Querträger und Hauptträger. Wie bereits in der Einleitung erwähnt wurde auch bei orthotropen Fahrbahnplatten insbesondere in den 1970er Jahren aufgrund der hohen Stahlpreise der Materialeinsatz optimiert, dies führt zu einer Ausführung der Brücken mit besonders geringen Blechdicken. Weiterhin hat der stark angestiegene Verkehr dafür gesorgt, dass die Brücken heute insbesondere Ermüdungsschäden aufwei- 252 5. Brückenkolloquium - September 2022 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton sen [6]. Im Rahmen des Forschungsprojekts von Sedlacek et al. [7] wurde eine Analyse von ca. 40 Brücken mit orthotropen Fahrbahnplatten im Bundesfernstraßennetz durchgeführt. Dabei konnten bei älteren Brücken Schäden in 4 Hauptkategorien erkannt werden. Die Abbildung 2 gibt einen Überblick zu drei der vier Schadenskategorien. Abbildung 2: Schadenskategorien bei orthotropen Fahrbahnplatten [7] Die unterschiedlichen Schadenskategorien betreffen die folgenden Aspekte [7; 8]: • Schadenskategorie 1 - Anschlüsse im Deckblech: Schäden der Kategorie 1 betreffen das Fahrbahnblech an den Verbindungen zu den Längsrippenstegen und sind zumeist ohne einen Bezug zu bestimmten Ausführungsformen der Rippen und Querträger vorhanden (bauweisenunabhängige Schäden). • Schadenskategorie 2 - Anschlüsse im Längssystem: Die Schäden der Kategorie 2 haben in der Regel einen Bezug zu einem bestimmten Detail oder einer Bauart der orthotropen Fahrbahnplatte (bauweisenbedingte Schäden). • Schadenskategorie 3 - Anschlüsse im Quersystem: Hier ist beispielsweise ein Riss in der Verbindungsnaht zwischen Querträger und Hauptträger ein typischer Schaden. • Schadenskategorie 4 - Anschlüsse im Hauptsystem: Ein Beispiel dieser Kategorie ist ein Riss im Haupttragsystem. Die Instandsetzungs- und Verstärkungsmaßnahmen unterscheiden sich für die einzelnen Schadenskategorien, im Rahmen des Artikels wird die Schadenskategorie 1 betrachtet. Instandsetzungsmaßnahmen dienen der Wiederherstellung des planmäßigen Zustandes eines Bauwerks oder seiner Bauteile. Bei orthotropen Fahrbahnplatten sind die Reparatur von Rissen in Schweißnähten oder Blechen die relevanten Maßnahmen. Verstärkungsmaßnahmen sind bauliche Maßnahmen, die mit einer Verbesserung der Tragfähigkeit einhergehen. Bei orthotropen Fahrbahnplatten wird das Ziel verfolgt, mit der Verstärkungsmaßnahme eine Reduktion der lokalen Spannungen und Durchbiegungen über ein verstärktes Deckblech zu erreichen. Wichtig ist hierbei, dass das Eintragen von großer Wärme und damit zusätzlichen Spannungen vermieden werden soll, damit scheiden Lösungen mit umfangreichen Schweißarbeiten aus. Es kommen unterschiedliche Verstärkungsmaßnahmen in Betracht, diesen liegt aber das gleiche Prinzip zugrunde. Zunächst wird der alte Brückenbelag entfernt. Dann erfolgt die jeweilige Verstärkungsmaßnahme. Unabhängig von der Art der Verstärkungsmaßnahme gelten die gleichen Anforderungen wie für herkömmliche Brückenbeläge, diese sind: Dichtigkeit, Griffigkeit, Gradientenausgleich und Dauerhaftigkeit. [7; 9]. Unterschiedliche Verstärkungsmaßnahmen sind [7; 9]: • Hochfester Beton: Der alte Brückenbelag wird bei dieser Maßnahme durch einen stahlfaserverstärkten, bewehrten hochfesten Beton ersetzt. Der hochfeste Beton wirkt dabei im Verbund mit dem Deckblech und fördert die Lastverteilung. Diese Maßnahme wird im folgenden Kapitel näher beschrieben. • Sandwich Plate System (SPS): Bei dieser Verstärkungsmaßnahme wird ein zusätzliches Blech mit Abstandshaltern parallel zum vorhandenen Deckblech positioniert. Der damit entstehende Hohlraum wird mit flüssigem Polyurethan gefüllt und härtet anschließend aus. Mit dem Erhärten des Polyurethankerns entsteht ein Verbund zwischen den beiden Deckblechen. • Aufgeklebte Bleche: Bei dieser Maßnahme werden zusätzliche Stahlbleche zwischen dem Deckblech und dem Fahrbahnbelag angeordnet. Diese Verstärkungsbleche werden kraftschlüssig auf das Deckblech geklebt und erzielen über eine bessere Spannungs- und Kaftverteilung die Verstärkungsleistung. • Hohlraumreiches Asphalttraggerüst mit Nachträglicher Verfüllung (HANV): Bei dieser Verstärkungsmaßnahme wird ein mit Hohlräumen ausgestattetes Asphalttraggerüst, welches aus einer Gesteinskörnung mit einer Sieblinie mit Ausfallkörnung und einem zur Verklebung der Gesteine ausreichenden Bindemittelgehalt besteht, nachträglich mit Epoxidharz verfüllt. Mit dem verfüllten Asphalttraggerüst kann eine höhere Steifigkeit und Verformungsbeständigkeit bei höheren Temperaturen und eine ausreichende Elastizität bei tiefen Temperaturen erreicht werden. 5. Brückenkolloquium - September 2022 253 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton 3. Hochfester Beton für die Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten bei Stahlbrücken 3.1 Zusammensetzung und Aufbau des Belagssystems mit hochfestem Beton bei den bisherigen Maßnahmen Bei den durchgeführten Maßnahmen in Deutschland wurde ein stahlfaserbewehrter Beton der Festigkeitsklasse C90/ 105, welcher eine Biegezugfestigkeit von 10 N/ mm 2 aufweist, eingesetzt. Wichtig ist, dass die Schwindeigenschaften begrenzt werden, um daraus resultierende Spannungen im Beton und im Gesamttragwerk zu reduzieren. In den bereits ausgeführten Beispielen enthielt der Beton einen Stahlfaserzuschlag von etwa 75 kg/ m³ mit einem Durchmesser von 0,4 mm zur besseren Rissverteilung. Die Dicke der Betonschicht variiert nach Anwendungsfall, ein typischer Wert ist 75 mm [10]. Der Aufbau des bei den bisherigen Maßnahmen eingesetzten Belagssystems mit hochfestem stahlfaserbewehrtem Beton erfolgt nach einem festen System (Abbildung 3): • Abgestreutes Epoxidharz • Stahlfaserbewehrter Beton • Reaktionsharzdünnbelag (RHD-Belag) Abbildung 3: Aufbau System hochfester Beton [11] Der Einbau des Belags erfolgt in definierten Schritten [6; 12]: Nach der Instandsetzung der Risse der orthotropen Fahrbahnplatte wird die Oberfläche des Deckblechs gestrahlt und gereinigt. Der nächste Schritt ist die Aufbringung einer Haftschicht aus Epoxidharz. Im flüssigen Zustand wird dann hochfester, calcinierter Bauxit-Split mit definierter Korngröße und Kornform in die Epoxidharzschicht eingestreut. Die Haftschicht dient dazu, einen Verbund zwischen dem Deckblech und dem hochfesten Beton herzustellen. Nach der Aushärtung wird in einem definierten Abstand zum Deckblech eine Bewehrung aus Betonstabstahl in Längs- und Querrichtung fixiert. Im Anschluss erfolgt die Aufbringung des faserbewehrten hochfesten Betons. Der hochfeste Beton dient der Verstärkung, der besseren Lastverteilung und dem Schutz der Fahrbahnplatte vor Feuchtigkeit und Korrosion. Zum Schluss wird auf dem Beton ein Dünnbelag aufgebracht, der ebenfalls aus Epoxidharz mit eingestreutem Splitt besteht. Dieser dient dem Schutz des hochfesten Betons, stellt eine zusätzliche Dichtungsschicht dar und verbessert die Griffigkeit der Fahrbahnoberfläche. Von Seiten der Betontechnologie gelten hohe Anforderungen hinsichtlich der Ausführungsqualität, wobei insbesondere die folgenden Aspekte zu beachten sind: • Zusammensetzung des Betons • Betonherstellung • Frischbetoneigenschaften • Betonverarbeitung • Betondruckfestigkeit und Biegezugfestigkeit • Verformungsverhalten • Dauerhaftigkeit • Qualitätssicherung Diese Aspekte werden in Grundzügen bei jedem Einsatz von hochfestem Beton verfolgt. Bei den Baumaßnahmen in Beimerstetten und Maxau wurden aufgrund des Pilotcharakters diese Aspekte besonders gründlich untersucht. Im Ergebnis hat sich gezeigt, dass insbesondere die Aspekte Betonrezeptur, Mischung des Betons, Frischbetoneigenschaften, Einbau und Verdichtung des Betons, qualitätssichernde Maßnahmen und Erfahrung, Schulung und Quantität des Personals auf der Baustelle eine bedeutende Rolle spielen. [6; 11]. 3.2 Voraussetzungen und Nutzen für den Einbau des hochfesten Betons zur Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten bei Stahlbrücken Der Einsatz von hochfestem Beton zur Verstärkung orthotroper Fahrbahnplatten ist unter den folgenden Bedingungen sinnvoll: • Die Restlebensdauer der Brücke beträgt noch mehr als 20 Jahre. • Der Zustand der Brücke zeigt Schäden der Kategorie 1, welche infolge von Materialermüdung entstanden sind. • Die Brücke hat eine hohe verkehrliche Bedeutung, sodass die Mehrkosten wirtschaftlich begründbar sind. • Eine geringfügige Gewichtserhöhung der Brücke ist nicht kritisch bzw. kann über zusätzliche Maßnahmen aufgefangen werden. Der Nutzen des hochfesten Betons ergibt sich über die Verbundwirkung zwischen Fahrbahnbelag und orthotroper Fahrbahnplatte, welche zu einer besseren Lastverteilung führen und damit eine Reduktion von Spannungen in den Schweißnähten und der Durchbiegung erzielen. Dadurch wird die Entstehung weiterer Schäden der Kategorie 1 an orthotropen Fahrbahnplatten vermieden. Die Verbundwirkung wird in deutschen Projekten rechnerisch noch nicht einbezogen, Untersuchungen hierzu laufen aber an den Projekten Maxau und Elster-Saale-Kanal. 254 5. Brückenkolloquium - September 2022 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton 3.3 Ablauf beim Einsatz von hochfestem Beton zur Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten bei Stahlbrücken Die Abbildung 4 zeigt das Ablaufschema beim Einsatz von hochfestem stahlfaserbewehrtem Beton zur Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten inklusive der Zustimmung im Einzelfall. Zu Beginn des Einsatzes ist eine Bestandsaufnahme der Brücke notwendig. Eine genaue Untersuchung der Schäden und deren Ursachen, eine Nachrechnung, Dokumentation des Verkehrsaufkommens inklusive der Abschätzung der zukünftigen Entwicklung und Nutzungsdauer ist erforderlich. Die Verstärkung der orthotropen Fahrbahnplatten von Brücken mit hochfester Beton oder alternativen Varianten sollten unter Berücksichtigung der vorhandenen Schäden und der Restnutzungsdauer im nächsten Schritt überprüft werden. Als Entscheidungshilfe bezüglich des Einsatzes von hochfestem Beton dienen die in Kapitel 3.2. genannten Voraussetzungen. Der nächste Schritt ist die Beantragung der Zustimmung im Einzelfall, da es sich nicht um eine Regelbauweise handelt. Der Einsatz von hochfestem Beton ist immer mit einer Zustimmung im Einzelfall verbunden, wie auch der Einsatz von Reaktionsharzdünnbelag als zusätzliche Dichtungsschicht und zur Verbesserung der Griffigkeit der Fahrbahnoberfläche auf Stahlbrücken. Im Rahmen dieser Beantragung sind die folgenden Aspekte zu beschreiben: • Informationen zum Bauwerk inklusive Fotos und Pläne, • Schadensbilder und deren Ursachen, • Nutzen des Einsatzes von hochfestem Beton, • Vorplanung der Baudurchführung inklusive Pläne und • Überlegungen zu messtechnischen Begleitung. Im Anschluss erfolgt die Überprüfung der Zustimmung im Einzelfall und zumeist (bei Einbindung durch das BMDV) eine Beurteilung der Maßnahme durch die BASt. Nach Erteilung der Zustimmung im Einzelfall kann die Ausschreibung der Maßnahme erfolgen. Für die Ausschreibung ist es von großer Bedeutung, dass der Bauablauf so gut wie möglich vorher geplant wird. Dieses gilt insbesondere für die folgenden Aspekte: • Einhausung der Maßnahme unter Beachtung von Aspekten der Befestigung der Einhausung und einer eventuell notwendigen Klimatisierung, • Örtlichkeiten zur Lagerung von Kühlcontainer und einer Mischanlage in direkter Nähe zur Maßnahme, • Fertigung einer Probeplatte, welche unter den gleichen Bedingungen hergestellt werden soll, wie die eigentliche Maßnahme. Ziel ist Probeplatte ist die Darlegung der Qualität des Einbaus und des Materials, • Möglichkeiten der Zufuhr des hochfesten Betons während des Einbaus und • Darlegung der messtechnischen Begleitung (Zeitschiene sowie nötige Eingriffe in die Bauausführung). Diese Anforderungen, welche in die Ausschreibung aufgenommen werden sollten, ergeben sich teilweise aufgrund der Anforderungen aus der Zustimmung im Einzelfall. Vorgeschrieben sind aktuell: • Herstellung einer Probeplatte, • Zelteinhausung der Fahrbahn, • Betontechnologische Begleitung der Probeplatte und des Fahrbahneinbaus, • Enge und strenge Grenzen beim auszuschreibenden Produkt und • Führung eines Qualitätshandbuchs. Vor dem Einbau des Belagssystems mit hochfestem Beton erfolgt eine Instandsetzung der gerissenen Schweißnähte. Eine messtechnische Begleitung der Maßnahme kann sinnvoll sein, Möglichkeiten der messtechnischen Begleitung bei den bisherigen Maßnahmen und deren Ziele werden in Kapitel 5 beschrieben. Evtl. erfolgt eine fachtechnische Begleitung der Maßnahme durch die BASt. Die Maßnahme endet mit einer Schlussbetrachtung. 5. Brückenkolloquium - September 2022 255 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton 4. Einsatzbeispiele 4.1 Allgemein Der Einsatz von hochfestem Beton zur Verstärkung einer Stahlbrücke erfolgte erstmalig in den Niederlanden auf einem Teil der Calandbrücke im Hafengebiet von Rotterdam im Jahr 2003. Es wurde eine 50 mm dicke Schicht aus hochfestem, bewehrtem Stahlfaserbeton anstelle einer Gussasphaltschicht eingesetzt. Mit der Maßnahme konnten die lokalen Biegespannungen im Deckblech deutlich herabgesetzt und Ermüdungsprobleme bewältigt werden [13]. Im Jahr 2014 wurde zum ersten Mal hochfester Beton zur Verstärkung einer Stahlbrücke in Deutschland eingesetzt. Im Folgenden werden die bisher durchgeführten bzw. geplanten Maßnahmen kurz beschrieben. 4.2 Beimerstetten (L1239) Die Brücke Beimerstetten wurde 1963 gebaut und überführt die L1239 über die Bahnstrecke Stuttgart-Ulm. Die Brücke wurde als Einfeldträger mit einer Spannweite von 40 m und einer Breite von 11 m ausgeführt und hat eine orthotrope Fahrbahnplatte mit einem 12 mm dicken Deckblech mit gewalzten Wulstflachstählen (Abbildung 5). Die Brücke wies zum Beginn der Maßnahme keine Ermüdungsschäden auf und dient als Pilotprojekt für den Ersteinsatz von hochfestem Beton zur Verstärkung der Rheinbrücke Maxau. Abbildung 5: Bestandsplan der Brücke Beimerstetten [6] Der Einbau des Belagssystems mit hochfestem Beton wurde nach der erfolgreichen Betonage der Probeplatte ausgeführt. Nach dem Aufbringen der Epoxidharzschicht wurde die Bewehrung eingebaut. Der Anschluss an das Schrammboard wurde über das Anschweißen der Querbewehrung an ein Kammblech erreicht (Abbildung 6). Im Anschluss erfolgte die Betonage und der Einbau des Dünnbelags. Abbildung 6: Bewehrung für den hochfesten Beton an der Brücke in Beimerstetten [6] Der hochfeste Beton konnte im Pilotprojekt Beimerstetten erfolgreich eingesetzt werden. Hierbei wurden insbesondere Erfahrungen zur Betonrezeptur, Mischung des Betons, Frischbetoneigenschaften, Einbau und Verdichtung des Betons, qualitätssichernde Maßnahmen sowie zur Schulung und Quantität des Personals auf der Baustelle gewonnen. Diese Erfahrungen stellen eine wichtige Grundlage für die weiteren Projekte dar. Die messtechnische Begleitung zur Verstärkungswirkung wird in Kapitel 5 beschrieben. 4.3 Maxau (B10) Die Rheinbrücke Maxau wurde in den Jahren 1963 bis 1966 erbaut, es handelt sich um eine Schrägseilbrücke mit orthotroper Fahrbahnplatte (Abbildung 7). Die Brücke überführt die Bundesstraße B10 über den Rhein und überspannt 2 Felder mit Stützweiten von 175 und 117 m. Die Brücke wurde mit zwei Fahrstreifen je Richtung ausgebildet und ist für die Brückenklasse 60 ausgelegt. Die Verkehrsstärke lag im Jahr 2018 bei ca. 74.000 Kfz/ d mit einem Schwerverkehrsanteil von ca. 9 % [14]. Abbildung 7: Stahlbrücke Maxau [14] Bereits in den 1990er Jahren konnten erste Ermüdungsrisse in der Brücke festgestellt werden. Deren vermehrtes Auftreten in den Folgejahren hatte sofortige Reparatur- 256 5. Brückenkolloquium - September 2022 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton maßnahmen zur Folge. Weiterhin wurden in der Fahrbahn immer häufiger Spurrinnen und damit eine Verringerung der Lastverteilung durch den Fahrbahnbelag und eine stärkere lokale Belastung der Fahrbahnplatte festgestellt. Die notwendige Ertüchtigung wurde im Jahr 2011 durch eine Machbarkeitsstudie erarbeitet und der Einsatz von hochfestem stahlfaserbewehrtem Beton als beste Variante gewählt. Hiermit sollte den Anforderungen an eine verlängerte Nutzungsdauer, ein erhöhtes Verkehrsaufkommen und den Anforderungen der Nachrechnungsrichtlinie gerecht werden. Abbildung 8: Einbau des hochfesten Betons an der Rheinbrücke Maxau 13.04.2019 (BASt 2019) In 2019 konnte der Einbau des hochfesten Betons in zwei Bauabschnitten realisiert werden. Die Abbildung 8 zeigt den Einbau des hochfesten Betons auf der eingehausten Fahrbahn. Die messtechnische Begleitung der Maßnahme wird in Kapitel 5 beschrieben. 4.4 Elster-Saale-Kanal (A9) Die Brücke überführt die Bundesautobahn A 9 über den Elster-Saale-Kanal nördlich von Günthersdorf im Saalekreis. Verstärkt wurde das Teilbauwerk der Richtungsfahrbahn München. Abbildung 9: Brücke über den Elster-Saale Kanal (Autobahn GmbH 2021) Die Brücke wurde ursprünglich 1937 als Zweigelenkrahmen-Stahlkonstruktion mit Kragarmen und Betonfahrbahnplatte errichtet. Der Überbau wurde 1992 durch einen einfeldrigen Stahlüberbau als Trägerrostkonstruktion mit orthotroper Fahrbahnplatte ersetzt (Abbildung 9). Das Brückenbauwerk wurde für die Brückenklasse 60/ 30 nach DIN 1072 geplant und gebaut. Eine Nachrechnung des Tragwerkes gemäß Nachrechnungsrichtlinie erfolgte für das Ziellastniveau BK60/ 30. Als Ergebnis konnte bis auf die Ermüdungsfestigkeit der orthotropen Fahrbahnplatte eine ausreichende Tragfähigkeit nachgewiesen werden. Die Bauwerksprüfung 2017 zeigte neben den üblichen nutzungs- und altersbedingten Mängeln wiederholt Risse in der orthotropen Fahrbahnplatte. Um eine Schadensausbreitung oder Folgeschäden zu vermeiden, war eine grundhafte Instandsetzung mit Verstärkung der orthotropen Fahrbahnplatte erforderlich. Neben der Instandsetzung der gerissenen Schweißnähte stand die Verstärkung des Deckblechs, um einer wiederkehrenden Rissbildung vorzubeugen, im Vordergrund. Die Verstärkung der Brücke mit hochfestem Beton wurde als Variante ausgewählt, da so die Nutzungsdauer der Brücke um 30 Jahre verlängert und die Entstehung weiterer Risse vermieden werden kann. Der Einbau des hochfesten Betons konnte im Jahr 2021 erfolgreich durchgeführt werden (Abbildung 10). Hierbei konnte auf die Erfahrungen aus den bisherigen Maßnahmen zurückgegriffen werden. Abbildung 10: Einbau des hochfesten Betons an der Brücke über den Elster-Saale-Kanal (Autobahn GmbH 2021) 4.5 Rhein-Herne-Kanal (A43) Das westliche Bestandsbauwerk über den Rhein-Herne-Kanal soll während des Ersatzneubaus des östlichen Bestandsbauwerks für ca. 3 bis 5 Jahre für die bauzeitliche Verkehrsführung genutzt werden. Während dieser Zeit wird die Befahrung mit Fahrzeugen über 3,5 t 5. Brückenkolloquium - September 2022 257 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton über eine Schrankenanlage ausgeschlossen. Die Brücke stammt aus dem Jahr 1965 und ist Teil des Emschertalzugs, der aus drei Bauwerken über den Rhein-Herne-Kanal, die Emscher und DB-Strecken besteht. Die Brücke wird täglich von ca. 100.000 Fahrzeugen genutzt und der Schwerlastanteil beträgt 11 Prozent. Es handelt sich um eine Plattenbalkenbrücke mit einer orthotropen Fahrbahnplatte. Erste Schäden konnten bereits 1986 festgestellt werden, diese hatten aber keine Einschränkung der Nutzung zur Folge. Ursache für die Schäden ist der materialsparende Einsatz von Stahl. Weiterhin hat die Brücke Tragfähigkeitsdefizite, diese konnten im Rahmen der Nachrechnung auf Grundlage eines messwertbasierten Bemessungskonzepts dargelegt werden. Die Umsetzung der Maßnahme befindet sich aktuell in der Planung. 5. Ergebnisse begleitender Forschung Die bisherigen Maßnahmen wurden messtechnisch begleitet (Tabelle 1). Tabelle 1: Übersicht zu Brücken mit hochfestem Beton in Deutschland Brücke Jahr Messtechnische Begleitung Beimerstetten 2014 messtechnische Begleitung der Verstärkungswirkung Maxau B10 2019 messtechnische Begleitung der Verstärkungswirkung und Feuchtemessungen Elster-Saale- Kanal A9 2021 messtechnische Begleitung der Verstärkungswirkung und Rissdetektion Rhein-Herne Kanal A43 Geplant 2024 Geplant sind Nachuntersuchungen des hochfester Beton nach ca. 5 Jahren, wenn die Brücke abgebrochen wird Die Ziele der begleitenden Forschung betreffen insbesondere die Quantifizierung der Verstärkungsleistung und betontechnologische Aspekte, wie die Dichtigkeit und Festigkeit des Betons. Im Rahmen dieser Ausarbeitung werden vorwiegend die Aspekte der Messung der Verstärkungsleistung dargestellt. Punktuelle Einwirkungen durch Achs- und Radlasten sind die Ursache für Ermüdungsschäden an den Schweißnähten der orthotropen Fahrbahnplatte. Durch den Einsatz des hochfesten Betons soll eine bessere Verteilung der Lasten und damit eine Verstärkungswirkung erreicht werden. Ziel der messtechnischen Begleitung ist u.a. die Erfolgskontrolle der Verstärkungsmaßnahme [6]. An der Brücke Beimerstetten und der Rheinbrücke Maxau erfolgten Belastungsfahrten vor Beginn der Bauarbeiten, auf der freien Fahrbahnplatte, kurz nach der Herstellung des hochfesten Betons und nach einer 6-monatigen Einsatzzeit des hochfesten Betons. Ziel der Belastungsfahrten war die Erfassung von statischen und dynamischen Systemantworten. Mit den erhobenen Messdaten werden numerische Modelle kalibriert, welche dann zur rechnerischen Erfolgskontrolle genutzt werden können [6; 15]. An der Brücke Beimerstetten wurden Dehnungsmessstreifen in der Feldmitte der Fahrbahn mit hohen globalen Druckbeanspruchungen und im Auflagebereich ohne nennenswerte globale Spannungen eingesetzt. Die Abbildung 11 zeigt die Messbereiche im Querschnitt der Brücke. [6]. Abbildung 11: Messbereiche der Brücke Beimerstetten [6] Im Ergebnis zeigte sich, dass der hochfeste Beton einen starren Verbund mit dem Deckblech eingeht und deutliche Steigerungen der Steifigkeit erfasst werden. Weiterhin wird die Beanspruchung der orthotropen Fahrbahnplatte in Bezug auf die Ermüdung signifikant reduziert. Eine Entlastung einzelner Bereiche mit hoher Lasteinleitung konnte durch eine bessere Querverteilung erreicht werden. Dieses führt zu geringen Spannungsschwingspiel und einer deutlichen Erhöhung der potenziellen Lebensdauer der Brücke. An der Brücke Maxau wurden zur Bemessung der Validierung des FE-Modells Dehnungsmessstreifen an verschiedenen Punkten der Brücke eingesetzt um das globale Tragverhalten zu ermitteln (Abbildung 12). Abbildung 12: messtechnische Ausstattung der Rheinbrücke Maxau mit Dehnungsmessstreifen im Bereich des Querverbands der Achse [16] Weiterhin wurde die globale Durchbiegung der Brücke über Tachymetermessungen unterhalb der Brücke ermittelt. Hierzu wurden an der Unterseite der Brücke 258 5. Brückenkolloquium - September 2022 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton entsprechende Kugelprismen angebracht. Im Fall der Rheinbrücke Maxau wurde ein mobiler Kran als Belastungsfahrzeug für alle Belastungsversuche eingesetzt. Messungen wurden während der Überfahrt und zusätzlich mit festen Positionen des Krans durchgeführt. [15] Die vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass eine deutliche Reduktion der lokalen ermüdungswirksamen Beanspruchungen im Bereich der orthotropen Fahrbahnplatte erreicht wird. Dieses trifft sowohl auf die Reduktion der auftretenden Spannungen direkt unter der Radaufstandsfläche als auch die bessere Lastverteilung zu. Ursache für die Reduktion ist, dass durch die Verstärkungsmaßnahme benachbarte Steifen stärker beim Lastabtrag mitwirken. Daher kann auf Grundlage der bisherigen Erkenntnisse die beabsichtigte Wirkung der Verstärkungsmaßnahme bestätigt werden. An der Brücke über den Elster-Saale-Kanal erfolgten lokale Messungen über lokale Dehnungs- und Verformungsmessungen mit Dehnungsmesstreifen und Wegenehmern an den Unterseiten der Rippen. Auch hier wurden Belastungsversuche auf dem ursprünglichen Fahrbahnbelag, dem Deckblech und dem neuen Belag durchgeführt. Ziel dieser Messungen war das Aufzeigen der Verstärkungswirkung. Im Ergebnis konnte die Verstärkungswirkung nachgewiesen werden, da die Steifigkeit der orthotropen Fahrbahn erhöht werden konnte, was sich in verringerten Dehnung- und Verformungsmessungen nach der Verstärkung zeigt [17]. Für die orthotrope Fahrbahnplatte besteht eine Korrosionsgefahr, wenn Wasser in das Belagssystem eindringen kann. Die zulässige Rissbreite wird daher rechnerisch auf 0,1 mm begrenzt. Um die Rissbildungen in Fahrbahnplatte und der Verbundschicht zu überwachen wurden faseroptische Sensoren in der Beton- und der Verbundschicht eingebaut. Diese dienen der frühzeitigen Erkennung von Rissen, der Bestimmung von Rissweiten und Rissaktivitäten. Weiterhin soll eine etwaige Delamination von Verbundschicht und Stahlplatte überwacht werden. Dieses erfolgt durch die messtechnische Begleitung der Verbundwirkung und der Detektion von Ort und Ausmaß ggf. auftretender Verluste der Verbundwirkung. Die messtechnische Überwachung erfolgt mit faseroptische Sensoren in der Epoxidhaftschicht und im hochfesten Beton [18]. In ersten Auswertungen konnten Mikorisse in der Betonschicht in den Messungen längs zur Brücke erkannt werden. In den Messungen quer zur Brücke zeigen sich in der Mitte der Brücke erhöhte Dehnungen, welche zu den Rändern hin abnehmen. Mögliche Erklärungen sind unterschiedliche Temperaturen oder die Verkehrsbelastung. Im Rahmen von Folgemessungen sollen diese Ergebnisse verifiziert und analysiert werden [18]. 6. Fazit Die durchgeführten Maßnahmen zeigen, dass mit dem Einsatz von hochfestem, stahlfaserbewehrtem Beton die gewünschte Verstärkungswirkung orthotroper Fahrbahnplatten erzielt wird. Bislang sind Schäden der Kategorie 1 nach der Umsetzung der Verstärkungsmaßnahme nicht mehr entstanden. Um die mittragende Wirkung von hochfestem Beton auch rechnerisch ansetzen zu können, erfolgen aktuell die Auswertungen der messtechnischen Begleitung und die FE-Modellierung an den bereits durchgeführten Maßnahmen. Basierend auf den Berechnungen lässt sich ein Ingenieurmodell entwickeln, welches den rechnerischen Nachweis der Ermüdungsfestigkeit von mit hochfestem Beton ertüchtigten orthotropen Fahrbahnplatten in Zukunft ermöglichen kann. Die Messkonzepte haben das Ziel die globale Tragwirkung der Brücken zu erfassen [6; 15]. Erforderlich ist hierbei die Betrachtung der Ermüdung der Verbundfuge. Der Einsatz des hochfesten Betons ist mit einem erhöhten Arbeits- und Zeitaufwand durch die Zustimmung im Einzelfall, die Einhausung der Baustelle, das Erstellen der Probeplatte und die intensive betontechnologische Begleitung der Maßnahme verbunden. Dieser Mehraufwand wird auch in Zukunft entstehen, da eine Aufnahme des hochfesten Betons als Regelbauweise für die Verstärkung von Stahlbrücken mit orthotropen Fahrbahnplatten vorerst nicht geplant ist. Ursache ist die geringe Anzahl an Brücken mit orthotropen Fahrbahnplatten, bei denen sich eine Verstärkung mit hochfestem Beton als zielführend darstellt. Um die in Deutschland bereits gemachten Erfahrungen zusammenzustellen und den gesamten Prozess von der Planung bis zur Ausführung besser zu strukturieren ist ein Workshop in der BASt geplant. Die Ergebnisse des Workshops dienen als Grundlage für die Erstellung von Planungshilfen zur Erleichterung und Beschleunigung zukünftiger Verstärkungsmaßnahmen mit hochfestem Beton an Stahlbrücken mit orthotropen Fahrbahnplatten. Literaturverzeichnis [1] BASt (2021) Brückenstatistik 2021 [online]. https: / / www.bast.de/ BASt_2017/ DE/ Ingenieurbau/ Fachthemen/ brueckenstatistik/ bruecken_hidden_node.html; jsessionid=5B433DB2E30E52E- AC951347516663896.live21304. [2] BMVI (26.10.2015) Stand der Ertüchtigung von Straßenbrücken der Bundesfernstraßen. [3] Marzahn, G. (2016) Instandsetzungsbedarf von Infrastrukturbauten in Deutschland in: Müller, H. S.; Nolting, U.; Haist, M. [Hrsg.] 12. Symposium Baustoffe und Bauwerkserhaltung. Karlsruhe. [4] Albrecht, G. (2005) Entwicklungsgeschichte der orthotropen Fahrbahnplatte in: BASt [Hrsg.]. [5] DIN-Fachbericht 103: 2009-03 DIN Fachbericht 103: Stahlbrücken. [6] Mansperger, T. et al. (2017) Verstärkung von Stahlbrücken mit hochfestem Beton. Bremen: Fachverlag NW. 5. Brückenkolloquium - September 2022 259 Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton [7] Sedlacek, G.; Paschen, M.; Feldmann, M. (2011) Instandsetzung und Verstärkung von Stahlbrücken unter Berücksichtigung des Belagssystems - Bericht zum Forschungsprojekt 15.405/ 2004/ CRB. Bremerhaven: Wirtschaftsverl. NW Verl. für neue Wiss. [8] Paschen, M.; Hensen, W.; Hamme, M. (2017) Instandsetzungs- und Sicherungsmaßnahmen bei den Rheinbrücken Leverkusen und Duisburg-Neuenkamp ein Zwischenbericht (Teil 1) in: Stahlbau 86, H. 7, S. 603-618. https: / / doi.org/ 10.1002/ stab.201710513 [9] Friedrich, H. (2022) Verstärkung des Deckblechs orthotroper Fahrbahnplatten durch Aufkleben von Stahlblechen - unveröffentlicht. [10] Tuinstra, D.; Gabler, M. (2017) Verstärkung von Stahlbrücken in den Niederlanden - Einsatz von hochfestem Beton und zielgerichtete Tragwerksverstärkung in: Curbach, M. [Hrsg.] Tagungsband 27. Dresdner Brückenbausymposium: 13. und 14. März 2017. Dresden: Technische Universität Dresden Institut für Massivbau. [11] Shepherd, D. A. et al. (2021) Zur Ertüchtigung der Rheinbrücke Maxau mit hochfestem Beton in: Beton‐ und Stahlbetonbau 116, H. 10, S. 754-764. https: / / doi.org/ 10.1002/ best.202100040 [12] Haist, M.; Breiner, R. (2015) Ertüchtigung der orthotrope Fahrbahnplatte einer Brücke über die Bahn bei 89179 Beimerstetten mit einer Schicht aus hochfestem Beton - unveröffentlicht. [13] Leendertz, J.; de Jong, F. (2005) Erfahrungen aus den Niederlanden in: BASt [Hrsg.]. Expertengespräch Instandsetzung orthotroper Fahrbahnplatten. [14] Maier, D. H. et al. (2020) Ertüchtigung der Rheinbrücke Maxau - Teil 1 in: Stahlbau 89, H. 2, S. 138-147. https: / / doi.org/ 10.1002/ stab.201900107 [15] Weidner, P. et al. (2019) Messtechnische Begleitung der Ertüchtigungsmaßnahme an der Rheinbrücke Maxau in: Messtechnik im Bauwesen Spezial 2019, A61029, S. 19-27. [16] Weidner, P.; Ruff, D.; Ummenhofer, T. (2021) Instandsetzung und Verstärkung von orthotropen Fahrbahnplatten mit hochfestem Beton. Unveröffentlicht. [17] Reuschel, E.; Herold, R.; Steinbach, P. (2021) Messtechnische Begleitung der Sanierungsmaßnahmen an BW 68. Unveröffentlicht. [18] Sensical (2022) Messbericht - Faseroptische Instrumentierung BW 68 im Zuge der BAB 9 über den Leipzig-Saale-Kanal bei Günthersdorf - Stand 29.03.2022. Unveröffentlicht. Innovative Bauweisen, Bauverfahren und Bauprodukte 263 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel Dipl.-Ing. Dr. sc. ETH Zürich Bernhard Schranz re-fer GmbH, Müllheim, Deutschland re-fer Austria GmbH, Traiskirchen, Österreich Dr.-Ing. Eva-Maria Ladner Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Dipl-Bauing. Dr.sc. Julien Michels, MBA re-fer AG, Seewen, Schweiz Zusammenfassung Aufgrund stetiger Alterungsprozesse, Lasterhöhungen, sowie veränderten Nutzungsanforderungen ist die Tragwerksverstärkung von Bestandsbauten zu einer Hauptaufgabe in der Bauindustrie geworden. Dies bedingt neben der Erhöhung der Traglast auch die Einhaltung von Durchbiegungen, Rissbreiten und Spannungen der internen Bewehrung, wodurch vorgespannte Systeme effektive Lösungen darstellen können. Aufgrund ihrer einzigartigen Eigenschaften ermöglichen eisenbasierte Formgedächtnislegierungen (memory-steel) neuartige strukturelle Verstärkungsanwendungen und wurden bereits bei einer Vielzahl von Bauwerksertüchtigungen eingesetzt. Besonders der Formgedächtniseffekt findet Anwendung in der Bauwerksertüchtigung, womit eine permanente Vorspannung im Bauteil erzeugt werden kann. Diese Vorspannung kann über mechanische oder zementöse Verankerungen in die Tragstruktur eingeleitet, und damit neben dem erhöhten Tragwiderstand auch den Grenzzuständen der Gebrauchstauglichkeit Rechnung getragen werden. 1. Einleitung Aufgrund steigender Verkehrslasten und erhöhter Verkehrsfrequenz, aber auch Umgebungseinflüssen nimmt die Ertüchtigung von Bestandsbauwerken eine zentrale Rolle von Tragwerksplanern ein. Neben erhöhter Traglast bestimmen regelmäßig auch die Limitation von Durchbiegungen, Rissen und Spannungen in internen Bewehrungen die erforderliche Verstärkungslösung. Es ist bekannt, dass vorgespannte Systeme im Gegensatz zu nicht vorgespannten Systemen signifikante Erhöhungen der Tragwerksperformance in diesem Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit bewirken können. Die Ertüchtigung von Bestandsbauwerken mit vorgespannten Systemen ist jedoch oft mit erheblichem Aufwand in Bezug auf Kosten, Arbeitszeit und strukturellem Eingriff in das Tragwerk verbunden. Speziell bei kleineren Bauwerken sind herkömmliche vorgespannte Ertüchtigungssysteme nicht zielführend. Innovative Verstärkungsverfahren basierend auf memory-steel, einer eisenbasierten Formgedächtnislegierung, bieten interessante Möglichkeiten zur vorgespannten Tragwerksertüchtigung. Eine spezielle Eigenschaft dieses Materials, der sogenannte Formgedächtniseffekt, bewirkt, dass sich das Material nach einer Deformation beim Erhitzen zusammenzieht. Wenn das Material jedoch durch eine Befestigung an einem strukturellen Bauteil wie einem Balken oder Platte festgehalten wird, entwickelt sich statt einer Formrückgewinnung eine mechanische Rückumwandlungsspannung. Diese Rückumwandlungsspannung bleibt nach dem Abkühlen erhalten und kann als Vorspannung in das Bauwerk eingeleitet werden. Im Vergleich zu schlaffen Verstärkungsmaßnahmen können somit bestehende Durchbiegungen, Rissbreiten und Spannungen in der Bestandsbewehrung reduziert werden. Da die Vorspannung durch den Formgedächtniseffekt hervorgerufen wird, sind keine hydraulischen Spannsysteme notwendig. Dadurch ist auch nicht mit Reibungsverlusten zu rechnen, da die Vorspannkraft in jedem infinitesimalen Querschnitt des Verstärkungsglieds aktiviert wird. Im Gegensatz zu schlaffen Bewehrungen ist dieses Material auch durch die initiale Spannung bereits aktiv und muss nicht erst durch Deformationen des Bestandsbauteils erst aktiviert werden. Die memory-steel Verstärkung wirkt dadurch auch gegen bestehende Lasten und ist nicht nur gegen Lasten aktiv, welche nach der Installation der Verstärkung aufgebracht werden. In diesem Beitrag wird der Forschungshintergrund, die Materialeigenschaften, die verschiedenen Bewehrungsprofile und mögliche Anwendungen beschrieben. 2. Forschungshintergrund 2.1 Materialeigenschaften Der Formgedächtniseffekt wird durch eine Kristallgitterumwandlung im Material hervorgerufen. Ausgehend von einer austenitischen Kristallstruktur nach der Produktion wird das Material zuerst einer Deformation bei Raumtemperatur unterzogen. Dadurch werden Teile des Kristallgitters in Martensit umgewandelt. In diesem Zustand wird das Material auf die Baustelle geliefert und am strukturellen Bauteil installiert. Anschliessend wird die Legierung durch einen Gasbrenner, durch Infrarotstrahlung, oder durch Elektrizität erhitzt, und damit der Formgedächtniseffekt aktiviert. Hierbei werden die mar- 264 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel tensitischen Kristallstrukturen wieder in ein austenitisches Gitter übergeführt [1-5]. Die Verwendung dieses Formgedächtniseffektes als Vorspannung durch Festhaltungen wurde in einigen Studien untersucht, [6-7], wobei mehrere mögliche Anwendungen gefunden wurden. memory-steel ist eine Art eisenbasierte Formgedächtnislegierung (Fe-SMA), welche speziell für die Bauindustrie zur Erzielung einer hohen Rückumwandlungsspannung und Steifigkeit entwickelt wurde [8-10]. Diese Legierung wurde anschließend umfassend getestet und zu Produkten weiterentwickelt. Bei quasi-statischer Belastung zeigt der Werkstoff ein nichtlineares Spannungs-Dehnungs-Verhalten mit höheren Zugfestigkeiten und Bruchdehnungen als herkömmlicher Bewehrungsstahl. Die Zugfestigkeit liegt zwischen f u =800-- 1000- MPa und die Bruchdehnung bei ε u =20-35- %. Die Rückumwandlungsspannung bei Festhaltung hängt hauptsächlich von der anfänglichen Verformung (Vordehnung) und den Erwärmungstemperaturen ab. Die Spannungen erreichen zwischen ca. 300-500 MPa für Vordehnungen von ca. 2-4 % und Erwärmungstemperaturen zwischen ca. 160-400 °C [11-12]. Das Spannungs-Dehnungs-Verhalten während der Vordehnung, der Aktivierung und der Belastung ist anfänglich linear und dann in den verschiedenen Lastphasen nichtlinear (siehe Abbildung 1). Abbildung 1. Spannungs-Dehnungs-Diagramm von memory®-steel in verschiedenen Zuständen. Das Materialverhalten bei zyklischen und Ermüdungsbelastungen wurde in [13] untersucht und zeigt vorteilhafte Eigenschaften im Vergleich zu herkömmlichem Bewehrungsstahl. Die Korrosionsbeständigkeit wurde in [14] bewertet und zeigte ebenfalls eine höhere Beständigkeit als herkömmlicher Bewehrungsstahl. Das Spannung-Relaxations-Verhalten wurde an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) über mehrere Jahre untersucht. Die Extrapolation neuerer Daten legt nahe, dass die Spannungsrelaxation nach einer Dauer von 50 Jahren etwa 15 % beträgt. Das Material von memory®-steel zeigt weiters bei erhöhten Temperaturen ein ähnliches Verhalten wie herkömmlicher Baustahl [15]. 2.2 Verbund- und Verankerungsverhalten Die Interaktion von memory®-steel Bewehrungen mit Baumaterialien wie Beton, Stahl, Holz und Glas wurde in verschiedenen Studien untersucht. Die mechanische Befestigung von memory®-steel Lamellen („re-plate“) auf Beton wurde erstmals in [16-17] untersucht. Die Befestigung mittels Direktbefestigung (Nägel, siehe Abbildung 2) zeigte eine ausreichende Tragfähigkeit und Verformungseigenschaft [18] für die Verwendung als Verstärkungssystem auf Betonstrukturen. Abbildung 2. Versuchsstand für Verankerungsversuche von memory®-steel Lamellen (re-plate) Die Verbundeigenschaften von gerippten Stäben aus memory®-steel, vollständig einbetoniert [19] und oberflächennah mittels Sika Mörtelprodukten montiert (NSM) [20-22] wurde bereits in mehreren Studien gezeigt (siehe Abbildung 3). Auch nachträgliche Bewehrungsanschlüsse wurden experimentell untersucht und deren Tragfähigkeit nachgewiesen (Publikation eingereicht). Abbildung 3 Links: Links: Verankerungsversuche memory-steel Bewehrungsstäbe (re-bar) für NSM, Rechts: Verankerungsversuche von nachträglich angeschlossenen memory-steel Bewehrungsstäben In allen Untersuchungen wurden ausreichende Verbundeigenschaften, ähnlich zu herkömmlichem Rippenstahl, festgestellt, um die Kräfte aus der Rückumwandlungsspannung und den zusätzlichen Kräften aus äußeren Einwirkungen zu übertragen. Einige Beispiele für diese Verankerungsversuche im Beton sind in der Abbildung 2 dargestellt. 265 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel 2.3 Systemverhalten Die Wirkungsweise von memory®-steel-Bewehrungen für Betonkonstruktionen wurde in mehreren großmaßstäblichen Laboruntersuchungen gezeigt. memory®steel-Lamellen/ Bänder („re-plate“) mit der genagelten Direktbefestigung und deren Verwendung als verbundloses Verstärkungsverfahren für Betonträger wurde in [23] untersucht (siehe Abbildung 4). Abbildung 4. Stahlbetonbalken verstärkt mit einer memory®-steel Lamelle, befestigt durch Direktbefestigung, im Zuge der Untersuchungen aus [23] In den Untersuchungen wurden signifikante Verbesserung in Bezug auf Risslast, Fließlast und Bruchlast (Betonstauchen in der Druckzone) festgestellt. Es wird angemerkt, dass zusätzlich zu diesen Lasterhöhungen ein duktiles Strukturverhalten beibehalten wurde (siehe Abbildung 5). Als Vergleich wurde ein Versuchsbalken mit einer nichtvorgespannten CFK-Lamelle (CFRP strip) der gleichen axialen Steifigkeit verstärkt. Wie in Abbildung 5 ersichtlich, konnte mit memory-steel deutliche Verbesserungen in Bezug auf Risslast, Fließlast und Duktilität (Stauchen der Druckzone bei re-plate und Abplatzen der CFK Lamelle bei Maximallast) erzielt werden. Andere Befestigungsarten wurden in [24] untersucht, die ebenfalls die gleichen signifikanten strukturellen Verbesserungen zeigten. Abbildung 5. Last-Durchbiegungs-Diagramm verschiedener Balkenversuche mit memory-steel und CFK-Verstärkung, aus [23] In weiteren Studien wurde die Funktion von memory®steel -Bewehrungsstäben („re-bar“) zur Verstärkung von Betonstrukturen mechanisch fixiert [25], sowie im Sika Betonersatzmörtel [26-28] (siehe Abbildung 7) und Spritzmörtel [29] untersucht, wobei ebenfalls signifikante Erhöhungen der Traglast und der Gebrauchslast festgestellt wurden. Abbildung 6. Oben: Biegeversuch einer 5m-langen Stahlbetonplatte, verstärkt durch fünf memory-steel Stäbe Ø10-mmm im flächigen Betonersatzmörtel. Unten: Biegeversuch einer 5m-langen Stahlbetonplatte, verstärkt durch fünf eingeschlitzte memory-steel Stäbe Ø10-mm 266 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel Wie in Abbildung 7 ersichtlich, wurde bei beiden Varianten die Risslast, Fließlast, Bruchlast maßgeblich erhöht und die Duktilität beibehalten. Der Versagensmodus war durch Stauchen des Betons in der Druckzone gekennzeichnet. Während der gesamten experimentellen Untersuchungen wurde weder ein sprödes Versagen des Bauteils noch der Verstärkungssysteme beobachtet. Bei allen Untersuchungen wurde die erfolgreiche Übertragung der Rückumwandlungsspannung von der memory®-steel -Bewehrung in das Bauteil ohne lokale Schäden beobachtet. Abbildung 7 Links: Vergleich der Resultate von Biegeversuchen von Zweifeld-Stahlbetonplatten, verstärkt durch mit fünf memory®-steel Bewehrungsstäben, aus [27] Auch das Langzeitverhalten von mit memory®-steel -Bewehrungen verstärkten Betonkonstruktionen wurden in [30], sowie laufenden Studien untersucht, wobei unter konstanten Lasten zwischen Risslast und Fließlast kein Versagen oder auffällige Langzeitverformungen unter Umwelteinflüssen festgestellt wurde. Die Funktion von memory®-steel-Verstärkungssystemen in Kombination mit einem zementgebundenen Brandschutz-Spritzmörtel (SikaCem® Pyrocoat) im Brandfall wurde an der MFPA Leipzig unter genormten Bedingungen (ETK-Kurve) nach DIN EN 13381-3: 2015-06 und DIN EN 1363-1: 2020-05 geprüft [31]. Laut dem Prüf bericht, sowie der damit verbundenen gutachterlichen Stellungnahme [32] wurde einerseits eine signifikante Lasterhöhung im Gegensatz zum unverstärkten Bauteil festgestellt, und andererseits weder bei der Verstärkungsmaßnahme, noch bei der verstärkten Struktur Anzeichen eines Versagens festgestellt, bis der Versuch nach 120 min Beflammung unter Dauerlast abgebrochen wurde. Der Prüfkörper vor der Applikation des Brandschutzmörtels ist in Abbildung 8 dargestellt. Abbildung 9 zeigt den Versuchskörper wären der Beflammung. Abbildung 8. Versuchsplatte verstärkt durch vier memory®-steel Lamellen (re-plate), Befestigt mittlels Direktbefestigung vor der Applikation des Brandschutzmörtels Abbildung 9. Beflammung der mit memory®-steel re-plates und SikaCem® Pyrocoat verstärkten Stahlbetonplatte Vorgespannte Schubverstärkung aus mit memory®-steel Lamellen und Rippenstäben wurde in [33-34] erfolgreich demonstriert. Auch die Funktion von memory®-steel- Bewehrungen für Stahlkonstruktionen wurde in genagelter [35], geklebter [36] oder mechanisch befestigter [37] Ausführung nachgewiesen. Es wurde gezeigt, dass durch die Vorspannung das Ermüdungsrisswachstum im Stahluntergrund gestoppt werden kann. Weiters wurde die Ertüchtigung von Stahlverbindungen erstmals in [38] demonstriert. Das erste Pilotprojekt für die Verwendung von memory®-steel Lamellen als vorgespannte Tragwerksverstärkung fand im Jahr 2017 in der Schweiz statt. Bei diesem Projekt wurde angestrebt, bestehende Biegerisse und Deformationen in einer Stahlbetonplatte zu reduzieren und die Tragfähigkeit zu steigern. Bei einer weiteren Baustelle im Jahr 2017 in Frankreich wurde mittels kontinuierlicher Verschiebungsmessung eine Rissbreitenreduktion von 0.14-mm beobachtet werden. Das verstärkte Tragwerk ist in Abbildung 10 dargestellt. 267 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel Abbildung 10. Pilotprojekt zur Untersuchung der Wirksamkeit von memory-steel Lamellen zur Verringerung von Rissbreiten und Durchbiegungen, zuzüglich zur Erhöhung der Traglast Die Verstärkung von alten Stahlstrukturen mittels memory®-steel-Lamellen wurde anhand eines Pilotprojekts gezeigt, wobei die Tragfähigkeit einer 113 Jahre alten Stahlbrücke erfolgreich erhöht wurde [39] (siehe Abbildung 11). Abbildung 11. In-situ Experiment, Verstärkung und Vorspannung einer 113-Jahre alten Stahlbrücke mittels memory-steel Lamellen, aus [39] 3. Aktuelle Produkte 3.1 Externe Verstärkungslamelle (re-plate) Dieses Material ist für die äußere Anwendung auf Betonkonstruktionen konzipiert. Die Endverankerung erfolgt mittels Direktbefestigung (Nägel) mit einem Durchmesser von 4 mm. Üblicherweise wird eine konstante Anzahl von 12 Nägeln verwendet, wobei 16 vorgefertigte Löcher in der Lamelle zur Verfügung stehen. Das Material wird vorgedehnt auf die Baustelle geliefert. Für die Montage wird das Material zunächst provisorisch an der gewünschten Stelle fixiert, anschließend der Beton durch die Löcher im replate vorgebohrt und die Befestigungsmittel mittels eines pulverbetriebenen Setzgerät platziert. Die Länge zwischen den mechanischen Befestigungen verbleibt ohne Verbund. Abschließend wird re-plate entweder mittels Gasflamme oder Infrarotstrahler über seine gesamte Länge auf Temperaturen zwischen 100°C und 300°C erhitzt. Der Einsatz des Infrarotstrahlers ermöglicht es, die Heiztemperatur gezielt zu reduzieren und angrenzende Bauteile zu schützen. Beim Gasbrenner wird das Material auf eine Temperatur von 300°C erhitzt, um die maximale Vorspannung von 380 MPa zu erzeugen. Eine Beschädigung des Materials durch Überhitzung ist bei Baustellentemperaturen nicht möglich. Abbildung 12. memory-steel Bänder („re-plate“) 3.2 Stabbewehrung (re-bar und re-bar R18) Bewehrungsstäbe mit genormter Rippengeometrie aus memory®-steel können entweder in vorgefertigte Nuten eingelegt oder in Betonersatzmörtel eingebettet werden. Besonders bei auskragenden Bauteilen im Bereich negativer Biegemomente, oder für nachträgliche Bewehrungsanschlüsse hat sich die Nutlösung mit Vergussmörtel (SikaGrout®) als sehr effektiv erwiesen. Die Bewehrungsvariante im flächigen Betonersatzmörtel (Sika MonoTop®) wurde häufig im positiven Biegemomentbereich im Spritzmörtel oder im negativen Biegemomentbereich im Vergussmörtel eingesetzt. Dazu wird zunächst der schadhafte Beton hydromechanisch abgetragen und die Stäbe anschließend in der gewünschten Position fixiert. Bei beiden Varianten werden in einer ersten Phase lediglich die Stabenden über eine definierte Verankerungslänge mittels Zementmörtel an der Tragkonstruktion fixiert, um nach Aushärtung den Erwärmungsprozess durch Gasflamme und damit das Einbringen der Vorspannung zu ermöglichen. Durch das Aufbringen von Verguss- oder Spritzmörtel wird danach der Verbund zwischen Stab und Bestandskonstruktion über die gesamte Länge sichergestellt - der Rippenstab wirkt somit als innenliegendes und vorgespanntes Zugelement mit nachträglichem Verbund. Auch nachträglich eingebaute Bewehrungsanschlüsse 268 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel von memory®-steel Stäben in Kombination mit Ankerklebstoff (Sika Anchorfix®) wurden erfolgreich realisiert. Diese Anwendung ermöglicht auch die Verstärkung von Mauerwerkswänden und die Verankerung der vorgespannten Bewehrung in angrenzenden Betonbauteilen. Abbildung 13. memory-steel Rippenstäbe („re-bar”) Memory-steel Bewehrung verursacht aufgrund der hohen Bruchdehnung von >20 % ein duktiles Tragwerksverhalten mit ausgeprägter Versagensankündigung durch Risse und Verformungen mit anschließendem Versagen des Betons in der Druckzone. Neben der Verstärkung für Biegelasten wurden memory®-steel Stäbe auch zur vorgespannten Querkraftverstärkung in Form von Bügeln verwendet. Durch die Vorspannung konnten reduzierte Schubrissbreiten sowie eine Entlastung der inneren Schubbügel erreicht werden. Die hohe Bruchdehnung bewirkt ein duktileres Schubversagen bei großen Schubrissbreiten ohne Zugversagen der Bügel. Glatte Bewehrungsstäbe aus memory-steel (re-bar R18) werden vorwiegend zur externen Ertüchtigung ohne Verbund, zum Beispiel für Stahl- und Verbundbauwerke, eingesetzt. Die Stäbe werden mit einem Gewinde versehen und mechanisch über Anbauteile aus Baustahl am Tragwerk befestigt. Abbildung 14. Glatte memory-steel Bewehrungsstäbe (re-bar R18) 4. Bautechnische Nachweisführung Aktuelle Bemessungsrichtlinien für memory-steel-Bewehrungen basieren auf lokalen Bemessungsnormen des Stahlbetons wie EN-1992 und SIA 262. Dementsprechend unterscheiden die Richtlinien die Bemessungsfälle 1. Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (GZG), 2. Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT), 3. Brandlastfall. 1. GZG: Die Auswirkung der Spannkraft auf das Bauteil kann als konstantes Biegemoment zwischen den Verankerungen (zementös oder mechanisch) berücksichtigt werden. Die entsprechenden Durchbiegungen, sowie die Auswirkungen auf Risslast, Rissbreiten und Spannungen in der internen Bewehrung können anhand von Standardgleichungen berechnet und mit Durchbiegungen aus Bemessungslasten überlagert werden. Die Vorspannung wird dabei als exzentrische Kraft, die ein Biegemoment erzeugt, sowie als zentrale Druckkraft berücksichtigt werden. Bei großen Exzentrizitäten des memory-steel®-Elements und geringer Biegesteifigkeit des verstärkten Bauteils wird eine Überprüfung der Zugspannungen in der gegenüberliegenden Betonoberfläche empfohlen, um etwaige Rissbildung des Betons beim Vorspannen zu vermeiden. Zur Bemessung ist die initiale Spannkraft um die entsprechende Relaxation gemäß Datenblatt des Herstellers zu reduzieren. Reibungsverluste wie bei konventionellen Vorspannmaßnahmen treten bei memory®-steel-Bewehrungen nicht auf. 2. GZT: Im Grenzzustand der Tragfähigkeit wird zwischen der Installation ohne und mit Verbund unterschieden. Ohne Verbund: Es können zwei Berechnungsverfahren verwendet werden. Die erste Methode stellt einen konservativen Ansatz dar, bei dem der Spannungszuwachs vom Spannkraftniveau durch äußere Belastung nicht berücksichtigt wird. Dieser Ansatz findet sich auch in Bemessungsempfehlungen und 269 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel Bemessungssoftwares für externe Spannglieder ohne Verbund wieder. Für den Verankerungsnachweis wird mittels vereinfachter Formeln laut Stahlbetontheorie (erhältlich beim Hersteller) der Spannungszuwachs abgeschätzt, und die maximale erwartete Kraft der maximalen Verankerungskraft gegenübergestellt. Bei der zweiten Methode kann dieser Spannungszuwachs ebenfalls mittels vereinfachter Formeln oder genauerer Berechnung des Spannungszuwachses auch schon für den Bemessungsbiegewiderstand herangezogen werden. In EN-1992 finden sich weiters Empfehlungen, die Spannungserhöhung als 100 MPa anzunehmen, falls keine detaillierten Berechnungen durchgeführt werden. Bei memory®-steel Rippenstahlbewehrung im Vollverbund ist Stahlbetontheorie anwendbar. Die Bemessungsspannung im Rippenstab wird zu Beginn des Fließens des aktivierten Stabs definiert. Es muss angemerkt werden, dass durch die außergewöhnlich hohe Bruchdehnung des Materials (>20%) im nichtlinearen Bereich dadurch große Duktilitätsreserven und Sicherheiten entstehen. 3. Brandlastfall: Bei entsprechendem Brandschutz kann das Material im Brandlastfall für erhöhten Biegewiderstand berücksichtigt werden. Aufgrund der hohen Kritischen Temperatur des Systems wird bei einer Brandschutz-Spritzmörtelschicht von 22 mm [32] die Feuerwiderstandsklasse R90 (inkl. Sicherheitsfaktor 1,5) erreicht. Detaillierte Berechnungsrichtlinien sind beim Hersteller erhältlich. Das Engineering-Team des Herstellers unterstützt Tragwerksplaner auch in jeder Phase des jeweiligen Projekts. 5. Qualitätskontrolle Aus Gründen der Qualitätssicherung werden die thermomechanischen Eigenschaften der Produktionschargen vom Hersteller geprüft. Zusätzlich wird die Heiztemperatur auf der Baustelle gemessen. Zur Überprüfung der Spannkraft in den memory®-steel Bewehrungen nach dem Einbau werden vom Hersteller entsprechende Messgeräte bereitgestellt. 6. Abgeschlossene Projekte 6.1 Biegezugverstärkung eines Spannbetonträgers Aufgrund beschädigter interner Spannlitzen war es notwendig, deren Funktion durch nachträglich aufgebrachte Vorspannung wiederherzustellen. Aufgrund zusätzlicher Anforderungen hinsichtlich Staubentwicklung, Geruch, Einbauzeit sowie begrenztem Platz und geringer Betondeckung wurden seitlich installierte re-plate Bänder gewählt, wie in Abbildung 15 dargestellt. Aufgrund hitzeempfindlicher Installationen und der Anforderungen des Auftraggebers wurden die memory-steel Bänder mit Infrarotstrahlern beheizt. Abbildung 15. Installierte re-plate Bänder auf Spannbetonbalken 6.2 Biegezuverstärkung einer Parkgaragendecke mit re-plate inklusive Brandschutz Aufgrund einer unzureichenden Tragfähigkeit musste der Biegewiderstand einer Stahlbetondecke in einem Parkhaus erhöht werden. Aufgrund der geringen Raumhöhe sowie der Brandschutzanforderungen wurde eine Lösung mit re-plate Bändern gewählt. Die Anwendung der Brandschutzmaßnahme ist in Abbildung 16 dargestellt. Abbildung 16. Applizieren des zementösen Spritzputzes SikaCem® Pyrocoat auf die re-plate Bänder 6.3 Verstärkung einer Brückenplatte mit re-bar Im Zuge von Ertüchtigungsmaßnahmen an einer Straßenbrücke musste der Mittelträger eines Zweifeldsystems entfernt werden, wodurch eine Biegeverstärkung auf der Unterseite der Brückenplatte erforderlich wurde. Zu diesem Zweck wurde die Betonoberfläche in einem ersten Schritt hydromechanisch aufgeraut. Nach der temporären Befestigung der re-bar Stäbe wurden diese an beiden Enden auf einer Länge von ca. 0,5 m mit einer Spritzmörtelschicht an der Plattenunterseite verankert. Dieser Vorgang ist in Abbildung 17 dargestellt. Nach ausreichender Aushärtezeit gemäß Herstellerangaben wurden die Stäbe durch Wärmezufuhr mit der Gasflamme aktiviert und dadurch vorgespannt. Abschließend wurde die freie Länge zwischen den Verankerungen ebenfalls mit Spritzmörtel verfüllt, um so ein System im Verbund zu erhalten. Auch bei diesem Projekt wurde die Vorspannung in das Bau- 270 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel werk eingebracht, ohne dass Ankerköpfe und hydraulische Geräte erforderlich waren. Abbildung 17. Applikation des Spritzmörtels an beiden Stabenden zur zementösen Verankerung der Vorspannkraft in der Betonplatte 6.4 Verstärkung von zwei Brückenträgern mit re-bar Eine Natursteinbogenbrücke wurde zwischen 1950 und 1970 einseitig durch eine Stahlbetonkonstruktion bestehend aus zwei Trägern und einer Brüstung verbreitert. Bei dieser Konstruktion war der oberflächennahe Beton karbonatisiert und die innere Bewehrung teilweise korrodiert. Des Weiteren wurde durch statische Überprüfungen festgestellt, dass die Konstruktion ein erhebliches Traglastdefizit aufwies. Eine Tragwerksverstärkung mit re-bar 16 Stäben als zusätzliche Biegezugbewehrung mit Vorspannung wurde als Variante gewählt. Die Stäbe wurden an die aufgeraute Betonoberfläche am unteren Flansch angebracht und über eine Länge von einem Meter zementös mit Sika MonoTop® 412 Eco verankert. Im Bereich der ein-Meter-langen Endverankerung wurden U-Bügel aus herkömmlichem Bewehrungsstahl entlang der Höhe des Steges angeordnet. Somit wurde eine robuste Verankerung der Biegeverstärkung in die Druckzone realisiert, wie in Abbildung 18 dargestellt. Nach dem Aushärten wurden die Stäbe wie in Abbildung 19 gezeigt aktiviert und abschließend die freie Länge zwischen den Verankerungen ebenfalls mit Spritzmörtel versehen. Abbildung 18. Verankerung der re-bar 16 Stäbe Abbildung 19. Aktivieren der re-bar 16 Stäbe mittels Gasbrenner 6.5 Siloverstärkung mit re-bar Infolge von diversen Bohrungen mussten bei einem Betonbehälter mit 17-m Durchmesser und einer Gesamthöhe von 24-m aus dem Jahr 1974 durchtrennte Spanndrähte (Ø5 mm, Wickelverfahren) ersetzt werden. -Hierfür wurde eine Lösung mit einem eingeschlitzten re-bar 16 Stab im Reprofiliermörtel Sika MonoTop®-412 N gewählt. Der Schlitz über eine Länge von 10.5-m wurde vorgängig gefräst und der Stab anschließend positioniert. Die beiden Enden wurden über eine Länge von ca. 50 cm zementös verankert und danach mittels Gasflamme auf >300°C aktiviert (siehe Abbildung 20). Die freie Länge zwischen den Verankerungen wurde abschließend ebenfalls zementös überdeckt. Die re-bar Verstärkung stellt eine einfache und sehr effiziente Verstärkungsmethode mit Vorspannung für Betonsilos dar. Abbildung 20. Heizen/ Aktivieren des re-bar 16 Stabes zur Vorspannung eines Betobehälters 6.6 Verstärkung einer Verbundbrücke mit re-bar R18 Aufgrund einem zu tiefen Tragwiderstand und zu starker Durchbiegung musste eine Stahl-Beton-Verbundbrücke auf Biegezug ertüchtigt werden. Für die Verbundkonstruktion wurde eine re-bar R18 Verstärkung, welche an die Unterseite der Stahlträger fixiert wurde, gewählt (siehe Abbildung 21). Die alten Stahlträger wurden zuerst sandgestrahlt und anschliessend mit einem Korrosionsschutz versehen. SikaCor ® eignet sich in einem solchen Fall als Korrosionsschutzmaßnahme für den Bestand sowie die Verstärkung. Danach wurde der Ø18 mm Rundstab re-bar R18 an den bestehenden Stahlträgern mit Verschraubung endverankert 271 Vorgespannte Tragwerksverstärkung mit Fe-SMA - memory-steel sowie mit Muffen in der freien Länge gekoppelt. Die Aktivierung/ Vorspannung von re-bar R18 erfolgte mit einem Gasbrenner. Die vorgespannten re-bar Stäbe mit einer Gesamtvorspannkraft von ca. 360 kN pro Träger wurden am Objekt parallel geführt. Durch die Vorspannung konnte die Durchbiegung in der Mitte um durchschnittlich 10 mm reduziert werden. Die Spannweite betrug etwa 15 m. Im Vorfeld dieses Projektes wurden an der Empa Dübendorf (CH) sowie an der CVUT Universität in Prag (Tschechien) Ermüdungsversuche an den Stäben sowie den Kupplungen (M19.5) durchgeführt. Hierbei konnte ein Ermüdungswiderstand bei einer Spannungsamplitude von 50 N/ mm 2 über 2 Millionen Lastzyklen nachgewiesen werden. Abbildung 21. re-bar R18 Verstärkung der Stahl-Beton- Verbundbrücke 7. Zusammenfassung Jahrelange Forschung an unabhängigen Forschungseinrichtungen haben zu einer Reihe von Neuentwicklungen im Bereich der Tragwerksverstärkung mit eisenbasierten Formgedächtnislegierungen geführt, welche seit geraumer Zeit von der Firma re-fer AG gemeinsam mit dem Partnerunternehmen Sika in die Praxis getragen werden. memory®-steel eignet sich hervorragend, um sowohl im Hochals auch im konstruktiven Ingenieurbau effiziente Tragwerksertüchtigung zu gewährleisten, dies sowohl für die Gebrauchstauglichkeit als auch im Traglastzustand. Die aktive Verstärkungsmethode mit Vorspannung erlaubt es, neben höheren Traglasten auch Durchbiegungen und Rissbreiten zu reduzieren. Eisenbasierte Formgedächtnislegierungen sind zu 100% rezyklierbar und können zukünftig wieder in den Produktionskreislauf von Edelstahl eingeführt werden. Zusammen mit zementösem Betonersatzmörtel erlauben sie es, dauerhafte Tragwerksverstärkungen effizient durchzuführen und somit den ökologischen Fußabdruck im Vergleich zu einem Neubau deutlich zu reduzieren. Während den letzten vier Jahren wurden insgesamt mehr als 100 Projekte mit memory-steel in der Schweiz, Österreich, Deutschland, Frankreich und den Niederlanden ausgeführt. Literatur [1] A. Sato, E. Chishima, K. Soma, and T. Mori, „Shape memory effect in transformation in Fe- 30Mn-1Si alloy single crystals,“ Acta Metallurgica, vol. 30, no. 6, pp. 1177-1183, 1982. [2] Kajiwara, S., Liu, D., Kikuchi, T. and Shinya, N., 2001. Remarkable improvement of shape memory effect in Fe-Mn-Si based shape memory alloys by producing NbC precipitates.- Scripta materialia,-44(12), pp.2809-2814. [3] Baruj, A., Kikuchi, T., Kajiwara, S. and Shinya, N., 2002. 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Fibre optic measurements and model uncertainty quantification for Fe-SMA strengthened concrete structures. Engineering Structures, 256, p.114005. [29] Shahverdi, M., Czaderski, C., Annen, P. and Motavalli, M., 2016. Strengthening of RC beams by iron-based shape memory alloy bars embedded in a shotcrete layer.- Engineering Structures,- 117, pp.263-273. [30] Shahverdi, M. and Czaderski, C., 2019. Long-term behavior of reinforced concrete beams strengthened by iron-based shape memory alloy strips.- SMAR 2019. [31] Prüfbericht Nr. PB 3.2/ 21-032, MFPA Leipzig, 2021 [32] Gutachterlichte Stellungnahme Nr. GS 6.1/ 21-008- 1, MFPA Leipzig, 2021 [33] Cladera, A., Montoya-Coronado, L.A., Ruiz-Pinilla, J.G. and Ribas, C., 2020. Shear strengthening of slender reinforced concrete T-shaped beams using iron-based shape memory alloy strips.-Engineering Structures,-221, p.111018. [34] Czaderski, C., Shahverdi, M. and Michels, J., 2021. Iron based shape memory alloys as shear reinforcement for bridge girders.-Construction and Building Materials,-274, p.121793. [35] E. Fritsch, M. Izadi, and E. Ghafoori, “Development of nail-anchor strengthening system with iron-based shape memory alloy (Fe-SMA) strips,” Construction and Building Materials, vol. 229, p. 117042, 2019. [36] Wang, W., Li, L., Hosseini, A. and Ghafoori, E., 2021. Novel fatigue strengthening solution for metallic structures using adhesively bonded Fe-SMA strips: A proof of concept study. International Journal of Fatigue, 148, p.106237. [37] Izadi, M., Motavalli, M. and Ghafoori, E., 2019. Iron-based shape memory alloy (Fe-SMA) for fatigue strengthening of cracked steel bridge connections.- Construction and Building Materials,- 227, p.116800. [38] Izadi, M., Motavalli, M. and Ghafoori, E., 2019. Iron-based shape memory alloy (Fe-SMA) for fatigue strengthening of cracked steel bridge connections.- Construction and Building Materials,- 227, p.116800. [39] Vůjtěch, J., Ryjáček, P., Matos, J.C. and Ghafoori, E., 2021. Iron-Based shape memory alloy for strengthening of 113-Year bridge.- Engineering Structures,-248, p.113231. 5. Brückenkolloquium - September 2022 273 UHPC-Traverse für die Querkraftverstärkung von Brückenstegen Entwicklung und Einsatz eines Bauprodukts Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Hermann Weiher matrics engineering GmbH, München, Deutschland Zusammenfassung Für die Herstellung eines hochbelasteten Trägers, der als Traverse oder Brücke für hohe Kräfte dienen kann, wird ultrahochfester Beton (UHFB oder UHPC) verwendet. Eine typische Anwendung für diese Traverse ist die Verankerung und Lastweiterleitung der Ankerkräfte von externen Spanngliedern bei der Querkraftverstärkung von Brückenstegen. Üblicherweise kommen hier Doppel-U Träger zum Einsatz, die für jedes Bauwerk individuell abgelängt und mit angeschweißten Steifen und Blechen versehen werden. Diese Stahlkonstruktionen sind i.d.R. sehr schwer und großer Aufwand ist für das Schweißen, das Handling und den Korrosionsschutz (i.d.R. mehrlagige Beschichtung) erforderlich. V.a. bei längeren Brücken mit massiven Querkraftdefiziten können durchaus mehrere Hundert dieser Träger zum Einsatz kommen. Für diese Anwendung wurde ein modularer Fachwerkträger aus UHPC entwickelt. Dieser hat zwei identische, geneigte Druckstreben an der Außenseite und mittig horizontale Druck- und Zugstrebe. Letztere erlauben eine flexible Geometrie, da ihre Länge für jedes Projekt individuell variiert werden kann. Der Träger hat eine ausgezeichnete Ökobilanz und ist sehr wettbewerbsfähig hinsichtlich Gewicht, Preis und Dauerhaftigkeit. Er kann für verschiedene Stabspannverfahren zum Einsatz kommen, z.B. [4] und [5]. Er wurde bemessen nach EC2, [1], zusammen mit der DAfStb-Richtlinie für ultrahochfesten Beton (Entwurf 2019, [2]) und darüber hinaus wurden Lasteinleitungsversuche nach EAD160004 (Richtlinie für die Prüfung von Spannverfahren, [3]). 1. Konzept Es wurde ein Fachwerkträger konzipiert mit Spanngliedverankerungen an der Unterseite. Die Kraft wird über Muttern (und je nach Spannsystem ggf. zusätzlich eine Ankerplatte) in den Träger eingeleitet. Der unmittelbare Lasteinleitungsbereich ist basierend auf der ‚Hybridanker- Technologie‘ sehr kompakt ausgeführt - nach ETA, z.B. [4] oder [5]. Aufgesetzte Platten sind zu verwenden, sofern ein Neigungsausgleich (oftmals sind Brückenstege etwas geneigt) erforderlich ist. Hybridankerplatten können sehr einfach geneigt hergestellt werden. Die Vorspannkraft wird vom Ankerbereich entlang der diagonalen Druckstreben zum Kontaktbereich zwischen Träger und Brückensteg geleitet. Um Abplatzungen zu vermeiden sollte ein gewisser Abstand zum Rand eingehalten werden. Die horizontale Lastkomponente der Diagonalstrebe wird an der Oberseite von einer horizontalen Druckstrebe übernommen. Auch über Reibung Beton-Mörtel-Beton an den Kontaktstellen kann ein nennenswerter Anteil übertragen werden. An der Unterseite ist eine horizontale Zugstrebe angeordnet. Darin werden hochfeste Gewindestäbe mit einer Streckgrenze von 670 N/ mm² angeordnet, die außerhalb der Spanngliedverankerungen mechanisch verankert werden. Der stahlfaserbewehrte ultrahochfeste Beton hat eine Druckfestigkeit von ca. 175 MPa und ist sehr gut geeignet für die Ausbildung der Druckstreben. Zusätzlich werden Betonstahlbügel in den Lasteinleitungsbereichen zur Aufnahme von Spaltzugkräften eingesetzt. 274 5. Brückenkolloquium - September 2022 UHPC-Traverse für die Querkraftverstärkung von Brückenstegen Abbildung 1: Einsatzbeispiel UHPC-Traverse Abbildung 2: UHPC-Traverse Abbildung 3: Einbausequenz Abbildung 4: Fachwerkmodell 2. Bemessung Die Schnittgrößen der Druck- und Zugstreben können sehr einfach ermittelt werden (siehe Abbildung 4). Die Bemessungslast der Spannstäbe im Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) werden als Maximum aus 135% x F pm0 (mit F pm0 als Vorspannkraft nach Absetzen der Mutter zum Zeitpunkt 0) und Pressenspannkraft vor dem Absetzen der Mutter. Das Vorspannen der Stäbe muss simultan mit einer gleich großen Last erfolgen. Die Spannstäbe können auch geneigt sein, was zu einer höheren Zugkraft in der Druckstrebe führt. Im Folgenden werden aber nur vertikale Stäbe betrachtet. Im GZT dürfen die Spannungen in den Druckstreben den Bemessungswert der einaxialen Druckfestigkeit des Be- 5. Brückenkolloquium - September 2022 275 UHPC-Traverse für die Querkraftverstärkung von Brückenstegen tons f cd nicht überschreiten. Für die Zugstreben wirken zwei Bewehrungsstäbe (Spannung < f sd = f sy / γ s mit γ s =1,15) und die Zugfestigkeit des faserbewehrten ultrahochfesten Betons zusammen. Der Nachweis der direkten Lasteinleitungszone (Abmessungen, Spaltzugbewehrung etc.) kann entweder durch Bemessung (insbesondere wenn externe Ankerplatten eingesetzt werden) oder experimentell durch Lasteinleitungsversuche nach EAD160004, [3]. Diese Richtlinie definiert dabei eindeutig Prüflasten (mit einigen Druckschwellzyklen) und erforderliche Widerstände sowohl für die Gebrauchstauglichkeit (z.B. Rissbreite) als auch Tragfähigkeit (Mindestbruchlast für Verankerungen mit Spaltzugbewehrung: 110 % x F pk (mit F pk als Nennbruchlast des Spannstahl). Die experimentelle Prüfung ist ebenso geeignet, das einfache Fachwerkmodell zu bestätigen, insbesondere, da das Fachwerk durch die biegesteifen Knoten kein ideales Fachwerk ist. Ebenso kann die Variation der Länge der horizontalen Druck/ -Zugstreben zu leicht unterschiedlichem Verformungsverhalten führen. Die Versuche sollen innerhalb gewisser Toleranzen zeigen, dass diese Ungenauigkeiten in der Modellbildung kompensiert werden können. Als Bauprodukt liegt eine immer gleiche Geometrie mit sehr kleinen Toleranzen und durch werkseigene Produktionskontrolle überwachte, gleichförmige Materialeigenschaften vor, so dass die experimentellen Untersuchungen jederzeit auch reproduzierbar sind. Für den Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (GZT) kann die Ankerkraft zum jeweiligen Zeitpunkt angesetzt werden 100 % x F pmt . Grundsätzlich müssen die zulässigen Spannungen in Beton (Druck) und Bewehrung (Zug) eingehalten werden. Aufgrund der geringen Gesamtabmessungen und der niedrigen Kriechbeiwerte (insbesondere bei Wärmebehandlung) für ultrahochfesten Beton kann der Einfluss von Kriechen vernachlässigt werden. Für die Dauerhaftigkeit des Bauteils sind die Rissbreiten relevant. Dabei könnte man der Richtlinie des DAfStb folgen. Dort wird für die Exposition mit Chloriden (XD) eine rechnerische Rissbreite von maximal w max = 0,05 mm gefordert (die Wirkung der Fasern darf dabei angesetzt werden) - dies erscheint angesichts des extrem dichten Gefüges des UHPC selbst bei einer Betondeckung von 25 mm sehr konservativ, ist aber ggf. mit erwarteten Lebensdauern von 100 Jahren zu erklären. Für kürzere Lebensdauern könnten etwas größere Rissbreiten toleriert werden, z.B. w max = 0,10 mm für maximal 50 Jahre oder w max = 0,15 mm für maximal 20 Jahre. Folgt man dem Prinzip der Richtlinie EAD160004 - so ist dort eine maximale Rissbreite nach 10 Zyklen bis 80% der Nennbruchlast F pk (bzw. ca. 15 % über dem Gebrauchstauglichkeitsniveau) von w max = 0,25 mm einzuhalten bei einer Betondeckung im Prüfkörper von 10 mm. Für Stahlbetonbauteile aus Normalbeton mit werksseitig vollständig geschützten Spanngliedern (z.B. PE Hüllrohr) wird im Rahmen der Bemessung eine maximale rechnerische Rissbreite von w max = 0,30 mm gefordert. Die Traverse weist eine deutlich dichtere und damit wirksamere Betondeckung auf auch wenn sie mit nominal 30 mm (für Fertigteile aufgrund eines geringeren Vorhaltemaßes auf 25 mm reduzierbar) für chloridbeanspruchte Bauteile etwas geringer ist als die Deckung von Normalbeton bei Brücken. Für die UHPC-Traverse wird im Bereich der Zugstrebe rechnerisch eine Rissbreite von w max = 0,10 mm nachgewiesen. Für den Fall extremer Exposition oder sehr hoher Lebensdauer kann örtlich (Zugstrebe) ein Oberflächenschutzsystem aufgebracht werden. Damit ist eine ausgezeichnete Dauerhaftigkeit sichergestellt. 3. Versuche Zusätzlich zur Bemessung wurden die Traversen auch experimentell untersucht. Einerseits war das Ziel, die Bemessung zu bestätigen - andererseits sollten auch lokale Effekte geprüft werden, die durch die einfache Modellierung nicht abgedeckt werden (z. B. Spaltzug bei der Lasteinleitung oder biegesteife Knoten etc.). Für die Versuche wurde der Ablauf von Lasteinleitungsversuchen nach EAD160004 gewählt, [3]. 3.1 Prüfkörper Die experimentelle Prüfung wurde mit zwei verschiedenen Größen durchgeführt - nur die Länge der horizontalen Streben wurde dabei variiert. Abbildung 5 zeigt einen Prüfkörper (kurze Länge). Für die Herstellung wurde UHPC mit einer Festigkeit von ca. 175 MPa und Fasergehalt von 2 % (gerade Kurzfasern), Betonstahl B500B und Gewindestahl B670B. Es wurden Verankerungen für Spannstahlstäbe Durchmesser 32 mm und Nennbruchspannung i.H.v. 1050 N/ mm² gewählt. Die einbetonierte Verankerung aus Gusseisen für flache Muttern stellt die ungünstigste Verankerungsart dar und wurde bei den Prüfkörpern ausgeführt. Aufgesetzte Verankerungsplatten (z. B. für Kugelbundmuttern oder bei Neigung) stellen immer einen Zustand mit geringerer Belastung dar (Pressung und Spaltzug). 276 5. Brückenkolloquium - September 2022 UHPC-Traverse für die Querkraftverstärkung von Brückenstegen Abbildung 5: Prüfkörper nach dem Ausschalen 3.2 Versuchsaufbau Für die Druckschwellprüfung wird eine Druckprüfmaschine mit Kalottenlagerung eines Querhaupts benötigt. Bei gemeinsamer Prüfung von zwei Traversen kann die Last über die kurzen Seiten eingeleitet werden. Die maximale Größe der Prüflinge ist durch die Abmessung des Querhaupts limitiert, siehe Abbildung 6. 3.3 Versuchsablauf Es wurde der Versuchsablauf nach EAD160004 befolgt, [3]. Dabei wird die Last stufenweise auf 80% der Nennbruchlast F pk gesteigert (basierend auf Nennbruchspannung f pk = 1050 MPa, so dass die Versuche für Spannstahl St835/ 1030 als auch St950/ 1050 verwendet werden können). Danach folgen mindestens 10 Zyklen zwischen 80 % und 12 % x F pk . Nach den Zyklen wird die Last bis zum Bruch gesteigert, siehe Abbildung 7. Abbildung 6: Versuchsaufbau, Druckprüfmaschine an der TU Braunschweig Abbildung 7: Prüfablauf nach EAD160004 (Auszug, [3]) 5. Brückenkolloquium - September 2022 277 UHPC-Traverse für die Querkraftverstärkung von Brückenstegen 3.4 Messungen Folgende Messungen wurden durchgeführt (siehe Tabelle 1): Tabelle 1 - Messungen Messgröße Messgerät Toleranz Kraft Messdose 1 % Verformung Wegaufnehmer 0,1 mm Rissbreite Risslupe 0,01 mm Dehnung Wegaufnehmer 0,01 mm Abbildung 8: Rissbreitenmessung mit optischer Risslupe (hier dargestellt ein Riss der Breite 0,08 mm) 3.5 Ergebnisse Nach Durchführung der Zyklen erreichten alle vier Prüfkörper eine Bruchlast von mindestens 142% F pk > 110 % F pk . Das Versagen trat in den diagonalen Druckstreben infolge einer kombinierten Druck-/ Schubbeanspruchung auf. Sobald die horizontale Zugstrebe größere Dehnungen erleidet (plastische Dehnung der Bewehrung) wird mehr und mehr Schub über die Druckstrebe übertragen bis schließlich ein Versagen eintritt. Die erreichte Bruchlast aller Prüfgrößen war annähernd gleich - auch die Rissbreiten und Dehnungsverhalten waren vergleichbar. Der sehr hohe Wirkungsgrad erlaubt eine höhere Ausnutzung im GZT - z. B. durch Neigung der Stäbe nach außen oder durch Wahl größerer Stabdurchmesser. Für den GZG sind die höheren Kräfte jedoch nachzuweisen (Spannungen/ Rissbreiten). Mithilfe der eingesetzten Kurzfasern konnte die Rissbreite bis zur letzten Oberlast unter 0,13 mm verbleiben, was deutlich von der nach EAD-160004 geforderten zulässigen Rissbreite von 0,25 mm liegt. Zudem lag eine Betondeckung von 25 statt der im Versuch nur notwendigen 10 mm vor, was zu eher größeren Rissbreiten führt. Berücksichtigt man zudem die niedrigeren Lasten im GZG im Vergleich zu 80% F pk Oberlast, so kann auch experimentell eine Rissbreite von ≤ 0,10 mm gezeigt werden. Die Rissbreiten traten nur in der horizontalen Zugstrebe auf. Abbildung 9: Rissbreite in mm während eines Druckschwellversuchs mit Kriterien nach EAD160004 Abbildung 10: Bruchbild kurze Traverse Abbildung 11: Bruchbild Detail/ Auszug lange Traverse 278 5. Brückenkolloquium - September 2022 UHPC-Traverse für die Querkraftverstärkung von Brückenstegen 4. Pilotanwendung 2021 und 2022 wurde die Isarbrücke in Bad Tölz im Zuge der B472 ertüchtigt und instandgesetzt. Das Bauwerk ist eine längs- und quer vorgespannte Betonbrücke mit Plattenbalkenquerschnitt und wurde in den 1970er Jahren gebaut. Die Nachrechnung des Bauwerks für ein höheres Lastmodell offenbarte u.a. Schubwiderstandsdefizite insbesondere für den Zustand des Lageraustausches. Für die Verstärkung wurden die Stege mit Spanngliedpaaren des Typs BBV Macalloy 32 mm vertikal vorgespannt. Für die unten liegende Verankerung und Lastweiterleitung in die Längsträger der Brücke wurden erstmals die beschriebenen UHPC Traversen eingesetzt. Der Einbau der ca. 60 kg schweren Traversen erfolgte mit 2 Arbeitern - die Standardlösung mit Stahlträgern und Ankerplatten hätte ca. 180 kg gewogen, wofür zusätzliche Hebegräte erforderlich gewesen wären. Der Kontakt zum Längsträger wurde mit Unterstopfmörtel ausgebildet. Nach dem Aushärten des Mörtels wurden die Spannglieder simultan vorgespannt und verankert. Abbildung 12: Isarbrücke, Hauptprüfung nach DIN1076 Abbildung 13: Isarbrücke, Ertüchtigung mit Stabspanngliedern Typ BBV Abbildung 14: Isarbrücke, Querkraftverstärkung Abbildung 15: Isarbrücke, Traversen Abbildung 16: obere Verankerung der Stäbe in der Brückenplatte mit Festanker Typ BBV Abbildung 17: Einbringen des Unterstopfmörtels 5. Brückenkolloquium - September 2022 279 UHPC-Traverse für die Querkraftverstärkung von Brückenstegen 5. Ökobewertung Eine vereinfachte Betrachtung der CO 2 -Bilanz kann basierend auf folgenden Äquivalenten erfolgen: - Walzprofile und Bleche, z.B. S355: 1,5 kg CO 2 -Äquivalent je kg - Beton- und Gewindestahl (Elektroschrott): 0,35 kg CO 2 -Äquivalent je kg - Hochfeste Kurzstahlfasern 2,5 kg CO 2 - Äquivalent je kg - Ultrahochfester Beton 0,25 kg CO 2 -Äquivalent je kg - Gusseisen 1,5 kg CO 2 -Äquivalent je kg - Korrosionsschutz (Feuerverzinken oder Mehrlagiges Beschichten) 0,2 kg CO 2 - Äquivalent je kg exponierter Stahl Damit kann ein Vergleich der entwickelten Lösung mit der Standardlösung aus Stahlprofilen und -ankerplatten erfolgen. Die UHPC Traverse kann nahezu 90 % Einsparung CO 2 ermöglichen (siehe Abbildung 18). Dies ist zum einen auf die optimierte Form und damit einhergehend geringen Materialbedarf zurückzuführen - aber auch die Verwendung von ultrahochfestem Beton zum Ersatz von Stahl ist sehr vorteilhaft trotz dem verwendeten „Klimakiller“ Zement. Die in der UHPC Traverse verwendeten Stahlteile sind entweder sehr gering im Gewicht oder aber im Falle von Betonstahl, der aus Schrott im Elektroofen hergestellt wird, mit relativ günstigem CO 2 -Ausstoß. Je Traverse können mit vereinfachter Berechnung über 250 kg CO 2 - Äquivalent eingespart werden. Bei einem Projekt mit 400 Traversen landet man bei einer Einsparung von 100 Tonnen. Damit kann ein Pkw mit Verbrennungsmotor (z. B. Mercedes Benz C Klasse Diesel, 150 g/ kg) über 600.000 km fahren. Alternativ sind das etwa 80 Langstreckenflüge von Stuttgart nach New York in der Economy Klasse. Abbildung 18: CO 2 -Äquivalent bei UHPC Traverse 6. Fazit Mit ultrahochfestem Beton kann man sehr widerstandsfähige und dauerhafte Bauteile nachbilden. Die UHPC Traverse ist ein einfaches Bauteil, bei dem die Materialien entsprechend ihren besonders positiven Eigenschaften und zudem in einer relativ freien Form eingesetzt werden. Durch die variable Länge der horizontalen Streben und der Verwendung einer Standardgröße für die Stabspannglieder kann eine effiziente und wirtschaftliche Herstellung auch bei geringen Stückzahlen gelingen. Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit können zwar durch Bemessung nach Eurocode und DAfStb Richtlinie für UHFB gezeigt werden aufgrund des hohen Standardisierungsgrades und der Herstellung als Fertigteil bietet sich allerdings eine versuchsgestützte Nachweisführung an. Dadurch lassen sich noch Reserven ausnutzen bzw. nachweisen. Besonders erfreulich ist auch die Ökobilanz des Bauteils insbesondere durch die stark reduzierte Nutzung von Stahl - ein reiner Vergleich der eingesetzten Materialien führt schon zu fast 90 % weniger CO 2 -Ausstoß. Beim Primärenergieverbrauch ist der Vorteil ähnlich groß. Literatur [1] EN 1992-1/ 2: Eurocode 2: Design of concrete structures, 2011 [2] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb): Richtlinie für UHFB (Entwurf), Stand 2019 [3] EOTA: EAD160004-00-0301: Post-tensioning kits for prestressing of structures, Brussels, 2016 [4] OIB: ETA-16/ 0726 matrics 1030 pt bar tendon system, nominal diameter 32 to 50 mm, 2016 [5] OIB: ETA-13/ 0463 Post-tensioning bar tendon system with hybrid anchor plate, nominal bar diameter 17.4 to 47 mm, 2013/ 2018 5. Brückenkolloquium - September 2022 281 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten Integralisierungen von Bestandbrücken Dipl.-Ing. Dipl.-Ing. Dr. techn. Erwin Pilch ASFINAG Bau Management GmbH, Graz, Österreich Zusammenfassung Der Verzicht auf konventionelle Fahrbahnübergangskonstruktionen bei Brücken mit geringen Längenausdehnungen reduziert Instandsetzungsmaßnahmen und erzeugt weitere Vorteile. Umbauten von bestehenden Brückenobjekten in integrale Brücken bzw. semi-integrale Brücken werden im vorliegenden Beitrag vorgestellt. Dabei werden internationale Lösungsansätze miteinbezogen. Die aktuell umgesetzten Instandsetzungsmaßnahmen in Österreich, bei denen konventionellen Brücken in semi-integrale Brücken umgebaut werden mit und ohne Abbruch der kompletten Kammerwand (österr. Herdmauer bzw.Schottermauer), werden mit ihren Vor- und Nachteilen erläutert. 1. Einleitung Bei integralen bzw. monolithischen Tragwerken entstehen an den Überbauenden primär Längsverformungen in Folge der Temperatureinwirkungen auf das Brückentragwerk. Diese temperaturindizierten Verformungen sind gleich groß wie bei konventionellen Tragwerken. Bei konventionellen Tragwerken werden üblicherweise an den Überbauenden dichte Fahrbahnübergangskonstruktionen angeordnet um diese Verformungen aufnehmen zu können und gleichzeitig das Brückentragwerk und den Unterbau vor chloridhaltigen Wässern schützen zu können. Dichte Fahrbahnübergangskonstruktionen im hochrangigen Straßennetz weisen eine geringere Lebensdauer als das Brückenbauwerk auf und daraus folgenden sind mehrere Instandsetzungsmaßnahmen im Lebenszyklus der Brücke erforderlich. Statt schadhafte Fahrbahnübergangskonstruktionen bei Brücken mit geringen Längenausdehnungen instandzusetzen kann auch die Fahrbahnübergangskonstruktion bei einem Umbau in ein semi-integrales Tragwerk entfallen. Diese Maßnahme reduziert zukünftig die Wartungs- und Instandsetzungsmaßnahmen und bringen weitere Vorteile. 1.1 Aufgabenstellung Um eine durchgehende Fahrbahn im Übergangsbereich Brücke-Damm bewerkstelligen zu können müssen zwei wesentliche Teilaufgaben gelöst werden. 1.1.1 Dichte Fahrbahnübergangskonstruktion Statt einer konventionellen dichten Fahrbahnübergangskonstruktion müssen die horizontalen Verformungen an den Tragwerksenden primär zufolge der jahreszeitlichen Temperaturänderung des Überbaues (Tabelle 1) im Bereich des Übergangs Brücke-Damm und Verdrehungen zwischen dem Tragwerk und dem Widerlager primär zufolge der Tragwerksdurchbiegung schadfrei und wasserdicht aufgenommen werden [1]. Tabelle 1: Anhaltswerte für Verzerrungen von integralisierten Bestandsüberbauten bei üblichen Verhältnissen [vgl. 2] 1 2 3 4 Einwirkung Verzerrung Tragwerk konstanter Temperaturanteil Verzerrungen Bestandsbauwerksende ohne ÜKO [‰] Temperaturschwankung (Beton) ΔTN,con 0,010× ΔTN -26K -0,26 Temperaturschwankung (Beton) ΔTN,exp 0,010× ΔTN 29K 0,29 Stahlbeton Gesamtverzerrung 0,55 Bei der Dimensionierung von Fahrbahnübergangskonstruktionen bzw. Ermittlung der Längsverformungen für einen Umbau in ein integrales bzw. semiintegrales Bauwerk bei Bestandsbrücken können üblicherweise die Verformungen aus Schwinden und Kriechen vernachlässigt bzw. als abgeschlossen betrachtet werden. 282 5. Brückenkolloquium - September 2022 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten 1.1.2 Schleppplatte Um die differentiellen Setzungen zwischen dem Tragwerk und dem Damm auszugleichen bzw. die unmittelbaren Setzungen der Widerlagerhinterfüllung zu überbrücken (Abbildung 1) ist im Übergangsbereich eine Schleppplatte anzuordnen. Abbildung 1: Setzungsdifferenz zwischen Tragwerk und Damm im Übergangsbereich [3] 2. Integralisierung Der Begriff Integralisierung ist in der österreichischen Richtlinie RVS 15.02.12 Bemessung und Ausführung von Integralen Brücken folgendermaßen definiert: „Umbau einer bestehenden konventionellen Brücke in eine semi-integrale oder integrale Brücke im Zuge einer Ertüchtigung.“ [4] Da der Begriff „semi-integrale Brücke“ unterschiedlich definiert ist, werden die beiden Definitionen vorgestellt. In Deutschland ist der Begriff folgendermaßen definiert: „Als semi-integrale Bauwerke werden Rahmentragwerke bezeichnet, die keine integralen Bauwerke sind und bei denen mindestens in zwei Achsen die Pfeiler monolithisch an den Überbau angeschlossen und an den übrigen Pfeilern sowie den Widerlagern Lager angeordnet sind.“ [2]. In Österreich ist der Begriff folgendermaßen definiert: „Brücken, die entweder Fahrbahnübergangskonstruktionen bzw. Dehnfugen oder Lager zwischen den Über- und Unterbau im Bereich der Widerlagerachsen aufweist. Bezüglich des Tragverhaltens stellt eine semi-integrale Brücke eine Mischung zwischen einer konventionellen und einer integralen Brücke dar.“ [4]. Die Definition in der Schweiz ist analog der österreichischen Begriffsbestimmung [siehe Bundesamt für Strassen ASTRA, Konstruktive Einzelheiten von Brücken, Kapitel 3 Brückenende]. Da der Begriff der Integralisierung, einen Umbau in eine semi-integrale Brücke und den Umbau in eine integrale Brücke beinhaltet, wird in Österreich häufig der Begriff der Semi-Integralisierung verwendet. Der Begriff Semi- Integralisierung stellt somit den Umbau einer konventionellen Brücke in eine semi-integrale Brücke dar. Diese Begriffsbestimmung bzw. -definition ist jedoch noch nicht in Richtlinien verankert und sollte bei der nächsten Aktualisierung der oben erwähnten Richtlinien eingearbeitet werden. Weiters ist auch die Ertüchtigung des Brückentragwerkes nicht zwingend erforderlich und eine Semi-Integralisierung kann auch bei einer Instandsetzung einer Brücke umgesetzt werden. 2.1 Semi-Integralisierungen Die Semi-Integralisierung erweist sich bei bestimmten Randbedingungen als sinnvolle Alternative zur Integralisierung und sollte daher auch als solche betrachtet werden. Der Großteil der Vorteile einer Integralen Brücke können erzielt werden wie z. B.: - Reduktion der Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten  weniger Verkehrsbehinderungen - -Reduktion der Instandhaltungskosten - Reduktion der Lärmbelastung für die Umwelt - Erhöhung des Fahrkomforts zufolge einer durchgehenden Fahrbahn Abbildung 2: Semi-Integralisierung (schematisch) [4] Bei der Semi-Integralisierung ist, wie in Abbildung 4 ersichtlich, eine Baugrube erforderlich, die bis unter das Brückenlager reicht. Im Zuge von Instandsetzungsarbeiten im Bestand ist jedoch eine solche Baugrube bei gleichzeitiger Verkehrsaufrechterhaltung schwierig zu bewerkstelligen. Auch im Schweizer Regelwerk (siehe Abbildung 3) ist das semi-integrale Brückenende analog der Abbildung 2. 5. Brückenkolloquium - September 2022 283 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten Abbildung 3: semi-integrales Brückenende [3] 2.2 „Mini-Semi-Integralisierungen“ Durch eine weitere Reduktion der Maßnahme entsteht eine neue Lösung, die hiermit als „Mini-Semi-Integralisierungen“ erwähnt sei. Die Vorteile der Semi-Integralisierung bleiben erhalten. Die Nachteile der Semi-Integralisierung werden nun folgendermaßen reduziert: - Reduktion des Abbruches der Kammerwand - Reduktion der Baugrubentiefe  Reduktion der Baugrubensicherung bei erforderlichen Verkehrsaufrechterhaltungsmaßnahme Die Lösung ist einfach und kann bei einer Vielzahl von Brücken umgesetzt werden (siehe Abbildung 4). Abbildung 4: Mini-Semi-Integralisierung (schematisch) Die Nachteile des nicht optimalen dichten Anschlusses des semi-integralen Brückenendes im Bereich des Flügels bzw. im Übergangsbereich Schleppplatte-Brückenkappen sind durch diese Umbaumaßnahme weiterhin vorhanden jedoch ebenso reduziert. Da die Länge der vertikalen Fuge deutlich reduziert ist. 3. Ausführungsbeispiele 3.1 Ausführungsbeispiel Semi-Integralisierung Beispielhaft sei die Brücke G48 Unterführung Mühlgang auf der A2 (km 182,334) bei Graz erwähnt. Die Brücke wurde 1971 als einfeldriges Brückentragwerk mit einer Länge von 46,4 m und einer Breite von 19,55 m errichtet. Zufolge eines Lärmschutzdammes im Bereich der Brückenobjekte wurde das Tragwerk im Außenbereich analog dem Lärmschutzdamm hochgezogen (siehe Abbildung 5). Abbildung 5: Querschnitt Brücke G48 Unterführung Mühlgang Im Zuge der Instandsetzung im Jahre 2017 wurden die bestehenden Fahrbahnübergangskonstruktionen nicht erneuert, sondern die Brückenenden semi-integral umgebaut (siehe Abbildung 6). Abbildung 6: Brücke G48 - Umbau in eine semi-integrale Brücke Auf den nachfolgenden Fotos ist die Brücke vor (siehe Abbildung 7) und nach dem Umbau (siehe Abbildung 8) ersichtlich. 284 5. Brückenkolloquium - September 2022 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten Abbildung 7: Brücke G48 vor dem Umbau Abbildung 8: Brücke G48 nach dem Umbau in ein semiintegrales Brückentragwerk 3.2 Ausführungsbeispiel „Mini-Semi-Integralisierung“ Die Brücken im Verkehrsknoten St. Michael in der Steiermark wurde im Zuge der Instandsetzung in integrale und semi-integrale Tragwerke umgebaut. Im hochrangigen Verkehrsknoten kreuzen sich die A9 Pyhrn Autobahn mit der S6 Semmering Schnellstraße und S36 Murtal Schnellstraße. Mit diesen Maßnahmen entfallen zukünftig Wartung und Instandsetzungen an Fahrbahnübergangskonstruktionen und damit aufwendige Verkehrsführungen. Beispielhaft sei die Brücke 215.07 (Rampe 100) auf der S6 (km 132,630) im Knoten St. Michael erwähnt. Die Brücke wurde 1988 als vierfeldriges Brückentragwerk mit einer Länge von 11,45+2*22,33+14,80 = 70,91 m und einer Breite von 13,76 m errichtet. Im Zuge der Instandsetzung im Jahre 2022 wurden die bestehenden Fahrbahnübergangskonstruktionen nicht erneuert, sondern die Brückenenden semi-integral umgebaut (siehe Abbildung 9, 10 und 11). Abbildung 9: Brücke 215.07 - Umbau in eine semi-integrale Brücke Abbildung 10: Brücke 215.07 - Umbau in eine semi-integrale Brücke - Abdichtungsdetail Abbildung 11: Brücke 215.07 - Umbau in eine semi-integrale Brücke - Bauphase (Frühjahr 2022) 5. Brückenkolloquium - September 2022 285 Fahrbahnübergangskonstruktionen mittels Schleppplatten 4. Fazit Die Integralisierung, gemäß der österreichischen Richtlinie RVS 15.02.12 Bemessung und Ausführung von Integralen Brücken, zeigt unterschiedliche Lösungen für einen Umbau einer bestehenden konventionellen Brücke in eine semi-integrale oder integrale Brücke auf. Die Optimierung des Umbaus in eine („mini“-) semi-integrale Brücke gemäß dem Beispiel Brücke 215.07 weist zusätzliche Vorzüge auf, die bei der Instandsetzung einer konventionellen Brücke bzw. einer Fahrbahnübergangskonstruktion als Alternative mitbedacht werden sollten. Literatur [1] Pilch, E.: Flexible Stahlbetonübergangskonstruktionen für Integrale Brücken, Festkolloquium zum 75. Geburtstag von Lutz Sparowitz, 2015, Verlag der Technischen Universität Graz [2] BAST, RE-ING - Teil 2 Brücken - Abschnitt 5 Integrale Bauwerke, Stand: 2019/ 12 Zugriff über https: / / www.bast.de/ DE/ Publikationen/ Regelwerke/ Ingenieurbau/ Entwurf/ RE-ING- Gesamt.pdf am 28.5.2022 [3] Bundesamt für Strassen ASTRA, Konstruktive Einzelheiten von Brücken, Kapitel 3 Brückenende, 2011, Zugriff über https: / / www.astra.admin.ch/ astra/ de/ home/ fachleute/ dokumente-nationalstrassen/ standards/ kunstbauten.html am 28.5.2022 [4] FSV, RVS 15.02.12 Bemessung und Ausführung von Integralen Brücken, 2018, Wien 5. Brückenkolloquium - September 2022 287 Schnellbausystem „Expressbrücke“ Dipl.-Ing. (TU) Theo Reddemann Bauunternehmung Gebr. Echterhoff GmbH & Co. KG, Westerkappeln Der Einsatz des Brückenschnellbausystems „Expressbrücke“ Echterhoff führt zu deutlichen Reduzierungen von Bauzeiten bei dem dringend notwendigen Ersatzneubau / Umbau unserer vorhandenen Verkehrsinfrastruktur und trägt somit zu deutlichen Reduzierungen von Verkehrsstaus sowie den daraus resultierenden Umweltbelastungen bei. In diesem Vortrag werden die grundsätzliche Bauweise als auch weitere Ausführungsbeispiele von bereits durchgeführten Baumaßnahmen, am Beispiel einer Brücke mit 20 Kalendertagen sowie dem Ersatz einer Bundesstraßenbrücke über eine ICE-Strecke mit 40 Kalendertagen und einer 51-stündigen Sperrpause für Abbruch und Brückenneubau vorgestellt. Darüber hinaus wird ein im Brückenbau völlig neuartiges Baulement, die Hybridkappe zur Einsparrung von Vollsperrungen erläutert. 1. Einleitung Der massive Anstieg des Güterverkehrs hat dazu geführt, dass die vorhandenen Brückenbauwerke sehr stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Zur Verdeutlichung, die Belastung eines Bauwerkes durch einen LKW entspricht in etwa der Belastung durch ca. 10.000 PKWs. Allein der Güterverkehr hat in den letzten 10 Jahren um + 7,0 % zugenommen. Bis 2025 wird eine weitere Zunahme von + 10,5 % prognostiziert [1]. Brückenbauwerke, die heute bereits bis zu 100 Jahre alt sind, können diese Belastungen nur bedingt aufnehmen und müssen für eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur dringend ersetzt werden. Etwa 40.000 Brückenbauwerke befinden sich derzeit allein im Netz der Bundesfernstraßen, davon sind ein großer Teil Spannbetonbrücken mit einem Alter von 40 bis 60 Jahren. Addiert man die Anzahl der Brücken aus dem Bereich der Bundesbahn, der Landesstraßenbauverwaltungen sowie den Städten und Gemeinden hinzu, liegt der Brückenbestand deutlich im 6-stelligen Bereich. Allein im Bereich der hochbelasteten Autobahnstrecken müssen ca. 8.000 Brückenteilbauwerke bis 2030 ersetzt werden. Für den Erneuerungsbedarf der Bestandsbrücken im Bahnbereich rechnet man für die Jahre von 2021 bis 2025 mit 1.005 Brückenbauwerken. Ersatzbaumaßnahmen von Brücken aus dem Bereich der Landesstraßenbauverwaltungen sowie Städte und Gemeinden müssen „on top“ hinzugerechnet werden und lassen diese gewaltige Bauaufgabe für die kommenden Jahre nur erahnen. Die augenblickliche Situation, wie sich die Verkehrsströme nach einer Brückensperrung für den Schwerlastverkehr entwickeln, kann man anhand der Rheinquerung bei Leverkusen auf der A1 sowie der Brückenüberführung über den Rhein-Herne-Kanal auf der A43 bei Recklinghausen sehr gut beobachten. Durch diese Brückensperrungen für den Schwerlastverkehr müssen die LKW`s auf Umfahrungsstrecken ausweichen. In Konsequenz werden in diesen Strecken, die ohnehin schon stark beanspruchten Brückenbauwerke nochmals stärker beansprucht und auf Dauer geschädigt. Der Ersatz sowie die Ertüchtigung der Bestandsbrücken in unseren Verkehrsnetzen sind dringend notwendig. Die Durchführung dieser Maßnahmen gehen allerdings immer mit dem Einrichten von Baustellen, den damit erforderlichen Verkehrsumlenkungs-/ Verkehrsführungsphasen auf den Straßen einher und führen unweigerlich zu Verkehrsengpässen mit Verkehrsstaus. Es dürfte jedem klar sein, dass die Anzahl und Bauzeit der Brückenbaustellen die Verkehrsstaus und deren Dauer bestimmt. Je kürzer die Bauzeit umso geringer die Dauer der Verkehrsstaus sowie der sich daraus ergebenden volkswirtschaftlichen Schäden. Gerade durch Verkehrsstaus entstehen jährlich volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe. Die Größenordnung beträgt deutlich > 10 Milliarden Euro [2]. Laut einer Analyse der Ruhr-Uni-Bochum entstehen 50 % aller Staus in NRW im Bereich von Baustellen [3]. Bereits im Jahre 2014 berichtete die WiWo, dass über 1 Milliarden Liter Treibstoff von deutschen Autofahrern jährlich in Staus verschleudert werden [4]. Dadurch belasten enorme Mengen an überflüssigem CO 2 -Ausstoß massiv die Umwelt. Auch die Ausfallskosten allein im Güterverkehr gehen jährlich in die Milliarden. Beispielhaft hierzu eine überschlägliche Berechnung. Auf einer Autobahnstrecke mit 100.000 Fahrzeugen/ 24 Stunden und 20 % Güterverkehranteil beträgt allein der Schaden durch einen Stau bei 30 Minuten Stillstand sowie einem Kostenansatz von nur 80 €/ Std. pro LKW = 800.000 €/ Tag! Um all diesen negativen Begleiterscheinungen bei der Erneuerung der Straßenverkehrsinfrastruktur entgegenzuwirken, rief die neu gegründete Autobahn GmbH mit Partnern aus dem BMVI und der Bauwirtschaft einen „Runden Tisch“ ins Leben. Ziel dieser Institution ist es neue Wege zu finden, um die Bauzeiten der Baustellen deutlich zu reduzieren. Es müssen sowohl in technischer als auch vertraglicher Hinsicht neue Wege gefunden werden, um neue Bauverfahrenstechniken zu entwickeln, die kurze Bauzeiten ermöglichen. Innovationen und Ingenieurgeist dürfen in der Umsetzung nicht am Vergaberecht scheitern und müssen wieder mehr in den Vorder- 288 5. Brückenkolloquium - September 2022 Schnellbausystem „Expressbrücke“ grund gerückt werden. Von einer Auftragsvergabe an den Mindestbietenden mit dem billigsten Angebot sollte man abkehren und eine Zuschlagserteilung auf das wirtschaftlichste Angebot unter der Berücksichtigung der Vermeidung von volkswirtschaftlichen Schäden, vornehmen. In naher Zukunft werden mit den steigenden Bauaufgaben für alle Beteiligten neue Herausforderungen zu bewältigen sein. Auftraggeberseitig in der Erstellung der entsprechenden Planungen, der Schaffung von Voraussetzungen für den Bau sowie Durchführung der Ersatzneubaumaßnahmen. In der Phase der Bauausführung sind die Auftragnehmer gefordert. Mit jeder Ersatzneubaumaßnahme erfolgt ein Eingriff in den fließenden Verkehr und dieser soll so gering wie möglich gestört werden. Ein weiteres Problem wird zukünftig im Bereich der Personalressourcen entstehen. Aufgrund der demographischen Entwicklung wird in den kommenden Jahren branchenübergreifend eine große Anzahl von Erwerbspersonen in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Da die Bauberufe für viele Jugendliche unattraktiv sind, wird infolge des Ausscheidens der geburtenstarken Jahrgänge (Geburten von 1955 bis 1969) in den Ruhestand, eine hohe Anzahl an Fachpersonal zur Abwicklung der künftigen Bauarbeiten fehlen. Von einer natürlichen Reduktion der Fachkräfte werden Baufirmen, Ingenieurbüros und Verwaltungen gleichermaßen betroffen sein. Um die bestehenden vielfältigen Bauaufgaben unter Berücksichtigung der zukünftigen Kapazitätsengpässen bewältigen zu können, müssen in konsequenter Folge die Arbeitsprozesse neu überdacht werden. Intelligente und ressourcenschonendere Bauweisen müssen entwickelt und umgesetzt werden. 2. „Expressbrücke“ ECHTERHOFF All diese zuvor aufgeführten Herausforderungen haben uns bei ECHTERHOFF dazu veranlasst, intensiv über neue Brückenbauweisen nachzudenken. Im Vordergrund standen und stehen hierbei in erster Linie die Minimierung von Verkehrsbeeinträchtigungen, sodass bei der Herstellung der Ersatzneubauten nur geringe Eingriffe in den fließenden Verkehr vorgenommen werden müssen, um Verkehrsstaus zu vermeiden. Durch den Einsatz unseres Bausystems sind wir in der Lage, sehr kurze Bauzeiten zu realisieren. Auch wurde bei der Entwicklung unserer Stahlbetonfertigteillösungen ein hoher Maßstab an die Einhaltung von Langlebigkeit, Robustheit und Nachhaltigkeit angelegt. 2.1 Brückenkonstruktion Mit dem Brückenschnellbausystem „Expressbrücke ECHTERHOFF“ können nachfolgend aufgeführte Randbedingungen erfüllt werden: • Unterschiedliche geometrische Formen und die Ausbildung schiefwinkliger Widerlagerkonstruktionen von 50-150 gon. • Integration von Bohrpfahlals auch Flachgründungen • Einfacher Toleranzausgleich durch die Verwendung von Halbfertigteilen mit Ortbetonergänzung • Herstellung von Betonoberflächen in Sichtbetonqualität SB3 und SB4 mit hoher Betondichte • Realisierung von sehr kurzen Bauzeiten (siehe nachfolgende Beispielangaben) • Ausbildung statischer Systeme sowohl als Einfeldträger oder Rahmenbauwerke. In Kombination mit den in Stahlbetonfertigteilbauweise erstellten Unterbaukonstruktionen können die Brückenüberbaukonstruktionen sowohl in Massivbauweise, Spannbeton (bis 38 m ausgeführt, bis 45m Länge geplant), Stahl und Stahlverbundbauweise mit unterschiedlichen Stützweiten ausgeführt werden. • Keine Zulassung im Einzelfall 2.2 Hybridkappe Um die Anzahl von Vollsperrungen von unterquerenden Bahnstrecken oder Straßen zu reduzieren und Bauzeit einzusparen, erfolgte in konsequenter Weise die Entwicklung der Hybridkappe. Diese Konstruktion bildet in erster Linie die äußere Begrenzung der Stahlbetonkappe und dient zugleich im Montagezustand als Trägerelement von Geländer-, Berührschutz- oder Lärmschutzwandelementen bis zur Aushärtung des nachträglich eingebrachten Kappenbetons. Nach erfolgter Montage der Hybridkappen einschließlich Geländer, LSW oder Berührschutz in den Randbereichen der Überbauten, kann der darunter fahrende Verkehr ohne Einschränkungen wieder freigegeben werden. Fahrbahnbegrenzungen, Verkehrsleitsysteme sowie Gelbmarkierungen können zurückgebaut werden. Für den Einbau der Hybridkappe ist keine Zulassung im Einzelfall erforderlich. Ein- und Ausschalarbeiten der Kappenkonstruktionen in Ortbetonbauweise auf der Baustelle entfallen. Die Montage der Hybridkappe, einschließlich der Schutzeinrichtungen wie z. B. der Geländerkonstruktionen erfolgt bereits werkseitig im Fertigteilwerk (siehe Bild 1 + 2). Bild 1: A1, Afferder Weg, Unna; Hybridkappe 5. Brückenkolloquium - September 2022 289 Schnellbausystem „Expressbrücke“ Bild 2: B474 OU Dülmen; Auflegen der Spannbetonüberbaufertigteile mit aufgesetzter Hybridkappe sowie Geländer- und Berührschutzelementen In den vergangenen 3 Jahren wurden für verschiedene Auftraggeber bereits mehrere Brückenbauwerke mit dem Schnellbausystem „Expressbrücke ECHTERHOFF“ hergestellt. Für die Brückenbauwerke lagen jedes Mal unterschiedliche, individuelle Projektbedingungen vor. Aufgrund der Flexibilität des Systems der „Expressbrücke“ konnte für all diese Herausforderungen eine Lösung gefunden werden. 3. Ausführungsbeispiele „Expressbrücken ECHTERHOFF“ 3.1 Ersatzneubau der SÜ Schulstraße über die B68 in Georgsmarienhütte Nördlich von Georgsmarienhütte überquert die Brücke SÜ-Schulstraße die vielbefahrene B68 und erschließt das in einer Sackgasse gelegene Wohngebiet mit einem Schulzentrum sowie einer Kita und einem Sportzentrum. Die Bauarbeiten waren nur in einem kurzen Zeitfenster von 20 Kalendertagen und nur in den Sommerferien zu realisieren, da die Zugänglichkeit zu den Einrichtungsstätten während des Regelbetriebes immer gewährleistet sein musste. Der ursprüngliche Bauentwurf sah eine Stahlbetonkonstruktion in Ortbetonergänzung vor. Die Bauzeit für die Herstellung einer solchen Brücke beträgt in der Regel ca. 8 Monate. Um die weitere Anbindung der Schul- und Kindergartenzentren zu gewährleisten, hätte zunächst eine sehr aufwendige Behelfsbrücke in Nebenlage, parallel zum Bestandsbauwerk errichtet werden müssen. Die Gesamtbauzeit hätte ca. 12 Monate betragen und darüber hinaus auch für diesen Zeitraum Verkehrsbeeinträchtigungen auf der B68 sowie der Schulstraße zur Folge gehabt (siehe Bild 3). Bild 3: B68 Schulstraße, Georgsmarienhütte; Luftbild Bestandsbauwerk Nach einem Gespräch in der NLStBV im Juli 2020 unterbreitete die Bauunternehmung Gebr. Echterhoff einen Lösungsvorschlag zum Bau der Brücke Schulstraße über die B68 mit ihrer Systembrückenlösung, der „Expressbrücke“. Die Vorteile bestehen in der extrem kurzen Bauzeit von 20 Kalendertagen, vom Abriss der vorhandenen Brücke bis zur Wiederinbetriebnahme des neuen Brückenbauwerkes sowie in den geringen Baukosten gegenüber der ursprünglich geplanten Bauweise. Der Bau einer aufwendigen Behelfsbrücke konnte entfallen, da die Herstellung der „Expressbrücke“ in den Zeitraum der Sommerferien verlegt wurde. Von den Verkehrsbeeinträchtigungen waren somit nur die Anwohner für einen kurzen Zeitraum betroffen. Der neue Bauentwurf sah für die Brückenkonstruktion einen Einfeldträger mit 21,50 m Stützweite als statisch bestimmtes System vor. Der Überbau wurde vorab in Seitenlage mittels vorgefertigten T-förmigen Spannbetonbindern und Ortbetonergänzung der Überbauplatte ausgebildet. Die Herstellung der Unterbauten erfolgte durch Verwendung von Halbfertigteilen mit Ortbetonergänzung. Den Bauablauf bestimmte die Herstellung des Spannbetonüberbaus in Nebenlage - Aufbau der Stützkonstruktion - Montage der Endquerträger - Auflegen der Spannbetonfertigteilbinder - Montage der Hybridkappen - Abschalen der Endquerträger einschl. Bewehrungsverlegearbeiten - Ergänzung der Bewehrung für die Überbauplatte mit anschließender Betonage - Abdichtungsarbeiten - Herstellung der Geh- und Radwegkappen - Aufbringen der Fahrbahnbeläge Nach der Fertigstellung des Brückenüberbaus, inklusive Belag und Überbau wurde das Bestandsbauwerk in den Sommerferien in einer 2,5-tägigen Sperrpause der B68 abgebrochen. Innerhalb von 9 Kalendertagen erfolgte die Herstellung der Stahlbetonwiderlager (siehe Bild 4), sodass bereits 12 Kalendertage nach der Außerbetriebnahme der Bestandsbrücke der neue Brückenüberbau aus der 290 5. Brückenkolloquium - September 2022 Schnellbausystem „Expressbrücke“ Seitenin die Endlagerung eingefahren wurde. Der Einfahrvorgang des 425 to schweren Überbaus erfolgte in überhöhter Lage mittels Spezialfahrzeuge, SPMT`s oder “Tausendfüßler“ genannt (siehe Bild 5). Erd- und Straßenbauarbeiten liefen parallel zu den reinen Brückenbauarbeiten sowie im Nachlauf zu dem Einfahrvorgang. Am Ende konnten wir dem Auftraggeber, dem NLStBV, als auch den Anwohnern nach 20 Kalendertagen Sperrung der Straßenbrücke Schulstaße, das neue Brückenbauwerk zur uneingeschränkten Nutzung wieder übergeben. Ein toller Projekterfolg für alle Beteiligten! Bild 4: B68 Schulstraße, Georgsmarienhütte; Erstellen der Widerlager Bild 5: B68 Schulstraße, Georgsmarienhütte; Einschub fertiggestelltes Brückenbauwerk 3.2 „Expressbrücke“ B474 Ortsumgehung Dülmen über die ICE-Strecke Ruhrgebiet-Münster Die Bestandsbrücke der B474 Ortsumgehung Dülmen aus dem Jahr 1972 war den heutigen Verkehrsbelastungen nicht mehr gewachsen. Die schlechte Zustandsnote erforderte dringenden Handlungsbedarf, um die Bestandsbrücke schnellstens zu ersetzen. Zur Bewältigung dieser Bauaufgabe stand für den Abbruch und dem Ersatzneubau ein Zeitraum von 40 Kalendertagen als Vollsperrung der B474 sowie nur einer einzigen Sperrpause der ICE-Strecke von 51 Stunden zur Verfügung. Ein Spezialaufgabe, die wir mit unserem Brückenschnellbausystem der „Expressbrücke“ hervorragend termingerecht ´lösen konnten (siehe Bilder 6 + 7). Bild 6: B474 OU Dülmen; 15. Kalendertag Bild 7: B474 OU Dülmen; fertige Brücke nach 40 Kalendertagen 3.3 Ersatzneubau EÜ-Vellinghauser Straße in Dortmund-Sölde Im Stadtteil Dortmund-Sölde überquert die zweigleisige ICE-Strecke von Dortmund nach Soest die Vellinghauser Straße. Bei dem Bestandsbauwerk handelte es sich um eine 140 Jahre alte Natursteinbrücke, die zum einen wegen des zunehmenden Straßenverkehrs verbreitert sowie dem Bestandszustand ersetzt werden musste. Vorgesehen war zunächst ein Stahlüberbau als Einfeldträger auf einer Unterbaukonstruktion aus massiven Stahlbetonwiderlagern mit schräg verlaufenden Flügelwänden. Die Herstellung der Unterbauten sollte unter dem Schutz von Hilfsbrücken erfolgen. Als festgesetzte Bauzeit für den auftraggeberseitigen Entwurf waren 16 Monate mit den entsprechenden Sperrpausen sowie der Einrichtung einer „Langsamfahrstrecke“ vorgesehen. Durch einen Sondervorschlag der Fa. ECHTERHOFF konnte auch hier die Systembauweise „Expressbrücke“ Echterhoff zum Zuge kommen. Innerhalb von nur 18 Kalendertagen von Außerbetriebnahme der Strecke bis zur Wiederinbetriebnahme wurde die Bauaufgabe, Herstellung der EÜ als massives Stahlbetonrahmenbauwerk, einschließlich aller Abbruch-, Oberbau-, Gleisbaubausowie Stahlbetonbauarbeiten ausgeführt (Stützweite = 12,50 m). 5. Brückenkolloquium - September 2022 291 Schnellbausystem „Expressbrücke“ Bild 8: Vellinghauser Straße, Dortmund; alte Bestandsbrücke aus Naturstein, Baujahr 1880 Bild 9: Vellinghhauser Straße, Dortmund; 6. + 7. Tag Betonage Widerlager Bild 10: Vellinghauser Straße, Dortmund; 9. Tag Ortbetonergänzungsarbeiten Überbau Bild 11: Vellinghhauser Straße, Dortmund; 18. Tag Freigabe Bahnverkehr über das neue Brückenbauwerk Der Mittelstand glänzt durch Innovation und kurze Bauzeiten. Nur so können die anstehenden Herausforderungen im Brückenbau bewältigt werden - wir stehen bereit. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI): „Verkehr in Zahlen 20/ 2021“, S. 344 ff.; „Gleitende Mittelfristprognose für den Güter- und Personenverkehr“, Winter 2020/ 2021 [2] Bundesanstalt für Straßenwesen (bAst): „Volkswirtschaftliche Kosten von Straßenverkehrsunfällen in Deutschland“, Mai 2020. [3] Prof. Dr.-Ing. J. Geistefeldt/ Dipl.-Ing. J. Lohoff, Ruhr-Universität Bochum, „Situation auf den Autobahnen in Nordrhein-Westfalen“, Mai 20211. [4] WirtschaftsWoche (WiWo): „Staukosten - Der Stillstand kostet Milliarden“, 12.02.2019 5. Brückenkolloquium - September 2022 293 Ersatz einer Brücke im Zuge der L171 über die DB In nur 6 Monaten vom Plan zur Fertigstellung Prof. Dr.-Ing. Thomas Bösche cbing Dresden/ HTW Dresden Felix Kaplan M. Sc. LS Brandenburg Dipl.-Ing. Alexander Ehrlich Hentschke Bau GmbH, Bautzen Zusammenfassung Die Fertigteilbauweise war in der ehemaligen DDR die Regelbauweise für die Errichtung von Überführungsbauwerken. Durch die typisierten Serien sollte es gelingen, die Aufwendungen für individuelle Planungen zu reduzieren und den Herstellungsprozess zu rationalisieren. Die so entstandenen Lösungen sind gerade in der jetzigen Zeit wieder interessant, da die Knappheit an Arbeitskräften, Zeit und Material vergleichbar ist. Viele der damals errichteten Bauwerke weisen jedoch konstruktive und bauliche Mängel auf, die sich nach 60 Jahren Nutzung oftmals zu ernsthaften Problemen entwickelt haben. Das hier beschriebene Beispiel soll zeigen, dass die Grundkonzeption bei einer Fortschreibung unter Beachtung aktueller Erkenntnisse und technischer Möglichkeiten eine hervorragende Lösung für Bauaufgaben mit kurzen Planungs- und Bauzeiten darstellen kann. 1. Problemstellung 1.1 1961 - Die Notwendigkeit der Brücke Bedingt durch den Bau der Berliner Mauer kam es ab August 1961 auf dem Gebiet der DDR zu massiven Beeinträchtigungen des Bahnverkehrs. Diese sollten durch den umgehenden Ausbau des Berliner Außenringes beseitigt werden. Die damit verbundene dichte Zugfolge hätte an den bestehenden niveaugleichen Bahnübergängen zu erheblichen Verkehrsstörungen geführt. Es wurde daher notwendig, in kürzester Zeit insgesamt zehn Straßenbrücken über diese Reichsbahnstrecke zu planen und zu errichten, die bereits Mitte 1962 dem Verkehr übergeben werden sollten. Der Mangel an Arbeitskräften, die kurze Gesamtbauzeit und die notwendige Bauausführung in den Wintermonaten führten zur Entscheidung, mit Fertigteillösungen zu arbeiten. Es wurde auf das damals noch in der Entwicklung befindliche Typenfertigteil BT 70 zurückgegriffen. Durch den Einsatz eines Hohlquerschnitts wurde die Wirksamkeit der Längsvorspannung erhöht und das Fertigteilgewicht reduziert. Mit nur 70 cm Konstruktionshöhe wurden Stützweiten bis 20 m realisiert. Bedingt durch die Kapazitäten der Fertigteilwerke musste die Herstellung der Längsträger in Einzelsegmenten von ca. 2 m Länge erfolgen, welche je nach Stützweite mit Spanngliedern SG-25 oder SG-50 zusammengespannt wurden (Schaschlikbauweise) [1]. Mit Respekt ist die kurze Zeitspanne vom Erkennen der Notwendigkeit der Bauwerke bis zu ihrer Fertigstellung unter den bekannten schwierigen Bedingungen in der DDR zu betrachten. Prinzipiell sind die damaligen Bedingungen aber eigentlich mit den aktuellen Problemen in der Bauwirtschaft vergleichbar - keine Zeit, kein Material, keine Leute - nur Genehmigungen brauchten früher wohl weniger Zeit. 1.2 1962 - Die Bauweise für das Bestandsbauwerk Die erste der so errichteten Brücken überspannt zwischen Bergfelde und Hohen Neuendorf die Bahnstrecken mit zwei Fern- und zwei S-Bahn-Gleisen. 294 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ersatz einer Brücke im Zuge der L171 über die DB Abb. 1: Regelquerschnitt Bestandsbauwerk LS Brandenburg Zusammen mit den Randfeldern ergaben sich dadurch Stützweiten von ca. 4 x 14 m. Die als Hohlquerschnitte konzipierten BT-Fertigteilträger hatten wegen des reduzierten Eigengewichtes und der verringerten Betonquerschnittsfläche enorme Vorteile bezüglich des Montagegewichtes und der Wirksamkeit der eingesetzten Vorspannung. Weiterhin sind die kurzen Planungs- und Bauzeiten durch die Typisierung hervorzuheben. Nicht bewährt hat sich die Einfeldbauweise mit den anfälligen Fugen und oft haben sich in der Vergangenheit bei vergleichbaren Bauwerken Ausführungsmängel an den Verdrängungskörpern gezeigt. Die Bauweise war daher in den letzten Jahrzehnten aus dem Brückenbau in Deutschland weitestgehend verschwunden. 1.3 Lage im Verkehrsnetz und Bedeutung Die Brücke befindet sich in der Stadt Hohen Neuendorf im Landkreis Oberhavel. Bedingt durch die Lage im Berliner Umland weist die Stadt eine für Brandenburg sehr hohe Bevölkerungsdichte auf und erfährt in den letzten Jahrzehnten einen kontinuierlichen Bevölkerungszuwachs. Eine Besonderheit der Stadt Hohen Neuendorf stellen die zahlreichen durch den Ort führenden Schienenverbindungen dar. Der Knotenpunkt der Berliner Nordbahn und des Berliner Außenrings wurde im Vorfeld des Mauerbaus in den 1950ern ausgebaut und stellt bis heute eine bedeutende räumliche Trennung zwischen den einzelnen Ortsteilen der Stadt und den umliegenden Gemeinden dar. Zwischen den einzelnen Ortsteilen fließt ein reger Pendlerstrom, da zum einen die Schulstandorte, die ärztliche Versorgung und die Einkaufsmöglichkeiten schwerpunktmäßig zusammengefasst sind und zum anderen der Arbeitsplatz häufig in Berlin liegt. Abb. 2: Verkehrswege im Umfeld Bild: Straßennetzviewer Brandenburg 1.4 2021 - Bauwerkszustand Das Bauwerk stellt allein aufgrund seiner Konstruktion eine Besonderheit im Bestand des LS Brandenburg dar. Seit der Hauptprüfung 2011 wurde das Bauwerk mit der Zustandsnote 3,8 bewertet. Ursächlich für diese Bewertung waren: - Defekte FÜK über den Bestandspfeilern und infolgedessen vollflächige Durchfeuchtung der Unterbauten - Umfangreiche Querschnittsminderung der Bewehrung in Folge Korrosion an den Pfeilerschürzen und den Überbaufertigteilen Aufgrund der anstehenden Baumaßnahmen auf der B96a und der dadurch erforderlichen Umleitung des regulären Verkehrs und der Bedarfsumleitung der BAB 10 über dieses Bauwerk wurde ab 2020 eine umfangreiche Objektbezogene Schadensanalyse durchgeführt. Das Ziel dieser Untersuchung war die realitätsnahe Erfassung der Resttragfähigkeit. Im Rahmen dieser intensiven Auseinandersetzung mit dem Bestand konnte die progressive Schadenszunahme an diesem Bauwerk dokumentiert werden. Es war eine intensive Zunahme der Rissbildung im Beton sowie der Querschnittsminderung der korrodierten Bewehrung festzustellen. Insbesondere die Schadenszunahme der Risse in den Stegen der Randfertigteile war zwingend als Zeichen einer Zustandsverschlechterung zu bewerten. Aufgrund der festgestellten Schadenszunahme war im September 2021 die Begrenzung des Verkehrs auf dem Bauwerk mit der Reduzierung des zulässigen Gesamtgewichts auf 3,5 t erforderlich. Eine Aufnahme des Umleitungsverkehrs der B96a bzw. der BAB war wegen des schlechten Bauwerkszustands nicht mehr möglich. 5. Brückenkolloquium - September 2022 295 Ersatz einer Brücke im Zuge der L171 über die DB Abb. 3: Bestandsbauwerk 2021 Bild: cbing Prinzipiell sind insgesamt 60 Jahre Nutzungsdauer für ein in einem Notprogramm errichtetes Bauwerk in einer noch nicht erprobten Bauweise trotzdem ein respektables Ergebnis. 1.5 Maßnahmenplan - Planungs- und Bauaufgabe Die Planungen für den Ersatzneubau wurden bereits in den 2000er Jahren begonnen. Im Zuge dieser Planung wurde eine Optimierung der Trassierung erforderlich. Das führt dazu, dass das neue Bauwerk um ca. 50 m nach Norden verlegt werden soll. Es handelt sich hierbei um eine erhebliche Änderung am Straßenkörper und somit eine Maßnahme für die im Rahmen eines Planfeststellungsverfahren das Baurecht erwirkt werden muss. Das Planfeststellungsverfahren war zum Zeitpunkt der Schadenszunahme noch nicht begonnen. Gleichzeitig war die hohe umweltfachliche Relevanz des Bestandsbauwerks bekannt, da hier bei der Erfassung schützenswerte Arten (Schlingnattern, Zauneidechsen und Zwergfledermäuse) angetroffen wurden. Mit einer Ausführung des Ersatzneubaus wird gemäß Projektablaufplan ca. 2028 gerechnet. Damit die aus Gründen der Verkehrssicherheit zwingend erforderliche Sanierung der B96a durchgeführt werden kann, ist eine leistungsstarke Verbindung der L171 zwischen Bergfelde und Hohen Neuendorf erforderlich. Aus diesem Grund wurde die Aufgabenstellung für ein Behelfsbauwerk - das die Nutzungsdauer bis zum tatsächlichen Ersatzneubau überbrückt - wie folgt definiert: - Errichtung eines Behelfsüberbaus in den bestehenden Grenzen, d. h. keine Reduzierung der lichten Höhen und Weiten, keine Verbeiterung - Nutzung von dauerhaften Konstruktionen für einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren - Nutzung der vorhandenen Gründungen Unter Berücksichtigung dieser Parameter erschien ein baurechtsfreies Verfahren möglich. Dadurch können Umwege im Schülerverkehr verhindert und die Umsetzung der Straßenbaumaßnahmen im Umfeld ermöglicht werden. Im Rahmen des Sonderprogramms „Spannungsrisskorrosion“ (siehe [3]) wurde durch den LS bereits der Markt für Systeme zur Erneuerung von Brücken eruiert, wodurch eine Marktübersicht vorlag. Aufgrund der Bestandsabmessungen und der Konstruktion versprach eine Realisierung mit dem geschützten System Hentschke C+ die besten Ergebnisse. 2. Planungsphase 2.1 Entwurfsidee Um die bereits genannten Vorteile der Hohlträgerbauweise zukünftig wieder nutzbar zu machen, wurde in Zusammenarbeit mit dem Bauunternehmen eine Lösung unter Einsatz von luftdicht verschweißten Verdrängungsrohren entwickelt, die regelwerkskonform den Verzicht auf die Inspizierbarkeit erlaubt. Wegen der geplanten begrenzten Nutzungsdauer wurde auf Abdichtung und Belag verzichtet sowie eine einer direkt befahrenen Fahrbahntafel hergestellt. 2.2 Technische Parameter Auf den mittleren Pfeiler musste aus technischen und bautechnologischen Gründen beim Ersatzneubau verzichtet werden. Für das Mittelfeld ergab sich damit eine Stützweite von nahezu 30 m. Unter Verwendung der Ansätze der BT-Bauweise konnten Fertigteilträger mit einer Konstruktionshöhe von 90 cm konzipiert werden, welche zusammen mit den 70 cm hohen Fertigteilen in den Randfeldern auf den bestehenden Unterbauten verlegt wurden. Bedingt durch die höheren Beanspruchungen mussten die Pfeiler in den Achsen 20 und 40 lokal verstärkt werden. Die Verbindung der Fertigteile untereinander erfolgt mit einer durchgehenden Ortbetonplatte zu einem durchgehenden Überbau. Abb. 4: Regelquerschnitt Ersatzüberbau Bild: cbing 296 5. Brückenkolloquium - September 2022 Ersatz einer Brücke im Zuge der L171 über die DB 2.3 Optimierungsansätze Durch die veränderliche Bauhöhe der Fertigteile und die Ausbildung einer Kuppe in der Gradiente der Fahrbahn konnte trotz Veränderung der Stützweiten eine statisch zweckmäßige Gestaltung der Bauhöhen erreicht werden, ohne die Bestandsgradiente an den Brückenenden zu verlassen. Die Fertigteile in den kürzeren Randfeldern wurden ohne Verdrängungsrohre ausgeführt, um die positiven Auswirkungen der durchlaufenden Konstruktion für das Mittelfeld zu unterstützen. 2.4 Innovation und Regelwerkskonformität Durch den Einsatz von Verdrängungskörpern aus luftdicht verschweißten Stahlrohren können die bekannten Vorteile von Hohlkörperfertigteilen im Brückenbau wieder nutzbar gemacht werden. Mit Verweis auf die RE- ING Teil 2 und ZTV-ING Teil 4 ist diese Vorgehensweise geregelt. Besonderes Augenmerk wurde bereits in der Planung auf die Maßnahmen zur Lagesicherung der Verdrängungsrohre beim Betonieren gelegt. Für die Verbindung der Fertigteile untereinander erfolgt die Anordnung einer durchgehenden Ortbeton-Verbundplatte mit einer Dicke >20 cm. 3. Genehmigungsverfahren Aufgrund der Einhaltung der Bestandsabmessungen, insbesondere der lichten Höhen und Weiten für die Schienenwege sowie die Breite des Überbaus, ist die Erneuerung der Brücke baurechtlich nach §10 (3) BbgStrG nicht als wesentliche Änderung zu werten. Eine gesonderte Genehmigung war deshalb nicht zwingend erforderlich. Entsprechend §10 (3) wurden jedoch die betroffenen Behörden und die Träger Öffentlicher Belange mit dem Ziel, das Einvernehmen herzustellen, beteiligt. Hierbei ist die sehr gute und konstruktive Zusammenarbeit mit allen Behörden herauszustellen. Durch die intensive Einbindung der naturschutzfachlichen Interessensverbände und Behörden sowie der Deutschen Bahn konnten sehr gute Lösungen erzielt werden. Im Vorfeld der eigentlichen Baumaßnahmen wurden unter anderem Fledermausersatzquartiere eingerichtet. Abb. 5: Fledermausersatzquartier Bild: LS Brandenburg 4. Bauausführung 4.1 Besondere Randbedingungen Beim Bauen über Gleisanlagen werden die Randbedingungen maßgeblich von den zur Verfügung stehenden Sperrpausen bestimmt. Auf Grund der sehr kurzen Vorbereitungszeit der Baumaßnahme standen keine größeren Sperrpausen für Arbeiten im Gleisbereich zur Verfügung, sodass die Leistungen Abbruch und Montage Überbau in einer Vielzahl kurzer Sperrpausen ausgeführt werden mussten. Deshalb wurde der Abbruch des Überbaus so durchgeführt, dass nach der Leichterung die Verbundplatte in den Fugen der Bestandsfertigteile aufgesägt und die Fertigteile ausgehoben wurden. Die nur eingeschränkt zur Verfügung stehenden Sperrpausen hatte auch zur Folge, dass eine anfangs angedachte Nutzung des mittleren Pfeilers zwischen den Gleisen zur Auflagerung nicht umgesetzt werden konnte. Eine Sanierung der Auflagerbank war im Rahmen der zur Verfügung stehenden Zeitfenster nicht möglich. 4.2 Ertüchtigung der Unterbauten Um die Sperrzeit des Bauwerks so klein wie möglich zu halten, wurden die bestehenden Unterbauten nicht erneuert, sondern ertüchtigt. Für die Widerlager bedeutete das die Sanierung der Auflagerbank, Abbruch und Neuherstellung der seitlichen Kammerwände und die komplette Neuherstellung von hinteren Kammerwänden, da die Änderung des Überbausystems von einer Einfeldträgerkette (4 Felder) zu einem Durchlaufträger (3 Felder) den Einsatz von Fahrbahnübergangskonstruktionen an den Überbauenden notwendig machte. Da nicht alle Pfeiler wieder genutzt werden konnten, wurden für die weiterverwendeten Pfeiler im Bereich des Pfeilerkopfes umfangreiche Arbeiten notwendig. Die obere Bewehrung wurde komplett freigelegt und verstärkt, die Kragarme wurden vergrößert. 5. Brückenkolloquium - September 2022 297 Ersatz einer Brücke im Zuge der L171 über die DB 4.3 Fertigteilherstellung und Montage Die Herstellung der Fertigteilträger fand im Fertigteilwerk der Hentschke GmbH in Bautzen statt. Durch den Einsatz bereits erprobter Herstellungslösungen im Fertigteilwerk und typisierter Querschnittslösungen konnten viele Prozesse der Planung und Bauvorbereitung effizient parallel bearbeitet werden. Besonderes Augenmerk wurde auf eine wirksame Lagesicherung der Verdrängungsrohre während der Betonage gelegt. Abb. 6: Lagesicherung der Verdrängungsrohre Bild: cbing Die Randträger-Fertigteile wurden kappenartig ausgeformt und erhielten nur einen schmalen Ortbeton-Ergänzungsstreifen im Bordbereich. Dadurch wurden im Bereich der Gleise außer der Montage der Träger und der Montage des Übergreifschutzes keine weiteren Eingriffe in den Bahnverkehr notwendig. Die Montage der Träger im Bahnbereich und in einem Randfeld erfolgte mit einem ADK mit einer Traglast von 1000 t, für das andere Randfeld kam ein ADK mit einer Traglast von 400 t zum Einsatz. Abb. 7: Fertigteilmontage Bild: LS Brandenburg Nach Montage aller Träger erfolgte die Herstellung der Verbundplatte sowie des Ergänzungsstreifens der Kappe. 5. Resümee Im Ergebnis konnte die Straßenverbindung ca. 6 Monate nach Sperrung des Bauwerks wieder in Betrieb genommen werden. Insbesondere die Verwendung von vorgespannten Fertigteilen mit Hohlkörpern und eine vorbereitete Systemplanung führten hier zu einer erheblichen Verkürzung der Zeiten für Planung, Bauvorbereitung und Bauausführung. Durch vorbereitete Typenlösungen ist es möglich parallel die Planungs- und Bauvorbereitungsprozesse durchzuführen - modulares Entwerfen [4] bietet zudem die Möglichkeit des Vorhaltens von effizienten Fertigungsanlagen im Fertigteilwerk. Abb. 8: Das fertige Bauwerk Bild: LS Brandenburg Das Potential die Dauer des Gesamtprozesses zu minimieren und gleichzeitig die Auswirkungen auf die Verkehrs- und Wirtschaftsströme zu verringern, ist bei der Errichtung der Brücke in Hohen Neuendorf besonders deutlich geworden. Literatur [1] Bernhardt, W.; Verch, W.; Heerdegen, W.: Straßenbrücken unter Verwendung zusammengespannter Fertigteile BT 70. Bauplanung-Bautechnik, 17. Jg., Heft 4, April 1963, pp. 188-191 und Heft 5, Mai 1963, pp. 244-248. [2] Langrock, J.; Schuchardt, J.; Verch, W: Betonbrückenbau. VEB Verlag für Bauwesen, Berlin 1979 [3] Degenhardt, K.: Strategisches Bauwerkserhaltungsmanagement im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg. 5. Brückenkolloquium TAE 09/ 2022 [4] Siegel, R.: Chancen und Risiken des modularen Brückenbaus aus Sicht des AG (AdB). Baukongress - Die Zukunft des Bauens, Aachen 01.-02.06.2022 5. Brückenkolloquium - September 2022 299 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert Dr.-Ing. Jan Bielak Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, 52074 Aachen, Deutschland Raphael Walach knippershelbig GmbH, 70178 Stuttgart, Deutschland Jochen Riederer knippershelbig GmbH, 70178 Stuttgart, Deutschland Thorsten Helbig knippershelbig GmbH, 70178 Stuttgart, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, 52074 Aachen, Deutschland Zusammenfassung Mit dem Entwurf für die Fußgängerquerung der Ludwigsburger Straße in Stuttgart wird eine geometrisch und technisch anspruchsvolle gekrümmte Betonbrücke mit nichtmetallischer Faserbewehrung konzipiert. Das Tragkonzept der über zwei Felder 34-m spannenden Brücke folgt der Idee eines Kreisringträgers. Im Abstand von 2,4 m sind Versteifungsrippen angeordnet, auf die die nur 10 cm dünne Belagplatte abträgt. Zwei Fertigteile werden auf den Endwiderlagern und einer Mittelstütze aufgelegt, vorgespannt und zu einem semiintegralen Tragwerk verbunden. Der Einsatz von nichtmetallischer Bewehrung aus Faserverbundkunststoff (FVK) in Form von Carbongittern (CFK) und Glasfaserstäben (GFK) ermöglicht eine Reduktion der Bauteildicken auf ein absolutes Minimum. Der Beitrag stellt den Entwurf vor und liefert neue Erkenntnisse aus den für die Realisierung nötigen wissenschaftlichen Untersuchungen. In einem Großversuch zur Quertragwirkung wurde die Herstellbarkeit des hochkomplexen Bewehrungskorbes validiert und unter Einsatz von faseroptischer Messtechnik die Tragfähigkeit experimentell untersucht. Zentrale Fragestellung war die Machbarkeit der Rahmenecke mit öffnendem Moment unter Einsatz von geraden GFK-Stäben in drei Raumrichtungen, deren Verankerung, und die Interaktion zwischen den verschiedenen Materialtypen. 1. Einleitung Im Rahmen des Landschaftsentwicklungskonzepts Hummelgraben soll im Stuttgarter Stadtbezirk Zuffenhausen an der nördlichen Stadtgrenze eine Brücke für Fußgänger und Radfahrer als Wegeverbindung über die Ludwigsburger Straße errichtet werden. Im Sinne des Gesamtprojektes sollen neue regionale und überregionale Radwegeverbindungen geschaffen werden und bestehende Anbindungen verbessert werden. Um eine lückenlose Anbindung an die geplante Wegeführung zu gewährleisten, wurde sich in den frühen Phasen auf eine geschwungene Grundform geeinigt (Abb.-1). Durch den Einsatz von nichtmetallischer Bewehrung in Verbindung mit hochfestem Beton können die Querschnittsabmessungen des Betontragwerks, insbesondere die Ansichtskanten der Platte und der markanten Stegrippen, auf ein Minimum zu reduziert werden. Darüber hinaus kann auf zusätzliche Abdichtungs- und Schutzschichten aus Asphalt oder Kunststoffen verzichtet werden. Das Tragwerksplanungsbüro für dieses Projekt (knippershelbig GmbH) hat bereits in der Vergangenheit das Potential der Bauweise mit nichtmetallischer Gitterbewehrung, früher als Textilbeton, heute häufig als Carbonbeton bezeichnet, erkannt und in Brückenbauwerken in Zusammenarbeit mit dem IMB der RWTH erfolgreich eingesetzt [1 ε ; 2]. Da die Stadt Stuttgart und das Tiefbauamt als Baulastträger mit dem Wiederaufbau des Rosensteinstegs II [3] ebenfalls bereits Erfahrung mit der innovativen Bauweise sammeln konnte, befürworteten sie auch hier deren Einsatz, um die Grenzen des Betonbaus noch einmal neu zu definieren. Abb.-1: Rendering des Brückenentwurfes über die Ludwigsburger Straße in Stuttgart (Grafik: knippershelbig) 300 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert 2. Bauwerksbeschreibung 2.1 Geometrie und Entwurf Das Brückentragwerk wird als zweifeldrige, im Grundriss gekrümmte schlanke Brücke mit Stützweiten von jeweils 17,0-m, einer Konstruktionsbreite von 4,40-m und einer Konstruktionshöhe von 1,90-m geplant. Es wird eine lichte Brückenbreite von 3,20- m gewählt, welche konstant über den gekrümmten Verlauf gehalten wird. Innenseitig bildet die Stegwand mit parametrisch auf den Schnittgrößenverlauf angepassten Öffnungen die räumliche Abgrenzung für die Nutzerinnen und Nutzer. An der Außenkante schließt ein nach innen geneigtes filigranes Stahlgeländer den Brückenraum ab. Die 16 radialen Rippen verleihen der Untersicht der Brücke ein regelmäßiges scharfkantiges Erscheinungsbild. Um eine lichte Höhe unter der Brücke von 4,70 m zu erreichen, steigen Erdrampen bis zum Beginn der Widerlagerkörper. Der ausgeschnittene Kreisring wird leicht räumlich geneigt, sodass das nordöstliche Widerlager tiefer liegt, was der Brücke eine fließende Dynamik verleiht. Die beiden Felder des Überbaus werden als Fertigteile und auf der Baustelle am Übergang miteinander gekoppelt. Zum Widerlager erfolgt eine Verbindung zur Widerlagerwand und zum Ortbetondeck. Der Überbau wird punktuell auf der Mittelstütze gelagert. Durch den nachträglichen Verguss an den Fugen in Feldmitte und an den Widerlagern bildet sich ein semiintegrales Tragwerk aus. 2.2 Tragkonzept Um eine außerordentlich schlanke und dauerhafte Konstruktion auszubilden, wird der Betonüberbau mit nichtmetallischer Faserverbundkunststoffstäben (FVK-Stäben) und -gittern bewehrt. Durch deren hohe Zugfestigkeit, ausgezeichnete Korrosionsbeständigkeit und je nach Stabdurchmesser geringe notwendige Betondeckung kann beispielsweise die Deckplatte der Brückenfertigteile mit zweilagiger Carbonfaserverbundkunststoff (CFK) Gitterbewehrung in der Dicke von nur 10-cm realisiert werden. Die Platte spannt lokal über die mit 2,4 m Abstand angeordneten markanten radialen Rippen der Breite 15-cm. Diese sind auf der Unterseite des Decks und der außen an der Rückwand angeordnet und steifen lokal in der Nebentragrichtung aus. Die Rippen sind mit vorgeformten CFK-Gittern bewehrt. Für die Aufnahme des öffnenden Moments in der Rahmenecke wird jede Rippe mit vertikal, horizontal und diagonal verlaufenden Glasfaserverbundkunststoff (GFK) Stäben als Hauptbewehrung versehen. Die Haupttragwirkung über die beiden Felder in Brückenlängsrichtung (Ringrichtung) wird durch einen Hauptträger bestehend aus Steg, Untergurt und Obergurt übernommen. Die am inneren Rand angeordneten Rückwand bzw. Seitenwand fungiert als Steg, die Funktion des Untergurtes übernimmt die Deckplatte, und der Obergurt wird von einer Kopfverdickung der Rückwand gebildet, die wegen der dreieckigen Querschnittsform als Hammerkopf bezeichnet wird. Um die aus der einseitigen Stützung entstehenden Torsionsmomente aufzunehmen, wird die global gekrümmte Form als Kreisringträger genutzt. Die Rippen übernehmen das Torsionsmoment als Quermoment in die gekrümmten Gurte. Der Hammerkopf bildet dabei das Zuglager für die radial nach außen wirkende Reaktionskraft, und das Deck wirkt als liegender Druckbogen als Lager zur Aufnahme der radial nach innen wirkenden unteren Reaktionskraft. Im Hammerkopf befindet sich ein internes Stahlspannglied ohne Verbund, welches nachträglich gegen die Widerlagerwände vorgespannt wird. Auf Grund der geometrischen Form entstehen im Hammerkopf beim Vorspannen radial nach innen gerichtete Umlenkungskräfte, die jenen gegen die Widerlager verkeilen und vorspannen. Somit kann der Zugbogen des Kreisringträgers überdrückt bleiben. Eine vordefinierte Errichtungssequenz soll die Stützmomente und die daraus entstehenden Zugkräfte im Hammerkopf reduzieren. Die nach innen geneigte Mittelstütze unterstützt durch die horizontale Abtriebskraft die Druckwirkung im Bogen. Die Querkrafttragwirkung des Ringträgers wird durch vorhandene Sichtöffnungen im Steg gestört. Diese rechteckig geformten Aussparungen werden daher in Anlehnung an den Querkraftverlauf hin zu den Auflagern immer kleiner. Sekundärmomente aus der entstehenden Vierendeel-Wirkung werden mit diskreten vertikalen GFK-Bewehrungsstäben aufgenommen. Die Verbindungen zwischen den beiden Fertigteilen untereinander und zu den Widerlagern werden mit zentrisch liegenden Edelstahlbewehrungsbolzen mit Schraubmuffen zur Ausbildung der semiintegralen Wirkung versehen. Die so entstehende fugenlose Konstruktion erhöht die Dauerhaftigkeit, verringert die Notwendigkeit für Wartungen und verbessert die Optik durch Vermeidung von unkontrolliert punktuell ablaufendem Regenwasser. Die vorab in Ortbeton herzustellenden Widerlagerkörper, bestehend aus Deck, Vorspann-, Widerlager und Flügelwänden, gründen auf einer Kopfplatte mit Bohrpfählen. Da diese Bauteile keiner Anforderung an die optische Schlankheit unterlagen, wurden sie konventionell in Stahlbeton geplant. Abb.-2: Untersicht des Brückenmodells mit Rippen und zentraler Stütze (Grafik: knippershelbig) 5. Brückenkolloquium - September 2022 301 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert 2.3 Materialien für den Überbau Die für den Überbau eingesetzten Bewehrungsprodukte wurden im Rahmen der Tragwerksplanung in Zusammenarbeit zwischen Planer und Gutachter festgelegt. Abb.-3 (a) zeigt das ebene CFK-Gitter, das in der Platte und in der Rückwand als flächige Bewehrung eingesetzt wird. Es weist einen Faserquerschnitt von 3,62-mm² bzw. 95-mm²/ m auf und erreicht mittlere Bruchspannungen von 3300-N/ mm² sowie E-Moduln von 230.000-N/ mm² bezogen auf diese Fläche in beide Gitterrichtungen, (0° und 90°). In den Stegen sowie als Randeinfassung sind vorgeformte CFK-Gitter aus dem gleichen Grundmaterial mit einem Standardumlenkradius von 10-mm geplant (Abb.-3 (b)). Alle Ansichtskanten sind mit übergroßen Fasen (25-mm) versehen, um eine noch schlankere Optik zu erzielen. Dies wird beim Umlenkradius der Randformprofile (35-mm) berücksichtigt. Die konzentrierte Zulagebewehrung der Stege und des Vierendeelträgers der Rückwand bilden gerade GFK-Stäbe der Nenndurchmesser 16-mm und 20-mm, Abb.-3 (c). Die Stäbe weisen eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung in Deutschland für einen begrenzten Anwendungsbereich auf, der hier allerdings überschritten wird [4]. Abb.-3: Nichtmetallische Bewehrungen für die Brücke Fotos: (a) [5]; (b), (c): IMB RWTH Der Beton für den Überbau muss gemäß Planung die Festigkeitsklasse C80/ 95 erreichen, soll möglichst selbstverdichtend sein und den Regelungen analog zum konventionellen Stahl- und Spannbetonbau genügen [6 ε ; 7]. Hiernach ist ein Größtkorn der Gesteinskörnung >-4-mm erforderlich. Zum Schutz der Bewehrung vor Korrosion liegen keine Anforderungen an den Beton vor. Für die direkt exponierten Betonflächen gilt die Expositionsklasse XF4. Aus vorangegangenen Projekten ist bekannt, dass die ausreichende Frost/ Tausalzbeständigkeit des Betons experimentell nachgewiesen werden kann (z.-B. [2]), wenn mit dem Einsatz von Luftporenbildnern zur Erreichung des Mindestluftgehaltes gemäß Anhang F in [7] keine ausreichend hohe Druckfestigkeit erreicht werden kann. Alternativ wurde z.-B. für die Brücke in [8] argumentiert, dass ein hochfester Beton durch seinen geringen w/ z-Wert Eigenschaften analog zu einem erdfeuchten Beton (gemäß [7] w/ z ≤ 0,4) aufweist und damit ausreichend Frost- Tausalzbeständig ist (vgl. auch [9]). Die hochfesten Betone, die im Rahmen des Carbon-Concrete-Composites (C³) Projektes entwickelt wurden [10], wiesen ebenfalls eine ausreichende Frost-Tausalzbeständigkeit auf, wie experimentell bestätigt wurde. Aus Sicht der Autoren wäre eine Neuregelung in dieser Sache wünschenswert, um den Aufwand für den Nachweis der ausreichenden Frost-Tausalzbeständigkeit für den Einsatz hochfester Betone als Fahrbahndecken zu minimieren. Denn dies ist bei Einsatz von nichtmetallischen Bewehrungen die Regelbauweise. Da die finale Betonrezeptur, die oben genannten Anforderungen erfüllt, erst durch die ausführende Firma festgelegt werden soll, wurde für die notwendigen experimentellen Bauteiluntersuchungen hilfsweise ein Beton mit entsprechenden Eigenschaften aus einem abgeschlossenen Forschungsvorhaben des IMB der RWTH ausgewählt (vgl. [11] und Beton „C2“ in [12]). Dieser Beton wurde bereits erfolgreich für sehr dichte Bewehrungsanordnungen aus CFK/ GFK-Gittern und Carbonspannstäben in 60-mm dicken Deckschichten eingesetzt. 3. Bauen mit nichtmetallischer Bewehrung außerhalb von Zulassungen und Normen 3.1 Rechtlicher Rahmen Die Musterbauordnung und die Landesbauordnungen, hier für das Land Baden Württemberg [13], weisen für Hochbauten Wege für das Bauen mit nicht geregelten Produkten und Bauweisen auf. Verkehrsanlagen und zugehörige Nebenbauten sind ausgenommen. Die Brücke über die Ludwigsburger Straße fällt unter die Regelungen des Straßengesetzes Baden-Württemberg [14], und der Stadt Stuttgart obliegen als Baulastträger auch alle mit dem Bau und der Unterhaltung der Straßen zusammenhängenden Aufgaben [3]. Folglich kann das Tief bauamt als Straßenbaulastträger der Stadt Stuttgart selbst eine Zustimmung im Einzelfall mit vorhabenbezogener Bauartgenehmigung erteilen. Grundlage für diese Entscheidung ist neben dem Einbezug eines Prüfstatikers in der Regel eine fachliche Stellungnahme eines geeigneten Gutachters, die falls nötig auch mit experimentellen Untersuchungen verbunden sein kann. Gesetzlich verankert ist dies im Detail allerdings nicht, sondern obliegt dem Ermessen der zustimmenden Behörde. Das Tief bauamt der Stadt Stuttgart hat zwar aus vorangegangenen Projekten Erfahrung mit Carbonbeton im Brückenbau [3], im vorliegenden Fall ist die Komplexität noch einmal deutlich größer. Letztlich haben die „Träger der Straßenbaulast dafür einzustehen, dass ihre Bauten allen Anforderungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung genügen“, vgl. §-9a in [14]. Vorliegend entschied sich das Tief bauamt daher wiederum für die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme. Entscheidend für die Qualität des finalen Bauwerkes ist, dass klare Regelungen zur Zertifizierung, Überein- 302 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert stimmungserklärung des Herstellers und zur Eigen- und Fremdüberwachung im ZiE/ vbG-Bescheid festgehalten werden. Diese flankieren die eigentliche gutachterliche Beurteilung und sollen gewährleisten, dass Konformität zwischen den in der statischen Berechnung und gutachterlichen Stellungnahme angenommenen Werten und Randbedingungen mit denen im final hergestellten Bauprodukt vorliegt. Dies ist angesichts der fehlenden Regelwerke zur Ausführung von nichtmetallisch bewehrten Betonbauteilen und der geringeren notwendigen Toleranzen bei Bauteilen mit stark reduzierten Abmessungen dringend geboten. Die Regelungen aus [13] können hierfür zweckmäßigerweise übertragen und ggf. ergänzt werden. 3.2 Vorgeschlagenes Untersuchungsprogramm Im vorliegenden Projekt ist die gutachterliche Beurteilung des ausreichenden Trag- und Verformungsverhaltens aus mehreren Gründen anspruchsvoll. Ein Belastungsversuch der ganzen bzw. einer Hälfte des Überbaus, wie seinerzeit bei der Carbonbetonbrücke in Albstadt- Ebingen geschehen [2], ist aus wirtschaftlichen Gründen ausgeschlossen, und wäre zudem technisch extrem herausfordernd. Das Tragwerk wird erst durch die globale Druckbogenwirkung in Verbindung mit der Vorspannung funktional, und diese im Versuch nachzustellen wäre sehr aufwendig. Da der Hauptlastabtrag des Zuggliedes aus Stahllitzen und des Betons auf Druck mit konventionellen Methoden und Modellen des Stahl- und Spannbetonbaus nachweisbar ist, war die Notwendigkeit aus Sicht der Beteiligten hierfür auch nicht gegeben. Das IMB der RWTH hat daher in Zusammenarbeit mit dem Tief bauamt und dem Planer sowie dem Prüfstatiker ein gemischtes Nachweisformat aus kleineren und mittleren experimentellen Untersuchungen (Tab. 1) und theoretischen Untersuchungen sowie die Nutzung von vorhandenen Ergebnissen aus Zulassungs- und Forschungsprojekten vorgeschlagen. Kern der Beurteilung ist die Frage, ob das vom Planer verwendete nichtlineare 3D-Finite-Elemente Berechnungsmodell sowie das vereinfachte Stabwerkmodell für die Tragrippen in der Lage sind, die Kräfteverteilung in der Bewehrung und im Beton, das gesamte Tragverhalten und das Verformungsverhalten geeignet vorherzusagen. Für den Vergleich wurde ein repräsentatives Rippensegment bestehend aus Steg, Platte, Rückwand und Hammerkopf definiert, das in einem 1: 1 Großversuch bis zum Bruch belastet werden soll. Dieses Bauteil trägt als Rahmenecke mit öffnendem Moment im Nebentragsystem des Brückenüberbaus und ist aus Sicht der Beteiligten das kritische Element der Brücke. Die als Hauptzugbewehrung eingesetzten GFK-Stäbe werden---anders als im Stahlbetonbau für Rahmenecken üblich---gerade verankert, da entsprechend vorgeformte Elemente des Herstellers zwar verfügbar sind, allerdings nicht bauaufsichtlich zugelassen und in Ihren Eigenschaften deutlich weniger umfassend charakterisiert sind. Mit der Herstellung des Rippenelementes für den Großversuch können Erkenntnisse zur Herstellbarkeit des Bewehrungskorbes und der Betonierbarkeit gewonnen werden. Klar ist aber auch, dass ein einzelner Kurzzeitversuch nicht geeignet ist, um langfristige Verformungen experimentell zu bestimmen oder um statistisch signifikante Versuchsanzahlen zur Ableitung von charakteristischen Widerständen zu ermitteln. Es geht vielmehr um eine phänomenologische Untersuchung der Versagensankündigung, der Versagensmechanismen, der Spannungsverteilung und des Rissverhaltens. Tab. 1: Übersicht Versuchsprogramm Versuchsart Untersuchungszweck Gutachten für ZiE/ vBG Bauteilversuch Rahmenecke Herstellbarkeit der Brücke, insb. Betonierbarkeit; Rissbildungsverhalten; Rissbreiten in der Rahmenecke; Verankerungsverhalten der GFK-Stäbe und CFK-Gitter; Wirksamkeit Querkraftbewehrung; Zusammenwirken Gitter- und Stabbewehrung Vorgeformte CFK-Gitter Zugversuche Zugfestigkeit und E-Modul im geraden Teil; Festigkeit in der Umlenkung Vorgeformte CFK-Gitter Biegeversuch (Übergreifung) Tragfähigkeit der Übergreifung der Querkraftbewehrung (U-Profile) im Steg (Werkseigene) Produktionskontrolle GFK-Stäbe Zugversuche Konformitätskontrolle Zugfestigkeit, E-Modul Ebene CFK-Gitter Zugversuche Konformitätskontrolle Zugfestigkeit, E-Modul Vorgeformte CFK-Gitter Zugversuche Konformitätskontrolle Festigkeit in der Umlenkung, E-Modul, Umlenkradius Für die Vorhersage des Biege- und Querkraftwiderstandes der Platte sowie für den Nachweis der Verankerung bzw. Übergreifung existieren etablierte Modelle in der Forschung, die inzwischen auch Eingang in den vom Unterausschuss Nichtmetallische Bewehrung verabschiedete Entwurf der Richtlinie „Betonbauteile mit nichtmetallischer Bewehrung“ des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton gefunden haben [15]. Grundlage hierfür sind Materialkennwerte, die durch geeignete (standardisierte) Prüfverfahren bestimmt wurden. Für die ebene Bewehrung liegen hierzu umfangreiche Ergebnisse aus vorangegangenen Projekten und Herstellerangaben vor. Für die vorgeformte Bewehrung, der im Steg der Rippe eine wesentliche Tragfunktion als Querkraft- und Spaltzugbewehrung zukommt, fehlen hingegen ausreichende Widerstandskennwerte. Die Untersuchungen in [16] zeigten, dass mit deutlichen Abminderungen der Festigkeit und des Elastizitätsmoduls gegenüber dem ebenen Bewehrungsmaterial gleichen Bewehrungsquerschnittes ge- 5. Brückenkolloquium - September 2022 303 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert rechnet werden muss. Die Gründe hierfür sind eine geringere Parallelisierung der Fasern im freien Teil durch das andere Herstellverfahren, die nicht-konstante (lineare) Spannungsverteilung über den Faserstrangquerschnitt in der Umlenkung bei Zugbeanspruchung sowie lokale Spannungskonzentrationen auf das anisotrope Material in der Umlenkung. Die für die Berechnung notwendigen Kennwerte müssen daher für die gutachterliche Stellungnahme experimentell im einaxialen Zugversuch und im Faserstrangauszugversuch am gekrümmt einbetonierten Element ermittelt werden. Eine Besonderheit der Brückengeometrie begründete zudem neue Biegeversuche zur Charakterisierung des Übergreifungsstoßes der Gitterbewehrung: Durch die Voutung der Rippe muss die Stegbewehrung aus zwei U- Steckern zusammengesetzt werden, da eine (wirtschaftliche) Herstellung von geschlossenen Körben mit Voute mit dem designierten biaxialen Gittermaterial nicht möglich ist. Auch der Bewehrungseinbau wäre durch geschlossene Bügelkörbe erheblich erschwert. Da die U-förmigen Bewehrungselemente gleichsam Bügelkörben orthogonal zum freien Rand ausgerichtet sein müssen, ergibt sich ein um 7,7° verdrehter Übergreifungsstoß, der zudem in seiner Länge durch die lieferbare Breite des Ausgangsmaterials begrenzt wird. Ob ein solcher - eigentlich zu kurzer - Stoß eine ausreichende Tragfähigkeit ohne vorzeitige Abplatzungen liefern kann, war zu klären. Schlussendlich ergibt sich die für die Querkrafttragfähigkeit ansetzbare Festigkeit des CFK-Formprofiles aus dem Minimum der Werte in der freien Länge, der Umlenkung, und des Übergreifungsstoßes. Das Untersuchungsprogramm und die darauf basierende gutachterliche Stellungnahme hat nicht zum Ziel, die Einwirkungen (insbesondere Temperatur, Auswirkung der Vorspannung, Schwinden und Kriechen) und die Schnittgrößenermittlung für das Tragwerk zu verifizieren. Diese unterliegen der regulären Bautechnischen Prüfung. Nachfolgend wird ein Teil des Untersuchungsprogrammes, der Bauteilversuch, näher beschrieben. 4. Bauteilversuch 4.1 Prüfkonzept und Messtechnik Das Rahmeneckelement wurde im Maßstab 1: 1 konzipiert, und die Geometrie gegenüber der finalen Brücke nur geringfügig vereinfacht: Beispielsweise wurde keine Randaufkantung unterhalb des Geländers vorgesehen, Schalkanten zur einfacheren Auflagerung begradigt, und die Bewehrung in der Platte orthogonal zum Steg ausgerichtet. Als Breite des Probekörpers wurde 50-cm gewählt, was dem Abstand zwischen zwei vertikalen Öffnungen in der Rückwand unmittelbar neben jeder Rippe entspricht. Hierdurch können das monolithische Tragverhalten zwischen Platte und Rückwand und die dort wirkenden Sekundärbiegemomente erfasst werden, sowie die Rissbildung bzw. der Rissverlauf in der Rahmenecke besser eingeschätzt werden. Die maßgebende Einwirkung für die Rahmenecke ist die flächige Vollbelastung der Platte aus Eigengewicht- und Verkehr, die als Linienlast auf das Rippenelement weitergegeben wird. Eine solche Belastung ist Versuchstechnisch aufwändig zu simulieren, weshalb eine äquivalente Ersatzeinzellast im lichten Abstand 1,9-m zur Rückwand aufgebracht wurde (Abb.- 4). Mit dieser Distanz ergibt sich ein ähnliches Momenten-Querkraft-Verhältnis an der mutmaßlich kritischen Stelle (Bereich Abstand d von der Ecke), und ein ausreichend großes Schubfeld, sodass keine direkte Druckstrebe entsteht und ein Biegeschubbzw. Schubzugversagen auftreten kann. Im realen Tragwerk lagern sich die Rippen unten auf den inneren, liegenden Druckbogen, während sie am Kopf durch das gekrümmte Spannglied im Hammerkopf gehalten sind. Aus diesem Kräftepaar entsteht lokal betrachtet eine Einspannung. Im Versuch wird dies durch Horizontallagerung an einer 1-m dicken vorgespannten „Reaction Wall“ mit Stahldruckstützen in der Achse der Platte bzw. Zugstangen in der Achse des Leerrohres für das Spannglied realisiert. Die vertikale Halterung erfolgt indirekt durch Auflegen der seitlich über den Steg ragenden Rückwandstummel auf Stahlrollen in ihrer Mittelachse. Diese Form der Auf hängung des Probekörpers ist von besonderer Bedeutung, um die Spannungen im Verankerungsbereich der Hauptbewehrung ähnlich denen im realen Tragwerk zu simulieren. Bei einer direkten Auflagerung an der Unterseite des Steges hätte sich eine Druckspannung und ein direkter Lastabtrag ergeben. Der Rotationspunkt des Versuchskörpers liegt damit in der Schnittachse von Platte und Rückwand. Die Belastung erfolgt mittels Hydraulikpumpe in Handsteuerung (Kraftgesteuert), als Belastungsgeschwindigkeit wurden 5 kN/ min festgelegt. Planmäßig wurde eine Entlastung nach der rechnerischen Erstrissbildung in der Rahmenecke zur Beurteilung der Rissbreiten im Gebrauchszustand mit anschließender Wiederbelastung bis zum Bruch vorgesehen. Abb.-4: Skizze des Versuchskörpers mit Auflagerung und Belastungspunkt (Grafik: knippershelbig) Ein Kernziel des Bauteilversuchs ist die Validierung der Modelle durch Vergleich von berechneten mit gemessenen Spannungen, Widerständen, und beobachte- 304 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert ten Versagensarten. Hierzu wurde umfangreiche interne und externe Messtechnik appliziert (Abb.-5): Konventionelle Wegaufnehmer messen die Verformung unter der Last sowie in den Auflagern, um Starrkörperverschiebungen/ -rotationen aus der Auflagerdeformation bereinigen zu können. Mittels digitaler Bildkorrelation werden die Rissbildung und das Risswachstum im Stegbereich (2D) sowie in der Platte und Rückwand im Rahmeneckbereich (3D) verfolgt. Als interne Messtechnik sind auf der Hauptzugbewehrung Dehnungsmesstreifen (DMS) und Faseroptische Sensoren (FOS) appliziert, mit denen der Spannungsverlauf in den GFK-Stäben insbesondere im Verankerungsbereich detailliert erfasst werden kann. Abb.-5: Messtechnik für den Großversuch (Grafik: IMB RWTH) 4.2 Herstellung Die Herstellung des Probekörpers erfolgte in positiv-Fertigung im Gießverfahren. Diese Form der Herstellung entspricht der von den Beteiligten antizipierten Herstellung der späteren Brückenfertigteile ähnlich einer sogenannten PI-Platte im Fertigteilwerk, d.-h. mit Eintiefung der Rippen in einen Schalboden. Der Bewehrungskorb wurde schrittweise zusammengesetzt, wobei besondere Vorsicht im Bereich der Berührungspunkte der Stabbewehrung in drei Raumrichtungen mit applizierter Messtechnik geboten war (Abb.-6). Das bekannte Problem der gegenseitigen Durchdringung von gitterförmigen Bewehrungen (z.-B. [17]) wurde hier gelöst, indem alle verwendeten Gitter das gleiche Raster aufwiesen und bei dem von oben eingesteckten U-Profil als oberer Teil der Querkraftbewehrung im Steg die Längsfaserstränge im vertikalen Teil entfernt wurden. Abb.-6: Fertiger Bewehrungskorb vor Schließen der Seitenschalung (Grafik: IMB RWTH) Es wurden zwei Betonierabschnitte vorgesehen, damit die Entlüftung der Platte nicht durch einen geschlossenen Schaldeckel behindert wird und die Plattenoberseite glatt abgezogen werden konnte. Eine Aufkantung von ca. 10 cm soll der Forderung der Dichtigkeit im Eckbereich im Gebrauchszustand Rechnung tragen, d.-h. die Arbeitsfuge soll nicht genau in der Ecke zwischen Brückendeck und Rückwand liegen, die später der Entwässerung in Brückenlängsrichtung dient. Ob die reale Brücke ebenfalls mit Fuge oder monolithisch hergestellt wird, hängt von der Herstellbarkeit mit dem konkreten verwendeten Beton, sowie dem vorhandenen Schalungs- und Verdichtungssystem zusammen. Ein Herstellen in zwei Schritten ermöglicht die Schrägabstützung der Rückwand gegen die erhärtete Platte, ist aber aufwändiger und ggf. mit Nacharbeiten im Arbeitsfugenbereich verbunden. Die Herstellung und Prüfung mit Arbeitsfuge liefert mutmaßlich konservative Widerstände („auf der sicheren Seite“). Im ersten Betonierabschnitt war der Beton bei der Einbringung zu steif (Setzfließmaß t 500 = 12,9-s gemäß [18]), und das Umfließen der Bewehrung gelang nur bedingt. Nur durch händisches kleinschrittiges Verdichten und der Betonage von zwei Seiten konnte der Betonierabschnitt erfolgreich hergestellt werden. Durch Nachsteuerung der Fließmittelmenge konnte im zweiten Abschnitt die Konsistenz besser auf die vorherrschende Außentemperatur eingestellt werden (t 500 -= 5,6-s), und die Betonage gelang deutlich leichter. Der ausgeschalte Probekörper konnte in Bereichen mit mehreren überkreuzten Gitterlagen (Rahmeneckbereich des Steges) eine Unterschreitung der geplanten Betondeckung festgestellt werden. Hier ist im finalen Bauwerk mit zusätzlichen Abstandhaltern nachzusteuern. Insgesamt war die Qualität des finalen Bauteiles jedoch zufriedenstellend für die weitere experimentelle Untersuchung. Es muss aber klar festgehalten werden, dass die Grenze des noch sinnvoll herstellbaren Probekörpers mit der vorliegenden Geometrie und Bewehrungsführung erreicht wurde. In jedem Fall übertrifft die Komplexität der Bewehrungsanordnung alle bisher am IMB der RWTH Aachen im Bereich nichtmetallische Bewehrung hergestellten und geprüften Elemente. 5. Brückenkolloquium - September 2022 305 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert Abb.-7: Bauteilversuchskörper nach dem Ausschalen (Grafik: IMB RWTH) 4.3 Prüfung und Diskussion der Ergebnisse Die Vorbereitung des Großversuches stand unter dem Einfluss von vielen Unwägbarkeiten, da der finale Versagensmechanismus a priori nicht sicher vorhergesagt werden konnte. Wegen des potenziell spröden Bruchs, der sowohl bei Betonspalten, bei Betondruckstrebenversagen oder bei Bruch der nichtmetallischen Biegezug- oder Querkraftbewehrung auftritt, waren zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen für das beteiligte Personal erforderlich, z.-B. Schutzwände und Schrägabspannungen des oberen Widerlagers der Lasteinleitung (Abb.- 8). Der kritische Teil der Rahmenecke, bei dem es zum Verankerungsversagen der Stabbewehrung kommen sollte, wurde durch die Auflagerböcke des Trägers verdeckt um das Schädigungspotential von herumfliegenden Betonstücken zu minimieren (Abb.-8, gelbe Stahlböcke). Abb.-8: Probekörper im eingebauten Zustand vor der Prüfung (Foto: IMB RWTH) Insgesamt hat die Prüfung des Bauteils sehr gut funktioniert. Es kam zu keinerlei unerwartetem Verhalten, und die Messtechnik hat die Herstellung nahezu vollständig unbeschadet überstanden und war während des Versuchs funktional. Der Bruch kündigte sich durch ausgeprägte Biege- und Schubrissbildung im Steg, in der Platte und in der Rückwand an (Abb.-9). Das eigentliche Versagen war schließlich ein Verbundspalten ausgehend von den sechs horizontalen GFK-Stäben im Stegbereich, genauer im Druckbereich der Rahmenecke bei einer Prüflast von 162-kN. Bei dieser Last lag eine mittlere Dehnung von ca. 8-‰ im obersten der drei Lagen horizontale Stäbe vor, was einer Spannung von ca. 480-N/ mm² entspricht - mehr als die rechnerisch ansetzbare Bemessungszugfestigkeit dieses Materials (580/ 1,3-=446-N/ mm²). Interessanterweise kündigte sich auch dieses Versagen an: Schon vor Erreichen der Bruchlast war ein vertikaler Spaltriss an der Stirnseite des Steges in Verlängerung der sechs horizontalen GFK-Stäbe bei der Laststufe 120 kN durch Dehnungsabfall des dort außen auf dem Beton applizierten DMS erkennbar. Der Riss war makroskopisch auch vor dem Bruch sichtbar, zuletzt bei 150 kN, aber wurde zunächst durch die dort vorhandene CFK- Randeinfassung wirksam überbrückt. Erst bei weiterer Laststeigerung kam es zum Bruch der CFK-Formbewehrung in deren Umlenkung und dadurch zum Verlust der Umschnürungswirkung. Folglich konnte der Riss weiter aufgehen und den Steg vollständig spalten, was mit einem Verlust der globalen Tragfähigkeit des Bauteils einherging. Bei Verankerungsversagen durch Spalten ist der Einfluss durch Langzeiteffekte (z.-B. durch Kriechen oder Schädigung des Polymerharzes) mutmaßlich geringer als beim Verankerungsversagen durch Abscheren der Stabrippen. Letztes ist Grundlage für den Bemessungswert der ansetzbaren Verbundspannung aus [4], der an vollständig umschnürten Probekörpern im Langzeitverbundversuch ermittelt wurde. Gemäß EC2, Abschnitt 8.4.2 [19], ist für die Zugfestigkeit des Betons, die die Grundlage für die Berechnung der Verankerungslänge ist, im Kontext des Verbundes keine Dauerstandabminderung anzusetzen (ɑ ct -=-1,0). Vor diesem Hintergrund kann aus Sicht der Autoren durchaus eine Übertragung der Ergebnisse des Kurzzeitversuches in puncto Verankerung für die Bemessung der finalen Brücke vorgenommen werden, oder mindestens der Vergleich zwischen experimentell ermittelter Verbundfestigkeit (bei Spalten) zu theoretisch ansetzbarer Bemessungsverbundfestigkeit (gemäß Zulassung). In jedem Fall begründet sich aus der Auswertung die Forderung, dass die gesamte rechnerisch auftretende Spaltzugkraft aus der Verankerung der Stäbe durch Umschnürungsbewehrung abgedeckt werden muss. Andernfalls kann Verankerung der Stäbe rechnerisch nicht nachgewiesen werden. Konkret heißt das, dass zusätzlich zu den vorhandenen Randeinfassungen noch Umschnürungsprofile aus CFK um die horizontalen und vertikalen Stäbe nahe deren Ende eingebaut werden müssen. Die in [4] angegebenen Bemessungswerte der Verbundfestigkeit sind strenggenommen nur für verbügelte Querschnitte oder Platten mit Umschnürungswirkung der Stäbe ansetzbar, bei denen das globale Verbundspalten wirksam ausgeschlossen bzw. die aufgehenden Spaltrisse in ihrer Rissbreite wirksam begrenzt sind. Im Folgenden werden nur die Ergebnisse auf Bruchlastniveau diskutiert. Weder Biegenoch Querkrafttragfähigkeit waren in diesem Kurzzeitversuch am Bauteil maßgebend. Dies ersetzt allerdings keine Bemessung und keine Beurteilung auf theoretischer Basis, da die ansetzbaren Festigkeiten aus Langzeitversuchen insbesondere 306 5. Brückenkolloquium - September 2022 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert bei der GFK-Bewehrung erheblich niedriger sind als die Kurzzeitfestigkeiten und auf Basis des einen Versuches kein charakteristischer Widerstand abgeleitet werden kann. Allerdings ist ein Ergebnis dieses Großversuches, dass die Kombination aus verschiedenen Bewehrungstypen nicht zu unerwünschten Effekten (Abplatzungen, vorzeitiger Bruch von verbundsteiferer Bewehrung, etc.) geführt hat. Aus dem Rissbild lässt sich sehr gut auf den Spannungsverlauf in der Rahmenecke schließen, da die im Versuch erreichten Bewehrungsspannungen nah bei den planerisch angesetzten liegen. Es sei angemerkt, dass in der Planung ebenfalls das Verankerungsversagen der Stabbewehrung maßgebend für die Wahl des Bewehrungsquerschnitts war. Abb.-9: Rissbild nach Versuchsende und Detail der Verankerungszone mit Abplatzungen (Fotos: IMB RWTH) Das vom Planer angenommene Stabwerkmodell passt zum beobachteten Rissbild. Dies kann durch die Messergebnisse von DMS und FOS bestätigt werden. Zunächst lässt sich festhalten, dass die Messungen der verteilten Messung mit FOS sehr gut zu den punktuellen Ergebnissen der DMS passen (Abb.-10). Die Messung erfolgte auf zwei unterschiedlichen Stäben (Ho1/ Ho4) auf gleicher Höhenlage. Die Streuungen der kontinuierlichen Messung erklären sich teilweise durch die gefrästen Rippen der Stäbe, wie im Vorfeld an einaxialen Zugversuchen und einfachen 4-Punkt-Biegeversuchen erkannt wurde, teilweise sind sie dem FOS-System immanent. Da die Messung der Faser umfangsnah in einem eingefrästen Schlitz (Tiefe ca. 1-mm) erfolgt, sollten lokale Dehnungsspitzen nicht mit der mittleren Stabdehnung des ganzen Querschnittes gleichgesetzt werden. Eine Glättung (Trendlinie), wie bei der letzten Laststufe LS5 eingezeichnet, kann zur besseren Beurteilung vorgenommen werden. Von der Lasteinleitung links kommend steigt die Spannung in den Stäben in Abb.-10 zunächst nur geringfügig an und bleibt dann nahezu konstant. Dieses Plateau ist leicht mit der Voutengeometrie erklärbar und passt sehr gut zu den rechnerisch vorhergesagten Spannungen. Der steile Anstieg der Stabspannung beginnt schon deutlich vor dem Ende der Platte, da die in der ebenen CFK-Bewehrung der Platte vorhandenen Kräfte auf die Stäbe umgelagert werden müssen. Im Knoten selbst tragen dann fast ausschließlich die Stäbe, der Beitrag der monolithischen Platte-Rückwand-Verbindung ist vernachlässigbar, weil nicht der volle Bewehrungsquerschnitt (2 Lagen) biegesteif um die Ecke geführt werden kann. Von besonderem Interesse für die Beurteilung ist das Verhalten im Verankerungsbereich der Stäbe. Hier kommt es zunächst zu einem weiteren Plateau im direkten Knotenbereich, gefolgt von einem näherungsweise linearen Abfall der Stabdehnung von ca. 8-‰ auf knapp über 1,7-‰. Am Ende wird die Steigung allerdings sichtbar steiler. Durch die notwendige Terminierung der FOS endet die kontinuierliche Messung ca. 3,6-cm vor dem Stabende. Offensichtlich ist hier aber noch vergleichsweise hohe Kraft (ca. 32-kN) im Stab vorhanden. Würde man die mittlere Steigung der Dehnungskurve bis zum Stabende extrapolieren (Annahme konstante Verbundspannung über die Einbindelänge), könnte diese Kraft nicht verankert werden. Anders gesagt: Der in der Druckzone der Rahmenecke verankerte Teil des Stabes muss einen überproportionalen Anteil zur Verankerung liefern, gleichsam einem Endverankerungselement. Mit Blick auf das Rissbild in diesem Bereich und das Wissen um die schlechtere Verankerung in gerissenem Beton ist diese Beobachtung plausibel. Wenn nun am Stabende eine hohe Restkraft punktuell verankert werden muss, führt dies zu konzentriert wirkenden Spaltkräften. Diese überlagern sich mit den Querzugkräften aus der Druckbeanspruchung, die aus der Biegetragwirkung der Rahmenecke resultiert, und den inneren Umlenkkräften, die bei Umfließen der querdehnweichen Stabbewehrung entstehen. Der beobachtete Versagensmechanismus --Verbundspalten an der Stirnseite mit Bruch der Formbewehrung-- passt folglich sehr gut zu den Dehnungsmessungen am Stab. Die Formbewehrung war zunächst zur Begrenzung des Spaltrisses wirksam. Für eine effektive Kontrolle lagen aber zu wenige Faserstränge in Dickenrichtung des Steges im unmittelbaren Verankerungsbereich, und bei weiterer Laststeigerung brachen die Profile in ihrer Umlenkung. Hieraus ergeben sich zwei Forderungen: Erstens sollten die Stäbe so nah wie (aus optischen Gründen) möglich an die Stirnseite des Steges geführt werden. Zweitens sollte zusätzliche Formbewehrungen ähnlich einer Wendelbewehrung bei Spanngliedverankerung die Stäbe im 5. Brückenkolloquium - September 2022 307 Grenzen des Betonbrückenbaus mit nichtmetallischer Bewehrung neu definiert Druckbereich der Rahmenecke umschnüren. Diese Bewehrung muss in der Lage sein, die gesamte ansetzbare Stabkraft einmal senkrecht zum Stab aufzunehmen. So bleibt die Rahmentragwirkung auch nach Spaltrissbildung intakt und der Gesamtwiderstand des Bauteils kann noch einmal gesteigert werden. Abb.-10: Auswertung der Faseroptischen und konventionellen Messtellen am Beispiel des obersten horizontalen Stabpaares (Grafik: IMB RWTH) 5. Fazit und Ausblick Im vorliegenden Projekt wurde an mehreren Stellen die Grenzen des aktuell im Bereich Betonbauteile mit nichtmetallischer Bewehrung Machbaren ein Stück weit neu definiert: Bei der Komplexität der nichtmetallischen Bewehrung als Kombination aus Stäben und Gittern, bei der Bewehrungsführung in der Rahmenecke mit öffnendem Moment, bei den geringen Querschnittsabmessungen in Verbindung mit einer anspruchsvollen Geometrie, und nicht zuletzt beim gemischten Nachweiskonzept. Dies gelang nur durch konstruktive Zusammenarbeit, Ausdauer und dem Willen von Planerinnen und Planern, Prüfenden, Bauherrin, Gutachern und der Zustimmungsbehörde etwas Außergewöhnliches zu schaffen. Das Einsparpotential an Beton und damit Eigengewicht und Reduktion des CO 2 -Fußabdrucks im Carbonbetonbau kann nur dann gehoben werden, wenn aufgelöste Geometrien in Verbindung mit Vouten und Vorspannung geplant werden. Bei minimaler Betondeckung und ausgedünnten Querschnittsabmessungen kann dann allerdings in stärkerem Maße als bei konventionellen Stahlbetontragwerken die Verankerung der Bewehrungselemente maßgebend für die globale Tragfähigkeit werden. Vom Planer dies zu verinnerlichen und kritisch zu hinterfragen, für welche Randbedingungen die vom Hersteller angegebenen Verbundkennwerten für Stäbe, Gitter und Formprofile Gültigkeit besitzen. Wirklich sinnvoll ist die Bauweise mit nichtmetallischer Bewehrung aber erst dann, wenn z.-B. in der Planung bewusst wartungsarm konstruiert wird und in Verbindung mit dem Verzicht auf Abdichtungs- und Schutzschichten ein---über den Lebenszyklus gerechnet---kosteneffizientes Tragwerk entsteht. Es soll also nicht nur Stahl substituiert werden, sondern gänzlich anders konstruiert werden. Im hier beschriebenen Brückentragwerk ergänzen sich stabförmige Bewehrungen und verteilte gitterförmige Bewehrungen und Formprofile sinnvoll. Wie bereits in [16] erkannt muss nicht starr zwischen Stab und Gitter unterschieden werden, sondern das Bauen mit nichtmetallischer Bewehrung muss vom fließenden Übergang und von der geschickten Wahl eines angepassten Bewehrungsquerschnittes geprägt sein. Das anspruchsvolle Tragwerk der Brücke über die Ludwigsburger Straße kann zum aktuellen Zeitpunkt nur durch Verbindung von verschiedenen Nachweisformen, theoretischen Betrachtungen und Nutzung von neuen Versuchsergebnissen realisiert werden: lineare und nichtlineare 3D-FE-Rechnung, Bauteilversuch, Kleinkörperversuche, und langjährige Erfahrung der Beteiligten mit den verwendeten Werkstoffen. Moderne Messtechnik wie FOS und DIC unterstützen bei der Beurteilung von Versuchsergebnissen, ersetzen aber nicht das notwendige ingenieurmäßige Denken und Konstruieren bei allen Beteiligten. Durch die geplante Richtlinie „Betonbauteile mit nichtmetallischer Bewehrung“ des DAfStb werden für die Planung und Prüfung standardisierte Regeln vorgeschlagen, die das Bauen mit Carbonbeton sicherlich deutlich erleichtern, aber kein Planungsschema für jeden Fall darstellten. Die grundlegende Wahl des richtigen Tragwerkes, passenden Materials und geeigneten Nachweiskonzepts für den jeweiligen Zweck bleibt also auch zukünftig die spannende und herausfordernde Aufgabe der planenden Ingenieurinnen und Ingenieure. 6. Danksagung Die Autoren bedanken sich bei allen Projektbeteiligten für die gute Zusammenarbeit in diesem anspruchsvollen Projekt. Der Schöck Bauteile GmbH sei für die Bereitstellung des stabförmigen GFK-Bewehrungsmateriales für die Vor- und Hauptversuche gedankt. Literatur [1] Bielak, J.; Will, N.; Hegger, J. 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(2021) Enhancing shear capacity of thin slabs with CFRP shear reinforcement: Experimental study in: Structural Concrete 22. https: / / doi.org/ 10.1002/ suco.202100325 [6] DIN EN 206: 2021-06 (Juni 2021) Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität - Deutsche Fassung EN 206: 2013+A2: 2021. Berlin: Beuth. [7] DIN 1045-2: 2008-08 (August 2008) Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 2: Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität - Anwendungsregeln zu DIN EN 206-1. Berlin: Beuth. [8] Bielak, J. et al. (2021) Sanierung des Rheinstegs bei Albbruck mit Carbonbeton in: Beton- und Stahlbetonbau 116, H. 7, S. 488-497. https: / / doi. org/ 10.1002/ best.202100024 [9] Dehn, F.; Wiens, U. (2022) Beton in: Bergmeister, K.; Fingerloos, F.; Wörner, J.-D. [Hrsg.] Beton-Kalender 2022: Schwerpunkte: Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Instandhaltung. Berlin: Ernst & Sohn, S. 5-172. [10] Heiermann, T.; Vollpracht, A. 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Brückenkolloquium - September 2022 309 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau Sebastian May CARBOCON GMBH, Dresden, Deutschland Alexander Schumann CARBOCON GMBH, Dresden, Deutschland Enrico Lorenz Curbach Bösche Ingenieurpartner - Beratende Ingenieure PartG mbB, Dresden, Deutschland Straßenbauverwaltung des Freistaats Sachsen Zusammenfassung Am 22.12.2021 wurde bei Wurschen auf der Staatsstraße 111 über das Kuppritzer Wasser die erste Straßenbrücke in Sachsen aus Carbonbeton für den öffentlichen Verkehr freigegeben. Wegen der zu erwartenden besseren Dauerhaftigkeit und der damit verbundenen längeren Nutzungsdauer gegenüber Stahlbeton entschied sich der Bauherr (Freistaat Sachsen) beim Ersatzneubau im Rahmen eines Pilotprojektes für den Baustoff Carbonbeton. Hierbei sollen neben dem Sammeln von Erfahrungen mit dem neuen Baustoff auch Erkenntnisse gewonnen werden, ob durch die Beständigkeit der Carbonbewehrung die Lebenszyklus-/ Wartungskosten der Brücke signifikant reduziert werden können. Durch diese Vorteile könnte ein wesentlicher Teil zum Erreichen der gesetzten Klimaziele beigetragen werden. Im Rahmen des Beitrages werden neben der Planung des Brückenneubaues auch die Versuchsplanung/ -durchführung sowie der gutachterliche Genehmigungsprozess für die Zustimmung im Einzelfall (ZiE)/ vorhabenbezogene Bauartgenehmigung (vBG) gezeigt. Darüber hinaus werden Erkenntnisse aus der Bauausführung vorgestellt 1. Einleitung und Hintergrund zur Baumaßnahme Ein großer Schwachpunkt bestehender und älterer Stahlbetonbauwerke ist die Korrosionsanfälligkeit der Betonstahlbewehrung. Die Korrosionsanfälligkeit wird durch korrespondierende korrosionsfördernde Effekte wie eine verstärkte Rissbildung bzw. Durchfeuchtungen und konstruktive Schäden begleitet. Infolge den insbesondere bei Straßenbrücken einwirkenden Chloriden bzw. nach dem Erreichen der zulässigen Karbonatisierungstiefen können hierbei teilweise massive Schäden und Abrostungen am Brückenbestand entstehen. Zudem ist besonders durch den starken Anstieg des Schwerverkehrs im deutschen Straßennetz eine deutliche Erhöhung der ermüdungsrelevanten Beanspruchungen der Bestandsbrücken nachweisbar, wodurch bei einem weiteren Teil der betroffenen Bauwerke die Ermüdungsfestigkeit der Stähle erreicht wird [1]. Schädigungen der Bauwerke durch die dargestellten Einflussfaktoren erfordern daher im Zuge der Nutzungsdauer kostenintensive Instandsetzungen. Häufig ist bereits nach 40 bis 70 Jahren intensiver Nutzung die Herstellung von Ersatzneubauten erforderlich [2]. Demgegenüber besitzen Carbonbewehrungen und daraus hergestellte Carbonbetonbauteile eine nachgewiesene Korrosionsbeständigkeit sowie eine hohe Dauerhaftigkeit gegenüber im Bauwesen auftretenden Medien. Die im Vergleich zu Betonstahl deutlich gesteigerte Ermüdungsfestigkeit des Carbons ist zudem mit einer sehr hohen Zugfestigkeit gepaart. Die Carbonbetonbauweise ist somit eine wertvolle Alternative für die Herstellung zukunftsfähiger Brückenneubauten. Schäden durch Korrosion oder Ermüdungsprobleme der Bewehrungen können somit für zukünftige Carbonbetonbauwerke ausgeschlossen werden. Dies ermöglicht perspektivisch eine Minimierung des Erhaltungsaufwandes, der Wartungszyklen sowie der Lebenszykluskosten und eine Verlängerung der Standzeiten von Brücken. Aufgrund der Vorteile von Carbonbeton für die Herstellung neuer und innovativer Bauwerke entschied die sächsische Straßenbauverwaltung im Jahre 2018, als Pilotprojekt, Sachsens erste Straßenbrücke mit einem voll- 310 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau ständig aus Carbonbeton hergestellten Brückenüberbau zu bauen. Als Bauherrenvertretung fungierte federführend die LISt Gesellschaft für Verkehrswesen und ingenieurtechnische Dienstleistungen mbH. Die planerische Umsetzung des Projektes erfolgte durch das Ingenieurbüro cbing in Zusammenarbeit mit der CAR- BOCON GMBH aus Dresden, welche gemeinsam mit dem Institut für Massivbau der Technischen Universität Dresden die wissenschaftlichen und gutachterlichen Zuarbeiten im Projekt übernahmen. Als Prüfingenieur fungierte Herr Prof. Dr.-Ing. J. Hegger aus Aachen. Die Bauausführung oblag der Hentschke Bau GmbH, Bautzen. Die Umsetzung des Pilotprojektes erfolgte in Ostsachsen, ca. 80 km östlich von Dresden in der Ortslage Wurschen im Landkreis Bautzen. Im Zuge der Baumaßnahme wurde, aufgrund des mangelhaften Erhaltungszustandes, die bestehende marode Stahlbetonplattenbrücke abgerissen und durch die im Rahmen der vorliegenden Veröffentlichung dargestellte Carbonbetonbrücke ersetzt. 2. Planung des Ersatzneubaus aus Carbonbetons Die Planung des Bauwerks erfolgte unter Beachtung der spezifischen Materialeigenschaften und Konstruktionsgrundlagen von Carbonbeton. Besonders im Zuge der Bemessung und konstruktiven Durchbildung der Bauteile wurden verschiedene Bemessungsansätze und Konstruktionsdetails mit den beteiligten Partnern im Projekt entwickelt und abgestimmt. Infolge der aktuell noch fehlenden normativen Bemessungsgrundlagen für Carbonbeton waren im Vorfeld des Projektes umfassende Voruntersuchungen erforderlich. In Zusammenarbeit mit den Projektpartnern der CARBOCON GMBH sowie des Instituts für Massivbau der TU Dresden wurden umfassende Material- und Bauteiluntersuchungen durchgeführt. Die Ergebnisse der Untersuchungen werden in Abschnitt 3 beschrieben. Nach dem Vorliegen der Ergebnisse der Materialuntersuchungen erfolgte im Zuge einer Machbarkeitsstudie die Betrachtung unterschiedlicher Ausführungsvarianten. Neben der Optimierung des Brückenquerschnittes wurden sowohl eine Halbfertigteilvariante wie auch eine vorgespannte und eine schlaff carbonbewehrte Ortbetonvariante untersucht. Nach der Bewertung der Ergebnisse der Voruntersuchungen erfolgte die Entscheidung zur Umsetzung der schlaff carbonbewehrten Ortbetonvariante aus technischen und wirtschaftlichen Gründen (u. a. Randbedingungen durch Spannweite), siehe Abbildung 1. Die Stützweite des neuen Bauwerks beträgt 6,60 m. Die Bauwerksbreite liegt bei 11,60 m. Auf der Brücke wurden beidseitig Kappen inklusive Füllstabgeländer und Schutzeinrichtungen angeordnet. Während die Herstellung der Unterbauten in üblicher Stahlbetonbauweise erfolgte, wurden der Brückenüberbau sowie die Randkappen mithilfe der neu entwickelten Carbonbetonbauweise realisiert. Die Querschnittsgeometrie der linsenförmigen Plattenbrücke wurde hierbei auf die Carbonbetonbauweise angepasst. Abbildung 1: Längsansicht und Querschnitt des Brückenbauwerks (Foto: cbing) Die Bemessung des Bauwerkes erfolgte unter Beachtung des Lastmodells LM1 sowie des Ermüdungslastmodells LM3 der DIN EN 1991-2 [6]. Die Lasten entsprechen den normativen Regellasten für Straßenbrücken. Im Rahmen der Planung des Brückenüberbaus und der Randkappen wurden unterschiedliche Materialien und Materialkombinationen berücksichtigt. Als Stabbewehrungen kamen neuartige Carbonstäbe der sächsischen Firma Action Composites aus Kesselsdorf zum Einsatz. Die Carbonflächenbewehrungen vom Typ „solidian Grid Q95/ 95-CCE-38“ wurden von der solidian GmbH aus Albstadt geliefert. Für den Überbau wurde ein Beton der Festigkeitsklasse C50/ 60 nach DIN 1045-2 [4] und DIN EN 206 [5] verwendet. Die Herstellung der Kappen erfolgte mithilfe eines Luftporenbetons der Festigkeitsklasse C30/ 37. 3. Planung und Durchführung der Bauteilversuche für die ZiE/ vBG In Deutschland gelten im Brücken- und Ingenieurbau der Bundesfernstraßen die Regelwerke des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV). So sind im Bereich des Entwurfs bzw. der Planung u. a. die RE-ING (Richtlinien für den Entwurf, die konstruktive Ausbildung und Ausstattung von Ingenieurbauten) oder RAB-ING (Richtlinien für das Aufstellen von Bauwerksentwürfen für Ingenieurbauten) zu berücksichtigen. Im Bereich der Bauausführung sind u. a. die Regeln der ZTV-ING (Zusätzlich Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten) zu beachten. Auch im Bereich der Erhaltung von Brücken-/ Ingenieurbauwerken gibt es Regelwerke, eine vollständige Auflistung aller Regelwerke ist unter www.bast.de zu finden. Diese Regelwerke fassen die allgemein anerkannten der Regeln 5. Brückenkolloquium - September 2022 311 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau der Technik im Brücken-/ Ingenieurbau zusammen. Der Werkstoff Carbonbeton ist hier aktuell noch nicht berücksichtigt. Aufgrund fehlender Normungen bzw. Richtlinien zum Werkstoff Carbonbeton müssen in Deutschland im Rahmen des baurechtlichen Genehmigungsprozesses entweder allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen (abZ)/ allgemeine Bauartengenehmigungen (aBG) vom DIBt (Deutsches Institut für Bautechnik) verwendet oder sogenannte Zustimmungen im Einzelfall (ZiE)/ vorhabenbezogene Bauartengenehmigungen (vBG) bei der obersten Bauaufsichtsbehörde des betreffenden Bundeslandes eingeholt werden. Die erteilte ZiE/ vBG ermöglicht dem Bauherrn baurechtlich abweichend von allgemein anerkannten Regeln der Technik ein konkretes Bauwerk planen und umsetzen zu können. Da sich die Brücke auf der Staatsstraße 111 befindet, war das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) für die Erteilung der ZiE zuständig. Aufgrund langjähriger Erfahrungen im Bereich der Genehmigungen zum Carbon-/ Textilbeton in Sachsen, band das SMWA die Landesstelle für Bautechnik im gutachterlichen Bewertungsprozess mit ein. Wie bereits genannt, begann sowohl die Fach- und Objektplanung als auch die Planung der ZiE/ vBG der ersten Straßenbrücke aus Carbonbeton im Jahr 2018. Als Bauherrenvertreter für das Pilotprojekt bzw. als Antragsteller für die baurechtlichen Genehmigungen fungierte die LISt Gesellschaft für Verkehrswesen und ingenieurtechnische Dienstleistungen mbH. Als Gutachter wurde die CARBOCON GMBH sowie das Institut für Massivbau der Technischen Universität Dresden beauftragt. Nachdem zunächst die Randbedingungen und Anforderungen (u. a. Expositionsklasse, Beanspruchungen, Baumaterialien) an die erste Straßenbrücke aus Carbonbeton von den Beteiligten definiert wurde, konnte eine Vorhabenbeschreibung zur ZiE/ vBG erstellt sowie ein Versuchskonzept erarbeitet werden. Hierbei wurden von Anfang an die später notwendigen Behörden für die baurechtlichen Genehmigungen mit eingebunden, damit es zu keinen zeitlichen Verzögerungen kommt. Durch eine Literaturrecherche sowie durch die Verwendung von Ergebnissen des C³-Vorhabens „Carbon Concrete Composite“ [3] konnte das Versuchsprogramm auf ein Minimum beschränkt werden. Da die spätere Ortbeton-Ausführung mit einem konventionellen Normalbeton der Druckfestigkeitsklasse C50/ 60 nach DIN 1045-2 [4] und DIN EN 206 [5] erfolgen sollte, mussten im Rahmen der Versuche „nur“ die Kennwerte der Carbonbewehrung selber und im Verbund mit dem Beton unter Einbeziehung der äußeren Randbedingung ermittelt werden. Folgende Kleinbauteilversuche an den Materialien (Carbonstab und Carbongitter (Gitter in Kett- und Schussrichtung)) wurden durchgeführt bzw. aus dem C³ [3] verwendet: - Zugtragverhalten Carbonstab bei 20 °C/ 80 °C - Zugtragverhalten Carbongitter im Beton bei 20 °C/ 80 °C - Verbundverhalten Carbonstab im Beton bei 20 °C/ 80 °C - Verbundverhalten Carbongitter im Beton bei 20 °C/ 80 °C - Dauerstand-Zugverhalten Carbonstab im Beton - Dauerstand-Zugverhalten Carbongitter im Beton - Dauerstand-Verbundverhalten Carbonstab im Beton - Dauerstand-Verbundverhalten Carbongitter im Beton - Zyklisches Zugverhalten Carbonstab - Zyklisches Zugverhalten Carbongitter im Beton - Beständigkeit Carbonstab/ -gitter u. a. gegen Frost- Tausalz-Beanspruchung Zur Übertragbarkeit bzw. Bestätigung der Materialkennwerte auf Frostbeständigkeit wurden ausgewählte Versuche bei -18°C durchgeführt. Abbildung 2: links: Zugverhalten Carbongitter bei 80 °C; rechts: Zugverhalten Carbonstab bei 80 °C (Foto: CARBOCON GMBH) Diese Kleinbauteilversuche (siehe Abbildung 2) wurden 2018/ 2019 durchgeführt und bestätigten die ersten Annahmen (u. a. Festigkeiten, Abminderungsfaktoren) im Projekt. Aufbauend auf den Ergebnissen und Erkenntnissen der Kleinbauteilversuche, den Vorgaben der Fach-/ Objektplanung sowie den Randbedingungen des beteiligten Prüflabors (Otto-Mohr-Laboratorium der TU Dresden) wurden vier Großbauteilversuche hinsichtlich nachzuweisender Beanspruchung und Versagensart geplant, im Fertigteilwerk bei Hentschke Bau in Bautzen hergestellt und anschließend statisch und zyklisch geprüft. Hierbei mussten vorab die Laborkapazitäten hinsichtlich der Abmessungen des Prüfstandes für die Bauteile (Länge/ - Breite/ -Höhe = 7,2 m/ 1,0 m/ 0,5 m), der Hallen-/ Kranlogistik (Bauteilgewicht = 8,64 to), statische (kalkuliertes Biege-/ Querkraftversagen = 1.400 kN/ 700 kN) und zyklische Prüflastkapazität (2,0 Mio. Lastwechsel) rechtzeitig berücksichtigt und im Prozess koordiniert werden. Die in Abbildung 3 gezeigt Prüfmaschine kann bis zu 10 MN auf Druck bei maximalen Prüfkörperabmessungen bis B × L × H = 2,5 × 15,0 × 3,7 m prüfen. 312 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau Die Großbauteilversuche wurden an einem „1m-Streifen“ des Überbaus durchgeführt. Folgende Großbauteilversuche erfolgten: - Mittelträger MT1 - statisch - Mittelträger MT2 - zyklisch über 2,0 Mio. Lastwechsel - Mittelträger MT3 - zyklisch über 2,0 Mio. Lastwechsel - Randträger RT (reduzierte Querschnitt im Bereich Übergang zur Brückenkappe) - statisch Abbildung 3: statische Bauteilprüfung (Foto: CARBO- CON GMBH) Die Lasteinleitung erfolgte über zwei Querträger (1,2 m Abstand) entsprechend dem Belastungsmodell des Lastmodells LM1 [6]. Für die zyklischen Nachweise wurde das maßgebende Bemessungslastniveau des Ermüdungslastmodells 3 (LM3) [6] verwendet und an zwei Bauteilen experimentell nachgewiesen. Das nachzuweisende Lastniveau sieht eine Unterbzw. Oberlast von 75,0 kN bzw. 181,9 kN am Querschnitt vor. Auf der sicheren Seite liegend wurden dabei die Lastniveaus nochmal um den Faktor 1,3 (MT3) bzw. 1,4 (MT2) erhöht. Die Bauteile wurden über eine Lastwechselzahl von 2,0 Mio. experimentell beansprucht, anschließend wurden Resttragfestigkeiten ermittelt, siehe nachfolgendes Diagramm. Diagramm 1: Last-Verformungsdiagramm der Großbauteilversuche (Grafik: CARBOCON GMBH) Wie im Diagramm 1 zu erkennen ist, versagten alle Bauteile oberhalb der nachzuweisenden Beanspruchung bzw. Referenzlast. Der erste Träger MT1 wurde dabei bis zum Bruch (888,6 kN) belastet (siehe Abbildung 4). Wie rechnerisch vorab kalkuliert, versagte das Bauteil infolge Schub. Die anderen drei Bauteilversuche wurden mit Öffnen des Schubrisses abgebrochen, damit die bei Bauteilversagen freiwerdende Bruchlast die Labortechnik nicht beschädigt. Die statischen Versagenslasten (Lastniveau beim Abbruch) lagen für den Träger RT bei 756,9 kN, für den Träger MT2 bei 798,1 kN und für den Träger MT3 bei 782,1 kN. Abbildung 4: Schubversagen des statisch geprüften Mittelträgers (Foto: CARBOCON GMBH) Auf Grundlage des Gutachtens sowie eines weiteren Ergänzungsgutachtens konnten die Landestelle für Bautechnik sowie das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) die ZiE/ vBG zur Umsetzung des Pilotprojektes im Herbst 2020 erteilen. 4. Ausführung der Baumaßnahme Nach dem Abschluss der Planungen erfolgte der Beginn der Baumaßnahme im Frühjahr des Jahres 2021. Im Anschluss an die Fertigstellung der Unterbauten und des Traggerüstes konnte im Oktober 2021 der Einbau der unteren Carbonbewehrungslagen erfolgen, siehe Abbildung 5. Abbildung 5: Einbau der unteren Carbonbewehrungslagen (Foto: cbing) Abbildung 6 und Abbildung 7 zeigen den nahezu vollständig hergestellten Carbon-Bewehrungskorb des Überbaus sowie die Betonage des Überbaus mit einem Transportbeton. Auch hier wurde bereits im Vorfeld der Baumaßnahme die Betoniertechnologie im Rahmen der Bauteilversuche untersucht und optimiert. 5. Brückenkolloquium - September 2022 313 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau Abbildung 6: Carbon-Bewehrungskorb des Überbaus (Foto: cbing) Abbildung 7: Betonage des Überbaus (Foto: CARBO- CON GMBH) Nach der Herstellung der Carbonbetonkappen erfolgten anschließend die erforderlichen Restarbeiten zur Abdichtung und Einschüttung des Bauwerks, dem vollständigen Einbau des Bachbetts, der Herstellung des Fahrbahnaufbaus sowie der Geländer und Schutzeinrichtungen. Abbildung 8 zeigt die Seitenansicht des fertiggestellten Bauwerks. Abbildung 8: Betonage des Überbaus (Foto: cbing) 5. Probebelastung im Rahmen der ZiE/ vBG Abschließend wurde zur Bestätigung der Ergebnisse der Statik sowie den Erkenntnissen und Vorgaben des Gutachtens eine Probebelastung mit Monitoring der fertiggestellten Brücke aus Carbonbeton durchgeführt. Diese vorzeitige Belastung (Abbildung 9) erfolgte vor Brückenfreigabe und war ebenso eine Forderung der ZiE/ vBG und diente der Kontrolle der Verformungen, Rissbreiten und Dehnungen zwischen Bemessung und realer Bauteilbeanspruchung. Aufgrund ausreichender Sicherheiten im Rahmen der Brückenbemessung und des Gutachtens zu den Materialkennwerten, wäre eine Probebelastung nicht zwingend erforderlich gewesen. Abbildung 9: Probebelastung (Foto: SENSICAL GmbH) Zur Messung der Dehnung im Stab wurden Messfasern - sogenannte „Fiber-In-Metal-Tubes“ (FIMT) - verwendet und über die komplette Länge der Carbonstäbe geklebt (siehe Abbildung 10). Mit den Fasern kann eine kontinuierliche Messung der Dehnungen entlang der Faserlänge mit einer Auflösung im Zehntel-Millimeter-Bereich erzielt und somit sowohl die Dehnung der Bewehrung im Riss als auch im ungerissenen Bereich ermittelt werden. Nach dem Einbau der Messfasern an den Carbonstäben erfolgte eine Initialmessung, um den Dehnungsnullzustand der Messfasern zu bestimmen. Zur Ermittlung der Dehnung innerhalb des Betons wurden ebenfalls FIMT- Glasfasern verwendet. Diese Fasern wurde jedoch direkt innerhalb des Brückenquerschnittes angeordnet und einbetoniert. Abbildung 10: Aufbau Messbereich in der Biegezugzone (Schwarzes Kabel: Punktuelle Temperaturmessung, rotes Kabel: Temperaturmessfaser Beton, grüne Linie: Dehnungsmessfaser Carbonstab, blaues Kabel: Dehnungsmessfaser Beton; Foto: CARBOCON GMBH) Des Weiteren wurden zum Bestimmen des Einflusses der Bauwerkstemperatur auf die Dehnungswerte der Messfasern zusätzlich Temperaturmessfasern in den Überbauquerschnitt eingebaut. Bei diesen Fasern handelt es sich 314 5. Brückenkolloquium - September 2022 Erste Straßenbrücke aus Carbonbeton - Erfahrungen und Erkenntnisse aus Planung und Bau um dehnungsentkoppelte Fasern, die lediglich die aus der Temperaturveränderung auftretende Dehnung aufnehmen. Zur Messung der absoluten Temperatur wurden ebenso punktuelle Temperatursensoren in den Brückenüberbau verbaut. Die Belastungsversuche wurden durch den Tragwerksplaner vorgegeben. Vorgesehen wurden dabei sowohl statische als auch dynamische Belastungsarten. Bei einer statischen Belastung wurden die in Abbildung 9 gezeigten Belastungsfahrzeuge in Schrittgeschwindigkeit auf den Brückenüberbau entsprechend gewünschter Laststellung angeordnet und 60 Sek. in Position stehen gelassen. Bei den dynamischen Messungen fuhren die Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von 20 km/ h in unterschiedlichen Beanspruchungssituationen über die Brücke. In Summe erfolgten dabei 18 Belastungsversuche (9 statische und 9 dynamisch) inklusive Monitoring. Aufgrund statischer Reserven (u. a. Einspannwirkung durch das Betongelenk) sind die gemessenen Dehnungen bzw. die sich daraus ableitenden Spannungen an der Ober- und Unterseite des Überbaus geringer ausgefallen als ursprünglich im Rahmen der Statik berechnet. Die gemessenen Betonstauchungen (-0,053 ‰) lagen dabei bei 63 % der rechnerischen Stauchungen (-0,084 ‰) an der Oberseite und die experimentell aufgenommen Dehnungen (0,12 ‰) bei 27 % im Vergleich zum Bemessungsmodell (0,444 ‰). Die Dehnungen wurden dabei in Feldmitte in Brückenlängsrichtung aufgenommen. Die an der Ober-/ Unterseite gemessenen vertikalen Verformungen (Durchbiegungen) in Feldmitte lagen bei 0,67 mm / 0,53 mm und damit bei 28 % / 27 % der numerisch berechneten Durchbiegungen mit 2,41 mm / 1,97 mm. 6. Fazit Das Pilotprojekt „Straßenbrücke aus Carbonbeton“ wurde im Sommer 2018 mit Planung und gutachterlicher Begleitung begonnen, 2020 planerisch fertiggestellt und im Jahr 2021 ausgeführt und für den öffentlichen Verkehr freigegeben. Begleitend zur Planung erfolgte die Koordinierung und Einholung einer baurechtlich notwendigen ZiE/ vBG. Trotz des Pilotprojekt-Charakters konnten alle Beteiligten im Projekt durch fachliches Mitwirken und einen interdisziplinären Austausch den vom Bauherrn vorgegeben Zeitplan einhalten und somit eine erfolgreiche Umsetzung der ersten Straßenbrücke aus Carbonbeton ermöglichen. Trotz fehlender Normung können innovative und nachhaltige Projekte im Bauwesen durch eine ZiE/ vBG unter gemeinsames Mitwirken aller erfolgreich umgesetzt werden. Abschließend möchten sich die Autoren bei allen Projektbeteiligten für die sehr gute Zusammenarbeit und den fachlichen Austausch bedanken. Besonderer Dank gilt an dieser Stelle dem Freistaat Sachsen für die Umsetzung eines solchen Pilotprojektes. Literatur [1] Naumann, J.: Brückenertüchtigung jetzt - Ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Mobilität auf Bundesfernstraßen. In: DBV - Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E. V. (Hrsg.), DBV-Heft 22, Berlin, 201 [2] Riegelmann, P.; May, S.; Schumann, A.: Das Potential von Carbonbeton für den Brückenbestand - das ist heute schon möglich! In: 30. Dresdner Brückenbausymposium - Ergänzungsband 2021; Planung, Bauausführung, Instandsetzung und Ertüchtigung von Brücken; 8./ 9. August 2021, Dresden. [3] Homepage des Projekts C³ - Carbon Concrete Composite: https: / / www.bauen-neu-denken.de/ . Zugriff am: 17.06.2022 [4] DIN 1045-2 (2008-08): Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 2: Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität - Anwendungsregeln zu DIN EN 206-1. [5] DIN EN 206-1 (2001-07): Beton - Teil 1: Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität; Deutsche Fassung EN 206-1: 2000/ A1: 2004. [6] DIN EN 1991-2 (2010-12) Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 2: Verkehrslasten auf Brücken; Deutsche Fassung EN 1991-2: 2003 + AC: 2010. Normen und Regelwerke 5. Brückenkolloquium - September 2022 317 Auswirkungen der geänderten Nachweisverfahren in prEN 1992-1-1: 2021 für die Begrenzung der Rissbreiten bei Stahlbeton-, Spannbeton- und Verbundbrücken Eva Stakalies M. Sc. TU Dortmund, Dortmund, Deutschland Univ. Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer TU Dortmund, Dortmund, Deutschland Dipl.-Ing. (FH) Fabian Kischkewitz M. Eng. Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal, Deutschland Univ. Prof. Dr.-Ing. Bernd Naujoks Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal, Deutschland Zusammenfassung Die Überarbeitung der 2010 für Bauwerke (bzw. 2012 für Brückenbauwerke) in Deutschland bauaufsichtlich eingeführten Regelwerke - der Eurocodes - gemäß Mandat M/ 515 der Europäischen Kommission [1] findet aktuell in den einzelnen Gremien (Working Groups) des CEN statt. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens wurden daher die Auswirkungen der Fortschreibung des Eurocodes 2 [2] auf die Bemessung und Konstruktion von Brückenbauwerken aus Spannbeton, Stahlbeton und Stahl-Beton-Verbund untersucht und bewertet. Dabei werden die drei Schwerpunktthemen „Querkrafttragfähigkeit“, „Begrenzung der Rissbreite bei Betonbrücken“ und „Begrenzung der Rissbreite bei Verbundbrücken“ bearbeitet. Nachfolgend werden die Themen „Begrenzung der Rissbreiten bei Betonbrücken“ und „Begrenzung der Rissbreite bei Verbundbrücken“ behandelt. Hierfür wurden zunächst die theoretischen Hintergründe der aktuell gültigen Konzepte mit den fortgeschriebenen Konzepten des Eurocodes 2 verglichen und die abweichenden Grundlagen dargestellt. Darauf auf bauend wurden umfangreiche Vergleichsrechnungen zu den einzelnen konkreten Nachweisformaten durchgeführt und deren Ergebnisse ausgewertet. Abschließend wurden Handlungsempfehlungen für die aktuelle Normenarbeit in den entsprechenden Gremien erarbeitet. 1. Einleitung Ein wichtiges Kriterium zur Erfüllung der Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit einer Spannbeton-, Stahlbeton- oder Verbundkonstruktion sind die Rissbreiten im Beton. Diese gilt es auf unschädliche Grenzwerte zu begrenzen. Dabei kommt geeigneten Nachweisverfahren eine entscheidende Bedeutung zu, im Hinblick auf eine sichere und zugleich wirtschaftliche Bemessung. Der Fragestellung zur Ermittlung einer wirtschaftlichen Mindestbewehrung zur Rissbreitenbeschränkung kommt nicht zuletzt hinsichtlich des Aspekts einer ressourcenschonenden Nutzung der zur Verfügung stehenden Materialien eine hohe Bedeutung zu. Der vorliegende Bericht vergleicht die Ansätze zur Begrenzung der Rissbreite gemäß DIN EN 1992-2 [1] und DIN EN 1992-2/ NA [2] sowie DIN EN 1994-2 [3] und DIN EN 1994-2/ NA [4] mit den Ansätzen aus dem Entwurf prEN 1992-1-1: 10-2021 [5] im Hinblick auf die Auswirkungen für die erforderliche Bewehrungsmenge zur Rissbreitenbeschränkung bei typischen Querschnitten von Brückenüberbauten sowie bei Widerlagerwänden. Ziel der Vergleichsbetrachtung soll sein, eine qualitative Aussage zu den Auswirkungen der neuen Ansätze im Vergleich zu den aktuellen Ansätzen besonders auf die Menge der erforderlichen Mindestbewehrung bei Brückenüberbauten und Widerlagerwänden zu machen sowie diese zu quantifizieren. 2. Regelungen gemäß prEN 1992-1-1 [10-2021) [5] Auf eine genaue Herleitung der Formeln in Abschnitt 9.2 der Norm wird an dieser Stelle verzichtet und stattdessen auf den Abschlussbericht des Forschungsberichtes [6] verwiesen. Um einige der gezogenen Schlussfolgerungen besser nachvollziehen zu können, werden an dieser Stelle die maßgebenden Formeln aufgeführt. Die Formelnummerierung entspricht der aktuellen Fassung in [5]. Die einzelnen neuen Faktoren werden hier der Übersichthalber nicht erläutert. Siehe hierzu die Norm [5] sowie den Abschlussbericht [6]. 2.1 Mindestbewehrung zur Begrenzung der Rissbreiten Abweichend vom bisherigen Konzept wird die Mindestbewehrung nun über drei Formeln in Abhängigkeit des Beanspruchungszustandes ermittelt. 318 5. Brückenkolloquium - September 2022 Auswirkungen der geänderten Nachweisverfahren in prEN 1992-1-1: 2021 für die Begrenzung der Rissbreiten Abb. 1: Formeln aus prEN 1992-1-1 [5] 2.2 Vereinfachte Begrenzung der Rissbreiten Abweichend vom bisherigen Konzept wird die zulässige Spannung in Abhängigkeit des Stabdurchmessers bzw. des Stababstandes nicht mehr über Tabellen abgegriffen, sondern über Formeln direkt berechnet. Abb. 2: Formeln aus prEN 1992-1-1 [5] 5. Brückenkolloquium - September 2022 319 Auswirkungen der geänderten Nachweisverfahren in prEN 1992-1-1: 2021 für die Begrenzung der Rissbreiten 2.3 Direkte Berechnung der Rissbreiten Abweichend vom bisherigen Konzept wird nicht mehr eine maximale Rissbreite in Höhe der Bewehrungslage berechnet, sondern eine rechnerische Oberflächenrissbreite. Abb. 3: Formeln aus prEN 1992-1-1 [5] 3. Untersuchungen zu Betonbrücken 3.1 Berechnung der Rissbreite Die direkte Berechnung der Rissbreite basiert in allen drei Normen bzw. dem Normentwurf prEN 1992-1-1: 10-2021 auf der Multiplikation des rechnerischen Rissabstandes mit dem mittleren Dehnungsunterschied (ε sm - ε cm ) zwischen der Stahlbewehrung und dem umgebenden Beton. Die wesentlichen Unterschiede der Rissformeln sind: - Keine Unterscheidung zwischen den Zuständen der Einzelrissbildung und dem abgeschlossenem Rissbild in prEN 1992-1-1: 10-2021 - Berücksichtigung einer verbundfreien Länge in prEN 1992-1-1: 10-2021 bei der Berechnung des Rissabstandes - In bestimmten Fällen Berücksichtigung einer Schwinddehnung in prEN 1992-1-1: 10-2021 bei der Ermittlung des mittleren Dehnungsunterschieds - Unterscheidung zwischen reinem Zug und reiner Biegung sowie der Verbundbedingungen in prEN 1992-1- 1: 10-2021 bei der Ermittlung des Rissabstandes durch Einführung zusätzlicher Beiwerte (k 1/ r , k fl , k b ) Aufgrund der unterschiedlichen Rissformeln werden bei sonst gleichen Parametern nach prEN 1992-1-1: 10-2021 i.d.R. größere Rissbreiten ermittelt als gemäß DIN EN 1992-2/ NA, woraus deutlich größere Bewehrungsquerschnitte resultieren, wenn der Nachweis bei der Bemessung maßgebend wird. 3.2 Mindestbewehrung für die Begrenzung der Rissbreite Die Ansätze zur Ermittlung der Mindestbewehrung gemäß DIN EN 1992-2/ NA und prEN 1992- 1- 1: 10- 2021 unterscheiden sich von den Gleichungen her sehr deutlich. Es folgt eine stichpunktartige Auflistung der wesentlichen Unterschiede. - Es fehlt die Theorie und die Rissformel für die Einzelrissbildung - Es bestehen deutliche Unterschiede bei der Ermittlung der effektiven Betonzugfläche. A c,eff = h c,eff . b Dadurch wird die Mindestbewehrung zur Begrenzung der Rissbrieten in dicken Stahlbetonbauteilen unterschätzt. - Unmittelbare Unterteilung der Mindestbewehrungsermittlung nach Beanspruchungsart (Biegung, Normalkraft, kombinierte Beanspruchung) und Unterteilung der Bewehrung nach stärker und schwächer gezogenem Rand in prEN 1992-1-1: 10-2021 - In Abhängigkeit vom angesetzten Faktor k w signifikante Unterschiede bei der zulässigen Stahlspannung s s,lim gegenüber s s . - Für eine Kombination aus Biegung und Normalkraft deutlich voneinander abweichende Ergebnisse. Für Stege vorgespannter Brückenüberbauquerschnitte ab einer bestimmten Vorspannkraft ist gemäß prEN 1992- 1-1: 10-2021 keine bzw. lediglich eine sehr geringe Mindestbewehrung erforderlich. Für den Zuggurt wird dagegen im Vergleich zu DIN EN 1992-2/ NA, bei Annahme der gleichen zulässigen Stahlspannung, eine deutlich erhöhte Mindestbewehrung ermittelt. 3.3 Begrenzung der Rissbreite ohne direkte Berechnung Die vereinfachte Begrenzung der Rissbreite durch die Begrenzung des Stabdurchmessers oder der Stababstände unterscheidet sich für die Nachweisverfahren hinsichtlich der Vorgehensweise. Während in DIN EN 1992-2 und DIN EN 1992-2/ NA der Grenzdurchmesser der Bewehrung bzw. der maximale Stababstand aus Tabellen in Abhängigkeit der Stahlspannung und der zulässigen Rissbreite abgelesen werden kann, werden in prEN 1992-1-1: 10-2021 zwei Gleichungen zur unmittelbaren Ermittlung der jeweiligen Werte angegeben. Eine Vergleichsbetrachtung war an dieser Stelle lediglich für die Ermittlung des Grenzdurchmessers sinnvoll. Die Untersuchung hat ergeben, dass die teilweise deutlichen Abweichungen zwischen den Formaten stark vom Bewehrungsgrad abhängen. 3.4 Vergleichsrechnungen an üblichen Brückenquerschnitten und Widerlagerwänden In Längsrichtung ist bei Spannbetonbrücken i.d.R. die Mindestbewehrung auf Grundlage der Rissschnittgrößen maßgebend. In Querrichtung wurden Fahrbahnplatten ohne Vorspannung untersucht. Hier erfolgte eine Vergleichsbetrachtung der rechnerischen Rissbreite gemäß DIN EN 1992-2/ NA und prEN 1992-1-1: 10--2021 für die häufige Einwirkungskombination. In Bestätigung der vorausgegangenen Untersuchungen wurde gemäß dem Entwurf des EC2 für die betrachteten Nachweisschnitte jeweils eine um absolut ca. 0,1 mm größere Rissbreite bei einem Zielwert von 0,2 mm ermittelt. Schließlich erfolgten Vergleichsrechnungen für typische Abmessungen von Widerlagerwänden unter frühem Zwang (zentrischer Zug). Nach dem Entwurf prEN 1992- 1-1: 10-2021 ergeben sich im Vergleich zu DIN EN 1992- 2/ NA besonders bei dicken Widerlagerwänden deutlich kleinere Mindestbewehrungsmengen, was vor allem an 320 5. Brückenkolloquium - September 2022 Auswirkungen der geänderten Nachweisverfahren in prEN 1992-1-1: 2021 für die Begrenzung der Rissbreiten der neuen Definition für die effektive Betonzugfläche A c,eff liegt. 3.5 Zusammenfassende Wertung Die derzeit verwendeten Konzepte in DIN EN 1992-2/ NA zur Begrenzung der Rissbreiten und die Ermittlung der Mindestbewehrung haben sich seit den 1990er Jahren bewährt. Sie beruhen auf mechanisch anschaulichen Modellen für die Einzelrissbildung und das abgeschlossene Rissbild. Dagegen ist im Entwurf prEN 1992-1-1: 10-2021 die Einzelrissbildung nicht berücksichtigt. Neben Schwächen in den theoretischen Grundlagen [7] werden die Anforderungen an das Kriterium „ease of use“ nicht erfüllt. Die Bemessungsergebnisse sind im Vergleich zum derzeitigen Konzept in DIN EN 1992-2/ NA teilweise unwirtschaftlich und teilweise unsicher. Es wird daher keine Veranlassung gesehen, das Konzept der DIN EN 1992-2/ NA gegen das neue Konzept in prEN 1992-1-1: 10-2021 auszutauschen. Letzteres ist in der vorliegenden Form für die Anwendung bei Betonbrücken ungeeignet. Es wird empfohlen den Abschnitt 9.2 in prEN 1992-1-1: 10-2021 vollständig abzulehnen. 4. Untersuchungen zu Verbundbrücken Erste Voruntersuchungen haben gezeigt, dass die reine Adaption der in prEN 1992-1-1 (10-2021) [5] aufgeführten Gleichungen und Nachweise zu deutlich erhöhten Mengen bei der erforderlichen Bewehrung von Verbundbrücken führt. Es ist zudem zu erwähnen, dass schon heute der Bewehrungsgehalt von Fahrbahnplatten im Verbundbrückenbau oftmals zu Schwierigkeiten auf der Baustelle führt, vor allem was die Einbaubarkeit betrifft. Die erforderlichen Verbundmittel (Kopf bolzendübel) verschärfen die Thematik weiter. Schadensfälle bezüglich erhöhter Rissbildung sind jedoch nicht bekannt, vielmehr zeigt sich in jüngsten Monitoring-Untersuchungen, dass sich Verbundbrücken auch nach einiger Nutzungsdauer noch im ungerissenen Zustand I befinden können. Daher sollte eine rein rechnerisch begründete Erhöhung des Bewehrungsgehaltes unter allen Umständen vermieden werden. Die für den reinen Stahlbzw. Spannbetonbau hergeleiteten Formeln sind nicht ohne weiteres auf die im Verbundbau spezifischen Randbedingungen adaptierbar. Um ein genaues Bild über Größe und Art der Abweichungen zu bekommen, sind systematische Vergleichsrechnungen, mit einer entsprechenden Variation der maßgebenden Parameter durchgeführt worden. Es lassen sich die folgenden Schlussfolgerungen ziehen: 4.1 Ermittlung der Mindestbewehrung Die in prEN 1992-1-1 (10-2021) angegebenen Formeln zur Berechnung der erforderlichen Mindestbewehrung können nicht (ohne massive Anpassungen) auf den Verbundbau angewendet werden. Die maßgebenden Gründe hierfür sind: - Die verbundbauspezifischen Randbedingungen (Nachgiebigkeit der Verbindungsmittel, Umlagerung der Schnittgrößen auf den vorhandenen Stahlträger bei Erstrissbildung, abweichende Zugspannungsverteilung über den Betongurt aufgrund abweichender geometrischer Querschnittsgestaltung) sind in den Ansätzen nicht berücksichtigt. - Das Konzept ist deutlich abweichend vom bisherigen mechanisch recht einfachen Ansatz der DIN EN 1994- 2 [3], nachdem die Risskraft des gesamten gezogenen Betongurtes (unter Berücksichtigung der abmindernden Einflüsse) in Abhängigkeit der zulässigen Rissbreite über die Bewehrung aufgenommen wird. - Die neuen Ansätze sind komplizierter (drei Formeln statt einer) und mechanisch für den Anwender nicht mehr nachvollziehbar, was zu einer deutlich höheren Fehleranfälligkeit führt. - Die Ansätze selbst sind u. A. in folgenden Belangen noch fraglich: - enorme Abhängigkeit von N Ed , ohne Erläuterung für Schwindbehinderung - mangelnde Abhängigkeit der Formeln für kombinierte Beanspruchung von der Plattendicke h C - Höhe des Wirksamkeitsbereiches der Bewehrung h c,eff unabhängig von der Bauteildicke - unterschiedliche Sensitivität der EC 2 Formeln gegenüber der Betondeckung - mangelnde Nachvollziehbarkeit pauschaler Vorfaktoren (z. B. 0,3 vor N Ed ) bei kombinierter Beanspruchung (Moment + Normalkraft) - Inkonsistente (und daher nicht nachvollziehbare) Abhängigkeit von der Zugfestigkeit f ct,eff - alleinige Berücksichtigung der abmindernden Einflüsse auf der „rechten Seite“ bei den Grenzbedingungen. - Die Ansätze wurden für reine Stahlbetonbauteile hergeleitet. Diese Ansätze passen nicht in allen Einzelheiten zu den vorherrschenden Bedingungen im Verbundbau (z. B.: Ansatz gleicher Dehnungen der beiden Bewehrungslagen im Betongurt oder Berücksichtigung ideeller Querschnittswerte bei den Umrechnungen). - Aufgrund der Berücksichtigung des Beanspruchungszustandes bei der Ermittlung der Mindestbewehrung resultiert auch hier schon eine aufwändige iterative Berechnung. - Abkehr vom Konzept einer rechnerischen Maximalrissbreite zu einer mittleren Rissbreite. Dies wird pauschal über einen Beiwert k W (Vorschlag k W = 1,7) bei der zulässigen Stahlspannung gesteuert. Für diesen Faktor gibt es bei Verbundbrückenbauwerken keine Datenbasis. Eine pauschale Festlegung kann nicht getroffen werden. Eine blinde Adaption des für Stahlbetonbauwerke festgelegten Wertes, wäre nicht zielführend. - Die Ausarbeitung des bisherigen Dokuments ist noch verbesserungswürdig. Zum Beispiel werden für unterschiedliche Werte gleiche Bezeichnungen in einer Formel verwendet (z. B. s s,lim bei Formel zur Mindestbewehrung auf „rechter“ und „linker“ Seite). 5. Brückenkolloquium - September 2022 321 Auswirkungen der geänderten Nachweisverfahren in prEN 1992-1-1: 2021 für die Begrenzung der Rissbreiten 4.2 Vereinfachte Begrenzung der Rissbreite bei direkter Einwirkung Die in prEN 1992-1-1 (10-2021) angegebenen Formeln zur vereinfachten Begrenzung der Rissbreite können nicht (ohne massive Anpassungen) auf den Verbundbau angewendet werden. Die maßgebenden Gründe hierfür sind: - Die errechneten Werte sowohl für die Begrenzung der Stabdurchmesser als auch für die Begrenzung der Stababstände liegen so deutlich unter den bisherigen Werten, dass eine Bemessung im deutschen Brückenbau mit diesen Ansätzen baupraktisch und wirtschaftlich nicht möglich ist. - Die verbundbauspezifischen Randbedingungen (Nachgiebigkeit der Verbindungsmittel, Umlagerung der Schnittgrößen auf den vorhandenen Stahlträger bei Erstrissbildung, abweichende Zugspannungsverteilung über den Betongurt aufgrund abweichender geometrischer Querschnittsgestaltung) sind in den Ansätzen nicht berücksichtigt. - Die neuen Ansätze sind komplizierter und mechanisch (aufgrund der vielen eingeführten Beiwerte) für den Anwender nicht mehr nachvollziehbar, was zu einer deutlich höheren Fehleranfälligkeit führt. - Abkehr vom Konzept einer rechnerischen Maximalrissbreite zu einer mittleren Rissbreite. Dies wird pauschal über einen Beiwert k W (Vorschlag k W = 1,7) bei der zulässigen Stahlspannung gesteuert. Für diesen Faktor gibt es bei Verbundbrückenbauwerken keine Datenbasis. Eine pauschale Festlegung kann nicht getroffen werden. Eine blinde Adaption des für Stahlbetonbauwerke festgelegten Wertes, wäre nicht zielführend. - Der vereinfachend berücksichtigte Einfluss der Spannungsverteilung über den Querschnitt mittels k fl ist zu grob. Die Auswirkung im Grenzbereich zwischen „gerade keine Druckzone“ und „geringer Druckzone“ sind mechanisch nicht sinnvoll. 4.3 Bewertung hinsichtlich Zielsetzung Mandat M/ 515 der Europäischen Kommission ,ease-of-use‘ Die Anwenderfreundlichkeit wurde mit der Fortschreibung der Ansätze zur Begrenzung der Rissbreite in keiner Weise gesteigert. Die Formelapparate sind deutlich mehr und komplexer geworden. Der Anteil an Beiwerten zur Berücksichtigung stahlbetonspezifischer Randbedingungen hat zugenommen. Empirisch ermittelte Faktoren haben zugenommen. Für den Anwender verlieren die Ansätze dadurch an mechanischer Nachvollziehbarkeit. Zusätzlich wird durch eine undurchsichtige Nomenklatur die Fehleranfälligkeit gesteigert. Reduktion national festgelegter Parameter Grundsätzlich hat sich die Erfordernis National festzulegender Parameter alleine aufgrund der Mehrung von Beiwerten und Formeln erhöht. Auf Grundlage der vergleichenden Untersuchungen wird dieses Thema jedoch noch einmal verschärft, da eine Adaption der Formeln für die deutsche Brückenbaupraxis nur über massive Anpassungen möglich wäre. Es scheint jedoch nicht zielführend dies über Parameter zu tun, da die Ansätze so grundlegend verschieden sind. Vielmehr muss eine komplette Alternativ-Berechnung ermöglicht werden. Dies mindert neben der Anwenderfreundlichkeit auch das Vertrauen des Anwenders in die Normung. Harmonisierung der Eurocodes Dieses Ziel wurde sicherlich verfehlt. Die speziell für den Stahlbetonbau hergeleiteten Formeln eignen sich nicht zur Implementierung in der Verbundbaupraxis. Die im Verbundbau vorherrschenden Randbedingungen sind nicht ohne massive Anpassungen mit den neuen Ansätzen abbildbar. „Reine“ Verweise zwischen den Normen sind somit nicht sinnvoll möglich. 4.4 Handlungsempfehlungen zum weiteren Vorgehen Aufgrund der Herleitung für den reinen Beton- Stahlbeton- und Spannbetonbau beinhalten die Formeln zur Begrenzung und Berechnung der Rissbreiten gemäß prEN 1992-1-1 (10-2021) die speziellen im Verbundbau vorherrschenden Randbedingungen nicht. Die Abweichungen zu den mittels aktuellem Normenkonzept ermittelten Bewehrungsmengen sind, wie vorangehend gezeigt, deutlich. Einige Ergebnisse der Auswertung nach pr EN 1992-1-1 sind nicht schlüssig. Da ebenfalls einige der Ansätze in sich noch fraglich sind [7], können die Ansätze auch nicht ohne weiteres durch Anpassungen auf eine Anwendbarkeit im Verbundbau zugeschnitten werden. Für die Ausarbeitung des Nationalen Anhangs zur überarbeiteten DIN EN 1994-2 wird daher empfohlen einen Verweis auf das entsprechende Kapitel 9.2 in prEN 1992-1-1 nicht in Erwägung zu ziehen. Des Weiteren wird empfohlen auch keine weiteren Anstrengungen zu unternehmen, die neuen Ansätze auf die im Verbundbau vorherrschenden Randbedingungen anzupassen. Vielmehr sollte das Kapitel 9.2 gänzlich abgelehnt werden. Literatur [1] CEN. Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln: EN 1992-2: 2005 + AC: 2008. Berlin: Beuth; 12-2010. [2] Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln; 04-2013. [3] CEN. Eurocode 4: Bemessung und Konstruktion von Verbundtragwerken aus Stahl und Beton - Teil 2: Allgemeine Bemessungsregeln und Anwendungsregeln für Brücken: EN 1994-2: 2005 + AC: 2008. Berlin: Beuth; 12-2010. [4] Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 4: Bemessung und Konstruktion von 322 5. Brückenkolloquium - September 2022 Auswirkungen der geänderten Nachweisverfahren in prEN 1992-1-1: 2021 für die Begrenzung der Rissbreiten Verbundtragwerken aus Stahl und Beton - Teil 2: Allgemeine Bemessungsregeln und Anwendungsregeln für Brücken; 12 2010. [5] CEN. Entwurf - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken: Teil 1-1: Allgemeine Regeln - Regeln für Hochbauten, Brücken und Ingenieurbauwerke; 10-2021. [6] BMVI. Schlussbericht zu Z30/ SeV/ 288.3/ 2119/ StB24 - Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau - Auswirkungen geänderter Nachweisverfahren für Querkrafttragfähigkeit und Rissbreitenbegrenzung; - in Veröffentlichung -. [7] Tue NV, Fehling E, Schlicke D, Krenn C. Rissbreitennachweis und Mindestbewehrung nach EC 2 - aktuelles Modell versus Vorschlag für die Revision. Beton- und Stahlbetonbau 2021; 116 [https: / / doi.org/ 10.1002/ best.202100038] 5. Brückenkolloquium - September 2022 323 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau Auswirkungen geänderter Nachweisverfahren für die Querkrafttragfähigkeit für Bauteile ohne Querkraftbewehrung Christian Dommes M. Sc. Institut für Massivbau (IMB), RWTH Aachen University Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger Institut für Massivbau (IMB), RWTH Aachen University Zusammenfassung Die Bemessung von Bauteilen ohne rechnerisch erforderliche Querkraftbewehrung erfolgt im Eurocode 2 der zweiten Generation (prEC2, Fassung vom Oktober 2021) auf Basis der Critical Shear Crack Theory unter Berücksichtigung der Schubschlankheit im Bemessungsschnitt. Zudem kann der positive Einfluss der Vorspannung mit zwei Ansätzen (Grundgleichung CSCT mit k vp und Alternative mit k 1 -·-σ cp ) berücksichtigt werden. Bei der Bemessung von Bauteilen mit rechnerisch erforderlicher Querkraftbewehrung wird weiterhin ein Fachwerkmodell mit variabler Druckstrebenneigung verwendet. Die aktuellen Ansätze der stabilen Fassung des prEC2 für Bauteile ohne Querkraftbewehrung werden durch Vergleichsberechnungen an zwei realen Brückenbeispielen ((1) Dicke vorgespannte Platte, (2) Fahrbahnplatte in Querrichtung) mit den derzeit gültigen Bemessungsregeln nach EC2-2/ NA(D) verglichen. 1. Motivation und Problemstellung Im Zuge der Fortschreibung der Eurocodes für die Bemessung und Konstruktion von Tragwerken aus Beton werden mit der stabilen Fassung des prEN 1992-1-1 (2021- 10) [1] neue bzw. veränderte Bemessungsregeln zur Sicherstellung der Querkrafttragfähigkeit im Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) vorgestellt. Die neuen Nachweisformate haben einen direkten Einfluss auf die erforderlichen Bewehrungsmengen und Querschnittsabmessungen von Brückenbauwerken in Stahl- und Spannbetonbauweise. Die Konsequenzen für die Wirtschaftlichkeit der Bauweise durch die derzeit geplanten Änderungen müssen daher detailliert untersucht werden. Zur Überprüfung der rechnerischen Tragfähigkeiten und resultierenden Bewehrungsmengen werden die für die Weiterentwicklung des Eurocode 2 vorgesehenen Nachweisformate in prEN 1992-1-1 [1] mit den derzeit gültigen Nachweisformaten gemäß DIN EN 19922/ NA(D) [2; 3] verglichen. Maßgebliche Unterschiede und Gründe für Abweichungen werden herausgearbeitet. Hierzu werden Vergleichsrechnungen und Parameterstudien an zwei Brückenquerschnitten aus der Praxis durchgeführt. Ziel ist die Identifikation von Anwendungsbereichen im Brückenbau, in denen im Vergleich zur derzeitigen Regelwerkslage stark abweichende Ergebnisse zu erwarten sind. Gründe für maßgebende Abweichungen werden herausgearbeitet und bewertet. Bei der derzeitigen Querkraftbemessung von Stahl- und Spannbetonbauteilen wird zwischen drei Nachweisen unterschieden: (1) dem Nachweis für Bauteile ohne Querkraftbewehrung sowie für Bauteile mit rechnerisch erforderlicher Querkraftbewehrung (2) dem Nachweis der Querkraftbewehrung und (3) dem Nachweis der Maximalbzw. Druckstrebentragfähigkeit. Nach aktuellem Eurocode 2 erfolgt die Bemessung für Bauteile mit Querkraftbewehrung über ein Fachwerkmodell mit variabler Druckstrebenneigung. Diese Vorgehensweise wird im Entwurf für den neuen EC2 [1] beibehalten. Unter Berücksichtigung der Tragfähigkeit der Längsbewehrung darf die minimale Neigung der Druckstreben für Stahlbeton zu cotθ-≤-2,5 und für Spannbeton zu cotθ-≤-3,0 angenommen werden. Darüber hinaus ist eine Anrechenbarkeit der geneigten Spannglieder auf die Querkrafttragfähigkeit möglich. Stärkere Änderungen ergeben sich bei der Querkraftbemessung für Bauteile ohne Querkraftbewehrung, die zukünftig mit einem Bemessungsansatz der Critical Shear Crack Theory (CSCT) erfolgt [4-7]. Wesentliche Einflussgrößen wie der Maßstabseffekt, der Einfluss von Normalkräften und die Schubschlankheit werden neu formuliert. 2. Stand der Technik 2.1 Biegeschubversagen bei Bauteilen ohne Querkraftbewehrung nach EC2/ NA(D) [2; 3] Ein Querkraftversagen tritt bei Stahlbetonbauteilen ohne Querkraftbewehrung durch die Entwicklung eines maßgebenden Schubrisses ein, der sich aus einem Biegeriss bildet. Die Bemessungsgleichung des EC2 nach Gl.-(1) basiert auf einer statistischen Regressionsanalyse von Zsutty-[8]. Zsutty benannte die Betonfestigkeit, den Längsbeweh- 324 5. Brückenkolloquium - September 2022 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau rungsgrad und die Schubschlankheit-a/ d als Haupteinflussparameter. Später wurde der Ansatz von Zsutty erweitert und in den Model-Code von 1978 und 1990 aufgenommen. Aus Gründen der einfacheren Anwendung wurde die Schubschlankheit in der darauf auf bauenden Bemessungsgleichung für den EC2 nicht berücksichtigt: (1) Der Einfluss einer Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit wird über die Betonlängsspannung auf Höhe des Schwerpunktes berücksichtigt. Die Herleitung des Einflusses erfolgte auf der sicheren Seite liegend über die Anrechnung der zur Auf hebung des Dekompressionsmomentes erforderlichen Querkraft [9]. Die untere Grenze der Querkrafttragfähigkeit ist durch den Mindestwert nach Gl.-(2) festgelegt. (2) Während in Deutschland für die Beiwerte C Rd,c -=-0,15 und k 1 -=-0,12 in Gl.-(1) reduzierte Werte zu verwenden sind, dürfen entsprechend dem Grunddokument nach EC2 mit C Rd,c -=-0,18 und k 1 -=-0,15 größere Beiwerte angenommen werden. Ebenfalls wurden im NA(D) abgeminderte Werte für v min festgelegt. 2.2 Biegeschubversagen bei Bauteilen ohne Querkraftbewehrung nach prEC2 [1] Die Bemessung für Bauteile ohne rechnerisch erforderliche Querkraftbewehrung erfolgt auf Basis der Critical Shear Crack Theory (CSCT). Grundlegend basiert die CSCT auf der Annahme, dass die Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung durch die Ausbildung eines kritischen Risses, der den Lastabtrag einer direkten Druckstrebe stört und somit ein Querkraftversagen auslöst, bestimmt wird. Nach prEC2 wird der Querkraftnachweis auf Basis von einwirkenden Schubspannungen gemäß Gl.-(3) geführt: (3) Entgegen dem aktuellen EC2/ NA(D) darf die einwirkende Bemessungsquerkraft V Ed infolge der Komponenten geneigter Druck- und Zugstreben für Querschnitte ohne Querkraftbewehrung nicht abgemindert werden. Auf einen expliziten Nachweis der Querkrafttragfähigkeit kann gemäß prEC2 verzichtet werden, sofern die einwirkende Schubspannung den Mindestwert nach Gl.-(4) nicht überschreitet. (4) mit: d dg vom Größtkorn und der Betonfestigkeit abhängiger Einflussparameter, der die Rauigkeit des Schubrisses berücksichtigt: 16+D lower - ≤- 40- mm für f ck - ≤- 60 N/ mm ² 16+D lower ·(60/ f ck ) 4- ≤-40-mm für f ck ->-60 N/ mm² (5) Gemäß [10] wird D lower - als der bei der Festlegung des Betons kleinstezulässigeWert- D dergröbstenGesteinskörnungsfraktion im Beton definiert, wobei- D die obere Siebgröße einer mit- d / D beschriebenen Gesteinskörnung ist. Sobald die einwirkende Schubspannung die Mindesttragfähigkeit übersteigt, ist ein Nachweis der Querkrafttragfähigkeit nach Gl.-(6) zu führen (Grundgleichung): (6) Im Gegensatz zum aktuellen EC2/ NA(D), bei dem der Traganteil infolge Vorspannung als additiver Term in der Bemessungsgleichung eingeht, wird der Einfluss von Kräften in Stablängsrichtung nach prEC2 durch eine effektive Schubspannweite-a cs berücksichtigt [11]. Die effektive Schubspannweite berechnet sich nach Gl.-(7). (7) In Gl. (6) darf-d durch die mechanische Schubspannweite-a v nach Gl.-(8) ersetzt werden: (8) Sofern Normalkräfte (z.-B. infolge Vorspannung) auf den Querschnitt einwirken, darf die statische Nutzhöhe-d in Gl.-(6) entweder mit dem Anpassungsbeiwert k vp nach Gl.-(9) multipliziert (Grundgleichung) oder durch die mechanische Schubspannweite-a v ersetzt (Variante B) werden. Hierbei gilt die generelle Vorzeichendefinition nach prEC2, die besagt, dass Zugkräfte ein positives Vorzeichen und Druckkräfte ein negatives Vorzeichen tragen. Die Vorspannung ist bei beiden Varianten in den Schnittgrößen M Ed , V Ed und N Ed zu berücksichtigen. (9) In [12] ist erstmals zusätzlich eine alternativer Ansatz zur Berechnung der Tragfähigkeit bei Bauteilen mit Drucknormalkräften angegeben. Diese Bemessungsgleichung basiert auf einem Ansatz aus [13], der auch die Grundlage für den additiven Term für die Vorspannung im aktuellen EC2 bildet. Der additive Term in Gl.-(10) beschreibt die Querkraft, die notwendig ist, um den Zustand der Dekompression auf Querschnittsebene zu erreichen (Alternative). (10) Im Gegensatz zum aktuellen EC2 ist der Beiwert-k 1 nicht konstant, sondern abhängig von der statischen Nutzhöhe und der Exzentrizität der einwirkenden Vorspannung. Nach [12] wird der Beiwert-k 1 gemäß Gl.-(11) ermittelt. (11) Kann der Querkraftwiderstand des Bauteils ohne Querkraftbewehrung nach Gl.-(6) nicht erbracht werden, so ist eine Querkraftbewehrung in Form von Bügeln vorzusehen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 325 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau 3. Fallbeispiele Für den Vergleich der Querkraftbemessung nach EC2/ NA(D) und prEN1992-1-1 werden zwei Fallbeispiele vorgestellt. Die rechnerischen Querkraftwiderstände werden nachfolgend detailliert ermittelt und verglichen. Zur Verallgemeinerung der Bemessungsergebnisse werden anschließend Parameterstudien auf Basis der einzelnen Fallbeispiele durchgeführt. Um den Vergleich mit dem zugrundeliegenden Fallbeispiel zu erleichtern, wird der jeweilige Wert des Fallbeispiels in jeder Parametervariation kenntlich gemacht. Es werden die Querkrafttragfähigkeiten ohne Querkraftbewehrung in Abhängigkeit ausgewählter Parameter in Relation zum Bemessungswert der Einwirkungen verglichen. Das erste Fallbeispiel ist eine schiefwinklige Stadtbrücke mit Vollplattenquerschnitt in Spannbeton-Bauweise ohne Bügelbewehrung. Die Konstruktionshöhe beträgt 1,00-m bei einer Überbaubreite von 12,20-m. An beiden Seiten sind Kappen mit einer Breite von je 2,10-m angeordnet, sodass sich eine Fahrbahnbreite von 8-m ergibt. Die Gesamtlänge von 68-m setzt sich aus drei Feldern mit den Stützweiten 21,50-m - 25,00-m - 21,50-m zusammen. An diesem Fallbeispiel werden die Einflüsse des Größtkorns, des Längsbewehrungsgrades, des Maßstabseffekts und einer Vorspannung auf die rechnerische Querkrafttragfähigkeit untersucht. Zusätzlich werden die Einflüsse aus Betonfestigkeit und Schubschlankheit bewertet. Zur Querkraftbemessung in Querrichtung wird als zweites Bemessungsbeispiel ein zweistegiger Plattenbalkenquerschnitt in Spannbetonbauweise gewählt. Die Konstruktionshöhe beträgt 1,75-m bei einer Überbaubreite von 14,50-m (inkl. Kappen). Die Querschnittshöhe des gevouteten Kragarms im Abstand-d zum Rand des Steges beträgt 0,4-m. Die Gesamtlänge der Brücke von 190-m setzt sich aus sechs Feldern mit den Stützweiten 24,50-m - 4- ×- 35,00- m - 24,50- m zusammen. Analog zu Fallbeispiel-1 wird die Fahrbahnplatte ebenfalls ohne Querkraftbewehrung ausgebildet. Neben den Einflussgrößen aus Fallbeispiel-1 wird zusätzlich der Traganteil geneigter Gurte untersucht. In den folgenden Abschnitten werden als Vergleichsmaßstab die berechneten Querkrafttragfähigkeiten gegenübergestellt. Da die Querkraftbemessung auf Querschnittsebene erfolgt, wird nicht vertieft auf die Lastermittlung eingegangen. Die maßgebenden Schnittgrößen wurden mit der Software InfoCAD berechnet und berücksichtigt die ständigen Einwirkungen (Eigengewicht-g, Ausbaulast-Δg, Stützensenkung-s), die veränderlichen Einwirkungen (Temperatur-ΔT, Wind-w, Verkehrslastmodell-1 mit UDL und TSLast, Horizontallasten aus Bremsen und Anfahren) sowie die Vorspannung und das zeitabhängigen Materialverhalten (Kriechen, Schwinden und Relaxation). 4. Analytische Tragfähigkeiten für Bauteile ohne Querkraftbewehrung Während die Nachweise im EC2/ NA(D) über eine Berechnung der maximalen Querkräfte erfolgt, wird in prEC2 die Tragfähigkeit über die Begrenzung der maximalen Schubspannungen nachgewiesen. Für den Vergleich werden die maßgebenden Schubspannungen nach prEC2 über den inneren Hebelarm- z und die Stegbreite-b w entsprechend Gl.-(3) in maßgebende Querkräfte umgerechnet. Der Einfluss der Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit kann bei Bauteilen ohne Querkraftbewehrung nach prEC2 auf zwei Arten berücksichtigt werden (Grundgleichung nach Gl.-(6) bzw. Alternative nach Gl.- (10)). Bei Anwendung der Grundgleichung gibt es zwei Varianten: Entweder wird die statische Nutzhöhe in Gl.-(6) mit dem Faktor-k vp multipliziert (Variante A) oder die statische Nutzhöhe-d wird durch das Produkt aus mechanischer Schubspannweite-a v und dem Faktor-k vp ersetzt (Variante B). Im alternativen Ansatz nach Gl.-(10) wird der Einfluss der Vorspannung durch das Produkt aus Längsvorspannung-σ cp und dem Faktor-k 1 als additiver Term berücksichtigt. In dieser Untersuchung werden die Grundgleichung (Gl.-(6)) und die Alternative (Gl.-(10)) mit den Varianten A und B gegenübergestellt. In Tab.-1 sind die verschiedenen Ansätze und Auswahlmöglichkeiten gegenübergestellt. Tab.-1: Gleichungen zur Bemessung der Querkrafttragfähigkeit ohne Querkraftbewehrung nach prEC2 Vorspannung Variante Formel zur Bestimmung von V Rd,c Grundgleichung k vp A B Alternative (k 1 ⋅ σ cp ) A B 4.1 (1) Dicke vorgespannte Platte In Abb.-1 sind die Querkrafttragfähigkeiten nach prEC2 für das Fallbeispiel-1 entsprechend Tab.-1 dargestellt. Mit Variante A ergeben sich sowohl für die Grundgleichung als auch für die Alternative jeweils geringere Tragfähigkeiten. Mit Variante B, in der die statische Nutzhöhe-d im Nenner durch die mechanische Schubspannweite-a v ersetzt wird, werden höhere Tragfähigkeiten ermittelt. 326 5. Brückenkolloquium - September 2022 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau Abb.-1: Bemessungsergebnisse der Querkrafttragfähigkeit-V Rd,c nach EC2/ NA(D) und prEC2 4.2 (2) Fahrbahnplatte in Querrichtung Bei der Bemessung für Querkraft von Fahrbahnplatten mit gevouteten Querschnitten nach EC2/ NA(D) werden in der Regel die Querkrafttraganteile aus den geneigten Gurten berücksichtigt werden. Während dieser Querkrafttraganteil nach dem Grunddokument EC2 nur in bügelbewehrten Querschnitten angesetzt werden darf (6.2.1(2)), erlaubt EC2/ NA(D) dies auch für Platten ohne Querkraftbewehrung (NCI zu 6.2.1 (3)). Der Entwurf von prEC2 sieht die Berücksichtigung dieses Traganteils analog zum EC2 nur für bügelbewehrte Querschnitte vor. Daher wird die Querkrafttragfähigkeit nach EC2/ NA(D) um den Traganteil der geneigten Betondruckstrebe V ccd erweitert. Die maßgebende Querkrafttragfähigkeit ergibt sich unter Berücksichtigung der Kraftkomponente des Druckgurtes rechtwinklig zur Bauteilachse: (12) Die rechnerischen Tragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 für Fallbeispiel-2 sind in Abb.-2 gegenübergestellt. In den ersten beiden Säulen sind die Querkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) dargestellt. Der Traganteil-V ccd nach EC2/ NA(D) beträgt für dieses Fallbeispiel 55-kN/ m und ist farblich hervorgehoben. In den weiteren Säulen werden die Querkrafttragfähigkeiten nach der Grundgleichung und der Alternativer nach prEC2 für die Varianten A und B wiedergegeben. Für die Berechnung mit Variante B wurde stets ein dunklerer Farbton gewählt als für Variante A. Abb.-2: Bemessungsergebnisse der Querkrafttragfähigkeit ohne Querkraftbewehrung nach EC2/ NA(D) und prEC2 Nach Abb.- 2 kann nach EC2/ NA(D) die einwirkende Querkraft durch den Mindestwert der Querkrafttragfähigkeit- V Rd,c,min,EC2/ NA(D) (Gl.- (2)) aufgenommen werden, wenn gleichzeitig der Anteil V ccd berücksichtigt wird. Der Querkraftwiderstand V Rd,c,EC2/ NA(D) (Gl.- (1)) liegt auch mit V ccd unterhalb der einwirkenden Querkraft V Ed -=-260-kN/ m. Für den Entwurf des neuen Eurocodes prEC2 erreicht die Grundgleichung in Kombination mit k vp und a v die höchste Tragfähigkeit von 230-kN/ m. Die Alternative nach Gl.-(10) mit dem additiven Term erreicht dagegen 213-kN/ m und der Mindestwert V Rd,c,min,prEC2 ergibt eine Querkrafttragfähigkeit von 218-kN/ m. Für die Variante A (Ansatz der statischen Nutzhöhe-d) ergeben sich analog zu Fallbeispiel-1 geringere Tragfähigkeiten als mit Variante B, welche die statische Nutzhöhe-d im Nenner durch die mechanische Schubspannweite-a v ersetzt. Abb.-2 zeigt, dass die Querkrafttragfähigkeit nach prEC2 für alle Varianten unter der maßgebenden Tragfähigkeit V Rd,c,min nach EC2/ NA(D) liegt. Ein wesentlicher Grund hierfür ist auch der Querkrafttraganteil des geneigten Druckgurtes-V ccd , der bei Bauteilen ohne Querkraftbewehrung nach prEC2 nicht angesetzt werden darf. Diese Regelung war bereits im aktuellen Grunddokument von EC2 enthalten, wurde jedoch im EC2/ NA(D) für Bauteile ohne Querkraftbewehrung aufgehoben. Da die Grundgleichung mit dem k vp -Faktor im Fallbeispiel-2 für den Nachweisschnitt im Abstand d vom Kragarmanschnitt eine größere Querkrafttragfähigkeit ergibt als der alternative Ansatz mit dem additiven Term-k 1 -· σ cp , wird im Folgenden eine Untersuchung der Einwirkungen und Widerstände abhängig vom Abstand zum Kragarmanschnitt durchgeführt (Abb.-3). Die einwirkende Querkraft ist als rote durchgezogene Linie dargestellt, während die Widerstände nach EC2/ NA(D) in Blau und die Werte nach prEC2 in Orange angegeben sind. Für die Ermitt- 5. Brückenkolloquium - September 2022 327 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau lung der Widerstände nach prEC2 wurde auch die Schubschlankheit berücksichtigt (Variante B). Grundlage einer solchen Untersuchung ist die aufwändige Ermittlung der Schnittgrößen mittels FE-Analyse. Da die mitwirkende Breite zum Abtrag der Querkraftbeanspruchung mit abnehmendem Abstand zum Auflager geringer wird, ist eine Ermittlung der maßgebenden Schnittgrößen anhand eines Stabswerks nicht ausreichend. Stattdessen ist eine vertiefte Untersuchung z.-B. mit einem Schalenmodell durchzuführen, um die Aktivierung einer größeren mitwirkenden Breite mit zunehmenden Lastabstand abzubilden. In Abb.-3 sind die einwirkende Querkraft und die Querkraftwiderstände für den Bereich bis 4-·-d vom Anschnitt dargestellt. Da die Aufstandsfläche der Radlast so angeordnet wurde, dass deren Rand im Abstand von 2-·-d des Kragarmanschnitts entfernt liegt, war eine Abminderung für auflagernahe Lasten nicht erforderlich. Unabhängig vom Abstand zum Kragarmanschnitt wird nach EC2/ NA(D) im Vergleich zu prEC2 ein höherer Querkraftwiderstand ermittelt, da nach EC2/ NA(D) im Gegensatz zu prEC2 der Traganteil der geneigten Druckstrebe-V ccd berücksichtigt wird. Mit zunehmendem Abstand zum Auflager sinkt der Traganteil V ccd . Im Gegensatz zu EC2/ NA(D), bei dem der Mindestwert der Querkrafttragfähigkeit-V Rd,c,min unabhängig vom Abstand zum Auflager maßgebend ist, liegt die Querkrafttragfähigkeit nach prEC2 über dem Mindestwert. Abb.-3: Einwirkende Querkraft und Querkraftwiderstände nach EC2/ NA(D) und prEC2 für verschiedene Bemessungsschnitte 4.3 Fazit Die Berechnungen zeigen, dass die Bemessung nach prEC2 grundsätzlich als geeignet angesehen werden kann, um mit geringfügigen Anpassungen in einem Nationalen Anwendungsdokument vergleichbare Ergebnisse wie nach der aktuellen Fassung EC2/ NA(D) zu erzielen. Dazu sind weitergehende Untersuchungen mit variierenden Randbedingungen erforderlich. Nachfolgend wird daher in systematischen Parameterstudien mit einer Bandbreite von brückenbauspezifischen Randbedingungen untersucht, welche Einflussparameter dazu führen, dass prEC2 für Querschnitte ohne Querkraftbewehrung in einigen Fällen mit der Grundgleichung (Gl.- (6)) in Kombination mit dem k vp -Faktor eine höhere Querkrafttragfähigkeit erreicht und in anderen Fällen der alternative Ansatz mit dem additiven Term k 1 -·-σ cp nach Gl.-(10) die größere Querkrafttragfähigkeit ergibt. 5. Parameterstudien für Bauteile ohne Querkraftbewehrung Im Folgenden werden die Einflussfaktoren auf die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten nach prEC2 und EC2/ NA(D) für Bauteile ohne Querkraftbewehrung anhand von Parameterstudien an der Vollplatte (Fallbeispiel- 1) und der Fahrbahnplatte in Querrichtung (Fallbeispiel-2) untersucht. Für jeden Parameter erfolgte eine separate Auswertung, wobei die übrigen Einflussgrößen konstant gehalten wurden. Die Querkrafttragfähigkeiten nach prEC2 werden entweder mit der Grundgleichung (Gl.-(6)) in Kombination mit dem Faktor-k vp (Gl.-(9)) oder mit der Alternative nach Gl.-(10) ermittelt. In beiden Fällen wird zwischen den Varianten A und B unterschieden, die entweder die statische Nutzhöhe-d (Variante A) oder die mechanische Schubspannweite-a v (Variante B) in der Grundgleichung verwenden. Analog zu den Berechnungen der Fallbeispiele werden die maßgebenden Schubspannungen in Querkrafttragfähigkeiten-V Rd umgerechnet. Zusätzlich zu den rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten-V Rd ist die einwirkende Querkraft-V Ed im Bemessungsschnitt-d vom Auflagerrand in Rot dargestellt. 5.1 Längsbewehrungsgrad ρ l Abb.-4: Querkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 abhängig vom Längsbewehrungsgrad-ρ l In Abb.- 4 sind die Querkrafttragfähigkeiten für Fallbeispiel-1 nach EC2/ NA(D) und prEC2 in Abhängigkeit 328 5. Brückenkolloquium - September 2022 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau des Längsbewehrungsgrades dargestellt. Nach beiden Bemessungsansätzen werden mit steigendem Längsbewehrungsgrad höhere rechnerische Querkrafttragfähigkeiten ermittelt. Bei sehr geringen Längsbewehrungsgraden-ρ l ergeben sich nach prEC2 mit der Grundgleichung nach Gl.-(6) sehr geringe Querkraftwiderstände, die dem Grenzwert Null zustreben. Für die Berechnungsansätze nach Gl.-(10) und EC2/ NA(D) mit einem additiven Term aus Vorspannung k 1 -·-σ cp verbleibt für-ρ l -=-0 der rechnerische Querkrafttraganteil der Vorspannung. Im Bemessungsfall greift für kleine Längsbewehrungsgrade die Mindestquerkrafttragfähigkeit. Nach EC2/ NA(D) und prEC2 mit Gl.-(10) (k 1 -·-σ cp ) werden bis ρ l -≤-0,02 annähernd identische Querkrafttragfähigkeiten ermittelt. Da der ansetzbare Längsbewehrungsgrad in EC2/ NA(D) auf ρ l -≤-0,02 begrenzt wird, ergibt sich keine rechnerische Traglaststeigerung nach EC2/ NA(D) für ρ l >-0,02. Aufgrund der fehlenden Begrenzung steigt die Querkrafttragfähigkeit nach prEC2 auch für ρ l ->-0,02 weiter an und übersteigt die Werte nach EC2/ NA(D). Die Berücksichtigung der Vorspannung mit-k vp ergibt im Vergleich zur Berücksichtigung mit-k 1 -·-σ cp für alle dargestellten Längsbewehrungsgrade geringere Tragfähigkeiten. Rechnerisch würden sich für sehr große Werte-ρ l höhere Tragfähigkeiten mit Berücksichtigung der Vorspannung durch den Faktor-k vp ergeben. In der Praxis sind so hohe Längsbewehrungsgrade allerdings nicht üblich. Da die Vorspannung nach EC2/ NA(D) auch in der Berechnung der Mindestquerkrafttragfähigkeit-V Rd,c,min berücksichtigt wird, ergibt sich im Vergleich zu prEC2 eine deutlich höhere Mindestquerkrafttragfähigkeit. 5.2 Vorspannung-σ cp Der positive Einfluss der Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit darf nach prEC2 mit einem der folgenden Ansätze erfasst werden: Mit der Grundgleichung (Gl.-(6)) in Kombination mit dem Faktor-k vp (Gl.-(9)) oder mit der Alternative nach Gl.-(10). In beiden Fällen wurde durch Verwendung der mechanischen Schubspannweite- a v (Variante B) in der Grundgleichung eine höhere Querkrafttragfähigkeit ermittelt als mit Variante A (Verwendung der statischen Nutzhöhe-d in der Grundgleichung). Beide Ansätze (Grundgleichung und Alternative) werden in diesem und dem folgenden Kapitel vergleichend untersucht, um herauszuarbeiten, welcher Ansatz unter welchen Randbedingungen zu einer höheren rechnerischen Querkrafttragfähigkeit führt. Im Folgenden sind die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 für die Fallbeispiele-1 und 2 in Abhängigkeit der Druckspannung-σ cp im Schwerpunkt des Querschnitts dargestellt. In Abb.-5 sind die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 in Abhängigkeit der vorhandenen Normalspannung infolge Vorspannung-σ cp für Fallbeispiel-1 abgebildet. Beide Ansätze des prEC2 liefern für eine Vorspannung-σ cp -=-0 eine identische rechnerische Querkrafttragfähigkeit. Mit zunehmender Vorspannung steigen die Querkrafttragfähigkeiten nach prEC2 mit Berücksichtigung der Vorspannung über den additiven Term k 1 -·-σ cp (Gl.-(10)) und EC2/ NA(D) linear an, bis jeweils die obere Grenze von σ cp -≤-0,2-·-f cd maßgebend wird. Aufgrund des höheren Bemessungswertes der Betondruckfestigkeit f cd nach prEC2 im Vergleich zu EC2/ NA(D) greift die Begrenzung später. Die Querkrafttragfähigkeiten, die nach prEC2 mit dem k vp Faktor (Grundgleichung, Gl.-(6)) ermittelt werden, liegen deutlich unter den Ergebnissen nach der Alternative (prEC2 Gl.-(10)) und EC2/ NA(D). Für kleine Werte der Vorspannung (σ cp - ≤- 3- N/ mm²) ergibt sich nach der Grundgleichung eine sehr geringe Steigerung der rechnerischen Querkrafttragfähigkeit infolge Vorspannung, während die Querkrafttragfähigkeit für σ cp ->-3-N/ mm² schneller ansteigt. Durch die untere Grenze von k vp -≥-0,1 (Gl.-(9)) ergibt sich allerdings ab σ cp - ≥ -4,9-N/ mm² keine weitere Zunahme der Querkrafttragfähigkeit. Dadurch liefert die Alternative nach prEC2 mit dem additiven Term k 1 -·-σ cp in Fallbeispiel-1 für alle hier untersuchten Werte σ cp eine höhere Querkrafttragfähigkeit als die Grundgleichung nach prEC2 mit k vp . Abb.-5: Querkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 abhängig von der Vorspannung σ cp Für geringe Vorspannungen-σ cp -≤- 0,5-N/ mm² liegt der Mindestwert der Querkrafttragfähigkeit- V Rd,c,min,prEC2 über beiden Ansätzen (Grundgleichung und Alternative) nach prEC2. Während die Mindestquerkrafttragfähigkeit V Rd,c,min nach prEC2 unabhängig von der Vorspannung ist, steigt der Mindestwert der Querkrafttragfähigkeit-V Rd,c,min nach EC2/ NA(D) mit zunehmender Vorspannung linear an. Dennoch wird der Mindestwert nach EC2/ NA(D) für Fallbeispiel-1 nicht maßgebend. Schubschlankheit-λ-=-M-/ -(V-·-d) Die günstigen Einflüsse geringer Schubschlankheiten λ-=-M-/ -(V- ·-d) dürfen nach prEC2 in der Querkraftbemessung berücksichtigt werden. Neben dem Ansatz mit 5. Brückenkolloquium - September 2022 329 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau dem additiven Term k 1 - ·-σ cp (Alternative, Gl.-(10)) kann der günstige Einfluss der Vorspannung nach prEC2 auch über eine Modifizierung der wirksamen Schubspannweite erfasst werden (Grundgleichung , Gl.- (6)). In Abb.- 6 sind daher die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten für Fallbeispiel-1 in Abhängigkeit der Vorspannung für verschiedene Schubschlankheiten-λ abgebildet (Grundgleichung). Das Diagramm umfasst die Querkrafttragfähigkeiten nach den Varianten A (durchgezogene Linien) und B (gestrichelte Linien) entsprechend Tab.-1. Für die gleiche Schubschlankheit-λ werden die Tragfähigkeiten nach Variante A und B mit der gleichen Farbe dargestellt. Zudem sind die Tragfähigkeiten nach der Alternative (Gl.-(10)) mit dem additiven Term k 1 -·-σ cp abgebildet. Ein Vergleich der durchgezogenen und gestrichelten Linien einer Farbe in Abb.- 6 zeigt, dass die Berücksichtigung der effektiven Schubspannweite- a cs (Variante B) für alle Varianten und Schubschlankheiten zu einer Steigerung der rechnerischen Querkrafttragfähigkeit führt. Diese Erhöhung ist bei geringen Schubschlankheiten besonders stark ausgeprägt. Hieraus resultieren rechnerische Traglaststeigerungen von bis zu 25-% (V Rd,λ=1_ A -=-1200-kN, V Rd,λ=1_ B -=-1500-kN). Mit steigender Schubschlankheit verringert sich die Zunahme der rechnerischen Tragfähigkeit durch Berücksichtigung der effektiven Schubspannweite-a cs . Für λ-=-3 ergeben sich lediglich geringe Unterschiede in den rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten. Abb.-6: Einfluss unterschiedlicher Schubschlankheiten auf die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten In Abb.-7 sind die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 sowie die einwirkende Querkraftbeanspruchung-V Ed im Bemessungsschnitt-d vom Auflagerrand in Abhängigkeit der Schubschlankheit-λ abgebildet. Die Querkrafttragfähigkeit nach EC2/ NA(D) (blaue Linie) ist konstant, da die Schubschlankheit-λ nicht in der Bemessung berücksichtigt wird. Nach der Grundgleichung des prEC2 (Gl.-(6) (orange durchgezogene Linien) ergeben sich mit zunehmender Schubschlankheit abnehmende Querkrafttragfähigkeiten. Im ersten Teil der Kurven ist die Abnahme nahezu linear, während sich die Querkrafttragfähigkeit für größere Schubschlankheiten exponentiell verringert. Dies ist zum einen auf die zunehmende wirksame Schubspannweite-a cs infolge der wachsenden Schubschlankheit zurückzuführen und zum anderen auf die untere Begrenzung von k vp -≥-0,1, die für kleine einwirkende Momente-M Ed maßgebend wird. Die Abnahme der wirksamen Schubspannweite-a cs bewirkt auch eine Abminderung der rechnerischen Querkrafttragfähigkeit nach der Alternative nach prEC2 (Gl.- (10), orange gestrichelte Linien). Der Vergleich der Ansätze (Grundgleichung und Alternative) bestätigt, dass das k vp Verfahren nur für Systeme mit geringen Schubschlankheiten ähnliche Tragfähigkeiten ermittelt wie der alternative Ansatz mit dem additiven Term k 1 -·-σ cp . Abb.-7: Einfluss variierender Schubschlankheiten auf die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten 5.3 Größtkornparameter-d dg Abweichend zur Bemessung nach EC2/ NA(D) wird in prEC2 die Gesteinskörnung des Betons durch den Faktor-d dg berücksichtigt (Gln. (4), (5) und (6)). Mit steigendem Korndurchmesser wird eine größere Rauigkeit in Schubrissen angenommen, wodurch eine höhere Schubspannung über den Riss übertragen werden kann. Entsprechend nimmt die rechnerische Querkrafttragfähigkeit nach prEC2 mit steigendem Größtkornparameter-d dg zu. In Abb.-8 sind die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten für die Vollplatte (Fallbeispiel-1) dargestellt. Während der Durchmesser der Gesteinskörnung nach EC2/ NA(D) keinen Einfluss auf die Querkraftbemessung nach EC2/ NA(D) hat, ergeben sich nach prEC2 erwartungsgemäß mit steigendem d dg größere Querkrafttragfähigkeiten. So kann die rechnerische Querkrafttragfähigkeit nach prEC2 in Fallbeispiel -1 durch die Erhöhung des Größtkorns von d dg -=-d dg,min -=-16-mm auf d dg - =- d dg,max - =- 40- mm von 1400- kN um 13- % 330 5. Brückenkolloquium - September 2022 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau auf 1580- kN vergrößert und in Fallbieispiel- 2 von 180-kN um 39-% auf 250-kN erhöht werden. Da der Einfluss der Vorspannung bei der Alternative (Gl.- (10)) mit dem additiven Term k 1 - ·- σ cp unabhängig vom Größtkornparameter-d dg berücksichtigt wird, steigt die rechnerische Querkrafttragfähigkeit nach der Grundgleichung (Gl.-(6)) mit wachsendem d dg schneller an als nach der Alternative (Gl.-(10)), da der gesamte Term mit dem zunehmendem Größtkornparameter-d dg multipliziert wird. In Fallbeispiel- 1 ergeben sich dennoch nach der alternativen Berechnung mit k 1 - ·-σ cp für alle d dg höhere rechnerische Querkrafttragfähigkeiten als mit dem Ansatz über k vp (Grundgleichung). Ein Vergleich der Bemessungsansätze EC2/ NA(D) und prEC2 zeigt, dass für Fallbeispiel-1 ab einem Größtkornparameter-d dg -≥-29-mm mit Gl.-(10) (k 1 -·-σ cp ) nach prEC2 eine höhere rechnerische Querkrafttragfähigkeit ermittelt wird. Die Tragfähigkeiten nach prEC2 Gl.-(6) mit dem k vp -Faktor liegen unter den Tragfähigkeiten nach EC2/ NA(D). Für Fallbeispiel-2 ergibt sich für prEC2 ab d dg -=-35-mm eine höhere Tragfähigkeit-V Rd,c als nach EC2/ NA(D). Abb.-8: Querkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 abhängig vom Größtkornparameter d dg 5.4 Maßstabseffekt-k und-d dg / d mit Berücksichtigung der empirischen Vorfaktoren und Teilsicherheitsbeiwerte Im Bereich der Rissspitze von Schubrissen kann eine Zugspannung im Beton übertragen werden. Dieser als Bruchprozesszone bezeichnete Bereich ist unabhängig von der Bauteilhöhe und wird lediglich durch die Materialeigenschaften des Betons bestimmt. Mit dem Maßstabseffekt wird berücksichtigt, dass der über die Bruchprozesszone abgetragene Querkraftanteil für kleine Bauteile relativ betrachtet höher ist als für größere Bauteile-[14]. Während der Maßstabseffekt in der Bemessung nach EC2/ NA(D) über den Faktor berücksichtigt wird, geht er nach prEC2 durch die dritte Wurzel des Quotienten aus Größtkornparameter-d dg zur statischen Nutzhöhe-d in die Berechnung der Querkrafttragfähigkeit ein. In Abb.-9 sind die Faktoren zur Berücksichtigung des Maßstabseffekts bei der Ermittlung der Querkrafttragfähigkeiten (durchgezogene Linien) sowie der Mindestquerkrafttragfähigkeiten (gestrichelt) in Abhängigkeit der statischen Nutzhöhe-d für variierende Größtkornparameter-d dg dargestellt. Für die Bemessung nach prEC2 sind die Quotienten für einen Größtkornparameter-d dg -=-16-mm und d dg -=-40-mm abgebildet. Zwischenwerte von-d dg liegen innerhalb der beiden dargestellten Kurven. Da neben dem Maßstabseffekt auch die empirischen Vorfaktoren- C Rd,c und Teilsicherheitsbeiwerte- γ bei der Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit-V Rd,c und der Mindestquerkrafttragfähigkeit-V Rd,c,min geändert wurden, wird ein Vergleich einschließlich der konstanten Faktoren in den Gleichungen durchgeführt. In Abb.-9 sind die Produkte der konstanten Beiwerte zur Bestimmung von V Rd,c und V Rd,c,min dargestellt. Die restlichen Faktoren sind Tab.-2 zu entnehmen. Für statische Nutzhöhen 250-mm-<-d-<-1000-mm liegt der Faktor (blaue durchgezogene Linie) zur Bestimmung der Querkrafttragfähigkeit nach EC2/ NA(D) zwischen den Werten nach prEC2 für den maximalen und minimalen Größtkorndurchmesser-d dg (braune und orangene durchgezogene Linien). Für kleine statischen Nutzhöhen d-<-250-mm ergeben sich nach prEC2 deutlich höhere rechnerische Querkrafttragfähigkeiten. Diese kleinen Querschnittsabmessungen sind in der Brückenpraxis in der Regel nicht üblich und werden daher nicht maßgebend. Während bei der Ermittlung der Mindestquerkrafttragfähigkeit nach EC2/ NA(D) nur ein sehr geringer Effekt des Maßstabseffektes zu erkennen ist, wird der Maßstabseffekt nach prEC2 deutlich stärker berücksichtigt. Abb.-9: Maßstabseffekt und Teilsicherheitsfaktoren nach EC2/ NA(D) und prEC2 mit variieren dem Größtkornparameter d dg 5. Brückenkolloquium - September 2022 331 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau Tab.-2: Zahlenwerte der Einflussfaktoren auf den Maßstabseffekt nach EC2/ NA(D) und prEC2 v min * γc γv f yd [-] [-] [-] [N/ mm²] -=-0,0525 für -≤-600-mm; -=-0,0375 für -≥-800-mm Zwischenwerte interpoliert (Gl.-(2)) 1,5 1,4 435 5.5 Betondruckfestigkeit-f ck Die Querkrafttragfähigkeit von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung hängt neben dem Längsbewehrungsgrad, Maßstabseinfluss und Vorspanngrad auch von der Betondruckfestigkeit ab. Analog zum EC2/ NA(D) wird die charakteristische Betondruckfestigkeit nach prEC2 für die Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit-V Rd,c mit der dritten Wurzel und zur Bestimmung der Mindestquerkrafttragfähigkeit-V Rd,c,min mit der Quadratwurzel angesetzt. In Abb.-10 sind die rechnerischen Querkraft- und Mindestquerkrafttragfähigkeiten für Fallbeispiel-1 dargestellt. Mit steigender Betondruckfestigkeit wird für alle Bemessungsansätze i.d.R. eine höhere Querkrafttragfähigkeit ermittelt. Eine Ausnahme bilden die rechnerischen Tragfähigkeiten nach prEC2 für hohe Betonfestigkeitsklassen. Für die Ermittlung der Beton- und Mindestquerkrafttragfähigkeit wird nach prEC2 (Gln.- (4) und (6)) das Produkt aus Größtkornparameter-d dg und charakteristischer Betondruckfestigkeit-f ck berücksichtigt. Für Betonfestigkeitsklassen >-C60/ 75 wird d dg in Abhängigkeit von f ck reduziert. Die Abminderung von d dg vermindert die rechnerische Querkrafttragfähigkeit in größerem Maße, als dass die höhere Betondruckfestigkeit positiv wirkt, wie die Darstellung in Tab.-3 zeigt. Abb.-10: Querkraft- und Mindestquerkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 mit d dg = 32 mm Tab.-3: Vergleich des Produkts aus Größtkornparameter und Betondruckfestigkeit C70/ 85 C60/ 75 Obwohl eine höhere Betondruckfestigkeit angenommen wird, reduziert sich die rechnerische Querkrafttragfähigkeit des Betonquerschnitts. Mit zunehmendem d dg ist dieser Effekt stärker ausgeprägt. Je nach gewählten Parametern variiert die Betondruckfestigkeit, ab der sich eine rechnerische Reduzierung einstellt. In sind die Querkrafttragfähigkeiten mit identischen Randbedingungen und einem Größtkornparameter-d dg -=-40-mm in Abhängigkeit der Betonfestigkeit dargestellt. Ab einer Betondruckfestigkeit von etwa 70-N/ mm² findet die beschriebene Abminderung der Querkrafttragfähigkeit statt. Der Knick in den Verläufen der Querkrafttragfähigkeit nach EC2/ NA(D) (blaue durchgezogene Linien) in Abb.-10 bei einer Betondruckfestigkeit von ca. 35-N/ mm² wird durch die Begrenzung des positiven Einflusses der Vorspannung auf σ cp -≤-0,2- ·-f cd hervorgerufen. Für kleine Betonfestigkeitsklassen greift die obere Grenze von 0,2- ·- f cd , sodass der Querkrafttraganteil der Vorspannung linear mit der Betonfestigkeit steigt. Für hohe Betondruckfestigkeiten ist σ cp -≤-0,2-·-f cd eingehalten und der Anteil der Querkrafttragfähigkeit infolge Vorspannung bleibt konstant. Dieser Knick ist daher auch in der rechnerischen Querkrafttragfähigkeit nach prEC2 mit k 1 -·-σ cp zu sehen. Da der Bemessungswert der Betondruckfestigkeit-f cd nach prEC2 allerdings höher angenommen wird als nach EC2/ NA(D), endet die Begrenzung des positiven Effekts der Vorspannung σ cp -≤-0,2-·-f cd bereits für geringere charakteristische Betondruckfestigkeiten. Die rechnerische Mindestquerkrafttragfähigkeit V Rd,c,min,EC2/ NA(D) (gestrichelte blaue Linie) nähert sich für große Betondruckfestigkeiten an die Querkrafttragfähigkeit-V Rd,c,EC2/ NA(D) an, da die Betondruckfestigkeit zur Ermittlung von V Rd,c,min mit der Quadratwurzel berücksichtigt wird, während diese zur Ermittlung von V Rd,c mit der dritten Wurzel eingeht. Für große Betondruckfestigkeiten ergeben sich dadurch trotz Vernachlässigung des Längsbewehrungsgrades bei der Ermittlung von V Rd,c,min ähnliche Querkrafttragfähigkeiten wie mit dem Ansatz für V Rd,c . Dieser Effekt ist für die Tragfähigkeiten nach prEC2 nicht vorhanden, da der positive Einfluss der Vorspannung bei der Ermittlung der Mindestquerkrafttragfähigkeit nicht berücksichtigt wird. 5.6 Querkrafttraganteil der geneigten Betondruckstrebe V ccd Der Traganteil der geneigten Betondruckstrebe-V ccd darf nach EC2/ NA(D) auch für nicht querkraftbewehrte Bauteile angesetzt werden, obwohl das Grunddokument nach EC2 dies nicht vorsieht. Im Entwurf des neuen Eurocodes 332 5. Brückenkolloquium - September 2022 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau prEC2 darf der Querkrafttraganteil-V ccd allein bei querkraftbewehrten Bauteilen anrechenbar angesetzt werden. In Abb.-11 sind die Tragfähigkeiten in Abhängigkeit der Neigung des Druckgurtes dargestellt. Aufgrund des geringen Längsbewehrungsgrades in Fallbeispiel-2 ist nach EC2/ NA(D) die Mindestquerkrafttragfähigkeit maßgebend. Abb.-11: Querkraft- und Mindestquerkrafttragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 abhängig von der Voutengeometrie Der Vergleich der Tragfähigkeiten nach EC2/ NA(D) und prEC2 zeigt, dass durch die Berücksichtigung des Querkrafttraganteils- V ccd (hellblaue Linien) mit zunehmender Neigung der Voute eine deutlich höhere rechnerische Querkrafttragfähigkeit nach EC2/ NA(D) resultiert. Durch experimentelle Untersuchungen konnte der Querkrafttraganteil-V ccd für gevoutete, nicht querkraftbewehrte Bauteile nicht bestätigt werden-[15]. Daher werden die Tragfähigkeiten nach prEC2 mit denen nach EC2/ NA(D) ohne Berücksichtigung von-V ccd verglichen. Aufgrund der geringen Schubschlankheit ergibt die Grundgleichung in Kombination mit dem Beiwert-k vp nach prEC2 die höchsten Tragfähigkeiten, während die rechnerische Tragfähigkeit mit dem additiven Term k 1 -·-σ cp (Alternative) niedriger ist. 6. Zusammenfassung und Ausblick Die Bemessung von Bauteilen ohne rechnerisch erforderliche Querkraftbewehrung erfolgt im Eurocode 2 der zweiten Generation (prEC2) auf Basis der Critical Shear Crack Theory. Hierbei fließt die Schubschlankheit im Bemessungsschnitt in die Bemessungsgleichung ein. Wichtig ist zudem, dass aktuell zwei Ansätze (Grundgleichung CSCT mit k vp und Alternative mit k 1 -·-σ cp ) zur Berücksichtigung der Vorspannung im prEC2 angegeben sind. Bei der Bemessung von Bauteilen mit rechnerisch erforderlicher Querkraftbewehrung wird weiterhin ein Fachwerkmodell mit variabler Druckstrebenneigung verwendet. Dabei können die Druckstrebenwinkel innerhalb festgelegter Grenzen in Abhängigkeit der Normalkraft und der Bauweise (Stahlbeton oder Spannbeton) frei gewählt werden. In diesem Artikel wurden die aktuellen Ansätze der stabilen Fassung des prEC2 durch Vergleichsberechnungen mit den derzeit gültigen Bemessungsregeln nach EC2/ NA(D) verglichen. Hierbei wurden die Ansätze für Bauteile ohne Querkraftbewehrung auf zwei Beispielbrücken ((1) Dicke vorgespannte Platte, (2) Fahrbahnplatte in Querrichtung) angewandt, die stellvertretend für den Brückenbau und die dort üblichen Querschnitte ausgewählt wurden. Die rechnerischen Querkraftwiderstände wurden ermittelt und miteinander verglichen. Zur Verallgemeinerung der Aussagekraft der Bemessungsergebnisse wurden anschließend Parameterstudien auf Basis der einzelnen Fallbeispiele durchgeführt. An Fallbeispiel-(1) und (2) wurden die Einflüsse aus Längsbewehrungsgrad, Vorspannung, Schubschlankheit, Größtkorn, Maßstabseffekt, Betonfestigkeit und geneigter Gurte auf die rechnerische Querkrafttragfähigkeit untersucht. Die systematische Untersuchung der rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung zeigt, dass eine Berücksichtigung der effektiven Schubspannweite-a cs nach den Gln. 8.18 und 8.19 in prEC2 (Gln.-(7) bis (9)) die rechnerische Querkrafttragfähigkeit sowohl für die Grundgleichung als auch für die Alternative mit k 1 - ·- σ cp zur Berücksichtigung der Vorspannung erhöht. Für Nachweise von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung liefert die alternative Berücksichtigung der Vorspannung mit k 1 -·-σ cp in Bauteillängsrichtung mit großen Stützweiten höhere Tragfähigkeiten. Aufgrund der geringeren vorhandenen Schubschlankheiten kann die Grundgleichung nach prEC2 für Nachweise in Bauteilquerrichtung teilweise höhere Querkrafttragfähigkeiten erreichen. Zudem wurde gezeigt, dass die Mindestquerkrafttragfähigkeit nach EC2/ NA(D) aufgrund der Berücksichtigung der Vorspannung für die meisten Anwendungen über der nach prEC2 liegt. Nachfolgend werden auf Basis der zuvor erarbeiteten Erkenntnisse aus den Fallbeispielen und Parameterstudien Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die weitere Diskussion und zukünftige Optimierung der Querkraftbemessung nach der neuen Generation von Eurocode-2 gezogen. Für die Bemessung von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung (prEC2 Kapitel 8.2.2) können die folgenden Schlussfolgerungen gezogen werden. Längsbewehrungsgrad-ρ l Der Längsbewehrungsgrad wird nach prEC2 nicht auf 0,02- [-] begrenzt. Diese Grenze wurde in EC2/ NA(D) zur Vermeidung von überbiegebewehrten Bauteilen ohne Querkraftbewehrung mit sprödem Bruchverhalten festgelegt. Nach Versuchsauswertungen kann die Querkrafttragfähigkeit mit dem Berechnungsansatz auch für hohe Längsbewehrungsgrade zutreffend abgebildet werden. Eine Begrenzung von-ρ l ist daher nicht erforderlich. Vorspannung-σ cp und Schubschlankheit-λ 5. Brückenkolloquium - September 2022 333 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau Der positive Einfluss der Vorspannung auf die Querkrafttragfähigkeit kann nach prEC2 mit zwei unterschiedlichen Ansätzen erfasst werden. Während der Ansatz nach der CSCT mit k vp (Grundgleichung) nur bei Schubschlankheiten-λ-<-2 höhere Tragfähigkeiten ergibt, sind die Berechnungsergebnisse des alternativen Ansatzes mit einem additiven Term vergleichbar zu denen nach EC2/ NA(D). Da die rechnerische Betondruckfestigkeit nach prEC2 größer ist als nach EC2/ NA(D) ( f cd,prEC2 ->-f cd,EC2/ NA(D) ), können aufgrund der Begrenzung auf σ cp -≤-0,2-·-f cd in EC2/ NA(D) und prEC2 nach prEC2 höhere Vorspannungen in Ansatz gebracht werden. Für den Brückenbau mit hohen Vorspanngraden resultiert dadurch tendenziell eine erhöhte Tragfähigkeit. Faktor-k 1 im alternativen Ansatz Im Gegensatz zu EC2/ NA(D) wird der Traganteil der Vorspannung in Abhängigkeit der Bauteilhöhe erfasst. Der Vorfaktor für den alternativen Ansatz nach prEC2 (k 1 - ·- σ cp ) kann für kleine Bauteilhöhen einen Wert bis 0,15 annehmen. Für große Bauteilhöhen sinkt er bis auf 0,07. In den Fallbeispielen wird durch die alternative Bemessung ein zum EC2/ NA(D) mit k 1 -=-0,12 vergleichbarer Wert ermittelt. Größtkornparameter-d dg Das Größtkorn wird in prEC2 abweichend zum EC2/ NA(D) in der Querkraftbemessung berücksichtigt. Mit zunehmendem Größtkorndurchmesser wird eine höhere Tragfähigkeit ermittelt. Ab einem Größtkornparameter von d dg -≥-35 werden in den Fallbeispielen nach prEC2 im Vergleich zu EC2/ NA(D) höhere Tragfähigkeiten ermittelt. Da im Brückenbau hohe Betondeckungen vorgesehen sind, ist oft die Verwendung grobkörniger Gesteinskörnungen möglich, sodass durch einen größeren Traganteil infolge Rissreibung höhere Querkrafttragfähigkeiten erzielt werden können. Gewichteter Maßstabseffekt k und d dg / d Der Maßstabseffekt wurde in prEC2 gegenüber EC2/ NA(D) angepasst. Dadurch ergeben sich nach prEC2 für kleine statische Nutzhöhen (abhängig vom Größtkornparameter- d dg ) vergleichbare Querkrafttragfähigkeiten wie nach EC2/ NA(D). Mit zunehmendem-d werden die rechnerischen Querkrafttragfähigkeiten nach prEC2 deutlich stärker abgemindert. Charakteristische Betondruckfestigkeit-f ck Durch die rechnerische Abminderung der Betondruckfestigkeit für >-C60/ 75 nach prEC2 wird für hohe Betonfestigkeitsklassen im Gegensatz zum EC2/ NA(D) keine weitere Zunahme der Querkrafttragfähigkeit ermittelt. Die Berücksichtigung des spröderen Versagens höherfester Betone scheint in prEC2 für die Querkraftbemessung zu stark ausgeprägt. Obwohl die Fallbeispiele Betonfestigkeiten <- C60/ 75 aufweisen, könnte diese Abminderung in Zukunft für Brückenbauwerke aus höherfesten Betonen maßgebend werden. Die rechnerische Abminderung für >- C60/ 75 nach prEC2 ist daher kritisch zu hinterfragen. Traganteil geneigter Betondruckgurte- V ccd Der Querkrafttraganteil geneigter Betondruckgurte darf nach EC2/ NA(D) abweichend vom Grunddokument von EC2 berücksichtigt werden. Da dieser Traganteil weiterhin experimentell nicht bestätigt werden kann, wird er in prEC2 nicht berücksichtigt. Im Fallbeispiel-2 ergeben sich auch deswegen nach prEC2 geringere rechnerische Querkrafttragfähigkeiten. Der Wegfall des Traganteils des geneigten Druckgurtes für Bauteile ohne Querkraftbewehrung ist aufgrund fehlender experimenteller Absicherung notwendig. Literatur [1] CEN: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken. Teil 1-1: Allgemeine Regeln - Regeln für Hochbauten, Brücken und Ingenieurbauwerke (10-2021). [2] Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN): Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln. Berlin: Beuth (April 2013). [3] Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN): Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln. Deutsche Fassung EN 1992-2: 2005 + AC: 2008. Berlin: Beuth (Dezember 2010). [4] Muttoni, A., Fernández Ruiz, M.: From experimental evidence to mechanical modeling and design expressions: The Critical Shear Crack Theory for shear design. Structural Concrete 111 (2019), S. 1147. [5] Cavagnis, F., Fernández Ruiz, M., Muttoni, A.: A mechanical model for failures in shear of members without transverse reinforcement based on development of a critical shear crack. Engineering Structures 157 (2018), S. 300-315. [6] Cavagnis, F., Fernández Ruiz, M., Muttoni, A.: Shear failures in reinforced concrete members without transverse reinforcement. An analysis of the critical shear crack development on the basis of test results. Engineering Structures 103 (2015), S. 157-173. [7] Muttoni, A., Fernández Ruiz, M.: Shear Strength of Members without Transverse Reinforcement as Function of Critical Shear Crack Width. ACI Structural Journal 105 (2008), S. 163-172. [8] Zsutty, T. C.: Beam Shear Strength Prediction by Analysis of Existing Data. ACI Journal 65 (1968), S. 943-951. [9] Walraven, J. C.: Background document for EC-2, Chapter 6.2 Shear. Delft 2002. [10] Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN): Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität. Deutsche Fassung EN 206: 2013+A1: 2016. Berlin: Beuth (Januar 2017). [11] Muttoni, A., Fernández Ruiz, M., Simões, J. T., Cavagnis, F.: Background document to provisions for Shear and Punching Shear Design. Closed Form 334 5. Brückenkolloquium - September 2022 Weiterentwicklung des Eurocodes 2 für den Brückenbau solutions based on Model Code 2010 and Critical Shear Crack Theory. Lausanne, Switzerland 2016. [12] CEN/ TC 250/ SC 2/ WG 1: prEN 1992-1-1/ 2020-11: Eurocode 2: Design of Concrete Structures - Part 1-1: General rules for buildings, bridges and civil engineering structures. Seventh Draft by Project Team SC2.T1 (2020). [13] Hedman, O., Losberg, A.: Design of Concrete Structures with Reagrd to Shear Forces. In: Regan, P. E., Taylor, H. P. (Hg.): Shear and Torsion. Explanatory and Viewpoint Papers on Model Code chapters 11 and 12 prepared by members of CEB Commission V, S. 184-209. [14] Zilch, K., Zehetmaier, G.: Bemessung im konstruktiven Betonbau. Nach DIN 1045-1 (Fassung 2008) und EN 1992-1-1 (Eurocode 2): Springer 2010. [15] Reißen, K.: Zum Querkrafttragverhalten von einachsig gespannten Stahlbetonplatten ohne Querkraftbewehrung unter Einzellasten. Dissertation. Aachen 2017. 5. Brückenkolloquium - September 2022 335 Dauerhaftigkeit und Nutzungsdauer von Ingenieurbauwerken Dr.-Ing. Maria Teresa Alonso Junghanns Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Dr.-Ing. Peter Haardt Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Dr.-Ing. Matthias Müller Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Zusammenfassung Unter Nutzungsdauer wird im betriebswirtschaftlichen Sinn die Zeit der betrieblichen Nutzung eines Wirtschaftsguts verstanden. Der Begriff „Nutzungsdauer“ wird sowohl als Planungsgröße als auch zur Beschreibung des tatsächlichen Nutzungszeitraum verwendet. Für Ingenieurbauwerke aus Beton wird die Nutzungsdauer in den unterschiedlichen Regelwerken einerseits im Rahmen einer Erhaltungsstrategie im Lebenszyklus von Ingenieurbauwerken herangezogen und anderseits als Planungsgröße im Rahmen der Bemessung berücksichtigt. Der Beitrag stellt einen Status-Quo zu den Angaben zur Nutzungsdauer im Regelwerk dar und beleuchtet ihre Bedeutung im Zusammenhang mit der Dauerhaftigkeit. Überdies wird aufgezeigt, dass die unterschiedlichen Angaben und Annahmen zur Nutzungsdauer als Planungsgröße nicht zwangsläufig im Widerspruch zueinanderstehen. Zukünftig könnten probabilistische Ansätze einen Übergang von den derzeitigen deskriptiven Bewertungsverfahren zu einer quantitativen Beurteilung der voraussichtlichen Nutzungsdauer unter Dauerhaftigkeitsaspekten ermöglichen. 1. Einleitung Brückenbauwerke sind langlebige Investitionen, die in der Regel volkswirtschaftlich und soziologisch erforderlich sind. Daher wird von ihnen eine sehr lange Nutzungsdauer erwartet. Jedoch treten unterschiedliche zufalls- und altersbedingte Veränderungen sowohl des Gesamtsystems Brücke als auch der einzelnen Bauteile und Ausstattungskomponenten während der Nutzungsphase auf, die zu einer Reduktion bzw. Begrenzung der Nutzungsdauer führen können. Die Zustandsveränderungen werden im Rahmen der regelmäßigen Bauwerksprüfung registriert und die erforderlichen Wartungs-, Instandsetzungs- und Erneuerungsmaßnahmen werden daraus abgeleitet. Ein wesentlicher Aspekt mit Bezug zur Nutzungsdauer ist die Bewertung der Dauerhaftigkeit. Allerdings sind die konkreten Zusammenhänge zwischen den beiden Aspekten „Nutzungsdauer“ und „Dauerhaftigkeit“ nicht eindeutig beschrieben. Ziel dieses Beitrages ist es, die Hitergründe zu erörtern und für eine Klarstellung zu sorgen. Unter Nutzungsdauer wird im betriebswirtschaftlichen Sinn die Zeit der betrieblichen Nutzung eines Wirtschaftsguts verstanden. Der Begriff „Nutzungsdauer“ wird sowohl als Planungsgröße als auch zur Beschreibung des tatsächlichen Nutzungszeitraums verwendet. In der Regel wird zwischen geplanter und tatsächlicher Nutzungsdauer unterschieden, wobei die tatsächliche Nutzungsdauer erst nach Beendigung der Nutzung feststeht. Man differenziert zwischen technischer, funktionaler und wirtschaftlicher Nutzungsdauer [z.B. 1,2]: Als technische Nutzungsdauer wird die Dauer der Nutzung unter den geplanten Einwirkungen verstanden, wie z.B.: Zeitdauer bis zum Erreichen eines vorgegebenen Sicherheitsniveaus. Die funktionale Nutzungsdauer bezeichnet das Zeitintervall während dessen eine Bauanlage ihre Funktionalität, unter ggf. notwendigen Funktionsänderungen erfüllt, wie z.B. durch höhere Verkehrslasten. Die wirtschaftliche Nutzungsdauer umfasst i.d.R. die Zeitspanne, in der es wirtschaftlich sinnvoll ist, eine Bauanlage zu nutzen. Darüber hinaus wird unter Lebensdauer die Zeit bis zum Versagen verstanden, in der technische Anlagen funktionieren oder wirtschaftlich genutzt werden können. In der Regel werden Nutzungsdauer und Lebensdauer im allgemeinen Sprachverbrauch gleich interpretiert. Für Brücken- und Ingenieurbauwerken aus Beton wird die Nutzungsdauer in den betreffenden Regelwerken bei der Festlegung der Erhaltungsstrategie im Lebenszyklus herangezogen [3,4] und anderseits als Planungsgroßen für Konstruktion und Bemessung berücksichtigt [5,6,7]. 2. Der Lebenszyklus von Ingenieurbauwerken Brücken und Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen erfordern in ihrem Lebenszyklus einen beträchtlichen Aufwand zur Aufrechterhaltung der Verfügbarkeit, der Sicherheit und der Gewährleistung der geplanten Nutzungsdauer. Abb. 1 zeigt schematisch den Lebenszyklus von Ingenieurbauwerken. Die in der Abb. 1 enthaltenen Angaben sind qualitativ zu verstehen. Die zu berücksichtigenden Phasen betreffenden den Zeitraum der Herstellung, unterteilt in Planungsphase und Bauausführungsphase, die Zeiträume der Nutzung und des Rückbaus. Ziel 336 5. Brückenkolloquium - September 2022 Dauerhaftigkeit und Nutzungsdauer von Ingenieurbauwerken von präventiven und zukünftigen prädiktiven Lebenszyklusstrategien ist den Zeitraum der uneingeschränkten Nutzung zu maximieren. Nach RPE-ING [3] beginnt die Nutzung bei der Fertigstellung des Bauteils/ Bauwerks und es wird eine Zeitgrenze herangezogen: die Grenznutzungsdauer. „Sie entspricht jener Nutzungsdauer, auf die die Nutzung eines Bauteils/ Bauwerks beschränkt wird, um eine bestimmte Sicherheit gegen ein Überschreiten der maximalen Nutzungsdauerunter zu erreichen“ [3]. Bei Erreichen der maximaler Nutzungsdauer ist der Abnutzungsvorrat vollständig verbraucht und zu diesem Zeitpunkt sind die Anforderungen gerade noch erfüllt. Unter Abnutzungsvorrat wird der „Vorrat der möglichen Funktionserfüllungen unter festgelegten Bedingungen, der einer Betrachtungseinheit aufgrund der Herstellung, Instandsetzung oder Verbesserung innewohnt “ [8] verstanden. Somit ist der vorhandene Vorrat der Abstand zwischen dem Ist-Zustand und dem Mindest-Sollzustand hinsichtlich Standsicherheit oder Gebrauchstauglichkeit [9]. In der Regel wird davon ausgegangen, dass die theoretische Nutzungsdauer durch umfangreiche Erhaltungsmaßnahmen überschritten werden kann. Die theoretische Nutzungsdauer wird verstanden als „die Zeitspanne von der Fertigstellung eines Bauteils bzw. eines Bauwerks bis zu dessen voraussichtlicher Beseitigung/ Abbruch und steht für eine voraussichtliche, auf statistischer Basis ermittelte Nutzungsdauer eines idealisierten Bauwerks“ [3]. Anhaltswerte für die theoretischen Nutzungsdauern von Brückenbauteilen sind z. B. in den Ablösungsrichtlinien ABBV [4] aufgeführt. Diese Angaben beziehen sich auf Bauteile wie Über- und Unterbau mit Unterscheidungen hinsichtlich der eingesetzten Baustoffe. Angaben für die durchschnittliche sowie die minimale und maximale Nutzungsdauer verschiedener Einzelbauteile eines Brückenbauwerks basieren auf Erfahrungswerten der Straßenbauverwaltungen [11,12,13,14]. Dabei wird z.B. eine theoretische Nutzungsdauer von 110 Jahren für Unterbauten aus Beton, wie z.B. für die Widerlager, angegeben und für Überbauten aus Stahlbeton oder Spannbeton, wie z.B. für Balken oder Platten, wird eine theoretische Nutzungsdauer von 70 Jahren genannt. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Erneuerungszyklen unter Berücksichtigung der Nutzungsdauer verschiedener Bauteile i.d.R. angekoppelt werden und z.B. die Erneuerung der Brückenkappen idealerweise bei der Nutzungsdauer des kompletten Brückenbelags berücksichtigt wird. Hierfür liegen Erfahrungswerte z.B. aus [15, 16] vor. 3. Die Dauerhaftigkeit für Brückenbauwerke aus Beton Aktuelle Regelwerke für Brückenbauwerke aus Beton wie z. B. DIN EN 1990 [5], DIN EN 1992-2 [6] und gültige Verordnungen wie HOAI [17] und BauPVO [18] fordern die Dauerhaftigkeit des Bauwerks sicherzustellen. Somit ist die Dauerhaftigkeit ein inhärenter Aspekt bei der Bemessung von Ingenieurbauwerken. Eine Bemessung der Dauerhaftigkeit bzw. der Lebensdauer von Brückenbauwerke aus Beton, auch Lebensdauerprognose genannt, benötigt zunächst eine Definition des Begriffs „Dauerhaftigkeit“. Im Zusammenhang mit Dauerhaftigkeitsbetrachtungen werden im deutschsprachigen Raum die Begriffe „Lebensdauer“, „Bemessungsdauer“ und „Nutzungsdauer“ verwendet. Abb.1: Schematische Darstellung des Lebenszyklus von Ingenieurbauwerken nach [10] In den Regelwerken, in denen allgemeine Prinzipien zum Entwurf von Tragwerken aufgestellt werden, wird die Dauerhaftigkeit implizit definiert: Die Dauerhaftigkeit des Tragwerks soll dazu führen, dass das Tragwerk während der Lebensdauer für seine Nutzung geeignet ist z.B. [9]. Die Regelwerke, in denen quantitative Bemessungsansätze aufgestellt werden, enthalten die Definitionen zur Dauerhaftigkeit, Beschreibungen, Hinweise zu den Nachweisen sowie materialspezifische, konstruktive und ausführungsrelevante Anforderungen z.B. [7]. Dabei werden Begriffe verwendet, die die „Dauerhaftigkeit“ oder ein „dauerhaftes Bauwerk“ ähnlich aber nicht identisch beschreiben: Erfüllung der Funktionalität, die Fähigkeit zur Funktionserfüllung, Erhaltung von Eigenschaften, Verhalten, Qualität, Vermögen, Beschaffenheit, Beständigkeit, Leistungsfähigkeit, Kapazität und Widerstand. Nach DIN EN 1990 [5] ist das Tragwerk so zu bemessen, dass zeitabhängige Veränderungen der Eigenschaften das Verhalten des Tragwerks während der geplanten Nutzungsdauer nicht unvorhergesehen verändern. Dabei sind die Umweltbedingungen und die geplanten Instandhaltungsmaßnahmen zu berücksichtigen. Unter “zeitabhängige Veränderungen des Verhaltens” wird in DIN EN 1990, Abschnitt 2.3, Tabelle 2.1 [5] exemplarisch die Ermüdung genannt. An dieser Stelle ist anzumerken, dass während die in Tabelle 2.1 [5] empfohlenen Planungsgrößen der Nutzungsdauer in der englischen Fassung der DIN EN 1990 für die Ermittlung der zeitabhängigen Leistungsfähigkeit der Bauwerke berücksichtigt werden dürfen (time-dependent performance) und explizit die Ermüdung als Beispiel genannt wird, diese Planungsgrößen in der deutschen Fassung als “Planungsgröße für Dauerhaftigkeitsnachweise (z. B. Ermüdungsnachweise)“ übersetzt werden. Tatsächlich handelt es sich bei Betrachtungen zum Grenzzustand der Ermüdung keineswegs um ein Beispiel für einen Dauerhaftigkeitsnachweis, so wie es durch die deutsche Übersetzung der DIN EN 1990 impliziert wird, sondern um ein eigenen lastabhängigen Grenzzustand. Die Dauerhaftigkeit einer Brücke oder ihrer Bauteile ist nicht unabhängig von den Beanspruchungen, die bei der 5. Brückenkolloquium - September 2022 337 Dauerhaftigkeit und Nutzungsdauer von Ingenieurbauwerken Trag- und Gebrauchstauglichkeitsbemessung betrachtet werden. Aber auch wenn ein gegenseitiger Einfluss nicht ausgeschlossen werden kann, wird die Dauerhaftigkeit in der Fachliteratur ausschließlich unter Berücksichtigung von umgebungs- und lagerungsbedingten Einflüssen betrachtet. Damit bedeutet die Gewährleistung der Dauerhaftigkeit, dass die umweltbedingten physikalischen und chemischen Einwirkungen keine unzulässigen Auswirkungen für die Betoneigenschaften verursachen. Durch physikalische und chemische Einwirkungen der Umgebung und abhängig von den Transporteigenschaften flüssiger und gasförmiger Substanzen im Betongefüge können sich maßgebende technische Eigenschaften des Betons, die für die Nutzung relevant sind, verändern. So kann z. B. die Chloridkonzentration im Betonquerschnitt zunehmen. Nach DIN EN 1992-2 [14] sind die Anforderungen an ein angemessen dauerhaftes Tragwerk erfüllt, wenn dieses während der vorgesehenen Nutzungsdauer seine Funktion hinsichtlich Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit ohne wesentlichen Verlust der Nutzungseigenschaften bei einem angemessenen Instandhaltungsaufwand erfüllt. Im Geschäftsbereich der Bundesfernstraßen definiert RI- ERH-ING [19] die Dauerhaftigkeit als „die Widerstandsfähigkeit des Bauwerkes bzw. einzelner Bauwerkssteile gegenüber Einwirkungen, um eine möglichst lange Nutzungsdauer unter Aufrechthaltung der Standsicherheit und Verkehrssicherheit bei planmäßiger Nutzung und planmäßiger Bauwerkserhaltung zu erreichen“. Somit ist die Dauerhaftigkeit gegeben, wenn das Bauteil/ Bauwerk keine oder lediglich geringfügige Mängel/ Schäden aufweist, die im Rahmen der Bauwerksunterhaltung oder im Zuge von geringfügigen Instandsetzungsmaßnahmen behoben werden können. Wenn die erforderlichen Maßnahmen nicht durchgeführt werden, geht man davon aus, dass das Bauwerk lediglich mit eingeschränkter Nutzung seine konzipierte Nutzungsdauer erreicht oder eine vorzeitige Erneuerung erforderlich wird. In der Regel unterliegen Bauwerke während ihrer Nutzungsdauer einer Vielfalt von Schädigungsmechanismen. Dauerhaftigkeitsrelevante Schädigungsprozesse im Brückenbau, die zu Schäden und Mängeln im Bauwerk führen können, sind in der RI-EBW-PRÜF [20] aufgelistet. Typische schadensauslösende umgebungs- und lagerungsbedingte Prozesse sind z. B. Karbonatisierung des Betons, Chlorideindringung in den Beton, Frost-Tausalz- Angriff, Alkali-Kieselsäure-Reaktion und Bewehrungskorrosion. Im Rahmen der Bauwerkprüfung wird nach den Auswirkungen von Schädigungsmechanismen wie z. B. Roststellen, Rissen, und Abplatzungen gesucht und diese für die Erhaltungsplanung analysiert und bewertet. 4. Die Dauerhaftigkeitsbemessung für Brückenbauwerke aus Beton Eine Bemessung der Dauerhaftigkeit impliziert eine Quantifizierung der Einwirkung und des Widerstands des Bauteils für eine geplante Lebensdauer. Im Bauwerk sind weder die Einwirkung noch das Verhalten des Bauteils exakt bekannt. Einwirkungen und Widerstände sind stochastisch und zeitabhängig verteilt. Zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit nach DIN EN 1990 [5] darf „das Maß der zeitabhängigen Änderungen der Eigenschaften aufgrund von Berechnungen, Messungen und Erfahrungen mit bereits vorhandenen Bauwerken oder aufgrund von Kombinationen solcher Verfahren“ bestimmt werden. DIN Fachbericht 100 Beton [7] definiert die „Nutzungsdauer“: „die Zeitspanne, während der die Eigenschaften des Betons im Bauwerk auf einem Niveau erhalten bleiben, das mit der Erfüllung der Leistungsanforderungen an das Bauwerk verträglich ist, vorausgesetzt, dass dieses in geeigneter Weise instandgehalten wird“. Dabei ist eine Mindestnutzungsdauer von 50 Jahren für die Grenzwerte der Betonzusammensetzung impliziert. Diese Grenzwerte setzten voraus, dass der Beton ordnungsgemäß nach Regelwerk ausgeführt wird, dass die Betondeckung der Bewehrung der einschlägigen Bemessungsnorm für die maßgebenden Umgebungsbedingungen entspricht, dass die geeignete Expositionsklasse ausgewählt wurde und das eine angemessene Instandhaltung durchgeführt wird. Allerdings wird beachtet, dass für kürzere oder längere Nutzungsdauern weniger einschränkende oder strengere Grenzwerte erforderlich sein könnten. In diesen Fällen können besondere Betonzusammensetzungen oder besondere Anforderungen erforderlich sein und ggf. für eine bestimmte Baustelle oder allgemein durch entsprechende Vorschriften berücksichtigt werden. Bis zur Einführung der neuen DIN 1045-2 gilt der DIN Fachbericht 100 aus dem Jahr 2010 [7], der die DIN EN 206-1 und DIN 1045-2 von 2008 beinhaltet. Jedoch auch nach DIN EN 206 von 2017 [21] gilt für die Bemessungslebensdauer: „angenommene Zeitspanne, während der ein Tragwerk oder ein Teil davon für den geplanten Zweck bei der erwarteten Instandhaltung, aber ohne wesentliche Instandsetzungsmaßnahmen genutzt werden kann“. Dabei wird ebenfalls von einer Nutzungsdauer von mindestens 50 Jahren ausgegangen. Für die Tragwerksplanung definiert DIN EN 1990 [5] die geplante Nutzungsdauer ebenso als: „die angenommene Zeitdauer, innerhalb der ein Tragwerk unter Berücksichtigung vorgesehener Instandhaltungsmaßnahmen für seinen vorgesehenen Zweck genutzt werden soll, ohne dass jedoch eine wesentliche Instandsetzung erforderlich ist“. Dabei wird die Nutzungsdauer für Brücken und andere Ingenieurbauwerke mit einer Planungsgroße von 100 Jahre angegeben (Klasse 5). Wie in Abschnitt 3 beschrieben bezieht sich diese Planungsgröße auf die zeitabhängige Leistungsfähigkeit der Bauwerke. Als Beispiel hierfür wird der Nachweis der Ermüdung genannt. Derzeit wird die Planungsgröße einer Nutzungsdauer von 100 Jahren in Deutschland bei der rechnerischen Nachweisführung ausschließlich beim Nachweis des Grenzzustandes der Ermüdung berücksichtigt [6]. Durch Ermüdung kann eine zeitabhängige fortschreitende Schädigung entstehen, die die Tragfähigkeit, die Gebrauchstauglichkeit und die Dauerhaftigkeit beeinträchtigt. 338 5. Brückenkolloquium - September 2022 Dauerhaftigkeit und Nutzungsdauer von Ingenieurbauwerken Unter Ermüdung wird eine wiederholte nicht ruhende Belastung verstanden, die unter der statischen Beanspruchbarkeit liegt. Die Materialermüdung kann entweder durch kurzzeitige/ niederzyklische Wechselbeanspruchungen mit einer geringen Anzahl von Lastwechseln und hohen Amplituden, oder durch dauerhafte/ hochzyklische Wechselbeanspruchung mit einer hohen Anzahl von Lastwechseln und (relativ) geringen Amplituden verursacht werden. Für den Nachweis bei Betonbauteilen wird prinzipiell der Anteil der nicht vorwiegend ruhenden Belastung berücksichtigt [22]. Die Spannungsänderungen sind bei Brückenbauwerken des Bundesfernstraßennetztes im Wesentlichen durch wechselnde Verkehrslasten hervorgerufen und werden bei Spannbetonbrücken überdies maßgeblich durch die Höhe des Grundmoments infolge der ständigen Lasten, infolge des Konstruktionseigengewichts und der Ausbaulasten, dem statisch unbestimmten Anteil der Vorspannung, zeitabhängigen Beanspruchungsänderungen (Kriechen und Schwinden), Auswirkungen aus Baugrundbewegungen und aus ungleichmäßiger Temperatur DTM beeinflusst. Die Nachweisführung erfolgt in der Regel über den Nachweis schädigungsäquivalenter Schwingbreiten der Bewehrung auf Grundlage des Ermüdungslastmodells 3. Für die Nachrechnung kann auch die die direkte Ermittlung der Schädigung unter Ansatz des Ermüdungslastmodells 4 erfolgen. Der Begriff Lebensdauer wird hier immer mit Bezug auf ein ermüdungsbedingtes Versagen verwendet. Die tatsächliche Lebensdauer wird jedoch auch durch andere Aspekte beeinflusst wie z.B. durch Korrosion der Bewehrung. Nach DIN EN 1990/ NA gelten die in Abschnitt 3.2 Tabelle 2.1 angegebenen Werte als Anhaltswerte und man geht davon aus, dass die „enthaltenen Regelungen zur Gewährleistung der Dauerhaftigkeit bei angemessenem Instandhaltungsaufwand in der Regel während der vorgesehenen Nutzungsdauer die geforderte Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit ohne wesentliche Beeinträchtigung der Nutzungseigenschaften sichern.“ Das aktuelle semiprobabilistische Sicherheitskonzept für die Bemessung und Konstruktion basiert auf charakteristischen Werten von Einwirkungen und Widerständen und berücksichtigt Teilsicherheitsbeiwerte zur Erzielung einer bestimmten Zuverlässigkeit. Für Brückenbauwerke ist eine Zuverlässigkeitsklasse RC2 mit einem Zielwert des Zuverlässigkeitsindex β von 3,8 für einen Bezugszeitraum von 50 Jahren für die Tragfähigkeit nach DIN EN 1990 [5] angegeben und für die Ermüdung werden Zielwerte des Zuverlässigkeitsindex zwischen 1,5 und 3,8 in einem Bezugszeitraum von 50 Jahren abhängig von der Zugänglichkeit, Instandsetzbarkeit und Schadenstoleranz angegeben. Für die Gebrauchstauglichkeit ist nach DIN 1990 [5] ein Zielwert von ß= 1,5 im Bezugszeitraum von 50 Jahren enthalten. In Abhängigkeit des Bezugszeitraums werden die charakteristischen Werte der veränderlichen Einwirkungen ermittelt. Der Zuverlässigkeitsindex korreliert mit einer bestimmten (gesellschaftlich akzeptierten) Versagensbzw. Überlebenswahrscheinlichkeit im definierten Zeitraum und bedeutet nicht, dass tatsächlich eine Schädigung in dieser Zeit hervorgerufen wird. Eine Änderung der Bezugszeit auf 1 Jahr oder 100 Jahre impliziert eine Änderung des Zuverlässigkeitsindex und damit der theoretischen Versagensbzw. Überlebenswahrscheinlichkeit. Während der Nutzung eines Brückenbauwerkes können z.B. steigende Verkehrslasten dazu führen, dass sich eine unvorhergesehene Veränderung der Annahmen und damit der Nutzung des Bauwerks für die Tragfähigkeitsbemessung ergibt und die vorausgesetzte Sicherheit folglich rechnerisch nicht mehr gewährleistet ist. Für solche Fälle sind ggf. Ertüchtigungsmaßnahmen erforderlich. Diese Fälle stehen nicht in Verbindung mit einer etwaigen Nichtberücksichtigung der Planungsgröße von 100 Jahren, die für Brücken derzeit nur beim Nachweis gegen Ermüdung rechnerisch Berücksichtigung findet, sondern sind vielmehr eine Folge unvorhergesehener verkehrlicher Veränderungen auf unseren Bundesfernstraßen. Auch die Verlängerung des Bezugszeitraums für die Zielzuverlässigkeit könnte eine solche unvorhergesehene Nutzungsänderung nicht kompensieren. Für die Dauerhaftigkeit sind sowohl die Einwirkungen als auch die Widerstände maßgebend. Hierfür werden die Expositionsklassen in den Eurocodes in Übereinstimmung mit EN 206 angegeben. Abhängig von den Expositionsklassen werden Anforderungen an die Betonzusammensetzung festgelegt, die sich sowohl auf den Schutz der Bewehrung als auch auf den Widerstand des Betons gegen Angriffe auswirken. Darüber hinaus erfolgt der Schutz der Bewehrung gegen Korrosion durch die Betondeckung. Sie ist von den Umweltbedingungen und der Betonqualität abhängig und wird als Widerstand und als Nachweis herangezogen. Für die Bemessung wird der größere Wert der Betondeckung c min , der sich aus den Verbundbzw. Dauerhaftigkeitsanforderungen ergibt, zugrunde gelegt. Die Mindestbetondeckungen für Betonstahl und Spannglieder in Normalbeton für Expositionsklassen und Anforderungsklassen werden durch c min,dur festgelegt. Für Brückenbauwerke verweist DIN EN 1992-2 [14] auf die Regelungen aus DIN EN 1992-1-1 [21] im Kapitel 4 im Hinblick auf die Betondeckung. In Deutschland sind die Angaben zu nominellen Betondeckungen für Brückenbauwerke im Abschnitt 4.4.1.2 Tabelle 4.3.1 DE in DIN EN 1992/ NA enthalten [6]. Für den Hochbau enthält DIN EN 1992-1-1 [23] die Mindestbetondeckungen c min,dur in Abhängigkeit von den Anforderungsklassen S1-S6. In Deutschland wird die Betonzusammensetzung nach DIN Fachbericht 100 [7] verwendet. Die Festigkeit und Dichtheit des Betons im oberflächennahen Bereich wird durch die Nachbehandlung nach DIN 1045- 3 [24] bzw. DIN EN 13670 [25] sichergestellt. Nach DIN EN 1992-1-1/ NA [23] entspricht die Anforderungsklasse S3 einer Nutzungsdauer von 50 Jahren nach nationalen Erfahrungen. Das bedeutet, dass die Nutzungsdauer von 50 Jahren schon bei einer niedrigeren Klasse (S3 statt S4) im Vergleich zur Empfehlung nach DIN EN 1992-1-1 und somit mit einer geringeren Betondeckung erfahrungsgemäß erreicht wird. An dieser Stelle ist anzumerken, dass ein Hinweis auf eine Erhöhung der Nutzungsdauer auf 100 Jahre für den Hochbau in DIN EN 1992-1-1/ NA nicht enthalten ist. Die DIN EN 1991-1-1 sieht bei einer Erhöhung der Nut- 5. Brückenkolloquium - September 2022 339 Dauerhaftigkeit und Nutzungsdauer von Ingenieurbauwerken zungsdauer auf 100 Jahre eine Erhöhung um zwei Anforderungsklassen vor. Dies würde für die XD-Expositionen zu einer Vergrößerung der Mindestbetondeckung c min,dur um 10 mm führen. Für den Fall, dass eine besondere Qualitätskontrolle vorgesehen wird, dürfte die Anforderungsklasse gemäß DIN EN 1992-1-1 ohne Berücksichtigung des nationalen Anhangs wieder um 1 vermindert werden. Tabelle 1 Anforderungen an die Dauerhaftigkeit über die Mindestbetondeckung c min,dur nach DIN EN 1992-2/ NA [6] und nach DIN EN 1992-1-1/ NA [23]. Bauteile aus Stahlbeton nach DIN EN 1992-2/ NA für Straßenbrücken für die Exposition nach ZTV-ING [26] Bauteil (Exposition nach ZTV-ING) c min,dur in mm nach DIN EN 1992-2/ NA c min,dur in mm nach DIN EN 1992-1-1/ NA Überbau (XD1/ XD2) 40 Für XD1: 30 Für XD2: 35 Unterbau (XD1/ XD2) 40 (nicht erdberührte Flächen) Kappen (XD3) 40 (nicht betonberührte Flächen Für XD3: 40 Tabelle 1 zeigt einen Vergleich der Anforderungen an die Dauerhaftigkeit über die Betondeckung zwischen Bauteilen für den Straßenbrückenbau nach DIN EN 1992-2/ NA [6] unter Beachtung der Expositionen nach ZTV-ING [26] und für den Hochbau für entsprechende Expositionen nach DIN EN 1992-1-1 / NA [23]. Es ist ersichtlich, dass die Anforderungen, die an Brücken gestellt werden die Anforderungen für den Hochbau (S3 für 50 Jahre) übersteigen. Damit kann davon ausgegangen werden, dass bei der vorhandenen Qualitätskontrolle, die für Brückenbauwerke nach ZTV- ING [26] gefordert werden, hinsichtlich der Dauerhaftigkeit eine Nutzungsdauer von deutlich mehr als 50 Jahren erreicht wird. Abb. 2 Schematische Darstellung für den Zusammenhang zwischen Grenzzustand und geplante bzw. tatsächliche Nutzungsdauer [27] Für Kappen aus Beton zeigt Tabelle 1, dass mit 40 mm Mindestbetondeckung die Klasse auch der Klasse im allgemeinen Hochbau entspricht. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass Kappen aus Beton bedingt durch die Expositionsklasse (XD3, XF4) mit einer höheren Qualität als Bauteile im Hochbau hergestellt werden jedoch als Verschleißbauteile zu betrachten sind. Aufgrund anderer Erhaltungsmaßnahmen werden Kappen aus Beton häufig früher als nach 50 Jahren ausgetauscht. Ihre durchschnittliche Nutzungsdauer kann mit ca. 25 Jahren angenommen werden [z.B. 4,12]. Somit ergibt sich, dass für einen festgelegten Grenzzustand die Nutzungsdauer bzw. die Bemessungsdauer unter Berücksichtigung der vorgesehenen Instandhaltung geplant werden muss. Die tatsächliche Nutzungsdauer kann jedoch erst am Ende der Nutzung festgestellt werden, s. Abb. 2. Die in den ABBV [4] angegebenen Werte der Nutzungsdauer werden für die Ermittlung von Ablösungsbeträgen genutzt. Hierfür werden Mittelwerte der Nutzungsdauer herangezogen, s. Abschnitt 2. 5. Das aktuelle Vorgehen bei der Dauerhaftigkeitsbemessung für Brücken aus Beton Nach RI-EBW-PRÜF [20] wird ein gewisses Schädigungsniveau erreicht, sobald z.B. die Karbonatsierungsund/ oder die Chloridfront im Beton vorgedrungen sind. Liegen die Fronten im Bereich bis 1/ 3 der Tiefe der Betondeckung wird die Schadensbewertung D=1, zwischen 1/ 3 und 2/ 3 D=2 und bis zur Bewehrung (gesamte Tiefe der Betondeckung) D=3 angegeben. Grenzwerte für die Chloridkonzentration an der Front werden mit 0,4 M.-%-z für Stahlbeton bzw. 0,2 M.-%-z für Spannbeton festgelegt. Des Weiteren werden in RI-EBW-PRÜF Rissbreite und Exposition im Hinblick auf die chloridinduzierte Korrosion bewertet. Z. B. erhalten Risse bei Chlorideinwirkung im Sprühnebelbereich mit Rissweiten zwischen 0,1 und 0,2 mm die Dauerhaftigkeitsnote D=2. Bei Rissweiten zwischen 0,2 und 0,4 wird die Schadensbewertung D=3 erteilt. Eine Auswertung aus dem Jahr 2005 zu Korrosionsschäden in Spannsystemen [31] zeigt, dass die Korrosion der Bewehrung weltweit die Hauptursache für Schäden an Brücken ist. Dabei tragen jeweils mehrere Ursachen zur Entstehung der Schäden bei. Folgeschäden, die durch den Schaden an einem anderen Bauteil hervorgerufen werden, wie z. B. Undichtigkeiten der Entwässerungseinrichtung können einen verstärkten Eintrag von chloridhaltigem Wasser verursachen und das Korrosionsrisiko der Bewehrung erhöhen. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Ausführungsqualität von wesentlicher Bedeutung ist. Mangelhaft verpresste Spannglieder, Kiesnester und Betonierfugen sind lokale Fehlstellen, die Korrosion begünstigen. Für definierte Bauwerksgruppen in Stahlbeton- und Spannbetonbrücken sind Schädigungspotenziale in [32] zusammengefasst. Hierfür wurden Brücken aus den Jahren 1935 bis 2010 auf Grundlage der tatsächlich aufgetretenen relevanten Schäden analysiert. Relevante Schäden (Schadensbewertung D ≥ 2) sind Schäden, die kurzbzw. mittelfristig oder sofort beseitigt werden müssen. Dabei ist zu beachten, dass Schäden bezüglich Standsicherheit und Verkehrssi- 340 5. Brückenkolloquium - September 2022 Dauerhaftigkeit und Nutzungsdauer von Ingenieurbauwerken cherheit bei den Bewertungen immer auch eine Auswirkung auf die Dauerhaftigkeit haben. Werden Bauwerksdaten von Brücken mit Baubeginn nach 2003 explizit ausgewertet, ist eine Verlagerung der Schäden hin zu einer günstigeren Bewertungszahl bei jeder Bauteilgruppe im Vergleich zu Brücken mit Baujahr zwischen 1935 und 2003 erkennbar. Diese Verbesserung des Zustands wird auch unter Beachtung des Alters auf die Verschärfung der Normen zurückgeführt. Eine Abhängigkeit von der Verkehrsstärke im Hinblick auf Schäden hinsichtlich der Dauerhaftigkeit ist aus den Ergebnissen nicht ersichtlich [32,33]. Abb. 3 zeigt schematisch das Prinzip des Verlaufs einer Schädigung infolge Bewehrungskorrosion. Die Erfassung findet in der Regel nach dem Auftreten von Schäden bzw. Mängeln statt. Dies entspricht einem Stadium, in dem die Einleitungsphase lokal, an singulären Stellen des Bauwerks, beendet ist. Mit dem aktuellen Vorgehen wird eine Ankündigung des Versagens vorausgesetzt. Die erkannten Schäden werden anschließend reaktiv beseitigt. Die Sicherheit hinsichtlich der Dauerhaftigkeit, mit der die Nutzungsdauer erreicht wird, ist unbekannt. Eine Abschätzung der Sicherheit bezüglich des verbliebenen Abstands von Einwirkungen und Widerstand ist nicht möglich. Ein quantitatives Kriterium für „das Ende der Nutzungsdauer“ bzw. für die Restnutzungsdauer eines Bauwerks oder Bauteils lässt sich mit dem aktuellen Bemessungsformat nicht ableiten. Zur Ermittlung der Lebensdauer bzw. der Zeit bis zur nächsten Instandsetzungsmaßnahme wurden Modelle unter Berücksichtigung von Daten von den Straßenbauverwaltungen und in verschiedenen Forschungsvorhaben eingesetzt. Dabei wurden u. a. statistische Auswertungen des mittleren Alters der Bauwerke bei Eintreten einzelner Schäden und die Ausfallhäufigkeit einbezogen. Auf dieser Grundlage wurden zeitliche Maßnahmen und Kostenabfolgen für Ingenieurbauwerke bestimmt. In den Richtlinien für die Berechnung von Ablösebeträgen der Erhaltungskosten für Ingenieurbauwerke ABBV [4] sind Angaben zur Berechnung der Nutzungszeiten sowie Angaben zu theoretischen Nutzungsdauern enthalten, um die notwendige Bauwerkserhaltung abschätzen zu können, s. Abschnitt 2. Abb. 3 Schematischer Schädigungsverlauf [34] Unabhängig von einer Zustandserfassung ist jedoch die grundsätzliche Frage nach dem Bauwerkszustand zu stellen. Hier wird ein Optimum für eine wirtschaftliche Nutzung über den Unterhaltungsaufwand unter Berücksichtigung der geforderten Sicherheit und der damit erzielbaren Nutzungszeit angestrebt. Die Risikobereitschaft bei den Entscheidungen und somit auch die akzeptierte Zuverlässigkeit ist Teil der gewählten Strategie. 6. Die rechnerische Analyse der Dauerhaftigkeit von Brückenbauwerke aus Beton Eine zeitliche Beschreibung der Deteriorationsprozesse und der Betoneigenschaften im Hinblick auf eine rechnerische Bemessung benötigten mathematische Modelle. Schädigungsmodelle für Betonbauwerke sind i.d.R. empirisch oder semiempirisch. Die rechnerische Analyse der Dauerhaftigkeit setzt voraus, dass die Schädigung zunächst in der Betondeckung eingeleitet wird (Einleitungsphase) und dabei eine Veränderung der Eigenschaften des Betons verursacht werden kann. Nach der Einleitung kann die Schädigung fortschreiten und z.B. zur Korrosion der Bewehrung führen, s. Abb. 3. Jede Schädigungsphase nach Abb. 3 kann mit einem eigenen Stoffgesetz beschrieben werden. Für die Dauerhaftigkeit wird die Depassivierung des Bewehrungsstahls als Grenzzustand betrachtet. Dieser Grenzzustand entspricht aber nicht den klassischen Grenzzuständen der Gebrauchstauglichkeit und/ oder der Tragfähigkeit, weil nach der Überschreitung der Zustand des Bauwerks nicht unmittelbar beeinträchtigt wird. Dieser Grenzzustand wird vielmehr als Ersatzgrenzzustand betrachtet, weil er dem Entstehen einer sichtbaren Schädigung zeitlich vorgelagert ist [35,36] Bei Dauerhaftigkeitsbetrachtungen nimmt die Schädigung und somit die „Versagenswahrscheinlichkeit“ mit der Zeit zu. Beispielsweise steigt die Wahrscheinlichkeit der Depassivierung und die Zuverlässigkeit im Hinblick auf Depassivierung nimmt mit der Zeit ab. Die Zuverlässigkeit ist ein Wahrscheinlichkeitsbegriff, der mit der Wahrscheinlichkeit des Versagens korreliert. Die Zuverlässigkeit stellt nach DIN EN 1990 [5] „die Fähigkeit eines Tragwerks oder Bauteils die festgelegten Anforderungen innerhalb der geplanten Nutzungszeit zu erfüllen“ dar. Die aktuellen Konzepte zur Bemessungsdauer (geplante Lebensdauer) sind an das Ende der Einleitungsphase gekoppelt. Somit bestimmen die Berechnungen eine mathematische Wahrscheinlichkeit für die Depassivierung. Diese Wahrscheinlichkeit gibt keinen eindeutigen Hinweis über das Ausmaß einer möglichen Korrosion. Man geht aber davon aus, dass die Größe der betroffenen Bereiche mit steigender Depassivierungswahrscheinlichkeit zunimmt. Auf welche Weise die rechnerisch angestrebte und ermittelte Nutzungsdauer erreicht wird, hängt einerseits vom Bemessungskonzept und andererseits von den bei der Festlegung der Zuverlässigkeit relevanten Wirtschaftlichkeitsüberlegungen ab, wie z.B. Ursache und Folgen des Versagens, Kosten, Akzeptanz des Versagens [z.B. 35, 36,37]. Im aktuellen pränormativen Regelwerk sowie in der Fachliteratur werden keine einheitlichen Werte für die Zuverlässigkeitsindizes bezüglich Dauerhaftigkeit angegeben. Die Zielzuverlässigkeit für die Dauerhaftigkeit wird in [34] mit einem ß=1,30 empfohlen, dies korreliert mit einer Wahrscheinlichkeit der Depassivierung von ca. 10% für eine Nutzungsdau- 5. Brückenkolloquium - September 2022 341 Dauerhaftigkeit und Nutzungsdauer von Ingenieurbauwerken er von 50 Jahren. Dieser Wert ist niedriger als der in DIN EN 1990 [5] angegebenen Zielwert des Zuverlässigkeitsindex für die Gebrauchstauglichkeit von 1,5 in einem Bezugszeitraum von 50 Jahren für Bauteile mit RC2-Anforderungen (siehe auch Abs. 4). Bei der Depassivierung des Bewehrungsstahls als „Ersatzgrenzzustand“ ist eine Überschreitung der Gebrauchstauglichkeit nicht vorhanden, so dass auch niedrigere Zuverlässigkeitswerte vorgeschlagen werden können [38]. In [39] sind Zielwerte der Zuverlässigkeitsindizes für solche Gebrauchsgrenzzustände in Abhängigkeit von Kosten-Nutzen-Überlegungen (hoch bis niedrig) zwischen 1,3 und 2,3 für einen Bezugszeitraum von 1 Jahr angegeben. Da die Depassivierung des Betonstahls durch Karbonatisierung und durch das Eindringen von Chloriden zeitabhängige Prozesse sind, sind Festlegungen am Ende einer vereinbarten Nutzungsdauer anzustreben. Übliche Zuverlässigkeitsindizes für neue Betonbauteile, die zum Ende der geplanten Nutzungsdauer erreicht werden sollen, werden in Abhängigkeit von der Exposition mit β = 1,5 für XC1 (ständig nass), XC2, XC4 und XD1 und β = 0,5 für XC3, XD3 und XD2 angegeben [37]. Diese Zuverlässigkeitsindizes korrespondieren mit einer Depassivierungs-Wahrscheinlichkeit am Ende der Einleitungsphase von 6,7% bzw. 30,8 %. Eine vollprobabilistische Prognose für Brücken aus Beton im Hinblick auf die karbonatisierungsinduzierte und chloridinduzierte Korrosion wurde in einem von der BASt beauftragten Forschungsvorhaben [41] unter Anwendung der deskriptiven Regeln für Brückenbauwerke aus Beton nach ZTV-ING [26] rechnerisch untersucht. Hierbei wurden vielfaltige Bemessungssituationen ausgewählt. Dabei wurden die Auswirkungen hoher Einwirkungen und geringer Materialwiderstände sowie hoher Materialwiderstände und geringer Einwirkungen gegenübergestellt. Die klimatischen Bedingungen wurden anhand realer Klimadaten verschiedener Orte in Deutschland berücksichtigt. Bei Außenbauteilen von Brücken ist davon auszugehen, dass, sofern eine XC-Exposition vorliegt, das Bauteil ebenso einer XD-Exposition als auch einer XF-Exposition ausgesetzt wurde. XD bzw. XF-Exposition fordern die höheren Materialwiderstände. Für Brückenbauwerke aus Beton wurden einheitlich ein Wasserzementwert von 0,50 und ein Mindestzementgehalt von 320 kg/ mm² vorgegeben. Für den nominalen Wert der Betondeckung wurden 40 mm für freiliegende Flächen des Konstruktionsbetons mit einem Vorhaltemaß von 5 mm angenommen. Für die Parameterstudie wurde ein Vorhaltemaß von 15 mm mit einbezogen. Abb. 4 zeigt, dass sich der berechnete Zuverlässigkeitsindex im Soll- und Ist-Zustand im Spektrum der für die XD1-Exposition berechneten Zuverlässigkeitsindizes unter Berücksichtigung der deskriptiven Angaben in ZTV-ING befinden. Für den Soll-Zustand wurden Parameter aus der Literatur für die vorhandene Betonzusammensetzung gewählt; für den Ist-Zustand wurde der Diffusionskoeffizient abgeleitet, der sich aus sechs Chloridprofilen ergab, die in jeweils drei Tiefenlagen in ungerissenen Betonbereichen im Rahmen der Bauwerksprüfung gemessen wurden [40]. Abb. 4 zeigt auch, dass eine Zielzuverlässigkeit von β = 1,5 für starke Einwirkung und schwachen Chlorid-eindringwiderstand rechnerisch nicht über 50 Jahre eingehalten wird. Liegen jedoch hohe Widerstände bei schwachen Einwirkungen vor, fällt ß rechnerisch auch nach 100 Jahren nicht unter 2 und ist damit auf der sicheren Seite. Im Ist-Zustand ist ß größer als im Soll- Zustand, obwohl die reale Betondeckung kleiner als der vorausgesetzte Wert ist. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass der tatsächliche Oberflächenchloridgehalt geringer als die angenommene Chloridbelastung ist. Auch noch nach 100 Jahren wird rechnerisch ein höherer Zuverlässigkeitsindex als der geforderte Wert ermittelt. Eine Anwendung solcher Methoden setzt eine Validierung der Berechnungen in der Praxis für Brückenbauwerke voraus. Die Ergebnisse in [39] können nicht unmittelbar in der Praxis Berücksichtigung finden, da für eine sichere Anwendung noch deutlich mehr Ingenieurbauwerke mit einer breiteren Auswahl an Standorten/ Expositionen und Betonzusammensetzungen zur Verifizierung der Modellanalyse und vor allem für die Expositionsklassen XD2 und XD3 notwendig sind. Abb. 4 Beispiele für die Entwicklung der Zuverlässigkeit für die Exposition XD1 nach [40] in [34] 342 5. Brückenkolloquium - September 2022 Dauerhaftigkeit und Nutzungsdauer von Ingenieurbauwerken Eine Verbesserung der Genauigkeit der rechnerischen Vorhersage wird durch den Vergleich mit Ergebnissen aus Ingenieurbauwerken erreicht. Jedoch stellt eine sinnvolle Anwendung solcher Modelle hohe Anforderungen an die Quantität und Qualität der Ergebnisse der Bauwerksprüfung. Die Anwendung probabilistischer Bemessungsverfahren für die Dauerhaftigkeit ist komplex. Die Modellunsicherheiten, die fehlende Langzeitprognose und die Unsicherheiten bei der Verwendung von abgesicherten Korrelationen zwischen Labor- und Bauwerkprüfungen führen zu Schwierigkeiten bei der Implementierung der Lebensdauerbemessung. Jedoch werden die Vorteile einer Bemessung der Dauerhaftigkeit, die auf quantitativen rechnerischen Modellen basiert, erkannt und seit Jahren angestrebt. Aktuelle Aktivitäten in der europäischen Normung zielen darauf ab, die bisher empirisch basierten Vorgaben zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit von Stahlbetonbauwerken in Form von Grenzwerten für die Betonzusammensetzung und Angaben zur Mindestbetondeckung durch ein performancebasiertes Konzept abzulösen, dem die Anwendung probablistischer Modelle zugrunde liegt. Die Basis eines solchen Konzepts bilden Prognosemodelle für die Dauerhaftigkeit der Bauwerke sowie Prüfverfahren zur Ermittlung von Materialkennwerten. In diesem Zusammenhang ist eine Einteilung von Betonen in Expositionswiderstandsklassen in Abhängigkeit der Betonzusammensetzung bzw. der Prüfergebnisse in Dauerhaftigkeitsprüfungen vorgesehen. Diese Klassifizierung ist jedoch auf Basis des aktuellen Wissensstands noch nicht ohne weiteres möglich [34,41]. Die zukünftigen Betonnormen und Eurocodes werden voraussichtlich das Konzept der Widerstandklassen auch für die Dauerhaftigkeit beinhalten. Dabei werden Ergebnisse der probabilistischen Bemessungen der Dauerhaftigkeit berücksichtigt. Zur Klärung der Grundlagen wurde im Jahr 2021 das vom DAfStb koordinierte Verbundprojekt „Dauerhaftigkeit von Beton nach dem Performance-Prinzip“ initiiert. In diesem Zusammenhang sollen Materialeigenschaften an Betonbauwerken ermittelt werden, u. a. an realen Brückenbauwerken mittels in-situ Messungen sowie Probenentnahmen und Untersuchungen im Labor. Die im Projekt gewonnenen Erkenntnisse sollen die Grundlage für die Implementierung der Dauerhaftigkeitsbemessung gemäß zukünftigem Eurocode in Deutschland bilden. Die geplanten Untersuchungen sind von großer Bedeutung, insbesondere im Hinblick auf die Ableitung von ggf. erforderlichen nationalen Regelungen. 7. Zusammenfassung Die Bemessung der Dauerhaftigkeit im Bundesfernstraßenbereich findet zurzeit deskriptiv für neu zu errichtende und bestehende Brücken aus Beton statt. Quantitative Angaben zur Nutzungsdauer sind im Regelwerk enthalten. Für zeitabhängige Veränderungen der Eigenschaften wird eine Planungsgroße unter Beachtung der Ermüdung mit 100 Jahren angegeben. Des Weiteren wird eine Nutzungsdauer der Ingenieurbauwerke bei einer geplanten Instandhaltung von mindestens 50 Jahren für den Baustoff Beton angegeben. Diese Werte basieren auf Labor- und Bauwerksprüfungen, empirischen Zusammenhängen, sowie auf Erfahrungswerten und berücksichtigen auch dauerhaftigkeitsmindernde Einflüsse, die auch unter Beachtung der Qualitätskontrolle und der Betondeckung maßgebend sind. Sie stellen keinen Widerspruch dar, auch wenn die angegebenen Zahlen nicht identisch sind. Die Erfahrung zeigt, dass durch die zusätzlichen Anforderungen an die Betonzusammensetzung und Ausführung nach ZTV-ING eine deutlich längere Nutzungsdauer als 50 Jahre mit der geplanten Instandhaltung zu erwarten ist. Eine Berechnung der Nutzungsdauer bzw. der Dauerhaftigkeit ist zurzeit noch nicht möglich. Jedoch könnte die Anwendung von probabilistischen Berechnungsverfahren für die Dauerhaftigkeit auch für Brückenbauwerke künftig einen brauchbaren Weg darstellen. Allerdings benötigen die probabilistischen Methoden Ergebnisse aus Labor- und Bauwerkprüfung um die altersabhängigen Eingangsparameter in den Modellen zuverlässig ermitteln zu können. Mit solchen probabilistischen Methoden und ihrer Validierung ist die Entwicklung einer Schnittstelle zwischen Prognose, Inspektionen und Erhaltung denkbar. Hierfür ist ein forschungsbegleitender, regelmäßiger fachlicher Austausch zwischen Bauherren, Planern und Wissenschaft wichtig. Dabei können die Möglichkeiten einer Umsetzung der Verfahren für Straßeninfrastrukturen betrachtet werden und es kann eine Strategie für eine effiziente Durchführung von notwendigen Labor- und Bauwerksuntersuchungen erarbeitet werden. Die Ergebnisse könnten eine Nutzungsdauerbewertung unter Berücksichtigung der heutigen und der zukünftigen Vorgehensweisen ermöglichen. Vollprobabilistische Ansätze können einen Übergang von den derzeitigen deskriptiven Bewertungsverfahren zu einer Vorgehensweise ermöglichen, die sich auf einen leistungsbezogenen und ggf. zuverlässigkeitsbasierten Ansatz stützt. Die angestrebte Nutzungsdauer von Stahlbetonbauwerken kann nur erreicht werden, wenn die Planung und Bemessung, die konstruktiven Anforderungen, die qualitätsgesicherte Ausführung sowie die in der Nutzungsphase erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen aufeinander abgestimmt sind. Um die Dauerhaftigkeit sicherstellen zu können, ist eine Differenzierung des Materialwiderstandes über zusätzliche Anforderungen wie z.B. eine Veränderung der Betondeckung denkbar. Derartige Ansätze sind derzeit Gegenstand europäischer Normungsaktivitäten, hierfür werden leistungsbezogene Bemessungskonzepte auf probabilistischer Basis herangezogen. Diese Bemessungskonzepte sind zunächst für ungerissene Betonbereiche bei gleichmäßiger Betonzusammensetzung, Ausführungsart und -qualität unter gleichmäßigen Einwirkungen entwickelt worden. Dabei werden die Versagenswahrscheinlichkeit bzw. die Zuverlässigkeit festgelegt. 5. Brückenkolloquium - September 2022 343 Dauerhaftigkeit und Nutzungsdauer von Ingenieurbauwerken Sollte eine zeitunabhängige Zuverlässigkeit herangezogen werden, ist der Widerstand z.B. über die Betondeckung für längere Nutzungszeiten zu erhöhen. Etwaige Einflüsse auf die Wirtschaftlichkeit und die Nachhaltigkeit bestimmter Bauweisen des Brückenbaus wären hierbei zu hinterfragen. Ebenfalls könnte die Bemessung bei einer zeitunabhängigen Zuverlässigkeit mit einem veränderten Widerstand über eine Veränderung zum geplanten Ende der Nutzungsdauer der Materialeigenschaften bei konstanter Betondeckung angestrebt werden, wie z.B. mit einer Betonzusammensetzung, für die ein niedrigerer Chloriddiffusionsbeiwert für die geplante Nutzungsdauer nachgewiesen wird. Sollten die bewährten Betonzusammensetzungen und Betondeckungen für die heutigen Annahmen der Nutzungsdauer von 50 Jahren auf andere Zeiträume extrapoliert werden, wäre theoretisch eine mit zunehmender Nutzungsdauer abnehmende Zuverlässigkeit zu erwarten. Dies entspräche z.B. dem derzeitigen Vorgehen bei der Bemessung im Grenzzustand der Tragfähigkeit. Diese Zusammenhänge sind im Rahmen der Erhaltungsstrategie zu definieren und festzulegen. Dadurch könnte die Erhaltungsstrategie ergänzt und die Implementierung in ein Lebenszyklusmanagement ermöglicht werden. Zurzeit sind nur unpräzise Aussagen über die tatsächliche Nutzungsdauer von Brücken bezüglich der Dauerhaftigkeit möglich. Der in diesem Beitrag beschriebene Status-Quo bezieht sich auf die aktuellen Angaben im Regelwerk. Literatur [1] Herwijnen, R.B.; Kozlowski, A.: Service Life and Life Cycle of Building Structures. In: Improvement of Building Structural Quality by new Technologies. Proceedings of the International Seminar. Lisbon, 19. und 20 April 2002, 55-65 [2] Zilch, K.; Diederichs, C.J.; Katzenbach, R.; Beckmann, K.: Handbuch für Ingenieure. 2, aktualisierte Auflage. 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Gerhard Zehetmaier WTM Engineers GmbH, Hamburg, Deutschland Dipl.-Ing. Christof Ullerich Hamburg Port Authority (HPA), Hamburg, Deutschland Zusammenfassung Im Zuge des Projekts smartBRIGE Hamburg, der Entwicklung des Digitalen Zwillings der Köhlbrandbrücke, wurden umfangreiche Monitoringmaßnahmen an der Köhlbrandbrücke in Hamburg veranlasst. So wurden u.-a. Dehnungsmessstreifen und Temperatursensoren in verschiedenen Bereichen des Versteifungsträgers, sowie Beschleunigungssensoren an 22 Seilen appliziert. Mit Hilfe der Dehnungsmessungen werden die Druckbeanspruchungen im Bodenblech und den Stegblechen in der Nähe der Pylone überwacht, um Rückschlüsse auf die Beulsicherheit abzuleiten. Durch die Dehnungsmessungen können allerdings nicht die bereits eingeprägten Druckspannungen aus ständigen Lasten gemessen werden. Durch Kenntnis der Werkstatt- und Ist-Form des Versteifungsträgers, sowie der Seilkräfte, können diese über Finite- Elemente-Berechnungen ermittelt werden. Aufgrund der Unsicherheiten bei der konventionellen Schnittgrößenermittlung war unklar, welcher Teilsicherheitsbeiwert für die Spannungen aus ständigen Lasten angemessen ist und ob dieser ggf. abgemindert werden kann. Durch umfangreiche probabilistische Untersuchungen durch Monte-Carlo-Simulationen unter Einbeziehung der verfügbaren Messdaten aus Dehnungsmessungen und Seilkraftmessungen, konnte gezeigt werden, dass der vorgegebene Teilsicherheitsbeiwert für ständige Lasten von 1,35 konservativ ist und reduziert werden kann. Im Rahmen des Beitrags werden die Vorgehensweise, sowie die aus dem Projekt abgeleiteten Erkenntnisse vorgestellt. 1. Vorbemerkungen 1.1 Einleitung Als eine der wichtigsten Verkehrsadern Hamburgs verläuft die Köhlbrandbrücke zwischen der Elbinsel Wilhelmsburg und Waltershof über den Köhlbrand. Der mittlere Abschnitt, die Strombrücke, ist eine zweihüftige Schrägseilbrücke mit einem einzelligen Stahlhohlkasten als Überbau. Im Zuge einer im Jahr 2016 durchgeführten Nachrechnung der Strombrücke nach Stufe 3 der Nachrechnungsrichtlinie konnte der Nachweis gegen Beulen der Steg- und Bodenbleche im Pylonbereich für das geforderte Ziellastniveau LM 1 (DIN FB 101) nicht erbracht werden. Als Kompensationsmaßnahme wurde ein Abstandsgebot für die auf der Brücke fahrenden LKW eingeführt. Um die Defizite auf wissenschaftlicher Grundlage bewerten zu können, wurden im Zuge der Projektierung von smart- BRIDGE Hamburg [1], dem Digitalen Zwilling der Köhlbrandbrücke, vorgezogene Monitoringmaßnahmen durch die Hamburg Port Authority (HPA) beauftragt. Diese beinhalten Dehnungsmessungen in den Steg- und Bodenblechen im beulgefährdeten Bereich, sowie Beschleunigungsmessungen an einem Teil der Harfenseile. Zur Beurteilung der Beulgefährdung wurden die Langzeitdaten des Beulmonitorings mittels einer probabilistischen Auswertung der gemessenen Extremwerte untersucht. Durch dieses Dauermonitoring wird die Beulgefährdung der Brücke in Echtzeit beurteilt. Es konnte festgestellt werden, dass nach derzeitigem Stand keine Gefährdung durch Beulen für den Überbau vorliegt [2]. Dabei wurden allerdings keine Untersuchungen hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Schnittgrößenermittlung für den Lastfall Eigengewicht durchgeführt, sondern die normativen Teilsicherheitsbeiwerte zugrunde gelegt. Im Zuge der Nachrechnung der Köhlbrandbrücke wurde diskutiert, den Teilsicherheitsbeiwert gG in Anlehnung an Massivbrücken auf 1,2 abzumindern. Dies wurde seinerzeit zunächst mangels wissenschaftlicher Grundlage verworfen. Um die Frage des Teilsicherheitsbeiwerts für das Eigengewicht zu klären, wurden durch WTM Engineers weitergehende Untersuchungen durchgeführt, die im Folgenden erläutert werden. 1.2 Gegenstand der Untersuchungen Die ständigen Einwirkungen einer Schrägseilbrücke resultieren aus der Geometrie, dem Eigengewicht und den aufgebrachten Seilvorspannungen. Im Entwurf können die Seilvorspannungen dabei so gewählt werden, dass 348 5. Brückenkolloquium - September 2022 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke sich eine günstige Schnittgrößenverteilung im Versteifungsträger für die Nachweisführung ergibt [3]. Für eine Nachrechnung besteht die Möglichkeit, die Schnittgrößen auf Grundlage gemessener Seilkräfte zu berechnen. In der Nachrechnung der Köhlbrandbrücke wurde zudem davon ausgegangen, dass das Eigengewicht des Überbaus aufgrund von Mehreinbauten nicht genau bekannt ist. Zur Lösung des Gleichungssystems der ebenfalls unbekannten Seilvordehnungen wurde eine zusätzliche Information in Form einer vertikalen Verformung in Feldmitte herangezogen, um einen Korrekturlastfall auf der Brücke zu bestimmen. Vergleichsrechnungen zeigten allerdings, dass die Schnittgrößen im Versteifungsträger teilweise stark von den angenommenen Seilkräften und der Verformung abhängig sind, sodass Ungenauigkeiten dieser Eingangsgrößen signifikante Auswirkungen auf die Schnittgrößen im Versteifungsträger haben können. Solche Ungenauigkeiten werden üblicherweise durch den Teilsicherheitsbeiwert γG für Eigengewicht abgedeckt. Im Zusammenhang mit dem Beulnachweis ergibt sich nun die Frage, ob der normativ vorgegebene Teilsicherheitsbeiwert von γG-=-1,35 die vorhandenen Unsicherheiten zutreffend beschreibt oder ob ggf. eine Reduzierung des Teilsicherheitsbeiwerts möglich ist, wenn möglichst viele bekannte Informationen zum Bauwerk einbezogen werden. In diesem Beitrag soll daher beschrieben werden, wie im Fall der Köhlbrandbrücke die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der berechneten Spannungen aus ständigen Einwirkungen beurteilt wurde. Hierzu wurden Monte-Carlo-Simulationen in Verbindung mit FE-Berechnungen durchgeführt, um die Einflüsse der Eingangsgrößen zur Ermittlung der Schnittgrößen infolge Eigengewicht mit statistischen Methoden zu untersuchen. 2. Untersuchungen zu Spannungen aus ständigen Einwirkungen 2.1 Allgemeines Im Vorfeld einer Monte-Carlo Simulation müssen alle Einflussgrößen identifiziert werden, ein statistischer Ansatz für deren Streuung gewählt und eine Gesetzmäßigkeit für die Interaktion der Einflussgrößen bestimmt werden. Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Einflussgrößen wird durch das statische Finite-Elemente-Modell definiert, welches hier zunächst erläutert wird. In diesem Kapitel werden darüber hinaus die Überlegungen zu den weiteren Einflussgrößen zusammengefasst. 2.2 Finite Elemente Modell Das grundlegende Finite-Elemente-Modell wurde in Anlehnung an die Modellbeschreibung der geprüften Nachrechnung erstellt. Das statische System der Köhlbrandbrücke wurde als Stabwerkmodell mit der Software SOFiSTiK abgebildet (siehe Abbildung-1a). Der Überbau wurde als biegesteifer Stabzug in der Lage der Soll-Gradiente, d. h. im planmäßigen Endzustand, modelliert. Die Schrägseile sind als Fachwerkstäbe abgebildet und über starre Knotenkopplungen exzentrisch am Überbau und an den Pylonen angeschlossen. Zur Berücksichtigung des Seildurchhangs wurde nach der Seiltheorie ein effektiver E-Modul in Abhängigkeit der gemessenen Seilkräfte angesetzt. Die Pylone sind ebenfalls als biegesteife Stabzüge modelliert und am unteren Ende fest eingespannt. Der Überbau ist an den Enden mittels vertikaler und horizontaler Federelemente gelagert. An den Pylonen bestehen zusätzliche Queranschläge, welche ebenfalls mit Federelementen modelliert sind. Am westlichen Pylon befindet sich als Federelement die einzige Längsfesthaltung, welche nur für veränderliche Lasten aktiv ist. Da die Summe der horizontalen Komponenten der gemessenen Seilkräfte nicht null ist, befindet sich für den Lastfall Eigengewicht in Feldmitte eine fiktive Feder in Längsrichtung, welche die übrige Horizontalkraft aufnimmt. Diese hat jedoch nur einen geringfügigen Einfluss auf die Schnittgrößen. Abbildung 1: a) Stabwerkmodell in SOFiSTiK ; b) Hybridmodell aus Stab und Schalenelementen Im Sommer 2019 wurden Belastungsfahrten durchgeführt (Abbildung- 2a), um die Genauigkeit des FE-Modells anhand von Messungen zu validieren. Im Zuge dessen wurde der Überbau abschnittsweise mittels Schalen-Elementen zu einem Hybridmodell verfeinert (Abbildung-1b). Die Auswertungen der Belastungsfahrten zeigten eine gute Übereinstimmung der berechneten Einflusslinien aus dem Modell zu den Messergebnissen, die exemplarisch für eine Messstelle in Abbildung-2b dargestellt sind. Im Allgemeinen war die Übereinstimmung der Messwerte mit dem Hybridmodell besser als mit dem reinen Stabmodell. Allerdings führen beide insbesondere bezüglich der Längsspannungen zu qualitativ richtigen Ergebnissen. Da im Rahmen der folgenden Untersuchungen insbesondere die Auswirkungen der Eingangsvariablen auf die globalen Schnittgrößen im Versteifungsträger untersucht werden, ist daher die Verwendung des Stabwerkmodells ausreichend. Die folgenden Untersuchungen zu ständigen Einwirkungen wurden daher auch aufgrund der Rechendauer und der besseren Übersichtlichkeit an dem Stabwerksmodell durchgeführt. 5. Brückenkolloquium - September 2022 349 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke Abbildung 2: a) Belastungsfahrten mit Betonpumpen; b) Vergleich Messwerte und FE-Stab- und Hybridmodell 2.3 Einfluss der geometrischen Größen auf die Schnittgrößen Bei der hier untersuchten Schrägseilbrücke handelt es sich um ein vorgespanntes Seiltragwerk, bei dem die Geometrie (d. h. auch die Seillängen) und die Seilkräfte im Endzustand bekannt sind. Unbekannt sind dagegen die Vordehnungen der Seile, sowie das genaue Gewicht des Versteifungsträgers. Im Zuge der Berechnung der Schnittgrößen unter Eigengewicht wurden die 88 Seilvordehnungen und ein sogenannter Korrekturlastfall so bestimmt, dass sich ein verträglicher Zustand einstellt und sich demzufolge die durch Messungen bestimmten Seilkräfte und eine vorgegebene Verformung in Feldmitte (dem Bereich der größten Verformung) einstellen. In diesem Abschnitt werden der Einfluss der vorgegebenen Verformung und weitere geometrische Einflüsse diskutiert, um die Sensitivität der FE-Berechnung einschätzen zu können. Die Bewertung der Seilkräfte selbst als Eingangsparameter wird in Kapitel 2.4 untersucht. Abbildung 3: Vergleich der Verformungen u Soll und u FE 2.3.1 Einfluss der vorgegebenen Verformung Die vorgegebene Vertikalverformung u Soll in Brückenmitte ergibt sich aus der berechneten Formänderung infolge ständiger Belastung gemäß Bestandsstatik und der Differenz zwischen der Soll-Gradiente und der gemessenen Ist-Gradiente aus dem Jahr 1978. Da die Verformung nur in Feldmitte durch den Korrekturlastfall angepasst wird, kann über die restliche Brückenlänge eine Differenz zwischen u Soll und der Verformung u FE aus der FE- Berechnung auftreten. Abbildung-3 zeigt, dass bei einer Anpassung der Verformung in Feldmitte in den Bereichen der Pylone Differenzen von bis zu 35-cm auftreten. Für den Fall, dass die Werkstattform, die Seilkräfte, die mechanischen Eigenschaften der Materialien und geometrische Länge der Seile genau bekannt sind, sollte sich allerdings eine bessere Übereinstimmung der berechneten und der gemessenen Gradiente der Brücke ergeben. Die abweichenden Verformungen können unterschiedliche Ursachen haben: • Berechnung nach Th. I. O. und Th. III. O.: Die Berechnung des Bauwerks erfolgt in der Soll- Lage, d. h. im Endzustand, nach Theorie I. O. Dem Grunde nach müsste das Bauwerk aber in der Werkstattform als Ausgangslage unter Berücksichtigung geometrischer Nichtlinearitäten berechnet werden. Im Vorfeld wurde daher untersucht, ob die Parameterstudien nach Th. I. O. durchgeführt werden können, oder ob nichtlineare Effekte zu berücksichtigen sind. • Abweichungen in der Montage: Der Überbau wurde segmentweise im Freivorbau hergestellt. Während der Montage wurde der Gleichgewichtszustand durch Ballastierung sichergestellt. Die Segmente des Überbaus wurden auf Zusammenbauplätzen vor Ort vormontiert. Trotz vieler Kontrollmessungen der Gradiente und Seilkräfte ist davon auszugehen, dass während der Montage Abweichungen in der Gradiente des Überbaus aufgetreten sind, d.-h. dass es Abweichungen zwischen Soll- und Ist- Lage der Segmente gab. Darüber hinaus kann es Ungenauigkeiten bei der Fertigung der Werkstücke gegeben haben. • Abweichungen der Eingangsparameter: Eine mögliche Ursache liegt darin, dass es Abweichungen der angenommenen und tatsächlichen Eingangsparameter gibt. Als am wahrscheinlichsten sind hierbei Abweichungen des über die Brückenlänge als konstant angenommenen Korrekturlastfalls anzusehen. Da das Eigengewicht des Versteifungsträgers als konstant angenommen wurde, werden lokal unterschiedliche Blechdicken und zusätzliche Steifen nicht berücksichtigt. Dies kann nicht durch einen konstanten Korrekturlastfall korrigiert werden, sondern müsste über lokale Korrekturlastfälle berücksichtigt werden. Grundsätzlich sind auch Änderungen in der Verformung durch abweichende Seilkräfte möglich. • Abweichungen in der Messung der Gradiente: Eine andere mögliche Ursache liegt in einer möglicherweise ungenauen Messung der Ist-Gradiente, sowie in Temperatureinflüssen. Die Differenz zwischen 350 5. Brückenkolloquium - September 2022 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke Ist- und Soll-Gradiente ist, wie bereits erwähnt, zusammen mit der berechneten Verformung aus der Bestandsstatik die Grundlage für die vorgegebene Verformung u Soll . Zu den hier aufgeführten Unsicherheiten aus der Bauwerksgeometrie wurden umfangreiche Parameterstudien durchgeführt. Bezüglich der Abweichungen während der Montage wurden beispielweise Korrekturkrümmungen auf das Bauwerk aufgebracht, um die geometrischen Zwängungen aus der Abweichung von der Solllage abzubilden. Durch Parameterstudien wurden hier die Auswirkungen auf die Schnittgrößenverteilung untersucht. Bezüglich der Auswirkungen zusätzlicher Korrekturlastfälle wurde das Gleichungssystem erweitert und ebenfalls die Auswirkungen auf die Schnittgrößen untersucht. Die Ergebnisse der Parameterstudien lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Eine lineare Berechnung der Schnittgrößen aus ständigen Lasten am FE-Modell mit Lage des Überbaus in der Soll-Gradiente ist hinreichend genau, sodass weiter nichtlineare Berechnungen höherer Ordnung nicht notwendig sind. • Sind die Differenzen der berechneten Verformung zur theoretischen Ist-Verformung u Soll auf Abweichungen in der Montage zurückzuführen, so haben diese keine relevanten Auswirkungen auf die berechneten Schnittgrößen. Dieser Aspekt kann in der Monte-Carlo Simulation vernachlässigt werden. • Einen relevanten Einfluss auf die Berechnung der Schnittgrößen hat der angesetzte Korrekturlastfall q KL . Dieser ist neben den angesetzten Seilkräften von der vorgegebenen Verformung abhängig. Diese beiden Parameter werden daher in der Monte-Carlo-Simulation berücksichtigt. • Bezüglich der Modellunsicherheit der FE-Simulation selbst kann nach [4] ein Variationskoeffizient von 5 bis 10 % angenommen werden. Die hierzu durchgeführten Untersuchungen in Form von Belastungsversuchen plausibilisieren eine Genauigkeit in dieser Größenordnung und lassen ferner auch eine höhere Genauigkeit als 5 % vermuten. Um eine zusätzliche Genauigkeit quantitativ zu begründen, wären allerdings ergänzende Untersuchungen größerem Ausmaß erforderlich (z.-B. dichteres Netz der Ermittlung von Querschnittsdehnungen im Rahmen von Belastungsfahrten). Für die Monte-Carlo-Simulation wird daher der Variationskoeffizient für die Modellunsicherheit der Schnittgrößenermittlung in einer Bandbreite von 5 bis 10 % angenommen. 2.4 Einfluss der Seilkräfte auf die Schnittgrößen In diesem Abschnitt wird die Unsicherheit der Seilkraftermittlung durch Messung der Eigenfrequenzen behandelt. In [5] wurde ein erweitertes Verfahren entwickelt, mit dem eine Messgenauigkeit für Seilkräfte von unter 1 % Abweichung erreicht werden soll. Ziel des Verfahrens ist es, über eine idealisierte Eigenfrequenz f 1S eines biegeschlaffen Seils die Seilkraft zu berechnen. Mit dieser lässt sich dann mit der nachfolgenden Gleichung die Seilkraft berechnen. Um die idealisierte Eigenfrequenz zu bestimmen, ist die Kenntnis mehrerer Eigenfrequenzen des Seils notwendig. Über Beschleunigungsmessungen an den Seilen und anschließender Fast-Fourier-Transformation (FFT) lassen sich diese bestimmen. Für die analytische Berechnung der k-ten Eigenfrequenz wird folgender Ausdruck gegeben: Mittels der dimensionslosen bezogenen Biegesteifigkeit ξ kann vereinfacht über den Parameter α k die k-te Eigenfrequenz auch in Abhängigkeit der idealisierten Eigenfrequenz angegeben werden: Das Verfahren sieht weiterhin vor, die Parameter f 1S und ξ auf numerischem Wege so zu bestimmen, dass die Differenzen zwischen den gemessenen k Eigenfrequenzen f k,exp und den analytisch bestimmten Eigenfrequenzen f k,calc minimiert werden. Über f 1S lässt sich dann die Seilkraft berechnen. Durch dieses Verfahren soll die Biegesteifigkeit des Seils berücksichtigt werden, welche vor allem bei den Eigenfrequenzen höherer Ordnung einen größeren Einfluss hat. Durch die Kenntnis mehrerer Eigenfrequenzen soll somit die Genauigkeit der Seilkraftermittlung erhöht werden. Die Eigenfrequenz 1. Ordnung sollte dabei von der Auswertung ausgeschlossen werden, da durch die Schwingung eine Zusatzkraft induziert wird. Durch Umformen der aufgeführten Formeln wurde im Folgenden eine modifizierte Methode [6] verwendet, mit welcher nur noch ein Parameter (EI) und nicht mehr wie zuvor zwei Parameter ( f 1S und ξ) durch numerische Optimierung zu bestimmen sind. 2.4.1 Genauigkeit der Seilkraftermittlung Neben dem theoretischen Ansatz können Unsicherheiten in der Aufzeichnung und Verarbeitung der Messdaten 5. Brückenkolloquium - September 2022 351 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke während der Seilkraftermittlung vorliegen. Untersuchungen zeigten, dass mit der vorhandenen Abtastfrequenz von 100 Hz und einem Messzeitraum von 480 Sekunden eine hinreichend genaue Auflösung für eine FFT gegeben ist [7]. Auch können Fehler aufgrund von Aliasing durch die ausreichend hohe Abtastfrequenz weitestgehend ausgeschlossen werden. Mögliche Fehler aus dem Leck-Effekt wurden durch verschiedene Fenster-Funktionen untersucht und als nicht relevant bewertet. Mit Verweis auf [8] wird auch der Jitter-Fehler besonders für die Eigenfrequenzen niedrigerer Ordnung als gering betrachtet. Die größte Unsicherheit lässt sich somit auf das Ablesen der Peaks für die Eigenfrequenzen zurückführen. Bei händischer Ablesung lassen sich Abweichungen von ±5-% erwarten. Daher erfolgte die Ablesung der Eigenfrequenzen automatisiert mittels eines eigens programmierten Skripts und ergänzender manueller Kontrolle. Die eigens entwickelte Methode zur Seilkraftermittlung [6] erlaubt eine direkte Auswertung der Genauigkeit der Seilkraftermittlung. Über den Variationskoeffizienten lässt sich die Genauigkeit der Auswertung verschiedener Seile vergleichen. Für die im Zuge der Belastungsversuche durchgeführte Messung der Eigenfrequenzen der Seile unter Eigengewicht mit ausgebauten Dämpfern beträgt der Mittelwert der Variationskoeffizienten aller Seilkraftermittlungen 0,28-%. Der höchste Wert ergibt sich dabei zu 0,95-%. Damit lässt sich die Aussage aus [5], dass Seilkraftermittlungen mit einer Genauigkeit von unter 1 % möglich sind, bestätigen. In der späteren Monte-Carlo-Simulation wird basierend auf diesen Erkenntnissen für die Genauigkeit des Verfahrens der Seilkraftermittlung ein Variationskoeffizient von V f = 0,25 - 1,0 % angesetzt. 2.4.2 Genauigkeit des Seileigengewichts Die Seilkraft ist neben der Eigenfrequenz und Länge des Seils von dessen Eigengewicht abhängig. Somit stellt auch die Kenntnis des Eigengewichts eine mögliche Unsicherheit dar. Das angesetzte Eigengewicht der Stahlseile entstammt der Bestandsstatik für den Seiltausch, jedoch ist dort keine Angabe zur Genauigkeit vorhanden. Der Variationskoeffizient der Wichte von Stahl wird allgemein in der Literatur als sehr gering mit < 1 % angenommen [9]. Ausschlaggebender ist dagegen die mögliche Streuung in der geometrischen Größe eines Bauteils. In [10] werden aus mehreren Quellen Werte zwischen 1 und 6 % aufgeführt. Das JCSS empfiehlt einen Variationskoeffizienten von 2-% [4]. Allgemein ist davon auszugehen, dass für anspruchsvolle Bauteile wie die Stahlseile einer Schrägseilbrücke eine höhere Fertigungsgenauigkeit besteht als für Bewehrungsstahl. Für gewalzte Stahlquerschnitte wird in [9] eine mittlere Abweichung der Querschnittsfläche von 1 % angegeben. Ein Variationskoeffizient von insgesamt 1 bis 2 % für das Eigengewicht eines Stahlseils wird damit als ausreichend sicher für die Monte-Carlo-Simulation angesehen. Eine größere Unsicherheit des Eigengewichts lässt sich bei dem Anteil aus der Umwicklung der Stahlseile vermuten. Zum erweiterten Schutz vor Korrosion wurden in den Jahren 2009 und 2010 die Stahlseile zusätzlich mit Butylkautschukbändern umwickelt. Die Bänder wurden mittels eines Wickelroboters aufgebracht, weshalb sich eine gleichmäßige Verarbeitung annehmen lässt. Die Schichtdicke wird mit ca. 2,6 mm angegeben, über die Wichte der Ummantelung liegt jedoch keine Information vor. In [11] wird ein Bereich von 1,1 bis 1,9 g/ cm 3 für das spezifische Gewicht von Butylbändern genannt. In der Nachrechnung der KBB wurde ein spezifisches Gewicht der Umwicklung von 1,5-g/ cm 3 angenommen, in einer Auswertung der Seilkräfte von 2019 hingegen 1,35-g/ cm 3 . Für die anstehende Simulation wird ein spezifisches Gewicht von 1,5-g/ cm 3 mit einem Variationskoeffizienten von 10 bis 20 % gewählt. Der Anteil aus der Umwicklung am Eigengewicht ist im Vergleich zum Stahlseil allerdings sehr klein, sodass kein großer Einfluss aufgrund des höheren Variationskoeffizienten zu erwarten ist. 2.4.3 Genauigkeit der Seillänge Zuletzt wird noch die Genauigkeit der angesetzten frei schwingbaren Seillänge L für die Seilkraftermittlung beurteilt. Im Rahmen einer Seilkraftermittlung von 2015 wurde mit entsprechender Sensorik auch die frei schwingbare Seillänge gemessen. Die Messgenauigkeit wurde vom ausführenden Unternehmen mit etwa ±1-m abgeschätzt. Ein Einfluss der Dämpfer auf die frei schwingbare Seillänge wurde als nicht maßgebend beurteilt. In den neueren Messungen aus 2019 wurde die Seillänge über die geometrischen Angaben aus der Bestandsstatik zum Seiltausch ermittelt. Bei einem Vergleich beider Ansätze ließen sich nur geringe Abweichungen von bis zu 20-cm feststellen. Damit sind beide Ansätze als plausibel und hinreichend genau zu betrachten. Die Ergebnisse der Seilkraftermittlung aus 2019 zeigen jedoch einen Einfluss aufgrund eines ein- oder ausgebauten Dämpfers. In [38] wurden daher die Seillängen für die Auswertung mit eingebauten Dämpfern in y- und z-Richtung jeweils so angepasst, dass sich die gleichen Seilkräfte wie in der Auswertung ohne Dämpfer ergeben. Hierfür wurden die Seillängen bis zu ca. 2 m verkürzt. Jedoch ist anzumerken, dass die Dämpfer auch einen Einfluss auf die gemessenen Eigenfrequenzen an sich haben können. Während die Seillängen aus 2015 messtechnische Ungenauigkeiten beinhalten können, können die Seillängen aus 2019 Ungenauigkeiten aus Geometrie oder genauer Wirkung des Seilstützlagers beinhalten. Geometrische Ungenauigkeiten sind vor allem bei den längeren Seilen zu erwarten, hingegen wird bei den kürzeren, steilen Seilen der Einfluss der Lagerung größer sein. Insgesamt wurde für die Monte-Carlo-Simulation eine Abweichung der Seillängen von ±1 m als sinnvoll betrachtet. Diese wird durch eine Standardabweichung σ L von 0,3 bis 0,5 m statistisch modelliert. 3. Monte Carlo Simulation 3.1 Allgemeines Die Monte-Carlo-Methode ist ein Verfahren der Stochastik, mit dem mittels deterministischen Berechnungen mit 352 5. Brückenkolloquium - September 2022 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke (pseudo) Zufallszahlen Systemeigenschaften numerisch bestimmt werden können, welche sich nicht analytisch bestimmen lassen. Aufgrund der oft benötigten hohen Anzahl an Simulationsdurchläufen bringt eine Monte-Carlo-Simulation einen hohen Rechenaufwand mit sich. Das komplexe Tragverhalten des vielfach statisch unbestimmten Systems der Köhlbrandbrücke und der Einfluss mehrerer Zufallsgrößen machen eine analytische Bewertung der Genauigkeit der Spannungen aus ständigen Lasten jedoch nur schwer möglich, sodass eine Monte-Carlo-Simulation hier eine zielführende Lösungsmethode darstellt. 3.2 Konzept der Simulation Der schematische Ablauf der Monte-Carlo-Simulation ist in Abbildung 4 dargestellt. Hier sind auch alle Eingangsvariablen aufgeführt. Die Monte-Carlo-Simulation erfolgt in Matlab. Zunächst werden die benötigten Ergebnisse aus der FE-Berechnung der Einheitslastfälle der Seilvordehnungen und des Korrekturlastfalls, sowie alle weiteren benötigten Kennwerte, wie Seillängen und Seileigengewichte, in den Workspace eingelesen und die statistischen Parameter für die zufallsverteilten Variablen festgelegt. Auf Grundlage dieser Daten erfolgt dann die Durchführung von N zufallsbedingten Berechnungen von σ G . Dafür werden zunächst die 88 Seilkräfte jeweils durch zufällige Abweichungen bestimmt. Der Grundwert jeder Seilkraft entstammt dabei Seilkraftermittlungen aus 2015, die geschätzte Genauigkeit jedoch aus Messungen aus 2019, was jedoch zunächst keine Auswirkungen auf die Aussagekraft der Ergebnisse hat. Die zufällige Abweichung jeder Seillänge, Eigenfrequenz und der Teile des Seileigengewichts geschieht dabei unabhängig von allen anderen zufällig gewählten Variablen. Neben den Seilkräften wird der vorgegebenen Verformung in Feldmitte eine zufällige Abweichung zugewiesen. Somit sind die 89 vorgegebenen Werte definiert und es erfolgt die Berechnung der unbekannten Seilvordehnungen und des Korrekturlastfalls über die eingelesenen Daten aus der FE-Berechnung mittels eines Gleichungssystems. Mit Kenntnis dieser können dann die Spannungen aus ständigen Lasten berechnet werden. Abbildung 4: Ablauf der Monte-Carlo-Simulation Abbildung 5: Verteilung der Ergebnisse einer Monte-Carlo-Simulation 5. Brückenkolloquium - September 2022 353 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke Tabelle 1: Wesentliche Ergebnisse der Monte-Carlo Simulationen Der berechneten Spannung wird zuletzt eine zufällige Abweichung aufgrund Modellunsicherheiten zugeordnet. Nach N Durchläufen dieser Art kann aus der Liste aller σ G der Bemessungswert σ G,Ed durch Abzählen abgelesen und daraus der Teilsicherheitsbeiwert γ G ermittelt werden (hier als 0,39 % Quantilwert). 3.3 Ergebnisse der Simulation Da die Streuung der Eingangsvariablen nur in seltenen Fällen definitiv festgelegt werden kann, wurde der Teilsicherheitsbeiwert γ G für zwei unterschiedliche Sätze von Streuungen (günstig/ ungünstig) ermittelt. Die Monte-Carlo-Simulationen würde für diese beiden Parametersätze durchgeführt. Eine beispielhafte Verteilung der N berechneten σ G ist in Abbildung-5 dargestellt. Der Bestimmung des Bemessungswerts der ständigen Einwirkung kann durch Abzählen oder durch Abschätzen der Verteilungsfunktion der Häufigkeiten erfolgen. Die Genauigkeit des berechneten Bemessungswertes hängt dabei von der Anzahl N der Berechnungsdurchläufe ab. Es sollte ungefähr N = 10 6 gewählt werden, um ein hinreichend genaues Ergebnis zu erzielen, welches maximal in der ersten Nachkommastelle noch leichte Schwankungen mit sich bringt. Der Teilsicherheitsbeiwert γ G ist damit in der Regel bis auf zwei Nachkommastellen genau bestimmt (siehe Abbildung-6). Abbildung 6: Einfluss der Anzahl von Durchläufen auf die Rechengenauigkeit. Die Ergebnisse aus Tabelle-1 zeigen zunächst, dass sich durch Ansatz der ungünstigen Streuung der Variablen der normative Teilsicherheitsbeiwert γ G -=-1,35 plausibilisieren lässt, sowie ein geringerer Wert von γ G -=-1,20 grundsätzlich erreichbar ist. Ob der günstigere Wert von γ G -=-1,20 angesetzt werden kann hängt also im Wesentlichen davon ab, mit welcher Sicherheit die Streuung der Eingangsvariablen definiert werden kann. Hierzu können ggf. auch zusätzliche Untersuchungen durchgeführt werden. Liegen keine zusätzlichen Informationen vor, ist zunächst von dem ungünstigeren Teilsicherheitsbeiwert auszugehen. Allerdings enthält die bisherige Ermittlung des Teilsicherheitsbeiwerts durch die getrennte Betrachtung von ständigen und veränderlichen Lasten zusätzliche Reserven, die im Folgenden betrachtet werden. 3.4 Gemeinsame Betrachtung mit veränderlichen Einwirkungen Der im Eurocode 0 geforderte Zuverlässigkeitsindex β 50 -=-3,8 bezieht sich mit dem Wichtungsfaktor α E auf die gesamte Einwirkungsseite im Nachweis. Bisher wurde diese Versagenswahrscheinlichkeit jedoch vollständig jeweils auf die veränderlichen und die ständigen Einwirkungen bezogen [2]. Da an dieser Stelle die Verteilungsfunktionen beider Einwirkungen modelliert werden können, kann auch eine Berechnung eines gemeinsamen Bemessungswertes erfolgen. Die Spannungen aus veränderlichen Einwirkungen werden über eine Verteilungsfunktion modelliert mit den Parametern des LS-Schätzers (Methode der kleinsten Quadrate). Die Spannungen aus ständigen Einwirkungen werden weiter durch die Monte-Carlo-Simulation abgebildet. Die Verteilungen werden als statistisch unabhängig betrachtet. Bei einer weiteren Monte-Carlo-Simulation kann damit für jedes zufällige σ G ein zufälliges σ Q entsprechend der genannten Verteilung für veränderliche Einwirkungen addiert werden, sodass sich eine Spannung σ G+Q ergibt. Nach N Simulationen kann durch Abzählen ein gemeinsamer Bemessungswert σ˜ G+Q,Ed bestimmt werden. Abbildung 7: Ergebnisse bei gemeinsamer Simulation von σ G und σ Q In Abbildung-7 sind die Verteilungen und Bemessungswerte der einzelnen Spannungen dargestellt. Es ist zu erkennen, dass durch die gemeinsame Auswertung mit σ˜ G+Q,Ed = 199,9-MPa ein geringerer Bemessungswert resultiert als durch die Addition einzelner unabhängiger Bemessungswerte. Da der Bemessungswert aus ständigen Einwirkungen größer ist und damit als Leiteinwirkung zu betrachten ist, kann für die veränderlichen Einwirkungen ein theoretischer Kombinationsbeiwert ermittelt werden: 354 5. Brückenkolloquium - September 2022 Probabilistische Untersuchungen zur Beurteilung der Beulsicherheit des Stahlhohlkastens der Hamburger Köhlbrandbrücke Werden statt den ungünstigen Annahmen aus Tabelle-1 die günstigen Annahmen verwendet, so wird die veränderliche Einwirkung leitend und es würde sich ein Kombinationsbeiwert ξ für die ständigen Einwirkungen ergeben: Der Eurocode 0 erwähnt unter Abschnitt 6.4.3.2, Satz (3) einen solchen Kombinationsbeiwert ξ für ständige oder ψ0 für veränderliche Einwirkungen. Im nationalen Anhang wird deren Anwendung jedoch mit dem NCI zu 6.4.3.2 (3) und dem NDP zu A.1.3.1 (4) abgelehnt. In [12] wird genauer auf die Herleitung und Anwendung von ξ eingegangen. Der dort vorgestellte Kombinationsbeiwert ξ = 0,85 liegt nahe an dem hier ermittelten Wert. Dabei ist zu beachten, dass sich der hier ermittelte Abminderungsfaktor von ξ = 0,87 durch die zusätzlichen Sicherheiten aus der getrennten Bestimmung der Bemessungswerte aus ständigen und veränderlichen Lasten ergibt. Selbst für den Fall, dass die ungünstigen Bedingungen nach Tabelle- 1 zutreffend wären, würde sich demnach ein effektiver Teilsicherheitsbeiwert von γ G = 1,37-·-0,87 = 1,19 ergeben. Unter günstigen Bedingungen würde sich demzufolge ein Teilsicherheitsbeiwert von γ G = 1,18-·-0,87 = 1,03 ergeben. Vor dem Hintergrund der bei der Addition der unabhängig ermittelten Bemessungswerte vorhandenen zusätzlichen Sicherheit wäre also in jedem Fall die Anwendung eines reduzierten Teilsicherheitsbeiwerts von γ G = 1, 20 gerechtfertigt. 4. Zusammenfassung Für das vorliegende komplexe statische System wurde die Zuverlässigkeit der Spannungsermittlung unter ständigen Einwirkungen mittels Monte-Carlo-Simulationen beurteilt. Dabei wurden im Rahmen von Parameterstudien die Einflüsse der unterschiedlichen Basisvariablen untersucht und bewertet. Insgesamt wurden die Genauigkeit der gemessenen Seilkräfte und die Genauigkeit des Finite-Elemente-Berechnungsmodells als wichtigste Einflussgrößen auf die Genauigkeit der Spannungen aus ständigen Einwirkungen identifiziert. Durch weiterführende Beurteilungen der Genauigkeit der Seillängen und des Eigengewichts der Stahlseile sowie der Modellunsicherheit kann ein Teilsicherheitsbeiwert γ G = 1,35 als auf der sicheren Seite liegend betrachtet werden. Unter günstigen Umständen ist auf Basis der Eingangsvariablen auch ein Teilsicherheitsbeiwert von γ G = 1,18 denkbar. Die Belastungsfahrten aus 2019 und das Detailmodell stellen hierfür eine geeignete Grundlage dar. Insgesamt bestätigt sich auch die hohe Sensibilität des statischen Systems bezüglich der angesetzten Seilkräfte, weshalb diese mindestens auf 3 % genau bestimmt werden sollten. Der Einfluss der vorgegebenen Verformung in Feldmitte als Berechnungsgrundlage erwies sich als eher gering. Der Korrekturlastfall für das Eigengewicht hängt insgesamt am stärksten von den angesetzten Seilkräften ab und kann damit zur Plausibilitätskontrolle herangezogen werden. Zuletzt sei erwähnt, dass eine gemeinsame probabilistische Auswertung der Spannungen aus ständigen und veränderlichen Einwirkungen zu einer beachtenswerten Ersparnis im Nachweis und somit größeren vorhandenen Tragreserven führt. Durch die hier gezeigten Untersuchungen konnte vor dem Hintergrund dieser Reserven gezeigt werden, dass selbst unter ungünstigen Bedingungen die Anwendung eines reduzierten Teilsicherheitsbeiwerts von γ G = 1,20 gerechtfertigt wäre. Literatur [1] GRABE, M.; ULLERICH, C.; WENNER, M.; HERBRAND, M: smartBridge Hamburg - prototypische Pilotierung eines digitalen Zwillings. In: Bautechnik 97 (2020), 118-125, Heft 2. https: / / doi. org/ 10.1002/ bate.201900108 [2] HERBRAND, M.; WENNER, M.; ULLERICH, C.; RAUERT, T.; ZEHETMAIER, G.; MARX, S.: Beurteilung der Bauwerkszuverlässigkeit durch Bauwerksmonitoring - Probabilistischer Beulnachweis der Hamburger Köhlbrandbrücke. In: Bautechnik 98 (2021), 93-104, Heft 2. https: / / doi.org/ 10.1002/ bate.202000094 [3] SVENSSON, H.: Schrägkabelbrücken. 40 Jahre Erfahrung weltweit. Berlin: Ernst & Sohn GmbH & Co. KG, 2011 [4] JCSS: Probabilistic Mode Code Part 3 - Resistance Models. Februar 2001 [5] GEIER, R.: Systemidentifikation seilgestützter Tragwerke. Die dynamische Strukturantwort von Schrägseilen. München, Technische Universität Wien, Universität für Bodenkultur Wien, Diss., 2004 [6] HERBRAND, M.: Optimierung des Verfahrens nach Geier, Internes Arbeitspapier, WTM Engineers. Hamburg, 2019 [7] MATZ, F.: Messtechnisch gestützte Überwachung von Brückentragwerken am Beispiel der Hamburger Köhlbrandbrücke, Technische Universität Dresden, Diplomarbeit, Januar 2020 [8] PUENTE LEÓN, F.: Messtechnik: Grundlagen, Methoden und Anwendungen. 11. Auflage. Berlin Heidelberg: Springer Vieweg, 2019 (Springer eBooks Computer Science and Engineering) [9] JCSS: Probabilistic Mode Code Part 2 - Load Models. Februar 2001 [10] VOIGT, J.: Beitrag zur Bestimmung der Tragfähigkeit bestehender Stahlbetonkonstruktionen auf Grundlage der Systemzuverlässigkeit., Universität Siegen, Diss., 2014 [11] INDUSTRIEVERBAND DICHTSTOFFE E.V.: IVD-Merkblatt 5: Abdichtungen mit Butylbändern. Eigenschaften, Verarbeitung, Einsatzgebiete. November 2014 [12] INA PERTERMANN, Thomas U. Ram Puthli P. Ram Puthli: Risikoorientierte Bemessung von Tragstrukturen - Kombinationsbeiwert für ständige Lasten. In: Stahlbau 81 (2012), S. 780-784, Heft 10 5. Brückenkolloquium - September 2022 355 Herausforderung Brückenmodernisierung - Projektbeispiele der DEGES (Maßnahmen an der A1) Dipl.-Ing. Gregor Gebert DEGES GmbH, Berlin Zusammenfassung Bei der DEGES sind ca. 40 größere Projekte der Brückenmodernisierung in Planung, im Bau bzw. wurden die fertiggestellten Ersatzneubauten bereits dem Verkehr übergeben. Beispielhaft werden drei Maßnahmen auf der A1 vorgestellt, die Teil des Brückenmodernisierungsnetzes des Autobahn GmbH ist. In Bezug auf die Randbedingung handelt es sich um höchst unterschiedliche Maßnahmen, was zeigt wie vielschichtig die Aufgabe der Brückenmodernisierung sein kann. Beim Ersatzneubau der Norderelbbrücke in Hamburg muss das vorhandene, denkmalgeschützte Bauwerk aufgrund seiner eingeschränkten Restnutzungsdauer ersetzt werden, wobei der 8-streifige Ausbau der BAB im Hamburger Stadtgebiet zu berücksichtigen ist. Die Ertüchtigung der Weserstrombrücke in Bremen soll zeitlich Luft verschaffen, damit das Bauwerk noch ca. 20 Jahre betrieben werden kann, bis dann der eigentliche Ersatzneubau realisiert wird. Die Talbrücke Volmarstein in Nordrhein-Westfalen befindet sich in einem topographisch schwierigen Baufeld und während der Bauzeit wurde ein besonderer Weg gefunden, um frühzeitig alle 6 Fahrstreifen über einen Überbau führen zu können. Alle Projekte weisen somit ihre spezifischen Besonderheiten auf und befinden sich in unterschiedlichen Phasen der Umsetzung. 1. Einleitung Unser Autobahnnetz umfasst ca. 28.000 Brücken-Teilbauwerke, wovon die überwiegende Zahl der Bauwerke in den 1960er bis 1980er Jahren errichtet worden ist. Der überproportional angestiegene Schwerverkehr hat der Substanz vieler dieser Brücken stark zugesetzt. Besonders betroffen sind hier die Großbrücken, die neuralgische Punkte der Verkehrsinfrastruktur darstellen. Die DEGES leistet hier seit vielen Jahren einen wichtigen Beitrag für die Erneuerung der Brückeninfrastruktur. Fast 40 Großbrücken werden aktuell geplant, befinden sich in der Bauvorbereitung bzw. im Bau und einige konnten bereits fertiggestellt und dem Verkehr übergeben werden. Mit Übernahme der Auftragsverwaltung der Bundesautobahnen von den Ländern durch die Autobahn GmbH wurden die Aufgaben der Brückenmodernisierung neu sortiert und in Bezug auf deren Dringlichkeit priorisiert. Im Ergebnis wurde ein Brückenmodernisierungsnetz definiert, welches die vorrangig zu modernisierenden BAB- Strecken festgelegt. Dies ist notwendig um zum einen die Anzahl gleichzeitiger Baustellen zu begrenzen und zum anderen müssen die Maßnahmen in Bezug auf die personellen und finanziellen Ressourcen auch gestreckt werden. Die A1 ist wesentlicher Bestandteil dieses Brückenmodernisierungsnetzes. Die DEGES ist hier mit Planung und Bau mehrerer Großbrücken aktiv beteiligt. Drei höchst unterschiedliche Maßnahmen werden im Folgenden näher vorgestellt (Abb. 1). Des Weiteren ist die DEGES für die Durchführung des ÖPP-Verfahrens zwischen Osnabrück und Münster in Nordrhein-Westfalen zuständig, welches die Modernisierung der A1 auf einer Gesamtlänge von ca. 52 km beinhaltet. Abb. 1: DEGES-Projekte auf der A1 2. Die Norderelbbrücke in Hamburg Ausgangslage Die Norderelbbrücke ist ein herausragendes Zeugnis der Ingenieurskunst der 1960er Jahre, geprägt durch einen heute kühn anmutenden Minimalismus der Konstruktion (Abb. 2). Wie bei Brücken aus der damaligen Zeit üblich, handelt es sich um einen einteiligen Überbau. Man ist fast erstaunt, dass die Brücke der stetig steigenden Belastung so lange standgehalten hat. Um einen dritten Fahrstreifen aufzunehmen wurde sie 1988 umgebaut und für die Brückenklasse 60/ 30 ertüchtigt. In einem Gutachten von 2016 wurde eine Restnutzungsdauer der Norderelbbrücke von ca. 10 Jahren ausgewiesen. 356 5. Brückenkolloquium - September 2022 Herausforderung Brückenmodernisierung - Projektbeispiele der DEGES (Maßnahmen an der A1) Abb. 2 Vorhandene Norderelbbrücke A1 Eine Verstärkung der Norderelbbrücke ist aufgrund der konstruktionsbedingten Defizite nicht möglich. Aber auch die verkehrlichen Anforderungen haben sich grundlegend geändert. Die Prognose 2030 weist für die A1 hier einen DTV von 159.000 Kfz/ 24h aus. Der Bundesverkehrswegeplan sieht daher die Erweiterung der A1 von 6 auf 8 Fahrstreifen vor. Darüber hinaus erfordern die unmittelbar angrenzenden Autobahndreiecke beidseitig zwei zusätzliche Verflechtungsstreifen, so dass der Neubau insgesamt 12 (! ) Fahrstreifen zzgl. Standstreifen überführen muss und damit künftig mehr als doppelt so breit sein wird, wie der Bestandsquerschnitt (s. Abb. 3). Abb. 3 Vergleich neuer / alter Verkehrsquerschnitt Es gibt somit zwei Gründe, das Bauwerk zu ersetzen. Zum einen führte der Schwerverkehr zu einem irreversiblen Schadensfortschritt infolge Materialermüdung und zum anderen genügt das Bauwerk aufgrund seiner zu geringen Breite nicht mehr den heutigen Anforderungen. Mit Hochdruck erfolgt daher die Planung für einen Ersatzneubau. Ziel ist es, das bestehende Bauwerk schnellstmöglich außer Betrieb zu nehmen. Randbedingungen Die Verknüpfung mit dem 8-streifigen Ausbau der A1 in Hamburg auf ca. 8 km Länge bedingt eine weiträumige Gesamtplanung (Strecke, Bauwerke, Lärmschutz etc.) und zum anderen auch aufwändige Abstimmungen insbesondere in Bezug auf die Minimierung des Umwelteingriffs. Im Unterschied zum Bestand besteht der Neubau aus getrennten Teilbauwerken für jede Richtungsfahrbahn, was eine heute allgemein übliche Anforderung ist. Der Neubau muss unter vollständiger Aufrechterhaltung der vorhandenen 6 Fahrstreifen erfolgen. Solche Forderungen sind kennzeichnend für heutige Ersatzneubauten, denn wo der Querschnitt schon heute völlig überlastet ist, können auch bauzeitlich keine weiteren Einschränkungen zugelassen werden. Das erste Teilbauwerk des Ersatzneubaus wird dementsprechend unmittelbar neben dem Bestandsbauwerk errichtet. Nach Rückbau der Bestandsbrücke wird an deren Stelle dann das zweite Teilbauwerk errichtet. Die Verkehrsführung auf der A1 erfolgt mit jeweils drei Fahrstreifen je Fahrtrichtung: in Bauphase 1 wie bisher auf dem Bestandsbauwerk und in Bauphase 2 über das zuvor neu errichtete Teilbauwerk Nord. Mit diesem Baukonzept ist eine dauerhafte Verschiebung der Autobahnachse im Brückenbereich verbunden. Das Bauwerk ist umgeben von sensiblen Naturräumen. Unmittelbar südlich befindet sich das FFH-Gebiet „Hamburger Unterelbe“ sowie das Naturschutzgebiet „Auenlandschaft Norderelbe“ und nördlich das EU-Vogelschutzgebiet und Naturschutzgebiet „Holzhafen“. Eingriffe sind hier sowohl im Bauals auch im Endzustand zu minimieren. 5. Brückenkolloquium - September 2022 357 Herausforderung Brückenmodernisierung - Projektbeispiele der DEGES (Maßnahmen an der A1) Ersatzneubau Aufgrund der baugestalterischen und technischen Bedeutung wurde 2018/ 2019 für den Ersatzneubau der Norderelbbrücke ein Realisierungswettbewerb durchgeführt. Der Siegerentwurf sieht eine dreifeldrige, asymmetrische Schrägseilbrücke mit Stützweiten von 55 - 205 - 80 m vor (s. Abb. 4). Der Querschnitt des Überbaus wird als geschlossener Hohlkasten ausgebildet - im Bereich der Norderelbe mit einer orthotropen Stahlfahrbahn und in den Randfeldern mit einer Verbundplatte. Die Pylone haben einen achteckigen Querschnitt mit über die Höhe unterschiedlichen Abmessungen. Innovativ sind die außenliegende Verankerung und die Ausbildung als Stahlverbundquerschnitt, wodurch die sonst abmessungsbestimmende Zugänglichkeit im Inneren der Pylone entfällt. Damit können die Abmessungen der relativ niedrigen Pylone auf das statisch-konstruktiv erforderliche Notwendige reduziert werden. Abb. 4 Entwurf der Norderelbbrücke (Visualisierung) Auf der Südseite befindet sich ein kombinierter Geh- und Radweg, welcher außerhalb der Seilebene liegt und somit räumlich vom Fahrbahnbereich getrennt ist. Die Entwurfsplanung ist weitgehend abgeschlossen. Terminlich bestimmend ist die Durchführung des Planfeststellungsverfahrens. Gemäß dem aktuellen Zeitplan soll 2024 Baurecht vorliegen, so dass der Ersatzneubau des ersten Teilbauwerks und damit die Außerbetriebnahme des Bestandes ca. 2027 erfolgen könnte. 3. Die Weserbrücke in Bremen Ausgangslage Die Weserbrücke ist ein optisch eher unauffälliges Bauwerk, aus ingenieurtechnischer Sicht ist sie aber ein hochinteressantes Objekt. Das originäre Bauwerk wurde 1962 als Deckbrücke mit getrennten Überbauten errichtet. Es ist in Längsrichtung unterteilt in die 281 m lange Strombrücke aus Stahl und die ca. 260 m lange Vorlandbrücke aus Spannbeton (Abb. 5). Abb. 5. Die Weserstrombrücke der A1 in Bremen Zwischen den beiden jeweils 11,40 m breiten Überbauten gab es ursprünglich einen Lichtraum von ca. 8,40 m Breite. Im Zuge des Ausbaus der A1 im Jahre 1977 auf 6 Fahrstreifen wurde dieser Zwischenraum genutzt, jedoch war dieser nicht ausreichend groß. Daher wurden die Bestandsüberbauten nach entsprechender Verbreiterung der vorhandenen Pfeiler und Widerlager mittels Querverschub um ca. 3 m nach außen verschoben und dann in die somit ausreichend große Lücke die Verbreiterung gesetzt. Damit nicht genug, wurde die Verbreiterung biegesteif mit dem Bestand zu einem einteiligen, 37 m breiten Gesamtquerschnitt gekoppelt. (Abb. 6). Eine mutige und beeindruckende Ingenieurleistung, die heute kaum noch umsetzbar wäre! Abb. 6 Verbreiterung der Weserbrücke A1 358 5. Brückenkolloquium - September 2022 Herausforderung Brückenmodernisierung - Projektbeispiele der DEGES (Maßnahmen an der A1) An beiden Querschnittsteilen lässt sich sehr gut die technische Entwicklung der orthotropen Fahrbahnplatte nachvollziehen. Während der originäre Querschnitt von 1962 noch offene Wulstprofile als Längssteifen aufweist, sind bei dem Querschnitt von 1977 bereits die heute üblichen Trapezsteifen verbaut (Abb. 7). Abb. 7 Orthotrope Fahrbahn von 1962 und 1977 Aufgrund von fortschreitenden Schadensbildern insbesondere in dem originären Bauwerksteil von 1962 ist eine grundlegende Ertüchtigung des Bauwerks erforderlich. Damit soll Zeit gewonnen werden bis zu dem Zeitpunkt, wo das Bestandsbauwerk vollständig durch einen Ersatzneubau ersetzt werden kann. Bis zur Realisierung der Verstärkung wird der Bauwerkszustand durch umfangreiche Sonderprüfungen in einem engen Prüfturnus von 3 Monaten überwacht. Für den späteren Ersatzneubau erfolgt derzeit eine umfassende Machbarkeitsstudie, die auch alternative Trassierungsvarianten der A1 im weiteren Bauwerksbereich beinhaltet. Ertüchtigung Die Ertüchtigung der Stahlkonstruktion umfasst folgende wesentliche Maßnahmen am Überbau von 1962 (Abb. 8): - Erhöhung Beulwiderstand von Hauptträgerstegen und Bodenblech - Verstärkung der Kragarme mit Schrägstreben - Verstärkung der genieteten Montagestöße - Verstärkung des Quersystems (Querverbandsanschlüsse, Querverbände und Querrahmen) - Reparatur des Anschlusses Längs-/ Querträger Abb. 8 Übersicht Verstärkungsmaßnamen Darüber hinaus werden im Zuge der Ertüchtigungsmaßnahme weitere Instandsetzungsmaßnahmen durchgeführt: - Austausch der Fahrzeugrückhaltesysteme - Erneuerung Abdichtung und Fahrbahnbelag - Erneuerung der Kappen - Instandsetzung der Brückenentwässerung - Einbau von Laufstegen und Beleuchtung in den Hohlkästen - Instandsetzung der Fahrbahnübergangskonstruktionen Da viele Arbeiten „von oben“ durchzuführen und mit entsprechenden Eingriffen in den Verkehr auf der A1 verbunden sind, müssen auch die dazu erforderlichen Verkehrsführungen geplant werden. In Bezug auf die Abstimmungen, die Kosten und die Ausschreibung sind solche „Nebenleistungen“ keineswegs zu unterschätzen. Aktuell wird die Ausschreibung der Baumaßnahme vorbereitet, die Bauausführung ist 2023/ 2024 vorgesehen. 4. Die Talbrücke Volmarstein Ausgangslage Mitte 2014 wurden der DEGES vom Land NRW ein Paket mit drei größeren Ersatzneubauten auf der A1 übertragen. Hierbei handelt es sich um die Brücke Bahnhof Hengstey bei Hagen, die Schwelmetalbrücke in Wuppertal sowie die Talbrücke Volmarstein, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll. Das ursprüngliche Bauwerk wurde 1958 als Spannbeton- Durchlaufträger über 10 Felder mit einer Gesamtlänge von 315 m und einer Gesamtbreite von 28 m errichtet (Abb. 9). Abb. 9 Bestandsbauwerk von 1958 Die jeweils ca. 14 m breiten Überbauten bestehen aus 2-zelligen Hohlkästen. Ursprünglich für 4 Fahrstreifen ausgelegt, erfolgte Mitte der 1980er Jahre der 6-streifigen Ausbau der A1 und die Umwidmung der beiden Standstreifen, so dass dann 6 Fahrstreifen überführt wurden. 5. Brückenkolloquium - September 2022 359 Herausforderung Brückenmodernisierung - Projektbeispiele der DEGES (Maßnahmen an der A1) Aufgrund von Tragfähigkeitsdefiziten und des schlechten baulichen Zustandes wurde das Bauwerk 2014 auf 44 t beschränkt und die Planungen für den Ersatzneubau aufgenommen. Besonderheiten Das Bauwerk ist im eigentlichen Sinne keine Talbrücke, sondern eine Hangbrücke. Die ausgeprägte Hanglage erschwert die Zugänglichkeit des Baufeldes erheblich (Abb. 10) Schon im Rahmen der Entwurfsplanung war die Baufelderschließung mit Zufahrten von der Autobahn in das Baufeld ein wichtiges Thema. Des Weiteren quert eine Hochspannungsleitung die Brücke, was den Einsatz von Kranen in Bezug auf die begrenzte Höhe limitiert. Abb. 10 Baufeld in Hanglage Die A1 ist im gesamten Streckenbereich 6-streifig ausgebaut. Aufgrund der geometrischen und örtlichen Randbedingungen war es nicht möglich bauzeitlich alle Fahrstreifen aufrechtzuerhalten. Der Bauablauf war daher wie folgt vorgesehen (Abb. 11): 1. Einrichtung 2+2-Verkehrsführung für vorbereitende Arbeiten. 2. Einrichtung 4+0-Verkehrsführung auf dem Teilbauwerk FR Köln, dann Abbruch und Neubau FR Bremen. 3. Errichtung 5+0-Verkehrsführung auf dem neuen Teilbauwerk FR Bremen, dann Abbruch und Neubau FR Köln. Abb. 11 Bauphasen gemäß Ausschreibung Für diese Verkehrsführungen wurden im Bauvertrag die Dauer in Kalendertagen festgelegt und es wurde eine Beschleunigungsvergütung für den Fall vereinbart, dass die Dauer dieser Verkehrseinschränkungen unterschritten wird. Ersatzneubau Der Ersatzneubau wurde in gleicher Lage errichtet. Gegenüber dem Bestand wurde das Bauwerk um ein Feld verkürzt, wobei die neuen Pfeiler jeweils mittig zwischen den Altpfeilern platziert sind. Das 9-feldrige Bauwerk hat damit eine Länge von nur noch 285 m. Als Querschnitt wurde ein einfacher, zweistegiger Plattenbalken gewählt. Der neue Querschnitt überführt neben den 2 x 3 Fahrstreifen auch die Standstreifen, so dass sich die Gesamtbreite gegenüber dem Bestand auf ca. 38 m vergrößert. Die Mehrbreite gegenüber dem Bestand aufgrund der Ergänzung von Standstreifen wurde planrechtlich als unwesentliche Änderung eingestuft, auf ein Planfeststellungsverfahren wurde verzichtet. Dies entbindet allerdings jedoch nicht von einer Genehmigung (Plangenehmigung) und der Herstellung des Einvernehmens mit allen Beteiligten, was eine relativ lange Zeit beansprucht hat. Inzwischen ist die Baumaßnahme weitgehend abgeschlossen. Im Zug der Bauausführung wurde durch den AN ein interessanter Vorschlag unterbreitet, der es ermöglicht, auf dem zuerst errichteten Teilbauwerk FR Bremen zwischenzeitlich sechs anstatt fünf Fahrstreifen, wie ursprünglich vorgesehen, aufzunehmen (Abb. 12). Bauzeitlich wurde auf die Außenkappe verzichtet und dieser Raum konnte für einen 6. Fahrstreifen genutzt werden. Abb. 12 Konzept für die 6+0-Verkehrsführung Es ist klar, dass damit nicht unerhebliche Mehraufwendungen verbunden. Die betrifft die temporäre Verankerung des Fahrzeugrückhaltesystems und des Geländers (Abb. 13), die nachträgliche Anpassung von Abdichtung, Belägen und der Entwässerung. Des Weiteren ergibt sich eine zusätzliche Bauphase zur Herstellung des finalen Zustandes der Kappe. 360 5. Brückenkolloquium - September 2022 Herausforderung Brückenmodernisierung - Projektbeispiele der DEGES (Maßnahmen an der A1) Abb. 13 Kragarmausbildung für 6+0-Verkehrsführung Auch der Verkehrsquerschnitt der anschließenden Bestandsstrecke incl. der Mittelstreifenüberfahrten musste entsprechend ausgebaut werden, um diese Verkehrsführungen zu ermöglichen. Allerdings steht dem der Mehrwert einer 6+0-Verkehrsführung über einen Zeitraum von fast 2 Jahren gegenüber. Die maximale Verfügbarkeit von Fahrstreifen ist ein wesentliches Kriterium bei der Planung von Ersatzneubauten. Darüber hinaus können mit bauvertraglichen Anreizen Verkürzungen der Dauern von Verkehrseinschränkungen erreicht werden. 5. Fazit Mit den Beispielen wurden einige wesentliche Aspekte aufgezeigt, die uns heute bei der Brückenmodernisierung beschäftigen. Der Erfolg wird nicht nur die die richtige ingenieurtechnische Lösung bestimmt, sondern durch eine Vielzahl von weiteren Punkten. Hervorzuheben ist dabei die notwendige Baurechtsschaffung, die insbesondere dann zeitbestimmend ist, wenn mit dem Ersatzneubau auch ein Ausbau der Strecke verbunden ist bzw. wenn das Bauvorhaben sensible Schutzgebiete oder Habitate tangiert. Wesentlich hierbei ist auch die Erschließung der Baustelle, da dies zu Eingriffen und Betroffenheiten Dritter führen kann. Fotonachweis: alle Abb. Quelle DEGES außer Abb. 2 (Quelle LSBG Hamburg) 5. Brückenkolloquium - September 2022 361 Echelsbacher Brücke - Ersatzneubau unter Einbeziehung des denkmalgeschützten Bestandsbogens Gerhard Pahl DR. SCHÜTZ INGENIEURE, Beratende Ingenieure im Bauwesen PartG mbB, Kempten (Allgäu) Stefan Wilfer DR. SCHÜTZ INGENIEURE, Beratende Ingenieure im Bauwesen PartG mbB, Kempten (Allgäu) Die Echelsbacher Brücke verbindet die Gemeinden Bad Bayersoien und Rottenbuch. Das Bauwerk überführt die B 23 über die ca. 180 m breite Ammerschlucht in einer Höhe von ca. 76 m. Aufgrund der topografischen Situation vor den Ammergauer Alpen besitzt das Bauwerk eine enorme Bedeutung in der südwestlichen Region Oberbayerns. Die 1928 errichtete Brücke in Melan-Spangenberg-Bauweise war seinerzeit die weitgespannteste Melan-Bogenbrücke der Welt. Die erhöhte Verkehrsbelastung, aber auch die vorhandenen Schäden an der filigranen Betonkonstruktion, ließen eine wirtschaftliche Instandsetzung auf das erforderliche Lastniveau nicht zu. Ein Ersatzneubau mit Erhalt der denkmalgeschützten Bogenkonstruktion war notwendig. Die vielfältigen Herausforderungen des Denkmalschutzes, des Natur- und des Artenschutzes bestimmten die Planung und Bauausführung. Die Echelsbacher Brücke mit dem schlanken, abgesetzten Gewölbebogen, der die Bestandsbögen schützend überspannt, stellt eine optimierte Interpretation des bestehenden Tragwerks dar und ist unverwechselbar und einzigartig. 1. Allgemeines und Randbedingungen 1.1 Beschreibung des Bestandsbauwerks - Denkmalschutz Die Echelsbacher Brücke ist eine Melan-Konstruktion mit einer Bogenspannweite von 130 m. Zwei Bogenrippen (Kastenquerschnitte) mit einer Breite von 1,50 m und variabler Höhe von 2,00 m am Bogenscheitel bis 3,20 m am Bogenkämpfer sind mit Querträgern im Abstand von ca. 10,60 m bis 12,80 m verbunden. Die Wanddicke der Bogenrippen beträgt 35 cm. Diese Bogenkonstruktion war seinerseits die weitgespannteste Melan-Bogenkonstruktion der Welt und steht unter Denkmalschutz. Auf diesen Bögen waren die nicht denkmalgeschützten Melan-Stützen und Melan-Längsträger angeordnet (Abb. 1). Die Fahrbahnplatte war aus Stahlbeton. Die Melan-Bauweise, benannt nach dem österreichischen Bauingenieur Joseph Melan (1853 bis 1941), ist gekennzeichnet durch ein einbetoniertes Stahlfachwerk. Bei der Herstellung dient das Stahlfachwerk als Traggerüst, an dem die Schalung angehängt wird. Das Stahlfachwerk wird vollständig einbetoniert. Im Normalfall wird das Stahlfachwerk auch für die Lastabtragung im Endzustand herangezogen (steife Bewehrung des Betonquerschnittes). Eine Verbesserung dieser Bauweise erfolgte durch den deutschen Bauingenieur Heinrich Spangenberg (1879-1936). Das Stahlfachwerk wird dabei vor der Betonage mit einer Kiesschüttung vorbelastet. Diese Kiesschüttung entspricht ungefähr dem Betoneigengewicht und wird während der Betoniervorgänge sukzessive abgelassen. Die Verformungen des Stahlfachwerks während der Betonage werden dadurch deutlich reduziert und es besteht nicht die Gefahr der Rissbildung in bereits erhärteten Betonquerschnitten. Dieses verbesserte Konstruktionsprinzip wurde auch bei der Echelsbacher Brücke angewendet. Abb. 2 zeigt die Prinzipskizze der Schalung mit der Kiesvorbelastung. Die Prinzipskizze zeigt aber auch die Schwachstellen dieser Konstruktion. Durch das Stahlfachwerk und die zusätzliche schlaffe Bewehrung wird das Einbringen des Betons deutlich erschwert. Eine weiche Konsistenz war notwendig und wurde mit w/ z-Werten bis 0,60 erreicht [1]. Die hohen, nach heutigen Normen nicht mehr zulässigen w-z/ Werte führten zu einer erhöhten Porosität des Betons und damit zu einer verminderten Widerstandsfähigkeit gegenüber klimatischen Einflüssen. Hinzu kam die schlechte Verdichtungsfähigkeit. In den Jahren 1984 - 1986 fand eine Generalsanierung statt. Es wurden umfangreiche Betonschäden an der Fahrbahnplatte und den Bögen instandgesetzt. Teilweise reichten die Abplatzungen bis an das Stahlfachwerk der Bogenrippen. Die Oberfläche der Konstruktion wurde mit einer rissüberbrückenden Beschichtung versehen. 2012 wurden erneut umfangreiche Schädigungen festgestellt. Da auch die rechnerische Tragfähigkeit nicht den heutigen Anforderungen entsprach, entschied sich das Staatliche Bauamt Weilheim für einen Ersatzneubau mit Erhalt und Instandsetzung der denkmalgeschützten Bogenkonstruktion. 362 5. Brückenkolloquium - September 2022 Echelsbacher Brücke - Ersatzneubau unter Einbeziehung des denkmalgeschützten Bestandsbogens Abb. 1: Bestandsbauwerk, Aufnahme 1964, Quelle: Fotodokumentation, Philipp Holzmann AG Abb. 2: Schalungsplan Bogenrippen [1], Quelle: Grundner [1] 1.2 Natur und Artenschutz Das Baufeld liegt in einem Naturschutzgebiet und ist zudem Schutzgebiet nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Das Tal der Ammer ist gekennzeichnet durch zahlreiche Kalktuffquellen (geschützt nach §30 BNatSchG). Die beeindruckenden Schleierfälle liegen nur ca. 3 km flussaufwärts. Auch im unmittelbaren Baufeld waren Betretungsverbote und erhöhte Anforderungen an die Baubehelfe (z.B. Aufständerung der Kranfundamente) zu berücksichtigen. Die Ammerschlucht ist außerdem ein wertvoller Lebensraum für Fledermäuse. Als eine von sechs Wochenstuben im Südwesten Oberbayerns steht die Wochenstube in den Bogenrippen als FFH-Gebiet unter Schutz. 1.3 Wettbewerb Wegen der sehr komplexen Randbedingungen und der zum Teil sehr divergierenden Anforderungen entschloss sich das Staatliche Bauamt Weilheim einen einphasigen Planungswettbewerb als Realisierungswettbewerb auf Grundlage der RPW 2013 durchzuführen. Ziel war es, auf Basis der besonderen Rahmenbedingungen einen technischkonstruktiv und gestalterisch hochwertigen Entwurf zu erarbeiten. Für die gestellte Aufgabe sollten optimale Lösungen entwickelt werden, die den unterschiedlichen Anforderungen, insbesondere an den Denkmalschutz, den Natur- und Artenschutz, die Bauabwicklung, die Wirtschaftlichkeit und die Funktionalität, gerecht werden. Als erster Preisträger aus dem Planungswettbewerb ging die Bürogemeinschaft Dr. Schütz Ingenieure, Kempten / Kolb Ripke Architekten, Berlin / Narr Rist Türk Landschaftsarchitekten, Marzling hervor. Der Siegerentwurf nutzt den Fortschritt der Bautechnologie, um einerseits die komplexen Vorgaben ganzheitlich zu erfüllen, andererseits die Ingenieurbaukunst der Bestandsbrücke in ein modernes Bauwerk zu übertragen (Abb. 3). Die gewählte Form des schlanken, abgesetzten Gewölbebogens, der den Bestandsbogen schützend überspannt, stellt eine optimierte Interpretation des bestehenden Tragwerks dar. Die Verschlankung und Segmentierung der Elemente in der Längsansicht wird durch eine ruhigere, scheibenartige Ausbildung von Bogen und Pfeilern in Querrichtung in Verbindung mit der aussteifenden Fahrbahnplatte erreicht. Die Pfeilerscheiben sind konisch mit einem doppeltrapezförmigen Querschnitt ausgeführt. Dies führt bei konstanter, schlanker Ansichtsfläche zu einer Aufweitung des Querschnitts bei wachsender Knicklänge und korrespondiert mit dem Dachprofil des Gewölbebogens in der Aufweitungszone am Kämpfer. Die statische Idee für die neue Tragkonstruktion war, einen so leichten Bogen über die bestehenden Bögen zu bauen, dass diese die Lasten im Bauzustand sicher aufnehmen können. Durch den gewählten Bauvorgang, Betonieren des neuen Bogens unter Verwendung der bestehenden denkmalgeschützten Bögen als Traggerüst, konnte die Wirtschaftlichkeit der Lösung deutlich erhöht werden. Abb. 3: Planausschnitt Wettbewerbsunterlagen, Quelle: DR. SCHÜTZ INGENIEURE, Kolb Ripke Architekten 1.4 Behelfsbrücke Als Behelfsbrücke wurde das Brückengerät des Bundes SS 80 eingesetzt. Es handelt sich um eine Fachwerkbrücke als Behelfsbrückensystem, das in dieser Größenordnung mit Stützweiten bis 84 m und 70 m über dem Grund bislang deutschlandweit noch nicht eingesetzt wurde. Der Bau der Behelfsbrücke ist ausführlich in [2] beschrieben. Der Rückbau soll bis Ende 2022 abgeschlossen sein. 5. Brückenkolloquium - September 2022 363 Echelsbacher Brücke - Ersatzneubau unter Einbeziehung des denkmalgeschützten Bestandsbogens 2. Tragwerk und Konstruktion Auf dem Bauwerk befinden sich zwei Fahrstreifen mit einer Gesamtfahrbahnbreite von 8,50 m. Beidseitig sind Geh- und Radwege mit einer nutzbaren Breite von jeweils 3,00 m angeordnet (Abb. 4). Die Gesamtbreite des Überbaus beträgt 16,50 m und die Gesamtstützweite 183,10 m. Das Tragsystem bildet ein extrem schlanker Bogen mit einer Breite von 8,80 m am Bogenscheitel und maximal 10,15 m am Bogenkämpfer. Die Bogendicke erhöht sich von 0,80 m im Regelbereich auf maximal 3,35 m am Bogenkämpfer. Die Bogenspannweite beträgt 140,00 m bei einem Bogenstich von 32,00 m. Der Bogen wurde monolithisch an die Kämpferfundamente angeschlossen. Die enorme Schlankheit im Regelbereich war aufgrund der Begrenzung der Betonierlasten auf den Bestandsbogenrippen notwendig und nur unter Nutzung der Bestandsbögen im Bauzustand machbar. Im Endzustand ergibt sich ein Gewölbebogen mit Aussteifung durch die Fahrbahnplatte. Die Pfeiler sind im Grundriss rautenförmig und erhalten einen Anzug in der Höhe und Breite. Dies erhöht die Stabilität, insbesondere im Bauzustand, und erzeugt gleichzeitig eine filigrane Ansichtsfläche (Abb. 5). Um einen wirtschaftlichen Schalungseinsatz zu ermöglichen, wurde die Pfeilerform so festgelegt, dass ausgehend vom Pfeilerkopf gleiche Querschnitte und Abschnittslängen vorgesehen wurden. Somit ergaben sich nur am Pfeilerfuß Schalungen mit einem einmaligen Schalungseinsatz. Die Pfeiler auf dem Bogen sind biegesteif am Bogen und in der Fahrbahnplatte angeschlossen. An den beiden Vorlandpfeiler mit den hohen Steifigkeiten wurden Betongelenke vorgesehen, um die Zwangsbeanspruchung zu minimieren. Der Überbau wurde als robuste Vollplatte mit einer mittleren Plattendicke von 1,20 m konzipiert. Die Spannweiten variieren zwischen 10,00 m und 11,00 m. Der Überbau und der Bogen verschmelzen im Scheitelbereich auf einer Länge von ca. 20,00 m. Durch die Verbindung von Bogen und Fahrbahnplatte ergibt sich eine hohe Gesamtsteifigkeit. Die Lagerung auf den Widerlagern wurde mit Kalottenlagern realisiert. Den Abschluss der 4,00 m breiten Kappe bildet ein 2,50 m hohes Füllstabgeländer (Abb. 6 und 7). Die Form der Füllstäbe und der Verzicht auf einen Handlauf ist der Funktion als Übersteigschutz geschuldet. Abb. 4: Brückenquerschnitt, Quelle: DR. SCHÜTZ INGENIEURE Abb. 5: Ansicht von Süden, Quelle: DR. SCHÜTZ INGENIEURE Abb. 6: Innenansicht Geländer, Quelle: DR. SCHÜTZ INGENIEURE 364 5. Brückenkolloquium - September 2022 Echelsbacher Brücke - Ersatzneubau unter Einbeziehung des denkmalgeschützten Bestandsbogens Abb. 7: Detailansicht Geländer, Quelle: Retzlaff 3. Besonderheiten der Ausführungsplanung 3.1 Abbruch Der Abbruch erfolgt, soweit möglich, gemäß der damaligen Herstellungsreihenfolge. Das Abbruchkonzept wurde ausführungsreif geplant und von der bauausführenden Firma ohne Änderungen umgesetzt. Primäres Ziel war die Minimierung von Zugspannungen in den zu erhaltenden Bogenrippen, um die Steifigkeit auch für die nachfolgenden Bauzustände gegenüber dem ungerissenen Zustand nicht wesentlich herabzusetzen - Stichwort Überhöhungsberechnung für den Ersatzneubau. Der Abbruch erfolgte durch Trennschnitte und dem Ausheben der Segmente von den Kranstandorten außerhalb des Bauwerks. Kranstandorte auf der nur gering tragfähigen Fahrbahnplatte waren nicht möglich. Das Abb. 8 zeigt den Zustand nach Abbruch der Fahrbahnplatte. Im Abb. 9 wird der Querträger gerade ausgehoben. Die Verformungen der Bestandsbogenrippen wurden permanent überwacht und für die maßgebende Belastungssituation ausgewertet. Es wurde festgestellt, dass die Steifigkeit der Bogenrippen nahezu der Steifigkeit im Zustand I entspricht und die Überhöhungsberechnung für den Ersatzneubau nicht angepasst werden muss. Abb. 8: Zustand nach Abbruch der Fahrbahnplatte, Quelle: BSE AIRpix / Sebastian Jahn Abb. 9: Ausheben Fahrbahnquerträger, Quelle: DR. SCHÜTZ INGENIEURE 3.2 Bogenherstellung Nach Fertigstellung der Kämpferfundamente wurde der Bogen mit symmetrischen Betonierabschnitten ausgehend vom Bogenkämpfer hergestellt. Die Schalung wurde dabei linienhaft auf den Bogenrippen abgestützt. Lediglich im Bereich der Kämpfer musste ein bodengestütztes Traggerüst vorgesehen werden, da die hohen Querkräfte von den Wälzlagern des Bestandes nicht abgetragen werden konnten. Abb. 10 zeigt die Reihenfolge bei der Bogenherstellung. Um die Belastungen in den Bogenrippen zu vergleichmäßigen, musste im Betonierabschnitt B3 zunächst der Scheitel betoniert werden. Ab diesem Betonierabschnitt kam es auch zu einer Interaktion zwischen Neu- und Altbau, da sich die Bogenrippen elastisch an den bereits betonierten Bogenabschnitten B1 und B2 des Neubaus abstützten (Abb. 11). Statisch wurde dieser Effekt durch nichtlineare Federn mit Zugausfall berücksichtigt. Federausfall wurde jedoch erst wirksam, wenn die Druckbelastung aus den vorherigen Bauabschnitten vollständig abgebaut war. Nach Fertigstellung des Bogens musste die linienhafte Unterstützung zwischen Neu- und Altbau deaktiviert werden. Dies war notwendig, um positive Drucknormalspannungen aus Eigengewicht im neuen Bogen zu erzeugen und um die Belastung in den Bogenrippen des Bestandes zu reduzieren. Für die folgenden Bauabschnitte wurde nur noch eine linienhafte Unterstützung im Scheitelbereich und eine punktuelle Unterstützung in den Hauptachsen vorgesehen. Ab diesem Zeitpunkt ergab sich eine kombinierte Tragwirkung aus neuem Bogen und den alten Bogenrippen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 365 Echelsbacher Brücke - Ersatzneubau unter Einbeziehung des denkmalgeschützten Bestandsbogens Abb. 10: Bauablauf Bogenherstellung, Quelle: DR. SCHÜTZ INGENIEURE Abb. 11: Betonierabschnitt B1 und B2 nach Ausbau Deckelschalung, Quelle: DR. SCHÜTZ INGENIEURE 3.3 Herstellung Pfeiler und Überbau Auch für die Herstellung der Pfeiler wurde eine symmetrische Abfolge gewählt, die dann in Abstimmung mit der ausführenden Firma hinsichtlich des Schalungseinsatzes optimiert wurde. Die Herstellungsfolge für den Überbau ist auf Abb. 12 ersichtlich. Die punktuellen Abstützungen wurden mit Pressenkonstruktionen realisiert. Im Rahmen der Entwurfsplanung wurden Möglichkeiten zur Belastungssteuerung über die Pressen eruiert, im Sinne eines praktikablen Bauablaufs jedoch verworfen. Stattdessen wurde die Reihenfolge der einzelnen Abschnitte optimiert und für die maßgebenden Bauzustände F2 und F5 Ballastierungen vorgesehen. Im Abb. 13 sieht man exemplarisch die Vorbereitungen für den Betonierabschnitt F2 (Scheitel). Mit der Herstellung von Abschnitt F5 wurden die Belastungstanks in Achse 50 und 130 zu 50% auf den Scheitel umgepumpt. Abb. 12: Bauablauf Überbauherstellung, Quelle: DR. SCHÜTZ INGENIEURE Abb. 13: Betonierabschnitt F2, Fahrbahnplatte im Scheitelbereich, Quelle: DR. SCHÜTZ INGENIEURE 3.4 Bewehrungsführung in den Knotenpunkten Durch die monolithische Konstruktion und die schlanke Bogenform ergab sich insbesondere am Übergang Kämpferfundament - Bogenkämpfer eine sehr dichte Bewehrungsführung. Aufgrund der notwendigen Deckelschalungen waren zusätzliche Zwangspunkte im Herstellungsprozess zu berücksichtigen. Es musste zunächst eine statische Lösung mit Übergreifungs- und Muffenstößen erarbeitet werden. Danach erfolgte eine Abstimmung mit der bauausführenden Firma bzgl. Zugänglichkeit während des Betonierens, Führungen für Verdichtungsgeräte und Einfüllöffnungen. Abb. 14 zeigt das Kämpferfundament in Achse 160 während der Bewehrungsverlegung. Abb. 14: Bewehrung Kämpferfundament, Quelle: DR. SCHÜTZ INGENIEURE 3.5 Betongelenke Zur Minimierung der Zwangsbeanspruchung wurden an den Vorlandpfeilern insgesamt drei Betongelenke angeordnet. Betongelenke besitzen eine hohe Verformungsfähigkeit, sind hoch belastbar und wartungsfrei. Die Bemessung der Betongelenke erfolgte nach [3]. Die Bemessungsregeln gehen im Wesentlichen auf ein Modell von Leonhardt [4] zurück und wurde auf die heute bauaufsichtlich eingeführten Regelwerke angepasst. Bei dem niedrigen Vorlandpfeiler war die Stützensteifigkeit so hoch, dass auch am Fußpunkt ein Gelenk vorgese- 366 5. Brückenkolloquium - September 2022 Echelsbacher Brücke - Ersatzneubau unter Einbeziehung des denkmalgeschützten Bestandsbogens hen wurde. Bei dem hohen Vorlandpfeiler war dies nicht notwendig und hätte erhöhte Aufwendungen für die Sicherung der Stütze im Bauzustand erfordert. Am Stützenkopf erfolgte eine Einschnürung im Betongelenk von 50 cm Stützenbreite auf eine Gelenkbreite von 10 cm. Das Einschnürungsverhältnis sollte mindestens 0,30 betragen. Im vorliegenden Fall wurde ein Verhältnis von 0,17 gewählt. Aufgrund der Schnittgrößenverhältnisse Querkraft/ Normalkraft und Quermoment/ Normalkraft ergab sich die Notwendigkeit der „Panzerung“ des Betongelenkes durch Gewindestäbe. 3.6 Statische Nachweise der Melan-Konstruktion Die Melan-Konstruktion war bei den Betoniervorgängen sehr hoch ausgenutzt. Für die Querschnittsnachweise war die Vordehnung des Stahlfachwerkes unter Berücksichtigung des Eigengewichts des Betons und die Schwindvorspannung zu berücksichtigen. Diese Dehnungsverteilung wurde mit den zusätzlichen Beanspruchungen aus dem Bauablauf überlagert. Größtenteils war der Ansatz des Stahlfachwerks für die Nachweisführung ausreichend. Nur in einigen Belastungssituationen und Querschnittsbereichen musste auch die schlaffe Bewehrung angesetzt werden. Aufgrund der hohen Ausnutzungen des Stahlfachwerkes und der Berücksichtigung der Stabstahlbewehrung in einigen Belastungssituationen resultierten zusätzliche Abhängigkeiten zum Baufortschritt der Instandsetzung. Schwieriger gestaltete sich die Nachweisführung an den Melan-Querträgern. Die Beanspruchungen der Querträger resultierten aus der Windbelastung unter Berücksichtigung der durch Schutz- und Arbeitsgerüste vergrößerten Windangriffsfläche. Außerdem war der Schädigungsgrad aufgrund der rissüberbrückenden Beschichtung im Vorfeld nur schwer abzuschätzen. Es wurden deshalb schon in der Ausschreibungsphase Kopplungen der Bestandskonstruktion an bereits erhärtete Bogenabschnitte des Neubaus vorgesehen. Damit konnten die Beanspruchungen aus Wind konstruktiv deutlich verringert werden, ohne dass die Schutzgerüstflächen beschränkt werden mussten. Dies hätte deutliche Auswirkungen auf die Bauzeit gehabt. 3.7 Stabilität Der Bogen besitzt im Regelbereich eine Schlankheit von 140 m / 0,80 m ~ L/ 175 (Abb. 15). Ein Vergleich mit anderen Bauwerken ist nur bedingt möglich, da die Schlankheit u.a. auch vom Bogenstich und der Bogenbreite abhängt. Übliche Schlankheiten liegen bei L/ 75 (z.B. Talbrücke Wilde Gera, Argentobelbrücke) bis maximal L/ 130 (Taminabrücke). Die enorme Schlankheit war notwendig, um eine Überbeanspruchung der Bestandsbogenrippen auszuschließen. Eine Verstärkung oder Unterstützung der bestehenden Konstruktion war praktisch nicht möglich. Im Endzustand ließ sich diese Schlankheit nur durch die Aussteifung der Fahrbahnplatte und durch die monolithische Verbindung mit den Pfeilern und dem Bogenscheitel realisieren. Die Stabilitätsnachweise für das Bogenknicken mussten für die maßgeblichen Bauzustände (freistehender Bogen ohne Aussteifung durch die Fahrbahnplatte) und für die halbseitige Belastung im Endzustand geführt werden. Es wurde eine Berechnung am Gesamtsystem nach Theorie 2. Ordnung mit nichtlinearem Materialverhalten (Rissbildung) durchgeführt. Zunächst wurden die Eigenformen ermittelt (Abb. 16). Die Verformungen der maßgebenden Eigenform wurden auf L/ 200 skaliert und als Vorverformung im Gesamtsystem berücksichtigt. Abb. 15: Detailansicht Bogen über Bestandsbogenrippen, Quelle: Retzlaff Abb. 16: Verformungen aus Vorverformung und halbseitiger Belastung (25-fach überhöht), Quelle: DR. SCHÜTZ INGENIEURE 4. Instandsetzungsplanung Im Rahmen der Generalsanierung in den Jahren 1984 - 1986 wurden umfangreiche Instandsetzungsarbeiten an den Bogenrippen durchgeführt. Die Kantenabplatzungen oder Hohlstellen reichten bis an das Stahlfachwerk und hatten teilweise eine Länge von mehreren Metern. Querschnittsminderungen betrafen jedoch größtenteils die schlaffe Stabstahlbewehrung. Im Prinzip hat sich das Schadensbild auch 2012 wieder abgezeichnet. Durch die 1986 aufgebrachte rissüberbrückende Beschichtung war der Schadensumfang ohne umfangreiche Einrüstungen aber nicht zu quantifizieren. Im Rahmen der Gesamtplanung wurde mit ca. 3 Jahren Vorlauf zur Bauausführung ein Konzept zur denkmalgerechten Instandsetzung erarbeitet und Anforderungen an Probeflächen am Bauwerk festgelegt. Primäres Ziel der Instandsetzung war einerseits die statische Tragfähigkeit für die Bauzustände zu gewährleisten und andererseits 5. Brückenkolloquium - September 2022 367 Echelsbacher Brücke - Ersatzneubau unter Einbeziehung des denkmalgeschützten Bestandsbogens den Eingriff in die Konstruktion, unter Berücksichtigung der späteren Funktion (geringes Eigengewicht, keine Verkehrsbelastung), zu minimieren. Eine vollumfängliche normgerechte Instandsetzung nach ZTV-ING/ Instandsetzungsrichtlinie war nicht zielführend. Die Abweichungen betrafen die Anforderungen für das Entfernen von chloridhaltigen Beton und die geforderten Haftzugfestigkeitswerte für das Auf bringen des Oberflächenschutzes. Ein Abweichen von diesen Anforderungen war nur möglich mit weiterführenden Untersuchungen und Probeflächen am Bauwerk und anschließender Begutachtung nach ca. einem Jahr Standzeit. Zunächst wurden die Chloridkonzentrationen in geschädigten und offensichtlich nicht geschädigten Bereichen entnommen und ausgewertet. Nach der Auswertung wurden Bauteilöffnungen vorgesehen, um Cloridkonzentration mit Korrosionsschäden zu korrelieren. Es wurde festgelegt, dass auch Chloridkonzentrationen größer 0,5 M% nicht abgetragen werden müssen, wenn keine Korrosionsschäden vorliegen oder der Beton ein ungeschädigtes Gefüge aufweist. Der Korrosionsschutz der Bewehrung wird durch das Instandsetzungsprinzip W (Absenkung des Wassergehaltes) garantiert. Dafür wurde ein Oberflächenschutzsystem mit geringer Rissüberbrückung (OS D-I) gewählt. Gegenüber einer starren Beschichtung ergeben sich geringere Anforderungen an die Haftzugfestigkeit des Untergrundes. An den Probeflächen wurden Systeme getestet, für die eine geringe Haftzugfestigkeit des Betons von 1,0 MN/ m² ausreichend ist. Die Begutachtung der Probeflächen ergab, dass für den vorgesehenen Einsatzzweck drei der vier Systeme geeignet waren und somit die Produktanforderungen in der Baubeschreibung festgelegt werden konnten, ohne den Wettbewerb einzuschränken. 5. Fazit Bei der vorgestellten Baumaßnahme waren die Verfasser mit der Entwurfs- und Ausführungsplanung für den Neubau (Objektplanung: Leistungsphasen 1 bis 7, Tragwerksplanung: Leistungsphasen 2 bis 6) und mit der Abbruchplanung beauftragt. Baumaßnahmen mit dieser Komplexität, insbesondere bei statischer Nutzung des Bestandes, erfordern einen hohen Detailierungsgrad der Planung schon vor der Ausschreibung. Die Bereitstellung der Ausführungsplanung durch den Auftraggeber war nach Einschätzung der Verfasser alternativlos. Besonderes Augenmerk gilt der Schnittstelle Tragwerk - Baubehelfe. Die Planung der Baubehelfe sollte nach Möglichkeit dem Auftragnehmer überlassen werden, um dessen Erfahrungen und Ressourcen optimal zu nutzen. Die Baubehelfe müssen jedoch im Rahmen der Ausführungsplanung Tragwerk prinzipiell vorgeplant werden, so dass alle statischen Auswirkungen auf das Tragwerk (Lasteinleitungspunkte, Gewichte) abgeschätzt und die Kriterien für die Baubehelfe in der Ausschreibung festgelegt werden können. Bei der Echelsbacher Brücke galt es im Rahmen der Ausschreibung die Anforderungen für folgende Themenkomplexe umfassend zu beschreiben: Arbeits- und Schutzgerüste Bogeninstandsetzung, temporäre Querfesthaltungen der Bestandsbogenrippen, Traggerüst/ Schalung des neuen Bogens, bauzeitliche Kopfabstützung der hohen Pfeiler, Sicherung der Vorlandstütze mit Betongelenk, Traggerüst/ Schalung, bauzeitliche Längsfesthaltung des Überbaus, Ballastierung und Pressenkonstruktion zur punktuellen Abstützung zwischen Neu- und Altbau bei Herstellung Überbau. Die Planung dieser Baubehelfe lag im Verantwortungsbereich der bauausführenden Firma. Einige Baubehelfe wurden wie vorgesehen umgesetzt. Bei der Ausbildung von Schalung/ Traggerüst Bogen und der Ballastierung wurden aber auch entscheidende Optimierungen vorgenommen. Die Vorplanung und die Festlegung der Kriterien in der Ausschreibung war dennoch sinnvoll und notwendig, da nur so der Auftragnehmer seine Ideen zielgerichtet einbringen konnte und in der Bauausführung kurzfristige Beurteilungen und Entscheidungen seitens des Auftraggebers möglich waren. Gleiches gilt sinngemäß für die Bewehrungspläne an den neuralgischen Knotenpunkten. Die Ausführungsplanung muss ein prinzipielles Konzept zur Betonierbarkeit beinhalten. Detailabstimmungen mit der bauausführenden Firma sind dann im Einzelfall notwendig und sinnvoll. Im November 2021 wurde die Echelsbacher Brücke nach einer Bauzeit von ca. 40 Monaten dem Verkehr übergeben. Die Baukosten für den Ersatzneubau (einschl. Abbruch) beliefen sich auf ca. 21,515 Mio. €. Dies entspricht einem Quadratmeterpreis von ca. 7.100 €/ m². Literatur [1] Grundner, A. (1996) Echelsbacher Brücke - ein bautechnisches Denkmal. Peiting: Eigenverlag. [2] Seidel, M.; Stihl, T.; Prause, C.; Rieger, W. (2019) Bau der längsten SS80-Brücke Deutschlands - Die Echelsbacher Behelfsbrücke. Ingenieurbaukunst 2019 - Made in Germany. Berlin: Ernst & Sohn. [3] Marx, S.; Schacht, G. (2010) Betongelenke im Brückenbau. Bericht zum DBV-Forschungsvorhaben 279. Berlin: Eigenverlag. [4] Leonhardt, F., Reimann, H. (1965) Betongelenk. Heft 175 des DAfStb. Berlin: Ernst & Sohn. Bauherr Bundesrepublik Deutschland Federführung: Staatliches Bauamt Weilheim Fachbereich Straßenbau D-82362 Weilheim i. OB Entwurfsverfasser DR. SCHÜTZ INGENIEURE Beratende Ingenieure im Bauwesen PartG mbB An der Stadtmauer 13 D-87435 Kempten (Allgäu) Kolb Ripke Gesellschaft von Architekten mbH Erkelenzdamm 59/ 61, Portal 1, 3.OG D-10999 Berlin 368 5. Brückenkolloquium - September 2022 Echelsbacher Brücke - Ersatzneubau unter Einbeziehung des denkmalgeschützten Bestandsbogens NRT Bürogemeinschaft Landschaftsarchitekten, Stadtplaner, Ingenieure Isarstraße 9 D-85417 Marzling Ausführungsplanung DR. SCHÜTZ INGENIEURE Beratende Ingenieure im Bauwesen PartG mbB An der Stadtmauer 13 D-87435 Kempten (Allgäu) Prüfingenieur Dr.-Ing. Markus Hennecke ZMH Prüfingenieure GbR Erika-Mann-Straße 63 D-80636 München Bauausführung STRABAG AG Direktion IC, Ingenieurbau Österreich Breitwies 32 A-5303 Thalgau Nachrechnung 5. Brückenkolloquium - September 2022 371 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken Dr.-Ing. Naceur Kerkeni H+P Ingenieure GmbH, Aachen, Deutschland Dr.-Ing. Frederik Teworte H+P Ingenieure GmbH, Aachen, Deutschland Dr.-Ing. Ehsan Sharei H+P Ingenieure GmbH, Aachen, Deutschland Kurzfassung Bei der Nachrechnung von Spannbetonbrücken hat sich die Finite Elemente Methode zu einem Standardwerkzeug entwickelt. Allerdings sind zur Sicherstellung von Qualität und Aussagekraft einer FE-Untersuchung umfangreiche Kenntnisse und Erfahrung des Anwenders erforderlich. Bei der linear-elastischen Berechnung der Bauwerke gemäß Stufe 1 und 2 der Nachrechnungslinie werden aufgrund der einfachen und schnellen grafischen Eingabe zunehmend räumliche Schalenmodelle verwendet. Dabei ist zu beachten, dass die programmgesteuerte Nachweisführung im Betonbau für Schalenelemente keine sinnvollen Ergebnisse liefert, wenn sich die Schnittgrößenverteilung zwischen dem elastischen und dem gerissenen Zustand signifikant unterscheidet. Bei der nicht-linearen FE-Untersuchung der Bauwerke gemäß Stufe 4 der Nachrechnungslinie wird eine sehr genaue und realitätsnahe Untersuchung durchgeführt. Durch die stark verbesserte Rechenleistung ist es nun möglich, realitätsnahe Volumenmodelle der geometrisch komplexen Bauwerke zu erstellen. Jedoch sind dabei die Wahl und Verifizierung geeigneter Materialmodelle sowie korrekte Interpretation der Ergebnisse von großer Bedeutung. In diesem Beitrag wird der Einsatz der linearen und nicht-linearen FE-Untersuchungen von Spannbetonbauwerke aufgezeigt und die Anwendung in der Nachrechnungsrichtlinie bewertet. Auf bauend auf die Erfahrungen und Kenntnissen in diesem Bereich werden Empfehlungen für die Anwender erarbeitet. 1. 1. Allgemeines Im Rahmen der Nachrechnung von Bestandsbrücken in Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie [19] lässt sich, trotz der verfeinerten Berechnungsansätze, häufig keine ausreichende rechnerische Tragfähigkeit nachweisen. Dies betrifft insbesondere die Querkraft- und Torsionsbeanspruchung sowie die Ermüdung. Zur Sicherstellung der Tragfähigkeit des Bauwerks kann eine entsprechende Verstärkungsmaßnahme vorgesehen werden. Alternativ kann eine genauere rechnerische Untersuchung der Brücke in Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie erfolgen. Die Nachrechnung in Stufe 4 ist insbesondere sinnvoll, wenn aufgrund der verkehrlichen Bedeutung des Bauwerks im Straßennetz kompensatorische Einschränkungen bis zur Fertigstellung der Verstärkungsmaßnahme (z.B. Spursperrung, Gewichtsbeschränkung, Sperrung für Schwertransporte) nicht vertretbar sind. Darüber hinaus kann eine solche Berechnung zielführend sein, wenn eine bauliche Verstärkung/ Ersatzneubau aufgrund der örtlichen Randbedingungen (z.B. Lichtraumprofile) oder der Kombination vorhandener rechnerischer Defizite nicht möglich ist. Die Berechnung in Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie umfasst die Nachweisführung unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden. Hierzu gehören neben verfeinerten analytischen Ansätzen [4][20][21] [15][16] unter anderem räumliche nichtlineare Finite-Elemente Berechnungen. Die Berechnung von Brücken erfolgt heutzutage fast ausschließlich softwaregestützt. Die ortsveränderlichen Radlasten, die zahlreichen zu berücksichtigten Einwirkungskombinationen und Nachweise, die Vorspannung sowie die Bauzustände einschließlich der zeitabhängigen Betonverformungen lassen sich händisch mit der erforderlichen Genauigkeit kaum erfassen. Daher sind sehr komplexe Berechnungen durchzuführen, welche vom zuständigen Tragwerksplaner ein großes Fachwissen im Betonbau aber insbesondere auch in den eingesetzten numerischen Verfahren erfordert [22]. In diesem Beitrag werden in Kapitel 2 zunächst häufig auftretende Aspekte zur linear-elastischen FE-Modellierung von Brückenbauwerken mit Stab- und Schalenelementen in Stufe 1 und 2 gemäß Nachrechnungsrichtlinie erläutert. Im Kapitel 3 werden die Grundlagen der FE- Modellierung von Brückenbauwerken in Stufe 4 mithilfe der Volumenelemente präsentiert. Dabei werden Anleitungen zur Vorbemessung und zum Modellauf bau, sowie zur Berechnung und zur Nachbearbeitung gegeben. In Kapitel 4 wird die Validierung der bestehenden Materialgesetze anhand der nichtlinearen Berechnung eines „Benchmark“-Versuchs vorgestellt. Nichtlineare Finite-Elemente Berechnungen ermöglichen eine Untersuchung des Bauteiltragverhaltens nach Schubrissbildung unter Berücksichtigung möglicher Umlagerungsreserven im Zustand II. Darüber hinaus können 372 5. Brückenkolloquium - September 2022 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken basierend auf der Ermittlung des rechnerischen Ankündigungsverhaltens bis zum Versagen (z.B. Rissentwicklung) gezielte Maßnahmen zur Überprüfung des Bauwerks definiert werden. Eine zielführende Nachrechnung in Stufe 4 mithilfe der nicht-linearen FE-Methode setzt ausreichende Fachkenntnisse und langjährige Erfahrung bei der Modellierung der Beton-, Stahlbeton- und Spannbetonbauteile voraus. 2. FE-Modellierung in Stufe 1 und 2 2.1 Längsrichtung mit Stab- und Schalenelementen Zur Modellierung einer Brücke stehen u.a. Stab-, Platten-, Scheiben-, Schalen- und Volumenelemente zur Verfügung. Aus baupraktischen Gründen werden üblicherweise Stabmodelle, Schalenmodelle oder eine Kombination aus den zuvor genannten verwendet. Seltener kommen Volumenmodelle zum Einsatz. Die Modellierung des Tragwerks zur Ermittlung der Schnittgrößen infolge der aktuellen Lastansätzen [5] ist hierbei jeweils vom Brückentyp abhängig. Abb. 1 zeigt die Visualisierung des Schalenmodells einer einfachen Plattenbrücke. Das dreidimensionale FE-System ist erforderlich, da die dünneren Elemente für die Kragplatte exzentrisch mit dem Massivquerschnitt gekoppelt wurden. Ebene 2D Modelle können die exzentrische Lage der Kragplatte nicht abbilden. Dies ist insbesondere bei schiefwinkligen Überbauten und Brücken mit Längs- und Quervorspannung von Bedeutung, um die Steifigkeiten und Beanspruchungen (Schnittgrößen, Spannungen) zutreffend zu erfassen. Abb. 1: FE-Schalenmodelle einer Plattenbrücke [22] Die Auflager lassen sich durch Feder- oder elastisch gebettete Schalenelemente erfassen. Für die Schnittgrößenermittlung im Bereich der Lagerung sollte das FE-Netz im Zweifelsfalle noch verfeinert werden. Das Beispiel zur Schnittgrößenermittlung in Bauwerkslängsrichtung einer vorgespannten Balkenbrücke mit Hohlkastenquerschnitt ist in Abb. 2 dargestellt. Hierbei liegt nach [6] ein torsionssteifer Stab vor, sodass ein Stabmodell verwendet wird. Das Bauwerk besitzt in den Stützbereichen eine Stegaufdickung. Die Stabelemente sind in ihrer Lage ausgerichtet, um die Änderung der Höhe der Schwerachse abzubilden. Dies ist insbesondere bei Brücken mit Normalkraftbeanspruchung (z.B. Spannbetonbrücken, Balkenbrücken mit mehreren längsfesten Lagern) von besonderer Bedeutung. Hierdurch kann bei der Berechnung der Biegemomente die zutreffende Exzentrizität der Normalkraft erfasst werden. Abb. 2: Koppelung zwischen Hauptträger und lastverteilender, orthotroper Platte (oben) und Schnitt durch die gevoutete Fahrbahnplatte (unten) [22] Bei asymmetrischer Belastung auf dem Überbau ergeben sich Torsionsbeanspruchungen im Hauptträger. Diese können als entsprechende Stablasten für jeden Lastfall manuell ermittelt und auf die Hauptträger aufgebracht werden. Alternativ hierzu kann die Ermittlung des Torsionsmoments auch in der FEM Berechnung erfolgen. Das genaue Vorgehen ist hierbei programmabhängig, wobei sich die Berechnungsgrundlagen ähneln. Nachfolgend wird die Abbildung mittels einer lastverteilenden orthotropen Platte beschrieben. Die Platte dient lediglich der Querverteilung der auf der Fahrbahnplatte wirkenden Lasten auf die Hauptträger. Hierdurch können die Lasten (z.B. Ausbaulasten, Verkehrslasten) entsprechend ihrer Lage am Bauwerk eingegeben werden. Die Fahrbahnplatte ist entsprechend ihrer Lage oberhalb des Hauptträgers angeordnet und durch Knotenkopplungen, die die Freiheitsgrade der Stäbe und Platte starr miteinander verbinden, an diesen angeschlossen. Bei der Eingabe der Schalenelemente ist darauf zu achten, dass diese gewichtslos sind, eine Orthotropie besitzen und somit lediglich eine Steifigkeit in Querrichtung aufweisen. Eine doppelte Berücksichtigung der Steifigkeit in Längsrichtung führt zu unzutreffenden Schnittgrößen der Hauptträger. Dies kann durch Handrechnungen hinsichtlich Verformungen und Zwangschnittgrößen auf Plausibilität überprüft werden. Die Gabellagerung des Hauptträgers auf jeweils zwei Lagern je Achse kann durch verschiedene Modellierungen abgebildet werden. So ist sowohl eine explizite Abbildung der beiden Auflager entsprechend ihrer Anordnung am Bauwerk als auch die Abbildung eines einzelnen torsionssteifen Lagers mittig in der Bauwerksachse möglich. Bei dem hier beschriebenen Vorgehen wurde die erste Variante gewählt, bei der ein Anschluss zwischen Über- 5. Brückenkolloquium - September 2022 373 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken bau und Lager durch steife Koppelstäbe realisiert wird. Die Steifigkeit der Koppelstäbe ist so zu wählen, dass hierdurch keine numerischen Probleme entstehen. So kann eine zu große Steifigkeit beim Erstellen der globalen Steifigkeitsmatrix zu mechanisch nicht begründbaren Sprüngen der Kräfte am Auflager führen, insbesondere bei Zwangsbeanspruchungen. Dies ist bei der Modellierung durch geeignete Plausbilitätskontrollen (z.B. analytische Handrechnungen) zu überprüfen. Alternativ können auch Knotenkopplungen angeordnet werden, womit die oben geschilderten numerischen Probleme vermieden werden. Die Nachgiebigkeit der Auflager wird durch vertikale und horizontale Wegfedern abgebildet. Die Steifigkeit der Bauwerkslager kann nach [8] und die der Unterbauten entsprechend der technischen Mechanik an Ersatzsystemen ermittelt werden. Die Abbildung einer zutreffenden Federsteifigkeit ist insbesondere bei schiefwinkligen Bauwerken und Bauwerken mit mehreren horizontalen Bauwerkslagern von Bedeutung. Eine zu große Steifigkeit der Lager würde dazu führen, dass ein zu geringer Anteil der Normalkraft im Überbau verbleibt. Darüber hinaus ergeben sich keine zutreffenden zeitabhängigen Spannkraftverluste infolge Kriechen, Schwinden und Relaxation. 2.2 Querrichtung mit Schalenmodellen Die Modellierungen in Querrichtung weisen häufig sehr unterschiedliche Detailierungsgrade auf. So kommen Untersuchungen am räumlichen Gesamtsystem oder Substrukturen zum Einsatz. Auch die verwendeten Elementtypen und Netzeinteilungen unterscheiden sich hierbei. Bei den räumlichen Gesamtmodellen wird der untersuchte Bereich der Querrichtung in der Regel durch Schalenelemente diskretisiert. Bei der Verwendung von räumlichen Gesamtmodellen (Schalenmodellen) wird die Einspannung durch Stege und Querträger sowie der Einfluss der Lagerung im Stützbereich direkt im Modell erfasst. Darüber hinaus wird die Beanspruchung der anderen Tragwerkselemente ebenfalls konsistent ermittelt, wenn man von einem elastischen Materialverhalten ausgeht. Daher werden, in Verbindung mit der gestiegenen Leistungsfähigkeit der üblichen FEM Programme, im Folgenden lediglich Möglichkeiten zur Modellierung mit Schalenmodellen beschrieben. Bei den Schalenmodellen werden Fahrbahntafel, Stege, Querträger und Bodenplatte durch isotrope Schalenelemente abgebildet. In Abb. 3 ist ein Ausschnitt des Regelbereichs eines zweistegigen Plattenbalkenquerschnitts dargestellt. Die Elemente weisen hierbei variable Querschnittshöhen auf, sodass die Querschnittsgeometrie und Steifigkeit zutreffend erfasst werden. Die erforderlichen Abmessungen der Elemente in der Fahrbahntafel ergeben sich durch die Voutung der Bauteile und die Größe der auf der Fahrbahnplatte wirkenenden Lastflächen. Abb. 3: Detail Elementierung Schalenmodell [22] Während bei der Modellierung von geraden Bauwerken in Längsrichtung üblicherweise nur die Längsvorspannung abgebildet wird, ist bei der Schnittgrößenermittlung in Querrichtung die Quervorspannung zu berücksichtigen. Diese umfasst sowohl die Spannglieder in der Fahrbahntafel als auch in den Querträgern. Die Längsvorspannung wird bei der Modellierung in Querrichtung häufig vernachlässigt. Sofern die Längsvorspannung auch zu einer Beanspruchung in Querrichtung führt, z.B. bei schiefwinkligen Bauwerken, sollte ihr Einfluss bei der Schnittgrößenermittlung berücksichtigt werden (z.B. Abb. 4). In Abb. 4 ist eine Draufsicht auf das Schalenmodell einer schiefwinkligen, zweifeldrigen Durchlaufträgerbrücke mit zweistegigem Plattenbalkenquerschnitt dargestellt. Es liegt mit Ausnahme der Querträgerbereiche ein orthogonales, rechtwinkliges Netz vor. Lediglich über den Querträgern wurden schiefwinklige Elemente verwendet, die zusammen mit den stehenden Schalenelementen der Querträgerstege das Bauteil ‚Endquerträger‘ abbilden (Aufteilung des Querschnitts in Teilquerschnitte). Abb. 4: Draufsicht auf das Schalenmodell einer schiefwinkligen, zweistegigen Plattenbalkenbrücke [22] Die Ausrichtung der Elemente hängt unter anderem von der verwendeten Elementformulierung ab. Daher sollte vor der Erstellung von Brückenmodellen an einfachen Ersatzmodellen überprüft werden, ob die geplante Elementierung und Netzeinteilung des Bauwerks in der Lage sind, die Schnittgrößen zutreffend zu ermitteln. In Abb. 5 ist die Draufsicht auf eine statisch bestimmt gelagerte Einfeldplatte gegeben, die mit einer konstanten Flächenlast von 100 kN/ m² belastet wird. Hierbei wurde mit einem rechtwinkligen Netz und einem schiefwinkligen Netz bei ansonsten unveränderten Eigenschaften der Einfluss der Netzausrichtung überprüft. 374 5. Brückenkolloquium - September 2022 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken Abb. 5: Modelle zur Überprüfung der Elementformulierungen: Schiefwinkliges Netz (oben) und rechtwinkliges Netz (unten) [22] Durch den Vergleich mit Beanspruchungen gemäß technischer Mechanik kann die Qualität der Modellierung bewertet werden. Hiernach ergeben sich die nachfolgenden Schnittgrößen und Durchbiegungen: Biegemoment Feldmitte: 12,5 kNm/ m Durchbiegung Feldmitte: 0,07 mm Querkraft am Auflager: 50 kN/ m In Abb. 6 sind für beide Modellierungen die Verläufe der Biegemomente und Durchbiegungen in verschiedenen Schnitten dargestellt. So sind beide Netzausrichtungen bei der verwendeten Elementformulierung in der Lage, die Beanspruchungen hinreichend genau zu ermitteln. Während sich beim rechtwinkligen Netz der zu erwartende parabelförmige Verlauf einstellt, sind bei der schiefwinkligen Orientierung geringfügige Sprünge an den Elementkanten zu erkennen. Abweichend hiervon zeigen die Querkräfte am Auflager sowohl signifikante Abweichungen von der analytisch ermittelten Beanspruchung (v = 50 kN/ m) als auch untereinander auf. Abb. 6: Modelle zur Überprüfung der Elementformulierungen: Biegemoment (oben), vertikale Durchbiegung (mitte) und Querkraft (unten) [22] So ergibt sich bei den rechtwinkligen Elementen eine geringfügig zu niedrige Querkraft von etwa 45 kN/ m. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Elementformulierung eine konstante Querkraft im Element ausweist und der lineare Querkraftverlauf in Längsrichtung stufenartig angenähert wird. Daher ist bei der Verwendung dieser Elementformulierung auf eine ausreichend feine Elementierung zu achten. Bei den schiefwinkligen Elementen ergibt sich eine deutlich zu hohe Querkraftbeanspruchung, die darüber hinaus über die Bauwerksbreite nicht konstant ist. Daher ist diese Elementformulierung in Verbindung mit schiefwinkligen Elementausrichtun- 5. Brückenkolloquium - September 2022 375 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken gen nicht zur Ermittlung der Querkraftbeanspruchung der Plattenelemente geeignet. In Abb. 7 ist der Ausschnitt eines Schalenmodells einer Strombrücke dargestellt (Fahrbahntafel ausgeblendet). Während in den Vorlandbereichen ein zweistegiger Plattenbalkenquerschnitt vorliegt, nimmt die Konstruktionshöhe des Querschnitts über den Pfeilerachsen des Flusses zu und es liegt eine untere Bodenplatte als Druckplatte vor. Die dargestellte Modellierung wurde verwendet, um neben der Beanspruchung der Fahrbahntafel ebenfalls die Beanspruchung der übrigen Bauteile ermitteln zu können. Hierbei sollte insbesondere der Einfluss der Querschnittsänderungen vom Plattenbalkenquerschnitt zum Hohlkastenquerschnitt berücksichtigt werden. Abb. 7: Schalenmodell (ohne Fahrbahntafel) im Bereich einer Innenstütze mit Bodenplatte [22] Die Beanspruchung der Bodenplatte ist in Abb. 8 anhand der rechnerischen Hauptzugspannungen unter Gebrauchslasten dargestellt. Infolge der Querschnittsänderung ergeben sich am Beginn der Bodenplatte mit Werten s1 von mehr als 5 N/ mm² Hauptzugspannungen, die größer sind als die Betonzugfestigkeit. In diesen Bereichen konnten am Bauwerk ebenfalls entsprechende Risse festgestellt werden. Abb. 8: Hauptzugspannungen in der Bodenplatte unter Gebrauchslasten (links) und Bauwerkszustand der Brückenunterseite (rechts) [22] Die gewählte Formulierung ist in der Lage das globale und lokale Tragverhalten zutreffend wiederzugeben. Die Beanspruchung ist im Wesentlichen auf die Torsionseinspannung des Plattenbalkenquerschnitts in den torsionssteiferen Hohlkastenquerschnitt zurückzuführen. 3. Grundlagen der FE-Berechnung in Stufe 4 3.1 Modellbildung und Elementierung Die FE-Methode ist ein numerisches (Näherungs-) Verfahren zur Lösung von Differentialgleichungen. Es liefert somit keine exakten Ergebnisse. Bei der Finiten Elemente Methode wird ein reales Tragwerk in kleine Elemente unterteilt, welche durch Knoten verbunden sind. Die reale Belastung wird durch Knotenkräfte ersetzt. Innerhalb dieser Elemente werden die Verformungen sowie die Spannungen und Dehnungen durch Polynome niedrigen Grades angenähert. Ein parabelförmiger Biegemomentenverlauf, bspw. bei einem Einfeldbalken unter Gleichlast, lässt sich auch mit einem konstanten Biegemoment in den finiten Elementen gut annähern, wenn die Kantenlänge ausreichend klein ist. Die Feinheit des Elementnetzes hängt somit von den Gradienten der Verformungen ab. Die passende Elementart (linear oder quadratisch) sollte abhängig von der gewünschten Genauigkeit der Berechnung und dem erforderlichen Rechenaufwand gewählt werden. Je komplexer die Elementart, desto aufwändiger und genauer sind die Berechnungen. In den meisten Fällen liefert ein FE Element mit linearer Ansatzfunktionen eine ausreichende Genauigkeit für eine nichtlineare FE Untersuchung. Zur Reduzierung der Rechenzeit kann die Symmetrie eines Modells (Bauteil und Laststellung) ausgenutzt werden, indem entsprechende Lagerungsbedingungen in den Symmetrieachsen definiert werden. Um numerische Singularitäten und somit einen verfrühten Abbruch der Berechnungen zu vermeiden, sollten Auflagerbedingungen und Krafteinleitungen über Flächen, alternativ über Linien definiert werden. Punktuelle Krafteinleitungen sollten vermieden werden. Die Elementgröße beeinflusst sowohl die Genauigkeit der Berechnung als auch die erforderliche Rechenzeit. Der Wahl der passenden Netzgröße kommt daher eine wichtige Rolle zu. Während sehr grobe FE-Netze falsche bzw. ungenaue Ergebnisse liefern, erhöhen sehr feine FE-Netze unnötig die Rechenzeit. Die richtige Elementgröße sollte durch einige linear elastische Voruntersuchungen ermittelt werden. Für Bauteile außerhalb des Untersuchungsbereiches können zur Reduzierung der erforderlichen Rechenzeit gröbere Vernetzungen angenommen und rein elastische Materialverhalten abgebildet werden. Für dünne Bauteile wie Platten oder Flansche sollten abhängig vom Netz angrenzender Bauteile mindestens drei bis fünf Elemente über die Höhe modelliert werden, damit die Steifigkeit des Systems nicht zu hoch abgebildet wird („Locking“ der Elemente). Unabhängig von der gewählten Netzgröße sollte die Qualität der FE-Untersuchung durch Vermeidung von verzehrten Elementen und stark abweichenden Kantenlängen (0,5 ≤ h/ b ≤ 2,0) sichergestellt werden. Dazu sollten geometrisch komplexe Querschnitte und Volumen vor Erzeugung der Vernetzung in mehrere Teilquerschnitte bzw. Volumen zerlegt werden. Die einzelnen Teile werden anschließend starr miteinander gekoppelt. Die FE- Netze verschiedener Körper sollten in Kontaktbereichen aufeinander abgestimmt sein. 3.2 Kalibrierung und Validierung der Materialmodelle Für die korrekte Abbildung des nicht-linearen Materialverhaltens unter einer beliebigen Kombination aus Druck- und Zugbeanspruchungen sollten je Werkstoff mindestens die folgenden Materialparameter definiert werden: 376 5. Brückenkolloquium - September 2022 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken Beton • Zug- und Druckfestigkeit: Normgemäß kalibrieren • Elastizitätsmodul: Steifigkeit des Systems, um die Anfangssteifigkeit im linear-elastischen Bereich korrekt abzubilden • Bruchenergie zur Abbildung des Verhaltens nach der Rissbildung Beton- und Spannstahl • Fließgrenze und Zugfestigkeit jeweils mit der entsprechenden Fließbzw. Bruchdehnung • Elastizitätsmodul Verbundverhalten • Bei glattem oder geripptem Beton- und Spannstahl muss ein sinnvolles Verbundverhalten angesetzt werden (starre Kopplung bzw. Interface Modellierung mit Spannung-Schlupf Beziehung) Die FE-Modellierung und Nachrechnung der unten aufgeführten Versuche mithilfe der ausgewählten Materialgesetze gilt als Basis für die Prognose der Standsicherheit der Großbauwerke. Um sicherzustellen, dass die verwendete FE-Software verschiedene Versagensarten (Versagensmodi) des Betons abbilden kann, sollten die numerischen Versagensarten der folgenden Versuche untersucht werden: Druckversagen • Druckversuche (Würfel / Zylinder) gemäß [10] Zugversagen • Spaltzugversuch [7] • 3-Punkt bzw. 4-Punkt Biegeversuche nach [9] Schubversuche / Interaktion Schub- und Zugversuche bzw. Druckversagen (Mixed-mode) • Nooru-Mohamed Tests [18] • 4-Punkt Schubversuche [1] Interaktion zwischen Beton und Bewehrungsstahl für verschiedene Vorspann- und Bewehrungsgrade • Schubversuche von Leonhardt [13] Die Auflistung der Bauteilversuche ist nicht abschließend. In Abhängigkeit der Aufgabenstellung können auch weitere Nachrechnungen von z.B. Versuchen mit Biegeversagen (Bewehrung, Biegedruckzone) oder Pull-out Tests (zur Kalibrierung des Verbundverhaltens) sinnvoll sein. Für eine praktische Anwendung im Brückenbau ist ein iteratives Lösungsverfahren mit schrittweiser Auf bringung der Beanspruchung und Bildung eines Gleichgewichts aus inneren und äußeren Kräften zur Konvergenzbildung geeignet (z.B. Newton Raphson Verfahren). 4. Modelvalidierung mithilfe der Benchmark Versuche Im Folgenden wird die FE-Modellierung der Versuche an der TU Wien [12] mithilfe des FE-Programms LIMFES [14]vorgestellt. Diese FE-Berechnung gilt als Validierung des im FE-Programm implementierten Materialmodells [2][3] und der Modellierung zur künftigen Untersuchung der Tragfähigkeit realer Brückenbaubauwerke. Es handelt sich um vorgespannte Einfeldträger mit einem Kragarm. Der Kragarm dient der gezielten Lastauf bringung, um die Durchlaufwirkung eines Mehrfeldträgers zu simulieren. Die Versuchsträger der ganzen Versuchsreihe unterscheiden sich durch die Vorspannkraft und damit die mittlere Betonspannung im Testfeld s cp , die Querschnittsform, den Querkraftbewehrungsgrad ρ w , die Schubschlankheit (Verhältnis des Biegemoments zur Querkraft), und der Belastung (punktuellen bzw. gleichmäßig). Die hier betrachteten Versuche unterscheiden sich nur in Vorspannkraft und Querkraftbewehrungsgrad. Abb. 9: Untersuchungsparameter für ausgewählte Träger [12] Die Stützweiten und Querschnitte sowie die vorhandene Bewehrung sind in Abb. 10 dargestellt. Das Spannglied besitzt eine Spannstahlfläche von Ap = 1050 mm2, die sich auf sieben Litzen verteilt, und wird einseitig am Kragarm vorgespannt. 5. Brückenkolloquium - September 2022 377 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken Abb. 10: Geometrie, Bewehrungs- und Spanngliedführung [12] 4.1 Kalibrierung der Materialeigenschaften Die Materialkennwerte wurden durch Laboruntersuchungen unterschiedlicher Institutionen festgestellt und sind in Abb. 11 zusammengefasst. Abb. 11: Materialkennwerte [12] Die Kalibrierung des im FE-Programm implementierten Materialmodells unter einaxialer Druck- und Zugbeanspruchung ist in Abb. 12 dargestellt. Abb. 12: Kalibrierung des Materialverhaltens für Beton unter Druck- (links) und Zugbeanspruchung (rechts) 4.2 Beschreibung der Belastung Die Last verteilt sich im Bereich „Testfeld“ auf 16 Punkte. Für das restliche Feld wurden die Pressenpaare im doppelten Abstand angesetzt. 378 5. Brückenkolloquium - September 2022 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken Abb. 13: Versuchsauf bau [12] Abb. 14: Erzeugte Schnittgrößenverläufe [12] Die ermittelten Parameter für eine Schubschlankheit von Mmax/ (Vmax∙h) ≈ 3,0 sind neben der maximalen Belastung und Querkraft für die jeweiligen Versuche nachfolgend dargestellt. Abb. 15: Ermittelte Vorspannkräfte, Schnittgößenparameter, maximale Last und maximale Querkraft [12] 4.3 FE-Modellaufbau Der Versuchsträger PC2.0T074 wird als 3D FE-Modell mit 16.659 Volumenelemente modelliert. Die Elemente weisen ungefähr eine Kantenlänge von jeweils 5 cm auf. Die Vorspannung besteht aus einem Längsspannglied. Abb. 16: FE-Modell 3D- und Seitenansicht und die Vorspannung 5. Brückenkolloquium - September 2022 379 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken Abb. 17: Vorspannkraft für das Spannglied Die Bewehrung wird diskret eingegeben (Abb. 18). Die blauen Bügel stellen die Schubbewehrung mit dem Ø10 dar und die grünen Bügel sind Ø4 bzw. Ø6. Abb. 19: Streckenlast und Punktlast Für die FE-Simulation wird fcm = 66,6 N/ mm2 und Ecm = 32667 N/ mm2 angesetzt. Die einachsige Zugfestigkeit des Betons fct beträgt 4,05 N/ mm2 nach [11]Die Bruchenergie GF beträgt 155,4 N/ m nach [12][17] 4.4 Ergebnisse der nicht-linearen FE-Berechnung Die Berechnung wird abgebrochen, sobald die Ungleichgewichtskräfte nicht gegen Null konvergieren. Gleichzeitig ist zu überprüfen, ob die zulässigen Grenzdehnungen von Beton und Bewehrungsstahl eingehalten sind. Somit kann die Laststufe identifiziert werden, in der ein rechnerisches Versagen des Systems eintritt. In Abb. 20 beträgt die Dehnung im letzten Berechnungsschritt vor Bruch, in dem die oben genannten Bedingungen erfüllt sind, 3,3 ‰. Abb. 20: Hauptdehnungen ε3 In Abb. 21 wird die Spannung (links) und Dehnung (rechts) des kritischen Bügels dargestellt. Alle anderen Bügel haben eine geringere Belastung. Die maximale Spannung beträgt 688 N/ mm² und liegt unter der Zugfestigkeit ft = 691 N/ / mm2. Abb. 18: Modellansicht der gesamten diskretisierten Bewehrungselemente 380 5. Brückenkolloquium - September 2022 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken Abb. 21: Spannungen und Dehnungen im kritischen Bügel Die Durchbiegungen δ wurden in dem Testfeld und an dem Kragarm gemessen und in Abhängigkeit der Querkraft Vmax in einer Last Durchbiegungs-beziehung zusammengefasst. In Abb. 22 sind die Last-Durchbiegung- Kurve für Versuch und Simulation dargestellt. Abb. 22: Vergleich der Last-Durchbiegungs-beziehung Der Vergleich zeigt eine gute Übereinstimmung zwischen Realversuch und Simulation. Die Steifigkeiten werden gut dargestellt. Für den Feldbereich liegen die Kurven im Zustand I sogar genau übereinander und auch die Kurven des Kragarms verlaufen annähernd parallel. Im Zustand II entfernen sich die Kurven teilweise voneinander sowohl für den Feldbereich als auch für den Kragarm. Dies kann an den Pausen bei der Lastauf bringung beim Realversuch liegen, die zur Dokumentation der Rissbilder genutzt wurden. In diesen Haltephasen kann es zum Kriechen des Betons kommen, wodurch sich die Durchbiegung vergrößert, ohne dass die Last erhöht wird. Diese Verformungen addieren sich auf und sorgen für einen immer größer werdenden Abstand zwischen den Kurven. Diese Haltephasen sind durch kurze horizontale Abschnitte in der Last-Durchbiegungsbeziehung zu erkennen und werden durch die Kreise in Abb. 22 markiert. Ein generell steiferes Verhalten in der FE-Berechnung ist auch nachvollziehbar, da keine Federsteifigkeiten in den Lagern berücksichtigt wurden, die möglicherweise im Realversuch durch den Versuchsauf bau vorhanden sind. Auch bezüglich der maximalen Querkraft und der dazugehörigen Verformung, die beim Bruch gemessen wurden, unterscheiden sich die Kurven nicht zu sehr. 4.5 Interpretation der Ergebnisse In Tab. 1 sind die Simulationsergebnisse zusammengefasst. Die Unterschiede zwischen Versuch und Simulation scheinen bei der Streckenlast und der Querkraft zum Zeitpunkt des Bruchs groß. Da die Abweichungen bei den Durchbiegungen zwischen Realversuch und der FE-Berechnung nicht groß sind, ist das Modell eine gute Abbildung des Versuchs für den Träger PC2.0T074. Eine Berücksichtigung der Federsteifigkeiten könnte die Übereinstimmung noch verbessern und auch das Materialmodell ist eine empfindliche Stellschraube. Mit leicht angepassten Werten wäre eine genauere Neuberechnung möglich. Tab. 1: Zusammenfassung der Ergebnisse für PC2.0T074 und Abweichungen Auch die in der Simulation erzeugten Rissbilder werden mit den Rissen des Versuchs verglichen. In der Bruchlaststufe sind die Risse in Abb. 23 im oberen Bild in der Rissdarstellung zu sehen und auch deutlich über die Hauptdehnungen ε1 im unteren Bild zu erkennen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 381 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken Abb. 23: Darstellung des Rissbildes mit Neigung des kritischen Schubrisses αcr (oben) und der Hauptdehnungen ε1 (unten) Es lässt sich feststellen, dass ein Querkraftversagen vorliegt, da nur wenige und kleine Biegerisse in Feldmitte vorhanden sind und über dem Innenauflager ausgeprägte Schubrisse das Rissbild kennzeichnen. Anhand der Hauptdehnungen lässt sich der kritische Schubriss eindeutig identifizieren. Am Rissbild ist außerdem zu sehen, dass die Risse nicht bis zur Unterkante des Querschnitts gehen, was auf die Wirkung der Druckzone zurückzuführen ist. Abb. 24: Rissbild für den Versuchsträger PC2.0T074 mit der Versagensstelle und der gemittelten Neigung des kritischen (Biege-) Schubrisses αcr[12] Die Risse des Versuches sind in Abb. 24 dokumentiert und der kritische Riss weist eine Neigung von 21° auf. Damit ist dessen Winkel ein wenig flacher als die Neigung des Risses aus der FE-Berechnung mit 23°. Das Rissbild sieht sehr ähnlich aus in Bezug auf Verteilung und Größe der Risse. Ein wesentlicher Unterschied in den Rissbildern stellt die Versagensstelle an der Auflagerkante dar. Während der kritische Riss bei allen Versuchen bis zur Auflagerkante führte und dort die Versagensstelle hervorrief, sind bei den FE-Berechnungen keine Risse im Lagerbereich zu sehen. Bei Betrachtung der Verträglichkeitsbedingungen, welche die Bruchlaststufe in der FE-Berechnung definieren, war die Betonstauchung im Lagerbereich die begrenzende Bedingung. Nachfolgend werden die Hauptdehnungen ε3 an den Auflagern der Versuchsträger dargestellt. Das Überschreiten der Betongrenzdehnung, welches bei dem Träger zum Abbruch der Berechnung führte, stellt einen Bruch des Betons im Auflagerbereich dar. Die Abplatzungen sind im Lagerbereich zu sehen, die als Versagensstelle gekennzeichnet wurden. Somit ist das aus der FE-Berechnung ermittelte Rissbild sehr zutreffend, wenn die überschrittene Betonstauchung bei der Betrachtung hinzugenommen wird. Vor allem bei der Annahme, dass der kritische Riss im Moment des Versagens sich mit der Abplatzung im Lagerbereich verbindet, würde sich ein identes Rissbild ergeben wie aus der Versuchsreihe. Abb. 25: Darstellung der Versagensstelle von PC2.0T074 mit den Hauptdehnungen ε3 5. Zusammenfassung Die Berechnung von Brücken erfolgt heutzutage fast ausschließlich softwaregestützt, wobei vom zuständigen Tragwerksplaner ein großes Fachwissen im Betonbau aber insbesondere auch in den eingesetzten numerischen Verfahren erforderlich ist. In Stufe 1 und 2 der Nachrechnungsrichtlinie werden überwiegend linear-elastische FE-Modelle mit Stab- und Schalenelementen verwendet. Die Modellierung des Tragwerks zur Ermittlung der Schnittgrößen ist hierbei jeweils vom Brückentyp abhängig. Bei der Modellierung in Brückenlängsrichtung ist die Höhenlage der verschiedenen Elemente bei veränderlichen Querschnitten durch Querschnittsversprünge zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für vorgespannte und schiefwinklige sowie integrale Brücken. Die Modellierungen in Querrichtung weisen häufig sehr unterschiedliche Detailierungsgrade auf. So kommen Untersuchungen am räumlichen Gesamtsystem oder Substrukturen zum Einsatz. Aufgrund des konsistenten Lastabtrags zwischen den einzelnen Bauteilen eines Überbaus und der Abbildung der jeweiligen Einspannungen sowie der gestiegenen Leistungsfähigkeit der üblichen FEM Programme, eignen sich zur Berechnung in Querrichtung insbesondere Schalenmodelle. Im Allgemeinen sind jeweils zutreffende Auflagersteifigkeiten durch Federn abzubilden. Dies gilt insbesondere für schiefwinklige Brücken und Brücken mit Festpfeilergruppen. Zusätzlich ist vor der Erstellung von Brückenmodellen an einfachen Ersatzmodellen zu überprüfen, ob die geplante Elementierung und Netzeinteilung des Bauwerks in der Lage sind, die Schnittgrößen zutreffend zu ermitteln. Die Voruntersuchungen und die Berechnungsergebnisse des Bauwerks sind durch geeignete Plausibilitätskontrollen (z.B. analytische Handrechnungen) zu überprüfen. Nichtlineare Finite-Elemente Berechnungen in Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie ermöglichen eine Untersuchung des Bauteiltragverhaltens nach Schubrissbildung unter Berücksichtigung möglicher Umlagerungsreserven im Zustand II. Eine zielführende Nachrechnung in Stufe 4 mithilfe der nicht-linearen FE-Methode setzt ausreichende Fachkenntnisse und langjährige Erfahrung bei der Modellierung der Stahl- und Spannbetonbauteile voraus. Vor der Nachrechnung von realen Brückenbauwerken mithilfe nicht-linearer FE-Berechnungen ist sicherzustellen, dass die gewählte Modellierung unter Verwendung der jeweiligen FE-Software das Tragverhalten von Stahlbeton- und Spannbetonbauteilen zutreffend ab- 382 5. Brückenkolloquium - September 2022 Häufige Fragen bei der Nachrechnung und Modellierung von Spannbetonbrücken bilden kann. Hierzu sind das Materialverhalten und die verschiedenen Versagensarten der einzelnen Werkstoffe (Beton, Stahl) und des Verbundwerkstoffs im Rahmen von Vorberechnungen („Benchmark“-Tests) zu untersuchen. Die Anwendung eines Benchmark-Tests in Stufe 4 wurde anhand eines Bauteilversuches unter Querkraftbeanspruchung gezeigt. Hierbei konnten das lokale und globale Tragverhalten sowie das Bauteilversagen zufriedenstellend abgebildet werden. Literatur [1] Arrea, M.; Ingraffea, A. R.: Mixed-mode crack propagation in mortar and concrete: Report 81-13, Department of Structural Engineering. Cornell University, Ithaca, New York, USA, (1981). [2] Bazant, Z. P.; Caner, F. C.; Carol, I.; Adley, M. D. and Ankers, S. A.: „Microplane Model M4 for Concrete - Part I: Formulation with Work-Conjugate Deviatoric Stress “, Journal of Engineering Mechanics, American Society of Civil Engineers, Ausg. 126, Heft 9, S. 944-953, (2000). [3] Bazant, Z. P.; Caner, F. C.: „Microplane Model M4 for Concrete - Part II: Algorithm and Calibration “, Journal of Engineering Mechanics, American Society of Civil Engineers, Ausg. 126, Heft 9, S. 954- 961, (2000). [4] Collins, M.P., et al.: A general shear design method. In: ACI Structural Journal 93, Nr.1, S.36-45 (1996). [5] DIN-Fachbericht 101: 2009 Einwirkungen auf Brücken (2009). [6] DIN-Fachbericht 102: 2009 Betonbrücken (2009). [7] DIN EN 12390-6: 2010-09: Prüfung von Festbeton - Teil 6: Spaltzugfestigkeit von Probekörpern. Deutsche Fassung EN 12390-6: 2009, Beuth, Berlin, (2010). [8] DIN EN 1337: Lager im Bauwesen, Berlin: Beuth Verlag (2018). [9] DIN EN 12390-5: 2019-10: Prüfung von Festbeton - Teil 5: Biegezugfestigkeit von Probekörpern. Deutsche Fassung EN 12390-5: 2019, Beuth, Berlin, (2019). [10] DIN EN 12390-3: 2019-10: Prüfung von Festbeton- Teil 3: Druckfestigkeit von Probekörpern. Deutsche Fassung EN 12390-3: 2019, Beuth, Berlin, (2019). [11] Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau; Deutsche Fassung EN 1992-1-1: 2004 + AC: 2010, Berlin: Beuth Verlag, (2011). [12] Huber, T.; Huber, P.; Kleiser, M; Kolleger, J.: Nachrechnung der Querkrafttragfähigkeit von mehrfeldrigen Spannbetonbrücken mit geringer Bügelbewehrung: Beton- und Stahlbetonbau 113, Heft 10, Berlin, Deutschland (2018). [13] Leonhardt, F.; Walther, R.: Schubversuche an einfeldrigen Stahlbetonbalken mit und ohne Schubbewehrung zur Ermittlung der Schubtragfähigkeit und der oberen Schubspannungsgrenze: DAfStb- Heft 151, Ernst & Sohn, Berlin, (1962). [14] Programmbeschreibung LIMFES: Dr.-Ing. N. Kerkeni, H+P Ingenieure GmbH & Co. KG, Aachen, (2009). [15] Maurer, R.; Kiziltan, H.: Zum Einfluss des Druckbogens auf den Querkraftwiderstand von Spannbetonbalken. In: Bauingenieur 88, Heft 4, S. 165-176 (2013). [16] Maurer, R.; Gleich, P.; Zilch, K. et al.: Querkraftversuch an einem Durchlaufträger aus Spannbeton. In: Beton- und Stahlbetonbau 109, Heft 10, S. 654- 665 (2014). [17] CEB-FIB Model Code 2010 Volume I, Final Draft. Fédération internationale du béton, (2012) [18] Nooru-Mohamed, M. B.: Mixed-mode fracture of concrete: an experimental approach. Dissertation. TU Delft, Delft, (1992). [19] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand. Nachrechnungsrichtlinie inkl. 1. Ergänzung, Bonn, (2011 und 2015). [20] Vecchio, F.; Collins, M.: The Modified Compression-Field Theory for Reinforced Concrete Elements Subjected to Shear. In: ACI Journal 83, Nr.2, S.219-231. (1986). [21] Vecchio, F.; Collins, M.: Predicting the Response of Reinforced Concrete Beams Subjected to Shear Using Modified Compression Field Theory. In: ACI Structural Journal 85, Nr.3, S.258-268 (1988). [22] Teworte, F.; Rombach, G.; Kerkeni, N.: Modellierung von Betonbrücken mit der Finite Elemente Methode, S. B.1-B.45. In: Stahlbetonbau-Fokus: Brückenbau, Beispiele zu Entwurf, Bemessung und Konstruktion, Ed. Hegger, J. und Mark, P. Beuth, (2021). 5. Brückenkolloquium - September 2022 383 Brückennachrechnung mit erweiterten Nachweisen der Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem Maximilian Schmidt M.Sc. Lehrstuhl und Institut für Massivbau (IMB), RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Dr.-Ing. Viviane Adam Lehrstuhl und Institut für Massivbau (IMB), RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger Lehrstuhl und Institut für Massivbau (IMB), RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Zusammenfassung Die ungünstige Altersstruktur der Bundesfernstraßen in Deutschland und die erhebliche Zunahme des Güterverkehrs sind die wesentlichen Gründe für den allgemein schlechten Gesamtzustand zahlreicher Brückenbauwerke. Unter den Bestandsbrücken ist der wesentliche Anteil der Bauwerke in Stahl- oder Spannbetonbauweise gebaut worden. Aufgrund der sich über die Jahrzehnte veränderten Modellvorstellungen, die den Nachweisen und den Konstruktionsregeln zugrunde liegen, sind häufig konservative Annahmen erforderlich, um ältere Brücken mit heutigen Rechenmodellen nachzurechnen. Auch dadurch ergeben sich häufig rechnerische Defizite. Zusätzlich ergeben sich durch die Weiterentwicklung der Normen höhere Anforderungen an die baulichen Details, z. B. Robustheitsnachweise, wodurch sich die hohe Ausnutzungsgrade verschärfen können. Genauere Nachweisformate bietet die Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie an, die 2011 erstmals erschienen ist und 2015 ergänzt wurde. Neuere Erkenntnisse zum Querkrafttragverhalten von Spannbetonbrücken mit geringen Querkraftbewehrungsgraden im Bereich des Mindestquerkraftbewehrungsgrades ρ w,min bilden die Grundlage für die 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie, die in der BEM-ING Teil 2 erscheinen wird. Zur Bewertung der Querkrafttragfähigkeit des Hauptsystems wird ein erweitertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil eingeführt, das im Folgenden erläutert und anhand von zwei Fallbeispielen vorgestellt wird. 1. Einleitung Der Großteil der Bundesfernstraßen in Deutschland wurde in der Ausbauphase des Autobahnnetzes zwischen 1960 und 1980 gebaut [1, 2]. Mit einem Flächenanteil von knapp 90 %, stellen Stahl- und Spannbetonbrücken die größte Gruppe unter den Bestandsbrücken dar [3]. Bei der Nachrechnung bestehender Brückenbauwerke werden heute oft rechnerische Defizite festgestellt, die sich häufig auf Verkehrssteigerungen [4] und strengere normative Anforderungen bzw. im Laufe der Jahre veränderte Bemessungsverfahren zurückführen lassen [5, 6]. Zur Verlängerung der verbleibenden Nutzungsdauer der Bestandsbrücken mit rechnerischen Defiziten können verfeinerte Bemessungsansätze Abhilfe schaffen, die höhere rechnerische Tragfähigkeiten erlauben. Diese Bemessungsansätze sind derzeit in der Nachrechnungsrichtlinie (NRR) [7, 8] bzw. demnächst in der BEMING Teil 2 [9] geregelt. 2015 wurde die NRR zum ersten Mal an den aktuellen Stand der Erkenntnisse angepasst [8], indem die Ergebnisse eines Forschungsvorhabens der Bundesanstalt für Straßenwesen [10-12] zur Modifikation bestehender Bemessungsansätze herangezogen wurden. Sie basierten einerseits auf Forschungsergebnissen und andererseits auf Erfahrungen aus Nachrechnungen und Gutachten zur Bewertung von Bestandsbrücken. Die seit der 1. Ergänzung gewonnenen Erkenntnisse aus Nachrechnungen von Spannbetonbrücken mit bestandstypischen Merkmalen und neuere Erkenntnisse aus verschiedenen Forschungsvorhaben (z. B. [13-24]), bilden die wesentliche Grundlage für die 2. Ergänzung der NRR bzw. die BEM-ING Teil 2. Nachfolgend werden die Regelungen der 2. Ergänzung vorgestellt und die Auswirkungen anhand von zwei Bemessungsbeispielen dargestellt. Brückennachrechnung mit erweiterten Nachweisen der Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem 384 5. Brückenkolloquium - September 2022 2. Erweitertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil für die 2. Ergänzung der Nachrechnungsrichtlinie 2.1 Hintergrund Zur Bewertung älterer Brücken mit z. B. nach heutiger Definition unzureichender Mindestquerkraftbewehrung sind erweiterte Bemessungsmodelle erforderlich. Zur Klärung offener Fragen, wurden in einem Forschungsvorhaben ergänzende experimentelle und theoretische Untersuchungen durchgeführt [23]. Hierfür wurden unter anderem Versuche an elf großformatigen Spannbetondurchlaufträgern an der RWTH Aachen [25] und TU Dortmund [26] sowie elf kurzen Spannbetonträgerausschnitten (Substrukturversuche) an der TU München [27] durchgeführt, um das Tragverhalten von Durchlaufsystemen unter Querkraftbeanspruchung und teilweise zusätzlicher Torsion zu untersuchen. Dabei wurde u.a. festgestellt, dass sich bei Spannbetonträgern mit kleinen Querkraftbewehrungsgraden gemäß DIN FB 102 [28] (r w,vorh < r w,min ) deutlich höhere Querkrafttragfähigkeiten ergeben, als rechnerisch über das Fachwerkmodell ermittelt werden. Diese Erkenntnis wird auch durch die Untersuchungen von Huber et al. an der TU Wien bestätigt [29-31]. Daher wurde ein erweitertes Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil hergeleitet, das die Querkrafttragfähigkeit von Spannbetonträgern mit geringem Bügelbewehrungsgrad präziser abbilden kann als aktuelle Ansätze mit einem reinen Fachwerkmodell [13]. Typischerweise ergibt sich bei Bauteilen mit höheren Schubbewehrungsgraden ein Schubrissbild mit mehreren, gleichmäßig verteilten Schrägrissen. Dahingegen weisen Versuchskörper mit geringen Querkraftbewehrungsgraden beim Versagen einzelne Schubrisse auf. Zudem verläuft dieser Schubriss oft nicht nahezu gerade, sondern gekrümmt (z. B. [32, 33]). Dies ist tatsächlich ein typisches Merkmal für das Querkraftversagen von Bauteilen ohne Querkraftbewehrung. Diese und andere Beobachtungen aus experimentellen Untersuchungen [34, 35] bestätigen, dass ein kontinuierlicher Übergang des Tragverhaltens von Trägern ohne zu Trägern mit geringer Querkraftbewehrung existiert [36]. Für den additiven Betontraganteil im erweiterten Fachwerkmodell für die Erweiterung der NRR [23] wurde der bisherige Ansatz für die Biegeschubtragfähigkeit aus dem DIN- Fachbericht 102 übernommen. Der Berechnungsablauf für Bauteile mit geringen Querkraftbewehrungsgraden entsprechend den Gln. (1) bis (8) ermöglicht im Gegensatz zu den bisherigen Querkraftnachweisen auch eine rechnerische Berücksichtigung dieses kontinuierlichen Übergangs von Bauteilen ohne zu Bauteilen mit Querkraftbewehrung (Fachwerkmodell) bei der Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit vorgespannter Bestandsbrücken. Details zu den Hintergründen und den zugrundeliegenden experimentellen Untersuchungen, die an der RWTH Aachen durchgeführt wurden, können bspw. [13] entnommen werden. 2.2 Bemessungsansatz Die Gesamtquerkrafttragfähigkeit ergibt sich als Summe der Biegeschubtragfähigkeit eines Bauteils ohne Querkraftbewehrung und einem Traganteil der Querkraftbewehrung nach Gl. (1) zu: (1) Der Bemessungswert der Querkrafttragfähigkeit ohne Querkraftbewehrung V Rd,ct beträgt (2) und ist durch den Mindestwert V Rd,ct,min nach Gl. (3) begrenzt. (3) Hierbei sind ein Duktilitätskoeffizient, r w,prov der vorhandene Querkraftbewehrungsgrad und r w,min der Mindestwert für den Querkraftbewehrungsgrad nach DIN FB 102. Durch den Faktor k ct wird zum einen das duktilere Verhalten von Bauteilen mit Querkraftbewehrung berücksichtigt und zum anderen der Übergang zwischen den unterschiedlichen Teilsicherheitsbeiwerten für sprödes und duktiles Versagen kontinuierlich definiert. Der Höchstwert von Gl. (2) wird durch die nachfolgende Gl. (4) gebildet: (4) Die einzelnen Parameter ergeben sich entsprechend der Regelungen in DIN FB 102 [28]. Der rechnerische Schubrisswinkel b r darf in den nachfolgend angegebenen Grenzen nach Gl. (5) gewählt werden: (5) Die Druckstrebentragfähigkeit ist für Bauteile mit rechtwinkliger Querkraftbewehrung (bezogen auf die Bauteillängsachse) nach Gl. (6) anzusetzen: (6) Brückennachrechnung mit erweiterten Nachweisen der Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem 5. Brückenkolloquium - September 2022 385 Hierbei wird der rechnerische Druckstrebenwinkel nach Gl. (7) ermittelt: (7) Der mechanische Querkraftbewehrungsgrad ergibt sich dabei nach Gl. (8) zu: (8) Die ν-Werte zur Berücksichtigung von Rissbildung und Querzug in den Betondruckstreben sind dabei in Anlehnung an das Grunddokument von EC2 im Vergleich zum EC2+NA(D) geringer anzusetzen: (9) Die Auswirkungen des Betontraganteils und der verschiedenen Druckstrebenneigungen lassen sich anschaulich am Plastizitätskreis darstellen, der in Abbildung 1 gezeigt ist. Die schwarz dargestellten Linien zeigen die bezogene Querkrafttragfähigkeit v sy für verschiedene Druckstrebenwinkel in Abhängigkeit des mechanischen Querkraftbewehrungsgrades. Für die Druckstrebenneigung cotq = 2,5 ergibt sich Linie (1). Die rot dargestellten Linien (2) und (3) zeigen die Querkrafttragfähigkeit für das Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil für unterschiedliche Winkel b r . Da Werte außerhalb des Plastizitätskreises rechnerisch möglich sind, wird cotb r nach unten begrenzt, Linie (3). Diese untere Begrenzung wird bereits durch Gl.(5) berücksichtigt. Weitergehende Hintergrundinformationen können [13] entnommen werden. Abbildung 1: Plastizitätskreis mit (1) Begrenzung des Druckstrebenwinkels q auf cotq = 2,5 und (2)/ (3) Fachwerkmodelle mit Betontraganteil nach [23] 3. Bemessungsbeispiel und Vergleich der Ansätze 3.1 Allgemeines Im nachfolgenden Abschnitt wird beispielhaft die Anwendung der verschiedenen Varianten des Fachwerkmodells aus der NRR anhand von zwei Bestandsbrücken dargestellt. Für eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse werden die Nachweise sowohl für die Stufe 1 als auch für die Stufe 2 der NRR mit den gleichen Schnittgrößen geführt. Für die Beispiele in diesem Beitrag wird das einwirkende Torsionsmoment aus Gründen der Vereinfachung nicht betrachtet. 3.2 Anwendungsbeispiel zweizelliger Hohlkasten (Beispiel 1) Im ersten Beispiel wird die Nachweisführung an einer Talbrücke aus den 1960-er Jahren mit einem zweizelligen Hohlkastenquerschnitt gezeigt. Der Überbau wurde mit nachträglichem Verbund vorgespannt und die ursprüngliche Querkraftbemessung erfolgte nach dem Hauptzugspannungskriterium gemäß DIN 4227 [37] mit dem Verkehrslastmodell SLW 60 nach DIN 1072 [38]. Die Gesamtlänge des Bauwerks beträgt 161,90 m und teilt sich in fünf Felder mit Stützweiten zwischen 28,30 m bis 37,0 m auf. Der Bemessungsquerschnitt für eine Fahrtrichtung im Abstand x s = 2,25 m vom Anschnitt des Querträgers in Achse 20 ist in Abbildung 2 dargestellt. Sowohl in den Auflagerachsen als auch in der Feldmitte sind Querträger angeordnet. In den Stegen befinden sich parabelförmig geführte Längsspannglieder mit der Festigkeitsklasse St 150/ 170. Der Betonstahl entspricht der Festigkeitsklasse St IIIb und der Beton der Klasse B450, Brückennachrechnung mit erweiterten Nachweisen der Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem 386 5. Brückenkolloquium - September 2022 die der heutigen Betonfestigkeitsklasse C30/ 37 zugeordnet wird. Abbildung 2: Zweizelliger Hohlkastenquerschnitt und statisches System in Längsrichtung für Beispiel 1 In einer Nachrechnung aus dem Jahr 2013 wurden in den Nachweisen nach Stufe 2 der NRR Defizite bei der vorhandenen Querkraftbewehrung und beim Ermüdungsnachweis für das Ziellastniveau BK60/ 30 festgestellt. Ohne weitere Verstärkungsmaßnahmen wurde die Talbrücke mit Ziellastniveau BK45 bei einer vorläufig eingeschränkten Nutzungsdauer von 20 Jahren in die Nachweisklasse C eingestuft. Im Rahmen der Neubauplanung der betroffenen Bundesautobahn wurde ein Ersatzneubau für die Überführung beschlossen. Bis zur Umsetzung des Ersatzneubaus wurde eine Verstärkung für die 4+0 Verkehrsführung für den südlichen Überbau erforderlich, um das gewünschte Ziellastniveau von BK60/ 30 zu erreichen. Die Verstärkungsmaßnahmen werden in den nachfolgend vorgestellten Berechnungen nicht berücksichtigt. Die Bemessung wird für das angestrebte Ziellastniveau BK60/ 30 durchgeführt. In Tabelle 1 sind die maximalen Schnittgrößen im Bemessungsquerschnitt für die ständige und vorrübergehende Bemessungssituation für einen Außensteg des Brückenquerschnittes angegeben. Hierbei wurden die Auswirkungen einer geneigten Spanngliedführung bereits in den einwirkenden Schnittgrößen berücksichtigt. Tabelle 1: Schnittgrößen im Abstand x s = 2,25 m von Auflagerachse 20 Schnittgrößen im Abstand xs von Achse 20 V Ed 3,0 MN M Ed -7,3 MNm N Ed -5,8 MN Die nachfolgend in Tabelle 2 angegebenen Geometrien und Materialkennwerte beziehen sich auf den Bemessungsquerschnitt eines Außensteges mit dazugehörigem Teil der Fahrbahn- und Bodenplatte (siehe Abbildung 2). Es handelt sich somit nicht um die Querschnittswerte des gesamten Brückenüberbaus. Tabelle 2: Geometrie- und Materialkennwerte des Bemessungsquerschnittes für einen Außensteg Geometrie- und Materialkennwerte d/ z 1,75 m / 1,58 m A c 2,1 m² a sw 22,6 cm²/ m ρ l 0,35 % f ck / f cd 30 N/ mm² / 17 N/ mm² f yk / f yd 420 N/ mm² / 365 N/ mm² Die Brücke weist einen Längsbewehrungsgrad von ρ l = 0,345 % und ein Verhältnis von vorhandenem Querkraftbewehrungsgrad zum Mindestquerkraftbewehrungsgrad von ρ w,vorh / ρ w,min = 3,1 nach DIN-Fachbericht 102 auf. Die Ergebnisse der Beispielbemessung sind in Tabelle angegeben. Da die Schnittgrößen im Bemessungsschnitt in Tabelle 1 für jeweils einen Hohlkastensteg angegeben wurden, werden die Tragfähigkeiten ebenfalls für jeweils einen Steg angegeben. NRR 2011 - Stufe 1 / DIN FB102 Der Nachweis ohne Querkraftbewehrung (Biegeschubnachweis gemäß 4.3.2.3(1) nach DIN FB 102) kann erwartungsgemäß nicht erbracht werden. Für die einwirkende Querkraft V Ed = 3,0 MN ergibt sich im Nachweis mit rechnerisch erforderlicher Querkraftbewehrung eine Druckstrebenneigung von cotq = 1,65. Zur Erfüllung des Querkraftnachweises ist Querkraftbewehrung von 31,6 cm²/ m (η = 1,39) erforderlich. Wird die Tragfähigkeit für eine vorhandene Querkraftbewehrung von 22,6 cm²/ m ermittelt, ergibt sich cotq = 1,73 mit einem resultierenden Ausnutzungsgrad von η = 1,32. Für den Bemessungsfall (Bestimmung der erforderlichen Bewehrung) ergibt sich ein anderer Druckstrebenwinkel als für eine Bestimmung der Tragfähigkeit bei gegebener Querkraftbewehrung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Einwirkung in die Bestimmung des Widerstands eingeht und somit eine direkte Auswirkung auf die Tragfähigkeit ausübt. Auf den Nachweis der Betondruckstrebe am Auflager wird in diesem Vergleich nicht eingegangen. NRR 2011 - Stufe 2 Durch die ergänzenden Regeln in Stufe 2 der NRR kann keine geringere Ausnutzung erzielt werden, da die Begrenzung der Druckstrebenneigung auf cot q = 1,65 nach wie vor maßgebend ist. 1. Ergänzung der NRR 2015 - Stufe 2 In Stufe 2 der 1. Ergänzung der NRR findet bei der Berechnung des Druckstrebenwinkels q eine Berücksichtigung des Risswinkels b r statt. Daher ist für das ausgewählte Bemessungsbeispiel in dieser Nachweisstufe ein flacherer Druckstrebenwinkel zulässig (cotq = 1,86), als sich nach den vorher dargestellten Stufen ergibt. Hierdurch kann rechnerisch eine höhere Querkrafttragfähigkeit erreicht werden. Gleichzeitig nimmt durch den fla- Brückennachrechnung mit erweiterten Nachweisen der Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem 5. Brückenkolloquium - September 2022 387 cheren Druckstrebenwinkel die Maximaltragfähigkeit ab. Der Ausnutzungsgrad ergibt sich zu η = 1,23. 2. Ergänzung der NRR - Stufe 2 In Stufe 2 der 2. Ergänzung der NRR darf der Nachweis durch das Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil in Schnitten im Abstand ≥ d vom Auflager geführt werden. Hierbei ist die Summe aus Bügeltragfähigkeit und zusätzlichem Betontraganteil V Rd,ct auf die Maximaltragfähigkeit V Rd,max beschränkt. Der Nachweis der Betondruckstrebe am Auflager darf mit einem alternativen Verfahren aus Stufe 2 der NRR geführt werden. Tabelle 3: Nachweise in Stufe 1 und Stufe 2 nach NRR 2011, NRR 2015 und NRR2020 (BEM-ING) (Brücke 1) Nachweisstufe 1 2 2 2 Bemessungsgrundlage DIN FB 102 NRR 2011 NRR 2015 NRR 2020 Lastmodell BK 60/ 30 Nachweisschnitt d vom Anschnitt des Querträgers in Achse 20 ρ l - 0,345 % σ cp N/ mm² - 2,8 ρ w,vorh / ρ w,min - 3,1 V Ed MN 3,0 k ct - - - - 1,3 V Rd,ct MN 0,46 0,46 0,46 0,67 V Rd,ct,min MN 0,40 0,40 0,40 0,60 V Rd,ct,max MN - - - 1,35 V Rd,c MN 0,40 0,40 0,40 cot q - 1,73 1,73 1,86 2,05 cot b r - - - 1,55 1,55 V Rd,sy MN 2,26 2,26 2,42 2,70 V Rd,max MN 3,67 3,67 3,53 2,67 hh = V Ed / V Rd - 1,32 1,32 1,23 1,12 cot q - 1,65 1,65 - a s,erf cm²/ m 31,6 31,6 - hh = a sw,erf / a sw,vorh - 1,39 1,39 - - Die reine Bügeltragfähigkeit nach dem Fachwerkmodell wird mit dem Risswinkel b r ermittelt, der innerhalb der Grenzen von Gl. (5) gewählt werden darf. Hierdurch bietet sich die Möglichkeit, die rechnerischen Tragfähigkeiten der Bügelbewehrung und der Maximaltragfähigkeit anzunähern. Im Beispiel ergibt sich so für cotq = 2,05 ein Ausnutzungsgrad von η = 1,12. In Abbildung 3 und Abbildung 4sind die Ausnutzungsgrade der Nachweise im Stütz- und im Feldbereich dargestellt. Im Feldbereich (Abstand x f = 9,00m von Auflagerachse 20) treten zwar deutlich geringere Querkräfte auf, jedoch ist hier der vorhandene Querkraftbewehrungsgrad deutlich geringer und liegt unterhalb des Mindestquerkraftbewehrungsgrades nach DIN FB 102 (ρ w,vorh / ρ w,min = 0,69). Abbildung 3: Ausnutzungsgrad der Querkrafttragfähigkeit von Beispiel 1 für den Stützbereich Brückennachrechnung mit erweiterten Nachweisen der Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem 388 5. Brückenkolloquium - September 2022 Abbildung 4: Ausnutzungsgrad der Querkrafttragfähigkeit von Beispiel 1 für den Feldbereich Es ist zu erkennen, dass der Nachweis nach Stufe 2 der 2. Ergänzung der NRR bzw. BEM-ING Teil 2 (Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil) für geringe Querkraftbewehrungsgrade einen deutlich geringeren Ausnutzungsgrad im Vergleich zu Stufe 1 der NRR liefert. Verglichen zum Nachweis in Stufe 1 mit η = 1,64 kann der Ausnutzungsgrad in Stufe 2 nach NRR2020 im Feldbereich mit η = 0,84 auf etwa 50 % reduziert werden. Bei einem deutlich höheren Querkraftbewehrungsgrad im Stützbereich kann der Ausnutzungsgrad in Stufe 2 nach NRR2020 mit η = 1,12 nur auf 85 % des Wertes in Stufe 1 (η = 1,32) gesenkt werden. Im Rahmen einer Brückennachrechnung ist der Nachweis in verschiedenen Schnitten bzw. an verschiedenen Stellen der Brücke entlang der Längsachse zu führen. Darauf wird in den hier dargestellten Vergleichen verzichtet. 3.3 Anwendungsbeispiel einzelliger Hohlkasten (Beispiel 2) Im zweiten Bemessungsbeispiel wird die Nachweisführung an einer einzelligen Hohlkastenbrücke einer Autobahnanschlussstelle aus dem Jahr 1970 gezeigt, (Abbildung 5). Die dreifeldrige Spannbetonbrücke mit Stützweiten zwischen 28,2 m und 48,0 m bei einer Gesamtlänge von 105,9 m besitzt für jede Fahrtrichtung einen eigenen Überbau. Die Konstruktionshöhe des Querschnitts beträgt durchgängig 2,70 m. Im Bemessungsschnitt beträgt die maßgebende Stegbreite 0,95 m. Abbildung 5: Einzelliger Hohlkastenquerschnitt im Bemessungsschnitt und statisches System in Längsrichtung für die Beispielbrücke 2 In Längsrichtung ist der Überbau mit Spanngliedern aus Spannstahl St 150/ 170 im nachträglichen Verbund vorgespannt. Für den Überbau wurde ein Betonstahl BSt III b und ein Beton mit einer Festigkeitsklasse B 450 verwendet, die in etwa einem heutigen C30/ 37 entspricht. Die Nachweise werden in diesem Beispiel mit Schnittgrößen aus dem Lastmodell 60 nach DIN1072 [38] geführt, die in Tabelle 4 im maßgebenden Schnitt im Abstand d vom Anschnitt des Querträgers in Auflagerachse 2 angegeben sind. Hierbei wurden die Auswirkungen einer geneigten Spanngliedführung bereits in den einwirkenden Schnittgrößen berücksichtigt. Der Stützquerträger hat eine Breite von 2,0 m. Hieraus ergibt sich ein bemessungsrelevanter Abstand von x = 3,75 m von Auflagerachse 2. Tabelle 4: Schnittgrößen im Abstand d vom Querträger in Achse 2 für BK60 für den Gesamtquerschnitt Schnittgrößen im Abstand d V Ed 7,8 MN M Ed -16,4 MNm N Ed -24,4 MN Alle für die Bemessung relevanten Geometrien und Materialkennwerte sind in Tabelle 5 angegeben. Brückennachrechnung mit erweiterten Nachweisen der Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem 5. Brückenkolloquium - September 2022 389 Tabelle 5: Geometrie- und Materialkennwerte des Bemessungsquerschnittes angegeben für den Gesamtquerschnitt Geometrie- und Materialkennwerte d/ z 2,70 m/ 2,65 m A c 10,84 m² a sw 55,8 cm²/ m A sl,FBP / A sl,BP 145,4 cm² / 22,0 cm² f ck / f cd 30 N/ mm² / 17 N/ mm² f yk / f yd 420 N/ mm² / 365 N/ mm² Mit einem Verhältnis zwischen vorhandenem Querkraftbewehrungsgrad und Mindestquerkraftbewehrungsgrad von r w,vorh / r w,min = 1,3 weist Beispielbrücke 2 einen deutlich geringeren Querkraftbewehrungsgrad im Nachweisquerschnitt auf als Beispielbrücke 1. Die Ergebnisse der Querkraftnachweise sind in Tabelle 6 zusammengefasst. In Abbildung 6 sind die Ergebnisse der Nachrechnung von Beispielbrücke 2 zusammengefasst. Da der Ausnutzungsgrad der Querkraftbemessung mit η = 1,13 in Stufe 1 der Nachweise nur geringfügig überschritten wird, kann bereits mit der ersten Fassung der Nachrechnungsrichtlinie (NRR2011) der Nachweis (η = 0,94) erbracht werden. Mit den weiter optimierten Nachweisgleichungen der Fortsetzungen NRR2015 und NRR2020 (BEM-ING Teil 2) lässt dich der Ausnutzungsgrad des Querkraftnachweises auf η = 0,83 bzw. η = 0,74 verringern. Auch in diesem Beispiel wird das bereits zuvor geschilderte Verhalten der Nachweisgleichung in Stufe 2 nach NRR2020 bestätigt. Bei geringen Querkraftbewehrungsgraden im Bereich der Querkraftmindestbewehrung wirkt sich der zusätzliche Betontraganteil stärker aus als bei Querschnitten mit größeren Querkraftbewehrungsgraden. Für den geringen Querkraftbewehrungsgrad von Beispiel 2 wird der Ausnutzungsgrad im Querkraftnachweis von η = 1,13 in Stufe 1 auf η = 0,74 in Stufe 2 der NRR2020 (65 % von Stufe 1) vermindert. Bei geringeren Querkraftbewehrungsgraden ist die relative Tragfähigkeitssteigerung nach dem Nachweisformat mit additivem Betontraganteil deutlich effektiver als bei hohen Querkraftbewehrungsgraden. Tabelle 6: Nachweise in Stufe 1 und Stufe 2 nach NRR 2011 , NRR 2015 und NRR2020 (BEM-ING) (Brücke 2) Nachweisstufe 1 2 2 2 Bemessungsgrundlage DIN FB 102 NRR 2011 NRR 2015 NRR 2020 Lastmodell Lastmodell 60 Nachweisschnitt d vom Anschnitt des Querträgers in Achse 2 ρ l - 0,289 % s cp N/ mm² -2,3 ρ w,vorh / ρ w,min - 1,3 V Ed MN 3,9 k ct - - - - 1,3 V Rd,ct MN 1,3 1,3 1,3 1,9 V Rd,ct,min MN 1,2 1,2 1,2 1,7 V Rd,ct,max MN - - - 4,6 V Rd,c MN 1,4 1,4 1,4 cot q - 1,75 2,10 2,38 2,66 cot b r - - - 1,66 1,66 V Rd,sy MN 3,5 4,2 4,7 5,3 V Rd,max MN 12,4 10,9 10,3 7,6 hh = V Ed / V Rd - 1,13 0,94 0,83 0,74 cot q - 1,75 2,18 - a s,erf cm²/ m 25,6 20,6 - hh = a sw,erf / a sw,vorh - 1,13 0,90 - - Brückennachrechnung mit erweiterten Nachweisen der Querkrafttragfähigkeit im Haupttragsystem 390 5. Brückenkolloquium - September 2022 Abbildung 6: Ausnutzungsgrad des Querkraftnachweises im Stützbereich von Brücke 2 4. Zusammenfassung Um das Tragverhalten von Straßenbrücken im Bestand besser beschreiben zu können, wurden in den vergangenen Jahren verfeinerte Bemessungsansätze abgeleitet. Die verfeinerten Bemessungsansätze wurden in der Nachrechnungsrichtlinie veröffentlicht, die derzeit in der BEMING Teil 2 weiter fortgeschrieben wird. Die Anwendung der aktuellen und zukünftigen Bemessungsansätze für Querkraft der Nachrechnungsrichtlinie (NRR) auf die Längsträger zweier über 50 Jahre alten Spannbetonbrücken verdeutlicht die stufenweise gesteigerte Leistungsfähigkeit dieser Nachweise. Der Nachweisschnitt wurde im Abstand d vom Auflager bzw. von der Vorderkante der Querträger in der Auflagerachse geführt. Die Steigerung der rechnerischen Querkrafttragfähigkeit ist von verschiedenen Randbedingungen abhängig. So ergibt sich bei geringeren Querkraftbewehrungsgraden eine für das neue erweiterte Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil deutlich größere Tragfähigkeitssteigerung im Vergleich zum Nachweis in Stufe 1 als für höhere Querkraftbewehrungsgrade. Bei großen Querkraftbewehrungsgraden und flachen Druckstrebenwinkeln kann die rechnerische Druckstrebentragfähigkeit eine obere Grenze der Tragfähigkeit darstellen, da die Druckstrebentragfähigkeit durch den Beiwert ν in Anlehnung an das Grunddokument von Eurocode 2 im Vergleich zum Nachweis nach DIN FB 102 reduziert ist. Durch diese angepasste obere Begrenzung soll einer Überschätzung der Tragfähigkeit vorgebeugt werden, die sich durch den additiven Betontraganteil bei hohen Bewehrungsgraden ergeben könnte. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der neue Nachweis mit Fachwerkmodell und additivem Betontraganteil insbesondere für Bauteile mit sehr geringen Querkraftbewehrungsgraden größere rechnerische Tragfähigkeiten liefert, während die Tragfähigkeitssteigerung für höhere Querkraftbewehrungsgrade geringer ausfällt, jedoch größer als nach den bisherigen Fassungen der Nachrechnungsrichtlinie. 5. Danksagung Der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) wird für die Förderung des Projektes gedankt. Dieser Veröffentlichung liegen Teile der im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, unter FE-Nr. 15.0661/ 2018/ FRB durchgeführten Forschungsarbeit zugrunde. Literatur [1] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehr - Strategie zur Ertüchtigung des Brückenbestands in Bundesfernstraßen. In: Bauingenieur 85 (2010), Heft 5, S. 210-216. [2] Hegger, J.; Mark, P. 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Jens Heinrich Technische Universität Dortmund, Dortmund, Deutschland König und Heunisch Planungsgesellschaft mbH Dortmund, Dortmund, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer Technische Universität Dortmund, Dortmund, Deutschland Zusammenfassung Im Zuge verschiedener Versuchsreihen an der TU Dortmund wurde das Ermüdungsverhalten von Spannbetonbauteilen mit Spanngliedern im nachträglichen Verbund im Bereich sehr großer Lastwechselzahlen experimentell untersucht. Die Versuchsergebnisse zeigten, dass in gekrümmten Spanngliedern die Größe der Umlenkkraft die Ermüdungsfestigkeit sehr stark beeinflussen kann. Die Kombination aus lokalen Querpressungen und kleinen Reibbewegungen an den Kontaktstellen zwischen den Litzen und dem Hüllrohr bewirkt eine Reibdauerbeanspruchung, welche die Ermüdungsfestigkeit deutlich reduzieren kann. Die Reibdauerbeanspruchung stellt neben der ermüdungsmechanischen Beanspruchung einen zweiten Schädigungsmechanismus dar, der im Oberflächenbereich der Spannstähle zu Verschleiß und einer Rissinitiierung führt. Es handelt sich bei Spannbetonbauteilen mit gekrümmten Spanngliedern um die Ermüdungsfestigkeit von reibdauerbeanspruchten Systemen. Daher wurden neben den Versuchen auch numerische Untersuchungen zur Bestimmung der Querpressungen im Kontaktbereich des Spanngliedes durchgeführt. Die Untersuchungsergebnisse wurden abschließend mit den aktuell gültigen Regelungen der Norm vergleichen und kritisch diskutiert. 1. Einleitung 1.1 Motivation Das Phänomen der Materialermüdung unter dynamischen Beanspruchungen ist bei den entsprechenden Bauwerken von Ingenieuren besonders kritisch zu beachten. Denn ein Ermüdungsversagen tragender Elemente kann besonders bei fehlendem Ankündigungsverhalten unerwartet erfolgen und zu großen Schäden am Bauwerk bis hin zum Gesamtversagen führen. Die ersten Schäden, die auf Werkstoffermüdung zurückgeführt werden können, wurden bereits Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieben. Jedoch ist die sehr komplexe Problematik der Materialermüdung für Konstruktionen und Bauwerke, die zeitlich oder örtlich häufig veränderlichen Lasten ausgesetzt werden, heute noch aktuell und nicht abschließend erforscht. Eine Abschätzung der Lebensdauer von ermüdungsbeanspruchten Tragwerken und Konstruktionen ist unmittelbar von der ermüdungswirksamen Beanspruchung abhängig. Die Schwierigkeit liegt hierbei in der möglichst genauen Prognose der Entwicklung der Betriebsbeanspruchungen über die Lebensdauer. Nachweislich ist in den letzten Jahrzehnten der LKW-Verkehr deutlich angestiegen und wird nach allen Prognosen auch weiterhin ansteigen. Eine verlässliche Abschätzung der Beanspruchungen für geplante Brückenneubauten über eine Lebensdauer von bis zu 100 Jahren ist somit nicht zuverlässig möglich. Als noch kritischer stellt sich die Beurteilung von bereits bestehenden Bauwerken oder Konstruktionen heraus, die seit einigen Jahrzehnten unter Betrieb sind. Bei älteren Bauwerken ist davon auszugehen, dass die seinerzeit zugrunde gelegten Beanspruchungen aufgrund der kleineren Achslasten und Fahrzeuggesamtgewichte teilweise deutlich unter den tatsächlichen heutigen Beanspruchungen lagen. Infolge dessen stellt sich die Frage nach den Auswirkungen hinsichtlich einer Vorschädigung auf die verbleibende Lebensdauer dieser Bauwerke. 1.2 Normative Grundlage Die Ermüdungsnachweis für Spannbetonbrücken ist in der DIN EN 1992-2 [1] mit der DIN EN 1992-2/ NA [2] geregelt. Der Nachweis der Ermüdung für Spannbetonbauwerke erfolgt gemäß [1] und [2] i .d. R. über schädigungsäquivalente Spannungsschwingbreiten auf Grundlage vorgegebener Wöhlerkurven. Diese wurden seinerzeit experimentell bestimmt. Für Spannglieder im nachträglichen Verbund konnte allerdings der Verlauf der Wöhlerkurve im Bereich der Dauerfestigkeit bisher noch nicht ausreichend durch Versuche abgedeckt werden. Der Verlauf in diesem Bereich wurde hypothetisch angesetzt. 1.3 Zielsetzung der Ermüdungsversuche An der TU Dortmund wurden in den letzten Jahren verschiedene Versuchsreihen zur Ermüdungsfestigkeit von Spannbetonbauteilen unter sehr kleinen Spannungsschwingbreiten und entsprechend großen Lastwechselzahlen bis 10 8 durchgeführt. [3], [4]. Ein wesentliches Ziel dabei war es, den tatsächlichen Verlauf der Wöhlerkur- Neue Erkenntnisse aus Ermüdungsversuchen mit sehr hohen Lastwechselzahlen an Spannbetonbauteilen mit Spanngliedern im nachträglichen Verbund 394 5. Brückenkolloquium - September 2022 ve im Bereich der Dauerschwingfestigkeit experimentell zu untersuchen. Im Zuge unterschiedlicher Versuchsreihen wurden auch bestimmte Einflüsse auf die Ermüdungsfestigkeit (Litzenanzahl im Spannglied, Größe der Vorspannbzw. Umlenkkraft sowie Höhe des Bewehrungsgrads bei gemischter Bewehrung aus Beton- und Spannstahl) näher untersucht. Mit den eigenen Versuchen sollte die Anzahl der bisher bekannten Versuchsergebnisse im Bereich sehr großer Lastwechselzahlen bis 10 8 ergänzt werden. Die Versuchsergebnisse aller dokumentierten Ermüdungsversuche wurden schlussendlich beim Vergleich mit der in den Normen verankerten Ermüdungsfestigkeitskurven als Wöhlerlinien für Einstufenversuche herangezogen. Die Versuchsergebnisse beeinflussen den Verlauf der so gewonnenen experimentell bestimmten Ermüdungsfestigkeitskurve. Die Ergebnisse der eigenen Versuchsergebnisse können daher direkt den Vorgaben und Regelungen für die Bemessungswöhlerlinien in den aktuell gültigen Normen gegenübergestellt werden, wobei zu beachten ist, dass der Verlauf der Bemessungswöhlerlinien im Bereich der Dauerfestigkeit fiktiv ist. 2. Beschreibung der Ermüdungsversuche 2.1 Versuchsprogramm Es wurden insgesamt 15 Ermüdungsversuche an Spannbetonträgern als Einstufenversuche durchgeführt, die in fünf Versuchsreihen unterteilt wurden. Innerhalb einer Versuchsreihe wurde lediglich die Höhe der Spannungsschwingbreite Ds p verändert. Zwischen den einzelnen Versuchsreihen wurden jedoch weitere Versuchsparameter variiert, um deren Einfluss auf die Ermüdungsfestigkeit zu untersuchen. Dies war die Vorspannkraft, der Umlenkradius des Spanngliedes, der Litzendurchmesser sowie der Bewehrungsgrad einer zusätzlich vorgesehenen schlaffen Bewehrung. 2.2 Versuchskörper Die Versuchskörper wurden als Balkenträger mit den Abmessungen h/ b/ l = 1,00/ 0,30/ 4,50m hergestellt. Die Stirnflächen waren abgeschrägt, damit das Spannglied senkrecht an diesen abgesetzt werden konnte. An den Enden des Versuchsträgers wurde das Spannglied gerade ohne Umlenkung geführt. In Trägermitte wurde das Spannglied über eine Länge von 2,00 m gekrümmt (im Kreisbogen) angeordnet. Im Rissquerschnitt in Trägermitte lag die Spanngliedachse 10 cm von der Unterkante des Trägers entfernt. Da die Versuche als Einstufenversuche durchgeführt wurden, war die am Spannglied auftretende Spannungsschwingbreite Ds p der wichtigste Versuchsparameter. Diese wurde aus der äußeren Belastung über den definierten und genau bekannten Hebelarm der inneren Kräfte berechnet. Abb. 1: Schematisch Darstellung des Versuchsstands für die Ermüdungsversuche, aus [3] Tab. 1 Versuchsparameter der durchgeführten Ermüdungsversuche sowie der rechnerischen Umlenkkraft Versuch SB05 SB06 GS01 GS02 GR01 GR02 GL01 GL02 Spannglied 5Ø3/ 8 “ 5Ø3/ 8 “ 5Ø3/ 8 “ 9Ø3/ 8 “ 9Ø3/ 8 “ 9Ø3/ 8 “ 3Ø0,62 “ 3Ø0,62 “ R [m] 5 5 5 5 10 10 5 5 A p [mm²] 260 260 468 468 468 468 450 450 Spannstahlspannung s p,max [N/ mm²] 968,1 938,5 1.020 990 1.020 990 1.020 990 s p,min [N/ mm²] 889 889 900 900 900 900 900 900 Ds p [N/ mm²] 79 49,4 120 90 120 90 120 90 Umlenkkraft u p [kN/ m] 50,3 48,8 95,5 92,7 47,7 46,3 91,8 89,1 u p,max [kN/ m] 20,8 20,2 39,5 38,3 19,7 19,2 72,2 70,1 Neue Erkenntnisse aus Ermüdungsversuchen mit sehr hohen Lastwechselzahlen an Spannbetonbauteilen mit Spanngliedern im nachträglichen Verbund 5. Brückenkolloquium - September 2022 395 In [4] wurde bereits der Vorteil der Trägergeometrie in Hinblick auf die Genauigkeit bei der Spannungsbestimmung im Spannstahl im Zustand II untersucht. Durch die Anordnung der Aussparung ist die Größe der Schwingbreite unter jeder Lastintensität eindeutig bestimmbar. Grundvoraussetzung hierfür war jedoch, dass die Versuche oberhalb des Dekompressionsniveaus durchgeführt wurden. 2.3 Versuchsdurchführung Die Versuche wurden als Einstufenversuche mit konstanten Spannungsschwingbreiten Ds p durchgeführt. Während der Versuchsdurchführung wurden verschiedene Messdaten aufgezeichnet. Dies waren u.a. die Versuchslast, die Rissbreite im Zuggurt und die Durchbiegung des Bauteils. Des Weiteren wurde eine akustische sowie eine Impulsmessung durchgeführt, anhand derer einzelne ermüdungsinduzierte Spanndrahtbrüche aufgezeichnet werden konnte. Dadurch war es möglich, ziemlich exakt die Schwingspielzahl N zu ermitteln, bei der die einzelnen Spanndrahtbrüche auftraten. Die Versuche haben gezeigt, dass ein einzelner Spanndrahtbruch nicht unmittelbar zum Gesamtversagen des Bauteils führte. Zwischen dem ersten Spanndrahtbruch und dem tatsächlichen Versagen konnte vielmehr eine sehr lange Versuchslaufzeit mit Ankündigungsverhalten durch zunehmende Rissbildung im Beton liegen. Mit zunehmender Anzahl an Drahtbrüchen nahm jedoch die verbleibende Spannstahlfläche im Spannglied ab. Sobald die Spannstahlfläche des Spanngliedes nicht mehr ausreichte, um die planmäßige Beanspruchung aufzunehmen, kam es zu ersten vereinzelten Gewaltbrüchen und schlussendlich zum Gesamtversagen des Bauteils. 3. Versuchsergebnisse 3.1 3Darstellung der Bruchzeitpunkte In Abbildung 2 sind die Ermüdungsfestigkeitskurven gemäß [1] und [2] für die Spannstahlklassen 1 und 2 dargestellt. In der Darstellung wurden ebenfalls die einzelnen Spanndrahtbrüche der Versuchsträger mit einem Spannglied aus 5Ø3/ 8″ eingetragen. Aus diesen Ergebnissen geht hervor, dass die Versuche mit einer Spannungsschwingbreite im Spannglied von Ds p ≥ 100 N/ mm² i.d.R. oberhalb der Ermüdungsfestigkeitskurve (Klasse 1) liegen. Bei den Versuchen mit einer kleinen Spannungsschwingbreite wird diese dagegen häufig unterschritten. Selbst bei einer Spannungsschwingbreite von lediglich Ds p = 50 N/ mm² konnte für den Versuch SB06 ein erster Spanndrahtbruch nach ca. 28,6 Mio. Lastwechseln festgestellt werden. Nach insgesamt 108 Mio. Lastwechselzahlen wurde der Versuch zwar ohne weitere Spanndrahtbrüche vorzeitig beendet, allerdings wurde dieser Versuch anschließend als Versuch SB06a mit einer höheren Spannungsschwingbreite Ds p- =-120-N/ mm² erneut als Durchläufer getestet. Diese Versuchsergebnisse sind in Gelb angegeben. Abb. 2: Gegenüberstellung der Spanndrahtbrüche der Versuchsreihen TR [4] und SB mit den heute gültigen Wöhlerkurven, aus [5] Neue Erkenntnisse aus Ermüdungsversuchen mit sehr hohen Lastwechselzahlen an Spannbetonbauteilen mit Spanngliedern im nachträglichen Verbund 396 5. Brückenkolloquium - September 2022 Abb. 3: Gegenüberstellung der Spanndrahtbrüche der weiteren Versuchsreihen mit den heute gültigen Wöhlerkurven, aus [5] Hier zeigt sich, dass die ersten Spanndrahtbrüche während dieser zweiten höheren Stufe deutlich früher auftraten, als bei Versuchen, die zuvor keine derartige Vorbelastung erfahren haben. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass sich im Spannglied während der ersten Stufe (SB06 mit Ds p = 50 N/ mm²) bereits eine entsprechende Vorschädigung einstellte. Eine echte Dauerschwingfestigkeit konnte damit selbst bei dieser geringen Spannungsschwingbreite nicht nachgewiesen werden. In Abbildung 3 sind die Versuchsergebnisse der weiteren Versuchsreihen GS, GR und GL getrennt aufgeführt. Die einzelnen Spanndrahtbrüche der Versuche wurden dabei immer denen aus den Versuchsreihen mit dem 5Ø3/ 8″- Litzenspannglied (grau) gegenübergestellt, damit ein qualitativer Vergleich möglich ist. Mit der Versuchsreihe GS (9Ø3/ 8″-Spannglied) ist ein negativer Einfluss aus der Erhöhung der Vorspannkraft sowie der Umlenkpressung bei gleichbleibender Spanngliedkrümmung auf die Ermüdungsfestigkeit festzustellen. Die ersten Spanndrahtbrüche liegen deutlich unterhalb der Ermüdungsfestigkeitskurve (Klasse 1). Durch die Modifizierung des Umlenkradius von R-=-5-m auf R = 10-m im Zuge der Versuchsreihe GR wurde bei gleicher Vorspannkraft die zugehörige Umlenkkraft reduziert. Im Vergleich zur Versuchsreihe GS kann daraus ein günstiger Einfluss auf die Ermüdungsfestigkeit des Spanngliedes festgestellt werden. Die Vorspannkraft der Versuchsreihe GL mit den 3Ø0,62″-Litzenbündeln wies eine ähnlich große Vorspannkraft wie die Versuchsreihe GS mit 9Ø3/ 8″- Litzenbündeln auf. Auch die Umlenkkraft war entsprechend vergleichbar, da der Krümmungsradius ebenfalls R = 5 m betrug. Die Zusammenstellung des Litzenbündels aus weniger größeren Einzellitzen scheint sich günstig auf die Ermüdungsfestigkeit auszuwirken. Die Versuchsergebnisse liegen im unmittelbaren Bereich der Ermüdungsfestigkeitskurve (Klasse 1) und damit vor allem für die Spannungsschwingbreite von Ds p -=-90-N/ mm² deutlich weiter rechts als bei den Versuchsreihen GS und GR. 3.2 Umlenkkraft und Stapelfaktor Die Umlenkkraft im Spannglied ergibt sich aus der Vorspannkraft im Spannglied (P) und dem zugehörigen Krümmungsradius (R) im betrachteten Bereich. Bei den Versuchsträgern wurde ein konstanter Krümmungsradius im umgelenkten Bereich angesetzt: Besteht das Spannglied aus mehreren Spannstählen (Litzen oder Drähte), dann kann die Umlenkkraft auf diese aufgeteilt werden. Die mittlere Umlenkkraft einer Litze oder eines Drahtes beträgt dann: Ab einer gewissen Anzahl an Spannstahllitzen liegen jedoch nicht alle unmittelbar am Hüllrohr an. Einige Litzen oder Drähte liegen in der Mitte des Spanngliedes ohne direkten Kontakt. Die Umlenkkraft aus diesen Litzen bzw. Drähten muss über die benachbarten Litzen und Drähte übertragen werden. Somit steigt die Umlenkpressung an den Spannstahllitzen, die unmittelbar am Hüllrohr anliegen, entsprechend an. Diese Erhöhung kann durch den Stapelfaktor beschrieben werden. Die zugehörige maximale Umlenkbeanspruchung ergibt sich zu: In [6] wird der Stapelfaktor über die Gleichung (Gl. 4) bestimmt: Mit dem Stapelfaktor k max können die Umlenkbeanspruchungen unter Berücksichtigung mehrerer Spannstahllitzen oder -drähte im Hüllrohr bestimmt werden. Die rechnerischen Umlenkbeanspruchungen in den Versuchen wurden bereits in Tabelle 1 aufgeführt. Abb. 4: Gegenüberstellung der Spanndrahtbrüche der weiteren Versuchsreihen mit den heute gültigen Wöhlerkurven, aus [5] Neue Erkenntnisse aus Ermüdungsversuchen mit sehr hohen Lastwechselzahlen an Spannbetonbauteilen mit Spanngliedern im nachträglichen Verbund 5. Brückenkolloquium - September 2022 397 Abb. 5: Gegenüberstellung der Spanndrahtbrüche der weiteren Versuchsreihen mit den heute gültigen Wöhlerkurven, aus [5] Remitz und Empelmann haben bereits in [7] Versuche mit Spanngliedern aus 0,6″- und 0,62″-Litzenbündeln hinsichtlich des Einflusses der Umlenkbeanspruchung auf die Ermüdungsfestigkeit untersucht. Im Folgenden wurden diese Untersuchungen unter Berücksichtigung der eigenen Versuchsergebnisse erweitert (Abb. 4 und 5). In den Abbildungen sind die Versuchsergebnisse getrennt für verschiedene Litzenbündel in Abhängigkeit der maximalen Umlenkbeanspruchungen farblich dargestellt. In blau sind die Versuchsergebnisse an freischwingengenden Litzensträngen ohne Umlenkbeanspruchung aufgetragen. Hier zeigt sich, dass deutlich größere Lastwechselzahlen erreicht werden konnten. Mit zunehmender Umlenkbeanspruchung bzw. Reibdauerbeanspruchung ist erwartungsgemäß eine Reduzierung der ertragbaren Lastwechselzahlen zu verzeichnen. Diese liegen teilweise deutlich unterhalb der Ermüdungsfestigkeitskurve nach [1] bzw. [2]. Neben den eigenen Versuchen und denen von Remitz/ Empelmann [7] wurden auch die Versuchsergebnisse anderer Autoren (Müller [8], Oertle et al. [9], Wollmann et al. [10], Bökamp [11], Voss/ Falkner [12], Abel [13], Eskola [14] und Hegger/ Neuser [15]) entsprechend ausgewertet und berücksichtigt. Der Vergleich der größeren Litzendurchmesser (0,5″, 0,6″ und 0,62″) mit den kleineren Litzen (3/ 8″) zeigt, dass die kleineren Litzen deutlich empfindlicher auf den Einfluss der Umlenkbeanspruchung zu reagieren scheinen. Möglicherweise hängt das mit der größeren Spannstahloberfläche und der damit einhergehenden größeren Wahrscheinlichkeit von Kerben und Kontaktstellen als Ausgangspunkt für Anrisse zusammen. 3.3 Lage der Spanndrahtbrüche Nach Versuchsende konnten die Spanndrahtbrüche sowie mögliche zweifache Drahtbrüche durch das Freilegen des Spanngliedes identifiziert werden. Allerdings ließ sich die Reihenfolge, in welcher die einzelne Drahtbrüche auftraten, nicht feststellen. Bei der Untersuchung der Spannglieder konnte jedoch beobachtet werden, dass sich die Drahtbrüche bevorzugt an der Kontaktfläche zwischen Hüllrohr und Spannstahllitze einstellten. Die Abbildung 6 zeigt die Innenfläche eines Hüllrohrs. Es sind deutliche Korrosionsspuren an den Innenrippen des Hüllrohrs festzustellen. Diese resultierten als Reibkorrosion aus der Kombination aus Querpressung und Relativverschiebung an der Kontaktfläche. Auch die Spannstahllitzen wiesen in diesen Bereichen Korrosionsspuren auf. Abb. 6: Drahtbruch an einer Reibstelle zwischen Spannstahllitze und Hüllrohr, aus [3] Abb. 7: Simulationsmodell zur Bestimmung der Kontaktpressungen im Spannglied Es zeigt sich zudem, dass häufig die Drähte einer einzelnen Litze nicht immer an der gleichen Stelle brachen, sondern in einigen Zentimetern Abstand, da der nächste Draht aufgrund der Litzengeometrie (Verdrehung) erst dort wieder am Hüllrohr anliegt. Es konnten auch Drahtbrüche von Spanndrähten an der Kontaktstelle zwischen zwei verschiedenen Litzen oder von Kerndrähten festgestellt werden. Dennoch lag der Großteil der Drahtbrüche an der Kontaktfläche zu Hüllrohr. Dies zeigte sich vor allem deutlich bei den Versuchen mit einer geringen Anzahl von Spanndrahtbrüchen. Dort waren ausschließlich Drahtbrüche unmittelbar an der Kontaktfläche zum Hüllrohr aufgetreten. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich die Erkenntnis, dass offensichtlich die ersten Spanndrahtbrüche im direkten Kontaktbereich zwischen Spannglied und Hüllrohr auftreten. Im späteren Verlauf versagen dann auch vermehrt die übrigen Spanndrähte infolge zunehmender Reduzierung der Spannstahlfläche und gleichzeitigem Anstieg der Beanspruchung. Neue Erkenntnisse aus Ermüdungsversuchen mit sehr hohen Lastwechselzahlen an Spannbetonbauteilen mit Spanngliedern im nachträglichen Verbund 398 5. Brückenkolloquium - September 2022 4. Simulation der Kontaktpressungen im Spannglied 4.1 4.1 Beschreibung des Problems Im Zuge der Untersuchungen wurde festgestellt, dass die überwiegende Mehrzahl der Drahtbrüche an den Kontaktstellen zwischen Litze und Hüllrohr auftraten. Diese Drahtbrüche konnten in erster Linie auf den Einfluss der Reibermüdung zurückgeführt werden. Für das Auftreten des Phänomens der Reibermüdung ist neben einer Querpressung gleichzeitig eine Relativbewegung zwischen den Reibpartnern erforderlich. Befindet sich ein Spannbetonbauteil im Zustand II, so entstehen bei zyklischer Belastung Rissbewegungen im Beton, Hüllrohr und Einpressmörtel. Die Bewegungen im kontinuierlich durchgehenden Spannstahl sind dagegen sehr gering und resultieren lediglich aus der elastischen Stahldehnung. Es kommt zu Relativverschiebungen zwischen dem Hüllrohr und dem Spannstahl. Die Größe der Relativverschiebung ist hauptsächlich von Rissbreitenänderungen abhängig. Durch die gekrümmte Spanngliedführung treten an den Reibstellen gleichzeitig Querpressungen auf, mit denen eine Reibermüdung an der Kontaktstelle einhergeht. Je größer diese sind, desto größer ist die zu erwartende Reduzierung der Ermüdungsfestigkeit gegenüber einem Bauteil oder einer Versuchsprobe ohne gleichzeitige Querpressung. Die Versuche zeigten bereits, dass mit Anstieg der Umlenkkräfte im Spannglied (u p ) eine entsprechende Reduzierung der ertragbaren Lastwechselzahlen festzustellen war. Um die Größe der tatsächlichen Querpressungen in den durchgeführten Versuchen besser abschätzen und die Verteilung der Umlenkbeanspruchung im Spannglied nachvollziehen zu können, wird der Kontaktbereich zwischen Hüllrohr uns Spannglied mit einem Rechenprogramm modelliert und die Krafteinleitung aus der Spanngliedumlenkung für verschiedene Randbedingungen simuliert. 4.2 Beschreibung des Rechenmodells 4.2.1 Verwendete Software Für die Simulationsrechnungen wurde die aktuellste Version ANSYS 2020 R2 mit der zur Verfügung stehenden Forschungslizenz der Technischen Universität Dortmund genutzt. Eine wesentliche Besonderheit der verwendeten Software ist die Kollisionsabfrage verschiedener Volumenkörper mittels Kontaktflächen. Die in den Simulationen angesetzten Belastungen der Litze liegen deutlich unterhalb des plastischen Niveaus der Litze. Es wird daher ein elastisches Werkstoffverhalten angesetzt. Dies betrifft sowohl die Eigenschaften des Spannstahls als auch die des Stahlhüllrohrs. Der Einpressmörtel und der das Hüllrohr umgebende Beton werden nicht modelliert. 4.2.2 Vernetzung Die Thematik der Vernetzung ist insbesondere in Hinblick auf die Kollisionsabfrage der unterschiedlichen Körper (Drähte und Hüllrohr) sehr wichtig. Zu diesem Thema haben auch Witt [16] und Weis [17] in ihren Arbeiten wichtige Hinweise aufgeführt. Grundsätzlich gilt, dass das Knotennetz im Bereich möglicher Kontaktstellen feiner ausgebildet werden sollte, als in Bereichen, in denen keine Berührungen stattfinden. Die Oberflächen der Hüllrohrrippen wurden daher feiner vernetzt, als die Bereiche, an denen das Spannglied nicht anliegen kann (Abb. 8). An den Litzen selbst wurde ein möglichst gleichmäßiges Netz gewählt. Das Hüllrohr wurde als monolithischer Volumenkörper aus Stahl modelliert. Hierbei wurde lediglich die Hälfte eines Spanngliedes als Trogquerschnitt abgebildet. Eine Trennung zwischen Beton und Hüllrohr wurde nicht vorgenommen. Das Hüllrohr, das eigentlich nur eine Blechdicke von ca. 0,5 mm aufweist, wurde hierdurch nahezu starr aufgelagert und die Steifigkeit des umhüllenden Betons entsprechend vernachlässigt. Bei der Modellierung wurden jedoch einige Vereinfachungen vorgenommen. So wurde beispielsweise die spiralförmige Anordnung der Rippen vernachlässigt und die Rippen senkrecht angeordnet. Höhenunterschiede aus den Verbindungsteilen (Muffen) oder den Faltzungen wurden ebenfalls nicht berücksichtigt. Der gekrümmte Verlauf des Spannglieds mit dem entsprechenden Krümmungsradius R wurde derweil im Rechenmodell berücksichtigt. 4.2.3 Kontaktflächen Das Programm ANSYS bietet die Möglichkeit an, die Oberflächen von Volumenkörpern (SOLID-Elemente) mit Kontaktelementen zu überziehen. Hierbei handelt es sich um Flächenelemente, die der Geometrie des Volumenkörpers folgen und diese mantelartig überspannen. Die Definition dieser Kontaktelemente erfolgt über die Vorgabe eines Contact- und eines Target-Elements. Bei der Vielzahl an Volumenkörpern im Rechenmodell müssen daher auch entsprechend viele Kontaktbeziehungen definiert werden. So kann jeder Außendraht einer Litze mit dem Kerndraht, den beiden benachbarten Außendrähten der gleichen Litze, den sechs Außendrähten einer benachbarten Litze und dem Hüllrohr kollidieren. Die Kontaktfindung erfolgt in ANSYS durch die kontinuierliche Überprüfung des Abstandes zwischen den Contact- und Target-Flächen. Sobald eine Durchdringung festgestellt wird, bilden sich Kontaktfedern zwischen den beiden Kontaktflächen (Abb. 9). Die Durchdringung sollte dabei möglichst klein gehalten werden, um keine zu unrealistischen Ergebnisse zu erhalten. Neue Erkenntnisse aus Ermüdungsversuchen mit sehr hohen Lastwechselzahlen an Spannbetonbauteilen mit Spanngliedern im nachträglichen Verbund 5. Brückenkolloquium - September 2022 399 Abb. 8: Vernetzung der Litzen und Hüllrohrrippen im Rechenmodell, aus [3] Abb. 9: Prinzipieller Vorgang bei Durchdringung zweier Kontaktflächen und Generierung entsprechender Kontaktfedern in ANSYS, aus [3] Abb. 10: Gegenüberstellung der in den Simulationsrechnungen angesetzten und der tatsächlich in den Versuchen festgestellten Litzenanordnungen 4.2.4 Litzenanordnung In den Simulationsrechnungen wurden verschiedene Spanngliederkonfigurationen untersucht. Die einfachste Spanngliedform ergab sich beim Ansatz einer Einzellitze. Die Litze wird hierbei mittig im Tiefpunkt des Hüllrohrs angeordnet. Bei Litzenbündeln aus mehreren Litzen ist die Anordnung der Litzen jedoch entscheidend für die Verteilung der Umlenkkraft. Die Anordnung der Einzellitzen bei der Untersuchung eines Litzenbündels erfolgte dabei auf Grundlage der in den Versuchen festgestellten Litzenkonfigurationen. In Abbildung 10 ist eine Auswahl der an den Versuchsträgers festgestellten sowie der in den Simulationsrechnungen angesetzten Litzenkonfigurationen dargestellt. 4.3 Ergebnisse der Simulationsberechnungen 4.3.1 Lage der Kontaktstellen zwischen Litzen und Hüllrohr Durch die Modellierung der Kontaktflächen war es in den Berechnungen möglich, tatsächliche die Lage der Berührungspunkte zwischen Litze und Hüllrohr zu bestimmen. Aufgrund der komplexen Geometrie der „aufgewickelten“ Litzen und der Wellhüllrohre war bereits davon auszugehen, dass sich eine kontinuierliche Kontaktlinie nicht einstellen kann. Die Ergebnisse der Simulationsrechnungen bestätigen dies ebenfalls. In Abbildung 11 sind beispielhaft die Kontaktstellen für ein Spannglied aus 5Ø3/ 8″-Litzen dargestellt. Der Kontakt erfolgt lediglich in den Bereichen, in denen sich eine Hüllrohrrippe und ein äußerer Draht der Litze berühren. Die Kontaktstellen und Kontaktpressungen werden somit direkt von der Litzen- und Hüllrohrgeometrie beeinflusst. Weiterhin ist festzuhalten, dass die ingenieurmäßige Annahme, dass die Umlenkkraft eines Spannglieds über die Neue Erkenntnisse aus Ermüdungsversuchen mit sehr hohen Lastwechselzahlen an Spannbetonbauteilen mit Spanngliedern im nachträglichen Verbund 400 5. Brückenkolloquium - September 2022 Länge kontinuierlich in ein Bauteil eingeleitet wird (vgl. Gl. 1 bis Gl. 4) nicht realistisch. Oertle et al. haben bereits in [9] beschrieben, dass die Umlenkung von Spanngliedern in den Kontaktbereichen als Einzelkraft angesehen werden sollte. 4.3.2 Bestimmung der Kontaktpressung Im Rechenprogramm wurden auch die rechnerischen Pressungen an den Kontaktstellen bestimmt. Die Höhe der lokalen Kontaktpressungen konnte dabei unter Ansatz unbegrenzt linear elastischen Materialverhaltens rechnerisch die Streckgrenze des Hüllrohrmaterials deutlich überschreiten. Daraus resultieren plastische Verformungen im Kontaktbereich, die sich i. d. R. als Einschneidungen des Litzendrahtes in das Hüllrohrmaterial einstellen. Bei den Spannglieduntersuchungen, die nach dem Ende der Ermüdungsversuche erfolgte, konnte ein solches Einschneiden der Litzen in die Hüllrohrinnenfläche tatsächlich festgestellt werden (s. Abb.-6). Diese Kontaktstellen stellten Ausgangspunkte für potenzielle Ermüdungsbrüche der einzelnen Spanndrähte dar. Eine Vielzahl der festgestellten Spanndrahtbrüche konnte an diesen Kontaktstellen nachgewiesen werden. Abb. 11: Kontaktstellen zwischen den Einzellitzen und dem Hüllrohr für ein Litzenbündel 5Ø3/ 8″ Abb. 12: Gegenüberstellung der aus den Simulationsrechnungen bestimmten Erhöhungsfaktoren k geo und den Stapelfaktoren k max nach Weiher [6] und Remitz/ Empelmann [7], aus [3] 4.3.3 Definition verschiedener geometrischer Erhöhungsbzw. Stapelfaktoren Im Rechenmodell konnten die Umlenkkräfte an den Hüllrohrrippen mittels Integration der Kontaktspannungen über die zugehörige Rippenfläche errechnet werden. So ergab sich für jede Rippe und Litze eine entsprechende Einzelkraft. Bei unbelasteten Rippen betrug der Wert demnach 0. Aus diesen Rippenkräften konnten anschließend verschiedene geometrische Erhöhungsfaktoren bestimmt werden, die nachfolgend kurz erläutert werden. Für den Faktor k geo,m * wurde die Summe aller Rippenkräfte einer einzelnen Litze über die Anzahl aller vorhandenen Hüllrohrrippen - auch der unbelasteten - gemittelt. Die Umlenkkräfte wurden somit über die betrachtete Hüllrohrlänge verschmiert, wodurch der Einfluss aus der Länge verloren geht und ein zweidimensionaler Erhöhungsfaktor entsteht. Dieser Faktor entspricht somit dem Stapelfaktor k max aus Gleichung (Gl. 4). Der Vergleich des im den Simulationsrechnungen abgeleiteten 2D-Erhöhungsfaktors k geo,m * mit den Stapelfaktoren k max anderer Autoren in Abbildung 12 zeigt eine sehr gute Übereinstimmung (grüne Markierungen). Eine grafische Übersicht der Erhöhungsfaktoren für am Hüllrohr anliegende Litzen bestimmter Spanngliedkonfigurationen ist in Abbildung 13 dargestellt. Mit k geo,m wurde ein Erhöhungsfaktor definiert, der nur die belasteten Hüllrohrrippen entlang eines Litzenstranges berücksichtigt. Unbelastete Rippen werden nicht angesetzt. Dadurch ergeben sich im Vergleich zum verschmierten Erhöhungsfaktor k geo,m * . Bei diesem geometrischen Erhöhungsfaktor handelt es sich demnach um einen dreidimensionalen Faktor, der von der Geometrie der Spannstahllitze und des Hüllrohrs abhängig ist. Der Faktor k geo,max definiert den maximalen Erhöhungsfaktor einer Litze des Spanngliedbündels dar, der im Zuge der Simulationsrechnung an der maximal beanspruchten Rippe bestimmt wurde. Neue Erkenntnisse aus Ermüdungsversuchen mit sehr hohen Lastwechselzahlen an Spannbetonbauteilen mit Spanngliedern im nachträglichen Verbund 5. Brückenkolloquium - September 2022 401 Die Ergebnisse der Simulationsrechnungen zeigen eine klare Tendenz, dass sich gerade bei den großen Spannstahllitzen (Ø0,62″), die in den heute üblichen Spannverfahren bevorzugt Anwendung finden, größere geometrische Erhöhungsfaktoren k geo einstellen können, als bei den kleineren Ø3/ 8″-Litzen. Die maximalen lokalen Umlenkkräfte der Litzenstränge können sich bei Berücksichtigung der Litzen- und Hüllrohrgeometrie um mehr als das doppelte im Vergleich zur verschmierten Umlenkkraft erhöhen. Die Ausweitung der Untersuchungen auf noch größere Spannglieder und Hüllrohrquerschnitte wäre daher durchaus von wissenschaftlichem Interesse. Abb. 13: Übersicht einiger in den Simulationen bestimmter Erhöhungsfaktoren k geo,m * , aus [3] 5. Diskussion der Ergebnisse 5.1 Modifikation der Ermüdungsfestigkeitskurve Mit dem Versuch SB06 wurde erstmals ein Ermüdungsversuch an einem Spannbetonträger mit mehr als 10 8 Lastwechseln durchgeführt. Allerdings zeigte der Durchläufertest, dass selbst bei einer Spannungsschwingbreite von lediglich 50 N/ mm² keine echte Dauerschwingfestigkeit im strengen Sinne festgestellt werden konnte (Abb.-2). Bei Spannungsschwingbreiten von 100 N/ mm² oder weniger lagen die Versuchsergebnisse einiger Versuche teilweise deutlich unterhalb der Wöhlerliner nach DIN EN 1992-2/ NA [2]. Vor allem der Effekt der Reibdauerbeanspruchung wirkt sich maßgeblich auf die Ermüdungsfestigkeit aus. Die Anzahl der durchgeführten Ermüdungsversuche mit Schwingbreiten kleiner 100 N/ mm² ist trotz der eigenen Versuche weiterhin sehr begrenzt. Die bereits ausgeführten Ermüdungsversuche deuten jedoch darauf hin, dass der Verlauf des zweiten Astes der Ermüdungsfestigkeitskurve nach DIN EN 1992-2/ NA mit den Einstufenversuchen nicht abgebildet werden kann. Daher wurde in [3] ein Vorschlag zur Modifikation der Ermüdungsfestigkeitskurve unter Berücksichtigung der Versuchsergebnisse vorgestellt. Der eigene Vorschlag lautet wie folgt: • Verlängerung des ersten Astes der Ermüdungsfestigkeitskurve nach [2] mit k 1 = 3 bis zum Knickpunkt N * = 5∙10 6 • Verlauf des zweiten Astes parallel zur Ermüdungsfestigkeitskurve nach [2] mit k 2 = 7 Auch Remitz/ Empelmann haben in [7] bereit einen Neuvorschlag zur Anpassung der Ermüdungsfestigkeitskurve für Spannglieder im nachträglichen Verbund vorgestellt. Beide Vorschläge sind in den Abbildungen-14 und 15 dargestellt. 5.2 Definition eines Versagenszeitpunktes für mehrdrahtige Litzenspannglieder Aus den Versuchen geht ebenfalls hervor, dass das Totalversagen nicht direkt beim Auftreten des ersten Drahtbruches erfolgt. Daher sollte neben der Modifikation der Wöhlerkurve ebenfalls auch ein Versagenskriterium für das ganze Spannglied mit mehreren Litzen unter ermüdungswirksamen Beanspruchungen sinnvoll definiert werden. In [3] wurden hierzu verschiedene Ansätze vorgestellt. Grundsätzlich empfiehlt sich die Vorgabe eines Grenzwertes für die Ausfallrate der Spannstahlfläche eines Spanngliedes A p , wie dies beispielsweise in der DIN EN 1993-1-11 [18] oder der ETAG 013 [19] der Fall ist. Dabei sollte die kritische Ausfallrate wiederum auf 13% begrenzt werden, da dies mit einer Reduzierung des Teilsicherheitsbeiwerts g p,fat -=-1,0 gleichzusetzen ist. Der Vergleich der Abbildungen 14 und 15 zeigt, dass bereits für eine Ausfallrate von 10% zufriedenstellende Ergebnisse erreicht werden. Abb. 14: Darstellung der Ermüdungsfestigkeitskurven nach [2], den eigenen Versuchsergebnissen mit dem 1. Drahtbruch als Versagenszeitpunkt, aus [3] Neue Erkenntnisse aus Ermüdungsversuchen mit sehr hohen Lastwechselzahlen an Spannbetonbauteilen mit Spanngliedern im nachträglichen Verbund 402 5. Brückenkolloquium - September 2022 Abb. 15: Darstellung der Ermüdungsfestigkeitskurven nach [2], den eigenen Versuchsergebnissen mit 10%iger Ausfallrate als Versagenszeitpunkt, aus [3] 5.3 Berücksichtigung des geometrischen Erhöhungsfaktors In den Simulationsrechnungen (s. Kap. 4) konnte festgestellt werden, dass sich bei Spanngliedern aus Litzenbündeln aufgrund der komplexen Litzen- und Hüllrohrgeometrie keine kontinuierliche und linienförmige Krafteinleitung der Umlenkkraft in den Beton einstellt. Die Angabe der Umlenkkraft als Linienlast u p , wie dies u.- A. in den Zulassungsdokumenten angegeben wird, stellt eine Idealisierung dar. Vielmehr stellen sich punktuelle Kontaktstellen zwischen Litzenbündel und Hüllrohr ein, an denen sehr große lokale Kräfte bzw. Spannungen übertragen werden. Die rechnerischen Pressungen an diesen lokalen Stellen können dabei in ihrer Größe vergleichsweise deutlich die Zugfestigkeit des stählernen Hüllrohrs überschreiten. Diese rechnerischen Querpressungen haben zur Folge, dass sich lokale Schädigungen an den Kontaktstellen einstellen. Im Zuge der Spanngliedentnahme konnten entsprechende Einschneidungen der Spanndrähte in das Hüllrohrblech festgestellt werde. Diese Kontaktstellen bildeten die Ausgangspunkte für eine Vielzahl der aufgetretenen Spanndrahtbrüche. An einigen Spanngliedern der Versuchskörper konnten nach Versuchsende sogar mehrere Brüche des gleichen Spanndrahtes festgestellt werden. Diese statistische Auswertung der Zweitdrahtbrüche zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Drahtbruches von Litzenspanngliedern nicht über die gesamte Spanngliedlänge gleich groß ist. Die Wahrscheinlichkeit ist dort am größten, wo Kontakt zwischen gleichem Spanndraht und Hüllrohr besteht. Von daher scheint es sinnvoll zu sein, diesen Einfluss beispielsweise durch den geometrischen Erhöhungsfaktor k geo zu berücksichtigen. In [3] wurden hierfür einige Vorschläge vorgestellt. Voraussetzung ist immer, dass sich der Spannbetonquerschnitt im Zustand II befindet. 5.4 Weitere Aspekte zur Beurteilung des Ermüdungsnachweises nach aktuellen Stand der Normung Der Ermüdungsnachweis gemäß DIN EN 1992-2 [1] ist generell durch eine Vielzahl an Unschärfen geprägt. Bereits der Ansatz einer einzelnen Wöhlerkurve zur Beschreibung der Ermüdungsfestigkeit von Spanngliedern unterschiedlicher Litzenanzahl und Krümmungsradien enthält großen Ungenauigkeiten, zudem die Ermüdungsfestigkeit bei den Einstufenversuchen teilweise sehr stark streut. Insbesondere im Bereich großer Lastwechselzahlen ergeben sich aufgrund der doppellogarithmischen Darstellung bei visuell geringen Abweichungen bereits sehr große Unterschiede bei den ertragbaren Lastwechselzahlen. Somit nehmen auch die Abweichungen zwischen einer charakteristischen Wöhlerkurve zum Erwartungswert (Mittelwert) bei großen Lastwechselzahlen entsprechend zu. Liegen diese im Bereich der Kurzzeitfestigkeit beispielsweise bei wenigen 10.000 bis 100.000 Schwingspielen, so können diese am zweiten Ast der Wöhlerkurve (k 2 ) bereits mehrere Millionen betragen. Ein weiterer Aspekt, der nicht Bestandteil dieser Arbeit war und kritisch betrachtet werden sollte, ist neben der Widerstandsseite auch die Seite der dynamischen Lasteinwirkungen. Die wesentliche Kenngröße, welche die Ermüdungsfestigkeit beeinflusst, ist die häufig wechselnde Beanspruchung im Bauteil. Diese entsteht bei Brücken aus der äußeren Verkehrsbelastung. Damit der Ermüdungswiderstand möglichst genau nachgewiesen werden kann, müssen auch die tatsächlichen Beanspruchungskollektive der ermüdungswirksamen dynamischen Belastungen bekannt sein. Es ist offensichtlich, dass dies nicht durch die in der Norm angegebenen Lastmodelle zuverlässig gelingen kann. Diese Verkehrslastmodelle wurden vielmehr dazu entwickelt, dass diese unabhängig von den verschiedenen Brückensystemen (Balken-, Bogen-, Plattenbrücke, ...) und der Querschnittsform (Hohlkasten, Plattenbalken, Platte, ...) universell anzuwenden sind und die Schnittgrößen aus dem realen Verkehrs als Umhüllende abdecken. Dabei wird in Kauf genommen, dass bei einigen Brückensystemen auch zu große Beanspruchungen entstehen können, solange ein unterer Grenzwert eingehalten wird. Damit an einem Bauwerk ermüdungswirksame Spannungsschwingbreiten auftreten können, ist es erforderlich, dass sich der Querschnitt im gerissenen Zustand II befindet. Die Rissbildung ist dabei u.a. auch stark von der Jahreszeit bzw. den zugehörigen Temperatureinwirkungen ΔT M abhängt. So ist zu den Sommermonaten (April bis September) eine ausgeprägtere Rissbildung festzustellen als in den Wintermonaten. Eine solche jahreszeitliche Berücksichtigung der Temperatur ΔT M auf das Grundmoment M 0 ist im Nachweiskonzept der DIN EN 1992-2 nicht verankert. Hier wird grundsätzlich der häufige Wert für DT M angesetzt. Für den Ermüdungsnachweis wird konservativ ständig wirksam der ungünstige Einfluss aus der häufigen Temperatur (y 1 ∙ΔT M ) über die gesamte Nutzungszeit des Bauwerks angesetzt. Neue Erkenntnisse aus Ermüdungsversuchen mit sehr hohen Lastwechselzahlen an Spannbetonbauteilen mit Spanngliedern im nachträglichen Verbund 5. Brückenkolloquium - September 2022 403 Wöhlerlinien gelten grundsätzlich für Einstufenkollektive. In der Realität handelt es sich bei den ermüdungswirksamen Beanspruchungen aus den Verkehrslasten um Mehrstufenkollektive. Die Form des Kollektivs kann einen sehr großen Einfluss auf die Ermüdungsfestigkeit haben. Aus diesen aufgeführten Beispielen wird ersichtlich, dass das Nachweiskonzept zur Berechnung der Ermüdungsfestigkeit von Spannbetonbauteilen doch noch eine Vielzahl von Unschärfen und Unsicherheiten aufweist. Gleichzeitig soll eine möglichst einfache praktische Anwendbarkeit gewährleistet sein. So ist es zielführend, wenn der Ermüdungsnachweis für mehrere Anwendungsfälle gilt und beispielsweise unterschiedliche Querschnittformen, Längssysteme, Spanngliedformen, usw. abdeckt. Hierfür werden entsprechende Unschärfen in Kauf genommen, sofern sich diese auf der sicheren Seite befinden. Nun stellt sich beim Vergleich der Versuchsergebnisse mit der genormten Bemessungswöhlerlinie im Dauerfestigkeitsbereich die Frage, ob mit der in DIN EN 1992- 2/ NA angegebenen Ermüdungsfestigkeitskurve die Berechnungsgrundlage auf der unsicheren Seite liegt. Eine Verschärfung des Ermüdungsnachweises scheint unter Berücksichtigung der jahrzehntelangen Erfahrungen mit den Spannbetonbrücken im Bestand ohne vermehrt auftretende Ermüdungsschäden jedoch nicht angezeigt. Die Gründe dafür sind sowohl auf der Einwirkungsseite als auch auf der Widerstandsseite zu suchen, die über die Form des Beanspruchungskollektivs miteinander gekoppelt sind. 6. Ausblick und Forschungsbedarf Hinsichtlich des Ermüdungsverhaltens von nachträglich verpressten Spanngliedern in gekrümmten Stahlhüllrohren besteht weiterhin Forschungsbedarf. Eine „echte“ Dauerschwingfestigkeit konnte immer noch nicht empirisch nachgewiesen werden. Weitere Ermüdungsversuche im Bereich sehr kleiner Spannungsschwingbreiten sind erforderlich, um den tatsächlichen Verlauf der Ermüdungsfestigkeitskurve statistisch abzusichern. Auch eine feinere Differenzierung der Ermüdungsfestigkeitskurven in Abhängigkeit von den Umlenkkräften wäre dabei zu erwägen. Ebenso wäre es von großem Interesse, den Einfluss von Mehrstufenkollektiven zu untersuchen. Bedingt durch die Versuchseinrichtung konnten die Untersuchungen nur für verhältnismäßig geringe Spanngliedgrößen (9Ø3/ 8″ bzw. 3Ø0,62″) durchgeführt werden. Für die Baupraxis sind diese Spanngliedbündel nur von geringer Bedeutung. Daher sollten zukünftig nach Möglichkeit auch Ermüdungsuntersuchungen an größeren Spanngliedern verfolgt werden. Allerdings erhöhen sich damit auch die Anforderungen an die Prüfeinrichtung und den Versuchsstand, da die Versuchslasten mit zunehmender Spanngliedgröße ansteigen. Außerdem ist damit zu rechnen, dass die Prüfgeschwindigkeit mit zunehmender Versuchsträgergröße abnehmen und die Versuchslaufzeit entsprechend zunimmt. Aus den Simulationsrechnungen ging hervor, dass die Verteilung der Querpressungen in umgelenkten Spanngliedern durch die Geometrie des Litzenspanngliedes und des Hüllrohrs bestimmt wird. Die lokalen Kontaktpressungen bilden i. d. R. den Ausgangspunkt für potenzielle Ermüdungsbrüche am Spannglied. Im Stahlbau werden bereits bei der Entwicklung und Forschung großer Spannseile entsprechende Simulationsrechnungen eingesetzt, um eine ideale Anordnung der Spanndrähte in großen Spannseilen zu finden, bei der die Kontaktpressungen der einzelnen Spanndrähte untereinander möglichst gering ausfallen. Diese Untersuchungen sollten auch bei Spanngliedern im nachträglichen Verbund intensiviert werden, da bei diesen die Kontaktpressungen zwischen Spannglied und Hüllrohr noch kritischer anzusehen sind. Bezüglich der Litzen- und Hüllrohrgeometrie besteht ohne Zweifel noch Optimierungspotenzial hinsichtlich der Ermüdungsfestigkeit des Spannglieds. Literatur [1] DIN EN 1992-2: 2010: Eurocode 2 - Teil 2. [2] DIN EN 1992-2: 2013/ NA: Nationaler Anhang - Eurocode 2 - Teil 2. [3] Heinrich, J.: Ermüdungs- und Verbundverhalten von Litzenspanngliedern unter dynamischer Belastung im Zeit- und Dauerfestigkeitsbereich. Dissertation. TU Dortmund. 2022 (eingereicht). [4] Heeke, G.: Untersuchungen zur Ermüdungsfestigkeit von Betonstahl und Spannstahl im Zeit- und Dauerfestigkeitsbereich mit sehr hohen Lastwechselzahlen. Dissertation. TU Dortmund. 2016. [5] Maurer, R., Heinrich, J.: Versuchsbericht zu den Ermüdungsversuchen - DFB-Sonderforschungsbereich 823. 2022. [6] Weiher, H.: Verhalten von PE-HD Schutzhüllen bei der Umlenkung von verbundlosen Spanngliedern. Dissertation. TU München. 2007. [7] Remitz, J., Empelmann, M.: Einfluss von Umlenkbelastung auf die Ermüdung von Spanngliedern im nachträglichen Verbund. In: Beton- und Stahlbetonbau 113 (8). 2018. [8] Müller, H. H.: Prüfverfahren für die Dauerfestigkeit von Spannstählen. Abschlussbericht Nr. 111, TU-München. 1985. [9] Oertle, J., Esslinger, V., Thürlimann, B.: Versuche zur Reibermüdung einbetonierter Spannkabel. Bericht Nr. 8101-2. ETH Zürich. 1987. [10] Wollmann, G. P., Yates, D. L., Breen, J. E., Kreger, M. E.: Fretting fatigue in post-tensioned concrete. No. 465-2F. University of Texas at Austin. 1988. [11] Bökamp, H.: Ein Beitrag zur Spannstahlermüdung unter Reibdauerbeanspruchung bei teilweiser Vorspannung. Dissertation. RWTH Aachen. 1990. [12] Trost, K.-U., Falkner, H.: Versuche zum Zusammenwirken von Beton- und Spannstahl in Spannbetonbiegebalken unter Betriebsbedingungen. Bericht Nr. Fa 200/ 2-1. TU Braunschweig. 1993. [13] Abel, M.: Zur Dauerhaftigkeit von Spanngliedern in teilweise vorgespannten Bauteilen unter Betriebsbedingungen. Dissertation. RWTH Aachen. 1996. [14] Eskola, L.: Zur Ermüdung teilweise vorgespannter Betontragwerke. Dissertation. ETH Zürich. 1996. [15] Hegger, J., Neuser J. U.: Untersuchungen zur Reibermüdung von großen Spanngliedern bei teilweise vorgespannten Bauteilen unter Betriebsbedingungen. Schlußbericht Nr. 49. RWTH Aachen. 1998. [16] Witt, R.: Modellierung und Simulation der Beanspruchung von Zugsträngen aus Stahllitzen für Zahnriemen. Dissertation. Technische Universität Dresden. 2007. [17] Weis, J. C.: Parameterstudie der Kontaktspannungen in zugbelasteten Drahtseilen basierend auf der Finite-Element-Methode. Dissertation. Universität Stuttgart. 2015. [18] DIN EN 1993-1-11: 2010: Eurocode 3: Teil 1-11. [19] ETAG 013: Post-Tensioning Kits for Prestressing of Structures: Guideline for European Technical Approval. EOTA. 2002. Beurteilung und Bewertung des Zustands 5. Brückenkolloquium - September 2022 407 Sonderprogramm Plattenbrücken des Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg Felix Kaplan M. Sc. Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg, Hoppegarten, Deutschland Dr.-Ing. Oliver Steinbock Curbach Bösche Ingenieurpartner Beratende Ingenieure PartG mbB, Dresden, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Thomas Bösche HTW Dresden, Dresden, Deutschland Michael Grune M. Sc. HTW Dresden, Dresden, Deutschland Zusammenfassung Im Bauwerksmanagement des Landesbetrieb Straßenwesen werden Sonderprogramme formuliert. Dabei werden Bauwerke mit ähnlichen Problemen zusammengefasst und mit regional übergreifenden Ansätzen bearbeitet. Eines der Sonderprogramme umfasst die Brücken, die als Plattentragwerk mit Baujahr bis 1985 ausgeführt wurden. Die in der Zeit bis 1985 errichteten Stahlbeton-Plattenbrücken stellen mit 97 Brücken einen nicht unerheblichen Anteil des Brückennetzes im Land Brandenburg dar und sind insbesondere im Landstraßennetz zu finden. Mit dem Ziel, allgemeine Aussagen zu diesen Brücken zu erhalten, werden die Bauwerke in einem Sonderprogramm zusammengefasst und anhand von Referenzbauwerken untersucht. Somit lassen sich Randbedingungen abgrenzen und der Untersuchungsumfang für die Einzelbauwerke kann durch eine gezielte Gruppierung reduziert werden. Zwischenzeitlich liegen erste Ergebnisse für den Teilbestand der Einfeldplattenbrücken mit einer Spannweite von 10 bis 15-m vor. Die rechnerischen Nachweise der Referenzbauwerke und daraus abgeleitete Ertüchtigungskonzepte werden in diesem Beitrag dargestellt. 1. Überblick Sonderprogramm 1.1 Allgemein Im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg wurde in den vergangenen Jahren ein Erhaltungsmanagement für die Brückenbauwerke etabliert. Im Rahmen des Erhaltungsmanagements wurden sogenannte Sonderprogramme definiert. Dabei wird das Ziel verfolgt, Bauwerke mit ähnlichen Problemen zusammenzufassen. Durch eine systematische, regional übergreifende Bearbeitung dieser Probleme sollen Synergien genutzt und ggf. Musterlösungen erarbeitet werden. Dieses einheitliche Vorgehen erhöht die Validität der Maßnahmenfestlegungen und verspricht eine Effizienzsteigerung bei der Bearbeitung der Erhaltungsmaßnahmen, vgl. [1]. Dieser Beitrag behandelt das Sonderprogramm Plattenbrücken. Darin sind Plattenbauwerke (ohne Fertigteile) mit Baujahr bis 1985 zusammengefasst. Zum Sonderprogramm gehören 97-Brücken, die somit einen relevanten Anteil des Brückennetzes im Land Brandenburg darstellen. In den Abbildungen 1-bis-3 ist die Zusammensetzung der Bauwerke im Sonderprogramm hinsichtlich Spannweite, Bauwerksalter und Zustandsnote dargestellt. Darin ist zu sehen, dass die Bauwerke zu einem großen Teil vor 1970 errichtet wurden. Der Rückgang bei den Ortbetonbauwerken geht einher mit einer Zunahme der Bauwerke mit Stahlbeton- oder Spannbetonfertigteilkonstruktionen. Die Fertigteilkonstruktionen werden in separaten Sonderprogrammen betrachtet. Abb. 1: Verteilung max. Spannweite der Bauwerke in Abhängigkeit von der Feldanzahl im Sonderprogramm Abb. 2: Verteilung Bauwerksalter im Sonderprogramm 408 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sonderprogramm Plattenbrücken des Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg Abb. 3: Verteilung Zustandsnoten im Sonderprogramm Beim Umgang mit den Bauwerken in diesem Sonderprogramm stellen sich zwei wesentliche Herausforderungen. Zum einen schreitet die Alterung der Bauwerke voran. Die Bauwerke die bis 1955 errichtet worden, haben defacto das Ende ihrer wirtschaftlichen Lebensdauer erreicht. Das betrifft bisher ca. 30% der Bauwerke des Sonderprogramms. Für die nächstfolgenden Bauwerke mit Errichtungsdatum bis 1959 steht dies unmittelbar bevor. Aus diesem Grund ist damit zu rechnen, dass sich die durchschnittliche Zustandsnote von jetzt 2,62 weiter verschlechtern wird. Dabei ist von einer hohen Dynamik auszugehen. Zudem wachsen die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur, indem z.-B. höhere Ziellastmodelle ausgegeben, Radwege überführt werden müssen oder Fahrzeugrückhaltesystem erforderlich werden. Bei der Bewertung dieser Brücken ist außerdem davon auszugehen, dass die Bestandskonstruktionen bis zur BK- 30/ 30 nachweisbar sind. Das liegt zum einen darin, dass sich die erforderliche Querkraftbewehrung durch die Umstellung vom Hauptspannungskriterium zum Fachwerkmodel nur schwer rechnerisch nachweisen lässt und gleichzeitig die in der DDR üblichen Biegeformen nicht mehr vollständig als Querkraftbewehrung angesetzt werden können. Ein weiterer Schwachpunkt ist, dass sie ursprünglich nur für ein Bemessungsfahrzeug in der Hauptspur bemessen wurden (vor allem BK-30), was sich zusätzlich negativ auf die eingebaute Querbiegebewehrung auswirkt. 1.2 Kriterienkatalog für die Übertragbarkeit der Ergebnisse Ziel der Betrachtungen im Sonderprogramm ist es die Nachrechnung und Maßnahmenkonzeption an Referenzbauwerken durchzuführen. Die Ergebnisse sollen anschließend auf den gesamten Bauwerksbestand im Sonderprogramm übertragen werden. Damit diese Übertragung erfolgen kann, müssen verschiedene Kriterien definiert und dann jeweils am Einzelbauwerk überprüft werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist vorgesehen die folgenden Kriterien in die Überprüfung aufzunehmen: - ursprüngliches Lastmodell: Der Bemessung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR lagen teilweise andere, niedrigere Lastmodelle zugrunde als in der BRD. Aus dem Grund sind z. B. viele der Bauwerke im nachgeordneten Netz (Landstraßen II. Ordnung nach TGL) ursprünglich auf die BK-30 nach DIN 1072 bemessen, siehe exemplarisch [2]. - Schiefe des Bauwerks - Tatsächliche Betondruckfestigkeit - Bewehrungsgrad bzw. Bewehrungsführung - Bauteilschlankheit - Vorhandene Schadensbilder - Anforderungen der überführten Sachverhalte (z.- B. Hochwasserszenarien) Dieser Kriterienkatalog wird im Zuge der weiteren Bearbeitung ergänzt. Dabei sind auch die Einflüsse der einzelnen Parameter auf die Übertragbarkeit zu quantifizieren. 2. Einfeldplattenbrücken mit Spannweiten zwischen 10-m und 15-m 2.1 Beschreibung Aus Abb.-1 ist bereits ersichtlich, dass es bei den Konstruktionen auch eine gewisse Variation gibt. Um die Aufgabe besser bearbeiten zu können wurden deshalb Untergruppen definiert. Die erste zur Bearbeitung anstehende Untergruppe sind die Einfeldplattenbrücken (EFPB) mit Spannweiten zwischen 10 bis 15-m. Der Bauwerksbestand in dieser Unterkategorie umfasst insgesamt 29-Bauwerke. Die Verteilung der Bauwerke auf die Spannweiten ist in Abb.-4 dargestellt. Die Spannweiten und die Konstruktion wurden dabei als Abgrenzungskriterien verwendet, weil hierdurch eine große Vergleichbarkeit der Bauwerke erwartet wird. Abb. 4: Verteilung max. Spannweite der Bauwerke der EFPB 10 bis 15m (grün), sonstige Bauwerke des Sonderprogramms (grau) In dieser Gruppe sind somit alle EFPB mit den größeren Spannweiten enthalten. Die Brücke mit einer maximalen Spannweite von 16-m wurde mit Hohlkörpern hergestellt und ist deshalb im Hinblick auf die Konstruktion nicht mit den anderen vergleichbar. Die Abgrenzung nach „unten“ erfolgte zunächst relativ grob am Sprung der Stützweiten. Diese Grenze ist im Zuge der weiteren Bearbeitung nochmal zu prüfen und bei Bedarf anzupassen. In den Abb. 5 und 6 sind die Verteilungen des Bauwerksalters und der Zustandsnoten dargestellt. Hier zeigt sich eine relativ geringe Varianz, so dass die Annahme einer hohen Übertragbarkeit gegeben ist. 5. Brückenkolloquium - September 2022 409 Sonderprogramm Plattenbrücken des Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg Abb. 5: Verteilung des Bauwerksalters für EFPB mit Spannweite 10 bis 15 m Abb. 6 Verteilung der Zustandsnoten für EFPB mit Spannweite 10 bis 15 m 2.2 Auswahl repräsentativer Bauwerke Es wurde festgelegt, dass in einem ersten Schritt 3 Bauwerke von 29-Bauwerke aus dieser Untergruppe gemäß [3] nachgerechnet werden. Da in dieser Untergruppe bereits 2-Bauwerke in der Vergangenheit verstärkt wurden, waren diese beiden Bauwerke im Rahmen einer Ortsbegehung zu besichtigen. Ziel ist es dabei Aussagen über die Dauerhaftigkeit der Maßnahmen zu ziehen und Hinweise für zukünftige Ausführungen zu geben. Näheres zu den Bauwerken ist nachfolgend dargestellt. 3. Untersuchung der repräsentativen Bauwerke 3.1 Kurzbeschreibung der nachgerechneten Bauwerke Abb. 7: B5 Brücke über die Dosse in Wusterhausen Bei den ausgewählten Repräsentanten handelt es sich um drei Brücken die allesamt als Stahlbetonüberbau und als Vollquerschnitt ausgeführt sind, siehe Abbildungen 7 bis 9. Mit Spannweiten zwischen 13-m und 14-m liegen die Brücken in der oberen Hälfte des ausgewählten Spannweitenbereiches. Bei Konstruktionshöhen von ≈ 0,8-m bis 1,02-m ergeben sich Schlankheiten zwischen 13 und 17, die somit im bautechnisch gängigen Bereich liegen. Die gewählten Überbauten weisen nur geringe Schiefen im Grundriss auf und überbrücken allesamt 2-spurige Staatstraßen über Gewässer. Die Überbauten ruhen auf Betonlinienlagern die wiederum auf Schwergewichtswiderlagern bzw. Kastenwiderlagern gründen. Abb. 8: B167 Brücke über den Havelableiter in Liebenwalde Auch in Hinblick auf die Materialeigenschaften sind de Überbauten repräsentativ. Das älteste Bauwerk wurde 1955 errichtet und ist mit glatten Betonstählen bewehrt. Die planmäßigen Betonfestigkeiten streuen recht weit, bei einer Einstufung nach [3] in heutige Festigkeitsklassen zwischen C-12/ 15 und C-35/ 45. Abb. 9: L167 Brücke über den Seeverbinder in Neuruppin Auf Grundlage der aktuellen Bauwerksprüfungen lagen die Zustandsnoten zwischen 2,2 und 2,5 womit sich die Brücken in einem befriedigenden bis ausreichenden Bauwerkszustand befanden. Statisch bedenkliche Schäden konnten an den Bauwerken nicht festgestellt werden. Die drei Bauwerke sind aktuell in die BK-30/ 30 eingestuft und erhielten eine Klassifizierung für den Traglastindex 410 5. Brückenkolloquium - September 2022 Sonderprogramm Plattenbrücken des Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg (TLI) III: Der Traglastindex, als Ergänzung zum Bauwerkszustand, dient der strukturellen Einordnung des Bauwerks. Ausgehend von einer ersten Bewertung auf Grundlage von Baujahr, der Gegenüberstellung von Soll- und Ist-Tragfähigkeit sowie der Netzrelevanz kann die Dringlichkeit baulicher Maßnahmen abgeleitet werden, siehe [4]. Mit einem TLI III liegen die Bauwerke im mittleren Bereich (I bis V). Eine Abstufung des Überbaus erfolgt entweder wegen einer Unterschreitung des angestrebten Ziellastniveaus oder aufgrund struktureller Schwächen des Entwurfes (z.-B. stark veralteter Regelwerke). Für die vorliegenden Brücken wird das Ziellastniveau (BK-60 im L-Netz bzw. BK-60/ 30 im B-Netz) unterschritten woraus langfristig (bis 2035) eine Untersuchung der Tragwerke notwendig wird. 3.2 Kurzbeschreibung der bereits verstärkten Tragwerke Für eine erweiterte Bestandsanalyse wurden zudem zwei bereits ertüchtigte bzw. instandgesetzte Bauwerke betrachtet. Die Bauwerke wurden zwischen 1953 und 1960 errichtet und weisen Spannweiten zwischen 10,6-m und 15,2-m auf. Die ebenfalls als Plattenvollquerschnitt ausgeführten Überbauten sind der BK- 30/ 30 zugeordnet, wurden jedoch in der Vergangenheit bereits mit Hilfe von geklebten Stahlbzw. CFK-Lamellen verstärkt. Während bei der Brücke ü.-d. Greifenhainer Fließ eine Verstärkung mit breiten Stahllamellen ausschließlich in Längsrichtung erfolgte (Abb.-10), wurde die Brücke ü.-d. Nuthegraben bei Thyrow mit Hilfe von CFK-Lamellen sowohl in Längsals auch in Querrichtung ertüchtigt, siehe Abb.-11. Abb.-10: Verstärkter Überbau mit Stahllamellen ü.d. Greifenhainer Fließ bei Müschen Abb.-11: Verstärkter Überbau mit CFK-Lammellen ü.d. Nuthegraben bei Thyrow 4. Zwischenfazit und Ausblick 4.1 Zwischenfazit Die statischen Untersuchungen der Überbauten zeigten, dass eine rechnerische Einstufung der Überbauten über die BK-30/ 30 hinaus im Ist-Zustand nur unter Anwendung erweiterter Nachweisformate (d.h. Stufe 4 nach [3]) möglich sind. Grund hierfür sind die bereits vorab prognostizierten Schwächen bei der Bewehrungsführung, woraus einerseits rechnerische Defizite bei der Querkrafttragfähigkeit, andererseits Defizite bei der Biegetragfähigkeit (insbesondere in Querrichtung) resultieren. Als aussichtsreich für die Problematik der Querkrafttragfähigkeit zeigten sich alternative Rechensätze nach MC- 2010 [5] bzw. Rechensätze bei Auf biegungen von Längseisen (z.B. potenzieller Schubriss, z.-B. [6]). In Hinblick auf die Biegetragfähigkeit wurde eine Verstärkung mit bereits etablierten Verstärkungsmethoden (Stahl- oder CFK-Lamellen) oder neueren Methoden (Carbonbetonverstärkung) als vielversprechend betrachtet um eine Anhebung der Brückenklasse zu erzielen. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass eine Biegeverstärkung nur in einem begrenzten Maße erfolgten kann und beispielsweise durch die Querkrafttragfähigkeit des Überbaus limitiert ist. Des Weiteren ist bei der Konzeption von Verstärkungsmaßnahmen die Bestandssituation vor Ort mit einzubeziehen. Da die Betonfestigkeiten bei den vergleichsweisen kleinen Spannweiten eher niedrig sind, sind geklebte bzw. nachträglich applizierte Verstärkungsmaßnahmen nicht unproblematisch. Diese Verstärkungsmaßnahmen benötigen einen ausreichend tragfähigen Untergrund (Haftzugfestigkeit) damit die Kraft aus den zusätzlich angebrachten Zugelementen auch zuverlässig in die Bestandskonstruktion übertragen werden können. Das hier besondere Sorgfalt notwendig ist, zeigt ein Schadensfall am Bespiel der Brücke ü.-d. Nuthegraben, der im Rahmen der Vor-Ort-Besichtigung angetroffen wurde, siehe Abb.-12. Im Konkreten zeigte sich bei einer querorientierten CFK-Lamelle ein Abriss der Lamelle am Plattenrand und somit im Verankerungsbereich. Der 5. Brückenkolloquium - September 2022 411 Sonderprogramm Plattenbrücken des Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg Schaden äußert sich in Form von Rissen bzw. hohl liegenden Betonbereichen unterhalb der Lamelle. Auf den Abb.-11 und 12 ist zudem der vergleichsweise dicke Auftrag der Lamellen ersichtlich, obwohl die Lamellen selbst dünn (≈ 3-mm) sind. Grund hierfür war einerseits eine Krümmung bzw. Überhöhung des Überbaus andererseits die zweiaxiale Verstärkung in Längs- und Querrichtung. Bei den quer orientierten CFK-Lamellen können somit bei Beanspruchung abhebende Kräfte entstehen und zu einem Ablösen führen. Bei der ausschließlich in Längsrichtung und mit Stahllamellen verstärkten Brücke ü.-d. Greifenhainer Fließ konnten keine vergleichbaren Schäden vorgefunden werden. Die Lamellen waren hier im Verankerungsbereich mit zusätzlichen Schrauben gesichert. Trotz Beschichtungsmaßnahmen konnten jedoch an den Stahllamellen erhöhte Korrosion festgestellt werden. Abb.-12: Schadensfall an der Brücke u.d. Nuthgraben bei Thyrow 4.2 Ausblick und weiteres Vorgehen Vor dem Hintergrund der vorliegenden Zwischenergebnisse kann festgehalten, dass eine mäßige Erhöhung der Tragfähigkeit für Tragwerke in Netz von Staats- und Ortsverbindungsnetz zielführend sein kann, um die Tragwerke noch für eine längere Zeit im Bestand zu halten. Des Weiteren zeigen die Untersuchungen, dass diese Ziele mit vergleichsweise überschaubaren Ertüchtigungsmaßnahmen erreicht werden können. Wie die Begutachtung von bereits verstärkten Bauwerken zeigte, ist hier jedoch mit besonderer Sorgfalt vorzugehen. Hier zeigten sich Schwächen bei der Verstärkung mit nachträglich geklebten Lamellen, sodass bei den nachfolgenden Betrachtungen auch die Möglichkeiten einer Carbonbetonverstärkung näher betrachtet werden soll, siehe auch [7] oder [8]. Bei höheren Anforderungen bzw. wenn ein sehr hohes Ziellastniveau erreicht werden soll sind auch mögliche Verstärkungsmethoden über eine reine Biegeverstärkung hinaus, u.a. zur Erhöhung der Querkrafttragfähigkeit z.B. mit Hilfe von Betonschrauben zu betrachten, siehe z.-B.-[9]. Im Ergebnis der weiteren Betrachtungen sind dann Aussagen über die technische Machbarkeit von Instandsetzungsbzw. Verstärkungsmaßnahmen möglich. Unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit und der Nachhaltigkeit können optimierte Entscheidungen für den zukünftigen Umgang mit den Bauwerken getroffen und umgesetzt werden. Literatur [1] Degenhardt, K., et al.: Strategisches Bauwerkserhaltungsmanagement im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg. 5. Brückenkolloquium TAE 09/ 2022 [2] TGL 0-1072: 1964: TGL- 0-1072: Verkehrsbau, Straßen- und Wegbrücken, Lastannahmen. DDR-Standard. Ausgabe 1964-06 [3] Nachrechnungsrichtlinie: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.): Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). Ausgabe 2011-05 inkl. 1. Ergänzung 2015-04 [4] Marzahn, G., Mertzsch, O.; Kramer, L.: Der Traglastindex zur Bewertung struktureller Eigenschaften von Straßenbrücken. u.- a. Stahlbau 89 (2020) 10, S. 865-873 [5] fib - Fédération Internationale du Béton International Federation for Structural Concrete (Hrsg.): Model Code for Concrete Structures 2010. Ausgabe 2013-10 [6] Ö-Norm B 4008-2: 2019-11-15. Bewertung der Tragfähigkeit bestehender Tragwerke - Teil 2 Brückenbau. [7] Steinbock, O.: Verstärkung von Stahl- und Spannbetonbrücken mit Carbonbeton. Dissertation. Dresden: 2022. [8] Steinbock, O.; Curbach, M.; Bösche, T.: Ertüchtigung einer Stahlbetonstraßenbrücke mit Carbonbeton. In: Foster, F.; Gilbert, R.; Mendis, P.; Al-Mahaidi, R.; Millar, D. (Hrsg.): Tagungsband zum 4. Brückenkolloquium - Fachtagung für Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken. 8./ 9.9.2020 an der Technischen Akademie Esslingen, Esslingen: 2020, S. 651-662. [9] Feix, J.; Lechner, J.; Spiegl, M.; Walkner, R.: Nachhaltige Bauwerksverstärkung mit Betonschrauben. In: Bergmeister, K.; Fingerloos, F.; Wörner, J.-D. (Hrsg.): Beton Kalender 2021, Fertigteile, Integrale Bauwerke 2021. Berlin: 2021 5. Brückenkolloquium - September 2022 413 Experimental Measurement of the Anchorage Length of Interrupted Prestressing Reinforcement Ing. Adam Svoboda, doc. Ing. Ladislav Klusáček, CSc. Brno University of Technology, Brno, the Czech Republic Ing. Petr Gajdoš, Ing. Michal Vajdák X-Sight s.r.o., Brno, the Czech Republic This paper focuses on the current problems of breakage of prestressing reinforcement (mostly caused by corrosion) of prestressed precast bridge girders from 1960-1990 and its influence on the residual load-bearing capacity. Actual prestressed precast girders (I-73 structural type), which were developed in 1973 and which were in service from 1979 and 1980, were obtained for the purposes of experimental testing. Researchers from Brno University of Technology designed unique experiments on these girders to determine the actual anchor length of a fully grouted prestressing cable made of 4.5 mm patented wires. Semi-destructive probes were drilled along the length of the prestressing reinforcement up to the depth of the prestressing reinforcement. Subsequently, optical instruments were inserted into the drilled probes to collect image data, as the transformation of the prestressing reinforcement cannot be determined in any other way in the case of girders of such age. Controlled breaking of the reinforcement was then carried out to simulate corrosion failure of the reinforcement and the condition of the prestressing reinforcement before and after the controlled breaking was recorded by optical instruments in each probe. The image data collection and the subsequent evaluation of the prestressing cable wires slips was performed in collaboration with X-Sight, a company which focuses on optical applications in industry. The actual anchor length of the fully grouted prestressing reinforcement determined in this way can then be taken into consideration in detailed static calculations of the residual load-bearing capacity of the prestressed bridges. 1. Introduction As of 2020, about 2600 bridges with prestressed precast girders of the KA and I type (most commonly KA-67 and I-73) could be found within the road network in the Czech Republic. These bridges were built between 1960 and 1990. It is estimated that dozens to hundreds more bridges of these types are owned and managed by cities and municipalities. For the purpose of scientific research, an original 27-meter-long prestressed precast bridge girder of the I-73 type was obtained during bridge demolition near Pasohlávky (Fig. 1). In a cross-section, this girder, together with 7 other pre-stressed precast girders (with longitudinal joints 0.43 m wide), constituted the structure of the bridge ev. no. 52-059 “Most přes přelivný objekt za obcí Pasohlávky” (Bridge over the overflow structure behind the village of Pasohlávky) since 1979. In the longitudinal direction, the bridge consisted of 4 spans, all of which included 27-meter-long prestressed I-73 girders the examined girder came from the first span in the direction from Mikulov, and in a cross section, it was the right outer girder. The outermost girder was selected for the proposed experiments, because with regard to the transverse slope of the road, the outermost girders are usually the ones affected the most by leaking and other related degradation processes. The main objective of the performed experiments was to provide a qualified answer to a frequent question that has not been addressed so far, namely “What is the actual anchorage length of the corroded-through fully grouted prestressing reinforcement and to what extent can reliable anchorage of prestressing reinforcement damaged in this way be considered in static calculations? ”. Fig. 1: A complete view of the 27-meter-long I-73 girder during performance of the experiments 1.1 Prestressed precast girders of the I-73 type Precast girder bridges are characterized by prestressing systems made of patented wire cables, most often marked Pz ϕ 4.5 mm. The entire prestressing system consists of continuous cables, which are anchored in girder faces, and non-continuous cables, which are anchored in anchorage areas prepared on the top surface of the precasts. The prestressing system was designed according to the principles of load balancing, and, by using a number of curved cables, it reduced the shear stresses on the girders to such an extent that the reinforcement of the girders against shear and torsion was practically only secondary [1]. The cables are supposed to be protected by the alkaline environment of the grouting mortar, usually filled through a single anchor at the end of the girder through the cable duct to the opposite cable anchor. The relatively large number of prestressing cable failures which has 414 5. Brückenkolloquium - September 2022 Experimental Measurement of the Anchorage Length of Interrupted Prestressing Reinforcement been diagnosed in the last ten to twenty years in the anchoring areas represents evidence of substandard workmanship during construction and they also cause frequent statements about removal of such bridges and replacement with new structures, even though these structures are 50 to 60 years old and far short of the previously estimated service life of 100 years. 2. Methodology and performance of experimental measurements In cases in which diagnostics detects corrosion of the cables in the end locations of the girders (near the anchors), while in other parts of the bridge the cables are properly grouted, a question arises as to what is the actual degree of weakening of the girders. Since the early days of prestressed concrete, it has been assumed that in addition to its protective function, the grouting of the cables is also supposed to ensure full cohesion of the cables with the concrete of the girders to the extent that they can be taken into account in the determination of the load-bearing capacity and to provide for additional anchorage of the cables in cases in which the anchorage of the cables in the original anchors fails during the service life of the structure. It is therefore advisable to investigate the actual additional anchorage length of the original prestressing cables, from which the proposed anchorage length can then be derived for the additional evaluation of girders or bridges damaged in this way (using a safety factor or statistical methods with a sufficiently large number of tests). In doing so, it is also necessary to determine the quality of the original grouting and at least one basic mechanical characteristic the strength of the grouting mortar. Researchers from the Faculty of Civil Engineering of Brno University of Technology have proposed a methodology for an in-situ experiment that uses optical devices to monitor the measured variable, i.e. the slip of the cable wires in the grouting mortar by taking images during a controlled breakage of the prestressing reinforcement (the simulation of a full-scale corrosion of the reinforcement) at predefined locations along the length of the cable. The experiment is then evaluated on the basis of image analysis. In the preparatory phase of the measurement, it was necessary to define the locations along the length of the cable at which the reading of the prestressing reinforcement slip would be carried out. These locations were evenly distributed along the length of the expected anchorage length, which was determined according to the methodology listed in EN 1992-1-1 [2] (analogically to the calculation of the anchorage length for prestressed elements in which the prestressing reinforcement is anchored only by cohesion). It was necessary to drill semi-destructive probes to the prestressing reinforcement at the measurement reading points so as to expose the individual cable wires, and, at the same time, to avoid any large impairment of cohesion between the individual cable wires and the grouting mortar which would affect the measurement result. In the probes, the protector was removed and approximately 40 mm of the outermost wires of the cable was exposed. The size of the probes was selected on the basis of the measuring technology (digital cameras) used to perform the measurements. Experimental measurement of the anchorage length of the prestressing cable in an existing construction has been realized neither in the Czech Republic nor anywhere else in the world so far. Before the implementation, the authors performed a theoretical calculation of the anchorage length corresponding to the standard assumptions, but the actual anchorage length had to be verified experimentally. That is why relatively small distances between semi-destructive probes were selected as well as the frequency of the probes, so that the measured data could be used to compile a slip function with sufficient accuracy. There is no method of measuring the cable slip along its length in an existing prestressed structure other than to uncover it at several locations, and by doing so, to locally damage the cohesion of the cable with the grouting. This means that at the probe locations, the outermost wires were exposed (approximately 30-40% of the cable wires) and the rest of the wires were not affected. Exposing the outermost wires introduces a measurement error into the measured values the measured slip values are overestimated compared to the reality in which the fully grouted cable is corroded-through. The authors of the experiment are aware of this measurement error, but the anchorage length measured in this way, which is then used in the structural calculations of the structure, can be considered safe and relevant for the above reason. Fig. 2: A measuring set of digital cameras at the open semi-destructive probes during the experimental measurement of the anchorage length of a straight prestressing cable (EXP1) A set of digital cameras, each focused on an individual probe area along the length of the measured cable (Fig.-2), mounted on tripods was used as to acquire image data sets. Each semi-destructive probe area was equipped with a 10-millimeter ruller-sticker used to set the physical unit scale during the post-process image analysis (Fig. 3). This sticker can be considered as a rigid body and therefore used to subtract parasitic scale changes that could occur due to a change of distance between the camera sensor and the measured object, the so-called working distance. 5. Brückenkolloquium - September 2022 415 Experimental Measurement of the Anchorage Length of Interrupted Prestressing Reinforcement Fig. 3: A ten-millimeter ruler sticker applied to an exposed wire (top); A scale-based calibration to define the pixel/ physical unit ratio in the X-Sight Alpha software After the before and after tension release image data were taken, the images were imported to X-Sight Alpha software for the post-process analysis. A point probe can be positioned over a visible spot in the image. For a successful correlation a spot with some contrast artefact, natural or artificial, need to be selected. A small part of the before event image, typically tens by tens of pixels, surrounds the selected location and the grey-scale value is read from each pixel (Fig. 4). These values are taken as input for the data evaluation. X-Sight Alpha software uses a two-step digital image correlation process. The first step utilizes a translation search with a cross-correlation to find the best pixel-level match. The second step is a sub-pixel optimization process bringing resolution as low as 0.01 pixel. The final evaluation of data (Fig. 5) was provided by postprocessing later after the measurement but on the experimental site, the measurement setups were tested by using Alpha software real-time functionality (Fig. 6). A total of 3 experimental measurements of the anchorage length of the prestressing reinforcement with the following denotation was designed and performed: • EXP1 Measurement of the anchorage length of a continuous straight cable of the I-73 girder (cable No.1, according to [1]), which leads through the bottom flange of the girder (Fig. 7). The experiment was prepared at a distance of 2.2-3.315 m from the anchorage area of the girder on the side in the direction towards Brno. The wire slip was measured at 6 locations at the distances of 150, 300, 500, 700, 900 and 1150 mm from the breakage point. • EXP2 Anchorage length measurements of the same continuous straight I-73 girder cable as in case of EXP1, but the experiment was prepared near the anchorage area on the side from Mikulov, again at a distance of 2.2-3.315 m from the edge of the girder. The experiment was designed symmetrically to the EXP1 experiment with the axis of symmetry drawn in the middle of the girder span. The wire slip was measured at 6 locations at the distances of 150, 300, 500, 650, 900 and 1150 mm from the breakage point. Fig. 4: An example of a measuring spot selection in the whole image (top); A close-up of the selected spot with a 37x37 pixel correlation subset visualized as a semi-transparent grey square • EXP3 Measurement of the anchorage length of a continuous curved cable of the I-73 girder (cable No.8, according to [1]), which is anchored in the girder web (Fig. 8), through which it traverses longitudinally in a curved trajectory consisting of a straight section and an arc of R = 10 m, and at a distance of 4.86 m from the girder edge, it transitions from the arc to a straight section led in the bottom flange of the girder. The experimental measurement was performed close to the anchorage area at a distance of 0.8-1.7 m. The wire slip was measured at 5 locations at the distances of 150, 300, 500, 700 and 900 mm from the breakage point. 416 5. Brückenkolloquium - September 2022 Experimental Measurement of the Anchorage Length of Interrupted Prestressing Reinforcement Fig. 5: The before tension release state (top); Time step after the above wire was cut (middle); The after-tension release state (bottom) Fig. 6: The Alpha 2021 simple graphical interface allows real-time deformation measurements by using cameras as well as detailed postprocessing on wires’ motion by using their natural pattern A schematic representation of the experiments is shown in the following figures. Fig. 7 Schematic illustration of the experimental measurement of the straight cable anchorage length (denoted EXP1, EXP2) Fig. 8 Schematic illustration of the experimental measurement of the curved cable anchorage length (denoted EXP3) 5. Brückenkolloquium - September 2022 417 Experimental Measurement of the Anchorage Length of Interrupted Prestressing Reinforcement 3. Obtained measurement results Using the above-mentioned image analysis methodology, the following results of the slips of individual wires in the open probes on the straight cables and on the curved cable were obtained. On the basis of these results, the anchorage length of the prestressing reinforcement (zero slip location) can be determined experimentally. Fig. 9 The resulting anchorage length measurement graph for the straight cables of the I-73 girder (EXP1 and EXP2) The resulting graph of the measured slips of the 4 wires of the straight cable is shown in Fig. 9 (experiments denoted EXP1, EXP2). By mathematically interposing the measured values with a second degree curve, it is possible to determine the anchorage length of the straight cable, which, according to the measured values, reaches a length of about 1.9 m. Fig. 10 The resulting anchorage length measurement graph for the curved cable of the I-73 girder (EXP3) The resulting graph of the measured slips of the 4 wires of the curved cable is shown in Fig. 10 (experiment denoted EXP3). By interposing the measured values, the anchorage length of the curved cable was determined to approximately 1.2 m. This experimentally determined anchorage length of the curved cables is significantly shorter than in the case of straight cables the effect of the curved cable trajectory, which contributes to their “docking”, has manifested itself. 4. Conclusion The performed experimental measurements of anchorage lengths and their results have demonstrated the applicability of the proposed methodology for investigation of the actual anchorage length of the prestressing reinforcement of precast prestressed girders built between 1960 and 1990. The performed experiments also be used to confirm the hypothesis regarding “over-anchorage” of the prestressing reinforcement and the capture of the prestressing force by the grouting mortar, which forms the basic assumption for the determination of the load-bearing capacity of prestressed precast girders. Anchorage lengths of the interrupted fully grouted straight cable and the curved cable of the prestressed precast girder of the I-73 type from 1979 were determined in the experimental measurements. In the case of the straight cable, using mathematical interposing of the measured values, the anchorage length was determined to be approximately 1.9 m, and in the case of the curved cable, it was determined to be approximately 1.2 m. The investigation will continue with static analyses (including the safety coefficients) to answer the question as to what degree does the interrupted over-anchored prestressing reinforcement affect the load-bearing capacity of the entire element. In the next steps of the research, experiments of this type will continue so that the set of the measured values was more extensive, and, at the same time, the problem will be investigated numerically using the FEM method, in which the mechanical parameters of the grouting mixtures which affect the cohesion of the prestressing reinforcement with the grouting will be used. Acknowledgements The experiment was funded with state support of the Technology Agency of the Czech Republic and the Ministry of Transport within the DOPRAVA 2020+ Programme, project No. CK01000042 “Upřesnění zbytkové únosnosti předpjatých mostů” (Specification of residual load-bearing capacity of prestressed bridges). References [1] Konštrukce cestných a diaľničných mostov z prefabrikátov I-73 dĺžky 21-30 m, Typový podklad, Dopravoprojekt, Bratislava 1973 [2] [2] EN 1992-1-1 Eurocode 2: Design of concrete structures - Part 1-1: General rules and rules for buildings, European Committee for Standardization, Brussels 2004 5. Brückenkolloquium - September 2022 419 Prestressed footbridge over Morava River in Kroměříž - strengthening, rehabilitation and measurement using geodetic method in combination with advanced optical methods doc. Ing. Ladislav Klusáček, CSc., Ing. Adam Svoboda, doc. Ing. Jiří Bureš, Ph.D. Brno University of Technology, Brno, the Czech Republic Ing. Petr Gajdoš, Ing. Michal Vajdák X-Sight s.r.o., Brno, the Czech Republic This paper describes the repair works on the footbridge over the Morava River in Kroměříž, which is of the same structural type (stressed ribbon) as the original footbridge in Prague-Troja, which collapsed in 2017 due to the breakage of corrosion-damaged prestressing reinforcement. The paper focuses on the process and results of the diagnostics of the structure, which resulted in the need for static strengthening. It describes the design of the reinforcement using external cables and its structural representation. Further, it focuses on the structure rehabilitation, which was designed to stop or significantly reduce its degradation. It shows the design, installation and evaluation of the monitoring system using sensors that measure strain, temperature and moisture of the concrete. This system was designed to monitor the work of the contractor and it will allow a better prediction of the condition of the footbridge during its future service life. The proposed sensor array was combined with geodetic measurements as well as with advanced monitoring based on image analysis, which allowed logical control of the sensors in relation to the effects of the bridge structure. The monitoring of the verification load test using image analysis is particularly promising because of its relatively low cost, simplicity of application and the measured data processing automation. 1. Introduction The successful repair of the segmental footbridge over the Morava River in Kroměříž consisted of successive stages: diagnosis, strengthening, rehabilitation and monitoring. The footbridge in Kroměříž was closed after a bridge accident in Prague in Troja. After detailed diagnostics were carried out, it became clear that the bridge could not be operated safely without further structural support. At the turn of 2018 and 2019, the structure was statically secured by adding external cables under the segments of the structure. After its reopening in spring 2019, the bridge deck was rehabilitated in the second half of 2020 and a monitoring system was built into it. The work was completed in June 2021 with the prospect of trouble-free operation of the footbridge over the next 30 to 50 years. Fig. 1: View of the footbridge over the Morava River in Kroměříž in 2018 1.1 Description of the footbridge structure The footbridge’s superstructure consists of segments that are suspended in the form of a stressed ribbon and the superstructure is embedded in the outermost monolithic abutments (Fig. 1). The stressed ribbon is made of prefabricated segments type of DS-L and DS-Lv. The outermost segments are supported on unreinforced elastomeric bearings. Since the bearings are not connected to the bridge superstructure, the superstructure could have been unwound from the bearings during prestressing (construction) and rewound during service loading. This arrangement reduces the local stresses on the end segments near the supports. Therefore, the span of the structure is variable from 57.73 m to 63.36 m. The length of the stressed ribbon is 63,36 m. The sag of the superstructure is variable, depending on the temperature and the magnitude of the service load. The design sag at 10°C without variable loads was 1.56 m. At negative temperatures the sag decreases, whereas at high positive temperatures the sag increases. The precast segments are 0.30 m high, 3.80 m wide and 3.00 m long. DS-Lv segments are lightened by the floor compared to DS-L segments cassette recess of the bottom surface. The segments are carried by strand cables “A” 2×5×(3×2) consist of strands ϕ Lp 15,5 mm, prestressed cables “B” 14×(3×2) consist of strands ϕ Lp 15,5 mm and cables “C” 4×2 also consist of strands ϕ Lp 15,5 mm. 2. Diagnostics of the footbridge The diagnostic survey of the footbridge No. L07 over the Morava River in Kroměříž was carried out in predefined stages. [1] The aim of the staged schedule was to minimize the risks of the group of diagnostic survey executors, then of the owner and users of the footbridge. 420 5. Brückenkolloquium - September 2022 Prestressed footbridge over Morava River in Kroměříž During Stage 1, the residual capacity of the supporting cables to carry the weight of the structure was checked, concrete samples were taken for the first laboratory analyses, and probes made from above to the supporting prestressing cables were waterproofed. Upon completion of Stage 1, the following decisive results were found: the load-bearing cables observed from above are surrounded by good quality (compacted, no gaps) concrete, but it is wet with a clear water at the interface between the bridge deck walking layer and concrete of segments; the load-bearing cables observed in the Stage-1 probes were in a state of either no corrosion or at most surface corrosion when observed from above; laboratory analyses of the reaction of the surrounding concrete showed that the pH of the concrete was strongly alkaline (on 35 samples the pH ranged from 10.3 to 12.0; a value of at least 9.0 is sufficient for permanent protection of the reinforcement; only two samples within 30 mm of the bridge deck surface showed a dangerous chloride ratio). Based on the results of Stage 1, it was possible to decide that it was possible to proceed with Stage 2 of the diagnostic survey without the risk of sudden failure of the structure, and it was possible to hold an optimistic estimate that repair of the waterproofing and walking layer would be sufficient to ensure the continued serviceability of the structure and to prevent saturation of the footbridge concrete by rainwater. This optimistic estimate was tentatively communicated to City representatives. Fig. 2: Inspection platform During Stage 2, the footbridge was investigated from the bottom surface using a sliding specially constructed inspection platform (Fig. 2) in accordance with the established methodology. Contrary to the assumption of inspecting and examining six profiles, all parts of the footbridge were inspected, followed by waterproof grouting, chemical analyses to verify the ability of the prestressing cables to carry the weight of the structure. Probing was carried out from the bottom surface of the structure by probing vertically (Fig. 3 and Fig. 4), to the supporting cables (cables “A”) at both edges of the footbridge and to the prestressing cables (cables “B”). After the completion of Stage 2, the following decisive results were found: on the upstream side of the footbridge, an cavern from the construction period was discovered in the first half of the footbridge from the underside of the flat arrangement of supporting strands, approximately 9 m long. The cavern area was empty with signs of water leakage (leachates and calcareous stalactites) (Fig. 5). The supporting cables found in the cavern on the upstream side were some broken, others had been damaged by deep corrosion of the individual wires of these strands; after a refined estimation, 20 of the 30 prestressing strands on the upstream side of the footbridge must be considered to date as either completely non-functional or of unsatisfactory reliability. In other parts of the structure, the strands of this tendon on the upstream side have mostly only surface corrosion and are surrounded by concrete with sufficient pH. Fig. 3: Execution of drilled probes Fig. 4: Probe to prestressing cable Fig. 5: Condition of prestressing strands in the joint between segments 5. Brückenkolloquium - September 2022 421 Prestressed footbridge over Morava River in Kroměříž The prestressing cable on the downstream side have mainly surface corrosion, in some profiles this corrosion is transformed into pitting corrosion (this was confirmed during detailed processing of the image material in Stage 3). As of the date of the diagnostics, the prestressing cable on the downstream side could be considered fully functional. The prestressing strands (cable B) were fully functional and surrounded by protective grouting, except for the section near the abutment 2 (left bank), where 50 % of these strands were ungrouted (from the time of construction) along the length of two segments, and at the same time affected by deep corrosion. Laboratory analyses of the reaction of the surrounding concrete showed that the pH of the concrete is again strongly alkaline (on 39 samples the pH ranged from 9.6 to 11.8). Only 9 samples had higher chloride ratios. Based on the results of Stage 2, it was necessary to decide that the supporting cables of the footbridge were severely weakened on the upstream side and that this weakening, although precluding the collapse of the structure, did not allow it to be further operated and used and that it was necessary to keep the footbridge closed until further decision. The solution seems to be to replace the supporting cable on the upstream side of the footbridge. This was communicated to the city representatives at the end of the implementation of Phase 2. During Stage 3, the evaluation of the data collected in the field and in particular the evaluation of the image material of the probing works was carried out. An evaluation was also made of the geodetic detailed levelling of the structure carried out during the diagnostic stages at two different temperatures. After the completion of Stage 3, it was necessary to further note that the corrosion of the supporting cables on the downstream side was changing from pitting corrosion to deep corrosion. Although the flood-side wire strand bundle could be considered fully functional at the time of diagnosis, it cannot be considered fully functional in the future and it will be appropriate to design a replacement for this wire strands bundle as well. Based on the results of Stage 3, it had to be decided that the supporting cables of the footbridge are also affected by deep corrosion on the flood side to the extent that they cannot be considered reliable in the long term. They will need to be replaced. In terms of conclusions about the state of the structure and recommendations for further action, it was possible to determine: 1. The critical corrosion damage to the main cables on the upstream side is the result of poor construction quality and is of such a magnitude that the footbridge cannot be operated reliably. 2. The corrosion damage to the supporting cables on the downstream side is the result of long-term flooding into the footbridge structure from its upper surface and makes it impossible to predict their service life. 3. The footbridge can be repaired by replacing both bundles of supporting cables with external cables anchored into the existing abutments and at the same time repairing the waterproofing to prevent further continued flooding of the footbridge structure. Fig. 6: Longitudinal section through the footbridge 3. Strengthening of the footbridge 3.1 The strengthening way The proposed strengthening of the footbridge consisted in installing new external cables under the existing footbridge. The external prestressing consists of two cables (one on each side of the footbridge) placed under the cable trays of the original supporting cables (Figure 6). In total, these are 2 × 18 ø 15,7 mm cables (Y1860-S7-15.7 mm) tensioned to 650 MPa (prestressing force per cable Pmax = 97.5 kN). The geometry of the external cables corresponds to a second stage parabola with a span of L = 63.0 m and a deflection of f = 1.38 m. The axis of the external cables in the middle of the span is approximately 70 mm below the bottom surface of the segments, taking into account the size of the retrofitted guard. The distance of the axis of the cables from the bottom surface of the segments increases towards the two abutments due to the position of the mid-span cable and the position of the drilled cable ducts in the abutments. The connection of the cables to the segments is made by means of steel saddles installed in each joint between the segments. The height of the saddles corresponds to the distance of the external cable from the segment (due to the different curvature of the prestressed strip parabola and the external prestressing parabola). The new prestressing strands are secondary protected by a special cover made of 2 mm thick corrosion-resistant sheet metal. The space between the cover and the individual monostrands is filled with self-compacting microcrete. 422 5. Brückenkolloquium - September 2022 Prestressed footbridge over Morava River in Kroměříž 3.2 The static analysis To assess the proposed structural modifications, two computational models were created in ANSYS a computational model of the existing structure without weakening of the prestressing cables and a computational model including the proposed structural modifications including weakening of the prestressing cables (Fig. 7). Fig. 7: Numerical model The computational models were further subjected to static and dynamic analysis [2] The static analysis consisted in the assessment of the serviceability and ultimite limit state. Within the serviceability limit state, the stress limitation in the concrete was also assessed with respect to the allowable stresses in the joints of the segmental structure, the stress limitation in the bearing cables, prestressing cables and new external cables and the crack limitation in the segmental concrete. All the stress limitation and crack limitation assessments met the code requirements. Next, the deflection or uplift of the footbridge was analysed (Fig. 8). The deflection is considered as the height difference between the surface of the abutments and the surface of the segment in the centre of the footbridge. Fig. 8: Deflection changes The predicted deflection of the footbridge at the time of completion of the modifications for a temperature of 10°C is 1.591 m (original condition before repair 1.610-m). Overloading of the footbridge during the repairs caused a deflection of 11 mm to 1.621 m, prestressing the new external cables raised the strip deflection by 30 mm to the final 1.591 m. In short, the level of the footbridge is now 19 mm higher than before the repairs. Temperature effects have the greatest influence on the deflection values. A warming of 29.5°C increases the deflection by 156 mm and a cooling of 34.0°C decreases the deflection by 190 mm. The structural design also includes an analysis of the horizontal and vertical reactions to the foundation. The new structural modification is designed and assessed so as not to cause failure of the understructure. The magnitude of the new prestressing causing an increase in the horizontal force in the foundation utilizes a reserve in the design of the earth anchors (this was verified from the original 1982 structural design of the footbridge). The new static recalculation also reduced the load capacity of the footbridge corresponding to the subjection of the abutments. The last important part of the structural analysis was the assessment of the so-called failure state of the structure within the ultimate limit state. The aim of the proposed structural modification is to prevent the collapse of the footbridge structure as it happened in the Prague Troja footbridge. In our case, it is assumed that the external prestressing under the existing footbridge will form a “safety net” that will catch fragments of the damaged existing footbridge in case of damage to the original strip. This will use the reserve between the tension of the new cables and their ultimate capacity. This will increase the ductility of the structure. 3.3 Execution of construction modifications The implementation of the construction was carried out by the company Mitrenga-stavby from Brno. The construction began with the erection of scaffolding at the supports and the assembly of mobile platforms. After grouting the caverns from the construction period, both supports were dug out and drilled ducts were prepared for routing the external strands. Below the footbridge, the surface in the area above the fairing was rehabilitated and the saddles and the first part of the fairing were installed. The prestressing strands were then stretched along with the reinforcement of the anchorage areas (Fig. 9). Next, the remaining part of the fairing was fitted and its grouting (Fig. 10) and concreting of the anchorage areas was carried out. Fig. 9: Anchoring strands behind the abutment 5. Brückenkolloquium - September 2022 423 Prestressed footbridge over Morava River in Kroměříž Fig. 10: External prestressing cables in the housing The last stage of the modifications was the tensioning of the external cables with simultaneous geodetic and strain gauge monitoring. 3.4 Geodetic monitoring of the bridge Before and during the construction works, the footbridge was geodetically monitored to confirm the behaviour acording the calculation model. The deflection values were monitored with simultaneous temperature measurements, and the horizontal and vertical movement of the footbridge abutments. The geodetic monitoring of the footbridge, especially in the stage of prestressing the external cables, showed almost complete correspondence with the calculation model [1]. 4. Footbridge rehabilitation As part of the rehabilitation of the footbridge, it was necessary to prevent leakage into the footbridge structure, which was caused by cracks in the original cement concrete walking layer, which was 35 to 40 mm high, and which was replaced from the very beginning by the originally designed waterproofing made of asphalt insulation strips and the originally designed walking layer made of cast asphalt. Cracks were formed along the cable-guided gutters and in places in the transverse direction. As a result of the long term water enclosure between the walking layer and the concrete of the footbridge components, there was non-negligible damage to the middle segment in particular and to the adjacent segment towards OP1 by thawing of the surface layer of concrete on approximately 30% of the surface of the components, which was identified by acoustic tracing. Therefore, it was necessary to design and implement a-walking layer system that would eliminate further damage to the concrete of the components. Fig. 11: Installation of a levelling layer of extruded polystyrene, new railing anchor points, cornice grinding and installation of moisture sensors A layer was designed (Fig. 11) that provided the above waterproofing effect while mechanically protecting the waterproofing system and allowing regular maintenance of the footbridge by sanding in winter. Another property is the possibility to carry out minor repairs to the surface by the maintenance forces of the city of Kroměříž. The original cement-concrete roadway was therefore demolished and the resulting space was filled with glued plates of extruded polystyrene. The polystyrene plates and the adjacent elevated parts of the cornices were braced down to create a base for applying a 2 mm thick waterproofing roofing membrane. The edges were fitted with a gutter plate to allow water to drip down if it penetrates through cracks in the new walking layer and on to the waterproofing membrane. For reliable drainage of any rainwater that may have soaked through, a drainage foil was laid on top of the waterproofing foil and then a geotextile with an increased weight of at least 800 g/ m2. On top of the drainage system, a 35 to 40 mm thick layer of SIKA microcrete reinforced with a non-corrosive reinforcement net(basalt reinforcement nets with 50/ 50 mm mesh) was laid. The surface was finally closed with an epoxy coating with silica sand backfill, which can be subsequently repaired locally. The new walking layers are therefore not supposed to insulate the structure against rainwater, this property is only given to the drainage and insulation, which are protected and stabilised by the walking layers. This layer has fully proven itself one year after commissioning and has even survived unplanned car journeys by drivers under the influence of psychtronic substances and the pursuing Police Czech Republic in March 2022. Part of the construction rehabilitation was the removal of the original railing due to its multiple removal and rejoining with welded joints as a result of flooding and due to the increase of the roadway by about 40 mm. The railings were also restored in the foreland of the footbridge, where the cornices were repaired with a remediation layer and the surface was resurfaced with cast asphalt. The whole lower surface of the structure was sprayed with pressure water with local chipping of the disturbed concrete reinforcement cover. This was followed by a connecting bridge, local reprofiling and rehabilitation of the lower surface with a rehabilitation grout. Finally, the bottom surface was coated with a unifying vapour permeable coating (Figure 12). 424 5. Brückenkolloquium - September 2022 Prestressed footbridge over Morava River in Kroměříž Fig. 12: Footbridge after completion from the underside: external cables, surface rehabilitation and monitoring system Such a consistent and certainly generous structural restoration of surfaces and railings rehabilitated the footbridge over the Morava River in Kroměříž to its original elegant form with an expected life extension of another 30 to 50 years (Fig. 13). Fig. 13: Footbridge after completion in view of the right bank towards OP1 5. Geodetic inspection of the structure It is possible to say that the thinner the bridge deck and the larger the span of the bridge, the more geometric changes caused by temperature changes and glare become apparent. Load tests of large bridge structures are therefore often carried out under night conditions. Also, daytime conditions cannot be avoided during load testing or erection during construction, and the influence of external conditions on the structure is a very unfavourable factor. The technology of reinforcement with external prestressing cables consisted in principle of the tensioning cables under the bridge deck and their tensioning and anchoring into the bridge abutments. Certain risks for this technology consisted basically in the strength of the existing bridge abutments, or the impossibility to determine the current state of the strength of the abutments anchored to the substructure. Therefore, convergence geodetic monitoring of the mutual length between the bridge abutments was included in the implementation of the prestressing. The monitoring also included measuring changes in the deflection of the bridge deck at mid-span to document the effectiveness of the prestressing, which was to be reflected in a 29 mm upward change in the deflection of the bridge deck. Experimental continuous geodetic monitoring of the condition of the abutments and the deflection of the bridge deck over a 24-hour period, carried out before the actual static strengthening step of post-tensioning, showed that the changes in the deflection of the bridge deck from the effect of external conditions (temperature, sunshine) alone were up to 48 mm (Fig. 16), which was twice the expected change in deflection from post-tensioning. The main objective of the experimental measurements was to “calibrate” the behaviour of the bridge deck under changing external conditions applicable to the static securing process. It showed that the gradient of the increase in deflection over the day during the heating phase of the bridge deck from solar radiation was up to 6.8 mm with a 1 °C change in temperature. Overnight, in the cooling phase of the structure, the bridge deck returned to its original state with a different gradient of 6.3 mm with a temperature change of 1 °C. An external conditions measuring system was installed on the bridge deck in the middle of the span (Fig. 14, Fig. 15). Fig. 14: Bridge deck with the location of the external conditions measuring system points Fig. 15: Schema of the external conditions measuring system The object of measurement was the contact temperatures of the concrete surface measured at the edge of the bridge deck from above and below. The temperatures were measured at 10-minute intervals with Comet recording thermometers with an accuracy of 0.1 to 0.3 °C. The monitoring of the external conditions included a portable weather station installed on the bridge deck railing, which recorded air temperature, atmospheric pressure, relative humidity, solar radiation intensity and precipitation totals. Using a geodetic polar method 5. Brückenkolloquium - September 2022 425 Prestressed footbridge over Morava River in Kroměříž with a robotic universal measuring station, changes in length between abutments and changes in bridge deck deflection at midspan were measured at 10-minute intervals. The time evolution of the change in the length between abutments (dS), the bridge deck deflection (deflection) and the measured parameters of the external conditions are shown in Fig. 16. Fig. 16: Time evolution of bridge deck deflection and measured parameters external conditions (deflection in red) Figure 17 shows the time evolution of the monitoring of the stability of the abutments (dS) and the deflection of the bridge deck (deflection) during the post-tensioning in the context of the external conditions. The conditions varied quite significantly during the day. The prestressing process started in the morning and ended in the evening, with a difference of only +0.7 °C between the end and the beginning temperature conditions. Fig. 17: Time evolution of monitoring of abutments and bridge deck deflection during post-tensioning in the context of external conditions (deflection in red) Fig. 18: Camera equipment and measurement view from the underside of the bridge structure The change in deflection after post-tensioning was slightly different for the edges of the bridge deck and was 23.8 mm and 24.9 mm. After introducing a deflection correction of 4.6 mm from the temperature change, when the condition was finally considered, the average gradient from the previous calibration measurement was used and the resulting temperature-corrected deflection was 29 mm, which was consistent with the model calculation. 6. Sensor monitoring As part of the structural rehabilitation, to check the correct functioning of the waterproofing and to check the stability of the critical parameters of the structure, a-monitoring system was set up on the lower upper surface of the structure, which collects, stores and remotely transmits data on concrete moisture measured by the resistivity method, on the strain on the lower and upper surface in the middle of the footbridge, on concrete moisture in the middle of the footbridge measured by the Rh method, on possible flooding of the water control pits and on the footbridge temperatures using the Geologer control panel. The system was commissioned during the summer of 2021 and has been sending data regularly since August 2021. The results so far confirm the assumption of increased water saturation of the concrete of the footbridge, where especially the Rh method data are in a state of full saturation, which occurs at an increased gravimetric moisture content of more than 8% despite the fact that visually the footbridge is completely dry. The flooding sensors immediately after installation and closure of the sumps indicated flooding likely from condensed water evaporating from the concrete, as of approximately November 2021 they indicate a dry condition. 7. Advanced Optical Techniques During the measurements, the concept of an optical system for static measurements of bridge structures was tested using the DIC (Digital Image Correlation) method, which allows to measure deformations of large objects based on natural features whose movement can be tracked with high accuracy in the image and thus analyze any deformation in the scanned image. 426 5. Brückenkolloquium - September 2022 Prestressed footbridge over Morava River in Kroměříž This method allows for an arbitrary position of the portable camera device in relation to the structure to be monitored the measuring setup. In this measurement, two measurement setups with different camera device concepts were tested. Measurements were taken from the underside of the bridge structure and also measurements from the side of the structure. Considering the measurement of a real engineering case, this method was tested to identify the advantages, disadvantages and pitfalls of optical measurements using DIC in different designs. Compensation elements are also an essential part of the concepts, recording unwanted movements of the measuring cameras. By knowing the unwanted changes in tilt or movement of the measuring camera, whether due to imperfect tripod stability or the influence of external weather conditions and vibrations, it is possible to compensate for these effects. Measurements from the underside of the bridge structure: The advantage of this measurement setup (Fig. 18) is the minimal distance from the bridge structure in terms of disturbances such as variable sunlight or optical air interference due to thermal changes over the water surface and banks. A complication of the setup is the wide range of the sensed angle and the resulting variable sensitivity of the measured deformations. The site under the bridge may be suitable for making measurements, but its availability lies primarily in the landscaping. Measurements from the bridge structure side: The advantage of this setup (Fig. 19) is the ability to measure the deflection of the bridge along its entire length, including the surrounding reference points on both sides of the bridge. A complication of this setup, however, is the larger measurement distance, which can magnify the surrounding thermodynamic effects and thus reduce the sensitivity of the measurements. This setup allows for a wider range of camera placement options around the bridge structure and is therefore more universal Fig. 19: Camera equipment and measurement view from the side of the bridge structure The graph in Figure 20 shows the record of the measurement run for 90 minutes. Two load cycles occurred during the measurement period and normal walking traffic was present on the footbridge as part of the disturbance. The measurements took place in the morning in full sunlight and throughout the measurement the bridge structure gradually warmed up as shown by the measured curves. Fig. 20: Optical deflection measurement record with two load cycles 8. Conclusion During 2018 to 2021, the footbridge in Kroměříž was diagnosed, strengthened, underwent structural restoration (Fig. 13) and is being rehabilitated to its original elegant form with an expected life extension of another 30 to 50 years. All diagnostic, analytical, calculation and design work was carried out by a team of authors from the Faculty of Civil Engineering, Brno University of Technology, Institute of Concrete and Masonry Structures [1], [2], [3]. They also carried out the author’s supervision during the strengthening of the footbridge and subsequently during its structural reconstruction. He installed the monitoring system himself and handed it over as a subcontract. The optical methods were provided by the company X-Sight s.r.o. Acknowledgements The experiment was funded with state support of the Technology Agency of the Czech Republic and the Ministry of Transport within the DOPRAVA 2020+ Programme, project No. CK01000042 “Upřesnění zbytkové únosnosti předpjatých mostů” (Specification of residual load-bearing capacity of prestressed bridges). References [1] Diagnostic survey of the footbridge over the Morava River in Kroměříž. Research report. FAST BUT Brno, AdMaS Centre, Brno, 2018 [2] KLUSÁČEK, L.; NEČAS, R.; KOLÁČEK, J., STRNAD, J., OLŠÁK, M., SVOBODA, A.; Construction modifications of footbridge ev. no. L07. Project DSP, PDPS, RDS. FAST BUT Brno, Ad- MaS Centre, Brno, 2018 [3] KLUSÁČEK, L.; NEČAS, R.; KOLÁČEK, J., STRNAD, J., OLŠÁK, M., SVOBODA, A.; Construction modifications of the footbridge ev. no. L07 construction renovation. Project DSP, RDS. FAST BUT Brno, AdMaS Centre, Brno, 2019 Instandhaltung und Bauwerksmanagement 5. Brückenkolloquium - September 2022 429 Anwendung elektrochemischer Verfahren bei der Instandsetzung von Stahl- und Spannbetonbrücken - Schwerpunkt elektrochemische Chloridextraktion Lars Wolff, Michael Bruns Ingenieurbüro Raupach Bruns Wolff, Aachen, Deutschland Zusammenfassung Für die Instandsetzung von durch Bewehrungskorrosion geschädigte Stahl- oder Spannbetonbauwerke existieren verschiedene elektrochemische Verfahren. Dazu zählen: • Der kathodische Korrosionsschutz (KKS) • Die elektrochemische Chloridextraktion • Die elektrochemische Realkalisierung Hauptanwendungsgebiet des KKS ist die Instandsetzung von durch chloridinduzierte Bewehrungskorrosion geschädigten Stahl- und Spannbetonbauwerken. In diesem Bereich hat sich der KKS in den vergangenen Jahren etabliert, wie die Anwendung bei vielen Parkbauten, aber auch einigen Brücken und anderen Verkehrsbauwerken zeigt. Weniger bekannt und eher selten angewendet wird die elektrochemische Chloridextraktion. Geregelt ist diese in der DIN EN 14038-2: 2018-07. Bei der elektrochemischen Chloridextraktion wird ein elektrisches Feld zwischen der Betonstahlbewehrung und einer temporär auf die Betonoberfläche aufgelegten, in alkalischer Elektrolytlösung befindlichen Anode aufgebracht. Die Anwendungsdauer beträgt üblicherweise mehrere Wochen bis einige Monate. Durch das aufgebrachte elektrische Feld wandern die Chloridionen zur Anode bzw. in den die Anode umgebenden Elektrolyten und können mit diesem entfernt werden. Nach erfolgreicher Chloridextraktion können, soweit erforderlich, Schutzmaßnahmen gegenüber erneutem Chlorideindringen, z. B. Oberflächenschutzsysteme, aufgebracht werden. Ein Abtrag des chloridbelasteten Betons oder ein dauerhafter Betrieb, wie beim KKS nötig, ist bei der elektrochemischen Chloridextraktion nicht erforderlich. Damit bietet die elektrochemische Chloridextraktion vor allem bei lokal begrenzt vorliegenden chloridbelasteten Bereichen, z.B. bei Widerlagerwänden, Brückenpfeilern, chloridbelasteten Bodenplatten von Brückenhohlkästen in Bereichen zeitweise undichter Entwässerungseinrichtungen o.ä., Vorteile gegenüber einem Abtrag des chloridbelasteten Betons oder der Anwendung des KKS. Das dritte elektrochemische Verfahren, die elektrochemische Realkalisierung, ist zwar auch normativ geregelt (DIN EN 14038-1: 2016-10). Bislang wurde die elektrochemische Realkalisierung allerdings in Deutschland nur tastweise eingesetzt. Im Rahmen des Beitrags werden nach Einführung in die verschiedenen elektrochemischen Verfahren zwei Beispiele einer erfolgreichen Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion, u. a. an einer Brücke, vorgestellt. 1. Einleitung 1.1 Allgemeines In den nachfolgenden Abschnitten werden die drei elektrochemischen Verfahren • Der kathodische Korrosionsschutz (KKS) • Die elektrochemische Chloridextraktion • Die elektrochemische Realkalisierung nacheinander kurz vorgestellt und exemplarisch einige verfahrensbedingte Besonderheiten kurz beschrieben. Im nachfolgenden Kapitel 3 werden anschließend zwei Beispiele einer erfolgreich angewendeten elektrochemischen Chloridextraktion kurz vorgestellt. Das Grundprinzip aller drei genannten Verfahren ist jeweils vergleichbar. So wird in allen drei Fällen auf die Betonoberfläche zunächst eine Anode aufgebracht. Anschließend wird eine Stromquelle mit der Bewehrung und dieser Anode verbunden. Je nach Art des elektrochemischen Verfahrens sind die Art der Anode, die Anodeneinbettung, die aufgebrachten Potentiale und sich einstellenden Stromstärken sowie die sich daraus ergebenden Anwendungsmöglichkeiten und grenzen höchst unterschiedlich. Details zu diesen Besonderheiten enthalten ebenfalls die nachfolgenden Abschnitte. Im folgenden Bild 1 ist schematisch der vorgenannte Aufbau bestehend aus Anode, Stromquelle und zu schützendem Bauteil vergleichend dargestellt. 430 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anwendung elektrochemischer Verfahren bei der Instandsetzung von Stahl- und Spannbetonbrücken - Schwerpunkt elektrochemische Chloridextraktion Bild 1: Prinzipdarstellung der elektrochemischen Verfahren (links), Anwendung beim Kathodischen Korrosionsschutz (Mitte) und bei der elektrochemischen Chloridextraktion bzw. der elektrochemischen Realkalisierung (rechts) 1.2 Kathodischer Korrosionsschutz Der kathodische Korrosionsschutz (KKS) ist sowohl außerhalb des Betonbaus (Schutz erdverlegter Stahlrohre, im Schiffsbau, von Behältern und Maschinenbauteilen, die mit aggressiven Medien beaufschlagt werden, usw.) als auch im Betonbau eine seit Jahrzehnten bewährte Schutzmethode. Aufgrund der weltweit guten Erfahrungen gewinnt der KKS in den letzten 20 Jahren auch in Deutschland insbesondere bei der Instandsetzung von Parkhäusern und Tiefgaragen zunehmend an Bedeutung. Aber auch bei einigen Brücken und Tunneln sowie bei Wasserbauwerken wurde der kathodische Korrosionsschutz (KKS) bereits eingesetzt, siehe z. B. [1] bis [4]. Die zunehmende Akzeptanz der Instandsetzung durch Anwendung des kathodischen Korrosionsschutzes liegt nicht zuletzt auch im Erscheinen der ersten Ausgabe der DIN EN 12696 im Jahr 2000, die mittlerweile mehrfach überarbeitet und erweitert wurde und im Jahr 2016 durch die DIN EN ISO 12696: 2017-05 [5] ersetzt wurde. In der TR Instandhaltung des DIBt [6] ist der Kathodische Korrosionsschutz ebenfalls enthalten. Hier wird im Wesentlichen auf DIN EN ISO 12696: 2017-05 [5] verwiesen, wobei in der TR Instandhaltung [6] bzgl. der Planung des KKS auf folgendes hingewiesen wird [6]: „Abweichend von der DIN EN ISO 12696 müssen Planung und Ausführung des zu verwendenden Beton-ersatzes nach den Regelungen dieser Technischen Regel erfolgen. Untergrundvorbereitung und Reprofilierung müssen nach dieser Technischen Regel erfolgen.“ Dies bedeutet, eine Planung einer KKS-Maßnahme allein nach DIN EN ISO 12696: 2017-05 [5] ist i.d.R. nicht zulässig. Der Korrosionsschutz der Bewehrung wird beim KKS durch kathodische Polarisation des Bewehrungsstahls erreicht. Hierzu wird das Stahlbetonbauteil dauerhaft mit einem Elektrodensystem (Anodensystem) ausgestattet, über welches mittels einer zwischen die Bewehrung und das Anodensystem geschalteten Gleichstromquelle dauerhaft ein Schutzstrom auf die Bewehrung aufgeprägt wird. Die kathodische Polarisation bewirkt neben der direkten Behinderung der anodischen Teilreaktion des Korrosionsprozesses (Eisenauflösung) eine Reihe weiterer Schutzprozesse, wie die Angleichung der Potentiale im Bereich passiver und depassivierter Stahloberflächen und langfristig die Reduktion der Chloridionenkonzentration an der Stahloberfläche, die letztendlich in ihrer Summe dazu führen, dass die Korrosionsraten auf praktisch vernachlässigbare Werte reduziert werden können. Die wesentliche Schutzwirkung tritt unmittelbar mit Herstellung der kathodischen Polarisation der Bewehrung ein, welche über ein Monitoringsystem überwacht und gesteuert wird. Weitere Schutzmechanismen (sekundäre Schutzmechanismen), wie die Reduktion der Chloridkonzentration an der Stahloberfläche, verstärken die Schutzwirkung mit der Zeit, bzw. bewirken, dass der Schutzstrom mit der Zeit reduziert werden kann [11]. Mit Abstand am häufigsten werden Anodensysteme bestehend aus sogenannten MMO-Anoden verwendet, welche in einen als Anodeneinbettung geeigneten Mörtel eingebettet werden. MMO-Anoden bestehen aus einem Titansubstrat in Form von Streckmetallnetzen, feinmaschigen Bändern oder Drähten, die mit einer Mischmetalloxid-Beschichtung aus Metalloxiden der Platingruppe versehen sind. Neben der Applikation der Elektroden auf der Betonoberfläche, welche durch die Einbettmörtelschicht i.d.R. auch eine Geometrieveränderung und eine zusätzliche Flächenlast mit sich bringt, ist je nach Randbedingun- 5. Brückenkolloquium - September 2022 431 Anwendung elektrochemischer Verfahren bei der Instandsetzung von Stahl- und Spannbetonbrücken - Schwerpunkt elektrochemische Chloridextraktion gen auch eine Anodenapplikation innerhalb des Bauteils möglich. So können beispielsweise bei ausreichend hoher Betondeckung (mind. rd. 3,5 cm) Bandanoden auch in Schlitzen in der Betondeckung verlegt werden, welche dann mit einem speziellen Vergussmörtel verfüllt werden. Eine weitere häufig eingesetzte Anodenvariante sind sogenannte diskrete Bohrlochanoden. Diese Bohrlochanoden bestehen bei der in Deutschland am häufigsten eingesetzten Variante ebenfalls aus MMO-Anodenmaterial. Die in unterschiedlicher Länge erhältlichen Anoden werden in Bohrlöcher direkt in das Bauteil mittels eines speziellen Vergussmörtels bzw. Einpressmörtels eingebettet und dann an der Betonoberfläche über einen isolierten Titandraht untereinander elektrisch verbunden. Hierdurch wird es möglich, auch tiefer im Beton liegende Bewehrung oder Bewehrung in nicht direkt zugänglichen Bereichen kathodisch zu schützen. Für weitere Ausführungen zum Kathodischen Korrosionsschutz oder die Beschreibung ausgeführter Objekte wird an dieser Stelle auf die beispielhaft aufgeführte Literatur [1] bis [4] oder [11] verwiesen. 1.3 Die elektrochemische Chloridextraktion Die elektrochemische Chloridextraktion ist nicht in der TR Instandhaltung [6] beschrieben und wird in dieser auch nicht genannt. Hintergrund dieses Umstandes ist, dass die elektrochemische Chloridextraktion umfänglich in DIN EN 14038-2: 2020-12 [7] geregelt ist. Da die elektrochemische Chloridextraktion zudem nur eine Verfahrensweise regelt, nicht aber Bauprodukte oder Bauweisen, ist diese Norm auch nicht in der MVV TB des DIBt enthalten. Bei der elektrochemischen Chloridextraktion wird, ähnlich wie beim KKS, eine Anode auf die Betonoberfläche aufgebracht. Allerdings wird die Anode, eingebettet in einen wässrigen Elektrolyten, lediglich temporär aufgebracht. Üblicherweise wird hierzu ein alkalischer Elektrolyt verwendet, um eine gewisse Pufferkapazität gegenüber einer Säurebildung während der elektrochemischen Chloridextraktion zu haben. Wenn das Betonbauteil Gesteinskörnungen mit einer Gefährdung gegenüber einer Alkali-Kieselsäurereaktion enthält, sollte im Zuge der Planung der Maßnahme dieses Gefährdungspotential abgeschätzt werden. So ist es denkbar, dass durch die infolge des aufgebrachten elektrischen Feldes eintretende Ionenwanderung eine Alkali-Kieselsäurereaktion der Gesteinskörnung hervorgerufen oder verstärkt werden kann. Die Spannung bei der elektrochemischen Chloridextraktion ist nach DIN EN 14038-2: 2020-12 [7] auf 48-V begrenzt, so dass i.d.R. keine besonderen Maßnahmen zum Schutz gegenüber unbefugter Berührung der Anoden erforderlich sind. Übliche Stromstärken bei der elektrochemischen Chloridextraktion liegen bei bis zu 10-A pro m² Stahloberfläche und damit um ein Vielfaches über der üblichen maximalen Stromdichte beim KKS, welche häufig in der Größenordnung von ca. 20-mA/ m² Stahloberfläche liegt. Durch die angelegte Gleichspannung kommt es infolge Ionenmigrationsvorgängen zu einer Wanderung von negativ geladenen Chloridionen zum auf die Betonoberfläche aufgebrachten Metallnetz (Anode) bzw. in den die Anode umgebenden Elektrolyten. I.d.R. erfolgt die Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion in Zyklen, meist ein mehrere Wochen dauernder Zyklus mit laufender Chloridextraktion und anschließend eine deutlich kürzere Ruhephase. Üblicherweise sind mehrere Zyklen zur ausreichenden Chloridextraktion erforderlich. Nach Ende eines Zyklus wird der Elektrolyt entfernt und damit auch die in den Elektrolyten migrierten Chloridionen. Bedingt durch die Anodenreaktionen und eine damit einhergehende Säurebildung an der Anode ist eine oberflächliche Schädigung der Betonrandzone möglich. Üblicherweise beschränkt sich diese Schädigung auf eine Tiefe von wenigen mm und kann im Zuge einer üblicherweise nachfolgenden Applikation von Schutzmaßnahmen beispielsweise durch Applikation eines Feinspachtels o. Ä. behoben werden. Bei der Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion an Spannbetonbauteilen mit nachträglichem Verbund sollte im Vorfeld untersucht werden, ob der Spannstahl eine erhöhte Gefährdung gegenüber wasserstoffinduzierter Spannungsrisskorrosion aufweist. Ggf. sind hier im Vorfeld entsprechende Untersuchungen erforderlich oder es sollte im Zuge der Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion eine Überwachung der Polarisation des Spannstahls erfolgen. Eine Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion an Spannbetonbauteilen mit sofortigem Verbund sollte nach den Regelungen der DIN EN 14038-2: 2020- 12 [7] nicht erfolgen. Beispiele für die Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion enthält das folgende Kapitel 3. 1.4 Die elektrochemische Realkalisierung Die elektrochemische Realkalisierung ist in DIN EN 14038-1: 2020-12 [8] geregelt. In der TR Instandhaltung [6] wird die elektrochemische Realkalisierung nicht erwähnt. In der Vergangenheit wurde die elektrochemische Realkalisierung nur vereinzelt an einigen Objekten angewendet. Ausgeführte Objekte finden sich beispielsweise in [9]. Auch bei der elektrochemischen Realkalisierung wird eine Metallanode temporär auf die zu behandelnde Bauteiloberfläche aufgebracht. Auch hier wird ein wässriger alkalischer Elektrolyt verwendet. Die Spannung bei der elektrochemischen Realkalisierung ist ähnlich hoch wie bei der elektrochemischen Chloridextraktion. In [9] werden 40-V genannt. Die in [9] genannten Stromdichten liegen mit Werten zwischen 0,5 und 1-A/ m² unterhalb der Stromdichten bei der elektrochemischen Chloridextraktion. Durch die angelegte Gleichspannung kommt es an der Bewehrung (Kathode) zur Entstehung von Hydroxylio- 432 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anwendung elektrochemischer Verfahren bei der Instandsetzung von Stahl- und Spannbetonbrücken - Schwerpunkt elektrochemische Chloridextraktion nen infolge Sauerstoffreduktion und Elektrolyse. Weiterhin kommt es durch Ionenmigrationsvorgänge zu einer Wanderung von positiv geladenen Ionen (z.B. K + , Na + , Ca ++ ) zur Bewehrung (Kathode). Beide Prozesse führen zu einer pH-Werterhöhung an der Bewehrung. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens [10] wurde allerdings festgestellt, dass die realkalisierte Zone rund um den Bewehrungsstab nur eine Schichtdicke von etwa 3 bis 4-mm aufwies. Da infolge der elektrochemischen Realkalisierung u.U. keine erneute Pufferkapazität aufgebaut werden kann, ist die Langzeitwirkung einer solchen Maßnahme möglicherweise nicht gegeben. Vermutlich ist dies der wesentliche Grund, weshalb die elektrochemische Realkalisierung bislang nur sehr vereinzelt in der Praxis angewendet wurde. 2. Beispiele einer durchgeführten elektrochemischen Chloridextraktion 2.1 Unterführungen einer Brücke Bei dem Bauwerk handelt es sich um eine kleine Brücke über zwei Unterführungen auf einem Werksgelände. In den beiden Unterführungen verlaufen diverse Medienleitungen, Rohre, eine Gasleitung und Kabel einer nahegelegenen Versuchseinrichtung. Das folgende Bild 2 zeigt einige Eindrücke einer der beiden Unterführungen. Bild 2: Beispiel einer der beiden Unterführungen der Brücke mit umfangreichen Leitungen, Schaltkästen, Rohren u.a. An den Bodenflächen der beiden Unterführungen wurden deutlich erhöhte Chloridgehalte mit Werten von z.T. deutlich über 1 M.-%/ Zement in Höhe der Bewehrung festgestellt. Aufgrund der Rahmenwirkung sowie der vorhandenen umfangreichen Installationen schied ein Abtrag des chloridbelasteten Betons aus. Der Kathodische Korrosionsschutz war aufgrund der begrenzten zu bearbeitenden Fläche in den beiden Unterführungen und der angestrebten langen Restnutzungsdauer und der damit verbundenen sich summierenden hohen Wartungskosten im vorliegenden Fall unwirtschaftlich. Aus diesem Grund wurde für die Bodenflächen die elektrochemische Chloridextraktion favorisiert. Nach Installation der Anoden und Inbetriebnahme der Anlage wurden die Anoden mit Spannplatten abgedeckt. Eine Begehung der Unterführungen durch Technisches Personal der nahegelegenen Versuchsanlage für Arbeiten an den Technischen Installationen war somit weiterhin möglich. Das folgende Bild 3 zeigt eine der beiden Unterführungen mit installierten Anoden während des Betriebs. Für die Bohrmehlentnahme und Chloridgehaltsbestimmungen nach Ende eines Zyklus wurde die Spannplatte hochgeklappt und die Anoden lokal beiseite geklappt. Bild 3: Beispiel einer der beiden Unterführungen der Brücke während der laufenden elektrochemischen Chloridextraktion Für beide Unterführungen wurde ein Zyklus mit einer Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion von drei Wochen und einer anschließenden Ruhephase von einer Woche festgelegt. In einer der beiden Unterführungen wurden drei Zyklen, in der zweiten Unterführung wurden vier Zyklen benötigt. Nach jedem Zyklus wurden die Chloridgehalte tiefenabhängig bestimmt, um den Erfolge der Maßnahme bewerten zu können. Das folgende Bild 4 zeigt beispielhaft die Reduktion der Chloridgehalte über die insgesamt vier Zyklen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 433 Anwendung elektrochemischer Verfahren bei der Instandsetzung von Stahl- und Spannbetonbrücken - Schwerpunkt elektrochemische Chloridextraktion Bild 4: Reduktion der Chloridgehalte über insgesamt vier Zyklen der der elektrochemischen Chloridextraktion Nach Abschluss der der elektrochemischen Chloridextraktion wurden Instandsetzungsmaßnahmen an den angrenzenden Stahlbetonbauteilen durchgeführt, da hier Schäden infolge karbonatisierungsinduzierter Bewehrungskorrosion vorlagen. Im Zuge dieser Maßnahme wurden auf die Bodenflächen beider Unterführungen Oberflächenschutzsysteme zum Schutz vor einem erneuten Chlorideindringen appliziert (Verfahren 7.7 nach TR Instandhaltung [6]). 2.2 Hoch belastete Stütze einer Tiefgarage Bei dem Bauwerk handelt es sich um eine kleine Tiefgarage unterhalb eines mehrstöckigen Bürogebäudes. Im Zuge der Ist-Zustandsermittlung in der Tiefgarage wurden lediglich an einer der Stützen deutlich erhöhte Chloridgehalte festgestellt. Aus statischer Sicht schied ein Abtrag des chloridbelasteten Betons aus bzw. dieser hätte in mehreren Pilgerschritten durchgeführt werden müssen, stets verbunden mit dem Risiko einer zu starken Schwächung des Stützenquerschnitts im Zuge des Betonabtrags. Auch in diesem Beispiel war der Kathodische Korrosionsschutz aufgrund des geringen Umfangs (nur eine zu schützende Stütze) und der angestrebten langen Restnutzungsdauer und der damit verbundenen sich summierenden hohen Wartungskosten im vorliegenden Fall unwirtschaftlich. Aus diesem Grund wurde für die Stütze ebenfalls die elektrochemische Chloridextraktion favorisiert. Nach Installation der Anoden und Inbetriebnahme der Anlage konnte die Tiefgarage praktisch ohne Einschränkungen weiter genutzt werden. Auch bei diesem Beispiel konnte der Chloridgehalt über 4 Zyklen soweit reduziert werden, dass nach Abschluss der Maßnahme lediglich die Applikation von Schutzmaßnahmen gegenüber einem erneuten Chlorideindringen ausreichend war (Verfahren 7.7 nach TR Instandhaltung [6]). 3. Zusammenfassung Während von den drei elektrochemischen Verfahren der Kathodische Korrosionsschutz in den letzten rd. 15 bis 20 Jahren in Deutschland bei einer Vielzahl an Objekten erfolgreich eingesetzt wurde, beschränkt sich die Anwendung der elektrochemischen Chloridextraktion auf einige wenige Fälle. Dabei bietet die elektrochemische Chloridextraktion vor allem beispielsweise bei nur lokal chloridbelasteten Bereichen, in denen ein Betonabtrag nicht oder nur sehr aufwändig durchführbar ist, durchaus erhebliche Vorteile. Durch die geringen Eingriffe ins Bauteil und die geringe Einschränkung der Umgebung (nach Installation der Anlage keine Lärm- oder Staubbelästigungen) bietet die elektrochemische Chloridextraktion auch praktische Vorteile für den Bauherrn. Zu bedenken ist allerdings, dass bei der elektrochemischen Chloridextraktion der Erfolg nicht garantiert werden kann bzw. nicht im Vorfeld sicher vorhersagt werden kann, ob der Chloridgehalt tatsächlich auf ein unkritisches Maß abgesenkt werden kann. Aus diesem Grund empfiehlt sich, bei geplanten größeren Maßnahmen zur elektrochemischen Chloridextraktion ggf. die Wirksamkeit der Maßnahme zunächst an einer repräsentativen Probefläche zu testen. Die elektrochemische Realkalisierung hingegen wurde abgesehen von einigen wenigen Anwendungen in der Praxis bisher vor allem nur im Forschungsmaßstab angewendet. Literaturverzeichnis [1] Raupach, M., Bruns, M.: Kathodischer Korrosionsschutz von Stahlbetonbauwerken im Wasserbau - Anwendungsmöglichkeiten und Praxisbeispiele - BAW-Kolloquium Baustoffe und Bauausführung im Verkehrswasserbau, 27. und 28. Oktober 2009 in Karlsruhe [2] Wolff, L., Bruns, M., Hümmecke, M., Westendarp, A.: Grundinstandsetzung des Straßentunnels Rendsburg unterhalb des Nordostseekanals Ostfildern : Technische Akademie Esslingen, 2019. - In: 1. Kolloquium Straßenbau in der Praxis, Ostfildern, 29. und 30. Januar 2019, (Schäfer, F. (Ed.)), ISBN 978-3-943563-05-4 [3] Raupach, M., Wolff, L., Bruns, M.: Schutz und Instandsetzung von Parkbauten. In: Stahlbeton aktuell 2016 - Praxishandbuch. Beuth Verlag GmbH, Seiten C.1 bis C.53. ISBN 978-3-410-25202-3 [4] Bruns, M., Binder, G.: Umsetzung des Kathodischen Korrosionsschutzes an den Spannbetonüberbauten der Schleusenbrücke Iffezheim. In: Beton- und Stahlbetonbau 108 (2013), Heft 2 [5] DIN EN ISO 12696: 2017-05 Kathodischer Korrosionsschutz von Stahl in Beton (ISO 12696: 2016); Deutsche Fassung EN ISO 12696: 2016 434 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anwendung elektrochemischer Verfahren bei der Instandsetzung von Stahl- und Spannbetonbrücken - Schwerpunkt elektrochemische Chloridextraktion [6] Deutsches Institut für Bautechnik Berlin DIBt: Technische Regel Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung). Fassung Mai 2020 [7] DIN EN 14038-2: 2020-12 Elektrochemische Realkalisierung und Chloridextraktionsbehandlungen für Stahlbeton - Teil 2: Chloridextraktion; Deutsche Fassung EN 14038-2: 2020 [8] DIN EN 14038-1: 2020-12 Elektrochemische Realkalisierung und Chloridextraktionsbehandlungen für Stahlbeton - Teil Teil 1: Realkalisierung; Deutsche Fassung EN 14038-1: 2016 [9] Kurt, H.: Elektrochemische Realkalisierung und Entsalzung. In: Cementbulletin, Band (Jahr): 60-61 (1992-1993), Heft 21 [10] Bruns, M., Raupach, M., Grünzig, H., und Schneck, U.: Realkalisieren von Fassadenflächen - Ergebnisse eines Forschungsvorhabens. In: Restoration of Buildings and Monuments, Bauinstandsetzen und Baudenkmalpflege, Vol. 11, No 5, 1-12 (2005) [11] Raupach, M., Wolff, L., Bruns, M.: Schutz und Instandsetzung von Parkbauten. In: Stahlbeton aktuell 2016. Beuth Verlag GmbH 5. Brückenkolloquium - September 2022 435 Nachhaltig sichere Abdichtung und Schutz von Betonbauwerken auch bei niedrigen Temperaturen mit Silikattechnologie Dr. Jörg Rathenow Sinnotec Innovation Consulting GmbH, Wiesbaden, Deutschland, www.sinnotec.eu Zusammenfassung Gerade bei der Erstellung von Brückenbauwerken sind immer wieder Zeitplan und anspruchsvolle Wetterbedingungen ein wichtiges Thema für die erfolgreiche Umsetzung von Bauprojekten. Daher werden für die Abdichtung und den Schutz der Bauwerke Werkstoffe benötigt, die sich unter diesen Randbedingungen sicher und komfortabel verarbeiten lassen und die idealerweise auch noch eine ausgezeichnete Umweltverträglichkeit und Recyclingfähigkeit aufweisen. Die silikatischen Werkstoffe auf der Basis von latenthydraulischen Bindemitteln bieten hier insbesondere bei niedrigen Temperaturen, hoher Restfeuchte im Untergrund sowie Wind und Wetter eine interessante Alternative bzw. Ergänzung zu den üblicherweise zur Abdichtung eingesetzten erdölbasierten Materialien. Wir präsentieren hier die Ergebnisse, die Einsatzgebiete für die silikatischen Abdichtungsprodukte sowie die Praxiserfahrungen. Die dänische Stoerebelt-Brücke (1, 2) zählt ebenso zu den Referenzen wie die weltberühmte Oper von Sydney in Australien (3). Hierbei wurden nicht nur ausgezeichnet haftende Reprofilierungen realisiert sondern zusätzlich ein nachhaltiger Korrosionsschutz für die Stahlarmierung sichergestellt. 1. Anorganische Beschichtungen auf der Basis von Hüttensand Die anorganischen Silikatbeschichtungen, auf der Basis von Hüttensand sind eine umweltfreundliche Alternative zu den erdölbasierenden Beschichtungsprodukten. Diese anorganischen Beschichtungen, Abdichtungen und Mörtel sind wasserbasiert und lassen sich komfortabel verarbeiten. Die Schutzwirkung dieser Materialien funktioniert dauerhaft wartungsfrei und natürlich auch emissionsfrei im Praxiseinsatz. Der Hauptrohstoff ist Hüttensand, ein latent hydraulisches Bindemittel, das als Abfallwertstoff bei der Eisenproduktion im Hochofen anfällt und somit CO 2 neutral ist. Alle eingesetzten Rohstoffe sind umweltfreundlich und die Silikatprodukte besitzen eine Trinkwasserzulassung und können als EC1+ zertifiziert werden. Bild 1: Stoerebelt-Brücke, Dänemark (1, 2) Aufgrund der anorganischen, mineralischen Natur der Silikatprodukte besitzen diese eine optimale Langzeithaltbarkeit, da es hier keine UV-Korrosion oder Frost-Tau- Schäden geben kann. Die Silikatprodukte können nach der Nutzung zu 100 % wiederverwendet werden. Interessant ist bei der Wiederverwendung, dass die silikatischen Produkte nicht von den mineralischen Bauprodukten getrennt werden müssen, sondern gemeinsam einer neuen Nutzung zugeführt werden können. Somit fallen keine umweltbelastenden Rückstände an und die Wiederverwendung lässt sich sehr ökonomisch realisieren. 1.1 Ausgezeichnete Haftung zum Betonuntergrund, fugenlos, flüssigkeitsdicht und wartungsfrei Die Besonderheit der silikatischen Produkte ist die ausgezeichnete Haftung der Produkte auf zementären Untergründen. Diese silikatischen Haftvermittler ermöglichen auch eine sehr gute Haftung zu Stahloberflächen. Durch das Anmachwasser wird eine Silikatlösung hergestellt, aus der anschließend genau definierte CSH-Phasen spannungsfrei auf der Oberfläche aufwachsen. Ein geringer Überschuss an Wasserglas reagiert mit dem im Überschuss der Betonmatrix vorhandenen Calziumhydroxid und sorgt so für einen monolithischen Haftverbund. Somit wird zusätzlich der Untergrund verfestigt und abgedichtet, was sich bei Untersuchungen an Abwasserbauwerken auch durch höhere Druchfestigkeit und Haftzugwerte der Betonmatrix nachweisen lässt (4, 5). Die so dreidimensional vernetzte Bindemittelmatrix ist flüssigkeitsdicht und mechanisch hoch belastbar (abrasionsbeständig). Die flüssigkeitsdichte, silikatische Matrix nimmt daher keine Feuchtigkeit auf und es können somit auch bei Frost keine Abplatzungen entstehen. Nachhaltig sichere Abdichtung und Schutz von Betonbauwerken auch bei niedrigen Temperaturen mit Silikattechnologie 436 5. Brückenkolloquium - September 2022 Bild 2: Dichte Silikatmatrix mit eingebundenem Sandkorn (6). Da die Bindemittelmatrix frei von Zement und Calziumhydroxid ist und nur aus reinen CSH-Phasen besteht, besitzt sie eine hohe Beständigkeit gegen Säuren, Laugen, Salze, Lösemittel und andere aggressive Chemikalien. Somit lassen sich sehr langzeitstabile Abdichtungen auf Beton realisieren, die gegen die auf Brücken auftretenden Medien wie z.B. Chlorid-Ionen aus dem Streusalz eine hohe Beständigkeit aufweisen. Es gibt diese Silikatmörtel als standfeste Version für Decke und Wand sowie auch als selbstverlaufende Beschichtung für den Boden. Als Korrosionsschutz für die Stahlarmierung findet hier das Wirkprinzip W Anwendung. Außerdem können die Sinnotec Mörtel mit handelsüblichen Gewebearmierungen verstärkt werden, wobei die hohe Anfangsalkalität der Mörtel rasch abgebaut wird und somit auch normale Glasfaser- oder auch organische Gewebe eingesetzt werden können. 1.2 Komfortable Applikation auch bei niedrigen Temperaturen und feuchten Untergründen Bild 3: Anspruchsvolle Geometrie sicher abgedichtet, hohe Verarbeitungssicherheit auch bei ungünstigem Wetter Die Brückenbaustellen sind immer direkt der Witterung mit Wind, Regen, Sonne und Kälte ausgesetzt. Zusätzlich sorgen ein knapper Zeitablauf des Bauvorhabens und die recht lange Trocknungsdauer von Beton für weitere Rahmenbedingungen, die für erdölbasierte Beschichtungsprodukte häufig eine Herausforderung darstellen. Die Produkte auf Silikat-Basis sind alle wasserbasiert und verkraften daher einen mattfeuchten Untergrund problemlos. Nach dem Anmischen des Pulvers mit Wasser lassen sich diese Produkte komfortabel wie die bekannten polymeren Beschichtungen auch mit der üblichen Maschinentechnik verarbeiten. Das überraschende ist dabei, dass bei niedrigeren Temperaturen eine höhere Haftzugfestigkeit und auch eine höhere Druckfestigkeit gefunden wird, als bei höheren Temperaturen. Das ist auf die besser Löslichkeit von Calzium-Ionen in kaltem Wasser zurückzuführen, die für diese günstigen Eigenschaften verantwortlich sind. Nachhaltig sichere Abdichtung und Schutz von Betonbauwerken auch bei niedrigen Temperaturen mit Silikattechnologie 5. Brückenkolloquium - September 2022 437 Bild 4: komfortable Applikation auch bei hoher Feuchtigkeit durch benachbarten Fluss Im Rahmen der Messungen zur OS8 Zulassung beim KIWA Polymer Institut in Flörsheim als Oberflächenschutzsystem haben wir festgestellt, dass sowohl die Haftzugwerte als auch die Druckfestigkeit bei niedrigeren Temperaturen ansteigt: Tabelle 1: Messwerte am Sinnodur WPS, (5). Temperatur [°C] Haftzugfestigkeit [N/ mm²] Druckfestigkeit [N/ mm²] 45 °C 1,2 38 23 °C 1,3 43 5 °C 2,2 47 Zusätzlich wird das zur Reaktion benötigte Wasser in Form von Kristallwasser durch das Wasserglas bereit gestellt, so dass auch bei windigen Witterungsverhältnissen sicher weiter beschichtet werden kann. Ein unterschiedlicher Wassergehalt bei der Verarbeitung der silikatischen Produkte sorgt lediglich optisch für eine unruhigere Farbgebung. Bild 5: Anspruchsvolle Witterungsbedingungen bei der Applikation durch Wind, Regen, Sonne und Frost Außerdem haben die silikatischen Produkte eine kurze Trockenzeit, bei 23 °C kann bereits nach 2 Stunden die Flächen wieder betreten werden. 2. Zusammenfassung Die vorgestellte Silikattechnologie der Sinnotec GmbH ist ein innovativer Ansatz in der Beschichtung und Abdichtung von Brückenbauwerken. Insbesondere die hohe Verarbeitungssicherheit auch auf feuchten Untergründen mit ausgezeichneter Haftung zum Betonuntergrund ermöglicht eine schnelle und komfortable Applikation. Durch die schnelle Begehbarkeit der Flächen können nachfolgende Gewerke rasch weiter arbeiten. Aufgrund der anorganischen Natur der Bindemittel kann von einer sehr langen Nutzungsdauer und zuverlässigen Oberflächenschutzsystem der Stahlbetonbauwerke ausgegangen werden. Diese Werkstoffe sind daher prädestiniert als Abdichtung (auch bei rückseitiger Durchfeuchtung und bei salzkontaminierten Untergründen) für Brücken und Tunnel, und können sogar bei aggressiven Medien, wie z. B. wassergefährdenden Stoffen (8, 9) nach dem verschärften Wasserhaushaltsgesetz (WHG) für HBV-Anlagen (Produktionsflächen, Industrieböden) und LAU Anlagen (z. B. Tanklager, Tank- und Lagerplätze) eingesetzt werden. Nachhaltig sichere Abdichtung und Schutz von Betonbauwerken auch bei niedrigen Temperaturen mit Silikattechnologie 438 5. Brückenkolloquium - September 2022 Bild 6: Sicherer Haftverbund auf Beton und Stahl Literatur: [1] Jörg Rathenow, „Die Zukunft von Beton ist silikatisch! “, Pressetext, 09.01.2013, http: / / www.presetext.com/ news/ 20130109005 [2] Jörg Rathenow, „Wasserberührte Betonbauteile besser schützen“, Pressetext, 22.03.2013, http: / / www.presetext.com/ news/ 20130322005 [3] Jörg Rathenow, „Sinnotec richtet Betonfragen-Hotline ein“, Pressetext, 08.10.2014, http: / / www.presetext.com/ news/ 20141008005 [4] Frank Schardt, Untersuchungsbericht „Zerstörungsfreie Oberflächenuntersuchung „neun Punkte Untersuchung“ mit Schmidt-Hammer in Anlehnung an die DIN EN 12504-2“, SEF, Frankfurt, 08.10.2014 [5] Rainer Hermes et.al., Merkblatt DWA-M 143-17 „Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden - Teil 17: Beschichtung von Abwasserleitungen, -kanälen, Schächten und Abwasserbauwerken“, ISBN 978-3-88721-671-9, DWA Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V., Henne, 01.09.2018 [6] Jörg Rathenow, Abschlußbericht zum LOEWE Projekt HA-181/ 09-11, Sinnotec GmbH, Wiesbaden, 01.12.2010 [7] Nicole Machill, KIWA Polymer Institut GmbH, Untersuchungsbericht zur OS8 Zulassung von Silikatmörteln, Flörsheim, 2021 [8] Jörg Rathenow, „Sinnotec - Wasserhaushaltsgesetz (WHG) als Qualitätsmaßstab ansehen“, Pressetext, 05.11.2013, http: / / www.pressetext.com/ news/ 20131105022 [9] Jörg Rathenow, „Sinnotec - Ölbelastete Betonböden nachhaltig sanieren“, Pressetext, 20.05.2014, http: / / www.pressetext.com/ news/ 20140520009 5. Brückenkolloquium - September 2022 439 Strategisches Bauwerkserhaltungsmanagement im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg Dipl.-Ing. Kay Degenhardt Felix Kaplan M. Sc. Martin Günther M. Sc. Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg, Hoppegarten, Deutschland Zusammenfassung In den letzten zehn Jahren wurde von den Zuständigen im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg ein umfassendes und inzwischen nachweisbar wirksames Erhaltungsmanagementsystem für die Straßenbrücken etabliert. Das Kernelement dieses Systems sind die sogenannten „Bedarfslisten Brücke“. Für die Aufstellung und zur Verifizierung dieser Listen und den darin ausgewiesenen Erhaltungsmaßnahmen nutzt der Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg inzwischen sehr komplexe Algorithmen und Softwarelösungen, bei deren Entwicklung er teilweise und gemeinschaftlich mit anderen Straßenbauverwaltungen mitgewirkt hat. Aufbauend auf den Erfahrungen der letzten Jahre beabsichtigt der Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg das inzwischen sehr gut etablierte Erhaltungsmanagement für die Straßenbrücken auch auf andere Objekte der Straßeninfrastruktur in Auftragsverwaltung und Zuständigkeit des Landes Brandenburg zu übertragen. Seine langfristige Zielsetzung besteht somit in einem ganzheitlichen Ansatz für alle Assets der Straßeninfrastruktur. 1. Erfordernis Brücken stellen neben der Fahrbahn einen der wesentlichsten Teile der Straßeninfrastruktur dar. Sie sollen über eine sehr lange Nutzungsdauer ihren Nutzungszweck ohne Einschränkung erfüllen. Die normative Nutzungsdauer von Brücken beträgt bauartbedingt zwischen 70 und 130 Jahren und ist damit im Vergleich zur Fahrbahn und anderen Infrastrukturobjekten bedeutend länger. Es handelt sich demzufolge um sehr nachhaltige Objekte. Damit die lange Nutzungsdauer auch sicher erreicht werden kann, bedarf es eines langfristig orientierten Erhaltungsmanagements. Nur so lassen sich der gute Zustand und die Verfügbarkeit aller Brücken im Straßennetz dauerhaft und wirtschaftlich bewahren. 2. Objektumfang und Vorgehen im letzten Jahrzehnt Der Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg (LS) arbeitet dementsprechend seit über einem Jahrzehnt an und auf Grundlage eines brückenspezifischen Erhaltungskonzeptes (-managements). Aktuell umfasst der Brückenbestand ca. 1.560 Brücken (Teilbauwerke nach ASB-ING). Von dieser Objektmenge befinden sich ca. 806 Brücken in der Baulast des Bundes (Zuordnung Bundesstraßen) und ca. 754 Brücken in der Baulast des Landes (Zuordnung Landesstraßen). Das Bundesstraßennetz im Land Brandenburg (ausgenommen die Netzanteile der kreisfreien Städte Potsdam und Cottbus) wird untergliedert in das Leistungsnetz (Blau) und das Grundnetz (BGRUND). Für das Landesstraßennetz ergibt sich eine Einteilung in das Grundnetz (LGRUND), das erweiterte Grundnetz (GRÜN) und das Abstufungsnetz (Gelb). Die Netzbedeutung sowie die Zuordnung der einzelnen Netzabschnitte richten sich nach der Netzkonzeption des Landes. Um eine Vergleichbarkeit mit den Belangen der Streckenerhaltung zu ermöglichen, folgt das Erhaltungsmanagement der Straßenbrücken ausschließlich dieser Netzeinteilung. Das Erhaltungsmanagement der Straßenbrücken wird stetig fortgeschrieben und weiterentwickelt. Dabei wird insbesondere auf die positiven aber auch negativen Erfahrungen aus den zurückliegenden Erhaltungsperioden zurückgeblickt. In seiner Grundausprägung besteht das verschriftlichte Erhaltungsmanagement für Straßenbrücken im LS seit 2010. Letztmalig im Jahre 2020 wurde es für die dritte Erhaltungsperiode im Zeitraum 2021 - 2025 mit Betrachtungshorizont bis 2035 novelliert und fortgeschrieben. Insbesondere mit der letzten Novellierung wurden Methoden aufgegriffen, die dem LS erst seit wenigen Jahren zur Verfügung stehen und bei deren Entwicklung Mitarbeitende des LS selbst mitgewirkt haben. Konkret ist der Einsatz des Programms EPING [1] (ErhaltungsbedarfsPrognose für INGenieurbauwerke) zu nennen. Der im Programm implementierte Algorithmus wird durch die im Jahr 2021 vom BMDV eingeführte Richtlinie für die strategische Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken [2] (RPE-ING) flankiert. An der Auf- Strategisches Bauwerkserhaltungsmanagement im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg 440 5. Brückenkolloquium - September 2022 stellung dieser Richtlinie waren ebenfalls Mitarbeitende des LS im Rahmen ihrer Mitgliedschaft im zuständigen Koordinierungsausschuss Erhaltung der Bund-/ Länder Dienstbesprechung Ingenieurbau beteiligt. 3. Die „Bedarfslisten Brücke“ als Kerninstrument des Bauwerkserhaltungsmanagements im LS Den Kern des Bauwerkserhaltungsmanagements im LS bilden die sogenannten „Bedarfslisten Brücke“. In diesen Bedarfslisten sind alle wesentlichen Daten der Brückenbauwerke, teilbauwerksbezogen, aufgeführt und anhand verschiedener Kriterien sortiert. Jedem Teilbauwerk ist mindestens eine Erstmaßnahme in Art (Maßnahmenart entsprechend RPE-ING), Zeit (Jahr und Halbdekade) und Kostenrahmen zugeordnet. Im Einzelfall kann nach Erfordernis auch eine Zweitmaßnahme spezifiziert sein. Die Bedarfslisten werden für einen Betrachtungszeitraum von 3 x 5 Jahren (Halbdekaden) erarbeitet. Der Fokus der Betrachtung liegt zunächst auf der ersten Halbdekade (aktuell 2021 - 2025) und untersteht einem besonderen Controlling. Bild 2 Grundaufbau der Klasseneinteilung Bild 1 Auszug Bedarfsliste Brücken L-Straßen Grundnetz Strategisches Bauwerkserhaltungsmanagement im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg 5. Brückenkolloquium - September 2022 441 Die beiden weiteren Halbdekaden (aktuell 2026-2030 und 2031-2035) geben einen Ausblick auf den wahrscheinlich zu erwartenden Erhaltungsbedarf. Im Hintergrund wird darüber hinaus jedoch die gesamte Nutzungsdauer eines Bauwerks erfasst und mit einer voraussichtlichen Maßnahme auch nach dem Ablauf der dritten Halbdekade verbunden. Der Zeithorizont dieser Maßnahmen wird mit 2036+ betitelt. 4. Prozessbeschreibung Die Bedarfslisten werden alle fünf Jahre vollumfänglich neu aufgestellt und dann jährlich „abgerechnet“. Wie bereits erwähnt, liegt der Fokus des Controllings (Abrechnung) auf der jeweils ersten Halbdekade. Nach fünf Jahren erfolgt ein Abschlusscontrolling und die Neuaufstellung. Neue Bauwerke werden jährlich ergänzt und an die einzelnen Listen (Tabellen) angehängt. Der Aufstellungsprozess erfolgt in mehreren Phasen. Zunächst erfolgt eine Datenaufbereitung der Bauwerksdaten aus dem Programmsystem SIB-Bauwerke [3]. Anhand dieser Daten, hierbei insbesondere auf Grundlage der Zustandsnote und des Traglastindex, erfolgt eine Einteilung aller Teilbauwerke in aktuell acht Klassen (Bild 2). Die Klassifizierung stellt das Hauptsortiermerkmal der Bedarfslisten dar und dient zur einfachen Identifizierung des grundsätzlichen Bedarfs. In einem weiteren Schritt werden mittels des Programms EPING netzbezogen mehrere Nullszenarien gerechnet. Das bedeutet, dass keine Maßnahmen vorgegeben werden und ausschließlich die Ergebnisse aus der EPING- Berechnung anhand verschiedener Parametereinstellungen bewertet werden können. Je nach Netzbezug wird iterativ ein Szenario mit geringfügigstem Mitteleinsatz, ein Szenario mit wenigen Maßnahmen und ein Szenario mit hohem Nutzwert ermittelt. Aus dieser Palette von Szenarien wird abschließend, wiederum netzbezogen, eine „Null-Empfehlung“ bestimmt, die Grundlage des weiteren ingenieurmäßigen Abstimmungsprozesses ist. Der ingenieurmäßige Abstimmungsprozess wird über eine Vielzahl von Diskussionsrunden der Zuständigen für die Bauwerkserhaltung im LS geführt. Die „Null-Empfehlung“ aus EPING wird mit den konkreten Zustandsbeschreibungen (Prüfberichten) abgeglichen und aus Kombination der „Null-Empfehlung“ und der weiteren Informationen zum konkreten Objekt und seinen Schäden wird eine finale Erhaltungsmaßnahme (Erst- und ggf. Zweitmaßnahme) in Art und Zeit bestimmt. Flankiert wird der fachliche Diskussionsprozess mittels objektbezogenen Alterungsfunktionen und der damit verbundenen Überprüfung der Maßnahmen im zeitlichen Ansatz beim Überschreiten bestimmter Grenzwerte. Nach Abschluss der Maßnahmenbestimmung in Art und Zeit wird der Kostenrahmen gesetzt. Dieser richtet sich danach, ob schon konkrete Projektbzw. Planungsinformationen vorhanden sind. Ist das der Fall, werden diese Kosten herangezogen. Andernfalls wird der Kostenrahmen über die Empfehlungen des Leitfadens zur Prüfung von Instandsetzungs- und Ertüchtigungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken (Abgrenzung Ersatzneubau) [4] (LPI-ING); Anlage 3 bzw. der adäquaten Ansätze in EPING bestimmt. Die finale Maßnahmenbestimmung in Art, Zeit und Kostenrahmen wird wiederum über eine netzbezogene EPING-Berechnung gespiegelt und somit in ihrer Wirksamkeit für die Grundgesamtheit aller Brückenobjekte nochmals verifiziert. Das Ergebnis darf dabei nicht wesentlich von der gewählten Null-Empfehlung abweichen, andernfalls muss iterativ nachgesteuert werden. Nach Festsetzung der Bedarfslisten (innerbetrieblicher Verwaltungsprozess) bilden die Bedarfslisten die Grundlage der Programmplanung und -steuerung. Das bedeutet, dass zum einen die erforderlichen Brückenerhaltungsmaßnahmen mit den Belangen der übrigen Planungen abgestimmt und eingetaktet werden und zum anderen neue Projektanträge sich ausschließlich nach den Vorgaben der Bedarfslisten richten müssen bzw. ansonsten einer Bild 3 Objektbezogene Zustandsentwicklung gemäß Alterungsfunktion nach RPE-ING Strategisches Bauwerkserhaltungsmanagement im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg 442 5. Brückenkolloquium - September 2022 entsprechenden fachlichen Begründung oder Dringlichkeit aus sonstigen Gründen bedürfen. Der Stand der Abarbeitung der Bedarfslisten bzw. der darüber spezifizierten Maßnahmen wird für die laufende Halbdekade jährlich in einem adäquaten Prozess wie bei der Aufstellung kontrolliert. Sofern neue, objektbezogene Erkenntnisse vorliegen, werden diese berücksichtigt, nach Erfordernis nachgesteuert und über die Abrechnung fixiert (verschriftlicht). Somit ist ein vollumfänglich nachvollziehbarer und transparenter Prozess des Verwaltungshandelns gewährleistet. Darüber hinaus lassen sich mittels der Bedarfslisten bzw. der Nutzung von EPING weitere, für den Betriebsprozess wichtige Erkenntnisse ableiten, z. B.: - begründet zu erwartender Finanzbedarf der nächsten drei Halbdekaden - Personalbedarf für Bauwerksplanung und Brückenprüfung - Zustandsentwicklung und langfristiger Finanz- und Personalbedarf - Erhaltungsstau - Risiken im Nutzungsvermögen des Netzes - Entwicklung des Anlagenvermögens - Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns Bild 4 Übersicht der Begriffssystematik der Bauwerkserhaltung gemäß RPE-ING [2] Abschließend ist noch zu betonen, dass die Bedarfslisten ausschließlich die notwendigen Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen im Sinne der RPE-ING erfassen. Die notwendigen Unterhaltungsmaßnahmen werden zwar im Hintergrund des Prozesses soweit wie möglich berücksichtigt und in Teilen auch verschriftlicht, jedoch nicht explizit über die Bedarfslisten ausgewiesen. Grund hierfür ist, dass die baulichen und betrieblichen Unterhaltungsleistungen unabhängig der Gesamtprogrammplanung und Projektsteuerung des LS weitestgehend über Abrufverträge durch die objektverantwortlichen vor Ort und die Straßenmeistereien generiert werden. Gleichzeitig bedürfen insbesondere verkehrssichernde (Unterhaltungs-) Maßnahmen einer sofortigen Umsetzung nach Bekanntwerden deren Notwendigkeit (Empfehlung/ Anforderung aus der Bauwerksprüfung). 5. Sonderprogramme Weiterhin finden in der Diskussion der Bedarfslisten bestimmte „Sonderprogramme“ Berücksichtigung. Derzeit umfassen die Sonderprogramme folgende Inhalte: - Technisch erhaltungswürdige Bauwerke oder technische Denkmale - Stahlbetonplatten mit Baujahr bis 1985 - BTC-Konstruktionen - Bauwerkswinkel < 90 gon - Signifikante Korrosionsschäden - AKR Verdacht bei den Bauteilgruppen Überbau und Unterbau - Verifizierung des Ziellastniveaus - Spannungsrisskorrosion - Defizite an Fahrzeugrückhaltesystemen Das Ziel der Erfassung dieser Sonderprogramme ist es, Bauwerke mit ähnlichen Problemen zusammenzufassen. Durch eine systematische, regional übergreifende Bearbeitung dieser Probleme sollen Synergien genutzt und ggf. Musterlösungen erarbeitet werden. Dieses einheitliche Vorgehen erhöht die Validität der Maßnahmenfestlegungen und verspricht eine Effizienzsteigerung bei der Bearbeitung der Erhaltungsmaßnahmen. Diese Effekte lassen sich exemplarisch für das Sonderprogramm AKR- Verdacht bei den Bauteilgruppen Überbau und Unterbau veranschaulichen: Die Alkali-Kieselsäure-Reaktion (AKR) beschreibt eine Reaktion zwischen den alkaliempfindlichen Bestandteilen der Gesteinskörnung und der Porenlösung des Betons. Alkaliempfindliche Gesteinskörnungen sind aufgrund ihrer Zusammensetzung im alkalischen Milieu des Betons instabil. Es bildet sich ein Alkali-Kieselsäure-Gel, welches das Bestreben hat, Wasser aufzunehmen. Bei Beton, der während seiner Nutzung häufig oder längere Zeit feucht ist, besteht in diesem Fall die Gefahr, dass infolge der expansiven Reaktion (Quelldruck) das Gefüge des Betons geschädigt wird. Eine AKR ist augenscheinlich durch ein netzartiges Rissbild, Ausblühungen und Betonabplatzungen zu erkennen. Sie kann das Erscheinungsbild eines Bauwerkes beeinflussen. Wesentlicher sind jedoch die Minderung der Gebrauchstauglichkeit und der Tragfähigkeit. Die Dauerhaftigkeit wird insbesondere bei größeren Rissbreiten schnell gefährdet. Im Rahmen des Sonderprogramms werden die unter Verdacht stehenden Bauteile untersucht, um das Potential einer schädigenden AKR-Reaktion zu identifizieren. Anschließend werden objektbezogene Instandsetzungskonzepte entwickelt um das AKR-Treiben in den betroffenen Betonbauteilen zu mindern oder zum Stillstand zu bringen. Durch die frühzeitige Umsetzung solcher Maßnahmen im Vorfeld einer weiteren Schädigung kann der planmäßige Betrieb eines Bauwerks gegebenenfalls bis zum Ende seiner Nutzungsdauer aufrechterhalten werden. An Bauwerken/ Bauteilen, wo das AKR-Treiben Strategisches Bauwerkserhaltungsmanagement im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg 5. Brückenkolloquium - September 2022 443 bereits heute einen starken Fortschritt verzeichnet, muss gegebenenfalls ein vorzeitiger Ersatz erfolgen. 6. Ausblicke Die zuvor dargestellten Schritte im Erhaltungsmanagement basieren auf Prognosemodellen für die Entwicklung des Bauwerkszustands. Um die Transparenz und die Validität der Prognosen zu erhöhen, wird sukzessive an einer Verbesserung der Datengrundlage gearbeitet. Durch die systematische Nachrechnung der Bauwerke wird die tatsächliche Tragfähigkeit erfasst und vorhandene Tragfähigkeitsreserven genutzt. Der Einsatz von Informationen aus Monitoringanlagen ermöglicht zum einen die Erfassung der Verkehrsbelastung auch auf niedrigfrequentierten Strecken und zum anderen über die Bauwerksprüfung hinausgehende Aussagen über die Schadensentwicklung an Bauwerken. Die so gewonnenen Daten werden dann in den Prozess des Erhaltungsmanagements gespiegelt und führen soweit erforderlich zur einer Anpassung der Einzelmaßnahmen. Weiterhin wirkt der LS an einer Weiterentwicklung des genutzten Prognosetools EPING mit, um dessen Einsatz noch betriebsaber auch anwenderfreundlicher innerhalb der IT-Architektur des LS etablieren zu können. Das Erhaltungsmanagement des LS für die Brückenbauwerke soll zukünftig auf die übrigen Bauwerksarten des Ingenieurbaus (VZB, LSW, etc.) übertragen werden. Gleichfalls steht zukünftig die Verschneidung mit dem Erhaltungsbedarf der Strecke im Vordergrund der Betrachtung und Weiterentwicklung. Bild 5 Darstellung des Erhaltungsbedarfs der Straßenbrücken in MapInfo Strategisches Bauwerkserhaltungsmanagement im Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg 444 5. Brückenkolloquium - September 2022 Mit den Bedarfslisten zum Stand 2020/ 12 wurde hierbei ein erster visueller Ansatz getätigt (Bild 5). Diese Kartendarstellung soll zukünftig mit der der Streckenerhaltung verschnitten werden, so dass sich ein nahezu vollständiges Bild des notwendigen Erhaltungsbedarfs von Brücke und Strecke für die Programmplanung und -steuerung des LS sowie die regional Verantwortlichen im LS ableiten lässt. Das Ziel des LS ist es, innerhalb der nächsten Jahre ein System zur nachhaltigen und ganzheitlichen Betrachtung aller Anlagenteile der Straße zu etablieren (ganzheitliches Asset-Management). Hierbei sind die bereits genutzten Systeme, Tools und Prozesse auch in adäquater Form außerhalb des Ingenieurbaus und für nahezu alle übrigen Objekte der Straßeninfrastruktur zu etablieren. Letztendlich wird auch der Einsatz von BIM und die Aufstellung eines digitalen Zwillings einen weiteren Erkenntnis- und Effizienzgewinn für das Erhaltungsmanagement, insbesondere im Ingenieurbau, in den nächsten Jahren nach sich ziehen. 7. Fazit Der Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg hat mittels seiner Bedarfslisten in den letzten zehn Jahren über mehrere Etappen hinweg ein höchst effizientes Erhaltungsmanagement für die Straßenbrücken in seiner Zuständigkeit aufgebaut. Die Listen und der dahinterstehende Prozess ermöglichen ein wirtschaftliches und transparentes Verwaltungshandeln, dessen Effektivität und Wirksamkeit inzwischen eindeutig nachweisbar ist. Die positiven Erkenntnisse aus dem Brückenerhaltungsmanagement sollen sukzessive auf die anderen Objekte der Straßeninfrastruktur übertragen werden. Mittelfristiges Ziel des Landesbetriebes Straßenwesen Brandenburg ist ein ganzheitliches Asset-Management über alle Objekte der Straßeninfrastruktur in seiner Zuständigkeit. Der zukünftige Einsatz von BIM bzw. der BIM-Methode auch im Betrieb wird eine weitere Verbesserung dieses bereits gut etablierten Prozesses ermöglichen. Literatur und Quellenverweis [1] Ingenieurbüro Probst GmbH: EPING - Erhaltungsbedarfsprognose; https: / / www.ib-probst.de/ leistungen/ erhaltungsbedarfsprognose/ ; URL-Zugriff 2022-05-31; 11: 45 [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI): Richtlinien für die strategische Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken (RPE-ING); Stand 2020/ 12 [3] WPM-Ingenieure GmbH: Programmsystem SIB- Bauwerke; https: / / sib-bauwerke.de/ ; URL-Zugriff 2022-05-31; 11: 49 [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI): Leitfaden zur Prüfung von Instandsetzungs- und Ertüchtigungsmaßnahmen an Ingenieurbauwerken (Abgrenzung Ersatzneubau); Stand 2020/ 10 Holzbrücken 5. Brückenkolloquium - September 2022 447 Anschlussdetails für Abdichtungssysteme und Asphaltbeläge auf Fahrbahnplatten aus Holz Prof. Dipl.-Ing. Andreas Müller Berner Fachhochschule, Architektur, Holz und Bau, Institut für Holzbau, Tragwerke u. Architektur, Biel, Schweiz Holzbauexperten GmbH, Biel, Schweiz Marcus Schiere Berner Fachhochschule, Architektur, Holz und Bau, Institut für Holzbau, Tragwerke und Architektur, Biel, Schweiz Hupkes Wijma B.V., Kampen, Niederlande Sébastien Bonifacio Berner Fachhochschule, Architektur, Holz und Bau, Institut für Holzbau, Tragwerke und Architektur, Biel, Schweiz Timbatec Holzbauingenieure Schweiz AG, Delémont, Schweiz Zusammenfassung Die Verarbeitung der Abdichtungsebene in der Fläche ist meist unproblematisch und kann in hoher Qualität dauerhaft hergestellt werden. Die seitlichen Anschlüsse z.B. an den Schrammborden, an den Fahrbahnübergängen und an den Entwässerungssystemen (Abläufen) sind jedoch oft problematisch. Leckagen sind an diesen Anschlüssen meist nur schwer erkennbar und können bei Fahrbahnplatten aus Holz sehr schnell zu unkontrolliertem Feuchteeintritt führen. Hierfür stehen bislang keine gesicherten Standardlösungen zur Verfügung. Mit den im Forschungsprojekt ‘Abdichtungssysteme und bitumenhaltige Schichten auf Brücken mit Fahrbahnplatten aus Holz’ [1] erarbeiteten Basisdetails, stehen sehr gute Grundlagen für die darauf aufbauende individuelle Planung für Brücken mit Fahrbahnplatten aus Holz zur Verfügung. Diese erhöhen signifikant die Wirtschaftlichkeit sowohl im Planungsprozess, wie auch bei der Ausführung und stellen ein hohes Qualitätsniveau sicher. 1. Einführung Die Erfahrungen aus den Inspektionen und von der Instandhaltung von bestehenden Holzbrücken zeigen, dass die seitlichen Anschlüsse der Abdichtung z.B. an den Schrammborden, an den Fahrbahnübergängen und an den Entwässerungssystemen (Abläufen) oft mängelbzw. schadensanfällig sind. Leckagen an diesen Anschlüssen können oft nicht rechtzeitig erkannt werden und führen sehr schnell in Folge bei Fahrbahnplatten aus Holz zu unkontrolliertem Feuchteeintritt. Obwohl sich bei einer Vielzahl von gebauten Holzbrückenprojekten wichtige Detaillösungen bereits bewährt haben, werden von den Planern immer wieder neue individuelle Lösungen erarbeitet. Abgesicherte Standardlösungen würden als Basisdetails die Planung von Holzbrücken erheblich vereinfachen und die Qualität der Holzbrücken langfristig erhöhen. Dieses Ziel wurde im Forschungsprojekt ‘Abdichtungssysteme und bitumenhaltige Schichten auf Brücken mit Fahrbahnplatten aus Holz’ [1] konsequent verfolgt. In mehreren Workshops und Arbeitssitzungen wurde von allen beteiligten holzbrückenbauerfahrenen Experten und Mitglieder der Begleitkommission in einer Auslegeordnung, alle in den vergangenen Jahren erarbeiteten und baulich umgesetzten Detaillösungen gesammelt. Durch intensive Fachdiskussionen wurden die spezifischen Anforderungen an die Fahrbahnübergänge, Schrammbordanschlüsse und Entwässerungspunkten von Holzbrücken formuliert. Mit dieser Grundlage konnten die vorgelegten Detaillösungen zu abgestimmten Regelanschlüsse als Basis-Detaillösungen weiterentwickelt werden. 2. Publizierte Detaillösungen im Holzbrückenbau Detaillösungen für Holzbrücken sind in verschiedenen Quellen bereits veröffentlicht worden. Sie dienen meist dem Versuch abgesicherte Standardlösungen für Holzbrücken zu definieren und damit auch den Stand der Technik abzubilden. Traditionell gibt es länderspezifische Unterschiede. Die skandinavischen Länder und die Schweiz bilden aus ihren grossen Erfahrungen heraus Prinzipien ab und überlassen die Detailausbildung der Kompetenz der Ingenieure. In Zentraleuropa, i.B. in Deutschland, werden in einer hohen Detaillierungstiefe 448 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anschlussdetails für Abdichtungssysteme und Asphaltbeläge auf Fahrbahnplatten aus Holz Lösungen angeboten, die nur wenig Abweichungen in der Planung zulassen [2] [3]. Bei dem Gesamtaufbau der Fahrbahnplatten gibt es in den europäischen Ländern ebenfalls wesentliche Unterschiede. In der Schweiz und in den skandinavischen Ländern werden die Abdichtungssysteme und Fahrbahnbeläge direkt auf der tragenden Konstruktion (Fahrbahnplatte) appliziert. Insbesondere in Deutschland werden der Fahrbahnaufbau und die tragende Konstruktion mittels auf Abstand verlegten, quer zur Hauptspannrichtung verlaufenden Kanthölzern, getrennt und konsequent eine Kontroll- und Belüftungsebene zwischen Fahrbahnaufbau und Fahrbahnplatte ausgebildet [2] [3]. Grundsätzlich kann eine Vielzahl an vorliegenden Detaillösungen als Grundlage für Basisdetails bei Holzbrücken in diesem Projekt verwendet werden. Die in grosser Anzahl aus Deutschland vorliegenden Detaillösungen können jedoch nicht direkt übernommen werden, da dort wie beschrieben die Fahrbahn und Tragkonstruktion durch eine Kontrollu. Belüftungsebene, voneinander getrennt sind. Die publizierte Detaillösungen aus der Literatur gelten sowohl für Fuss- und Radwegbrücken, als auch für Strassenbrücken einschl. der Schwerlastbrücken. In einem schwedischen Forschungsprojekt Pousette et al. (1997) [4], werden Detaillösungen aufgeführt, in welchen die PBD-Bahnen an den Rändern bzw. entlang der Schrammborde hochgeführt, oder in der zweiten Variante in gleicher Ebene auf der Fahrbahnplatte bis zum Rand der Brücke weitergeführt werden. Dabei wird das Wasser auf der Fahrbahn seitlich über den Rand abgeführt. In Skandinavien werden in der Regel quervorgespannte Fahrbahnplatten ausgeführt. In Milbrandt und Schellenberg (1998) [5] werden mehrere Detaillösungen zum Fahrbahnübergang und zu den Randanschlüssen gezeigt. Randanschlüsse ohne Schrammbord werden mit Stahlprofilen ausgebildet. Die direkt bewitterten Schrammborde werden in Hartholz ausgeführt. In allen Detaillösungen wird die Abdichtung immer konsequent auf der Fahrbahnplatte bis zum Plattenrand durchgeführt. Im Bereich von Aufkantungen, Randwinkeln oder Schrammborden wird eine zusätzliche Lage aufgeschweisst und «hochgeführt». An den Widerlagern ist insbesondere bei dem dargestellten offenen Fahrbahnübergang, ein ausreichend breiten Luftraum zwischen Widerlager und Holzkonstruktion und die Ausbildung eines Quergefälles auf der Auflagerbank dargestellt. In den Musterzeichnungen von Harrer Ingenieure aus Karlsruhe, Deutschland (Gerold, 2010) [2], wird wie beschrieben, die Fahrbahnplatte von der tragenden Konstruktion durch eine Kontrollu. Hinterlüftungsebene getrennt. Es werden Details von geschlossenen und offenen Fahrbahnübergängen in hoher Detailierungstiefe vorgeschlagen. In den Stahl-Randprofilen werden Entwässerungslöcher empfohlen, damit im Falle eines undichten Fugenverguss, das Wasser abfliessen kann, bevor es zu Unterläufigkeit der Abdichtungsebene kommt. Randanschlüsse werden mit und ohne Schrammbord vorgeschlagen, wo nötig auch mit Entwässerungen innerhalb des Fahrbahnbereichs. Im Holzbau Handbuch «Musterzeichnungen für Holzbrücken» (Reihe 1, Teil 9, Folge 3) [3] wurden insbesondere die in dem Projekt ‘ProTimb’ [7] erarbeiteten Musterzeichnungen übernommen. Das Handbuch bietet eine Übersicht von Detaillösungen für Holzbrücken mit Fahrbahnbelägen aus Holz und Asphalt. Neu sind auch geschlossene Fahrbahnübergänge aufgeführt, bei welchen mit einem Schleppblech die Fuge zum Widerlager überbrückt wird. Alle aufgeführten Details stützen sich auch hier auf das Prinzip, dass die Fahrbahn und die Tragkonstruktion durch eine Kontroll- und Hinterlüftungsebene voneinander getrennt werden. 3. Anwendung und Ziele der Aufstellung von Basisdetails Die erarbeiteten Detaillösungen sind Basisdetails. Masse sind teilweise bewusst nicht angegeben, damit sie gemäss den Anforderungen, infolge der Verkehrslasten, Randbedingungen im Projekt oder Geometrie der Brücke angepasst werden können. In allen aufgeführten Detaillösungen werden auf Fahrbahnplatten aus Holz in der Fläche Polymerbitumen- Dichtungsbahnen als Abdichtung und für die Schutz- und Deckschicht Gussasphalt verwendet. Dies gilt unabhängig davon, ob der Fahrbahnaufbau ohne Verbund (VSS- 40451) [6] oder mit Verbund ausgeführt wird. Bei den Detaillösungen muss der Anspruch erhoben werden, dass sie wirtschaftlich, selbst unter Zeitdruck gut ausführbar und unterhaltsarm sind. Die regelmässige (periodische) Wartung und Unterhalt des Eigentümers kann vorausgesetzt werden. Das Entwässerungskonzept ist gemäss der ASTRA Richtlinie 12004 [8] zu erstellen. 4. Basis-Detaillösungen für Fahrbahnübergänge (FÜ) Fahrbahnübergänge (FÜ) sind erfahrungsgemäss wartungs- und unterhaltsintensive Bauteile einer Brücke. Sie müssen sorgfältig geplant und ausgeführt werden, damit Leckagen und Wassereintritt in die Konstruktion vermieden werden. Fahrbahnübergänge haben gemäss ASTRA Richtlinie 12004 [8] folgende grundsätzliche Anforderungen zu erfüllen: - Tragsicherheit - Ermüdungssicherheit - Funktionstüchtigkeit (Verformungskapazität, Elastizität) - Dauerhaftigkeit unter Betriebsu. Umwelteinwirkungen - Verkehrssicherheit - Geringe Lärmemission - Günstiger Voraussetzungen für die Erhaltung und den Ersatz 5. Brückenkolloquium - September 2022 449 Anschlussdetails für Abdichtungssysteme und Asphaltbeläge auf Fahrbahnplatten aus Holz Da die Fahrbahnübergänge vom Verkehr überwiegend stossartig belastet werden und gleichzeitig dauerhaft wasserdicht sein müssen, sollten am Fahrbahnübergang Brücke und Widerlager möglichst dieselbe Steifigkeit im Gesamtaufbau aufweisen. Damit können an der Schnittstelle des Fahrbahnübergangs, grosse Differenzen bei den vertikalen Verformungen vermieden werden. Geringe relative Verschiebungen verringern den Verschleiss des Belags in der Zone des Fahrbahnübergangs und erhöhen die Lebensdauer des Details. Wenig steife Fahrbahnplatten können im Bereich der Fahrbahnübergänge mit Randverstärkungen (z.B. mit Stahlprofilen) verstärkt werden. Diese sind so steif (verformungsarm) mit der Holzplatte zu verbinden, dass die Abdichtung über dem Stoss (Schnittstelle zur Fahrbahnplatte aus Holz) nicht durch „Materialermüdung“ geschädigt wird und dies in Folge zu einem Wassereintrag in die Holzplatte führt. Zu weiche Fahrbahnübergänge führen neben grossen vertikalen Verformungen auch zu Verdrehungen sowohl in den Stahl-Randprofilen wie auch in der Fahrbahnplatte und den Dichtungsfugen. Verstärkte dynamische Einwirkungen auf den Fahrbahnbelag im Bereich der Fahrbahnübergänge sind die Folge. Die Asphaltarten und -schichten sind auf Widerlagerseite (mindestens 1 Meter) mit dem Belagsaufbau der Brücke abzustimmen. (z.B. an beide Seiten 80 mm dicker Gussasphalt). Erst nach dieser Distanz, sollte ein Wechsel z.B. zum Aufbau der anschliessenden Strasse stattfinden. Das Widerlager und die Brücke müssen im Bereich der Fahrbahnübergänge ein identisches Gefälle haben, damit der Fahrzeugverkehr keine zusätzliche (stossartige) vertikale Belastung der Fahrbahn(platte) verursacht. Die Anschlüsse der Abdichtung an den Randprofilen bzw. Stahlbauteilen, sollen mit Flüssigkunststoff (PMMA) ausgeführt werden. Die Polymerbitumen-Dichtungsbahn der Abdichtung ist auf die Fläche der Holzbauteile zu begrenzen. Im Bereich der Randprofile, insbesondere an den Fahrbahnübergängen, sollte anstelle der vielfach vorgeschlagenen Bohrungen in den Profilen, mit Drainbzw. Omega-Profilen (z.B. ETADRAIN) die (Not-) Entwässerung im Fall einer Leckage sichergestellt werden. Das eintretende Wasser kann damit planmässig, bis zu einem Entwässerungspunkt geführt werden. Im Bereich der Widerlager/ Fahrbahnübergänge, muss durch einen ausreichend dimensionierte Luftraum bzw. Abstand der Bauteile, das Austrocknungsvermögen der angrenzenden Holzbauteile sichergestellt werden. Zusätzlich sind die Stirnseiten der Holzbauteile durch eine geeignete Abdeckung konstruktiv zu schützen. 4.1 Geschlossene Fahrbahnübergänge Geschlossene Fahrbahnübergänge sind bei Strassenbrücken, i.d.R. mit «Joint Fugen», auszuführen. Joint Fugen eignen sich sehr gut als «leise» Fahrbahnübergänge bei Brücken mit hoher Verkehrsbelastung oder in sensiblem Umfeld (Wohngebieten). Bei Verwendung von Joint Fugen ist zu beachten, dass sich infolge horizontaler Bremskräfte, Rückstellkräfte bilden können. Obwohl Joint-Fugen für unterschiedliche Relativverschiebungen zwischen Brücke und Widerlager ausgebildet werden können (z.B. 5 mm vertikal und 12,5 mm horizontal), ist wie beschrieben ein steifer Fahrbahnübergang zu empfehlen. Abbildung 1: Geschlossener Fahrbahnübergang unter Verwendung von Joint-Fugen. Alternativ können geschlossene Fahrbahnübergänge mit einem Dichtungsprofil (z.B. einzelligen Fahrbahnübergänge für Dehnwege bis 80 mm, Typ «mageba Tensa- Grip» oder gleichwertiges) ausgeführt werden. Fahrbahnübergänge mit Dichtungsprofilen eignen sich für Geh- und Radwegbrücken oder für Brücken mit einer geringen Verkehrsbelastung und Langsamverkehr. Sie können bei Geschwindigkeiten über 30 km/ h zu Lärmemissionen führen. Fahrbahnübergänge, die mit einem Dichtungsprofil ausgeführt werden, benötigen zwingend ein Stahlquerträger/ Randprofil zum brückenseitigen Anschweissen der Dichtungsprofile. Mit dieser Randverstärkung wird gleichzeitig die Steifigkeit am Fahrbahnübergang erhöht. Abbildung 2: Geschlossener Fahrbahnübergang unter Verwendung von Dichtungsprofilen 450 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anschlussdetails für Abdichtungssysteme und Asphaltbeläge auf Fahrbahnplatten aus Holz Von Fahrbahnübergängen unter Verwendung von Schleppblechen wird abgeraten, da diese bei Schnellverkehr (>30 km/ h) zu Lärmbelästigung führen können 4.2 Offene Fahrbahnübergänge Offene Fahrbahnübergänge sind aus Gründen des konstruktiven Holzschutzes nur in Ausnahmefällen einzusetzen und eignen sich nur für Geh- und Radwegbrücken oder für Brücken mit einer geringen Verkehrsbelastung und Langsamverkehr. Offene Fahrbahnübergänge können bei Geschwindigkeiten von >30 km/ h zu Lärmbelastung führen. Offene Fahrbahnübergänge müssen am Widerlager konstruktiv so ausgebildet werden, damit durch ausreichendes Gefälle der Auflagerbank, die Entwässerung sichergestellt wird. Bleche mit ausreichenden Tropfkanten, können Wasser von der Stirnholzseite des Holzes (Träger oder Platte) fernhalten. Ein genügend grosser Luftraum im Bereich des Widerlagers verbessert das Austrocknungsvermögen und erleichtert den Unterhalt. Der Zustand des Fahrbahnübergangs kann so besser überwacht und erfasst werden. Offene Fahrbahnübergänge dürfen i.d.R. nicht mehr als 20 mm breit sein. Die Stahlprofile am Fahrbahnübergang müssen ca. 5 mm niedriger als das Niveau der Gussasphaltschicht ausgeführt werden, damit mechanische Beschädigungen des geschweissten Stahlprofils durch Schneeräumgeräte verhindert wird. Abbildung 3: Offener Fahrbahnübergang 5. Basis-Detaillösungen für Randanschlüsse Als Notentwässerung im Bereich des Randvergusses, sollten wie bereits beschrieben, anstelle von Entwässerungsbohrungen in den Randprofilen, Entwässerungsspiralen (Ø 15 mm) verwendet werden. Mit den sogenannten Omega-Profilen (z.B. ETADRAIN) kann im Fall einer Leckage im Randverguss, das eintretende Wasser planmässig bis zu einem Entwässerungspunkt/ -rinne geführt werden. Die Polymerbitumen-Dichtungsbahn sollte keinesfalls am Randprofil hochgezogen und angeschweisst werden. Ein dauerhaft wasserdichter Anschluss an den Randprofilen ist mit einem Flüssigkunststoff-Abdichtungssystem sicherzustellen. Dabei kann sowohl die Flüssigkunststoff-Abdichtung (PMMA) die Polymerbitumen-Abdichtungsbahn überlappen, wie auch umgekehrt. Das Aufbringen von Flüssigkunststoff (PMMA) auf verzinkten Stahlprofilen ist i.d.R. kein Problem, hingegen ist auf farbeschichteten Profilen die Nasshaftung erfahrungsgemäss weniger gut. 5.1 Randanschlüsse ohne Schrammbord Sofern kein Schrammbord vorgesehen ist, wird empfohlen, mittels einer Leitschranke oder Holzlatte (Verschleissteil) das Randprofil gegen Schäden von Schneeräumgeräten (Winterdienst) zu schützen. Dabei ist zu beachten, dass die Räumschilder i.d.R. etwas gerundet und zusätzlich schräg gestellt sind. Die Ecke zwischen Fahrbahnbelag und Randprofil soll zusätzlich mit einem Kittkeil geschützt werden. Diese erhöht der Lebensdauer der Bitumenfuge erheblich. Die Randprofile aus Stahl benötigen zur Aufnahme der Längenänderungen infolge Temperatur alle ca. 6 m eine 8 mm breite Dilatationsfuge. Es wird empfohlen diese Randprofile aus Standardprofilen herzustellen. Geschweisste Profile verziehen sich oft beim Verzinken durch Restspannungen vom Schweissen. Abbildung 4: Randanschluss ohne Schrammbord 5.2 Randanschlüsse mit Schrammbord Aufgrund der hohen Beanspruchung werden die Schrammborde meist aus Ortbeton oder vorgefertigten Betonelementen hergestellt. 5. Brückenkolloquium - September 2022 451 Anschlussdetails für Abdichtungssysteme und Asphaltbeläge auf Fahrbahnplatten aus Holz Die Abdichtung ist unter dem Schrammbord durchzuführen. Das Schrammbord sollte mit Schubnocken fest mit der Brücke verbunden werden. Grosse Horizontalkräfte vom Schrammbord lassen sich nur sehr schwer über Schrauben und andere mechanische Verbindungsmittel verformungsfrei in die Fahrbahnplatte leiten. Verformungen des Schrammbordes können zu Beschädigungen in der Abdichtung führen. Ein weiterer Nachteil bei der Anwendung von Schrauben ist, dass diese die Abdichtung durchdringen und damit die Gefahr von Leckagen besteht. Diese sind unter dem Schrammbord nicht zu erkennen. Schrammborde können als Anprallschutz und als Leitelement für die Schneeräumung dienen. Sie schützen vor mechanischen Einwirkungen auf die Geländer und der seitlichen Bekleidungen. Schrammborde müssen als Verschleissteil auswechselbar ausgebildet werden. Abbildung 5: Randanschluss mit Schrammbord aus Stahlbeton 6. Fahrbahnentwässerung Die Standarddetails und bewährten Systeme für die Entwässerung von Fahrbahnplatten aus Beton können direkt auf die Holzbrücken übertragen und angewendet werden. Der Einbau von Feuchteüberwachungssystemen ist heute bei Holzbrücken Standard. Langjährige Untersuchungen u.a. der BFH zeigen, dass bei den heute üblichen «geschützten Holzbrücken» eine Ausgleichsfeuchte von 18M% +-2% zu erwarten ist. Da dieser günstige Wert auch bei besonderen örtlichen Klimabedingungen nur unwesentlich überschritten wird, ist das besondere Augenmerk beim Unterhalt von Holzbrücken auf (unerwartet) eintretende Staunässe z. B. durch Leckagen in der Abdichtung oder im Bereich der mechanisch hoch beanspruchten Fahrbahnübergänge oder Randanschlüsse an den Schrammborden zu legen. Im Projekt konnte erfolgreich aufgezeigt werden, dass die Funktionstüchtigkeit der Abdichtung heute zuverlässig mit leitfähigem Glasvlies oder mit Bandsensoren überwacht werden kann. In Abhängigkeit von dem gewählten Systemaufbau (mit/ ohne Verbund), sind unterschiedliche Systeme notwendig. Bei einem Aufbau mit Verbund, verursacht die Leckage eine lokale Erhöhung der Holzfeuchte in der Trägerplatte. Der Verbund zwischen Abdichtung und Unterlage verhindert die Ausbreitung des eindringenden Wassers unter der Abdichtung. Die Eignung von leitfähiger Glasvliese und deren Einbau und Funktionstüchtigkeit in der Epoxidharz-Versiegelung wurde erbracht und steht so für erste Anwendungen zur Verfügung. Bei einem Aufbau ohne Verbund kann sich die eindringende Feuchtigkeit in der Trennlage (oft aus mehrlagigen Glasvliesbahnen) verteilen. Eine Erhöhung der Holzfeuchte über eine grössere Fläche der Fahrbahnplatte ist die Folge. Weist die Fahrbahnplatte ein (Quer-) Gefälle auf, reicht es, Bandsensoren unterhalb der Abdichtung entlang der Brückenränder einzubauen. 7. Fazit Erfahrungen aus Inspektionen und von der Instandhaltung von bestehenden Holzbrücken zeigen, dass neben einem robusten Systemaufbau, die seitlichen Anschlüsse der Abdichtungssysteme an den Fahrbahnübergängen, an den Schrammborden und an den Entwässerungssystemen (Abläufen) wesentlich für die Dauerhaftigkeit und damit verbunden den Aufwand für Unterhalt resp. Instandsetzung von Holzbrücken sind. Leckagen an diesen Anschlüssen können oft nicht rechtzeitig erkannt werden und führen sehr schnell zu unkontrolliertem Feuchteeintritt bei Fahrbahnplatten aus Holz. Mit der Erarbeitung von Basisdetails stehen sehr gute Grundlagen für die darauf aufbauende individuelle Planung für Brücken mit Fahrbahnplatten aus Holz zur Verfügung. Dies erhöht signifikant die Wirtschaftlichkeit, sowohl im Planungsprozess, wie auch bei der Ausführung und stellt eine hohes Qualitätsniveau sicher. Die Basis-Detaillösungen bieten den Ingenieuren sehr anwendungsorientierte Hinweise und Regeln, wie die Haltbarkeit über die gesamte Lebensdauer sichergestellt werden kann. Gleichzeitig sind diese so gestaltet, dass die Ingenieure genügend Freiraum für Weiterentwicklungen und standortangepasste Lösungen haben. In allen aufgeführten Detaillösungen werden auf Fahrbahnplatten aus Holz als Systemaufbau Polymerbitumen-Dichtungsbahnen als Abdichtung und für die Schutzschicht und Decke Gussasphalt verwendet. Dies für das System mit Verbund sowie wie auch ohne Verbund mit der Fahrbahnplatte. Gleichwohl ist die regelmässige (periodische) Wartung und der Unterhalt in Verantwortung des Eigentümers unverzichtbar. 452 5. Brückenkolloquium - September 2022 Anschlussdetails für Abdichtungssysteme und Asphaltbeläge auf Fahrbahnplatten aus Holz 8. Danksagung Das Forschungsprojekt VSS 2016/ 326 ‘Abdichtungssysteme und bitumenhaltige Schichten auf Brücken mit Fahrbahnplatten aus Holz’ wurde durch das Bundesamt für Strassen ASTRA gefördert. Besonderen Dank gilt den Mitgliedern der Begleitkommission unter der Leitung von Fred Stalder-de Marco sowie der Fachgruppe Detaillösungen unter Mitwirkung der holzbrückenbauerfahrenen Ingenieure Fred Stalder-de Marco, Heinz Aeschlimann, Kurt von Felten, Lukas Rüegsegger, Andrea Bernasconi, Martin Adam und den Autoren. Dem Strassenbauamt des Kantons Bern, Region IV, wird für die Ausrichtung des Workshops vor Ort und für die einmalige Möglichkeit, an einer Brücke, die Detaillösungen in Rahmen von Feldversuchen zu erproben, gedankt. Literaturangaben [1] Berner Fachhochschule, IMP Bautest AG (2022), Schlussbericht VSS 2016/ 326 Forschungsprojekt ‘Abdichtungssysteme und Bitumenhaltige Schichten auf Brücken mit Fahrbahnplatten aus Holz’, gefördert durch das Bundesamt für Strassen, ASTRA, Bern, Schweiz [2] Gerold M (2010), Musterzeichnungen, bearbeitet im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Holzforschung e. V., Harrer Ingenieure, Karlsruhe, Deutschland [3] Informationsdienst Holz (2019), Musterzeichnungen für Holzbrücken (Reihe 1, Teil 9, Folge 3), Qualitätsgemeinschaft Holzbrückenbau e.V., Friolzheim, Deutschland [4] Pousette A (1997) Wearing Surfaces on Timber Bridges, Nordic Timber Council, ISBN 91-89002- 12-1 [5] Milbrandt E. und Schellenberg K. (1998) Eignung von bituminösen Belägen für Holzbrücken, Schlussbericht, Forschungsauftrag E96/ 7, Entwicklungsgemeinschaft Holzbau (EGH) der Deutschen Gesellschaft für Holzforschung e.V. München, Deutschland [6] VSS 40451: 2019; Abdichtungssysteme und bitumenhaltige Schichten auf Brücken mit Fahrbahnplatten aus Holz, Schweizer Verband der Strassen und Verkehrsfachleute VSS, Schweiz [7] Protected Timber Bridges (ProTimB) (2019), Entwicklung einheitlicher Richtlinien für den Entwurf, den Bau, die Überwachung und Prüfung geschützter Holzbrücken, Fachhochschule Erfurt, Germany [8] ASTRA Richtlinie 12004, Konstruktive Einzelheiten von Brücken, Bundesamt für Strassen, Bern, Schweiz 5. Brückenkolloquium - September 2022 453 Acetyliertes Buchen-Furnierschichtholz Potentiale im Brückenbau Dipl.-Ing. Reiner Klopfer TU Kaiserslautern, Kaiserslautern, Deutschland Prof. Dr.-Ing Jürgen Graf TU Kaiserslautern, Kaiserslautern, Deutschland Zusammenfassung Bei der Acetylierung, der Modifikation der Buche mittels Essigsäureanhydrid, entstehen keine toxischen Substanzen, d.h. Recycling und Entsorgung sind problemlos möglich. Acetyliertes, heimisches Buchenholz ist umweltfreundlich und erreicht durch die stark eingeschränkte Hygroskopizität und durch die Entfernung eines Großteils der Hydroxylgruppen aus dem Zellverband die Dauerhaftigkeitsklasse DC 1 nach DIN EN 350, 2016 und kann damit als Baustoff in der direkten Bewitterung im Brückenbau eingesetzt werden. Ein baulicher Holzschutz nach DIN 68800-2, 2012 ist nicht zwingend einzuhalten, jedoch ist die Vermeidung des direkten Erdkontaktes empfohlen. Die Acetylierung verändert aber die mechanischen Eigenschaften sowie die Klebbarkeit von Buchenholz. Es zeigt sich, dass für acetyliertes Buchenfurnierschichtholz (LVL) die Biegefestigkeiten gegenüber Brettschichtholz aus Nadelholz (GL 24) ca. dreifach höher liegt. Acetyliertes Buchenholz kann somit in eleganten, schlanken Brückentragwerken eingesetzt werden und hat daher das Potential Stahlbeton- und Stahlbrücken zu substituieren. 1. Stärken und Schwächen der Holzart Buche Die Forstwirtschaft sieht in eine schwierig zu steuernde Zukunft, zumal die globale Erderwärmung, fehlender Niederschlag, lange niederschlagslose Zeiten bis hin zu Dürren weiter voranschreiten. Buchenschleimfluss und in der Folge Buchenrindennekrose (Buchenkomplexkrankheit) sowie Buchennutzholzborkenkäfer (Trypodendron domesticum L.) machen der Buche massiv zu schaffen. Dies bedeutet einen Wertverlust als Bau- und vor allem als Möbelmaterial als Folge. Daher werden Forschungsanstrengungen unternommen, um die Faktoren zu ergründen, die das Absterben der Buchen begünstigen [1]. Buchenholz als heimischer und mit 16% als Baumartenanteil im Wald in großem Umfang zur Verfügung stehender Rohstoff muss zukünftig zum vielfältig verwendeten Baustoff für Holzbauprodukte werden. Auch für die Laubholzindustrie wird die Buche die Leitbaumart sein. Das bedeutet für das Bauwesen, dass Bauprodukte aus Buchenholz, die bisher verschwindend gering und im Grunde nur mit der BauBuche der Firma Pollmeier Massivholz GmbH & Co.KG, Creuzburg auf dem Markt sind, deutlich gesteigert werden müssen. Die steigende gesellschaftliche Akzeptanz hochwertig verarbeiteter Holzarchitektur fördert die Entwicklung von Laubholzprodukten. Die Tragfähigkeit von Buchen-Furnierschichtholz ist dreifach höher als die Tragfähigkeit von z. B. Fichten-Brettschichtholz GL 24. Die Steifigkeit jedoch ist mit einem Faktor von ca. 1,5 vergleichsweise nur mäßig höher. Ein ökonomischer Einsatz von Buchenholz ist daher in hochbeanspruchten und gleichzeitig schlanken Tragwerken mit hohen geometrischen Steifigkeiten sinnvoll. Dieses Potential gilt es durch intensive Forschungstätigkeiten zu erkunden und an normalkraftbeanspruchten Leichtbaukonstruktionen zu nutzen. Buchenholzkonstruktionen können hier Stahlbeton und Stahl substituieren. Die Gründe für die geringe Verwendung von Buchenholz für Bauprodukte im Bauwesen sind das aufwändige Herstellungsverfahren der Brettware bei geringer Ausbeute (Einschnittverfahren mit Blockbandsägen, Trocknungsverfahren), der sehr kostenintensive Fertigungsprozess für Keilzinkenverbindungen von Endlosbrettern mit Tragfähigkeit im Bereich der Brettrohware [2] sowie die Flächenverklebung und die Festigkeitsschwankungen in Abhängigkeit von der ausgeprägten Schrägfaserigkeit. Zudem gibt es keinen „Markt“ für festigkeitssortierte Brettlamellen aus Buche, die visuellen Sortierkriterien der Norm DIN 4074-5, 2008 [3] sind dafür nur bedingt geeignet und müssen durch maschinelle Verfahren der E- Modulermittlung und der Astigkeit ergänzt werden. 454 5. Brückenkolloquium - September 2022 Acetyliertes Buchen-Furnierschichtholz Die geringe biologische Dauerhaftigkeit von Buche sowie hohe Schwind- und Quellmaße gegenüber Fichte - radial (Faktor 1,7) und tangential (Faktor 1,6) - und die damit verbundene mäßige Formstabilität der Bauprodukte aus Buche schränken außerdem die Anwendung ein. Die direkte Bewitterung von Brücken ist mit nativem Buchenholz daher gänzlich ausgeschlossen. Der Einsatz von Buchenholz im bewitterten Außenbereich wird aber dann möglich, wenn das die Dauerhaftigkeit und die Formstabilität steigernde, chemisch modifizierte Buchenholz Anwendung findet. 2. Acetyliertes Buchenholz 2.1 Modifikation von Buchenholz mit Essigsäureanhydrid Die Acetylierung ist eine chemische Modifikation mit Essigsäureanhydrid, bei der die zugänglichen, hydrophilen Hydroxylgruppen im Holz durch die eher hydrophoben Acetylgruppen ersetzt werden. Dies sind insbesondere die Hydroxylgruppen des Lignins, der Hemizellulose und des amorphen Teils der Zellulose. Die in die Zellwand eingelagerten Acetylgruppen hemmen die Aufnahme und Abgabe von Wassermolekülen, so dass die Holzausgleichsfeuchte erheblich reduziert wird. Während bei unbehandelter Buche die Holzausgleichsfeuchte im Normalklima (20 °C, 65%rH) knapp 12% beträgt, reduziert sich die Feuchte durch die Acetylierung auf ca. 4-5% [4] [9]. Damit erhöht sich die Dimensionsstabilität, gleichzeitig wird auch eine höhere Dauerhaftigkeit gegenüber Holz zerstörenden Pilzen erzielt. Militz [4] stellte fest, dass die Druckfestigkeit von acetyliertem Buchen-Vollholz über der des nativen Buchenholzes liegt. Hill [6] macht jedoch deutlich, dass die mechanischen Eigenschaften stark von dem Modifizierungsprozess (Zeit, Temperatur) abhängen. In einer Pilotanlage der Holzforschung in Wageningen, Niederlande, wurde die Acetylierung an Vollhölzern erprobt und über verschiedene Forschungsvorhaben zur Marktreife gebracht. Unter dem Produktnamen „Accoya®“ wird acetylierte Montereykiefer (Pinus radiata) von der Firma Accsys technologies, Arnhem - Niederlande, hergestellt und vermarktet. Nach dem Acetylierungsprozess liegt das Holz in einem gequollenen Zustand vor, ein geringer Rest Essigsäure verbleibt im Holz. Durch das Verfahren kann die Schwindung und Quellung um bis zu 75% reduziert und die Dauerhaftigkeitsklasse DC 1 (sehr dauerhaft) gegenüber einem Befall durch Holz zerstörende Pilze nach DIN EN 350, 2016 [7] erreicht werden. Bei den Holzarten Monterykiefer (Pinus radiata) und Rotbuche (Fagus sylvatica) wird die Dauerhaftigkeit jeweils von DC 4-5 (mäßig dauerhaft - nicht dauerhaft), bzw. DC 5 (nicht dauerhaft) auf DC 1 (sehr dauerhaft) gesteigert. Die Accsys Group Arnhem Accoya ® gibt für die Pinus radiata eine Lebensdauer von 50 Jahren beim Einsatz ohne Erdkontakt sowie 25 Jahre bei Einsatz mit Erdkontakt an [8]. 2.2 Von der acetylierten Buchenholzbrettware zum acetylierten Buchenfurnierschichtholz (LVL) In Forschungen an der TU Kaiserslautern wurden für natives und acetyliertes Buchenholz große Streubreiten der Biegezug- und Zugfestigkeiten der Brettware als Manko festgestellt, obwohl wir mit den hohen Sortierkriterien (astfrei, dyn. E-Modul > 15 000 N/ mm²) eigentlich erwarten konnten, dass aufgrund der einheitlichen Brettware die Festigkeitsstreuungen gering ausfallen. Dies bestätigte sich nicht. Es zeigt sich, dass die Wirkung der Schrägfaserigkeit auf die Festigkeit zu diesen hohen Streubreiten führt. Dies wird untermauert durch die nicht vorhandene Korrelation zwischen Festigkeit und Rohdichte bei den untersuchten Buchenholzbrettern. Da die Rohdichte aber direkt mit der Holzmasse (Zellulose und Lignin) zusammenhängt, müsste sich die Festigkeit in direktem Zusammenhang mit der Rohdichte verändern, wie sich dies bei Fichtenholzbrettern zweifelsfrei bestätigt. In einem derzeit laufenden Forschungsprojekt zu acetylierten Buchenfurnieren [9] konnte der Einfluss der Schrägfaserigkeit auf die Zugfestigkeit gezeigt werden. Bei einer Faserabweichung von 5° ergab sich ein Zugfestigkeitsabfall von über 20%, bei 10° bereits ein Abfall von knapp 50% [Abb. 1]. 5. Brückenkolloquium - September 2022 455 Acetyliertes Buchen-Furnierschichtholz Abb.1: Zugfestigkeitsverlauf acetylierter, gesägter Buchenfurniere in Abhängigkeit von der Faserneigung (Vergleich mit Birkenschälfurnieren) Um die großen Streubreiten der Zugfestigkeit durch die Schrägfaserigkeit zu reduzieren, werden Maßnahmen der Homogenisierung erforderlich. Die Firma Pollmeier Massivholz GmbH & Co.KG, Creuzburg hat es mit nativen Buchenholzfurnieren geschafft, Furnierschichtholzprodukte der Festigkeitsklasse GL 75 zu erzeugen. Das ist insbesondere auf die Egalisierung der unterschiedlichen Schrägfaserigkeit der einzelnen Furnierlagen durch die kraftschlüssige Verklebung (Homogenisierungseffekt) zurückzuführen. Um den Homogenisierungseffekt auch für acetyliertes Buchenholz aufzuzeigen, wurden Bretter aus gesägten und stehenden Buchenholzfurnieren mit acetylierten Vollholzbrettern im 4-Punkt Biegeversuch verglichen. Infolge der Homogenisierung der Prüfkörpereigenschaften durch die stehenden Furnierlagen wird die Streubreite der Biegezugfestigkeiten minimal. Die charakteristische Biegezugfestigkeit nimmt dadurch trotz annähernd gleichem Mittelwert um 44% gegenüber der charakteristischen Biegezugfestigkeit acetylierter Buchenbretter zu [Abb. 2]. Die festigkeitsmindernde Wirkung der Schrägfaserigkeit spielt beim Furnierwerkstoff keine Rolle mehr. Die Homogenität wirkt sich auch festigkeitssteigernd auf zug-, druck- und schubbeanspruchte Bauteile aus. Abb. 2: Biegefestigkeit acetylierter Vollholzbretter und acetylierter Furnierschichtholzbretter mit gesägten, stehenden Lamellen 3. Acetyliertes Buchenholz im Brückenbau Acetyliertes Buchenholz für Brückentragwerke eignet sich vorrangig für Fuß- und Radwegbrücken im urbanen Raum. Fußgänger und Radfahrer verweilen auf Brücken, unterqueren sie und nehmen sie bewusst wahr. Die Ästhetik einer städtischen Brücke muss daher sowohl auf der Brücke als auch unter der Brücke überzeugen. Der Konstruktionswerkstoff Buchenholz verstärkt durch die in unseren Wäldern heimische und nachwachsende Baumart Buche die positive Wahrnehmung der Brückenbauwerke. Trotz hoher Festigkeiten von acetyliertem Buchenholz ist der E-Modul mit ca. 15.000 N/ mm² vor allem zu Stahl vergleichsweise gering. Filigrane Konstruktionen als ein wesentlicher Baustein für Eleganz und Ästhetik von urbanen Brücken sind für die global biegebeanspruchten Bauwerke mit Holz daher neben der hohen Tragfähigkeit nur mit hoher Biegesteifigkeit EI möglich. Bei mäßigem E-Modul folgt daraus, dass das Trägheitsmoment I hoch sein muss. So sind aufgelöste Tragwerke aus Holz, wie beispielsweise normalkraftbeanspruchte Fachwerkkonstruktionen [Abb. 3], nicht nur biegesteif sondern auch filigran und damit ressourceneffizient. Allgemein gilt daher für filigrane Holzbrücken, dass sie zug- und druckbeansprucht, mit hoher geometrischer Steifigkeit und mit hohem Tragwiderstand auszubilden sind [10]. Ein „Verkleiden“ der tragenden Holzbauteile ist aufgrund der Dauerhaftigkeit von acetyliertem Buchenholz gegenüber holzzerstörenden Pilzen nicht erforderlich und erhöht entscheidend die Leichtigkeit von Holzbrücken. 456 5. Brückenkolloquium - September 2022 Acetyliertes Buchen-Furnierschichtholz Abb. 3: Brückenentwurf in Form eines in Zug- und Druckstäbe aufgelösten Fischbauchträgers (t-lab - Bernhard Friese) Literatur [1] Straub, C. (2019) Untersuchung von Absterbeerscheinungen an Buche unter Einbeziehung satellitengestützter Fernerkundung und Standortsfaktoren (BeechSAT). Forschungsvorhaben an der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF). Laufzeit 15.08.2019 - 18.08.2020 [2] Volkmer, T. et al. (2017) Brettschichtholz aus Buche: Keilzinkenverbindung und Flächenverklebung. In: 23. Internationales Holzbau-Forum (IHF 2017) Aus der Praxis - Für die Praxis. Band II, S. 137-148 [3] DIN 4074-5 (2008) Sortierung von Holz nach der Tragfähigkeit - Teil 5: Laubschnittholz. Beuth Verlag GmbH, Berlin [4] Militz, H. (1991) Die Verbesserung des Schwind und Quellverhaltens und der Dauerhaftigkeit von Holz mittels Behandlung mit unkatalysiertem Essigsäureanhydrid. Holz als Roh- und Werkstoff 49: S. 147-152 [5] Graf, J. et al. (2018) Neue Potentiale im konstruktiven Holzbau durch acetylierte Buche. Forschungsbericht, Forschungsinitiative Zukunft BAU, Fraunhofer IRB Verlag, F 3132, Stuttgart [6] Hill, C. (2006) Wood modification - chemical, thermal and other processes. John Wiley & Sons Ltd, West Sussex, UK [7] DIN EN 350 (2016) Dauerhaftigkeit von Holz und Holzprodukten - Prüfung und Klassifizierung der Dauerhaftigkeit von Holz und Holzprodukten gegen biologischen Angriff. Beuth Verlag GmbH, Berlin [8] Accsys (2006) Accoya Broschüre. Accsys Group Arnhem, Niederlande, Stand 2006 [9] Graf, J.; Militz, H. (2019) Acetyliertes Buchen- Furnierschichtholz - Buchenholzprodukt für bewitterte Tragwerke: dauerhaft, formstabil, hochfest. Forschungsvorhaben beim FNR, Laufzeit 01.06.2021 - 31.05.2024 [10] Graf, J. (2020) Entflechtung von Wachstum und Ressourcenverbrauch - Zirkuläre Wertschöpfung im Holzbau. In: Bautechnik 97, Sonderheft Holzbau, Ausgabe 2, S. 108-115 (DOI: 10.1002/ bate.202000078) Neue Erkenntnisse zur Querkraft- und Torsionstragfähigkeit 5. Brückenkolloquium - September 2022 459 Untersuchungen zur Schubrissbildung von Spannbetondurchlaufträgern mit baupraktischen Querschnittsabmessungen Sebastian Lamatsch M.Sc. Technische Universität München, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Oliver Fischer Technische Universität München, Deutschland Zusammenfassung Im Zuge der Nachrechnung von bestehenden Spannbetonbrücken ergeben sich häufig teilweise erhebliche Defizite beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit. Für eine vollumfassende, versuchstechnische Überprüfung und Weiterentwicklung bestehender Nachweiskonzepte existiert eine derzeit nur unzureichende Versuchsdatenlage. Insbesondere Versuche an großen, baupraktischen Querschnitten mit realistischen Längsbewehrungsgraden und einem sehr geringen Querkraftbewehrungsgrad sollen diese Lücke schließen. Dafür werden bei Spannbetonträgerausschnitten mit Vorspannung im nachträglichen Verbund zusätzlich die Vorspannung in Bezug auf die mittlere Drucknormalspannung sowie der Vordehnungsgrad der Spannglieder - und damit der mögliche Dehnungszuwachs - variiert, um den bisher geringen Kenntnisstand zum Einfluss der Vorspannung genauer zu untersuchen. In den Versuchen wird moderne Messtechnik basierend auf digitaler Bildkorrelation eingesetzt, die eine genaue Beurteilung des Rissverhaltens ermöglicht. Im Rahmen des Beitrags soll insbesondere auf das Schubrissverhalten der durchgeführten Versuche eingegangen werden. 1. Einleitung Die über die Jahre zunehmende Verkehrsbelastung, der insgesamt in die Jahre gekommene Brückenbestand im deutschen Straßenverkehrsnetz und insbesondere die Weiterentwicklung der Normenansätze führen dazu, dass bei der Nachrechnung alter Brückenbauwerke regelmäßig rechnerische Defizite beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit durchlaufender Spannbetonbrücken festgestellt werden [1]. So fehlten zur Zeit der Errichtung eines Großteils dieser Brückenbauwerke explizite Vorgaben zu einer Mindestquerkraftbewehrung, weshalb diese häufig äußerst geringe Querkraftbewehrungsgrade aufweisen. Die Weiterentwicklung der Berechnungsmodelle zur Nachrechnung dieser Bauwerke stellt heute eine wichtige Aufgabe dar, um aufwändige Verstärkungsmaßnahmen und/ oder Ersatzneubauten zu verhindern bzw. auf diejenigen Bauwerke zu beschränken, die nicht nur ein rechnerisches, sondern ein tatsächliches Defizit aufweisen. Verfeinerte Modelle berücksichtigen neben den bekannten Traganteilen der Bügelbewehrung und des vertikalen Anteils der Spannglieder häufig einen zusätzlichen Betontraganteil bzw. eine Druckbogenwirkung. Diese ist insbesondere von der Schubrissbildung, der Vorspannung und der Größe der Druckzone abhängig [2]. Ausgehend von dieser Problemstellung soll deshalb im vorliegenden Beitrag genauer auf die Schubrissbildung von zwei ausgewählten Spannbetonträgern mit realistischen Bauteilabmessungen und Bewehrungsgraden eingegangen werden und die Rissbildung und das Tragverhalten in Bezug auf die unterschiedlich hohe Vorspannung diskutiert werden. 2. Versuchsaufbau Im Rahmen des laufenden Forschungsvorhabens „Experimentelle und theoretische Untersuchungen zur Querkraft und Torsionstragfähigkeit von Betonbrücken im Bestand“ (FE 15.0664/ 2019/ DRB) wurden Querkraftversuche an vorgespannten Substrukturen großformatiger Brückenträger an der Technischen Universität München (TUM) durchgeführt. Hierzu wird in einem innovativen Versuchsstand (vgl. [3, 4]) aus dem globalen System eines Durchlaufträgers der zu untersuchende Bereich zwischen Mittelauflager und Feldbereich betrachtet und der Ausschnitt unter Erhalt der an den Schnittufern vorherrschenden Randbedingungen des globalen Systems eines durch Einzellasten beanspruchten Mehrfeldträgers geprüft (vgl. Abb. 1). Abb. 1: Ableitung der Substrukturgeometrie und zugehöriger Momentenverlauf an einem Referenz-Durchlaufträger unter Einzellast im Feld Die in der Realität beim Durchlaufträger vorliegenden Randbedingungen des Feldbereichs werden aufgrund der Wahl des Schnittufers abseits des maximalen Feldmoments über eine planmäßige Rotation der Lastplatte in Abhängigkeit des Momenten-Querkraft-Verhältnisses aufgezwungen. Die Belastung erfolgt durch die Regelung des globalen vertikalen Kraftvektors bestehend aus den Vertikalanteilen der vier horizontalen und der beiden ver- 460 5. Brückenkolloquium - September 2022 Untersuchungen zur Schubrissbildung von Spannbetondurchlaufträgern mit baupraktischen Querschnittsabmessungen tikalen jeweils servohydraulisch gesteuerten Zylinder des feldseitigen Schnittufers. Die Horizontalzylinder werden entsprechend der geregelten Querkraft so angesteuert, dass sich das gewünschte Momenten-Querkraft-Verhältnis ergibt. Unerwünschte äußere Normalkräfte und Torsionsmomente werden während der gesamten Versuchsdauer ausgeregelt. Die Schnittgrößen im Stützbereich stellen sich entsprechend den dort vorliegenden Randbedingungen einer passiven, starren Reaktionsplatte mit Schubnockengeometrie aus Gleichgewichtsgründen und ohne zusätzliche Regelung ein (vgl. Abb. 2). Abb. 2: Substrukturstand der TUM Die Verankerung der Längsbewehrung und des Spannglieds hinter der Lasteinleitungsplatte ermöglicht, dass das Tragverhalten eines durchlaufenden Spannbetonbalkens realitätsnah abgebildet wird. Vergleiche mit baugleichen Durchlaufträgern und Belastungsversuchen an einem realen Brückenbauwerk bestätigen die Eignung der Substrukturtechnik [3-6]. Durch die Verwendung der Substrukturtechnik und der planmäßigen Rotation der Lasteinleitungsplatte im Feldbereich, ist es möglich eine baupraktische Querschnittshöhe von 1,20 m unter üblichen Randbedingungen (Schubschlankheit l ~ 3,0, Biegeschlankheit ~10,8) zu realisieren. Gleichzeitig wird ein geringer Längsbewehrungsgrad (ρ sl = 1,0 %) mit einer vergleichsweise hohen Vorspannung kombiniert, um signifikante Dehnungszuwächse im Spannglied hervorzurufen und die vorherrschenden Konstruktionsdetails realer Brückenbauwerke widerzuspiegeln. Abb. 3: Ansicht und Querschnitt der beiden Substrukturversuche mit Bewehrungsdetails 3. Versuchsträger Für die Validierung von Querkraftmodellen zur Nachrechnung von vorgespannten Brückentragwerken wurden in den letzten Jahren einige Versuche an Spannbetonbalken durchgeführt [4-10]. In Bezug auf die Querschnittshöhe liegt jedoch bisher ein noch sehr begrenzter Untersuchungsbereich vor. Mit den durchgeführten Versuchen an Trägern, die der 1,5-fachen Querschnittshöhe der bisher durchgeführten Trägerhöhen entsprechen, soll diese Lücke geschlossen werden. In Abb. 3 ist der Querschnitt der hier vorgestellten 4,50-m langen und 1,20-m hohen T-Trägerausschnitte dargestellt. In der Ansicht sind die auf 50- cm aufgeweiteten Vouten zu erkennen, welche zur Einleitung der Lasten einen deutlich höheren Bügelbewehrungsgrad aufweisen. Insgesamt ergibt sich dadurch ein Prüf bereich mit konstanter Querschnittsbreite von 3,50-m. Entsprechend alter Brückenbauwerke wurde der Querkraftbewehrungsgrad zu einem sehr geringen Grad von 0,09 % (ø 6 / 25 cm) festgelegt. Das entspricht unter Berücksichtigung der Materialkennwerte für den allgemeinen Fall dem 1,05-fachen Mindestquerkraftbewehrungsgrad nach [12]. In Kombination mit dem geringen Längsbewehrungsgrad von 1,0 % und der unterschiedlichen Vorspanngrade (Betondruckspannung aus Vorspannung s cp = 1,2 MPa und 1,9 MPa) werden hohe Längsdehnungen erzeugt. Ziel ist ein realitätsnahes Querkraftversagen mit deutlicher Beteiligung der Längsbewehrung nahe der Streckgrenze. Für die Betrachtungen der Rissbildung wird im Rahmen dieses Beitrags auf zwei unterschiedliche Trägerkonfigurationen eingegangen, welche in Tabelle 1 aufgeführt sind. Tabelle 1: Aufstellung der Trägerkonfiguration T-L5-S1.2 T-L5-S2.1 Bügel ø-6-/ -25-cm ø-6-/ -25-cm Längsbewehrung 6 ø-25-mm 6 ø-25-mm Betondruckspannung s cp 1,2-MPa 1,9-MPa 5. Brückenkolloquium - September 2022 461 Untersuchungen zur Schubrissbildung von Spannbetondurchlaufträgern mit baupraktischen Querschnittsabmessungen Beide Träger unterscheiden sich lediglich in der Höhe der aufgebrachten Vorspannung, alle anderen Parameter wurden konstant gehalten. Für die Vorspannung der Trägerausschnitte wurde ein Spannglied mit fünf Litzen (L5) in einem runden Stahlhüllrohr mittig geführt und stützseitig vorgespannt. Durch die kurze Trägerlänge von 4,50 m führt der auftretende Keilschlupf zu einem Durchschlagen der Spannkraft und folglich zu größeren Spannkraftverlusten, die messtechnisch mit vorgeschalteten Kraftmessdosen erfasst werden. 4. Materialparameter Zur Bestimmung der Betoneigenschaften wurden am Versuchstag Begleitversuche an Zylindern durchgeführt. Die Ergebnisse, mit in Klammern befindlicher Anzahl an Prüfungen, sind Tabelle 2 zu entnehmen. Die Materialkennwerte der Stahlproben von Bewehrung und Spannlitzen sind ebenfalls aufgeführt. Für beide Versuche wurde Stahl aus jeweils derselben Charge verwende, weshalb sich die Kennwerte der beiden Versuche entsprechen. Tabelle 2: Materialeigenschaften T-L5-S1.2 T-L5-S2.1 Betonfestigkeitsklasse C30/ 37 C30/ 37 Prüfalter 70 d 33 d f cm, cyl 150/ 300 [N/ mm 2 ] 47,6 (6) 47,7 (5) f ct, sp 150/ 300 [N/ mm 2 ] 3,17 (6) 3,19 (6) E cm [N/ mm 2 ] 29727 (3) 29641 (3) Bewehrungsstahl Bü. B500B B500B f p 0,2 ø6 [N/ mm 2 ] 536,6 (6) 536,6 (6) f u ø6 [N/ mm 2 ] 628,4 (6) 628,4 (6) E sm [N/ mm 2 ] 202908 (6) 202908 (6) Spannlitzen Y1860 Y1860 A p [mm 2 ] 150 150 f p 0,1 [N/ mm 2 ] 1630,2 (10) 1630,2 (10) f pu [N/ mm 2] 1890,8 (10) 1890,8 (10) 5. Ausgewählte Messtechnik Über die konventionelle Messtechnik (DMS, Wegaufnehmer und Kraftmessdosen) hinaus wurde mittels photogrammetrischer Messungen und digitaler Bildkorrelation (DIC) der gesamte Prüf bereich zwischen den Aufweitungen und unterhalb des Gurtes ausgewertet (vgl. Abb. 4). Für die Aufnahmen wurden zwei 2D Messsysteme mit jeweils 12,4 Megapixeln (4112 x 3008 Pixel Auflösung), für die Auswertung eine Größe der miteinander verglichenen Subsets (Pixelgruppen) von 20 x 20 px (10 x 10 mm) mit maximalem Abstand der Mittelpunkte von 8 px (4 mm), gewählt. Durch Abgleich einzelner im Referenzbild festgelegter Subsets des auf den Träger aufgetragenen Grauwertmusters mit jeder Laststufe lassen sich so die Verschiebungen der einzelnen Pixelgruppen über die gesamte Versuchsdauer flächendeckend und präzise erfassen. Durch eine vorgeschaltete Perspektivtransformation der Bilddaten werden die Aufnahmen in den Normalenvektor der betrachteten Bildfläche gerückt, um Einflüsse der Kameraausrichtung zu eliminieren. Abb. 4: Substrukturträger mit Grauwertmuster Bei einer Belastungsgeschwindigkeit von 0,2 kN/ sek wurden die Bilder über den Verlauf des Versuchs mit einer Frequenz von 0,2 Hz aufgezeichnet. Damit zeigt das letzte aufgezeichnete Bild vor Versagen den Träger bei maximaler Querkraft V max . Die optische Messmethode gibt Aufschluss über die Rissbildung und -kinematik in den kritischen Schubrissen der verschieden konzipierten Versuchskonfigurationen und lässt einen Vergleich des sich einstellenden Tragverhaltens zu. 6. Versuchsergebnisse In Abb. 5 ist die Querkraft der Durchbiegung beider Versuche zum Vergleich des Tragverhaltens gegenübergestellt. Dargestellt ist die Querkraft bezogen auf das Zwischenauflager, wobei das gesamte Trägereigengewicht und die Lasteinleitungsplatte (52,2 kN, 45 kN) addiert wurden. Die Durchbiegung ergibt sich als Differenz zwischen stütz- und feldseitiger Verformung des Trägers ab der Vorlast von 30 kN. Durch die Differenzverformung werden größere Einflüsse aus Versuchsstandverformungen und dem Anlegen der Schubnocken eliminiert. Abb. 5: Kraft-Weg Diagramm der Versuche 462 5. Brückenkolloquium - September 2022 Untersuchungen zur Schubrissbildung von Spannbetondurchlaufträgern mit baupraktischen Querschnittsabmessungen Es lässt sich im Anfangsbereich des Kraft-Weg-Diagramms - wie auch in [3-6] - kein eindeutiger Zustand-I erkennen, was dem Anlegen der Schubnocken und dem fehlenden Mitwirken des Betons auf Zug in den Schnittufern geschuldet ist. Insgesamt verhält sich Versuch TL5S2.1 erwartungsgemäß etwas steifer als der weniger hoch vorgespannte Träger, obwohl das Verhalten allgemein - trotz der deutlich gesteigerten Vorspannung - als sehr gleichartig beschrieben werden kann. Aufgrund der geringen Abweichungen der Druckfestigkeiten werden keine bezogenen Querkräfte dargestellt. Die maximale Querkraft ergibt sich zu 862,4 kN (TL5S1.2) und 902,0 kN (TL5S2.1), was einer Kraftsteigerung von 4,6 % bei 65 % höherer Vorspannung entspricht. Die teils über mehr als die halbe Querschnittshöhe einschießenden Risse führen im globalen Kraft-Weg-Verlauf zu nur geringen Lastabfällen, einzig das Auftreten einzelner Schubrisse bei ca. 700 kN und 833 kN führt zu einem weicheren Verhalten und Lastabfall von bis zu 15 kN. Beide in diesem Beitrag gegenübergestellten Versuchsträger weisen grundsätzlich ein vergleichbares Risswachstum auf. Ausgehend von primären Biegerissen, die oberhalb des optisch aufgenommenen Messbereichs im Gurt auftreten, bildet sich ein erster Biegeschubriss aus, der durch weitere fächerartig verlaufende Biegeschubrisse ergänzt und deren Neigung zum stützseitigen Zwischenauflager immer geringer wird. Im feldseitigen Bereich entstehen erwartungsgemäß deutlich weniger Risse, da die maximale Momentenbeanspruchung um 67,5 % geringer als im Stützbereich ausfällt. Die Querkraft ist aufgrund der feldseitigen Einzellast im gesamten Träger jedoch annähernd konstant (Eigengewicht vernachlässigt). Der kritische Schubriss tritt in beiden Fällen durch ein Überschreiten der Stegzugfestigkeit auf. Dieser dringt bereits bei der Entstehung bis in den Zuggurt vor und breitet sich in die stützseitige Druckzone aus. Aufgrund der geringen Schubrissneigung reicht der kritische Schubriss bei dem höher vorgespannten Träger bis in den feldseitigen Druckgurt und führt im Versagen zu einem Längsriss entlang der jeweiligen Druckbewehrung (vgl. Abb. 6). Entsprechend den Vorschlägen von [13] und [14] wird die Schrägrisslast in Tabelle 3 als die Querkraft definiert, bei der ein Biegeriss einen schrägen Verlauf annimmt und die Schwerachse kreuzt oder sich ein Stegzugriss ausbildet. Für Versuch TL5S1.2 beträgt die Schrägrisslast ca. 390 kN. Durch die höhere Vorspannung im zweiten Versuch ergibt sich der erste Schrägriss erst bei 478 kN. Bezogen auf die maximal erreichte Querkraft tritt der Riss somit bereits bei 45 % bzw. 53 % der maximalen Querkraft auf und entwickelt sich in beiden Versuchen aus einem Biegeriss im Stützbereich. Vergleicht man die Rissbilder bei maximaler Querkraft, lässt sich eine deutlich flachere Neigung des kritischen Schubrisses des höher vorgespannten Balkens erkennen, die im Mittel bei 21,2° (28,8° erste Hälfte, 13,5° zweite Hälfte) liegt. Für Träger TL5S1.2 ergibt sich dagegen eine mittlere Rissneigung von 25,4° (32,5° erste Hälfte, 18,2° zweite Hälfte). Tabelle 3: Charakteristika der Schubrisse T-L5-S1.2 T-L5-S2.1 Schubrissneigung a cr 25,4° 21,2° Schrägrisslast V cr 390 kN 478 kN Die Schubrisse laufen jeweils in die Druckzone des Stützbereichs und begrenzen die Druckzonenhöhe mit zunehmender Schubrissbildung massiv bis auf 80 mm (TL5S1.2) bzw. 40 mm kurz vor Versagen der Druckzone. Bereits bei 90 % der maximalen Querkraft ist die Biegedruckzone des Versuchs TL5S1.2 auf 80 mm (x/ d = 0,07) bzw. 134 mm (x/ d = 0,12) bei dem höher vorgespannten Versuch begrenzt. Aufgrund der sehr geringen verbleibenden Druckzonenhöhe in Kombination mit einer Stegbreite von nur 250 mm und der zum Zwischenauflager verlaufenden sehr flachen Rissneigung (α cr,min ~ 10°) des kritischen Schubrisses sind überwiegende Traganteile der Betondruckzone in diesem Versuch zumindest infrage zu stellen und werden gegebenenfalls durch das Mitwirken weiterer Bügel im Prüf bereich und einem Dehnungszuwachs im Spannglied ausgeglichen. Dies wird Gegenstand einer genaueren Analyse und Bewertung auf Grundlage der weiteren Messtechnik. Aus der flachen Rissneigung des kritischen Schubrisses in Versuch TL5S2.1 folgt eine Risslänge im Steg von 2810 mm. Insgesamt verläuft der Schubriss damit diagonal über die gesamte Breite des Prüf bereichs und dringt auch in die feldseitige Druckzone vor. Der Riss kreuzt alle Bügel im Prüf bereich und das Versagen tritt durch eine Zerstörung beider Druckzonen und das Abreißen der Bügelbewehrung auf. Bei dem weniger hoch vorgespannten Balken verhält sich der Riss ähnlich, bleibt jedoch im Bereich negativer Momente und weist eine geringere Länge von 2240 mm auf. Bügel im Bereich positiver Momente werden so nicht vom kritischen Schubriss gekreuzt. Die Druckzone wird ausschließlich im Bereich negativer Momente zerstört. Abb. 6: Rissbild kurz vor dem Versagen (oben: T-L5-S1.2; unten: T-L5-S2.1) Auch die Stegzugrisse im Feldbereich, der aufgrund des geringen M/ V-Verhältnis nur wenig Biegerisse aufweist, zeigen den Einfluss der Vorspannung auf die Rissneigung deutlich auf. Durch die geringere Längsdehnung tritt die 5. Brückenkolloquium - September 2022 463 Untersuchungen zur Schubrissbildung von Spannbetondurchlaufträgern mit baupraktischen Querschnittsabmessungen Mehrheit der Schrägrisse im Feldbereich erst nach dem kritischen Schubriss auf und orientiert sich damit entsprechend der nach Auftreten des kritischen Schubrisses vorliegenden Hauptspannungsrichtung. Insbesondere bei Versuch T-L5-S2.1 schränkt der kritische Schubriss die Hauptspannungsrichtung ein und es kommt zu einer Umlagerung und infolgedessen zu steiler geneigten Schubrissen im Feldbereich. Es lassen sich bei beiden Versuchen zwei Schubrisse mit ausgeprägter Kinematik identifizieren. Entsprechend des Auftretens sind diese in Abb. 7 mit C1 und C2 bezeichnet. Dabei ist die Rissöffnung entlang der Risse in Normalenrichtung zur Rissflanke aufgetragen. Die dargestellten Stufen sind mit der zu dem Zeitpunkt vorherrschenden Querkraft benannt und werden ab Auftreten in 10 % Schritten dargestellt. Bei beiden Versuchen entsteht der kritische Schubriss C2 aufgrund der Überschreitung der Stegzugfestigkeit. Dabei erfolgt die Rissbildung sehr plötzlich über eine große Länge und setzt sich schließlich an der Rissspitze in Richtung gedachtem Zwischenauflager fort. Die Rissöffnung wächst danach durch die Rotation um die Rissspitze relativ gleichmäßig an. Die an der Rissspitze aufgetragene Rissöffnung kurz vor Versagen (vgl. Abb. 7) stellt nur die Rissöffnung innerhalb des DIC Messfelds dar, die eigentliche Rissspitze mit entsprechender Rissöffnung in der Stegaufweitung wird in dieser Darstellung nicht mitangedeutet. Der Riss C1 verhält sich in beiden Versuchen dagegen etwas unterschiedlich. Während bei dem hoch vorgespannten Träger kurz vor dem Versagen noch deutliche Zuwächse zu verzeichnen sind, beteiligt sich der Riss C1 bei Versuch T-L5-S1.2 wenig an der Kinematik, nachdem der kritische Schubriss aufgetreten ist. Gemein ist beiden Rissen jedoch, dass die Rissbreite in Riss C1 vor allem im auflagernahen Bereich anwächst, was darauf hindeutet, dass in diesem Bereich die Bügel bereits bis zur Fließgrenze beansprucht werden. Das spricht für ein ausgeprägtes Mitwirken der Bügel, das sich aufgrund der geringen Neigung des Risses einstellt. Für die genauere Analyse des Rissverhaltens ist in Bezug auf mögliche Rissreibungsansätze und das allgemeine Schubrissverhalten eine detaillierte Untersuchung der Rissöffnung normal zur Rissflanke und der Rissgleitung in tangentialer Richtung zum Riss zielführend. In Abb. 8 ist dafür die aus Risswinkel und Koordinatenverschiebung der Subsets berechnete Rissgleitung und Rissöffnung entlang des kritischen Schubrisses gegenübergestellt. Hier wurden die Laststufen aufgrund der spät auftretenden Risse im höher vorgespannten Versuch in Schritten von 5 % ab Entstehung dargestellt. Die bei der Auswertung verwendete, feine Diskretisierung der Schubrissgeometrie führt dabei zu Schwankungen der Rissneigung, die sich auch in dem Verlauf der beiden Kurven widerspiegelt. Abb. 7: Rissöffnung dargestellt an den maßgebenden Schubrisse der Versuche T-L5-S1.2 und T-L5-S2.1 464 5. Brückenkolloquium - September 2022 Untersuchungen zur Schubrissbildung von Spannbetondurchlaufträgern mit baupraktischen Querschnittsabmessungen Es zeigt sich, dass sich in beiden Versuchen eine vergleichbare maximale Rissbreite einstellt. Diese beträgt mehr als 5 mm und konnte näherungsweise über einen größeren Bereich festgestellt werden. (TL5S1.2: 5,3 mm; TL5S2.1: 5,8 mm). Vergleichsweise große Rissöffnungen traten ebenfalls bei einzelnen Querkraftversuchen von Huber [2] auf. Die Rissgleitungen im Bereich von 5-6 cm fallen jedoch deutlich größer aus als in [8,10], wobei Herbrand et al. [10] bereits Risse mit ähnlich großem Rissöffnungszu Gleitungsverhältnis feststellte. Durch das Zusammensetzen zweier Bilder infolge der zwei 2D Messsysteme entsteht zwangsläufig eine Überschneidung, die lokal bei der Auswertung zu Scheindehnungen führen kann. Der Bereich der Überschneidung ist deshalb in der Darstellung zusätzlich zu dem Bereich, in dem der Schubriss das Spannglied kreuzt, grau markiert. In Versuch TL5S1.2 fällt der Kreuzungspunkt genau in den Störbereich, weshalb Einflüsse aus den Scheindehnungen nicht auszuschließen sind. Wie bereits in Abb. 7 zu erkennen ist, führt die Rotation um die Rissspitze insbesondere im Anfangsbereich des kritischen Schubrisses zu erhöhten Rissbreiten. Die Rissgleitung in Abb. 8 korreliert dagegen mit der Rissneigung und weist deshalb im auflagerfernen Bereich ihre Maxima auf. Dargestellt ist das Verhältnis von Rissöffnung und Rissgleitung an unterschiedlichen Orten verteilt über die Höhe der Träger. Einerseits an den Stellen, an denen der Schubriss das Spannglied (P) bzw. die Schwereachse (SP) kreuzt, andererseits auch an zwei exemplarischen Punkten in 250 - mm und 900 - mm Höhe. An den Stellen, an denen das Spannglied den Riss kreuzt, treten geringere Rissbreiten auf, auch wenn der Einfluss kleiner als erwartet ausfällt. Ursächlich könnten große Dehnungszuwächse im Spannglied aufgrund von Umlagerungen sein, die bereits bei moderaten Rissbreiten stattfinden. Die Rissgleitung dagegen steigt insbesondere in diesem Bereich maßgeblich an. Infolge des nahezu waagerechten Rissverlaufs des höher vorgespannten Versuchs treten im auflagernahen Bereich verhältnismäßig wenig Rissverschiebungen auf. In diesem Bereich wird nahezu keine Rissgleitung gemessen. Ersichtlich wird dieser Zusammenhang auch anhand von Abb. 9, in dem die Rissöffnung der Rissgleitung beider Versuche über die Versuchsdauer gegenübergestellt ist. Abb. 8: Rissöffnung und Rissgleitung des kritischen Schubrisses C2 der Versuche T-L5-S1.2 und T-L5-S2.1 5. Brückenkolloquium - September 2022 465 Untersuchungen zur Schubrissbildung von Spannbetondurchlaufträgern mit baupraktischen Querschnittsabmessungen Abb. 9: Einfluss des Rissbereichs auf die -kinematik Der höher vorgespannte Versuch weist im Mittel aufgrund seiner geringen Rissneigung ein kleineres Verhältnis von w zu s auf. Betrachtet man den Zusammenhang über die Höhe eines Versuchsträgers, wird deutlich, dass vor allem im Bereich flacher Risse die Rissöffnung überwiegt, wohingegen größere Rissgleitungen in vertikaler verlaufenden Rissabschnitten (h=900 mm) auftreten. Die Vorspannung beeinflusst dabei die Neigung der Schubrissbildung und dadurch indirekt die auftretenden Rissgleitungen. 7. Diskussion und Zusammenfassung Nach der genauen Untersuchung der Risskinematik kann festgehalten werden, dass die Schubrissbildung maßgeblich vom Vorspanngrad beeinflusst wird. Auch wenn bei beiden Trägern ein ähnliches Rissverhalten aufgezeichnet wurde, unterscheidet sich das Tragverhalten deutlich. Einerseits treten durch die gesteigerte Vorspannung Schrägrisse später auf, andererseits ergeben sich bei hoher Vorspannung sehr geringe Rissneigungen zum Zwischenauflager hin. Die Druckzonenhöhe und die Neigung der Druckstrebe werden dadurch wesentlich beschränkt. Trotzdem wird eine Traglaststeigerung von knapp 5 % erreicht, die mehrheitlich über die aufgrund der flachen Rissneigung zusätzlich aktivierten Bügel im Schubfeld und einen Dehnungszuwachs im Spannglied erzielt werden könnte. An den Bügeln angebrachte Dehnmessstreifen werden im Zuge der weiteren Auswertung genaueren Aufschluss darüber geben. Die sich einstellenden großen Längsdehnungen, die aufgrund des hoch ausgenutzten Zuggurts mit minimalem Längsbewehrungsgrad auftreten, beeinflussen in den beiden vorgestellten Versuchen mitunter die sich einstellenden großen Rissbreiten. Deshalb kommt der Rissreibung im Bereich der maximalen Querkraft - trotz ähnlich großer Rissgleitungen parallel zum Rissufer - keine maßgebliche Bedeutung zu und es muss davon ausgegangen werden, dass sich andere Tragmechanismen in größerem Maße am Querkraftabtrag beteiligen. Des Weiteren ist durch die geneigte Lage des Spannglieds am Schnittpunkt mit dem kritischen Schubriss und der großen Rissöffnungen mit einem erheblichen Spannungszuwachs im Spannglied zu rechnen. Die im Hüllrohr angeordneten faseroptischen Sensoren bieten die Möglichkeit auf den Dehnungszustand des Spannglieds zu schließen und somit mögliche Umlagerungen ins Spannglied zu quantifizieren. 8. Danksagung Unser besonderer Dank gilt der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) für die Gewährung von Fördermitteln für das Verbundforschungsprojekt „Experimentelle und theoretische Untersuchungen zur Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand“. Diesem Beitrag liegen Teile der im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen, unter FE-Nr. 15.0664/ 2019/ DRB durchgeführten Forschungsarbeit zugrunde. Die Verantwortung für den Inhalt liegt allein bei den Autoren. Literatur [1] Fischer, O. et al.: Ergebnisse und Erkenntnisse zu durchgeführten Nachrechnungen von Betonbrücken in Deutschland. In: Beton- und Stahlbetonbau 109 (2014), Heft 2, S. 107-127 [2] Huber, P.; Kromoser, B.; Huber, T.; Kollegger, J.: Experimentelle Untersuchung zum Querkrafttragverhalten von Spannbetonträgern mit geringer Schubbewehrung. In: Bauingenieur 91 (2016) 6, S. 238-247 [3] Schramm, N.; Fischer, O.: Querkraftversuche an profilierten Spannbetonträgern aus UHPFRC. In: Beton- und Stahlbetonbau 114 (2019), Heft 9, S. 641-652 [4] Schramm, N.; Fischer, O.; Scheufler W.: Experimentelle Untersuchungen an vorgespannten Durchlaufträger-Teilsystemen zum Einfluss nicht mehr zugelassener Bügelformen auf die Querkrafttragfähigkeit. In: Bauingenieur 94 (2019), Heft 1, S. 1-12. [5] Fischer, O.; Hegger, J.; Thoma S. et al.: Weiterentwicklung der Nachrechnungsrichtlinie - Validierung erweiterter Nachweisformate zur Ermittlung der Schubtragfähigkeit bestehender Spannbetonbrücken. BASt Verbundforschungsprojekt FE 15.0661/ 2018/ FRB, Schlussbericht, 2021 [6] Fischer, O.; Schramm, N.; Gehrlein, S.: Labor- und Feldversuche zur realitätsnahen Beurteilung der Querkrafttragfähigkeit von bestehenden Spannbetonbrücken. In: Bauingenieur 92 (2017), Heft 11, S. 455-463. [7] Rupf, M.; Fernández Ruiz, M.; Muttoni, A.: Post-tensioned girders with low amounts of shear reinforcement: Shear strength and influence of flanges. In: Engineering Structures (2013), Heft 56, S. 357-371. [8] Maurer, R.; Zilch, K.; Gleich, P.; Dunkelberg, D.: Querkraftversuch an einem Durchlaufträger aus 466 5. Brückenkolloquium - September 2022 Untersuchungen zur Schubrissbildung von Spannbetondurchlaufträgern mit baupraktischen Querschnittsabmessungen Spannbeton. In: Beton- und Stahlbetonbau 109 (2014), Heft 10, S. 654-665 [9] Herbrand, M.; Classen, M.; Adam, V.: Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Rechteck- und I-Querschnitt. In: Bauingenieur 92 (2017), Heft 11, S. 465-473 [10] Maurer, R.; Stakalies, E.: Versuche und Bemessungsvorschlag zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung, In: Bauingenieur 96 (2020), Heft 1, S. 1-11 [11] Huber, P.; Huber, T.; Kollegger, J.: Experimental and theoretical study on the shear behavior of singleand multispan Tand I-shaped post-tensioned beams. In: Structural Concrete, Volume 21, Issue-1 (2020), S. 393-408 [12] DIN EN 1992-2/ NA: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs und Konstruktionsregeln (04/ 2013); Beuth, Berlin [13] Van den Berg, F. J.: Shear Strength of Beams without Web Reinforcement. Part 2: Factors Affecting Load at Diagonal Cracking. In: ACI Journal, Vol. 59 (1962), Issue. 11, S. 1587-1600. [14] Javidmehr, S.; Oettel, V.; Empelmann, M.: Schrägrissbildung von Stahlbetonbalken unter Querkraftbeanspruchung. In: Bauingenieur 93 (2018), Heft 6, S. 248-254. 5. Brückenkolloquium - September 2022 467 Experimentelle Untersuchungen zur Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonbindern unter gleichmäßig verteilten Lasten Christian Dommes M. Sc. Institut für Massivbau (IMB), RWTH Aachen University Dr.-Ing. Viviane Adam Institut für Massivbau (IMB), RWTH Aachen University Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger Institut für Massivbau (IMB), RWTH Aachen University Zusammenfassung Der Großteil der bestehenden Brücken in Deutschland wurde vor der Einführung des Eurocode 2 gebaut. Eine Nachrechnung dieser Brücken mit dem EC2 ergibt ein deutliches Defizit an vorhandener Querkraftbewehrung. Auch mit einer Reihe von Modifikationen, die in den früheren Normengenerationen üblich waren, kann eine ausreichende Schubtragfähigkeit rechnerisch nicht nachgewiesen werden. Daher besteht das Ziel eines von der BASt finanzierten Forschungsvorhabens darin, die Schubtragfähigkeit bestehender Spannbetonbrücken mit verfeinerten Bemessungsmodellen nachzuweisen, die zusätzliche Tragfähigkeitsreserven durch die günstigen Einflüsse aus dem statischen System, der Vorspannung und der Art der Belastung berücksichtigen. Zudem wird die Schubtragfähigkeit von Bauwerken mit niedrigen Schubbewehrungsgraden wesentlich durch den Betonbeitrag bestimmt, der von der Querschnittsform und dem Grad der Vorspannung abhängt. Zur Untersuchung der vorhandenen Traglastreserven werden daher acht großformatige vorgespannte Spannbetonkörper (16,5-m lange Durchlaufträger mit gleichmäßig verteilten Lasten und variierenden Schubschlankheiten) mit geringen Querkraftbewehrungsgraden und unterschiedlichen Querschnittsformen in jeweils zwei Teilversuchen untersucht. 1. Motivation und Problemstellung Die Anforderungen an die Infrastruktur der Straßen werden aufgrund des stets steigenden Güterverkehrs zunehmend höher [1; 2]. Während viele ältere Brücken in einem allgemein schlechten Zustand sind [3], verschärfen Änderungen in den Normen zu Lastannahmen und strengeren Anforderungen an das Sicherheitsniveau sowie robustere Ansätze für die Bauteilwiderstände die Situation. Dadurch ergeben sich häufig Defizite in der rechnerischen Querkraft- und Torsionstragfähigkeit vieler älterer Bestandsbrücken [2; 4]. Zur zutreffenden Bewertung der Tragfähigkeit von Brücken im Bestand ist die Frage nach einer möglichst realistischen Berechnung der Reserven der Bauteilwiderstände immer wichtiger geworden [5]. Insbesondere deswegen ist eine der ältesten Fragen der forschenden Ingenieure nach der Querkrafttragfähigkeit von Betonbauteilen (z. B. [6-10]) seit einigen Jahren wieder hoch aktuell. Durch die Umstellung von [11] auf [12] bzw. [13; 14] ergeben sich sowohl bei Querkraft, als auch Torsion bei Brückennachrechnungen die bekannten Defizite hinsichtlich der Bügel- und Torsionslängsbewehrung [15]. Da ein Großteil der für die Herleitung und Kalibrierung der Querkraftbemessungsansätze zugrunde gelegten Versuche an Einfeldträgern mit Einzellasten durchgeführt wurde [16], ergeben sich in realen Tragstrukturen oftmals erhebliche rechnerisch ungenutzte Tragfähigkeitsreserven. In experimentellen Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass Mehrfeldträger mit Streckenlasten größere Querkräfte abtragen konnten. Die Interaktion von Biegemoment und Querkraft ist hierdurch nicht hinreichend abgedeckt und bedarf der weiteren Erforschung. Außerdem existieren nur sehr wenige Versuche an vorgespannten Durchlaufträgern mit geringen Querkraftbewehrungsgraden, wie es bei älteren Brücken häufig der Fall ist [17]. Durch die am IMB der RWTH geplanten theoretischen und experimentellen Untersuchungen soll das Querkrafttragverhalten von Spannbetondurchlaufträgern mit kleinen Querkraftbewehrungsgraden vertiefter betrachtet werden, um Ergebnisse zu erhalten, die möglichst direkt in die Praxis übertragbar sind. Das Ziel ist die Verbesserung der Beurteilung der Querkrafttragfähigkeit älterer Spannbetonbrücken durch genauere Nachweisverfahren, die eine zutreffendere Quantifizierung bislang rechnerisch ungenutzter Tragfähigkeitsreserven erlauben. Dabei sollen insgesamt die Kenntnislücken in Hinblick auf die Einflüsse aus Biege- und Schubschlankheit sowie dem Einfluss der Lagerungs- und Belastungsart adressiert werden. 468 5. Brückenkolloquium - September 2022 Experimentelle Untersuchungen zur Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonbindern unter gleichmäßig verteilten Lasten 2. Experimentelle Untersuchungen 2.1 Versuchskonzipierung Insgesamt sind im Versuchsprogramm der RWTH Aachen acht Spannbetonträger mit je zwei Teilversuchen (TV) zur Untersuchung des Querkrafttragverhaltens geplant. Die wesentlichen Variationsgrößen sind die Querschnittsform, der Bügelbewehrungsgrad, der Einspanngrad am Auflager, die Schubschlankheit und die Belastungsart. Während die Querschnittsformen (Abb.-1) genauso ausgebildet werden sollen wie bei den Versuchen in FE 15.0591 [18], wird das Längssystem abweichend ausgeführt. Abb.-1: Darstellung der für die Spannbetonträger geplanten Querschnitte für die Versuche an der RWTH (Querschnitte entsprechend FE 15.0591 [18]) Zur Vergrößerung der Trägerschlankheit wird nur ein Feld vollständig abgebildet. Das zweite Feld wird mithilfe eines über ein Auflager hinausragenden Kragarms dargestellt, der durch einen separat steuerbaren Zylinder belastet wird. So können systematisch verschiedene im Nachbarfeld auftretende Situationen simuliert werden. Einfeldträger mit zusätzlich belasteten Kragarmen wurden bereits in anderen Versuchsprogrammen zielführend eingesetzt, bei denen Spannbetondurchlaufträger im Fokus der Untersuchungen standen (z. B. [19-23]) und auch bereits im Zuge anderer Forschungsvorhaben am IMB der RWTH Aachen umgesetzt (z. B. [24; 25]). Aufgrund des kürzeren zweiten Feldes kann die Spannweite des Feldes, das bei der Versuchsdurchführung betrachtet wird, entsprechend länger ausgeführt werden. Der erste Teilversuch wird an jedem der acht Träger am Innenauflager durchgeführt (siehe Abb.-2). Dazu wird der Kragarm im Achsabstand von 2,5-m vom Auflager durch eine Einzellast belastet. Im 13-m langen Feld, in dem der Untersuchungsbereich liegt, erfolgt gleichzeitig eine weitere Beanspruchung; je nach Konstellation durch eine weitere Einzellast, die in der Nähe des Innenauflagers angreift, oder durch eine Gleichlast, die durch mehrere, nah beieinander wirkende Einzellasten realisiert wird. Die Lasten im Feld und am Kragarm sollen während des Versuchs simultan gesteigert werden. Dazu wird ein Verhältnis zwischen den beiden Belastungen festgelegt, das sich entsprechend der Beanspruchungskonstellation und dem gewünschten Einspanngrad ändert, während eines Versuchs jedoch konstant bleibt. Abb.-2: Darstellung des Versuchsstandes mit Linienlast mit Kennzeichnung der Teilversuche und Bei allen Versuchen erfolgt die Lagerung unterhalb des Trägers, während die Belastung von oben aufgebracht wird. Dazu werden Zugstangen im Hallenboden verankert, die links und rechts des Trägers vertikal vorbeigeführt und oberhalb des Versuchskörpers mit Traversen verbunden werden. Durch einen Zusammenschluss aller Zylinder in einem Hydraulikkreislauf wird sichergestellt, dass die Belastung trotz unterschiedlicher Durchbiegung (und Zylinderwege) entlang des Trägers in jeder Lastachse stets gleich gehalten wird. Im zweiten TV soll der Bereich in der Nähe des Randauflagers im Fokus der Untersuchungen stehen. Dazu wird das zuvor als Innenauflager fungierende Auflager weiter ins Feld geschoben. Dadurch erfolgt zwar eine Verringerung der Schlankheit. Gleichzeitig wird jedoch der infolge des ersten TV querkraftgeschädigte Trägerbereich über das Auflager hinausgeführt, sodass er den zweiten TV nicht beeinflusst. Aufgrund der geringen Biege- und Querkraftbeanspruchung am Randauflager während des ersten TV, kann davon ausgegangen werden, dass der Prüf bereich am Randauflager bis zum zweiten TV weitestgehend ungerissen bleibt, wie es auch bei vergleichbaren Versuchen der Fall war, vgl. z. B.- [23]. Die Ergebnisse der zweiten TV im Vergleich mit denen der ersten TV ermöglicht eine Gegenüberstellung des Querkrafttragverhaltens von Ein- und Mehrfeldträgern und könnte eine differenzierte Bewertung der üblichen Querkraftversuche an Einfeldträgern (Vgl.- [26]) hinsichtlich der Übertragbarkeit auf reale Brücken zulassen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 469 Experimentelle Untersuchungen zur Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonbindern unter gleichmäßig verteilten Lasten Abb.-3: Momentenverlauf in TV1 (oben) und TV2 (unten) infolge Gleichlast-q In Tab. 1 sind die Parameterkombinationen je Versuch dargestellt. Der Schwerpunkt der Betrachtungen der ersten TV am Innenauflager (Schubfeld beinhaltet Bereiche mit positivem und negativem Moment, M + und M - , siehe Abb. 3 oben) ist die Schubschlankheit l, während der Fokus bei den zweiten TV (Schubfeld nur im Feldmomentenbereich M + , Abb. 3 unten) auf dem Einfluss des Querkraftbewehrungsgrads r w liegt. Eine Variation des Querkraftbewehrungsgrades erfolgt lediglich über die Veränderung des Bügeldurchmessers, während die Achsabstände der Bügel nicht verändert werden. Weiterhin werden der Querschnitt und die Belastungsart variiert, da hier bei einer verteilten Belastung und gleichbleibender Stützweite ansonsten keine Variation der Schubschlankheit möglich ist. Abb.-4: Träger 3 TV1 im Versuchsstand (oben) und maßgebender Schubriss (unten) 2.2 Messtechnik Zur kontinuierlichen Erfassung des Trag- und Verformungsverhaltens der Versuchskörper während der Belastung kommt verschiedene Messtechnik zum Einsatz. Mithilfe von Dehnungsmesstreifen (DMS, für Beton und Stahl) und induktiven Wegaufnehmern (IWA) können stellenweise genaue Messwerte infolge von Dehnungen und Verformungen infolge Betonstauchung, Rissbildung oder Durchbiegung erfasst werden. Dazu werden DMS auf den Bügeln und der Biegezugbewehrung und Beton- DMS auf den Außenflächen aufgebracht. Hinzu kommen einzelne IWA zur Aufzeichnung der Durchbiegung an ausgewählten Stellen. Der Einsatz eines optischen Messsystems zur Digitalen Bildkorrelation ermöglicht eine flächige Aufnahme im Bereich der Schubfelder, welche die tiefergehende Bewertung des Bauteilverhaltens im versagensmaßgebenden Bereich und eine detaillierte Auswertung in Hinblick auf die Schubrissbildung sowie die Interaktion von Fachwerk- und Betontraganteil erlaubt. Tab.-1: Versuchsmatrix Versuchskörper Querschnitt Lastart* Schubschlankheit (1.TV) [27] ρ w,vorh / ρ w,mi (1.TV) [14] ρ w,vorh / ρ w,min (2.TV) [14] Vorspanngrad s cp 1 q 4,4 0,5 (Ø6/ 25) 0,5 (Ø6/ 25) 2,5 2 F 3,5 0,5 (Ø6/ 25) 0,5 (Ø6/ 25) 2,5 3 q 4,2 0,5 (Ø6/ 25) 0,5 (Ø6/ 25) 2,5 4 F 3,4 0,5 (Ø6/ 25) 0,5 (Ø6/ 25) 2,5 5 q 3,4 0,5 (Ø6/ 25) 1,0 (Ø8/ 25) 2,5 6 q 3,6 0,5 (Ø6/ 25) 2,0 (Ø12/ 25) 2,5 7 q 3,4 0,5 (Ø6/ 25) 0,5 (Ø6/ 25) 1 8 q 3,9 0,5 (Ø6/ 25) 1,5 (Ø10/ 25) 2,5 * q: Gleichlast, F: Einzellast 2.3 Beton, Bewehrung und Spannstahl Zur Herstellung aller Träger wird C30/ 37 verwendet, was einem üblichen Wert bei Bestandsbrücken entspricht. Sowohl Biegezugals auch Bügelbewehrung werden mit einem B500B ausgebildet. Die Längsbewehrung wird stoßfrei über die komplette Länge des Trägers mit einem Durchmesser- Ø von 25- mm ausgebildet und wird von Bügeln umschlossen, die über die gesamte Querschnittshöhe reichen. Bei den Trägern mit I-Profil sind zusätzlich horizontale Bügel in den Flanschen eingesetzt. Der 470 5. Brückenkolloquium - September 2022 Experimentelle Untersuchungen zur Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonbindern unter gleichmäßig verteilten Lasten Kragarm in TV1 sowie das nicht betrachtete Auflager in TV2 werden zur Vermeidung eines Querkraftversagens mit einer dichteren Bügelbewehrung ausgebildet. Im Endbereich der Spannkrafteinleitung ist eine verdichtete Bewehrung zur Aufnahme der Spaltzugkräfte ausgebildet. In den Schubfeldern in den Testbereichen werden die in Tab.-1 angegebene Schubbewehrungen eingebaut. Die Bügelbewehrung und der Spanngliedverlauf sind in Abb.-5 dargestellt. Die nachträgliche Vorspannung wird über zwei Spannglieder mit je drei Litzen der Festigkeitsklasse St-1570/ 1770 realisiert. In Abb.-4 ist Träger 3 nach Bildung des kritischen Schubrisses in TV1 abgebildet. Abb.-5: Anordnung der Bügelbewehrung (oben) und Spanngliedverlauf (unten) Abb.-6: Einfluss der Rissreibung auf den Druckstrebenwinkel bei einem querkraftbewehrten Stahlbetonbalken nach [28]: a) Darstellung der Kräfte an entlang des Schubrisses abgetrennten Träger; b)-d): Spannungszustände im Beton und zwischen den Rissen 2.4 Auswertungskonzept Im Folgenden wird das Konzept für die Auswertung der Versuche dargelegt und danach die Ergebnisse der Träger 1 bis 4 (Tab.-1) vorgestellt. Unter anderem werden Querkraft-Verformungsdiagramme erstellt und ausgewertet. Aus der aufgebrachten Pressenlast wird für alle Teilversuche die Querkraft im Abstand-d vom Auflagerrand berechnet. Die resultierenden experimentellen Querkraftbeanspruchungen sind in Tab.-2 dargestellt. Die Verformung des Versuchskörpers und der Auflager wird mithilfe von induktiven Wegaufnehmern dokumentiert. Die Positionen der unterschiedlichen Wegaufnehmer sind Abb.-7 zu entnehmen. Abb.-7: Positionen der IWA zur Dokumentation der Durchbiegungen, Bemaßung in mm Die Verformung des Versuchskörpers wird im Folgenden um die Auflagerstauchung bereinigt dargestellt. Diese Verformung wird nachfolgend Durchbiegung genannt. Die Querkraft wird in kN auf der y-Achse aufgetragen. Die Durchbiegung wird in mm auf der x-Achse in abgebildet. Für den Vergleich des Trag- und Verformungsverhaltens der Versuche werden die Ergebnisse der gleichen Wegaufnehmer Position dargestellt, wobei der Wegaufnehmer mit der maximalen Verformung präferiert wird. In der Legende wird in Abhängigkeit der dargestellten Versuche die Trägerbezeichnung, gefolgt von den Versuchsmerkmalen der Belastungsart (Einzellast: F, Linienlast: q), der Querschnittsform (Rechteck: R-QS, I-Profil: I-QS), des Einspanngrades in %, der Querkraftbewehrung (ØX/ 25) und des statischen Systems (DLT, EFT) wiedergegeben. Zugunsten der Übersichtlichkeit wird der erste Teilversuch als DLT abgekürzt, obwohl es sich dabei um einen EFT mit Kragarm handelt. Des Weiteren wird die Bezeichnung Träger X nachfolgend mit „TX“ ab- 5. Brückenkolloquium - September 2022 471 Experimentelle Untersuchungen zur Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonbindern unter gleichmäßig verteilten Lasten gekürzt. Die Querkraft-Durchbiegungskurve ist bis zum Maximalwert der Belastung dargestellt. Tab.-2: Ergebnisse der exp. Untersuchung Versuchskörper Querschnitt Lastart* V max (TV1) [kN] x crit (TV1) V max (TV2) [kN] x crit (TV2) 1 q 460 d 579 0,7d 2 F 393 1,7d 418 1,3d 3 q 753 1,6d 808 1,2d 4 q 501 2,5d 549 1,8d 2.4.1 Einfluss der Querschnittsgeometrie Um den Einfluss der Querschnittsgeometrie zu untersuchen, werden im Folgenden die Querkraft-Durchbiegungsdiagramme der Träger 1 und 3 (Gleichstreckenlast) sowie der Träger 2 und 4 (Einzellast) jeweils für beide Teilversuche untersucht (siehe Abb.-8). Die ersten Teilversuche (EFT mit Kragarm) sind mit durchgezogenen Linien dargestellt, die zweiten Teilversuche (EFT) gestrichelt. Die Farbe der Linien kennzeichnet um welchen Träger es sich handelt. Die o.g. Träger unterscheiden sich ausschließlich durch die Querschnittsform, sodass deren Einfluss auf die Querkrafttragfähigkeit isoliert betrachtet werden kann. Die Querkrafttragfähigkeit der als I-Profil ausgeführten Träger 3 und 4 ist höher als die der korrespondierenden Rechteckträger. Zudem verhalten sich die I-Profile steifer als die Rechteckprofile. Die Tragfähigkeiten der ersten und zweiten Teilversuche können aufgrund der unterschiedlichen Schubschlankheiten nicht direkt miteinander verglichen werden. Des Weiteren wird aufgrund der Asymmetrie des Trägers im TV1 der breitere Flansch auf Zug belastet, während im TV2 der schmalere Flansch eine Zugbelastung erfährt. Die Lage des kritischen Schubrisses x crit (Tab.-2) entfernt sich für die profilierten Querschnitte weiter vom Auflagerrand als für die Rechteckprofile. Dieser Einfluss ist sowohl in TV1 als auch in TV2 erkennbar. Während sich der maßgebende Schubriss für das Rechteckprofil durchschnittlich im Abstand 1,1d zur Auflagerachse ausbildet, liegt dieser für die Träger mit profiliertem Querschnitt im Abstand 1,8d. Der Zuwachs der maximalen Querkrafttragfähigkeit im Abstand-d vom Auflagerrand in Abhängigkeit der Querschnittsform ist mit 63 % für die Kombination aus Gleichstreckenlast und DLT am größten. Für Gleichstreckenlast und EFT beträgt der Querkrafttragfähigkeitszuwachs 40 %. Unter der Einzellast fallen die Zuwächse geringer aus: Für den ersten Teilversuch (DLT) beträgt dieser 28 % und für den zweiten Teilversuch (EFT) beträgt er 32 %. Der gemittelte Querkrafttragfähigkeitszuwachs durch die Wahl eines gegliederten Querschnitts beträgt 40 %. 472 5. Brückenkolloquium - September 2022 Experimentelle Untersuchungen zur Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonbindern unter gleichmäßig verteilten Lasten a) Träger 2 (R-QS) und 4 (I-QS) mit Einzellast-F b) Träger 1 (R-QS) und 3 (I-QS) mit Linienlast q Abb.-8: Vergleich der experimentellen Querkrafttragfähigkeit in Abhängigkeit der Querschnittsgeometrie a) Träger 1 (q) und 2 (F) mit R-Profil b) Träger 3 (q) und 4 (F) mit I-Profil Abb. 9: Vergleich der experimentellen Querkrafttragfähigkeit in Abhängigkeit der Querschnittsgeometrie 2.4.2 Einfluss der Lastart In der Versuchsreihe wird zwischen Belastung mit Einzellast und Gleichstreckenlast unterschieden. Um den Einfluss der Belastungsart zu untersuchen, werden im Folgenden die Träger 1 und 2 und die Träger 3 und 4 miteinander verglichen. Die erstgenannten sind als Rechteckquerschnitt ausgebildet und die Träger 3 und 4 als profilierte Querschnitte. Die Teilversuche 1 und 2 werden separat ausgewertet. Im ersten Teilversuch weicht die Schubschlankheit der Träger 2 und 4 um 20 % von Träger 1 und 3 ab, sodass der Einfluss der Belastungsart noch nicht vollständig isoliert betrachtet werden kann. Mit Beendigung der experimentellen Untersuchungen ist eine vertiefte Analyse möglich. Der Vergleich der schwarzen und blauen Linien zeigt, dass die Querkraftbelastung infolge der Gleichstreckenlast in Auflagernähe größer ist als infolge der Einzellast. Für die Einzellast ist die Querkraftbelastung im experimentell untersuchten Schubfeld konstant, während sie für die Gleichstreckenlast Richtung Feldmitte betragsmäßig abnimmt. Die Gleichstreckenlast hat einen positiven Einfluss auf die Querkrafttragfähigkeit. Dies ist u. a. darauf zurückzuführen, dass die Belastung der äußersten Zylinder über den Tragmechanismus einer direkten Druckstrebe ins Auflager abgetragen werden kann. Ein Teil der Belastung muss folglich nicht über den Schubriss abgetragen werden. Die Versuche mit Einzellast verhalten sich für beide statische Systeme zunächst steifer als die Versuche unter Gleichstreckenlast. Nach dem Übergang in Zustand II verlaufen die Verformungskurven nahezu parallel. Die Versuche mit Gleichstreckenlast weisen größere Durchbiegungen im Versagenszustand auf als die Einzellastversuche. Die Entfernung des maßgebenden Risses zum Auflager-x crit fällt unter Einzellast größer aus als unter Gleichstreckenlast. Der Tragfähigkeitszuwachs fällt für die Kombination aus profiliertem Querschnitt und EFT mit 53 % am größten aus. Auch für das DLT-System der profilierten Querschnitte werden 50 % Zuwachs erreicht. Für den Rechteckträger fallen die Zuwächse für den DLT mit 18 % und 44 % für den EFT geringer aus. Der Einfluss der Belastungsart ist demnach für die EFT stärker als für die DLT und für den profilierten Querschnitt signifikanter als für den Rechteckquerschnitt. 3. Analytische Querkrafttragfähigkeit 3.1 Querkraftbemessung nach aktueller Norm Die derzeitige Querkraftbemessung von Stahl- oder Spannbetonbauteilen unterscheidet zwischen drei Nachweisen: dem Nachweis für Bauteile ohne Querkraftbewehrung sowie den Nachweis der Querkraftbewehrung 5. Brückenkolloquium - September 2022 473 Experimentelle Untersuchungen zur Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonbindern unter gleichmäßig verteilten Lasten und Druckstrebentragfähigkeit. Nach aktuellem EC2-2 [13] erfolgt die Querkraftbemessung für Träger mit Querkraftbewehrung über ein Fachwerkmodell mit variabler Druckstrebenneigung-q [29]. Entsprechend der Plastizitätstheorie kann der Druckstrebenwinkel innerhalb fester Grenzen frei gewählt werden. Im Nationalen Anhang für Deutschland wird hingegen ein Fachwerkmodell mit Rissreibung verwendet [28], das entlang der Schubrisse Rissreibungskraft übertragen kann (Abb.-6). In EC2-2/ NA(D) [14] wird der Druckstrebenwinkel entsprechend [12] auf knapp 30° begrenzt. 3.2 Querkraftbemessung gemäß Nachrechnungsrichtlinie Mit Einführung der NRR [30] wurde für die Bewertung von Bestandsbrücken ein vierstufiges Nachweisverfahren eingeführt, das in Stufe-2 erweiterte Bemessungsansätze und in Stufe-4 alternative wissenschaftlich basierte Berechnungsverfahren zulässt. So sind u. a. Modifikationen in der Querkraft- und Torsionsbemessung erlaubt, die in alten Normengeneration festgeschrieben waren (DIN-4227 vor 2003). In einem Forschungsvorhaben [15; 31; 32] wurden u.a. aufgrund mangelnder einheitlicher Vorschriften kurzfristige Lösungen zur Modifikation bestehender Bemessungsansätze auf Grundlage bisher durchgeführter Forschungsvorhaben und gesammelter Erfahrungen im Zuge von Nachrechnungen und Gutachten zur Bewertung von Bestandsbrücken erarbeitet, um auch Modifikationen zuzulassen, die bis dahin nur Anwendung in Gutachten fanden. Die Ergebnisse waren die Grundlage für die erste Ergänzung der NRR [33]. Dadurch wurde auch wieder ermöglicht, die Betonzugfestigkeit bei der Bemessung in Ansatz zu bringen. 3.3 Querkraftbemessung der Versuche In Abb.-10 und Abb.-11 sind die Quotienten V Test / V calc für die Bemessungsansätze nach EC2-2/ NA(D) [13; 14] und nach der NRR inkl. der 1. Ergänzung [34] für die Träger 1 bis 4 dargestellt (Tab.-1). Hohe Werte für V Test / V calc bedeuten, dass die experimentelle Tragfähigkeit deutlich über der analytischen Tragfähigkeit liegt, d.h. die Tragfähigkeit dieser Versuchskörper wird durch die Bemessungsansätze besonders unterschätzt. Da die dargestellten Träger jeweils mit einem Querkraftbewehrungsgrad ρ w, vorh / ρ w,min -=-0,5 in den Testbereichen ausgebildet wurden, wird sowohl nach EC22/ NA(D) als auch nach der NRR der Querkrafttraganteil des Betons maßgebend, weil eine Tragwirkung aus dem Fachwerk für Querkraftbewehrungen unterhalb der Mindestquerkraftbewehrung nicht angesetzt werden darf. Da die Querkrafttragfähigkeiten auf dem Mittelwertniveau, also ohne Berücksichtigung der Teilsicherheitsbeiwerte der Werkstoffe, ermittelt wurden, ergeben sich nach EC2- 2/ NA(D) und NRR identische Querkrafttragfähigkeiten. Abb.-10: Vergleich der experimentellen und analytischen Tragfähigkeiten von TV1 Abb.-11: Vergleich der experimentellen und analytischen Tragfähigkeiten von TV2 Abb. 10 und Abb. 11 zeigen, dass die experimentellen Traglasten die analytischen Traglasten in allen Versuchen übersteigen. Besonders ausgeprägt ergibt sich diese Tendenz sowohl in TV1 als auch in TV2 für die gegliederten Querschnitte (IProfile) im Vergleich zu den Vollquerschnitten (R-Profile) und für Beanspruchungen aus Gleichlasten q anstelle von Einzellasten F. 4. Zusammenfassung und Ausblick Die Notwendigkeit eines brauchbaren Ansatzes zur Tragfähigkeitsbewertung älterer Spannbetonbrücken ist unumstritten und wird durch die aktuellen experimentellen Untersuchungen nochmals hervorgehoben. In FE- 15.0591/ 2012/ FRB [18] konnte bereits anhand von Versuchsergebnissen gezeigt werden, dass das erweiterte Fachwerkmodell mit additivem Betontraganteil, wie es bereits im Model Code 2010 [35] für Bestandstragwerke vorgesehen ist, die Querkrafttragfähigkeiten von Spannbetonträgern mit geringem Bügelbewehrungsgrad wirtschaftlicher abbilden kann als aktuelle Ansätze auf Basis eines reinen Fachwerkmodells [36]. Zur realistischen Bewertung älterer Brücken sind weiterhin Bemessungsmodelle erforderlich, die zusätzliche Tragfähigkeitsreserven durch die günstigen Einflüsse aus dem statischen System, der Vorspannung und der Art der Belastung berücksichtigen. Zudem sollte der positive Einfluss gegliederter Querschnitte auf den Querkrafttraganteil des Betons berücksichtigt werden. 474 5. Brückenkolloquium - September 2022 Experimentelle Untersuchungen zur Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonbindern unter gleichmäßig verteilten Lasten Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Strategie zur Ertüchtigung der Straßenbrücken im Bestand der Bundesfernstraßen. Berlin 22.05.2013. [2] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehr - Eine Bestandsaufnahme. Bauingenieur 85 (2010), S. 1-9. [3] Zilch, K., Weiher, H.: Untersuchung des Zustands der deutschen Spannbetonbrücken. In: Zilch, K. (Hg.): Tagungsband zum 10. Münchner Massivbau- Seminar. München: Eigenverlag der TUM, S. 1-18. [4] Maurer, R., Bäätjer, G.: Sicherheit von- Spannbetonbrücken - Entwicklung von Konstruktions- und Bemessungsgrundsätzen in-Deutschland. Bauingenieur 82 (2007), S. 14-24. [5] Steinbock, O., Garibaldi, M. P., Curbach, M.: Der Umgang mit dem Brückenbestand ein Vergleich zwischen Deutschland und den USA. Bauingenieur 91 (2016), S. 215-226. [6] Ritter, W.: Die Bauweise Hennebique. Schweizerische Bauzeitung 33/ 34 (1899), pp. 41-43, pp. 49- 52, pp. 59-61. [7] Mörsch, E.: Der Eisenbetonbau. Seine Theorie und Anwendung. Stuttgart: Verlag von Konrad Wittwer 1908. [8] Kupfer, H.: Erweiterung der Mörsch‘schen Fachwerkanalogie mit Hilfe des Prinzips vom Minimum der Formänderungsarbeit. [9] Leonhardt, F., Walther, R.: Schubversuche an einfeldrigen Stahlbetonbalken mit und ohne Schubbewehrung zur Ermittlung der Schubtragfähigkeit und der oberen Schubspannungsgrenze. DAfStb- Heft 151. Berlin: Ernst & Sohn 1962. [10] Kani, G. N. 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[15] Hegger, J., Maurer, R., Zilch, K., Rombach, G.: Beurteilung der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Brücken im-Bestand - Kurzfristige Lösungsansätze. Fördernummer FE 15.0482/ 2009/ FRB 2014. [16] Reineck, K.-H., Bentz, E. C., Fitik, B., Kuchma, D. A., Bayrak, O.: ACI-DAfStb Database of Shear Tests on Slender Reinforced Concrete Beams without Stirrups. ACI Structural Journal 110 (2013), S. 867-875. [17] Herbrand, M., Classen, M., Adam, V.: Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Rechteck- und I-Querschnitt. Bauingenieur 92 (2017), S. 465-473. [18] Hegger, J., Maurer, R., Fischer, O., Zilch, K.: Beurteilung der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von-Brücken im Bestand erweiterte-Bemessungsansätze. Fördernummer FE 15.0591/ 2012/ FRB. Aachen 2018. [19] Gregor, T., Collins, M. P.: Tests of Large Partially Prestressed Concrete Girders. ACI Structural Journal 92 (1995), S. 63-72. 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Brückenkolloquium - September 2022 475 Experimentelle Untersuchungen zur Querkrafttragfähigkeit von großformatigen Spannbetonbindern unter gleichmäßig verteilten Lasten [30] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Abteilung Straßenbau: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand. Nachrechnungsrichtlinie. Bonn (05/ 2011). [31] Hegger, J., Maurer, R., Zilch, K., Herbrand, M., Kolodziejczyk, A., Dunkelberg, D.: Beurteilung der Querkrafttragfähigkeit des Längssystems von Spannbetonbrücken im Bestand. Bauingenieur 89 (2014), S. 500-510. [32] Hegger, J., Marzahn, G., Teworte, F., Herbrand, M.: Zur Anwendung des Hauptzugspannungskriteriums bei der Nachrechnung bestehender Spannbetonbrücken. Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015), S. 82-95. [33] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Abteilung Straßenbau: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand 1. Ergänzung. Nachrechnungsrichtlinie. Bonn (04 / 2015). [34] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Abteilung Straßenbau: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand. Nachrechnungsrichtlinie inkl. 1. Ergänzung. Bonn (2011 und 2015). [35] Fédération internationale du béton (fib): fib Model Code for Concrete Structures 2010. Berlin: Ernst & Sohn (2013). [36] Hegger, J., Beutel, R., Karakas, A.: Handlungsanweisung für die Berechnung und konstruktive Durchbildung schubkraftgefährdeter Bauwerke. Bericht des Instituts für Massivbau Nr. 193/ 2007. Aachen 2007. 5. Brückenkolloquium - September 2022 477 Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion Dipl.-Ing Vladimir Lavrentyev Technische Universität Dortmund, Deutschland Eva Stakalies M.Sc. Technische Universität Dortmund, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer Technische Universität Dortmund, Deutschland Zusammenfassung Im Rahmen von Brückennachrechnungen ergeben sich bei den bestehenden älteren Spannbetonbrücken infolge einer Beanspruchung aus Querkraft und Torsion häufig Defizite hinsichtlich der erforderlichen Bügel- und Torsionslängsbewehrung. Dies liegt zum einen an höheren Verkehrslasten infolge des kontinuierlich gestiegenen Schwerverkehrs und zum anderen an den im Laufe der Zeit weiterentwickelten Nachweisverfahren für Querkraft und Torsion. Zurzeit existieren nur relativ wenige experimentelle Untersuchungen an vorgespannten Versuchsbalken als Durchlaufträger mit der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens der BASt durchgeführt in Kooperation mit der RWTH Aachen und TU München werden an der TU Dortmund Großversuche an Spannbetonbalken mit realistischer Schubschlankheit durchgeführt, die Plattenbalkenbrücken möglichst gut repräsentieren sollen. Dabei ist u.a. die Interaktion der Schnittgrößen in der Biegedruckzone an der Innenstütze, wo die resultierenden Hauptdruckspannungen aus Biegung, Querkraft und Torsion wirksam sind, Gegenstand der derzeitigen Forschung. 1. Einleitung Im Rahmen von Brückennachrechnungen ergeben sich bei den bestehenden älteren Spannbetonbrücken infolge einer Beanspruchung aus Querkraft und Torsion häufig Defizite hinsichtlich der erforderlichen Bügel- und Torsionslängsbewehrung ([1] und [2]). Dies liegt zum einen an höheren Verkehrslasten [3] infolge des kontinuierlich gestiegenen Schwerverkehrs und zum anderen an den Nachweisverfahren für Querkraft und Torsion, die im Laufe der Zeit zugeschärft wurden. Die Bemessungsmodelle für Torsion gelten und beruhen im Wesentlichen auf Versuchen an Bauteilen unter reiner Torsionsbeanspruchung. Daher stellt sich zum einen die Frage nach Tragfähigkeitsreserven und zum anderen nach erweiterten Interaktionsbedingungen hinsichtlich einer kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. Zurzeit existieren wenige experimentelle Untersuchungen an vorgespannten Versuchsbalken als Durchlaufträger mit einer kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens der BASt durchgeführt in Kooperation mit der RWTH Aachen und TU München werden an der TU Dortmund Großversuche an Spannbetonbalken mit realistischer Schubschlankheit durchgeführt. Dabei ist u.a. die Interaktion der Schnittgrößen in der Biegedruckzone an der Innenstütze, wo die resultierenden Hauptdruckspannungen aus Biegung, Querkraft und Torsion wirksam sind und sich überlagern Gegenstand der derzeitigen Forschung. 2. Versuchsprogramm 2.1 Konzept Der neu konzipierte Versuchskörper und der Versuchsaufbau sollen den Bereich einer Innenstütze eines Durchlaufträgers als Plattenbalkenbrücke hinsichtlich Belastungsart (Streckenanstatt Einzellasten) und größerer Schlankheit gegenüber den bisherigen Versuchsträgern mit Einzellasten möglichst realitätsnah abbilden. Vorgespannte Plattenbalkenbrücken bewegen sich mit ihren Spannweiten etwa im Bereich von 20 - 40 m bei einer Querschnittshöhe von ca. 1,0 - 2,5 m. Daraus ergeben sich übliche Schlankheiten L/ h im Bereich von etwa 15 - 20. Für den Stützbereich des Innenfeldes eines mehr- Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 478 5. Brückenkolloquium - September 2022 feldrigen Brückenbauwerks ergeben sich dabei Schubschlankheiten M/ (V∙d) im Bereich von 2,5 - 3,5. Abb. 1 zeigt das Ersatzsystem des Innenfeldes eines unendlich langen Durchlaufträgers unter Streckenlast. Es resultiert ein M/ V-Verhältnis von L/ 6 und eine Schubschlankheit von M/ (V∙d) = L/ (6d). Durch Kalibrierung der Einzellast am Kragarmende sowie der Streckenlast im Feld kann die sich einstellende Schubschlankheit an der Innenstütze gezielt gesteuert werden. Der Schnittgrößenverlauf bildet dabei lediglich einen Teil des Innenfeldes eines Durchlaufträgers ab. Bei Ergänzung der Schnittgrößenverläufe für ein volles Feld, repräsentiert der Versuchsträger ein deutlich längeres Feld als seine eigentliche Länge. Die simulierte Länge stellt sich hierbei über den resultierenden Momentennullpunkt ein, welcher aus der kalibrierten Schubschlankheit resultiert. Der gewählte Versuchsträger und -aufbau ist somit in der Lage, reale Verhältnisse von Brückenüberbauten mit Plattenbalkenquerschnitt anzunähern. Abb. 1: Ableitung des Versuchsaufbaus 2.2 Versuchsprogramm Die Abmessungen des T-Querschnitts werden analog zu den Torsionsversuchen der TU Dortmund des abgeschlossenen BASt-Projekts FE 15.0591 [4] gewählt. Hierdurch werden die unmittelbare Vergleichbarkeit der Versuchsreihen und die Erweiterung einer zusammenhängenden Datenbasis großformatiger Versuche an vorgespannten Stahlbetonträgern ermöglicht. Das Versuchsprogramm „Einfeldträger mit Kragarm“ (ETK) besteht aus insgesamt fünf vorgespannten Versuchsträgern. Jeder Versuchsträger wurde als Basis für zwei Teilversuche genutzt. Im Teilversuch 1 wurde die Querkrafttragfähigkeit feldseitig im Stützbereich unter dem Einfluss von Variationsparametern untersucht. Der Referenzversuch ETK1 wurde durch reine Querkraftbiegung ohne Torsion getestet. In den Versuchen ETK2 bis ETK5, mit zusätzlicher Torsion, wurde jeweils ein Parameter variiert zur Untersuchung seiner Auswirkung auf die Tragfähigkeit. Bei den Versuchsträgern ETK2 und ETK3 wurde die Auswirkung einer zunehmenden Exzentrizität unter gewählter Druckstrebenneigung von θ=2,5 untersucht. In ETK4 soll die Auswirkung einer Variation der Druckstrebenneigung und in ETK5 die Auswirkung einer Querschnittsform ohne Gurtplatte untersucht werden. Die wesentlichen Parameter sind in Tab. 1 dargestellt. Im jeweiligen Teilversuch 2 erfolgte die Untersuchung am Kragarm. Dabei wurde die Druckzone unter der kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion untersucht. Ein mögliches Versagen infolge der Hauptdruckspannungen im Beton stand hierbei im Fokus. Tab. 1: Versuchsprogram ETK Versuch Querschnitt + Belastung Schubbewehrung Feld [cm²/ m] cot qq [-] ETK1 a sw,V : gew.: Ø8/ 25 (4,02) 2,5 ETK2 e 1 =7,5cm a sw,V = 4,02 + a sw,T = 2,50 gew.: Ø8/ 15 (6,70) 2,5 ETK3 e 2 =15cm a sw,V = 4,02 + a sw,T = 5,30 gew.: Ø10/ 17,5 (9,18) 2,5 ETK4 e 2 =15cm a sw,V = 4,02 + a sw,T = 6,64 gew.: Ø10/ 15 (10,48) 2,0 ETK5 e 1 =7,5cm a sw,V = 4,02 + a sw,T = 2,66 gew.: Ø8/ 15 (6,70) 2,5 Die Schubschlankheit wurde auf einen realitätsnahen Wert von ca. l = 2,75 gesetzt. Die Schlankheit L/ h liegt im Bereich von 15 und stellt eine repräsentative Abbildung der Verhältnisse im Brückenbau dar. 2.3 Bemessung der Versuche Allgemeines Die Versuche wurden so konzipiert, dass ein vorzeitiges Biegeversagen ausgeschlossen war und ein Querkraft- Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 5. Brückenkolloquium - September 2022 479 versagen erfolgte. Es wurde ausreichend Längsbewehrung vorgesehen, um die notwendige Biegetragfähigkeit zu erreichen. In der Vorbemessung hat sich die Betondruckzone im Bereich der Innenstütze als kritisch herausgestellt. Daher wurde im Stützbereich eine Druckbewehrung eingelegt. Die Schubbewehrung der Versuchsträger im Kragarm und im Feld wurde im Hinblick auf beide Teilversuche ausgelegt. Die Mindestquerkraftbewehrung unter zugrundenahme der Mittelwerte der Materialfestigkeiten beträgt ɑ sw.min = 6,53 cm 2 / m. Der Stabdurchmesser im Feldbereich wurde auf Ø8 festgelegt mit ɑ sw.vorh.Feld = 4,02 cm 2 / m, dies entspricht 62% der Mindestquerkraftbewehrung. Das angestrebte Schubversagen im Feldbereich wurde auf diese Weise vorgegeben. Entgegen dem Feldbereich wurde ein vorzeitiges Schubversagen durch Fließen der Bügel am Kragarm rechnerisch ausgeschlossen. Die vorhandene Querkraftbewehrung mit ɑ sw.vorh.Krag = 31,6 cm 2 / m betrug 484% der Mindestquerkraftbewehrung. Drei Bügel aus dem Kragarm wurden über die Auflagerachse hinaus ins Feld geführt. Die gewählte Bewehrung wurde bei der gesamten Versuchsserie verwendet. In den nachfolgenden Versuchen mit einer kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und zusätzlicher Torsion wurde zusätzlich zu der Bewehrung des Referenzträgers eine entsprechende Torsionslängs- und -bügelbewehrung eingebaut. Ermittlung der zusätzlichen Bügelbewehrung infolge Torsion (M+V+T). Grundlage für die Bemessung der Versuchsträger mit kombinierter Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion (M+V+T) bildet der Referenzversuchsträger ETK1 mit reiner Querkraftbiegung (M+V). Nach EC2-2 [6] wird die Bewehrungsermittlung für Querkraft und Torsion getrennt voneinander durchgeführt und nach Superpositionsprinzip miteinander überlagert, wie bereits in [7] erläutert. Da bei Torsion kein günstiger Betontraganteil wirksam ist, muss die ermittelte Torsionsbügelbewehrung vollständig eingebaut werden. Die Bemessung erfolgt unter Ansatz der Mittelwerte der Materialfestigkeiten über folgende Gleichung: Die gesamte Bügelbewehrung je Bügelschenkel ergibt sich demnach zur: Die gewählte Bügelbewehrung kann der Tab. 1 entnommen werden. Ermittlung der zusätzlichen Längsbewehrung infolge Torsion (M+V+T). Die Ermittlung der erforderlichen Torsionslängsbewehrung erfolgt gemäß EC2-2 [6] wie folgt: Durch die in [7] vorgeschlagenen Umstellung der Gleichung nach lässt sich eine resultierende äquivalente Längszugkraft N Tu ermitteln: Index u: Schnittgrößen unter der Versuchstraglast Diese fiktive Längszugkraft wird im Schwerpunkt des Querschnitts angesetzt und bei der Bemessung der Biegung als eine zusätzliche Zugkraft berücksichtigt. Bei einer überwiegenden Biegebeanspruchung entsteht ein positiver Effekt aus der Überdrückung der Torsionslängszugkraft im Bereich der Biegedruckzone infolge Biegung. Darüber hinaus wird die Tragwirkung der Spannglieder entsprechend ihrer Lage im Querschnitt unter Ausnutzung ihrer Tragreserven bei der Bemessung automatisch mitberücksichtigt. Die angepasste Ermittlung der Torsionslängsbewehrung erfordert im vorliegenden Fall eine um ca. 20% geringere Bewehrungsmenge als dies bei der konservativen Berechnungsweise nach [5] der Fall ist. Abb. 2: Bemessung A sl im Spannbetonquerschnitt für M u Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 480 5. Brückenkolloquium - September 2022 Abb. 3: Bemessung A sl im Spannbetonquerschnitt für M u + T u 2.4 Bauliche Durchbildung - Einfluss der Bügelform Um den Einbau der Längsbewehrung sowie der Spannglieder zu erleichtern, wurden bei Plattenbalkenbrücken oben offene Bügel mit nach innen oder außen gerichteten Haken verwendet. Diese wurden durch die Querbewehrung geschlossen. Hinsichtlich der Torsionstragfähigkeit ist diese Biegeform nicht EC2[6] konform, da die Bügel nicht mittels Übergreifung geschlossen sind. In der Abb. 4 ist die Gegenüberstellung der beiden Bügelformen dargestellt. Da im Brückenbau i.d.R. eine kombinierte Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion auftritt, bei der sich in der Fahrbahnplatte durch die dort vorhandene obere Querbewehrung in Querrichtung ein starkes Zugband ausbildet, wird ein Ausbrechen der oberen Ecken mit den Bügelhaken und durch die Querbewehrung der Fahrbahnplatte verhindert. Somit ist fraglich, inwieweit die Querschnitte mit geschlossenen Bügeln eine größere Tragfähigkeit gegenüber den oft in der Praxis eingesetzten offenen Bügel bieten. Abb. 4: Gegenüberstellung der Bügelformen Diese Bewehrungsform wurde an einem Vorversuch getestet, in dem bei einem Zweifeldträger feldweise offene und geschlossene Bügel verbaut wurden. Als Ergebnis der Untersuchung kann zusammenfassend festgehalten werden, dass bei diesem Vorversuch kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Tragfähigkeit aus der unterschiedlichen baulichen Durchbildung der Bügel resultierte. Für die Versuchsserie „Einfeldträger mit Kragarm“ wurden weiterhin die geöffneten, nicht EC2 konformen Torsionsbügel verwendet. Querschnitts- und Materialparameter Die Querschnittsgeometrien für T-Querschnitte werden exemplarisch am Versuchsträger ETK1 in Abb. 5 dargestellt. Abb. 6 stellt den Versuchsquerschnitt ohne Gurtplatte dar. Alle Versuchsträger weisen eine Stützweite von 8,25 m sowie eine Kragarmlänge von 2,5 m. Die Querschnittsgeometrie entspricht den bereits in Dortmund durchgeführten Versuchen aus der Versuchsreihe [9]. Zur besseren Aufnahme des Torsionsmomentes über den Ersatzhohlkasten wurde die Stegbreite von 0,35 m gewählt sowie eine Betondeckung von 3 cm. Die Abb. 7 stellt die Bewehrung in der Längsansicht dar. Die Gurtbügel, zur Abdeckung des Torsionsschubflusses, wurden im selben Raster eingelegt wie auch die Stegbügel. Diese entsprechen der Querbewehrung der Gurtplatte bei Platenbalkenquerschnitten. Zur Verstärkung der Druckzone wurden im Stützbereich zwei zusätzliche Stäbe mit Ø 20 eingelegt. Spannstahl und Vorspannung Als Spannstahl wurden je Träger zwei Spannglieder der Firma SUSPA 6-5 mit 140 mm² je Litze und der Stahlsorte St 1570/ 1770 verwendet. Der Spanngliedverlauf wurde entsprechend dem Biegemoment mit dem Hochpunkt im Stützbereich eingestellt. Die Vorspannung erfolgte auf gegenüberliegenden Trägerseiten. Die resultierende Vorspannkraft nach dem Lösen der Pressen in beiden Spanngliedern betrug ca. 1200 kN. Tab. 2: Vorspannkräfte Versuchsträger Träger P m0 [kN] ΔP mt [%] σσ cc [MPa] ETK 1 1287 5 -3,5 ETK 2 1205 3 -3,4 ETK 3 1267 3 -3,5 Mittlere Materialkennwerte Für die Versuchsserie wurde die Betonsorte C40/ 50 vorgesehen. Die Materialkennwerte wurde versuchsbegleitend ermittelt. Die Mittelwerte der Materialkennwerte sind den nachfolgenden Tabellen zu entnehmen. Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 5. Brückenkolloquium - September 2022 481 Tab. 3: Materialkennwerte Festbeton Träger f cm,cyl [MPa] f ctm,sp [MPa] E cm [MPa] ETK 1 45 3,25 33.300 ETK 2 45 3,45 33.000 ETK 3 51 3,55 36.600 Abb. 5: Querschnittsgeometrie ETK1-4 1Bei den Werten handelt es sich um Annahmen. Eine Bestimmung der Kennwerte konnte noch nicht erfolgen. Abb. 6: Querschnittsgeometrie ETK5 Tab. 4: Materialkennwerte Betonstahl Durchmesser [mm] f ym,0.2 [MPa] f tm [MPa] E sm [MPa] Ø8 517 586 193.600 Ø12 557 612 194.200 Ø16 550 1 630 1 200.000 1 Ø20 550 1 630 1 200.000 1 Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 482 5. Brückenkolloquium - September 2022 Abb. 7: Bewehrungsdarstellung Versuchsprogram ETK1-5 2.5 Versuchstand Versuchsträger ohne Torsion Abb. 8 zeigt den Versuchsstand des Referenzträgers ETK1. Die Einzellast am Kragarm wurde im Abstand von 2,0 m vom Auflager über einen Hydraulikzylinder eingeleitet. Die Streckenlast im Feld wurde durch 16 Einzellasten im Abstand von 50 cm, erzeugt durch 8 Hydraulikzylinder, eingeleitet. Zur Einstellung des Stützenmoments wurden der Hydraulikzylinder am Kragarm und die 8 Hydraulikzylinder im Feld über zwei getrennte Ölkreisläufe gesteuert. Der Referenzversuch wurde unter reiner Querkraftbiegung (M+T) ohne zusätzliche Torsionseinwirkung durchgeführt. Im ersten Teilversuch sollte ein rechnerischer Schubversagen feldseitig im Stützbereich initiiert werden. Nach dem Erreichen der Bügelfließdehnung sollte eine Schubverstärkung in zwei stütznahen Achsen, x=0,5 m und x=1,0 m erfolgen. Darüber hinaus war die Tragfähigkeit der restlichen Bügel ohne Verstärkung für den anschließenden zweiten Teilversuch gegeben. Bei der Versuchsdurchführung kam es beim Fließen der Bügel mit ausgeprägten plastischen Dehnungen infolge der Querzugspannungen in den flach geneigten Betondruckstreben zu einem Ablösen zunächst der seitlichen und dann der unteren Betondeckung als sekundäres Versagen. Dadurch wurde die Druckzone so geschwächt, dass es zu einem Bruch in der Biegedruckzone kam. Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 5. Brückenkolloquium - September 2022 483 Abb. 8: Versuchsstand ohne Torsion - ETK1 Versuchsträger mit Torsion Die Torsionsversuche wurden aus Stabilitätsgründen im Hinblick auf die Lagesicherheit an den Auflagerpunkten durch zwei nachträglich anbetonierten Querträger gegen Kippen gesichert. Abb. 9 zeigt den Versuchsstand mit Querträgern, der eine Plattenbalkenbrücke mit Querträgern repräsentiert. Abb. 9: Versuchsstand mit Torsion - ETK2-ETK5 Ab dem Versuchsträger ETK2 wurde zur Vermeidung einer Abplatzung der Betondeckung kurz vor Erreichen der Versuchstraglast eine Druckzonenumschnürung eingesetzt. Die Abplatzung der Betondeckung geht stets mit hohen plastischen Bügeldehnungen im Steg als sekundäre Versagensform einher. Abb. 10 stellt die Stahlkonstruktion zur Verhinderung vorzeitiger Abplatzung der Betondeckung wie beim Referenzversuch dar, in der Form vergleichbar einem Schraubstock. Auf dieser Weise werden kleine Querdruckspannungen aufgebracht und Querdehnungen verhindert. Die Druckzonenumschnürung wurde ab ETK2 jeweils bereits im ersten Teilversuch eingebaut. Die abgebildeten Gewindestangen wurden im ersten Teilversuch nicht angespannt, sodass ein Hochhängen der Querkraft in die Gurtplatte als Querkraftverstärkung ausgeschlossen wurde. Die Druckzonenumschließung hat damit keinen Einfluss auf die Querkrafttragfähigkeit im 1.Teilversuch. Im 2. Teilversuch wurden die Gewindestangen vorgespannt, sodass die Stahlkonstruktion auch als Schubverstärkung wirkte. Messausrüstung Folgende Messtechnik wurde verwendet: - Öldruckmesser zur Bestimmung der Pressenkräfte - Kraftmessdosen am Auflager - Kraftmessdosen an Spannankern - Wegaufnehmer (WA) - Dehnungsmessstreifen auf der Betonoberfläche - Dehnungsmessstreifen (DMS) auf der Bewehrung - Räumliche Vermessung während des Versuchs mittels eines digitalen Leica-Tachymeters - Photogrammetrisches Messsystem - GOM-ARAMIS Je Versuchsträger wurden ca. 200 DMS appliziert. Die Lage der DMS auf Bügel- und Längsbewehrung ist exemplarisch am Versuchsträger ETK2 in der Abb. 11 dargestellt. Abb. 10: Druckzonenumschließung und Schubverstärkung Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 484 5. Brückenkolloquium - September 2022 Abb. 11: ETK2 - Lage der DMS auf Bügel- und Längsbewehrung 3. Auswertung ETK1-ETK3 Das Versuchsprogram besteht insgesamt aus 5 Versuchsträgern. Derzeit wurden 3 von 5 Versuchen durchgeführt. Im folgendem werden die Versuchsergebnisse der Versuchsträger ETK1 bis ETK3 vorgestellt. Lastverformungskurven Abb. 12 bis Abb. 14 stellen die lastabhängigen Verformungen am Kragarm dar. Die Traglast des Referenzversuchs ETK1 betrug 1166 kN. Träger ETK2 und ETK3 wurden bis zu der gewünschten Traglast von ca. 1200 kN belastet, um die Aufnahme der Torsion durch die zusätzliche Bügel- und Längsbewehrung zu bestätigen und um das in Abschnitt 2.3 beschriebene Bemessungsmodell zu verifizieren. Die Druckzonenumschließung, die bereits im ersten Teilversuch eingebaut war, verhinderte ein vorzeitiges Abplatzen der Betondeckung unter hohen Bügeldehnungen und somit ein sekundäres Betonversagen. Die Schubverstärkung für den zweiten Teilversuch konnte nur im entlasteten Zustand erfolgen. Die Hysterese in Last-Verformungs-Kurven der Träger ETK2 und ETK3 stellt die Entlastung und Wiederbelastung nach Einbau der Schubverstärkung dar. Im zweiten Teilversuch konnte die Bruchlast nur geringfügig gesteigert werden. Das Versagen beim Referenzversuch ETK1 erfolgte feldseitig durch Abplatzung der Betondeckung im Stützbereich als sekundäres Betonversagen, hervorgerufen durch Querzugspannungen in den Druckstreben in Verbindung mit dem Fließen der Bügel. Das Versagen bei ETK2 und ETK3 erfolgte stets kragarmseitig durch Erreichen des maximalen Bruchmoments. Teilversuche 1 Das Monitoring der Bügeldehnung während des Versuchs ergab bei jedem Versuchsträger ein Überschreiten der Fließdehnung. Ein Schubversagen durch Fließen der Bügel konnte somit eindeutig im Teilversuch 1 provoziert werden. Bei ETK2 überschritt die Bügeldehnung mehrfach die Fließgrenze. Bügeldehnungen des ETK3 überschritten deutlich die Fließdehnung von 2 ‰, deuteten jedoch auf vorhandene Tragreserven hin. Maximale Dehnungen der Schubbewehrung max ε B sowie der Biegebewehrung max ε L im Teilversuch 1 sind in Tab. 5 dargestellt. Durch die Teilversuche ETK2-1 und ETK3-1 konnte das Bemessungsmodell in Abschnitt 2.3 bestätigt werden. Tab. 5: Versuchsergebnisse Teilversuche 1 Versuch F u [kN] Bügel Feld max ε B,Feld [‰] Bügel Kragarm max ε B,Krag [‰] Längs max ε L,Stütz [‰] ETK1-1 1169 12,0 2,5 5,8 ETK2-1 1195 10,0 2,4 3,6 ETK3-1 1202 4,5 3,1 3,8 Abb. 12: Last-Verformungskurve ETK1 Abb. 13: Last-Verformungskurve ETK2 Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 5. Brückenkolloquium - September 2022 485 Abb. 14: Last-Verformungskurve ETK3 Teilversuche 2 Das Bruchmoment M u des Versuchs ETK1 wurde unter Berücksichtigung der Ausrundung des Biegemoments über dem Auflager ermittelt. Da die Versuchsträger ETK2 und ETK3 jeweils einen Querträger zur Aufnahme des Torsionsmoments aufweisen, wurde das Bruchmoment am Ende des Einflussbereichs des Querträgers in einem Abstand von 25 cm von der Auflagerachse, ermittelt. Tab. 6 stellt eine Übersicht der ermittelten Schnittgrößen unter der Bruchlast im Teilversuch 2 dar. Tab. 6: Versuchsergebnisse Teilversuche 2 Versuch F u [kN] M u [kNm] V u [kN] T u [kNm] ETK1-2 1166 2 2308 1166 - ETK2-2 1462 2558 1462 110 ETK3-2 1304 2282 1304 195 Interaktion M+V+T Abb. 15 stellt die bezogene Interaktion der einwirkenden Schnittgrößen dar. Die Druckstrebentragfähigkeit V Rm und T Rm wurde bei beiden Versuchsträgern ETK2 und ETK3 nicht erreicht. Die Mittelwerte der Tragwiderstände wurden nach EC2 bestimmt. 2Die Bruchlast im Teilversuch 2 konnte aufgrund des vorzeiten Versagens der Betondeckung nicht mehr gegenüber Teilversuch 1 gesteigert werden. Die Mittelwerte der Baustofffestigkeiten wurden direkt an Proben der Versuchsbalken bestimmt. Entscheidend für das Versagen war das Erreichen der Biegetragfähigkeit. Aufgrund der höheren Exzentrizität ist die Ausnutzung auf der Torsionsseite bei ETK3 höher. Mit dem höherem Torsionsmoment T u geht auch geringere Bruchlast F u einher. Im dargestelltem Interaktionsbereich erfolgte keine nennenswerte Reduktion der bezogenen Momententragfähigkeit M u / M Rm . Abb. 15: Interaktion M+V+T als bezogene Schnittgrößen (M u / M Rm ; V u / V Rm ; T u / T Rm ) Rissbilder Abb. 16 bis Abb. 18 zeigen die Rissbilder im Bruchzustand. Die Entstehung der Rissbildung erfolgt im Bereich oberhalb des Rissmoments M cr . Somit konzentrieren sich die Risse um das mittlere Auflager. Die Lage des Momentennullpunkts im Feld war so gewählt, dass sich der Beobachtungsbereich über dem Auflager möglichst groß einstellt. So hatten die Risse die Möglichkeit einen flachen Risswinkel < 45° zu entwickeln. Der Risswinkel βr beträgt bei ETK1 im kritischen Schnitt ca. 25°. Die Träger ETK2 und ETK3 wurden vor Erreichen der Bruchlast im Teilversuch 1 zur Aufnahme der Schubkräfte verstärkt, sodass ein kritischer Riss nicht auszumachen ist. Jedoch verlaufen die feldseitigen Risse insgesamt steiler mit einem Risswinkel von ca. 37°. Im Feldbereich ist es nicht zur einer Rissbildung gekommen. Das Rissmoment im Feld M cr , Feld wurde aufgrund des relativ großen Stützmoments rechnerisch nur geringfügig überschritten. Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 486 5. Brückenkolloquium - September 2022 Abb. 16: Rissbild im Bruchzustand ETK1 Abb. 17: Rissbild im Bruchzustand ETK2 Abb. 18: Rissbild im Bruchzustand ETK3 4. Fazit und Ausblick Der vorliegende Beitrag stellt die Ergebnisse von ersten Auswertungen von derzeit 3 der 5 geplanten Versuchsträger als Einfeldträger mit Kragarm dar. Die Versuchsserie ETK ermöglicht einen wertvollen Erkenntnisgewinn zur kombinierten Belastung aus Biegung, Querkraft und Torsion für die Verhältnisse im Bereich der Stützmomente von Durchlaufträgern. Sowohl die Trägergeometrie als auch die Lasteinleitung als Streckenlast nähern die realen Verhältnissen in Brückenbau relativ gut an. Die Bemessung der Torsionslängsbewehrung erfolgte mit dem in [7] vorgestelltem Ansatz, der durch die jeweils 1. Teilversuche bestätigt wurde. Es wurden die sechs derzeit ausgeführten Teilversuche an drei Versuchsträgern vorgestellt. Die vollständige Auswertung und Aufbereitung der Versuchsergebnisse dauert noch an. Die Traglast des Referenzversuchs ETK1 wurde durch die vorzeitige Abplatzung der Betondeckung infolge der großen plastischen Dehnungen der Bügel in Verbindung mit den eingeleiteten Querzugspannungen in die Betondruckstreben begrenzt. Dadurch wurde ein Effekt beobachtet, der ein mögliches vorzeitiges Versagen der Druckzone als sekundäres Versagen einleitet. Aufgrund des Fließens der Bügel entstehen Querdehnungen und Querzugspannungen in den flachen Druckstreben, die eine Verringerung der Betondruckfestigkeit hervorrufen. Die gewonnenen Versuchsdaten in Form der Dehnungsmessungen am Beton und Bewehrung sowie der Aufnahme der räumlichen Verformung ermöglichen eine spätere Kalibrierung der FE-Simulationen. Durch Nachrechnung der Versuche mit einem nichtlinearen FE-Programm lassen sich das Tragverhalten und der Verlauf der inneren Spannungen unter einer kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion besser verstehen. Literaturverzeichnis [1] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), Berlin, 2011. Erweiterte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur kombinierten Beanspruchung aus Biegung, Querkraft und Torsion 5. Brückenkolloquium - September 2022 487 [2] Haveresch, K.-H.: Erfahrungen bei der Nachrechnung und Verstärkung von Brücken. Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015), booklet 2, p. 96-112 [3] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehrt - Eine Bestandsaufnahme, Bauingenieur 85 (2010), Heft 1, S. 1-9. [4] Hegger, J.; Maurer, R.; Fischer, O.; Zilch, K. et. al.: Beurteilung der Querkraft- und Torsionstragfähigkeit von Brücken im Bestand - erweiterte Bemessungsansätze, Schlussbericht zu BASt FE 15.0591/ 2012/ FRB, 2018. [5] DIN EN 1992-1-1, Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau mit zugehörigem nationalen Anhang DIN EN 1992-1-1: 2011, Deutsche Fassung, Ausgabe 2011. [6] DIN EN 1992-2: Eurocode 2-2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln mit zugehörigem nationalen Anhang DIN EN 1992-/ NA: 2013; Deutsche Fassung, Ausgabe 2013. [7] Maurer, R.; Stakalies, E.: Versuche und Bemessungsvorschlag zur Anrechenbarkeit von Spanngliedern auf die Torsionslängsbewehrung, Bauingenieur 95 (2020), Heft 1 [8] Maurer, R.; Gleich, P.; Zilch, K.; Dunkelberg, D.: Querkraftversuche an einem Durchlaufträger aus Spannbeton. Beton- und Stahlbetonbau (2014), Heft 10. [9] Gleich, P; Maurer, R.: Querkraftversuche an Spannbetondurchlaufträgern mit Plattenbalkenquerschnitt, In: Bauingenieur 93 (2018), Heft 2. 5. Brückenkolloquium - September 2022 489 Bewertung des Sicherheitsniveaus der kanadischen Norm in Bezug auf DIN-Fachbericht beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit Remus Tecusan M. Sc. Zilch+Müller Ingenieure GmbH, München, Deutschland Dr.-Ing. Christian Stettner Zilch+Müller Ingenieure GmbH, München, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Dr.-Ing. E. h. Konrad Zilch Zilch+Müller Ingenieure GmbH, München, Deutschland Zusammenfassung Gelegentlich kommt, für den Nachweis der Querkrafttragfähigkeit von Bestandsbauwerken in der Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie NRR, das Bemessungsmodell nach der kanadischen Norm CSA als wissenschaftliche Methode zur Anwendung. Die Anwender erhoffen sich dadurch bessere Erfolgschancen bei der Erbringung des Querkraftnachweises. Dies kann besonders bei Systemen mit geringer Querkraftbewehrung zielführend sein. Eine Frage, die sich offensichtlich stellt, ist, ob bei dieser Nachweisführung mit Einwirkungen nach deutscher Norm (DIN-Fachbericht) und Widerständen nach Formulierung entsprechend der kanadischer Norm CSA, die geforderte Zielzuverlässigkeit immer erreicht werden kann. Sowohl die kanadische Norm CSA als auch DIN-Fachbericht basieren auf einem semiprobabilistischen Sicherheitskonzept. Grundlegende Abweichungen zwischen den beiden Bemessungskonzepten lassen sich unter anderem beim Zuverlässigkeitsindex, den Sicherheitsfaktoren auf Widerstands- und Einwirkungsseite, den Definitionen der Materialfestigkeiten sowie den vorgegebenen Verkehrslastmodellen und Nutzungsdauern für Brücken feststellen. Um das Bemessungsmodell für Querkraft nach der kanadischen Norm CSA erfolgreich bei der Nachrechnung von Bestandsbrücken in Deutschland anwenden zu können, ist im Vorfeld die Frage des erreichten Sicherheitsniveaus bei der Nachweisführung mit Einwirkungen nach DIN-Fachbericht und Widerständen nach Formulierung entsprechend der kanadischer Norm CSA zu klären. Der vorliegende Beitrag soll diese Fragestellung gezielt durchleuchten und Anwendungsgrenzen sowie Randbedingungen für die Anwendung des Bemessungsmodell nach der kanadischen Norm CSA bei der Nachrechnung von Bestandsbrücken in Deutschland aufzeigen. 1. Allgemeines 1.1 Einleitung Einleitend soll klargestellt werden, dass die Führung des Querkraftnachweises nach Formulierung der kanadischen Norm [1], [2], [3] nicht für Neubauten angedacht ist. Die Anwendung des Rechenmodells der kanadischen Norm [1], [2], [3] soll lediglich bei der Nachrechnung von Bestandsbauwerken in der Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie (NRR) [4], [5] zur Anwendung kommen. Die Anwendung des Rechenmodell der kanadischen Norm [1] bei der Führung des Querkraftnachweises für Bestandsbrücken ist kein neuer Ansatz oder eine neue Vorgehensweise. In den letzten Jahren kam dieser Verfahren bei verschiedenen Pilot- oder Forschungsprojekten [6], [7] immer wieder erfolgreich zum Einsatz. Wieso diese Anwendung vielversprechend ist und wie sich dieses Verfahren, von dem in Deutschland allgemein bekannten Querkraftnachweis nach EC2 [8], [9], [10], [11] bzw. DIN-Fb. 102 [12] unterscheidet, wird in den folgenden Abschnitten kurz dargestellt. 1.2 Problemstellung Trotz erfolgsversprechender Ergebnisse bei der Anwendung des Querkraftbemessungsverfahrens nach der kanadischen Norm bleiben weiterhin einige Fragen offen. Wie kann sichergestellt werden, dass das geforderte Zuverlässigkeitsniveau bei der Anwendung von Einwirkungen nach DIN-Fb. 101 [13] und Widerständen nach der Formulierung der kanadischen Norm [1], [2], [3] sicher erreicht wird. Grundsätzlich sind der DIN-Fb. [12], [13] und die kanadische Norm [1], [2], [3] in Bezug auf das zugrunde liegende Sicherheitskonzept miteinander kompatibel. Beide Normenpakete bauen auf einem semi-probabilistischen Sicherheitskonzept auf. Grundlegende Abweichungen zwischen den beiden Bemessungskonzepten lassen sich unter anderem beim Zuverlässigkeitsindex, den Sicherheitsfaktoren auf Widerstands- und Einwirkungsseite, den Definitionen der Materialfestigkeiten sowie den vorgegebenen Verkehrslastmodellen und Nutzungsdauern für Brücken feststellen. Im Folgenden soll ein Lösungsansatz gezeigt werden wie trotz vorhandenen Abweichungen zwischen den beiden Bewertung des Sicherheitsniveaus der kanadischen Norm in Bezug auf DIN-Fachbericht beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit 490 5. Brückenkolloquium - September 2022 Bemessungskonzepten, der Querkraftnachweis nach Formulierung der kanadischen Norm [1] in Deutschland geführt werden kann. 2. Bewertung des Sicherheitsniveaus der kanadischen Norm beim Querkraftnachweis 2.1 Querkraftbemessung nach kanadischer Norm CSA S6: 19 Im Folgenden wird in einer stark vereinfachten Form und ohne Anspruch auf Vollständigkeit das Verfahren zur Querkraftbemessung nach kanadischen Norm CSA S6: 19 [1] vorgestellt. Für weiterführende Literatur wird an dieser Stelle u. a. auf [14], [15] verwiesen. Zur Veranschaulichung des Bemessungsmodells der CSA [1] dient der am Schubriss frei geschnittene Balkenabschnitt im Bild 1. Bild 1: Kräfteverteilung im Endauflagerbereich eines querkraftbewehrten Balkens mit Schnittführung entlang eines Biegeschubrisses [14] Das Biegemoment wird über das Kräftepaar in der Druckzone (C für compression) über den Beton und in der Zugzone über die Längsbewehrung (F lt für Kraft in der Längsbewehrung) abgetragen. Der Querkraftwiderstand setzt sich aus folgenden Traganteilen zusammen: • V s … Traganteil aus der Querkraftbewehrung • V c … additiver Betontraganteil • V p … Traganteil aus der geneigten Vorspannkraft Der Traganteil aus der Querkraftbewehrung sowie aus der geneigten Vorspannkraft sind in etwa mit der Ermittlung nach DIN Fb. 102 [12] vergleichbar. Die Besonderheit bei der CSA S6: 19 [1] ist der additive Betontraganteil, der über den Parameter b gesteuert wird und zu den anderen beiden Traganteilen addiert wird. Dementsprechend ergibt sich der Querkraftwiderstand V r nach folgender Gleichung (1): V r = = V c + V s +V p ≤ V r,max + V p (1) V r,max = = 0,25 ϕ c f cr b v d v (2) mit: ϕ c = Festigkeitsreduktionsfaktor für Beton (inverser Teilsicherheitsbeiwert) f cr = Zugfestigkeit des Betons b v = kleinste Querschnittsbreite innerhalb des inneren Hebelarms d v d v = innerer Hebelarm (engl. effective shear depth) Der obere Grenzwert V r,max für die Begrenzung des Tragwiderstandes resultiert wie auch bei der Querkraftbemessung nach [10], [11] aus der maximalen Druckstrebenfestigkeit. Die vorhandene Querkraftbewehrung darf unabhängig davon, ob das Kriterium der Mindestquerkraftbewehrung erfüllt ist oder nicht, mit angerechnet werden. Der Traganteil der Querkraftbewehrung wird nach folgender Gleichung (3) ermittelt: (3) mit: ϕ s = Festigkeitsreduktionsfaktor für Bewehrung (inverser Teilsicherheitsbeiwert) f y = charakteristischer Wert der Streckgrenze des Betonstahls A v = Querschnittsfläche der Querkraftbewehrung ϕ= Winkel der schrägen Druckstrebe s= Abstand der Bügel Der Traganteil aus der Vorspannwirkung bestimmt sich anhand der entsprechenden Bezeichnungen in [1] wie folgt: V p = ϕ p A ps f se sin a p (4) mit: ϕ p = Festigkeitsreduktionsfaktor für Spannstahl (inverser Teilsicherheitsbeiwert) f se = effektive Spannung im vorgespannten Spannstahl nach Abzug aller Verluste A ps = Querschnittsfläche des Spannstahls in der Biegezugzone ϕ p = Spanngliedneigung im Nachweisschnitt Im Vergleich zum Widerstand aus der Querkraftbewehrung V s und der Vorspannwirkung V p stellt der additive Betontraganteil einen komplexeren Tragmechanismus dar. Wie eingangs bereits erwähnt resultiert dieser aus der Querkraftübertragung im Beton über Zugspannungen sowie der Rissverzahnung. Die MCFT liefert die genaue Lösung zur Ermittlung der Querkrafttragfähigkeit des Betons. Für die Anwendung in der Norm ist der Parameter b definiert. Der Betontraganteil bestimmt sich wie folgt: Bewertung des Sicherheitsniveaus der kanadischen Norm in Bezug auf DIN-Fachbericht beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit 5. Brückenkolloquium - September 2022 491 V c = 2,5 b ϕ c f cr b v d v (5) (gemäß [1]) V c = ϕ c λ b √(f c ´) b w d v (6) (gemäß [3]) Mit: λ= Faktor zur Berücksichtigung der Dichte, für Normalbeton ϕ=1 b = Faktor zur Berücksichtigung des Betontraganteils √(f c ´) Betonzugfestigkeit (engl. tensile strength) f c ´ Betondruckfestigkeit f cr = Biegezugfestigkeit (engl. cracking strength) f cr = 0,4 √(f c ´) b w = kleinste Querschnittsbreite innerhalb des inneren Hebelarms d v gemäß [3] Der Parameter b, der im Wesentlichen den Traganteil des Betons definiert, wird nach folgender Gleichung (7) ermittelt: (7) Der Einflussfaktor ε x stellt die Längsdehnung auf halber Querschnittshöhe dar (siehe Bild 2), während der Faktor s ze (effektiver Rissabstandsparameter) vereinfacht zu 300-mm festgelegt wird. Bild 2: Graphische Darstellung der Parameter zur Ermittlung des Querkraftwiderstandes gemäß [3] Das hier dargestellte Verfahren zur Querkraftbemessung nach kanadischer Norm soll nur einen groben Überblick über den Formelapparat und die Grundgedanken des Verfahrens geben. Für weiterführende Literatur wird u.a. auf [14], [15], [16] verwiesen. Weiterhin gibt es auch konstruktive Regeln z.B. Mindestbewehrung, die in dieser Auswertung nicht weiter berücksichtigt wurden. 2.2 Zuverlässigkeit bei Lasten nach DIN-Fb / NRR und Widerstandsmodell nach CSA Innerhalb eines Normenpaketes wie z.B. DIN Fb [12], [13] sowie der kanadischen Norm (CSA) [1], [2], [3] sind die Einwirkungen und Widerstände sowie die zugehörigen Teilsicherheitsbeiwerte so aufeinander abgestimmt, dass die von der jeweiligen Norm geforderte Zuverlässigkeit sicher eingehalten wird. Die Zuverlässigkeit eines Systems oder Zustands wird im Allgemeinen anhand der so genannte Grenzzustandsgleichung ermittelt. Durch die Grenzzustandsgleichung sind die Einwirkung- (E) und Widerstandsseite (R) fest miteinander gekoppelt, siehe Bild 3. Eine Trennung kann nur über die Eiführung von Wichtungsfaktoren erfolgen. Diese sind jedoch mit der Standardabweichung der Einwirkung und des Widerstandes verknüpft und stark einzelfallanhängig. Erst durch die Einführung fester Werte für die Wichtungsfaktoren a E und a R konnten feste Teilsicherheitsbeiwerte für die Einwirkungs- und Widerstandsseite ermittelt werden [17]. Bild 3: Zustandsfunktion G = R - E; Definition von Versagenswahrscheinlichkeit p f und Sicherheitsindex-b aus [17] Zweifelsfrei ist eine Mischung unterschiedlicher Normen nicht ohne Weiteres zulässig, vor allem wenn grundlegende Randbedingungen unterschiedlich sind. Ein grober Überblick über die wesentlichen Randbedingungen der Sicherheitskonzepte deutscher und kanadischer Norm wird im Folgenden in Tabelle 1 dargestellt: Bewertung des Sicherheitsniveaus der kanadischen Norm in Bezug auf DIN-Fachbericht beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit 492 5. Brückenkolloquium - September 2022 Tabelle 1: wesentliche Unterscheidungsmerkmale der Sicherheitskonzepte in den deutschen und kanadischen Normen Parameter NRR CSA Sicherheitskonzept Semi-probabilistisch Semi-probabilistisch Zuverlässigkeitsindex b 3,8 3,75 Bezugszeitraum 50 Jahre 1 Jahr Nutzungsdauer 100 Jahre 75 Jahre Materialparameter Charakteristischer 5%-Quantilwert Mindestwert Teilsicherheitsbeiwert Beton 1,5 1,33 Beiwert für Langzeitauswirkungen a cc 0,85 - Teilsicherheitsbeiwert Stahl 1,15 1,11 Teilsicherheitsbeiwert Spannstahl 1,15 1,05 In den vergangenen Jahren wurden bereits vielversprechende Erfahrungen mit der Anwendung der kanadischen Norm beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit in Deutschland gemacht [6] sowie [7]. Allein die höheren Widerstände nach dem Querkraftmodell der kanadischen Norm im Vergleich zum aktuellen Querkraftmodell der NRR sagen erstmal nichts über das erreichte Zuverlässigkeitsniveau der Ergebnisse aus. Im Folgenden soll an einem konkreten Rechenbeispiel, das erreichte Zuverlässigkeitsniveau des errechneten Querkraftwiderstandes nach Formulierung der kanadischen Norm mit Hilfe einer probabilistischen Berechnung bewertet werden. 2.3 Vorgehensweise und Argumentation Die Anwendung des Querkraftnachweises nach Formulierung der kanadischen Norm [1] kommt nur in der Stufe 4 der Nachrechnungsrichtlinie [4], [5] bei Bestandsbauwerken mit Querkraftdefiziten in Frage. Allgemein bei der Nachweisführung werden die Bemessungswerte der Einwirkung und des Widerstandes miteinander verglichen. Solange der Bemessungswert des Widerstandes den Bemessungswert der Einwirkung übersteigt, ist der Nachweis erbracht. Die allgemeine Vorgehensweise bei der Nachweisführung wird im Bild-4 anhand eines Ablaufdiagrams visualisiert. Das Lastniveau bzw. das anzusetzende Verkehrslastmodell wird von der in Deutschland gültigen Norm vorgegeben. Im Allgemeinen ist für die Nachrechnung von Bestandsbrücken das Lastmodell für Straßenbrücken gem. DIN--Fb-101 [13] anzuwenden. Dadurch ist die Einwirkungsseite fest definiert und wird im Folgenden nicht weiter behandelt. Nach Darstellung von Bild-4 erfolgt die Ermittlung des Bemessungswertes des Bauteilwiderstandes immer nach dem gleichen Schema. Aus charakteristischen Baustoffeigenschaften, meistens 5%-Quantilwert, werden mit Hilfe der normativ festgelegten Teilsicherheitsbeiwerte, Bemessungswerte der Baustoffeigenschaften bestimmt. Diese fließen anschließend in ein mechanisches ggf. auch empirische hergeleitetes Rechenmodell ein, dessen Ergebnis den Bemessungswert des Bauteilwiderstandes ergibt. Bild 4: Nachweiskonzept für den Grenzzustand der Tragfähigkeit bei linear-elastischer Schrittgrößenermittlung, aus [17] Dieses Nachweiskonzept hat den Vorteil, dass bei Bedarf das Rechenmodell ersetzt werden kann. Dies wird beispielsweise beim Einsatz nichtlinearer Finite Elemente Berechnungen gemacht. Dabei wird ein analytisches bzw. empirisch hergeleitetes Rechenmodell durch ein numerisches Finite Elemente Modell ersetzt und die geforderte Sicherheit direkt auf Materialebene durch Teilsicherheitsbeiwerte berücksichtigt. In einer ähnlichen Form soll auch die Anwendung der kanadischen Norm [1] bei der Nachweisführung des Querkraftnachweis verlaufen. Durch die Anwendung des Formelapparates nach Formulierung der CSA [1] werden in der Regel durch ein verfeinertes mechanisches Modell höhere Bauteilwiderstände erzielt. Höhere Bauteilwiderstände und ein ver- Bewertung des Sicherheitsniveaus der kanadischen Norm in Bezug auf DIN-Fachbericht beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit 5. Brückenkolloquium - September 2022 493 feinertes mechanisches Modell sagen erstmal nichts über die Zuverlässigkeit der Ergebnisse aus. Die Einhaltung der geforderten Zuverlässigkeit wird hauptsächlich durch die festgelegten Teilsicherheitsbeiwerte und die charakteristischen Baustoffeigenschaften gewährleistet. Wie dem Bild-4 zu entnehmen ist, decken die Teilsicherheitsbeiwerte Unsicherheiten der Baustoffeigenschaften, sowie Modellunsicherheiten des mechanischen Modells ab. Die Unsicherheiten der Baustoffeigenschaften können weitwestgehend als vom gewählten Rechenmodell unabhängig betrachtet werden, die Modellunsicherheit jedoch nicht. Wird das Rechenmodell auf der Widerstandsseite durch ein neues ersetzt, so ist zu überprüfen, ob die neue Modellunsicherheit mit den vorgegebenen Teilsicherheitsbeiwerten auf der Widerstandsseite kompatibel ist. Dies ist jedoch nicht ohne Weiteres möglich denn der Faktor für die Modellunsicherheit lässt sich kaum oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand ermitteln. Im Rahmen der Abschlussarbeit [18] wurde das Querkraft- Bemessungsmodell der kanadischen Norm [1], [2], [3] in Bezug auf die Güte und Streuung der erzielten Ergebnisse speziell für die bei Nachrechnung älterer Brücken vorliegenden Verhältnisse untersucht. Gleichzeitig wurden auch die Querkraft-Bemessungsmodelle nach Formulierung der deutschen Normen EC2 [8], [9], [10], [11] und DIN Fb. [12] bzw. NRR [4], [5] ausgewertet und gegenübergestellt. Dabei wurden neue Versuchsserien von insgesamt 33 Versuchsträgern mit unterschiedlichen Querschnittsformen, statischen Systemen und Belastungsarten ausgewertet. Diese Versuchsserien waren speziell im Hinblick auf Nachrechnung älterer Brücken (geringe Bewehrungsgrade) konzipiert. Für die Auswertung und Vergleichbarkeit verschiedener Versuchsträger untereinander wurde eine einheitliche Referenzgröße der dimensionsfreien Bruchquerkraft in Anlehnung an [19] eingeführt. Die experimentell erzielte Bruchquerkraft V u,exp wird mit der rechnerischen Querkrafttragfähigkeit V u,cal ins Verhältnis gesetzt und ein Beiwert λ mod ermittelt. Daraus lässt sich ableiten, inwiefern das jeweilige Querkraftmodell das wirkliche Tragverhalten abbilden kann. Zusätzlich wurden die Ergebnisse statistisch ausgewertet und Mittelwert, Standardabweichung, Variationskoeffizient sowie die 5%-Quantile ausgewiesen, siehe Tabelle-2. Die genaue Vorgehensweise wird an dieser Stelle nicht beschrieben, sondern nur die Ergebnisse gezeigt. Für weiterführende Literatur wird auf [18], [19] verwiesen. Tabelle 2: Statistische Auswertung der Versuchsnachrechnung von Spannbetonträgern (Durchlauf- und Einfeldträger) unter Einzel- und Streckenlastbeanspruchung (33 Versuche), aus [18] Statistik CSA S6: 19 DIN EN 1992-1-1 NRR 1 (2011) NRR 2 (2015) μ 1,52 1,80 1,85 1,72 σ 0,27 0,42 0,45 0,38 ν 0,18 0,23 0,24 0,22 γ (mod,5%) 1,07 1,11 1,11 1,09 Die Ergebnisse aus Tabelle 2 zeigen, dass der Querkraftbemessungsansatz nach Formulierung der kanadischen Norm im Vergleich zu den anderen untersuchten Verfahren nach den deutschen Normen die Versuchslast im Mittel besser abbildet. Gleichzeitig ist die Streuung der Ergebnisse sowie der γ mod,5% Beiwert geringer als bei den anderen Verfahren. Die Ergebnisse dieser Arbeit haben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, zeigen jedoch, dass für die 33 untersuchten Versuchsträger die Modellunsicherheit des Querkraftbemessungsansatzes nach Formulierung der kanadischen Norm geringer ist als bei den Verfahren nach deutscher Norm. Mit dieser Argumentation wäre der Einsatz des Mechanischen Rechenmodells für die Querkraftbemessung nach Formulierung der kanadischen Norm und mit Materialdefinitionen und Teilsicherheitsbeiwerten nach deutscher Norm [4], [5], [12] eine vertretbare Vorgehensweise bei der Nachrechnung von Bestandsbrücken in der Stufe 4 der NRR [4], [5]. Um diese Argumentationskette zu verifizieren und den erreichten Sicherheitsindex darzustellen, wird (zunächst) an einem konkreten Rechenbeispiel mit Hilfe probabilistischer Verfahren die Verteilungsfunktion des Bauteilwiderstandes ermittelt. Auf Grundlage der Verteilungsfunktion des Widerstandes wird unter Einhaltung der von der aktuellen Norm vorgegebenen Zuverlässigkeit der Bemessungswert des Widerstandes ermittelt. Dieser Wert dient anschließend als Zielgröße für die Bewertung des Bemessungswertes nach Formulierung der kanadischen Norm und der weiteren Vergleichsverfahren. 2.4 Rechenbeispiel Als Rechenbeispiel wird der Versuchsträger DLT 1.1 aus einer Serie von Versuchsträger, die an der RWTH Aachen durchgeführt wurden [20]. Dabei handelt es sich um ein vorgespantes Zweifeldträger mit Rechteckquerschnitt. Folgende Bilder 5 und 6 zeigen die konstruktive Ausbildung des gewählten Trägers. Bild 5: Versuchsträger DLT 1.1, aus [20] Bild 6: Querschnitt Versuchsträger DLT 1.1, aus [20] Bewertung des Sicherheitsniveaus der kanadischen Norm in Bezug auf DIN-Fachbericht beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit 494 5. Brückenkolloquium - September 2022 Der Versuchsträger weist feldweise unterschiedliche Querkraftbewehrungsgrade auf. Feld 1 wurde mit Ø6/ 25 und Feld 2 mit Ø10/ 25 bewehrt. Die Belastung wurde durch zwei Einzelpressen in einem Abstand von jeweils 3,5 m vom Mittelauflager aufgebracht. Als Grundlage für die Probabilistische Berechnung wurde ein nichtlineares Finite-Elemente Rechenmodell im Programm ATENA erstellt und den Versuch nachgerechnet. Bild 7 zeigt das zweidimensionale Rechenmodell für Träger DLT 1.1 in dem Rechenprogramm ATENA von Cervenka Consulting. Bild 7: Zweidimensionales ATENA Rechenmodell für Träger DLT 1.1 Die im Versuch gemessene Bruchlast von 929,29 kN je Presse konnte mit dem nichtlineare Finite-Elemente Rechenmodell mit einer Abweichung von +0,8% genau nachgerechnet werden. Folgendes Bild 8 zeigt, dass nicht nur die Bruchlast, sondern auch die Versagensart und -stelle zutreffend simuliert werden konnten. Bild 8: Gegenüberstellung der Bruchbilder aus dem versuch und aus der Simulation mit ATENA für DLT 1.1 Nach erfolgreicher Versuchsnachrechnung wurde das erstellte nichtlineare Finite-Elemente Rechenmodell für die probabilistische Berechnung mit dem Programm SARA weiterverwendet. Nach vollständiger Definition der Materialstreuungen und deren Korrelationen werden unter Einhaltung dieser Vorgaben beliebig viele Sätze an zufällig verteilten Materialparametern generiert. Für jeden Satz zufällig generierter Materialparameter wird über das Programm SARA ein ATENA-Rechenmodell generiert, in dem die Materialparameter einfließen. Somit werden gleichzeitig mehrere ATENA-Rechenmodelle erzeugt und gerechnet. Als Ergebnis wird eine Vielzahl an Last-Verformungs- Kurven und ein Histogramm der Bruchasten wiedergegeben. Das auf bereiteten Ergebnisse der probabilistischen Ermittlung des Widerstandes für den Versuchsträger DLT 1.1 sind im Bild 9 dargestellt. Bild 9: Histogramm und angenommene Verteilungsdichtefunktion für DLT 1.1 Als Verteilungsfunktion wurde eine Log-Normalverteilung angenommen. Die Annahme wurde mit einem Kolmogorov-Smirnov-Test [21] überprüft. Für die Verteilungsfunktion wurden folgende Werte ermittelt: - Mittelwert: 936,87 kN - Variationskoeffizient: 0,04944 - Standardabweichung: 46,3742 Unter Berücksichtigung eines Zuverlässigkeitsindex b=3,8, eines Wichtungsfaktors für den Widerstand a R =0,8 und eines Modellunsicherheitsfaktors von 1,065 nach [22] ergibt sich der Bemessungswert des Widerstandes R d wie folgt: (8) R d = 757,12 kN R d ‘ = 806,136 kN (ohne λ Rd =1,065) Die Ermittlung der Bemessungswiderstände nach der Formulierung der einzelnen Normen wird an dieser Stelle nicht mehr detailliert vorgestellt. Es werden lediglich die Ergebnisse in der nachfolgenden Tabelle 3 zusammengefasst und in Bild 10 graphisch dargestellt. Der Bemessungswert nach Formulierung der kanadischen Norm wurde allerdings mit den Materialwerten (f ck - 5%-Quantile) und Teilsicherheitsbeiwerten nach deutschen Normen bestimmt. Der Sicherheitsindex b lässt sich für einen log-normal verteilten Widerstand nach folgender Gleichung (9) berechnen: (9) mit: Mittelwert aus SARA-Berechnung R d,i Bemessungswert des Verfahrens a R Wichtungsfaktor für Widerstand V R Variationskoeffizient Widerstand Bewertung des Sicherheitsniveaus der kanadischen Norm in Bezug auf DIN-Fachbericht beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit 5. Brückenkolloquium - September 2022 495 Tabelle 3: Bemessungswerte der einzelnen Verfahren Bemessungswert SARA CSA S6: 19 EC 2 NRR 1 (2011) NRR 2 (2015) R d [kN] 757,12 / 806,14 579 388 388 393 Unter Annahme eines log-normal verteilten Widerstand ergibt sich für den Bemessungswert nach Formulierung der CSA ein operativer Sicherheitsindex b von 12,16. Der Bemessungswert nach der probabilistischen SARA-Berechnung ergibt genau den geforderten Sicherheitsindex b von 3,80. Bei der Berücksichtigung eines zusätzlichen Modellunsicherheitsfaktors (g Rd = 1,065) vergrößert sich der operative Sicherheitsindex b von 3,80 auf 5,39. Die Verfahren für Querkraftbemessung nach EC2 [19],[11] bzw. NRR [4] Stufe 1 liefern einen operativen Sicherheitsindex b von 22,29 und nach Stufe 2 der NRR einen Sicherheitsindex b von 21,96. Diese Zahlenwerte sind nur im direkten Vergleich untereinander für dieses Beispiel und nicht als absolute Zahlen zu sehen, weil u. a. die Gültigkeit der Log-Normal Verteilung in den Extrembereichen auch nur beschränkt zutrifft. Bild 10: Einordnung der Bemessungswerte der einzelnen Verfahren in die Verteilungsdichtefunktion des Widerstandes für DLT 1.1 3. Zusammenfassung Die vorliegende Ausarbeitung sowie auch verschiedene Untersuchungen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass die Ermittlung des Querkraftwiderstandes nach Formulierung der kanadischen Norm vielversprechende Ergebnisse bei der Brückennachrechnung in Deutschland liefert. Dahinter steckt ein verfeinertes mechanisches Modell mit additivem Betontraganteil welches in der Regel höhere Widerstände liefert als die eher konservativen Bemessungsmodelle, die in den deutschen Normen angewendet werden. Bei einer Bemessungsaufgabe geht es in erster Linie darum, die von der betreffenden Norm geforderte Zuverlässigkeit zu gewährleisten. Durch den vorliegenden Beitrag konnte an einem konkreten Beispiel gezeigt werden, dass die Querkraftbemessung nach kanadischer norm für Einwirkungen nach deutscher Norm durchaus zuverlässige Ergebnisse liefern kann. Dabei wird empfohlen alle Sicherheitskomponenten wie Materialdefinition, Teilsicherheitsbeiwerte usw. einheitlich nach dem Sicherheitskonzept und den Festlegungen in den deutschen Normen [4], [5], [12] vorzunehmen. Literatur [1] CSA S6: 19. (2019). Canadian Highway Bridge Design Code. (Canadian Standards Association Group, Hrsg.) Toronto [2] CSA S6.1: 19. (2019). 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Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Bewertung des Sicherheitsniveaus der kanadischen Norm in Bezug auf DIN-Fachbericht beim Nachweis der Querkrafttragfähigkeit 496 5. Brückenkolloquium - September 2022 Spannbetontragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln. (DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Hrsg.) Berlin. [12] DIN-Fachbericht 102. (2009). Betonbrücken. (DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Hrsg.) Berlin. [13] DIN-Fachbericht 101. (2009). Einwirkungen auf Brücken. (DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Hrsg.) Berlin. [14] Bentz, E. C., Collins, M. P. (2006). Development of the 2004 Canadian Standards Association (CSA) A23.3 shear provisions for reinforced concrete. Canadian Journal of Civil Engineering, 33. [15] Vecchio, F. J., Collins, M. (1986). The modified compression field theory for reinforced concrete elements subjected to shear. 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(Bundesanstalt für Straßenwesen, Hrsg.) Brücken- und Ingenieurbau. [21] Bronstein, I.N.; Semendjajew, K.A.; Musiol, G.; Mühlig, H. (1993): Taschenbuch der Mathematik. Thun und Frankfurt/ Main: Verlag Harri Deutsch, 1993 [22] König, G., Hosser, D., Schobbe, W. (1982): Sicherheitsanforderungen für die Bemessung baulicher Anlagen nach den Empfehlungen des NABau - eine Erläuterung. In: Bauingenieur 57 (1982), S. 69-78. Einwirkungen 5. Brückenkolloquium - September 2022 499 Objektspezifische Verkehrslastansätze im Rahmen des Ankündigungsnachweises nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ am Beispiel der Kreuzhofbrücken München Thibault Tepho M.Sc. Technische Universität München, München, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer Technische Universität München, München, Deutschland Dipl.-Ing. (FH) Marcel Nowak M.Sc. Technische Universität München, München, Deutschland Zusammenfassung Bei der Nachrechnung von Bestandsbrücken sind objektspezifische Verkehrslastansätze ein effektives Werkzeug. Durch Berücksichtigung der lokalen Verkehrscharakteristik und des konkreten Bauwerks können somit potentiell reduzierte absolute Verkehrslastniveaus in Ansatz gebracht werden. Im Rahmen des Nachweises von ausreichendem Ankündigungsverhalten nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ (HA SpRK) ist eine alternative Anwendung objektspezifischer Verkehrslastansätze möglich, da dieser Nachweis mitunter vom relativen Verhältnis der Rechenwerte für häufige und charakteristische Verkehrseinwirkungen (q häufig / q char ) abhängig ist. Gemäß der HA SpRK ist für dieses Verhältnis der Wert von 0,50 anzusetzen. Unter bestimmten Randbedingungen ist das tatsächliche Verhältnis jedoch günstiger, was zu einer früheren Ankündigung und somit einem günstigeren Nachweis führt. Darüber hinaus führt auch eine objektspezifische, gegenüber den Regelwerken in vielen Fällen deutlich geringere (reduzierter aWert), maximale Verkehrslast q char zu Vorteilen bei der Beurteilung der Bauwerke, da insgesamt deutlich mehr Spannstahlbrüche auftreten müssen, bis ein kritischer Zustand erreicht wird. Diese potentiellen Reserven sollen im Rahmen der Nachrechnung der spannungsrisskorrosionsgefährdeten Kreuzhofbrücken in München genutzt werden. 1. Einführung Aufgrund der Tatsache, dass ca. 60 % der deutschen Straßenbrücken älter als 40 Jahre sind und die Verkehrsbelastung während dieser Zeit deutlich gestiegen ist, bekommt die Beurteilung von Bestandsbrücken eine immer größere Bedeutung. Sie erfolgt bspw. in Form der Bauwerksprüfung oder der Nachrechnung [1], [2]. In diesem Zusammenhang wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts an einer repräsentativen Auswahl an Spannbeton- und Stahlbetonbestandsbrücken ermittelt, dass ca. zwei Drittel der untersuchten Bauwerke starke bis massive rechnerische Defizite bei der Nachrechnung gemäß Nachrechnungsrichtlinie (NaRil) aufweisen [3]. Treten rechnerische Defizite an Bestandsbauwerken auf, bietet die NaRil Möglichkeiten dem sowohl auf der Einwirkungswie auch auf der Widerstandseite entgegenzuwirken. Dies erfolgt über das mehrstufige Nachweisverfahren der NaRil [4]. Eine Möglichkeit, die Nachrechnung gemäß NaRil auf der Einwirkungsseite in den Stufen 3 und 4 zu verbessern, bieten die objektspezifischen Verkehrslastansätze. Hierbei werden die Verkehrseinwirkungen realitätsnah beurteilt, indem ein Objektbezug hergestellt wird. Dazu werden die Verkehrsbeanspruchungen an einem konkreten Bauwerk betrachtet und/ oder die lokale Verkehrssituation berücksichtigt. Da die normativen Verkehrslastmodelle allgemeingültig sind, also für alle Tragwerke gelten und unter Ansatz extremer Verkehrsbedingungen ermittelt wurden, sind i. d. R. Reserven bzgl. der realen Verkehrsbeanspruchungen vorhanden [5]. Dies ergaben bspw. Untersuchungen in [6]. Im Rahmen der Nachrechnung an den Kreuzhofbrücken in München können objektspezifische Verkehrslastansätze ebenfalls angewandt werden, um das absolute Verkehrslastniveau zu bestimmen und somit die Gefahr eines Bauwerksversagens genauer einzuschätzen. Darüber hinaus wird diese Methode im Kontext der Hand- 500 5. Brückenkolloquium - September 2022 Objektspezifische Verkehrslastansätze im Rahmen des Ankündigungsnachweises nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ lungsanweisung Spannungsrisskorrosion (HA SpRK) angewandt. Dieser besondere Anwendungsfall wird im Folgenden genauer vorgestellt. 2. Kreuzhofbrücken München 2.1 Bauwerk und Randbedingungen Die im Jahre 1967 fertiggestellten Kreuzhofbrücken in München (BW 40/ 45 und BW 40/ 46, siehe Abb. 1) befinden sich im Südwesten von München im Anschluss an die Bundesautobahn (BAB) A95. Es handelt sich hierbei um zwei dreifeldrige Brücken, jeweils mit Spannweiten von ca. 20,5 m - 30,5 m - 20,5 m. Der Überbau wurde als vorgespannte Platte mit Hohlkörpern ausgeführt. Die Vorspannung ist girlandenförmig und mit dem Spannstahl St 145/ 160 vom Typ Sigma Oval nach Zulassung der Firma Polensky und Zöllner umgesetzt worden [7], [8]. Über das BW 40/ 45 werden drei Richtungsfahrbahnen geführt: beide Richtungsfahrbahnen der BAB A95 und eine Auffahrt auf die BAB A95. Das Bauwerk ist ca. 38 m breit sowie schiefwinklig (Kreuzungswinkel ca. 72°) und besitzt zwischen beiden Richtungsfahrbahnen der BAB A95 eine Bauwerksfuge [7]. Das BW 40/ 46 ist im Gegensatz dazu nur ca. 11,5 m breit und im Grundriss im Bereich einer Klothoide (A = 110). Die Abfahrt der BAB A95 wird über diese Brücke geführt [8]. Abb. 1: Kreuzhofbrücken München, BAB-Hauptbrücke BW 40/ 45 (im Hintergrund), Rampenbrücke BW 40/ 46 (im Vordergrund), 2021 Beide Bauwerke wurden bzgl. ihrer Tragfähigkeit in die Brückenklasse BK80 (Lastmodell gemäß besonderer Festlegung der Landeshauptstadt München) eingestuft und haben in der letzten Hauptprüfung im Jahr 2021 die Zustandsnote von 1,8 bekommen. Darüber hinaus wurde das optische Erscheinungsbild als sehr gut eingestuft [7], [8]. 2.2 Problematik Spannungsrisskorrosion und Ankündigungsverhalten nach HA SpRK Trotz der guten Zustandsnote und des sehr guten optischen Erscheinungsbildes sind die Kreuzhofbrücken aufgrund des verwendeten Spannstahls spannungsrisskorrosionsgefährdet. Die Spannungsrisskorrosion (SpRK) entspricht dem Wachstum von Rissen im Werkstoff, bei zeitgleicher Wirkung von Korrosion und statisch mechanischer Zugspannung. Das sich dadurch einstellende Versagen ist verformungsarm, plötzlich und ohne ausgeprägte Einschnürung [9]. Um der Problematik im Brückenbau entgegenzuwirken, wurde 1993 eine Empfehlung formuliert, die letztendlich im Jahr 2011 zur HA SpRK wurde. Im Fall von Bauwerken mit spannungsrissgefährdetem Spannstahl ist eine Nachrechnung nach der HA SpRK erforderlich. Es wird dabei das Ankündigungsverhalten vor dem Tragwerkversagen rechnerisch nachgewiesen. Dies bedeutet, dass Risse am Bauwerk festgestellt werden würden, bevor es einstürzt (Stichpunkt „Riss vor Bruch“) [10], [11]. Der Nachweis des Ankündigungsverhalten nach HA SpRK wird in zwei Schritten geführt. Zuerst wird die Restspannstahlmenge infolge der häufigen Einwirkungskombination ermittelt, ab welcher die Rissbildung im Querschnitt eintritt. Anschließend wird die Tragsicherheit mit gegebener Restspannstahlmenge unter charakteristischen Einwirkungen nachgewiesen. Die Nachweise werden i. d. R. auf Querschnittsebene geführt. Gehen die Nachweise nicht auf, besteht die Möglichkeit darauf aufbauend ein stochastisches Verfahren auf Systemebene anzuwenden [11]. Bzgl. der Definition der Einwirkungskombinationen in welcher der Nachweis geführt wird, wird an dieser Stelle auf das Kapitel 4.3 verwiesen, da die Begrifflichkeiten der HA SpRK nicht mit denen aus dem Eurocode oder dem DIN Fachbericht gleichzusetzen sind. Für die Kreuzhofbrücken in München wurde der Nachweis des Ankündigungsverhalten nach HA SpRK geführt. Für Teilbereiche der Bauwerke - vor allem in den Randfeldern - ist der Nachweis jedoch nicht erfüllt, sodass rechnerisch kein ausreichendes Ankündigungsverhalten vorhanden ist. Aus diesem Grund wurde auf Grundlage von Untersuchungen in [12] ein Monitoring beider Brücken veranlasst, welches auf zwei Ansätzen basiert. Auf der einen Seite wird über das Monitoring eine objektspezifische statistische Bewertung des tatsächlichen Verkehrs durchgeführt. Hierdurch soll das rechnerische Ankündigungsverhalten verbessert werden. Auf der anderen Seite sollen über das Monitoring potentielle Spannstahlbrüche wie auch Schädigungen oder Veränderungen am Tragwerk detektiert werden. Unabhängig, ob die Nachweise mit oben genannter Maßnahme erbracht werden können, wird somit das tatsächliche Ankündigungs- und Schädigungsverhalten überwacht, wodurch ein ausreichendes Sicherheitsniveau erreicht wird. 5. Brückenkolloquium - September 2022 501 Objektspezifische Verkehrslastansätze im Rahmen des Ankündigungsnachweises nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ 3. Verkehrsmonitoring Das Monitoringkonzept für die Kreuzhofbrücken teilt sich, wie eben beschrieben, in zwei Ebenen auf. Das „Wächtersystem“ zur Überwachung von potentiellen Spanngliedbrüchen besteht dabei aus akustischen Sensoren für die Schallemissionsanalyse (SEA), faseroptischen Sensoren und Neigungssensoren. In diesem Zusammenhang wird ein Alarmierungssystem aufgestellt, welches bei Überschreitung definierter Grenzwerte ausgelöst wird. Da dieser Bestandteil des Monitorings bzgl. der objektspezifischen Verkehrslastansätze von geringer Bedeutung ist, wird im Folgenden nicht genauer darauf eingegangen. Genauere Erläuterung hierzu sind u. a. in [13] aufgeführt. Für die monitoringbasierte objektspezifische Ermittlung von Verkehrslastansätzen wurden 68 Dehnmessstreifen (DMS), zwölf Temperatur- und acht Beschleunigungssensoren an der Unterseite der Brücken appliziert. Außerdem wurden jeweils zwei Laserscanner und Webcams neben der Fahrbahn montiert. Die DMS wurden in Brückenlängsrichtung angebracht und erfassen somit die Bauwerksbeanspruchungen aus Biegung. Durch Analyse der DMS-Daten werden die Beanspruchungen infolge der Verkehrsbelastung bestimmt. Dies ist wiederum die Basis für die Ermittlung objektspezifischer Verkehrslastmodelle. Die Daten werden entweder direkt ausgewertet oder fließen über die Anwendung von Bridge Weigh-In-Motion (BWIM) Methoden in die Verkehrssimulation ein (genaueres siehe Kapitel 4) [5]. Des Weiteren werden zur Verifizierung der Ergebnisse die DMS-Daten mit den Messungen aus den faseroptischen Sensoren verglichen. Ergänzend zu den DMS werden mit den Beschleunigungs- und Temperatursensoren besondere Effekte in der Datenauswertung berücksichtigt. Diese sind z.B. dynamische Einflüsse infolge unterschiedlicher Fahrzeuggeschwindigkeiten bzw. temperaturinduzierte Dehnungsänderungen. Mit Hilfe der beiden Laserscanner werden die Fahrzeuge, welche die Brücke passieren, erfasst, gezählt und klassifiziert. Das Gerät sendet dabei Laserstrahlen aus, welche an den Fahrzeugen reflektiert werden (siehe Abb. 2) [14]. Über die Messdaten sind wiederum Rückschlüsse auf das Verkehrsaufkommen, die Verkehrszusammensetzung, der Verkehrsfluss etc. möglich. Diese sind ebenfalls Eingangsparameter für die Verkehrssimulation (siehe Kapitel 4) [5]. Zuletzt dienen die Webcams der Kontrolle der erfassten Daten aus den anderen Messeinheiten. So kann die Entwicklung von Auswertealgorithmen für die DMS-Daten verbessert werden, insbesondere bzgl. der Erfassung besonderer Ereignissen. Diese sind z.B. Überholmanöver von Fahrzeugen. Des Weiteren kann auch die Genauigkeit der Ergebnisse aus den Laserscannerdaten stichprobenartig überprüft werden. Zur Kalibrierung des Messsystems sind darüber hinaus noch Probebelastungen erforderlich. Dabei werden Überfahrten mit einem oder mehreren bekannten Fahrzeugen durchgeführt. Es ist an dieser Stelle wichtig, dass die Abmessungen (z.B. Achsabstände) und das Gewicht des Fahrzeugs bekannt sind. Im Rahmen des Monitorings wurde mittels zwei verschiedener LKW an zwei verschiedenen Terminen Probefahrten durchgeführt. Die Probefahrten bestanden aus statischen Messungen (Stillstand des Fahrzeugs an ausgewählten Stellen auf den Brücken), Überfahrten in Schrittgeschwindigkeiten und Überfahrten im fließenden Verkehr. Anhand der Durchführung der Probebelastung an zwei verschiedenen Terminen, konnten der Einfluss unterschiedlicher klimatischen Bedingungen auf die Ergebnisse untersucht werden (Sommer- und Wintertemperaturen). Abb. 2: Messsystem Laserscanner am BW 40/ 45 (Mitte rechts), mit Darstellung der Messquerschnitte für die Laserscanner (oben), beispielhafter Fahrzeugdetektion für die Laserscanner (Mitte links) und Bildmaterial der Webcam (unten) 502 5. Brückenkolloquium - September 2022 Objektspezifische Verkehrslastansätze im Rahmen des Ankündigungsnachweises nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ 4. Objektspezifische Verkehrslastansätze 4.1 Allgemeines und Bezug zur HA SpRK sowie den Kreuzhofbrücken Die normativen Verkehrslastmodelle sind für alle denkbaren Brückentragwerke gültig und decken extreme Verkehrssituationen ab. Sie bilden somit eine Einhüllende, welche maßgeblich durch ungünstige Belastungssituationen an einzelnen Brückensystemen beeinflusst wird [15]. Aus diesem Grund ergeben sich in Bezug auf die realen Verkehrsbeanspruchungen an einem Bauwerk meist Reserven, welche in den Stufen 3 und 4 der NaRil genutzt werden können. Da die Verkehrsbeanspruchungen sowohl vom Tragwerk, wie auch von den Verkehrseinwirkungen abhängig ist, ist der Objektbezug auf diesen beiden Ebenen möglich. Durch die Bestimmung des absoluten Verkehrslastniveaus über objektspezifische Verkehrslastmodelle, wird das Ziel verfolgt die aus Norm vorgegeben Verkehrseinwirkungen zu reduzieren. Dies erfolgt meist über einen Anpassungsfaktor α i , welcher mit dem normativen Verkehrslastmodell multipliziert wird [5]. Im Rahmen der Nachrechnung der Kreuzhofbrücken gemäß der HA SpRK finden darüber hinaus objektspezifische Verkehrslastmodelle eine Anwendung in einem besonderen Kontext. Untersuchungen in [12] haben ergeben, dass der in Kapitel 2.2 beschrieben Nachweis des Ankündigungsverhaltens u.a. maßgeblich vom Verhältniswert aus den häufigen und charakteristischen Verkehrslasten (q häufig / q char ) abhängig ist und eine Erhöhung dieses Wertes den Nachweis verbessern würde. Gemäß der HA SpRK liegt der Verhältniswert bei 0,5 [11]. Bei einer Erhöhung dieses Faktors auf ca. 0,7 kann der Nachweis des Ankündigungsverhalten bei Anwendung des stochastischen Verfahrens erfüllt werden. Dementsprechend wurde gemäß [12] die objektspezifische statistische Bewertung der tatsächlichen Verkehrseinwirkungen, als sehr effektives Mittel zur Erbringung des rechnerischen Ankündigungsverhalten eingestuft und empfohlen. Des Weiteren kann anhand der Ermittlung der objektspezifischen charakteristischen Verkehrslasten das Erreichen eines kritischen Zustandes durch Spannstahlbrüche genauer beurteilt werden. 4.2 Vorgehen zur Ermittlung objektspezifischer Verkehrslastansätze Die Ermittlung objektspezifische Verkehrslastansätze erfolgt auf der Beanspruchungsebene. Sie kann i.A. in drei Schritt zusammengefasst werden [5]: 1. Lokalen Verkehr erfassen und abbilden 2. Aus dem lokalen Verkehr die resultierenden Tragwerksbeanspruchungen ermitteln 3. Beanspruchungs-Zeit-Verläufe statistisch auswerten und die Lastansätze kalibrieren Die ersten beiden Schritte können über zwei verschiedene Wege bestimmt werden. Einerseits besteht die Möglichkeit die realen Verkehrsströme und die daraus resultierenden reale Tragwerksbeanspruchungen direkt aus den DMS-Daten zu entnehmen (siehe bspw. Abb. 3). Der Umfang dieser realen Beanspruchungs-Zeit-Verläufe geht dann über die Messdauer des Monitorings. Andererseits ist es möglich die lokalen Verkehrsströme synthetisch über numerische Verkehrssimulationen zu erzeugen und die resultierenden Tragwerksbeanspruchungen bspw. mit einem FE-Modell zu generieren. In Bezug auf die Verkehrssimulation sind die Eingangsgrößen Verkehrszusammensetzung, Verkehrsfluss und Fahrzeugparameter erforderlich. Diese werden über die Auswertung der Monitoringdaten bestimmt. Der Umfang der synthetischen Beanspruchungs-Zeit-Verläufe ist frei wählbar. Zuletzt werden die ermittelten Beanspruchungs- Zeit-Verläufe statistisch ausgewertet. Hierbei werden die repräsentativen Werte, wie z.B. der charakteristische oder der häufige Wert bestimmt. Die repräsentativen Werte werden über eine definierte Wiederkehrperiode errechnet. Bei ausreichend langer Mess- oder Simulationsdauer kann der repräsentative Wert direkt bestimmt werden. Da dies jedoch meist mit einem langen Monitoring bzw. einer sehr aufwändigen numerischen Simulation einhergeht, ist es sinnvoll die repräsentativen Werte über die Methoden der Extremwertstatistik zu kalkulieren. Hierbei wird die Verteilung des Beanspruchungs-Zeit-Verlauf über eine Funktion approximiert und anschließend die Ergebnisse über die gewählte Wiederkehrperiode statistisch extrapoliert [5]. Im Rahmen des Projekts an den Kreuzhofbrücken in München wird in einem ersten Schritt das absolute Lastniveau und der Verhältniswert q häufig / q char direkt anhand der DMS-Daten ermittelt. Somit wird der „Ist-Zustand“ bzgl. dieser zwei Größen für die verschiedenen Messstellen bestimmt. Die realen Beanspruchungs-Zeit-Verläufe erstrecken sich über den Messzeitraum von 1,5 Jahren und werden anschließend auf die Wiederkehrperiode der charakteristischen und häufigen Werte statistisch extrapoliert. In Bezug auf die Definition der Wiederehrperiode wird auf das nächste Kapitel (4.3) Abb. 3: Überfahrt zweier Sattelzüge auf dem BW 40/ 46 (links) und daraus resultierendes DMS-Signal im Mittelfeld, Feldmitte (rechts) verwiesen. Die gewählten Methoden der Extremwertstatistik sind: die Methode der Klassengrenzendurchgangszählung mit Approximation durch die Rice Formel und [1] 5. Brückenkolloquium - September 2022 503 Objektspezifische Verkehrslastansätze im Rahmen des Ankündigungsnachweises nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ die Block Maxima Methode mit Approximation durch die verallgemeinerte Extremwertverteilung. Durch die Untersuchung mit zwei verschiedenen Methoden werden die Ergebnisse verifiziert und somit deren Zuverlässigkeit erhöht (vgl. [18]). Die Eingangsgrößen für die numerische Verkehrssimulation werden mittels der Auswertung der Laserscanner- und DMS-Daten bestimmt. Im Fall der DMS-Daten sind hierfür Methoden des BWIM anzuwenden. Anhand dieser zusätzlichen Betrachtung können zukünftige potentielle auftretende Ereignisse oder Veränderungen im Verkehr betrachtet werden. Dies ist z.B. eine Baustellenphase im Brückenbereich oder ein über die Jahre angestiegenes Verkehrsaufkommen. Somit kann der Einfluss dieser Ereignisse oder Veränderungen auf das absolute Lastniveau und den Verhältniswert q häufig / q char bestimmt werden. 4.3 Definition der Wiederkehrperiode Die Definition der Wiederkehrperiode beeinflusst den repräsentativen Wert maßgeblich und ist für dessen Bestimmung dementsprechend auch sehr wichtig [5]. Dieses Thema spielt bei den Untersuchungen der Kreuzhofbrücken eine wichtige Rolle, da der aktuellen HA SpRK keine expliziten Vorgaben zu den Wiederkehrperioden zu entnehmen sind. Die Nachweise zum Ankündigungsverhalten werden gemäß HA SpRK in seltener und häufiger Einwirkungskombination geführt [11]. Diese Begrifflichkeiten sind jedoch nicht mit denen aus dem EC 1, Teil 2 oder dem DIN-Fachbericht 101 gleichzusetzen. In der HA SpRK sind die seltenen Verkehrseinwirkungen als Volllast und die häufigen Verkehrslasten als Hälfte der Volllast definiert. Als Volllast werden die Verkehrsregellasten der einzelnen Normenlastmodelle angesetzt [11]. Somit erscheint es als sinnvoll, die Volllast als charakteristische Werte zu interpretieren. Gemäß dem Eurocode besitzen die charakteristischen Werte eine Wiederkehrperiode von 1.000 Jahren, während laut DIN Fachbericht dem Ansatz der Verkehrslasten eine Wiederkehr von 50 Jahren zugrunde liegt [16], [17]. Im Fall der häufigen Verkehrslasten ist der Vorgängerversion der aktuellen HA SpRK eine Wiederkehrperiode von zwei Wochen zu entnehmen [10]. Im Gegensatz dazu ist der Wert im Eurocode mit einer Woche definiert [16]. Aufgrund dieses Sachverhalts gilt es die Festlegung der Wiederkehrperiode bzgl. der Ermittlung des absoluten Lastniveaus und des Verhältniswerts q häufig / q char genauer zu betrachten. Hierbei werden die Ergebnisse für die verschiedenen normativen Ansätze ermittelt und anschließend bewertet. 5. Zusammenfassung und Ausblick Am Beispiel der Kreuzhofbrücken in München ist zu sehen, dass es durchaus Brücken gibt, die trotz einer guten Zustandsnote (1,8) und eines sehr guten Erscheinungsbildes rechnerische Defizite aufweisen. In gegebenem Fall treten diese beim Nachweis des Ankündigungsverhalten nach HA SpRK auf. Dementsprechend ist die Anwendung von Methoden zur realitätsnahen Abbildung der Einwirkungsund/ oder Widerstandsseite erforderlich. Auf der Einwirkungsseite ist es anhand objektspezifischer Verkehrslastansätze möglich das tatsächlich absolute Lastniveau zu ermitteln, das meistens geringer als die normativen Vorgaben ist. Somit lassen sich Bauwerke bzgl. ihres Versagens - in diesem Fall durch Spannstahlbrüche - besser einschätzen. Darüber hinaus kann im Kontext des Ankündigungsverhalten bzgl. der Spannungsrisskorrosion der Verhältniswert q häufig / q char der verkehrlichen Situation entsprechend angepasst werden. Dies ermöglicht wiederum eine Verbesserung des rechnerischen Nachweises. Die objektspezifischen Verkehrslastansätze finden im Rahmen dieses Projekts somit eine besondere Anwendung. Die Datenauswertung und Ergebnisgenerierung ist zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Beitrags noch in Bearbeitung, weswegen an dieser Stelle noch keine Ergebnisse schriftlich festgehalten werden. Die Ergebnisse werden gemäß genanntem Vorgehen ermittelt. 6. Dank Die Autoren möchten der Hauptabteilung Ingenieurbau des Baureferats der Landeshauptstadt München ihren Dank aussprechen für die Beauftragung und die angenehme Zusammenarbeit im Rahmen des Projekts. Literatur [1] Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Brückenstatistik 09/ 2021: https: / / www.bast.de/ DE/ Statistik/ Bruecken/ Brueckenstatistik.pdf? __blob= publicationFile&v=17. [2] Naumann, J.: Brücken und Schwerverkehr - Strategie zur Ertüchtigung des Brückenbestands in Bundesfernstraßen. In: Bauingenieur 85, Heft 5, S. 210 - 216, 2010. [3] Fischer, O. et al.: Ergebnisse und Erkenntnisse zu durchgeführten Nachrechnungen von Betonbrücken in Deutschland. In: Beton- und Stahlbetonbau 109, H. 2, S. 107-127, 2014. [4] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - Abteilung Straßenbau, Ausgabe 05/ 2011. [5] Nowak, M., Fischer, O.: Objektspezifische Verkehrslastansätze für Straßenbrücken. In: Beton- und Stahlbetonbau 112, Ernst & Sohn, Berlin, S. 804814, 2017. [6] Nowak, M., Fischer, O., Müller, A.: Realitätsnahe Verkehrslastansätze für die Nachrechnung der Gänstorbrücke über die Donau. In: Beton- und Stahlbetonbau 115, Ernst & Sohn, Berlin, S. 91105, 2020. 504 5. Brückenkolloquium - September 2022 Objektspezifische Verkehrslastansätze im Rahmen des Ankündigungsnachweises nach „Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion“ [7] Bauwerksunterlagen BW 40/ 45: Bauwerksbuch, Bestandspläne, Bestandsstatik, Bescheid Bauwerksprüfung. [8] Bauwerksunterlagen BW 40/ 46: Bauwerksbuch, Bestandspläne, Bestandsstatik, Bescheid Bauwerksprüfung. [9] Lingemann, J., Fischer, O., Wild, M.: Spannungsrisskorrosion bei Massivbrücken. In: Stahlbetonbau-Fokus: Brückenbau, Hegger, J., Mark. P. (Hrsg.), Beuth Verlag, Abschnitt H, S. H.1-H.47, 2021. [10] Empfehlung zur Überprüfung und Beurteilung von Brückenbauwerken, die mit vergütetem Spannstahl St 145/ 160 Neptun N40 bis 1965 erstellt wurden, Bundesministerium für Verkehr - Abteilung Straßenbau, Ausgabe: 07/ 1993. [11] Handlungsanweisung zur Überprüfung und Beurteilung von älteren Brückenbauwerken, die mit vergütetem, spannungsrisskorrosionsgefährdetem Spannstahl erstellt wurden (Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion), Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - Abteilung Straßenbau, Ausgabe: 06/ 2011. [12] Fischer, O., Schramm, N.: Nachweiskonzepte Spannungsrisskorrosion unter Einsatz von Monitoring - Bauwerk BW 40/ 45 und BW 40/ 46 über die Forstenrieder/ Boschetsrieder Straße. Monitoringkonzept, Büchting + Streit AG, München, 2021. [13] Fischer, O., Schramm, N., Burger, H., Tepho, T.: Wirklichkeitsnahe Beurteilung des Brückenbestands mit innovativer Sensorik - SpRK-Monitoring der Kreuzhofbrücken, München. In: Innsbrucker Bautage 2022 - Festschrift zum 60. Geburtstag von Univ.Prof. Dr.Ing. Jürgen Feix, Berger, J. (Hrsg.), Studia Universitätsverlag Innsbruck, 2022. [14] TIC Pro - Profiling-Systeme - Betriebsanleitung. SICK AG, 2015 [15] Merzenich, G., Sedlacek, G.: Hintergrundbericht zum Eurocode 1 - Teil 3.2: „Verkehrslasten auf Straßenbrücken“. Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik Heft 711, Bundesministerium für Verkehr, Abteilung Straßenbau, 1995. [16] DIN EN 1991-2: 2010-12: Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 2: Verkehrslasten auf Brücken, Deutsche Fassung EN 1991-2: 2003 + AC: 2010. [17] Novák, B., Lippert, P.: Einwirkungen auf Brücken nach den Eurocodes. Beton Kalender 2015, Berlin: Ernst & Sohn, S. 586-678, 2015. [18] Nowak, M., Straub, D., Fischer, O.: Statistical Extrapolation for Extreme Traffic Load Effect Estimation on Bridges. In: Proc. 14 th International Probabilistic Workshop, Springer International Publishing, S. 135-153, 2016. 5. Brückenkolloquium - September 2022 505 Untersuchung zum Einfluss der Fahrbahnqualität auf die Lebensdauer von Brückentragwerken aus Stahlbeton Timo Hondl Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Glock Technische Universität Kaiserslautern, Fachbereich Bauingenieurwesen, Fachgebiet Massivbau und Baukonstruktion, Kaiserslautern, Deutschland Zusammenfassung Aufgrund der Altersstruktur deutscher Brückenbauwerke ist der Aufwand zum Erhalt der Infrastruktur aktuell hoch. Eine Alternative zu Sanierung und Neubau stellt das frühzeitige Untersuchen und Reduzieren von Lasten dar. Im Folgendem wird eine Möglichkeit vorgestellt, den Einfluss der Fahrbahnqualität auf die Achslasten und damit auf die Lebensdauer von Brückenbauwerken abzubilden. Hierfür werden Methoden zur Achslastermittlung, wie sie z.B. in der Automobilindustrie Anwendung finden, auf das Bauwesen übertragen. Zur Senkung des Rechenaufwands (z.B. in der FEM) werden sowohl Fahrzeuge als auch Brückenbauwerke auf die wesentlichen Freiheitsgrade reduziert. Abschließend wird die Überfahrt eines LKWs an einem gekoppeltem Brücke-Fahrzeug-Modell simuliert, Verformungen, Schnittgrößen und damit auch Bauteilschädigungen einzelner Überfahrten rückgerechnet. Das Ergebnis solcher Untersuchungen wird in Abhängigkeit verschiedener Oberflächenqualitäten anhand eines Beispielbauwerks veranschaulicht. Ein Zuwachs der zu erwartenden Bauwerksschädigung bei sinkender Oberflächenqualität verdeutlicht, dass die regelmäßige Sanierung der Fahrbahn zur Erhöhung der Lebensdauer des Brückenbauwerks beitragen kann. 1. Einleitung Eine verlässliche Infrastruktur ist ein wesentlicher Standortvorteil von Deutschland. Dafür ist der oftmals öffentlich diskutierte Zustand der Straßenbrücken ein wichtiger Faktor. Bereits die Altersverteilung der Straßenbrücken ist eine strukturelle Herausforderung, denn ein Großteil der Brücken wurde in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum zwischen 1965 und 1979 gebaut [1]. Somit fällt der hohe Aufwand zum Erhalt [2] oder zum Abbruch und Neubau [3] dieser Brücken ebenfalls in ein enges Zeitfenster. Neben Sanierungen und Neubauten ist auch die Prävention von Bauwerksschäden zielführend. Daher lohnt die Betrachtung und Reduktion von Einwirkungen. Diese haben, insbesondere vor dem Hintergrund des stark gewachsenen Güterverkehres und teils unterdimensionierter Brücken, für die Lebensdauer eine entscheidende Bedeutung. Im Hinblick auf die realitätsnahe Einschätzung der Einwirkungen auf Brücken kommt den tatsächlichen Achslasten von Fahrzeugen im Zeitraum einer Brückenüberquerung eine wichtige Rolle zu, jedoch sind diese nur schwer ermittelbar. Eine Momentaufnahme ist zwar über „Weight in Motion“ Messungen möglich (z.B. über das Achslastmessstellennetz der Bundesanstalt für Straßenwesen [4]), zeitliche Veränderungen der Achslasten oder Einflüsse des Fahrbahnabschnittes der Messung, Fahrzeuggeschwindigkeit oder der Qualität der Fahrbahn werden jedoch hierbei nicht erkannt Im Folgenden wird eine Methodik zur Simulation und Berechnung realitätsnaher LKW-Achslasten vorgestellt, um am Beispiel einer einfeldrigen Brücke aus Stahlbeton Prognosen über den Einfluss der Fahrbahnqualität auf die Lebensdauer zu treffen. Abb. 1: Fahrzeug - Fahrbahn Interaktion nach dem Grundsatz actio = reactio Untersuchung zum Einfluss der Fahrbahnqualität auf die Lebensdauer von Brückentragwerken aus Stahlbeton 506 5. Brückenkolloquium - September 2022 2. Vergleich Fahrzeugentwicklung und Bauwesen Die Bestimmung der Achslasten von Fahrzeugen, insbesondere LKW, ist nicht nur im Bauwesen von Bedeutung, sondern auch für die Fahrzeugentwicklung. Dabei ist zu beachten, dass im Brückenbau ein großer Anteil der Gesamtlast durch das genau bekannte Eigengewicht des Bauwerks selbst vorgegeben ist und Verkehrslasten insbesondere im Stahl- und Spannbetonbau meist nur einen kleinen Teil der Einwirkung darstellen. Eine genau Kenntnis über dynamische Achslasten von LKW ist daher im Brückenbau nicht im gleichen Maße relevant, wie für die Fahrzeugentwicklung selbst. Aufgrund der im Automobilwesen höheren Relevanz der Achslasten, z.B. für Fahrkomfort oder Ermüdung der Radauf hängungen, werden hier sehr realitätsnahe Schwingungsberechnungen an LKW-Modellen durchgeführt, die unter Berücksichtigung der Fahrbahntopografie durch Fußpunktanregung zum Schwingen angeregt werden. Durch derartige Modelle entstehen zeitlich veränderliche Achslasten. Nach dem Grundsatz actio = reactio entsprechen die zeitlich veränderlichen Einwirkungen auf das Fahrzeug bei einer Brückenquerung den Einwirkungen auf das Brückentragwerk. Daraus folgend lässt sich auch die Schädigung einer Brücke durch Verkehr in Abhängigkeit zeitlich veränderlicher Achslasten und damit in Abhängigkeit der Fahrbahnqualität ermitteln. Abb. 1 veranschaulicht diesen Zusammenhang. Durch die Fahrbahnunebenheiten entstehen zeitlich veränderliche Achslasten. Diese verursachen zeitlich veränderliche Bauwerksreaktionen wie Verformungen und Schnittgrößen. Vergleicht man im Rahmen von dynamischen Berechnungen diese Schädigung mit den Auswirkungen einer sanierten oder auch ideal glatten Fahrbahnoberfläche, lässt sich das Potenzial einer Fahrbahnsanierung auf die Lebensdauer des Tragwerks abschätzen. Das hier vorgestellte Vorgehen wird einführend in Abb. 2 wie folgt zusammengefasst. Realistische Brückenbauwerke sowie Fahrbahnen und Fahrzeuge werden auf Grundlage ihrer Spezifikationen als gekoppeltes Brücke- Fahrzeug-Modell abgebildet. Durch dynamische Simulationen an diesem Modell können Bauwerksreaktionen wie Verformungen und Schnittgrößen ermittelt werden. Auf dieser Grundlage ist eine Prognose der Lebensdauer der Brücke möglich. 3. Simulation realitätsnaher Achslasten von LKW Die Qualität der Fahrbahnoberfläche ist eine abstrakte Größe und nur komplex oder mit vereinfachenden Annahmen zu beschreiben oder zu quantifizieren. Der Grund dafür ist die Einzigartigkeit der Topografie jedes Streckenabschnittes. Dennoch sind die Beschreibung und Bewertung der Fahrbahnqualität aus zwei Gründen für das weitere Vorgehen notwendig. Zum einen wird sie aufgrund der geringen Anzahl vorliegender Messungen benötigt, um Achslasten numerisch zu erzeugen. Dafür werden die generierten Oberflächen zur Fußpunktanregung definierter LKW-Modelle eingesetzt. Zusätzlich dient sie als konsistenter Maßstab zum Vergleich mehrerer Untersuchungsergebnisse. Abb. 2: Vorgehen zur Prognose der Lebensdauer einer Brücke Ein in der Fahrzeugtechnik gängiges Bewertungskriterium der Fahrbahnqualität ist die spektrale Leistungsdichte einer gemessenen Fahrspur wie z.B. in [5] beschrieben. Dabei wird eine lineare, zweidimensionale Fahrspur als ein über den Weg veränderliches Signal betrachtet und auf die enthaltenen Frequenzen hin analysiert. Auf dieser Grundlage definiert [6] ein Verfahren zum Vergleich verschiedener vertikaler Spuraufzeichnungen: Die spektrale Leistungsdichte verschiedener Fahrbahnoberflächen ist in Abb. 3 in Bezug auf die Wellenlänge bzw. Wegkreisfrequenz in doppellogarithmischer Darstellung aufgetragen. Aufgrund dieser doppellogarithmischen Darstellung kann die spektrale Leistungsdichte als Gerade angenähert werden. Die Steigung dieser Graden wird als konstant vorausgesetzt [6]. Somit bleibt als unbekannte Größe die vertikale Verschiebung entlang der y-Achse Gd(Ω0) mit Ω0 = 1rad/ m. In [7] werden entsprechenden Werten für Gd(Ω0) Fahrbahnqualitäten zugeordnet (vgl. Abb. 3). Dabei entspricht z.B. „A“ einer sehr guten und „B“ einer guten Fahrbahn. Abb. 3: Bewertungsmaßstab (oben) und Spektrale Leistungsdichte (unten) gemäß [6], [7] Untersuchung zum Einfluss der Fahrbahnqualität auf die Lebensdauer von Brückentragwerken aus Stahlbeton 5. Brückenkolloquium - September 2022 507 Auf Grundlage der spektralen Leistungsdichte lassen sich auch Fahrbahnen numerisch generieren [8]. Die in diesem Verfahren erzeugten Fahrbahnoberflächen sind, genau wie real gemessene Fahrbahnoberflächen, in ihrem Verlauf einzigartig. Auch bei betragsmäßig gleicher Fahrbahnqualität unterscheiden sich diese Spuren grundlegend. In Abb. 4 sind beispielhaft sowohl drei numerisch erzeugte Fahrbahnoberflächen einer identischen als auch einer unterschiedlichen Qualität der Länge 100 m dargestellt. In der Konsequenz ist davon auszugehen, dass auch die Achslasten, die unter Verwendung dieser jeweils einzigartigen Fahrspuren ermittelt werden, in jeder Betrachtung variieren. Somit wird auch die Bauteilschädigung einer Fahrzeugquerung, als Ergebnis der hier angestellten Betrachtung, keinen konstanten Wert annehmen. Sie kann daher auch als Zufallszahl interpretiert werden. Zur Analyse des Einflusses der Fahrbahnqualität auf die Lebensdauer von Straßenbrücken ist aus diesem Grund ein großer Datensatz verschiedener Fahrbahnoberflächen erforderlich (vgl. Abschnitt 4). Abb. 4: Fahrbahnen identischer (oben) und unterschiedlicher (unten) Qualität Anschließend ist die Simulation des Fahrzeugverhaltens selbst in Abhängigkeit der spezifischen Fahrbahnoberfläche und damit der resultierenden Achslasten von LKW möglich. Im Sinne einer vereinfachenden Modellbildung und zur Reduktion von Rechenzeit wird das simulierte LKW-Modell auf möglichst wenige aber dafür relevante Freiheitsgrade reduziert. Dafür wurde die Annahme getroffen, dass das Fahrzeug mit konstanter Geschwindigkeit einen geraden Streckenabschnitt befährt. In dieser Situation nicht mögliche Fahrmanöver wie Schieben und Gieren (Bewegungen quer zur Fahrtrichtung und Rotation in Richtung der Lenkachse) werden als Sonderfälle vernachlässigt. Wanken (Rotation um die Achse der Bauwerkslängsrichtung) ist ggf. bei der Betrachtung der Quertragrichtung einer Brücke relevant, und wird in der hier angestellten Betrachtung der Längstragrichtung jedoch nicht berücksichtigt. Zur Ermittlung der Bauwerksreaktionen ist eine getrennte Betrachtung der einzelnen Achsen ausreichend. In Abb. 5 werden mit Einzelachse und Doppelachse zwei Beispiele dargestellt. Dabei wird zwischen der gefederten Auf baumasse und der Karosserie, die durch das Rad und die Radauf hängung gefedert wird, differenziert, sodass für eine Einzelachse zwei und für eine Doppelachse drei Freiheitsgrade berücksichtigt werden [9]. Abb. 5: Modell Einzelachse (links) und Doppelachse (rechts) [9] 4. Simulation von Brücken aus Stahlbeton unter realitätsnahen Achslasten Bei dynamischen Beanspruchungen können auch bei statisch bestimmten Systemen aus Einwirkungen nicht direkt Schrittgrößen ermittelt werden, vielmehr sind für die Ermittlung der zeitlich veränderlichen Schnittgrößen aufwändige numerische Simulationen erforderlich. Darauf auf bauend kann eine rechnerische Bauwerksschädigung der betrachteten Überfahrt ermittelt werden. Diese lässt sich, wie in Abschnitt 3 beschrieben, als Zufallszahl interpretieren, die je nach betrachteter Überfahrt ihren Wert ändert (vgl. auch Abschnitt 5). Um die Eigenschaften der Zufallszahl „Schädigung pro Fahrzeugquerung“ wie Erwartungswert und Standardabweichung abschätzen zu können muss das Zufallsexperiment Fahrzeugquerung ausreichend oft wiederholt werden. Ein Mittel für derartige Simulationen, die Finite Element Methode (FEM) eignet sich aufgrund des hohen Rechenaufwands gut für einzelne Berechnungen. Da im Rahmen dieser Untersuchung jedoch eine Vielzahl an Betrachtungen durchgeführt werden, wird die im Folgenden beschriebene vereinfachte Rechenmethode verwendet. Eine Fourier-Analyse der zeitlich veränderlichen dynamischen Bauwerksverformung einer einfeldrigen Brücke bei Querung einer konstanten Einzellast (hier durchgeführt in der FEM) ergibt neben dem Anteil aus statischer Untersuchung zum Einfluss der Fahrbahnqualität auf die Lebensdauer von Brückentragwerken aus Stahlbeton 508 5. Brückenkolloquium - September 2022 Last nur eine Schwingung im Frequenzbereich der ersten Eigenform; beide Anteile überlagern sich. Demnach ist es zur analytischen Vereinfachung der Simulation naheliegend, das Brückenbauwerk auf einen Einmassenschwinger zu reduzieren, ein System, das mit nur einem Freiheitsgrad die Verformungs- und Schwingungseigenschaften der ersten Eigenform korrekt darstellt. Das Vorgehen wird in Abb. 6 anschaulich dargestellt. Die Verformung u(t) in Feldmitte entspricht der Auslenkung des Einmassenschwingers, alle anderen Werte müssen entsprechend überführt werden. In Schritt a) wird die reale Brücke als Einfeldträger mit diskret verteilten Massepunkten und Lasten dargestellt. Im Schritt b) werden diese Massen und Lasten in Feldmitte zusammengefasst und derart angepasst, dass Verformungs- und Schwingungseigenschaften unverändert bleiben. Schritt c) stellt den Einfeldträger als Federschwinger dar. Die Federsteifigkeit k lässt sich aus der Steifigkeit der Brücke und der Verformung in Feldmitte errechnen. Da solch detaillierte Untersuchungen eher bei kritischen und unterdimensionierte Bestandsbauwerke zielführend sind, wurde nachfolgend von einem vollständig gerissener Stahlbeton Brückenquerschnitt ausgegangen. Aufgrund der hier durchgeführten Betrachtung unter Gebrauchslast wird der E-Modul als konstant angesetzt. Abb. 6: Vom Einfeldträger zum Einmassenschwinger Bei der Rückrechnung von Schnittgrößen aus u(t) müssen zwei Verformungsanteile differenziert werden. Sie erzeugen über die Länge des Bauteils gesehen qualitativ unterschiedliche Verformungsfiguren und tragen daher nicht im gleichen Maß zur Schnittgrößenbildung bei. Der statische Anteil, bedingt durch die Einzellast, dem eine Dreiecksförmige Momentenlinie zugrunde liegt sowie der dynamische Anteil, bedingt durch die Schwingung in der ersten Eigenform, mit einem näherungsweisen sinusförmigen Verlauf der Momentenlinie. Gemeinsam ergeben sie die Schnittgrößen der betrachteten Fahrzeugquerung. Im Kontext des EC2 und der Nachrechnungsrichtlinie [10] dient der Nachweis gegen Ermüdung indirekt zur Prognose der Lebensdauer. Entsprechend kann er auch für den vorliegenden Vergleich zweier Belastungssituationen herangezogen werden. 5. Beispielrechnung Die neu entwickelte Methodik zur Ermittlung des Einflusses der Fahrbahnqualität auf die Lebensdauer von Straßenbrücken wird nachfolgend an einem einfachen Beispiel veranschaulicht. Hierbei wird eine Brücke aus Stahlbeton mit einer Spannweite von 15 m betrachtet, zur Untersuchung einer Fahrspur wird die Breite der Brücke exemplarisch mit 3 m angesetzt. Der Querschnitt entspricht einem Plattenbalken mit üblichen Abmessungen [11], der gemäß [12] als Brückenklasse 60 bemessen wurde (Bestandsbauwerk). Das Lehrsche Dämpfungsmaß wurde nach [13] mit 1% angenommen. Untersucht wird die Schädigung der untenliegenden Längsbewehrung in Feldmitte auf Grundlage der Wöhlerlinie für Betonstahl nach [14]. Zur besseren Darstellung des tatsächlichen Einflusses der Fahrbahnqualität dient die Schädigung ohne Fahrbahnunebenheit als Referenzwert, zu der jedes Ergebnis ins Verhältnis gesetzt wird. Somit lässt sich die dargestellte Größe der „relativen Schädigung“ als Vergrößerungsfaktor in Abhängigkeit der Fahrbahn interpretieren. Für dieses einfache Beispiel wird kein konkreter Fahrzeugtyp, sondern die Querung einer Einzelachse (10 t), wie sie z.B. bei einem Sattelschlepper vorkommt, betrachtet. Die Geschwindigkeit betrug 20 m/ s bzw. 72 km/ h, die zugehörigen Parameter der Achsen sind nach [9] angenommen. Für eine erste Betrachtung wurden 400 verschiedene Fahrbahnprofile mit einer spektralen Leistungsdichte von Gd(Ω0) = 1,0 x10-6 m³ generiert, auf die beschriebene Brücke projiziert und durch die angenommene Achse überquert (vgl. Abschnitt 3). Abb. 7 stellt die relative Häufigkeit der relativen Schädigung in einem Histogramm dar. Ein Vergleich mit der Dichtefunktion einer logarithmisch normalverteilten Zufallsgröße (angepasst an die diskrete Klassenbreite) zeigt eine große Ähnlichkeit. Es ist zu erkennen, dass Werte < 1,0 häufig auftauchen. Dies lässt sich durch die Achslasten des LKW erklären, welche als Funktion über die Zeit um ihren Erwartungswert schwingen und somit in Feldmitte auch kleinere Werte annehmen können. Abb. 7: Relative Häufigkeit der relativen Schädigung aus 400 Berechnungen, Gd(Ω0) = 1,0 x10-6 m³ Darauf auf bauend wurden weitere Berechnungen mit variierendem Gd(Ω0) ausgeführt. Der Fokus lag dabei auf den für praktische Anwendungen relevanten Bereich der guten (B) und sehr guten (A) Fahrbahnqualität (vgl. Untersuchung zum Einfluss der Fahrbahnqualität auf die Lebensdauer von Brückentragwerken aus Stahlbeton 5. Brückenkolloquium - September 2022 509 Abb. 3). Die Ergebnisse dieser Berechnungen, also die der Zusammenhang zwischen relativer Schädigung des Bauwerks und spektraler Leistungsdichte der Fahrbahn, wurden als logarithmisch normalverteilte Zufallsgrößen interpretiert. Zugehörige Erwartungswerte und Standardabweichungen sind in Abb. 8 dargestellt. Es ist dabei ein deutlicher Zusammenhang zwischen Fahrbahnqualität und Lebensdauer der Brücke zu erkennen. Sowohl Erwartungswert als auch Standardabweichung der relativen Schädigung nehmen bei sinkender Fahrbahnqualität deutlich zu. Dieser Zusammenhang wird in Abb. 8 durch eine Regressionsgrade verdeutlicht. Abb. 8: Relative Schädigung nach spektraler Leistungsdichte aus 400 Berechnungen, Gd(Ω0) = 1,0 x10-6 m³ Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass die hier gezeigten Zusammenhänge sich lediglich auf das beschriebene Brücke-Fahrzeug-Modell beziehen und keine allgemeingültigen Aussagen zulassen. Erste Untersuchungen zeigen, dass die Steigung der Graden und Streuung der Ergebnisse in Abhängigkeit von Einflüssen wie Fahrzeugtyp, Brückeneigenschaften und dem Verhältnis von Fahrzeuggeschwindigkeit (Erregerfrequenz) und Eigenfrequenz der Brücke steht. Für allgemeingültige Aussagen sind weiter Untersuchungen vorgesehen. 6. Fazit In diesem Beitrag wurde eine neue Methode zur Einschätzung des Einflusses der Fahrbahnqualität auf die Lebensdauer von Brücken vorgestellt, welche Erkenntnisse aus der Fahrzeugentwicklung für den Brückenbau nutzbar macht. Auf dieser Grundlage konnte für ein Beispielbauwerk an dem beschriebenem gekoppeltem Brücke- Fahrzeug-Modell ein direkter Zusammenhang zwischen Fahrbahnqualität und Bauwerksschädigung dargestellt werden. Aufgrund der Einzigartigkeit der Topographie jedes Streckenabschnittes ist dieser Zusammenhang jedoch stark situationsabhängig und nur als Zufallszahl darstellbar. Bei Betrachtung der jeweiligen Erwartungswerte lässt sich erkennen, dass die Bauwerksschädigung mit sinkender Fahrbahnqualität zunimmt. Im Rahmen dieses Beitrags wurde lediglich ein Beispielbauwerk betrachtet. In künftigen Untersuchungen sollen die gewonnenen Erkenntnisse auf allgemeine Anwendungsfälle erweitert werden, die bei der Planung von Bauwerkssanierungen Anwendung finden können. Literatur Literatur [1] Bundesanstalt für Straßenwesen: Brückenstatistik Ausgabe 2021. [2] Glock, C.; Heckmann, M.; Hondl, T. et al.: Massivbau in Zeiten von Klimawandel und Ressourcenverknappung - Herausforderungen und Lösungsansätze/ Concrete construction in times of climate change and resource shortage - challenges and solutions. In: Bauingenieur 97 (2022), 01-02, S. 1-12. https: / / doi.org/ 10.37544/ 0005-6650-2022-01-02- 33. [3] Forman, P.; Glock, C.; Mark, P.: Schnelles Bauen - Motivation, Historie und Konzepte. In: Beton- und Stahlbetonbau 116 (2021), S2, S. 2-11. https: / / doi. org/ 10.1002/ best.202100064. [4] Bundesanstalt für Straßenwesen: Achslasterfassung, https: / / www.bast.de/ DE/ Statistik/ Achslast/ Achslast.html [Zugriff am: 07.02.2022]. [5] Becker, W.: Die Spektrale Dichte ein Maß für die Fahrbahnunebenheit im Längsprofil. In: Straße und Autobahn (1995), Heft 10, 583 ff. [6] ISO 8608: Mechanical vibration - Road surface profiles - Reporting of measured data. Ausgabe November 2016. [7] DIN EN 1991-2: Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke - Teil 2: Verkehrslasten auf Brücken; Deutsche Fassung EN 1991-2: 2003 + AC: 2010, Berlin. [8] Feng, T.; Yu-Fen, H.; Shun-Hsu, T. et al.: Generation of Random Road Profiles (2009). [9] Cebon, D.: Handbook of vehicle-road interaction - Vehicle dynamics, suspension design, and road damage, Advances in engineering no. 2, Swets & Zeitlinger, Lisse, 1999. [10] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - Abteilung Straßenbau: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), 2011. [11] Bergmeister, K.; Fingerloos, F.; Wörner, J.-D. (Hrsg.): Beton-Kalender 2015 - Schwerpunkte: Brücken, Bauen im Bestand, Beton-Kalender Heft 2, Ernst, Wilhelm & Sohn, Berlin, 2014. [12] DIN 1072: Straßen- und Wegbrücken. Ausgabe 1985. [13] Müller, F.P.: Baudynamik, Betonkalender 1978. In: Ernst & Sohn, Berlin (1978). [14] DIN EN 1992-1-1/ NA: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungregeln und Regeln für den Hochbau. Ausgabe Januar 2011. 5. Brückenkolloquium - September 2022 511 Konzept zur datenbasierten Bewertung der Verkehrsbeanspruchung kommunaler Straßenbrücken - DakomStra Gregor Rösler M.Sc. FH Münster, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Theda Lücken-Girmscheid FH Münster, Deutschland Dip.-Ing. Michael Girmscheid Thomas & Bökamp Ingenieurgesellschaft mbH, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Alexander Buttgereit Amt für Mobilität und Tiefbau der Stadt Münster, jetzt: Jade Hochschule Oldenburg, Deutschland Maria Koordt M.Sc. Amt für Mobilität und Tiefbau der Stadt Münster, Deutschland Zusammenfassung Ziel des durch die Innovationsinitiative mFUND des BMVI geförderten Verbundprojektes DakomStra war es, wesentliche Merkmale des kommunalen Schwerlastverkehrs zu bestimmen sowie die tatsächliche Verkehrsbelastung kommunaler Straßenbrücken zu bewerten. Dazu wurden in und um Münster klassifizierte Verkehrsdaten durch ein einfaches und mobiles Messsystem mit Seitenradargeräten aufgenommen und mit einem im Rahmen des Projektes entwickelten Analyse-Tools aufbereitet, statistisch ausgewertet und visualisiert. Durch Einbeziehung bestehender Verkehrsdaten der Bundesfernstraßen konnten signifikante Unterschiede hinsichtlich der wesentlichen Merkmale des kommunalen Straßenverkehrs, insbesondere auch des Schwerverkehrs, gegenüber dem auf Bundesfernstraßen nachgewiesen werden. Anhand ausgewählter Referenzbauwerke wurden bestehende kommunale Straßenbrücken hinsichtlich tatsächlicher Verkehrsbelastungen untersucht und die Ergebnisse dieser datenbasierten Vorgehensweise diskutiert. 1. Ausgangssituation In Deutschland wird der Gesamtbestand aller Straßenbrücken auf ca. 120.000 Bauwerke geschätzt, wobei eine Vielzahl der Brücken ein Bauwerksalter zwischen 40 und 60 Jahren aufweist [1]. Für die etwa 40.000 Brücken im Bundesfernstraßennetz hat das BMVI gemeinsam mit der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) im Jahr 2013 die „Strategie zur Ertüchtigung der Straßenbrücken im Bestand der Bundesfernstraßen“ entwickelt und die Modernisierung der Straßenbrücken vorangetrieben [2]. Demgegenüber stehen die Kommunen, Kreise und Städte als Baulastträger der Landes-, Kreis- und Gemeindestraßen. Genaue Aussagen über Anzahl, Struktur und Zustand kommunaler Brücken sind nicht möglich, da keine zentrale Erfassung der Bauwerks- und Zustandsdaten existiert. Auch die Beanspruchung der kommunalen Straßenbrücken infolge Verkehr ist nicht hinreichend bekannt, da im Gegensatz zu den Bundesfernstraßen auf kommunaler Ebene keine flächendeckende und systematische Erfassung des Straßenverkehrs unter Berücksichtigung der Zusammensetzung des Schwerverkehrs durchgeführt wird. So müssen bestehende Straßenbrücken im kommunalen Netz anhand der an Bundesfernstraßen erhobenen Verkehrsdaten nachgerechnet und bewertet werden. Diese Vorgehensweise warf im Amt für Mobilität und Tiefbau der Stadt Münster diverse Fragen auf, u.a. inwieweit diese Annahmen für die Bauwerke in Münster realistisch sind und ob so eine wirtschaftliche Bereitstellung der Brücken über deren Lebenszyklus gewährleistet ist. Denn als Dienstleistungszentrum im ländlich geprägten Raum ist davon auszugehen, dass die Belastung der städtischen Brücken in Münster, insbesondere durch den Schwerverkehr, deutlich unter der der BAB liegen wird. 2. Konzept zur datenbasierten Bewertung Ziel von DakomStra ist es, durch ein statistisches Analyseverfahren die wesentlichen Merkmale des kommuna- Konzept zur datenbasierten Bewertung der Verkehrsbeanspruchung kommunaler Straßenbrücken - DakomStra 512 5. Brückenkolloquium - September 2022 len Straßenverkehrs auf Grundlage neu aufgenommener Verkehrsdaten zu bestimmen. Durch mobile Messgeräte wurden klassifizierte Verkehrsdaten an kommunalen Straßen in und um Münster detailliert aufgenommen, wobei eine Vielfalt von typischen Straßenquerschnitten und Streckentypen abgebildet wurde. Aus den neu aufgenommenen Daten wurden die wesentlichen Merkmale des Straßenverkehrs wie z.B. Verkehrsstärke sowie die Häufigkeit und Zusammensetzung von Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs bestimmt. Für die Auswertung der Daten wurde ein Analyse-Tool auf Grundlage quelloffener Software entwickelt. Diese ermöglichte neben dem Import und Export der verschiedenen Verkehrsdaten auch die statistische Analyse der Kenngrößen des Schwerverkehrs, um für die spätere Beurteilung genaue Aussagen über die Häufigkeit und Zusammensetzung des kommunalen Schwerverkehrs treffen zu können. Neben der Analyse der neu aufgenommenen Daten auf kommunaler Ebene wurden bestehende klassifizierte Verkehrsdaten der Dauerzählstellen auf Bundesfernstraßen ausgewertet und zum Vergleich herangezogen. Aus den Ergebnissen wurden die Unterschiede hinsichtlich des Schwerverkehrs herausgearbeitet und die Verkehrsbelastung der kommunalen Straßenbrücken bewertet. Im Rahmen einer Brückennachrechnung wurden abschließend die Ergebnisse der Analyse mit einbezogen und diskutiert. 3. Verkehrsdaten als Bewertungsgrundlage 3.1 Bestehende Daten In Deutschland wird durch Dauerzählstellen im Bundesfernstraßennetz der Straßenverkehr kontinuierlich aufgenommen und klassifiziert. Die Verkehrsdaten werden sowohl für die Bundesautobahnen als auch Bundesstraßen durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) veröffentlicht [3]. Für die Auswertung wurden im Rahmen des Projekts die Stundendaten der Dauerzählstellen aus dem Jahr 2019 verwendet. Diese Datensätze enthalten neben den Stundendaten auch allgemeine Informationen zum Messstandort, Straßenklasse etc. Zur Auswertung und Darstellung des Schwerverkehrsaufkommens der Zählstellen der Bundesfernstraßen wurden die klassifizierten Stundendaten nach den Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs zusammengefasst und ausgewertet. Abb. 1: Verkehrsaufkommen und Schwerverkehrsanteil auf Autobahnen und Bundesstraßen (Quelle: Eigene Darstellung) In Abb. 1 ist das Verkehrsaufkommen sowie der Schwerverkehrsanteil für alle Dauerzählstellen dargestellt und um eine Trendlinie ergänzt. Die Abbildung zeigt deutlich das höhere Verkehrsaufkommen auf Bundesautobahnen gegenüber Bundesstraßen und auch einen deutlich größeren Anteil an Schwerverkehrsfahrzeugen. Daraus ergibt sich bereits im Bundesfernstraßennetz ein signifikanter Unterschied hinsichtlich der Verkehrsstärke sowie dem Schwerverkehrsaufkommen zwischen Bundesautobahnen und Bundesstraßen. Die zusammengefassten Verkehrsdaten sind in der nachfolgenden Tabelle dargestellt. Tab. 1: Verkehrsaufkommen und Schwerverkehrsanteil Straßenklasse DTV DTV-SV Anteil SV Bundesautobahn 53.302 11.524 26,5 % Bundesstraße 13.592 1.402 10,8 % 3.2 Messkonzept zur Erhebung kommunaler Verkehrsdaten Zur Aufnahme des kommunalen Straßenverkehrs in und um Münster wurde ein Messkonzept, basierend auf mobilen Seitenradarmessgeräten, ausgearbeitet. An ca. 20 Messstandorten wurde der Straßenverkehr gemessen und entsprechend TLS 8+1 klassifiziert. Bei der Auswahl wurden sowohl Messstandorte an Kreisstraßen, Landesstraßen, Bundesstraßen sowie Autobahnabfahrten berücksichtigt. Die mobilen Seitenradarmessgeräte wurden dazu seitlich der Fahrbahn im Verkehrsraum, an z. B. Straßenschildern, Lichtmasten etc., installiert. Die Stromversorgung der Seitenradarmessgeräte erfolgte über austauschbare Akkumulatoren. In Abhängigkeit der Außentemperatur und der vorhandenen Verkehrsbelastungen war ein Betrieb von bis zu 10 Tagen ohne Akkutausch möglich. Die Kriterien für die Auswahl der Messstandorte wurden im Rahmen von Testmessungen erprobt und verifiziert. Konzept zur datenbasierten Bewertung der Verkehrsbeanspruchung kommunaler Straßenbrücken - DakomStra 5. Brückenkolloquium - September 2022 513 Die während der Messungen gesammelten Erfahrungen wurden fortlaufend bei der Auswahl der Messstandorte berücksichtigt und in die Messplanung eingepflegt. Die von den Seitenradarmessgeräten aufgenommenen und klassifizierten Verkehrsdaten wurden täglich automatisiert auf den Servern des Geräteherstellers gesichert. Zudem wurde für das Projekt durch den Hersteller ein Export der Messdaten in den Cloud-Speicher des Projektkonsortiums eingerichtet. Durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) werden die Verkehrsdaten der Dauerzählstellen in unterschiedlichen Formaten bereitgestellt. Neben bereits ausgewerteten Verkehrs-daten der existierenden Dauerzählstellen sind auch die Stundendaten jeder Dauerzählstelle verfügbar [3]. 3.3 Durchführung temporärer Verkehrsmessungen und Datenauswertung Die Messungen des kommunalen Straßenverkehrs in und um Münster wurde zwischen Mai 2020 und Dezember 2020 durchgeführt. Die Dauer der einzelnen Messintervalle liegt zwischen 10 und 24 Zähltagen. Um eine längere Messdauer zu erhalten, wurden die Akkus der Seitenradarmessgeräte vor der vollständigen Entladung ausgetauscht. Der aufgenommene Datensatz klassifizierter Verkehrsdaten kann nachfolgend beschrieben werden: • 25 durchgeführte Messintervalle, • 23 aufgenommene Messstandorte, • 9.935 Zählstunden, • 422 Zähltage, • 371 vollständige Zähltage, • 4.395.473 aufgenommene und klassifizierte Fahrzeuge. Die nachfolgende Abbildung zeigt die einzelnen Messstandorte. Abb. 2: Messstandorte der kommunalen Verkehrsmessungen (Quelle: Eigene Darstellung) Die Auswertung der neu aufgenommenen Daten erfolgt anhand der wesentlichen Merkmale der Verkehrscharakteristik. Dabei werden folgende Kenngrößen des Straßenverkehrs berücksichtigt: • Durchschnittlicher täglicher Verkehr (DTV), • Anteil Schwerverkehr (DTV-SV), • Häufigkeit der einzelnen Fahrzeugklassen/ gruppen des Schwerverkehrs. Das Verkehrsaufkommen an den einzelnen Messstandorten ist in Tab. 2 dargestellt. Das geringste Verkehrsaufkommen wurde mit ca. 3.700 Fahrzeugen an Standort 16 gemessen. Mit ca. 19.300 Fahrzeugen wurde die größte Verkehrsbelastungen im Rahmen der Datenerhebung an Messtandort 9 gemessen und liegt somit bei weniger als 20.000 Fahrzeugen. Über alle gemessenen Standorte wurde eine durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke von 9.820 Fahrzeugen gemessen. Tab. 2: Durchschnittliche tägliche Verkehrs- und Schwerverkehrsbelastung an den Messstandorten ID DTV Anteil und Aufteilung des Schwerverkehrs pSV pLoA pLmA pSat pBus 1 10.999 8,5 27 10 52 10 2 10.581 3,8 45 9 22 24 3 9.469 3,9 50 8 20 23 4 6.103 2,4 69 8 14 11 5 16.211 3,5 36 9 35 19 6 11.647 2,7 43 7 8 41 7 5.382 2,7 50 8 20 23 8 10.912 3,0 42 5 15 39 9 19.356 3,5 44 7 20 28 10 8.110 3,6 40 12 46 3 11 10.489 2,1 70 7 9 15 13 11.743 2,9 38 3 6 54 14 10.723 4,5 44 7 19 30 16 3.727 1,3 50 8 29 14 17 4.529 3,0 43 5 19 33 19 3.748 4,4 43 16 34 7 20 12.320 7,1 30 11 51 8 21 16.446 7,9 32 16 47 5 22 10.710 3,9 39 7 15 39 23 4.793 3,3 30 7 13 51 24 4.896 3,9 40 8 19 34 25 10.727 8,6 62 9 17 12 pSV ,pLoA, PLmA, pSat, PBus in % In einem weiteren Schritt wurde zudem die Zusammensetzung des kommunalen Schwerverkehrs in Abhängigkeit der Straßenklasse untersucht. Dabei wurde beim Kommunalverkehr in und um Münster ein großer Anteil von Lastkraftwagen ohne Anhänger (LoA) sowie Bussen (Bus) nachgewiesen. Bei einer Vielzahl der Messstandorte setzt sich der Schwerverkehr zu über 70 % aus diesen beiden Fahrzeugklassen zusammen (vgl. Abb. 3). Konzept zur datenbasierten Bewertung der Verkehrsbeanspruchung kommunaler Straßenbrücken - DakomStra 514 5. Brückenkolloquium - September 2022 Abb. 3: Zusammensetzung der Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs nach Straßenklasse (Strkla) (Quelle: Eigene Darstellung) Wobei sich in Abhängigkeit der einzelnen Straßenklassen Unterschiede einstellen: An den Bundesstraßen wurde der größte Anteil an Sattelzügen nachgewiesen, wohingegen an Kreis- und Landesstraßen Lastwagen ohne Anhänger dominieren. 4. Auswertung des Datensätze und Vergleich des Verkehrsaufkommens Durch das entwickelte Analysetool können statistische Auswertungen und Visualisierungen von Verkehrsdaten durchgeführt werden. Die mit Hilfe von Seitenradarmessgeräten aufgenommenen Einzelfahrzeugbzw. Rohdaten können damit verarbeitet, zusammengefasst und strukturiert werden. Für die Auswertung der Verkehrsdaten ist das Gruppieren anhand verschiedener Parameter (z.B. Messstandorte, Straßenklasse, DTV, DTV-SV) genauso möglich wie die Einteilung in neu definierte Klassen (z.B. nach Schwerverkehrsaufkommen etc.). Abb. 4: Übersicht der ausgewerteten Zählstellen in Abhängigkeit des DTV (Quelle: Eigene Darstellung) Zur gemeinsamen graphischen Auswertung wurden die klassifizierten Verkehrsdaten der Dauerzählstellen mit den neu aufgenommenen Daten des kommunalen Straßenverkehrs in und um Münster verschnitten. Dabei wurden die Verkehrsdaten der Dauerzählstellen auf das Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) begrenzt. Abb. 5: Vergleich des Schwerverkehrsaufkommens nach DTV der Dauerzählstellen NRW sowie neu aufgenommener Standorte (Quelle: Eigene Darstellung) Abb. 4 stellt eine Übersicht der Dauerzählstellen aus NRW sowie der neu aufgenommenen Messstandorte dar. Das gemessene kommunale Verkehrsaufkommen ist vergleichbar mit dem von Dauerzählstellen auf Bundesstraßen mit geringem Verkehrsaufkommen (DTV < 20.000). Der Kommunalverkehr hingegen unterscheidet sich deutlich gegenüber dem durchschnittlichen täglichen Verkehrsaufkommen auf Autobahnen in NRW. Abb. 6: Vergleich des Schwerverkehrsanteils nach DTV der Dauerzählstellen NRW sowie neu aufgenommener Standorte (Quelle: Eigene Darstellung) Die Abb. 5 und Abb. 6 zeigen die signifikanten Unterschiede des kommunalen Verkehrsaufkommens im Vergleich zu Autobahnen in Nordrhein-Westfalen. Die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke und auch das Schwerverkehrsaufkommen der Messungen im kommunalen Streckennetz sind deutlich geringer als an Autobahnen. Durch das Verschneiden der Datensätze konnten signifikante Unterschiede hinsichtlich der Verkehrsbelastung, der Anzahl der Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs als auch der Anteil des Schwerverkehrsaufkommens am ge- Konzept zur datenbasierten Bewertung der Verkehrsbeanspruchung kommunaler Straßenbrücken - DakomStra 5. Brückenkolloquium - September 2022 515 samten Verkehrsaufkommen für den Kommunalverkehr in um Münster nachgewiesen werden. Im Einzelnen sind dies: • Durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke: Die im Projekt DakomStra resultierende durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke der aufgenommenen Messstandorte liegt mit 9.820 Fahrzeugen deutlich unterhalb des Verkehrsaufkommens auf Autobahnen (75.923 DTV) und Bundesstraßen (13.369 DTV). • Durchschnittliche tägliche Schwerverkehrsstärke: Das im Kommunalverkehr gemessene Schwerverkehrsaufkommen beträgt während des Projektzeitraumes 428 DTV-SV gegenüber einem Schwerverkehrsaufkommen von 13.215 DTV-SV auf Autobahnen und 1.300 DTV-SV auf Bundesstraßen. • Anteil des Schwerverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen: Der im Projekt gemessene Anteil des Schwerverkehrs am gesamten aufgenommenen Kommunalverkehr liegt mit durchschnittlich 4,1 % deutlich unter dem Anteil von Autobahnen (18,9 %) und Bundesstraßen (9,6 %). 5. Nachrechnung eines Brückenbauwerks Die als Referenzbauwerk ausgewählte Brücke liegt an der relativ stark befahrenen B 54 im Süden von Münster. In dem Streckenabschnitt des Brückenbauwerks wurde der Straßenverkehr durch die mobilen Seitenradarmessgeräte aufgenommen und klassifiziert. Es können somit auch Untersuchungen zum Vergleich der in der Nachrechnungsrichtlinie anzusetzenden Ziellastniveaus und den tatsächlichen Verkehrsbeanspruchungen auf Basis der gemessenen Daten erfolgen. Gemessen wurde in diesem Bereich ein DTV von ca.19.400 sowie ein DTV-SV von ca. 680 (3,5%). Das Bauwerk wurde im Jahr 1968 erbaut und als Brückenklasse 60 nach DIN 1072 bemessen. Der Überbau besteht aus zwei baugleichen Teilbauwerken. Es handelt sich um einen Durchlaufträger über 3 Felder ausgeführt als 4-stegiger Plattenbalken mit torsionssteifen End- und Stützquerträgern. Die Hauptträger sind in Längsrichtung vorgespannt. Die Länge des Überbaus beträgt insgesamt ca. 50 m mit Feldlängen von 10,65 m, 27,07 m und 10,65 m. Die Querschnittshöhe beträgt 1,00 m. Das Bauwerk ist schiefwinkelig mit ca. 80,49 Grad. Gemäß den Bestandunterlagen (1968) wurde für den Überbau die Betonklasse B450 verwendet, der in die Festigkeitsklassen C30/ 37 eingestuft werden kann. Abb. 7: Längs- und Querschnitt des Referenzbauwerkes (Quelle: Bestandsunterlagen und Bauwerksbuch) Das Bauwerk wurde nach der vom BMVI herausgegebenen Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) nachgerechnet [4]. Diese Richtlinie gilt im Rahmen der Bauwerkserhaltung für die Bewertung der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit bestehender Straßenbrücken, die nicht nach aktuellem Normungsstand geplant und errichtet wurden. Die Nachrechnung erfolgt in Stufe 1 & Stufe 2 zunächst für das Ziellastniveau LM 1 nach DIN-Fachbericht 101. In der Stufe 1 der Nachrechnung verbleiben die für vorgespannte Brückenüberbauten aus der Bauzeit vor 1970 typischen Defizite (Nachweis der Querkrafttragfähigkeit, Torsionslängsbewehrung, Querkraftermüdung). Nach Nachrechnung in Stufe 2 verbleiben Defizite beim Nachweis der Schubbewehrung für das Ziellastniveau LM 1 nach DIN-Fachbericht 101. Abb. 8: FE-Berechnungsmodell des Referenzbauwerks (Quelle: Thomas & Bökamp) In einem weiteren Schritt erfolgte nach Bewertung des Schwerverkehrsaufkommens und der Verkehrszusammensetzung eine Abminderung des Ziellastniveaus [5, 6]. Es zeigt sich, dass beim hier vorliegenden Bauwerk durch die Reduzierung des Ziellastniveaus auf ca. 75 % des LM 1 die Nachweise größtenteils erfüllt werden können. 6. Zusammenfassung und Ausblick Im Projekt DakomStra wurde der kommunale Straßenverkehr in und um Münster klassifiziert erhoben und ausgewertet, um die tatsächliche Verkehrsbelastung kommunaler Straßenbrücken infolge Schwerverkehr zu bewerten. Konzept zur datenbasierten Bewertung der Verkehrsbeanspruchung kommunaler Straßenbrücken - DakomStra 516 5. Brückenkolloquium - September 2022 Zur detaillierten Aufnahme der kommunalen Verkehrsdaten wurde ein einfaches Messkonzept basierend auf temporären Verkehrsmessungen mit mobilen Seitenradarmessgeräten entwickelt und erprobt: An 23 Messstandorten wurde der kommunale Straßenverkehr aufgenommen und entsprechend TLS 8+1 klassifiziert. Mit einem entwickelten Analyse-Tool konnten die neu aufgenommenen und bestehenden Verkehrsdaten ausgewertet und visualisiert werden. Ein besonderer Fokus lag dabei auf der Analyse und Zusammensetzung der Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs im kommunalen Bereich. Das Verschneiden der neu aufgenommenen und bestehenden Verkehrsdaten zeigt signifikante Unterschiede zwischen dem Kommunalverkehr und dem Verkehr auf den Bundesfernstraßen. Hervorzuheben ist hier sowohl das deutlich geringere Verkehrsaufkommen als auch der geringere Schwerverkehrsanteil bei den im Projekt aufgenommenen Messstandorten gegenüber den Verkehrsdaten der Dauerzählstellen auf Bundesfernstraßen in NRW. Im Rahmen einer Nachrechnung eines Referenzbauwerkes wurden die Ergebnisse der Datenerhebung und Auswertung mit einbezogen und auf Basis der Häufigkeit und Zusammensetzung des Schwerverkehrs Möglichkeiten zur Reduzierung der Ziellastniveaus diskutiert. Die Erkenntnisse zur Aufnahme und Auswertung klassifizierter Verkehrsdaten bieten kommunalen Baulastträgern im Zuge des Unterhaltungsmanagements die Möglichkeit unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verkehrszusammensetzung, verkehrsbeschränkende Maßnahmen, Verstärkungsmaßnahmen und Monitoringmaßnahmen bedarfsgerecht zu planen und auszuführen. Zudem ergeben sich im Bereich von Nachrechnungen bestehender kommunaler Straßenbrücken Potentiale: Für das Ausgleichen von Defiziten bei Nachrechnungen von kommunalen Straßenbrücken ist die Anwendung von angepassten Ziellastniveaus oder auch ein objektspezifischer Lastansatz möglich. Jede einzelne dieser Maßnahmen reduziert dabei die entstehenden Kosten an den Bauwerken und verbessert die Verfügbarkeit der bestehenden Infrastrukturanlagen. Aufbauend auf der vorgestellten Projektstudie sind weitere Untersuchungen notwendig, um zukünftig sparsam, wirtschaftlich und verantwortlich mit den Finanzmitteln (Steuergeldern) für den Brückenbau umzugehen. Durch die Berücksichtigung von Fahrzeugsilhouetten und Achslastverteilungen sind weitere Analysen zur Ermittlung der genauen Verkehrslastbeanspruchung von Straßenbrücken im kommunalen Streckennetz möglich. 7 Projektkonsortium Das vorgestellte Verbundprojekt wurde durch die Innovationsinitiative mFUND des BMVI gefördert. Die Autoren bedanken sich für die Unterstützung. Die Bearbeitung des Projekts DakomStra erfolgte gemeinschaftlich durch die folgenden Projektpartner: • FH Münster (Konsortialleitung) • Thomas & Bökamp Ingenieurgesellschaft mbH, Münster • Stadt Münster, Amt für Mobilität und Tiefbau (assoziierter Partner) Literatur [1] Arndt, W.-H., Beckmann, K. J., Eberlein, M., Grabow, B.: Kommunale Straßenbrücken, Zustand und Erneuerungsbedarf, Berlin: Deutsches Institut für Urbanistik 2013. [2] Stand der Ertüchtigung von Straßenbrücken der Bundesfernstraßen. Berlin 14.11.2016. [3] Bundesanstalt für Straßenwesen: Infrastruktur-, Verkehrs- und Unfalldaten. https: / / www.bast.de/ statistik, 12.11.2018. [4] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand, Ausgabe 05/ 2011. [5] Bundesanstalt für Straßenwesen: Nachrechnung bestehender Brücken - Tagungsband 2021, Bergisch Gladbach 2021. [6] Nowak, M., Fischer, O.: Objektspezifische Verkehrslastansätze für Straßenbrücken, Beton- und Stahlbetonbau Vol. 112, 12.2017. 5. Brückenkolloquium - September 2022 517 Alternative Wege bei der Berechnung des Tragvermögens einer bestehenden Straßenbrücke aus Stahlbeton Prof. Dr. Ivan Markovic, dipl. Bauing. IBU Institut für Bau und Umwelt, OST Ostschweizer Fachhochschule (ehem. HSR), Rapperswil, Schweiz Zusammenfassung Zustandserfassung und statische Nachrechnung einer bestehenden Strassenbrücke in der Schweiz haben ergeben, dass der Tragsicherheitsnachweis auf Durchstanzen gemäss SIA-Normen nicht erfüllt ist. Im vorliegenden Beitrag zeigen wir, wie durch die geeigneten zusätzlichen Zustandserfassungen sowie durch die Anwendung eines aktualisierten Lastmodells für Strassenlasten, der Durchstanznachweis erbracht wurde und damit eine finanziell und zeitlich aufwendige Verstärkung der Brücke vermieden wurde. Am Anfang des Beitrags zeigen wir unsere Strategie sowie die Resultate der Zustandserfassung. Anschliessend stellen wir die wesentlichen Resultate der statischen Nachrechnungen vor. Im Anschluss wird das aktualisierte Lastmodell für Strassenverkehrslasten kurz vorgestellt, gefolgt durch die zusätzlichen Zustandserfassungen und statische Nachrechnung mit Nutzung vom aktualisierten Lastmodell für Strassenverkehrslasten. Am Schluss folgt eine Zusammenfassung von wichtigsten Erkenntnissen bei der Überprüfung dieser verkehrstechnisch wichtigen und im konstruktiven Sinne äusserst interessanten Brücke. 1. Aufgabenstellung Der Auftrag der Ostschweizer Fachhochschule Rapperswil war, detaillierte Zustandserfassung zu organisieren und durchzuführen und anschliessend detaillierte statische Berechnung einer bestehenden Strassenbrücke zu machen. Das Hauptziel des Projektes war festzustellen, ob die Brücke gemäss Schweizer Normen tragsicher ist, ob Instabdsetzungs- und oder Verstärkungsmassnahmen erforderlich sind sowie welche Restlebensdauer der Brücke zu erwarten ist. Der vorliegende Beitrag konzentriert sind primär auf die Zustandserfassung und auf die Anwendung eines alternativen aktualisierten Modells für Strassenverkehrslasten in der statischen Berechnung der Brücke. 2. Beschreibung des Bauwerks Diese Strassenbrücke (Baujahr: 1973/ 74) ist im statischen Sinne als eine über drei Felder durchlaufende Platte mit den Spannweiten von 15.75 m + 16.7 m + 8.55 m konzipiert (Abb. 1). Der Überbau der Brücke weist einen Plattenquerschnitt aus Stahlbeton auf, mit einer Höhe im mittleren Bereich von 60 cm. Der Brücken-Überbau (Fahrbahnplatte) ist nicht vorgespannt und es ist keine Bügelbewehrung vorhanden. Die Längs- und Querbewehrungen der Fahrbahnplatte wurden aber bei der damaligen Projektierung der Brücke sorgfältig berechnet und in allen Teilen der Fahrbahnplatte korrekt konstruktiv durchgebildet. Die Brücke ist monolithisch mit vier Brückenpfeiler verbunden und zusätzlich bei beiden Widerlager vertikal mittels je zwei in horizontaler Ebene verschieblichen Brückenlager (Gleitlager) gelagert. Die Bewehrung der Pfeiler und der Fundationen ist bei der damaligen Projektierung und Ausführung korrekt berechnet und konstruktiv durchgebildet. Sowohl Pfeiler als auch Widerlager sind flach fundiert (Baugrund: Niederterassen-Schotter). Auf der Fahrbahn gibt es drei Fahrspuren und ein Trottoir auf der Seite West. Unter der Brücke verlaufen drei Bahngleisen und eine Strasse. Abbildung 1: Ansicht der Strassenbrücke 3. Zustandserfassung Die Brücke wurde im Rahmen einer detaillierteren Überprüfung durch das Team des Instituts für Bau und Umwelt IBU der Ostschweizer Fachhochschule Rapperswil 518 5. Brückenkolloquium - September 2022 Alternative Wege bei der Berechnung des Tragvermögens einer bestehenden Straßenbrücke aus Stahlbeton untersucht. Dabei wurde mittels visueller Untersuchung, Messungen der Bewehrungsüberdeckung (Ferroscan), Potentialfeldmessung (Abb. 2), Messung der Chlorid- Konzentration sowie Druckproben und Gefüge-Analysen an Bohrkernen der Zustand der Brücke detailliert erfasst. Die Bewehrungsüberdeckungen der tragenden Bewehrungseisen im Durchschnitt 2-4 cm. Trotzdem konnten bei der Potentialfeldmessung praktisch keine Messwerte festgestellt werden, welche auf Bewehrungskorrosion deuten. Auch bei den Sondier-Öffnungen (auf der oberen und unteren Seite der Fahrbahnplatte sowie auf Brückenpfeiler) ist praktisch keine Bewehrungs-Korrosion eruiert worden (Abb. 3). Die Karbonatisierungs-Tiefe beträgt (nach 46 Jahren Lebensdauer) ca. 3 mm im Überbau und ca. 12 mm bei den Pfeilern. Es ist nicht wahrscheinlich, dass die Karbonatisierungs-Front vor Ablauf der Restnutzungsdauer die statisch tragende Biegebewehrung erreicht. Chlorid- Konzentration ist sehr tief: im Durchschnitt beträgt sie im Überbau und Brückenpfeiler ca. 0.02 % der Zementmasse, maximal ca. 0.12% der Zementmasse im Konsolkopf. Die Druckversuche auf Bohrkernen haben gezeigt, dass sich die Betondruckfestigkeit mit einem C50/ 60 gemäss heutiger Norm vergleichen lässt. Zudem wurde ein Prüfkörper auf die Alkali-Aggregat-Reaktion überprüft. Es hat sich herausgestellt, dass diese Reaktion nicht vorhanden ist. Abbildung 2: Zustandserfassung: Potentialfeldmessung im Belagsfenster v Abbildung 3: Zustandserfassung: Sondierung der Bewehrungseisen im Pfeiler 4. Statische Berechnungen mit Strassenverkehrslasten gemäss Norm SIA 269/ 1 Anschliessend wurden die Materialkennwerte (basierend auf der o.g. Zustandserfassung) sowie die Belastungen gemäss SIA-Normen SIA 260 ff sowie SIA 269 ff aktualisiert und aufgrund davon detaillierte statische Nachrechnungen dieser Brücke gemacht. Das Ziel der statischen Nachrechnungen war, die Tragsicherheit aller tragenden Elemente der Brücke zu überprüfen und anschliessend die Empfehlungen für die eventuell erforderlichen Verstärkungsund/ oder Instandsetzungsmassnahmen zu geben. Bei der statischen Berechnung wurden zwei Modelle benutzt: - Fahrbahnplatte wurde mit einem drillweichen Plaattenmodell modelliert - Für das Modellieren der Pfeiler und der Fundationen wurde ein dreidimensionales Stabmodell gemäss Abb. 4 verwendet. Abbildung 4: Statisches Modell der Brücke für die Berechnung des Brückenunterbaus (Pfeiler und Fundationen) Die statische Überprüfung der bestehenden Brücke hat gezeigt, dass die Tragsicherheitsnachweise aller Elemente der Brücke gemäss Normen SIA 261 ff bzw. SIA 269 ff 5. Brückenkolloquium - September 2022 519 Alternative Wege bei der Berechnung des Tragvermögens einer bestehenden Straßenbrücke aus Stahlbeton erfüllt sind, ausser Durchstanznachweise der Fahrbahnplatte im Bereich der zwei (von insgesamt vier Pfeilern), wo kleine Defizite des Tragvermögens festgestellt wurden. Aufgrund davon wurde entschieden, dass die Tragsicherheitsnachweise auf Durchstanzen vertieft zu betrachten sind und zwar: - einerseits durch vertiefte Materialuntersuchungen (vor allem um mit noch zuverlässigeren Werten der Schubfestigkeit des Betons zu rechnen); - andererseits durch die Nutzung von einem alternativen Modell für Strassenverkehrslasten. Dieses Lastmodell wird näher im [2] bzw. im Abschnitt 5 dieses Beitrags beschrieben. 5. Statische Berechnungen mit dem alternativen Modell für Strassenverkehrslasten gemäss [2] Die Norm SIA 269/ 1 (Norm für Bauwerkerhaltung, d.h. für bestehende Bauwerke, siehe Ref. [1]) gibt im Ziffer 10 ein Lastmodell, welches sich vom Lastmodell der Norm SIA 261 (Norm für Neubauten, Ziffer 10) lediglich dadurch unterscheidet, dass der Beiwert a = 0.9 (dient der Kalibrierung der Strassenverkehrslasten) gemäss SIA 261 durch Aktualisierungsbeiwert aact < 0.9 ersetzt wird. Obwohl dieses Berechnungsvorgehen einfach und pragmatisch in der Anwendung in der Ingenieurpraxis ist, hat es mehrere Nachteile, welche sowohl quantitativ (bspw. Faktoren aact sind i.d.R. zu konservativ) als auch qualitativ (bspw. Faktoren aact sind nur für Brücken mit bestimmten Spannweiten kalibriert) sind. Aufgrund davon, schlägt in der Ref. [2] Prof. Dr. Eugen Brühwiler (EPFL) ein aktualisiertes Lastmodell für Strassenlasten für den Nachweis der Tragsicherheit bestehender Strassenbrücken vor, welches als alternatives Berechnungsmodell für diese Brücke verwendet wurde. In diesem Beitrag werden nur ein paar wesentlichste Eigenschaften des alternativen Modells für Strassenverkehrslasten wiedergegeben. Für detaillierte Vorstellung und Begründung des Modells wird auf den Bericht [2] verwiesen. Vertikale Lasten dieses Modells basieren auf dem WIM (Weigh-ln-Motion) - Messungen der Verkehrslasten auf dem Schweizer Nationalstrassennetz über einer in voraus definierten Zeitspanne [3]. Im Modell sind Lastbilder für die Einzel-, Doppel-, und Dreifach-Achse modelliert (also nicht nur für Doppel-Achse, wie gemäss der aktuell gültigen Norm SIA 269/ 1). Die charakteristischen Werte der Strassenlasten basieren auf den WIM-Messungen und werden als statische Achslasten daraus hergeleitet. Im Modell gemäss Bericht [2] wurde zudem der Einfluss von dynamischen Effekten sowie von spezifischer Belastungssituationen auf die Radlasten berücksichtigt. Das aktualisierte Lastmodell gilt für die Grenzzustände der Tragsicherheit der Tragwerksteile von Brücken mit Spannweiten bis 20 m, die in Quer- und Längsrichtung Strassenlasten abtragen, was für die vorliegende Brücke zutrifft. Zusätzlich zur Nutzung vom aktualisiertem Modell für Strassenverkehrslasten wurden ein paar weitere Bohrkerne aus der Untersicht der Brücke entnommen und auf Druck getestet, um noch zuverlässigere Werte für die Druck- und Schubfestigkeit des Betons zu ermitteln (Abb. 5). Abbildung 5: Entnahme zusätzlicher Bohrkerne aus der Untersicht der Brücke Schnittkräfte für Durchstanznachweise und Nachweise der Querkräfte wurden auf einem drillweichen Plattenmodell ermittelt, mit Strassenverkehrslasten gemäss o.g. aktualisiertem Modell. Zudem wurden im Tragsicherheitsnachweis auf Durchstanzen auch die folgenden aufgezwungenen Verformungen berücksichtigt (gemäss SIA 262, 4.1.2.1): - Temperatur-Änderungen - Differentielle Setzungen - Schwindverformungen Obwohl gemäss SIA 262, 4.1.2.3 bei der Ermittlung der Schnittkräfte infolge o.g. Zwängungen die Rissbildung und das Kriechen durch das Abmindern der Biegesteifigkeiten berücksichtigt werden können, werden in dieser Berechnung die Zwangsschnittkräfte ohne Abmindern der Biegesteifigkeiten ermittelt. Dieses Berechnungsverfahren liegt somit auf der sicheren Seite. 6. Fazit und abschliessende Bemerkungen Statische Berechnung mit aktualisiertem Modell für Strassenverkehrslasten gemäss [2] und mit aktualisiertem Bemessungswert der Schubfestigkeit des Betons hat in wesentlich grösseren Tragwerksreserven verglichen mit der ursprünglicher statischen Berechnung (Abschnitt 4 dieses Beitrags) resultiert. Alle Tragsicherheitsnachweise, inklusive Durchstanznachweise, sind erfüllt. Die Tragsicherheitsreserven sind sowohl bei den realistischen als auch bei den ungünstigen Annahmen im Bezug auf die Zwängungen (v.a. Setzungen) genügend gross. 520 5. Brückenkolloquium - September 2022 Alternative Wege bei der Berechnung des Tragvermögens einer bestehenden Straßenbrücke aus Stahlbeton Aufgrund davon stellen wir fest, dass die Tragsicherheit der Strassenbrücke unter in diesem Bericht gemachten Annahmen für Strassenverkehrslasten und Materialeigenschaften und im Sinne von SIA-Normen 260 ff buw. SIA 269 ff gewährleistet ist. Literaturverzeichnis [1] SIA-Normenreihe 260, 261, 262 sowie 269 [2] Prof. Dr. Eugen Brühwiler, Laboratoire de Maintenance, Construction et Sécurité des ouvrages, EPFL (2019): Aktualisiertes Lastmodell für Strassenlasten für den Nachweis der Tragsicherheit bestehender Strassenbrücken (interner Bericht) [3] Office Fédéral des Routes (ASTRA - OFROU), Division Réseaux routiers, Trafic & Innovations Management, Monitorage du trafic: Document WIM 2018 (https: / / www.astra.admin.ch/ astra/ fr/ home/ documentation/ donnees-concernant-le-trafic/ donnees-etpublications/ saisie-poids.html), 2019 Rückbau, Schadstoffe 5. Brückenkolloquium - September 2022 523 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Genaralüberholung Hochstraße St. Marx Abbruch Anschlussstelle Arsenal Brückenaushub Ing. Thomas Kozakow ASFINAG Bau Management GmbH, Wien, Österreich Zusammenfassung Die Hochstraße St.Marx verläuft quer durch Wien in dicht verbautem Gebiet und wird täglich von rund 200.000 Fahrzeugen genutzt. Der 1978 eröffnete, 2,7 km lange Autobahnabschnitt führt über insgesamt 30 Brücken und beinhaltet zwei Anschlussstellen, einen Autobahnknoten und insgesamt 25 Querungen von verschiedensten Verkehrswegen. Dieser Autobahnabschnitt wird seit März 2020 generalerneuert. Im Zuge der Arbeiten wurde auch eine komplette Anschlussstelle abgebrochen, da diese in der überregionalen Verkehrsplanung nicht mehr benötigt worden ist. Aufgrund des Erhaltungszustandes wäre diese instand zu setzen gewesen, aus wirtschaftlichen Gründen wurde letztendlich ein Rückbau entschieden. Die Abbrucharbeiten mussten teilweise auf beengtem Raum nahe an der angrenzenden Bebauung durchgeführt werden. Technisches Highlight war dabei der Aushub eines 43m langen rd. 550to schweren Brückenteils über der Hauptfahrbahn der A23. Dieser Hub wurde mit einem der weltweit größten Raupenkräne durchgeführt. Die Planung dieser Maßnahme beanspruchte von der Idee bis zur Umsetzung über vier Jahre. 1. Allgemeines Die Autobahn A23 - Südosttangente Wien ist eine der wichtigsten Nord - Süd Verbindungen für den motorisierten Individualverkehr im Großraum Wien. Auf der Gesamtlänge von rund 18 km verläuft die Autobahn auf ca. der Hälfte der Strecke auf Brücken die in den späten 60er und 70er Jahren errichtet wurden. Mit einem DTV von rund 200.000 KfZ/ 24h ist die Tangente der stärkst befahrenste Straßenabschnitt Österreichs. Die Hochstraße St.Marx ist in der Mitte der Strecke situiert und stellt einen massiven Kreuzungspunkt von Verkehrsströmen aller Art dar. Abb.1 - Lage im Großraum Wien 1.1 Projektüberblick Der Umsetzungszeitraum für die Sanierungsmaßnahmen ist von März 2020 bis Dezember 2022 geplant, die Gesamtprojektkosten betragen EUR 136 Mio. Die wesentlichen technischen Projektinhalte sind: 524 5. Brückenkolloquium - September 2022 A 23 Autobahn Südosttangente Wien • Instandsetzung von 30 Tragwerken • Instandsetzung von rd. 150.000 m² Asphaltfläche und 120.000 m² Abdichtung • Abbruch und Erneuerung von 8 km Randbalken und Kargerem inkl. Ausrüstung • Tausch der Fahrbahnübergänge und Lager • Errichtung von 1.300m Brückenverbreiterung • Rückbau von drei Brücken in der Anschlussstelle Arsenal und Errichtung einer Betriebsumkehr 1.2 Die Anschlussstelle Arsenal Bei der Anschlussstelle Arsenal handelt es sich um eine nie für den Verkehr freigegebene Anbindung an die A23. In den 1970er Jahren, zum Zeitpunkt der Errichtung war geplant, dass in diesem Abschnitt die damals noch nicht gebaute Autobahn A3 einmünden soll, diese wurde allerdings zu einem späteren Zeitpunkt an anderer Stelle errichtet. Somit wurde die Anschlussstelle Arsenal nie für den Verkehr nie frei gegeben und wird auch zukünftig nicht mehr benötigt. In den Jahrzehnten Ihres Bestehens wurde diese Anschlussstelle für den Betrieb der Autobahn im Winterdienst als Umkehrmöglichkeit genutzt, ebenso kam das Areal als Baustelleneinrichtungsfläche im Zuge mehrerer Sanierungsbaustellen zum Einsatz, Vorteil dabei war die direkte Zufahrt zu beiden Richtungsfahrbahnen. Abb.2 - Projektgebiet und Lage ASt. Arsenal Drei Brückenabschnitte dieser Anschlussstelle hätten aufgrund ihres Erhaltungszustandes im Zuge der gegenständlichen Generealerneuerung komplett instandgesetzt werden müssen, da die Schädigung der Substanz ähnlich stark war wie jene der umgebenden, unter Verkehr befindlichen Brücken. Deshalb hat man sich für die wirtschaftliche Variante, nämlich den Abbruch der Tragwerke und den Umbau in eine Betriebsumkehr entschieden. Die abzubrechenden Brücken sind, wie die gesamte Brückenkette, schlanke vorgespannte Tragwerke, wobei zwei Rampen Teil eines Tragwerks sind auf denen die Hauptfahrbahn der A23 verläuft welches zum Großteil bestehen bleibt, somit handelt es sich hier um einen Teilabbruch. Das dritte Tragwerk führt mit einer lichten Höhen von nur 4,70m über die Hauptfahrbahn, die wiederum auch auf einer Brücke verläuft. Diese Brücke führt wiederum über die Zulaufstrecke des Hauptbahnhofs Wien, was ein wesentliches Risiko darstellt wenn das abzubrechende Tragwerk auf die darunterliegende Brücke abstürzen würde. Dies war jedenfalls zu vermeiden, da sonst nicht nur die Hauptverkehrsader für den motorisierten Individualverkehr, sondern auch eine der wichtigsten Bahnstrecken im Großraum Wien längerfristig blockiert gewesen wäre. Abb.3 - Abzubrechende Brücken 2. Planungsphase Mit den vorgenannten Einschränkungen und Risiken im Gepäck wurden die Planungen für den Abbruch im Sommer 2017 begonnen, neben unzähligen ingenieurmäßigen Herausforderungen war bald klar, dass der Rückbau der Anschlussstelle teilweise besondere Lösungen brauchen wird. Eine fundierte Planung für den Rückbau war zu erstellen, diese beinhaltete auch die statische Berechnung jedes 5. Brückenkolloquium - September 2022 525 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Abbruchzustandes der Brücken um ein allfälliges spontanes Versagen zu vermeiden, da ja vor allem beim Teilabbruch der Bestand nicht geschädigt werden durfte. 2.1 Grundlagenerhebung Wie bei vielen Bauwerken aus den 1970er Jahren lagen nur rudimentär Baupläne der Brücke über die A23 vor. Im Zuge einer Zwischensanierung Anfang der 2000er Jahre wurden Bestandspläne erstellt, welche jedoch auch nur die geometrischen Abmessungen darstellten. Beispielsweise waren auch die Spannkabellagen und deren Dimensionen nicht vorhanden. Um einen sicheren Rückbau der Objekte gewährleisten zu können mussten deshalb ergänzende Untersuchungen angestellt werden, um das Bauwerk auch statisch erfassen zu können. 2.2 Untersuchungen am Objekt Über das Objekt B1033 - jene Brücke die über die Hauptfahrbahn der A23 führe, lagen keine Baupläne vor. Über die Lage und Art der Spannkabel konnte in einem ersten Schritt nur aufgrund der zur gleichen Zeit errichteten Bauwerke und einer bruchstückhaft vorliegenden statischen Berechnung rückgeschlossen werden. Glücklicher Weise war der im Projekt beauftragte Prüfstatiker beim damaligen Planungsbüro in seiner beruflichen Anfangszeit angestellt und somit waren zumindest auch die Planungsphilosophien im Spannbetonbau bekannt. Auf dieser Basis wurden sowohl die schlaffe Bewehrung (DM8/ 20! ) als auch die Spannkabel von der Innen- und Außenseite des Hohlkastens geortet, somit war die Lage und Anzahl bekannt. Da die Spannkabel nicht an einer Koppelfuge geschnitten wurden war es wichtig, dass die Hüllrohre ordentlich verprasst waren. Es gibt jedoch keine Zerstörungsfreien Methoden um den tatsächlichen Verpresszustand feststellen zu können. Deshalb wurden an, mit den Statikern abgestimmten Stellen die Betondeckungen aufgestemmt und so die ordnungsgemäße Verfüllung des Hüllrohres zumindest an einzelnen Punkten festgestellt. Da die exakte Bestimmung der Schwerpunktlage für ein Anheben der Brücke unbedingt erforderlich war, wurde die Brücke händisch komplett vermessen und ein 3D- Model angefertigt, für die absolute Genauigkeit musste in den nur 80cm hohen Hohlkasten eingestiegen werden um die Bauteildicken tatsächlich bestimmen zu können. 2.3 Überlegungen zum Abbruch In den Rampenbereichen außerhalb der Hauptfahrbahn konnten aufgrund der vorhandenen Erfahrungen im Projektteam relativ schnell die konventionellen Abbruchmethoden in Abhängigkeit der umgebenden Bebauung bzw. Infrastruktureinrichtungen festgelegt werden. Siehe hierzu auch Pkt. 5. Wesentlich schwieriger gestaltete sich die Planung für den Brückenteil über der Hauptfahrbahn der A23. Wäre die A23 in diesem Abschnitt nicht auf einer Brücke geführt, so wäre ein konventioneller Abbruch über die Dauer eines Wochenendes möglich gewesen, so wie in den vergangenen Jahren bei ähnlichen Brücken in Wiener Raum schon durchgeführt. Abb.4 - Lichtraum A23 und abzutragende Brücke Die spezielle Situierung (zwei Brücken übereinander) verunmöglichte diese Variante jedoch. Es wurden weitere Überlegungen angestellt ob und wie Hilfsrüstungen eingebaut werden könnten, um die Brücke darauf aufzulegen und in kleinere Teile zu schneiden, aufgrund der Spannweite des Feldes von 32,7m hätten diese Konstruktionen jedoch eine enorme Bauhöhe gehabt. Somit hätten diese nur auf der Oberseite des Tragwerks angebracht werden können, was wiederum den erforderlichen Raum für den Abbruch beansprucht hätte. Eine Situierung unter der Brücke wäre aufgrund des geringen Lichtraumes von 4,70m viel zu riskant gewesen da mit einem Anprall von Fahrzeugen zu rechnen gewesen wäre. Auch ein Zurückziehen der Brücke über der Fahrbahn, also in etwa wie im Taktschiebeverfahren, nur rückwärts musste aufgrund der dabei entstehenden massiven Horizontalkrafteinwirkungen auf den Unterbau bzw. allfällige Hilfsjoche ebenfalls ausgeschlossen werden. Ebenfalls wurde der Aufbau von obenliegenden Kranbahnen angedacht, auf der die Brücke ähnlich wie bei einem Hallenkran zur Seite gefahren wäre, machbar jedoch hätten hier die Kosten den Nutzen wesentlich überstiegen. Nach rund drei Monaten intensiver und sehr kreativer Überlegungen war klar: die Brücke muss in einem Stück weg, und zwar nach oben. Wie auch beim Einheben neuer Brücken dachten wir zuerst an zwei Kräne, welche zu beiden Seiten der Hauptfahrbahn stehen. Dabei hätte zumindest ein Kran rund 225to bei 60m Auslegung heben müssen, die Nachforschungen über mögliche Hebegeräte führten sehr schnell zu der ernüchternden Erkenntnis, dass hierfür der zur Verfügung stehende Platz keinesfalls ausreichen würde. Letztendlich fiel die Wahl auf die Variante mit nur einem Kran, da hier die erforderliche Auslegung mit 34m wesentlich geringer ist, jedoch das gesamte Gewicht des Tragwerks, also rd. 550to, an nur einem Haken hängen würde. Dies stellt zwar eine sehr anspruchsvolle, nicht alltägliche Konfiguration für einen „Mobilkran“ dar, jedoch sind solche Kräne verfügbar. 526 5. Brückenkolloquium - September 2022 A 23 Autobahn Südosttangente Wien 3. Vergabephase Die ASFINAG ist ein öffentlicher Auftraggeber und somit an das Bundesvergabegesetzt gebunden, was einen formal hohen Aufwand bei der Beschaffung der Kranarbeiten mit sich brachte. Die Kranarbeiten sollten nicht mit den restlichen Bauleistungen in einem offenen Verfahren ausgeschrieben werden, da für die technisch erforderlichen Festlegungen und Planungen großes Fachwissen und Routine auf diesem Gebiet erforderlich sind, welches in der notwendigen im Projektteam nur bedingt vorhanden war. Die Kommunikation mit interessierten Bietern hatte jedoch im Sinne der Gleichbehandlung formalisiert und ohne Informationsvorteile für Einzelne zu erfolgen. Es wurde entschieden ein Verhandlungsverfahren durchzuführen, Basis dafür war die geometrische Konfiguration und der maximale Platz der auf der Baustelle zur Verfügung gestellt werden konnte. Von den Bietern sollte dann der passende Kran angeboten werden. Weil der Markt für Kranarbeiten dieser Dimension in Österreich nicht vorhanden ist, mussten erst potentielle Bieter in Europa gesucht und gefunden werden. Es konnten jedoch drei interessierte Bieter ausgemacht werden und nach insgesamt drei Verhandlungsrunden, bei denen die Bieter auch einige formale Hürden zu nehmen hatten, konnten die Kranarbeiten letztendlich im Mai 2020 an die Fa. Mammoet vergeben werden. Im Zuge des Verhandlungsverfahrens wurde auch der mögliche Ablauf der Hubarbeiten und der dazu passende Kran präzisiert, die Wahl fiel auf einen der größten verfügbaren Raupenkräne weltweit, einen Terrex-Demag CC 8800-1 mit einer Hebekapazität von beeindruckenden 1.600 to. 4. Planung der Kranbzw. Abbrucharbeiten 4.1 Kranstandort Der Kran konnte aufgrund der Geometrie des Kranstandortes in Längsrichtung der Brücke und des beschränkten Platzangebotes nicht stationär betrieben werden da sonst die Auslegung des Krans zu groß geworden wäre und auch der Hauptmast mit der Brücke kollidiert wäre. Deshalb musste mit der gesamten Last eine Drehung (1) ausgeführt werden um anschließend ca. 30m rückwärtsfahren (2) zu können um die Brücke neben der Autobahn abzulegen. Abb.5 - Bewegungsmuster Kran und Brücke Um ein sicheres Fahren des Krans unter Last zu gewährleisten war die Kranaufstandsfläche, welche in etwa die Größe eines Fußballfeldes aufwies, in einer absolut horizontalen Lage mit einer Tragfähigkeit von mind. 300 kN/ m2 herzustellen, was für den Erdbau eine große Herausforderung darstellte. Das zum Einsatz kommende Schüttmaterial wurde aus den zuvor abgebrochenen Brückenteilen gewonnen. Abb.6 - Herstellung der Kranaufstandsfläche 4.2 Hebekonstruktion Der auszuhebende Tragwerksteil wies, da in einer Kurve gelegen, eine entsprechende Längs- und Querneigung auf und war auf vier eingespannten Stützen gelagert. Allerdings war es erforderlich die Lage der Brücke in Bezug auf diese Neigungen beim Hub nicht zu verändern, um allfällige schädliche Lastumlagerungen in den Anschlagpunkten und im Gehänge jedenfalls zu vermeiden. Somit war es nicht möglich, die Anschlagpunkte unmittelbar am Brückendeck zu situieren, sondern es mussten massive Hebekonstruktionen geplant werden, die es ermöglichten alle vier Anschlagpunkte auf einer horizontalen Ebene zu situieren. Rücksicht musste auch auf den tatsächlichen Schwerpunkt des Tragwerks genommen werden, sodass eine horizontale Rotation in Längsrichtung aufgrund der Krümmung im Grundriss nach dem Abheben der Brücke vermieden wurde. Zudem war es wichtig das zusätzliche Gewicht so gering wie möglich zu halten. Es wurde eine leichte Konstruktion aus I-Trägern an beiden Enden der 5. Brückenkolloquium - September 2022 527 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Brücke geplant, die jeweils mittels zwei Spannstangen DN70 zusammengehalten wurden. Abb.7 - Hebekonstruktion Planung Um Restrisiken aus der Herstellung ausschließen zu können, wurden sämtliche Schweißnähte mittels Magnetpulverprüfung abgenommen. Die Montage erfolgte auf einer Brückenseite vor dem Aufbau des Krans, auf der anderen Seite konnte diese wegen des darunterliegenden Verkehrs erst bei Vollsperre der Autobahn montiert werden. Abb.8 - Montage Hebekonstruktion 4.3 Trennen des Tragwerks von den Stützen Da das Tragwerk in den vier verbliebenen Stützen eingespannt war, mussten diese unmittelbar vor dem Hub mittels Seilsägen getrennt werden. Die Herausforderung hierbei war, dass die vier Schnitte synchron durchzuführen waren. Da Seilschnitte im Beton immer unvorhersehbare Komplikationen wie beispielsweise das Einklemmen oder Abreißen des Sägeseils mit sich bringen können wurden festgelegt die Schnitte mit mäßiger Arbeitsgeschwindigkeit durchzuführen um bei Problemen bzw. geringerer Schnittleistung einer Säge die anderen entsprechend steuern zu können. Ebenso war der Schnitt mit Stahlkeilen offen zu halten, sodass ein Einklemmen durch Absenken des oberen Stützenteils vermieden werden konnte. 4.4 Organisation und Öffentlichkeitsarbeit Ein Kran dieser Dimension welcher über eine Dauer von rd. 14 Tagen direkt neben der am stärksten befahrenen Autobahn Österreichs aufgebaut wird zieht natürlich das öffentliche Interesse auf sich. Diesbezüglich wurden zwei Medientermine abgehalten in deren Zuge auch nochmals die geplanten Vollsperren der Bevölkerung in Erinnerung gerufen wurden. Selbstverständlich wurde unsererseits auch auf allen zur Verfügung stehenden digitalen und analogen Kanälen berichtet. Für die Projektleitung aufwändig waren auch die zehn Führungen die in der Woche vor dem Hub für interessierte Personen durchgeführt wurden. Beim Hub selbst waren, aufgrund der damals herrschenden Beschränkungen in Bezug auf die Covid19-Pandemie nur 40 Personen zugelassen, für die ein eigener abgegrenzter Besucherbereich eingerichtet wurde. Auch den Medienvertetern wurde einen Platz mit sehr guter Aussicht auf die Arbeiten eingerichtet. Diese Gruppen mussten geführt und vor Ort betreut werden, was den Personalaufwand für diese „Begleitmaßnahmen“ nochmals erhöht hat. 5. Umsetzung der Abbrucharbeiten Der Aushub des Brückenteils in einem Stück war sicherlich der spektakulärste Vorgang, jedoch wurde der Großteil der Abbrucharbeiten mit anderen Methoden durchgeführt, die an dieser Stelle auch zu erwähnen sind. 5.1 Abbruch mittels Schneiden und Ausheben Für den Abbruch der Brücken wurden diese mit Seilschnitten von den bestehen bleibenden Brückenabschnitten getrennt, diese Schnitte sind jeweils nach herstellungsbedingten Koppelfugen situiert, sodass der verbleibende Rest der Spannkabel eine tragfähige Verankerung hat. Im Nahbereich der verbleibenden Brückenteile bzw. in der Nähe von Anrainern und den Gleisen der Österreichischen Bundesbahnen wurden die Tragwerke unterstellt und in kleinere Teile geschnitten, die dann mit einem handelsüblichen Mobilkran ausgehoben und danach zerkleinert und abtransportiert wurden. 528 5. Brückenkolloquium - September 2022 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Abb.9 - Ausschneiden der Bodenplatte und des Brückendecks im Anschluss an bestehen bleibende Brücke Abb.10 - Unterstelltes, teilweise abgebrochenes Tragwerk im Nahbereich von Wohnhäusern 5.2 Konventioneller Abbruch Die vom Bestand und den umliegenden Bebauungen weiter weg liegenden Teile wurden mittels Baggerzange abgetragen, hierbei wurde die Betonstruktur rund um die Spann- und Bewehrungsstähle abgetragen und der jeweilige Abschnitt sukzessive rückgebaut. Abb.11 - Konventioneller Abtrag 5.3 Brückenaushaub Der Kran wurde mit insgesamt fast hundert Einzeltransporten auf die Baustelle gebracht und in zehn Tagen vor Ort montiert. Beeindruckend war es für uns zu sehen, wie präzise und routiniert diese Auf- und auch Abbauarbeiten durchgeführt wurden bei denen wirklich alles eine Nummer größer war als üblicherweise auf unserer Baustelle. Abb.12 - Kranmontage Für die Umsetzung der vorher beschriebenen Planungen der Kranarbeiten waren zwei Vollsperren der darunterliegenden A23 erforderlich, eine Maßnahme die seit Bestehen der Autobahn in diesem Umfang noch nicht geplanter Weise durchgeführt wurde. Die Zeitfenster wurden entsprechend der Verkehrszahlen gewählt und lagen in Nächten bzw. Morgenstunden am Wochenende um den 15. August 2021. In der ersten, sechs Stunden andauernden Sperre musste zunächst noch die zweite Hebekonstruktion an der Brücke montiert werden, danach wurde das Gehänge an der Brücke angeschlagen und mit geringer Last angezogen, sodass der korrekte Sitz aller Anschlagmittel und die Ausrichtung des Gehänges überprüft werden konnten. Wären hier beispielsweise ungleichmäßige Ausrichtungen im Gehänge aufgetreten, welche beim Hub selbst zu einer Überlastung einzelner Teile geführt hätte, wäre es noch möglich gewesen diese vor dem eigentlichen Hub zu korrigieren. Aufgrund der Dimensionen und des Gewichts des Gehänges war dafür der Tag zwischen den Sperren eingeplant, da alleine schon für diese Arbeiten zusätzliche Hebegeräte für die Manipulation erforderlich gewesen wären. Der Probelauf war jedoch erfolgreich und es waren keinerlei Adaptierungen erforderlich. Ebenso wurden bei dieser „Generalprobe“ die Laufwege der beiden Männer, die die Brücke mit einem Seil zu drehen hatten überprüft und noch geringfügig adaptiert. 5. Brückenkolloquium - September 2022 529 A 23 Autobahn Südosttangente Wien Abb.13 - angeschlagenes Gehänge Nach der erfolgreichen Probe wurde der Kran wieder zurückgesetzt, dies da ein verweilen des Auslegers mit Gehänge über der Autobahn die Unfallgefahr beim Betrieb unter Tags wesentlich erhöht hätte. Am Abend des 14. August war es dann soweit, die Autobahn wurde pünktlich um 22: 00 Uhr gesperrt und der Kran wieder in Position gebracht und das Gehänge erneut angeschlagen. Nach einem letzten Checkup wurde mit dem Schneiden der Stützen begonnen, dies bedeutete den „Point of no return“. Nun würde sich bald zeigen ob die Berechnungen des Schwerpunkts auch richtig waren. Wäre die Brücke nicht austariert gewesen hätte sie wieder auf die Stützen abgesetzt und das Gehänge umgebaut werden müssen. Abb.14 - Seilschnitt an einer Stütze Rechtzeitig mit Eintreten der Dämmerung und bei perfektem, nahezu windstillen Wetter waren alle vier Stützen getrennt und die Brücke war bereit für den Hub. Vielleicht einer der spannesten Momente im Verlauf dieser Nacht war das Abheben des Tragwerks. Die Berechnungen waren richtig, mit einer Differenz von nur zwei Zentimeter zwischen beiden Stützenachsen hob das Tragwerk von den Stützen ab und es war auch keine Längsrotation erkennbar. Nach dem Anheben wurde die Brücke mittels Seilen welche von jeweils nur einem Mitarbeiter der Kranfirma bedient wurde um rund 90 Grad gedreht und es konnte mit dem Zurückfahren des Krans begonnen werden. Abb.15 - ausgedrehte Brücke über der Autobahn Auch unter der vollen Last von insgesamt rd. 2.350 to hielt die Kranaufstandsfläche stand und es konnte der gesamte Weg ohne Komplikationen zurück gelegt werden. Abb.16 - retourfahren des Krans Nach insgesamt zwei Stunden Hubzeit große Lasten wollen langsam bewegt werden wurde das Tragwerk neben der Autobahn abgelegt, wo es konventionell zerkleinert und abtransportiert wurde. Abb.17 - abgelegte Brücke Nach insgesamt vier Jahren Vorbereitungzeit wurde das gesamte Team welches mit der Planung und Ausführung beschäftigt war mit einem perfektem Ablauf der Arbeiten 530 5. Brückenkolloquium - September 2022 A 23 Autobahn Südosttangente Wien ohne jegliche Zwischenfälle belohnt, was natürlich im Anschluss gebührend gefeiert wurde. Abb.18 - nach dem Hub Abschließend betrachtet war dies für mich als Bauingenieur eine sehr außergwöhnliche und bereichernde Erfahrung, da wirklich jeder der Projektbeteiligten mit vollem Einsatz, entsprechender Ernsthafigkeit und Professionalität an der Planung und Umsetzung mitgearbeitet hat. Jeder Teilaspekt wurde von allen Seiten beleuchtet und es gab für jede erdenkliche Abweichung einen Plan B. Fehlen durfte dabei auch nicht eine Priese Leidenschaft und Spaß, was letztendlich zu einem wirklich perfektem Ablauf der Arbeiten geführt hat, auf die wir mit Stolz zurück blicken. 5. Brückenkolloquium - September 2022 531 Rückbau von Spannbetonbrücken Der Bauwerkszustand als Herausforderung für die Rückbauplanung M. Sc. Caroline Barr Marx Krontal Partner, Hannover, Deutschland Dr.-Ing. Gregor Schacht Marx Krontal Partner, Hannover, Deutschland Zusammenfassung Um die Standsicherheit beim Rückbau der Brücken zu bewerten, ist eine detaillierte Kenntnis des Zustands des Bauwerks unverzichtbar. Beim Rückbau von Brücken ist es häufig erforderlich, komplexe statische Bauzustände nachzuweisen, die maßgeblich vom Zustand der Brücke abhängig sind. Einzige Informationsquelle bilden häufig die Bestandsunterlagen, die aber nur begrenzte Informationen über den tatsächlichen Bauwerkszustand beinhalten. Um das Bestandsrisiko zu minimieren und die Planungs- und Ausschreibungssicherheit zu erhöhen, sind bauwerksdiagnostische Untersuchungen zwingend erforderlich. Ziele der Untersuchungen sind die Überprüfung der Geometrie, die Ermittlung von Materialeigenschaften sowie die erforderlichen abfallrechtlichen Untersuchungen. Aktuell fehlen bauaufsichtlich eingeführte und verbindliche Regelungen, insbesondere im Hinblick auf die Planung und Festlegung von Art und Umfang der Untersuchungen. Der Beitrag erläutert die Notwendigkeit der Bauwerksdiagnostik und stellt eine Methodik vor, mit der sich bei der Rückbauplanung von großen Bauwerken der komplexen Fragestellung nach Art und Umfang von erforderlichen Bestandsuntersuchungen genähert werden kann. 1. Einleitung und Motivation Unsere Infrastruktur in Deutschland altert. Von den 40.000 Brücken, die sich im Netz der Bundesverkehrsstraßen befinden (Stand 2020), wurden die meisten Bauwerke in den Jahren von 1960 bis 1985 errichtet. Mit fortschreitender Lebensdauer der Brücken haben sich die Anforderungen an diese verändert: Der voranschreitende Alterungsprozess und die stetig steigenden Verkehrslasten reduzieren die Tragreserven und die Brücken werden zunehmend marode [1]. Basierend auf einer BASt-Brückenstatistik aus dem Jahr 2020 wird bei 12% der Brücken der Zustand als nicht ausreichend bzw. ungenügend bewertet [2]. Den Ingenieur: innen steht zur Bewertung von Bestandsbrücken u.a. die Nachrechnungsrichtlinie zur Verfügung mit der sich die Restnutzungsdauer des Brückenbauwerks ermitteln lässt [3]. Kann in der Nachrechnung, trotz der angepassten Nachweisverfahren, keine ausreichende Tragfähigkeit nachgewiesen werden, müssen weitergehende Maßnahmen wie eine Verstärkung oder ein Ersatzneubau ergriffen werden. Ist die Entscheidung für einen Ersatzneubau gefallen, liegt das Hauptinteresse natürlich auf dem neuen Bauwerk und der Rückbau des Bestandes wird häufig stiefmütterlich als ausschließliche Baufeldfreimachung betrachtet. 532 5. Brückenkolloquium - September 2022 Rückbau von Spannbetonbrücken Abb. 1: Prozentualer Anteil der Brückenflächen von Fernstraßenbrücken pro Bundesland, bei denen der Zustand als „nicht ausreichend“ bzw. „ungenügend“ bewertet wird. Datengrundlage Bast-Brückenstatistik 2020, [4] Allerdings ändert sich diese Wahrnehmung seit einigen Jahren insbesondere bei großen Talbrücken und Brücken mit außergewöhnlichen Randbedingungen, bei denen der Rückbau eine individuelle und komplexe tragwerksplanerische Ingenieuraufgabe darstellt. Dabei sind bei einem Rückbau im Vergleich zum Neubau nicht nur allein die komplexen statischen (Rück-) Bauzustände zu bewerten, sondern es sind auch die Einflüsse des (oftmals nicht ausreichend bekannten) Bauwerkszustandes auf die Tragsicherheit zu berücksichtigen. Für eine Planung und Nachweisführung des Rückbaus einer bestehenden Brücke existieren aktuell keine bauaufsichtlich eingeführten Regelwerke. Dies betrifft insbesondere auch Vorgaben oder Empfehlungen für die Planung und Festlegung der erforderlichen Bestandsuntersuchungen zur Schaffung einer soliden Planungsgrundlage. Auf Grund der fehlenden Richtlinien oder normativen Regelwerke ist in der Baupraxis in den letzten Jahren immer wieder der Regelungsbedarf aufgezeigt worden und mit Hilfe des DBV Arbeitskreises Brückenbau konnte eine erste Erfahrungssammlung zum Brückenrückbau erstellt werden [5]. Die Erkenntnisse aus dieser Erfahrungssammlung dienten als Grundlage für erste Überlegungen und Ausarbeitungen zu einem Entwurf einer Richtlinie für den Rückbau, die Regelungen für den Rückbau von Spannbetonbrücken und die Bewertung von Bestandsbauwerken beinhaltet [6]. 2. Rückbau von Spannbetonbrücken Seit den ersten Ersatzneubauten von Spannbetonbrücken der Bundesautobahn in den 2010er Jahren war das Thema Rückbau vor allem eine Aufgabe der Ausführung. Während der Neubau im Entwurf detailliert geplant wurde, wurde der Rückbau dagegen nur in groben Zügen beschrieben, Bauwerkszustände meist nur mäßig betrachtet, konservative Lösungen ausgeschrieben oder die Variante „Rückbau 1-Pauschal“ gewählt. Damit wurde die detaillierte Planung, was sowohl die Bautechnologie, die Nachweisführung, die Bestandsbewertung als auch das Risiko umfasst, vollständig in die Verantwortung der bauausführenden Firma gegeben [7]. Doch mit den steigenden Anforderungen insbesondere denen aus dem Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren gewinnt der Rückbau an Bedeutung und wird oftmals zu einem wichtigen Kriterium bei der Realisierung eines Projektes. Aus diesem Grund wird es immer wichtiger den Rückbau analog zum Neubau objekt- und tragwerkplanerisch in den verschiedenen Leistungsphasen zu untersuchen. Grundsätzlich werden in den unterschiedlichen Leistungsphasen unterschiedliche Ziele verfolgt. In der Entwurfsplanung ist der planende Ingenieur verpflichtet eine genehmigungsfähige, risikoarme und wirtschaftliche Lösung zu erarbeiten. Dazu müssen zunächst alle für die Planung des Rückbaus relevanten Randbedingungen und Informationen ermittelt werden. Dies ist insbesondere für die Erstellung einer umfänglichen Leistungsbeschreibung in der Ausschreibung wichtig und bildet die Grundlage für die Ausführung. Der Ausführende muss auf Basis dieser Informationen ein altersschwaches Bauwerk zurückbauen. Deshalb müssen die in der Entwurfsplanung getroffenen Rechenannahmen in der Ausschreibung lückenlos dokumentiert werden, denn diese bilden für den Ausführenden die Grundlage für seine Ausführungsplanung. Dies gilt insbesondere dann, wenn der AN mit einem Sondervorschlag die volle Verantwortung für den Rückbau und die Standsicherheit in allen Rückbauzuständen übernimmt. Maßgebend bei der Rückbauplanung ist sowohl für den Entwurf als auch bei der Ausführung eine ausreichend zuverlässige Information über den tatsächlichen Zustand des Bestandbauwerks. Aus Herstellungs-, Alterungs- und Schädigungsprozessen entstehen Mängel und Schäden am Bauwerk, welche den Rückbau maßgeblich beeinflussen können. Ein Verzicht auf der Planung vorausgehende Beprobungen und Untersuchungen des Bauwerks birgt sowohl ein großes Risiko für den AG, der ein sicheres und wirtschaftliches Projekt ausschreiben will, als auch für den AN in der späteren Ausführung. 5. Brückenkolloquium - September 2022 533 Rückbau von Spannbetonbrücken Durch begleitende stufenweise vertiefende bauwerksdiagnostische Untersuchungen während der Vor- und Entwurfsplanung kann die Planungs- und Ausschreibungssicherheit deutlich erhöht werden. Mit den gewonnenen Ergebnissen aus der Bauwerksdiagnostik kann die konstruktive Machbarkeit des Rückbauentwurfs abgesichert und Rechenannahmen durch die realistische Annahme von Bauwerksparamatern überprüft und optimiert werden. Das Bestandrisiko (welches immer bei dem Bauherrn liegt) wird so maßgeblich reduziert. Darüber hinaus werden Bestandsuntersuchungen für die abfallrechtliche Klassifikation der zu entsorgenden Materialien benötigt. Diese ist i.d.R. fester Bestandteil des Genehmigungsverfahrens. Eine Festlegung der abfallrechtlichen Klassifikation der zu entsorgenden Materialien und möglicher „versteckter“ Schadstoffe zu einem möglichst frühen Zeitpunkt reduziert das Zeitrisiko und erhöht die Sicherheit im Genehmigungsverfahren. Neben der Erhöhung der Planungs- und Ausführungssicherheit ist der Ansatz reduzierter Teilsicherheitsbeiwerte ein weiterer wirtschaftlicher Vorteil einer gründlichen Bestandserfassung. Werden die Teilsicherheitsbeiwerte der Eigenlasten reduziert, so lassen sich Lasten auf Traggerüste, Hilfsgründungen etc. reduzieren [8]. Durch die daraus resultierende optimierte Dimensionierung der Traggerüste, Hilfsgründungen etc. können die Kosten für den AG z.T. deutlich reduziert werden. Dabei ist zu beachten, dass durch eine Reduktion der Teilsicherheitsbeiwerte nicht die Ausführungssicherheit reduziert wird, sondern durch eine realistische Geometrieerfassung und Wichtebestimmung, der Rückbau wirtschaftlicher erfolgen kann. Der planende Ingenieur ist in der Entwurfs- und Ausführungsplanung verantwortlich für die Standsicherheit des Bestandsbauwerkes während aller Rückbauzustände. Um die Nachweise verantwortungsvoll und sicher erbringen zu können, muss er aber das für Neubauten eingeführte technische Regelwerk verlassen und sich mit für die Rückbaumaßnahme spezifischen Nachweismodellen behelfen. Der Bedarf nach einem Regelwerk für den Rückbau wird an vielen Stellen ersichtlich [8], [9], [10], [11], [12] und ist aufgrund der großen Anzahl von Rückbauprojekten, die täglich von den planenden Ingenieuren und ausführenden Firmen verantwortet wird, längst überfällig. Abb. 2: Stufenweise detaillierte Bestandsuntersuchungen 3. Diagnostische Untersuchungen 3.1 Methodik Die Bestandserfassung durch diagnostische Untersuchungen erfolgt stufenweise. Das dient zum einen dem Wirtschaftlichkeitsbegehren des Auftraggebers (so viele Untersuchungen wie nötig, so wenig wie möglich) gerecht zu werden und ermöglicht zudem eine detaillierte, individuelle Planung der Bestandsuntersuchungen auf Basis der sukzessiven gewonnenen Erkenntnisse. Analog zur Planung von Neubauten gilt dementsprechend auch bei der Rückbauplanung: mit zunehmender Planungstiefe (LPH1- LPH3) sind stufenweise detailliertere (Bestands-) Untersuchungen anzustellen. Sowohl in Stufe 1 als auch in Stufe 2 erfolgt die Erfassung bzw. Überprüfung der Bauwerksgeometrie, die statisch-konstruktiven Untersuchungen wie auch die chemisch-physikalischen Untersuchungen. LPH 1: Grundlagenermittlung In der Grundlagenermittlung gilt es die Bestandsunterlagen zu analysieren und die Bestandspläne zu sichten. Die Unterlagen ermöglichen einen Überblick über den geplanten Zustand des Bauwerks sowie dessen planmäßige Eigenschaften und Parameter. Häufig sind die Pläne jedoch nicht vollständig und es bleibt die Unsicherheit über Abweichungen zwischen Ist- und Sollzustand. Darüber hinaus erlauben Bestandspläne keinen zuverlässigen Rückschluss auf den Ist-Zustand des Bauwerks. Vorplanung: Diagnostische Untersuchungen Stufe 1 Im Rahmen der bauwerksdiagnostischen Voruntersuchungen (Stufe 1) werden orientierende Untersuchungen am Bauwerk durchgeführt, um einen Gesamteindruck des Bauwerks zu erhalten. Die Ziele der Stufe 1 sind die erste Beurteilung der Betoneigenschaften, der Abgleich des Bestands mit den Planunterlagen, die Beurteilung von Schäden und die Beurteilung der Spanngliedlage. Bestandteil der Untersuchungsstufe sind sowohl lokale, zerstörungsfreie Untersuchungen als auch vereinzelnde zerstörungsarme Untersuchungen. Die zerstörungsfreien Untersuchungen werden zur Beurteilung der Betoneigenschaften (Gefüge, Homogenität) und zum stichprobenhaften Abgleich des Bestands mit den Planunterlagen (Spannglied- und Fugenlage) durchgeführt. Die zerstörungsarmen Prüfungen wie die Bohrkernentnahme, Sondierungen oder 534 5. Brückenkolloquium - September 2022 Rückbau von Spannbetonbrücken auch Öffnungen von Spanngliedern ermöglichen den Rückschluss auf Materialeigenschaften und -Parameter, bieten einen Eindruck des Zustands von Bauwerk inkl. der nicht sichtbaren Eigenschaften und ermöglichen eine erste abfallrechtliche Untersuchung. Auf Grundlage der diagnostischen Untersuchungen in Stufe 1 kann folgend eine detaillierte Untersuchungsplanung, inkl. Untersuchungsorte und nötigen Untersuchungsumfang erfolgen. Entwurfsphase: Diagnostische Untersuchungen Stufe 2 Auf die diagnostischen Untersuchungen der Stufe 1 folgen die vertiefenden Bauwerksuntersuchungen der Stufe 2. Durch das stufenweise Vorgehen soll eine geeignete Datenbasis für die rechnerischen Untersuchungen der Rückbauplanung geschaffen werden bei gleichzeitig iterativer Anpassung des Untersuchungsumfangs bzw. -aufwands. In der Stufe 2 werden zerstörungsfreie und zerstörungsarme Methoden angewandt, um den erforderlichen Eingriff in den Bestand möglichst zu minimieren. Durch die teilflächige zerstörungsfreie Bestandserfassung können invasive Untersuchungen auf ein Minimum reduziert werden. Ein Mindestmaß an zerstörungsarmen Untersuchungen ist jedoch zur Korrelation, Plausibilisierung und Validierung in jedem Fall erforderlich. Voraussetzung für eine fachgerechte Auswertung und Bewertung der zerstörungsfreien Messungen ist die Durchführung von Nullmessungen in vergleichsweise ungestörten Bereichen (keine Hinweise auf Gefügestörungen, geringer Anteil Spannglieder, geringer Anteil Bewehrungsstahl). Diese können beispielsweise vorgezogen vor den Untersuchungen im Zuge der Festlegung der Untersuchungsbereiche erfolgen. An den Ergebnissen der Nullmessungen können teilflächige Messungen im weiteren Verlauf „kalibriert“ werden, mögliche Einflüsse aus dem hohen Anteil an Spanngliedern oder den vorhandenen Gefügestörungen können dadurch berücksichtigt werden (Qualitätssicherung). In Abhängigkeit der Komplexität des Bauwerks und der Aufgabenstellungen des Rückbaus sind aufbauend auf den resultierenden Untersuchungsergebnissen der Stufe 2 weiterführende Untersuchungsstufen möglich. Anlass dafür kann beispielsweise der Bedarf einer lokalen Erhöhung des Stichprobenumfangs aufgrund stark schwankender Materialkenndaten sein (Verdachtsfälle und gravierende Abweichungen vom Erwartungswert). 3.2 Ermittlung Bauwerksgeometrie Als Grundlage für die Rückbauplanung, den Soll-Ist-Abgleich, die Kollisionsprüfung mit dem Neubau sowie für eine mögliche Reduktion des Teilsicherheitsbeiwerts der Eigenlasten ist die Erfassung der Bauwerksgeometrie im Innen- und Außenbereich der Brücke erforderlich. Vor Beginn der Vermessungsarbeiten ist eine Abstimmung zwischen den Planern und den Vermessern erforderlich, um Anforderungen und Details in ausgewählten Bauwerksabschnitten festzulegen. Das gewünschte Ergebnis der Vermessungsarbeiten ist ein vektorisiertes 3D-Geometriemodell des Bestandes (as-build), aus dem in ausgewählten Bauwerksschnitten ein geometrischer Soll-Ist-Abgleich durchgeführt werden kann. Die Anforderungen der Vermessung sind projektspezifisch festzulegen. Zur Erfassung des Brückenkörpers hat sich ein terrestrischer 3D-Laserscan bewehrt, mit dem zugleich die Außengeometrie als auch ggf. die Geometrie des Hohlkastens erfasst werden kann. Die lokale Genauigkeit der Punktwolke ist mit mindestens +/ -10mm festzulegen, die Absolutgenauigkeit in Relation zum Festpunktfeld mit +/ -10mm. Eine Punktdichte mit einem Punktabstand von max. 20mm ist zu empfehlen. Darüber hinaus sind die Messungen von Vegetation und autotrophen Störfaktoren zu bereinigen. Der Laserscan erlaubt im Anschluss die Erstellung eines 3D CAD Modells mit hohem Detaillierungsgrad. Die Eigenschaften des 3D CAD Modells sind individuell auf das Projekt abzustimmen und festzulegen. Dieses ermöglicht den benötigten Soll-Ist-Abgleich des Bestandes, um hieraus die Grundlagen für die Rückbauplanung ableiten zu können und bei Bedarf eine Kollisionsprüfung mit dem Neubau durchzuführen. Für die Absicherung von geometrischen Ungenauigkeiten und verschiedene Beschaffenheiten des Materials werden die Nachweise in der Tragwerksplanung mit Teilsicherheitsbeiwerten geführt. Durch eine genaue Erfassung der Bauwerksgeometrie und der Wichte des Betons kann ein Soll-Ist-Abgleich stattfinden und die reale Geometrie inkl. des wirklichen, existenten Gewichts des Bauwerks festgestellt werden. Unsicherheiten des Bestandes können hierdurch reduziert werden. In der Rückbauplanung kann dieses Wissen durch die Reduktion der Teilsicherheitsbeiwerte zu einer Verbesserung der Ausnutzung der vorhandenen Materialien beitragen [8], [13]. An dieser Stelle wird das für Neubauten ausgelegte Sicherheitskonzept der Eurocodes verlassen und es ist eine Zustimmung im Einzelfall mit Prüfer und Bauherr zu vereinbaren. Lasten auf Traggerüste und Hilfsgründungen können durch die realistischere Annahme des Bauwerks reduziert werden. Die daraus resultierende, optimierte Dimensionierung der Hilfsgerüste, Traggerüste etc. kann zur Wirtschaftlichkeit des Projekts beitragen. Abb. 3: 3D-Punktwolke eines Brückenfeldes, Aufnahme mit einem terrestrischen 3D-Laserscan [14] 5. Brückenkolloquium - September 2022 535 Rückbau von Spannbetonbrücken 3.3 Statisch Konstruktive Untersuchungen Der Bedarf statisch-konstruktiver Untersuchungen resultieren aus den Fragestellungen zur rechnerischen Bewertung der verschiedenen Rückbauzustände. Gegenstand dieser diagnostischen Bauwerksuntersuchungen der Stufe 2 sind die Ermittlung der Materialeigenschaften des Betons der Überbauten und Unterbauten, die Beurteilung von Art, Lage und Zustand der Spannglieder der Überbauten sowie die Erkundung von möglichen verdeckten Schäden wie Risse, Abplatzungen oder Korrosion. Für die Planung des Rückbaus gilt es den Bestand so gründlich wie nötig, mit so geringem Aufwand wie möglich, zu untersuchen. Insbesondere bei großen Bauwerken (getrennte Teilbauwerke, mehrere Pfeiler, lange Bauzeit o.ä.) stellt sich die Frage nach der Festlegung der zu beurteilenden Grundgesamtheit. Die Definition des Begriffes der Grundgesamtheit wird in der Statistik als diejenige Menge eines Bauwerks definiert, über die eine Aussage getroffen werden soll. Ein Bauwerk kann dabei je nach Größe und Beschaffenheit in mehrere Grundgesamtheiten unterteilt werden. Das können z.B. einzelne Teilbauwerke, gleiche Herstellverfahren oder einzelne Betonierabschnitte sein. Um die zu beurteilenden Grundgesamtheiten eines Bauwerks festzulegen, gibt DIN EN 13791 vor, das Gesamtbauwerk in Prüfbereiche aufzuteilen. Einzelne Prüfbereiche zur Erfassung der Grundgesamtheit sind dabei ingenieursmäßig festzulegen. Maßgebend hierbei ist die Beurteilung von Bauteilen/ Bauabschnitten mit vergleichbaren Eigenschaften. Als Beurteilungsfaktor für den Betons kann das mit der Identitätsprüfung der Druckfestigkeit verbundene, festgelegte Volumen in Anlehnung an die DIN EN 206 herangezogen werden. Hierbei wird festgelegt, dass der Beton, welcher innerhalb einer Woche zur Baustelle geliefert wird, jedoch nicht mehr als 400 m³, derselben Grundgesamtheit zugerechnet werden kann [15] [16]. In Anlehnung an die DIN EN 13791 zur Untersuchung der Druckfestigkeit von Bestandsbetonen ist jede Grundgesamtheit des Bauwerks mit zerstörungsarmen Probeentnahmen zu untersuchen. Je Prüfbereich sind mindestens 8 Bohrkerne für eine Aussage zur Grundgesamtheit zu ziehen. Die Anzahl der zu entnehmender Materialproben kann dementsprechend insbesondere bei großen Bauwerken auf Grund der enormen Betonmenge zu einem sehr großen Beprobungsumfang mit entsprechend viel Aufwand führen. Eine Reduktion der Prüfbereiche kann gem. der DIN EN 13791 durch Zusammenfassung vergleichbarer Bauteile erfolgen. Innerhalb der Prüfbereiche werden in Abhängigkeit von Feldlängen, Fugen, Bauteilgeometrie o.ä. jeweils Untersuchungsbereiche abgeschätzt. Durch die Kombination aus teilflächiger zerstörungsfreier Messung und lokaler zerstörungsarmer Probeentnahmen kann die vorgeschlagene Anzahl der Probeentnahmestellen aus der Norm reduziert werden. Der Beprobungsaufwand und -umfang kann durch ergänzende zerstörungsfreie Messungen reduziert werden [15]. Auch die Anzahl der Untersuchungsbereiche für die Überprüfung von Lage und Zustand der Spannglieder sowie die Erkundung von Verpresszuständen orientiert sich an dieser Herangehensweise mit der Einteilung der Prüfbereiche abhängig von herstellungsbedingten oder geometrischen Eigenschaften des Bauwerks. Dabei erlaubt das Herstellungsjahr des Bauwerks erste Hinweise auf die Erfahrungen mit Spanngliedern und damit auf die Qualität der Arbeiten. Neben den Überbauten sind auch die Betoneigenschaften der Pfeiler für die meisten zu untersuchenden Rückbauvarianten von großer Relevanz und sollten bei der Beprobung berücksichtigt werden. Innerhalb der Untersuchungsbereiche sind ebenfalls teilflächige zerstörungsfreie Messung und zerstörungsarme Probeentnahmen zu empfehlen. 3.3.1 Materialparamater Ziel der diagnostischen Untersuchungen Stufe 2 ist unteranderem die realistische Annahme der Materialparameter. Dazu gehören insbesondere die charakteristische Betondruckfestigkeit eines Bauwerks, die Betongüte, die Rohdichte und die Gefügeeigenschaften des Betons. Abb. 4: Messraster im Überbau bei diagnostischen Untersuchungen 536 5. Brückenkolloquium - September 2022 Rückbau von Spannbetonbrücken Für die realitätsgetreue Bestimmung einer charakteristischen Betondruckfestigkeit bzw. Wichte des Bauwerks ist eine statistische Analyse der Bauteiluntersuchungen erforderlich. Um die erforderliche Anzahl an Bohrkernen zu minimieren und trotzdem eine ausreichend große Stichprobe für eine Bestimmung der Eigenschaften der Grundgesamtheiten zu haben, empfiehlt sich eine kombinierte Bewertung aus zerstörungsarmen und zerstörungsfreien Prüfverfahren gemäß DIN EN 13791 [15]. Für die statistische Auswertung ist eine Information über den Mittelwert (aus zerstörungsarmer Bohrkernentnahme) und die Streuung der Materialeigenschaften der Stichprobe (aus teilflächigen zerstörungsfreien Ultraschalllaufzeit- und Rückprallhammermessungen) erforderlich. Mithilfe der teilflächigen, zerstörungsfreien Messungen in einem definierten Messraster werden Aussagen zur Homogenität des Betons (indirekte Beurteilung der Festigkeit und Festigkeitsverteilung) abgeleitet (siehe Abb.4). Die Rückprallhammerprüfungen geben Aussagen zur oberflächennahen Betongüte und die Ultraschalllaufzeiten zur Betongüte im Volumen (Bauteilstärke). Sie dienen außerdem der Festlegung konkreter Bohrkernentnahmestellen vor Ort. Die Durchführung der Messungen orientiert sich am Merkblatt zu Ultraschallverfahren der DGZfP und den DIN-Normen [17], [18], [19]. Die Messungen haben durch mit zerstörungsfreien Messverfahren im Bauwesen erfahrene Fachingenieure zu erfolgen. Die teilflächigen Messungen erfolgen bereichsweise über die ganze Bauteilhöhe und werden zur Validierung der tatsächlichen Geometrie lokal durch zerstörungsarme Sondierungsbohrungen (ø 25 mm) ergänzt. Anhand der entnommenen Bohrkerne (ø 100 mm) können ausgewählte Materialparameter, bspw. die Rohdichte und die Betondruckfestigkeit, ermittelt sowie die Gefügeeigenschaften (Zusammensetzung, Homogenität, Zustand) direkt beurteilt werden. Die Ermittlung der Druckfestigkeit von Beton aus Bestandsbauwerken erfolgt in Anlehnung an DIN EN 13791 sowie DIN EN 12504-1 [15] [20]. Die ermittelten Ultraschalllaufzeiten, Rückprallwerte und die Bohrkernfestigkeiten werden miteinander korreliert, um einen Gesamtüberblick über die Festigkeitsverteilung zu erhalten. Die genaue Lage der Bohrungen wird auf Grundlage der Ortung von der schlaffen Bewehrung sowie der Spannbewehrung festgelegt. Die Bohrkernentnahmestellen sind im Anschluss an die Dokumentation mit einem geeigneten Betonersatzmaterial (PCC einschließlich Haftbrücke) zu verschließen. Die entnommenen Bohrkerne können im Anschluss an die Ermittlung der charakteristischen Eigenschaften des Betons (Wichte und Festigkeit) auch für die abfallrechtliche Klassifikation verwendet werden. 3.3.2 Materialgefüge Im Laufe des Nutzungszeitraumes von Brücken kann es zu unterschiedlichen Gefügestörungen im Beton kommen. Das können bspw. Risse oder Kiesnester sein. Diese gilt es in der Stufe 2 der bauwerksdiagnostischen Untersuchungen zu lokalisieren, Art und Umfang zu dokumentieren und entsprechend auszuwerten. Das gilt sowohl für die Überbauten als auch für die Pfeiler. Die Erkundung des Betongefüges erfolgt im Wesentlichen zerstörungsfrei durch teilflächige Radar- und Ultraschallmessungen. Zur Validierung der Ergebnisse aus den zerstörungsfreien Beprobungen werden lokal zerstörungsarme Sondierungsbohrungen (ø 25 mm) bzw. Kernbohrungen (ø 50 mm) angelegt und mit dem Videoendoskop befahren. Abb. 5: Horizontale Radarmessung ca. 0,3 m über OKF 3.3.3 Lage der Koppelanker und Zustand von Spannstahl Als Grundlage für einen Abgleich der Bestandsunterlagen mit dem tatsächlich gebauten Bestand ist die Ist-Lage der Koppelanker zu erfassen. Dies ist insbesondere bei erforderlichen Trennschnitten wie bei Rückbauten auf Vorschubbrüstung oder bei Freirückbauten ein wesentlicher Aspekt bei der Rückbauplanung. Die Lokalisierung hinsichtlich des Abstandes in Längsrichtung sowie der Höhenlage im Steg oder Platte kann mittels Georadars erfolgen. Mit Hilfe des Georadars können in Abhängigkeit der Bauteiloberfläche sowie möglicher Referenzpunkte zur Lokalisierung im Bauwerk Genauigkeiten von etwa ± 1 cm erzielt werden. Besteht der Verdacht auf oberflächenparallele Risse/ Spaltrisse im Bereich der Koppelstellen, können diese ebenfalls untersucht werden. Sind in den Radarmessdaten entsprechende Auffälligkeiten erkennbar, so können an den betreffenden Stellen ergänzende Ultraschalluntersuchungen durchgeführt werden. Die Lageüberprüfung erfolgt im Hohlkasteninneren. Neben der Lage der Koppelfugen sind für die Nachweise des Bestandbauwerks während der Rückbauphase die Verpresszustände und damit die Verbundeigenschaften der Spannglieder erforderlich. Insbesondere die Beurteilung der Verbundeigenschaften zwischen Spannstahl und Beton stellt einen wichtigen Faktor bei der Rückbauplanung dar (Abbruch des Überbaus in Herstellrichtung). Gleichzeitig gibt der Verpresszustand einen Hinweis auf die zu erwartenden Korrosion der Spannstähle. Entsprechend den allgemeinen Erfahrungen sind Verpressfehler 5. Brückenkolloquium - September 2022 537 Rückbau von Spannbetonbrücken technologisch bedingt an den Hochpunkten der Spannglieder am wahrscheinlichsten. Hinzu kommen mögliche Schäden infolge chloridinduzierter Korrosion an den obenliegenden Spanngliedbereichen der Längsvorspannung und der Quervorspannungen. Anzeichen für mögliche Schädigungen können unter anderem Durchfeuchtungen und Salzausblühungen an der Hohlkasteninnenseite sein. Zur Lokalisierung und Feststellung des Zustands werden lokale Sondierungsöffnungen der Längsspannglieder (möglichst nahe der Spanngliedhochpunkte) sowie der Querspannglieder (von der Hohlkasteninnenseite aus) durchgeführt. Dabei werden der Korrosionszustand von Hüllrohr und Spannstahl sowie der Verpresszustand dokumentiert, der Verpressmörtel wird für weiterführende Laboruntersuchungen entnommen. In ausgewählten Bereichen können darüber hinaus Rückdehnungsmessungen zur Erfassung der vorhandenen Vorspannung durchgeführt werden. Dafür wird das Spannglied über etwa 60-100 cm Länge freigelegt, das Hüllrohr geöffnet, der Verpressmörtel schonend entfernt und eine zugängliche Spannlitze mit einem Dremel durchtrennt. Auf der Spannlitze wird vor dem Trennschnitt ein Dehnmessstreifen (DMS) appliziert, der mit einer vergleichsweisen hohen Messfrequenz die Dehnung im Stahl erfasst; die Messdaten werden über den Kurzzeitversuch kontinuierlich aufgezeichnet. Abb. 6: Lokale Sondierungsöffnungen, Applizierung von DMS zur Rückdehnungsmessung Nach der Rückdehnungsmessung wird die ausgewählte Spannlitze für weiterführende Laboruntersuchungen (Stahlgefüge, Zugfestigkeit, Bruchdehnung) entnommen. Die Auswahl der Lage der Untersuchungsbereiche erfolgt unter Berücksichtigung der rechnerischen Bewertung. Darüber hinaus ist der Verpresszustand der Spannglieder partiell zerstörungsfrei durch Ultraschallmessungen zu beurteilen. Die Durchführungen der Messungen orientieren sich am Merkblatt zu Ultraschallverfahren der DGZfP und hat durch mit zerstörungsfreien Messverfahren im Bauwesen erfahrene Fachingenieure zu erfolgen [6]. Die zerstörungsfreien Messungen werden anhand der zerstörungsarmen Sondierungsöffnungen oder alternativ mithilfe von Sondierungsbohrungen (ø 25 mm) validiert. Die Spanngliedöffnungen sind im Anschluss an die Dokumentation mit einem geeigneten Betonersatzmaterial (PCC einschließlich Haftbrücke) zu verschließen. Abb. 7: Zerstörungsfreie Prüfung eines Spanngliedes mittels Ultraschallverfahren [21] 3.4 Chemisch-physikalische Untersuchungen Für das Genehmigungsverfahren des Rück- und Ersatzneubaus ist auch die Erstellung von Verwertungs- und Entsorgungskonzepten, inkl. der erforderlichen Logistikkonzepte, notwendig. Die dafür erforderlichen Beprobungen erstrecken sich über das gesamte Bauwerk und umfassen die Ermittlung der Materialeigenschaften hinsichtlich ihrer Wiederverwendbarkeit und die Untersuchung von Schadstoffen. Gemäß Mantelverordnung des Bundes sind die Abfallmaterialien auf Schadstoffe zu untersuchen und zu klassifizieren [neue Fassung ab 01.08.2023]. Nach LAGA ist die stoffliche Verwertung gesetzlich vorgegeben und ist bereits im Genehmigungsverfahren vorzulegen [22]. Zu möglichen Schadstoffen und Belastungen können zählen: - Asbest (Abstandshalter, Farben, Abdichtungen, Rohrdurchführungen) - PCB (Farben) - PAK (Schwarzanstriche, Dichtungsbahnen, Vergussmassen, Asphalt, Betonbeschichtung) - Schwermetalle (Farben, Schutzanstriche) - Chloride, Sulfate, Treibminerale (Beton) Für die Untersuchung des Bauwerksbetons können i.d.R. Teilstücke der Bohrkerne aus den vorbeschriebenen statisch-konstruktiven Untersuchungen verwendet werden, wodurch der Beprobungsumfang nicht unnötig erhöht wird. 538 5. Brückenkolloquium - September 2022 Rückbau von Spannbetonbrücken Für die Konzeption und Umsetzung der Probeentnahmen sowie die Durchführung der erforderlichen Laboruntersuchungen ist die frühzeitige Einbindung eines Schadstoffgutachters zu empfehlen. Konkrete Anforderungen an das zu erstellende Schadstoffgutachten, z.B. durch einen Schadstoffgutachter der entsprechenden Länder sind durch den AG zu definieren. 4. Erfahrungen Wie eingangs erläutert, fehlen für den Rückbau, vor allem für den Rückbau von Großbrücken, normative Regelungen und Richtlinien, an denen sich die Rückbauplanung verbindlich orientieren kann. Das diesbezüglich ein Regelungsbedarf besteht, hat die Praxis in den vergangenen Jahren immer wieder aufgezeigt. Um eine Grundlage für eine Richtlinie die den Rückbau, die Regelungen für den Rückbau und die Bewertung von Bestandsbauwerken beinhaltet zu schaffen, wurde mit Hilfe des DBV Arbeitskreises Brückenbau eine Erfahrungssammlung zum Rückbau von Großbrücken erstellt [5]. Die Erfahrungssammlung zeigt deutlich auf, dass die Abbruchplanung bzw. Abbruchausführung von großen Brücken sehr hohe Anforderungen für den Planer und den Ausführenden birgt. Abhängig der Rückbaumaßnahme, welche sich immer am Bestand und den örtlichen Gegebenheiten orientiert, spielt bei den meisten Rückbauvarianten die Bewertung des Bestandes eine wesentliche Rolle, um eine sichere Ausführung garantieren zu können. Beispiel: Lahntalbrücke Limburg Die Lahntalbrücke Limburg ist ein Spannbetondurchlaufträger mit zwei Überbauten mit Kastenquerschnitt. Der Überbau wurde im Freivorbau hergestellt, wobei die Herstellung von beiden Widerlagern aus gleichzeitig erfolgte. Für den Rückbau der Brücke wurde ein feldweises Herablassen der Segmente mittels Litzenhebern ausgeschrieben. Die der Ausschreibung beigefügten Bestandsunterlagen waren sehr undurchsichtig. Im Vorfeld der Ausschreibung wurden keine weiteren Bestandsuntersuchungen durchgeführt. Dass der Amtsentwurf keine wirtschaftliche Lösung auf Grund von zusätzlich notwendigen, erheblichen zusätzlichen konstruktiven Maßnahmen und der Problematik von nahezu keinen Tragreserven im Endzustand der Brücke darstellt, zeigte das eingereichte Nebenangebot. Dieses Nebenangebot sah den im Vergleich zum Amtsentwurf wirtschaftlicheren Abbruch auf Vorschubbrüstung vor. Um das Bauwerk realistisch zu bewerten und die Ausführung wirtschaftlich gestalten zu können, sah das durch den AN vorgebrachte Sicherheitskonzept die Reduzierung der Teilsicherheitsbeiwerte der Eigenlasten vor. Hierfür wurde im Nachweisverfahren von den im EC2 vorgesehenen Teilsicherheitsbeiwerten abgewichen und stattdessen auf den in der Nachrechnungsrichtlinie enthaltenden Voraussetzungen und Randbedingungen für die Reduktion der Teilsicherheitsbeiwerte, Bezug genommen [5]. Die Reduktion der Teilsicherheitsbeiwerte erfolgte im Rahmen prüfstatischer Abstimmungen. Für die Reduktion der Teilsicherheitsbeiwerte ist die Geometrie und die Wichte des Bauwerks entscheidend (siehe Kapitel 2). Die Umsetzung des Konzeptes erfolgte mittels umfangreicher Bestandsuntersuchungen. Wichte: Pro Überbau wurden ca. 30 Bohrproben zur Bestimmung der Wichte gezogen. Diese wurden auf der ganzen Länge des Bauwerks entnommen, um die Gleichmäßigkeit der Betonwichte beurteilen zu können. Je Überbaufeld wurden mind. 4 Proben, an unterschiedlichen Querschnittsbereichen des Hohlkastens, genommen. Darüber hinaus wurden zur Verifizierung der Untersuchungsergebnisse zerstörungsfreie Rückprallhammer-Prüfungen durchgeführt (vgl. Abschnitt 3.3). Geometrie: Für die Geometrieerfassung wurde ein Soll- Ist Abgleich der Bestandsgeometrie von ausgewählten Bauteilen durchgeführt. Eine Geometrieerfassung der gesamten Brücke war auf Grund der örtlichen Gegebenheiten und aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sowie nicht nötig. Die Geometrieerfassung erfolgte mittels Laser-Distanz-Sensoren im inneren des Kastens, zudem wurden die Querschnittsdicken an allen vorhandenen Bauteilöffnungen geprüft. Nach der Probenentnahme und der Geometrieerfassung erfolgte die statistische Auswertung der diagnostischen Untersuchungen. Die Variationskoeffizienten bzw. die Standardabweichung und der Mittelwert der Parameter konnten so bestimmt werden. Die Form der statistischen Auswertung ist in [8] nachzulesen. Die Ergebnisse zeigten nur eine geringe Streuung der Wichte der Überbauten und wiesen nur geringe Abweichungen in der Soll-Ist- Geometrie auf. Die Ergebnisse ermöglichten die Reduktion der Teilsicherheitsbeiwerte der Eigenlasten von 1,35 auf 1,2. Weiter konnte die Wichte in den weiteren statischen Nachweisen der Rückbauplanung von 25kN/ m³ auf 23,7kN/ m³ reduziert werden. Durch diese realistische Annahme des Bauwerks konnten die Nachweise wirtschaftlicher und dennoch ohne Verlust der Sicherheit durchgeführt werden [8]. Vor weiteren Herausforderungen stand der Ausführende zusammen mit dem Rückbauplaner durch den vorgesehenen Abbruch der Lahntalbrücke in Herstellrichtung. Erfolgt der Abbruch entgegen der Herstellrichtung (Normalfall), so kann die Vorspannkraft, welche bei Durchtrennung der Spannglieder frei wird, an der nächsten Verankerungsstelle (hier mittels Glockenverankerung) aufgenommen werden und der Restüberbau kann in den weiteren Nachweisen als verankert angesetzt werden [8]. Bei Rückbau in Herstellrichtung ist diese konstruktive Verankerung nicht für alle Rückbauzustände sichergestellt, sodass eine Verankerung der Spannglieder im Beton nötig war. Um diese Verankerung in den Nachweisen ansetzen zu können, ist der vollständige Verbund der Spannglieder nachzuweisen. Hierfür wurden über 143 Spanngliedern experimentell beprobt. Es wurden lokale Öffnungen zum Durchtrennen der Spannglieder ge- 5. Brückenkolloquium - September 2022 539 Rückbau von Spannbetonbrücken macht und Untersuchungen an bereits durch Sägeschnitte durchtrennten Querschnitten durchgeführt. Anhand der Ergebnisse konnten die Nachweise des Verbund- und Verankerungsverhaltens mittels numerischer Modellbildung geführt werden. Durch die zahlreichen Beprobungen und die entsprechenden Auswertungen konnte der Rückbau in Herstellrichtung durchgeführt werden. Auf aufwändige Zusatzkonstruktionen zur Aufnahme der Spaltzugkräfte konnte verzichtet werden [5]. Abb. 8: Begutachtung der nachträglichen Verankerung der Spannglieder [8] Der Rückbau der Lahntalbrücke führte auf Seiten des AGs zu der Erkenntnis, dass durch die bislang geringen Erfahrungen aus dem Rückbau von Großbrücken, die Kosten nicht realitätsgetreu einzuschätzen waren. Für den AG stellte sich der Rückbau als eine Aufgabe der Bestandsbewertung dar. Durch die fehlenden Informationen über den Bestand birgte das Nebenangebot ein hohes Risiko, welches durch Bestandsuntersuchungen in früheren Planungsphasen um ein wesentlich hätte verringert werden können. Dennoch war es durch die umfangreichen diagnostischen Bestandsuntersuchungen möglich, einen wirtschaftlichen Rückbau durchzuführen. 5. Zusammenfassung Die alternde Infrastruktur und die sich im Laufe der Jahre erhöhten Verkehrslasten führen zu zahlreichen Ersatzneubauten von Brücken. Insbesondere der dem Neubau vorlaufende Rückbau von Großbrücken und Brücken mit außergewöhnlichen Randbedingungen stellt eine besondere ingenieurmäßige Aufgabe dar. Im Zuge des Rückbaus sind komplexe statische (Rück-) Bauzustände nachzuweisen, wobei der Einfluss des Bauwerkszustandes zu berücksichtigen ist. Dieser ist jedoch meist aus den Bestandsunterlagen nicht ersichtlich, zumal der aktuelle Zustand des gealterten Bauwerks oftmals nicht ausreichend untersucht und dokumentiert ist. Um die statisch-konstruktive Machbarkeit des Rückbaus abzusichern und das Bestandsrisiko zu minimieren, sind bauwerksdiagnostische Untersuchungen zwingend erforderlich. Hierbei empfiehlt sich mit steigenden Leistungsphasen die Durchführung von immer detaillierteren diagnostischen Untersuchungen. Mit diesem stufenweisen Vorgehen kann dem Wirtschaftlichkeitsbegehren des Auftraggebers gerecht werden und ermöglicht zudem eine detaillierte, individuelle Detailplanung der Bestandsuntersuchungen auf Basis der bereits gewonnenen Erkenntnisse. Ziele der Untersuchungen sind die Erfassung der Geometrie sowie vorhandener Vorverformungen, die Ermittlung von Materialeigenschaften und deren Streuung sowie die erforderlichen abfallrechtlichen Untersuchungen. Diese Vervollständigung der Bestandsunterlagen durch diagnostische Bestandsuntersuchungen liegt in der Verantwortung der Bauherren. Stufenweise aufbauende diagnostische Bestandsuntersuchungen eröffnen die Möglichkeit, beim Rückbau den realen Bauwerkszustand zu berücksichtigen und ermöglichen eine wirtschaftliche sowie ausführungssichere Rückbauplanung. Sowohl der Auftraggeber als auch der Ausführende kann durch die Bauwerksuntersuchungen, die insbesondere bereits ins den früheren Leistungsphasen durchgeführt werden, wirtschaftlich als auch im Hinblick auf das Risiko des Bestandes profitieren. Die Planungs- und Ausführungssicherheit wird maßgeblich erhöht. Bauwerksdiagnostische Bestandsuntersuchungen im Zuge einer Nachrechnung sind besonders effektiv, weil dadurch eine wirklichkeitsnahe Bauwerksbewertung möglich wird und der tatsächliche Bauwerkszustand berücksichtigt werden kann. Durch die Ergebnisse der diagnostischen Untersuchungen kann die Tragfähigkeit realistischer bewertet und das Bauwerk ggf. auch erhalten werden. Literatur [1] Die Autobahn: Bericht „A45 - Ersatzneubau Talbrücke Rahmede“, https: / / www.autobahn.de/ dieautobahn/ projekte/ detail/ ersatzneubau-talbrueckerahmede, Abgerufen am 06/ 2022 [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Bericht „Stand der Modernisierung von Brücken der Bundesfernstraßen“, Stand 12/ 2020 https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ StB/ bericht-modernisierung-bruecken-0212.pdf? __ blob=publicationFile [3] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMVD): Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie), Bonn, 05/ 2011 [4] Zinke, T.; Müller, M.; Ummenhofer, T.: Ganzheitliche Analyse und Bewertung von Infrastrukturprojekten, In: Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und Klimaschutz, 2021, S. 257 - 270 [5] Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein (DBV): Erfahrungssammlung Brückenrückbau, Berlin, 2021, S. 94-109 540 5. Brückenkolloquium - September 2022 Rückbau von Spannbetonbrücken [6] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Entwurf einer Richtlinie Rückbau von Straßenbrücken, 2021 [7] Schacht, G.; Barr, C.: Erfahrungen zu Art und Umfang erforderlicher Bestandsuntersuchungen als Grundlage für die Rückbauplanung. 2. VDI-Fachkonferenz „Rückbau von Brücken“, Frankfurt am Main, 03.-04. Mai 2022 [8] Schacht, G.; Müller, L.; Kromminga, S.; Krontal, L.; Marx, S.: Tragwerksplanung beim Rückbau von Spannbetonbrücken. Bautechnik 95, 2018, S. 6-15 [9] Marzahn, G.: Rückbau von Brücken in Deutschland - Erfahrungssammlung und Gedanken zum Regelwerk, VDI Fachkonferenz „Rückbau von Brücken“, 05/ 2021 [10] Lingemann, J.; Fischer, O.: Massivbrücken im Bestand, Betonkalender 2023, in Vorbereitung [11] Krill, A.: Ansätze für eine Rückbau-Richtlinie. VDI-Fachkonferenz „Rückbau von Brücken“. 05/ 2021 [12] Wagner, P.: Rückbau großer Talbrücken - Konzepte und Verfahren aus Sicht eines Generalunternehmers. Vortrag beim VSVI Hessen, Tagung Brücken für die Zukunft, 05/ 2017 [13] Löschmann, J.; Ahrens, M.A.; Dankmeyer, U.; Ziem, E; Mark, P.: Methoden zur Reduktion des Teilsicherheitsbeiwerts für Eigenlasten bei Bestandsbrücken. Beton- und Stahlbetonbau 112, H.8, S. 506-516 [14] Schill, F.; Schacht, G.: Berührungslose Überwachung von Brücken mit großer Stützweite. 11. Symposium Experimentelle Untersuchung von Baukonstruktionen. Schriftenreihe konstruktiver Ingenieurbau Dresden, Heft 55, S. 32-45, 2021. [15] DIN EN 13791: Bewertung der Druckfestigkeit von Beton in Bauwerken und Bauwerksteilen, Berlin, 02/ 2020 [16] DIN EN 206: Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität, Berlin, 06/ 2021 [17] Deutsche Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung (DGZfP): Merkblatt B 04 - Ultraschallverfahren zur zerstörungsfreien Prüfung im Bauwesen, 08/ 2020 [18] DIN 12504-4: Prüfung von Beton in Bauwerken - Teil 4: Bestimmung der Ultraschall—Impulsgeschwindigkeit, 10/ 2021 [19] DIN EN 12504-2: Prüfung von Beton in Bauwerken - Teil 4: Bestimmung der Ultraschall—Impulsgeschwindigkeit, Berlin, 10/ 2021 [20] DIN 12504-1: Prüfung von Beton in Bauwerken - Teil 1: Bohrkernproben - Herstellung, Untersuchung und Prüfung der Druckfestigkeit, 02/ 2021 [21] Schacht, G.: Rückbau von Spannbetonbrücken - Herausforderungen für die Tragwerksplanung. VDI-Fachkonferenz „Rückbau von Brücken“. 5.-6. Mai 2021 [22] Länderarbeitsgemeinschaft Abfall: LAGA PN 98 - Richtlinie für das Vorgehen bei physikalischen, chemischen und biologischen Untersuchungen im Zusammenhang mit der Verwertung/ Beseitigung von Abfällen, 2017 Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel 5. Brückenkolloquium - September 2022 543 Bauwerksschäden an der Brücke am Altstädter Bahnhof M. Sc. Felix Kaplan Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg, Hoppegarten, Deutschland Dr. Ing. Oliver Steinbock cbing, Dresden, Deutschland Dipl. Ing. M. Sc. Katrin Saloga König und Heunisch Planungsgesellschaft, Berlin, Deutschland Zusammenfassung Die B 1, Brücke am Altstädter Bahnhof war der wichtigste Verkehrsknotenpunkt in der Stadt Brandenburg an der Havel. Im Dezember 2019 wurden die überführte Bundesstraße und die Straßenbahnlinie für den Verkehr gesperrt. Grund für die Sperrung war eine einsetzende Rissbildung in den Längsträgerstegen in Verbindung mit Hohlstellen. Bei den Längsträgern wurde mit dem Spannblockverfahren nach TGL 173-33 ein konzentriertes Spannglied verbaut. Die visuell aufnehmbare Schadenszunahme wurde letztlich auf gerissene Spanndrähte zurückgeführt. Der sichere Betrieb der unterführten Verkehrswege bis zum Rückbau wurde durch ein umfangreiches Überwachungskonzept bestehend aus handnaher Bauwerksprüfung und ergänzenden messtechnischen Verfahren gewährleistet. In diesem Beitrag werden die gewonnenen Erkenntnisse zum messtechnisch erfassten Schadensfortschritt und den damit verbundenen visuell festgestellten Schäden beschrieben. Die Schadensbilder weichen von den bekannten Schadensbildern an konventionellen Spanngliedern ab. Zur Bewertung dieser Arbeitshypothesen wurden kurz vor dem Abbruch des Bauwerks ergänzende Untersuchungen durchgeführt. Die gewonnenen Erkenntnisse sollten bei der Beurteilung anderer Bauwerke mit vergleichbarer Bauart berücksichtigt werden. 1. Bauwerksbeschreibung 1.1 Baukonstruktion Die Brücke am Altstädter Bahnhof wurde im Jahre 1969 hergestellt siehe z. B. [1]. Sie bildete die Hauptverbindung zwischen der Innenstadt und den westlichen Stadtteilen der Stadt Brandenburg an der Havel. Durch das Bauwerk wurde die Magdeburger Straße (B 1) sowie eine Straßenbahnlinie über die Zanderstraße (B 102) und die Gleise der Deutschen Bahn überführt. Die Lage des Bauwerks ist in Abbildung 1 dargestellt. Abb. 1: Lage des Bauwerks Straßennetzviewer Brandenburg Die Brücke bestand aus zwei Teilbauwerken [2], [3]. Gegenstand der weiteren Ausführungen ist ausschließlich das Tbw. 1. In Abbildung 2 ist ein Luftbild von der Brücke unmittelbar vor dem Rückbau zu sehen, darin ist das Teilbauwerk farblich hervorgehoben. Abb. 2: Bauwerk vor dem Rückbau, Tbw. 1 hervorgehoben ifB Eigenschenk 544 5. Brückenkolloquium - September 2022 Bauwerksschäden an der Brücke am Altstädter Bahnhof Das Tbw. 1 war mit einer Länge von 174 m und einer Überbaubreite von ≈ 37 m ungewöhnlich breit. Gleichzeitig wurden in Brückenquerrichtung nur zwei Stützenreihen mit einem Abstand von 18,5 m angeordnet. Daraus resultierte auch die ungewöhnliche Wahl des Überbauquerschnittes, der als neunzelliger Hohlkasten mit einer variablen Konstruktionshöhe zwischen 1,46 m und 1,54 m ausgeführt war und in Brückenquerrichtung eine sehr robuste Konstruktion sicherstellte. Somit konnten auch die im Norden liegenden Kragarme mit der Straßenbahn befahren werden. Die planmäßig nicht zugänglichen Hohlkästen wiesen eine lichte Höhe von ≈ 1,22 m bzw. 1,06 m bei einer Breite von 2,68 m auf. Mit Ausnahme des kleinen Endfeldes (20 m) waren die Hohlkästen durch schlaff bewehrte Feldquerträger in der Feldmitte ausgesteift. Des Weiteren sind in den Stützenachsen vorgespannte Querträger angeordnet. Im Anschlussbereich des Zubringers (Achse C) sind zusätzlich zum Hauptquerträger zwei vorgespannte Nebenquerträger angeordnet. Der Querträger C und die beiden Nebenquerträger dienen als Auflager für die Längsträger des Nebentragwerks. Abb. 3: Tbw. 1 Draufsicht, Längsschnitt, Querschnitt [2] Die Längsträger des Haupttragwerks wurden jeweils mit einem konzentrierten Spannglied vorgespannt, welche mit veränderlicher Höhenlage -an einen parabolischen Verlauf angenähertgeführt wurden. Da die Querschnitte nicht gevoutet sind und im Stützbereich keine Zusatzspannglieder angeordnet wurden, führt dies im Stützbereich zu geringeren Druckspannungen in der vorgedrückten Zugzone und im Feldbereich zu hohen Druckrandspannungen in der Platte. 1.2 Spannblockverfahren Bei der Brücke am Altstädter Bahnhof kam das Spannblockverfahren für die Längsträger zur Anwendung. Bei dem Spannblockverfahren handelt es sich um eine Adaption anderer Spannverfahren mit konzentrierten Spanngliedern, wie z. B. dem Verfahren Baur-Leonhardt, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Das Spannverfahren wurde zwischen 1962 und 1970 bei insgesamt elf Bauwerken angewendet. Als die Brücke am Altstädter Bahnhof errichtet wurde, war das Spannblockverfahren durch in der TGL 173-33 geregelt. Gegenüber den normativen Vorgaben kam beim vorliegenden Bauwerk eine Sonderform zum Einsatz. Zum einen wurden anstelle des üblichen Spanndrahtes mit 40 mm² Querschnittsfläche, Spanndrähte mit 35 mm² verwendet. Grund hierfür war, dass zum damaligen Zeitpunkt lediglich die Spanndrähte mit 35 mm² in der erforderlichen Lieferlänge von 175 m beim Hennigsdorfer Stahlwerk zur Verfügung standen. Zum anderen wurde ein größerer Spannkasten (Spanngliedkasten für SSG 1400 statt SSG 1200) notwendig, um die insgesamt 392 Einzeldrähte im Spannkasten unterbringen zu können bzw. eine Spannkraft von 12 MN je Hauptträger einleiten zu können. Die 392 Einzeldrähte wurden lagenweise eingebaut und mittels Abstandshaltern in ihrer Lage gesichert, wie in Abb. 4 erkennbar ist. Abb. 4: Konzentriertes Spannglied im Querschnitt (links) [4] und in der Ansicht (rechts) [1] Mit dem heutigen Wissen ist das Spannblockverfahren grundsätzlich kritisch zu bewerten. Als Spannstahl wurden die vergüteten Hennigsdorfer Spanndrähte verwendet, diese sind mittlerweile bei Ortbetonbauwerken als hochgefährdet in Bezug auf Spannungsrisskorrosion bekannt. Bedingt durch den Bauablauf wurden die Spannglieder erst nach ca. 6 Monaten verpresst. Bis dahin waren die Spanndrähte nicht durch das alkalische Milieu geschützt. 2. Bauwerkszustand und Zustandsentwicklung 2.1 Bauwerkszustand Die Sperrung der Brücke erfolgte im Zuge der Vorbereitung der Hauptprüfung im Dezember 2019. Dabei war aufgefallen, dass sich in der Untersicht der Brücke eine massive Risszunahme eingestellt hat. Zusätzlich wurden in einzelnen Hohlkästen auch spanngliedparallele Risse in den Längsträgerstegen dokumentiert, Abb. 5. Während der anschließenden intensiven Bauwerksprüfung wurde außerdem festgestellt, dass die Anzahl und die Länge der Risse spürbar zu nimmt. 5. Brückenkolloquium - September 2022 545 Bauwerksschäden an der Brücke am Altstädter Bahnhof Abb. 5: Spanngliedparallele Risse (exemplarisch) Im Rahmen der parallel durchgeführten Objektbezogenen Schadensanalyse wurden auch Spanndrahtproben entnommen. Deren Untersuchung zeigte einen sehr hohen Versprödungsgrad und infolgedessen eine mangelhafte Bruchdehnung und eine reduzierte Zugfestigkeit. Alle untersuchten Proben wiesen Anrisse infolge Spannungsrisskorrosion auf, exemplarisch Abb. 6. Abb. 6: Exemplarisches Bruchbild der Spanndrähte, KHP Berlin Am Bauwerk waren somit nicht nur plötzlich auftretende Rissbilder, sondern auch mangelhafte Materialeigenschaften anzutreffen. Eine weitere Befahrung war dadurch ausgeschlossenen und ein schnellstmöglicher Abbruch einzuleiten. 2.2 Überwachungskonzept Es zeichnete sich schnell ab, dass bis zum Rückbau ca. 12 Monaten vergehen würden. Eine Sperrung der unterführten Verkehrswege wurde deshalb diskutiert, allerdings sind diese für den Verkehr in der Region so wichtig, dass dieses Szenario vermieden werden sollte. Aus diesem Grund musste ein umfangreiches Überwachungskonzept entwickelt und umgesetzt werden. Bei der Konzeption wurde davon ausgegangen, dass die Schäden primär infolge spannungsrisskorrosionsbedingter Spanndrahtbrüche entstehen und dass die Schäden fortschreiten. Das Überwachungskonzept setzte sich zusammen aus den Bestandteilen Schallemissionsmonitoring, Durchbiegungsmonitoring in Feldmitte, punktueller Rissüberwachung in Bereichen mit Schädigungsentwicklung sowie engmaschiger Bauwerksprüfung. 2.3 Zustandsentwicklung Aufgrund der unter 2.2 beschriebenen Überwachung des Bauwerks können umfangreiche Aussagen zur Zustandsentwicklung zwischen Juni 2020 (Inbetriebnahme Monitoringanlagen) und Mai 2021 (Rückbau) getroffen werden. In diesem Zeitraum wurden insgesamt 111 Spanndrahtbrüche gemessen, siehe Abb. 7. Dabei ist ersichtlich, dass sich die Lage der Spanndrahtbrüche in bestimmten Bereichen konzentriert. Die Bauwerksprüfung zeigte außerdem, dass die visuell erkennbaren Schäden zunehmen. Dies wurde teilweise im unmittelbaren zeitlichen Kontext mit Spanndrahtbrüchen detektiert, Abb. 8. Abb. 7: Lage Spanndrahtbrüche 03/ 2021 - 05/ 2021, Bilfinger Noell Abb. 8: Schadensskizze Hohlkasten 3.1-9, Anschluss Querträger C, LS Brandenburg und r.a.p. Ingenieure 546 5. Brückenkolloquium - September 2022 Bauwerksschäden an der Brücke am Altstädter Bahnhof 3. Bauwerksuntersuchungen im Zuge des Rückbaus 3.1 Untersuchungskonzept Während sich bei Tragwerken mit kleinteiligen Spanngliedern und einem Ankündigungsverhalten in Sinne der Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion der Ausfall einzelner Spanndrähte in Form von Biegerissen zeigt, ist dies bei großformatigen Spanngliedern nicht der Fall. Die dokumentierten Längsrisse sowie der Versprödungsgrad der Spanndrähte führten zu der These, dass ein hoher und lokaler Schädigungsgrad der Spanndrähte in den großformatigen Spanngliedern zu Spaltzugrissen im Steg führt, bevor Biegerisse auftreten. Die Spaltzugkräfte bei einer lokalen Schädigung von großformatigen Spannglieder sind jedoch nahezu unabhängig von zusätzlichen äußeren Einwirkungen und können somit bereits unter Eigenlasten auftreten. Zur Verifizierung dieser These wurden durch das BMDV umfangreiche Untersuchungen im Rahmen des Rückbaus finanziert. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte das Schadensbild künstlich erzeugt werden. Der Versuch war durch zahlreiche messtechnische Verfahren zu begleiten, um hierdurch auch Einsatzempfehlungen für andere Bauwerke zu erhalten. Für die Durchführung wurden insgesamt 2 Versuchsstellen festgelegt, siehe Abb. 9. Dabei handelt es sich bei der V1 um einen Bereich in dem zuvor keine Spanndrahtbrüche gemessen wurden und auch keine Längsrisse vorhanden waren. V2 lag sowohl im gemessenen Hot-Spot und hatte die erwarten Längsrisse bereits. Abb. 9: Lage von Hot Spots und Darstellung der Messstellen V1 und V2 [2] Der Versuchsaufbau wurde so gewählt, dass die Spandrähte lagenweise mittels Seilsäge angesägt wurden, siehe Abb. 10. Durch den geringen Stich stellte dies auch an den Seilsägenführer sehr hohe Anforderungen. Nähere Informationen zur Versuchsdurchführung sind [2] zu entnehmen. Abb. 10: Versuchsaufbau links, schematisch, rechts Umlenkrolle im Hohlkasten [2] 3.2 Ergebnisse in Bezug auf die Schadensbilder Beim Trennen der Spannglieder konnte an Messstelle V1 das Entstehen der Längsrisse nachgewiesen werden und somit das prognostizierte Schadensbild bestätigt werden. Nachdem etwa ein Drittel der Drähte des vorliegenden großformatigen Spanngliedes durchtrennt waren, entstand ein vergleichbares Schadensbild wie es bereits am Bauwerk dokumentiert werden konnte. Mit zunehmender Schädigung konnte auch eine Zunahme der hohl liegenden Bereiche festgestellt werden. Bei diesem Spannverfahren können Längsrisse in den Stegen entlang des 5. Brückenkolloquium - September 2022 547 Bauwerksschäden an der Brücke am Altstädter Bahnhof Spanngliedverlaufs, insbesondere in Verbindung mit Hohlstellen, auf eine lokale Häufung von Spanndrahtbrüchen im Inneren der Spannglieder hinweisen, siehe hierzu exemplarisch Abb. 5 und Abb. 11. An Messstelle V2 konnten keine nennenswerten Zunahmen in den Rissweiten bestehender Risse festgestellt werden, anstelle dessen kam es vorwiegend zu neuen Rissbildungen und zur Verlängerung bestehender Risse. Die Versuchsergebnisse lassen den Rückschluss zu, dass an anderen Stegen, die ein ähnliches Riss- und Schadensbild wie an Messstelle II (vor dem Trennen der Spanndrähte) aufwiesen, von einem ähnlich hohen Schädigungsgrad des Spanngliedes (≈ 1/ 3) und somit von einer merklich reduzierten Resttragfähigkeit auszugehen ist. Abb. 11: Markierter Verlauf der Risse und hohl liegenden Bereichen bei Abschluss des Versuches an der Messstelle V1 sowie Darstellung der Messtechnik [2] 3.3 Weitere Ergebnisse Die Ergebnisse im Hinblick auf das Monitoring und die Auswertung zur Untersuchung der Spanndrähte werden separat vorgestellt und sind in diesem Tagungsband enthalten, siehe [5], [6] und [7]. 4. Zusammenfassung Die Brücke am Altstädter Bahnhof stellt mit dem verwendeten konzentrierten Spannglied eine Besonderheit war. Dank der umfangreichen Überwachung konnte der Betrieb auf den unterführten Verkehrswegen bis zum Ersatzneubau gewährleistet werden. Aufgrund der durchgeführten Untersuchungen wurden folgende Schlussfolgerungen gezogen: - Bauwerke mit konzentrierten Spanngliedern haben bauartbedingt eine hohe Gefährdung für Schäden aufgrund von Spannungsrisskorrosion. Die Schäden können dabei lokal konzentriert auftreten. - Die Schadensbilder weichen von den bekannten Schadensbildern ab. Nach Auftreten der sichtbaren Schäden können sie sich sehr schnell weiterentwickeln. - Monitoringverfahren zur Überwachung des Schädigungsfortschritts sind vorhanden. Diese Ergebnisse erfordern von den Baulastträgern, dass Bauwerke mit konzentriertem Spannglied (Spannblockverfahren und Baur-Leonhardt) einer besonderen Beobachtung unterliegen sollten. Randbedingungen hierfür werden durch das BMDV im Obmannschreiben 2021-13 [8] definiert. Literatur [1] Lippold, P.: Konzentrierte Spannglieder im Straßenbrückenbau. Bauplanung - Bautechnik, Heft 4 1969, S. 172ff. [2] Div. Autoren, Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg (Hrsg.): B1 - Altstädter Bahn-hof in Brandenburg an der Havel - Bauwerksuntersuchungen vor dem Rückbau. Abrufbar unter https: / / www. ls.brandenburg.de/ ls/ de/ ueber-uns/ publikationen/ . [3] Kaplan, F., Steinbock, O., Saloga, K., Ebell, G., & Schmidt, S. (2022). Überwachung der Brücke am Altstädter Bahnhof. Bautechnik, 99(3), 222-230. [4] TGL 173-33 Spannblockverfahren - Spannglieder mit Nennspannkraft 600 bis 1600 Mp. Fachbereichsstandard. Ausgabe 1967-06. [5] Pirskawetz, S.: Rückbau der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel - Detektion von- Spanndrahtbrüchen mit Schallemissionsanalyse, Tagungsband 5. Brückenkolloquium 2022, TAE [6] Niederleithinger, E.: Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel: Begleituntersuchungen mit moderner Sensorik und zerstörungsfreier Prüfung, Tagungsband 5. Brückenkolloquium 2022, TAE [7] Ebell, G.: Neue Erkenntnisse zu wasserstoffinduzierten Spannungsrissen infolge korrosiver Belastung hochempfindlicher Spannstähle in Spannblockverfahren nach TGL 173-33, Tagungsband 5. Brückenkolloquium 2022, TAE. [8] Marzahn, G.: Obmannschreiben 2021-13 Neue Erkenntnisse zu wasserstoffinduzierten Spannungsrissen infolge korrosiver Belastung hochempfindlicher Spannstähle in Spannblockverfahren nach TGL 173-33. 5. Brückenkolloquium - September 2022 549 Rückbau der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Detektion von Spanndrahtbrüchen mit Schallemissionsanalyse Dipl.-Ing. Stephan Pirskawetz Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin M. Sc. Sebastian Schmidt Bilfinger Noell GmbH, Würzburg Dr.-Ing. Oliver Steinbock Curbach Bösche Ingenieurpartner Beratende Ingenieure PartG mbB, Dresden Zusammenfassung Bei einer turnusmäßigen Inspektion der B1 Brücke am Altstädter Bahnhof in Brandenburg an der Havel wurden im Dezember 2019 Risse und Hohlstellen entlang der Längsträger festgestellt. Als Ursache wurde das Versagen eines signifikanten Anteils der Spanndrähte der konzentrierten Spannglieder vermutet. Die Brücke wurde umgehend für den Verkehr gesperrt und nach weiteren, umfassenden Untersuchungen im Mai 2021 abgebrochen. Um die Sicherheit des unter der Brücke geführten Verkehrs zu gewährleisten, wurde die Brücke unter anderem mit einem Schallemissionsmesssystem überwacht. Mit diesem Verfahren ist es möglich, Spanndrahtbrüche zuverlässig zu detektieren und zu lokalisieren. In dem gut einjährigen Überwachungszeitraum wurden mehr als einhundert Spanndrahtbrüche detektiert, die in einigen Bereichen der Brücke besonders konzentriert auftraten. Vor dem Abbruch der Brücke war es möglich, den Nachweis der Detektion von Spanndrahtbrüchen mit der Schallemissionsanalyse und ihre Ortungsgenauigkeit anhand von künstlich erzeugten Drahtbrüchen zu validieren. Weiterhin konnte das sichtbare Schadensbild, Längsrisse und Hohlstellen über den Spannkanälen, auf die lokale Schädigung der Spanndrähte zurückgeführt werden. Derzeit wird ein Merkblatt erarbeitet, in dem die Erfahrungen in der bisherigen Anwendung der Schallemissionsanalyse zum Monitoring von Spanndrahtbrüchen zusammengefasst werden. In diesem Beitrag werden die Grundlagen der Schallemissionsanalyse und die Ergebnisse der Validierungsversuche an der Brücke in Brandenburg dargestellt. Weiterhin werden die Vorteile und Grenzen der Brückenüberwachung mittels Schallemissionsanalyse sowie Maßnahmen zur Sicherstellung der Qualität und der Zuverlässigkeit diskutiert. 1. Einleitung Die Brücke Altstädter Bahnhof in Brandenburg a.d. Havel wurde 1969 dem Verkehr übergeben. Es handelte sich um eine etwa 180 m lange und etwa 40 m breite Spannbetonkonstruktion mit geschlossenen Hohlkästen, die eine vierspurige Straße sowie Gleisanlagen einer Industriebahn und einer Regionalbahn überquerte (Bild 1). Auf der Brücke befanden sich eine vierspurige Straße, zwei Straßenbahngleise mit Haltestellen sowie Fuß- und Radwege. Mit einer ungewöhnlich geringen Konstruktionshöhe von 1,5 m wirkte der Überbau schlank. Die Spannglieder, jeweils 392 ovale Drähte in den zehn Längsträgern, waren in Spannkästen mit 28 Lagen zu je 14 Drähten konzentriert (Spannverfahren TGL173-33). Bild 1: Luftaufnahme der Brücke am Altstädter Bahnhof in Brandenburg an der Havel kurz vor der Sprengung Im Dezember 2019 wurden Risse und Hohlstellen in den Stegen der Längsträger festgestellt, die dem Verlauf der Spannkästen folgten. Noch während der Inspektion 550 5. Brückenkolloquium - September 2022 Rückbau der BrückeAltstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel wurde ein Schadensfortschritt beobachtet, woraufhin die Brücke für den darüber laufenden Verkehr gesperrt wurde. Um auch die Sicherheit der unter der Brücke verlaufenden Infrastruktur zu gewährleisten, wurde ein Monitoringsystem installiert. Da als Ursache für die sichtbaren Schäden Spanndrahtbrüche infolge von Spannungsrisskorrosion vermutet wurde, umfasste das Monitoring ein Schallemissionsmesssystem mit 75 Sensoren zur Detektion der Drahtbrüche sowie Systeme für Temperatur-, Dehnungs- und Verschiebungsmessungen. Obwohl die Brücke nur noch unter Eigenlast stand, wurden vom Beginn der Messungen im Juni 2020 bis zur Sprengung der Brücke im Mai 2021 mehr als einhundert spontane Drahtbrüche detektiert. Details zur Konstruktion der Brücke und den festgestellten Schäden sind in [1] zusammengefasst. Koordiniert durch das Landesamt Straßenwesen Brandenburg und finanziell unterstützt durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) konnten vor der Sprengung Versuche durchgeführt werden, mit denen nachgewiesen werden konnte, dass lokale Häufungen von Spanndrahtbrüchen die Ursache für die sichtbaren Risse im Beton entlang der Spannglieder waren. Weiterhin wurden die Versuche genutzt, um die Zuverlässigkeit und die Sensitivität für den Schadensfortschritt der eingesetzten sowie ergänzender Mess- und Auswertungsverfahren zu validieren. Die Ergebnisse der Versuche sind in [2] dokumentiert. 2. Schallemissionsanalyse Die beim Bruch eines Spanndrahtes freiwerdende elastische Energie führt lokal zur sehr schnellen Materialverschiebungen und somit zur Anregung elastischer Wellen, die sich im Spannstahl, im umliegenden Verpressmörtel und im Beton ausbreiten. Diese sogenannten Schallemissionswellen können mit an die Betonoberfläche akustisch angekoppelten, üblicherweise piezoelektrischen Sensoren detektiert werden. Beim Überschreiten einer voreingestellten Schwelle werden vom Schallemissionssystem Merkmale der Schallemissionssignale wie Amplitude, Energie oder Signaldauer sowie der Signalverlauf gespeichert. Die Analyse der Ankunftszeiten von Schallemissionswellen an verschiedenen Sensoren ermöglicht die Zuordnung der Signale zu einer Quelle und deren Ortung. Neben der Signalamplitude ist die Quellortung ein wichtiges Kriterium zur Unterscheidung zwischen Signalen aus Spanndrahtbrüchen und Störsignalen, welche häufig vom Verkehr verursacht werden. Erste Versuche zur Detektion von Spanndrahtbrüchen mit Schallemissionsanalyse wurden zu Beginn der 2000er Jahre von [3] und [4] durchgeführt. Die Grundlagen für die heute verwendeten Methoden wurden ab 2004 durch Versuche an der Ponte Moesa in Roveredo/ Kanton Graubünden (Schweiz) gelegt ([5], [6]). Zurzeit ist die Schallemissionsanalyse das einzige Verfahren, mit dem Spanndrahtbrüche zuverlässig detektiert werden können. Detaillierte Beschreibungen des Verfahrens Schallemissionsanalyse und viele Anwendungsbeispiele aus unterschiedlichen Forschungsfeldern sind z.B. in [7], [8] und [9] zu finden. 3. Versuche Während der zerstörenden Versuche wurden schrittweise jeweils ca. zwei Drittel der Spanndrähte zweier Längsträger mit einer Seilsäge durchschnitten. Es wurde angestrebt, pro Schnitt zwei Lagen, d.h. 28 Spanndrähte, zu durchtrennen. Anhand der visuellen Begutachtung der Längsträger sowie der Ergebnisse des laufenden Schallemissionsmonitorings wurde für die Versuche ein Bereich ausgewählt, bei dem keine Vorschädigung erkennbar war, sowie ein zweiter Bereich mit einer offensichtlichen Vorschädigung. In den Bereichen der künstlichen Schädigung wurden faseroptische und fotogrammmetrische Messsysteme zur Erfassung von Dehnungen und Rissen installiert. Damit konnte nachgewiesen werden, dass Spanndrahtbrüche die Ursache für das sichtbare Schadensbild waren. Das vorhandene Schallemissionssystem wurde um 24 Sensoren erweitert, ohne das laufende Monitoring zu unterbrechen. Die Sensoren wurden mit Heißkleber seitlich auf die Betonoberfläche der Längsträger geklebt und zusätzlich mechanisch fixiert (Bild 2). Bild 2: Messstelle mit zwei verschiedenen, auf den Beton geklebten und zusätzlich mit Magnethaltern fixierten Sensoren Ein Sensor wurde mittig an die Decke eines Hohlkastens geklebt, ein weiterer an die Unterseite eines Längsträgers. Eine Übersicht über die installierten Sensoren zeigt Bild 3. 5. Brückenkolloquium - September 2022 551 Rückbau der BrückeAltstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Bild 3: Anordnung der Sensoren an den Längsträgern der Brücke und Position der Schnittstellen Mit dieser Erweiterung des vorhandenen Sensornetzwerkes konnten die akustischen Eigenschaften der Brücke untersucht und verschiedene Sensortypen und Sensorpositionen getestet werden. Das Schallemissionssystem wurde auch dazu genutzt, die durchschnittenen Spanndrähte versuchsbegleitend zu zählen und zu dokumentieren. 4. Ergebnisse Im Vorfeld der zerstörenden Versuche an den Längsträgern der Brücke wurden die akustischen Eigenschaften der Brücke untersucht. Dafür wurde an definierten Stellen mit einem Rückprallhammer seitlich auf den Beton der Längsträger geschlagen. Die so künstlich erzeugten Schallemissionswellen sind mit den durch Drahtbrüche stimulierten Wellen vergleichbar. Bild 4: Mit verschiedenen Sensoren an einem Längsträger ermittelte akustische Dämpfung der Signale von Rückprallhammerschlägen bzw. von Drahtbrüchen Bild 4 zeigt die für verschiedene Sensoren anhand von Rückprallhammerschlägen ermittelte Dämpfung der Schallemissionswellen in den Längsträgern. Die hochfrequenten Anteile der Wellen werden besonders stark bedämpft. Mit niederfrequenten Sensoren wie dem VS12 (Frequenzbereich 7 kHz bis 58 kHz, Resonanz bei 12 kHz) bestimmt, erscheint die Dämpfung deshalb niedriger, wodurch Schallemissionsereignisse über große Entfernungen detektiert werden können. Allerdings liegen die Quellen von Störgeräuschen häufig im niederfrequenten Bereich, weshalb das Signal-Störgeräusch-Verhältnis für diesen Sensor ungünstig sein kann. Sensoren mit Frequenzbereichen über 100 kHz können an Beton nur zur Detektion von Ereignissen über kurze Entfernungen, in der Regel weniger als 2 m, eingesetzt werden. Gut bewährt zur Detektion von Spanndrahtbrüchen haben sich Sensoren mit einem Frequenzbereich von 20 kHz bis 100 kHz, wie z.B. der hier verwendete Sensor VS30. Entstehen die Schallemissionsereignisse wie Spanndrahtbrüche oder Rückprallhammerschläge in einer Entfernung von weniger als 2 m bis 3 m zum Sensor, ist eine Messkette mit einem VS30 und einer Signalverstärkung von 0 dB (Faktor 1) in der Regel übersteuert, d.h. die Signale liegen über 134 dB AE . In größeren Entfernungen fällt die Signalamplitude dann um 3 dB/ m bis 4 dB/ m. Die Dämpfung der Schallemissionswellen eines Spanndrahtbruchs wurde mit Sensoren VS30 in verschiedenen Abständen zum Ort des Drahtbruchs ermittelt. Sie ist kleiner als die aus den Rückprallhammerschlägen ermittelte Dämpfung. Eine mögliche Erklärung ist, dass ein Drahtbruch eine Longitudinalwelle in Längsrichtung des Trägers anregt, während die Anregung mit einem Rückprallhammer senkrecht zur Trägeroberfläche erfolgt. Wegen der vollständigen Sperrung konnten verkehrsbedingte Störgeräusche an der Brücke am Altstädter Bahnhof nicht ermittelt werden. Bild 5 zeigt deshalb Störgeräusche, die an einer Brücke vergleichbarer Konstruktion gemessen wurden. Deutlich sind die täglichen Schwankungen aus dem Verkehrsaufkommen zu erkennen. Bild 5: An einer vergleichbaren, unter Verkehr stehenden Brücke detektierte Störgeräusche Nur wenige Signale, welche mit geeigneten Filtern identifiziert werden können, liegen über 100 dB. Legt man 100 dB als Mindestamplitude für mögliche Spanndrahtbrüche fest, so ergibt eine konservative Schätzung für 552 5. Brückenkolloquium - September 2022 Rückbau der BrückeAltstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel dieses Beispiel eine Entfernung von ca. 12 m, über die ein Spanndrahtbruch detektiert werden kann. Mit besseren Analysetechniken lassen sich mehr Störgeräusche herausfiltern und die Reichweite eines Sensors kann auf bis zu 20 m erhöht werden. Bild 6 zeigt eine aus der akustischen Charakterisierung (Dämpfung und Störgeräusche) einer Hohlkasten-Spannbetonbrücke abgeleitete Reichweite eines Sensors an einem Längsträger. Von dem Sensor werden auch Signale aus den benachbarten Längsträgern erfasst. Anhand dieser Messungen kann die Anordnung der Sensoren an einer Brücke so optimiert werden, dass mit einer insgesamt möglichst kleinen Anzahl von Sensoren Drahtbrüche aus allen Bereichen der Brücke erfasst werden. Die Reichweiten der Sensoren müssen sich dabei so überschneiden, dass das Signal von mindestens zwei, vorzugsweise drei Sensoren detektiert wird. Bild 6: Beispiel für die ermittelte Reichweite eines Schallemissionssensors zur Detektion von Spanndrahtbrüchen in einer Hohlkastenbrücke Anhand der, mit einer zeitlichen Auflösung von einer Zehntel Mikrosekunde bestimmten Ankunftszeiten der Schallemissionswellen an verschiedenen Sensoren kann die Quelle der Schallemission lokalisiert werden. Für die lineare Ortung eines Ereignisses entlang eines Trägers einer Brücke genügt bei bekannter Schallgeschwindigkeit die Detektion der Schallwellen an zwei Sensoren. Bild 7 zeigt die an der Brücke in Brandenburg georteten Rückprallhammerschläge. Je nach Abstand der Sensoren liegt die Ortungsgenauigkeit zwischen 10 cm und 40 cm. Bild 7: Amplituden lokalisierten Rückprallhammerschläge am Längsträger 8 der Brücke in Brandenburg 5. Schlussfolgerungen / Empfehlungen Mit den zerstörenden Versuchen an der Brücke Altstädter Bahnhof in Brandenburg an der Havel konnte nachgewiesen werden, dass sich ein massiver Ausfall von Spanndrähten bei dieser Bauweise nicht anhand von Biegerissen ankündigt. Ein Indikator für einen bereits weit fortgeschrittenen lokalen Schaden sind vielmehr Längsrisse in den Stegen, die dem Spanngliedverlauf folgen. Eine sehr zuverlässige und die zurzeit einzige Methode, den Schadensfortschritt in Form von Spanndrahtbrüchen zu detektieren, ist die Schallemissionsanalyse. Planung, Installation und Betrieb eines Schallemissionsmonitorings erfordern fundierte Kenntnisse der Messtechnik inklusive der zugehörigen Software und der Analyseverfahren, kombiniert mit Detailwissen über das jeweilige Bauwerk. Da mit dem Monitoring nur Änderungen des Bauwerkszustandes detektiert werden können, ist nach Möglichkeit eine umfangreiche Bauwerksdiagnose voranzustellen, um den tatsächlichen Bauwerkszustand annähern bzw. einschätzen zu können. Zur Vorbereitung des Monitorings ist eine detaillierte, individuelle akustische Charakterisierung des Bauwerks sowie ein Vergleich der Signale von (künstlich herbeigeführten) Spanndrahtbrüchen mit Referenzsignalen, wie z.B. von Rückprallhammerschlägen, erforderlich. Mit den Referenzsignalen können vertraglich vereinbarte Leistungen, wie z.B. die Mindestanzahl der einen Drahtbruch detektierenden Sensoren oder die Ortungsgenauigkeit, in Blindversuchen überprüft werden. Die Planung, Installation und Überprüfung des Schallemissionssystems muss in einer Prüfanweisung schriftlich dokumentiert werden. In dieser Anweisung sind auch Ansprechpartner, Einzelheiten zu Wartung und Betrieb sowie Reaktionszeiten, Informationsketten, Entscheidungsbefugnisse und Maßnahmen bei detektierten Drahtbrüchen festzuhalten. Derzeit wird ein Merkblatt erarbeitet, in dem die Erfahrungen in der bisherigen Anwendung der Schallemis- 5. Brückenkolloquium - September 2022 553 Rückbau der BrückeAltstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel sionsanalyse zum Monitoring von Spanndrahtbrüchen zusammengefasst werden. Literatur [1] Kaplan, F., Steinbock, O., Saloga, K., Ebell, G., and Schmidt, S. (2021): Überwachung der Brücke am Altstädter Bahnhof, Bautechnik Vol. 99/ 3, doi 10.1002/ bate.202200008 [2] Landesbetrieb Straßenwesen (Hrsg.) (2021): B1 - Brücke Altstädter Bahnhof in Branden-burg an der Havel - Bauwerksuntersuchungen vor dem Rückbau. Hoppegarten: 2021 [3] Cullington, D.W.; Paulson P.; Elliott P. (2001) Continuous Acoustic Monitoring of Grouted Post-Tensioned Concrete Bridges. NDT&E International (Non Destructive Test & Evaluation) V34, N°2, March 2001, pp. 95-106. [4] Yuyama, S.; Yokoyama, K.; Niitani, K.; Ohtsu, M.; Uomoto, T. (2007). Detection and evaluation of failures in high-strength tendon of prestressed concrete bridges by acous-tic emission. Journal of Construction and Building Materials, Volume 21, Issue 3, March 2007, Fracture Acoustic Emission and NDE in Concrete (KIFA-4), pp. 491-500. [5] Fricker, S.; Vogel, T. (2006): Überwachung von Drahtbrüchen bei Stahlbetonbrücken (Monitoring of Wire-breaks of prestressed concrete bridges). Proceedings, Fachtagung Bauwerksdiagnose, Praktische Anwendung Zerstörungsfreier Prüfungen, Berlin, 23.-24. Feb. 2006. [6] Fricker, S. (2009): Schallemissionsanalyse zur Erfassung von Spanndrahtbrüchen bei Stahlbetonbrücken. Dissertation, ETH Zürich, https: / / doi. org/ 10.3929/ ethz-a-006027529 [7] Miller, R. K. and Hill, E. (technical editors), Moore, P. O. (editor) (2005) Nondestructive Testing Handbook, Volume 6, Acoustic Emission Testing. Third Edition, Published by the American Society for Nondestructive Testing, ISBN: 1-57117-106-1 [8] Grosse, Ch. U. and Ohtsu, M. and Aggelis, D. G. and Shiotani, T. (Editors) (2022) Acoustic Emission Testing. Springer International Publishing, https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-030-67936-1 [9] DGZfP-Fachausschuss Schallemissionsprüfverfahren (2018) Kompendium Schallemissi-onsprüfung Acoustic Emission Testing (AT) Grundlagen, Verfahren und praktische An-wendung, https: / / www. dgzfp.de/ Portals/ 24/ PDFs/ FA/ KompendiumAT. pdf? ver=2Gy42PciomZDpPJRSZNq4g%3d%3d (abgerufen am 17.5.2022) 5. Brückenkolloquium - September 2022 555 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Begleituntersuchungen mit moderner Sensorik und zerstörungsfreier Prüfung PD Dr. rer. nat. Ernst Niederleithinger Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin Dr.-Ing. Falk Hille Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin Dipl.-Ing. Detlef Hofmann Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin Dr.-Ing. Thomas Kind Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, Berlin Zusammenfassung Die B1 Brücke am Altstädter Bahnhof in Brandenburg an der Havel wurde im Dezember 2019 aufgrund von während einer turnusmäßigen Inspektion entdeckten Rissen und Hohlstellen entlang der vorgespannten Längsträger gesperrt und im Mai 2021 abgebrochen. In der Zwischenzeit wurde die Brücke detailliert überwacht. Vor dem Abriss wurden zudem umfangreiche Untersuchungen zur Bestandsaufnahme und Schadensanalyse sowie Tests moderner Sensorik vorgenommen. Dabei konnte sowohl die richtige, zuvor nicht sicher bekannte Anzahl von Spanngliedern in den Querträgern sicher ermittelt werden als auch durch moderne Varianten der Schwingungsmessungen und der faseroptischen Sensorik zusätzliche Kenntnisse püber das Bauwerksverhalten ermittelt werden . In dem Beitrag werden die Verfahren mit ihren Möglichkeiten und Grenzen vorgestellt, die Ergebnissee an der Brücke in Brandenburg erläutert und zukünftige Einsatzmöglichkeiten diskutiert. 1. Einführung Die B1 Brücke am Altstädter Bahnhof in Brandenburg an der Havel wurde im Dezember 2019 aufgrund von während einer turnusmäßigen Inspektion entdeckten Rissen und Hohlstellen entlang der vorgespannten Längsträger gesperrt und im Mai 2021 abgebrochen. In der Zwischenzeit wurde die Brücke detailliert überwacht. Vor dem Abriss wurden zudem umfangreiche Untersuchungen zur Bestandsaufnahme und Schadensanalyse sowie Tests moderner Sensorik vorgenommen. Diese Arbeiten wurden durch dass BMVI gefördert und durch die Landestraßenverwaltung Branbdenburg koordiniert. Die Brücke und das Hauptprojekt werden in diesem tagungsband im Beitrag von Kaplan et al. Im Detail vorgetellt. Weitere Beiträge zu dieser Tagung von Kaplan et al., Ebell et al. und Pirskawetz et al. behandeln die Dauerüberwachung auf Spanndrahtbrüche mit der Schallemissionsanalyse und das Tragwerksverhalten. Dieser Beitrag fokussiert auf die sonstigen im Projekt eingesetzten Messmethonden. Mit dem Radar sollte die Anzahl der Spannglieder in den Querträgern geklärt werden, da frühere Betrachtungen unschlüssig geblieben waren. Die faseroptische Sensorik sollte die Untersuchungen zum Tragwerksverhalten nach Spanndrahtbrüchen unterstützen. Zudem war zu prüfen, ab sich auch akustische Ereignisse zuverlässig aufzeichnen lassen. Zudem wurde die Chance dieses Großversuchs genutzt, um die Sensitivität eine modernen Variante der schwingunguntersuchung zu prüfen. 556 5. Brückenkolloquium - September 2022 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel 2. Messtechnik und Ergebnisse 2.1 Lokalisierung von Spannkanälen mit Radar 2.1.1 Messprinzip und Grundlagen Für eine zerstörungsfreie Ortung von Spanngliedern wird in der Praxis sowohl das Radarals auch das Ultraschallverfahren eingesetzt. Das Ultraschallverfahren ermöglicht Spannglieder in einer größeren Tiefe im Bauwerk zu orten, ist aber in der Durchführung deutlich zeitintensiver als das Radarverfahren. Bei den Untersuchungen der Brücke Altstädter Bahnhof hat sich sehr früh gezeigt, dass das Radarverfahren bezüglich der Eindringtiefe ausreichend für die Ortung der Spannglieder ist, weshalb hier im Weiteren nicht auf das Ultraschallverfahren eingegangen wird. Bild 1: Varianten 1 (oben) und 2 (unten) der Bewehrungspläne. Beim Radarverfahren im Bauwesen [1][2] handelt es sich um eine zerstörungsfreie Untersuchungsmethode zur Aufklärung der inneren Struktur von Bauwerken. Das Verfahren basiert auf dem Aussenden und der freien Ausbreitung von elektromagnetischen Wellen in einem Bauteil und dem anschließenden Empfang von Reflexionen. Diese Reflexionen entstehen an inneren Strukturen von Bauteilen, wie z. B. metallischer Bewehrung von Stahlbeton, luftgefüllten Hohlräumen oder Schichtgrenzen. Die Lokalisierung von Spanngliedern ist eine häufige und in der Regel erfolgreich Anwendung des Verfahrens [3][4]. Für eine einfache Messung wird ein Antennensystem bestehend aus Sende- und Empfangsantenne auf der Bauteiloberfläche mit der Hand entlang einer Linie geführt. An dem Radargerät werden die aufgenommenen Messdaten als Radargramm dargestellt und zeigen die Reflexionen der ausgesendeten Impulswelle, die an den inneren Strukturen, wie z. B. an Bewehrung oder einer Rückwand entstanden sind. Bei einfachen Bauteilen lassen sich anhand von typischen Reflexionsmustern (z. B. Reflexionshyperbeln) die Lage und Einbautiefe einer Bewehrung bestimmen. Bei komplexeren Bauteilen werden flächige Messungen entlang einer Vielzahl von parallelen Linien durchgeführt. Diese Messdaten werden anschließend als dreidimensionaler Datensatz bearbeitet. Bei der Bearbeitung des dreidimensionalen Datensatzes werden die Orte der Reflexionen rekonstruiert. Anhand des Datensatzes lassen sich die Lage und der Verlauf von z. B. vorgespannter Bewehrung ermitteln, indem Schnitte parallel (Tiefenschnitte) oder senkrecht (Querschnitte) zur Bauteiloberfläche aus dem Datensatz erzeugt werden. Ziel der Untersuchung war die Bestimmung der tatsächlichen Ausführung der vorgespannten Bewehrung in den fünf Querträgern der Brücke. Laut Bestandsunterlagen der Brücke gibt es zwei voneinander abweichende Varianten der vorgespannten Bewehrung (Bild 1) und es war nicht bekannt, welche dieser Varianten beim Bau der Brücke tatsächlich ausgeführt wurde. Die beiden Varianten der Bestandsunterlagen (Bewehrungspläne) des Querträgers D unterscheiden sich in der Anzahl der Spannglieder, der Anzahl der Spanngliedlagen und im Verlauf innerhalb des Querträgers. Im Folgenden werden die wesentlichen Merkmale der beiden Varianten der Bestandsunterlagen (Bild 1) beschrieben, um Unterscheidungsmerkmale für die zerstörungsfreie Untersuchung festzulegen. Der Querträger hatte einen Querschnitt von 2,4 m x 1,0 m (Breite x Höhe) und eine Länge von ca. 28 m. Der Querträger war von außen nicht zu erkennen. Die Lage der Schwerachse konnte anhand der Stützen ermittelt werden. Die Bestandsunterlagen der Variante 1 zeigen im Querträger D insgesamt 23 Spannglieder verteilt auf drei Lagen. Auf der Brückenunterseite verliefen acht nebeneinander liegende Spannglieder entlang der langen Achse des Querträgers D. Die obere und mittlere Spanngliedlage war in der Mitte des Querträgers unterbrochen. Die Bestandsunterlagen der Variante 2 zeigen zwei Lagen Spannglieder mit insgesamt 24 Spanngliedern, die alle ununterbrochen entlang der gesamten Länge des Querträgers verliefen. Auf der Brückenunterseite der Variante 2 verliefen insgesamt 14 nebeneinander liegende Spannglieder entlang der langen Achse des Querträgers D. Zwei wesentliche Unterscheidungsmerkmale der beiden Varianten sind die Anzahl der unteren Spannglieder (Variante 1: 8 Spannglieder; Variante 2: 14 Spannglieder) und der Verlauf dieser Spanngliedlagen von der Mitte der Längsachse des Brückenträgers hin zu den Stützen. In der Variante 1 verläuft die untere Spanngliedlage in einem längeren Bereich horizontal und steigt erst kurz vor der Stütze steil an. Dagegen steigt die untere Spanngliedlage der Variante 2 von der Mitte des Querträgers kontinuierlich bis zur Oberseite im Bereich der Stützen an. Es wurde festgelegt die Untersuchung auf der Brückenunterseite durchzuführen. Bis auf den Bereich der zwei Stützen war die Unterseite des Querträgers vollständig zugänglich und in beiden Varianten verlaufen die Spannglieder in einem langen Bereich, in dem die Spannglieder mit dem Radarverfahren geortet werden können. Die Messflächengröße betrug 6 m x 3,2 m. Die lange Achse der Messfläche stimmte mit der langen Achse des Querträgers überein. Und die Messfläche begann an der 5. Brückenkolloquium - September 2022 557 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Brückenlängsachse und erstreckte sich auf 6 m in Richtung der nördlichen Stütze des Querträgers D. Die Breite der Messfläche von 3,2 m war ausreichend, um die vollständige Breite des Querträgers (2,4 m) und Teile des Hohlkasten zu erfassen. 2.1.2 Messdaten und wesentliche Ergebnisse Die Radarmessung wurde mit Hilfe eines Hubsteigers auf der Unterseite der Brücke durchgeführt (Bild 4). Für die Radarmessung wurde eine Antenne mit einer Signalmittenfrequenz von ca. 2 GHz verwendet. Die Antenne wurde per Hand entlang von Linien, die parallel zur langen oder kurzen Seite der Messfläche lagen, geführt. Die Linien hatten jeweils einen Abstand von 10 cm zueinander. Insgesamt wurde die Messfläche in einem regelmäßigen Gitter bestehend aus 33 langen Linien (6 m) und 61 kurzen Linien (3,2 m) mit der Antenne abgefahren. Die aufgenommenen Radardaten wurden am Computer bearbeitet, so dass anschließend ein dreidimensionaler Datensatz für die Lagebestimmung der Bewehrung vorlag. Ein wesentlicher Verarbeitungsschritt der Radardaten ist die Rückrechnung der aufgenommenen Reflexionen auf die jeweiligen Reflexionszentren der Bewehrung. Bild 2: Querschnittsbild durch den Querträger D und die angrenzenden Hohlkästen. Das Bild wurde aus den Radardaten rekonstruiert. Bild 3: Durchführung der Radarmessung von einem Hubsteiger. Dieser Bearbeitungsschritt wird als Rekonstruktion bezeichnet. Dabei ist zu beachten, dass z. B. Bewehrung im Querschnitt als rundes Reflexionszentrum dargestellt wird, dass aber der Durchmesser dieses Reflexionszentrum nicht mit dem tatsächlichem Bewehrungsdurchmesser übereinstimmt. Physikalisch ist eine geometrische Abbildung des Bewehrungsquerschnittes nicht möglich, da die mittlere Wellenlänge des Radars um ein Vielfaches größer ist als der Bewehrungsdurchmesser. Details wie der Bewehrungsdurchmesser lassen sich deshalb mit dem Radarverfahren nicht bestimmen. Die Lage und der Verlauf von Bewehrung lässt sich aber sehr gut anhand von Schnitten durch den dreidimensionalen Datensatz bestimmen. Der dreidimensionale Datensatz wurde in verschiedenen Schnitten für die Auswertung herangezogen. Z. B. kann eine Reihenfolge von Schnitten betrachtet werden, die parallel zur Messfläche liegen, den sog. Tiefenschnitten. Es kann aber auch eine Reihenfolge von Schnitten betrachtet werden, die quer zur langen Achse des Querträgers liegen. Mit diesen Schnittfolgen kann der Verlauf der Spannglieder sehr gut ermittelt werden. Ein einzelner Schnitt dieser Reihenfolge ist in Bild 3 dargestellt. Der Schnitt verläuft parallel zur Brückenlängsachse und ist 2,7 m von dieser Achse entfernt. In diesem mit dem Radarverfahren rekonstruierten Querschnittsbild des Querträgers D sind 14 Spannglieder mit grünen Pfeilen gekennzeichnet. Die Spannglieder wurden anhand ihres aufsteigenden Verlaufes aus der Reihenfolge der Schnitte bestimmt. Die Betondeckung der Spannglieder beträgt hier etwa 20 cm. Weitere Bewehrungsstäbe mit einer geringeren Betondeckung sind zusätzlich zu sehen. Neben der Bewehrung sind auch die Reflexionen von der Innenseite des Hohlkasten zu sehen. Die Wandstärke der Hohlkastenunterseite beträgt etwa 25 cm. 2.1.3 Zwischenfazit Die zerstörungsfreie Ortung der Spannglieder an der Brücke Altstädter Bahnhof hat ergeben, dass die alleinige Anwendung des Radarverfahrens ausreichend war, um sicher zu bestimmen, welche Bestandunterlagen die zutreffende Umsetzung beinhalteten. Voraussetzung für die sichere Bestätigung der Bestandunterlagen mit Hilfe der zerstörungsfreien Prüfung war die Entwicklung eines stufenweisen und geplanten Vorgehens. Die einzelnen Schritte des Vorgehens bei der Bestätigung der Bestandsunterlagen mit Hilfe der zerstörungsfreien Prüfung waren: • Festlegung der möglichen Messstellen: Die zerstörungsfreien Ortungsverfahren können nur sinnvoll angewendet werden, wenn die Spannglieder in einem Bereich liegen, in dem die üblichen Detektionstiefen von Radar (< 0,5 m) und Ultraschall (< 1,5 m) noch nicht überschritten werden. • Festlegung der Unterscheidungsmerkmale: Für die beiden Varianten der Bestandsunterlagen wurde die Anzahl der Spannglieder der unteren Spanngliedlage und der Verlauf der unteren Spanngliedlage festgelegt. Der Verlauf der Spanngliedlage als weiteres 558 5. Brückenkolloquium - September 2022 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Unterscheidungsmerkmal ist sinnvoll, da Verwechslungen mit der einfachen Bewehrung vermieden werden können. • Festlegung der Art der Messung: Es wurden flächige Messungen geplant, um die Auswertung mit einem dreidimensionalen Datensatz durchführen zu können. Zusätzlich war auch geplant, die Spannglieder mit zwei unterschiedlichen Antennenpolarisationen zu überfahren, um eine bessere Unterscheidung der Spannglieder von der einfachen Bewehrung anhand ihrer Reflektivität in Abhängigkeit von der Antennenpolarisation und dem Bewehrungsquerschnitt zu ermöglichen. Diese Ergebnisse wurden hier nicht gezeigt, da anhand des Verlaufs der Spannglieder diese eindeutig geortet und von schlaffer Bewehrung unterschieden werden konnten. • Feststellung der Ortungsverfahren: Anhand der eindeutigen Ergebnisse der Vor-Ort-Auswertung der Radarmessung war eine Anwendung des aufwendigeren Ultraschallverfahren nicht notwendig Die Durchführung der notwendigen Untersuchungen mit dem Radarverfahren konnte innerhalb eines Tages durchgeführt werden. Schon vor Ort konnte anhand einer ersten Durchsicht der Messergebnisse die Variante 2 der Bestandsunterlagen bestätigt werden. Eine anschließende ausführliche Auswertung aller Radardaten bestätigte dieses Ergebnis. Die Anwendung von zerstörungsfreien Prüfmethoden, wie das Radar- und Ultraschallverfahren, kann deshalb helfen, Fehlentscheidungen aufgrund von falschen Bestandsunterlagen frühzeitig zu vermeiden. 2.2 Monitoring mit Schwingungsmessungen Ziel des Schwingungsmonitorings im Rahmen des zerstörenden Versuches war nicht das Erfassen einzelner, künstlich induzierter Spanndrahtbrüche, wie dies bspw. beim Einsatz von schallemissions-basierten Verfahren der Fall ist. Vielmehr diente der Einsatz des Schwingungsmonitorings an der B1 Brücke am Altstädter Bahnhof Brandenburg dem Ziel, den sich aus dem Spanndrahtversagen ergebenen Strukturschaden (Rissbildung) in einem frühen Stadium durch ein universell einsetzbares Monitoringsystem zu erkennen. Dazu wurde als Pilot das neuartige SSDD Schadensdetektionsverfahrens [5] unter Verwendung neuartiger und konventioneller Sensorik eingesetzt. Besonders die durch das an der Brücke eingesetzte Spannblockverfahren bedingten sehr hohen Vorspannkräfte stellten in Frage, ob das Durchtrennen weniger Spanndrähte zu einer relevanten Rissbildung führt, die Auswirkungen auf die Steifigkeit des Tragwerks haben und so eine schwingungsbasierte Schadensdetektion generell möglich sein würde. 2.2.1 Messprinzip und Grundlagen Als Schwingungsmonitoring wird die messtechnische Erfassung des Schwingverhaltens einer Struktur bezeichnet, um aus Veränderungen in diesen dynamischen Eigenschaften auf dafür ggf. ursächliche Schäden zu schließen. In der praktischen Anwendung an großen Tragwerken wie Brücken ist eine Schadenserkennung durch Schwingungsmonitoring nicht trivial, da die interessierenden Veränderungen in den dynamischen Eigenschaften im Verhältnis zu Störeinflüssen aus der Umgebung (Verkehr, Umwelteinflüsse, etc.) oft zu klein sind. Im Rahmen des hier beschriebenen zerstörenden Versuchs wurde ein neuartiges Verfahren zur schwingungsbasierten Schadenserkennung in der Praxis getestet. Das als Stochastische Subspace-basierte Schadensdetektion (SSDD) bezeichnete Verfahren analysiert dabei nicht direkt die modalen Kenngrößen eines Bauwerks (Eigenfrequenzen, Modalformen, Dämpfungsparameter). Es erfasst mittels statistischer Tests Veränderungen in einem spezifischen Residuum, dass mittels statistischer Verfahren aus den gemessenen Zeitverläufen der Schwingungsgröße (Beschleunigungen, Schwinggeschwindigkeiten) der beteiligten Sensoren errechnet wurde. Untersuchungen an Labor- und Teststrukturen sowie auch an einer Straßenbrücke ergaben bereits vielversprechende Ergebnisse, der Nachweis der Funktionalität an einer sehr steifen und damit nicht schwingungsanfälligen Brücke stand aber noch aus. Gleichzeitig wurde der testweise Einsatz von neuartiger mikroelektromechanischer Sensortechnik (MEMS) geplant, um deren Funktionalität unter realen Bedingungen zu untersuchen. MEMS-Beschleunigungssensoren sind gegenüber klassischen Schwingungssensoren sehr viel preiswerter und damit der Einsatz großer Stückzahlen zur Dauerüberwachung von Brückenbauwerken möglich. Je höher die Anzahl Sensoren, desto mehr Informationen über das Schwingverhalten können in die Analyse zur Schadenserkennung integriert werden, was schlussendlich eine frühzeitige Schadenserkennung erlaubt. 2.2.2 Messstellenplan und Konzept Prinzipiell sollte getestet werden, ob bzw. wie sensitiv eine schwingungsbasierte Schadensdetektion ohne a priori Kenntnis über den Schadensort mit einem groben MEMS-Sensornetz möglich ist. Für den Fall eines Nichterreichen dieses Maximalziels wurden zusätzlich Messstellen in der Umgebung der Schädigung angeordnet. So wurden 9 MEMS-Sensoren regelmäßig über die Brücke verteilt und weitere 7 MEMS-Sensoren in der Umgebung der beiden Schädigungsstellen. Limitierender Faktor für die Anzahl der MEMS-Sensoren war auch die durch das Messgerät vorgegebene maximale Anzahl von 16 Messkanälen. Der Messstellenplan ist in Bild 5 dargestellt. 5. Brückenkolloquium - September 2022 559 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Bild 4: Messstellenplan Schwingungsmonitoring Für den Einsatz an der Brücke Brandenburg wurden 16 Low-Cost 3D MEMS Sensoren des Herstellers Analog Devices vom Typ EVAL-ADXL354BZ mit einer Empfindlichkeit 400 mV/ g bei +/ -2 g Messbereich angeschafft und konfektioniert (Bild 5). Bild 5: 3D MEMS-Beschleunigungssensor AD EVAL- ADXL354BZ, links Einzelsensor, rechts verbaut auf einem Träger in einem Schutzkasten Da es sich bei dem zerstörenden Versuch um eine Erstanwendung von MEMS-Beschleunigungssensoren an realen Bauwerken handelte, sollten die Messeigenschaften der MEMS- Sensoren mit denen konventioneller Sensoren verglichen und damit gleichzeitig eine Redundanz in der Sensortechnik realisiert werden. Dazu wurden in den Positionen der 16 MEMS-Sensoren gleichfalls 16 Geophone vom Typ HS-10 des Herstellers GeoSpace appliziert, wie in Bild 6 zu sehen. Zusätzlich wurde die Lufttemperatur unter der Brücke (verschattet) mittels Thermokoppler-Sensors gemessen. Es kamen zwei 16-kanälige Messgeräte vom Typ Cronos des Herstellers IMC zeitsynchronisiert zum Einsatz. Die Abtastung der Zeitverläufe der Schwingungen erfolgte in einer Frequenz von f a = 1000 Hz, die der Temperatur von f a = 1 Hz. Bild 6. Messstelle auf der Brücke mit einem MEMS- Sensor, einem Geophone und Kabeltrommel 2.2.3 Messdaten und wesentliche Messergebnisse Messung: Der Start der Messung erfolgte drei Tage vor Beginn der zerstörenden Versuche am 20. April 2021 gegen 13 Uhr, um eine umfassende Aufnahme des ungeschädigten Referenzzustandes des Bauwerks zu realisieren. Dies sollte über einen möglichst großen Zeitraum erfolgen, um gewöhnliche Variationen des Schwingverhaltens durch äußere Einflüsse in einer Art Lernphase zu erfassen. Ein längerer Zeitraum hätte zu einem verbesserten Lernergebnis geführt. Aufgrund des relativ leichten Zugangs zur Sensortechnik und der damit verbundenen potentiellen Gefahr von Vandalismus wurde der Messzeitbereich minimiert. Die Messung wurde am 26. April 2021 gegen 13 Uhr beendet. Erläuterungen zur SSDD: Prinzipiell kann das SSDD Verfahren in Bezug auf die statistische Verarbeitung der Messdaten in drei Phasen eingeteilt werden. Dazu wurden die Messdaten in 60 Sekunden-Datensätze fragmentiert. In einer ersten „Referenz“-Phase wird das Schwingungsverhalten im ungeschädigten, also Referenzzustand erfasst und in einem vektorartigen Residuum abgelegt. In einer zweiten „Lern“-Phase werden im weiterhin ungeschädigten Zustand die Variationen dieses Residuums durch äußere Einflüsse bestimmt und in Form einer Residuenkovarianzmatrix abgelegt. In der abschließend folgenden „Test“-Phase werden im anfangs ungeschädigten, später geschädigtem Zustand die Datensätze nacheinander verarbeitet und mittels statistischem χ²-Test überprüft, ob eine Änderung in der Schwingcharakteristik stattfand. Auswertung I - Nutzung aller Messdaten (Geophone): Zur Bestimmung einer entsprechenden Vergleichsbasis für die MEMS-Sensorik wurden als erstes die mittels hochempfindlicher Geophone aufgezeichneten Schwinggeschwindigkeitsverläufe analysiert. Die Auswertung wurde mit 15 Geophonen durchgeführt. Es wurden sämtliche 8640 Datensätze in die Auswertung einbezogen. Zur Bestimmung des Residuums in der Referenzphase wurden fünf Datensätze in der Zeit zwischen 20.04. 20: 51 Uhr und 20: 55 Uhr verwendet. Die Lernphase nutzt 955 Datensätze vom 20.04. 13: 00 Uhr bis 21.04. 04: 59 Uhr (mit Ausnahme der fünf Datensätze der Referenzphase). Damit werden Störanregungen aus LKW-Verkehr und dem schienengebundenen Personennahverkehr sowie zum Teil auch die aus den bereits erwähnten Bauaktivitäten berücksichtigt. Die Testphase, in der die Schwingungsverläufe in Bezug auf mögliche Veränderungen ausgewertet werden, verlief durchgehend vom 21.04. 05: 00 Uhr bis 26.04. 13: 00 Uhr. Dabei wurden fortlaufend 560 5. Brückenkolloquium - September 2022 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel 7860 Datensätze ausgewertet und mittels χ²-Test ein skalarer Schadensindikator bestimmt. Der Verlauf des Schadensindikators über die 7860 min (= 5 d + 8 h) ist in Bild 7 dargestellt. Unschwer lässt sich erkennen, dass äußere Einflüsse das Schwingungsverhaltenen der Brücke sehr signifikant beeinflussen und eine Erkennung ggf. eingetretener Steifigkeitsverluste durch das Durchtrennen von Spanndrähten so nicht möglich ist. Das Durchtrennen erfolgte dabei ungefähr zwischen den Datensätzen 3480 - 3660 (23.04.2021), 4800 - 5040 (24.04.2021) und 6300 - 6540 (25.04.2021). In diesen Zeiträumen sind hohe Werte des Schadensindikators erkennbar, was auf die Störeinflüsse der Sägearbeiten und Umgebungseinflüsse zurückzuführen ist. Bild 7: Verlauf SSDD Schadensindikator für 60-Sekunden-Datensätze (Geophone) und kontinuierlicher Monitoringphase in einer ersten Übersichtsuntersuchung Auswertung II - Nutzung ausgewählter Messdaten mit geringer Schwingungsintensität (Geophone): Der Umstand des starken Einflusses äußerer Störanregungen ließ darauf schließen, dass nur eine spezifische Auswertung unter Nichtberücksichtigung der Zeitbereiche mit Störungen zu dem Ziel führten, Schäden zu detektieren. Natürlich auch nur, insofern Schäden im Sinne von Veränderungen physikalischer Größen des Tragwerks denn überhaupt durch das sukzessive Durchtrennen der Spanndrähte induziert wurden. Deshalb wurde die Auswertung auf den Zeitbereich zwischen 0 Uhr und 5 Uhr reduziert und für die Testphase auch nur Datensätze selektiert, die eine geringe Schwingamplitude enthielten, bei denen die Brücke maximal durch PKW-Verkehr angeregt wurde. Für die Referenzphase wurden die gleichen fünf Datensätze in der Zeit zwischen 20.04. 20: 51 Uhr und 20: 55 Uhr verwendet. In der Lernphase wurden 300 Datensätze vom 21.04. 00: 00 Uhr bis 21.04. 04: 59 Uhr verarbeitet. In der Testphase wurden 798 ausgewählte Datensätze vom 22.04. bis 26.04., jeweils zwischen 00: 00 Uhr und 05: 00 Uhr zur Berechnung des Schadensindikators eingesetzt. Dabei stand aufgrund der Auswahlkriterien eine verschieden große Anzahl von Datensätzen pro Nacht zur Verfügung. Bild 8: Verlauf SSDD Schadensindikator, Geophone, Auswahl Daten mit geringen Schwingungsamplituden - vom 22.04. bis zum 26.04., nachts zwischen 0 und 5 Uhr Bild 8 zeigt den Verlauf des Schadensindikators für diese spezifische Auswertung. Dabei wurden die aufeinanderfolgenden Tage mit unterschiedlicher Farbcodierung und verschiedenartigem Marker dargestellt. Auffällig sind zwei signifikante Sprünge zwischen dem 24. und 25.04. sowie zwischen dem 25. und 26.04., die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf sich am jeweiligen Vortag eingestellte Schäden zurückzuführen sind. Gründe für die auffälligen Streuungen am Fr. den 23.04. sind unklar, ggf. sind sie mit Rangiertätigkeiten auf dem Güterbahnhof zu erklären. Einfluss der Temperatur: Während der gesamten Messung wurde der Verlauf der Lufttemperatur im abgeschatteten Bereich unter der Brücke aufgezeichnet (Bild 9, oben). 5. Brückenkolloquium - September 2022 561 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Bild 9: Oben: Temperaturverlauf über den gesamten Zeitbereich der Messung, unten - Verlauf Schadensindikator und Temperatur vom 22.04. bis zum 26.04., nachts zwischen 0 und 5 Uhr Um den Einfluss auf das Schwingungsverhalten und damit auf die Schadensdetektion qualitativ bewerten zu können, wird in Bild 9 unten der Verlauf des Schadensindikators und der Temperatur in einem Diagramm dargestellt. Bei der Bewertung muss berücksichtigt werden, dass die Änderung der Bauwerkstemperatur, gegenüber der der Lufttemperatur verzögert und mit deutlich geringeren Amplituden verläuft, so dass die Zunahme der Schadensindikation von der Temperatur abmindernd und nicht verstärkend beeinflusst wird, was eine erfolgreiche Schadensdetektion bestätigt. Auswertung III - Messdaten aus MEMS Beschleunigungssensoren: Die Vorauswertung der Messsignale ergab bereits eine deutliche Untersteuerung der Signale bei ausbleibender Anregung der Brücke durch Fahrzeugverkehr. Damit wurde erkennbar, dass die Sensitivität der gewählten MEMS Sensoren für diese recht steife Tragstruktur nicht ausreichend hoch war. Bild 10 zeigt die Schwierigkeit auf, die auf der Basis von mittels MEMS Sensoren gemessenen Beschleunigungen eine Schädigung zu detektieren. Auch hier dominieren die durch äußere Einwirkungen gestörten Schwingungsverläufe während der Arbeiten an der Brücke (vgl. Bild 10 oben). Aber auch bei Nutzung nur ausgewählter Datensätze ohne Störgeräusche ist eine Schadensdetektion nicht möglich (vgl. Bild 10 oben). Bild 10: Verlauf SSDD Schadensindikator, MEMS, kontinuierliche Monitoringphase über 5 Tage und 8 Stunden (links) sowie mit ausgewählten Messdatensätzen jeweils zwischen 0 Uhr und 5 Uhr (rechts). 2.2.4 Zwischenfazit Als Zwischenfazit in Bezug auf die Auswertung der Schwingungsmessungen können mehrere Aussagen getroffen werden. • Mit dem Schwingungsmonitoring und einem nachgeschalteten schwingungsbasierten Schadensdetektionsverfahren konnte eine sich nach dem Durchtrennen von Spanndrähten eingestellte Veränderung in der Schwingungscharakteristik der Brücke festgestellt werden. Diese ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Rissschäden und damit auf einen Verlust an struktureller Integrität des Tragwerks zurückzuführen (Bild 9). • Die vielen verschiedenen Bau-, Abbruch- und Vorbereitungsaktivitäten wie bspw. Spundwandvibrationsrammen, Fräs-, Bohr- und Stemmarbeiten etc, haben die Schwingungssignale signifikant beeinflusst und eine Auswertung erschwert. Hier wäre es von Vorteil gewesen, bereits deutlich früher, also in „ruhigeren“ Zeiten mit der Aufnahme von Schwingungsdaten für die Referenz zu beginnen. • Werden zur Berechnung des Schadensindikators Messungen mit den empfindlicheren Geophonen verwendet und nur Datensätze, die geringe Schwingungsamplituden und damit keine Störanteile enthalten 562 5. Brückenkolloquium - September 2022 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel (vornehmlich nachts), ist der Anstieg des Schadensindikators und damit die Entwicklung eines Schadens nachweisbar. Eine Verursachung des Anstiegs durch unterschiedliche Temperaturen zu den jeweiligen Zeitpunkten konnte nachweislich ausgeschlossen werden. • Die gewählten MEMS Beschleunigungssensoren hatten keine ausreichend hohe Sensitivität, so dass sie nicht zur Schadensdetektion herangezogen werden konnten. Hier sind noch weitere Untersuchungen an Laborstrukturen zur Konkretisierung der Einsatzgrenzen im Schwingungsmonitoring von Brückenbauwerken erforderlich und ggf. andere MEMS Technik auszuwählen. Die Auswertung des Datenbestandes ist noch nicht abgeschlossen. Untersuchungen zum Einfluss der Datensatzlänge (z.B. 30s, 60s, 120s - Datensätze) etc. sind noch nicht durchgeführt worden. Weiterhin ist Teil der Zielstellung zu analysieren, mit welcher Anzahl und welcher Positionierung der Sensoren eine Schadensdetektion möglich ist, wenn der Schadensort a priori nicht bekannt ist. 2.3 Monitoring mit faseroptischer Messung 2.3.1 Messprinzip und Grundlagen Faseroptische Messverfahren werden zunehmend für Monitoringaufgaben verwendet. Sie ergänzen herkömmliche Sensorsysteme aufgrund einer Vielzahl von Vorteilen besonders unter kritischen Bedingungen. Während bisher vorwiegend lokale punktförmige Sensoren einzeln oder als Array eingesetzt wurden, bietet die verteilte faseroptische Sensorik die attraktive Möglichkeit, die Faser selbst als Sensor zu nutzen. Erstmalig wurde im Rahmen des hier thematisierten umfangreichen Versuchsprogramms zur Verifizierung des Schadensbilds von Brückenbauwerken eine Kombination dreier verschiedener faseroptischer Messsysteme zur Aufnahme von Dehnungs- und Temperaturprofilen, zur akustischen Schadenserkennung und zur Detektion von Rissereignissen eingesetzt. Zur Aufnahme von Dehnungs- und Temperaturprofilen diente ein Neubrescope der Fa. Neubrex, dass durch die Kombination von Brillouin- und Rayleigh-Rückstreuverfahren Dehnung und Temperatur innerhalb einer Standardglasfaser unabhängig und ortsaufgelöst aufnehmen kann [6]. Die Detektion von Rissereignissen auf der Betonoberfläche erfolgte über ein optisches Rückstreureflektometer OBR 4600 [7], dass die Rayleigh-Rückstreuung mittels eines durchstimmbaren Lasers im Frequenzbereich misst und neben dem Vorteil der verteilten Dehnungs- und Temperaturmessung eine gute Ortsauflösung bietet. Für die akustische Schadenserkennung wurde ein modifiziertes experimentelles Gerät zur verteilten akustischen Sensorik aus einer Eigenentwicklung eingesetzt. Dieses basiert auf der Detektion von Phasenverschiebungen des rückgestreuten Lichts (φ-OTDR), wodurch akustische Signale über große Distanzen erfasst werden können [8][9]. 2.3.2 Messstellenplan und Konzept Ziel der Untersuchungen ist es, mit zerstörungsfreien verteilten faseroptischen Messverfahren Bauwerksschädigung im Rahmen einer definierten Schädigung des Bauwerks zu detektieren und somit die Einsatzmöglichkeiten dieser Messverfahren für das Monitoring von Bauwerken zu evaluieren. Hierzu wurden entsprechend der Abstimmung mit den anderen Beteiligten faseroptische tight-buffered Sensorfasern und -kabel für den Teilversuch I am Längsträger 4 in einem Abstand von ca. 9,0 m und für den Teilversuch II am Längsträger 8 in einem Abstand von ca. 12,0 m symmetrisch mäanderförmig um die Trennschnittstelle appliziert. Weitere Sensorfasern für die Dehnungs- und Risssensorik sowie für die verteilte akustische Sensorik wurden linear als Schleife auf der Brückenober- und -unterseite bis ca. 20 m von der Trennschnittstelle entfernt auf der westlichen und ca. 15 m von der Trennschnittstelle entfernt auf der östlichen Brückenseite geklebt. Die Montage erfolgt mit elastischem Hybridpolymer-Klebstoff, da die Glasfasern nur eine begrenzte Bruchfestigkeit aufweisen und Risse schnell zum Versagen der Faser führen können. Um das parallele Messen der drei einzelnen Messverfahren zu ermöglichen, ist für jedes eine gesonderte Messfaser nötig. Die Anordnung der Messstellen ist schematisch in Abbildung 5.5a dargestellt. Bild 11: Messstellenplan für die verteilte faseroptische Sensorik. Für das Neubrescope ist eine Sensorfaser im Bereich der Mäander vorgesehen. Gemessen wurden auf Grund der langen Messzeiten in den Pausen zwischen den Sägeschnitten. Mittels Rückstreureflektometer OBR 4600 erfolgten die Messungen ebenfalls bei Stillstand der Säge, da Vibrationen das Messergebnis stark verfälschen. Aufgenommen wurden die Daten sowohl im Bereich der mäanderförmig verlegten Sensorfasern als auch in den gerade verlegten Fasern oberhalb und unterhalb der Brücke. Das System für die verteilte faseroptische Sensorik (DAS) nahm wie das OBR 4600 Daten aller Bereiche der Sensorfasern auf. Die Messwerte wurden für insgesamt ca. 30 Minuten jeweils während der Sägeschnitte und danach aufgenommen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 563 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Bild 12: Übersicht über die Messungen mit dem Neubrescope (Brillouin-Modus) im mäandrierten Sensorbereich beim Teilversuch 1. Die Längenangaben beziehen sich auf die Sensorfaserlänge. Bild 15: Aufgezeichnete Einzelereignisse des faseroptischen DAS-Systems für die verschiedenen Faserabschnitte in, unter und auf der Brücke während des Trennschnitts 4. Tabelle 1. Mit dem DAS-Messsystem aufgezeichnete Anzahl von Ereignissen in verschiedenen Frequenzbereichen im prozentualen Vergleich zur Schallemissionsanalyse. 564 5. Brückenkolloquium - September 2022 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Bild 15: Aufgezeichnete Einzelereignisse des faseroptischen DAS-Systems für die verschiedenen Faserabschnitte in, unter und auf der Brücke während des Trennschnitts 4.Messdaten und wesentliche Ergebnisse Tabelle 2. Mit dem DAS-Messsystem aufgezeichnete Anzahl von Ereignissen in verschiedenen Frequenzbereichen im prozentualen Vergleich zur Schallemissionsanalyse (Teilversuch II) 2.3.3 Messdaten und wesentliche Ergebnisse a. Teilversuch I - Bereich mit geringer Vorschädigung Für beide Teilversuche wurden die Dehnungen mit dem Neubrescope im Brillouin-Modus mit einer Ortsauflösung von 20 cm (Abstand zwischen der einzelnen Messpunkten 5 cm) aufgenommen. Ein Offset entlang der y-Achse entspricht der Temperaturänderung während der Dauer der Versuche (1 °C = 20 µm/ m). Die TW- COTDR-Messungen (Ortsauflösung: 10 cm, Abstand zwischen den einzelnen Mess-punkten: 5 cm) beziehen sich auf Referenzmessungen, die an den Messtagen jeweils vor den Versuchen durchgeführt wurden. In beiden Messmodi konnte die Zunahme der Dehnungen durch die entstehenden Risse verfolgt werden. Beim Rückstreureflektometer wurde für die Dehnungsauswertung ein 4 cm Abstand der einzelnen Messpunkte gewählt. Die folgenden Ausführungen zum Dehnungsverlauf beziehen sich vorwiegend auf die Ergebnisse dieser Messungen. Das DAS-System nahm Messwerte für ca. 30 Minuten je-weils während der Sägeschnitte und danach auf. Hierbei können über die gesamte Länge der Sensorfaser Vibrationen mit einer Frequenz von bis zu 40 kHz detektiert werden, Die Dehnungsmessungen über die gesamte Messzeit auf und unter der Brücke ergaben keine wesentlichen Veränderungen. Dehnungsänderungen im Bereich des Stellortes der Säge resultieren vorwiegend aus Veränderungen der lokalen Umgebungsbedingungen (Temperatur, Feuchtigkeit) und liegen im Bereich zwischen -100 µm/ m und +150 µm/ m. Während des Teilversuchs I wurden bereits nach dem Trennschnitt 2 erste Dehnungszuwächse am Mäander West nahe der Sägestelle festgestellt (Bild 12). Beim Trennschnitt 4 konnten gegen 16: 33 Uhr verstärkte akustische Aktivitäten im Schnittbereich festgestellt werden. Bereits davor ab Teilschnitt 3 und ab Teilschnitt 6 deutlich sichtbar, breiteten sich besonders im Mäander Ost Dehnungserhöhungen bis in die vom Schnitt entfernten Faserbereichen aus. Während des Teilschnitts 8 intensivierten sich die akustische Aktivität durch die Fortsetzung der Rissbildung im Mäanderbereich, die auch noch nach Teilschnitt 9 feststellbar waren. Die durch das faseroptische DAS- System aufgezeichnete Anzahl von Ereignissen sind in Tabelle 1 für verschiedene Frequenzbereiche ausgewiesen. Die Bild 15 zeigt beispielhaft den Zeitverlauf einer DAS-Messung. 5. Brückenkolloquium - September 2022 565 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel b. Teilversuch II - Bereich mit vermuteter Vorschädigung Die Dehnungsmessungen während des Teilversuchs II ergaben über die gesamte Messzeit auf und unter der Brücke keine wesentlichen Veränderungen. Da der Versuchsbereich vorgeschädigt war, konnten bereits nach dem ersten Trennschnitt Dämpfungserhöhungen in den drei ersten Mäanderabschnitten der östlichen und westlichen Fasersektionen festgestellt werden. Eine verstärkte Rissausbreitung wurde zwischen Trennschnitt 3 und 4 detektiert. Akustisch erfasste das DAS-System ab ca. 15: 00 Uhr (Trennschnitt 3) viele hörbare Risse (im unteren Frequenzbereich) vor dem Reißen des Stahls ebenso wie manuelle Aktivitäten im Brückenbereich. Tabelle 2 zeigt für den Teilversuch II die mit der herkömmlichen Schallemissionsanalyse gut vergleichbaren Ergebnisse des faseroptischen DAS-Systems sowie in Bild 16 ein Beispiel von detektierten Einzelereignissen. 2.4 Zwischenfazit Die beiden zur Dehnungs- und Rissensorik eingesetzten Messsysteme haben während der Versuchszeit zuverlässig gearbeitet und Messdaten aufgezeichnet. Das Messregime aller Messsysteme musste jedoch an die örtlichen Gegebenheiten angepasst werden. Besonders bei der Erfassung akustischer Messdaten mit dem DAS-System ist der benötigte Speicherumfang der Rohdaten bei Dauermessungen zu berücksichtigen, da eine anwendungsbezogene Datenreduktion noch nicht implementiert ist. Dies führte zu teilweise fehlenden Messdaten. Die Dehnungsmessungen mit dem Neubrescope zeigen die erwarteten Werte und mit dem System lässt sich eine Dauerüberwachung realisieren. Der Dehnungsverlauf über die Messstrecke kann im Rayleigh-Modus temperaturkompensiert dargestellt werden und Dehnungsüberhöhungen durch Risse lassen sich detektieren. Eine genaue Ortung ist auf Grund der Ortsauflösung von 20 cm bzw. 10 cm aber nicht möglich. Die Messdaten lassen sich online anzeigen und können nach Abschluss einer Einzelmessung interpretiert werden. Faseroptische DAS-Systeme sind genauso wie das Neubrescope für Messaufgaben mit langen Messstrecken konzipiert, bieten ein breites Anwendungsspektrum und vielseitige Analysemöglichkeiten. Durch den sehr hohen Datendurchsatz ist es für ein effektives Arbeiten aber notwendig, auf entsprechende KI-gestützte Auswertealgorithmen, die auf den Anwendungsfall zugeschnitten sind, zurückgreifen zu können. Die Anwendung zur Schallemissionsanalyse an Brücken war ein Sonderfall und entsprechend der Auswerteaufwand sehr hoch. Es konnte eine gute Übereinstimmung mit den Ergebnissen der konventionellen Schallemissionsmessung festgestellt werden. Zur Klassifizierung der Ereignisse, z. B. zur Detektion der Spanndrahtbrüche, sind weiterführende Untersuchungen nötig. Forschungsarbeiten zu verteilten faseroptischen akustischen Messsystemen werden in der BAM intensiv durchgeführt [11]. Für die verteilte Dehnungs- und Rissmessung ist das LUNA OBR, obwohl es vorwiegend für Laborarbeiten gedacht ist, gut geeignet. Allerdings ergeben sich auf Grund des hochauflösenden Messprinzips einige Aspekte, die zu beachten sind: Während des Messvorgangs führen Vibrationen auf der Faser (durch Bewegungen des Messobjekts, Windbelastung) zu Artefakten im aufgenommenen Dehnungsbzw. Temperaturverlauf. Ebenso kann der Bezug auf eine Referenzmessung nur über einen begrenzten Zeitraum gewährleistet werden. Aus diesen Gründen ist meist eine nachträgliche Berechnung des Dehnungs- und Temperaturverlaufs sinnvoll. Dies ist bei Nachfolgeentwicklungen, die für den industriellen Einsatz geeignet sind, weitestgehend gelöst [10]. Sämtliche im Einsatz befindlichen Messgeräte lassen sich kalibrieren bzw. besitzen eine interne Referenzquelle. 3. Schlussfolgerungen und Ausblick Durch Analyse der Unterlagen und den Einsatz des Radarverfahrens gelang es, die Frage nach der Bauart und der Azahl der Spannglieder eindeutig zu beantworten und noch zusätzlichen Informationen zum Bauwerk zu erhalten. Zur Unterstützung der Experimente zur Schadensanalyse und Tragwerksverhalten wurde faseroptische Dehnungssensorik eingesetzt. Diese Arbeiten wurden auch dazu genutzt, unterschiedliche Geräte und neuartige Messtechniken auf ihre Praxistauglichkeit zu überprüfen. Die erfolgreichen Experimenten zeigten beispielsweise, dass auch Schallereignisse wie Spanndrahtbrüche durch Faseroptik registriert werden können. Zusätzliche wurde die Brücke mit Vibrationssensorik, sowohl nach Stand der Technik mit Geophonen also auch mit innovativen MEMS-Beschleunigungsaufnehmern instrumentiert. Die Auswertung erfolgte dabei nicht klassisch über eine Modalanalyse, sondern mittels neu entwickleter statistischer Verfahren. Obwohl diese Methoden eher zur Detektion von globalen Änderungen im Tragwerksverhalten geeignet sind, konnten doch auch die durch die provozirerten Spanndrahtbrüche verursachten lokalen Schwächungen der betroffenen Längsträgerbereiche nachgewiesen werden. Alle drei vorgestellten Verfahrten ahben sich bei den Versuchen an der Brücke Altstädter Bahnhof in Brandenburg/ H. bewährt. Die nächsten Schritte für eine verstärkte Nutzung in der Praxis liegen in der Validierung für andere Fragestellungen, der Personalqualifikation und Standardisierung. 4. Danksagung Die hier beschriebenen Arbeiten werden vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (verantw. Prof. Gero Marzahn) gefördert . Die Koordination der Messungen mit den andern Teilprojektenlag beim Landesbetrieb Straßenwesen (Verantw. Herr Felix Kaplan). Allen betei- 566 5. Brückenkolloquium - September 2022 Überwachung der Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel ligten Kolleg: innen sei ausdrücklich für die hervorragende Zusammenarbeit gedankt. 7. Literatur [1] Merkblatt über das Radarverfahren zur Zerstörungsfreien Prüfung im Bauwesen. B10. Deutsche Gesellschaft für zerstörungsfreie Prüfung e. V. Ausgabe 2008. [2] Kind, Th., und Maierhofer, Ch.: Das Impulsradarverfahren - ein Verfahren zur zerstörungsfreien Strukturaufklärung in Bauwerken. Bauphysik-Kalender 2004. Ernst & Sohn 2004. [3] Kind, Th.; Feistkorn, S.; Trela, Ch. und Wöstmann, J., Impulsradar für schadensfreie Kernbohrungen an Spannbetonbrücken. Beton- und Stahlbetonbau 104 (2009), Heft 12, S. 876-881. [4] Kind, Th. und J. Wöstmann: Kombinierte Radar- und Ultraschalluntersuchungen zum schadfreien Kernbohren im Zuge einer Verstärkung , Beton- und Stahlbetonbau 107 (2012) 4, S. 255-261 [5] Hille, F., Unterraumbasierte Detektion von Strukturschäden an Jacket-Gründungen von Offshore- Windenergieanlagen. Dissertation, TU Berlin, 2018. [6] Winkler 2019]Winkler, M., Monsberger, C., Lienhart, W., Vorwagner, A., Kwapisz, M. (2019). Assessment of crack patterns along plain concrete tunnel linings using distributed fiber optic sensing. In Proceedings of the 5th International Conference on Smart Monitoring, Assessment and Rehabilitation of Civil Structures 2019 [7] Luna Innovations Inc. (2019). OBR 4600 Optical Backscatter Reflectometer. Datasheet. https: / / lunainc.com/ sites/ default/ files/ assets/ files/ resourcelibrary/ LUNA-Data-Sheet-OBR-4600-V2.pdf [8] Park, J.; Taylor, HF. (2003). Fiber Optic Intrusion Sensor using Coherent Optical Time Domain Reflectometer. In Japanese Journal of Applied Physics. Juni 2003; 42(Part 1, No. 6A): 3481-3482. https: / / doi.org/ 10.1143/ jjap.42.3481 [9] Taylor, HF.; Lee, Ch. E. (1993). Apparatus and method for fiber optic intrusion sensing (US 5194847A). United States Patent. https: / / patentimages.storage.googleapis.com/ 50/ 68/ e7/ 7bff4f28e- 28b5e/ US5194847.pdf [10] [Luna Innovations Inc. (2021). ODiSI 6000 Series, Optical Distributed Sensor Interrogators. Datasheet. https: / / lunainc.com/ sites/ default/ files/ assets/ files/ data-sheet/ LUNA ODiSI 6000 0Data Sheet. pdf [11] Lu X.; Chruscicki, S.; Schukar, M.; Münzenberger, S.; Krebber, K. (2022). Application of Intensity- Based Coherent Optical Time Domain Reflectometry to Bridge Monitoring. Sensors 2022, 22, 3434. https: / / doi.org/ 10.3390/ s22093434 5. Brückenkolloquium - September 2022 567 Neue Erkenntnisse zu wasserstoffinduzierten Spannungsrissen infolge korrosiver Belastung hochempfindlicher Spannstähle in Spannblockverfahren nach TGL 173-33 M. Eng. Gino Ebell, Dr.-Ing. Andreas Burkert Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Berlin, Deutschland Zusammenfassung Brückenbauwerke, die im Spannblockverfahren hergestellt wurden, können bauartbedingt wasserstoffinduzierte Spannungsrisse über den gesamten Querschnitt eines Spannkanals aufweisen. Das Risswachstum kann infolge dynamischer Beanspruchung über die Nutzungsdauer fortschreiten und zu Spanndrahtbrüchen führen. 1. Einleitung Der wasserstoffinduzierten Spannungsrisskorrosion an hochfesten Stählen, wie etwa Spannstählen, liegt ein Schädigungsmechanismus zugrunde, der einer Korrosionsreaktion nachgelagert ist. Für den Schädigungsmechanismus ist das Vorhandensein von atomarem Wasserstoff zwingend erforderlich. Dieser kann durch die kathodische Teilreaktion einer Korrosionsreaktion gebildet werden (Abb.1). [1] Abb.1: Schematische Darstellung der anodischen und kathodischen Teilreaktion des Korrosionsprozesses bei pH-Wert <5 und der Wasserstoff Adsorption-Absorption Ist das Gefüge des Spannstahls irreversibel durch das Einwirken des absorbierten Wasserstoffs beeinflusst, so kann es bei ausreichend hoher Spannung zu Rissen im Gefüge kommen. Anrisse, die sich in der Erstellungsphase des Bauwerkes während aktiver Korrosionsreaktionen gebildet haben, können ohne weitere Korrosionsreaktionen im regulären Betriebszustand ein Risswachstum zur Folge haben. In diesem Fall kann es zu einem zeitlich deutlich nachgelagertem Spanndrahtbruch kommen. Um festzustellen, ob ein hochempfindlicher Spannstahl vorliegt, erfolgen im Vorfeld allgemein die Magnetpulverprüfungen zur Untersuchung der Spannstähle auf Anrisse, sowie die Funkenemissionspektrometrie (FES) zur Ermittlung der Legierungszusammensetzung. Im Nachgang werden Zugversuche an anrissfreien Spannstählen und metallographische Untersuchungen zur Verifikation der Gefügestruktur durchgeführt. Die hochempfindlichen Spannstähle sind herstellungsabhängig alle Ölschussvergütet. Ein metallographisch nachgewiesenes Vergütungsgefüge validiert die Einstufung eines entnommenen Spannstahls, zusammen mit einer entsprechenden Legierungszusammensetzung und einer Bruchfestigkeit größer 1500 N/ mm², als hochempfindlichen Spannstahl. Anrisse müssen für die Einstufung als hoch-empfindlicher Spannstahl nicht vorhanden sein. 2. Bauwerksübersicht Die Brücke am Altstädter Bahnhof in Brandenburg a.d. Havel wurde im Jahre 1969 erstellt und im Rahmen der Feierlichkeiten zum 20-jährigen Bestehen der DDR eröffnet. Das Brückenbauwerk bestand aus zwei Teilbauwerken, dem Haupttragwerk (TBW 1), welches die Magdeburger Straße über Gleis/ Parkplatz und Zanderstraße überführt und dem Zubringer (TBW 2). Das Haupttragwerk beinhaltet zwei Fahrspuren mit jeweils zwei Fahrstreifen sowie eine zweigleisige Straßenbahnlinie und war mit einer Länge von 174 m und einer Überbaubreite von ≈ 37 m ungewöhnlich breit, siehe Abb. 2. Der daraus resultierende Überbauquerschnitt hat neun Hohlkästen mit einer variablen Konstruktionshöhe zwischen 1,46 m und 1,54 m. Die planmäßig nicht zugänglichen Hohlkästen wiesen eine lichte Höhe von ≈ 1,22 m bzw. 1,06 m, bei einer Breite von 2,68 m, auf. Mit Ausnahme des kürzeren Endfeldes sind die Hohlkästen durch Feldquerträger in der Feldmitte ausgesteift. Des Weiteren sind in den Stützenachsen Querträger angeordnet. Im Anschlussbereich des Zubringers (Achse C) sind zusätzlich zum Hauptquerträger zwei Nebenquerträger angeordnet. 568 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zu wasserstoffinduzierten Spannungsrissen infolge korrosiver Belastung hochempfindlicher Spannstähle Abb. 2: Haupttragwerk, Längsschnitt, Querschnitt [1] Das für die Errichtung der Brücke verwendete Spannblockverfahren war zu diesem Zeitpunkt durch die Einführung der TGL 173-33 [2] geregelt. Gegenüber den normativen Vorgaben kam jedoch eine Sonderform zum Einsatz. Anstelle des üblichen Spanndrahtes mit 40 mm² Querschnittsfläche sind Spanndrähte mit 35 mm² verwendet worden. Dies ist darin begründet, dass ausschließlich die Hennigsdorfer Spanndrähte mit 35 mm² Querschnittsfläche in der erforderlichen Lieferlänge von 175 m zur Verfügung standen. Darüber hinaus wurde auch ein größerer Spannkasten (Spanngliedkasten für SSG 1400 statt SSG 1200) erforderlich, um die größere Anzahl an Einzeldrähten aufnehmen zu können, insgesamt 392 Stück. Somit konnte eine Spannkraft von 12 MN je Hauptträger eingeleitet werden. Die 392 Einzeldrähte wurden gemäß Vorgabe eingebaut und mittels Abstandshaltern in ihrer Lage gesichert, wie in Abb. 3 erkennbar ist. Abb. 3: Hüllrohkasten mit Abstandshaltern an einer Umlenkstelle [3] 3. Bauwerksuntersuchung am abgebrochenen Bauwerk Nach der Sprengung des Brückenbauwerks wurde eine Begutachtung durchgeführt. Zugänglich für die Begutachtung freiliegender Spannstähle war der Auflagerbereich C zur Bundesstraße B 102 hin (Feld 2.2). An den freiliegenden Spannkanälen konnten die Bruchflächen der Spannstähle begutachtet werden. Mit Ausnahme weniger Spannstähle ist der Großteil der Spannstähle spröde gebrochen. Die Sprödbruchstellen weisen ausnahmslos linsenförmige Verfärbungen auf und basieren auf wasserstoffinduzierter Spannungsrisskorrosion. Die Verfärbung ist auf den Zutritt von H 2 O in Form von Wasserdampf zurückzuführen. Eine weitere Feststellung war, dass Träger Nummer 3 in Feld 2.2 in unmittelbarer Nähe zum Auflager Achse C fast über den gesamten Querschnitt des Spanndrahtbündels, bereits vor der Sprengung, gerissen sein muss. Einen Hinweis darauf liefert das in Abb.4 gezeigte Bruchbild mit bereits korrodierten Restbruchflächen. 5. Brückenkolloquium - September 2022 569 Neue Erkenntnisse zu wasserstoffinduzierten Spannungsrissen infolge korrosiver Belastung hochempfindlicher Spannstähle Abb. 4: Infolge wasserstoffinduzierter Spannungsrisskorrosion gerissenes Spanndrahtbündel in Träger 3 Feld 2.2 nahe Auflager C Während des Rückbaus der Brücke konnte weiterhin beobachtet werden, dass es auf der Seite rechts des Auflagers Achse C, beim Eindrehen der Spanndrahtbündel in die zur Entsorgung bereitgestellten Container zu Brüchen kam. Spannstähle, die aus diesem Bereich entnommen wurden, wiesen über die gesamte Oberfläche verteilt wasserstoffinduzierte Spannungsrisse auf. Exemplarisch ist ein Spannstahl mit typischen Anrissen in Abb. 5, mit und ohne UV-Licht Bestrahlung, nach der Magnetpulverprüfung, abgebildet. Abb. 5: Spanndraht mit signifikanten Anrissen, oben: ohne UV- Licht, unten: mit UV-Licht Die Spannstahlentnahme links des Auflagers in Achse E, aus den Feldern 5.1 und 5.2, zeigten einen gänzlich anderen Korrosionszustand der Spannstähle. Das Eindrehen der Spannglieder zur Entsorgung erfolgte wie rechts der Achse C, hier jedoch größtenteils ohne Brüche der Spannstähle. In diesem Bereich konnten an den entnommenen Spanndrähten signifikant weniger Anrisse detektiert werden. Eine Ausnahme bildet aber der Bereich der horizontal angeordneten Abstandshalter, hier wurden sowohl an Achse E als auch an Achse C viele Anrisse lokalisiert. Die Kombination aus Biegung der Spannstähle durch Eindrehen und Abstandshalter im Biegeradius führte zu Brüchen, siehe Abb. 6. Abb. 6: Spanndrahtbündel mit Drahtbrüchen im Bereich der Abstandshalter. Ein Spannkasten mit deutlichem Korrosionsschaden konnte lokalisiert werden, der Verpresszustand zwischen Hüllrohr und Spannstählen war sehr gut, es waren keine Korrosionserscheinungen an den angrenzenden Spannstählen feststellbar. Chloridinduzierte Korrosion kann bei einem Chloridgehalt des Verpressmörtels von 0,02 M. %, im Bereich des korrodierten Hüllrohres, ausgeschlossen werden. 4. Charakterisierung der entnommenen Spannstähle Die Zuordnung der entnommenen Spandrähte erfolgte gemäß den Maßangaben der TGL 101-036/ 02: 1966 [4]. Danach wurden 131 Stück als St 140/ 160 oval 35 mm² und 2 Stück als Oval 30 mm² identifiziert. Die FES-Analysen haben ergeben, dass die chemische Zusammensetzung den Vorgaben aus TGL 101-36/ 01: 1966 [5] entspricht. An einigen Proben wurde eine geringfügige Unterschreitung des Kohlenstoffgehaltes und des Siliziumgehaltes festgestellt. In den metallographischen Untersuchungen konnte ein Vergütungsgefüge festgestellt werden. In Abb. 7 ist ein Längsschliff eines entnommenen Spannstahls mit typischem Vergütungsgefüge und Spannungsriss sowie einer geringfügigen Randentkohlung dargestellt. 570 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zu wasserstoffinduzierten Spannungsrissen infolge korrosiver Belastung hochempfindlicher Spannstähle Abb. 7: Metallografische Längsschliff, geätzt mit Vergütungsgefüge und Anriss Von den 133 entnommenen Spanndrähten konnten mittels Magnetpulverprüfung 21 Spanndrähte mit einer Länge von bis zu 1,90 m als anrissfrei bewertet werden. In Summe konnten 131 anrissfreie Probenabschnitte mit einer Länge von 50 cm herausgearbeitet werden. Aus den Zugversuchen an den ungeschädigten 50 cm Spanndrahtabschnitten konnte im Mittel ein Rp 0,2 von 1393 N/ mm² und ein R m von 1524 N/ mm² ermittelt werden. Die Brüche an den ungeschädigten Spanndrähten erfolgten alle duktil. Einer der 4 geprüften Spanndrähte war durch einen zuvor nicht detektierbaren Spannungsriss geschädigt, ähnlich Abb. 7. Das R m dieser Probe lag über dem Mittelwert, allerdings erfolgte der Bruch nur mit einer geringfügigen Einschnürdehnung und ähnelt im Bruchbild eher einem Sprödbruch. Die Sollwerte gemäß TGL betragen für Rp 0,2 1373 N/ mm² und für R m 1570 N/ mm², letzterer darf um 29 N/ mm² unterschritten werden. Die durch den Rippenanteil erhöhte Masse des eigentlichen lastabtragenden Querschnittes wird bei der Bestimmung der Querschnittsfläche nicht berücksichtigt, ebenso die am Rippenansatz gegebene Querschnittminderung des Spanndrahtes. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren ist die Abweichung zwischen Soll- und Ist-Wert als nicht signifikant einzustufen. Anhand der vorliegenden Ergebnisse ist der entnommene Spannstahl als herstellungsbedingt hochempfindlich gegenüber Wasserstoff induzierter Spannungsrisskorrosion einzustufen, da: • die Legierungszusammensetzung den Vorgaben der TGL entspricht • die metallographischen Untersuchungen ein Vergütungsgefüge bestätigen • die Zugfestigkeit größer 1500 N/ mm² ist 5. Zusammenfassung Die Initiierungsphase der wasserstoffinduzierten Spannungsrisskorrosionserscheinungen an diesem Brückenbauwerk basieren maßgeblich auf dem Zutritt von Feuchtigkeit (Regenwasser oder Kondenswasser) während des Erstellungszeitraumes. Solche Schadensbilder sind aus anderen Brückenbauwerken ebenfalls bekannt. Eine Besonderheit, die bis dato noch nicht vorgefunden wurde, ist eine bauartbedingte Schadensinitiierung über den gesamten Spannkanalquerschnitt im verpressten Hüllrohrzustand. Die Lagesicherung der einzelnen Spanndrähte erfolgt in dieser Bauart durch Abstandhalterbleche (Abb. 8). In der freien Spannlänge soll der Abstand der Abstandhalter gemäß TGL 173-33 (1967) zwischen 1000 mm und 1500 mm betragen. Im Bereich der Umlenkstellen werden die Abstandshalter projektbezogen enger angeordnet. Der Abstand im Umlenkbereich ist in Abb. 9 beispielhaft für dieses Brückenbauwerk dargestellt und liegt hier nach Messungen vor Ort zwischen 180 mm und 250 mm. Abb. 8: oben: schematische Darstellung eines Abstandshalterbleches als Stanzteil, zur Lagesicherung, unten ein Schnitt durch drei Spannstahllagen mit Abstandshalterblechen Abb. 9: Spanndrahtpaket im Auflagerbzw. Umlenkbereich mit Abstandshaltern horizontal und vertikal (Abstand nach TGL nicht geregelt) Entnommene Spannstähle aus diesem Bereich weisen eine erhöhte Anzahl an Anrissen in den Kontaktbereichen zum Abstandshalter auf. Abbildung 10.a und 10.b zeigen die ungereinigte Kontaktstelle und anschließende 5. Brückenkolloquium - September 2022 571 Neue Erkenntnisse zu wasserstoffinduzierten Spannungsrissen infolge korrosiver Belastung hochempfindlicher Spannstähle Magnetpulverprüfung mit deutlichen Anrissen. Abbildung 10.c und 10.d zeigen die gereinigte Kontaktstelle und die anschließende Magnetpulverprüfung, die eine verbesserte Rissanzeige bzgl. Klarheit und Anzahl der Risse hervorbringt. Abb. 10: a: Kontaktstelle mit Korrosionserscheinungen, b: Magnetpulverprüfung mit Rissanzeige; c, d wie a, b nur mit gereinigter Oberfläche Die Untersuchung der Spannstähle in den Umlenkbereichen oberhalb eines Auflagers haben ergeben, dass an den Kontaktstellen der Spannstähle mit den horizontalen Abstandshalterblechen Spaltkorrosionserscheinungen infolge ungenügender Verpressung auftreten. Durch die relativ breiten Abstandsbleche und die Pressung der Spannstähle in den Umlenkbereichen an diese Bleche, ist der Zutritt des Verpressmörtels nicht möglich und es wird hier eine kritische Spaltanordnung erreicht. In diesen Bereichen kommt es durch Fortschreiten der Korrosionsreaktion und mangelndem alkalischen Puffer zu einer Ansäuerung des Spaltelektrolyten. Bei pH-Werten kleiner 5 erfolgt die kathodische Teilreaktion unter Entstehung von Wasserstoff. Ein ausreichendes Feuchtigkeitsangebot ist nach dem Verpressen über einen langen Zeitraum als gegeben anzunehmen. Langfristig führt dies zu einer wasserstoffinduzierten Versprödung und Rissbildung im Stahl, in dessen Folge es durch dynamische Belastungen zu einem Risswachstum mit anschließendem Bruch des Spanndrahtes kommt. Eine geänderte Verkehrsführung, die zu größeren dynamischen Belastungen führt, kann ein stabiles Risswachstum zur Folge haben. Die bisherigen Annahmen zur Initiierung von Spannungsrissen infolge Wasserstoffversprödung an Spannstählen im nachträglichen Verbund gehen von einer korrosiven Belastung der Spannstähle vor dem Verpressen im Hüllrohr oder aber von einer korrosiven Belastung im Zuge der Nutzungsdauer, z. B. durch Tausalzbeaufschlagung und Durchrosten des Hüllrohres mit anschließender Korrosion der Spannstähle, aus. In Bereichen, die unverpresst oder mangelhaft verpresst sind, kann ebenfalls Korrosion auftreten. Spaltgeometrien bei glatten Hüllrohren können in Umlenkbereichen an den anliegenden Spannstählen ebenfalls Spaltkorrosion hervorrufen; dies beträfe im Unterschied zu der hier vorliegenden Konstruktion aber nur wenige Spannstähle eines Spannstahlbündels. Die vorgefundenen Schadensbilder zeigen, dass bei dieser Bauart auch nach dem planmäßigen Verpressen an den Auflagebereichen der Abstandshalter durch Spaltkorrosion eine Wasserstoffentwicklung stattfinden kann, die eine Versprödung der angrenzenden Spannstähle zur Folge haben kann. Die Spaltsituation tritt darüber hinaus über den gesamten Querschnitt des Spannkanals auf und kann damit jeden einzelnen Spanndraht betreffen. Bei einer üblichen Begutachtung von Spannstählen durch Entnahme aus Brückenbauwerken erfolgt die Entnahme aufgrund statischer Anforderungen oder baulicher Gegebenheiten meist nicht in den Umlenkbereichen. Eine Detektion vorhandener Anrisse ist somit insbesondere bei Öffnungslängen unterhalb des Verlegeabstandes der Abstandshalter von 1 bis 1,5 m nicht zwangsläufig möglich. Gleichzeitig ist ggf. die Spaltbildung durch die fehlende Pressung in diesen Bereichen weniger kritisch. Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse ist davon auszugehen, dass trotz einwandfreier Erstellung des Brückenbauwerkes im Spannblockverfahren (keine Vorkorrosion, ordnungsgemäßer Verpresszustand, kein Wasserzutritt über Risse), an hochempfindlichen Hennigsdorfer Spannstählen St 140/ 160 wasserstoffinduzierte Spannungsrisse auftreten können. Die Untersuchung der Anrissflächen mit multiplen Risslinsen (siehe Abb. 11) an frischen Bruchstellen zeigt, dass eine Abminderung des Spannstahlquerschnittes von bis zu 46 % gegeben ist. Einwirkenden Lasten bzw. Spannungen wie Vorspannkraft, Eigenlast, Temperatur und Verkehr bietet ein Resttragquerschnitt des Spanndrahtes von 54 % keine ausreichenden Reserven, was durch Schallemissionsmessungen belegt wurde. Abb. 11: Multiple Anrisslinsen an einer frischen Bruchstelle 572 5. Brückenkolloquium - September 2022 Neue Erkenntnisse zu wasserstoffinduzierten Spannungsrissen infolge korrosiver Belastung hochempfindlicher Spannstähle Die nachhaltige Schädigung eines Bauwerkes durch Wasserstoff induzierte Spannungsrisskorrosion wird nicht allein durch Spannstahlbrüche indiziert, sondern primär durch vorhandene Anrisse. Die Geschwindigkeit des Risswachstums infolge dynamischer Beanspruchung ist abhängig von der Beanspruchung und somit von der Lage des Risses, bezogen auf den Momentenverlauf. Die Brüche im Bereich des Auflagers an Achse C bestätigen dies. 6. Fazit Die Schadensinitiierung erfolgte im Rahmen der Bauwerkserstellung durch wasserstoffinduzierte Spannungsrisskorrosion, der Schadensfortschritt durch das aus zyklischer / dynamischer Beanspruchung des Bauwerkes resultierende Risswachstum (Ermüdung) [6]. Nach Unterschreitung der kritischen Resttragfläche kommt es zu einem Spanndrahtbruch. Die daraus resultierende Lastumverteilung kann im Laufe der Zeit zu einem exponentiellen Anstieg der Drahtbrüche führen. Literatur [1] Kaplan, F.; Steinbock, O.; Bösche, T.; Niederleithinger, E.; Ebell, G.; Saloga, K.; Kind, T.; Kilian, A. und Fiedler, G.; et al., B1 - Brücke Altstädter Bahnhof in Brandenburg an der Havel,Bauwerksuntersuchungen vor dem Rückbau, Landesbetrieb Straßenwesen, 2021. [2] TGL 173-33 Spannblockverfahren, Spannglieder mit Nennspannkraft 600 bis 1600 Mp, (1967). [3] Lippold, P., Konzentrierte Spannglieder im Straßenbrückenbau, In: Bauplanung - Bautechnik, 172ff, (1969) [4] TGL 101-036 Blatt 2 Spannsthal St 140/ 160, ölschlußvergütet, oval schräg gerippt., Abmesungen, (1966). [5] TGL 101-036 Blatt 1 Spannstahl St 140/ 160 ölschlußvergütet, Stahlmarken, Tecnische Lieferbedingungen, (1966). [6] Kaplan, Felix; Steinbock, Oliver; Saloga, Katrin; Ebell, Gino; Schmidt, Sebastian, Überwachung der Brücke am Altstädter Bahnhof, In: Bautechnik 99, 222-230, (2022) Anhang 5. Brückenkolloquium - September 2022 575 Programmausschuss - Brückenkolloquium Der Programmausschuss für das Brückenkolloquium setzt sich aus anerkannten Experten aus Forschung und Entwicklung, Industrie und Praxis zusammen. Zu seinen Aufgaben gehören die Formulierung der Zielsetzung und Festlegung der Themenschwerpunkte der Fachtagung, die Begutachtung und Auswahl der eingereichten Vortragsvorschläge für das Tagungsprogramm und die fachliche Beratung des Veranstalters. Vorsitzende Dir. Prof. Dr.-Ing. Jürgen Krieger Bundesanstalt für Straßenwesen 51427 Bergisch Gladbach Prof. Dr.-Ing. Bernd Isecke Corr-LESS Isecke & Eichler Consulting GmbH & Co. KG 14513 Teltow Mitglieder Dr.-Ing. Thorsten Eichler Corr-LESS Isecke & Eichler Consulting GmbH & Co. KG 14513 Teltow Prof. Dr.-Ing. Ursula Freundt Ingenieurbüro Prof. Dr. Ursula Freundt 99423 Weimar Dipl.-Ing. Susanne Gieler-Breßmer IGF Ingenieurgesellschaft für Bauwerksinstandsetzung Gieler-Breßmer & Fahrenkamp GmbH 73079 Süßen Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger RWTH Aachen University 52056 Aachen DI Dr. Michael Kleiser ASFINAG Baumanagement GmbH 1130 Wien (Österreich) Hans-Gerhard Köpf Fachverband Kathodischer Korrosionsschutz e. V. 73728 Esslingen Prof. Dr. Ivan Markovic Hochschule für Technik Rapperswil 8640 Rapperswil (Schweiz) Prof. Dr.-Ing. Gero Marzahn Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) Referat StB 24, Ingenieurbauwerke 53175 Bonn Univ.-Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer Technische Universität Dortmund 44227 Dortmund Dr.-Ing. Matthias Müller Bundesanstalt für Straßenwesen 51427 Bergisch Gladbach PD Dr. rer. nat. Ernst Niederleithinger Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung 12205 Berlin Dipl.-Bauing. (FH) Daniel Oberhänsli suicorr AG 8953 Dietikon (Schweiz) Dipl.-Ing. Wolfgang Wassmann Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH 40470 Düsseldorf Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Dr.-Ing. E. h. Konrad Zilch ZILCH + MÜLLER INGENIEURE GmbH 80636 München 5. Brückenkolloquium - September 2022 577 Autorenverzeichnis AAdam, Stefan 239 Adam, Viviane 467 Alqasem, Yasser Alshaban 137 BBarr, Caroline 531 Bednorz, Jennifer 79 Bernauer, Felix 223 Bielak, Jan 299 Bizzozero, Marco A. 193 Bode, Matthias 207 Bonifacio, Sébastien 447 Bösche, Thomas 293, 407 Braun, Jan-Derrick 107 Bruns, Michael 429 Bureš, Jirí 419 Burkert, Andreas 567 Buttgereit, Alexander 511 CCelik, Firdes 107 Cuennet, Stéphane 197 DDegenhardt, Kay 439 Dimler, Magdalena 245 Dommes, Christian 323, 467 EEbell, Gino 567 Eberth, Florian 165 Egger, Matthias 169 Ehrlich, Alexander 293 Embers, Stephan 107 FFaltin, Benedikt 107 Feix, Jürgen 169 Fischer, Oliver 69, 459, 499 Frederik Teworte 71 Friedrich, Heinz 251 Fritsch, Christina 89 Furtner, Peter 99 Fuxjäger, Gerald 119 GGajdoš, Petr 413, 419 Gebert, Gregor 355 Geißler, Jan 179 Geißler, Karsten 37, 125, 207 Girmscheid, Michael 511 Glock, Christian 147, 155, 505 Graf, Jürgen 453 Grubinger, Stefan S. 217 Grune, Michael 407 Günther, Martin 439 HHaardt, Peter 335 Hadziioannou, Celine 223 Harke, Torsten 89 Hegger, Josef 47, 99, 323, 383, 467 Heinrich, Jens 393 Helbig, Thorsten 299 Henke, Sascha 231 Herbers, Patrick 107 Herbrand, Martin 47 Hicke, Konstantin 223 Hille, Falk 555 Hindersmann, Iris 251 Hofmann, Detlef 555 Holst, Ralph 107 Hondl, Timo 505 Hruschka, Sabine 97 Huber, Alexander 217 IIgel, Heiner 223 JJabs, Timo 47 Jansen, Andreas 125 Jimenez, Simon 217 Junghanns, Maria Teresa Alonso 335 KKalenjuk, Slaven 217 Kaplan, Felix 293, 407, 439, 543 Kaufmann, Fabian 147, 155 Kerkeni, Naceur 371 Keßler, Sylvia 231 Kind, Thomas 555 Kischkewitz, Fabian 317 Klopfer, Reiner 453 Klusácek, Ladislav 413, 419 Kniebel, Felix 179 Köhncke, Martin 231 König, Markus 107, 137 Koordt, Maria 511 Kozakow, Thomas 523 Kraus, Josef 37 LLadner, Eva-Maria 263 Lamatsch, Sebastian 459 Lankes, Stefan 245 Lavrentyev, Vladimir 477 Lechner, Johannes 169 Löffler, Kay 193 Lücken-Girmscheid, Theda 511 MMarkovic, Ivan 517 Marzahn, Gero 17 Maurer, Reinhard 57, 77, 317, 393 May, Sebastian 179, 309 Michels, Julien 263 Müller, Andreas 447 Müller, Matthias 335 NNaujoks, Bernd 317 Nieborowski, Sonja 79, 107 Niederleithinger, Ernst 223, 555 Nowak, Marcel 499 OO’Brien, Peter 99 PPahl, Gerhard 361 Pilch, Erwin 281 Pirskawetz, Stephan 549 RRathenow, Jörg 435 Rebhan, Matthias J. 217 Reddemann, Theo 287 Reuther, Tobias 245 Riederer, Jochen 299 Rösler, Gregor 511 SSaloga, Katrin 543 Schacht, Gregor 531 Schammler, David 107 Schiere, Marcus 447 Schmidt, Maximilian 383 Schmidt, Sebastian 549 Schranz, Bernhard 263 Schrick, Michael 185 Schumann, Alexander 179, 309 Sharei, Ehsan 371 Stakalies, Eva 57, 477 Stein, Ronald 207 Steinbock, Oliver 407, 543, 549 Steinjan, Jessica 107 Stettner, Christian 489 Svoboda, Adam 413, 419 TTecusan, Remus 489 Tepho, Thibault 499 Thoma, Sebastian 69 Thorwirth, Frank 179 Todt, Janette 185 Tschickardt, Thomas 147, 155 UUllerich, Christof 347 VVajdák, Michal 413, 419 Viviane, Adam 383 Voigt, Chris 89 WWaeber, Jean-Marc 197 Walach, Raphael 299 Walcher, Wolfgang 217 Weiher, Hermann 273 Wilfer, Stefan 361 Wolff, Lars 429 ZZehetmaier, Gerhard 347 Zentgraf, Sven 107 Zilch, Konrad 489 Weitere Informationen und Anmeldung unter www.tae.de/ go/ bauwesen Besuchen Sie unsere Seminare, Lehrgänge und Fachtagungen. Geotechnik Verkehrswegebau und Wasserbau Konstruktiver Ingenieurbau Bautenschutz und Bausanierung Umwelt- und Gesundheitsschutz Energieeffizienz Baubetrieb und Baurecht Facility Management Ein Großteil unserer Seminare wird unterstützt durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Profitieren Sie von der ESF-Fachkursförderung und sichern Sie sich bis zu 50 % Zuschuss auf Ihre Teilnahmegebühr. Alle Infos zur Förderfähigkeit unter www.tae.de/ foerdermoeglichkeiten Bauwesen, Energieeffizienz und Umwelt Bis zu 50 % Zuschuss möglich Brückenbauwerke sind unverzichtbarer Bestandteil der Straßenverkehrsinfrastruktur. Sie ermöglichen die Überwindung von Tälern, Gewässern oder anderer Verkehrswege und stellen somit die eigentliche Funktion der überführten Straße sicher. Allein im Netz der Bundesfernstraßen gibt es derzeit 39.928 Brückenbauwerke (Stand 09/ 2020). Aus einer weiteren Zunahme des Güterverkehrs ergeben sich für einen signifikanten Anteil der bestehenden Brücken Beanspruchungen bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Der Klimawandel in Verbindung mit einer zu erwartenden Zunahme von Extremwetterlagen stellt neue Herausforderungen. Neben der Verfügbarkeit und Sicherheit werden verstärkt auch Aspekte der Nachhaltigkeit und Resilienz von Verkehrsinfrastrukturen zu betrachten sein. Das Lebenszyklusmanagement von Brücken - von der Planung, Bauausführung, Betrieb, Unterhalt, und Rückbau - ist in wesentlichen Teilen noch von traditionellen eher reaktiv ausgerichteten Strategien geprägt. Die Möglichkeiten der Digitalisierung werden hier bislang nur für Teilprozesse genutzt. Im Kontext einer rasant fortschreitenden Digitalen Transformation ermöglichen neue prädiktiv ausgerichtete Ansätze künftig eine integrierte und lebenszyklusorientierte Betrachtung. Ziel der bewährten Fachtagung zum Brückenbau ist ein interdisziplinärer Erfahrungs- und Wissensaustausch von Forschern, Planern, Ausführenden, Eigentümern, Betreibern und der Bauwirtschaft zu neuen und innovativen Methoden, Verfahren und Technologien im Brückenbau. Der Inhalt Themenschwerpunkte beim 5. Brückenkolloquium mit mehr als 70 Plenar- und Fachvorträgen in vier parallelen Sessions sind: Bauwerksausstattung (Kappen, Übergänge) Beurteilung und Bewertung des Zustands BIM und Digitalisierung Brücke Altstädter Bahnhof, Brandenburg/ Havel Einwirkungen Fallbeispiele (Beton-/ Stahlbrücken) Holzbrücken Innovative Bauweisen, Bauverfahren und Bauprodukte Instandhaltung und Bauwerksmanagement Monitoring, Bauwerksprüfung, Schadenserfassung Nachrechnung Neue Erkenntnisse zur Querkraft- und Torsionstragfähigkeit Normen und Regelwerke Rückbau, Schadstoffe Verstärkung, Ertüchtigung Die Zielgruppe Architekten Ingenieure in Entwurfs- und Planungsbüros, Bauunternehmen, Bauverwaltungen, Behörden, Forschungseinrichtungen, Institutionen Bauleiter Bausachverständige Fach- und Führungskräfte im Baugewerbe und in der Bauindustrie Bauwerkseigentümer und -betreiber Baustoffhersteller Anbieter von Verfahren zum Lebenszyklusmanagement, zur Bauwerksdiagnose, der Bauwerksüberwachung, von Instandsetzungs- und Ertüchtigungsverfahren Softwareanbieter ISBN 978-3-8169-3549-0