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Kolloquium Erhaltung von Bauwerken
expert Verlag Tübingen
2021
71
Herausgegeben von Michael Raupach Bernd Schwamborn Lars Wolff 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken Fachtagung zur Beurteilung, Instandhaltung und Instandsetzung von Bauwerken Tagungshandbuch 2021 Bewusst bauen. Herausgegeben von Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Hon. Prof. Dr.-Ing. Bernd Schwamborn Dr.-Ing. Lars Wolff 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken Fachtagung zur Beurteilung, Instandhaltung und Instandsetzung von Bauwerken Tagungshandbuch 2021 Medienpartner und Sponsor: Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2021. Alle Rechte vorbehalten. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb. dnb.de abrufbar. expert verlag GmbH Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen E-Mail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-8169-3524-7 (Print) ISBN 978-3-8169-8524-2 (ePDF) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · 73760 Ostfildern E-Mail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Vorwort Die Erhaltung von Bauwerken hat bereits in vielen Bereichen eine größere Bedeutung als der Neubau. Die Individualität der Bauwerke hinsichtlich Tragkonstruktion, Bausubstanz, Bauablauf, bauliches Umfeld und Einwirkungen über die Bauteillebensdauer erlaubt hierbei keine Standardlösung, sondern erfordert meist objektindividuelle Lösungen. Zudem sind die Aufgaben beim Bauen im Bestand vielfältig. Sie beinhalten die Bauwerksdiagnose, die Instandsetzungsplanung unter Berücksichtigung aktueller Regelwerke und Rechtsprechung, die Produktauswahl, die Ausführung und Qualitätssicherung sowie Aspekte des Bauwerksmanagements. Dies alles erfordert eine enge und frühzeitige Abstimmung zwischen Bauherren, Architekten, Fachplanern, Behörden und Bauunternehmen. Ziel der Fachtagung zum Bauen im Bestand ist der Austausch aktueller Erkenntnisse auf dem Gebiet der Erhaltung von Bauwerken. Dabei sollen sowohl die Erfahrungen bei der Planung und Umsetzung von Instandsetzungsmaßnahmen als auch der Kenntnisstand bei der Entwicklung neuer Verfahren, Materialien und Untersuchungsmethoden kommuniziert werden. Im Rahmen des 7. Kolloquiums „Erhaltung von Bauwerken“ werden etwa 80 Beiträge aus Forschung, Industrie und Praxis in vier parallelen Sessions zu folgenden Themenschwerpunkten präsentiert: • Bauwerksdiagnostik • Denkmalpflege: Tragwerksplanung, Fassade, Mörtel, Fallbeispiele • Ingenieurbauwerke: Brücken, Wasserbauwerke • Digitalisierung und BIM • Ausführung • Textilbeton • Betonersatz • Mauerwerk • Oberflächenschutz • Rissbehandlung • Schadstoffe/ Gefahrstoffe • Dauerhaftigkeit • Regelwerke • Forschung und Entwicklung Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über neue und innovative Verfahren, Methoden und Technologien für die Beurteilung, Instandhaltung und Instandsetzung von Bauwerken. Weitere Informationen unter: www.tae.de/ go/ bauwerk. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 7 Inhaltsverzeichnis 0.0 Plenarvorträge 0.1 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung 17 Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach, Hendrik Morgenstern, M.Sc. 0.2 Neuzeitliche Infrastrukturprojekte versus Denkmalpflege? Eine diplomatische Herausforderung? 25 Axel Dominik, Pascale Dominik 1.0 Bauwerksdiagnostik 1.1 Interdisziplinäre Bestandserfassung und Bewertung von Injektionen des Schwarza-Witznaustollens mit Stollenradar 29 Dr.-Ing. Gabriele Patitz, Dipl.-Ing. Robert Render, Dr.-Ing. Daniel Stolz 1.2 Zustandsaufnahme und -beurteilung von Tiefgaragen 37 Dipl.Ing (FH) SIA Ralf Schoster 1.3 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung 43 Prof. Dr.-Ing. Marc Gutermann, Dipl.-Ing. Werner Malgut 1.4 Korrosionsinspektion an Stahlbetonbauwerken: Potentialfeldmessung vs. Kelvinsonde * Univ.-Prof. Dr.-Ing. Sylvia Keßler 2.0 Denkmalpflege/ Fallbeispiele 2.1 Fachwerkbau, barock und bunt, wird Einkaufszentrum, Marktplatz 1 in Waiblingen 55 Kurt Christian Ehinger 2.2 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer 59 Christopher Grohmann, Katharina Schaller, Dr. Anja Hoppe 2.3 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms 69 Michael Auras 2.4 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms 79 Jörg Harnisch 8 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 3.0 Digitalisierung/ BIM 3.1 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung 91 Dr.-Ing. Christoph Blut, Dr.-Ing. Till Büttner, Dr.-Ing. Ralf Becker, Raymond Wollenberg, Baris Özcan, Heiner Stahl, Prof. Dr.-Ing. Jörg Blankenbach 3.2 Digitale Bestandsaufnahme mittels 3D Realitätserfassungstechnologien in der Bauwerkserhaltung am Beispiel von Parkbauten 101 Cher Sze Tan, M.Eng., Sevket Ersan, M.Sc. 3.3 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung 105 Sarah Dabringhaus, Sonja Neumann, Yasser Alquasem, Peter Haardt 3.4 115 BIM in der Instandsetzungsplanung Marike Bornholdt, Matthias Petersen, Dr. Holle Goedeke 4.0 Regelwerke 4.1 Aktueller Stand der Regelwerke für die Erhaltung von Betonbauwerken 125 Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach 4.2 Aktuelle Entwicklungen der ZTV-ING für die Sachkundige Planung und Ausführung von Instandsetzungsmaßnahmen an Brücken- und Ingenieurbauwerken 131 Eckhard Kempkens 4.3 Die Belange der Bauausführung in der aktuellen Regelwerkssituation für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen 135 Dipl.-Ing. Heinrich Bastert 4.4 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik 141 Holger Tebbe 5.0 Ingenieurbauwerke/ Brücken 5.1 Hochstraße Elbmarsch in Hamburg - Neubau von Megastützen unterhalb befahrener Brückenüberbauten 153 Dipl.-Ing. Katharina Dawirs, Dr.-Ing. Sebastian Krohn 5.2 Sanierung von Brückenfahrbahnen und Gehwegen mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen 159 Dipl. Ing. Thomas Stihl 5.3 Carbonbeton - Verstärkung der Brückenbauwerke A 648 UF Nidda - Erfahrungsbericht aus der Ausführung eines Pilotprojektes 165 Rolf Spreemann 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 9 6.0 Denkmalpflege/ Tragwerksplanung 6.1 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen an historischen Baudenkmälern unter Betrachtung ihrer Rezeptur, Belastungsgrenzen, umweltschonenden Wirkung und Nachhaltigkeit 171 Sophie Hoepner, Prof. Dr. Cordt Zollfrank 6.2 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode 179 Jessica Klinkner, M.Eng., Dipl.-Ing. Axel Dominik 6.3 Tragwerksplanung im Denkmal - Sonderlösungen in der Cadolzburg 189 Dipl.-Ing. Hjalmar Schoch 7.0 Ausführung 7.1 Pflichten des Sachkundigen Planers bei der Bauüberwachung 197 Dipl.-Ing. Rainer Braun 7.2 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen 201 Peter Sudermann, M.Eng., Prof. Dr.-Ing. Manfred Breitbach 8.0 Rissbehandlung 8.1 Planung als Voraussetzung zur dauerhaften Instandhaltung von Rissen mit Rissfüllstoffen 217 Dr.-Ing. Angelika Eßer, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Martina Schnellenbach-Held 8.2 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion 223 Dipl.-Ing. Bodo Appel 8.3 Fachgerechte Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung 233 Götz Tintelnot 10 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 9.0 Textilbeton 9.1 Verstärken mit Carbonbeton - von der Planung bis zur Ausführung 243 Sebastian May, Alexander Schumann, Frank Schladitz 9.2 Dauerhaftigkeit von textilbewehrten Mörtel- und Betonschichten unter zyklischer Belastung und rückseitigem Wasserdruck * Cynthia Morales Cruz, Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach 9.3 Rissverteilende textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten zur dauerhaften Instandsetzung von Bauwerksoberflächen 249 Amir Rahimi, Andreas Westendarp, Cynthia Morales Cruz, Michael Raupach 9.4 Innovative Verstärkung von Bestandsbrücken 253 Christian Dommes, Christian Knorrek, Josef Hegger 9.5 Dichtflächen für LAU-Anlagen auf Basis von Carbonbeton * Detlef Koch, Björn Neuberger, M. Sc 9.6 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis 261 Philipp Truffer 9.7 Mobile Konzepte für die Sanierung von Betonbauwerken 275 Simon Liebl, Björn Callsen 10.0 Denkmalpflege/ Mörtel 10.1 Weiterbauen - im ländlichen Raum 283 Christian Kaiser 10.2 SalzTransportPutz - Stabilität durch die Porenstruktur? 285 Dr. rer. nat. Andreas Zahn, Dr. rer. nat. Andreas König, Jonas Hallmann 10.3 War es dem Turm zu heiß? Brände als mögliche Ursache für Mauerwerksschäden an einem historischen Turm 291 Prof. Dr.-Ing. Matthias Jagfeld 10.4 Erfahrungen zur Dauerhaftigkeit von historischen Mörteln und Betonen in feuchtebelasteten Bereichen 301 Bernwart Jungermann 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 11 11.0 Dauerhaftigkeit 11.1 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis 307 Joost Gulikers, Maria Teresa Alonso Junghanns 11.2 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen 317 Dr. Matthias Bernhard Lierenfeld, Nathan Metthez, Philipp Truffer 11.3 Monitoring von Bestandsbrücken - Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen 331 Iris Hindersmann, Peter Haardt 11.4 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik 339 Prof. Dr.-Ing. Jörg Röder 12.0 Betonersatz 12.1 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken 351 Christian Knorrek, Christian Dommes, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger 12.2 Betonersatz und Oberflächenschutz mit hochfesten Betonen Grundlagen und Anwendung am Beispiel Tiefgarage 361 Prof. Dr.-Ing. Stefan Linsel, Dieter Neff 12.3 Betoninstandsetzung auf Bestandsbetonen mit geringen physikalischen Leistungsdaten 363 Olaf Kern, Eva-Maria Ladner, Björn Marucha, Markus Ehrhardt 12.4 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke 367 Michael Berndt, Wolfram Kämpfer 12 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 13.0 Ingenieurbauwerke/ Wasserbauwerke 13.1 Anforderungsspezifische Zustandsnoten als unterstützende Kennzahlen für das Erhaltungsmanagement von Wasserbauwerken 377 Annemarie Seiffert, M. Sc., Sarah Elting, M. Eng., François Marie Nyobeu Fangue, M. Sc. Lukas Weber, M. Sc. 13.2 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb 383 Dominik Waleczko, M.Sc., Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Shervin Haghsheno, Dipl.-Ing. Andreas Westendarp 13.3 Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb mithilfe eines Modulbaukastens 397 Anna Leicht, M.Sc., Dipl-Ing. Marc Schmitz, Dipl.-Ing. Andreas Westendarp, Dominik Waleczko, M.Sc 13.4 Druck- und Zugfestigkeit massiver Wasserbauwerke im Bestand - Hintergründe zu Festlegungen im BAWMerkblatt TbW 403 Frank Spörel 13.5 Sanierung Kulturwehr Breisach und Möhlinwehr 411 Peter Gültner 13.6 Erfahrungen bei der Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigte Anlegerbrücke in der Nordsee 419 Lars Wolff, Michael Bruns 14.0 Denkmalpflege/ Fassade 14.1 Betoninstandsetzungsmaßnahmen an denkmalgeschützten Bauwerken - Fallbeispiel für nicht regelwerkkonforme Instandsetzungslösungen * Dr.-Ing. Michael Fiebrich 14.2 Kosmetische Betoninstandsetzung Haus der Berliner Festspiele in Berlin - Betoninstandsetzung mit Pfiff 433 Markus Ehrhardt, M.Sc., Dipl.-Ing. Annegret Hofmann-Kuhnert, Reiner Hofmann 14.3 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen 437 Wladislaus Metzger, Holger Tebbe 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 13 15.0 Forschung und Entwicklung 15.1 Plasmagespritzte Aluminiumoxidschichten für den Schutz von Betonoberflächen 455 Hendrik Morgenstern, M.Sc., Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach, Tobias Wessler, B.Eng. 15.2 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung 463 Martin Lenting, Jeanette Orlowsky 15.3 Betoninnenwannen zur nachträglichen Abdichtung von Gebäuden - Systematik der Bauweisen und neue Möglichkeiten mit Textilbeton 473 Dipl.-Ing. Georg Schäfer 15.4 Alkalische Hydrogele als Ankoppelungsmaterial für den elektrochemischen Chloridentzug 481 Dr. rer. nat. Univ. Prof. Oliver Weichold, Andre Jung, Armin Faulhaber 15.5 Acrylatfreie Zweikomponentengele zur Rissverpressung * Dr. rer. nat. Univ. Prof. Oliver Weichold 15.6 Überwachung des Korrosionszustandes der Bewehrung an einem Kühlturm im Meerwasserbetrieb mittels polymerer Zulagekathoden 487 Christian Helm 16.0 Oberflächenschutz 16.1 Kunstharzbeschichtungen auf feuchten Untergründen - Herausforderungen und Lösungen in der Praxis 497 Eva-Maria Ladner, Patricia Gimeno, Dr. Stefan Kühner 16.2 Blasen in Polymerbeschichtungen Erkennungsmerkmale, Ursachenanalyse und Entstehungsmechanismen 501 Dr.- Ing. Robert Engelfried, Dipl.-Ing. Helena Eisenkrein-Kreksch 16.3 Mit neuem Prüfverfahren (PAT) und innovativen Rohstoffen - der Weg zu beständigeren Parkhaus-Verschleißschichten 515 Sandro La Spina, Dr. Stefan Kühner, Dr. Thomas Pusel 16.4 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem bei unterschiedlichen Anwendungsfällen 519 Tobias Bürkle, Prof. Dr. Andreas Gerdes 16.5 Freiflächenheizung im Dünnbelag für den Neubau und die Sanierung: Aufbau - Eigenschaften - Umsetzung 539 Sebastian Lücke, M.Eng. 16.6 551 Instandhaltung von Verkehrswegeflächen Karl-Heinz Lindenbauer, Götz Tintelnot 14 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 17.0 Denkmalpflege/ Mauerwerk 17.1 Reparaturmörtel für gipshaltiges Mauerwerk 559 Dr. Petra Egloffstein 17.2 Der Merkblattentwurf WTA 7-4 Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauern aus künstlichen kleinformatigen Steinen 563 Claudia Neuwald-Burg, Jonny Henkel 17.3 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? 571 Dipl.-Ing. Axel Dominik, Andreas Schell B. Eng., Pascale Dominik M. Sc. 17.4 Bestandserkundungen als Basis für Sanierungen 589 Dr.-Ing. Gabriele Patitz 17.5 Das Fugenbohrkernverfahren nach HELMERICH/ HEIDEL bzw. UIC-Kodex 778-3 zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk 597 Dipl.-Ing. Jonny Henkel, Dipl.-Ing. Claudia Neuwald-Burg 17.6 Nachträgliche Horizontalsperren und Feuchtetransportvorgänge 611 Domenika von Kruedener, Axel Dominik 17.7 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk Regelungen und Praxistipps 619 Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Jürgen H. R. Küenzlen, M. A., Dipl.-Ing. (FH) Eckehard Scheller, Dipl.-Ing. Rainer Becker, Dipl.-Ing. Thomas Kuhn 18.0 Schadstoffe/ Gefahrstoffe 18.1 Gebäudeschadstoffe - Typische Einbausituationen und rechtssicherer Umgang bei Baumaßnahmen und Instandhaltung 639 Diplom-Geoökologe Holger Andris 18.2 Gesundheitsgefahren bei der Sanierung von Bauwerken 651 Klaus Kersting, Corinne Ziegler, Sabrina Schatzinger 18.3 Welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung im Straßenbau 655 Dieter Licht ** Manuskript lag bei Redaktionsschluss nicht vor. Plenarvorträge 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 17 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University, D-52062 Aachen, Deutschland Hendrik Morgenstern, M.Sc. Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University, D-52062 Aachen, Deutschland Zusammenfassung Die Digitalisierung im Bauwesen schreitet weiter voran und eröffnet zusammen mit der zunehmenden Verbreitung und Weiterentwicklung von Hard- und Software stetig weitere Möglichkeiten für innovative Arbeitsweisen. Building Information Modeling (BIM) wird derzeit zum Standard für den Neubau, wurde jedoch noch nicht für die Verwendung bei Bestandsbauten optimiert. Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Innovationsnetzwerkes werden gemeinsam mit vier RWTH-Instituten und derzeit acht Industriepartnern am Institut für Baustoffforschung (ibac) der RWTH Aachen University neue Methoden und Möglichkeiten zur BIM-basierten Bauwerkserhaltung erforscht und bis zur Praxistauglichkeit entwickelt. In diesem Beitrag werden die Vision der digitalisierten Bauwerkserhaltung, die bisherigen Arbeitsstände sowie die geplanten weiteren Schritte vorgestellt. Die bisherigen Erkenntnisse zeigen, dass die Nutzbarmachung von BIM-Modellen über die Planungs- und Ausführungsphase hinaus ein essenzieller Schritt für die Digitalisierung der Bauwerkserhaltung ist und ein großes Potenzial für effektive Bauwerksdiagnosen und ein effizientes Lebensdauermanagement birgt. 1. Allgemeines 1.1 Digitalisierung im Bauwesen Durch den Stufenplan Digitales Planen und Bauen des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) wurde 2015 die Digitalisierung des Bauwesens offiziell ausgerufen [1]. Die Digitalisierung wird dabei nicht nur von technologischem Fortschritt, sondern auch von Begriffen wie Internet of Things (IoT), Industrie 4.0, Smart Buildings und BIM (Building Information Modeling) begleitet. Im ersten Fortschrittsbericht des Umsetzungsplans des BMVI liegt dabei der Fokus deutlich auf der Verwendung von BIM als Instrument für die Planung, Baufortschrittskontrolle und Informationsbereitstellung [2]. Die öffentliche Hand nimmt bei der Realisierung der Digitalisierung im Bauwesen eine Vorreiterrolle ein. So zeigen beispielsweise die Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) deutliche Ambitionen und beschreiben ein großes Potenzial in der Digitalisierung, für deren effektive Umsetzung jedoch noch eine entsprechende Kollaborationsinfrastruktur geschaffen werden müsse [3, 4]. Aufgrund fehlender systemübergreifender Strukturen und vieler Insellösungen konnten sich die meisten Digitalisierungsmaßnahmen noch nicht zum Standard durchsetzen. Das Building Information Modeling jedoch wird zunehmend gefordert und angewandt, sodass dort eine weitverbreitete Implementierung in naher Zukunft absehbar ist. 1.2 Building Information Modeling (BIM) Building Information Modeling ist eine computergestützte Methode zur Ausführung, Planung und Betrieb von Gebäuden. In entsprechenden BIM-Softwares können sämtliche Bauteile grafisch dargestellt und mit spezifischen Informationen versehen werden. Durch einen Klick auf das jeweilige Element werden somit Informationen über den Baustoff, die Geometrie und die Ausführung abrufbar. Bei der Nutzung dieses Bauwerksmodells wird zwischen Closed-BIM- und Open-BIM-Prozessen unterschieden. Bei Closed-BIM muss für die Zusammenarbeit eine bestimmte Software genutzt werden, die für den jeweiligen Zweck optimiert wurde und in der Regel lizenzpflichtig ist. Bei Open-BIM wird ein offenes Dateiformat gewählt, das die Arbeit mit verschiedenen Programmen erlaubt, sodass alle am Bauprozess Beteiligten Zugriff auf das Modell haben können. In der Regel wird bei Open-BIM-Prozessen das IFC-Format (Industry Foundation Classes) genutzt. Dieses ist der offene Standard im Bauwesen und wird durch das Kompetenznetzwerk buildingSMART e.V. definiert. Das IFC-Format ist auf Vereinheitlichung und Normierung ausgelegt, was jedoch zulasten der Komplexität geht. 18 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Jedes BIM-Element trägt gewisse Informationen, sogenannte Merkmale, welche das Bauteil definieren oder die Spezifikationen beschreiben. Beim Übertrag in das offene IFC-Format kann es jedoch zu Informationsverlust kommen, wenn die Merkmale nicht in das IFC-Muster passen. Daher wird für eine einheitliche Datenkommunikation durch das buildingSMART Data Dictionary (bsDD) eine Art Wörterbuch für die gemeinsame Sprache in der BIM-gestützten Zusammenarbeit gegeben. Da auch das bsDD jedoch nicht alle nötigen Fälle abdeckt, wird die Verwendung eines (nationalen) Merkmalservers für die einheitliche Informationsübergabe vorgeschlagen [5]. Neben diesen derzeit noch bestehenden strukturellen Herausforderungen sollte beachtet werden, dass zwischen Modellierung und Realisierung stets eine gewisse Diskrepanz herrschen wird. So versteht die BAW trotz aller Möglichkeiten BIM in erster Linie als ein Werkzeug zur Optimierung des Planungsergebnisses [6]. Als ein solches findet es bis dato primär Anwendung in Neubau und Planung. 1.3 BIM-basierte Bauwerkserhaltung Bei gründlicher Planung beschreiben BIM-Modelle den Soll-Zustand teils äußerst präzise. Der Ist-Zustand nach der Ausführung findet seinen Weg bislang jedoch nicht in das entsprechende Modell zurück. Entsprechend eignet sich das Modell primär für die Planung des Neubaus, weniger jedoch für die Planung einer später gegebenenfalls nötigen Instandsetzungsmaßnahme. Um dies zu ändern und somit den technischen Wertverlust des BIM-Modells nach der Bauphase zu vermeiden, forscht das Institut für Baustoffforschung (ibac) der RWTH Aachen University an Maßnahmen zur BIM-basierten Bauwerkserhaltung. Diese soll nach der Realisierungsphase u.a. folgende Bereiche umfassen: • Zustandserfassung • Instandsetzungsplanung • Instandsetzungsausführung • Sensorbasiertes Monitoring • Probabilistische Dauerhaftigkeitsprognosen In dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten ZIM-Projekt DigiPark werden die ersten Schritte hin zu einer BIM-basierten Bauwerkserhaltung erforscht. Ausgehend von diesem Projekt wurde mit insgesamt zwölf Partnern aus Industrie und Wissenschaft das ebenfalls BMWi-geförderte Innovationsnetzwerk (www.bim-xd.de) gegründet, das die Vision einer vollständigen Digitalisierung von Bestandsgebäuden und deren Instandhaltung verfolgt. Das Netzwerk vereint Kompetenzen der Bauwerksdiagnose, Instandsetzungsplanung und Bauausführung sowie aus den Bereichen der Soft- und Hardwareentwicklung, sodass alle erforderlichen Entwicklungen innerhalb des Netzwerkes erarbeitet werden können. In der Bauwerkserhaltung stellen die Komplexität und Individualität von Instandsetzungen im Vergleich zum Neubau eine besondere Herausforderung dar. Es gibt ebenso wenig die Standardlösung wie es den Standardschaden gibt. Entsprechend müssen die digitalisierten Methoden besonders anpassungsfähig und auf die verschiedensten Untersuchungsgegenstände anwendbar sein. Der erste Schritt zum BIM-basierten Erhalten ist dabei i.d.R. die nachträgliche Erstellung eines BIM-Modells. 2. Das digitale Bauwerksmodell Durch die vergangenen Fortschritte in der Geodäsie ist die Erstellung von Punktwolken-Scans mittlerweile anwenderfreundlich und kosteneffizient geworden. Entsprechende Fachkräfte können mittels handgeführten oder stativgebundenen Laserscannern Gebäude binnen kurzer Zeit in baupraktisch ausreichender Genauigkeit vermessen. Aus der Punktwolke kann mit üblichen BIM- Softwares nachträglich ein BIM-Modell des Gebäudes erstellt werden. In Abbildung 1 ist oben die Punktwolke des im DigiPark-Projekt vermessenen Parkdecks und unten das daraus abgeleitete Modell gezeigt. Dieses Modell kann aus der proprietären Software in das IFC- Format exportiert werden, sodass alle Beteiligten auch mit kostenfreien BIM-Viewern das Modell betrachten und die gespeicherten Informationen abrufen können. Abbildung 1: Punktwolke (oben) und abgeleitetes BIM- Modell (unten) eines Parkdecks Das erstellte Modell enthält nach diesem Arbeitsschritt jedoch noch keine bauwerkserhaltungsrelevanten Informationen, es dient lediglich als 3D-Planunterlage für die folgenden Schritte. Sollte bereits ein BIM-Modell vorliegen, kann dieses mitsamt aller vorhandener Informationen verwendet werden. In beiden Fällen sind in den Modellen jedoch noch keine Informationen der Zustandserfassung enthalten und lediglich generische Bauteile simuliert. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 19 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Abbildung 2: Visuelle Programmierung in Revit mit dem Plugin Dynamo Das Hinzufügen von Informationen ist in den BIM-Modellen nur in einem gewissen Rahmen vorgesehen, der für die Bauwerkserhaltung derzeit nicht geeignet ist [7]. Entsprechend müssen alle Ergebnisse der Bauwerksuntersuchung jedem Element (Bauteil) einzeln hinzugefügt werden. Bei der Kartierung von dutzenden Prüfstellen, hunderten Rissen oder tausenden Werten eines Flächenscan-Rasters wäre eine manuelle Implementierung weder wirtschaftlich noch praxistauglich. Eine mögliche Lösung, die am ibac deshalb für die Dateneingabe verfolgt wird, nutzt die Visuelle Programmierung. Mit der BIM-Software Revit (Autodesk) kann das Open-Source Plugin Dynamo genutzt werden, um Elemente im Modell zu erstellen oder mit zusätzlichen Informationen zu versehen. Ein Auszug des Knotenplans der visuellen Programmierung zum Import von Bohrkern- Untersuchungen ist in Abbildung 2 gezeigt. Auf diese Weise genügt es, die zu importierenden Informationen in einer Excel-Tabelle zur Verfügung zu stellen, und mit derAusführung des Programmier-Skriptes werden die Daten (bspw. Untersuchungsergebnisse) dem jeweiligen Element im BIM-Modell hinzugefügt. Visuelle Programmierung ist zwar wesentlich intuitiver und einsteigerfreundlicher als die herkömmliche Arbeit mit Programmiersprachen, aber erfordert dennoch eine gewisse IT-Kompetenz. Für die praktische Anwendung genügt es allerdings, ein Skript ausführen zu können. Die Entwicklungsarbeit der jeweiligen Import-Skripte kann vollständig ausgelagert werden. Das Verorten bzw. Hinzufügen der jeweiligen Diagnoseergebnisse ist anschließend nicht schwieriger als die gewöhnliche Bedienung einer BIM-Software. 3. Zustandserfassung Ziele der Bauwerksuntersuchung bzw. Zustandserfassung sind die Bewertung des Bauteiles und die Abschätzung der zu erwartenden Restnutzungsdauer bzw. der durchzuführenden Maßnahmen. In der statischen Bewertung von Bestandsbauwerken werden bereits zerstörungsfreie Prüfungen (zfP) und Diagnoseinformationen als Basis für vollprobabilistische Modelle genutzt [8]. Für ein strukturiertes und übersichtliches Informationsmanagement findet dort ebenfalls das Konzept des modellbasierten Prüfens unter Verwendung von BIM-Modellen Anwendung [9]. Aus den Bauwerksinformationen liegen womöglich Angaben über den verwendeten Beton oder sogar Prüfergebnisse an Referenzprüfkörpern vor. In vergleichenden Untersuchungen konnte jedoch gezeigt werden, dass in situ die bestimmten Druckfestigkeiten durchschnittlich 20 % geringer und die ermittelten Carbonatisierungsbzw. Chloridmigrationskoeffizienten 40 bis 50 % höher als jene der separat hergestellten Vergleichsprobekörper sind [10]. Als Konsequenz daraus sollte also für eine zuverlässige Bewertung des Bauteilzustandes eine umfassende Diagnose durchgeführt werden. Neben invasiven Verfahren zur Bestimmung der Druckfestigkeit gibt es auch zerstörungsfreie Prüfungen, um bspw. Betondeckung oder Korrosionsaktivität zur prüfen (s. z.B. [11]). Im Idealfall liefert die Bauwerksdiagnose Angaben zu folgenden Bauteileigenschaften: • Betondeckung • Bewehrungslage • Carbonatisierungstiefe • Chloridgehalt (tiefengestaffelt) • Korrosionspotenzial (flächig) • Rissbild • Schadstellen 20 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Für eine effektive BIM-basierte Zustandserfassung und -bewertung müssen die verschiedenen Diagnoseergebnisse vollständig maschinenlesbar und ortsaufgelöst in das Modell übertragen werden. Dazu müssen die Daten aus dem jeweiligen Messgerät mit der ggf. proprietären Software in ein gängiges Format wie bspw. Excel-Tabellen exportiert werden. Auf diese Weise werden die Diagnosedaten für eine kollaborative Weiterverarbeitung zur Verfügung gestellt. Anschließend erfolgt der Import wie bereits erläutert z.B. über Visuelle Programmierung in das BIM-Modell. Mit jedem Schritt dieser digitalisierten Arbeitsweise werden die Daten effektiver genutzt und die folgenden Analysen zunehmend effizienter gestaltet, wie in Abbildung 3 dargestellt. Abbildung 3: Nutzensteigerung von Diagnosedaten durch eine digitalisierte Arbeitsweise Ein praktisches Beispiel der Datenimplementierung ist in Abbildung 4 dargestellt. In einer Excel-Tabelle wurden für mehrere Bohrkerne Daten aus einer beispielhaften Bauwerksuntersuchung zur relativen Lage, absoluten Tiefe und zum Bohrkerndurchmesser übermittelt und mittels weniger Mausklicks in das BIM-Modell übertragen. Durch einen Klick auf die Bohrkerne werden Untersuchungsergebnisse zur Druckfestigkeit, Geometrie und Carbonatisierungstiefe abrufbar. Abbildung 4: Bohrkerne in Wand und Stütze 4. Instandsetzungsplanung Aufbauend auf der Zustandserfassung können die Bauteile nun effizient hinsichtlich ihrer Instandsetzungsbedürftigkeit bewertet werden. Die Diagnoseergebnisse können variabel ein- und ausgeblendet werden. Es können einzelne Eigenschaften oder auch ihre Kombinationen betrachtet werden. Flächige Scans können in übereinander liegenden Lagen angezeigt werden. Die Implementierung der Diagnoseergebnisse hängt vom verwendeten Skript ab und die Möglichkeiten werden lediglich durch die jeweilige Programmiersprache bzw. das Datenformat beschränkt. Die Darstellung erfolgt in Abhängigkeit des verwendeten BIM-Programmes und erlaubt auch relative Einfärbungen je nach Merkmalsausprägung, wie am Beispiel des BIM-Viewers BIMVision (Datacomp) in Abbildung 5 gezeigt. Die rot gefärbten Elemente weisen Carbonatisierungstiefen von über 45 mm auf und markieren somit neuralgische Punkte. Neben der Carbonatisierungstiefe kann auch jeder andere verfügbare Wert dargestellt werden, bspw. die Restnutzungsdauer oder auch ein quantifizierter Instandsetzungsbedarf. Auf diese Weise können beispielsweise kritische Bereiche identifiziert werden, die anschließend mit Sensorik gezielt überwacht werden. Auf diese Weise kann effizient ein Korrosionsmonitoring wie in [12] vorgestellt implementiert werden, um Zustandsdaten zu sammeln und Prognosen zu validieren. Neben der Einfärbung und gegenüberstellenden Visualisierung der Diagnoseergebnisse wäre es auch denkbar, Handlungsempfehlungen in Abhängigkeit der Zustände automatisiert zu generieren. Warnungsmeldungen könnten gefährliche Über- oder Unterschreitungen ankündigen und geeignete Gegenmaßnahmen aufführen. Die Analyse des Ist-Zustandes und die Planung der nötigen Instandsetzung kann auf diese Weise ideal unterstützt werden. Daneben erlaubt eine digitale Zustandserfassung ein nachhaltiges Datenmanagement, indem alle vorliegenden Informationen übersichtlich gebündelt und vollständig erhalten werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 21 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Abbildung 5: Farbige Darstellung der Carbonatisierungstiefe in diskreten Bereichen (grün ≤ 20 mm, gelb ≤ 45 mm, rot ≤ 70 mm) 5. Ausführung Die BIM-basierte Ausführung arbeitet mit digitalen Planungsunterlagen und verbindet diese womöglich mit VR/ AR-Technologie (Virtual bzw. Augmented Reality). Es ist denkbar und technisch möglich, dass beispielsweise die Abtragstiefe bis zum tragfähigen Beton über eine AR- Brille farbig markiert oder die tatsächliche Bewehrungslage sichtbar wird, um Sondierungsöffnungen zielsicher zu platzieren. In einem weiteren Schritt könnten Baumaschinen mit dem BIM-Modell verknüpft und automatisierte Kollisionsprüfungen durchgeführt werden, sodass ein Bagger selbstständig die Bewegung stoppt, bevor seine Schaufel eine Gasleitung oder ein Wasserrohr treffen würde. Es wird auch eine Kombination mit der Aufwandsermittlung bei Instandsetzungen angestrebt, sodass die laufenden Meter oder Flächen nicht manuell, sondern fotobasiert ermittelt und automatisch im BIM-Modell lokalisiert werden. Die nötige Hard- und Software für diese Arbeitsweisen ist bereits vorhanden, für die Anwendung müssen jedoch geeignete BIM-Modelle und Infrastrukturen gegeben sein. 6. Sensorbasierte Dauerhaftigkeitsprognosen Die Dauerhaftigkeit von Stahlbetonbauteilen ist ein elementarer Faktor für die Sicherheit und Nachhaltigkeit von Gebäuden. Neben deskriptiven Verfahren zur Dauerhaftigkeitsbemessung gewinnen probabilistische Verfahren und Modelle zunehmend an Bedeutung, um zuverlässige Prognosen und sinnvolle Anforderungen an dauerhaftigkeitsrelevante Parameter wie beispielsweise die Betondeckung zu stellen. Die gängigen Prognosemodelle benötigen jedoch als Input die den Modellparametern zugrundeliegenden statistischen Verteilungen. Die notwendigen Daten liegen oft nicht in geprüfter Form vor, sodass auf Literaturwerte zurückgegriffen wird. Die Verwendung von Literaturwerten ist jedoch kritisch für die Aussagekraft und Fehleranfälligkeit der Modelle, insbesondere weil manche schlecht zu überprüfenden Parameter besonders einflussreich sind [13]. 22 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung Abbildung 6: Ableiten von statistischen Verteilungen aus Sensordaten Für eine belastbare Aussage der Prognosemodelle werden realistische Eingangsparameter benötigt, die durch Bauwerksprüfungen bestimmt werden [14]. Die Kalibrierung der Modelle auf das jeweilige Bauteil wird als vielversprechender betrachtet als die Verbesserung der Modelle selbst [15]. Darüber hinaus können die Modelle durch probabilistische Methoden wie beispielsweise das Bayes’sche Updating verbessert bzw. „angelernt“ werden. Der erforderliche Rechenaufwand war damals ein Hindernis, stellt jedoch bei den heutigen Computern kein Problem mehr dar [16]. Mittels Bayes’schem Updating können Defizite in der Verfügbarkeit gewisser Modellparameter kompensiert werden, sofern die Datengrundlage der anderen Parameter groß genug ist, was oft nicht der Fall ist [17]. Es gilt also, die durch die Bauwerksdiagnose und verbaute Sensorik gesammelte Daten nicht nur zu sammeln, sondern für lernfähige Lebensdauerprognosen zu nutzen. Aus den Rohdaten sollen statistische Verteilungen abgeleitet (vgl. Abbildung 6) und anschließend Zuverlässigkeitsindizes bestimmt werden. Die Ergebnisse können ebenfalls im BIM-Modell gespeichert und bauteilspezifisch abgerufen oder gegenübergestellt werden. Auf diese Weise wird nicht nur eine Bewertung des Ist-Zustandes BIM-basiert möglich, sondern auch der prognostizierten Zustände in der Zukunft. 7. Schlussfolgerungen und Ausblick Das vorgestellte Konzept zur Digitalisierung der Bauwerkserhaltung baut auf den technischen Fortschritten der letzten Jahre auf und leitet eine modellzentrierte Arbeitsweise ein. Daten sollen strukturiert aufbereitet, gesammelt und vernetzt werden. Mit automatisierten Auswertungen werden Handlungsmöglichkeiten vorgeschlagen und Bewertungen unterstützt. Mit einem vertretbaren Aufwand wächst über die Nutzungsdauer hinweg ein BIM-Modell, das nicht nur den Soll-Zustand, sondern auch den Ist-Zustand verlässlich wiedergibt. Aus dem bisherigen Arbeitsstand können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden: • BIM-visualisierte Diagnosen ermöglichen effiziente Analysen, indem örtliche Häufungen oder Streuungen sichtbar werden. • Untersuchungsergebnisse, deren Verwendung bislang oft in einem Prüfbericht endete, bleiben maschinenlesbar erhalten und können für weitere Analysen genutzt werden (digitales Bauwerksbuch). • Farbige „Ampel-Systeme“ erlauben die simple Ersteinschätzung des Bauteilzustandes. • Digitalisierte Bauwerksdiagnosen ermöglichen effiziente Hightech-Instandsetzungen. • Zuverlässige Prognosen ermöglichen zielgerechte Erhaltungsmaßnahmen. Aktuell erfolgen weitere Bemühungen, um neben punktuellen und flächigen Bauwerksuntersuchungen auch komplexe Geometrien wie die tatsächliche Bewehrungslage aus diesen abzuleiten und automatisiert im BIM-Modell darzustellen. Es ist geplant, den Workflow mittelfristig cloudbasiert abzuwickeln und über diese mit Sensorik zu verknüpfen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 23 Digitalisierung in der Bauwerkserhaltung 8. Literatur [1] Stufenplan Digitales Planen und Bauen - Einführung moderner, IT-gestützter Prozesse und Technologien bei Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2015. [2] Umsetzung des Stufenplans Digitales Planen und Bauen - Erster Fortschrittsbericht, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2017, p. 23. [3] C. Heinzelmann, J. Bödefeld, Z. Duric, Digitalisierung im Verkehrswasserbau, Bautechnik 97(6) (2020) 441-445. [4] Digitalisierung im Verkehrswasserbau, Bundesanstalt für Wasserbau, Hannover Congress Centrum, 2018. [5] G. Fröch, W. Gächter, A. Tautschnig, G. Specht, Merkmalserver im Open-BIM-Prozess, Bautechnik 96(4) (2019) 338-347. [6] J.L. Bödefeld, Stefan, BIM - Hype, Risiken und Chancen, Neubau von Wasserbauwerken, Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, 2019. [7] S. Kubens, J. Landis, C. Müller, R. Achenbach, BIM-basierte Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken, beton 12 (2019) 454-459. [8] S. Küttenbaum, S. Maack, T. Braml, A. Taffe, M. Haslbeck, Bewertung von Bestandsbauwerken mit gemessenen Daten, Beton- und Stahlbetonbau 114(6) (2019) 370-382. [9] H.G. Oltmanns, H. Oltmanns, A. Dirks, BIM-Modelle und die Bearbeitung durch Prüfingenieure, Bautechnik (2019). [10] F. Jacobs, Dauerhaftigkeit von Beton im Bauteil, Beton- und Stahlbetonbau 114(6) (2019) 383-391. [11] S. Keßler, L.P. Emmenegger, A.A. Sagüés, Korrosionsdetektion an Stahlbetonbauwerken: konventionell und innovativ, Bautechnik 97(1) (2019) 11- 20. [12] A. Holst, H. Budelmann, H.-J. Wichmann, Korrosionsmonitoring von Stahlbetonbauwerken als Element des Lebensdauermanagements, Beton- und Stahlbetonbau 105(12) (2010) 536-549. [13] M.G. Grantham, J. Gulikers, C. Mircea, Predicting residual service life of concrete infrastructure: a considerably controversial subject, MATEC Web of Conferences 289 (2019). [14] C. Boschmann Käthler, U.M. Angst, Der kritische Chloridgehalt - Bestimmung am Bauwerk und Einfluss auf die Lebensdauer, Bautechnik 97(1) (2019) 41-47. [15] U.M. Angst, Predicting the time to corrosion initiation in reinforced concrete structures exposed to chlorides, Cement and Concrete Research 115 (2019) 559-567. [16] D. Straub, I. Papaioannou, Bayesian Updating with Structural Reliability Methods, Journal of Engineering Mechanics 141(3) (2015). [17] B. Cai, X. Kong, Y. Liu, J. Lin, X. Yuan, H. Xu, R. Ji, Application of Bayesian Networks in Reliability Evaluation, IEEE Transactions on Industrial Informatics 15(4) (2019) 2146-2157. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 25 Neuzeitliche Infrastrukturprojekte versus Denkmalpflege? Eine diplomatische Herausforderung? Axel Dominik Dominik Ingenieurbüro, Bornheim | Deutschland Pascale Dominik Dominik Ingenieurbüro, Bornheim | Deutschland In dem Vortrag möchten wir anhand einiger Beispiele die Schwierigkeiten, aber auch die positiven Seiten schildern, die mit der restauratorischen Instandsetzung historischer Bauwerke verbunden sind. Beispiel 1: Eine historische Eisenbahnbrücke wurde im 18. Jahrhundert aus Natursteinmauerwerk errichtet, ist in großen Teilen schwer geschädigt und genügt nach Ansicht einiger Beteiligter nicht mehr den neuesten Infrastrukturanforderungen. Dies betrifft auch u. a. die Lasten, die zukünftig auf der Brücke transportiert werden sollen. Der Zustand der Brücke kann die heutigen Anforderungen nicht mehr erfüllen. Im Rahmen der Untersuchungen wurde festgestellt, dass die Brücke vielfältige Alterserscheinungen aufweist. Die Naturwerksteine der Fassade sind teilweise gelöst, der Mörtel des Bruchsteinmauerwerks dahinter existiert in Teilbereichen nicht als Mörtel, sondern eher in einem sandigen Zustand. Im Laufe der Untersuchungen entstand eine Faszination hinsichtlich der planerischen, aber auch der handwerklichen Leistungen, die an diesem Bauwerk mit den damaligen Mitteln des 18. Jahrhunderts und den Baustoffen aus der Region erbracht wurden. Für die Instandsetzung des Bauwerkes wurde nach Lösungen gesucht, die einerseits das traditionelle Bauwerk berücksichtigt, jedoch auch den heutigen Anforderungen entspricht. Beispiel 2: Ein historisches Bauwerk aus der Jahrhundertwende des 19. und 20. Jahrhunderts, welches seit vielen Jahrzehnten ungenutzt der Witterung frei ausgesetzt wurde und scheinbar keinen Nutzen mehr hat, gefährdet aufgrund seiner Baufälligkeit u. a. Passanten, die an dem Haus vorbeigehen. Eine Wohnungsbaugesellschaft möchte aufgrund des großen Wohnungsbedarfs in den Städten auf dem Grundstück dieses denkmalgeschützten und vollkommen heruntergekommenen Bauwerks ein mehrgeschossiges Wohnhaus nach dem neuesten Stand der Technik bauen. Das denkmalgeschützte Wohnhaus wurde mit den damaligen Baustoffen errichtet, weist feuchtebedingte Schäden, einen biologischen Befall und nach den heutigen Anforderungen keinen ausreichenden Wärme- und Schallschutz auf und ist zudem nicht mehr tragsicher. Beim näheren Hinsehen fasziniert jedoch diese verschmutzte Stuckfassade in Hinblick auf die handwerklichen Fähigkeiten, u. a. die der Stuckateure, der Schreiner und der Maurer. Das Gebäude strahlt nicht nur das handwerkliche Können aus, sondern auch seine gesamte Geschichte. Beispiel 3: Eine Autobahnbrücke wurde während des 2. Weltkrieges aus Mauerziegel- und Naturstein-mauerwerk errichtet. Es ist faszinierend, mit welcher Präzision und in welcher kurzen Zeit dieses riesige Brückenbauwerk, welches viele Jahrzehnte dem Autobahnverkehr standgehalten hat, mit einfachen Baustoffen errichtet wurde. Die Baustoffe dieses Bauwerks sind durch die Belastung aus dem Straßenverkehr und durch Umwelteinflüsse geschädigt, die Mörtelbestandteile sind infolge von Umwandlungsprozessen in ihren Eigenschaften stark verändert. Eine nicht angepasste Ertüchtigung kann zu weiteren inneren Beanspruchungen und damit zu Schäden führen, wenn nicht neuzeitliche Instandsetzungsstoffe entwickelt werden, die mit diesen veränderten Baustoffen verträglich sind. Ziel ist es, das Bauwerk zu stabilisieren, die Tragfähigkeit zu erhöhen und somit das Bauwerk zu erhalten. Es stellt sich die Frage, ob das Bauwerk auch nach der Instandsetzung den neuzeitlichen Infrastruktur-anforderungen, die heute an ein solches Bauwerk gestellt werden, genügen. Folgende Fragen stellen sich aufgrund der aufgezeigten Problematik: „Dürfen diese denkmalgeschützten Gebäude für die Schaffung neuer Infrastrukturprojekte abgerissen werden? “ „Welchen Wert haben diese Gebäude heute noch für einen persönlich, seine Nutzer und gibt es Wege, sie für die Nachwelt zu erhalten? “ 26 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Neuzeitliche Infrastrukturprojekte versus Denkmalpflege? Eine diplomatische Herausforderung? In dem Vortrag wird nicht nur auf historische Bauweisen und Baustoffe eingegangen, sondern auch auf die neuzeitlichen Forschungen und Entwicklungen, die mit der Planung und Instandsetzung solcher Bauwerke verbunden sind. Gerade im Baustoffsektor können uns diese Untersuchungen zukünftig von Nutzen sein, wenn es um Verträglichkeit, Alterung und Dauerhaftigkeit von Baustoffen geht. An historischen Bauwerken lassen sich Wege für die Anwendung, aber auch für die Widerstandsfähigkeit von Baustoffen finden, die auch für neuzeitliche Infrastrukturprojekte gelten können. Dabei ist die Einbeziehung der Denkmalpflege in die Forschungs- und Planungsaufgaben von großer Bedeutung. Sie besitzt die Erfahrung mit historischen Baustoffen sowie deren Anwendung und kann wichtige Hinweise auf die Instandsetzung der vielfältigen Bauwerke aus den vergangenen Jahrhunderten geben. Bauwerksdiagnostik 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 29 Interdisziplinäre Bestandserfassung und Bewertung von Injektionen des Schwarza-Witznaustollens mit Stollenradar Dr.-Ing. Gabriele Patitz Ingenieurbüro IGP Bauwerksidagnostik und Schadensgutachten Karlsruhe, Deutschland Dipl.-Ing. Robert Render Dr.-Ing. Daniel Stolz Schluchseewerk AG Asset Management Bautechnik Laufenburg, Deutschland Zusammenfassung Der Zustand des unbewehrten Schwarza-Witznaustollens aus den Jahren 1929 - 1943 wurde im Rahmen eines Pilotprojektes mit zerstörungsfreien Erkundungsverfahren wie Orthofotos und Stollenradar in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Bauingenieuren, Geophysikern und Vermessungsingenieuren erfasst, dokumentiert und bewertet. Als Basis für die Entwicklung und Planung eines Sanierungskonzeptes erfolgte die Kontrolle der ausgeführten Probeinjektionen mit Stollenradar in einem ausgewählten Abschnitt. Durch identische Vorher-Nachher-Messungen konnten signifikante Veränderungen in den Datensätzen des Stollenradars abgestuft über verschiedene Bauteiltiefen analysiert und bewertet werden. Es ist naheliegend, dass diese auf die Injektion zurückzuführen sind. Das betrifft zum einen Injektionen innerhalb der Betonschale und den Grenzbereich Beton - Fels und zum anderen Veränderungen der anstehenden Wasserfront in der Stollenlängsrichtung und Stollenwandtiefe. Mittels gezielter kalibrierender Bohrungen wurden die physikalischen Messwerte des Stollenradars verifiziert. 1. Objektvorstellung Der Schwarza-Witznaustollen gehört zur Schluchseewerk AG und ist mit einer Länge von rund 9.200 m ein Triebwasserstollen zwischen dem Schwarzabecken und dem KW Witznau im Südschwarzwald. Das Wasser läuft mit einem durchschnittlichen Gefälle von 1,2 % zwischen Schwarzabecken, dem Kraftwerk Witznau in Ühlingen-Birkendorf und schließlich dem Witznaubecken im Turbinenbetrieb hin und im Pumpbetrieb zurück. Abschnittsweise sind Gefälle- und Querschnittsveränderungen vorhanden. In der Ausbaustufe I wurde der Stollen mit einer Länge von ca. 2930 m vom Schwarzabecken bis zum heutigen Fenster Oberes Eichholz gebaut. Baubeginn war August 1929 und Inbetriebnahme im Juni 1931. Geplant wurde ein Kreisquerschnitt mit Durchmesser 4,1 m. Aufgrund des eingesetzten Ausbruchsverfahrens kam es jedoch zu einer ovalen Aufweitung des Profils über eine Strecke von ca. 500 m. Die Dicke der unbewehrten Tunnelschale schwankt zwischen einigen wenigen Zentimetern und bis zu ca. 50 cm. Aufgrund von lokalen Einbrüchen sind bewehrte und mit Ziegelsteinen hintermauerte Abschnitte vorhanden. Durch die Nachwirkungen der Weltwirtschaftskrise und des folgenden zweiten Weltkrieges konnten die Arbeiten für die Ausbaustufe II erst 1939 wieder beginnen und wurden 1943 beendet. Dieser Stollenabschnitt hat eine Länge von etwa 6300 m mit einem Gefälle von ca. 1% und Durchmesser von ca. 4,5 m bis zur Einmündung des Mettmastollens. Ab dieser Einmündung erweitert sich der Durchmesser auf ca. 4,95 m und bleibt konstant bis zum Wasserschloss Berau. Von dort beträgt dann bei einem Durchmesser von ca. 5,0 m das Gefälle ca. 5 % auf 1000 m bis zur Panzerung. In dem ab 1939 gebauten Stollenabschnitt befindet sich eine ca. 2 - 5 cm dicke Putzschicht auf dem Stollenbeton. 2. Erfassung des Ist- Zustandes der Stollenwandauskleidung In regelmäßigen Abständen erfolgt zu Revisionszwecken eine Entleerung des Stollens. Es wird zunächst eine visuelle Besichtigung und Bewertung des Stollenbetons durchgeführt, kombiniert mit Abklopfen. Typische Scha- 30 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Interdisziplinäre Bestandserfassung und Bewertung von Injektionen des Schwarza-Witznaustollens mit Stollenradar densbilder wie lokales Ausbrechen des Stollenbetons, Kiesnester, Hohllagen der Putzschicht bzw. des Stollenbetons, Risse in der Stollenwand und Wasseraustritte werden erfasst und ggf. repariert. Aufgrund des aktuellen Zustandes, bedingt durch die bisherige lange Lebens- und Nutzungszeit sowie die sehr unterschiedliche Qualität in der Bauausführung von 1929 - 1941 muss ein Sanierungskonzept unter Berücksichtigung der Dringlichkeit erarbeitet werden. Dazu ist es erforderlich, möglichst gut und vollflächig den aktuellen Zustand der betonierten Stollenwandauskleidung zu kennen. Im Zuge einer turnusmäßigen Entleerung 2018 wurde daher der Zustand des Stollenbetons zum einen durch die Aufnahmen von hochauflösenden Orthofotos und zum anderen durch vollflächige zerstörungsfreie Untersuchungen mit Stollenradar mit einer Auswertetiefe von ca. 30 cm erfasst und dokumentiert. Versuchs- und Entwicklungsreihen aus den Jahren 2014 - 2018 ergaben, dass das Stollenradar prinzipiell geeignet ist, sowohl lokale Fehlstellen als auch größere Abschnitte unterschiedlicher Betonqualität aufzuzeigen. Die Gesamtergebnisse aus Orthofotos und Stollenradar sind stationsgenau, übersichtlich, gut handhabbar und jederzeit fortschreibbar in einem pdf-Atlas digital dokumentiert. 3. Vorarbeiten für die Erstellung eines Sanierungskonzeptes Auf Basis der Ergebnisse aus den weitgehend vollflächigen Radarmessungen konnten stationierungsgenau Stollenabschnitte unterschiedlichen Schadensgrades und daraus ergebend mit unterschiedlichem Handlungsbedarf ausgewiesen werden. Es sind einerseits homogene und kompakte Betonabschnitte vorhanden und andererseits Abschnitte mit Wasserführung, Kiesnestern und zahlreichen Hohllagen. Kalibrierende Voll- und Kernbohrungen bestätigten die in den Radarergebnissen erkennbaren Verdachtsfälle unterschiedlicher Schäden und Schadensgrade. Als Basis für die Erstellung eines Sanierungskonzeptes erfolgten im Zuge der planmäßigen Revisionsphase 2020 Probeinjektionen in einem ausgewählten und vergleichsweise gut zugänglichen Stollenabschnitt. Um den Erfolg der Injektionen mit verschiedenen Materialien zu bewerten, wurden die injizierten Bereiche und unmittelbar angrenzende Stollenabschnitte mittels Stollenradar vollflächig untersucht werden. Durch den Einsatz identischer Geräte, Software und Datenverarbeitungsmodule bei identischem Messraster aus dem Jahr 2018 mit der Ersterkundung und der Wiederholungsmessung im Juni 2020 ist auf Basis eines Datenvergleichs eine Erfolgskontrolle der Injektionen möglich. 4. Kontrolle des Injektionserfolges in der Stollenwand Die Injektionskontrolle erfolgte zum einen durch einen direkten Vergleich der Radardaten aus 2018 und 2020. Zum anderen dienten Voll- und Kernbohrungen in Kombination mit Bohrlochvideos und Bohrlochbildern zur Kalibrierung der Radardaten und zur Injektionskontrolle. In einem Baustoffprüflabor wurden die entnommenen Bohrkerne einer visuellen Ansprache hinsichtlich vorhandenem Injektionsmaterial und Hohlraumgehalt unterzogen. 5. Verfahrensbeschreibung Stollenradar Vor Ort wurden die Radardaten (elektromagnetische Wellen) entlang von horizontalen Profillinien als Radargramme mit hochauflösenden 1,5 GHz Sensoren aufgenommen. Bei den Radargrammen handelt es sich um einen Schnitt in die Stollenwand entlang dieser Profillinie. Die Datenaufzeichnung erfolgte online während der Messung, kombiniert mit einer visuellen Qualitätskontrolle der Rohdaten hinsichtlich Eindringtiefe, Qualität, Störeinflüssen und Datenplausibilität. Ist der Abstand zwischen den gemessenen parallelen Profilen hinreichend klein, können in mehreren Datenverarbeitungsschritten aussagekräftige Zeitscheiben berechnet werden. Das sind grundrissähnliche Darstellungen in ausgewählten und relevanten Tiefenbereichen. Die Lage und Anzahl der berechneten Tiefenbereiche hängen objektweise von der Fragestellung ab. Zeitscheiben bzw. Tiefenhorizonte werden immer dann berechnet, wenn große Flächen beurteilt werden müssen, da sich hier die auftretenden Reflexionen gut darstellen, erkennen und bewerten lassen. Bei dieser flächigen Ergebnisdarstellung werden die unterschiedlichen Reflexionsstärken farbcodiert wiedergegeben (Bild 1). Geringe Reflexionsstärken korrelieren hier mit einem homogenen und wenig hohlraumreichen Beton ohne anstehendes Wasser. Dies ist farbcodiert Blau / Schwarz. Hohe bis sehr hohe Reflexionsstärken sind rot und gelb farbcodiert. Ursächlich sind Reflexionen der elektromagnetischen Wellen an Grenzen von Materialien unterschiedlicher elektrischer Leitfähigkeit. Diese werden zum Beispiel durch eine Anhäufung von Hohlräumen oder einer Ablösung mit Luftspalt, durch anstehendes Wasser oder durch die Materialgrenze Beton - Fels verursacht. Wasser ist ebenso wie Luft für das Radarverfahren ein Kontrastmittel. Bei der Interpretation der stark reflektierend rot erscheinenden Stollenwandbereiche muss folglich als deren Ursache zwischen Wasser, Luftspalten, Grenze Beton - Fels und der Anhäufung von Hohlräumen unterschieden werden. Dazu sind Kalibrierungsbohrungen kombiniert mit Videoendoskopie in auffälligen hoch reflektiven und im Vergleich dazu in kaum reflektiven Bereichen unerlässlich. [1, 2] 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 31 Interdisziplinäre Bestandserfassung und Bewertung von Injektionen des Schwarza-Witznaustollens mit Stollenradar Bild 1: Legende zu den Zeitscheiben: Details einer Radarzeitscheibe für den Tiefenbereich von ca. 8 - 20 cm, Daten des 1,5 GHz Sensors, farbcodierte Darstellung der kalibrierten Reflexionsstärken Im Folgenden werden nur die Ergebnisse über den Gesamttiefenbereich von ca. 5 - 50 cm vorgestellt. Bild 2 zeigt im Vergleich die Radardaten für die Injektionsstrecke 3, injiziert mit der Fließrichtung im Stollen. Die obere Zeitscheibe entspricht der Nullmessung aus dem Jahr 2018 und die untere zeigt die Veränderungen nach den Injektionsarbeiten 2020. Bei den neuen dunkelblauen Bereichen handelt es sich jetzt um einen injizierten kompakten und wenig hohlraumhaltigen Beton. Die sehr hohen Reflexionen im Bereich der Firste werden durch Wasser verursacht. Hier sind diese wasserführenden Bereiche nach den Injektionen erkennbar größer und ausgedehnter. Durch den Vergleich der Datensätze aus 2018 und 2020 können injizierte Stollenwandabschnitte, wasserführende Bereiche und nicht injizierte Stollenwandabschnitte auskartiert werden (Bild 3). Bestätigt wurde dies durch die gezielt gesetzten Kalibrierungsbohrungen, die im Bild 3 entsprechend der Legende in Bild 4 eingetragen sind. 6. Ergebnisse der Radarmessungen zur Erfolgskontrolle der Injektionen Betrachtet und verglichen wurden die berechneten Zeitscheiben vor- und nach den Injektionen. Der wesentliche Vorteil einer Vorher-Nachher-Messung liegt darin, dass die Veränderungen in den Radardaten bewertet werden können. Es ist naheliegend, dass diese auf die Injektion zurückzuführen sind, mögliche Mehrdeutigkeiten hinsichtlich der Ursache (z.B. Hohlstellen oder Wasser) werden dadurch erheblich reduziert bzw. eingegrenzt. Die hier erreichte Datenqualität kann als sehr gut beurteilt werden. Bis in eine Eindringtiefe von ca. 50 cm sind aussagekräftige und zuverlässige Radardaten aus den Messungen von 2018 und 2020 vorhanden. Die Radarergebnisse wurden daher als farbcodierte Reflexionsstärken für folgende Tiefenbereiche berechnet: 1. Zeitscheibe für Tiefenbereich 5 - 10 cm oberflächennaher Bereich bis ca. 10 cm 2. Zeitscheibe für Tiefenbereich 10 - 20 cm vorderer Stollenwandbereich 3. Zeitscheibe für Tiefenbereich 20 - 50 cm tieferer Stollenwandbereich 4. Zeitscheibe für Tiefenbereich 5 - 50 cm Gesamtbereich bis ca. 50 cm Tiefe 32 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Interdisziplinäre Bestandserfassung und Bewertung von Injektionen des Schwarza-Witznaustollens mit Stollenradar Bild 2: Strecke 3, Ergebnisdarstellung der Radardaten als Zeitscheibe Tiefenbereich ca. 5 - 50 cm, oben Nullmessung 2018, unten nach den Injektionen 2020 Bild 3: Ergebnisse im Injektionsbereich Strecke 3, Darstellung der injizierten Bereiche, analysiert über einen Gesamttiefenbereich der Stollenwandauskleidung von ca. 5 bis 50 cm, Hellgrau sind die nicht injizierten Stollenwandabschnitte, Grün: injizierte Abschnitte, Hellblau: Wasseransammlungen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 33 Interdisziplinäre Bestandserfassung und Bewertung von Injektionen des Schwarza-Witznaustollens mit Stollenradar Bild 4: Legende zur Markierung der Informationen aus den Kalibrierungsbohrungen Die Injektionen in Strecke 4 (Injektionen entgegen der Fließrichtung) erscheinen erfolgreicher. Bild 5 zeigt wieder die Zeitscheiben vor und nach den Injektionen. Die Rotfärbung = stark erhöhte Reflexionen korrelieren hier mit anstehendem Wasser. Im unteren Bild ist erkennbar dass durch die Injektionen die Wasserfront um ca. 10 - 15 m nach links (absteigende Stationierung) verschoben und in die Tiefe des anstehenden Felses gedrückt worden ist. Der Stollenwandbeton ist kaum hohlraumhaltig und die geringen Reflexionsstärken korrelieren mit einem kompakten Beton. Auch hier bestätigen dies die Kalibrierungsbohrungen (Bild 6). Bild 5: Injektionsstrecke 4, Ergebnisdarstellung der Radardaten als Zeitscheibe Tiefenbereich ca. 5 - 50 cm, oben Nullmessung 2018, unten nach den Injektionen 2020 34 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Interdisziplinäre Bestandserfassung und Bewertung von Injektionen des Schwarza-Witznaustollens mit Stollenradar Bild 6: Ergebnisse Injektionsstrecke 4, Darstellung der injizierten Bereiche, analysiert über einen Gesamttiefenbereich von ca. 5 bis 50 cm, Hellgrau sind die nicht injizierten Stollenwandabschnitte, Grün: injizierte Abschnitte, Hellblau: Wasseransammlungen. 7. Zusammenfassung Die Kombination von Stollenradar mit kalibrierenden Bohrungen und Videoendoskopie ist prinzipiell geeignet, um den Zustand der betonierten Stollenwandauskleidung vollflächig zu erfassen und zu beurteilen. Es konnte hier durch den Einsatz hochfrequenter Radargeräte eine Bauteildicke bis ca. 50 cm erkundet und bewertet werden. Auf der Basis von Vorher-Nachher-Messungen können Veränderungen in den Radardaten erfasst und im Zusammenhang mit den erfolgten Eingriffen analysiert werden. Es konnte der Erfolg von Injektionen hinsichtlich der Verbesserung des Betonzustandes und des anstehenden Wassers überprüft werden. Der Einsatz des Radarverfahrens im Stollen hat auch gezeigt, dass unter realen Bedingungen sowohl Anpassungen der Geräte- und Messtechnik als auch Änderungen im Messkonzept sinnvoll und erforderlich werden können. Für diese Art von Untersuchungsobjekten können daher keine standardisierten Lösungen erstellt werden. Eine Beurteilung hinsichtlich der Praktikabilität und Aussagekraft der Messdaten kann und muss zwingend immer erst unter den reellen Bedingungen vor Ort beurteilt und bewertet werden. Unerlässlich ist, dass etwa zeitgleich eine Bewertung, Auswertung und Interpretation über kalibrierende Bohrungen der Radardaten erfolgt. Dabei sind Vollbohrungen mit Durchmesser ca. 22 mm ausreichend. Es muss maximale Flexibilität hinsichtlich der einzusetzenden Messtechnik, technischen Unterstützung für die Ausführung und Zugänglichkeit sowie Datenauswertung bestehen. Weiterführende Literatur: [1] Gabriele Patitz, Bauradar zur Bestandsbewertung am Laufenmühle-Viadukt. In: BAUSUBSTANZ Betoninstandsetzung, Sonderheft 1, 2017 [2] Der Bausachverständige, Baurechtliche und -technische Themensammlung, Arbeitshefte für Baujuristen und Sachverständige. Heft 7: Bauteiluntersuchungen Notwendigkeit und Grenzen. Seibel, Zöller (Hrsg.), Bundesanzeiger Verlag, Fraunhofer IRB Verlag 2016 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 35 Interdisziplinäre Bestandserfassung und Bewertung von Injektionen des Schwarza-Witznaustollens mit Stollenradar Auftraggeber Schluchseewerk AG Säckinger Str. 67, 79725 Laufenburg (Baden) Dipl.-Ing. Robert Render, Dr.-Ing. Daniel Stolz Projektleitung Dr.-Ing. Gabriele Patitz IGP Ingenieurbüro Bauwerksdiagnostik Schadensgutachten Alter Brauhof 11, 76137 Karlsruhe Bestandserfassung mit Orthofotos Radaruntersuchungen vor - und nach den Injektionen Bewertung Injektionserfolg Dipl.-Geophys. Markus Hübner GGU Gesellschaft für Geophysikalische Untersuchungen mbH Ettlingerstr. 51, 76137 Karlsruhe Dr. Andreas Bruschke Messbildstelle GmbH Altplauen 19, 01187 Dresden Planung Probeinjektionen ILF CONSULTING ENGINEERS AUSTRIA GMBH Feldkreuzstrasse 3 | A-6063 Rum/ Innsbruck | Österreich Eva Manninger ILF BERATENDE INGENIEURE AG Flurstrasse 55 | CH-8048 Zürich | Schweiz Dr. Markus Schwalt Frank Hennig Ausführung Probeinjektionen Renesco GmbH - Abteilung Marti Geotechnik Industriestrasse. 2, D-79541 Lörrach Andreas Heizmann, Flavio Piras, Petar Filev 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 37 Zustandsaufnahme und -beurteilung von Tiefgaragen Dipl.Ing (FH) SIA Ralf Schoster ewp AG Effretikon, Schweiz Zusammenfassung Unterhalt und Instandsetzung von Tiefgaragen und Einstellhallen haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Wasserinfiltrationen, Tausalze, Bewehrungsdefizite und zu geringe Betondeckungen erfordern in der Schweiz bei jedem Bauwerk andere Schwerpunkte in der Zustandsaufnahme und -beurteilung auf der Grundlage der SIA-Normen 269ff. für Erhaltung und der SIA-Dokumentation «Tragsicherheit von Einstellhallen». Am Beispiel instandgesetzter Tiefgaragen grösserer Wohnüberbauungen wird das Vorgehen der visuellen Inspektion mit digitaler Unterstützung über Messungen und Ortungen bis zur Beurteilung aufgezeigt. Ziel ist eine möglichst ganzheitliche Erfassung und Beurteilung von Schadensmechanismen. • Digitale Aufbereitung der Bauwerksdokumentation als Grundlage für die appbasierte Zustandserfassung und Schadensaufnahme, welche unmittelbar mit lokalem Bezug erfasst und klassifiziert wird. • Verwendung der digitalen Dokumentation für Leistungsverzeichnisse, Instandsetzungskonzepte und -dokumentation. • Unmittelbare Einbindung der Messungen von Betondeckungen, Betonoberflächendruckfestigkeiten, Bewehrungsortungen. Durchstanzproblematiken aus höheren Lasten, zu geringer Durchstanzbewehrung oder zu geringer bzw. zu kurzer oberer Biegebewehrung. Statische Beurteilungen mit detaillierten Nachweisen der Stufe 3 i.V.m. den Kennwerten aus der Zustandserfassung. 1. Ausgangslage 1.1 An- und Herausforderungen Tiefgaragen und Einstellhallen geraten zunehmend in den Fokus der Eigentümer und Hausverwaltungen. Der Bedarf an Unterhalt und Instandsetzung bei Tiefgaragen hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Sie sind oftmals nicht mehr nur ein dunkler, grauer Raum, in dem verschiedene Fahrzeuge untergebracht sind. In den Vordergrund treten Funktionalität und Gebrauchstauglichkeit bis hin zum Komfort im Sinne von trockenen, hellen und benutzerfreundlichen Räumen, die u.a. gut beleuchtet sind, helle Farbe in der Textur zeigen und frei von Nassstellen und Pfützen sind. Bild 1: Bodenplatte mit Wasserinfiltrationen infolge Grundwasser Bei vielen Tiefgaragen fehlen Planunterlagen und Nutzungsvereinbarungen. Die zulässigen Erdüberdeckungen lassen sich kaum mehr eruieren. Besonders kritisch wird dies im Zusammenhang mit den öfter formulierten Vorstellungen „es hat doch bis jetzt gehalten“ oder „nach alter Norm hat es doch auch gereicht“. Zusätzlich wird oft der Einfluss von Chloriden, Bewehrungsüberdeckung und Fugenabdichtungen nicht ausreichend beachtet oder gar negiert. 38 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Zustandsaufnahme und -beurteilung von Tiefgaragen Bild 2: Aufplatzungen des Hartbetonbelags infolge Korrosion an Fussplatte der Betonverbundstütze 1.2 Grundlagen Neben den aktuell in der Schweiz gültigen SIA-Normen für Neubau und Abdichtung ist die Normenreihe 269ff. für Erhaltung von Tragwerken relevant, die Anfang 2011 für gültig erklärt wurde. Darüber hinaus sind in diesem Zusammenhang die Dokumentationen D 0239 “Erhaltung von Tragwerken” [7] und D0226 “Tragsicherheit von Einstellhallen” [6] von Bedeutung. 2. Zustandserfassung und -beurteilung 2.1 Vorbereitung Der Nutzen von Bauwerksunterlagen für eine Zustandsbeurteilung ist sehr gross, entsprechend ist der Recherche ein hoher Stellenwert einzuräumen. Für viele Bauwerke liegen leider keine Pläne oder Materialangaben auf Papier vor. Die zur Verfügung gestellte oder recherchierte Bauwerksdokumentation in Form von Übersichts- oder Ausführungsplänen, Baubeschrieben etc. wird digital aufbereitet als Grundlage für eine appbasierte Zustandserfassung der Mängel mit lokalem Bezug, wobei oft nicht mehr als Übersichtspläne vorhanden sind. Die vorgesehenen Schadensaufnahmen und Messungen von Betondeckungen und Betonoberflächendruckfestigkeiten sowie Bewehrungsortungen können somit lokal verortet werden. Bild 3: Digitale webbasierte Zustandserfassung mit dem Programm „Planradar“ Der Fokus liegt hierbei stets auch schon auf einem Instandsetzungskonzept und einer möglichen Nutzung für eine Ausschreibung der Instandsetzungsmassnahmen. Anforderungen an Brandschutz, Lüftung u.a. werden frühzeitig integriert. 2.2 Zustandserfassung Eine erste Schadensaufnahme erfolgt als visuelle Inspektion, bei der die Riss- und Schadensaufnahmen in den Plangrundlagen abgebildet werden. Zerstörungsfreie Prüfungen wie Betonoberflächendruckfestigkeit und Lage der Bewehrung o.a. werden nach den jeweiligen Erfordernissen bereits vorgesehen. Ziel ist hierbei, möglichst früh Schäden erkennen und dokumentieren zu können, dabei aber den Umfang der Prüfungen auf das Notwendige zu beschränken und soweit möglich zerstörungsfrei zu prüfen - ein Spagat zwischen fachlichen Erfordernissen und entstehenden Kosten. Eine vertiefende Schadensaufnahme lässt sich i.d.R. nicht mehr zerstörungsfrei durchführen. Insbesondere Bewehrungsortungen benötigen neben den Georadaraufnahmen zerstörende Sondagen, mit denen die eingebaute Bewehrung kalibriert werden kann. Die fehlenden Bewehrungspläne erfordern aufwendige Ortungen und Sondagen, die oftmals zu Diskussionen über den Umfang und die Kosten führen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 39 Zustandsaufnahme und -beurteilung von Tiefgaragen Bild 4: Zerstörende Bewehrungssondage an der Oberseite einer vorgespannten Flachdecke mit kreuzweise verlegten Monolitzen Die zu prüfende Betondruckfestigkeit erfolgt anhand am Bauwerk entnommener Bohrkerne i.d.R. mit einem Durchmesser von 100mm und einer Mindestlänge von 100 mm gemäss EN 13791/ A20: 2016 [10]. Zugleich kann an den Bohrkernen ein Chloridgehalt oder eine Karbonatisierungstiefe bestimmt werden. Bei jeder Zustandserfassung stellt sich auf ein Neues die Frage, welche zerstörungsfreien und zerstörungsarmen Prüfverfahren bringen den grösstmöglichen Erkenntnisgewinn für die praktische Lösung der Instandsetzung ohne den Aufwand der Prüfungen unnötig zu erhöhen. Eine statische Abschätzung nach der beim Erstellen des Bauwerks gültigen Norm kann bei unvollständigen Planunterlagen für eine Einschätzung der wahrscheinlich eingebauten Bewehrung hilfreich sein. Mit der in den Plänen kartierten und in Form einer Datenbank aufgenommenen Zustandserfassung liegt eine digitale Dokumentation vor, die als Grundlage für die Zustandsbeurteilung verwendet wird. 2.3 Zustandsbeurteilung Aus den Aufnahmen und Resultaten der visuellen Inspektionen und aus Messungen lassen sich in der Folge bereits viele Mängel und Schäden beurteilen oder sie erfordern detailliertere Untersuchungen. Bei der Beurteilung des Brandschutzes der Tragkonstruktion ist eine rechnerische Überprüfung infolge der fehlenden Bewehrungs- und Materialangaben nur mit grossem Aufwand möglich. Ein vereinfachter Nachweis des Feuerwiderstands mit Hilfe von Tabellen ist über die minimalen Bauteilabmessungen und Bewehrungsüberdeckungen und der Auswertung der Messergebnisse mit überschaubarem Aufwand zu erbringen. Falls der Nachweis eines ausreichenden Brandschutzes somit nicht erbracht werden kann, dann braucht es die oben genannte Bestandsaufnahme am Bauwerk und eine statische Überprüfung mit Warmbemessung. Die Messungen mit dem Betonprüfhammer in einem gleichmässigen Raster ermöglichen eine Einschätzung der Betonoberflächendruckfestigkeit und der Gleichmässigkeit und geben anhand einer Reihe von Vergleichsmessungen eine erste Einschätzung der Betondruckfestigkeit. Bild 5: Beispiel einer Auswertung einzelner Linienscans der Bewehrungsdeckungsmessungen mit grafischer Darstellung zur Brandschutzbeurteilung 40 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Zustandsaufnahme und -beurteilung von Tiefgaragen Bild 6: Erfassung der Vergleichsmessungen mit Betonhamner SilverSchmidt Erfahrungsgemäss gibt eine normativ vorgesehene Abschätzung über das Betonalter keine verlässlichen Werte. Für eine statische Überprüfung sollte m.E. aber immer eine Bestimmung der Betondruckfestigkeit am Bohrkern als Referenzverfahren gemäss SIA 269/ 2: 2011 [5] erfolgen. 2.4 Überprüfung der Tragsicherheit Grundsätzlich erfolgen statische Überprüfungen anhand der aktuell gültigen Normen. Dabei ist die Normenreihe 269ff. zusammen mit der Normenreihe 260ff. anzuwenden. Am häufigsten ist die Überprüfung der Tragsicherheit von Flachdecken erforderlich, die hinsichtlich Biegung und Durchstanzen erfolgt. Durchstanznachweise nach der Norm SIA 262: 2013[2] sind in drei Näherungsstufen möglich, wobei die Näherungsstufe 3 für detaillierte Untersuchungen vorgesehen ist. Durchstanzen ist nach der Nachweisstufe 3 zu prüfen mit den aktualisierten Einwirkungen und Materialeigenschaften sowie reduzierten Lastbeiwerten gemäss SIA 269: 2011 Tabelle 1 [3] mit einer auf der Elastizitätstheorie basierenden Berechnungsmethode. Die reduzierten Lastbeiwerte sind für ständige Einwirkungen anwendbar, die zuvor durch Prüfungen gemäss SIA 269/ 1: 2011 [4] aktualisiert wurden. Weiterhin erfolgt eine Überprüfung und Beurteilung von Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit. Bild 7: Beispiel eines Momentenschnitt mit Abstände rs zwischen Stützenachse und Nullpunkt des Momentes für Durchstanznachweis Näherungsstufe 3 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 41 Zustandsaufnahme und -beurteilung von Tiefgaragen 2.5 Dokumentation Die digitale Dokumentation der Zustandserfassung lässt sich mit der Filterfunktion für die weitere Bearbeitung von Instandsetzungskonzepten verwenden. Zugleich dient sie als Beilage für Ausschreibungen oder als Mängelliste, sowohl in tabellarischer Form und im Planformat. Die aktualisierten Einwirkungen und Materialeigenschaften werden in einem technischen Bericht dokumentiert und können als Ersatz einer meist fehlenden Nutzungsvereinbarung verwendet werden. Literatur [1] SIA 260: 2013 Grundlagen der Projektierung von Tragwerken [2] SIA 262: 2013 Betonbau [3] SIA269: 2011 Grundlagen der Erhaltung von Tragwerken [4] SIA 269/ 1: 2011 Erhaltung von Tragwerken - Einwirkungen [5] SIA 269/ 2: 2011 Erhaltung von Tragwerken - Betonbau [6] SIA Dokumentation D0226, Ausgabe 2008 „Tragsicherheit von Einstellhallen“ [7] SIA Dokumentation D0239, Ausgabe 2011 „Erhaltung von Tragwerken - Einführung“ [8] EN 12504-1: 20 [9] EN 12504-2: 2012 Prüfung von Beton in Bauwerken - Teil 2 Zerstörungsfreie Prüfung - Bestimmung der Rückprallzahl [10] EN 13791/ A20: 2016 Bewertung der Druckfestigkeit von Beton in Bauwerken oder in Bauwerksteilen; Änderung A20 [11] TFB-Bulletin Nr. 4 November 2016 „Parkhäuser und Tiefgaragen» [12] TFB-Bulletin Nr. 2 November 2018 „Georadar» [13] Knab, F., Sodeikat, C.: Die Ermittlung der charakteristischen Betondruckfestigkeit von Bauwerken in Bestand. In: Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015), Heft 8, S 539-553 [14] Taffe, A., Jungen, B.: Untersuchungen zur Genauigkeit von magnetisch induktiven Betondeckungsmessungen. In: Beton- und Stahlbetonbau 111 (2016), Heft 8, S 484-495 [15] Merkel M., Breit, W.: Zerstörungsfrei zur Bauwerksfestigkeit. In : Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018), Heft 9, S 640-646 [16] Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V. (DBV) Heft 39 Ist-Zustandserfassung von Parkbauten in Betonbauweise, Fassung Januar 2017 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 43 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung Prof. Dr.-Ing. Marc Gutermann Hochschule Bremen Dipl.-Ing. Werner Malgut Hochschule Bremen Voraussetzung für jede Planung im Bestand ist der Nachweis der Standsicherheit. Er setzt voraus, dass alle wesentlichen Parameter bekannt sind und die Ausführung den Bauvorschriften entspricht. Fehlen Angaben über die Konstruktion (Geometrie, Lagerung, Werkstoffeigenschaften) oder mindern Bauwerksmängel die Tragfähigkeit ab, führen rein rechnerische Beurteilungen meist zu negativen . Dieser Beitrag erläutert an ausgewählten Beispielen wie der Nachweis ausreichender Tragsicherheit alternativ durch den Einsatz experimentell gestützter Verfahren gelingen kann und wie diese zur Verlängerung der Restnutzungsdauer beitragen können. 1. Einführung Der schlechte Erhaltungszustand deutscher Autobahn- und Bundesstraßenbrücken ist hinlänglich bekannt. Kleinere Straßen- und Wegebrücken stehen dagegen eher selten im Fokus der Öffentlichkeit, obwohl ihre Zustandsbewertungen oft ebenso schlecht ausfallen wie bei den Brücken im Fernstraßennetz. Häufig kommt erschwerend hinzu, dass über die Jahre viele Informationen über die Bauausführung verlorengegangen sind und der Erhaltungszustand unbefriedigend ist. In solchen Fällen ist eine rechnerische Bewertung der Tragsicherheit oft unmöglich, insbesondere, wenn Teile des Bauwerks für Erkundungen unzugänglich sind oder die Gründungssituation unbekannt ist. Als Konsequenz wird meist konventionell verstärkt oder abgerissen und neu gebaut (Abb. 1). Das sind jedoch nicht immer wirtschaftliche Varianten, die besonders bei denkmalgeschützten Bauten auch nicht akzeptabel sind. Eine alternative Vorgehensweise ist der experimentell gestützte Nachweis, bei dem entweder wesentliche Parameter für einen rechnerischen Nachweis durch Versuche ermittelt werden, oder Belastungstests direkt nach Beendigung Planungssicherheit für den Baufortschritt bringen. Experimente sind Teil unserer Ingenieurgeschichte. Sie dienen der Absicherung neuer Bauweisen und helfen, theoretische Ansätze zu verstehen. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde erkannt, dass nur durch Versuche und Erfahrung die komplexen Zusammenhänge der Werkstoffgesetze und Mechanik verständlich werden und Konstruktionsempfehlungen abgesichert werden können. Die ersten deutschen Stahlbetonvorschriften DIN 1045 (1925) enthielten daher auch Hinweise über Probebelastungen im Stahlbetonbau [1]. Abb. 1: Lösungsstrategien zum Tragsicherheitsnachweis für Bestandsbauten Experimentell gestützte Verfahren können auch dann erfolgreich sein, wenn alle anderen Ansätze zuvor gescheitert sind (s. a. Abb. 1): 1. Abschätzung der Tragsicherheit, z. B. aufgrund vorhandener Unterlagen 2. Überschlägige Berechnung der Tragsicherheit, z. B. mit einfachen Berechnungsmodellen 3. Genaue Berechnung der Tragsicherheit, z. B. mit komplexen FE-Berechnungsansätzen und modellen 4. Messwertgestützte Ermittlung der Tragsicherheit Experimentelle Methoden bewerten den aktuellen Tragwerkszustand inklusive aller realen Randbedingungen, sodass Unsicherheiten wegfallen und die Lasten deutlich über das rechnerisch nachgewiesene Lastniveau gesteigert werden können (Abb. 3). Bei experimentell gestützten Nachweiskonzepten (Punkt 4) werden z. B. wesentliche Eingabeparameter in in-situ-Versuchen gewonnen, um zuverlässige Daten für die Berechnungssoftware zu 44 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung erhalten. Denn trotz immer besserer und umfangreicherer Rechenprogramme wird die physikalische Wirklichkeit nur so gut beschrieben wie zutreffend seine Annahmen waren. Und letztere sollten selbstverständlich immer auf der sicheren Seite liegen. Alternativ kann mit Belastungsversuchen auch direkt der Nachweis ausreichender Tragsicherheit erfolgen (Kapitel 3). Das Ergebnis liegt dann direkt nach Beendigung der Versuche vor. Bei allen experimentellen Nachweisformaten gelten die gleichen Gültigkeitsbeschränkungen wie bei der Aufstellungsstatik eines Neubaus. Sie sind so lange gültig, bis sich die Nutzung verändert oder wiederkehrende Bauwerksprüfungen Anlass für weitere Untersuchungen geben. Für Bauwerke mit Korrosionsproblemen bietet es sich daher an, KKS einzusetzen, um den getesteten Zustand für den Restnutzungszeitraum einzufrieren [2]. Die Bandbreite der möglichen Einsatzgebiete experimenteller Methoden ist nahezu unbegrenzt (Tabelle 1). Einige Beispiele werden in den nachfolgenden Kapiteln exemplarisch vorgestellt, auch um wiederkehrende Besonderheiten aufzuzeigen. Planungs- und Ausführungsdetails einiger Projekte können der jeweils zitierten Literatur entnommen werden ([4] - [6]). In diesem Beitrag sollen Ergebnisse von Belastungsversuchen an Straßenbrücken kleiner Stützweiten (l S < 18,0 m) vorgestellt werden. Hier liegen umfangreiche Erfahrungen von über 45 Brücken mit insgesamt 85 Feldern im In- und Ausland vor [5]. Durchweg war das beobachtete Bauwerksverhalten deutlich besser als das vermutete, oft konnte sogar eine höhere Brückenklasse empfohlen werden (Abb. 2). Dabei war unerheblich, ob die Nachweise alle Brückenteile (Überbau, Auf- und Widerlager sowie Gründung) umfassten, welches Tragsystem vorhanden war (Platte, Trägerrost, Gewölbe) und aus welchem Material das Bauwerk erstellt worden war. Abb. 2: Statistische Auswertung der erreichten mittleren Nutzlasterhöhungen [5] (100% = rechnerische Prognose) Belastungsversuche Hybride Statik Überwachung Gebäude Decken, Unterzüge, Stützen, Fassaden, Treppen, Balkone, Dächer, Glasscheiben mit / ohne Denkmalschutz Austausch eines Kämpfersteines Erschütterungen (aus Zugverkehr) Ingenieurbau Abwassersonderbauten, Gründungen Spundwände Durchlässe Faltwerke, Fundamente von Windenergieanlagen Hubbrücke, Karussell Wasserbau Haltekreuze in Schleusen Anker von Spundwänden Kragstützwand Segmentwehr, Tordichtung Brücken Gewölbe Steinbogen Stahlbeton (Straße u. Schiene) Gewölbe Stahlfachwerk Stahlbeton (Schiene) Koppelfugen, Seilschwingungen, Freischneidetechnik Tabelle 1: Anwendungsbreite und Beispiele erfolgreicher experimenteller Untersuchungen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 45 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung 2. Legalisierung Das grundsätzliche Prinzip eines experimentellen Tragsicherheitsnachweises ist einfach und bewährt: es wird ein Bauteil belastet und seine Reaktionen gemessen (Abb. 3). Je nach Zielrichtung der Aufgabe kann in drei unterschiedliche Verfahren unterschieden werden [3]: A) Tragsicherheitsbewertung B) Systemmessungen C) Tragfähigkeitsmessungen (Bruchversuche) Abb. 3: Sicherheitskonzept (idealisiert! ); ΔQ: nutzbarer Zuwachs der Verkehrslast Jedes Konzept hat seine prädestinierten Einsatzbereiche und ist gekennzeichnet durch unterschiedlich hohen Aufwand (C > A > B). Bei allen Verfahren müssen die charakteristischen Daten eines Versuchsablaufs, wie z. B. Lastgrößen, Verformungen, Dehnungen etc. durch elektrische Messsysteme aufgenommen und ggf. zeitgleich angezeigt werden. Gängige Sensoren zur Zustandsbewertung von Bauwerken sind: • Kraftmessdosen zur Anzeige der eingeleiteten Kraft • Wegaufnehmer zur Analyse von Durchbiegungen, Verschiebungen, Rissweiten oder Dehnungen, die integral über die Beziehung ε = Δl/ l bestimmt werden. • Dehnungsmessstreifen zur örtlichen Kontrolle von Beanspruchungen • Neigungssensoren zur örtlichen Analyse von Verdrehungen, z. B. um den Einspanngrad bei Auflagern oder Bauteilverbindungen zu bestimmen. • Schallsensoren zur Analyse besonderer Ereignisse, die Schall freisetzen, wie z. B. Rissbildung oder Rissuferreibung. Der aktuelle Bauteilzustand kann besser eingeschätzt werden, so dass Belastungen oberhalb des Gebrauchslastniveaus auch bei sprödem Materialverhalten möglich sind. • Bei jeder Messung, im Besonderen im Freien, sollten die Umweltbedingungen wie z. B. die Lufttemperatur [°C] oder Windgeschwindigkeit [m/ s] aufgezeichnet werden, um die äußeren Einflüsse auf die Messung zu dokumentieren. Dabei ist bei der Planung Vorsicht geboten. „Wer viel misst, misst Mist“ ist ein geflügeltes Sprichwort und umschreibt zutreffend den Umstand, dass die gewonnenen Daten oft parallel auf Plausibilität geprüft sowie analysiert werden müssen. Dies setzt eine gewisse Erfahrung voraus. Die historische Methode, Versuchslasten durch Ballast zu erzeugen [1] ist der modernen und regelbaren Technik gewichen, Lasten hydraulisch im Kräftekreislauf zu erzeugen. So werden selbstsichernd die Beanspruchungen im Tragwerk simuliert, denen es nach Normung widerstehen muss. Im Hochbau werden dazu mobile Belastungsvorrichtungen genutzt, die kleinteilig transportiert und individuell an jede Aufgabe anpasst werden können [2]. Für Brücken kommen unter anderem [4] besondere Fahrzeuge zum Einsatz (Straßenbrücken: Belastungsfahrzeug BELFA [5]; Eisenbahnbrücken: Belastungswaggon BELFA-DB), die an der Hochschule Bremen in kooperativen Forschungsprojekten mit der TU Dresden, der HTWK Leipzig und der BU Weimar entwickelt wurden. Zuletzt wurde an der Hochschule Bremen ein neues Verfahren entwickelt, um kleine Straßen- und Wegebrücken kostengünstig und risikoarm mit einem Mobilkran als bewegliches Gegengewicht zu testen [6]. Seine Möglichkeiten und Grenzen werden derzeit in einem WiPa- No-Forschungsprojekt, gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, grundlegend ausgelotet. Die experimentelle Tragsicherheitsbewertung ersetzt den rechnerischen Nachweis der Standsicherheit und wird nach unserer Erfahrung sowohl von den Prüfingenieuren als auch der Bauaufsicht der Länder akzeptiert. In Einzelfällen wurde eine Zulassung im Einzelfall verlangt, es ist daher sinnvoll, alle Beteiligten schon im Planungsprozess zu involvieren. Die grundsätzliche Eignung und Zulässigkeit des die Rechnung begleitenden experimentellen Tragfähigkeitsnachweises auf der Grundlage der Regelungen der DAfStb-Richtlinie [3] wurde auch von der Fachkommission „Bautechnik“ der ARGEBAU bestätigt [7]. Die versuchsgestützte Bemessung ist auch im aktuellen Normenwerk der Eurocodes enthalten, z. B. in den Grundlagen der Tragwerksplanung [8] oder in der Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken [9]. 3. Tragsicherheitsbewertung Tragsicherheitsbewertung bedeutet, dass das Tragwerk oberhalb der Gebrauchslast belastet wird, also inkl. dem Ansatz von Teilsicherheitsbeiwerten. Weil das Tragverhalten bis zur Versuchsziellast F Ziel analysiert werden kann (Abb. 3), deckt es ggf. auch nichtlineares Verformungsverhalten auf. Der Aufwand für Belastungs- und Messtechnik ist jedoch groß. Die Versuchslasten müssen regelbar und selbstsichernd die Beanspruchungen im 46 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung Tragwerk simulieren, denen es nach Normung widerstehen muss, ohne die Gebrauchstauglichkeit oder Dauerhaftigkeit negativ zu beeinflussen. Dazu ist das Bauteil zuvor mit der dafür notwendigen Belastungs- und Messtechnik auszustatten. Das Potenzial von Probebelastungen zeigt Abb. 3: die gemessenen Reaktionen sind kleiner als die rechnerisch prognostizierten, und die Versuchsziellast wird ohne Überschreiten eines Grenzkriteriums erreicht. Als Konsequenz kann empfohlen werden, den nachgewiesenen Zuwachs ΔQd für eine Nutzlasterhöhung zu verwenden. Aus unserer langjährigen Erfahrungen betragen die Zuwächse zum Beispiel bei Stahlbetontragwerken mindestens 30-50% und können in Ausnahmefällen auch über 100% betragen (Abb. 4). Abb. 4: Steigerungspotenzial der Nutzlast durch Belastungsversuche (Torte = Gesamttragfähigkeit einer Massivdecke) 4. Anwendungsbeispiele 4.1 Wegebrücken in der Eilenriede, Landeshauptstadt Hannover In der Eilenriede der Landeshauptstadt Hannover befinden sich diverse Wegebrücken und Durchlässe mit Stützweiten l s ≤ 6,00 m, deren Original-Unterlagen nicht mehr vorliegen oder bei denen statische Berechnungen keine zufriedenstellenden Ergebnisse lieferten. Für die Bewirtschaftung des Forstes werden die Brücken jedoch mit schweren Fahrzeugen befahren. Es bot sich als alternative Nachweismethode an, Belastungsversuche durchzuführen. Aufgrund der unbefestigten, engen und zum Teil verschlungenen Wege wurde ein Konzept entwickelt, um unter Nutzung eines Mobilkrans als Gegengewicht Versuchslasten über 300 kN wirtschaftlich und vor allem risikoarm zu erzeugen (Abb. 5). Dabei führt der Mobilkran (GMK 4100 mit G ~ 50 t) die Nachweise schrittweise an mehreren Positionen durch und prüft sich quasi selbst über die gefahrlose Auffahrt. Das Verfahren ist in [5] ausführlich beschrieben, das System (Prüftraverse) wurde im März 2020 mit dem Patent Nr. 10 2017 118 041 geschützt. Die Untersuchungen umfassten vier Durchlässe mit einer lichten Weite von ca. 1,00 m; weitere fünf Bauwerke wiesen eine lichte Weite von ca. 2,50 m auf. Darüber hinaus wurden ein gemauerter Durchlass mit ca. 1,60 m lichter Weite und eine Stahlbetonbrücke mit ca. 5,60 m lichter Weite untersucht. Abb. 5: Prototyp: Traverse mit integrierten Hydraulikzylindern und verstellbarer Adapterplatte Das maximale Ziellastniveau war die Nachrechnungs- Brückenklasse 30 nach DIN 1072. Aus den maßgebenden Lastbildern ergaben sich maximale Beanspruchungen (z. B. Querkräfte und Biegemomente), die im Versuch durch ein äquivalentes Lastbild nachgebildet werden mussten. Die Gebrauchslast ext FQ ≤ 195 kN und die Versuchsziellast ext FZiel ≤ 330 kN wurden auf der Grund-lage des Ansatzes aus der Richtlinie für Belastungsversuche [3] ermittelt. Die messtechnische Ausstattung der Bauteile erfolgte so, dass alle notwendigen Informationen zur Zustandsbewertung - z. B. Dehnung, Durchbiegung, Setzung und Verschiebung (Abb. 6) - gewonnen werden konnten. Neben den obligatorischen Messungen der Überbaudurchbiegung und der Widerlagersetzung zur Erfassung des Gesamtverformungsverhaltens des Tragwerks wurden je nach Brückentyp weitere Sensoren installiert, die die zu erwartenden Versagensmechanismen überwachen sollten. So wurden bei den Durchlässen zusätzlich die Horizontalverschiebung der Widerlagerwände gemessen und bei Rahmentragwerken sowie Gewölben die Biegedehnungen. Letztere geben zwar grundsätzlich nur Informationen aus einem örtlich begrenzten Bereich, bei richtiger Positionierung jedoch können Systemveränderungen erkannt werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 47 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung Abb. 6: Messtechnik: Dehnungs- und Durchbiegungsmessung im Gewölbe Die in der Eilenriede getesteten Bauwerke zeigten allesamt ein sehr gutmütiges Verformungsverhalten. Die Tragfähigkeiten, definiert durch das statische System und den Bauteilwiderstand (Geometrie und Material), waren so groß, dass die Lasten bei allen Versuchen ohne Erreichen eines Grenzwertkriteriums bis zur Versuchsziellast FZiel ≤ 330 kN gesteigert werden konnten. Die Brücken wurden daher für die gewünschte Nutzlast (BK 30 bzw. BK 9) als gebrauchstauglich und tragsicher eingestuft. Die technische Anwendungsgrenze des vorgestellten Systems liegt bei Brücken von Stützweiten l s < 9,0 m, bei denen der Lastfall „Schwere Einzelachse“ maßgebend ist. Dabei muss beachtet werden, dass noch einige Fragen zur risikofreien Durchführung beantwortet werden müssen. Dies wird derzeit in dem WiPaNo Forschungsvorhaben SyMoB untersucht. Alternativ ist es zu empfehlen, auf bewährte Belastungssysteme wie das Belastungsfahrzeug BELFA [5] zurückzugreifen und letztendlich einen größeren technischen und damit auch finanziellen Aufwand in Kauf zu nehmen. 4.2 Stahlbeton-Massivbrücke mit 2 Kragarmen In Preußisch Oldendorf (NRW) waren über die Stahlbetonbrücke „zur Öhlmühle“ über die Große Aue keine Originalunterlagen mehr vorhanden, so dass sie sich in keine zulässige Brückenklasse einstufen ließ. Durch lokales Freigraben unter den Brückenrändern wurde das statische System als 1-Feldbrücke (l s ~ 7,05 m) mit zwei Kragarmen (l k ~ 2,60 m) identifiziert (Abb. 7). Das Bauwerk besteht aus einer Massivplatte (d ~ 0,55 m), ist leicht schiefwinklig (ca. 8 gon) und bietet einer Fahrbahn mit b = 5,50 m und zwei schmalen Gehwegstreifen (45 cm) auf zwei Kappen Platz. Es musste im Vorfeld durch eine Vergleichsrechnung geklärt werden, ob die erforderlichen Nachweise (z. B. max. Feldmoment / min. Stützmoment) gegen das Gewicht eines Mobilkrans erzeugt werden können oder ob das viel leistungsfähigere Belastungsfahrzeug BELFA [5] eingesetzt werden muss. Während der Nachweis des Stützmomentes kein Problem war, musste für den Nachweis des maximalen Feldmomentes zusätzlicher Ballast auf dem Bauwerk abgelegt werden (Abb. 7). Für eine risikoarme Versuchsdurchführung gliederte sich der Ablauf daher in die folgenden Schritte: • Nachweis des Stützmomentes durch Aufbringen der Versuchslast am Kragarmende • Gefahrlose Auffahrt des Mobilkranes • Versuche F = 250 kN in Feldmitte mit dem Mobilkran • Gefahrloses Ablegen des Ballastes auf der Brücke • Auffahrt des Mobilkranes und Nachweis des Feldmomentes durch zusätzliches Aufbringen der hydraulisch regelbaren Gebrauchslast F Q und Versuchsziellast F Ziel Abb. 7: Ansicht während des Belastungsversuchs mit Ballast (20 t) und Mobilkran Während aller Phasen wurden die Bauwerksreaktionen mit einer abgestimmten messtechnischen Ausstattung beobachtet (z. B. Dehnungen, Durchbiegungen, Neigungen, Setzungen und Rissweitenveränderung). Aus den Kraft-Reaktions-Kurven ließ sich entnehmen, dass • die Bauwerksreaktionen der Überbauten vorwiegend linear-elastisch und bleibende Verformungen nur gering waren (Anlagen und Abb. 8) • die maximale Verformung der Überbauten unter Volllast (inkl. Teilsicherheitsbeiwerten) weniger als 0,5 mm betrug • die Setzungen der Widerlager teilweise bleibend waren, jedoch beim abschließenden Gebrauchstauglichkeitsversuch wieder linear-elastisches Verhalten aufzeigten • die Weite des vorhandenen Risses am Überbau (nördliches Auflager) sich nicht wesentlich veränderte • die Reaktionen unter Langzeitbelastung im Gebrauchstauglichkeitsniveau annährend konstantes Verformungsverhalten zeigten, also ein stabiler Lastabtrag vorlag Da die Beanspruchung schrittweise in mehreren Messungen gesteigert wurde, musste z. B. die Vertikalverschiebung in Feldmitte in Abhängigkeit der Feldmomente nachträglich dargestellt werden (Abb. 8). Letztere wurden der FE-Berechnung entnommen. 48 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung Abb. 8: Vertikalverschiebungen in Feldmitte in Abhängigkeit des erzeugten Feldmomentes Die Tragsicherheit der Wegebrücke wurde für die Brückenklasse 30 (DIN 1072) erfolgreich nachgewiesen. Die Untersuchungen vor Ort dauerten 2 Tage, wovon einer für die messtechnische Ausstattung und einer für die Durchführung der Versuche sowie den Abbau benötigt wurde. 4.3 Naturstein-Gewölbebrücke in Hannover Die Clevertorbrücke überquert die Leine in Hannover im Zuge der Brühlstraße mit einer lichten Weite von 18,85 m. Sie wurde um 1781 als Korbbogenbrücke aus Natursteinmauerwerk errichtet und ist denkmalgeschützt. Die letzte Brückenprüfung offenbarte ein Schadensbild, das Durchfeuchtungen, Abplatzungen und offene Fugen bis zu 70 cm Tiefe im Bogenscheitel umfasste. Der Bauwerkszustand wurde mit der Note 3,5 bewertet. Für eine rechnerische Einstufungsrechnung wurde die Geometrie aufgemessen und die Materialkennwerte durch Probenentnahmen abgeschätzt. Die Berechnungen konnten keinen Nachweis für eine Brückenklasse 16/ 16 erbringen. Das Rechenmodell beruhte jedoch zwangsläufig auf einer Reihe von Annahmen, die auf der sicheren Seite lagen, z. B. die Modellierung in einem Stabmodell ohne Ansatz der Hinterfüllung aus Bruchsteinmauerwerk als lastabtragendes Element, da keine funktionierende Schubübertragung vorausgesetzt werden kann. Das Ergebnis bewertet jedoch strenggenommen die Modellannahmen und nicht etwa die tatsächliche Tragstruktur. Um diese besser einschätzen zu können, wurden daher Belastungsversuche durchgeführt. Dabei musste von Systemmessungen unter geringen Lasten abgesehen werden, weil dann nicht nachgewiesen werden kann, dass die Hinterfüllung auch bei hoher Beanspruchung mitträgt (inkl. Teilsicherheitsbeiwerten). Zur Lasterzeugung wurde das Belastungsfahrzeug BELFA gewählt, das bei Brücken bis 18 m Stützweite ohne zusätzlichen Ballast Versuchslasten bis 600 kN aufbringen kann (Abb. 9 und [5]). Abb. 9: BELFA in Prüfposition über der Clevertorbrücke Das größte Risiko bei den Untersuchungen bestand darin, dass die BELFA-Sattelzugmaschine die Brücke vor ihrem Einsatz einmal überqueren musste. Immerhin bringt sie auch in ihrer leichtesten Variante noch mehr als 20 Tonnen auf die Waage (die Brücke war lediglich für 16 Tonnen freigegeben). Eine umfassende Versuchsplanung, eine spezielle auf das Tragsystem dieser Brücke abgestimmte Messausstattung, vorausgehende Überfahrtsmessungen mit leichteren Fahrzeugen, und die Prognose der erwarteten Reaktionen mithilfe von FE- Berechnungen, führten zum Erfolg (Tabelle 2). Die externe Versuchslast konnte letztlich durch einen schweren Mobilkran in der Nebenspur (LTM 1080) und das Belastungsfahrzeug in der Hauptspur aufgebracht werden. Die hydraulischen Pressen des BELFA erzeugten dabei den Großteil der Versuchsziellast fein regelbar, während das BELFA auf der Brücke im Widerlagerbereich abgestützt war. Alle Bauteilreaktionen (z. B. Durchbiegungen, Dehnungen, Rissbreiten, Schallemission) blieben unterhalb kritischer Werte und zeigten noch an Ort und Stelle, dass • die Bauwerksreaktionen vorwiegend linear-elastisch waren • die maximale Verformung etwa 1,2 mm betrug (Tabelle 2) • nach Entlastung eine Durchbiegung von f << 0,1 mm verblieb • die Horizontalverschiebungen der Gewölbe so gering waren, dass sie unter der Auflösung der Messvorrichtung lagen (Δh ≤ 0,05 mm) • alle vier Schallsensoren kein Anzeichen für Gefügeveränderung geliefert haben. Unter besonderem Licht erscheint das Ergebnis dann, wenn man einem unter Fachleuten verbreiteten Merksatz folgt: eine Gewölbebrücke zeigt erst dann kritische Bauwerksreaktionen, wenn die Belastung mehr als 50 % der Bruchlast beträgt. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 49 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung Rechnerische Prognose Messung Dehnung ε [µm/ m] Durchbiegung f [mm] Dehnung ε [µm/ m] Durchbiegung f [mm] Überfahrt Zugmaschine 19 0,04 5 0,15 Auffahrt Kran (G ~ 48 t) 19 0,33 5 0,35 Versuchsziellast BK 16/ 16 (inkl. γ und Mobilkran) 56 0,92 35 0,70 Versuchsziellast BK 30/ 30 (inkl. γ und Mobilkran) 97 1,57 85 1,20 Tabelle 2: Ergebnisvergleich am Scheitel - Prognose (Hinterfüllung trägt) und Messung 4.4 (Historische) Möllerbrücke Die Brücke überquert im Zuge der Landesstraße L 263 den Mühlenbach in der Nähe von Bergen an der Dumme (l s = 5,80 m) und ist eine der letzten erhaltenen Stahlbetonbrücken nach der Bauweise Möller, die Anfang des 20. Jahrhunderts vielfach gebaut worden sind [10]. Durch ihre direkte Nähe zur Grenze Niedersachen / Sachsen-Anhalt war sie während der Existenz der innerdeutschen Grenze 40 Jahre lang außer Betrieb aber auch ohne Unterhaltung. Die Brücke wurde zuletzt im Jahre 2007 einer Bauwerksprüfung unterzogen, bei der erhebliche Mängel festgestellt wurden (Risse, Korrosion, Abplatzungen). Das Bauwerk erhielt als Zustandsnote eine 3,5 und wurde auf 2,8 t zulässige Verkehrslast zurückgestuft. Belastungsversuche sollten ausloten, ob trotz der diagnostizierten Mängel zumindest eine Brückenklasse 16 nach DIN 1076 nachgewiesen werden kann. Der Versuchsumfang wurde aufgrund von zerstörungsfreien / -armen Voruntersuchungen, der geringen Fahrbahnbreite (b ~ 5,00 m), einer Kostenminimierung und der örtlichen Gegebenheiten (Anfahrt / Rangieren des BELFA in der Kurve) auf eine Fahrbahnseite begrenzt. Der Ablauf dieser Ein-Tages-Aktion teilte sich in drei unterschiedliche Untersuchungen: • Überfahrten mit der abgekuppelten BELFA-Zugmaschine (Test [des Bauwerksverhaltens, Kontrolle der Gleichmäßigkeit des Lastabtrags über die Brückenbreite) • Überfahrt der Zugmaschine mit angekuppeltem BELFA • Belastungsversuche (Abb. 10) Abb. 10: Möller-Brücke: BELFA simuliert die schwere Einzelachse in Feldmitte Der experimentelle Tragsicherheitsnachweis umfasste den Brückenüberbau, die Auflager sowie die Widerlager und die Gründung. Während der Belastungsversuche wurde die externe Versuchslast durch hydraulische Pressen gegen das Gewicht des Belastungsfahrzeugs geregelt aufgebracht. Dabei war das BELFA in ausreichendem Abstand zur Brücke vor und nach dem Bauwerk abgestützt. Die externen Versuchsziellasten wurden so bemessen, dass ihre Wirkung für den Überbau identisch war mit der ständigen Lastwirkung und den Verkehrslasten, die nach den Vorschriften anzusetzen sind (inkl. Sicherheitsanteile). Um den Bauwerkszustand während der Versuche analysieren zu können, wurden mehrere Bauteilreaktionen (z. B. Durchbiegungen, Widerlagersetzung, Rissbreiten, Stahldehnung) online gemessen und zeitgleich am Monitor als Kraft-Reaktions-Diagramm dargestellt. Sie blieben insgesamt deutlich unter denen der Prognoserechnung (Tabelle 3), die auf der konservativen Annahme beruhte, dass eine Radlast nur von einem Träger abgetragen wird. Aus den Messergebnissen ließ sich ableiten, dass sich tatsächlich mehrere Träger am Lastabtrag beteiligen. 50 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung Durchbiegung Stahldehnung Lastfall [mm] [μm/ m] Einzelachse in Feldmitte Gebrauchslast F Q = 210 kN Vorberechnung 2,7 30 Messung 0,5 67 Einzelachse in Feldmitte Ziellast F Ziel = 338 kN Vorberechnung 4,4 49 Messung 0,86 115 Tabelle 3: Vergleich der Bauwerksreaktionen in Feldmitte (FE / Versuch) Zusammenfassend ließen sich aus der erfolgreichen Tragsicherheitsbewertung folgende Schlussfolgerungen ableiten: • das Verformungsverhalten (Überbau / Gründung) war vorwiegend linear-elastisch • die Verformungen lagen unter den rechnerisch prognostizierten Werten • die Lastquerverteilung war intakt unbelastete Träger beteiligten sich am Lastabtrag • vorhandene Risse arbeiteten unter Last, kritische Rissbreiten wurden nicht erreicht • die massiven Brüstungen beteiligten sich am Lastabtrag Ergänzende Untersuchungen ließen auch eine Aussage zur Dauerhaftigkeit zu: Es zeigte sich, dass die meisten Bauwerksmängel keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Tragsicherheit haben. Um eine langfristige Nutzung der Brücke zu gewährleisten, sind jedoch Sanierungsmaßnahmen notwendig, wie z. B. Erneuern der Bauwerksabdichtung und das Wiederherstellen des Korrosionsschutzes am außenliegenden Zugband. 5. Systemmessungen Systemmessungen überprüfen das aktuelle Tragverhalten eines Bauwerks etwa im Gebrauchslastniveau (Abb. 3), um zum Beispiel bekannte Schäden zu überwachen oder Berechnungsannahmen zu verifizieren. Die Belastung muss dabei einerseits so hoch gewählt werden, dass das Tragverhalten der Konstruktion unter den planmäßig auftretenden Nutzlasten angemessen beurteilt werden kann und darf andererseits nicht so hoch sein, dass kritische Bauwerksreaktionen eintreten. Die Verformungen bleiben vorwiegend im linear-elastischen Bereich. Nichtlineare Untersuchungen bei höheren Beanspruchungszuständen können im Nachgang mit den entsprechenden Unsicherheiten an einem kalibrierten Berechnungsmodell durchgeführt werden. Wenn die Schwachstellen bekannt sind und konkrete Grenzwerte festgelegt werden können, sind Langzeitmessung auch zum Monitoring geeignet, das bei zuvor definierten Veränderungen Aktionen auslösen kann (Alarm, Information, Sperrung, …). Abb. 11: Brücke im Zuge der B75 in Höhe Neustadtsbahnhof, Bremen, Blickrichtung Westen Ein Beispiel ist die messtechnische Überprüfung von Koppelfugen von Spannbetonbrücken. Bei einer Hauptprüfung der Brücke Neustadtsbahnhof in Bremen (Abb. 11) wurden Aussinterungen am Überbau im Bereich einer Koppelfuge festgestellt, so dass ein Koppelfugenriss nicht ausgeschlossen werden konnte. Aus diesem Anlass wurde die Ermüdungssicherheit gemäß BASt- Handlungsanweisung [11] untersucht, die bei der Nachrechnung eine mehrstufige Vorgehensweise mit wachsender Genauigkeit der Berechnungsansätze vorsieht. Da in den ersten Berechnungsstufen ein Dauerfestigkeitsproblem nicht ausgeschlossen werden konnte, sollte wie in der Handlungsanweisung empfohlen für den genaueren Nachweis am Bauteil gemessen werden. Es wurden an ausgewählten Stellen Verschiebungen (Risse, Dehnungen) sowie die Bauteiltemperatur gemessen, um festzustellen, ob die Querschnitte gerissen oder ungerissen sind. Die Messdaten wurden in mehreren Koppelfugen während des normalen Verkehrs über einen Zeitraum von 12 h überwacht und abschließend mit einer kontrollierten Belastung durch 2 Sattelzüge mit je G = 40 t kalibriert. Der Verkehr wurde aus der Ferne per Videokamera registriert, so dass z. B. der Maximalausschlag der Überfahrt eines Mobilkrans (G~50 t) zugeordnet werden konnte. Die aufgezeichneten Messkurven zeigten sowohl während der Langzeitmessungen als auch während der Kurzzeitmessungen durch Sattelzüge plausible Verläufe und ließen darauf schließen, dass alle drei Koppelfugen gerissen sind. Aus den Messwerten konnte die maximale 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 51 Experimenteller Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweiten Erfahrungen, Grenzen und Weiterentwicklung Rissweitenveränderung unter Verkehr auf Δw ≤ 0,03 mm abgeschätzt werden. Die Brücke wurde saniert und zusätzlich mit jeweils zwei Spanngliedern je Stegseite extern vorgespannt. 6. Ausblick Experimentell gestützte Nachweise loten die Tragwerksreserven bestehender Bauwerke aus und können selbst dann ein erfolgsversprechender Lösungsansatz sein, wenn umfangreiche rechnerische Analysen unbefriedigende Ergebnisse erzielt haben. Voranschreitender Computerhörigkeit trotzend bieten sie eine wirtschaftlich attraktive Alternative zu Abriss und Neubau und leisten einen wichtigen Beitrag, um Baukultur zu bewahren. 7. Danksagung Ein herzlicher Dank gilt allen Projektbeteiligen, die mit ihrem Engagement und der konstruktiven Zusammenarbeit wesentlich zum Gelingen der komplexen Aufgaben beigetragen haben. Besonderer Dank gilt allen Auftraggebern, die unseren Prognosen und Erfahrungswerten vertraut und die Einsätze beauftragt haben. Wir hoffen, dass auch weiterhin die Restnutzungsdauer bei vielen Bauwerke durch experimentelle Untersuchungen verlängert werden kann. Literatur [1] Bolle, G.; Schacht, G.; Marx, S.: Geschichtliche Entwicklung und aktuelle Praxis der Probebelastung, Teil 1 und 2. Bautechnik 87 (2010) 11|12, S. 700-707|784-789 [2] Gutermann, M., Malgut, W.: Experimentelle Methoden - Ein alternativer Weg zum statischen Nachweis von Bestandsbauwerken. In: Gieler-Breßmer (Hrsg.): Tagungsband. 18. Symposium Kathodischer Korrosionsschutz von Stahlbetonbauwerken, 05. bis 06.11.2020. Ostfildern, TAE Verlag, 2020 [3] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb, Hrsg.): Richtlinie für Belastungsversuche an Betonbauwerken. Berlin: Beuth, 07-2020 [4] Bretschneider, N.; Fiedler, L.; Kapphahn, G.; Slowik, V.: Technische Möglichkeiten der Probebelastung von Massivbrücken. Bautechnik 89 (2012) 2, S. 102-110 [5] Gutermann, M.; Schröder, C.: 10 Jahre Belastungsfahrzeug BELFA. Bautechnik 88 (2011) 3, S. 199- 204 [6] Gutermann, M., Schröder, C., Böhme, C.: Nachweis von Straßenbrücken kleiner Stützweite am Beispiel von Wegebrücken in der Eilenriede, Hannover. In: Bautechnik 95 (2018), Heft 7. Berlin: Ernst & Sohn, 2018. S. 477 - 484. https: / / doi. org/ 10.1002/ bate.201800018 [7] Manleitner et al.: Belastungsversuche an Betonbauwerken. In: Beton- und Stahlbetonbau 96, 2011, Heft 7, S. 489 [8] DIN EN 1990 (2010-12): Eurocode 0 - Grundlagen der Tragwerksplanung, Anhang D (informativ) [9] DIN EN 1992-1-1 (01.2011): Eurocode 2 - Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken, Kapitel 2.5 [10] Droese, Siegfried: Eine fast vergessene Brückenbauweise: Hängegurtbrücken „System Möller“. In: Bautechnik 76 (1991), S. 625-634, Ernst & Sohn [11] Bundesanstalt für Straßenwesen: Handlungsanweisung zur Beurteilung der Dauerhaftigkeit vorgespannter Bewehrung von älteren Spannbetonüberbauten, Ausgabe 1998 Denkmalpflege/ Fallbeispiele 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 55 Fachwerkbau, barock und bunt, wird Einkaufszentrum, Marktplatz 1 in Waiblingen Kurt Christian Ehinger Dipl.-Ing. Architekt Rosensteinstraße 7 71576 Burgstetten Zusammenfassung: Das Gebäude Marktplatz 1 in Waiblingen wurde Mitte der 80-iger Jahre zu einem modernen Einkaufszentrum umgebaut und modernisiert. In diesem Zusammenhang wurde auf Vorschlag der Stadt Waiblingen die am Gebäude noch vorhandenen Fachwerkfassaden vom Putz freigelegt und die Fassaden als Sichtfachwerk neu gestaltet. Das Gebäude befindet sich im privaten Eigentum und wird heute aktuell von mehreren Geschäften und Dienstleistern genutzt. 1. Fachwerkbau, barock und bunt, wird Einkaufszentrum, Marktplatz 1 in Waiblingen Der Stadtkern der Stadt Waiblingen entstand ab Mitte des 13. Jh. vorwiegend in Fachwerk-Architektur. 1634, im 30-jährigen Krieg wurde die Stadt vollständig abgebrannt und die bestehenden Gebäude bis auf die Grundmauern zerstört. in der gesamten Stadt blieben nur ca. fünf Gebäude erhalten. Ab Mitte des 17.Jh. begann ein Wiederaufbau der Stadt auf dem vorhandenen historischen Grundriss der Stadtanlage mit Gebäuden in Fachwerkbauweise, die auf Sicht gebaut waren. Mitte des 18.Jh. mussten dann aufgrund von Bauvorschriften die Sichtfachwerkbauten verputzt werden und es entstand eine vollkommen neue Stadtansicht mit Putzbauten, danach auch Bauten neueren Datums und mit zeitgemäßer Architektur. Dieser Zustand hatte sich dann bis in die Neuzeit des 20. Jh. erhalten. Fachwerk war bis auf einzelne Aktionen in den 20-iger Jahren (Heimatstil-Bewegung) kein Thema Im letzten Viertel des 20.Jh. begann in Waiblingen eine aktuelle Stadtsanierung, ausgelöst durch eine Städtebaukritik an moderner Architektur, die auch zu einer Rückbesinnung auf die historische Bausubstanz führte. In diesem Zusammenhang wurde eine wesentliche Zielsetzung der Stadtsanierung entwickelt, die in der Freilegung der historischen Fachwerkfassaden bestand. 1.1 Stadtsanierung und Freilegung historischer Fachwerkbauten 1970 und ff. begann der Einstieg in die aktuelle Stadtsanierung, die bis zum heutigen Tag andauert: 1970 Voruntersuchung des gesamten historischen Stadtkerns Abbildung 1: Historischer Stadtplan 1832, Plan Stadt Waiblingen 1974 Städtebaulicher Wettbewerb 1977 Städtebaulicher Leitplan und Bauwettbewerb Marktgasse 1977 Freilegung erster historischer Fachwerkfassaden auf der Grundlage von thermographischen Aufnahmen der Fassaden und städtisches Zuschussprogramm zur Freilegung und Finanzierung der gestalterischen Mehrkosten mit einer Programmdauer bis 200, in Ergänzung der staatlichen Zuschussmöglichkeiten im Rahmen der Stadtsanierung und Denkmalpflege 1988 Denkmalliste durch das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg 56 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Fachwerkbau, barock und bunt, wird Einkaufszentrum, Marktplatz 1 in Waiblingen 1.2 Gebäude Marktplatz 1, Waiblingen Abbildung 2: Fachwerkfassade Marktplatz 1(Plan Stadt Waiblingen) Gebäudedaten: 1680-1690 Neubau des barocken Fachwerkbaus nach Stadtbrand, als ehemalige Vogtei (? ), oder durch Johann Weyser II, Bürgermeister, auf den historischen Grundmauern eines Vorgängerbaus der Renaissance (einzelne Baudetails blieben erhalten) Mitte des 18.Jh.: Verputz des Sichtfachwerks 1819-1909 nach Kauf des Gebäudes 1819 durch das Königreich Württemberg als Oberamtsgericht genutzt 1909 Kauf durch Heinrich Villinger, Kaufmann und Umbau zu einem Warenhaus, Veränderung der Fassaden durch Schaufenster 1921 unter Denkmalschutz gestellt Mitte der 80-iger Jahre Umbau, Modernisierung und Freilegung des Sichtfachwerks Mitte der 80-iger Jahre erfolgte ein Antrag auf Umbau und Modernisierung des Gebäudes. Ergebnis war u.a. ein neuer Anbau eines Treppenhauses zur Erschließung der einzelnen Geschäftsflächen, der auf der dem Marktplatz abgewandten rückwärtigen Gebäudeseite realisiert wurde. Aufgrund der vorhandenen Thermographie konnte mit dem Gebäudeeigentümer eine Freilegung der verputzten Fachwerkfassade vereinbart werden und wiederum auf der Grundlage historischer Farbbefunde eine Rekonstruktion der historischen Farbigkeit. In diesem ersten Abschnitt wurde der historische Gebäudeerker in seiner grauen Farbigkeit belassen. Die gestalterischen Mehrkosten trugen das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und die Stadt Waiblingen. In einem weiteren Bauabschnitt im Rahmen einer Fassaden-Instandhaltungsmaßnahme Anfang 2000 konnte dann auch Jahre später der historische Gebäudeerker seine ursprüngliche Farbigkeit wieder erhalten Das Gebäude wird seither wieder als Geschäftszentrum und Bürogebäude genutzt. Abbildung 3 Abbildung 4 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 57 Fachwerkbau, barock und bunt, wird Einkaufszentrum, Marktplatz 1 in Waiblingen Abbildung 5: Nordseite mit dem neuen Treppenhausanbau. Der Anbau mit einer Glaskonstruktion beeinträchtigt nicht die Wirkung des freigelegten Fachwerkbaus. Abbildung 6: Befund Giebelseite, Kopfdreieck mit „Eselsrücken und Kreis“, Balkenfarbe grau Abbildung 7: Alter Zustand bis Mitte der 80-iger Jahre Literaturverzeichnis: Die Kunstdenkmäler in Baden-Württemberg, Rems-Murr- Kreis II, Adolf Schahl, S.1190-1191, Dt. Kunstverlag München Berlin, 1983, ISBN 3-422-00560-9 2(1983 Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart, Band V, 1977, S. 127 ff., Heimatverein Waiblingen, W. Glässner Waiblingen, Ein Führer durch die Altstadt, 1986,S. 25 Heimatverein Waiblingen, Wilhelm Glässner Ortskernatlas Baden-Württemberg, Stadt Waiblingen (1.6) 1987, Rems-Murr-Kreis, Landesdenkmalamt und Landesvermessungsamt Baden-Württemberg, Edeltrud Geiger, ISBN 3-89021-006—6 Fotos: Kurt Christian Ehinger Architekt der Sanierungs- und Umbauarbeiten: Kurt Ehrhardt (+) Dipl.-Ing./ Freier Architekt Fellbach-Schmiden 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 59 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer Christopher Grohmann EHS beratende Ingenieure für Bauwesen GmbH, Stuttgart Katharina Schaller EHS beratende Ingenieure für Bauwesen GmbH, Stuttgart Dr. Anja Hoppe Burg Hohenzollern GbR, Burg Hohenzollern Zusammenfassung Die Burg Hohenzollern ist ein Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung nach §12 im Sinne des Denkmalschutzgesetzes Baden-Württemberg. Bei der aktuellen Maßnahme werden für ca. 17 Millionen Euro die Bastionsmauer der Burg Hohenzollern restauriert und zukunftssicher ertüchtigt. Nach zweijähriger Planungs- und Vorbereitungszeit begannen im Oktober 2019 die Sanierungs- und Instandsetzungsarbeiten an der Burg Hohenzollern. Die markante Burg auf dem 855 m hohen Hohenzollern in Baden-Württemberg ist die Stammburg des gleichnamigen Fürstengeschlechtes und ehemals regierenden deutschen Kaiserhauses. Die Burg gehört mit rund 340.000 Besuchern im Jahr zu den größten Attraktionen der Region. In den kommenden Jahren wird die Bastionsmauer in mehreren Bauabschnitten grundlegend instandgesetzt. Für die Gesamtmaßnahme Bauabschnitt I.1 bis I.5 wird eine Mauerfläche von mehr als 5.000 m² ertüchtigt. Notwendig wird die Maßnahme aufgrund des fortschreitenden Schadensbildes am Mauerwerk. Zudem wird die Erdbebensicherheit der Burganlage optimiert. 1. Historischer Hintergrund und Kunstsowie bauhistorische Bedeutung der Burg Hohenzollern Die Burg Hohenzollern liegt auf dem isolierten Berg Hohenzollern, einen sogenannten Zeugenberg. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Anlage sukzessive erweitert, geändert, ertüchtigt und auf ihr jetziges Erscheinungsbild vervollständigt Auf die erste Burg aus dem frühen 13. Jahrhundert folgte eine zweite Burg bereits mit Hochschloss und weitgehender Bastionierung als Barockfestung. Bis zur jetzigen dritten Burg, Einweihung 1867, wurde die Nutzung als Burganlage nur 1822 bis 1845 durch eine inszenierte Ruinenanlage unterbrochen. Die erste Phase der Bastionierung umfasste bereits alle bis heute bestehenden Bastionsmauern bis auf eine Ausnahme, die Neue Bastei. Sie wurde, wie der Name bereits indiziert, 1641 ergänzt. Erforderliche Unterhaltungs- und Reparaturmaßnahmen, bis hin zum Neubau ganzer Bauteile, sind im Zehnjahrestakt überliefert. Besonders gravierend waren die Probleme stets an der Neuen Bastei, die 1641 erbaut, 1655 ausgebaut, 1668 vollständig erneuert, 1672 abermals vollständig erneuert, 1695, 1697 und 1702 ertüchtigt werden musste. Eine weitere relevante, prägende Reparatur- und Ergänzungsphase erfolgte 1668. Hierbei wurden nicht nur der eingestürzte Bischofsturm und die stark geschädigte Neue Bastei zusammen mit der Langen Kurtine hin zur Fuchsloch Bastei neu erbaut, ebenso wurde das Niedere Vorwerk als massive Fortifikation angelegt. Sie ersetzte eine ältere Palisadenanlage vergleichbaren Zuschnittes. Trotz des ruinösen Zustandes war der Bestand der Bastionen eine der wesentlichen Motivationen für das preußische Königshaus sich ihrer Stammburg anzunehmen. König Friedrich Wilhelm von Preußen hatte bereits 1849 zur Sicherung der logistisch abgelegenen Ländereien beschlossen, eine zentrale Festungsanlage Abbildung 1: Burg Hohenzollern 2019 [EHS] 60 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer zu errichten. Bei der Reparatur bzw. dem Wiederaufbau des Bastionenkranzes erfolgte vor allem eine Erneuerung nahezu sämtlicher Oberflächen. Prägend für das heutige Erscheinungsbild der Burg Hohenzollern war die Entscheidung, Mauern die zunächst aus dem örtlichen Kalkstein gehauen und aufgebaut waren, nun additiv mit dem, für den Neubau der Burg verwendeten „Malbstein“, also Angulaten- Sandstein, zu bebauen. Historische, von außen sichtbare Kalkstein- Mauerpartien sind nur noch sehr versteckt erhalten. Zum Beispiel am südlichen Mauerfuß der Fuchsloch- Bastei kann man Teile der barocken Steinquader entdecken. Die eingestürzten Mauerpartien an der Neuen Bastei an der Langen Kurtine wurden vollständig neu aufgemauert. Ebenso bedingte das Ausbrechen des Rampenturmes den vollständigen Neubau der Kurtine zwischen Michaels-Bastei und Schnarrwachtbastei. Dokumente über den Aufbau und die Wandstärke auch der neu ausgemauerten Bereiche sind nicht erhalten. Abbildung 2: Zeichnung durch den Westflügel 1620 [2] Nach Ausweis der Befunde erfolgte an der Südseite der Schnarrwachtbastei, ein gravierender Eingriff, als der Treppenabgang am Adlertor angelegt wurde. Hierbei baute man die (vermutlich weitgehend erhaltene) südliche Face der Bastion zurück, und mauerte sie, nun mit einem Treppenaufgang versehen, wieder auf. Die Baufuge zwischen dem hier wohl noch teils barockzeitlichen Mauerbestand und der Ergänzung ist von innen wie von außen deutlich ablesbar. Der bei Bothe 1979 [2] dargestellte Querschnitt durch den Westflügel war und ist auch heute ein wichtiges Zeugnis für den Aufbau der Wand. Die Bastionsmauerhöhe wurde allerdings noch nicht gemäß dem heutigen Endzustand ausgeführt. Die Wandhöhe betrug im frühen 16. Jahrhundert etwas über 6,00m. Heute liegt die Mauerhöhe in dem entsprechenden Bereich bei über 10,00m. Die Mauerdicke beträgt am Fußpunkt etwa 2,00m. Der obere Wandabschluss mit etwa 1,50m dürfte bis heute im Wesentlichen unverändert geblieben sein. Für die heutigen erforderlich werdenden Baumaßnahmen zur Sanierungs- und Ertüchtigung der Bastionsmauer, ist die bauhistorische Verifizierung und Untersuchung [1] wichtig. Wir erlangen so Kenntnis über die zahlreichen Baumaßnahmen und verstehen die Bausubstanz geschädigte Bereiche aus früheren Stadien besser. Der, sich im Sinne der Stand- und Dauerhaftigkeit im Laufe der Jahrzehnte verschlechternde Zustand der Bastionsmauer ergab die Notwendigkeit die Instandsetzungsplanung der Bastionsmauer im Jahr 2018 in die Wege zu leiten und Planungsleistungen auszuschreiben. Im Zuge der Planungsprozesse wurde und wird permanent darauf geachtet, dass sämtliche planerische und bauliche Maßnahmen an der Burg Hohenzollern, der denkmalschutzrechtlichen Genehmigungspflicht unterliegen. 2. Art der Maßnahme / Ausgeschriebene Aufgabenstellung Die Untersuchungen im Zuge der bauhistorischen Bestandsaufnahme an dem Festungskranz mit den Bastionsmauer der Burg Hohenzollern zeigten erhebliche Schäden und Verformungen am Festungskranz auf. Diese Schäden umfassen sowohl Einflüsse auf die globale Standsicherheit bis hin zu lokalen, einzelnen Fehlstellen an Formsteinen. Bei der ausgeschriebenen Planungsleistung wurde daher sowohl die Restauration als auch die statische Ertüchtigung berücksichtigt. Die naturgemäß schlechte Zugänglichkeit einer Festungsmauer hat die Dokumentation der Schäden im Vorfeld auf folgende Punkte beschränkt: - Fotodokumentation der Mauerwerksoberflächen inklusive Schadenskartierung von Ausbrüchen innerhalb der äußeren Steinlage, der flächigen Überfugung mit stark zementhaltigen Mörtel und ausgewitterten Fugen, Bewuchs von Flechten bis Bäumen, Ausblühungen (Salz), Absandungen, Schalenbildung, Verfärbungen, Rissen, beulender Bereiche, erneuerte Steine, Rohre und weitere nachträgliche Einbauten und Leitungen. - Verkippung und Beulen ganzer Mauerbereiche, größere Rissbreiten und Schalenbildungen ohne Vermessungsangaben. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 61 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer Abbildung 3: Positionsplan Bauabschnitte [EHS] Zusätzliche wurde eine flächige Georadarbefahrung aller Bastionsmauern mit Prüfung auf Schalenablösung und weiterer Auffälligkeiten innerhalb des Mauergefüges durchgeführt. Dabei wurden drei unterschiedliche qualitative Verdachtsstufen (gering, mittel und hoch) sowohl für Schalenablösung als auch Gefüge-Störungen aufgeführt. Eine Verifizierung der Daten durch zugeordnete Kernbohrungen erfolgte im Vorfeld nicht. Einen einzelnen Indikator für das globale Schadensbild der Mauer, sozusagen einen Schuldigen, kann man auf Grund der diversen und zahlreichen Schadensfälle nicht direkt zuweisen. Neben der vernachlässigten Unterhaltung, die insbesondere einen ausufernden Bewuchs von der Hangseite, als auch von oben, dem Festungsterrain aus kommend zeigt, führt eine Bepflanzung mit Solitärgehölzen mit entsprechendem Wurzelwerk, eine defekte, historische Abdichtung und einer fehlerhaften Neu- Verfugung der Mauer auf Zementbasis zu Problemen. An dem exponierten Standort der Burg ist der natürliche Verwitterungsabtrag zusätzlich zu Gefüge- Störungen einzelner Steine, gar ganzer Mauerpartien durch Erdbebenereignisse ebenfalls erheblich. Eine Instandsetzung der Bastionsmauer war und ist überfällig. Ziel aller Instandsetzungsmaßnahmen ist es die Standsicherheit und Dauerhaftigkeit des Festungskranzes zu verbessern. Zusätzliche Ertüchtigungen sollen das Mauerwerk gegen Erdbebenbeanspruchungen auf aktuellem Nachweisniveau sichern. Die an uns Ingenieure gerichtete Aufgabenstellung ist es: 1. Erhöhung der globalen Standsicherheit (insb. Lastfall Erdbeben) durch Einbringen von Erdnägeln 2. Lokale Mauerwerksinstandsetzung und steinrestauratorische Arbeiten, wie: - Erkunden, ggf. Freilegen und Ausbessern von oberflächigen Schadstellen - Setzen von Überblendungen / Vierungen an Ankerstellen, Teilaufmauerung - Injektion von Hohlstellen - Vernadelung von Schalenablösungen - Verklammerung 3. (Teil-)Flächige Oberflächeninstandsetzung - Reinigung - Entfernen des zementhaltigen Fugenmörtels - Neuverfugen mit steinverträglichem Fugenmörtel - Entsalzung, Steinfestigung 4. Maßnahmen zur Verbesserung der Entwässerung 5. Minimierung des Eingriffs in den historischen Bestand 6. Einhaltung Kostenrahmen / Minimierung Bauzeit 7. Minimierung des Einflusses auf den Burgbetrieb und damit die Besucher 62 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer Die Instandsetzung und die Ertüchtigungsmaßnahmen des Festungskranzes werden abschnittsweise durchgeführt. Zunächst werden die Wandabschnitte aus dem Bauabschnitt I.1 ertüchtigt. Dazu gehört der Bauabschnitt rund um den Eingangsbereich der Burg am Adlertor, beginnend mit den Mauerabschnitten FK01 und FK02 an der Schnarrwachtbastei. 3. Verifizierung Bestand und Schadensbild Die Grundlagenermittlung im Vorfeld umfassten nicht nur die im Positionsplan hervorgehobenen Bereiche BAI.1 bis BAI.5 des Festungskranzes, sondern beschäftigen sich auch mit dem Zustand des Niederen Vorwerks und dem Hochschloss. Die Bereiche mit dem dringlichsten Handlungsbedarf galt es einzugrenzen. Im Zuge der Konkretisierung der Maßnahmen für den Festungskranz mit dem Landesamt für Denkmalpflege zur Erlangung einer ersten denkmalschutzrechtlichen Genehmigung, konnte zu einem sehr frühen Zeitpunkt die Förderfähigkeit festgestellt und Mittel des Landes, des Bundes und der Deutschen Stiftung Denkmalpflege zugesichert werden. Zum Projektstart wird nicht, wie ursprünglich gedacht, direkt mit der Entwurfsplanung begonnen. Es stellt sich heraus, dass zur Verifizierung des Bestandes noch weitere Untersuchungen durchgeführt werden müssen. Zum Beispiel, sind bei einer neu zu erstellenden Stützwand, in der Regel sowohl das Material hinter als auch innerhalb der Stützwand bekannt. So kann und wird die Geometrie der Stützwand den lokalen Gegebenheiten geschuldet optimiert entwickelt. An der Burg Hohenzollern liegen zwar Erkenntnisse über die verwendeten Steine und historische Mörtelqualität vor, aber kaum Erkenntnisse über die Geometrie. Der tatsächliche, bemessungsrelevante Wandaufbau zur Nachweisführung der Standsicherheit auch für den Erdbebenfall (Geometrie mit Wandhöhe, Verkippung, Beulen, Schalenabmessung und Wandhinterkante) sowie der Felshorizont hinter und unterhalb der Mauern sind unbekannt. Zusätzlich sind die Verdachtsfälle auf Schalenablösung und Gefüge- Störungen zu konkretisieren. Gänzlich unberücksichtigt ist die Tatsache, dass es übergeordnete Ursachen für einzelne Schadensbilder an der Wand gibt und diese gruppiert werden müssen. Als Beispiel wird die defekte Abdichtungsebene auf dem Festungsterrain benannt. Hier ist zwingend eine kontrollierte und funktionierende Entwässerung auf dem gesamten Festungsterrain zu schaffen, um bei Starkregenereignissen ein weiteres Ausspülen bereits eingeprägter Hohlstellen, sowie die Transportwege von chloridhaltigem Wasser im Sinne der Gewährleitung der Dauerhaftigkeit und Standsicherheit zu unterbinden. Die Objektsowie die Tragwerksplanung beginnen damit in der Leistungsphase 1, HOAI. 4. Planung Das Konzept zur Geometriefindung sieht am Beispiel der Schnarrwachtbastei eine tachimetrische Vermessung des Bestandes vor. Die zerstörungsfreie, flächige Erkundung der Mauerrückseite über zusätzliche Georadarscheiben und zerstörungsarme vertikale und horizontale Bohrungen dient der Verifizierung aller Messergebnisse und der bauhistorischen Befunde. Zusätzlich werden größere Schürfe an der Mauerrückseite, unter der Einbindung der archäologischen Abteilung des Landesamtes für Denkmalpflege (LAD), zur Erkundung der abgestuften Mauerkrone und einer noch in Teilen vorhanden, aber defekten Entwässerungsebene angelegt. Erst wenn die Probefelder eine hinreichende Übereinstimmung zwischen zerstörungsfreier Erkundung und zerstörungsarmer Untersuchung zeigen, werden die weiteren Planungsschritte zur Sanierung und Ertüchtigung der Bastionsmauer eingeleitet. Die Anforderungen über die Bestands- und Erkundungsdokumentation gehen bei einem Denkmal nationaler Bedeutung weit über den Bedarf für eine HOAI- Planung hinaus. Hier wurde abermals in enger Abstimmung mit dem LAD ein für den Bauherrn zumutbarer Umfang festgelegt. Auf Basis der belastbaren Untersuchungen und in Abstimmung mit dem Baustatischen Prüfer und dem Bodenmechaniker, wird im Zuge der Tragwerksplanung ein erdstatisches Modell entwickelt. Dabei werden sowohl die Mauernachweise als auch die erdstatischen Nachweise mit Einbeziehung des Gelbdrucks DIN EN 1998-1/ NA (Eurocode 8) geführt. Die exponierte Lage der Burg Hohenzollern in Zusammenhang mit der Erdbebenzone 3 macht eine Abgrenzung der Ausgangwerte unter Berücksichtigung der Dauerhaftigkeit sinnvoll und erforderlich. Für die spektrale Antwortbeschleunigung wird für den Standort der Burg Hohenzollern ein Wiederkehrintervall von 475 Jahren angenommen. Nach dem Gelbdruck EC8 ergibt sich damit die Referenz- Spitzenbodenbeschleunigung von 1,54 m/ s². 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 63 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer Abbildung 4: Überlagerung Ergebnisse Bauradar und Bohrungen [3] 64 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer Abbildung 5: Schurf im Bereich des Bemessungsschnittes [EHS] Abbildung 6: Erdbebenkarte [DIN EN 1998-1: 2018 (Gelbdruck)] Nachfolgend wird der Fokus auf die Tragwerksplanung für den Bauabschnitt I.1 gelegt: Ausgangspunkt für die statische Betrachtung für den Endzustand der Bastionsmauern ist die Standsicherheit unter der ständigen und veränderlichen Beanspruchungskombination. Erdbeben wird als außergewöhnlicher Lastfall berücksichtigt. Den Nachweisen des Mauerwerks liegen dynamische Berechnungen mittels Finite-Elemente Methodik zugrunde. Mit Hilfe der FE- Berechnung zur Untersuchung der Wechselwirkung mit der numerischen Geotechnik können Bodennagelraster und Nagellängen ermittelt und Modellfaktoren zur Anpassung der analytischen Berechnung an die Ergebnisse der FE-Berechnung festgelegt werden. Für die globale Standsicherheit im Endzustand sind auch einzelne Steine im Mauerwerksgefüge druckfest auszutauschen. Da einzelne Steine nicht Bestandteil der rechnerischen Analyse des Globalsystem sind, werden Spannungen mit realitätsnahen Mittelwerten auf Widerstandseite angesetzt. Diese rechnerische Analyse erlaubt es Steine bzgl. Ihrer Druckfestigkeitseigenschaften technisch zu bewerten und zu sortieren, mit dem Ergebnis, dass auch bei kleineren bis mittleren Substanzverlusten einzelne Steine und Bereiche ohne Steinaustausch erhalten werden können. Bezüglich der Erdbebensituation geht eine Gefahr von herabfallenden oder nachrutschenden Bauteilen aus. Die 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 65 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer Nachweise werden im Sinne der globalen Standsicherheit durchgeführt. Allerdings wird außerhalb von Gefährdungsbereichen, wie Fluchtwegen rechnerisch und im Sinne der Verhältnismäßigkeit akzeptiert, dass einzelne Steine oder lokale Bereiche versagen können. Durch die Einführung eines Modelfaktors wird die Erdruckbeanspruchung im Erdbebenfall nach der Methode von Mononobe- Okabe an die dynamische FE-Berechnung mit dem topographischen Verstärkungsfaktor 1,70 an die exponierte Lage angepasst. Abbildung 7: Planauszug Bodennägel und Nadeln [EHS] Aus der dynamischen Berechnung gehen die Ankerkräfte hervor. Da es nach dem analytischen Rechenmodell im unteren Wandbereich zu Überschreitungen der Mauerwerksfuge kommt, werden die Ankerkräfte in einem iterativen Verfahren so lange erhöht, bis der Schubnachweis erfüllt ist. Neben dem Austausch und der Erneuerung des Fugenmaterials, von gebrochenem und verwittertem Gestein, sowie der Hohlraumverfüllung werden zusätzliche Maßnahmen durchführt, um im Erdbebenfall die Brüstung zu sichern. Das Bauteil wird dabei so bemessen, dass die Brüstung als Einheit standsicher bleibt. Teilbereiche können im Erdbebenfall beschädigt werden. Hierzu werden die Abdecksteine über Schubdollen gekoppelt. Zur Verteilung der Schubkräfte in der Lagerfuge wird eine Mauerwerksbewehrung eingemörtelt. Die statische Untersuchung zeigt, dass zusätzlich vertikale Nadeln eingebunden werden müssen. Abbildung 8: Detail Brüstung [EHS] Insgesamt werden im Zuge der Genehmigungsplanung nachfolgende Nachweise erforderlich: Nachweise Brüstung: - Nachweis Scheibenschub - Nachweis Schubdruckversagen - Nachweis Fugenversagen durch Kippen von Einzelsteinen - Nachweis Plattenschub - Biegenachweis senkrecht zur Scheibenrichtung - Kombinierte Biegenachweise Nachweise Stützmauern BAI.1: - Querkraftnachweis (Gleitnachweis) - Scheibenschub - Schubdruckversagen (Plattenschub) - Fugenversagen durch Kippen der Einzelsteine - Biegenachweis senkrecht zur Scheibenrichtung - Kombinierter Biegenachweis - Nachweis der Verankerung der Erdnägel - Spannungsnachweis - Grundbruchnachweis - Nachweis der Vernadelung 66 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer 5. Ausführung / Baumaßnahmen Aufbauend auf den zur Ausführung freigegebenen Planunterlagen wird der tatsächliche Schaden und die daraus resultierenden Maßnahmen zu Beginn der Baumaßnahmen 2019 steingenau dokumentiert. Abbildung 9: Maßnahmenskizze [Zedler Baugesellschaft mbH] Planmäßig werden die unterschiedlichen Maßnahmen anhand der folgenden Schritte durchgeführt. - Angulatsandsteine demontieren in der Lage der Erdnägel - Erdnägel erstellen und verschließen der Ankerstellen - Ausräumen der Fugen - Verwitterte und beschädigte Steine demontieren - Kalksteine ersetzen mit entsprechender Verfugung - Angulatensandsteine wieder montieren bzw. neu aufmauern mit entsprechenden Fugen, außer Steine die die Erdnägel verdecken - Benetzen der gesamten Oberfläche mit Wasser; - Hohlräume mit Mörtel verfüllen - Fugenmörtel ersetzen - Vernadelung erstellen Die neuen Steine (Angulatensansteine) werden aus dem privaten Steinbruch Grosselfingen gefördert. Diese werden im Steinbruch grob bearbeitet und auf die Baustelle gebracht. Bereiche mit einer Schalenablösung > 0,20m (starke Schalenablösungsbereiche) werden abschnittsweise neu aufgemauert. Stark beschädigte bzw. stark verwitterte Brüstungsabschnitte werden ebenfalls neu aufgebaut. Bei der Neuaufmauerung werden Form- und Ziersteine nummeriert und an der entnommenen Stelle wiedereingesetzt. Bei dem Steinaustausch achtet man darauf, dass sich für die Lastweiterleitung eine Gewölbewirkung ausbilden kann. Voraussetzung dafür ist eine störungsarme Umgebung des umliegenden Mauerwerks, um den Gewölbeschub aufnehmen zu können. Der Steinaustausch in Randbereichen erfolgt mit Hilfe zusätzlicher Stützmaßnahmen. Die neuen Mauerabschnitte werden so versetzt, dass sie einen kraftschlüssigen Verbund mit dem umgehenden Mauerwerk eingehen. Die Gesteine werden so bearbeitet, dass sie in das Gesamtbild passen. Die Steinbearbeitung erfolgt anhand der mit dem LAD abgestimmten vorhandenen Mustersteine. Abbildung 10: Einbauzustand [Foto: EHS] Abbildung 11: Endzustand [Foto EHS] Der Mörtel muss auf der ganzen Tiefe der Fugen ggf. mehrlagig mit Spachtel bzw. Handmörtelpumpe/ Mörtelspritze appliziert werden. Bereiche mit sehr beschädigten Steinen, die ausgetauscht werden müssen, werden vor dem Versetzen mit einem Wasserfilm benetzt. Hohlräume werden mit handappliziertem Mörtel wieder gefüllt. Zum Einsatz für die Neuverfugung kommt ein portlandzementfreier Fugenmörtel auf Kalkbasis der Mörtelklasse M5 nach DIN EN 998-2 in Verbindung mit DIN V 20000-412 und DIN V 18580 (Mörtelgruppe IIa DIN 1996-1-1/ NA). Mit dem portlandzementfreien Bindemittel werden Fugendruckfestigkeiten von ca. 5 - 8 MPa erreicht. Die Farbe und Körnung werden entsprechend dem historischen Bestand gewählt und mit dem LAD abgestimmt. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 67 Burg Hohenzollern - Instandsetzung Festungskranz / Bastionsmauer Für die Herstellung einer form- und kraftschlüssigen Verbindung zwischen den Schalen der Festungsmauer finden Vernadelungen Verwendung. Sie bestehen aus einem Nadelanker aus Edelstahl Ø 12 mm, der mit einem zementhaltigen Mörtel eingesetzt wird. Für die Bodennägel wird das System für Permanentnagel mit einem Durchmesser von 28 mm ausgewählt. Die Materialien, der Einbau sowie die Prüfung des Permanentnagels werden überwacht. Im Zuge der Baumaßnahme kommt es im Bereich der Wand FK01zu einer Abweichung in der Bauabfolge auf Grund unvorhergesehener, flächiger Schalenablösungen. Hierzu müssen kurzfristig Sicherungsmaßnahmen im Mauerwerksverband durchgeführt werden. Da in diesen Bereichen auch die hintere Wandschale an Kompaktheit verloren hat, wird auf Grundlage der neuen Erkenntnis zusätzlicher Planungs- und Genehmigungsaufwand inklusive dem Abstimmungsprozess (zuzüglich Variantenuntersuchungen) im Sinne der denkmalschutzrechtlichen Genehmigung erforderlich. Es wird sich darauf geeinigt eine Spitzbetonsiche-rungsmaßnahme durchzuführen. Abbildung 12: Spritzbetonsicherungsarbeiten [Foto: EHS] 6. Ausblick Die Arbeiten am Bauabschnitt I.1 werden im Jahr 2021 abgeschlossen. Es folgen die Bauanschnitte I.2 bis I.5 im Jahreszyklus. Die Planungen für die kommenden Bauabschnitte laufen bereits. Literaturangaben [1] Kayser, Christian: Burg Hohenzollern, Ein Jahrtausend Baugeschichte, Südverlag 2017 [2] Bothe, Rolf: Burg Hohenzollern. Von der mittelalterlichen Burg zum nationaldynastischen Denkmal im 19. Jahrhundert. Berlin 1979 [3] BHZ, Bestimmung Mauerdicke mittels Bauradar, GGU, 08/ 2018 [4] Geotechnischer Bericht S&P, 08/ 2018 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 69 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Michael Auras Institut für Steinkonservierung e. V., Mainz Zusammenfassung Die Mikwe von Worms wurde im späten 12. Jahrhundert erbaut und ähnelt bezüglich ihrer Konstruktion einem viereckigen unterirdischen Turm. Auf seinem Boden sickert Grundwasser durch die Wände und füllt ein Wasserbecken, das früher als rituelles Bad genutzt wurde. Nach Perioden mangelnder Wartung, Zweckentfremdung und Vandalismus ist das Bauwerk heute durch ungünstige Bedingungen wie Destabilisierung des Mauerwerks, hohe Luftfeuchtigkeit, hohen Salzgehalt des Mauerwerks, starke Schwankungen des Raumklimas und intensives Wachstum von Schimmel und Algen gekennzeichnet. Diese Parameter haben zu schweren Schäden an Stein, Kalkputz und Mauerwerk geführt. Dennoch haben sich Reste der originalen Baudekoration erhalten. Neben bildhauerisch bearbeiteten Sandsteinelementen sind einige Überreste des ursprünglichen Putzes erkennbar. Nach einer sorgfältigen Untersuchung der Baukonstruktion, der Baumaterialien und der multiplen Schadensprozesse wurde ein Konservierungskonzept entworfen und durch Erprobungen an Musterflächen verfeinert. Dabei galt es Methoden sowohl zur statisch-konstruktiven Sicherung des Bauwerks als auch zur restauratorischen Sicherung der Wandoberflächen und ihrer Befunde zu finden. 1. Einführung Die Mikwe von Worms wurde bis zum frühen 19. Jahrhundert rituell genutzt. Anschließend wurde sie zeitweilig als Abwasserschacht missbraucht und schließlich wieder freigelegt und gereinigt. 1938 und 1942 wurde sie durch Vandalismus zerstört. In den späten 1950er Jahren erfolgten Reparaturmaßnahmen (Angaben zur Bau- und Restaurierungsgeschichte nach Kayser 2019). Die Wormser Mikwe ist ein wichtiger Teil des mittelalterlichen jüdischen Erbes in Deutschland. Sie ist zusammen mit anderen Denkmälern der SchUM-Städte Speyer, Worms und Mainz für die Anerkennung als UNESCO- Welterbe nominiert. Das gesamte Bauwerk liegt unter der Erdoberfläche, und etwa 8 m unter Geländeniveau befindet sich ein Wasserbecken, das vom Grundwasser gespeist wird. Das Bauwerk ist gliedert in obere Treppe, Vorraum, untere Treppe und den Badeschacht, an dessen Sohle sich das Badebecken befindet. Grundriss und Querschnitt geben die Konstruktionsweise wieder (Abb. 1). Das Bauwerk ist hauptsächlich aus regionalem rotem Buntsandstein errichtet. Für die dekorativen Elemente im Vorraum wurde gelbbrauner, tonig-ferritisch gebundener Sandstein des Unterrotliegend verwendet. Für die Gewölbe wurde teilweise ein poröser Kalksinterstein unbekannter Herkunft benutzt. Die Erhaltung von Resten des Originalputzes einschließlich gestalteter Oberfläche in einer mittelalterlichen Mikwe ist in Deutschland einzigartig. An einem Bogen im Vorraum befindet sich ein Putz mit spezieller Fugenritzung, einer sogenannten pietra rasa, wie sie für die Romanik typisch ist. Die pietra rasa wird durch Ritzung in den frischen, noch weichen Putz hergestellt und imitiert die Fugen einer regelmäßigen Steinquaderung. Als Mauer- und Putzmörtel wurde Kalkmörtel verwendet. Das Kalkbindemittel enthält geringe Mengen an hydraulischen Komponenten, aber keine dolomitischen Anteile. Es ist anzunehmen, dass als Rohstoff zur Bindemittelproduktion eines der nahegelegenen Vorkommen von tertiärem Kalkstein genutzt wurde. Als Zuschlagstoffe wurden Sand und Kies aus dem Rhein verwendet. In den 1950er Jahren wurden als Reparaturmaterialien gelbgebrannte Ziegelsteine sowie Zementmörtel und Beton eingebaut. Die Reparaturmörtel und Betone enthalten als Bindemittel einen alkalireichen Zement. 70 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Abb. 1: Die bauliche Anlage der Mikwe Worms in Grundriss und Querschnitt in N-S-Richtung (aus Kayser 2019) 2. Schadensphänomene Als Hauptprobleme des Bauwerks sind die Destabilisierung des Mauerwerks, die schädigende Wirkung löslicher Salze und ein intensives Wachstum von Grünalgen und Schimmelpilzen zu nennen. All diese Probleme lassen sich auf die Wirkung von Wasser in Kombination mit anderen Parametern zurückführen. Im mittleren und unteren Teil des Badeschachtes ist das Kalkbindemittel aus dem Setzmörtel des Mauerwerks ausgewaschen worden. Ursache hierfür ist Niederschlagswasser, das im überdeckenden Boden versickert und in das Mauerwerk eingedrungen ist (Abb. 2). Die Auswaschung des Kalkbindemittels aus den Fugen hat einerseits zur Destabilisierung des Mauerwerks geführt (Maus 2019), andererseits zur Bildung mehrlagiger Kalksinterkrusten auf den Oberflächen von Putz und Stein. Diese Kalksinterkrusten sind teilweise von Mikroorganismen durchwachsen und können mehrere Millimeter dick werden. Abb. 2: Schematische Darstellung des Eindringens von Niederschlagswasser (blau) in die Konstruktion (Querschnitt Ost-West). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 71 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Die wenigen erhaltenen, aus Sandstein gearbeiteten Bauzierelemente im Vorraum sind extrem geschädigt. Auch der Putz ist weitestgehend verloren und seine letzten Reste sind destabilisiert und lösen sich von der Wand. Putzreste und Sandsteinoberflächen sind gleichermaßen von schwarzen Krusten aus Gips, Schmutz und Resten von mikrobiologischem Material bedeckt. Andere Sandsteinoberflächen weisen aufgrund der Anwesenheit von löslichen Salzen ein intensives Absanden auf. Die Wandoberflächen sind durch mikrobiologischen Bewuchs mit Schimmelpilzen und, wo sie dem Licht ausgesetzt sind, mit Grünalgen und untergeordnet mit Cyanobakterien gekennzeichnet. Die Ursachen der Schäden sind vielfältig und es besteht dringender Bedarf einer Konservierung. Betrachtet man jedoch die verschiedenen Faktoren, die Einfluss auf die Raumschale der Mikwe nehmen, so wird ein recht komplexes System erkennbar (Abb. 3). Die Betrachtung der Wechselwirkungen zwischen diesen Faktoren verdeutlicht, dass jede Einzelmaßnahme sorgfältig abzuwägen ist, da jeder Eingriff in dieses System Auswirkungen auf weitere Faktoren hat. Abb. 3: Einflussfaktoren und Wechselwirkungen in der Raumschale der Mikwe 3. Bauschädliche Salze In den Baustoffen der Mikwe sind verschiedenste wasserlösliche, bauschädliche Salze zu finden, die auf unterschiedliche Herkunftsquellen wie Luftschadstoffe (Gipsbildung), zeitweilige Zweckentfremdung (Abwasserschacht -> Nitrate), ungeeignete Reparaturmaterialien (Alkali- und Sulfationen aus Zement) und den permanenten Feuchteeintrag über das Erdreich (Nitrate) zurückzuführen sind. Dadurch liegen in den verschiedenen Bauteilen der Mikwe sehr unterschiedliche Salzbelastungen vor, die auf Änderungen des Raumklimas sehr unterschiedlich mit Lösungs- und Kristallisationsprozessen reagieren. Eine Unterbindung der Kristallisationsprozesse durch eine Stabilisierung des Raumklimas wäre nur bei sehr hohen relativen Luftfeuchten erfolgversprechend. 4. Belastung durch mikrobiologische Besiedlung Die meisten Oberflächen der Mikwe sind mit einem mikrobiologischen Film bedeckt. Derartige Biofilme beeinflussen sowohl das Erscheinungsbild des Rauminneren, weisen aber auch ein Schadenspotential auf (Petersen 2014). Darüber hinaus können sie je nach den in und auf diesen Biofilmen lebenden Arten schädliche Auswirkungen auf die Besucher haben. Daher wurden die Arten und die Aktivitäten der auf den Wandoberflächen lebenden Mikroorganismen ebenso bestimmt wie die Anzahl der Luftkeime (Fritz et al., 2019). Die erste Untersuchung der Raumluft zeigte eine Zunahme der Luftkeime im Vergleich zur Situation im Freien. Um die Auswirkungen auf Raumklima und Salzkristallisation zu prüfen, wurde während einer mehrmonatigen Testperiode die Eingangstür der Mikwe geschlossen und abgedichtet. Ziel war eine Stabilisierung des Raumklimas, eine Maßnahme, die in der Mikwe Friedberg vor ca. 20 Jahren erfolgreich umgesetzt wurde. Da während dieser Testperiode die Menge an Luftkeimen in der Mikwe Worms um ein Vielfaches anstieg, wurde die Tür wieder durch die alte Gittertür ersetzt. Durch die Rückkehr zu den vorherigen Bedingungen wurde die Durchlüftung der Mikwe wesentlich intensiviert und die Luftkeimbelastung sank umgehend auf das Niveau der Außenluft ab (Abb. 4). 72 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Fig. 4: Luftkeime, kultiviert auf Malzextrakt Agar, in den Mikwen von Friedberg und Worms. (Daten: Fritz et al. 2019) Neben seinen ästhetischen und substanzschädigenden Auswirkungen behindert der mikrobiologische Film auf den Baustoffoberflächen notwendige Konservierungsmaßnahmen und muss daher entfernt werden. Da es sich bei der Mikwe um einen religiösen Ort des Lebens handelt, sollte der Einsatz von chemischen Bioziden, die in den Baumaterialien verbleiben, vermieden werden. Andere Methoden zur Reduzierung des Algenwachstums wurden erprobt: - Desinfektion der Oberflächen durch UV-C-Strahlung, - die Verwendung von grünem Licht, um die Fähigkeit der Algen zur Photosynthese zu reduzieren, - Reduzierung des mikrobiellen Wachstums durch photokatalytisch aktives Titandioxid. Eine einmalige Desinfektion der Oberflächen ist als Voraussetzung für die Reinigung der Oberflächen einschließlich der Entfernung von Biofilmen notwendig. Getestet wurde eine Desinfektion durch UV-C-Strahlung. Während der Test auf einer Steinoberfläche zu guten Ergebnissen führte, funktionierte ein weiterer Test auf Putz nicht zufriedenstellend. Hier ist der Biofilm tiefer in das Mikrogefüge des Putzes und in die unregelmäßige Topographie seiner geschädigten Oberfläche eingewachsen. Weitere Tests zur Entfernung von Algen aus dem Putz sind notwendig. Die in der Mikwe vorkommenden Algenarten wurden im Labor kultiviert, um die Effizienz von grünem Licht zur Reduzierung des Grünalgenbewuchses zu überprüfen. Der Grundgedanke ist die wellenlängenabhängige Wirksamkeit von Chlorophyll und anderen Pigmenten bei der Photosynthese (Abb. 5). Sie zeigt ein Absorptionsminimum im grüngelben Bereich. Dementsprechend wurde eine monochromatische LED mit einer Wellenlänge im Bereich 525/ 550 nm für die Labor- und in situ- Versuche ausgewählt. Die Chlorophyllproduktion wurde bei Bestrahlung mit grünem Licht, sowie bei Tageslicht und bei Dunkelheit gemessen. Während konstantes Tageslicht die Produktion bis zu einem Maximum steigert und völlige Dunkelheit sie fast vollständig verhindert, reduzieren konstantes grünes Licht und abwechselnde Zyklen von grünem Licht und Dunkelheit die Produktion von Chlorophyll auf etwa 44 bzw. 19 % (Fritz et al. 2019). Ein signifikanter Effekt der Beleuchtung auf das Wachstum von Schimmelpilzen wurde nicht beobachtet. Daher wird eine Kombination aus einer Notbeleuchtung mit schwachem grünem Licht (Dauerlicht) und einer über Bewegungssensoren gesteuerten, nur temporär für den Besucherverkehr eingeschalteten weißen LED-Beleuchtung als praktikabler Ansatz für die künftige Beleuchtung der Mikwe angesehen. Dies wird das Algenwachstum reduzieren und gleichzeitig den Zugang für Besucher ermöglichen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 73 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Abb. 5: Wellenlängenabhängige Lichtabsorption von Chlorophyll und Karotinoiden 1 Um eine Wiederbesiedlung nach der Desinfektion zu verhindern, wurden Tests mit photokatalytisch aktivem Titanoxid (TiO 2 ) durchgeführt (Skasa-Lindermeir & Wendler 2019). Zur Aktivierung des TiO2 wurde ein Jahr lang eine UV-A-Lampe für 12 Stunden täglich während der Nachstunden eingeschaltet. Die Wirkung auf Grünalgen wurde durch die Messung der Fluoreszenz von Chlorophyll als Indikator für den Aktivitätsgrad der Photosynthese kontrolliert. In einigen Musterflächen wurde innerhalb der einjährigen Bestrahlung nach einem Jahr fast keine Wirkung auf die Photosyntheseaktivität gemessen. Jedoch wurde in Testflächen, die sehr nahe an der UV-Lampe lagen, eine starke Abnahme der Fluoreszenz beobachtet. Daraus kann geschlossen werden, dass die Intensität der UV-A-Strahlung für Testflächen in einem Abstand von ca. 1,5 m von der Lampe zu gering war, während das System bei Distanzen von ca. 0,2 m sehr gut funktionierte. Hier konnte die Photosyntheseaktivität nahezu vollständig unterbunden werden. Daraus ist zu folgern, dass für die Anwendung eines solchen Systems im Gebäudeinneren UV-A-Lampen mit höherer Strahlungsleistung benötigt werden. 1 Quelle: Cooke, S.J. on https: / / socratic.org/ questions/ how-does-lightfrequency-affect-the-rate-of-photosynthesis 5. Raumklima Das Raumklima wurde zwei Jahre lang an verschiedenen Orten innerhalb und außerhalb der Mikwe Worms gemessen. Die Ergebnisse zeigen sehr ungünstige Bedingungen: Im unteren Teil des Badeschachtes und im unteren Treppenabgang ist das Raumklima durch hohe Luftfeuchtigkeit und geringe Luftströmungen gekennzeichnet. Hingegen herrschen im Vorraum und im oberen Teil des Badeschachtes intensive Klimaschwankungen aufgrund der starken Luftströmung zwischen der Gittertür im oberen Treppenabgang und dem Lüftungsschacht in der Kuppel. Entsprechend dieser Situation sind die Wandflächen im oberen Teil des Bauwerks besonders häufigen Salzkristallisations-/ Lösungs- und Dehydratations-/ Hydratationsprozessen ausgesetzt. Vergleichsmessungen wurden in anderen mittelalterlichen Mikwen von vergleichbarer Größe, aber unterschiedlichem Raumklimamanagement durchgeführt (Abb. 6): - Die Mikwe von Speyer ist in konstruktiver Hinsicht der Wormser Mikwe sehr ähnlich. Sie ist etwas älter und größer als ihr Wormser Pendant und kann als dessen Vorbild angesehen werden. Im Gegensatz zu Worms wurde über dem Bauwerk ein Schutzdach errichtet, um das Eindringen von Regenwasser in das Mauerwerk zu verhindern. Das Raumklima variiert wie in Worms sehr stark, die relative Luftfeuchte liegt jedoch aufgrund des Schutzbaus im Mittel deutlich niedriger als in Worms. - In der Mikwe von Friedberg hingegen bleibt die Eingangstür jedoch meist geschlossen und die Belüftung ist auf ein Minimum reduziert. Folglich ist hier das Raumklima sehr stabil und dauerfeucht (Abb. 6). - Ein Besuch in der Mikwe von Andernach ergab, dass hier das Raumklima im unteren Teil des Bauwerks von einem Lüftungssystem abhängt, das nicht zur Regulierung der Luftfeuchtigkeit oder Temperatur, sondern zur Reduzierung der CO2-Konzentration in der Raumluft installiert wurde. Andernach liegt in einer Region mit hohen CO2-Emissionen aus dem Boden, die durch die frühere vulkanische Tätigkeit verursacht werden. Ein ähnliches Lüftungssystem wie in Andernach könnte eine Lösung für die Raumklimaprobleme in Worms darstellen. Sie erfordert jedoch die Installation von technischen Geräten und einer Schleuse am Eingang. Beide Elemente sind im Hinblick auf die Integrität des Bauwerks nicht unproblematisch. 74 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Abb.6: Streuung der relativen Luftfeuchtigkeit in den Mikwen Worms und Friedberg, jeweils oben und unten gemessen, bei einjähriger Messung (Daten: Hahn & Pischke 2019) 6. Konservierung von Putz und Stein Die originalen Putzoberflächen sind zum großen Teil mit schwarzen Gipskrusten bedeckt. Zur Reduzierung dieser Krusten wurden Arbeitsproben mit verschiedenen Laser-Reinigungsgeräten angelegt. Letztlich wurde für eine größere Musterfläche ein Nd-YAG-Laser eingesetzt (Abb. 7). Während die ästhetische Verbesserung offensichtlich ist, wurde der Gipsgehalt nicht vollständig entfernt. Dies wurde durch Untersuchungen mittels Lichtmikroskopie und mobiler Röntgenfluoreszenzanalyse und Ramanspektrometer nachgewiesen (Abb. 8). Abb. 7: Zwischenstadium bei der Laserreinigung des mittelalterlichen Putzes mittels Lasergerät (Aufnahme K. Keller). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 75 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Abb. 8: Nachweis von Gips auf Putzoberfläche nach Laserreinigung: a) Die lichtmikroskopische Untersuchung am Dünnschliffpräparat zeigt eine auf ca. 50 µm ausgedünnte Gipsschicht auf dem Putz, Aufnahme bei gekreuzten Polarisatoren (M. Auras). b): Raman-Spektren, aufgenommen an gereinigten und ungereinigten Putzoberflächen (Paz 2 ). 2 Aus: Zerstörungsfreie Materialanalysen zum Nachweis von Gips auf gereinigten und ungereinigten Putz- und Steinoberflächen in der Mikwe in Worms mittels mobiler Röntgenfluoreszenz- und ramanspektroskopischer Methoden. Untersuchungsbericht (unveröff.). Paz Laboratorien für Archäometrie, Bad Kreuznach, 22.10.2019. Mit dem Lasergerät wurden neben dem Putz auch die skulptierten Oberflächen der steinernen Bauzier gereinigt und von schwarzen Krusten befreit. Reinigungsversuche am Mauerwerk zeigten, dass eine sorgfältige Reinigung mit Bürsten und Staubsauger ausreicht. Ziel ist, losen Schmutz vom Mauerwerk zu entfernen, aber die Patina der geschwärzten Wände zumindest teilweise zu erhalten. Der Putz wurde mit so genanntem Nanokalk, einer Dispersion von sehr kleinen Calciumhydroxid-Partikeln in Ethanol gefestigt. Die Ränder der Putzschollen wurden mit baustellengemischtem Mörtel auf der Basis von natürlichem hydraulischem Kalk angeböscht. Zur Festigung von Sandstein kam Kieselsäureester zum Einsatz. Die Oberflächen von Zementmörtel und Beton wurden zurückgearbeitet und durch einen ästhetisch ansprechenden Kalkmörtel ersetzt. Er soll im Lauf der Zeit lösliche Salze aus dem Zement aufnehmen und somit als Opferschicht wirken. 7. Statische Ertüchtigung Die Tragwerksuntersuchungen sowie das Konzept zur statischen Ertüchtigung wurden durch das Büro Barthel & Maus, München, erarbeitet (Maus 2019). Die Tragfähigkeitsprobleme der Mikwe sind zweierlei: - Ein größerer Mauerwerksausbruch an der Einmündung der unteren Treppe in den Badeschacht und - eine großflächige Destabilisierung des Mauerwerks im unteren und mittleren Abschnitt des Badeschachtes. Zur Sicherung des beginnenden Mauerausbruchs wurden temporäre Sprießen eingebaut, später ist eine Sicherung durch Vernadelung und Mörtelinjektion oder durch partiellen Rückbau und Neuaufmauerung geplant. 76 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Das zweite Problem ist durch Niederschlagswasser verursacht, dass über der Mikwe versickert und sich seinen Weg durch das Mauerwerk sucht. Dabei wurden die Kalkbindemittel ausgewaschen, wodurch sich die innere Mauerschale vom Mauerkern gelöst hat. In den Fugen der inneren Schale findet sich statt Mörtel nur Sand und tonig-humöses, aus dem Erdreich eingeschwemmtes Material. Eine Mörtelinjektion in die derart gefüllten Fugen war nicht sinnvoll, weil der Mörtel nicht am Stein angebunden hätte. Daher musste das tonig-humöse Material erst ausgewaschen werden, bevor Mörtel injiziert werden konnte. Anhand von Musterflächen wurde ermittelt, wie das Auswaschen mit rotierenden Hochdruckwasserstrahldüsen bewerkstelligt werden kann, bevor Mörtelinjektionen erfolgen. Verschiedene Mörtel wurden zur Nachverfugung und zur Mörtelinjektion getestet. Aufgrund der Ergebnisse kann mit Mörteln auf Basis natürlich hydraulischen Kalks oder Romanzementes verfugt werden. Für die Injektion wird ein Mörtel auf Romanzementbasis empfohlen. 8. Schlussfolgerungen Unter den Bedingungen eines unterirdischen historischen Bades sind die konservatorischen Probleme vielfältig und die Lösungsansätze manchmal widersprüchlich. So wäre es beispielsweise sinnvoll, das Raumklima auf einem Niveau hoher Luftfeuchtigkeit zu stabilisieren, um die Häufigkeit von Salzkristallisationsprozessen zu reduzieren. Doch bei diesem Klima steigt die Zahl der Luftkeime exponentiell an, was ein potenzielles Gesundheitsrisiko für die Besucher darstellt. Daher muss jede Intervention sehr sorgfältig erwogen und überwacht werden. Ansätze für einige der Probleme konnten im Projekt entwickelt werden, andere müssen weiter untersucht und vertieft werden. Eine Abdichtung der Bodenoberfläche über der Mikwe ist in Planung, um das weitere Eindringen von Regenwasser zu verhindern. Das Raumklima könnte höchstwahrscheinlich durch die Entwicklung eines maßgeschneiderten Belüftungssystems stabilisiert werden, aber zunächst müssen die technischen und ästhetischen Aspekte eines solchen Systems sorgfältig bewertet und abgewogen werden. Das mikrobielle Wachstum von Algen und Schimmelpilzen kann durch ein anderes Beleuchtungssystem und durch die photokatalytische Wirkung von Titandioxid reduziert werden. Es fehlt jedoch noch eine Methode zur effektiven Grunddesinfektion von Putz, die den Einsatz chemischer Biozide vermeidet. Für die meisten der notwendigen Konservierungsschritte wurden geeignete Methoden und Mittel erfolgreich getestet. Es bestehen jedoch weitere Defizite wie die im Putz verbliebenen Gipsgehalte und die noch unzureichende Extraktion von löslichen Salzen aus den Sandstein-Zierelementen. Auch für die Behebung der Tragfähigkeitsprobleme wurden Lösungen entwickelt und es steht zu hoffen, dass die statische Sicherung in Kürze erfolgt. Zu manchen Detailfragen sind jedoch weitere Untersuchungen und Verfahrenserprobungen notwendig, um die hier dargestellten Konservierungsansätze zu optimieren und dabei den hohen und teils widersprüchlichen Anforderungen dieses wichtigen Zeugnisses des früheren jüdischen Lebens und Glaubens in Deutschland gerecht zu werden. 9. Schlussbemerkung Der vorliegende Artikel fasst die wichtigsten Arbeitsergebnisse aus einem interdisziplinären Forschungsprojekt zusammen. Eine ausführliche Version ist in gedruckter Version erhältlich beim Institut für Steinkonservierung e.V., Mainz, als IFS-Bericht Nr. 58 (2019), s. https: / / ifs-mainz.de/ veroeffentlichungen/ ifs-berichte. 10. Dank Der Autor dankt der Jüdischen Gemeinde Mainz für die Genehmigung zur Untersuchung der Mikwe, der Projektgruppe, den Kolleginnen und Kollegen der beteiligten kommunalen und Landeseinrichtungen sowie des Architekturbüros Hamm für mannigfaltige Unterstützung. Ebenso gilt mein Dank den zahlreichen Kolleginnen und Kollegen, die unsere Recherchearbeiten zur baulichen Situation anderer mittelalterlicher Mikwen unterstützten. Besonderen Dank der Deutschen Bundesstiftung Umwelt für die Projektförderung. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 77 Sanierungskonzept für die Mikwe in Worms Literatur [1] Fritz, U.M., Medić, K., Gehrmann-Janssen, C., Petersen, K. (2019): Untersuchungen zur mikrobiellen Belastung der Mikwe. In: Auf dem Weg zu einem Konservierungskonzept für die Mikwe in Worms. Institut für Steinkonservierung e.V., Mainz, IFS- Bericht 58: 49-59. [2] Kayser C. (2019): „Einen Brunnen grub er, führte auf das Gewölbe….“ - Bauforschung an der Mikwe von Worms. In: Auf dem Weg zu einem Konservierungskonzept für die Mikwe in Worms. Institut für Steinkonservierung e.V., Mainz, IFS-Bericht 58: 7-33. [3] Keller, K., Brakebusch, C. (2019): Notsicherung der Wandputze und Arbeitsproben zur Konservierung der Putz- und Steinoberflächen. In: Auf dem Weg zu einem Konservierungskonzept für die Mikwe in Worms. Institut für Steinkonservierung e.V., Mainz, IFS-Bericht 58: 43-48 [4] Maus H. (2019): Die statisch-konstruktive Instandsetzung. In: Auf dem Weg zu einem Konservierungskonzept für die Mikwe in Worms. Institut für Steinkonservierung e.V., Mainz, IFS-Bericht 58: 35-42. [5] Petersen K. (2014): Mikrobiologische Materialschädigung an Naturstein und Vorgehensweise zu deren Beseitigung. In: Patitz, G., Grassegger, G., Wölbert, O. (Eds.): Natursteinbauwerke, Untersuchen-Bewerten-Instandsetzen. Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart, S.175-182. [6] Skasa-Lindermeir, B. & Wendler, E. (2019): Anwendung von photokatalytisch wirksamen Titandioxid als Prophylaxe gegen mikrobiellen Befall von Naturstein und Putz in der Mikwe in Worms. In: Auf dem Weg zu einem Konservierungskonzept für die Mikwe in Worms. Institut für Steinkonservierung e.V., Mainz, IFS-Bericht 58: 61-78. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 79 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms Jörg Harnisch FH Münster, Münster, Deutschland Zusammenfassung Der Baumberger Sandstein ist ein im Münsterland häufig anzutreffender Naturwerkstein, welcher in der Vergangenheit aufgrund seiner guten Bearbeitbarkeit häufig verbaut wurde. Aufgrund seiner beschränkten Witterungsbeständigkeit wird er heutzutage jedoch kaum noch planmäßig für Außenbauteile eingesetzt. Im Denkmalschutz jedoch kommt diese Gesteinsart jedoch noch häufig zum Einsatz. So auch im Südturm des Münsteraner Paulus Doms, welcher in den Jahren 2002 - 2004 umfassend restauriert wurde. Hierbei fand in stark geschädigten Bereichen der Austausch ganzer Mauersteine statt, welche basierend auf umfangreiche Voruntersuchungen ausgewählt wurden. Um die thermischen und hygrischen Belastungen dieser Steine im Nachgang der Restaurierung erfassen zu können, wurden ausgewählte Werksteine mit Multiring-Sensoren sowie Temperatursensoren ausgestattet, welche seit nun rd. 14 Jahren tiefengstaffelte Daten über den elektrischen Widerstand als auch Temperaturen liefern. Diese werden im Rahmen dieses Beitrages ausgewertet und interpretiert. Dabei zeigt sich, dass es aufgrund des individuellen Zusammenspiels von Sonneneinstrahlung, Lufttemperatur, Windrichtung und Beregnung innerhalb eines Jahres zu großen Messwertunterschieden zwischen den Sensorpositionen kommt. Aber auch für die individuelle Sensorposition werden starke Messwertschwankungen über die Jahre hinweg beobachtet. In Bezug auf den elektrischen Widerstand und damit dem Wassergehalt der Steine, kann eine aktive Randzone von rd. 3 cm ermittelt werden, die stark auf Bewitterungsereignisse reagiert. Für die Sommermonate im Messezeitraum kann ein genereller Anstieg der Widerstände und damit eine Austrocknung der Steine an den südlichen und südwestlichen Fassadenausrichtungen festgestellt werden, was auf die zunehmend sonnenreichen und trockenen Sommer zurückgeführt wird. Aufgrund der spezifischen Verhältnisse am Turm können sich in den Sommermonaten im Südwesten die stärksten Wassergehaltsgradienten ausbilden. Anhand von rechnerischen Abschätzungen kann gezeigt werden, dass diese das Potential besitzen den Stein über die Zeit zu schädigen. In den Wintermonaten dagegen vergleichmäßigt sich der Wassergehalt über die Steintiefe und fällt für alle Sensorpositionen vergleichbar aus. Die Analyse der thermischen Verhältnisse zeigt, dass sich im Südwesten des Turmes die größten Temperaturunterschiede einstellen. So müssen die Werksteine im Tagesgang Temperaturdifferenzen von bis zu 20 K, im Monatsgang von bis zu 35 K und über den gesamten Messzeitraum von 65 K ertragen. Anhand der tiefengestaffelten Temperaturwerte kann jedoch gezeigt werden, dass aus der Temperaturbeanspruchung alleine kein ausgeprägtes Schädigungspotential zu erwarten ist, sie jedoch die hygrisch induzierten Zwangsspannungen intensivieren kann. 1. Einleitung Der heutige Paulus-Dom zu Münster wurde in den Jahren 1225 bis 1264 errichtet und besteht im Wesentlichen aus dem romanischen Westwerk und einer Reihe von Anbauten, von denen bedeutende Teile der Gotik zuzuordnen sind. Im zweiten Weltkrieg wurde der Dom stark beschädigt. Das Westportal sowie der Südturm wurden dabei völlig zerstört. Während das Westportal nicht wiederhergestellt wurde, wurden die beiden prägnanten Türme des Doms wieder vollständig rekonstruiert. Verwendet wurden hierzu vor allem Baumberger (Kalk-)Sandsteine sowie Altenberger Schalenkalke. Beide Gesteine gelten als gut bearbeitbar, sind jedoch aufgrund ihres hohen Kalkanteils verwitterungsanfällig. Nach ca. 40 Jahren Standzeit machten herabfallende Steinverwitterungsstücke deutlich, dass eine erneute Restaurierung der Natursteinfassade aus Sicherheitsgründen unumgänglich war. Bei den Restaurierungsarbeiten ab 2002 wurde ersichtlich, dass es an den Turmfassaden zu großflächigen Verwitterungsschäden, aber auch zu lokal ausgeprägten Verwitterungen einzelner Steine gekommen war. Letztere wurden vollständig durch neue Steine 80 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms ersetzt. In Voruntersuchungen durch ein An-Institut der FH Münster wurde festgestellt, dass hygrische und thermische Verformungskenngrößen einen Steinersatz durch Baumberger Sandstein zulassen, vgl. Tabelle 1. Nach Vollendung der steinmetzmäßigen Fassadenrestaurierung wurde bewusst auf weitere Schutzmaßnahmen verzichtet, um die typische Optik der Fassaden zu erhalten. Da der verwendete Baumberger Sandstein aus den Werken Dirks und Fark aus Havixbeck und Billerbeck ebenfalls als verwitterungsanfällig gilt, wurden 2004 in Kooperation mit der FH Münster am Südturm des Doms ausgewählte Werksteine vor dem Einbau mit Temperatur- und Widerstandssensoren instrumentiert, um Informationen über die hygrischen und thermischen Verhältnisse in den Fassadensteinen zu erhalten. Thermische und hygrische Verformungsunterschiede über den Steinquerschnitt und die damit verbundenen Zwangsspannungen werden als maßgeblich für die graduelle Zerstörung des Natursteingefüges angesehen. Insbesondere für die Entwicklung zukünftiger Instandhaltungskonzepte spielen thermische und hygrische Informationen eine bedeutende Rolle, um technisch sinnvolle Materialentscheidungen (Steinersatz oder Oberflächenbehandlungen) treffen zu können. Vor diesem Hintergrund besteht die Zielsetzung der hier vorgestellten Langzeitstudie darin, die hygrischen und thermischen Verhältnisse im Baumberger Sandstein exponierter Fassadenabschnitte des Südturmes sowohl bei Kurzzeitereignissen, als auch über Jahre hinweg zu erfassen und in Hinblick auf ein mögliches Schädigungspotential für die Instandsetzungsbereiche zu bewerten. Hierzu liegen nun Daten vor, die einen Zeitraum von rd. 14 Jahren abdecken. 2. Materialien und Messtechnik 2.1 Allgemeines Um die angestrebten Messgrößen zu erfassen, wurde auf bewährte Technik zurückgegriffen, die am Institut für Bauforschung der RWTH Aachen, ibac, für den Stahlbetonbereich entwickelt wurde [1]. Diese musste für das vorliegende Projekt auf den Einsatz im Baumberger Sandstein angepasst werden. Nachfolgend wird auf den zu untersuchenden Naturstein und auf die verwendete Messtechnik näher eingegangen. 2.2 Der Baumberger Sandstein Der Baumberger Sandstein ist streng genommen kein Sandstein, sondern vielmehr ein sandhaltiger Kalkstein oder Kalksandstein. Als marine Ablagerung in der Oberkreide entstanden, weist er Kalziumkarbonatgehalte zwischen 50 und 70 M.-% bei Quarzsandgehalten von rd. 16 M.-% auf und gilt geologisch gesehen als junges Sedimentgestein. Aufgrund seiner Verfügbarkeit und guten Abbaubarkeit ist der Baumberger Sandstein ein oft anzutreffender Werkstein im Münsterland, welcher insbesondere durch die Werke des Baumeisters und Architekten Johann Conrad Schlaun in Szene gesetzt wurde. Grundlegende Kennwerte des Natursteins sind in Tabelle 1 zusammengestellt und beruhen auf eigenen Messungen sowie Literaturdaten [2]. Als nachteilig zu bezeichnen ist die mäßige Verwitterungsbeständigkeit des Gesteins [3]. Aus diesem Grunde wird der Baumberger Sandstein heute vornehmlich im Innenbereich eingesetzt. Bei der Restauration von Baudenkmälern, wie hier am Südturm des Paulus-Doms zu Münster, findet er jedoch auch heute noch Anwendung im Außenbereich. Tabelle 1: Kenngrößen des Baumberger Sandsteins Eigenschaft Einheit Wert 1 2 3 Farbe gelblich-braun bis grau Wasseraufnahme, atmosphärisch M.-% rd. 8 Wasseraufnahme unter Druck M.-% rd. 9 Sättigungsgrad rd. 0,8 Quellmaß ‰ 0,37 - 0,78* Schwindmaß ‰ 0,30 - 0,64* Druckfestigkeit N/ mm² 36,7 - 84,1* Biegezugfestigkeit N/ mm² 5,4 - 14,9* Dynamischer E-Modul (trocken) N/ mm² 15.900 - 23.600* Reindichte kg/ dm³ rd. 2,70 Rohdichte kg/ dm³ rd. 2,18 Porosität Vol.-% rd. 23 Temperatur-ausdehnungskoeffizient 1/ K*10-6 4,8 - 9,0* *Eigene Messungen 2.3 Messsystem Sensoren und Positionierung im Werkstein Zur Erfassung von Temperaturen und Widerstandswerten über die Steintiefe wurden so genannte Multitemperatur- Sensoren (MTS) sowie Multiring-Elektroden (MRE) eingesetzt, welche in den 1990er Jahren am ibac für den Stahlbetonbereich entwickelt wurden [1]. Während die MRE in Ihrer Standardversion mit fixen Messstellenabständen von 5 mm verbaut wurde, vgl. Bild 1, links, wurde der Sensor für die Temperaturerfassung mit variierenden Messstellenabständen zwischen 5 und 20 mm ausgestattet, vgl. Bild 1, rechts. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 81 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms Bild 1: Multiring Elektrode (links) und Multitemperatur- Sensor mit variierenden Messpunktabständen (rechts) Während bei der MRE der elektrische Widerstand im angrenzenden Werkstoff zwischen zwei benachbarten Ringen erfasst wird [4], finden im MTS Platintemperaturelemente Verwendung, welche bei 0 °C einen elektrischen Widerstand von 1000 Ω aufweisen. Aufgrund der bekannten Beziehung zwischen Temperatur und elektrischem Widerstand dieser Elemente kann auf die tiefengestaffelte Temperaturverteilung im Werkstein geschlossen werden. Da aufgrund der starken Verwitterungsschäden der Austausch ganzer Fassadensteine notwendig war, ergab sich die Möglichkeit, ausgesuchte Steine vor dem Einbau mit der entsprechenden Messsensorik zu bestücken. Die hierzu notwendige Einbautechnik wurde im Jahr 2002 im Rahmen einer Diplomarbeit an der FH Münster entwickelt [5]. Bei der Positionierung im Werkstein der Fassade musste ein Kompromiss zwischen Oberflächennähe und technischer Umsetzbarkeit gefunden werden. Nach Vorversuchen wurde ein Sensorabstand von 1,3 cm von der bewitterten Außenseite des Werksteins als zielführend identifiziert. Daraus ergeben sich für die Lage der Messstellen an den Sensoren die in Bild 2 gezeigten Abstände von der Werksteinoberfläche. Bild 2: Positionierung der Sensoren und Lage der Messpunkte im Werkstein Die Anordnung der Sensoren macht deutlich, dass über die MRE hygrische Vorgänge bis in eine Tiefe von rd. 5 cm, thermische Kennwerte über die MTS bis in eine Tiefe von rd. 10 cm erfasst werden können. Messanlage im Südturm Das Klima in Münster ist von atlantischen Einflüssen geprägt, was eine generelle Südwestbis Westwindlage mit eher milden, regenreichen Wintern und mäßig warmen Sommern mit sich bringt. Um diesem Sachverhalt Rechnung zu tragen, wurden insgesamt 6 Sensoren, 4 MRE und 2 MTS, an der südwestlichen und nordwestlichen Ecke des Turmes auf der Höhe des Glockenstuhls in rd. 30 m Höhe positioniert, vgl. Bild 3. Bild 3: Der Südturm während der Restaurationsarbeiten, Westansicht (links), Lage der Sensoren in der Aufsicht (rechts); Quelle Müller-Rochholz [6] Die im Jahre 2004 eingebaute Messanlage wurde ebenfalls am ibac entwickelt. Über drei Schnittstellenwandler werden seit nunmehr 14 Jahren die analogen Messdaten der eingebauten Sensoren erfasst, digitalisiert und über einen Multiplexer via serielle Schnittstelle an einen im Glockenturm installierten Rechner übertragen. Bild 4, oben zeigt zwei Schnittstellenwandler und den Multiplexer an Ihrem Aufstellungsort im Glockenstuhl des Südturms. Die Messkette vom Sensor zum Messwert ist in Bild 4, unten dargestellt. Bild 4: Datenerfassung Südturm mittels Schnittstellenwandler und Multiplexer aus dem Jahre 2004 (oben) und Messkette (unten); Quelle: Dorgeloh [7] 82 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms 3. Ausgewählte Messergebnisse und Interpretation 3.1 Hygrische Verhältnisse Kurzfristige Ereignisse Die Auswertung von Wetterdaten über den gesamten Messzeitraum bestätigt die atlantisch geprägte Wetterlage in Münster. So erkennt man, dass nahezu 50 % der beobachteten Regenereignisse bei südwestlichen Winden stattgefunden haben, vgl. Bild 5. Die Dominanz lag hierbei bei den westlich geprägten Windrichtungen im Bereich zwischen 220° bis 270°. Bei Winden aus nordwestlichen Richtungen regnete es immerhin noch in 37 % der Fälle. Hierbei ist anzumerken, dass hier vornehmlich die westlich geprägten Windrichtungen im Bereich zwischen 270° und 300° dominiert haben. Bild 5: Anzahl der Regenereignisse mit einer Niederschlagsmenge von mehr als 2 mm und die dazugehörige Verteilung der Windrichtung im gesamten Messzeitraum Für den Südturm bedeutet dies, dass die Steine der Westfassade am häufigsten von Regenereignissen betroffen sind. Da jede Beregnung mit Quell- und Schwindvorgängen in der Randzone der Werksteine einhergeht, ist die Belastung durch Quell- und Schwindspannungen demnach hier am größten. Was passiert nun im Werkstein, wenn eine Fassade intensiv beregnet wird? Dies wird anhand der nachstehend aufgeführten Auswertungen deutlich, welche die gemessenen Widerstände der MRE 3 (SW) bei einem Regenereignis nach einer längeren Trockenperiode bei westlichem Wind zeigt, vgl. Bild 6, oben und unten. Bild 6: Geschwindigkeit von Befeuchtung und Austrocknung (oben) sowie Ausbildung von Feuchtegradienten (unten) am Beispiel des Sensors MRE 3 bei einem singulären Niederschlagsereignis bei Westwind am 16. Juni 2017 Bei der Messung elektrischer Widerstände von kapillarporösen Baustoffen wird ausgenutzt, dass dieser stark mit dem vorliegenden Wassergehalt korreliert [8]. Weiterhin wird der Widerstand stark von der Temperatur beeinflusst, was durch eine Kompensation mit Hilfe eines Arrhenius-Ansatzes geschehen ist [9]. Aus Bild 6, oben wird deutlich, dass die Widerstände in 18 und 23 mm Tiefe mit Eintritt des Regenereignisses rasch und signifikant abfallen und das Niveau der Tiefenlage 53 mm erreichen. Dieser Vorgang nimmt einen Zeitraum von nur wenigen Minuten in Anspruch. Da davon auszugehen ist, dass die Werksteinaußenseite bei diesem Vorgang vollständig wassergesättigt wurde, kann anhand der Widerstandswerte geschlossen werden, dass der Stein zu diesem Zeitpunkt in der Tiefe von 53 mm sehr hohe Wassergehalte nahe der Sättigung aufgewiesen hat. Nach diesem Regenereignis folgte wieder eine längere Phase ohne Niederschlag und sommerlichen Temperaturen, die zur Austrocknung der Randzone führte. In diesem Fall wurden in 18 mm Tiefe nach rd. 7 Tagen wieder Widerstandswerte gemessen, die auch vor dem Regenereignis vorlagen. D.h. nach rd. einer Woche ist die Randzone wieder ausgetrocknet. Aufgrund der hohen Wassergehalte im Steininneren liegt vor dem Regenereignis ein starker Feuchtegradient zwischen 18 mm und 33 mm vor, welcher sich nach etwa einer Woche wieder ausbildet. Da der Stein vollständig 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 83 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms wassergesättigt eingebaut wurde, sorgt insbesondere das Austrocknen der Randzone bei hohen Wassergehalten im Inneren für Schwindzugspannungen. Unter der Annahme, dass der wasserreiche Kernbereich das Zusammenziehen der austrocknenden Randzone völlig behindert, lassen sich mit Hilfe der Kennwerte aus Tabelle 1 Schwindzugspannungen zwischen 2,4 N/ mm² und 7,5 N/ mm² für den verbauten Baumberger Sandstein berechnen. Hierbei wurde angenommen, dass der statische E-Modul etwa die Hälfte des ermittelten dynamischen E-Moduls beträgt. Anhand der gemessenen Biegezugfestigkeiten lassen sich weiterhin zentrische Zugfestigkeiten im Bereich zwischen 2,5 N/ mm² und 7,5 N/ mm² ableiten, wenn man davon ausgeht, dass die Biegezugfestigkeit in etwa dem Doppelten der zentrischen Zugsfestigkeit entspricht. Auch wenn es im Messzeitraum nicht zu sichtbaren Veränderungen an der Fassade gekommen ist, so zeigt der Vergleich dennoch, dass aufgrund der hygrischen Verhältnisse Zwangsspannungen im Stein erzeugt werden können, die in den Bereich der Zugfestigkeit des Werksteins ragen. Langfristige Ereignisse Aus Gründen der Übersichtlichkeit, werden im Folgenden Mittelwerte gemessener Widerstände aus den Sommermonaten Juni bis August sowie den Wintermonaten Dezember bis Februar gezeigt und diskutiert. Hierbei werden lediglich die Tiefenlagen 18 und 53 mm betrachtet. Bild 7 zeigt die derart ausgewerteten Ergebnisse für die Sommermonate. Bild 7: Mittlere Widerstände in den Sommermonaten (Juni - August) an den Sensoren MRE1 bis MRE4 von 2004 bis 2018 Der Sensor an der der nordwestlichen Fassade zeigt im Jahresdurchschnitt in den Sommermonaten die geringsten Widerstände in der Werksteinoberfläche, der Sensor im Süden die höchsten. Hieraus wird geschlossen, dass vor allem die intensive Sonneneinstrahlung in Kombination mit mäßiger Beregnung bei der Südfassade für eine schnelle und effektive Austrocknung der Oberflächen sorgt, während im Nordwesten eine intensive Beregnung gepaart mit einer geringeren Sonneneinstrahlung für die deutlich höheren Wassergehalte verantwortlich ist. Die Widerstände in 53 mm Steintiefe zeigen, dass die Austrocknung der Fassade bis in größere Tiefen vor allem im sonnenreichen Süden messbar ist. Die häufig beregneten Messstellen in der Westfassade lassen sich in dieser Steintiefe nicht voneinander unterscheiden. Aus dem Vergleich der Steintiefen ergibt sich für den Werkstein an der Südwestfassade im Sommer der größte Feuchtgradient und damit das größte hygrische Stresspotential. Bemerkenswert ist weiter, dass der Sensor im Norden aufgrund der geringen Beregnung in beiden Tiefenlagen höhere Widerstandswerte liefert als der direkt benachbarte Sensor im Nordwesten. Trotz der jährlich sehr individuellen Widerstandsverläufe kann in 18 mm Tiefe für die westlich und südlich orientierten Sensorpositionen ein Trend hin zu allgemein höheren Widerständen und damit geringeren Wassergehalten festgestellt werden. In 53 mm Tiefe kann dies nur für den südlich orientierten Sensor gesagt werden. Die Wintermonate zeigen gänzlich andere hygrische Verhältnisse, wie anhand von Bild 8 deutlich wird. Bild 8: Mittlere Widerstände in den Wintermonaten (Dezember - Februar) an den Sensoren MRE1 bis MRE4 von 2004 bis 2018 84 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms Schon der Blick auf die gewählte Widerstandsskalierung der Diagramme verrät das insgesamt deutlich niedrigere Widerstandsniveau von zumeist weniger als 40 kΩm in den Wintermonaten. Aufgrund der häufigeren Niederschläge, der geringeren Temperaturen sowie der fehlenden Sonneneinstrahlung reichern sich die Werksteine in dieser Jahreszeit mit Wasser an. Über alle Jahre hinweg betrachtet erscheint der Werkstein an der nordwestlichen Ecke des Südturms in 18 mm Tiefe im Winter den höchsten Wassergehalt aufzuweisen, gefolgt vom Südwesten und Norden. In 53 mm Tiefe ergeben sich im Mittel für den südwestlichen Stein die geringsten Widerstände, dicht gefolgt vom Nordwesten. Norden und Süden weisen in beiden Tiefenlagen die höchsten Widerstände auf, wobei die Unterschiede insgesamt als sehr gering zu bezeichnen sind. Interessant im Vergleich zu den Sommermonaten ist die südwestliche Messstelle, welche im Winter einen sehr geringen Feuchtegradienten über die Steintiefe aufweist, während hier im Sommer die größten Unterschiede zwischen den Tiefenlagen 18 und 53 mm festgestellt werden konnten. Im Gegensatz zu den Ergebnissen aus den Sommermonaten ist festzustellen, dass für die Wintermonate kein Trend zu höheren oder geringeren Widerstandsniveaus festgestellt werden kann. Die große Volatilität der mittleren Werte unterstreicht einmal mehr die sehr individuelle Ausbildung des Wassergehaltes in den Werksteinen in Abhängigkeit der Ausrichtung und des jährlichen Wettergeschehens. In Hinblick auf das Schädigungspotential wird festgehalten, dass dieses aufgrund der fehlenden oder deutlich geringeren Feuchtegradienten über die Steintiefe einerseits geringer wird, andererseits jedoch zu beachten ist, dass bei einer deutlich höheren Wassersättigung der Steine und möglichen Minustemperaturen die Gefahr von Frostschäden im Winter natürlich steigt. 3.2 Thermische Verhältnisse Wie anhand Bild 3 deutlich wird, sind in der Messanlage nur 2 MTS verbaut, was auf der Tatsache beruht, dass für die südlich und südwestlich ausgerichtete Fassade die größten thermischen Einwirkungen zu erwarten sind. Nachfolgend soll in Analogie zu den Widerstandsmessungen auf kurzfristige und langfristige Ereignisse näher eingegangen werden. Kurzfristige Ereignisse Um einen Eindruck darüber zu gewinnen, welche thermischen Verhältnisse sich über die Tiefe des Baumberger Sandsteins einstellen, ist in dieser Kurzfristbetrachtung der Oktober 2018 gewählt worden, da dieser ausgeprägte Temperaturtagesgänge und eine große Monatstemperaturspanne aufweist, vgl. Bild 9. Zu sehen sind die Messwerte aus 18 und 98 mm Steintiefe an der Südwestfassade. Bild 9: Exemplarischer Verlauf der gemessenen Temperatur an den Messstellen 18 und 98 mm des Sensors MTS1 an der Südwestfassade des Südturms, Oktober 2018, aus [10] Die Auswertung zeigt deutlich, dass es zwischen den gemessenen Temperaturen in 18 mm und 98 mm Tiefe keine großen Unterschiede gibt. So werden maximale Differenzen von rd. 2 K zwischen den beiden Messtiefen festgestellt, wobei Maxima und Minima an der Oberfläche erwartungsgemäß stärker ausgeprägt sind. Weiterhin kann keine nennenswerte zeitliche Verzögerung der Maxima und Minima zwischen den Messstellen erkannt werden. Beide Phänomene sprechen für eine gute Wärmeleitfähigkeit des Steins, so dass die Gefahr der Ausbildung starker Temperaturgradienten innerhalb der äußeren 10 cm nicht gegeben ist. Damit ist hier auch die Gefahr der Ausbildung von hohen, temperaturbedingten inneren Zwangsspannungen als gering einzustufen. Im Tagesgang werden im Beispiel an der Steinoberfläche Temperaturunterschiede von bis zu 16 K registriert, was in häufiger Wiederholung als thermischer Stress für den Werkstein angesehen werden muss. Über den betrachteten Monat kann eine Spanne von 33 K an der Oberfläche gemessen werden. In Hinblick auf die gezeigten Wechselbeanspruchungen sind die Übergangsmonate März bis Mai sowie September bis November hervorzuheben. Mittelbis langfristige Ereignisse Der bereits bei Kurzzeitbetrachtungen festgestellte, geringe Unterschied zwischen den Temperaturen in 18 und 98 mm Tiefe bestätigt sich auch im Jahresgang, vgl. Bild 10 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 85 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms Bild 10: Temperaturverläufe in den Tiefenlagen 18 mm und 98 mm an der Südwestfassade im Jahr 2017 Im vorliegenden Jahr werden Ende Mai mit 46,5 °C die höchsten Oberflächentemperaturen erreicht, Anfang Januar mit -6,5 °C die geringsten. Somit ergibt sich im vorliegenden Betrachtungszeitraum eine maximale Temperaturspanne von 53 K für die Fassadenoberfläche. Betrachtet man die ermittelten Werte für die Messstellen MTS 1 (SW) und MTS2 (S) in einer Steintiefe von 18 mm über den gesamten Messzeitraum so ergibt sich die in Bild 11 dargestellte Situation. Die Lücken im Messwertverlauf lassen sich auf die Deaktivierung der Anlage im Zuge von Instandsetzungsarbeiten am Glockenstuhl sowie unentdeckte Messanlagenausfälle zurückführen. Aus den vorliegenden Messwerten lassen sich Temperaturmaxima von rd. 52°C und -minima bis -12 °C lesen, was eine maximal mögliche Spanne von rd. 64 K für die Fassadenwerksteine bedeutet. Die höheren Temperaturmaxima in 2015 und 2018 deuten auf ein Ansteigen der sommerlichen Wärmebelastung hin, was als Hinweis auf die Auswirkungen des Klimawandels in Münster gewertet wird und sich gut mit dem Trend zu geringeren Wassergehalten in den Sommermonaten deckt, vgl. Bild 7. Bild 11: Temperaturverlauf über den gesamten Beobachtungszeitraum in den Tiefenlagen 18 mm an Südwest- und Südfassade des Turmes In Hinblick auf temperaturbedingte, äußere Zwangsspannungen (Mauerwerksverband) lässt sich vor dem Hintergrund des Steineinbaus im Oktober bei rd. 15 °C eine maximale zugspannungserzeugende Temperaturdifferenz von rd. 27 K anhand der Messwerte ermitteln. Unter der Annahme der völligen Dehnungsbehinderung sowie den Kennwerten aus Tabelle 1 können damit theoretisch mögliche Zugspannungen zwischen 1,0 und 2,9 N/ mm² berechnet werden. Letztere liegt im unteren Bereich der festgestellten zentrischen Zugfestigkeit der verbauten Steine, wenn davon ausgegangen wird, dass diese in etwa der Hälfte der Biegezugfestigkeit entspricht. Es ist jedoch davon auszugehen, dass diese theoretischen Werte am Bauwerk nicht erreicht werden, da Steinverformungen von den eingesetzten Mörteln zugelassen werden. Der visuell feststellbare Zustand der Fassade untermauert diese These. Dennoch zeigen die Messungen, dass es vor allem im Süden und Südwesten wiederkehrend zu Temperaturbelastungen kommt, die aufgrund ihrer Häufigkeit ein Schädigungspotential für das Gefüge von Stein und Mörtel aufweisen. Zudem können hierdurch induzierte Zugspannungen im ungünstigen Fall Zugspannungen aus den hygrischen Verhältnissen überlagern und diese verstärken. 4. Schlussfolgerungen und Ausblick Anhand von Widerstands- und Temperaturmessungen wurden in diesem Beitrag Rückschlüsse auf die hygrischen und thermischen Verhältnisse im Baumberger Sandstein des Südturmes des Paulus-Doms zu Münster über einen Zeitraum von rd. 14 Jahren gezogen. Die wichtigsten Schlussfolgerungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Anhand der Widerstandsmessungen kann eine „aktive“ äußere Zone der Werksteine von rd. 30 mm ausgemacht werden, deren Wassergehalt von kurzfristigen Wetterereignissen beeinflusst wird. • Während die Auffeuchtung dieser Randzone bei einem Regenereignis innerhalb weniger Minuten erfolgt, dauert das Austrocknen im günstigsten Fall rd. eine Woche. • Die Betrachtung von mittelfristigen und langfristigen Widerstandsverläufen zeigt, dass der Wassergehalt der Steine eine individuelle Funktion von Beregnung, Sonnenbestrahlung und Windrichtung ist und somit für jedes Jahr anders ausfällt. Folgende Grundsätzlichkeiten lassen sich dennoch ableiten: - Die Fassadenoberfläche wird im Sommer im Süden und Südwesten am trockensten. Hierbei wird über die Jahre ein Trend zu höheren mittleren Widerständen festgestellt, die als Resultat der wärmer und trockener werdenden Sommer zu deuten sind. 86 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms - Eine deutliche Austrocknung bis in eine Steintiefe von 5 cm kann im Sommer nur an der Südfassade festgestellt werden. Bei westlichen (viel Regen) und nördlichen (wenig direkte Sonnenstrahlung) Ausrichtungen sind die Widerstandswerte auf vergleichbar niedrigem Niveau. - Der stärkste Wassergehaltsgradient über eine Steintiefe von 5 cm wird damit für die südwestlich ausgerichteten Fassadensteine identifiziert. - In den Wintermonaten gleichen sich die Wassergehalte über die Steintiefe sowie die Fassadenausrichtungen an. • Theoretische Berechnungen zu maximalen Schwindspannungen zeigen, dass diese unter den getroffenen Annahmen das Potential besitzen das Steingefüge über die Jahre zu schädigen. Derzeit liegen jedoch keine sichtbaren Schäden vor. • Die Temperaturbeobachtungen zeigen keine ausgeprägten Temperaturgradienten in den ersten 10 cm der Werksteine, was für eine gute Wärmeleitfähigkeit spricht. Innere thermische Zwangsspannungen sind daher nicht zu erwarten. • Kurz-, mittel-, und langfristige Temperaturauswertungen zeigen, dass: - die höchsten (rd. 52 °C) und niedrigsten (rd. -12 °C) Temperaturen an der südwestlich ausgerichteten Fassade erreicht werden, - die Messwertvolatilität an der Südwestfassade höher ist als an der Südfassade, - es im Tagesgang im Stein zu Temperaturdifferenzen von bis zu 20 K kommen kann, - im Monatsgang Temperaturdifferenzen von bis zu 35 K möglich sind, - und im Messzeitraum eine maximale Temperaturdifferenz von 65 K festgestellt werden kann. • Theoretische Berechnungen zu möglichen thermischen Zugspannung aufgrund äußeren Zwangs ergeben für die gewählten Randbedingungen, dass keine akute Schädigungsgefahr aus der Temperaturbeanspruchung alleine besteht. In ungünstigen Fällen können sich jedoch die Zugspannungen aus hygrischen und thermischen Belastungen überlagern und sich damit verstärken. Um die Auswirkungen der hygrischen und thermischen Vorgänge auf die Dauerhaftigkeit in den Fassadenwerksteinen des Paulus-Doms zukünftig präziser einschätzen zu können, werden folgende Maßnahmen als zielführend erachtet: • Fortsetzung der laufenden Messungen • Um Berechnungen zu potentiell schädlichen Spannungen in den Werksteinen in ihrer Aussage zu präzisieren, sollten: • die zentrische Zugfestigkeit des Natursteins in Abhängigkeit des Wassergehaltes • der statische E-Modul in Abhängigkeit des Wassergehaltes • sowie die Wärmeleitfähigkeit des verwendeten Baumberger Sandsteins • ermittelt werden • In Abstimmung mit der Domverwaltung wird angestrebt, ergänzende visuelle Untersuchungen der Fassadenoberfläche mit der nunmehr zur Verfügung stehenden Drohnentechnologie durchzuführen, um zukünftig den Zusammenhang zwischen ggf. auftretenden strukturellen Schädigungen der Werksteinoberflächen und den Sensordaten zu erforschen 5. Danksagung An dieser Stelle sei zuallererst meinem Vorgänger an der FH Münster, Prof. Dr.-Ing. Jochen Müller-Rochholz, für die Initiierung des Projektes gedankt, ohne die diese Studie nicht möglich gewesen wäre. Weiterhin möchte ich folgenden Mitarbeitern und Studierenden des Diplom-, Bachelor- und Masterstudiengangs der FH Münster für die geleisteten Arbeiten an den vielen Teilaspekten dieses Projektes danken: - Herr Ingo Fenneker - Herr Dipl.-Ing (FH) Stephan Westhus - Herr Marius Dorgeloh, M.Sc. - Herr Jan Suhrheinrich, M.Sc. - Frau Judith Zweipfennig, M.Sc. Nicht zuletzt sei der Bauabteilung des Bischöflichen Generalvikariats des Bistums Münster für die freundliche Unterstützung bei der Durchführung des Projektes herzlich gedankt. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 87 Langzeituntersuchungen zu thermischen und hygrischen Verhältnissen im Baumberger Sandstein im Südturm des Münsteraner Paulus-Doms 5. Literatur [1] Breit, W.: Bauwerküberwachung mit Hilfe von nachträglich installierten Feuchtesensoren (Multi- Ring-Elektroden). In: ibac Kurzberichte 7 (1994), Nr. 49 [2] Datenblatt „Merkmale des Baumberger Kalksandsteins“ der Bernd Dirks GmbH [3] Grimm, W.-D.; Petzet, Michael: Bildatlas wichtiger Denkmalgesteine der Bundesrepublik Deutschland, München: Lipp, 1990, S. 191 pp. [4] Harnisch, J.: Untersuchungen zum nachträglichen Einbau von Multi-Ring-Elektroden in Beton, Diplomarbeit Institut für Bauforschung der RWTH Aachen, 2003 (unveröffentlicht) [5] Westhus, S.: Naturstein am Dom Münster - Anpassung von Multiringfeuchte - und Multitemperatursonden an Baumberger Kalksandstein und erste Messungen, Diplomarbeit, FH Münster, September 2002 (unveröffentlicht) [6] Müller-Rochholz, J.; Fenneker, I.: Thermische und hygrische Verhältnisse im Naturstein der Domtürme in Münster, Beitrag zur DGzfP-Fachtagung Bauwerksdiagnose, Berlin, 2010 [7] Dorgeloh, M.: Messsystem für Feuchte- und Temperaturverteilung im Südturm des Paulus-Doms: Modernisierung und Bewertung erster Messergebnisse, Projektarbeit FH Münster, 2015 (unveröffentlicht) [8] Raupach, M. ; Dauberschmidt, C. ; Wolff, L. ; Harnisch, J.: Monitoring der Feuchteverteilung in Beton - Sensorik und Anwendungsmöglichkeiten, Bd. 1. In: Beton 57 (2007). [9] Jäggi, S.: Experimentelle und numerische Modellierung der lokalen Korrosion von Stahl in Beton unter besonderer Berücksichtigung der Temperaturabhängigkeit, Dissertation, ETH-Zürich, 2001, https: / / doi.org/ 103929/ ethz-a-004130093 [10] Zweifpennig, J.: Langzeitauswertung zu Feuchte- und Temperaturmessungen in einer Sandsteinfassade im Paulus-Dom zu Münster, Masterarbeit FH Münster, 2019 (unveröffentlicht) Digitalisierung/ BIM 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 91 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung Dr.-Ing. Christoph Blut*, Dr.-Ing. Till Büttner**, Dr.-Ing. Ralf Becker*, Raymond Wollenberg*, Baris Özcan*, Heiner Stahl**, Prof. Dr.-Ing. Jörg Blankenbach* *Geodätisches Institut und Lehrstuhl für Bauinformatik & Geoinformationssysteme, RWTH Aachen University, Aachen ** Massenberg GmbH, Essen Zusammenfassung Im Zuge der Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken kommt der Erfassung von Schäden im Beton, wie Schadstellen und Rissen, für die Bauabwicklung, die Abrechnung sowie die Dokumentation der durchgeführten Arbeiten eine zentrale Bedeutung zu. Die Erfassung von Schäden umfasst sowohl die Dokumentation der lateralen Ausdehnung der Schäden als auch die genaue Position von Schäden oder des Verlaufs von Rissen im Bauwerk. Aktuell erfolgt eine Schadenserfassung/ -aufnahme und anschließende Dokumentation i.d.R. weitgehend manuell, d.h. ohne den Einsatz von digitalen Massenpunkterfassungsverfahren, wie z.B. der Photogrammetrie oder des Laserscannings sowie daran anschließend automatisierter Auswerteverfahren. Aufgrund der manuellen Erfassung ist diese Tätigkeit bei jedem Instandsetzungsprojekt zeit- und kostenintensiv sowie auch fehleranfällig. Im Rahmen eines AiF-Forschungsvorhabens werden von einem Konsortium mit Partnern aus der Industrie und Wissenschaft digitale Verfahren zur Instandsetzung und Instandhaltung von befahrenen Bestandsbauwerken entwickelt. Das Geodätische Institut und Lehrstuhl für Bauinformatik & Geoinformationssysteme und das Unternehmen Massenberg befassen sich im Zuge des Forschungsvorhabens sowohl mit der digitalen Ersterfassung von Bestandsbauwerken mittels scannender und bildgebender Verfahren sowie mit der Erfassung von Betonschäden während des Bauablaufs mittels mobiler Endgeräte, wie z.B. dem Smartphone. Auf der Basis der initialen Erfassung und BIM-Modellierung des Bauwerks sollen baubegleitend mit einem Smartphone Betonschäden bildhaft und mit Ortsbezug erfasst, in den relevanten Abmessungen ausgewertet und im BIM-Modell dokumentiert werden. Ziel ist es, die Dokumentation und Baufortschrittskontrolle der Instandsetzungsarbeiten gegenüber der derzeitigen Verfahrensweise durch konsequente Digitalisierung zu verbessern. Bei der Entwicklung der Verfahren steht die praxisnahe und wirtschaftliche Anwendung unter Berücksichtigung der erforderlichen Genauigkeiten während des gesamten Bauablaufs im Vordergrund. Im Zuge der vorliegenden Veröffentlichung werden die erarbeiteten Verfahren zur initialen Erfassung und BIM-Modellierung von Bauwerken sowie zur digitalen Erfassung von Betonschadstellen mittels mobiler Endgeräte und der Integration dieser in das BIM-Modell vorgestellt. Anhand ausgewählter Beispiele wird die Umsetzbarkeit der Methoden demonstriert. 1. Einleitung Bei der Instandsetzung von Bestandsbauwerken sind die Aufnahme der Bestandsgeometrie sowie die Erfassung von Schäden im Beton wesentliche Aufgaben bei der Bauausführung, die häufig ein hohes Maß an händischen Prozessen erfordert. In der Regel sind bei Bauwerken nur wenige oder unzureichende analoge Bestandspläne vorhanden, so dass für die Dokumentation der Ausführung sowie die Mengenermittlung Maße manuell erfasst und anschließend in neue Bestandspläne überführt werden müssen. Dies hat auch zur Folge, dass ausgeführte Instandsetzungsarbeiten, wie die Instandsetzung von Betonschadstellen, das Tränken von Rissen oder die Applikation von Oberflächenschutzsystemen, manuell aufgemessen und in Pläne übertragen werden müssen. Diese Tätigkeiten sind zeit-, kostenintensiv und auch fehleranfällig. Im Rahmen des gemeinsamen AiF-Forschungsprojektes des Geodätischen Instituts und Lehrstuhls für Bauinformatik & Geoinformationssysteme (gia) der RWTH Aachen sowie der Fa. Massenberg werden Verfahren zur digitalen Aufnahme von Bestandsbauwerken vor und während der Bauabwicklung sowie die Aufnahme von ausgeführten Leistungen mittels scannender und bildgebender Verfahren auf Basis des Building Information Modeling (BIM) entwickelt. BIM bezeichnet eine kooperative und lebenszyklusüberspannende digitale Arbeitsmethodik, bei der auf Grundlage digitaler Bauwerksmodelle alle relevanten Informationen und Daten konsistent erfasst, verwaltet und zwischen den Beteiligten ausgetauscht werden (vgl. [1]). Ziel ist es, nach einer schnellen Bestandsaufnahme für die Angebotskalkulation, Verfahren zur baubegleitenden Aufnahme von Arbeiten sowie für die anschließende Bauwerksdokumentation zu nutzen. Dabei ist das BIM- 92 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung Modell des Bestandsbauwerks ein zentrales Element. Bei der Entwicklung wird ein wesentliches Augenmerk auf die Nutzbarkeit durch die an der Ausführung beteiligten Personen - Projektleitung, Baustellenleitung - gelegt. 2. Stand der Technik zur Erfassung von Bauwerksschäden Die Erfassung von Schäden bei Stahl- und Stahlbetonbauwerken ist sowohl bei der Planung als auch der Ausführung von Instandsetzungsmaßnahmen eine wesentliche Aufgabe - siehe u.a. DIN EN 1504 sowie DAfStb-Richtlinie „Schutz und Instandsetzung von Stahlbetonbauteilen“. Die Zustandserfassung wird u.a. mit den folgenden Verfahren durchgeführt [2]: - optische Aufnahme von Schäden mittels visueller Inspektion, - Betondeckungsmessungen (Abb. 1), - Potentialfeldmessungen (Abb. 2), - Bestimmung der Karbonatisierungstiefe und - Entnahme von Bohrkernen für die Bestimmung von Betonfestigkeiten. Abbildung 1: Betondeckungsmessung mittels magnetinduktiven Verfahren [2]. Abbildung 2: Potentialfeldmessung mittels Radelektrode [2]. Bei der optischen Aufnahme von Schäden werden in Übereinstimmung mit den geltenden Regelwerken die folgenden Aspekte dokumentiert: - Schäden des Betons infolge von Bewehrungskorrosion („Betonschadstellen“) oder defektem Korrosionsschutz; - Risse im Beton sowie - augenscheinlichen Schäden an der Konstruktion z.B. infolge von Anprallereignissen. Abbildung 3: Exemplarische Schadensdokumentation bei einem Parkdeck [2]. Eine der Herausforderungen bei der Bestandsaufnahme von Bauwerken ist die Verortung der aufgenommenen Daten in Bezug auf das Bauwerk. Die Erfassung erfolgt i.d.R. manuell und ohne Unterstützung von georeferenzierenden Verfahren in analogen Plänen (Abb. 3). Dies ist ein vergleichsweise zeitaufwändiges Verfahren, welches auch je nach Randbedingungen vor Ort hohe Messungenauigkeiten zur Folge haben kann. Die Anforderungen an die Aufnahme von Schäden sowie ausgeführten Flächen können u.a. aus der ZTV-ING Teil 3, Abschnitt 2 für die Ausführung von Stahlbetonbauteilen sowie der DIN 18349: 2019-09 VOB/ C „Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen Betonerhaltungsarbeiten“ abgeleitet werden. Im Folgenden sind die Maßabweichungen der ZTV-ING Dl die „vom Nennmaß l der Abmessung eines Betonquerschnitts (Gesamtdicke eines Balkens oder einer Platte, Breite eines Balkens oder Steges, seitliche Abmessungen einer Stütze) (…) als zulässig angesehen werden“: • für l ≤ 150 mm: Dl = ± 3 mm • für l = 400 mm: Dl = ± 10 mm • für l ≥ 2500 mm: Dl = ± 20 mm Zwischenwerte dürfen linear interpoliert werden.“ Die genannten Genauigkeiten zeigen, dass für die Aufnahme von Flächen oder Längen bei der Instandsetzung die etablierten händischen Messeinrichtungen, wie „Zollstock“ oder Messrad grundsätzlich ausreichend sind, allerdings die Übertragung von einem Feldaufmaß in einen Plan der aufwändige Arbeitsschritt ist. Ferner 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 93 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung ist die Lokalisierung von Schadstellen mit den genannten Messverfahren vergleichsweise ungenau. Die gleiche Problematik zeigt sich bei der baubegleitenden Aufnahme von Schadstellen als umschreibendes Rechteck oder zu bearbeiteten Rissen. Die Aufnahme erfolgt auch hier mit händischen Messverfahren, die keine direkte Verortung ermöglichen und somit die Übertragung von den Handaufmaßen in die Pläne aufwändig und auch fehleranfällig machen. Neben den zu erfassenden Schäden ist insbesondere die Erfassung von Anlagen der technischen Gebäudeausstattung (TGA) sowie von Einbauteilen, wie z.B. Rauchmeldern, Schilder und Lampen, ebenfalls zeitaufwändig, da hier bisher keine automatischen Erfassungsmöglichkeiten am Markt verfügbar sind und die Erfassung händisch mittels Zähllisten und Messrad für die Erfassung von Längen erfolgt. Die Aufnahme der TGA ist z.B. für die Anzahl oder Länge von zu schützenden Einbauteilen erforderlich. 3. Digitalisierung der Erfassung von Bauwerksschäden Für die Digitalisierung von Instandsetzungs- und Instandhaltungsverfahren von befahrenen Bestandsbauwerken, ist im Zuge des Forschungsvorhabens eine digitale Ersterfassung des Parkbaus sowie eine bildhafte Erfassung der Betonschäden mit Ortsbezug während des Bauablaufs notwendig. Das aus der Ersterfassung abgeleitete digitale bauteilorientierte Bauwerksmodell (BIM-Bestandsmodell) dient dabei als Grundlage für die Schadstellendokumentation. Die erfassten Betonschäden werden georeferenziert in das Modell integriert und den entsprechenden Bauteilen zugeordnet. Dies erlaubt beispielsweise eine bauteilscharfe Schadstellenanalyse. 3.1 Initiale Erfassung und BIM-Modellierung von Bauwerken Zur Überführung von Bestandsbauwerken in BIM-Modelle haben sich so genannte Scan-to-BIM Workflows etabliert. Hier werden aus Scandaten (3D-Punktwolken) mithilfe von Modellierungswerkzeugen 3D-Bauteile und somit vollständige digitale Bestandsmodelle abgeleitet. Beim Laserscanning ist Stand der Technik, hochgenaue geodätische terrestrische Laserscanner (TLS) und Kamerasysteme miteinander zu koppeln. Dies ermöglicht zum einen eine geometrische Erfassung in Form von 3D-Punktwolken, als auch visuelle Erfassung mittels der auf dem Laserscanner angebrachten Kamerasysteme, zur Einfärbung der Punktwolken. So kann die Umgebung sehr realitätsnah abgebildet werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Kameraaufnahmen auch für photogrammetrische Auswertungsverfahren genutzt werden können. So kann zum einen die hohe räumliche Auflösung der Punktwolke, als auch die Detailtiefe (pixelweise Granularität) der Kameraaufnahmen für das Bauwerksaufmaß ausgewertet werden. TLS-Verfahren sind jedoch durch das stationäre Messprinzip und die Notwendigkeit der Registrierung der Einzelscans vergleichsweise zeitaufwändig. Als Alternative bieten sich mobile Laserscanning (MLS)-Verfahren an. Im Unterschied zum TLS kann der Scanner beim MLS während des Messens kontinuierlich - montiert auf einem Trolley oder handgeführt - bewegt werden, so dass das Bestandsbauwerk wesentlich schneller erfasst werden kann. In diesem Fall muss die sich ständig verändernde Position und Orientierung des Scanners (Pose) fortlaufend neu bestimmt werden, um die einzelnen Punktwolken miteinander zu registrieren. Neben Verfahren zur Trägheitsnavigation (mittels inertialer Messsysteme) [3] sowie Trackinglösungen (z.B. mit einem zielverfolgenden Tachymeter) [4], ist Simultaneous Localization and Mapping (SLAM) ein verwendetes Verfahren. Dabei wird die aktuelle Position über das stetige Wiedererkennen von geometrischen Merkmalen (Features) der Umgebung in der erfassten Punktwolke kontinuierlich geschätzt und optimiert. Ein weiterer Bestandteil des SLAM-Verfahrens ist die Wiederkennung von bereits besuchten Orten, um unvermeidliche Drifteffekte, die über die Scandauer zu tragen kommen, zu korrigieren (Loop-Closure, siehe Abschnitt 3.2). Ein wesentlicher Nachteil von MLS ist die üblicherweise geringere geometrische Genauigkeit gegenüber TLS. Als Vertreter von MLS-Systemen wurde das handgetragene System ZEB-REVO RT 1 von GeoSLAM untersucht. Von TLS wurden zum einen das Instrument BLK360 2 von Leica als Mid-Cost-System als auch der Laserscanner VZ-400 3 von RIEGL als hochgenaues geodätisches System evaluiert. Der Laserscanner VZ- 400 wurde als Referenz für die anderen Systeme verwendet. Zur Evaluierung der geometrischen Genauigkeiten wurden verschiedene Distanzen (Abb. 4) in den Punktwolken der vorgestellten Erfassungssysteme gemessen und miteinander verglichen. Zur Bewertung des MLS-Systems wurden zwei Aufmaße miteinander verglichen (MLS Aufmaß 1 „schnell“, MLS Aufmaß 2 „detailliert“). Beim MLS Aufmaß 1 wurde eine Erfassung der wesentlichen raumumschließenden architektonischen Flächen (Wände, Decken und Böden) bei möglichst zeiteffizienter Bewegung durch das Objekt fokussiert. Das MLS Aufmaß 2 beruht auf einer möglichst umfassenden Aufnahme aller sichtbaren Oberflächen, um zu bewerten, ob mehr geometrische Features zu einer besseren Genauigkeit führen. Die notwendige Scandauer für jedes System ist in Tabelle 1 aufgeführt. 1 https: / / geoslam.com/ wp-content/ uploads/ 2020/ 08/ ZEB-Revo-RTproduct-card-1.pdf 2 https: / / shop.leica-geosystems.com/ sites/ default/ files/ 2019-04/ blk 360_spec_sheet_2_0.pdf Datenblatt 3 http: / / www.riegl.com/ uploads/ tx_pxpriegldownloads/ 10_DataSheet _VZ-400_2017-06-14.pdf Datenblatt 94 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung Abbildung 4: Übersicht Vergleichsstecken im Querschnitt Tabelle 1: Durchschnittliche Scandauer für die untersuchten Systeme Scanner Dauer VZ-400, RIEGL 60min BLK 360, Leica 75min ZEB-REVO RT, GeoSLAM (schnell) 7min ZEB-REVO RT,GeoSLAM (detailliert) 20min Die Scangenauigkeiten sind in der nachfolgenden Tabelle 2 aufgeführt: Tabelle 2: Auswertung der Vergleichsdistanzen Wie Tabelle 2 zu entnehmen ist, sind die Abweichungen des MLS größer als beim TLS BLK360, aber liegen im Durchschnitt innerhalb der formulierten geometrischen Toleranz von +/ -2 cm für ein Modell zur Schadenskartierung (siehe Kapitel 2), die im Rahmen der Anforderungsdefinition seitens Massenberg festgelegt wurde. Desweitern wird festgestellt, dass eine detaillierte Erfassung mit dem ZEB-REVO RT keine Verbesserung der Genauigkeit mit sich bringt. Dies ist wahrscheinlich auf die längere Scandauer und somit sich über die Zeit aufsummierender Drifteffekte zurückzuführen. Wird die Scandauer in die Bewertung miteinbezogen (Tabelle 1), lässt sich festhalten, dass MLS nicht nur aus Sicht der Genauigkeit für die initiale Erfassung geeignet sind, sondern TLS gegenüber die Scandauer um das 10-fache reduzieren können. Für eine inertiale Erfassung und Erstellung eines BIM- Modells ist neben der Genauigkeit die Ableitung von Semantik ein wichtiger Bestandteil. Für eine Bewertung wie gut die semantischen und beschreibenden Attribute von Objekten (z.B. Material, Zustand) aus den Punktwolken bestimmt werden können, wurden die von den drei Laserscannern erzeugten Punktwolken aufbereitet und analysiert, beispielsweise hinsichtlich der Erkennbarkeit von Fahrbahnmarkierungen (Abb. 5 und 6). Abbildung 5: Vergleich der Sichtbarkeit von Fahrbahnmarkierungen des TLS BLK360 im Vergleich zum TLS VZ-400 Abbildung 6: Vergleich der Sichtbarkeit von Parkplatzmarkierungen des MLS ZEB-REVO RT im Vergleich zum TLS VZ-400 Auf Grund der geringeren räumlichen Auflösung und Genauigkeit der MLS-Systeme weisen die Punktwolken des ZEB-REVO RT ein systembedingtes stärkeres Rauschen und bei den bisherigen Anwendungen fehlerhafte oder uneindeutige Einfärbungen der Punktwolke auf. So konnten Fahrbahnmarkierungen nur teilweise oder gar nicht abgeleitet werden. Hierfür sind TLS den MLS klar vorzuziehen. Zur Modellierung eines BIM-Modells, wurde die MLS- Punktwolke in die BIM-Autorensoftware AECOsim Building Designer/ Open Buildings Designer von Bentley geladen. Anschließend wurden ausgewählte Komponenten (u.a. Wände, Stützen) aus der Punktwolke unter Zuhilfenahme der Software PHIDIAS [5], ein Aufsatzsoftwaremodul für die Auswertung von Punktwolken und 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 95 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung Kamerabildern, geometrisch modelliert, um ein digitales bauteilorientiertes Bauwerksmodell zu erstellen (siehe Abb. 7). Abbildung 7: BIM-Modell Parkdeck 3.2 Digitale Erfassung von Betonschadstellen mittels mobiler Endgeräte Für eine hohe Flexibilität und Zugänglichkeit wird im Rahmen des Projektes ein neuartiges mobiles, d.h. handgeführtes, Smartphone-basiertes Erfassungssystem realisiert. Moderne Smartphones stellen bereits alle notwendige Hardware zur Verfügung, speziell die zunehmend höher auflösenden Kameras eignen sich für eine bildhafte Schadenserfassung. Im Vergleich zu beispielsweise Trolley-basierten Systemen, können auch unebene Oberflächen, wie in Sanierung befindliche Bodenflächen oder Stufen, begangen und Schäden an Boden-, Wand- und Deckenoberflächen erfasst werden. Herausforderungen liegen jedoch in der mobilen Prozessierung der Bilddaten und der rechenintensiven Pose-Tracking-Prozesse. Um Schadstellen lagerichtig in das BIM-Modell zu integrieren und den zugehörigen Bauteilen zuzuordnen, ist es erforderlich die Pose (Position und Orientierung) des Erfassungssystems fortlaufend automatisch in Echtzeit zu bestimmen. Eine Herausforderung besteht beim sogenannten Pose-Tracking darin, eine für die Anwendung ausreichende Genauigkeit zu erreichen. Während im Außenbereich häufig eine Kombination aus satellitengestützten Lokalisierungssystemen (GNSS) und Inertialmesssystemen (IMU) für die Positionierungs- und Orientierungsbestimmung verwendet werden [6], sind im Innenbereich bisweilen infrastrukturbasierte Tracking-Systeme, beispielsweise auf Basis der Funktechnologien Ultra Wideband (UWB), Bluetooth oder WLAN, sowie auch auf Infrarot- oder Ultraschall-basis, Forschungsgegenstand, da GNSS in überbauten Bereichen üblicherweise nicht nutzbar ist (vgl. [7], [8]). Der Einsatz von infrastrukturbasierten Tracking-Systemen ist jedoch aufwändig, da sie jeweils im Voraus in der Umgebung installiert werden müssen. Eine Alternative für den Innenbereich sind infrastrukturunabhängige, rein IMU-basierte Lösungen. Die aus dem Sensordrift resultierenden und im zeitlichen Verlauf sich kumulierenden Unsicherheiten in der Pose-Bestimmung stellen sich dabei jedoch als problematisch dar. Die steigende Qualität von Kameras, speziell im mobilen Low-Cost-Bereich, erlaubt es zunehmend bildbasierte Verfahren den IMU-Lösungen hinzuzuziehen, um die Pose-Ungenauigkeiten auszugleichen. Grundsätzlich können diese in Marker- und Natural-Feature-basierte Lösungen unterteilt werden. Während für erstgenanntes entsprechende leicht zu identifizierende visuelle Marker ausgedruckt und in der Umgebung platziert werden müssen, können beim Natural-Feature-Tracking bereits in der natürlichen Umgebung enthaltene Objekte bzw. Merkmale verwendet werden (vgl. [6]), was in der Realisierung aufwändiger, doch in der Anwendung flexibler ist. Im vorliegenden Projekt wird eine Natural-Feature- Tracking-Lösung in Form eines visuellen SLAM (V- SLAM)-Verfahrens verwendet. SLAM nutzt Lokalisierungsinformationen, um eine lokale Karte der Umgebung zu erzeugen. Diese wird wiederum zur Lokalisierung verwendet. Ein Bestandteil von SLAM ist die Visuelle Odometrie (VO). Die relative Pose wird dabei über den paarweisen Vergleich von sequenziell aufgenommenen Kamerabildern mit hohem Überlappungsbereich berechnet. Ein typisches Anwendungsgebiet der VO ist die Realisierung von autonom navigierenden Robotern. Bekannte Beispiele sind die NASA-Rover Spirit und Opportunity [9]. Das genaue Vorgehen ist wie folgt: Im ersten Schritt werden markante Merkmale in den Kamerabildern detektiert, digital beschrieben und abgespeichert (Abb. 8). Abbildung 8: Detektierte Bildmerkmale (Features) Dies wird als Merkmalsdetektion (Feature Detection) und Merkmalsbeschreibung (Feature Description) bezeichnet. Bildmerkmale werden durch einen Helligkeitsvergleich des umliegenden Bereichs eines Pixels bestimmt und in Form eines Merkmalsdeskriptors abgelegt. Dieser wird für einen Merkmalsabgleich (Feature Matching) mit den nachfolgenden Kamerabildern verwendet, so dass spezielle Bildmerkmale miteinander in Verbindung ge- 96 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung bracht werden. Hierfür wird ein Ähnlichkeitsvergleich der Merkmalsvektoren beider Kamerabilder durchgeführt. Mithilfe der nun korrespondierenden Merkmale wird eine sogenannte Fundamentalmatrix berechnet. Diese beschreibt die relative Lage zweier Kamerabilder zueinander. Um die relative Bewegung der Kamera zu bestimmen, wird die Matrix in einen Translations- und Rotationsteil zerlegt. Dieser Prozess wird paarweise für alle nachfolgenden Kamerabilder durchgeführt. Ein Aufsummieren aller paarweisen Kameraposen ergibt die aktuelle Kamerapose relativ zur Initialkamerapose, die über georeferenzierte Marker (QR-Code) im Parkbau gesetzt wird. Die resultierende Trajektorie ist bis zu diesem Punkt jedoch noch nicht korrekt skaliert. Werden Stereokameras verwendet, kann die Skalierung direkt berechnet werden. Wird nur eine einzelne Kamera (monokular) verwendet, muss die Skalierung separat bestimmt werden, beispielsweise durch Einbeziehung von IMU-Daten. Dies wird als visuelle inertiale Odometrie (VIO) bezeichnet. Aufgrund von Ungenauigkeiten in den Posen-Schätzungen der VIO addieren sich Abweichungen zur realen Kamerapose mit der Anzahl der Kamerabilder auf. Als Lösung wird in SLAM zusätzlich zum VIO-Prozess eine Umgebungskarte hinzugezogen. Die Karte besteht aus einer 3D-Punktwolke, die durch Triangulation von korrespondierenden 2D-Bildmerkmalen aus aufeinanderfolgenden Kamerabildern erzeugt wird. Die 3D-Punkte stellen dabei ein digitales Abbild markanter Punkte der realen Umgebung dar. Mithilfe einer Bündelblockausgleichung werden die relativen Kameraposen anhand der 3D-Punktwolke optimiert, um eine hochgenaue lokale Trajektorie zu erhalten. Für eine global konsistente Trajektorie wird ein Schleifenschluss-Verfahren (Loop- Closure) angewendet. Loop-Closure bezieht sich auf die Wiederkehr an einen bereits besuchten Ort und die Einbeziehung vergangener Pose-Informationen in aktuelle Schätzungen. Für das Projekt ist das Verfahren in einer App für Android-basierte Smartphones umgesetzt. Die erfassten Schadstellen werden nach der Aufnahme persistent in einer lokalen Datenbank auf dem Gerät abgelegt. 3.3 Transfer und Integration in das BIM-Modell Um die mittels mobiler Endgeräte erfassten georeferenzierten Schadstellendaten in BIM-Modellen zu intergieren, ist zunächst deren Transfer vom mobilen Endgerät in die gewünschte BIM-Autorensoftware zu realisieren. Üblicherweise nutzt jeder Entwickler von BIM-Autorensoftware für seine Software proprietäre Austauschformate, z.B. rvt für Autodesk- oder dgn für Bentley-Produkte. Als herstellerunabhängiges, offenes Format haben sich die Industry Foundation Classes (IFC) [10] entwickelt und vorangetrieben von der Non-Profit-Standardisierungsorganisation buildungSMART etabliert. Zweck der IFC ist es allerdings, ganze Modelle bzw. einzelne Fachmodellen zur Verfügung zu stellen oder in einem Kollaborationsmodell zusammenzuführen. Für den Austausch einzelner Informationen oder Änderungsanweisungen, die sich z.B. aus einer Kollisionsprüfung zweier Fachmodelle in einem Kollaborationsmodell ergeben, wurde von buildingSMART das BIM Collaboration Format (BCF) [11] entwickelt. Ein BCF-Bericht besteht aus einer Menge von drei Dateien je Information. Die erste Datei enthält Metadaten wie einen Titel, das Erstellungsdatum, den Autor, den Adressaten und eine Beschreibung, die zweite Datei ist ein Bildausschnitt (Snapshot) des Modells zur Visualisierung der Information und die dritte Datei enthält Informationen insbesondere zum Aufnahmeort (CameraViewpoint) und zur Betrachtungsrichtung (CameraDirection) des Snapshots (Abb. 9). Abbildung 9: BIM-Collaboration-Format Im diesem Projekt wird BCF jedoch genutzt, um die mit der Kamera des mobilen Endgerätes aufgenommenen Schadensbilder, angereichert durch vom Nutzer erfasste Metadaten wie Schadensart, Erfasser etc. sowie die für die Verortung im BIM-Modell der Autorensoftware notwendige Position und Orientierung (Pose) der Kamera auszutauschen. Dazu wurde eine Export-Funktionalität im mobilen Endgerät zur Erstellung der BCF-Dateien und eine Import-Schnittstelle für die BIM-Autorensoftware entwickelt (Abb. 10). Abbildung 10: Transfer von Schadstellendaten in das BIM-Modell Der mobile BCF-Exporter sammelt alle notwendigen Daten aus der lokalen Datenbank und schreibt diese in 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 97 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung eine konforme BCF-Datei, so dass diese von Standarisierten BCF-Schnittstellen verarbeitet werden kann. Für den Import stellt verschiedene BIM-Software bereits Funktionalitäten bereit. Ziel in diesem Projekt war es, eine Import-Schnittstelle für die Autorensoftware AE- COsim Building Designer/ Open Buildings Designer von Bentley zu entwickeln, die einerseits eine nutzergerechte Visualisierung der Schadstelleninformation mit entsprechender graphisch-interaktiver Benutzeroberfläche (BCF-Manager) (Abb. 11) bietet und andererseits die Schadenstellen den betroffenen Bauelementen des BIM- Modelles zuordnet, d.h. die transferierten Schadensinformationen in das Modell integriert (Abb. 12). Abbildung 11: BCF-Manager für Bentley MicroStation / OpenBuildings Designer Für die Programmierung einer solchen Schnittstelle stellt die Autorensoftware von Bentley die MicroStation Development Library (MDL) bereit. Für die nutzergerechte Visualisierung (Abb. 12) wurden verschiedene Funktionalitäten geschaffen wie die Auswahl des zu visualisierenden Schadens, das Hervorheben des mutmaßlich betroffenen Bauelements wie auch eine teilautomatische Zuordnung des mutmaßlich betroffenen Bauelements durch Auswertung der Pose im BIM-Modell, indem der im Raum bekannte Zielstrahl der Kamera mit dem nächsten Bauelement des BIM-Modells geschnitten wird. Speicherung und Verknüpfung der Schadstelleninformationen und der Metadaten erfolgen als eigenes Informationsobjekt des BIM-Modells. Die Daten können schließlich zur Erstellung von Reports in Tabellenform (z.B. für Microsoft Excel) gefiltert abgefragt werden. Abbildung 12: Visualisierung einer Schadensstelle im Bentley MicroStation / OpenBuidings Designer 3.4 Schadstellenanalyse Ein weiterer Bestandteil der Digitalisierung der Schadensdokumentation ist die Detektion und Analyse der Schadstellen in den erfassten Bildaufnahmen. Ziel ist dabei die Bestimmung der absoluten Maße der Schäden und ggf. sogar der sichtbaren Bewehrung (Abb. 13). Abbildung 13: Ziel der Schadstellenanalyse: Bestimmung der (absoluten) Maße der Schäden 98 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung Grundsätzlich lassen sich Schäden in Betonbauwerken in zwei Klassen unterteilen: Risse, die sich in den Bildaufnahmen als linienhafte Strukturen ausprägen (Abb. 14, links) oder Abplatzungen bzw. Abblätterungen der Oberfläche, die eine flächenhafte Ausbreitung aufweisen (Abb. 14, rechts) Flächenhafte Schäden und die Bewehrung können bspw. mithilfe einer Bildmaske hervorgehoben und mit einem umschreibenden Polygon, im einfachen Fall eines Rechtecks, eingegrenzt werden. Risse können mithilfe von Linienzügen beschrieben werden. Abbildung 14: Links Bildaufnahme von einem Riss, rechts von einer Abplatzung mit teilweise freigelegter Bewehrung Eine wesentliche Herausforderung im vorliegenden Anwendungsfall stellt dabei die Vielfalt von Schäden sowie der umgebenden (intakten) Oberfläche dar. Schäden können sich in ihrer Struktur sehr stark unterscheiden, was die manuelle Identifikation allgemeingültiger Merkmale, die in den Bildaufnahmen zur Detektion herangezogen werden könnten, erschwert. Auch die Textur der umliegenden intakten Oberfläche, was zur Umgrenzung und daher indirekt zur Detektion der Schäden genutzt werden könnte, lässt sich nur schlecht generalisieren. Seit einigen Jahren rücken Verfahren des maschinellen Lernens (ML), welche sich mit großen Datenmengen befassen, weiter in den Vordergrund. ML basiert auf Algorithmen, die Muster und Gesetzmäßigkeiten in großen Datenmengen erkennen. Insbesondere in der Bilderkennung werden dazu häufig Neuronale Netze eingesetzt, welche eigenständig die Merkmale in den Bildern, die zur Klassifikation entscheidend sind, erlernen. Im Rahmen erster Untersuchungen wurden Versuche zur Detektion von Rissen durchgeführt. Risse sind durch ihre linienhafte Struktur in einem Bildausschnitt in vergleichbarer Weise erkennbar, wie im vollständigen Bild. Wird demnach das Gesamtbild in einzelne Abschnitte unterteilt, kann so für jeden Abschnitt geprüft werden, ob sich ein Riss in diesem befindet. Die Problemstellung der Rissdetektion lässt sich daher als eine Klassifikationsaufgabe auffassen, bei der einzelne Ausschnitte des Bildes als „Riss“ oder „Intakt“ zu klassifizieren sind. Der Lösungsansatz beinhaltet ein zur Klassifikation von Riss- und intakten Oberflächen erstelltes Neuronales Netz. Das Netzwerk wurde mit Trainingsdaten von 40.000 Bildaufnahmen, bestehend aus 20.000 Aufnahmen von Betonoberflächen mit Rissen und 20.000 Aufnahmen von intakten Betonoberflächen, trainiert. Das trainierte Modell ermöglicht schließlich die Einordnung von neuen Bildaufnahmen in die Klassen „Riss“ oder „Intakt“. Zur Lokalisierung der Risse in den Bildern werden mithilfe eines über das Gesamtbild gleitenden Fensters einzelne Ausschnitte der Bilder extrahiert. Das trainierte Modell ermöglicht schließlich die Einordnung der Bildausschnitte in die entsprechenden Klassen. Die ausschnittweise Klassifizierung führt daher zu einer Grobsegmentierung des Risses im Bild. In Abbildung 15 wird das Ergebnis der Risssegmentierung anhand eines Rissbildes dargestellt. Abbildung 15: Segmentierter Riss mit Fehlsegmentierungen in den unteren Bildecken und an den Bildrändern Die ersten Versuche mit der vorgestellten Methodik zeigen, dass eine Grobsegmentierung von Rissen grundsätzlich möglich ist. Jedoch ist das derzeitige Modell zur Klassifizierung noch fehleranfällig für Störgrößen in den Bildern, wie beispielsweise eine unregelmäßige Helligkeit oder eine starke Textur (Abb. 14). In den nächsten Schritten wird daher das Modell verfeinert, um eine verbesserte Segmentierung von Rissen zu ermöglichen. Weiterhin wird eine zusätzliche Methodik für die Detektion von flächenhaften Schäden benötigt. Die Vorgehensweise einer fensterweisen Klassifizierung würde in diesem Fall vermutlich fehlschlagen, da sich ein flächenhafter Schaden in einem Ausschnitt in der Regel nicht eindeutig identifizieren lässt, wie es bei linienhaft ausgeprägten Rissen der Fall ist. Als alternativen Ansatz zur vollautomatisierten Schadstellenanalyse wird im Rahmen des Projekts eine Teilautomatisierung mithilfe des BIM-Modells umgesetzt. Vor Ort wird während der Erfassung der Riss oder die Schadstelle händisch per Linienzug bzw. umschreibendem Polygon auf dem Smartphone-Display markiert und neben dem Foto als Geometrie abgespeichert. Im Anschluss werden die Fotos und Linienzüge/ Polygone beim Import in das BIM-Modell automatisiert auf die entsprechenden BIM-Bauteile mithilfe der Georeferenzierung projiziert, so dass diese texturiert werden. So können Risslängen oder Schadensflächen automatisiert abgeleitet oder vom Nutzer visuell vermessen und analysiert werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 99 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung 4. Transfer in die Praxis In der Praxis ist folgender Arbeitsablauf mit den vorgestellten Verfahren vorgesehen: Im ersten Schritt wird mit Hilfe eines (mobilen) Laserscanners der Parkbau in Form einer 3D-Punktwolke digital erfasst und in ein initiales BIM-Modell überführt. Im zweiten Schritt wird das Bauwerk mit dem Smartphone-basierten Schadenserfassungssystem begangen, um Schäden, wie Risse und Schadstellen, digital und georeferenziert aufzunehmen. Bei der Aufnahme markiert der Nutzer die Schäden in den Fotos, so dass später eine automatisierte Auswertung der Schadensgeometrie erfolgen kann. Im dritten Schritt werden die erfassten digitalisierten Schäden in das BIM-Modell über das BCF-Austauschformat übertragen und mithilfe der Verortung lagerichtig den entsprechenden Bauteilen zugeordnet. Während der Zuordnung werden die Fotos mit den markierten Schäden auf die entsprechenden BIM-Geometrien projiziert, um die absoluten Maße der Schäden zu bestimmen. Für jeden Schaden wird ein eigenständiges BIM-Objekt im Modell angelegt. Das digitale BIM-Modell spiegelt so den Ist-Zustand des Parkbaus wider, auf dessen Basis beispielsweise Schadensanalysen digital durchgeführt werden können. Mithilfe der Digitalisierung kann somit eine deutliche Vereinfachung im Rahmen der Abwicklung von Instandsetzungsmaßnahmen erzielt werden. In den bisherigen Forschungsaktivitäten wurden basierend auf den Entwicklungen des gia die Anforderungen an die baupraktische Umsetzung seitens Massenberg definiert und erste Validierungsuntersuchungen durchgeführt. Die Untersuchungen haben sich zunächst auf die Möglichkeit der praxisnahen Lokalisierung mittels mobilen Endgeräts, ohne die Verwendung von geodätischen Vermessungsgeräten fokussiert. Dies ist insbesondere bei der Verortung von Schadstellen oder Rissen im Zuge der Bauabwicklung und einer BIM-gestützten Baufortschrittskontrolle sowie Abrechnung relevant. Die nachfolgende Abbildung 16 zeigt einen Soll-Ist-Vergleich der Verortungsgenauigkeit des entwickelten Smartphone-basierten Indoor- Positionierungssystem. Dafür wurde eine 110 m lange Strecke mehrfach abgegangen, auf der besonders kritische Punkte berücksichtigt werden konnten, wie beispielsweise vielfacher Richtungswechsel, Störquellen oder schlechte Beleuchtung. Jeder Durchlauf hat ca. 5 min in Anspruch genommen. Die Abweichung zur Soll-Position über alle Durchläufe betrug nach 110 m durchschnittlich 1 m. Abbildung 16: Genauigkeitsuntersuchung der Positionierung mit dem mobilen Endgerät. Blau: Soll; Gelb: Ist 5. Zusammenfassung und Ausblick In diesem Beitrag wurden die Ergebnisse der Evaluierung massenpunktbasierter Verfahren zur Bestandsdatenerfassung und BIM-basierten As-is-Modellierung dargestellt, ein Smartphone-basiertes Schadenerfassungssystem mit bildbasiertem Trackingsystem vorgestellt und die Verwendbarkeit von BCF als digitales Schadstellenaustauschformat für BIM gezeigt. Die Gegenüberstellung von TLS und MLS hat gezeigt, dass MLS-Systeme mit einer ausreichenden Genauigkeit für die Projektziele arbeiten und eine bis zu 10-fache Zeitersparnis gegenüber TLS liefern. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass bereits kostengünstige mobile Geräte, wie Smartphones, zur flexiblen und georeferenzierten Erfassung von Schadstellen verwendet werden können. Mithilfe des BCF-Formats ist es möglich alle notwendigen Daten einer Schadenerfassung vom mobilen Gerät in das BIM- Modell zu übertragen. Durch die Georeferenzierung der Schäden, können diese dem BIM-Modell bauteilscharf zugeordnet werden, so dass digitale Schadenanalysen am Bauwerk durchgeführt werden können. Allgemein lässt sich festhalten, dass der Einsatz von BIM im Rahmen der Instandsetzung von Bauwerken sowohl bei der Erstaufnahme von Bauwerken als auch bei der Bauausführung umfangreiche Möglichkeiten bietet die bisher aufwändigen und fehleranfälligen analogen Schritte zu vereinfachen, bei gleichzeitiger Steigerung der Genauigkeit. Die Aufnahme von Schadstellen und Rissen mit mobilen Endgeräten, wie Smartphones, bietet im Rahmen der Bauausführung ein hohes Potential genau und wirtschaftlich zu arbeiten. In den weiteren Forschungsaktivitäten werden die vorgestellten Verfahren zur Anwendung in der Praxis verbessert und in einen praxisnahen Workflow integriert. Die Verfahren zur digitalen Erfassung von Schäden werden in einer nutzerorientierten mobilen Smartphone-Anwendung realisiert und im Rahmen von Feldtests validiert. 100 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 DigiPark - Digitalisierung in der Bauwerksinstandsetzung Literaturverzeichnis [1] BMVI, „Stufenplan Digitales Planen und Bauen,“ Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Berlin, 2015. [2] M. Raupach und T. Büttner, Concrete Repair to EN 1504: Diagnosis, Design, Principles and Practice, 1. Edition Hrsg., CRC Press, 2014. [3] C. Jekeli, Inertial Navigation Systems with Geodetic Applications, De Gruyter, 2001. [4] M. Ehrhart und W. Lienhart, „Object tracking with robotic total stations: Current technologies and improvements based on image data,“ Journal of Applied Geodesy, Band 11: Heft 3, 02 2017. [5] P. G. „PHIDIAS,“ 2011. [Online]. Available: http: / / phocad.de/ de/ PHIDIAS/ phidias.html. [Zugriff am 11 2020]. [6] C. Blut und J. Blankenbach, „Three-dimensional CityGML building models in mobile augmented reality: a smartphone-based pose tracking system,“ International Journal of Digital Earth. 1-20, DOI: 10.1080/ 17538947.2020.1733680, 2020. [7] J. Blankenbach, „Indoor-Positionierung & lokale Positionierungssysteme,“ in Leitfaden - Mobile GIS: Hardware, Software, IT-Sicherheit, Indoor- Positionierung, Runder Tisch GIS e.V., München, 2016, pp. 46-57. [8] J. Blankenbach, H. Sternberg und S. Tilch, Indoor- Positionierung, Freeden/ Rummel, Hrsg., Berlin Heidelberg: Springer-Verlag, 2016. [9] NASA, „Mars Exploration Rovers Overview,“ 2020. [Online]. Available: https: / / mars.nasa.gov/ mer/ mission/ overview/ . [Zugriff am 11 2020]. [10] buildingSMART, „Industry Foundation Classes (IFC),“ 2020. [Online]. Available: https: / / www.buildingsmart.org/ standards/ bsi-standards/ industryfoundation-classes/ . [Zugriff am 11 2020]. [11] buildingSMART, „BIM Collaboration Format (BCF),“ 2020. [Online]. Available: https: / / technical.buildingsmart.org/ standards/ bcf/ . [Zugriff am 11 2020]. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 101 Digitale Bestandsaufnahme mittels 3D Realitätserfassungstechnologien in der Bauwerkserhaltung am Beispiel von Parkbauten Cher Sze Tan, M.Eng. Con+ScanTech - IFSB GmbH, Barleben, Sachsen-Anhalt Sevket Ersan, M.Sc. Con+ScanTech - IFSB GmbH, Barleben, Sachsen-Anhalt Zusammenfassung Parkhäuser u. Tiefgaragen, in der Regel Stahlbetonkonstruktionen, werden alltäglich und in der ganzen Welt genutzt. Stahlbeton ist ein Verbundbaustoff der u.a. durch thermische Spannungen und dynamische Krafteinwirkungen reißt. Risse in Stahlbetonflächen lassen sich grundsätzlich nicht vermeiden, stellen aber keine Gefahr für das Bauwerk da, wenn sie rechtzeitig geschlossen werden. Andernfalls können Chloride aus Tausalz in die Risse eindringen und zur Korrosion der Bewehrung führen. In diesem Fall können umfangreiche Sanierungsmaßnahmen erforderlich werden. Sobald Sanierungsmaßnahmen erforderlich sind oder Umbauten an den Gebäuden geplant werden, werden exakte Planungsgrundlagen benötigt. Aktuell kann der Planer meistens nur auf alte und häufig nicht mehr aktuelle Baupläne zurückgreifen, die für eine fachgerechte Instandsetzungsplanung wenig geeignet sind. Da diese Planunterlagen für eine exakte Kartierung der Schadstellen zu ungenau sind, soll die digitale Bestandsaufnahme im Rahmen der Zustandsbegutachtung als eine effizientere Alternative herangezogen werden. Die digitale Bestandsaufnahme bietet mit seinem umfangreichen computergestützten Technologien wie 3D Vermessung, bildbasierte Erkennung von Rissen in Stahlbetonflächen auf Basis einer künstlichen Intelligenz, modelbasierte Mengenermittlung der Bauwerkskomponenten und virtuellen Objektbegehungen vielfältige Nutzungsmöglichkeiten im Rahmen der Bauwerkshaltung für alle Projektbeteiligen - Bauherren, Architekten, Fachplanern, Behörden und Bauunternehmen. Bei der 3D Vermessung von Parkbauten mittels Bildvermessung in Kombination mit 3D Laserscans wird eine zusammenhängende und detaillierte Bestandserfassung durchgeführt. Einer der technischen Maßnahmen ist die Erstellung einer 3D Punktwolke sowie Orthofotos vom Bestandsgebäude. Daraus werden 2D Bestandspläne, Schnitte, Ansichten und Fassadenzeichnungen abgeleitet. Die erfassten Schadstellen, wie z. B. Risse in Stahlbetonflächen, werden dann Millimeter genau in die entsprechenden Bestandspläne automatisch kartiert. Das Ziel ist die Erzeugung eines zentralen, digitalen Gebäudemodells mit Schadensinformationen, das durch die Nutzer mit weiteren Informationen angereichert werden kann und somit eine fundierte Grundlage für die Aufgaben beim Bauen im Bestand liefert u.a. die Bauwerksdiagnose, die Instandsetzungsplanung und das Bauwerksmanagement. 1. Einführung Heutzutage ist es durch den breiten Einsatz von Werkzeugen und genauen digitalen Vermessungstechniken möglich, einen angemessenen Detaillierungsgrad in Bezug auf die Gebäude zu erreichen; neue mobile Mapping-Tools bieten ein großes Potenzial, sowohl in Bezug auf die Planung und Bewertung des gesamten Wissens- und Erhaltungsprozesses jeder Art von Gebäude als auch in Bezug auf seine Verwaltung und künftige Instandhaltung. Darüber hinaus ermöglichen die BIM-Technologien die Kommunikation zwischen Daten, die aus verschiedenen Softwareprogrammen stammen, was einen größeren Informationsaustausch zwischen vielen Beteiligten ermöglicht. 2. Bauwerksmodellierung Nach der Erfassung wird ein intelligentes 3D Bestandsmodell in einer BIM oder CAD-Umgebung erstellt und mit weiteren Gebäudeinformationen ergänzt. 2.1 Von der Punktwolke zum parametrischen Modell Entsprechend der geometrischen Formen müssen aus den in die BIM/ CAD einzubettenden 3D-Rohdaten erkannt und segmentiert werden: Flächen (Ebenen, Kurven oder Extrusion), Volumen und komplexe Objekte. Diese Konvertierung könnte auf der Grundlage dieser Daten erfolgen: 102 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Digitale Bestandsaufnahme mittels 3D Realitätserfassungstechnologien in der Bauwerkserhaltung am Beispiel von Parkbauten - automatische Verfahren zur Wiederherstellung des Objekts entsprechend der automatischen Oberflächenextraktion aus der Punktwolke. - halbautomatische Verfahren durch Verwaltung von Querschnitten und Oberflächenextrusionen; - manuelle Modellierungsoperationen von Volumen und Form von Kratzern; Für die Realisierung des parametrischen Modells wurden drei Hauptstrategien untersucht. Manuelle Modellierung von Grund auf, um die Volumina und die reale Form wiederherzustellen; halbautomatische Methode, bei der die Primitive an die Punktwolken angepasst werden, wobei der Querschnitt für die Modellierung oder die Oberflächenextrusion verwendet wird, und schließlich ein eher automatischer Ansatz, der es erlaubt, das Objekt gemäß der automatischen Oberflächenextraktion aus der Punktwolke wiederherzustellen. Abbildung 1: 3D Laserscanning eines Parkhauses (20.000 qm) Für BIM- und Bauwerkuntersuchung-Zwecke ist der automatische Ansatz nicht geeignet, da sich die Form komplexer Gebäude kaum mit einfachen Geometrien beschreiben lässt. Entsprechend dieser Annahme sind mehrere Plug-ins in der Entwicklung. Das Ziel dieser Plugins besteht in der Erstellung parametrischer Objekte aus der Verarbeitung metrischer Daten durch die Verwaltung von Punktwolken. Wenn die Parkbauten berücksichtigt werden, um die detaillierten Fassademodellierung oder die Übertragung detaillierter Markierungen am Boden auf das 3D Model durchzuführen, können neben der Punktwolke Orthofotos, die aus der Punktwolke erstellt werden können, verwendet werden. Abbildung 2: 3D Modell für digitale Bauwerkserhaltung 2.2 CAD und BIM als Planungsmethode in der digitalen Bestandsaufnahme BIM ist keine Weiterentwicklung von CAD, sondern basiert auf einer völlig anderen Herangehens-weise zur Erstellung von digitalen Planungsdaten. Die häufig verwendeten CAD-Systeme, wie AUTOCAD, imitieren das traditionelle Zeichnen von Plänen in Form von Grundrissen, Schnitten und Ansichten [1]. Diese Zeichnungen werden zweidimensional erstellt und beinhalten einfache geometrische Elemente wie Linien und Bögen sowie Beschriftungen. Im Gegensatz dazu wird in BIM nicht das händische Zeichnen von Grundrissen, Schnitten und Ansichten, sondern die Abbildung realer Weltstrukturen in Form von 3D-Modellen imitiert [1]. BIM verschiebt das traditionelle Designkonzept in Richtung der Reduzierung von Problemen, die durch die mangelnde Kommunikation zwischen Projektbeteiligten verursacht werden, die die Vorteile neuer Interoperabilitätsstandards nutzen können. Das BIM stützt sich auf ein 3D-Modell der Struktur mit zusätzlicher parametrischer Geometrie, so dass Objekte ohne Neuzeichnung modifiziert werden können. Es wird erkannt, dass BIM viel mehr als eine grobe 3D-Darstellung ist. Es handelt sich um eine objektorientierte Datenbank des Gebäudes mit einer verbesserten Koordination der Bauunterlagen, in der die Geometrie, die räumlichen Beziehungen und die Eigenschaften der Gebäudekomponenten strukturiert sind. Im Vergleich zu diesen Dimensionen ist es bemerkenswert, dass das Potenzial von BIM eher im Hinblick auf die Erstellung einer ganzheitlichen und nachhaltigen Dokumentation und in Anbetracht der Tatsache, dass diese Dokumentation eine funktionierende Infrastruktur zwischen verschiedenen Beteiligten schaffen muss, angemessen ist. 2.3 Detallierungsgrad der 3D Modelle Der unterschiedliche Anwendungskontext von Bauwerkuntersuchung erfordert auch unterschiedliche Definitionen des Detaillierungsgrads der Modelle. Level of Detail, kurz LOD, steht für einen geometrischen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 103 Digitale Bestandsaufnahme mittels 3D Realitätserfassungstechnologien in der Bauwerkserhaltung am Beispiel von Parkbauten Detaillierungsgrad und beschreibt die Detailtreue eines Modellelements in einem digitalen Bauwerksmodell. Der Entwicklungsgrad LOD 100-500 definieren welche Anforderungen, Genauigkeiten und Inhalte das digitale Gebäudemodell erreicht und beinhaltet. Eine wichtige Definition von Detaillierungsgraden in BIM-Modellen beinhaltet die Level of Development Spezifikation [2]. Die sogenannten Level of Development (LOD) beziehen sich auf eine Disziplin und Leistungsphase und beinhalten Informationen über ein Bauteil in der jeweiligen erforderlichen Detailtiefe. Die LOD Spezifikation beinhaltet dabei keine spezifizierte Menge an Informationen, welche in einem Modell vorhanden sein müssen, sondern liefert vielmehr eine Sprache, mit dessen Hilfe diese Spezifizierungen definiert werden können. Das bedeutet, dass innerhalb einer Leistungsphase der LOD zwischen den Disziplinen unterschiedlich sein kann. [3] Die LODs sind entsprechend der Spezifikation wie folgt definiert (vgl. Abbildung 4): - LOD 100: konzeptionelle Darstellung von Volumen und Flächen. - LOD 200: generische (allgemein gültige) Darstellung von Gebäudeteilen: Wände, Decken, Treppen (z. B. Außenwand zweischalig, Fluchttreppe). - LOD 300: Darstellung mit exakten Abmessungen, Materialien und Positionierung (z. B. Wand in Beton). - LOD 400: produktspezifische Darstellung (z. B. Betonwand Typ 4-1, NPK A, 40 kg/ m³, Steinwolle 60 kg/ m³, Lambda 0.034 W/ mK). - LOD 500: As-Built-Modell (Informationsgehalt geeignet für die Bewirtschaftung) [3]. Abbildung 4: Beispiel Fertigstellungsgrad (LOD) eines Raumes und seiner Modellelemente [4] Die US-amerikanische LOD-Spezifikation kennt zusätzlich den LOD 350 (Bauausführung). Die LOD lassen sich in einen geometrischen (Level of Geometry, LOG) und einen semantischen Teil (Level of Information, LOI) gliedern [2]. Existierende Definitionen von LOD, LOG und LOI können dagegen in Bestandsprojekten in der Regel nur schwer übertragen werden, da sich die Anforderungen einer Planung im Bestand häufig stark von der einer Neuplanung unterscheiden. Daher sollen zu Beginn des Projekts mit dem Auftraggeber diese Punkte definiert werden, die den Zielen des Projekts entsprechen und im Rahmen einer Modellierung sinnvoll und wirtschaftlich sind. Bei der geometrischen Detaillierung ist dabei zwischen dem maximal zugelassenen Abstand zwischen Punktwolke und Modell und der geometrischen Abstrak- 104 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Digitale Bestandsaufnahme mittels 3D Realitätserfassungstechnologien in der Bauwerkserhaltung am Beispiel von Parkbauten tion der Bauteile zu unterscheiden. Darüber hinaus sollen des Weiteren eine sinnvolle Benennung und Attribuierung der Bauteile festgelegt werden. In diesem Zusammenhang kann LOD im Bereich Bauwerkuntersuchung als 300-350 am Beispiel von Parkbauten definiert werden. Basierend auf unseren Erfahrungen und angewandten Beispielen bietet dieses LOD-Niveau ein vorhersehbares Verhältnis von Preis/ Arbeitsaufwand und Nutzen. Sie bietet genügend Details nicht nur für die Dokumentation der bestehenden Struktur, sondern auch für die Verwendung des erhaltenen Modells für weitere Untersuchungen. 3. Erweiterung 3D Modell digitale Bauwerksuntersuchung Building Information Modeling (BIM) ist eine revolutionäre Entwicklung, die die AEC-FM-Branche (Architectural, Engineering and Construction, and Facilities Management) rasch verändert hat. Vergleicht man CAD und BIM oder 2D- und 3D-Workflows, rückt das komplexe BIM-System in den Vordergrund, wenn man die darin enthaltenen Potenziale im Bereich Bauwerksuntersuchung betrachtet. Das liegt daran, dass BIM sowohl als eine Technologie als auch als ein Prozess betrachtet werden kann, der alle für den Bau einer Anlage erforderlichen Informationen in einem einzigen, virtuellen 3D- Modell einbindet. Dieses 3D-Modell kann übertragen und mit anderen Projektbeteiligten geteilt werden. BIM verbessert die Kommunikation und Zusammenarbeit der Projektteams durch die Verwendung von Industry Foundation Classes (IFC), einem neutralen Dateiformat, das die Interoperabilität zwischen Anwendungen mit unterschiedlichen Dateiformaten vom Entwurf bis zu den Betriebs- und Wartungsphasen verbessert [5]. Die von IFSB entwickelte individuelle Anwendungslösung ermöglicht die Erstellung eines BIM-Instandsetzungsmodells mit einer Schadens- und Mängelverwaltung und die Visualisierung der Gesamtergebnisdaten aus den einzelnen Sensorsystemen (Rissdetektion, Potentialfeldanalyse, Betondeckung etc.) und sonstigen Ergebnissen aus Bauwerksprüfungen in einem Multi-Layer Schadensmodell (Abbildung 5) mit Analyse- und Bewertungskomponenten. Abbildung 5: Ebenen Modell digitale Bauwerkuntersuchung Literaturangaben [1] Grabowski, R. (2010): CAD & BIM - Is There A Free Pass? upFront.reSearch. http: / / download.graphisoft.com/ ftp/ marketing/ white_papers/ GRAPHISOFT_White_Paper_CADandBIM.pdf (27.10.2020). [2] BIMForum (2016): Level of Development Specification - For Building Information Models. BIM- Forum. http: / / bimforum.org/ lod/ (27.10.2020). [3] Robert Kaden, Robert Seuß und Thomas H. Kolbe (2020): Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu CAD und GIS. Leitfaden Geodäsie und BIM. [4] Aardeplan (2014): Level of Development. Aardeplan architektur & consulting. http: / / gesamtleitung.vdf-online.ch/ post/ 4-fertigstellungsgrad-lod (27.10.2020) [5] Building Smart International (2020) https: / / technical.buildingsmart.org/ standards/ ifc/ (27.10.2020) Nicht referenzierte Bilder sind Eigentum der IFSB GmbH. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 105 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung Sarah Dabringhaus Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Sonja Neumann Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Yasser Alquasem Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Peter Haardt Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, Deutschland Zusammenfassung Im Rahmen des Themenschwerpunkts „Intelligente Brücke“ der Bundesanstalt für Straßenwesen werden derzeit wesentliche Entwicklungen in Living Labs (Reallabore) unter Realbedingungen erprobt, weiterentwickelt und hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit bewertet. In diesem Beitrag werden zwei Living Labs vorgestellt und ausgewählte Ergebnisse aufgezeigt. Aktuelle und zukünftige Forschung ausgehend vom Themenschwerpunkt „Intelligente Brücke“ wird beleuchtet. 1. Einleitung Das Erhaltungsmanagement für Brückenbauwerke zielt darauf ab, die Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit eines Bauwerks mit zielgerichteten Maßnahmen wiederherzustellen bzw. sicherzustellen (BMVI 2013). Da Maßnahmen derzeit erst dann geplant und umgesetzt werden, wenn Schädigungen vorhanden und visuell sichtbar sind, kann das Erhaltungsmanagement für Brückenbauwerke als reaktiv bezeichnet werden. In der Regel sind Schädigungen dann bereits weit fortgeschritten und entsprechend umfangreiche Maßnahmen erforderlich (Dabringhaus und Haardt 2019). Aktuelle Herausforderungen der Bundesfernstraßen wie steigende verkehrsbedingte und klimatische Einwirkungen, die ungünstige Altersstruktur der Bauwerke sowie begrenzte Budgets erfordern eine Optimierung des Erhaltungsmanagements in Richtung prädiktives Erhaltungsmanagement (Dabringhaus 2020). Eine Grundlage für das prädiktive Erhaltungsmanagement schafft die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) seit 2011 im Rahmen des Forschungsclusters „Intelligente Brücke“. Ziel ist die kontinuierliche messtechnische Zustandsüberwachung und -prognose eines Bauwerks, um bevorstehende Zustandsänderungen frühzeitig erkennen und geeignete Maßnahmen einleiten zu können. Anhand von Living Labs (Reallabore) werden Teilentwicklungen der Intelligenten Brücke unter realen Bedingungen erprobt, bewertet und weiterentwickelt. 2. Intelligente Brücke Die Arbeiten der BASt zu dem Thema „Intelligente Brücke“ erfolgen durch Eigen-, Auftrags- und Antragsforschung. Zunächst lag der Schwerpunkt vor allem auf konzeptionellen Projekten, mit dem Ziel den Stand der Technik, die Machbarkeit sowie Grundlagen aufzuzeigen und zu erarbeiten. Hierbei wurden vor allem die Themen Messtechnik, Datenanalyse und Bewertungsverfahren adressiert (Neumann und Haardt 2014). Darauf aufbauend erfolgte die Entwicklung instrumentierter Bauteile wie z.B. Fahrbahnübergänge und Brückenlager, neuer Analyse- und Bewertungs- und Visualisierungsverfahren sowie anschließend deren Evaluierung und Weiterentwicklung in Living Labs. 2.1 Definition Monitoring kann als „Gesamtprozess einer systematischen Überwachung von Bauwerksreaktionen und/ oder einwirkenden Größen in der Regel mittels eines Messsystems über einen repräsentativen Zeitraum“ (DBV 2018) definiert werden. In diesem Zusammenhang wird die Überwachung als eine auf z.B. Messungen basierende Beobachtung verstanden, bei der erfasste Daten mit Erwartungs- und Grenzwerten verglichen werden (DBV 2018). Die Intelligente Brücke stellt die letzte Ausbaustufe des Monitorings mit ganzheitlicher Erfassung und Bewertung der relevanten Bauwerksreaktionen und Ein- 106 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung wirkungen über die gesamte (Rest-)Nutzungsdauer des Bauwerks dar. Das Konzept „Intelligente Brücke“ kann sowohl beim Neubau als auch bei Bestandsbauwerken mit ausreichend hoher Restnutzungsdauer Anwendung finden. Vor allem Brückenbauwerke mit großer Bedeutung für das Bundesfernstraßennetz und/ oder repräsentative Bauwerke eignen sich für das Konzept Intelligente Brücke. Eine flächendeckende Umsetzung der Intelligenten Brücke ist aus heutiger Sicht nicht notwendig, da eine Übertragbarkeit von objektspezifischen Erkenntnissen auf geeignete Brückenbauwerke erwartet wird. Zu den zentralen Elementen der Intelligenten Brücke gehören die messtechnische Ausstattung des Bauwerks, Analyse- und Bewertungsverfahren, ein Datenmanagement sowie eine Nutzeroberfläche, siehe Bild 1. Die messtechnische Ausstattung des Bauwerks erfolgt bauwerksspezifisch und zielt auf eine ganzheitliche Betrachtung des Bauwerks ab. Bei der Analyse und Bewertung der Daten können sowohl Ingenieurmodelle als auch datengetriebene Verfahren (z.B. Data Mining, Big/ Smart Data Analytics) zum Einsatz kommen. Anhand der Nutzeroberfläche kann der Bauwerkseigentümer bzw. -betreiber wichtige Informationen, die an einer Intelligenten Brücke gewonnen werden, einsehen (Dabringhaus und Haardt 2019). Bild 1: Schema der Intelligenten Brücke (in Anlehnung an (Dabringhaus und Haardt 2019)) Die Intelligente Brücke kann in nahezu Echtzeit Informationen hinsichtlich des Zustands, der Zuverlässigkeit und Restnutzungsdauer des Bauwerks und seiner Bauteile bereitstellen. In der Regel können Anomalien in Messdaten, die in Verhaltensveränderungen des Bauwerks begründet sind, frühzeitig erkannt werden, bevor eine Schädigung visuell erfassbar ist. Auf dieser Grundlage können Zustandsveränderungen prognostiziert werden. Damit schafft die Intelligente Brücke den Ausgangspunkt für die Entwicklung vom aktuellen, reaktiven zum prädiktiven Lebenszyklusmanagement. Im Sinne dieser Lebenszyklusstrategie sollen die Reserven einer Brücke und ihrer Bauteile voll ausgeschöpft und gleichzeitig Ausfälle vermieden werden, um damit eine bestmögliche Verfügbarkeit zu gewährleisten (Haardt 2018). 2.2 Nutzen der Intelligenten Brücke Das Konzept der Intelligenten Brücke zielt darauf ab, den Bauwerksbetreiber bei der Gewährleistung der Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit eines Bauwerks während dessen Nutzungsdauer durch die kontinuierliche Bereitstellung relevanter Informationen hinsichtlich Zustands, Zuverlässigkeit und Restnutzungsdauer eines Bauwerks und seiner Bauteile in nahezu Echtzeit zu unterstützen. Dem Bauwerksbetreiber stehen durch die Intelligente Brücke neben den Informationen aus der Bauwerksprüfung zusätzliche, objektive Informationen, gewonnen aus Messdaten, zur Verfügung. Diese können als Indikator für eine zuverlässigkeitsorientierte Bauwerksprüfung dienen und deren Effizienz steigern. Die Informationen aus einer Intelligenten Brücke ermöglichen dem Bauwerksbetreiber eine Optimierung des Lebenszyklusmanagements, indem vorausschauende Maßnahmen ergriffen werden können (Dabringhaus und Haardt 2019). Geringere Verkehrsbeeinträchtigungen sowie kürzere und/ oder weniger Erhaltungsmaßnahmen während der gesamten Nutzungszeit eines Bauwerks können daraus resultieren. Mit der Intelligenten Brücke werden Kenntniserweiterungen durch die Verifikation von Systemannahmen und Bauteil-/ Bauwerksverhalten auf Grundlage von Messdaten möglich, die die tatsächlichen Einwirkungen und Bauwerksreaktionen wiederspiegeln (Dabringhaus 2020). Dies ist vor allem für Bestandsbauwerke relevant, da tragfähigkeitsrelevante oder verschleißbasierte Veränderungen in der Regel im Laufe der Nutzungsdauer auftreten. Die an der Intelligenten Brücke gewonnenen Messdaten ermöglichen darüber hinaus eine Überprüfung bzw. Kalibrierung von Ingenieurmodellen sowie eine Anpassung von Bemessungsnormen. Im Zuge der Betrachtung des Mehrwerts einer Intelligenten Brücke, sind auch die entstehenden Kosten zu berücksichtigen. Für die Realisierung einer Intelligenten Brücke müssen derzeit noch relativ hohe Sach- und Personalkosten angesetzt werden. Dies begründet sich in der zielgerichteten intensiven Ausstattung des Bauwerks mit Messtechnik, dem Betrieb der Anlage und dessen Aufrechtrechterhaltung sowie der Analyse, Bewertung und Management von Messdaten. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass die Intelligente Brücke, betrachtet über ihren gesamten Nutzungszeitraum, das Potenzial hat, derzeitige Kosten für den Bauwerksbetreiber und Nutzer zu reduzieren durch z.B. geringere Betriebskosten, eingesparte Reisezeit und Umweltbelastungen (Schubert et al. 2019). Durch eine zielgerichtete und prädiktive Lebenszyklusplanung kann die Bauwerkprüfung bestmöglich unterstützt und die Verfügbarkeit eines Bauwerks verbessert werden. 3. Living Labs Innovative Entwicklungen der Intelligenten Brücke werden im Rahmen von Living Labs erprobt, weiterentwickelt und v.a. hinsichtlich ihrer Praxistauglichkeit 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 107 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung bewertet. Living Labs sind Testumgebungen, in denen verkehrsinfrastrukturrelevante Innovationen unter realen Bedingungen erprobt, bewertet und weiterentwickelt werden können (BMWI 2020). Aus Living Labs gewonnene Erkenntnisse können wichtige Grundlagen für eine nachfolgende schnelle Implementierung neuer und innovativer Ansätze in der Praxis liefern, wobei auch dieser Ansatz eine volle Variation aller in der Praxis vorkommenden Randbedingungen nur eingeschränkt ermöglicht (Dabringhaus et al. 2020). Darüber hinaus bieten Living Labs die Möglichkeit umfangreiche Messdaten unter Realbedingungen zu erfassen, die für weitergehende Forschung zur Verfügung stehen. In der BASt wird derzeit im Rahmen der Living Labs „Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn“ und „Talbrücke Sachsengraben“ verschiedenen Forschungsfragen nachgegangen. 3.1 Intelligente Brücke im Digitalen Testfeld Autobahn Das Reallabor „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“ ist Teil des 2015 vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) eingerichteten digitalen Testfelds Autobahn auf der A9 zwischen Nürnberg und München. Ziel des digitalen Testfelds Autobahn ist es, digitale Innovationen zum Thema „Mobilität 4.0“ unter realen Bedingungen zu erproben und ggf. weiterzuentwickeln (BMVI 2015). Das Reallabor „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“ ist ein mit Messtechnik ausgestattetes, 2015/ 16 errichtetes Ersatzbauwerk im Autobahnkreuz Nürnberg, welches die A3 überführt. Es handelt sich dabei um eine 4-feldrige, 156°m lange Spannbeton-Hohlkastenbrücke, die zweispurig Richtung Regensburg führt. Das Bauwerk wurde nach Abschluss von messtechnischen Vorbereitungen wie Kalibrierfahrten im Oktober 2016 für den Verkehr freigegeben. Der Messbetrieb startete 2017 (Dabringhaus und Haardt 2019). Ziel dieses Reallabors ist es, ausgewählte Entwicklungen an dem Bauwerk zu demonstrieren, weiterzuentwickeln und hinsichtlich der Praxistauglichkeit zu bewerten. Dabei werden eine Weiterentwicklung der Messsysteme im Hinblick auf die zielgerichtete Erfassung und automatisierte Auswertung von Messdaten sowie die Entwicklung eines geeigneten Datenmanagements und einer Nutzeroberfläche angestrebt, auf der wesentliche Ergebnisse einem ausgewählten Nutzerkreis zugänglich gemacht werden können. Die Arbeiten im Rahmen des Reallabors erfolgen durch Auftragsforschung der BASt. Die Untersuchungszeit des Reallabors startete 2017 und ist zunächst für 5 Jahre ausgelegt. Im Rahmen des Reallabors „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“ sind neben der BASt folgende Einrichtungen beteiligt: BMVI, Bayerisches Staatsministerium des Innern für Bau und Verkehr, Autobahndirektion Nordbayern, Ingenieurbüro Prof. Freundt, Maurer SE und das Institut für Telematik der Universität zu Lübeck. 3.1.1 Ausstattung Die „Intelligente Brücke im digitalen Testfeld Autobahn“ ist der erste in diesem Maße mit Messtechnik ausgestattete Neubau in Deutschland. Das Bauwerk ist mit vier Messsystemen ausgestattet, die im Rahmen des BMVI- Forschungsprogramms „Straße im 21. Jahrhunderts“ entwickelt wurden. Dazu zählen das System zur Erfassung von Einwirkungen und Bauwerksreaktionen des Ingenieurbüros Prof. Dr. U. Freundt (Freundt 2014), instrumentierte Lager und Fahrbahnübergänge entwickelt von der Fa. Maurer SE (Friedl et al. 2015) sowie ein drahtloses Sensornetzwerk der Universität zu Lübeck (Fischer und Boldt 2015). Für jedes Messsystem befinden sich separate Messrechner in der Brücke, auf denen die automatisierte Auswertung der Messdaten erfolgt. Das Bauwerk ist darüber hinaus mit einem Network Attached Storage (NAS) ausgestattet. Dort werden sämtliche Rohdaten und ausgewertete Daten gehalten. Die Ergebnisdaten für die Nutzeroberfläche werden während der Laufzeit des Reallabors in einer Datenbank auf Servern der Universität zu Lübeck und zusätzlich auf dem NAS abgelegt. Die Nutzeroberfläche wird kontinuierlich um Ergebnisdaten aus der Datenbank aktualisiert. 3.1.2 Ausgewählte Ergebnisse Die Entwicklungsarbeiten an den einzelnen Messsystemen sind im Rahmen des Reallabors mit Ende 2020 abgeschlossen. Für die installierten Systeme wurden Erfassungs- und Auswertestrategien und Lösungen für die Zeitsynchronisation der Messsysteme entwickelt sowie entsprechende Algorithmen zur vollautomatisierten Auswertung der Messdaten auf den Messrechnern an der Brücke implementiert. Eine zuverlässige und sichere Datenverarbeitung wird durch die Entwicklung eines geeigneten Datenmanagements gewährleistet. Auf Grundlage der ausgewerteten Daten wurden Kennwerte ermittelt, die eine Zustandserkennung und -überwachung der Brücke und ihrer Bauteile ermöglichen. Dazu zählen u.a. der objektspezifische Auslastungsgrad infolge statischer Verkehrslast, die Ermüdungsbeanspruchung, Bauwerkssteifigkeit und Vorspannkraft der externen Spannglieder. Des Weiteren werden Informationen zum Verkehr und Wetter ermittelt. Ein zentraler Baustein der Intelligenten Brücke ist neben der Erfassung, Auswertung, Bewertung und Management der Daten die Visualisierung der Messdaten und Darstellung von Kennwert-Zeitverläufen. Im Rahmen dieses Reallabors wurde eine Nutzeroberfläche, im nachfolgenden auch als „Webanwendung“ bezeichnet, erarbeitet. Diese ermöglicht dem Bauwerkseigentümer jederzeit einen Überblick über den auf messtechnischen Informationen beruhenden Status des Bauwerks und der Bauteile. In der Webanwendung werden fortlaufend Messdatenverläufe und abgeleitete 108 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung Kennwert-Zeitverläufe angezeigt. Sobald Kennwerte einen Grenzwert überschreiten, kann eine Email- Benachrichtigung sowohl an den Systembetreuer als auch den Bauwerkseigentümer erfolgen (Freundt et al. 2020). Die Webanwendung ist nur für einen beschränkten Nutzerkreis verfügbar und zielt darauf ab, den Bauwerksbetreiber mit zusätzlichen Informationen zum Bauwerk und seiner Bauteile zu unterstützen. Sie kann von unterschiedlichen Endgeräten aufgerufen werden wie Laptop, Tablet oder Smartphone. Herzstück der Webanwendung ist die Übersichtsseite. Dort werden die wichtigsten Kennwerte zur Beurteilung des Bauwerks- und Bauteilzustands auf Grundlage von Messdaten, Informationen zu Wetter und Verkehr sowie der Status der einzelnen Messsysteme angezeigt, siehe Bild 2. Die Subseiten zeigen Messdatenverläufe sowie weitere Detailinformationen. Bild 2: Übersichtsseite der Webanwendung Unter „Bauwerksstatus“ werden alle Kennwerte gefasst, die Bewertungen zu Brücke, Fahrbahnübergang und Lager ermöglichen. Im Folgenden werden die Kennwerte zur Brücke, die anhand des Messsystems zur Erfassung von Einwirkungen und Widerständen des Ingenieurbüros Prof. Dr. U. Freundt, ermittelt werden, vorgestellt: Statische Beanspruchung des Bauwerks Der Kennwert „Statische Beanspruchung des Bauwerks“ ist als Verhältnis von ermittelten statischen Beanspruchungswerten aus Verkehr zu Werten aus dem Ansatz des für die Tragwerksbemessung verwendeten Lastmodells, LM 1, definiert. Durch statistische Auswertung der Zeitverläufe an ausgewählten Messstellen werden Kennwerte der statischen Beanspruchung des Bauwerks infolge Verkehrs ermittelt. In Bild 3 ist exemplarisch das Ergebnis für eine Messstelle als Verhältniswerte zum Vergleichswert aus dem Ansatz des Lastmodells LM 1 aufgetragen. Zwei Niveauschwellen wurden bei einem Wert von 0,80 (Gelb) und 0,90 (Rot) festgelegt. Bei Überschreiten der Niveauschwellen erfolgt eine Benachrichtigung (Freundt et al. 2020). Bild 3: Kennwertverlauf “Auslastung statisch” Auslastung Ermüdung Der Kennwert „Auslastung Ermüdung” wird auf Grundlage von Messdaten der Dehnungsmessungen an der Bewehrung im unteren Bereich des Hohlkastens ermittelt. Dazu werden die temperaturkompensierten Messdaten einer Rainflow-Auszählung unterzogen und die erhaltenen Dehnungsschwingbreiten in Spannungsschwingspiele umgerechnet. Anschließend erfolgt eine Berechnung von Schädigungen und Schädigungssummen anhand der Wöhler-Linie für den Bewehrungsstahl sowie eine Umrechnung zu schädigungsrelevanten Schwingbreiten. Diese werden zu entsprechenden Werten aus dem Ermüdungsnachweis für die jeweilige am Tragwerk betrachtete Stelle ins Verhältnis gesetzt, siehe Bild 4. Betrachtungszeiträume wie die gesamte Messzeit, die letzten 52, 12 und 1 Wochen werden dargestellt. Bei kürzeren Betrachtungsräumen kommen saisonale Effekte stärker zum Tragen. Wie in Bild 4 zu sehen ist, liegt der errechnete Wert derzeit bei 0,45. Es wird davon ausgegangen, dass sich der errechnete Wert, bei unveränderter Charakteristik der bislang ermittelten schädigungsrelevanten Schwingspiele aus Verkehr, nicht wesentlich ändert. Die Niveauschwellen liegen bei einem Wert von 0,80 und 0,90 (Freundt et al. 2020). Bild 4: Kennwertverlauf “Auslastung Ermüdung” 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 109 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung Auf Grundlage der Messdaten der installierten Beschleunigungssensoren erfolgt die Ableitung der Statuskennwerte des Widerstandes des Bauwerks. Dazu werden die Eigenfrequenzen automatisiert über eine Fast-Fourier- Transformation auf dem Messrechner im Brückenhohlkasten ermittelt. Im Rahmen des Projekts FE 15.0631 „Digitales Testfeld Autobahn - Intelligente Brücke Synchronisation von Sensorik und automatisierte Auswertung von Messdaten“ wurde eine Methodik zur Kompensation von lang-, mittel- und kurzfristigen Effekten in den Messdaten entwickelt auf Basis vorhandener Messdaten und unter der Annahme, dass bisher keine Schädigungen am Bauwerk eingetreten sind (Freundt et al. 2020). Im Folgenden werden die Statuswerte für die externe Vorspannung und. die Bauwerkssteifigkeit vorgestellt. Statuskennwert „Vorspannung“ Der entwickelte Statuskennwert „Vorspannung“ ermöglicht die Detektion einer Veränderung der Vorspannkraft, z.B. durch den Bruch einzelner Litzen im Spannglied, anhand der erfassten Messdaten. Zur Ermittlung dieses Statuskennwerts werden die Eigenfrequenzen aus den Beschleunigungsmessungen an externen Spanngliedern herangezogen, da diese mit der Vorspannkraft im Spannglied korrespondieren. Ein Statuswert von 1,00 entspricht dem derzeitigen Stand der kompensierten externen Vorspannung. Dabei wurde definiert, dass ein Statuswert von 0,00 den theoretischen Ausfall von 20 der 60 Litzen repräsentieren soll. In Bild 5 ist der Verlauf des Statuswertes „Vorspannung“ über die Projektlaufzeit dargestellt. Die eingezeichneten Niveaulinien bei 0,95 und 0,9 zeigen die rechnerisch ermittelte Abweichung der normalisierten Eigenfrequenz bei Ausfall einer bzw. zweier Litzen (Freundt et al. 2020). Bild 5: Kennwertverlauf “Vorspannung” Status „Bauwerkssteifigkeit“ Der entwickelte Statuskennwert „Bauwerkssteifigkeit“ ermöglicht die Detektion von Veränderungen der Bauwerkssteifigkeit anhand der erfassten Messdaten. Zur Ermittlung des Statuskennwerts werden die Eigenfrequenzen der Brücke herangezogen, die aus der Beschleunigungsmessung am Umlenksattel des externen Spanngliedes abgeleitet werden. Die Eigenfrequenzen der Brücke korrespondieren mit der Steifigkeit des Bauwerks. Im Gegensatz zur Vorspannung ist der Zusammenhang zwischen der Änderung der Eigenfrequenz und der Bauwerkssteifigkeit zahlenmäßig nicht hinterlegt, so dass eine qualitative Überwachung der Eigenfrequenzen erfolgt. Auf Grundlage der bisher erfassten Messdaten werden Werte von 0,00 zu einem Statuswert von 1,00 und ein in vorherigen Analysen berechneter Mittelwert von 3,234 zu einem Statuswert von 0,00 gesetzt. Bild 6 zeigt den Verlauf der Bauwerkssteifigkeit über die Projektlaufzeit. Signifikante Abweichungen können auf eine Änderung der Bauwerkssteifigkeit hindeuten (Freundt et al. 2020). Bild 6: Kennwertverlauf “Bauwerkssteifigkeit” 4. Fazit Wie zu erwarten, zeigen die Kennwert-Zeitverläufe des vier Jahre alten Bauwerks keine Ausfälligkeiten, die auf Schädigungen hinweisen könnten. Im Rahmen dieses Reallabors ist es gelungen, Messdaten zielgerichtet und automatisiert auszuwerten sowie Kennwerte aus den Messdaten abzuleiten, die den Bauwerksbetreiber bei der Überwachung des Bauwerks unterstützen können. Das Reallabor läuft bis Ende 2021 und in der verbleibenden Zeit werden die Entwicklungen hauptsächlich weiter erprobt werden. Eine Weiterführung des Reallabors wird angestrebt, um Langzeiterfahrungen zu sammeln und eine breite Messdatenbasis zu erzielen, die für weitere Forschung zur Verfügung stehen soll. 4.1 Online Sicherheitsmanagement für Brücken (OSIMAB) Das Projekt OSIMAB wird im Rahmen der Forschungsinitiative mFUND des Bundesministeriums für Verkehr 110 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung und digitale Infrastruktur gefördert. Im Rahmen des Projekts wird angestrebt, ein ganzheitliches Konzept zur kontinuierlichen Überwachung, Bewertung und Prognose des Zustands von Straßenbrücken zu entwickeln. Damit wird ein Grundstein für ein prädiktives Erhaltungsmanagement gelegt. Hierdurch können längere Zeiträume zur Planung und Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen geschaffen und somit Verkehrseinschränkungen minimiert werden. Im Rahmen des Projektes wird ein breites Spektrum an Datensätzen betrachtet, die sowohl flächendeckende Bestandsdaten als auch objektspezifische Messdaten umfassen. Zunächst wurden auf Grundlage von Bestandsdaten des Bundes bauwerksspezifische Parameter flächendeckend analysiert (Socher und Müller 2020). Die damit verbundenen Auswertungen hinsichtlich relevanter Brückentypen für das Bundesfernstraßennetz bilden die Grundlage für weitere, objektspezifische Untersuchungen an einem ausgewählten Brückenbauwerk (Talbrücke Sachsengraben A45). Hierdurch können im Gegenzug Rückschlüsse auf Problemstellungen im Gesamtbestand gezogen werden. Die Praxistauglichkeit des OSIMAB-Systems soll im Rahmen des Reallabors „Talbrücke Sachsengraben“ unter Beweis gestellt werden. Es wurden Methoden entwickelt, um anhand eines an Messdaten kalibrierten Systemmodells Aussagen über den Zustand abzuleiten und zu bewerten. Darüber hinaus wurde untersucht, inwieweit innovative Smart-Data-Algorithmen eingesetzt werden können, um Anomalien in Messdatenströmen zu identifizieren, die auf Veränderungen des Tragwerksverhaltens hindeuten können. Den Abschluss des Projekts bildet die Entwicklung eines Risikomanagementkonzepts. 4.1.1 Ausstattung des Demonstrator-Bauwerkes Für das globale und lokale Monitoring wurde das Demonstrator-Bauwerk mit 145 Sensoren ausgestattet. Der nördliche Überbau mit Fahrtrichtung Dortmund ist aufgrund des schlechteren Zustandes (Zustandsnote: 2,9) mit 89 Sensoren ausgestattet. Die übrigen der Sensoren sind am südlichen Überbau mit Fahrtrichtung Frankfurt (Zustandsnote: 2,3) eingesetzt. Die Sensortechnologie besteht aus: Elektrischen Dehnmessstreifen, induktiven Wegaufnehmern, piezoelektrischen Beschleunigungsaufnehmern, Neigungsaufnehmern, Temperatursensoren, einer Videokamera sowie Mikrofonen. Bei den meisten dieser Sensortypen handelt es sich um etablierte Technologien, die bereits bei einer Vielzahl an Brückenmessungen ihre Leistungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit unter Beweis gestellt haben. Bild 7: Induktiver Wegaufnehmer (Talbrücke Sachsengr.) 4.1.2 Risikomanagementkonzept Der Begriff „Risiko“ bezeichnet die Kombination aus der Eintrittswahrscheinlichkeit und dem Schadensausmaß eines Ereignisses (Schneider und Schlatter 2018). Anhand eines geeigneten Risikomanagements kann Risiken bestmöglich begegnet werden. Risiken können in allen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft auftreten. Vor allem in sicherheitsrelevanten Bereichen, wie das Bauwesen, erhält das Risikomanagement eine große Bedeutung im Rahmen der Unterstützung des Baulastträgers bei seinen Verantwortlichkeiten. Das im Rahmen des Projekts OSIMAB zu entwickelnde Risikomanagementkonzept beinhaltet die Kombination von Analysen und Auswertungen der Bestandsdaten sowie am Bauwerk erfassten und analysierten Messdaten, um potenzielle Risiken zu identifizieren und bewerten. In diesem Zuge sollen mögliche Kompensationsmaßnahmen und Erhaltungsmaßnahmen betrachtet werden, mit denen die Zielzuverlässigkeit des untersuchten Brückenbauwerks gewährleistet oder wiederhergestellt werden kann. Anhand der Risikobewertung soll das aktuelle Sicherheitsniveau eines Bauwerks und seiner Bauteile abgeleitet werden können. Bild 1 zeigt das Konzept des Risikomanagements im Rahmen des Projekts OSIMAB. Ein wichtiger Baustein ist hierbei eine mögliche zukünftige Interaktion zwischen der modellbasierten und der datenbasierten Auswertung, die als Grundlage für die Risikoanalyse dienen könnte. Im Rahmen des Projekts wurde dies jedoch nicht erprobt. Ausgangspunkt für die Auswahl des Brückenbauwerkes (Talbrücke Sachsengraben, A45), und die damit verbundenen Schadensdaten und Schwachstellen ist die Systemidentifikation (Socher und Müller 2020). Diese Informationen werden im Systemmodell betrachtet. Für das Bauwerks-Monitoring bilden die Messdaten den Anfangspunkt. Dem erarbeiteten Konzept folgend sollen die Messdaten mittels intelligenter Data-Mining-Algorithmen analysiert werden. Bei Feststellung einer Anomalie und ggf. manueller Über- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 111 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung prüfung kann im Risikomanagementtool ein Warnsignal geschaltet und ein Finite-Elemente-Update zur Klärung der Ursache der Anomalie angestoßen werden. Der Vergleich der aktuellen Messdaten mit Daten aus einem Referenzzustand kann Aufschluss über das Auftreten eines Schadens und seiner Lage geben. Mithilfe von Zusatzinformationen über das Bauwerk, seine Randbedingungen und Schadensauswirkungen können Art und Ursache des Schadens ermittelt werden. Werden durch das Finite-Elemente-Update Veränderungen im Tragverhalten festgestellt, ist das entsprechende Warnsignal zu schalten und eine neue Zuverlässigkeitsanalyse durchzuführen. Ziel ist es, den Zuverlässigkeitsindex an der maßgebenden Stelle des Querschnittes durch die Grenzzustandsfunktion probabilistisch zu ermitteln (Steffens 2019). Die bereitgestellten Informationen über den Zustand des Brückenbauwerks aus Finite-Element-Update und Data Mining Analyse könnten in der Zuverlässigkeitsanalyse betrachtet werden. Z.B. die Änderung des Betonquerschnittes oder Entstehung eines Risses kann in der Grenzzustandsfunktion an der maßgebenden Stelle für die Ermittlung des Zuverlässigkeitsindexes betrachtet werden. Auf Grundlage des Zuverlässigkeitsindexes kann die globale Versagenswahrscheinlichkeit ermittelt werden. Nach der Bewertung der globalen Versagenswahrscheinlichkeit kann auf eine detaillierte Ebene von Ereignissen eingegangen werden. Hier werden mögliche Ereignisse dem Grenzzustand der Tragfähigkeit (GZT) zugeordnet. Für die Ermittlung der Zustandsfunktionen für den Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (GZG) der Dauerhaftigkeit und dem Schubversagen gibt es jedoch noch sehr grundlegenden Forschungsbedarf, der im Rahmen dieses Projekts nicht gelöst werden kann. Jedes Ereignis (A, B, C) übernimmt in Abhängigkeit von seiner Eintrittswahrscheinlichkeit einen Teil der globalen Versagenswahrscheinlichkeit. Ereignisse können Auswirkungen u.a. auf die Umwelt, die Nutzer und den Baulastträger haben. Das Risiko eines Ereignisses R C ergibt sich durch die Multiplikation der eigenen Versagenswahrscheinlichkeit mit der Summe der einzelnen Auswirkungsmaße (z.B. Kosten für den Baulastträger und die Nutzer). In Gleichung 1 wird dieses Prinzip für das Ereignis C dargestellt. Anhand der Risikobewertung kann unterschieden werden, welche Risiken für den Betrieb des Brückenbauwerkes akzeptiert werden können, und welchen mit geeigneten Maßnahmen begegnet werden muss. Überschreitet das Risiko eines Ereignisses einen durch Experten festgelegten Risikowert, wird ein Warnsignal wegen Nichteinhaltung der Struktursicherheit ausgegeben. In diesem Falle gilt es zielgerichtet Maßnahmen einzusetzen. Die Art der Maßnahme ist je nach Risikobewertung und Ereignis individuell zu bestimmen. Sowohl Erhaltungsals auch Kompensationsmaßnahmen können einen Einfluss auf die Messdaten haben und eine Aktualisierung des Systemmodells zur Folge haben. Sofern Kompensationsmaßnahmen nicht verzichtbar sind, muss geprüft werden, welche Maßnahmen für einen reibungslosen Verkehrsfluss am besten geeignet sind. Für ein effektives Risikomanagementsystem sollten in zukünftigen Forschungsarbeiten Kriterien für die Ereignisse und Auswirkungsmaße definiert werden. Auf einer globalen Ebene spielt die Bedeutung des Bauwerkes eine große Rolle. Auf der lokalen Ebene haben z. B. Betonrisse weniger Einfluss als ein Spanngliedbruch. Darüber hinaus ist ein mögliches Vorankündigungsverhalten in der Risikobewertung zu berücksichtigen. 112 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung Bild 8: Risikomanagement im Zusammenspiel mit Systemmodell, Data Mining Analyse, Finite-Element-Update und der Zuverlässigkeitsanalyse 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 113 Intelligente Brücke: Living Labs und aktuelle Forschung 5. Ausblick In Zusammenarbeit mit der BASt und dem BMVI beabsichtigt die Autobahn GmbH des Bundes die aktuellen Entwicklungen der Intelligenten Brücke als Leuchtturmprojekt an einer neu zu errichtenden Brücke und einem relevanten Bestandsbauwerk zu realisieren und die bestehenden Living Labs zu Forschungszwecken weiterzuführen. Gewonnene Erkenntnisse aus Living Labs können wichtige Grundlagen für eine nachfolgende schnellere Implementierung neuer und innovativer Ansätze in der Praxis liefern, wobei dieser Ansatz eine volle Variation aller in der Praxis vorkommenden Randbedingungen nur eingeschränkt ermöglicht. Dies ist erst mit einem Digital Twin möglich. Der Digital Twin stellt eine gezielte Erweiterung des Konzepts der Intelligenten Brücke im Hinblick auf z.B. Big Data/ Smart Data-Anwendungen, KI-Ansätze, Mixed-Reality-Anwendungen und virtuelle Experimentierräume dar. 5.1 Digital Twin einer Brücke Der Digital Twin eines Ingenieurbauwerks ist ein digitales Abbild eines realen Bauwerks und spiegelt sämtliche Eigenschaften und sein Verhalten über dessen gesamten Lebenszyklus hinweg anhand verschiedener Modelle. Zu diesen Modellen gehören u.a. Geometrie-, FEsowie Datenmodelle. Der Digital Twin aktualisiert sich kontinuierlich, um den aktuellen Zustand des realen Bauwerks sowie die daraus ableitbaren Prognosen in nahezu Echtzeit darzustellen. Zu diesem Zweck greift er auf große Datenmengen zurück, die u.a. am realen Bauwerk, dem Living Lab, gesammelt oder auch von bereits bestehenden Systemen über Schnittstellen bereitgestellt werden. Daneben nutzt er Informationen aus unkonventionellen Datenquellen wie z.B. vernetzten Fahrzeugen, Smartphones und sozialen Medien sowie Daten von bereits bestehenden Systemen, die ihm über Schnittstellen bereitgestellt werden. In Anbetracht der großen Datenmengen kommen ein Datenmanagementsystem, Big Data/ Smart Data-Anwendungen sowie Verfahren der künstlichen Intelligenz zur Analyse und Bewertung der Daten zum Einsatz. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Digital Twin ist der virtuelle Experimentierraum. Dort kann das virtuelle Objekt sämtlichen Randbedingungen ausgesetzt, hinsichtlich des Designs und des fehlerfreien Betriebs analysiert sowie szenariobasierte Prognosen durchgeführt werden. Die Realisierung eines Digital Twin ist insbesondere für Ingenieurbauwerke mit besonderer Relevanz für das Bundesfernstraßennetz und/ oder repräsentative Bauwerke sowie Teilaspekten von diesen interessant (Dabringhaus et al. 2020). 5.2 Ziel und Nutzen eines Digital Twin Hauptziel des Digital Twins in der Betriebsphase ist die Unterstützung des Bauwerkseigentümers bei der Gewährleistung der Sicherheit, Zuverlässigkeit, Instandhaltbarkeit und Verfügbarkeit des Bauwerks. In nahezu Echtzeit liefert der Digital Twin Informationen hinsichtlich des Zustands, der Zuverlässigkeit und der Restnutzungsdauer des Bauwerks und seiner Bauteile und zeigt kritische Bauwerkszustände frühzeitig an. Darüber hinaus legt der Digital Twin einen starken Fokus auf Prognosen hinsichtlich des Lebenszyklus und leitet Handlungsbedarf ab, bevor konkrete Gefahren und Schäden entstehen. In virtuellen Experimentierräumen des Digital Twins können sämtliche Randbedingungen variiert und Analysen sowie insbesondere Prognosen für verschiedene Szenarien wie z.B. Unfälle und Extremereignisse durchgeführt werden. Schließlich können erprobte Maßnahmen mit Hilfe des Digital Twin früher, zuverlässiger und effizienter eingeleitet werden. Auch der Einsatz neuer Technologien wie KI-Anwendungen kann im Rahmen von virtuellen Experimentierräumen erprobt werden, ohne die Integrität des sicheren Betriebs zu verletzen. Durch die genannten Eigenschaften bietet der Digital Twin das Potenzial zu einer Entwicklung vom prädiktiven Lebenszyklusmanagement, welches basierend auf Zustandserkennung und -prognose zielgerichtete vorausschauende Maßnahmen ermöglicht, hin zum kognitiven Lebenszyklusmanagement. Das kognitive Lebenszyklusmanagement ist eine Erweiterung des prädiktiven Lebenszyklusmanagements. Es zeichnet sich durch einen proaktiven, lernenden sowie interaktiven Charakter aus und zielt auf ein im Hinblick auf ökologische, ökonomische und gesamtgesellschaftliche Aspekte optimiertes Management ab. Anhand selbstlernender Algorithmen kann ein kognitives Managementsystem in seiner höchsten Entwicklungsstufe, die für den Lebenszyklus relevanten Sachverhalte verstehen, analysieren, evaluieren, anwenden und weiterentwickeln. Auf dieser Grundlage kann das System interagierend mit Experten ein optimales Handeln erzielen (BITKOM 2015). Gewonnene Erkenntnisse können auf das Teil-/ Gesamtnetz übertragen werden. Insgesamt lassen sich durch die aufgeführten Aspekte z.B. Potenziale hinsichtlich reduzierter Erhaltungsmaßnahmen, verminderter Sperrzeiten und verlängerter Bauwerkszyklen erschließen (Dabringhaus et al. 2020). 5.3 BASt-Forschung zum Digital Twin Der Digital Twin von Ingenieurbauwerken stellt in Verbindung mit dem Living Lab ein bedeutendes Zukunftsfeld der digitalen Entwicklung in der Forschung dar. Im Rahmen zukünftiger Forschung wird sich die BASt auch dem Thema „Digital Twin“ widmen und dabei auf die in den letzten Jahren erarbeiteten Konzeptionen, Machbarkeitsstudien und Entwicklungen zu den BASt-Forschungsfeldern „Intelligente Brücke“, „Building Information Modelling“ und „Virtual/ Augmented Reality“ zurückgreifen. Diese bilden die Ausgangslage für die Entwicklung eines Digital Twin. Ausstehende Forschungsschritte sollen zukünftig im Rahmen einer Forschungsplanung zur Thematik „Digital Twin“ in der BASt erarbeitet und umgesetzt werden (Dabringhaus et al. 2020). Literaturverzeichnis [1] BITKOM (2015): Kognitive Maschinen - Meilenstein in der Wissensarbeit. Leitfaden. Hg. v. BIT- KOM. Online verfügbar unter https: / / www.bitkom. org/ Bitkom/ Publikationen/ Kognitive-Maschinen- Meilenstein-in-der-Wissensarbeit.html. [2] BMVI (Hg.) (2013): ASB-ING. Anweisung Straßeninformationsbank. Segment Bauwerksdaten. [3] BMVI (2015): Innovationscharta „Digitales Testfeld Autobahn“ auf der Bundesautobahn A9. Hg. v. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Berlin. [4] BMWI (2020): Reallabore - Innovation ermöglichen und Regulierung weiterentwickeln. Hg. v. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Online verfügbar unter https: / / www.bmwi.de/ Redaktion/ DE/ Downloads/ I/ info-reallabore.pdf? __ blob=publicationFile&v=20. [5] Dabringhaus, S.; Neumann, S.; Hindersmann, I. (2020): Monitoring, Intelligente Brücke, Digital Twin. Positionspapier der Abteilung B Brücken- und Ingenieurbau der Bundesanstalt für Straßenwesen (unveröffentlicht). [6] Dabringhaus, Sarah (2020): Intelligente Brücke: Datenaufbereitung und -analyse mittels modell- und datenbasierter Ansätze. 4. Brückenkolloquium. Hg. v. Technische Akademie Esslingen. [7] Dabringhaus, Sarah; Haardt, Peter (2019): Infrastruktur im Wandel - Die Intelligente Brücke. 6. Kolloquium: Erhaltung von Brückenbauwerken. Hg. v. Technische Akademie Esslingen. [8] DBV (2018): DBV Merkblatt Brückenmonitoring. Hg. v. Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V. [9] Fischer, S.; Boldt, D. (2015): iBAST instantaneous Bridge Assessment based on Sensor Network Technology. Bericht zu FE 88.0122/ 2012 der Bundesanstalt für Straßenwesen (unveröffentlich). Lübeck. [10] Freundt, U.; Böning, S.; Fischer, S.; Lau, F.-L. (2020): Digitales Testfeld Autobahn - Intelligente Brücke - Synchronisation von Sensorik und automatisierte Auswertung von Messdaten. FE-Nr. 15.0631/ 2016/ LRB Entwurf zum Schlussbericht (noch nicht veröffentlicht). [11] Freundt, Ursula (2014): Roadtraffic Management System (RTMS). Bericht zum Forschungsprojekt 88.0106/ 2010. Bremen: Fachverl. NW (Berichte der Bundesanstalt für Strassenwesen B, Brücken- und Ingenieurbau, 100). Online verfügbar unter http: / / bast.opus.hbz-nrw.de/ volltexte/ 2014/ 777/ pdf/ B100b_ELBA.pdf. [12] Friedl, R.; Mangerig, I.; Butz, C.; Distl, J.; Adam, A. (2015): Intelligente Schwenktraversendehnfuge und intelligentes Kalottenlager. Bericht zu FE-Nr. 88.110- 88.112 der Bundesanstalt für Straßenwesen (unveröffentlicht). München. [13] Haardt, Peter (2018): Intelligente Brücke. Fachtagung Bauwerksdiagnose 2018. Berlin. [14] Neumann, T.; Haardt, T. (2014): Die Intelligente Brücke - Adaptive Konzepte zur ganzheitlichen Zustandsbewertung. Fachtagung Bauwerksdiagnose 2014. Berlin. [15] Schneider, Jörg; Schlatter, Hanspeter (2018): Sicherheit und Zuverlässigkeit im Bauwesen: Grundwissen für Ingenieure: ETH Zurich. [16] Schubert, M.; Betz, W.; Niemeier, E.; Ziegler, D.; Majka, M.; Straub, D.; Walther, C. (2019): Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen von Monitoringmaßnahmen - Entwicklung eines Konzepts für die Analyse von Nutzen und Kosten von Monitoringmaßnahmen. Schlussbericht zu FE 89.0331/ 2017 (unverffentlicht). Bundesanstalt für Straßenwesen. [17] Socher, A.; Müller, M. (2020): Relevante Brückenbauwerke für ein prädiktives Erhaltungsmanagement. 3. Brückenkolloquium. Hg. v. Technische Akademie Esslingen. Esslingen. [18] Steffens, Nico (2019): Sicherheitsäquivalente Bewertung von Brücken durch Bauwerksmonitoring. Düren: Shaker (Heftreihe des Instituts für Bauingenieurwesen / Book series of the Department of Civil Engineering, Technische Universität Berlin). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 115 BIM in der Instandsetzungsplanung - Projektbezogene Anwendungsfälle bei WTM Engineers - Marike Bornholdt WTM Engineers, Hamburg, Deutschland Matthias Petersen WTM Engineers, Hamburg, Deutschland Dr. Holle Goedeke WTM Engineers, Hamburg, Deutschland Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Nutzung der BIM-Software Desite von thinkproject in der Instandsetzungsplanung von Bestandsbauwerken. Anhand aktueller Projekte des Ingenieurbüros WTM Engineers wird die Art und Weise der Softwarenutzung in verschiedenen Phasen der Planung erläutert um die Digitalisierung von Instandsetzungsprojekten voranzutreiben. In der Instandsetzungsplanung beginnt BIM mit der dreidimensionalen Modellierung des Bestands. Im weiteren Projektverlauf ist im Zusammenhang mit der Schadensaufnahme im Bestand und der Planung und Durchführung von Bauteil- und Baustoffuntersuchungen eine eindeutige Platzierung und Attribuierung von Objekten im Modell notwendig. Um die strukturierten Daten aus der BIM-Software an andere Projektbeteiligte weiterzugeben, steht ein verlustfreier Datenaustausch über allgemeingültige Dateiformate im Vordergrund. Das bezieht sich auch auf den Austausch von Informationen zwischen unterschiedlichen Softwareanwendungen in Bezug auf Terminplanungen und Kostenkalkulationen. Anhand von ersten Erfahrungen in diesem Bereich wird ein Ausblick über die Möglichkeiten einer BIM-basierten Instandsetzungsplanung gegeben. 1. Einleitung Spätestens mit der Veröffentlichung der Richtlinienreihe 2552 des VDI [1] kann das Thema Building Information Modeling (BIM) nicht mehr ignoriert werden. Bestehende Workflows in kleinen wie in großen Ingenieurbüros und bauausführenden Firmen müssen digitalisiert und an die modellbasierte Methode angepasst werden. Damit die dreidimensionalen BIM-Modelle über die Entstehung des realen Bauwerks hinaus, also für weitere Meilensteine im Lebenszyklus des Bauwerks genutzt werden können, werden aktuell bei WTM Engineers die ersten Instandsetzungsplanungen modellbasiert ausgeführt. Dafür werden bereits vorhandene Standards und Softwareprodukte aus anderen Bereichen des Bauingenieurwesens an die Vorgänge und Bedürfnisse einer Instandsetzungsplanung angepasst und durch individuelle Bearbeitungsschritte ergänzt. Abb. 1 stellt die digitalen Workflows und die zu verwendende Software schematisch dar. Zunächst wird auf der Grundlage vorhandener Bestandsunterlagen - i. d. R. zweidimensionale Pläne im PDF oder DWG Format - ein dreidimensionales Bestandsmodell konstruiert. Ein 3D-Modell liegt nur in Einzelfällen schon vor der Planung einer Instandsetzung vor und kann als Bestandsunterlage in Form von IFC-Dateien oder Punktwolken als Planungsgrundlage in die Koordinationssoftware Desite geladen werden. Hier fließen dann alle weiteren Informationen zu dem Bestandsbauwerk aus Zustandserfassungen oder Untersuchungen in Form von objektspezifisch verknüpften Attributen ein. Die Koordinationssoftware dient zu diesem Zeitpunkt als zentraler Speicher von bauwerks- und planungsrelevanten Daten und Informationen. Über die Nutzung von softwareinternen Programmierschnittstellen können diese Informationen ausgewertet und zu aussagekräftigen Darstellungen weiterverarbeitet werden. Auch im Hinblick auf die Terminplanung und Kostenkalkulation von Instandsetzungsmaßnahmen kann das BIM-Modell als Berechnungsgrundlage genutzt werden. Durch die Verknüpfung aktueller Terminpläne mit dem BIM-Modell können terminliche Kollisionen durch Fehlermeldungen in der Koordinationssoftware frühzeitig erkannt werden. 116 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 BIM in der Instandsetzungsplanung Abb. 1 Darstellung der BIM-Prozesse bei WTM Engineers (eigene Darstellung) Die erste Anwendung des zuvor beschriebenen Informationsmanagements erfolgte bei WTM Engineers im Zuge der Instandsetzungsplanung eines Schwimmbades Anfang 2020 im Rahmen einer Bachelorarbeit [2]. Hier wurde für sämtliche Schritte, von der Konstruktion des 3D-Modells über die Attribuierung bis hin zur Auswertung von Untersuchungsergebnissen, die BIM-Software Revit von Autodesk verwendet. Mit der Nutzung von Revit konnten zunächst einzelne Schritte der Gesamtplanung digitalisiert und die Ergebnisse projektorientiert ausgewertet werden. Die Nutzung der Software Revit stellte dabei viele Möglichkeiten für die modellbasierte Instandsetzungsplanung zur Verfügung und konnte erfolgreich eingesetzt werden. Um in einem zweiten Schritt auch den Datenaustausch zwischen verschiedener Software beurteilen zu können und Herausforderungen bezüglich des Modellmanagements zu meistern, wird für weitere digitale Instandsetzungsplanungen zusätzlich die Software Desite verwendet. 1.1 Die BIM-Software Desite Die Software Desite manage data (MD) von thinkproject ist eine Koordinationssoftware für das Bauwesen [3]. Grundsätzlich bietet die Software eine Plattform, auf der projektspezifische, visuelle und numerische Informationen gesammelt und weiterverarbeitet werden können. In der Projektstruktur von Desite können verschiedene Modelle abgelegt und zu einem Koordinationsmodell zusammengefügt werden. Um dem Standard von BIM gerecht zu werden, sollten diese Modelle im IFC-Format vorliegen, aber auch andere Dateiformate können von Desite gelesen und weiterverarbeitet werden. In der Instandsetzungsplanung kann Desite vor allem für das Informationsmanagement eingesetzt werden, um den Zustand des Bestandsbauwerkes digital festzuhalten. Darüber hinaus bietet Desite die Möglichkeit auch ergänzende Dokumente (Bestandsunterlagen, Fotos, Konzepte) in sämtlichen Dateiformaten zu speichern und mit den entsprechenden Bauteilen im Modell zu verknüpfen. Durch das Einbinden von Skripten 1 können zusätzliche Automatisierungen und Funktionen programmiert werden. Dies erhöht die Flexibilität innerhalb der Software hinsichtlich der Möglichkeiten des automatisierten Datenabgleiches und -austausches. 2. Das Projekt - Bestand & Umnutzung Das Instandsetzungsprojekt bei dem Desite zunächst eingesetzt wird, ist Teil der geplanten Umnutzung eines bestehenden Parkhauses in der Hamburger Innenstadt. Das Bauwerk stammt aus den 60er Jahren und umfasst derzeit acht oberirdische und eine unterirdische Ebene. Pro Parkdeckebene ist eine Fläche von ca. 3.000 m² vorhanden. Die gesamte Bauwerkshöhe beträgt ca. 32 m. Die Fassade ist in Teilbereichen offen und an der Außenseite mit großen Eternitplatten verkleidet (s. Abb. 2). Das Tragwerk wurde in Stahlbetonskelettbauweise errichtet und auf Pfählen gegründet. Die zweiachsig gespannte Kassettendecke ist auf zum Auflager hin gevouteten Unterzügen bzw. auf Wänden gelagert. Über Rechteckstützen mit variierenden Querschnitten und die Außenwände werden die Lasten aus Decken und Unterzügen in den Baugrund abgetragen. In der Mitte des Gebäudes ist eine Bauwerksfuge ausgebildet. Zusätzlich zu den Parkflächen befinden sich im Erdgeschoss noch mehrere Räume, die als Werkstatt genutzt wurden. Abb. 2 Ansicht des Gesamtmodells in Desite (Screenshot aus Desite) In Zukunft soll das Objekt als Quartier für Kleingewerbe, Kultur-, Gastronomie- und Wohnungsangebote dienen. Ein Teil des Bestands soll dafür erhalten bleiben. WTM Engineers wurde mit der Einschätzung des derzeitigen Ist-Zustandes und der darauf aufbauenden Empfehlung für notwendige Instandsetzungsmaßnahmen beauftragt. Um im Bereich der Instandsetzungsplanung weitere Erfahrungen mit BIM zu sammeln, wird die kon- 1 JavaScript und HTML 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 117 BIM in der Instandsetzungsplanung ventionelle Instandsetzungsplanung durch WTM Engineers digital begleitet. 2.1 Digitalisierung des Bestands Der zentrale Punkt jeder BIM-gestützten Planung ist das 3D-Modell des Bauwerks, welches bei Neubauprojekten, die von Grund auf BIM-basiert geplant werden, schon ab Leistungsphase 1 als Bestandteil der Planung entwickelt wird. Bei der Instandsetzungsplanung von Bauwerken, die in der Regel im 20. Jahrhundert errichtet wurden, ergibt sich hier eine Problematik. Oft sind aussagekräftige Bestandsunterlagen wie statische Berechnungen oder Bewehrungsbzw. Ausführungspläne nur in geringem Umfang vorhanden. Diese sind aber notwendig um ein ausreichend detailliertes, dreidimensionales Bestandsmodell zu konstruieren, das auch die Tragwerksstruktur darstellt. Der Aufwand, der für die Erstellung eines Bestandsmodells nötig ist, übersteigt, schnell die Mittel, die für ein solches Projekt angesetzt sind. Dass das Modell allerdings weit über die Instandsetzungsplanung hinaus für den weiteren Betrieb des Gebäudes eingesetzt werden kann, wird dabei oft übersehen. Außerdem ist vor allem zu Beginn der Instandsetzungsplanung weder ein hoher Detaillierungsgrad hinsichtlich Geometrie noch Informationsgehalt (LOIN) 2 erforderlich, da zunächst hauptsächlich die Positionen sowie die Bauweise der tragenden Bauteile im Modell von Relevanz sind. Für die Umnutzung des Parkhauses wurde im Zuge eines Architekturwettbewerbs ein 3D-Modell erstellt, das WTM Engineers für die Instandsetzungsplanung zur Verfügung gestellt wurde. Dieses Modell lag im DWG-Format 3 vor und bildet lediglich die Bauwerksstruktur ab, ohne weitere semantische Informationen zu einzelnen Bauteilen oder der gesamten Konstruktion darzustellen. Das 3D-Modell konnte problemlos in die Software Desite eingelesen werden. Die erste visuelle Inaugenscheinnahme der unteren Geschosse des Bestandsbauwerks wurde zunächst konventionell durchgeführt. Sämtliche Schadstellen an den für den Lastabtrag relevanten Bauteilen sowie ergänzende Anmerkungen zur Bauweise wurden in den Bestandsplänen festgehalten. Fotos wurden mithilfe der Fotonummern händisch im Plan verortet. Diese ausführliche Dokumentation konnte als Grundlage genutzt werden, um das vorhandene 3D-Modell in einem ersten Schritt mit Informationen zum augenscheinlich erkennbaren Ist-Zustand anzureichern. 2.2 Implementierung von Informationen Zur Visualisierung der auftretenden Schäden im Modell wurden an den entsprechenden Stellen im Modell so- 2 Level of information need 3 Dateiformat für Konstruktionsdaten genannte Markierungsobjekte, im weiteren Verlauf als Pins bezeichnet, abgelegt (s. Abb. 4, links). Pins sind Modellkörper, die als visuelle Platzhalter - in Form von Stecknadeln oder Würfeln - für (alpha)-numerische Informationen im Bestandsmodell dienen und über einen individuellen Pin-Namen eindeutig identifiziert werden können. Damit schadensbezogene Informationen hinterlegt werden können, müssen instandsetzungsspezifische Attribute im BIM-Modell von Desite angelegt werden. Diese Attribute können dann entweder im Datenblatt des jeweiligen Pins oder in einer durch den Nutzer angepassten QuickInfo aufgerufen werden (s. Abb. 3). Zusätzlich zu den Attributen können auch Fotos und weitere Dokumente mit einzelnen Pins verknüpft werden. So können beispielsweise die textgebundenen Informationen in den Attributen mit aussagekräftigen Fotos des Bestands unterstützt werden. Ein manuelles Suchen des entsprechenden Fotos zu dem jeweiligen Schaden erübrigt sich somit. Abb. 3 QuickInfo im Beispielprojekt mit selektiertem Pin, Kategorisierung des vorliegenden Schadens anhand vorgegebener Attribute (Screenshot aus Desite) Durch das Sammeln von Informationen in Desite und die Verknüpfung mit Fotos entsteht eine ausführliche Datenbank und somit eine übersichtliche Darstellung sämtlicher vorhandener Schäden, die dem planenden Ingenieur eine fundierte erste Einschätzung zum Ist-Zustand deutlich erleichtert. Mithilfe einer entsprechenden Programmierung über ein HTML-Skript kann ein bauteilbezogenes Schadenskataster anhand der Informationen in Desite erstellt werden. Somit können die ersten Schritte einer konventionellen Instandsetzungsplanung - die Verarbeitung von Informationen der ersten Inaugenscheinnahme, das Zuordnen und Sortieren von Fotos sowie die Einschätzung und Auswertung von Schäden an den Bauteilen - digitalisiert werden. Desite bietet hierfür einen Informationsspeicher und kann durch entsprechende Umwandlungen die Informationen in unterschiedlichen Dateiformaten ausgeben, die dann allen Planungsbeteiligten zur Verfügung stehen. 118 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 BIM in der Instandsetzungsplanung 2.3 Verarbeitung von Untersuchungskonzepten Um die vorhandene Bausubstanz hinsichtlich der geplanten Umnutzung des Bauwerks einschätzen zu können, sind Bauteil- und Baustoffuntersuchungen erforderlich. Zunächst muss je nach Belastung der Tragwerksstruktur die Art der notwendigen Untersuchungen festgelegt werden. Im Anschluss müssen die unterschiedlichen Bauteil- und Baustoffuntersuchungen den vorhandenen Bauteilen zugeordnet werden. Diese Planung und Verteilung wird konventionell textlich festgehalten und durch die Verwendung von Plänen, in denen die Untersuchungsstellen markiert sind, visuell unterstützt. Auf dieser Grundlage werden die Untersuchungen von der ausführenden Firma vorgenommen. In der BIM-gestützten Instandsetzungsplanung wird für diesen Schritt auch die BIM-Software Desite verwendet. Desite ersetzt nicht das textliche Untersuchungskonzept, sondern dient zur Unterstützung dessen und zur besseren Darstellung und eindeutigen Definition der geplanten Untersuchungsstellen. Die geplanten Untersuchungen werden im BIM-Modell durch würfelartige Pins visualisiert (s. Abb. 4, rechts). Jeder Pin funktioniert als Platzhalter für eine Untersuchung an einer bestimmten Stelle im Bauwerk. Die Art der Untersuchung kann über verschiedene Farben der Pins visualisiert werden (s. Abb. 5). Dem Pin können alphanumerische Informationen, die für die ausführende Firma von Nutzen sind, über Attribute angehängt werden (z.B. Anzahl zu nehmender Proben). Abb. 4 links: Darstellung eines Pins für augenscheinlich erkennbare Schäden, rechts: Darstellung eines Pins für geplante Bauteil- und Baustoffuntersuchungen (Screenshot aus Desite) Für die Übermittlung der Prüfpositionen an die ausführende Firma werden aus dem BIM-Modell 2D-Pläne abgeleitet. Um 2D-Pläne aus dem BIM-Modell abzuleiten, ist eine BIM-fähige CAD-Software notwendig. Diese Pläne können dann zusammen mit dem Untersuchungskonzept an die ausführende Firma übergeben werden. Abb. 5 Einblick in das Modell mit geplanten Bauteil- / Baustoffuntersuchungen (Screenshot aus Desite) Damit im weiteren Planungsverlauf zusätzliche Informationen bezüglich der Untersuchungsergebnisse im Modell gespeichert werden können, müssen die Pins mit weiteren Attributen verknüpft werden. Die Attribute werden dabei vom Nutzer definiert und sollten sich dabei eindeutig auf die geplanten bzw. durchgeführten Bauteil- und Baustoffuntersuchungen beziehen. Im Anschluss an die Untersuchungen können die Ergebnisse dann über die Attribute an die jeweiligen Untersuchungsstellen im Modell angehängt werden. Im Hinblick auf eine Erleichterung der digitalen Handhabung kann das Einbinden von Informationen in einem Excel-Dokument erfolgen und im Anschluss mithilfe eines Automationsskripts 4 den jeweiligen Pins im Modell zugeordnet werden. Eine Auswertung der Ergebnisse sowie das Einbinden von Erkenntnissen und Überlegungen hinsichtlich der Instandsetzungsplanung können dann auch in Desite über entsprechende Attribute erfolgen. 2.4 Datenaustausch & -export Eine enge Zusammenarbeit zwischen planenden Ingenieuren und ausführenden Firmen hinsichtlich der Bauteil- und Baustoffuntersuchungen hat ein hohes Potential für eine noch effizientere Auswertung der Ergebnisse. Im Hinblick auf eine unkomplizierte Zusammenarbeit sind offene Austauschformate 5 erforderlich. So können Daten ohne eine aufwendige Bearbeitung weiterverarbeitet werden. Ziel ist dabei immer das Ablegen und Speichern sämtlicher Informationen im BIM-Modell, sodass dieses als zentraler Datenspeicher weiter genutzt werden kann. Werden Untersuchungsergebnisse in einem maschinenlesbaren Format weitergegeben, kann eine automatisierte Einbindung der Daten in das BIM-Modell erfolgen. In der Instandsetzungsplanung ist der Austausch von Daten in unterschiedlichen Planungsphasen notwendig. 4 Individuell anpassbares Skript über das Informationen aus einer entsprechend formatierten Excel-Tabelle in die Projektstruktur von Desite gelangen. 5 maschinenlesbare Dateien wie XLSX / CSV Formate (Excel). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 119 BIM in der Instandsetzungsplanung Zum einen müssen die Daten aus dem BIM-Modell an die ausführende Firma für die Durchführung von Bauteil- und Baustoffuntersuchungen weitergegeben werden. Zum anderen müssen die Ergebnisse dieser Untersuchungen in das BIM-Modell eingepflegt werden. Des Weiteren muss während der gesamten Planungsphase ein Export der Informationen gewährleistet sein, der es ermöglicht Informationen als Tabellen- oder Textdokument darzustellen um auch Planungspartnern ohne Zugriff auf das BIM-Modell wichtige Informationen zukommen zu lassen 6 . Zum Zeitpunkt des Projektabschlusses sollte das gesamte BIM-Modell dem Bauherrn übergeben werden, um eine Weiternutzung im Gebäudebetrieb zu ermöglichen. Im Folgenden werden die einzelnen Schritte des Datenaustausches in der Instandsetzungsplanung und die hierfür notwendigen Programmierungen in Desite erläutert (s. Abb. 6). Um die Informationen aus den durchgeführten Bauteil- und Baustoffuntersuchungen in das BIM-Modell zu implementieren, müssen die Ergebnisse in einer Excel-Tabelle 7 aufgeführt werden (Mapping Tabelle). Im Hinblick auf das korrekte Einlesen in Desite muss die Tabelle dabei einer bestimmten Formatierung entsprechen. Die tabellarische Zuordnung der Untersuchungsergebnisse zu den im Modell verorteten Pins erfolgt dabei über die vorher vergebenen individuellen Pin-Namen. Ein Automationsskript sorgt für die korrekte Verbindung zwischen Excel-Tabelle und BIM-Modell. Abb. 6 Schematische Darstellung des digitalen Datenaustausches und der Weiterverarbeitung in Desite (eigene Darstellung). Mit diesem Vorgang werden alle relevanten Daten der Untersuchungsergebnisse in das BIM-Modell importiert und können dort visualisiert werden. Die Auswertung und Weiterverarbeitung dieser Informationen innerhalb der 6 Im Idealfall haben alle Planungspartner Zugriff auf ein Koordinationsmodell, in das alle Informationen einfließen und abgerufen werden können. 7 Verwendung einer CSV Datei. Software erfolgt durch den planenden Ingenieur. Hierfür werden erneut Attribute an die Pins vergeben, die die Ergebnisse kategorisieren und hinsichtlich ihrer Relevanz für den Ist-Zustand des Bauwerks einordnen. Anhand dieser Attribute kann wiederum der Ist-Zustand einzelner Bauteile festgestellt werden. Über ein Ampelsystem im BIM-Modell werden die Untersuchungsergebnisse hinsichtlich ihrer Einschränkung der Dauerhaftigkeit eingeordnet, sodass eine visuelle Einschätzung der Bauteilzustände und übergeordnet auch eine Einschätzung des Gesamtzustandes des Bauwerks erfolgen können. Vor allem im Hinblick auf die Kommunikation mit dem Bauherrn ist diese Funktion sehr hilfreich, da eine aussagekräftige Übersicht im Modell erstellt werden kann. Das BIM-Modell bietet darüber hinaus die Grundlage für die konventionelle textliche Darstellung des Ist-Zustands. Damit die visuelle Auswertung der Ergebnisse in Desite auch für Projektbeteiligte zugänglich ist, die nicht mit dem BIM-Modell arbeiten bzw. die Daten an Dritte weitergegeben werden können, ist ein Export der Auswertung der Untersuchungen zu gewährleisten. Zunächst kann das Modell inklusive der Visualisierungen mit eingeschränkten Berechtigungen anderen Projektbeteiligten in einem Viewer 8 zur Verfügung gestellt werden. Weiterhin kann ein Bericht im PDF-Format aus Desite ausgegeben werden, der die Bauteil- und Baustoffuntersuchungen zusammen mit den Ergebnissen und zusätzlichen Attributen wie einer Zustandsbeurteilung darstellt. Die Erstellung dieses Berichts kann in Desite über die Implementierung von Formularen erfolgen. Auf der Grundlage einer JavaScript Datei, die über die Programmierschnittstelle von Desite gelesen werden kann, können erfasste Daten in Form von Attributen im PDF-Format ausgegeben und so eine Übersicht über die ausgewerteten Ergebnisse erstellt werden. Um die gewünschten Funktionen hinsichtlich des Im- und Exports von Daten in Desite zu implementieren, sind zwar grundlegende Programmierkenntnisse erforderlich, dennoch bietet diese Vorgehensweise deutliche Vorteile in Hinblick auf den Austausch und die Weitergabe von Daten. Somit kann die Nutzung des BIM-Modells über die Verwendung als zentraler Datenspeicher hinausgehen. 3. Zukunftsorientierte Nutzung als 5D-Modell Weitere Nutzungsmöglichkeiten von BIM-Modellen wurden bei WTM Engineers bei der Instandsetzungsplanung einer Bestandsschleuse im Rahmen einer projektbezogenen Masterarbeit zum Thema „Programmierung und Analyse zentraler BIM-Attribute […]“ ausgearbeitet [5]. Der Schwerpunkt wurde hier einerseits auf die Erstellung bzw. Verknüpfung des BIM-Modells mit Terminplänen aus MS Project sowie die Kollisionsprüfung bei Termin- 8 Zur Verfügung steht hier der Viewer Desite Share von thinkproject 120 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 BIM in der Instandsetzungsplanung änderungen als auch auf die Erstellung eines Leistungsverzeichnisses auf der Grundlage des BIM-Modells mit ORCA AVA gelegt. 3.1 Terminplanung mit Desite Für die verknüpfte Terminplanung wird zunächst ein Terminplan in MS Project erstellt, der in Desite eingelesen werden kann. Über eine Attributzuordnung können einzelne Bauteile verschiedenen Vorgängen, die auf den Terminplan abgestimmt sind, zugeordnet werden. Diese Vorgänge werden in Desite über Farbschemata visualisiert. So ist eine Bauablaufsimulation anhand des vorab erstellten Terminplans möglich. Wird der eigentlich vorgesehene Bauablauf durch Terminabweichungen geändert, können diese Meldungen über eine Implementierung von Soll- und Ist-Terminen in Desite eingepflegt werden. Über ein individuell erstelltes Formular können diese Termine bauteilbezogen geprüft und kritische Abweichungen angezeigt werden (s. Abb. 7). Vor allem im Hinblick auf Abhängigkeiten zwischen Bauabläufen ist diese Funktion elementar. Durch simulierte Kollisionsprüfungen über längere Zeiträume anhand von aktuellen Terminplänen können Probleme im Bauablauf frühzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Abb. 7 Visualisierung eines Bauablaufes in Bezug auf die Errichtung einer temporären Baustelleneinrichtung [5]. 3.2 Verknüpfte Mengenermittlung Für eine BIM-basierte Mengenermittlung inklusive Leistungsverzeichnis (LV) erfolgt ein Austausch zwischen der AVA-Software ORCA AVA und Desite. Die einzelnen Positionen aus dem LV werden mit den Bauteilen in Desite verknüpft und mit ergänzenden (geometrischen) Attributen aufbereitet. Ein zusätzliches Attribut greift über ein Eigenschaftsskript auf geometrische Objektattribute zu und erzeugt so die für die Mengenermittlung im LV relevanten Eigenschaften. Weiterhin werden Attribute angelegt, die keine klassischen Werte sondern Formeln enthalten. So werden automatisiert relevante Mengen aus bereits vorhandenen Attributen berechnet. Nach Abschluss der Mengenermittlung kann das LV aus Desite exportiert und in der AVA-Software bepreist werden. 4. Fazit Grundsätzlich kann mit der Software Desite die Planung einer Instandsetzung in jedem notwendigen Schritt begleitet werden. Dabei dient Desite in erster Linie als Managementplattform und Informationsspeicher für das vorher konstruierte 3D-Modell. Das 3D-Modell dient als Planungsgrundlage und wird im Laufe der Planung mit allen relevanten Informationen an den aktuellen Planungsstand angepasst. Gleichzeitig können aber auch Informationen, die entweder visuell oder über die Attribuierung in dem BIM-Modell generiert wurden, in Form von Tabellen- oder Textdokumenten exportiert und als Informationsquelle oder Anlage an weitere Projektbeteiligte weitergegeben werden. Insbesondere die Visualisierung und Verortung von Bauteilzuständen hinsichtlich Schädigungen oder Untersuchungsergebnissen stellen einen deutlichen Vorteil hinsichtlich der Übersichtlichkeit gegenüber der konventionellen Planung dar. Durch die Verknüpfung mit Terminplänen lassen sich Kollisionsprüfungen visualisieren, die das frühzeitige Erkennen von Problemen im Bauablauf ermöglichen. Dadurch können Verzögerungen rechtzeitig angezeigt und vermieden werden. Auch in der Erstellung von Leistungsverzeichnissen bietet die BIM-Methode durch teilweise Automatisierungen einige Erleichterungen. Mengen können anhand von geometrischen Attributen im Modell ermittelt und in das bestehende LV importiert werden. Dieser Schritt wirkt sich positiv auf die Genauigkeit der Kostenkalkulation aus. Auch wenn derzeit schon viele Planungsschritte mit einem BIM-Modell begleitet werden können, muss festgehalten werden, dass sich die BIM-basierte Planung in der Instandsetzung noch im Anfangsstadium befindet. Prozesse und Workflows müssen immer wieder angepasst werden um letztendlich die neuen Möglichkeiten, die sich durch die Nutzung von BIM-Software ergeben, optimal nutzen zu können. Standards, mit denen beispielsweise bereits in Neubauprojekten im Infrastrukturbereich gearbeitet werden kann, sind so für den Schutz und die Instandsetzung von Bestandsobjekten noch nicht vorhanden [4]. Hier sind die Expertise, die Erfahrung und vor allem die Kooperation von planenden Ingenieuren, ausführenden Firmen und BIM-Koordinatoren gefragt. 5. Ausblick Die Digitalisierung der Instandsetzungsplanung erfolgt bei WTM Engineers zunächst projektbezogen. Das übergeordnete Ziel dabei ist allerdings, eine BIM-basierte Instandsetzungsplanung zu standardisieren und allgemeingültig auf andere Instandsetzungsprojekte anzuwenden. Dafür ist eine ausführliche Dokumentation aller Vorgänge während der Planung notwendig, die nicht nur mögliche Workflows erläutert, sondern auch auf auftretende Probleme, entweder software- oder projektablaufbezogen, hinweist. Diese Dokumentation muss kontinuierlich 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 122 BIM in der Instandsetzungsplanung weitergeführt werden um die Arbeitsweise mit jedem Projekt zu modifizieren und an auftretende Herausforderungen anzupassen. So können mit jeder weiteren Umsetzung Erfahrungen gesammelt und weitergegeben werden, um die BIM-Methode erfolgreich auf weitere Instandsetzungsprojekte anwenden zu können. Der Nutzen einer BIM-basierten Planung liegt deutlich auf der Hand und sollte auch im Interesse der Bauherren weiter gefördert und ausgebaut werden. Literatur [1] VDI, VDI-Richtlinie 2552, Düsseldorf, 2019 [2] Bornholdt, Marike, Analyse von Einsatzmöglichkeiten der Methode des Building Information Modeling im Rahmen von Instandsetzungsplanungen am Beispiel eines Hallen- und Wellenbades, Bachelorarbeit, TU Hamburg-Harburg, 2020 [3] thinkproject, https: / / group.thinkproject.com/ en/ so lutions/ desite/ , besucht am 08.09.2020 [4] BMVI, BIM4INFRA2020 Handreichungen und Leitfäden, Teil 1 - Grundlagen und BIM-Gesamtprozess, Berlin, April 2019, S.9 [5] Petersen, Matthias, Programmierung und Analyse zentraler BIM-Attribute im Zuge der Grundinstandsetzung der Alten Schleuse Kiel Holtenau, Masterarbeit, TU Hamburg-Harburg, 2020 Regelwerke 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 125 Aktueller Stand der Regelwerke für die Erhaltung von Betonbauwerken Univ.-Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen University, D-52062 Aachen, Deutschland Zusammenfassung Nach mehrjährigen kontroversen Diskussionen um die Instandhaltungsrichtlinie des DAfStb ist nun die Technische Regel “Instandhaltung von Betonbauwerken“ des DIBt, Ausgabe Mai 2020, erschienen [1, 2]. Das auch kurz als TR IH bezeichnete Regelwerk ist in der MVV TB 2020/ 1 enthalten, die auf der DIBt-Website veröffentlicht ist und bereits in drei Ländern bauaufsichtlich eingeführt wurde. Es ist damit zu rechnen, dass auch die weiteren Bundesländer dieses Regelwerk sukzessive in Landesrecht umsetzen. Die TR IH basiert auf den Arbeitsergebnissen des Technischen Ausschusses „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“ des DAfStb und seiner zugehörigen Arbeitskreise „Mörtel“, „OS-Systeme“, „Rissfüllstoffe“ und „Ausführung“. Mit dieser Regel können nun Instandhaltungskonzepte und Instandhaltungsmaßnahmen nach dem Stand der Technik geplant werden. Die Neuerungen der TR IH, darunter die Erweiterung von der Instandsetzung zur Instandhaltung mit Inspektion, Wartung und Verbesserung, die Einführung von Expositionsklassen für Bestandsbauwerke, die neuen Altbetonklassen für minderfeste und höherfeste Untergründe, die Einführung des Systems aus Prinzipien und Verfahren, Regelungen für den kritischen Choridgehalt und Schichtdicken und die vielen weiteren Regelungen eröffnen zahlreiche neue Möglichkeiten für die Instandhaltung von Betonbauwerken. 1. Ausgangssituation Bedingt durch das Erscheinen der Europäischen Normenreihe EN 1504 in 10 Teilen für den Bereich der Betoninstandsetzung wurde eine Anpassung der bestehenden Regelwerke erforderlich. Dies waren im Wesentlichen die Instandsetzungsrichtlinie des DAfStb (RL SIB 2001 [3-6]), die ZTV-W LB 219 aus dem Jahr 2004 und die ZTV-ING, Teile 3.4 und 3.5 aus dem Jahr 2003. Das ursprüngliche Ziel, die bestehenden Regelwerke durch die Normenreihe EN 1504 abzulösen, war leider nicht realisierbar, da die Regelungen in der EN 1504 dafür unzureichend sind. Daher wurden Übergangsregelungen erarbeitet, die die Verwendung der CE-gekennzeichneten Produkte erlaubten, wie z.B. die DIN V 18026 für die Oberflächenschutzsysteme und DIN V 18028 für die Rissfüllstoffe. Um diese Regelungen in einem Werk zu bündeln und die technischen Neuerungen bezüglich des Standes der RL SIB aus dem Jahr 2001 anzupassen, wurde im DAfStb ein Entwurf der Instandhaltungsrichtlinie (RL IH) erstellt, der im Juni 2016 als Gelbdruck erschien. Dieser wurde jedoch abgelehnt, da er unter anderem nicht europarechtskonform sei. Nach intensiven Diskussionen mit allen an der Erstellung dieses Regelwerks Beteiligten wurde beschlossen, zu versuchen, die kritischen Punkte im Rahmen der anstehenden Einspruchssitzungen zu beseitigen. Da keine zeitnahe Lösung für das Erscheinen der Instandhaltungsrichtlinie zu erwarten war, wurden 2017 die ZTV-W LB 219 mit einer Empfehlung zu den Instandsetzungsprodukten, die 2019 aktualisiert wurde, und 2019 die Teile 3.4 und 3.5 der ZTV-ING mit Hinweisen zu den Instandsetzungsprodukten 2019 veröffentlicht. Die Situation für Betoninstandsetzungen in den Bereichen der Bundeswasserstraßen und Bundesfernstraßen war und ist damit geregelt. Die Behandlung der Einsprüche zum Gelbdruck der RL IH führte zur Erstellung eines weiteren Gelbdruckes in der Fassung von Juni 2018, da zum Teil grundlegende Änderungen vorgenommen wurden, die ein erneutes Gelbdruckverfahren erforderlich machten. In diesem Gelbdruck wurde konsequent das Konzept der Produktauswahl auf Basis der individuellen Belange des Bauwerkes umgesetzt, was der Forderung für Europäische Regelwerke entspricht. Leider wurde auch dieser Gelbdruck abgelehnt. Um die weitere Vorgehensweise zu klären, wurde die Erstellung der RL IH für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Um die damit entstandene Regelungslücke für die Instandhaltung von Betonbauteilen außerhalb der Bundeswasserstraßen und Bundesfernstraßen zu schließen, hat das DIBt nun die TR IH erstellt. Dies erfolgte in einer Projektgruppe, die als Mitglieder die Obleute der Arbeitskreise des DAfStb „Mörtel“, „OS Systeme“, 126 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Aktueller Stand der Regelwerke für die Erhaltung von Betonbauwerken „Rissfüllstoffe“ und „Ausführung“, einen Vertreter der Bauwirtschaft (DBV), einen Vertreter der Bauüberwachung (GÜB), einen Vertreter der Hersteller (DBC), zwei Sachkundige Planer (GUEP, BGIB) sowie Vertreter der Bauaufsicht (STMI Bayern) und der Bauenden Verwaltung (BAW, BASt) hatte, so dass alle interessierten Kreise eingebunden waren. Die TR IH basiert auf dem o.g. zweiten Gelbdruck von Juni 2018, der den Stand der Technik darstellt. Mit der TR IH liegt nun eine verlässliche Basis für die Instandhaltung von Betonbauwerken in Deutschland nach dem aktuellen Stand der Technik vor. Eigentlich ist eine umfassende Europäische Norm, die den größten Teil der Anforderungen aus der Baupraxis abdeckt, für alle Beteiligten immer die Wunschlösung gewesen. Trotz langjähriger intensiver Bemühungen in den entsprechenden Normungsgremien ist eine überarbeitete Version der Europäischen Normenreihe EN 1504 jedoch immer noch nicht in greifbarer Nähe. Diese Bemühungen werden selbstverständlich fortgeführt. 2. Aufbau und Konzeption Die TR IH ist in zwei Teilen erschienen: • Teil 1 “Anwendungsbereich und Planung der Instandhaltung“ [1] regelt die Planung und ergänzt für den Kathodischen Korrosionsschutz den Teil 3 „Anforderungen an die Betriebe und Überwachung der Ausführung“ der Instandsetzungs-Richtlinie des DAfStb, Ausgabe Oktober 2001, der ansonsten unverändert weitergilt. • Teil 2 “Merkmale von Produkten oder Systemen für die Instandsetzung und Regelungen für deren Verwendung“ [2] legt die Leistungsmerkmale und Anforderungen an Instandsetzungsprodukte fest, mit denen die Grundanforderungen an Bauwerke verwendungsspezifisch erfüllt werden können. Die TR IH ist systematisch aufgebaut und geht von den Bedürfnissen des Bauwerkes aus: Nach der Ermittlung des Ist-Zustandes erfolgt eine Prognose für die vorhandene Restnutzungsdauer und ein Vergleich zwischen Ist- und Mindest-Sollzustand, s. Abbildung 1. Basierend auf den sich daraus ergebenden Zielen werden Instandhaltungskonzepte und Instandhaltungspläne erarbeitet. Die erforderlichen Instandsetzungsmaßnahmen werden aus dem aus der DIN EN 1504-9 [7] übernommenen System aus Instandsetzungsprinzipien und Verfahren ausgewählt. Die Auswahl der Baustoffklassen erfolgt über Tabellen in Abhängigkeit von den am Bauteil vorliegenden Expositions- und Altbetonklassen und dem gewählten Verfahren. Ferner werden die Leistungsmerkmale und Anforderungen der relevanten Bauprodukte in weiteren Tabellen aufgelistet. Mit Hilfe dieser Technischen Regel ist nun eindeutig festgelegt, welche Anforderungen Baustoffe für die jeweilige bauwerksspezifische Situation erfüllen müssen. Mit der TR IH liegt nun auch eine verlässliche Basis vor, einfache Nachweisverfahren für die Bauprodukte (“DIBt-Gutachten“) anzuwenden, bis geeignete europäische Produktregelungen vorliegen (CE- Kennzeichnung). Abbildung 1: Vorgehensweise bei der Planung und Ausführung am Beispiel einer Instandsetzung mittels Betonersatz nach TR IH, Teil 1, Abb. 3 Bezüglich der Ausführung gilt weiterhin die RL SIB des DAfStb, Ausgabe Oktober 2001, insbesondere der Teil 3 [5]. 3. Wartung, Inspektion und Sachkundiger Planer Mit der Erweiterung der Instandsetzungsrichtlinie zur Instandhaltungsrichtlinie wurden neben der Instandsetzung 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 127 Aktueller Stand der Regelwerke für die Erhaltung von Betonbauwerken die neuen Elemente Wartung, Inspektion und Verbesserung eingeführt. Dadurch ergeben sich neue Aufgaben, die im Rahmen des Instandhaltungskonzeptes geregelt und ausgeführt werden müssen: • Erstellung eines Inspektions-/ Wartungskonzeptes, • Erstellung eines Inspektions-/ Wartungsplans und • Ausführung der Inspektion/ Wartung. Durch verschiedene Kombinationen von Inspektion, Wartung und Instandsetzung können sinnvolle Varianten für die Instandhaltungskonzepte erarbeitet werden, die dem Eigentümer des Bauwerkes als Entscheidungsgrundlage vorgelegt werden sollen. Nach TR IH muss mit der Beurteilung und Planung von Instandhaltungsmaßnahmen ein Sachkundiger Planer (SKP) beauftragt werden, der die erforderlichen besonderen Kenntnisse hinsichtlich des Erkennens und Bewertens von Mängeln und Schäden an Betonbauwerken hat. Dieser Kenntnisnachweis kann durch verschiedene Organisationen auf Grundlage einheitlicher Regelungen und Inhalte für die Aus- und Weiterbildung von Sachkundigen Planern bescheinigt werden, die durch den Ausbildungsbeirat „Sachkundiger Planer (SKP)“ beim Deutschen Institut für Prüfung und Überwachung e.V. (DPÜ) festgelegt werden. Der Kenntnisnachweis kann auch durch Dokumente eines anderen Mitgliedstaates, aus denen hervorgeht, dass die Anforderungen erfüllt sind, bescheinigt werden. 4. Expositions- und Altbetonklassen Für eine einheitliche Beschreibung der Bauwerkssituation und als Vereinfachung für die Produktauswahl wurden Expositions- und Altbetonklassen eingeführt. Die Expositionsklassen entsprechen dem bekannten Prinzip für die Beschreibung der Exposition für den Neubau von Betonbauwerken. Für bestehende Bauwerke kommen jedoch weitere Bedingungen aus der Umgebung und dem Betonuntergrund hinzu, wie z.B. für Risse oder Feuchtezustände, die für den Neubau nicht relevant sind, so dass neue Expositionsklassen eingeführt wurden. Diese konnten zum Teil aus der Europäischen Normenreihe EN 1504 übernommen werden und sind auch in der aktuellen ZTV-W LB 219 und ZTV-ING enthalten. Um die Instandsetzung minderfester Untergründe nach Richtlinie zu ermöglichen, wurde seit längerem die Einführung neuer Altbetonklassen diskutiert, da die Verwendung von Mörteln nach RL SIB auf minderfesten Untergründen die Gefahr von Enthaftungen und Rissbildungen mit sich bringt. Diese konnte durch die Entwicklung spezieller Mörtel mit an den Untergrund angepasstem E-Modul beseitigt werden. In der aktuellen ZTV-W LB 219 sind bereits Altbetonklassen definiert. Altbetonklasse A4 ist dabei die “übliche“ Klasse mit einer Mindest- Oberflächenzugfestigkeit von 1,0/ 1,5 N/ mm2 (Einzel-/ Mittelwert) und einer Druckfestigkeit von über 30 N/ mm2. Die Klassen A1 bis A3 haben geringere Festigkeiten. Mit der Altbetonklasse A5 wurde in der TR IH auch eine höherfeste Klasse mit Mindest-Oberflächenzugfestigkeiten von 2,0/ 2,5 N/ mm2 und einer Druckfestigkeit von mindestens 75 N/ mm2 eingeführt. In der TR IH sind die Anforderungen an die verschiedenen Mörtel und Betone für den Betonersatz der Altbetonklassen A2 bis A5 angegeben. Für die Altbetonklasse A1 mit Oberflächenzugfestigkeiten unter 0,5/ 0,8 N/ mm2 sind keine Mörtel oder Betone geregelt. 5. Prinzipien und Verfahren Die RL SIB regelte bislang sechs Verfahren für die Instandsetzung von Schäden durch Korrosion der Bewehrung: • R1: Repassivierung durch großflächigen Auftrag von Spritzmörtel, • R2: Repassivierung durch lokale Ausbesserung mit alkalischem Mörtel, • Rx: Elektrochemische Realkalisierung, • C: Beschichtung der Stahloberflächen in kritischen Bereichen, • K: Kathodischer Korrosionsschutz, und • W: Absenkung des Wassergehaltes. Mit dem Planungsteil der Europäischen Normenreihe EN 1504 [7] liegt nun ein umfassendes System mit Prinzipien und Verfahren vor, dass sowohl für Schäden im Beton (Prinzipien 1-6) als auch für Korrosionsschäden der Bewehrung (Prinzipien 7-11) gilt. Für jedes dieser Prinzipien gibt es mindestens 1 und bis zu 8 Verfahren, so dass die DIN EN 1504-9 insgesamt 43 Verfahren enthält. Die TR IH orientiert sich an diesem System und übernimmt auch die Bezeichnungen, regelt aber 20 von diesen Verfahren nicht und hat 4 weitere Verfahren eingeführt, so dass sie insgesamt 27 Verfahren regelt. Die vier neu eingeführten Verfahren sollen in die Europäische Normenreihe eingebracht werden. Auf eine Erläuterung der einzelnen Verfahren wird im Rahmen dieses Beitrags verzichtet und auf Teil 1 der TR IH verwiesen. 6. Regelungen für Ausbruchtiefen, Schichtdicken und zum kritischen Chloridgehalt Die TR IH regelt für die Verfahren 7.1 bis 8.3 für Korrosionsschäden der Bewehrung die Anforderungen an den Chloridgehalt, der im Beton verbleiben darf, die erforderlichen Ausbruchstiefen und Schichtdicken. Diese sind schematisch im Teil 1 in den Abbildungen 4 bis 13 dargestellt. Für den kritischen Chloridgehalt gilt nach wie vor ein Schwellenwert von 0,5 M.-%/ z bei Stahlbeton und 0,2 M.-%/ z bei Spannbeton. Werden diese Werte überschritten, legt der Sachkundige Planer die erforderlichen Maß- 128 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Aktueller Stand der Regelwerke für die Erhaltung von Betonbauwerken nahmen fest. Für das Verfahren 8.3, das dem Verfahren W-Cl nach RL SIB entspricht, wurde festgelegt, dass es ab einem Chloridgehalt von 1,5 M.-%/ z nicht angewendet werden sollte. Zusätzlich gibt es einen Warnhinweis, dass bei Chloridgehalten über 1 M.-%/ z an der Bewehrung unter Umständen keine ausreichende Austrocknung im Beton eintritt. Für die Verfahren 7.1, 7.2 und 7.7 dürfen bis zu 1,5 M.-%/ z Chlorid in ausreichendem Abstand von der Bewehrung verbleiben, der in den zugehörigen Abbildungen 5, 8 und 11 angegeben ist. Für die Verfahren, bei denen eine Querschnittsergänzung mit Mörtel oder Beton vorgenommen wird, sind die Randbedingungen für die erforderlichen Schichtdicken in jeweiligen Absatz, der das Verfahren beschreibt, angegeben. 7. Regelungen für die Produkte 7.1 Auswahl geeigneter Produktklassen Eine erhebliche Vereinfachung des Planungsablaufes stellt die tabellarische Zusammenstellung der geeigneten Produktklassen für die einzelnen Prinzipien und Verfahren dar. Diese sind in Teil 1 der TR IH in Tabelle 5 für Schäden im Beton und in Tabelle 6 für Bewehrungskorrosion angegeben. Darin befinden sich auch Verweise für die relevanten Regelwerke der geeigneten Produktklassen sowie die Tabellen in Teil 2 der TR IH, die weitere Details regeln. Dieser Aufbau spiegelt das Konzept der Produktauswahl von den Belangen des Bauwerkes hin zu den Produktanforderungen wider, das bereits im Gelbdruck der RL IH in der Fassung 2018 zugrunde lag. 7.2 Anforderungen an die Produkte In Teil 2 der TR IH wird die zur Erfüllung der Grundanforderungen an Betonbauwerke oder Betonbauteile für die Instandhaltung erforderliche Leistung von Produkten und Systemen in Bezug auf ihre Merkmale abgeleitet und festgelegt. Es dürfen nur Produkte/ Systeme mit nachgewiesener Eignung hinsichtlich ihrer Beständigkeit und der Dauerhaftigkeit des Verbundes zum Beton für die vorgesehene Verwendung eingesetzt werden. In den folgenden Abschnitten wird auf die wesentlichen neuen Regelungen für Oberflächenschutzsysteme, Rissfüllstoffe und Betonersatz kurz eingegangen. 7.2.1 Oberflächenschutzsysteme Oberflächenschutzsysteme werden für verschiedene Verfahren benötigt: • 1.1, 1.3 und 1.4: als Hydrophobierung, Beschichtung oder Rissbandage zum Schutz gegen das Eindringen von Stoffen • 2.1 und 2.3: als Hydrophobierung oder Beschichtung zur Absenkung des Wassergehaltes für den Schutz vor Betonkorrosion • 5.1 und 6.1: als Beschichtung zur Erhöhung des physikalischen oder chemischen Widerstandes • 7.7: als Beschichtung zum Erhalt der Passivität • 8.1 und 8.3: als Hydrophobierung oder Beschichtung zur Absenkung des Wassergehaltes für den Korrosionsschutz der Bewehrung Im Vergleich zur RL SIB ergaben sich gleich mehrere wesentliche Änderungen: • OS 7 und OS 10 wurden 2017 in die Abdichtungsnorm DIN 18532 verlagert, • OS 9 und OS 13 wurden herausgenommen, da sie sich nicht am Markt durchsetzen konnten, • Für OS 8 wurde die systemspezifische Mindestschichtdicke auf 2,5 mm als Gesamtschichtdicke inklusive Grundierung und Deckschicht festgelegt, • OS 14 wurde neu eingeführt, • es wurden Regelungen für die Überarbeitung von befahrbaren OS-Systemen eingeführt, und • das Konzept der Schichtdickenzuschläge zur Erreichung der Mindestschichtdicken wurde durch Mengenzuschläge neu geregelt. Somit sind in der TR IH nur noch die neun im folgenden genannten OS-Systeme geregelt: • OS 1: Hydrophobierung, für nicht begeh- und befahrbare Flächen • OS 2: starres Beschichtungssystem ohne Kratzbzw. Ausgleichspachtelung, • OS 4: starres Beschichtungssystem mit Kratzbzw. Ausgleichspachtelung, • OS 5a: Beschichtungssystem mit geringer Rissüberbrückungsfähigkeit, hwO = Polymerdispersion • OS 5b: Beschichtung mit geringer Rissüberbrückungsfähigkeit, hwO aus Polymer/ Zement-Gemisch, und für befahrbare Flächen • OS 8: starre Reaktionsharzbeschichtung mit hohem Verschleißwiderstand, • OS 11a: rissüberbrückendes Beschichtungssystem mit Schwimm- und Verschleißschicht, • OS 11b: rissüberbrückendes Beschichtungssystem, “einschichtig“, und • OS 14: neu, wie OS 11a, aber mit größeren Schichtdicken größerer Rissüberbrückungsfähigkeit (0,3±0,05 mm statt 0,2±0,05 mm bei -20 °C). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 129 Aktueller Stand der Regelwerke für die Erhaltung von Betonbauwerken Die Anforderungen an die Produkte und Systeme für den Oberflächenschutz sind im Detail in Anhang A des Teils 2 der TR IH überwiegend in Tabellenform angegeben. 7.2.2 Rissfüllstoffe Der Sachkundige Planer legt unter Berücksichtigung der für das Bauteil maßgeblichen Einwirkungen aus der Umgebung und dem Untergrund den geeigneten Rissfüllstoff, das Füllziel und die Füllart fest. Nach TR IH gibt es vier Füllziele: • Schließen (Verfahren 1.5 und 7.6), zur Begrenzung der Rissbreite durch Füllen, um den Zutritt korrosionsfördernder Stoffe zu hemmen, durch Injektion oder Vergießen, • Abdichten (Verfahren 1.5 und 2.6) zur Beseitigung rissbedingter Undichtigkeiten durch Injektion oder Vergießen (WU-Richtlinie), • kraftschlüssiges Verbinden (Verfahren 4.5) zur Herstellung einer Kraftübertragung über den Riss durch Injektion oder Vergießen, wobei der Füllgrad mindestens 80 % betragen muss, und • begrenzt dehnbares Verbinden (Verfahren 1.5, 2.6 und 7.6) ohne Beeinflussung der Steifigkeitsverhältnisse, das die am häufigsten angewendete Maßnahme ist. Bezüglich der Füllart ist die seit langem etablierte Injektion über Bohr- oder Klebepacker als Füllart I geregelt. Zusätzlich wurde in der TR IH das “Vergießen“ (Füllart V) durch druckloses Füllen mit kontinuierlichem Fluss des Rissfüllstoffes durch ein ständig gefülltes Füllstoffreservoir, z.B. als eingeschnittene Nut, neu eingeführt. Das sogenannte “Tränken“ als druckloses Füllen ohne Füllstoffreservoir stellt kein eigenständiges Instandsetzungsverfahren dar und ist daher in der TR IH nicht geregelt. Es ist jedoch ggfs. als vorbereitende Maßnahme vor dem Auftrag von OS-Systemen geeignet. Je nach Füllziel ergeben sich für die Rissfüllstoffe 2 Klassen: • F: Rissfüllstoffe, die in der Lage sind, Kräfte über die Rissflanken zu übertragen (F = force transmitting) • D: Dehnbare Rissfüllstoffe, die einen Verbund mit den Rissflanken bilden (D = ductile) Als Stoffgruppen sind mit dem Kurzzeichen P (Polymer) reaktive Bindemittel möglich, wie z.B. EP, PUR oder schnellschäumendes PUR (SPUR) oder mit dem Kurzzeichen H hydraulische Bindemittel, z.B. Zementleim ZL oder Zementsuspension ZS. Aus den Füllzielen, Füllarten und Stoffgruppen ergeben sich die Bezeichnungen für die Rissfüllstoffe, z.B. D-I (P) für einen dehnbaren Rissfüllstoff für die Injektion auf Polymerbasis wie z.B. PUR. Dehnbare Stoffe können nur injiziert werden, da beim Vergießen die Gefahr des Aufschäumens besteht. Für das kraftschlüssige Füllen eignen sich grundsätzlich F-I (P), F-V (P), F-I (H) oder F-V (H). Tabelle 13 des Teils 2 der TR IH regelt die zulässigen Rissfüllstoffe für die neuen Expositionsklassen Trocken (DY), Feucht (DP), nass (WT) und fließendes Wasser (WF). Die Kurzbezeichnungen entsprechen jeweils denen aus der Normenreihe EN 1504. Für das kraftschlüssige Verbinden nach Verfahren 4.5 gibt es drei Festigkeitsklassen F1-F3, die in Tabelle 14 des Teils 2 der TR IH erläutert sind. Dies ist bei der Spezifikation und Ausführung von Maßnahmen nach Verfahren 4.5 zu berücksichtigen. Die Anforderungen an die Produkte und Systeme für das Schließen, Abdichten und Verbinden von Rissen bzw. Rissflanken mit kraftschlüssigen und dehnbaren Rissfüllstoffen sind im Detail in Anhang B des Teils 2 der TR IH überwiegend in Tabellenform angegeben. 7.2.3 Betonersatz Betonersatz wird für viele Verfahren benötigt: • 3.1: Kleinflächiger Handauftrag, • 3.2: Betonieren oder Vergießen, • 3.3: Spritzauftrag, • 4.4: Querschnittsergänzung durch Mörtel/ Beton, • 5.3 und 6.3: zur Erhöhung des physikalischen oder chemischen Widerstandes, • 7.1, 7.2 und 7.4 für den Erhalt oder die Wiederherstellung der Passivität, und • 10.1 für den kathodischen Korrosionsschutz. Auch für den Betonersatz ergeben sich einige grundlegende Änderungen im Vergleich zur RL SIB. Dies betrifft zunächst gewohnte Bezeichnungen, denn • PCC ist nun RM bzw. RC, • SPCC ist nun SRM bzw. SRC, und • PC ist nun PRM bzw. PRC. Dies ist den neuen Kurzbezeichnungen aus der Internationalen Normung geschuldet: R = repair (Instandsetzung), M = mortar (Mörtel), C = concrete (Beton), S = sprayable (spritzbar) und P = polymer (Polymer). Daraus ergibt sich z.B. die Bezeichnung SRM-A3 für einen spritzbaren Mörtel als Betonersatz mit oder ohne Kunststoffmodifizierung für Altbetonklasse A3. Für den Betonersatz werden i.d.R. speziell für die Instandsetzung entwickelte Baustoffe wie RM/ RC, SRM/ 130 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Aktueller Stand der Regelwerke für die Erhaltung von Betonbauwerken SRC und PRM/ PRC verwendet. Instandsetzungsmörtel RM und -betone RC, Polymermörtel PRM und Polymerbetone PRC dürfen für Altbetonklassen A4 und A5 und kleine Flächen im Handauftrag verwendet werden. Spritzbare Instandsetzungsmörtel SRM und betone SRC sind dagegen für die Altbetonklassen A2 bis A5 geregelt. Unter bestimmten Randbedingungen können auch geeignete genormte bzw. geregelte Baustoffe wie Beton, Spritzbeton, Spritzmörtel oder Vergussbeton verwendet werden: • Beton nach DIN EN 206-1 und DIN 1045-2 und Spritzbeton nach DIN EN 14487 und DIN 18551 sind für Adhäsionsverbund nicht anwendbar, aber für Expositionsklassen A2-A5 für die flächige Instandsetzung mit Verankerung und Bewehrung. • Vergussbeton nach DAfStb-Richtlinie darf für die flächige Instandsetzung mit Verankerung und Bewehrung und zusätzlich für das drucklose Füllen von Hohlstellen angewendet werden, allerdings nur für die Expositionsklassen A4 und A5. • Spritzmörtel nach DIN EN 14487 und DIN 18551 sind nur in Sonderfällen für die Expositionsklassen X0, XC1-4 und für Altbetonklasse A4 anwendbar. Die gewohnten Beanspruchbarkeitsklassen M1 bis M3 nach RL SIB wurden hinfällig. Die sich daraus ergebenden Leistungsmerkmale wurden in der TR IH den Anforderungen an den Betonersatz für die jeweiligen relevanten Verfahren zugeordnet. Die Richtwerte für die Schichtdicken sind ebenfalls nicht mehr wie in der RL SIB allgemein für die Betonbzw. Mörtelart angegeben, sondern spezifisch in Abhängigkeit des geplanten Verfahrens, der Altbetonklasse und der Art der Sicherstellung des Verbundes (durch Adhäsion oder Verankerung und Bewehrung). Zur Sicherstellung des Adhäsionsverbundes wurden die Anforderungen an die Rautiefen über fünf Rautiefeklassen RT0,3 bis RT3,0 neu geregelt. Für PRM und PRC ist die Mindest-Rautiefeklasse RT0,5, was einer mittleren Rautiefe von 0,5 bis 1 mm entspricht. Für die übrigen Stoffgruppen sind die Anforderungen je nach Anforderungen an die Fuge (rau, verzahnt, etc.) entsprechend höher und können Tabellen 8 und 9 im Teil 1 der TR IH entnommen werden. Die Anforderungen an die Produkte und Systeme für die Instandsetzung mit Betonersatz sind im Detail in Anhang C des Teils 2 der TR IH überwiegend in Tabellenform angegeben. 8. Schlussfolgerungen und Ausblick Mit der TR IH liegt nun ein Regelwerk vor, dass dem Stand der Technik von der Planung bis zur Produktauswahl entspricht. Das Konzept, dass das Bauwerk die Produktanforderung bestimmt, erfordert eine konsequente Arbeitsweise mit neuen Expositions- und Altbetonklassen sowie einem System aus Prinzipien und Verfahren, aus denen sich die Produktanforderungen ergeben, s. Abbildung 1. Bezüglich der Ausführung gilt weiterhin die RL SIB des DAfStb, Ausgabe Oktober 2001 inkl. aller Berichtigungen, insbesondere der Teil 3. Der DAfStb plant, die beiden Teile der TR IH zusammen mit den Bezügen zur RL SIB 2001 und einem Ausführungsteil als Arbeitshilfe für Planer, Ausführende und die im Bereich der Instandsetzung Tätigen zu veröffentlichen. Literatur [1] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Technische Regel - Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung) - Teil 1: Anwendungsbereich und Planung der Instandhaltung, 2020-05. [2] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Technische Regel - Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung) - Teil 2: Merkmale von Produkten oder Systemen für die Instandsetzung und Regelungen für deren Verwendung, 2020-05. [3] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: DAfStb- Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen - Teil 1: Allgemeine Regelungen und Planungsgrundsätze, 2001-10. [4] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: DAfStb- Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen - Teil 2: Bauprodukte und Anwendung, 2001-10. [5] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: DAfStb- Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen - Teil 3: Anforderungen an die Betriebe und Überwachung der Ausführung, 2001-10. [6] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: DAfStb- Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen - Teil 4: Prüfverfahren, 2001-10. [7] DIN EN 1504-9: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Teil 9: Allgemeine Grundsätze für die Anwendung von Produkten und Systemen, Beuth, 2008-11. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 131 Aktuelle Entwicklungen der ZTV-ING für die Sachkundige Planung und Ausführung von Instandsetzungsmaßnahmen an Brücken- und Ingenieurbauwerken Eckhard Kempkens Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Zusammenfassung Der Beitrag stellt die aktuellen Entwicklungen der ZTV-ING Teil 3, Abschnitte 4 „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“ und 5 „Füllen von Rissen und Hohlräumen in Betonbauteilen“ hinsichtlich der Verwendung von Baustoffen und Baustoffsystemen unbekannter Zusammensetzung für die Betoninstandsetzung für den Massivbau, d. h. Oberflächenschutzsysteme, polymergebundene bzw. -modifizierte Instandsetzungsmörtel und Rissfüllstoffe vor. Berichtet wird über inhaltliche Korrekturen und Ergänzungen der zugehörigen aktualisierten Hinweise zu den ZTV-ING, Ausgabe April 2019 und Festlegungen zu den Zusammenstellungen der Bundesanstalt für Straßenwesen. Weiterhin wird auf die bisherigen Erfahrungen der Straßenbauverwaltungen, die Verfügbarkeit prüffähiger Bescheinigungen gemäß Artikel 30 Bauproduktenverordnung (BauPVO) qualifizierter Stellen sowie die Bereitstellung eines „Ablaufplans zum projektspezifischen Nachweis“ als praktische Hilfestellung eingegangen. Überlegungen zur zukünftigen Einbindung der Technischen Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ des DIBt in die Bauherrenregelung ZTV-ING schließen das Thema ab. 1. Hintergrund Mit dem Allgemeinen Rundschreiben Straßenbau 20/ 2017 wurde bei der ZTV-ING Teil 3, Abschnitte 4 und 5 eine neue Vorgehensweise der Festlegung des Nachweises der Verwendbarkeit und der Übereinstimmung von Produkten und -systemen unbekannter Zusammensetzung in der Betoninstandsetzung eingeführt. Mit den zugehörigen Hinweisen wurde hierzu eine Hilfestellung für den Sachkundigen Planer zur Festlegung projektspezifischer Anforderungen und Nachweise erarbeitet. Konkret verlangt die ZTV-ING, dass der Sachkundige Planer vor dem Hintergrund der jeweiligen Einwirkungen und im Hinblick auf das Erreichen der jeweiligen Schutz- und Instandsetzungsziele festlegt, welche projektspezifischen Anforderungen an Baustoffe zu stellen sind. Der Sachkundige Planer muss hierzu projektspezifisch festlegen, - welche Produktmerkmale, Prüfverfahren und Anforderungen für den Nachweis der Verwendbarkeit erforderlich sind und in welcher Form der Nachweis durch den Auftragnehmer (AN) erfolgen muss, - welche Produktmerkmale, Prüfverfahren und Anforderungen für den Nachweis der Übereinstimmung erforderlich sind und in welcher Form der Nachweis durch den AN erfolgen muss, - welchen Mindestumfang die verbindlichen „Angaben zur Ausführung“ (des Produktherstellers) aufweisen müssen. 2. Inhaltliche Korrekturen und Ergänzungen zu den Hinweisen Mit ihrer aktuellen Ausgabe 30.04.2019 der Hinweise zu den ZTV-ING wurde gegenüber der Ausgabe 15.10.2017 eine Überarbeitung vorgenommen. Zu den inhaltlichen Korrekturen zählt u. a. die Aktualisierung von z. T. veralteten Normenbezügen bei den aufgeführten Prüfverfahren. Zudem wurden einige erforderliche Merkmale für die Qualitätssicherung der Produkte ergänzt. Hierdurch werden auch direkte Bezüge zu den prüffähigen Bescheinigungen entsprechend Art. 30 BauPVO qualifizierter Stellen (z. B. freiwillige Gutachten des DIBt und der Kiwa Nederland B.V.) hergestellt. Weiterhin sind Merkmale als Bezugswerte für im Rahmen der Überwachung der Ausführung erforderliche Prüfungen (z. B. Frischmörtel- und Trockenrohdichte) aufgenommen worden. Ergänzend wurden z. T. Merkmale bei Oberflächenschutzsystemen als alternative Verfahren für den Nachweis der Verwendbarkeit und Übereinstimmung ausgewiesen (z. B. Auslaufzeit, Viskosität). Anforderungen an Füllstoffe für Injektionsschlauchsysteme wurden ergänzend aufgenommen. 132 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Aktuelle Entwicklungen der ZTV-ING: Sachkundige Planung u. Ausführung von Instandsetzungsmaßnahmen an Brückenu. Ingenieurbauwerken Die Verweise zu den in den Anhängen A1 bis A3 beschriebenen Prüfverfahren der in vergleichbarer Weise überarbeiteten BAWEmpfehlung „Instandsetzungsprodukte - Hinweise für den Sachkundigen Planer zu bauwerksbezogenen Produktmerkmalen und Prüfverfahren“, Ausgabe 2019 wurden beibehalten bzw. ergänzt. 3. Zusammenstellungen der Bundesanstalt für Straßenwesen Die Übergangsregelungen zur Nutzung von gelisteten Baustoffen und Baustoffsystemen aus den Zusammenstellungen der Bundesanstalt für Straßenwesen als alternativer Nachweis der Verwendbarkeit (und Übereinstimmung) galten bis zum 30.06.2019. Die Zusammenstellungen sind da sie als Reaktion auf das Urteil C-100/ 13 des EuGH seit Oktober 2016 nicht mehr fachinhaltlich fortgeschrieben bzw. aktualisiert wurden - im März 2020 endgültig von der BASt-Homepage (www. bast.de) entfernt worden. 4. Erfahrungen der Straßenbauverwaltungen Mit Entfernung der Zusammenstellungen der Bundesanstalt für Straßenwesen steht ein im Rahmen der ZTV- ING geforderter und von der überwiegenden Mehrheit der Baubeteiligten als einfach, eindeutig, transparent und verfahrenssicher wahrgenommener Weg des Nachweises der Verwendbarkeit (und Übereinstimmung) nicht mehr zur Verfügung. Daher sind nun regelmäßig projektspezifische Produktanforderungen, Positionen der Qualitätssicherung der durch den AN zu erbringenden Nachweise sowie fachkundliche und organisatorische Kriterien hinsichtlich der Durchführung dieser Prüfungen zu ermitteln und in die Leistungsbeschreibung aufzunehmen. Hierdurch kommt es in den Straßenbauverwaltungen bei Planung, Ausschreibung und Baudurchführung von Schutz- und Instandsetzungsmaßnahmen zu einer deutlichen Umstellung der etablierten Routineprozesse, die zudem mit erhöhtem Aufwand und größerer Planungsverantwortung verbunden sind. Hieraus ergibt insbesondere auch ein erhöhter Informationsbedarf hinsichtlich der Vorgehensweise. 5. Verfügbarkeit prüffähiger Bescheinigungen Prüffähige Bescheinigungen einer gemäß Artikel 30 BauPVO qualifizierten Stelle werden bei Baumaßnahmen gemäß ZTV-ING Teil 3, Abschnitte 4 und 5 für den Nachweis der Verwendbarkeit (und Übereinstimmung) der Baustoffe und Baustoffsysteme als gleichwertige Alternative zum projektspezifischen Nachweis anerkannt, sofern sie den Anforderungen der Leistungsbeschreibung vollumfänglich genügen. Bei den Herstellern liegen aktuell für nahezu alle Produktgruppen von Baustoffbzw. Baustoffsystemen unbekannter Zusammensetzung prüffähige Bescheinigungen von gemäß Artikel 30 BauPVO qualifizierten Stellen in großer Anzahl vor, werden derzeit aber von einer Vielzahl von Herstellern nicht für den Markt bereitgestellt. Somit kann sich diese Form des verfahrensvereinfachenden alternativen Nachweises derzeit nur sehr zögerlich etablieren. 6. Bereitstellung eines Ablaufplans Die Bereitstellung eines „Ablaufplans zum projektspezifischen Nachweis“, Stand 05.2020, soll nach Umstellung auf projektspezifische Anforderungen als praktische Hilfestellung eine anwendungssichere Planung, Ausschreibung und Durchführung von Schutz- und Instandsetzungsmaßnahmen nach ZTV-ING 3-4 und 3-5 unterstützen. Hier werden getrennt nach Planung und Ausschreibung sowie Baudurchführung die von den Baubeteiligten erforderlich durchzuführenden Arbeitsschritte in zusammengefasster Weise dargestellt. Beide Nachweiswege der Verwendbarkeit über die Prüfergebnisse an der einzusetzenden Charge bzw. über prüffähige Bescheinigungen sind abgebildet. An einem Anwendungsbeispiel zur Betoninstandsetzung des Überbaus einer Spannbetonbrücke werden im Rahmen der Erstellung der Leistungsbeschreibung beispielhaft - die Beschreibung der Schutz- und Instandsetzungsleistung (STLK LB 124) sowie die die Aufnahme der festgelegten projektspezifischen Anforderungen für die Produktnachweise, - die Berücksichtigung der Positionen der im Rahmen der Qualitätssicherung durch den AN zu erbringenden Nachweise nach Art und Menge (in Anlehnung an STLK-W LB 219) sowie - die Festlegung von fachkundlichen und organisatorischen Kriterien hinsichtlich der Durchführung von Prüfungen durch den AN bzw. eine vom AN einzubindende Prüfstelle dargestellt. 7. Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ Die Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ (TR) des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt) befindet sich derzeit in einem Notifizierungsverfahren. Sie verfolgt eine projektspezifische Vorgehensweise hinsichtlich der Festlegung der Anforderungen an Baustoffe und Baustoffsysteme. Zudem sind im Brücken- und Ingenieurbau erforderliche Leistungsmerkmale berücksichtigt. Die zugehörigen Qualitätssicherungsverfahren sind durch den Sachkundigen Planer hierbei projektspezifisch festzulegen. Für den Bereich des Verkehrswegebaus können nach TR vom jeweiligen Baulastträger erforderlichenfalls Qualitätssicherungsmaßnahmen auf dem Niveau AVCP-System 1+, d. h. mit „Erstprüfung“ 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 133 Aktuelle Entwicklungen der ZTV-ING: Sachkundige Planung u. Ausführung von Instandsetzungsmaßnahmen an Brückenu. Ingenieurbauwerken und „Stichprobenprüfung“ festgelegt werden. Zukünftig ist daher im Rahmen der ZTV-ING hinsichtlich der Anforderungen an Produkte ein Verweis auf die TR geplant. Erforderliche Festlegungen von Bauherrenseite zu den Nachweisen der Verwendbarkeit und Übereinstimmung verbleiben in der ZTV-ING. Literatur [1] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauwerke (2017). Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch-Gladbach (www.bast.de). [2] Hinweise zu ZTV-ING (2019). Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch-Gladbach (www.bast.de). [3] BAWEmpfehlung „Instandsetzungsprodukte“ (2019). Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe (www. baw.de). [4] „ Ablaufplan zum projektspezifischen Nachweis - Hinweise zu Planung, Ausschreibung und Durchführung von Schutz- und Instandsetzungsmaßnahmen von Betonbauteilen“ (05.2020). Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch-Gladbach (www.bast.de). [5] STLK - Standardleistungskatalog für den Straßen und Brückenbau, Leistungsbereich 124 „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“ (2019). Forschungsgesellschaft für das Straßen- und Verkehrswesen, Köln (www.fgsv-verlag.de). [6] STLK - Standardleistungskatalog für den Wasserbau „Instandsetzung v. Betonbauteilen“, Leistungsbereich 219 (2018). Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe (www.baw.de). [7] Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ (Fassung Mai 2020). Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt), Berlin. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 135 Die Belange der Bauausführung in der aktuellen Regelwerkssituation für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen Dipl.-Ing. Heinrich Bastert Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V. (DBV), Berlin (Obmann des DAfStb-Arbeitskreises „RL SIB Ausführung“) Zusammenfassung Die aktuelle Regelwerkssituation für den Schutz und die Instandsetzung von Betonbauteilen im allgemeinen Hochbau umfasst die beiden Teile der neuen „Technischen Regel Instandhaltung von Betonbauwerken“ (TR IH) des DIBt und Inhalte der Instandsetzungs-Richtlinie des DAfStb von 2001 (RL SIB). Das Ergebnis der über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren unter dem Dach des DAfStb erfolgten Aktualisierung der Themen der Bauausführung sucht man in dieser Regelwerkskonstellation jedoch vergebens. Einen Entwurf zu den überarbeiteten Inhalten enthält der Teil 3 des nicht veröffentlichten Gelbdrucks der „Instandhaltungs-Richtlinie“ des DAfStb von 2016 sowie der überarbeitete Entwurf von 2018. Dieser Beitrag vermittelt einen Überblick über die aktuelle Regelwerkssituation für den allgemeinen Hochbau unter dem Aspekt der Belange der bauausführenden Unternehmen in der Betoninstandsetzung. Aufgezeigt werden u. a. die Themenfelder Anwendung/ Verarbeitung von Bauprodukten, Anforderungen an die Betriebe und Überwachung der Ausführung. Zielgruppen des Vortrags sind Auftraggeber, Planer, Überwacher und Bauausführende. 1. Die Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ des DIBt 1.1 Allgemeines Die Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ (abgekürzt: TR Instandhaltung, oder: “TR IH”) [1] wurde vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) als Institution der deutschen Bauaufsicht im Auftrag der Bauministerkonferenz (Fachministerkonferenz der deutschen Bundesländer) in der Fassung November 2019 erstellt. Nach einem Anhörungsverfahren wurde ein überarbeiteter Entwurfsstand der TR IH (Stand: Mai 2020) zur Notifizierung bei der Europäischen Kommission eingereicht. Die Aufnahme der TR IH in die Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (VV TB) [2] der einzelnen Bundesländer wird ermöglicht über die Integration der TR IH in die Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) [3]. Mit der Aufnahme der TR IH in die VV TB der einzelnen Bundesländer erhält sie bauaufsichtlich den gleichen Status, wie die gegenwärtig und zunächst auch weiterhin bauaufsichtlich eingeführte Instandsetzungs-Richtlinie (RL SIB) des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton e. V. (DAfStb) von 2001 [4]. 1.2 Bestandteile der TR IH Die TR IH besteht aus zwei Teilen, die inhaltlich weitestgehend die Teile 1 und 2 des Entwurfsstandes 2018 der bisher geplanten Instandhaltungs-Richtlinie (IH-RL) [5] des DAfStb aufgreifen. Die weitere Bearbeitung des o. g. DAfStb-Entwurfs (Teile 1 bis 5) von 2018 ist bis auf Weiteres ausgesetzt. Eine Veröffent-lichung ist bislang nicht erfolgt. Seitens des DAfStb wurde der Entwurfsstand 2016 im Zuge des Gelb-druckverfahrens an die Mitglieder und an angeschlos-sene Verbände verteilt. Außerdem wurden die Inhalte bisher als Grundlagen für die bundesweit angebotenen Ausbildungslehrgänge für Sachkundige Planer in der Instandhaltung von Betonbauteilen herangezogen. Der Teil 1 der TR IH trägt den Titel „Anwendungsbereich und Planung der Instandhaltung“ und enthält wesentliche Planungsgrundlagen, die bereits im Teil 1 des Entwurfs der IH-RL formuliert wurden. Dazu gehören die Bestimmung des Ist-Zustands, die Fest-legung von Expositions- und Altbetonklassen und die Wahl geeigneter Instandsetzungsprinzipien und -ver-fahren (auf Basis der DIN EN 1504 [6]) sowie die zum Erreichen von Instandsetzungszielen erforderlichen Leistungsmerkmale bestimmter Gruppen von Instandsetzungsprodukten. Adressiert werden hier Produkte mit Leistungserklärungen nach den harmonisierten Teilen der europäischen Normenreihe DIN EN 1504. 136 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Die Belange der Bauausführung in der aktuellen Regelwerkssituation für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen Der Teil 2 (Merkmale von Produkten oder Systemen für die Instandsetzung und Regelungen für deren Verwendung) enthält, ebenfalls auf Basis der Inhalte des Entwurfes der IH-RL, Angaben für Produktmerkmale und Verwendungsregelungen, aufgeteilt in die drei Produktgruppen Oberflächenschutzsysteme, Rissfüllstoffe und Betonersatz (Instandsetzungsmörtel). 1.3 Anwendungsbereich der TR IH Im Abschnitt 1 (Anwendungsbereich) der TR IH wird darauf hingewiesen, dass die technische Regel in Verbindung mit der DAfStb-Richtlinie „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungsrichtlinie)“ (Ausgabe Oktober 2001, auch: “RL SIB”, inkl. der Berichtigungen 1 und 3 [4]) gilt. In der Technischen Regel nicht genannte Sachverhalte, die in der RL SIB enthalten sind, sollen insofern weiter gelten. Hierzu gehören insbesondere Regelungen des Teil 3 der RL SIB. Zu beachten ist, dass die Regelungen der TR Vorrang vor der RL SIB haben. Außerdem werden in der TR IH Hinweise gegeben, welche Regelungen der Teile 1 und 2 der RL SIB ersetzt werden. Die TR IH regelt die Planung der Instandhaltung von Betonbauwerken (Teil 1) und die Anforderungen an Produkte und Systeme (Teil 2) für den Schutz und die Instandsetzung von Bauteilen aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton nach den Normen DIN EN 1992-1-1 [7], DIN EN 206-1 [8], DIN EN 13670 [9] sowie der Normenreihe DIN 1045 [10] und deren Vorläufern. Demgegenüber werden die Ausführung von Schutz- und Instandsetzungsmaßnahmen, die Anforderungen an die Betriebe und die Überwachung der Ausführung im Teil 3 der RL SIB sowie die ausführungsbezogenen Inhalte in deren Teil 2 geregelt. 1.4 Zusammenspiel von TR IH und RL SIB Die TR IH ist als aktuelle Ergänzung bzw. teilweise auch als Ersatz für Inhalte von Teil 1 (Planung) und 2 (Bauprodukte) der RL SIB von 2001 zu verstehen. Die RL SIB bleibt parallel bauaufsichtlich eingeführt, es werden jedoch einige ihrer Inhalte der Teile 1 und 2 durch die entsprechenden Abschnitte der TR IH ersetzt bzw. ergänzt. Entsprechende Anmerkungen sind in den jeweiligen Abschnitten der TR IH enthalten. Fazit 1: Mit Inkrafttreten der TR IH wird diese zusammen mit der bisherigen RL SIB gelten. Beide Regelwerke werden bzw. bleiben bauaufsichtlich eingeführt. Allerdings ersetzt bzw. ergänzt die TR IH einige Inhalte von Teil 1 und 2 der RL SIB. Der Teil 3 der RL SIB bleibt davon unberührt und ebenfalls weiterhin bauaufsichtlich eingeführt. Bei der parallelen Nutzung der beiden Regelwerke sollten folgende Unterschiede berücksichtigt werden: - Die in der TR IH, Teil 1 genannten Instandsetzungsprinzipien und -verfahren wurden im Abgleich mit der europäischen Normung (DIN EN 1504) formuliert und sind daher nicht unbedingt deckungsgleich mit den Instandsetzungsprinzipien der RL SIB von 2001. - Die TR IH verwendet neue Begriffe für be-stimmte Instandsetzungsbaustoffe. So werden bspw. für die in der RL SIB genannten Produkte zum Beton-ersatz PCC und SPCC in der TR IH die Begriffe RM und SRM verwendet. Fazit 2: Aufgrund der Ausrichtung der TR IH auf die europäische Normung gibt es Unterschiede zur RL SIB, die insbesondere inhaltliche Strukturen (Schema der Prinzipien und Verfahren) sowie die Verwendung von Begriffen umfassen. Zu beachten ist außerdem, dass die Inhalte, insbesondere des Teils 2 der RL SIB einerseits und der jeweiligen Teile 2 der Entwürfe von IH-RL und TR IH andererseits, nicht vollständig deckungsgleich sind: Wie unter 1.3 festgestellt, enthält der Teil 2 der RL SIB u. a. auch Regelungen zur Verarbeitung von Instandsetzungsbaustoffen, also ein Thema der Bauausführung. Für den Entwurf der IH-RL wurden diese Inhalte seinerzeit, ausgehend von Teil 2 der RL SIB, bis 2018 überarbeitet, erweitert und im neuen Teil 3 des Entwurfes der IH-RL platziert. Zu den seinerzeitigen Ergänzungen, die derzeit jedoch keine regelwerkstechnische Berücksichtigung finden, gehört u. a. die Ein-führung von „Überwachungsklassen Instandsetzung“, abgekürzt ÜK-I. Da der Teil 3 des Entwurfes der IH-RL jedoch nicht, wie oben erläutert, in die neue TR IH übernommen wurde (es gibt keinen Teil 3 der TR IH), fehlen in der TR IH die aktualisierten Inhalte der Regelungen zur Verarbeitung von Instandsetzungsbaustoffen. Die (unverändert gebliebene) RL SIB enthält diese aktualisierten Inhalte selbstverständlich ebenfalls nicht. Fazit 3: Im beabsichtigten künftigen Zusammenwirken von RL SIB und TR IH existieren die aktualisierten Inhalte zu Themen der Bauausführung, wie sie im Entwurf der IH-RL bis 2018 erarbeitet wurden, nicht. 2. Die Belange der Bauausführung 2.1 Einordnung der Bauausführung in die Regelwerkssituation der Betoninstandsetzung (allgemeiner Hochbau) Die TR IH verweist im Teil 1 zum Thema Instandhaltung auf die in DIN 31051 [11] diesbezüglich ge-nannten Komponenten Inspektion, Wartung, Instandsetzung und Verbesserung. Die Komponenten der Planung und Ausführung von Instandhaltungsmaßnahmen an Betonbauwerken im Sinne der TR IH werden in Bild 1 [1] dargestellt und zwar aufgeteilt in die beiden Gruppen Inspek-tion/ Wartung (lin- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 137 Die Belange der Bauausführung in der aktuellen Regelwerkssituation für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen ke Spalte) einerseits und Instandsetzung (rechte Spalte) andererseits. Die TR IH weist darauf hin, dass für die im Rahmen der Instandhaltung auszuführenden Leistungen War-tung, Inspektion, Instandsetzung und Verbesserung unterschiedliche Beteiligte verantwortlich sein können. Das bauausführende Unternehmen ist üblicherweise für die Ausführung von Schutz-, Instandsetzungs- und Verbesserungsmaßnahmen zuständig, d. h. dieses sind die in der Betoninstandsetzung üblichen Leistungen der Bauausführung. Bild 1. Grundsätzliche Vorgehensweise bei der Planung und Ausführung von Instandhaltungsmaßnahmen [1] In Bild 1 wird die Bauausführung in der rechten Spalte unter „Instandsetzung“ im Textfeld unten rechts mit den Worten „Ausführung Instandsetzungsmaßnahme“ adressiert. Der Ausführung vorangestellt werden die Komponenten Instandsetzungskonzept und Instand-setzungsplan. Unter dem Begriff „Ausführung Instandsetzungsmaßnahme“ sind Arbeiten für den Schutz und die Instandsetzung von Betonbauteilen sowie zur Verbesserung zu verstehen. Die insofern in der TR IH geregelten Schutz- und Instandsetzungsarbeiten umfassen nach [1]: - Herstellung des dauerhaften Korrosions-schutzes der Bewehrung; - Wiederherstellung des dauerhaften Korrosionsschutzes bereits korrodierter Bewehrung; - Erneuerung des Betons im oberflächennahen Bereich (Randbereich), wenn der Beton durch äußere Einflüsse oder infolge Korrosion der Bewehrung geschädigt ist; - Füllen von Rissen und Hohlräumen; - Vorbeugender zusätzlicher Schutz der Bau-teile gegen das Eindringen von beton- und stahlangreifenden Stoffen; - Erhöhung des Widerstandes von Bauteiloberflächen gegen Abrieb und Verschleiß. 2.2 Themen der Bauausführung in der aktuellen Regelwerkssituation für die Betoninstandsetzung (allgemeiner Hochbau) Teil 1 der TR IH formuliert Annahmen und Voraus-setzungen für Instandsetzungsmaßnahmen, die vom Bauausführenden zu beachten sind. Es wird u. a. vorausgesetzt, dass - jede Instandsetzung geplant wird und dass die Planung durch einen sachkundigen Planer (SKP) aufgrund der ihm zu übertragenden Verantwortung durchgeführt wird und dass - die Ausführung von Schutz- und Instand-setzungsmaßnahmen nach einem Instand-setzungsplan durch einen SKP begleitet wird. Außerdem wird gefordert, dass für Schutz- und Instandsetzungsmaßnahmen nach der TR IH auf der Auftraggeberseite in jeder Phase von Planung und Ausführung festgelegt sein muss, wer die Fragen der Standsicherheit verantwortlich beurteilt und wer die dazu erforderlichen Maßnahmen plant und ausführt. Zudem darf mit der Ausführung von Schutz- und Instandsetzungsmaßnahmen erst begonnen werden, wenn der Auftraggeber denjenigen schriftlich benannt hat, der während der Bauausführung die Fragen der Standsicherheit verantwortlich beurteilt und ggf. erforderliche Maßnahmen veranlasst. Für das bauausführende Unternehmen sind selbst-verständlich die vom Auftraggeber für die Instand-setzungsmaßnahmen übergebenen Unterlagen maß-gebend. Jedoch sind sie vom Bauausführenden im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung auf etwaige Unstimmigkeiten zu überprüfen. Der Auftraggeber muss ggf. auf entdeckte oder vermutete Mängel hingewiesen werden. Ansonsten, enthalten die Teile 1 und 2 der TR IH, wie bereits festgestellt, lediglich Verweise auf die Themen der Bauausführung. Dazu gehört auch der Verweis auf den Teil 3 der RL SIB (2001) sowie auf einzelne Inhalte des Teil 2. Dies führt dazu, dass zunächst bezüglich der Belange der Bauausführung regelwerks-technisch weiterhin die RL SIB, Teil 2 (Bauprodukte und Anwendung) und Teil 3 (Anforderungen an die Betriebe und Überwachung der Ausführung) heran-zuziehen sind. Die in der RL SIB, Teile 2 und 3, enthaltenen Themen der Bauausführung sind: - Anwendung/ Verarbeitung von Bauprodukten (RL SIB, Teil 2), - Anforderungen an die Betriebe (RL SIB, Teil 3) und - Überwachung der Ausführung (ebenfalls RL SIB, Teil 3). Inhaltlich befasst sich der Teil 2 neben den Verwendbarkeits- und Übereinstimmungsnachweisen u. a. auch mit planerischen und ausführungstechnischen Themen, die für den Einsatz der Instandsetzungsbaustoffe von Belang sind. 138 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Die Belange der Bauausführung in der aktuellen Regelwerkssituation für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen Der Inhalt des Teils 3 der RL SIB definiert Anforderungen an das ausführende Unternehmen, u. a. bezüg-lich der Personalqualifikation und Geräteausstattung. Weitere Themen sind die Organisation und Durchführung der Überwachung. Zentrales Thema der neuen Regelwerkssituation ist der Nachweis der Verwendbarkeit von CE-gekenn-zeichneten Instandsetzungsbaustoffen. Der Entfall des Ü- Zeichens führte hier zu einem Paradigmenwechsel und ordnet den am Bau Beteiligten (Bauherr, Planer, Bauausführender) die Verantwortung für die Nach-weisführung zu. Im Zuge der Auftragserteilung übernimmt der Bauausführende Verpflichtungen, die erheblich über das bisherige Maß hinausgehen und nicht ohne Weiteres im Rahmen der eigentlichen Bauausführung zu leisten sind. Festlegungen zu den geforderten Nachweisen sind Bestandteil der Planung und müssen durch den SKP erfolgen. Diese Festlegungen gehören zu einem korrekt erstellten und vollständigen Leistungsverzeichnis und betreffen: - Nachweis der Verwendbarkeit, - Nachweis der Übereinstimmung, - Angaben zur Ausführung. Es wird dem bauausführenden Unternehmen dringend empfohlen, nach Prüfung des Leistungsverzeichnisses entscheidende Schritte bezüglich der erforderlichen Nachweise bereits in der Angebotsphase oder spätestens vor der Materialbestellung zu vollziehen. Im Zuge der Angebotserstellung und Arbeitsvorbereitung kommt der Qualifizierten Führungskraft innerhalb des Bauunternehmens diesbezüglich eine entscheidende Bedeutung zu. Zu deren Aufgaben gehören: - Erklärungen des Herstellers für die in der Planung genannten Leistungsmerkmale der Instandsetzungsprodukte anfordern (Leistungserklärung auf Grundlage der EN 1504 zzgl. technische Dokumentation unter Einschaltung einer Drittstelle für weitere Leistungsmerkmale gemäß Prioritätenliste zum Mandat M/ 128); - Abgleichen der erklärten Leistung mit der erforderlichen Leistung. Bei vollständiger Entsprechung ist dies der Nachweis der Verwend-barkeit gemäß Ausschreibung; - Unterlagen zu dem o. g. Abgleich in die Bau-stellendokumentation nehmen und ggf. beim Bauherrn vorlegen; - Prüfen der vom Hersteller übergebenen Angaben zur Ausführung auf Übereinstimmung mit den Festlegungen der Planung und Umsetzung der Angaben in die Arbeitsvorbereitung; - Erstellen von Anweisungen für die Waren-eingangskontrolle auf der Baustelle (durch die SIVV-Fachkraft); - Erstellen von Anweisungen für die Eigen-überwachung auf der Baustelle (SIVV-Fachkraft). Sollten Hersteller oder Lieferanten der in Betracht gezogenen CE-gekennzeichneten Instandsetzungs-produkte nicht bereit oder in der Lage sein, in der Angebotsphase oder spätestens vor der Materialbestellung die erforderlichen Nachweisdokumente und Bestäti-gungen zur Verfügung zu stellen, ist die Verwendung für das betreffende Projekt ausgeschlossen und es sollte möglichst auf alternative Produkte ausgewichen wer-den. Die Nachweisdokumente und technischen Datenblätter sollten vor der Materialbestellung der Auftraggeber-seite (ggf. inkl. dem SKP) vorgelegt und von dieser ge-prüft und zur Ausführung freigegeben werden. Um den Aufwand der oben beschriebenen Nachweisführung zu reduzieren, könnte bei entsprechenden Voraussetzungen, z. B. nach Klärung mit dem SKP, alternativ die Verwendung von nicht CE-gekenn-zeichneten Baustoffen in Erwägung gezogen werden, bspw. Spritzbeton oder -mörtel anstelle von SRM (SPCC). 3. Offene Punkte und nicht Gelöstes Offen und ungelöst ist in der neuen Regelwerkssituation bis jetzt die Frage, wie die aktualisierten Inhalte zu Themen der Bauausführung, wie sie im Entwurf der IH-RL bis 2018 erarbeitet wurden, in die Praxis transferiert werden können. Formuliert sind diese Themen im Gelbdruck der IH-RL von 2016 und im überarbeiteten Entwurf der IH-RL von 2018, die allerdings nicht veröffentlicht wurden und auch nicht käuflich zu erwerben sind. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 139 Die Belange der Bauausführung in der aktuellen Regelwerkssituation für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen Literatur [1] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Technische Regel „Instandhaltung von Betonbauwerken“ (abgekürzt: TR Instandhaltung, oder: TR IH), Entwurf Mai 2020. [2] Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes NRW: Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen NRW (VV TB NRW) (Ausgabe Juni 2019) - Runderlass des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung - 614 - 408 - In: MBl. NRW. 2018 S. 775, geändert durch Runderlass vom 14. Juni 2019 (MBl. NRW. 2019 S. 255), 28. September 2020 (MBl. NRW. 2020 S. 624). [3] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) Ausgabe 2019/ 1 mit Druckfehlerberich-tigung vom 7. August 2020. - In: https: / / www.dibt.de/ fileadmin/ dibt-website/ Dokumente/ Referat/ P5/ Technische_Bestimmun-gen/ MVVTB_2019.pdf - Letzter Zugriff am 2. November 2020. [4] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton e.V. (DAfStb): DAfStb-Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie). Ausgabe Oktober 2001, Berlin: Beuth Verlag, 2001 und Berich-tigungen 2002-01 und 2005-12. [5] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton e.V. (DAfStb): DAfStb-Richtlinie Instandhaltung von Betonbauteilen (Instandhaltungs-Richtlinie). Gelbdruck 2016 (nicht veröffentlicht). [6] DIN EN 1504-2: 2005-01 Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Qualitäts-überwachung und Beurteilung der Konformität - Teil 2: Oberflächenschutzsysteme für Beton, u. a. [7] DIN EN 1992-1-1: 2011-01 Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbeton-tragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau. [8] DIN EN 206-1: 2001-07 Beton - Teil 1: Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität (inkl. DIN EN 206-1/ A1: 2004-10, DIN EN 206-1/ A2: 2005-09). [9] DIN EN 13670: 2011-03 Ausführung von Tragwerken aus Beton. [10] Normenreihe DIN 1045: Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 2: 2008-08 Beton; Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konfor-mität und Teil 3: 2012-03 Bauausführung. [11] DIN 31051: 2019-06 Grundlagen der Instandhaltung. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 141 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik Holger Tebbe Ing. -Büro H. Tebbe GmbH, Neuwied Zusammenfassung Im vorliegenden Aufsatz wird aus dem Blickwinkel des Bautechnikers der unbestimmte Rechtsbegriff „Anerkannte Regel der Technik versucht zu beleuchten. Hierzu werden der Aufbau und die Bewertungskriterien dieser Technikklausel erläutert. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf den technischen Inhalten, mit den dieser Rechtsbegriff zu füllen ist. Es soll hier insbesondere das Bewusstsein geschärft werden, dass diese Ausgestaltung ureigene Aufgabe der Techniker ist und erst nach der Ausgestaltung als Werkzeug der Juristen zur Verfügung steht. Aufgrund der aufgezeigten vielfältigen Unsicherheiten bei den entsprechenden Festlegungen und Beurteilungen, die in konkreten Einzelbeispielen in den jeweilig erläuterten Sachzusammenhängen benannt werden, kann das geschärfte Bewusstsein der erläuterten Abhängigkeit der juristischen Auslegung von technisch zu liefernden Vorgaben für Betroffene im Streitfall hilfreich sein. 1. Einführung Bei den Begriffen „Anerkannte Regeln der Technik“ (ARdT) und „Allgemein Anerkannte Regeln der Technik“ (AARdT) handelt es sich zunächst um ein rechtliches Hilfskonstrukt (unbestimmter Rechtsbegriff) mit zunächst juristisch unbestimmten Inhalten. Als von Technikern mit Inhalt zu füllende Technikklausel ist sie dann Instrument für juristische Entscheidungsfindungen. Juristische Regelsetzungen beruhen auf dogmatischen, möglichst allgemeinen und umfassenden Ansätzen, die im Regelfall in öffentlichen (Gesetzgebungs-)Verfahren verhandelt und verfasst werden. Die Festlegung der technischen Inhalte erfolgt jedoch naturgemäß über technischen Regelsetzungen, die aufgrund der anderen Ausgangslage und anderen Zielsetzungen deutlich von juristischen Regelsetzungsgepflogenheiten abweichen. Hier erfolgt die Regelfestlegung in der Regel in geschlossenen, häufig privat oder privatwirtschaftlich organisierten Fachgremien. Die Zielsetzung sind Mindestfestlegungen in Hinblick auf Standsicherheit, Dauerhaftigkeit und Gebrauchstauglichkeit. Vollumfassende Regelungen werden nicht angestrebt. Die Technikklausel „Anerkannte Regeln der Technik“ ist über privatrechtliche Vertragsklauseln (VOB) indirekt im Zivil- (BGB) und Strafrecht (StGB) verankert, die Technikklausel „Allgemein Anerkannte Regeln der Technik“ z.B. in den Landesbauordnungen. Die Begriffsinhalte dieser Klauseln werden im Baubereich als ein wesentliches Beurteilungskriterium für die Bestimmung von Solleigenschaften bei Entwurf und Ausführung baulicher Anlagen oder technischer Objekte verwendet. Sie spielen daher in der Rechtsprechung bei der Bewertung und Festlegung von entsprechenden Mängelansprüchen, aber auch von strafrechtlich relevanten Tatbeständen eine große Rolle. Die Bezeichnung „Anerkannte Regel“ suggeriert zudem ein nachschlagbares schriftliches Regelwerk („Kodifizierung“), dass so nicht gegeben ist. Es handelt sich vielmehr, wie bereits erläutert, um einen unbestimmten Rechtsbegriff, mit den damit naturgemäß gegeben größeren Auslegungsunschärfen und -unsicherheiten. Die somit ggf. nicht von vornherein eindeutige Rechtslage bei der Beurteilung von Einzelsachverhalten führt in Anbetracht der häufig erheblichen finanziellen Risiken immer wieder zu teilweise spektakulären Rechtsstreiten, bis höchste Gerichtsinstanzen ggf. eine klarere Beurteilungslage geschaffen haben. Die Klarstellung gilt dann allerdings in der Regel nur für die hier jeweils zu beurteilende Detailfrage, zudem je nach Urteilsbegründung, auch nur für den zu beurteilenden Zeitpunkt und für die dort gegebenen Umstände. Da gleichzeitig Bautechnik, Bauverfahren sowie die zugehörigen Regelungen und Vorgaben laufenden, zum Teil sehr schnellen Veränderungen unterliegen, wirkt sich dies natürlich auch auf den Stand und Inhalt der „Anerkannten Regeln der Bautechnik“ aus. Diese Dynamik führt dazu, dass sich die dementsprechenden rechtlichen Risiken, trotz der derzeit hohen Anzahl an gerichtlichen Einzelentscheidungen die sich mit den „Anerkannte Re- 142 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik gen der Technik“ beschäftigen, nicht vermindern, sondern tendenziell eher laufend erhöhen. Die vorliegende Veröffentlichung soll daher dazu dienen, dem Bauschaffenden aus dem Blickwinkel eines Technikers die einzelnen Begrifflichkeiten und Zusammenhänge dieser Technikklausel näher zu erläutern um die damit verbundenen Gefahren besser einschätzen zu können und sich somit ggf. auch besser gegenüber diesen Gefahren wappnen zu können. 2. Erläuterung des Begriffs „Anerkannte Regel der Technik“ 2.1 Anwendungszweck Das für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen oder technischer Objekte zu erbringende Vertragssoll (zu erbringender Leistungserfolg) wird nicht allein durch die Vertragsunterlagen beschrieben und vorgegeben. Beschreiben die Vertragsunterlagen die projektierte Gesamtleistung nicht erschöpfend und vollständig, wird zunehmend relevant, was die Parteien als vertragliche Gesamtleistung erreichen wollten. Die erbrachte Werkleistung muss somit für den vertraglich vorausgesetzten Gebrauch geeignet sein, vergl. [1]. Hier kommen nun die „Anerkannten Regeln der Technik“ ins Spiel, die als Hilfskonstruktion im dogmatischen Rechtssystem zur Bestimmung des Vertragssolls mit herangezogen werden, vorbehaltlich abweichender Parteienvereinbarungen (inhaltliche Öffnungsklausel). Sie sollen somit, wie bereits ausgeführt, als ein Beurteilungsstandart zur Bestimmung von Solleigenschaften dienen. Es handelt sich somit u. a. um ein Hilfsmittel zur (juristischen) Feststellung von technischen Planungs- oder Ausführungsmängeln. 2.2 Inhalte Unter den „Anerkannten Regeln der Technik“ werden Technikklauseln für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen oder technischer Objekte verstanden. Diese Technikklauseln sind jedoch nicht in einem nachschlagbaren schriftlichen Regelwerk („Kodifizierung“) zusammengefasst. Es handelt sich vielmehr um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Inhalt von technischer Seite implementiert wird, vergl. Bild 1. Bild 1: schematische Darstellung des inhaltlichen Rückgriffs auf technische Inhalte zur Konkretisierung der juristischen Technikklausel „Anerkannte Regeln der Technik“ gemäß [1] Als maßgebende technische Inhalte sind, unter den in Abschn. 2.4 genannte Einschränkungen hier einschlägige Regelwerke z.B. DIN-Normen, aber auch nicht schriftlich nicht weiter fixierte Erkenntnisse aus der Baupraxis, vergl. Bild 2, zu sehen. Bei letzterem kann es sich z. B. um handwerklich tradierte Arbeitsweisen (z.B. Verfahrensweisen zur händischen Oberflächenbearbeitung von Natursteinen und den hieraus erzielbaren optischen Erscheinungsbildern) handeln. Bildquelle: trust -projekts GmbH Bild 2: schematische Darstellung der Einflüsse verschiedener Wissensbereiche auf die „Anerkannten bzw. Allgemein anerkannten Regeln der Technik“ analog dem sog. Dreistufenmodell, vergl. Bild 3. Der maßgebende Inhalt und Umfang der „Anerkannten Regel der Technik“ ist damit auf juristische Nachfrage von technischer Seite bezogen auf den Streitgegenstand genauer festzulegen und zu definieren. In Gerichtsauseinandersetzungen ist dies im Regelfall der gerichtlich bestellte Sachverständige. Hier besteht somit durchaus die Gefahr, dass hier eine Einzelmeinung als Grundlage für die Bewertung der betreffenden Standards der „Anerkannten Regeln der Bautechnik“ für die juristische Bewertung angesetzt werden könnte. Die Abgrenzungskriterien für die „Anerkannten Regeln der Bautechnik“ von anderen oder ähnlichen Regeln, vergl. Bild 3, werden durch die Rechtsprechung (sog. Kasselbeschluss des Bundesverfassungsgerichtes (vom 1978) näher definiert, vergl. Abschn. 1.3. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 143 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik 2.3 Einordnung im Dreistufenmodell Die technische Entwicklung befindet sich fortlaufend im Fluss, sie ist dynamisch. Bei Neuentwicklungen entwickelt sich die Erfahrung mit Anwendung, Umgang und mit dem Verhalten dieser Technik aus einer Anfangsidee erst im Laufe der vermehrten Anwendung. Dies soll nachfolgenden exemplarisch anhand einer Materialneuentwicklung erläutert werden. Die einzelnen Stufen und Schritte laufen in der Praxis natürlich nicht so chronologisch ab, wie sie hier aus Verständnisgründen dargestellt werden. So kann es auch bei schon lange eingeführten Produkten noch ein erheblicher Forschungsbedarf aufgrund neuer Erfahrungen oder Erkenntnisse ergeben. Grundsätzlich kann jedoch die sich verbreiternde Wissensbasis einer Neuentwicklung vereinfacht als Spitze des gleichschenkligen Dreiecks angesehen werden, vergl. Bild 2, welche sich mit zunehmender Anwendung auf einer nach unten gerichteten Zeitachse laufend verbreitert. Bild 3: Entwicklung des technischen Wissensstandes zu einer neuen Bautechnik analog dem sog. Dreistufenmodell Die ersten Experimente und Machbarkeitsstudien sind in dem Modell als dunkelrote Spitze eingezeichnet. Erweist sich die Idee als möglicherweise erfolgversprechend, beginnen die weitere Entwicklungsarbeit mit dem der Stand der Wissenschaft und Technik erarbeitet wird. Diese besteht unter anderem aus - der Materialentwicklung und -optimierung zur Erzielung einer Anwendungsreife, - der Erkundung der Materialeigenschaften, und Materialkennwerte für u. a. zur Entwicklung von Dimensionierung- und Bemessungsansätzen, - Untersuchung der Verträglichkeit mit angrenzenden Baustoffen und Alterungsverhaltens, - Entwicklung geeigneter Applizierungs- oder Montagetechniken und -werkzeuge. Sind diese Schritte abgeschlossen wird die Anwendung in Labor und Technikumsversuchen getestet. Es werden Detail- und Anschlusslösungen erarbeitet und auf ihre Eignung getestet. Sind diese Schritte abgeschlossen, erfolgt die Anwendungen auf ausgewählten Musterbaustellen um Erfahrungen mit der alltäglichen Anwendung zu erhalten. Derartige Produktentwicklungen werden von der Baustoffindustrie gerne auf einschlägigen Messen als Produktneuheit mit ihren tatsächlichen oder vermeintlichen Vorteilen angepriesen. Gerade wenn hier noch keine oder kaum Erfahrungen auf Praxisbaustellen vorliegen, und somit kaum Wissen über das Stadium des Standes der Wissenschaft und Technik hinaus vorliegen, bietet eine Anwendung natürlich entsprechende Risiken, da der Stand der Wissenschaft und Technik für eine zielsichere und risikolose Anwendung in der Regel bei weitem nicht ausreicht. Vorgelegte umfangreiche Forschungs- und Prüfberichte sowie einzelne Berichte zu Praxistest und entsprechende gutachterliche Stellungnahmen reichen hierzu nicht aus. Erst mit zunehmender Ausführungspraxis können die „Kinderkrankheiten“ ausgemerzt werden und eine sichere Ausführungspraxis unter den verschiedenen anzutreffenden Baustellenbedingungen erreicht werden. Mit zunehmender Standzeit der ausgeführten Objekte kann dann Bewährung hinsichtlich Funktionalität und die Dauerhaftigkeiten unter realen Umweltbedingungen nachgewiesen werden. Die neue Bauweise kann nunmehr nach den „Stand der Technik“ (SdT) oder entsprechenden europäischen Begriff „Beste Verfügbare Technik“ (BVT) ausgeführt werden. Mit zunehmender Verbreitung der Erfahrungen der einschlägigen Fachkreise und entsprechen umfangreichere Erfahrung mit der Anwendungstechnik sinkt der Bedarf an Modifizierungen und Änderungen am System. Bei entsprechender Marktbedeutung wird nun häufig ein Normungsprozess in Gang gesetzt, mit dem Anwendungsregeln standardisiert werden. Liegt dann eine breite, allgemein zugängliche Wissensbasis in der Fachwelt über Normung, Richtlinien, Fachliteratur, Fortbildungsveranstaltungen etc. vor und ist die Technik in entsprechend standardisierter Form allgemein verbreitet, wird sie dann den „Anerkannten Regeln der Technik“ zugeordnet werden können. Hingewiesen werden soll noch auf die Problematik, dass Ausführungen nach den „Stand der Technik“ im in der Regel moderner sind und somit eher dem „neusten Stand der Technik“ der häufiger von Bauherrn gewünscht wird, entspricht, Darauf zielt auch der europäische Begriff „Beste Verfügbare Technik“ hin. Verträge sind daher auch daraufhin zu prüfen, ob nicht die „Anerkannten Regeln der Technik“, sondern (nur) der „Stand der Technik“ einzuhalten war. Hier ergibt sich aufgrund der Schnelligkeit der technischen Weiterentwicklung weiteres Streit- und Interpretationspotential. Der u. a. in der Landesbauordnung verankerte Begriff „Allgemein Anerkannte Regeln der Technik“ verliert aufgrund der Dynamik der Entwicklung zunehmend an Sinnhaftigkeit und wird daher auch durchaus von Fachautoren in Frage gestellt, vergl. [1]. 144 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik 2.4 Unterschiede zwischen juristischer und technischer Regelsetzung Juristische Regelsetzungen streben an, ein in sich geschlossenen System zu bilden, das auf festen allgemeinverbindlichen Grundsätzen „Axiomen“ beruht. Das Grundgerüst dieser Axiome wird durch das aktuelle moralisch ethische Grundgerüst und deren gesellschaftlich gewachsenen Traditionen vorgegeben. Die Regelsetzungen sind dafür geschaffen auf den Einzelfall angewendet zu werden und müssen daher eine gewisse Universalität, Abgeschlossenheit oder Allgemeingültigkeit aufweisen. Die Regelsetzung wird im Regelfall in öffentlichen (Gesetzgebungs-)Verfahren verhandelt und verfasst. Da die Technikklauseln „Anerkannte Regeln der Technik“ oder „Allgemein Anerkannte Regeln der Technik“ sich aufgrund ihrer durch den technischen Fortschritt gegeben Dynamik laufend verändern, werden sie juristisch als unbestimmter Rechtsbegriff geführt der durch Nichtjuristen (einschlägige technische Fachleute) definiert werden, vergl. Bild 1, Neben den systemimmanenten Übertragungsschwierigkeiten, bedingt durch die ggf. abweichende differierende Termini und Inhalte von Einzelbegriffen der jeweiligen Fachsprache, unterliegen Technische Regelugen auch andere Gesetzmäßigkeiten und Zielsetzungen. Technische Regelungen werden, statt von moralisch ethischen Grundprinzipien, eher von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Gegebenheiten geprägt, ohne deren Berücksichtigung eine Funktionalität einer technischen Regel nicht gegeben sein kann. Sie unterlegen damit den Naturgesetzen und können somit bereits systembedingt nicht jeden möglichen oder denkbaren Einzelfall berücksichtigen. Die Zielsetzung sind Mindestfestlegungen in Hinblick auf Standsicherheit, Dauerhaftigkeit und Gebrauchstauglichkeit. Vollumfassende Regelungen werden aus vorgenannten Gründen nicht angestrebt. Die Festlegung der technischen Inhalte erfolgt in der Regel über privat oder privatwirtschaftlich organisierte Fachgremien. Diese setzen sich aus den interessierten und betroffenen Kreisen zusammen und vertreten (oder gar repräsentieren) somit nicht, oder allenfalls bedingt, die allgemeine Öffentlichkeit. 3. Stellenwert schriftlich fixierter Regelwerke 3.1 Gruppen verschiedener Regelsetzer Im Bauwesen gibt es eine Vielzahl verschiedener Regelsetzer für verschiedenste Bereiche und Anwendungsfälle. Die Regelsetzer sind in der Regel privat oder privatwirtschaftlich organisierte Fachgremien. Initiator oder Betreiber der Fachgremien sind häufig Zusammenschlüsse von Verbänden aber auch öffentlich-rechtliche Institutionen (z.B. im Wasserbau und im Verkehrswesen). Sie können häufiger den jeweiligen Interessengruppen - Hersteller, z.B.: - Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb); - Fachvereinigung deutscher Fertigteilbau (FDB); - Deutscher Naturwerksteinverband e.V. (DNV); - RAL Gütegemeinschaft Fenster und Haustüren e.V.; - Bundesverband der Gipsindustrie; - Industrieverband Fugendichtstoffe (IVD); - Planer, Anwender, und Verbraucher z.B.: - Deutscher Betonverein (DBV); - Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH); - Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege (WTA); - Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks e.V.; - Forschungs.u. Entwicklungsgesellschaft Landschaftsbau e.V. (FLL); - Objektbetreiber, z.B.: - Wasserstrassen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV); - Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt); - Eisenbahnbundesamt; - Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA); - Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) zugeordnet werden. Im Hinblick auf eine größere Allgemeinakzeptanz und Relevanz haben sich jeweilige Verbände und Interessengruppen häufiger auch zusammengeschlossen oder ihren Arbeitskreis entsprechend erweitert, um so entsprechende allgemeinverbindlichere Bedeutung zu erlangen. Als Beispiel ist hier das Deutsche Institut für Normung (DIN) zu nennen, in deren Gremien standardmäßig Herstellervertreter, Fachplaner bzw. Fachingenieure und Prüfinstitute, aber auch Vertreter von Endverbrauchern vertreten sind. Ähnliches gilt beispielsweise für die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV). Aufgrund der zunehmenden Relevanz des Umweltschutzes sind mittlerweile einzelne Gremien auch mit Vertretern von Verbänden oder Zusammenschlüssen dieser Interessengruppen als Gast oder Vollmitglied besetzt. Aufgrund deren anderen primären Zielsetzungen (ethisch-moralische Aspekte) führt dies häufiger zu Interessenkonflikten und Auseinandersetzungen, die häufig 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 145 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik außerhalb der eigentlichen, primär technisch motivierten, Regelsetzung liegen. Regelwerke letztgenannte Regelsetzer haben für den Hochbau (DIN) bzw. Straßen- und Wegebau (FGSV) erhebliche Relevanz und sollten bei entsprechenden Planungen und Ausführungen grundsätzlich berücksichtigt, zumindest aber beachtet werden. Einzelne Regelungen haben regelmäßig Eingang in das Bauordnungsrecht (Landesbauordnungen, Bauregelliste etc.) gefunden. Dies gilt allerdings auch für einzelne Regelwerke anderer Regelsetzer z.B. DAfStb und DBV. 3.2 Problem der Harmonisierung v. Regelwerken Bereits die unterschiedlichen Fachgruppen einzelner Regelsetzer haben das Problem, sich mit den anderen Fachgruppen in Verbindung setzen zu müssen, um Wiedersprüche zwischen Einzelregelwerken zu vermeiden. Aufgrund der unterschiedlichen Traditionen, Anforderungen und Zielsetzen in den jeweiligen Einzelgewerken treten hier regelmäßig Abweichungen und Widersprüche auf, die durch Angleichungen, Querverweise, Ausnahmeklausen, etc. möglichst beseitigt werden müssen. Die Wiedersprüche werden jedoch häufiger erst durch Anwender (Planer oder Ausführende) der betreffenden Regelwerke nachträglich entdeckt. Aufgrund von Interessenkonflikten zwischen den jeweilig Beteiligten können derartige Widersprüche häufiger erst nach langjährigen Abstimmungsaufwand durch die betroffenen Regelsetzer ausgeräumt werden. Dies gilt umso mehr zwischen Regelwerken unterschiedlicher Regelsetzer, die Regelungen für gleichartige Bauweisen erlassen, z. B für die Betoninstandsetzung im Hochbzw. Tiefbau (DIN bzw. BASt) oder Pflasterbauweisen im Wegebau (u. A. FGSV und FLL). Hier werden von den betroffenen Organisationen oft sogenannte Lenkungsgremien geschaffen, die versuchen entsprechende Widersprüche aufzulösen. Der Anwender hat daher den vom Regelsetzer benannte Geltungsbereich des Regelwerkes genau zu prüfen, um bei Gegensätzen in den jeweiligen Regelsetzungen das eher zutreffende Regelwerk stärker zu gewichten und nach Möglichkeit den Auftraggeber in die Entscheidungsfindung verantwortlich mit einzubinden. Im Zweifel ist hier der Auftraggeber somit vorab umfassend zu informieren und nachweisbar aufzuklären (Hinweispflicht! ), um gemeinsam zu entscheiden oder festzulegen nach welchen Maßgaben das projektierte Bauvorhaben geplant und ausgeführt werden soll. Die Schwierigkeiten entsprechenden Harmonisierungsbemühungen werden endgültig deutlich, wenn man die Angleichung der Regelwerke im internationalen Geltungsbereich z.B. auf europäischer Ebene, betrachtet. Die entsprechenden Entwicklungen sind häufig auch für ausgewiesene Fachleute nur schwer zu überblicken. Daher wird auf diese Problematik, aufgrund der Komplexität des Themas, im Rahmen dieses Aufsatzes nicht näher eingegangen. 3.3 Normgruppenunterteilung im Hochbau In der alten deutschen hochbaurelevanten Normgebung des DIN waren die wesentlichen Anforderungen an Stoffeigenschaften, Verarbeitung und Verwendung des Produkts sowie wesentliche Grundzüge der artspezifischen Bemessung für einzelne Bauprodukte oder Bauweisen häufig in einer einzelnen DIN-Norm zusammengefast. Im Rahmen der europäischen Normung werden einzelne Regelungssachverhalte möglichst separiert und in Einzelnormen getrennt standardisiert. Für den vorliegenden Sachverhalt sind u. a. folgende vier Normgruppen von größerem Interesse: - Produkt- oder Stoffnorm Legt Anforderungen fest, die vom Produkt erfüllt werden müssen, damit das Produkt als nach dieser Stoffnorm gefertigt in den Handel gebracht werden darf. Grundlegend dazu gehört auch eine Festlegung, für welchen Anwendungsbereich das Produkt vorgesehen ist. In der Europäischen Normung werden zudem umfangreiche Vorgaben hinsichtlich des vom Hersteller zu leistenden Deklarationsumfangs und dessen Erscheinungsform getroffen (Stichwort CE- Kennzeichnung). In den Normen werden in der Regel keine umfassenden Vorgaben hinsichtlich aller Beschaffenheitsmerkmale des jeweiligen Produktes getroffen. Es werden lediglich Rahmenbedingungen für die einzusetzenden Ausgangsstoffe festgelegt und ggf. Vorgaben hinsichtlich der einzuhaltenden Fertigungsverfahren getroffen und wesentliche technische Eigenschaften (z.B. Maße Druckfestigkeit) festgelegt. Darüber hinaus werden ggf. technische Festlegungen für bestimmte zu erzielende oder einzuhaltende Eigenschaften (Rechenwert der Wärmeleitfähigkeit, Klassifizierung des Brandverhaltens, Zusammendrückbarkeit etc.) getroffen. Somit werden in der Regel lediglich wesentliche technische Beschaffenheitsparameter festgelegt, die benötigt werden um die Gebrauchstauglichkeit festzustellen. Die Festlegung von optischen Merkmalen findet in der Regel lediglich dann statt, wenn die optische Beschaffenheit für die spätere Funktion eine höhere Relevanz hat. Da es sich um keine technische Eigenschaft handelt und somit der Produzent nicht unnötig in seiner Gestaltungsfreiheit zu Anpassung an den jeweiligen Endverbrauchergeschmack eingeengt werden soll, sind die entsprechenden Anforderungen oft recht allgemein gehalten (z.B. „Struktur bzw. Farbe entsprechend dem vom Hersteller bereitgestellten und vom Käufer genehmigten Muster“). 146 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik Etwas konkreter sind lediglich die Beurteilungskriterien hinsichtlich Schäden (Kratzer, Risse Abplatzungen und Ablösungen) und fertigungsbedingte Beschaffenheitsabweichungen (z. B. Ausblühungen, Struktur einer Beschichtung etc.). Zusätzlich werden in einigen Normen anzuwendende Betrachtungsabstände sowie Vorgaben bzgl. Beleuchtungsverhältnisse angegeben. - Ausführungsnormen In Ausführungsnormen werden zunächst der Bereich die von der Norm erfassten Ausführungen festgelegt und definiert. Es werden die für die Ausführung zu verwendenden Baustoffen benannt. Hier wird, wenn möglich auf die entsprechende Stoffnormung Bezug genommen. Häufig werden dann ausführungsspezifische Begriffe und Verfahren erläutert und festgelegt. Danach werden die Anforderungen an Konstruktion und Baustoff benannt und die zu berücksichtigenden Einwirkungen in Art und Größe festgelegt. Es werden die produktspezifischen Bemessungsgrundsätze benannt. Sind für die Bemessung umfangreichere Berechnungen und/ oder schriftliche Nachweise z. B. in Form einer Statik notwendig, wird die Bemessung häufig in einer eigenen Bemessungsnorm ausgegliedert. In der Regel werden Annahmekriterien für die Baustoffe auf der Baustelle benannt, Vorgaben zum Schutz und zur Lagerung auf der Baustelle getroffen und die technisch relevanten Verarbeitungstechniken benannt. Die Ausführungsgüte wird häufig indirekt über Anforderung an Ebenheit- und Winkligkeit, Fugenbreite oder Anforderungen an Fugenbreiten etwas eingegrenzt. Nur in Ausnahmefällen werden darüber hinaus spezielle Festlegungen hinsichtlich der Optik getroffen. Anforderungen an die Optik werden in der Regel in separaten privatrechtlichen Regelwerken (z. B Sichtbetonmerkblatt des Deutschen Betonvereins; Merkblätter zu Qualitätsstufen von Innenputz vom Bundesverband der Gipsindustrie) festgelegt. Diese werden, je nach allgemeiner Anerkennung, dann ihrerseits als Vertragsbestandteil mit benannt oder ggf. sogar als übliche Verkehrssitte allgemein vorausgesetzt. - Bemessungsnormen Sind zur Ausführung einer Konstruktion umfangreichere statische oder bauphysikalische Berechnungen notwendig, werden die Vorgaben zum Rechnerischen Nachweis der benötigten Eigenschaften häufig in separaten Bemessungsnormen festgelegt und standardisiert. Zu den Bemessungsnormen gehören im weitesten Sinne auch die Passungsnormen, wie z. B. die DIN 18 202 „Toleranzen im Hochbau“. - Prüfnormen Prüfnormen standardisieren die Verfahren zur Festlegung fest umrissener Eigenschaften, sowie deren Ergebnisauswertung und Dokumentation. Die Normen beinhalten auch Vorgaben hinsichtlich des Aufbaus und Handhabung der Prüfwerkzeuge und Maschinen. Es werden Verschleißgrenzen definiert und Vorgaben zu Überprüfungs- und Kalibrierverfahren getroffen. 3.4 Regelungsstandards DIN-Normung Die DIN-Normung ist, wie bereits in Abschn. 2.1 ausgeführt, grundsätzlich privatrechtlicher Natur und daher von den Zielsetzungen und Interessen der in diesem Gremium versammelten Regelsetzer bestimmt. Sie umfasst weder alle Aspekte des jeweiligen Normierungsgegenstandes, noch sind im Bauwesen alle Baustoffe, Bauverfahren und Bauweisen normiert. Im Bauwesen verfolgt die Normung im Wesentlichen drei Ziele - Sicherstellung eines Mindestsicherheitsniveaus bei sicherheitsrelevanten Baustoffen, Bauverfahren und Bauweisen. Diese Normen sind häufig über Landesund/ oder Bundesbaurecht in der Rechtsprechung verankert - Standardisierung von Bauweisen - Erzielung nachvollziehbarer gleichbleibender Qualitätsstandards für Baustoffe, Bauverfahren und Bauweisen. Die Normen regeln zudem im Wesentlichen lediglich technische Aspekte und dies wiederum fast ausschließlich für den Neubaubereich. Bei nicht sicherheitsrelevanten Themenbereichen oder Bereiche mit geringer Anwendungshäufigkeit ist daher ggf. nur eine geringe Durchdringung durch Normen und andere Regelwerke gegeben. Insbesondere bei Normungsgegenständen, bei denen die optische Relevanz nicht ein wesentliches Charakteristikum der Bauweise ist, finden sich in den Regelwerken häufig keine oder nur marginale Vorgaben zur optischen Beschaffenheit und deren Bewertung. In einigen Fällen sind von interessierter Seite (häufig von Industrieverbänden) für derartige Themen Merkblätter oder Regelwerke erarbeitet worden, die sich dem Thema Optik und optische Beurteilungskriterien annehmen. Einige dieser Merkblätter, z. B. Sichtbetonmerkblatt des DBV, haben einen normähnlichen Charakter und sind zwingend bei Ausschreibung, Planung, Ausführung und Abnahme zugrunde zu legen. Liegen für den zu betrachtenden Sachverhalt keine allgemeinverbindlichen und allgemein anerkannten Bewertungskriterien in Form einer Norm oder eines Merkblattes vor, sind die Kriterien gemäß allgemein üblicher 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 147 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik Verkehrssitte unter Berücksichtigung der vorliegenden Vorgaben zusammenzustellen (z. B. Ausführungs- und Bewertungsmaßstäbe der einschlägigen Handwerkerausbildung die größtenteils auch in einschlägigen Lehrbüchern dokumentiert sind, vergl. Abschn. 3). 3.5 Beurteilung der Allgemeingültigkeit Aus den Ausführungen in Abschn. 2.1 ist bereits abzuleiten, dass Planer und Ausführende vor der Anwendung von Regelungen die allgemeine und spezielle Relevanz und ggf. die Partikularinteressen des betreffenden Regelsetzer berücksichtigen bzw. bewerten sollten oder müssen. Um eine Gemeingültigkeit zu erlagen ist natürlich die theoretische Richtigkeit vorauszusehen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass z.B. aufgrund Veränderungen in der Bauweise oder Nutzung, auch die Annahme der theoretischen Richtigkeit plötzlich nicht mehr gegeben sein kann. Dies kann im ungünstigen Fall auch bei langjährig bewährten, bauaufsichtlich eingeführten und regelmäßig novellierten Normreihen auftreten. Hier sei beispielsweise auf die Norm DIN 11622-2, Ausgabe 06.2004, verwiesen. Diese lies für Fahrsilos unter bestimmten Voraussetzungen unbeschichtete Innenseiten der Behälterwände zu. Mit Aufkommen der Biogasanlagen wurden die Dimensionen derartiger Anlagen beträchtlich vergrößert und somit auch der Angriffsgrad der beim Regelbetrieb zeitweise entstehende Säuren beträchtlich erhöht. Die Behälterwände wurden dadurch so geschädigt, dass es hier bereits nach einem Jahr Betriebszeit zu standsicherheitsgefährdenden Schäden, teilweise sogar zu Einstürzen kam, vergl. [3]. Die Norm musste daher in Hinblick auf den Säureschutz des Betons grundsätzlich überarbeitet werden. Aus den vorgenannten Gründen wird ersichtlich, dass auch DIN-Normen immer auf ihre Richtigkeit und Relevanz geprüft werden sollten. Damit ein schriftliches Regelwerk als „Anerkannte Regel der Technik“ gelten kann, müssen u. a. folgende Voraussetzungen erfüllt sein: - Theoretische Richtigkeit - Allgemeine Verbreitung u. Bewährung d. Bauweise - Allgemeine Bekanntheit und Relevanz d. Bauweise - Regelsetzung d. entsprechend anerkannte Fachkreise mit Berücksichtigung möglichst aller betroffenen Interessengruppen - Gewährleistung allgemeiner Zugänglichkeit des Regelwerkes - Überprüfungsmöglichkeiten der Regelsetzung, einschließlich Revisionsmöglichkeiten z. B. über entsprechend geregelte und verankerte Einspruchsverfahren - Anpassung der Norminhalte an die aktuellen Gegebenheiten und Randbedingungen. Ein bekanntes Beispiel für fehlende Aktualität ist die Mindestanforderung im Schallschutz regelnde DIN 4109, Ausgabe 1989, die erst 2016 grundlegend novelliert wurde. Die in dieser Norm verankerten Mindestanforderungen wurden vor ihrer Novellierung regelmäßig von hierzu angerufenen Gerichten als zu niedrig angesehen, weil sich mittlerweile wesentlich schärfere Mindeststandards in der Baubranche durchgesetzt hatten, die teilweise zielsicher erreicht werden konnten und deren Umsetzung daher vom Nutzer und/ oder Besteller erwartet werden konnte. Hilfsweise wurde in der betreffenden Zeit u.a. auf Regelwerke anderer Regelsetzer (z. B. VDI) zurückgegriffen. 3.6 Abhängigkeit vom Beurteilungszeitpunkt Grundsätzlich müssen zum Zeitpunkt der Abnahme u. a. die „Anerkannten Regeln der Technik eingehalten worden sein. Ansonsten liegt u. U. ein Sachmangel vor, vergl. z.B. VOB Teil B §13 (1) [2], siehe Bild 4. Bild 4: Auszug aus VOB Teil B zu Mängelansprüchen zum Zeitpunkt der Abnahme Hieraus ergeben sich bei Bauprojekten mit längeren andauernden Planungs- und Ausführungsfristen erhebliche Probleme und Risiken. Die Gefahr der Generierung eines Sachmangels aufgrund vorgenannten Sachverhaltes soll am Beispiel der Einführung der DIN 1045 Teil 1 - 4, Ausgabe 07.2001 näher erläutert werden. U.a. bedingt durch die in der vorgenannten Ausgabe vorgenommene Harmonisierungsbemühungen mit dem im Geltungsbereich der BRD erst später eingerührten Eurocode 2 unterschied sich diese Neuausgabe so wesentlich von der vorherigen Ausgabe 07.1988, dass ein Mischungsverbot bestand, vergl. [4]. Dies bedeutete, dass Planung, Bemessung und Ausführung grundsätzlich nach einem der beiden Regelwerke auszuführen waren. Das Mischungsverbot wurde jedoch nicht verletzt, wenn die jeweils strengere Vorschrift angewendet wurde. Um zum Einführungszeitpunkt hier eine praktikable Handhabung für laufende Projekte zu ermöglichen, vor dem Einführungszeitpunkt nach vorhergehender längere Diskussion durch die Fachkommission Bautechnik der Bauministerkonferenz eine Übergangsfrist bis 2004 festgesetzt, in der die alte und neue Ausgabe unter bauaufsichtlichen Aspekten parallel angewendet werden durfte, vergl. [5]. 148 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik Von interessierter Seite (u.a. Bauträger) wurde bei diesen laufenden Projekten, die nach alter Norm ausgeführt wurden, geltend gemacht, dass zum Abnahmezeitpunkt eine veraltete Bautechnik eingesetzt und hieraus Schadensersatzansprüche abgeleitet, da die neue Normgeneration ein höheres Dauerhaftigkeitsniveau, vergl. z.B. [6], sicherstelle. Dieses höhere Sicherheitsniveau sei eindeutig nach VOB zum Abnahmezeitpunkt zu gewährleisten. Einschlägige Fachautoren der juristischen Seite, z. B. der damalige Vorsitzende Richter am OLG München, Herr Prof. Dr. Gerd Motzke, zeigte in entsprechenden Fachaufsätzen großes Verständnis für diese Argumentationskette, obwohl gleichzeitig von fachtechnischer Seite immer wieder auf viele Unsicherheiten und Risiken der neuen Regelung hingewiesen wurde, vergl. z.B. [5]. Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass eine Umplanung noch nicht begonnener Projekte u. a. erhebliche Kostensteigerungen und Zeitverzögerungen zur Folge gehabt hätten. Bei bereits in der Erstellung befindlichen Projekten wäre zudem unter Umständen eine Anpassung bereits ausgeführte Bauteile an die Anforderungen der neuen Normgeneration unter wirtschaftlich sinnvollen Erwägung ggf. nicht oder nur noch eingeschränkt möglich gewesen. Sofern hier der Auftraggeber nicht frühzeitig (also vor Einführung der neuen Normengeneration) von Auftragnehmerseite auf die vorgenannte Problematik aufmerksam gemacht und entsprechend aufgeklärt worden war, ergaben sich hieraus erhebliche Haftungsrisiken für den Auftragnehmer. 3.7 Bedeutung vorliegender Normung für einzelne Bauverfahren oder -bautechniken Grundsätzlich erhöht eine vorliegende Normung die Anscheinsvermutung, dass es sich um eine Technik entsprechend den „Stand der Technik“ oder gar um Bauweise gemäß einer „Anerkannten Regel der Technik“ handelt, erheblich. Die Baustoffindustrie ist bei entsprechender Marktbedeutung des Produktes oder der Bauweise in der Regel bestrebt Neuerung in das bestehende Normensystem zu verankern. Ohne diese Verankerung ist das Risiko, aus den in Abschn. 2.6 genannte Gründen, vergl. Bild 4, der Geltendmachung von Sachmängeln eher höher. So wurden Bitumendickbeschichtungen (PMBS oder vormals KMB) bereits seit Jahrzehnten als Abdichtung von erdberührten Wänden erfolgreich eingesetzt, bevor sie im August 2000 in der einschlägigen Abdichtungsnormung DIN 18195 verankert wurden, vergl. [1]. Noch in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts waren immer wieder Rechtstreite anhängig, ob diese Technik als anerkanntes und bewährtes Verfahren anzusehen ist oder ob ein Sachmangel vorliegt. Aktuell ist die Anwendung von Bitumendickbeschichtung erneut im Fokus einer gerichtsanhängigen Auseinandersetzung. Das OLG Hamm entscheidet gemäß einen am 14.08.19 gefällten Urteil, dass eine Außenabdichtung mittels Kombinationslösung aus polymermodifizierten Bitumendickbeschichtung und WU-Bodenplatte für den Kombinationslastfall aufstauendes Sickerwasser nicht den anerkannten Regeln der Technik entspricht, vergl. [6]. Hier geht es also im Wesentlichen um die Problematik des Materialübergangs zwischen den beiden Systemen. Dieser Fall zeigt deutlich, der Planer und der Ausführende auch bei prinzipiell eingeführten Bauweisen, insbesondere bei der Kombination unterschiedlicher konstruktiver Lösungsansätze immer noch selbst eine Risikoabwägung treffen sollte und den Bauherrn bzw. Auftraggeber in diese mit einbeziehen sollte. Im vorliegenden Fall war die Mischbauweise sogar in der einschlägigen Abdichtungsnormung (DIN 18533 bzw. vormalig DIN 18195) verankert. Darüber hinaus lag eine produktspezifische Ausführungsrichtlinie [7], die ebenfalls langjährig eingeführt ist und regelmäßig überarbeitet wurde, vor. 3.8 Problematiken beim Bauen im Bestand Ein Großteil der einschlägigen Regelwerke beschäftigt sich ausschließlich mit Neubauvorhaben oder setzt für seine Vorgaben Bausubstanz, die entsprechende Vorgaben genügt, voraus. Daher sind bereits bei einfachen Umbaumaßnahmen von erst wenigen Jahren alten Objekten ggf. die Vorrausetzungen des angesetzten Regelwerks nicht oder allenfalls sinngemäß erfüllt. Planer und ausführende sind hier gut beraten, wenn sie den Bauherren über diesen Sachverhalt aufklären und (schriftlich) auf nicht auszuschließende Abweichungen in der geplanten Ausführung hinweisen und sich diese dann auch im Bedarfsfall entsprechend genehmigen lassen. Bei Umbau oder Ertüchtigung historischer Altbausubstanz ist eine Ausführung entsprechend der zum aktuellen Planungs- und Ausführungsstand anzusetzenden „Anerkannten Regeln der Technik“ in der Regel nicht oder allenfalls nur sehr eingeschränkt möglich. Teilweise liegen hier alte Bauweisen, Baustoffe oder Bemessungsverfahren vor, die so nicht mehr hergestellt bzw. ausgeführt werden. Beispielsweise seien hier, z.B. preußische Kappengewölbe, Stampflehmboden in Keller, auskragende Natursteinbalken als Balkonauflager, etc. genannt. Im Stahlbetonbau betrug die Mindestbetondeckung bei Stahlbetonfertigteilen bis in die 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bei Innenbauteilen nur 0,5 cm. Insbesondere wenn bei historisch wertvoller Bausubstanz zusätzlich Auflagen der Denkmalbehörden zu berücksichtigen sind, sind zudem die Eingriffe auf ein notwendiges Mindestmaß zu beschränken. Dies führt dazu, dass Gebrauchstauglichkeit (z.B. Deckenhöhe, Schallschutz oder Wärmeschutz) ggf. gegenüber aktuell anzusetzenden Standards zurückbleiben. Gleiches gilt für die Dauerhaftigkeit (z.B. bei Ausführungen mit reinen Kalkputzen in ungünstigen Anwendungszonen oder -bereichen). Derartige Einschränkungen sind z.B. beim Sicherheitsniveau oder Gesundheitsschutz (z.B. Gefahr der Kon- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 149 Grauzone Bauen - Insbesondere bei Berücksichtigung der Anerkannten Regeln der Bautechnik denswasserproblematik in der Heizperiode) natürlich nicht zu akzeptieren. Hier ergibt sich jedoch häufig die Schwierigkeit, dass für das zu beurteilende Bauwerk keine aktuellen Bemessungsansätze (z. B. bei historischen Stahlsteindeckensystemen) vorliegen. Die Tragwerksanalyse und die zu wählenden Bemessungsansätze müssen dann einzelfallbezogen durch entsprechende Fachingenieure erst festgelegt werden. Ähnliches gilt u.a. für die Sicherstellung von Mindestbrandschutzanforderungen. Als ein Regelsetzer, der sich insbesondere um derartige Problemstellung im Hochbau kümmert, ist die Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft (WTA) zu nennen. Da sich im Bereich der Wasserstraßen zahlreiche noch im Betrieb befindliche Bauwerke vorzufinden sind, die vor mehr als einhundert Jahren erstellt wurden, sind von der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) einige Regelwerke erstellt worden, die sich speziell der Instandsetzung derartige Bauwerke widmen. Insbesondere für Baumaßnahmen an Mauerwerksbauten, sowie Beton- und Stahlbetonbauten ab der Gründerzeit lassen sich hieraus über Analogieschlüsse Ausführungshinweise auch für Bauwerke mit anderen Anwendungszwecken gewinnen. 4. Stellenwert nicht kodifizierter Regeln Einzelne handwerkliche Ausführungs- und Applikationsweisen oder Oberflächenbearbeitung sind häufig kaum oder nicht in übergeordneten Regelwerken verankert. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich Festlegungen hinsichtlich der Wahl geeigneter oder sachgerechter Ausführungswerkzeuge, die im Zweifel die Beschaffenheit oder das Erscheinungsbild (beispielsweise Festlegungen zu den Steinmetzwerkzeugen für die händische Oberflächenbearbeitung) erheblich beeinflussen können. Eher allgemeingültige Regelwerke finden sich im Regelfall lediglich zu wirtschaftlich relevanten Aspekten und/ oder Ausführungsweisen mit hohem Streitpotential. Beispiele hierzu sind das DBV-Merkblatt zu Sichtbeton, die relativ ausführlichen Ausführungshinweise zu Natursteinmauern im Eurocode 6 oder die Merkblätter des Industrieverband Fugendichtstoffe zur Ausbildung sogenannter dauerelastischer Fugen zu nennen. Teilweise werden darüber hinaus zwar interne Spezifikationen niedergelegt, deren Verbreitung jedoch in Einzelfällen bewusst eingeschränkt, da allgemein bekannte Standards ggf. den Wettbewerbsdruck durch unerwünschte ggf. sogar artfremde Wettbewerber erhöhen könnte. Liegen lediglich schriftliche Spezifikationen mit geringen Verbreitungsgrad vor oder ist die Arbeits- oder Verarbeitungsweise nicht oder nur in wenigen Fundstellen dokumentiert, ist der Nachweis, dass es sich hier um Techniken handelt, die durchaus als Anerkannte Regel der Technik anzusehen sind, sehr schwierig, insbesondere, wenn es sich um gerichtsanhängige Auseinandersetzungen handelt. Ausdrücklich soll betont werden, dass Anwendungs- oder Ausführungsmerkblätter von Baustoffherstellern zu Einzelprodukten hierbei eher nicht hilfsweise als Beleg für den „Stand der Technik“, geschweige denn als „Anerkannte Regel der Technik“ herangezogen werden können. Dies gilt allenfalls dann, wenn sich die entsprechenden Ausführungshinweise auch in den Merkblättern der Mitbewerber in gleicher oder ähnlicher Weise wiederfinden lassen. Besser geeignet sind hier schon die entsprechenden Lehrmaterialen oder Lehrbücher, die zur Schulung von Auszubildenden im Handwerk verwendet werden. Hier lässt sich ggf. eher plausibel herleiten, dass bestimmte Ausführungsweisen eine langjährige Tradition mit entsprechender Verbreitung und allgemeiner Kenntnis der Ausführenden ausweisen. Quellennachweise [1] Zöller. M.; Boldt, A.: Anerkannte Regeln der Technik; Inhalt eines unbestimmten Rechtsbegriffs, Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart, 2017 [2] Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.): Vergabeu. Vertragsordnung für Bauleistung, Ausgabe 2019, Beuth Verlag, Berlin Wien u. Zürich 2019 [3] H. Tebbe: Betonbau in der Landwirtschaft (Teil1): in: DBV-Heft 33, S. 19 - 43, DBV (Selbstverlag); Berlin 2014 [4] Schießl. P.; Gehlen Ch, Sodeikat, Ch.: Dauerhafter Konstruktionsbeton f. Verkehrsbauwerke,Betonkalender 2004; S. 157 - 220 [5] Fingerloos, F., Litzner H.-U.: Erläuterung zur praktischen Anwendung der neuen DIN 1045,Betonkalender 2005; S. 377 - 445 [6] Rheinhardt H.-W.: Beton, Betonkalender 2001; S. 6 - 145 [7] Deutsche Bauchemie: Kombinationsbauweise „Außenabdichtung aus PMBC mit Übergang auf eine WU-Bodenplatte“ [8] Deutsche Bauchemie (Hrsg.): Richtlinie zur Planung und Ausführung von Abdichtungen mit polymermodifizierten Bitumendickbeschichtungen (PMBC), Ausgabe 12.2018,Selbstverlag Frankfurt a. M., 2018 Ingenieurbauwerke/ Brücken 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 153 Hochstraße Elbmarsch in Hamburg - Neubau von Megastützen unterhalb befahrener Brückenüberbauten Dipl.-Ing. Katharina Dawirs Ingenieurbüro Grassl GmbH, Hamburg Dr.-Ing. Sebastian Krohn DEGES GmbH, Berlin Zusammenfassung Über die Gesamtmaßnahme zur Verbreiterung der 3,8 km langen Hochstraße Elbmarsch (K20) in Hamburg und den zugehörigen Sonderbereich der Megastützen wurde bereits auf dem 4. Brückenkolloquium im September 2020 berichtet. Aufgrund der Erkenntnisse u.a. aus einer Instandsetzungsmaßnahme an der Megastütze in Achse 55 West wurde im Zuge der Planung der Verbreiterung festgelegt, die Mehrzahl der Megastützen abzubrechen und neuzubauen. Der Ersatzneubau der massiven Megastützen muss direkt unterhalb der weiterhin befahrenen Bestandsüberbauten erfolgen. Neben der komplexen Tragwerksplanung der Megastützenkonstruktionen musste eine Lösung für die bauzeitliche Aufrechterhaltung des Verkehrs auf und unter der K20 gefunden und die räumlich begrenzten Platzverhältnisse berücksichtigt werden. Der Ersatzneubau der Megastützen hat im Jahr 2020 begonnen. 1. Einordnung in die Gesamtmaßnahme Der 8-streifige Ausbau der A7 im Bereich der K20 wird durch die innenseitige Verbreiterung des Bestandsbauwerks realisiert. In 7 der 110 Achsen der K20 befinden sich schiefwinklig kreuzende Verkehrswege unterhalb des Bauwerks. Der vorhandene Spannbetonüberbau lagert dort zur Überführung der Verkehrswege auf sogenannten Megastützen auf. Je Richtungsfahrbahn ist eine Megastütze angeordnet. Die Megastützen bestehen im Wesentlichen aus einer Großrundstütze und massiven, vorgespannten, beidseitig auskragenden Riegeln. Abb. 1: Bestand Megastützen Achse 56 154 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Hochstraße Elbmarsch in Hamburg - Neubau von Megastützen unterhalb befahrener Brückenüberbauten Für 10 der 14 Megastützen wurde im Zuge der Planungen festgelegt, dass die Bauwerke für die Verbreiterung neu zu bauen sind (s. Kap. 2.1). Die finale Entscheidung für den Ersatzneubau fiel erst zum Abschluss der vorgezogenen Instandsetzungsmaßnahmen. Im Anschluss erfolgte kurzfristig eine umfangreiche Planung des komplexen Ersatzneubaus, sodass dieser Berücksichtigung in der Ausschreibung der Gesamtmaßnahme finden konnte. Bereits in der Planungsphase wurde deutlich, dass die Ausführung des Ersatzneubaus der Megastützen auf dem zeitkritischen Weg der Gesamtmaßnahme der Verbreiterung liegt. Der Ersatzneubau muss erfolgen bevor die eigentliche Verbreiterung in den betroffenen Achsen realisiert werden kann. Der vorgesehene Gesamtbauablauf wurde dementsprechend angepasst. 2. Planung Ersatzneubau 2.1 Veranlassung Die ersten Untersuchungen zu den Megastützen fanden, aufgrund der im Rahmen der kontinuierlichen Bauwerksprüfungen vorgefundenen Schäden, ab dem Jahr 2003 statt. Die seitdem fortschreitenden Betonabplatzungen und Rissbildungen mit Aussinterungen, besonders an den schwer zugänglichen Kopfbereichen der Spannbetonriegel, führten zu der Instandsetzungsmaßnahme in Achse 55 West. Die Planungen der Instandsetzungsmaßnahme begannen im Sommer 2015 und die Ausführung wurde im Januar 2019 erfolgreich abgeschlossen. Diese Maßnahme wird in [1] umfassend beschrieben. Neben der Instandsetzungsmaßnahme an Achse 55 West erfolgten weitere umfangreiche Untersuchungen als Grundlage zur Entscheidungsfindung über Erhalt oder Ersatz der Megastützen. Die komplexen statischen Betrachtungen, baustofftechnologischen Analysen und bauwerksspezifischen Versuche sind in [2] beschrieben. Auf dieser Basis wurden die Erkenntnisse aus sämtlichen Untersuchungen zusammengetragen und ausgewertet. Im Ergebnis wäre ein Erhalt der Konstruktion bei 10 der 14 Megastützen wirtschaftlich nicht vertretbar gewesen. Maßgeblich für die Entscheidung zum Ersatzneubau war die vorgegebene Restnutzungsdauer aller Unterbauten bis mindestens zum Jahr 2084. 2.2 Hilfsumfahrungen Die Megastützen befinden sich unmittelbar neben befahrenen Straßen, die Spannbetonriegel liegen teilweise direkt über dem Verkehrsraum. Eine Sperrung dieser Straßen ist aufgrund der Lage im Hamburger Hafen nicht möglich. In den betroffenen Achsen mussten daher Hilfsumfahrungen für diese Straßen geplant werden. Dabei waren die Betroffenheiten Dritter und baugrundtechnische Anforderungen zu beachten. Abb. 2: Hilfsumfahrung Achsen 55 und 56 2.3 Hilfskonstruktion Zur Abfangung der angrenzenden Spannbetonüberbauten werden Hilfskonstruktionen benötigt. Die geplanten stählernen Fachwerkkonstruktionen sollen im Werk vorgefertigt, vor Ort abschließend verschraubt und montiert werden. Die Planung sieht vor die Hilfskonstruktionen beidseitig der Megastützen auf den Bestandsunterbauten aufzulagern. Die jeweiligen Lagerungsbedingungen der angrenzenden Überbauten können somit durch horizontale Knaggen in Längsund/ oder Querrichtung aufrechterhalten werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 155 Hochstraße Elbmarsch in Hamburg - Neubau von Megastützen unterhalb befahrener Brückenüberbauten Abb. 3: Längsschnitt Bauzustand Achse 56 West Die neuzubauenden Riegel in den Achsen 55, 56 und 69 sind direkt befahren. Um den Verkehr der A7 über die gesamte Bauzeit aufrechtzuhalten wurde geplant, den gut 2 m breiten Streifen zwischen den Überbauten mit speziell für diese Achsen entwickelten Abdeckplatten temporär zu überbrücken. Die zum Einsatz kommenden Stahlkonstruktionen sind für die Überfahrt von Schwer- und Großraumtransporten mit einer Achslast von 12 t und eine Überfahr-Geschwindigkeit von mindestens 60 km/ h ausgelegt. 2.4 Abbruch Nach erfolgter Montage der Hilfskonstruktionen werden die vorhandenen Überbauten hydraulisch angepresst und somit abgefangen. Der vorhandene Spannbetonriegel wird anschließend mit einem Traggerüst unterstützt. Der geplante Rückbau der Megastützen beginnt mit einem horizontalen Trennschnitt durch die Großrundstütze direkt unterhalb des Riegels. Die Großrundstützen haben einen Außendurchmesser von 6,0 m und eine maximale Wandstärke von 80 cm. Der konventionelle Abbruch der Stütze wird bis auf 1,0 m über der Oberkante der Pfahlkopfplatte erfolgen. Der verbliebene Stützenquerschnitt wird zum Erhalt der vorhandenen Anschlussbewehrung der Pfahlkopfplatte mittels Hochdruckwasserstrahlens abgebrochen. Danach wird der Riegel abgesenkt, vor Ort in Teilstücke zerschnitten und das Abbruchmaterial abtransportiert. 2.5 Neubau Für den Ersatzneubau wurden verschiedene Bauwerksvarianten untersucht. Die geometrischen Zwänge aufgrund der Lichtraumprofile der unterführten Straßen führten dazu, dass eine Lösung in Anlehnung an den Bestand gefunden werden musste. Anstelle der ursprünglich in der Planung der 1970er Jahre bereits vorgesehenen Einhängeträger, wurde jedoch eine Verlängerung des innenseitigen Kragarms der Spannbetonriegel geplant. Die Verlängerung wird als direkte Auflagerung für den Verbreiterungsträger genutzt. Bis auf den verlängerten innenseitigen Kragarm wurden die Megastützen mit den gleichen Querschnitten wie der Bestand geplant. 156 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Hochstraße Elbmarsch in Hamburg - Neubau von Megastützen unterhalb befahrener Brückenüberbauten Abb. 4: Neubau mit Verbreiterung in Achse 56 West Es wurde nachgewiesen, dass die infolge des Neubaus geänderte Gesamtbelastung der bestehenden Gründungen der Megastützen weiterhin statisch aufgenommen werden kann. Der Ersatzneubau wurde nach Eurocode bemessen, die bestehenden Gründungen analog der gültigen Nachrechnungsrichtlinie für Straßenbrücken überprüft. Der Neubau der Megastützen wurde in umgekehrter Abfolge des Abbruchs geplant. Zunächst wird der neue Riegel bodennah auf einem Traggerüst, unterhalb der befahrenen Überbauten hergestellt. Der Riegel wird dabei im Traggerüst mit einer 1. Vorspannstufe versehen. Nach dem Hochpressen des Riegels ist die Betonage der Stahlbetongroßrundstütze unterhalb des Riegels vorgesehen. Im Anschluss daran werden die angrenzenden Bestandsüberbauten von der Hilfskonstruktion mittels Pressen auf die neuen Megastützen umgelagert. Ab diesem Zeitpunkt wirken Eigengewicht und Ausbaulasten der Bestandsüberbauten auf die neuen Megastützen. Erst unter dieser Belastung kann die 2. Vorspannstufe auf den Riegel aufgebracht werden. Diese 2. Vorspannstufe wurde im Bereich des verlängerten Kragarms aus statischer Sicht für den 8-streifigen Ausbauzustand der K20 erforderlich. Nach Fertigstellung der Megastützen kann die Auflagerung der Verbundträger für die innenseitige Verbreiterung des Bauwerks erfolgen. 3. Ausführung Ersatzneubau Die vorbereitenden Arbeiten für den Ersatz der Megastützenriegel haben bereits begonnen. Die Werksfertigung der Stahlhilfskonstruktionen zum Abfangen der Überbauten läuft derzeit. Im Zuge der Ausführungsplanung wurden der Bauablauf und die Konstruktionen so optimiert, dass die meisten Stahlfachwerke mehrfach zum Einsatz kommen können. Der Einbau der überfahrbaren Abdeckplatten wurde innerhalb einer Wochenendsperrung der A7 durchgeführt. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 157 Hochstraße Elbmarsch in Hamburg - Neubau von Megastützen unterhalb befahrener Brückenüberbauten Abb. 5: Testfahrt nach Fertigstellung Abdeckplatten Das Plattensystem muss sowohl die Verkehrslasten der A7 aufnehmen, als auch die Dilatation der am Megastützenriegel anschließenden Überbauten ausgleichen. Ursprünglich war das System als reine Stahlkonstruktion geplant. Um einen optimalen Verkehrsfluss zu gewährleisten, entschied man sich, Anrampungen aus Asphalt mit einem Längsgefälle von nur 1% vor und hinter den Stahlplatten vorzusehen. So werden die Verkehrsteilnehmer bei der Überfahrt nicht irritiert und der Verkehrsfluss bleibt ungestört, während unterhalb der Stahlplatten der Ersatzneubau der Megastützen erfolgen kann. Literatur [1] Peters, F.; Krohn, S.; Mangold, M.: K20 Hochstraße Elbmarsch - Planung und Ausführung der Instandsetzung einer Megastütze unter Verkehr, Tagungsband 6. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken, Technische Akademie Esslingen 01/ 2019 [2] Krohn, S.: Instandsetzung der Megastützenriegel der Hochstraße Elbmarsch, Tagungsband 4. Brückenkolloquium, Technische Akademie Esslingen 09/ 2020 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 159 Sanierung von Brückenfahrbahnen und Gehwegen mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen Dipl. Ing. Thomas Stihl SEH Engineering GmbH, Büro Dortmund Zusammenfassung Für Brückenfahrbahnen, welche die Fahrzeuglasten in die Tragwerksstruktur einleiten und am stärksten dynamischen Einflüssen ausgesetzt sind, wurden neue innovative Techniken zur Verstärkung und Entlastung von vorhandenen Tragwerken entwickelt. Bei dem SPS-Overlay-Verfahren werden orthotrope Stahlfahrbahnen verstärkt, indem ein zusätzliches Deckblech im Abstand von nur 25mm über dem alten Fahrbahnblech angeordnet wird und der entstehende Hohlraum mit einem zu einem massiven Kern aushärtenden Kunststoff (Polyurethan) vergossen wird (SPS, Sandwich-Plate-System). Dadurch verringern sich die Materialspannungen und Verformungen an den gefährdeten Aussteifungsrippen um 60%. Gleichzeitig erhält das Bauwerk durch den Kunststoff zusätzliche bauphysikalische Eigenschaften. Diese sind Schwingungsdämpfung der Stahlfahrbahn durch die Energieabsorptionsfähigkeit des Kunststoffes sowie dessen Isolationsverhalten bei Temperaturänderungen (Blitzeis) oder die Geräuschdämpfung (Trittschall). Vom Bundesverkehrsministerium wurde dieses System (SPS-Overlay) 2005 mit einem Pilotprojekt auf der vielbefahrenen A57 in der Nähe von Krefeld an der Schönwasserparkbrücke qualifiziert und erfolgreich eingesetzt. In Luxemburg wurden in 2016 an der „Roten Brücke“ Pont Grande Duchesse Charlotte 5.100 m² der Brückenfahrbahn mit SPS-Overlay erfolgreich verstärkt und 2.300 m³ neue Gehwege aus SPS-Platten ersetzt. Die 1965 gebaute 355m lange Stahlbrücke konnte mit dieser Maßnahme für weitere 50 Jahre mit den Lasten der DIN-Fb 101/ 103 ermüdungstechnisch nachgewiesen werden. Der Vortrag erklärt die Technik des Stahl-Kunststoff-Verbundsystems SPS anhand von ausgeführten Projekten. 1. Einleitung Die steigende aktuelle Verkehrsbelastung des öffentlichen Straßenverkehrs führt auch zu hohen Beanspruchungen der Brückenbauwerke im öffentlichen Straßenverkehr. Brückenbauten aus Stahl wurden in den 1960-er bis 1980-er Baujahren aus Wirtschaftlichkeitsgründen möglichst leicht gebaut. Die damals gültige Normung war besonders hinsichtlich Stahlermüdung und dynamischer Beanspruchung noch nicht so weit entwickelt und hatte bei weitem nicht den heutigen Stand. Die daraus resultierenden schädigenden Effekte auf das Tragwerk und die Lebensdauer wurden nicht abgebildet. Gleichzeitig berücksichtigten die Verkehrsprognosen bei weitem nicht die eingetretenen Fahrzeugzahlen und -größen. Beanspruchbarkeit und Beanspruchung wurden beide nicht in der erforderlichen Größe berücksichtigt und führten zu den bekannten Schäden an den Brückentragwerken und zum daraus entstandenen Sanierungsstau. Um die Effekte auf Stahlfahrbahnen (orthotrope Platte) von Stahlbrücken, welche die Radlasten direkt in das Tragwerk einleiten müssen, zu reduzieren wurde die Technologie von Stahl-Kunststoff-Verbund-Kompo-nenten als Overlay entwickelt. Damit können die von der BASt als Kategorie 1-Schaden klassifizierten Fahrbahnschäden saniert und die Lebensdauer auf rechnerisch bis zu weiteren 50 Jahren erweitert werden. 2. Technologie der Stahl-Kunststoff-Verbundbauteile (SPS) Die Technologie der Stahl-Kunststoff-Verbundbau-teile (SPS) basiert auf einem Forschungsvorhaben an der Carleton Universität Ottawa, Kanada welche 1983 für die Entwicklung von Eisbarrieren in der Beaufort Sea gestartet wurde. Die Forschungskooperation zwischen dem Stahlbaulehrstuhl der RWTH Aachen und der Carleton Universität mit den Wirtschaftspartnern Krupp Stahlbau Hannover und in der Folge SEH Engineering führte zu einer nachhaltigen Weiterentwicklung und Manifestierung der Technologie seit nunmehr über 30 Jahren. Die Technologie ist umfassend untersucht. Beim SPS handelt es sich um einen Sandwichquerschnitt, der aus zwei außen liegenden Stahlplatten besteht (Bild 1), die einen festen Polyurethankern umschließen. SPS- 160 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierung von Brückenfahrbahnen und Gehwegen mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen Platten sind isotrope, auf Ober- und Unterseite ebene Plattenelemente ohne Aussteifungsrippen. Bild 1: Geometrische Daten des SPS-Systems Die phantastischen Haftungseigenschaften des speziell formulierten Polyurethans auf der Stahloberfläche führen zu einem hochbelastbaren Tragelement, welches auch große, dynamische Lasten aufnehmen kann. Im Gegensatz zu bekannten Sandwichelementen mit geschäumten PUR, welche im Bauwesen als Fassaden- und Dachelemente eingesetzt werden, steht beim SPS die statische Tragwirkung und nicht die Bauphysik im Vordergrund. Aus diesem Grund besteht der Kunststoff aus einem massiven, nicht geschäumten Kern. Auch beim massiven Kunststoffkern des SPS wirken die bauphysikalischen Vorteile des Kunststoffes positiv auf die Performance. Bei der Konstruktion von Brücken werden SPS-Platten auch verwendet, weil diese die typischen Nachteile der Stahlkonstruktion, wie fehlende Dämpfung oder strukturphysikalische Nachteile wie Schallübertragung oder Isolierung ausgleichen und dies alles ohne zusätzliche Maßnahmen. Bild 2: Fahrbahnoberseite Baustelle Hergestellt wird die Verbundplatte indem zwei Stahldeckbleche mit einem Kern aus Polyurethan Elastomer zu einem Sandwich (Bild 1) der in zwei Schritten verbunden werden: 1. Zusammenbau des Oberblechs und Unterblechs mit Abstandhaltern und Randleisten durch Schweißung oder Klebung, so dass geschlossene Kavitäten entstehen (Bild 2). 2. Injektion des 2-komponentigen flüssigen Polyurethans (Bild 10) in die Kavität, welches beim Erhärten mit dem Oberblech und Unterblech eine zug- und schubfeste mechanische Verbindung eingeht und eine tragende Verbundkonstruktion entsteht. Biegesteifigkeit und Festigkeit der Sandwichplatte lassen sich durch entsprechende Geometriewahl (Blech- und Elastomerdicken) anpassen und so wählen, dass diese denen einer konventionell ausgesteiften Stahlkonstruktion entsprechen. Durch das vollständig verbundene Elastomer werden die Stahlbleche kontinuierlich gestützt: lokales Beulen wird so verhindert, ohne dass zusätzliche Steifen angeschweißt werden müssen; Schubkräfte lassen sich von einem Stahlblech zum anderen übertragen. Die Stahlbleche müssen vor der Montage gesandstrahlt sein, die Kavitäten müssen vor der Injektion des Elastomers sauber und trocken sein. Das Aushärten geht mit Wärmewirkung und Volumenausdehnung einher, die durch Niederhalter unterdrückt wird (Druckbildung). Nach der Aushärtung des Elastomers besteht vollständiger Verbund mit den Stahldeckblechen, die Schubfestigkeit in der Verbundfuge zwischen Elastomer und Stahl beträgt mindestens 4 MPa. 3. Bauweisen Die Stahl- Kunststoff-Verbundbauteile werden in zwei Bauweisen unterschieden. Zum einen können Paneele oder Fertigteilplatten in der Werkstatt vorgefertigt und dann am Bauort montiert werden. Zum anderen ist es möglich auf der Baustelle, vor Ort plattenartige Tragwerksteile (z.B. Brückenfahrbahnen, Gehwege) mit einem Overlay zu versehen und in der Tragfähigkeit zu ertüchtigen. 3.1 Bauweise Paneele Fertigteil-Platten aus mit Polyurethan gefüllten Stahlboxen Anwendungen: Fahrbahntafeln Gehwegplatten Bild 3: Einbau Fahrbahnpaneele 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 161 Sanierung von Brückenfahrbahnen und Gehwegen mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen Bei Einsatz von Stahl-Kunststoff-Verbundplatten werden in der Werkstatt vorgefertigte Fahrbahnelemente auf der Baustelle in das zu sanierende Tragwerk eingefügt (Bild 3). Der üblicherweise vorhandene und tragfähige Trägerrost der Primärkonstruktion eignet sich, die Platten mittels Schraub- oder Schweißverbindung aufzunehmen. Beim Schweißen werden an den Stahlboxen Stahl-Randleisten verwendet, welche die Wärme der Schweißenergie so weit aufnehmen, dass die Glasübergangstemperatur des Elastomers nicht überschritten wird und keine Schädigung des Kunststoffkerns stattfindet. 3.2 Bauweise Overlay Ergänzung einer vorhandenen Stahlplatte um ein weiteres Deckblech, mit Verfüllung des Zwischenraums mit Polyurethan (Bild 4). Anwendungen: Orthotrophe Brückenfahrbahnen Bild 4: Einbausituation Fahrbahn-Overlay Beim Herstellen der Kavitätenboxen des Overlay werden relativ dünnen Bleche verwendet, die bis zum Kunststoffeinbau noch keine Stabilisierung erfahren. Das Schweißen geschieht durch energiearme Schweißverfahren, welche den Schweißschrumpf minimieren. Außerdem werden die Leisten und Rahmen fixiert, weil die beim anschließenden Schweißen der Kavitäten entstehenden Zwängungen durch Schrumpf zu einem Beulen der Deckbleche (Bild 8) führen würden. 4. Austausch der Verbundfahrbahnplatte der Hängebrücke Mettlach mit SPS-Fertigteilplatten Die Fahrbahn der 1951 gebauten, über 108m gestützten Hängebrücke über die Saar in Mettlach (Bild 5) musste im Jahr 2012/ 13 erneuert werden, weil die Tragfähigkeit des Bauwerks auf Grund von Verschleiß, Korrosion und hohem Verkehrsaufkommen nicht mehr ausreichend war. Bild 5: Saarbücke Mettlach Durch die Verwendung von SPS-Fertigteilplatten (Bauweise Paneele) war es möglich das Fahrbahngewicht von 500t auf 200t zu reduzieren. Dadurch konnte das erhöhte Verkehrsaufkommen der aktuellen Normung für die Brücke angesetzt werden und dies bei gleichzeitiger Entlastung der Spannungen in den Tragkabeln. Dies war erforderlich, weil eines der im Erdankerblock vergossenen Hauptkabel wegen korrodierter und gebrochener Drähte nicht mehr ausreichend tragfähig war. Im konkreten Fall konnte außerdem aufgezeigt werden, dass der massive Kunststoffkern in der Lage war Verkehrslärmemissionen zu reduzieren, weil kein stahlbautypischer Resonanzkörper vorhanden ist und der Kunststoff zudem als Dämpfungselement wirkt. Innerhalb von nur 3,5 Monaten wurde die isotrope, nur 45mm dicke SPS-Fahrbahnplatte eingebaut. Das entspricht einer Bauleistung von 15 m²/ Tag. Der Verkehr wurde während des Umbaus in 1-spuriger Verkehrsführung weiter über das Bauwerk geführt. Der innerstädtische Verkehr konnte ohne Komplettsperrung aufrechterhalten werden. 5. Anwendungsbeispiel Pont Grande-Duchesse Charlotte Luxemburg (SPS-Overlay) Im Rahmen der Entwicklung der luxemburgischen Infrastruktur beschloss die luxemburgische Verwaltung, den öffentlichen Verkehr in der Stadt auszubauen und die Busverbindung durch eine Straßenbahn zu ergänzen oder teilweise zu ersetzen. Die Pont Grande-Duchesse Charlotte (PGDC), welche die Innenstadt Luxemburgs mit dem Kirchberg Plateau verbindet (Bild 6) und die seit ihrem Bau im Jahr 1965 mit ihrer roten Farbe („Rout Bréck“) das Stadtbild stark beeinflusst hat, sollte aufgrund des UNESCO-Weltkulturerbes nahezu unverändert erhalten bleiben. Dies führte zu der Entscheidung, die bestehende Struktur für die neuen Aufgaben zu ertüchtigen. Die gesamte Realisierung ist in Lit. [11] umfassend charakterisiert. Aufgrund der geplanten Nutzungsänderung musste der Verkehrsquerschnitt der Brücke angepasst werden. Charakteristisch ist die Überführung einer zweigleisigen 162 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierung von Brückenfahrbahnen und Gehwegen mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen Straßenbahnstrecke, welche am Widerlager Kirchberg über eine Standseilbahn (Funiculaire) mit dem neuen S- Bahnhof der Alzettetal-Bahn verbunden ist. Die Bauaufgabe erforderte umfangreiche Verstärkungs- und Unbaumaßnahmen, der orthotrophen Fahrbahn an der PGDC, welche anschließend die Tragfähigkeit der Baustruktur nach den heutigen Standards gewährleistet. Dies konnte mittels großflächiger Verstärkung der orthotropen Fahrbahnplatte mittels SPS-Overlay sichergestellt werden. Die Arbeiten an der Brückenkonstruktion wurden im Juni 2015 begonnen und konnten im September 2017 mit dem Rückbau der Stahlbaustelle abgeschlossen werden. 6. Baustellenorganisation / operativer Ablauf Die exponierte Lage der Baustelle in der Stadt Luxemburg, die innerstädtische Verkehrssituation und die zeitlich enge Verknüpfung mit anderen Infrastrukturmaßnahmen in der Stadt wurden durch weitere Besonderheiten beeinflusst. Bild 6: Pont Grande-Duchesse Charlotte Luxemburg Unter anderem wurde der öffentliche Verkehr über dem Bauwerk während der gesamten Umbaumaßnahme aufrechterhalten. Die großen Gelenkbusse der luxemburgischen Verkehrsbetriebe erreichten Ihre Haltestellen nur fahrplanmäßig, weil sie die Brücke passieren konnten. Für Fußgänger und Radfahrer gab es immer mindestens einen Bürgersteig für den Übergang von der Stadt zum Europa-Viertel und zum Kirchberg-Plateau. Das Hauptkriterium für die Organisation der Prozesse war jedoch das Erreichen des Fertigstellungstermins des Brückendecks am 30.06.2017. Dieser war zwingend erforderlich, weil die die Montage der Straßenbahnschienen zu diesem Zeitpunkt die Brücke erreichten und die Gleisbauarbeiten ohne Unterbrechung über die Brücke weitergeführt werden mussten. Die Arbeit wurde in 4 Arbeitsschritte unterteilt (Bild 7, Tabelle 1) in denen je zwei Fahrspuren umgebaut wurden. - Während der Bauphase I und III waren beide Bürgersteige für Fußgänger und Radfahrer frei nutzbar. - Während der Bauphasen II und IV war nur einer der Fußgänger- und Radwege verfügbar, da entweder der nördliche oder der südliche Fußgängerradweg umgebaut wurde und die neue Geländer- / Schutzwand installiert werden musste. - Sowohl die Arbeitsbereiche als auch die Lager- und Logistikflächen wurden während des Bauens vier Mal neu aktiviert. Terminplan Arbeitsbereich Beginn Ende Tage Arbeitsbereich I 01.10.15 03.02.16 90 Arbeitsbereich II 04.02.16 05.10.16 175 Arbeitsbereich III 06.10.16 03.02.16 85 Arbeitsbereich IV 04.02.17 30.06.17 105 Fahrbahnumbau gesamt: 01.10.15 30.06.17 455 Tabelle 1: Terminplan des PGDC-Fahrbahnumbaus Bild 7: Bauphasen an der PGDC 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 163 Sanierung von Brückenfahrbahnen und Gehwegen mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen 7. Konstruktion Fahrbahnverstärkung mit SPS-Overlay Bild 8: SPS-Overlay-Kavität vor dem Schließen Die entscheidende Entwicklung der SPS-Technik bestand darin, die Kunststoffinjektionstechnik für 2-komponentige Elastomere, die für die Fabrikfertigung entwickelt wurde und dort seit Jahrzehnten eingesetzt wird, an die Umgebungsbedingungen eines Baustelleneinsatzes anzupassen. Robuste, wetterunempfindliche Technik, die den hohen Qualitätsanforderungen im Bauwesen entspricht, musste entwickelt und serienreif gemacht werden. Bild 9: selbstfahrende Kunststoff-Injektionsmaschine Eine auf einem Raupenfahrwerk montierte, selbstfahrende, vollautomatische und computergesteuerte Injektionsmaschine (Bild 9) kam dabei zum Einsatz. Sie wurde durch die BASF-Tochter Elastogran speziell für die Anforderungen von Baustelleninjektionen entwickelt. Mit dieser Maschine ist es möglich, auch schwer zugängliche Bauorte zu erreichen und die Elastomerinjektion in der erforderlichen Qualität durchzuführen. Bild 10: Kunststoff- Injektionsvorgang 8. Qualitätssicherung SPS-Brückenfahrbahn- Overlay Zur Qualitätssicherung der Sandwich-Schichten wurde ein spezielles Testverfahren entwickelt, welche eventuelle Fehlstelle in der Haftungsschicht zwischen dem Stahlblech und dem Kunststoffkern sowie Luftblasen detektieren kann. Herkömmliche Techniken wie Ultraschall liefern keine Ergebnisse, weil die unterschiedliche Dichte der Kompositbestandteile immer zu einem Signal führt. Deshalb wurde ein Messverfahren (SONALIS) entwickelt, bei dem die Schallantwort auf ein Klopfsignal ausgewertet wird (Bild 11). Mit Hilfe eines geeichten Schlagwerks, welches in einem Messkopf untergebracht ist und einem Mikrofon, werden die Signale erzeugt und mittels einer elektronischen Auswert-einheit verarbeitet. Detektiert und angezeigt werden „Bonded“ = verbunden, „Debonded“ = kein Verbund und „uncertain“ = unsicher => Neumessung. Bild 11: Sonalis Testgerät 164 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierung von Brückenfahrbahnen und Gehwegen mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen An der PGDC wurde ein Messprogramm durchgeführt, bei dem die Fahrbahn in einem Raster von 30 cm x 30 cm abgeklopft wurde 9. Zusammenfassung Sanierungs-Leistung und Kosten Entscheidungskriterien für den Einsatz solcher Sanierungssysteme sind die Leistung und die Kosten. Beides muss im wirtschaftlichen Verhältnis stehen und dem Bauwerk bezüglich nachhaltigen Bauens eine ausreichende Restlebensdauer gewähren. Am Beispiel der PGDC lässt sich erkennen, dass die neue Sanierungsmethode mittels Stahl- Kunststoff-Sandwich beide Kriterien erfüllt und mit minimal-invasivem Bauen großartige Ergebnisse liefert. Sanierungsleistung Fahrbahn Brückenfläche 355,00 m x (26,58 -6,33 m) = 7.190 m² (minus Tram) Dauer 21 Monate = 455 Arbeitstage Sanierungsleistung = 16m²/ Tag Sanierungskosten Fahrbahn Brückenfläche = 7.190 m² Kosten Stahl-Kunststoff-Verbundbauteile = 4.219 tsd € Sanierungskosten Stahl-Kunststoff-Verbundbauteile 587,- €/ m² Brückenumbau gesamt Dauer 47 Monate = 940 Arbeitstage (9.440 m²) Leistung 10 m²/ Tag / Kosten 2.000,- €/ m² Im Kostenvergleich erkennt man, dass die Verstärkung der Fahrbahn 30% der Gesamtbaukosten einer umfassenden Restrukturierung ausmacht. Die Kosten für den Fahrbahnumbau mit Paneelen bewegen sich im Übrigen auf dem gleichen Niveau wie die Overlayergänzung. Nachhaltiges, wirtschaftliches Bauen im Bestand ist mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen möglich. Literaturverzeichnis [1] Kennedy, S.J.: Das Sandwich-Platten-System (SPS). Stahlbau 76 (2007), H. 7, S. 455-464. [2] Matuschek, J., Stihl, T., Bild, S.: Verstärkung der orthotropen Stahlfahrbahn der Schönwasserparkbrücke mittels Stahl-Elastomer-Sandwich (SPS). Stahlbau 76 (2007), H. 7, S. 465-471. [3] Minten, J., Sedlacek, G., Paschen, M., Feldmann, M., Geßler, A.: SPS-ein neues Verfahren zur Instandsetzung und Ertüchtigung von stählernen orthotropen Fahrbahnplatten. Stahlbau 76 (2007), H. 7, S. 438-454. [4] Friedrich, H.: Schönwasserparkbrücke: Untersuchung zur thermischen Beanspruchung von SPS beim Einbau bituminöser Fahrbahnbeläge. Stahlbau 76 (2007), H. 7, S. 472-477. [5] Feldmann, M., Sedlacek, G., Möller, S., Geßler, A., Ungermann, D., Kalameya, J.: Herstellung von Stahlfahrbahnen in Sandwichbauweise mit verringertem Schweißaufwand. Forschungsbericht P628, aus der Reihe Forschung für die Praxis, ISBN 3-937567-92-5, Forschungsvereinigung Stahlanwendung e.V., Düsseldorf, 2010. [6] Sedlacek, G., Feldmann, M., Paschen, M., Geßler, A.: SPS-applications in bridge design - safety and economy aspects, PU Magazine, Volume 2, No 4, October 2005. pp. 246-250. [7] Feldmann, M., Sedlacek, G., Geßler, A.: A System of Steel-Elastomer Sandwich Plates for Strengthening Orthotropic Bridge Decks. Mechanics of Composite Materials, journal, Vol. 43, No. 2, Institute of Polymer Mechanics, University of Latvia 2007, Seite 271-282. [8] Kennedy, S. J.: SPS Bridge Deck Design Guidelines. Intelligent Engineering Limited, Nov 2010. [9] Uwe Heiland, Thomas Stihl, Stefan Henschke.: Erkenntnisse und Bewertung von Verfahren zur Grundinstandsetzung stählerner Hochbahntrasse; Stahlbaunachrichten, September 2012, Deutscher Stahlbauverband DSTV, Düsseldorf [10] Thomas Stihl, Carsten Chassard, Markus Feldmann, Stefan Bild: Neue Technologie für die Hängebrücke über die Saar in Mettlach-Brückenfahrbahn aus Sandwich Plate System (SPS), Ernst und Sohn, Berlin, Stahlbau 82 (2013), Heft 3 [11] Gesella, H., Schwarz, W., Didier, G.: Planung und Ausschreibung der Ertüchtigung der Brücke Grande-Duchesse Charlotte in Luxemburg. Stahlbau (2016), H. 4. [12] Stihl, Th., Geßler, A., Feldmann, M., Kennedy, Stephen J.: Sanierung von Brückenfahrbahnen und Gehwegen mit Stahl-Kunststoff-Verbundbauteilen. Stahlbau (2016), H. 10. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 165 Carbonbeton - Verstärkung der Brückenbauwerke A 648 UF Nidda - Erfahrungsbericht aus der Ausführung eines Pilotprojektes Rolf Spreemann Implenia Instandsetzung GmbH, München Zusammenfassung Im Rahmen eines Pilotprojektes von Hessen Mobil wurden zwei 3-feldrige Brückenbauwerke im Zuge der A 648 durch den Einbau von Verstärkungsschichten aus Carbonbeton auf der Oberseite und in Teilbereichen der Untersicht zur Erreichung eines ausreichenden Ankündigungsverhaltens bei Spanngliedausfall verstärkt. Die bauseitige Planung konnte auf der Baustelle erfolgreich umgesetzt werden. Hohes Augenmerk muss bei den Arbeiten auf die Qualitätssicherung der Ausführung gelegt werden. Für die Ausführung der Arbeiten waren Kolonen mit bis zu 15 Mann im Einsatz. Der Artikel berichtet von der erfolgreichen Ausführung der Carbonbetonarbeiten. Für viele Bestandsbauwerke mit mangelndem Ankündigungsverhalten dürfte der Einsatz von Carbonbeton eine sinnvolle Sanierungsmethode darstellen. 1. Einleitung Bei den Bauwerken handelt es sich um zwei 3-feldrige Brückenbauwerke im Zuge der A 648 mit einer Spannweite von ca. 67m aus den frühen 70er Jahren. Der damals eingesetzte Spannstahl (Sigma-Oval) ist anfällig für Spannungsrisskorrosion und zeigt Minderfestigkeiten. Bei Ausfall des Spannstahl in Folge von Spannungsrisskorrosion zeigen die Bauwerke kein ausreichendes Ankündigungsverhalten in den Randfeldern und über den Stützen im Sinne der Handlungsanweisung Spannungsrisskorrosion. Ziel der hier geplanten Hauptmaßnahme ist die Ertüchtigung der Teilbauwerke 1 und 2, um eine verkehrssichere Nutzung für die nächsten ca. 15 Jahre (Restnutzungsdauer bis 2034) zu erreichen. Das fehlende Ankündigungsverhalten besteht bei einer Vielzahl ähnlicher Bauwerke. Es besteht erheblicher Bedarf an alternativen Instandsetzungsmaßnahmen. Daher entschied sich der Bauherr im Rahmen eines Pilotprojekts für eine Ertüchtigung mittels Textilbeton (hier Carbonbeton genannt). Die ARGE Implenia Instandsetzung/ Züblin wurde im Frühjahr 2020 nach öffentlicher Ausschreibung mit der Ausführung beauftragt. Beide Firmen haben langjährige Erfahrung in der Ausführung der Textilbetonarbeiten. Der Vortrag fasst die Erfahrungen aus der Ausführung der Maßnahme von Juni-Oktober 2020 zusammen. Behandelt werden die Themen Arbeitsvorbereitung und Gerätetechnik, Qualitätssicherung, Ausführung der Arbeiten sowie „lessons learned“ und gibt einen Ausblick für den zukünftigen Einsatz. 1.1 Ausführungsplanung Die Planung sah vor, dass das der Bereich der Stützmomente über den zwei Stützenachsen, sowie das Feldmoment in den Randfeldern durch zusätzliche Bewehrung zur Gewährleistung eines ausreichenden Ankündigungsverhalten verstärkt werden sollte. An der Untersicht war die verfügbare Stärke für eine Verstärkungsschicht durch den unter der Brücke verlaufenden Radweg auf wenige Zentimeter beschränkt. Gleiches galt für die Oberseite der Brücke, da aufgrund der Zwangspunkte in der Gradiente nur wenigen Zentimeter für die Verstärkung zur Verfügung standen. Die fertige Ausführungsplanung wurde bauseits gestellt. Dies schaffte Planungssicherheit, machte es jedoch nicht ganz leicht, die Erfahrung der ausführenden Firmen in die Planung zu integrieren. 166 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Carbonbeton - Verstärkung der Brückenbauwerke A 648 UF Nidda - Erfahrungsbericht aus der Ausführung eines Pilotprojektes Bild 1: Schnitt der Brücke mit Verstärkungslagen Als Carbonbewehrung kamen Einzelmatten mit Abmessungen von bis zu 6x2m zum Einsatz. Die Übergreifungsstöße waren gestaffelt, wobei lediglich die oberste Lage auch in Querrichtung übergriffen wurde. 1.2 Arbeitsvorbereitung für die Ausführung Im Rahmen der Arbeitsvorbereitung wurde durch die Ausführende ARGE eine umfangreiche Arbeitsanweisung zur Planung jedes einzelnen Schrittes erstellt und mit der Ausführung von Musterflächen verifiziert. Bild 2 - Erstellung einer Probefläche vorab 1.3 Qualitätssicherung Eine gute Qualitätssicherung ist von zentraler Bedeutung zur Erreichung der erforderlichen Qualität in der Ausführung. Für das ausführende Personal ist ein personenbezogener Eignungsnachweis erforderlich. Jeder Handgriff der Ausführung wurde anhand einer genauen Arbeitsanweisung penibel geplant. Die Qualitätsprüfungen erfolgen erst 28 Tage nach der Ausführung. Um die Erreichbarkeit der geforderten Werte vor Ausführungsbeginn zu validieren, hat sich die Ausführung von Musterflächen unter Baustellenbedingungen als hilfreich erwiesen. Für die Ausführung ist ein sehr gewissenhaftes und sauberes Arbeiten auf der Baustelle sehr wichtig. Hierzu gehören insbesondere: - Ausreichend rauer, sauberer und gut vorgenässter Untergrund - Kontrolle der zugegebenen Wassermenge und des Ausbreitmaßes für den Feinmörtel - Applikation des Feinmörtels durch den Düsenführer - Zügiges Arbeiten für die Einbettung der Carbonbewehrung, solange der Mörtel noch offen ist. - Kontrolle der Schichtstärke der einzelnen Lagen - Lagegenauer Einbau der Carbonbewehrung (Masche über Masche) - sehr sorgsame Herstellung der Probekörper (Prismen & Probeplatten) Bei der Ermittlung der Haftzugwerte an der verstärkten Fläche hat sich gezeigt, dass hier eine sehr vorsichtige Erstellung der Ringnut mittels Nassbohren und gut befestigten Stativ, sowie ein Abzug exakt senkrecht zur geprüften Fläche unbedingt erforderlich ist. Die Einhaltung wetterunabhängiger Umgebungsbedingungen mit Hilfe eines Schutzzeltes hat sich als sehr sinnvoll erwiesen. 1.4 Ausführung Die Ausführung auf der Oberseite erfolgte in Streifen von ca. 2,50 m Breite. Bild 3: vorbereitete Fläche Die Verarbeitung des Feinmörtels erfolgt im Spritzverfahren für den lageweisen Einbau der Mattenbewehrung. Hierfür waren die Düsenführer mittels einer verschieblichen Brücke über der zu bearbeitenden Fläche positio- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 167 Carbonbeton - Verstärkung der Brückenbauwerke A 648 UF Nidda - Erfahrungsbericht aus der Ausführung eines Pilotprojektes niert, um nach Vorgabe den Mörtel senkrecht zur Oberfläche in einer Schichtstärke von 4-5mm je Lage aufbringen zu können. Die nicht bearbeitete Fläche musste hierbei gut abgedeckt werden, um Trennschichten aus Sprühnebel und Begehen der Fläche zu verhindern. Bild 4: Ausführung eines Streifens Carbonbeton Die einzelnen Matten mussten exakt Masche über Masche mittels Ausrichtungshilfen verlegt werden. Bild 5: Einbetten einer Bewehrungsmatte mit Ausrichtungshilfen Der Einbau „Masche über Masche“, welcher bessere Verbundwerte als ein Einbau ohne geordnetes Übereinanderliegen der Bewehrungsgarne erbringt, konnte mit Hilfe von Ausrichtungshilfen auch unter Baustellenbedingungen umgesetzt werden. Das Einhalten der geforderten Gesamtschichtstärke unter Einhaltung der für den Verbund erforderlichen Zwischenschicht zwischen den Lagen, welche auch im Stoßbereich erforderlich ist, hat eine genaue Arbeitsplanung und sehr exaktes Arbeiten erfordert. Die Erstellung einer Musterfläche mit einem Maximum von bis zu 10 Lagen hatte nützliche Erkenntnisse hierzu gebracht. Für die Ausführung auf der Oberseite musste eine Kolonne von bis zu 15 Mann eingespielt zusammenarbeiten. Eine besondere Herausforderung war die Umsetzung eines durchgängigen und soweit möglich gleichmäßigen Personalstandes, was nicht immer gelang. Für ein wirtschaftliches Arbeiten ist es erforderlich, dass die Kolonnen für den Einbau des Carbonbeton durchgängig und soweit möglich ohne unproduktive Wartezeiten durcharbeiten können. Aufgrund der Zwangspunkte wie Begehbarkeit der frisch erstellen Bereiche, Umbau von Schutzmaßnahmen, war dies nur eingeschränkt möglich. Günstig wirkt sich hier aus, wenn „Ausweicharbeiten“ zur Verfügung stehen. Bild 6: Aufbringen der Deckschicht Bei der Applikation von bis zu 5 Lagen Bewehrung mit einer Gesamtschichtstärke von ca. 4 cm an der Untersicht der Plattenstege hat sich gezeigt, dass ein Einbau nass in nass unter Baustellenbedingungen extrem schwierig ist. Um die Gefahr eines Herunterfallens der frischen Schichten zu vermeiden, hat es sich bewährt, maximal 3 Lagen frisch in frisch zu verarbeiten und mit einer spritzrauen Oberfläche für einen guten Verbund zu versehen. Am nächsten Tag konnten dann die letzten 2 Lagen mit der Deckschicht aufgebracht werden. Die sehr konstruktive und gute Zusammenarbeit aller Beteiligten hat maßgeblich zu einer erfolgreichen Umsetzung dieses Pilotprojektes beigetragen. Bild 7: Kugelgestrahler Carbonbeton vor Aufbringen der Abdichtung 168 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Carbonbeton - Verstärkung der Brückenbauwerke A 648 UF Nidda - Erfahrungsbericht aus der Ausführung eines Pilotprojektes 1.5 Fazit Die geplante Verstärkung der Bauwerke konnte unter Baustellenbedingungen erfolgreich umgesetzt werden. Sinnvolle Erfahrungen für zukünftige Projekte konnten gesammelt werden. Zur Verstärkung von Bauwerken mit fehlendem Ankündigungsverhalten hat sich Carbonbeton in diesem Projekt sehr gut bewährt. Für viele Bestandsbauwerke mit mangelndem Ankündigungsverhalten und ähnlichen Zwangspunkten dürfte der Einsatz von Carbonbeton eine sinnvolle Sanierungsmethode darstellen. Denkmalpflege/ Tragwerksplanung 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 171 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen an historischen Baudenkmälern unter Betrachtung ihrer Rezeptur, Belastungsgrenzen, umweltschonenden Wirkung und Nachhaltigkeit Sophie Hoepner Technische Universität München, Professur für Biogene Polymere, Straubing, Deutschland Prof. Dr. Cordt Zollfrank Technische Universität München, Professur für Biogene Polymere, Straubing, Deutschland Abb. 1 Zusammenfassung Bereits vor über 600 Jahren wurde am Regensburger Dom, am Straßburger und Ulmer Münster und anderen Steinbauten äußerst erfolgreich mit Schmelzklebstoffen gearbeitet. Die Klebungen an Vierungen und Fragmenten im Außenbereich der Steinfassaden sind auch nach dieser Zeit vollständig intakt, was man von heute gängigen Klebstoffen kaum zu erwarten wagt. Die Grundrezeptur dieser in Vergessenheit geratenen Schmelzkleber besteht aus biogenen Inhaltsstoffen wie Baumharzen unterschiedlicher Modifizierung, Bienenwachs sowie mineralischen Zuschlägen. Dies bietet den Anreiz, ihr Potenzial bei der Entwicklung eines biobasierten Schmelzklebstoffes unter Betrachtung ihrer Inhaltsstoffe, Rezeptur und Belastungsgrenzen zu untersuchen und weiter zu erforschen. Die Sammlung von Klebstoff-Befunden verschiedener historischer Steinobjekte, ihre Untersuchung und Dokumentation und der Versuch der Rekonstruktion einiger vielversprechender Rezepturen sind das Ergebnis eines Forschungsprojektes der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, das im Zeitraum von 2018 bis 2020 an der Professur für Biogene Polymere der TU München durchgeführt wurde. 172 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen 1. Einführung Die Redewendung „wie Pech und Schwefel“ steht für einen engen dauerhaften Zusammenhalt, der im Wesentlichen durch das klebrige Pech entsteht. Tatsächlich wurde dieser zähflüssige bituminöse, schmelzbare Rückstand, der bei der Destillation organischer Materie oder von Stein- oder Braunkohlenteer zurückbleibt [1], bereits in prähistorischer Zeit verwendet, um Zerbrochenes zu reparieren oder steinerne Pfeil- und Speerspitzen dauerhaft mit Holzschäften zu verkleben [2-7]. Doch aufgrund seiner schwarzen Färbung und seines äußerst intensiven rauchigen Geruchs findet es heute kaum noch Verwendung, während ein anderer Destillationsrückstand von Nadelholzharzen heute durchaus noch Verwendung als Tackifier in Klebstoffen findet. Im Mittelalter wurden solche Harzmodifizierungen sogar zur Klebung von Steinen im Außenbereich stark bewitterter Kathedralfassaden verwendet und dies so erfolgreich, dass sie noch heute halten. Dombaumeister Dr. Michael Hauck fielen solche Klebstoffe am Passauer Dom auf, wo sie in augenscheinlich sehr ähnlicher Rezeptur in Spätgotik und Barockzeit verwendet wurden. Obwohl der Bau nach der spätgotischen Phase 100 Jahre ruhte und somit eine direkte Weitergabe der Rezepturen kaum möglich war, hat sich das Wissen um diese Technik erhalten. Durch diese Befunde inspiriert, konnten im Rahmen eines DBU-Projektes 59 Proben von 14 historischen Bauwerken und neun kleineren Objekten gesammelt und analysiert werden (Abb. 2 und 3). Ein Einblick in die Vorgehensweise und Erkenntnisse dieses Projektes soll nun folgen. Abb. 2 links Regensburger Dom, Nordturm nordwestlicher Pfeiler, Vierung im Rundstab eines Kielbogens um 1400. Historischer Klebstoff aus Kolophonium und Quarzmehl. Foto: S. Hoepner. Abb. 3 rechts Auflichtmikroskopie des historischen Klebstoffs einer Vierung im Kalkstein am Regensburger Dom. Probe RDP1 am Kielbogen am Nordturm Nordseite 8m Höhe um 1400. Foto: S. Hoepner. 2. Was macht einen Steinklebstoff aus? Klebstoffe sollen nach DIN EN 923 durch Oberflächenhaftung und eigene Festigkeit Fügeteile fest miteinander verbinden. Die Verbindung zwischen den verschiedenen oder auch gleichen Werkstoffen erfolgt dabei ohne eine strukturelle Veränderung der Fügepartner [8]. Moderne Steinklebstoffe basieren meist auf Epoxidharz oder sind acryl- oder polyurethangebundene Copolymere. Die hier untersuchten historischen Klebstoffe sind zu den Schmelzklebstoffen zu zählen, die nur heiß als Schmelze verarbeitet werden können und im erkalteten Zustand fest an der Oberfläche haften. Sie unterscheiden sich deutlich von anderen mittelalterlichen Fügetechniken wie dem Verbleien oder der Verwendung von Mörteln. Beim Verbleien findet keine kraftschlüssige Verbindung infolge von Adhäsion statt, beim Mörtel ist wie der Name des für Keramik verwendeten Mörtels Fliesenkleber schon andeutet eine gewisse Adhäsion erreichbar, doch dauert das Abbinden und Aushärten natürlich viel länger und ist zudem nicht reversibel. Die historischen Schmelzkleber hingegen können noch heute mit Hitze oder Lösungsmitteln angelöst werden. Ein Steinklebstoff sollte wasserfest sein, UV-beständig und so belastbar, dass er das Gewicht eines Steines hält, aber auch eine steinmetzmäßige Überarbeitung des geklebten Bereiches schadenfrei übersteht. Genau diesen Anforderungen entsprechen diese historischen Klebstoffe, und obendrein sind sie im Gegensatz zu den heute genutzten Klebstoffen für Umwelt und Gesundheit unbedenklich und setzen sich aus nachwachsenden Rohstoffen zusammen. Viele Aspekte, die zu einer genaueren Untersuchung anregen. 3. Zusammensetzung der Historischen Klebstoffe Eines der ältesten überlieferten Rezepte für einen witterungsbeständigen Steinklebstoff stammt aus dem Traktat über die Malerei von Cennino Cennini von 1400. Er be- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 173 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen schreibt leider ohne Mengenangaben, dass Mastix, Wachs und Steinmehl gemeinsam erhitzt werden müssen und die zu klebenden Steinoberflächen zu reinigen und zu erwärmen sind [9]. Einige Quellen aus dem Italien des 16. und 17. Jahrhunderts geben Rezepte mit Kolophonium (Destillationsrückstand von Nadelholzharz, der an gelben bis braunen Bernstein erinnert), Kiefernharz, Pech (Destillationsrückstand von Holzteer, durch Holzverschwelung entsteht schwarzer, stark riechender flüssiger Holzteer und Holzkohle bleibt zurück), Bienenwachs und Steinmehl an, deren Mengenangaben durch die Angabe von Unzen und Libre einigermaßen rekonstruierbar sind [10-12]. Doch wirklich verlässliche Klebstoffrezepturen wurden erst im 18., vor allem aber dem 19. und 20. Jh. in Haushaltsratgebern, Handbüchern, Mitteilungen „vorzüglicher Vorschriften“ und Anleitungen von Gelehrtengesellschaften dokumentiert, wobei die Mengenangaben von Loth, Quentchen und Handvoll noch viel Spielraum für Interpretation lassen. Sie enthalten häufig zahlreiche Rezepturen für den Hausgebrauch, sodass man Schäden in beinahe jedem Material selbstständig ausbessern konnte. Es wurde also nicht der „UHU-Porzellankleber“ gekauft, sondern man suchte sich ein Rezept aus und verarbeitete die aufgeführten Zutaten, die jedoch teilweise auch etwas abenteuerlich erscheinende Ingredienzien wie Knoblauch, Galläpfel, Pferdemist, Unschlitt, Rinderfett, Eisenfeilspäne, Scherwolle, Kuhhaare, Baumwolle, Blei- und Silberglätte erwähnen [13-18]. Somit bleibt für die konkrete Klärung nur die chemische Analyse, um sich an die ursprünglichen Rezepturen heranzutasten. 4. Wo wurde mit diesen Klebstoffen geklebt? Neben dem bereits erwähnten Passauer Dom konnten am Bamberger und Regensburger Dom, an Ulmer, Straßburger, Freiburger und Berner Münster, am Kloster Einsiedeln, am Kloster Maria Opferung in Zug, an zwei Nürnberger Großkirchen, aber auch am Dresdner Zwinger und an der Großen Kolonnade am Neuen Palais in Potsdam Sanssouci historische Klebstoffe nachgewiesen werden. In den meisten Fällen handelt es sich um eingeklebte Vierungen, die Materialinhomogenitäten im Werkstein ausbessern sollten, aber natürlich wurden auch versehentliche Kantenausbrüche auf diese Art ergänzt oder abgebrochene Fragmente wieder angeklebt. An den meisten genannten Bauten sind nur wenige Klebungen zu finden, eine Ausnahme stellt das Freiburger Münster dar. Hier wurden während des Baus des Chorobergadens auffällig viele Vierungen eingeklebt. Der vermutet, dass es in der Bauphase des 15. Jahrhunderts zu Materialengpässen kam [19]. Die Werksteinformate sind kleiner als während der anderen Bauphasen, was dafür spricht, dass jeder verfügbare Stein eingebaut werden musste. Gibt es keine Wahl beim Material, muss auch häufiger geklebt werden, um fragile und entfestigte Zonen zu stabilisieren. Brüchige Bereiche wurden sofort entfernt, ausgeklinkt und direkt im Anschluss ein Passstück wieder eingeklebt. Am Ulmer Münster wurde fast ausschließlich am Westturm im Doggersandstein des 15. Jahrhunderts geklebt. Die Klebungen fallen hier trotz sauber gearbeiteter Klebefugen auf. Der eigentlich gelblich-ockrige Doggersandstein weist im Bereich der Vierungen nämlich violette Verfärbungen auf (Abb. 4). Die Fugenflanken wurden vermutlich vor der Klebstoffapplikation mit glühenden Kohlen erwärmt, damit sich der Schmelzkleber nicht zu schnell an der Steinoberfläche abkühlte. Die starke Erhitzung hat dann jedoch zu chemischen Reaktionen bei den Eisenverbindungen des Gesteins geführt und die violette Verfärbung an den Rändern hervorgerufen. Diese Vorgehensweise verdeutlicht, dass die Klebungen in der Werkstatt in der Nähe des Feuers durchgeführt werdenmussten, da der Einsatz eines Schmelzkessels auf dem Gerüst zu gefährlich und zu umständlich gewesen wäre. Abb. 4 links Ulmer Münster, Westturm Ostseite ca. 70 m Höhe, Bauzeit um 1480. Violette Verfärbungen an den Fugenflanken der Vierung. Foto: S. Hoepner. 174 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen Abb. 5 rechts Athena mit Erechthoniosknaben. Römische Marmorskulptur aus dem 2. Jh. n. Chr. mit barocken Ergänzungen wie u. a. rechter Arm und Kopf von Lambert Sigisbert Adam (1710-1771) Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Foto: Daniel Lindner, Inventarnummer: Skulpturensammlung 198, GK III 4156. [27]. Ein eindrucksvolles Beispiel für die Belastbarkeit dieser Klebstoffe sind die zahlreichen Marmorskulpturen der Barockzeit wie die Antiken der Staatlichen Museen in Berlin oder in Potsdam Sanssouci (Abb.5). Die antiken griechischen und römischen Torsi erhielten neue Arme, Köpfe oder andere Ergänzungen aus Marmor, die mit Dübeln und Schmelzklebstoff (Kolophonium, Bienenwachs und Marmormehl) fixiert wurden. Das Gewicht der meist ausladenden Arme ist oft beachtlich (10-30 kg) und nur an einer verhältnismäßig kleinen Fläche angeklebt. Die Skulpturen wurden mit den Transportmitteln des 18. Jahrhunderts auf holprigen Straßen von den italienischen oder französischen Bildhauerwerkstätten nach Deutschland gebracht und halten noch heute. Ein besser erforschtes Thema für den Einsatz dieser Schmelzklebstoffe für Stein ist die Steininkrustation oder pietra dura, eine Steinintarsientechnik, die zur Verzierung von Schmuckkästchen, Tischplatten, Kabinettschränken, Wandverkleidungen oder für aufwendige Fußböden verwendet wurde. Die Technik erreichte ihre Blüte bei den Medici im 16. Jahrhundert und verbreitete sich rasch an andere europäische Höfe. Die Klebstoffzusammensatzung ähnelt den Klebstoffen an den Außenfassaden sehr, doch müssen die Klebefugen zwischen den gesägten dünnen Steinplatten besonders dünn und möglichst farbig angepasst sein. Trotzdem müssen z. B. Steinintarsien in Fußböden starke Belastungen durch schwingende Unterkonstruktionen und historische Fußbodenheizungen aushalten und elastisch bleiben. 5. Analysemethoden zur Identifizierung der Klebstoffbestandteile Zur Bestimmung der Harzbestandteile wurde zunächst eine Referenzensammlung (Abb. 6) von Harzen, Kolophoniumarten und Pechen verschiedener Nadelbäume angelegt. Die gelösten Harzsäuren konnten so besser mittels Gaschromatographie und Massenspektroskopie bestimmt werden. Abb. 6 Referenzensammlung verschiedener Baumharze, Kolophonienarten, Teere und Wachse. Foto: S. Hoepner Durch die Analysen [20] konnte ein Großteil der Harzbestandteile als Fichtenkolophonium und in einigen Fällen Fichtenpech identifiziert werden. Bienenwachs war in den kleinen Probenmengen oft nur in geringen Teilen enthalten und konnte nicht immer eindeutig nachgewiesen werden, auch wenn es sehr wahrscheinlich in allen Proben enthalten war. Durch die heterogene Zusammensetzung der Proben war die Fourier-Transform- Infrarotspektrometrie keine Hilfe zur Identifizierung der Bestandteile. Zur Identifizierung der mineralischen Zuschläge wurden Röntgendiffraktometrie und Energiedispersive Röntgenspektroskopie verwendet. In dem meisten Fällen wurden regional verfügbare Sande oder das Mehl des verwendeten Werksteins (Sandstein oder Kalkstein) verarbeitet, aber auch Ziegelmehl kam zum Einsatz. Die Anteile von Bindemittel (Kolophonium und Bienenwachs) und Zuschlag (Ziegel- oder Stein- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 175 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen mehl) wurden näherungsweise mittels Thermogravimetrischer Analyse bestimmt. Das Bindemittel-Zuschlagsverhältnis schwankte jedoch bei den verschiedenen Proben sehr stark, was unterschiedliche Gründe haben könnte. Einerseits kann durch die kleinen Probenmengen nur ein winziger Einblick in die Klebefuge gewonnen werden. Durch Sedimentation, inhomogene Verarbeitung und mehrfaches Erwärmen des Klebstoffes durch den Anwender konnte der untersuchte Ausschnitt also stark von der ursprünglichen Rezeptur abweichen. Andererseits hat der Anwender je nach Situation die Viskosität des Klebstoffs mithilfe des Bindemittel-Zuschlagsverhältnisses variieren können und somit je nach Bedarf Messerfugen oder stärkere Klebstoffschichten herstellen können. Zur näheren Bestimmung der Eigenschaften der unterschiedlichen Klebstoffformulierungen wurden Rekonstruktionsversuche mit variierenden Anteilen von Bienenwachs und Zuschlag zur gleichen Menge Kolophonium hergestellt und Materialprüfungen unterzogen. 6. Materialprüfungen zur Bewertung verschiedener Klebstoffformulierungen Um die Klebstoffformulierungen untereinander und mit anderen Klebstoffen vergleichen zu können, wurden gängige Materialprüfungen an der Universalprüfmaschine [21] an Edelstahlprüfkörpern und Natursteinprüfkörpern durchgeführt. Zunächst wurden die Proben im Zugscherversuch in Anlehnung an DIN EN 1465 [22] - Bestimmung der Zugscherfestigkeit von Überlappungsklebungen - geprüft. Zwar wäre für einen Steinklebstoff natürlich Stein das entscheidende Substrat, das geprüft werden sollte, doch würden Steinprüfkörper dazu führen, dass durch ihre stabilitätsbedingte Dicke (20 mm statt der vorgegebenen 1,62 mm bei Metall) die Messung nicht mehr vergleichbar mit der DIN-Norm wäre. Außerdem müssten Gesteinsvarietäten gewählt werden, die dem Zugversuch standhalten (z. B. Granit), die jedoch nichts mit den zu klebenden Gesteinen der historischen Bauten gemein hätten (meist Sandstein, selten Kalkstein). Der Materialbezug wäre also ohnehin nicht mehr gegeben. Die Zugscherversuche zeigten, dass Formulierungen mit nur 9 % Bienenwachs im Bindemittel noch sehr spröde waren und eine nur sehr geringe Klebkraft erzeugten. Bessere Werte erzielten Klebungen mit 17 % und 23 % Bienenwachsanteil im Bindemittel (Tab. 1). Das Bindemittel-Zuschlagsverhältnis war hierbei 2: 1 und 1: 2. Das beste Ergebnis (Fmax=3,04 MPa, Abb. 7) erzielte die Formulierung KB39A mit 23 % Bienenwachs im Bindemittel und einem hohen Quarzmehlanteil [23]. Formulierungen im Zugscherversuch an Edelstahlüberlappungsklebungen mit Zwick/ Roell Zmart. Pro 10kN Bezeichnung Bienenwachs- Anteil im Bindemittel Verarbeitungstemperatur Fmax in N/ mm2 KB11A 9 % 150 °C 0,74 KB24A 17 % 150 °C 2,34 KB39A 23 % 150 °C 3,04 KB11B 9 % 150 °C 0,47 KB24B 17 % 130 °C 1,65 KB39B 23 % 130 °C 1,97 KB11C 9 % 130 °C 0,74 KB24C 17 % 120 °C 1,76 KB39C 23 % 110 °C 2,38 Tab. 1 Messung der Zugscherfestigkeit von Überlappungsklebungen an Edelstahlprüfkörpern an neun Formulierungen zur Rekonstruktion historischer Steinklebstoffrezepturen. Fmax ist der Durchschnittswert von fünf Messungen. Abb. 7 Messung der Zugscherfestigkeit an Überlappungsklebungen an Edelstahlprüfkörpern. Beispiel für die Formulierung KB39 A. Um die Formulierungen zu optimieren und außerdem den Einfluss anderer Zuschläge auf die Massen zu untersuchen, wurde eine Auswahl der besten drei Formulierungen mit anderen Zuschlägen, nämlich Marmormehl [24] und Ziegelmehl [25] hergestellt. Hinzu kamen zwei weitere Formulierungen, die noch etwas mehr Bienenwachs enthielten. 176 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen Abb. 8 Verschiedene ausgegossene und erkaltete Klebstoffformulierungen mit Quarzmehl (Q) und Ziegelmehlzuschlägen (Z). Es sollte eine Grenze absehbar werden, ab der das Bienenwachs die Masse nicht mehr positiv elastifizierend beeinflusst, sondern die Masse zu weich und im schlechtesten Fall bei Raumtemperatur klebrig macht. Es konnte festgestellt werden, dass Quarzmehl und Ziegelmehl ähnlich gute Haftzugeigenschaften hervorrufen, während Marmormehl schlechtere Werte aufwies. Dies steht sicherlich mit der deutlich kleineren Korngröße (<23 µm) in Zusammenhang. Bereits die Mischung des geschmolzenen Bindemittels mit dem Marmormehl erzeugt eine pastösere, niedrigviskose Masse im Vergleich zu Mischungen mit Ziegelmehl und Quarzmehl. Die Zugscherprüfungen wurden zusätzlich in einer Klimakammer auf Stabilität zwischen -5 und 50 °C und getestet. Da die Formulierung mit 33 % Bienenwachs im Bindemittel bei 50 °C bereits stark erweichte, wurde sie aus den folgenden Messungen ausgeschlossen, auch wenn sie bessere Ergebnisse im Frostbereich zeigte. Somit wurden fünf Formulierungen für Untersuchungen mit Natursteinbezug verwendet. Da an den untersuchten Objekten im Wesentlichen Sandstein oder Kalkstein verwendet wurde, sollten Prüfkörper aus Lahrer Sandstein, ein Material, das aktuell am Freiburger Münster verwendet wird, hergestellt werden. Für stabile Prüfkörper wären mindestens 3 cm starke Platten nötig gewesen, die jedoch überlappend geklebt nicht in der Prüfvorrichtung einspannbar wären. Daher wurden Würfel mit 5 cm Kantenlänge zusammengeklebt und eine Metallmanschette (Abb. 8) entwickelt, um die Prüfkörper im Schraubspannzeug fixieren zu können. Die Prüfung erfolgte in Anlehnung an DIN EN 15870: 2009 Klebstoffe - Bestimmung der Zugfestigkeit von Stumpfklebungen [26]. Abb. 9 links Zugversuch an Stumpfklebungen an bruchfrischem Lahrer Sandstein. Klebefläche 50 x 50 mm² mit Formulierung aus Kolophonium, Bienenwachs und 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 177 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen Quarzmehl geklebt. Sandsteinwürfel sind durch angepasste Metallmanschette eingespannt und brechen im Substrat bei 2,45 MPa. Foto: S. Hoepner Abb. 10 rechts Zugversuch an Stumpfklebungen in Anlehnung an DIN EN 15870: 2009. Granitprüfkörper mit 50 x 20 mm² Klebefläche im Schraubspannzeug einer Universalprüfmaschine der Bauart KARG Industrietechnik smarTens010 für einen Lastweg bis zu 20 kN mit einer Nennlast von 10 kN. Foto: S. Hoepner Trotz der großen Klebeflächen versagte ein Großteil der Prüfkörper im Substrat und somit konnte die tatsächliche Höchstbelastung der Klebstoffformulierungen oft nicht bestimmt werden. Die Zugfestigkeit reichte von 2- 2,5 MPa. Daher wurde eine weitere Prüfreihe mit Granitprüfkörpern mit einer Klebfläche von 5 x 2 cm 2 durchgeführt (Abb. 9). Die Formulierung mit dem besten Ergebnis von 3 MPa ließ sich für einen ersten Test auch mit einer handelsüblichen Heißklebepistole applizieren, was sich aufgrund der abrasiven Zuschläge sicherlich nicht oft wiederholen lässt. 7. Ausblick Ziel für weitere Untersuchungen soll es nun sein, verschiedene Sieblinien aus Ziegelmehl in die Formulierungen zu integrieren. Diese Formulierungen sollen an Granitprüfkörpern in Form von Stumpfklebungen appliziert und teils 12 Monate im Außenklima und teils mittels Frost-Tau-Zyklus bewittert werden. Außerdem soll in Zusammenarbeit mit einem Hersteller für Schmelzklebepistolen ein belastbares Modell für die Klebstoffformulierungen entwickelt werden. Literaturangaben [1] Falbe, Jürgen; Regitz, Manfred (Hrsg.): Römpp Lexikon Chemie, Band 1-6, Georg Thieme Verlag, 10. Auflage, Stuttgart 1996-1999, Band 4 1998, S. 3151 [2] Connan, Jacques: Use and trade of bitumen in antiquity and prehistory: molecular archaeology reveals secrets of past civilizations. The Royal Society Publishing 1999 [3] Gaillard, Y.; Chesnaux, L.; Girard, M.; Burr, A.; Darque-Ceretti, E.; Felder, E.; Mazuy, A.; Regert, M.: Assessing hafting adhesive efficiency in the experimental shooting of projectile points: a new device for instrumented and ballistic experiments. In: archaeometry. Vol. 58, Issue 3, Oxford 2015, S. 465-483. 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[7] Wadley, Lyn; Hodgskiss, Tamaryn; Grant, Michael; Klein, Richard G.: Implications for Complex Cognition from the Hafting of Tools with Compound Adhesives in the Middle Stone Age, South Africa. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, Vol. 106, No. 24, 2009, S. 9590-9594. [8] Onusseit, Hermann (Hrsg.): Praxiswissen Klebtechnik. Band 1 / Grundlagen. Hüthig Verlag, Heidelberg 2008, S. 1 [9] Cennini, Cennino: Il libro dell’arte, o Trattato della pittura. Kuratoren Milanesi, Gaetano; Milanesi, Carlo; e-book liberliber.it; 2014 S. 181 [10] Gnoli; Raniero; Sironi; Attilia (Hrsg.): Agostino del Riccio: Istoria delle Pietre. Umberto Allemandi, Turin 1996, Capitolo 98 [11] Borghini, Raffaello: Il riposo di Raffaello Borghini, in cui della pittura, e della scultura si favella, de’ più illustri pittori, e scultori, e delle più famose opere loro si fa mentione; e le cose principali appartenenti à dette arti s’insegnano. Appresso Giorgio Marescotti, Florenz 1584, S. 156 [12] Dent Weil, Phoebe: Contributions toward a History of Sculpture Techniques: I. Orfeo Boselli on the Restoration of Antique Sculpture. In: Studies in Conservation Vol. 12 Issue 3, Routledge Taylor and Francis Group, London 1967, S. 90 [13] Schiessel, Ulrich (Hrsg.): Johann Melchior Cröker. Der wohl anführende Mahler. Mäander Kunstverlag, Nachdruck der Ausgabe Jena 1736, Mittenwald 1982 [14] Gütle, Johann Conrad: Hand- und Hülfsbuch für alle Künstler und Handwerker, die Kitte, Formen und Massen zu gebrauchen : oder eine Auswahl von 600 verschiedenen Recepten, alle Arten Kitte, Leime, Formen und Massen zu verfertigen . Johann Leonhard Schrag, Nürnberg 1812, S. 498-506. [15] Prechtl, Johann Joseph von: Technologische Encyclopädie oder alphabetisches Handbuch der Technologie, der technischen Chemie und des Maschinenwesens. 8. Band, Hygrometer-Küferarbeiten, Verlag der F. G. Gotta‘schen Buchhandlung, Stuttgart 1837, S. 385-397. 178 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Wie Pech & Schwefel - Historische Klebstoffe und ihre Verwendung bei Natursteinreparaturen [16] Thon, Christian Friedrich Gottlieb: Kitt-Kunst oder Anleitung alle Arten von Kitten, Leimen, Kleistern und sonstigen Klebstoffen zu bereiten und sie mit Erfolg und Dauer anzuwenden. Verlag B. F. Voigt, Weimar 1869, S. 106-118. [17] Lehner, Sigmund: Die Kitte und Klebemittel. Ausführliche Anleitung zur Darstellung sämtlicher Kitte und Klebemittel für alle Zwecke. U. Hartleben’s Verlag, Leipzig 1922 [18] Weber, Martin: Das Schleifen, Polieren und Färben des Marmors, wie auch aller anderen Steinarten (…) In: Neuer Schauplatz der Künste und Handwerke. Mit Berücksichtigung der neuesten Erfindungen, herausgegeben von einer Gesellschaft von Künstlern, Technologen und Professionisten. Mit vielen Abbildungen. 268 Band, Bernhard Friedrich Voigt Weimar 1882, S. 52-93. [19] Persönliche Mitteilung Uwe Zäh, Hüttenmeister der Freiburger Münsterbauhütte [20] Dr. Veronika Huber, TU München, Campus Straubing, Professur Organisch-Analytische Chemie [21] Universalprüfmaschine der Bauart Zwick/ Roell Zmart.Pro mit einer Nennlast von 10 kN und Universalprüfmaschine der Bauart KARG Industrietechnik smarTens010 für einen Lastweg bis zu 20 kN mit einer Nennlast von 10 kN mit Scherenspannzeug [22] Beuth Verlag GmbH: DIN EN 1465. Klebstoffe - Bestimmung der Zugscherfestigkeit von Überlappungsklebungen; Deutsche Fassung EN 1465: 2009, Berlin 2009, S. 5-8 [23] Kremer Pigmente 58630 Quarzmehl gesiebt, 0,04 - 0,15 mm [24] Kremer Pigmente 58520 Marmormehl extra <23 µm [25] Kremer Pigmente 31250 Schamottemehl fein 0 - 0,5 mm [26] Beuth Verlag GmbH: DIN EN 15870: 2009-08. Klebstoffe - Bestimmung der Zugfestigkeit von Stumpfklebungen (ISO 6922: 1987 modifiziert); Deutsche Fassung EN 15870: 2009. [27] Hüneke, Saskia; Dostert, Astrid; Gröschel, Sepp- Gustav; Heilmeyer, Dieter; Kreikenbom, Detlev, Lange, Kathrin; Müller-Kaspar, Ulrike. : Antiken I. Kurfürstliche und königliche Erwerbungen für die Schlösser und Gärten Brandenburg-Preußens vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Bestandskataloge der Kunstsammlungen: Skulpturen; Antike und Mittelalterliche Sammlungsobjekte. Herausgegeben von der Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Akademie Verlag, Berlin 2009, S. 97-101. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 179 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode Untersuchungen am Beispiel eines Gewölbemodells im Labor unter Berücksichtigung von Formänderungsmessungen infolge von Belastungsversuchen und zu ermittelnder Baustoffkennwerte Jessica Klinkner, M.Eng. TH Köln Dipl.-Ing. Axel Dominik Dominik Ingenieurbüro | TH Köln Zusammenfassung Inhalt dieser Forschungsarbeit ist die Erarbeitung eines rechnerischen Ansatzes mithilfe der Finite-Elemente-Methode für die Tragstruktur einer abgehängten Drahtputzgewölbedecke. Hierfür werden FE-Modelle als Projektion zweier im Labor hergestellter Gewölbemodelle erzeugt. Als Referenzwerte werden Formänderungsmessungen an den Gewölbemodellen unter definierter Lasteinwirkung herangezogen. Die Formänderungen werden in der Symmetrieachse der Gewölbemodelle radial mit digitalen Wegaufnehmern gemessen. Die reell aufgezeichneten Formänderungen dienen dem Vergleich zwischen tatsächlichen Formänderungsverhalten einer Drahtputzgewölbedecke und der digitalen Nachbildung im FE- Programm. Einhergehen Baustoffuntersuchungen um die Materialkennwerte der einzelnen Bestandteile des Gewölbemodells in dem FE-Programm möglichst genau darstellen zu können. Weiterhin wird eine Instandsetzungsmaßnahme an einem der beiden Gewölbemodelle durchgeführt und untersucht. Die Maßnahme wird in Hinblick auf die Funktionalität und Verbesserung der statischen Nachrechnung mittels FEM ausgewertet. Mithilfe der digitalen Darstellung und Nachrechnung einer Drahtputzgewölbedecke können Formänderungen bestimmt und Risse sowie folgeschwere Schädigungen vorhergesehen werden. Besonders für die Instandsetzung sind diese Erkenntnisse wichtig, um bei Ausfall und Verformung einzelner Tragelemente die Standsicherheit des gesamten Gewölbes beurteilen zu können. Zugleich lassen sich Instandsetzungskonzepte aufgrund der berechenbaren Tragreserven der Konstruktion erarbeiten. 1. Drahtputzgewölbedecken 1.1 Entstehung Das Drahtputzgewölbe oder auch Rabitzgewölbe genannt wurde 1878 vom Berliner Maurermeister Carl Rabitz patentiert. Hierbei handelt es sich nicht um ein selbsttragendes, sondern ein abgehängtes Bauwerk. Das Gewölbe wird an einer Tragkonstruktion aus Holz oder Stahl abgehängt und wir nur unter Eigengewicht belastet. Dadurch kann die Gewölbeschale sehr dünn ausgeführt werden. Im Vergleich zu einem Mauerwerksgewölbe ist somit viel weniger Material erforderlich und es können vielseitigere Geometrien erzielt werden. Die Bauweise wurde insbesondere für Bauwerke ausgewählt, die in Erdbebengebieten oder setzungsempfindlichen Gebieten errichtet wurden. 180 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode 1.2 Ausführung Eine genormte Ausführung einer Drahtputzdecke bzw. eines Drahtputzgewölbes wurde erstmals im August 1951 veröffentlicht 1 . Dementsprechend sind viele Bestandsbauten ohne Richtlinien und stat. Nachweisen erbaut worden. Die Bauweise als Rabitzkonstruktion wird im Buch „Putz, Stuck, Rabitz“ von Karl Lade-Adolf Winkler 2 in ihrer Ausführung und dem zu verwendenden Werkzeug, sowie dem Material, beschrieben. 1.3 Aufbau eines Drahtputzgewölbes Die Besonderheit bei dieser Bauweise ist das „Rabitzgewebe“, welches die Funktion eines Putzträgers übernimmt. Es wird mit den Bewehrungsstäben in Längs- und Querrichtung verbunden und stellt den Verbund zwischen abgehängter tragender Bewehrung und Putz her. Die erste Putzmörtellage wird von der Unterseite in den Putzträger eingedrückt. Nachdem diese ausreichend erhärtet ist, werden weitere Putzmörtellagen unterseitig aufgebracht. Stuckelemente werden entweder direkt am Gewölbe handwerklich hergestellt oder als eine Art Fertigteil am Putzgewölbe angesetzt. Was oft nicht erfolgt ist ein Putzauftrag auf den Gewölberücken. Dieser dient dazu die Verklammerung des Mörtels mit dem Putzträger zu verbessern und die Tragbewehrung zu schützen. Der Putzträger weist ca. 10 mm große quadratische Maschen auf und hat in der Regel eine 1 mm Drahtdicke. Die Bindung erfolgt mittels verzinkten Bindedrahts. Der Draht wird dabei doppelt gelegt und kann entweder als einfacher Kreuzbund oder Doppelbund ausgeführt werden. Die Abmessungen der Bewehrungsstäbe können je nach Art und Spannweite des Gewölbes stark variieren. Nach Norm sind Abmessungen der Bewehrungsstäbe in Tragrichtung zwischen 7-30 mm, die der Querrichtung zwischen 5-10 mm und der Abhänger 5-10 mm zu verwenden. Bei Spannweiten über 5 m ist mindestens ein Querschnitt von 7 mm für die Abhänger erforderlich 1 . In der folgenden Abbildung ist eine Skizze eines Drahtputzgewölbes dargestellt. Im Bestand findet man sowohl radiale als auch senkrechte Abhänger vor. 1 Vgl. DIN 4121: 2017-18, Hängende Drahtputzdecken - Putzdecken mit Metallputzträgern, Rabitzdecken; Anforderungen für die Ausführung. 2 Vgl. Karl Lade, Adolf Winkler. Putz Stuck Rabitz. Stuttgart. 1952. Abbildung 1: Schematischer Aufbau eines Rabitzgewölbes nach Lade/ Winkler 1.4 Heutige Problemstellung Bei vielen Drahtputzdecken oder -gewölben im Bestand treten über die Jahre meist unterschiedliche Schäden auf. Rissbildungen oder Abplatzungen der unteren Putzlage sowie Loslösen der Abhänger und Korrosion aufgrund fehlenden Korrosionsschutzes sind typische Schadensbilder. Die Ursachen für diese schadensauslösenden Beanspruchungen sind vielfältig und hängen, neben der Baukonstruktion selbst, sehr oft mit der Nutzung der Gebäude insbesondere aber auch mit den bauphysikalischen Verhältnissen zusammen. Grundlage für diese Forschungsarbeit und weitere Untersuchungen ist ein Bestandsgewölbe in Bad Honnef an dem Schäden aufgetreten sind. Ziel ist es das Tragverhalten solcher schadhaften Drahtputzbauwerke rechnerisch zu erfassen, um die Arbeitssicherheit bei der Instandsetzung gewährleisten und anhand der vorliegenden Tragreserven mögliche Instandsetzungskonzepte ableiten zu können. Anhand der Erkenntnis der Verformung des Gewölbes lassen sich zugleich die Ursachen aufgrund Spannungsüberschreitungen infolge zu größer Verformungen rückschließen. 2. Versuchsdurchführung Es werden zwei Gewölbemodelle erstellt, welche dem Bestandsgewölbe in Bad Honnef in skalierter Darstellung entsprechen. Hierbei wird die Gewölbeform übernommen und auf eine Länge von 3,0 m projiziert. Der Aufbau bzw. Querschnitt des Gewölbes sowie der Abhänger bleibt hingegen analog zum Ursprungsgewölbe näherungsweise gleich. Aufgrund der Abweichung der Putzträgerlage zur Norm DIN 4121 werden zwei Gewölbe hergestellt. Dadurch kann die Auswirkung der Putzträgerlage auf die Tragwirkung des Gewölbes untersucht werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 181 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode Gewölbemodell 1 (in Anlehnung an Bestandsgewölbe) Gewölbemodell 2 (in Anlehnung DIN 4121) Um eine möglichst genaue Projektion der Gewölbemodelle im FE-Programm zu erzielen, werden alle verwendeten Baustoffe labortechnisch geprüft. Hierfür werden Einzelals auch Verbundprüfkörper hergestellt und auf ihre Druck-, Biegezug- und Zugfestigkeit überprüft. Zusätzlich wird der stat. und dyn. E-Modul der Putzschale ermittelt. Verbund- und Haftzugfestigkeiten werden ebenfalls untersucht. Anschließend werden Belastungsversuche an den Gewölbemodellen durchgeführt. Es wird eine Punktlast von 100 kg über die zuvor eingelassenen Gewindestangen eingeleitet, welche über 6,0 x 6,0 cm² große Stahlplatten an der Gewölbeoberseite rückverankert sind (siehe Abbildung 2). Abbildung 2: Detail Lasteinleitungspunkt Abbildung 3: Detail zwischengeschaltete Federwaage In der Abbildung 5 sind die Belastungspunkte in der Draufsicht dargestellt. Da das Gewölbe symmetrisch errichtet wurde, werden die Belastungsversuche nur in einem Viertel des Gewölbes und hauptsächlich in den Achsen 3 und 4 durchgeführt. Abbildung 4: Belastungsversuch des Gewölbemodells Abbildung 5: Draufsicht Gewölbe Lastleitungspunkte 182 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode Mithilfe von hoch sensibler Messtechnik werden die Formänderungen während der Belastungs- und Entlastungsphasen aufgenommen. Da es sich bei den Gewölbemodellen um Gewölbeausschnitte handelt und die freien Ränder sich nicht auf das Tragverhalten eines größeren Bestandsgewölbes projizieren lassen, wird die Messtechnik zentrisch in den Achsen 3 und 4 angebracht. Die digitalen Wegaufnehmer werden radial auf die Gewölbeunterseite ausgerichtet (siehe Abbildung 6 - 8). Zusätzlich werden in der Mittelachse (Achse 4) der Gewölbemodelle Federwaagen zwischen die Abhänger geschaltet. Damit können die Kräfte in den Abhänger der Achse 4 während der Belastungsversuche, sowie des Erhärtungsprozesses und unter Eigengewicht abgelesen werden (siehe Abbildung 3). Es werden sowohl Kurzzeit- (<2 h) als auch Langzeitbelastungsphasen (>24 h) untersucht, um mögliche Kriechverformungen zu berücksichtigen. Nach der ersten Sichtung der Aufzeichnungen wird zugleich deutlich, dass die Formänderungen infolge Kriechen kaum nachweisbar und irrelevant für den Vergleich mit dem FE-Modell sind. Pro Belastungspunkt wird demensprechend die maximale Formänderung mit dem Ergebnis der FE-Berechnung verglichen bzw. für die Auswertung herangezogen. Zusätzlich wird eine weitere Putzlage auf ein Gewölbemodell im Labor als Instandsetzungsmaßnahme aufgetragen. Der Querschnitt der Putzschale wird von ca. 5 cm auf eine gleichmäßige Dicke von 7 cm erhöht (siehe Abbildung 9). Aufgrund des zuvor untersuchten, guten Verbundes zwischen alter und neuer Putzlage, kann für die FE-Bemessung der volle Querschnitt von 7 cm angesetzt werden. Dadurch wird eine kalkulierbarere Bemessungssituation geschaffen. Anordnung der Messtechnik: Abbildung 6: Draufsicht - Anordnung der Messtechnik Abbildung 7: Schnitt Achse 3 Abbildung 8: Schnitt Achse 4 Abbildung 9: Querschnitt Gewölbeschale mit Ausgleichslage Die Ausgleichslage wird von oben auf das Gewölbe aufgetragen, damit die freiliegenden Bewehrungsstäbe überdeckt werden (siehe Abbildung 10). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 183 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode Abbildung 10: Freiliegende Bewehrungsstäbe Anschließend werden die Belastungsversuche am Gewölbemodell wiederholt und im Vergleich zu den vorherigen Aufzeichnungen der Belastungsversuche sowie der FE-Berechnungen ausgewertet. Besonders für Bestandskonstruktionen bietet sich diese Instandsetzungsmethode an, da die Unterseite des Gewölbes nicht beeinträchtigt wird. In der Realität variiert die Putzdicke oftmals sehr stark. Es wird angenommen, dass durch die Ausgleichslage und zugleich Erhöhung der Querschnittsdicke der Putzschale sich die Verformungen und letztendlich die Spannungsüberschreitungen reduzieren und weitere Schäden verhindert werden. 3. Auswertung der Formänderung Bei der Bemessung des FE-Modells wird der E-Modul als auch die Querdehnzahl variiert und mit den Verformungen der Gewölbemodelle im Labor verglichen. Insgesamt werden sechs FE-Modelle mit verschiedenen Baustoffkennwerten generiert. Die Spannweite des angesetzten E-Moduls liegt bei ca. 550 MN/ m² ermittelt aus dem stat. E-Modul bis hin zu 3000 MN/ m² ermittelt aus dem dynamischen E-Modul. Es lassen sich bei allen FE-Modellen Annäherungen der Formänderungsverläufe zu den Gewölbemodellen mit und ohne Ausgleichslage feststellen. Die geringsten Abweichungen der Formänderungen können für das Gewölbemodell 2 bei der Belastung in F-3, F-1 und B-3 und dem FE-Modell mit einem E-Modul von 3000 MN/ m² und einer Querdehnzahl von 0,18 festgestellt werden. Für die weitere Auswertung sowie die Durchführung der Instandsetzungsmaßnahme mittels einer oberseitig aufgetragenen Ausgleichlage wird dementsprechend das Gewölbemodell 2 (Querschnitt in Anlehnung an DIN 4121) herangezogen. In dem folgenden Diagramm sind die Standardabweichungen pro Lastfall und FE-Modell bezogen auf die Formänderungsmessungen im Labor zur Übersicht der Ergebnisse des Gewölbemodells 2 ohne Ausgleichlage dargestellt. Pro Lastfall ist das FE-Modell mit der geringsten Standardabweichung markiert. Der Durchschnitt der Standardabweichungen aller Lastfälle beträgt 0,237 mm. Diagramm 1 - Standartabweichung Gewölbemodell 2 ohne Ausgleichslage 184 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode Diagramm 2: Standartabweichung Gewölbemodell 2 mit AusgleichslageD Belastung in B-3 ohne Ausgleichslage Diagramm 3: Formänderungsverlauf B-3 ohne Ausgleichslage Belastung in F-3 ohne Ausgleichslage Diagramm 5: Formänderungsverlauf F-3 ohne Ausgleichslage Belastung in B-3 mit Ausgleichslage Diagramm 4: Formänderungsverlauf B-3 ohne Ausgleichslage Belastung in F-3 mit Ausgleichslage Diagramm 6: Formänderungsverlauf F-3 mit Ausgleichslage 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 185 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode Diagramm 7: Abweichungen der Gewichtsdaten der Abhänger in Achse 4 Nach Auftragen der Ausgleichslage auf dem Gewölbemodell 2 verringern sich die Formänderungen unter Belastungseinwirkung deutlich. Der Durchschnitt der Standardabweichungen aller Lastfälle liegt hierbei nur noch bei 0,191 mm (siehe Diagramm 2). In den Diagrammen 3-6 sind exemplarisch die Verläufe der Formänderungen infolge der Belastung in Punkt Achse F/ 3 und B/ 3 zum Vergleich mit und ohne Ausgleichslage dargestellt. Bei dem Belastungsversuch in Punkt B-3 reduziert sich die maximale Durchbiegung von 0,608 mm auf 0,107 mm. Dies entspricht einer Abminderung der Durchbiegung um 82,4 %. Die Abminderung der maximalen Durchbiegung während des Belastungsversuchs in F-3 beträgt 31%. Dadurch bestätigt sich die Annahme, dass das Auftragen einer Ausgleichslage oberhalb des Gewölbes trotz zusätzlicher Eigenlast eine positive Auswirkung auf das Tragverhalten des Gewölbes hat. Der Verbund zwischen der oberen Putzlage des ursprünglichen Gewölbes und der Ausgleichslage ist aufgrund der unebenen Gewölbeoberseite sehr gut. Aufgrund des dickeren Querschnitts und höheren Steifigkeit der Gewölbeschale können mehr Lasten direkt über die Schale abgetragen werden. Die Formänderungen bleiben dabei, durch die hohe Steifigkeit der Schale, sehr gering. Dies hat zur Folge, dass die Abhänger kaum beansprucht werden, da diese als Federn fungieren und erst unter Längenänderung aktiviert werden, bzw. Last aufnehmen können. Bei allen Belastungsversuchen liegen die mit den FE-Modellen ermittelten Kräfte der Abhänger in Achse 4 über den abgelesenen Werten der Federwagen am Gewölbemodell. Im Durchschnitt beträgt die Differenz zwischen den im FE-Programm ermittelten Kräften der Abhänger in Achse 4 und den im Labor abgelesenen Werten ca. 4 kg (siehe Diagramm 7). Nach Aufbringen der Instandsetzungsputzlage auf der Gewölbeschale und erneuten Belastungsversuchen beträgt die durchschnittliche Standardabweichung der Kräfte in den Abhängern in Achse 4 ca. 2,5 kg. Die Ursache für diese Abweichungen lässt sich auf zwei mögliche Gründe beschränken. Zum einen können Messungenauigkeiten beim Ablesen der Federwaagen zu nicht aussagekräftigen Ergebnissen führen. Darüber hinaus können die Waagen selbst fehleranfällig sein. 186 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode Diagramm 8: Abweichungen der Gewichtsdaten der Abhänger in Achse 4 (mit Ausgleichlage) Zum anderen können falsch angesetzte Federsteifigkeiten der Abhänger oder ein zu hoher E-Modul der Gewölbeschale die geringen Waagenkräfte der FE-Modelle verursachen. Die Lasten verteilen sich auf die umliegenden Abhänger um oder werden je nach Steifigkeit der Gewölbeschale direkt über Schalentragwirkung abgetragen. Trotz der Vergrößerung des Eigengewichts verringert sich die Abweichung der gemessenen Gewichtsdaten zu den Federkräften im FE-Modul, was diese Annahme bestätigt. Miteingeht, dass die Auflager im Fußpunkt der Gewölbeschale im FE-Programm als Festlager definiert wurden. Ohne Nachgiebigkeit der Auflager können die Lasten über die Schale direkt abgeleitet werden, wodurch weniger Last über die Abhänger abgetragen wird. Die abschließende Beurteilung des Vergleichs der Waagendaten ist demensprechend nur unter Vorbehalt möglich. Messungenauigkeiten, Fehler beim Ablesen der Waagen, ein falscher Ansatz der Federsteifigkeiten im FE-Modell sowie eine falsche Annahme der Auflagerbedingungen können nicht ausgeschlossen werden. Ohne weitere Sensitivitätsstudie oder Ausschließen unbekannter Variablen lassen sich die Abweichungen der Formänderungsmessungen an den Gewölbemodellen im Vergleich zu den FE-Bemessungen nicht eliminieren. Abschließend bestätigt sich die Annahme, dass sich die Instandsetzungsmaßnahme mit einer Ausgleichslage auf der Gewölbeschale positiv auf das Formänderungsverhalten einer Drahtputzgewölbedecke auswirkt. Dies kann aus der Annäherung der Formänderungsverläufe an das Referenzgewölbe im Labor, sowie der gesamten Minimierung der Standardabweichungen von ca. 20 % der Formänderungsmessungen, beurteilt werden. In Summe erzielt das FE-Modell mit der Eingabe eines E-Moduls von 3000 MN/ m² und einer Querdehnzahl von 0,18 die geringsten Abweichungen zu den reell gemessenen Formänderungen im Labor. 4. Fazit und weitere Forschungsziele Schlussfolgend kann nach Auswertung der Finite-Elemente-Berechnung, sowie der Untersuchungen im Labor ein erster Ansatz für das Tragbzw. Formänderungsverhalten von Drahtputzgewölbedecken aufgestellt werden. Aufgrund der großen Streuungen der Ergebnisse sind weitere Untersuchungen notwendig um eine statistisch aussagekräftige Beurteilung für die Anwendbarkeit der FE-Modelle für die Praxis treffen zu können. Es sind weitere Gewölbemodelle erforderlich, damit sich die Unregelmäßigkeiten bei der Herstellung der Gewölbe geringer auf die Auswertung auswirken. Zusätzlich prägen sich die Schwankungen der Messwerte infolge Messungenauigkeiten bei den Formänderungsuntersuchungen geringer auf das Gesamtergebnis aus. Ebenfalls sind weitere labortechnische Untersuchungen der Baustoffe und die weitere Anpassung der Untersuchungsmethodik an die speziellen Verhältnisse des Putzmörtels im Verbund zu den Stahlelementen notwendig. Zusätzlich ist für eine aussagekräftige Auswertung umfangreichere Messtechnik erforderlich. Bei der Berechnung der Modelle sind hauptsächlich vier unbekannte Variablen vorhanden, welche sich auf das Formänderungsverhalten des Gewölbemodelles am prägnantesten auswirken: - E-Modul der Gewölbeschale sowie Querdehnzahl - Dicke der Gewölbeschale - Federsteifigkeit der Abhänger - Auflagerbedingung des Gewölbefußes 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 187 Ansätze zur rechnerischen Erfassung des Tragverhaltens von Drahtputzgewölbedecken mithilfe der Finite-Elemente-Methode Der E-Modul sowie die Federsteifigkeiten der Abhänger wurden labortechnisch ermittelt. Bei den Abhängern wurde, resultierend aus den Baustoffprüfungen der einzelnen Elemente, eine zusammengesetzte Federsteifigkeit ermittelt. Aufgrund der verschiedenen Längen der Abhänger wurden die Werte für die Drahtseile interpoliert. Angesichts dieser Interpolation, sowie der Berechnung einer zusammengesetzten Feder, sind eventuelle Ungenauigkeiten nicht auszuschließen. Um die Auswirkung der Verbindungselemente mit den Drahtseilen zu bestimmen, sind zusätzlich Zugversuche eines zusammengesetzten Abhängers zu empfehlen. Dadurch kann zugleich die Gesamtfedersteifigkeit kontrolliert werden. Um die Kräfte in den Aufhängern besser ablesen zu können sind für die weiteren Untersuchungen digitale Waagen mit höherer Messgenauigkeit zu verwenden. Um die Lastverteilung auf umliegende Abhänger aufgrund der geringen Steifigkeit der Waagen zu verhindern, müssen an allen Abhänger digitale Waagen zwischen geschaltet werden. Die geringe Steifigkeit spiegelt zugegebenermaßen nicht die Ausführung eines Bestandsgewölbes dar, wiederum können so alle Lasten mit dem FE-Modell verglichen und eine Lastverteilung des gesamten Gewölbes besser abgeschätzt werden. Eine andere Alternative bieten zwischengeschaltete Kraftmessdosen in den Abhängern. Auch an den Gewölbefußpunkten ist eine entsprechende Messtechnik wie z.B. Druckmessplatten zur Erfassung der Auflagerkräfte des Gewölbes zu empfehlen. Die Eigenverformungen des Traggerüstes, an dem das Gewölbe abgehängt wird, sowie dessen Auflagerkräfte müssen ebenso erfasst werden. Somit lassen sich alle Auflagerbedingungen für die FE- Berechnung bestimmen. Die Dicke der Gewölbeschale kann infolge der Ausgleichslage als nahezu konstant angesetzt werden. Als letzter unbekannter Wert kann der E- Modul über eine Iteration der FE-Berechnung ermittelt werden. Es wurde sowohl der statische E-modul mithilfe von Druckversuchen an Verbundprüfkörpern, als auch der dynamische E-Modul bestimmt. Der Querschnittsaufbau der Verbundprüfkörper wurde analog zu dem Gewölbemodelle ausgeführt. Die Differenzen der beiden Werte sind sehr groß. Der dynamische liegt nahezu beim fünffachen Wert des stat. E-Moduls. Aufgrund der Inhomogenität der Querschnitte der Verbundprüfkörper sind Fehlstellen, wie z.B. Lufteinschlüsse oder vorgeschädigt Bereiche, nicht auszuschließen. Diese wirken sich negativ auf die Tragfähigkeit der Prüfkörper aus und verfälschen die Ergebnisse des stat. E-Moduls. Durch eine Erhöhung der Prüfkörperanzahl können die Schwankungen der Prüfergebnisse ggf. reduziert werden. Versuchstechnisch sind weitere Überlegungen notwendig um die Eigenschaften der Gewölbeschale bestehend aus Putz und Stahl im Verbund zu prüfen. Ein weiterer Grund für Ungenauigkeiten bei der Auswertung der Formänderungsverläufe lässt sich auf die Schwind- und Quellverformungen während der Erhärtungsphase des Gewölbes zurückführen. Aufgrund der Formänderungen bereits vor Beginn der Belastungsversuche verändert sich die Ausgangslage der Gewölbeform für die FE-Berechnung. Dieser Effekt wird allerdings als Einfluss auf das Formänderungsverhalten des Gewölbes bei den sehr geringen Abmessungen als irrelevant angenommen. Bei größeren Spannweiten im Bestand kann dies allerding weitaus prägnanter ausfallen. Die Untersuchungen dieser Forschungsarbeit stellen einen ersten Ansatz für die Berechnung einer Drahtputzgewölbedecke in einem FE-Programm dar. Aufgrund der Annäherung der Formänderungsverläufe zu den im Labor gemessenen Formänderungen unter definierter Belastungseinwirkung kann die Eingabe in das FE-Programm mit den zuvor ermittelten Baustoffkennwerten als tendenzielle Grundlage eingestuft werden. Allerdings ist diese mit weiteren Untersuchungen, sowohl im Labor als auch an den Gewölben in der Praxis, zu bekräftigen, um einen für die Praxis relevanten Berechnungsweg auszuarbeiten. Der Ansatz der Instandsetzungsmaßnahme in Form einer nachträglich, oberseitig aufgetragenen Putzlage kann abschließend als positive Beeinflussung auf das Verformungsverhalten einer Drahtputzgewölbedecke eingestuft werden. Es ist allerdings nicht außer Acht zu lassen, dass es sich bei den Gewölbemodellen im Labor um nicht vorbeschädigte Gewölbequerschnitte mit einer ausreichenden Querschnittsdicke handelt. Im Bestand lassen sich oftmals Drahtputzgewölbedecken mit einer deutlich geringeren Querschnittsdicke und teilweise losen Putzlagen vorfinden. Hier muss ingenieurtechnisch beurteilt werden, ob die zusätzliche Belastung aus Eigengewicht der Ausgleichslage zu weiteren Schäden führen kann. 5. Literaturangaben [1] DIN 4121: 2017-18, Hängende Drahtputzdecken - Putzdecken mit Metallputzträgern, Rabitzdecken; Anforderungen für die Ausführung. [2] Karl Lade u. Adolf Winkler. (1952). Putz Stuck Rabitz. Stuttgart: Hoffmansche Buchdruckerei Felix Krais. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 189 Tragwerksplanung im Denkmal - Sonderlösungen in der Cadolzburg Dipl.-Ing. Hjalmar Schoch Sailer Stepan und Partner GmbH München Zusammenfassung Der als Werkbericht gestaltete Vortrag zeigt anhand ausgewählter Beispiele an der Cadolzburg, wie die Tragwerksplanung durch Sonderlösungen auf die historische Tragstruktur sowie neuzeitliche Veränderungen eingehen kann, um die Anforderungen zur Umsetzung der geplanten Museumsnutzung hinsichtlich Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Brandschutz unter Berücksichtigung der Belange der Denkmalpflege zu erfüllen. Die im Vortrag aufgezeigten Maßnahmen erfolgten während der beiden Ausbauphasen zum Museum in den Jahren 2001 bis 2017 in zwei Bauabschnitten. 1. Einführung 1.1 Die Cadolzburg Die für den Markt Cadolzburg im mittefränkischen Landkreis Fürth namensgebende Burganlage liegt auf einem Felsrücken und besitzt eine imposante Ringmauer, die, wie das Haupttor und der sog. Palas (ein Teil des Neuen Schlosses), aus dem 13. Jahrhundert stammt. Von einer möglichen Vorgängerbebauung des Areals zeugt heute nur noch das Krypta genannte Untergeschoss der ehemals freistehenden Kapelle. Der Kernburg vorgelagert ist eine geräumige Vorburg, in der zunächst die Sitze der Burgmannen und in der Renaissance ein Garten lagen. Bild 1 - Übersichtsplan Burganlage [2] In der Kernburg schließen an die hochmittelalterliche Ringmauer die beiden Baukörper des Alten und des Neuen Schlosses an, die durch den Kapellentrakt verbunden werden. Der an den Kapellentrakt anschließende Teil des sog. Neuen Schlosses gehört zur ältesten Bebauung des Burgareals um 1250. Daran anschließend wurde das Neue Schloss um 1600 erheblich erweitert. Das Alte Schloss ist ein Neubau des 15. Jahrhunderts unter Kurfürst Friedrich I. Die repräsentative Raumgestaltung des 2. Obergeschosses - Saal der Eichensäule und Erkersaal - dürfte wie das ehemalige kurfürstliche Fachwerkgeschoss darüber unter Albrecht Achilles nach 1473 entstanden sein. 190 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Tragwerksplanung im Denkmal - Sonderlösungen in der Cadolzburg Bild 2 - Ansicht Burganlage von Westen Kurz vor Kriegsende am 17.4.1945 ging die Burg in Flammen auf. Die stürmischen Feuerwogen konnten tagelang nicht gelöscht werden, die Kernburg verlor ihre Dächer und Zwischendecken. Jahrzehntelang blieb die Ruine offen stehen, der Bauzustand wurde immer desolater. [2] Bild 3 - Ruinenbild 1.2 Tragkonstruktion Die innere Tragstruktur der Gebäude einschließlich der Dachstühle der Cadolzburg wurde durch den Brandbombenangriff im Zweiten Weltkrieg nahezu komplett zerstört. Die massiven Außenwände sowie Wehr- und Burgmauern aus Burgsandstein blieben teilweise stark geschädigt erhalten. Bild 4 - Gründungskonzept zur Ruinensicherung Mit Planungen aus den Jahren 1983-1988 erfolgte die Sicherung der Ruine mittels Stahlrohrpfählen als Gründungselemente und z.T. massiven Stahlbetonbauteilen, was mit aus heutiger Sicht starken Eingriffen in die Bausubstanz einherging. Die ursprünglichen Holzdecken wurden als Stahlbetonrippendecken wieder aufgebaut und auf neue Stahlbetonpfeiler in den Sandsteinwänden aufgelagert. Gewölbe wurden soweit dies möglich war erhalten und mit Stahlbetonbalken und -decken ertüchtigt. Die Dachstühle wurden mit Stahlbetondecken und Holzsparren oder wie im Neuen Schloss mit neuzeitlichen Fachwerkbindern wieder hergestellt. 1983-1988 1.3 Planungen Der Entschluss, die Cadolzburg als Museum zu nutzen und den Besuchern den Zugang auch in nicht ausgebaute Bereiche zu ermöglichen, stellte neben der Frage zum generellen Zustand der Bausubstanz viele Fragen zur Tragfähigkeit der bereits im Zuge der Ruinensicherung umgesetzten statischen Maßnahmen wie auch der bislang nicht „bearbeiteten“ Bauteile. Für die Museumsnutzung waren die Anforderungen an den Brandschutz und an die Fluchtwegsituation essentiell. Die exponierte Lage der Burganlage lässt die Baustellenbedienung nur durch den äußeren Burghof mit seinen Burgtoren zu. All diese Anforderungen wurden im Team mit Bauherrnvertretern, Denkmalpflegern, Bauforschern, Architekten, Museumsplanern, Fachingenieuren sowie dem Prüfingenieur diskutiert und in zwei Planungs- und Bauabschnitten zwischen 2001 und 2017 umgesetzt. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 191 Tragwerksplanung im Denkmal - Sonderlösungen in der Cadolzburg 2. Maßnahmen In den nachfolgenden Kapiteln wird eine Auswahl an tragwerksplanerische Lösungen mit ingenieurmäßigen Ansätzen vorgestellt, die maßgeblich dazu beigetragen haben, die Museumsnutzung zu realisieren und die Aspekte der Denkmalpflege zu berücksichtigen. 2.1 Torturm Im Durchgang des Torturms zeigten sich deutliche Risse, die auf eine Überlastung des Mauerwerks hindeuteten. Bild 5 - Ansicht Torturm Ein Gutachten aus dem Jahr 1977 wies dem Mauerwerk eine Druckbelastung zu, die von den tatsächlich rechnerisch ermittelten Mauerwerksbelastungen um ein Vielfaches überschritten wurde. Verschiedene weitere Untersuchungen der Mauerwerksstruktur ergaben keine abschließenden Erkenntnisse. Die ingenieurmäßige Betrachtung ergab, dass es sich bei der Rissursache um Querzugbeanspruchungen handelt, denen mit einem vorsichtigen Einbau von Vernadelungen und -verankerung entgegengewirkt werden konnte. Die Überwachung der verschlossenen Risse mittels Rissmonitoren zeigten, dass es zu keinen weiteren Bewegungen in den Rissen kam und somit der ingenieurmäßig ertüchtigte Mauerwerksverband in der Lage ist, die hohen Lasten abzutragen. 2.2 Treppe im Neuen Schloss Die Ruine des neuen Schlosses wurde mit früheren Planungen mittels in den Mauerwerkswänden eingeschlitzter Stahlbetonstützen und -riegel, die auf Stahlpfählen gegründet und eingespannt wurden, gesichert. Das Museumskonzept machte es nun erforderlich, eine Fluchttreppe in dem hohen Raum einzubauen. Bild 6 - Treppe im Neuen Schloß Die tragwerksplanerische Lösung sieht vor, dass die vorhandenen Stahlbetonbauteile dazu genutzt werden, eine stützenfreie Treppenkonstruktion mittels Kragträger zu befestigen und das obere Podest abzuhängen. Die Abhängung erfolgt aus Gründen des Brandschutzes nicht an der vorhandenen Dachkonstruktion, sondern an neu eingebauten Stahlfachwerkträgern, deren Struktur den Holzbindern nachempfunden ist. 2.3 Gewölbe im Erkersaal Der Aufbau des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gewölbes erfolgte mittels neu gearbeiteter Sandstein-Segmente, die durch Edelstahlbolzen untereinander verbunden und mit Drahtseilen von einer Deckenkonstruktion abgehängt wurden. Es handelt sich somit im statischen Sinne nicht um ein echtes Gewölbe, da es aufgrund der Schlankheit der Rippen nicht in der Lage ist, sich selbst zu tragen. Bild 7 - Erkersaal nach Fertigstellung 192 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Tragwerksplanung im Denkmal - Sonderlösungen in der Cadolzburg Die Tragstruktur wurde anhand eines dreidimensionalen Aufmaßes berechnet und anschließend eine Ertüchtigung mittels an die tatsächliche Form angepasster Stahllaschen entwickelt, die die in den Steinen vorhandenen Bohrungen aufnehmen und die Stabilität so weit erhöhen, dass die Gewölberippen frei tragen können. Während des Einbaus konnten die Abhängungen sukzessive entfernt werden. 2.4 Aufzug im Alten Schloss Der im ersten Bauabschnitt begonnene Einbau eines Aufzugs im Mauerwerkspfeiler wurde auf die oberen Geschosse erweitert. Aufgrund der Stahlbetonbauteile in den alten Wänden sowie Lastumhebelungen im Zusammenhang mit den Stahlpfählen war der Einbau in zahlreichen Einzelschritten mit umfangreichen Hilfsabstützungen verbunden. Durch das gewählte Konzept konnte die Außenwand sowie die Gewölbe in den Wandnischen weitestgehend erhalten werden. Bild 8 - Einbau Aufzug in Burgmauer 2.5 Decke im Saal der Eichensäule Die vorhandene Tragstruktur aus der Wiederaufbauphase in den 1980iger Jahren sah vor, dass der komplette Raum mittels eines hohen, massiven Stahlbetonunterzuges überspannt und hieran eine Stahlbetonwand angehängt war. Der Einbau der geplanten Holzbalkendecke mit mittiger Eichensäule war jedoch hinsichtlich der Anforderungen an die Belastung und den Brandschutz für die Museumsnutzung nicht geeignet. Zudem sind die lastabtragenden Pfeiler im darunterliegenden Geschoss nicht unter der zentralen Holzstütze angeordnet. Das ausgeführte Tragwerkskonzept sieht vor, eine neue Stahlbetondecke einzubauen, die sowohl die statischen als auch die brandschutztechnischen Anforderungen erfüllt. Diese neue Stahlbetondecke wurde mit zwei schlanken Zugstützen an eine Wandscheibe im Dachgeschoss gehängt, die die Lasten an den Punkten abträgt, wo dies auch durch den vorhandenen Unterzug bereits vorhanden war. Somit werden die Gründungspfähle gleich belastet. Bild 9 - Ausbau vorhandener Unterzug Der massive Stahlbetonunterzug konnte ausgebaut und durch einen nahezu deckengleichen Unterzug ersetzt werden, was eine wesentlich großzügigere Raumnutzung ermöglicht. Die sich ergebende Raumwirkung entspricht dem historischen Vorbild, wenngleich die Eichensäule keine statisch tragende Funktion hat. Bild 10 - Fertig gestellter Saal der Eichensäule 3. Schlusswort Der Werkbericht über die Baumaßnahmen an der Cadolzburg stellt eine Auswahl dar, die zeigen soll, wie mit ingenieurmäßigen Lösungen die Bausubstanz bewertet und deren Potential genutzt werden kann. Die ausschließliche Anwendung von Normen und Vorschriften hätte eine Umsetzung der Planungsaufgaben nicht möglich gemacht. Dieser Weg funktioniert nur gemeinsam mit allen Projektbeteiligten, die mit gegenseitigem Verständnis alle das gleiche Ziel verfolgt haben. Der Umgang mit den vorgefundenen, nicht von unserem Büro geplanten Eingriffen aus den 1980iger Jahren stellt zusammen mit der 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 193 Tragwerksplanung im Denkmal - Sonderlösungen in der Cadolzburg mittelalterlichen Bausubstanz eine anspruchsvolle aber interessante Aufgabenstellung an die Tragwerksplanung dar und erfordert die Einarbeitung in Konstruktionen aus verschiedenen zeitlichen Epochen. Literatur- und Bildangaben [1] Burger, Daniel (2005): Die Cadolzburg. Dynastenburg der Hohenzollern und markgräflicher Amtssitz. Nürnberg: Verlag des Germanischen Nationalmuseums. [2] Internetseite der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen https: / / www.burg-cadolzburg.de/ Bild 1: [2] Bild 2: Sailer Stepan und Partner GmbH Bild 3: Staatliches Bauamt Erlangen-Nürnberg Bild 4: Firmenprospekt Fa. Stump Bilder 5-10: Sailer Stepan und Partner GmbH Ausführung 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 197 Pflichten des Sachkundigen Planers bei der Bauüberwachung Dipl.-Ing. Rainer Braun Müller + Braun Ingenieure GmbH & Co. KG Waiblinger Str. 124 70734 Fellbach 1. Einleitende Worte Im Zuge der Instandsetzung von Bauwerken nehmen Auftraggeber, meist vertreten durch einen Sachkundiger Planer, die ausführende Firma sowie unter Umständen die Aufsichtsbehörde Überwachungsfunktionen in unterschiedlicher Form wahr. Der Bauüberwachung kommt hierbei eine bedeutende Rolle zu. Basierend auf einer möglichst umfänglichen Planung und einer erschöpfend beschriebenen Leistung gilt es für die Bauüberwachung gemeinsam mit der ausführenden Firma das dem Auftraggeber geschuldete, mängelfreie Werk im vorgegebenen Zeitraum zu realisieren. Die Überwachung durch das ausführende Unternehmen sowie die Überwachung durch eine dafür anerkannte Überwachungsstelle sind u.a. in der Instandsetzungsrichtlinie (und künftig wohl auch in der Instandhaltungsrichtlinie) sowie der ZTV-ING und ZTV-W etc. geregelt und in deren Umfang beschrieben. Zum Umfang der durch einen Sachkundigen Planer in der Bauüberwachung zu erbringenden Leistungen hingegen finden sich nur verstreut über zahlreiche Regelwerke, Merkblätter und Handbücher Angaben und Hinweise. Im Folgenden wird der Versuch unternommen herauszuarbeiten, was genau ein Sachkundiger Planer bei der Bauüberwachung zu leisten hat. Für Auftraggeber dahingehend interessant, zu wissen was er einem Planer abverlangen kann und was nicht und was ggf. im Ingenieurvertrag zusätzlich zu regeln ist. Für Sachkundige Planer ist es von Interesse die eigenen Leistungspflichten zu kennen um dem erheblichen Haftungsrisiko wirkungsvoll zu begegnen. Ausführende Unternehmen sollten den Mehrwehrt einer Bauüberwachung erkennen, sorgt sie doch für zusätzliche Sicherheit bei der Ausführung von Bauleistungen. 2. Regelwerke, Vertragsgrundlagen, Merkblätter, Handbücher, Rechtsprechung etc. 2.1 Instandsetzungsrichtlinie / Gelbdruck Instandhaltungsrichtlinie (DAfStB) In beiden Richtlinien finden sich Angaben zur Überwachung durch das ausführende Unternehmen sowie zur Überwachung durch eine dafür anerkannte Überwachungs-stelle, nicht jedoch zu weitergehenden Überwachungen wie z.B. die Bauüberwachung. 2.2 Bauordnungsrecht / Landesbauordnungen / Musterbauordnung (Länder) Zwingend zu beachten, in der Formulierung jedoch sehr allgemein gehalten sind die Vorgaben aus dem Bauordnungsrecht. Hier steht im Vordergrund, dass Bauwerke in allen Belangen sicher erstellt und sicher betrieben werden können. Übernimmt der Planer die Rolle des verantwortlichen Bauleiters (nach HOAI eine besondere Leistung), ist hierzu eine zivilrechtliche Vereinbarung mit dem Bauherrn zu schließen. Die Überwachung einer Baumaßnahme umfasst nach LBO die Sicherstellung, dass die Baumaßnahme dem öffentlichen Recht, den genehmigten Bauvorlagen sowie den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht. 2.3 HOAI (Bund) Wenngleich die HOAI eine reine Preisverordnung ist und keinen normativen Charakter hinsichtlich der im Zuge der Bauüberwachung zu erbringenden Leistungen besitzt, werden die Leistungen der Leistungsphase 8 bzw. der besonderen Leistungen im Zuge der Bauüberwachung beschrieben. Die HOAI verlangt im § 34 „Gebäude und Innenräume“ u.a. die Einhaltung einschlägiger Vorschriften und der allgemein anerkannten Regeln der Technik. § 41 „Ingenieurbauwerke“ bezieht sich etwas weniger weit gefasst auf die zur Ausführung freigegebenen Unterlagen, den Bauvertrag und die Vorgaben des Auftraggebers. Hier wird vermutlich unterstellt, dass Bauherren, die im Besitz eines Ingenieurbauwerks sind, in der Lage sind weitergehende Regelungen im Bauvertrag z.B. durch die Vereinbarung von Zusätzlichen und Besonderen technischen Vertrags-bedingungen zu regeln. 2.4 BGB Bauvertrag §§ 650 a bis 650 n (Bund) Im neuen § 650p finden sich ebenfalls nur sehr allgemein gehaltene Ausführungen zum Thema „vertragstypische Pflichten aus Architekten- und Ingenieurverträgen“: (1) Durch einen Architekten- oder Ingenieurvertrag wird der Unternehmer verpflichtet, die Leistungen zu erbringen, die nach dem jeweiligen Stand der Planung und Ausführung des Bauwerks oder der Außenanlage erforderlich sind, um die zwischen den Parteien vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele zu erreichen. 198 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Pflichten des Sachkundigen Planers bei der Bauüberwachung 2.5 VOB/ B (DIN 1961) Die VOB/ B räumt dem Auftraggeber in § 2 Ausführung (2) das Recht ein, die Arbeiten zu überwachen. Weitere Rechte und Pflichten des Auftraggebers gegenüber dem Auftragnehmer sind in der VOB/ B geregelt. Aus Teil C der VOB gehen u.a. die zu beachtenden DIN-Normen sowie weitere Anforderungen an die jeweilige Bauart hervor Inwieweit der Auftraggeber Rechte und Pflichten der Bauüberwachung / dem Sachkundigen Planer überträgt sollte im Ingenieurvertrag geregelt werden, bzw. sind dadurch bereits übertragen, dass die Bauüberwachung die Übereinstimmung der Ausführung mit den Verträgen mit ausführenden Unternehmen (in denen zumeist die VOB/ B und C vereinbart ist) zu überwachen hat. 2.6 ZTV-ING (BAST) / ZTVW Lb 219 (BMVI/ BAW) In den zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen für Ingenieurbzw. Wasser-bauwerke sind neben der Eigen- und Fremdüberwachung sogenannte Kontrollprüfungen und zusätzliche Kontrollprüfungen geregelt. Weiter ist in beiden Vertragsbedingungen geregelt, welche Prüfungen im Zuge der Eigenüberwachung in Anwesenheit des Auftraggebers durchzuführen sind. 2.7 M-BÜ-ING (Merkblatt für die Überwachung von Ingenieurbauten, BAST) Das M-BÜ-ING ist analog der ZTV-ING in 10 Teile gegliedert. In allen Teilen wird das M-BÜ-ING zu den Aufgaben in der Bauüberwachung sehr konkret. Zum Großteil in Form von Fragen. Auch in Teil 3 Massivbau Abschnitt 4 Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen sind für die Unterpunkte 1-8 getrennt Fragenkataloge beinhaltet. 2.8 HVA B-Stb (Handbuch für die Vergabe und Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau, BMVI) In Teil 3 des HVA B Stb „Richtlinien für das Abwickeln von Verträgen“ enthält Richtlinien die, von der sog. Baudienststelle bei der Überwachung von Baumaßnahmen zu beachten sind. 2.9 Der Ingenieurvertrag Der Ingenieurvertrag kann und sollte individuell ausgestaltet werden. Bestenfalls gehen die Pflichten der Bauüberwachung eindeutig aus ihm hervor. Abhängig vom Auftraggeber unterscheiden sich die vertraglichen Regelungen zur Bauüberwachung in ihrer Schärfe. Am unteren Ende steht das Honorarangebot, das mit dem Wort „beauftragt“ und Unterschrift versehen ist. Am oberen Ende stehen Verträge in denen vieles explizit und noch mehr implizit durch die Nennung von Regelwerken (bis hin zur M-BÜ-ING) geregelt ist. Gängige Vertragsmuster der öffentlichen Hand, die die Beschaffenheit der Architekten-/ Ingenieurleistung beschreiben, sind u.a.: AVB F-StB Allgemeine Vertragsbedingungen für freiberufliche Leistungen im Straßen- und Brückenbau / BMVI 2016) KVM/ AVB Arch/ Ing Allgemeine Vertragsbestimmungen für Architekten-/ Ingenieur-leistungen KVM/ ZVB Arch/ Ing Zusätzliche Vertragsbestimmungen für Architekten-/ Ingenieur-leistungen Vertragsmuster VM 2/ 1 Vertrag Objektplanung Gebäude und Innenräume (BMVBS) 2.10 Rechtsprechung Die Sichtung von zahlreichen Urteilen zur Bauüberwachung hat gezeigt, dass die Gerichte die Anforderungen an die Bauüberwachung sehr streng formulieren. Nach Auskunft eines Versicherers liegen ca. 2/ 3 der Schadensfälle innerhalb der Leistungsphasen 5-8, wobei Leistungsphase 8 mit wiederum ca. 2/ 3 den Löwenanteil bildet. Die meisten Gerichtsurteile haben eines gemein, sie unterscheiden bei der Beurteilung der Überwachungspflicht u.a. folgende Gegebenheiten: - Liegt der Schaden im Bereich einfacher und üblicher Arbeiten, sogenannten handwerklichen Selbstverständlichkeiten? - Liegt der Schaden im Bereich von wichtigen und kritischen Arbeiten bzw. typischen Gefahrenquellen? - Ergaben sich im Verlauf der Bauausführung Anhaltspunkte für eine mangelhafte Ausführung? - War ein Mangel an Sachkunde oder Zuverlässigkeit beim Unternehmen erkennbar? Abhängig von den Antworten auf obige Fragen ergibt sich der Anspruch an die Bauüberwachung. Beginnend mit einer eingeschränkten Überwachungspflicht bei handwerklichen Selbstverständlichkeiten bis hin zu sehr zeitintensiven Überwachungspflichten bei kritischen Arbeiten. 3. Bauüberwachung / Sachkundiger Planer Die Bauüberwachung sollte folgendes zum Ziel haben: - Die Sicherheit auf der Baustelle. - Das Umsetzten der Projektziele in technischer Hinsicht (Allgemein anerkannte Regeln der Technik etc.). - Die wirtschaftliche Umsetzung der Maßnahme im vereinbarten Zeitraum. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 199 Pflichten des Sachkundigen Planers bei der Bauüberwachung 200 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Pflichten des Sachkundigen Planers bei der Bauüberwachung 3.1 Sicherheit auf der Baustelle Die Sicherheit liegt primär beim ausführenden Unternehmen. Die sekundäre Sicherungspflicht der Bauüberwachung wird jedoch zu einer primären, wenn Gefahr im Verzug ist und wenn der Unternehmer unzuverlässig ist und seinen Sicherungspflichten nicht nachkommt. 3.2 Administrative Aufgaben Die administrativen Aufgaben eines Sachkundigen Planers, wie der VOB-konforme Schriftverkehr, die Kostenkontrolle, das Fortschreiben von Terminplänen, die Rechnungsprüfung usw. unterscheiden sich nicht grundlegend von denen in der Bauüberwachung von anderen Maßnahmen. 3.3 Bauüberwachung / Handwerkliche Selbstverständlichkeiten Der weit überwiegende Teil von Instandsetzungsmaßnahmen ist standsicherheits-relevant. Viele der notwendigen Arbeitsgänge liegen nach Fertigstellung im Verborgenen. Alle Arbeitsgänge sind wichtig, die meisten auch kritisch. Handwerkliche Selbstverständlichkeiten sind dünn gesät. Wenngleich im Regelfall nachweislich fähige und zuverlässige Unternehmen mit der Ausführung von Maßnahmen zum Betonerhalt beauftragt werden, kann die Bauüberwachung sich nicht darauf zurückziehen, es handele sich für das Unternehmen beim Großteil der Arbeiten um handwerkliche Selbstverständlichkeiten. Die Bauüberwachung hat dies auszublenden. Ist das Unternehmen zuverlässig bleibt es beim gewöhnlichen Umfang in der Bauüberwachung, ist das Unternehmen jedoch nachweislich unzuverlässig, ist die Schlagzahl in der Bauüberwachung zu erhöhen. Die einzelnen Arbeiten sind für sich nach ihrer Wichtigkeit und ihrer Anfälligkeit für Mängel und damit dem Potential zum Scheitern der Projektziele beizutragen, zu beurteilen. Nachfolgende Tabelle zeigt exemplarisch, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, am Beispiel einer Brückeninstandsetzung was aus Sicht des Verfassers überwachungswürdig / -pflichtig ist. 4. Zusammenfassung Die Recherche zu diesem Vortrag und die tägliche Praxis haben gezeigt, dass es keinen Aufgabenkatalog gibt, aus dem die im Zuge der Bauüberwachung zu erbringenden Leistungen hervorgehen. Vielmehr existieren zahlreiche Quellen. Gleich wie erschöpfend oder eben gar nicht die Leistungen der Bauüberwachung im Ingenieurvertrag beschrieben sind, sollten immer höchste Maßstäbe an die Bauüberwachung gelegt werden. Ein Mangel in der Überwachungsleistung lässt sich nicht (ohne weiteres) nachbessern! Ein guter Ratgeber ist der Gedanke, welche Fragen ein Richter stellen wird, wenn es zum Prozess kommt. Und das vor dem Hintergrund, dass die Rechtsprechung in diesem Bereich eisern ist. Am Ende liegt die Wahrheit irgendwo zwischen unterlassener Bauüberwachung und durchgehender Anwesenheit auf der Baustelle. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 201 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen Peter Sudermann, M.Eng. Prof. Dr.-Ing. Manfred Breitbach Koblenz University of Applied Sciences, Germany Lehrgebiet Werkstoffe des Bauwesens, Betontechnologie, Betoninstandsetzung Amtliche Prüfstelle Baustoffe Konrad-Zuse-Straße1, D-56075 Koblenz Abstract The constantly supply with healthy drinking water is one of the most important tasks for the World Health Organisation (WHO) and the European Commission. Furthermore drinking water reservoirs are necessary e.g. for fire protection, in times with ecological crises or war activities and basically to prevent epidemics. The hygiene and functionality requirements on are about 20 times higher than for usual food industries, because the population use their drinking water in many cases over the lifetime. Considering these circumstances there are very special requirements to the construction principles of the reservoir itself, material limitations concerning starting materials as well as material design (concrete, polymers, metallic materials), building supplies, repair materials and material changes due to the chemical attack by the drinking water and thereby negative influence on the further water quality. There must be a modeling of hydraulic functions and steady fluctuation of the water, stagnant water must be prevented in order to reduce microbiological growth. In this contribution the essential aspects for open up construction projects, planning, joint constructions, crack width limitation, construction executions, quality assurance, hygienic standards for materials … will be explained by practical examples with new buildings and existing old structures (up to 100 years old) north of the Alps. The author is among others member of the German Waterways Standards Committee, chairman of different working groups, publicly appointed and sworn expert and planning engineer for drinking water reservoirs. 202 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen 1. EINFÜHRUNG Trinkwasser ist das wichtigste Lebensmittel. Gegenüber anderen Lebensmitteln wird für Trinkwasser ein etwa 20fach höheres Schutzniveau für die menschliche Gesundheit gefordert, da der Mensch i.d.R. lokal ansässig ist und über lange Zeiträume das gleiche Trinkwasser konsumiert und dadurch möglicherweise schädliche Stoffe im Körper akkumuliert. Aus diesem Grunde gibt es für das Trinkwasser selbst und die Werkstoffe im Kontakt mit dem Trinkwasser besondere gesetzliche Rahmenbedingungen und Werkstoffanforderungen (z. B. Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG), Trinkwasserverordnung (TrinkwV), UBA Umweltbundesamt: z. B. Bewertungsgrundlage für zementgebundene Werkstoffe im Kontakt mit Trinkwasser, Bewertungsgrundlage für Kunststoffe und andere organische Materialien im Kontakt mit Trinkwasser). Derzeit befasst sich die ECHA European Chemicals Agency in Helsinki, Finnland, mit der Festlegung von Grenzwerten von z. B. Schwermetall- und Kunststoffkonzentrationen in zementgebundenen Werkstoffen. Ein Trinkwasserspeicher hat ist neben der sicheren Versorgung der Bevölkerung mit dem Trinkwasser auch weitere zentrale Funktionen zur Sicherstellung: - eines minimalen und maximalen Druckniveaus im Rohrnetz, damit die öffentlichen und privaten Leitungen, Armaturen und Geräte sicher betrieben werden und ungewollte Druckstöße nicht zum Abtransport von Biofilmen im Rohrnetz zu den Endverbrauchern führen, - der Löschwasserreserve, - der Notversorgung bei Katastrophen und Stromausfällen, - notwendiger längerfristiger Bevorratungskonzepte im Rahmen des Trinkwassermanagements aufgrund der Klimaveränderungen. Erfahrungen haben gezeigt, dass die alleinige Versorgung durch das Wasserdargebot (Stauseen, Brunnen, Meerwasserentsalzung) über drehzahlgeregelte Pumpen bei Havarien oder Energieschwankungen anfällig sein kann. Dieser Beitrag dient zur Einordnung der technischen und hygienischen Rahmenbedingungen für den Neubau und die nachhaltige Instandsetzung von Trinkwasserspeichern. Hierbei ist zu beachten, dass gegenüber Bauwerken der Wasserverteilung (z. B. Rohrnetz) das Trinkwasser in großen Mengen und über längere Zeiträume gespeichert wird. Hierzu sind das Oberflächen/ Volumenverhältnis (O/ V) der Wasserkammer, die Fluktuation (z. B. Wasserwechsel/ d, Ganglinie) und die geometrisch-hydraulische Bauform von Bedeutung. Eine tabellarische Grundlagenübersicht der zu beachtenden Punkte für Trinkwasserspeicher sind im Tabellenverzeichnis zusammengestellt (siehe Tabellen 1/ 2 und Tabelle 2/ 2) Stagnierende Wässer in Todzonen, Sümpfen, ungünstig bewirtschafteten Reservoirs, aber auch in Fugen, Hohlstellen, Rissen und Kiesnester führen grundsätzlich zu einem mikrobiell bedenklichen Milieu. Daher sind die Konstruktionen möglichst Fugenfrei und mit besonderer Sorgfalt herzustellen. Zur Unterbindung der Migration von gesundheitsschädlichen Schadstoffen in das Trinkwasser und mikrobieller Filme an den trinkwasserberührten Oberflächen müssen alle Ausgangsstoffe, die verarbeiteten Stoffe, alle Bau- und Hilfsstoffe (z. Schalhaut) und die Bauausführung speziellen Hygienekonzepten unterworfen werden. Aufgrund dieser Anforderungen muss die Verwendung von sonst im Bauwesen üblichen Bauprodukte wie z. B. Abdichtungsstoffe, elastifizierte kunststoffmodifizierte rissüberbrückende Beschichtungs- oder Auskleidungsstoffe, Polymerwerkstoffe, Injektionsstoffe, Klebstoffe … unterbunden bzw. auf ein technisch notwendiges Minimum (Minimierungsgebot) beschränkt werden. Diese Tatsache hat zur Konsequenz, dass bei der Planung und der Bauausführung besondere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Die Exposition „Lagerung von Trinkwasser“ gilt im Allgemeinen Stahlbetonbau als unbedenklich. Die üblichen Parameter für den Betonbau wie pH-Wert (für XA), Chloridgehalt (für XD, XS), Wassersättigung (für die Feuchtigkeitsklasse) etc. sind diesem Fall nicht die einzigen wichtigen Parameter. Wasser muss in der Regel nach der Gewinnung aufbereitet werden. Die sogenannte Rohwässer sind in ihrer unbehandelten, chemischen Zusammensetzung (wie Härte, pH-Wert, Chloridgehalt, Kalk-Kohlensäure-Gleichgewicht usw.) nicht zum direkten Verzehr geeignet. Die Wässer durchlaufen dann sogenannte Vorstufen (z. B. Kohlefilter, Membranfilter, Ozonierungsanlagen, Chloranlagen etc.). Erst nach diesem Durchlauf kann man von verzehrsicherem Trinkwasser sprechen. Dieses Trinkwasser wird dann zwischengespeichert bis es verbraucht wird. Kleinere Behälter haben ein Fassungsvermögen von wenigen 100 m 3 , wohingegen große Trinkwasserbehältern (für urbane Gebiete oder Industrien) durchaus auch bis zu 100.000 m 3 speichern können. Die erforderlichen Speicherkapazitäten richten sich nach ihrem Verbrauch. Dabei wird die sogenannte Ganglinie des Wassers mit den dazugehörigen Spitzenverbräuchen im Sommerfall und den ggf. erforderlichen Löschwasserreserven für die Dimensionierung verwendet. In einem Trinkwasserbehältern sollte i.d.R. mindestens 1-2mal pro Tag das Wasser gewechselt werden. Die sogenannten Wasserwechsel dienen dazu Stagnationen des Wassers zu vermeiden und somit der Keimbildung vorzubeugen. Bei diesen Wasserwechseln strömt gespeichertes Wasser aus und frisches (vorkonfektioniertes) Wasser wird dauerhaft wieder eingeleitet. Dies geschieht in der Regel nicht im konstanten Verhältnis, sondern zu Spit- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 203 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen zenzeiten wird mehr Wasser verbraucht als nachfließen kann. Über die Nachtzeiten füllen sich dann die Speicher wieder bis zur nächsten Stoßzeit, sodass dann die volle Speicherkapazität wieder zur Verfügung steht. Dadurch entstehen zu den chemischen auch physikalischen Einwirkungen an den Wand-, Boden- und Stützflächen. Diese Einwirkung kann in drei Zonen unterteilt werden: - 1. Zone: oberhalb der Wasserlinie - 2. Zone: Wasserwechsel-Zone - 3. Zone: dauerhaft unter Wasserlinie Aufgrund von dauerhaften Wasserwechsel mit frischen Trinkwasser erfolgt gerade in der Wasserwechsel-Zone ein enormer Frischwasseraustausch, der den oben beschriebenen dynamisch-hydraulischen Verhältnissen entspricht. Dieser Austausch löst chemisch-physikalische Reaktionen aus, die über die üblichen europäisch-harmonisierten Expositionen nicht abgedeckt wird. Die sogenannte Hydrolyse bewirkt Ionentransporte (von innen nach außen). Als Folge dessen ist ein Kalkabbau des Zementsteines (von außen nach innen) zu beobachten. Der hohe pH-Wert an den Oberflächen von mineralisch gebundenen Beton/ Beschichtungen sorgt dafür, dass kein biogener Aufwuchs möglich ist. Durch die Hydrolyse (auch als Auslaugung durch Ionenaustausch bekannt) verliert die Oberfläche stetig ihren hohen pH-Wert. Dadurch steigt wiederum die Gefahr des Aufwuchses und somit auch der Verkeimungen des Behälters 2. HYDROLYSE, MIGRATION UND AUSLAUGUNG Trinkwasser stellt immer einen werkstoffchemischen Angriff auf die Randzone der Oberflächen im Kontakt mit dem Trinkwasser dar. Es handelt sich nicht nur um einen Angriff an der Oberfläche, sondern es werden auch tiefere Schichten miterfasst. Das gilt für Kunststoffe, zementgebundene Werkstoffe und Metalle gleichermaßen (vgl. z. B. Umweltbundesamt UBA: Bewertungsgrundlage für metallene Werkstoffe im Kontakt mit Trinkwasser). Bei den trinkwasserberührten Oberflächen handelt es sich um 1. unmittelbar trinkwasserberührte Oberflächen (unterhalb des maximalen Füllstands), 2. mittelbar trinkwasserberührte Oberflächen (oberhalb des maximalen Füllstands durch Kontakt mit Kondenswasser und/ oder CO 2 -Ausgasung). Die Auskleidung der Wasserkammern stellt immer eine „Opferschicht“ dar. Dabei muss die planmäßige Restnutzungsdauer und die Abnutzungsgrenze beachtet werden (Abbildung 01). Der Abnutzungsvorrat ist der Zustand vor der Erstinbetriebnahme. Er wird planmäßig durch unterschiedliche Prozesse reduziert: - chemische Prozesse (Ionentransporte, chemische Umwandlungen, Auslaugung). - physikalische Prozesse (Druckschwankungen, Wasseraustausch, Abrasion, Reinigung, Desinfektion). Die Abnutzung schreitet zunächst nicht sichtbar von der Oberfläche ausgehend in die Tiefe voran. Physikalische und chemische Vorgänge erfolgen interaktiv (Abbildung 02). Abbildung 01: Abnutzungsgrenze nach der TR-Instandhaltung / breitbach sudermann/ 204 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen Abbildung 02: Schadensprozesse an der trinkwasserberührten Randzone / breitbach sudermann/ Der pH-Wert des Trinkwassers liegt zwischen pH @ 6,5 und pH @ 9,5. Der pH-Wert zementgebundener Werkstoffe wird hauptsächlich durch das Calciumhydroxid mit pH @ 12,6 bestimmt. Ein Teil des Calciumhydroxides liegt chemisch nicht gebunden im Gelporenwasser des Zementsteines vor, ein weiterer Teil chemisch gebunden im Zementgel. Der Abbau des Restnutzungsvorrates erfolgt an der Oberfläche durch chemische Umwandlung von Calciumhydroxid in Calciumcarbonat mit pH @ 8. Calciumcarbonat ist leicht wasserlöslich und geht in Hydrogencarbonat über. Dadurch würde zunächst nur an der Oberfläche spontan der pH-Wert abgesenkt werden, was aber in der Praxis nicht der Fall ist. Aktuelle Forschungsarbeiten (Korrosionsschutz durch mineralische Beschichtungen unter Berücksichtigung der Anforderungen aus dem neuen DVGW- Arbeitsblatt W 300/ Hr. Univ.-Prof. Dr. W. Breit & Hr. Univ.-Prof. Dr. M.Raupach) zeigen, dass der Abbau der Randzone bei üblichen Betriebsbedingungen und nicht betonaggressiver Trinkwasserzusammensetzung etwa 2 mm in Anspruch nimmt. Bei ungünstigen Verhältnissen werden auch Substanzverluste, Aufweichungen und Porosierungen bis in Tiefen von 5 mm beobachtet. Durch Ionentransporte werden aus der Beschichtung bzw. dem Beton Hydroxide infolge des Konzentrationsunterschiedes an die Oberfläche nachgefördert, so dass im Laufe der Zeit sich eine Verarmung bis tief in den Untergrund einstellt (Abbildung 03). Abbildung 03: Auslaugung im Tiefenprofil (repräsentative Bestimmung aus einem anderen Schadensfall)/ breitbach sudermann/ 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 205 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen Mit der Auslaugung stellen sich drei Prozesse ein: 1. Substanzverlust an der Oberfläche 2. Festigkeitsverlust Oberfläche (Aufweichungen, pastöse Konsistenz) 3. Zunahme der Porosität durch den Abbau von Zementphasen Die Zunahme der Porosität begünstigt wiederum das Eindringen von Wasser und verlagert die Auslaugung zusätzlich in die Tiefe. Die Frage der Betonaggressivität des Trinkwassers kann durch die Bestimmung der Calcitlösekapazität des Trinkwassers beantwortet werden. Über die Tillmans‘sche Gleichung (Gleichgewichtskurve zum Kalk-Kohlensäure-Gleichgewicht) können erste Hinweise für die grundsätzlichen Zusammenhänge gefunden werden (Abbildung 04). Kalkabscheidende Wässern sind kein Garant zur Unterbindung der Auslaugung, wie es zu vermuten wäre. Durch die Carbonatschicht an der Oberfläche mit pH @ 8 kann es zu einer Verschiebung der Wasserqualität in der Mikrowasserschicht an der Oberflächen kommen. Abbildung 04: Zuordnung des Wasser nach dem Kalk-Kohlensäure-Gleichgewicht / breitbach sudermann/ Migration beschreibt in der Praxis allgemein das Wandern (Migrieren) von Ionen oder niedermolekularer Stoffe. Konzentrationsunterschiede in der Porenlösung bewirken einen Diffusionsstrom gelöster Ionen oder Stoffe von Bereichen höherer Konzentration in Bereiche niedriger Konzentration. Sind Baustoffe mit löslichen Salzen belastet, gehen diese bei Aufnahme einer polaren Flüssigkeit in Lösung und werden mit der Flüssigkeit durch das Porengefüge transportiert. Grundlage dieser Transporte ist es, dass die gelösten Stoffe kleiner sind als die Porenradien. Oder umgekehrt reduzieren/ hemmen kleinere Porenradien den Stofftransport. Schwermetallionen haben im Atommodell einen Durchmesser in einer Größenordnung zwischen rd. 0,00005 µm bis 0,0001 µm. Makromoleküle haben einen theoretischen Durchmesser in einer Größenordnung zwischen rd. 0,001 µm bis 0,01 µm. Untersuchungen zur Ionendiffusion in Zementstein zeigen, dass nicht nur die Porenradien die Diffusionsgeschwindigkeit beeinflussen. Die Art den Ionen sowie die Zusammensetzung des Zementsteins spielen eine dabei eine wichtige Rolle. Der Diffusionskoeffizient des Zementsteins durch einen abnehmenden w/ z-Wert und durch Zugabe von Puzzolanen und latent hydraulischen 206 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen Stoffen reduziert. Gegenüber einem CEM I kann diese Reduktion zwischen rd. 60 % bis 80 % betragen. Aus diesen Gründen soll bei zementgebundenen Werkstoffen im Kontakt mit dem Trinkwasser die Porosität und die Porenradienverteilung ermittelt werden. Die Ermittlung der Gesamtporosität erfolgt nach dem gemäß DVGW W 300-5 festgelegten Verfahren mit der Quecksilberdruckporosimetrie bei 2000 bar. Mit dem Prüfverfahren werden Porenradien im Bereich zwischen 0,004 µm (unterer Gelporenbereich) bis zu 100 µm (Luftporen) erfasst. Luftporen sind isolierte Einzelporen und tragen nicht zur Hydrolysebeständigkeit bei. Gelporen haben Porenradien zwischen 0,004 µm und 0,01 µm. Die Kapillaren liegen in einer Größenordnung zwischen rd. 0,01 µm und 0,2 µm. Für die Diffusion sind Porenradien ≤ 0,1 µm relevant. Der Porenradienverteilung ≤ 0,1 µm weist auf Kapillarporen hin, die so klein sind, dass eine Diffusion weitgehend unterbunden wird. Sie dient als indirekter Nachweis zum Wassert-Zement-Wert (w/ z). Liegt der Porenanteil der Porenradien ≤ 0,1 µm ≥ 50 % (Mikrokapillarbereich), so kann der der Zementgebundene Werkstoff als diffusionshemmend eingestuft werden (Abbildung 05). Abbildung 05: mittlere Porenradienverteilung aus einem Praxisbeispiel für zementgebundene Beschichtungen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 207 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen 3. BETONTECHNOLOGISCHE ANFORDERUNGEN Im allgemeinen Betonbau sind „Betonrezepturen nach Eigenschaften“ oder „Betonrezepturen nach Zusammensetzung“ die gängigen Orderwege für eine Betonbestellung. Bei „Betonrezepturen nach Zusammensetzung“ legt der Besteller selbst fest wie die Verhältnisse der Zusammensetzung sind. Er übernimmt an dieser Stelle die Verantwortung zur Einhaltung der erforderlichen Widerstände gegenüber den geplanten Einwirkungen. Eignungsprüfungen sind dabei unabdingbar. Bei „Betonrezepturen nach Eigenschaften“ wird der Beton nach seiner Exposition seiner äußeren Einwirkungen erstellt. Die Verantwortung zur Einhaltung der erforderlichen Widerstände liegt hier beim Betonlieferanten. Im Gegenzug dazu kann er frei entscheiden welche Zusammensetzung dafür erforderlich ist. Dabei wird jede Einwirkung im Allgemeinen in betonangreifende (XC, XF, XA, XM) und bewehrungsangreifende (XS, XD) Reaktionen unterteilt. Dies ist für den Bereich der Trinkwasserspeicherung nicht ausreichend. Aufgrund der oben beschrieben Hydrolyse wurde zum Schutz des Bauwerkes die separate Exposition XTWB erforderlich, um einen entsprechenden Widerstand zu schaffen. Die wesentlichen, betontechnologischen Merkmale sind bei XTWB mit Anforderungen an „Zusammensetzung und Eigenschaft“ mit folgenden Anforderungen geregelt: w/ z < 0,5 - Druckfestigkeitsklasse > C30/ 37 N/ mm 2 - Zementgehalt > 320 kg/ m 3 - z bei Anrechnung von Stoffen > 270 kg/ m 3 - Mehlkorngehalt < 400 kg/ m 3 - Sieblinie A/ B 16 oder A/ B 32 - Gesteinskörnung, frei von organischen Verunreinigungen - Konsistenzklasse F 3 Mitte Durch die Einhaltung der oben genannten Eigenschaften wird sichergestellt, dass der Beton - ausreichend dicht ist - geringe Porosität aufweist - eine feste Oberfläche als Widerstand für mechanische Einwirkungen (z.B. Reinigung) hat - einen hoher pH-Wert an der Oberfläche aufweist - eine geringe Feinmörtelschicht an den Schalungsflächen hat - eine gut abgestufte Sieblinie mit hygienisch verwendbarer Gesteinskörnung hat Die Zementauswahl ist eingeschränkt und der Einsatz von Zusatzmittel und Zusatzstoffen ist ebenfalls begrenzt. Bei den Zusatzmitteln ist darauf zu achten, dass es so kann Wechselwirkung kommt. Auch hier gilt das Minimierungsgebot. Viele Arten von Zusatzmitteln Zusatzstoffen können aufgrund ihrer hygienischen Bewertung nicht bedenkenlos eingesetzt werden. Ein Leitfaden zur hygienische Bewertung der betontechnologischen Zusammensetzung kann dem DVGW W347 „hygienische Anforderungen an zementgebundene Werkstoffe im Trinkwasserbereich-Prüfung und Bewertung“ / entnommen werden. Für den Nachweis der „hygienischen Eignung von Ortbeton und vor Ort hergestellten zementgebundenen Werkstoffen in zur Trinkwasserspeicherung“ kann das Merkblatt DVGW W398 herangezogen werden. Die bis hierhin beschriebenen Vorgaben richten sich nach den heutigen Anerkannten Regeln der Technik. Diese sind aber leider noch recht jung, wenn man sich die Gesamtzeit des modernen Betonbaus mit Start ca. Mitte des 19. Jahrhunderts heranzieht. Die ersten Regelwerke zu den hygienischen Nachweisen für Werkstoffe im Kontakt mit dem Trinkwasser wurden in der Zeit zwischen 1984 (DVGW W 270) und 1999 (DVGW W 347) eingeführt. Für Betonbauwerke, die vor dieser Zeit errichtet wurden, liegen keine gesicherten Hygienenachweise vor. Kontamination können durch Migration oder biologisch abbaubare organische Bestandteilen/ Werkstoffe hervorgerufen werden. Analog zu den Nachweisen für neue Werkstoffe (vgl. Abschnitt 3.1.1) können Schwermetelle in den früheren Ausgangsstoffen (z. B. Gesteinskörnungen, Zement) vorhanden sein. Organisch abbaubare Stoffe können z. B. aus Betonzusatzmitteln, Schalölresten, ungeeigneten Fugenmaterialien, Injektionsstoffen, Lösemittelreste oder Abbauprodukte von Beschichtungen resultieren. Diese Kontaminationen lassen sich in manchen Fällen in mehrere Millimeter, bis Zentimeter Tiefe nachweisen, z. B. Kontamination der Betonrandzone mit PCB hinter Chlorkautschukbeschichtungen, zementgebundene Asbest-Schalungsanker, PCB für die langfristige Elastizität von wasserdichten organischen Kunststoffbeschichtungen, etc. Bei undichten Konstruktionen können auch Kontaminationen von außen eingetragen werden, z. B. durch Grund- und Oberflächenwasser oder Abdichtungsstoffe. Kontaminationen des Trinkwassers aus dem Untergrund müssen unterbunden werden, da sich insbesondere bei stagnierendem Wasserverhältnissen (Holstellen, Risse, Fugen, Sumpf, …) ein mikrobiologisches Milieu ausbildet und über Fehlstellen und Transportvorgänge zum Trinkwasser gelangen kann. Die nachträgliche Untersuchung von Kontaminationen in der Bausubstanz ist aufgrund der erforderlichen Probenbeschaffenheit vielfach nicht mit hinreichender Sicherheit möglich. Wenn z. B. aus den Unterlagen/ Aufzeichnungen bekannte oder durch Erkundungen/ Bauwerksöffnungen feststellbare Kontaminationen vorhanden sind, die die 208 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen Trinkwasserqualität negativ beeinflussen können, müssen diese so weit wie technisch möglich beseitigt werden. Lassen sich die Kontaminationen aus technischen Gründen nicht vollständig entfernen, muss das Instandsetzungskonzept sicherstellen, dass die verbleibenden Kontaminationen langfristig innerhalb der vorgesehenen Restnutzungsdauer nicht zu einer negativen Beeinflussung des Trinkwassers führen können. Durch einen sachkundigen Planer müssen die erforderlichen objektspezifischen Mindestanforderungen festgelegt werden (Abbildung 06): Abbildung 06: Modell zur Migration und Auslaugung bei kontaminierten Untergründen in Trinkwasserbehältern / breitbach sudermann/ Alle bekannten, sichtbaren oder nachgewiesenen Kontaminationen müssen vor der Beschichtung technisch beseitigt werden. Es gilt das Minimierungsgebot. Die wirksame Schichtdicke dE,wirk beträgt gemäß DVGW W 347/ 18/ ≥ 10 mm. Statistische Vorhaltemaße gemäß DIN EN 1990 für die den Ebenheits- und Rautiefenausgleich ΔdE und die Auslaugung DdAl müssen vom sachkundigen Planer festgelegt werden. Die Mindestnachbehandlungsdauer beträgt zwischen ≥ 14d und ist vom sachkundigen Planer festzulegen. In der Praxis muss dieser Zeitraum sichergestellt werden, damit eine möglichst lange und ungestörte Hydratation erfolgt und das Porenvolumen reduziert und die Porenradienverteilung verkleinert werden In Zweifelsfällen ist durch ein Monitoring der Erfolg der Maßnahme nachzuweisen. 4. HYGIENISCHE ANFORDERUNGEN AN DIE BAU- UND WERKSTOFFE Ein wesentlicher Unterschied von einem Neubau/ Betoninstandsetzung eines Trinkwasserbehälters im Vergleich zu einem herkömmlichen Neubau/ Betoninstandsetzung eines Ingenieurbauwerks resultiert aus dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) § 37 Beschaffenheit von Wasser für den menschlichen Gebrauch. Dort wird in ersten Absatz ersichtlich, dass „Wasser für den menschlichen Gebrauch so beschaffen sein [muss], dass durch seinen Genuss oder Gebrauch eine Schädigung der menschlichen Gesundheit, insbesondere durch Krankheitserreger, nicht zu besorgen ist.“ Um dies sicherzustellen sind über die üblichen Vorgaben der Normen für den Stahlbetonbau, wie DIN EN 1990, DIN EN 1992, DIN EN 206, Normungsreihe DIN 1045, Normungsreihe DIN EN 1504, WU-Richtlinie und der TR Instandhaltung zusätzliche rechtlich eingeführte Regelwerke zu beachten. Aus diesem Grund wurden die Arbeitsblätter DVGW W300-1 bis W300-8 herausgebracht (s. Abbildung 07), die die Allgemein Anerkannten Regeln der Technik darstellen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 209 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen Abbildung 07: Systemaufbau und Zusammenhang von DVGW W 300-1 bis W300-8 und DVGW W316 Gemäß der Trinkwasserverordnung, § 17, Absatz 2, dürfen für die Neuerrichtung oder Instandhaltung von Anlagen für die Gewinnung, Aufbereitung oder Verteilung von Trinkwasser nur Werkstoffe und Materialien verwendet werden, die nicht - den nach dieser Verordnung vorgesehenen Schutz der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar mindern, - den Geruch oder den Geschmack des Wassers nachteilig verändern oder - Stoffe in Mengen ins Trinkwasser abgeben, die größer sind als dies bei Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik unvermeidbar ist. Für alle Baustoffe (Beton / Mörtel oder für polymere und metallische Werkstoffe) dürfen nur eingeschränkte Ausgangsstoffe verwendet werden. Die Untersuchung zur Migration von Inhaltsstoffen in das Wasser erfolgt durch Kontaktversuche mit stagnierendem Prüfwasser über 72 Stunden. Das Wasser wird auf die organoleptischen Eigenschaften (Farbe, Geruch, Trübung, Schaumbildung) sowie auf TOC und die Schwermetalle (Aluminium, Arsen, Blei, Cadmium, Lithium und Nickel) untersucht. Die Untersuchung zum mikrobiologischen Verhalten von organischen Stoffen erfolgt durch Lagerung der Proben in permanent strömenden Wasser. In bestimmten Intervallen werden die Prüfkörper entnommen, der mikrobielle Oberflächenbewuchs nach dem Abtropfen des Wassers gesammelt und das Volumen des Oberflächenbewuchses quantitativ nach Zentrifugieren bestimmt. Die Bewertung erfolgt anhand von anorganischen Referenzproben. Es dürfen nur solche Materialien im Kontakt mit dem Trinkwasser eingesetzt werden, die die festgelegten Grenzwerte nicht überschreiten. Der Betreiber von Anlagen für die Gewinnung, Aufbereitung oder Verteilung von Trinkwasser haben sicherzustellen, dass bei der Neuerrichtung oder Instandhaltung nur Werkstoffe und Materialien verwendet werden, die den oben genannten Ansatz-Anforderungen entsprechen. In der dafür vorgesehenen Umsetzungsverordnung heißt es nach § 17 der Trinkwasserverordnung „Anlagen für die Gewinnung, Aufbereitung oder Verteilung von Trinkwasser sind mindestens nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu planen, zu bauen und zu betreiben“ Zusätzlich zu den rein mineralischen Trinkwasserbehältern gibt es die Möglichkeit weiterer Auskleidungen in Form von Platten oder Folien in einem Behälter zu integrieren. Die Ausführungskombination von statisch-konstruktivem Betontragwerk mit darauf aufgebrachter Werkstoffauskleidung dient im Wesentlichen der Vermeidung eines Hydrolyseproblems. Dies kann vor allem bei stark angreifenden Wässern erforderlich sein. Folgende Materialien haben sich im Laufe der Zeit für den Einsatz im Bereich des Neubaus / der Instandsetzung in der Trinkwasserspeicherung bewährt und sind entsprechend auf dem Markt etabliert - zementgebundene Werkstoffe (CC/ PCC) - Polymerbeschichtung (PB) - PE/ PP Platten (KDP) - PE/ PP Dichtungsbahnen (KDB) - Nichtrostender Stahl (NI) - Glasfaser Kunststoffe (GFK) - Systembehälter aus den oben genannten Stoffen In Abbildung 08 ist die Systematik zur Verwendung der oben genannten Auskleidungsarten dargestellt. Dabei können die verwendbaren Materialien in zwei Kategorien unterteilt werden. 210 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen Abbildung 08: Systematik von Auskleidungen Die 1. Kategorie hat einen direkten Verbund zum Untergrund und somit auch keinen Luftspalt zwischen Auskleidung und Konstruktion. Die 2. Kategorie hat keinen direkten Verbund Untergrund und dementsprechend einen Luftspalt zwischen Auskleidung und Konstruktion Die Verwendung eines Auskleidungsprinzips mit direkten Verbund kann bedenkenlos ausgeführt werden. Sofern eine Auskleidungsvariante mit Luftspalt erforderlich wird, ist dieser separat hygienisch und technisch zu bewerten. Aufgrund der dauerhaft geringen Wassertemperatur (i.d.R. zwischen 8-12 °C) und hohen Luftfeuchtigkeitswerten ist mit Tauwasserausfall in diesem Luftspalt zu rechnen. Tauwasser stellt aufgrund seines Mineralmangels ein betonangreifendes Medium dar. Zudem muss gewährleistet werden, dass das anfallende Tauwasser über alle Flächen abgeführt werden kann. Da die Wasserabführung oft nicht sichergestellt werden kann, bilden sich Pfützen in denen sich stagnierendes Wasser sammelt und zur Verkeimung des Untergrunds führen kann. Daher ist eine hygienische Bewertung eines solchen Luftspaltes aufgrund der fehlenden Inspizierbarkeit oft schwierig. 5. INSTANDHALTUNG Trinkwasserbehälters sind so beschaffen, dass sie in der Regel aus zwei Kammern und einem Bedienhaus bestehen. Sofern der lokale Versorger keine Möglichkeit hat, im Falle einer Instandsetzung, sein Wasser aus anderen Trinkwasserbehältern zu beziehen, ist es notwendig aufgrund der gesetzlich geregelten Versorgungssicherheit, eine der beiden Kammern dauerhaft zu betreiben. Dies beinhaltet zum einen die Aufrechterhaltung eines hygienisch einwandfreien Bereichs zur ausschließlichen Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser und zum anderen eine Instandsetzungsmaßnahme mit allen üblichen Schwierigkeiten und Herausforderungen die es zu bewältigen gilt. Bei der Instandsetzung eines alten Behälters ist der Sollzustand eine wesentliche Bezugsgröße. Durch die Instandsetzung soll nicht der Ursprungszustand, sondern ein Zustand mit entsprechender Restnutzungsdauer nach den heutigen Regelwerken erreicht werden. Dabei stellen Abweichungen (von z.B. alten Betonen zum heutigen WU-Beton, Rissbreitenbeschränkungen, statisch Bewertungen nach heutigen Berechnungsregeln) wirtschaftlich, technisch und auch hygienische Herausforderungen dar, Bei Planung, Bau, Instandsetzungen und Verbesserung von Bauwerken kommt es nicht nur auf die Erfahrung an, sondern auch ob die notwendigen rechtlich vorgeschriebenen und organisatorische notwendigen Voraussetzungen und Fachkenntnisse der einzelnen Beteiligten vorhanden sind und erfüllt werden. Daher wurde mit dem technischen Regelwerk DVGW W 300-ff und W 316 ein hoher Standard von Qualifikationsanforderungen und -kriterien für Fachplaner und Fachunternehmen festgelegt. Durch ein erfolgreiches durchlaufenes Zertifizierungsverfahren nach DVGW W316 bei der DVGW CERT haben Planer und Fachunternehmen die Möglichkeit eine Zertifizierung zu erhalten, die die erforderliche Qualifikation nachweist. Diese Präqualifizierung dient der Vorprüfung der erforderlichen Sachkunde für diese bestimme Fachdisziplin in Planung und Ausführung, die nur durch aufwendigem Nachweisführung sichergestellt werden kann. Durch den Einsatz von DVGW W316zertifizierte Beteiligte wird das Risikopotenzial in der öffentlichen Wasserversorgung aus chemischer, physikalischer und mikrobiologsicher Sicht stark verringert und die Versorgungssicherheit erhöht. Im Rahmen eines (Neu-)Baus oder einer Instandsetzungsmaßnahme wird mit der Außerbetriebnahme und der Übergabe eines Trinkwasserbehälters, an die entsprechende Fachfirma, auch die hygienische Verantwortung übertragen. Dabei stellt jedes Eintreten und jede Verwendung von Materialien in der Wasserkammer, über die gesamte Bauzeit, eine potentielle Gefahr zur Einbringung von Keimen und Erregern dar. Erst wenn das Gesundheitsamt, nach der Wiederinbetriebnahme des Behälters, einen einwandfreien/ keimfreien Zustand feststellen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 211 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen 6. Tabellenverzeichnis Tabelle 1/ 2: Eckpunkte für die Planung und den Bau eines Trinkwasserbehälters kann, geht die Verantwortung von der entsprechenden Fachfirma an den Versorger/ Betreiber wieder über. Zur Überprüfung ob die erforderliche Sorgfalt und das Verständnis für diese sensible Thematik vorhanden ist, gibt es die Möglichkeit die Qualifikationsanforderung im Bereich der Planung, Bau, Instandsetzung und Verbesserung von Trinkwasserbehältern nach DVGW W 316 über das DAkkS geprüfte Qualitätsmanagement-Sicherungssystem der DVGW-CERT als Fachunternehmen zertifizieren zu lassen. Dies ist für Planer, Fachfirmen und auch Versorger möglich. Die Differenzierung zu herkömmlichen Instandsetzung von Ingenieurbauwerken und Erläuterungen zu den anerkannten Regeln der Technik in diesem Spezialgebiet müssen im Vorfeld klar kommuniziert, aus hygienischer Sicht geplant, z.T. als vertragliche Sonderleistung ausgeschrieben und mit besonderer Sorgfalt ausgeführt und überwacht werden. Definitionen und Begriffe Bedienungshaus Betriebsreserve Durchlaufbehälter Gegenbehälter Hochbehälter Löschwasserreserve Nutzvolumen Porenarm/ porenarm Raumvolumen Speichervolumen Systembehälter Tiefbehälter Vorlagebehälter Wasserbehälter Wasserturm Qualifikationsanforderungen Grundlagenermittlung Bestimmung des Netzvolumens Lage im Versorgungsnetz Topographische Lage Wasserchemie Radonexposition Vorplanung Varianten Betrachtung Behälterbauart Behälterbauformen Materialfrage bezüglich Wasserqualität Wirtschaftlichkeit Entscheidungsfindung für eine Variante Planung Gelände, Außenanlagen Funktionale Anforderungen Zugang Bedienhaus und Wasserkammer Einsicht Wasseroberfläche Geometrie der Wasserkammer Auswahl hygienisch geeigneter Werkstoffe Beton DVW-Arbeitsblatt W347 Technische Ausrüstung Zulauf Entnahme Überlauf Entleerung Vorflut Probenentnahmeeinrichtungen Technische Ausrüstung, Unter-und Überdrucksicherung Elektrotechnische Ausrüstung Gebäudetechnik, Blitzschutz Objektschutz Mess-, Steuer-und Regeltechnik, Fernwirktechnik Hygienekonzept Tabelle 2/ 2: Eckpunkte für die Planung und den Bau eines Trinkwasserbehälters Tragwerksplanung und konstruktive Anforderungen Dauerhaftigkeit, Expositionsklasse für Trinkwasserbehältern (Wasserkammer) XTWB Lasseinwirkung und Schnittgrößenermittlung Grenzzustand der Tragfähigkeit Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit Begrenzung der Spannung (Spannungsnachweise) Begrenzung der Rissbreite, Dichtheit Bauphysik Konstruktive Anforderungen für Stahlbeton Oberfläche Betonzusatzmittel Konstruktion Gründung Dränage, Feuchtigkeitsabdichtung Sohle Wände und Stützen Decken, Dächer Bauausführung Dokumentation, Bauleitung Bewehren Größe, Scheidung, Trennmittel, Einbauteile sowie Ausrüstung und Auschalen Vorspannen Betonieren Bauen mit Betonfertigteilen Maßtoleranzen Überwachung durch das Bauunternehmen Qualitätssicherung hygienisch geeigneter Ort Beton und Mörtel Qualitätssicherung Verwendung hygienisch geeigneter anderer Werkstoffe Kontrollen, Prüfen und Erst-Inbetriebnahme Wasserdichtheitsprüfung Hygienemaßnahmen Reinigung Desinfektion Auswahl der Desinfektionsmittel Durchführung der Desinfektion Freigabe Inbetriebnahme des Behälters und Anbindung ans Versorgungsnetz Dokumentation 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 213 Betoninstandsetzung von Trinkwasserspeichern unter besonderen hygienischen Randbedingungen LITERATUR [01] DIBtMVV TB Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt) Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen [02] DIBt Technische Regel Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt) Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung) Teil 1: Anwendungsbereich und Planung der Instandhaltung [03] DIBt Technische Regel Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt) Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung) Teil 2: Merkmale von Produkten oder Systemen für die Instandsetzung und Regelungen für deren Verwendung [04] DAfStb-Richtlinie Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb) Schutz und Instandsetzung von Be-tonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie inkl. Berichtigungen 1 bis 3) Teil 1: Allgemeine Regelungen und Planungsgrundsätze Teil 2: Bauprodukte und Anwen-dung Teil 3: Anforderung an die Betriebe und Überwachung der Aus-führung [05] DAfStb-Richtlinie Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb) Wasserundurchlässige Bauwerke aus Beton (WU-Richtlinie) [06] DIN EN 1992-1-1 EC 2 Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton und Spannbeton; Allge-meine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau [07] DIN EN 1992-1-2 EC 2 Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton und Spannbeton; Silos und Behälterbauwerke aus Beton [08] DIN 1045-2 Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Festlegung, Eigenschaf-ten, Herstellung und Konformität - Anwendungsregeln zu DIN EN 206-1 [09] DIN 1045-3 Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Bauausführung [10] DIN EN 13 670 Ausführung von Tragwerken aus Beton [11] DIN 18 551 Spritzbeton, Herstellung und Güte-überwachung [12] DIN EN 14 487-1 Spritzbeton: Begriffe, Festlegungen und Konformität [13] DIN EN 14 487-2 Spritzbeton: Ausführung [14] DIN 31 051 Grundlagen der Instandhaltung [15] DVGW W 300 - 1 Trinkwasserbehälter; Teil 1: Planung und Bau [16] DVGW W 300 - 2 Trinkwasserbehälter; Teil 2: Betrieb und Instandhaltung [17] DVGW W 300 - 3 Trinkwasserbehälter; Teil 3: Instandsetzung und Verbesserung [18] DVGW W 300 - 4 Trinkwasserbehälter; Teil 4: Werkstoffe, Auskleidungs- und Beschichtungssysteme - Grundsätze und Qualitätssicherung auf der Baustelle [19] DVGW W 300 - 5 Trinkwasserbehälter; Teil 5: Bewertung der Verwendbarkeit von Bauprodukten für Auskleidung und Beschichtungssysteme [20] DVGW W 300 - 6 Trinkwasserbehälter; Teil 6: Planung, Bau, Betrieb und Instand-haltung von System-und Fertigteil-behältern [21] DVGW W 300 - 7 Trinkwasserbehälter; Teil 7: Praxishinweise Reinigungs- und Desinfektionskonzept [22] DVGW W 300 - 8 Trinkwasserbehälter; Teil 8: Praxishinweis: Hygienekonzept: Neubau und Instandsetzung [23] DVGW W 316 Qualifikationsanforderungen an Fachunternehmen für Planung, Bau, Instandsetzung und Verbesserung von Trinkwasserbehältern; Fachin-halte [24] DVGW W347 Hygienische Anforderungen an ze-mentgebundene Werkstoffe im Trinkwasserbereich - Prüfung und Bewertung [25] DVGW W398 Praxishinweise zur hygienischen Eignung von Ortbeton und vor Ort hergestellten zementgebundenen Werkstoffen zur Trinkwasserspei-cherung [26] UBA Diverse Bewertungsgrundlagen und Richtlinien des Umweltbundesamtes: https: / / www. umweltbundesamt.de/ themen/ wasser/ trinkwasser Rissbehandlung 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 217 Planung als Voraussetzung zur dauerhaften Instandhaltung von Rissen mit Rissfüllstoffen Dr.-Ing. Angelika Eßer Universität Duisburg-Essen, Essen Univ.-Prof. Dr.-Ing. Martina Schnellenbach-Held Universität Duisburg-Essen, Essen Zusammenfassung Instandsetzungsziele mit der passenden Wahl der Rissfüllstoffe zur dauerhaften Instandhaltung können nur erreicht werden, wenn die Situation am Bauwerk erfasst und der Anwendungsbereich genau definiert worden ist. Bei der zugehörigen Planung gemäß den aktuellen Regelwerken auf Basis von Prinzipien und zulässigen Verfahren müssen dabei vor allem die füllstoffspezifischen Verwendungsbedingungen und die Leistungsfähigkeit der eingesetzten Stoffe beachtet werden. Dieser Beitrag liefert einen Überblick darüber, was bei der Planung beim kraftschlüssigen, dehnbaren und quellfähigen Füllen von Rissen zu beachten ist. 1. Einleitung Ein Füllen von Rissen durch eine Rissinjektion oder ein Vergießen mit geeigneten polymeren oder zementgebundenen Rissfüllstoffen ist nur erforderlich, wenn die Auswirkungen auf das Bauwerk aufgrund der Risse im Hinblick auf • Tragfähigkeit, • Gebrauchstauglichkeit • Dauerhaftigkeit, • Ästhetik nicht hingenommen werden können. Ein Handlungsbedarf ergibt sich vorwiegend in Bezug auf Beschränkungen der Gebrauchstauglichkeit und der Dauerhaftigkeit. Trennrisse in erdberührten Bauteilen, wie sie z. B. häufig in Tunnelwänden, in Wänden oder Bodenplatten von wasserundurchlässigen Betonkonstruktionen auftreten, können aufgrund von Wasserdurchdringungen in Form von Durchfeuchtungen bis zur Druckwasserführung die Nutzung einschränken oder ausschließen. Die Dauerhaftigkeit wird z. B. in Frage gestellt, wenn zulässige Rissbreiten in Abhängigkeit der vorherrschenden Exposition überschritten werden. Eine Hilfe zur Einschätzung der Situation hinsichtlich noch akzeptabler Rissbreiten bietet das DBV-Merkblatt „Begrenzung der Rissbildung im Stahl- und Spannbetonbau“ [1]. Die stets fortgeschriebenen nationalen Regelwerke für die Instandhaltung von Betonbauwerken [2] bis [8] bilden je nach Zuständigkeit und Anwendungsbereich eine Grundlage für eine sachkundige Planung. 2. Rissfüllstoffe Zur Verfügung stehen polymerhärtende (P) oder zementgebundene, also durch Hydratation härtende Rissfüllstoffe (H). Sie werden in den aktuellen nationalen Regelwerken und Fortschreibungen nicht mehr nach Stoffgruppen (z B. Epoxidharz (EP), Polyurethan (PUR), Zementleim (ZL), Zementsuspension (ZS)) eingeteilt, sondern in Anlehnung an DIN EN 1504-5 [10] nach ihren Eigenschaften und ihrer Leistungsfähigkeit. So unterscheidet man Rissfüllstoffe zum: • Kraftschlüssigen Füllen (F: force transmitting), sie übertragen Zug-, Druck- und Schubkräfte. Unter einer kraftübertragenden Rissflankenverbindung kann für das Bauteil der ungerissene Zustand I mit höherer Biegesteifigkeit des Bauteils im Vergleich zum gerissenen Zustand (Zustand II) angesetzt werden. Der Aufbau von Zwangspannungen, die zu einer Neurissbildung führen können, ist möglich. • Dehnbaren Füllen (D: ductile), sie verbinden die Betonflanken zur Aufnahme der Rissbreitenänderungen weich-elastisch, die Steifigkeitsverhältnisse des gerissenen Stahlbetonquerschnitts werden beibehalten. Bei diesen Bauteilen ist mit höheren Verformungen zu rechnen. Aufgrund der Rissbewegungen bauen sich keine wesentlichen Zwangspannungen neu auf. 218 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Planung als Voraussetzung zur dauerhaften Instandhaltung von Rissen mit Rissfüllstoffen • Quellfähigen Füllen (S: swelling fitted), sie dichten Risse und Hohlräume durch wiederholtes Quellen durch Wasserabsorption ab. Sie Schwinden bei Austrocknung. In den nationalen Anwendungsdokumenten [2] bis [8] werden die quellfähigen Rissfüllstoffe nicht behandelt, für einige Produkte liegt für die Anwendung im Stahlbetonbau eine bauaufsichtliche Zulassung für einen eingeschränkten Anwendungsbereich vor. Die Klassifizierung der Rissfüllstoffe erfolgt über • Allgemeine Merkmale (z. B. Zug- Druckfestigkeiten, Haftzugfestigkeiten, Glasübergangstemperatur (nur bei polymeren Stoffen), Volumenänderung, Chloridgehalt (nur bei zementgebundenen Stoffen) • Verarbeitbarkeitsmerkmale (z. B. Injizierbarkeit, Viskosität) • Reaktionsfähigkeitsmerkmale (z. B. Verarbeitbarkeitsdauer, Festigkeitsentwicklung, Erstarrungszeit (nur bei H)), • Dauerhaftigkeit (Beibehaltung der Rissfüllstoffmerkmale nach z. B. Temperaturwechselbeanspruchungen, Nass-Trocken-Zyklen, Verträglichkeit mit Beton und allen Kontaktstoffen). 3. Erfassung der Bauwerkssituation Die Bauwerkssituation muss durch eine Ist-Zustandsanalyse, z. B. nach [3], beschrieben werden, zu erfassen sind: • Rissmerkmale (Rissart, Rissverlauf, Rissbreite, Rissbreitenänderung, Zustand: Feuchte, Verschmutzung, Aussinterung, vorangegangene Maßnahmen, Einbauten), • Einwirkungen auf das Bauwerk aus Lasten und Zwang, • angewandte Bemessungsverfahren, • Ursachen zur Trennrissbildung (herstellungs- oder nutzungsbedingt), • Lage und Querschnitt der Bewehrung, • Baugrundeigenschaften, • Bemessungswasserstand, • hydraulischer Wasserdruck, • chemischer Angriffsgrad des Wassers, • Möglichkeiten zur Selbstheilung, • Zugängigkeit. Bei einer Aufnahme der Rissbreiten sind die augenblickliche Situation erfassende, genauer beschreibende Angaben zur Bewertung der Messergebnisse dringend erforderlich, wie z. B.: • Einwirkungszustand (z. B. Behälter gefüllt oder leer), • Meteorologische Bedingungen bei Bauteilen im Freien (Bauwerkstemperatur, Lufttemperatur, Witterungsverhältnisse, Sonnenbestrahlung (bewölkt, sonnig)), • Datum und u. U. Uhrzeit der Messung. Die Dauerhaftigkeit einer Rissfüllmaßnahme wird maßgeblich vom Feuchtezustand und der Rissursache beeinflusst. Nicht jeder Rissfüllstoff kann bei allen verschiedenen Feuchtezuständen (trocken, feucht, wasserführend, unter Druck wasserführend) eingesetzt werden. Damit entscheidet der Feuchtezustand, inwiefern ein gewünschtes Instandsetzungsziel (Füllziel) überhaupt möglich ist, und somit, ob das Instandsetzungsprinzip grundsätzlich anwendbar ist. Verunreinigungen, Aussinterungsprodukte und Spuren von Eisenoxiden belegen die Rissflanken und verhindern einen Kraftschluss, vgl. Bild 1. Bild 1: Feuchte Risse mit ausgesintertem Calciumcarbonat und ausgetretenem Eisenoxid Die Rissursache zu erkunden entscheidet ebenso über die Dauerhaftigkeit einer Füllmaßnahme. Bei wiederkehrenden Rissursachen besteht keine Möglichkeit, Rissflanken dauerhaft kraftschlüssig mit starren Rissfüllstoffen zu verbinden, ohne eine Gefahr der Neurissbildung oder erneutes Aufreißen der Rissflankenverbindung einzuleiten. 4. Prinzipien und Verfahren, Füllziele In der Instandhaltungs-Richtlinie [3] werden in Anlehnung an DIN EN 1504-9 [11] der Korrosionsschutz des Betons und der Bewehrung als übergeordnete Instandsetzungsziele festgelegt. Dazu werden Instandsetzungsprinzipien beschrieben, die eingesetzt werden können, um Schäden zu vermeiden oder den gerade noch akzeptablen Ist-Zustand für eine definierte Restnutzungsdauer ausreichend zu stabilisieren. Das „Füllen von Rissen oder Hohlräumen“ gehört zu den dort geregelten Instandsetzungsverfahren. Drei von sechs definierten Prinzipien, die zum Schutz oder zur Instandsetzung von Beton dienen, befassen sich mit der Rissbehandlung bei gerissenem Betonuntergrund: 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 219 Planung als Voraussetzung zur dauerhaften Instandhaltung von Rissen mit Rissfüllstoffen • Prinzip 1: Schutz gegen das Eindringen von Stoffen, • Prinzip 2: Regulierung des Wasserhaushalts des Betons, • Prinzip 4: Verstärkung des Betontragwerks. Zum Schutz und zur Instandsetzung von Bewehrungskorrosion wird das Verfahren „Füllen von Rissen oder Hohlräumen“ allein beim • Prinzip 7: Erhalt oder Wiederherstellung der Passivität behandelt. Bei diesem Prinzip geht es um den Erhalt oder die Wiederherstellung von elektrochemischen Bedingungen, bei denen die Betonstahlbewehrung ihren passiven Zustand beibehält oder zurückgewinnt. Den Instandsetzungszielen „Korrosionsschutz des Betons und der Bewehrung untergeordnet sind die Füllziele zur Rissbehandlung: • Schließen (Begrenzen der Rissbreite durch Füllen), • Abdichten, • kraftschlüssig Verbinden, • begrenzt dehnbar Verbinden. 5. Füllen mit kraftschlüssigen Rissfüllstoffen Kraftschlüssige Rissfüllstoffe können zum Schließen von Rissen, zum Abdichten und zum kraftschlüssigen Verbinden der Rissflanken herangezogen werden. I. d. R. werden Epoxidharze als polymere Stoffe eingesetzt, aber grundsätzlich können alle niedrigviskosen Reaktionsstoffe eingesetzt werden, die die Leistungsanforderungen erfüllen. Zementleime und Zementsuspensionen gehören zu den hydraulisch gebundenen kraftschlüssigen Rissfüllstoffen. Man unterscheidet für den kraftschlüssigen Verbund zwei Festigkeitsklassen bei der Haftzugfestigkeit: F1: f ct 3,0 N/ mm² (Kleinstwert 2,5 N/ mm²) F2: f ct 2,0 N/ mm² (Kleinstwert 1,5 N/ mm²) Hydraulische Rissfüllstoffe sind i. d. R. nicht so leistungsstark im Vergleich zu Epoxidharz bei trockenen Betonflanken. Sie eignen sich dennoch für das Füllen von Hohlräumen oder für Rissfüllungen, die den Prinzipien 1 (Schließen von Rissen), 2 (Regulierung des Wasserhaushaltes) oder 7 (Erhalt oder Wiederherstellung der Passivität) genügen sollen. Hierfür genügt die Festigkeitsklasse F3. Hierzu muss der hydraulische Rissfüllstoff auf jeden Fall eine 7-Tagesdruckfestigkeit von 20 N/ mm² aufweisen, es wurde kein Grenzwert für die Haftzugfestigkeit festgelegt, deshalb gilt: F3: angegebener Wert (H). Der Feuchtezustand im Riss oder Hohlraum beeinflusst signifikant die spezifischen Eigenfestigkeiten, denn anstehendes Wasser im Riss oder Hohlraum kann nicht durch den eindringenden Rissfüllstoff vollständig verdrängt werden. Es lässt sich vermuten, dass in Abhängigkeit vom einwirkenden Wasserdruck und anstehenden Injektionsdruck teilweise Vermengungen zwischen Rissfüllstoff und Wasser stattfinden [12, 13]. Ein Einfluss der Wasserbeimengung auf die Glasübergangstemperatur muss zudem beachtet werden. Es besteht die Gefahr, dass sich Glasübergangstemperaturen auf Gebrauchstemperaturen absenken. Wasser beeinflusst auch die Haftung zwischen dem Rissfüllstoff und der Betonflanke. Selbst wenn Rissfüllstoffe nicht direkt wasserunverträglich sind, so sind die Poren der Betonflanken mit Wasser gefüllt, und damit die wirksame Verbundfläche reduziert. Es findet auch keine „Verkrallung“ mit der porösen Betonoberfläche statt. Erwägt man den Einsatz eines Epoxidharzes bei Wasserkontakt, z. B. bei feuchten Rissflanken, so empfiehlt sich dringend, einen expliziten Nachweis über die Wasserverträglichkeit vom Produkthersteller anzufordern, in dem die Leistungsfähigkeit beschrieben ist, sie kann durchaus höher als beim Einsatz eines zementgebundenen Rissfüllstoffes ausfallen. Zementsuspensionen (ZS) und Zementleime (ZL) sind gegenüber Wasser unempfindlicher. Sie besitzen eine hohe Alkalität und bedienen neben den Füllzielen Schließen und Abdichten zugleich das Instandsetzungsprinzip 7 „Erhalt oder Wiederherstellung der Passivität der Bewehrung“. Sie bieten somit der Bewehrung auch einen guten Korrosionsschutz. Gute Füllgrade lassen sich bei den ZS-I und ZL-I im Niederdruckverfahren über Klebepacker erreichen. Anders als bei polymeren Rissfüllstoffen kann bei zementgebundenen Stoffen am Einpressnippel kein Kugelrückschlagventil verwendet werden, hier setzen sich die Zementkörner ab, es kommt zu Verstopfungen. Injektionen über Bohrpacker sind im Vergleich zu Klebepackern u. U. schwieriger ausführen, sofern im Bohrkanal befindliche Restmengen des Bohrmehls zu Verschlüssen führen. Hier empfehlen sich Nassbohrverfahren und Kernbohrungen. 6. Füllen mit dehnbaren Rissfüllstoffen Polyurethane sind weich-elastische Rissfüllstoffe zum dehnbaren Verbinden der Rissflanken. Sie können zum Schließen von Rissen, zum Abdichten und zum dehnbaren Verbinden der Rissflanken herangezogen werden. Polyurethane verbinden sich mit Wasser und bieten deshalb das breiteste Spektrum möglicher Anwendungen unter beliebigen Feuchtebedingungen im Riss. Polyurethanharze werden klassisch über Bohrpacker unter Verzicht einer im Vorlauf aufgetragenen Verdämmung injiziert (Bild 2). 220 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Planung als Voraussetzung zur dauerhaften Instandhaltung von Rissen mit Rissfüllstoffen Bild 2: PUR-Injektion ohne Verdämmung Vorteilhaft wirkt sich hierbei die beschleunigte Reaktion bei Wasserkontakt aus, das herauslaufende Polyurethan erhärtet schnell und bildet die eigene „Rissverdämmung“ aus. Die Steifigkeit des gerissenen Bauteils bleibt relativ unverändert erhalten, gleichzeitig wird eine abdichtende Wirkung gegen Flüssigkeiten erzielt. Polyurethan ist aus diesem Grund besonders für die Abdichtung gerissener Bauwerke mit wiederkehrender Rissursache geeignet. Der dehnbare Rissfüllstoff hat im Gebrauchszustand die Aufgabe, Rissbreitenänderungen mitzutragen. Die Leistungsfähigkeit dieser dehnbaren Verbindungen ist begrenzt, nachgewiesen werden müssen mindestens 10 % Dehnung bezogen auf die Injektionsrissbreite, deshalb sind die Risse vorzugsweise bei maximalen Breiten zu füllen, das bedeutet für die meisten zwangbeanspruchten Bauteile ein Füllen bei der niedrigsten Anwendungstemperatur, die je nach Produkt variiert, allerdings nie unter 3°C liegt. Polyurethan kann zwar wiederholt in überdehnte Risse injiziert werden, aber dennoch sollte der Sachkundige Planer vor der Abdichtungsmaßnahme die zu erwartenden Rissbreitenänderungen sinnvoll abschätzen oder messen, um grundsätzlich sicherzustellen, dass die Rissfüllstoffeigenschaften den Anforderungen grundsätzlich gerecht werden können. Wird bei unter Druck wasserführenden Rissen das injizierte Polyurethan immer wieder herausgespült und können weder Wasserhaltungsmaßnahmen durchgeführt, noch Entlastungsbohrungen gesetzt werden, oder greifen diese nicht, so besteht die Möglichkeit, schnellschäumende Polyurethane (SPUR) als Hilfsstoff in Teilbereiche oder hinter das Bauwerk vorab zu injizieren. Diese Polyurethanformulierungen haben einen hohen Isocyanatüberschuss und gehen mit Wasser unter Abspaltung von CO 2 eine chemische Verbindung ein, wodurch sich in Sekundenschnelle eine Schaumbildung einstellt, die den Wasserfluss reduziert. Für die Vorinjektion mit SPUR empfiehlt sich ein Setzen separater Bohrkanäle, die den Riss im hinteren wasserseitigen Viertel kreuzen, oder das Bauteil durchbohren, um ähnlich wie bei einer Schleierinjektion den Riss von außen mit dem SPUR partiell abzudichten. Das SPUR verliert rasch seine Elastizität, es versprödet durch die Alkalität des Betons. Das SPUR zählt deshalb nicht zu den dehnbaren Rissfüllstoffen. 7. Füllen mit quellfähigen Rissfüllstoffen Acrylatgele Gele sind extrem niedrig viskos und infolgedessen sehr gut injizierbar. Die Volumenzunahme bei Wasserkontakt wirkt abdichtend. Bei fehlendem Wasserkontakt schrumpft das Gelvolumen. Für einen eingeschränkten Anwendungsbereich wurden mittlerweile auch aufgrund von Forschungsergebnissen [14] bauaufsichtliche Zulassungen für die Anwendung in Stahlbetonbauteilen erteilt. Sie gelten für festgelegte Rezepturen mit beschränkten Startersalzzugaben und eingegrenztem Anwendungsbereich. Der Sachkundige Planer sollte neben der Risikoeinschätzung bezüglich des Korrosionsverhaltens von Bewehrungsstahl im Kontakt mit Acrylatgel auch Abschätzungen hinsichtlich zu erwartender Rissbewegungen im Gebrauchszustand vornehmen. Es besteht die Gefahr, dass bei hohen Quellgraden die Eigenfestigkeiten der Gele reduziert werden, und in Rissschließungsphasen die Gele herausgedrückt werden könnten. Literatur [1] Begrenzung der Rissbildung im Stahlbeton- und Spannbetonbau, DBV-Merkblatt, Fassung Mai 2016 [2] DAfStb-Richtlinie „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie)“. Teil 1 - Teil 4. Deutscher Ausschuss für Stahlbeton. Beuth Verlag GmbH, Berlin, Oktober 2001. [3] DAfStb-Richtlinie „Instandhaltung von Betonbauteilen (Instandhaltungs-Richtlinie)“, Teil 1 - Teil 5. Deutscher Ausschuss für Stahlbeton. Beuth Verlag GmbH, Berlin, Gelbdruckentwurf, 2016-06-14. [4] ZTV-ING „Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauwerke“, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, 2017 [5] Hinweise zu ZTV-ING, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, 2017 [6] ZTV-W LB 219 „Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen - Wasserbau (ZTV-W) für die Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken (Leistungsbereich 219), BMVI, Abteilung Wasserstraßen, Schifffahrt, Ausgabe 2017. [7] BAWEmpfehlung Instandsetzungsprodukte - Hinweise für den Sachkundigen Planer zu bauwerksbezogenen Produktmerkmalen und Prüfverfahren. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Ausgabe 2019 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 221 Planung als Voraussetzung zur dauerhaften Instandhaltung von Rissen mit Rissfüllstoffen [8] Technische Regel (DIBt) Instandhaltung von Betonbauwerken (TR Instandhaltung), Fassung November 2019: Teil 1: Anwendungsbereich und Planung der Instandhaltung, Teil 2: Merkmale von Produkten oder Systemen für die Instandsetzung und Regelungen für deren Verwendung. [9] DIN V 18028 “Rissfüllstoffe nach DIN EN 15045: 2005-03 mit besonderen Eigenschaften“, Ausgabe 06.2006 [10] DIN EN 1504-5: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Qualitätsüberwachung und Beurteilung der Konformität - Teil 5: Injektionen von Bauteilen. [11] DIN EN 1504-9 “Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betonbauteilen - Definitionen, Anforderungen, Qualitätsüberwachung - Teil 9: Allgemeine Prinzipien für die Anwendung von Produkten und Systemen“, Ausgabe 11.2008 [12] Perbix, W.: Feuchteabhängiges Tragverhalten von Epoxidharzen für das kraftschlüssige Füllen von Rissen in Betonbauteilen. Dissertation, Technische Universität Braunschweig, 1993 [13] Cakir, G.: Das Verbundverhalten von Epoxidharz mit Beton bei variierenden Feuchtezuständen während der Rissinjektion, Master-Thesis, Universität Duisburg-Essen, 2017 [14] Eßer, A., Schnellenbach-Held, M.: Acrylatgele als Rissfüllstoff in Stahlbetonbauteilen, Untersuchungen zur Eignung gemäß DIN EN 1504-5, Schriftenreihe Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 1095, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Bonn, 2013 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 223 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Von der Analyse des Ist-Zustandes zur objektspezifischen Ausführung der Instandsetzung Dipl.-Ing. Bodo Appel Berlin, Deutschland Zusammenfassung Zitat: „Das Füllen von Rissen ist so durchzuführen, dass das Entweichen von Wasser und/ oder Luft im Zuge der Injektion sicherzustellt ist.“ (ZTV-ING, Teil 3, Abschnitt 5, Pkt. 2.3.4 Grundsätzliches zur Ausführung von Injektionsarbeiten) [1] Die Analyse des Ist-Zustandes bildet die Grundlage für die Instandsetzung von riss- und hohlraumbedingten Undichtheiten an Betonbauteilen. Besonders die Einwirkung von Wasser kann zu sehr großen Schäden führen. Ausgehend von dem konstruktiven Aufbau und den Riss- und Hohlraummerkmalen werden die objektspezifischen Anforderungen für den Rissfüllstoff und die Technologie der Füllmaßnahme festgelegt. Der Grundsatz, dass das Wasser mit der Injektion aus der Konstruktion zu verdrängen ist, erfordert i.d.R. besondere Eigenschaften der Rissfüllstoffe und objektspezifische Ausführungen der Füllmaßnahmen. In der Praxis sind oftmals die in den Regelwerken beschriebenen Zustände nicht vorhanden, sodass abweichend von den Regeln Sondermaßnahmen zu planen und auszuführen sind. 1. Schadenssituation Nach Abschaltung der Wasserhaltung drang Grundwasser in eine Tiefgarage (WU-Konstruktion) aufgrund von riss- und hohlraumbedingten Undichtheiten der Betonkonstruktion ein. (Abb. 1 und 2) Wasser, das von den Außenseiten andrängt, dringt aufgrund einer undichten Betonkonstruktion ein und verteil sich durch porige Gefüge, Hohlräume, Risse sowie Arbeitsfugen in der Konstruktion. An den inneren Betonoberflächen sind die unterschiedlichen Zustände bzw. Schädigungen feststellbar. Das Ausmaß der Schäden, besonders in der Konstruktion, lässt sich nicht nur durch eine Inaugenscheinnahme bestimmen, es sollten zusätzlich Analysen der Herstellungsbedingungen und Auswertungen gezielter Entnahmen von Bohrkernen vorhanden sein. Damit ist es möglich, Rückschlüsse auf Schadenssrsachen der Infiltration und der Wegsamkeit/ Verteilung des Wassers zu ziehen, objektspezifische Anforderungen für den anzuwendenden Rissfüllstoff festzulegen und die Ausführung der Injektionsarbeiten zu planen. 224 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Abb. 1 Schadenssituation nach Fertigstellung der Tiefgarage und Abschaltung der Wasserhaltung Abb. 2 Schadens- und Feuchtezustand WF von Rissen und Hohlräumen an Betonoberflächen 2. Analyse des Ist-Zustandes Eine fachgerechte Instandsetzung von Betonbauteilen setzt die Kenntnis der Schadensursachen voraus. Die Bestandsaufnahme muss alle relevanten Merkmale der Rissbildung und die Einwirkungen auf das Bauteil beinhalten. In den Regelwerken für die Instandsetzung von Betonbauteilen sind die zu erfassenden Rissmerkmale, die Untersuchungsmethoden und Dokumentationen festgelegt. Insbesondere bei dem Zustand „Wasser in der Betonkonstruktion“ genügen diese Merkmale nicht aus. Die Herstellungsbedingungen des Betonbaus, die Ausführungsarten an den Unterseiten sowie bei Betonbauunterbrechungen und der Bewehrungsbau geben Aufschluss über mögliche Gefahren von Hohlraumbildungen. Die gezielte Entnahme Bohrkernentnahmen unter Beachtung der einwirkenden Einflüsse ermöglicht Schlussfolgerungen auf Gefügestörungen Rissverläufe in der Konstruktion. Diese umfangreiche Analyse des Ist-Zustandes ermöglicht eine objektspezifische Planung und fachgerechte Ausführung der Injektionsarbeiten. 2.1 Herstellungsbedingungen Die Erkundung von Herstellungsbedingungen, besonders die Beschaffenheit der äußeren Bauteiloberflächen ist für eine Beurteilung der Riss- und Holraumursachen von Bedeutung. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 225 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Abb. 3 Herstellungsbedingungen am Bodenanschluss Hohlräume an den unteren Bodenanschlüssen und Gefügestörungen / Kiesnester an den Seitenflächen der Betonbauteile sind die Ursache für das Eindringen / Infiltration des andrängenden Wassers. (Abb. 3 und 4) Abb. 4 Herstellungsbedingungen an Seitenflächen Abb. 5 Darstellung der Infiltration von Wasser 2.2 Bohrkernentnahmen zur Erfassung der Risse- und Hohlraumerkmale Die Bohrkernentnahme als Untersuchungsmethode im Ausnahmefall sollte dann durchgeführt werden, wenn durch die Betrachtung aller einwirkenden Einflüsse keine eindeutige Analyse des Rissverlaufes in der Konstruktion möglich ist, ggf. Verbindungen mit Gefügestörungen / Hohlräumen bestehen und unterschiedliche Zustände der Rissflanken vorhanden sind. Vor einer gezielten Bohrkernentnahme kann Pressluft als einfaches Hilfsmittel für die Erkundung der Wasserverteilung in der Konstruktion eingesetzt werden. Gemäß den Vorgaben für die Anordnung von Packern bezogen auf das Bauteil werden ein oder mehrere Bohrlöcher hergestellt, die den Riss in der vorgegebenen Tiefe kreuzen. (Abb.6) Mit dem Einpressen von Luft und der Verdrängung des Wassers kann die Wegsamkeit und Verteilung in und aus der Konstruktion heraus erkundet werden. So wie sich die Pressluft in der Betonkonstruktion verteilt, kann sich mit der Ausführung der Injektionsarbeiten der Rissfüllstoff bei Beachtung der Reaktionseigenschaften verteilen. Abb. 6 Anwendung von Pressluft zur Erkundung der Wasserverteilung in der Konstruktion 226 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Nach Entnahme der Bohrkerne sind diese für die Erfassung der Riss- und Hohlraummerkmale auszuwerten. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Verlauf und der Zustand von Gefügestörungen (Hohräumen). (Abb. 7 bis 10) Abb. 7 Bohrkernentnahme mit Erkundung der Hohlräume Abb. 8 Zustand und Verlauf eines oberflächennahen Risses Abb. 9 Zustände der senkrechten und horizontalem Trennrisse und Hohlräume Abb. 10 Analyseergebnisse von Rissen und Hohlräumen nach Bohrkernentnahmen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 227 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Tabelle 1 Kriterien zur Auswahl eines Rissfüllstoffes 3. Leistungsmerkmale des zu verwendenden Rissfüllstoffes Aus der Analyse des Ist-Zustandes und unter Berücksichtigung der für das Betonbauteil maßgebliche Einwirkungen sind die erforderlichen objektspezifischen Anforderungen für den Rissfüllstoff und die geeignete Ausführung der Injektionsarbeit festzulegen. In der Tabelle 1 sind allgemeine Kriterien benannt. Für die o.g. Schadenssituation wurde objektspeziefisch ein polymerer Rissfüllstoff, PUR-Injektionsharz, mit speziellen wasserreaktiven Eingenschaften und einem hohem Dehnverhaltern eingesetzt. 4. Baustellenbericht zur Instandsetzung des Betonbauteils (WU-Bodenplatte) Vorab kurz eine Darstellung der Schadenssituation. Nach der Abschaltung der Grundwasserhaltung wurden erhebliche rissbedingte Undichtheiten an der Bodenplatte der Tiefgarage festgestellt. Eine grobe Rissanalyse ergab, dass Risse in regelmäßigen Abständen und mit unterschiedlichen Feuchtezuständen vorhanden waren. Teilweise trocken (DY), nass (WT), jedoch überwiegend unter Druck wasserführend (WF). Es wurden Rissbreiten in wesentlichen Bereichen von ca. 0,4 mm gemessen. Der HGW befand sich ca. 0,80 m über OK Bodenplatte. Der stetige Wasserdurchfluss führte zu nicht unerheblichen Pfützenbildungen. Der Auftrag zur Instandsetzung bestand darin, die rissbedingten Undichtheiten der WU-Bodenplatte durch Injektion abzudichten, wobei trockene Risse nicht zu befüllen waren. Es wurde keine Analyse des Ist-Zustandes, keine Untersuchung des Zustandes der Betonkonstruktion sowie der Wasserwegsamkeit in der Konstruktion durchgeführt. Abb. 11 Tiefgarage Abb. 12 Feuchtezustand (WF) eines Risses 228 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Abb. 13 Feuchtezustand (WT) einer Arbeitsfuge Abb. 14 Rissbreitenmessung Bei der Vorbereitung der Ausführung der Injektionsarbeiten wurde davon ausgegangen, dass aufgrund des einwirkenden hydrostatischen Wasserdruckes eine geringe Verformung der Bodenplatte, in Form einer Aufwölbung, vorhanden ist. Dadurch ist im Rissverlauf eine Verjüngung der Trennrisse zur Rückseite der Bodenplatte zu berücksichtigen. Die unterschiedlichen Feuchtezustände deuteten darauf hin, dass nur in bestimmten Bereichen Verbindungen mit dem außen andrängenden Grundwasser vorhanden sind. Auf Hohlräume in der Konstruktion konnte augenscheinlich nicht geschlossen werden, da Durchfeuchtungen immer in Verbindung mit Rissen oder Arbeitsfugen ersichtlich waren. Da es sich um ein dickwandiges Betonbauteil handelte wurden die Injektionsbohrungen so hergestellt, dass eine Verbindung mit den Rissen in unterschiedlichen Tiefen, mind. ca. 2/ 3 der Bauteildicke, erzielt wurden. Die Kontrolle der Verbindung der Bohrlöcher mit dem Riss erfolgte mit Pressluft. Mit dieser Maßnahme wurden bereits festgestellt, dass durch diese vorbereitenden Maßnahmen trockene Risse feucht bzw. nass wurden, obwohl oberflächlich keine sichtbaren Verbindungen zu den nassen Rissen zu erkennen waren. Dieser Sachverhalt hätte weiter untersucht werden müssen. Da teilweise die Bohrlöcher vor der Montage der Packer mit Wasser gefüllt waren, wurden die Risse nochmals über die Bohrlöcher mit Pressluft ausgeblasen. Dabei konnte festgestellt werden, wie das Wasser aus dem Riss entweicht. Abb. 15 Darstellung der Ausführung der Injektionsarbeiten Bei der Auswahl des Rissfüllstoffes wurde Folgendes beachtet: - Trennrisse mit Verlauf bis zum Bodenanschluss - sehr geringe Rissbreiten am Bodenanschluss - unterschiedliche Feuchtezustände - Unterschiede im Wasserdurchfluss. Merkmale des Rissfüllstoffes mit Bezug auf die objektspezifischen Anforderungen: - niedrige Viskosität - Reaktionsverhalten mit Einmischen von Wasser - Haftverbundeigenschaften für unter Druck wasserführende Risse - Rissfüllstoff für begrenzt dehnbares Verbinden (PUR-I) Das eingesetzte PUR-Injektionsharz eignet sich besonders für unter Druck wasserführende Risse mit geringen Durchflussmengen und geringen Rissbreiten. Es zeichnet sich durch eine sehr niedrige Viskosität und einer schnellen Wasserreaktivität aus. Die Reaktion durch die Einmischung von Wasser während der Injektion führt zu einem Anstieg der Viskosität und durch die Bildung geschlossenzelliger Poren erfolgt eine Volumenzunahme. Aufgrund dieser Eigenschaften konnte auf eine Vorinjektion mit einem SPUR-I verzichtet werden. Bei der Ausführung der Injektionsarbeiten am ersten Riss wurde solange durchgeführt, bis der Rissfüllstoff blasenfrei an den Oberflächen aus dem Risse austrat. Während der Injektion wurde festgestellt, dass trockene Risse, die sich an den feuchten bzw. wasserführenden Rissen an- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 229 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion schlossen, gefüllt wurden. Auch im direkten Umfeld vorhandene Nebenrisse und Poren wurde von den Füllmaßnahmen beeinflusst. Das Wasser der wasserführenden Risse wurde mit den ersten Injektionarbeiten nicht im vollen Umfang aus der Konstruktion heraus verdrängt, sondern in der Konstruktion verteilt. Abb. 16 Injektionsmaßnahme Abb. 17 Oberfläche nach der Injektion mit Haupt- und Nebenrissen Nach Beseitigung des ausgehärteten Rissfüllstoffleckagen konnte am Haupt- und den mitgefüllten Nebenrissen die Dichtheit optisch festgestellt werden. Mit weiteren Ausführungen von Injektionsarbeiten wurde festgestellt, dass an bereits behandelten dichten Bereichen erneute Durchfeuchtungen auftraten. Mit jeder Injektion wurden Veränderungen festgestellt. Bohrlöcher, die vermörtelt waren aber nicht für die Injektion verwendet wurden, zeigen Durchfeuchtungen. Erneute Nebenrisse wurden sichtbar und der Beton zeigte an der Oberfläche kapillare Durchfeuchtungen. Weitere Ausführungen von Füllmaßnahmen wurden eingestellt und aufgrund der aufgetretenen Durchfeuchtungen an den bereits behandelten Bereichen wurde die Ursachen erkundet. (Abb. 17) Abb. 18 Durchfeuchtungsschäden an bereits behandelten Rissen 230 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Abb. 19 Darstellung der Wasserverdrängungen während der Injektionsmaßnahmen Als erste Maßnahme zur Untersuchung der Ursache, wurden Bohrlöcher senkrecht in den Riss gebohrt. Dabei wurde festgestellt, dass der Beton bis in einer Tiefe von ca. 5 cm relativ trockenes Bohrmehl zeigte, dann zunehmend feuchter und schließlich nass wurde. (Abb. 18 und 19) Das im Bohrloch erkennbare Wasser trat jedoch nicht über das Bohrloch aus, sondern blieb auf einem gleichbleibenden Pegel stehen. Beobachtungen an darauffolgenden Tagen ohne Injektionsmaßnahmen zeigten, dass die flächigen Durchfeuchtungen abtrockneten. Abb. 20 Untersuchung des Feuchtezustandes an einem Nebenriss 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 231 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Abb. 21 Untersuchungen der Durchfeuchtungen am gefüllten Riss Fazit: Im Bereich der oberen Bewehrung befindet sich nach Ausführung der Injektion Wasser. Eine weitere Maßnahme zur Untersuchung der Rissmerkmale ist die gezielte Entnahme von Bohrkernen. Merkmale der Bohrkernuntersuchungen zu den Ursachen der erneuten Durchfeuchtungen: - Trennrisse die den Querschnitt des Bauteils durchtrennen - horizontal in unterschiedliche Ebenen verlaufende Verbundstörungen im Bereich der oberen Bewehrungslagen - Hohlräume direkt unter der Bewehrung im Bereich der oberen Bewehrungslagen - Wasserverdrängung in den Trennrissen, Verbundstörungen und Hohlräumen. Abb. 22 Bohrkerne aus unterschiedlichen Schadensbereichen Fazit: Die Injektionstechnologie ist nach den Gegebenheiten und Bedingungen am Bauteil als Sondermaßnahme festzulegen und weicht i.d.R. von den allgemeinen Regeln ab. Die Ausführung der Füllmaßnahmen zur Beseitigung der nachträglichen Durchfeuchtungen und zur Vermeidung der Wasserverdrängung in der Konstruktion wurde in Phasen notwendig. An den bereits behandelten Rissbereichen wurde mit einer Nachinjektion über senkrecht in den Rissen bis zu einer Tiefe von ca. 10 cm hergestellten Bohrlöchern und mit Pressluft beauflagt und anschließend erneut der Rissfüllstoff injiziert. Bei diesen Injektionen wurde festgestellt, dass im Rissverlauf keine Rissfüllstoffleckagen auftraten. Jedoch aus den benachbarten Packern und in unterschiedlichen Abständen von den Injektionsbohrungen entfernt zuerst erhebliche Mengen Wasser durch Risse oder porige Oberflächen austrat und anschließend der injizierte Rissfüllstoff. Abb. 23 Ausführung der Injektion am geschlossenen Riss mit Wasseraustritt im angrenzenden Bereich Abb. 24 Nach Injektionsmaßnahme erkennbarer Füllbereich durch Leckagen Nach Aushärtung des Rissfüllstoffes und Abtrocknung der Oberflächen konnte festgestellt werden, dass durch diese zweite Injektionsmaßnahme eine Verdrängung des Wassers aus den Hohlraumbereichen im oberflächennahen Bereich durchgeführt werden konnte. 232 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Schäden an Betonbauteilen, Wasser in der Konstruktion Für die weiteren Ausführungen der Füllmaßnahmen wurden zwei oder mehr Phasen der Injektion durchgeführt. Mit dieser Injekttionstechnolgie konnte sichergestellt werden, dass das Wasser aus der Konstruktion heraus verdrängt und eine Abdichtung der riss- und hohlraumbedingten Undichtheiten der WU-Betonbodenplatte erzielt werden konnte. (Abb. 25) Abb. 25 Ausführung der Injektionen zur dauerhaften Abdichtung Literaturangaben [1] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauwerke ZTV-ING (2017/ 10) Teil 3 Massivbau, Abschnitt 5 Füllen von Rissen und Hohlrumen in Betonbauteile 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 233 Fachgerechte Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung Korrektes technisches Vorgehen gemäß neuer Regelwerke Götz Tintelnot TPH Bausysteme GmbH, Norderstedt Zusammenfassung Durch das EuGH Urteil von 2014 zu Zusatzanforderungen an Bauprodukte in Deutschland und dem daraus resultierenden Wegfall der bisherigen Nachweisführung und Ausschreibungspraxis hat sich baurechtlich für Bauunternehmen, Sachkundige Planer und die öffentliche Bauverwaltung eine neue Situation ergeben: Mit den harmonisierten europäischen Bauproduktnormen (hEN) lässt sich die Erfüllung der deutschen Bauwerksanforderungen nicht immer lückenlos nachweisen. Hierzu gibt auch die durch das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) veröffentlichte so genannte Prioritätenliste Aufschluss. Auf der Suche nach einer Lösung dieses Problems hat sich der öffentliche Bauherr im Jahre 2017 für die Einführung der BAWEmpfehlung (Bundesanstalt für Wasserbau) bei gleichzeitiger Novellierung der ZTV-ING und ZTV-W entschieden. Die Nachweisführung für einzelne Bauprodukte können seither entweder in Form von projektspezifischen Leistungsnachweisen gemäß Anforderung des Planers erbracht werden oder alternativ über ein freiwilliges DIBt Gutachten. Die Interaktion überlagernder Regelwerke bei der WU-Planung mit Rissen und deren Sanierung wird veranschaulicht. Die Grundsätze der Planung gemäß geltenden Regeln und Praxis wird erklärt, die Abhängigkeiten zwischen Rissarten, Rissursachen, Bauwerksnutzung, Lasteinträgen und den richtigen Füllstoffen wird schrittweise erläutert. Eine praxisorientierte, detaillierte Darstellung der Rissbehandlung wird schrittweise gezeigt, ebenso das notwendige Gerät in Abhängigkeit der Füllstoffe, Packerarten und Planung. 1. Einführung Für Bauunternehmen, Sachkundige Planer und die öffentliche Bauverwaltung ist eine neue baurechtliche Situation entstanden. Mit harmonisierten europäischen Bauproduktnormen (hEN) lässt sich die Erfüllung der deutschen Bauwerksanforderungen nicht immer lückenlos nachweisen. Durch die Neugestaltung der Musterbauordnung (MBO) [1] sowie die neue Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) [2] wird ein neues, anspruchsvolles Vorgehen aufgezeigt. Die Anforderungen an Instandhaltungsprodukte müssen für jedes Projekt aus den Anforderungen an das jeweilige Bauwerk abgeleitet werden. Die für die Betoninstandsetzung relevanten ZTV-W LB 219 [3] und ZTV-ING Teil 3, Abschnitt 4 und 5 [4] wurden bereits daran angepasst, dass standardisierte Qualitätsmerkmale, die zuvor Restnormen wie der DIN V 18028 [5] entsprechen mussten, nicht mehr gefordert werden dürfen. Stattdessen sind die Qualitätsmerkmale der zu verwendenden Rissinjektionsstoffe vom Auftraggeber bzw. durch den von diesem beauftragten Sachkundigen Planer für jedes Projekt einzeln festzulegen. Vor diesem Hintergrund wurde ebenfalls die BASt-Listung [6] eingestellt. Bild 1. Entstandene Lücken durch Wegfall deutscher Restnormen 234 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Fachgerechte Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung 2. Regelwerke 2.1 Entstehung und Entwicklung baurechtlicher Normen und Regelwerke In Deutschland wurde bereits ab 1968 mit der Einführung der DIN 1045 der Umgang mit Stahlbeton geregelt. Ab 1988 wurde die ZTV-Riss, also die erste Regelung des öffentlichen Bauherrn zum Thema der Betoninstandsetzung eingeführt, die ab 1993 in die ZTV-ING mit dem Teil 3, Abs. 5 intrigiert wurde. Die 2001 eingeführte Instandsetzungsrichtlinie (IS-RL) [7] des Deutschen Ausschuss’ für Stahlbeton (DAfStb) regelt bis heute die Betoninstandsetzung in vier Teilen, zusätzlich führte er im Jahr 2003 die DAfStb-Richtlinie „Wasserundurchlässige Bauwerke aus Beton“ (WU-Richtlinie) ein, die in der Überarbeitung von Dezember 2017 ein Standardwerk für sachkundige Planer für das technisch korrekte Planen einer WU-Konstruktion darstellt. Auch in dieser WU-Richtlinie wird auf die Notwendigkeit einer Betoninstandsetzung in Zusammenhang mit der Entstehung und Planung von zum Beispiel Trennrissen gemäß der Entwurfsgrundsätze (EGS) A, B und C hingewiesen (A: Vermeidung von Trennrissen, B: Bauweise mit vielem kleinen Trennrissen, C: Bauweise mit wenigen breiten Trennrissen). Hier überlagern sich die Regelwerke, der sachkundige Planer muss nach zwei verschiedenen Regelwerken planen. Durch die Einführung der EN 1504-5 in Deutschland im Jahr 2007 musste die ZTV-ING Teil 3, Abs. 5 angepasst werden, die Anforderungsprüfungen zur Erfüllung der „Brauchbarkeit“ wurde nun innerhalb der DIN 18028 und 18026 für Instandsetzungsprodukte zusätzlich zur Leistungserklärung gemäß EN1504-5 geregelt. Durch das EuGH Urteil 2014 sah sich der Gesetzgeber genötigt, tiefgreifende Änderung im Baurecht durchzuführen. 2.2 Welche Konsequenzen hat das EuGH-Urteil für die Planung von Risssanierungen? Einige ausgewählte Zitate aus dem ergangenen Urteil des EuGH verdeutlichen die Tragweite in der Regelung der Nachweisführung von Rissfüllstoffen bzw. Instandsetzungsprodukte durch z.B. AbZ oder die DIN 18028 bzw. 18026. EuGH-Urteil, Randziffer 48: „(Selbst) wenn ein Mitgliedstaat eine bestehende harmonisierte Norm für lückenhaft hält, (…) kann ein Mitgliedstaat keine (…) einseitigen nationalen Maßnahmen treffen“ EuGH-Urteil, Randziffer 57: „Die Richtlinie 89/ 106 sieht Verfahren vor, anhand deren die Mitgliedstaaten gegen harmonisierte Normen vorgehen können (…).“ EuGH-Urteil, Randziffer 58: „Die in der Richtlinie 89/ 106 vorgesehenen Verfahren können (…) nicht als fakultativ angesehen werden, wenn ein Mitgliedstatt eine bestehende harmonisierte Norm für lückenhaft hält (…)“ EuGH-Urteil, Randziffer 52: „Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 89/ 106 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten von der Brauchbarkeit der Produkte ausgehen, die so beschaffen sind, dass die Bauwerke, für die sie verwendet werden, bei ordnungsgemäßer Planung und Bauausführung den wesentlichen Anforderungen nach Art. 3 entsprechen, wenn diese Produkte die CE-Kennzeichnung tragen, aus der hervorgeht, dass sie sämtlichen Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechen. (Konzept der „Brauchbarkeit“ in der Bauproduktrichtlinie wurde nicht in die EU-BauPVO übernommen)“ Da das Konzept der „Brauchbarkeit“ der Instandsetzungsprodukte eben nicht mehr Bestandteil der Nachweisführung ist, sondern lediglich die Leistungserklärung gemäß EN 1504-5 beizubringen ist, muss nun der Sachkundige Planer je nach Einwirkungen auf das instand zu setzende Bauwerk und Bauteil und im Hinblick auf das Erreichen des jeweiligen Schutz- und Instandsetzungsziel festlegen, welche projektspezifischen Anforderungen an Rissinjektionsstoffe zu stellen sind. Mit „Brauchbarkeit“ ist im Übrigen die technische Eignungsprüfung durch beispielsweise die Rissbalkenprüfung oder eine vergleichbar realistische Anwendungsuntersuchung gemeint. 2.3 Derzeitige Hürden für Planer und Ausführende bei der Planung. Aktuell verlangen ZTV-W und ZTV-ING, dass der Sachkundige Planer die projektspezifischen Anforderungen an Rissinjektionsstoffe je nach Bauwerk festlegt. Die erforderlichen Nachweise sind vom jeweiligen Auftragnehmer, also der bauausführenden Firma an jeder einzusetzenden Charge zu führen. Ein solcher Nachweis für jedes Projekt bedeutet erhebliche Zeitaufwendungen sowie zeitliche Vorläufe - sowohl für Planer als auch für öffentliche Bauverwaltungen. 2.4 Gibt es aktuell einen technisch-juristischen konsistenten Planungsweg? Im Einführungserlass zur BAWEmpfehlung 2017 [9] sowie im Anhang der aktuellen ZTV-ING und ZTV-W sind DIBt-Gutachten als freiwillige Systemnachweise zur Qualitätssicherung vorgesehen. Diese Gutachten bescheinigen, dass ein harmonisiertes Bauprodukt mit CE- Kennzeichnung zusätzlich dazu auch die vom Hersteller angegebenen Leistungen für Bauwerksanforderungen in Deutschland erfüllt. Sie bieten für öffentliche Bauvorha- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 235 Fachgerechte Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung ben sowie für den Hoch- und Ingenieurbau eine komfortable Alternative zu aufwendigeren projektspezifischen Produktnachweisen. (MVV TB Abschnitt D 3) Das DIBt wurde als einzige in Deutschland benannte Stelle dieser Art (§ 30 BauPVO [10]) vom Bund mit der Erstellung solcher freiwilligen Gutachten beauftragt. Die Erstellung von Gutachten für Rissinjektionssysteme zur Betoninstandsetzung auf Grundlage der BAWEmpfehlung 2017 erfolgte durch offizielle Beauftragung des Bundesverkehrsministeriums. Als solche werden die Gutachten regelmäßig im Bereich des Verkehrswegebaus des Bundes als gleichwertige Alternative akzeptiert, sofern sie den projektspezifischen Anforderungen der Leistungsbeschreibung vollumfänglich genügen. (BAWBrief 01/ 2017 [11]) Bild 2. DIBt-Gutachten zum Lückenschluss gemäß MVV TB Abschnitt D 3 2.5 Rissinstandsetzungsarbeiten bereits bei Entwurfsgrundsätzen einplanen; konkrete Hinweise an WU- Planer gemäß WU-Richtlinie 2017: 12 In der aktuellen WU-Richtlinie wird auf die Notwendigkeit einer Betoninstandsetzung gemäß Instandhaltungsrichtlinie bzw. ZTV-ING und BAWEmpfehlung 2017 in Zusammenhang mit der Entstehung und Planung von zum Beispiel Trennrissen gemäß den Entwurfsgrundsätzen hingewiesen. Hier überlagern sich die Regelwerke: Der sachkundige Planer muss nach zwei verschiedenen Regelwerken planen. In den letzten Jahren haben sich im allgemeinen Hochbau die so genannten Frischbetonverbundfolien (FBV) als Alternative zur Rissinstandsetzung angeboten, die den rückwärtigen Wasserzutritt durch solche Trennrisse verhindern sollen. Trotz vorhandener AbP als Prüfnachweis sind diese Folien kein Bestandteil der Regelwerke. Damit schuldet der sachkundige Planer eine regelkonforme WU-Planung mit Instandsetzungskonzept gemäß geltenden Regeln. Es wird derzeit empfohlen, bis zur Einführung einer Überarbeitung der Instandsetzungsrichtlinie in Form der Technischen Regel Instandhaltung (TR-IH) die BA- WEmpfehlung mit ZTV-ING 2017 als Planungsgrundlage zu wählen. 3. Planung 3.1 Rissarten Die Bestimmung der Rissarten ist eine planerische Aufgabe und fällt in den Bereich eines Fachplaners, Gutachters oder Sachverständigen. Um einen Riss wirkungsvoll behandeln zu können, muss man zu allererst die Ursache des Risses feststellen, danach den Riss kategorisieren und zum Schluss den Riss genau benennen. In der Praxis werden die folgenden Rissarten unterschieden: 1. Längsrisse 2. Frostsprengungen 3. Risse längs der Bewehrung 4. Diagonal gerichtete Risse 5. Krakeleerisse 6. Schwindrisse 7. Trennrisse 8. Oberflächige Netzrisse 9. Längs- und Verbundrisse 10. Schubrisse 11. Unwirksame Fuge 12. Rostflecken 13. Biegerisse Bild 3. Übersicht der Rissarten 3.2 Rissursachen Es gibt unterschiedliche Ursachen für Risse im Beton, beispielsweise: • Schwindvorgänge • Temperaturspannungen • Bauteilüberlastung • Bauteilsetzung • fehlerhafte Dimensionierung der Bewehrung • Frost, Tau, Regen 236 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Fachgerechte Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung • Bewehrungskorrosion • fehlende Nachbehandlung des Betons Sobald die Rissursache erkannt und der Riss kategorisiert ist, kann der Planer ein schlüssiges Konzept erarbeiten. Bild 4. Rissschaden Schwindvorgänge 3.3 Füllziele Gemäß ZTV-ING werden bestimmte Instandsetzungsziele je nach Bauwerk und dessen Funktion unterschieden. Ein Riss lässt sich gegen den Eintritt von Wasser, Feuchtigkeit oder Chloriden verschließen. Instandsetzungsziele können daher sein: • Abdichten • begrenzt dehnbares Verbinden • kraftschlüssiges Verbinden • optische Instandsetzung 3.4 Identifizierung von Rissfüllstoffen Gemäß ZTV-ING lässt sich der Feuchtezustand eines Risses in eine von vier Kategorien einordnen: • DY: trocken („Dry“) • D: feucht („Damp“) • WT: nass („Wet“) • WF: fließendes Wasser („Water Flow“) Gemäß ZTV-ING lässt sich die Verwendung eines Rissfüllstoffes in eine von drei Kategorien einordnen: • F: kraftschlüssiger Füllstoff („Force“) • D: dehnfähiger Füllstoff („Durable“) = begrenztes Füllen und Verbinden von Rissen • S: quellfähiger Füllstoff („Swellable“) Das Verfüllen eines Risses geschieht entweder durch Injektion (I) oder durch Vergießen (V). Entsprechend dieser ZTV-ING Einteilung ergeben sich die in folgender Tabelle aufgeführten Kürzel für die Kategorisierung von Rissfüllstoffen. Bild 5. ZTV-ING - Teil 3 Massivbau - Abschnitt 5: „Füllen von Rissen und Hohlräumen in Betonbauteilen - Anhang A“ 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 237 Fachgerechte Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung 4. Praxis - Wie wird ein Riss verpresst? 4.1 Notwendiges Equipment Um einen Riss fachgerecht zu verpressen, benötigt man neben dem nötigen Werkzeug wie Bohrmaschine, Injektionsgerät und korrekten Rissfüllstoff auch die entsprechenden Einfüllstutzen (Packer) sowie das nötige Zubehör wie beispielsweise Zuleitungen und Mischer, Risslineal, Eimer und Pressluft zum Ausblasen der Bohrlöcher. Man unterscheidet zwei Arten von Packern, die je nach Einsatzzweck verwendet werden: Klebepacker finden Verwendung bei Sichtbeton und anderen Bauteilen, bei denen optische Aspekte eine Rolle spielen oder bei denen die Bewehrung nicht angegriffen werden darf. Die Packer werden mit speziellem Werkstoff direkt auf den Riss geklebt, so dass die Bauteiloberfläche weitestgehend instand bleibt. Im Gegensatz dazu wird das Bauteil für das Setzen von Bohrpackern angebohrt, was zu wesentlich höheren möglichen Injektionsdrücken und entsprechend tieferem Eindringen des Füllstoffes führt. Zudem wird etwaiges Nachverpressen mit höheren Drücken ermöglicht. Die Entscheidung über die Art der zu verwendenden Packer muss individuell vom Sachkundigen Planer getroffen werden. Die Wahl des Injektionsgerätes ist abhängig vom verwendeten Rissfüllstoff und kann beispielsweise in ein- oder zweikomponentiger Ausführung, als handbetriebene oder pneumatisch angetriebene Pumpe in unterschiedlichen Größen vorkommen; die Anzahl und Größe der zu verpressenden Risse ist hierbei entscheidend. 4.2 Fachgerechte Vorbereitung Ein wichtiger Punkt bei der Vorbereitung ist das Kennzeichnen des Risses auf der Bauteiloberfläche sowie das Anzeichnen der Punkte für die Positionierung der Packer, um der Bohr- und Injektionskolonne eindeutige Hinweise auf den zu verpressenden Riss zu geben. Anschließend wird der Riss in einer Zeichnung möglichst genau kartographiert, um die Instandsetzung später exakt dokumentieren zu können. Bei der Verwendung von Bohrpackern muss das Bohrmehl nach dem Bohren unbedingt mit Hilfe von Pressluft zunächst aus dem Bohrloch entfernt werden, bevor der Packer eingesetzt wird. Ansonsten ist ein korrektes Verfüllen nicht möglich, da der Staub das vollständige Eindringen des reinen Rissfüllstoffes in den Riss erschwert oder sogar verhindert. Bei Klebepackern ist zu beachten, dass vor dem Setzen des Packers eine ordnungsmäßige Untergrundvorbereitung vorgenommen wird: Die Stellen, wo ein Klebepacker angebracht werden soll, müssen vorher gereinigt werden - zum Beispiel mit einer Topfscheibe. Erst danach dürfen die Klebepacker mit Hilfe eines Nagels zentriert über dem Riss aufgesetzt werden. Hier ist zu beachten, dass die Verdämmung, gerade bei Verwendung von Klebepackern und insbesondere bei der kraftschlüssigen Rissinjektion, eine wichtige Voraussetzung für die Verteilung des Füllguts unter Druck darstellt. Vom Füllgrad wiederum ist der Erfolg der Maßnahme abhängig, in der Regel lässt sich eine misslungene Rissverfüllung nicht wieder heilen. Vor Herstellung der Verdämmung beziehungsweise dem Verkleben der Packer ist die Tragfähigkeit des Betonuntergrundes festzustellen, die gilt besonders bei niedrigen Altbetonklassen gemäß ZTV-ING 2017, beziehungsweise ZTV-W 2017. Der Packerabstand ist abhängig von der Bauteildicke. In der Regel entspricht der Packerabstand der halben Bauteildicke oder maximal 30 cm, gemäß ZTV-ING. Für Bohrpacker werden die Löcher im 45° Winkel gebohrt, um den Riss möglichst mittig anzuschneiden. 238 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Fachgerechte Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung Bild 6. Anordnung der Packer in Standardfällen bei einer vorgegebenen Fülltiefe bis max. 600 mm [4] 4.3 Injektionsvorgang Nach korrektem Setzen der Packer erfolgt die Entnahme einer Rückstellprobe. Hierfür wird eine kleine Menge des zu verpressenden Rissfüllstoffes in einen bereitgestellten Behälter eingefüllt. Diese Rückstellprobe ist auch ein wichtiger Bestandteil der fachgerechten Dokumentation (siehe 4.4 Dokumentation). Anschließend erfolgt die Rissinjektion nach einem vom Sachkundigen Planer vorab festgelegten Injektionsplan. Die Injektion sollte aufgrund der Gravitation unbedingt von unten nach oben erfolgen; zudem muss die einmal gewählte Seitenrichtung links/ rechts oder rechts/ links während der gesamten Injektionen konsistent beibehalten werden. Abhängig vom zu verfüllenden Riss, des Füllziels und des Füllstoffes erfolgt eine oder mehrere Nachinjektionen. Die Rückstellprobe kann dabei Aufschluss über den Reaktionsgrad des Materials geben. Nach Ende der Aushärtezeit wird gegebenenfalls die Verdämmung abgeschlagen und die Packer entfernt. Im Anschluss daran werden die Bohrlöcher fachgerecht verschlossen, beispielsweise mit PCC-Mörtel (Polymer 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 239 Fachgerechte Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung Cement Conrete) und die Oberfläche gegebenenfalls optisch wiederhergestellt. 4.4 Dokumentation Zu einer Betoninstandsetzung mit Hilfe einer Rissinjektion gehört immer auch eine umfassende, lückenlose Dokumentation. Diese erlaubt unter anderem den späteren Nachweis der korrekten Planung und Ausführung der Betoninstandsetzung. Die folgenden Punkte gehören zu einer fachgerechten Dokumentation: • Basisdaten (Baustelle, Bauteil, Datum, Fehlstellenbezeichnung) • Witterung • Bauteiltemperatur • Risskartierung • Risslänge, Rissbreite • Füllgutbezeichnung, Hersteller, Chargen-Nr. • Prüfung der Vorbereitung (zum Beispiel Verdämmung) • verwendete Injektionsdrücke • eingebrachte Füllgutmenge (Menge oder Masse) Anhand der vor der Injektion genommenen Rückstellprobe des Injektionsmaterials kann der Verarbeiter nachweisen, dass das Material korrekt reagiert hat. Alle Informationen zur korrekten Dokumentation sowie standardisierte Formblätter findet man in der ZTV-ING Teil 3, Abschnitt 5. 5. Zusammenfassung Risse in Betonbauwerken sind systemimmanent und müssen entsprechend der aktuellen Regelwerke eingeplant werden. Jeder Riss ist einzeln zu bewerten und nach den aktuell geltenden technischen Richtlinien und Regelwerken auch einzeln zu behandeln. Mit Einführung der BAWEmpfehlung bei gleichzeitiger Novellierung der ZTV-ING und ZTV-W wurden entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen. Nachweisführung für einzelne Bauprodukte kann entweder in Form von projektspezifischen Leistungsnachweisen gemäß Anforderung des Planers erbracht werden oder alternativ über ein freiwilliges DIBt Gutachten. Dies gilt auch dort, wo es um die Planung von WU-Konstruktionen gemäß WU-Richtlinie geht. Ein WU-Planer ist verpflichtet, ein Instandsetzungskonzept vorzulegen. Das freiwillige DIBt Gutachten bietet Planern und Ausführern die Möglichkeit, auf einfache Art zu bescheinigen, dass ein harmonisiertes Bauprodukt mit CE-Kennzeichnung zusätzlich die vom Hersteller angegebenen Leistungen für Bauwerksanforderungen sicher erfüllt. Werden zudem die hier skizzierten Handlungsanweisungen zum korrekten Instandsetzen mittels Rissinjektion in der Praxis befolgt, so entspricht dies allen Anforderungen einer fachgerechten Rissbehandlung als Bestandteil der Betoninstandsetzung. Literaturangaben [1] Bauministerkonferenz: Musterbauordnung (MBO) [2] DIBt (Hrsg.): Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB). Ausgabe 2017/ 1 mit Druckfehlerkorrektur vom 11. Dez. 2017. [3] ZTV-W LB 219 (2017): Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen - Wasserbau (ZTV-W) für die Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken (Leistungsbereich 219), Ausgabe 2017. BMVI, Abteilung Wasserstraßen, Schifffahrt. [4] ZTV-ING Teil 3 Massivbau, Abschnitt 4 Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen und Abschnitt 5 Füllen von Rissen und Hohlräumen in Betonbauteilen. Bundesanstalt für Straßenwesen, Stand 2017/ 10 [5] DIN V 18028: 2006-06 (zurückgezogen): Rissfüllstoffe nach DIN EN 1504-5: 2005-03 mit besonderen Eigenschaften [6] Bundesanstalt für Straßenwesen: Zusammenstellungen der geprüften/ zertifizierten Stoffe, Stoffsysteme und Bauteile für Bauwerke der Bundesfernstraßen [7] Deutschen Ausschuss für Stahlbeton: Richtlinie für Instandsetzung von Betonbauteilen - Oktober 2001 [7] DIBt: Prioritätenliste für die Überarbeitung defizitärer harmonisierter Bauproduktnormen. Stand 25. Februar 2019 [8] Europäischer Gerichtshof: Urteil C-100/ 13 vom 16. Oktober 2014 [9] BAW Bundesanstalt für Wasserbau: BAWEmpfehlung Instandsetzungsprodukte - Hinweise für den Sachkundigen Planer zu bauwerksbezogenen Produktmerkmalen und Prüfverfahren, Ausgabe 2019 [10] Bau PVO: Verordnung (Eu) Nr. 305/ 2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 89/ 106/ EWG des Rates [11] Westendarp, A.: Betoninstandsetzung im Verkehrswasserbau - Überarbeitung der ZTV-W LB 219 und der zugehörigen Regelwerke. BAWBrief 01/ 2017 Textilbeton 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 243 Verstärken mit Carbonbeton - von der Planung bis zur Ausführung Sebastian May CARBOCON GmbH, Dresden, Deutschland Alexander Schumann CARBOCON GmbH, Dresden, Deutschland Frank Schladitz Technische Universität Dresden, Dresden, Deutschland Zusammenfassung Die Ertüchtigung von bestehenden Bauwerken stellt Planer und Bauherren immer häufiger vor große Herausforderungen. So sind häufig aus architektonischen, historischen aber auch statischen Gesichtspunkten Sanierungen und Verstärkungen von Tragstrukturen ohne größere Baumaßnahmen nicht möglich. Soll zusätzlich die Trag- und Gebrauchstauglichkeit wiederhergestellt oder verbessert werden z. B. infolge Dauerhaftigkeitsproblemen der Stahlbewehrung kann dies meistens nur mit ressourcenintensiven, aufwendigen und bestandsbelastenden Maßnahmen erfolgen (z. B. Ergänzung von massiven Verstärkungen aus Stahlbeton oder Teilabriss und Neubau). Eine wirtschaftliche und bereits des Öfteren angewendete Alternative ist die Verstärkung mit Carbonbeton. Durch seine hohe Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit bei minimalen Schichtdicken überzeugt der innovative und noch relativ neue Werkstoff gegenüber herkömmlichen Maßnahmen. Im Rahmen des Berichts werden neben den planerischen Leistungen beim Anwenden der vorhandenen allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung zum Verstärken mit Textil-/ Carbonbeton auch die Ausführung auf der Baustelle ausführlich gezeigt. Ebenso sind die planerischen Schritte für eine Zustimmung im Einzelfall - welche häufig im vornherein überschätzt werden - nachvollziehbar dargestellt. Abschließend werden neben den Bearbeitungsinhalten bei jetzigen Planungsprojekten aktuelle Ausführungsbeispiele im Brücken- und Hochbau gezeigt. 1. Einleitung Der Stahlbeton ist in den letzten knapp 200 Jahren seit seiner Entwicklung 1855, u.a. durch Joseph Monier. zum wichtigsten Baumaterial der Welt geworden. Es gibt neben zahlreichen Vorteilen des Materials (u. a. Festigkeit, Formgestaltung) auch einige gravierende Nachteile. So werden jährlich mehrere Milliarden Kubikmeter an Beton weltweit verbaut. Dabei werden neben dem Verbrauch von Ressourcen auch über 4,5 Milliarden Tonnen an hergestelltem Zement verbraucht. Die Herstellung einer Tonne Zement ist in Deutschland mit rund 600 kg CO 2 -Emission verbunden. Das Bauwesen gilt daher als einer der treibenden Faktoren bei der Klimaerwärmung. Ein weiterer Nachteil des Stahlbetons sind seine Dauerhaftigkeitsprobleme. Bei unzureichender oder fehlender Betondeckung fängt die Stahlbewehrung an zu korrodieren. In Deutschland wurden zahlreiche Bauwerke im Brücken- und Hochbau mit dem Verbundmaterial Stahlbeton in der Nachkriegszeit errichtet und sind mit einem Alter von ca. 60 Jahren an ihre ursprüngliche Lebensdauer angelangt, siehe u. a. [1]. Infolge von Nutzungsänderungen und höheren Beanspruchungen sowie normativen Änderungen gegenüber der ursprünglichen Planung sind zahlreiche Bauwerke normativ nicht mehr ausreichend tragfähig. Sollten konventionelle Instandsetzungsmaßnahmen aufgrund von statischen, architektonischen oder planerischen Gründen nicht funktionieren, werden die Bauwerke häufig teil- oder vollabgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Eine bereits des Öfteren verwendete Alternative zur Verstärkung solcher Bauwerke stellt der Verbundwerkstoff Textilbzw. Carbonbeton dar. Dieses innovative Baumaterial ist seit über 20 Jahren erforscht und besteht aus einer gitterartigen textilen Carbonbewehrung und einem feinkörnigen Hochleistungsbeton. Aufgrund seiner hervorragen Eigenschaften hat sich dieses Material in zahlreichen Anwendungen bewährt. Die neuartige Carbonbewehrung korrodiert nicht und besitzt eine hohe Tragfähigkeit. Somit kann der Carbonbeton insbesondere für dünne Schichten und Bauteile erfolgreich einge- 244 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Verstärken mit Carbonbeton - von der Planung bis zur Ausführung setzt werden. Das zeigen sowohl die Anwendungen im Bereich des Neubaus, wie z. B. Fassadenelementen und Schalentragwerken (vgl. z. B. [2], [3]), als auch bei der Verwendung zum Instandsetzen/ Verstärken für verschiedenste Tragwerke im Hoch- und Brückenbau (vgl. z. B. [4], [5], [6] und [6]). 2. Allgemeine Informationen zur Carbonbeton- Verstärkung Die Vorteile einer Verstärkung mit Carbonbeton sind vielfältig. Bestandskonstruktionen können mit wenigen Millimetern Carbonbeton saniert oder statisch verstärkt werden. Durch die dünnen Schichtdicken (vgl. Abbildung 1) werden nur sehr geringe Zusatzlasten infolge Eigenlasten in das Bauteil getragen und die Optik der oft denkmalgeschützten Bauwerke bleibt erhalten. Die dünnen Schichtstärke sind ausreichend zur Aufnahme der Verbundspannungen zwischen Verstärkungsbeton und Gelege. Die Carbongelege der aktuellen Anwendungen weisen dabei charakteristische Zugfestigkeiten oberhalb von 2.000 N/ mm² auf, weshalb i. d. R. eine Verstärkung mit 1 - 2 Lagen Carbonmatten (Carbongelegen) ausreicht (entspricht einer Carbonbeton Schichtstärke von 10 - 15 mm). Abbildung 1: Aufbau einer Carbonbeton-Verstärkung Foto, links: SGL Group, rechts: CARBOCON Diese Carbongelege wurde in den letzten Jahren ausreichend erforscht und hinsichtlich ihrer Anwendung in der Praxis durch Projekte bestätigt (siehe folgende Abschnitte). Durch eine einlagige Carbonbetonverstärkung kann die Biegetragfähigkeit im Versuch um das 3 - 4-fache angehoben werden [7]. Einachsial tragende Gelege können dabei statisch nur in eine Richtung angesetzt werden (analog R-Matte im Stahlbetonbau), siehe u. a. [8]. Zweiachsial tragende Carbongelege (analog Q-Matte) können in beide Richtungen statisch angesetzt werden. Aufgrund des flächigen Eintrags der Kraft der Carbongelege der Verstärkungsschicht in den Bestand kann auf eine zusätzliche Verdübelung der Verbundfuge, wie bei der herkömmlichen Spritzbetonverstärkung erforderlich, verzichtet werden. Die Ausführung ist daher weniger schädigend für das Bestandsbauwerk und kann aufgrund der leichten Bewehrungsstruktur sowie der geringen Feinbetonschicht zügiger und somit wirtschaftlicher erfolgen. Durch den geringeren Materialverbrauch beim Verstärkungsbeton aufgrund der dünnen Schichtstärken können sowohl wertvolle Ressourcen, wie z. B. Sand, aber auch CO 2 -Emissionen eingespart werden, was der Carbonbeton-Verstärkung im Thema Nachhaltigkeit zu Gute kommt. Des Weiteren entstehen keine „Abfallprodukte“ (Bauschutt), da die Gebäude nicht abgerissen werden und somit nachhaltig und ökologisch weitergenutzt werden können. Ein weiterer signifikanter Vorteil für den Carbonbeton ist, dass dieser weit über die beim Stahlbeton angestrebten Lebenszeiten von 50 bis 100 Jahren hinaus ausgelegt werden kann. Aufgrund der guten Dauerhaftigkeitseigenschaften der Carbonbewehrungen sind Lebensdauern von über 100 Jahren möglich. 3. Planungsschritte einer Carbonbeton-Verstärkung Der Carbonbeton unterliegt zum jetzigen Zeitpunkt keiner normativen Regelung oder Richtlinie in Deutschland. Die Planung, Berechnung und Ausführung sind jedoch in der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) [8] zum Verstärken mit Carbon-/ Textilbeton geregelt. In dieser abZ sind Anwendungsbereiche, Materialien und technische Regelungen für die Ausführung beschrieben. Die Zulassung wurde erstmalig bereits 2014 erteilt und diente als Grundlage für zahlreiche ausgeführte Verstärkungsmaßnahmen (siehe Abschnitt 4 und 5). Aufgrund der materialspezifischen Weiterentwicklung der Carbongelege in den vergangenen Jahren und dem teils beschränkten Anwendungsbereich der abZ sind häufig - aufbauend auf den Regelungen der abZ - Zustimmungen im Einzelfall (ZiE) bzw. vorhabenbezogene Bauartengenehmigungen (vBG) erforderlich. Viele Bauherren und beteiligte Planer verbinden mit einer ZiE und dem damit einhergehenden Planungsprozess zusätzliche Kosten und Terminprobleme, weshalb häufig anstelle des Carbonbetons auf eine konventionelle Baumaßnahme zurückgegriffen wird. Betrachtet man jedoch alle Kosten (Planung, Ausführung, Unterhaltung) sind die Bedenken nicht gerechtfertigt und der Carbonbeton ist schon jetzt wirtschaftlicher. In den nächsten Abschnitten werden die Planungsschritte für eine Carbonbetonverstärkung geschildert. Bedingt durch die genannten Vorteile des Carbonbetons und der oft vorhandenen Nachteile konventioneller Verstärkungsmaßnahmen entscheiden sich Bauherren und Architekten/ Planer für die Verstärkung mit Carbonbeton. Nach einer Rücksprache mit den projektbeteiligten Partnern werden die Randbedingungen und Anforderungen an die Baumaßnahme geklärt. Hierbei wird zu Beginn, als Teil einer Machbarkeitsstudie, überprüft, ob und in welchem Rahmen der Carbonbeton angewendet werden kann. Dabei wird erörtert, ob die vorhandene abZ ausreicht oder eine ZiE notwendig wird. Bei positiver Beurteilung der Studie und Entscheidung für die Carbonbeton-Verstärkung werden als Nächstes die Materialien festgelegt. Anhand dieser kann der Planer den benötigten 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 245 Verstärken mit Carbonbeton - von der Planung bis zur Ausführung Verstärkungsgrad (Lagenanzahl) bestimmen. Sollte dabei während der ersten beiden Schritte festgestellt werden, dass die Materialien der abZ [8] nicht zur Anwendung kommen und das Projekt außerhalb des Anwendungsgebietes der abZ [8] liegt, muss nun das Versuchskonzept für die ZiE erarbeitet werden. Die Erstellung dieses Konzeptes basiert auf dem Knowhow des Planers bzw. Gutachters für die Carbonbeton-Verstärkung und erfolgt unter Einbeziehung der Projektbeteiligten sowie der zugehörigen Prüfstelle des jeweiligen Bundeslandes. Nur durch regen Austausch aller Partner im Projekt kann die ZiE erfolgreich in den Planungsprozess (Leistungsphasen nach HOAI) eingeordnet werden. Im nächsten Schritt werden die bisherigen Ergebnisse zum Carbonbeton zusammengestellt. Durch vorhandene Versuchsergebnisse aus der Forschung sowie ggf. bisherigen Praxisprojekten und einer nationalen und internationalen Literatur-/ Richtlinienrecherche lässt sich das Versuchsprogramm in Absprache mit den bauaufsichtlichen Behörden oft deutlich reduzieren. Dadurch können Kosten und Zeit im Projekt gespart werden. Diese Phase läuft meist schon parallel zur Erstellung des Versuchskonzeptes der ZiE. Im Anschluss daran erfolgt die Prüfung der fehlenden Materialkennwerte in Abhängigkeit der jeweiligen projektbezogenen Randbedingungen (vgl. Abbildung 2). Dabei werden u. a. Abminderungsfaktoren für äußere Einflüsse (z. B. Temperatur, Expositionsklasse) im Versuch für die Carbonbewehrung und bei Bedarf für den Beton bestimmt. Abbildung 2: Prüfung Zugfestigkeit des Geleges im Dehnkörper (links: Raumtemperatur; rechts: erhöhte Temperatur mittels Heizstrahler) Sollten darüber hinaus Großbauteilversuche zur Bestätigung der Ingenieurmodelle und zur Überprüfung der Übertragbarkeit der Materialkennwerte aus den kleinteiligen Versuchen sowie der Statik erforderlich sein, sind die zu verstärkenden Bauteile in Anlehnung an das reale Bauteil/ Bauwerk zu konzeptionieren und zu bemessen. Dabei muss das Bauteil hinsichtlich der nachzuweisenden Versagensart dimensioniert sein. Sind diese Bedingungen erfüllt, wird anschließend das Bauteil hergestellt und verstärkt. Des Weiteren muss hierbei der Versuchsstand unter Einhaltung der ZiE-Randbedingungen des nachzuweisenden Bauteils sowie der örtlichen Bedingungen des Prüflabors geplant werden (vgl. Abbildung 3). Dabei muss das verstärkte Bauteil die erforderliche Laststeigerung im Versuch aufweisen und i. d. R. auch die vorhergesagte Versagensart nach Erreichen des benötigten Lastniveaus abbilden. Hierbei sind des Weiteren vorab die Lastkapazität der Prüfmaschine für den Bauteilversuch sowie die Einrichtung der Labore (z. B. Hebezeug der Labore für Bauteil, Messtechnik) zu berücksichtigen. Abbildung 3: Querkraftversuch eines verstärkten T-Trägers in Kooperation mit der Universität Innsbruck Foto: CARBOCON Als Letztes werden im Rahmen des Gutachtens zur ZiE die Kennwerte aus der Statik mit den Versuchsergebnissen überprüft sowie Prüfempfehlungen für begleitende Bauteilversuche während der Ausführung (Fremdüberwachung) erstellt. 4. Ausführung einer Carbonbeton-Verstärkung am Beispiel der Hyparschale in Magdeburg Die Baumaßnahme „Verstärkung der Hyparschale Magdeburg mit Carbonbeton“ soll die einzelnen Ausführungsschritte zeigen. Das Schalentragwerk von Ulrich Müther wurde 1969 errichtet und war über Jahrzehnte eines der größten Schalenbauwerke Deutschlands (Abbildung 4). Im Jahr 1990 wurde das Bauwerk unter Denkmalschutz gestellt. Infolge nicht ausreichender Instandsetzungsarbeiten musste das Objekt 1997 aufgrund von Mängeln und Abnutzungserscheinungen gesperrt werden [4]. Im Rahmen von Voruntersuchungen stellte sich die Maßnahme „Verstärken mit Carbonbeton“ aufgrund des minimalen Materialverbrauchs, deutlich geringerer Ausführungskosten sowie dem minimal invasiven Eingriff in die Bestandsstruktur als wirtschaftlichste Variante unter Berücksichtigung der ZiE-Versuchs- und Planungskosten dar. Des Weiteren sprach ebenso die schnelle Ausführung der Verstärkung für den Carbonbeton. 246 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Verstärken mit Carbonbeton - von der Planung bis zur Ausführung Abbildung 4: Hyparschale Magdeburg vor der Verstärkung Foto: CARBOCON Als erster Schritt wird die zu verstärkende Betonoberfläche gemäß [9] von Aufbauten (z. B. Abdichtung) befreit und anschließend mit einem geeigneten Verfahren (z. B. Sandstrahlen bzw. Feststoffstrahlen) aufgeraut. Die geforderte Rautiefe zur Sicherstellung des Verbundes zwischen Altbeton und Verstärkungsbeton wird anschließend kontrolliert (Abbildung 5). Hier kann u. a. das Sandverfahren nach Kaufmann [10] verwendet werden. Die allgemeinen Anforderungen (z. B. Vorbehandlung) an die zu verstärkende Oberfläche sind in [8] geregelt, Abweichungen oder zusätzliche Anforderungen werden im Gutachten zur ZiE bestimmt. Abbildung 5: Überprüfung der Oberflächenbeschaffenheit Foto: CARBOCON Im Anschluss daran wird die Feinbetonschicht mit einer Stärke ca. 5 mm im Spritzverfahren aufgebracht (Abbildung 6). Dafür wurde der in der abZ [8] geregelte Feinbeton verwendet werden. Alternativ kann der Feinbeton im Laminierverfahren aufgetragen werden. Abbildung 6: Auftragen der ersten Feinbetonschicht Foto: CARBOCON Als Nächstes wird das Carbongelege - welches als Matten- oder Rollenware erhältlich ist - in den frischen Feinbeton eingearbeitet. Dabei können sowohl einachsiale Gelege entsprechend der abZ [8] oder weiterentwickelte zweiachsial tragende Gelege wie in Magedeburg verwendet werden. Zur Sicherstellung des einwandfreien Kontakts der beiden Materialien wird das Gelege mit Glättkellen leicht in den Feinbeton gedrückt (Abbildung 7). Daran anschließend wird die nächste Feinbetonschicht mit einer Schichtstärke von ca. 5 mm aufgebracht. Dieser Vorgang „Gelege + Feinbeton“ kann nach erforderlichem Verstärkungsgrad wiederholt werden. Abbildung 7: Einarbeiten des Carbongeleges Foto: CARBOCON Aufgrund der relativ feinen aber hochfesten Struktur des Carbongeleges und der damit verbundenen flächigen Einleitung der Querzugspannungen der Verstärkung in den Bestand ist eine zusätzliche Verdübelung, wie bei der herkömmlichen Spritzverstärkung, nicht erforderlich. Dadurch können u. a. Dauerhaftigkeitsprobleme infolge Eintrags von Feuchte in den Bestand ausgeschlossen werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 247 Verstärken mit Carbonbeton - von der Planung bis zur Ausführung Abbildung 8: Nachbehandlung der Carbonbetonverstärkung Foto: CARBOCON Die obere Betonschicht wird abschließend glatt abgezogen und nachbehandelt (z. B. feuchte Jutebahnen), siehe Abbildung 8. Eine größere Betondeckung ist für das Gelege aufgrund seiner Resistenz gegen äußere Medien nicht nötig. Für das Projekt Hyparschale Magdeburg ist eine Verstärkungsschicht von gerade einmal 10 mm auf der Schalenober- und -unterseite ausreichend, um das Bestandsbauwerk statisch nach aktueller Normung zu ertüchtigen und hinsichtlich der Dauerhaftigkeit aufgrund des sehr feinen Rissbildes mit sehr geringen Rissbreiten zu verbessern. 5. Weitere Ausführungsbeispiele mit Carbonbeton- Verstärkung Die folgenden Projekte sollen beispielhaft die Anwendung des Carbonbetons im Bereich der Verstärkung zeigen. Bei diesen Bauwerken hat sich die effiziente Instandsetzungsmaßnahme sowohl aus wirtschaftlicher als auch technischer und architektonischer Sicht durchgesetzt. Der Beyer-Bau der Technischen Universität (TU) Dresden ist eines der ältesten Bestandsgebäude des Universitätsgeländes (vgl. Abbildung 9). In dem Gebäude befindet sich die Fakultät der Bauingenieure, welche in den vergangenen Jahren den Carbonbeton für die Verstärkung erforscht haben. Jetzt wird dieses Gebäude mit dem innovativen Carbonbeton verstärkt. Abweichend von der abZ [8] wird die Verstärkung neben den Deckenfeldern auch an den Unterzügen im Bereich der Biegezugzone angeordnet. Diese Konfiguration wurde im Rahmen des ZiE- Prozesses rechnerisch und experimentell nachgewiesen. Abbildung 9: Verstärkung des Beyer-Baus (Fakultät Bauingenieure) der TU Dresden Foto: CARBOCON Der Carbonbeton wurde neben der Verstärkung im Hochbau auch schon im Brückenbau erfolgreich angewendet. In Abbildung 10 wird eine Autobahnbrücke in Hessen gezeigt, welche im dritten und vierten Quartal 2020 auf der Unter- und Oberseite mit bis zu 6 Lagen Carbongelege verstärkt wurde. Bei der Brücke handelt es sich um eine vorgespannte Mehrfeldbrücke mit rechnerischen Defiziten im Bereich der Robustheitsbewehrung infolge des möglichen Ausfalls spannungsrissgefährdeter Spannglieder. Zwar wurden experimentelle Versuche zur Bestätigung der entwickelten Ingenieuransätze durchgeführt, die Kennwerte des Carbongeleges wurden jedoch aus bestehenden Ergebnissen aus der Literatur übernommen. Abbildung 10: Verstärkung einer Autobahnbrücke in Hessen Foto: Oliver Steinbock, cbing Ein zweites aktuelles Projekt im Brückenbau ist die Verstärkung einer Brücke bzw. Durchführung unter einer Autobahn in Nordrhein-Westfalen (vgl. Abbildung 11). Bedingt durch die zu erhaltende Durchflussbreite des Flusses und der Überschüttung des Querschnittes mit mehreren Metern Bodenmaterial, wird bei dem Bauwerk eine dünne Schale aus Carbonbeton als Neubau unter dem vorhandenen Bestand geplant. Diese Konstruktion wird alle Lasten des Bestandsbauwerk aufnehmen. Für 248 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Verstärken mit Carbonbeton - von der Planung bis zur Ausführung die Maßnahme wurde sich entschieden, da sie sowohl dauerhafter aber auch deutlich wirtschaftlicher gegenüber herkömmlichen Maßnahmen (z. B. Abriss und Neubau) ist. Abbildung 11: Verstärkung einer Autobahnbrücke in Nordrhein-Westfalen Foto: CARBOCON Als letztes Projekt wird auf die denkmalgeschützte Brücke Thainburg in Naumburg verwiesen (siehe Abbildung 12). Die Fußgängerbrücke wurde 1894 in Monierbauweise errichtet und ist aufgrund seiner geringen Konstruktionshöhe und dem niedrigen Bogenstich bei einer Spannweite von knapp 15 m ingenieurtechnisch herausragend. Die Genehmigungsplanung und ZiE wurde aufbauend auf der abZ [8] geplant und erteilt. Durch eine argumentative ZiE-Planung wurden keine Versuche zur Erlangung der Genehmigung benötigt. Aufgrund von Corona und der aktuellen Bausituation in Deutschland wurde die Ausführung auf voraussichtlich 2021 verschoben. Abbildung 12: Verstärkung der Brücke Thainburg in Naumburg Foto: CARBOCON 6. Zusammenfassung und Ausblick Anhand der gezeigten Vorteile zum Verstärken mit Carbonbeton hat sich die neuartige Bauweise schon jetzt in zahlreichen Bereichen sowohl wirtschaftlich als auch technisch durchgesetzt. Der ggf. zusätzliche Planungsaufwand einer ZiE lässt sich durch eine frühzeitige Integration in den Planungsprozess ohne zeitlichen Verzug des Projektes integrieren und umsetzen. Durch die schlanke, materialsparende und nachhaltige Carbonbetonverstärkung können Bestandsgebäude durch minimalen Eingriff dauerhaft und effizient verstärkt werden. Die Ausführungskosten der Carbonbetonverstärkung - trotz der etwas preisintensiveren Carbonbewehrungen - sind bereits heute aufgrund der zuvor beschriebenen Vorteile mehr als konkurrenzfähig im Vergleich zu herkömmlichen Verstärkungsvarianten oder zum oftmals erforderlichen Abriss und Ersatzneubau. Literatur [1] Naumann J.: Brückenertüchtigung jetzt - Ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Mobilität auf Bundesfernstraßen. In: DBV - Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E. V. (Hrsg.), DBV-Heft 22, Berlin, 2011. [2] Rempel, S.; Will, N.; Hegger, J.; Beul, P.: Filigrane Bauwerke aus Textilbeton. Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015), Heft S1, S. 83-93. [3] Müller, E.; Scheerer, S., Curbach, M.: Material and space saving carbon concrete elements. Civil Engineering Design 1 (2019), Heft 1, S. 3-9. [4] Hentschel, M.; Schumann, A.; Urlich, H.; Jentzsch, S.: Sanierung der Hyparschale Magdeburg. Bautechnik 96 (2019), Heft 1, S. 25-30. [5] Erhard, E.; Weiland, S.; Lorenz, E.; Schladitz, F.; Beckmann, B.; Curbach, M.: Anwendungsbeispiele für Textilbetonverstärkung: Instandsetzung und Verstärkung bestehender Tragwerke mit Textilbeton. Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015), Heft S1, S. 74-82. [6] Al-Jamous, A.; Uhlig, K.: Sanierung der historischen Betonbogenbrücke in Naila. In: Curbach, M. (Hrsg.): Tagungsband zum 27. Dresdner Brückenbausymposium am 13. und 14.3.2017 in Dresden, Dresden: Institut für Massivbau der TU Dresden, 2017, S. 71-78. [7] Müller, E.; Schmidt, A.; Schumann, A.; May, S.; Curbach, M: Biegeverstärkung mit Carbonbeton. Beton- und Stahlbetonbau (2020). doi: 10.1002/ best.202000012. [8] Z-31.10-182: Verfahren zur Verstärkung von Stahlbeton mit TUDALIT (Textilbewehrter Beton). Geltungsdauer 2016-2021. [9] DAfStb-Instandsetzungs-Richtlinie: Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (2001); Teil 1-4. [10] Kaufmann, N: Das Sandflächenverfahren. Straßenbautechnik 24 (1971), Nr. 3, S. 131-135. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 249 Rissverteilende textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten zur dauerhaften Instandsetzung von Bauwerksoberflächen Amir Rahimi, Andreas Westendarp Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Cynthia Morales Cruz, Michael Raupach Institut für Baustoffforschung (ibac) RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Zusammenfassung Bei der Instandsetzung gerissener Betonbauteile mit unbewehrten, dünnschichtig aufgebrachten Spritzmörteln können Risse aus dem Betonuntergrund bereits infolge temperaturbedingter Rissbreitenänderungen in das Instandsetzungssystem durchschlagen. Konventionelle Bewehrung aus Betonstahl zur Rissüberbrückung kann bei geringen Schichtdicken aus Korrosionsschutzgründen im Regelfall nicht eingesetzt werden. Mit dem neuen BAWMerkblatt „Flächige Instandsetzung von Wasserbauwerken mit textilbewehrten Mörtel- und Betonschichten (MITEX)“ wird nunmehr der Einsatz von korrosionsunkritischen textilbewehrten Betonersatzsystemen zur Instandsetzung von Beton- und Stahlbetonbauwerken geregelt. Die Vorgaben gelten nicht nur für Verkehrswasserbauwerke, sondern können auch in anderen Baubereichen unter definierten Randbedingungen und Beanspruchungsszenarien Anwendung finden. BAW-MITEX berücksichtigt die Aspekte Bemessung, Baustoffe und Bauausführung sowie Qualitätssicherung. 1. Aufbau und Funktionsweise des Instandsetzungssystems Das BAWMerkblatt „Flächige Instandsetzung von Wasserbauwerken mit textilbewehrten Mörtel- und Betonschichten (MITEX)“ [1] wurde im März 2020 veröffentlicht. Das darin beschriebene und geregelte Instandsetzungssystem besteht aus einem an den Betonuntergrund angepassten Spritzmörtel/ Spritzbeton gemäß [2], Abschnitt 5, und einer textilen Carbon-Bewehrung. Bei Rissen mit einer Rissbreitenänderung von ∆wop > 0,2 mm, die vom Sachkundigen Planer als maßgebend erkannt wurden, kommt zudem ein Enthaftungsbereich zur Anwendung. Das Enthaftungsmaterial soll im Bereich des Risses den Verbund zwischen Untergrund und Spritzmörtel/ Spritzbeton verhindern und so zu einer Erhöhung der freien Dehnlänge des textilbewehrten Spritzmörtels/ Spritzbetons führen. Die in den Spritzmörtel/ Spritzbeton eingebettete textile Bewehrung ermöglicht die Realisierung von dünnen bewehrten Schichten. Diese sorgt dafür, dass die Rissbreitenänderung ∆w op des zu überbrückenden Risses am Bauwerk im Enthaftungsbereich auf mehrere Risse mit Rissbreiten w i < 0,1 mm im textilbewehrten Spritzmörtel/ Spritzbeton verteilt wird, siehe Bild 1. 2. Anwendungsbereich und -grenzen des BAWMerkblatts MITEX BAW-MITEX gilt für die flächige Instandsetzung gerissener Bauwerke aus Beton oder Stahlbeton mittels textilbewehrtem Spritzmörtel/ Spritzbeton aus zementgebundenem Betonersatz mit oder ohne Polymermodifizierung gemäß [2], Abschnitt 5, mit einem Größtkorn ≤ 6 mm, der in dünnen Schichten (30 bis 40 mm) ohne zusätzliche Verankerung im Spritzverfahren auf Betonuntergründe der Altbetonklasse A2, A3, A4 oder A5 gemäß [2] aufgebracht wird. Weitere Betonersatzsysteme, d. h. Mörtel und Beton für geschalte Flächen und im Handauftrag, werden derzeit im Merkblatt nicht berücksichtigt. Eine zukünftige Anwendung dieser Systeme ist jedoch vorstellbar. Die Instandsetzungsschicht darf während der Applikations- und Nutzungsphase keinem hydrostatischen Wasserdruck von der Rückseite (Risswasser- und Porenwasserdruck) oder von der Vorderseite ausgesetzt sein (ähnlich zu einem freibewitterten Fassadenelement). Das Instandsetzungssystem darf bei Bauteilen der Expositionsklassen XALL, XBW1, XCR, Δw LFR, XC1(trocken), XC3, XC4, XS1, XD1, XF1 und XF2 gemäß [2] und [3] eingesetzt werden. Die Anwendung 250 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Rissverteilende textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten zur dauerhaften Instandsetzung von Bauwerksoberflächen - Bild 1: Aufbau und Funktionsweise des Instandsetzungssystems im BAW-MITEX Tabelle 1: Belastungsszenarien zur flächigen Instandsetzung nach BAW-MITEX 1 2 3 4 5 6 7 Belastung Variante 1 Variante 2 Variante 3 a b a b a b Freibewitterte Instandsetzungsfläche ja Zyklisch bewegende, evtl. wasserführende Ris-se im Untergrundbeton ja Ausreichender Verbund zwischen Instandsetzungsschicht und Untergrundbeton ja nein nein Risswasser- und Poren-wasserdruck nein nein ja Hydrostatische Wasserbelastung auf der Oberfläche nein ja nein ja nein ja ist nur zulässig bei Rissbreitenänderungen im Betonuntergrund, welche vorwiegend aus jahreszeitlich bedingten Temperaturänderungen resultieren. Die Rissbreitenänderung im Betonuntergrund darf in der Regel maximal 0,6 mm betragen. Der Verbund zwischen dem Betonuntergrund und der textilbewehrten Spritzmörtel-/ Spritzbetonschicht wird ausschließlich über Adhäsion hergestellt. Das Instandsetzungssystem kann an senkrechten und stark geneigten Flächen sowie über Kopf angebracht werden. Es ist beabsichtigt, weitere Anwendungsbereiche (mit Wasserdruck und Verankerung) entsprechend Tabelle 1 in späteren Fassungen des Merkblatts zu berücksichtigen. 3. Anforderungen und Qualitätssicherung 3.1 Nachweisverfahren Die Anforderungen an das Instandsetzungssystem und die damit verbundene Qualitätssicherung werden anhand folgender Nachweisverfahren geregelt: - Nachweis der Verwendbarkeit ◦ Nachweis der Verwendbarkeit der Einzelkomponenten ▪ Spritzmörtel/ Spritzbeton ▪ textile Bewehrung ▪ Enthaftungsmaterial ◦ Nachweis der Verwendbarkeit des Instandsetzungssystems (Systemprüfung) - Nachweis der Übereinstimmung - Prüfungen im Rahmen der Ausführung - Überprüfung der ausgeführten Leistung 3.2 Nachweis der Verwendbarkeit des Spritzmörtels/ Spritzbetons Der Spritzmörtel/ Spritzbeton muss hinsichtlich seines Festigkeits- und Verformungsverhaltens dem jeweiligen Altbeton angepasst sein. Als Spritzmörtel/ Spritzbeton können Produkte gemäß [2] auf Basis von [4] in Verbindung mit [5] mit zusätzlichen Merkmalen oder Produkte unbekannter Zusammensetzung verwendet werden. Die expositionsbedingten Anforderungen sind in [6] enthalten. 3.3 Nachweis der Verwendbarkeit der textilen Bewehrung Vom Hersteller der Textilbewehrung sind definierte Eigenschaften wie z. B. Typ und Feinheit der Carbonfaser, Tränkungsmaterial (Art, Glasübergangstemperatur) anzugeben. Im Fall einer Oberflächenmodifikation der textilen Bewehrung sind das Beschichtungsmaterial (Art, Glasübergangstemperatur) und die Besandung (Partikelart und Sieblinie) anzugeben. Zusätzlich müssen bestimmte Kennwerte anhand im Merkblatt [1] beschriebener Prüfverfahren ermittelt werden. Es sind nur textile Bewehrungen mit quadratischer Maschenform anzuwenden. Der Faserquerschnitt des Rovings muss in Kett- und Schussrichtung gleich sein. Das lichte Maß zwischen zwei Rovings muss mindestens dem dreifachen Größtkorndurchmesser des Spritzmörtels/ Spritzbetons entsprechen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 251 Rissverteilende textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten zur dauerhaften Instandsetzung von Bauwerksoberflächen 3.4 Nachweis der Verwendbarkeit des Enthaftungsmaterials Das Enthaftungsmaterial muss zum einen auf trockenem und/ oder feuchtem Untergrund gut haften. Zum anderen darf zwischen Spritzmörtel/ Spritzbeton und dem Enthaftungsmaterial kein nennenswerter Haftverbund bestehen. Dies wird im Rahmen des Nachweises der Verwendbarkeit des Instandsetzungssystems (Systemprüfung, s. u.) geprüft. Es wird jedoch empfohlen, die Entkopplungswirkung des Enthaftungsmaterials vor der Systemprüfung mittels Prüfung der Haftzugfestigkeit an entsprechend hergestellten Probekörpern zu bestimmen. Als Enthaftungsmaterialien kommen beispielsweise Klebebänder, Epoxidharze oder zementöse Dichtungsschlämmen in Frage. 3.5 Nachweis der Verwendbarkeit des Instandsetzungssystems (Systemprüfung) Die Systemprüfung erfolgt an Verbundprobekörpern (s. Bild 2) bestehend aus Grundkörperbeton (gerissen), Enthaftungsmaterial und textilbewehrter Spritzmörtel-/ Spritzbetonschicht. Sie umfasst die Prüfungen der Applizierbarkeit, Haftzugfestigkeit, Rissverteilung und Haftzugfestigkeit nach Rissaufweitung. Die jeweiligen Probekörper für diese Prüfungen werden aus den Verbundprobekörpern entsprechend Bild 2 gewonnen. Mit der Prüfung der Applizierbarkeit wird das eventuelle Auftreten von Fehlstellen in unmittelbarer Nähe der Rovings in Anlehnung an [6], Anlage A1.7, untersucht. Mit der Prüfung der Haftzugfestigkeit vor und nach der Prüfung der Rissverteilung wird der notwendige Adhäsionsverbund zwischen dem Betonersatzsystem und dem Untergrund nach der Ausführung bzw. nach der Beanspruchung in Folge der Rissaufweitung überprüft. Für die Prüfung der Rissverteilung wird der Rissüberbrückungskörper nach Bild 2 an einem Prüfrahmen befestigt. Durch das Aufbringen einer Zugkraft auf den Grundkörper wird der Riss auf die vorgesehene Breite aufgeweitet. Anschließend werden die Rissbreiten im textilbewehrten Spritzmörtel/ Spritzbeton an den Seitenflächen der Probe über dem Enthaftungsbereich in über die Probenhöhe gleich verteilten Ebenen auf 1 µm genau gemessen. Die Rissbreiten müssen weniger als 0,1 mm betragen. Des Weiteren werden die Textilzugspannung und die Textildehnung im Enthaftungsbereich im Laufe des Versuchs ermittelt. Sie dürfen 1500 N/ mm² bzw. 10 ‰ nicht überschreiten. 3.6 Nachweis der Übereinstimmung Die Übereinstimmung des Spritzmörtels/ Spritzbetons mit dem Spritzmörtel/ Spritzbeton, der im Rahmen des Nachweises der Verwendbarkeit untersucht worden ist, muss gemäß [6] nachgewiesen werden. Für das Enthaftungsmaterial muss die Übereinstimmung von dem entsprechenden Hersteller mittels Lieferschein bestätigt werden. Der Nachweis der Übereinstimmung der textilen Bewehrung muss durch eine Werkseigene Produktionskontrolle (WPK) und eine Fremdüberwachung (FÜ) gemäß [7] durch eine von der BAW hierfür anerkannte Stelle sichergestellt sein. Die Häufigkeit der durchzuführenden Prüfungen sowie die Anforderungen, die im Rahmen der WPK und der FÜ zu erfüllen sind, sind im Merkblatt vorgegeben. 3.7 Prüfungen im Rahmen der Ausführung Hinsichtlich des Spritzmörtels/ Spritzbetons ist entsprechend [2], Abschnitt 5.6.2, vorzugehen. Hinsichtlich der textilen Bewehrung und des Enthaftungsmaterials müssen vom Auftragnehmer im Rahmen der Eigenüberwachung zusätzliche Kontrollen zur ordnungsgemäßen Lieferung und zur Qualität des Materials durchgeführt werden. Angaben hierzu sind in [3] enthalten. 3.8 Überprüfung der ausgeführten Leistung Die Überprüfung der ausgeführten Leistung ist vom Auftragnehmer gemäß [2], Abschnitt 5.6.3, durchzuführen und zu dokumentieren. Zusätzlich ist die Höhenlage der textilen Bewehrung an den Bohrkernen für die Verbundfestigkeitsprüfung zu bestimmen. Die lichten Maße zwischen der Betonuntergrundoberfläche und der benachbarten textilen Bewehrungslage, zwischen den benachbarten textilen Bewehrungslagen sowie zwischen der Spritzmörtel-/ Spritzbetonoberfläche und der benachbarten textilen Bewehrungslage müssen mindestens dem Größtkorndurchmesser entsprechen und dürfen 5 mm nicht unterschreiten. Die Bestimmung der Trockenrohdichte erfolgt an Scheiben ohne textile Bewehrung mit einer Dicke von 8 bis 15 mm, die aus den Bohrkernen für die Verbundfestigkeitsprüfung präpariert werden. 252 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Rissverteilende textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten zur dauerhaften Instandsetzung von Bauwerksoberflächen Bild 5: Verbundkörper für die Systemprüfung, Schnittmuster Literatur [1] BAW-MITEX (2019): Merkblatt Flächige Instandsetzung von Wasserbauwerken mit textilbewehrten Mörtel- und Betonschichten (MITEX). Bundesanstalt für Wasserbau. [2] ZTV-W LB 219 (2017): Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen - Wasserbau (ZTV-W) für die Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken (Leistungsbereich 219), Ausgabe 2017. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). [3] IH-RL (2017): Richtlinie für Instandhaltung von Betonbauteilen -- Gelbdruck -- Deutscher Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb). [4] DIN EN 14487-1: 2006 Spritzbeton - Teil 1: Begriffe, Festlegungen und Konformität. [5] DIN 18551: 2014 Spritzbeton - Nationale Anwendungsregeln zur Reihe DIN EN 14487 und Regeln für die Bemessung von Spritzbetonkonstruktionen. [6] BAWEmpfehlung (2017): Instandsetzungsprodukte - Hinweis für den Sachkundigen Planer zu bauwerksbezogenen Produktmerkmalen und Prüfverfahren. Bundesanstalt für Wasserbau. [7] DIN 18200: 2018 Übereinstimmungsnachweis für Bauprodukte - Werkseigene Produktionskontrolle, Fremdüberwachung und Zertifizierung (2018). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 253 Innovative Verstärkung von Bestandsbrücken Christian Dommes Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Christian Knorrek Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Josef Hegger Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Zusammenfassung Brücken stellen essentielle Verbindungen im kommunalen und Fernstraßennetz dar. Neben Alterserscheinungen setzt den Brücken auch das stark gestiegene Verkehrsaufkommen zu, sodass sich laut BMVI allein bei den Bundesfernstraßen weit über 2.200 Brücken in einem kritischen Zustand befinden. Die Traglastreserven dieser Bauwerke stoßen in vielen Fällen bereits jetzt an ihre Grenzen und müssen dringend erhöht werden, um auch das zukünftig zu erwartende Verkehrsaufkommen aufnehmen zu können. Am Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen werden daher in enger Zusammenarbeit mit mehreren Industriepartnern theoretische und experimentelle Untersuchungen durchgeführt, um ein neuartiges Konzept zur ganzheitlichen Verstärkung von Bestandsbrücken in Massivbauweise zu entwickeln. Durch die unterschiedlichen Applizierungsorte der Verstärkungsmaßnahmen sollen die Druck- und Zugzone verstärkt und die Querkrafttragfähigkeit erhöht werden. Die Verstärkung kann dabei gezielt spezifische Traglastdefizite ausgleichen ohne das Eigengewicht der Brücke maßgeblich zu erhöhen, da innovative Materialien samt neuartigen Applikationsverfahren verwendet werden. Dadurch ist die Ertüchtigungsmaßnahme auf eine Vielzahl von Brückenbauwerken anwendbar. 1. Einleitung Brücken sind für die Verkehrsinfrastruktur von höchster Bedeutung und stellen wichtige Verbindungen im Bundesfern- und kommunalen Straßennetz sowie im Schienenverkehr dar. Mehr als 2.200 der knapp 40.000 Brücken im Bundesfernstraßennetz sind in einem kritischen Zustand. Davon sind mehr als 90% in Stahl- oder Spannbetonweise gebaut. Neben dem stark gestiegenen Verkehrsaufkommen sind Tragfähigkeitsdefizite aufgrund des Alters der Bestandsbrücken und der Bauart sowie einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes für den hohen Sanierungsbedarf verantwortlich. So sind gerade in den alten Bundesländern eine Vielzahl der bestehenden Brücken in der Nachkriegszeit errichtet worden. Die damaligen Lastananahmen decken die prognostizierte Zunahme der Beförderungsleistungen im Straßengüterverkehr zwischen 1980 und 2030 von 760% nicht ab. Zudem nimmt die Anzahl der genehmigungspflichtigen Schwerlasttransporte jedes Jahr weiter zu [7]. Durch das BMVI wurde 2013 daher die „Strategie zur Ertüchtigung der Straßenbrücken im Bestand der Bundesfernstraßen“ mit dem Ziel der Erhöhung bzw. Wiederherstellung der Tragfähigkeit von bestehenden Brückenbauwerken entwickelt. Neben Brückenneubauten soll dabei die Brückenertüchtigung als wirtschaftliche Alternative verfolgt werden [2]. Für eine Verstärkungsmaßnahme ist im Allgemeinen nicht das Bauteil entscheidend, sondern die Beanspruchungsart. So müssen Brückenquerschnitte sowohl für Zug- und Druckals auch für Querkraftbeanspruchungen verstärkt werden. Bestehende Verstärkungskonzepte weisen allerdings gravierende Nachteile auf, weil diese aufgrund des Platzbedarfes häufig nur beschränkt eingesetzt werden können, nur lokal wirken oder das Eigengewicht drastisch erhöhen. Zudem ist die Instandsetzungsmaßnahme i.d.R. langwierig und bedarf einer umfangreichen Sperrung von Fahrbanen, sodass der Verkehrsfluss erheblich belastet wird. Es müssen daher effektive, schnelle und kostengünstige Lösungen zur Instandsetzung und Verstärkung entwickelt werden, damit die Bestandstragwerke bestmöglich ertüchtigt und die geplante Lebensdauer eingehalten werden kann. Innovative Lösungen mit einem Preisleistungsvorteil stellen für Bund, Länder, Kommunen und private Brückeneigner eine wirtschaftliche Alternative dar und reduzieren das Problem der ausgereizten Traglastreserven und der Überbelastung deutlich. Am Lehrstuhl und Institut für Massivbau (IMB) der RWTH Aachen University wurden daher theoretische und experimentelle Untersuchungen durchgeführt, um neue und innovative Konzepte zur ganzheitlichen Verstärkung von Bestandsbrücken zu entwickeln. 254 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Innovative Verstärkung von Bestandsbrücken 2. Experimentelle Untersuchung 2.1 Versuchskörper Um eine Verstärkungsschicht aktivieren zu können, müssen die auftretenden Kräfte von der Fuge zwischen Bauwerk und Ertüchtigungsmaterial aufgenommen werden können. Zur Untersuchung dieser Kraftübertragung wurden insgesamt 26 Schubversuche an Verbundfugen durchgeführt, siehe Abbildung 1. Hierbei wurden zwei verschiedene Verstärkungssysteme aus einem Ultrahochfesten Beton (UHPC) und einem mikrobewehrten hochfesten Mörtel auf einen Altbeton (C20/ 25) appliziert. Der Altbeton repräsentiert eine Bestandsbrücke aus den 1950-Jahren. Die Einflüsse der Oberflächenrauigkeit und mechanischer Verbundmittel wurden für verschiedene Fugenlängen untersucht. Es wurde keine fugenkreuzende Bewehrung angeordnet. Lediglich die mit einer Mörtelschicht mit Mikrostahlarmierung verstärkten Versuchskörper wiesen eine Bewehrung parallel zur Fugenoberfläche auf, siehe dazu Abbildung 2. In Tabelle 1 ist die Versuchsmatrix dargestellt. Abbildung 1 - Versuchsaufbau der 26 Push-Off Tests Tabelle 1 - Versuchsmatrix Material Fugenfläche Anzahl Verbundmittel Rautiefe ØSchubspannung [-] [cm] [-] [-] [mm] [N/ mm²] UHPC 35 x 20 7 - 6 3,7 35 x 20 7 1 x Hilti HUS-6 6 3,3 Mörtel 35 x 20 3 - 1,5 3,3 35 x 20 3 1 x Ducon 12.9 Ø6mm 1,5 3,2 70 x 20 3 - 1,5 2,8 70 x 20 3 2 x Ducon 12.9 Ø6mm 1,5 2,9 2.2 Versuchsaufbau und -durchführung Um die in der Fuge übertragbaren Spannungen zu ermitteln, wurden zwei L-förmige Versuchskörper in Push-Off Versuchen bis zum Versagen belastet. Auf den Altbetonkörper wurden in horizontaler Position die verschiedenen Verstärkungsschichten betoniert. Um Schiefstellungen während der Versuche auszugleichen, wurde die Kraft mittels einer Kalotte in die Prüfkörper eingeleitet. Die Belastung erfolgte weggesteuert, d.h. die erforderliche Druckkraft zum Erzeugen der Verformung wurde kontinuierlich gemessen. Die verwendeten Materialien und die Baustoffkennwerte können Tabelle 2 entnommen werden. Abbildung 2 - Anordnung der Mikrostahlarmierung Tabelle 2 - Baustoffkennwerte Material Druckfestigkeit E-Modul Größtkorn [-] [N/ mm²] [N/ mm²] [mm] Altbeton 25 30000 32 UHPC 190 54000 2 Mörtel 100 38000 1 - 2 Um die Bauteilverformungen während der Versuche zu erfassen, wurden sowohl induktive Wegaufnehmer auf der Oberfläche der Versuchskörper angebracht als auch ein optisches Messverfahren genutzt. Neben der Fugenöffnung vertikal zur Fugenebene wurde die Fugenverschiebung parallel zur Fugenebene mit Wegaufnehmern dokumentiert. In Abbildung 3 ist die Anordnung der Messtechnik für einen Versuchskörper mit 35 cm Fugenlänge dargestellt. Durch das beidseitige Aufbringen der Wegaufnehmer konnte eine ungewollte Verdrehung des Versuchskörpers während der Belastung ausgeschlossen und somit ein symmetrischer Lastabtrag nachgewiesen werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 255 Innovative Verstärkung von Bestandsbrücken Abbildung 3 - Anordnung der Messtechnik 2.3 Ergebnisse 2.3.1 Auswertungskonzept Die Versuche werden mit Hilfe von Schubspannungs- Verformungsdiagrammen ausgewertet. Dazu wird die gemessene Kraft auf die Fugenfläche nach Tabelle 1 aufgeteilt. Die Diagramme wurden um den Effekt des Kriechens bereinigt, welcher während der Belastungspausen zum Dokumentieren der Risse auftrat. Die Risse lassen sich in zwei Kategorien einteilen: • Biegerisse im Anschnitt des kurzen Schenkels im Altbeton • Schubrisse im Fugenbereich Die Biegerisse treten lediglich aufgrund des Versuchsaufbaus auf und sind nicht Gegenstand der Untersuchung. Aufgrund der geringeren Festigkeit treten die Biegerisse fast ausschließlich im Altbetonkörper auf. Die Auswirkungen auftretender Biegerisse werden durch die Auswertung der Verformungen über die fugennahen Wegaufnehmer der Verstärkungsschicht minimiert. Aufgrund des höheren E-Moduls der Verstärkungsschicht erfassen diese geringere Stauchungen im Betonkörper als der entsprechende Wegaufnehmer am Altbeton. Schubrisse im Fugenbereich treten erst bei höheren Belastungen unmittelbar vor dem spröden Versagen der Fuge auf und sind dadurch schwer zu erfassen. Ein repräsentatives Bruchbild eines mit einer UHPC-Schicht verstärkten Versuchskörpers ohne Verbundmittel ist in Abbildung 4 dargestellt. Abbildung 4 - Rissbild nach Versagen der Fuge zwischen Altbeton und UHPC-Schicht In Abbildung 5 sind die Bruchflächen zweier verschiedener Versuchskörper dargestellt. An den unterschiedlichen Färbungen der Bruchflächen ist zu erkennen, dass das Versagen bei Versuchskörper a) im Altbeton (hellgrau) nahe der Fuge und bei Versuchskörper b) in der Fuge (Wechsel von hell- und dunkelgrau) auftrat. Bis auf Untersuchungen mit bewusst geschwächtem Verbund trat das Versagen im Altbeton immer parallel zur Fugenfläche auf. Somit wurde die Tragfähigkeit des Altbetons maßgebend. a) Versagen im Altbeton b) Versagen in der Fuge Abbildung 5 - Bruchflächen zweier Versuchskörper 2.3.2 Einfluss der Verbundmittel Die Hälfte der Versuchskörper wurde mit einem mechanischen Verbundmittel ausgebildet, siehe Tabelle 1. Die Schubspannungs-Verformungsbeziehungen reprä- 256 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Innovative Verstärkung von Bestandsbrücken sentativer Versuchskörper mit Verbundmittel sind in Abbildung 6 in schwarz bzw. der Versuchskörper ohne Verbundmittel in grau dargestellt. Unabhängig vom gewählten Verbundmittel wurde keine Traglaststeigerung durch die Dübel beobachtet. Die Maximallast der Versuchskörper mit Verbundmittel liegt teilweise unter der Tragfähigkeit der Versuchskörper ohne Verbundmittel, da durch das nachträgliche Einbringen der Verbundmittel teilweise eine Schädigung der umliegenden Betonmatrix resultiert. Randl führt eine Abminderung der Traglast in [11] auf einen ähnlichen Effekt zurück. Die Einbindelänge der Dübel in den Altbeton und die Verstärkungsschicht reichte nicht aus, um die Traglast zu erhöhen. Stattdessen zog sich der Dübel nach Versagen der Fuge bei weiterer Belastung aus dem Altbeton heraus. In Abbildung 7 a) ist der in Lastrichtung verformte Dübel und in b) der Betonausbruch dargestellt. Abbildung 6 - Auswirkung von mechanischen Verbundmitteln auf die übertragbare Schubspannung in der Fuge Nach dem Schubversagen der Fuge können die Versuchskörper ohne Verbundmittel keine Lasten mehr übertragen, die zwei L-Körper sind voneinander gelöst. Die Versuchskörper mit Verbundmittel können nach dem Fugenversagen eine deutlich abgeminderte Kraft entsprechend dem Scherwiderstand des Dübels abtragen. Dieser wird allerdings erst mit dem Bruch in der Fuge und dem damit verbundenen Ausfall des Adhäsionstraganteils in der Fuge aktiviert [6]. Abbildung 7 - Auszug und Verformung des Dübels nach Versagen in der Fuge a) im UHPC b) im Altbeton 2.3.3 Einfluss der Rautiefe in der Fuge In Abbildung 8 sind die Schubspannungs-Verformungsdiagramme von Versuchskörpern mit einer Rautiefe von 6 mm in schwarz und mit einer Rautiefe von 1,5 mm in grau dargestellt. Die höhere Rautiefe führt zu einer ca. 15% höheren übertragbaren Schubspannung in der Fuge bei gleichzeitig geringeren Verformungen. Randl [11] bestätigt den positiven Einfluss der Oberflächenrauigkeit in der Fuge auf deren Schubsteifigkeit. Abbildung 8 - Auswirkung der Rautiefe auf die übertragbare Schubspannung in der Fuge 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 257 Innovative Verstärkung von Bestandsbrücken Die größere Rautiefe ermöglicht zudem eine Kraftübertragung bei sich öffnenden Fugen. Die entsprechenden Verläufe sind in Abbildung 9 in schwarz dargestellt. Es ist zu erkennen, dass die Kraft für eine Rautiefe von 6 mm mit steigender Rissöffnung länger übertragen werden kann. Abbildung 9 - Auswirkung der Rautiefe auf die Fugenöffnung 2.3.4 Einfluss der Fugenlänge Der Einfluss der Fugenlänge ist in Abbildung 10 anhand von Versuchen mit einer Fugenlänge von 35 cm (schwarz) und 70 cm (grau) dargestellt. Die Fugenverschiebung wurde dazu über die Fugenlänge normiert. Die Körper weisen unabhängig von der Fugenlänge eine ähnliche Steigung auf, somit hat die Fugenlänge keinen sichtbaren Einfluss auf die Steifigkeit der Fuge. Nach Claßen [3] werden Schubspannungen überwiegend über die Randbereiche der Fuge übertragen. So können über kürzere Fugen höhere mittlere Spannungen übertragen werden, da sich kein ausgeprägtes Tal in der übertragbaren Schubspannung ausbilden kann, siehe Abbildung 11. Aus diesem Grund nehmen die über die Fugenfläche gemittelten Spannungen mit zunehmender Länge der Fugen ab. Abbildung 10 - Auswirkung der Fugenlänge auf die übertragbaren Schubspannungen in der Fuge Abbildung 11 - Verlauf der Schubspannungsübertragung bei variierender Fugenlänge a) für eine lange Fuge b) für eine kurze Fuge 3. Versuchsnachrechnung Zur Überprüfung gängiger Bemessungsansätze werden die rechnerischen Tragfähigkeiten für die durchgeführten Versuche bestimmt. Die Schubkrafttragfähigkeit in der Fuge wird je nach Bemessungsansatz auf verschiedene Traganteile zurückgeführt. Die hier dargestellten Ansätze setzen in der Fuge folgende drei additive Traganteile an: • Adhäsion • Reibung • Bewehrung Das simple additive Zusammenführen der unterschiedlichen Traganteile wird in der Literatur diskutiert. Untersuchungen von Reinecke [12] beschreiben die zeitlich versetze Aktivierung der unterschiedlichen Traganteile. Obwohl die durchgeführten Versuche dies bestätigen, wird die zeitversetzte Aktivierung weder in den 258 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Innovative Verstärkung von Bestandsbrücken Euro noch in den Model Codes berücksichtigt. Der Reibung wird aufgrund der fehlenden Kraft senkrecht zur Fugenfläche für die vorgestellte Versuchsreihe kein Traganteil zugeordnet. Abweichungen in den rechnerischen Tragfähigkeiten kommen daher aus unterschiedlich anzusetzenden Adhäsionsbeiwerten je nach Rauigkeit und den eingesetzten Verbunddübeln. In Abbildung 12 sind die rechnerischen Schubtragfähigkeiten der Fuge nach dem Eurocode 2 + NA(D) [4, 5], den Modelcodes von 1990 [8] und 2010 [9] und der amerikanischen AASHTO 2014 [1] für die mit einer UHPC- Schicht verstärkten Körper dargestellt. Zu erkennen ist, dass kein Bemessungsansatz die Tragfähigkeit annähernd richtig quantifiziert. Die höchste Tragfähigkeit, die durch die AASHTO berechnet wird, liegt bei weniger als der Hälfte der im Versuch ermittelten Schubspannung in der Fuge. Nach MC90 ergibt sich die geringste Tragfähigkeit von 1 N/ mm² übertragbarer Schubspannung. Das unterschiedliche Größtkorn des Altbetons und der Verstärkungsschichten wird durch keinen Bemessungsansatz berücksichtigt. Abbildung 12 - Rechnerische Tragfähigkeiten der UHPC Fugen mit einer Rautiefe von 6 mm In Abbildung 13 sind die Tragfähigkeiten für eine Fuge mit 70 cm Länge dargestellt. Da die Fugenlänge in den Bemessungsansätzen nicht berücksichtigt wird und ein Maßstabseffekt somit nicht berücksichtigt werden kann, liefern die Bemessungsansätze hier für die längeren Fugen qualitativ bessere Ergebnisse. Die rechnerische Tragfähigkeit setzt sich aus den Traganteilen der Adhäsion und der Bewehrung zusammen, obwohl die experimentelle Untersuchung zeigt, dass keine Traglaststeigerung durch den Einsatz von Verbunddübeln erreicht werden konnte. Der AASHTO ermittelt auch für die langen Fugen die besten Ergebnisse. Im Gegensatz dazu liefert der MC10 die geringste Tragfähigkeit. Abbildung 13 - Rechnerische Tragfähigkeit der 70 cm Fugen mit Verbunddübeln und einer Rautiefe von 1,5 mm Aus dem Vergleich der Bemessungsansätze untereinander und dem Vergleich mit den Versuchsergebnissen können zwei Schlussfolgerungen abgeleitet werden: • Die untersuchten Bemessungsansätze liefern für alle Prüfkörper eine deutlich verminderte rechnerische Tragfähigkeit in der Fuge gegenüber den durchgeführten Versuchen. • Obwohl nur Bemessungsansätze verglichen werden, welche die Fugentragfähigkeit auf die identischen drei Traganteile zurückführen, unterscheiden sich die rechnerischen Tragfähigkeiten erheblich. Diese großen Unterschiede zeigen, dass bisher keine einheitliche Bemessungsgrundlage existiert. 4. Zusammenfassung und Ausblick Brückenbauwerke in Deutschland müssen in den kommenden Jahren ertüchtigt werden, um den erheblich gestiegenen Verkehrslasten standhalten zu können. Gängige Bemessungsansätze schätzen die Schubkraftübertragung vom Bestandsbauwerk in die Verstärkungsschicht allerdings deutlich zu konservativ ab, dadurch verlieren viele Ertüchtigungsvorhaben ihre Wirtschaftlichkeit bereits in der Planungsphase. Die am Lehrstuhl und Institut für Massivbau der RWTH Aachen University durchgeführten Schubversuche zeigen, dass die rechnerische Tragfähigkeit nach dem in Deutschland gültigen Eurocode 2 je nach Fugenausbildung nicht einmal 50% der experimentell bestimmten Last entspricht. Der Vergleich zu weiteren Bemessungsansätzen verdeutlicht, dass keine einheitliche Bemessungsgrundlage für die Schubkraftübertragung in Fugen existiert. Die durchgeführten Versuche zeigen, dass das nachträgliche Einbringen der untersuchten Verbundmittel zu keiner Traglaststeigerung in der Fuge führt. Eine größere Rauigkeit der Fugenoberfläche ermöglicht neben der erhöhten Tragfähigkeit auch 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 259 Innovative Verstärkung von Bestandsbrücken eine längere Kraftübertragung bei einer sich öffnenden Fuge. Die über die Fugenfläche gemittelte Schubspannung ist für Fugen mit kleiner Fläche höher. Um Brückenertüchtigungen auch für die ausführenden Firmen attraktiver zu machen, muss die Bemessung der Verbundfugen an aktuelle Forschungsergebnisse angepasst werden. Nur so kann die Brückenproblematik entschärft und damit das wirtschaftliche Potential Deutschlands ausgeschöpft werden. 5. Danksagung Die vorgestellten Untersuchungen wurden durch das Förderprogramm „Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWI) gefördert. Die Autoren bedanken sich für die Unterstützung. Literaturverzeichnis [1] American Association of State Highway and Transportation Officials: AASHTO LRFD Bridge Design Specifications. Customary U.S. Units 7th Edition 2014, American Association of State Highway and Transportation Officials, Washington, (2014) [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2016): Brückenmodernisierung im Bereich der Bundesfernstraßen [3] Classen, Martin; Adam, Viviane; Hillebrand, Matthias: Torsion Test Setup to Investigate Aggregate Interlock and Mixed Mode Fracture of Monolithic and 3D-Printed Concrete, in: Derkowski, W; Gwozdziewicz, P; Hojdys, L; Krajewski, P; Pantak, M. (Hrsg.): Concrete - Innovations in Materials, Design and Structures: Proceedings of the 2019 fib Symposium. fib Symposium 2019, Krakow, Poland, (2019), S. 521-528 [4] Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN): Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-2: Allgemeine Regeln - Tragwerksbemessung für den Brandfall. Deutsche Fassung EN 1992-1-2: 2004 + AC: 2008 (DIN EN 1992-1-2: 2010-12), Beuth, Berlin, (2010) [5] Deutsches Institut für Normung e.V. (DIN): Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-2: Allgemeine Regeln - Tragwerksbemessung für den Brandfall (DIN EN 1992-1-2/ NA: 2010-12), Beuth, Berlin, (2010) [6] Heinrich, Jens; Zenk, Thomas; Maurer, Reinhard: Bewehrte Beton-Beton-Verbundfugen bei nachträglicher Verstärkung: Statische Tragfähigkeit, in: Bauingenieur 94 (11), (2019), S. 425-435 [7] Kaschner, R. et al.: Berichte der Bundesanstalt für Straßenwese; Heft B 68, Auswikrungen des Schwerlastverkehrs auf die Brücken der Bundesfernstraßen, (2009). [8] Comite Euro-International du Béton: CEB-FIP Model Code for Concrete Structures. Design Code (Model Code 1990), Thomas Telford, London, Großbritannien, (1991) [9] International Federation for Structural Concrete: Model Code 2010. Final draft - Volume 2, International Federation for Structural Concrete (fib), Lausanne, Switzerland, (2012) [10] Randl, Norbert: Untersuchungen zur Kraftübertragung zwischen Alt- und Neubeton bei unterschiedlichen Fugenrauigkeiten. Dissertation, Fakultät für Bauingenieurwesen und Architektur. Leopold- Franzens-Universität, Innsbruck, (1997) [11] Randl, Norbert; Wicke, Manfred: Schubübertragung zwischen Alt und Neubeton: Experimentelle Untersuchungen, theoretischer Hintergrund und Bemessungsansatz, in: Beton- und Stahlbetonbau 95 (8), (2000), S. 461-473 [12] Reinecke, Ralf: Haftverbund und Rissverzahnung in unbewehrten Betonschubfugen. Dissertation. TU München, München, (2004) 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 261 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Philipp Truffer Truffer Ingenieurberatung AG, Lalden/ Schweiz Zusammenfassung In den letzten Jahren wurden zahlreiche Bauaufgaben mit dem Einsatz von Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) realisiert. UHFB ist ein Hochleistungswerkstoff mit hervorragenden Eigenschaften, welcher jedoch insgesamt hohe Anforderungen an die Mischungszusammensetzung, die Herstellung und die Verarbeitung stellt. Im vorliegenden Beitrag werden unterschiedliche realisierte Projekte mit UHFB vorgestellt. Dabei wird auf die spezifischen Eigenheiten des UHFB eingegangen und anderseits sollen jedoch auch mögliche Probleme erläutert werden. Bei einem bestehenden Parkhaus wurde der UHFB als statisch wirksamer und direkt befahrbarer Belag eingesetzt. Ein anderes Beispiel zeigt die Anwendung des UHFB als Vorsatzschale von Mauern im Spritzwasserbereich einer Strasse. Der UHFB wurde zudem auch als schwimmende Druckverteilplatte auf einer Wärmedämmung ausgeführt. Schliesslich wird noch auf die Qualitätssicherung beim Einsatz von UHFB eingegangen. 1. Einleitung Beim Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) handelt es sich um einen modernen Werkstoff. UHFB wurde in den letzten Jahren international in verschiedenen Bereichen des Bauwesens bei Instandsetzungen oder Ersatzneubauten erfolgreich eingesetzt (siehe hierzu u.a. [1] bis [7]). Im vorliegenden Beitrag sollen anhand von konkreten Beispielen eigene Erfahrungen des Verfassers bei der Anwendung und Qualitätskontrolle von UHFB vorgestellt werden. Die konkreten Beispiele aus der Praxis sollen die spezifischen Eigenschaften und die Fülle von möglichen Anwendungsmöglichkeiten von UHFB darlegen. 2. Was ist Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB)? Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) ist ein Hochleistungswerkstoff mit sehr hohen Festigkeiten, einem extrem dichten Gefüge und ausgezeichneten Dauerhaftigkeitseigenschaften (siehe nachfolgende exemplarische Auslistung): charakteristische Materialkennwerte von UHFB: • Druckfestigkeiten mind. 120 N/ mm 2 in der Praxis werden durchaus Festigkeit bis gegen 200 N/ m 2 erreicht • elastische Grenzzugfestigkeiten 7-12 N/ mm 2 • Elastizitätsmodul 40-60 kN/ mm 2 Diese Eigenschaften werden durch sehr hohe Zement-, Zusatzstoff- und Fliessmittelgehalte und gleichzeitig extrem niedrige Wasser-Bindemittel-gehalte (ca. 0.20) erreicht. Die Bindemittelgehalte betragen z.T. bis gegen 1‘100 kg/ m 3 . UHFB-Anwendungen stellen insgesamt hohe Anforderungen an den Mischungsentwurf/ Konzeption, die Herstellung und die Verarbeitung des Baustoffs. Der UHFB wird im Normalfall direkt auf Platz in speziellen Hochleistungsmischern hergestellt. Die nachfolgenden Abbildungen zeigen die wichtigsten Arbeitsschritte: • In einen ersten Schritt wird der sogenannte Premix in den Mischer gegeben (siehe Abb. 2-1 und 2-2). Es handelt sich dabei um eine vorkonfektionierte Trockenmischung bestehend aus Zement, feiner Gesteinskörnung (Grösstkörn im Normalfall kleiner 1 mm), Quarz- oder Kalksteinmehl sowie Zusatzstoffen wie z.B. Silikastaub. • Anschliessend erfolgt die Zugabe des Wassers und der Zusatzmittel (Hochleistungsverflüssiger). • Erst am Schluss werden die Mikrostahlfasern (Fasergehalt z.T. über 3 Vol-%) hinzugegeben (siehe Abb. 2-3). Die Zudosierung erfolgt dabei von Hand oder über Zudosiermaschinen. Bei der Zudosierung von Hand ist auf eine gleichmässige Faserverteilung zu achten (Vermeidung von sogenannter Igelbildung). In einigen Fällen sind die Mikrostahlfasern bereits dem Premix dazu gemischt. • Die gesamte Mischdauer beträgt dabei insgesamt zwischen 15 und 20 Minuten. 262 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Abb. 2-1: Premix aus Zement, Steinmehl und Silikastaub (links) und den Mikrostahlfasern (rechts) Abb. 2-2: Zugabe des UHFB-Premix in den Mischer, Anlieferung über Bigbags Abb. 2-3: Zudosierung der Mikrostahlfasern (separate Anlieferung in Säcken) von Hand Die zur Zeit eingesetzten Mikrostahlfasern sind gerade und weisen Längen um 12 bis 13 mm auf. Der Durchmesser beträgt dabei zwischen 0.175 bis 0.20 mm. Dies ergibt Faserschlankheiten von über 70. Die Mikrostahlfasern weisen eine sehr hohe Zugfestigkeit von über 2‘400 N/ mm 2 auf. UHFB ist in der Regel, je nach Anwendung, selbstverdichtend und er entlüftet sich folglich selbst. Aufgrund des hohen volumetrischen Feststoffgehalts weist UHFB eine hohe Viskosität auf (siehe Abb. 2-4). «Dies führt zu einer sehr langsamen Fliessbewegung während des Einbaus, in welcher der UHPC bereits wieder eine thixotrope Struktur aufbauen kann.» [8]. Damit besteht dann aber wiederum die Gefahr einer unzureichenden Entlüftung oder Formfüllung (siehe Beispiel 2). Abb. 2-4: hochviskose UHFB-Mischung im Mischer 3. Anwendungen aus der Praxis 3.1 Beispiel 1: Parkhaus P3, Saas Fee Instandsetzung und Verstärkung 3.1.1 Objektbeschrieb und Aufgabenstellung Das Parkhaus P3 in Saas Fee wurde in den Jahren 1979 bis 1981 erbaut. Es liegt im hochalpinen Raum auf einer Meereshöhe von rund 1‘800 Metern. Es handelt sich dabei um eine achtgeschossige Parkhalle mit ursprünglich insgesamt 950 Parkplätzen. Das Tragwerk ist ein offener Skelettbau mit einem mittigen Gebäudekern. Die 20 cm dicken Parkdecken sind mittels kunststoffummantelten Monolitzen ohne Verbund vorgespannt (Stützstreifen- und Feldvorspannung). Nähere Informationen zum Bauwerk sowie zur Zustandsuntersuchung finden sich in [1]. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 263 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Die durchgeführte Zustandsuntersuchung sowie die statischen Überprüfungen zeigten u.a. folgende Ergebnisse: • Die Parkdecks weisen kein Oberflächenschutzsystem auf. • Es sind visuell erkennbare Betonschäden in Form von Rissen und Betonabplatzungen vorhanden. Diese beschränken sich jedoch auf lokale Erscheinungen. • Die Flachdecken weisen praktisch nur im Stützenbereich eine statisch wirksame Bewehrung auf. Aufgrund des damals gewählten hohen Vorspanngrads sind im Feldbereich zwischen den Stützen keine Bewehrungen vorhanden (siehe hierzu auch [9]. • Die Bewehrungen im Stützenbereich weisen grösstenteils eine ungenügende Betondeckung auf. • Es wurden durchwegs stark erhöhte Chloridgehalte bis in mehrere Zentimeter Tiefe und damit auch bis auf die Höhe der Bewehrung und Vorspannung festgestellt. • Zur Gewährleistung der Tragsicherheit und insbesondere des Durchstanzwiderstands ist die Stützenkopfbewehrung und die eingelegte Vorspannung in den Decken zwingend erforderlich. Die nominelle Tragsicherheit ist damit gewährleistet. • Die punktuell durchgeführten Sondageöffnungen in einzelnen Decken sowie die Überprüfung der Verankerungen bestätigten einen einwandfreien Zustand der Vorspannung. Die Monolitzen wurden dabei im Bereich der Sondagen auf einer Länge von rund einem Meter freigelegt. Die freigelegten Litzen wurden anschliessend mittels eines Hammers in Schwingung versetzt (siehe Abb. 3-1) und die Beschleunigung mit Hilfe eines auf der Litze befestigten, hochsensiblen Beschleunigungsmessers gemessen. Mittels Fourier Transformation konnte die Eigenfrequenz der freigelegten Litzenstücke bestimmt und schliesslich auf die verbleibende Spannkraft in den Litzen geschlossen werden. Abb. 3-1: Anregung der freigelegten Monolitze mit einem Gummihammer bei gleichzeitiger messtechnischer Erfassung der Schwingungs-parameter, Messstelle 5.1 Messdurchführung VSL (Schweiz) AG Der Zustand des Parkhauses wurde insgesamt als schadhaft mit einem hohen Gefährdungspotenzial eingestuft, so dass beschlossen wurde, eine ganzheitliche Instandsetzung einzuleiten. Dabei sollte eine Restnutzungsdauer von 50 Jahren angestrebt werden. 3.1.2 Instandsetzungskonzept Aufgrund des baulichen Zustands und unter der gegebenen Randbedingungen wurde für das Parkhaus folgendes Instandsetzungskonzept gewählt: • punktuelle Verstärkung der Parkdecks im Bereich der Stützen (siehe Abb. 3-2) mit einem UHFB • Hierzu wurden die entsprechenden Bereiche mittels Wasserhöchstdruck (HDW) bis auf eine Tiefe von 20 mm freigelegt. Dies hatte zudem den Vorteil, dass bis auf diese Tiefe der chloridverseuchte Beton entfernt werden konnte. • Die Flachdecken waren während den Instandsetzungsarbeiten unterspriesst. • kreuzweise Verlegung einer Stabbewehrung (siehe Abb. 3-3). Die bestehende schlaffe Bewehrung im Stützenkopfbereich wurde statisch nicht mehr berücksichtigt. • Einbau eines UHFB Sorte UA gemäss [11] mit einer Gesamtschichtstärke von 50 mm (siehe Abb. 3-4). Dies ergab eine Überhöhe von 30 mm. Der UHFB wurde dabei oberflächenparallel zur bestehenden Decke eingebaut. • Der UHFB bewirkt neben der Schutzfunktion eine zusätzliche statische Verstärkung (Erhöhung des Biege- und Durchstanzwiderstands). • Die seitlichen Anrampungen zur Überbrückung der Überhöhe wurden schliesslich mit einem kunststoffmodifizierten Zementmörtel der Klasse R4 gemäss SN EN 1504-3 ausgeführt (siehe Abb. 3-5). Abb. 3-2: Grundriss (Ausschnitt) Parkdeck mit den lokalen Verstärkungsmassnahmen mittels UHFB (gelb markiert) 264 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Nachfolgend noch ein paar ergänzende Überlegungen zum Instandsetzungskonzept und der gewählten Ausführungsart: • Auf den ursprünglich vorgesehenen vollflächigen Einbau eines UHFB-Belags wurde verzichtet. Einerseits ist im Feldbereich keine Bewehrung vorhanden und anderseits konnte im Rahmen der vorgängig durchgeführten Eignungsversuche bei den UHFB- Oberflächen ein Herausstehen der Mikrostahlfaser nicht verhindert werden. Dies stellt im vorliegenden Fall nicht unbedingt für die Menschen oder Fahrzeuge ein Problem dar. Damit sollten vielmehr mögliche Verletzungen von Tieren wie z.B. Hundepfoten verhindert werden. • Erfahrungen von anderen ausgeführten direkt befahrenen UHFB-Oberflächen zeigen, dass die herausstehenden Mikrostahlfasern nach relativ kurzer Zeit (Winterperiode) aufgrund der Feuchte- und Chlorideinwirkungen abgetragen sind (siehe [5]). • Beim Einsatz der neuen UHFB-Schicht konnte zudem darauf abgestützt werden, dass nach dem Schweizerischen Merkblatt SIA 2052 [11] reduzierte Bewehrungsüberdeckungen möglich sind («Die Bewehrungsüberdeckung c nom beträgt im Allgemeinen 15 mm.»). Gleichzeitig reduzieren sich auch die Verankerungslängen von gerippten Bewehrungsstählen und Matten aus Bewehrungsstahl auf mindestens den 15-fachen-Bewehrungsdurchmesser. • Die Parkdecks weisen ein Gefälle von 4.5 % auf. Dies führte dazu, dass der UHFB entsprechend thixotroper eingestellt werden musste (siehe Abb. 2-4 und 3-4). Diese Anforderung an die Gefälleignung wurde vorgängig im Rahmen der Einungsprüfung nachgewiesen. • Wie unter 2. erwähnt wird der UHFB im Normallfall selbstverdichtend eingestellt. Im vorliegenden Fall reichte eine Oberflächenbearbeitung mit einem niederfrequenten Abziehbalken um eine optimale Verfüllung und Verdichtung zu erhalten. • In die frische Oberfläche des UHFB wurde am Schluss eine Quarzsandmischung eingearbeitet. • Optional ist noch der Einbau einer vollflächigen Parkdeckbeschichtung OS 8 vorgesehen. • Aufgrund der Bedeutung der Vorspannung beim vorliegenden Parkhaus und aufgrund des guten Zustands der Monolitzen wird für die Vorspannung ein umfassendes Monitoringsystem eingebaut werden. • Schliesslich wird die Instandsetzung noch durch allfällig erforderliche Massnahmen zur Gewährleistung der Erdbebensicherheit ergänzt werden. Abb. 3-3: hydrodynamischer Betonabtrag im Bereich der Stützen mit der neu eingelegten Zusatzbewehrung Abb. 3-4: Einbau des UHFB (steife Konsistenz! ) Abb. 3-5: mit UHFB verstärkte Stützenköpfe auf den Parkdecks 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 265 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis 3.2 Beispiel 2: Instandsetzung Einstellhallen 3.2.1 Objektbeschrieb und Aufgabenstellung Bei den vorliegenden Objekten handelt es sich um insgesamt vier Einstellhallen, welche unmittelbar und parallel zur bestehenden öffentlichen Strasse in den Hang gebaut worden sind (siehe Abb. 3-6). Die Einstellhallen befinden sich auf einer Meereshöhe von rund 1‘300 Metern. Abb. 3-6: Einstellhalle C, unmittelbar neben der öffentlichen Kantonsstrasse Die talseitige Abschlusswand entlang der Strasse ist dabei extremen Einwirkungen aus Taumitteleinwirkungen, Frost, Hitze und mechanischen Einwirkungen durch den Einsatz des Schneepflugs ausgesetzt. Die Zustandsuntersuchungen zeigten u.a. dass die Karbonatisierung bereits hinter die Bewehrung reichte und es waren erhöhte Chloridbelastungen im Sockelbereich der Betonwände bis auf etwa 70 cm Höhe vorhanden. Zudem waren an den exponierten Wänden zahlreiche vertikal verlaufenden Trennrisse festzustellen. Diese dürften die Ursache bei fehlenden Dilatationsfugen sowie thermisch bedingte Spannungen im Beton haben. Die punktuell durchgeführten Rissbewegungsmessungen mittels Rissmonitoren zeigten erhebliche Rissbewegungen (siehe Abb. 3-7). 3.2.2 Instandsetzung Diese Ausgangslage erschwerte eine nachhaltige Instandsetzung der Wände. Starre Mörtelschichten aber auch kunststoffmodifizierte Beschichtungen vermögen nicht die temperaturbedingten Rissbewegungen aufzunehmen. Zudem musste davon ausgegangen werden, dass alle oberflächigen Massnahmen an der strassenseitigen Oberfläche durch Schneepflugeinwirkungen beschädigt oder gar zerstört würden. Aufgrund der mechanischen Kennwerte des UHFB wurde schliesslich im Sockelbereich eine Vorsatzschale aus UHFB der Sorte UA eingebaut. Der UHFB wirkt dabei als Oberflächen- (Chlorideinwirkungen) und Abrasionsschutz. Aufgrund seiner Zähigkeit (Mikrostahlfaserbewehrung) ist er zudem in der Lage die thermischen Spannungen rissefrei zu übernehmen. Abb. 3-7: Oberflächentemperatur- und Rissbewegungsverlauf Aussenwand, Messperiode 1 Woche im April 2019 266 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis • Hierzu wurde vorgängig der chloridbelastete Beton auf deine Tiefe von rund 30 mm und einer Gesamthöhe von 90 cm (inkl. Fundationsbereich) hydrodynamisch entfernt. • Anschliessend wurde der UHFB mit einer Gesamtschichtstärke von ca. 60 mm eingebaut (siehe Abb. 3-8). • Der UHFB wies bei der Herstellung ein Setzfliessmass von 510 mm bei einer Fliesszeit t 500 von 3s auf. Abb. 3-8: Einbau des UHFB im Sockelbereich der Aussenwände der Einstellhalle Abb. 3-9: Bildung einer sogenannten «Elefantenhaut» auf dem UHFB im Kipper Abb. 3-10: eingebauter UHFB im Sockelbereich Die Schwarzfärbung des UHFB ergab sich aufgrund des eingesetzten Zuschlagstoffs. • Der UHFB wurde dabei punktuell mittels Schalungsrüttlern nachverdichtet. Der Einbau erfolgte anfangs am Vormittag bei steigenden hochsommerlichen Temperaturen. Es zeigte sich dabei, dass der UHFB relativ schnell ansteifte (eingeschränkte Konsistenzhaltung), es bildete sich zeitweise auf dem noch nicht eingebauten UHFB eine sogenannte «Elefantenhaut» (siehe Abb. 3-9). Dabei handelt es sich um eine zähe Zementleimschicht, welche die Entlüftung des UHFB erschwerte. Der Einbau und die manuelle Verarbeitung wurden zudem dabei erheblich beeinträchtigt. Das Verarbeitungsfenster für den UHFB musste folglich in den frühen Vormittag vorverschoben werden. Bis auf kleine, lokal bei der Erstetappe vorkommende Schwachstellen konnten keine unzulässigen Hohlstellen und/ oder Entmischungserscheinungen an den ausgeschalten Flächen festgestellt werden (siehe Abb. 3-10). 3.3 Beispiel 3: Instandsetzung Parkhaus 3.3.1 Objektbeschrieb und Aufgabenstellung Bei einem bestehenden Parkhaus in Zermatt musste der befahrbare Aussenbereich mit der Zufahrt instandgesetzt werden. Auf dem Vorplatz über der Einstellhalle waren eine bituminöse Abdichtung und ein Walzasphaltbelag eingebaut. Es war keine Gefälle und somit keine funktionierende Entwässerung vorhanden. 3.3.2 Instandsetzung Aufgrund der beschränkten Höhenverhältnisse, der stark belasteten Fläche (Einwirkung durch Schwerverkehr und Gabelstaplerbetrieb mit Schneeketten) sowie der engen zeitlichen Vorgaben wurde beschlossen auf einer Fläche von rund 290 m 2 einen UHFB-Belag im Gefälle einzubauen. Dieser erfüllt im vorliegenden Fall gleichzeitig 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 267 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis eine Abdichtungsfunktion (Verzicht auf eine zusätzliche Abdichtung) sowie die Funktion eines direkt befahrbaren, abrasionsbeständigen Nutzbelags. Die wesentlichsten Arbeitsschritte lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Abbruch bestehender Asphaltbelag und Verbundabdichtung • Untergrundbearbeitung Decke mittels Feinfräse und anschliessendem Kugelstrahlen • partieller Einbau eines Hartbetonbelags zur Gefällsausbildung (siehe Abb. 3-11). Damit sollte die Einbaumenge des UHFB minimiert werden. • Kugelstrahlen der Hartbetonoberflächen • Einbau von befahrbaren Entwässerungsrinnen (Verdunstungsrinnen) • Einbau von Membran-Abdichtungsbändern entlang der Bauteilanschlüsse an die bestehenden Tore und Wände • Einbau eines Ultra-Hochleistungs-Faserbetons der Sorte UA in 2 Etappen, Schichtstärke variabel, minimal 20 mm, Abstreuung der Oberfläche mit einem Hartstoff • Der UHFB wurde unmittelbar während des Einbaus zwischen- und nach Abschluss mit einem Curing Compound nachbehandelt. Schliesslich wurden die Einbauflächen jeweils am Folgetag noch zusätzlich mit einer PE-Folie vollflächig abgedeckt (siehe Abb. 3-12 und 3-13). Abb. 3-11: Einbau des Hartbetons (Gefällsausbildung) Flügelglättung Abb. 3-12: manueller Einbau des UHFB im Gefälle gegen die neuen Entwässerungsrinnen Abb. 3-13: eingebauter UHFB-Nutzbelag, mit PE-Folien abgedeckt 3.4 Beispiel 4: Einsatz von UHFB als schwimmender und befahrbarer Estrichbelag 3.4.1 Objektbeschrieb und Aufgabenstellung Aufgrund eines Schadenfalls musste bei einem Vierstern- Hotel der Vorplatz im Erdgeschoss und im 1. Untergeschoss instandgesetzt werden. Der bestehende Plattenbelag aus Natursteinen musste dabei vollflächig ersetzt werden. Der Belag im Erdgeschoss wird dabei von Elektrofahrzeugen (Gesamtgewicht bis 4 Tonnen) befahren. Im 1. Untergeschoss bildet der Belag den Aussenbereich einer Wellnessanlage mit einem dazugehörigen Schwimmbad (siehe Abb. 3-16). Währenddem der Belag im 1. UG als Verbundbelag auf der bestehenden Bodenplatte ausgebildet werden konnte, war im Erdgeschoss zwischen der Deckenkonstruktion und dem Belag noch eine zusätzliche Wärmedämmschicht vorhanden. Der Belag hatte hier also zusätzlich noch eine Verteilfunktion zu übernehmen. 268 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis 3.4.2 Instandsetzungskonzept Bei beiden Decken kam ein UHFB-Belag zur Anwendung. Dabei spielten neben den technischen Anforderungen an das gewählte System zusätzlich auch hohe ästhetische Vorgaben (Vierstern-Hotel) eine entscheidende Rolle. Der UHFB auf der Bodenplatte im Lichthof wurde als Verbundbelag eingebaut (siehe Abb. 3-14). Die Schichtstärke betrug 20 mm. Auf eine Abdichtung konnte damit verzichtet werden. Die Anschlussbereiche wurden mittels Membranabdichtungsbändern realisiert. Die konstruktive Ausbildung im Erdgeschoss stellte eine Herausforderung dar. Die ursprünglich vorgeschlagene Druckverteilplatte mit einem Deckenbeton aus dem Verkehrsbereich (frost-tausalzbeständig) war mit einer Dicke von 120 mm grenzwertig und vermochte zudem die Bauherrschaft vom ästhetischen Standpunkt nicht zu überzeugen. Folglich entschied man sich für einen UHFB-Belag. Dieser wurde als schwimmend verlegte Druckverteilplatte mit einer Schichtstärke von 50 mm konzipiert. Die Fugeneinteilung im Belag wurde dabei nur auf die erforderlichen Arbeitsetappen abgestellt. Es wurden keine zusätzlichen Fugen ausgebildet. Durch die reduzierte Dicke des UHFB-Belags konnte die Wärmedämmschicht verstärkt werden. Unter dem UHFB-Belag wurde vorgängig auf der Wärmedämmung/ Gefällsdämmung eine zweilagige Polymerbitumenabdichtung mit einer darüberliegenden Drainschicht eingebaut. Bei beiden Belägen konnten nicht die rohe Oberfläche des UHFB belassen werden. Der Wellnessbereich im 1. Untergeschoss ist Barfussbereich für die Gäste. Allfällig herausstehende Mikrostahlfasern hätten eine permanente Verletzungsgefahr für die Gäste bedeutet. Im Erdgeschoss hätte der fertige UHFB-Nutzbelag nicht den hohen ästhetischen Anforderungen der Bauherrschaft zu genügen vermögen. Abb. 3-14: Einbau UHFB im Verbund auf Bodenplatte im 1. UG Abb. 3-15: Einbau UHFB (schwimmend) im Rampenbereich Erdgeschoss (Gefälle) auf Wärmedämmung und zweilagig verlegter Polymerbitumen-Abdichtung Abb. 3-16: fertig eingebauter UHFB mit Color-Quarz- Einstreuschicht Lichthof Wellness/ Schwimm-bad 1. Untergeschoss Auf die eingebrachten UHFB-Beläge wurden daher jeweils in separaten Arbeitsgängen noch zusätzliche dampfdiffusionsoffene Epoxy-Sandträgerschichten eingebaut. Im UG d.h. im Aussenbereich des Wellness wurde im Barfussbereich diese Schicht mit einem Color-Quarz abgestreut (siehe Abb. 3-16). Im Erdgeschoss wurde eine grün eingefärbte Siliciumcarbid-Abstreuung eingebaut (siehe Abb. 3-17). Dies soll auch einen entsprechenden Abriebwiderstand gegenüber dem Elektrofahrzeugbetrieb auf dem Vorplatz gewährleisten. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 269 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Abb. 3-17: fertig eingebauter UHFB mit Einstreuschicht Siliciumcarbid im Rampenbereich Erdgeschoss Die Ausführung der beiden UHFB-Beläge hat sehr gut geklappt. Einzig die Ausbildung der Arbeitsfugen bedurfte noch entsprechender Anpassungen. Durch die relativ grossen Felder beim schwimmenden UHFB-Belag sind die thermisch bedingten Bewegungen der Platten entsprechend grösser. 3.5 Beispiel 5: Verstärkung einer Brückenplatte mit einem UHFB 3.5.1 Objektbeschrieb und Aufgabenstellung Bei diesem Beispiel galt es auf einer bestehenden Brückenüberführung nachträglich eine statische Verstärkung durchzuführen und gleichzeitig die Abdichtung zu ersetzen. Die Strassenbrücke führt über mehrere Bahnlinien und weist dabei ein beidseitiges Gefälle auf. 3.5.2 Instandsetzungskonzept Wie bereits in einigen Fällen ausgeführt, wurde im vorliegenden Fall ein mit schlaffer Bewehrung verstärkter UHFB auf den vorbereiteten Betonuntergrund eingebaut. Der Einbau erfolgte dabei in mehreren Etappen. Auf die Oberflächen des eingebauten UHFB wurden unmittelbar beim Abziehen ein Zwischennachbehandlungsmittel (Verdunstungsschutz) aufgebracht. Es handelte sich hierbei um eine Emulsion bestehend aus Öl und Wasser. Sobald der UHFB trittfest war, wurde zudem ein flüssiges Nachbehandlungsmittel (Curing Compound) aufgesprüht und die Oberflächen mit einer PE-Folie vollflächig abgedeckt. Nachfolgend soll auf einige spezifische Probleme und Erkenntnisse im Rahmen der Bauausführung eingegangen werden: • Aufgrund der Anforderung an die Gefälleeignung wies der UHFB eine erhöhte Viskosität auf. • Dies war den Beteiligten von Anfang an klar, so dass die entsprechenden Arbeiten während des Hochsommers bewusst auf die Nacht verschoben wurden. • Im Rahmen der ersten Einbauetappe kam es während des Einbaus zu einem längeren Stromausfall, so dass sich die Einbauarbeiten bis in den späten Vormittag hinzogen. • Aufgrund der steigenden Temperaturen und der Sonneneinstrahlung veränderte sich die Konsistenz immer mehr, so dass der Einbau erschwert und schliesslich nicht mehr möglich war (siehe Abb. 3-18). Der Einbau wurde unterbrochen und eine zusätzliche Etappe musste vorgesehen werden. Abb. 3-18: Einbau UHFB 1. Etappe • Trotz der vorgängig beschriebenen Nachbehandlungsmassnahmen wurden am Folgetag auf der UHFB-Oberfläche lokal Risse festgestellt (siehe Abb. 3-19). Es handelte sich hierbei um Frühschwindrisse. Abb. 3-19: Rissbild UHFB-Oberfläche, 1. Etappe 270 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Abb. 3-20: halbierter Bohrkern Fahrbahnplatte mit Riss (Pfeil) im UHFB Zur Abklärung wie tief die Risse im UHFB vorhanden sind, wurden verschiedene Bohrkernproben entnommen und anschliessend im Labor untersucht (siehe Abb. 3-20). Dabei zeigte es sich, dass die Risse maximal 10 mm, bei einem Einzelriss 22 mm tief im UHFB vorhanden waren. 4. Eignungs- und Qualitätskontrollen Das in der Schweiz eingeführte Merkblatt SIA 2052 [11] behandelt u.a. auch den Aspekt der Qualitätssicherung von UHFB. Dabei werden Prüfungen für den UHFB bei den Erstprüfungen, den periodischen Qualitätsprüfungen des Herstellers sowie den Eignungs- und Qualitätsprüfungen auf der Baustelle beschrieben. Die nachfolgende Tabelle 5 aus dem erwähnten Merkblatt fasst die entsprechenden Prüfungen, in diesem Fall für UHFB, welcher als Premix angeliefert wird, zusammen. Im Rahmen der Frisch-UHFB-Prüfungen geht es neben den traditionellen Frischbetonuntersuchen wie der Bestimmung des Wassergehalts, des Luftgehalts und der Rohdichte auch um die messtechnische Ermittlung von Rheologie-Parametern, welche man auch bei der Anwendung von selbstverdichtenden Betonen (SVB) kennt. Die Fliessgrenze bzw. das Fliessvermögen wird dabei über das Setzfliessmass nach EN 12350-8 bestimmt. Die Viskosität wird mit der Fliesszeit t 500 ermittelt. Dabei zeigt die Erfahrung, dass bei UHFB’s mit Gefälleeignung das Setzfliessmass und insbesondere die Fliesszeit nicht unbedingt die geeigneten Untersuchungsmethoden darstellen. Zum Teil kann bei hochviskosen Mischungen die Fliesszeit gar nicht messtechnisch erfasst werden. Allenfalls kann als Alternative zur Bestimmung der Viskosität die Trichterauslaufzeit ermittelt werden. Weitere wichtige Untersuchungsbzw. Nachweiskenngrössen stellt die Verarbeitungszeit dar. Diese definiert den Zeitraum, in welchem der UHFB gutes Fliessverhalten, gute Selbstverdichtung sowie eine gute Selbstentlüftung aufweist. Daneben spielen zusätzlich auch das Rücksteifverhalten und die Temperaturempfindlichkeit des Frisch-UHFB’s eine wichtige Rolle. Verarbeitungszeit und Temperaturempfindlichkeit kennzeichnen schliesslich die Robustheit des UHFB. Die Mikrostahlfasern werden vielfach händisch zur Mischung dazugegeben. Zur Kontrolle des effektiven Fasergehalts im frischen UHFB kann entweder ein Auswaschversuch oder das Stahlfasergerät (siehe Abb. 4-2) eingesetzt werden. Beim letzteren handelt es sich um ein induktives Messverfahren. Abb. 4-2: Stahlfasergerät 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 271 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Abb. 4-1: Tabelle 5 aus [11] Beim ausgehärteten UHFB werden hauptsächlich die Druckfestigkeit und die Biegezugfestigkeit bestimmt. Bei der Biegezugprüfung wird die Kraft-Durchbiegungs- Antwort unter einer 4-Punkt-Biegung eines Prüfkörpers aus UHFB ermittelt (siehe Abb. 4-3). Es handelt sich dabei um einen verformungsgesteuerten Versuch, welcher grosse Anforderungen an die Steuerung der Prüfeinrichtung stellt. Dabei werden Platten mit den Abmessungen 30 mm x 100 mm x 500 mm geprüft. Die Herstellung der entsprechenden Probekörper (siehe Abb. 4-4) beeinflusst die Ausrichtung der Fasern und hat daher je nach Konsistenz einen gewissen Einfluss auf die Ergebnisse. Abb. 4-3: 4-Punkt-Biegezugversuch nach MB SIA 2052 272 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis Abb. 4-4: Herstellung der Probeplatten mit einem relativ hochviskosen UHFB Abb. 4-5: Kraft-Durchbiegungs-Kurven aus dem Biegezugversuch an Platten Abb. 4-6: qualitative Bestimmung des Fasergehalts an einer UHFB-Platte (Querschnitt 30x100 mm) nach dem Biegezugversuch mittels LIPS, Schnittfläche mit Abstand der Faserlänge zum Riss Um schliesslich allfällige Streuungen bei den Ergebnissen der Biegezugversuche auf Plausibilität hin zu untersuchen, besteht u.U. der Bedarf den Fasergehalt und die Faserverteilung am erhärteten UHFB nachzuweisen. Hierzu besteht neben fotooptischen Methoden auch die Möglichkeit der Anwendung der laserinduzierten Plasmaspektroskopie (LIPS). Dieses Verfahren ist u.a. auch in [12] und [13] näher erläutert. Die Abb. 4-6 zeigt eine entsprechende Auswertung. 5. Fazit Mit dem Hochleistungswerkstoff UHFB konnten in den letzten Jahren zahlreiche Anwendungen durchgeführt und entsprechende Erfahrungen gesammelt werden. Typische Anwendungen sind dabei eher flächige und filigrane Bauteile. Für den Einsatz von UHFB bedarf es in 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 273 Erhaltungs- und Instandsetzungsprojekte mit UHFB - Anwendungen und Erfahrungen aus der Praxis jedem Fall einer sorgfältigen Planung und guten Vorbereitung der Ausführung. Zur Erreichung einer ausreichenden Formfüllung in Abhängigkeit der Geometrie des zu füllenden Bauteils sind Mindestanforderungen an die Fliessgrenze und Viskosität festzulegen. Das Fliess- und Entlüftungsverhalten muss an die Fragestellung und an die Bauteilgeometrie angepasst werden. Die Verarbeitungszeiten und auch die Temperaturempfindlichkeit des anzuwendenden UHFB muss bereits im Rahmen von Eignungsprüfungen untersucht und bei der Ausführung berücksichtigt werden. Der Zwischen- und der Nachbehandlung muss bei UHFB-Flächen eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Durch den ohnehin kleinen Wassergehalt verträgt es keine zusätzlichen Verdunstungsverluste beim UHFB. Den Fachleuten stehen heute eine Vielzahl von Möglichkeiten zum Eignungsnachweis und zur Qualitätsüberwachung bei UHFB-Anwendungen zur Verfügung (z.B. Merkblatt SIA 2052 [11]). 6. Ausblick Der Anwendung von UHFB sind grundsätzlich keine Grenzen gesetzt. Er eignet sich u.a. auch für nachfolgende Einsatzgebiete: • Wasserbau: Bauteile mit Anforderungen an einen erhöhten Abrasionsschutz • Industriebau: Bauteile, welche chemischen Einwirkungen ausgesetzt sind • Vorfabrikation: dünnwandige Bauelemente im Fassaden- oder Brückenbau • weitere… Hinsichtlich der Materialtechnologie sind aktuell schon erste Anwendungen von UHFB mit einem Ersatz der Mikrostahlfasern durch synthetische Fasern durchgeführt worden. Im Hinblick auf die Nachhaltigkeit wird es künftig auch darum gehen die CO 2 -Bilanz von UHFB zu minimieren. Dies kann man beispielsweise durch eine Reduzierung des Portlandzementklinkeranteils und des Fliessmittelgehalts sowie den Ersatz der Mikrostahlfasern durch gewellte Stahlfasern grösseren Durchmesser erreicht werden. Literatur [1] Brühwiler E., Oesterle C., Redaelli D.: 3. Fachtagung Ultra-Hochleistungs-Faserbeton 2019, Freiburg/ Schweiz ISBN 978-3-906878-07-2 [2] Brühwiler E. et al: Bau einer Bahnbrücke aus bewehrtem UHFB - Weltweit erste Bahnbrücke aus UHFB auf einer Hauptlinie Beton- und Stahlbetonbau 114 (2019) [3] Methner R., Müller R.: Brückeninstandsetzung, Ertüchtigung und Abdichtung mit Ultrahochfestem- Faserbeton (UHFB) Beton- und Stahlbetonbau 114 (2019) [4] Cuennet St.: Nutzung des Ultra-Hochleistungs- Faserbeton (UHFB) im ASTRA - Rückblicke und Perspektiven 4. Kolloquium Brückenbauten, September 2020, Technische Akademie Esslingen [5] Hadl P. et al: Anwendung von UHPC als direkt befahrener Aufbeton bei der Integralisierung eines bestehenden Brückenbauwerks in Österreich Beton- und Stahlbetonbau 110 (2015) [6] Orgass M. et al: Überführungsbauwerk der L 3378 bei Fulda-Lehnerz, Erster Einsatz von UHPC in Deutschland im Strassenbrückenbau, Teil 2: Betontechnologie und Qualitätssicherung Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018) [7] Fischer O. et al: Deutschlandweit erstmalige Anwendung von UHPFRC im Eisenbahnbrückenbau, Beton- und Stahlbetonbau 114 (2019) [8] Kränkel Th.: Ultrahochfeste Betone: anwendungsorientierte Optimierung hinsichtlich der Verarbeitbarkeit und Festbetoneigenschaften, FKSB-Fachtagung Betontechnologie - aktuelle Themen und Erkenntnisse, 2020 [9] Truffer Ph.: Parkhaus P3, Saas Fee - Moderne Untersuchungsmethoden und ein innovativer Ansatz bei der Instandsetzung eines chloridverseuchten Bauwerks, 9. Kolloquium Parkbauten 2020, Technische Akademie Esslingen [10] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: Ultrahochfester Beton - Sachstandsbericht, 2008, Heft 561 [11] Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein SIA, Zürich: Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) - Baustoffe, Bemessung und Ausführung, SIA 2052: 2016, inkl. Korrigendas [12] Millar St. et al: Chemische Zustandsanalyse von Stahlbetonbauwerken mit der laserinduzierten Plasmaspektroskopie (LIBS), [13] Truffer. Ph. et al: Wie lange noch? - Semiprobabilistische Dauerhaftigkeitsbemessung bei Parkdecks mit Chlorideinwirkung mittels Einbezug von LIBS-Untersuchungen, 9. Kolloquium Parkbauten 2020, Technische Akademie Esslingen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 275 Mobile Konzepte für die Sanierung von Betonbauwerken Simon Liebl Holcim (Deutschland) GmbH, Stuttgart, Deutschland Björn Callsen Holcim (Deutschland) GmbH, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Stahlbetonbauwerke sind langlebige und dauerhafte Konstruktionen. Doch auch diese erreichen die geplante Lebensdauer nur durch regelmäßige Wartung und Sanierung. Ausführungsmängel und fehlende Überwachung können schon vorzeitig zu ungeplanten Sanierungsmaßnahmen führen. Für diese Maßnahmen gibt es zahlreiche etablierte Produkte und Sanierungssysteme. In der Regel sind diese meistens zementbasierte Reparaturmörtel und -betone. Viele Produkte sind auf Trockenmörtelbasis und finden sich in der Rubrik PCC-Mörtel wieder (Polymer Cement Concrete). Diese Mörtel und Betone werden bei größeren Einsatzmengen in Silos direkt auf der Baustelle vorgehalten, bei kleineren Sanierungen in 25kg Säcken. Die Herstellung und Verarbeitung von Sackware ist sehr personal- und zeitaufwändig. Um diese Produkte analog zu Transportbeton in größeren Mengen auf der Baustelle herstellen zu können hat die Fa. Holcim (Deutschland) GmbH eine radmobile Mischanlage entwickelt. Mit dieser Anlage ist es nun möglich viele Sanierungsbetone inklusive modifizierter Transportbetone direkt auf der Baustelle ohne aufwändige Baustelleneinrichtung herzustellen. Im Folgenden werden einige Anwendungen vorgestellt. 1. Radmobile Mischanlage Mitte 2018 beschloss die Fa. Holcim (Deutschland) GmbH eine radmobile Mischanlage zu entwickeln. Diese sollte vollkommen autark direkt auf der Baustelle zementgebundende Baustoffe herstellen können. Der ursprüngliche Fokus lag dabei auf die Produktion von Infraleichtbeton, welcher flächendeckend in Deutschland nicht verfügbar ist, da kein Transportbetonanbieter überall eine entsprechend technisch ausgestattete stationäre Betonmischanlage betreiben kann, um diesen Hochleistungsbeton herzustellen. Dieser Infraleichtbeton ist in seiner Zusammensetzung ähnlich komplex aufgebaut wie polymermodifizierte zementöse Sanierungsmörtel. Daher war von Anfang an geplant diese mobile Mischanlage so flexibel wie möglich zu gestalten, um neben Infraleichtbeton auch konventionellen Transportbeton nach DIN EN 206-1/ DIN 1045-2 herstellen zu können. Dafür wird das Werk von dem Materialprüfungsamt für das Bauwesen der Technischen Universität München fremdüberwacht. Des Weiteren sollten alle handelsüblichen zementösen Baustoffe mit dieser Anlage hergestellt werden können. Abbildung 1: Ansicht radmobile Mischanlage (Quelle: Holcim) Die Anlage besteht aus einer dreiachsigen Sattelzugmaschine von MAN mit einem Kranaufbau von Palfinger. Die Mischanlage und Silos sind auf einem speziellen Plateauauflieger von Fliegl verbaut. Zur autarken Stromversorgung ist ein 130 KW Stromaggregat installiert worden. Daneben befinden sich die verschiedenen Betonzusatzmittel und Zusatzstoffe zur Herstellung der entsprechenden Betonrezepturen. Zwei Bindemittelsilos können mit Zement, Zusatzstoffen oder Trockenmörtel befüllt werden. Von diesen Silos fördern zwei konventionelle Zementschnecken das Bindemittel zum Mischer. Dieser 1m³ fassende leistungsstarke Tellermischer mit Wirbler wird auch in Transportbetonmischanlagen verbaut und hat eine sehr gute Mischwirkung. Dahinter befinden sich zwei Silos für Gesteinskörnungen, welche über Förderbänder in den Mischer dosieren. Auf dem Mischer befindet sich eine Betonzusatzmittelwaage zur Verwiegung der Zusatzmittel. Diese werden mit Zusatzmittelpumpen aus den Lagerbehältern gefördert und verwogen. Be- 276 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Mobile Konzepte für die Sanierung von Betonbauwerken tonzusatzstoffe wie Mikrosilikaslurry oder Polymerdispersionen werden mit einer speziellen Schlauchpumpe gefördert. Zusätzlich ist eine Faserdosieranlage für Polymermikrofasern verbaut. Der Mischer steht auf Wägezellen zur Verwiegung der festen Ausgangsstoffe. Lediglich das Zugabewasser aus dem 2 m³ Wassertank wird mittels geeichtem Durchflussmengenzähler dosiert. Die Anlage wird über eine vollautomatische Steuerung von Dorner betrieben. Abbildung 2: Komponenten der radmobile Mischanlage (Quelle: Holcim) Die Ausgangsstoffe wie der Zement und die Gesteinskörnung werden in Big Bags auf die Baustelle geliefert und mit dem Kran in die Bindemittelsilos bzw. Gesteinskörnungssilos entleert. Abbildung 3: Beladung Anlage mit Big Bags (Quelle: Holcim) Somit ist die radmobile Mischanlage komplett autark und kann an jedem Ort zum Einsatz kommen. Zusätzlich wurde das Betonwerk CSC-GOLD-zertifiziert als weltweit erste mobile Mischanlage. Das Concrete Sustainability Council (CSC) wurde von der „Nachhaltigskeitsinitiative Zement“ initiiert und führte ein weltweites Zertifizierungssystem ein, das Unternehmen im Bereich Beton, Zement und Gesteinskörnung Aufschluss darüber gibt, inwieweit ökologisch, sozial und ökonomisch verantwortlich operiert wird. [1] Abbildung 4: CSC-Zertifikat in Gold (Quelle: Holcim) Abbildung 5: Übereinstimmungszertifikat (Quelle: Holcim) 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 277 Mobile Konzepte für die Sanierung von Betonbauwerken 2. PCC-Trockenmörtel Für die Sanierung von Betonbauwerken gemäß der Instandsetzungs-Richtlinie (RiLi SIB) des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton (DAfStb) [2] haben zahlreiche Anbieter geprüfte PCC-Sanierungssysteme im Angebot. Diese Systeme haben sich über viele Jahrzehnte bewährt und bestehen in der Regel aus fertigen Mischungen in denen bereits alle Komponenten außer dem Zugabewasser enthalten sind. Für größere Baumaßnahmen werden Trockenmörtelsilos direkt auf der Baustelle errichtet und mit Silozügen beliefert. Abbildung 6: Trockenmörtelsilos (Quelle: Sika) Die erforderliche Baustelleneinrichtung und Vorhaltung der Silos ist in der Regel erst ab einem gewissen Volumen wirtschaftlich. Kleinere Sanierungen werden immer noch durch die Herstellung von PCC-Mörtel aus 25kg Säcken im Schaufelmischer durchgeführt. Dies ist sehr personalaufwändig und es sind nur geringe Mengen herstellbar. Bei größeren Mengen von mehreren Tonnen PCC-Mörtel stößt man dabei schnell an die Grenzen des machbaren. Die radmobile Mischanlage ist für diese Einsatzzwecke ideal geeignet. Es können alle in Big Bags verfügbaren Trockenmörtel direkt auf der Baustelle angemischt werden und dort an eine Betonpumpe oder Laderschaufel übergeben werden. Es werden bis zu zehn Kubikmeter Stundenleistung erreicht und ein kontinuierlicher Materialfluss ist gewährleistet. 3. Sanierung mit Ultrahochfestem Beton (UHPC) Die Sanierung von Bauwerken mit UHPC ist in Deutschland noch nicht sehr verbreitet. Dieser Baustoff ist noch nicht genormt, eine entsprechende Richtlinie des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton (DAfStb) ist in Erstellung [3]. Insbesondere für die Sanierung von Brückenbauwerken ist die Verwendung von einer dünnen Schicht UHPC als „overlay“ interessant, da die Funktion der Abdichtung und Tragschicht in einem Produktionsschritt erfolgen kann. In vielen Ländern ist diese Art der Sanierungsmaßnahme bereits etabliert. Abbildung 7: Brückensanierung mit UHPC in Basel (2018) (Quelle: Holcim) Eine weitere Anwendung von UHPC ist der Einsatz von UHPC-Spritzbeton zur Verstärkung von Bauteilen. Diese Anwendung wurde in Deutschland bisher nur in Form eines Forschungsvorhabens getestet [4]. Zum Einsatz kam ein Trockenmörtel von LafargeHolcim aus der DUCTAL-Reihe. Abbildung 8: Anlieferung des DUCTAL-Trockencompounds in Big Bags (Quelle: Holcim) Dieser UHPC wurde mit der radmobilen Mischanlage vor Ort auf dem Versuchsgelände problemlos hergestellt und direkt an die Betonpumpe übergeben. 278 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Mobile Konzepte für die Sanierung von Betonbauwerken Abbildung 9: Baustellenversuch mit DUCTAL Shotcrete (Quelle: Holcim) Die Konsistenz des Spritzbetons war relativ steif eingestellt. Zudem war der Beton mit 250kg/ m³ Mikrostahlfasern bewehrt. Abbildung 10: steife Konsistenz des DUCTAL-UHPC- Spritzbetons (Quelle: Holcim) 4. Polymermodifizierter Transportbeton als Sanierungsbeton Neben PCC-Trockenmörteln können zahlreiche Sanierungsmaßnahmen auch mit konventionellem Transportbeton durchgeführt werden. Der Einsatz erfolgt meistens bei sehr großen Abtragsraten des geschädigten Altbetons mit einsprechend starkem Betonauftrag. 4.1 Sanierungsbeton als Betonersatz Bei dünneren Schichten ist oft der Einsatz von den beschriebenen PCC-Sanierungssystemen erforderlich. Eine weitere Möglichkeit besteht mit der Verwendung eines polymermodifizierten, faserbewehrten, schwindreduzierten Sanierungsbeton als Transportbeton. Diese Betone sind sehr aufwändig in der Herstellung, und daher in einigen Regionen nicht verfügbar. Mit der radmobilen Anlage können diese Betone auf der Baustelle hergestellt werden. Da immer die gleichen Ausgangsstoffe zum Einsatz kommen ist eine erweiterte Erstprüfung und die genaue Auswahl der geeigneten Stoffe möglich. Um einen möglichst gefügedichten Beton herzustellen wird ein CEM III/ A 42,5 N eingesetzt, um einen hohen Chloridmigrationswiderstand von < 5 * 10^-12 m²/ s zu erzielen. 4.2 Reprofilierungsmörtel für Kathodischen Korrosionsschutz (KKS) Eine Sonderform der Sanierung von chloridkontaminierten Bauteilen ist der kathodische Korrosionsschutz. Hierbei werden nicht alle Chloride aus dem Bauteil entfernt, sondern die Bewehrung wird durch das Anlegen eines Gleichstroms kathodisch geschützt. Zur Einbettung der Titanbandanoden und zur Reprofilierung der Betonoberflächen können zugelassene PCC-Mörtel oder geeignete Reprofilierungsmörtel und -betone verwendet werden. [5] Abbildung 11: Montage der Titanbandanoden des KKS- Systems auf der Parkhausdecke (Quelle: Lay) Die Eignung der mineralischen Einbettung ist durch den sachkundigen Planer zu bewerten. Im Gegensatz zu den vorgenannten möglichst dichten Sanierungsbetonen dürfen die Reprofilierungsmörtel keine puzzolanen Stoffe enthalten, welche zu einer nachträglichen Verdichtung des Gefüges führen und somit zu einer Erhöhung des Elektrolytwiderstands. Auch hier wurden schon polymermodifizierte, faserbewehrte und schwindreduzierte Sanierungsbetone als Transportbeton verwendet. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 279 Mobile Konzepte für die Sanierung von Betonbauwerken Diese Betone sind einerseits leichtverdichtend, andererseits sehr thixotrop, so dass sie auch im Gefälle verarbeitbar sind. Abbildung 12: Betoneinbau des Reprofilierungsmörtels mit einer konventionellen Betonpumpe (Quelle: Lay) Mit diesem Beton können in Kombination mit einer Kunststoffdispersion wie dem Sika Control E-260 als Haftbrücke, welche nicht „frisch in frisch“ verarbeitet werden muss, sehr große Flächen in kurzer Zeit reprofiliert werden. 5. Zusammenfassung Jedes Bauprodukt für die Sanierung hat Vor- und Nachteile. Insbesondere die händische Verarbeitung von PCC- Trockenmörteln und UHPC-Trockencompound ist sehr aufwändig. Mit der vorgestellten radmobilen Mischanlage können diese Systeme wirtschaftlich direkt auf der Baustelle in größeren Mengen und ohne Baustellensilos hergestellt werden. Des Weiteren können anspruchsvolle Betone wie in einem Transportbetonwerk, aber ortsunabhängig mit den gleichen Ausgangsstoffen deutschlandweit angeboten werden. Die Fa. Holcim (Deutschland) GmbH plant mit vier Fahrzeugen bis 2023. Somit kann eine flächendeckende Versorgung in Deutschland sichergestellt werden. Literaturverzeichnis [1] Bundesverband der Deutschen Transportbetonindustrie e.V., Concrete Sustainability Council - Einführung in das CSC-Zertifizierungssystem, September 2019 [2] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton, DAfStb- Richtlinie - Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie), Oktober 2001 [3] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton, DAfStb- Richtlinie - Ultrahochfester Beton, Teil 2: Beton, Entwurf Juni 2019 [4] Jungwirth, J.; Kustermann, A.; Dauberschmidt, C.; Strotmann, A.; Pollner, T., Innovative retrofitting and strengthening of reinforced concrete structures using Ultra-High Performance Shotcrete. Proceedings of HiPerMat 2020 5th International Symposium on Ultra-High Performance Concrete and High Performance Construction Materials. Kassel, 11-13 März, 2020 [5] Lay, S., Gutachten zum Elektrolytwiderstand von KKS-Beton, 2018, unveröffentlicht Denkmalpflege/ Mörtel 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 283 Weiterbauen - im ländlichen Raum Dipl.-Ing. Christian Kaiser Zusammenfassung Ein Grossteil des Baubestandes ist 40 Jahre alt oder älter und befindet sich im ländlichen Raum. Häufig werden diese bestehenden Gebäude entweder durch unpassende Materialwahl überformt und in ihrer Gestaltung beeinträchtigt oder durch unpassende Neubauten ersetzt. Dabei wäre die sanfte Weiterentwicklung der Bestandsbauten bei gleichzeitiger Modernisierung ein deutlich nachhaltigere Beitrag für klimagerechtes und ressourcenschonendes Bauen. Die Gesellschaft ist sich einig, dass beim heutigen Bauen stets auch Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt werden müssen. Nur, welche Aspekte sind besonders wichtig und welche sind verzichtbar? Während die einen auf höchstmögliche Energieeinsparung setzen, ist für andere der Verzicht auf Materialien und Energieträger aus fossilen Rohstoffen prioritär. Während Nachhaltigkeitskriterien bei Neubauten oft mühsam umgesetzt werden, bieten Bestandsbauten vielfältige Möglichkeiten, wie ressourcenschonendes und klimagerechtes Bauen umgesetzt werden können. 1. Regionale Baukultur Gerade im ländlichen Raum dominiert eine lokale Baukultur, die heutige Nachhaltigkeitsaspekte auf selbstverständliche Weise berücksichtigt: Es dominieren vor Ort verfügbare Materialien, die geringe Grauenergiebilanzen aufweisen, wie z.B. Massivhölzer, Lehm, Kalk und gebrannte Ziegel. Der ökologische Baustoff Holz findet Anwendung in Konstruktion, Fassade und Innenausbau, während flankierende Baustoffe wie Lehm und Kalk für eine mängelfreie Langlebigkeit sorgen. Gleichzeitig wurden regionale Handwerkstechniken eingesetzt, die zur Herausbildung eigenständiger lokal verwurzelter Bautechnologien führten und die Wertschöpfung in der Region behielten. In Grösse, Ausrichtung und Konstruktion sind Bestandsgebäude vorbildlich in die kleinklimatische Umgebungssituation eingebunden. Vor allem aber im Hinblick auf einen möglichst nachhaltigen Lebenszyklus mit hoher Umbaufähigkeit sind Altbauten häufig im Vorteil. Im Gegensatz hierzu lassen konventionelle Neubauten diese regionale Verwurzelung oder auch nur die Einbindung in bestehende Strukturen vermissen, da diese aus ortsungebundenen industriell hergestellten Baustoffen unter dem Primat von Kosteneinsparung und schnellen Bauzeiten erstellt werden. In Funktion und Ausführung sind Neubauten nur auf die konkrete Bauaufgabe ausgerichtet und bieten nur geringe Optionen für eine spätere Umbaufähigkeit. Ein kurzer Lebenszyklus mit gleichzeitig hohem Müllaufkommen (beim Abbruch) ist damit Teil der Planungsgrundlage. 2. Hohes Umbaupotential im Bestand Dabei liegt ein grosses Potential gerade im Umbau und der Umnutzung von Bestandsbauten im ländlichen Raum. Leer stehende Scheunen, still gelegte Werksgebäude und Gaststätten, aber auch vielfach überdimensionierte Nutzgebäude in attraktiver Lage können mit geringem Aufwand für neue Nutzungen umgestaltet und auf ein technisch zeitgemässes Niveau gebracht werden. Dabei sollte jedoch darauf geachtet werden, dass die Eigen- und Besonderheiten des Bestandes nicht verloren gehen, sondern gestärkt werden. Immerhin prägen diese Gebäude das Erscheinungsbild der Ortschaften und gebauten Landschaften. Auch in der Materialisierung zerstören moderne und unpassende Baustoffe die bestehende Struktur. Daher empfehlen sich sensible Konzepte eines Umbaus mit gleichartigen Materialien - eben ein Konzept des „Weiterbauens“. So können bestehende Konstruktionen aus Holzblockbauweisen oder Fachwerk weitergeführt und mit natürlichen Materialien für moderne Gestaltung und zeitgemässen Komfort ertüchtigt werden. 3. Lerning from the past Am Beispiel einer durch Jahrhunderte geprägten Baukultur mit eigenständigen konstruktiven Techniken und streng ressourcenoptimierter Bau- und Handwerkskunst lässt sich ablesen, wie die Verbindung der vielfältigen Nachhaltigkeitsaspekte nicht nur gelingen kann, sondern auch zu einer identitätsstiftenden und verbindenden Klammer für unsere Siedlungen und Landschaften wird. Regionale Baukultur wird somit zum vorbildhaften Gegenentwurf zu einer beliebig gewordenen Planungskultur, die ohne Berücksichtigung und Kenntnis der kleinräumlichen und klimatischen Situation den immergleichen seriellen Bautypus an jedem beliebigen Ort dieser Welt planen und bauen kann. 284 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Weiterbauen - im ländlichen Raum Zudem zeigt sich an alten Häusern, dass der Verzicht auf synthetische Materialien, Kunst- und Giftstoffe, sowie auf starren Beton zu einem sehr dauerhaften Bautypus führt, der noch dazu mit einem sehr guten Raumklima führt. Weiterhin bestechen die mit natürlichen Materialien umgebauten Altbauten mit einer hohen sinnlichen und hatischen Qualität der Innenräume und Oberflächen, die zu einer eigenen Identität der Gebäude führen. Gerade auch bei heutigen Umbauten alter Gebäude sollte daher nicht mit neuen ortsfremden Materialien eingegriffen werden, sondern die bestehende Konstruktion weitergeführt und für heutige Bedürfnisse verbessert werden. So können Altbauten auf nachhaltige Weise „weitergebaut“ werden. Dies erlaubt auch ergänzende An- und Umbauten, sowie ergänzende Neubauten. Gerade in Zeiten eines zunehmenden gesellschaftlichen Orientierungs- und Identitätsverlustes ist dies ein wichtiges Anliegen, um nicht den ererbten Schatz an Bauten, Ortsbildern und handwerklicher Kunst gegen eine austauschbare Baukultur der verputzten Dämmfassade zu verlieren. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 285 SalzTransportPutz - Stabilität durch die Porenstruktur? Dr. rer. nat. Andreas Zahn MC-Bauchemie Müller GmbH & Co. KG, Leipzig Dr. rer. nat. Andreas König Universitätsklinikum Leipzig AöR, Poliklinik für zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde, Leipzig Jonas Hallmann MC-Bauchemie Müller GmbH & Co. KG, Leipzig Zusammenfassung Feuchteregulierungsputze - optimiert für den Salztransport - wurden mit Mikroröntgencomputertompgraphie (µXCT) untersucht. Damit wird ein ortsaufgelöster Einblick in die Makroporenstruktur dieser SalzTransportPutze ermöglicht. Über 90 % des Gesamtmakroporengehaltes wird erstaunlicher Weise durch eine einzige Pore ausgebildet. Diese Pore bildet ein dreidimensionales Makroporennetzwerk in der Putzmatrix und keinen in sich geschlossenen, geometrischen Körper. Das bedeutet für die Praxis, dass kristallisierende Salze stets ausreichend Hohlraum zur Ausbildung ihrer Kristallstruktur finden, ohne die Putzmatrix zu zerstören. Dies gilt nicht nur für die Putzoberfläche, sondern auch für das Innere der Putzschicht. Jenes dreidimensionale Makroporennetzwerk ist für die Langzeitstabilität der Putzmatrix verantwortlich und funktioniert selbst bei mittleren bis hohen Salzlasten. Es konnte nicht nur in Laborprismen nachgewiesen werden, sondern auch in Putzproben, die von Bauwerken entnommen und bei denen der Putz in Hand- und in Spritzapplikation eingebaut worden war. Darüber hinaus entsteht dieses Netzwerk sowohl in zementgebundenen als auch in zementfreien NHL-Putzen. 1. Feuchtigkeit und Salze im Mauerwerk Der Feuchtezustand eines Mauerwerks ist vor allem im erdberührten Bereich meist erhöht. Häufig sind horizontal sperrende Schichten eines älteren Mauerwerks nicht mehr intakt oder fehlen gänzlich. Dieser Umstand führt nicht selten zu einem starken kapillaren Sog insbesondere im Sockelbereich eines Gebäudes. Ähnlich feuchtebelastet sind erdberührte Mauern (Umfassungsmauern, Stützmauern u.a.). Die eingetragene Feuchtigkeit ist in der Regel kein reines Wasser, sondern mehr oder weniger mit wasserlöslichen Salzen (Chloride, Nitrate, Sulfate) angereichert. Außerdem werden auch die in den Baumaterialien vorhandenen wasserlöslichen Salze mobilisiert. Das bedeutet, es benötigt nicht zwingend einen Eintrag von Salzen von außerhalb. Bei einigen Bauwerken wurde das Schadpotential bereits mit der Wahl der Baumaterialien eingearbeitet. In den Verdunstungszonen reichern sich die Salze an und die Salzkristallisationen führen zu den bekannten Mauerwerks- und Putzschädigungen. Jedoch führt nicht nur die Kristallbildung in den Trocknungsbereichen zur Schädigung. Die mauerwerksschädigenden Salze sind oftmals in der Lage Kristallstrukturen mit unterschiedlicher Anzahl von Wassermolekülen in der Elementarzelle auszubilden. Somit können auch Umkristallisationen bei Änderungen der Mauerwerksfeuchte zu kristallisationsbedingten Schäden führen. Eine „Trockenlegung“ feuchte- und salzbelasteter Mauerwerke ist vielfach nicht möglich, nicht erwünscht oder aufgrund von Anforderungen aus dem Denkmalschutz nicht gestattet. 2. Feuchteregulierung mit Funktionsputzen nach WTA Im WTA-Merkblatt 2-14 [01] „Funktionsputze“ ist unter dem Aspekt der Beeinflussung des Wassertransports die „Feuchteregulierung - Wasserabgabe aus dem Mauerwerk ohne Schädigung des Putzes“ als spezielle Funktion enthalten. Anwendungsziel ist hier dauerhaftes Verputzen von stark durchfeuchtetem Mauerwerk. Für diese, nicht hydrophob eingestellten Putze wird eine Kombination aus überwiegend Kapillarporen (0,1 - 100 µm) und Luftporen (> 100 µm) zur Beeinflussung des Wasser- und Salztransportes definiert. Gelöste Salze werden in Richtung Oberfläche transportiert und können in Luftporen oder an der Oberfläche auskristallisieren. Die Gesamtporosität soll 40 - 60 Vol.-% betragen. 286 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 SalzTransportPutz - Stabilität durch die Porenstruktur? 3. Porositätsuntersuchungen 3.1 Feuchteregulierungsputz (2010) In den Ausführungen „Feuchteregulierungsputz: Feuchte- und Salztransport in einem porositätsoptimierten Putzsystem“ [2] wurde mit Hg-Druckporosimetrie der Kapillarporenanteil und die Porenradienverteilung des von uns betrachteten Feuchteregulierungsputzes bestimmt. Die Gesamtporosität wurde aus der Bestimmung von Roh- und Reindichte ermittelt. Der Luftporenanteil (Makroporen > 100 µm) konnte somit aus der Differenz berechnet werden. Diese Eigenschaften wurden so auch an einem Sanierputz ermittelt. Porensystem - Feuchteregulierungsputz (2010): - Kapillarporen < 100µm 27,8 Vol.-% - Gesamtporosität 53,9 Vol.-% - Makroporen > 100 µm berechnet 26,1 Vol.-% Porensystem - Sanierputz (2010): - Kapillarporen < 100µm 45,2 Vol.-% - Gesamtporosität 54,3 Vol.-% - Makroporen > 100 µm berechnet 9,1 Vol.-% Der von uns betrachtete Feuchteregulierungsputz zeichnete sich durch einen relativ hohen Makroporenanteil aus. Wir haben damals bereits geschlussfolgert, dass der Feuchteregulierungsputz nicht nur ein enges Kapillarporensystem besitzt, sondern insgesamt sehr breit gefächerte Porengrößen aufweist. Dadurch wird der kapillare Sog im Wesentlichen unterbunden und die gelösten Salze werden an die Oberfläche transportiert und können kristallisieren. Antworten auf die Fragen „Was passiert bei vollständiger Austrocknung des Putzes? “ und „Zerstören die Kristalle das Putzgefüge im Inneren des Putzes? “ konnten wir nicht geben. 3.2 Feuchteregulierungsputze - optimiert für den Salztransport In Fortführung dieser Untersuchungen haben wir uns speziell auf Feuchteregulierungsputze konzentriert, die augenscheinlich auch bei hohen Salzlasten Stabilität im Putzgefüge aufweisen. Diese Feuchteregulierungsputze werden nachfolgend als SalzTransportPutze (STP) bezeichnet. Für die Porositätsuntersuchungen wurden folgende Proben herangezogen: STP 01 (2016) Probe aus einem 40x40x160 mm Prisma, im Labor hergestellt Bindemittel Zement, Zuschlag Kalkstein-Brechsand- Sieblinie µXCT-Probe ca. 20x20x90 mm STP 02 (2019) Probe aus einer Putzfläche geschnitten - BV Plötzky Putz wurde mit der Hand gemischt und verarbeitet, Putzstärke ca. 3 cm Bindemittel NHL, Zuschlag Kalkstein-Brechsand-Sieblinie µXCT-Probe ca. 15x15x25 mm STP 03 (2018) Probe aus einer Putzfläche geschnitten - BV Pöthen Putz wurde maschinell verarbeitet (G4, Nachmischer, D4-2 LP, 26 m Schlauch - Innendurchmesser 30 mm), Putzstärke ca. 6 cm Bindemittel Zement, Zuschlag Kalkstein-Brechsand- Sieblinie µXCT-Probe ca. 20x20x60 mm STP 04 (2018) Probe aus einer Putzfläche geschnitten - BV Pöthen Putz wurde maschinell verarbeitet (G4, Nachmischer, D4-2 LP, 26 m Schlauch - Innendurchmesser 30 mm), Putzstärke ca. 6,5 cm Bindemittel NHL, Zuschlag Kalkstein-Brechsand-Sieblinie µXCT-Probe ca. 20x20x60 mm Da bisherige Untersuchungen an unseren Feuchteregulierungsputzen zum Porensystem mit Hg-Druckporosimetrie und Bestimmung von Roh- und Reindichte keinen detaillierten Einblick in das Makroporensystem gestatten, haben wir die Mikroröntgencomputertomographie (µXCT) ausgewählt, mit der Poren > 40 µm ortsaufgelöst bestimmt werden können. Dazu wurde ein Industrietomograph mit einer Feinfokusröntgenröhre (Öffnungsdurchmesser 3mm, Wolfram Target) und einem 2D-Detektor benutzt. Bei den länglicheren Proben (STP 03 (2018), STP 04 (2018)) wurden die digitalen Datensätze nach einer Kalibrierung der Grauwertverteilungen miteinander verbunden [3]. Die Messungen erfolgten ortsaufgelöst entlang der Probenlängsachse. (Abb. 1) Abb. 1: ortsaufgelöste Makroporosität (3D) entlang der Probenachse Aus den µXCT-Messungen sind folgende grundsätzlichen Ergebnisse ermittelt worden: - ortsaufgelöste Makroporosität - Porenanzahl (Makroporen) in den Porenklassen (Anlehnung an DIN EN 480-11) 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 287 SalzTransportPutz - Stabilität durch die Porenstruktur? - Sphärizität der Makroporen in den einzelnen Porenklassen - ortsaufgelöste, dreidimensionale Darstellung des Makroporensystems Abb. 2: örtlich aufgelöste Gesamtporosität - STP 01 Die örtliche aufgelöste Makroporosität entlang der Längsachse der Probe STP 01 (Laborprisma 2016) zeigt einen Verlauf mit relativ geringen Abweichungen. Der gemittelte Wert liegt > 23 Vol.-%. (Abb. 2) Die ortsaufgelöste Makroporosität der Proben STP 02 - 04 ist in Abb. 3 dargestellt. Hierfür wurde in Längsrichtung die Makroporosität für jedes einzelne Schnittbild ermittelt und als Liniendiagramm dargestellt. Die Abbildung verdeutlicht, dass sich die Makroporosität im Längsquerschnitt einer Probe im Mittel (Standardabweichung) um max. 2,7 Vol.-% verändert. Abb. 3: ortsaufgelöste Gesamtporosität - STP 02-04 In den nachfolgenden Diagrammen sind Porenanzahl, Porosität in Vol.-% und die Sphärizität der Poren für die einzelnen Porenklassen dargestellt. Die Werte beziehen sich auf ein Volumen von 12x12x25 mm = 3.600 mm 3 . Die Sphärizität, auch Zirkularität genannt, ist eine charakteristische Größe in der Granulometrie zur Beschreibung des Rundungsgrades. Die Größe wird aus dem Verhältnis zwischen spezifischer Oberfläche und dem Volumen berechnet. Die Sphärizität kann maximal den Wert 1, was einer Kugel entspricht, erreichen. Abb. 4a: STP 02 (2018) Abb. 4b: STP 02 (2019) Abb. 5a: STP 03 (2018) 288 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 SalzTransportPutz - Stabilität durch die Porenstruktur? Abb. 5b: STP 03 (2018) Abb. 6a: STP 04 (2018) Abb. 6b: STP 04 (2018) Anhand des Vergleiches zwischen Anzahl an Poren sowie anteiligem Porenvolumen wird deutlich, dass der überwiegende Anteil am Gesamtporenvolumen in einem einzigen großen Porennetzwerk vorliegt. Kleine Poren mit einer Größe von ≥ 40 µm kommen zwar in großer Anzahl vor, tragen aber auf Grund ihres sehr geringen einzelnen Porenvolumens nur einen sehr geringen Anteil am Gesamtmakroporenvolumen bei. In allen untersuchten Fällen nimmt die größte einzelne Pore über 90 % des Gesamtmakroporenvolumens ein. Die mit steigender Porengröße abnehmende Sphärizität verdeutlicht, dass es sich bei den großen Poren nicht um kuglige Luftporen, sondern um Fehlstellen im Putzgefüge mit einer deutlich größeren spezifischen Oberfläche im Verhältnis zu ihrem Volumen handelt. Es sind jedoch immer noch geschlossene geometrische Körper. Das dreidimensionale Makroporennetzwerk wurde computertomographisch als eine Pore nachgewiesen. Miteinander kommunizierende Röhren sind immer nach einer oder mehreren Seiten offen, ohne Materialbegrenzung. Das Makroporennetzwerk kann auch dreidimensional dargestellt werden (Abb. 7-10). Im jeweils linken Prisma sind die Poren in die Putzmatrix (grau) eingebettet. Im jeweils rechten Prisma wurde die Putzmatrix entfernt. Das dreidimensionale Makroporennetzwerk ist eindeutig erkennbar. Abb. 7: STP 01 (2016) - Laborprisma Abb. 8: STP 02 (2019) 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 289 SalzTransportPutz - Stabilität durch die Porenstruktur? Abb. 9: STP 03 (2018) Abb. 10: STP 04 (2018) 4. Fazit Die Mikroröntgencomputertomographie (µXCT) gestattet einen detaillierten Einblick in die Makroporenverteilung von Putzproben. In den porositätsoptimierten SalzTransportPutzen wurden folgende Makroporengehalten ermittelt: Erfasst wurden Poren mit einem Durchmesser > 41 µm. Je größer die Poren werden, umso mehr verringert sich die Sphärizität. Bis zu einem Durchmesser von ca. 1.000 µm sind die Poren aber stets in sich abgeschlossene geometrische Gebilde. Ihr Anteil an der gesamten Makroporosität liegt immer bei kleiner 10 %. Über 90 % des Gesamtmakroporengehaltes wird durch ein großes Gebilde von miteinander verbundenen Poren, einem dreidimensionalen Netzwerk in der Putzmatrix, ausgebildet. Die Mikroröntgencomputertomographie identifiziert dieses Netzwerk als eine einzige große Pore. Da an keiner Stelle des erfassten Porennetzwerkes eine Porenwandung einen Abschluss bildet, liegt das Makroporennetzwerk praktisch nicht als geschlossener geometrischer Körper vor. Kristallisierende Salze treffen aus diesem Grund bei der Kristallisation auf keinen Widerstand, welcher den Aufbau eines Expansionsdrucks ermöglichen würde. Es gibt immer einen Hohlraum zur störungsfreien Ausbildung ihrer Kristallstruktur. Da sich dies nicht nur auf die Oberfläche der untersuchten Salztransportputze bezieht, sondern auch auf die Putzmatrix im Inneren einer Putzschicht, können die Putze eine besonders hohe Dauerhaftigkeit auch bei hohen Salzlasten generieren. In den Bereichen, in denen eine Trockenlegung der Bauwerke nicht wirtschaftlich oder nicht möglich ist, können Salztransportputze eine echte Alternative darstellen. Die Vorteile eines dreidimensionalen Makroporennetzwerkes liegen auf der Hand. Zum einen kann die Feuchtigkeit effizient und ohne Feuchtigkeitsstau über die Putzoberfläche an die Umgebung abgegeben werden und zum anderen bietet die spezielle Porenstruktur ausreichend Platz um Kristallisationsdruck auf das Putzgefüge zu vermeiden. Dadurch kann auch bei mittel bis hoch salzbelasteten Bauwerken eine Langzeitstabilität erzielt werden, welche eine nachhaltige Instandsetzung dort ermöglicht, wo andere Maßnahmen versagen. Literaturquellen [1] WTA-Merkblatt 2-14 Funktionsputze Ausgabe 07.2019, Frauenhofer IRB Verlag 2019 [2] Jungermann-Last, W. et.al., Feuchteregulierungsputz: Feuchte- und Salztransport in einem porositätsoptimiertem Putzsystem TAE Esslingen, 2. Kolloqium zur Erhaltung von Bauwerken 2011 [3] König, A., Analysis of air voids in cementitious materials using micro X-ray computed tomograohy (µXCT) Construction and Building Materials 244 (2020) 118313 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 291 War es dem Turm zu heiß? Brände als mögliche Ursache für Mauerwerksschäden an einem historischen Turm Prof. Dr.-Ing. Matthias Jagfeld Hochschule Coburg, Studiengang Digitale Denkmaltechnologien, Coburg TFI-Jagfeld, Gröbenzell Zusammenfassung In vielen historischen Türmen zeigen sich vertikale Risse deren Ursache oft mit Baugrundsetzungen und allgemeiner Verwitterung sowie dem heterogenen Aufbau des in der Regel mehrschaligen Mauerwerks in Zusammenhang gebracht wird. Auch der Einflüsse von täglich und jahreszeitlich wechselnden Bauwerkstemperaturen, der bei Kirchen oft als Ursache für Risse in den Längswänden vermutet wird, könnten einen Einfluss haben. Eine viel größere Temperatureinwirkung entsteht, wenn die hölzernen Geschossdecken und Dachwerke durch Brände zerstört werden. Dass solche Ereignisse eine mögliche Schadensursache darstellen können, kann mit der Methode der Finten Elemente rechnerisch gezeigt werden. 1. Einleitung Anlass für die durchgeführten Untersuchungen war die Planung von Instandsetzungsmaßnahmen am „Blauen Turm“ in Bad Wimpfen durch das Büro Kayser + Böttges, Barthel + Maus GmbH aus München. Die umfangreiche Bestands- und Schadensaufnahme ergab, dass auf allen vier Seiten des Turmes vertikale Risse mit Breiten von mehreren Zentimetern Breite vorhanden sind, die schon mehrfach überarbeitet und verfüllt worden waren. Bei mehreren vorangegangenen Sanierungsmaßnahmen wurde bereits erfolglos versucht, durch dem Einbau von Zugankern, Mund Mauerwerkinjektionen ein weiteres Risswachstum zu verhindern. Da weder Schäden an der Gründung vorliegen noch rechnerische Überbeanspruchungen des intakten Mauerwerks bei Eigengewicht und Windbelastungen festzustellen sind, blieb letztendlich neben dem speziellen Aufbau der Mittelschale des dreischaligen Mauerwerks die Lastumlagerungen durch die mehrfachen Umbauten der Turmspitze als mögliche Schadensursache übrig. Temperatureinflüsse aus täglich und jahreszeitlich wechselnden Bauwerkstemperaturen wurden wegen der großen Masse des Mauerwerks als Rissursache zunächst ausgeschlossen. Bekannt ist aber, dass es mehrere Brände gegeben hat, bei dem der Innenausbau des Turmes sowie das Turmdach vollständig zerstört wurden - siehe (Arbeitskreis für Hausforschung, 2020). Der vorliegende Artikel beruht auf einer Studie, die der Autor im Auftrag des Planungsbüros Büro Kayser + Böttges, Barthel + Maus GmbH erstellt hat. Ziel war zu untersuchen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Brandeinwirkung und den vorhandenen massiven vertikalen Rissen geben kann. 292 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 War es dem Turm zu heiß? Fig. 1: „Blauer Turm“ in Bad Wimpfen; Rissaufnahme Piper, 1972 (Institut für örtliche Angelegenheiten, 2020), oberhalb der gestrichelten Linie wurde das Mauerwerk 1848ff erneuert. 2. Bauwerk 2.1 Konstruktion In der hier beschriebenen Untersuchung wurde ein möglicher Schadensmechanismus qualitativ untersucht. Daher genügen einige Eckpunkte zur Beschreibung der Konstruktion: Der Turm ist bis zur Turmspitze ca. 52 m hoch. Der mittelalterliche Turmschaft ist nahezu quadratisch mit Außenmaßen von ca. 10,4 m, seine Oberkante befindet sich in einer Höhe von ca. 24 m über Gelände. Die Mauerdicken betragen auf allen Seiten ca. 2,4 m. Das Mauerwerk ist dreischalig, die Dicken der Innen- und der Außenschalen aus behauenen Kalksteinen beträgt ca. 40 - 60 cm, auf Innenseite wurde bei den Maßnahmen der 1970er Jahre eine Spritzbetonschale ergänzt. Die Mittelschale besteht aus Opus Spicatum, einem Mauerwerk, bei dem flache Steine schrägstehend in Mörtel versetzt werden. Auf dem mittelalterlichen Turmschaft befindet sich ein ca. 6,5 m hohes gemauertes Geschoß mit vier Ecktürmchen darüber das hölzerne Dachwerk. 2.2 Schäden Neben weiteren Schäden weisen alle vier Seiten des Turmes eine Vielzahl kleinerer und größerer vertikaler Risse auf. Auffällig ist, dass die Rissbreiten von unten bis zur mittleren Höhe des mittelalterlichen Schaftes zu- und nach oben wieder abnehmen. 2.3 Brandereignisse Dokumentiert sind drei Brandereignisse: 1674, 1848 und 1984. Aus Berichten von Zeitzeugen ist bekannt, dass der Turm nach dem Brand im Jahr 1848 aufgrund der Hitze im Inneren erst mehrere Wochen später wieder betreten werden konnte. Bei dem folgenden Wideraufbau mussten ca. 3,3 m des mittelalterlichen Mauerwerks abgetragen werden, weil das Mauerwerksgefüge als nicht mehr tragfähig eingeschätzt wurde. 3. Berechnungen 3.1 Zielsetzung Die durchgeführten Berechnungen sollen qualitativ klären, ob ein Zusammenhang zwischen den Rissen und dem Brandereignis bestehen kann. Die Temperaturverhältnisse während des Brandes und die für die Ermittlung der zeitlich veränderlichen Temperaturverteilungen erforderlichen thermodynamischen Materialparameter sind nicht bekannt und können nur mit Hilfe von Literaturangaben grob abgeschätzt werden. Quantitative Aussagen sind daher nicht möglich. Deswegen kann auch auf eine geometrisch exakte Abbildung des Turmes im Rechenmodell verzichtet werden. Für die Berechnungen kann ein einfaches Modell verwendet werden, dass die wichtigsten Maße schematisch abbildet. (CADFEM-WikiPLUS, 2020) 3.2 Modellbildung Die Geometrie des Turmes weist insgesamt 4 Symmetrieebenen auf: jeweils vertikale Flächen durch die gegen- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 293 War es dem Turm zu heiß? überliegenden Seitenmitten des quadratischen Grundrisses und zwei weitere vertikale Ebenen in Richtung der Diagonalen des Grundrisses. Da näherungsweise davon ausgegangen werden kann, dass auch die Temperaturbelastung durch den Brand dieselben Symmetrieebenen besitzt, ist es bei Berücksichtigung entsprechender Symmetriebedingungen ausreichend, ein Achtel des Turmschaftes in einem Rechenmodell abzubilden. Da die Außen- und Innenschale andere Materialeigenschaften aufweist, wird die Mehrschaligkeit im Modell berücksichtigt. Fig. 2: Geometrie des Turmschaftes (schematisch), Ausschnitt Rechenmodell, Maße in [m] 3.3 Materialkennwerte: Mechanische Materialkennwerte: Die außer der Dichte des Mauerwerks und der Druckfestigkeit sind keine mechanischen Materialkennwerte bekannt. Sie werden daher aus Erfahrung abgeschätzt oder Literaturangaben entnommen. Außenbzw. Innenschale: E-Modul Außenschalen: 1500 MN/ m² Dichte: 2800 kg/ m³ Druckfestigkeit vertikal: 7 MN/ m² Zugfestigkeit horizontal: 0,5 MN/ m² Füllmauerwerk: E-Modul Außenschalen: ~500 MN/ m² Dichte: 1800 kg/ m³ Druckfestigkeit vertikal: 2 MN/ m² Zugfestigkeit horizontal: 0,5 MN/ m Thermodynamische Materialkennwerte: Die Thermodynamischen Kennwerte wurden aus Literaturangaben abgeschätzt (TU Dresden. Szilagy, J., 1995): Wärmeleitfähigkeit: K = 0,7 - 1,75 ⇒ K = 0,7 W/ (m*K) Wärmekapazität: C = 700 - 740 ⇒ C = 700 J/ (kg*K) 3.4 Transiente Temperaturfeldberechnung: Die maßgebende Belastung ist bei den hier vorgestellten Untersuchungen die aus dem Brand im Mauerwerk entstehende Temperaturverteilung. Vor der Berechnung von mechanischen Spannungen muss daher eine zeitabhängige Temperaturfeldberechnung erfolgen. Temperaturmessungen zum Brandereignis stehen selbstverständlich nicht zur Verfügung. Es ist aber bekannt, dass die hölzerne Dachkonstruktion und die hölzernen Zwischendecken beim Brand eingestürzt sind. Eine plausible Annahme ist daher, dass das glühende Material sich unten im Turm angesammelt und dort lange hohe Temperaturen erzeugt hat. Über Konvektion und Strahlung wurde dort das Mauerwerk am meisten erhitzt. Das heiße Rauchgas ist nach oben gestiegen, hat über Konvektion die Turminnenseite erwärmt und sich dabei abgekühlt. In der Temperaturfeldberechnung wird das Brandereignis über Temperaturvorgaben für die umgebende Luft beschrieben. Die Wärmeübertragung von Luft auf Mauerwerk erfolgt im Rechenmodell ausschließlich über Konvektion. Übertragung über Strahlung wird nicht berücksichtigt. 294 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 War es dem Turm zu heiß? • Zu Beginn wird dem gesamten Turm eine konstante Temperatur von 20°C vorgegeben. • Auf der Außenseite kann das Mauerwerk Wärme über Konvektion an die umgebende Luft abgeben. Für die Umgebungsluft wird eine Temperatur von 20°C angesetzt. • Innenseitig werden drei Zonen berücksichtigt: Die untersten 5 m, der Bereich zwischen 5 m und 15 m und die obere Turmhälfte. Der Brand wird dadurch angenähert, dass im unteren Bereich für 24 Stunden eine Innenraumtemperatur von 1000°C angesetzt wird, im mittleren Bereich 600°C und in der oberen Turmhälfte 300°C. • Danach findet auf den Innenflächen keine Wärmeübertragung mehr statt (Adiabatische Randbedingungen) Der Wärmeübergangskoeffizient a an der Oberfläche des Turmes zur Außenlauft und zum Innenraum hängt von der Oberflächenbeschaffenheit und der Luftströmung ab. Auch er kann nur näherungsweise mit Literaturwerten beschrieben werden. In nachfolgender Tabelle 1 sind beispielhafte Werte angegeben. Der Wärmeübergangskoeffizient hängt von der Strömungsgeschwindigkeit der umgebenden Luft ab. Je schneller die Luft an der Wand vorbeiströmt, desto größer ist der Wärmeübergang. Während des Brandes war im Turminneren durch die entstehende Thermik eine schnelle Luftbewegung vorhanden. Sie wird mit 20 m/ s (=72 km/ h) abgeschätzt. Vorberechnungen zeigen, dass der Turm sich außenseitig kaum erwärmt, so dass dort kaum Luftbewegungen aus dem Brand selber resultieren. Luftbewegungen entstehen dort durch Wind. Sie werden näherungsweise mit 5 m/ s = 18 km/ h abgeschätzt. Tabelle 1: Wärmeübergangskoeffizienten aus (CADFEM-WikiPLUS, 2020) 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 295 War es dem Turm zu heiß? Innenwände: a = 7,5 * 20 0,78 = 77,6 Þ 80 W/ (m²*K) Außenwände: a = 7,5 * 5 0,78 = 26,3 Þ 30 W/ (m²*K) Fig. 3: Angenommene Konvektionsrandbedingungen für die ersten 24 Stunden des Brandes Di Berechnung wird für einen Zeitraum von 10 Tagen durchgeführt. Weil zu diesem Zeitpunkt das Mauerwerk noch immer nicht vollständig abgekühlt ist, wird ein letzter Lastschritt angehängt, mit dem das Modell wieder auf konstant 20°C gesetzt wird. Die Berechnungen zeigen, dass im Mauerquerschnitt ein starker Temperaturgradient entsteht. Zu Beginn des Brandes heizt sich die Innenwandung fast auf die angesetzte Innentemperatur auf. Nachdem innenseitig die Temperaturlast entfernt wurde fällt die Temperaturkurve wieder stark ab. Die Wärme breitet sich nach außen im Turmmauerwerk aus und der Temperaturgradient wird kleiner. Außenseitig ändern sich die Temperaturen kaum. Dass auf der Innenseite auch nach 20 Tagen noch eine Temperatur von ca. 200°C errechnet wird, stimmt qualitativ mit der historischen Aussage überein, dass der Turm auch zwei Wochen nach dem Brand aufgrund der Hitze nicht betreten werden konnte. Ein Wärmeabfluss kann bei den berücksichtigten Randbedingungen nur an der Außenseite stattfinden. Dort ergibt sich mit den hier angenommenen Materialdaten im untersuchten Zeitraum nur eine sehr geringe Temperaturerhöhung, so dass die eingebrachte Wärme im Rechenmodell noch nahezu vollständig im Mauerwerk gespeichert ist. Fig. 4: Errechneter Temperaturverlauf [°C] am in 5 m Höhe an verschiedenen Punkten des Mauerquerschnitts über die Zeit [Tage] 3.5 Mechanische Berechnung Für die mechanische Untersuchung wird dasselbe Elementnetz verwendet. Das Mauerwerk wird an der Unterseite in allen Richtungen unverschieblich gelagert. An den Symmetrieebenen werden die entsprechenden Randbedingungen angebracht. Die Berechnung erfolgt mit einem Materialmodell, das die Rissbildung im Mauerwerk berücksichtigen kann (Jagfeld, 2000). Bei dem auf der Mehrflächenplastizität beruhenden Materialmodell werden Risse durch plastische Dehnungen wiedergegeben. In einem ersten Lastschritt wird das Eigengewicht aufgebracht. Die Referenztemperatur, bei der keine Temperaturdehnungen entstehen, wird mit der Anfangstemperatur von 20°C gleichgesetzt. Anschließend werden der Reihenfolge nach die zuvor errechneten Temperaturverteilungen als Belastungen aufgebracht. Zum Ende der Berechnung wird das gesamte Modell wieder auf die Anfangstemperatur von 20°C gesetzt. Die statischen Berechnungen der einzelnen Belastungen bauen aufeinander auf. Sie sind nichtlinear und erfordern daher ein iteratives Lösungsverfahren. 4. Berechnungsergebnisse In den nachfolgenden Abbildungen Fig. 5- Fig. 8 sind die Verformungen 200-fach überhöht dargestellt. Um die Vergleichbarkeit der bbildungen herzustellen, werden im die selben Farbskalen verwendet. Zur besseren Anschulichkeit wird das 1/ 8-Modell auf den halben Turmquerschnitt erweitert. Vor dem Brandereignis entstehen durch das Eigengewicht des Mauerwerks Vertikalspannungen, die deutlich unterhalb der Mauerwerksfestigkeit liegen. In Außenbzw. Innenschale werden Werte von -2,2 MN/ m² errech- 296 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 War es dem Turm zu heiß? net, in der Mittelschale sind die Werte kleiner als -0,5 MN/ m² siehe Fig. 5. Die Größe der Druckspannungen ist in der Innen- und der Außenschale ungefähr gleich. Im unteren Bereich - beim ersten Querschnittssprung - sind geringe Verformungen nach außen erkennbar. Risse werden nicht errechnet. Daher wird auf die entsprechenden Abbildungen verzichtet. Fig. 5: Vertikalspannungen [MN/ m²] bei Eigengewicht, vor Brandbeginn Ein Tag nach Brandbeginn herrschen auf den Innenflächen des Turmes ungefähr die im Innenraum vorgegebenen Lufttemperaturen - siehe Fig. 6. Die Erwärmung beschränkt sich im Wesentlichen auf die Innenschale des Mauerwerks. Diese dehnt sich vertikal und horizontal aus. Einerseits führt das dazu, dass die Mittel- und Außenschale horizontal mitgezogen werden und dort vertikale Risse entstehen und andererseits wird die vertikale Druckfestigkeit der Innenschale überschritten, so dass dort plastische Stauchungen entstehen. Die Verformungsfigur zeigt Ausbauchungen nach außen im unteren Turmbereich und eine „vasenförmige“ Ausweitung des oberen Schaftendes. 14 Tage nach Brandbeginn hat sich die eingetragene Wärme im Mauerwerk verteilt. Es ergibt sich eine deutlich gleichmäßigere Temperaturverteilung im Mauerwerk - siehe Fig. 7. Die Innenschale ist wieder deutlich abgekühlt, dafür ist die Mittelschale nun wärmer geworden. Die Vertikalspannungen in der Innenschale sind wieder deutlich kleiner geworden bleiben aber trotzdem größer als die Spannungen in der Außenschale. Dadurch, dass jetzt auch die Mittelschale erwärmt ist und sich horizontal ausdehnt, werden die vertikalen Risse in der Außenschale größer. Fig. 6: Ergebnisse 1 Tag nach Brandbeginn 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 297 War es dem Turm zu heiß? Fig. 7: Ergebnisse 14 Tage nach Brandbeginn Am oberen Schaftende des Turmes entstehen in Seitenmitte ebenfalls vertikale Risse. Die Ausbauchungen im unteren und mittleren Bereich nehmen ebenso zu wie „vasenförmige“ Aufweitung des oberen Randes. Fig. 8: Ergebnisse nach vollständiger Abkühlung 298 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 War es dem Turm zu heiß? Auch nach der vollständigen Abkühlung des Turmes verbleiben die Verformungen mit annähernd gleicher Größenordnung - siehe Fig. 8. Durch die Abkühlung zieht sich die Innenschale vertikal zusammen. Die plastischen Stauchungen bleiben jedoch vorhanden, so dass sie sich ihrer Belastung teilweise entzieht. Ein Teil ihrer ursprünglichen Last wird durch Schubverbund auf die Mittel- und Außenschale übertragen. Die Außenschale ist nun deutlich stärker belastet. Die vertikalen Risse auf der Außenseite verbleiben, zusätzlich ist eine Vielzahl vertikaler Risse auf der Innenseite entstanden. Unterhalb der „vasenförmigen“ Aufweitung werden innenseitig horizontale Risse errechnet. 5. Übertragung der Ergebnisse auf den Bergfried der Burgruine Forstenberg Die Ruine des Bergfrieds von Burg Forstenberg weist auf drei der vier erhaltenen Außenwänden des fünfeckigen Grundrisses jeweils einen breiten vertikale Risse auf. Die Risse beginnen in Höhe des zweiten Turmgeschosses, nehmen nach oben in der Breite zu und laufen am oberen Turmende in einem großen Mauerwerksbereich mit stark aufgelockertem Gefüge aus. Das Rissbild weist ausgenscheinlich eine große Ähnlichkeit mit den oben errechneten Rissbild auf. Auffällig ist auch die qualitative Ähnlichkeit der „vasenförmigen“ Aufweitung am oberen Ende des Schaftes - siehe Fig. 8. Die geschilderten Ähnlichkeiten legen die Vermutung nahe, dass der Berfried der spätestens im 17. Jhrdt. (Wikipedia, 2020) aufgegebenen Burg ausgebrannt ist. Fig. 9: Bergfried der Burgruine Forstenberg bei Regenstauf 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 299 War es dem Turm zu heiß? Fig. 10: Grundriss und Verlauf der Außenkanten der Turmwände 6. Bewertung Die hier vorgestellten Berechungen beruhen auf einer Vielzahl von Annahmen zu Materialdaten und Randbedinungen. Sie erheben keinen Anspruch auf eine quantitative Genauigkeit. Sie zeigen jedoch qualitativ, dass ein Brand im Turminneren eine mögliche Ursache für die vertikalen Rissen auf der Außenseite des „Blauen Turmes“ ind Bad Wimpfen ist. Weiter kann spekuliert werden, ob die deutliche Zerüttung des Mauergefüges durch viele vertikale Risse auf der Turminnenseite zum Einbau der Spritzbetonschale in den 1970er Jahren geführt hat. Auch könnte die „vasenförmige“ Aufweitung des oberen Endes mit den einhergehenden flächig in Seitemitte verteilten vertikalen Rissen und den innenseitigen horizontalen Rissen zum Abtrag und Wiederaufbau der oberen 3,3 m des Turmes nach dem Brand von 1852 geführt haben. Um Instandsetzungsmaßen zielgerichtet planen zu können, müssen die Ursachen vorhandener Schäden so genau wie möglich verstanden sein. Beim Blauen Turm in Bad Wimpfen konnten die vorgestellten Berechnungen dazu beitragen. Der Vergleich der Berechnungsergebnisse mit dem Schadensbild des Bergfriedes in Forstenberg zeigt ebenfalls eine große Ähnlichkeit. Auch bei diesem Turm kann ein Branderegnis zu den vorhandenen Schäden geführt haben. Die Erkenntnis, dass die Schäden am Bergfried der Ruine Forstenberg vermutlich auf ein einmaliges Brandereignis zurückgeführt werden können und nicht durch regelmäßig wiederkehrende Lasten hervorgerufen werden, war für den Entwurf und die Dimensionierung der Instandsetzungsmaßnahmen von großer Bedeutng. Die vorgesehenen Zuganker konnten für geringe Lasten konstruktiv bemessen werden. Die Eingriffe in den noch vorhandenen Bestand konnten so minimiert werden. Literaturverzeichnis [1] Arbeitskreis für Hausforschung, R.-W. (16. 11 2020). Datenbank Bauforschung/ Restaurierung. Von ttps: / / www.bauforschung-bw.de/ objekt/ id/ 127710667418/ blauer-turm-in-74206-bad-wimp fen/ abgerufen [2] CADFEM-WikiPLUS. (19. 11 2020). Von http: / / www.cae-wiki.info/ wikiplus/ images/ 5/ 57/ Konvek tion-2.jpg abgerufen [3] Institut für örtliche Angelegenheiten. (16. 11 2020). Institut für örtliche Angelegenheiten. Von https: / / cms.gtas-braunschweig.de/ uploads/ images/ Collec ting/ Pieper_Wimpfen_1972_Foto.jpg abgerufen [4] Jagfeld, M. (2000). Tragverhalten und Berechnung gemauerter Gewölbe bei großen Auflagerverschiebungen - Untersuchungen mit der Finite-Elemente- Methode. Aachen: Shaker. [5] TU Dresden. Szilagy, J. (1995). Leitgesteine für dei Denkmalpflege, Untersuchung petrophysikalischer Eigenschaften an Leitgesteinen für die Denkmalpflege. Dresden. [6] Wikipedia. (26. 11 2020). Wikipedia. Von https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Burg_Forstenberg abgerufen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 301 Erfahrungen zur Dauerhaftigkeit von historischen Mörteln und Betonen in feuchtebelasteten Bereichen Bernwart Jungermann LBJ Baustoffmikroskopie und Baustofftechnologie UG (haftungsbeschränkt) 57399 Kirchhundem - Silberg 1. Einleitung: Wenn von historischen Mörteln die Rede ist, kann man große Zeiträume in die Überlegungen einbeziehen, hier sollen überwiegend Ingenieurbauwerke betrachtet werden, deren Nutzung und Dauerhaftigkeit eine größere Bedeutung haben und nicht nur aus Gründen der Denkmalpflege einen Fortbestand erfahren sollen. Viele dieser Bauwerke stammen aus dem Beginn des Industriezeitalters und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den zu verwendenden Bindemitteln ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Dazu zählen insbesondere große Ingenieurbauwerke, wie Talsperren, Brücken oder auch große Profanbauten. Diese Bauwerke haben heute noch eine große Bedeutung in der Nutzung und damit auch in der Dauerhaftigkeit. Nun haben sich in der Zeit von etwa 1850 bis heute gewaltige Veränderungen in der Anwendung und der Art der Bindemittel ergeben. Viele der historischen Konzepte aus dieser Zeit stützen sich im Grundgedanken auf die sehr alten Beispiele der Römer und fanden dort ihre ihre Anwendung. Parallel dazu entwickelte sich allerdings ein neues Verständnis zu dem Bindemittel und seiner Optimierung hin zum hoch energiereich gebrannten Zement. 2. Veränderung der Bindemittel: Diese rasche Entwicklung vom Kalkbindemittel zum hochgebrannten Zement kann man an den Talsperren am deutlichsten ablesen. Sie vollzog sich ebenso rasant wie die Entwicklung der polytechnischen Hochschulen in Europa. Die Talsperren in Europa wurden überwiegend von dem bekannten Prof. Dr.-Ing. Otto Intze und seinen Absolventen aus Aachen dominiert. Zu einer seiner ersten Talsperren gehörte die Eschbachtalsperre 1888 im Bergischen Land, als die Zementindustrie noch keine vorrangige Bedeutung hatte. Es wurden als Mörtel und Bindemittel, vergleichbar mit römischen Beispielen, Puzzolane mit einem hohen Kalkanteil eingesetzt. Der nächste wesentliche Schritt der Veränderung kam schon mit der Planung und Ausführung der Talsperre Malter in Sachsen, die bereits 1906 aus einem hervorragenden Beton hergestellt wurde. Dieses war noch eine parallele Entwicklung. Zur gleichen Zeit wurde die Oestertalsperre im Bergischen Land noch mit Kalkhydrat und Puzzolanen vergleichbar der Eschbachtalsperre gebaut. Abb. 1 Olympus BH 2, 25 x Bindemittelmatrix mit Kalk und Puzzolanen Mikrorissen und Kalkspatzen (Portlandit, roter Pfeil) M = 400 µm Abb. 2 Olympus BH 2 100 x Detail aus Abb. 1 im UV- Licht, Mikrorisse < 10 µm Zwischen diesen beiden Baustoffarten Kalk mit Puzzolan und die junge Alternative" dem Beton sind deutliche technische Unterschiede vorhanden, aber die Dauerhaftigkeit beider Mörtel steht außer Frage. Bei allen Bindemitteln war man bestrebt hydraulische Bindekräfte auf- 302 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erfahrungen zur Dauerhaftigkeit von historischen Mörteln und Betonen in feuchtebelasteten Bereichen zubauen damit eine höhere Festigkeit und Beständigkeit gegenüber einem wässrigen Angriff gegeben ist. Die Zusammensetzungen der Vergangenheit waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr geprägt von dem Zusatz an puzzolanen Zusatzstoffen, während mit zunehmender Entwicklung der Zemente die puzzolanen Bestandteile zurückgedrängt wurden. Diese Entwicklung kann man auch in den technischen Eigenschaften deutlich erkennen. Die Rezeptur der Eschbachtalsperre und der Oestertalsperre zeigt noch eindeutig eine Zusammensetzung die ausschließlich aus Kalk hergestellt wurde. 4 Vol. Teile Fettkalk (Weißkalk), 4 Vol. Teile Rheinsand, 6 Vol. Trass aus Plaidt in der Eifel. Untersucht man heute die Zusammensetzung kommt man im Mittel auf eine Rohdichte von 1,55 kg/ dcm 3 , eine Wasseraufnahme von 17 Ma.-% und eine Druckfestigkeit von ca.18 N/ mm 2 . Diese Zusammensetzung führt im Gefüge zu einer relativ dichten Bindemittelmatrix, die allerdings auch von Mikrorissstrukturen durchzogen ist. Die Alkalität ist auch heute noch im stabilen Bereich mit einem pH-Wert von > 12. Die puzzolanen Baustoffe mit den hohen Anteilen an Kalk haben immer eine deutlich niedrigere Rohdichte als die heutigen Baustoffe. Allerdings muss man feststellen, dass die Dauerhaftigkeit und die Neigung zu Kristallneubildungen bei den historischen Baustoffkonzepten kaum anders zu bewerten ist als bei den jüngeren Betonbaustoffen. Die auch bereits relativ alte Talsperre Malter in Sachsen, wurde bereits mit einem Portlandzement hergestellt und zeigt ebenso stabile Verhältnisse wie die Eschbachtalsperre. Allerdings sind die technischen Daten der Talsperre Malter gegenüber der Eschbachtalsperre deutlich verändert. Hier haben wir eine mittlere Rohdichten der Mörtelmasse von 2,2 kg/ dcm 3 und ein geringere Wasseraufnahme von nur 5 Ma.-%. Sowohl bei den Brückenbauwerken der Bundesbahn als auch im sonstigen Talsperrenbau kann man im Zeitfenster von 70 Jahren (1850 - 1920) vergleichbare techn. Wertunterschiede feststellen. Die Dauerhaftigkeit wird immer begleitet von einer noch vorhandenen hohen Alkalität und im Prinzip einer unveränderten Mörtelmatrix trotz einer deutlichen Veränderung der Rohdichten und der Wasseraufnahme. 3. Veränderungen die zu Kristallneubildungen führen: Kristallneubildungen sind das Produkt von Veränderungen des inneren Gleichgewichts der Kapillarporen in dem Baustoffgefüge. Die Veränderung des Gleichgewichtszustandes wird nur in Zonen vollzogen, die einer erheblichen Wechselbelastung feucht / trocken ausgesetzt waren. Dies ist nur wenigen Fällen der bei den Baustoffen gegeben, solche die nicht permanent in einem alkalischen Milieu einer feuchtebelasteten Umgebung vorhanden waren. Eine wesentliche Veränderung des Gleichgewichtszustandes wird auch durch die unmittelbare Carbonatisierung vollzogen. Diese Carbonatisierung kann aber nur in Bereichen erfolgen, die belüftet werden. Ein weiterer Faktor ist der pH-Wert, wenn dieser in einem pH-Bereich von <12 absinkt, wird anderen Neubildungen in dem Gefüge das Tor geöffnet. Der häufig übliche Test mit dem Indikator Phenolphtalein ist wenig aussagekräftig, weil dieser bereits einen pH-Wert von > 8,2 mit rotvioletter Farbe die Alkalität anzeigt. Die Zersetzung der Baustoffe ist letztlich eine Rückführung in einen energieärmeren Zustand. Diese Rückführung ist ein sehr langsamer Prozess der sich in der Regel über mehrere Jahrhunderte vollzieht oder wie manche Römerbauten uns zeigen, über Jahrtausende. Dabei ist schon entscheidend welche Art von Zusammensetzungen dort vorliegt. Dabei geht man davon aus, dass z.B. zwischen der Differenz aus den Calciumionen im zugeführten Wasser und dem Sickerwasser ein wesentlicher Parameter zu sehen ist, der für die Dauerhaftigkeit der Mörtelmatrix von Bedeutung ist. Nach einer solchen Betrachtung kommt man zu der Annahme, dass der Anteil an Verlust von Calciumionen ausschließlich aus dem Mörtel stammt und eine Auswaschung über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten noch nicht zu einem zerstörenden Verlust führt. Aus dieser ingenieurtechnischen Betrachtungsweise sind solche Berechnungen nachvollziehbar und sie zeigen, wie gering bei den entsprechenden Annahmen die Verluste sind. Allerdings sind hier Anmerkungen zu machen, dass die Vorgänge doch wesentlich komplexer zu betrachten sind. Dazu nur zwei Beispiele: Es gibt noch viele Wasserbauwerke aus der Römerzeit, die ihre Funktion noch nicht eingestellt haben und deren kalkhaltige Mörtel auch noch heute ihre Funktion erfüllen. Demgegenüber gibt es in Ausnahmefällen auch Betonrohrleitungen, die unter einer natürlichen Wasserbelastung bereits nach 6 Jahren Ihre Funktion eingestellt haben. Hier waren es dann allerdings extrem belastete Bereiche mit kalkangreifender Kohlensäure, die solche Ausnahmen von der Regel bewirkt haben. Es ist in der Tat immer der Calciumgehalt, der in diesem natürlichen Kreislauf die wesentliche Rolle spielt. Hinzu kommt die hydrolytische Zersetzung von Gesteinen und Mörtel, die beide Calciumionen freisetzen können. Das bedeutet, die Calciumionen, die freigesetzt werden, kommen nicht nur aus der Mörtelmasse, sondern auch aus dem Gesteinskörper selbst. Die Mörtelmasse stellt zunächst noch immer ein hohes alkalisches Potential zur Verfügung, welches gegenüber einem sauren Angriff zunächst als ein Stabilisator zu betrachten ist. Erst wenn dieses Gleichgewicht, durch einen hohen Strömungs- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 303 Erfahrungen zur Dauerhaftigkeit von historischen Mörteln und Betonen in feuchtebelasteten Bereichen durchgang nachhaltig gestört wird und dieses alkalische Potential an den Strömungsflanken abnimmt, kommt es an den Randzonen vermehrt zu Neutralisationsreaktionen und nachfolgend auch zu hydrolytischen Zersetzungen [1,3]. Die hydrolytische Zersetzung ist nicht nur ein Problem der Mörtel, sondern kann auch die Zuschläge betreffen und auch aus diesen Gesteinskörpern Calciumionen freisetzen. Dazu ist zu bemerken, dass die Zuschläge selbst kein Neutralisationspotential gegenüber einer hydrolytischen Zersetzung besitzen. Sie haben nur einen höheren Lösungswiderstand, bedingt durch ihre geringe Wasseraufnahme. Ein Freisetzen von Calciumionen erfolgt auch hier. Aus der Erfahrung der Untersuchung von Mörteln aus vielen „Intze- Mauern der Talsperren zeigen diese nach über 100 Jahren im Kernbereich noch eine stabile Funktion. Das gleiche kann man von den Brückenbauwerken berichten, die in der Regel noch ein höheres Alter besitzen und weniger mit Puzzolanen verarbeitet wurden, sondern noch mit der historischen Sandkalktechnik gebaut worden sind. Diese Bauwerke aus der Zeit vor dem Jahr 1870 haben häufig noch sehr niedrige Mörtelrohdichten, die kaum über der Wasserrohdichte von 1,0 kg/ dcm 3 angesiedelt sind und noch keine geregelte Körnungskennlinie besitzen. So hat besonders Dyckerhoff [1] Mitte des 19. Jahrhunderts darauf hingewiesen, eine geregelte Körnungskennlinie einzuhalten, um die Mörteleigenschaften mehr zu vereinheitlichen. Die Mörtel selbst besitzen durch ihre hohen Bindemittelanteile ein hohes Neutralisationspotential und verlieren das stabilisierende Gleichgewicht erst, wenn sie völlig carbonatisiert sind. Dies wird im Bereich der Erdüberdeckungen nicht erreicht und somit bleiben die Bauwerke lange in ihrer hohen Alkalität. An der Luftseite der Talsperren ist eine solche Situation nicht gegeben: Hier kann man dann in Regel auch beobachten, dass durch die Carbonatisierung und die Gleichgewichtsverschiebung mit dem Abbau der Alkalität viel schneller eine Zerstörung durch Mineralneubildungen droht. Wenn man nun Aussagen über den Zustand eines großen Bauwerks machen will, ist der einfache Ansatz, dies über die Ionen an Calcium zu bestimmen, der ingenieurtechnisch sicherste Weg. Das dabei der ganze Verlust auf den Mörtel bezogen wird, ist trotz der vielen Unbekannten legitim. Die Zersetzungen von solchen Baustoffkörpern verlaufen immer sehr langsam, man kann dies mit erdgeschichtlichen Zeiträumen vergleichen. Bei einer Durchströmung wird das Porenwasser in der Betonsteinmatrix bzw. Mörtelmatrix zunächst nicht abgebaut, sondern wirkt in einem komplexen Vorgang der durch die darin vorhandenen Ionen als Puffer.[2]. Diese Abpufferung wird bei erdüberdeckten Bauwerken seit Jahrhunderten durch die hohe Alkalität stabil gehalten. Gemessen an manchen Römermörteln ist dies eine relativ geringe Zeit. Die häufig verwendeten Traßpuzzolane enthalten einen hohen Anteil an Kalium und Natriumionen, die neben den Calciumionen die Gesamtalkalität ergeben. Dabei ist nicht einmal der Calciumionenanteil aus dem Portlandit (Calciumhydroxid) der wesentliche Lieferant der Alkalität. Auch wenn dieser in der Gesamtmasse in großer Reserve vorhanden ist. Bei 20º C lösen sich nur 1,18 g/ l dieser Verbindung im Wasser. Der wesentliche Lieferant der Alkalität in der Porenflüssigkeit des Zementsteines sind die Kalilauge und die Natronlauge. Diese Verbindungen werden in der Porenflüssigkeit des Mörtels durch die hohen Alkalianteile, die sich in dem Traß befinden, gebildet. Das Verhältnis der Löslichkeiten der drei wesentlichen Alkalitätsbildner von Kalilauge, Natronlauge und Kalklauge (Kalkmilch) ist 75 : 24 : 1. Unter diesem Aspekt betrachtet ist der Traß in diesem Fall nicht nur ein Dichtungsmittel, wie es traditionell gesehen wird, sondern ein wesentlicher Parameter der Gefügestabilisierung durch eine hohe Alkalität. Ein geringer Kalksteinanteil im Baustoff wird über die Bildung von Kohlensäure in Calciumhydrogencarbonat umgewandelt. Das entstehende Calciumhy-drogencarbonat hat eine größere Löslichkeit als Calciumcarbonat und kann durch kapillare Transportvorgänge in andere Baustoffbereiche transportiert werden. Dort lagert es sich durch Fällungsvorgänge, insbesondere bei dem Antreffen von Calciumhydroxid, wieder ab. Der Zutritt von kohlensäurehaltigem Wasser löst in dem Gefügeaufbau einen Reaktionsmechanismus aus, der durch die vorhandene Alkalität des Mörtelsystems abgefangen wird. Dabei wird die Kohlensäure unter Bildung von Calciumcarbonat durch Fällungsreaktionen neutralisiert. Es entsteht ein Gleichgewichtszustand von HCO 3 - / CO 3 2- - Ionen in der Porenlösung, auf hohem alkalischem Niveau, der sich über eine lange Zeit einstellt. 4. Zusammenfassung: Aus vielen Untersuchungen von Wasserbauten und Brückenbauwerken der über Hundertjährigen überwiegt aus meiner Sicht der Anteil der dauerhaften Mörtel. Dabei hat die Wasseraufnahme, die Mörtelrohdichte und die Festigkeit eine wesentlich geringere Bedeutung als die Masse der zur Verfügung stehenden Alkalität. Wenn man bei diesen Massen eine Minimierung vornimmt, so verringert man damit die Dauerhaftigkeit. Eine solche Minimierung stellt auch der Hochofenzement dar. Durch den Zusatz von Puzzolanen (Schlacke) steigt der Widerstand gegenüber Sulfat, aber ein Abbau der Alkalität wird durch viele andere Stoffe früher eingeleitet (z.B. Austauchreaktionen durch Chloride) und damit ein beschleunigter Zerfall ausgelöst. Die Veränderung der Gleichgewichtszustände ist dann gegeben, wenn Materialien mit unterschiedlichen Kapillarporositäten und Porenlösungen aufeinandertreffen. 304 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erfahrungen zur Dauerhaftigkeit von historischen Mörteln und Betonen in feuchtebelasteten Bereichen Zerstörungen, die aus dem verwendeten Baustoff selbst entstehen, z.B. durch Alkalikieselsäurereaktionen (AKR) sind relativ selten und sie werden durch begleitenden Kristallneubildungen wie Ettringit intensiviert. Bei welchen alkalischen Verhältnissen bzw. Kombinationsreaktionen diese besonders aktiviert werden, ist noch nicht ausreichend untersucht, deshalb sehe ich allgemein in einer Optimierung der Alkalität den größten Garanten der Dauerhaftigkeit. Literatur: [1] Dyckerhoff, R - Zementkalkmörtel mit gewähltem Zusatz von Kalk 1881, Thonstein - Zeitung S. 276: „Magere Zementkalkmörtel werden dagegen bei richtig gewähltem Kalkzusatz in Bezug auf Festigkeit und Adhäsion wesentlich verbessert“. [2] Jungermann, B. - Salveter G.: Historische Mörtel im Staumauerbau1. Kolloquium „Bauen in Boden und Fels „ TAE Esslingen 1997 [3] Jungermann, B. - Mikroskopische Untersuchung von Mörteln der Eschbachtalsperre Untersuchungsbericht von 2015 Projekt A 151022 B [4] Tobias, G; Bettzieche, V - Materialauslaugung in Bruchstein Staumauern Wasserwirtschaft 6/ 2016 [5] Burgiesser, P. G. - Der Einfluss von puzzolanischen Zusatzstoffen vulkanischen Ursprungs auf die Alkali-Kieselsäure-Reaktion (AKR) im Beton, Dissertation 2011, FU Berlin Dauerhaftigkeit 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 307 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis Joost Gulikers Rijkswaterstaat, Utrecht (NL) Maria Teresa Alonso Junghanns BASt, Bergisch-Gladbach (D) Abstrakt Die physikalische Bedeutung der Restnutzungsdauer von bestehenden Ingenieurbauwerken ist für die Erhaltungspraxis von besonderer Bedeutung. Chloridinduzierte Bewehrungskorrosion gilt in Ingenieurbauwerken aus Beton als große Herausforderung. Die Nutzungsdauer unter dauerhaftigkeitsrelevanten Aspekten wird deshalb häufig vor dem Hintergrund des Entstehens von Bewehrungskorrosion durch eingedrungene Chloride betrachtet. Für die Einschätzung der Nutzungsdauer werden zunehmend probabilistische Ansätze bevorzugt, um die große Streuung der gemessenen Chloridprofile, der Betondeckung und der kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalte im Bauwerk angemessen berücksichtigen zu können. Die Nutzungsbzw. Restnutzungsdauer wird dabei an einen bestimmten Zuverlässigkeitsindex gekoppelt. In der Erhaltungspraxis ist die Festlegung konkreter Maßnahmen in Abhängigkeit solcher Methoden aber schwer zu treffen, da die physikalische Bedeutung der im Modell enthaltenden Annahmen, Parameter und Folgen im Hinblick auf eine Restnutzungsdauer für die bestehenden Bauwerke nicht eindeutig geklärt ist. In diesen Beitrag werden die Herausforderungen solcher probabilistischen Verfahren aus Sicht der Bauherren vorgestellt und diskutiert. 1. Einleitung Für die Planung von Erhaltungs- oder Ersatzmaßnahmen ist die Frage der Restnutzungsdauer bzw. ihre physikalische Bedeutung maßgebend. Die Vorhersage der Restnutzungsdauer kann eine Strategiebasis für eine objektive und quantitative Vergleichbarkeit von Maßnahmen der Erhaltungspraxis bieten. In der Praxis gilt für die meisten Ingenieurbauwerke aus Beton chlorid- und karbonatisierungsinduzierte Bewehrungskorrosion als große Herausforderung. Die Sicherstellung der Dauerhaftigkeit von Bauwerken basiert zurzeit auf den im Regelwerk geltenden deskriptiven Bemessungsregeln. Für neue Infrastruktur werden Anforderungen nach Expositionsklassen festlegt. Der heutige Erhaltungsansatz basiert auf planmäßigen Bauwerksprüfungen. Dabei wird der jetzige Zustand des Ingenieurbauwerks erfasst und ggf. Maßnahmen unter Berücksichtigung von wirtschaftlichen Aspekten geplant und durchgeführt. Solche deskriptiven Vorgehensweisen ergeben aber kein quantitatives Kriterium für „das Ende der Nutzungsdauer“ oder der damit verbundenen „Restnutzungsdauer“ und erlauben keine Vorhersage. Für eine quantitative Einschätzung der Lebensdauer sind jedoch in den letzten Jahrzehnten probabilistische Prognosemodelle für den Grenzzustand der Depassivierung entwickelt worden [1, 2]. Ein Grenzzustand wird erreicht, wenn ein kritischer Chloridgehalt an der ersten Bewehrungslage vorhanden ist, beziehungsweise wenn die Karbonatisierungsfront bis zu dieser vordringt. Solche probabilistischen Dauerhaftigkeitsprognosen wurden für die Ingenieurbauwerke der deutschen Bundeswasserstraßen eingeführt [3]. Die Anwendung probabilistischer Prognosemodelle für Brückenbauwerke aus Beton im deutschen Bundesfernstraßennetz ist auch unter bestimmten Voraussetzungen möglich [4]. Sie könnte einen Übergang von den derzeitigen rein deskriptiven zu einer rechnerischen Vorhersage der Restnutzungsdauer ermöglichen. Die mathematischen Modelle für z. B. chloridinduzierte Korrosion umfassen Transportmodelle zur Beschreibung des Eindringens von Chlorid in Beton. Sie erfordern besondere Kenntnisse für die Auswahl der Modelparameter und für die Berechnung selbst. Einige Parameter können aus dem IST-Zustand des Bauwerks abgeleitet werden und andere aus Literaturstellen (z. B. [1,2,3,4]) entnommen werden. Die hierfür notwendigen Kenntnisse aus der Bauwerksprüfung gelten dabei als Startpunkt für eine Vorhersage. Für eine Vorhersage „a priori“, d.h. für eine Vorhersage ohne reale Daten, sind die Parameter aus den vorhandenen Literaturstellen abzuschätzen. In einem vollprobabilistischen Ansatz werden alle Parameter als stochastische Variablen betrachtet 308 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis und mit einer statistischen Verteilung beschrieben. Für die Erhaltungspraxis ist der Einfluss solcher statistischen Parameter auf die Vorhersage von besonderer Bedeutung, um die Genauigkeit der Aussage einschätzen und damit eine Erhaltungsstrategie festlegen zu können. Darüber hinaus setzt die Berechnung der Restnutzungsdauer die Festlegung von Kriterien für die Definition eines relevanten Grenzzustandes voraus. Als Grenzzustand für die chlorid- und karbonatisierungsinduzierte Bewehrungskorrosion wird im Allgemeinen die „Depassivierung der Bewehrung“ angenommen, die mit der Wahrscheinlichkeit ihres Entstehens gekoppelt wird. In Anlehnung an die Grenzzustände für die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit, wird hierfür oft auch ein Zuverlässigkeitsindex angewendet. Bei einer praktischen Anwendung der probabilistischen Methoden sind u.a. die Eingangsparameter im Modell, die Berechnungen selbst, die Festlegung von notwendigen Bauwerksprüfungen und die Auswirkungen der vorausgesetzten Grenzzustände auf den Bauteilzustand in Abhängigkeit von der Zuverlässigkeit maßgebend. Diese Zusammenhänge prägen die physikalische Bedeutung der Restnutzungsdauer und stellen eine Herausforderung für die Erhaltungspraxis dar. Jedoch kann die Bestimmung einer rechnerischen Restnutzungsdauer des Bauwerks eine große Hilfe für die Erhaltungspraxis darstellen. 2. Zur Restnutzungsdauer Gültige Regelwerke für Ingenieurbrückenbauwerke aus Beton wie z. B. DIN EN 1990 [5], DIN EN 1992-2 [6] fordern die Sicherstellung der Dauerhaftigkeit, die ausschließlich unter Berücksichtigung von umgebungs- und lagerungsbedingten Einflüssen betrachtet wird. Dauerhaftigkeitsrelevante Schädigungsprozesse im Ingenieurbau aus Stahl- und Spannbeton, die zu Schäden und Mängeln im Bauwerk führen können, sind z. B. die Karbonatisierung des Betons und das Chlorideindringen in Stahl- und Spannbeton. Weltweit werden traditionelle Nachweise der Dauerhaftigkeit auf deskriptiver Basis durchgeführt und sind auch im Regelwerk enthalten. Jedoch enthalten die pränormativen Arbeiten auch Bemessungsformate, die Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen ermöglichen. 2.1 Das aktuelle Vorgehen Nach aktuellem Regelwerk wird die Lebensdauer als die Zeitdauer festgelegt, innerhalb der die Nutzung eines Tragwerks unter Berücksichtigung der zu „erwartenden Instandhaltung“ [5] und „ohne wesentliche Instandsetzungsmaßnahmen“ [7] sichergestellt ist. Hierbei wer-den aber quantitative Angaben für eine Festlegung von „zu erwartenden“ und/ oder „wesentlichen Maßnahmen“ im Regelwerk nicht festgelegt. Nach RI-ERH-ING [8] ist die theoretische Nutzungsdauer ein Erfahrungswert für die mögliche Nutzungsdauer eines Bauwerks oder eines Bauwerksteils, die im Jahr ihrer Fertigstellung beginnt. Die Restnutzungs-dauer wird als der Zeitraum bis zur voraussichtlichen nächsten Erneuerung des Bauwerks oder des Bauwerksteils verstanden. Dabei soll die Dauer unter Aufrechthaltung der Standsicherheit und Verkehrssicherheit bei planmäßiger Nutzung und planmäßiger Bauwerkserhaltung erreicht werden. Die Sicherstellung der Dauerhaftigkeit von neuer Infrastruktur aus Beton erfolgt zurzeit weltweit anhand expositionsabhängiger Angaben zu Betonzusammensetzung, Bauteilgeometrie und Ausführungsregeln, die auf Labor- und Bauwerksprüfungen, empirischen Zusammenhängen, sowie auf Erfahrungswerten basieren. Die Anforderungen berücksichtigen, dass eine ausreichende Betondeckung, die Dichtigkeit des Betons und die Ausführungsqualität die maßgebenden Einflüsse sind. Die in Abhängigkeit der Expositionsklassen gestellten Mindestanforderungen sollen eine geplante Nutzungsdauer des Betons von mindestens 50 Jahren gewährleisten [7]. Für bestehende Bauwerke basiert der heutige Erhaltungsansatz auf Beobachtung, Prüfung, Schadenserfassung und Zustandsbewertung in festgelegten Zeitintervallen im Rahmen der Bauwerksprüfung. In Abhängigkeit von Schadenstyp und -umfang werden Maßnahmen unter Berücksichtigung von wirtschaftlichen Aspekten geplant und durchgeführt. Bei dauerhaftigkeitsrelevanten Einwirkungen können sich die Betoneigenschaften nachteilig verändern. Der Beton schützt mit seinem alkalischen Milieu zunächst den Stahl vor Korrosion durch den auf der Stahloberfläche ausgebildeten Passivfilm. Die Bewehrungskorrosion kann erst einsetzen, wenn der Passivfilm z. B. durch Chlorideindringen zerstört wird, d.h. bei Depassivierung der Bewehrung. Man geht davon aus, dass eine Schädigung nach Depassivierung der Bewehrung während der Wachstumsphase fortschreiten kann, wenn weitere Voraussetzungen erfüllt sind, wie z. B. ein ausreichender Feuchte- und Sauerstoffgehalt, s. Bild 1. Somit stellt die Depassivierung der Stahloberfläche in Prinzip noch keine Schädigung dar. Bild 1 zeigt, dass die Erfassung der Schäden in der Regel nach dem Auftreten von Schäden bzw. Mängeln stattfindet. Dies entspricht einem Stadium, in dem die Einleitungsphase lokal, an einige singulären Stellen des Bauwerks, beendet ist. Dieses Bemessungsformat ergibt aber kein quantitatives Kriterium für „das Ende der Nutzungsdauer“ und auch nicht für die Restnutzungsdauer von einem Bauwerk oder Bauteil und steht im Gegensatz zur Tragwerksbemessung für statische und dynamische Beanspruchungen. Das aktuelle Vorgehen ist an deskriptive Verhältnisse und an die Erfahrung gekoppelt. Mit dem aktuellen Vorgehen wird eine Ankündigung des Versagens vorausgesetzt. Die erkannten Schäden werden reaktiv und i.d.R. nach Auftreten beseitigt. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 309 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis Bild 1: Schädigungsverlauf in Anlehnung an [9] Zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit nach DIN EN 1990 [5] darf „das Maß der zeitabhängigen Änderungen der Eigenschaften“ nicht nur durch Messungen und Erfahrungen sondern auch durch Berechnungen oder in ihrer Kombination bestimmt werden. Eine Abschätzung des Bauwerkszustands bevor sichtbare Schäden entstehen kann zu einer prädiktiven und quantitativen Abschätzung der Restnutzungsdauer führen und somit zu einer Verbesserung und Vereinfachung der zu treffenden Maßnahmen im Rahmen des Erhaltungsmanagements beitragen. 2.2 Zur Berechnung der Restnutzungsdauer Die Berechnung der Restnutzungsdauer stützt sich auf die Bestimmung einer Lebensdauer, die bei einer Bemessung auf dem Vergleich zwischen einem geforderten Zuverlässigkeitsindex und der für die vorhandenen Einwirkungen und Bauteilwiderstände berechneten Bauteil-Zuverlässigkeit basiert: eine mögliche Schädigung (negative Veränderung der Betoneigenschaften) erreicht einen Grenzzustand mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Im Bauteil sind weder die Einwirkung noch das Verhalten des Bauteils exakt bekannt und sie sind stochastisch verteilt. Sowohl die Einwirkungen als auch die entgegengesetzten Bauteilwiderstände sind in hohem Maß zeitabhängig und folgen während der Initiierung und des Wachstums einer Schädigung (s. Bild 1) unterschiedlichen Gesetzen. Nach [1,2] ist die Bemessungsdauer mit einem Grenzzustand, mit einer zeitlichen Angabe in Jahren und mit einem bestimmten Wert für den Zuverlässigkeitsindex festzulegen. Das bedeutet, dass Angaben zu Wahrscheinlichkeiten zur Erfüllung der Anforderungen an die Bemessungsdauer aufgestellt werden, die der angestrebten Nutzungsdauer entsprechen. Die tatsächliche Lebensdauer endet, wenn ein Tragwerk oder ein Teil davon den Mindest-Sollzustand erreicht hat. Somit wird die Restlebensdauer als die noch vorhandene Lebensdauer zu einem bestimmten Zeitpunkt verstanden, vorausgesetzt dass der aktuelle Zustand bekannt ist. Das Ende der Lebensdauer wird in der Bemessung mit dem Grenzzustand der Tragfähigkeit (Ultimate Limit State ULS) oder mit dem Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (Serviceability Limit State SLS) berücksichtigt. Für die Dauerhaftigkeit wird die Depassivierung als Grenzzustand aller anderen Zustände betrachtet, die sich danach einstellen könnten. Somit werden bei der Dauerhaftigkeit meistens der Gebrauchstauglichkeit (SLS) ähnelnde Grenzzustände betrachtet. Sie entsprechen aber nicht den klassischen Grenzzuständen der Gebrauchstauglichkeit, weil nach der Überschreitung die Gebrauchstauglichkeit nicht unmittelbar beeinträchtigt wird. Sie bilden vielmehr Ersatzgrenzen [10]. Die Bemessungsdauer (geplante Lebensdauer) unter dauerhaftigkeitsrelevanten Einwirkungen ist an das Ende der Einleitungsphase gekoppelt. Die Berechnung beschränkt sich auf die Transportprozesse bis zur Depassivierung und somit ist die Bestimmung der Restnutzungsdauer mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nur bis zum Ende der Einleitungsphase möglich. Sowohl die Karbonatisierung des Betons als auch das Eindringen von Chloriden in die Betondeckung sind diffusionsgesteuerte Transportprozesse und für beide Mechanismen werden Modelle verwendet, die auf Diffusionsgesetzen basie- 310 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis ren. Der Grenzzustand wird erreicht, wenn ein kritischer Chloridgehalt an der ersten Bewehrungslage erreicht wird, beziehungsweise wenn die Karbonatisierungsfront bis zu dieser vordringt. Vor einer Bemessung muss die maximal akzeptierte Wahrscheinlichkeit, die die Eintrittswahrscheinlichkeit eines „Versagens“ darstellt, festgelegt werden. Stattdessen kann auch ein Zuverlässigkeitsindex angegeben werden. Dieser ist über die inverse Funktion der Normalverteilung definiert. Übliche Zuverlässigkeitsindizes für neue Betonbauteile, die zum Ende der geplanten Nutzungsdauer erreicht werden sollen, werden in Abhängigkeit von der Exposition mit β = 0,5 und β = 1,5 angegeben [11]. Diese Zuverlässigkeitsindizes korrespondieren mit einer Depassivierungs-Wahrscheinlichkeit von 3 0,8 % bzw. 6,7%. Ziel der vollprobabilistischen Bemessung ist die Berechnung der Wahrscheinlichkeit, dass ein Bauwerkwerk oder ein Teil davon die festgelegte Bemessungsdauer erreicht. Für eine quantitative Dauerhaftigkeitsbemessung sind probabilistische Prognosemodelle für den Grenzzustand der Depassivierung in den letzten Jahrzehnten entwickelt worden [1, 2]. 3. Herausforderung des probabilistischen Verfahrens Die Anwendung von probabilistischen Berechnungs-verfahren für die Dauerhaftigkeit kann auch für Brückenbauwerke aus Beton in deutschen Bundesfernstraßen möglich sein und für die Erhaltungspraxis herangezogen werden [4]. Jedoch benötigen die Methoden Ergebnisse aus Labor- und Bauwerkprüfungen, um die altersabhängigen Eingangsparameter der Modelle zuverlässig ermitteln zu können. Die relevanten Eigenschaften der Betondeckung sollten vor dem Eintreten von visuellen Schäden erfasst werden und der Umfang der Prüfungen sollte unter Berücksichtigung der für die Modelle notwendigen Daten festgelegt werden. 3.1 Die Modelle und die Modellparameter Es gibt viele empirische und semiempirische mathematische Modelle, die die Schädigung bis zum Ende der Einleitungsphase beschreiben. Diese Modelle betrachten mit unterschiedlicher Genauigkeit die physikalischen, chemischen, lagerungsbedingten, geometrischen und betontechnologischen Einflüsse. Die mathematischen Modelle zur Beschreibung der Materialschädigung in [1,2] basieren auf den Modellen, die im Europäischen Projekt DuraCrete entwickelt wurden [12]. Diese Modelle sind für die karbonatisierungsinduzierte und chloridinduzierte Korrosion vollständig entwickelt. Die Schädigungsmodelle in [1,2] stellen durch Gleichungen und Orientierungsbeiwerte der Variablen ein operatives Anwendungsmodell dar. In einem solchem Modell wird die Schädigung über den Chloridgehalt in der Tiefe der Betondeckung unter Berücksichtigung der zu quantifizierenden Eingabeparameter ermittelt. Die Variablen im Modell stellen den Widerstand über einen zeitabhängigen Diffussionskoeffizient des Betons und die Einwirkung über den zeitabhängigen Chloridgehalt in der Tiefe dar. Darüber hinaus werden Parameter zur Berücksichtigung der Temperatur und der Prüfmethode einbezogen. Dabei wird vorausgesetzt, dass der diffusionsbedingte Transport in nicht ständig wassergesättigtem Beton erst ab einer bestimmten Tiefe (Konvektions- oder Ersatzzone) der maßgebende Transportprozess ist. Deshalb wird eine Anpassung in der Diffussionsgleichung ab der Tiefe dieser Zone durchgeführt. Zur Abschätzung des Chloridgehalts C(x,t) in Tiefe x zu Zeit t wird Gleichung (1) angewendet [1]: (1) Dabei sind C 0 der Eigenchloridgehalt des Betons, C S, Δ x der Chloridgehalt an der Ersatzoberfläche in einer Tiefe x = Δ x und D app (t) der zeitabhängige scheinbare Chlorid- Diffusionskoeffizient. Der Chlorid-Diffusionskoeffizient wird als „scheinbar“ bezeichnet, weil während des diffusionsgesteuerten Chloridtransports einige Chloridionen eingebunden oder Interaktionen mit anderen Ionen in Betongefüge eingehen können. Die zeitliche Entwicklung des Diffusionskoeffizients D app (t) wird in Abhängigkeit vom Referenzzeitpunkt t0 nach Gleichung (2) ermittelt: (2) Dabei ist D RCM (t 0 ) in m²/ s der Chloridmigrationskoeffizient, der mit dem Schnellchloridmigrationstest RCM in Labor im Alter t 0 ermittelt wird [3]. Der Beiwert α (-) stellt den sogenannten Alterungsexponent für die Zeitabhängigkeit von D app dar und der Umweltparameter k e berücksichtigt den Einfluss der Umgebungstemperatur [1]. Der scheinbare Diffusionskoeffizient D app (t) kann auch statt mit D RCM (t 0 ) über den instationären Chloriddiffusionskoeffizienten D nss (t 0 ) nach DIN EN 12390-11 [13] experimentell bestimmt werden. Jedoch unterscheiden sich die Werte der Diffusionskoeffizienten in Abhängigkeit von der Versuchsmethode. Der Alterungsexponent wird durch die Zementart und Exposition beeinflusst und wird mit Werten zwischen 0 und 1 bestimmt. Bei α =0 sind die für das Chloridein-dringen maßgebenden Transporteigenschaften des Betons über die Zeit konstant. Für 0 < α < 1 wird eine Abnahme des Diffusionskoeffizienten über die Zeit ermittelt; für α = 1 bleibt das Chloridprofil ab t 0 über die Zeit konstant. Andere Werte für α und auch eine Zeitabhängigkeit des Exponenten sind theoretisch denkbar, wird jedoch in 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 311 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis den vorhandenen Modellen für den Alterungsexponenten nicht betrachtet [14]. Als Orientierungswerte können die für Gleichung 2 notwendigen Werte aus Literaturstellen entnommen werden: D RCM (t 0 ) wird in Abhängigkeit von der Betonzusammensetzung (Zementart- und -gehalt sowie vom w/ z-Wert) und α in Abhängigkeit von der Zementart und Exposition angegeben [1,2,3]. An dieser Stelle ist jedoch Vorsicht geboten und nur Parameter, die mit gleichen Versuchsmethoden bestimmt wurden, sind anzuwenden. Der Zeitpunkt t 0 wird i.d.R. mit 28d angegeben. Zum Beispiel werden Mittelwerte für D RCM (t 0 =28d) von 15,8 ∙ 10 -12 m²/ s bzw. 2,8 ∙ 10 -12 m²/ s für einen CEM I 42,5 R bzw. CEM I 42,5 R mit Flugasche mit einem äquivalenten w/ z-Wert von 0,50 angegeben; für den Alterungsexponent α werden Mittelwerte in Abhängigkeit von der Zementart in den Expositionsklassen XD2 und XD3 von 0,30 für CEM I 42,5 R und 0,60 für CEM I 42,5 R mit Flugasche angegeben. Für die Expositionsklasse XD1 kann unabhängig von Zementart ein Mittelwert für a von 0,65 angenommen werden [z.B. 1,2,12]. Orientierungswerte für die Ersatzoberfläche und ihren Chloridgehalt können auch aus der Literatur entnommen werden. Falls Daten aus bestehenden Bauwerken vorhanden sind, kann Gleichung (3) angegeben werden: (3) Dabei wird D app (t i ) und aapp durch eine Regressionsanalyse gemessener Chloridprofile aus dem Bauwerk für mindestens 2 verschiedenen Zeitpunkte bestimmt. Hierfür muss das erste Chloridprofil mindestens 10 Jahre nach der Beaufschlagung des Bauteils erfasst werden und der zeitliche Abstand zwischen den weiteren Chloridprofilen minimal 5 Jahre betragen. Ebenfalls kann der Alterungsexponent aus Untersuchungen anderer Bauwerke mit gleicher Betonzusammensetzung, Ausführungsqualität und Einwirkungsbedingungen erfolgen [3,10]. Eine Bewertung der Restnutzungsdauer bei Anwendung der vollprobabilistischen Methode setzt jedoch Kenntnisse über den Einfluss der Eingangsparameter auf die Ergebnisse voraus. In der Erhaltungspraxis sind Kenntnisse über die Auswirkungen auf den zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenen Chloridgehalt im Bauwerk, bzw. auf die Lebensdauer notwendig, um bei der Erhaltungsstrategie mögliche Szenarien berücksichtigen zu können. Obwohl die Berechnungen vollprobabilistisch durchzuführen sind, kann der Planungsund/ oder Erhaltungsingenieur den relativen Einfluss verschiedener Parameter auf die Ergebnisse mit einer einfachen Tabellenkalkulation und zunächst ohne probabilistische Ansätze, d.h. deterministisch, abschätzen. Bild 2: Deterministisch berechnete Lebensdauer in Abhängigkeit der Alterungsexponent α [15] Bild 2 zeigt als Beispiel die deterministisch ermittelte Lebensdauer in Abhängigkeit vom Alterungsexponenten. Eine Änderung des Alterungsexponenten von 0,5 auf 0,6 würde bei einer Betondeckung von 45 mm eine Änderung der Lebensdauer von ca. 100 auf 1000 Jahre bedeuten. Die Ergebnisse in Bild 2 wurden mit Gleichung (2) ermittelt. Jedoch können die zunächst aus Literaturstellen übernommenen Werte für die Berechnungen stark von den im Bauwerk bestimmten Werten abweichen. Zum Beispiel wird für einen Zement CEM III B ein Alterungsexponent von 0,45 angegeben [1], während die auf Chloridprofilen basierenden Alterungsexponente realer Strukturen einen Wert von mehr als 0,60 ergaben [15]. Die deterministischen Berechnungen können nur eine erste Hilfestellung sein. Um den Einfluss von maßgebenden Parametern bei probabilistischen Berechnungen veranschaulichen zu können sollten z. B. Sensitivitätsanalysen herangezogen werden. Sie zeigen die Auswirkung streuender Eingangsparameter vom Modell auf das Ergebnis. Bild 3 zeigt ein Beispiel für die Sensitivitätsanalyse unter Anwendung der deskriptiven Regeln für Brückenbauwerke aus Beton nach ZTV-ING [16]. Für die Bemessung werden die Auswirkungen hoher Einwirkungen und geringer Materialwiderstände denen hoher Materialwiderstände und geringer Einwirkungen gegenübergestellt. Dabei wurden reale Klimadaten verschiedener Orte in Deutschland berücksichtigt. Bild 3 zeigt, dass vor allem unter vollprobabilistischen Betrachtungen der Alterungsexponent, der Chloridgehalt an der Ersatzoberfläche und die Temperatur in Abhängigkeit von der Bemessungssituation maßgebend sind. Die Ergebnisse zeigen [17], dass für XD-exponierte Bauteile genaue Angaben des Alterungsexponenten, der Diffusionskoeffizienten, der Oberflächenchloridgehalt und der Temperatur die Modellunsicherheit reduzieren. Die ausgeführten Zusammenhänge zeigen, dass der Einfluss der Parameter im Modell auf die Ergebnisse sehr groß sein kann. Und somit stellen sich einige offene jedoch praxisrelevante Fragen, die zurzeit noch nicht beantwortet werden können. An dieser Stelle und für die Erhaltungspraxis sind insbesondere von Bedeutung: die 312 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis Auswirkung und Bedeutung der Streuung und der Annahmen in den Modellen bezüglich der Zeitabhängigkeit der Koeffizienten und der Prüfungen im Vergleich mit den Ergebnissen aus der Bauwerksprüfung. Darüber hinaus ist die Auswirkung von Vereinfachungen in den Annahmen und Berechnungen auf die berechnete Restnutzungsdauer zu erfassen, um die Prognose um mögliche Maßnahme im Rahmen der Erhaltungspraxis einschätzen zu können. 3.2 Die Prognose bis zur Depassivierung Bei Dauerhaftigkeitsbetrachtungen nimmt die Schädigung und somit die „Versagenswahrscheinlichkeit“ mit der Zeit zu, d.h. die Wahrscheinlichkeit der Depassivierung steigt und somit nimmt mit der Zeit die Zuverlässigkeit im Hinblick auf Depassivierung ab. Bei einer probabilistischen Prognose der Lebensdauer unter z. B. Chlorideindringen in die Betondeckung wird eine akzeptierte Eintrittswahrscheinlichkeit der Depassivierung, bzw. des damit verbundenen und im Voraus festgelegten Zuverlässigkeitsindex verbunden. Die Zuverlässigkeit ist ein Wahrscheinlichkeitsbegriff, der mit der Wahrscheinlichkeit des Versagens korreliert. Zum Beispiel bedeutet ein Index von b = 0 eine Versagenswahrscheinlichkeit von 50% und negative Werte des Index sind mit einer Wahrscheinlichkeit > 50% verbunden. Eine Wahrscheinlichkeit von 100 % bedeutet, dass mit Sicherheit überall im Bauteil Depassivierung eingetreten ist. Eine Wahrscheinlichkeit von 0% bedeutet, dass im Bauwerk nirgendwo Depassivierung der Bewehrung eingetreten ist [15]. 1: >S, <R; 2: <S, >R; S: Exposition; R: Material, Geometrie c: 45 mm und 55 mm; z = 320 kg/ m 3 ; w/ z = 0,50 Bild 3: Beispiel für die Sensitivitätsanalyse für die Exposition XD nach [17] Die Bestimmung von b ist vom Grenzzustand abhängig und muss durch Transformation der Variablen und Iteration bestimmt werden. Dabei kann gezeigt werden, dass die berechnete Zuverlässigkeit von der statistischen Streuung der Parameter im Modell abhängig ist. Die Faktoren für diese Abhängigkeit werden als Sensivitätsfaktoren bezeichnet: Je größer der Sensitivitätsfaktor einer Zufallsvariable ist, desto größer ist deren Einfluss auf die Depassivierung, s. Bild 3. Die aktuellen Konzepte zur Bemessungsdauer (geplante Lebensdauer) sind an das Ende der Einleitungsphase gekoppelt. Somit bestimmen die Berechnungen eine mathematische Wahrscheinlichkeit für die Depassivierung. Diese Wahrscheinlichkeit gibt aber keinen eindeutigen Hinweis über das Ausmaß einer möglichen Korrosion, obwohl man davon ausgeht, dass je höher die Wahrscheinlichkeit ist, desto größer die betroffenen Bereiche sein mögen. Auf welche Weise die rechnerisch angestrebte und bestimmte Bemessung erreichtwird, hängt einerseits vom Bemessungskonzept und andererseits von den bei der Festlegung der Zuverlässigkeit relevanten Wirtschaftlichkeitsüberlegungen ab, wie z. B. Ursache und Folgen des Versagens, Kosten, Akzeptanz des Versagens. Im aktuellen pränormativen Regelwerk werden nicht einheitliche Werte für die Zuverlässigkeitsindizes angegeben. Die Festlegung der Versagenswahrscheinlichkeit für die Dauerhaftigkeit wird nach [1] mit einem b = 1,28, d.h. eine Wahrscheinlichkeit der Depassivierung von ca. 10% betrachtet. Dieser Wert liegt etwas höher als der in DIN EN 1990 [5] empfohlene Wert für die Gebrauchstauglichkeit. In DuraCrete [12] werden Wahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit von den ggf. akzeptierten Kosten für eine Instandsetzungsmaßnahme zwischen 10 % ( b = 1,28) und 0,009 % ( b = 3,72) angegeben. Übliche Zuverlässigkeitsindizes für neue Betonbauteile, die zum Ende der geplanten Nutzungsdauer erreicht werden sollen, werden in Abhängigkeit von der Exposition mit b = 1,5 für XC1(ständig nass), XC2, XC4 und XD1 und b = 0,5 für XC3, XD3 und XD2 angegeben [11]. Diese Zuverlässigkeitsindizes korrespondieren mit einer Depassivierungs-Wahrscheinlichkeit von 30,8 % bzw. 6,7 %. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 313 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis Eingangsparameter C S, Δ X : µ = 3,00 %, s = 0,60 %, Normal; C 0 : µ = 0,10 %, s = 0,025 %, Normal; D RCM (t 0 = 28d): µ = 1,9∙10 -12 m 2 / s, s = 0,38∙10 -12 m 2 / s, LogNormal; C crit : µ = 0,60 %, s = 0,15 %; a= 0,2; b = 2,0; Beta; Δ x = 0 mm; c: µ = 60 mm, s = 8 mm; Normal; T real : µ = 284,4 K, s = 7,5 K, Normal, T ref : 293 K; Monte Carlo-Simulation mit 50.10³ Simulationen (Chloridprofile) Bild 4: Depassivierungswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom Alterungsexponenten Bild 4 zeigt der Einfluss des Alterungsexponents a auf die Ergebnisse der Depassivierungs-Wahrscheinlichkeit ab dem Zeitpunkt einer Bauwerksprüfung (t insp ) von 30 Jahren und abhängig von den zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Werten aus gemessenen Chloridprofilen. Für einen akzeptierten Wert von b =1,5 wird der berechnete Grenzzustand hinsichtlich Depassivierung im diesem konkreten Beispiel für XD2 oder XD3, und abhängig vom α -Wert zwischen ca. 23 bis 45 Jahre nach der Inspektion erreicht. Diese Zeitspanne ist durch die Variation des Alterungsexponents bedingt. Soll der Zuverlässigkeitsindex oder die der Anzahl an dem Zeitpunkt t insp verfügbare Chloridprofile kleiner werden, dann nimmt diese Zeitspanne zu. Dies könnte der Ungenauigkeit beim Alterungsexponent entsprechen. Die in Bild 4 grafisch dargestellten Ergebnisse basieren auf einer vollprobabilististischen Berechnung. Dabei sind die notwendigen statistischen Angaben zum kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalt Ccrit aus [1] verwendet worden. Jedoch wird in der Literatur über wesentlich höhere kritische Chloridgehalte für die meiste Praxisfällen berichtet [18,19]. In [18] wird eine deutliche Variation des Ccrit anhand von Untersuchungen an verschiedenen Bauwerken festgestellt. Die Werte liegen teilweise unter- und teilweise oberhalb des Normwerts. Das Fazit ist, dass für eine zuverlässige Restnutzungsbemessung der kritische Chloridgehalt objektspezifisch betrachtet werden sollte. In [17] wurden übliche Betonzusammensetzungen nach ZTV-ING [16] vollprobabilistisch berechnet. Bild 5 zeigt, dass sich der berechnete Zuverlässigkeitsindex im Soll- und Ist-Zustand im Spektrum der für die XD1-Exposition berechneten Zuverlässigkeitsindices unter Berücksichtigung der deskriptiven Angaben in ZTV-ING [16] befinden. Zuverlässigkeit. Spektrum, Soll- und Ist-Zustand D RCM (t 0 ) [10 -12 m²/ s] C S, Δ x [M%/ b] c [mm] Spektrum: XD1_1_45; XD1_2_45 z = 320 kg/ m³; w/ z = 0,50 µ 15,8; 2,8 1,5; 0,5 45 s 3,16; 0,56 1,1; ,4 3 Soll-Zustand; Ist-Zustand Baujahr 1965; Inspektion 1999 CEM I; z = 350 kg/ mm³, w/ z = 0,38 µ 8,9; 0,3 1,0; 0,35 45; 33 s 1,78; 0,3 0,75; 0,2 5,0; 5,5 α = 0,65 ± 0,12; b e = 4800 ± 700 K; Δ x = 0 mm; C 0 = 0 M.-%/ b; C crit = 0,6 ± 0,15 M.-%/ b µ: Mittelwert; s : Standartabweichung Bild 5: Beispiele für die Entwicklung der Zuverlässigkeit für die Exposition XD1 mit Gleichung (1) nach [17] Für den Soll-Zustand wurden Parameter aus der Literatur für die vorhandene Betonzusammensetzung gewählt; für den Ist-Zustand wurde der Diffusionskoeffizient, der aus sechs Chloridprofilen, die in jeweils drei Tiefen aus einer Bauwerksprüfung aus ungerissenen Bereichen gemessen wurden, abgeleitet [17]. Bild 5 zeigt auch, dass eine Zielzuverlässigkeit von b = 1,5 für starke Einwirkung und schwachen Chlorideindringwiderstand rechnerisch nicht über 50 Jahre eingehalten wird. Liegen jedoch hohe Widerstände bei schwachen Einwirkungen vor, fällt b rechnerisch auch nach 100 Jahren nicht unter 2 und ist damit auf der sicheren Seite. Im Ist-Zustand ist b größer als im Soll-Zustand, obwohl die reale Betondeckung kleiner als der vorausgesetzte Wert ist und die reale Oberflächenchloridgehalt schwächer als die angenommene Chloridbelastung. Auch noch nach 100 Jahren wird rechnerisch ein höherer Zuverlässigkeitsindex als der geforderte Wert gefunden. 314 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis Eine Anwendung setzt eine Validierung der Berechnungen in der Praxis für Brückenbauwerke voraus. Die Ergebnisse in [17] können nicht unmittelbar in der Praxis Berücksichtigung finden, da für eine sichere Anwendung noch deutlich mehr Ingenieurbauwerke aus verschiedenen Expositionsklassen mit einer breiteren Auswahl an Standorten/ Expositionen und Betonzusammensetzungen zur Verifizierung der Modellanalyse und vor allem für die Expositionsklassen XD2 und XD3 notwendig sind. Die Ergebnisse zeigen, dass die Anwendung von numerischen Programmen für diese Bestimmungen unverzichtbar ist. Jedoch wäre eine scharfe Trennung zwischen möglichen Methoden, Annahmen, Berechnungen, Ergebnissen und Vergleichen von Vorteil, um in der Praxis die Anwendung zu ermöglichen. 3.3 Ergebnisse für Ingenieurbauwerke Eine Verbesserung der Genauigkeit der rechnerischen Vorhersage wird durch den Vergleich mit Ergebnissen aus Ingenieurbauwerken erreicht. Jedoch stellt eine sinnvolle Anwendung solcher Modelle hohe Anforderungen an die Quantität und Qualität der Ergebnisse der Bauwerksprüfung. Zum Beispiel ist die Messung der realen Betondeckung notwendig, falls sie bei der Abnahme nicht bestimmt wurde. Darüber hinaus wird es in [17] empfohlen, dass z. B. im Fall der Chloridexposition die Proben aus mindestens vier, besser fünf relevante Tiefenlagen entnommen werden sollen. Darüber hinaus sind die Proben im Bauwerk aus nicht beschädigten Betonoberflächen zu entnehmen um sicherzustellen, dass die Ergebnisse der Einleitungsphase entsprechen. Nach [2] werden Risse bis 0,2 mm für die Dauerhaftigkeit nicht berücksichtigt und der Depassivierungsfortschritt des Stahls im Beton mit Rissen bis 0,2 mm wird analog zum ungerissenen Beton angenommen. Aus den vorhandenen wissenschaftlichen Literaturstellen sind zurzeit eindeutige Zusammenhänge zwischen Berechnungen und Messdaten aus Ingenieurtragwerken nicht zu entnehmen. Solche Informationen werden vermisst um die Streuung der Variablen in den Modellen absichern zu können. Experimentelle Ergebnisse aus Laborprüfungen und Bauwerksprüfungen und die daraus resultierenden Berechnungen sollten vergleichend dargestellt werden. Der Einfluss der Betonzusammensetzung auf die Modellergebnisse sollte zunächst anhand von Laboruntersuchungen vergleichend mit den Ergebnissen aus dem Bauwerk dargestellt werden. Unter Berücksichtigung der bestehenden Bauwerke stellt sich grundsätzlich die Frage über den Einfluss der Auswirkung der Ausführungsqualität und der Anzahl an kostenspieligen Untersuchungen. Die Bauwerksprüfverfahren sind nicht immer einheitlich. Welche Untersuchungen erforderlich wären, um die Genauigkeit der Ergebnisse zu verbessern und eine Vereinfachung treffen zu können, ist zurzeit noch unbekannt. Darüber hinaus stellt es sich heraus, dass für Brückenbauwerke viele Untersuchungen, Berechnungen, Anwendungen und Validierungen vorhanden sind. Jedoch ist die enthaltene Information kaum verfügbar und es wäre vom Vorteil, wenn diese Ergebnisse Eingang durch eine geeignete Betrachtung in die genannten Prognosen finden könnten. Den vorhandenen Berechnungen mangelt es manchmal an Transparenz bei der Abschätzung der Orientierungswerte. Vereinfachungen bei den Annahmen und deren Auswirkung auf die Genauigkeit bleiben unbekannt. Die Erfahrung des Ingenieurs ist gefragt, jedoch ist tatsächlich die für die Auswahl nötige Erfahrung in der Regel nicht vorhanden. Somit ist die Frage der Möglichkeiten der Analyse der Ergebnisse durch Planungs- und Prüfingenieure von Bedeutung. 4. Aspekte für eine praktikable Bemessung Die aktuelle Erhaltungspraxis erfasst Schädigungsprozesse im Brückenbau, die zu Schäden und Mängeln im Bauwerk führen können, durch planmäßige Inspektionen im Rahmen der Bauwerksprüfung. Hier werden auch typische Schädigungen im Sinne z. B. der Karbonatisierung des Betons und der Chlorideindringung in den Beton berücksichtigt. Dabei wird ein gewisses Schädigungsniveau in Abhängigkeit von der Tiefe der Karbonatisierungsund/ oder der Chlorideindringtiefe erreicht und Beurteilungsnoten werden erteilt. Diese Ergebnisse ermöglichen eine systematische und sichere Bauwerkserhaltung. Jedoch ist es denkbar, dass die probabilistischen Verfahren die Grundlage zur Vorhersage der Nutzungsdauer und der damit verbundenen Restnutzungsdauer in Brückenbauwerken darstellen können. Der in den vorherigen Abschnitten beschriebene Ansatz für die Dauerhaftigkeit benötigt Ergebnisse aus Labor- und Bauwerksprüfungen. Die Betoneigenschaften des Bauwerks sollten vor dem Eintreten von visuellen Schäden erfasst werden und der Umfang der Prüfungen sollte unter Berücksichtigung der für die Ansätze notwendigen Daten festgelegt werden. Vereinfachungen der Methoden, Selektierung der Parameter und Darstellung ihrer Auswirkung auf die Ergebnisse sowie die Analyse, die aus der Schadensebene auf die Systemebene und aus der Bauteilebene auf das System Brücke schließt, können eine Basis zur Bewertung der Ergebnisse bilden. Angesichts der noch bestehenden Herausforderungen bei der Anwendung eines solchen Ansatzes sind folgende Aspekte zu betrachten: - Die physikalische Bedeutung der Parameter und seiner Genauigkeit in den rechnerischen Modellen und die Möglichkeiten von Vereinfachungen im Hinblick auf eine praktische Anwendung - Die notwendigen Prüfungen für Validierung und Überprüfung - Die Erklärung der physikalischen Bedeutung der Zuverlässigkeit und der Folgen für das Bauwerk-Ma- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 315 Bedeutung der Restnutzungsdauer von Ingenieurbauwerken für die Erhaltungspraxis nagement in Abhängigkeit von gewähltem Parameter in Modell - Erläuterungen durch Beispiele und Betrachtungen zur Wirtschaftlichkeit der Methode Mit solchen probabilistischen Methoden und ihrer Validierung ist denkbar eine Verkopplung zwischen Prognose, Inspektionen, und Erhaltung zu entwickeln. Hierfür scheint zusätzlich zur weiteren Forschung, ein regelmäßiger fachlicher Austausch zwischen Bauherren, Planern und Wissenschaft wichtig zu sein. Dabei könnten die Möglichkeiten einer Umsetzung der Verfahren für Straßeninfrastrukturen betrachtet werden. Somit kann eine Strategie für eine effiziente Durchführung von notwendigen Labor- und Bauwerksuntersuchungen in Zusammenhang mit den o. g. Ansätzen erarbeitet werden. Die Ergebnisse sollen eine Lebensdauerbewertung unter Berücksichtigung der heutigen und der zukünftigen Vorgehensweisen ermöglichen. Vollprobabilistische Ansätze können einen Übergang von den derzeitigen deskriptiven Bewertungsverfahren zu einer Vorgehensweise ermöglichen, die sich auf einer leistungsbezogenen und ggf. zuverlässigkeitsbasierten Ansatz stützt. Dadurch könnte die Erhaltungsstrategie ergänzt und die Implementierung eines Lebenszyklusmanagements ermöglicht werden. Zurzeit sind nur unpräzise Aussagen über die tatsächliche Nutzungsdauer von Brücken bezüglich der Dauerhaftigkeit möglich. Literatur [1] Fib Bulletin 34: Model Code for Service Life Design. International Federation for Structural Concrete. Lausanne, February 2016 [2] Fib Model Code for Concrete Structures 2010. Ernst&Sohn, Berlin 2013 [3] BAW-Merkblatt: Dauerhaftigkeitsbemessung und -bewertung von Stahlbetonbauwerken bei Karbonatisierung und Chlorideinwirkung (MDCC). Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) 2017 [4] Alonso Junghanns, M.T.; Haardt, P.: Rechnerische Dauerhaftigkeitsbemessung für Brückenbauwerke aus Beton: Status quo. In: Technische Akademie Esslingen „6. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - 22. und 23. Januar 2019“. [5] DIN EN 1990: 2010-12: Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung. Deutsche Fassung EN 1990: 2002 + A1: 2005 + A1: 2005/ AC: 2010, Beuth, Berlin [6] DIN EN 1992-2: 2010-12: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbeton-tragwerken - Teil 2: Betonbrücken - Bemessungs- und Konstruktionsregeln; Deutsche Fassung EN 1992-2: 2005 + AC: 2008, Beuth, Berlin [7] DIN EN 206: 2017-01: Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität; Deutsche Fassung EN 206: 2013+A1: 2016, Beuth, Berlin [8] RI-ERH-ING: Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten. Leitfaden Objektbezogene Schadensanalyse OSA [9] Schießl, P., Mayer, T.: Schlussberichte zur ersten Phase des DAfStb/ BMF- Verbundforschungsvorhaben „Nachhaltiges Bauen mit Beton“. DAfStb Heft 572, Beuth, Berlin 2007 [10] Fib Bulletin 59: Condition Control and assessment of reinforced Concrete Structures. International Federation for Structural Concrete, Lausanne, May 2011 [11] D eutscher Ausschuss für Stahlbeton: Positionspapier des DAfStb zur Umsetzung des Konzepts von leistungsbezogenen Entwurfsverfahren unter Berücksichtigung von DIN EN 206-1, Anhang J. Beton- und Stahlbetonbau 103 (2008), Heft 12, 837- 839 [12] DuraCrete, DuraCrete Final Technical Report, Document BE95-1347/ R17, May 2000 [13] DIN EN 12390-11: 2015-11: Prüfung von Festbeton - Teil 11: Bestimmung des Chloridwiderstandes von Beton - Einseitig gerichtete Diffusion; Deutsche Fassung EN 12390-11: 2015 [14] Gulikers, J.: Predicting residual service life of concrete infrastructure: a considerably controversial subject. In: MATEC Web of Conferences 289, 08002 (2019), Concrete Solutions [15] Ferreira, R.M; Gulikers, J.: Critical Considerations on the Assessment of the Durability (Serviceability) Limit State of Reinforced Concrete Structures. In: 11DBMC International Conference on Durability of Building Materials and Components. Istanbul 11-14 May, 2008 [16] ZTV-ING: Zusätzliche Technische Vertragsbe-dingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten, Teil 3 Massivbau, Bundesanstalt für Straßenwesen, 2017 [17] Keßler, S.; Gehlen, C.: Untersuchungen zum Einfluss von Modellparametern auf die Lebens-dauerprpgnose für Brückenbauwerke. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Brücken.- Und Ingenieurbau Heft B 149. Bergisch Gladbach, Februar 2020 [18] Boschmann Käthler, C.; Angst, U.: Der kritische Chloridgehalt - Bestimmung am Bauwerk und Einfluss auf die Lebensdauer. Bautechnik 97 (2020), Heft 1, 41-47 [19] Breit, W.; Dauberschmidt, C.; Gehlen, C.; Sodeikat, C; Taffe, A.; Wiens,U.: Zum Ansatz eines kritischen Chloridgehaltes bei Stahlbetonbau-werken. Beton- und Stahlbetonbau 106 (2011), Heft 5, 290- 298 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 317 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Dr. Matthias Bernhard Lierenfeld Valtest AG, CH-Lalden Nathan Metthez Valtest AG, CH-Lalden Philipp Truffer Valtest AG, CH-Lalden Zusammenfassung In den letzten Jahren wurden vermehrt leistungsbezogene d.h. performancebasierte Konzepte und Anwendungshilfen zur differenzierten Abschätzung von Bauteilwiderständen entwickelt. Diese bieten einem die Möglichkeit, dass u.a. mittels am bestehenden Bauwerk ermittelten Kennwerten, wie z.B. dem scheinbaren Diffusionskoeffizienten, fundierte Kennwerte für die Dauerhaftigkeitsbemessungen bestimmt werden können. Diese werden z.B. aufgrund von gemessenen Chlorideindringprofilen mittels Curve-Fittings bestimmt. Zurzeit wird der Chloridgehalt standardmässig nasschemisch am Bohrmehl bestimmt, wodurch verfahrensbedingten Einschränkungen auftreten (z.B. durch die Homogenisierung der Proben oder relativ grosse Schrittweiten (im Normalfall 10 mm) bei den Tiefenstufen). Die Summe dieser Nachteile führt zu Ungenauigkeiten bei der Ermittlung der erwähnten Kennwerte und der darauf basierenden Aussagen. Ein Ausweg bietet hierbei die laserinduzierte Plasmaspektroskopie (LIPS), mit deren Hilfe diese Einschränkungen wegfallen. Mit einem Messraster von bis zu 0.1 mm können wesentlich präzisere Datengrundlagen bei den Chlorideindringprofilen ermittelt werden. Bei den weitergehenden Analysen wird zudem nicht ein fixer Wert des kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalts angesetzt, sondern dieser wird gemäss eines an der ETH Zürich entwickelten Verfahrens, objektbzw. bauteilspezifisch an entnommenen Bohrkernen einzeln bestimmt. Im vorliegenden Beitrag wird hierauf unter Einbezug von Messdaten und -auswertungen aus LIPS -Untersuchungen eingegangen. 1. Ausgangslage Bauwerke müssen tragsicher, gebrauchstauglich und im Normalfall auch dauerhaft sein. Das Thema Dauerhaftigkeit von Beton ist nicht erst seit der Katastrophe des Polcevera-Viadukts 2018 in Genua (hoch)aktuell. Zusätzlich verursachen korrosionsbedingte Schäden monetäre Kosten in der Grössenordnung von ca. 3 % des Bruttoinlandprodukts [1]. Unter der Voraussetzung, dass er fachgerecht hergestellt und verarbeitet sowie optimal nachbehandelt wurde, ist Stahlbeton eigentlich ein dauerhafter Baustoff. Stark und Wicht definieren in [2] die Dauerhaftigkeit von Beton dementsprechend, dass Bauteile aus Beton bei Beanspruchungen durch Einwirkungen aus Betrieb und Umwelt über die vorgesehene Nutzungsdauer bei ausreichender Wartung und Instandhaltung genügend beständig sind. Der Nachweis der Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit wird durch entsprechende Bemessungs- und vielfach normenbasierte Nachweisverfahren gewährleistet. Die Anforderungen an die Dauerhaftigkeit werden hingegen über erfahrungsbasierte, empirische Regeln abgehandelt. Je nach Exposition des Betonbauteils muss der Beton z.B. eine Mindestzementmenge, einen maximalen Wasser-Zementwert und eine minimale Bewehrungsüberdeckung aufweisen. Mit der Einhaltung dieser deskriptiven und rein empirischen Regelungen aus der Betonnorm EN 206 [3] wird davon ausgegangen, dass damit eine Nutzungsdauer von 50 bzw. 100 Jahren erreicht werden kann wird. Betonbauteile unterliegen vielfältigen und hohen Beanspruchungen aus nutzungs- und umweltbedingten Einwirkungen. Die dadurch ausgelösten Schäden nehmen über das Bauteilalter progressiv zu, wodurch erhebliche Kosten verursacht werden. Bei Fragen zur weiteren 318 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Schadensentwicklung und Restnutzungsdauer, geben die oben erwähnten deskriptiven Ansätze jedoch, aufgrund fehlender Informationen zur Zusammensetzung der Baustoffe, vielfach nur unzureichende Antworten und Hilfestellungen. Bei Einwirkungen auf Betonbauteile infolge Karbonatisierung und/ oder Chloridbeaufschlagung liefern leistungsbezogene d.h. performancebasierte Konzepte und Anwendungshilfen fundiertere Lösungsansätze. 2. Bemessung der Dauerhaftigkeit und Lebensdauerprognose Grundsätzlich bestehen bei semiprobabilistischen Dauerhaftigkeitsbemessungen keine Unterschiede, ob diese bei einer Dauerhaftigkeitsbemessung (Neubau) oder einer Lebensdauerprognose (Bestandsbau) zur Anwendung kommen. Es finden die gleichen Schädigungs-Zeit-Gesetze, probabilistischen Methoden und Grenzzustandsdefinitionen Verwendung. Nachfolgend wird vermehrt auf die Lebensdauerprognose bei bestehenden Bauwerken eingegangen. Eine nachhaltige Instandsetzungsplanung erfordert gemäss der DAfStb-Instandsetzungsrichtlinie [4] eine detaillierte Zustandserfassung des betroffenen Betonbauwerks (inkl. Bewertung von Schäden und deren Schädigungsentwicklung, die einen Einfluss auf die Dauerhaftigkeit des Betons ausüben). Mit dem heutigen deskriptiven Ansatz sind verlässliche Aussagen jedoch nicht bzw. nur bedingt möglich. Trotzdem sehen sich Fachleute gezwungen, fundierte Aussagen zur weiteren Entwicklung der Schädigung am Bauwerk (Lebensdauerprognose) und über mögliche einzuleitende Massnahmen zu machen, damit die angestrebte Nutzungsdauer erreicht wird. Aussagen und Einschätzungen zur Restnutzungsdauer oder zu Instandsetzungsmassnahmen sollten nicht willkürlich getätigt werden, sondern auf der Berechnung des fortschreitenden d.h. zeitabhängigen Dauerhaftigkeitsverlusts beruhen. 3. Dauerhaftigkeitsrelevante Schädigungen Im Hinblick auf die Dauerhaftigkeit von Stahlbetonbauteilen sind die karbonatisierungs- und chloridinduzierte Bewehrungskorrosion bei zahlreichen Bauwerken die wesentliche Schadensbeanspruchung. Für die Beurteilung dieser beiden Schädigungsmechanismen sind semiprobabilistische Nachweiskonzepte zur Dauerhaftigkeitsbemessung und -bewertung bereits vorhanden. Der Stahl im Beton ist durch die Alkalität der Porenlösung (pH-Wert 12.5 bis 13.5) vor Korrosion geschützt. Die mikroskopisch dünne Passivschicht unterbindet dabei die anodische Eisenauflösung. Wenn der pH-Wert des Betons infolge Karbonatisierung unter ca. 9.0 fällt oder der Chloridgehalt des Betons einen charakteristischen kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalts (C crit ) überschreitet, wird die Passivschicht und damit auch der Korrosionsschutz der Bewehrung degradiert. Der Schädigungsablauf bei karbonatisierungs- oder chloridinduzierter Bewehrungskorrosion läuft grundsätzlich gleich ab (Abb. 3-1): (I) In der Einleitungsphase dringt die Karbonatisierungsfront, Chloride oder andere schädlichen Bestandsteile zur Oberfläche der Bewehrung vor, ohne, dass es zu einer eigentlichen Schädigung am Bauwerk kommt. Am Ende dieser Phase ist die Passivschicht nicht mehr stabil, d.h. die Bewehrung ist depassiviert. (II) In der Schädigungsphase beginnt die eigentliche Schädigung der Bewehrung aufgrund der einsetzenden Korrosion, welche sich je nach Grad der Schädigung zuerst in Form von auftretenden Rissen und anschliessend fortschreitend mit Betonabplatzungen zeigt. Am Ende dieser Phase ist der Grenzzustand der Tragfähigkeit erreicht. Abb. 3-1 Zeitliche Entwicklung der Bauteilschädigung durch Bewehrungskorrosion [5] 4. Der deskriptiver Dauerhaftigkeitsansatz Zur Beurteilung des aktuellen (Korrosions)-Zustands und der Einleitung von möglichen Massnahmen bei Stahlbetonbauten stehen heute zahlreiche Möglichkeiten in Form von Richtlinien und Normen zur Verfügung. So sind z.B. in der DAfStb-Instandsetzungsrichtlinie [4] verschiedene Prinzipien und Verfahren bei unterschiedlichen Einwirkungen und Schädigungsgraden beschrieben. Beim Verfahren 7.2 „Ersatz von schadstoffhaltigem oder karbonatisiertem Beton“ wird z.B. vorgeschlagen, dass der Beton bei grossen Chlorideindringtiefen bis mindestens 30 mm hinter die Bewehrung zu entfernen ist. Dabei darf der Chloridgehalt im verbleibenden Altbeton 1.5 M- %/ Z nicht überschreiten (Abb. 4-1). Bei dieser Vorgabe handelt es sich allerdings nur um einen Erfahrungswert. Höhere verbleibende Chloridgehalte über 1.5 M-%/ Z sind nur bei entsprechenden Nachweisen zulässig. Im Kapitel 5 sind hierzu informative Verfahren zur einfachen Abschätzung aufgeführt inkl. semiprobabilistischer und probabilistischer Verfahren. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 319 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Abb. 4-1 Verfahren 7.2 “Ersatz von schadstoffhaltigem oder karbonatisiertem Beton” [4] Diese und andere Vorgaben berücksichtigen nicht die konkrete materialtechnologische Situation oder die effektiv vorhandene Exposition des betroffenen Bauteils. Es handelt sich dabei um eine Art „Rezeptvorschlage“. 5. Semiprobabilistisches Bemessungsmodell 5.1 Modellansatz Im Bereich der Tragsicherheit und der Gebrauchstauglichkeit hat sich das semiprobabilistische Sicherheitskonzept basierend auf Grenzzuständen durchgesetzt. Zufallsverteilten Einwirkungen (E) werden zufallsverteilten Tragwiderstände (R) gegenübergestellt. Da für beide Zufallsgrössen vielfach unzureichende empirische Kenntnisse vorliegen, wird der Ansatz dementsprechend so gewählt, dass zwischen den Bemessungswerten der jeweiligen Verteilungsfunktionen ein genügend grosser Sicherheitsabstand vorliegt. Ein Versagen des Tragwerks d.h. Überschreiten des Grenzzustands wird vermieden, solange folgende Bedingung gilt: R - E > 0 (1) Auch für die leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung wird das gleiche Grundprinzip herangezogen: Möglichen Beton- und Bauteilwiderständen werden die zu erwartenden umgebungsbedingten Beanspruchungen aus der jeweiligen Exposition gegenübergestellt. Als Grenzzustand gilt hierbei eine Depassivierung der Betonstahloberfläche (ausgelöst durch Karbonatisierung oder eindringende Chloride). Im weiteren Verlauf wird schwergewichtig auf die Chlorideinwirkung eingegangen. Es wird eine mögliche Depassivierung des Betonstahls durch das Erreichen eines kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalts C crit auf Höhe der Betonstahloberfläche zugrunde gelegt [4]. Mit dem Erreichen dieses Werts ist der Grenzzustand für die chloridinduzierte Betonstahlkorrosion erreicht [6], sodass folgende Grenzzustandsgleichung gilt: g(X, t) = C crit - C(c, t SL ) (2) C crit kritischer korrosionsauslösender Chloridgehalt [M-%/ Z] C(c, t SL ) Chloridgehalt an der Betonstahloberfläche zum Zeitpunkt t SL [M-%/ Z] c Bewehrungsüberdeckung [m] t SL Nutzungsdauer (Service Life) [Jahr] Die Zustandsprognose erfolgt durch eine Zuverlässigkeitsanalyse mit Hilfe der Grenzzustandsgleichung (2) und durch Festlegung eines Zielwertes des Zielzuverlässigkeitsindex β 0 , mit welchem die Anforderungen an die Sicherheit des Bauwerks für den betrachteten Zeitpunkt ausgedrückt wird. Bei der vorliegenden Modellbetrachtung gilt es zu beachten, dass sich die Aussagen ausschliesslich auf den Zeitpunkt der Korrosionsinitiierung d.h. den Beginn der Schädigungsphase (Abb. 3-1) beziehen. Der weitere Korrosionsprozess kann aktuell modellmässig noch nicht 320 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen richtig abgebildet werden. Zudem gilt das Modell nur in umgerissenen Bereichen des Bauteils. 5.2 Widerstand In der Grenzzustandsgleichung (2) stellt C crit den Widerstand dar. Es handelt es dabei sich um einen angenommenen Schwellenwert, der u.a. von Dicke und Qualität der Betondeckung abhängig ist. In der Wissenschaft ist man sich im Grundsatz einig, dass es nicht einen fixen gleichbleibenden C crit gibt. Er ist von einer Vielzahl von Parametern abhängig. «Der Chloridgehalt, der an der Bewehrung Korrosion auslösen kann, ist keine konstante Grösse, sondern hängt vom pH-Wert des Porenwassers, vom Zementgehalt und der Zementart des Betons ab.» (Auszug aus der Norm SN EN 14629). Die Schweizer Norm SIA 269/ 2 [7] besagt, dass bei Chloridgehalten < 0.4 M-%/ Z kaum Korrosion vorhanden und bei Chloridgehalten zwischen 0.4 und 1.0 M-%/ Z Korrosion möglich ist. In [8] wird ein unterer Grenzwert des Chloridgehalts von 0.5 M-%/ Z vorgegeben. Verschiedene Untersuchungen zeigten, dass C crit bauteilbezogen sehr stark streuen kann. Laut Angst et al. [9] lagen die entsprechenden Werte bei einem konkreten Bauwerk zwischen 0.04 und 8.34 % M-%/ Z. „Eine verlässliche Abschätzung der verbleibenden Zeit bis zur Korrosionsinitiierung ist damit nach dem heutigen Stand des Wissens nicht möglich.“ [9]. Bei der vereinfachten Methode der semiprobabilistischen Dauerhaftigkeitsbemessung wird für C crit eine statistische Betaverteilung mit einem Mittelwert von 0.6 M-%/ Z angenommen [4]. Es handelt sich daher um eine Zufallsgrösse mit einer entsprechenden Streuung, ohne die lokalen oder materialtechnologischen Gegebenheiten zu berücksichtigen. In [9, 10] wird ein standardisiertes Verfahren zur bauteilspezifischen Bestimmung des kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalts C crit im Labor. Dabei werden Probekörper aus einem chloridbelasteten Bauwerk entnommen und nach einer entsprechenden Präparation ausgelagert (Chloridexponierung). Durch einen gesteuerten Chlorideintrag durch den Überdeckungsbeton wird rein über Diffusion ein Chloridtransport bis zur Bewehrung ausgelöst. Die Detektion der Korrosionsinitiierung erfolgt mittels Potenzialmessung. Sobald das Potenzial ausgehend von einem ursprünglich definierten Passivlevel innerhalb von 24 Stunden um 150 mV abfällt und anschliessend das Potenzial während mehrerer Tage auf diesem Niveau verweilt, wird dies als der stabile Anfang der Korrosionsinitiierung angenommen (siehe Abb. 5-1). Abb. 5-1 Potenzialverlauf bei einem Auslagerungsversuch (Vortrag Prof. Dr. U. Angst) Die Untersuchungen von Angst et al. [9] zeigten, dass teilweise sehr hohe Chloridgehalte tolerierbar sind, ohne das Korrosion einsetzte. Auf der anderen Seite kann jedoch bereits bei Chloridgehalten unter den bekannten Grenzwerten Korrosion ausgelöst werden. Der oben erwähnte C crit von 0.6 M-%/ Z kann dabei als sehr konservativ betrachtet werden. Insgesamt steht folglich ein Instrument zur Verfügung, welches es ermöglicht bauteilbezogen C crit zu bestimmen. 5.3 Einwirkung Der vorhandene Chloridgehalt an der Betonstahlober-fläche zum Zeitpunkt t repräsentiert die Einwirkung [6]. Die Grenzzustandsgleichung (2) kann somit auch wie folgt beschrieben werden: g(X,t) = c x crit (t SL ) (3) c Bewehrungsüberdeckung [m] x crit (t SL ) Tiefenlage des kritischen korrosions-auslösenden Chloridgehalts zum Zeitpunkt tSL [m] Zur Abschätzung des Zeitraums vom Beginn der Chloridbeaufschlagung bis zur Depassivierung des Betonstahls (Initiierungsphase) wird der zeit- und tiefenabhängige Chlorideindringverlauf im Beton bestimmt. Es handelt sich dabei um einen Diffusionsprozess gemäss des zweiten Fick’schen Diffusionsgesetz [4]. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 321 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen (4) C(x,t) Chloridgehalt [M-%/ Z] in der Tiefe x von der Bauteilbzw. Probekörperoberfläche [mm] zum Zeitpunkt t C S,Δx Chloridgehalt an der Bauteiloberfläche (bei Δx=0) bzw. in der Tiefe Δx zum Beobachtungszeitpunkt in Abhängigkeit der anstehenden Chloridquelle, welche als konstante Einwirkung angenommen wird (Oberflächenchloridgehalt) [M-%/ Z] Δx Tiefenbereich, in dem ggf. das Chlorideindringverhalten durch intermittierende Chlorid einwirkung vom Fick’schen Diffusionsverhalten abweicht [mm] C 0 Eigenchloridgehalt des Betons [M-%/ Z] D app(t) scheinbarer Chloriddiffusionskoeffizient des Betons [mm 2 / Jahr] zum Zeitpunkt t t Zeitdauer vom Beginn der Beaufschlagung bis zur Inspektion bzw. die Lebensdauer [Jahr] erfc Komplementäre der Gauss’schen Fehlerfunktion (=1-erf) Abb. 5-2 Ermittlung von Dtest(t0) und Cs,0 bzw. Cs,Δx anhand von nasschemischen Chloridprofilen aus beste-henden Bauwerken oder Laborkurzzeitversuch [6]. Für die Ermittlung der Restnutzungsdauer werden folgende Parameter mittels Curve-Fittings bestimmt: • scheinbarer Chloriddiffusionskoeffizient D app(t0) • der Altersexponent α app • der Oberflächenchloridgehalt bzw. der Chlorid-gehalt in der Tiefe Δx (Konvektionszone; Nasschemie Annahme von 10 mm) und C S, Δx (Abb. 5-2) • die Mindestdeckung c min (5%-Quantil der am Bauteil gemessenen Betondeckung) Weitere Eingangsparameter werden aus dem Chloridprofil abgeleitet durch eine Regressionsanalyse unter Verwendung der Gleichung (4) berechnet [6]: Der scheinbare Chloriddiffusionskoeffizient zum Zeitpunkt der Inspektion D app(tinsp) sowie der Oberflächenchloridgehalt bzw. der Chloridgehalt in der Tiefe Δx (Konvektionszone) C S, Δx,insp . 6. Bestimmung des Chloridgehalts 6.1 Nasschemie Für die nasschemische Analyse werden an mehreren Stellen Bohrkerne bzw. Bohrmehlproben (z.B. in 10 mm- Tiefenstufen) entnommen und im Labor untersucht. Die Bohrkerne werden hierfür zunächst in zehn Millimetern dicke Scheiben geschnitten. Anschließend werden diese zerkleinert, gemahlen, homogenisiert und nasschemisch analysiert. Das Ergebnis zeigt die mittlere Konzentration der Chloride bezogen auf das homogenisierte Volumen der Probe. Diese Art der Analyse ist zeitaufwendig und aufgrund der vielen Prozessschritte arbeitsintensiv, sodass oft weniger Scheiben untersucht werden (z.B: nur aus drei Tiefenstufen) und damit die Aussagekraft der Ergebnisse gemindert werden [11]. Ein weiteres Problem besteht darin, dass beim Zerkleinern die Bindemittelmatrix (Zement) und die Gesteinskörnung zu einem homogenen Pulver verarbeitet werden. Das Analyseergebnis zeigt somit die Chloridkonzentration bezogen auf die Gesamtmasse aus Zement und Gesteinskörnung an. Um die Chloridkonzentration bezogen auf den Zementanteil zu erhalten, werden die Ergebnisse deshalb umgerechnet Hierfür muss in Anbetracht der fehlenden Kenntnisse über die effektive Betonzusammensetzung der Zementgehalt der Probe angenommen werden (z.B. 300 kg/ m 3 , dies entspricht einer Rohdichte des Betons von 2‘400 kg/ m 3 einem Verhältnis von 1 zu 8). Des Weiteren bleibt bei nasschemischen Analysen der Einfluss der chloridhaltiger Gesteinskörnung unberücksichtigt. Bei der Homogenisierung der Proben gehen zusätzlich Informationen über inhomogene Chloridverteilungen z.B. im Bereich von wasserführenden Rissen im Beton verloren [11]. 322 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Abb. 6-1 nasschemische Bestimmung der Chloridkonzentratio-nen (Tiefenprofil) bei Bohrkernproben 6.2 Laser-induzierte Plasmaspektroskopie (LIPS) Eine Alternative zur nasschemischen Analyse bietet die laser-induzierte Plasmaspektroskopie (LIPS). Es handelt sich hierbei um ein berührungsloses Analyseverfahren zur Untersuchung von Baustoffen. Das Resultat ist eine zweidimensionale Darstellung der Elementverteilung der untersuchten Baustoffoberfläche. Bei der Messung kann die Probenoberfläche mit einem minimalen Raster von 0.1 x 0.1 mm automatisiert abgescannt werden (schematischer Aufbau in Abb. 6-2). Mit einem hochenergetischen gepulsten Laserpuls werden kleinste Materialmengen an der Oberfläche der Probe verdampft und in ein Plasma (Temperaturen von > 10.000° K) überführt. Dabei werden die chemischen Bindungen aufgebrochen. Nach Beendigung der Energiezufuhr kühlt das Plasma ab und zerfällt wieder («breakdown»), wobei element-charakteristische Strahlung emittiert wird. Durch Spektralanalyse des vom Plasma emittierten Lichts können in Abhängigkeit der Wellenlänge Spektrallinien identifiziert werden, wodurch ein Nachweis von einzelnen Elementen ermöglicht wird. Durch dieses Messprinzip sind grundsätzlich alle Elemente des Periodensystems zeitgleich nachweisbar. Es können alle für die Zusammensetzung des Zements und der Gesteinskörnung sowie die für die Schädigungsprozesse im Beton relevanten Elemente (z.B. Chlor, Schwefel, Natrium, und Kohlenstoff) bestimmt werden. Durch die Verwendung von Standards kann eine Kalibrierung und somit auch eine Quantifizierung der Ergebnisse ermöglicht werden. Das LIPS-Verfahren bietet dabei folgende Vorteile: • Die Probe wird zweidimensional abgescannt und die Elementverteilung ortsaufgelöst dargestellt. Die Heterogenität des Betons wird bei der Ergebnisdarstellung berücksichtigt, da die Gesteinskörnung durch die Verwendung von bestimmten Algorithmen ausgeschlossen wird. • Die Elementgehalte werden quantifiziert. • Durch die simultane Detektion von unterschiedlichen Elementen werden mehrere für eine mögliche Schädigung in Frage kommende Einflussgrössen gleichzeitig analysiert (Multi-Element-Analyse). • Die Probenvorbereitung/ -präparation ist einfach und schnell. Durch das automatisierte Messverfahren liegen die Resultate innert kürzester Zeit vor. LIPS kann u.a. bei den folgenden Fragestellungen angewendet werden: • Nachweis der Chlorverteilung und des -gehalts in der Bindemittelmatrix sowie der Karbonatisierungsfront • Visualisierung von Transport- und Umverteilungsvorgängen innerhalb des Betons • Identifizierung von Zusatzstoffen, wie z.B. Silikastaub im Festbeton und Nachweis von Zusatzmitteln, wie z.B. Beschleuniger im Spritzbeton • Kennwertermittlung (scheinbarer Chloriddiffusionskoeffizient) bei semiprobabilistischen Dauerhaftigkeitsbemessungen (Ermittlung von Restnutzungsdauern oder Bemessung von Schichtdicken für Betonersatz bei Chloridbeaufschlagung) Mittels Auswertungen von Chloridprofilen aus LIPS- Messungen ist es nun möglich die erforderlichen Eingangsparameter für eine semiprobabilistische Dauerhaftigkeitsbemessung zu bestimmen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 323 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Abb. 6-2 a) Schematische Darstellung des verwendeten Messprinzips des LIPS-Messgeräts bei der Valtest AG. b) Foto eines erzeugten Plasmas auf einer Betonoberfläche. c) Typi-sches Messspektrum eines Betons im Wellenlängenbereich von 276 nm zu 322 nm. 7. Anwendungen 7.1 Bestimmung des charakteristischen kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalts (C crit ) Nachfolgend sollen einige konkrete Anwendungen von LIPS-Analysen aufzeigen, wie sehr der kritische korrosionsauslösende Chloridgehalt C crit innerhalb des gleichen Bauwerks schwanken kann. Im Rahmen einer Zustandserfassung eins Parkhauses wurden mehrere Bohrkerne aus dem Bauwerk entnommen und an der ETH Zürich mit der in Kapitel 5.2 beschriebenen Methode C crit bestimmt. Parallel dazu wurde bei der Valtest AG an den gespaltenen Bohrkernen mittels LIPS die Chloridverteilung bestimmt. Hierbei gilt es zu beachten, dass sich die LIPS Messwerte auf den Zementstein (CP) beziehen. Beim ersten Beispiel hat die ETH Zürich einen C crit von 2.293 M-%/ Z bestimmt. Abbildung 7-1a zeigt die Korrosionsstelle in der Probe (dunkelbrauner Korrosionspunkt auf dem Beton; hervorgehoben mit einem braunen Pfeil). Es zeigt sich in dem zweidimensionalen LIPS-Flächenscan, dass mit 1.0-1.5 M-%/ CP tiefere Chloridwerte um den Korrosionspunkt erreicht werden (Abb. 7-1b). Nur wenige Millimeter vom detektierten Korrosionspunkt entfernt wurden mit LIPS auch Chloridwerte > 2.3 M-%/ CP gemessen. Diese Ergebnisse spiegelt sich auch in der Abbildung 7-1c wider. 324 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Abb. 7-1 a) Foto des Prüfkörpers 16493_6e mit markiertem LIPS-Messfeld und hervorge-hobener Korrosionsstelle (brauner Pfeil). b) Quantitative, zementsteinbezogene Chloridverteilung (Cl), mit Ausschluss der Gesteinskörnung (GK) über die Quer-schnittfläche des Prüfkörpers inkl. hervor-gehobener Korrosionsstelle (brauner Pfeil und (c) dem dazugehörigen Tiefenprofil. Beim zweiten Beispiel hat die ETH Zürich einen C crit von 0.199 M-%/ Z bestimmt. Abbildung 7-2a zeigt die Korrosionsstelle in der Probe (dunkelbrauner Korrosionspunkt auf dem Beton; hervorgehoben mit dem braunen Pfeil). Um diesen Punkte herum wurden die LIPS Messungen durchgeführt (Abb. 7-2b qualitative Eisenverteilung) und es zeigt sich in dem zweidimensionalen LIPS Flächenscan, dass durchaus auch höhere Chloridwerte (> 0.5 -%/ CP) um den Korrosionspunkt erreicht werden (Abbildung 7-2c), wobei im Mittel Werte von 0.11 M-%/ CP bestimmt wurden (Abbildung 7-2d). Wenn man die nasschemischen und die LIPS Ergebnisse vergleicht, wird deutlich, dass die Nasschemie bei solchen örtlich begrenzten Messumgebungen an seine Grenzen gerät und LIPS (Messraster von 0.1 x 0.1 mm) seine Vorteile ausspielen kann. Zudem unterstreichen die Messergebnisse, dass aus dem gleichen Bauwerk sehr unterschiedliche C crit auftreten können. Es wird deutlich, dass es «den» kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalt nicht gibt, sondern, dass dieser immer individuell von Bauwerk zu Bauwerk bzw. wie in dem vorliegenden Fall sogar von Bauteil zu Bauteil gemessen und bestimmt werden sollte. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 325 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Abb. 7-2 a) Foto des Prüfkörpers 16493_4b mit markiertem LIPS-Messfeld und hervorgehobener Korrosi-onsstelle (brauner Pfeil). b) Qualitative, Eisenverteilung (Fe) über die Querschnittsfläche des Prüfkörpers ohne Ausschluss der Gesteinskörnung. c) Quantitative, zementsteinbezogene Chlorid-verteilung (Cl), mit Ausschluss der Gesteinskörnung (GK) über die Querschnittfläche des Prüfkör-pers inkl. hervorgehobener Korrosionsstelle (brauner Pfeil und (d) dem dazugehörigen Tiefenpro-fil. 7.2 Vergleich Nasschemie vs. LIPS Um der Problemstellung Nasschemie vs. LIPS genauer zu beleuchten wurden in einer Galerie zwei Bohrmehlproben (Bohrdurchmesser d=20 mm) mit je fünf Tiefenstufen a 10 mm an der gleichen Stelle entnommen (Doppelbestimmung). Zusätzlich wurde je ein Bohrkern mit einem Durchmesser von 50 mm zur LIPS-Analyse gezogen (Abb. 7-3). Für die Nasschemie wurde ein Zementverhältnis (300 kg/ m 3 Zement bei einer Betonrohdichte von 2‘400 kg/ m 3 ) von 1/ 8 angenommen (blaue Balken in Abb. 7-4 und 7-5). Es zeigt sich, dass die Chloridwerte der beiden nasschemischen Messpaare relativ stark voneinander abweichen (Abb. 7-4a/ b und 7-5 a/ b). Im Der zweidimensionale LIPS-Flächenscan (Abb. 7-4d und 7-5d) und das dazugehörige Mittelwertdiagramm (Abb. 7-4e und 7-5e), dass die nasschemisch ermittelten Werte relativ gut mit den LIPS-Daten übereinstimmen. Besonders in den tieferen Konzentrationsbereichen sich gute Übereinstimmungen feststellbar. Ein wesentlicher Vorteil der präziseren Messauflösung von LIPS zeigt sich zudem beim Nachweis der Konventionszone an der Oberfläche. Diese wurde im vorliegenden Fall mit der nasschemischen Analyse nicht nachgewiesen. 326 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Abb. 7-3 Probennahme für die nasschemische und die dazugehörige LIPS- Analyse (UZ-8). In den Abbildungen 7-4f und 7-5f sind zudem die tiefenbezogenen Zementgehalte dargestellt. Es wird deutlich, dass das angenommene Zementverhältnis (1/ 8) stark vom «wahren» effektiven Zementverhältnis abweicht, welches sich eher im Bereich von 1/ 5 befindet. Um diesen Effekt zu visualisieren, wurden in Abbildung 7-4a/ b und 7-5 a/ b die Chloridwerte bezogen auf die effektiven Zementverhältnissen berechnet. Dabei zeigt es sich, dass diese sehr stark von den Messwerten mit der Annahme eines homogenen Zement-gehalts abweichen (graue Balken). Bei der LIPS-Analyse treten dieser Art von Problemen nicht in Erscheinung, da sich die gemessene Werte direkt auf die Bindemittelmatrix beziehen (Ausschluss der Gesteinskörnung). Im Zusammenhang mit den Zementgehalten gilt es aber anzumerken, dass es sich bei der LIPS-Messung um eine zweidimensionale Darstellung handelt, sodass die Zementgehalte nicht unbedingt für das gesamt Volumen des nasschemisch gemessenen Bohrkern gelten, sondern nur für den Flächenscan. Zusätzlich wurden an den LIPS Bohrkernen noch semiprobalistische Dauerhaftigkeitsbemessungen durchgeführt. Die nachfolgenden Auswertungen beruhen auf einem C crit von jeweils 0.4 M-%/ Z (7-4g/ h und 7-5 g/ h). Es stellte sich heraus, dass die Restnutzungsdauer, der hier untersuchten Bauteile erreicht bzw. nahezu erreicht worden sind. 8. Fazit Bei LIPS handelt es sich um ein hochpräzises Nachweisverfahren zur Untersuchung und anschliessender zweidimensionalen Darstellung der Elementverteilung an Oberflächen von Baustoffen. Geeignet ist LIPS zur Visualisierung von Transport- und Umverteilungsvorgängen innerhalb des Betons und bei Zustandsuntersuchungen u.a. zum Nachweis des Chloridgehalts in der Bindemittelmatrix. Im Vergleich zur Nasschemie hat LIPS den Vorteil, dass die Heterogenität des Betons berücksichtigt werden kann, da die Gesteinskörnung ausgeschlossen wird. Im Hinblick auf semiprobabilistische Dauerhaftigkeitsbemessungen erhält man, gegenüber nasschemisch ermittelten Chloridprofilen, präzisere Datengrundlagen. Wenn zusätzlich noch effektiv vorhandene kritische korrosionsauslösende Chloridgehalt C crit am Bauwerk bestimmt werden kann, sind gute d.h. fundierte Aussagen hinsichtlich einer Restnutzungsdauer des Bauwerks möglich. Dabei gelten jedoch folgende Einschränkungen: • Die Auswertungen beruhen auf punktuell ermittelten Probenahmen am Bauwerk. Hierzu folgendes Zitat aus [6]: «Die Lage der Probestellen sowie der Ablauf der Probenahme sind vor grosser Bedeutung. Die Chloridproben müssen expositionsgerecht und aus repräsentativen Stellen entnommen werden und keine Singularitäten z.B. Risse beinhalten. Eine nicht sachgerechte Probenahme und Festlegung von Probenahmestellen führt zu Ermittlung von Chloridgehalten, die zu fehlerhaften Bewertung des Bauteils sowie des Modells führen.» • Die Aussagen beziehen sich auf ungestörte bzw. unbeschädigte Betonbauteile. So sind beispielsweise bei Rissen separate Betrachtungen erforderlich. • Die Ergebnisse beziehen sich auf das Ende der Einleitungsphase bzw. den Beginn der Schädigungsphase. Wie und in welcher Zeitspanne der anschliessende Korrosionsprozess abläuft, kann mit dem vorliegenden semiprobabilistischen Bemessungsmodell nicht vorhergesagt werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 327 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Abb. 7-4 a/ b) Nasschemische Analyse der Bohrmehlproben 16642_UZ7-1 und -2 c) Foto des Bohrkerns 16642_UZ7 mit mar-kiertem LIPS-Messfeld. d) Quantitative, zementsteinbezogene Chloridverteilung (Cl), mit Ausschluss der Gesteinskör-nung (GK) über die Querschnittfläche des Prüfkörpers und (e) dem dazugehörigen Tiefenprofil. f) Bestimmung des Zementanteils in Bohrkerns 16642_UZ7 mittels LIPS. g) Regressionsanalyse (Methode der kleinsten Fehlerquadrate) der gemessenen LIPS-Daten. h) Ergebnisse der durch die gefittete Kurve bestimmten Eingangsparameter sowie die Ergebnisse für die Lebensdauerbemessung. Abb. 7-5 a/ b) Nasschemische Analyse der Bohrmehlproben 16642_UZ8-1 und -2 c) Foto des Bohrkerns 16642_UZ8 mit markier-tem LIPS-Messfeld. d) Quantitative, zementsteinbezogene Chloridverteilung (Cl), mit Ausschluss der Gesteinskörnung (GK) über die Querschnittfläche des Prüfkörpers und (e) dem dazugehörigen Tiefenprofil. f) Bestimmung des Zementan-teils in Bohrkerns 16642_UZ8 mittels LIPS. g) Regressionsanalyse (Methode der kleinsten Fehlerquadrate) der gemesse-nen LIPS-Daten. h) Ergebnisse der durch die gefittete Kurve bestimmten Eingangsparameter sowie die Ergebnisse für die Lebensdauerbemessung. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 329 Leistungsbezogene Dauerhaftigkeitsbemessung und Analyse der Restnutzungsdauer von Bauwerken mit Einbezug von LIPS-Auswertungen Literatur [1] Wendler-Kalsch E., Gräfen H., Wilsch G.: Korrosionsschadenkunde, Berlin Heidelberg: Springer, 1998. doi: 10.1007/ 978-3-642-30431-6. [2] Stark J., Wicht B.: Dauerhaftigkeit von Beton, Springer Vieweg, 2013 [3] EN 206: 2013 Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität [4] BAW Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe: Dauerhaftigkeitsbemessung und -bewertung von Stahlbetonbauwerken bei Carbonatisierung und Chlorideinwirkung (MDCC), BAW-Merkblatt Ausgabe 2017 [5] Tuutti, K.: Corrosion of Steel in Concrete. CBI Research No. Fo 4: 82, 1982 [6] Rahimi A.: Semiprobalistisches Nachweiskonzept zur Dauerhaftigkeitsbemessung und -bewertung von Stahlbetonbauteilen unter Chlorideinwirkung, DAfStb Deutscher Ausschus für Stahlbeton, 2017, Heft 626 [7] SIA 269/ 2: 2011 Erhaltung von Tragwerken - Bet onbau [8] Breit W. et al: Zum Ansatz eines kritischen Chloridgehaltes bei Stahlbetonbauwerken, Beton- und Stahlbetonbau 106(2011), Heft 5 [9] Angst U. et al: Methode zur Bestimmung des kritischen Chloridgehaltes an bestehenden Stahlbetonbauwerken, Forschungsauftrag AGB 2012/ 010 Bundesamt für Strassen, Bern [10] Boschmann Käthler C., Angst U.: Die objektspezifische Bestimmung des kritischen Chloridgehalts und die Auswirkungen auf die Restlebensdauer, 4. Brückenkolloquium 2020, Technische Akademie Esslingen [11] Gottlieb C. et al: Es geht auch einfacher, B+B Bauen im Bestand 42(2019), Heft 7 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 331 Monitoring von Bestandsbrücken - Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen Iris Hindersmann Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Germany Peter Haardt Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Germany Zusammenfassung Der Einsatz von Monitoring an Bundesfernstraßen findet aktuell nur statt, wenn ein konkreter Schaden bzw. ein Defizit beurteilt oder überwacht werden soll. Monitoring bietet aber auch die Möglichkeit sicherzustellen, dass vorhandene Brücken bis zu Sanierung oder Neubau weiter genutzt werden können. Um Monitoring in eine breitere Anwendung zu bringen, wurden im Rahmen der Ressortforschung an der BASt zwei Forschungsvorhaben durchgeführt, mit dem Ziel einer Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen von Monitoringmaßnahmen. Die Quantifizierung der Zuverlässigkeit erfolgt über ein Verfahren, welches die Abschätzung der Versagenswahrscheinlichkeit einer Monitoringmaßnahme bei einer Schwellwertüberwachung ermöglicht. Hierbei werden zwei Aspekte zur Bestimmung des Zugewinns an Zuverlässigkeit betrachtet, erstens die Wahrscheinlichkeit, dass das Monitoring einen gravierenden Schaden nicht erkennt und zweitens die Wahrscheinlichkeit, dass der zeitliche Aspekt zwischen der Erkennung des Schadens und Umsetzung einer entsprechenden Maßnahme zu kurz ist. Die Quantifizierung des Nutzens einer Monitoringmaßnahme erfolgt durch die Gegenüberstellung der Kosten und des Nutzens. Einbezogen werden hierbei die Kosten für Unterhaltung und Instandsetzung, Installation und Betrieb des Monitoringsystems, ein mögliches Brückenversagen und die volkswirtschaftlichen Kosten. Die volkswirtschaftlichen bzw. indirekten Kosten entstehen durch Verkehrseinschränkungen und werden durch die Parameter Betriebskosten, Reisezeiten, Verkehrssicherheit (Unfälle), Lärm und Luftverschmutzung abgebildet. 1. Einleitung Die Bundesfernstraßen umfassen ein Netz von etwa 39.500 Brücken [1]. Ein großer Teil dieser Brücken muss instandgesetzt, ertüchtigt oder erneuert werden. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Der Verkehr auf Bundesfernstraßen ist in den letzten Jahren stark angestiegen und der Güterverkehr hat dabei überproportional an Menge und Gesamtgewicht zugelegt. Die Tragreserven der Brücken sind dadurch teilweise aufgebraucht, da faktisch eine Nutzungsänderung für die Brücken stattgefunden hat. Der Großteil der Brückenbauwerke in Westdeutschland wurde in den 1960er bis 1980er Jahren gebaut. Bedingt durch hohe Materialpreise und geringe Lohnkosten wurde der Materialeinsatz optimiert, dadurch gibt es heute beispielsweise Probleme mit zu geringer Schubbewehrung bei relevanten Hauptbauteilen von Massivbrücken. Als zusätzliches Problem kommt die Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Brücken hinzu, die auf einen Rückstau der Erhaltungsmaßnahmen schließen lässt [1; 2]. Da eine Ertüchtigung und/ oder Ersatz aller betroffenen Bauwerke kurzfristig nicht möglich sein wird, ist es notwendig, Konzepte und Verfahren zu entwickeln, um die vorhandenen Brücken bis zur Sanierung oder dem Neubau sicher weiter zu nutzen. Monitoring kann zur Sicherstellung der Verfügbarkeit nutzbringend eingesetzt werden, in dem Sicherheitsreserven erkannt, Prognosen des zukünftigen Verhaltens ermöglicht und so das Erhaltungsmanagement optimiert werden kann. Bislang unbekannt ist die Quantifizierung der Zuverlässigkeit des vorhandenen Brückenbauwerks als Ergebnis des Einsatzes von Monitoring sowie die Bewertung des tatsächlichen Nutzens. Zur Entwicklung von Verfahren mit dem Ziel einer Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen wurden im Rahmen der Ressortforschung der BASt zwei Forschungsvorhaben durchgeführt, die im Folgenden beschrieben werden. 2. Monitoring - Definition und Einsatz in der Praxis Eine einheitliche Definition der Begriffe „Überwachung“ und „Monitoring“ liegt nicht vor, in diesem Artikel wird den Definitionen des Merkblatts „Monitoring: Planung, Vergabe und Betrieb“ des Deutschen Beton- und Bautechnik Vereins gefolgt [3]. Monitoring beschreibt da- 332 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Monitoring von Bestandsbrücken - Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen rin den Gesamtprozess zur Erfassung, Analyse und Bewertung von Bauwerksreaktionen und/ oder der einwirkenden Größen mittels eines Messsystems über einen repräsentativen Zeitraum (zeitliche Entwicklung der Messgröße; kontinuierliche, periodische oder ereignisbasierte Messung, global lokal). Zu unterscheiden sind hierbei Kurzzeitmonitoring (Datenerfassung über Minuten bis Tage, z.B. während einer Probebelastung), Langzeitmonitoring (Datenerfassung über Wochen bis Jahre, z.B. zur Schadensüberwachung) und Dauermonitoring (permanente Datenerfassung ohne geplantes Ende, z.B. für kathodischen Korrosionsschutz) [3]. Bislang kommt bei den Brücken im Bundesfernstraßennetz Monitoring einerseits zur Anwendung, wenn eine Brücke geschädigt ist und das Ausmaß der Schädigung beurteilt werden soll. Andererseits wird mit dem Einsatz von unterschiedlichen Messtechniken ein vorhandener Schaden überwacht, damit die Funktionsfähigkeit der Brücke weiter gewährleistet werden kann. Ein Beispiel für diese Aufgabenstellung ist die Überwachung der Koppelfugen der Autobahnbrücke Duisburg-Beeck (A42). Es handelt sich um eine Spannbetonbrücke, die in drei Bauabschnitten je Richtung gebaut wurde. Nach der Fertigstellung der einzelnen Bauabschnitte wurde an den Arbeitsfugen die Vorspannung über Spanngliedkopplungen übertragen. Infolge von erhöhten Spannungen in diesen Kopplungsfugen, z.B. durch Temperaturgradienten, kann es zu Rissen kommen. Ermüdungsrelevante Rissbewegungen in Abhängigkeit von Temperaturveränderungen und Verkehrsbelastungen können durch das Anbringen von Wegaufnehmern und Temperatursensoren beobachtet werden. Sofern die zulässigen Spannungsschwingbreiten eingehalten werden und die Schädigungssumme unterhalb eines kritischen Wertes liegt, kann die Brücke weiter betrieben werden [4; 5]. Eine aktuelle Abfrage des BMVI bei den Bundesländern zum Einsatz von Monitoring-Systemen hat gezeigt, dass der Einsatz von Monitoring derzeit auf vorhandene Schäden und Defizite beschränkt ist. Mit dem Einsatz des Monitorings werden v.a. die Verlängerung der Restlebensdauer und der Weiterbetrieb der Brücke angestrebt. Grund für die noch geringe Verbreitung des Einsatzes von Monitoring sind häufig fehlendes Wissen in Bezug auf den Einsatz und den Nutzen von Monitoring, fehlende Regelwerke und Standardisierung und die Tatsache, dass der Nutzen des Monitorings finanziell nicht abgeschätzt werden kann. Der Einsatz von Monitoring kann aber insbesondere bei Entscheidungen über Erhaltungsmaßnahmen positive Auswirkungen haben. Aktuell werden Entscheidungen zu Erhaltungsmaßnahmen auf Grundlage objektbezogener Informationen aus der Bauwerksprüfung nach DIN 1076: 1999 [6] und eventueller Sonderprüfungen (nach OSA) getroffen [7]. Der Einsatz von Monitoring kann helfen weitere relevante Informationen zum Bauwerk zu gewinnen. Der verstärkte Einsatz von Monitoring bringt einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen durch die verbesserte Gewährleistung der Verfügbarkeit sowie einer Kostenersparnis in Verbindung mit der besseren Ausnutzung der vorhandenen Brücken und ihrem späteren Ersatzneubau. 3. Quantifizierung der Zuverlässigkeit In der Nachrechnungsrichtlinie des BMVI ist der Einsatz von Monitoring als Kompensationsmaßnahme aufgeführt. Der Einsatz dieser Kompensationsmaßnahme in der Praxis ist aber selten, da der Sicherheitsgewinn, welcher durch den Einsatz von Monitoring entsteht, nicht quantifizierbar ist [8]. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens der BASt [9] wurde ein Verfahren für Überwachungsaufgaben entwickelt. Das Verfahren ermöglicht die Abschätzung der Versagenswahrscheinlichkeit einer Monitoringmaßnahme mit einer Schwellwertüberwachung. Ausgehend von der Überlegung, dass zwischen zwei Bauwerksprüfungen (in der Regel im Abstand von 6 Jahren) die Gefahr besteht, dass sich ein Schaden neu entwickelt bzw. ein Schadensverlauf gravierender ist, als erwartet, steht im Resultat eine erhöhte Versagenswahrscheinlichkeit des Bauwerks. Der Einsatz von Monitoring ist eine Möglichkeit zur Reduzierung des Risikos, dies entspricht einer Verknüpfung von Versagenswahrscheinlichkeit und Auswirkungen. Durch den Einsatz von Monitoring sind Informationen zum Zustand des Bauwerks in deutlich kürzeren Abständen verfügbar. Mit der Schadenserkennung ist die Einleitung von entsprechenden Maßnahmen, wie beispielsweise Verringerung der Verkehrslast durch Reduzierung der Fahrspuren, verbunden. Dieser Mechanismus ergibt einen Zugewinn an Zuverlässigkeit und dieser wird im Rahmen des Projekts quantifiziert [9]. Zwei Aspekte sind bei der Bestimmung des Zugewinns an Zuverlässigkeit relevant, erstens die Wahrscheinlichkeit, dass das Monitoring einen gravierenden Schaden nicht erkennt und zweitens die Wahrscheinlichkeit, dass der zeitliche Aspekt zwischen der Erkennung des Schadens und Umsetzung einer entsprechenden Maßnahme zu kurz ist. Diese beiden Aspekte werden in den Phasen „Schadenserkennung“ und „Reaktion“ ermittelt [9]. In der „Schadenserkennungsphase“ wird die Wahrscheinlichkeit quantifiziert, dass trotz Datenerhebung und auswertung ein gravierender Schaden nicht erkannt wird und das Tragwerk versagt. Das Vorgehen wird hier beispielhaft für eine Schwellwertüberwachung der Verkehrslasten erläutert. In Abbildung 1 ist der Zusammenhang zwischen der Verkehrsbelastung Q und einem Indikator X (z.B. Durchbiegung) dargestellt [9]. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 333 Monitoring von Bestandsbrücken - Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen Abbildung 1: Schema der Beziehung zwischen dem Indikator X und der Verkehrslast Q [9] Der Wert X lim bezeichnet einen Schwellwert, der eine Maßnahme auslöst und Q Xlim ist die zugehörige Verkehrslast. Der Wert X Qmax stellt die Erreichung des Grenzzustands und der Wert Qmax die entsprechende Verkehrslast dar. Bei der Überschreitung des Grenzwertes (X Qmax ) kommt es zum Tragwerksversagen. Der Schwellwert (X lim ) muss so gewählt werden, dass die Überschreitung des Grenzwertes X Qmax und damit ein Tragwerksversagen vermieden wird, d.h. es sollten vorher Warnmeldungen ausgelöst und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Die Überschreitung der Verkehrslast (Q Xlim ), welche mit einer Maßnahme verbunden ist, wird durch die Überschreitung des Schwellwerts (X lim ) angezeigt. Dieser Wert (X lim ) kann aus der Verteilung der Verkehrslasten in einem bestimmten Zeitraum (z.B. Stunden) über eine Auswertung der Extremwerte ermittelt werden [9]. In der „Reaktionsphase“ wird der zeitliche Aspekt berücksichtigt, dass aufgrund des kurzen zeitlichen Abstandes zwischen der Schwellwertüberschreitung und dem Tragwerksversagen eine risikoreduzierende Maßnahme nicht umgesetzt werden kann. Die Reaktionsphase setzt sich zusammen aus den Aspekten Messdauer, verlängerte Messdauer aufgrund von Ausfällen, der Dauer der Datenverarbeitung und der Dauer der Maßnahmenumsetzung. Im Projekt wurde die verlängerte Messdauer aufgrund von Ausfällen über eine Befragung von Herstellern und Nutzern von Sensoren erfasst [9]. Abbildung 2: Hochstraße Gifhorn [10] Das Verfahren wurde am Fallbeispiel der Plattenbalkenbrücke „Hochstraße Gifhorn“ im Zuge der Bundesstraße B4 getestet. Die Brücke wurde in einem vorherigen Projekt mit einem Monitoring zur Schwellwertüberwachung der Defizite Schub und Biegung in Längsrichtung ausgestattet [9; 10]. Um den Zusammenhang zwischen den messbaren Indikatoren und der Tragfähigkeit herzustellen, wurden die Versagensmechanismen Biegeversagen und Schubversagen anhand von nichtlinearen FE-Modellen simuliert. Die temperaturkompensierten Durchbiegungs- und Dehnungsmesswerte konnten dann genutzt werden, um die Versagenswahrscheinlichkeit in der Schadenserkennungs- und Reaktionsphase zu bestimmen. Im Ergebnis brachte die Monitoringmaßnahme einen Zuverlässigkeitsgewinn, welcher auf den Zugewinn bei der Überwachung des Grenzzustands der Schubtragfähigkeit zurückzuführen ist [9; 10]. Das entwickelte Verfahren liefert konzeptionelle und berechnungstechnische Grundlagen, um den Sicherheitsgewinn durch den Einsatz von Monitoring zu quantifizieren. Vor einem breiten Einsatz in der Praxis sind jedoch noch Fragen zu klären. Diese betreffen z. B. eine mögliche Vereinfachung des Verfahrens und die Ausweitung der Quantifizierung der Zuverlässigkeit auf Monitoring ohne Schwellwertüberwachung. Weiterhin ist aufgrund der komplexen Berechnungsmethodik die Entwicklung eines Softwaretools erforderlich. 4. Nutzen von Monitoring Der Einsatz von Monitoring ist immer mit der Entstehung von Kosten verbunden. Da Monitoring keine Standardleistung im Ingenieurbau ist, muss nach der Bundeshaushaltsordnung die Wirtschaftlichkeit der Maßnahme dargelegt werden. Mit dem Einsatz eines Monitorings ist ein Informationsgewinn verbunden, dieser Informationsgewinn ist aber nicht kostenlos. Eine Methode zur Abschätzung der Kosten des Informationsgewinns liegt aktuell nicht vor. Mit der Richtlinie zur Durchführung von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen im Rahmen von Instandsetzungs-/ Erneuerungsmaßnahmen bei Straßenbrücken (RI-WI-BRÜ), den Empfehlungen für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen (EWS) und dem Bundesverkehrswegeplan 2030 (BVWP 2030) liegen Methoden vor, mit denen eine Abschätzung des Nutzens von Maßnahmen möglich ist [11-13]. Das Verfahren nach RI-WI-BRÜ erfolgt auf Basis der Kapitalwertmethode, hierbei werden die aktuell zu tätigen Investitionskosten ins Verhältnis zu dem Kapital gesetzt, das jetzt eingesetzt werden müsste, um die Investition später zu tätigen. Also das Verhältnis von Ersatzneubau jetzt zu Instandhaltung jetzt und Ersatzneubau später [3; 11]. Die Nutzen-Kosten-Analyse stellt die Kosten und Nutzen einer Maßnahme gegenüber, diese Methode findet u. a. in der Bundesverkehrswegeplanung und auch in der Empfehlung für Wirtschaftlichkeitsuntersuchun- 334 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Monitoring von Bestandsbrücken - Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen gen an Straßen Anwendung. [12; 13]. Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung nach der EWS hat entweder das Ziel einen Variantenvergleich alternativer Ausführungen eines Projekts bezüglich seiner Wirtschaftlichkeit zu betrachten und/ oder eine Dringlichkeitsreihung von Straßenbaumaßnahmen durchzuführen. In der EWS werden Investitionskosten und laufende Kosten, wie Unterhalt, Verkehrssicherung und Verkehrslenkung einbezogen und dem Nutzen aus Veränderung der Betriebskosten, Fahrzeiten, Unfallgeschehen, Lärmbelästigung, Schadstoffbelastung, Klimabelastung, Trennwirkung und Flächenverfügbarkeit in bebauten Gebieten gegenübergestellt [12]. Im Rahmen eines weiteren Forschungsvorhabens der BASt [5] wurde eine Methode zur Abschätzung von Kosten und Nutzen einer Monitoringmaßnahme entwickelt. Diese Methode ermöglicht es, den monetären Nutzen einer Monitoringmaßnahme darzulegen, bevor das Monitoring installiert ist. Bei diesem Vorgehen sollen nicht nur die Kosten betrachtet werden, die dem Auftraggeber entstehen, sondern auch die Kosten, die für die Allgemeinheit anfallen, also die indirekten oder volkswirtschaftlichen Kosten. Diese Kosten entstehen beispielsweise bei der Sperrung einer Brücke, wenn Umwege gefahren werden müssen. Aus diesen Umfahrungen resultieren längere Reisezeiten, höhere Betriebskosten, beispielsweise durch höheren Spritverbrauch und einen höheren Ausstoß an Luftschadstoffen. Für die Kosten- Nutzen-Abschätzung einer Monitoringmaßnahme greift die Methode auf das „Value-of-Information-Konzept“ zurück, welches auf der Bayes’schen Entscheidungstheorie aufbaut [5]. Um den monetären Nutzen einer Monitoringmaßnahme darlegen zu können, wird eine Abschätzung der Kosten und des Nutzens durch die Gegenüberstellung von Betrieb mit Monitoring und Betrieb ohne Monitoring durchgeführt. Hierbei werden die Kosten, welche durch Installation und Betrieb der Monitoringanlage, Versagenskosten der Brücke, Kosten für Unterhalt und Instandsetzung und volkswirtschaftliche Kosten, abgebildet durch die Parameter Betriebskosten, Reisezeiten, Verkehrssicherheit (Unfälle), Lärm und Luftverschmutzung einbezogen [5]. Abbildung 3: Darstellung des Konzepts zur Abschätzung des Nutzens von Monitoringmaßnahmen [5] Abbildung 3 zeigt schematisch das Konzept für den Fall Betrieb mit Monitoring und Betrieb ohne Monitoring. Für den Fall, dass kein Monitoring eingesetzt wird, ergibt sich aus der Zustandserfassung nach der Bauwerksprüfung nach DIN 1076 [6] eine Unterhaltsentscheidung, aus der Kosten abgeleitet werden. Weiterhin werden indirekte Kosten, die sich aus den Verkehrsbeschränkungen, beispielsweise Geschwindigkeitsbeschränkungen oder eine Fahrbahnstreifenreduktion, einbezogen. Diese Kosten werden dann durch die Parameter Betriebskosten, Reisezeiten, Verkehrssicherheit (Unfälle), Lärm und Luftverschmutzung beschrieben. Verkehrseinschränkungen werden im Projekt für die betrachteten Beispiele mit dem Programm PTV Visum berechnet [5]. Für den Fall, dass Monitoring eingesetzt wird, ist die Ermittlung der Kosten komplexer. Die Zustandsentwicklung wird im diesem Fall durch ein Indikatormodell beschrieben. Aufgrund der Kenntnisse zum Zustand der Brücke wird eine physikalische Größe (Schadensindikator) gewählt, dessen Überwachung Informationen zum Zustand liefert. Unterschiedliche Zustände des Bauwerks werden in sog. Schwellwertgruppen beschrieben. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 335 Monitoring von Bestandsbrücken - Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen Die Schwellwertgruppen ergeben sich aus der zeitlichen Entwicklung des Schadensindikators (Unsicherheiten in der Monitoringmessung und in der Aussagekraft des Schadenindikators zum Zustand werden berücksichtigt). Abbildung 4 zeigt, wie sich der Zustand des Bauwerks im betrachteten Beispiel durch die Veränderung des Monitoringergebnisses in Bezug auf den Schadensindikator von unkritisch zu kritisch verändert [5]. Abbildung 4: Schematische Darstellung des Schwellwertmonitorings und der Schwellwertgruppen [5] Die Kosten für den Fall mit Monitoring ergeben sich dann aus den Aspekten [5]: • Kosten für Installation und Betrieb des Monitoringsystems. • Kosten für ein mögliches Versagen des Brückenbauwerks. • Kosten für die entsprechende Unterhaltungsstrategie. • Kosten für die Verkehrsbeschränkung. Die Kosten für den Betrieb mit Monitoring werden dann mit den Kosten für den Betrieb ohne Monitoring verglichen und der Nutzen als Differenzgröße abgeleitet. Im Folgenden wird das Vorgehen am Beispiel der Brücke Duisburg-Beeck im Zuge der A 42 (Abbildung 5) erläutert. Abbildung 5: Brücke an der A42 in Duisburg-Beeck [14] Es handelt sich um eine Hohlkastenbrücke aus dem Jahr 1980. Die Brücke wurde in 3 Bauabschnitten mit vollgestoßenen Spanngliedern gebaut. Die Nachrechnung der Brücke und die Bauwerksprüfung ergab eine Überschreitung der zugelassenen Rissweiten im Bereich der Koppelfugen. Das Ergebnis vorläufiger Analysen ist, dass es für die Brücke zwei Alternativen gibt [5]: • Ersatzneubau (Sperrung für Sondertransporte während der Planungszeit, Sperrung von jeweils einem Teilbauwerke für den Neubau, Dauer von 48 Monate). • Verstärkung und Einsatz eines Monitorings (Verstärkung beider Teilbauwerk, Instandsetzung von jeweils einem Teilbauwerk und Monitoring mit Auswertung, Dauer 26 Monate). Um die Kosten für den Betrieb mit und ohne Monitoring berechnen zu können, ist es notwendig die unterschiedlichen Verkehrsszenarien für die Brücke je nach Alternative darzulegen. Aus den o.g. Entscheidungsalternativen ergeben sich die folgenden Szenarien [5]: • 1: keine Einschränkung. • 2: Sperrung für Sonderschwertransporte. • 3: Sperrung des südlichen Teils der Brücke aufgrund der Verstärkung bzw. Neubau, Sperrung für Sonderschwertransporte. • 4: Sperrung des nördlichen Teils der Brücke aufgrund der Verstärkung bzw. Neubau, Sperrung für Sonderschwertransporte. • 5: Sperrung des südlichen Teils der Brücke, nördlicher Teil Brückenklasse 60. Das erste Szenario beschreibt den Basisfall ohne Sperrung vor der Entscheidung. Die Szenarien zwei bis fünf beschreiben den Verkehr in den unterschiedlichen Entscheidungsalternativen bis zu dem Zeitpunkte, an dem eine Entscheidung für eine der beiden Alternativen getroffen wurde. Für alle Verkehrsszenarien werden die Kosten für die Parameter Reisezeiten, Betriebskosten, Verkehrssicherheit (Unfälle), Luftverschmutzung und Lärm berechnet. Abbildung 6 zeigt die Kostenveränderungen im Vergleich zum Basisfall. Abbildung 6: tägliche Veränderung der Kosten im Vergleich zum Basisfall, eigene Darstellung nach [5]. 336 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Monitoring von Bestandsbrücken - Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen Neben den Kosten, die sich aus den Verkehrsbeschränkung ergeben haben, sind die folgenden Kosten in die Berechnung des Beispiels einbezogen worden: • Kosten für die Unterhaltungsstrategie (hier Kosten für Verstärkung oder Neubau). • Versagenskosten. • Kosten für das Monitoring (Installation und Betrieb). Die Gegenüberstellung der Kosten von Neubau zu Monitoring und Verstärkung der Brücke haben gezeigt, dass ein Neubau deutlich höhere Kosten verursachen würde. Dieses lässt sich insbesondere auf die höhen indirekten Kosten aus der Verkehrseinschränkung zurückführen, wie Tabelle 1 zeigt. ohne Monitoring (Mio. €) mit Monitoring (Mio. €) Differenz (Mio. €) direkte Kosten 11,8 4,3 7,4 indirekte Kosten 61,0 24,0 37,0 Summe 72,8 28,3 44,4 Tabelle 1: Kosten für die Fälle mit und ohne Monitoring[5] Im Ergebnis wurde durch die Überwachung der Koppelfugen gezeigt, dass eine Weiternutzung der Brücke möglich ist. Damit konnten im Vergleich zum Neubau Kosten eingespart werden [5]. Die wirtschaftliche Analyse von Monitoringmaßnahme mit der Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen findet aktuell nicht statt. Die Nutzung dieser Methode stellt aber eine gute Möglichkeit dar, die Anwendung von Monitoring beim Verkehrsträger Straße zu erweitern. Insbesondere die Darlegung einer Kosteneinsparung vor der Installation des Monitorings ist positiv zu bewerten. Für den Einsatz der Methode sind noch einige Weiterentwicklungen notwendig. Im Rahmen des Projekts wurde bereits ein Softwaretool zur Nutzung erstellt, dieses sollte weiter vereinfacht und getestet werden. Die Abschätzung der indirekten Kosten ist mit viel Aufwand bzw. der Nutzung einer speziellen Software verbunden. In einem weiteren Schritt sollte die Methode daher vereinfacht und der Einsatz an verschiedenen Monitoringanwendungen getestet werden. 5. Fazit Monitoring als Gesamtprozess zur Erfassung, Analyse und Bewertung von Bauwerksreaktionen bzw. einwirkenden Größen mittels eines Messsystems wird bei Brückenbauwerken nur schadens- und einzelfallbezogen eingesetzt. Im Rahmen von zwei Ressortforschungsprojekten wurden Verfahren zur Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen einer Monitoringmaßnahme entwickelt. Diese Verfahren tragen zu einer breiteren Anwendung von Monitoring bei Brückenbauwerken und einer besseren Verfügbarkeit dieser Bauwerke bei. Dieses ist möglich, da eine Begründung für die entstehenden Kosten abgeleitet werden kann. Dieser Aspekt spielt neben dem fehlenden Hintergrundwissen auf Seiten der Auftraggeber zum Einsatz von Monitoring und der fehlenden Standardisierung von Monitoringanwendungen eine entscheidende Rolle für den eingeschränkten Einsatz von Monitoring. Das Verfahren zur Abschätzung der Zuverlässigkeit einer Monitoringmaßnahme ermöglicht die Darstellung des Sicherheitsgewinns für Brückenbauwerke. Die Ergebnisse der Ressortforschungsprojekte stellen einen wichtigen Schritt zum breiteren Einsatz von Monitoring und damit der Verfügbarkeit von Brückenbauwerken dar. Der Einsatz der entwickelten Verfahren in der Praxis kann durch eine Vereinfachung und die Entwicklung passender Software gelingen. 6. Literatur [1] BMVI: Bericht „Stand der Ertüchtigung von Straßenbrücken der Bundesfernstraßen“ 26.10.2015. [2] Marzahn, G.: Instandsetzungsbedarf von Infrastrukturbauten in Deutschland. In: Müller, H. S., Nolting, U., Haist, M. (Hg.): Bauwerkserhaltung - Instandsetzung im Beton- und Stahlbetonbau 2016. [3] DBV: Merkblatt: Monitoring: Planung, Vergabe und Betrieb 2018. [4] Sperling, D., Heumann, G.: Anwendung der Nachrechnungsrichtlinie aus Betonbrücken - Praxisbeispiel aus Sicht eines Ingenieurbüros. In: Empelmann, M. (Hg.): VSVI Seminar Brücken- und Ingenieurbau 2012. [5] Schubert, M., Faber, M. H., Betz, W., Straub, D., Niemeier, E., Ziegler, D., Walther, C., Majka, M.: Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen von Monitoringmaßnahmen. Bremen: Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH 2020. [6] DIN 1076: 1999: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen - Überwachung und Prüfung. [7] BMVBS: Richtlinien für die Erhaltung von Ingenieurbauten RI-ERH-ING - Leitfaden Objektbezogene Schadensanalyse (OSA) 2007. [8] BMVBS: Richtlinie für die Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) 2011. [9] Ralbovsky, M., Prammer, D., Lachinger, S., Vorwagner, A.: Verfahren und Modelle zur Quantifizierung der Zuverlässigkeit von dauerüberwachten Bestandsbrücken. Bremen: Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH 2020. [10] Siegert, C., Holst, A., Empelmann, M., Budelmann, H.: Überwachungskonzepte für Bestandsbauwerke aus Beton als Kompensationsmaßnahme zur Sicherstellung von Standsicherheit und Gebrauchs- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 337 Monitoring von Bestandsbrücken - Quantifizierung von Zuverlässigkeit und Nutzen tauglichkeit. Bremen, Bremen: Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH 2015. [11] BMVBS: Richtlinie zur Durchführung von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen im Rahmen von Instandsetzungs-/ Erneuerungsmaßnahmen bei Straßenbrücken (RI-WI-BRÜ) 2004. [12] FGSV: Empfehlungen für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen 1997. [13] Dahl, A., Kindl, A., Walter, C., Paufler-Mann, D., Ross, A., Waßmuth, V., Weinstock, F., Mann, H.- U.: Methodenhandbuch zum Bundesverkehrswegeplan 2030. FE 97.358 2015. [14] Straßen NRW: Prüfbericht Hauptprüfung 2010 nach DIN 1076 an der A 42 2010. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 339 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik Prof. Dr.-Ing. Jörg Röder Fachhochschule Potsdam, Fachgebiet Bauwerkserhaltung, Bundesrepublik Deutschland Zusammenfassung Im Rahmen von Untersuchungen zur Stand- und Verkehrssicherheit zweier weitgespannter Hallendachkonstruktionen mit äußerem Hängewerk wurden Schäden erkannt. Zum einen wurden an der Hängewerkskonstruktion, deren Zugglieder aus Spannstählen St 60/ 90 aus DDR-Produktion bestehen, die mittels Muffen und Verschraubungen verbunden wurden, vornehmlich im Bereich der Gewinde und Einleitungspunkten in die Dachkonstruktion fortgeschrittene Korrosionsschäden festgestellt. Zudem wurden vor allem an den Stahlbetonpylonen und Riegeln und in verringertem Maße an den Stahlbetonfundamenten der Hallenkonstruktionen ungerichtete Rissbildungen und Schäden vorgefunden, die im Rahmen von Untersuchungen auf eine lang anhaltende Alkali-Kieselsäue-Reaktion (AKR) zurückgeführt werden konnten. Unter Berücksichtigung des AKR-Restpotentials, der daraus abgeleiteten weiteren Schädigung des Betongefüges und der prognostizierten Beeinträchtigung der Betonfestigkeitseigenschaften für die vorgesehene Restnutzungsdauer wurde die Standsicherheit der Hängewerkskonstruktionen nachgewiesen, die Sanierung der Tragwerke geplant und schließlich durchgeführt. Neben dem Nachweis der Standsicherheit der Hängewerkskonstruktionen wurde in Abstimmung mit dem zuständigen Prüfingenieur die Ausarbeitung und Durchführung eines Standsicherheitsmonitorings als zweite Grundbedingung für die Nutzung der Hallentragwerke für weitere 30 Jahre festgelegt. Das diskontinuierliche Standsicherheitsmonitoring umfasst engmaschige Inspektionen und Untersuchungen und gibt konkret vor, wann welche Bauteile in Augenschein zu nehmen, handnah zu untersuchen, zu vermessen bzw. zu beproben sind, um die Standsicherheit der Bauteile und damit des gesamten Tragwerks sicherzustellen. Ziel der Inspektionen ist es, die Auswirkungen der AKR auf die Festigkeitseigenschaften der Betonbauteile sowie deren Geometrie, wie zum Beispiel Längenänderungen der Fundamente oder eine Verkrümmungszunahme der unter hoher Druckbeanspruchung stehenden Stahlbetonpylone infolge Verringerung des Beton-E- Moduls zu überwachen und im Hinblick auf die Standsicherheit des gesamten Hängetragwerks zu bewerten. 1. Zweck und Ziel An zwei weitgespannten, stützenfreien Hallentragwerken (siehe Bild 1) wurden im Jahr 2012 Untersuchungen der Stand- und Verkehrssicherheit in Anlehnung an die AR- GEBAU-Richtlinie [1] durchgeführt. Bei diesen Hallen werden die Lasten der Hallendächer mittels einer außenliegenden Hängewerkskonstruktion bestehend aus Spannstäben und Stahlbetonpylonen abgetragen (Bild 2 und 3). Im Rahmen dieser Erstuntersuchungen wurden durch die CRP Bauingenieure GmbH (nachfolgend CRP genannt) neben Korrosionsschäden an den Spannstäben der Hängewerkskonstruktion Schäden an den Stahlbetonpylonen und den zwischen diesen angeordneten Spannbetonriegeln festgestellt. Neben offensichtlich korrosionsbedingten Betonabplatzungen vor allem im Bereich der Bügelbewehrung (Pylone der Schwimmhalle) konnten die überwiegend ungerichteten Rissbildungen mit Aussinterungen an den Stahlbetonpylonen der Leichtathletikhalle im Rahmen weiterer Untersuchungen auf eine lang andauernde AKR zurückgeführt werden. Eine abgeschwächte AKR-Problematik zeigten Untersuchungen auch an den Fundamenten. Anschließend erfolgte der statische Nachweis der Hallentragwerke unter Berücksichtigung der AKR-Prognose und die darauf abgestimmten Sanierungen der Hallentragwerke bis zum Jahr 2017. Wesentlicher Bestandteil der Genehmigung der Nutzung der Hallentragwerke für weitere 30 Jahre war die Ausarbeitung und Durchführung eines Standsicherheitsmonitorings mit engmaschiger, diskontinuierlicher Überwachung der Beton- und Stahlbauteile der Hängewerke. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Überwachung verdeckter Bauteile gelegt. Im Rahmen des Beitrags werden nach einer kurzen Vorstellung der Hallentragwerke, der vorgefundenen Schäden sowie deren Sanierung die wesentlichen Elemente des Inspektions- und Überwachungskonzeptes sowie deren Berücksichtigung im Zuge der Sanierungsplanung und -umsetzung zusammenfassend vorgestellt und erläutert. 340 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik 2. Beschreibung der Hallentragwerke Die Leichtathletik- und Schwimmhalle wurden in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre errichtet. Das Dachtragwerk besteht bei beiden Hallen aus einem räumlichen Stabnetzfaltwerk (siehe Bild 1). Das statische System und die Abmessungen des Hängewerks der Leichtathletik- und der Schwimmhalle, an das das räumliche Stabnetzfaltwerk der Hallendächer angehängt ist, sind in den Bildern 2 und 3 wiedergegeben. Nachfolgend wird exemplarisch die Hallendachkonstruktion der Leichtathletikhalle kurz beschrieben und der wesentliche Unterschied zum Tragwerk der Schwimmhalle erläutert. Bild 1: Räumliches Stabnetzfaltwerk vom Typ „Berlin“ als Dachtragwerk 2.1 Hallentragwerk der Leichtathletikhalle Das in 11 Achsen vorhandene Hängewerk zur Aufnahme der Dachlasten der Leichtathletikhalle besteht je Hängewerksachse aus Spannstahlzuggliedern, zwei Abhängepunkten in den Drittelspunkten des Daches und zwei ca. 18,9 m hohen Stahlbetonpylonen (siehe Bild 2). Die Spannweite zwischen den Stahlbetonpylonen beträgt 63 m. Die Spannweite der Hallenkonstruktion selbst beträgt zwischen den Längsaußenwänden 60 m. Die Spannweite von den Hallenlängswänden bis zu den beiden Abhängepunkten je Hängewerksachse wird jeweils durch ein 18 m langes Raumnetzfalt-werkselement überspannt. Zwischen den beiden Abhängepunkten je Hängewerksachse spannt ein 24 m langes Raumnetzfaltwerkselement. Die Abhängepunkte sind somit in Hallenquerrichtung symmetrisch angeordnet. An den Giebelseiten gibt das Raumnetzfaltwerk seine Lasten an in den Giebelwänden integrierte, eingespannte Stahlbetonstützen ab. Der Abstand zwischen den einzelnen Hängewerken in Hallenlängsrichtung beträgt 12 m. Die Hallenlänge beträgt somit insgesamt (10+2) * 12 m = 144 m. Von den beiden je Hängewerksachse vorhandenen Abhängepunkten des Hallendaches verlaufen je 6 geneigte Spannseile St 60/ 90 mit einem Durchmesser von 32 mm zum Kopfpunkt der Stahlbetonpylone. Zur Aufnahme der daraus resultierenden Horizontalkräfte wurden von den Pylonköpfen 12 steil geneigte Spannseile St 60/ 90 mit einem Durchmesser von 32 mm nach außen bis zum Baugrund geführt und dort mittels einer Pfahlkopfplatte mit jeweils acht Zugpfählen verankert. Zwischen den Abhängepunkten des Hallendaches befinden sich zur Aufnahme der dort auftretenden Horizontalkräfte ebenfalls Spannseile St 60/ 90 mit einem Durchmesser von 32 mm. Zur Reduktion der Verformungen der Dachkonstruktion beim Auftreten ungleichmäßiger Dachlasten wurden zudem zwischen den Abhängepunkten des Daches und den Stahlbetonpylonen je 2 vorgespannte, horizontale Spannseile St 60/ 90 mit einem Durchmesser von 32 mm angeordnet. Die Vertikallasten aus den beiden Schrägabspannungen vom Hallendach zum Baugrund werden von den Stahlbetonpylonen aufgenommen und über ein flach gegründetes Einzelfundament in den Baugrund abgeleitet. Die aus den Schrägseilen in Höhe der Pfahlkopfplatte der Zugpfähle resultierenden Horizontalkräfte werden über Stahlbetondruckglieder, die zwischen dem Pfahlkopfbalken und dem Einzelfundament des Stahlbetonpylons horizontal angeordnet sind, in das Einzelfundament des Stahlbetonpylons abgeleitet und dort über Reibung in den Baugrund abgetragen. Im Bereich der Hallenlängswände sind eingespannte Stahlbetonstützen angeordnet, an die das Raumnetzfaltwerk die Vertikallasten des Dachtragwerks abgibt. Zudem nehmen die eingespannten Stahlbetonstützen die horizontalen Windlasten auf die Hallenlängswände auf. Die Aussteifung des Hallentragwerks erfolgt über das Stabnetzfaltwerk und die eingespannten Stahlbetonstützen in den Hallenwänden. Die Stahlbetonpylone werden in Hallenlängsrichtung durch biegesteif angeschlossene Stahlbetonfertigteilrahmenriegel, die jeweils zwischen zwei Pylonen angeordnet sind, gegen Knicken gesichert. 2.2 Hallentragwerk der Schwimmhalle Die Hallendachkonstruktion der Schwimmhalle unterscheidet sich von jener der Leichtathletikhalle im Wesentlichen darin, dass aufgrund der geringeren Spannweite nur ein Abhängepunkt je Querachse angeordnet wurde und die Anzahl der Spannstäbe geringer ist (siehe Bild 3). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 341 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik Bild 2: Schematischer Querschnitt des Dachtragwerks der Leichtathletikhalle mit Darstellung der wesentlichen Tragglieder des Dachtragwerks in Hallenquerrichtung; in Hallenlängsrichtung wurde diese Hängwerkskonstruktion insgesamt 11 mal ausgeführt Bild 3: Schematischer Querschnitt des Dachtragwerks der Schwimmhalle mit Darstellung der wesentlichen Tragglieder des Dachtragwerks in Hallenquerrichtung; in Hallenlängsrichtung wurde diese Hängwerkskonstruktion insgesamt 4 mal ausgeführt 342 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik 3. Korrosionsschäden an den Spannstählen der Hängewerkskonstruktion Im Jahr 2012 wurde durch die CRP Bauingenieure GmbH eine Überprüfung der Stand- und Verkehrssicherheit der beiden Hallenkonstruktionen in Anlehnung an die ARGEBAU-Richtlinie [1] durchgeführt. Vertiefende Untersuchungen im Bereich nicht ohne weiteres einsehbarer Konstruktionselemente schlossen sich an. Bild 4: Korrosionsschaden im Gewindebereich eines gering beanspruchten Spannstabes Neben Korrosion im Bereich offen liegender Gewindeteile (siehe Bild 4) wurden im Bereich der Durchstoßungspunkte der aus Spannstahl St 60/ 90 bestehenden Abhängestäbe durch den Dachaufbau der Hallendächer Korrosionsschäden zum Teil mit Materialabtrag vorgefunden. An einem Abhängestab der Schwimmhalle wurde eine Blattrostbildung mit einem Materialabtrag von bis zu 1 mm vorgefunden (siehe Bild 5). Bild 5: Korrosionsschäden an einem Abhängestab an der Schwimmhalle über die Höhe des Dachaufbaus mit geringer Blattrostbildung Auch bei der exemplarischen Untersuchung am Übergang der Zugstäbe aus St 60/ 90 in die Pfahlkopffundamente wurden punktuelle Korrosionsschäden ohne signifikante Querschnittsabminderung festgestellt. Die geringe Korrosion war dem guten Korrosionsschutz der Stäbe bestehend aus einem Beschichtungssystem sowie einer Bitumenummantelung zu verdanken. Einzeluntersuchungen an korrodierten Gewinden zeigten, dass der Korrosionsangriff im Gewindegrund nur gering ist (siehe auch Bild 6 und 7). Zusammenfassend wird im Gutachten von Prof. Nürnberger sinngemäß festgestellt, dass bei fachgerechter Erneuerung des Korrosionsschutzes ein zukünftiges Versagen der Zugstäbe infolge Spannungsrisskorrosion, Schwingkorrosion und Reibeermüdung ausgeschlossen werden kann. Dies bedingt auch, dass der Korrosionsschutz nach dessen Herstellung regelmäßig zu überprüfen, zu warten und bei Bedarf instand zu setzen ist. Bild 6: Korrodiertes Gewinde eines Spannstahlstabes nach dem Ausbau aus der Konstruktion Bild 7: Gewinde des Spannstahlstabes aus Bild 7 nach dem Sandstrahlen, die Gewindegänge sind durch die Korrosion beeinträchtigt, der Gewindegrund ist nur gering angegriffen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 343 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik 4. Schäden an den Stahlbetonbauteilen infolge Korrosion und AKR An den außenliegenden Stahlbetonbauteilen der Schwimmhalle wurden vor allem Betonabplatzungen entlang der Bügelbewehrung und zum Teil auch entlang der Längsbewehrung der Stahlbetonpylone festgestellt. Die Betonabplatzungen, die in Bild 8 zu erkennen sind, waren auf eine Depassivierung infolge Karbonatisierung des Betons zurückzuführen. Trotz recht geringer Karbonatisierungstiefe waren aufgrund der geringen Betondeckung systematische Betonabplatzungen (siehe Bild 8a)) und Korrosion mit leichter Blattrostbildung festzustellen Im Gegensatz dazu wurden an der Leichtathletikhalle weitgehend ungerichtete Rissbildungen festgestellt, die an allen Seitenflächen der Pylone und der Riegel in variierendem Umfang vorzufinden waren. Bild 9 zeigt eine Detailaufnahme dieser ungerichteten Rissbildungen und der begleitenden Aussinterungen an einem Stahlbetonpylon. a) Betonabplatzung entlang der Querbewehrung b) Betonabplatzung entlang der Längsbewehrung Bild 8: Korrosionsbedingte Betonabplatzungen an den Stahlbetonpylonen der Schwimmhalle Bild 9: Detailaufnahme ungerichteter Rissbildungen mit Aussinterungen an einem Stahlbetonpylon Ein Fluoreszenzschnelltest zeigte, dass im Beton bereits eine AKR stattgefunden hatte. Zur Ermittlung der Auswirkungen des AKR-Restpotentials auf die Entwicklung der Druckfestigkeit und des E-Moduls des Betons wurden Klimawechsellagerungen am F.A. Finger-Institut für 344 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik Baustoffkunde durchgeführt, die eine Alterung des Betons für eine Zeitspanne von 30 Jahren simulieren sollten. Begleitend wurden vor und nach den Klimawechsellagerungen an Bohrkernen aus dem gleichen Entnahmebereich vergleichende Druckfestigkeits- und E-Modulbestimmungen durchgeführt. Anhand der Zustandsanalyse aus dem Jahr 2013 sowie der Untersuchungsergebnisse des F.A. Finger-Instituts für Baustoffkunde leitete Univ.- Prof. Dr.-Ing. Könke eine Prognose für die Entwicklung der Betondruckfestigkeit und des E-Moduls für die Stahlbetonbauteile für die nächsten 30 Jahre bezogen auf die aktuell festgestellten Werte ab. Abhängig vom AKR-Restpotential wurde für die Stahlbetonpylone der Schwimmhalle bzw. der Leichtathletikhalle eine Reduktion der Betondruckfestigkeit um 15 % bzw. 20 % und des E-Moduls um 30 % bzw. 50 % prognostiziert. 5. Statischer Nachweis sowie Austausch der Spannbetonriegel und Sanierung der Stahlbetonpylone Im Wesentlichen aufgrund der in den nächsten 30 Jahren zu erwartenden Halbierung des E-Moduls des Betons und weniger aufgrund der prognostizierten Abminderung der Druckfestigkeit konnte die Standsicherheit der Stahlbetonpylone der Leichtathletikhalle nur durch Austausch der stark geschädigten Spannbetonriegel, Ersatz durch steifere Stahlriegel und den um 1,25 m höheren Einbau der neuen Stahlriegel nachgewiesen werden. Damit konnte die freie Kraglänge oberhalb der Aussteifungsriegel so weit verringert werden, dass deren Standsicherheit unter Ansatz des außergewöhnlichen Schneelastfalls „norddeutsche Tiefebene“ und der tatsächlich vorhandenen Imperfektionen der Stahlbetonpylone, die durch ein Aufmaß ermittelt wurden, für die nächsten 30 Jahre nachgewiesen werden konnte. Die neuen Stahlriegel wurden mittels massiver Kopfplatten, durch den Stahlbetonpylon durchgeführter Gewindestangen und auf der Pylonrückseite angeordneter massiver Widerlagerplatten mit den Stahlbetonpylonen biegesteif verbunden (siehe Bild 10). Bild 10: Neue Stahlriegel an der Leichtathletikhalle Aufgrund des geringen AKR-Restpotentials und zur Verhinderung zukünftiger Korrosionsschäden wurden die Stahlbetonpylone der Schwimmhalle mittels eines ca. 4 cm dicken, zweilagigen Spritzmörtelauftrags (M3 mit niedrigem Alkaligehalt) und einer Beschichtung mit einem Oberflächenschutzsystem OS5 saniert. Aufgrund des höheren AKR-Potentials wurden an der Leichtathletikhalle Risse verpresst, Fehlstellen lokal ausgebessert und reprofiliert sowie abschließend ein möglichst diffusionsoffenes Oberflächenschutzsystem OS5 mit erhöhter Rissüberbrückung aufgebracht. Die beschriebenen Maßnahmen sollen den Wassereintritt von außen in den Stahlbetonquerschnitt minimieren und gleichzeitig eine Abgabe von Feuchtigkeit aus dem Betonquerschnitt mittels Diffusion ermöglichen, um die Kernfeuchte zu minimieren. 6. Diskontinuierliches Standsicherheitsmonitoring für die Hallentragwerke zur Sicherstellung der Verkehrssicherheit Weitere Voraussetzung für die Nutzung der Leichtathletikhalle in den kommenden 30 Jahren war - ergänzend zum Nachweis der Standsicherheit unter Berücksichtigung der fortschreitenden AKR - die gemeinsame Festlegung von Planer, Prüfingenieur und Gutachter, dass ein verbindliches Inspektions- und Überwachungskonzept für das Primärtragwerk der Leichtathletikhalle erstellt und umgesetzt wird. Das Standsicherheitsmonitoring soll die in den nächsten 30 Jahren durchzuführenden Inspektionen, Untersuchungen und geodätischen Überwachungsmessungen am Tragwerk hinsichtlich der zeitlichen Abstände und des Umfangs umfassen. Die regelmäßig durchzuführenden Inspektionen, Untersuchungen und geodätischen Überwachungsmessungen sollen sicherstellen, dass am Primärtragwerk auftretende Schäden so rechtzeitig erkannt und behoben werden, dass es zu keiner Beeinträchtigung der Standsicherheit und Dauerhaftigkeit der Konstruktion kommt. Zudem soll in größeren zeitlichen Abständen mit begleitenden, in geringem Umfang zerstörenden Untersuchungen die Entwicklung der Betonfestigkeit in den Stahlbetonpylonen überwacht werden. Grundlage des Standsicherheitsmonitorings ist ein Bauwerksbuch, in dem alle wesentlichen Informationen zum Tragwerk und den durchgeführten Sanierungsmaßnahmen enthalten sind. Dieses Bauwerksbuch ist Teil des Inspektions- und Überwachungskonzeptes und bildet die Grundlage für die Bewertung des Tragwerkszustandes. Das Standsicherheitsmonitoring umfasst das gesamte Primärtragwerk und die Fassade mit einer Fokussierung auf die kritischen Tragwerkselemente Hängewerk aus Spannstählen, Stahlbetonbauteile mit aktiver AKR und neu eingebaute Stahlriegel sowie den Anschluss der neuen Stahlriegel an die Stahlbetonpylone. Im Rahmen des Standsicherheitsmonitorings werden Untersuchungen des Zustandes folgender Tragwerkselemente des Primärtragwerks sowie der Fassade durchgeführt: 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 345 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik 1 Tragende Stahlbauteile der Hängewerkskonstruktion und der Pylonaussteifung: > Abhängepunkte des Dachtragwerks (Abhängestäbe besonders im Bereich der Dachdurchführung - siehe Bild 11 und 12, Kalottenlager, Joche und Verschraubungen etc.), > Zugstäbe des Hängewerks (visuelle Untersuchung und bei erhöhter Schiefstellung Untersuchung der Zugtragfähigkeit), > Verankerung der Zugstäbe an den Pylonköpfen (siehe Bild 13 und 14) und in den Fundamenten, > neue Stahlriegel zwischen den Pylonen (Korrosionsschutz, Anschluss an die Stahlbetonpylone). Bild 11: Durchstoßungspunkt des Hängewerks durch das Dachtragwerk mit möglichst einfach zu öffnendem Anschluss zur Zustandskontrolle des Abhängestabes Bild 12: Detaildarstellung zu Bild 11 mit einfach zu demontierendem und wieder herstellbarem Formstück zur Zustandskontrolle des Abhängestabes im Bereich des Durchstoßungspunktes des Hängewerks durch das Dachtragwerk Bild 13: Verankerung der Zugstäbe am Pylonkopf, neu hergestellte Abdeckung mit einer Blechhaube zum Schutz vor direkter Regenbeanspruchung Bild 14: Übergang der Zugstäbe in den Pylonkopf und Abdeckung des Pylonkopfes mit einer Blechhaube zum Schutz vor direkter Regenbeanspruchung 346 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik 2 Tragende Stahlbauteile des Dachtragwerks > Stahltrapezblech, > Stabnetzfaltwerk. 3 Stahlbetonpylone > Visuelle Untersuchungen zum Allgemeinzustand, zur Oberflächenschutzbeschichtung und zur Abdichtung im Übergang zum Erdreich, > Materialuntersuchungen mittels Bohrkernen zur Ermittlung von E-Modul und Druckfestigkeit, > geodätische Messungen zur Schiefstellung und Krümmung der Pylone. 4 Stahlbetonfundamente > Visuelle Untersuchungen der herausstehenden Teile des Pfahlkopffundamentes (Beton und Abdichtung), > Materialuntersuchungen mittels Bohrkernen zur Ermittlung von E-Modul und Druckfestigkeit, > geodätische Messungen zur Höhenlage der Pfahlkopffundamente (Überwachung der Tragfähigkeit der Stahlbetonfundamente und der Zugpfähle) und zur Höhenlage der Pylonfundamente (Überwachung der Tragfähigkeit der Stahlbetonfundamente; siehe Bild 15), > geodätische Messungen zur Ermittlung der Abmessungen der Pylon- und Pfahlkopffundamente zur Überwachung einer durch eine AKR hervorgerufenen Ausdehnung des Betons (siehe Bild 15), > exemplarische Messung der Temperatur der Fundamente nahe der Betonoberfläche zur Erfassung der temperaturbedingten Längenänderungen (Differenzierung zwischen einer Dehnung infolge Temperatur bzw. einer AKRbedingten Ausdehnung; siehe Bild 15). Bild 15: Messpunktordnung an den Fundamenten zur geodätischen Überwachung der Höhenlage und der Fundamentabmessungen, hier exemplarisch für ein Pylonfundament der Schwimmhalle 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 347 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik 5 Verglasung und hinterlüftete Keramik-Fassade > Inaugenscheinnahme der Glaselemente im Hinblick auf Schäden an der Verglasung bzw. der Befestigung der Glaselemente, > Inaugenscheinnahme der Keramikfassade im Hinblick auf Schäden an den Keramikelementen und deren Befestigung an der Unterkonstruktion. Grundsätzlich wird beim Standsicherheitsmonitoring des Primärtragwerks der Hallen zwischen Inspektionen alle 3 Jahre, alle 6 Jahre und alle 12 Jahre unterschieden. Dabei wurde bei der Vorgabe dieser Inspektions- und Untersuchungsabstände vorausgesetzt, dass eine jährliche Baubegehung durch den Gebäudeeigentümer bzw. eine von ihm beauftragte Person erfolgt. Die Inspektions- und Untersuchungstiefe variiert abhängig vom betrachteten Tragwerkselement leicht. In der Regel wurden abhängig vom Untersuchungsintervall folgende Inspektionstiefen vorgegeben: > Begehung: jährlich > Sichtkontrolle: alle 3 Jahre > handnahe Untersuchung: alle 6 Jahre > Überprüfung der Geometrie: alle 3 Jahre > Druckfestigkeitsuntersuchung: alle 12 Jahre bzw. bei Feststellung erhöhter Verformungen Die turnusmäßigen Prüfungen und daraus gegebenenfalls resultierenden Instandhaltungsmaßnahmen dienen der Sicherstellung der Verkehrs- und Standsicherheit des Primärtragwerks und der Fassade für die noch angestrebte Nutzungsdauer bis zum Jahr 2045. Die aufgeführten Inspektionen und Überwachungen des Tragwerks sind durch ein entsprechend qualifiziertes Ingenieurbüro durchzuführen. Die im Rahmen der Bauwerksinspektion und -überwachung durchgeführten Untersuchungen sowie deren Ergebnisse sind in einer gutachtlichen Stellungnahme nachvollziehbar darzustellen und zu bewerten. Die gutachtliche Stellungnahme enthält auch eine Fotodokumentation und/ oder Skizzen mit Darstellung der Untersuchungsergebnisse. Folgenden Umfang muss die gutachtliche Stellungnahme in jedem Fall aufweisen: - Ort und Datum der Prüfungen, - genaue Benennung und Bezeichnung des Gebäude- oder Bauteils, - Personen, die bei den Prüfungen anwesend waren, - Art der durchgeführten Prüfungen, - Dokumentation der Prüfergebnisse (auch der unauffälligen), - Beurteilung der Prüfergebnisse, - Soll-Ist-Vergleich sowie - ggf. Empfehlungen zur Instandsetzung. Wird bei der Inspektion und Überwachung eine signifikante Abweichung des Istvom Sollzustand festgestellt, sind weitergehende Untersuchungen zu veranlassen und/ oder Instandsetzungsmaßnahmen zu planen und durchzuführen. 7. Bedeutung des Standsicherheitsmonitorings Das Versagen eines Stahlbetonpylons würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem progressiven Kollaps der gesamten Hallendachkonstruktion führen. Nicht vorhandene Umlagerungsmöglichkeiten, hohe Tragwerksauslastungen und verdeckte Konstruktionselemente, deren Zustand nicht visuell beurteilt werden kann, bergen ein erhöhtes Schadensrisiko. Folgerichtig sind diese beiden Hallenkonstruktionen gemäß [2] in eine hohe Bauwerkskategorie einzugruppieren. Daher sind an diesen Tragwerken sehr sorgfältige und in die Tiefe gehende regelmäßige Inspektionen und Untersuchungen gemäß den Anforderungen in [1] und [3] durchzuführen, um das Schadensrisiko zu minimieren. Hinzu kommt die noch nicht abgeschlossene AKR in den Stahlbetonbauteilen - insbesondere in den Stahlbetonpylonen. Die Entwicklung der AKR und deren Auswirkungen muss überwacht und bewertet werden. Zur Beurteilung des Betons sind dabei auch in größeren Zeitabständen Bohrkernentnahmen unter anderem zur Bestimmung des E-Moduls und der Druckfestigkeit vorgesehen. Bei der Sanierung der Hängewerkskonstruktion der Hallentragwerke bestand das Bestreben, Konstruktionspunkte, die einer erhöhten Witterungbeanspruchung ausgesetzt und zugleich nicht ohne Hilfsmittel einsehbar sind, möglichst effektiv zu schützen. Daher wurden die Pylonköpfe mit einer Blechhaube, die geöffnet werden kann, vor direkter Regenbeanspruchung geschützt (siehe Bild 13 und 14). Trotz aller Maßnahmen sind Alterungsschäden nicht zu vermeiden. Daher bleibt abschließend zu betonen, dass im Rahmen der Inspektionen empfohlene Wartungen und Instandsetzungen umzusetzen sind, um eine Schädigung und Beeinträchtigung der Stand- und Verkehrssicherheit bereits in einem frühen Stadium zu beheben und den Schadensfortschritt zu verhindern. 348 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Standsicherheitsmonitoring an weitgespannten Hallentragwerken mit AKR- und Korrosionsproblematik Literatur [1] Hinweise für die Überprüfung der Standsicherheit von baulichen Anlagen durch den Eigentümer/ Verfügungsberechtigten, veröffentlicht von der Bauministerkonferenz, Konferenz der für Städtebau, Bau- und Wohnungswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder (ARGEBAU), Fassung September 2006 [2] Röder, J.: Möglichkeiten zur Klassifizierung von Gebäuden im Hinblick auf die Überprüfung der Verkehrssicherheit, in: Erhaltung von Bauwerken, 1. Kolloquium 27. und 28.01.2009, Ostfildern: Technische Akademie Esslingen [3] Richtlinie für die Überwachung der Verkehrssicherheit von baulichen Anlagen des Bundes - RÜV -, herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Abteilung Bauwesen, Bauwirtschaft und Bundesbauten, Stand: 31. März 2006 Betonersatz 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 351 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken Christian Knorrek Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Christian Dommes Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Univ.-Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University, Deutschland Zusammenfassung Die Verstärkung von Bestandsbauwerken mit Querschnittsergänzungen aus bewehrtem Beton ist bereits heute sowohl im Hoch-, Brückenals auch im Industriebau von großer Bedeutung und wird in der Zukunft als Folge der steigenden Anforderungen an die Bestandsbauwerke weiter zunehmen [1][2][3]. Im Rahmen eines durch die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF) geförderten laufenden Forschungsvorhabens am Institut für Massivbau der RWTH Aachen soll durch neue systematische Versuchsserien ein Zusammenhang zwischen dem Verfahren zur Oberflächenbearbeitung des Altbetons, der Rauheit (gemessene Rautiefe), der Art der Betonergänzung und der Tragfähigkeit der Verbundfuge hergeleitet werden. Als Ergebnis sollen eine Datenbank und ein möglicher Praxisleitfaden zur Tragfähigkeit verschiedener Kombinationen aus Altbeton, Oberflächenbearbeitung, Ergänzungsbetonschichten und Verbundmitteln erarbeitet werden. In diesem Beitrag sollen die ersten Erkenntnisse aus diesem Forschungsprojekt vorgestellt werden. 1. Einleitung Die Altersstruktur von Bestandsbauwerken hat in Verbindung mit den größeren Beanspruchungen sowie durch verschobene Erhaltungsinvestitionen aus der Vergangenheit dazu geführt, dass sich der bewertete Zustand vieler Bauwerke und deren Tragsystemen in den letzten Jahren deutlich verschlechtert hat. Aus zeitlichen und wirtschaftlichen Gründen sind aufwändige Sanierungsarbeiten oder Ersatzneubauten für Bauwerke mit zu geringer Tragfähigkeit nicht immer sofort umsetzungsfähig, sodass die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit von Bestandsbauwerken durch nachträgliche Instandsetzungs- und Ertüchtigungsmaßnahmen sichergestellt werden müssen [3]. Die Verstärkung von Betontragwerken kann z.B. durch Anordnung einer zusätzlichen Bewehrung in Ergänzungsschichten oder durch eine Vergrößerung des Betonquerschnitts umgesetzt werden. Zu den in der Baupraxis etablierten Verstärkungsmaßnahmen zählen insbesondere horizontale Ergänzungsbetonschichten auf Platten, vertikale Ergänzungen bei Stützen und Wänden sowie Querschnittsergänzungen an geneigten Flächen mit Beton [4][5][6][7]. Bei nachträglich aufgebrachten Betonschichten entstehen zwischen der Altbetonoberfläche und der Ergänzungsbetonschicht Verbundfugen, über die eine kraft-schlüssige Verbindung der Betonschichten sichergestellt werden muss (quasimonolithischer Verbund). Die Bemessung und Ausführung der Verbundfugen sind in DIN EN 1992- 1-1 [8] (EC2) und dem Nationalen Anhang für Deutschland [9] (NA(D)) geregelt. Danach wird die Kraftübertragung in der Fuge durch Adhäsion, Reibung und eine Verbundfugenbewehrung sichergestellt. Dabei hat die Oberflächenstruktur des Altbetons einen maßgeblichen Einfluss auf die Tragfähigkeit der Verbundfuge. Die Klassifizierung der Fugenqualität erfolgt in der Baupraxis über die Art der Fugenausbildung bzw. -herstellung und die dabei erreichte Rauheit der Betonoberfläche. Die Rauheit wird über die mittlere Rautiefe definiert und in der Regel durch das Sandflächenverfahren nach Kaufmann bestimmt [10] Nachteile des Sandflächenverfahrens liegen in den dabei auftretenden großen Streuungen sowie der Beschränkung auf die Anwendung bei horizontalen Oberflächen. Deshalb werden aktuell alternative optische Verfahren auf Basis von z.B. Photogrammetrie und Lasertriangulation entwickelt [11][12]. Die baupraktische Anwendbarkeit dieser Verfahren zur 352 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken Beurteilung der Oberflächenrauheit steht noch aus und ist durch systematische Rauheitsmessungen mit diesen Messsystemen und der anschließenden Untersuchung der Verbund- und Haftzugfestigkeit in der Verbundfuge nach dem Aufbringen der Ergänzungsschicht zu überprüfen und zu bewerten. Eine Standardisierung des Zusammenhangs zwischen Fugenrauheit sowie Verbund- und Haftzugfestigkeit ermöglicht eine schnelle und zuverlässige Beurteilung der Oberflächenrauheit von Bestandsbauteilen. Zur Untersuchung der Tragfähigkeit von Verbundfugen in Abhängigkeit der Fugenrauheit sind in der Literatur (z.B.: [13][14][15][16][17]) verschiedene Versuchsserien unter Biege- und Schubbelastung dokumentiert. Dabei wurde entweder die Schubtragfähigkeit der Verbundfuge unter reiner Schubspannung sowie kombinierter Schub- und Normalspannung untersucht oder es wurden Spaltzug-, Haftzug- und Balkenversuche durchgeführt. 2. Stand der Forschung und Entwicklung 2.1 Verbundfugen bei Bauwerksverstärkung durch Betonergänzung Die Tragfähigkeit von Bestandsbauwerken kann durch das Aufbringen von Verstärkungsschichten aus Beton mit und ohne Bewehrungen gesteigert werden. Dabei wird die Biegetragfähigkeit durch Druckzonenergänzungen mit horizontalen Aufbetonschichten parallel zur Bauteilachse oder zusätzlicher Bewehrung in Ergänzungsschichten sowie die Querkrafttragfähigkeit mit vertikalen bzw. geneigten Ergänzungsschichten am Steg vergrößert [4][5][6] (Bild 1). Auch Stützenverstärkungen zur Steigerung der Axial- und Biegetragfähigkeit werden ausgeführt [7]. Für die Verstärkungsschicht können Normalbetone mit Festigkeiten des zu ertüchtigenden Bauwerks oder hochfeste bzw. ultrahochfeste Betone verwendet werden. Mit dem Einsatz von ultrahochfesten Betonen (UHPC) wird zum einen eine bessere Dauerhaftigkeit und zum anderen wegen der dünneren Schichtdicken eine effizientere Tragfähigkeitssteigerung erzielt, da die zusätzliche Belastung aus Eigengewicht gering bleibt [18]. Bild 1: Nachträgliche Betonquerschnittsergänzungen Zur Übertragung von Schubkräften in der Fuge ist eine ausreichend aufgeraute Fugenoberfläche erforderlich (Bild 2). Verbundmittel (z.B. eingeklebte / eingemörtelte gerade Stäbe oder Winkelhaken) vergrößern die Tragfähigkeit der Verbundfuge und können Beanspruchungen wie kleine Schubkräfte aus differenziellem Schwinden in den Randbereichen und wechselnden Temperaturgradienten aufnehmen (Bild 3). Bild 2: Aufgeraute Betonoberfläche eines Brückenoberbaus [19] Bild 3: Aufgeraute Betonoberfläche mit gestaffelt angeordneten Verbundankern [19] 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 353 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken Baupraktisch übliche Verfahren zum Aufrauen der Altbetonoberfläche sind dabei beispielsweise das Stemmen und das Wasser- oder Trockenstrahlen [5]. Weitere Oberflächenbearbeitungsverfahren (z.B. Frä-sen oder Flammstrahlen) und deren Anwendungsbereiche werden in [20] beschrieben. Das Stemmen stellt für großflächigen Verstärkungsmaßnahmen eine unwirtschaftliche Methode dar, wenn eine gleichmäßige Oberfläche notwendig ist [5]. Bei einer Oberflächenbehandlung mit dem Druckwasserstrahlen wird zwischen Niederdruck-, Hochdruck- und Höchstdruckwasserstrahlen unterschieden [21]. Das Niederdruckwasserstrahlen dient zur Entfernung von Verunreinigungen und ist zur Oberflächenbehandlung für Betonergänzungen nicht oder nur bedingt geeignet. Beim Hochdruckwasserstrahlen wird die Altbetonoberfläche mit einem Druck von bis zu 700 bar bearbeitet und Kiesnester oder am Beton haftende Rückstände entfernt. Das Höchstdruckwasserstrahlen raut die Betonoberfläche mit einem Druck von bis zu 2000 bar auf und eignet sich zum Abtragen von geschädigtem Beton, zum Freilegen der Bewehrung sowie zum Entfernen von Rostschichten an freiliegender Bewehrung [5]. Beim Feststoffstrahlen werden zum Aufrauen unterschiedlicher Oberflächen verschiedene Strahlmittelsysteme und -arten eingesetzt. Die baupraktisch üblichsten Verfahren zur Betonbearbeitung sind das Sandstrahlen und das Kugelstrahlen mit rundem und gebrochenem Korn [21]. Das Trockenstrahlen stellt dabei nach [5] das wirtschaftlichste Verfahren dar, da hierbei nur maximal 5 mm von der Altbetonoberfläche abgetragen werden. Im Allgemeinen wird mit zunehmendem Feststoffdurchmesser eine größere Rauheit der Oberfläche erzielt. Zudem erreichen scharfkantige Strahlmittel höhere Abtragsraten als kugelförmige Strahlmittel [21]. Bild 4: Traganteile der Verbundfuge [15] 2.2 Tragfähigkeit von Verbundfugen Die Beanspruchungen in einer Verbundfuge werden durch Traganteile aus Adhäsion, Reibung und der fugenkreuzenden Verbundbewehrung aufgenommen [13][14] [15][22][23] (Bild 3). Die Adhäsion beschreibt den Haftverbund und die mikromechanische Verzahnung zwischen den beiden Betonschichten. Der Traganteil der Reibung wird maßgeblich von der in der Verbundfuge übertragenen Drucknormalspannung und der Kornverzahnung der Rissufer beeinflusst. Für den Bewehrungstraganteil wird zwischen der durch die horizontale Rissuferverschiebung beeinflussten Querbelastung (Dübel-wirkung) und der Längszugbeanspruchung der Stäbe infolge Rissöffnung (Spannfedereffekt) unterschieden. Der maßgebliche Einflussfaktor aller Traganteile der Verbundfuge ist neben den Betoneigenschaften und der Fugenbewehrung die Rauheit der Altbetonoberfläche [23]. Für den Nachweis der Schubkraftübertragung über die Verbundfuge nach EC2+NA(D) [8] [9] werden die einwirkenden Schubspannungen v Ed aus der einwirkenden Querkraft V Ed über die Breite der Verbundfuge b und dem inneren Hebelarm z ermittelt (Gl. 1). v Ed = β∙V Ed / (b∙z) (Gl. 1) Hierbei beschreibt β das Verhältnis aus Normalkraft in der Betonergänzung und der Gesamtnormalkraft in der Druckbzw. Zugzone des betrachteten Querschnittes. Die aufnehmbare Schubspannung in der Verbundfuge v Rdi ergibt sich als Summe der Traganteile aus Adhäsion, Reibung und Bewehrung und ist über eine definierte Obergrenze der maximalen Spannungen in der Verbundfuge begrenzt (Gl. 2). 354 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken (Gl. 2) Für die Beiwerte c, μ und ν werden in EC2+NA(D) [8] [9] die vier Oberflächenkategorien „sehr glatt“, „glatt“, „rau“ und „verzahnt“ definiert. Die Einteilung der Betonoberflächen in die Kategorien erfolgt abhängig von der Herstellung bzw. Bearbeitung der Oberfläche und durch die Festlegung der Rauheit z.B. über die mit dem Sandflächenverfahren nach Kaufmann [10] bestimmte mittlere Rautiefe R t . So wird nach [24] eine raue Fuge mit einer Rauheit von mindestens 3 mm (mittlere Rautiefe nach dem Sandflächenverfahren R t ≥ 1,5 mm) definiert, die durch einen Rechen mit Zinkenabstand von 40 mm, einem Freilegen der Gesteinskörnung oder anderen Verfahren erzeugt wurde. Für die Neufassung des EUROCODES 2 werden für den Nachweis der Verbundfuge auf europäischer Ebene zurzeit zwei Vorschläge diskutiert. Ein Vorschlag basiert auf dem aktuellen Ansatz nach EC2+NA(D) [8][9] und beschreibt die aufnehmbaren Fugenspannungen ebenfalls als Summe der Traganteile aus Adhäsion, Reibung und Bewehrung (Gl. 3-2). Auf die Begrenzung der maximalen Spannungen in der Fuge über eine definierte Obergrenze wird in diesem Vorschlag verzichtet. Unter zyklischer Belastung wird der Traganteil der Adhäsion auf c fat = 0,5∙c reduziert. Der zweite Vorschlag für die Neufassung des EC2 basiert auf dem Model nach MO-DEL CODE 2010 [25] und setzt sich ebenfalls aus den Traganteilen aus Adhäsion, Rissreibung und Schubbewehrung zusammen. Der Traganteil der Schubbewehrung wird dabei in einen Spannfedereffekt und eine Dübelwirkung aufgeteilt (Gl. 3) [26]. (Gl. 3) 2.3 Versuche zur Ermittlung der Verbundfestigkeit Zur Untersuchung der Tragfähigkeit von Verbundfugen sind in der Literatur verschiedene Versuchsmethoden beschrieben. Die zur Untersuchung der Schubtrag-fähigkeit von Verbundfugen etablierten Versuchsaufbauten sind in Bild 5 dargestellt. Da die Verbundfugentragfähigkeit sowohl von Versuchsaufbau und Versuchskörpergrößen als auch von der Belastungsart und -geschwindigkeit beeinflusst wird, ist ein Vergleich der dokumentierten Ergebnisse auch bei gleichem Versuchsaufbau nur selten möglich [27]. (a) Push-Out Test Im Push-Out-Test werden zwei Altbetonschichten mit einer mittigen Neubetonschicht ergänzt, sodass zwei Abscherflächen entstehen (Bild 5 (a)). Durch die Belastung parallel zur Fugenachse soll eine reine Schubbeanspruchung untersucht werden [13][14][17]. Der Versuchsaufbau ist zwar grundsätzlich so konzipiert, dass eine möglichst gleichmäßige Belastung der Schubfuge vorliegt. Tatsächlich ist nach [15] aber wegen der versetzten Lasteinleitungspunkte und der Querdehnungsbehinderung am Fußpunkt von einer ungleichmäßigen Verteilung der Schubbeanspruchungen auszugehen. Das Versagen wird in der Regel durch das Abscheren einer Verbundfuge eingeleitet. (b) Schubversuche/ Modifizierte Schubversuche Die Schubversuche gemäß Bild 5 (b, links) werden ebenfalls parallel zur Fuge beansprucht. Durch die Aufbringung von Normalspannungen senkrecht zur Fuge können verschiedene Verhältnisse von Schub- und Normalspannung untersucht werden [13][16]. Die versetzte Lasteinleitung der Betonschichten ruft aber zusätzliche Biegebeanspruchungen in der Fuge hervor. Der Schubversuchskörper mit Konsolen gemäß Bild 5 (b, rechts) ermöglicht eine zentrische Lasteinleitung [7]. Nachteilig sind der große Aufwand bei der Herstellung und der Einbau der Versuchskörper in die Prüfmaschine. Bild 5: Versuchsaufbau verschiedener Versuchskörper zur Untersuchung der Schubtragfähigkeit von Verbundfugen [27] 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 355 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken (c) Geneigte Schubversuche/ Modifizierte geneigte Schubversuche Schubversuche an Versuchskörpern mit geneigten Fugen gemäß Bild 5 (c) ermöglichen über die Neigung unter einer zentrischen Belastung ein konstantes Verhältnis zwischen Schub- und Normalspannung [13][17]. Da in Versuchskörpern mit großer Fugenfläche (Bild 5 (c, links)) das Versagen bei Ausbildung einer rauen Fugenoberfläche meist im Bereich der schwächeren Betonschicht eintritt, wird für ein Versagen in der Fuge die Fugenfläche durch Einkerbungen zwischen Alt- und Neubetonschicht reduziert (Bild 5 (c, rechts)) [17]. Die so ermittelten Haftverbundfestigkeiten sind etwa 2,5-fach größer als die Werte aus Push-Out-Tests. Ein konstanter Verlauf der Schubspannungen entlang der Fuge wird schon bei geringfügig exzentrische Lasteinleitung nicht mehr erreicht. Über die aus diesem Versuch indirekt abgeleitete Haftzugfestigkeit kann auf die Verbundfestigkeit geschlossen werden. 2.4 Verfahren zur Ermittlung der mittleren Rautiefe von Betonoberflächen Die Rauheit einer Betonoberfläche ist nicht eindeutig definiert und wird in Abhängigkeit des Anwendungsbereiches festgelegt. Im Allgemeinen werden dazu die Abweichungen der Ist-Oberfläche von einer geometrisch idealen Oberfläche betrachtet [25][28]. Im Bauwesen wird zur Beschreibung der Rauheit die mittlere Rautiefe R t verwendet, die in der Regel durch volumetrische Verfahren (z. B. das Sandflächenverfahren nach Kaufmann [10]) ermittelt wird. Alternative Verfahren, wie laserbasierte Messungen und photogrammetrische Verfahren, wurden von verschiedenen Forschern und Instituten bereits eingesetzt und zeigten vielversprechende Ergebnisse [11][12][13] Allerdings werden diese Verfahren aufgrund unzureichender Erfahrungen bisher nicht in den technischen Richtlinien als alternative Verfahren zum Sandflächenverfahren anerkannt. Sandflächenverfahren nach Kaufmann Das einfachste und überwiegend etablierte Verfahren zur Bestimmung der mittleren Rautiefe ist das Sandflächenverfahren nach Kaufmann [10]. Bei diesem Verfahren wird eine definierte Menge Sand einer bestimmten Körnung kegelförmig auf die zu beurteilende Oberfläche aufgebracht und mit einer Scheibe kreisförmig ausgebreitet bis der Sand vollständig verteilt ist (Bild 6 (a)). Aus dem gemittelten Durchmesser d, der in mindestens zwei Richtungen ausgemessenen Sandfläche und dem Sandvolumen V kann die mittlere Rautiefe R t ermittelt werden (Gl. 4): R t = V∙4/ (π∙d²) (Gl. 4) Das Verfahren wird zur Ermittlung der mittleren Rautiefe unter anderem in der ZTV-ING der Bundesanstalt für Straßenwesen [20], DIN EN 13036 1 zur Oberflächeneigenschaften von Straßen und Flugplätzen [29], DIN EN 1766 für Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken [30] und der DAfStb-Richtlinie: Richtlinie Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen [31] eingesetzt. Laserbasierte Messverfahren Das Verfahren der Lasertriangulation basiert auf einem Laserstrahl, der auf die zu untersuchende Oberfläche gerichtet wird. Ein lateral versetzter Detektor ist in der Lage die teilweise diffus reflektiertenden Laserstrahlen, die mittels optischer Linsen gebündelt werden, zu messen und Abstände über trigonometrische Zusammenhänge zu berechnen [12]. Aus diesen Abständen können dreidimensionale Koordinaten erstellt und abgespeichert werden. In [12] wurde bereits die Funktionsfähigkeit mit der Entwicklung eines Prototyps gezeigt (Bild 6 (b)). Die Messung erfolgte durch 10 Einzelmessungen, aus denen daraufhin ein linienförmiges Oberflächenprofil abgebildet und die Rautiefe R tLaser ermittelt wurde. Die so Bild 6: Verfahren zur Ermittlung der Rautiefe von Betonoberflächen 356 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken ermittelten Rautiefen wurden den Ergebnissen der Sandflächenverfahren gegenübergestellt. Durch Vergleichsmessungen an unterschiedlichen Betonoberflächen konnte eine Beziehung zwischen der mittleren Rautiefe R t nach den Sandflächenverfahren (z.B.: [20][29][30] [31]) und der mit dem Lasermessgerät ermittelten Rautiefe R tLaser erstellt werden. Damit ist eine direkte Umrechnung der Ergebnisse aus dem Lasermessverfahren auf die Sandflächenverfahren möglich. Der Vorteil der Lasermessungen liegt in der hohen Reproduzierbarkeit bei Wiederholungsmessungen und der deutlich geringeren Streuung der Ergebnisse von 50 Prozent im Vergleich zum Sandflächenverfahren. Photogrammetrische Verfahren Die Photogrammetrie stellt neben der Lasertriangulation ein weiteres berührungsloses Messverfahren dar. Mit Hilfe eines mehrschnittigen Auswerteverfahrens kann eine dreidimensionale Abbildung einer Oberfläche erstellt werden. Dazu werden mit einer Kamera Bilder aus verschiedenen Perspektiven mit unveränderten Kamera- und Objektiveinstellungen aufgenommen. Durch die räumliche Orientierung der Aufnahmen wird über markante Bildpunkte eine dichte Punktwolke des Oberflächenprofils ermittelt [32]. Über eine Verdichtung der Punktwolke sowie die Bestimmung der 3D-Objektkoordinaten wird mit Hilfe einer Dreiecksvermaschung anschließend ein digitales Oberflächenmodell (DOM) erstellt (Bild 6 (c)). Aus diesem wird die mittlere Rautiefe der Oberfläche über die Berechnung einer ausgleichenden Ebene aus den Profilkoordinaten abgeleitet. Zur Kalibrierung des Verfahrens und der abgesicherten Anwendung für die Ermittlung der mittleren Rautiefe nach aktuellen Regelwerken sind Vergleichsmessungen an profilierten Betonoberflächen notwendig. 3. Forschungsvorhaben 3.1 Allgemeines Ziel des Forschungsvorhabens ist es, durch theoretische und experimentelle Untersuchungen einen Zusammenhang zwischen dem Verfahren zur Oberflächenbearbeitung des Altbetons, der Fugenrauheit, der Art der Betonergänzung und der Tragfähigkeit der Verbundfuge zu erarbeiten. Dazu werden Betonoberflächen nachträglich durch verschiedene Verfahren aufgeraut und die Rauheit durch volumetrische und optische Messverfahren bestimmt. Im Anschluss werden die Versuchskörper mit einer Ergänzungsschicht versehen, um anschließend die Verbund- und Haftzugfestigkeit der Verbundfuge zu untersuchen. Mit der Bereitstellung einer Datenbank zur Verbundfugentragfähigkeit und einer Datenbankauswertung zur Verbund- und Haftzugfestigkeit in Abhängigkeit des Altbetons, der Oberflächenbearbeitung, der mittleren Rautiefe, des Verbundmittels und des Ergänzungsbetons lassen sich Verstärkungen im Hoch-, Brücken- und Industriebau realistischer bewerten und wirtschaftlicher bemessen. Zudem liefert das Forschungsvorhaben einen wichtigen Beitrag zur Etablierung optischer Rauheitsmessverfahren für die zuverlässige Ermittlung der mittleren Rautiefe bei vertikalen Fugenflächen. 3.2 Datenbank Zur Untersuchung der Tragmechanismen von Verbundfugen zwischen Altbetonoberflächen und der Ergänzungsbetonschichten führten mehrere Forscher experimentelle Untersuchungen durch, um ein besseres Verständnis bestimmter Einflussfaktoren für verschiedene Belastungsmechanismen und deren Zusammenwirken in Verbundfugen zu erhalten. Für individuelle Untersuchungen der Tragwerksmechanismen (Adhäsion, Reibung und Verbundbewehrung) stellen Kleinkörperversuche eine gute und effiziente Methode dar, um die vielen unterschiedlichen Einflussparameter für die Verbundfugentragfähigkeit wie Oberflächenrauhigkeit, Betonfestigkeit, Alter und Zusammensetzung (z.B. Zuschlagstoffe), Verbundbewehrung (z.B. Form, Menge und Verankerung) sowie die aufgebrachte Last (unter Berücksichtigung von z.B. Normalspannung, Biegung und zyklischer Belastung) zu berücksichtigen. Bei Großversuchen an Balken- und Plattenkonstruktionen mit Verbundquerschnitten entsteht die Längsschubübertragung über eine Verbundfuge nicht durch eine reine Scherung, sondern durch Verbundwirkung verschiedener Tragwerksmechanismen. Aufgrund des Zusammenwirkens der verschiedenen Tragwerksmechanismen in den Großversuchen können daher die Verbundfestigkeit sowie die Rissentwicklung und die Spannungszustände von den Ergebnissen aus Kleinversuchen abweichen. Um einen vollständigen Überblick über vorhandene Versuchsergebnisse zu erhalten und um eine konsistente und kritisch überprüfbare Datenbasis für die Bewertung von Verbundfugenfestigkeiten zu gewährleisten, wurde im Rahmen des Forschungsvorhabens eine umfassende Literaturrecherche zu Versuchsberichten von experimentellen Untersuchungen an Verbundfugen durchgeführt. Zur systematischen Bewertung der Verbundfugenfestigkeiten aus den Versuchsergebnissen aus der Literatur wurden die gesammelten Daten in Teildatenbanken unterteilt, um die unterschiedlichen Auswirkungen von Strukturverhalten, Tragmechanismen und Belastungsbedingungen zu untersuchen. Dazu wurden zwei Hauptdatenbanken entwickelt, die zwischen Kleinkörperversuchen und Großversuchen an Balken- und Plattenkonstruktionen unterscheiden. Unter Berücksichtigung der Belastungsbedingungen wurden die Hauptdatenbanken in Versuche mit statischer und zyklischer Belastung unterteilt. Um die Wirkung von Verbundbewehrung zu untersuchen, wurden die Datenbanken weiter in Proben ohne Verbundbewehrung und mit Verbundbewehrung unterteilt. Somit bildeten acht Teildatenbanken die Grundlage für 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 357 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken die Datenbankauswertung. Für jeden Versuch wurden die relevanten Versuchsparameter Geometrie, Verbundfugenbeschaffenheit, Materialparameter von Beton und Bewehrung sowie Traglast und Versagensbild bewertet. Da die gesammelten Versuchsberichte unterschiedliche Definitionen des Verbundflächenzustandes, Bestimmungen der Betonfestigkeit und Einheiten für Spannung und Abmessungen voraussetzen, wurden die Daten konvertiert, um eine einheitliche Bewertungsgrundlage zu erhalten. Darüber hinaus wurden Auswahlkriterien definiert, um die Anwendungsgrenzen der Datenbankauswertung für horizontale Verbundflächen in Balken- und Plattenkonstruktionen zu erfüllen. Im nächsten Schritt soll diese erstellte Datenbank durch eigene experimentelle Untersuchung erweitert werden. 3.3 Experimentelle Untersuchung Zur Erweiterung der Datenbank und zur systematischen Untersuchung der Tragfähigkeit bewehrter und unbewehrter Verbundfugen in Abhängigkeit von der Oberflächenbearbeitung werden die Schub- und Haftzugfestigkeit der Verbundfugen anhand von Kleinkörperversuchen bestimmt. Damit soll eine ausreichende Datenbasis bereitgestellt werden, um den Einfluss der untersuchten Parameter mit begrenzter Streuung der Herstellungstoleranzen bewerten zu können. Für die Versuchskörper werden Platten mit Abmessungen von 70 x 70 x 10 cm hergestellt, deren Oberfläche nach Aushärtung des Betons durch Praxispartner bearbeitet werden. Nachdem die Rautiefe mit den in Kapitel 2.4 beschriebenen Verfahren gemessen wurde, wird ein Ergänzungsbeton aufgebracht. Aus diesen Platten werden nach Aushärten des Ergänzungsbetons vier quadratische Versuchskörper (25 x 25 x 20 cm) herausgeschnitten (Bild 7 (a)). Durch dieses Vorgehen werden vier Versuchskörper einer Parameterkombination hergestellt, deren Streuung der Oberflächenstruktur minimiert ist. An drei der vier in Bild 7 (b) dargestellten Plattenausschnitten wird die Schubtragfähigkeiten der Fuge bestimmt. Parallel werden an dem vierten Plattenausschnitt fünf Haftzugprüfungen mit einem Durchmesser von 5 cm in Anlehnung an die DIN EN 1542 [33] durchgeführt (Bild 7 (c)). Diese Versuchsreihen befinden sich zurzeit in der Herstellung und erste Versuchsergebnisse können voraussichtlich am 7. Kolloquium „Erhaltung von Bauwerken“ vorgestellt werden. Alle Versuchsergebnisse werden ebenfalls in den zuvor beschriebenen Datenbanken für bewehrte und unbewehrte Verbundfugen erfasst. Dadurch werden die erstellten Datenbanken, die Versuche mit unterschiedlichen Versuchsaufbauten und Belastungen aus der Literatur beinhalten, um eine große eigene Datenmenge erweitert, Bild 7: Versuchskörper: (a) Platte einer Parameterkombination; (b) Versuchskörper für Schubversuche; (c) Versuchskörper für Haftzugversuche 358 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken die eine geringe versuchsaufbaubedingte Streuung aufweisen. Anhand von Datenbankauswertungen werden die Traganteile der unbewehrten Verbundfugen und der bewehrten Verbundfugen herausgearbeitet, sowie gezielt der Einfluss der Fugenrauheit auf die Tragfähigkeit bestimmt. Ziel ist die Bereitstellung eines Zusammenhanges zwischen Schub- und Haftzugfestigkeit und der Oberflächenausbildung. Aus den Messungen der Oberflächenprofile mit verschiedenen Messverfahren wird auch der Einfluss der Oberflächenbearbeitung auf die mittlerer Rautiefe ermittelt. Zur Überprüfung der Messverfahren werden das Lasermessverfahren und die Photogrammetrie nach Einsatz an horizontalen und vertikalen Fugenflächen mit dem Sandflächenverfahren verglichen und für die baupraktische Umsetzung validiert. Anschließend wird ein Bezug zwischen den Verfahren zur Oberflächenbearbeitung, der Art der Querschnittsergänzung und der daraus resultierenden Verbund- und Haftzugfestigkeit der Verbundfuge abgeleitet und eine Einordnung in die Oberflächenkategorien nach dem derzeitigen Eurocode 2 [8][9] bzw. nach Model Code 2010 [25] mit Blick auf die zukünftigen Normen EC2 und MC 2020 vorgenommen. 4. Fazit und Ausblick Die Bestandsbauwerke im Hoch- und Brückenbau erfordern aktuell und in der nahen Zukunft häufig Verstärkungsmaßnahmen zur Sicherstellung der weiteren Nutzung, da Ersatzbauwerke kurzfristig nicht umsetzbar sind. Mit den Ergebnissen des Forschungsvorhabens wird ein Vorschlag zur wirtschaftlichen und effektiven Anwendung von Oberflächenbearbeitung, Querschnittsergänzung und einem Verbundmittel formuliert. Die Einordnung der bearbeiteten Oberflächen in die Kategorien nach dem derzeitigen EC2 [8][9] bzw. nach Model Code 2010 [25] mit Blick auf die zukünftigen Normen EC und MC 2020 ermöglicht zusammen mit der Standardisierung optischer Messverfahren eine direkte Umsetzung in die Praxis über Richtlinien und Merkblätter des deutschen Beton- und Bautechnikvereins e.V. und erlauben damit eine bessere und wirtschaftlichere Planung und Ausführung von Verstärkungen Danksagung Die vorgestellten und geplanten Untersuchungen werden von der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF) gefördert, der an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Literaturverzeichnis [1] Küchler, M.: Instandsetzung von Betontragwerken. Betonkalender 2013 -Lebensdauer und Instandsetzung - Brandschutz, S. 345-468, 2013. [2] Naumann, J.: Brückenertüchtigung jetzt - Ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Mobilität auf Bundesfernstraßen. Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V., Berlin 2011. 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[9] DIN EN 1992-1-1/ NA: 2013-04: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau. Deutsche Fassung EN 1992-1-1/ NA: 2013-04. Berlin, April 2013. [10] Kaufmann, N.: Das Sandflächenverfahren. Straßenbau-Technik, 24(3), Seiten 131-135, 1971. [11] Santos, P., Julio, E.: A state-of-the-art review on roughness quantification methods for concrete surfaces; Construction and Building Materials 38, Seiten 912-923, 2013. [12] Vogler, N., Gluth, G., Oppat, K., Kühne, H.-C.: Charakterisierung von Bauteiloberflächen mittels Lasertriangulation bei der Instandsetzung; 38. Dresdener Wasserbaukolloquium, Seiten 446-454, 2015. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 359 Untersuchungen zum Tragverhalten der Verbundfugen bei Instandsetzungen von Betontragwerken [13] Reinecke, R.: Haftverbund und Rissverzahnung in unbewehrten Betonschubfugen. 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Ursache hierfür sind Lasteinwirkungen, die oft in den Planungsgrundsätzen hinsichtlich Materialwahl nur ungenügend Berücksichtigung finden. Nennenswerte Lasteinwirkungen sind hier thermische-hygrische Belastungen, die zur Rissbildung führen können, womit beschleunigte Karbonatisierungsvorgänge und auch erhöhte Schadstoffeinträge (Salzeintrag) stattfinden. Diese Vorgänge beschleunigen den Abnutzungsprozess deutlich. Betontechnologisch wurden bereits vor vielen Jahren sehr dichte Betone entwickelt, die, auch dadurch bedingt, oft sehr hohe Festigkeiten aufweisen. Hochfeste und auch ultrahochfeste Betone sind der Praxis nicht unbekannt. Im Neubau wurden hochfeste Betone bereits vor Jahrzehnten, insbesondere im Hochhausbau bei Stützen im Untergeschoss, als Transportbetone eingesetzt. Ziel muss es sein, diese sehr dichten Betone auch in der Instandsetzung zum Erhalt von Bauwerken einzusetzen. Dabei ist weniger die hohe Festigkeit entscheidend als vielmehr die damit einhergehende hohe Dichtheit des Systems. Diese hohe Dichtheit verhindert resp. mindestens verzögert die Einwirkung und den Eintrag von Schadstoffen. Besonders vorteilhaft können hier hochfeste und auch ultrahochfeste Betone als Fertigteile in der Instandsetzung eingesetzt werden. Dabei dienen sie nicht nur der Sicherstellung einer erhöhten Dauerhaftigkeit, sondern können je nach Anwendungsfall auch zum Lastabtrag mit herangezogen werden. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten auch unter Berücksichtigen normativ anzusetzenden Nachrechnungsrichtlinien, beispielsweise im Brückenbau. In dem hier vorliegenden Beitrag soll die Anwendung am Beispiel der Instandsetzung einer Tiefgarage aufgezeigt werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 363 Betoninstandsetzung auf Bestandsbetonen mit geringen physikalischen Leistungsdaten Olaf Kern Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Eva-Maria Ladner Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Björn Marucha Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Markus Ehrhardt Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Die Betoninstandsetzung mit ihrer außerordentlich großen Anzahl an Regelwerken für die verschiedensten Bauwerke, hat sich in den vergangenen Jahren Zusehens als sehr komplexen und dynamischen Prozess entwickelt. Auf die Bauherren, die Planer, die Verarbeiter und vor allem auch auf die Produkthersteller kommen durch diese Vielfalt und Dynamik immer wieder neue Herausforderungen zu, denen alle Beteiligte vollumfänglich gerecht werden müssen. Um auch in der Zukunft Betoninstandsetzungen erfolgreich, den Regelwerken entsprechend, mit ausreichender Nachhaltigkeit, sowie einer ausreichenden (Rest-)Nutzungsdauer des sanierten Objektes, durchführen zu können, benötigt der Markt kontinuierlich innovative, leistungsstarke, sowie auf den Anwendungsfall angepasste Produkte. Diese Veränderungen resultieren natürlich auch aus Erfahrungen, die die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Produkthersteller, die forschenden Hochschulen und Materialprüfanstalten bzw. die Sachverständigen bei den Bauzustandsermittlungen und die Verarbeiter während Ihrer täglichen Arbeit gemacht haben. Erkenntnisse aus diesem Erfahrungsfundus führen immer wieder zu Veränderungen der Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Instandsetzungsprodukte und hat dadurch auch die Produktvielfalt der benötigten Materialien für den Instandsetzungsmarkt signifikant erweitert. In diesem Zusammenhang wurden durch diverse Regelwerke unter anderem Anforderungen definiert, welche in Altbetonklassen ausgedrückt, die physikalischen Leistungsfähigkeit der Instandsetzungsprodukte bezogen auf den Bestandsbeton ausdrückt. 1. Allgemein Zunächst war der Instandsetzungsmarkt geprägt durch Vorgaben an die Instandsetzungsprodukte, die höchsten Anforderungen entsprachen. Mit der Zeit und vor allem durch neue Erkenntnissen die gewonnen wurden, konnte in der Praxis festgestellt werden, dass mit den vorhandenen Produkten nicht jeder Instandsetzungsfall abgebildet werden kann. Die zunächst zur Verfügung stehenden Hochleistungsprodukte sind nicht für jede Maßnahme bezogen auf den Bestandsbeton geeignet, da sie zu leistungsfähig waren und bei einem Einsatz nicht zum Erhalt des Bauwerks beigetragen hätten. Die Regelwerkswelt in Deutschland hat sich unter diesen Voraussetzungen, nicht nur im Zuge der Europäisierung verändert, angepasst bzw. ergänzt. 2. DAfStb-Richtlinie Schutz und Instandsetzung von Beton (Instandsetzungs-Richtlinie) Die Instandsetzungsrichtlinie beinhaltet keine Anforderungen bezüglich Systemen, die auf Bestandsbetone mit geringen physikalischen Parametern eine Anwendung finden. Prinzipiell werden in diesem Regelwerk die höchsten Leistungen in Bezug auf Biegezug- und Druckfestigkeiten, Verbundverhalten, E-Moduli usw. definiert. Zusätzlich werden in dieser Richtlinie weitere Anforderungen an die Produkte gestellt wie zuvor beschrieben. [1] Daraus ergeben sich dann immer wieder die Fragestellung, wie mit Untergründen umgegangen werden kann, welche von ihrer Bauphysik wesentlich schlechtere Bedingungen mitbringen und somit für die leistungsfähigen Mörtel keine geeignete Basis darstellen. Die erfolgreiche 364 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninstandsetzung auf Bestandsbetonen mit geringen physikalischen Leistungsdaten Instandsetzung kann nur mit der auf die Bestandsubstanz abgestimmten Materialien erfolgreich und dauerhaft durchgeführt werden. 3. DAfStb-Richtlinie Instandhaltung von Betonbauteilen (Instandhaltungs-Richtlinie-Entwurf) Im Gelbdruck der neu geplanten Instandhaltungsrichtlinie wurden erstmals Anforderungen, Druckfestigkeit, Haftvermögen, sowie Elastizitätsmodul, an Instandsetzungsprodukte für Bestandsbetone (Untergründe) mit niedrigen physikalischen Leistungsdaten definiert. In diesem Fall wurde, um die Vergleichbarkeit mit anderen deutschen Regelwerken zu gewährleisten, für fünf sogenannte Altbetonklassen (A1 bis A5) die Anforderungen an die entsprechenden Produkte definiert (siehe Abb. 1). [2] Anmerkung: Aufgrund des EUGH-Urteils wurde die Einführung dieses Regelwerks in Deutschland untersagt. Abb. 1: Auszug Anforderungen IH-RL Abb.2 Auszug Anforderungen ZTV-W LB 219 4. Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen - Wasserbau (ZTV-W) für Schutz und Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken (Leistungsbereich 219) In der ZTV-W LB 219 waren zunächst für vier Altbetonklassen Anforderungen an die Instandsetzungsprodukte definiert, wobei in diesem Regelwerk nur die Druckfestigkeiten und die Abreißfestigkeiten und nicht der statische E-Modul definiert ist. In der überarbeiteten Fassung der Ausgabe von 2017 wurde dieses Regelwerk um eine weitere Klasse ergänzt und somit sind auch in diesem Fall Anforderungen in fünf Klassen gestellt. Eine Gegenüberstellung kann Abb. 2 entnommen werden. [3] 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 365 Betoninstandsetzung auf Bestandsbetonen mit geringen physikalischen Leistungsdaten 5. DIN EN 1504-3 Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken Im europäischen Regelwerk DIN EN 1504-3 werden keine Altbetonklassen definiert, sondern in erster Linie Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit für statisch und nicht statisch relevante Instandsetzungsprodukte gestellt. Diese Norm beschränkt sich in diesem Fall auf vier Klassen (siehe Abb. 3). Im speziellen sind dies die Gebrauchstauglichkeitsklassen R1 und R2 für den nicht statisch relevanten Einsatz, sowie die Klassen R3 und R4 für die statisch relevante Gebrauchstauglichkeit. [4] Abb. 3 Auszug DIN EN 1504-3 6. Praxisbeispiele Instandsetzung Decken von 8 Laubengängen in einer Wohnanlage, 7 Etagen, Hamburg Zum Einsatz kam ein R2-Mörtel nach DIN EN 1504-3, der von den Planern, nach Beurteilung des Untergrundes und der sich daraus ergebenden Anforderungen an den Sanierungsmörtel, ausgewählt wurde. Der R2-Mörtel kam im Besonderen, auf Grund der Anforderungen an das sehr niedrige statische E-Modul zum Einsatz. Das Produkt wurde im Nassspritzverfahren mit einer Einbaustärke von 30 mm pro Arbeitsgang appliziert. In Abstimmung mit den verantwortlichen Bauleitern, den Herstellern der Maschinentechnik und der Sika Deutschland GmbH, als Produkthersteller, wurde der Mörtel in diesem Fall in einem Durchlaufmischverfahren angerührt und im Anschluss mit der Schneckenpumpe gefördert. Instandsetzung Tunnel Berlin, Wände Decken Zum Einsatz bei diesem Bauwerk kam nach der sach- und fachgerechten Bauzustandsanalyse ein Mörtel mit der Gebrauchstauglichkeitsklasse R3-Mörtel nach DIN EN 1504-3, auch hier gab es wieder explizit die Vorgabe an das niedrig statische E-Modul, sowie die Anforderung an die relativ hohe Auftragsstärke. Die Applikation wurde ebenfalls im Nassspritzverfahren durchgeführt. Bei dieser Maßnahme mussten auf 1200 m² mit einer Auftragsstärke von 100 mm gearbeitet werden. Als Misch- und Fördertechnologie wurden ein Zwangsmischer (Chargenmischer), sowie eine Schneckenpumpe zur Förderung verwendet. 7. Zusammenfassung Um in Zukunft den Anforderungen in der Instandsetzung von Betonbauwerken, unter jeder Voraussetzung gerecht werden zu können, gestalten sich die Regelwerke immer umfangreicher. Die Schnittmengen der einzelnen Regelwerke, die Anforderungen an Bauwerke im Besonderen an die Bestandsbetone stellen, sind relativ groß und somit nahezu vergleichbar. Der Entwicklungsaufwand wird auf Grund der Regelwerksveränderungen für die Produkthersteller um ein Vielfaches höher als es in der Vergangenheit war. Der Prüfaufwand der Produkte und Produktsysteme nimmt stark zu und wird schlussendlich immer komplexer. Dadurch steigt für den Hersteller natürlich der Kostenaufwand von der Neuwicklung bis zum konfektionierten Instandsetzungsprodukt. Nach wie vor müssen Instandsetzungsprodukte prinzipiell immer mehreren Regelwerken entsprechen, wobei die ermittelten Leistungsdaten der Instandsetzungsprodukte von akkreditierten Prüfanstalten immer bestätigt werden müssen, um sie erfolgreich am Markt platzieren zu können. 366 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninstandsetzung auf Bestandsbetonen mit geringen physikalischen Leistungsdaten Die Herausforderungen an die Produkthersteller solcher leistungsstarker Betoninstandsetzungsprodukte werden nicht weniger. Die Anforderungsprofile bleiben auch in der Zukunft für diese Bauprodukte auf einem eher steigenden, sehr hohem Niveau. Literatur [1] DAfStb-Richtlinie Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie), Ausgabe Oktober 2001 [2] DAfStb-Richtlinie Instandhaltung von Betonbauteilen (Instandhaltungsrichtlinie-Entwurf), Ausgabe 2018 [3] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen - Wasserbau (ZTV-W) für Schutz und Instandsetzung der Bauteile von Wasserbauwerken (Leistungsbereich 219), Ausgabe Juni 2017 [4] DIN EN 1505-3: 2006-03 Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 367 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke Michael Berndt Materialforschungs- und -prüfantalt an der Bauhaus-Universität Weimar (MFPA) Coudraystraße 9 D-99423 Weimar michael.berndt@mfpa.de Wolfram Kämpfer Materialforschungs- und -prüfantalt an der Bauhaus-Universität Weimar (MFPA) Coudraystraße 9 D-99423 Weimar wolfram.kaempfer@mfpa.de 1. Chemischer Angriff und Bewertung des Angriffsgrades Bei dem zu betrachtenden chemischen Angriff werden alle Reaktionen des Instandsetzungsmörtels mit seiner Umgebung verstanden, die durch chemische, elektrochemische oder mikrobiologische Vorgänge zu einer Beeinträchtigung des Mörtels führen. Eine Übersicht über die wesentlichen Angriffsarten bzw. Korrosionsarten gibt die nachfolgende Abbildung. Abbildung 1: Chemische Angriffsarten für Instandsetzungsmörtel Basis für die Sicherstellung einer geplanten Nutzungsdauer sind die Bewertung einer projektspezifischen, chemischen Angriffssituation auf den Instandsetzungsmörtel, die sogenannte Einwirkungsseite, die Festlegung der Einflussfaktoren auf der Widerstandsseite und die Berücksichtigung bautechnischer Einflussfaktoren. So erfordern beispielsweise Anwendungen im Bereich von Böden, Wänden und Decken im Stall- und Freiluftbereich landwirtschaftlicher Anlagen, Gülle- und Biogasanlagen ganz spezielle Eigenschaften der Instandsetzungsmörtel. Die maßgebenden Einflussfaktoren auf der Einwirkungsseite, die das heißt der Expositionen, welche auf den Baustoff vor Ort einwirken, gliedern sich wie folgt: • chemische Angriffssituation: Angriffsart (erweichend / lösend / treibend) Konzentration, pH-Werte des anstehenden Mediums • Dauer der Einwirkung (konstant, zyklisch, …) Angriffsvorrat • Druck/ Temperatur/ relative Luftfeuchte (konstant, zyklisch,…) Die wesentlichen Einflussfaktoren auf der Widerstandsseite kennzeichnen sich wie folgt: • Zementart • Art der Gesteinskörnung und Korngruppen • Volumenverhältnis (Zementleim/ Gesteinskörnung) • Wasserzementwert (w/ z - Wert) • Kapillarporenanteil • Schwindneigung / Schwindmaß • Zusatzstoffe und -mittel • Feuchtegehalt Untergrund • Oberflächenzugfestigkeit des Untergrundes • Salzgehalte des Untergrundes • Besonderheiten des Bauteils / konstruktionsspezifische Besonderheiten, Risse, Stahleinbauteile, Durchdringungen, Fugen. 368 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke Für eine Bewertung des Angriffsgrades können beispielweise die Regelwerke DIN 4030-1 / 15/ , DIN 1045-2 / 16/ und DBV Merkblatt „Chemischer Angriff auf Betonbauwerke - Bewertung des Angriffsgrads und geeignete Schutzprinzipien“ / 11/ , angewendet werden. 2. Relevante Regelwerke Für den Einsatz von Instandsetzungsmörtel sind in Deutschland verschiedene technische und rechtliche Regelwerke vorhanden. Eine Übersicht zu den relevantesten Regelwerken zeigt die Abbildung 2. Die Normenreihe DIN EN 1504 legt Anforderungen an die Identität, die Gebrauchstauglichkeit/ Dauerhaftigkeit, die Sicherheit und die Beurteilung der Konformität von Produkten und Systemen fest, welche für den Oberflächenschutz von Beton zur Verbesserung der Dauerhaftigkeit von neuen Betonbauwerken und für Instandhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten an Bestandsbauwerken angewendet werden. Die DAfStb-Richtlinie - Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie) gliedert sich in folgende Teile: • Teil 1: Allgemeine Regelungen und Planungsgrundsätze • Teil 2: Bauprodukte und Anwendung • Teil 3: Anforderungen an die Betriebe und Überwachung der Ausführung • Teil 4: Prüfverfahren. Die Regelwerke des Deutschen Beton- und Bautechnikverein (DBV e.V) dienen als Hilfsmittel zur Bewertung des chemischen Angriffsgrades, zur Auswahl geeigneter Schutzprinzipien und zur Zusammenstellung geeigneter Prüfverfahren des chemischen Angriffs. Abbildung 2: Relevante Regelwerke für den Einsatz von Instandsetzungsmörteln 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 369 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke Spezielle Anwendungsbereiche berücksichtigen die Norm DIN 19573 und die ZTV-W LB 219. Die DIN 19573 regelt die Anforderungen an Instandsetzungsmörtel für die Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden. ZTV-W LB 219 regelt die Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken. In ZTV-W LB 219 werden beispielsweise Expositions- und Feuchtigkeitsklassen, Grundsätze für Baustoffe und Baustoffsysteme sowie für die Bauausführung geregelt. Die Bundesanstalt für Straßenwesen lenkt über ihre zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten (ZTV-ING) im Teil 3 Massivbau den Einsatz von Instandsetzungsmörteln. Bei Kontakt des Betons mit aggressiven Stoffen kann auf Basis der DIN 4030-1 bzw. EN 206-1/ DIN 1045-2 der Angriff in Böden und Grundwässern eine Einteilung in Expositionsklassen erfolgen. 3. Möglichkeiten der Prüfung und Bewertung der Beständigkeit Das grundsätzliche Ziel von Prüfverfahren ist die Simulation der im Laufe einer Nutzungsdauer zu erwartenden Einwirkungen auf den Baustoff. Auf dieser Grundlage sollen beispielweise Instandsetzungsmörtel oder Bindemittel hinsichtlich des Widerstandes gegenüber einem chemischen Angriff beurteilt werden. Über die Bewertung des Angriffsgrades, abgeleitet aus den Einflussfaktoren der Einwirkungsseite, werden die Prüfparameter auf den Anwendungsbereich angepasst. Für die Ableitung von Nutzungs- und Umgebungsbedingungen für einen chemischen Angriff in natürlichen Böden und Grundwässern sowie aufgrund des Betriebs von baulichen Anlagen mit einem stark chemischen Angriff (XA3 und höher) kann das DBV Merkblatt „Chemischer Angriff auf Betonbauwerke - Bewertung des Angriffsgrads und geeignete Schutzprinzipien“ / 9/ angewendet werden. In der Tabelle 9 des DBV Merkblattes / 9/ , so wie in Abbildung 3 dargestellt, werden beeinflussende Beanspruchungsgrößen Anwendungsgebieten gegenübergestellt. Im DBV Merkblatt Chemischer Angriff auf Betonbauwerke - Bewertung des Angriffsgrads und geeignete Schutzprinzipien - werden wesentliche Prüf- und Bewertungskonzepte für Säure- und Sulfatprüfverfahren gegenübergestellt. In den nachfolgenden Ausführungen werden zwei Beispiele für die Prüfung von Instandsetzungsmörteln mit Beanspruchung durch biogene Schwefelsäurekorrosion und kalklösender Kohlensäure vorgestellt. Abbildung 3: Beanspruchungen aus Nutzungs- und Umgebungsbedingungen / 9/ 370 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke Beispiel 1: Chemischer Angriff durch biogene Schwefelsäure-Korrosion in Abwasseranlagen Die Prüfung des Widerstands gegen biogenen Schwefelsäureangriff (XWW4) kann nach der DIN 19573, Anhang A / 7/ erfolgen. Dieses zeitraffende Prüfverfahren dient der Abschätzung, ob ein Mörtel in der Praxis dem biogenen Schwefelsäureangriff in Entwässerungssystemen widerstehen kann. Bei diesem Prüfverfahren werden Mörtelprismen in Schwefelsäure mit einem pH-Wert von pH0 für 14 Tage bzw. mit einem pH-Wert von pH1 für 70 Tage eingelagert. Die Versuchsparameter pH-Wert und Temperatur werden konstant gehalten. Parallel zur Säurelagerung werden Mörtelprismen in Wasser eingelagert, um Referenzdruckfestigkeiten für die Auswertung zu liefern. Als Maß für die Intensität der Korrosion wird die Gesamt-Korrosionstiefe X f,D und die relative Restdruckfestigkeit der korrodierten Mörtelproben herangezogen. Den Aufbau und die Komponenten des eingesetzten Säurebades zeigt die Abbildung 4. Untersuchungen, z.B. in / 17/ bis / 19/ zeigen, dass bei Erfüllung der Anforderungen an die Gesamt-Korrosionstiefe X f,D und relative Restdruckfestigkeit ein Zementmörtel auch in der Praxis gegenüber den Beanspruchungen durch bei biogener Schwefelsäure-Korrosion beständig ist. Abbildung 4: Anordnung des Säurebades mit Einrichtung zur Konstanthaltung des Säuregrades nach / 7/ Beispiel 2: Chemischer Angriff durch kalklösender Kohlensäure / weiches Wasser Ein chemischer Angriff durch kalklösende Kohlensäure/ weiches Wasser führt an der Mörteloberfläche zu einem Zersetzungsprozess, einer sogenannten „Auslaugung“ und ist als Extraktion von Stoffen aus einem Festkörper durch eine Flüssigkeit definiert. Der Ablauf basiert bei Zementmörteln auf einem Konzentrationsgradienten zwischen der hochkonzentrierten Porenlösung des Zementsteins und Wasser geringer Carbonathärte. In der Folge löst weiches Wasser das Calciumhydroxid aus dem Zementstein heraus. Entsprechend nimmt die Stabilität des Zementsteins ab. Bei einer kontinuierlichen Einwirkung werden zusätzlich die Calcium-Silikat-Hydrat-Phasen ausgelaugt. Laborversuche sind ein probates Mittel für die Abbildung von Schädigungsprozessen für eine verlässliche quantitative Beurteilung, aber auch zur qualitativen Beurteilung, ob ein Instandsetzungsmörtel für eine Beanspruchung durch aggressives Wasser, speziell durch kalklösende Kohlensäure, geeignet ist. Ein Versuchsstand zur Beurteilung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln, gegenüber kalklösender Kohlensäure wurde an der MFPA Weimar entwickelt. Ziel der Einlagerungen im Versuchsstand ist es, die Beständigkeit des Instandsetzungsmörtels unter Bedingungen abzuschätzen, die eine praxisnahe Beanspruchung infolge chemisch schwach angreifender Umgebung durch kalklösende Kohlensäure mit der Expositionsklasse XA3 möglichst real abbildet. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 371 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke Tabelle 1: Grenzwerte für die Expositionsklassen bei chemischem Angriff durch natürliche Böden und Grundwässer; Zusammenstellung aus DIN 4030-1: 2008-06 für kalklösende Kohlensäure Chemisches Merkmal Referenzprüfverfahren nach XA1 XA2 XA3 chemisch schwach chemisch mäßig chemisch stark angreifende Umgebung Grundwasser CO 2 mg/ l angreifend DIN EN 13577: 2007 ≥ 15 und ≤ 40 > 40 und ≤ 100 > 100 bis zur Sättigung Der Angriff durch kalklösende Kohlensäure wird nach DIN EN 206-1, durch die Expositionsklasse XA, Expositionsklassen für chemischen Angriff, berücksichtigt. Wenn Beton einem chemischen Angriff durch natürliche Böden und Grundwasser ausgesetzt ist, muss die Expositionsklasse wie in Tabelle 1 zugeordnet werden. In der Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch, (Trinkwasserverordnung - TrinkwV) / 24/ wird in der Anlage 2 (zu § 6 Absatz 2) als Grenzwert/ Anforderung für die Calcitlösekapazität 5 mg/ l CaCO 3 festgelegt. Um eine ansatzweise Abschätzung hinsichtlich der chemischen Langzeitbeständigkeit zu treffen, wurde die Umweltprüfung maßgeschneidert auf die avisierte Exposition („Test-Tailoring“) modifiziert, um zu gewährleisten, dass der Mörtel ausreichend, aber nicht nach unrealistischen und überhöhten Anforderungen, geprüft wird. Die Prüfeinrichtung wird mit einem geschlossenen Wasserkreislauf betrieben, wobei die Einstellung der Kennwerte der Prüflösung im Bereich der Vorkonditionierung und die Einlagerung der Prismen in einem separaten Prüfraum erfolgen. Beide Bereiche sind durch einen kontinuierlichen Wasseraustausch miteinander verbunden. Beide Bereiche werden mit den gleichen Volumina betrieben. Die Versuchseinrichtung ist nach außen thermisch isoliert. Örtlich ist im Bereich der Vorkonditionierung noch eine in sich geschlossene und thermisch verbundene Referenzlagerung von Prismen in Wasser integriert. Für die Einlagerungen und die Abbildung einer chemisch stark angreifenden Umgebung (XA3) wurde eine Prüfkonzentration von 250 mg CO 2 / l und eine Kalklösekapazität / Calcitlösekapazität von 569 mg/ l CaCO 3 sowie ein Prüfaufbau in Anlehnung an Locher et. al. / 25/ gewählt. Die Prüfbedingungen ergeben sich aus der einzustellenden CO 2 -Konzentration im Wasser und der sich daraus ergebenden Kalklösekapazität. Alle Angaben zum Prüfaufbau und zu den Prüfbedingungen für die Lagerung der Prüfkörper in kalklösender Kohlensäure sind in der Abbildung 5 aufgeführt. 372 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke Konzentrationen der Einlagerung CO 2 -Konzentration 250 mg/ l ⎢ 50 mg/ l Kalklösekapazität ≈ 569 mg/ l CaCO 3 ⎢ 114 mg/ l CaCO 3 • thermisch isolierter geschlossener Wasserkreislauf mit einer Einlagerungstemperatur von T Prüf = 8 ± 1 °C ⎢ T Prüf = 10 ± 2 °C • vorab empirisch ermittelt für notwendige CO2/ l-Konzentration pH-Wert ≈ 5,6 ⎢ pH-Wert ≈ 6,6 • kontinuierliche pH-Werterfassung und CO 2 -Dosierung in Abhängigkeit vom pH-Wert • Verhältnis von Prüflösung zu Probenkörper (Prisma 40x40x160 mm 3 ) V Prüf = 3,3 ± 0,5 l pro Prüfkörper (Volumenverhältnis Wasser zu Mörtel rd. 13: 1) • kontinuierlicher Wasseraustausch zwischen Bereich der Einlagerung und Vorkonditionierung Q Prüf = 50 ± 5 l/ h • Überprüfung der Kalklösekapazität / CaCO 3 -Konzentration mindestens ein bis zweimal in der Woche und mindestens wöchentlicher Wasserwechsel • Einlagerungszeitraum 180 Tage Abbildung 5: Prüfaufbau und -bedingungen für die Lagerung der Prüfkörper in kalklösender Kohlensäure 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 373 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke Literaturverzeichnis [1] DIN 18349: 2019-09: VOB Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen - Teil C: Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) - Betonerhaltungsarbeiten [2] DIN EN 1504-1: 2005-10: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Güteüberwachung und Beurteilung der Konformität - Teil 1: Definitionen; Deutsche Fassung EN 1504- 1: 2005 [3] DIN EN 1504-2: 2005-01: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Qualitätsüberwachung und Beurteilung der Konformität - Teil 2: Oberflächenschutzsysteme für Beton; Deutsche Fassung EN 1504-2: 2004 [4] DIN EN 1504-3: 2006-03: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Qualitätsüberwachung und Beurteilung der Konformität - Teil 3: Statisch und nicht statisch relevante Instandsetzung; Deutsche Fassung EN 1504-3: 2005 [5] DIN EN 1504-8: 2016-08: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Qualitätskontrolle und AVCP - Teil 8: Qualitätskontrolle und Bewertung und Überprüfung der Leistungsbeständigkeit (AVCP); Deutsche Fassung EN 1504- 8: 2016 [6] DIN EN 1504-9: 2008-11: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Qualitätsüberwachung und Beurteilung der Konformität - Teil 9: Allgemeine Grundsätze für die Anwendung von Produkten und Systemen; Deutsche Fassung EN 1504-9: 2008 [7] DIN 19573 2016-03: Mörtel für Neubau und Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden [8] DAfStb Instandsetzungs-Richtlinie: 2001-10; Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen, Teil 1: Allgemeine Regelungen und Planungsgrundsätze, Teil 2: Bauprodukte und Anwendung, Teil 3: Anforderungen an die Betriebe und Überwachung der Ausführung, Teil 4: Prüfverfahren [9] DIN 31051: 2019-06; Grundlagen der Instandhaltung [10] DBV Merkblatt Chemischer Angriff auf Beton - Empfehlungen zur Prüfung und Bewertung Fassung: Mai 2017, Hrsg.: Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V., Berlin [11] DBV Merkblatt Chemischer Angriff auf Betonbauwerke - Bewertung des Angriffsgrads und geeignete Schutzprinzipien: Juli 2014, Hrsg.: Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V., Berlin [12] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten ZTV-ING; Bundesanstalt für Straßenwesen; Stand: 2012/ 12 - Teil 3 Massivbau, Abschnitt 1 Beton - Teil 3 Massivbau; Abschnitt 4 Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen - Teil 3 Massivbau - Abschnitt 5 Füllen von Rissen und Hohlräumen in Betonbauteilen - Teil 3 Massivbau - Abschnitt 7 Verstärken von Betonbauteilen [13] ZTV-W LB 219: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen - Wasserbau für Schutz und Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken, LB 219: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Abteilung Wasserstraßen, Schifffahrt; Stand 2015/ 09 [14] Kämpfer, W., Berndt, M.: Einfluss kalklösender Kohlensäure auf das Langzeitverhalten von zementgebundenen Beschichtungen: Technische Akademie Esslingen, Kolloquium Trinkwasserspeicherung in der Praxis, 12./ 13.05.2020, Esslingen [15] DIN 4030-1: 2008-06: Beurteilung betonangreifender Wässer, Böden und Gase - Teil 1: Grundlagen und Grenzwerte [16] DIN 1045-2: 2008-08: Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton - Teil 2: Beton - Festlegung, Eigenschaften, Herstellung und Konformität - Anwendungsregeln zu DIN EN 206-1 [17] Schmidt, H.: Korrosionsverhalten von Normalmörtel und UHPC - Experimente und numerische Simulation. Verlag Dr. Hut, München, 2011. ISBN 978-3-8439-0146-8. Zugleich: Dissertation TU Hamburg-Harburg, 2011 [18] Franke, L.; Schmidt, H.; Schmidt-Döhl, F.: Prüfung der Beständigkeit von Mörtelprodukten gegenüber saurem Angriff bis pH3 und Einstufung in Expositionsklassen. Beton, Heft 1+2, Bd. 60, S. 20-31, 2010 [19] Franke, L.; Schmidt, H.; Schmidt-Döhl, F.: Beständigkeit von Mörtelprodukten. bi-UmweltBau, Heft 3, S. 110-120, Juni 2013 [20] Schuler, H.: Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln gegenüber kritischen Wässern mit erhöhtem Anteil an kalklösender Kohlensäure am Beispiel trinkwassertechnischer Anlagen; Abschlussarbeit Bachelor of Engineering an der HTWK Leipzig, Januar .2019 374 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Prüfung und Bewertung der Beständigkeit von Instandsetzungsmörteln bei chemischen Angriff auf Betonbauwerke [21] Gerdes, A.: Wechselwirkung zementgebundener Werkstoffe in Wasser; WTA Schriftenreihe, Heft 12; Aedificatio Verlag Freiburg; 1996 [22] Locher, F.W.; Sprung, S.: Die Beständigkeit von Beton gegenüber kalklösender Kohlensäure, Beton 25 (1975), Nr. 7 [23] DVGW Arbeitsblatt W 300-5: 08/ 2020: Trinkwasserbehälter; Teil 5: Bewertung der Verwendbarkeit von Bauprodukten für Auskleidungs- und Beschichtungssysteme [24] Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch, (Trinkwasserverordnung - TrinkwV): in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. März 2016 (BGBl. I S. 459), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 3. Januar 2018 (BGBl. I S. 99) geändert worden ist Ingenieurbauwerke/ Wasserbauwerke 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 377 Anforderungsspezifische Zustandsnoten als unterstützende Kennzahlen für das Erhaltungsmanagement von Wasserbauwerken Annemarie Seiffert, M. Sc. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Sarah Elting, M. Eng. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland François Marie Nyobeu Fangue, M. Sc. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Lukas Weber, M. Sc. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, Deutschland Zusammenfassung Alters- und belastungsbedingt unterliegt die Infrastruktur in Deutschland einem zunehmenden Verfallsprozess. Besonders angespannt ist die Situation bei Wasserbauwerken, z. B. bei Wehr- und Schleusenanlagen, deren Altersstruktur bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Dem hohen Erhaltungsbedarf stehen begrenzte Ressourcen entgegen, die eine überregionale Priorisierung von Investitionsmaßnahmen nach definierten Kriterien erfordern. Ein wichtiges Kriterium ist der aktuelle Zustand der Bauwerke, der in regelmäßigen Bauwerksinspektionen mit Zustandsnoten bewertet wird. Problematisch ist jedoch die hohe Anzahl an Bauwerken, bei Schiffsschleusen beispielsweise rund ein Drittel, die die schlechteste Zustandsbewertung aufweist. Angesichts dessen sollen zusätzliche Kennzahlen generiert werden, die zur netzweiten Priorisierung von Erhaltungsmaßnahmen im Rahmen eines Erhaltungsmanagementsystems herangezogen werden können. Vor diesem Hintergrund erfolgt auf Basis der Inspektionsergebnisse eine weitestgehend automatisierte Klassifizierung der Schäden nach ihren Auswirkungen, wodurch ein genaueres Bild über den Zustand des Bauwerksbestandes entsteht. 1. Einführung Der Bund ist in Gestalt der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) für den Bau und die Erhaltung der Bundeswasserstraßen zuständig (Art. 89 Abs. 2 Grundgesetz). Darin inbegriffen sind die wasserbaulichen Anlagen, wie Schiffsschleusen-, Düker-, Wehr-, Leuchtfeuer- und Brückenanlagen, die sich durch eine besondere Objektvielfalt auszeichnen. Ihre Altersstruktur hat zu zunehmend kritischen Bauwerkszuständen und damit zu einem steigenden Bedarf an Investitionsmaßnahmen geführt [1]. So wurden beispielsweise rund sechzig Prozent der Schiffsschleusenanlagen vor 1950 errichtet und rund zwanzig Prozent vor 1900 [2]. Etwa vierzig Prozent von ihnen befinden sich in einem nicht ausreichenden bzw. ungenügenden Zustand, siehe Abbildung 1. Aus diesem Grund wird im Bundesverkehrswegeplan für den Zeitraum von 2016 bis 2030 ein gegenüber der Vorperiode (2001 bis 2015) um ca. 110 Prozent höheres Investitionsvolumen von 16,2 Milliarden Euro veranschlagt [3]. Mit einem Anteil von ca. 85 Prozent für Erhaltungs- und Ersatzinvestitionen wird dem Erhalt der Infrastruktur einen höheren Stellenwert als dem Aus- und Neubau eingeräumt. Dieser Schwerpunkt ist gerade für die Bundeswasserstraßen angesichts der geringen Umfahrungsmöglichkeiten von besonderer Bedeutung [3]. Abbildung 1: Verteilung des Zustandes der Schiffsschleusenanlagen an Bundeswasserstraßen (Stand 07.2020) Allerdings hat die jüngste Vergangenheit gezeigt, dass weniger ein Mangel an finanziellen, sondern vielmehr ein Mangel an personellen Ressourcen infolge des Fachkräftemangels und des demografischen Wandels 378 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Anforderungsspezifische Zustandsnoten als unterstützende Kennzahlen für das Erhaltungsmanagement von Wasserbauwerken für die ungenügende Umsetzung von Investitionsmaßnahmen verantwortlich ist [4]. Zur Begegnung dieser Situation fordert der Bundesverkehrswegeplan eine fachliche und verkehrliche Priorisierung der Investitionsmaßnahmen [3]. 2. Problemstellung Die Priorisierung der Ressourcen soll nach dem „Masterplan Binnenschifffahrt“ entsprechend den Kriterien „Erhalt vor Neubau“, „Zustand und Systemrelevanz“ und „Nutzen-Kosten-Faktor“ erfolgen [4]. Der Zustand der wasserbaulichen Anlagen wird zur Gewährleistung ihrer Sicherheit und Funktionsfähigkeit gemäß der Verwaltungsvorschrift (VV) „Bauwerksinspektion VV-WSV 2101“ in regelmäßigen Abständen überwacht und geprüft [5]. Hierbei werden von sachkundigem Inspektionspersonal Schäden „hinsichtlich ihrer Auswirkung auf die Tragfähigkeit und/ oder Gebrauchstauglichkeit des betroffenen Bauteils“ mit Schadensklassen von 1 (keine Beeinträchtigung) bis 4 (sofortiger Handlungsbedarf) bewertet [6]. Zur Zustandsdokumentation dient das Programmsystem WSVPruf, in dem unter anderem die Art, die Größe des Schadens sowie das vom ihm betroffene Bauteil und Material mit definierten Begriffen festgehalten werden. Die Bewertung der einzelnen Schäden bildet die Grundlage zur Ermittlung von Zustandsnoten für die gesamte Anlage und von Teilnoten für Teile der Anlage. Die Noten reichen von 1,0 für einen sehr guten Zustand bis 4,0 für einen nicht ausreichenden bzw. ungenügenden Zustand. Als Teilnotenkategorien sind eingeführt: die Konstruktion, der Stahlbau, die Ausrüstung, der Korrosionsschutz und Sonstiges, die wiederum weiter nach Objektteilkategorien (z. B. Ausrüstung in Ausrüstungsteile und Festmachevorrichtungen) unterteilt werden können [7]. Die Teilnote ergibt sich aus dem am schlechtesten bewerteten Einzelschaden der jeweiligen Teilnotenkategorie mit einem maximalen Zu- oder Abschlag von 0,2 je Umfang und Anzahl der Schäden je Objektteilkategorie. Die Zustandsnote resultiert aus der am schlechtesten bewerteten Teilnote, einschließlich eines maximalen Zu- oder Abschlags von 0,1 entsprechend der Anzahl der beschädigten Objektteilkategorien. Dieses Vorgehen stellt sicher, dass trotz Zu- und Abschlägen von den berechneten Zustands-/ Teilnoten auf die maßgebende Schadensklasse geschlossen werden kann. Die Kennzahlen zeigen die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs an und dienen als ein Entscheidungskriterium für die Umsetzung von Erhaltungsmaßnahmen [7]. Problematisch ist, dass eine Vielzahl an wasserbaulichen Anlagen, bei Schiffsschleusenanlagen rund ein Drittel, die schlechteste Zustandsbewertung (nicht ausreichender bzw. ungenügender Zustand) aufweist und die Einleitung sofortiger Maßnahmen erfordert, siehe Abbildung 1. Dementsprechend wären für den Infrastrukturbetreiber zusätzliche, über die derzeitigen Teil- und Zustandsnoten hinausgehende Informationen hilfreich, die ein umfassenderes Bild über den Zustand seiner Bauwerke liefern. Diese Informationen könnten bei der Entscheidung helfen, wie Haushaltsmittel ver-waltungsintern zu verteilen sind. Ziel des im Folgenden vorgestellten Verfahrens ist daher die Generierung zusätzlicher Kennzahlen, die als Zustandsindikatoren zur netzweiten Priorisierung von Erhaltungsmaßnahmen im Rahmen eines Erhaltungsmanagementsystems, wie es z. B. in [8] konzeptioniert wird, herangezogen werden kann. Diese Zielsetzung ist abzugrenzen von einer Beurteilung der Notwendigkeit und der Art einer Erhaltungsmaßnahme am Einzelobjekt, welches nicht Bestandteil der folgenden Betrachtungen ist. 3. Lösungsansatz Um ein genaueres Bild über den Zustand des Bauwerksbestandes zu erlangen, sollen die Schäden entsprechend ihrer Auswirkungen auf die an ein Bauwerk gestellten Anforderungen klassifiziert werden. Nach DIN EN 1990 sind dies die Tragfähigkeit, die Gebrauchstauglichkeit und die Dauerhaftigkeit [9]. Um eine solche Klassifizierung mit den aktuell vorliegenden Daten zu erreichen, wird im Folgenden geprüft, ob eine weitestgehend automatisierte Klassifizierung der Schäden hinsichtlich ihrer Auswirkungen allein auf der Grundlage der Schadensdaten aus WSVPruf gelingen kann. Zu diesem Zweck wurde mithilfe von Ursache-Wirkungsketten, wie sie beispielsweise in [10] zur Zuverlässigkeitsbewertung von Produkten genutzt werden, ein kausaler Zusammenhang zwischen den Schäden aus WSVPruf, ihren Ursachen und ihren Folgen hergestellt. Die Verknüpfung der Schäden mit potenziellen Ursachen hält die Möglichkeit offen, die Eintrittswahrscheinlichkeit von Schäden abzuschätzen. Die Verknüpfung mit möglichen Folgen führt auf die vom Schaden beeinträchtigten Bauwerksanforderungen. Sie bilden die Grundlage für die Berechnung zusätzlicher Teilbzw. Zustandsnoten, die als anforderungsspezifische Noten bezeichnet werden. Mit ihrer Hilfe kann eine konkrete Aussage über die potenziell eingeschränkten Bauwerksanforderungen getroffen werden. Das Vorgehen wird im nachfolgenden Abschnitt am Beispiel von Schäden an der Konstruktion von Schiffsschleusenanlagen beschrieben. Die Konstruktion umfasst das Ober- und Unterhaupt, das Füll- und Entleersystem, die Sparbecken sowie die Kammer der Anlage. 4. Vorgehen Für die Beschreibung von Schäden stehen in WSVPruf mehr als zweihundert definierte Schadensbegriffe zur Verfügung, die mit acht verschiedenen Materialgruppen wie Beton oder Stahl verknüpft werden können. Ziel der entwickelten Systematik ist es, alle möglichen Kombinationen von Schäden und Materialgruppen potenziellen Ursachen und Folgen zuzuordnen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 379 Anforderungsspezifische Zustandsnoten als unterstützende Kennzahlen für das Erhaltungsmanagement von Wasserbauwerken Tabelle 1: Ursache-Wirkungsketten für die Konstruktion von Schiffsschleusenanlagen Schadensfolge Schadensbild Beispielschaden Beispiel- Schadensursache Dauerhaftigkeit Geschädigte Bauteiloberfläche Oberflächenabtrag Abplatzung am Beton Physikalischer Angriff Offenporige Oberfläche Kiesnest am Beton Ausführungsfehler Risse Schadensklasse 1/ 2 Massivbau Vertikalriss am Beton Temperaturwechsel Sonstiges (Dauerhaftigkeit) Schadhafter Beton Planungsfehler Feuchtigkeitsbzw. Wassereintritt Undichtigkeiten im Massivbau Nassfläche am Beton Ausführungsfehler Fugenschäden Nicht verfugtes Mauerwerk Planungsfehler Tragfähigkeit Sprödes Bauteilversagen Risse Stahl/ Metall Gerissene Bewehrung Ermüdung Sonstiges (Tragfähigkeit) Deformierte Bewehrung Ausführungsfehler Duktiles Bauteilversagen Korrosion Lochkorrosion an Bewehrung Elektrochemischer Angriff Risse Schadensklasse 3/ 4 Massivbau Vertikalriss am Beton Temperaturwechsel Setzungen und Unterspülungen Abgesackter Beton Statische Last Gebrauchs-tauglichkeit Eingeschränkte Funktionsfähigkeit Verformungen am Massivbau Ausgebauchtes Metall Planungsfehler Ablagerungen Geröllablagerung am Beton Mangelhafte Wartung Sonstiges (Gebrauchstauglichkeit) Metall nicht gemäß Unfallverhütungsvorschrift Ausführungsfehler Beeinträchtigtes Erscheinungsbild Verschmutzungen Verschmutzter Beton Mangelhafte Wartung Tabelle 1 zeigt die für die Schäden der Teilnotenkategorie Konstruktion von Schiffsschleusenanlagen aufgestellten Ursache-Wirkungsketten. Diese werden mit der folgenden Systematik aufgestellt: Zu Beginn steht eine Ursache, z. B. ein physikalischer Angriff, der zu einer Schädigung z. B. Abplatzung am Beton führt. Es folgt eine Bündelung von Schäden ähnlicher Gestalt zu einem Schadensbild z. B. Oberflächenabtrag, die der gleichen Folge z. B. geschädigte Bauteiloberfläche zugeordnet werden. Der erste Schritt besteht in der Identifikation möglicher Schadensursachen. [11] führt auf, dass Rückschlüsse auf die Ursache eines dokumentierten Schadens nur unter Zuhilfenahme detaillierter Informationen zum Schaden (z. B. Erscheinungsbild, Lage, Entstehungsgeschichte) und anhand vertiefter Untersuchungen vor Ort möglich sind. Die für den Gesamtbestand verfügbaren Daten aus WSVPruf reichen daher nur aus, um entsprechend Tabelle 1 anhand des Schadensbildes auf mehrere potenzielle Schadensursachen zu schließen, welches hinnehmbar ist, da die Ermittlung von Schadensauswirkungen im Vordergrund des Verfahrens steht. In einem zweiten Schritt wird definiert, welche Daten aus WSVPruf verwendet werden sollen, um einen Schaden einer Ursache-Wirkungskette zuzuordnen. Es handelt sich um den Schadensbegriff (z. B. Abplatzung, Roststelle), die hiermit verknüpfte Materialgruppe (z. B. Beton, Stahl) und in Einzelfällen die zugehörige Schadensklasse (1 - 4) sowie eine vorliegende Gefährdung für Personen. Auswahlkriterium für die vier Kriterien ist, dass sie maschinenlesbar sind und eine Aussage über die Schadensfolge ermöglichen. Aufgrund der hohen Anzahl von Schäden wird vor der Zuordnung zu einer Schadensfolge ein Zwischenschritt eingeführt, indem Schäden mit einem gemeinsamen Schadensbild gebündelt werden. Schadensbegriffe, die sich nicht zu einem gemeinsamen Schadensbild zusammenfassen lassen, aber die gleiche mögliche Schadensfolge aufweisen, werden in den Kategorien Sonstiges (Dauerhaftigkeit/ Tragfähigkeit/ Gebrauchstauglichkeit) zusammengefasst, siehe Tabelle 1. Die Kategorie Sonstiges (Gebrauchstauglichkeit) umfasst alle Schäden, unabhängig ihrer Art und ihres Materials, für die das Inspektionspersonal eine Gefährdung von Personen dokumentiert hat. Risse führen je nach betroffenem Material und der vorliegenden Schadensklasse zu unterschiedlichen Schadensfolgen [6]. Aus diesem Grund wird für Risse an Stahl oder Metall und für Risse am Massivbau ein eigenständiges Schadensbild eingeführt. Risse am Massivbau führen in Abhängigkeit von der Rissbreite, dem Rissverlauf und dem Sachverhalt, ob der Riss wasserführend ist oder mit einem Bodenaustrag einhergeht, zu einer Beeinträchtigung der Dauerhaftigkeit oder der Tragfähigkeit [6], so dass sie den zwei unterschiedlichen Schadensbildern Risse Schadensklasse 1/ 2 Massivbau und Risse Schadensklasse 3/ 4 Massivbau zugeteilt werden. Als mögliche Schadensfolgen werden eine geschädigte Bauteiloberfläche, der Feuchtigkeitsbzw. Wassereintritt, das spröde und duktile Bauteilversagen, die eingeschränkte Funktionsfähigkeit und die Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes identifiziert und im Anschluss zu 380 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Anforderungsspezifische Zustandsnoten als unterstützende Kennzahlen für das Erhaltungsmanagement von Wasserbauwerken den Anforderungen Dauerhaftigkeit (D), Tragfähigkeit (T) oder Gebrauchstauglichkeit (G) zugeordnet [12-17]. Tabelle 2: Beispiel für die Benotung von Schäden, SK = Schadensklasse, D = Dauerhaftigkeit, T = Tragfähigkeit, G = Gebrauchstauglichkeit Einzelschaden SK D-SK T-SK G-SK Abplatzung am Beton 2,0 2,0 0 0 Korrosion an tragender Bewehrung 3,0 0 3,0 0 Geröllablagerung auf dem Beton 1,0 0 0 1,0 Teilnotenkategorie Teilnote D-Teilnote T-Teilnote G-Teilnote Konstruktion 3,0 2,0 3,0 1,0 Eine Kombination von Schäden und Materialgruppen, die ein ungewöhnliches Schadensbild anzeigen, wie z. B. ein Kiesnest an der Bewehrung werden dabei von einer allgemein gültigen Klassifizierung ausgeschlossen und stattdessen im Einzelfall auf Basis des Schadensbildes und des Freitextfeldes aus WSVPruf beurteilt. Die Klassifikation bildet die Grundlage für die Berechnung der neu entwickelten anforderungsspezifischen Teilnoten. Die Idee besteht darin, die vom Inspektionspersonal vor Ort ermittelten Schadensklassen unverändert zu belassen, sie aber in Abhängigkeit der Anforderung, die der Schaden am stärksten beeinträchtigt, in die Kategorien D, T oder G einzustufen. Die Einstufung erfolgt immer auf der sicheren Seite, indem Schäden, die mehrere Anforderungen einschränken können, mit der folgenden Systematik bewertet werden: Tragfähigkeit vor Gebrauchstauglichkeit, Gebrauchstauglichkeit vor Dauerhaftigkeit. Um eine möglichst hohe Übereinstimmung mit dem aktuellen Vorgehen zu erreichen, erfolgt die Berechnung der Teilnoten entsprechend dem in WSVPruf hinterlegten Notenalgorithmus, allerdings stets spezifisch für D, T oder G. Das heißt, der am schlechtesten bewertete D-, T-, G-Schaden führt auf die D-, T-, G-Teilnote inklusive eines maximalen Zu- oder Abschlages von 0,2 in Abhängigkeit des Ausmaßes und der Anzahl der Schäden. Tabelle 2 zeigt ein fiktives Beispiel mit drei Schäden der Teilnotenkategorie Konstruktion, die unterschiedliche Anforderungen beeinträchtigen. Dank der anforderungsspezifischen Noten ist zu erkennen, dass die Benotung für die Konstruktion des Bauwerks aus einem tragfähigkeits- und nicht einem gebrauchstauglichkeits- oder dauerhaftigkeitsrelevanten Schaden herrührt. Bei der Bewertung der Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass die Definition der Dauerhaftigkeit bereits impliziert, dass sie immer dann eingeschränkt ist, wenn die Tragfähigkeit oder Gebrauchstauglichkeit beeinträchtigt wird [9]. Umgekehrt kann bei einem dauerhaftigkeitsrelevanten Schaden der Schadensklasse 3 oder 4 eine Beeinträchtigung der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit nicht ausgeschlossen werden [6]. 5. Validierung Im Zuge der Bearbeitung wurde eine große Anzahl an Schäden an Schiffsschleusenanlagen gesichtet und deren Klassifizierung unter Berücksichtigung des Schadensfotos und des Bemerkungsfeldes überprüft. Im Ergebnis gelingt bei etwa neunzig Prozent der Schäden eine korrekte Zuordnung. Auffallend ist, dass die gebrauchstauglichkeitsrelevanten Schäden vermehrt eine fehlerhafte Zuordnung erfahren. Ursächlich ist, dass das vom Schaden betroffene Bauteil bei der Systematik nicht berücksichtigt wird, da es infolge einer unzureichenden Objektteilgliederung häufig unbekannt ist. Auch bei Schäden, die sich an unterschiedlichen Materialien oder am Übergangsbereich von Bauteilen befinden, ist eine höhere Rate an Fehlzuordnungen zu beobachten. Abbildung 2: Schäden an der Konstruktion von Schiffsschleusenanlagen an Bundeswasserstraßen nach Schadensbild mit zugehöriger Schadensklasse (Stand 07.2020) 5.1 Schadensebene Die automatische Klassifizierung von Schäden erlaubt eine Einschätzung ihrer Häufigkeit, wie in Abbildung 2 dargestellt ist. Es wird deutlich, dass Risse am Massivbau niedriger Schadensklasse, gefolgt vom Oberflächenabtrag, die dominierenden Schadensbilder an der Konstruktion von Schiffsschleusenanlagen sind. Mit größerem 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 381 Anforderungsspezifische Zustandsnoten als unterstützende Kennzahlen für das Erhaltungsmanagement von Wasserbauwerken Abstand folgt die Korrosion als dritthäufigstes Schadensbild, die der Schadensfolge duktiles Bauteilversagen zugeordnet wird. Die insgesamt an der Konstruktion von Schiffsschleusen vorhandenen 19.000 Schäden verteilen sich nach Abbildung 3 (ganz links) wie folgt auf die drei Kategorien: rund siebzig Prozent von ihnen werden als relevant für die Dauerhaftigkeit (D), rund zwanzig Prozent als relevant für die Tragfähigkeit (T) und lediglich fünf Prozent als relevant für die Gebrauchstauglichkeit (G) eingestuft, wobei letzteres nach Abschnitt 5 vermutlich mit einer höheren Fehlerrate behaftet ist. Etwa ein Prozent kann aufgrund einer ungewöhnlichen Kombination von Schadensbegriff und Materialgruppe, siehe Abschnitt 4, nicht eindeutig zu einer Schadensfolge zugeordnet werden. Aufgrund der Berechnungsmethodik der Teil- und Zustandsnoten ist jedoch weniger die Gesamtzahl der Schäden von Interesse, sondern vielmehr, wie oft die jeweiligen Schäden schlechte Bewertungen in Form hoher Schadensklassen aufweisen. Daher zeigen die übrigen Grafiken aus Abbildung 3 den Anteil der D-, T-, G-Schäden nach Schadensklassen. Die Mehrheit, rund neunzig Prozent, der D-Schäden besitzen die Schadensklassen 1 oder 2, nur ein Prozent die Schadensklasse 4. Bei den tragfähigkeitsrelevanten Schäden verschiebt sich die Schadensbewertung zu höheren Schadensklassen. Rund sechzig Prozent der Schäden haben die Schadensklassen 1 oder 2 und ca. vierzig Prozent der Schäden weisen die Schadenklasse 3 auf. Der Anteil der Schäden mit der schlechtesten Bewertung bleibt mit rund drei Prozent relativ gering. Ein anderes Bild ergibt sich bei der Auswertung der G-Schäden, von denen mit ca. 14 Prozent ein vergleichsweiser großer Anteil die schlechteste Note aufweist. Hintergrund ist, dass hierunter Schäden mit Gefahr für Leib und Leben fallen, die nach dem BAW-Merkblatt Schadensklassifizierung [6] mit der Schadensklasse 4 zu bewerten sind. Vergleichbar mit den T-Schäden liegt der Anteil der G-Schäden mit einer niedrigen Schadensklasse (Schadensklassen 1 und 2) bei ca. siebzig Prozent. 5.2 Objektebene Tabelle 3 zeigt am Beispiel von realen, aber anonymisierten Schiffsschleusenanlagen an einer Bundeswasserstraße eine Gegenüberstellung der bisherigen Teilnoten für die Konstruktion mit den neu entwickelten anforderungsspezifischen D-, T-, G-Teilnoten der Konstruktion. Es lassen sich Bauwerke identifizieren, deren Schäden an der Konstruktion eher auf eine Dauerhaftigkeitsproblematik (z. B. Anlage 1 und 2) oder eher auf eine Tragfähigkeitsproblematik (z. B. Anlage 4, 6, 7 und 8) hindeuten. Die Gebrauchstauglichkeit der Konstruktion der aufgeführten Bauwerke scheint dem gegenüber im geringeren oder gleichen Maße (z. B. Anlage 9) beeinträchtigt zu sein. Tabelle 3: Benotung der Konstruktion von Schiffsschleusenanlagen an einer Bundeswasserstraße, D = Dauerhaftigkeit, T = Tragfähigkeit, G = Gebrauchstauglichkeit (Stand 07.2020) Schiffsschleusenanlage Teilnote D-Teilnote T-Teilnote G-Teilnote Anlage 1 4,0 4,0 3,2 2,1 Anlage 2 3,2 3,2 2,1 - Anlage 3 2,2 2,0 2,1 1,0 Anlage 4 3,0 2,2 2,9 - Anlage 5 3,2 3,2 3,1 1,0 Anlage 6 3,2 2,2 3,2 - Anlage 7 3,2 - 3,1 - Anlage 8 3,2 2,2 3,2 1,8 Anlage 9 2,2 2,2 2,2 1,8 Anlage 10 3,0 3,0 3,0 - Anlage 11 3,2 3,2 3,2 - Anlage 12 3,0 2,2 2,9 - Abbildung 4: Verteilung der anforderungsspezifischen Teilnoten von Schiffsschleusenanlagen an Bundeswasserstraßen mit jeweiliger maximaler Anforderung, D = Dauerhaftigkeit, G = Gebrauchstauglichkeit, T = Tragfähigkeit (Stand 07.2020) Abbildung 4 zeigt hingegen eine Auswertung über die anforderungsspezifischen Konstruktionsnoten von Schiffsschleusenanlagen an Bundeswasserstraßen. Ausschlaggebend für die dargestellte Gruppierung ist, welche Anforderung (Dauerhaftigkeit, Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit) die schlechteste Note generiert. Entsprechend des Notenalgorithmuses bedeutet dieser Umstand, dass der schlechteste Schaden an der Konstruktion, die entsprechende Anforderung einschränkt. Demnach ergibt sich die Teilnote für die Konstruktion bei ca. 70 Prozent der Schiffsschleusenanlagen aus mindestens einem tragfähigkeitsrelevanten Schaden (T, D+T, T+G, D+T+G). Bei 15 Prozent der Konstruktionen geht der Zustand hingegen auf mindestens einen dauerhaftigkeitsrelevanten Schaden und bei 9 Prozent auf mindestens einen gebrauchstauglichkeitsrelevanten Schaden zurück. Eine derartige Gruppierung der Bauwerke könnte zusätzlich zur Höhe der Noten zur Priorisierung von Erhaltungsmaßnahmen herangezogen werden. 382 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Anforderungsspezifische Zustandsnoten als unterstützende Kennzahlen für das Erhaltungsmanagement von Wasserbauwerken 6. Fazit Im vorliegenden Beitrag wurde untersucht, inwieweit sich die Daten aus WSVPruf für die Klassifizierung von Schäden nach ihren Auswirkungen und als Ergebnis zur Erstellung von anforderungsspezifischen Teilbzw. Zustandsnoten eignen. Dahinter stand das Ziel, ein genaueres Bild über den Zustand des Bauwerksbestandes zu liefern, womit die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes in dem Vorhaben einer effizienten und nachvollziehbaren Mittelverteilung unterstützt werden kann. Im Ergebnis gelingt in etwa 90 Prozent der Fälle eine aussagekräftige Klassifizierung der Schäden in die Kategorien Dauerhaftigkeit, Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit, womit ebenfalls eine Analyse hinsichtlich Schadensschwerpunkten durchführbar ist. Nachteilig ist die erschwerte Erkennung von gebrauchstauglichkeitsrelevanten Schäden, welches zukünftig durch die geplante Einführung einheitlicher Objektteilgliederungen verbessert werden könnte. Weiterhin ist zu beachten, dass die automatisierte Zuordnung stets durch eine sachkundige Person zu plausibilisieren ist. Zur praktischen Verwendung der Vorgehensweise sollte zudem festgelegt werden, welche Priorität den Anforderungen Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit einzuräumen ist, eine Frage, die vom Infrastrukturbetreiber entsprechend seinen Sicherheitsanforderungen festgelegt werden kann. Als nächster Schritt ist vorgesehen, die anforderungsspezifischen Zustandsnoten mit weiteren Kennzahlen, die sich für eine netzweite Priorisierung von Erhaltungsmaßnahmen eignen, zu verknüpfen. Hierunter fällt die Robustheit der Bauwerke, die sich aus der Verbindung ihrer statischen Auslastung und ihrer Konstruktionsmerkmale ergibt [18]. Weiterhin fällt darunter die Bewertung der möglichen Folgen bei Bauwerksversagen bzw. -ausfall auf Objekt- und Netzebene. Sie können von einer Funktionsbeeinträchtigung einzelner Bauwerke, über wirtschaftliche Schäden bis hin zur Gefährdung von Personen reichen und lassen sich beispielsweise mit einer Risikobetrachtung abbilden [19]. Literaturverzeichnis [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (Hg.) (2020): Investitionsrahmenplan 2019 - 2023 für die Verkehrsinfrastruktur des Bundes (IRP). [2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (Hg.) (2015): Verkehrsinfrastrukturbericht. [3] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (Hg.) (2016): Bundesverkehrswegeplan 2030. [4] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (Hg.) (2019): Masterplan Binnenschifffahrt. [5] Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) (Hg.) (2009): VV-WSV 2101 Bauwerksinspektion. Verwaltungsvorschrift der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (VV-WSV). [6] Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) (Hg.) (2018): BAWMerkblatt Schadensklassifizierung an Verkehrswasserbauwerken (MSV) Ausgabe 2018. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe. [7] Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) (Hg.) (2010): BAWMerkblatt Bauwerksinspektion (MBI). Ausgabe 2010. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe. [8] Kühni, Katrin (2010): Ein Erhaltungsmanagementsystem für Verkehrswasserbauwerke. Deutsche Beiträge. 32. Internationaler Schifffahrtskongreß; Liverpool, Großbritannien, 10. - 14. Mai 2010, 68-72. [9] DIN. Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung; Deutsche Fassung EN 1990: 2002 + A1: 2005 + A1: 2005/ AC: 2010. Beuth Verlag GmbH, Berlin, DIN EN 1990: 2010-12. [10] Bowles, John, B. (1998): Fundamentals of failure modes and effects analysis, University of South Carolina. [11] Weber, Silvia (2013): Betoninstandsetzung. Baustoff - Schadensfeststellung - Instandsetzung. Springer Fachmedien Wiesbaden, Wiesbaden. [12] Zilch, Konrad; Zehetmaier, Gerhard (2010): Bemessung im konstruktiven Betonbau. Nach DIN 1045-1 (Fassung 2008) und EN 1992-1-1 (Eurocode 2). Springer-Verlag Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg. [13] Maisner, Matthias (2016): Ertüchtigung der Bewegungsfugen von Massivbauwerken im Verkehrswasserbau. FuE-Abschlussbericht B3951.03.04.70006. [14] Akiyama, Mitsuyoshi; Soliman, Mohamed; Biondini, Fabio; Frangopol, Dan M. (2019): Structural Deterioration Mechanisms. American Society of Civil Engineers. [15] Jacobs, Frank; Winkler, Kurt; Hunkeler, Fritz; Volkart, Peter (2001): Betonabrasion im Wasserbau. Grundlagen - Feldversuche - Empfehlungen, Zürich. [16] Stark, Jochen; Wicht, Bernd (2013): Dauerhaftigkeit von Beton. Springer Vieweg, Berlin, Heidelberg. [17] Roos, Frank (2009): Die Beurteilung von Rissen im Stahlbetonbau. Beton-Informationen, 2, 31-42. [18] Akkermann, Jan; Weiler, Simon; Bödefeld, Jörg; Meier, Jochen (2018): Die Bauwerksrobustheit im Kontext eines risikobasierten Erhaltungsmanagements. Beton- und Stahlbetonbau 113, 10, 716- 726. [19] Wehrle, Rebecca; Wiens, Marcus; Schultmann, Frank; Akkermann, Jan; Bödefeld, Jörg (2020): Ebenensystem zur Resilienzbewertung kritischer Verkehrsinfrastrukturen am Beispiel der Wasserstraßen. Bautechnik 97, 6, 395-403. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 383 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Dominik Waleczko, M.Sc. Institut für Technologie und Management im Baubetrieb (TMB), Karlsruhe, Deutschland Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Shervin Haghsheno Institut für Technologie und Management im Baubetrieb (TMB), Karlsruhe, Deutschland Dipl.-Ing. Andreas Westendarp Bundesanstalt für Wasserbau (BAW), Karlsruhe, Deutschland Zusammenfassung Die für Betrieb und Unterhaltung der Bundeswasserstraßen zuständige Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) betreibt aktuell etwa 260 Einkammerschleusen. Für die Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen an derartigen Anlagen müssen diese nach heutigem Stand vollständig gesperrt werden. Dies bedingt teilweise erhebliche Beeinträchtigungen der Schifffahrt, da eine Umleitung in vielen Fällen nicht möglich ist. Oft wird ein technisch und wirtschaftlich aufwendiger Ersatzneubau realisiert, da Verfahren zur Instandsetzung unter Betrieb, trotz der Durchführung von Probemaßnahmen und der Erarbeitung von theoretischen Konzepten, nicht hinreichend ausgearbeitet sind. In diesem Beitrag wird ein Entscheidungsunterstützungssystem (EUS) vorgestellt, welches dem Anwender hilft, ein Instandsetzungsverfahren auszuwählen. Das EUS ist so aufgebaut, dass es auch zur Lösung anderer Entscheidungsprobleme im Bauwesen verwendet werden kann. Um dies aufzuzeigen, werden Grundzüge der Entscheidungstheorie sowie die Entscheidungsphilosophie Choosing by Advantages (CBA) kurz vorgestellt. 1. Einleitung Die aufgrund von Instandsetzungsarbeiten längerfristige Sperrung einer Einkammerschleuse, führt zu einem großen volkswirtschaftlichen Schaden. Da für die herkömmliche Grundinstandsetzung einer Schleusen-kammer erfahrungsgemäß zwei Jahre angesetzt werden müssen, ist es die Aufgabe der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) über Alternativen nachzudenken, da sie für den Betrieb und die Unterhaltung der Schleusenanlagen an deutschen Bundeswasserstraßen verantwortlich ist. Aus diesem Grund wurde in der Vergangenheit die Bausubstanz oftmals nur notdürftig instandgesetzt oder ein Ersatzneubau realisiert. Die Möglichkeiten eines Ersatzneubaus sind jedoch beschränkt, da dieser nur bei bestimmten räumlichen Randbedingungen realisiert werden kann. Um auch in Zukunft Alternativen zur Verfügung zu haben, hat die WSV in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) das Projekt Instandsetzung unter Betrieb (IuB) ins Leben gerufen. Die WSV wird dabei durch das Wasserstraßen-Neubauamt Heidelberg (WNA Heidelberg) vertreten. Dieser Beitrag baut unmittelbar auf einen Beitrag [1] im 6. Kolloquium „Erhaltung von Bauwerken“ der TAE auf. Zur besseren Verständlichkeit wird dennoch auf notwendige Grundlagen kurz eingegangen. Außerdem knüpft dieser an den diesjährigen Beitrag „Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb mithilfe eines Modulbaukastens“ [2] an. Dieser Beitrag geht vertieft auf die Fragestellung ein, wie ein passendes Instandsetzungsverfahren für eine konkrete Instandsetzungsaufgabe ausgewählt werden kann. Hierzu werden in Kapitel 2 die Heraus-forderungen bei einer Instandsetzung unter Betrieb beschrieben. Dazu wird kurz auf die Problemstellungen eingegangen, die im Rahmen der Instandsetzung unter Betrieb beachtet und gelöst werden müssen. Darauf aufbauend werden die Entscheidungsfaktoren vor-gestellt, die bei der Auswahl eines Instandsetzungs-verfahrens für das Projekt IuB berücksichtigt werden müssen. In Kapitel 3 werden die Grundzüge der Entscheidungstheorie beschrieben. Neben Definitionen wird gezielt auf verhaltensökonomische Phänomene der Entscheidungstheorie eingegangen, da diese das Handeln eines Menschen unmittelbar bei 384 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb dessen Entscheidungen beeinflussen. Darauf aufbauend wird das Grundmodell der Entscheidungstheorie vorgestellt. Abschließend wird in diesem Kapitel beschrieben, wie rationale Entscheidungen auf der Basis der Entscheidungsphilosophie Choosing by Advantages (CBA) getroffen werden können. Kapitel 4 befasst sich mit der Entwicklung eines Entscheidungsunter-stützungssystems (EUS) für das Projekt IuB. Es besteht jedoch der Anspruch, dass der darin enthaltene Entscheidungsprozess in jeglichen Entscheidungs-problemen des Bauwesens anwendbar ist. Zunächst werden die verschiedenen Entscheidungsverfahren miteinander verglichen, bevor ein allgemeingültiger Entscheidungsprozess beschrieben wird. Dieser Entscheidungsprozess wird im Anschluss daran aufgegriffen und die konkrete Umsetzung in einem EUS-Tool beschrieben. Außerdem wird ein Seminar vorgestellt, durch welches den Teilnehmern die Anwendung des Entscheidungsprozesses verdeutlicht werden soll. Abschließend wird ein Ausblick gewagt. 2. Herausforderungen bei der Instandsetzung von Schleusen unter Betrieb 2.1 Probleme bei der Instandsetzung unter Betrieb In [2] wurde bereits genauer auf die Problemstellungen eingegangen, die bei der Instandsetzung unter Betrieb zu beachten sind. Dabei liegt der Fokus jedoch auf den Herausforderungen und Problemen, die bei der Planung und Umsetzung solcher Maßnahmen beachtet werden müssen. An dieser Stelle sollen gezielt Problem-stellungen betrachtet werden, die sich mit Entscheidungen rund um Instandsetzungen von Schleusen befassen. Zuallererst muss angemerkt werden, dass bereits die Entscheidung für eine Instandsetzung unter Betrieb eine Herausforderung darstellt. Von einer Instandsetzung unter Betrieb wird im Rahmen des Projekts dann gesprochen, wenn Instandsetzungsbzw. Ersatz-maßnahmen am Massivbau oder dem Stahlwasserbau, innerhalb eng bemessener Zeitfenster, bei grund-sätzlicher Aufrechterhaltung der Funktion und mit dem Ziel einer langfristigen Weiternutzung der Schleuse erfolgen. Vorzugsweise sollen die Instandsetzungs-arbeiten in arbeitstäglichen Sperrpausen erfolgen. Außerhalb dieser arbeitstäglichen Sperrpausen soll die Schleusenanlage für die Schifffahrt verfügbar sein. Es besteht das Risiko, dass zum Abschluss der arbeitstäglichen Sperrpause das Baufeld noch nicht geräumt und damit die Schleusenkammer nicht für die Schifffahrt freigegeben werden kann. Um die Betriebssicherheit auf jeden Fall gewährleisten zu können, wurde bei vergangenen Projekten von einer Instandsetzung unter Betrieb abgesehen. Dies kann anhand des folgenden Beispiels veranschaulicht werden. 2001 wurden von der BAW in Zusammenarbeit mit Universitäten und Baufirmen erste Überlegungen angestellt, wie die Kammerwände der Schleuse Obernau unter Betrieb instandgesetzt werden können. Da zum Zeitpunkt der Entscheidung noch keine Erfahrungen gesammelt werden konnten und zusätzlich noch keine Komplettlösung vorhanden war, wurde das Vorzugs-konzept nicht realisiert. Stattdessen wurde 2004 ein Ersatzneubau beschlossen. Nach dem derzeitigen Planungsstand soll die neue Staustufe 2033 in Betrieb genommen werden [3]. Aufgrund der fehlenden Erfahrungen wurde sich auch in den Folgejahren immer wieder gegen eine Instandsetzung unter Betrieb entschieden. Bis zum heutigen Tag konnten einzelne Probe- oder Teilmaßnahmen erfolgreich realisiert werden. Allerdings blieb eine vollständige Instandsetzung bisher aus. Somit liegt eine der Herausforderungen darin, den Entscheidern die Informationen möglichst anschaulich darzulegen. Aus diesem Grund wird der in [2] beschriebene Modulbaukasten entwickelt. Dieser gilt als Informationssystem und ermöglicht es Anwendern sich einen Überblick über die Sachlage zu verschaffen. Dies reicht in den meisten Fällen jedoch nicht aus, um eine Entscheidung treffen zu können, weswegen in dem geplanten EUS die Informationen entsprechend auf-bereitet und in Bezug zueinander gesetzt werden sollen. Unmittelbar damit geht einher, dass ausschließlich theoretische Konzepte nicht ausreichen, um die WSV von der Anwendung einer Instandsetzung unter Betrieb zu überzeugen. Demnach sollen die theoretisch erarbeiteten Konzepte in Bauteilversuchen oder Pilot-projekten erprobt werden. Dadurch sollen belastbare praktische Erfahrungen gesammelt werden. Dies setzt jedoch eine gewisse Flexibilität des EUS voraus, damit neue Informationen und Erfahrungen laufend ergänzt werden können. Eine weitere Herausforderung, die aufgrund des Bauens im Bestand berücksichtigt werden muss, ist, dass viele verschiedene Bauteile vorhanden sind, die unterschiedliche Instandsetzungsverfahren erfordern. Daher muss das EUS so flexibel ausgelegt sein, dass verschiedenste Instandsetzungsverfahren miteinander verglichen und verschiedenste Entscheidungsprobleme gelöst werden können. In einer ersten Version des Modulbaukastens sind Alternativen zu folgenden Elementen enthalten: • Partielle Trockenlegung • Abtrag • Reprofilierung • Lokale Instandsetzung • Fugen • Schleusenausrüstung • NEM-Technik • Stahlwasserbau • Ausbau Schleusenkammer • Vergabe Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass neben den technischen Fragestellungen auch andere Themen-gebiete von Bedeutung sein können. Das hier konkret aufgeführte Beispiel ist die Auswahl eines Vergabeverfahrens. Hierbei müssen andere Randbedingungen beachtet werden als bei einer Schleusentorinstandsetzung. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 385 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Eine weitere Herausforderung stellt der Entscheidungsprozess der betrachteten Organisationseinheit bzw. Unternehmens dar. Dementsprechend wurden in [1] die Entscheidungsprozesse der WSV genauer betrachtet. Die WSV ist in einer Linienstruktur organisiert, innerhalb der das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die Spitze der Orga-nisation bildet. Direkt untergeordnet ist die General-direktion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS). Seit 2013 werden die früher regional wahrgenommenen Aufgaben und Kompetenzen der WSV im Binnen- und Küstenbereich in der GDWS zusammengeführt. Regionale Belange sind weiterhin den Wasserstraßen- und Schifffahrtsämtern (WSÄ) sowie den Wasser-straßenneubauämtern zugeordnet. Zu den regionalen Belangen gehört auch die Instandsetzung von Schleu-senanlagen. Sobald wichtige Entscheidungen innerhalb eines Projekts getroffen werden müssen, ist ein Bericht an die zuständige übergeordnete Stelle erforderlich. Die Zuständigkeiten können der Verwaltungsvorschrift der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (VV-WSV) entnommen werden. [4] [5] Solche Abhängigkeiten und Vorgaben müssen bei der Entwicklung des EUS berücksichtigt werden. 2.2 Entscheidungsfaktoren für die Instandsetzung unter Betrieb Bevor auf die ermittelten Entscheidungsfaktoren eingegangen wird, müssen zunächst einige Begriffe definiert werden. Zunächst soll der Unterschied zwischen Entscheidungsfaktor und Entscheidungs-kriterium erläutert werden. Hierzu wird auf die Definitionen von Suhr [6] zurückgegriffen. Bei einem Faktor handelt es sich um ein Element oder den Bestandteil einer Entscheidung. Dieses Element oder der Bestandteil dient sinngemäß als Behälter für Kriterien, Eigenschaften, Vorteile sowie andere Formen von Informationen. Ein Kriterium wiederum ist eine Entscheidungsregel oder Richtlinie. Damit stellt das Kriterium in der Regel einen Standard dar, auf dem eine Beurteilung basiert. In besonderen Fällen ist ein Kriterium eine Entscheidung, die den weiteren Entscheidungsprozess lenkt. Um diese beiden Begriffe zu veranschaulichen, soll an dieser Stelle ein Beispiel angeführt werden. Beim Kauf einer Baumaschine könnte das Gesamtgewicht ein zu berücksichtigender Faktor sein. Das entsprechende Kriterium könnte demnach lauten, je leichter die Maschine ist desto besser. Anhand dieser Regel könnten nun verschiedene Alternativen miteinander verglichen werden. Darüber hinaus kann noch in Muss- und Kann-Kriterien unterschieden werden [6]. Die Einhaltung eines Muss- Kriteriums ist Voraussetzung dafür, dass eine Alternative im weiteren Verlauf der Entscheidungs-findung berücksichtigt wird. Somit stellt dieses eine Art KO-Kriterium dar, welches von den Alternativen eingehalten werden muss. Zur Veranschaulichung kann das eben verwendete Beispiel verwendet werden. Das Kriterium je leichter die Maschine ist desto besser stellt demnach ein Kann-Kriterium dar. Dieses kann durch das Muss-Kriterium ergänzt werden, dass das Gesamt-gewicht der Baumaschine maximal 5 t betragen darf. Auf der Grundlage dieser Definitionen kann ermittelt werden, welche Faktoren und Kriterien berücksichtigt werden sollten, wenn für die Instandsetzung unter Betrieb ein Instandsetzungsverfahren ausgewählt wird. Um diese Informationen ermitteln zu können, wurden zwei Ansätze verfolgt [1]. Zum einen wurden während der Vorplanung des Pilotprojekts Grundinstandsetzung und Verlängerung der Schleuse Schwabenheim [7] Entscheidungsfaktoren und -kriterien entwickelt, um zwischen verschiedenen Instandsetzungsverfahren eine Vorzugsalternative auszuwählen. Zum anderen wurde eine Umfrage unter den WSÄ durchgeführt, die für den Betrieb von Einkammerschleusen verantwortlich sind. Da die Erfahrungen des Pilotprojekts nicht zwingend mit den Routinen übereinstimmen, wurde diese zusätzliche Befragung im Januar 2016 durchgeführt. Auf die genauen Umfrageergebnisse soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Diese können in [1] eingesehen werden. Stattdessen soll an dieser Stelle näher darauf eingegangen werden, welche Faktoren und Kriterien für das EUS ausgewählt worden sind, nachdem die Ergebnisse der beiden Ansätze vorlagen. Zunächst sollen die Muss-Kriterien betrachtet werden, die eingehalten werden sollen, damit eine Alternative überhaupt infrage kommt. Die genaue Festlegung der Muss-Kriterien sowie deren konkrete Auslegungen hängen unmittelbar von der Instandsetzungsaufgabe, von den Befindlichkeiten des Entscheiders sowie den vor Ort vorherrschenden Randbedingungen ab. Außer-dem kann je nach Planungs- und Informationsstand nicht immer klar gesagt werden, ob ein Muss-Kriterium eingehalten werden kann oder nicht. Um die Erstellung von Muss- Kriterien für die Instandsetzung unter Betrieb dennoch veranschaulichen zu können, wurden Muss-Kriterien für die Instandsetzungsaufgabe Reprofilierung entwickelt. Diese Muss-Kriterien müssen vom Entscheider selbst festgelegt werden. Dazu muss der Entscheider die folgenden 10 Leitfragen beantworten: I. Welche Sperrpausen sind realisierbar? II. Welche Bereiche des Bauteils sind betroffen? III. Kann Lichtraumprofil für Betriebsphasen in der Breite eingeschränkt werden? IV. Ist Bewehrung im betroffenen Bereich vorhanden? V. Ist Unversehrtheit der Bewehrung für die Statik entscheidend? VI. Kann die vorhandene Bewehrung weiter genutzt werden? VII. Welche Altbetonklasse ist vorhanden? VIII. Ist lokaler Betonabtrag statisch unbedenklich? IX. Bis zu welcher Tiefe ist ein flächiger Abtrag unbedenklich? X. Welchen Einfluss hat der Denkmalschutz auf die zu planende Instandsetzungsaufgabe? 386 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Durch die Antworten auf diese Fragen, kann überprüft werden, ob die Reprofilierungsverfahren für das Projekt prinzipiell geeignet sind oder nicht. Sofern mehrere Verfahren geeignet sind, müssen diese anhand Entscheidungskriterien miteinander verglichen werden. Hierzu wurden Entscheidungsfaktoren und -kriterien entwickelt, die in Tabelle 1 zusammengefasst sind. Tab. 1: Entscheidungsfaktoren und Entscheidungskriterien Entscheidungsfaktor Entscheidungskriterium Beeinträchtigung Umwelt Beeinträchtigungen/ Auswirkungen auf Personen Je geringfügiger die Beeinträchtigungen/ Auswirkungen, desto besser Beeinträchtigungen/ Auswirkungen auf die Umwelt Je geringfügiger die Beeinträchtigungen/ Auswirkungen, desto besser Beeinträchtigung und Auswirkungen auf die Schifffahrt Risiko arbeitstägliche Arbeitszeitüberschreitung Je geringer das Risiko der arbeitstäglichen Arbeitszeitüberschreitung, desto besser Einschränkungen Schleusenvorgang selbst Je geringfügiger die Einschränkungen des Schleusenvorgangs, desto besser Bauzeit Gesamtbauzeit Je kürzer die Gesamtbauzeit, desto besser Risiko Verlängerung Gesamtbauzeit Je geringer das Risiko einer Verlängerung der Gesamtbauzeit, desto besser Wirtschaftlichkeit Gesamtkosten Maßnahme Je geringer die Gesamtkosten des Projekts, desto besser Kosten-Nutzen-Relation Je besser die Kosten-Nutzen-Relation desto, besser Nachtragsrisiko Je geringer das Nachtragsrisiko, desto besser Lebensdauer nach Durchführung der Maßnahme Gesamte Lebensdauer Je höher die gesamte Lebensdauer, desto besser Instandhaltungsaufwand nach Maßnahme Je geringer der Instandhaltungsaufwand nach der Maßnahme, desto besser Anfälligkeit Anlage für Folgeschäden Je geringer die Anfälligkeit der Anlage auf Folgeschäden, desto besser Bauausführung Komplexität der Maßnahme Je geringer die Komplexität der Maßnahme, desto besser Einhaltung Qualitätssicherheitsansprüche Je geringer der Aufwand zur Einhaltung der Qualitätssicherheitsansprüche, desto besser Positive Erfahrungen vergangene Maßnahmen Je mehr positive Erfahrungen beim Umgang mit einem Verfahren vorhanden sind, desto besser Einsatz von Standardmethoden Der Einsatz von Standardmethoden ist Sonderlösungen vorzuziehen Anfälligkeit für Baumängel Je geringer die Anfälligkeit für Baumängel, desto besser 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 387 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Anforderungen an die Maßhaltigkeit der Arbeitsabläufe Je geringer die Anforderungen an die Maßhaltigkeit, desto besser Randbedingungen im Amt selbst/ Aufwand Planung Aufwand Bauüberwachung Je geringer der Aufwand für die Bauüberwachung, desto besser Personalkapazität des Amts Je weniger Personalkapazität notwendig ist, desto besser Die in Tabelle 1 angegebenen Entscheidungsfaktoren wurden Kategorien zugeordnet. Diese Kategorien dienen dem Anwender als Orientierung, damit sich dieser schneller zurechtfindet. Die Kategorien orientieren sich an der Entscheidungsmatrix, die im Rahmen des Pilotprojekts Grundinstandsetzung und Verlängerung Schleuse Schwabenheim verwendet wurde. Diese Kategorien wurden in der Umfrage ebenfalls mit abgefragt. Die Kategorien und Faktoren wurden durch die Umfrageergebnisse bestätigt. 3. Grundzüge der Entscheidungstheorie 3.1 Verhaltensökonomische Phänomene in der Entscheidungstheorie Eine Entscheidung wird als Wahlproblem definiert, wobei das Ergebnis unmittelbare Folgen für den oder die Entscheidungsträger hat. Gemäß der Entscheidungs-theorie wird dieser Ansatz noch einmal präzisiert. Demnach stellt eine Entscheidung eine mehr oder minder bewusste Auswahl einer Handlungsalternative dar. [8] Zusätzlich kann noch ergänzt werden, dass die Wahl einer Handlungsalternative auf der Basis der Realisierung eines Ziels getroffen wird [9]. Somit hat der Entscheider eine Vorstellung davon, was durch die Entscheidung erreicht werden soll. Die Probleme der Entscheidungsfindung werden durch zwei unterschiedliche Forschungsansätze betrachtet. Die Fachliteratur unterscheidet in deskriptive und präskriptive Theorien. Das Ziel der deskriptiven Entscheidungstheorie ist es, empirisch gehaltvolle Hypothesen über das Entscheidungsverhalten von Individuen und Gruppen aufzustellen. Ausgehend von der Ausgangssituation sollen Ergebnisse des Entscheidungsprozesses prognostiziert werden können. Demnach wird untersucht, wie Entscheidungen tatsächlich getroffen werden. Dem gegenüber steht die präskriptive Entscheidungstheorie, in welcher Entschei-dungsregeln gebildet werden, die bei der rationalen Entscheidungsfindung unterstützen sollen. Somit können Verhaltensempfehlungen erarbeitet werden, die in Aussagesystemen dargestellt sind. Die präskriptive Theorie wird vereinzelt auch als normative Entscheidungstheorie bezeichnet. In dieser Veröffent-lichung wird ausschließlich die Bezeichnung präskriptive Theorie genutzt. [8] [9] Die Entwicklung eines EUS wird demnach der präskriptiven Entscheidungstheorie zugeordnet, da in einem EUS Entscheidungsregeln hinterlegt sind, welche den Anwender beim Entscheidungsprozess unterstützen. Jedoch wäre es fahrlässig Erkenntnisse der deskriptiven Entscheidungstheorie bei der Entwicklung zu vernachlässigen. Aus diesem Grund wurden die verhaltensökonomischen Phänomene der Entschei-dungstheorie näher untersucht. In Studien wurde nachgewiesen, dass beim intuitiven Entscheiden systematisch Fehler auftreten. Diese Fehler werden als verhaltensökonomische Phänomene bezeichnet. In der Forschung wird versucht diese Phänomene mithilfe von hypothetischen Problemstellungen nachzuweisen. Folgend ist eine Auswahl an verhaltensökonomischen Phänomenen der Entscheidungstheorie aufgelistet [10] [11]: • Sicherheitseffekt (certainty effect) • Verlustaversion (reflection effect) • Probabilistic Insurance • Isolation Effect • Framing • Verankerungseffekt (Anchoring) • Status-quo-Bias • Besitztumseffekt (endowment effect) In den folgenden Ausführungen werden exemplarisch die Phänomene Framing sowie der Verankerungseffekt aufgegriffen. Bei Framing handelt es sich um ein Phänomen, bei welchem unterschiedlich formulierte, aber inhaltsgleiche Alternativen die Entscheidung beeinflussen können. Framing kann in den drei folgenden Arten vorkommen [10]: • Attributives Framing • Handlungsframing • Framing bei riskanten Entscheidungen Da unterschiedliche Formulierungen keinen Einfluss auf die Entscheidungsfindung haben sollten, sind Framingeffekte im Rahmen einer wichtigen Entscheidungs-findung unbedingt zu vermeiden. Dass Framingeffekte eine Wirkung auf Personen haben können, die im Bauwesen beschäftigt sind, konnte über in [12] beschriebene empirische Studien bereits gezeigt werden. Es wurden drei Szenarien entworfen, in denen die drei Framingarten über Fragen integriert wurden. Um Probanden zu errei- 388 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb chen wurden via E-Mail 257 Ingenieurbüros und Bauunternehmen angeschrieben. Der versendete Fragebogen wurde insgesamt 41 Mal vollständig ausgefüllt. Circa 51 % der Probanden waren in Bauunternehmen und ca. 32 % in Ingenieurbüros tätig. Die verbleibenden 17 % teilten sich u. a. auf Totalübernehmer und Bauträger auf. Die angegebenen Geschäftsfelder der Probanden erstreckten sich vom Management über die Bauleitung bis hin zur Tragwerksplanung. Der Beschäftigungsbereich Instandsetzung wurde ebenfalls angegeben. Die Probanden arbeiteten zu 46 % bei Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und zu 27 % bei Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern. Anhand der Auswertung konnte bestätigt werden, dass die erwarteten systematischen Fehler, die durch das Framing erzwungen werden sollten, teilweise aufgetreten sind. Vor allem beim attributiven Framing konnte eine eindeutige Abweichung im Entscheidungs-verhalten festgestellt werden. Demnach konnte nach-gewiesen werden, dass die Formulierung von Alternativen und Kriterien einen Einfluss auf die Entscheidungsfindung hat. Es konnte z. B. aufgezeigt werden, dass die positive Beschreibung eines Attributs im Mittel positiver bewertet wird als die inhaltsgleiche negative Beschreibung dieses Attributs. Die Eigenschaft des Menschen die Attraktivität von Wetten ausgehend von einem Referenzpunkt zu bewerten wird als Verankerungseffekt bzw. Anchoring bezeichnet. Dieses Phänomen beschränkt sich nicht ausschließlich auf die Beurteilung von Wetten, sondern ist auch bei der Beurteilung von Alternativen zu beobachten. Sobald Gewichtungen zwischen Eigen-schaften, Kriterien oder anderen Informationen festgelegt werden sollen, ist eine Wirkung des Verankerungseffekts möglich. [10] Um die Wirksamkeit des Verankerungseffekts zu untersuchen, wurde eine weitere empirische Studie in Form eines schriftlichen Fragebogens durchgeführt [12]. Über den Anfangsbuchstaben des Nachnamens wurden die Probanden in zwei Personengruppen aufgeteilt. Zunächst wurden die Probanden darum gebeten, verschiedene Kriterien nach ihrer Wichtigkeit zu bewerten und in eine Rangfolge zu bringen. Personengruppe A erhielt eine Auflistung mit möglichst spezifischen Kriterien, die eine verbale Wertung enthielten. Bei Personengruppe B wurde von einer Spezifizierung sowie einer verbalen Bewertung abgesehen. Anschließend sollte ausgehend vom wichtigsten Kriterium die Wichtigkeit der anderen Kriterien prozentual abgeschätzt werden. Personen-gruppe A erhielt zusätzlich die Information, dass ein Gebäude nach Passivhausstandard gebaut werden soll, weswegen das Kriterium nachhaltiger Materialeinsatz als wichtigstes Kriterium feststeht und deshalb mit der Wertung 100 belegt ist. Beispielhaft wurde ergänzt, dass ein gleichwertiges Kriterium, welches annähernd genauso wichtig ist, mit einem Wert von z. B. 97 belegt werden kann. Auf dem Fragebogen für Personengruppe B wurde kein Kriterium vorgegeben. Es wurde ausschließlich darauf hingewiesen, dass das wichtigste Kriterium mit 100 bewertet werden soll. Die spezifischere Aufgabenstellung sowie der vorgegebene Anker halfen Personengruppe A eine klarere Abstufung zwischen den einzelnen Kriterien vorzunehmen. Es wurde das gesamte Punktespektrum bei der Bewertung verwendet. Dem gegenüber stand Personengruppe B, dessen Probanden häufig alle Kriterien im Bereich zwischen 80 und 100 Punkten anordneten oder bei mehreren Kriterien die gleiche Wertung vergaben. 3.2 Grundmodell der Entscheidungstheorie In Modellen werden Tatbestände der Realität vereinfacht abgebildet. Innerhalb eines Modells werden Elemente sowie deren Eigenschaften zuzüglich der Relationen zwischen den Elementen dargestellt. Um ein Modell als wirksam bezeichnen zu können, besteht trotz aller Vereinfachungen die Forderung nach Struktur-gleichheit bzw. Strukturähnlichkeit zum Realsystem. Dadurch soll vom Modell auf die Realität geschlossen werden können. Da das Realsystem in der Regel sehr komplex ist, sind vereinfachte Darstellungen notwendig, um relevante Elemente und Relationen gedanklich zu durchdringen. [13] Bei der Erstellung von Modellen kann auf zwei Forschungsansätze zurückgegriffen werden. Bei induktiven Ansätzen wird versucht auf der Basis einer endlichen Anzahl an Beobachtungen vom Besonderen auf das Allgemeine zu schließen. Wohingegen bei deduktiven Ansätzen vom Allgemeinen auf das Besondere geschlossen wird. [14] Gemäß [8] wurden Entscheidungsmodelle durch Ansätze der deduktiven Forschung erarbeitet. In allgemeinen Entscheidungs-modellen werden ausgewählte Typen von Entschei-dungssituationen bzw. -problemen dargestellt und Lösungsverfahren zugeordnet, wohingegen konkrete Entscheidungsmodelle sich ausschließlich auf spezifische Entscheidungssituationen beziehen. Die jeweiligen Modellparameter sind an die konkrete Entscheidungssituation angepasst. Um ein konkretes Entscheidungsmodell entwickeln zu können, muss ein allgemeines Entscheidungsmodell ausgewählt und anschließend adaptiert werden. In Abbildung 1 ist eine Ausführung des Grundmodells der Entscheidungstheorie dargestellt. Dieses besteht aus den beiden Komponenten Entscheidungsfeld und Zielsystem. Das Entscheidungsfeld besteht wiederum aus den drei Elementen Handlungsalternativen, Ergebnisse und Umweltzustände. Das Zielsystem beinhaltet das Basiselement Entscheidungsregel und wird durch die Elemente Präferenzen und Zielgrößen ergänzt. Aus den Zielgrößen sowie den Informationen aus dem Entscheidungsfeld lässt sich die Ergebnis-matrix ableiten. Sobald die Präferenzen hinzugezogen werden, kann die Entscheidungsmatrix erstellt und auf deren Basis eine Entscheidung getroffen werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 389 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Abb. 1: Grundmodell der Entscheidungstheorie [9] 3.3 Treffen von fundierten Entscheidungen mithilfe von CBA Anders als z. B. die Nutzwertanalyse (NWA) ist Choosing by Advantages (CBA) keine einzelne Methode, sondern ein ganzheitliches Entscheidungs-system. Dieses beschränkt sich nicht nur auf die Entscheidungsfindungsphase, sondern wird im gesamten Entscheidungsprozess angewendet. CBA beinhaltet eine Vielzahl an Methoden, die je nach Komplexität und Gestalt des Entscheidungsproblems zum Einsatz kommen können. Die Methoden richten sich an einheitlichen Definitionen, Prinzipien und Modellen aus. CBA besitzt ein eigenes Vokabular, welches aus den vier folgend definierten Begriffen besteht [6]: • Ein Faktor ist • ein Element/ Bestandteil einer Entscheidung. ein Behälter für Kriterien, Eigenschaften, Vorteile und andere Formen von Informationen. • Ein Kriterium ist eine Entscheidungsregel oder eine Richtlinie. ein Standard, auf dem eine Beurteilung basiert. eine Entscheidung, die den weiteren Entscheidungsprozess lenkt. • Eine Eigenschaft ist eine Charakteristik/ Konsequenz einer Alternative. • Ein Vorteil ist der Unterschied zwischen zwei Alternativen bezüglich einer Eigenschaft. Neben dem Vokabular ist die Einhaltung der Prinzipien der fundierten Entscheidungsfindung ein zentrales Element des CBA. Die sogenannten Grundprinzipien der fundierten Entscheidungsfindung sind in der Folge aufgeführt [6]: Das Grundprinzip Um beständig fundierte Entscheidungen treffen zu können, müssen Entscheidungsträger lernen, fundierte Methoden der Entscheidungsfindung einzusetzen. Die Grundregel für die fundierte Entscheidungsfindung Entscheidungen müssen auf der Bedeutung von Vorteilen beruhen. Das Anchoring-Prinzip Entscheidungen müssen mit relevanten Informationen verknüpft sein. Das Methodenprinzip Verschiedene Arten von Entscheidungsproblemen erfordern verschiedene fundierte Entscheidungs-methoden. Die Leistungsfähigkeit eines jeden Einzelnen kann zusätzlich durch die Einhaltung von drei Modellen gesteigert werden. Hierbei handelt es sich um ein Ursache-Wirkungs-Modell, ein Modell für Verallge-meinerung und Spezifizierung sowie das fundierte Entscheidungsfindungsmodell. Die beiden ersten Modelle zeigen auf, dass die Leistungsfähigkeit von Individuen und Organisationen direkt mit dem Entscheidungsfindungsprozess zusammenhängen. Das fundierte Entscheidungsfindungsmodell hat zum Ziel, den Entscheidungsfindungsprozess zu verbessern. Um diese Modelle umzusetzen und somit die Leistungs-fähigkeit steigern zu können, müssen fundierte Ent-scheidungsfindungsmethoden angewendet werden. [6] Grundsätzlich kann der CBA Entscheidungsprozess für komplexe Entscheidungen in vier wesentliche Aktivitäten zusammengefasst werden. Jedoch greifen nicht alle Methoden auf diese vier Aktivitäten zurück. In folgender Auflistung sind die vier wesentlichen Aktivitäten chronologisch aufgezählt [6]: • Eigenschaften aller Alternativen zusammenfassen • Vorteile einer jeden Alternative bestimmen • Bedeutung eines jeden Vorteils ermitteln • sofern die Kosten aller Alternativen gleich sind, wird die Alternative mit der größten Bedeutung der Vorteile ausgewählt Der ganzheitliche CBA Prozess ist in fünf Phasen gegliedert. Von den Standardmethoden ist die Tabellenmethode die einzige, bei der die vier wesentlichen Aktivitäten komplett schriftlich durchgeführt werden. Somit bildet die Tabellenmethode die Grundlage für die besonderen Methoden für komplexe und sehr komplexe Entscheidungen. Die Tabellenmethode ist besonders dafür geeignet, drei oder mehr Alternativen miteinander zu vergleichen. Der Vergleich von zwei Alternativen ist ebenfalls möglich. Je mehr Alternativen verglichen werden sollen, desto aufwendiger ist die Anwendung. Die eigentliche Anwendung der Tabellenmethode findet in der Entscheidungsphase statt. [6] 390 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb 4. Entwicklung Entscheidungsunterstützungssystem 4.1 Auswahl geeignetes Entscheidungsverfahren Aufgrund des zu betrachtenden Entscheidungsproblems kommt nur ein multikriterielles Bewertungsverfahren für das Entscheidungsunterstützungssystem (EUS) infrage. Bei diesen Verfahren erfolgt eine vollständige und problembezogene Modellierung der Präferenz-struktur des Entscheiders. Darin werden die unter-schiedlichen Ziele des Entscheiders abgebildet. Hier werden die in Deutschland gängigsten Modelle wie die Nutzwertanalyse (NWA), der Analytische Hierarchie Prozess (AHP) sowie das Formalisierte Abwägungs- und Rangordnungsverfahren (FAR) einander gegen-übergestellt. Außerdem wurde die Tabellenmethode von CBA aufgegriffen, da es im Bereich des Lean Construction in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Damit die Verfahren miteinander verglichen werden können, müssen die Anforderungen definiert werden, die für die geplante Anwendung notwendig sind. Wie bereits beschrieben, muss für die Gestaltung eines geeigneten EUS der Entscheidungsprozess der WSV berücksichtigt werden. Außerdem muss bei der Gestaltung des EUS berücksichtigt werden, dass der Modulbaukasten integriert werden soll. Die Anwender-freundlichkeit soll durch einen zweistufigen Aufbau verbessert werden. Um bewerten zu können, ob die Entscheidungsverfahren diesen Anforderungen gerecht werden, müssen diese anhand von geeigneten Faktoren und Kriterien bewertet werden. Dazu müssen die Eigenschaften der Entscheidungsverfahren bestimmt werden. Neben den anwendungsspezifischen Faktoren sind außerdem Faktoren aus bereits durchgeführten Vergleichen berücksichtigt worden. Bereits durch-geführte Vergleiche sind z. B. in [15], [16], [17] und [18] zu finden. Auf die genaue Definition der einzelnen Faktoren wird an dieser Stelle nicht eingegangen. Die für den Vergleich tatsächlich ausgewählten Faktoren sind in der folgenden Auflistung alphabetisch aufgeführt: • Arbeitsaufwand/ Zeitbedarf für die Anwendung des Verfahrens • Berücksichtigung verhaltensökonomischer Phänomene • Berücksichtigung von Kosten • Erfahrung mit Verfahren • Genauigkeit • Kompatibilität für Gruppenentscheidungen • Konsistenz • Möglichkeit der Integration von KO-Kriterien für Eliminationsverfahren • Qualität der Ergebnisse • Transparenz/ Nachvollziehbarkeit • Überführung in ein digitales System Um den Vergleich zwischen den Entscheidungs-verfahren bezüglich der betrachteten Faktoren kompakt darstellen zu können, sind in Tabelle 2 die Ergebnisse qualitativ zusammengefasst. Der Faktor Möglichkeit der Integration von KO-Kriterien ist in der Tabelle nicht mehr enthalten, da alle betrachteten Verfahren dieser Anforderung genügen. Die Entscheidungsverfahren sind mit +, 0 oder - bewertet worden. Die Bewertung + wurde vorgenommen, wenn ein Verfahren in einem Faktor ausschließlich Vorteile besitzt. Die Bewertung 0 wird dann vergeben, wenn die Vorteile eingeschränkt sind oder wenn neben den Vorteilen auch nachteilige Eigenschaften identifiziert wurden. Mit einem - werden die Verfahren gekennzeichnet, wenn diese keinerlei Vorteile gegenüber den anderen Verfahren besitzen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass alle Verfahren in maximal zwei Faktoren keine Vorteile gegenüber anderen Verfahren aufweisen. Es ist jedoch auffällig, dass CBA in fast allen Faktoren mit einem + bewertet wurde. Nachteilig ist nur, dass in Deutschland bisher keine Erfahrungen mit dem Modell gesammelt wurden. International wurden jedoch schon einige Fallstudien und Projekte durchgeführt, in welchen wichtige Entscheidungen mithilfe von CBA getroffen wurden. Als einziges Verfahren werden in CBA die verhaltensökonomischen Phänomene der Entschei-dungstheorie aktiv berücksichtigt. Dies ist ein wesentlicher Vorteil gegenüber den anderen Verfahren. Dadurch dass die Alternativen ausschließlich anhand derer Vorteile bewertet werden, wird eine sehr große Genauigkeit erreicht. Für die Entscheidung werden demnach ausschließlich spezifische Informationen herangezogen, weswegen es zu keinen Ungenauigkeiten kommt. Genau der gleiche Umstand ist auch dafür verantwortlich, dass die Transparenz und die Nachvollziehbarkeit bei CBA höher einzustufen ist als bei den anderen Verfahren. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 391 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Tab. 2: Qualitative Gegenüberstellung Entscheidungsverfahren Eigenschaft NWA AHP FAR CBA Arbeitsaufwand/ Zeitbedarf + 0 0 + Berücksichtigung verhaltensöko. Phänomene - - 0 + Berücksichtigung von Kosten 0 0 0 + Erfahrung mit Verfahren + + 0 - Genauigkeit 0 0 0 + Kompatibilität für Gruppenentscheidungen 0 0 + + Konsistenz - 0 + + Qualität der Ergebnisse + + - + Transparenz/ Nachvollziehbarkeit 0 - 0 + Überführung in ein digitales System + + 0 + 4.2 Entscheidungsprozess für das EUS Damit ein EUS aufgebaut werden kann, musste ein allgemein gültiger Entscheidungsprozess definiert werden. Dieser ist so aufgebaut, dass dieser mit möglichst geringem Aufwand an eine konkrete Anwendung angepasst werden kann. Der entwickelte Entscheidungsprozess orientiert sich am ganzheitlichen CBA Prozess nach Suhr [6] und dem Grundmodell der Entscheidungstheorie [9]. Da das EUS zweistufig ist, kann dieses Grundmodell nicht ohne Anpassungen auf den entwickelten Entscheidungsprozess übertragen werden. Das angepasste Modell ist in Abbildung 2 dargestellt. Ausgehend von dem modifizierten Grund-modell sowie dem ganzheitlichen CBA Prozess wurde ein Entscheidungsprozess aus 10 übergeordneten Arbeitsschritten entwickelt. Falls erforderlich, sind den Arbeitsschritten Teilschritte untergeordnet, um die Anwendung des Prozesses zu vereinfachen. Die Arbeitsschritte sind mit Nummern und die Teilschritte mit Buchstaben gekennzeichnet. Die Arbeitssowie Teilschritte sind in der folgenden Auflistung zusammengefasst: 1. Untersuchungsgegenstand auswählen 2. Informationen zum Untersuchungsgegenstand auf Vollständigkeit prüfen a) Prüfen, ob vorhandene Informationen korrekt sind b) Fehlende Informationen ergänzen 3. Definition und Eingrenzung des Entscheidungsproblems a) Entscheidungsproblem definieren b) Untersuchungsgegenstand spezifizieren c) Umfang Entscheidungsproblem festlegen d) Mögliche Handlungsalternativen ermitteln 4. Randbedingungen für Entscheidungsproblem festlegen a) Technische und organisatorische Randbedingungen b) Behördliche Randbedingungen (andere nicht beeinflussbare Randbedingungen) 5. Alternativen anhand von Muss-Kriterien eingrenzen 6. Entscheidungsfaktoren auswählen 7. Tabellenmethode anwenden a) Vorteile bestimmen und prüfen, ob alle Vorteile wirklich Vorteile sind b) Wichtigstem Vorteil den Wert 100 zuweisen c) Restliche Vorteile bewerten und bepunkten d) Zugeteilte Werte überprüfen 8. Gesamtbedeutung-Kosten-Diagramm erstellen 9. Rangfolge festlegen 10. Entscheidung überprüfen Abb. 2: Modifiziertes Grundmodell der Entscheidungstheorie [angelehnt an 9] 392 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb In der ersten Stufe des Entscheidungsprozesses werden mögliche Handlungsalternativen zur Lösung des Entscheidungsproblems ermittelt. Außerdem werden die Alternativen, die für das vorliegende Entscheidungs-problem ungeeignet sind, ausgeschlossen. Die verblei-benden Alternativen werden in die zweite Stufe des Entscheidungsprozesses überführt. Das Ziel der zweiten Stufe ist es, die Alternativen in eine Rangordnung zu bringen, damit eine Vorzugsalternative bestimmt werden kann. Das entwickelte EUS richtet sich inhaltlich an den Vorgaben und Ansprüchen der WSV aus. Die Arbeitssowie Teilschritte des allgemeinen Entscheidungs-prozesses sind möglichst allgemein gehalten, sodass diese ohne größere Probleme an möglichst viele Entscheidungsprobleme im Bauwesen angepasst werden können. Für das Projekt IuB wurde eine Anpassung vorgenommen, indem im Zuge des Anpassungs-prozesses die Arbeits- und Teilschritte präzisiert wurden, ohne deren Zweck und Ziel zu verändern. Die angepassten Arbeits- und Teilschritte können wie folgt zusammengefasst werden: 1. Schleusenanlage auswählen 2. Informationen auf Vollständigkeit prüfen a) Prüfen, ob Informationen korrekt sind b) Fehlende Informationen ergänzen 3. Auswahl Instandsetzungsaufgabe a) Zu bewältigende Instandsetzungsaufgabe wählen b) Betroffenes Bauteil wählen c) Ausmaß Schaden festlegen d) Mögliche Instandsetzungsverfahren ermitteln 4. Randbedingungen für Instandsetzungsmaßnahme festlegen a) Technische und organisatorische Randbedingungen b) Einfluss Denkmalschutz 5. Instandsetzungsverfahren eingrenzen 6. Entscheidungsfaktoren auswählen 7. Tabellenmethode anwenden a) Vorteile bestimmen und prüfen, ob alle Vorteile wirklich Vorteile sind b) Wichtigstem Vorteil den Wert 100 zuweisen c) Restliche Vorteile bewerten und bepunkten d) Zugeteilte Werte überprüfen 8. Gesamtbedeutung-Kosten-Diagramm erstellen 9. Rangfolge festlegen 10. Entscheidung überprüfen In den Arbeitsschritten 1. bis 5. wird gezielt auf das Bestandsbauwerk sowie die zu erledigende Instandsetzungsaufgabe eingegangen. Für diese Anwendung werden explizit Einkammerschleusen benannt, doch grundsätzlich könnten diese durch jedes beliebige Bauwerk ersetzt werden. Sollte der Entscheidungsprozess zur Auswahl eines Bauverfahrens eingesetzt werden, muss in Arbeitsschritt 1 die geplante Bauaufgabe näher beschrieben werden. In Arbeitsschritt 2 sollen die gesammelten Informationen auf deren Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft werden, bevor in Arbeits-schritt 3 näher auf die Instandsetzungsaufgabe ein-gegangen wird. Nachdem die Randbedingungen für die Instandsetzung festgelegt sind, werden die Instand-setzungserfahren zum Ende der ersten Phase einge-grenzt. Die zweite Phase des Entscheidungsprozesses kann unverändert übernommen werden, da diese dem allgemeinen CBA Prozess zur Anwendung der Tabellenmethode entspricht. Bevor das EUS erstellt werden kann ist eine sorgfältige Grundlagenermittlung erforderlich, um die Ansichten des Entscheidungsträgers nicht zu verfälschen. Der Entscheidungsträger muss die Möglichkeit besitzen eigene Impulse und Meinungen in den Entscheidungs-prozess einbringen zu können. Der Entscheidungsträger soll möglichst intuitiv zu einer fundierten Entscheidung gelangen. Jedoch gilt zu bedenken, dass je mehr Freiheitsgrade im EUS enthalten sind, desto komplexer ist dessen Anwendung. Es muss ein Weg gefunden werden, wie die Individualität des Entscheidungsträgers gewährleistet und zeitgleich eine geführte Entschei-dungsfindung vollzogen werden kann. Zeitgleich soll die Anwendung des Entscheidungsprozesses noch so intuitiv sein, dass es in der Praxis angewendet wird. 4.3 Entwicklung eines EUS-Tools Um die Einführung des EUS trotz der vielseitigen Anforderungen zu ermöglichen, wurden zwei Hilfs-mittel entwickelt. Zum einen wurde ein EUS-Tool entworfen, welches den Entscheidungsträger bei der fundierten Entscheidungsfindung unterstützt. Der Erstentwurf ist speziell auf die Auswahl eines Reprofilierungsverfahrens für eine Schleusenkammer-wand unter laufendem Betrieb zugeschnitten. Zum anderen wurde ein Entscheidungsseminar erarbeitet, welches dem potenziellen Anwender den Umgang mit CBA sowie dem Entscheidungstool näherbringt. Dieses Seminar wird in Kapitel 4.4 kurz vorgestellt. Zunächst wurde ein geeignetes Medium für die Erstellung des Entscheidungstools ausgewählt. Da die WSV bundesweit aktiv ist, muss das Entscheidungstool so gestaltet sein, dass dieses ohne Probleme verteilt und angewendet werden kann. Aus diesem Grund fiel die Wahl auf ein digitales Tool. Außerdem sind in die Auswahl eines Instandsetzungsverfahrens eine Vielzahl an Beteiligten involviert, was ebenfalls für ein digitales Tool spricht, um alle Beteiligten möglichst problemlos einbeziehen zu können. Dateien können schnell ausgetauscht und von einer Vielzahl an Beteiligten bearbeitet werden. Dazu muss allerdings bei allen Beteiligten die notwendige Software vorhanden sein. Neue Software einzuführen ist in der WSV erfahrungs-gemäß sehr aufwendig, denn um Software auf einem Dienstrechner installieren zu dürfen, ist für den Anwender ein gesonderter Antrag notwendig. Um die Daten problemlos austauschen zu können, müssen die Schnittstellen zwischen den Beteiligten reibungslos funktionieren. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 393 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Es wurde Microsoft Excel zur Erstellung des Tools ausgewählt, damit die Software nicht zu einem zusätzlichen Anwendungshindernis wird. Excel wird in der gesamten WSV als Standard verwendet und ist darüber hinaus ein gängiges Programm, welches in vielen Unternehmen angewendet wird. Ergänzend zum Modulbaukasten kann das Entscheidungstool über die Homepage des Informationszentrum Wasserbau (IZW) für die gesamte WSV und deren Partner bereitgestellt werden. Mithilfe der Programmierung in Visual Basic, können alle notwendigen Arbeitsschritte über Makros und User Forms eingearbeitet werden, die zur voll-ständigen Anwendung des Entscheidungsprozesses des EUS erforderlich sind. Somit konnte ein Erstentwurf erstellt werden, der in Zukunft beliebig erweitert werden kann. Der Aufbau des Tools orientiert sich direkt am bereits angepassten Entscheidungsprozess. 4.4 Entwicklung eines Entscheidungsseminars Neben der Schulung der Anwender wurde dieses Seminar dazu eingesetzt, um den erarbeiteten Entscheidungsprozess sowie das EUS-Tool zu verifizieren und zu validieren. Das Entscheidungs-seminar besteht aus Theorie und Praxisteilen. Das Kern-stück bilden zwei Planspiele, die den Teilnehmern die Anwendung von CBA Methoden spielerisch näher-bringen sollen. Innerhalb dieser Planspiele werden die Zwei-Listen Methode sowie die Tabellenmethode anhand eines vereinfachten Beispiels vorgestellt. Das Beispiel hat bewusst nichts mit einer Schleuseninstand-setzung zu tun, damit sich die Teilnehmer auf den Entscheidungsprozess konzentrieren können. Kern der Planspiele ist es verschiedene Rollen ein-zunehmen und gemeinsam ein Entscheidungsproblem zu lösen. Im Fokus steht Familie Müller, die sich im ersten Planspiel zwischen einem Neubau und einem Bestandsbau als ihr neues Heim entscheiden muss. Im zweiten Planspiel ist die Entscheidung für einen Neubau gefallen und Familie Müller muss ein geeignetes Rohbauunternehmen für den Bau auswählen. Um diese Entscheidung zu treffen, wird eine abgewandelte Version des in Kapitel 4.3 beschriebenen EUS-Tools verwendet. Dadurch kann die Funktionalität des Tools anhand eines vereinfachten Beispiels getestet werden. Das Seminar wurde bereits mit vier Mitarbeitern des WNA Heidelberg durchgeführt, um ein direktes Feedback einzuholen. Bevor dies geschehen ist, wurden drei Pretests durchlaufen, um die Wirksamkeit des Seminars zu überprüfen. In einem ersten Pretest während der Entwicklungsphase wurde das Seminar online mit fünf Studierenden des KIT durchgeführt. Auf der Basis dieser Erkenntnisse konnte die Entwicklung des Seminars abgeschlossen werden. Um ein Feedback über den didaktischen Aufbau zu erhalten, wurde ein zweiter Pretest mit fünf Mitarbeitern des Instituts für Technologie und Management im Baubetrieb durchgeführt. Der dritte Pretest fand mit der Projekt-gruppe IuB der BAW statt. Hier konnte der Fokus auf die Umsetzung des Entscheidungsprozesses auf das konkrete Beispiel Instandsetzung unter Betrieb überprüft werden. Die gesammelten Erkenntnisse wurden dazu genutzt das Seminar sowie das EUS-Tool zu überarbeiten und damit zu verbessern. Neben einem mündlichen Feedback, wurde auch ein Feedbackbogen erstellt, der von den Teilnehmern ausgefüllt wurde. Dieser Feedbackbogen wurde sowohl von den Pretestteilnehmern sowie den Teilnehmern des WNA Heidelberg ausgefüllt. 5. Ausblick Die bisher erarbeiteten Ergebnisse stellen eine gute Grundlage dar, um auch in Zukunft das Thema Entscheidungsfindung im Bauwesen weiter voran-zutreiben. Ein theoretisches Grundgerüst wurde erarbeitet, welches bereits erfolgreich in eine erste Praxisanwendung umgesetzt wurde. Auf dieser Basis kann für das Projekt IuB ein Mehrwert generiert werden. Denn die Bereitstellung von Informationen ist zwar eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass fundierte Entscheidungen getroffen werden können, allerdings ist die Art und Weise mit Informationen umzugehen mindestens genauso entscheidend. Nur wenn fundierte Methoden der Entscheidungsfindung angewandt werden, ist ein erfolgreiches und transparentes Entscheiden möglich. Der erarbeitete Entscheidungsprozess hilft dabei, alle notwendigen Schritte zu beachten, um zu einer fundierten Entscheidung zu kommen. Das erarbeitete Tool kann innerhalb des Modulbaukastens zur Verfügung gestellt werden. Somit können Anwender vorab entscheiden, welche Instandsetzungsverfahren näher betrachtet werden sollen und welche zu einem frühen Zeitpunkt bereits ausgeschlossen werden können. Anzumerken ist jedoch, dass die Anwendung des EUS die sorgfältige Planung eines Projekts nicht ersetzt. Es dient ausschließlich als eine Hilfestellung, die es ermöglichen soll zu einer fundierten Entscheidung zu gelangen. Allerdings muss auch gesagt werden, dass unter-schiedlich geartete Entscheidungsprobleme unterschied-liche Entscheidungsmethoden erfordern. Der hier vor-gestellte Entscheidungsprozess ist auf die Lösung von komplexen Entscheidungsproblemen ausgelegt. Bei weniger komplexen Entscheidungen ist irgendwann der Punkt erreicht, bei dem die Anwendung des kompletten Entscheidungsprozesses zu aufwendig wird. Aus diesem Grund muss der Prozess der Entscheidungsfindung abgekürzt werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die relevanten Arbeitsschritte aus dem Entscheidungs-prozess weiterhin durchgeführt werden. Zum Beispiel sollte eine Entscheidung immer auf der Bedeutung von Vorteilen beruhen, um zu einer fundierten Entscheidung zu gelangen. Arbeitsschritte, wie die Erstellung eines Gesamtbedeutung-Kosten-Diagramms, sind nicht immer erforderlich und können dann durchgeführt werden, wenn die Kosten gezielt betrachtet werden sollen. 394 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Abschließend soll noch darauf eingegangen werden, welche Auswirkungen die Ergebnisse auf die Bau-industrie haben. Auffällig ist, dass die Thematik Entscheidungsfindung im Studium/ Ausbildung zum Bauingenieur oder anderen technischen Berufen keine Rolle spielt. Das Fachgebiet wird ausschließlich von Wirtschaftsingenieuren behandelt. Jedoch ist Methoden-kompetenz im Bereich Entscheidungstheorie etwas, das nicht ohne Hilfe erlernt werden kann. Im Laufe seines Lebens sammelt der Mensch Erfahrungen, auf deren Basis er Entscheidungsschemata entwickelt. So kommen oftmals die sogenannten Bauchentscheidungen zustande. Eine Bauchentscheidung ist prinzipiell nichts Schlechtes, dennoch steht der Entscheider vor dem Problem seine Entscheidung transparent zu begründen und damit für andere nachvollziehbar zu machen. Aussagen wie „Das haben wir schon immer so gemacht! “ hinterlassen oft einen faden Beigeschmack und sind wenig aussagekräftig. Vor allem in einer großen Organisation wie der WSV sind klar definierte Entscheidungsprozesse hilfreich, um die Arbeit eines jeden Einzelnen zu erleichtern und damit effektiver arbeiten zu können. Da nicht vorausgesetzt werden kann, dass Organisationen und Ingenieure diesen Schritt alleine gehen können, hat das Institut für Technologie und Management im Baubetrieb (TMB) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) sich diesem Thema angenommen, um dieses in Studium und Praxis voranzutreiben. Gezielt das Forschungsteam Mensch und Umwelt des TMB wird dieses Thema auch in Zukunft weiter vorantreiben. Als erste Maßnahme wurde im Wintersemester 2020/ 21 das in diesem Beitrag beschriebene Entscheidungsseminar modifiziert und im Modul Lean Construction durchgeführt. Somit sollen jungen Ingenieuren bereits erste Kompetenzen mitgegeben werden. Außerdem bestehen erste Anfragen aus der Praxis, wie Mitarbeiter ihre Entscheidungskompetenzen verbessern können. Hierzu wurde bereits ein modifiziertes Entscheidungsseminar erstellt, welches Entscheidungskompetenzen vermitteln soll. Dieses Seminar kann bedarfsgerecht ausgeweitet werden, um auch in Zukunft verschiedensten Ansprüchen gerecht zu werden. Literaturverzeichnis [1] Waleczko, D.; Haghsheno, S.; Westendarp, A.: Bewertung und Auswahl von Instandsetzungsverfahren für Schleusenkammerwände unter laufendem Betrieb, 6. Kolloquium „Erhaltung von Bauwerken“, Technische Akademie Esslingen, Ostfildern, Hrsg. Raupach, 2019 [2] Leicht, A.; Schmitz, M.; Westendarp, A.; Waleczko, D.: Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb mithilfe eines Modulbaukastens, 7. Kolloquium „Erhaltung von Bauwerken“, Technische Akademie Esslingen, Ostfildern, Hrsg. Raupach, 2021 [3] Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Neubau der Staustufe Obernau, https: / / www.staustufe-obernau.wsv.de/ Webs/ Projektsei te/ Staustufe-Obernau/ DE/ Staustufe-Obernau/ Stau stufe-Obernau_text.html (29.10.2020) [4] BMVI: 6. Bericht des BMVI an den Deutschen Bundestag zur Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV), Bonn, 2014, https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ WS/ wsv-reform-sechster-bericht.pdf? __blob=publica tionFile (24.10.2018) [5] BMVI: Verwaltungsvorschrift der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (VV- WSV) - Entwurfsaufstellung VV-WSV 2107, 2016, https: / / izw.baw.de/ publikationen/ vv-wsvbautechnik/ 0/ VV-WSV_2107_Entwurfsaufstel lung_06-2016.pdf (26.10.2018) [6] Suhr, J.: The Choosing by Advantages Decisionmaking System, Quorum Books, Westport/ London, 1999 [7] Steuernagel, J.; Molck, M.; Strack, M.: Teilprojekt B: Instandsetzung Schleuse Schwabenheim - Projektvorstellung, BAW-Kolloquium „Instandsetzung von Schleusen unter Betrieb“ Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe, 2017, https: / / izw.baw. de/ publikationen/ kolloquien/ 0/ GesamtTagungs b a n d _In s t a n d s e t z u n g-vo n- S c hl e u s e n-u n t e r- Betrieb_17und18Oktober_2017.pdf (12.10.2018); S. 15-24 [8] Laux, H.; Gillenkirch, R.; Schenk-Mathes, H.: Entscheidungstheorie, 9. Aufl., Springer Gabler, Berlin, 2014 [9] Hagenloch, T.: Grundzüge der Entscheidungslehre, 1. Aufl., Norderstedt: Books on Demand (Schriftenreihe des Kompetenzzentrums für Unternehmensentwicklung uns -beratung), 2009 [10] Beck, H.: Behavioral Economics - Eine Einführung, Springer Gabler, Wiesbaden, 2014 [11] Eisenführ, F.; Weber, M.; Langer, T.: Rationales Entscheiden, 5. Aufl., Springer, Berlin, 2010 [12] Waleczko, D.; Haghsheno, S.: Wirksamkeit von verhaltensökonomischen Phänomenen in der Bauindustrie, 30. BBB-Assistententreffen, 2019, file: / / / C: / Users/ cs0143/ AppData/ Local/ Temp/ 1000096954-2.pdf (30.10.2020); S. 304-318 [13] Bamberg, G.; Coenenberg, A.; Krapp, M.: Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre, 15. überarb. Aufl., Vahlen, München, 2012 [14] Kornmeier, M.: Wissenschaftstheorie und wissenschaftliches Arbeiten. Eine Einführung für Wirtschaftswissenschaftler, Physica-Verlag, Heidelberg, 2007 [15] Arroyo, P.: Exploring Decision-Making Methods for Sustainable Design in Commercial Buildings. University of California, Berkeley, 2014 [16] Ochs, C.: Multikriterielle Optimierung der Sanierungsplanung von Entwässerungsnetzen. 1. Aufl., 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 395 Ein digitales Entscheidungstool für die Auswahl von Instandsetzungsverfahren am Beispiel von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb Techn. Univ. Kaiserslautern, Fachgebiet Baubetrieb und Bauwirtschaft, Kaiserslautern, 2012 [17] Fornauf, L.: Entwicklung einer Methodik zur Bewertung von Strategien für das dynamische Straßenverkehrsmanagement. Technische Universität Darmstadt. Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, Darmstadt, 2015 [18] Wilkens, I.: Multikriterielle Analyse zur Nachhaltigkeitsbewertung von Energiesystemen - Von der Theorie zur praktischen Anwendung, Fakultät III - Prozesswissenschaften der Technischen Universität Berlin, Berlin, 2012 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 397 Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb mithilfe eines Modulbaukastens Anna Leicht, M.Sc. Bundesanstalt für Wasserbau Dipl-Ing. Marc Schmitz Bundesanstalt für Wasserbau Dipl.-Ing. Andreas Westendarp Bundesanstalt für Wasserbau Dominik Waleczko, M.Sc Institut für Technologie und Management im Baubetrieb (TMB), Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Zusammenfassung Die Instandsetzung von Einkammerschleusen stellt die Schifffahrtsverwaltung vor Herausforderungen, da solche Schleusenanlagen für den Zeitraum der Instandsetzungsmaßnahme bislang voll gesperrt werden müssen. Dies kann zur Folge haben, dass der Gütertransport aufgrund fehlender Ausweichmöglichkeiten über Wasserstraßen auf die Straße oder Schiene verlagert wird und auch nach der Wiederaufnahme des Schleusenbetriebs dort verbleibt. Eine Instandsetzung unter Betrieb (IuB) kann dieses Risiko mindern, da hier die Arbeiten innerhalb festgelegter Sperrzeiten stattfinden, während in den Zwischenzeiten der Schleusungsbetrieb durchgeführt werden kann. Für die Instandsetzung unter Betrieb geeignete Verfahren wurden von der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) in Zusammenarbeit mit dem Wasserstraßen-Neubauamt (WNA) Heidelberg und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in modularer Form („Modulbaukasten“) zusammengestellt. Dieser Modulbaukasten wird der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) als Bauherrn, aber auch beteiligten Planern und Bauunternehmen zur Verfügung stehen. 1. Einführung 1.1 Problemstellung Die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) ist als Betreiber der Bundeswasserstraßen für den Betrieb der Verkehrswasserbauwerke verantwortlich. Im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungs- (FuE) Projektes „Instandsetzung unter Betrieb“ wird untersucht, wie Schleusen unter Betrieb instandgesetzt werden können, ohne dass die Schifffahrt durch eine länger andauernde Sperrung vollständig unterbrochen werden muss. Bei zahlreichen Schleusenanlagen in Deutschland besteht aufgrund der Altersstruktur ein erheblicher Instandsetzungsbedarf. Für Grundinstandsetzungen werden bei konventionellem Vorgehen die entsprechenden Schleusenkammern für die Zeit der Arbeiten komplett gesperrt. Daraus folgt, dass bei der Instandsetzung von Einkammerschleusen die Wasserstraße im Bereich der Schleuse geschlossen werden muss. Um diese langfristigen Sperrungen einer Wasserstraße zu vermeiden, soll im Rahmen des o. g. FuE-Projektes untersucht werden, inwiefern sich Verfahren für eine Instandsetzung unter Betrieb eignen. Unter Betrieb bedeutet hier im Regelfall täglich abwechselnde Zeitfenster für Instandsetzung und Schleusenbetrieb. Dadurch soll eine Sicherstellung der Schifffahrt während der Bauzeit gewährleistet werden. Um einen Überblick über für IuB geeignete Verfahren zu geben, wurde ein Modulbaukasten erstellt, der Informationen zu geplanten und durchgeführten Baumaßnahmen enthält. 1.2 Zustand der Schleusen Die Altersstruktur der für das Projekt betrachteten Einkammerschleusen zeigt, dass ca. 55% der Schleusen bereits älter als 80 Jahre sind [1]. Das bedeutet, dass viele Anlagen aufgrund des hohen Alters an das Ende ihrer rechnerischen Nutzungsdauer kommen und dass bei vielen Anlagen großer Instandsetzungsbedarf besteht, damit die Wasserstraßen langfristig für den Güterverkehr nutzbar bleiben. Während bei Mehrkammerschleusenanla- 398 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb mithilfe eines Modulbaukastens gen beim Ausfall oder während der Instandsetzung einer Kammer zumeist auf die verbliebenden ausgewichen werden kann, ist bei einem Ausfall einer Einkammerschleuse die Wasserstraße in diesem Bereich nicht mehr schiffbar. Im Rahmen systematischer Bauwerksinspektionen wird der Zustand von Verkehrswasserbauwerken wie Schleusen in einem Sechsjahres-Rhythmus ermittelt, in Zustandsberichten dokumentiert und über Zustandsnoten klassifiziert. Die Zustandsnoten werden für einzelne Bauteile sowie die gesamte Schleuse ermittelt und von 1 bis 4 vergeben. Ermittelt werden die Noten aus den Schadensklassifizierungen. Die Schadensklassen sind in 4 Stufen eingeteilt, wobei bei der Stufe 4 die Tragfähigkeit und/ oder die Gebrauchstauglichkeit nicht mehr gegeben sind. In Stufe 3 ist die Tragfähigkeit und / oder die Gebrauchstauglichkeit noch gegeben, jedoch eingeschränkt. [2] Bei Betrachtung der Altersstatistik in Verbindung mit den Zustandsberichten fällt auf, dass ca. 75 % der Einkammerschleusen die Zustandsnote 3 oder schlechter besitzen [1]. In den Berichten werden Einzelnoten für die Konstruktion, den Stahlbau, die Ausrüstung und den Korrosionsschutz vergeben. Eine Instandsetzungsmaßnahme betrifft somit nicht ausschließlich den Massivbau, sondern kann auch andere Schleusenbauteile umfassen. Im Massivbaubereich stellen vor allem großflächige Schäden ein Problem dar, da hierfür längere Sperrungen notwendig sind. Aufgrund der unterschiedlichen Schadensbilder, den lokalen Randbedingungen und den Anforderungen an die Schleuse kommt eine große Auswahl an möglichen Instandsetzungsverfahren für die einzelnen Bauteile einer Schleuse in Frage. 1.3 Bedeutung für die Wirtschaft Die Wasserstraßen sind als Transportwege für Güter ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Eine möglichst kontinuierliche Verfügbarkeit von Schleusenanlagen an staugeregelten Flüssen und Kanälen kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Der Ausfall der Schleuse einer Einkammeranlage bedeutet, dass die Wasserstraße für einen unbestimmten Zeitraum in diesem Bereich nicht passierbar ist. Hinzu kommt, dass Umfahrungen der gesperrten Schleuse über andere Wasserstraßen in der Regel lange Umwege nach sich ziehen, die den Transport teurer werden lassen. Zudem kann nicht immer auf andere Wasserstraßen ausgewichen werden, was dazu führt, dass Güter in diesem Bereich über die Schiene oder meist über die Straßen transportiert werden. Für die Wirtschaft, die zunehmend „Just-in-Time“ arbeitet, sind planbare Transportwege notwendig, um die Produktionsketten einhalten zu können. Bei Baumaßnahmen mit Schleusensperrungen besteht immer das Risiko, dass nach Wiedernutzbarkeit der Schleuse nicht alle Transporte auf die Wasserstraße zurückverlagert werden. Oftmals wird in solchen Situationen aufgrund der vorhandenen infrastrukturellen Anbindung der Häfen als Alternative auf die Straße ausgewichen, ausreichende Schienenverbindungen als Alternative sind vielfach nicht vorhanden. Besonders unter den Bestrebungen, die CO 2 -Emissionen zu reduzieren, ist eine solche Verlagerung von Gütertransport kritisch zu sehen. 1.4 Instandsetzung unter Betrieb Eine Instandsetzung unter Betrieb beinhaltet eine Schleuseninstandsetzung unter weiter stattfindendem Schleusenbetrieb. Um den Betrieb zu ermöglichen, werden Zeitfenster eingeführt, in denen abwechselnd gearbeitet bzw. geschleust werden kann. Zusätzlich können ggf. eine begrenzte Anzahl von Wochenendsperrungen sowie begrenzt mehrwöchige Sperrungen vorgesehen werden. Die vorgenannten Zeitfenster müssen in Abhängigkeit der jeweiligen objektspezifischen Randbedingungen variabel gehalten werden. Für das Projekt IuB wurden die täglichen Zeitfenster in einem ersten Ansatz zu 12 Stunden und die mehrwöchigen Sperrungen zu 6 Wochen festgelegt. Das heißt, dass die meisten der Arbeiten innerhalb der 12-stündigen Zeitfenster erfolgen müssen. Dabei wird davon ausgegangen, dass das (teilweise) Trockenlegen und anschließende Füllen der Kammer ca. vier Stunden dauert, sodass acht Stunden Arbeitszeit zur Verfügung stehen. Das Lichtraumprofil muss außerhalb der Arbeitsschichten weitestgehend frei bleiben, sodass Schleusungen während der Betriebszeit ohne erhöhtes Unfallrisiko durchgeführt werden können. Während die Schiffe in den Schifffahrtszeiten vor rausragenden Gegenständen (z. B. Gerüste, Anker oder Bewehrungsstäbe) geschützt werden müssen, muss die Baumaßnahme gegen Schiffsanfahrt gesichert werden. Während der Abbrucharbeiten muss darauf geachtet werden, dass die Sohle nach Abschluss einer Schicht frei von Abbruchgut ist, um die Abladetiefe der Schleuse nicht zu verringern. Betonierte Flächen müssen soweit ausgeschalt werden, dass die Schalung bzw. die Unterstützungskonstruktion das Lichtraumprofil nicht unzulässig einschränken. Vor diesem Hintergrund müssen entsprechend schnell abbindende Betone mit hoher Standfestigkeit zum Einsatz kommen, damit die anstehenden Lasten u.a. durch den wechselnden Wasserstand während der Schleusungen aufgenommen werden können. Zu den Arbeiten, die innerhalb längerer Sperrpausen durchgeführt werden müssen, zählen beispielsweise der Toraustausch oder andere aufwändige Arbeiten wie die Vorarbeiten für eine temporäre Trockenlegung einzelner Schleusenabschnitte. Allgemein ist zu beachten, dass eine Instandsetzung unter Betrieb im Regelfall länger als eine konventionelle Instandsetzung dauert. Während bei konventionellen Grundinstandsetzung einer Schleuse in der Planung von einer Bauzeit von etwa zwei Jahren ausgegangen werden kann, erhöht sich diese bei IuB-Maßnahmen aufgrund der geringeren Arbeitszeit pro Tag auf ca. drei Jahre. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 399 Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb mithilfe eines Modulbaukastens Eine Instandsetzung unter Betrieb kann grundsätzlich auch bei Zweikammerschleusen sinnvoll sein, um sicherzustellen, dass die Schleusenanlage bei Ausfall der nicht in der Instandsetzung befindlichen Kammer beispielsweise durch Unfall, Versagen wichtiger Bauteile oder unvorhersehbare Behinderungen nicht komplett gesperrt werden muss und der Schiffsverkehr weitergeführt werden kann. Des Weiteren bietet sich IuB für stark frequentierte Schleusen an, bei denen eine Kammer nicht ausreichende Kapazitäten für das vorhandene Verkehrsaufkommen bietet. Die Qualität einer unter Betrieb durchgeführten Instandsetzungsmaßnahme darf sich im Hinblick auf die Nutzbarkeit und Nutzungsdauer der Schleusenkammer nicht von einer konventionell durchgeführten Instandsetzungsmaßnahme unterscheiden. IuB-Maßnahmen sollten deshalb, wenn eben möglich nicht unter Wasser, sondern in temporär trockengelegten Bauwerksbereichen durchgeführt werden. 1.5 Auswahlkriterien Die Wahl eines Instandsetzungsverfahrens ist von mehreren Faktoren abhängig. Zum einen vom Bauteil selbst. Dazu zählen z. B. die Lage des Bauteils und die Bauteil- und Materialeigenschaften. Zum anderen spielen die lokalen Umgebungsbedingungen eine große Rolle, da von möglichen Aufstell- und Lagerflächen die Wahl des einsetzbaren Geräts abhängig sein kann. Für die Wahl eines geeigneten Verfahrens muss dieses auf die typischen Vorgehens- und Funktionsweisen, die Eignung hinsichtlich der vorherrschenden Randbedingungen und die Anforderungen an das Bauwerk bzw. Bauteil untersucht werden. 1.6 Erfahrungen In der Vergangenheit wurde eine Instandsetzung unter Betrieb teilweise oder vollständig an den Schleusen Feudenheim, Wedtlenstedt und Rahe durchgeführt. Ein Toraustausch innerhalb kurzer Sperrzeiten wurde bereits vom WSA Brandenburg und vom WSA Schweinfurt durchgeführt. In Feudenheim wurde ein Kammerwandblock durch eine Spritzbetonvorsatzschale instandgesetzt. An der Schleuse in Wedtlenstedt wurden aufgrund eines AKR-Schadens die Planie und die oberen 3 m der Kammerwände unter Betrieb instandgesetzt. Die nicht zur WSV, sondern zum Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz gehörende Schleuse Rahe wurde mit Fertigteilen unter Betrieb komplett erneuert und verlängert. [3] 2. Modulbaukasten 2.1 Zielgruppe Der im Nachfolgenden vorgestellte Modulbaukasten [3] ist im Wesentlichen für die Instandsetzung von Schleusen unter Betrieb gedacht und als eine Datenbank dafür geeigneter Instandsetzungsverfahren zu betrachten. Als potenzielle Nutzer werden vor allem die Wasserstraßen- und Schifffahrtsämter sowie Planungsbüros gesehen. Aber auch ausführende Firmen sollen den Modulbaukasten mit bestimmten urheberrechtlichen Einschränkungen verwenden können und somit einen Überblick über vorfügbare geeignete Verfahren erhalten. Zudem soll auf diese Weise ein Daten- und Wissensaustausch über bereits geplante und/ oder durchgeführte Maßnahmen vereinfacht werden. 2.2 Aufbau des Modulbaukastens Der Modulbaukasten beinhaltet Verfahrensbeschreibungen zu einzelnen Arbeitsschritten wie beispielsweise Betonabtrag oder Reprofilierung. Exemplarisch als Verfahren genannt seien hier Fräsen und Hochdruckwasserstrahlen für den Betonabtrag. Der Modulbaukasten beinhaltet Dokumente in drei unterschiedlichen Detaillierungsgraden und ist so aufgebaut, dass der Nutzer sich je nach Bedarf immer weiter in die Thematik einarbeiten kann. Auf oberster Stufe stehen sogenannte Steckbriefe, welche einen Überblick über die einzelnen Verfahren geben. Hier finden sich allgemeine Informationen wie beispielsweise eine Kurzbeschreibung des Verfahrens und dessen Anwendungsmöglichkeiten und Einschränkungen. Daneben werden Informationen zu den technischen, baubetrieblichen und wirtschaftlichen Randbedingungen aufgeführt. Am Ende jedes Steckbriefs ist eine Auflistung der für die Erstellung des Steckbriefs verwendeten Informationen und Unterlagen sowie deren Bearbeitungstiefe zu finden. Die Bearbeitungstiefen gehen hierbei von I. Grundsätzliche Machbarkeit / Vorplanung über II. Entwurfsplanung, III. Genehmigungsplanung, IV. Bauteilversuche / Mock Up bis zu V. Ausführung. In der Auflistung der Unterlagen sind Verweise auf die beiden weiteren Stufen des Modulbaukastens vorzufinden. Zum einen auf die Erläuterungsberichte und zum anderen auf die Originaldokumente selbst. Die Erläuterungsdokumente sind Zusammenfassungen der Originaldokumente mit Bezug auf das jeweilige Verfahren. Dadurch soll die Möglichkeit gegeben werden, tiefergehende Informationen über ein Bauvorhaben oder eine durchgeführte Instandsetzungsmaßnahme zu erhalten, ohne die ausführlichen Originaldokumente lesen zu müssen. Die Originaldokumente enthalten meist die vollständige Beschreibung einer Maßnahme oder einer Machbarkeitsstudie mit Angaben zu allen Arbeitsschritten. Die 400 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb mithilfe eines Modulbaukastens Dokumente beinhalten überwiegend nationale Projekte, umfassen jedoch auch Beispiele aus dem internationalen Raum. Sie sind in Form von Kolloquiumsbeiträgen, Machbarkeitsstudien, Erfahrungsberichten oder ähnlichen vorhanden. Die Benutzung des Modulbaukastens erfolgt zunächst durch die Wahl des gesuchten Moduls (z. B. temporäre Trockenlegung, Betonabtrag oder Reprofilierung). Danach wird der Nutzer auf die für IuB geeigneten Verfahren geleitet. Innerhalb der Verfahren stehen auf der obersten Stufe die Steckbriefe mit Informationen, die einen Vergleich von Verfahrensarten ermöglichen sollen. Bei tieferem Interesse an einem Verfahren kann im Anschluss auf die entsprechenden Erläuterungsdokumente zugegriffen werden. Bis zu dieser Ebene ist der Modulbaukasten allgemein verfügbar. Der Zugriff auf die Originaldokumente kann, soweit sie nicht sowieso allgemein zugänglich sind, nur WSV-intern erfolgen. 2.3 nhalt des Modulbaukastens Im folgenden Abschnitt soll genauer auf die Module und ihre Inhalte eingegangen werden. Es ist zu beachten, dass alle aufgeführten Verfahren stets unter dem Aspekt der Eignung für IuB beschrieben und bewertet sind. Dazu zählt die Einhaltung der 12-h-Arbeitszeitfenster bzw. der möglichen längeren Sperrpausen sowie eine anschließende Wiederaufnahme des Schifffahrtsbetriebs. Die möglichen Verfahren für eine Instandsetzungsmaßnahme sind im Modulbaukasten nach den Arbeitsschritten (Modulen) geordnet. Diese umfassen dabei Arbeitsschritte von der Trockenlegung einer Schleuse, über die Reprofilierung bis zur Erneuerung der Schleusenausrüstung und Vergabeverfahren. Derzeit besteht der Modulbaukasten aus 12 Modulen. Das erste beinhaltet die Partielle Trockenlegung einer Schleusenkammer. Durch eine partielle Trockenlegung soll die Möglichkeit gegeben werden, Arbeiten im Trockenen ausführen zu können, ohne die ganze Schleusenammer trockenlegen zu müssen. Hierfür kann die Kammer in Teilbereiche eingeteilt werden, sodass in Abhängigkeit des Verfahrens mit unterschiedlichen Verschlüssen Kammerbereiche einzeln trockengelegt werden können. Da hierdurch die benötigte Trockenlegungszeit geringer wird als bei einer Trockenlegung der ganzen Kammer, kann die gesparte Zeit innerhalb des Zeitfensters für die Arbeiten verwendet werden. Auf die Trockenlegung folgt ein Überblick über Abtragsverfahren. Da die Abtragstiefe von dem Reprofilierungsverfahren abhängig ist, werden diese im anschließenden Modul Reprofilierung aufgeführt. Diese Zusammenstellung beinhaltet Vorgehen, die großflächige Reprofilierungen beinhalten. Verfahren für eine lokale Instandsetzung sind gesondert im gleichnamigen Modul aufgeführt. Weitere Module im Hinblick auf die Instandsetzung des Massivbaus sind „Fugen“ und „Schleusenausrüstung“. Da bei einer Instandsetzung einer Schleusenkammer oft auch der Stahlwasserbau ausgetauscht wird, werden entsprechende Verfahren in einem eigenen Modul vorgestellt. Auch hier sollen die möglichen Sperrzeiten nicht überschritten werden, wobei aufgrund der Komplexität des Einbaus im Regelfall auf längere Sperrpausen von maximal 6 Wochen zurückgegriffen werden muss. Das letzte baupraktische Modul beinhaltet Verfahren für eine Verlängerung von Schleusenkammern unter Betrieb. Zusätzlich zu den Modulen, die sich mit den Arbeiten einer Instandsetzung beschäftigen, wurde ein Modul zum Thema Vergabe angelegt. 3. Zusammenfassung, Ausblick Die Möglichkeit, Einkammerschleusenanlagen unter Betrieb, also ohne langandauernde Unterbrechung der Schifffahrt instand zu setzen, ist für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes neben Ersatzneubau und konventioneller Instandsetzung ein wichtiger Baustein, um flexibel auf den gegebenen Instandsetzungsbedarf der Wasserstraßeninfrastruktur in Deutschland reagieren zu können. Mit dem in diesem Beitrag beschriebenen Modulbaukasten werden entsprechende Informationen zu Bauweisen und Bauverfahren für Betreiber, Planer und bauausführende Firmen in modularer Form verfügbar gemacht. Der Modulbaukasten wird über das Infozentrum Wasserbau (IZW) erreichbar sein. Die Arbeit am Modulbaukasten soll kontinuierlich weitergeführt werden, Module und Verfahren sollen ergänzt und vertieft werden. Für die Akzeptanz in der Praxis ist hierbei von besonderer Bedeutung, dass die einzelnen Verfahren hinsichtlich der Bearbeitungstiefe möglichst bis zur Ausführung, zumindest aber bis auf das Niveau Bauteilversuch gebracht werden. Vor diesem Hintergrund werden die BAW und das WNA Heidelberg in Zusammenarbeit mit dem KIT für ausgewählte Betonabtrags- und Reprofilierungsverfahren Probemaßnahmen an einer außer Betrieb genommenen Schleuse durchführen. Neben dem nationalen Kenntnisstand soll auch der internationale Stand im Modulbaukasten in Zukunft stärker dargestellt werden. Hierfür wurde für einen Austausch Kontakt mit Baufirmen bzw. Betreibern in Schweden und in Frankreich aufgenommen. Die Maßnahme in Frankreich beinhaltete eine Schleusenverlängerung durch Einschwimmen eines neuen Schleusenhauptes bei einer Schifffahrtsunterbrechung von lediglich 10 Tagen. In Schweden wird eine Schleuse verbreitert und die Häupter erneuert. Der Häupteraustausch soll innerhalb kurzer Sperrzeiten durchgeführt werden. Zusätzlich zu den baubetrieblichen Fragestellungen sollen auch die rechtlichen Aspekte bei der Übergabe der Schleuse zwischen den Baubzw. Schleusungszeitfenstern betrachtet werden. Zudem wird untersucht, wie Kammern instandgesetzt werden können, wenn die lokalen Begebenheiten so beschränkt sind, dass (so gut wie) keine Außenflächen nutz- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 401 Instandsetzung von Schleusenanlagen unter laufendem Betrieb mithilfe eines Modulbaukastens bar sind. In diesem Fall sollen alle Arbeiten von einem Ponton aus erfolgen. 4. Quellen [1] WSVPruf, Stand Oktober 2020 [2] BAWMerkblatt Schadensklassifizierung an Verkehrswasserbauwerken (MSV), 2015 [3] Modulbaukasten BAW, Stand Oktober 2020 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 403 Druck- und Zugfestigkeit massiver Wasserbauwerke im Bestand - Hintergründe zu Festlegungen im BAWMerkblatt TbW Frank Spörel Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Zusammenfassung Das Durchschnittsalter von Wehren und Schleusen an Bundeswasserstraßen beträgt über 80 Jahre. Bei vielen dieser Bauwerke steht eine Tragfähigkeitsbewertung an. Die Bauwerke weisen aufgrund der sehr gedrungenen Querschnitte und der großen Bauteildicken Besonderheiten auf, die bei Anwendung aktueller Bemessungsgleichungen zur Tragfähigkeit zu sehr konservativen Ergebnissen führen. Das BAWMerkblatt „Bewertung der Tragfähigkeit bestehender massiver Wasserbauwerke (TbW)“ enthält u.a. einen Ansatz, der unter bestimmten Randbedingungen eine Bewertung der Tragfähigkeit ohne Betonuntersuchungen anhand von auf der sicheren Seite liegenden charakteristischen Kennwerte zu Druck- und Zugfestigkeit ermöglicht. Basis dieser tabellierten Werte sind die in der BAW in den letzten Jahrzehnten an zahlreichen Bauwerken durchgeführten Bohrkernuntersuchungen. Im Ergebnis waren die in DIN EN 1992-1-1: 2011-01 enthaltenen Zusammenhänge zwischen Druck- und Zugfestigkeit nicht unbedingt auf alte Bauwerke übertragbar. Die Herleitung der tabellierten Kennwerte wird an Hand der Auswertung der vorhandenen großen Datenbasis erläutert. 1. Einleitung Die Tragfähigkeitsbewertung bestehender Bauwerke nach aktuellem Regelwerk ist oft mit Schwierigkeiten verbunden. Die Konstruktionsmethoden und sehr großen Querschnitte entsprechen oft nicht mehr den heutigen Vorgehensweisen. Da keine entsprechend an diese Besonderheiten angepasste Regelwerke vorlagen, wurde das BAWMerkblatt zur Bewertung der Tragfähigkeit bestehender massiver Wasserbauwerke (TbW) entwickelt [1, 2]. Die Betoneigenschaften sind die Grundlage für die Bewertung der Tragfähigkeit bestehender Wasserbauwerke. Sie können über Bohrkernuntersuchungen oder über vorhandene Bauwerksunterlagen ermittelt bzw. abgeschätzt werden. Umfangreiche Auswertungen zahlreicher Bohrkernuntersuchungen an bestehenden Wasserbauwerken ermöglichten einen Eindruck hinsichtlich der Festigkeitseigenschaften von etwa in den letzten hundert Jahren erstellten Wasserbauwerken. Diese Untersuchungen waren die Grundlage für die Erarbeitung von Festlegungen zu Betoneigenschaften in [1] für den Fall, dass eine Bewertung auf Grundlage von Bauwerksunterlagen durchgeführt werden kann. Die Hintergründe zu diesen Festlegungen werden im vorliegenden Beitrag erläutert. 2. Druck- und Zugfestigkeit 2.1 Zusammenhänge in Regelwerken Neben der Druckfestigkeit ist die Zugfestigkeit ein wichtiger Parameter. Da die Bestimmung der axialen Zugfestigkeit eine sehr komplexe Prüfung darstellt, wird sie oft auf Basis der charakteristischen Druckfestigkeit f ck berechnet. Die Berechnung des Mittelwerts f ctm sowie des 5-% (f ctk,0,05 ) und 95-%-Fraktilwertes (f ctk,0,95 ) (Gleichung (1) bis (3)) kann DIN EN 1992-1-1: 2011-01 [3] entnommen werden. f ctm = 0,30 *f ck (2/ 3) (1) f ctk,0,05 = 0,7*f ctm (2) f ctk,0,95 = 1,3*f ctm (3) Diese Gleichungen beziehen sich auf wasssergelagerte zylindrische Prüfkörper für die Druckfestigkeit mit einem Verhältnis von Höhe zu Durchmesser (h/ d) von 2,0. Sie können auf eine Literaturauswertung sowie Untersuchungen von Betonprüfkörpern im Alter von 28 d aus dem Jahr 1969 zurückgeführt werden [4]. Ausnahme ist der Austausch der ursprünglich in der Gleichung 1 enthaltenen mittleren Druckfestigkeit durch die charakteristische Druckfestigkeit. Die Hintergründe dazu konnten nicht in Erfahrung gebracht werden. Eine ausführlichere Betrachtung der Zusammenhänge und Abweichungen von den ursprünglichen Untersuchungen kann [5] entnommen werden. 404 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Druck- und Zugfestigkeit massiver Wasserbauwerke im Bestand - Hintergründe zu Festlegungen im BAWMerkblatt TbW 2.2 Bewertung bestehender Bauwerke Bei bestehenden Bauwerken weichen die Betoneigenschaften von denen von Laborprüfkörpern im Alter von 28 Tagen ab. Da die Bewertung bestehender Bauwerke zunehmend wichtiger wird, haben sich die Aktivitäten hinsichtlich der Bestimmung der Eigenschaften bestehender Bauwerke ausgeweitet. Die entsprechenden Methoden wurden zusammengefasst und Regelwerke zur Bewertung bestehender Bauwerke erarbeitet [6, 7, 8, 9]. Da Laborprüfungen die Grundlage für Gleichung 1 sind, repräsentiert die Gleichung die Zugfestigkeit von Laborprüfkörpern und nicht die Bauwerkszugfestigkeit. Aktuelle Untersuchungen legen dar, dass Gleichung 1 auch für bestehende Bauwerke angewendet werden kann [7]. Für Anwendungsfällen mit einer besonderen Bedeutsamkeit der Zugfestigkeit wird dennoch die gesonderte Bestimmung der Zugfestigkeit empfohlen. 3. Analyse von Bohrkernprüfungen an Wasserbauwerken 3.1 Zielsetzung der Analyse Die Wasserstraßen und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) ist für 317 Schleusen und 256 Wehre zuständig [10]. Das Alter der Bauwerke variiert in großen Bandbreiten, teilweise über 100 Jahre. Bei der Begutachtung von Betoneigenschaften dieser Wasserbauwerke durch die BAW in den letzten etwa 30 bis 40 Jahren wurde beobachtet, dass die Zugfestigkeit oft niedriger war als nach Gleichung 1 und 2 erwartet. Aus diesem Grund erfolgte eine umfassende Auswertung, um systematische Zusammenhänge in Erfahrung zu bringen. Die Ergebnisse dieser Auswertungen sind die Grundlage für die in den Tabellen 3 und 4 im BAW Merkblatt TbW [1] genannten Zugfestigkeiten. Deren Herleitung wird im Folgenden erläutert. 3.2 Datenaufbereitung Die Festigkeitswerte müssen für vergleichende Betrachtungen auf einheitliche Formate und Lagerungsbedingungen transferiert werden. Die Umrechnung der Zugfestigkeit f ct aus der Spaltzugfestigkeit f ct,sp erfolgte entsprechend [3] gemäß Gleichung 4. f ct =0,9 * f ct,sp (4) Die Druckfestigkeit wird von der Prüfkörpergeometrie und den Lagerungsbedingungen beeinflusst. Die maßgebende Prüfkörperrandbedingungen nach [3] sind nassgelagerte zylindrische Prüfkörper mit einem Verhältnis h/ d von 2,0. Je nach vorliegendem Prüfkörperformat im Rahmen der Begutachtungen erfolgte eine Umrechnung der Druckfestigkeitskennwerte auf die Referenzprüfkörper nach Gleichung 5 und 6. f c , 2,0 =f c , 1,0 *0,82 (5) f c,2,0 Druckfestigkeit, h/ d= 2,0 f c,1,0 Druckfestigkeit, h/ d= 1,0 f c , wet =f c , dry *0,92 (6) f c,wet Druckfestigkeit, nass gelagerte Prüfkörper f c,dry Druckfestigkeit, Prüfkörperlagerung 20/ 65 Neben den Mittelwerten wurden bei der Auswertung auch die Standardabweichung und der Variationskoeffizient bestimmt. Die charakteristischen Kennwerte zur Druck- und Zugfestigkeit wurden auf Basis einer log- Normalverteilung und eines Vertrauensniveaus von 95 % entsprechend Gleichung 7 [1] bestimmt. X k =exp(m y -k n *s y ) (7) m y =1/ n * ∑ln(x i ) s y =√1/ (n-1)*∑(ln(x i )-m y ) 2 k n nach Tabelle 1 Tabelle 1: k n , in Abhängigkeit der Prüfkörperanzahl n [1] n 3 4 5 6 7 8 10 15 20 50 100 200 500 k n 6,36 4,65 3,94 3,54 3,28 3,10 2,86 2,54 2,38 2,06 1,93 1,84 1,76 3.3 Druck- und Zugfestigkeit in Abhängigkeit von der Bauzeit Bild 1 fasst die mittlere Druckfestigkeit f cm , welche über Bohrkernuntersuchungen an zahlreichen Bauwerken mit Bauzeiten in den letzten etwa 130 Jahren bestimmt wurden, zusammen. Jeder Datenpunkt stellt ein Bauwerk oder Bauteil wie z. B. Kammerwand, Bauwerkssohle, Wehrpfeiler o. ä. dar. Bild 2 stellt die gleichen Zusammenhänge für die entsprechend Gleichung 4 bestimmte Zugfestigkeit f ct dar. Bild 1: Druckfestigkeit f cm an Wasserbauwerken [5] 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 405 Druck- und Zugfestigkeit massiver Wasserbauwerke im Bestand - Hintergründe zu Festlegungen im BAWMerkblatt TbW Bild 2: Zugfestigkeit f ctm an Wasserbauwerken [5] Die Bilder zeigen neben der zeitlichen Entwicklung der Festigkeit die große Streuung der Eigenschaften. Es ist ersichtlich, dass ein Großteil der Bauwerke Festigkeiten aufweisen, welche nicht durch die Druckfestigkeitsklassen nach [3] abgedeckt werden. 3.4 Statistische Kennwerte der Festigkeitseigenschaften Der in DIN EN 1992-1-1 für die Druckfestigkeit indirekt hinterlegte Variationskoeffizient kann aus den Gleichung 8 abgeleitet werden. Sie legt nach [3] den Zusammenhang zwischen mittlerer (f cm ) und charakteristischer (f ck) Druckfestigkeit fest. f cm = f ck + 8 (8) Unter Annahme einer Normalverteilung der Druckfestigkeit kann die charakteristische Druckfestigkeit grundsätzlich nach Gleichung 9 abgeleitet werden. f ck = f cm - 1,645*σ c (9) Durch Gleichsetzen ergibt sich eine konstante Standardabweichung σ c =4,86 N/ mm². Der Variationskoeffizient COV c für die Druckfestigkeit kann unter Ansatz der Standardabweichung von 4,86 N/ mm² nach Gleichung 10 abgeleitet werden. COV c = 4,86/ f cm (10) Umfangreiche Auswertungen zur Standardabweichung der Druckfestigkeit von Laborprüfkörpern wurden von Rüsch et.al. [11] durchgeführt. Die dort ermittelten Zusammenhänge und diejenigen nach DIN EN 1992-1-1 sind in Bild 3 und 4 zusammen mit den an den Bauwerken ermittelten Kennwerten dargestellt. Bild 3: Standard Abweichung der Druckfestigkeit [5] Beide Ansätze zeigen für Zylinderdruckfestigkeiten von mehr als etwa 30 N/ mm² vergleichbare Werte sowie mit abnehmender Festigkeit deutlich steigende Variationskoeffizienten. Neben der grundsätzlichen Abbildung der Bauwerksdaten wird aber auch die sehr hohe Streuung ersichtlich. Insgesamt liegen die Variationskoeffizienten an den Bauwerken jedoch höher. Dies ist nachvollziehbar, da bei den Bauwerksproben, im Gegensatz zu den auf Laborprüfkörpern beruhenden Ansätzen nach Rüsch et. al. [11] und DIN EN 1992-1-1 [3], auch Einflüsse aus der Betonverarbeitung, der Hydratationswärmeentwicklung der massigen Bauteile und der Exposition im Laufe der bisherigen Nutzungsdauer einfließen. Zum Einfluss der Hydratationswärmeentwicklung auf die Festigkeitsentwicklung enthält [12] weiterführende Hintergrundinformationen. Bild 4: Variationskoeffizient der Druckfestigkeit [5] Die gleichen Betrachtungen wie zur Druckfestigkeit können auch für die Zugfestigkeit angestellt werden. Bei Annahme, dass f ctk,0,05 das 5%-Quantil einer Normalverteilung darstellt, ergibt sich Gleichung 11. f ctk,0,05 = f ctm - 1,645*σ ct (11) Ein Gleichsetzen mit Gleichung 2 ergibt für die Standardabweichung der Zugfestigkeit σ ct den Zusammen- 406 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Druck- und Zugfestigkeit massiver Wasserbauwerke im Bestand - Hintergründe zu Festlegungen im BAWMerkblatt TbW hang nach Gleichung 12 und daraus den Variationskoeffizienten COV ct , (Gleichung 13) welcher somit in den Ansätzen in DIN EN 1992-1-1 enthalten ist. σ ct =0,182*f ctm (12) σ ct / f ctm = COV ct = 0,182 (13) Die Gleichungen 10 und 13 zeigen, dass in DIN EN 1992-1-1 [3] von unterschiedlichen Abhängigkeiten beim Variationskoeffizienten der Druck- und Zugfestigkeit ausgegangen wird. Während die Zusammenhänge für die Druckfestigkeit von Rüsch et. al. [11] herausgearbeitet wurden, konnten die Hintergründe für den davon abweichenden Ansatz bei der Zugfestigkeit in einer Literatursichtung nicht nachvollzogen werden. In [13] wurde eine ähnliche Größenordnung des Variationskoeffizienten beobachtet. Die Bilder 6 und 7 enthalten einen Abgleich der Ansätze aus DIN EN 1992-1-1 mit den Daten der Bohrkernuntersuchungen. Die Zugfestigkeit am Bauwerk wurde entsprechend Gleichung 4 abgeleitet. Bild 5: Standardabweichung der Zugfestigkeit [5] Bild 6: Variationskoeffizient der Zugfestigkeit [5] Die Daten zeigen, dass beide Kenngrößen von der mittleren Zugfestigkeit abhängen. Mit steigender Zugfestigkeit steigt die Standardabweichung und der Variationskoeffizient sinkt. Der Variationskoeffizient der Druck- und Zugfestigkeit liegt in vergleichbaren Größenordnungen, wie auch von [13] beobachtet. Besonders für niedrige Festigkeiten unterschätzen die Ansätze aus DIN EN 1992-1-1 die an den Bauwerken vorliegenden Variationskoeffizienten. Dies fällt bei der Zugfestigkeit deutlicher als bei der Druckfestigkeit aus. Die unterschiedlichen in DIN EN 1992-1-1 angesetzten Zusammenhänge der Standardabweichung und des Variationskoeffizienten der Druckbzw. Zugfestigkeiten lassen erwarten, dass eine Anwendung auf Bauwerksuntersuchungen unzureichend sein kann. Da die Standardabweichung und der Variationskoeffizient Einfluss auf die charakteristischen Werte f ck und f ctk hat, weisen die am Bauwerk ermittelten Kennwerte darauf hin, dass eine Berechnung der Zugfestigkeit aus der Druckfestigkeit nach den Gleichungen 1 bis 3 nicht empfehlenswert erscheint. Weiterführende Auswertungen von Bauwerksproben in [5] weisen zusätzlich darauf hin, dass der Umrechnungsfaktor zur Berücksichtigung des Prüfkörpereinflusses auf die Druckfestigkeit gemäß Gleichung 5 bei Bohrkernen deutlich abweichen kann. Die übliche Prüfung von Bohrkernprüfkörpern mit einem Verhältnis h/ d=1,0 würde demnach zu einer Überschätzung der tatsächlichen Druckfestigkeit führen, wenn die Prüfwerte mit Gleichung 5 auf den Referenzprüfkörper umgerechnet werden. Weitere Details können [5] entnommen werden. 3.5 Charakteristische Festigkeitswerte 3.5.5 Anforderungen und Annahmen Neben den erwähnten Umrechnungsfaktoren weichen die Festigkeitswerte von Bohrkernen und Laborprüfkörpern voneinander ab. Dies wird in [7] ausführlich beschrieben. Die Ursprungsuntersuchungen weisen auf eine Abhängigkeit zur Festigkeit selbst hin [14]. Der große Streubereich wird in [12] dargelegt. Neben diesen Einflüssen und denen der Prüfkörperformate und Lagerungsbedingungen übt die Wahl des statistischen Verfahrens zur Bestimmung charakteristischer Werte einen weitern Einfluss aus. Beispiele verschiedener Methoden können [1, 15-18] entnommen werden. 3.5.5 Druck- und Zugfestigkeit Die Bilder 7 und 8 zeigen die nach Gleichung 7 ausgewertete charakteristische Druck- und Zugfestigkeit auf Basis der Bohrkernprüfungen. Sie liegt niedriger als der in DIN EN 1992-1-1 dargestellte Ansatz. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 407 Druck- und Zugfestigkeit massiver Wasserbauwerke im Bestand - Hintergründe zu Festlegungen im BAWMerkblatt TbW Bild 7: Korrelation zwischen f cm und f ck nach [3] und Gleichung 7 [5] Bild 8: Korrelation zwischen f ctm and f ctk nach [3] und Gleichung 7 [5] Vor dem Hintergrund der oft hohen Variationskoeffizienten und des höheren Vertrauensniveau, als näherungsweise in DIN EN 1990 indirekt hinterlegt, scheint dies nachvollziehbar. Die Auswertungen bestätigen, dass die Abschätzung der charakteristischen Festigkeit nach den Gleichungen 2 und 8 gemäß DIN EN 1992-1-1 auf Basis der Mittelwerte für die bestehenden Bauwerke auf der unsicheren Seite liegen. Bei Auswertung der Bauwerksprüfwerte mit dem Ansatz nach DIN EN 1990 [21] ergeben sich erwartungsgemäß höhere charakteristische Werte und es findet eine Angleichung statt. Die Mehrzahl der Bauwerksprüfwerte wird aber auch hier überschätzt (Bild 9). Bild 9: Korrelation zwischen f cm and f ck nach [3] und bei Auswertung der Prüfwerte mit dem Ansatz nach DIN EN 1990 zur Bestimmung von f ck [5] 3.6 Korrelation zwischen Druck- und Zugfestigkeit Ziel der Auswertungen war eine Überprüfung, ob die Gleichungen 1 und 2 auch auf bestehende massive Wasserbauwerke angewendet werden können. Bild 10 zeigt die Korrelation zwischen der mittleren Druck- und Zugfestigkeit sowie die in DIN EN 1992-1-1 [3] hinterlegten Korrelationen, die auf den Gleichungen 1 und 8 basieren. Zusätzlich sind die nach Heilmann [4] ermittelten Korrelationen eingefügt, da diese tatsächlich auf Mittelwerten basieren und die ursprüngliche Basis des Ansatzes aus DIN EN 1992-1-1 darstellen. Bild 10: Korrelation zwischen f cm und f ctm [5] Der Ansatz nach DIN EN 1992 deckt etwa den Mittelwert der Daten ab. Der Ansatz nach Heilmann deckt zusätzlich auch den oberen Streubereich der Daten ab, der untere Streubereich wird jedoch nicht erfasst. Bei Betrachtung der charakteristischen Werte spielen darüber hinaus auch die Variationskoeffizienten der Druck- und Zugfestigkeit sowie die verwendeten statistischen Auswerteverfahren eine große Rolle. Der aus Gleichung 1 und 2 resultierende Zusammenhang von charakteristi- 408 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Druck- und Zugfestigkeit massiver Wasserbauwerke im Bestand - Hintergründe zu Festlegungen im BAWMerkblatt TbW scher Zug- und Druckfestigkeit nach DIN EN 1992-1-1 ist in Bild 11 dargestellt. Ergänzend sind die Daten der Bohrkernuntersuchungen angegeben. In den meisten Fällen überschätzt der Ansatz nach DIN EN 1992-1-1 die auf Prüfwerten basierende charakteristische Zugfestigkeit. Bild 11: Korrelation zwischen f ck und f ctk Da dies eine für statische Betrachtungen auf der unsicheren Seite liegende Festlegung wäre, wurde auf Basis der tatsächlich vorliegenden Prüfdaten der aus Bild 11 hervorgehende Zusammenhang abgeleitet, welcher den Großteil der tatsächlich vorhandenen Prüfwerte auf der sicheren Seite liegend abdeckt (Gleichung 14). f ctk,is = 0,10 *f ck,is (2/ 3) (14) 3.7 Anwendung im BAWMerkblatt TbW Das BAW Merkblatt TbW bietet in der Stufe A die Möglichkeit, unter bestimmten Randbedingungen die Betoneigenschaften auf Basis von Bauwerksunterlagen abzuschätzen. Diesen Unterlagen können beispielsweise Informationen über das Jahr der Bauwerkserstellung und die damals angesetzten Festigkeitsklassen des Betons enthalten. Die aus den alten Festigkeitsklassen auf heutige Randbedingungen abgeleiteten charakteristischen Druckfestigkeiten sind in [6] dargestellt und wurden auch in das BAWMerkblatt TbW übernommen. In [6] wird jedoch die Zugfestigkeit auf Basis der Ansätze in DIN EN 1992-1-1 abgeleitet. Die Erfahrungen an Wasserbauwerken, die im Gegensatz zu DIN EN 1992-1-1 auf einer großen Anzahl von tatsächlichen Prüfwerten beruht, hat jedoch, wie zuvor dargestellt, deutliche Abweichungen gezeigt. Für eine Bewertung der Tragfähigkeit auf Basis von Bauwerksunterlagen ist aber eine konservative Abschätzung geboten. Dies ist mit den Ansätzen in DIN EN 1992-1-1 jedoch nicht gegeben. Aus diesem Grund wurden die im BAWMerkblatt TbW in den Tabellen 3 und 4 enthaltenen und für die statischen Betrachtungen anzusetzenden charakteristischen Zugfestigkeiten auf Basis von Gleichung 14 abgeleitet. 4. Zusammenfassung Für die Tragfähigkeitsbewertung bestehender Bauwerke ist die Kenntnis der Betondruck- und der Betonzugfestigkeit eine grundlegende Voraussetzung. Die Zugfestigkeit wird häufig in Regelwerken auf Basis der Druckfestigkeit berechnet. Die Basis der dort hinterlegten Zusammenhänge bilden Untersuchungen an Laborprüfkörpern, welche in den 1960er Jahren durchgeführt wurden. Die Anwendbarkeit dieser Zusammenhänge auf die Bewertung bestehender massiver Wasserbauwerke wurde auf Basis von zahlreichen realen Prüfwerten an Bohrkernen überprüft. Aufgrund von Abweichungen dieser Prüfwerte von den Ansätzen im Regelwerk der DIN EN 1992-1-1, welche auf der unsicheren Seite liegen, wurde ein neuer Ansatz für bestehende Wasserbauwerke abgeleitet. Die Ergebnisse und Hintergründe für diesen Baustein zur Bewertung der Tragfähigkeit bestehender massiver Wasserbauwerke im BAWMerkblatt Tbw werden dargestellt und erläutert. Literatur [1] Bundesanstalt für Wasserbau (Hg.) (2016): BAW- Merkblatt Bewertung der Tragfähigkeit bestehender, massiver Wasserbauwerke (TbW). Karlsruhe: Bundesanstalt für Wasserbau (BAW-Merkblätter, -Empfehlungen und -Richtlinien). [2] Fleischer, H.; Kunz, C.; Ehmann, R.; Spörel, F. (2016): Neues BAW-Merkblatt zur Bewertung der Tragfähigkeit bestehender massiver Verkehrswasserbauten In: Bautechnik 93, (12), S. 907-911 [3] DIN EN 1992-1-1: 2011-01: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken - Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau; Deutsche Fassung EN 1992-1-1: 2004 + AC: 2010. [4] Heilmann, H.G. (1969): Beziehungen zwischen Zug- und Druckfestigkeit des Betons. In: Beton 19 (2), S. 68-70 [5] Spörel, F. (2018): Assessment of the in situ compressive and tensile strength of existing massive hydraulic structures. In: Alexander, M. G.; Beushausen, H.; Dehn, F.; Moyo, P.(Hg.): International Conference on Concrete Repair, Rehabilitation and Retrofitting (ICCRRR2018), Cape Town, South Africa, November 19-21, 2018. MATEC Web of Conferences. LesUlis Cedex A: EDP Sciences. S. 1-8. https: / / doi.org/ 10.1051/ matecconf/ 201819906014 zuletzt geprüft am 29.10.2020 [6] Schnell, J.; Zilch, K.; Dunkelberg, D.; Weber, M. (2016): Sachstandbericht Bauen im Bestand - Teil I: Mechanische Kennwerte historischer Betone, Betonstähle und Spannstähle für die Nachrechnung von bestehenden Bauwerken. DAfStb-Heft 616 [7] Brauer, N. et. al. (2017): Sachstandbericht Bauen im Bestand - Teil II: Bestimmung charakteris- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 409 Druck- und Zugfestigkeit massiver Wasserbauwerke im Bestand - Hintergründe zu Festlegungen im BAWMerkblatt TbW tischer Betondruckfestigkeiten und abgeleiteter Kenngrößen im Bestand. DAfStb-Heft 619 [8] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand, BMBS Berlin/ Bonn (2011) [9] DBV Merkblatt Bewertung der In-situ-Druckfestigkeit von Beton Deutscher Beton- und Bautechnikverein (DBV), 2016 [10] Bödefeld, J.; Kloé, K. (2013): Management system for infrastructures at waterways. In: Proceedings of the Third International Symposium on Life-Cycle Civil Engineering (IALCCE’12) [11] Rüsch, H. et. al. (1969): Statistische Analyse der Betonfestigkeit. DAfStb-Heft 207 [12] The Concrete Society (2004): In situ strength of concrete. An investigation into the relationship between core strength and standard cube strength. Project Report No. 3 [13] F. S. Rostásy, E.-H. Ranisch (1990): Altersabhängige Beziehung zwischen der Druck- und Zugfestigkeit von Beton im Bauwerk - Bauwerkszugfestigkeit. DAfStb-Heft 408 [14] Petersons, N. (1968): Should standard cube test specimens be replaced by test specimens taken from structures. In: Materials und Structures, 5, S. 425-435 [15] DIN 1048-4: Prüfverfahren für Beton Bestimmung der Druckfestigkeit von Festbeton in Bauwerken und Bauteilen Anwendung von Bezugsgeraden und Auswertung mit besonderen Verfahren. (1991) [16] DIN EN 13791: 2008-05: Bewertung der Druckfestigkeit von Beton in Bauwerken und in Bauwerksteilen; Deutsche Fassung EN 13791: 2007 [17] DIN EN 1990: 2010-12: Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung; Deutsche Fassung EN 1990: 2002 + A1: 2005 + A1: 2005/ AC: 2010 [18] DIN EN 13791: 2020-02: Bewertung der Druckfestigkeit von Beton in Bauwerken und in Bauwerksteilen; Deutsche Fassung EN 13791: 2019 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 411 Sanierung Kulturwehr Breisach und Möhlinwehr Peter Gültner Regierungspräsidium Freiburg, Abteilung Umwelt, Referat 53.3 Integriertes Rheinprogramm, Freiburg, Deutschland Zusammenfassung Wasserwirtschaftlich genutzte Anlagen werden für eine Nutzungsdauer von bis zu 90 Jahren und mehr ausgelegt. Aufgrund der übergeordneten Bedeutung dieser Anlagen kommt der betrieblichen Instandhaltung dabei eine wesentliche Rolle zu. Wird aufgrund des baulichen Zustandes eine Sanierung erforderlich, stellt insbesondere die Aufrechterhaltung des Betriebs während der Sanierungsmaßnahme eine besondere Herausforderung an das Sanierungskonzept. Am Kulturwehr Breisach und Möhlinwehr wurden in einer Zeitspanne von zwei Jahren umfangreiche Instandsetzungsarbeiten am Massivbau unter Aufrechterhaltung des Betriebs ausgeführt. Ziel dieser Arbeiten war die präventive Instandhaltung der Anlagen und die nachhaltige Entwicklung eines Überwachungs- und Instandhaltungskonzepts bei der weiteren Unterhaltung. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen, die ausführungsparallel zur ursprünglichen Schadensaufnahme, projektparallel und im Rahmen der Bauwerksinspektion fortgeführt wurden und werden, kann die Nachhaltigkeit der Sanierungsmaßnahme belegt werden. Abb. 1: Übersichtsbild Kulturwehr Breisach (oben) Ansicht eines Wehrfeldes (unten links) und aus Sicht des Unterwassers (unten rechts) [1] 412 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierung Kulturwehr Breisach und Möhlinwehr 1. Hintergrund Infolge des Oberrheinausbaus zwischen Märkt und Breisach zur Energieerzeugung Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Wasserführung im ursprünglich nach Plänen von Johann Gottfried Tulla entwickeltem Rheinbett außerhalb der Hochwasserführung im Rhein stark reduziert. Die Folge war, dass die Grundwasserstände im Binnenland zusätzlich um bis zu zwei Meter absanken und so die Nutzung der bisherigen land- und forstwirtschaftlichen Nutz- und Kulturflächen bedroht war. Um diese Entwicklung zu stoppen und wieder rückgängig zu machen, beschlossen Frankreich und Deutschland als Anrainerstaaten im Oberrheinvertrag von 1956 u. a. den Bau des Kulturwehres Breisach. Die Bundesrepublik Deutschland baute, vertreten durch die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, von 1961 bis 1965 das Kulturwehr Breisach samt seiner Nebenanlagen, zu denen auch das Möhlinwehr gehört. Bis heute stützt der rund 5,50 m hohe Dauerstau des Kulturwehres Breisach die Grundwasserstände und trägt so zum Erhalt der angrenzenden Kulturflächen bei. Auf diese landeskulturelle Aufgabenstellung geht auch der Name “Kulturwehr” zurück. Im Jahr 2001 wurde das Kulturwehr Breisach mit seinen Nebenanlagen, um die Anlagen im Rahmen des Integrierten Rheinprogramms des Landes Baden-Württemberg gezielt zum Hochwasserrückhalt einzusetzen, vom Land übernommen. In diesem Zuge wurde auch ein Sanierungs- und Instandhaltungskonzept der nahezu 40 Jahre alten Anlagen erstellt. Die Sanierung des Massivbaus zur präventiven Bauwerksinstandhaltung war, neben der Grundsanierung des Stahlwasserbaus, der hydraulischen Antriebe und der Elektro- und Leittechnik, ein Teil dieses Sanierungskonzepts, das dann im Zuge des Landesinvestitionsprogramm in den Jahren 2010/ 2011 bauausgeführt wurde. Sanierungsgegenständlichen waren der luftseitige Beton im Innen- und Außenbereich des Kulturwehres Breisach sowie des Möhlinwehres. Abb. 2: Einbau der Colcrete-Sohle am linken Ufer (links); Betonagevorbereitung im Wehrfeld (rechts) [2] 2. Bestandsbeschreibung Das Kulturwehr Breisach wurde als Sektorwehr konzipiert und gebaut. Damit geht einher, dass der Tief- und Massivbauanteil vergleichsweise groß ist und hohe Anforderungen stellt. Bautechnisch wurde abschnittsweise zunächst eine wasserundurchlässige Unterwasserbetonsohle, die mit Mörtelverpresspfählen rückverankert wurde, auf der vorprofilierten Flusssohle im Colcrete-Verfahren und innerhalb von Spundwandkästen hergestellt. Im Anschluss erfolgte nach dem Lenzen der Baugrube die Herstellung des Massivbaus in herkömmlicher Weise. Die wesentlichen Bestandsparameter der massivbaulichen Bauwerksgruppen sind: Baujahr: 1963 - 1963 Belastungsklasse: 5 bis 10 kN/ m² Bauteillängen: 16 bis 160 m Bauteilbreiten: 4 bis 27 m Blockbauweise/ -breite: ja/ 15 m Einzelstützweiten: 3,40 bis 4,40 m Kleinste lichte Höhe: 2,10 m Konstruktionshöhe: 0,30 m bis 0,55 m (Decken) Wandstärken: 0,80 m bis 2,40 m Gründung: Flachgründung Betongüte: B 225 mit 250 kg HOZ und 30 kg Trass je m³ Beton Stahlgüte: Bt IIIa, I Das Möhlinwehr wurde als Drucksegment mit separater Wehrbrücke geplant und unter Umleitung der Möhlin als Nebenfluss des Rheins gebaut. Die wesentlichen Bestandsparameter der massivbaulichen Bauwerksgruppen sind: Baujahr: 1961 Bauwerks-/ Belastungsklasse: 30/ 30 nach DIN 1072 Bauteillängen: bis 57 m Bauteilbreiten: bis 18 m Blockbauweise/ -breite: ja/ 15 m 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 413 Sanierung Kulturwehr Breisach und Möhlinwehr Einzelstützweiten: 3,40 bis 4,40 m Kleinste lichte Höhe: ca. 8 m Konstruktionshöhe: nicht erforderlich Wandstärken: 0,80 m bis 1 m Gründung: Flachgründung Betongüte: B 300 nach DIN 1045 bis 1972 mit 250 kg HOZ und 30 kg Trass je m³ Beton Stahlgüte: BSt 43/ 50 nach DIN 488 Da das Hauptaugenmerk auf der Instandsetzung wasserbaulicher Massivbauwerke liegt, bleibt an dieser Stelle die gleichfalls instandgesetzte Wehrbrücke unberücksichtigt. 3. Bauwerkszustands- und Schadenserfassung Am Kulturwehr Breisach und Möhlinwehr wurden der Bauwerkszustand detailliert auf Grundlage des BAW- Merkblatts „Bauwerksinspektionen für Wehranlagen“ und den einschlägigen Normen erfasst. Um einstufen zu können, ob auch konstruktive Verstärkungs- oder Sicherungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Sanierung vorzunehmen sind, erfolgte eine Nachrechnung der jeweiligen Bestandsstatiken zum Nachweis der globalen Standsicherheit. Diese ergab, dass bei beiden Anlagen keine Bedenken hinsichtlich der globalen Standsicherheit bestehen, sodass das Sanierungskonzept sich ausschließlich auf die Schadensbehebung der vorhandenen und festgestellten Mängel am Massivbau beschränken konnte. Abb.3: Beispielhafte Verpressungen vorangegangener Instandsetzungsversuche (oben links) Alle Schadensbilder der Schadensklassen S1 bis S4 sind überwiegend auf alters- und betriebsbedingte Abnutzungs- und Verschleißerscheinungen sowie bauzeitlich bedingte Mängel zurückzuführen. Dies waren überwiegend mangelhafte Fugenausbildungen und -unterhaltung, Wasserwegigkeiten infolge Kiesnester sowie punktuelle Betonabplatzungen infolge korrodierter Bewehrung. Schadensbilder infolge Wasserwegigkeiten und mangelnder Fugeninstandhaltung (unten links und rechts) [3] Im Weiteren wurden betontechnologische Untersuchungen zur Schadenserfassung und späteren Schadensklassifizierung auf Grundlage zerstörungsfreier Betonfestigkeitsprüfungen sowie Bohrkernentnahmen samt deren Prüfung durchgeführt. Diese umfassten • Druckfestigkeitsprüfung, • Messung der Carbonatisierungstiefe, • Oberflächenhaftzugfestigkeit (Abreißfestigkeit), • Chloridgehaltmessungen (ortsgebunden) und • Sulfatgehaltmessungen (ortsgebunden) und wurden zusätzlich durch Kontrollen der Bewehrungslage und der Betondeckung, die auf die anforderungsbedingten 50 mm Betondeckung abstellten, ergänzt. Grundsätzlich ergaben die Untersuchungen der Druckfestigkeits- und Betondeckungsuntersuchung, dass keine zusätzlichen konstruktiven Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen erforderlich sind. Allerdings lagen die Carbonatisierungsstiefen bereits bei durchschnittlich 30 mm, sodass die Bewehrung zwar noch in der Passivierungs- 414 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierung Kulturwehr Breisach und Möhlinwehr schicht lag, aber hinsichtlich der Dauerhaftigkeit grundsätzlich als kritisch anzusehen war. Entsprechendes galt für die Oberflächenhaftzugfestigkeiten, die eine Schädigung der obersten Millimeter der Betonoberfläche ergab, sodass diese im Vorfeld der Sanierung aus Gründen des Kraftschlusses unabhängig der schlussendlich gewählten Sanierungs- oder Instandsetzungsmethode abgetragen werden musste. Die Ergebnisse der Chlorid- und Sulfatmessungen ergaben keine kritischen Werte entsprechend der „Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“ des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton. Basierend auf den Ergebnissen wurde eine punktuelle Ausbesserung der aufgetretenen Schäden sowie flächige Maßnahmen zum „Einfrieren“ der Carbonatisierungsfront am luftberührten Beton vorgesehen, um so massivere Folgeschäden, die durch Korrosionssprengungen bedingt wären, zu vermeiden. Um dieses Schutzziel zu erreichen, wurde das grundsätzliche Abdichten der Wasserwegigkeiten und die Applikation entsprechender Schutz- und Sperrschichten sowie die Herstellung des Sollzustandes der Wartungsfugen vorgesehen. Gleichzeitig waren Optimierungen der zukünftigen Unterhaltung der Anlagen vorgesehen. 4. Sanierungskonzept Neben der Definition des dargestellten Schutzziels war bei der Wahl des Sanierungskonzepts insbesondere die grundsätzliche Machbarkeit der Bauausführung maßgebend. Vorgegebene Zwangspunkte waren, dass der Betrieb des Kulturwehres Breisach samt seiner Nebenanlagen jederzeit sichergestellt sein musste und, dass die vorhandene Zugänglichkeiten, die infolge der Abmessungen der lichten Raumweiten beschränkt waren, limitierenden wirkten. Nach DIN 19700-13 sind Wehranlagen so zu bemessen und zu betreiben, dass der Bemessungshochwasserzufluss durch das Wehr auch bei Ausfall eines Wehrfeldes jederzeit abgeführt werden kann. Diese sogenannte (n-1)- Bedingung hatte zur Folge, dass während der Sanierung immer nur abschnitts- und wehrfeldweise vorgegangen werden konnte, sodass von den vier Wehrfeldern am Kulturwehr Breisach nur ein Wehrfeld deaktiviert werden konnte. Das Möhlinwehr als solches hatte solche Beschränkungen nicht, da es nur über ein Wehrfeld verfügt. Allerdings musste die Sanierung daher so erfolgen, dass trotzt laufenden Bauarbeiten, das außer Betrieb befindliche Wehr während der Sanierungsmaßnahme jederzeit wieder zur Hochwasserabfuhr aktiviert werden konnte. Abb. 4: Arbeitsborbereitung und Durchführung der Verpressarbeiten im Kulturwehr Breisach [4] 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 415 Sanierung Kulturwehr Breisach und Möhlinwehr Abb. 5: Strahl-, Applikations- und Fertigstellungsarbeiten im unterirdischen Kontrollgang [4] Neben diesen bauablaufbedingten Beschränkungen, die sowohl im Innenals auch Außenbereich des luftberührten Betons zu berücksichtigen waren, galt es die nutzbaren Arbeitsräume, die teilweise unter einem Meter lagen, zu berücksichtigen. Wie ausgeführt, bedingten die vorhandenen Oberflächenhaftzugfestigkeiten einen Abtrag der oberen Schichten. Im Innenbereich war, aus Gründen der Arbeitssicherheit, der abrasive Oberflächenabtrag mittels Höchstwasserdruckstrahlen nach Abstimmung mit den zuständigen Stellen aufgrund der verfügbaren lichten Arbeitsbereiche, nicht zugelassen, sodass nur die Untergrundvorbehandlung mittels Trockenstrahlverfahren verblieb. Hier sind die erzielbaren Eindringtiefen jedoch stark beschränkt, sodass das finale Oberflächenschutzsystem hierauf abzustimmen war. Im Außenbereich, wo diese räumlichen Beschränkungen nicht bestehen, stellten Umweltschutzauflagen bei Arbeiten im und am Gewässer umfangreiche Auflagen an den Gerüstbau. Schlussendlich kamen kunststoffmodifizierte Systeme zum Einsatz. Dabei wurde neben Bauteilbeschaffenheit - Boden, Wand und Decke - nach Schadens- und Anforderungsmerkmalen unterschieden. Im Außenbereich wurde entsprechend verfahren. So kamen im Inneren dampfdiffusionsoffene Systeme sowie Systeme der Klasse OS 5b und 8 zum Einsatz. Im Außenbereich kamen auf den Verkehrsflächen OS 11 und an den lotrechten Bauteilen ein mehrlagiger Aufbau aus SPCC zur Anwendung. 4.1 Kulturwehr Breisach Im Innenbereich wurden wasserführende Bereiche mittels wasserreaktiven Produkten vorabgedichtet und nachhaltig verpresst. Anschließend erfolgte die Sanierung der Arbeits- und Wartungsfugen sowie die oberflächennahe Applikation der Oberflächenschutzsysteme nach erfolgter Untergrundvorbereitung. Im Außenbereich erfolgte die Sanierung unter Vorgaben der Hochwasserabfuhr mittels Gerüstsonderkonstruktionen und nach Abtrag der obersten Zementschlämme durch Auftrag der Betonersatzstoffe. 416 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sanierung Kulturwehr Breisach und Möhlinwehr Abb. 6: Sanierungsphasen im Außenbereich an einem der Strompfeiler [4] 4.2 Möhlinwehr Am Möhlinwehr gelten grundsätzlich die bereits gemachten Ausführungen, die denen des Außenbereichs am Kulturwehr Breisach entsprechen. Wesentliches Augenmerk war daher auf die Sanierung eines Wehrverschlusses gelegt, der keine (n-1)-Bedingung erfüllen kann, weil nur ein einziges Wehrfeld vorhanden ist. Für den Hochwasserfall mussten daher gezielte Vorkehrungen zur schadlosen Hochwasserabfuhr getroffen werden. Diese haben sich im einjährigen Sanierungsablauf dreifach bewährt, sodass am Ende eine Sanierungsmaßnahme erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Abb. 7: Sanierung des Möhlinwehres vor und nach Sanierungsabschluss [4] 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 417 Sanierung Kulturwehr Breisach und Möhlinwehr 5. Zwischenresümee Nach Abschluss der Sanierungsarbeiten kann ein positives Resümee gezogen werden. Die allein am Kulturwehr Breisach ersetzten 100 Tonnen Bauwerksmaterial durch moderne Betonersatz- und -schutzstoffe haben ein nachhaltiges Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Baufirma - Torkret NL Freiburg - Fachplaner Fichtner Freiburg - und Bauherrn - Regierungspräsidium Freiburg - ermöglicht. So wurden Wasserwegigkeiten, deren Unterbrechung ein zentrales Schutzziel war, erfolgreich und nachhaltig reduziert bzw. gänzlich gestoppt. Gleiches gilt für das Aufhalten der Carbonatisierungsfront, wie turnusmäßige Messungen belegen. Damit konnten die Voraussetzungen zur Vermeidung von Bewehrungskorrosion geschaffen werden. Für das Möhlinwehr gilt entsprechendes. Weitere Details zur Sanierungsplanung, -durchführung und Produktauswahl werden im dazugehörigen Vortrag vorgestellt. Bildnachweis [1] Regierungspräsidium Freiburg, 2014 [2] Wasser- und Schifffahrtsamt Freiburg, 1961 ff [3] Regierungspräsidium Freiburg, 2009 bis 2011 [4] Fichtner, Water und Transportation, Freiburg 2009 bis 2011 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 419 Erfahrungen bei der Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigte Anlegerbrücke in der Nordsee Lars Wolff, Michael Bruns Ingenieurbüro Raupach Bruns Wolff, Aachen, Deutschland Zusammenfassung Die Umschlaganlage Voslapper Groden in Wilhelmshaven ist ein Tiefwasseranleger für den Umschlag von chemischen Produkten. Errichtet wurde die Anlage in den Jahren 1979 bis 1980. Der etwa 2,1 km lange Anleger besteht aus einer 1,3 km langen Transportbrücke zwischen Deich und Anlegerabzweig sowie einer etwa 800 m langen Anlegerbrücke. Die auf Stahlpfählen aufgelagerte Konstruktion besteht aus Stahl- und Spannbetonfertigteilen mit einer Spannweite von bis zu 35 m. Infolge der Exposition im Meerwasser zeigen die Stahlbeton- und Spannbetonbauteile verschiedene, komplexe Schadensbilder, die eine umfangreiche Instandsetzung des Bauwerks erfordern. So weisen eine Vielzahl der Bauteile ausgeprägte Schäden in Form von Rissen und großflächigen Hohllagen infolge Alkali-Kieselsäure-Reaktion (AKR) auf. Weiterhin haben aus dem Meerwasser stammende Chloride bereits großflächig zu Bewehrungskorrosion geführt. Die beiden für sich gesehen getrennt ablaufenden Schädigungsmechanismen überlagern sich im vorliegenden Fall, so dass im Zuge einer Instandsetzung der betreffenden Stahl- und Spannbetonbauteile beide Schädigungsmechanismen berücksichtigt werden mussten. Im Zuge einer Pilotinstandsetzung in den Jahren 2010 und 2011 wurden erste Teile der Umschlaganlage durch Kombination verschiedener Instandsetzungsprinzipien, u.a. durch Anwendung des Prinzips des kathodischen Korrosionsschutzes (KKS) instandgesetzt. Im Jahr 2019 erfolgten erneut Untersuchungen an den beiden in den Jahren 2010 und 2011 instandgesetzten Bauteilen der Umschlaganlage. Im Zuge dieser Untersuchungen konnten keine neuen Schäden an den instandgesetzten Bauteilen festgestellt werden. Basierend auf diesen Erfahrungen wurde im Jahr 2020 mit der Instandsetzung weiterer Bauteile der Umschlaganlage begonnen. 1. Einleitung Die Umschlaganlage Voslapper Groden in Wilhelmshaven ist ein Tiefwasseranleger für den Umschlag von chemischen Produkten. Errichtet wurde die Anlage zwischen 1979 und 1980. Die etwa 2,1 km lange Konstruktion besteht aus einer 1,3 km langen Transportbrücke zwischen Deich und Abzweigbauwerk sowie einer etwa 800 m langen Verbindungsbrücke, welche zu den drei Anlegerbauwerken führt. Die Transportbrücke wiederum besteht aus zwei getrennten parallel verlaufenden Brücken, der Zufahrts- und der Montagebrücke. Die auf Stahlpfählen aufgelagerte Konstruktion besteht aus Stahl- und Spannbetonfertigteilen mit einer Spannweite von bis zu 35 m. Die Gründung erfolgte auf eingerammten Stahlpfählen mit einem Pfahlkopf aus Stahlbeton. Auf diesem Pfahlkopf liegt ein Jochbalken auf, der den Pfahlkopf (im Fall der Verbindungsbrücke) oder die beiden Pfahlköpfe (im Fall der Transportbrücke) ringförmig umschließt. Im Fall der Transportbrücke weisen die Joche einen aufgelösten Querschnitt auf, d.h. zwischen den beiden Pfahlköpfen befindet sich ein nach unten offener kastenförmiger Querschnitt, siehe auch Bild 12. Auf den Jochen liegen die Spannbeton-Überbauteile der Zufahrts-, Montage- und Verbindungsbrücke sowie die Unterkonstruktionen für die Medienleitungen für die Versorgung der naheliegenden chemischen Produktionsanlagen auf. Bild 1 gibt einen Eindruck von der Größe und Konstruktion der Umschlaganlage. 420 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erfahrungen bei der Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigte Anlegerbrücke in der Nordsee Bild 1: Umschlaganlage Voslapper Groden, Luftbild (oben, Quelle: Niedersachsen Ports GmbH & Co. KG) und Blick vom Deich auf die Transportbrücke mit Zufahrtsbrücke (rechts im Bild) und Montagebrücke (links im Bild) sowie im Hintergrund die Verbindungsbrücke (unten) Infolge der Exposition im Meerwasser zeigen die Stahlbeton- und Spannbetonbauteile verschiedene komplexe Schadensbilder, die eine umfangreiche Instandsetzung des Bauwerks erfordern. So weisen eine Vielzahl der Bauteile ausgeprägte Rissbilder auf, die u.a. auf Treiberscheinungen des Betons hindeuten. Infolge der unterschiedlichen Konstruktion und Belastung der einzelnen Bauteile, z.B. der Vorspannung des Überbaus, ist die Ausprägung dieser Rissbilder bauteilbezogen jedoch höchst unterschiedlich. Des Weiteren zeigen die Stahl- und Spannbetonbauteile deutlich erhöhte Chloridgehalte sowie eine z.T. bereits fortgeschrittene Bewehrungskorrosion. Infolge der exponierten Lage im Meerwasser und der komplexen, sich z.T. überlagernden Schadensbilder sind die klassischen Instandsetzungsprinzipien, z.B. nach [12], nicht oder nur bedingt anwendbar. 2. Vorgehensweise bei den Bauwerksuntersuchungen Sowohl aufgrund der Größe des Bauwerks mit einer Gesamtlänge von 2,1 km, der unterschiedlichen Konstruktion der Transport- und Verbindungsbrücke, des dazwischen liegenden Abzweigbauwerks und der Anlegerbauwerke sowie der deutlich dreistelligen Gesamtanzahl an Stahl- und Spannbetonfertigteilen ist der Ist-Zustand eines derartigen Bauwerkes nur mit einem abgestuften Untersuchungsprogramm sinnvoll zu erfassen. Erschwerend kommt hinzu, dass einzelne Bauteile, dazu zählen beispielsweise die Innenseiten der Joche der Transportbrücke zwischen den beiden Pfahlköpfen oder die Anlegerbauwerke, nicht mit einem Brückenuntersichtgerät, sondern nur mit Hilfe sehr aufwändiger Hängegerüste vollflächig untersucht werden können. Bei widrigen Witterungsbedingungen mit starkem Wind und hohem Wellengang besteht hier stets die Gefahr, dass Teile des Gerüstes durch Wellenschlag zerstört werden, so dass derartige Untersuchungen nur in Jahreszeiten mit einer geringen Sturmwahrscheinlichkeit durchgeführt werden können. Zur Untersuchung des Ist-Zustandes der Umschlaganlage Voslapper Groden als Basis für die Erarbeitung von Instandsetzungskonzepten wurde ein abgestuftes Untersuchungsprogramm erarbeitet. Hierbei wurden bestimmte Bauteilgruppen, dazu zählen beispielsweise die Joche als Unterkonstruktion, sehr ausführlich untersucht, während andere Bauteilgruppen exemplarisch untersucht wurden und der Zustand nur visuell untersuchter Bauteile anhand der umfassend untersuchten Bauteile abgeschätzt wurde. In einem ersten Schritt erfolgten zunächst intensive Begehungen der Umschlaganlage, sowohl auf der Oberseite, als auch mittels der unterhalb der Zufahrts- und Verbindungsbrücke verlaufenden Kontrollgänge, siehe Bild 2 links. Durch eine Befahrung mittels Schiff, welche unmittelbar unter der Brücke aufgrund der starken Gezeitenströmung nur in einem engen Zeitfenster von etwa einer Stunde bei Hoch- oder bei Niedrigwasser durchgeführt werden kann, konnte zudem ein Eindruck vom Zustand der Untersicht der Joche, der Anlegerbauwerke oder des Abzweigbauwerks zwischen Transport- und Verbindungsbrücke gewonnen werden, siehe auch Bild 2 unten. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 421 Erfahrungen bei der Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigte Anlegerbrücke in der Nordsee Bild 2: Beispiel für den unterhalb der Brücken verlaufenden Kontrollgang (oben), Ansicht einer der Anlegerplattformen vom Schiff aus (unten) Nach dieser Begehung wurden für ein erstes fünftägiges Untersuchungsprogramm insgesamt vier Joche der Transport- und Verbindungsbrücke ausgesucht, die mittels Hängegerüst handnah untersucht werden konnten. Bei diesen Jochen war von außen visuell erkennbar ein unterschiedlich stark ausgeprägtes Schadensbild vorhanden. Ergänzend wurden stichpunktartig direkt zugängliche Bauteile, wie z.B. die auflagernahen Bereiche einzelner Spannbeton-Überbauteile sowie kleine Teilflächen der Anlegerbauwerke untersucht. Ein wesentlicher Schwerpunkt dieser Untersuchungen war der Nachweis einer AKR u.a. mit den in diesem Beitrag beschriebenen Bauwerks- und Laboruntersuchungen. Auch wurde in Teilflächen eine Potentialfeldmessung mit ergänzender Bestimmung von Chloridtiefenprofilen und Inspektionsöffnungen durchgeführt. Parallel erfolgte eine Auswertung der vorliegenden Unterlagen, wie z.B. den Bautagebüchern, Informationen bzw. Eignungsprüfungen zu den in der Bauzeit verwendeten Baustoffen, Ergebnissen aus Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 [15] sowie bereits erfolgter Instandsetzungsmaßnahmen einzelner Bauteile. Vor allem die detaillierte Auswertung der vorliegenden Ergebnisse aus Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 [15] erlaubte eine Bewertung der bisherigen Schadensentwicklung, z.B. die Zunahme von Rissen bei einzelnen Bauteilgruppen. Auch konnte anhand der Bautagebücher sowie des visuell bei einigen Bauteilen vorhandenen höchst unterschiedlich ausgeprägten Schadensbildes eine Zeitspanne in der Bauphase festgestellt werden, in der vermutlich Abweichungen in der Ausführung bei Erstellung der Spannbeton-Überbauteile auftraten, da Bauteile aus dieser Zeitspanne unabhängig von der Lage am Bauwerk ein deutlich ausgeprägteres Schadensbzw. Rissbild zeigten als andere Bauteile. Nach Abschluss dieses ersten Untersuchungsprogramms war es möglich, die wesentlichen Ursachen der umfangreichen Schadensbilder bauteilbezogen zu erfassen sowie die Vielzahl an unterschiedlichen Rissbildern verschiedenen Ursachen und begleitenden Faktoren zuzuordnen. Auch konnte anhand dieses ersten Untersuchungsprogramms ein erster überschläglicher Instandsetzungsaufwand abgeschätzt und dem Bauherrn vorgestellt werden. Für das weitere Vorgehen war in Rücksprache mit dem Bauherrn zunächst abzuklären, welche Anforderungen der Bauherr an die weitere Nutzungsdauer des Bauwerks stellt, um die möglichen Optionen bei Erarbeitung des Instandsetzungskonzeptes berücksichtigen zu können. Um die angestrebte Nutzungsdauer zu erreichen, stehen nach DIN EN 1504-9 [16] grundsätzlich folgende Optionen zur Verfügung: a. keine Maßnahmen für eine bestimmte Zeitdauer, jedoch Überwachung des Bauwerks; b. erneuter Nachweis der Tragfähigkeit, der möglicherweise zu einer reduzierten Einstufung der Funktionstüchtigkeit des Betontragwerks führt c. cVermeidung oder Verminderung einer weiteren Verschlechterung des Zustandes des Tragwerks; d. vollständige oder teilweise Verstärkung oder Instandsetzung und Schutz des Betontragwerks; e. vollständige oder teilweise Rekonstruktion oder Austausch des Betontragwerks; f. vollständiger oder teilweiser Abriss des Betontragwerks. Seitens des Bauherrn wurde die Option d) der vorgenannten Optionen gewählt. In einem zweiten wesentlich umfangreicheren sechswöchigen Untersuchungsprogramm wurden alle Joche der Transport- und Verbindungsbrücke umfassend untersucht, da diese aufgrund der direkten Nähe zum Meerwasser eine deutlich größere Schädigung infolge AKR sowie chloridinduzierter Korrosion aufwiesen als die darüber angeordneten Spannbeton-Überbauteile. Die Untersuchung erfolgte parallel mittels Brückenuntersichtgerät sowie Hängegerüsten, die im Fortschritt der Untersuchungen von Joch zu Joch umgehängt wurden. Im Rahmen dieses Untersuchungsprogramm erfolgten 422 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erfahrungen bei der Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigte Anlegerbrücke in der Nordsee u.a. vollflächige Potentialfeldmessungen, begleitet von Schadenskartierungen und ergänzenden Bohrkernentnahmen. An den entnommenen Bohrkernen wurden u.a. die Druckfestigkeiten des Bauwerksbetons als auch weitere Bestimmungen des AKR-bedingten Resttreibpotentials vorgenommen. Im Rahmen ergänzender Untersuchungsprogramme erfolgten zudem ergänzende Untersuchungen direkt zugänglicher Bauteile, z.B. eine flächige Potentialfeldmessung der Fahrbahn der Zufahrtsbrücke. 3. Beschreibung der Bauwerksuntersuchungen 3.1 Allgemeines Zur Bestimmung der Schadensursachen sowie als Grundlage zur Entwicklung geeigneter Instandsetzungskonzepte wurden durch das Ingenieurbüro Raupach Bruns Wolff in Kooperation mit dem Institut für Bauforschung der Aachen University, ibac, umfangreiche Bauwerks- und Laboruntersuchungen durchgeführt. Zu den Bauwerksuntersuchungen zählten unter anderem: - Risskartierung an Spannbetonträgern der Transport- und Verbindungsbrücke - Schadenskartierung der Joche der Transport- und Verbindungsbrücke - Exemplarische Bestimmungen der Betondeckung - Potentialfeldmessungen - Bestimmung von Chloridtiefenprofilen - Anlegen von Inspektionsöffnungen zur Bestimmung des Korrosionszustands der Bewehrung - Entnahme von Bohrkernen zur weitergehenden Untersuchung im Labor In anschließenden Laboruntersuchungen wurden im Wesentlichen die Ursachen und Auswirkungen der am Objekt vorhandenen Rissbildungen bestimmt. Hierzu zählten im Einzelnen: - Licht- und Rasterelektronenmikroskopische Untersuchungen an Bauwerksproben und Dünnschliffen zur Klärung des Vorhandenseins sowie der Ursachen von Treiberscheinungen - Bestimmung des Resttreibpotentials infolge einer Alkali-Kieselsäurereaktion AKR sowohl ohne als auch mit einer zusätzlichen Alkalizufuhr von außen - Bestimmung der Betondruckfestigkeit vor und nach Bestimmung des Resttreibpotentials 3.2 Erfassung und Kartierung bauteiltypischer Rissbilder Das Bauwerk zeigt verschiedene bauteilspezifische Rissbilder, deren wesentliche Ursachen sowohl konstruktiver Art, herstellungsbedingt als auch Folge von Treiberscheinungen im Beton sind. So weisen die Spannbeton-Überbauteile der Fahrbahnen vor allem im Bereich der Endverankerungen der Spannglieder Rissverläufe auf, die etwa den Drucktrajektorien des Bauteils folgen. Innerhalb des Druckbogens der Träger hingegen sind kaum Rissbildungen vorhanden. Bild 3: Spannbeton-Überbauteil der Transportbrücke, Rissbildung im Bereich der Endverankerung der Spannglieder (oben) und netzförmige Risse im Bereich der Kappen (unten) Genauere Untersuchungen dieser Bauteile zeigten unter anderem, dass die im Bereich der Endverankerungen vorhandenen Rissbilder auf eine Überlagerung verschiedener Ursachen zurückzuführen sind. Dazu zählen u.a.: • Fehlerhafte Bewehrungsführung, vor allem bzgl. der Verbügelung der Trägerenden • Unzureichender Bewehrungsgrad der Spaltzugbewehrung • AKR-bedingte Rissbildung im nicht durch die Vorspannung überdrückten Bereich des Betons 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 423 Erfahrungen bei der Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigte Anlegerbrücke in der Nordsee Exemplarische Bauteilöffnungen im Bereich der Endverankerungen zeigten, dass hier entgegen den Vorgaben der Bewehrungspläne keine Verbügelung der Trägerenden vorhanden ist. Diese fehlende Verbügelung ist vor allem für die parallel zu den Trägerenden verlaufenden Risse verantwortlich. Die Tatsache, dass in den Kappen im Bereich der Trägerenden verstärkt netzförmige Risse vorhanden sind, nicht jedoch innerhalb des Druckbogens, zeigt, dass das Auftreten AKR-bedingter Treiberscheinungen durch die Vorspannung überlagert wird. So ist bekannt, dass durch AKR entstehende Spannungen durch Druckspannungen im Bauteil, z.B. durch die im vorliegenden Fall vorhandene Vorspannung, effektiv überdrückt werden können. Eine schädigende Rissbildung tritt, je nach Bauteilgeometrie, Reaktionsrate der AKR sowie Größe der vorhandenen Druckspannungen somit nur in geringerem Maße oder im Extremfall gar nicht zu Tage. Die Größe der für eine Inhibierung der AKR erforderlichen Druckspannungen im Beton wird in [1] mit etwa 3 bis 10 N/ mm² angegeben. In [2] wird in Versuchen eine signifikante Abnahme der Dehnungen bei Druckspannungen größer als etwa 10 N/ mm² gezeigt. Die Jochbalken der Transportbrücke sowie der Anlegerbauwerke weisen vor allem im Bereich der Auflagerung auf den Pfahlköpfen konstruktionsbedingte, im Wesentlichen vertikal verlaufende Risse, z.T. aber auch netzförmige Risse auf, siehe Bild 4. Auch in diesem Fall liegt eine Überlagerung konstruktionsbedingter Ursachen mit AKR-bedingten Treiberscheinungen, verstärkt durch die bestehende Art der Entwässerung rund um die Pfahlköpfe, vor. So weisen die Joche, je nach Typ, ein bis zwei konusförmige Aussparungen auf, welche auf den Pfahlköpfen aufliegen. Der Ringspalt zwischen Joch und Pfahlkopf ist nicht verschlossen, so dass zwischen den Überbauteilen herablaufendes Wasser in diesen Ringspalt eindringt und damit die Joche im Bereich der Pfahlköpfe praktisch dauerhaft wassergesättigt sind. Erkennbar wird dies u.a. an wasserführenden Rissen auf den an die Pfahlköpfe angrenzenden Innenseiten der Joche, siehe Bild 5. Bild 4: Bereiche netzförmiger Risse (Schraffierung) im Bereich der Pfahlköpfe; Joch der Transportbrücke (oben) sowie Joch eines Anlegerbauwerks (unten) Der erhebliche Einfluss dieser Wassersättigung auf den Schädigungsgrad des Betons infolge AKR wurde auch beim Vergleich der unterschiedlich exponierten Bereiche innerhalb eines Bauteiltyps, z.B. der Joche, oder zwischen unterschiedlichen Bauteilen deutlich. So wurden Hohllagen im Beton, welche im Wesentlichen auf eine AKR zurückgeführt werden können (vergleiche Kapitel 3 sowie Bild 11), nahezu ausschließlich auf den Innenseiten der Joche der Transportbrücke gefunden. Hier liegen aufgrund der unmittelbaren Lage über dem Wasser und dem nach oben geschlossenen Querschnitt dauerhaft hohe Luftfeuchten vor, so dass die Innenwände dieser Joche praktisch dauerhaft wassergesättigt sind, auch wenn diese nicht direkt wasserbeaufschlagt werden. Auf den Außenseiten der Joche hingegen wurden netzförmige Risse u.a. als Anzeichen einer AKR vorwiegend im Bereich rund um die Pfahlköpfe festgestellt. Hier liegt aufgrund der beschriebenen Konstruktion ebenfalls eine hohe Wassersättigung des Betons vor. 424 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erfahrungen bei der Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigte Anlegerbrücke in der Nordsee Bild 5: Ursache der Wasserführung in den bauteilspezifischen typischen Trennrissen der Joche im Bereich der Pfahlköpfe: Aufstehendes Wasser auf einem Joch im Bereich des Ringspaltes zwischen Joch und Pfahlkopf (oben) und Ablauffahnen im Bereich von Rissen auf der an einen Pfahlkopf angrenzenden Innenwand eines Joches (unten) Andere Bereiche hingegen, wie z.B. die Flügelwände der Joche, welche zwar direkt beregnet werden aber auch infolge Wind und Sonneneinstrahlung trocknen können, waren lange Zeit weitgehend frei von AKR-typischen Schadensbildern. Hier traten nennenswerte Schäden erst deutlich später auf. 3.3 Untersuchungen zum Korrosionszustand der Bewehrung Zur Lokalisierung im Hinblick auf Bewehrungskorrosion kritischer Bereiche wurde zunächst eine Potentialfeldmessung der Joche, der Seitenflächen einzelner Spannbeton-Überbauteile sowie der Zufahrtsbrücke im Bereich der Fahrbahn durchgeführt. Während im Bereich der untersuchten Spannbeton-Überbauteile lediglich lokal Hinweise auf eine korrosionsaktive Bewehrung gefunden wurden, zeigte sich im Bereich der Joche ein wesentlich differenzierteres Bild. Ergänzend zu Potentialfeldmessungen an allen Jochen erfolgte eine Kartierung von Schadstellen. Im folgenden Bild 6 ist die Potentialfeldmessung an der Außenseite eines Joches beispielhaft dargestellt. Bild 6: Potentialfeldmessung an der Außenseite eines Jochs vom Brückenuntersichtgerät aus Ausführliche Informationen zur Auswertung der Potentialfeldmessungen im vorliegenden Fall sind in [8] enthalten. Vor allem aufgrund der lokal sehr unterschiedlichen Wassersättigung in Teilbereichen der Joche und damit verbundener Belüftungsunterschiede waren im Zuge der Auswertung der Potentialfeldmessungen besondere Überlegungen erforderlich, um Fehlinterpretationen der gemessenen Potentiale zu vermeiden. Hier bestätigte sich einmal mehr, dass feste Potentialgrenzwerte bei Auswertung von Potentialfeldern nicht existieren. Weitere Informationen zu diesem Thema finden sich z.B. auch in [3] bis [5]. Im vorliegenden Fall konnten objektbezogene Potentialgrenzen, ab denen mit hoher Wahrscheinlichkeit von korrodierender Bewehrung auszugehen ist, vor allem durch ergänzende Bauteilöffnungen bestätigt werden. Bei den Jochen wurden auf Basis der beschriebenen Vorgehensweise Potentialwerte, bei denen von einer sehr hohen Korrosionswahrscheinlichkeit auszugehen ist, von -400 bis -450 mV CSE ermittelt. Inspektionsöffnungen im Bereich von Potentialen kleiner -450 mV CSE zeigten an allen angelegten Inspektionsöffnungen Korrosionserscheinungen der freigelegten Bewehrung. Die Auswertung der Potentialfelder vor dem Hintergrund 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 425 Erfahrungen bei der Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigte Anlegerbrücke in der Nordsee der Festlegung des erforderlichen Instandsetzungsaufwandes erfolgte unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Inspektionsöffnungen, des Vorhandenseins von Potentialgradienten in den Potentialfeldern, den bestimmten Chloridtiefenprofilen, der Exposition der Bauwerksteile sowie vorhandener Schadensbilder wie z.B. Risse oder Hohllagen. Beispiele für zwei deutlich unterschiedliche Potentialfelder zweier nahe beieinander liegender Joche sind in Bild 7 gegeben. Bild 7: Vergleich der Potentialbilder von zwei nahe beieinander liegenden Jochen der Transportbrücke mit deutlich unterschiedlich ausgeprägten Potentialverteilungen 4. Untersuchungen zur Bewertung der Schädigung infolge AKR 4.1 Allgemeines Die so genannte Alkali-Silika-Reaktion AKR beschreibt die Reaktion von Gesteinskörnungen, die alkalilösliche Kieselsäure enthalten, mit Alkalihydroxid der Porenlösung des Betons. Die Alkalien, vornehmlich Natrium, stammen entweder aus dem Zement oder dringen infolge der Exposition von außen in den Beton ein (z.B. Tausalze im Straßenbau, Salze aus Meerwasser). Gesteinskörnungen gelten nach [6] dann als alkaliempfindlich, wenn sie diese reaktionsfähige amorphe und wasserhaltige Modifikationen der Kieselsäure enthalten. Grundsätzlich kann eine AKR bei allen SiO 2 -haltigen Gesteinskörnungen ablaufen. I.d.R. sind die Reaktionsraten sowie die gebildeten Gelmengen jedoch so klein, dass keine Schäden auftreten. Als kritisch im Hinblick auf eine schädigende AKR gelten nach [7] alle amorphen, kryptokristallinen und gittergestörten SiO 2 -Minerale. In [6], [7] und [8] werden u.a. folgende Gesteinsarten genannt: • Opalsandsteine (Opal. Chrisobalit) • Kieselkreide, Kieselkalke (Chalcedon, kryptokristalliner Quarz) • Obsidian (vulkanisches Glas) • Gebrochene Grauwacken • Gebrochener Kies des Oberrheins • Silikathaltiger dolomitischer Kalkstein • Gläser • Gebrochener Quarzporphyr (Rhyolith) • Rezyklierte Gesteinskörnungen; Die an der Umschlaganlage Voslapper Groden u.a. verwendeten Gesteinsvarietäten, Grauwacken sowie Porphyre, sind somit grundsätzlich als AKR-gefährdet einzustufen. Des Weiteren sind offensichtlich im verwendeten Jadesand Kieselkalke, d.h. Kalksteine mit einem eingelagerten Anteil an überwiegend mikrokristallinem SiO 2 vorhanden, die laut vorgenannter Aufstellung ebenfalls AKR-gefährdet sein können. Bevorzugt findet die AKR bei Temperaturen zwischen 10 bis 40 °C und hoher Wassersättigung des Betons statt. Meerwasserbauwerke unterliegen somit infolge der i.d.R. dauerhaft hohen Wassersättigung des Konstruktionsbetons sowie der stetigen Alkalizufuhr aus dem Meerwasser einem deutlich höheren Risiko einer AKR als Bauwerke in anderen Expositionen. Die AKR verläuft je nach Gesteinsvarietät sowie klimatischen Randbedingungen unterschiedlich schnell. So können erste Schäden an Bauwerken sowohl bereits nach wenigen Monaten bis 2 Jahren als auch erst nach mehr als 20 bis 30 Jahren auftreten. Nach [7] kann die AKR in drei Reaktionstypen eingeteilt werden: • Alkali-Silika-Reaktion • Alkali-Silikat-Reaktion • Alkali-Carbonat-Reaktion Die häufigste Reaktion ist die Alkali-Silika-Reaktion. So reagiert bei dieser Reaktion amorphe Kieselsäure, ausgehend von der Oberfläche eines Gesteinskorns, sehr schnell mit der alkalischen Betonporenlösung. 426 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erfahrungen bei der Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigte Anlegerbrücke in der Nordsee Die Folge sind eine starke Gelbildung sowie hohe Treibraten, die bereits nach wenigen Jahren zu umfangreichen Schäden der Bauteilstruktur führen können [9]. Bei der Alkali-Silikat-Reaktion hingegen dringen Alkalien vornehmlich über Mikrorisse in das Gesteinskorn ein, wobei geringe Gelmengen gebildet werden. Mit der Zeit wird das Gesteinskorn entlang dieser vorgeprägten Schwächezonen durch die Gelbildung aufgesprengt, die Risse setzen sich in der Betonmatrix fort. Der Schadensverlauf ist gegenüber der klassischen AKR i.d.R. deutlich langsamer. Typischerweise tritt dieses Schadensbild bei Grauwacken, Quarzporphyren oder auch gebrochenen quarzitischen Zuschlägen auf [9]. Ein Schema dieser beiden Schadensformen der AKR nach [9] ist im folgenden Bild 8 gezeigt. Bild 8: Ablaufschema der Alkali-Kieselsäure-Reaktion oder Alkali-Silikat-Reaktion bei verschiedenen Gesteinstypen nach [9] Die dritte Variante der AKR, die Alkali-Carbonat-Reaktion hingegen ist eher selten und in ihren Reaktionsmechanismen sowohl weitgehend unbekannt als auch umstritten [7]. Äußerlich kann sich eine AKR sowohl in Form von einer großflächigen Zerstörung des Gefüges, z.B. in Form von Rissbildungen, Schalenbildungen etc. als auch lokal in Form so genannter „Pop-Outs“ äußern. Ein Beispiel eines solchen „Pop-Outs“ an einem Joch der Umschlaganlage Voslapper Groden ist im folgenden Bild 9 gezeigt. Bild 9: „Pop-Out“ infolge AKR-bedingter Umwandlung eines oberflächennahen, kleinen Gesteinskorns an einem Joch der Umschlaganlage 4.2 Laboruntersuchungen zum Nachweis einer AKR Neben den in Bild 9 dargestellten, am Objekt vorhandenen „Pop-Outs“ zeigten auch die entnommenen Bohrkerne klare Hinweise auf Gefügeschädigungen infolge AKR. So wiesen einige der entnommenen Bohrkerne nicht nur quer zur Oberfläche sondern auch parallel zur Oberfläche verlaufende Schalenrisse auf, die sich am Bauteil i.d.R. akustisch durch Abklopfen mit einem Hammer bereits als Hohllage wahrnehmen ließen. Ein vergleichbares Rissbild wie das in den folgenden beiden Bildern wurde auch am Eidersperrwerk an entnommenen Bohrkernen festgestellt [10]. Auch in [11] wird eine parallel zur Oberfläche verlaufende Rissbildung in Form von Schalenrissen als ein typischer Hinweis auf eine Schädigung infolge AKR angesehen. Bild 10: Beispiele für Bohrkerne mit Schalenrissen parallel zur Bauteiloberfläche (Quelle: Institut für Bauforschung der Aachen University, ibac) Im Anschluss an die visuelle Untersuchung der Bohrkerne erfolgte eine Untersuchung der Bohrkerne am Lichtmikroskop. In diesen Untersuchungen wurde zum Teil eine nahezu vollständige Umwandlung kleiner Gesteinskörnungen infolge AKR festgestellt, de- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 427 Erfahrungen bei der Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigte Anlegerbrücke in der Nordsee ren Herkunft vermutlich der zur Herstellung der Betonbauteile verwendete Jadesand in der Körnung 0 bis 2 mm ist. Auch lichtmikroskopische Untersuchungen an Dünnschliffen sowie Untersuchungen am Rasterelektronenmikroskop zeigten Gefügestörungen infolge AKR. So wurden auch an den Dünnschliffen Risse an den groben Gesteinskörnungen festgestellt, die sich in der Matrix fortsetzen. Eine signifikante Gelbildung wurde nicht festgestellt, da im vorliegenden Fall offenbar in erster Linie eine Alkali-Silikat-Reaktion abläuft. Lediglich bei kleinen Gesteinskörnungen aus dem Jadesand spielte auch eine Alkali-Silika-Reaktion eine Rolle. Wesentlich für die Bewertung der zukünftig zu erwartenden AKR-bedingten Dehnungen sowie die sich daraus ergebenden Möglichkeiten der Instandsetzung ist das anhand von Lagerungsversuchen an Bohrkernen ermittelte Resttreibpotential des Betons (vgl. z.B. [10] oder [13]). Durchgeführt wurde ein zweistufiges Verfahren. Zunächst erfolgte eine konstante Lagerung bei 60 °C über Wasser. Anschließend erfolgte ein zyklisches Verfahren mit einer Alkalizufuhr von außen. Details zu den durchgeführten Lagerungsversuchen können u.a. [17] entnommen werden. Die Ergebnisse zeigten hinsichtlich der Lagerungsbedingungen signifikante Unterschiede. Bei der konstanten Lagerung bei 60 °C über Wasser wurde lediglich bei einigen Bohrkernen eine gewisse Zunahme der Dehnungen infolge der erhöhten Feuchte- und Temperaturverhältnisse beobachtet. Bei der zyklischen Lagerung mit Alkalizufuhr hingegen zeigten alle Bohrkerne eine unterschiedlich stark ausgeprägte Zunahme der Maximaldehnungen. So erreichen einzelne Bohrkerne aus den Jochen Gesamtdehnungen von bis etwa 3 mm/ m und mehr. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen beispielsweise auch Seyfarth und Giebson [13] oder Breitenbücher und Sievering [14]. Auch in ihren Versuchen nahm die Dehnung unter einer äußeren Alkalizufuhr z.T. um den Faktor 3 bis 4 gegenüber einer alkalifreien Lagerung zu. 4.3 Instandsetzungskonzept Basierend auf den durchgeführten Bauwerksuntersuchungen wurde in einem ersten Schritt bauteilbezogen für jedes Joch bzw. deren Teilflächen der Instandsetzungsbedarf erarbeitet. Da eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Instandsetzung eine zielgerichtete Entwässerung ist, wurde parallel die Wasserführung bzw. Wasserableitung von Niederschlagswasser von den Verkehrsflächen der Umschlaganlage geändert. Zur Vermeidung einer chloridinduzierten Korrosion stehen dem Planer gemäß RL SIB [12] mehrere Verfahren, wie z.B. R-Cl, W-Cl oder K bzw. Kathodischer Korrosionsschutz KKS zur Verfügung. Die Instandsetzung durch AKR geschädigter Bauteile ist grundsätzlich nur durch Trockenlegung der Konstruktion, nicht selten sogar nur durch einen partiellen Austausch des AKR-geschädigten Betons möglich. Bei Meerwasserbauten ist die Trockenlegung aufgrund der Exposition grundsätzlich kritisch, häufig sogar unmöglich. Wesentliches Kriterium für die Bewertung geeigneter Instandsetzungskonzepte ist die Ermittlung des Resttreibpotentials der Gesteinskörnungen infolge AKR. Ist praktisch kein weiteres Treibpotential vorhanden, kann eine Instandsetzung dauerhaften Erfolg haben, ohne dass mit weiteren Rissbildungen und zunehmenden Festigkeitseinbußen gerechnet werden muss. Bei einem weiterhin vorhandenen Resttreibpotential hingegen ist i.d.R. auch nach Instandsetzung dauerhaft von einem erhöhten Instandhaltungsaufwand sowie ggf. Nutzungseinschränkungen auszugehen (Reduktion der Verkehrslast etc.). Zur Klärung der Umsetzbarkeit der erarbeiteten Instandsetzungskonzepte wurden im Rahmen einer Probeinstandsetzung in den Jahren 2010 und 2011 zwei hinsichtlich des Schädigungsgrades höchst unterschiedliche Joche ausgewählt. Bei diesen Jochen wurde das zuvor erarbeitete Instandsetzungskonzept umgesetzt. Dieses Instandsetzungskonzept sah für die beiden Joche teilflächenbezogen die Instandsetzungsprinzipien R-Cl sowie den Kathodischen Korrosionsschutz vor. Die Wahl geeigneter Instandsetzungskonzepte für die Teilflächen erfolgte anhand der zuvor beschriebenen Bauwerks- und Laboruntersuchungen. So wurden die Innenwände beider Joche mittels Prinzip R-Cl instandgesetzt. Für die Außenflächen wurde in Teilflächen ein KKS-System installiert, z.T. war aufgrund der geringen Korrosionswahrscheinlichkeit und praktisch nicht vorhandenen Vorschädigung die Applikation eines Oberflächenschutzsystems ausreichend. Im Bild 11 sind beispielhaft Teilflächen eines Joches nach Betonabtrag mittels HDW-Handlanze dargestellt. Die Reprofilierung der HDW-gestrahlten Flächen erfolgte mit einem Spritzmörtel gemäß der damals geltenden Ausgabe 2004 der ZTV-W LB 219 [18] in Verbindung mit dem BAW-Merkblatt „Spritzmörtel/ Spritzbeton nach ZTV-W LB 219 [19]. Allerdings wurde in Absprache mit dem Produkthersteller ein Austausch des Zementes gegen einen NA-Zement vorgenommen. Als Anoden für die Außenwandflächen kam ein KKS-System mit in Schlitzen angeordneten Ti/ MMO-Bandanoden zum Einsatz. Abschließend wurde vollflächig an den Innen- und Außenseiten der Joche ein Oberflächenschutzsystem der Klasse OS 5b (Polymer-Zementschlämme) nach RL SIB [12] aufgetragen. 428 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erfahrungen bei der Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigte Anlegerbrücke in der Nordsee Bild 11: Teilflächen eines Jochs nach begonnenem Betonabtrag mittels HDW-Handlanze; Untersicht des Jochs im Bereich eines Pfahlkopfes (oben) sowie Innenwand zwischen zwei Pfahlköpfen (unten) Die Probeinstandsetzung der beiden Joche wurde im Jahr 2011 abgeschlossen. 5. Bauwerksuntersuchungen im Jahr 2019 Etwa 9 Jahre nach Abschluss der Probeinstandsetzung wurde eines der beiden in den Jahren 2010/ 2011 instandgesetzten Joche erneut handnah untersucht. Bei diesem Joch lagen im Jahr 2010 vor Beginn der Instandsetzung bereits große oberflächenparallele Hohllagen an den Innenseiten der Wände vor, zudem waren lokal auch bereits nennenswerte korrosionsbedingte Querschnittsverluste vorhanden. Dieses Joch war zum Zeitpunkt der damaligen Bauwerksuntersuchungen als ein besonders stark geschädigtes Joch eingestuft worden. Für die Untersuchung im Jahr 2019 wurde das Joch teilweise eingerüstet, um vor allem den innenliegenden Bereich zwischen den beiden Pfahlköpfen vollflächig untersuchen zu können. Bild 12 zeigt diesen Bereich im Jahr 2019. Bild 12: Mittlerer Bereich eines der im Jahr 2010/ 2011 instandgesetzten Joche im Jahr 2019 Im Zuge der handnahen Untersuchungen wurden keine erneut aufgetretenen Hohllagen festgestellt. Lediglich vereinzelt zeigten sich kleine Aussinterungen im Bereich von an die Pfahlköpfe angrenzenden Wandflächen sowie lokal einzelne kleinflächige Beschädigungen des OS 5b Systems. Auch bei dem zweiten Joch, welches im Jahr 2019 allerdings nicht handnah untersucht wurde, zeigten sich von einem Brückenuntersichtgerät keine Hinweise auf erneut aufgetretene Schäden. 6. Geplante Instandsetzungsmaßnahmen Seitens des Bauherrn wurde das Ende der Restnutzungsdauer der Umschlaganlage auf das Jahr 2042 festgelegt. Vor Beginn der Planung der Instandsetzungsmaßnahmen erfolgte eine Nachrechnung der gesamten Umschlaganlage entsprechend der aktuell gültigen Normen unter Berücksichtigung der durch die fortlaufenden Bauwerksprüfungen festgestellten Schäden sowie der Ist-Lasten und der geplanten zusätzlichen Lasten für einen Umschlag von Flüssiggas (LNG). Die Nachrechnung erfolgte u.a. unter Berücksichtigung der Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie) der BASt. Die Durchführung der Nachrechnung erfolgte durch die Curbach Bösche Ingenieurpartner Beratende Ingenieure PartG mbB. Aufgrund der positiven Erfahrungen mit den beiden im Zuge einer Probeinstandsetzung instandgesetzten Joche wurde beschlossen, nun auch die Instandsetzung weiterer Joche nach dem gleichen Prinzip vorzunehmen. Aufgrund der fortgeschrittenen Schädigungen wurde allerdings das Prinzip W-Cl nach RL SIB [12], d.h. das alleinige Aufbringen eines Oberflächenschutzsystems, an den Außenwandflächen nicht mehr angewendet, sondern nur noch die Instandsetzungsprinzipien R-Cl und KKS. Zudem wurde im Zuge der Planung der Instandsetzung vorgesehen, nennenswert korrosionsgeschädigte Bewehrung aufgrund des mit dem korrosionsbedingten Quer- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 429 Erfahrungen bei der Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigte Anlegerbrücke in der Nordsee schnittsverlust einhergehenden Verlusts an Duktilität zu ersetzen. Basierend auf den Ergebnissen der Ist-Zustandserfassung und den nachfolgenden Bauwerksprüfungen wurden in einem ersten Schritt besonders stark geschädigte Joche für eine Instandsetzung ausgewählt. In den kommenden Jahren sollen entsprechend ihres Ist-Zustandes weitere Joche folgen. 7. Zusammenfassung und Ausblick Die Komplexität bei der Bewertung von Schäden an Offshore-Bauten wurde anhand der Umschlaganlage Voslapper Groden in der Nordsee beschrieben. So beeinflussen die Konstruktion, die verwendeten Baustoffe, die Bauausführung sowie die Exposition die einzelnen Schädigungsmechanismen erheblich. Dieser Umstand erschwert die Auswahl geeigneter Instandsetzungskonzepte, da es durchaus sein kann, dass ein Instandsetzungsprinzip zwar einen Schädigungsmechanismus stoppen, einen anderen jedoch verstärken kann. Auf Basis von Probeinstandsetzungen von zwei Jochen und der bislang positiven Erfahrungen über einen Zeitraum von 9 Jahren wurde im Jahr 2020 mit der Instandsetzung weiterer Joche begonnen. Nach und nach sollen nun sämtliche besonders stark geschädigten Joche der einzelnen Brücken sowie der Flächenbauwerke nach einem vergleichbaren Schema instandgesetzt werden. In Abhängigkeit des höchst unterschiedlichen Schädigungsgrades sind hier lokal jeweils bauteilspezifische Anpassungen erforderlich. Dies betrifft beispielsweise die bauteilflächenbezogene Auswahl der jeweils anzuwendenden Instandsetzungsprinzipien. Literaturverzeichnis [1] Herrador, M.F. ; Martinez-Abella, F. ; Rabunal Dopicp, J.R.: Experimental Evaluation of Expansive Behavior of an Old-Aged ASR-Affected Dam Concrete: Methodology and Application. In: Materials and Structures (RILEM) 41 (2008), Nr. 1, S. 173- 188 [2] Multon, S. ; Toutlemonde, F.: Effect of Applied Stresses on Alkali-Silica Reaction-Induced Expansions. In: Cement and Concrete Research 36 (2006), Nr. 5, S. 912-920 [3] RILEM TC 154-EMC ; Elsener, B. ; Andrade, C. ; Gulikers, J. ; Raupach, M.: Half-Cell Potential Measurements - Potential Mapping on Reinforced Concrete Structures. In: Materials and Structures (RILEM) 36 (2003), Nr. 261, S. 461-471 [4] DGZfP-Merkblatt ; Deutsche Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung e.V.: Merkblatt B3 Elektrochemische Potentialmessungen zur Detektion von Bewehrungsstahlkorrosion. (Ausgabe April 2008) Berlin : Deutsche Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung e.V., 2008 [5] Gulikers J.: Development of a calculation procedure for the statistical interpretation of the results of potential mapping performed on reinforced concrete structures, Proc. EUROCORR 2007, Freiburg (2007) [6] Wesche, K.H.: Baustoffe für tragende Bauteile. Band 2: Beton, Mauerwerk. 3. Aufl. Wiesbaden : Bauverlag, 1993 [7] Stark, J.; Wicht, B.: Dauerhaftigkeit von Beton, Der Baustoff als Werkstoff. Verlag Baupraxis Birkhäuser. 2001 [8] Bruns, M.: Interpretation von Potentialfeldern unter besonderen Bedingungen. Zeitschrift Restoration of Buildings and Monuments. 2012 [9] Heinz, D. , Schmidt, K. : Lösungsansätze zur Vermeidung von AKR-Schäden. Straße und Autobahn 5.2008 [10] Reschke, T.: Untersuchung und Instandsetzung von Wasserbauwerken, die infolge einer Alkali-Kieselsäure-Reaktion geschädigt sind. Diagnose und Empfehlungen. In: Beton, Ausgabe 1/ 2004. Seiten 14 - 21 [11] Siebel, E. ; Dahms, J.: Beurteilung von Bauwerken hinsichtlich einer schädigenden Alkali-Kieselsäure- Reaktion. In: Beton 47 (1997), Nr. 9, S. 533-537 Deutscher Ausschuss für Stahlbeton DAfStb [12] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton ; DAfStb; DAfStb-Instandsetzungs-Richtlinie: Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen. Teil 1: Allgemeine Regelungen und Planungsgrundsätze. Teil 2: Bauprodukte und Anwendung. Teil 3: Anforderungen an die Betriebe und Überwachung der Ausführung. Teil 4: Prüfverfahren. Ausgabe Oktober 2001. Berlin: Deutscher Ausschuss für Stahlbeton, 2001; einschließlich Berichtigungsblättern [13] Seyfarth, K. ; Giebson, C.: Beurteilung des AKR- Schädigungspotentials von Betonen mittels Klimawechsellagerung. In: Beton- und Stahlbetonbau 100 (2005), Tagungsband Doktoranden-Symposium 45. Forschungskolloquium des DAfStb am 6. - 7. Oktober 2005 in Wien, S. 189-192 [14] Breitenbücher R. , Sievering C. : Einfluss von Alkali-Kieselsäure-Reaktionen auf die Rissbildung von Betonfahrbahndecken. Straße und Autobahn 6.2008 [15] DIN 1076: Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen, Ausgabe November 1999 [16] DIN EN 1504-9: 2008-11: Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken - Definitionen, Anforderungen, Qualitätsüberwachung und Beurteilung der Konformität - Teil 9: Allgemeine Grundsätze für die Anwendung von Produkten und Systemen; Deutsche Fassung EN 1504-9: 2008 [17] Wolff, L., Raupach, M.: Systematische Zustandsermittlung der Umschlaganlage Voslapper Groden in Wilhelmshaven. Zeitschrift Restoration of Buildings and Monuments. 2012 430 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Erfahrungen bei der Instandsetzung einer durch Alkali-Kieselsäurereaktion und chloridinduzierte Korrosion geschädigte Anlegerbrücke in der Nordsee [18] ZTV-W LB 219: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen Wasserbau (ZTV-W) für die Instandsetzung der Betonbauteile von Wasserbauwerken (Leistungsbereich 219). Ausgabe 2004 [19] BAW-Merkblatt „Spritzmörtel/ Spritzbeton nach ZTV-W LB 219, Abschnitt 5“ Ausgabe 2005. Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe. Denkmalpflege/ Fassade 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 433 Kosmetische Betoninstandsetzung Haus der Berliner Festspiele in Berlin - Betoninstandsetzung mit Pfiff Markus Ehrhardt, M.Sc. Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Dipl.-Ing. Annegret Hofmann- Kuhnert Scadock und Hofmann GmbH & Co. KG, Lauchhammer, Deutschland Reiner Hofmann Scadock und Hofmann GmbH & Co. KG, Lauchhammer, Deutschland Zusammenfassung Im Sommer 2019 wurde die Außenfassade des Hauses der Berliner Festspiele in Berlin instandgesetzt. Die Außenhülle des Gebäudes besteht aus Waschbetonplatten, in deren Matrix mehrere bis zu 8cm große Marmorkiessteine eingebunden sind. Aufgabe war es, mit einem möglichst dünnschichtigem Mörtelbett, die Fassadenoptik wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen. Nur mit kunststoffvergüteten Mörteln konnte hier der Balanceakt zwischen Erfüllung der Schutzziele der Betoninstandsetzung und gleichermaßen hohen Anforderungen an die Optik gelingen. Dieser Beitrag dokumentiert neben der Planung der Instandsetzung auch die Entwicklung eines eigens für dieses Bauvorhaben entwickelten Mörtels. Im Zuge der Planung wurde ein Schichtaufbau mit einem Mix aus unterschiedlichen kunststoffmodifizierten Mörteln erarbeitet, der neben der Betonüberdeckung auch die ursprüngliche Waschbetonoptik mit Weißzement wiedergibt. Neben klassischer Betonerhaltung war vor allem die Betonkosmetik ein wichtiger Teil der Arbeiten. 1. Problemstellung Die denkmalgeschützte Fassade des Hauses der Berliner Festspiele besteht aus Waschbetonplatten 2x 2m mit Sichtzuschlägen (heller Marmokies, 4- 8cm), die von dünne Mattenbewehrung durchzogen sind. Zusätzlich sind in die Platten Montageanker eingelassen. Die Platten sind miteinander verstiftet und kleben auf einer Holzwolledämmung. Durch die Einwirkung von Feuchte und geringer Betonüberdeckung kam es zu immer mehr zu Abplatzungen und Ausbrüchen an den Verankerungsstellen (siehe Abbildung 1 und Abbildung 2). Als Schadensbild präsentierten sich: - Partielle Ausbrüche an Plattenrändern und über der Lage der Plattenanker und Verstiftungen durch Korrosion - Frostbedingtes Herausbrechen einzelner Sichtzuschläge - Bereits reparierte Stellen bei denen einzelne Steine mit farblich von der Gesamtfassade abweichendem Mörtel eingeklebt wurden (grau) - Nicht intakte Fugenabdichtung zwischen den Platten Ziele der Instandsetzungsmaßnahmen sind: - Klassische Betoninstandsetzung mit Korrosionsschutz der Bewehrung bei partiellen Ausbrüchen - Betonersatz ohne zusätzliches Oberflächenschutzsystem - Zusätzlich kosmetische Wiederherstellung der Waschbetonoptik, flächig - Schutz der Plattenfugen vor Eindringen von Feuchtigkeit mit geeignetem Dichtstoff Abbildung 1 das Gebäude- Haus der Berliner Festspiele 434 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Kosmetische Betoninstandsetzung Haus der Berliner Festspiele in Berlin - Betoninstandsetzung mit Pfiff Abbildung 2 Nahaufnahme einer Waschbetonplatte mit Schadstellen 2. Besondere Untersuchungen Neben der geringen Schichtdicke des Instandsetzungssystems war vor allem die Lage der Fassadenanker eine Herausforderung in der Planung. Durch eine Thermografieuntersuchung wurden anhand Temperaturabweichungen auf die Lage der Anker geschlossen. 3. Lösung Aufbau Einzelne Ausbrüche in den Platten wurden durch partielle Betoninstandsetzung wieder erneuert. Zudem wurde über die ganze Fläche die Waschbetonoptik durch einen für diese Anwendung rezeptierten Mörtel hergestellt. 3.1 Partielle Betoninstandsetzung Für die partielle Instandsetzung wurde der Beton und die dahinter befindliche Holzwolledämmung entfernt. Die Dämmschicht wurde durch einen mineralischen Dämmputz ersetzt. Auf dieser neuen Dämmschutzschicht wurde der Betonersatz aufgetragen. In der Skizze in Abbildung 3 wird der Aufbau deutlich. Er besteht aus einem klassischen 1-Komponennten PCC II (M3) mit einem E- Modul von 20.000 N/ mm² und zugehöriger Haftbrücke sowie mineralischem Korrosionsschutz. Abbildung 3 Skizze Schichtenaufbau des Instandsetzungssystems 3.2 Kosmetische Reprofilierung der Waschbetonoptik- Bornemann Mörtel Für die kosmetische Wiederherstellung der Waschbetonoptik wurden Marmorsteine 4- 8cm verwendet. Um die Schichtdicke des Reprofiliermörtels nicht zu stark reduzieren zu müssen, sollten plattige Kornformen eingesetzt werden, die zu diesem Zeitpunkt jedoch kaum verfügbar waren. Daher wurden neue Steine einzeln in der Länge geschnitten (auf eine Dicke von 1,5cm) und Steine aus Ausbrüchen der Fassade wiederverwendet. Zudem ergab sich durch das Schneiden der Vorteil einer erhöhten Klebefläche. Auf die bereits ausgeführte PCC- Schicht wurde eine spezielle ECC- Haftbrücke aufgebracht, die sich vor allem durch folgende Eigenschaften auszeichnet: - Applikation auf junge, feuchte PCC Fläche - hohe Klebkraft - hohe Dichtigkeit - lange Offenzeit (bis zu 2h) Frisch in frisch wurde in die Haftbrücke eine dünne Schicht PCC-Mörtel eingearbeitet, in dessen Mörtelbett die Sichtzuschläge eingeklebt wurden. Für das optisch sichtbare Mörtelbett zwischen den geklebten Sichtzuschlägen wurde eine Mörtelrezeptur (genannt „Bornemann Mörtel“) entwickelt. Benannt wurde er nach dem bekannten Fritz Bornemann, dessen Wirken Zahlreiche Berliner Bauwerke hinterlassen hat, welche sich oft durch Waschbetonfassaden Auszeichnen (siehe Abbildung 4). 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 435 Kosmetische Betoninstandsetzung Haus der Berliner Festspiele in Berlin - Betoninstandsetzung mit Pfiff Grundlage war eine Sieblinie AB bestehend aus heller Gesteinskörnung 0,1- 6mm aus dem Kreis Oberspreewald-Lausitz, der farblich dem Fugenmörtel der Fassade sehr nah kam. Zudem: - Weißzement CEM I 52,5 R - verseifungsfeste Kunststoffdispersion - W/ Z-Wert= 0,42 Abbildung 4 Musterherstellung mit dem Bornemann Mörtel Der Fugenmörtel der Waschbetonfassade weist eine raue Oberflächenstruktur auf. Um diese bei der Instandsetzung wiederherzustellen, wurde die Fläche nach der Instandsetzung mit einem Druckwasserstrahl und feinem Quarzsand freigelegt (Abbildung 5). Abbildung 5 Freilegen der Gesteinskörnung und aufrauen des Fugenmörtels mit abrasivem Strahlmittel und Wasserstrahl Abbildung 6 eine fertige Fassade mit partieller Betoninstandsetzung und flächiger kosmetischer Reprofilierung 4. Zusammenfassung Die Instandsetzung von denkmalgeschützten Bauwerken stellt oft höhere Anforderungen an Planer und Ausführende, weil die Erhaltung der historischen Optik oft den modernen Betonschutztechniken (z.B. Oberflächenschutzsysteme) entgegensteht. Doch durch geschickte Kombination verschiedener kunststoffmodifizierter Mörtel konnte der Spagat zwischen Betonerhaltung und optischen Ansprüchen gelingen (Abbildung 6). Literaturangaben DIN EN 1504- 4: 2005 DAfStb Instandsetzungs-Richtlinie SIB 2001-10 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 437 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen Wladislaus Metzger H. Tebbe GmbH, Neuwied, Rlp Holger Tebbe H. Tebbe GmbH, Neuwied, Rlp Zusammenfassung Eine nicht gewartete und nicht gepflegte Fassade durch Reinigungsverfahren nicht wieder in den Ursprungszustand zurückgesetzt werden. Bauphysikalische Ursachen von Anhaftungen und Verschmutzungen können darüber hinaus nicht durch Reinigen dauerhaft beseitigt werden. Falsch angewandte Reinigungsverfahren können zudem erhebliche Schäden an der Fassade verursachen. Über diese Selbstverständlichkeiten herrscht bei dem Abschluss von Reinigungsaufträgen, zumindest auf der Auftraggeberseite, manchmal auch auf der Auftragnehmerseite keine Klarheit. Verschmutzungsneigung und der anschließende Reinigungsbedarf kann bereits in der Planungsphase durch geeignete Gebäudegestaltung und Auswahl der Baustoffe und Baustoffoberflächen entscheidend beeinflusst werden. Demgemäß liegt ein großer Schwerpunkt des Vortrags auf Anregungen durch die, die Verschmutzungsneigung mittels entsprechender Gestaltung bereits im Entwurf reduziert werden kann. Im Falle eines Reinigungsbedarfs ist die Wahl geeigneter Reinigungssysteme für den Reinigungserfolg entscheidend. Hierbei sollte auch die Rechtssicherheit durch entsprechende Vertragsgestaltung auch unter Zugrundelegung entsprechender Musterflächen zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber, abgesichert werden. 1. Einführung Bei einer Instandhaltung geht es darum, die wesentlichen technischen Eigenschaften der Fassade möglichst im Ursprünglich geplanten Zustand zu bewahren, bei Schäden wird der funktionsfähige Zustand wiederhergestellt. Der Begriff Instandhaltung ist in der DIN 31051 [1], die die entsprechenden europäischen Regelwerke, z.B. DIN EN 13306 [2] ergänzt, erläutert. Die Instandhaltung umfasst demgemäß: - Wartung Maßnahmen zur Verzögerung des Abbauvorrates, z.B. Wiederherstellung oder Verbesserung des Witterungsschutzes; - Inspektion in der Regel turnusmäßige Kontrolle zur Beurteilung der technischen Ist-Beschaffenheit; - Instandsetzung Maßnahmen zur Wiederherstellung des funktionsfähigen Zustandes; - Verbesserung nachträgliche Veränderung zur Optimierung der Funktionsfähigkeit oder Dauerhaftigkeit; Demgegenüber steht bei einer Reinigung nicht die Bewahrung technischer, sondern optischer Eigenschaften im Vordergrund. Unter dem Begriff Reinigung wird in der Regel ein möglichst vollständiger Materialabtrag von nachträglichen Anhaftungen zur Wiederherstellung der optischen Eigenschaften verstanden. Ein Materialverlust der zu reinigenden Bauteiloberfläche ist bei einer reinen Reinigung in der Regel jedoch möglichst zu vermeiden. Wird im Rahmen der Reinigung auch einen gewissen Materialauftrag durch abrasive Reinigungsmittel oder -verfahren angestrebt, sollte man sich bewusst sein, dass man ggf. keine Reinigungsmaßnahme, sondern eher eine Instandsetzungsmaßnahme durchführt. Die Reinigung einer Fassade wird zudem häufig mit Inspektions- und Wartungsarbeiten verbunden und ist in der Regel Voraussetzung von Instandsetzungen und verbessernden Umbaumaßnahmen. Zur Reinigung von Fassaden gibt es neben wenigen Merkblättern und Richtlinien, z.B. [3] und Stellungnahmen von Berufsverbänden des Reinigungsgewerbes [4] sowie WTA Merkblättern [5], [6] bisher wenig Orientierungshilfen. Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich - des erzielbaren Reinigungserfolges oder - des vermeintlichen oder tatsächlichen Schädigungspotential des gewählten Reinigungsverfahrens 438 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen treten daher gelegentlich bereits bei den Vergabeverhandlungen auf. Wird eine durchgeführte Reinigung einer hochwertig gestalteten Fassade als fehlgeschlagen beurteilt und werden ggf. sogar Folgeschäden reklamiert, sind hohe Schadensersatzansprüche und/ oder hohe Instandsetzungskosten schnell die Folge. Im vorliegenden Aufsatz soll die skizzierte Problematik schwerpunktmäßig für Sichtbeton, verputze und unverputzte Mauerwerks- und Natursteinfassaden aufgezeigt werden. Die besonderen Problematiken für Glas- und Metallfassaden werden im vorliegenden Aufsatz nicht gesondert behandelt 2. Rahmenbedingungen einer Fassadenreinigung Reinigungsziel ist in der Regel die Verbesserung der ästhetischen Wirkung der Ansichtsfläche der Fassade oder der Fassadenelemente. Weitere potentielle Hauptziele einer Fassadenreinigung lassen sich wie folgt zusammenfassen: - möglichst langfristige Erhaltung des dekorativen Aussehens; - Verhinderung von fortschreitenden Aufkonzentration von Luftinhaltsstoffen und Schmutzfilmen; - Verringerung des Haftungspotentials gegenüber Schmutzpartikeln; - Verzögern der Neuansiedlung biologischen Bewuchses; - Werterhaltung der Immobilie. Die erreichbaren Reinigungsziele werden unter anderem eingegrenzt von - Art und Grad der vorgefundenen Verschmutzung, - Anforderung an das dekorative Aussehen, - Struktur, Beschaffenheit Materialzusammensetzung und Vorschäden der Fassade und - Kosten des benötigten bzw. angestrebten Reinigungsaufwandes Die Reinigungsverfahren können auf mechanisch, physikalisch oder chemisch bedingte Wirkweisen beruhen. Eine genaue Abstimmung des oder der gewählten Reinigungsverfahren und -abläufe auf - Fassadenaufbau (Vorhangfassade, Sandwichelement, etc.) - Schalenart (Betonfertigteil, Ortbeton, ein- oder mehrschaliges Mauerwerk, WDV-System, Vorhangfassade, etc.) - Material (Natursteinvarietät, künstliche Mauersteinart, Putz, Stuck, Sichtbetonoberfläche etc.) - Oberfläche (Putzstruktur, steinmetzmäßige oder betontechnologische Bearbeitungsarten, Hydrophobierung, Beschichtung, Farbfassung etc.) - Verschmutzung (organischer oder mineralische Anlagerungen, Anlauffahnen, Aussinterungen oder Ausblühungen, organischer Bewuchs etc.) ist für den Reinigungserfolg unerlässlich. Bei der Beauftragung einer Fassadenreinigung wird jedoch bereits häufig der Reinigungszweck - Schlussreinigung Entfernung baustellenbedingter Verschmutzung; - Einpflege Erstbehandlung vor Übernahme nach Erstellung; - Unterhaltsreinigung laufende regelmäßige Reinigung während der Nutzung; - Grundreinigung regelmäßige oder bedarfsabhängige Intensivreinigung und erneute Einpflege nur ungenau benannt, das Reinigungsziel häufig nicht oder nicht genau definiert. Häufig wird seitens des Auftraggebers erwartet, dass der gereinigte Zustand der ursprünglichen Beschaffenheit entspricht. Dieser „Neuzustand“ kann bei einer Reinigung in der Regel nicht mehr erreicht werden, da das Aussehen und die Beschaffenheit der Oberfläche zwangsläufig durch - Abwitterungen, - lokale und globale Veränderungen der Fassadeneigenschaften durch chemische Umwandlungen, - lokalen und globale Ausbesserungen, - nachträgliche lokale oder globale Oberflächenvergütungen (z.B. Hydrophobierungen) laufend verändert wird. Je nach Reinigungsverfahren erfolgt neben dem Abtrag der Anlagerungen, Verschmutzungsfilme oder -krusten zudem auch ein gewisser physikalischer oder chemischer Abtrag der Materialoberfläche, zudem ggf. Materialumwandlungen an der zu reinigenden Oberfläche. Der Reinigungserfolg bzw. das gewünschte Erscheinungsbild der Fassade sollte also vorher genau definiert werden und anhand entsprechend groß und repräsentativ angelegten Musterflächen (ggf. je Fassadenfläche) vertraglich festgelegt werden. Der insgesamt zu erzielende Reinigungserfolg, insbesondere die Beurteilung des optischen Erscheinungsbildes, kann dann zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer anhand des Standards in einer Musterfläche relativ genau spezifiziert und vertraglich vereinbart werden. Diese vertraglich vereinbarte Referenzfläche kann dann auch, z.B. im Streitfall, als Beurteilungsmaßstab von Dritten herangezogen werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 439 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen 3. Randbedingungen von Alterung und Verschmutzung einer Fassade 3.1 Klima- und Umgebungsbedingungen Die lokalen Klimabedingungen wie - Feuchtebelastung bedingt durch maritime Atmosphäre, Ufer- oder Seenähe, Wasserzerstäubung durch Wehre oder Wasserfälle, etc. - Industrielle Atmosphäre, Abgase, Wasserdampf aus Kühltürmen, etc. - Landklima mit starker Verfrachtung von organischem Material und Dünger - Städtisches Klima mit Belastung aus Abgasen, Abrieb von Schienenfahrzeugen, starken Staub- und Aerosolbelastungen beeinflussen die Verschmutzungsneigung und die Art der Verschmutzung entscheidend. Durch die unterschiedliche UV-Belastung altern ggf. verschiedene Fassadenteile, insbesondere organische Bestandteile der Fassade, unterschiedlich. Die Ausrichtung der Teilfassade hinsichtlich Himmelsrichtung sowie vorherrschender Windrichtung beeinflusst die Aufschmutzung ebenfalls maßgeblich, siehe Bild 1. Bild 1: Beispiele der Abhängigkeit einer Verteilung eines Starkregens (A) und eines Regen mittlerer Intensität (B) von der Windrichtung Bildquelle: [7] Die Licht- und Windverschattung durch die umgebende Bebauung und Bepflanzung ist zu berücksichtigen. Angrenzende Verkehrswege beeinflussen die angrenzenden Fassaden bis auf etwa 10 m Gebäudehöhe. Kontaminationen mit Streusalz können den Feuchtehaushalt im Spritzwasserbereich deutlich ändern, vergl. Bild 2 unten. Bild 2: oben: geringere Schlagregenbeanspruchung des im Windschatten von Gebäude A gelegenen Gebäudes B. Unten: Verschmutzungsneigung in Abhängigkeit von Gebäudehöhe und Umgebungsbedingungen (hier Verkehr) Bildquelle: [7] 3.2 Konstruktive Gestaltung 3.2.1 Allgemeines Die Verschmutzungsneigung von Fassaden kann durch die konstruktive Gestaltung in einem sehr starken Maße in unterschiedlicher Weise, z.B.: - durch den Witterungsschutz (z.B. Dachüberstand), siehe Abschn. 2.2.2 - durch die Art der Niederschlagswasserableitung (z.B. durch Fassadengliederung, Niederschlagswasser an Fensterbänken über geeignete Tropfnasen etc.), siehe Abschn. 2.2.3 - durch die Wahl der Fassadenbaustoffe, siehe Abschn. 2.2.4 - durch Baustoffprofilierung und Textur der Baustoffe, siehe Abschn. 2.2.4 - durch geeignete bauphysikalische Bauweise der Außenwand, siehe Abschn. 2.2.5 - durch Ausrüstung der Fassade mit Imprägnierungen oder ähnlichem, siehe Abschn. 2.2.6 entscheidend beeinflusst werden. 440 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen 3.2.2 Witterungsschutz Bei Schlagregenereignissen stellen die Baukörper der Gebäude Strömungshindernisse der natürlichen Luftbewegung dar. Durch den sich aufbauenden Staudruck entstehen Wirbel- und Schleppeffekte, die die Fall-Linie des Schlagregens ablenken, siehe Bild 3. Geeignete Dachüberstände schützen die Fassade vor Schlagregen. Dies gilt bei entsprechender Bauweise auch vor Hochhäusern, da durch den Dachüberstand bei Schlagregen das Luftpolster vergrößert wird und so in dessen Einflussbereich die Neigung des Schlagregens verringert wird. Die Beaufschlagung der Fassade mit Niederschlägen wird so entscheidend verringert, siehe Bild 4. Bild 3: rechts: schematische Darstellung der Ablenkung des Schlagregens in Abhängigkeit der Anströmverhältnisse an einer Fassade. Links: Veränderung des Einfallswinkel von Schlagregen durch den Staudruck vor einer Fassadenfläche Bildquelle: [7] Bild 4: oben: schematische Darstellung Anströmverhältnisse an einer Fassade bei Schlagregen im Grund- und Aufriss. Unten: Schaffung eines Luftpolsters durch Dachüberstand. Bildquelle: nach [7] Bild 5: schematische Darstellung der Ablagerungszonen von Schmutzpartikeln an einem Gebäude in Abhängigkeit der Luv- und Leezonen der Windanströmung Bildquelle: nach [7] Effektiver Schlagregenschutz verringert die Durchfeuchtungsintensität und -dauer der Fassade. Somit werden neben der Verringerung der Belastung der Fassade mit Schmutzfrachten des Schlagregens auch die Zeiträume verringert, in den sich Aerosole und Schwebpartikel an der feuchten Fassadenoberfläche festsetzen können. Die 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 441 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen Neigung der Schmutzanreicherung auf trockenen Baustoffflächen ist deutlich geringer als auf feuchten Oberflächen, so dass hierdurch die Verschmutzungsneigung bereits deutlich reduziert werden kann. Werden durch Optimierung der Gebäudehülle dieAnströmverhältnisse des Gebäudes noch dahingehend optimiert, dass keine ausgeprägten Luv- oder Leezonen entstehen, wird die Aufschmutzung des Gebäudes vergleichsmäßig, so dass Aufschmutzung mangels Vergleichsmöglichkeit optisch weniger störend in Erscheinung tritt, vergl. Bild 5. 3.2.3 Ableitung Niederschlagswasser Bis Mitte des 20sten Jahrhunderts wurden die Fassaden in der Regel so konzipiert, dass an der Fassade ablaufende Niederschlagswässer auf kurzem Weg möglichst schadlos abgeführt wurden, ab Mitte der fünfziger Jahre des vergangen Jahrhunderts wurde von diesem Prinzip teilweise in eklatanter Weise abgewichen, vergl. Bild 6. In Folge der durch die Bauhausbewegung aufkommenden Tendenz hin zu geometrisch einfach gestalteter Architektur mit möglichst ebenen kubischen Formen, trat der Witterungs- und Feuchteschutz der Fassade, vergl. Bild 7, insbesondere bei Verwendung moderner witterungsunempfindlicheren Fassadenbaustoffe wie Stahl, Beton und Glas in seiner Bedeutung zunehmend zurück. Bild 6: links: historische Fachwerkbauweise mit geschossweise zurückspringenden Fassaden. Rechts: stark gegliederte Gründerzeitfassade mit vorspringenden Fenstereinfassungen und geschossweise angeordneten Gesimsen. Unten: Giebelwand eines neuzeitlichen Wohnhauses in Betonbauweise. Bildquelle: nach [8], Wikipedia, [7] Bild 7: oben: Verringerung der Schlagregenbeanspruchung durch unterschiedliche horizontale orientierte Gliederungsschemata. Unten: Effektivität von unterschiedlich gestalteten horizontalen Fassadengliederungselementen. Bildquelle: [7] An senkrechten, ungegliederten Fassadenflächen ohne Dachüberstand und/ oder horizontalem Gliederungselement läuft bei länger anhaltenden ergiebigen Niederschlagsereignissen das Niederschlagswasser nach Sättigung der Fassadenbaustoffe die gesamte Gebäudehöhe ab. Die ablaufende Wassermenge kulminiert von oben nach unten, die mitgeführte Schadstoff-Fracht ebenso, vergl. Bild 8. Die Belastung derartiger Fassaden ist enorm, neben deutlich erhöhter Verschmutzungsneigung wird auch die Alterung der betroffenen Fassadenbaustoffe beschleunigt und Folgeschäden begünstigt. 3.2.4 Baustoffart, -gestaltung -textur und Farbgebung Die Wahl des Fassadenbaustoffes und dessen Gestaltung spielt für die Verschmutzungsneigung eine größere Rolle. Im Gegensatz zu Stahl- und Glasfassaden werden bei mineralischen Fassadenbaustoffen sowohl die Anlagerung von Fremdpartikeln als auch das Auslaugen und die 442 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen Umwandlung von Baustoffbestandteilen abhängig vom der Kapillaraktivität des Porensystems und dessen Verteilung erheblich beeinflusst, vergl. Bild 8. Bild 8: links: Interaktion von Fremdpartikeln und löslichen Baustoffbestandteilen abhängig von Beschaffenheit und Füllungsgrad des Porensystems. Rechts: schematische Darstellung des Übergangs von Wasseraufnahme zum zunehmenden Oberflächenabfluss des Wassers an Fassaden bei Niederschlagsereignissen Bildquelle: [7] Die langfristige Beschaffenheit, Optik und Verschmutzungsneigung der Oberfläche wird neben den übergeordneten konstruktiven Gesichtspunkten, vergl. Abschn. 2.2.2 und 2.2.3, maßgeblich durch die Kapillaraktivitäten des Baustoffes, dem Anteil an löslichen oder umwandelbaren Baustoffbestandteilen beeinflusst. Da durch diese Effekte nicht nur die Verschmutzungsneigung durch Fremdbestandteile, sondern auch baustoffeigenen Veränderungsprozesse beeinflusst werden, sind derartige Effekte im Zweifel nicht durch nicht substanzverändernde Reinigungsprozesse der Bauteiloberfläche zu entfernen. Hier sind häufig darüberhinausgehende Maßnahmen wie chemische Umwandlungen oder abrasive Methoden notwendig. Darüber hinaus können durch die planerische Festlegung der Art und Ausprägung der Mikrostruktur (Rauigkeit) und der Profilierung der Fassadenflächen, die Verschmutzungsneigung und Effekte der Selbstreinigung vorbeugend positiv beeinflusst werden, vergl. Bild 9. Bild 9: links: schematische Darstellung von Schmutzablagerung oberhalb von horizontalen Profilierungen und Erhebungen im Schnitt. Rechts: schematische Darstellung der Reinigungswirkung von ablaufendem Niederschlagswasser bei verschiedenen Oberflächenstrukturen in der Ansicht Bildquelle: [7] Während sich auf horizontalen Profilierungen der Schmutz auf den Oberseiten der Profilierung absetzt und bei Niederschlagsereignissen wieder teilweise mobilisiert wird, vergl. Bild 9 links, ist die Ablagerung bei vertikalen Profilierungen abhängig von Windrichtung und Windstärke, vergl. Bild 10 rechts. Profilierung und Baustoffstruktur beeinflussen durch ihre Geometrie die Verteilung von Ablaufspuren, vergl. Bild 9 rechts und durch ihre Schattenwirkung deren Wahrnehmung, siehe Bild 10 oben 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 443 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen Bild 10: oben: Kaschierung der Ablaufspuren durch senkrechte Profilierungen der Fassadenfläche. Unten: Verlagerung der Ablagerung an senkrechten Fassadenprofilen von der Lee- (oben) in die Luvzone (unten) bei abnehmender Windstärke. Bildquelle: [7] Während an grobkörnigen Strukturen, wie z.B., Waschbetonoberflächen Ablaufspuren optisch weniger störend in Erscheinung treten, kann an feinkörnigen Strukturen, -durch die stärkere Kanalisation in engeren Fließwege und damit konzentrierterer Schmutzansammlung-, ein gegenteiliger Effekt eintreten, siehe Bild 11. Bild 11: oben: Feuchte und ablagerungsbedingte Farbveränderung im Waschbeton ohne optisch störende scharfe Übergänge zwischen den verschiedenen Alterungs- und Verschmutzungszonen. Unten: deutlich sichtbare Ablaufspuren in leicht abgesäuerter Betonoberfläche Bildquelle: [7] Neben Profilierung und Strukturierung der Oberfläche kann durch die Farbgebung des Baustoffes bzw. der Beschichtung die optisch störende Wirkung von Verschmutzung gezielt beeinflusst werden. Werden stark belastete Fassadenbereiche, wie z.B. die Spritzwasserzone, optisch nicht von der übrigen Fassade getrennt, wird die stärkere Aufschmutzung dieser Zone das Gesamtbild stärker beeinflussen, als bei einer optischen Trennung. Vorteilhaft ist weiterhin, dass die im Rahmen der Instandhaltung die stärker belasteten Zonen aufgrund der optischen Trennung ggf. auch separat überarbeitet werden können. Da das menschliche Auge Grautöne (Lichtintensitäten) stärker differenzieren kann als Farbtöne (Wellenlängen), sind Farbveränderungen im Schwarzweis-Spektrum eher wahrzunehmen als an farbigen Fassaden. Farbveränderungen in monochromer Farbgebung werden natürlich deutlicher wahrgenommen, wie Fassadengestaltungen, die von vorne herein ein gewisses Spektrum an Farbtönen oder eine gewisse Variationsbereite eines Farbtones aufweisen. 444 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen Wie bereits erwähnt, kann durch Licht- und Schattenwirkung, das heißt durch Strukturierung und Profilierung der Fassade, die optisch störende Wahrnehmung der Verschmutzung zusätzlich gemildert werden. 3.2.5 Aufbau des Fassadenquerschnittes Wie in Abschnitt 2.2.4 dargelegt, beeinflusst die Kapillaraktivität des oder der Fassadenbaustoffe und deren Feuchtehaushalt die Neigung zur Schmutzanhaftung. Inhomogene Baustoffe, wie Mauerwerk zeichnen sich durch teilweise stark unterschiedliche Kapillaraktivtäten und Feuchtehaushalte im Stein und in Mauermörtel aus. Handelt es sich um verputzte Flächen, schlagen die Untergrundeigenschaften insbesondere bei den heute üblichen Dünnputzen auf die Fassadenoberfläche durch. Je nach Baustoffeigenschaften und Umgebungsbedingungen können sich hier entweder Mauersteine oder Mörtelfugen im Außenputz abzeichnen. Ähnliches gilt für Wärmedämmverbundfassaden, wo sich unter bestimmten Umständen die Dübelköpfe der Dämmplattenbefestigung im Putz abzeichnen, siehe Bild 12, unten. Bild 12: oben: im Objekt installierte Wärmequellen, die sich insbesondere bei wenig gedämmten Altbauten aufgrund schnellerer Austrocknung als weniger verschmutze Oberflächen von der Umgebung scharf abtrennen können. Unten: sich abzeichnende Dübelköpfe in der WDVS-Fassade. Bildquelle: [7] Da neben der unterschiedlichen Aufschmutzungsneigungen in derartigen Zonen ggf. auch lösliche baustoffeigene Stoffe auf der Fassadenoberfläche stärker ablagern, kann hier ohne chemischen Reinigungsmittel, die auch potentiell die Baustoffoberflächen angreifen können, häufig die Verfärbungen nicht beseitigt werden, zumal ohne Beseitigung der Verfärbung zugrundeliegenden Effekte ein dauerhafter Erfolg der Reinigung nicht gegeben ist. 3.2.6 bauchemische Ausrüstung der Fassadenoberfläche Durch Imprägnierungen, Beschichtungen als auch Ausrüstungen von Fassadenfarben können die Oberflächeneigenschaften der Fassade in vielfältiger Art und Weise verändert werden. Neben gewünschten Effekten, z.B. Wasserabweisung, treten hierbei in der Regel auch unerwünschte Effekte, wie z.B. Verringerung der Wasserdampfdiffusion auf, so dass die jeweiligen Mittel genau auf die Fassade abgestimmt werden müssen. Bereits durch einen einfachen Farbanstrich können Poren und Risse abgedeckt werden, so dass deren Kapillaraktivität sinkt. Fassadenputze werden in der Regel bereits ab Werk Metallseifen beigeben, die die Porensysteme hydrophob auskleiden. Im Gegensatz zu nachträglichen Hydrophobierungen, deren Verankerung im Baustoff abhängig von der jeweiligen Tränkungstiefe ist, ist hier die gesamte Schichtdicke des entsprechenden Baustoffes ausgerüstet. Durch Beschichtungen und anderen Oberflächenvergütungsmaßnahmen können weitere Effekte, wie nachträgliche Rissüberbrückung, fungizide oder biozide Ausrüstung, schmutzabweisende Oberflächenstrukturierungen (z.B. Lotuseffekt), etc. erzielt werden. Zu beachten ist, dass nachträgliche Ausrüstungen naturgemäß besonders beansprucht werden, da sie an der Oberfläche des Fassadenbaustoffes angeordnet sind. Sie weisen in der Regel nicht die gleiche Gebrauchsdauerspannen wie die eigentlichen Baustoffe auf. Unter anderem durch Witterungsbeanspruchung, Abrasion, Auslaugung und/ oder chemische Umwandlungsprozesse verlieren sie mit zunehmenden Applikationsalter ihre Wirkung. In Falle einer geplanten Reinigung sollte derartige bauseitige Oberflächenvergütungsmaßnahmen der Fassade bekannt sein, da durch die Reinigung die Ausrüstung ggf. beeinträchtigt oder entfernt wird und somit nach der Reinigung zur Wiederherstellung der gewünschten Fassadeneigenschaften ggf. neu appliziert werden muss. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 445 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen 4. Alterung und Verschmutzungsprozesse an der Fassade 4.1 Allgemeine Alterungsprozesse Zwangsläufig werden das Aussehen und die Beschaffenheit der Oberfläche durch - Abwitterungen, - lokale und globale Veränderungen der Fassadeneigenschaften durch chemische Umwandlungen, - lokalen und globale Ausbesserungen, - nachträgliche lokale oder globale Oberflächenvergütungen (z.B. Hydrophobierungen) verändert. Die Wechselwirkung der Atmosphärilien (atmosphärische Gase) mit dem nicht inerten Fassadenbestandteilen führt zu verschiedenen makroskopischen, mikroskopischen und submikroskopischen Veränderungen der stofflichen und morphologischen Eigenschaften im Gefüge, besonders im Bereich der Oberfläche. Zwar wird bei einer Reinigung in der Regel das ursprüngliche optische Erscheinungsbild angestrebt, Veränderungen gegenüber der ursprünglichen zum Erstellungszeitpunkt vorhandenen Ausgangsoberfläche sind aus vorgenannten Gründen jedoch unvermeidlich. Teilweise muss sogar ein gewisser Substanzabtrag hingenommen werden. Das Erscheinungsbild nach der Reinigung ist somit auch wesentlich abhängig von der Vorgeschichte der betroffenen Baustoffe und ihrer Exposition innerhalb der Fassade. 4.2 Erscheinungsformen von Anhaftungen 4.2.1 mineralische Anhaftungen Anlagerungen sind Anhaftungen auf einer chemisch unveränderten Oberfläche; es handelt sich um Staubpartikel, Aerosole und Salzausblühungen. Sie besitzen in der Regel keinen festen Verbund mit dem Untergrund. Dünnschichtige, flächenhafte Anhaftungen auf chemisch unveränderter Oberfläche werden in der Regel als Filme bezeichnet. Bei derartigen Filmen handelt es sich um Schichten, die im Wesentlichen aus Luftschadstoffen bestehen und / oder biologischen Ursprungs sind. Krusten sind zusammenhängende Schichten, die sich durch chemische, morphologische Stoff- und Gefügeänderungen in der Betonoberfläche insbesondere im Porensystem gebildet haben. Es handelt sich um lösliche und unlösliche Reaktionsprodukte des Fassadenbaustoffes mit Luftschadstoffen, Bestandteilen des Niederschlagswassers und sonstigen Umgebungsprodukten. Bei vergleichsweise inerten künstlichen oder natürlichen Mehrstoffsystemen (z.B. Beton oder Sandstein) ist ggf. nur die Zement- oder Natursteinmatrix betroffen. In der Regel sind hier insbesondere Kalk- und Gipsverbindungen als Hauptbestandteile derartiger Krusten anzusprechen. Durch die Einlagerung von Luftschadstoffen und Aerosolen können sich deutliche Verfärbungen oder Einfärbungen ergeben. Krusten führen zu einer Auflösung und Schädigung des betroffenen (oberflächennahen) Baustoffgefüges. 4.2.2 Organische Anhaftungen Durch die Verringerung und Veränderung der Luftschadstoffe, sowie durch die stärkere Wärmedämmung, wird die Besiedlung durch Algen in den letzten 30 Jahren zunehmend begünstigt. Bei günstigen Bewuchsbedingungen, wie - Oberfläche mit randnahem, zeitweise hohem Wasserreservoir - ebenen vertikale Wandflächen mit entsprechend langen Ablaufwegen des Schlagregens - horizontale Flächen, auf denen sich Nährstoffe und Feuchte sammeln - Risse und sonstige Schadstellen siedeln sich auch komplexere Strukturen wie Pilze, Flechten und Moose an. Diese bilden ihrerseits die Pionierbesiedlung für weiteren Bewuchs bis hin zu Sträuchern und Bäumen. Hierbei können Pflanzen mit ausgeprägten Stützwurzelsystemen auch strukturelle Schäden verursachen. In der Umgebung von Lampen sind häufig mehr oder weniger großflächig insektenbedingte Verfärbungen und Anhaftungen festzustellen. Weiterhin sind die Fassaden je nach Fassadengestaltung häufiger mit Vogelkot verunreinigt. Gespinste von Spinnen und Raupen können bedingt durch die an den Gespinsten sich festsetzenden Anlagerungen ebenfalls zu starken Verschmutzungen führen. Häufig werden Fassaden von Tieren auch zur Nestbildung oder als sonstige Unterkunft genutzt. Neben den Nutzungsspuren werden hier auch häufiger Beschädigungen hervorgerufen. Bei Gebäuden in der Nähe von landwirtschaftlich geprägten Flächen ist mit Anhaftungen durch Pollenflug, Pflanzenbestandteilen, (z.B. bei Getreideernte) zu rechnen. Durch Verwehungen von mineralischen und organischen Düngerbestandteilen zudem ggf. die Besiedlungs- und Wachstumsbedingungen für mikrobielle Fauna und Flora begünstigt. 4.3 Nutzungsbedingte Verunreinigungen Abzüge (insbesondere Küchenabzüge) und Luftauslässe (z.B. Klimaanlagen) können bei ungenügender Wartung der Anlagen und Filter zu erheblichen Verschmutzungen führen. 446 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen Im Sockelbereich können Abgasspuren von Fahrzeugen insbesondere im Bereich von wandnahen Stellplätzen anzutreffen sein. Abstellplätze für Mülltonnen, Fahrräder etc. sind ebenfalls häufig durch umfangreiche Verschmutzungen und Gebrauchsspuren gekennzeichnet. Im Bereich des Haupteingangs, an Versammlungsstätten wie Raucherplätzen, sowie an ähnlichen Plätzen ist mit Fußabdrücken und sonstigen Gebrauchsspuren sowie Rückständen wie Kaugummis; Zigarettenasche und ähnlichem, zu rechnen. Durch Vandalismus, wie z.B. Ritzungen, ungewollte Graffiti etc., können ebenfalls ungewollte Verschmutzungen, Anhaftungen und Beschädigungen hervorgerufen werden. 4.4 Konstruktiv bedingte Verunreinigungen Wie bereits in Abschn.1 und 2 erläutert, entstehen je nach Art der Fassadengliederung (Dachüberstände, Traufausbildung, Ausbildung von Fensterbänken sowie Gesimsen und Fensterbändern) ggf. zwangsläufig Ablaufspuren durch Niederschlagswasser, die in der Regel zu nicht mehr völlig reversiblen Veränderungen führen. Im Spritzwasserbereich ist je nach Gestaltung immer mit mehr oder weniger stärkeren Verschmutzungen zu rechnen. Unterhalb von an der Fassade angebrachter Beleuchtung, Reklametafeln und sonstiger nachträglich angebrachten Montagen treten ebenfalls häufig entsprechende Ablaufspuren auf. 5. Klassifizierung möglicher Anhaftungen Die Hauptgruppen der in Abschn. 3 beschriebenen reinen Schmutzanhaftungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: - Staubpartikel - Areosole - Öl- und Fettablagerungen, ölige Substanzen - Mikroorganismen, insbesondere Algen, Pilze und Flechten - Organische Verunreinigungen (abgestorbene Pflanzenreste, die ggf. Huminsäuren bilden, pflanzliche und tierische Ausscheidungen, Pollen, etc.) - Ruß - Graffiti - Rückstände aus Baugeschehen 6. Reinigungsarten und -methoden 6.1 Abgrenzung Reinigung zur Instandsetzung Reinigungsziel ist in der Regel die Verbesserung der ästhetischen Wirkung der Fassade Darüberhinausgehende kosmetische Arbeiten beinhalten neben der Reinigung in der Regel auch einen gewissen Materialauftrag, z.B. zur Kaschierung oder Überdeckung von Teilflächen oder zum Wiederaufbau von Substanzverlusten (Reprofilierung) oder ähnlichem. Bei derartigen Arbeiten steht nicht die Bewahrung oder Wiederherstellung der optischen Wirkung im Vordergrund, sondern in der Regel eine Eigenschaftsverbesserung. die in der Regel auch der Wiederherstellung oder Verbesserung technischer Eigenschaften der Fassade dient. Bei einer Reinigung ist lediglich ein mechanisch, physikalisch oder chemisch bedingter möglichst vollständiger Materialabtrag der nachträglichen Anhaftungen gewünscht; ein Materialverlust des Baustoffes ist bei einer reinen Reinigung in der Regel jedoch möglichst zu vermeiden. 6.2 Normative Grundlagen und Regelwerke Nach Kenntnisstand des Unterzeichners existieren mit Ausnahme von normativen Anforderungen für Reinigungsdienstleistungen in Schulgebäuden [9] im Geltungsbereich der BRD keine normativen Anforderungen für Reinigungsleistungen von Gebäuden. Da vorgenannte Norm eine starke Ausrichtung hinsichtlich hygienischer Anforderung an Innenräumen hat, ist sie für den hier zu behandelnden Anwendungsfall allenfalls sehr eingeschränkt heranziehbar. Von Interessensverbänden der Reinigungsindustrie wurden jedoch zwischenzeitlich Regelwerke erarbeitet, in denen versucht wird die verschiedenen Gesichtspunkte einer Fassadenreinigung zu standardisieren, vergleiche [3] und [4]. Die für die Reinigung von Natursteinflächen und Fassaden erarbeiteten Merkblätter der WTA, vergleiche [5] und [6], können in Teilen sicherlich auch auf die Anforderungen an neuzeitlichen Fassaden analog übertragen werden. Ein auf europäischer Ebene für die Reinigung von mineralischen Bodenbelägen erarbeiteter Leitfaden, vergleiche [10], wurde für die hier vorgenommene Beurteilung ebenfalls berücksichtigt. Auftraggeber und Auftragnehmer sollten sich vorab darauf einigen, die geplanten, beauftragten und ausgeführten Reinigungen nach möglichst nachvollziehbaren und objektivierbaren Beurteilungskriterien gemeinschaftlich festzulegen. Hilfestellungen hierzu werden in verschiedenen Merkblättern und Richtlinien gegeben. Kriterien zur Festlegung visueller Anforderungen oder optischer Eigenschaften von Fassaden werden beispielsweise in 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 447 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen den relativ ausführlich erläuterten Ausführungen des Sichtbetonmerkblattes des DBV, vergl. [11], sowie in die Richtlinie des Bayrischen Maler- und Lackiererhandwerks, vergl. [12], genannt. 6.3 Grundlegende Reinigungsklassen Aus den in Abschn. 5.2 genannten Regelwerken lassen sich folgende grundsätzlichen Reinigungsklassen ableiten: Erstreinigung Entfernung von Bauschmutz, Bauresten und Klebstoff, Entfernung Schutzfolienreste und Etiketten, Reinigung der Fensterflächen etc., Reinigung der Fassade von atmosphärischen Verschmutzungen Intervallreinigung Intervallreinigung sollte im Rhythmus von ca. 3 Jahren ausgeführt werden. Je nach U m g e b u n g s b e d i n g u n g e n sind deutliche Abweichungen möglich. Grundreinigung Wenn mehrere Jahre nicht gereinigt wurde, oder die Verschmutzung im Zuge einer Intervallreinigung nicht mehr befriedigend beseitigbar sind, ist eine Grundreinigung durchzuführen. Diese Reinigung ist in der Regel abrasiv, das heißt mit Substanzverlust, verbunden. Wird zu lange auf eine Intervallreinigung verzichtet, kann ggf. ab einem bestimmten Zeitpunkt die Wiederherstellung des dekorativen Aussehens trotz Grundreinigung gefährdet sein. Die Grundreinigung umfasst in der Regel - Entfernung Grobschmutz und Bewuchs und ggf. mechanische Vorreinigung manuell oder mechanisch - ggf. Vorreinigung mit Wasser mit oder ohne Netzmittel oder Wasserdampf - Reinigung mit Heiß- oder Dampfstrahlverfahren (ggf. mit Netzmittel und / oder abrasivem Reinigungsmittel) oder chemische Reinigung (sauer oder alkalisch, je nach Verschmutzung) - Abwaschen der Reinigungsrückstände - Nachspülen - Ggf. Auftragen von Bioziden, Imprägnierungsmittel, Konservierungsmittel oder sonstigen Beschichtungen 6.4 Reinigungsverfahren Für mineralische Oberflächen, hier Sichtbetonflächen, stehen unter anderem folgende Reinigungsmethoden zur Verfügung: - Mechanische Vorreinigung manuell, ggf. auch maschinell (Bürsten, Kratzen) - Waschverfahren mit drucklosem Wasser ohne oder mit Netzmittel - Nassstrahlverfahren (Wasser, Heißwasser, Wasserdampf) ohne oder mit Netzmittel sowie ggf. Strahlmittel und ggf. wechselnder Strahlwinkel (z.B. Rotationsverfahren) - Trockenstrahlverfahren (Trockeneispellets, Partikelstrahlen mit Luft, Laserstrahl etc.) - Chemische Reinigungsverf . mit sauren oder alkalischen Reinigungsmitteln Nicht alle vorgenannten Reinigungsverfahren sind als Standardverfahren anzusehen. Manche der genannten Verfahren werden nur bei empfindlichen oder besonders schützenswerten, ggf. unter Denkmalschutz stehenden, Flächen angewandt. 6.5 Reinigungsmittel Als Reinigungsmittel sind zu nennen: - Bleichmittel: Wirkstoff Hypochlorite Wasserstoffperoxid - Abrasive Reinigungsmittel (Schmelzkammeraschen, Basaltmehl, Quarz, Dolomit, Glasperlen, Nussschalen etc.), - Alkalische Reiniger - Saure Reiniger - Tenside und Netzmittel - Seifenpasten, Reinigungspasten 6.6 Rahmenbedingungen zur Wahl des Reinigungsverfahrens Rahmenbedingungen der erreichbaren Reinigungsziele sind, wie in Abschn. 1 - 4 erläutert, abhängig von: - Art und Grad der vorgefundenen Verschmutzung, - Anforderung an das dekorative Aussehen, - Fassadenkonstruktion und Baustoffe, sowie Vorschädigung - Kosten des benötigten bzw. angestrebten Reinigungsaufwandes 448 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen Die Art und Weise des Schutzes von dauerelastischen Fugen, Ein- und Anbauteilen, benachbarten Bauteilen und benachbarten Bewuchses sollte vertraglich festgelegt werden. Insbesondere bei chemischen Reinigungsverfahren ist das Ableiten, Auffangen und Entsorgen der Reinigungsmittel und -rückstände ebenfalls festzulegen und zu planen. Die Maßnahmen zur Einhaltung von ggf. vorgegebenen Grenzwerten sind vorab festzulegen. Schäden an der Fassade sind aufgrund der Verschmutzung vor der Reinigung häufig nicht erkennbar. Werden Befahrungsanlagen oder Hubsteiger oder ähnliches eingesetzt, ist eine gleichzeitige Inspektion durch anderes Personal, wie dies z.B. bei einer Einrüstung gegeben ist, nicht möglich. Das Reinigungspersonal nimmt in der Regel eine handnahe Inaugenscheinnahme der Flächen vor. Sinnvoll ist daher nach Auffassung des Unterzeichners auch die Vereinbarung von Hinweispflichten hinsichtlich augenscheinlicher Schäden und Alterungserscheinungen. Der Umfang derartiger Hinweispflichten sollte jedoch, um Streitpotential zu vermeiden, genauestens festgelegt werden. Die mit den gewählten Methoden erzielbaren Reinigungsergebnisse sollten vorab an Musterflächen festgehalten werden und vom Auftraggeber und Auftragnehmer gemeinsam bemustert werden. Die auszuwählenden Musterflächen sind unter den Aspekten - Ausreichende Flächengröße - Erfassung der vorkommenden Verschmutzungsarten - Erfassung der unterschiedlichen Oberflächenbeschaffenheiten (Alterung) festgelegt werden. Der an der Musterfläche durchgeführte Reinigungszyklus ist als Vergleichsstandard für die Gesamtfläche zu erfassen und zu dokumentieren. Eine ausreichende und nachvollziehbare Dokumentation der Musterfläche vor und nach Reinigung (ggf. ergänzt durch Laborprüfungen wie Hellbezugswertmessungen) hat zu erfolgen. Die bemusterten Flächen sollten Vertragsbestandteil werden und bis zur Abnahme der Reinigungsleistung geschützt und nicht verändert werden. 7. Erzielbare Reinigungsergebnisse Das Reinigungsergebnis ist neben der vorgefundenen Oberflächenbeschaffenheit und der Art der zu entfernenden Substrate natürlich entscheidend auch vom gewählten Reinigungsverfahren abhängig. Grundsätzlich ist zu betonen, dass bei langjährig unterlassener Unterhaltsreinigung (Intervallreinigung) und Pflege der Fassade damit zu rechnen ist, dass zur Wiederherstellung des gewünschten Erscheinungsbildes neben einer Reinigung mindestens zusätzliche kosmetische Maßnahmen notwendig werden. Grundsätzlich sollte natürlich sowohl von Auftragnehmerseite als auch von Auftraggeberseite der technisch bestmögliche Reinigungserfolg angestrebt werden. Dies bedeutet jedoch, dass ggf. ein abgestufter Reinigungsgrad für einzelne Flächen oder Bereichen separat festgelegt werden muss, Angestrebt werden sollte hierbei natürlich ein für die Gesamtfläche ästhetisch akzeptables Aussehen. 8. Wirkungsweise von Reinigungsarten 8.1 Mechanische Trockenreinigungsverfahren 8.1.1 Abbürsten/ Abschleifen Bei einer Handreinigung mit Wurzel- oder Kunststoffbürsten besteht keine oder nur eine geringe Beschädigungsgefahr. Stahlbürsten sind aufgrund ihres Abriebes und der daraus resultierenden Verfärbungen ungeeignet. Bei Einsatz von entsprechenden Handgeräten mit rotierenden Bürsten nimmt die Gefahr von Materialabträgen zu. Ein maschinelles Schleifen oder Bürsten sollte möglichst auf örtlich leicht aufsitzende Verschmutzungen beschränkt werden. Insgesamt sind das Abbürsten und Abschleifen im Rahmen der Fassadenreinigung sicherlich nur als ergänzendes Verfahren für örtlich beschränkte Bereiche anzusehen. Ein Einsatz des Verfahrens im größeren Stil wird bereits aufgrund der hohen Personalkosten eher nur an hochwertigen, häufig denkmalgeschützten, Fassaden eingesetzt. 8.1.2 Trockenstrahlverfahren Es handelt sich um ein abrasives Reinigungsverfahren, dass als reines Reinigungsverfahren lediglich gegen festsitzende Verschmutzungsschichten größerer Stärke angewendet werden kann. Die Gefahr eines Materialabtrages der Fassadensubstanz ist hier gegeben bis unvermeidlich. Durch das Reinigungsverfahren wird die Kruste oder der Schmutzfilm durch Herausreißen und Zerkleinern von Einzelpartikeln abgetragen. Das Verfahren ist also vor Ort permanent auf die jeweiligen Abtragsrate und Restdicke der Verschmutzungskruste abzustimmen. Der Erfolg dieses Reinigungsverfahren hängt also wesentlich vom Kenntnisstand und Erfahrung des ausführenden Personals ab. Die Anprallenergie des Strahlmittels wird über Luftmenge, Luftdruck und Düsenöffnungsgröße der Austrittsdüse bestimmt und gesteuert. Der Reinigungserfolg ist darüber hinaus wesentlich von Struktur, Korngröße und Härtegrad des eingesetzten Strahlmittels abhängig. Trockenstrahlen ist mit sehr hoher Staubbelastung verbunden. In der Regel kommen daher geschlossene Systeme, bei der die Arbeiten in einer Einhausung mit Ab- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 449 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen saugung vorgenommen werden, zum Einsatz. Nachteil des geschlossenen Systems ist, dass zur beaufschlagten Strahlfläche kein direkter Sichtkontakt besteht. Die Staubentwicklung kann durch separate Einspeisung von Frischluft verbessert werden. Durch Einspritzen von Wassernebel kann durch Staubbindung eine gewisse Luftreinigung erzielt werden. Eine Sonderform des Trockenstrahlens ist der Einsatz von Niederdruckwirbelstrahlverfahren ohne Wasserzusatz, vergl. Abschn. 7.2.3. 8.2 Nassreinigungsverfahren 8.2.1 Drucklose Kaltwasserreinigung Das Berieseln von Fassaden durch Kaltwasser ist eher als (zusätzliche) Sonder- oder Spezialmaßnahme insbesondere bei denkmalgeschützten Bauteilen bei speziellen Verschmutzungsarten anzusehen. Aufgrund der benötigten langen Einwirkungszeiten ist die Gefahr von Folgeschäden aufgrund Bauteildurchfeuchtungen oder Wassereintritten in Anschlusskonstruktionen groß. Die zu behandelnden Flächen sind vor der Anwendung auf Fehlstellen zu untersuchen. Fenster- und Türöffnungen, Durchdringungsstellen, Bewegungsfugen und sonstige Schwachstellen sind aus den Berieselungsflächen auszuklammern oder entsprechend zu sichern. Durch Sprühverfahren kann die benötigte Wassermenge reduziert und eine gleichmäßige Flächenbenetzung besser gesteuert werden. 8.2.2 Hochdruckkalt- oder -warmwasserreinigung Das Leistungsspektrum von an der Fassade eingesetzten Hochdruckreinigern (Handgeräten) liegt im Allgemeinen bei 20 - 120 bar, bei einer Fördermenge von (ca. 10 - 15 l/ min. Die Reinigung erfolgt über das Zusammenspiel von Wasserlöslichkeit, Auftrittsenergie und Auftrittswinkel der Schmutzpartikel. Wird die Aufprallenergie, also auf den Aufprallpunkt bezogene Aufprallgeschwindigkeit, und der Volumenstrom erhöht, steigt auch die potentielle Reinigungsleistung. Hinsichtlich des Reinigungsverfahrens sind daher Volumenstrom, Wasserdruck, Auftreffwinkel sowie Düsenform und -durchmesser wichtige Kenngrößen. Mit steigender Aufprallenergie steigt natürlich auch das Risiko der Beschädigung der Oberfläche. Die Betriebsdrücke sollten gemäß Empfehlungen der WTA [5] bei Natursteinoberflächen auf maximal 120 bar begrenzt werden, da es sonst zu unerwünschtem Materialabtrag an vorgeschädigten Natursteinoberflächen kommen kann. Bei höheren Betriebsdrücken steigt bei geringen Abständen der Reinigungslanze von der Wandfläche natürlich die Gefahr von Beschädigungen. Wird der Abstand zu groß gewählt, wird keine effektive Reinigungsleistung mehr erzielt. Für lackierte metallische Oberflächen wird von Herstellerseite teilweise ein Minimalabstand von 50 - 60 cm vorgegeben. Der Mindestabstand der Reinigungsdüse von der Wand ist für mineralische Oberflächen auf die Beschaffenheit der jeweiligen Wandoberfläche und den Vorschädigungsgrad im Reinigungsabschnitt abzustimmen und zwar jeweils für die gewählte Düsenform. Mit einer Kalt-, Heißwasser- oder Dampfreinigung ohne Zusätze (Netzmittel und / oder Substrate) ist anerkanntermaßen nur ein begrenzter Reinigungserfolg zu erzielen, insbesondere die Reinigungswirkung von Kaltwasser-Hochdruckstrahlen ohne Einsatz von Netzmitteln ist sehr begrenzt. Eine Kaltwasserreinigung ohne Zusätze hat lediglich einen Status, der in etwa einer Vorreinigung entspricht. Wird eine Fassade langjährig nicht gereinigt, ist mit einer einfachen Hochdruck-Kaltwasserreinigung ohne Zusätze ein ästhetisch befriedigendes Ergebnis nicht sicher erzielbar. Die Ablösung bestimmter Schmutzpartikel wird jedoch durch Tenside stark unterstützt, gleichzeitig werden die Partikel nach Ablösung umhüllt. Während des Ablaufes der Reinigungslösung an der Fassade wird die Wiederanlagerungsneigung der Schmutzpartikel so deutlich reduziert. Alternativ zu Waschwasserzusätzen kann die zu reinigende Oberfläche flüssigen oder mit pastösen Reinigungspasten vorbehandelt werden, vergl. Abschn. 7.3. Nach der Reinigung ist so lange mit klarem Wasser nachzuspülen, bis das Netzmittel vollständig entfernt wird. Erfolgt dies nicht, werden Anstriche und insbesondere Imprägnierungen an diesen Flächen ggf. beeinträchtigt. Durch den Einsatz von Warm-, Heißwasser oder überhitztem Wasser kann der Reinigungseffekt erheblich gesteigert werden, da das Lösen und Emulgieren der Schmutzpartikel beschleunigt wird. Durch den Zusatz von Strahlmittel kann die Hochdruckkalt- oder -warmwasserreinigung auf die benötigte Abtragsleistung eingestellt werden; gegenüber dem Trockenstrahlen wird eine höhere Einschlagsenergie erzielt. Im Vergleich zum Trockenstrahlen kann jedoch der Volumenstrom des Strahlmittels schlechter gesteuert werden. Die Verbrauchsmengen sind daher bei Nass-Strahlverfahren in der Regel höher. Grundsätzlich ist bei Einsatz von Nassreinigungsverfahren darauf zu achten, dass es nicht zu unerwünschter Auffeuchtung kommt. 8.2.3 Niederdruckwirbelstrahlverfahren Mittels spezieller Düsen wird bei niedrigem Luftdruck (ca. 0.5 -1,5 bar) mittels Feinstrahlmittel (Trockenstrahlverfahren) oder mittels Feinstrahlmittel und Wasser (Nass-Strahlen) ein rotierender Volumenstrahl geschaffen, der die Schmutzpartikel quasi von der Oberfläche abschält. 450 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen Durch die Begrenzung der maximalen Korngröße des eingesetzten Granulates auf 0,5 mm wird ein Mikroschleif- oder Radiervorgang eingeleitet. Die zu erzielende Abtragsrate kann durch die Wahl der Härte des Granulates (z.B. Glasmehl, Trockeneis etc.) so auf den jeweiligen Untergrund eingestellt werden, dass der Materialabtrag sich im Wesentlichen auf die Schmutzschichten beschränkt. Eine gewisse Aufrauhung der Originaloberfläche lässt sich jedoch häufig nicht vermeiden. Bei der Anwendung von Trockeneis wird zudem der Temperschock und die kältebedingte Volumenreduzierung genutzt, die zu einer zusätzlichen Belastung der Grenzfläche zwischen Verschmutzung und Baustoffoberfläche führt. 8.3 chemische Reinigungsverfahren Chemischen Reinigungsmitteln werden allgemein je nach pH-Wert in saure oder alkalische Reinigungsmittel unterteilt. Neutrale Reinigungsmittel die lediglich Tenside zur Herabsetzung der Oberflächenspannung enthalten, wurden bereits in Abschn. 7.2.2 behandelt. Saure Reinigungsmittel eignen sich z.B. zur Entfernung von Kalkausblühungen und sonstige säurelöslichen Rückstände. Saure Reinigungsmittel greifen damit in der Regel auch die Karbonatverbindungen von Beton, Putz, Mauermörtel, Estrich, künstlichen und natürlichen Mauersteinen an. Alkalische Reiniger führen in der Regel zu keiner Schädigung mineralischer Baustoffe. Alkalische Reiniger werden häufig zur Entfernung von Ruß, Teer und Fette sowie Gummiabrieb eingesetzt. Ein Kontakt zu angrenzenden oder eingebauten Teile ist jedoch zu vermeiden, da alkalische Reiniger je nach Zusammensetzung unter anderem Lacke, Aluminium, Glas und Zink angreifen können. Saure und alkalische Reinigungsmittel bilden wasserlösliche Salze. Die Auftragsrichtung im Falle einer chemischen Reinigung erfolgt daher immer von unten nach oben, da so ein Eindringen der Salze in die darunter liegenden bereits wassergesättigten gereinigten Bereich vermieden wird. Bei dünnflüssigen Reinigungsmitteln ist die Fassade in der Regel gut vorzunässen, um die Eindringtiefe zu begrenzen. Ein gleichmäßiger Flächenauftrag, z.B. über Niederdruckpumpen, ist zu gewährleisten. So kann ein guter und gleichmäßiger Kontakt mit der zu reinigenden Oberfläche erzielt werden. Pastöse Stoffe, die in der Regel aufgerollt oder gebürstet werden, benötigen eine längere Einwirkzeit als dünnflüssige Reinigungsmittel und müssen sorgfältig aufgebracht werden, um einen gleichmäßigen und sachgerechten Flächenauftrag zu realisieren. Aufgrund ihrer chemischen Reaktionsfähigkeit ist die Einwirkzeit des jeweiligen Mittels auf die zu behandelnde Fläche in Abhängigkeit des Baustoffes, der Verschmutzungsart, der Verschmutzungsintensität und der Bauteil- und Umgebungstemperatur abzustimmen. Vorversuche sollten durchgeführt werden. Bei sehr langen Einwirkzeiten ist die Fassade vor Austrocknung zu schützen, ggf. durch Folienabdeckung. Das Entfernen des Reinigungsmittels mittels Druckwasser kann durch rotierende Bürsten unterstützt werden. Der pH-Wert des Waschwassers sollte überwacht werden, um zu kontrollieren das Reinigungsmittel wieder möglichst rückstandsfrei von der Fassade entfernt wurde. Der Nachspülvorgang kann beendet werden, wenn der pH-Wert des Waschwassers sich auf eine pH-Wert zwischen 6 und 7 eingependelt hat. Neben flächiger Anwendung werden chemische Reinigungsmittel auch zur Entfernung lokal sehr begrenzter Verfärbungen eingesetzt, (z.B. sogenannte Rostumwandler). In diesen Fällen sollte die Zusammensetzung der Verfärbung bekannt sein und das Reinigungsmittel genau auf diese Stoffgruppen und das Umgebungsmaterial abgestimmt werden und die Wirksamkeit anhand Vorversuche überwacht werden. 8.4 Sonderverfahren Laser- oder Ultraschallreinigungen werden in der Regel lediglich an hochwertigen kleinteiligen Objekten (z.B. kleinteilige Skulpturen) im Labor durchgeführt. Für den speziellen Einzelfall können weitere chemische Sonderreinigungsverfahren gewählt werden. So können z.B. an keramischen Baustoffen mehr oder weniger gezielt die Farbgebung einzelner Schwermetallverbindungen verändert werden. Quellennachweise [1] DIN 31051, Ausgabe 2012-09: Grundlagen der Instandhaltung [2a] DIN EN 13306, Ausgabe 2010-12: Instandhaltung - Begriffe der Instandhaltung [2b] DIN EN 13306, Ausgabe 2015-09 (Entwurf): Instandhaltung - Begriffe der Instandhaltung [3] Schweizerische Zentrale Fenster u. Fassade, SZFF (Hrsg.): SZFF-Richtlinie 62.01 (Ausgabe 2010) Unterhalt und Reinigung von Fassaden in Natur- und Kunststein Selbstverlag, Dietikon 2010 [4] Institut f. Gütesicherung u. Kennzeichnung, RAL (Hrsg.): Reinigung und Schutz, Fassade und Denkmal, Gütesicherung Ausgabe 08.2015 Beuth Verlag GmbH, Berlin, 2015 [5] Wissenschaftlich-technische Arbeitsgemeinschaft für Mauerwerkserhaltung und Denkmalpflege e.V., (WTA) WTA Merkblatt 3-5-98/ D Natursteinrestaurierung nach WTA I: Reinigung Selbstverlag, Baiersbrunn, 09.98 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 451 Sauber aber fleckig - Streitpunkt Fassadenreinigung - Möglichkeit, Grenzen und technische Rahmenbedingungen [6] Wissenschaftlich-technische Arbeitsgemeinschaft für Mauerwerkserhaltung und Denkmalpflege e.V., (WTA) WTA Merkblatt 3-9-95/ D Bewertung von gereinigten Werksteinoberflächen Selbstverlag, Baiersbrunn, 07.97 [7] Huberty, J. M.: Fassaden in der Witterung Betonverlag GmbH, Düsseldorf 1983 [8] Greve U.: Haus- und Hofwesen in deutschen Landen Husum, Drucku. Verlagsgesellschaft mbH, Husum, 2002 [9] DIN 77400 Reinigungsdienstleistungen - Schulgebäude - Anforderung an die Reinigung; Ausgabe 2015-09 [10] Europ. Forschungsgemein. Reinigungsu. Hygienetechnologie (Hrsg.): FRT-Leitfaden für mineralische Bodenbeläge, Stand 10.13 Reinigungsarten- und verfahren Reinigung, Pflege und Werterhalt Selbstverlag, Krefeld, 2013 [11] DBV Merkblatt Sichtbeton, Fassung August 2004 (2. 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Die gängigen Systeme sind jedoch für bestimmte Anwendungen ungeeignet oder gestalten sich sehr aufwendig. Entsprechend besteht der Bedarf an einem Schutzsystem, das einfach zu applizieren ist und dauerhaften Schutz bietet. Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Forschungsprojekts werden am Institut für Baustoffforschung (ibac) der RWTH Aachen University in Zusammenarbeit mit der GTV Verschleißschutz GmbH mittels Plasmaspritzen hergestellte Keramikschichten und deren Eignung z.B. für den Schutz von Betonoberflächen in Trink- und Abwasserbauwerken untersucht. In diesem Beitrag werden die bisherigen Ergebnisse der verschiedenen Arbeiten und Untersuchungen vorgestellt. Die Ergebnisse zeigen, dass es möglich ist, praktisch schädigungsfrei gut haftende, fugenlose und reproduzierbare Aluminiumoxidschichten mittels Plasmaspritzen auf verschiedenen Mörteln und Betonen herzustellen. 1. Einleitung 1.1 Gespritzte Schutzsysteme für Betonoberflächen Durch Betonkorrosion infolge physikalischer oder chemischer Belastungen werden Betonoberflächen teilweise stark geschädigt. Die Art der Einwirkung reicht beispielsweise von der Auslaugung von Trinkwasserbehältern bis hin zur biogener Schwefelsäurekorrosion bei Abwasserbauwerken. Um die Korrosion der Betonoberflächen zu verhindern, können diese mit Schutzsystemen beschichtet werden. Neben Polymerbeschichtungen und Spezialmörteln, deren Dauerhaftigkeit z.T. begrenzt ist, finden dabei auch Auskleidungssysteme aus Glas Anwendung. So können beispielsweise Glasscheiben mit Dicken von 4 bis 10 mm, die speziell an die jeweilige Bauteilkrümmung angepasst sind, aufgeklebt werden. Eine andere Vorgehensweise verwendet biegsame Flachglaspaneele, die überlappend verklebt werden. Beide Auskleidungsarten sind aufwendig in der Applikation und damit vergleichsweise kostenintensiv in der Herstellung. Sofern die Maßnahmen fachgerecht und fehlerfrei durchgeführt werden, kann mit beiden prinzipiell ein dauerhafter Schutz des Betons erzielt werden - Ausführungsfehler sind jedoch besonders kritisch zu bewerten [1]. Als Weiterentwicklung dieses Schutzprinzips wurde an der RWTH Aachen University das nahtlose Applizieren flammgespritzter Glasschichten auf Beton erforscht. Das Flammspritzen auf Beton wurde bereits zuvor verfolgt [2-5], jedoch bis dato nicht zur Industriereife gebracht. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand scheiterte dies an der thermischen Belastung des Betons und der starken Rissbildung in den gespritzten Glasschichten. Derzeit forschen das Institut für Baustoffforschung (ibac) der RWTH Aachen University und die GTV Verschleißschutz GmbH gemeinsam im Rahmen eines vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Transfer-Projektes an einer Applikationstechnik für thermisch gespritzte, nahtlose Keramikschichten für den Schutz von Betonoberflächen. Gespritzte Keramikschichten könnten beispielweise als dauerhafter Säureschutz in Abwassersystemen oder auch als lebensmittelechte Beschichtung von Trinkwasserbehältern verwendet werden. 1.2 Vorarbeiten Die aktuellen Arbeiten zur Erstellung nahtloser und gut haftender gespritzter Schichten auf Beton stützen sich auf die Vorarbeiten zweier vorangegangener DFG-Pro- 456 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Plasmagespritzte Aluminiumoxidschichten für den Schutz von Betonoberflächen jekte. In den damaligen Versuchen wurde zunächst in Anlehnung an den gewöhnlichen Aufbau von Betonkanälen quarzitische Gesteinskörnung für die Herstellung der Prüfkörper verwendet. Diese wiesen nach der thermischen Beanspruchung durch das Flammspritzen jedoch starke Schädigungen auf und zeigten ein kohäsives Versagen direkt unterhalb der aufgespritzten Glasschicht, teils durch gerissene Quarzkörner hindurch, sowie Rissbildung in der Zementmatrix bis in mehrere Millimeter Tiefe [6]. Grund dafür waren gegenläufige Dehnungen der Zementmatrix und des Zuschlages sowie der bei 573 °C schlagartig auftretende Volumenzuwachs der Gesteinskörnung durch den Quarzsprung [7]. Die Ergebnisse zeigten, dass für eine Anwendung in der Praxis eine thermisch beständigere, schützende Zwischenschicht erforderlich ist. Als Zuschlag für eine solche Schutzschicht empfiehlt sich ein Material mit geringeren Wärmedehnungen als Quarz wie bspw. Basalt [8]. Daher wurde anschließend an die Versuche mit den quarzitischen Zuschlägen ein Basaltmörtel für eine dünne thermische Schutzschicht entwickelt und als Substrat für die gespritzten Schichten verwendet. Auf diese Weise konnte der Untergrundbeton geschützt werden. Eine weitere Herausforderung stellte jedoch die unvermeidbare flächige Rissbildung in den Glasschichten infolge des Abkühlens dar, weshalb im aktuellen Projekt Keramikschichten auf ihre Eignung zur Erhöhung der Dauerhaftigkeit untersucht werden. 2. Material und Methoden 2.1 Herstellung von Grundkörpern In dem aktuell noch laufenden Projekt wurden bislang 38 Prüfkörper aus Basaltmörtel, 32 Verbundkörper aus Altbeton (A3) und Basaltmörtel sowie 36 Prüfkörper und 3 Demonstratoren aus Referenzbeton (MC 0,40) hergestellt. Die Prüfkörper sind Platten mit einer Kantenlänge von 20 cm und einer variierenden Dicke, je nach Material und Anwendungsbzw. Untersuchungszweck. Die Grundkörper wurden nach der Herstellung nach zwei Tagen ausgeschalt und anschließend bei Laborklima gelagert. Zusätzlich zu den Prüfkörpern wurden jeweils Normprismen bzw. Normwürfel hergestellt und nach 28 Tagen geprüft sowie die Frischmörteleigenschaften während der Herstellung untersucht. Während des Projektes wurde die Rezeptur des Basaltmörtels stetig angepasst, um seine Eignung als Schutzschicht zu optimieren. Der Wassergehalt sollte so gering wie möglich sein, um einen möglichst hohen thermischen Widerstand zu bieten. Das war jedoch herausfordernd, da der Basaltzuschlag einen besonders hohen Wasserbedarf hat und eine gute Verarbeitbarkeit gewährleistet werden muss. Die finale Zusammensetzung sowie die Materialeigenschaften des Basaltmörtels sind in Tabelle 1 gegeben. Tabelle 1: Zusammensetzung und Materialeigenschaften des finalen Basaltmörtels Zusammensetzung Eigenschaft Einheit Basaltmörtel w/ z-Wert - 0,49 Zementart - CEM I 42,5 R Wasser kg/ m³ 147 Zement 300 Flugasche 50 Fließmittel 6,4 Basalt 0-1 mm 760 0-2 mm 217 2-5 mm 1195 mittlere Rohdichte 2530 mittlere Würfeldruckfestigkeit nach 28 Tagen N/ mm² 79,6 Zunächst wurde lediglich die Schutzschicht anhand von Basaltmörtelplatten von 30 mm Dicke untersucht. Anschließend wurden in Anlehnung an die spätere Anwendung Verbundkörper aus Altbeton und Schutzschicht (15/ 20/ 25/ 30 mm Dicke) hergestellt und geprüft, um die nötige Schutzschichtdicke zu ermitteln. Die Referenzbetonplatten wiesen eine Dicke von 30 mm auf und die Demonstratoren wurden hergestellt, um die verschiedenen Geometrien in Trinkwasserbehältern (Säulen, Treppen, Ablaufrinnen) darzustellen und zu untersuchen. Dabei wurden möglichst viele verschiedene Geometrien je Demonstrator umgesetzt, wie bspw. beim Ablaufrinnen-Demonstrator mit 3 verschiedenen Durchmessern (siehe Abbildung 1). Abbildung 1: CAD-Skizze des Demonstrators mit Ablaufrinnen verschiedener Durchmesser 2.2 Verwendete Pulver und Brenner Das Spritzverfahren kann durch ein entsprechendes Programm vorgegeben und nahezu beliebig eingestellt werden. In der aktuellen Arbeit wurden Spritzgeschwindigkeiten (horizontale Bewegung der Spritzpistole zur Probenoberfläche) von 0,75 bis 2 m/ s und Spritzabstände von 150 bis 250 mm untersucht. Der Spritzwinkel relativ zur Proben- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 457 Plasmagespritzte Aluminiumoxidschichten für den Schutz von Betonoberflächen oberfläche variierte zwischen 45° und 90° und der Scanversatz (Schrittweite von Bahn zu Bahn) zwischen 10 und 30 mm. Die Proben wurden 1bis 2-lagig beschichtet. Die Einstellung des Spritzprogrammes erfolgt computergesteuert und kann mit einem CAD-Modell bauteilspezifisch programmiert werden (siehe Abbildung 2). In den vorangegangenen Projekten wurden die Glasschichten zunächst manuell und später robotergeführt flammgespritzt. Um größere Beschichtungsraten zu erzielen und auch Keramikpulver verarbeiten zu können, wird in diesem Projekt eine Plasmaspritzpistole genutzt, die durch einen Roboter (KR 60 L30- 2 Jet, KUKA) geführt wird (siehe Abbildung 3). Abbildung 2: CAD-geführte Spritzapplikation des Treppen-Demonstrators Abbildung 3: KR 60 L30-2 Jet und der Spritzstand mit rückseitiger Absaugung (in blau) In Anlehnung an die vorangegangenen Forschungsprojekte wurden zunächst gemahlene Floatgläser sowie alkaliresistente Gläser (AR-Glas) verwendet und um ein Aluminiumoxid-Pulver zur Herstellung keramischer Schichten ergänzt. Aluminiumoxid bietet neben einem im Vergleich zu anderen Keramik-Pulvern relativ geringen Preis den Vorteil einer guten Verarbeitbarkeit. Die Verarbeitbarkeit wird durch die Förderfähigkeit und Schmelzbarkeit der Pulver bestimmt, welche von den Kornformen und -größen abhängen. Runde Körner fließen besser als gebrochene und breite Korngrößenverteilungen erhöhen die Verdichtung und erschweren somit die Verarbeitung. Die Korngrößen(verteilungen) der drei genutzten Materialien sind in Tabelle 2 gegeben. Tabelle 2: Korngrößen der unterschiedlichen verwendeten Pulver (2x Glas, 1x Keramik) Material Korngröße je Siebdurchgang in µm d 10 d 50 d 90 Floatglas 74,6 112,2 144,5 AR-Glas („ZEM“) nach Hellmann [9] 180,3 282,7 488,8 Aluminiumoxid (99,7 %) 21,5 30,6 41,2 Das sogenannte ZEM-Glas [9] aus Tabelle 1 wurde parallel zum ersten Vorgängerprojekt am Institut für Gesteinshüttenkunde (GHI) der RWTH Aachen University entwickelt und später in einem gemeinsamen Projekt als besonders korrosionsbeständiges Glas für die Flammspritz-Applikation auf Beton weiterentwickelt und untersucht [10]. In den ersten Spritzversuchen von verschiedenen Gläsern und Aluminiumoxidpulvern hat sich schnell herausgestellt, dass die Applikation von Glasschichten mittels Plasmaspritzen aufgrund einer ungleichmäßigen Aufschmelzung infolge der geringen Wärmeleitfähigkeit der Gläser nicht vielversprechend ist [11], weshalb der Fokus im weiteren Projektverlauf deutlich auf Schichten aus Aluminiumoxid gelegt wurde. Der verwendete Penta-Brenner von GTV ist ein 5-Anoden-Plasma-Brenner, bei dem die elektrische Leistung über ein Argon-Wasserstoff-Plasma übertragen wird. Er erreicht bei dem final verwendeten Parametersatz eine Leistung von 106 kW. Wohingegen beim Flammspritz-Prozess in den Vorarbeiten stets eine Vorwärmung der Probekörper nötig war, um den thermischen Schock zu reduzieren, konnten mit dem Plasmaspritz-Prozess bessere Haftungen auch ohne Vorwärmung realisiert werden, sodass ein bislang notwendiger Arbeitsschritt eingespart werden konnte. 458 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Plasmagespritzte Aluminiumoxidschichten für den Schutz von Betonoberflächen 2.3 Untersuchungen An den hergestellten Prüfkörpern wurden verschiedene physikalische und chemische Untersuchungen durchgeführt, darunter folgende: • Prüfung der Druck- und Biegezugfestigkeit • Bestimmung der Frischmörtelkennwerte • Prüfung der Haftzugfestigkeit • Prüfung der Wärmeleitfähigkeit • Prüfung des Verschleißwiderstandes • Untersuchung der Dichtheit • Untersuchung des Widerstandes gegen Säuren und Laugen • Durchführung von Mikroskopie Außerdem sind als abschließendes Arbeitspaket umfangreiche Auslaugungsversuche geplant und derzeit in der Vorbereitung. Aus Gründen der Übersicht und Kompaktheit wird hier nicht auf jede Untersuchung eingegangen. Die wichtigste Untersuchung zur Ermittlung der idealen Spritzparameter war die Haftzugprüfung. Diese wurde durchgeführt, indem Ringnuten mit 50 mm Durchmesser in die Proben wassergekühlt hineingebohrt und nach der Trocknung Haftzugstempel auf die Prüfflächen geklebt und anschließend mit 100 N/ s abgezogen wurden. Es wurden je nach Größe und Zustand der Platte möglichst 5 Prüfstellen untersucht, mindestens jedoch 3. 3. Ergebnisse 3.1 Untersuchung der Basaltmörtel-Schutzschicht für die Anwendung auf Altbeton Zunächst wurden in einer großen Parameterstudie 21 verschiedene Parameterkombinationen aus Abstand, Scanversatz, Geschwindigkeit, Schichtanzahl und Vorwärmung appliziert und die Prüfkörper anschließend auf ihre Haftzugfestigkeit geprüft. Bei den meisten Kombinationen versagten die Prüfkörper kohäsiv im Basaltmörtel bei Festigkeiten, die im Streubereich des unbeschichteten Mörtels lagen. Die beste Kombination (150 mm Abstand, 2 m/ s Spritzgeschwindigkeit, 10 mm Scanversatz, 1 Schicht) erzielte eine mittlere Haftzugfestigkeit von 3,3 N/ mm² (Kohäsionsbruch) und entsprach somit exakt der Haftzugfestigkeit des ReferenzPrüfkörpers. Die niedrigste Haftzugfestigkeit von 1,12 N/ mm² (Adhäsionsbruch) wurde durch eine Kombination von geringem Abstand, geringer Geschwindigkeit, geringem Scanversatz und hoher Schichtanzahl bewirkt. Ein typisches Bruchbild infolge der Haftzugprüfung ist in Abbildung 4 gezeigt. Abbildung 4: Bruchbild einer beschichteten Basaltmörtelplatte nach einer Haftzugprüfung Nachdem die thermische Widerstandsfähigkeit des Basaltmörtels als erwiesen galt, sollte die nötige Mindestschichtdicke zum Schutz des Untergrundbetons ermittelt werden. Der Untergrundbeton wurde konservativ durch einen Altbeton der Klasse A3 simuliert. Um ein Verbundversagen zwischen Altbeton und Schutzschicht zu vermeiden, sollte ebenfalls eine wirksame Untergrundvorbereitung ermittelt werden. Die Altbetonplatten wurden daher unterschiedlich aufgeraut (3 verschiedene Rauheitsgrade durch Sandstrahlen, 1 Rauheitsgrad durch Fräsen) und anschließend mit 15 bis 30 mm dicken Basaltmörtelschichten aufbetoniert. Als Nachweis der thermischen Schutzwirkung des Basaltmörtels wurden ergänzende Untersuchungen der Wärmeleitfähigkeit an beiden bis auf Massekonstanz getrockneten Materialien durchgeführt, deren Ergebnisse in Tabelle 3 gegeben sind. Im Vergleich hat der Basaltmörtel eine um 56 % reduzierte Wärmeleitfähigkeit über alle geprüften Temperaturstufen hinweg. Tabelle 3: Wärmeleitfähigkeit λ des Altbetons und des Basaltmörtels bei drei Prüftemperaturen Material Rohdichte in kg/ m³ Prüftemperatur in °C λ in mW/ K/ m Altbeton A3 2128 10 2353 23 2427 40 2447 Basaltmörtel 2318 10 1030 23 1058 40 1080 Bei den anschließenden Haftzugprüfungen an den Verbundkörpern versagten die Verbundkörper entweder kohäsiv im Altbetonuntergrund oder adhäsiv zwischenAltbeton und Basaltmörtel, jedoch stets bei Festigkeiten im Streubereich der Referenzprobekörper. Bei Betrachtung der Prüfstellen mit kohäsivem Versagen im Altbeton erzielten diese unabhängig von der Untergrundvorbereitung und der Schutzschicht- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 459 Plasmagespritzte Aluminiumoxidschichten für den Schutz von Betonoberflächen dicke im Mittel Haftzugfestigkeiten von 1,63 ± 0,35 N/ mm². Der Mittelwert der Haftzugfestigkeit der Altbetonprüfkörper ohne Schutzmörtel lag bei 1,43 ± 0,12 N/ mm². Die Streuungen sind jedoch wie für einen A3-Beton üblich ausgesprochen hoch. Da auch beim Altbeton A3 eine schädigungsarme Plasmaspritzapplikation festgestellt werden konnte, wurden gewöhnliche Vollklinkersteine, Gehwegplatten (siehe Abbildung 5) und verschiedene Betone mit Aluminiumoxid beschichtet. Bei keinem der Baustoffe konnte ein signifikanter Festigkeitsverlust infolge des thermischen Spritzens festgestellt werden. Entsprechend wurde der in den Vorgängerprojekten nötige Schutzmörtel obsolet und im weiteren Projektverlauf für die Grundkörperherstellung der Referenzbeton MC 0,40 verwendet. Abbildung 5: Gehwegplatte mit einer Haftzugfestigkeit von 3,27 N/ mm² (Referenzwert: 3,26 N/ mm²) 3.2 Haftzugfestigkeit auf Referenzbeton Basierend auf der ersten Parameterstudie zur Optimierung der Spritzparameter wurde in einer zweiten Studie am Referenzbeton der Einfluss des Spritzwinkels untersucht. Der Spritzwinkel musss für eine Applikation bei gekrümmten oder eckigen Bauteilen variabel einstellbar sein und teilweise von den standardmäßig verwendeten 90° abweichen. In Abbildung 6 sind die gemittelten Haftzugfestigkeiten in Abhängigkeit des Spritzwinkels gegeben. Auch hier überlappen die Streubänder mit jener der Referenzprobe, sodass keine signifikante Schädigung festgestellt werden konnte. Das Versagen fand bei allen Stellen im Beton statt, wie in Abbildung 7 gezeigt. Abbildung 6: Haftzugfestigkeiten des beschichteten Referenzbetons in Abhängigkeit des Spritzwinkels Abbildung 7: Bruchbilder der Haftzugprüfung am beschichteten Referenzbeton 3.3 Dichtheit Eine wesentliche Anforderung an die gespritzten Schichten ist neben der Haftung am Untergrund die Dichtheit. Die Dichtheit ist zum einen von der lückenlosen Bekleidung der Oberfläche und zum anderen von der Porosität und Rissfreiheit der Beschichtung abhängig. Wie in Abbildung 8 zu sehen, ist die plasmagespritzte Beschichtung unter dem Lichtmikroskop betrachtet geeignet, um gewisse Rauigkeiten und Unebenheiten der Betonoberfläche auszugleichen. Allerdings wird bei näherer Betrachtung im REM (Rasterelektronen-Mikroskop) eine feine Verteilung von Mikrorissen und eine gewisse Porosität sichtbar (siehe Abbildung 9). Diese Mikrorisse haben Einfluss auf die Dichtheit der Beschichtung und ermöglichen ein Eindringen von Wasser. Aufgrund der geringen Größe der Poren und Risse sind sie jedoch gut für Verfüllung mit einer hochviskosen Versiegelung geeignet. Eine Versiegelung aus dem Sortiment der GTV Verschleißschutz GmbH hat bereits eine Trinkwasserzulassung und ist explizit für die Anwendung bei Mikroporen und Haarrissen geeignet. Nach der Versiegelung waren die Proben auch über eine tagelange Wasserbeaufschlagung hinweg dicht, was mit der Wassereindringprüfung nach Karsten 460 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Plasmagespritzte Aluminiumoxidschichten für den Schutz von Betonoberflächen nachgewiesen wurde (siehe Abbildung 10). Die Wasserverluste infolge Verdunstung wurden durch Referenzprüfungen an wasserdichten Fliesen berücksichtigt. Abbildung 8: Dünnschliff einer mit Aluminiumoxid beschichteten Basaltmörtelprobe Abbildung 9: Mikrorisse in der plasmagespritzten Aluminiumoxidschicht Abbildung 10: Wassereindringprüfung nach Karsten an versiegelten Aluminiumoxidschichten Die Überprüfung der Wasserdichtheit bei einer Auslaugung mit demineralisiertem Wasser über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgt im weiteren Projektverlauf. Dabei soll auch der Einfluss von anhaltender Säure- und Laugenbeaufschlagung untersucht werden. Die am ibac vorhandene Auslaugungsanlage wurde extra für diesen Zweck aufgerüstet. Die Auslaugung soll mittels der NMR-Spektroskopie überprüft werden, derzeit laufen die Messungen der Prüfkörper vor der Auslaugung. Die generelle Resistenz gegen chemische Angriffe wurde in Tastversuchen anhand von beschichteten runden Stahlscheiben nachgewiesen. Der Stahl wurde zum Schutz vor der Säure mit einem Epoxidharz beschichtet. Nach einer 7tägigen Lagerung in einer Schwefelsäure (pH = 1) waren Epoxidharz sowie Stahlstempel stark angegriffen bzw. aufgelöst, die Aluminiumoxidschicht zeigte jedoch keine Veränderung neben einer leichten Vergilbung (siehe Abbildung 11). Die Prüffläche wurde vor der Lagerung mit der Versiegelung abgedichtet, die wasserabweisende Wirkung war auch nach der Säurelagerung noch gegeben. Abbildung 11: Vorderseite (Aluminiumoxidschicht, versiegelt) und Rückseite (mit Epoxidharz beschichteter Stahl, korrodiert) eines Prüfkörpers nach einer 7-tägigen Lagerung in Schwefelsäure (pH = 1) 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 461 Plasmagespritzte Aluminiumoxidschichten für den Schutz von Betonoberflächen 4. Diskussion Durch den robotergeführten Spritzprozess wird eine reproduzierbare sowie hochpräzise Applikation möglich. Mit der besten Parametereinstellung wird eine Beschichtungsrate von 200 cm²/ s bzw. 1,2 m²/ min erreicht, sodass auch größere Flächen zügig beschichtet werden können. Komplexe Geometrien können über ein CAD-Modell in die Robotersteuerung importiert und so mit exakten Abständen und Neigungswinkeln bespritzt werden. Sollte ein Platzmangel die Bewegungsfreiheit des Roboterarmes einschränken, so kann der Winkel zur Oberfläche zwischen 90° und 45° frei gewählt werden. Es wurde nachgewiesen, dass die Spritzneigung in diesem Bereich keinen signifikanten Einfluss auf die erzielte Haftung hat. Es wurde ein Basaltmörtel entwickelt, der sehr hohe Festigkeiten mit einer guten Verarbeitbarkeit und einer besonders geringen Wärmeleitfähigkeit verbindet und damit eine hervorragende Eignung als thermische Schutzschicht aufweist. Selbst geringe Schichtdicken von bis zu 15 mm waren geeignet, um den Untergrund wirksam vor einer thermischen Beanspruchung des Plasmaspritzprozess zu schützen. Durch die Optimierung der Spritzparameter konnten die Haftungskräfte der gespritzten Keramikschichten am Untergrund maximiert und dabei die thermische Schädigung des Substrates minimiert werden. In vergleichenden Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass das Verfahren für Betone verschiedener Qualitäten und Klinkersteine quasi als schädigungsfrei angenommen werden kann, da die geprüften Haftzugfestigkeiten stets im Streuband jener der Referenzproben lagen. Die Streuungen werden im Prinzip lediglich durch die ohnehin vorhandenen Streuungen des Untergrundes bestimmt bzw. bei korrekter Parameterwahl waren die Adhäsionskräfte zwischen Beschichtung und Untergrund stets höher als die Kohäsionskräfte des Untergrundes. Ein Versagen innerhalb der Keramikschicht wurde nie festgestellt. Die Keramikschicht kann also als die stärkste Komponente im Verbundsystem angenommen werden. Die mikroskopischen Untersuchungen ergaben, dass innerhalb der Aluminiumoxid-Schicht Mikroporen und -risse vorliegen, die eine Dichtheit der Schicht zunächst ausschließen. Diese sind jedoch sehr gut für die Verfüllung mit kapillaraktiven Versiegelungen geeignet, sodass anschließend eine vollständige Dichtheit gegen stehendes Wasser nachgewiesen werden konnte. Sowohl Beschichtung als auch Versiegelung waren in Tastversuchen weiterhin resistent gegen Säuren und Laugen. Die Dichtheit und Widerstandskraft bei Auslaugungsbeanspruchung bzw. längerer chemischer Beanspruchung soll noch in bereits vorbereiteten Versuchen untersucht werden. 5. Fazit Die Beschichtung von Betonbauteilen mit plasmagespritzten Glasschichten stellt eine innovative Schutzmaßnahme dar und bietet neue Möglichkeiten zur Erhöhung der Dauerhaftigkeit von Beton. Aus den Ergebnissen der bisher abgeschlossenen Untersuchungen können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden: • Das automatisierte Plasmaspritzen ermöglicht die Applikation nahtloser, hervorragend haftender Keramikschichten auf Beton. • Bei entsprechender Parameterwahl kann das Verfahren für verschiedene mineralische Baustoffe als praktisch schädigungsfrei angenommen werden. • Die Aluminiumoxidschichten zeigen herstellungsbedingt Mikroporen und -risse, die durch geeignete Versiegelungen effektiv gefüllt werden können, um eine Dichtheit zu erzeugen. Aktuell erfolgen vorbereitende Arbeiten, um die Demonstratoren zu beschichten und so die praktikable Anwendbarkeit auch für große und realistische Bauteile nachzuweisen. 6. Danksagung Die Autoren danken dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) für die Förderung dieses ZIM-Kooperationsprojektes (Förderkennzeichen ZF4140612SU8) und den Kollegen Herrn Dr.-Ing. Wank und Herrn Wessler von der GTV Verschleißschutz GmbH für die hervorragende Zusammenarbeit. Literatur [1] J. Orlowsky, Glasverbundsysteme im Kanalbau, 14. IFF-Fachtagung, 2007. [2] J.G. Legoux, S. Dallaire, Adhesion mechanisms of arc-sprayed zinc on concrete, Journal of Thermal Spray Technology 4(4) (1995) 395-400. [3] A. Arcondéguy, e. al, Flame-Sprayed Glaze Coatings: Structure and Some Properties, International Thermal Spray Conference, ASM International, Beijing, China, 2007. [4] A. Arcondéguy, G. Gasgnier, G. Montavon, B. Pateyron, A. Denoirjean, A. Grimaud, C. Huguet, Effects of spraying parameters onto flame-sprayed glaze coating structures, Surface and Coatings Technology 202(18) (2008) 4444-4448. [5] A. Arcondéguy, A. Grimaud, A. Denoirjean, G. Gasgnier, C. Huguet, B. Pateyron, G. Montavon, Flame-Sprayed Glaze Coatings: Effects of Operating Parameters and Feedstock Characteristics Onto Coating Structures, Journal of Thermal Spray Technology 16(5-6) (2007) 978-990. [6] R. Schulte Holthausen, S. Thiele, R. Conradt, M. Raupach, O. Weichold, Zerstörungsfreie Prüfung flammgespritzter Schutzschichten aus Glas für Beton - Erste Ergebnisse, Bautechnik 92(10) (2015) 688-693. 462 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Plasmagespritzte Aluminiumoxidschichten für den Schutz von Betonoberflächen [7] I. Fletcher, A. Borg, N. Hitchen, S. Welch, Performance of concrete in fire: a review of the state of the art, with a case study of the windsor tower fire, 4th International Workshop in Structures in Fire. Aveiro, Portugal, 2006. [8] I. Hager, Behaviour of cement concrete at high temperature, Bulletin of the polish academy of sciences technical science 61(1) (2013). [9] K. Hellmann, Anwendungsorientierte Glasentwicklung am Beispiel des Systems CaO-Al2O3-SiO2, Fakultät für Georessourcen und Materialtechnik, RWTH Aachen University, 2016. [10] F. Eiwen, J.H. Pfeiler, C. 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Die stetige Weiterentwicklung von Textilbeton steht aber weiter im Fokus der Forschung. Ein Bereich mit viel Entwicklungspotential sind mineralische Tränkungsmaterialien für die technischen Textilien. Bisher werden fast ausschließlich polymergetränkte Textilien verwendet. Neben dem Eintrag von Polymeren in den Textilbeton geht häufig ein Tragfähigkeitsverlust durch Temperatureinwirkung ab 80 °C einher. Diese Veröffentlichung zeigt auf, dass mineralische Tränkungsmaterialen im Bereich der Bauwerksinstandsetzung mit Textilbeton gegenüber polymergetränkten Textilien stärken aufweisen. Unter anderem ermöglichen Textilbetonsysteme mit mineralischer Tränkung von Carbonrovings ein sehr feines Rissbild mit geringen Rissbreiten, welche auch unter Druckwasserbeanspruchung zu einer Rissheilung führen. Damit eignen sich Textilbetone mit mineralisch getränkten Carbonfasern beispielsweise für die Instandsetzung von gerissenen sowie beschädigten Wasserbauwerken aus Stahlbeton. 1. Einleitung Textilbetone haben in den vergangenen 20 Jahren eine enorme Entwicklung erlebt. Die Einsatzgebiete reichen von Fassadenelementen, über Verkehrsflächenverstärkungen und Instandsetzungssystemen bis hin zu ersten Fußgängerbrücken, die aus Textilbeton errichtet wurden. Insbesondere im Bereich der Bauwerkssanierung werden Textilbeton-Systeme eingesetzt, um gerissene sowie geschädigte Betonoberflächen zu reparieren. Beispiele sind das Forschungsprojekt am Stauwerk Horkheim [1] oder die Dachsanierung am Marien-Dom in Neviges [2]. Viele weitere Projekte sind in der Umsetzung oder können in naher Zukunft erwartet werden. Parallel laufen zahlreiche Forschungsprojekte zur Weiterentwicklung von Textilbetonen oder auch zur Charakterisierung und Normierung. Am meisten verbreitet sind bisher Systeme aus Mörtel oder Feinbeton mit getränkten Carbongelegen (Epoxidharz-, Styrolbutadien- oder Acrylattränkungen). Diese Tränkungsmaterialien weisen unterschiedliche Eigenschaften auf, die entsprechend ihrer Einsatzgebiete erforderlich sind. Alle gängigen Textilgelege haben jedoch eine Gemeinsamkeit, die Tränkungen sind polymerbasiert. Daher ist die Einsatzmöglichkeit z.B. im Bereich der Sanierung von Trinkwasserspeichern zu hinterfragen. Auch ist die geringe Temperaturbeständigkeit eine Schwäche der Textil-Tränkungen. Es müssen alternative Tränkungsmaterialien erforscht werden. An der Technischen Universität Dortmund wird am Lehrstuhl Werkstoffe des Bauwesens ein solches alternatives Tränkungssystem untersucht. Kieselsäureester (KSE) wird als mineralisches Tränkungsmaterial in Kombination mit Carbon-Endlosfasern verwendet. Das anorganische Tränkungsmaterial erhöht den äußeren Verbund zwischen Bewehrung und Beton, wodurch ein fein verteiltes Rissbild entsteht. Eine solche Textilbetonschicht weist gute Eigenschaften für ein Sanierungssystem von Trinkwasserspeicher auf, da keine zusätzlichen gegebenenfalls löslichen polymeren Materialien eingebracht werden und die Rissverteilung eine wasserdichte Sanierung von gerissenen Stahlbeton-Bauwerken ermöglicht. Im Rahmen dieser Veröffentlichung wird die Vorgehensweise der bei Herstellung des Textilbetonsystems erläutert. Es werden Ergebnisse aus Zugversuchen hinsichtlich der Rissbreiten vorgestellt und das Potential der Rissheilung gerissener Textilbetonproben unter Einfluss verschieden hoher Wasserdrücke aufgezeigt. 464 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung 2. Einaxiale Zugversuche 2.1 Untersuchungsgegenstand Untersucht wurden rechteckige Textilbetonplattenstreifen mittels einaxialen Zugversuchen. Die Komponenten aus denen die Proben bestehen sind Pagel TF10 Feinbeton, Carbonendlosfasern (Roving) Sigrafil C T50-4- 4/ 255-E100 und mineralische Tränkung auf Kieselsäureester-Basis (KSE). Mineralische Tränkung Die mineralischen Tränkungsmaterialen sind silikatische Lösungen auf Kieselsäureester-Basis. Die verwendeten Produkte mit den Handelsnamen KSE 100, KSE 300 und KSE 500E bestehen hauptsächlich aus Quarzsand, welcher mittels Alkoholgruppen in einem chemischen Prozess verflüssigt wird. Bei einer Reaktion von Kieselsäureester mit Wasser entsteht Siliciumdioxid (SiO 2 ), auch als Kieselgel bezeichnet, als Nebenprodukt entweicht Ethanol. Durch Tränkung der Carbonendlosfasern mit KSE bildet das Siliciumdioxid die Oberflächenbeschichtung der Carbonfasern. Durch eine Änderung der Stoffgemische oder durch Zugabe von Lösemitteln kann eine Variation der Gelabscheidungsrate erreicht werden, welche die Größe und Anzahl der Kieselsäureester-Moleküle bestimmt. Daraus ergibt sich eine unterschiedliche feine Oberflächenstruktur und Steifigkeit der Carbonrovings. Probekörper Die Textilbeton-Probekörper sind mit der Feinbetonmischung Pagel TF10 hergestellt worden. Dieser Feinbeton ist speziell für die Anwendung von Textilbetoninstandsetzungssystemen entwickelt worden. Eine hohe Wasserundurchlässigkeit sowie Spritzfähigkeit zeichnen den Feinbeton aus [3]. Mit einem Größtkorn von einem Millimeter eignet sich die Fertigmischung sehr gut für kleinformatige Probekörper. Die Abmessungen der Probekörper der Versuchsreihen weisen eine Länge von 800 mm, ein Breite von 70 mm und eine Schichtdicke von 15 mm auf. Bewehrt sind die Probekörper mit acht Carbonrovings aufgeteilt auf zwei Lagen. Die Rovings liegen gleichmäßig verteilt 14 mm auseinander, der Abstand der beiden Bewehrungslagen beträgt fünf Millimeter, sodass auch eine Betondeckung von fünf Millimetern gegeben ist. Die Carbonendlosfasern SIGRAFIL ® C T50-4.4/ 255-E100 weisen eine Faserfeinheit von 3450 tex auf. Daraus ergeben sich 1,92 mm²/ Strang sowie 15,36 mm²/ Probekörper. Das ergibt einen Bewehrungsgrad von circa 1,5 % bei einer Betonquerschnittsfläche von 1050 mm². Herstellung Die Textiltränkung wurde in einem Drei-Walzen-Foulard vorgenommen. Die Carbonendlosfasern sind nach der Tränkung auf einem Rahmen aufgespannt und luftumspült gelagert worden. Die unbehandelten flachen Carbonendlosfasern wurden nach der Tränkung keiner Formgebung unterzogen. Der Querschnitt lässt sich als ungeregelt mit ovaler Ausprägung bezeichnen. Die Lagerung erfolgte bei 20 °C und einer relativen Luftfeuchtigkeit von 50 % (± 5 %) für mindestens vier Wochen. Die Textilbeton-Probekörper wurden stehend in einer Kunststoffschalung hergestellt. Ein Schalungssatz umfasst vier Probekörper mit jeweils acht getränkten Rovings. Die Lagesicherheit der Rovings wurde über Distanzstücke im Schalungsrahmen sowie Zugfedern sichergestellt. Die Zugfedern wirkten lediglich lagesichernd, ohne eine signifikante Vorspannung zu erzeugen. Die betonierten Probekörper wurden 20 Stunden gegen Austrocknen geschützt, anschließend bis zum 7. Tag im Wasserbad gelagert und bis zur Prüfung nach 28 Tagen bei 20 °C und 65 % relativer Luftfeuchtigkeit luftumspült gelagert. Detaillierte Angaben zur Herstellung der Probekörper und den verwendeten Materialien sind [4] zu entnehmen. 2.2 Versuchsaufbau und Durchführung Der einaxiale Zugversuch oder auch Dehnkörperversuch nach [5] wurde in der Universalprüfmaschine inspekt 100 kN der Fa. Hegewald & Peschke entsprechend der Empfehlungen von [6] durchgeführt. Die Probekörperhalterung erfolgte an den Enden durch Klemmung über eine Länge von 250 mm zwischen zwei profilierten Stahlplatten mit Furniersperrholz als Zwischenlage. Die Klemmvorrichtung wurde in Kugelgelenkköpfe eingehängt, um eine einaxiale Zugbeanspruchung zu gewährleisten. Die Prüfung erfolgte weggesteuert mit einer Prüfgeschwindigkeit von 1 mm/ min. Der gesamte Prüfkörper wurde zuvor mit 200 N Vorlast zentriert. Bild 1 zeigt eine schematische Darstellung des Prüfkörpers. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 465 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung Bild 1: Schematische Darstellung der Probekörperhalterung Mit dem photogrammetrischen Messsystem ARA- MIS ® 12 M der Fa. GOM wurden Längenänderungen und Rissbildung kontinuierlich erfasst. Mittels Bildkorrelation können durch ein aufgesprühtes stochastisches Muster Verschiebungen am Probekörper erfasst werden. Aus den Verschiebungen lassen sich z.B. Längenänderungen ableiten. Die Probekörper wurden in einem Bereich der freien Weglänge von 300 mm betrachtet. Über den zentralen 200 mm langen Bereich der Probekörper wurde die Dehnung e ermittelt. Die Dehnung e ergibt sich aus dem Quotienten der Längenänderung Dl und der Ausgangslänge l 0 . Mit der rechnerischen Textilzugspannung s in N/ mm², welche sich aus der Zugkraft in Bezug auf die textile Querschnittsfläche ergibt, wird das Spannungs- Dehnungsverhältnis angegeben. Die Bewertung der Rissanzahl, Rissbereiten und Rissabstände erfolgt über die gesamte freie Weglänge. 2.3 Auswertung der Spannungs-Dehnungslinie und Rissbildung Zunächst wurde eine Versuchsreihe mit drei unterschiedlichen Kieselsäureester-Tränkungen durchgeführt. Es wurden jeweils vier Probekörper geprüft. Bild 2 zeigt die Ergebnisse in Form von Spannungs-Dehnungslinien. Es ist ersichtlich, dass die Probeköper mit KSE 100 Textiltränkung die gleichmäßigsten Ergebnisse aufweisen und im Vergleich mit etwa 1150 N/ mm² das höchste Versagensniveau erreichen (Bild 2 links). Bei allen Proben lag ein Mischversagen von Kernfaserauszug und Riss der äußeren Filamente vor [6]. Die KSE 100 Proben zeigen das charakteristische Verhalten von Textilbeton im Zugversuch [5, 7]. Die Zustände I, IIa und IIb sind als lineare Bereiche erkennbar, wenngleich es eine Überlagerung von Zustand IIa und IIb gibt, da eine fortlaufende diffuse Rissbildung stattfindet. Bild 2: Spannungs-Dehnungslinien von Kieselsäureester-Tränkungen (links: KSE 100, mittig: KSE 300, rechts: KSE 500E) 466 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung Neben der höheren rechnerischen Textilzugspannung der KSE 100 Proben weist auch das Rissbild mit vielen Einzelrissen sowie geringen Rissbreiten und Rissabständen das beste Ergebnis auf. Zurückzuführen ist dies auf einen höheren inneren Textilverbund wie auch äußeren Verbund der Textilien zum Beton. Die geringere Gelabscheidungsrate der KSE 100 Tränkung erzeugt eine feine und gleichmäßige silikatische Oberfläche auf den Carbonrovings. Zusätzlich weisen die mit KSE 100 getränkten Rovings einen Querschnitt mit größerer Kontaktfläche zum Beton auf, als die Rovings die mit KSE 300 und 500E getränkt wurden. Die Kombination aus feiner Oberfläche und größerer Verbundfläche zum Beton beeinflusst den äußeren Verbund positiv, sodass sehr feine Rissbilder in Kombination mit einer adäquaten rechnerischen Textilzugspannung für den Gebrauchszustand erreicht werden konnten. Bild 3 zeigt die mit ARAMIS © aufgenommenen Rissbilder der Versuchsreihe. Bild 3: Repräsentative Rissbilder des Textilbetons zu unterschiedlichen Kieselsäureester Tränkungen Die weiteren Versuchsreihen wurden mit dem Tränkungsmaterial KSE 100 durchgeführt. Dabei wurde zunächst die Auswirkung der Lagerung der Textilbetonprobekörper mit KSE 100 getränkten Carbonfasern untersucht. Zwei Probekörperreihen mit jeweils acht Probekörpern wurden zum einen nach der Herstellung und Ausschalung 26 Tage im Wasserbad gelagert und 24 h vor der Prüfung bei 20 °C und 65 % relativer Luftfeuchte getrocknet (WTB-KS1W). Zum anderen wurden acht Probekörper nach sechs Tagen Lagerung im Wasserbad bis zu Prüfung bei 20 °C und 65 % relativer Luftfeuchtigkeit luftumspült gelagert (WTB-KS1C). Die Ergebnisse aus dem Zugversuch der WTB-KS1C- Proben deckten sich im Rahmen der Messgenauigkeit mit den Ergebnissen der vier KSE 100 Proben aus der ersten Versuchsreihe. Der Vergleich der Spannungs-Dehnungsbeziehung zeigte bei den wassergelagerten Probekörpern WTB-KS1W einen etwas weniger abgeflachtes Plateau im Zustand IIa sowie im Mittel ein etwas früher eintretendes Versagen bei einer rechnerischen Textilzugspannung von 984 N/ mm² (± 58 N/ mm²). Der Rissbildungsprozess der WTB-KS1W-Proben weist etwas geringere Lastabfälle auf sowie einer größeren Überlagerung der Zustände IIa und IIb. Dies führte zu geringeren Rissbreiten der Einzelrisse. Die Bilder 4 und 5 zeigen Rissbreiten repräsentativer Risse und deren Streubereich zu den Proben WTB-KS1W und WTB-KS1C. Die Risse der Proben WTB-KS1C weisen bei einer rechnerischen Textilspannung von 800 N/ mm² eine mittlere Rissbreite von w cr,mean = 0,068 mm (± 0,033 mm) auf. Die Risse der wassergelagerten Proben WTB-KS1W weisen an dieser Stelle (800 N/ mm²) lediglich eine mittlere Rissbreite von w cr,mean = 0,051 mm (± 0,022 mm) auf. Beim Versagenszeitpunkt der Proben WTB-KS1C (1154 N/ mm² ± 128 N/ mm²) weisen diese eine mittlere Rissbreite von w cr,mean = 0,101 mm (± 0,051 mm) auf. Die Proben WTB-KS1W weisen an dieser Stelle (984 N/ mm² ± 58 N/ mm²) lediglich eine mittlere Rissbreite von w cr,mean = 0,060 mm (± 0,041 mm) auf. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 467 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung Bild 4: Rissbreiten-Spannungsdiagramm von WTB- KS1W Bild 5: Rissbreiten-Spannungsdiagramm von WTB-KS1C Weiterhin wurden Vorversuche zum Verhalten der Probekörper im Zugversuch unter Temperatureinfluss durchgeführt. Dazu wurde eine Temperaturkammer in den Prüfaufbau integriert. Drei Probekörper, die der Herstellung und Lagerung der WTB-KS1C-Proben entsprechen, wurden auf 80 °C temperiert und gezogen. Durch die Temperaturbeaufschlagung konnten im Rahmen der Messgenauigkeit keine negativen Auswirkungen festgestellt werden. Bild 6 zeigt die Ergebnisse in Form einer Spannungs-Dehnungslinie. Eine weitere Probe wurde während des Zugversuches auf 160 °C temperiert, auch dort zeigte sich kein negativer Temperatureinfluss. Eine detailliertere Beschreibung der Ergebnisse zu den Untersuchungen sind in [4] aufgeführt. Bild 6: Spannungs-Dehnungslinie von WTB-KS1CT80 468 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung 3. Untersuchungen zur Rissheilung von filigranen Textilbetonprobekörpern unter Einfluss verschieden hoher Wasserdrücke 3.1 Versuchsaufbau und Durchführung Die Versuche zur Rissheilung wurden an den Probekörpern, die zuvor im einaxialen Zugversuch geprüft wurden, durchgeführt. Dazu wurden aus den geprüften Probekörpern 70 bzw. 100 mm lange Exemplare herausgesägt. Die Sägeschnitte wurden so angeordnet, dass ein oder mehrere Risse durch die Proben verlaufen. Bild 7 zeigt einen entsprechenden Probekörper. Die Probekörper wurden einseitig mit Wasser beaufschlagt, um das Rissheilungspotential der im Zugversuch entstandenen Risse optisch zu analysieren. Bild 7: Probekörper für Rissheilungsuntersuchung aus Zugversuchsproben (Abmessung 70 x 70 mm) In ersten Vorversuchen wurden die Probekörper in Anlehnung an die Untersuchung zum Wasseraufnahmekoeffizient nach DIN 15148 [8] im Wasserbad gelagert, sodass die Unterseite dauerhaft im Kontakt mit Wasser steht. Die Kanten der Probekörper wurden dazu mit Paraffin-Wachs versiegelt. Die Risse sind dadurch einem drucklosen Kontakt mit Wasser ausgesetzt. Bild 8 zeigt schematisch den Versuchsaufbau. Es wurden Probekörper mit Rissen ≤ 0,1 mm sowie Rissen ≥ 0,1 mm untersucht. In einem weiteren Schritt wurde die Rissheilung mit unterschiedlichen Wasserdrücken untersucht. Dazu wurde ein spezieller Prüfaufbau konzipiert (Bild 9). Die 70 mm langen Probekörper wurden vertikal zwischen abgedichtete PE-Rohre geklemmt, sodass einseitig Wasser aufgebracht werden kann. Die geschlossene Seite der PE-Rohre ist an ein Schlauchsystem mit Wasserspeicher angeschlossen, welchem ein Druckluftsystem vorgeschaltet ist. Auf der anderen Seite des Probekörpers ist das PE-Rohr offen, sodass durchdringendes Wasser abfließen kann. Mittels einstellbarem Manometer ist stufenlos ein Druck von 0 bis 2,5 bar möglich. Die Versuche wurden in den Druckstufen 0,1 bar, 0,5 bar und 1,0 bar durchgeführt. Die Druckstufen simulieren Wassersäulen von 1 m, 5 m und 10 m. Bild 8: Schematische Darstellung Versuchsaufbau Rissheilung (drucklos) in Anlehnung an Wasseraufnahmekoeffizient (nicht maßstäblich) Bild 9: Versuchsaufbau Rissheilung mit Druckwasser Untersucht wurden Probekörper mit mikroskopisch messbaren Rissbreiten im Bereich von 0,025 mm < w cr < 0,200 mm. Die Rissbreite wurde über die gesamte Länge des Risses an mehreren Stellen erfasst. Entsprechend dieser Messwerte wurden drei Risskategorien bestimmt: • Kategorie 1: w cr < 0,05 mm • Kategorie 2: 0,05 mm > w cr < 0,10 mm • Kategorie 3: w cr > 0,10 mm Es wurde zu jeder Druckstufe eine Versuchsreihe mit vier Probekörpern der jeweiligen Risskategorien durchgeführt. 3.2 Auswertung der Rissheilung Bei den Vorversuchen mit drucklos anstehendem Wasser auf der Unterseite der Probekörper konnte festgestellt werden, dass die Proben mit Rissbreiten w cr ≤ 0,10 mm einige Stunden bis hin zu zwei Tagen benötigen, bis auf 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 469 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung der Oberseite ein vollständig durchnässtes Rissbild zu erkennen ist. Die Rissheilung, ersichtlich durch ein fortlaufendes Abtrocknen der Oberfläche, stellte sich zügig nach der Durchfeuchtung ein. Nach vier Tagen war eine Abnahme des Wasserdurchschlags zu erkennen. Diese Beobachtung setzte sich über acht und zwölf Tage fort, bis nach 24 Tagen eine nahezu vollständige Rissheilung erreicht wurde. Bild 10 zeigt die Entwicklung der Rissheilung einer Probe mit Rissbreiten w cr ≤ 0,10 mm. Bei den Proben mit Rissbreiten w cr > 0,1 mm ist der Wasserdurchschlag bereits nach einer Stunde erfolgt, eine Rissheilung fand nur partiell statt. Auch nach 24 Tagen sind die durchnässten Risse noch deutlich zu erkennen, nur in Teilbereichen sind Trocknungen und Ablagerungen aus dem Rissheilungsprozess zu erkennen. Bild 11 zeigt die Entwicklung der Rissheilung einer Probe mit Rissbreiten w cr > 0,10 mm. Bild 10: Entwicklung der Rissheilung von Rissen wcr < 0,10 mm Bild 11: Entwicklung der Rissheilung von Rissen wcr > 0,10 mm 470 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung Bei den Untersuchungen zum Einfluss des Wasserdrucks auf die Rissheilung zeigte sich, dass die Proben schon bei 0,1 bar bereits nach 30 bis 60 Minuten durchnässten. Mit steigendem Druck verkürzte sich die Zeit des vollständigen Wasserdurchschlags weiter, sodass bei 1,0 bar Wasserdruck der Wasserdurchschlag unmittelbar nach Versuchsbeginn erreicht wurde. Eine Rissheilung erfolgte bei der Druckstufe 0,1 bar bei allen Probekörpern. Risse mit Rissbreiten w cr < 0,05 mm trockneten bereits wenige Stunden nach Versuchsbeginn wieder aus. Nach weniger als 24 Stunden waren alle Risse der ersten und zweiten Kategorie trocken. Lediglich bei einem Probekörper, der in Teilbereichen Rissbreiten von w cr = 0,18 mm aufweist, stellte sich auch nach 14 Tagen keine Austrocknung ein. Bild 12: Probekörper für Rissheilungsuntersuchung aus Zugversuchsproben (Rissbreite zwischen 0,05 und 0,1 mm bei 0,5 bar Wasserdruck) Bei der Druckstufe 0,5 bar fand bei den Proben mit Rissbreiten w cr < 0,05 mm eine Rissheilung innerhalb weniger Stunden statt. Risse im Bereich von 0,05 mm < w cr < 0,10 mm trockneten in Teilen innerhalb von 48 Stunden ab. Risse der dritten Kategorie (w cr > 0,01 mm) trockneten nur in Teilbereichen ab, sodass nach Ende der Versuchslaufzeit von 14 Tagen einige Probenbereiche trocken waren, einzelne Proben aber noch gänzlich durchnässt. Bild 12 zeigt exemplarisch die Entwicklung der Rissheilung eines Probekörpers der zweiten Risskategorie bei 0,5 bar Wasserdruck. Bei der Druckstufe 1,0 bar trockneten die meisten Proben der ersten Kategorie im Zeitraum von 96 Stunden wieder ab. Probekörper mit Rissbreiten der zweiten Kategorie trockneten über den Versuchszeitraum von 14 Tagen in Teilen ab. Einige Bereiche, in denen die Rissbreiten im Bereich von 0,10 mm liegen, waren noch nicht ausgeheilt. Proben der Kategorie 3 konnten nicht geprüft werden, da der Wasserdurchtritt zu stark war, es herrschte ein kontinuierlicher Wasserfluss. Die Untersuchung zur Rissheilung unter Einfluss verschiedener Wasserdrücke zeigte, dass auch mit einem steigenden Wasserdruck eine Rissheilung in filigranen Textilbetonprobekörpern möglich ist. Rissbreiten bis 0,10 mm konnten ausheilen. 4. Zusammenfassung und Ausblick Diese Veröffentlichung zeigt, dass Textilbeton-Systeme mit mineralisch getränkten Carbonfasern auf Basis von Kieselsäureester eine Alternative zu herkömmlichen Systemen bieten. Die Ergebnisse der Zugversuche zeigten, dass eine Zugtragfähigkeit für den Gebrauchsbereich einer Instandsetzung zur Rissüberbrückung von Stahlbetonbauwerken erreicht werden kann. Dazu werden eine Vielzahl von Einzelrissen mit sehr geringen Rissbreiten unterhalb von 0,10 mm erreicht, wodurch ein wasserdichtes System geschaffen werden kann. Erste Tastversuche zum Temperatureinfluss zeigen die Stabilität der Beschichtung bzw. des Verbundes bis zu Temperaturen von 160 °C. Die Versuche zur Rissheilung haben gezeigt, dass die filigranen Probekörper auch bei höheren Wasserdrücken innerhalb kurzer Zeit ausheilen können. An den entstandenen sehr feinen Rissbreiten konnten Rissheilungsprozesse mit bis zu 1,0 bar Wasserdruck nachgewiesen werden. Textilbetone mit mineralischen Tränkungsmaterialien bieten damit ein großes Potential bei der Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken, beispielhaft sind Wasserbauwerke zu nennen. Das untersuchte Textilbetonsystems bietet ein „quasi dichtes“ Instandsetzungssystem ohne den Einsatz von Polymeren als Textil-Tränkung. An der Technischen Universität Dortmund werden die Dauerhaftigkeit des Systems sowie die Verbesserung des Zugtragverhaltens weiter untersucht. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 471 Instandsetzung von Stahlbetonbauwerken - Textilbewehrte Mörtel- und Betonschichten mit mineralisch getränkter Bewehrung Literatur [1] Orlowsky, J.; Raupach, M.; Westendarp, A.; Öztürk, T.: Textilbewehrte Spritzmörtel zur Instandsetzung von Wasserbauwerken. Beton 61 (2011), Nr. 12, S. 486-490 [2] Jacobs R.; Bock C.: Ein Zeltdach mit Textilbeton. Deutsches Ingenieurblatt, 2020, Nr. 7. [3] Lieboldt, M.: Feinbetonmatrix für Textilbeton: Anforderungen-baupraktische Adaption-Eigenschaften. Beton- und Stahlbetonbau, 2015, 110. Jg., Nr. 1, S. 22-28. [4] Lenting, M.; Orlowsky, J.: Einaxiale Zugversuche an textilbewehrten Betonen mit anorganisch getränkten Carbonfasern. Beton- und Stahlbetonbau, 2020, 115. Jg., Nr. 7, S. 495-503. [5] Jesse, F.: Tragverhalten von Filamentgarnen in zementgebundener Matrix. TU Dresden, Dissertation, 2004. [6] Schütze, E.; Bielak, J.; Scheerer, S.; Hegger, J.; Curbach, M.: Einaxialer Zugversuch für Carbonbeton mit textiler Bewehrung. Beton- und Stahlbetonbau 113 (2018), Heft 1, S. 33-47. [7] Lorenz, E.; Schütze, E.; Schladitz, F.; Curbach, M.: Textilbeton - Grundlegende Untersuchungen im Überblick. Beton- und Stahlbetonbau 108, (2013), Heft 10, S. 711-722. [8] Deutsches Institut für Normung e.V.: DIN ES ISO 15148: Wärme- und feuchtetechnisches Verhalten von Baustoffen und Bauprodukten - Bestimmung des Wasseraufnahmekoeffizienten bei teilweisem Eintauchen. Ausgabe 2018-12. Beuth-Verlag, Berlin 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 473 Betoninnenwannen zur nachträglichen Abdichtung von Gebäuden - Systematik der Bauweisen und neue Möglichkeiten mit Textilbeton Dipl.-Ing. Georg Schäfer BAWAX GmbH, Celle, Deutschland Zusammenfassung Die Möglichkeiten zur nachträglichen Abdichtung von Gebäuden gegen drückendes Wasser mit Betoninnenwannen sind in den letzten Jahren vielfältiger geworden. Höchste Anforderung in Bezug auf Statik und Dichtigkeit werden dabei von immer dünneren Querschnitten erfüllt. Innovative Abdichtungstechniken mit textilbewehrtem Beton eröffnen neue Möglichkeiten, erfordern aber systembedingt auch völlig neue Ausführungsdetails und -richtlinien. Durch innovative Baustoffentwicklungen sind Innenwannen aus Textilbeton inzwischen sogar bei geringeren Anforderungen aus Bodenfeuchte eine äußerst wettbewerbsfähige Alternative zur klassischen Abdichtung mit Dichtschlämmen geworden. Da viele Vorteile der Betonwanne auch bei dünnschichtigen Systemen erhalten bleiben, ist die „Sonderkonstruktion Betoninnenwanne“ technisch mittlerweile ein echter „Abdichtungsallrounder“ für alle Lastfälle. 1. Bestandserfassung und Planungsgrundlagen Auch für den nachträglichen Einbau von Betoninnenwannen zur Abdichtung gegen drückendes Wasser ist die Ermittlung des Bauwerkszustands die Grundlage für Planung und Ausführung. Hierzu sind alle verfügbaren Informationen über den Untergrund (insbesondere den Bemessungswasserstand), die Bauweise, die Statik, die verwendeten Baustoffe, die Bauteilabmessungen, vorhandene Abdichtungen, sowie ggf. bereits ausgeführte Instandsetzungsarbeiten auszuwerten und in Bezug auf das vorliegende Schadensbild zu bewerten. Auf dieser Basis sind ggf. erforderliche Bauwerksuntersuchungen festzulegen, um alle für die Planung erforderlichen Informationen zu erhalten. Welche das sind, hängt individuell vom Bestandsbauwerk ab. Fünf wesentliche Bereiche sind im Folgenden aufgeführt: 1.1 Der Lastfall Es gibt zwei Arten der Wasserbelastung an Gebäuden, die allgemein als Lastfall bezeichnet werden: „Nicht drückendes“ und „drückendes“ Wasser. Eine Abdichtung, die ein Bauwerk nur vor dem Eindringen von Bodenfeuchte (nicht drückendes Wasser) schützt, kann durch drückendes Wasser (aufstauendes Regenwasser oder Grundwasser) oft überwunden werden. Die Bezeichnung „Lastfall drückendes Wasser“ macht dabei deutlich, dass diese Form der Wasserbelastung auch Auswirkungen auf die Statik hat. 1.2 Der Bemessungswasserstand Wichtigster Bezugswert für jede Bauwerksabdichtung ist der Bemessungswasserstand. Dieser höchste am Gebäude zu erwartende Wasserstand wird von einem sachkundigen Planer auf Basis eines Bodengutachtens ermittelt und gibt an, welcher Lastfall bzw. welche Beanspruchungsklasse gemäß WU-Richtlinie des DAfStb [Lit. 1+2] anzusetzen ist. Liegt er oberhalb der Sohle bedeutet dies, dass drückendes Wasser dauerhaft oder zumindest zeitweise am Bauwerk ansteht und somit erhöhte Anforderungen an Statik und Dichtigkeit der Kellerabdichtung zu stellen sind. (Beanspruchungsklasse 1). Selbstverständlich können Innenwannen aus Beton aber auch bei Beanspruchungsklasse 2 (Bodenfeuchte) eingebaut werden. 1.3 Die unterschiedlichen Kellerbauweisen Der Baustoff Beton ist grundsätzlich in der Lage, über den lastabtragenden Querschnitt eine Abdichtung gegen drückendes Wasser sicherzustellen. Selbst wenn Betonkonstruktionen nicht in einer wasserundurchlässigen Qualität (WU-Qualität) hergestellt wurden, können undichte Anschlussfugen, lokalen Fehlstellen oder auch flächige Durchfeuchtungen nachträglich abgedichtet werden. Bei Kellern aus Mauerwerk ist eine solche Abdichtung im lastabtragenden Querschnitt dagegen nicht möglich. Die Gefügedichtigkeit von Mauersteinen und Mörtelfugen ist hierfür nicht ausreichend. Beim Neubau wird deshalb eine außenliegende Membranabdichtung verwendet. 474 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninnenwannen zur nachträglichen Abdichtung von Gebäuden - Systematik der Bauweisen und neue Möglichkeiten mit Textilbeton (1) Außenabdichtung bei drückendem Wasser Bild: © DIN 4095 Baut man eine Wanne komplett aus Membranabdichtungen gegen drückendes Wasser, so gilt das Wort „außenliegend“ auch für die Abdichtung der Sohlplatte: Sie liegt dann ebenfalls außen, also unter der Betonsohle und somit unerreichbar für eine Nachbesserung oder Erneuerung (s. Abb. 1). 1.4 Voraussetzungen für eine Innenabdichtung Da der bestehende Bauteilquerschnitt durch die Ausführung von Innenabdichtungen dauerhaft in den Zustand der Sättigungsfeuchte gebracht wird, ist die wichtigste Voraussetzung die Beständigkeit des Mauerwerks in ständig nasser Umgebung. Dies trifft zwar für die meisten bei Kellermauerwerk verwendeten Baustoffe wie Ziegel, Zementmörtel oder Kalksandstein zu, insbesondere bei einigen „modernen“ Baustoffen wie z. B. Porenbeton ist jedoch Vorsicht geboten. Nicht nur aus diesem Grund sollte der Mauerwerksuntergrund vor jeder Innenabdichtung genau geprüft werden. 1.5 Die Sohlplatte Die Grundlage jeder nachträglichen Innenabdichtung ist die Sohlplatte. Ist eine Sohlplatte wasserdurchlässig, werden bei der nachträglichen Abdichtung entweder vorhandene Sohlplatten z. B. durch nachträgliche Gefügeverdichtung oder Aufbetonschichten auf WU-Qualität gebracht oder komplett entfernt und neu eingebaut. Bei einer Druckwasserbeanspruchung muss die neue bzw. ergänzte Sohle nicht nur wasserundurchlässig sein, sondern auch dem anstehenden Wasserdruck standhalten. Ein Keller, der 1 m tief im Wasser steht (und abgedichtet ist) verdrängt pro Quadratmeter Grundfläche 1 m³ Wasser, also eine Tonne Last. Ver-gleicht man diesen Wert z. B. mit Lastannahmen für Geschossdecken, wird schnell deutlich, dass die Sohlplatte eines Einfamilienhauses hier deutlich mehr zu leisten hat. Die statische Bemessung der Sohle ist daher ein ganz wesentlicher Baustein der Abdichtungsplanung. Verfügt ein Gebäude bereits über eine wasserundurchlässige und auf den anstehenden Wasserdruck bemessene Sohlplatte, entscheidet die Art des Einbaus über die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der vertikalen Wannenausbildung. Es gibt zwei Arten: • Zwischenbetonierte Sohlplatten • Durchlaufende Sohlplatten Bei durchlaufenden Sohlplatten stehen alle Innen- und Außenwände ohne Fundament direkt auf einer lastabtragenden Sohle. Auch wenn diese Bauweise seit vielen Jahren ausgeführt wird, ist die überwiegende Mehrheit der Bestandsgebäude über Fundamente gegründet, bei denen die Sohlplatten raumweise zwischen den Wänden betoniert sind. Diese Feststellung erscheint zunächst unspektakulär, die Folgen, die sich für eine nachträgliche Abdichtung aus der Einbauart ergeben, sind jedoch erheblich. 2. Planung der Innenwanne Wie in allen Bereichen der Bauwerkssanierung ist auch bei der nachträglichen Abdichtung von Gebäuden durch Betoninnenwannen nach dem Abschluss der Grundlagenermittlung zu entscheiden, ob eine Ausführung der Abdichtung gemäß einer Norm oder Richtlinie oder in Anlehnung daran möglich und sinnvoll ist oder ob Abweichungen oder auch komplette Sonderlösungen die einzige auch wirtschaftlich umsetzbare Instandsetzungslösung bieten. 2.1 Regelwerke zur nachträglichen Innenwanne Für die nachträgliche Abdichtung von Gebäuden durch Betoninnenwannen halten insbesondere die DAfStb- Richtlinie „Wasserundurchlässige Bauwerke aus Beton“ (WU-Richtlinie) (Lit. 1) mit den Erläuterungen im Heft 555 (Lit. 2), sowie das DBV-Merkblatt „Hochwertige Nutzung von Untergeschossen - Bauphysik und Raumklima“ vom Deutschen Beton- und Bautechnik-Verein e.V. (Lit. 3) wichtige Informationen für den Planer bereit. Im Referat 5 (Beton) der WTA wird in der Arbeitsgruppe 5-26 derzeit ein Sachstandsbericht zu diesem Thema erarbeitet, der dann alle relevanten Informationen in übersichtlicher Form enthalten wird. 2.2 Festlegung der Nutzung Im Zuge der Planung sind zudem die späteren Nutzungsanforderungen an den Keller und der zur Verfügung stehende bzw. benötigte Kostenrahmen gemeinsam mit dem Bauherrn festzulegen. Auf Basis dieser Erkenntnisse wird durch den Planer ein Abdichtungs- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 475 Betoninnenwannen zur nachträglichen Abdichtung von Gebäuden - Systematik der Bauweisen und neue Möglichkeiten mit Textilbeton konzept erstellt. Mit der Erstellung eines Abdichtungskonzepts sind Standsicherheit und Auftriebssicherheit nachzuweisen. 2.3 Schwarz oder weiß, innen oder außen? Die Erneuerung der Außenabdichtung ist zwar auch bei den meisten Fachplanern die erste Wahl, sie läuft jedoch insbesondere bei alten Bauwerken mit Fundamentgründung im tatsächlichen Wortsinn ins Leere. Die Ursache hierfür wird in Abbildung 2 deutlich: Die Außenabdichtung kann nicht an die wasserundurchlässige Sohlplatte angeschlossen werden und endet irgendwo zwischen Fundament und Erdreich. Ein Wassereintritt von unten über den Mauerwerksquerschnitt kann so nicht unterbunden werden (s. Abb. 2). (2) Problembereich bei Druckwasser: Anschluss zwischen nachträglicher Außenabdichtung und Sohlplatte Bild: © WTA Merkblatt 4-6 Nur bei einer durchlaufenden Sohlplatte ist der druckwasserdichte Anschluss einer nachträglichen Außenabdichtung an die Sohle überhaupt möglich. Das Durchführen einer neuen Sohle unter den Bestandswänden ist zwar technisch möglich, allerdings mit so hohen Kosten verbunden, dass es in der Praxis kaum umgesetzt wird. Muss ein druckwasserdichter Anschluss auch zwischen Sohle und Innenwänden hergestellt werden, ist die Innenabdichtung alternativlos. Eine wirtschaftliche, nachträgliche Abdichtung bei drückendem Wasser ist folglich in den meisten Fällen nur von innen möglich. Zentrales Problem der nachträglichen Innenabdichtung sind die Bestandskonstruktion und alle Arten von Einbauten, Leitungen, etc., die der Ausführung einer neuen Abdichtung im Wege stehen. Ob und in welcher Form mit einer Innenwanne abgedichtet werden kann, ist Ergebnis der Fachplanung auf Basis der Bestandserfassung. 3. Neue Bauweisen der Innenabdichtung Die Kombination aus Abdichtung und Lastabtragung als innen liegende Konstruktion lässt wohl jeden Ingenieur instinktiv in Richtung WU-Konstruktion denken. Technisch ist die nachträgliche Betoninnenwanne bei Druckwasser nach wie vor die einzig sichere und dauerhafte Abdichtungslösung, im WTA Merkblatt 4-6 (Lit.5) von 2014 wird allerdings auch erstmals Dichtschlämmen zumindest die theoretische Eignung für derartige Anwendungen zugesprochen. 3.1 Systeme zur nachträglichen Innenabdichtung Die Systeme zur nachträglichen Innenabdichtung können auf Grundlage ihres Funktionsprinzips in zwei Gruppen untergliedert werden: • Verbundsysteme • Schalensysteme Verbundsysteme sind Abdichtungssysteme, die nur über einen flächigen Verbund zum Untergrund (also Haftzugfestigkeit) funktionieren. Dies wären z. B. alle Dichtschlämmen nach WTA Merkblatt 4-6 (Lit.5). Schalensysteme sind dagegen freistehend oder über eine Rückverankerung in der Lage, auch ohne vollflächigen Verbund zum Bestandsbauteil eine Abdichtung sicherzustellen, allein oder mit dem Bestandsbauteil zusammen den anstehenden Wasserdruck aufzunehmen und dabei sogar als Verstärkung der vorhandenen Konstruktion zu wirken. Hinzu kommt eine deutlich höhere Robustheit sowohl beim Einbau als auch während der Nutzung. In der Praxis werden viele Schalensysteme mit Verbund zum Untergrund ausgeführt. Dies ist schon deshalb äußerst sinnvoll, weil hierdurch häufig ein flächiges Ausbreiten des Wassers zwischen Bestandsbauteil und Schale unterbunden werden kann. In diesen Fällen kann dann das Bestandsbauteil statisch „mitwirken“, z. B. als Druckzone bei einer Aufbetonsohle. 3.2 Verbundsysteme Da diese Innenabdichtungssysteme selbst nicht lastabtragend wirken können und ausschließlich über den Haftverbund funktionieren, sind hier deutlich höhereAnforderungen an den Untergrund zu stellen, als bei Betoninnenwannen. Im Kapitel 5 des WTA Merkblatts 4-6 (Ausgabe 11.2014; Lit.5) ist hierfür eine eigene Eignungsprüfung beschrieben: Mit einem Wasserdruck von bis zu 0,75 bar (immerhin 7,5 m Wassersäule, also 7,5 t/ m²) werden dort mineralische Dichtschlämmen auf einer wasserdurchlässigen Betonplatte gegen rückwärtige Durchfeuchtung getestet. 476 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninnenwannen zur nachträglichen Abdichtung von Gebäuden - Systematik der Bauweisen und neue Möglichkeiten mit Textilbeton Selbstverständlich wird die Last aus dem Wasserdruck in diesem Versuch von der Betonplatte aufgenommen, auf der die Dichtschlämme auch optimal haftet, was sicherlich keine praxisnahe Prüfsituation darstellt. Abhängig von der Porosität der im Merkblatt leider nicht eindeutig festgelegten Rezeptur der Prüfplatten wird der tatsächlich auf die Dichtschlämme einwirkende Wasserdruck stark reduziert. Somit liefert selbst ein erfolgreicher Test weder eine definierte Eignung für eine Anwendung, noch ist eine Vergleichbarkeit von Testergebnissen untereinander gegeben. Auf die eigentlich entscheidende Frage, ob und wie lange eine solche Dichtschlämme in der Praxis auf einem alten, verwitterten Mauerwerksziegel hält, gibt diese „Eignungsprüfung“ also keine Antwort. Die Praxistauglichkeit dieses Eignungsnachweises ist aber nicht nur aus diesen Gründen umstritten: Innenliegende Membranabdichtungen sind bei drückendem Wasser wie in Abbildung 3 dargestellt gegen das Ablösen der Abdichtungsschicht unter Aufnahme des Wasserdrucks von innen mechanisch zu sichern (Lit. 4). Folglich ist bei drückendem Wasser immer, sozusagen automatisch eine Betonwanne - entweder nur als Auflast oder auch gleich als Abdichtung - einzubauen. Das reine „Aufkleben“ einer Membran/ Dichtschlämme von innen ohne mechanische Sicherung oder Rückverankerung wird bei einem tatsächlich anstehenden, rückseitigen Wasserdruck ein hohes Versagensrisiko aufweisen und in keinem Fall die Robustheit und Dauerhaftigkeit einer Betoninnenwanne erreichen. (3) Innenabdichtungen bei drückendem Wasser Bild: © Brameshuber, Mott (Lit. 4 Da sich das WTA Merkblatt 4-6 (Lit. 5) zum Thema zusätzliche Lasteinwirkung aus Wasserdruck auf das Bauteil ausschweigt, dies aber bei drückendem Wasser von zentraler Bedeutung ist, fehlt dem Fachplaner bei tatsächlich anstehendem Wasserdruck somit bisher auch die Grundlage für eine Anwendung solcher Systeme in der Praxis. 3.3 Exkurs in die Bauphysik: Der kleine Unterschied zwischen Membran- und Querschnittsabdichtung Ein wesentlicher Unterschied der Systeme zeigt sich auch noch in ihren bauphysikalischen Eigenschaften: Verbundsysteme sind in der Regel Membransysteme und bilden, wie für diese Systeme typisch, eine sehr wasserdampfdichte Sperrschicht aus. Die Grenzschicht zwischen dem alten, porösen Untergrund und der neuen, dichten Membran wird so auch zur Grenzschicht nass trocken, mit allen negativen Konsequenzen für den Haftverbund. Abgesehen davon, dass dieser Haftverbund für Schalensysteme wenig relevant ist, verhalten sie sich in diesem Punkt auch grundsätzlich anders als Membransysteme. Schalensysteme erreichen eine Wasserundurchlässigkeit über ihren dichten Quer-schnitt. Bei einer Wasserbeaufschlagung von außen aus der undichten Bestandswand stellt sich über den Querschnitt der Schale eine Feuchteverteilung entsprechend dem 4-Zonen Prinzip des WU-Betons ein (vgl. Abb. 4). (4) 4-Zonen-Modell für den wasserundurchlässigen Beton Bild: © DAfStb (Lit. 2) Nach diesem Prinzip trocknet die Innenseite auf Ausgleichsfeuchte, während die äußere Seite der Innenschale ständig nass bleibt. Somit entsteht keine Grenzschicht, kein ablösend wirkendes Partialdampfdruckgefälle, sondern ein „fließender“ Übergang in der Feuchteverteilung über den Schalenquerschnitt von 100 % Sättigung außen bis auf Ausgleichsfeuchte innen. 3.4 Schalensysteme: Die Varianten der Betoninnenwanne Betoninnenwannen zur nachträglichen Abdichtung von Gebäuden lassen sich in drei Gruppen untergliedern: • Betoninnenwannen, die der WU-Richtlinie (Lit.1) entsprechen • Betoninnenwannen mit reduziertem Querschnitt • Innenwannen aus Textilbeton 3.5 Betoninnenwannen nach WU-Richtlinie Bei dieser Variante der Innenwanne wird in bzw. unter ein bestehendes Gebäude eine neue Betonkonstruktion eingebaut, die in der Ausführung vollständig den Anforderungen der WU-Richtlinie des DAfStb (Lit.1) entspricht. Hierzu werden ggf. auch große Teile der bestehenden 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 477 Betoninnenwannen zur nachträglichen Abdichtung von Gebäuden - Systematik der Bauweisen und neue Möglichkeiten mit Textilbeton Konstruktion, in Sonderfällen sogar komplette Kellergeschosse zurückgebaut und durch neue WU-Betonbauteile ersetzt. Neben den Besonderheiten, die sich dabei allgemein durch den nachträglichen Ein-bau ergeben, werden dabei aus bautechnischer Sicht die für den Neubau bekannten Richtlinien umgesetzt. Einen sehr guten und ausführlichen Überblick zu diesem Thema bietet der Fachartikel von Prof. Hohmann „Nachträglich erstellte druckwasserdichte Keller aus Beton“ aus der Bausubstanz 1/ 2011 (Lit.6). 3.6 Betoninnenwannen mit reduziertem Querschnitt Betoninnenwannen mit reduziertem Querschnitt weichen zunächst „nur“ in Bezug auf die Mindestbauteildicken von der WU-Richtlinie des DAfStb (Lit.1+2) ab. Hieraus resultiert jedoch eine ganze Reihe von Konsequenzen, die unterschiedlichste Anpassungen der bekannten Bauweise erfordern: Obwohl die in der WU-Richtlinie (Lit. 1) zur Herstellung von wasserundurchlässigen Betonkonstruktionen vorgeschrieben Bauteilmindeststärken auf langjährigen Erfahrungswerten beruhen und sich in der Praxis als zuverlässig erwiesen haben, kann sich bei der nachträglichen Abdichtung von Gebäuden aus Gründen der Nutzung oder Wirtschaftlichkeit die Notwendigkeit ergeben, diese Mindeststärken zu unterschreiten. Gründe für eine solche Reduzierung der Bauteilquerschnitte können größere Deckenhöhen oder geringere Flächenverluste sein. Weitere Vorteile sind deutliche Einsparungen beim Materialaufwand und den Ausführungskosten. (5) 1200 m² nachträglich eingebaute Betoninnenwanne mit reduziertem Querschnitt und Aufbetonsohle im Verbund (Bild: © Schäfer, BAWAX GmbH, 2011) Da die Dichtigkeit eines Bauteilquerschnitts immer das Produkt aus Bauteilstärke und Gefügedichtigkeit ist, besteht technisch durchaus die Möglichkeit, Wasserundurchlässigkeit bei reduzierten Querschnitten herzustellen. Auch eine Einbeziehung von Bestandsbauteilen aus Beton ist möglich, um geringe Bauteildicken, insgesamt aber Wasserundurchlässigkeit und Tragfähigkeit in Bezug auf den Wasserdruck zu erreichen. Als Innenwanne mit reduziertem Querschnitt sind somit auch Sonderkonstruktionen wie zum Beispiel Aufbetonsohlen zu sehen, die in Kombination mit einem Bestandsbauteil statische und/ oder abdichtende Funktionen übernehmen (s. Abb. 5,6,7). Anwendungsformen solcher Innenwannen mit reduziertem Querschnitt sind in der Praxis 10-15 cm starke Betonvorsatzschalen. 3.7 Erhöhung der Gefügedichte Auch wenn die an einem WU-Beton ermittelten Wassereindringtiefen noch weit von reduzierten Bauteilquerschnitten entfernt sind, ist es bei Abweichung von erprobten Verfahren oder Regelwerken wie der WU-Richtlinie (Lit. 1) erforderlich, sich genau mit den Konsequenzen solcher Änderungen auseinanderzusetzen. Bei der Bewertung der Undurchlässigkeit eines reduzierten Querschnitts wird für die Praxis die Unterscheidung in nass oder trocken (Nutzungsklassen WU-RiLi) an der Bauteiloberfläche entscheidend sein. Natürlich ist es möglich, dass eine 10 cm starke Betonschale die gleiche trockene Oberfläche liefert wie ein 25 cm dickes Bauteil gleicher Zusammensetzung. Selbstverständlich wird man beide Lösungen aber nicht als gleichwertig betrachten können. Gibt es noch genug Reserven im Querschnitt, wenn beim Einbau doch nicht alles nach Plan läuft? Hat das dünnere Bauteil eventuell eine dauerhaft erhöhte Diffusionsfeuchteabgabe, die dann bei den Anforderungen an die Nutzung zu berücksichtigen wäre? Um ein erhöhtes Risiko zu vermeiden, sollte die Reduzierung des Querschnitts mit einer planmäßigen Erhöhung der Gefügedichtigkeit einhergehen und dieser entsprechen. Hierfür gibt es zwar noch keine Regelwerke, diese kann jedoch durch betontechnologische Maßnahmen wie z. B. die Verwendung eines Abdichtungsmittels erreicht werden. Ein möglicher Nachweis für eine Gefügeverdichtung ist die Prüfung gemäß DIN EN 12390-8 bzw. gemäß der DIBt-Prüfvorschrift für die Prüfung von Abdichtungsmitteln. Die erhöhte Gefügedichtigkeit wird dabei in einer Vergleichsprüfung über die Reduzierung der Wassereindringtiefe ermittelt. Beim Einsatz von Abdichtungsmitteln ist diese bereits durch die DIBt-Zulassung nachgewiesen. 3.8 Besonderheiten bei Querschnittsreduzierung Im Vergleich zur Innenwanne gemäß WU-Richtlinie resultieren aus der Querschnittsreduzierung zahlreiche Änderungen, die systembedingt auch völlig neue Ausführungsdetails erfordern. Daher sind folgende Punkte besonders zu beachten: • Es ist zu berücksichtigen, dass die Querschnittsreduzierung auch Auswirkungen auf den Erfolg einer geplanten Selbstheilung von Trennrissen haben kann. 478 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninnenwannen zur nachträglichen Abdichtung von Gebäuden - Systematik der Bauweisen und neue Möglichkeiten mit Textilbeton • Durch die Reduzierung des Querschnitts müssen alternative Fugenabdichtungssysteme verwendet werden, die in der Regel von den allgemein bauaufsichtlich geprüften Fugenabdichtungssystemen abweichen (s. Abb. 6). • Für das nachträgliche Abdichten von wasserführenden Fehlstellen, Schwindrissen oder Fugen sind bereits in der Planungsphase Verfahren festzulegen, die auch bei reduzierten Schalenquerschnitten eingesetzt werden können und keine Schäden z. B. durch Injektionsdruck o. ä. verursachen. (6) Alternative Fugenabdichtungssysteme bei reduziertem Bauteilquerschnitt Bild: © Weissenbach, Kassel 3.9 Betoninnenwannen aus Textilbeton Eine Sonderform der Betoninnenwanne mit reduziertem Querschnitt ist die Innenwanne aus Textilbeton. Bei dieser Variante wird Mörtel/ Beton mit textiler Mattenbewehrung und Rückverankerung in mehreren Lagen am tragenden Bauteil als nachträgliche Abdichtung eingebaut (s. Abb. 7). (7) Prinzip einer Textilbetoninnenwanne Bild: © Brameshuber, Mott (Lit. 4) Wesentliche Unterschiede zu Innenwannen aus Ortbeton sind die deutlich reduzierte Schichtdicke von nur ca. 3 cm, sowie der für Schalensysteme untypische Auftrag im Spritzverfahren oder per Hand ohne Schalung direkt auf die Wand. Analog zur Betoninnenwanne mit reduziertem Querschnitt sind bei der Textilbetoninnenwanne noch weitergehende Einsparungen in Bezug auf Materialaufwand und Ausführungskosten, sowie noch geringere Verluste bei Deckenhöhen und Grundflächen möglich. Die Wasserundurchlässigkeit wird auch beim Textilbeton allein durch die Gefügedichte des Querschnitts erreicht. Erste Forschungsergebnisse zum Thema Innenwannen aus Textilbeton veröffentlichten Prof. Wolfgang Brameshuber und Rebecca Mott 2009 im Band 89 der Reihe Bauforschung für die Praxis unter dem Titel „Nachträgliche Abdichtung von Wohngebäuden gegen drückendes Grundwasser unter Verwendung von textilbewehrtem Beton“ (Lit. 4). Damals wurden die Schalen aus sehr feinen Mörteln im Spritzbetonverfahren hergestellt, was eine hohe Gefügedichte, aber auch sehr hohe Festigkeiten lieferte. Über sieben Lagen feinmaschige, alkaliresistente Glasfaserbewehrung und Edelstahldübel mit zwei Quelldichtungen (s. Abb. 8) wurde die Schale an den Bestandsbauteilen rückverankert. (8) Rückverankerungsdübel Bild: © Brameshuber, Mott (Lit. 4) Erste Paxistests zeigten eine grundsätzliche Eignung des Systems, allerdings auch noch einen Weiterentwicklungsbedarf unter folgenden technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten: Das Herstellverfahren mit acht Lagen Sprtizbeton und sieben Lagen Bewehrung war sehr zeitaufwendig. Ebenfalls kostenintensiv war die Herstellung der Edelstahlanker. Hinzu kamen technische Probleme in Form von Undichtigkeiten an Arbeits-/ Anschlussfugen sowie an den Dübeln. 3.10 Textilbetoninnenwannen mit Abdichtungsmittel Parallel zu den Forschungen in Aachen waren durch die Firma BAWAX bereits Mörtel entwickelt worden, die insbesondere durch den Einsatz eines mikrokristall-bildenden Abdichtungsmittels auch bei Handauftrag sehr hohe Gefügedichtigkeiten erreichten. Trotz Festigkeiten von „nur“ 40 N/ mm² zeigten diese Mörtel schon bei Schichtdicken < 3 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 479 Betoninnenwannen zur nachträglichen Abdichtung von Gebäuden - Systematik der Bauweisen und neue Möglichkeiten mit Textilbeton cm Wasserundurchlässigkeit bis mind. 5 bar und eröffneten somit im Vergleich zu herkömmlichen Spritzmörteln neue Möglichkeiten in Bezug auf Applikation und Bewehrungsaufwand. Der Einsatz von grobmaschiger Mattenbewehrung (s. Abb. 5 im Anhang) und Rückverankerungsdübeln aus Basaltfasern sowie der „XYPEX Trockenpackung“, einer in der Betonabdichtung bewährten, alternativen Abdichtungstechnik für den druckwasserdichten Anschluss der Innenwannen an Bestandssohlen oder im Bereich von Arbeitsfugen, waren dann wesentliche Schritte in der Weiterentwicklung zu diesem innovativen und mittlerweile auch in der Praxis erprobten Schalensystem. Damit war erstmals ein weiterentwickeltes System für Textilbetoninnenwannen am Markt verfügbar, das praxisgerecht zu verarbeiten ist, höchste Nutzungsanforderungen erfüllt und dessen Preisniveau mit dem von Innenabdichtungen auf Basis von Dichtschlämmen vergleichbar ist. Am 14.05.20 wurde vom Deutschen Patent und Markenamt ein Patent auf dieses „System zur nachträglichen Abdichtung von Bauwerken (insbesondere Gebäudekellern) gegen drückendes Wasser mit textilbewehrten Betoninnenwannen auf Basis mikrokristallbildender Mörtel“ erteilt. 3.11 Fazit und Ausblick Bei der Planung und der Ausführung von Betoninnenwannen sind im Vergleich zum Neubau / zur WU-Richtlinie viele Besonderheiten zu berücksichtigen. Der hohe Aufwand in der Ausführung, der für Betoninnenwannen nach WU-Richtlinie erforderlich wird, kann bei alternativen Systemen deutlich reduziert werden. Durch die einfache Verarbeitung mit dem maschinellen Materialauftrag direkt auf die Wand und dem Entfall der Schalungsarbeiten sind die Kosten für Innenwannen aus Textilbeton inzwischen mit denen von Abdichtungen mit Dichtschlämmen vergleichbar. Da die nachträgliche Betoninnenwanne jedoch technisch nach wie vor die sicherere und dauerhaftere Abdichtungslösung ist, wird sie mittlerweile nicht mehr nur bei Druckwasser, sondern häufig auch bei Bodenfeuchte als wirtschaftlichste Lösungen eingesetzt. Entscheidend für den Erfolg der Textilbetoninnenwannen in der Praxis war der Einsatz eines mikrokristallbildenden Abdichtungsmittels. Galten bis dahin Gefügedichtigkeit und hohe Festigkeit technologisch untrennbar miteinander verbunden, konnten nun wesentlich weichere Mörtel entwickelt werden, die besser auf den Mauerwerksuntergrund abgestimmt und trotzdem absolut wasserundurchlässig waren. Das erste und bisher einzige System mit dieser Technologie wurde von der BAWAX GmbH entwickelt und ist inzwischen durch ein Patent geschützt. Aktuell wird dieses System in einem Forschungsprojekt mit dem IBAC Institut der RWTH Aachen für die Abdichtung unter gemauerten Eisenbahnbrücken weiterentwickelt. Umfassende Informationen zum Thema “Betoninnenwannen zur nachträglichen Abdichtung von Gebäuden“ soll ein Sachstandsbericht liefern, der zur Zeit von der WTA-Arbeitsgruppe 5-26 erarbeitet wird. Literatur [1] DAfStb. (2003). DAfStb-Richtlinie - Wasserundurchlässige Bauwerke aus Beton (WU-Richtlinie). Berlin: Beuth Verlag. [2] DAfStb. (2006). Erläuterungen zur DAfStb-Richtlinie - Wasser-undurchlässige Bauwerke aus Beton (WU-Richtlinie). Heft 555. Berlin: Beuth Verlag. [3] Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein e.V. (2009). DBV-Merkblatt: Hochwertige Nutzung von Untergeschossen - Bauphysik und Raumklima. [4] Wolfgang Brameshuber, Rebecca Mott. (2009). - Nachträgliche Abdichtung von Wohngebäuden gegen drückendes Grundwasser unter Verwendung von textilbewehrtem Beton. - Bauforschung für die Praxis, Band 89. [5] Wissenschaftlich Technische Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmal-pflege (WTA) (2014) Merkblatt 4-6: 2014-01, - Nachträgliches Abdichten erdberührter Bauteile - Berlin: Beuth Verlag. [6] Rainer Hohmann (2011) - Nachträglich erstellte druckwasserdichte Keller aus Beton - Bau-substanz 1/ 2011 Seite 30 - 41 480 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Betoninnenwannen zur nachträglichen Abdichtung von Gebäuden - Systematik der Bauweisen und neue Möglichkeiten mit Textilbeton Anhang: Praxisbeispiel: Einbau einer Textilbetoninnenwanne mit mikrokristallbildendem Abdichtungsmittel (1) Ausbau der Bestandssohle Bild: © Georg Schäfer (2) Wasserstand im Keller nach Ausbau der Sohle und Starkregen Bild: © Georg Schäfer (3) Bewehrung der neuen WU-Betonsohle Bild: © Georg Schäfer (4) Neue WU-Betonsohle und fertig vorbereitete Wandflächen Bild: © Georg Schäfer (5) Einbau der Textilbetonschale Bild: © Georg Schäfer (6) Der fertige Keller mit Bodenbeschichtung und hochwertiger Nutzung Bild: © Georg Schäfer 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 481 Alkalische Hydrogele als Ankoppelungsmaterial für den elektrochemischen Chloridentzug Dr. rer. nat. Univ. Prof. Oliver Weichold Institut für Baustoffforschung, RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Andre Jung Institut für Baustoffforschung, RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Armin Faulhaber instakorr GmbH, Darmstadt, Deutschland Zusammenfassung Eine Methode zur Sanierung chloridkontaminierter Stahlbetonkonstruktionen ist der elektrochemische Chloridentzug (ECE), bei der die negativ geladenen Chloridionen mit Hilfe einer externen elektrischen Spannung aus dem Porensystem des Betons extrahiert werden. Ein nicht zu unterschätzendes Problem dieser Maßnahme geht vom elektrolytischen Ankopplungsmaterial zwischen der äußeren Elektrode und der Betonoberfläche aus. Hier gibt es noch Raum für Verbesserungen. In diesem Beitrag stellen wir ein hochalkalisches Hydrogel als neues, geeignetes Ankopplungsmaterial vor, mit dem die externe Spannung von aktuell 40-50 V auf ca. 1 V unter Laborbedingungen und auf 5-15 V in einem Feldversuch reduziert werden konnte. Dies ist auf die hohe Ionenleitfähigkeit des Gels und seinen ausgezeichneten elektrolytischen Kontakt zur Betonoberfläche zurückzuführen. In einem Feldversuch an chloridhaltigen Parkhaussäulen konnten mehr als 95 % der Chloride mit 2-3 Zyklen von jeweils 21 d Extraktion und 7 d Ruhephase extrahiert werden. Während dieser Zeit benötigte das Gel keine Betreuung, wie z.B. das Ersetzen verdampfter Feuchtigkeit. 1. Einleitung Die Korrosion von Stahl in Beton ist ein Hauptproblem von stahlbewehrten Strukturen.[1-3] Hierfür gibt es zwei Hauptursachen, nämlich die Karbonatisierung des Betons[4-6] und chloridinduzierte Korrosion.[7, 8] Der erste Prozess ist eine Folge der Reaktion von Portlandit mit atmosphärischem CO 2 , was zu einer Senkung des pH-Wertes der Porenlösung führt.[9] Der zweite Prozess ist eine ungünstige synergistische Wirkung von Chloridionen, Sauerstoff und Wasser, z. B. in Küstennähe [10] oder bei Einsatz von Taumitteln.[11] Im Gegensatz zur großflächigen Depassivierung der Bewehrung infolge von Karbonatisierung verursachen Chloridionen eine sehr lokale Zerstörung, die zu Lochfraßkorrosion führt.[12] Zur Sanierung chloridkontaminierter Bauwerke sind mehrere Möglichkeiten geregelt. Eine Möglichkeit ist der Ersatz durch neue, hochalkalische Instandsetzungsmörtel. Diese Vorgehensweise ist teuer, invasiv und garantiert keinen ausreichenden Verbund zwischen altem und neuem Beton.[13] Eine andere Möglichkeit ist das so genannte Prinzip W, bei dem der Feuchtigkeitsgehalt des Bauwerks durch einen wasserundurchlässigen Oberflächenschutz reduziert wird. [14-16] Dies verhindert die kathodische Reduktion von Sauerstoff gemäß 4 H 2 O + O 2 + 4 e − → 4 OH − und den Ionentransport durch das Porensystem.[13] Eine dritte Möglichkeit ist der Einsatz des kathodischen Korrosionsschutzes. Hierbei wird der Stahlbewehrung entweder mit Hilfe einer Opferanode oder einer permanent betriebenen externen Stromquelle eine kathodische Polarisation aufgezwungen.[17] Darüber hinaus gibt es die elektrochemische Chloridextraktion (ECE), um aktiv Chloridionen aus dem Porensystem zu entfernen. [18] Das Verfahren nutzt vorübergehend die Bewehrung als Kathode, die mit einer inerten, externen Anode - in der Regel ein Titan-Mischmetalloxid (MMO)-Netz - verbunden wird. Zwischen Anode und Betonoberfläche wird ein elektrolytisches Ankopplungsmaterial benötigt. In diesem Aufbau wird eine Spannung zwischen 30 und 70 V benötigt[19], um eine Stromdichte von ca. 1 A/ m 2 zu erreichen. Unter dem Strich handelt es sich bei ECE um eine intensivierte, aber temporäre Form des kathodischen Korrosionsschutzes, bei der die Chloridionen möglichst vollständig in das Kopplungsmaterial wandern sollen. Obwohl das Verfahren praktische Anwendung findet, bleibt die elektrolytische Kopplung zwischen der Oberflächenelektrode und der 482 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Alkalische Hydrogele als Ankoppelungsmaterial für den elektrochemischen Chloridentzug Betonoberfläche eine Herausforderung. Typische Kopplungsmaterialien sind Mörtel mit verbesserten elektrischen Leitfähigkeiten [19] oder mit Salzlösungen getränkte Vliesstoffe.[21] Diese sind jedoch inhomogen, unter den Bedingungen instabil und/ oder benötigen häufige Aufmerksamkeit, um ein Austrocknen zu verhindern. All dies würde zu einer unzureichenden oder unzuverlässigen Ankopplung führen. Auch die Bildung von Wasserstoff verbunden mit der Gefahr eines wasserstoffinduzierten Sprödbruchs ist gegeben [22, 23], andererseits kann der pH-Wert an der Oberfläche des Betons ins Saure absinken und entsprechende Schäden nach sich ziehen.[24] Ein ideales Kopplungsmaterial hochgradig leitfähig und homogen sein, die raue und poröse Betonoberfläche vollständig benetzen können und ein hohes Wasserrückhaltevermögen besitzen. All diese Eigenschaften können mit einem ionischen Hydrogel leicht erreicht werden. Wir haben vor kurzem ein neuartiges, hochalkalisches Hydrogel vorgestellt und seine ausgezeichnete Haftung an Betonoberflächen sowie seine Fähigkeit zum Ionenaustausch mit der Porenlösung des Zementsteins nachgewiesen[25] In diesem Bericht zeigen wir die Anwendung eines solchen alkalischen Hydrogels als Kopplungsmaterial für die elektrochemische Chloridextraktion (ECE). 2. Experimentalteil 2.1 Alkalische Gele Die kommerziell erhältliche 65 %-ige wässrige Lösung aus Diallyldimethylammoniumchlorid (DADMAC) wurde wir in der Literatur beschrieben mittels Ionentausch in die OH-Form (DADMAOH) überführt.[25] 5 g (10,48 mmol) dieser DADMAOH-Lösung wurden mit 35 mg (0,23 mmol) Bisacrylamid, 30 mg (0,16 mmol) Natriumbisulfit und 72 mg (0,85 mmol) Methacrylamid ( c MAA = 0,086) gemischt. Nachdem sich die Komponenten gelöst hatten, wurde eine Lösung von 60 mg Kaliumperoxodisulfat in 1,5 g Wasser zugegeben und 16 h bei 20 °C polymerisiert.[25] Das so hergestellte Gel ist gebrauchsfertig. 2.2 Mörtel Zur Herstellung der Proben mit den Abmessungen 100 x 100 x 70 mm 3 wurde ein CEM I gemäß DIN EN 196- 1 mit einem w/ z-Verhältnis von 0,5 (Sand: Zement: Wasser = 6: 2: 1) verwendet. Dem Anmachwasser wurden 3 Gew.-% Natriumchlorid, bezogen auf den Zement, zugesetzt. Die Porosität wurde durch Wassersättigung bei 150 bar bestimmt und betrug 9,6 % ± 0,1. Ein Titan-Mischmetalloxidnetz (MMO) wurde 10 mm über dem Boden der Probe eingebettet (Abb. 1). Alle Proben wurden mindestens 3 Monate bei 20 °C und 65% r.F. gelagert. Als Referenz wurden Proben verwendet, die aus demselben Mörtel ohne Chloridzusatz hergestellt worden waren. 2.3 Potentiostatische Messungen 0,5 mm dicke Polycarbonatplatten wurden mit Sikaflex 221i auf die Seiten des Probekörpers geklebt und dienen als Aufnahme für das Gel während der Polymerisation. Ein zweites MMO-Netz wurde im Inneren 10 mm über der Mörteloberfläche platziert. Dann wurden 150 g der in 2.1 beschriebenen Polymerisationsmischung in die Aufnahme gegossen, so dass das MMO-Netz vollständig bedeckt ist. Nach Aushärtung des Gels ist der in Abbildung 1 gezeigte Aufbau bereit für die potentiostatische Experimente. Abbildung 1. Schematischer Versuchsaufbau zur Durchführung der potentiostatischen Messungen. 3. Ergebnisse und Diskussion Bestimmung der Versuchsparameter im Labor Um eine für den ECE geeignete Spannung zu finden, wurde zunächst die angelegte Spannung im Bereich von 0,5 bis 1,25 V relativ zur einer internen Referenzelektrode variiert. Bei Spannungen größer 1,25 V wurde eine Gasentwicklung an der Anode beobachtet und am Geruch als Chlor identifierzit. Für jede untersuchte Spannung nimmt der gemessene Strom mit der Zeit aufgrund der Chloridmigration ab. Die Probe verarmt an mobilen Ladungsträgern und der Widerstand erhöht wird. Nach Abschluss der Versuchsreihe wurden die tiefenabhängigen Chloridprofile in Intervallen von 6 mm bestimmt. Die ersten 3 mm der Proben wurden verworfen, um mögliche Artefakte durch das Gel, das während der Polymerisation leicht in den Mörtel sickert, zu eliminieren. Alle Werte wurden auf den Chloridgehalt der Referenzproben normalisiert. Abbildung 2 zeigt die erhaltenen Profile beispielhaft für 0,875, 1 und 1,25 V. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 483 Alkalische Hydrogele als Ankoppelungsmaterial für den elektrochemischen Chloridentzug Abbildung 2. Tiefenprofil der Chloridkonzentration nach 3 d elektrochemischer Extraktion bei 0,875, 1 und 1,25 V. Die Werte sind auf die Chloridkonzentrationen der Referenz normiert. Gestrichelte Linien sind als Anhaltspunkte für das Auge gedacht. Bei allen Spannungen größer 0,875 V ist ein ähnlicher Trend zu beobachten: Die tieferen Schichten enthalten weniger Chloridionen als die Referenz, oberflächennahen mehr. Die Veränderung der Chloridkonzentration scheint mit zunehmender Spannung stärker ausgeprägt zu sein (vgl. Intervalle 16-21 und 22-27 mm). Die Gesamtmenge der Chloridionen ist jedoch mit der der Referenzproben vergleichbar. Daher scheinen die ersten ca. 3 Tage eine Induktionsperiode zu sein, wobei der Hauptprozess eine Umverteilung der Chloridionen von tieferen zu höheren Schichten ist. Das lokale Maximum im Intervall von 34- 39 mm scheint ein Artefakt der Normalisierung zu sein, da die Referenzprobe in dieser Tiefe ein Minimum im Chloridprofil zeigt, das wahrscheinlich auf eine lokale Inhomogenität zurückzuführen ist. Auf der Grundlage der obigen Ergebnisse wurde ein Potential von 1 V für die zeitliche Verfolgung der Chloridextraktion gewählt (Abb. 3). Dabei ergaben sich Stromdichten von 0,06-0,16 A/ m² und sind erheblich niedriger als die 1 A/ m 2 , die typischerweise für ECE verwendet werden [18, 20]. Es liegt nahe zu vermuten, dass dies das Ergebnis eines besseren elektrischen Kontakts zwischen Gel und Mörteloberfläche ist. Nach der oben beschriebenen Induktionsperiode von 3 d, in der die Ionen hauptsächlich in Richtung der Oberfläche umverteilt werden, nimmt die Chloridkonzentration in allen Tiefenintervallen ab. Vor allem die oberflächennahen Ionen werden schnell in das Gel extrahiert. Es sieht so aus, als ob nach 7 d im 10-15 mm Intervall eine weitere Anreicherung von Ionen stattfindet, die auf den fortgesetzten Transport von Chloridionen aus den unteren Schichten in Richtung Oberfläche zurückzuführen sein könnte. In diesem Fall könnten Ruhephasen ohne angelegte Spannung zwischen den Extraktionsphasen vorteilhaft sein. Allerdings könnte auch eine lokale Inhomogenität in der Probe für diese Spitze verantwortlich sein. Abbildung 3. Zeitliche Entwicklung der Chloridkonzentration in unterschiedlichen Tiefen bei einer Spannung von 1 V. Die Werte sind auf die Chloridkonzentrationen der Referenz normiert. Gestrichelte Linien sind als Anhaltspunkte für das Auge gedacht. Um eine Abschätzung des Gesamtfortschritts zu erhalten, wird der Chloridgehalt aller Schichten für jeden Untersuchungszeitraum aufsummiert und dann auf den Chloridgehalt der Referenzprobe normiert (Abb. 4). Dies unterstützt zunächst die obige Annahme, dass die ersten Tage eine Induktionsperiode mit Umverteilung der Ionen sind. Danach scheint der Chloridgehalt, zumindest innerhalb des Beobachtungszeitraums, linear abzunehmen. Unter der Annahme, dass die Extraktion weiterhin linear verläuft, kann der Prozess auf den frühesten Zeitpunkt extrapoliert werden, an dem alle mobilen Chloridionen extrahiert werden. Hier muss berücksichtigt werden, dass aufgrund der Bildung von Friedels Salz nur die Hälfte der zugesetzten Stoffmenge an NaCl in Form mobiler Chloridionen vorliegt[26]. Dies ist in Abbildung 4 als graue, schraffierte Fläche dargestellt. Unter den vorliegenden Versuchsbedingungen und der obigen Annahme sind alle mobilen Chloridionen nach ca. 30 d extrahiert. 484 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Alkalische Hydrogele als Ankoppelungsmaterial für den elektrochemischen Chloridentzug Abbildung 4. Lineare Extrapolation der Chloridextraktion zur Abschätzung des frühesten Zeitpunkts, zu dem alle mobilen Chloridionen entfernt wurden. Der grau schraffierte Bereich ≤ 0,5 hebt die in Friedels Salz immobilisierten Chloridionen hervor, die für die Extraktion nicht zur Verfügung stehen. 3.1 Feldversuch an Parkhausstützen Nachdem im Labor gezeigt werden konnte, dass die DAD- MAOH-Gele als Kopplungsmaterial für die elektrochemische Chloridextraktion eingesetzt werden können, wurden Feldversuche zur Behandlung von vier chloridkontaminierten Parkhausstützen konzipiert. Der Hauptunterschied zwischen den chloridhaltigen Laborproben und den Stützen besteht darin, dass letztere nach dem Aushärten des Zementleims mit Chloridionen kontaminiert wurden. Dies führt zu einer geringeren Immobilisierung der Chloridionen in Form von Friedels Salz. Es sollte daher theoretisch möglich sein, die Chloridionen vollständig aus dem Beton zu extrahieren. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde das in den oben beschriebenen Laborversuchen verwendete Gel vor dem Feldversuch mit einer gesättigten wässrigen Hydroxyethylcellulose-Lösung im Verhältnis 1: 2 gemischt. Die Extraktion wurde in Zyklen von 21 d ECE und 7 d Ruhephase geplant. Die Ruhezeiten wurden genutzt, um Proben aus drei Tiefen zu entnehmen und den Fortschritt der Maßnahme zu überwachen. Dabei kann sich das Verhältnis zwischen den freien und gebundenen Chloridionen ausgleichen.[26] Da die Hydroxyethylzellulose-Lösung eine deutlich niedrigere Leitfähigkeit als die alkalischen Gele aufweist, wurde die Spannung im ersten Zyklus zunächst auf 5 V und im zweiten Zyklus auf 8 V erhöht. Die Erhöhung war notwendig, um die gewünschte Stromdichte von 1 A/ m² beizubehalten. Es ist zu beachten, dass dies immer noch nur etwa 10-20 % der bei ECE-Anwendungen üblicherweise verwendeten Spannung beträgt.[27, 28] Bei drei der vier behandelten Stützen war die Extraktion nach zwei 21-7 tägigen Zyklen erfolgreich (> 95 % des ursprünglich extrahierten Chlorids). Die vierte Stütze wies von Anfang an einen höheren spezifischen Betonwiderstand auf, was möglicherweise auf eine geringere Porosität und/ oder einen niedrigeren Feuchtigkeitsgehalt zurückzuführen ist. Die Stütze war daher erheblich schwieriger zu extrahieren und erforderte eine zusätzliche 21-tägige Extraktionsperiode, in der die Spannung auf 15 V erhöht wurde. Außerdem wurde in dieser Periode die Spannung alle 24 h für 15 min aus- und dann wieder eingeschaltet, um die Extraktion von stärker gebundenen Chloridionen zu erleichtern (Abb.g 5)[27]. Abbildung 5. Entwicklung des Chloridgehalts in der 3. Stütze, die drei 21-7-Tage- Zyklen benötigte. Auch hier werden oberflächennahe Chloridionen schneller extrahiert als solche in tieferen Schichten, und ca. 70 % des oberflächennahen Chlorids werden innerhalb der ersten 21 Tage nach der Anwendung extrahiert. Dies korreliert gut mit den Daten der Laborversuche an Mörtelproben (vgl. Abb. 3). Die Beobachtung, dass drei der vier Säulen mit zwei 21-7 tägigen Zyklen vollständig extrahiert werden konnten, unterstützt unsere vorsichtige Extrapolation, dass die ECE unter den dargestellten Bedingungen mindestens 30 Tage dauert (Abb. 4). Es ist auch offensichtlich, dass die Wirksamkeit der ECE vom ersten zum zweiten Zyklus infolge der geringeren Anzahl von Ladungsträgern abnimmt. Der dritte Zyklus ist dann wieder sehr effektiv, insbesondere in tieferen Schichten aufgrund der höheren Spannung und des Intervallbetriebs. 4. Schlussfolgerungen Das hier vorgestellte wässrige, stark alkalische und hoch ionenleitende Gel ist aus folgenden Gründen ein hervorragendes Kopplungsmaterial für die elektrochemische Chloridextraktion: 1. es passt sich perfekt an die raue Betonoberfläche an, wodurch ein vollkommen homogener Kontakt ent- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 485 Alkalische Hydrogele als Ankoppelungsmaterial für den elektrochemischen Chloridentzug steht und das Auftreten von Spitzenströmen vermieden wird. 2. Dies in Kombination mit der hohen Alkalität verhindert eine Säurekorrosion des Zementsteins. 3. Das Gel hat ein hohes Wasserrückhaltevermögen und muss nicht nachgefüllt werden. 4. Das kationische Polymernetzwerk sorgt für eine starke Haftung an der Silikatoberfläche, so dass das Gel mit nur geringen Änderungen in der Zusammensetzung auch auf senkrechten Wänden und eventuell auch auf Decken aufgetragen werden kann. Aufgrund der hohen elektrolytischen Leitfähigkeit kann der elektrochemische Chloridentzug bei niedrigeren Spannungen und Stromdichten durchgeführt werden, was den Prozess sicherer und wirtschaftlicher macht. Das vorgestellte Gel kann mit einem handelsüblichen, nichtionischen Gelbildner verdünnt werden, ohne dass die ECE-Gesamtleistung darunter leidet. Eine solche Mischung wurde in einem Feldversuch an chloridverseuchten Parkhaussäulen erfolgreich eingesetzt. Literatur [1] S. Ahmad, Reinforcement corrosion in concrete structures, its monitoring and service life prediction--a review, Cement and Concrete Composites, 25 (2003) 459-471. [2] J.G. Cabrera, Deterioration of concrete due to reinforcement steel corrosion, Cement and Concrete Composites, 18 (1996) 47-59. [3] L. Bertolini, Steel corrosion and service life of reinforced concrete structures, Structure and Infrastructure Engineering, 4 (2008) 123-137. [4] N.M. Ihekwaba, B.B. Hope, C.M. 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Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 487 Überwachung des Korrosionszustandes der Bewehrung an einem Kühlturm im Meerwasserbetrieb mittels polymerer Zulagekathoden Christian Helm RWTH Aachen University, Aachen, Deutschland Helena Eisenkrein-Kreksch Kiwa GmbH, Mülheim a.d.R., Deutschland Zusammenfassung Eine fortlaufende Kontrolle der Wirksamkeit von durchgeführten Instandsetzungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Chlorid induzierter Korrosion der Bewehrung ist häufig nur unter Zuhilfenahme von Monitoring Systemen möglich. Die zielführende Integration von Sensoren in Bestandsbauwerke stellt dabei eine zusätzliche technische Schwierigkeit dar. Zu diesem Zweck wurden am Institut für Baustoffforschung (ibac) der RWTH Aachen University spezielle Korrosionssensoren nach dem Prinzip der Zulagekathode entwickelt und im Labormaßstab erprobt. Nachfolgend wird über die erste Anwendung des Messsystems in der Praxis berichtet. Es wird der Korrosionszustand der Bewehrung einer Schalenaußenseite eines Kühlturms im Meerwasserbetrieb im Nachgang einer umfangreichen Instandsetzungsmaßnahme an ausgewählten Stellen überwacht. Der theoretische Hintergrund, der Aufbau sowie die Erfahrungen aus Installation und Inbetriebnahme des Monitoring Systems unter den herausfordernden örtlichen Gegebenheiten werden vorgestellt. 1. Einführung 1.1 Allgemeines Die Überwachung korrosionsrelevanter Kenngrößen bei der Instandsetzung von Stahlbetonbauteilen, welche von Chlorid induzierter Korrosion der Bewehrung betroffen sind, bietet Bauherren und Planern große technische und wirtschaftliche Potentiale. Aktuell verfügbare Sensoren und Messtechnik erlauben jedoch in vielen Fällen aufgrund ihrer hohen Anschaffungs-, Applikations- oder Betriebskosten keine Nutzung dieser Potentiale. Neuartige Sensoren auf Polymerbasis sollen diese Potentiale abrufbar machen und die Anwendung von Korrosionsmonitoring in der Instandsetzung verbreitern. Weitere Probleme, die die Integration von Sensoren in Bestandsbauwerke mit sich bringen, wie der zusätzliche Eintrag von Feuchtigkeit und damit eine Beeinflussung der Messergebnisse, werden so ebenfalls gelöst. Nachfolgend wird die Systematik des neuen Ansatzes beschrieben. 1.2 Stand der Technik Auch wenn die prinzipiellen Mechanismen bei der Makroelementkorrosion von Stahl in Beton seit langem geklärt sind, so sind wichtige Teilaspekte, die die Instandsetzung von derartigen Korrosionsschäden betreffen, noch immer Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Dies gilt für den kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalt [1] im Allgemeinen ebenso, wie im Speziellen für den Chloridgehalt, welcher für eine erfolgreiche Anwendung des Prinzips W-CL nach RL-SIB im Bauwerk verbleiben kann. Dabei wird jedoch eine Überwachung des Instandsetzungserfolges mittels Korrosionsmonitoring vorgeschlagen. Dazu steht eine breite Palette an Sensorsystemen zur Verfügung. Wobei sich für den nachträglichen Einbau im Bestandsbauwerk im Wesentlichen nur zwei Sensortypen bewährt haben: Sensoren zur Überwachung des elektrolytischen Widerstandes des Betons, z.B. die bekannte Multiringelektrode [2] oder so genannte Zulagekathoden zur Messung der Korrosionsaktivität der Bewehrung. Multiringelektroden geben Auskunft über die zeitliche Entwicklung des tiefengestaffelten Elektrolytwiderstandes, z.B. im Nachgang einer Oberflächenbeschichtung. Dieser lässt allerdings nur indirekt Rückschlüsse auf den Korrosionszustand der Bewehrung zu. Zulagekathoden geben eine direkte Information über den Korrosionszustand der Bewehrung, indem z.B. in einem definierten Zeitintervall nach Herstellung eines Kurzschlusses zur Bewehrung der entstehende Korrosionsstrom gemessen wird. Durch Wechselstromwiderstandsmessungen zwischen den einzelnen Kathoden, bzw. zwischen jeweiliger Kathode und der Bewehrung 488 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Überwachung des Korrosionszustandes der Bewehrung an einem Kühlturm im Meerwasserbetrieb mittels polymerer Zulagekathoden kann zusätzlich eine Aussage über die Entwicklung der Bauteilfeuchte getroffen werden. Weiterhin kann das Potential der Bewehrung mit dem der Zulagekathode verglichen werden, welche eine so genannte Pseudoreferenzelektrode darstellt. In der Vergangenheit wurden bei Anwendung des Verfahrens i.d.R. edle Metallelektroden oder Mischoxid beschichtetes Titan (MMO) zunächst in Mörtel eingebettet, um die Kurzschlussgefahr zur Bewehrung zu minimieren und anschließend mittels eines Vergussmörtels in Bohrlöcher eingesetzt, vgl. Bild 1. Bild 1: Oben: Aufbau einer Zulagekathode, unten: Darstellung des Messsystems Zulagekathode Lay beschreibt in [3] eine erfolgreiche Anwendung des Prinzips über eine Dauer von 800 Tagen, wobei ein deutlicher Abfall der Korrosionsströme infolge einer Rissverpressung festzustellen ist. Dennoch verfügt die Methode über deutliche Nachteile, welche insbesondere auf die Art der elektrolytischen Ankopplung zurückzuführen sind. So nimmt die Aushärtung des Vergussmörtels einige Zeit in Anspruch, was insbesondere bei Anwendung in Wand oder Decke technisch nachteilig anzusehen ist. Auch die Notwendigkeit der Nachbehandlung muss in den Bauablauf eingeplant werden, was zu einer erheblichen Verlängerung der Zeit vor Ort über die bloße Installation hinaus führt und damit die Kosten des Monitoring Systems nachteilig beeinflusst. Messtechnisch stellt das durch den Bohrvorgang und den Ankopplungsmörtel ins Bauteil eingebrachte Wasser einen erheblichen Nachteil dar, da die Erstmessung so nicht mit dem Ausgangszustand des Bauteils vor oder bei Instandsetzungsbeginn gleichzusetzen ist, was Rückschlüsse auf die Wirksamkeit generell erschwert. Diese Probleme sollen durch die Anwendung der nachfolgend beschriebenen polymeren Korrosionssensoren gelöst werden. 1.3 Polymere Zulagekathoden Die vorgestellten Sensoren wurden am ibac im Rahmen eines Forschungsprojektes der Förderform „Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand“, ZIM, gemeinsam mit der in Aachen ansässigen Firma haupts IT Solutions GmbH entwickelt. Gegenstand war ein neuartiger Sensor, der analog zum Zulagekathodenprinzip ein deutlich positiveres elektrochemisches Potential aufweist, als die depassivierte Bewehrung, als Pseudoreferenzelektrode fungieren und zur Durchführung von Impedanzmessungen genutzt werden kann. Anders als bei den zuvor gezeigten Ansätzen, soll hier keine mineralische Ankopplung erfolgen. Diese wird über ein Polymer erreicht, welches elektrisch ausreichend leitfähig ist und gute Polarisationseigenschaften aufweist. Die Kontaktierung sowie ein ausreichend positives elektrochemisches Potential werden durch einen Metallkern, welcher ebenfalls der elektrischen Kontaktierung dient, erreicht. Eine Prinzipskizze des Sensors zeigt Bild 2. Ferner sollte der Kern so ausgebildet werden, dass er zur Zentrierung des Sensors im Bohrloch und gleichzeitig als Mischstrecke für die Injektion des 2k Sensorpolymers dienen kann. Bild 2: Prinzipskizze Sensor Die entscheidenden Vorteile des Polymers, welches der Batterieforschung entlehnt ist, gegenüber einer mineralischen Ankopplung sind: 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 489 Überwachung des Korrosionszustandes der Bewehrung an einem Kühlturm im Meerwasserbetrieb mittels polymerer Zulagekathoden • Kein zusätzlich eingetragenes Wasser, dadurch aussagekräftige Messwerte direkt nach der Installation • Einfache Installation im Bohrloch durch Zentrierstück mit Anschlüssen und 2k-Technik • Schneller Arbeitsfortschritt durch zügiges Aushärten • Applikation an Wand- oder Deckenbereichen einfach umsetzbar • Keine Nachbehandlung erforderlich • Keine Beeinflussung der Sensoreigenschaften durch Bauteilfeuchte Letzteres wird erreicht, da das Ankopplungsmaterial durch ein System mit vernachlässigbarer Wasseraufnahme gebildet wird, innerhalb dessen die Ionenleitung über sogenannte Fehlstelleinleitung erfolgt. Die zugehörigen Laboruntersuchungen, sind in [4] ausführlich erläutert. Die Geometrie des Sensors, wie er im Rahmen der hier beschriebenen Praxisanwendung zum Einsatz kam, zeigt Bild 3. Bild 3: Finale Geometrie Sensor Bild 4: Fotografische Abbildung Sensor Eine fotografische Abbildung des Sensors zeigt Bild 4. Zu erkennen ist der Kathodenträger mit innenliegender Mischstrecke, welches von einem Netz aus MMO umschlossen wird. Die Aufdickung am Fuß soll den Sensor im Bohrloch zentrieren und so eine vollständige Umhüllung mit dem Polymer ermöglichen, welches am Fußpunkt austritt. Der Kragen oben sichert über einen Reibschluss die Fixierung im Bohrloch. Das Ansatzstück oben dient zum Anschluss an eine Handelsübliche 2K- Spritze und wird nach vollständiger Füllung des Ringspalts an einer Sollbruchstelle vom eigentlichen Sensor getrennt. Die Dauer bis zum Aushärten des Sensorpolymers kann chemisch eingestellt werden und ist überdies von den äußeren Randbedingungen, insbesondere der Temperatur abhängig. Die Verkabelung und Messung der Sensoren erfolgt dann analog zum bekannten Zulagekathodenprinzip, vgl. [3, 4]. 2. Instandsetzungsobjekt 2.1 Allgemeines Der Kühlturm im Kraftwerk Rostock wurde im Jahre 1992 erbaut. Der Kühlturm besteht aus einer ca. 140 m hohen Schale mit einem unteren Durchmesser von ca. 96 m und einem oberen Durchmesser von ca. 60 m. Der Kühlturm wird unterteilt in Felder, die aus Meridianbahnen - Bereiche zwischen zwei Windrippen - und Ringen - ein Meter hohe Betonierabschnitte, bestehen. Der Kühlturm besitzt 48 Meridianbahnen mit ca. 5 m Breite am unteren Schalenrand und 134 Ringe. Die gesamte Schalenoberfläche weist eine Fläche von ca. 28.960 m² auf. Die Kühlung wird mit Meereswasser betrieben, dass noch zusätzlich aufbereitet und im Laufe des Kühlbetriebes verdickt wird, so dass ein hoher Chloridgehalt im Kühlwasser vorhanden ist. 490 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Überwachung des Korrosionszustandes der Bewehrung an einem Kühlturm im Meerwasserbetrieb mittels polymerer Zulagekathoden Im Jahr 2015 wurde anlässlich erster visuell erkennbarer Rissbildungen im unteren Schalenbereich eine detaillierte Bauwerksuntersuchung der gesamten Schalenaußenseite durchgeführt, welche letztlich in einer aufwendigen Instandsetzung von Teilbereichen mündete. Ziel der Maßnahmen war es, den Kühlturm für mindestens 20 Jahre ohne weitere Eingriffe unter Anwendung von Korrosionsmonitoring betreiben zu können. 2.2 Bauwerksuntersuchungen Im Vorfeld der Instandsetzung wurden umfangreiche bauwerksdiagnostische Untersuchungen durchgeführt. Zu nennen sind hier unter anderem: • Thermografieaufnahmen zur Detektion von Hohllagen • Visuelle und beschichtungstechnische Untersuchungen • Betontechnologische Untersuchungen • Potentialfeldmessung • Chloridentnahme und -analyse Details zu den durchgeführten Untersuchungen und Ergebnissen gibt [5] wieder. 2.3 Instandsetzungskonzept Im Nachgang der Bauwerksuntersuchungen wurden Musterflächen angelegt, um die Anwendbarkeit und Wirtschaftlichkeit unterschiedlicher Instandsetzungsmethoden unter den gegebenen Randbedingungen beurteilen zu können. Die Erkenntnisse flossen in die Erstellung des finalen Instandsetzungskonzeptes ein, um die wirtschaftlichste und zeitoptimierte Maßnahme durchführen zu können. Die Vorgabe für den Ausführungszeitraum betrug 18 Monate, so dass auf der knapp 30.000 m² großen Oberfläche viele Arbeiten parallel verlaufen mussten und die gesamte Schale in mehrere Bearbeitung-/ Beanspruchungszonen aufgeteilt wurde. 2.4 Instandsetzungszonen Auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse und aus Übereinstimmung der Chloridbeprobung, Potentialfeldmessung und vorliegenden festgestellten Hohllagen, ist die Schale in 4 Zonen aufgeteilt worden, die unterschiedlichen Maßnahmen unterzogen werden sollen. In der Schalenabwicklung des Bildes 5 sind die einzelnen Zonen dargestellt. Zone 1 In den Zonen 1 und 2 fand eine konventionelle Instandsetzung nach Prinzip 7.2 der IH-RL [6] statt, da mehr als 50% der Oberfläche Hohllagen aufwiesen. Das Prinzip beinhaltete einen Totalabtrag des kontaminierten Betons bis in die Tiefe des korrosionsauslösenden Chloridgehaltes. Die gesamte Zone 1 wurde mit einem Spritzbeton verschlossen und mit einem nachbehandlungsunempfindlichen Mörtel nachbehandelt. Bild 5: Darstellung der instandsetzungsbezogenen Zonen 1 bis 4, Zone 4 beinhaltet die gesamte Schale 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 491 Überwachung des Korrosionszustandes der Bewehrung an einem Kühlturm im Meerwasserbetrieb mittels polymerer Zulagekathoden Die gesamte Maßnahme erfolgte an nur zwei Meridianbahnen gleichzeitig, um die statische Standsicherheit zu gewährleisten. Zone 2 Zone 2 beinhaltete weniger als 20 % an Hohllagen, so dass die konventionelle Instandsetzungsmethode nach Prinzip 7.2 zu zeitintensiv gewesen wäre. Die gesamte Zone 2 wurde mit der Hammer-Tast-Methode nach vorhandenen Hohllagen untersucht, welche dann farbig gekennzeichnet wurden. Diese Methode hat sich bei vielen Kühlturminstandsetzungen bewehrt, um den geschädigten Beton zu detektieren. Unterstützend wurde die Fläche thermografisch visualisiert, um etwaige nicht erkannte Hohllagen zu detektieren. Diese Hohllagen im Beton werden analog zu Zone 1 freigelegt und instandgesetzt. Zone 3 Die Zone 3 wies keine großflächigen strukturellen Beton- oder Bewehrungsschädigungen auf. Jedoch lagen bereichsweise hohe Chloridwerte mit an die 1,0 M.-% vor. Die Schutzbeschichtung war vollflächig vollständig abgewittert, so dass kein Schutz der Betonoberfläche gegenüber Umgebungsbeanspruchungen vorliegt. In dieser Zone wurde die Altbeschichtung entfernt. Die dabei sehr selten auftretenden Hohllagen wurden konventionell instandgesetzt. Zone 4 Nach allen durchgeführten Maßnahmen wurde die Schalenoberfläche gesäubert und mit zwei Lagen einer Oberflächenschutzbeschichtung versehen. Diese Beschichtung auf Dispersions-Acrylat-Basis besitzt erstens hohe Diffusionsdurchlässigkeit für Wasserdampf, um die von Innen beschichtete Schale nach Außen trocknen zu lassen. Zweitens hat sie ein CO 2 -Diffusionswiderstand von größer als 50 m, um den Prozess der Carbonatisierung zu stoppen. Drittens weist die Beschichtung eine Rissüberbrückungsklasse von mindestens B3.1 auf, um die Oberfläche bei eventuell im Zusammenhang mit AKR-Treiben aufkommender Rissbildung vor Wassereintritt zu schützen. 3. Monitoringsystem 3.1 Allgemeines Gewählt wurde ein System nach dem zuvor beschriebenen Zulagekathodenprinzip. Es wurden insgesamt 5 Messfelder angeordnet, welche den Instandsetzungserfolg repräsentativ für die unter 2.4 definierten Zonen überwachen sollen. Die Lage der Messfelder zeigt Bild 6. Bild 6: Lage der Messtellen 492 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Überwachung des Korrosionszustandes der Bewehrung an einem Kühlturm im Meerwasserbetrieb mittels polymerer Zulagekathoden Je Messfeld wurden 8 Sensoren über eine Fläche von ca. einem Quadratmeter verteilt. Die Verteilung erfolgte zufällig. Einzig die Lage der Bewehrung wurde zuvor zerstörungsfrei bestimmt, um beim Setzen der Bohrungen Bewehrungstreffer zu vermeiden. Es wurden jeweils 5 Sensoren vom neuen Polymersensor, vgl. Bilder 3 und 4 verbaut. Zusätzlich wurden jeweils 3 „klassische“ Zulagekathoden, vgl. Bild 1, in Bohrlöcher eingemörtelt. Dies sollte zum einen eine vergleichende Betrachtung der beiden Sensortypen ermöglichen, aber auch die Dauerhaftigkeit des Monitoring Systems gewährleisten, da mit der etablierten Form der Zulagekathode bereits Langzeiterfahrungen bestehen, während die Polymer Sensoren bislang nur im Labormaßstab erprobt wurden. 3.2 Installation Die Installation der Sensoren erfolgte von Fahrbühnen aus. Bild 7 zeigt beispielhaft die Injektion eines Polymersensors. Alle Kabelverbindungen wurden sensorseitig vorkonfektioniert und in Verteilerboxen geführt, gekürzt und auf ein mehradriges Kabel aufgelegt. Dieses wurde dann jeweils entlang einer Windrippe bis zum oberen Umgang des Turms geführt. Da eine spätere Revisionsmöglichkeit der Technik an der Schalenaußenseite nicht gegeben ist, sollten alle aktiven Bauteile an einer leicht erreichbaren Stelle auf dem oberen Umgang, welcher mittels einer Treppe jederzeit zu erreichen ist, angebracht werden. Bild 7: Injektion Polymersensor Bild 8: Messfeld M20/ R110 nach erfolgter Sensorapplikation Einen beispielhaften Eindruck eines fertigen Messfeldes gibt Bild 8. Die Injektionslöcher der Polymersensoren wurden vor der Injektion im Kopfbereich mittels Bohrer aufgeweitet und nach der Applikation mit einer UV-beständigen Dichtmasse auf PU-Basis verschlossen. Dies soll das Eindringen von Feuchtigkeit durch die entstandene Schadstelle der Beschichtung verhindern und gleichzeitig den Korrosionsschutz der Kabelverbindung vom Sensor auf das Kupferkabel sicherstellen. Das Klebeband, Bild 8, sollte ein zu schnelles Austrockenen der eingemörtelten Zulagekathoden verhindern, da für eine ordnungsgemäße Nachbehandlung nicht lange genug an der jeweiligen Messstelle verweilt werden konnte. 3.3 Inbetriebnahme Die zuvor beschriebenen Arbeiten wurden kurz vor Abschluss der Instandsetzungsarbeiten, wenige Tage vor der Demontage der Fahrbühnen durchgeführt. Daher war es zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich, die Verkabelung auf dem oberen Umgang fertigzustellen und eine Erstmessung durchzuführen, da dieser durch die Oberwagen, bzw. das Schienensystem der Fahrbühnen blockiert war. Aus diesem Grund konnte die Fertigstellung und Inbetriebnahme erst in der nächsten Wartungsunterbrechung, ca. 8 Monate später erfolgen. Dazu wurden auf dem oberen Umgang Messkästen installiert und die Kabel auf vorkonfektionierte Steckverbinder aufgelegt. Ebenfalls wurden die für die Messung notwendigen Bewehrungsanschlüsse, vgl. Bild 1, erstellt. Die Durchführung der Erstmessung, noch vor Verschließen des Bewehrungsanschluss, zeigt Bild 9 exemplarisch. Bild 9: Messkasten bei Erstmessung 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 493 Überwachung des Korrosionszustandes der Bewehrung an einem Kühlturm im Meerwasserbetrieb mittels polymerer Zulagekathoden Bei der Erstmessung zeigte sich, dass trotz der herausfordernden Randbedingungen durch Wind, Höhe und die teilweise größeren Abstände der Schale auf den Fahrbühnen nur eine einzige Messstelle funktionslos war. Ob dies auf einen Fehler bei der Verkabelung zurückzuführen war, oder der Bruch eines Kabels oder Anschlusses vorliegt kann nicht aufgeklärt werden. Die übrigen 39 Sensoren lieferten Messwerte im erwartbaren Bereich. Da das Messsystem primär die relative Entwicklung der Messwerte verfolgen soll, ist an dieser Stelle noch keine abschließende Bewertung des Instandsetzungserfolges oder der Leistungsfähigkeit des Monitoring Systems selbst möglich. Die grundsätzliche Funktionalität unter erschwerten Baustellenbedingungen konnte jedoch gezeigt werden, wodurch nun die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Langzeitbetrieb des Systems gegeben sind. 4. Zusammenfassung und Ausblick Ein am ibac entwickeltes neuartiges Monitoring System auf Basis von polymeren Zulagekathoden wurde erstmals im Rahmen eines Praxisobjekts eingesetzt. Das System wurde unter den erschwerten Randbedingungen an der Schalenaußenseite eines Kühlturms im Meerwasserbetrieb erfolgreich installiert und in Betrieb genommen. Die Installation zeigte folgende Vorteile der Polymeren Sensoren auf: • Schnelle und einfache Applikation durch 2k-Injektionstechnik ohne Notwendigkeit einer Nachbehandlung erlaubt höheren Arbeitsfortschritt • Schwere Ausrüstung wie Kernbohrgerät, Einbettmörtel, Anmachwasser, etc. muss nicht mitgeführt werden. Auch wenn zu diesem frühen Zeitpunkt noch keine direkten Schlüsse zur Bewertung des Erfolges der Instandsetzungsmaßnahme gezogen werden können, so wird die vorgestellte Anlage dennoch in den kommenden Jahren wichtige Daten über die Entwicklung des Korrosionszustandes der Bewehrung im Zusammenhang mit den gewählten Instandsetzungskonzepten liefern und eine Bewertung des Monitoringkonzeptes im Ganzen ermöglichen. Von Interesse hierbei sind insbesondere: • Die Vergleichbarkeit der Messdaten der „klassischen“ und polymeren Zulagekathoden • Dauerhaftigkeit des Sensorpolymers unter Baustellenbedingungen In Zukunft ist beabsichtigt, polymere Zulagekathoden im Rahmen weiterer Instandsetzungsmaßnahmen einzusetzten. Im Fokus sind dabei insbesondere Parkhäuser und Straßentunnel. Aktuell wird am ibac im Rahmen eines Folgeprojektes daran geforscht, die bekannte Multiringelektrode ebenfalls auf Basis injizierbarer Kunststoffe umzusetzen. Literatur [1] Kosalla, M. ; Raupach, M.: Aktueller Stand zum kritischen korrosionsauslösenden Chloridgehalt - Stellungnahme des DAfStb. Ostfildern : Technische Akademie Esslingen, 2016. - In: Parkbauten. 7. Kolloquium, Esslingen, 26. und 27. Januar 2016, (Gieler-Breßmer, S. (Ed.)), S. 205-208 ISBN 978- 3-943563-22-1 [2] Raupach, M. ; Gulikers, J. ; Reichling, K.: Condition Survey with Embedded Sensors Regarding Reinforcement Corrosion: Bauwerksüberwachung mit eingebetteten Sensoren hinsichtlich der Korrosion von Stahl in Beton. In: Materials and Corrosion 64 (2013), Nr. 2, S. 141-146 ISSN 1521-4176 [3] Lay, S.: Praxisbericht zum Korrosionsmonitoring in Rissen mit Behandlung nach dem Prinzip W-Cl. Esslingen : Technische Akademie Esslingen, 2012. - In: 5. Kolloquium Verkehrsbau Schwerpunkt Parkhäuser, Ostfildern, 24.-25.01.2012 [4] Helm, C.; Raupach, M. ; Haupts, A.: Neuartige Sensoren auf Polymerbasis zur Überwachung des Korrosionsverhaltens der Bewehrung. Ostfildern: Technische Akademie Esslingen, 2017. - In: 5. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken, Esslingen, 24. und 25. Januar 2017, (Raupach, M. (Ed.)), S. 265- 270 ISBN 978-3-943563-28-3 [5] Eisenkrein-Kreksch, H.; Bavendiek, F.; Mager, T.: Schädigung an der Schalenaußenseite eines Naturzugkühlturms infolge Chloridkontamination und AKR, Untersuchungen und Instandsetzungsplanung. Ostfildern: Technische Akademie Esslingen, 2017. - In: 5. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken, Esslingen, 24. und 25. Januar 2017, (Raupach, M. (Ed.)), S. 495-500 [6] DAfStb-Richtlinie, Instandhaltung von Betonbauteilen (Instandhaltungs-Richtlinie, IH-RL), Gelbdruckentwurf (Stand: 2016-06-14), Deutscher Ausschuss für Stahlbeton, Beuth Verlag, Berlin Oberflächenschutz 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 497 Kunstharzbeschichtungen auf feuchten Untergründen - Herausforderungen und Lösungen in der Praxis Osmotische Blasenbildung - ein Schreckensgespenst, das in der Betoninstandsetzung immer wieder auftaucht und verhindert werden kann Eva-Maria Ladner Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Patricia Gimeno Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Dr. Stefan Kühner Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Im Zuge von Betoninstandsetzungen ist das Applizieren von Kunstharzbeschichtungen auf mineralischen Untergründen regelmäßig ein Problemfall, da häufig die Feuchtigkeit des Untergrunds zu Verzögerungen im Bauablauf führt. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob dies auf aufsteigende Feuchtigkeit aus dem Untergrund zurückzuführen ist oder es sich um die Tatsache handelt, dass ein frisch appliziertes und noch nicht aushydratisiertes Betonersatzsystem überbeschichtet werden soll. Verzögerungen im Bauablauf bis zum Erreichen einer Oberflächenfeuchte <4 M.-% können schnell teuer werden. Wird die Oberflächenfeuchte missachtet, so führt dies zunächst zu kleinen Blasen, die wasserführend sind, welche später in großflächigen Ablösungen der Kunstharzbeschichtungen münden. Neben der Möglichkeit, den Untergrund vor, während und für die Dauer der Aushärtung der Kunstharzbeschichtung aufwendig trocken zu legen, kann die Verwendung eines ECCs bzw. epoxidharzvergüteten Mörtels als temporäre Feuchtigkeitssperre eine schnellere und kostengünstigere Lösung sein. Der 3-komponentige Mörtel ist bereits seit vielen Jahren in der Praxis wiederzufinden, aber wie funktioniert dieser eigentlich? Warum kann mit einem epoxidharzvergüteten Mörtel die Osmose verhindert werden und ist dies eine dauerhafte Lösung? Gibt es Anwendungsgrenzen und wo liegen diese? 1. Anlass EpoCem-Technologie Mehrlagige Beschichtungen müssen für einen optimalen Haftverbund auf einem trockenen, nicht verunreinigten mineralischen Untergrund appliziert werden, sodass eine geschlossene, porenfreie polymere Beschichtung realisiert werden kann. Bei jungem Beton oder Estrich im Neubau, aber auch in Bestandsbauwerken kann aufsteigende Feuchtigkeit von unten bei einer anschließenden vollflächigen polymeren Beschichtung zur osmotischen Blasenbildung führen. Als weitere Folge wird ein Ablösen der Beschichtung nicht ausbleiben (Abb. 1). Drei Faktoren begünstigen die Entstehung von Osmose: • Wasser: Bei einer fehlenden Abdichtung kann das Eindringen von Wasser von der erdberührten Seite in das Bauwerk nahezu nicht verhindert werden und ist dann mit hohen Kosten verbunden. • Gelöste Salze: Osmose ist weiterhin nur möglich, wenn Salze oder andere Stoffe in gelöster Form im Beton vorhanden sind. Geringe Chloridgehalte lassen sich bautechnisch nicht verhindern, sodass die Reduktion der Salzgehalte zur Verhinderung von Osmose keine Option darstellt. 498 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Kunstharzbeschichtungen auf feuchten Untergründen - Herausforderungen und Lösungen in der Praxis • Semipermeable Schichten (Reaktionsharzbeschichtungen): Diffusion von Flüssigkeiten durch eine semi-permeable Trennwand. Verhindert werden kann dies nur, wenn die Feuchtigkeit bei <4 %, gemessen mit dem CM-Verfahren, liegt. Dieser Wert hat sich in der Praxis bewährt - Osmose tritt hier üblicherweise nicht auf. Eine Alternative dazu stellt die EpoCem-Technologie als Zwischenschicht und Feinspachtelung dar, bei der in Abhängigkeit von Lufttemperatur und relativer Feuchtigkeit auch bei höheren Feuchtigkeiten des Untergrundes hochwertige Beschichtungen möglich sind. Diese Technologie hat sich nunmehr seit 30 Jahren bewährt und wird nachfolgend weiter erläutert Abb. 1: Osmotische Blasenbildung 2. Wirkungsweise Die EpoCem-Technologie basiert auf einem wässrigen 2K-Epoxy das mit einem zementären Pulver gemischt wird. Auf diese Weise ist es möglich, die chemischen Eigenschaften des Epoxidharzes mit den physikalischen Eigenschaften des Zementgemisches zu kombinieren. Die Polyaddition des Epoxidharzes erfolgt dabei mit einem Beschleuniger, während die Hydratation des Zementes mit dem Wasseranteil des Epoxidharzes stattfindet. Die Wechselwirkung der beiden unterschiedlichen Bindemittelsysteme führt zu einem Einwachsen der Zementkristalle in das zuvor gebildete Epoxidharzgerüst. Dies ermöglicht die Bildung einer temporären Feuchtigkeitssperre, die beim Überbeschichten mit polymeren Beschichtungen für die Aushärtezeit dieser genutzt wird, da die Dichtigkeit des Mörtels durch das Epoxidharz erhöht wird. Die Symbiose aus Epoxidharz und Zement bietet weitere Vorteile: • Alkalienschutz • Erhöhung der Dichtigkeit • Ganzheitliches Aushärten • Chemisch und physikalisch Widerstandsfähigkeit Zusammengefasst kann die Wirkungsweise von EpoCem folgendermaßen beschrieben werden: • Entwicklung einer temporären Feuchtigkeitssperre mit - einer parallel ablaufenden Zement- und Epoxidharzreaktion - Bildung eines vernetzten Epoxid-Molekularsiebes (Wabenstruktur) in das die Zementkristalle hineinwachsen und damit zu höheren Festigkeiten führen (Abb. 2) - Reduzierung der ursprünglichen Untergrundfeuchte auf <4 % gemessen mit dem CM-Verfahren innerhalb von 24 Stunden bei 23 °C • Diffusion des voremulgierten Materials an die Oberfläche des Betons oder Estrich - ohne den Transport von Salzen oder anderen löslichen Stoffen aus dem Beton in das EpoCem • Gleichzeige Aufkonzentration des reinen Harzes auf der Beschichtungsoberfläche - Verhinderung übermäßigen Austrocknens, was zu einer hohen Festigkeit Reduktion des Schwindens führt - Nahezu keine Carbonatisierung durch die Luft - Verbesserung der Haftung für nachfolgende Beschichtungen (chemisch und physikalisch) Die Dauer der Wirkungsweise ist abhängig vom jeweiligen EpoCem-System und den Umgebungsbedingungen. Die Beschichtung sollte innerhalb von sieben Tagen appliziert werden, um die Vorteile der EpoCem-Technologie ausnutzen zu können. Ein späteres Überbeschichten (ggf. nach vorherigem Anstrahlen der EpoCem-Oberfläche) ist zwar möglich, bietet dann aber den Vorteil der temporären Feuchtigkeitssperre nicht mehr. Abb. 2: Graphische Darstellung der Wabenstruktur des Epoxidharzes mit hineinwachsenden Zementkristallen 3. Ablauf der Applikation von EpoCem Für die Applikation von EpoCem ist eine herkömmliche Untergrundvorbereitung notwendig. Alle losen Teile müssen entfernt werden und die Oberfläche muss öl- und fettfrei sein. Weiterhin muss die Oberfläche über eine Haftzugfestigkeit von >1,5 N/ mm² verfügen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 499 Kunstharzbeschichtungen auf feuchten Untergründen - Herausforderungen und Lösungen in der Praxis Die EpoCem-Technologie besteht aus drei Bestandteilen, eine zusätzliche Zugabe von Wasser ist nicht erforderlich: • A: Epoxidharzemulsion • B: Härteremulsion • C: Zement- und zuschlaghaltige Pulverkomponente Im ersten Arbeitsschritt wird die mineralische Oberfläche mit dem wässrigen Epoxidharz aus den Komponente A und B vorgrundiert, sodass die Feuchtigkeit aus dem Untergrund darin einemulgiert werden kann. Als zweiter Arbeitsschritt wird anschließend auf die frische Grundierung das 3-komponentige EpoCem-System (ABC) appliziert. Durch das Absetzen des Zuschlags entsteht an der Oberfläche erneut ein höherer Reinharzanteil. Während der parallel ablaufenden Aushärtereaktionen entsteht bei der Abbindung des Zementes eine höhere Temperatur, die die Reaktion des Epoxidharzes beschleunigt. Die Schichtdicke des 3-komponentigen Systems ist abhängig vom jeweiligen Produkt und Anwendungsfall. Da es sich um eine temporäre Feuchtigkeitssperre handelt, erreicht man eine Oberflächenfeuchte unter 4 % (CM-Verfahren) bei einer 2 mm starken EpoCem-Beschichtung bei 23 °C und 75 % r.F. innerhalb von ca. 24 Stunden. Ein Vergleich zwischen einem herkömmlichen grünen Beton und der Applikation von EpoCem auf diesem hinsichtlich der Oberflächenfeuchte ist in Abb. 3 dargestellt. Abb. 3: Reduktion der Oberflächenfeuchte in Abhängigkeit vom Alter, dargestellt im Vergleich zwischen konventionellen Beton und unter Anwendung der EpoCem- Technologie 4. Vorteile gegenüber PCC Gegenüber PCC bietet die EpoCem-Technologie folgende Vorteile: • Chemische und physikalische Haftung nachfolgender Beschichtungen, bei PCCs ist nur eine physikalische Haftung möglich • Gefahr des Schwindens ist bei PCC-Produkten deutlich höher, da durch den höheren Reinharzanteil an der Oberfläche des EpoCems ein übermäßiges Austrocknen reduziert wird • PCCs sind weniger widerstandsfähig gegenüber Chemikalien • PCCs verfügen über Poren, die einen Salztransport zur Oberfläche ermöglichen Ein weiterer Vorteil ergibt sich in dem voreingestellten Mischverhältnis, sodass eine zusätzliche Wasserzugabe auf der Baustelle nicht mehr erforderlich ist. 5. Notwendigkeit Beispiele für Notwendigkeit der EpoCem-Technologie: • Zerstörte oder fehlende Abdichtungsmembran • Keine ausreichende Wartezeit für die Aushärtung von frischen Beton oder Estrich (Abb. 4) • Beschichtung mit wasserdampfdiffusionsdichten Beschichtungen bei rückseitiger Feuchteeinwirkung 6. Praxisbeispiele In der Regel findet die EpoCem-Technologie Anwendung, wenn eine rückwärtige Feuchteeinwirkung vorliegt oder ein zeitlicher Druck, sodass die Beschichtungsarbeiten schnell durchgeführt werden müssen. Nachfolgend sind Anwendungsfälle und die geeigneten Produkten aufgezeigt, die sich in ihrer Schichtstärke unterscheiden. Bei Industrieböden und Parkhäusern werden am Boden üblicherweise Fließmörtel verwendet, die eine Schichtstärke von bis zu 7 mm aufweisen. Unter Zugabe von Quarzsand können diese zusätzlich auch als Reparatur- und Reprofiliermörtel eingesetzt werden. Eine weitere Besonderheit bei diesen Fließmörteln ist die Prüfung des Verbundverhaltens über 34 Monate (1.000 Tage) bei rückseitiger Feuchteeinwirkung. Vorwiegend in der Kläranlagensanierung findet die Epo- Cem-Technologie als Feinmörtel Anwendung. Dieser zeichnet sich dahingehend aus, dass er auch sulfatbeständig ist und auf vertikalen wie horizontalen Flächen bei Wasserdrücken bis zu 5 bar eingesetzt wird. Hier wird die EpoCem-Technologie sowohl als Endbeschichtung aufgrund der Expositionsklasse XA3 verwendet als auch als Feinspachtel unter einer XBSK-beständigen Epoxidharzbeschichtung. 500 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Kunstharzbeschichtungen auf feuchten Untergründen - Herausforderungen und Lösungen in der Praxis Abb. 4: Bauzeitenverkürzung durch Anwendung der EpoCem-Technologie 7. Zusammenfassung Osmose ist primär verantwortlich für die Blasenbildung bei der Beschichtung von Betonuntergründen. Osmotische Blasenbildung kann bei rückwärtiger Feuchteeinwirkung auf die Reaktionsharzbeschichtung durch vorherige Applikation eines Mörtels basierend auf der EpoCem-Technologie verhindert werden. Die Einsatzmöglichkeiten dieser Technologie sind daher vielfältig. So ermöglicht die EpoCem-Technologie eine Bauzeitenverkürzung von mind. 2 Wochen gegenüber Bauzeiten einer konventionellen Ausführung. Bei einer rückwärtigen Feuchteeinwirkung gibt es neben der EpoCem-Technologie keine vergleichbare Lösung, die in der Praxis so erfolgreich eingesetzt wurde. Diese Technologie hat sich seit über 30 Jahren auf vielen Millionen Quadratmetern ohne osmotische Blasen als Fließmörtel und Feinspachtel bewährt. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 501 Blasen in Polymerbeschichtungen Erkennungsmerkmale, Ursachenanalyse und Entstehungsmechanismen Dr.- Ing. Robert Engelfried, Ö.b.u.v. Sachverständiger für Beschichtungen im Bauwesen, Betoninstandsetzung, Herdecke Dipl.-Ing. Helena Eisenkrein-Kreksch Sachverständige für Betoninstandsetzung und Oberflächenschutz, Niederlassungsleiterin Kiwa GmbH, Beckum Kurzfassung Beim Anblick von Blasen drängt sich aufgrund von deren Form der Eindruck auf, dass sie durch Druck entstanden sind. Dies ist in der Regel auch richtig, jedoch kann dieser Druck auf ganz unterschiedliche Ursachen zurückgehen. Blasen in Beschichtungen sind stets ungeplante Erscheinungen. Deshalb sind sie meist auch inakzeptabel. Sind sie aber auch in jedem Fall hinsichtlich des Zwecks der Beschichtung funktionsbeeinträchtigend? Um solche und weitere Fragestellungen beantworten zu können, ist es zwingend erforderlich die Ursachen der Entstehung von inneren Drücken zu finden und die daraus folgenden spezifischen Mechanismen der Erzwingung von Blasenverformungen zu definieren. In jedem Fall setzt dies voraus, dass man relevante werkstoffkundliche Daten zum System Beschichtung und Untergrund sowie beanspruchungsabhängige Umgebungseinwirkungen kennt bzw. in Erfahrung bringt. Wichtige Hinweise ergeben sich auch aus einer möglichst genauen Kenntnis von mikroskopisch darstellbaren Schichtquerschnitten der Blasenbereiche und ggf. von Analysen von Substanzen, die aus Blasen entnommen werden können. Die vorgetragenen Fälle demonstrieren die Nachweise druckinduzierter Blasen aus unterschiedlichen Ursachen, mit den daraus folgenden spezifischen Entstehungsmechanismen und im Zusammenhang mit ihren Erkennungsmerkmalen/ Erscheinungsformen in situ. 1. Osmoseblasen 1.1 Hergang Im Zuge der Errichtung eines Kernkraftwerks ist der Ölabscheider in Stahlbetonbauweise unterhalb Gelände eingebaut und dann mit Erdreich überdeckt worden. Nach zwanzig Jahren des Betriebs ist die Innenauskleidung erneuert worden. Dazu hat man durch Schleifen, Strahlen und der Anwendung weiterer Abtragsmethoden das defekte Bestandsbeschichtungssystem entfernt. Zur Schaffung eines beschichtungsgerechten Untergrundes ist eine Untergrundvorbehandlung unter Verwendung eines PCC-Mörtels vorgenommen worden. Auf diesen Untergrund ist eine Dickbeschichtung mit folgender Werkstoffcharakterisierung (Herstellerangabe) appliziert worden: Kunststoffmodifiziertes Polymersilikat, welches mittels Rollapplikation appliziert wird. Als Schichtdicke gab das Technische Merkblatt den Grenzwert „Mind. 2 mm“ vor. Eine maximal einzuhaltende Zeitfolge zwischen Applikation der beiden Lagen, wie dies zwecks Erzielung eines gesicherten Haftverbunds bei 2 K Beschichtungsstoffen nach den anerkannten Regeln der Beschichtungstechnik in der Regel erforderlich ist, wird im Technischen Merkblatt nicht genannt. Nach der Dokumentation der Beschichtung sind zwischen den Applikationsgängen Wartezeiten zwischen 1 Tag und 23 Tagen praktiziert worden. Nach einer nicht näher bekannten Betriebszeit kam es zur Blasenbildung 1.2 Statusaufnahme Im Bild 1.1 ist die Behälterinnenansicht gezeigt. Die linke Wand grenzt an Erdreich, die restlichen drei Wände 502 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Blasen in Polymerbeschichtungen grenzen an Nachbarkammern. Der Boden liegt auf Erdreich und auf der Decke grenzt außenseitig eine ca. ein Meter hohe Erdschicht an. Die Behälterinnenbeschichtung ist dunkelgrau, hat applikationsbedingte Aufhellungen und weist an den Wänden örtlich strukturell stark ausgeprägte Läuferbildungen auf. In größerem Umfang liegen an den Wänden Blasen mit Durchmessern von 3 mm bis ca. 30 mm vor. Diese sind flüssigkeitsgefüllt und stehen unter einem inneren Überdruck. Der pH-Wert der Flüssigkeit liegt bei 9. Bild 1.2 zeigt einen Flächenausschnitt der Decke. Auch dort haben sich in der Beschichtung zahlreiche, flüssigkeitsgefüllte Blasen gebildet. Des Weiteren erkennt man auf Bild 1.2 knopfartige, runde Erscheinungen mit nach unten gerichteten Kegelspitzen aus erstarrtem Beschichtungsstoff. Bild 1.1: Behälterinnenansicht, Boden - Wände - Decke Bild 1.2: Decke, größere Durchmesser sind Blasen, kleinere Durchmesser sind Tropfen. Am Boden der Kammer liegt ein ebener und glatter Oberflächenzustand vor, frei von Strukturen, die etwa durch Applikationswerkzeuge hätten hinterlassen werden können. Des Weiteren lagen am Boden keine Blasen oder andere auffällige Oberflächenimperfektionen vor. Fotografische und mikroskopische Darstellung der Querschnitte An den entnommenen Bohrkernen sind an den beschichteten (oberen) Enden ca. 2 cm dicke Scheiben abgesägt worden. Diese sind dann mit einer diamantbesetzten Säge mittig durchtrennt worden. Von den Schnittflächen wurden zwei verschiedene Aufnahmen gemacht: a Fotografische Aufnahme des Aufbaus Beton + PCC- Mörtel + Polymersilikat Beschichtung. b Mikroskopische Aufnahme des Aufbaus Beton + PCC-Mörtel +Polymersilikat Beschichtung. In den Bildern 1.3 und 1.5 sind die Querschnitte zur Übersichtsdarstellung fotografisch gezeigt, während die Bilder 1.4 und 1.6 die Querschnitte mikroskopisch detailliert darstellen. Auf Bild 1.3 und Bild 1.4 erkennt man fotografisch und mikroskopisch langgezogene Hohlräume, die genau zwischen zwei Lagen der Beschichtung durch Bildung eines Adhäsionsbruches entstanden sind. Bild 1.3: Fotografische Aufnahme des Bohrkernquerschnitts der Wand am Oberflächenrand Bild 1.4: Detail von Bild 3, Mikroskopische Aufnahme der beiden blasenbildenden Lagen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 503 Blasen in Polymerbeschichtungen Bild 1.5: Fotografische Aufnahme des Bohrkernquerschnitts des Bodens am Oberflächenrand Bild 1.6: Detail von Bild 5. Mikroskopische Aufnahme der Polymersilikatschicht des Bodens als einlagige, strukturell homogene Schicht, blasen- und hohlraumfrei Von der Regel der Blasenbildung und dann als Adhäsionsbruch weicht der auf Bild 1.5 und 1.6 fotografisch und mikroskopisch abgebildete Schichtquerschnitt signifikant ab. Er entstammt der Bodenbeschichtung. Die Polymersilikat Beschichtung wurde dort in einer gleichförmigen Schichtdicke mit kaum messbarer Schichtdickenvarianz appliziert, gestützt sicher auch durch die besonderen Verlaufseigenschaften des Werkstoffes auf dem quasi horizontalen Boden. Aus diesem einheitlich strukturierten Schnittbild lässt sich ableiten, dass die Bodenbeschichtung in einem einzigen Applikationsgang aufgetragen wurde und sich dann auch in einem einheitlichen Zeitabschnitt chemisch vernetzen und verfestigen konnte. In diesem Schichtquerschnitt haben sich während der Betriebszeit keine Blasen oder andere Hohlräume gebildet. Daraus ergeben sich grundsätzliche Hinweise für die Ursache der Blasenbildung in den Aufbauten von Decke und Wänden im Gegensatz zur völlig blasenfreien Bodenfläche des Behälters. 1.3 Analyse der Blasenbildung Ø 3 bis 30 mm In Polymerbeschichtungen auf Beton treten unter kritischen Feuchtebedingungen z.B. aus dem Untergrund oder aus der Nutzung Blasen auf. Stehen diese Blasen unter einem inneren Überdruck und sind flüssigkeitsgefüllt, geht deren Ursache sehr häufig auf eine osmotische Generierung zurück. Nach der Objektuntersuchung, der Beprobung und den gezielt vorgenommenen Laboruntersuchungen, verdichteten sich die Hinweise für diese Ursache signifikant. Es bedarf dann jedoch immer noch des Nachweises dazu, ob die Parameter zur Erfüllung der osmotischen Generierung vorliegen und in welcher Priorität sie den Mechanismus der Blasen ausgelöst haben könnten. Auf Basis langjähriger Erfahrungen und gesicherter Erkenntnisse lassen sich die komplexen physikalisch, chemischen Zusammenhänge der osmotischen Blasenbildung analysieren. Mittels einer modellhaften Darstellung im Bild 1.7 können die häufigsten Varianten und die wichtigsten Parameter zur Entstehung nachgewiesen werden. Stellt man das im Bild 1.7 gezeigte Modell den fotografischen und mikroskopischen Ansichten und Querschnitten der Bilder 1.1 bis 1.6 gegenüber, ergeben sich Übereinstimmungen der Parameter des Modells zu den geschädigten Wand- und Deckenaufbauten. Das Modell sieht als mögliche semipermeable Membran sowohl die direkt auf dem Beton applizierte Grundbeschichtung als auch die an die Oberfläche angrenzende Deckbeschichtung vor. Für das Bauobjekt Ölabscheider werden Grund- und Deckbeschichtung als eine zunächst bestehende Einheit aus der in zwei Lagen applizierten Polymersilikat Beschichtung angesehen. Der Beton des Behälters kommt als Feuchtelieferant praktisch nicht in Frage. Die Wand- und Deckenaußenseiten grenzen zwar an Erdreich und könnten bei einer angenommenen rückwärtigen Durchfeuchtung Wasser „liefern“. Dagegen spricht jedoch die Tatsache, dass der Blaseninhalt einen pH-Wert <9 aufwies. Er müsste einen pH-Wert von ca. 12,5 aufweisen, wenn mitwirkendes Wasser aus dem Beton an der Blasenbildung beteiligt gewesen wäre. Blasenparameter: a) Wasser b) Semipermeable Membran c) Adhäsions- Kohäsionsschwäche d) Verformbarkeit der Beschichtung e) Blasenkeime (hydrophile Stoffe, o. Ä.) Bild 1.7: Osmotische Generierung von Blasen 504 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Blasen in Polymerbeschichtungen Auf der Vorderseite, d.h. der Kammerinnenseite steht bis zum Regelwasserstand langfristig permanent Wasser von 10°C und drei Tage vor einer geplanten Revision Wasser von 40°C an und zwar in flüssiger Form als Betriebsmedium und in Form hoher Luftfeuchte mit Tauwasserbildung an der Beschichtungsoberfläche des Luftraums. Mit dieser Konstellation sind die Parameter a) und b) des Modells definiert und hinsichtlich der Blasenbildung funktional erfüllt. Der Werkstoffhersteller charakterisiert in den Technischen Unterlagen den Beschichtungsstoff Polymersilikat wie folgt: Kunststoffmodifiziertes Polymersilikat aus der Bindemittelkomponente zweier Isocyanate, dem Lösemittel Ethylacetat und der Härterkomponente Kieselsäure, Kaliumsalz (Wasserglas). Bindemittel- und Härterkomponente werden nach einem vorgegebenen Mischungsverhältnis angesetzt, mittels Rührwerk homogenisiert und sind im Rollapplikationsverfahren appliziert worden. Den weiteren Herstellerangaben zufolge sollte das Gemisch in zwei Lagen angewendet werden, wobei zwischen erster und zweiter Lage eine Wartezeit von mindestens 6 Stunden einzuhalten war, um den Beschichtungsstoff „ausgasen“ zu lassen. Als Schichtdicke gibt das Technische Merkblatt den Grenzwert „Mind. 2 mm“ vor, wobei dann die Trockenschichtdicke gemeint ist. Eine maximal einzuhaltende Zeitfolge zwischen der Applikation der beiden Lagen, wie dies zwecks Erzielung eines gesicherten Haftverbunds bei 2 K Beschichtungsstoffen nach den anerkannten Regeln der Beschichtungstechnik in der Regel erforderlich ist, wird im Technischen Merkblatt nicht genannt. Die Beschichtung der Kammer erfolgte nach der „Dokumentation im Zeitraum von ca. zwei Monaten. Dabei kam es nach den Aufzeichnungen zwischen den Applikationsgängen zu Wartezeiten zwischen 1 Tag und 23 Tagen. Nach einer nicht näher bekannten Betriebszeit (Wochen bzw. Monate) kam es zur Blasenbildung, d.h. Enthaftung und Verformung waren möglich. Damit waren dann auch die Parameter c) und d) definiert und erfüllt. Die Polymersilikat Beschichtung enthält in ihrer Bindemittelkomponente niedermolekulare organische Verbindungen mit fuktionellen Isocyanatgruppen, die planmäßig mit der Wasserglashärterkomponente eine Reaktion zu polymeren Strukturen eingehen. Dabei verbleiben in der Regel niedermolekulare Anteile unvernetzt zurück. Unverändert zurückbleiben werden auf jeden Fall gewisse Anteile des in der Bindemittelkomponente von Anfang an enthaltenen flüchtigen Stoffes Ethylacetat, dessen Retention von den Parametern Temperatur, Schichtdicke etc. bestimmt wird. Diese niedermolekularen Inhaltsstoffe sind partiell wassermischbar und können in Form einer Pfeffer´schen Zellenbildung [1] osmotisch generierte innere Drücke auslösen. Somit wäre auch der Parameter e) definiert und bezüglich der Blasenbildung funktional erfüllt. Wäre es bei der Festlegung der Betriebsbedingungen, bei der Werkstoffwahl bzw. bei der Rezeptur der Beschichtung gelungen, nur einen der genannten Parameter konsequent auszuschalten, wäre es nicht zu den Blasenbildungen gekommen. Die Ausschlag gebende besondere Rolle hat dabei die Tatsache gespielt, dass die zweilagige Applikation der Polymersilikat Beschichtung mit der ca. mittig liegenden Grenzfläche (siehe Bild 1.4) eine Kohäsionsschwäche besaß, die im Betriebszustand durch Quellung noch intensiviert worden ist (Parameter c). Die im Quellungszustand sich einstellende partielle Plastifizierung der Polymersilikat Beschichtung hat es dann schließlich zugelassen, dass der osmotische Druck die Membran zur Blase verformen konnte. Dieses Postulat wird durch die Tatsache gestützt, dass es bei der Beschichtungsanwendung am Boden - siehe dazu die Bilder 1.5 und 1.6 - durch die homogene Einlagigkeit der Polymersilikat Beschichtung nicht zur Blasenbildung gekommen ist. Bei gleicher stofflicher Beschaffenheit sind die Parameter a, b, d und e wirkungslos geblieben, weil im bekannten Schichtaufbau kein Ansatz für eine Hohlraumerzwingung gegeben war. Daraus kann für den vorliegenden Anwendungsfall die Schlussfolgerung gezogen werden, dass mit dem beschriebenen Polymer Beschichtungsstoff unter den bekannten Filmbildungsbedingungen an Decke und Wänden alle Parameter (a, b, c, d, e) wirksam wurden, der gleiche Beschichtungsstoff unter den Anwendungsbedingungen des Bodens jedoch nicht zur Blasenbildung führte, weil der Parameter d komplett unterdrückt wurde. 2. Schaumblasen 2.1 Hergang Beim Mischungsansatz sowie bei der Applikation von Dickbeschichtungen kann Luft in den Beschichtungsstoff gelangen. Sind diese Arbeitsschritte einschließlich der Stoffrezeptur nicht dahingehend optimiert, das Entweichen der Luft zu fördern, bevor ein kritischer Viskositätsanstieg zur Filmbildung einsetzt, wird die Luft in Bläschenform eingeschlossen. Dass es sich dann um Einschlüsse von Luft handelt, erkennt man an der relativ geringen Anzahl der Bläschen, deren Größe (1 bis 2 mm) und an deren grober Verteilungsstruktur im Querschnitt der Beschichtung. Bei Naturzugkühltürmen werden für besondere Beanspruchungen durch den Betrieb und durch Umgebungseinwirkungen 2K PUR Beschichtungen zum Einsatz gebracht. Dabei wird ein Mischungsansatz aus niedermolekularen Isocyanaten mit Polyolen auf Beton appliziert. Die funktionellen Gruppen gehen dann eine räumliche Vernetzung zu Polyurethan bzw. zu Polyharnstoffstrukturen ein und bilden dadurch hochresistente Oberflächen- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 505 Blasen in Polymerbeschichtungen schutzsysteme gegen Betriebs- und Umgebungseinwirkungen. Gelingt dies nicht, oder kommt es zu Störreaktionen bei der Vernetzung, kann es, wie im vorliegenden Fall der Beschichtung eines Kühlturms zu folgenschweren Fehlleistungen kommen: Bild 2.1 zeigt den Ausschnitt der Schaleninnenseite im oberen Bereich. Dort ist eine 2-K Polyurethan-Beschichtung durch Airless-Spritzen appliziert worden. Bild 2.1: Ausschnitt einer Kühlturmschaleninnenseite. Schwadeneinbrüche vom Nachbarkühlturm Luvseitig (Südwest) steht ein weiterer Kühlturm, der zu diesem Zeitpunkt im Betrieb war. Die Wetterlage war zur Applikation günstig. Böiger Wind trieb jedoch den Schwaden alternierend leeseitig (Nordost) über das Beschichtungsobjekt. Dort kam es wegen des erwärmten, wasserübersättigten Kühlturmschwadens (in dieser Konstellation ist dieser schwerer als die Luft im Kühlturm) zu Schwadeneinbrüchen. In Bild 2.1 sind diese als weiße, neblige Trübungen erkennbar. Die fallenden Kühlturmschwaden gelangten so in das Airless-Spritzfeld der Applikateure, die diese „Bedrohung“ offensichtlich nicht wahrnahmen oder auch in ihrer Wirkung nicht entsprechend einschätzen konnten. Bild 2.2: Bienenwabenartige Schaumstruktur in PUR Deckschicht Auf einer Fläche von ca. 1000 m² hat man anlässlich einer Kontrollbefahrung zwei Tage später den auf Bild 2.3 gezeigten Schichtaufbau nach einem Stahlklingenschnitt festgestellt. Die beiden EP-Zwischenschichten und die erste PUR Deckschicht sind planmäßig und nahezu hohlraumfrei verfestigt. Die zweite PUR Deckschicht hat eine ausgeprägte Schaumstruktur und ihre Schichtdicke ist wenigstens dreimal so hoch wie planmäßig zu erwarten war. Bild 2.3: Vierlagiges Beschichtungssystem, letzte Lage ist mit CO 2 -Schaumblasen durchsetzt 2.2 Ursache und Mechanismen Die ausgeprägte Schaumbildung konnte dadurch entstehen, dass der Airless-Spritzstrahl in Form der feinen Tröpfchen des Beschichtungsstoffgemisches die Aerosole des Schwadens durchschossen und sich dabei mit Wasser aufgeladen haben. Dieses Aufladen war sehr effektiv, weil einerseits eine große Fläche (viele kleine Tröpfchen) von PUR Beschichtungsstoff und andererseits eine große Fläche von Wasser (auch viele kleine Tröpfchen) aufeinander trafen. Der Überschuss an Wasser im Kontakt mit dem flüssigen PUR führte dann zu einer Nebenreaktion dergestalt, dass sich aus dem eingefangenen Wasser und Kohlenwasserstoffen des PUR Mischungsansatzes als Nebenreaktion Kohlendioxid bildete, welches sich nach dem Gesetz von Avogadro aus dessen Molmasse von 44 g auf ein Molvolumen von 22,41 Liter CO 2 -Gas vergrößerte. Dadurch ist die auf dem Betonuntergrund aufgetroffene PUR Beschichtung zu der Schaumstruktur aufgebläht worden, die in Bild 2.2 mikroskopisch und im Bild 2.3 fotografisch im Schnittbild gezeigt ist. 506 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Blasen in Polymerbeschichtungen Bild 2.4: Versprödung der PUR Deckschicht nach zweijähriger Betriebsbeanspruchung Bei dieser ausgeprägten Schaumbildung liegt die Annahme auf der Hand, dass die sonst bekannten Leistungsmerkmale der Polyurethanbeschichtung zum Schutz der Betonschale gegen die Betriebs- und Umgebungsbeanspruchungen nicht mehr vorhanden sind. Bild 2.4 zeigt eine fotografische Aufnahme des betreffenden Schalenausschnittes nach zwei Jahren des Betriebs des Kühlturms. Die Untersuchung ergab, dass sich zahlreiche Oberflächenrisse in netzartiger Feinstruktur gebildet hatten. Diese gehen darauf zurück, dass, vorgegeben durch die Hohlraumstruktur und durch die wegen der störenden Nebenreaktionen geschwächte Bindemittelmatrix, die Oberfläche netzartig aufgebrochen ist. 3. Chlorgasblasen 3.1 Hergang Die als sogenannte weiße Wanne erstellte Stahlbetonbodenplatte einer PKW Tiefgarage ist im Zuge des Neubaus mit dem Oberflächenschutzsystem OS 8 [3] ausgestattet worden. In der Folgezeit traten in dieser Bodenplatte viele Risse auf. Es war davon auszugehen, dass über diese Risse, die auch in der OS 8 Beschichtung aufgetreten waren, durch Fahrzeuge Auftausalze eingeschleppt wurden, partiell in die Risse eingedrungen sind und beim Erreichen der Bewehrung dort chloridinduziert Korrosion ausgelöst haben. Der Bauherr hat nach ca. zehn Jahren des Betriebs die Installation eines Kathodischen Korrosionsschutzsystems (KKS) [4] und in Kombination dazu die Anwendung eines Polymerbeschichtungssystems der Klassen OS 8 / OS 11 [3] ausführen lassen. In diesem Zusammenhang sind an zügig verlaufenden Einzelrissen Bandanoden in Schlitze eingebaut worden. Zirka zweieinhalb Jahre nach Fertigstellung der beschriebenen Schutzmaßnahmen hat man Blasen festgestellt. Fachleute haben aufgrund der Beschreibung Dritter der Art der Blasen nach ohne nähere visuelle oder technologische Untersuchungen diagnostiziert, dass es sich dabei um Osmoseblasen handeln müsse. Bei näherer Betrachtung kamen hinsichtlich dieser Ursachenannahme Zweifel auf. 3.2 Ursache und Mechanismen der Blasenbildung Bild 3.1 zeigt einen Ausschnitt des Fußbodens mit einigen Blasen. Diese hatten runde Formen, standen unter einem inneren Überdruck und ihre Durchmesser betrugen 5 bis 10 cm, wogegen osmotische Blasen eher Durchmesser von 1 bis 3 cm haben. Des Weiteren ergaben detaillierte Betrachtungen, dass das Auftreten der Blasen in einem Zusammenhang mit dem KKS, d.h. in der Nähe verlegter Bandanoden stand. Bild 3.1: Blasen in der Polymerbeschichtung Ø 5 bis 10 cm Bild 3.2 zeigt einen Blick in das Bohrloch, aus welchem ein Bohrkern Ø 100 mm bis auf eine Tiefe von ca. 80 mm entnommen worden ist. Bild 3.2: Bohrkernloch Ø 100 mm Die Bruchebene entstand genau dort, wo die obere Bewehrungslage der Stahlbetonbodenplatte endet. An der gegenüberliegenden Bohrwand erkennt man einen von unten nach oben verlaufenden Riss. Er endet ca. 3 cm unterhalb des Bohrlochrandes, wo man rechts die vertikale Bandanode und links davon den zementösen Einbettungsmörtel erkennt. Am darüber befindlichen Rand befindet sich partiell ein ca. 4 mm breiter Spalt. Dabei 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 507 Blasen in Polymerbeschichtungen handelt es sich um den Hohlraum der an dieser Stelle angebohrten Blase. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang noch, dass bei mehreren geöffneten Blasen über Bandanoden die Einbettungsmörtel der Titan - MMO Anoden strukturell geschädigt waren und bei unmittelbarer Öffnung einen sehr stark stechenden Chlorgasgeruch abgaben. Die sehr ausführlichen in situ Untersuchungen an insgesamt 9 Blasenstellen zeigen im Vertikalschnitt in der Regel den im Bild 3.3 photographisch dargestellten Beschichtungsaufbau: Oberer Hohlraum: EP DB / PUR ZB als Adhäsionsbruch Unterer Hohlraum: PUR ZB+EP GB / Beton+ EP Egalisierungsmörtel als Mischbruch. Die beiden Hohlräume haben sich in kurzer Folge hintereinander gebildet. Der oben liegende Hohlraum entstand durch Scherspannungen nach vertikalem Anheben des Unterbaus. Förderlich hierfür war der geschwächte Haftverbund zwischen EP DB und PUR ZB durch die dort angewandte Sandabstreuung. Bild 3.3: Regelquerschnitt hinsichtlich des Zentrums Bandanode/ Blasenbildung Treibende Kraft zur Delamination war der „Unterbau“, speziell die Reaktionszelle Titan- MMO im PCC Einbettmörtel, in welcher die Chlorgasgenerierung eine expansive Aufwölbung, d.h. eine Blase nach oben erzwungen hat. Dies wird durch Bild 3.4 noch verdeutlicht. Bild 3.4: Darstellung der unterschiedlichen Druckwiderstände in vier Richtungen Dabei laufen mit dem Anlegen eines Gleichspannungsfeldes innerhalb des KKS elektrochemisch drei Vorgänge ab. Wirkung 1: Aus dem chloridbefrachteten Umfeld (vor allem im Rissumfeld) setzt im Elektrolyten die sog. Chloridextraktion ein, welche mit zunehmender Nähe zur Titananode, wegen der gleichlaufenden Zunahme der Polarisation, zu einer zunehmenden Chloridkonzentration im Anodenbereich führt. Messungen haben ergeben, dass sich im noch intakten Einbettungsmörtel eine Aufkonzentration bis 2 M.-% Chlorid eingestellt hatte. Der Referenzwert für die Sackware beträgt 0,034 M.-% Chlorid. Wirkung 2: Im Elektrolyten, und auch hier zunehmend mit abnehmender Entfernung zur Titananode setzt eine pH Wert Absenkung ein und zwar - im basischen Bereich durch anodische Oxidation nach 4OH− → O 2 +2H 2 O+4e − - im neutralisierten Bereich durch anodische Oxidation nach 2H 2 O → O 2 +4H++4e − Die Absenkung des pH Wertes bewirkt, dass der Zementstein chemisch zersetzt wird und dabei seine Festigkeit verliert. Im Zuge dieses sauren Zersetzungsvorgangs wird auch die PZ Klinkerphase C 4 AF (F steht für Fe 2 O 3 ) zersetzt, wobei Fe 2 O 3 in Eisenoxidhydroxid umgewandelt wird, welches ein gelblich braunes Aussehen, ähnlich dem Rost von Stahl hat. Dieser Zustand ist gleichzeitig der Indikator für den Verlust der strukturellen Integrität des Einbettungsmörtels. Es sei noch darauf hingewiesen, dass an allen unterhalb von Blasen freigelegten Anoden im Einbettungsmörtel partiell zersetzter Mörtel festgestellt worden ist. Wirkung 3 Das Überangebot an extrahierten Chloridionen führt im entsprechend polarisierten Gleichspannungsfeld zur Oxidation der Chloridionen zum elementaren Chlorgas nach 2Cl − → Cl 2 +2e − Unter günstigen Randbedingungen, d.h. einem Umgebungs-pH deutlich <3 und der Abschirmung gegen neutrales oder basisches Wasser, wird nach dem Gesetz von Avogadro [5] bei 0°C und 1 bar Atmosphärendruck aus der molaren Masse von 2Cl − ein Molvolumen von 22,414 Liter. Diese 508 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Blasen in Polymerbeschichtungen Bedingungen werden innerhalb der in Bild 3.3 und Bild 3.4 gezeigten „Reaktionszelle“ als gegeben angesehen. Im nächsten Schritt wird das Chlorgas nach allen Richtungen einen Druck ausüben. Welche Auswirkungen dies hat, ist in Bild 3.4 gezeigt. Der mechanische Druckwiderstand wird in Richtung Ω4, d.h. nach unten am größten und in Richtung Ω1, d. h. zum Beschichtungsaufbau hin, am kleinsten sein. In Parallelrichtung zur Randzone des Beschichtungsaufbaus wird der Druckwiderstand eine Mittelstellung einnehmen. Das bedeutet, die größte Effizienz zur Delamination und zum Abheben des Beschichtungsaufbaus geht senkrecht nach oben und nimmt nach links und nach rechts gleichförmig ab. Auf diese Weise erfolgt das Abheben des Beschichtungsaufbruchs nach Adhäsionsbzw. Mischbruch mit der bekannten zentrisch konkaven Blasenerzwingung. Die entscheidenden Parameter zur Blasenerzwingung sind das KKS selbst mit seinen Besonderheiten zur kathodischen und anodischen Polarisierung in einem Gleichspannungsfeld, sowie die Verfügbarkeit von ausreichend Chloridionen an der Anode, die ja im Wege der systemimmanenten Chloridextraktion reichlich „herangeschafft“ werden. 4. Pinholes und Pinblisters 4.1 Hergang Pinholes Auf der Schaleninnenseite eines Naturzugkühlturms aus Stahlbeton wurde großflächig mehrere Zentimeter dick Betonersatz mit Spritzmörtel (SPCC nach ZTV ING) ausgeführt [6]. Bereits während des Spritzvorganges stellte man fest, dass der SPCC-Verarbeiter eine raue und porenreiche Oberfläche hinterließ. Systemspezifisch wurde anschließend noch ein PCC-Feinmörtel appliziert, um einen beschichtungsgerechten Untergrund herzustellen. In der egalisierten Oberfläche bildeten sich Pinholes deckungsgleich mit den im SPCC vorhanden Poren (Bild 4.1). Hauptursächlich für das Entstehen dieser Pinholes war der zu hohe W/ Z-Wert des Feinmörtels. Dieser wurde auf die Oberfläche aufgeschlämmt, weil man einen zu hohen Kraftaufwand vermeiden wollte. Der verflüssigte Feinmörtel wies aber nur einen geringen Verformungswiderstand auf, was schließlich die Pinhole-Bildung verursachte. Ohne die Pinholes zu beachten, wurde auf der egalisierten Fläche in vier Arbeitsgängen noch eine Schutzbeschichtung aufgetragen. In je zwei Einzellagen applizierten die Verarbeiter zuerst eine Epoxidharz- und danach eine Polyurethanbeschichtung. Die im Feinmörtel-Untergrund vorhandenen Pinholes setzen sich bis in die letzte Deckbeschichtung fort. Zuerst bildeten sich an diesen Stellen Bläschen, die im Regelfall aufplatzten. In jedem Pinhole wurde ein Zugang zum mineralischen Untergrund in Form einer Kanüle festgestellt. 4.2 Hergang Pinblisters An der Schalenaußenseite eines Naturzugkühlturms wurde ein OS 2 zum Oberflächenschutz appliziert. Die hydrophobierte Oberfläche sollte in zwei Lagen mit einer Acrylatbeschichtung versehen werden [7]. Nach der Applikation der zweiten Beschichtungslage traten unzählige Pinblisters auf einem Teil der Kühlturmschale auf. Der Vorgang lief wie folgt ab: Kurz nach Aufbringen der ersten Beschichtungslage benetzte ein Regenschauer die Oberfläche. Sie trocknete schnell ab, so dass die Ausführungsfirma beschloss, die Beschichtungsarbeiten fortzusetzen. Dabei wurde nicht bedacht, dass sich trotz trockener Oberfläche noch Wasser in den offenen Poren des Betons befand. Bild 4.1: Im PCC-Feinmörtel (rechts) bildeten sich Poren, die mit denen im darunter liegenden SPCC (links) deckungsgleich waren. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 509 Blasen in Polymerbeschichtungen Bild 4.2: Links ist der Blasendeckel geschlossen, rechts sind nach dessen Abnahme die Poren zu erkennen Bereits während der Applikation der zweiten Beschichtungslage traten auf der gesamten Fläche Pinblisters auf (Bild 4.2). Die Beteiligten konnten sich das nicht erklären, da sie an einem bewölkten Tag ohne Sonneneinstrahlung bei konstanter Lufttemperatur gearbeitet hatten. Beim Öffnen des Blasendeckels wurde unter den Blasen stets eine Betonpore gefunden 4.3 Ursache und Mechanismen Die Ursache von Pinholes und Pinblisters während der Filmbildungs- und Erhärtungsphase der Beschichtung wird häufig falsch begründet. In mehreren Technischen Hersteller-Merkblättern heißt es, dass sich die Blasen vermeiden lassen, wenn nicht bei steigenden Temperaturen beschichtet wird. In anderen Quellen wird behauptet, dass sich eingeschlossene Luft bei Erwärmung des Bauteils ausdehnt und gegen die Beschichtung drückt. Diese Annahmen sind nicht zielführend. Pinholes und Pinblisters entstehen innerhalb eines kurzen Zeitfensters von Minuten. Daher kommt die Bauteilerwärmung als Ursache der Blasenbildung nicht infrage, denn an einem massigen Bauteil kann die Temperatur nicht schnell genug ansteigen, um die im Bauwerk eingeschlossene Luft innerhalb einiger Minuten zu erwärmen. Richtig ist aber, dass die Temperatur an der Bildung von Pinholes und Pinblisters mitwirkt. Wegen der Porenstruktur der Betonrandzone und des „Hinterlandes“ kann sich nach Verschluss der Poren mit einem Mörtel oder einer Beschichtung in ihnen der sogenannte Sattdampfdruck bilden. Dem liegt folgender Prozess zugrunde: Das dynamische Gleichgewicht zwischen Flüssigwasser und Luft bewirkt, dass Wassermoleküle in die Luft diffundieren. Die maximale Konzentration an Wassermolekülen in der Luft ist von der Temperatur der Luft abhängig. Er beträgt zum Beispiel bei 20 °C warmer Luft 17,3 g/ m³ [8]. Den Zustand der maximalen Wasserdampfaufnahme nennt man Sättigungsfeuchte. Bei einer Übersättigung der Luft mit Wasserdampf fällt Wasser als Nebel oder Niederschlag aus, es kondensiert. Die 100 Kilometer hohe Luftschicht der Erde übt infolge der Gravitation auf die Erdoberfläche einen Druck aus (barometrischer Druck). Weil die Luftschicht auch Wasserdampf enthält, übt auch dieser anteilig einen Druck auf die Erdoberfläche aus. Man nennt ihn den Partialdruck des Wassers. Diesen Zusammenhang zwischen der Konzentration des Wasserdampfes in der Luft und dem Teildruck des Wasserdampfs in der Luft auf die Erdoberfläche stellt Gleichung (1) dar: (4.1) Darin bedeutet: φ: relative Luftfeuchte, C: aktuelle Konzentration des Wasserdampfs, Cs: maximale Konzentration des Wasserdampfs, P: tatsächlicher Dampfdruck, P s : Sattdampdruck. Aus dem Zusammenhang 1 bar = 100.000 Pa = 0,1 N/ mm² = 10 m Wassersäule und der Kenntnis der Sättigungsfeuchte kann der Sattdampfdruck in Abhängigkeit von der Temperatur abgelesen werden (Bild 4.3). Bild 4.3: Sattdampfdruckkurve beziehungsweise Sättigungskurve für Wasser als Funktion der Temperatur 510 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Blasen in Polymerbeschichtungen • 20 °C: c s = 17,3 g/ m³, p s = 0,0234 bar = 23,4 mbar, • 30 °C: c s = 30,3 g/ m³, p s = 0,0424 bar = 42,4 mbar, • 40 °C: c s = 51,1 g/ m³, p s = 0,0738 bar = 73,8 mbar. Um den Druckanstieg in der Pore nach ihrem Verschluss mit einem Mörtel oder einer Beschichtung nachzuweisen, wurde ein Experiment durchgeführt. Ein Glasbehälter mit Seitenausgang wurde bei 20 °C Außentemperatur halb voll mit Wasser von 20 °C gefüllt. Hält man die Temperatur konstant, stellt sich nach Verschließen des Behälters mit einem Deckel im Luftraum eine Wasserdampfkonzentration von 17,3 g/ m³ ein. Ist die Luft anfangs wasserdampffrei stellt man am Manometer einen absoluten Druckanstieg von 0,0234 bar = 23,4 cm Wassersäule fest. Dieses Experiment wurde mit verschiedenen Arten von Flüssigkeiten, wie Lösemittel oder Beschichtungsbestandteilen, wiederholt: Gemessen wurde jeweils der Druckanstieg beim langsamen Verschließen des Deckels. Bild 4.4 zeigt die Messergebnisse im Verlauf von zehn Minuten. Bemerkenswert ist, wie schnell der Druck ansteigt. Sinn dieser Experimente war es, die Druckerhöhung in der Pore nach dem Verschluss mit einem in der Erhärtungsphase verformbaren „Deckel“ aus Mörtel oder Beschichtung nachzustellen. Aus der physikalischen Gesetzmäßigkeit des Gesamtgleichgewichts, den Erkenntnissen aus dem beschriebenen Versuch und den Beobachtungen am Bauwerk, kann für das Entstehen von Pinholes und Pinblisters ein ursächlicher Zusammenhang nachgewiesen werden. Die in einem mineralischen Baustoff wie Beton oder Mörtel vorhandenen Poren haben durch Kanülen, Kavernen und Lunker ein definiertes, größtenteils abgeschlossenes Volumen. Diese Porenstruktur ist die Voraussetzung zur Entstehung der Pinholes und Pinblisters. Bild 4.4: Geschwindigkeit und Höhe des Sattdampfdruckanstiegs Bei unebenen Untergründen wird die Oberfläche mit einem Feinmörtel egalisiert, um sie beschichtungsgerecht vorzubereiten. Auch bei diesen Egalisierungsmörteln treten jedoch - wie oben beschrieben - Pinholes auf. Bei OS-Systemen verschließt der Beschichtungsstoff die Poreneingänge und unterbricht so den Luftaustausch zwischen Poreninnenraum und Außenluft. Im Porenraum entsteht aufgrund der flüchtigen Anteile, die aus der Flüssigphase des Wassers in den Porenraum verdampfen, ein Überdruck bis maximal zum Sattdampfdruck. Abhängig vom Verformungswiderstand des Beschichtungsstoffs kann der Überdruck in der Pore erzwingen, dass sich an der Oberfläche des Mörtels oder Beschichtungsstoffs Bläschen (Pinblister) bilden. Verfügen die eingesetzten Materialien nur über geringe Kohäsionskräfte, bricht das Bläschen auf und es entsteht ein Pinhole. Die Intensität der Pinhole- und Pinblister-Bildung ist tatsächlich auch von der Temperatur abhängig. Denn aus höheren Temperaturen resultieren auch höhere Sattdampfdrücke (Bild 4.3). Diese bilden sich in der Pore schneller und intensiver aus, so dass die Pinhole- und Pinblister-Bildung rascher voranschreitet. Die Sattdampfdruckkurve in Bild 4.3 sagt jedoch nur etwas über den Zusammenhang zwischen Temperatur und Sattdampfdruck aus. Das Diagramm kann nicht dazu verwendet werden, den Druckanstieg abzulesen, der in einem Hohlraum durch die Erwärmung des Bauteils entsteht. Nur wenn man die Ausgangsbedingungen kennt, kann man den Druckanstieg in der Pore abschätzen. Zu diesen Bedingungen gehören zum Beispiel die relative Luftfeuchte, die Bauteil- und Außenlufttemperatur, die flüchtigen Anteile des Beschichtungsstoffs und der Feuchtegehalt des Baustoffs. Es ist also richtig, dass bei hohen Temperaturen - im Sinne eines höheren Temperaturlevels - häufiger Blasen entstehen. Es ist aber nicht richtig, dass die Blasenbildung einen Zusammenhang mit einem Temperaturanstieg des Bauteils aufweist. Denn in einem massiven Betonbauteil tritt innerhalb von Minuten kein ausreichender Temperaturanstieg auf, um in der Pore einen ausreichenden Überdruck durch die eingeschlossenen Gase zu bewirken und das Entstehen einer Blase zu erzwingen. 5. Beulen 5.1 Hergang Wenn zwischen Untergrund und Beschichtung Hohlräume entstehen, spricht man bei kleineren Durchmessern (max. 5 cm) von Blasen, bei größeren Durchmessern von Beulen. Der vorliegende Fall behandelt die Beulenbildung in einer rissüberbrückenden Polyurethan-Innenbeschichtung eines Stahlbetonbeckens. Die beteiligten Parteien waren der Überzeugung, dass Dampfdruck oder Osmose die Ursache der Schadenserscheinungen ist. Die eingehende Analyse ergab jedoch eine ganz andere Ursache. Die Wandinnenseite eines kreiszylindrischen Stahlbetonbehälters der Kläranlage eines Hüttenwerkes ist mit einem rissüberbrückenden, chemikalienbeständigen Oberflächenschutzsystem beschichtet worden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 511 Blasen in Polymerbeschichtungen Nach dem Leistungsverzeichnis waren folgende Arbeitsgänge auszuführen: - Vorbereitung des Betonuntergrundes durch Druckluftstrahlen mit festem Strahlmittel (Herstellung der Tragfähigkeit). - Vorbehandlung des Betonuntergrundes durch Grundbeschichtung sowie Kratz- und Lunkerspachtelung auf Bindemittelbasis eines lösemittelfreien 2K-Epoxidsystems - Deckbeschichtung durch Spritzapplikation eines 2-K- Polyurethan-Beschichtungssystems in einer Schichtdicke von 2 mm. Die Ausführungszeit lag zwischen Mitte Oktober bis November. Aus den Einträgen im Bautagebuch war zu entnehmen, dass trotz der Einhausung Wassereinbrüche aus Beregnung aufgetreten sind. Das Becken ist ein halbes Jahr nach Fertigstellung in Betrieb genommen worden. Die Temperatur der permanent die Beschichtung in konstanter Füllhöhe beaufschlagenden Prozesswässer schwankte zwischen 30 und 35°C. Bild 5.1: Vertikale Wölbungswülste. Oben horizontal verlaufende Verletzung Bild 5.1 zeigt einen Ausschnitt des Beckenwandbereiches im Abschnitt Nordwest. In der Beschichtung haben sich vertikal orientierte Verwölbungen eingestellt. Die Wölbungswülste endeten meist auf einem Drittel der Höhe der Beckenwand. Außerdem war die Beschichtung nahe der Oberkante des Beckens örtlich horizontal verlaufend verletzt. Diese Verletzungen waren deckungsgleich mit den horizontalen Markierungen des Radlaufs des Räumers. Bild 5.2: Aus vertikalem Wölbungswulst herausgeschnittener Streifen zeigt hell-dunkel Unterschied auf der Spachtelschicht. Bild 5.2 zeigt ausschnittsweise einen vertikalen Verwölbungswulst, aus welchem eine rechteckige Fläche herausgeschnitten worden ist. Wie hier waren die Wulsthohlräume überwiegend nicht flüssigkeitsgefüllt. Wenn, dann hatten sich am jeweils unteren Wulstende kleine Wassersäcke gebildet. Die Beschichtung konnte im links und rechts angrenzenden Bereich mit geringer bis mittlere Kraftanstrengung als große zusammenhängende Lappen abgezogen werden. Die Beschichtung zeigte keine Anzeichen der Zersetzung. Im Bereich der Aufwölbung war die sandraue Kratz- und Lunkerspachtelung hellgrau in den angrenzenden Bereichen dagegen etwas dunkler. 5.2 Ursache und Mechanismen Mehrere Filmstücke der am Objekt abgezogenen PUR- Deckbeschichtung sowie mehrere aus der Beckenwand herausgetrennte Stücke der EP-Egalisierungsschicht sind unter dem Stereomikroskop betrachtet worden. Bild 5.3 zeigt die Rückseite der abgelösten PUR-Deckschicht unter einer flachen Lichteinstrahlung. Man erkennt eine stark verrundete Raustruktur. Bild 5.4 zeigt unter flacher Lichteinstrahlung die Oberfläche der EP-Kratzspachtelschicht. Gegenüber Bild 5.5 hat die Kratzspachtelschicht eine charakteristische, scharfkantig gezackt strukturierte Oberfläche. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus in situ - und Laboruntersuchungen, der Informationen zum Ablauf der Beschichtungsmaßnahmen sowie in Kenntnis der Betriebsbedingungen lässt sich die Ursache der Aufwölbungen wie folgt rekonstruieren: 512 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Blasen in Polymerbeschichtungen Bild 5.3: Verrundete Raustruktur der Rückseite der abgelösten Deckschicht Bild 5.4: Scharfkantig und gezackt strukturierte Oberfläche der Spachtelschicht mit Quarzsandabstreuung (Gegenfläche von Bild 5.2) Die sandgraue Kratz- und Lunkerspachtelschicht auf EP-Basis ist im 2K-Hochdruckspritzverfahren mit einer PUR-Deckschicht in einer mittleren Schichtdicke von 2 mm versehen worden. Während der Applikation der PUR-Deckschicht herrschte eine Umgebungs- und Bauteiltemperatur von 10°C und darunter. Zwischen der Einbautemperatur und der Betriebstemperatur von 30°C bis 35°C liegt eine Temperaturerhöhung von DJ ~ 25K. Wegen des höheren thermischen Längenänderungskoeffizienten aJ der PUR-Deck-schicht gegenüber Beton und wegen des Temperaturgradienten im Wandquerschnitt hat sich in der Ebene der PUR-Deckschicht ein Ausdehnungsbestreben eingestellt, welches größer ist als dasjenige der Stahlbetonschale. Solange zwischen der PUR- Deckschicht und der Stahlbetonschale ein Haftverbund gegeben ist, wird eine Ausdehnung der Beschichtung behindert. In der Beschichtung entstehen parallel zur Stahlbetonschale Druckspannungen, die man wie folgt beschreiben kann: [N/ mm²] (5.1) Der Elastizitätsmodul E der PUR-Deckschicht liegt in der Größenordnung von 102 N/ mm². Der thermische Längenänderungskoeffizient [a∙DJ] kann effektiv mit 10 -4 K -1 angenommen werden. Die Druckspannungen betragen dann ca. 0,25 N/ mm². Die Tatsache, dass während des Betriebs auf die PUR- Deckschicht Wasser mit erhöhter Temperatur einwirkt, hat eine Quellung zur Folge, die expandierend wirkt und somit die temperaturgenerierten Druckspannungen parallel zur Beschichtungsebene noch weiter erhöht. Die Druckspannungen in der PUR-Deckschicht verursachen in der Grenzfläche zur EP-Kratzspachtelschicht Scherkräfte, die in senkrecht gerichtete Haftzugspannungen ß HZ umgelagert werden. Wenn der Haftverbund überwunden ist, kommt es zu einer Aufwölbung der am Ausdehnen behinderten Schicht. In Kenntnis der Weglänge l eines potenziell geschwächten Haftverbundes und der Dicke d der PUR-Deckbeschichtung lässt sich abschätzen, wie hoch die kritische Wölbspannung ß K ist, die zur Beulenbildung überwunden werden muss. [N/ mm²] (5.2) Setzt man wiederum den E-Modul 102 N/ mm² sowie eine Dicke von 2 mm und eine Weglänge von 0,5 m ein (Breite eines vertikal orientierten Wölbungswulstes), beträgt die zum Aufwölben notwendige Spannung 0,003 N/ mm². Im Vergleich dazu würde die kritische Wölbspannung bei einer Weglänge von 10 cm 0,07 N/ mm² betragen. Weiterhin lässt sich rechnerisch abschätzen, bei welchem kritischen Temperaturintervall DJK eine Aufwölbung eintreten würde, immer vorausgesetzt, der Haftverbund zum Untergrund sei überwunden: [K] (5.3) Für die Weglänge von 0,5 m beträgt das kritische Temperaturintervall 0,3 K und für die Weglänge von 10 cm ca. 7 K. Schließlich lässt sich dann auch noch rechnerisch abschätzen, welches Stichmaß h die Beule mittig erreichen wird, wenn die PUR-Deckschicht einem Temperaturintervall von 25 K ausgesetzt wird: [mm] (5.4) Für die Weglänge 0,5 m: 15,3 mm Für die Weglänge 0,1 m: 3,0 mm 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 513 Blasen in Polymerbeschichtungen Diese modellhafte Darstellung zeigt, dass eine durch Temperaturerhöhung erzwungene Aufwölbung realistisch erscheint, zumal dann, wenn die Beschichtung durch die Prozesswässer noch gequollen wird. Die abgeschätzten Stichhöhen stimmen mit den beobachteten Aufwölbungen überein. Die temperatur- und quellungsbedingt aufgetretenen Druckspannungen liegen oberhalb der kritischen Wölbspannungen und die kritischen Temperaturintervalle werden weit überschritten. Eigentlich müsste man davon ausgehen können, dass die Beulen nach Rückgang der hohen Temperatur wieder zurückgehen. Dies ist nicht bzw. nur zu einem geringen Teil der Fall. Der Hauptgrund liegt an dem plastoelastischen Verformungsverhalten der PUR-Deckschicht und in dem damit verbundenen Kriechverhalten. Dadurch stellt sich eine irreversible Formänderung (Beule) ein. Der Grund dafür, dass im unteren Wandbereich keine bzw. deutlich weniger Aufwölbungen aufgetreten sind, hängt mit dem hydrostatischen Druck des Prozesswassers zusammen. Dieser setzt dem Aufwölbungsbestreben der Beschichtung einen mechanischen Widerstand entgegen, der dann die Beulenbildung ab einer bestimmten Entfernung von der Wasserlinie nicht mehr zulässt. Die Aufwölbung setzt allerdings voraus, dass der Verbund der PUR-Deckschicht zur EP-Kratzspachtelschicht erheblich geschwächt bzw. aufgehoben ist. Es ergeben sich mehrere signifikante Hinweise dafür, dass der Haftverbund nicht planmäßig zustande kam bzw. im Laufe der Zeit geschwächt worden ist. - Die stereomikroskopischen Aufnahmen von Bild 5.3 und 5.4 zeigen, dass die gewollte, zerklüftete Oberflächengeometrie der sandabgestreuten EP-Kratzspachtelschicht durch den Beschichtungsstoff der PUR- Deckschicht nicht optimal benetzt worden ist. Wäre dies geschehen, müsste die Oberflächenstruktur der Rückseite der PUR-Deckschicht ein analog gezacktes Bild aufweisen. Dies ist nicht der Fall. Die Rückseite besitzt dagegen eine stark verrundete Rauheit. Die von der PUR-Deckschicht mit der EP-Kratzspachtelschicht eingegangene Haftverbundfläche ist somit deutlich kleiner als die maximal mögliche, was eine entsprechende Haftverbundminderung bedeutet. Die Ursache dafür liegt in der hohen Reaktionsgeschwindigkeit des im 2-K Hochdruckspritzverfahren applizierten PUR Beschichtungsmaterials. Die schnelle Vernetzung zum Polymer verkürzt die Benetzungszeit des zuvor flüssigen Materials. Eine schnelle Vernetzung ist andererseits gewollt, damit die erforderliche Standfestigkeit des an senkrechten Flächen in hoher Schichtdicke (ca. 2 mm) applizierten Beschichtungsmaterials schon nach kurzer Zeit gewährleistet ist. - während der Ausführung im Herbst traten gemäß den Eintragungen im Bautagebuch immer wieder Regeneinbrüche auf, weil die Einhausung nicht funktionsgerecht war. So kam es höchstwahrscheinlich örtlich zu einer weiteren Minderung des Haftverbundes, weil die Oberfläche der EP-Kratzspachtelschicht zum Zeitpunkt der Applikation der PUR-Deckschicht feucht war. Die vertikal strukturierten Wölbungswülste (Bild 5.1) und die hellgraue Beschaffenheit der Kratzspachtelschicht (Bild 5.2) deuten darauf hin, dass Wasser örtlich an den Wänden abgelaufen und vor der Beschichtungsstoff-Applikation nicht vollständig abgetrocknet ist. - Einschnitte in die PUR-Deckschicht, verursacht durch die Räder des Räumers, haben zu einer Verletzung geführt und im Gefolge dazu eine Unterwanderung der PUR-Deckschicht durch Niederschlagswasser ermöglicht. Die Unterwanderung der PUR-Deckschicht wurde erleichtert, weil der Kontakt zum Untergrund nur teilflächig war (Bild 5.2) und somit ein Kapillartransport von Wasser entstehen konnte. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Haftverbundschwächen, die z.T. aus Besonderheiten der Beschichtung resultieren und z.T. applikationsbedingt waren, unterstützt durch Unterwanderung an betriebsbedingt entstandenen Fehlstellen die Voraussetzung waren, dass durch die thermische Einwirkung der Prozesswässer und durch Quellvorgänge parallel zur Beschichtungsebene Druckspannungen auftraten, welche zur Beulenbildung mit vertikal orientierter Wulststruktur führten. 514 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Blasen in Polymerbeschichtungen Literatur [1] Engelfried, R.; Eisenkrein, H.: Schäden an polymeren Beschichtungen, Schadenfreies Bauen, (Hrsg. Ralf Ruhnau), Band 26, 2012, Fraunhofer IRB Verlag [2] Näser, Karl-Heinz; Lempe, Dieter; Regen, Otfried: Physikalische Chemie für Techniker und Ingenieure, Wiley-VCH Verlag, 1990 [3] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: DAfStb- Richtlinie Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen, Oktober 2001 [4] DIN EN ISO 12696, Kathodischer Korrosionsschutz von Stahl in Beton; Deutsche Fassung EN ISO 12696-06 [5] Näser, Karl-Heinz; Lempe, Dieter; Regen, Otfried: Physikalische Chemie für Techniker und Ingenieure, Wiley-VCH Verlag, 1990 [6] Engelfried, R.; Eisenkrein, H.: Surface Protection Systems on Natural Draught Cooling Towers with Flue Gas Discharge (FGD), WTA-Proceedings of the International Conference of Sustainable Building Restoration and Building Physics, September 26 - 27 2008 at Tongji University, Shanghai [7] Engelfried, R., Sage, F., Eisenkrein, H.: Naturzugkühlturm mit Abgaseinleitung - Planung und Umsetzung von Schutzmaßnahme und Aussehensoptimierung; Tagungsband 2. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken, Technische Akademie Esslingen, Januar 2011 [8] Klopfer, H; Homann, M.: Lehrbuch der Bauphysik, Kapitel III Feuchte. Hrsg.: Willems, W. Vieweg+Teubner Verlag: 7. Ausgabe, Wiesbaden, 2012 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 515 Mit neuem Prüfverfahren (PAT) und innovativen Rohstoffen - der Weg zu beständigeren Parkhaus-Verschleißschichten Sandro La Spina Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Dr. Stefan Kühner Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Dr. Thomas Pusel Sika Deutschland GmbH, Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Die Dauerhaftigkeit von Stahlbetonkonstruktionen wird in befahrenen Bauwerken wie Parkhäusern oder Tiefgaragen durch Oberflächenschutzsysteme (OS-Systeme) sichergestellt. Immer wieder wird in der Baubranche über die Lebensdauer dieser Parkhausbeschichtungen diskutiert. Üblicherweise sind die klimatischen Bedingungen während der Applikation und der Aushärtung in der Praxis näher am kritischen Bereich als an den konstanten Laborbedingungen, die während einer OS Prüfung vorherrschen. Hohe Luftfeuchtigkeit greift chemisch in die Vernetzung von Polyurethansystemen ein und verändert folglich deren mechanische Eigenschaften. Durch den Einsatz von innovativen Rohstoffen in der Polyurethantechnologie konnte nun die Feuchtigkeitstoleranz der Verschleißschicht erhöht werden. Das Wasser aus der Luftfeuchtigkeit wird gezielt bei der Aushärtungsreaktion umgesetzt. Damit wird die mechanische Beständigkeit vor allem von bei tiefen Temperaturen und hohen Luftfeuchtigkeit applizierten Beschichtungen verbessert. 1. Allgemein Genormte Prüfverfahren für befahrene Oberflächenschutzsysteme, wie beispielsweise die „Bestimmung des Abriebwiderstandes“ (Taber-Abrieb) gemäß DIN EN ISO 5470-1.09-1999, spiegeln die tatsächlichen Beanspruchungen in der Praxis nicht wider und sind somit ebenso wenig ein Maß für die Verschleißbeständigkeit wie die häufig zitierten Materialhärten nach Shore A und D. Der Vortrag zeigt, warum der Parking Abrasion Test (PAT) derzeit das einzig sinnvolle Verfahren zur Prüfung der Verschleißbeständigkeit ist und warum Prüfungen wie z.B. Taber und Shore-Härte nur unzureichende Kennwerte liefern. Bestätigt wurde das z.B. durch die TU Kaiserslautern bei ihren Untersuchungen am Verschleißverhalten von OS-Systemen. Der Parking Abrasion Test (PAT) war auch ein Erfolgsgarant bei der Entwicklung hoch verschleißfester Beschichtungen. 2. Normative Prüfverfahren Mit den Prüfverfahren Taber Abriebverfahren (DIN EN ISO 5470-1) und BCA-Verfahren (DIN EN 13892- 4) erfolgt der normative Nachweis der Dauerhaftigkeit von Beschichtungssystemen [1]. Diese Verfahren sind ursprünglich zur Verschleißbestimmung an anderen Materialien und auch für andere Anwendungsgebiete entwickelt worden. Aufgrund der vorgegebenen Beanspruchungsart, der Belastung als auch der anschließenden Auswertung führen diese Verfahren bei abgestreuten Beschichtungssystemen zu keinen praxisrelevanten Ergebnissen und sind daher auch in der Fachwelt umstritten. Im Zuge der Grundprüfung für ein Oberflächenschutzsystem wird an den gemischten Stoffen der Härtungsverlauf über die Entwicklung der Shore-Härte A bzw. D ermittelt. Die Härte des Kunstharzes wird gemäß der DIN EN ISO 868 „Kunststoffe und Hartgummi - Bestimmung der Eindruckhärte mit einem Durometer (Shore-Härte)“ ermittelt. 516 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Mit neuem Prüfverfahren (PAT) und innovativen Rohstoffen - der Weg zu beständigeren Parkhaus-Verschleißschichten 3. Taber Abriebverfahren Der Anwendungsbereich des Taber Abriebverfahrens ist die Bestimmung des Abriebwiderstandes von beschichteten Textilien. Gemäß der DIN EN 1504-2 ist es für Imprägnierungen und Beschichtungen auf Beton zu prüfen, wenn deren physikalische Widerstandsfähigkeit nachgewiesen werden soll [2]. Im Prinzip versteht man bei diesem Verfahren unter Abrieb den fortschreitenden Materialverlust der abgeriebenen Oberfläche eines Beschichtungsmaterials, der durch die schneidende oder kratzende Wirkung eines Reibrades hervorgerufen wird. Zur Präzision des Prüfverfahrens liegen bisher keine Ergebnisse aus Ringversuchen vor, so dass darüber keine Aussagen getroffen werden können. Es ist jedoch zu vermuten, dass aufgrund der vielen Parameter, die genauestens eingehalten werden müssen, (z.B. die Abstände der einzelnen Bauteile und die Anbringung der Gegengewichte) die Abweichungen in den Prüfergebnissen relativ hoch ausfallen werden [3]. Diese Vermutung zur (geringen) Präzision des Prüfverfahrens konnte in einem Ringversuch an Industriefußböden bestätigt werden. In den Ringversuch wurden acht Labore, davon vier akkreditierte Prüfinstitute, in vier Ländern mit einbezogen. Das Ergebnis war ernüchternd. Die Streuung war so groß, dass eine Vergleichbarkeit nicht möglich war (Abb. 1). Somit ist eine Reproduzierbarkeit des Verfahrens nicht gewährleistet. Abb. 1: Taber Abrieb (CS11/ 1000/ 1000) in µg mit zwei verschiedenen Beschichtungen. Inwieweit nun dieses genormte Abriebverfahren Rückschlüsse auf das Verschleißverhalten von Beschichtungen für Parkbauten zulässt, ist fragwürdig. Denn das tatsächliche reale Belastungsszenario wird durch das Prüfverfahren nicht abgebildet - so werden z.B. das Anfahren und Bremsen, der Haftverbund zwischen den einzelnen Schichten, der Verbund zwischen dem Beschichtungssystem und dem Untergrund mit den dadurch entstehenden Schub- und Scherspannungen, sowie die intensiven Druckkräfte, dabei nicht berücksichtigt. 4. Härteprüfung nach Shore A und Shore D Diese Methode dient zur Bestimmung der Härte mit den Shore A und Shore D Härteprüfgeräten. Sie ermöglicht die Bestimmung der Härte nach der vollständigen Aushärtung an Probekörpern und Erzeugnissen aus Kunststoffen und Hartgummi (DIN EN ISO 868). Unter der Härte versteht man die Größe des Widerstandes, den ein fester Körper (insbesondere seine Oberfläche) dem Eindringen eines anderen Körpers entgegensetzt. Bei physikalischen Härtebestimmungen wird ein definierter Probenkörper mit bestimmter Kraft stoßfrei einige Zeit lang gegen die Oberfläche des zu prüfenden Materials gedrückt. Unter der Härte nach Shore wird der Widerstand gegen das Eindringen eines Körpers bestimmter Form unter definierter Federkraft verstanden. Der eindringende Probekörper ist ein Metallstift, der beim Härteprüfgerät nach Shore A kegelförmig ist, eine abgeflachte Spitze hat und für Messungen an Elastomeren geeignet ist. Beim Härteprüfer nach Shore D ist der Metallstift kegelförmig und spitz zulaufend. Die Prüfung wird mit unverfülltem Material mit einer Mindestschichtdicke von 4,0 mm durchgeführt. Die Probekörper dürfen keine runde, unebene oder raue Oberfläche haben. Die Verschleißschichten von Oberflächenschutzsystemen sind in der Regel mit Quarzsand vorgefüllt und werden im Nachgang noch mit Quarzsand im Überschuss abgestreut. Somit unterscheiden sich die vom Prüfverfahren vorgesehenen Prüfkörper grundlegend von den Verschleißschichten in der Praxis, was eine Korrelation ausschließt. 5. Bestimmung der Verschleißbeständigkeit nach dem PAT-Verfahren Sowohl an der Technischen Universität Kaiserslautern [1] als auch bei der Sika Deutschland GmbH [4] werden Verschleißuntersuchungen durchgeführt, bei dem ein PKW-Reifen den Einparkvorgang simuliert. Hierbei handelt es sich um den Parking Abrasion Test (PAT), der das Belastungsszenario realitätsnah nachstellt (Abb. 2). Mit Hilfe dieser Prüfmethode sind gezielte Entwicklungen von Beschichtungen mit hoher Abnutzungsbeständigkeit möglich, da anhand von Vergleichsreihen Produkte und Systemkomponenten mit den robustesten Gesamteigenschaften ausgewählt werden können. Ein Beispiel ist die neue Generation von feuchtigkeitsunempfindlichen Polyurethanen. Hier konnten signifikante Unterschiede im Verschleißverhalten in Relation zur Feuchtigkeitsempfindlichkeit gezeigt werden [6]. Die neue Technologie ermöglicht dabei eine gleichbleibend hohe Abriebbeständigkeit des Beschichtungsmaterials gerade auch bei kritischen klimatischen Bedingungen während der Applikation. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 517 Mit neuem Prüfverfahren (PAT) und innovativen Rohstoffen - der Weg zu beständigeren Parkhaus-Verschleißschichten Abb. 2: Prüfstand Parking Abrasion Test der Sika Deutschland GmbH Abb. 3 zeigt ein totales Versagen bereits nach 5.000 Zyklen von einem Standard-PU-Beschichtungssystem, welches bei 8°C und 80% rLf appliziert wurde. Im Gegensatz dazu ist der bei Raumtemperatur beschichtete Prüfkörper auch bei 20.000 Zyklen nur minimal beschädigt. Herkömmliche mechanische Untersuchungen können diese Unterschiede nicht abbilden. Im Unterschied dazu zeigt Abb. 4 eine feuchtetolerante Beschichtung basierend auf der neuen Technologie. Die Ergebnisse zeigen keinen Einfluss von den Applikationsbedingungen. Abb. 3: PAT Prüfung eines Standard-PU-Beschichtungssystems beschichtet bei 8°C 80% rLf (links) und 23°C 50% rLf (rechts) nach jeweils 5.000 Zyklen Abb. 4: PAT Prüfung eines feuchtigkeitsunempfindlichen PU-Beschichtungssystems beschichtet bei 8°C 80% rF (links) und 23°C 50% rLf (rechts) nach jeweils 5.000 Zyklen 6. Zusammenfassung Die Bestimmung der Lebensdauer von Parkhausbeschichtungen ist ein häufig diskutiertes Thema. Der nutzungsbedingte Verschleiß, durch die mechanische Beanspruchung der Fahrzeuge, wird häufig korreliert mit Verfahren, wie beispielsweise Taber-Abrieb oder der Shore Härte. Diese Prüfverfahren sind jedoch nicht geeignet ein praxisnahes Verschleißverhalten abzubilden. Der PAT ist derzeit das einzig sinnvolle Verfahren zur Prüfung der Verschleißbeständigkeit. Mit dem PAT lassen sich nicht nur Unterschiede an einzelnen Materialien, sondern auch für Applikationsbedingungen und unterschiedlichen OS-Systemaufbauten aufzeigen. Literatur [1] EN 1505-2: 2004, „Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betontragwerken Teil2: Oberflächenschutzsysteme für Beton“ [2] EN ISO 5470-1: Bestimmung des Abriebwiderstandes. Teil 1: Taber-Abriebprüfgerät DIN EN ISO 5470-1: 09.1999 [3] Breit, W.; Ladner, E.-M.; Krams, J.: Nachweis der Verschleißbeständigkeit von Parkhausbeschichtungssystemen unter realitätsnahen Prüfbedingungen. Forschungsinitiative Zukunft Bau, F 2954, SF-10.08.18.7-11.26/ II 3-F20-10-074 vom 12. Dezember 2014 [4] Pusel, T.; Zilg, C.; Bänzinger, H.: Abnutzungsprüfung von OS Parkhaussystemen unter “Real-Bedingungen”. In: 3. Verkehrsbauten vom 29.-30. Januar 2008 in Ostfildern, Technische Akademie Esslingen, Ostfildern, 2008 [5] Pusel, T.; Grötzinger, J.; La Spina, S.: Parkhausbeschichtungen mit erhöhter Feuchtigkeitstoleranz vom Januar 2018 in Ostfildern, Technische Akademie Esslingen, Ostfildern, 2018 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 519 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem bei unterschiedlichen Anwendungsfällen Tobias Bürkle IONYS AG, Karlsruhe Prof. Dr. Andreas Gerdes IONYS AG, Karlsruhe Zusammenfassung Eine Vielzahl an wissenschaftlich begleiteten praktischen Anwendungsbeispielen haben gezeigt, dass eine Tiefenhydrophobierung ein ökologisch wie auch ökonomisch sinnvolles Oberflächenschutzsystem für Bauwerke aus Stahlbeton darstellt. Hierbei kann eine Tiefenhydrophobierung an Neuals auch an Bestandsbauwerken eine geeignete Maßnahme sein um die geplante Nutzungsdauer zu erreichen bzw. zu verlängern. In der Praxis hat sich gezeigt, dass für eine dauerhafte Schutzfunktion der Tiefenhydrophobierung je Exposition des Bauwerks/ Bauteils ein minimale wirksame Eindringtiefe des Hydrophobierungsmittels sichergestellt werden muss. Hierbei ist die tatsächliche wirksame Eindringtiefe einer Hydrophobierung von einer Vielzahl an Einflussfaktoren abhängig. Auf Grundlage der praktischen Erfahrungen lässt sich ein modular aufgebaute Qualitätssicherung für die Ausführung einer Tiefenhydrophobierung ableiten. Maßgebende Bestandteile sind die Voruntersuchungen zur Charakterisierung der Werkstoffeigenschaften des Bauwerks, eine Musterapplikation, die Kontrolle der wirksamen Eindringtiefe am Bauwerk sowie ein Monitoring über die Nutzungsdauer des Bauwerks. 1. Von der Imprägnierung zur Tiefenhydrophobierung - ein historischer Überblick Eine funktionsfähige Infrastruktur spielte bereits früh in der Menschheitsgeschichte für die Entwicklung des Menschen, der Wirtschaft und der Gesellschaft im Allgemeinen eine wichtige Rolle. Deshalb wurde dem Erhalt dieser Bauwerke auch besondere Sorgfalt gewidmet. Im alten Ägypten wurde die Dauerhaftigkeit von Tempelanlagen, gebaut mit luftgetrockneten Lehmziegeln, durch eine Imprägnierung mit Seifen und Alaun, einem sulfathaltigen Doppelsalz, verbessert [1]. Die Wasserversorgung Roms lieferte bereits vor mehr als 2000 Jahren ca. 450 Liter pro Tag und Kopf aus dem Umland in die Stadt [2]. Das entspricht mehr als dem Dreifachen der Menge, was heute pro Einwohner und Tag an Wasser verbraucht wird. Die Lebensdauer von Bauwerken durch Fernhalten von Wasser zu verlängern war ebenfalls seit Jahrhunderten das Ziel der Baumeister in Ländern außerhalb Europas. So wurden um 700 n. Chr. in Indien Proteine und Pflanzenextrakte beim Bau der Tempelanlagen in Kerala den Mörteln zugesetzt [3]. Weitere typische Additive aus dieser Zeit zur Verbesserung der Dauerhaftigkeit waren Tungbaumöl oder sogar Tierblut. Im 20. Jahrhundert wurden zunehmend siliziumorganische Verbindungen zur Imprägnierung von Werkstoffen des Bauwesens eingesetzt. Zur ersten Generation gehörten die Kaliumsiliconate, wasserlösliche Salze, die mit Wasser oder auch Wasserglas zu einer applikationsfertigen Lösung vermischt wurden. Neben der Imprägnierung von Mauersteinen wurden damit auch Schadensbilder, die durch aufsteigende Feuchtigkeit im Mauerwerk entstanden, saniert. Wasserunlösliche Silane und Polysiloxane wurden mit organischen Lösungsmitteln verdünnt, wobei der Wirkstoffgehalt oft unter 10% lag. Diese Formulierung gefährdete aber nicht nur Umwelt und die Arbeitssicherheit, sondern zeigte in der Regel eine sehr geringe Wirksamkeit und Lebensdauer. In den 80iger Jahren wurden die ersten wasserverdünnbaren Systeme formuliert, u.a. von der Fa. Dynamit Nobel. Vor Ort stellte der Anwender durch die Vermischung von Wasser mit einem speziell dafür entwickelten Silan eine wässrige Lösung her, die für ca. 2 h verarbeitbar war. Der eigentliche Entwicklungsschub für wässrige, niedrigviskose System erfolgte aber in den 90iger Jahren. Emulsionen und Mikroemulsionen wurden als Alternativen für lösungsmittelhaltige Produkte, hergestellt auf Basis von Testbenzin, in das Bauwesen eingeführt. 520 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem Während der Einführungsphase für wässrige Systeme häuften sich aber auch Berichte über Fehlapplikationen, gekennzeichnet durch einen schnellen Wirkungsverlust (ca. 3 Jahre). Dadurch kehrte sich die zunächst sehr positive Einstellung der Planer und Bauherren gegenüber dieser Technologie ins Gegenteil um. In der Mitte der Neunziger Jahre wurden erste Studien zum Verhalten dieser Emulsionen in Gegenwart zementgebundener Werkstoffe durchgeführt. Dabei zeigte sich sehr schnell, dass die bereits erwähnten Emulsionen für eine Betonhydrophobierung ungeeignet sind. Durch chemisch-physikalische Wechselwirkungen zwischen Hydrophobierungsmittel und zementgebundenem Werkstoff war die Eindringtiefe, die sowohl für die Wirksamkeit als auch für die Dauerhaftigkeit einer hydrophobierenden Maßnahme entscheidend ist, unabhängig von der Kontaktzeit nicht höher als 0.5 mm. Das war nicht nur von der technischen Seite her überraschend, sondern die Folge dieser unzureichenden Eindringtiefe war ein bereits nach wenigen Jahren auftretendes Versagen der Maßnahme. „Hilft nichts, schadet aber auch nichts“ war zur damaligen Zeit daher ein häufiger Kommentar, den heute auch noch ab und zu hört [4]. Dies war auch das auslösende Moment für die Initiierung zahlreicher Forschungsprojekte, die weltweit in verschiedenen Forschungseinrichtungen bis heute durchgeführt werden. Die dabei erarbeiteten Ergebnisse waren nicht nur die Voraussetzung für die Entwicklung neuer Produkte, wie z.B. hochviskose wässrige (z.B. Creme) oder nichtwässrige (z.B. Gele) Systeme, sondern auch die Basis für die Etablierung neuer Verarbeitungsrichtlinien und Qualitätssicherungskonzepte in der Praxis. Es überrascht daher auch nicht, dass im Vergleich zu anderen Oberflächenschutzsystemen, wie z.B. Versiegelungen oder Beschichtungen, das Wissen über die chemischphysikalischen Grundlagen der Tiefenhydrophobierung wesentlich umfangreicher ist. Eine wichtige Voraussetzung für die heute sehr geringen Fallzahlen in Bezug auf Fehlapplikationen bei einer Tiefenhydrophobierung. 2. Dauerhaftigkeit - von der Definition bis zum Lebenszyklusmanagement Der Begriff „Dauerhaftigkeit von Stahlbeton(bauwerken)“ stand in letzten Jahrzehnten eher im Hintergrund, verglichen mit den konstruktiv relevanten Kennwerten des Werkstoffes. Erst seit wenigen Jahren steht das Ziel dauerhafte Bauwerke zu erstellen im Fokus des Planers. Viel mehr fordert aber der Bauherr zunehmend, dass die tatsächliche Lebensdauer auch der geplanten Nutzungsdauer von 80-100 Jahren entspricht und nicht nur 20-30 Jahre. Diese Entwicklungen veränderten nicht nur das Verhältnis von Planer und Bauherr, sondern wirkt sich bereits deutlich auf die technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen auf dem Baumarkt aus. Bisher bedeutete Dauerhaftigkeit, dass die verlangten Gebrauchseigenschaften über eine festgelegte Zeitdauer, die entweder als Nutzungsdauer oder Lebensdauer unter den planmäßigen Beanspruchungen und unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit, d.h. angemessene Herstellungs- und Instand-haltungskosten erhalten bleiben. Diese etwa sperrige Formulierung wird im Regelwerk und vor allem in der Praxis als ein ausreichender Widerstand des Baustoffes gegenüber Umwelteinwirkungen verstanden. Dabei wird davon ausgegangen, dass bei einer Berücksichtigung objekt-, nutzungs- und umweltbedingter Beanspruchungen bei der Auswahl der Ausgangsstoffe, Formulierung der Betonrezeptur, einer sachgerechten Verarbeitung und Nachbehandlung ein dauerhafter Baustoff hergestellt wird, der keines zusätzlichen Schutzes bedarf. Bei den Beanspruchungen durch Nutzung und Umwelt stehen dabei die folgenden Faktoren im Vordergrund, wenn über die Dauerhaftigkeit von Beton gesprochen wird. Widerstand gegen chemische Angriffe Frost- und Frost-Tausalz-Widerstand Passiver Korrosionsschutz der Bewehrung • Widerstand gegen das Eindringen von Chloriden • In der Realität wird dieses Ziel, d.h. dass die Dauer der tatsächlichen und der geplanten Nutzungs- oder Lebensdauer übereinstimmt, nur in den wenigsten Fällen erreicht. Aber auch der Begriff „Dauerhaftigkeit hat eine gewisse Weiterentwicklung erlebt. Heute steht Dauerhaftigkeit für mehr als nur für einen dauerhaften Werkstoff. Vielmehr ist es ein Synonym für hohe „Performance“ und Qualität der eingesetzten Werkstoffe, niedrige Lebenszykluskosten, geringe Umweltbelastungen und nicht zuletzt für den technischen Ansatz „Prävention“. In Abbildung 1 werden ausgewählte technische Maßnahmen gezeigt, mit deren Hilfe das oben formulierte Ziel in Bezug auf realer und geplanter Lebensdauer erreicht werden können. Darüber hinaus ist aber auch jeder „Baustein“ für die Entwicklung und Etablierung moderner Lebenszyklusmanagementkonzepte geeignet, ohne die eine nachhaltige Infrastrukturentwicklung nur sehr schwer realisierbar ist. Abbildung 1: Auswahl von Präventionsmaßnahmen entlang des Lebenszyklus eines Infrastrukturbauwerks 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 521 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem Im Folgenden soll das Thema „Prävention“ vertieft werden und zwar am Beispiel der Tiefenhydrophobierung von Betonbauwerken. Neben den Technologiegrundlagen wird das Ergebnis einer Langzeit-studie gezeigt, bei der am Beispiel von Brücken des Fernstraßennetzes („Autobahnen“) die Wirkung einer Tiefenhydrophobierung über einen Zeitraum von 15 Jahren untersucht wurde. Weitere Aspekte sind die ökologischen und ökonomischen Auswirkungen einer Tiefenhydrophobierung, die neben der technischen „Performance“ zunehmend im Vordergrund steht. 3. Technologie einer Tiefenhydrophobierung 3.1 Zielsetzung Die Infrastruktur ist objekt- und nutzungsbedingt verschiedenen Umwelteinwirkungen ausgesetzt, welche die instandsetzungsfreie Lebensdauer der Bauwerke maßgeblich beeinflussen können. Bei der überwiegenden Zahl der sich daraus ergebenen Schadensmechanismen lassen sich dabei zwei Teilschritte unterscheiden, der Transport werkstoffaggressiver Verbindungen in das Werkstoffinnere und die dort ablaufenden chemischen Reaktionen zwischen diesen Verbindungen und Bestandteilen des Stahlbetons. Ein typisches Beispiel ist die chloridinduzierte Bewehrungskorrosion bei Stahlbetonbauwerken. Im ersten Schritt wird die Tausalzlösung oder das Meerwasser durch kapillares Saugen in die Betonrandzone transportiert. Erreicht die Chloridfront die Stahlbewehrung setzen elektrochemische Prozesse ein, die zunächst den Passivfilm auf der Stahloberfläche durchbrechen, um anschließend in Gegenwart von Wasser durch eine Reaktion mit Sauerstoff eine lokale Stahlauflösung zu bewirken. Analysiert man für diesen Fall die technischen Eingriffsmöglichkeiten durch die/ den Ingenieur(in) stellt man sehr schnell fest, dass das Verhindern des Schadstofftransportes nicht nur einfacher zu realisieren ist als das Stoppen der Korrosionsprozesse, sondern auch wirtschaftlicher. Dieser Zusammenhang lässt sich schnell auch auf andere Schadensprozesse, wie den Sulfatangriff oder die Alkali- Kieselsäure-Reaktion (AKR) übertragen. Abbildung 2: Schematische Darstellung der bei einer Tiefenhydrophobierung ablaufenden Prozesse Aus diesen grundlegenden Betrachtungen lässt sich auch direkt das Ziel einer Tiefenhydrophobierung ableiten. Durch diese Oberflächenschutzmaßnahme soll der Transport wässriger, werkstoffaggressiver Lösungen in die Werkstoffrandzone unterbunden werden, damit die Voraussetzungen für eine werkstoffschädigende chemische Reaktion gar nicht erst relevant werden. 3.2 Wirkungsweise Bei der Tiefenhydrophobierung werden Systeme auf Silanbasis, in Form wässriger oder nichtwässriger, hoch- oder niedrigviskoser Produkte, auf die Werkstoffoberfläche durch Spritzen, Rollen oder Streichen appliziert. Von dort wird das Silan, meist ein Octyltriethoxysilan, durch kapillares Saugen in das Werkstoffinnere transportiert. In der Abbildung 2 ist eine solche Kapillare dargestellt, bei der neben dem Substrat (Zementstein (grau)) auch der unter normalen klimatischen Bedingungen darauf anhaftende „Wasserfilm“ (violett) dargestellt ist. Bedingt durch die Bestandteile des Zementsteins ist der „Wasserfilm“ hochalkalisch, weshalb man auch besser von einem Flüssigkeitsfilm der Porenlösung sprechen kann. Als organische Verbindungen sind Silane weitgehend wasserunlöslich. Daher bildet sich zwischen dem Flüssigkeitsfilm (violett) und dem eindringendem Silan (hellblau) eine Phasengrenze aus. Eine zweite Phasengrenze bildet sich naturgemäß zwischen Wasserfilm und Substrat (grau) aus. Während des Silantransports lassen sich vereinfacht in zwei Teilprozesse unterteilen: 1. Schritt: Hydrolyse der Silane Bei der Hydrolyse der Silane setzen sich diese an der Grenzfläche zum alkalischen Flüssigkeitsfilm mit Wasser unter Bildung sogenannter Silanole um, wobei üblicherweise Ethanol freigesetzt wird (Abbildung 3). Die so gebildeten Silanole sind nicht nur wasserlöslich, sondern 522 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem auch sehr reaktiv. Deshalb treten sie zunächst durch die Phasengrenze Silan/ alkalischer Flüssigkeitsfilm hindurch, um dort in einem 2. Reaktionsschritt nach einem Mechanismus, den man als „Kondensation“ bezeichnet, direkt weiter zu reagieren (Abbildung 4). Abbildung 3: Hydrolyse des Silans im alkalischen Milieu unter Abspaltung von Ethanol Abbildung 4: „Polykondensation“ der Silanole unter Bildung von Oligomeren bzw. unter Anbindung an endständige OG-Gruppen des Substrats 2. Schritt: Polykondensation der Silane Bei der sogenannten „Polykondensation“ reagieren die Silanole mit anderen Silanolen unter Abspaltung von Wasser, was dieser Reaktion auch den Namen gegeben hat. Dabei entstehen größere Moleküle aus 2-3 Silanolen, die man als Oligomere bzw. Polysilxane bezeichnet (Abbildung 4). Die Oligomere werden mit zunehmenden Kondensationsgrad und damit wachsender Molekülgröße wasserunlöslich und „fallen“ aus dem alkalischen Flüssigkeitsfilm aus. Diese hydrophob wirkenden „Polysiloxanschnipsel“ werden auf dem Substrat adsorbiert, was zu einer wasserabweisenden Ausrüstung der Kapillarinnenflächen führt. Daneben gibt es noch eine weitere Möglichkeit der Anbindung. Bei dieser reagieren die OH-Gruppen der Silanole bzw. Oligomere mit sogenannten endständigen OH- Gruppen auf der Oberfläche des Substrats unter Bildung einer chemischen Bindung. Welche Art von Anbindung dominiert, d.h. die Adsorption der „Polysiloxanschnipsel“ oder der chemischen Anbindung hängt wesentlich von der chemischen Struktur ab und bestimmt auch maßgeblich die chemisch-physikalisch Eigenschaften der unterschiedlich gebildeten „Polymerfilme“. Einfluss der Polykondensation auf den Silantransport in der Werkstoffrandzone Die fortschreitende Polykondensation führt aber nicht nur zur Ausbildung des Polysiloxanfilms, sondern die gebildeten wasserlöslichen Silanole und Oligomere beeinflussen direkt auch den Silantransport und damit die Wirkstoffverteilung in der Werkstoffrandzone. Wie in den Arbeiten von Gerdes und Oehmichen gezeigt, bewirken diese Reaktionsprodukte eine zeitabhängige Abnahme in der Silanaufnahme, d.h. mit der Zeit nimmt die aufgenommene Silanmenge ab [5,6]. Oehmichen konnte zeigen, dass dieser Effekt in der Abnahme der Grenzflächenspannung s an der Phasengrenze Silan/ Lösungsfilm [6] begründet ist. Der Wert für die Oberflächenspannung reinen Wassers (gilt angenähert auch für die Porenlösung) beträgt 72 N/ m. Die Werte für die Oberflächenspannung handelsüblicher Silane liegt bei etwa 20-22 N/ m. Oehmichen konnte in ihren Untersuchungen zeigen, dass bei der Mischung einer synthetischen Porenlösung (gesättigte Lösung von Calciumhydroxid, pH-Wert 12.3) mit wenigen Millilitern eines Silans bereits wenige Minuten nach Zusammenschütten beider Komponenten die Oberflächenspannung auf Werte zwischen 30 und 35 N/ m abfielen. Begründet ist dieses Verhalten in der Bildung der wasserlöslichen Silanole bzw. Oligomere, welche eine tensidähnliche Struktur aufweisen. Erst im Verlauf der nächsten Stunden polymerisieren die Oligomere zu den wasserunlöslichen Polysiloxanen, die aus der Lösung ausfallen. Mit dieser „Selbstreinigung“ der Lösung ist ein Anstieg bei den Werten der Oberflächenspannung um 70 N/ m beobachten. Da aber die Oberflächenspannung für den kapillaren Transport die treibende Kraft ist („driving force“), nimmt, nimmt als Folge der chemischen Reaktion nicht nur die Oberflächenspannung, sondern auch die Transportrate ab. Aber nicht nur die Transportrate wird durch die chemischen Reaktionen beeinflusst, sondern durch die Einstellung lokaler Stoffgleichgewichte als Folge des Transports wird auch die chemische Reaktion beeinflusst. Man spricht dann von einem reaktiven Transport, der für die Tiefenhydrophobierung charakteristisch ist. Wirkung einer Hydrophobierung auf die Benetzbarkeit einer Oberfläche Am Ende dieser Reaktionen, die über mehrere Stunden bis Tage andauern können, entwickelt sich je nach Zusammensetzung des Hydrophobierungsmittels ein mehr oder minder stark ausgeprägter „Abperleffekt“ [7]. Durch eine Kontaktwinkelmessung kann dieser wasserabweisende Effekt quantifiziert werden. Dazu wird auf die Werkstoffoberfläche ein Wassertropfen aufgesetzt und unmittelbar danach mit einer geeigneten technischen Ausrüstung der sich ausbildende Kontaktwinkel zwischen Wasser und hydrophobiertem Substrat gemessen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 523 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem Abbildung 5: Kontaktwinkelmessung an mineralischen Oberflächen; oben: nicht hydrophobiert, q = 9.8°; unten: hydrophobiert, q = 133.8° Dabei gilt, dass bei einem Kontaktwinkel < 90° die Oberfläche benetzbar ist, bei Kontaktwinkeln > 90° gilt eine Oberfläche bereits als hydrophob, wobei bei funktionierenden Hydrophobierungen Kontaktwinkel von > 120° durchaus erreichbar sind. Diese Messungen haben aber nur einen orientierenden Charakter, entscheidend ist die Reduktion der Wasseraufnahme, verglichen mit einem unbehandelten Werk-stoff. Dieser ist kein Maß für die Leistungsfähigkeit einer Hydrophobierung, zumal er als Folge der einwirken-den UV- Strahlung durch den Abbau des Polysiloxanfilms auf der Werkstoffoberfläche nur kurzfristig vor-handen ist. 3.3 Einflussfaktoren für Wirksamkeit und Dauerhaftigkeit Im Allgemeinen gilt, dass für die Bewertung der „Performance“ einer Oberflächenschutzmaßnahme die Schutzwirkung über einen möglichst langen Zeitraum maßgebend ist. Das gilt naturgemäß auch für eine Tiefenhydrophobierung, wobei eine visuelle Beurteilung, wie bei einer Polymerbeschichtung üblich, hier nicht geeignet ist. Untersuchungen zur Reduktion der Wasseraufnahme und den Chlorideindringwiderstand an Brücken-bauwerken in Schweden haben aber gezeigt, dass eine Tiefenhydrophobierung bei sachgemäßer Anwendung die Aufnahme von wässrigen, betonaggressiven Lösungen über einen Zeitraum von ca. 20-25 Jahre weitgehend unterdrückt. Demgegenüber stehen aber auch Beispiele, bei denen bereits nach 3 Jahren die wasserabweisende Wirkung nicht mehr vorhanden war. Es stellte sich daher bereits früh die Frage, welche Faktoren eine hohe Wirksamkeit und lange Lebens-dauer begünstigen. Im Rahmen von Forschungsprojekten konnten diese Faktoren als Eindringtiefe und der Wirkstoffgehalt in der Werkstoffrandzone identifiziert werden (Abbildung 5) [5]. Eindringtiefe Es lässt sich leicht nachvollziehen, dass mit höherer Eindringtiefe des Hydrophobierungsmittels auch die Dicke der wasserabweisend ausgerüsteten Werkstoffrandzone zunimmt (Abbildung 5). Mit dieser Dicke steigt aber auch der äußere Wasserdruck, der aufgebracht werden muss, um diese „Barriere“ zu durchbrechen. So haben Untersuchungen gezeigt, dass bei unbehandelten Betonen (W/ Z-Wert 0.5) sich bereits bei einem Wasserdruck von 8-9 bar ein kontinuierlicher Wasserfluss durch den Werkstoff einstellt. Bei Betonen gleicher Zusammensetzung, aber einer hydrophobierten Randzone mit 4 mm Dicke, findet selbst bei einem Wasserdruck von 18 bar noch kein Wassertransport statt. Aus diesen Laboruntersuchungen, aber auch auf Basis von Untersuchungen an Praxisobjekten, konnte folgender Zusammenhang abgeleitet werden: • ab 2 mm bei geringfügiger Einwirkung werkstoffaggressiver Wässer (z.B. gelegentlicher Sprühnebel, aufgehende Wände bei mäßig genutzten Verkehrsflächen) • 2 mm < x < 4 mm bei erhöhter Einwirkung werkstoffaggressiver Wässer (z.B. Sprühwasser, Brückenlager mit Abstand von der Straße größer 5 m, Betonpfeiler von Autobahnbrücken) • 4 mm < x < 6 mm bei starker Einwirkung werkstoffaggressiver Wässer (z.B. Spritzwasser, Mittelpfeiler, Brückenkappen, Hafenanlagen und Offshore- Bauwerke) Wirkstoffgehalt in der Betonrandzone Wie im Abschnitt 3.2 gezeigt, werden die inneren Kapillaroberflächen mit einem wasserabweisend wirkenden Polysiloxanfilm („Silikonharzfilm“) belegt. Dafür sind in Abhängigkeit von der inneren Oberfläche der Kapillare unterschiedliche Mengen an Polysiloxan erforderlich. Der Grund dafür soll an einem Beispiel verdeutlicht werden. Bei einem Beton mit W/ Z-Wert 0.45 ist eine Gesamtporosität von ca. 10 Vol.-% zu erwarten, während bei einem Beton mit W/ Z-Wert 0.55 dieser Wert bei ca. 15 Vol.-% liegt. Darüber hinaus ist beim Beton mit dem niedrigerem W/ Z-Wert der Anteil an Kapillarporen deutlich geringer als beim Beton mit W/ Z-Wert 0.55. Daraus lässt sich folgern, dass bei Betonen mit höheren W/ Z- Werte die innere Kapillaroberfläche deutlich höher ist 524 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem und daher die Menge an Wirkstoff (Polysiloxan) ebenfalls höher sein muss, um einen geschlossenen Film zu erzeugen. Diese These konnte durch wissenschaftliche Untersuchungen tatsächlich belegt werden. Praktisch reicht die applizierte Menge an Hydrophobierungsmitteln, die je nach Produktformulierung zwischen 350-800 g/ m 2 liegt, für einen geschlossenen Polysiloxanfilm sich aus. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass für eine wirksame und dauerhafte Tiefenhydrophobierung je nach Betontyp und -qualität unterschiedliche Mengen an Wirkstoff (Polysiloxan) in der Werkstoffrandzone vorhanden sein müssen. Da dies von einer Reihe weiterer Einflussfaktoren abhängt, u.a. vom Feuchtegehalt in der Werkstoffrandzone, der Kontaktzeit zwischen Hydrophobierungsmittel und Werkstoff oder dem Typ des verwendeten Silans, sind bei großen Maßnahmen (z.B. Talbrücken) Voruntersuchungen angezeigt. 4. Anwendungen in der Praxis - Planung einer Hydrophobierung 4.1 Vorbemerkungen Der Erfolg einer Tiefenhydrophobierung und damit ihre Wirksamkeit und Dauerhaftigkeit hängt wesentlich von ihrer Planung ab. Häufig wird die Bedeutung dieser aber unterschätzt, da die technische Umsetzung einer Tiefenhydrophobierung dem Planer oder Ausführenden als einfach erscheint. Das Hydrophobierungsmittel wird auf die Oberfläche gesprüht, es dringt in den Werkstoff ein und ist im Gegensatz zu einer zement- oder polymergebundenen Beschichtung danach optisch nicht mehr wahrnehmbar. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall, da die bereits beschriebenen Einflussfaktoren, wie verwendeter Silantyp, Gesamtporosität oder Feuchtegehalt des Festbetons oder Umweltbedingungen, wie Außentemperatur oder Windgeschwindigkeit, sich auf die Qualität einer Tiefenhydrophobierung stark auswirken. Diese und weitere Faktoren müssen aber bei der Planung der Tiefenhydrophobierung Beachtung finden, um eine leistungsfähige und dauerhafte Maßnahme zu realisieren. 4.2 Unterschiede bei der Erstellung eines Neubaus und beim Schutz von Bestandsbauwerken Bei der Planung ist zunächst zwischen einem Neubau und einem Bestandsbau zu unterscheiden. So spielt vor allem beim Neubau das Betonalter bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung eine wichtige Rolle. Dabei steht aber weniger die Entwicklung der Druckfestigkeit oder der pH-Wert des Festbetons (ca. 12-13) im Vordergrund, sondern der Feuchtegehalt in der Werkstoffrandzone. Der junge Festbeton ist nach der Herstellung zunächst wassergesättigt. Abhängig von der Betonqualität oder den Umweltbedingungen (Temp., rel. Feuchtigkeit) trocknet der Überdeckungsbeton mit unterschiedlicher Geschwindigkeit aus. Ist aber während der Applikation des Hydrophobierungsmittels der Trocknungsprozess noch nicht ausreichend vorangeschritten, der Feuchtegehalt also zu hoch, kann das Silan nicht in Betonrandzone eindringen, da die Kapillarporen mit der Porenlösung gefüllt sind und den Silantransport blockieren. Die unter diesen Bedingungen erreichbare Eindringtiefe und Wirkstoffgehalt in der Betonrandzone werden dementsprechend gering sein. Um bei einem Neubau eine erfolgreiche Tiefenhydrophobierung sicherzustellen, hat daher die Kontrolle der Betonfeuchtigkeit eine herausragende Bedeutung. Mit den verfügbaren Messgeräten gilt die Messung der Betonfeuchte als nicht besonders sicher. Daher sollten im Zweifelsfall Probeflächen angelegt werden, die 14 Tage nach der Applikation durch Bohrkernentnahme beprobt werden. An den Kernen kann dann die tatsächlich erreichte Eindringtiefe und die Wirkstoffverteilung in der Betonrandzone analytisch mittels IR-Spektroskopie bestimmt werden [8]. Im Abschnitt 4.6 wird auf die Verfahren zur objektbezogenen Qualitätskontrolle noch näher eingegangen. Bestandsbauwerke, wie zum Beispiel Brücken der Bundesfernstraßen oder Teile von Hafenanlagen, können trotz vorhandener Chloridbelastung hydrophobiert werden. Die chemisch-physikalischen Prozesse, die zur wasserabweisenden Ausrüstung des Betons führen, werden selbst bei hohen Chloridgehalten (≤ 0.5 Massen-%, bezogen auf das Betongewicht) nur geringfügig beeinflusst. Bei der Bewertung der Hydrophobierbarkeit von Bestandsbauwerken steht vielmehr die Chlorideindringtiefe bzw. der Korrosionszustand der Bewehrung im Vordergrund. Deshalb ist eine Zustandsanalyse, welche diese Faktoren erfasst, bei chloridbelasteten Bauwerken zwingend erforderlich. Zeigt die Auswertung der Zustandsanalyse, dass die Chloridfront die Bewehrung noch nicht erreicht hat, ist eine funktionsfähige Tiefenhydrophobierung eine technische Maßnahme, welche die weitere Chloridaufnahme sicher unterbindet und die instandsetzungsfreie Nutzung deutlich verlängern kann. Dabei gibt es bei der Ausführung der Maßnahmen keine gravierenden Unterschiede zwischen einem Neubau oder Bestandsbau. Nur bei der Untergrundvorbehandlung sind einige Punkte zu berücksichtigen, worauf in einem der folgenden Abschnitte eingegangen wird. Hat die Chloridfront die Bewehrung aber bereits erreicht oder liegt bereits hinter der Bewehrung, ist eine Tiefenhydrophobierung zwar technisch möglich, die dann noch erreichbaren Ziele der Maßnahme müssen aber im Einzelfall abgewogen werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 525 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem 4.3 Bewertung der Betonqualität Die erreichbare Eindringtiefe und auch die Wirkstoffverteilung in der Betonrandzone, die man zusammenfassend auch als Wirkstoffprofil bezeichnen kann, hängen maßgeblich von der Betonqualität ab. Als Bezugsgröße kann hierzu der W/ Z-Wert herangezogen werden, durch den die mechanischen Kenndaten und damit auch die Entwicklung des Betongefüges bestimmt wird. Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass die Ausführung hydrophobierend wirkender Maßnahmen bis zu einem W/ Z-Wert 0.45 eine nennenswerte Verbesserung des Chlorideindringwiderstands nach sich ziehen. Neben Laborergebnissen konnte das auch in der Praxis, u.a. durch Untersuchungen an Brückenbauwerken in Stockholm, nachgewiesen werden. So schreibt die schwedische Erhaltungsstrategie bereits seit mehr als 30 Jahren neben einem niedrigen W/ Z-Wert (hier 0.45) eine Tiefenhydrophobierung vor. Bei Betonen mit tieferen W/ Z-Werten ist dies aufgrund der sehr geringen Durchlässigkeit aber nicht mehr zu erwarten. Ein weiterer Aspekt, der die instandsetzungsfreie Lebensdauer von Infrastrukturbauwerken bestimmt, ist die „Performance“ dafür hergestellter Bauteile. Dazu soll an dieser Stelle auf eine Entwicklung eingegangen werden, die sich auch in der Praxis zunehmend auf die Lebensdauer von Infrastrukturbauwerken eingeht. Generell gilt, dass die Dauerhaftigkeit von Bauwerken nicht nur durch die Qualität des bestellten Betons bestimmt wird, sondern maßgeblich durch die Werkstoffverarbeitung vor Ort. Oder anders ausgedrückt, die Qualität des Bauteils ist die Summe aus den rezepturbedingten Werkstoffeigenschaften und den persönlichen Fähigkeiten des Handwerkers. In der Praxis lässt sich aber immer häufiger beobachten, dass die Qualitätsunterschiede an einem Bauteil lokal stark variieren können. So wurden bei bayrischen Bundesfernstraßen Mittelpfeiler von Überführungsbauwerken in Hinsicht auf ihre Betonqualität überprüft. Dazu wurde als Bewertungsgrundlage die physikalische Größe „Gesamtporosität“ herangezogen, bestimmt mit der Quecksilberdruckporosimetrie, welche sich direkt auf den Chlorideindringwiderstand auswirkt. Praktisch wurden aus unterschiedlichen Höhen (0.50 m, 1.00 m, 1.50 2.0 m) Bohrkerne entnommen und an diesen die Gesamtporosität bestimmt. Die Ergebnisse zeigen, dass es bei vielen der untersuchten Betonpfeiler markante Unterschiede in den Werten gibt, obwohl der räumliche Abstand der Entnahmepunkte nur ca. 1.50 m beträgt. Beispielsweise konnten an einem Pfeiler für die Gesamtporosität Werte zwischen 12 und 18 Vol.-% festgestellt werden. Diese Zahlen gelten für Brückenbauwerke, die vor ca. 20-50 Jahren, also zwischen 1970 und 2000 erstellt wurden. Erwartet wurde, dass die Brücken aus den 70iger Jahren sowohl die höchsten Werte als auch die höchste Streuung zeigten. Überraschenderweise war dies aber trotz erheblicher Fortschritte in der Betontechnologie an den Brücken aus den 90iger Jahren der Fall. Praktisch bedeutet es, dass bei jüngeren Bauwerken nicht zwangsläufig eine bessere Qualität und damit höhere „Performance“ zu erwarten ist. Messungen an Brückenbauwerken, die zwischen 2000 und 2020 erstellt wurden, weisen eher darauf hin, dass die Streuung in den Festbetoneigenschaften, wie z. B. Gesamtporosität, eher zuals abnehmen. Auch hier kann eine Tiefenhydrophobierung ein technischer Ansatz sein, um bezüglich der Wasser- und Schadstoffaufnahme die Inhomogenität realer Bauteile zu minimieren. Unabhängig von den lokal vielleicht stark variierenden Werten für die Wasseraufnahme werden nach der Applikation einer Tiefenhydrophobierung werden diese Unterschiede mehr oder minder egalisiert. Neben der technischen Verbesserung der Dauerhaftigkeit lässt sich für den Bauherrn durch diese präventive Maßnahme auch die Planungssicherheit über die geplante Lebensdauer des Infrastrukturbauwerks signifikant verbessern. 4.4 Exposition der Flächen und die sich daraus ableitenden Anforderungen an die Tiefenhydrophobierung Wie bereits gezeigt, spielen bei der Planung einer Tiefenhydrophobierung verschiedene Faktoren eine Rolle. Besonders zu beachten ist die Art und Weise, wie die Betonoberflächen unter realen Bedingungen den werkstoffaggressiven chemischen Verbindungen, die in der Baupraxis üblicherweise in Form wässriger Lösungen auftreten, ausgesetzt sind. So macht es einen deutlichen Unterschied in der Salzmenge, ob die Pfeiler einer Brücke dem Meerwasser ausgesetzt sind oder ob es sich um Tausalzlösungen handelt, die im Winterbetrieb als Spritzwasser oder Sprühnebel temporär auf die Bauwerke einwirken. Auch die zeitliche Dauer der Einwirkung, beispielsweise durch das tidebedingte Ansteigen und Abfallen des Meerwasserspiegels oder durch Stürme, kann die Kontaktzeit zwischen chloridhaltigem Wasser und Bauwerksoberfläche bestimmen. Gibt es zwischen der Bauwerksbeaufschlagung längere Trocknungszeiten, kann der dominierende Transportprozess von Diffusion zum kapillaren Transport wechseln, was in Bezug auf die Leistungsfähigkeit der Transportprozesse einen sehr deutlichen Unterschied macht. Diese Liste ließe sich noch verlängern, was es nachvollziehbar macht, dass für jedes zu hydrophobierende Bauwerk diese Belastungssituation als Teil der Planung genau analysiert werden muss. Daraus leiten sich auch Größen ab, welche für die Planung der hydrophobierenden Maßnahme relevant sind. Bisher wurden bereits die Begriffe „Eindringtiefe“, „Wirkstoffgehalt in der Werkstoffrandzone“ oder „Wirkstoffprofil“ eingeführt, welche für die qualitative Beschreibung einer Tiefenhydrophobierung definiert wurden. 526 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem Für eine Planung sind aber quantitative und messtechnisch überprüfbare Größen erforderlich. Bereits seit vielen Jahren wird in der Praxis dazu die Größe „wirksame Eindringtiefe“ verwendet. Darunter versteht man den Abstand von der Oberfläche, bei dem durch die Wirkung der Tiefenhydrophobierung die Wasseraufnahme um ≥ 90% reduziert wird, verglichen mit der Wasseraufnahme des unbehandelten Betons. Die Vorgehensweise zur Bestimmung dieser Größe wird im nächsten Abschnitt vorgestellt. Neuerdings wird in Ausschreibungen der öffentlichen Hand auch ein Wert für den „Chlorideindringwiderstand“ festgelegt, der durch die Betonauswahl und/ oder durch die Anwendung einer Tiefenhydrophobierung sichergestellt werden soll. Bezüglich der „wirksamen Eindringtiefe“ lassen sich verschiedene Belastungsfälle unterscheiden. Sind die Bauwerke nur temporär werkstoffaggressiven Wässern ausgesetzt, beispielsweise durch den gelegentlichen Tausalzeinsatz auf Gehwegen oder Parkflächen bzw. bei der Einwirkung tausalzhaltiger Sprühnebel bei Brückenlagern, die mehr als 10 Meter vom Fahrweg entfernt sind, kann von einer geringfügigen Einwirkung sprechen. In diesem Fall genügt eine „wirksame Eindringtiefe“ von ca. 2 mm, um langfristig das Bauteil vor Korrosion zu schützen. Diese Werte lassen sich mit niedrigviskosen, organischen Systemen mit 100% Wirkstoffgehalt realisieren, wobei das Hydrophobierungsmittel zweimal auf die zu behandelnde Oberfläche appliziert wird. Bei Betonpfeilern in Tiefgaragen oder Parkdecks, bei Widerlagern mit einem Abstand von mehr als 5 m vom Fahrweg oder Tunnelabschnitten, deren Abstand vom Portal mehr als 400 m beträgt, kann man von erhöhten Einwirkungen ausgehen. Für diesen Fall sollte die „wirksame Eindringtiefe“ zwischen 2 und 4 mm liegen. Mit hochviskosen, wässrigen Hydrophobierungsmitteln („Creme“) und einer Applikationsmenge von ca. 350-450 g/ m 2 können diese Werte erreicht werden. Von einer starken Einwirkung betonaggressiver Wässer kann bei Hafenanlagen oder offshore-Bauwerken ausgehen. Zu dieser Kategorie gehören aber auch Mittelpfeiler oder Kappen von Brückenbauwerken, die chloridhaltigem Spritzwasser ausgesetzt sind. Für „wirksame Eindringtiefen“ von 4 bis 6 mm sind organische, hochviskose Hydrophobierungsmittel („Gel“) einzusetzen, die mit 500 -750 g/ m 2 auf die Betonoberfläche aufgetragen werden. 4.5 Anforderungen an den Untergrund In Abschnitt 4.2 wurde bereits auf den starken Einfluss des Feuchtegehalts in der Betonrandzone eingegangen. Das hat naturgemäß direkte Folgen für die Untergrundvorbereitung bei einer Tiefenhydrophobierung. Sowohl beim Neubau als auch bei Bestandsbauwerken sollte auf eine Reinigung mit Wasser (z.B. Dampfstrahlen) möglichst vermieden werden. In vielen Fällen ist ein trockenes Abbürsten der Oberfläche ausreichend. Ist die Oberfläche stark verunreinigt, beispielsweise durch Fette oder Öle, und damit eine Reinigung mit Wasser und/ oder Reinigungsmitteln unvermeidbar, ist eine ausreichend lange Trocknungsdauer vorzusehen. Auch hier bietet sich wieder das Anlegen einer Probefläche an, um die Zugänglichkeit der Werkstoffrandzone für das Hydrophobierungsmittel beurteilen zu können. 4.6 Qualitätskontrolle Durch eine Qualitätskontrolle soll festgestellt werden, ob die in der Praxis erreichten Werte für die „wirksame Eindringtiefe“ mit den Vorgaben der Planung übereinstimmen. Für die Bestimmung dieser Größe ist zunächst ein Wirkstoffprofil, d.h. der Wirkstoffgehalt als Funktion des Abstandes von der Werkstoffoberfläche und ein Saugprofil, d.h. die Wasseraufnahme als Funktion des Abstandes von der Werkstoffoberfläche. Die Vorgehensweise zur Ermittlung dieser Profile soll im Folgenden näher beschrieben werden. Probenentnahme Für die Qualitätskontrolle werden vor der Hydrophobierung drei Bohrkerne aus der zu hydrophobierenden Betonfläche entnommen. Diese dienen als Referenzproben, was die Wasseraufnahme betrifft. Nach Ablauf von 14 Tagen werden aus der hydrophobierten Fläche 5 Bohrkerne entnommen, wobei drei Bohrkerne für die Bestimmung des Saugprofils, ein Kern für die Ermittlung des Wirkstoffprofils und der letzte Kern als Reserve vorgesehen sind. Saugprofil Nach der Bohrkernentnahme werden diese zunächst vermessen, um anschließend die Seitenfläche der Zylinder mit einem Epoxidharz zu beschichten. Auf diese Weise soll ein einaxialer Wassertransport über die hydrophobierte Betonoberfläche sichergestellt werden. Danach wird die beschichtete Probe gewogen (Nullwert), bevor die beschichteten Zylinder in ein Wasserbad gestellt werden. Bei der Durchführung des Saugversuches darf der Wasserspiegel nur 1-2 mm höher sein, als die Unterkante des Bohrkerns. Den Saugversuch führt man über 24 Stunden durch und bestimmt nach Ablauf dieser Zeit durch erneute Wägung die Gewichtszunahme. Aus dem Gewichtsvergleich lässt sich die Wasseraufnahme durch Probe ermitteln. Mit Hilfe des sogenannten Wurzel-t-Gesetzes lässt sich dann der Wasseraufnahmekoeffizient A berechnen. (1) mit Δ m = Gewichtsdifferenz in kg, F= Saugfläche in m 2 , t in h, A in kg/ m 2 √h 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 527 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem Nach dieser ersten Messung wird mit Hilfe einer modifizierten Fräsmaschine, beginnend von der hydrophobierten Oberfläche, eine 1 mm dicke Schicht „abgeschliffen“. Anschließend wird die Probe im Klimaschrank rekonditioniert, d.h. der Feuchtegehalt wieder auf den Wert eingestellt, der bei der Durchführung des Null-Versuches im Betoninneren herrschte. Dieses Prozedere wird solange wiederholt, bis die Wasseraufnahme der hydrophobierten Proben dem Wert entspricht, der für die unbehandelten Referenzproben bestimmt wurde. Trägt man die Werte als Funktion des Abstandes von der Oberfläche auf, erhält man das Saugprofil. Wirkstoffprofil Für die Bestimmung des Wirkstoffprofils wird die Betonprobe ebenfalls in 1mm-Schritten abgefräst, wobei das dabei anfallende Pulver aufgefangen wird. Mit Hilfe einer Methode der Hochleistungsanalytik kann in diesen Proben der Wirkstoffgehalt, d.h. der Polysiloxangehalt in mg/ g Beton bestimmt werden. Trägt man diese Werte als Funktion des Abstandes von der hydrophobierten Fläche auf, erhält man das Wirkstoffprofil. Bestimmung der „wirksamen Eindringtiefe“ und des „minimalen Wirkstoffgehaltes In Abbildung 6 ist sowohl ein Saugprofil (linke Seite) als auch das dazu korrespondierende Wirkstoffprofil (rechte Seite) dargestellt. Für die Laborversuche wurde ein Beton mit W/ Z-Wert 0.4 verwendet der mit verschiedenen Silantypen behandelt wurden. Abbildung 6: Experimentell bestimmte Saug- und Wirkstoffprofile für verschiedene Silane, appliziert auf einen Beton, hergestellt mit W/ Z-wert 0.45 Beim Saugprofil repräsentiert die blaue Kurve die unbehandelte Probe, während die grüne, pinkfarbene und rote Kurve die Saugprofile hydrophobierter Betone. Bis zum Abstand von 9 mm beträgt die Reduktion der Wasseraufnahme ca. 90%, verglichen mit der unbehandelten Referenzprobe. Ab 9 mm ist ein Anstieg der Wasseraufnahme zu beobachten, die je nach Silantyp nach 10 mm (Propyltriethoxysilan), 14 mm (Octyltriethoxysilan) oder 16 mm (Butyltriethoxysilan) dem Wert des unbehandelten Betons entspricht. Der Punkt, an dem der Kurvenanstieg beginnt, wird als die „wirksame Eindringtiefe“ definiert. In der rechten Abbildung sieht man typische Kurvenverläufe für Wirkstoffprofile. Ermittelt man für den Wert der „wirksamen Eindringtiefe“ den korrespondierenden Wirkstoffgehalt, kann man den Wert für den „minimalen Wirkstoffgehalt“ ermitteln. Diese Menge an Polysiloxan ist notwendig, um die Wasseraufnahme praktisch zu unterdrücken. Hat man beide Werte in Vorversuchen am Objekt bestimmt, kann die Qualitätskontrolle auf die Bestimmung der Wirkstoffprofile reduziert werden. Bei dem Oberflächenabstand, bei dem der ermittelte „minimale Wirkstoffgehalt“ noch vorliegt, kann man von einer wirksamen Tiefenhydrophobierung ausgehen. Ohne Vorversuche müssen bei der Qualitätskontrolle Saugprofile aufgenommen werden, um die „wirksame Eindringtiefe“ zu bestimmen. Auf den ersten Blick scheint das in allen Fällen der bessere Weg zu sein. Tatsächlich ist die Aufnahme der Saugprofile aber sehr zeitintensiv, was die Feststellung, dass die Tiefenhydrophobierung korrekt ausgeführt würde, um Wochen bis 528 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem Monate verzögert. Im Gegensatz dazu können Wirkstoffprofile innerhalb von 24-48 Stunden mit der notwendigen Genauigkeit ermittelt werden. 4.7 Arbeits- und Umweltschutz Bei Hydrophobierungsmitteln handelt es sich um eine „chemische Zubereitung“ verschiedener Ausgangsstoffe, wobei das ausgewählte Silan naturgemäß die Produkteigenschaften am stärksten beeinflusst. Daraus resultieren Anforderungen an den Arbeits- und Umweltschutz, die unbedingt zu beachten sind. Als Informationsquelle stehen neben dem Technischen Merkblatt auch das Sicherheitsdatenblatt (SDS) zur Verfügung. In letzterem finden sich vor allem Daten in Bezug auf die chemischphysikalischen Eigenschaften des Produktes, vorgeschriebene Sicherheitsmaßnahmen bei der Ausführung oder Vorgaben zur umweltgerechten Entsorgung von Restmengen. 4.8 Technische Umsetzung einer Tiefenhydrophobierung In der Abbildung 7 sind die typischen Schritte einer Tiefenhydrophobierung unter praktischen Bedingungen dargestellt. Im ersten Schritt werden bei neuen Bauwerken Probeflächen angelegt, um Typ und Menge an Hydrophobierungsmittel festzulegen, die für das Erreichen einer bestimmten „wirksamen Eindringtiefe“ geeignet bzw. erforderlich sind (Abbildung 7, Schritt 1). Vor Beginn der Maßnahme wird das zu hydrophobierende Bauteil mit Kunststofffolien oder Planen eingehaust. Dadurch soll ein unkontrolliertes Verfrachten von Hydrophobierungsmittel verhindert werden, was sowohl die vorbeifahrenden Fahrzeuge als auch die Straßenoberfläche verunreinigen kann. Beides stellt eine direkte Gefahr für die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer dar (Abbildung 7, Schritt 2). Hydrophobierungsmittel werden üblicherweise mit dem Airless-Verfahren auf die Werkstoffoberfläche aufgetragen, wobei das sowohl für niedrigviskose als auch hochviskose Produkte gilt. Die applizierte Menge beträgt dabei je nach Silantyp zwischen 400-750 g/ m 2 (Abbildung 7, Schritt 3). Nach einer 14tägigen Reaktionszeit werden erneut Probekörper aus dem hydrophobierten Betonbauteil entnommen, um durch die Qualitätskontrolle die in der Planung fixierten Werte zu überprüfen (Abbildung 8, Schritt 4) Schritt 1: Zustandsanalyse und/ oder Anlegen von Probeflächen Schritt 2: Schutz der vorbeifahrenden Autos und Verkehrsflächen Schritt 3: Applikation des Hydrophobierungs-mittels im Airless-Verfahren Schritt 4: Entnahme von Bohrkernen für die Qualitätskontrolle Abbildung 7: Durchführung einer Tiefenhydrophobierung an einem neuerstellten Brückenbauwerk 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 529 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem 5. Case Study: Brückenbauwerke in Bayern 5.1 Untersuchter Brückenbestand Im Jahre 2004/ 2005 wurde durch die Autobahndirektion Bayern-Süd eine Studie in Auftrag gegeben, in der die Wirksamkeit einer Tiefenhydrophobierung als „Chloridsperre“ an Bestandsbrücken und neuerstellten Brücken untersucht werden sollte. Nach der Zustandsanalyse von 19 Autobahnbrücken, die Teil der Bundesfernstraßen A7, A8, A96, A99 und A 980 waren, sollten diese tiefenhydrophobiert werden. An diesen Arbeiten war die Hochschule Karlsruhe und die Firmen Wacker AG, StoCretec GmbH, Konstruktionsgruppe Bauen Kempten GmbH und Aquastahl GmbH beteiligt Im Jahre 2018/ 2019 wurden aus diesem Brückenportfolio neun Brücken erneut beprobt, um Aussagen zur Wirksamkeit der Tiefenhydrophobierung zu erhalten. Als Maßstab für die „Performance“ dieser Oberflächenschutzmaßnahme wurde das Chloridprofil, bestimmt in 2003, mit dem Chloridprofil, ermittelt in 2018/ 2019, verglichen. Dazu wurden, analog zu 2004/ 05, 2 vertikale Messlinien je Bauwerk bzw. Brückenpfeiler festgelegt. Auf diesen Achsen wurden Bohrkerne in einer Höhe von 0.3 m, 1.3 m und 2.3 m entnommen. An diesen Brückenpfeilern wurde erneut die Bewehrungsüberdeckung ermittelt, die Carbonatisierungstiefe bestimmt, ein Saugprofil aufgestellt und die Chloridprofile aufgenommen. Durch die ersten Messungen sollte der Bauwerkszustand überprüft, mit den beiden letzten Messungen die Wirksamkeit der Tiefenhydrophobierung ermittelt werden. Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse dieser Untersuchungen vorgestellt. 5.2 Ergebnisse an Bestandbauwerken 5.2.1 Brückenbauwerk A7 BW 108-1 In die Abbildung 8 sind für das oben genannte Brückenbauwerk die Chloridprofile, ermittelt im Jahre 2004 (orange) bzw. im Jahre 2018, eingetragen. Der Vergleich der Chloridprofile zeigt, dass über einen Zeitraum von ca. 15 Jahren sich sowohl die Chlorideindringtiefe als auch die gesamte Chloridmenge in der Betonrandzone nicht signifikant erhöht haben. Auch nach 15 Jahren liegt der Chloridgehalt, bezogen auf das Zementgewicht, deutlich unter dem Wert, der üblicherweise als korrosionsauslösend gilt (Richartz-Kriterium). Voraussetzung dafür war aber eine wirksame Eindringtiefe von 4 mm. Auch konnte festgestellt werden, dass die Tiefenhydrophobierung noch unverändert wirksam ist. Auch die Carbonatisierung hat sich über 15 Jahre nur um 2 mm erhöht. Die oft formulierte Aussage, dass eine Hydrophobierung die Carbonatisierungsgeschwindigkeit beschleunigt, zeigt sich hier, wie bei den anderen Brückenbauwerken, nicht. Abbildung 8: Brückenbauwerk A7 BW 108-1 - Vergleich des Chloridgehaltes 2004/ 2018 530 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem Abbildung 9: Brückenbauwerk A7 BW 122-1 - Vergleich des Chloridgehaltes 2004/ 2018 5.2.2 Brückenbauwerk A7 BW 122-1 Beim Brückenbauwerk A7 BW 122-1 hat die Tiefenhydrophobierung nicht den erwünschten Effekt gezeigt. Während im Jahre 2004 die Chloride nur im Bereich von 0-15 mm einen nennenswerten Gehalt aufweisen, hat sich im Verlauf der nächsten 15 Jahre das Bild deutlich verändert. Im Bereich von 0-15 mm wurden Maximalwerte zwischen 0.5-1.0 Massen-%, bezogen auf das Zementgewicht bestimmt. Auch direkt an der Bewehrung hat der Chloridgehalt Werte von 0.2-0.4 Massen-% erreicht (Abbildung 9). Die Überprüfung der Tiefenhydrophobierung zeigte, dass diese deutlich an Wirksamkeit verloren hatte, was mit einer geringen Eindringtiefe und Wirkstoffgehalt in Verbindung gebracht werden konnte. Die Ergebnisse bestätigen die Feststellung, dass für eine wirksame und dauerhafte Tiefenhydrophobierung eine hohe „wirksame Eindringtiefe“ die entscheidende Voraussetzung ist. Beim Carbonatisierungsfortschritt ist keine ungewöhnliche Zunahme zu verzeichnen. 5.2.3 Brückenbauwerk A99 BW 0/ 5 Im Rahmen der westlichen Erweiterung der Bundesautobahn 99, Westumfahrung München zwischen dem Autobahndreieck München Süd-West und dem Autobahnkreuz München West, wurden die Mittelpfeiler von 6 Brückenbauwerken nach Fertigstellung und vor der ersten Verkehrsfreigabe im Zeitraum September bis November 2005 hydrophobiert. Bei der Tiefenhydrophobierung des Bauwerks A99 BW0/ 5 wurde bis auf eine kleine „Referenzfläche“ der gesamte Mittelpfeiler tiefenhydrophobiert. Die Bohrkerne, die aus der ausgesparten Fläche entnommen wurden, sind in der Abbildung 10 oben, durch die blauen Kreise gekennzeichnet. Die roten Kreise stehen für die Probenentnahmeorte, die für die hydrophobierte Fläche festgelegt worden. In der Abbildung 10 unten, ist in der Mitte des Brückenpfeilers die Abklebung mit einer Folie zu erkennen, welche die Applikation und Aufnahme des Hydrophobierungsmittels verhinderte. In Abbildung 11 sind die Chloridprofile, bestimmt für hydrophobierte (rot) bzw. unbehandelte Flächen (blau), eingetragen. Die Wirksamkeit der Tiefenhydrophobierung sich direkt aus dem Vergleich der Chlorideindringtiefe und der gesamten Menge an Chlorid in der Betonrandzone ableiten. Bezüglich der Carbonatisierung lässt sich auch bei diesem Brückenbauwerk keine signifikanten Unterschiede zwischen hydrophobierten und unbehandelten Flächen feststellen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 531 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem Abbildung 10: Brückenbauwerk A99 BW 0/ 5 - Bohrkernentnahmestellen (oben) und Aussparung der Tiefenhydrophobierung bei der Applikation (unten) Abbildung 11: Brückenbauwerk A99 BW 0/ 5 - Vergleich der Chloridprofile Zusammenfassend ist durch die Durchführung der Studie an den Brückenbauwerken der A7, A8, A96, A99 und A 980 festzustellen, dass die Wirksamkeit einer Tiefenhydrophobierung, vorausgesetzt eine ausreichende „wirksame Eindringtiefe“ wurde erreicht, nachgewiesen ist. Ein signifikanter Einfluss auf die Carbonatisierunggeschwindigkeit konnte nicht nachgewiesen werden. 6. Ökonomische Aspekte einer Tiefenhydrophobierung 6.1 Lebenszykluskosten in Abhängigkeit von Baustoffen und Bauweisen Trotz veränderter Ausschreibungs- und Vergaberichtlinien stehen bei der öffentlichen Hand bei Entscheidungen immer noch die Erstellungskosten im Vordergrund. Nachhaltigkeitsziele und damit auch die Lebenszykluskosten finden erst in Ausnahmefällen ihre angemessene Berücksichtigung. Das gilt insbesondere für Infrastrukturbauwerke, weil für diesen Bereich auch noch entsprechende Modelle zur Berechnung der Lebenszykluskosten fehlen. Eine Ausnahme bilden neue Ansätze, die für Straßentunnel entwickelt wurden. Bei einem dieser Ansätze werden in einem Gesamtmodell alle Kostenarten zusammengefasst. Davon ausgehend können auch einzelne Bauteile oder das gesamte Bauwerk bewertet, aber auch verschiedene Varianten miteinander verglichen werden. Nach Ansicht der Autoren 532 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem ist die Methodik auch auf andere Infrastrukturbauwerke anwendbar, wozu auch Brückenbauwerke zu zählen sind. Praktisch wird der Lebenszyklus eines Infrastrukturbauwerks in objektspezifische Phasen eingeteilt, den wiederum bestimmte Prozesse zugeordnet werden können. Die Abbildung 12 zeigt diesen Zusammenhang schematisch. Danach lassen sich die folgenden Schritte unterscheiden: Abbildung 12: Darstellung relevanter Prozesse in Anlehnung an die ASB-ING (2013) Erstellung In der Planungsphase werden alle Daten erfasst, die zur Ausführung des eigentlichen Bauwerks erforderlich sind. Die damit verbundenen Kosten gehören zu den Initialkosten. Während der Erstellung wird die Planung umgesetzt, wobei auch während des Baus unerwartete Planungsänderungen erheblich zu den Baukosten beitragen. Einen eher kleinen Anteil haben dabei die Werkstoffkosten, obwohl sie bei eingeschränkter Funktion oder einer nicht ausreichenden Dauerhaftigkeit einen erheblichen Anteil zum Erhaltungsaufwand beitragen. Erhaltung Während der Nutzungsphase steht die Erhaltung im Vordergrund, wobei zwischen verschiedenen Beiträgen unterschieden werden muss. Planmäßig sind Unterhaltmaßnahmen auszuführen, wobei zwischen Konstruktion (Bau) und Betriebsanlagen (Betrieb) zu differenzieren ist. Diese unterscheiden sich aber nicht nur durch die Kosten, sondern auch durch den notwendigen zeitlichen Aufwand bzw. die ihre Häufigkeit. Unter Prävention sind die technischen Maßnahmen zu verstehen, mit deren Hilfe eine Instandsetzung zu vermeiden ist. Die Kosten dafür betragen ca. 10% der Aufwendungen, die eine Instandsetzung mit sich bringt. Eine Instandsetzung ist ungeplant, erfolgt daher in vielen Fällen unter Betrieb und ist dementsprechend kostenintensiv. Alle zeitlich vorgelagerten Maßnahmen sind daher so vorzusehen, dass eine Instandsetzung sicher vermieden wird. Gelingt dies nicht, kann betrachtet dessen summierter finanzieller Beitrag zu den Lebenszykluskosten über den gesamten Lebenszyklus um ein Mehrfaches höher liegen als die Kosten, die sich aus Planung, Bau und Unterhalt zusammensetzen. Rückbau Beim Rückbau hat das Recycling eingesetzter Werkstoffe bzw. die Wiederverwendung von Bauteilen bereits heute, in Zukunft aber noch viel mehr, einen relativ hohen Beitrag zu den Lebenszykluskosten. Dem wird dadurch Rechnung getragen, dass heute bereits in der Planung die Recyclingfähigkeit der vorgesehenen Werkstoffe bewertet wird. Für die Berechnung der Lebenszykluskosten für Infrastrukturbauwerke, wie z.B. einem Brückenbauwerk, ist der nachfolgende strukturierte Ablauf vorgesehen. • Ermittlung der Ausgangslage durch die Definition des Untersuchungsrahmens. Im vorliegenden Fall stimmt dieser mit dem Bilanzierungsraum für die Ökobilanz überein. • In Abhängigkeit von der gewählten Bauweise erfolgt die funktionelle Definition von Bauteilen (Funktionsmodule) und der technischen Ausrüstung, die für den Bäderbetrieb erforderlich sind. • Entwicklung von Nutzungsszenarien in Abhängigkeit von der gewählten Bauweise unter Berücksichtigung spezifischer Einflussfaktoren für die instandsetzungsfreie Nutzungsdauer. • Kostenermittlung für die einzelnen Nutzungsszenarien, wobei der „Performance“ und Dauerhaftigkeit der Werkstoffe besonders Rechnung getragen werden soll. • Überführung der szenarioabhängigen Kosten in eine Kostenmatrix. • Berechnung der Lebenszykluskosten in Abhängigkeit vom gewählten Szenario mittels Kapitalwertmethode. • Vergleich der Bauweisen in Hinsicht auf die Lebenszykluskosten und weiteren Optimierungsmöglichkeiten. Abbildung 13: Betrachtungen zu den Investitionen für eine Instandsetzung bzw. einer Tiefen-hydrophobierung 6.2 Betrachtungen zu den Kosten einer Tiefenhydrophobierung im Vergleich zu einer Instandsetzung Die oben beschriebene Vorgehensweise zur Berechnung der Lebenszykluskosten eines Infrastrukturbauwerks (z.B. Brücke, Tunnel) die in einem Fall durch präventive Maßnahmen instandsetzungsfrei über die geplante Nutzungsdauer von 100 Jahren Tiefenhydrophobierung genutzt werden konnte und in dem anderen Fall instandgesetzt werden muss, ist derzeit Gegenstand einer Studie. Die Ergebnisse liegen somit noch nicht vor. Ersatzweise sollen die Daten für das Investment bei einer Instandsetzung mit den Kosten einer Tiefenhydrophobierung verglichen werden. Der Vergleich basiert auf Daten, die durch die Autobahndirektion Bayern-Süd zur Verfügung gestellt wurden. Diese Kalkulationen sind in Abbildung 13 dargestellt. Danach wurden für die ausgewählte 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 533 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem Brücke für die Instandsetzung insgesamt 230.000 Euro angesetzt. Im Gegensatz dazu ergibt sich für die Tiefenhydrophobierung ein Betrag von 40.000 Euro. Nach der Berechnung der Lebenszykluskosten ist für die beiden Maßnahmen mit einem noch größeren Unterschied zu rechnen. Das ist aufgrund der Ergebnisse verschiedener Studien zu erwarten, wonach bei 80% der Bauwerksinstandsetzungen bereits nach 8-10 Jahren erneut Schäden zu beobachten sind. Im Gegensatz dazu gilt die Wirksamkeit einer Tiefenhydrophobierung über einen Zeitraum von 20 Jahren als gesichert. 7. Ökologische Aspekte einer Tiefenhydrophobierung 7.1 Der Begriff Nachhaltigkeit im Bauwesen Nachhaltiges Bauen ist im Hochbau (z.B. Wohnungsbau, Bürogebäude, Einkaufszentren) besser etabliert als in anderen Bereichen des Bauwesens. Dazu haben u.a. die Bewertungsstandards, entwickelt durch Organisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) oder „Leadership in Energy and Environmental Design“ (LEED) beigetragen. Aber auch die stärkere Positionierung von Handelsmarken (z.B. Sto oder Sto- Cretec) in Bezug auf Nachhaltigkeit haben diese Entwicklung beschleunigt. Diese Ansätze sind nur bedingt auf die Infrastruktur übertragbar, was auch in deren Vielfältigkeit begründet ist. Grundsätzlich bleiben aber die Ziele für eine nachhaltige Infrastruktur die Gleichen: • Bewahrung des Ökosystems und Schutz der Umwelt (Ökologie) • Ausschöpfen der ökonomischen Potenziale (Ökonomie) • Der Nutzen für Mensch und die gesellschaftliche Entwicklung (soziokulturelle Beiträge) Bei der klassischen Bewertung der Nachhaltigkeit eines Infrastrukturbauwerks stehen diese drei Faktoren in einer komplexen Interaktion und gelten darüber hinaus als gleichwertig. 7.2 Voraussetzungen für eine nachhaltige Infrastruktur Dauerhaftigkeit ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein nachhaltiges Bauwerk. Das gilt insbesondere für Infrastrukturbauwerke, da diese für eine instandsetzungsfreie Nutzungsdauer von 80-120 Jahren geplant und auch gebaut werden. Werden während dieser Nutzung ungeplante Instandsetzungen erforderlich, können der finanzielle Aufwand und die Umweltauswirkungen bis zum Dreifachen höher sein als die Belastungen, die bei der ursprünglichen Bauwerkserstellung entstanden sind. Die Dauerhaftigkeit hängt wiederum vom Konstruktionstyp, vielmehr aber noch von der Art und den Eigenschaften eingesetzter Werkstoffe ab. Da die tatsächlichen Beanspruchungen für die individuellen Bauwerke objekt- und nutzungsspezifisch sind, müssen diese bereits im Rahmen einer Vorplanung sehr sorgfältig analysiert und bewertet werden. Ungeeignete Werkstoffe würden sonst zu einem frühzeitigen Bauteil- oder Bauwerksversagen führen. Heute stehen bei der Werkstoffauswahl viel stärker als in der Vergangenheit ökologische Kriterien im Vordergrund, oder anders ausgedrückt, es wird durch Bauherren und Planer bei der Planung und Bauwerkserstellung die Reduzierung des Einsatzes natürlicher Ressourcen angestrebt, z.B. durch Verwendung nachwachsender Rohstoffe oder recycelten Materials. Beschränkt sich diese ökologische Bewertung dabei nur auf die Baustoffherstellung und werden die „Performance“ und Dauerhaftigkeit nicht ausreichend in die Bewertung miteinbezogen, wird in Hinsicht auf Nachhaltigkeit genau das Gegenteil erreicht. 7.3 Vorgehensweise bei der Nachhaltigkeitsbewertung von Infrastruktur Wie bereits ausgeführt, kann bei der Bewertung von Infrastrukturbauwerken nur eingeschränkt auf die bereits entwickelten Standards (z.B. DGNB, LEED) zurückgegriffen werden. Auf der anderen Seite ist die Komplexität bei Infrastrukturbauwerken deutlich kleiner als bei Hochbauten, dafür stehen technische Lösungen, wie eine Tiefenhydrophobierung, als Voraussetzung für Funktionsfähigkeit und Dauerhaftigkeit viel stärker im Fokus. Daraus leitet sich auch das Vorgehen ab, dass sich für eine erweiterte Nachhaltigkeitsanalyse für Infrastrukturbauwerke anbietet: • TECHNIK: Analyse und Bewertung technischer Lösungen in Bezug auf Funktionsfähigkeit und Dauerhaftigkeit anhand dafür aufzustellender realitätsnaher Szenarien. • ÖKOLOGIE: Erstellung einer Ökobilanzierung über den gesamten Lebenszyklus des Bauwerks mit Hilfe realitätsnaher Szenarien. • ÖKONOMIE: Berechnung von Lebenszykluskosten auf Basis realitätsnaher Szenarien • SOZIOKULTURELLE FAKTOREN: Analyse in Bezug auf die Bedeutung der Infrastruktur für Mensch und Gesellschaft (z.B. Integration, Gesundheit, Lebensqualität oder Sicherheit). In der Vergangenheit wurden bereits Studien zu einem Teil der obigen Punkte ausgeführt. Die Ergebnisse zu den technisch und ökonomisch orientierten Studien wurden in den vorhergehenden Abschnitten bereits vorgestellt und diskutiert. Nachfolgend werden Ergebnisse von ökologischen Betrachtungen vorgestellt. 534 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem 7.4 Ökobilanzierung von Baustoffen und Bauweisen Die Ökobilanzierung von Produkten, Prozessen oder sogar Dienstleistungen ist in vielen wirtschaftlichen Bereichen nicht nur etabliert, sondern das Vorgehen ist in den Normen DIN EN ISO 14040 und DIN EN ISO 14044 geregelt. Nach der Abbildung 14 lassen danach vier Schritte unterscheiden. Durch eine Ökobilanz können allgemein Umweltaspekte und/ oder potenzielle Umweltwirkungen (z.B. Ressourcennutzung) im Verlauf des Lebensweges eines Produktes von der Rohstoffgewinnung über Produktion, Anwendung, Abfallbehandlung, Recycling bis zur endgültigen Beseitigung untersucht werden. Praktisch werden dazu Software-Pakete, wie Umberto© der Fa. Ifu GmbH, Hamburg, eingesetzt. Abbildung 14: Schematische Darstellung einer Ökobilanz nach DIN EN ISO 14040 und DIN EN ISO 14044 [9,10]. Der erste Schritt bei einer Ökobilanz ist die Festlegung der Ziele, die durch sie erreicht werden sollen. Beim Hochbau ist das typischerweise die Ermittlung des „product carbon footprints“ für vergleichbare Bauprodukte bzw. als Grundlage für Produktverbesserungen, beispielsweise durch Verwendung nachwachsender Rohstoffe. Für Infrastrukturbauwerke greift das aber zu kurz. Hier muss die Ökobilanz für Baustoffe und/ oder Bauweisen über den gesamten Lebenszyklus erfasst werden, was sich auch in der Festlegung der Ziele abbilden muss. Das gilt auch für den nächsten Schritt, die Definition des Untersuchungsrahmens. Für Infrastrukturbauwerke ist dazu neben der räumlichen Ausdehnung des Bilanzobjektes (hier: Brückenpfeiler) auch der Zeitraum (hier: 60- 120 Jahren) der Betrachtungen festzulegen. Bezugneh- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 535 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem mend auf eine ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft unterteilt man dabei den Lebenszyklus in die Abschnitte Erstellung, Unterhalt, Instandsetzung (fakultativ, wenn notwendig) und Rückbau. Bei der nachfolgenden Sachbilanz werden in Bezug auf den Untersuchungsrahmen sämtliche Stoff- und Energieströme (Input: z.B. Rohstoffe, Energie, Output: z.B. Abwässer, CO 2 ) qualitativ und quantitativ erfasst. Die sich anschließende softwareunterstützte Wirkungsabschätzung soll beispielhaft anhand der Klimagase (CO 2 , Methan, NOx) erläutert werden. Methan ist ca. 25-mal klimawirksamer als Kohlendioxid. Daher werden alle Klimagase zunächst auf die Wirkung des Klimagases CO 2 normiert, um nachfolgend die äquivalente Menge an CO 2 daraus zu berechnen. Mit Hilfe sogenannter Wirkungskategorien ermittelt dann die Software die Auswirkungen dieser Menge an CO 2 auf den Treibhauseffekt. Weitere Wirkungskategorien sind u.a. Versauerungspotenzial für Böden oder die Eutrophierung von Gewässern. Abbildung 15: Für die Ökobilanzierung einer Instandsetzung und einer Tiefenhydrophobierung betrachtete Brücke der Gotthard-Autobahn Mit den Ergebnissen der einzelnen Wirkungskategorien werden Produkte, Technologien oder Dienstleistungen in Bezug auf Umweltverträglichkeit verglichen. Unternehmen nutzen die Daten für die gezielte Weiterentwicklung von Produkten oder Technologien, Entscheider erhalten dadurch Unterstützung beim Auswahlprozess. Für eine repräsentative Ökobilanzierung muss daher im Vorfeld ein möglichst realitätsnahes Szenario für den Lebenszyklus entwickelt werden. Entsprechendes gilt für andere Bauweisen, um diese in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit miteinander vergleichen zu können. 7.5 Ökobilanzierung einer Tiefenhydrophobierung Im vorliegenden Fall wurde als Ziel der Vergleich zwischen den ökologischen Auswirkungen einer Instandsetzung und einer Tiefenhydrophobierung definiert. Als Bilanzrahmen wurde dazu ein Brückenpfeiler ausgewählt, der Teil einer Brücke der Gotthard-Autobahn in der Schweiz ist (Abbildung 15). Durch Fehler bei der Ausführung der Entwässerung, genauer das Abschneiden der Entwässerungsrohre unterhalb der Brückenunterseite, gelangten Chloride in die Brückenpfeiler. Aufgrund der dadurch induzierten Bewehrungskorrosion war die Instandsetzung der Brückenpfeiler unumgänglich. Vergleichsweise wurde für diese Brückenpfeiler ein Szenario entwickelt, bei dem durch eine Tiefenhydrophobierung als präventive Maßnahme die Bewehrungskorrosion verhindert wurde. Zusätzliche Einflussfaktoren, die mit der Einschränkung der Brückennutzung verbunden sind (z.B. Staus oder Umleitungen) müssen hier nicht berücksichtigt werden. In der Abbildung 16 sind die Massen- und Energieströme dargestellt, die für die Ökobilanzierung der Instandsetzungsmaßnahme bzw. für die Tiefenhydrophobierung berücksichtigt wurden. Für die einzelnen Maßnahmen wurden sowohl die Energieströme, wie z.B. beim Abtrag des Überdeckungsbetons (Instandsetzung) oder bei der Herstellung (Tiefenhydrophobierung) erfasst. Typische Massenströme ergeben sich durch die Verwertung des abgetragenen Betons (Instandsetzung) oder der Applikation des Hydrophobierungsmittels (Tiefenhydrophobierung). Nach der Erfassung dieser Daten wurden die Wirkungskategorien mit der verwendeten Software berechnet und gegenübergestellt. Der Übersicht halber sind die Ergebnisse beider Kalkulationen in der Abbildung 17 eingetragen. Dabei wurden die Ergebnisse für die Instandsetzung in Relation zu den Resultaten für die Tiefenhydrophobierung gesetzt. Praktisch heißt dies, dass die Ergebnisse für die Instandsetzung auf 100% normiert wurde. Der Vergleich zeigt, dass die Umweltauswirkungen einer Tiefenhydrophobierung deutlich niedriger sind, verglichen mit einer Instandsetzung. Daraus lässt sich auch ein „ökologischer break-even“ ableiten, wonach eine Tiefenhydrophobierung neunmal appliziert werden kann, bevor deren ökologische Auswirkungen mit denen einer Instandsetzung vergleichbar wäre. Bei der Annahme, dass die geplante Lebensdauer der Brücke bei 100 Jahren liegt, wäre aus ökologischer Sicht eine alle drei Jahre ausgeführte Tiefenhydrophobierung immer noch weniger umweltbelastend als die Instandsetzung. Tatsächlich kann aufgrund von Studien und praktischen Erfahrungen davon ausgegangen werden, dass eine Tiefenhydrophobierung ca. 20 Jahre wirksam ist. Danach ist mit geringem Aufwand eine Wiederholung der hydropbierenden Maßnahme möglich. Die Ergebnisse zeigen, dass präventive Maßnahmen, wie hier die Tiefenhydrophobierung, erhebliche ökologische Vorteile aufweisen, wenn dadurch eine Instandsetzung vermieden werden kann. Abbildung 16: Schematische Darstellung des Bilanzrahmens und der berücksichtigten Energie- und Massenströme für die vergleichenden ökologischen Betrachtungen zu den Auswirkungen einer Instandsetzung und Tiefenhydrophobierung Abbildung 17: Vergleichende Darstellung der Ergebnisse einer Ökobilanzierung für eine Instandsetzung und eine Tiefenhydrophobierung. Die Ergebnisse der Instandsetzung wurden auf 100% gesetzt, die Resultate für die Tiefenhydrophobierung im Verhältnis dazu. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 537 Modular aufgebaute Qualitätssicherung bei der Ausführung einer Tiefenhydrophobierung als Oberflächenschutzsystem 8. Schlussfolgerungen Aus den obigen Ergebnissen lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: • Die Imprägnierung von Baustoffen mit dem Ziel einer reduzierten Wasseraufnahme ist bereits seit Jahrhunderten eine bewährte Maßnahme. • In den vergangenen Jahren wurden erhebliche Forschungsanstrengungen unternommen, um die chemisch-physikalischen Grundlagen einer Tiefenhydrophobierung aufzuklären. • Die Ergebnisse dieser Forschung ist in Planungsvorgaben und Konzepten für die Qualitätssicherung eingeflossen und steht zur Verfügung. • Praxisversuche haben gezeigt, dass eine Tiefenhydrophobierung, die eine ausreichende „wirksame Eindringtiefe aufweist, über einen Zeitraum von mindestens 15 Jahren die Chloridaufnahme drastisch reduziert. • Ökonomische und ökologische Betrachtungen haben gezeigt, dass die Tiefenhydrophobierung im Vergleich zur Instandsetzung eine nachhaltige Maßnahme zur Verlängerung der instandsetzungsfreien Lebensdauer von Bauwerken der Infrastruktur ist. Literatur [1] J. Maier, Handbuch Historisches Mauerwerk - Untersuchungsmethoden und Instandsetzungsverfahren, Verlag Springer Vieweg, 2012 [2] G. Garbrecht, Die Wasserversorgung des antiken Rom in: Meisterwerke antiker Hydrotechnik. Einblicke in die Wissenschaft: Technik. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden (1995). [3] S. Thirumalini et al. / Journal of Building Engineering 4 (2015) [4] A. Gerdes, T. Müller und F.H. Wittmann, Bestimmung der Eindringtiefe von Hydrophobierungsmitteln in Beton durch FT-IR-Spektroskopie, Proc. 3. Int. Kolloquium Werkstoffwissenschaften und Bausanierung, Esslingen, 1992, F.H. Wittmann (ed.), 460-475 (1992) [5] A. Gerdes, Zum Transport siliziumorganischer Verbindungen in der Werkstoffrandzone zementgebundener Werkstoffe, Dissertation Nr. 14317, ETH Zürich (2001) [6] D.S. Oehmichen, Mechanismen der Hydrophobierung zementgebundener Werkstoffe mit siliciumorganischen Verbindungen, Dissertation, Universität Karlsruhe, Karlsruhe (2008) [7] J. Süssmuth, Entwicklung eines Modells der Verteilung und Größe von Siloxan-Oligomeren auf mineralischen Oberflächen: Experimentelle und computerchemische Untersuchungen, Dissertation, KIT, Karlsruhe (2012) [8] A. Gerdes und F.H. Wittmann, Bestimmung der Eindringtiefe von Hydrophobierungsmitteln mit Hilfe der FT-IR-Spektroskopie, Internationale Zeitschrift für Bauinstandsetzen, 1, 135-152 (1995) [9] DIN EN ISO 14040: 2009-11: Umweltmanagement - Ökobilanz - Grundsätze und Rahmenbedingungen, Beuth-Verlag, Berlin (2009) [10] DIN EN ISO 14044: 2018-05: Umweltmanagement - Ökobilanz - Anforderungen und Anleitungen, Beuth-Verlag, Berlin (2018) 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 539 Freiflächenheizung im Dünnbelag für den Neubau und die Sanierung: Aufbau - Eigenschaften - Umsetzung Sebastian Lücke, M.Eng. WestWood Kunststofftechnik GmbH, Petershagen, Deutschland Zusammenfassung Ergiebiger Schneefall, gefrierender Regen oder rasche Temperaturabfälle in den Frostbereich bei gleichzeitig nassen Oberflächen: Diese Arten von Winterwetter gehören zu den sehr gefährlichen Niederschlagsarten die bei uns vorkommen. Binnen kürzester Zeit kann eine unkalkulierbare Glätte auf diesen Oberflächen entstehen, die für dessen Nutzer häufig mit heiklen Situationen verbunden sind. Ein zusätzliches Gefahrenpotenzial entsteht dabei in geneigten Bereichen, wie sie z.B. in Parkhäusern bei Rampen oder Spindeln zu finden sind. Dies gilt ebenso für schmale und enge Fußgängerwege, z.B. auf Treppen oder Durchgängen. Der vorliegende Beitrag behandelt in diesem Zusammenhang die Vermeidung solcher Szenarien. Grundlage dafür bilden Oberflächenschutzsysteme auf PMMA-Basis, in deren Aufbau eine komplette Freiflächenheizung integriert wird. Die Besonderheit dabei ist, dass alle aufgezeigten Lösungen dank der minimalen Aufbauhöhen sowohl im Neubau als auch nachträglich im Zuge einer geplanten Sanierungsmaßnahme umsetzbar sind. Ausgeführte Beispiele aus der Praxis zeigen dabei die unterschiedlichsten Anwendungsfälle und veranschaulichen schrittweise die Realisierung. 1. Einleitung Wenn der Winter richtig zuschlägt, sind Räum- und Streudienste im Dauereinsatz. Insbesondere in öffentlichen Bereichen gilt es, das Unfallrisiko schnellstmöglich zu minimieren. Als privater Anlieger greift man in solchen Situationen selbst zum Räumwerkzeug oder ist auf einen zuverlässigen Räumdienst angewiesen. Räumdienste verwenden üblicherweise nach der Schneeräumung Auftausalze oder Sande bzw. Splitte. Maßnahmen, die heute in vielen Kommunen nicht erlaubt sind (striktes Verbot der Verwendung von Auftausalzen z.B. in München & Berlin) oder die die vorhandene Oberfläche sehr stark beanspruchen (eintretender Mahleffekt bei Befahrung auf der Oberfläche mit Sand oder Splitt). Freiflächenheizungen bieten ein hervorragendes Mittel dem entgegenzuwirken und solche Situationen erst gar nicht entstehen zu lassen. Dabei gibt es im Neubau mittlerweile eine Vielzahl an Varianten, die den Bauherren aus einem breit gefächerten Angebot wählen lassen. Ein Großteil der Gebäude wird mittlerweile jedoch im Bestand saniert. In diesem Fall reduzieren sich die technisch und wirtschaftlich sinnvollen Angebote rapide, da sich die Anforderungen hier drastisch zum Neubau unterscheiden. Auch sind Fragestellungen hinsichtlich des Energieeinsatzes im Zuge der Nutzung zu berücksichtigen. Pauschal das eine „richtige“ System für alle Anwendungsbereiche zu definieren ist nicht zielführend und bewirkt häufig exakt das Gegenteil. Maßgebend sind stets viele objektspezifische Faktoren, die es gilt, bestmöglich zu berücksichtigen. 2. Übersicht Ob es um Zufahrten zu Parkhäusern und Tiefgaragen geht, um Laderampen, Fußgängerwege, Fluchtwege, Außentreppen oder gar Hubschrauberlandeplätze: Heizsystem kommen überall da zum Einsatz, wo begeh- oder befahrbare Oberflächen eis- und schneefrei gehalten werden sollen. Sie finden häufig Verwendung, wenn andere Wahlmöglichkeiten zur Eis- und Schneefreihaltung nicht darstellbar sind. Beispielsweise genannt seien hier ein unzureichend zuverlässiger bzw. nicht verfügbarer Räum- und Streudienst oder die fehlende Möglichkeit der Anordnung einer Überdachung aus technischen, wirtschaftlichen oder architektonischen Gründen. Der Räum- und Streupflicht nicht nachzukommen ist keine Bagatelle und wird von den Kommunen häufig streng überwacht. Im Falle eines entstandenen Personenschadens der nachweislich auf eine unzureichende Räum- und Streupflicht zurück zu führen ist, muss der Beklagte mit erheblichen Kosten rechnen. In den vergangenen Jahren ist eine steigende Nachfrage zu begeh- und befahrbaren Heizsystemen am Markt spürbar. Beispielsweise nutzen vermehrt Parkhausbetreiber von Shopping-Centern in exponierten Bereichen diese Systeme, um den Servicegedanken ggü. ihrer Kundschaft 540 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Freiflächenheizung im Dünnbelag für den Neubau und die Sanierung: Aufbau - Eigenschaften - Umsetzung zu erhöhen und dem Nutzer auch bei widriger Witterung schon bei der Einfahrt ein entspanntes Ankommen zu bieten. Bezogen auf Parkbauten werden gem. den Vorschlägen und Hinweisen des DBV-Merkblattes „Parkhäuser und Tiefgaragen“ [1] Freiflächenheizungen explizit empfohlen, sofern eine vollumfängliche Sicherstellung der Eis- und Schneefreiheit nicht gegeben ist. Frei bewitterte Rampen oder Spindeln mit einer Neigung > 15 % sollten beheizt ausgeführt werden. Zufahrten, Abfahrten sowie Rettungswege sind bis zur öffentlichen Verkehrsfläche jederzeit verkehrssicher freizuhalten. Dabei gilt es zunächst zwischen den gängigen Anlagentypen zu unterscheiden: Den Großteil am Markt stellen elektrisch betriebene Heizungen dar, die über Strom und dessen Umwandlung in Wärme eine Schmelzwirkung an der Oberfläche erzielen. Weit geringer ist der Anteil von geschlossenen Rohrleitungen mit einem Flüssigkeitsmedium (z.B. Wasser-Glykol-Gemisch). Bei solchen Systemen wird die Flüssigkeit im Rohr erwärmt, zirkuliert in einem Kreislauf und erzielt so eine Abtauwirkung. Auch die Anordnung der Heizebene bzw. die Bauweise unterscheidet sich. So wird unterschieden in: a. Einbau der Heizebene in den Konstruktionsbeton b. Einbau der Heizebene in die Nutzschicht/ Asphalt c. Einbau der Heizebene in ein reaktionsharzgebundenes Oberflächenschutzsystem Weiter gibt es ebenso die Möglichkeit Pflasterbeläge zu beheizen. Hierbei wird die Heizebene in das Pflasterbett bestehend aus Sand oder Kies eingebracht. Da diese Variante häufig nur bei begehbaren Oberflächen Anwendung findet, wird nachfolgend nicht weiter darauf eingegangen. Hinsichtlich Ausführungsvarianten für dauerhafte Bauteile in Parkbauten wurde vom Deutschen Beton- und Bautechnikverein mit dem Heft 42 eine Beispielsammlung für verschiedenste Ausführungssituationen veröffentlicht. Das Heft 42 ergänzt das DBV Merkblatt „Parkhäuser und Tiefgaragen“ und stellt Planern wesentliche Hinweise und Empfehlungen bezüglich langlebiger Konstruktionen zur Verfügung. In dem Heft wird u.a. auch auf Ausführungsvarianten von beheizten Rampen eingegangen. Diese Beispiele gleichen sich prinzipiell mit den o.g. Bauweisen a, b & c. Die verschiedenen Systeme und Varianten im Detail zu vertiefen würde den Rahmen dieser Ausarbeitung überschreiten, daher wird in den folgenden Abschnitten der Fokus auf das reaktionsharzgebundene Oberflächenschutzsystem mit integrierter Heizebene sowie Nutz- und Verschleißschicht aus dem Hause WestWood Kunststofftechnik GmbH gelegt (entspricht Bauweise c). Abbildung 1: Rampe mit Freiflächenheizung im reaktionsharzgebundenen Oberflächenschutzsystem gem. [2] Das WestWood-Heizsystem kommt überall da zum Einsatz, wo begeh- oder befahrbare Oberflächen eis- und schneefrei gehalten werden sollen. Dafür werden Netzheizmatten in den Systemaufbau integriert, wahlweise vollflächig oder bei Bedarf nur in vorher definierten Bereichen. Bei den üblichen Heizsystemen am Markt werden die Heizleiter in einem dicken Aufbau integriert. Dieser besteht in der Regel aus Gussasphalt oder Estrich / Beton. Dabei liegen die Heizleitungen aufbaubedingt stets mehrere Zentimeter unter der eigentlich zu beheizenden Oberfläche, mit entscheidenden Nachteilen in puncto Heizwirkung. Eine Vorlaufzeit von bis zu 30 Minuten ist dabei keine Seltenheit, da der Heizleiter zunächst die unmittelbare Umgebung aufheizen muss, ehe eine entsprechende Temperatur an der eigentlichen Oberfläche erzeugt wird. Insbesondere bei Eisregen, der binnen Sekunden glatte Oberflächen herbeiführt, eine nicht zufriedenstellende Lösung. Eine längere Vorlaufzeit bedeutet dabei auch stets einen deutlich größeren Energieaufwand und ist wiederum mit zusätzlichen Kosten verbunden. Je tiefer die Heizleitungen eingebettet sind, desto länger ist die Anheizzeit bis zur Erreichung der Abtau- Oberflächentemperatur von ca. +3 °C. Dabei kann folgende Faustformel zu Rate gezogen werden: Die Anheizzeit verlängert sich mit dem Quadrat der Einbautiefe. Dies bedeutet in der Praxis bei einer doppelten Einbautiefe = 4-fache Anheizzeit, 3-fache Einbautiefe = 9-fache Anheizzeit. Die nachstehende Grafik verdeutlicht diesen Zusammenhang: 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 541 Freiflächenheizung im Dünnbelag für den Neubau und die Sanierung: Aufbau - Eigenschaften - Umsetzung Abbildung 2: Verhältnis zwischen der Einbautiefe der Heizleitung und der daraus resultierenden Schmelzwirkung an der Oberfläche Das WestWood Freiflächenheizsystem hat eine Gesamtaufbauhöhe von ca. 12 mm. Es ist auf den ersten Blick erkennbar, dass bei solch geringen Aufbauhöhen nahezu keine Vorlaufzeiten benötigt werden und Betriebskosten somit im Laufe der Nutzung optimiert werden. 3. Aufbau Das Herz des Heizsystems sind die integrierten Heizmatten, die für eine bestmögliche Wärmezufuhr an der Oberfläche sorgen. Die für die Wärmezufuhr verantwortlichen Heizschlaufen werden bereits im Werk gemäß den jeweiligen Vorgaben hergestellt. Dabei werden die Heizleiter auf ein Trägernetz genäht. Durch das Aufnähen ist die Lage jedes einzelnen Heizleiters exakt definiert und es wird eine einfache Verlegung auf der Baustelle sichergestellt. Die Einbettung der Netzheizmatten erfolgt in einen Klebe- und Armierungsmörtel, welcher ebenfalls wie das Oberflächenschutzsystem auf PMMA-Harzen basiert und in dieses integriert wird. Durch die minimale Aufbaustärke der einzelnen Komponenten, befindet sich die Heizebene im fertigen Aufbau in unmittelbarer Nähe zur späteren Oberfläche. Dadurch werden sehr kurze Vorwärmzeiten realisiert sowie ein minimaler Energieverbrauch bestätigt. Zwei Messfühler gleichen ständig Temperatur sowie Feuchtigkeit ab, sodass ausschließlich bei tatsächlicher Frostgefahr die Anlage in den Heizmodus übergeht. Über die im Schaltschrank befindliche zentrale Steuereinheit werden ständig die ermittelten Daten der beiden Sensoren abgeglichen. Über einfache Schaltersteuerung kann die Freiflächenheizung neben dem Automatikbetrieb darüber hinaus komplett ausgeschaltet oder in den Dauerbetrieb versetzt werden. Abbildung 3: Freiflächenheizung vollflächig beheizt Abbildung 4: Freiflächenheizung nur Fahrspuren beheizt Die Heizebene wird üblicherweise auf einer rissüberbrückenden Beschichtung bzw. Abdichtung aufgebracht (z.B. OS 10). Diese ist Grundlage und garantiert die sichere Aufnahme von neu entstehenden oder vorhandenen sich bewegenden Rissen aus dem Untergrund. Direkt darauf erfolgt die eigentliche Heizebene mit den Netzheizmatten, diese werden in einen eigens konfektionierten Klebe- und Armierungsmörtel eingebracht. Abschließend wird je nach Anforderung und Kundenwunsch die Nutzschicht aufgebracht. Diese lässt sich frei nach den Anforderungen sowie individuellen Wünschen des Bauherren gestalten und reicht von einer üblichen Quarzsandeinstreuung über einen Strukturbelag bis hin zu einer extrem griffigen Hartkorneinstreuung. In Bezug auf die farblichen Wünsche sind dabei keine Grenzen gesetzt. Sämtliche Komponenten des Oberflächenschutzsystems, insbesondere auch der Klebe- und Armierungsmörtel für 542 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Freiflächenheizung im Dünnbelag für den Neubau und die Sanierung: Aufbau - Eigenschaften - Umsetzung die Heizmatten, basieren dabei auf Polymethylmethacrylaten (PMMA). Der Anwender bzw. Bauherr kann sich somit auf die bekannten Eigenschaften bei der Verarbeitung sowie im Zuge der Nutzung verlassen: - Kurze Reaktionszeiten: überarbeitbar nach 30 - 45 Minuten - Schnelle Ausreaktion: voll belastbar nach spätestens 3 Stunden - Verarbeitungstemperatur von -5 °C bis + 35 °C - Keine Abstreulagen oder Haftvermittler notwendig - Schub- und scherfester Gesamtaufbau - Sehr hohe Verschleißbeständigkeit - Freie Wahl der Nutzschicht (z.B. Farbe, Griffigkeit) Das finale Ergebnis ist ein ca. 10 - 12 mm starker Gesamtaufbau, welcher für sämtliche begeh- oder befahrbare Oberflächen unabhängig von deren Geometrien die perfekte Lösung darstellt. Auch auf rissgefährdeten Untergründen werden Bewegungen aus dem Untergrund sicher durch die flexible Abdichtungslage aufgenommen und garantieren eine lange und wirtschaftliche Lebenszeit des Gesamtsystems. 4. Eigenschaften Die elektrischen Komponenten der Freiflächenheizung stammen aus dem Hause des Marktführers im Bereich Heiz- & Wärmelösungen und werden stets individuell auf das jeweilige Objekt sowie deren Randparameter angepasst. Hierzu werden Anlagen inkl. aller zugehöriger Bestandteile im eigenen Hause bemessen und dimensioniert. Wesentliche Randparameter, die in die Bemessung mit einfließen sind z.B.: - Höhe über NN - Lage (besondere Exposition, Windeinflüsse) - Ausrichtung (Himmelsrichtung, Schattenschlag) - Flächenneigung - Konstruktion freitragend oder nicht Durch die langjährigen Erfahrungen im Bereich Heizlösungen kann sich der Bauherr darauf verlassen, eine bestmöglich konfektionierte Gesamtanlage zu erhalten. Die Netzheizmatte als Hauptbestandteil der Freiflächenheizung weist dabei nachstehende Produkteigenschaften auf: - Spezifische Flächenleistung 250 W/ m² - Spannung 230 oder 400 V - Dicke der Netzheizmatte 3,3 mm - Breite 500 mm (Standard, weitere Maße verfügbar) - Länge bis ca. 2300 mm - alle Geometrien & Formen am Projekt können abgedeckt werden - Zur Lagesicherung und einfachen Verlegung sind die Heizleiter auf einem Trägernetz aufgenäht - nur ein Kaltleiteranschluss je Netzheizmatte - kein Ausstemmen von Kabelkanälen im Untergrund - resistent gegen sphärische Säuren & Laugen - alle zugehörigen Komponenten werden aufeinander abgestimmt (u.a. Sensoren, Schaltkasten) Abbildung 5: Netzheizmatte (Heizleiter aufgenäht auf Trägernetz) Die Netzheizmatte ist für den Einsatz im Außenbereich mit einer besonderen Teflon Innen- und Außenisolierung versehen. Sie ist dank ihres Außenmantels hoch resistent und eignet sich dadurch hervorragend für den Einbau in chemisch aggressiver Umgebung. Die Netzheizmatten werden in der angegeben Ausführung nach Normen gefertigt sowie nach den Richtlinien des Herstellers verlegt und angeschlossen. Die Auswahl der spezifischen Heizleistung pro m² Fläche erfolgt unter Berücksichtigung von Temperatur, Seehöhe und örtlichen Windeinflüssen. Bei besonderen Bedingungen wie exponierten Windlagen, Brücken, freien Rampen oder unterlüfteten Freiflächen werden die spezifischen Heizleistungen entsprechend angepasst. Grundlage für die Bemessung und Dimensionierung der Freiflächenheizung mit sämtlichen Komponenten ist ein exaktes Aufmaß der zu beheizenden Fläche. Darauf basierend wird der Verlegeplan erstellt. Es gilt: Je genauer die Angaben im Aufmaß benannt werden, desto effektiver wird später die Freiflächenheizung im Betrieb sein. Neben den Verwendbarkeitsnachweisen für die Systeme der Oberflächenschutzbeschichtung (z.B. abP gem. OS 10), besitzen die Heizsysteme eine CE-Kennzeichnung sowie das VDE-Prüfzeichen für Elektrogeräte. Dieses Prüfzeichen wird vom Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) vergeben und bescheinigt die Einhaltung hoher Sicherheitsstandards bei Elektrogeräten, unter anderem in elektrischer, mechanischer und toxischer Hinsicht. Abbildung 6: VDE-Prüfsiegel sowie CE Kennzeichnung als wesentlicher Faktor hochwertiger Elektrokomponenten 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 543 Freiflächenheizung im Dünnbelag für den Neubau und die Sanierung: Aufbau - Eigenschaften - Umsetzung 5. Beispiele aus der Praxis Die Anwendungsbereiche von Freiflächenheizungen sind vielschichtig. Die Realisierung seitens Bauherren, Planern oder Architekten bezüglich der Anwendung solcher Systeme hat sich in den vergangenen Jahren erheblich gesteigert und wird weiter zunehmen. Vor allem für den in der Pflicht zur Räumung stehenden Verantwortlichen ergeben sich durch diese Systeme wesentliche Vorteile: Unabhängig von der Tages- oder Nachtzeit sowie der Auslastung des zuständigen Räumdienstes kann sich dieser darauf verlassen, dass Oberflächen eisfrei gehalten werden. Abbildung 7: Heizbild einer Garagenzufahrt Abbildung 8: Aufnahme mit Wärmebildkamera Die nachstehenden Beispiele aus der Praxis sollen eine Übersicht der Arbeitsschritte sowie unterschiedlichen Anwendungsfelder aufzeigen. Hauptanwendungsbereich sind zweifelsohne befahrene Oberflächen, wie z.B. Rampen, Spindeln, Ein- oder Ausfahrten. Jedoch sind mittlerweile viele weitere interessante Projekte ausgeführt worden, welche als nicht alltäglich bezeichnet werden dürfen. Hierauf wird nachstehend auch der Fokus gelegt. Die ersten ausgeführten Projekte reichen bis ins Jahr 2012 zurück und verrichten bis dato tadellos ihre Funktion. Aktuell (Stand: November 2020) wurden mehr als 90 Projekte in Deutschland, Österreich & der Schweiz realisiert und umgesetzt. Tabelle 1: Bautafel Treppensanierung Flughafen HH Projekt: Sanierung Treppentürme Ort: Flughafen Hamburg Umfang: ca. 110 m² Bauteil: Treppen und zugehörige Podeste Untergrund: Beton Ausführung: April 2017 System: WestWood Weproof Bauwerksabdichtungssystem inkl. Freiflächenheizung Wie passgenau sich die Heizmatten bei den verschiedensten Anforderungen einbetten lassen, zeigt das Projekt am Flughafen Hamburg: Hier wurden zwei Treppentürme saniert, die sich unmittelbar vor dem Terminaleingang befinden und als Verbindungsweg zu den Parkebenen im Untergeschoss führen. Die vorhandene Oberfläche der Treppen zeigte eine vermindert Rutschsicherheit und somit für die Nutzer eine unzureichende Griffigkeit auf. Weiter war eine Betoninstandsetzung in Teilbereichen notwendig. Der Flughafen als Bauherr möchte die Sicherheit seiner Gäste nicht gefährden und entschied sich daher für ein neues Oberflächenschutzsystem mit entsprechender Griffigkeit in der 544 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Freiflächenheizung im Dünnbelag für den Neubau und die Sanierung: Aufbau - Eigenschaften - Umsetzung Oberfläche, welches zudem bei Frostgefahr eine Eisbildung ausschließt. Der Flächenumfang dieses Projektes betrug lediglich 55 m² je Treppenturm. Die besondere Herausforderung bestand in den vielen kleinen Einzelflächen der Stufen, die jede für sich in den späteren Verlegeplan der Heizung aufgenommen werden mussten. Dafür wurden nicht nur die einzelnen Heizmatten passgenau im Werk nach den verschiedenen Bauteilgeometrien angefertigt, auch die Anlage selbst wurde in Bezug auf die elektronische Steuerung und der Leistung individuell bemessen. Auch wurde das Bauzeitfenster im Frühjahr bei vorherrschenden kühlen Temperaturen bewusst gewählt, um zwischen den Ferien die Arbeiten auszuführen. Unterm Strich wurden die sehr komplexen Arbeiten binnen kürzester Zeit ausgeführt, sodass sich der Bauherr für die weitere Sanierung von zwei Treppentürmen im Nachgang entschieden hat. Abbildung 9: Der Untergrund wurde vorbereitet, kleinere Instandsetzungsmaßnahmen durchgeführt Abbildung 10: Die Grundierung wurde aufgetragen sowie die Detail- und Flächenabdichtung ausgeführt Abbildung 11: Auf die Abdichtung werden die Heizmatten gemäß Verlegeplan verlegt Abbildung 12: Die Heizmatten für die Treppenstufen wurden individuell bereits im Werk hergestellt Abbildung 13: Die beiden Sensoren werden gesetzt 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 545 Freiflächenheizung im Dünnbelag für den Neubau und die Sanierung: Aufbau - Eigenschaften - Umsetzung Abbildung 14: Einbetten der Heizmatten in den Klebe- und Armierungsmörtel Abbildung 15: Der Klebe- und Armierungsmörtel wird direkt auf die ausgelegten Heizmatten aufgetragen Abbildung 16: Die Nutzschicht besteht aus einem mit Quarzsand im Überschuss abgestreuten Verlaufmörtel Abbildung 17: Abschließend wird eine farbige Kopfversiegelung aufgetragen Abbildung 18: fertige Oberfläche, abgeschlossen binnen kürzester Zeit Tabelle 2: Bautafel Hubschrauberlandeplatz UKSH Lübeck Projekt: Heliport UKSH Lübeck Ort: Universitätsklinikum Lübeck Umfang: ca. 700 m² Bauteil: Hubschrauberlandeplatz Untergrund: Asphalt Ausführung: Juli 2019 System: WestWood System Freiflächenheizung 546 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Freiflächenheizung im Dünnbelag für den Neubau und die Sanierung: Aufbau - Eigenschaften - Umsetzung Im Zuge der Erweiterung des UKSH durch ein neues Zentralklinikum wird ein Hubschrauberlandeplatz auf dem neuen Gebäudetrakt installiert. Dieser wurde mit einem klassischen Aufbau bestehend aus einer Nutzschicht aus Gussasphalt inkl. zugehöriger Abdichtung aus einer Bitumenschweißbahn auf der Tragkonstruktion erstellt. Die Toleranzen hinsichtlich Gefälle und Ebenheit der Oberfläche für Heliports sind sehr hoch und nicht vergleichbar z.B. mit Parkbauten. Um den Heliport sowohl im Sommer als auch im Winter uneingeschränkt nutzen zu können, war die Vorgabe ein Freiflächenheizsystem zu installieren. Aufgrund des Umfanges der zu beheizenden Fläche musste dies im Hinblick auf die Betriebskosten eine hohe Effizienz aufweisen. Bei diesem Projekt lag ein neu erstellter Aufbau bestehend aus Schweißbahn & Gussasphalt vor. Ziel war die Installation der Heizebene sowie die Einhaltung der Ebenheitsanforderungen. Aus diesem Grunde wurde auf die üblicherweise stets mit zur Anwendung kommende Abdichtung aus Flüssigkunststoff verzichtet, die Heizebene wird hier lediglich als „Nutzschicht“ verstanden. Die Freiflächenheizung hat eine Nennleistung von ca. 175 KW und wurde mit in die Zentralsteuerung des Gebäudekomplexes integriert. Somit ist stets eine exakte Überwachung der einzelnen Heizkreise sowie ein Überblick der aktuellen Oberflächentemperaturen des Heliports möglich. Abbildung 19: Der Asphalt-Untergrund wurde geschliffen, grundiert und reprofiliert Abbildung 20: Die Heizmatten wurden gem. Verlegeplan direkt auf die Grundierung ausgelegt Abbildung 21: Aufgrund des Umfanges erfolgte die Einteilung in einzelne Etappen Abbildung 22: Zur Lagesicherung wurden die Matten punktuell gesichert Abbildung 23: Nach dem finalen Ausrichten werden zunächst die Ränder der Heizmatten eingebettet 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 547 Freiflächenheizung im Dünnbelag für den Neubau und die Sanierung: Aufbau - Eigenschaften - Umsetzung Abbildung 24: Anschließend erfolgte die vollflächige Einbettung mit Klebe- und Armierungsmörtel Abbildung 25: Als Schutzlage für die Heizebene sowie zur Erzielung einer sehr ebenen Oberfläche wurde ein selbstnivellierender Verlaufmörtel aufgebracht Abbildung 26: Aufgrund der sehr strengen Anforderungen wurde der Verlaufmörtel nochmals geschliffen Abbildung 27: Auf den Verlaufmörtel ist die Nutzebene aus Strukturbelag Wecryl 410 aufgebracht Abbildung 28: linke Seite Verlaufmörtel, rechte Seite fertige Oberfläche mit Strukturbelag Abbildung 29: Farblich frei gestaltbar, Rutschhemmung R12 Abbildung 30: fertige Oberfläche für den sicheren Betrieb inkl. Markierung und Beschriftung 548 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Freiflächenheizung im Dünnbelag für den Neubau und die Sanierung: Aufbau - Eigenschaften - Umsetzung Tabelle 3: Bautafel Hafenpontons Landungsbrücken Projekt: Hafenpontons Hamburg Hafen Ort: Landungsbrücken St. Pauli Bauteil: Pontons, Treppen und Rampen Umfang: ca. 1.200 m² davon ca. ca. 600 m² beheizt Untergrund: Beton und Metall Ausführung: 2017 - 2018 (mehrere Bauabschnitte) System: WestWood System Freiflächenheizung Der Hamburger Hafen ist bei Touristen und Hanseaten gleichermaßen ein beliebter Anlaufpunkt, insbesondere an den St. Pauli Landungsbrücken herrscht ein sehr munteres treiben. Die dortigen Schwimmpontons dienen als Startpunkt z.B. für Hafenrundfahrten und laden zu entspannten Spaziergängen an der Elbe ein. Die Pontons schwimmen direkt im Wasser und sind aufgrund dieser sehr exponierten Lage (Wind, Regen & Schnee) an der Oberfläche sehr anfällig gegenüber Eis- und Glättebildung in der kalten Jahreszeit. Da es sich um einen öffentlich zugänglichen Bereich mit sehr hohen Besucherzahlen handelt, steht der Bauherr hier besonders in der Pflicht zu jeder Tages- und Nachtzeit das gefahrlose Begehen zu ermöglichen. Um den Anforderungen gerecht zu werden, ist eine erhöhte Rutschhemmung und Griffigkeit der Oberfläche erforderlich sowie die dauerhafte Vermeidung einer Eis- und Schneebildung. Die HPA (Hamburg Port Authority) als Bauherr möchte die Sicherheit der Nutzer nicht gefährden und entschied sich im Zuge einer planmäßigen Instandsetzung daher für das WestWood Oberflächenschutzsystem mit integrierter Heizebene, welches die gestellten Anforderungen in Gänze erfüllt. Die Anwendung erfolgte u.a. auf den Treppen, Treppenpodesten sowie Rampen. Durch die geringe Aufbauhöhe des Systems kann der Anschluss an angrenzende Bauteile problemlos erfolgen. Abbildung 31: Der Untergrund wurde geschliffen und lokale Ausbesserungen durchgeführt Abbildung 32: Nach dem Grundieren der Fläche wurden nur die Details (z.B. Fugen) abgedichtet Abbildung 33: Die Heizmatten werden gem. Verlegeplan ausgelegt, auf der Rampe… Abbildung 34: … als auch auf den Treppen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 549 Freiflächenheizung im Dünnbelag für den Neubau und die Sanierung: Aufbau - Eigenschaften - Umsetzung Abbildung 35: Einbau der beiden Sensoren Abbildung 36: das Einbetten der Heizmatten erfolgte zunächst auf der Treppe Abbildung 37: Anschließend auf dem Treppenpodest sowie der Rampe Abbildung 38: Die Nutzschicht aus Strukturbelag stellt den Abschluss der Arbeiten dar 6. Fazit Eine Freiflächenheizung bietet in vielerlei Hinsicht Vorteile für den Bauherren oder deren Nutzer. Für die Auswahl geeigneter Produkte und Systeme ist eine Vielzahl von Parametern zu beachten. PMMA-Werkstoffe bieten hierbei innovative Lösungen, die entscheidende Vorteile insbesondere im Zuge einer Instandsetzung für eine erfolgreiche und langlebige Baumaßnahme darstellen. Die elektrischen Komponenten der Freiflächenheizung sind dabei ebenso maßgebend und müssen mit dem Oberflächenschutzsystem perfekt harmonieren. Qualitätssiegel wie ein VDE-Zeichen sowie die CE Kennzeichnung sind dabei wesentliche Merkmale. Die aufgezeigten Heizsysteme lassen sich auf jedes Projekt individuell zuschneiden: Auf Rampen und Fahrwegen können sie vollflächig oder nur in den Fahrspuren verlegt werden - auf Treppen passen sie sich dem jeweiligen Verlauf an: Ein flexibles, dauerhaftes, wirtschaftliches und energieeffizientes System - für den Neubau als auch für die Sanierung geeignet. Literaturverzeichnis [1] DBV-Merkblatt: Parkhäuser und Tiefgaragen. Deutscher Beton und Bautechnik Verein, 3. Überarbeitete Ausgabe, Fassung Januar 2018. [2] DBV-Heft 42: Ausführungsvarianten für dauerhafte Bauteile in Parkbauten - Beispielsammlung. Deutscher Beton- und Bautechnik Verein, Fassung Januar 2019. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 551 Instandhaltung von Verkehrswegeflächen Der Einsatz von schnell erhärtenden Injektionsharzen im Verkehrswegebau zum Anheben und Festlegen loser oder abgesackter Betonfahrbahnplatten Karl-Heinz Lindenbauer TPH Bausysteme GmbH, Norderstedt Götz Tintelnot TPH Bausysteme GmbH, Norderstedt Zusammenfassung Bundesfernstraßen müssen aufgrund der steigenden Verkehrsbelastung, die insbesondere durch Zunahme des Schwerlastverkehrs sowie durch höhere Achslasten verursacht werden, steigenden Belastungen standhalten. Sich bewegende, vertikal versetzte, gerissene oder hohlliegende Fahrbahnplatten sind häufig, vor allem beim Eindringen von Oberflächenwasser, die Folge. Die Entfernung geschädigter und die Herstellung neuer Betonfahrbahnplatten ist aufwendig und kostenintensiv. Länger andauernde Verkehrsbehinderungen, sind die Folge. Für das Erreichen der geplanten Nutzungsdauer gewinnt daher die Instandhaltung der Betonfahrbahn mit Hilfe spezieller Instandsetzungsbaustoffe und wirtschaftlicher Instandsetzungsmethoden zunehmend an Bedeutung. Bei dem vorgestellten Instandhaltungsverfahren werden nach Feststellung von Hohllagen, Rissbildung oder vertikalen Plattenversatz, Flüssigkunststoffe mit speziellen Injektionsmaschinen unter die Fahrbahnplatten injiziert. Je nach Instandsetzungsziel, Platten Heben oder Festlegen, kommen dabei spezielle und geprüfte Polyurethanbzw. Silikatharze zum Einsatz. Aufgrund der sehr schnellen Festigkeitsentwicklung dieser Flüssigkunststoffe kann eine Verkehrsfreigabe, bereits nach etwa einer Stunde erfolgen. Die durchgeführten Instandhaltungsmaßnahmen stellen die ursprünglichen Gebrauchseigenschaften effektiv und wirtschaftlich wieder her und tragen entscheidend zur Verlängerung der Lebensdauer der Bundesfernstraße bei. 1. Einführung Der Einsatz von Injektionsharzen im Bauwesen ist allgemein bekannt. Kunstharze finden Verwendung • beim Einkleben von Ankern • zur Abdichtung gegen Wasser oder Gas • zum Verfüllen von Hohlräumen • oder zum Verfestigen von Boden und Gestein. Ein anderes interessantes Einsatzgebiet ist die Verwendung von Flüssigkunststoffen bei der Instandsetzung von Verkehrswegeflächen. Verkehrswegeflächen sind Flächen auf denen Fahrzeuge aller Art z.B. Personen- und Lastkraftwagen, Busse, militärische Fahrzeuge wie Panzer, Gabelstapler, Schienenfahrzeuge oder auch Flugzeuge bewegt werden. Das im Folgenden beschriebene Verfahren geht ausschließlich auf befestigte Flächen, welche in Betonbauweise erstellt wurden ein. Wir finden solche Verkehrswegeflächen bei Sonderbauwerken wie Kraftfahrzeugteststrecken, in Kreisverkehren, auf Tankstellen, in Lagerhallen und Lagerfreiflächen, vor allem aber im Luft-, Bahn- und Straßenverkehr. Im Folgenden wird ausschließlich auf die Instandsetzung von Verkehrswegeflächen auf Autobahnen eingegangen. Dabei ist unter dem Begriff Instandsetzung oder Instandhaltung von Verkehrswegeflächen, das Heben und/ oder Festlegen von losen Betonfahrbahnplatten zu verstehen. Deutschland hat eines der dichtesten Autobahnnetze der Welt. Mit etwa 13.100 Autobahnkilometern hat Deutschland hinter China (150 TSD), den USA (78 TSD) und Spanien (17 TSD) das viertlängste Autobahnnetz der Welt [1]. Aufgrund des stetig steigenden Verkehrsaufkommens sowie steigender Achslasten, müssen Verkehrswege immer höheren Belastungen standhalten. 2. Schadensbilder Die Folgen dieser Belastungen sind häufig einhergehend mit einer Vernachlässigung der Fugenpflege, klappernde, abgesackte oder gerissene Fahrbahnplatten. Dabei gelangt 552 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Instandhaltung von Verkehrswegeflächen zunächst Oberflächenwasser über die offene Fuge unter die Platte. Bei bereits losen Platten führt das Klappern oder Wippen unter Belastung zu Pumpbewegungen der Fahrbahnplatte und infolge dessen, zu Kornumlagerungen, Auflockerungen bis hin zum Ausspülen von Feinanteilen des Unterbaus. Die Folge ist, die Pumpbewegungen nehmen mit der Zeit zu, die Platte sackt immer weiter ab, es kommt zu einer Stufenbildung oder zu einem vertikalen Plattenversatz. Ein solcher Versatz stellt eine Gefahr im Straßenverkehr dar und muss rechtzeitig Instandgesetzt werden. Bild 1. vertikaler Plattenversatz Im Bereich der Bundesautobahnen gilt für die bauliche Erhaltung das Regelwerk der ZTV-BEB-StB. Das Regelwerk schreibt eine Instandsetzung vor, sobald wahrnehmbare Vertikalbewegungen beim Überrollen festgestellt werden. Spätestens ab einer Stufe von mehr als 10 mm ist gemäß ZTV-BEB-StB zu handeln und die Platte anzuheben [2]. Je nach Verkehrsbelastung, Fahrbahnaufbau und erfolgter Fugenpflege können solche Schäden bereits nach 10-20 Jahren Nutzungsdauer auftreten. Um eine erwartete Nutzungsdauer von Betonfahrbahnen von mehr als 25-30 Jahre erreichen zu können, bekommt die Fahrbahninstandhaltung mit Hilfe effizienter und wirtschaftlicher Instandsetzungsmethoden eine immer größere Bedeutung. Bild 2. mobiles, lafettengeführtes Bohrgerät 3. Instandsetzungsverfahren Nach Festlegung der Instandsetzungsbereiche, des Instandsetzungskonzeptes und Einrichtung der Baustellensicherung werden zunächst die Hammerbohrungen erstellt, um das Injektionsgut unter die Betonplatten zu bringen. Hierfür kommen hand- oder auch lafettengeführte Bohrhämmer auf mobilen Trägergeräten zum Einsatz. Das Bohrschema ist abhängig vom gewählten Instandsetzungsverfahren und dem gewählten Injektionsmaterial. Je nach Material sind min. 0,3 min. 0,7 Bohrlöcher je m² Betonfahrbahnplatte erforderlich. Der Bohrdurchmesser variiert je nach Injektionsmaterial bis 22 mm bei Kunstharzen und bis 40 mm bei mineralischen Produkten. Die Bohrung wird bis 5 cm unter die geplante Injektionstiefe geführt. Die Abstände zu den Längs- und Querfugen der Platten betragen 0,5-1,0 m [3]. Injektionsmaterial Bohrlöcher je m² Bohrlochdurchmesser Hydraulische Bindemittel min.0,3 6-9 Loch in 2/ 3 Längsreihen bis 40 mm Expandierende Polyurethanharze min.0,7 16-20 Loch in 4 Längsreihen bis 22 mm Silikatharze min.0,4 9-12 Loch in 3 Längsreihen bis 22 mm Bild 3. Bohrlochanzahl je m² in Abhängigkeit vom Injektionsgut In die erstellten Bohrkanäle werden nun entsprechende Bohrlochverschlüsse, bei der Verarbeitung von Kunstharzen, sogenannte Lamellenschlagpacker, mittels Einschlaghilfe eingeschlagen. Die Packer stellen dabei die Verbindung zwischen Bohrkanal und Injektionsmaschine her. Bild 4. Bohrschema und Lamellenschlagpacker 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 553 Instandhaltung von Verkehrswegeflächen Zur späteren einfacheren Reinigung des überschüssigen Injektionsmaterials wird im Bereich des Packers ein Trennmittel auf die Fahrbahn aufgebracht. Bild 5. Bohrraster für die Injektion mit Silikatharz und sichtbares Trennmittel am Bohrloch Anschließend wird das Injektionsgut, ein niedrig-viskoser, zweikomponentiger Flüssigkunststoff auf Polyurethan- oder Silikatbasis mittels spezieller, druckluftbetriebener Injektionsmaschinen zur Injektionsstelle gefördert. Dabei gelangen die einzelnen Komponenten aus den 1000 l IBC Liefergebinden über die Injektionsmaschine zum Mischkopf. Bild 6. Mobile Injektionseinheit mit Kunstharz-liefergebinden Dort werden die beiden Komponenten im Volumenverhältnis 1: 1 mittels Statikmischer vermischt und über die Lamellenschlagpacker unter die Fahrbahnplatte gepumpt. Durch die Injektion werden die Hohlräume unter der Platte gefüllt und eine gleichmäßige und flächendeckende Auflage der Platte erreicht und/ oder die Betonplatte angehoben. Dabei wird die vertikale Verformung der gesamten Platte bei Belastung reduziert und der Fugenversatz ausgeglichen. Bild 7. Injektion des Flüssigkunststoffes unter die Betonfahrbahn Expandierende Polyurethanharze werden vor allem bei Betonautobahnen auf ungebundenen Tragschichten eingesetzt. Aufgrund der Volumenvergrößerung und der kurzen Reaktionszeit des Injektionsmaterials werden Hohlräume schnell gefüllt und ein unkontrolliertes Abfließen des Materials in den Untergrund verhindert. Diese Methode ist deutlich kostengünstiger als der Einsatz von nicht expandierenden Silikatharzen. Das speziell für die Sanierung von Verkehrswegeflächen hergestellte Produkt, erreicht einen Schaumfaktor von 2 ohne Wasserzugabe bis max. 3 bei Wasserkontakt. Die erreichten Druckspannungen liegen bei etwa 8 N/ mm² bei 10 % Stauchung nach etwa 1 Stunde [4]. Das System ist ein sehr reaktives System, Schäumbeginn und Schäumende liegen unter 80 sec. bei 23° C. Das Endprodukt ist ein feinzelliger Hartschaum mit überwiegend geschlossenen Zellen. 554 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Instandhaltung von Verkehrswegeflächen Bild 8. aus dem Bohrloch ausgetretenes Polyurethanharz Silikatharze werden vorrangig dort eingesetzt, wo Fahrbahnplatten nicht gehoben, sondern festgelegt werden müssen. Der Einsatz bietet sich aus wirtschaftlichen Gründen besonders im Bereich von Betonfahrbahnen auf gebundenen Tragschichten an. Das Produkt ist eine Emulsion die kein Wasser aufnimmt und auch nicht mit Wasser durch Aufschäumen reagiert. Silikatharze zeichnen sich durch eine besonders schnelle Festigkeitsentwicklung aus. Die Druckfestigkeiten liegen bei über 40 N/ mm² nach etwa 2 h [5]. Bei rechtzeitiger Sanierung und intakten Untergrundverhältnissen kann aufgrund der guten Materialeigenschaften, die Nutzungsdauer der Fahrbahn erheblich verlängert werden. Bild 9. aus dem Bohrloch ausgetretenes Silikatharz Eine wirtschaftliche Fahrbahninstandsetzung erfordert jedoch den Einsatz verschiedener Injektionstechniken und verschiedener Injektionsprodukte je nach Plattenzustand, Fahrbahnaufbau und Restnutzungsdauer. Die folgende Tabelle bewertet die Injektionsgüter hinsichtlich Ihrer Einsatzmöglichkeiten, • Platten Festlegen oder Platten Heben und Festlegen • nach Bauart der Tragschicht (gebunden/ ungebunden) • einer hohen Nutzungsdauer • einer kurzen Verkehrssperrzeit ++ gut geeignet, + geeignet, O bedingt geeignet Bild 10. Kriterien zur Auswahl des Baustoffes für die Unterpressung [6] Ein entscheidender Vorteil bei den Kunstharzsystemen liegt in der sehr kurzen Aushärtezeit und der damit verbundenen schnellen Verkehrsfreigabe. Auch die lange Nutzungsdauer nach einer Instandsetzung spricht für die Verwendung von Kunstharzen vor allem auf Silikatharzbasis. Zusammenfassend lässt sich sagen, Silikatharze werden bevorzugt zum Festlegen auf gebundenen Tragschichten, Polyurethanharze zum Anheben und Festlegen von Betonfahrbahnplatten auf ungebundenen Tragschichten verwendet. 4. Qualitätssicherung Die Instandhaltungsmaßnahmen im Bereich der Bundesfernstraßen stellen an Ausführende und Hersteller besondere Anforderungen. Dazu gehört auch eine umfassende Qualitätssicherung. Ausführende Unternehmen wie auch Produkthersteller unterliegen einer Eigenu.U. auch einer Fremdüberwachung. Die verwendeten Injektionsbaustoffe müssen die in den Technischen Lieferbedingungen für Baustoffe der ZTV BEB-StB formulierten Anforderungen erfüllen. Regelmäßige Überprüfungen der Injektionsmaschinen und Kontrolle der erzeugten Produktmischungen durch den Ausführenden sind selbstverständlich. Der Erfolg einer durchgeführten Erhaltungsmaßnahme wird beispielsweise anhand von Deflexionsmessungen (FWD) beurteilt. Bei der Durchführung der Messung fällt ein Gewicht auf die Fahrbahnplatte und versetzt die Platte in Schwingung. Je stärker die Platte schwingt, desto größer sind die Hohllagen und desto größer ist der Sanierungsbedarf. Die zu sanierenden Strecken werden vor und nach erfolgter Injektion abgefahren, dokumentiert und bewertet. Während des gesamten Unterpressvorganges werden die Plattenbewe- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 555 Instandhaltung von Verkehrswegeflächen gungen mittels Rotationslaser, Präzisionsempfänger und Bewegungssensoren kontinuierlich überwacht um maximal einen Niveauausgleich zu den benachbarten Platten zu erzielen. Weitere Aussagen über die Qualität der durchgeführten Maßnahmen und des Baustoffes ergeben regelmäßige Bohrkernentnahmen. Bild 11. Bohrkernentnahme zur Qualitätssicherung 5. Zusammenfassung und Ausblick Spezielle, schnell an Festigkeit gewinnende Kunstharzsysteme auf Basis hartelastischer Polyurethan- oder Silikatharze haben in den vergangenen Jahren ihre besondere Eignung bei den baulichen Erhaltungsmaßnahmen von Verkehrswegeflächen in Betonbauweise bewiesen. Besondere Vorteile ergeben sich vor allem durch • kürzere Sperrzeiten der Autobahnabschnitte • eine schnellere Verkehrsfreigabe • eine Verringerung der Unfallgefahr • die Einrichtung von Wanderbaustellen • die Langlebigkeit der Instandhaltung infolge beständiger und widerstandsfähiger Baustoffe. Da auch in Zukunft mit einer deutlichen Zunahme vor allem des Güterverkehrs zu rechnen ist und ein sicherer, möglichst staufreier Verkehrsfluss das Ziel ist, kommt dieser Instandsetzungsmethode eine immer größer werdende Bedeutung zu. Literaturangaben [1] www.bmvi.de, Entwicklung der Autobahnen in Deutschland seit der Wiedervereinigung 1990 Wikipedia, Autobahn, Stand 2020 www.statista.com, Netzlänge der Autobahnen in Europa [2] ZTV BEB-StB, Ausgabe 2015, Abschnitt 2.4.3.4.1 Seite 55 [3] ZTV BEB-StB, Ausgabe 2015, Abschnitt 2.4.3.4.3 Seite 57, Tabelle 18 [4] Technisches Merkblatt PUR-O-STOP SL, TPH- Bausysteme GmbH, Stand 01.02.2019 [5] Technisches Merkblatt SOLID- SEAL SL, TPH- Bausysteme GmbH, Stand 04.12.2019 [6] ZTV BEB-StB, Ausgabe 2015, Abschnitt 2.4.3.4.2 Seite 56, Tabelle 16 Denkmalpflege/ Mauerwerk 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 559 Reparaturmörtel für gipshaltiges Mauerwerk Dr. Petra Egloffstein Sievert Baustoffe GmbH & Co. KG, Marke tubag, Kruft Zusammenfassung Die Reparatur von gipshaltigem Mauerwerk stellt vor allem in Mittel- und Norddeutschland ein großes Problem dar. In der Vergangenheit wurden diese Bauwerke in Unkenntnis der Materialien Gips bzw. Kalk/ Gips mit hydraulischen Bindemitteln ertüchtigt, die nach einiger Zeit zu schädlichen Treibmineralneubildungen von Ettringit und Thaumasit geführt haben. Da es sich oft um statische Probleme handelte, wurden Injektionen ausgeführt, welche im Mauerwerksinneren zu Treibmineralen führten, die zu einem Mauerwerksaustausch zwangen oder einen vollständigen Verlust der historischen Substanz bedeuteten. Um dies zu verhindern, wurde 2018 ein WTA Merkblatt [1] herausgegeben, das über die Verbreitung und Erkennung gipshaltigen Mauerwerks informiert, insbesondere über statisch-konstruktive Eigenschaften sowie über die chemisch-mineralogischen Prozesse bei der Bildung von Treibmineralen. Anhand von Praxisbeispielen sollen verschiedene Instandsetzungen mit unterschiedlichen Materialien oder Material-kombinationen gezeigt werden, welche sich beim Einsatz von gipshaltigem Mauerwerk bewährt haben. 1. Gipshaltige Mörtel und ihre Verbreitung In dem WTA Merkblatt [1] ist neben der Verbreitung der gipshaltigen Mauermörtel in historischen Bauwerken auch die geologische Verbreitung (Abb. 1) der Gipse dargestellt. Die Grenzen der Darstellung sind fließend und es ist dringend notwendig, in diesem Bereich, aber auch angrenzend, Mörteluntersuchungen vorzunehmen, um Gipsmörtel (> 50 M.-% Gipsgehalt im Festmörtel), als auch gipshaltige Mörtel (Gipsgehalte zwischen 5-50%) erkennen zu können. Abb. 1: Karte der oberflächennahen Gipsvorkommen in Deutschland und Verbreitung historischer gipshaltiger Mauermörtel in Bauwerken nach [1] 560 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Reparaturmörtel für gipshaltiges Mauerwerk Gipsbelastete Mörtel werden hierbei unterschieden, da sich hier Calciumsulfatphasen nicht im Ausgangsstoff befinden, sondern sich Gips infolge von Stoffeinträgern gebildet hat. Diese befinden sich dann meist in der Nähe der Bauwerksoberfläche. Diese Mörtel werden als gipsbelastet bezeichnet und sind nicht Gegenstand dieses Artikels. Abb. 2: Treibmineralneubildung (weiße Minerale) zwischen den Mauerwerksschalen, aufgrund von Zementinjektionen im Mauerwerk Gerade durch Injektionsmaßnahmen, bei welchen auch ausreichend Wasser in das Mauerwerk eingebracht wird, bilden sich mit den Jahren Ettringit- und Thaumasitminerale, die das Mauerwerksgefüge so auseinandertreiben können, um neue statische Eingriffe notwendig zu machen. 2. Reparatur von Bauwerken mit Gips- und gipshaltigen Mörteln 2.1 Gipsmörtel V5 und V15 Eine Reparatur mit Gipsmörteln ist natürlich die sinnvollste Lösung, um die Unverträglichkeiten zwischen Alt und Neu zu vermeiden. Hierbei werden die Eigenschaften der Reparaturmörtel möglichst auf die historische Substanz abgestimmt. Aus dem Bindemittel Spezialgips nach [2] und auch Kalk in geringen Mengen sowie entsprechenden speziellen Zusätzen zur Regulierung der Abbindezeit und Verbesserung der Verarbeitungseigenschaften wurden im DBU- Projekt [3] Gipsmörtel für den Innen- und Außenbereich entwickelt, um als Werktrockenmörtel für die Instandsetzung von gipshaltigen Mauerwerk zur Verfügung zu stehen. Hierbei wurden zwei Festigkeitsstufen V5 (Mörtelgruppe M 5), als auch V15 (Mörtelgruppe M 10) eingestellt, so dass, je nach Beschaffenheit des historischen Bestands, eine entsprechende Auswahl getroffen werden kann. Am Beispiel der Ev. Johannes-Servatius-Kirche in Pöhlde wurde dieser Gipsmörtel V15, tubag eingesetzt und im Zeitraum von 2012-2020 vom Fachbüro für Denkmalpflege IFKR-Gerd Belk, Fulda überwacht eingebaut und begutachtet. In der Abbildung 3 ist die Kirche dargestellt. Die Abbildung 4 zeigt den Vorzustand, während die Abbildung 5 den Nachzustand darstellt. Abb. 3: Ev. Kirche in Pöhlde Bild: Gerd Belk Abb. 4: Vorzustand des Turmeingangs ild: Gerd Belk Abb.5: Nachzustand nach Verwendung von V15 Bild: Gerd Belk 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 561 Reparaturmörtel für gipshaltiges Mauerwerk Der Gipsmörtel wurde aus Mauer- und Fugenmörtel sowie Anböschmörtel für die Randzonen, als auch zur Hinterfüllung von losen Putzschalen verwendet. Nach 8 Jahren Standzeit ist der Reparaturmörtel in einem sehr guten Zustand. An manchen Fugen zeigen sich leichte Absandungen an der Oberfläche, welche jedoch für einen Gipsmörtel im Außenbereich sehr gut akzeptiert werden können. Neben dem sehr gut überwachten Objekt Pöhlde wurden zahlreiche Objekte mit Gipsreparaturmörtel ausgeführt, die ebenfalls sehr gute Erfolge zeigen. Bei der Verwendung der beiden Mörtel muss darauf geachtet werden, dass in exponierten Stellen immer der V15 eingesetzt werden muss, da die geringere Festigkeit des V5 Mörtels zur deutlich schnelleren Gefügeauflockerung führt und damit einhergehende beschleunigte Verwitterung im Außenbereich zeigt. Der Gipsmörtel V5 sollte nur an geschützten Bauwerksbereichen eingesetzt werden. 2.2 Gipsbeständige Mörtel mit patentiertem Bindemittel Diese gipsbeständigen Mörtel enthalten ein Spezialbindemittel gemäß Patent PA 3437680 [4], entwickelt nach der Grundlagenforschung mit dem Institut für Gesteinshüttenkunde der RWTH Aachen. Diese Mörtel werden in dem WTA Merkblatt [1] nicht erwähnt. Hier muss ganz klar eine Abgrenzung von hoch sulfatbeständig und gipsbeständigen Mörtel erfolgen, da der Einsatz von RS-Zementen (früher HS-Zement) allein, eine nicht ausreichende Gipsbeständigkeit aufzeigt. Zahlreiche Beispiele können die Grenzen dieser Zemente im Gipsmauerwerk belegen [5]. Es ist wichtig, dass die gesamte Rezeptur der Mörtel die Gipsbeständigkeit auch nach mehreren Jahren nachweisen kann. In den Langzeitstudien an der Materialforschungs- und Prüfanstalt (MFPA) an der Universität Weimar sind diese Mörtel nach Patent [4] mit unterschiedlichen Gipsgehalten auf ihre Längenänderungen und somit bestandener Gipsbeständigkeit in der Prüfung. Im Untersuchungsbericht [6] sind die Versuchsaufbauten, als auch die Ergebnisse dargestellt. Für die Modellmörtel (gipshaltige Mörtel) erfolgte die Abstufung der Gipsgehalte systematisch. Aus den Mörtelmischungen mit jeweils 5, 10, 15, 20, 30 und 50 M.-% Gipsanteil wurden Prismen hergestellt. Nach einer > 28 Tagen Lagerung bei 20°C und 65% rel. Luftfeuchtigkeit wurden diese mechanisch zerkleinert (Größtkorn 8 mm). Danach wurden mit diesem Mörtelbruch in einem Verhältnis 40% zu 60% mit Restaurierungsmörtel HSM 2a und Verpressmörtel HSV-p Versuchsprismen hergestellt, welche in einer Nebelkammer mit Sprühnebeleinwirkung 20°C und > 95 % rel. Luftfeuchtigkeit gelagert wurden. Die Ermittlung der Längenänderung erfolgte in Anlehnung an [7] und an das Mörtelprüfverfahren nach [8]. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind in Abbildung 6 und 7 dargestellt. Abb. 6: Längenänderung der Proben mit HSM 2a mit gipshaltigem Mörtelbruch R5-R50 -Lagerungsdauer 1463 Tage (4 Jahre) Abb. 7: Längenänderung der Proben mit HSM 2a mit gipshaltigem Mörtelbruch R5-R50 -Lagerungsdauer 1463 Tage (4 Jahre) Bei beiden Proben liegen die Dehnungen im Bereich < 2 mm/ m. Aus den Erfahrungen an Untersuchungen von Probekörpern, die bis zu 11 Jahre an der MFPA lagern, wurde eine Wertekategorie für die 1-dimensionierte Längenänderung festgelegt. Bei Längenänderung von < 2 mm/ m ist die Stufe grün erreicht, d. h. es sind noch keine signifikanten Schäden aufgetreten. Im Bereich 2-10 mm/ m zeigen sich in der gelben Kategorie Anzeichen für beginnende Schäden. Bei Mörteln > 10mm/ m Längendehnung ist die Stufe rot erreicht, es kommt zur Schädigung und völliger struktureller Zerstörung. Eine ausführliche Darstellung, auch anderer Materialien in diesem Prüfzyklus ist in [5] dargestellt. Aus diesem patentierten Bindemittel gibt es zahlreiche Produkte für unterschiedliche Anwendungsgebiete wie Mauer- und Fugenmörtel (HSM 2, HSM 2a, HSM 3, HSP Porenfugmörtel), Putzmörtel (HSP-(L) Grundputz (Leichtputz) und Verpressmörtel (HSV-p). Sie können in unterschiedlichen Festigkeitsvarianten sowie Körnungen und farblich an den historischen Bestand angepasst, eingesetzt werden. Auf die Kombination von Gipsmörtel mit gipsbeständigem Mörtel kann sinnvoll angewendet werden. In Ab- 562 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Reparaturmörtel für gipshaltiges Mauerwerk bildung 8 ist ein geschädigter Bereich eines Sockels, bestehend aus Gipsmörtel, dargestellt. Auch die Sockelverfugung (Abbildung 9) ist mit einem historischen Gipsmörtel ausgeführt. Das Mauerwerk zeigt deutliche Schäden durch Ausbrüche und Auswaschungen. Abb. 8: Ausbruch einer Sockelecksituation, bestehend aus Gipsmörtel und Feldsteinen (Bild: Thorsten Hitsch, Sievert Baustoffe) Abb. 9: Sockelbereich mit Gipsmörtelverfugung und starken Ausbrüchen und Auswaschungen (Bild: Thorsten Hitsch, Sievert Baustoffe) Der Eckausbruch wurde mit einem Gipsmörtel V15 und den Bestandsgesteinen mauerwerkstechnisch geschlossen. Im Sockelbereich wurde der Mauer- und Unterfugenmörtel mit einem gipsbeständigem Restaurierungsmörtel HSM 2a geschlossen. Dieser Mörtel soll die Pufferschicht vom historischen Bestand zum anschließenden Deckfugenmörtel aus Trass-Kalkmörtel darstellen. Aufgrund der Feuchteproblematik sollte die Deckverfugung mit einem farblich angepassten Trass- Kalk-Fugenmörtel erfolgen. Man hätte sicherlich auch den Restaurierungsmörtel HSM 2a bis an die Oberfläche verwenden können, aber ein Trass-Kalk-Fugenmörtel zeigt bei höherer Feuchte- und Salzbelastung eine höhere Dauerhaftigkeit. 3. Fazit Sollte der Verdacht als gipshaltiges Bauerwerk bestehen, ist eine Voruntersuchung unabdinglich notwendig. Historische Gipsmörtel können vielfältig zusammengesetzt sein und sehr unterschiedliche Eigenschaften aufzeigen. Die Kenntnis des historischen Bestands ist für die Auswahl der Festigkeiten, als auch des Bindemittels notwendig. Auf dem Markt stehen mittlerweile viele Gipsmörtel verschiedener Hersteller für unterschiedliche Einsatzgebiete zur Verfügung. Diese zeigen gute Erfolge bei der Instandsetzung von gipshaltigem Mauerwerk. Alternativ können auch patentierte, gipsbeständige Mörtelsysteme eingesetzt werden, welche allein und in Kombination mit Gips- und Trass- oder NHL-Kalken verwendet werden können. Die Beständigkeit ist gegenüber Gipsmörtel deutlich besser und eine Abgrenzung zum historischen Gipsbestand oftmals erwünscht. Die Beständigkeit gegenüber Treibmineralneubildungen haben sie seit 4 Jahren bewiesen und werden sie auch sicherlich weiter in der Zukunft zeigen. Literaturverzeichnis [1] WTA Merkblatt 2-11/ 18 D: Gipsmörtel im historischen Mauerwerksbau und an der Fassade, Wissenschaftlich-Technischer Arbeitskreis für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege e. V. [2] DBU-Projekt AZ 18320: Optimierung und Erprobung dauerhafter Gipsmörtel für die Instandsetzung umweltgeschädigter, nationaler, wertvoller Kulturgüter u. a. am Beispiel des Klosters Walkenried, 2001-2004 [3] DIN EN 13279-1: 2008-11: Gipsbinder und Gips- Trockenmörtel; Deutsche Fassung EN 13279- 1: 2008 [4] Patent 3437680: Binder for restoration mortar [5] Zier, H.-W., Dreuse, H. & Zeuch, S.: Schäden an der Stadtmauer neben dem Inneren Frauentor in Mühlhausen- Ursachen und Konsequenzen. In: IFS Bericht 57/ 2019: Gipshaltiges Mauerwerk am Denkmal, Erhalten-Instandsetzen-Ersetzen? , 2019 [6] Untersuchungsbericht Nr. B 16.18.113.01: Messtechnische Erfassung und wissenschaftliche Auswertung an Prismensätzen (Mauer- und Injektionsmörtel im Kontakt mit Modellmörtel sowie Injektionsmörtel in Kontakt mit einer Modellmischung), nicht veröffentlicht [7] DIN 52450 „Prüfung anorganischer nicht-metallischer Baustoffe- Bestimmung des Schwindens und Quellens an kleinen Probeköpern“ Ausgabe August 1985 [8] Knöfel, D. & Schubert, P.: Handbuch Mörtel und Steinergänzungsstoffe in der Denkmalpflege, Verlag Ernst & Sohn Berlin, 1993 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 563 Der Merkblattentwurf WTA 7-4 Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauern aus künstlichen kleinformatigen Steinen Claudia Neuwald-Burg Fraunhofer Informationszentrum Raum und Bau, Stuttgart Jonny Henkel AK Bauwerksdiagnostik, Ahrensfelde Verfasser des Merkblattentwurfs Toralf Burkert, Axel Dominik, Marc Gutermann, Peter Hegewaldt, Jonny Henkel, Maik Kramer, Dominik Müller, Claudia Neuwald-Burg, Gabriele Patitz, Ahmad Sabha, Ulf Schmidt, Peter Thiessen, Heinrich Wigger, Bernd Winkels Zusammenfassung Der Beitrag gibt einen Überblick über die Inhalte des Merkblattentwurfs WTA 7-4. Behandelt werden Methoden zur quantitativen Bewertung der Druckfestigkeit von Mauerwerkswänden und Pfeilern aus kleinformatigen künstlichen Vollsteinen. Die dafür notwendigen Arbeitsschritte, wie die Auswahl der Untersuchungsbereiche, Probenahme und Prüfköperherstellung, Druckfestigkeitsprüfung an Mörteln, Steinen und Verbundprüfkörpern sowie die statistische Auswertung der Ergebnisse können nur teilweise nach aktuellen Normen ausgeführt werden. Im Merkblatt werden alternative Untersuchungsverfahren beschrieben und es wird dargelegt, inwieweit die Ergebnisse mit der charakteristischen Mauerwerksdruckfestigkeit nach DIN EN 1996 vergleichbar sind. Einflussfaktoren wie hohe Streuungen von Stein- und Mörtelfestigkeiten, ungünstige Materialkombinationen, Ausführungsfehler oder Durchfeuchtung lassen sich oft nur abschätzen. Gezielte Forschung würde es ermöglichen, Bestandsmauerwerk zukünftig noch genauer zu bewerten und Tragreserven besser nutzen zu können. Die WTA-Arbeitsgruppe gibt Impulse, woran im Hinblick auf einen nachhaltigen Umgang mit bestehender Bausubstanz zielgerichtet geforscht werden sollte. 1. Ziele des Merkblatts Zur Bewertung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk sind unterschiedliche Verfahren bekannt und in vielen Veröffentlichungen beschrieben worden. Dennoch treten bei der Durchführung und der Auswertung von Mauerwerksuntersuchungen in der Praxis viele Fragen auf, die sich mithilfe der aktuellen Regelwerke nicht beantworten lassen. Im neuen WTA-Merkblatt werden Wege beschrieben, wie bei der Bewertung von Mauerwerk in unterschiedlichen baulichen Situationen vorgegangen werden kann. Das Merkblatt ist als Leitfaden für die Vorbereitung, Begleitung und Interpretation von Mauerwerksuntersuchungen gedacht. Als Grundlage für Tragfähigkeitsnachweise sollte die Druckfestigkeit möglichst als ein charakteristischer Wert angegeben werden, der Sicherheitsreserven gegenüber der Bruchfestigkeit beinhaltet, wie sie nach der aktuellen Mauerwerksnorm DIN EN 1996-1-1/ NA [8] gefordert werden. In besonderen Fällen können statische Nachweise von Bestandsmauerwerk auch nach bauzeitlichen DIN- oder TGL-Normen erfolgen. Auch dies wird im Merkblatt berücksichtigt [10]. Die aktuellen Normen werden in der Praxis am häufigsten zur Bewertung von Bestandsmauerwerk verwendet, weil die Anwender damit vertraut sind. Die Normen haben jedoch Anwendungsgrenzen, die im Bestand oft nicht gegeben sind. Für diese Fälle gibt der WTA-Merkblattentwurf alternative Bewertungsmethoden an. Einige davon sind wissenschaftliche Verfahren, die in der Praxis bisher wenig benutzt werden. Ein Ziel des Merkblatts ist, die Anwendung dieser Verfahren zu fördern. Sie können eine wertvolle Hilfe zur Einschätzung der Mauerwerksdruckfestigkeit bieten. Für ihre Anwendung sind einheitliche, praxistaugliche Prüfanleitungen notwendig. Das Merkblatt beschreibt die Verfahren und enthält eine detaillierte Prüfanleitung für das Fugenbohrkernverfahren nach Helmerich/ Heidel [12]. Auch Bruchmodelle eignen sich für die Mauerwerksbeurteilung. Sie ermöglichen, den Einfluss von Parametern zu berücksichtigen, die in der Auswertung nach der Mauerwerksnorm nicht abgebildet werden, wie die Steingeometrie und die Fugendicke [13]. 564 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Der Merkblattentwurf WTA 7-4 Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauern aus künstlichen kleinformatigen Steinen Einige Prüfverfahren wurden in das Merkblatt aufgenommen, obwohl sie nur selten infrage kommen, wenn lediglich die Mauerwerkdruckfestigkeit benötigt wird. Es handelt sich um In-situ-Messungen und Belastungstests, bei denen aus Verformungen auf Festigkeitswerte geschlossen werden kann. Dieser Rückschluss ist nur bei günstigen Randbedingungen möglich. In-situ-Tests sind aufwendig und erfordern immer eine wissenschaftliche Begleitung. Es erschien der Arbeitsgruppe jedoch sinnvoll, auch diese Möglichkeiten in das Merkblatt aufzunehmen. Aus der praktischen Anwendung können neue Impulse für die Forschung entstehen. 2. Anwendungsbereich Festigkeitskennwerte werden benötigt, wenn Lasten in bestehenden Gebäuden erhöht werden (etwa bei Aufstockungen oder beim Ausbau von Dachgeschossen), oder wenn aufgrund von Verformungen, Rissen oder Erosion Zweifel an der Tragfähigkeit von Bauteilen bestehen. Ein Bauteilversagen wegen Überschreitung der Mauerwerksdruckfestigkeit kommt an alten Gebäuden glücklicherweise selten vor, weil Mauerwerksbauten traditionell sehr robust konstruiert wurden und über Umlagerungsmöglichkeiten verfügen. Regelmäßige Überwachung alter Bauwerke ist selbstredend dennoch geboten, denn Alterung und unbedachte Eingriffe machen auch Mauerwerk zu schaffen. Wenn es zu gravierenden Schäden kommt, liegt das aber meistens an Fehlern im Mauergefüge mit Auswirkungen auf den Lastfluss oder auf den tragenden Querschnitt. Besonders gefährlich sind oberflächenparallele Risse, sie werden oft nicht bemerkt (Abb. 1). Neben der Bestimmung der Materialkennwerte ist daher eine sehr sorgfältige Bestands- und Zustandserkundung notwendig. Verfahren dazu werden im WTA-Merkblatt 4-5-99 »Beurteilung von Mauerwerk - Mauerwerksdiagnostik« beschrieben, das derzeit überarbeitet wird. Auch das WTA-Merkblatt 7-1-18 »Erhaltung und Instandsetzung von Mauerwerk - Konstruktion und Tragfähigkeit« enthält Hinweise zur Bestandserkundung. Ergänzend dazu befasst sich der vorliegende Merkblattentwurf 7-4 mit der quantitativen Bestimmung der Mauerwerksdruckfestigkeit. Seine Gültigkeit beschränkt sich auf Mauerwerk aus kleinformatigen künstlichen Steinen, insbesondere Vollziegeln, Kalksandsteinen und Leichtbetonsteinen. Natursteinmauerwerk wird nicht behandelt. Schon Mauerwerke und Pfeiler aus kleinformatigen Vollsteinen können je nach Steinsorte und Mörtelfestigkeit nicht mit einer einzigen Bemessungsformel beschrieben werden. Die Empfehlungen im Merkblattentwurf enthalten notwendigerweise Vereinfachungen, die nach Auffassung der Arbeitsgruppe aber zielführend sind. Zu komplexe Auswertungen sind fehleranfällig und bieten bei sehr inhomogenen Baustoffen oft auch nur scheinbar mehr Sicherheit. Abb. 1 Risse parallel zur Wandoberfläche werden oft erst im Schadensfall erkannt. 3. Inhalte des Merkblatts Das Merkblatt 7-4 beschreibt alle Arbeitsschritte zur Bestimmung der charakteristischen Mauerwerksdruckfestigkeit: Untersuchungsplanung, Probenahme, Laborversuche und die Auswertung der Versuchsergebnisse. 3.1 Vorbereitung und Probenahme Vor Beginn jeder Untersuchung müssen zunächst die Aufgabenstellung und das Nachweiskonzept mit dem Bauherrn bzw. seinen Vertretern geklärt werden. Außer rein technischen Aspekten sind behördliche Anforderungen zu beachten, wie Denkmalschutz und Arbeitsschutz. Oft ergibt sich daraus, an welchen Stellen wie viel Probenmaterial entnommen werden darf und welche Entnahmeverfahren möglich sind. Die Untersuchungen müssen mit anderen Untersuchungen oder Arbeiten koordiniert werden. Die Verfasser des Merkblatts weisen auf die Bedeutung einer fachlichen Begleitung der Probenahme hin. Die richtige Auswahl der Entnahmestellen und die Qualität der Proben sind entscheidend für die Aussagefähigkeit der Kennwerte, die daraus abgeleitet werden. Tragwerksplaner sollten das Mauerwerk immer selbst in Augenschein nehmen und die Probenahmestellen mit festlegen. Die Auswahl der Untersuchungsbereiche muss anhand 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 565 Der Merkblattentwurf WTA 7-4 Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauern aus künstlichen kleinformatigen Steinen der individuellen Fragestellung getroffen werden. Die Proben müssen repräsentativ für das Mauerwerk im Untersuchungsbereich sein. Oft sind Maueroberflächen verputzt. Freilegungen sollten beaufsichtigt werden, um Schäden am Mauerwerk zu vermeiden (Abb. 2 und 3). Bei der Entnahme von Materialproben können sich Erkenntnisse zum Aufbau und zum Erhaltungszustand des untersuchten Bauteils ergeben, die bei der Bestandserkundung nicht entdeckt wurden. Generell gilt, dass der Mauerverband nicht eindeutig an der Fassade abgelesen werden kann. Bei dem Mauerverband in Abb. 3 beispielsweise zeigte sich bei der Probenahme, dass ein Sparmauerwerk vorlag, bei dem in der äußeren Schale ausschließlich halbe Steine vermauert waren, die nicht in die Wand einbanden. Abb. 2 Unsachgemäß freigelegte, beschädigte Mauersteine sind für Festigkeitsuntersuchungen unbrauchbar. Abb. 3 Auch Flächen unter harten Zementputzen können substanzschonend freigelegt werden. Die Entscheidung, an welchen Stellen welche Anzahl von Proben entnommen werden, richtet sich nach der baulichen Situation (Abb. 4 und 5). Hohe Probenzahlen bzw. viele Untersuchungsstellen führen zu genaueren Ergebnissen, sind aber wirtschaftlich nicht immer sinnvoll und vor allem substanzschädigend. Im Merkblatt sind Mindestwerte für Untersuchungsstellen und Probenanzahl angegeben, die möglichst nicht unterschritten werden sollen. Bei sehr schlanken, statisch stark ausgelasteten Bauteilen oder bei bauhistorisch wertvoller Substanz ist die Entnahme dieser Probenmengen nicht möglich. In diesen Fällen müssen zu den Druckfestigkeitstests zusätzliche Informationen herangezogen werden. Das können Versuchsdaten an vergleichbaren Mauerwerken aus anderen Testreihen sein, ergänzende zerstörungsarme Versuche oder materialwissenschaftliche Untersuchungen der Zusammensetzung und des Mikrogefüges. Solche Bewertungen setzen fundiertes Fachwissen und Erfahrung voraus. Abb. 4 Bei vielen Bauaufgaben können Proben in ausreichender Menge entnommen werden (Szenario A) Abb. 5 Schlanke Bauteile und historisch wertvolle Substanz dürfen nicht oder nur limitiert beprobt werden (Szenario B) 566 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Der Merkblattentwurf WTA 7-4 Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauern aus künstlichen kleinformatigen Steinen 3.2 Untersuchungskonzepte Mauerwerk hat oft gute Festigkeitseigenschaften und bei manchen Baumaßnahmen im Bestand reicht es aus, die Festigkeit grob zu schätzen. Wenn der Abstand zu den aufzunehmenden Spannungen offensichtlich hoch ist, erübrigt sich eine Untersuchung. Eine bloße Abschätzung setzt voraus, dass das Mauerwerk einen guten Erhaltungszustand aufweist. Die Materialfestigkeit kann dann anhand von Baustoffangaben aus vorhandenen Bauwerksunterlagen ersehen werden. Manchmal liegen auch Erfahrungswerte aus Untersuchungen an ähnlichem Mauerwerk in der Umgebung vor. Werden genauere Nachweise nötig, muss die Druckfestigkeit experimentell ermittelt werden. Das ist in aller Regel der Fall, wenn Umbauten geplant sind, die zu Lasterhöhungen führen, oder wenn eine Schwächung des Mauerwerks durch äußere Einwirkungen vermutet wird, wie hohe Auslastung, Verwitterung, Anprall, Hochwasser, Frost- oder Salzangriff. Üblicherweise - und das empfiehlt auch das Merkblatt - orientiert sich das Vorgehen dabei an der geltenden Mauerwerksnorm DIN EN 1996-1-1/ NA. Je nach Bauwerksalter sind auch Nachweise nach den bauzeitlichen Normen (DIN 1053 bzw. TGL) möglich [10]. Diese Normen gelten jedoch nur innerhalb bestimmter Anwendungsgrenzen. Mauerwerk, das stark von jedweden Normvorgaben abweicht, müssen andere Verfahren gewählt werden. Mögliche Wege sind in Abb. 6 und 7 schematisch dargestellt. In speziellen Fällen bleibt zudem die Möglichkeit von Belastungstests oder In-situ-Prüfmethoden. Abb. 6 Ablaufschema für die Druckfestigkeitsuntersuchung im Fall ausreichender Probenmengen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 567 Der Merkblattentwurf WTA 7-4 Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauern aus künstlichen kleinformatigen Steinen Abb. 7 Ablaufschema für die Druckfesigkeitsbestimmung anhand weniger Proben 3.3 Anwendung aktueller Normen auf den Bestand Das Untersuchen und Prüfen der Proben im Labor bildet einen Schwerpunkt des Merkblatts. Die Druckfestigkeit eines Baustoffs ist keine physikalische Materialkonstante, sondern eine technische Kenngröße, die nach den Vorgaben einer Norm geprüft werden sollte. Nur so sind Prüfwerte vergleichbar. Für die Mauerwerksdruckfestigkeit ist DIN EN 1052 [5] maßgebend. Ersatzweise dürfen die Druckfestigkeiten der Mauersteine und der Mauermörtel separat geprüft werden und die Mauerwerksfestigkeit wird nach DIN EN 1996-1-1/ NA anhand einer Potenzfunktion berechnet, deren Koeffizienten empirisch aus Versuchen nach DIN EN 1052 ermittelt wurden (Gleichung 1). f k = K · f st α · f m β (1) Dabei ist f k die charakteristische Mauerwerksdruckfestigkeit, f st die Steindruckfestigkeit und fm die Mörteldruckfestigkeit. Die Parameter K, α und β haben für unterschiedliche Mauersteinsorten und Mörtel jeweils unterschiedliche Werte und sind für heute übliche Mauerwerksarten in der Norm festgelegt. Innerhalb der in der Norm vorgegebenen Anwendungsgrenzen der Stein- und Mörtelfestigkeiten würde die Gleichung 1 auch für Bestandsmauerwerk zu einem realistischen Druckfestigkeitswert führen. Voraussetzung dafür ist, dass die mittlere Fugendicke etwa 12 mm beträgt und dass ein regelgerechter Mauerwerksverband vorliegt. Es sind jedoch drei weitere Aspekte zu berücksichtigen: 1. Die Festigkeitswerte von Mauersteinprüfkörpern aus altem Mauerwerk streuen meist sehr viel stärker als die von fabrikneuen Steinen. Diese Streuung muss in die Festigkeitswerte eingerechnet werden. 2. Die Mörteldruckfestigkeit kann im Bestand nur als Fugendruckfestigkeit bestimmt werden. Die Koeffizienten der Potenzgleichung aus DIN 1996-1-1/ NA wurden jedoch auf der Basis der Normdruckfestigkeit ermittelt (Prismendruckfestigkeit nach 28 Tagen Aushärtung in Laborklima [4]). 3. Mörteldruckfestigkeiten < 2,5 N/ mm 2 sind in der Norm nicht erfasst. 568 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Der Merkblattentwurf WTA 7-4 Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauern aus künstlichen kleinformatigen Steinen Im Merkblattentwurf 7-4 ist angegeben, wie die Stein- und Mörteldruckfestigkeitswerte aus bestehendem Mauerwerk geprüft und unter Beachtung der Festigkeitsstreuungen sowie der Probenanzahl ausgewertet werden sollten, um sinnvolle Eingangsgrößen für die Potenzfunktion zu erhalten. Für den in der Norm nicht abgedeckten Bereich der Mörtelfestigkeit unter 2,5 N/ mm 2 wird im Merkblatt eine lineare Ergänzung der Funktion vorgeschlagen (Abb. 8). Je niedriger die Druckfestigkeit des Mörtels ist, desto mehr nähert sich die Mauerwerksdruckfestigkeit der Spaltzugfestigkeit des Mauersteins als unterem Grenzwert an. Dieser Wert liegt beim etwa 0,08bis 0,1-Fachen der Steindruckfestigkeit [13]. Abb. 8 Die Potenzfunktion der Mauerwerksdruckfestigkeit, linear ergänzt. Die Anwendung der Prüfverfahren aus den aktuellen DIN-Normen ist allgemein bekannt. Es wird deshalb empfohlen, Bestandsmaterialien in Anlehnung an diese Vorgaben zu prüfen. In manchen Fällen kann es jedoch sinnvoller oder sogar notwendig sein, die Mauerwerksdruckfestigkeit an Verbundprüfkörpern zu prüfen oder nach einem Bruchmodell zu berechnen, weil die vorgefundenen Materialien die Anwendungsgrenzen der DIN EN 1996-1-1/ NA nicht erfüllen. Zerstörungsarme Verfahren benötigen viel Erfahrung. Sie können ergänzend eingesetzt werden, aber direkte Prüfverfahren nach An sicht der Merkblattverfasser nicht ersetzen. Prüfung der Steindruckfestigkeit Zur Bestimmung der Steindruckfestigkeit sollten möglichst ganze Steine aus dem Verband gelöst werden, die nach den Vorgaben geltender Prüfnormen (beispielsweise DIN EN 772-1: 2016-05) geprüft werden können [5]. Vorzugsweise sollten die fertigen Prüfkörper eine Schlankheit von näherungsweise 1,0 aufweisen, sodass ein Aufmauern von Steinen zum Prüfkörper sinnvoll sein kann. Nötigenfalls darf die Prüfung an Teilstücken erfolgen. Die gemessenen Steindruckfestigkeitswerte müssen dann mittels Formfaktoren auf das Bezugsformat umgerechnet werden. Bei manchen Steinen ist zusätzlich zum Formfaktor zu beachten, dass die Festigkeitswerte nicht über den ganzen Querschnitt gleichmäßig sind. Es besteht dann die Gefahr, dass an Teilstücken unzutreffende Werte gemessen werden. Prüfung der Mörteldruckfestigkeit Auch die Mörtelprüfung empfiehlt die Arbeitsgruppe mittels direkter Druckversuche an Prüfkörpern aus den Lagerfugenmörteln vorzunehmen. Die Koeffizienten der Potenzgleichung wurden auf der Grundlage der Normwerte der Mörteldruckfestigkeit (Prismendruckfestigkeit) formuliert. Dieser Wert kann an Proben aus dem Bestand nicht im Nachhinein gemessen werden. Ersatzweise sollte deshalb die Fugendruckfestigkeit nach DIN EN 18555-9 Verfahren III bestimmt werden. Die Nachrechnungsrichtlinie [9] erlaubt es, die Fugendruckfestigkeiten mit den Anforderungswerten nach DIN V 18580: 2007-03 gleichzusetzen und daraus auf die Normfestigkeit zu schließen. In der WTA-Arbeitsgruppe bestand in diesem Punkt keine Einvernehmlichkeit, weil in Laborversuchen auch für hydraulische Mörtel schon Fugendruckfestigkeit weit oberhalb von Prismendruckfestigkeiten gemessen worden sind. Die Verwendung einer höheren als der nach DIN EN 18555-9 bestimmten Fugendruckfestigkeit wird deshalb nicht empfohlen. Hingegen ist fraglich, ob eine Abminderung berücksichtigt werden muss, weil die (Norm-) Prismendruckfestigkeit eines Mörtels niedriger gewesen sein könnte als die gemessene Fugendruckfestigkeit. Tatsächlich hat Mörtel manchmal in der Fuge bessere Erhärtungsbedingungen als im Labor. Er ist dort jedoch meist auch schädlichen Einflüssen ausgesetzt. Die Materialalterung wird in den Messwerten miterfasst. Für die Bewertung der Mörteldruckfestigkeit ist somit viel Sachverstand notwendig. Eventuell können mineralogische Gefügeuntersuchungen zur Bewertung hinzugezogen werden. Die chemische Zusammensetzung allein gibt keinen Anhaltspunkt für die Mörtelfestigkeit. 3.4 Verbundprüfkörper In der Praxis werden Druckfestigkeiten häufig an Bohrkernen bestimmt, wenn die Entnahme von Stein- und Mörtelproben Schwierigkeiten bereitet. Die Verfahren dazu sind nicht genormt. Der Merkblattentwurf enthält Beschreibungen der Bohrkernprüfungen nach den Verfahren von Berger [13], Helmerich/ Heidel [12] und Gunkler [11]. Beim Verfahren nach Gunkler wird der Bohrkern nur zum Ausschneiden einer Mauerwerksprobe verwendet. Die Festigkeitsprüfung erfolgt anschließend am gesägten Mauerwerksprisma. Bei dem Verfahren nach Berger werden Spaltzugfestigkeiten ermittelt und verglichen (Abb. 9). Beim Verfahren nach Helmerich/ Heidel erfolgt eine Druckprüfung unmittelbar am liegenden Bohrkern (Abb. 10). Die Zylinder werden in Einbaulage geprüft und mittels konkaver Lasteinleitungsplatten belastet. Das Verfahren nach Berger hat den Vorteil, dass kleinere Proben verwendet werden und Informationen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 569 Der Merkblattentwurf WTA 7-4 Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauern aus künstlichen kleinformatigen Steinen zur Steindruckfestigkeit in die Auswertung mit einfließen, was eine Plausibilitätskontrolle leicht möglich macht. Abb. 9 Prüfkörper und Lasteinleitung für das Fugenbohrkernverfahren nach Berger Abb. 10 Fugenbohrkern und Lasteinleitung nach Helmerich/ Heidel 3.5 Auswertung von Prüfwerten mit hoher Streuung Die Materialkennwerte von Proben aus Bestandsgebäuden unterliegen hohen Streuungen. Bei historischen Mauerziegeln liegen die Variationskoeffizienten oft im Bereich von 30 bis 40%, bei Mörtel sind sie ähnlich, bei Verbundprüfkörpern meistens etwas niedriger. Die Verteilung der Druckfestigkeitswerte kann mit einer logarithmischen Normalverteilung beschrieben werden. Mithilfe dieser Verteilung wird aus den Einzelwerten der Prüfreihe der charakteristische Wert berechnet. Für Mauerwerk ist dies das 5 %-Quantil. Der Wert kann aus den Verbundkörperpüfungen direkt berechnet werden. In die Potenzgleichung (1) hingegen müssen Mittelwerte eingesetzt werden. Zur Berücksichtigung der Materialstreuung empfiehlt das Merkblatt, statt arithmetischer Mittelwerte für die Mörteldruckfestigkeit das 50 %-Quantil anzunehmen. Aus den Mauersteindruckfestigkeiten wird zunächst das 5 %-Quantil ermittelt und daraus mit dem Faktor 1,25 ein theoretischer Mindestmittelwert berechnet. Diese Umrechnung führt bei hohen Variationskoeffizienten zu sehr geringen Festigkeitswerten. Es sollte deshalb vor der Auswertung der Prüfergebnisse die tatsächlich vorliegende Verteilungsfunktion verifiziert werden. Sehr hohe Variationskoeffizienten sind oft dadurch begründet, dass unterschiedliche Produkte vorliegen. Wenn beispielsweise die Steinproben unterschiedlichen Fabrikaten oder Produktionschargen zugeordnet werden können, ist es eventuell sinnvoller, diese getrennt auszuwerten und die Mauerwerksfestigkeit mit der niedrigeren Steindruckfestigkeit zu berechnen. Im Zweifel empfiehlt es sich, Kontrollversuche an Verbundkörpern durchzuführen oder eine Berechnung mittels Bruchmodellen vorzunehmen, die das Zusammenwirken von Stein und Mörtel analytisch beschreiben. Die komplexeren Formeln sind mithilfe einfacher Tabellenkalkulationsprogramme auch in der Praxis gut anwendbar. 3.6 Abminderungsfaktoren Maßgebend für die Mauerwerksdruckfestigkeit ist zu einem hohen Grad auch die Qualität der handwerklichen Ausführung. Fehler im Verband, mangelnde Vollfugigkeit, fehlendes Überbindemaß, unregelmäßige Fugendicken etc. führen zu niedrigeren charakteristischen Druckfestigkeiten. Negativ wirkt sich auch ein hoher Feuchtegehalt auf die Druckfestigkeit aus. Diese Einflüsse können bisher nur abgeschätzt und über Abminderungsfaktoren berücksichtigt werden. Hierzu besteht noch Forschungsbedarf. 3.7 In-situ-Methoden Belastungsversuche mit Verformungsmessungen, Flatjack-Tests oder ähnliche Verfahren erlauben unter günstigen Randbedingungen Rückschlüsse auf die Mauerwerksdruckfestigkeit. In seltenen Fällen sind sie vielleicht die einzige Möglichkeit, um quantitative Aussagen zur Mauerwerksfestigkeit treffen zu können. Alle diese experimentellen Verfahren erfordern jedoch einen hohen technischen und finanziellen Aufwand, sodass jeweils abgewogen werden muss, ob ihr Einsatz sinnvoll ist. 4. Zusammenfassung und Ausblick Die Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk erfolgt überwiegend in Anlehnung an die aktuellen DIN-Normen. Diese wurden jedoch in erster Linie für den Neubau entwickelt und sind auf historisches Mauerwerk nur bedingt anwendbar. Zum einen entsprechen die historischen Baustoffe in ihrer Qualität nicht den Anforderungen an heutige Baustoffe, zum anderen unterlag die handwerkliche Herstellung des Mauerwerks früher ganz anderen Bedingungen. Im Merkblattentwurf 7-4 wird erläutert, wie die Ergebnisse solcher nach Neubaunormen geprüften Druckfestigkeiten ausgewertet werden müssen, um daraus die Mauerwerksdruckfestigkeit von Bestandsmauerwerk ab- 570 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Der Merkblattentwurf WTA 7-4 Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauern aus künstlichen kleinformatigen Steinen zuleiten. Hohe Materialstreuungen müssen dabei besonders berücksichtigt werden. Die Verwendung der gegenwärtig zur Verfügung stehenden und auch im Merkblatt angegebenen Potenzfunktion nach DIN 1996-1-1/ NA ist dabei nicht immer sinnvoll: sie erfasst nicht alle Stein- und Mörtelkombinationen, die im Bestand anzutreffen sind und basiert auf der Prismendruckfestigkeit von Mauermörteln. Ziel weiterer Forschung sollte sein, eine solide Datenbasis für die Ermittlung einer Funktion zu entwickeln, die auf Fugendruckfestigkeiten statt auf Prismendruckfestigkeiten beruht und Mörtelfestigkeiten unter 2,5 N/ mm² erfasst. Alternativ können kleine Verbundprüfkörper getestet oder Bruchmodelle für die Bewertung herangezogen werden. Diese Verfahren basieren auf Forschungsarbeiten und sind in der Praxis noch nicht fest etabliert. Sie enthalten Umrechnungsfaktoren, die für unterschiedliche Mauerwerksarten im Rahmen von koordinierten Ringversuchen überprüft und ggf. angepasst werden sollten. Der WTA Merkblattentwurf 7-4 enthält Empfehlungen und zeigt Möglichkeiten auf, die Mauerwerksdruckfestigkeit nach dem aktuellen Stand des Wissens zu bewerten. Einen allgemeingültigen Weg dazu gibt es nicht, unterschiedliche Bewertungssituationen erfordern verschiedene Vorgehensweisen. Eine sachkundige Begleitung aller Arbeitsschritte und die Prüfung der Plausibilität der Ergebnisse sind immer notwendig. Die Prüfverfahren und Begrifflichkeiten sollten allerdings einheitlich geregelt und angewendet werden, denn nur so sind Ergebnisse miteinander vergleichbar und verlässlich einordenbar. Das Merkblatt soll zu einer Vereinheitlichung beitragen. Einsprüche und Ergänzungsvorschläge sind der Arbeitsgruppe willkommen. Eine Veröffentlichung mit ausführlichen Kommentaren und Ergänzungen der Arbeitsgruppenmitglieder zu allen Merkblattinhalten ist in Vorbereitung. Literatur [1] WTA-Merkblatt 4-5-99/ D. Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege: Beurteilung von Mauerwerk - Mauerwerksdiagnostik. Stuttgart: Dt. Fassung vom 30. September 1999, endgültige Fassung: 1999, redaktionell überarb.: Oktober 2015 [2] WTA-Merkblatt 7-1-18/ D. Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege (Hrsg.). Wigger, H.; Twelmeier, H. et al.: Erhaltung und Instandsetzung von Mauerwerk - Konstruktion und Tragfähigkeit. Stuttgart: Ausgabe: 12.2018/ D [3] DIN 18555-9: 2019-04: Prüfung von Mörteln mit mineralischen Bindemitteln - Teil 9: Bestimmung der Fugendruckfestigkeit von Festmörteln [4] DIN EN 1015-11: 2018-01. Prüfverfahren für Mörtel für Mauerwerk - Teil 11: Bestimmung der Biegezug- und Druckfestigkeit von Festmörtel; Deutsche und Englische Fassung prEN 1015-11: 2017 [5] DIN EN 772-1: 2016- 05 Prüfverfahren für Mauersteine - Teil 1: Bestimmung der Druckfestigkeit [6] DIN EN 1052-2: 1998-12. Prüfverfahren für Mauerwerk - Teil 1: Bestimmung der Druckfestigkeit; Deutsche Fassung EN 1052-1: 1998 [7] DIN EN 1990: 2010-12. Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung; Deutsche Fassung EN 1990: 2002 + A1: 2005 + A1: 2005/ AC: 2010 [8] DIN EN 1996-1-1/ NA/ A1: 2014-03: Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter - Eurocode 6: Bemessung und Konstruktion von Mauerwerksbauten - Teil 1-1: Allgemeine Regeln für bewehrtes und unbewehrtes Mauerwerk; Änderung A1 [9] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Abteilung Straßenbau: Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrechnungsrichtlinie). Ausgabe 05/ 2011 [10] Fachkommission Bautechnik der Bauministerkonferenz (ARGEBAU): Hinweise und Beispiele zum Vorgehen beim Nachweis der Standsicherheit beim Bauen im Bestand (Stand 07.04.2008). Veröffentlicht am 09.06.2008. https: / / doi.org/ 10.1002/ dibt.200830026 [11] Gunkler, E.: Zur nachträglichen Bestimmung der Druckfestigkeit von Vollziegel-Mauerwerk. Forschungsarbeiten von 1990-1994. Heft 109 der Schriftenreihe des Instituts für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz der TU Braunschweig. Technische Universität. Braunschweig: 1994 [12] Heidel, R.: Ermittlung der Materialkennwerte von Mauerwerk als Grundlage zur Beurteilung von Mauerwerkskonstruktionen. Technische Hochschule Leipzig. Leipzig: 1989 [13] Wenzel, F.; Gigla, B.; Kahle, M.; Stiesch, G.: Historisches Mauerwerk, Untersuchen, Bewerten, Instandsetzen. Wenzel, F.; Kleinmanns, J.(Hrsg.): Erhalten historisch bedeutsamer Bauwerke. Empfehlungen für die Praxis. Sonderforschungsbereich 315, Universität Karlsruhe: 2000 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 571 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? Dipl.-Ing. Axel Dominik Ingenieurbüro Dominik, Bornheim | Deutschland Andreas Schell, B. Eng. Niederkassel-Rheidt | Deutschland Pascale Dominik, M. Sc. Ingenieurbüro Dominik, Bornheim | Deutschland Zusammenfassung Die Untersuchungen und Beurteilungen eines Bestandsmauerwerkes aus Vollsteinen nach den aktuellen Regelwerken wirft sehr viele Fragen auf. Zurzeit wird ein WTA-Merkblatt zur Untersuchung und Beurteilung von Bestandsmauerwerk in Hinblick auf seine Tragfähigkeit erarbeitet. Dieses Merkblatt soll Planern und Fachplanern in Ergänzung zu den in der Literatur umfangreich vorliegenden Untersuchungsergebnissen und Bewertungskriterien helfen, daraus resultierende Beurteilungsmöglichkeiten und Hilfestellungen für die möglichen Untersuchungsmethoden, Auswerteverfahren und einer Tragfähigkeitsbeurteilung zu geben. Im Rahmen der Ausarbeitung dieses Merkblattes wurden u. a. an der Technischen Hochschule Köln Untersuchungen an Mauerwerksprüfkörpern durchgeführt. Sie bestehen aus zwei Baustellenrezeptmörteln (M 2,5 [MGII] und M 5 [MG IIa]) in Kombination mit Mauerziegeln, Kalksandsteinen und Porenbetonsteinen (Vollsteinen). Neben der Untersuchung der Einzelbestandteile (Mauersteine und Mörtel) nach Norm wurden sogenannte RILEM-Mauerwerksprüfkörper und Verbundsteinprüfkörper, bestehend aus Mörtel und Mauerstein hergestellt. Nach einer ausreichenden Erhärtungszeit wurde von einem Teil der Mauerwerksprüfkörper die Festigkeit der Gesamtprüfkörper bestimmt. Aus einem weiteren Teil der Mauerwerksprüfkörper wurden mit den bekannten Verfahren praxisgerecht Proben entnommen, aus denen sowohl von den Mauersteinen als auch von den Mörteln Einzelprüfkörper her-gestellt und in Anlehnung an die Regelwerke untersucht wurden. In Ergänzung dazu wurden weitere Prüfverfahren angewendet, sodass die Ergebnisse von 4 unterschiedlichen Mörtelprüfverfahren und mehreren Mauersteinprüfverfahren vorliegen, die im Vergleich untereinander und mit den, an den Mauerwerksprüfkörpern ermittelten Ergebnissen verglichen werden konnten. Die Untersuchungsergebnisse an den nach Norm hergestellten und geprüften Mörtelprüfkörpern (Normprismen) sowie der nach Norm geprüften Mauersteine gaben dann die Möglichkeit, eine Gesamtbeurteilung aller im Labor mit verschiedenen Untersuchungsmethoden ermittelten Prüfergebnisse in Bezug auf die zulässige Mauerwerkstraglast im Vergleich vorzunehmen. In Ergänzung zu diesen reinen Laboruntersuchungen wurden die mit unterschiedlichen Prüfverfahren ermittelten Ergebnisse von mehreren Bestandsbauwerksuntersuchungen ausgewertet, um diese für die Entwicklung von Methoden zur praxisgerechten Tragsicherheitsbewertung mit heranzuziehen. Die Untersuchungen ergaben deutliche Unterschiede in Bezug auf die ermittelten normierten Druckfestigkeitsklassen sowohl für die Mauersteine als auch für die Mörtel. 1. Einführung Bauten im Bestand, bei denen es sich oft um denkmalgeschützte Bauwerke handelt, weisen oft ein Mauerwerk bestehend aus Mauerstein-Vollsteinen auf, welche mit Mauermörteln der Mörtelklassen M1 (MG I) bis M 5 (MGIIa) vermauert wurden. Im Rahmen von Umbaumaßnahmen solcher Gebäude wird es oft erforderlich, das Tragverhalten der historischen Mauerwerksbauteile zu bestimmen. Dazu müssen Mörtel- und Mauersteinproben aus dem Mauerwerk entnommen und u. a. auf die Druckfestigkeit hin untersucht werden. Nach den derzeit geltenden Regelwerken muss aus den Untersuchungsergebnissen ein Bezug auf die nach Norm ermittelten 572 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? Druckfestigkeits-eigenschaften hergestellt werden, um dem Tragwerksplaner entsprechende Angaben machen zu können. Für die Beurteilung der Mauersteinfestigkeit werden im Allgemeinen ganze Steine entnommen und entsprechend der Regelwerke geprüft. In einigen Fällen werden auch Mauersteinstücke aus dem Bestands-mauerwerk entnommen, aus welchen im Labor Einzelprüfkörper geschnitten und untersucht werden. Von den an den Einzelprüfkörpern ermittelten Eigenschaftskennwerten wird dann oft in Anlehnung an neuzeitliche Regelwerke mit Hilfe von Umrechnungsfaktoren auf die Mauersteinfestigkeitsklasse eines ganzen Mauersteines geschlossen. Statistische Auswertungen sollen bei der Beurteilung helfen, eine genauere Klassifizierung der Mauersteine vornehmen zu können. Vom Mörtel können i. d. R. nur Mörtelscheiben aus den Fugen bzw. Mörtelstücke entnommen werden. Sie werden mit unterschiedlichen Verfahren auf die Druckfestigkeit hin untersucht. In der Praxis werden von den entsprechenden Prüflaboren unterschiedliche Prüf-verfahren zur Bestimmung der Mörtelfugendruck-festigkeit angewendet und mit diversen Umrechnungsfaktoren aus unterschiedlichen Regelwerken auf die Normdruckfestigkeit bezogen. Sie beziehen sich dabei auf die Vorgaben im EC 6 zur Mörtelfestigkeits-prüfung, bezogen auf die Normdruckfestigkeit. Es bestehen allerdings Bedenken, ob diese Prüfverfahren zur Untersuchung der Mörteldruckfestigkeit für alle Bauten im Bestand geeignet sind. U. a. in der DIN 18555-09 werden drei Verfahren I, II und III beschrieben, mit denen die Druckfestigkeit von Mörteln aus der Fuge zwischen einem speziell konditionierten Kalksandstein (Referenzstein) geprüft und auf die Normdruckfestigkeit umgerechnet werden kann. Mehrere Untersuchungen haben gezeigt, dass die vorgenannten Prüfbedingungen bzw. -verfahren sowohl für die Mauersteine als auch für die Mörtel nicht unmittelbar auf die Bestandsmauerwerke bezogen werden können die aus historischen Mauerwerksbaustoffen errichtet wurden. Aus diesem Grund beschäftigt sich derzeit ein spezieller Arbeitskreis des Wissenschaftlich Technischen Arbeitskreises (WTA) mit der Auswahl von geeigneten Prüfverfahren und Beurteilungs-kriterien zur Untersuchung von Mauerwerk im Bestand / WTA 01/ . 2. Grundsätzliches Die Aufgabe der Fachplaner zur Beurteilung der Mauerwerksfestigkeiten wird in der Regel von Tragwerksplanern gestellt, welche möglichst eine Einteilung der Mauerwerksbaustoffe von einem Bauwerk in Festigkeitsklassen möchten. Fachplaner bzw. Mitarbeiter des Prüflabors müssen bei fehlenden Angaben durch den Tragwerksplaner entscheiden, wo und welche sowie wie viele Proben unter den objektspezifischen Bedingungen für die entsprechenden Untersuchungen entnommen werden, um das Mauerwerk beurteilen zu können. Dabei müssen auch, so weit möglich die denkmalpflegerischen Wünsche berücksichtigt werden. Bauten im Bestand, die bis in die 50er und 80er Jahre errichtet wurden, wurden meist mit sehr unter-schiedlichen Mauerwerksmaterialien errichtet, die Mauermörtel wurden in der Regel als Baustellen-rezeptmörtel hergestellt. Die Mörtelrezepte wurden in Raumteilen gemischt. Es ist davon auszugehen, dass in der Regel Handwerker (Mauerer und Steinmetze) die Bauten errichtet haben, welche Erfahrungen mit der Anwendung der Baustoffe hatten. Mauermörtel bestand i. d. R. aus Sand (Zuschlag, heute „Normale Gesteinskörnung“), der Auswahl von 3 unterschiedlichen Kalkarten und im Prinzip aus einem Zement einer Festigkeitsklasse sowie Wasser. Die Rezepturen konnten der Tabelle 1 entnommen werden. Sie waren den Handwerkern jedoch in der Regel bekannt. Die Mauer-mörtelbestandteile stammten ebenso wie die Mauersteine aus der Region, in der das Bauwerk erbaut wurde. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 573 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? Tabelle 1: Zusammensetzung und Mischungs-verhältnisse für Baustellenrezeptmörtel nach DIN 18580 Aus vielen eigenen Untersuchungen ist bekannt, dass die Rezeptmörtel i. d. R. auch bei unterschiedlichen Arten des Anmischens dann eine ausreichenden Druckfestigkeiten aufweisen, wenn Sie in einer plastischen „kellenbzw. mauergerechten Konsistenz“ angemischt werden. Somit waren Baustoffe den Handwerkern aufgrund ihrer Ortsnähe bekannt, was Vorteile für die Errichtung eines Bauwerkes hatte. Der Transport war aufgrund kurzer Transportwege für die Materialanlieferung umweltschonend. Heute werden hingegen Werksmörtel und Mauersteine aus allen Regionen Deutschlands bzw. Europas und teilweise aus der ganzen Welt an einer Baustelle verarbeitet, die dem „Produktverarbeiter“ oft von ihren Eigenschaften her nicht mehr bekannt sind. Nicht nur für den „Produktverarbeiter“, sondern auch für alle anderen, an einem solchen Bauwerk Beteiligten ist eine Flut von Produkten, Regelwerken, Produkt-informationen und Rechtsfragen hereingebrochen, die ein Mensch in ihrer Gesamtheit nicht mehr bewältigen kann. 3. Bestands- und Zustandsaufnahme | Probenahme Die Voraussetzungen, die für die Materialprobenahme aus einem Bestandsbauwerk gegeben sein müssen werden im WTA -Merkblatt WTA-Arbeitskreis: Arbeitsfassung zu WTA Merkblatt 7-4 (Entwurf), Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk aus künstlichen kleinformatigen Steinen / WT 01/ beschrieben. Die Festlegung der Probenahmeart und der Probenentnahmestellen können einen wesentlichen Einfluss auf die späteren Untersuchungsergebnisse haben. Grundsätzlich ist zu beachten, dass das zu unter-suchende Mauerwerk aus Mörtel und Mauersteinen besteht, welches einer langandauernden Beanspruchung ausgesetzt war. Ebenso muss das zu untersuchende Bauteil vollständig hinsichtlich des Bestands und Zustands untersucht werden, um an den entsprechenden ausgesuchten Bereichen und Stellen Proben zu entnehmen. Hierbei muss neben dem Mauerwerksaufbau genau dokumentiert werden, wo prüfbare Proben entnommen werden können und ob das Mauerwerk durch Feuchte- und ggfs. baustoffschädliche Stoffe belastet ist. Bei vielen historischen Mauerwerksbauten ist festzustellen, dass z. B. im Fugenmörtelbereich neben unterschiedlichen Mörteln auch über die Fugentiefe unterschiedliche Festigkeiten gegeben sind. Oft werden nur die prüfbaren Mörtelproben entnommen und die Mörtel, die keine ausreichende prüfbare Festigkeit haben, bleiben in der anschließende Ergebnis-beurteilung unberücksichtigt. Die neben dieser vor Ort zu berücksichtigenden Gegebenheiten kann auch die Probenentnahmeart einen wesentlichen Einfluss auf die zu prüfenden Eigen-schaften haben. In den Bildern 1 bis 6 sind beispielhaft 2 Probeentnahmearten mit den entsprechenden entnommenen Proben dargestellt. 574 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? Bild 1: Einzelproben: Probenahme innerhalb einer Brücke mit einem leichten Stemmhammer ggf. in Kombination mit einem Winkelschleifer Bild 2: Einzelproben: Probenahmestelle Bild 3: Einzelproben: Entnommene Einzelstückproben Bild 4: Bohrkernentnahme mittels Kernbohrgerät: Entnahme trocken (zur Bestimmung des Salz- und Feuchtegehalts) oder nass Bild 5: Bohrloch nach der Probenahme Bild 6: Entnommener Bohrkern Die Probenentnahmeart spielt für die weitere Untersuchung und insbesondere für die Beurteilung der Untersuchungsergebnisse eine wesentliche Rolle. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 575 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? Mittels des Entnahmeverfahrens mit Stemmwerkzeug, meist in Kombination mit einem Winkelschleifer (siehe Bild 1) lassen sich ganze Mauersteine entnehmen. Die Mörtelentnahme ist insofern schwierig, da der Mörtel evtl. durch das Entnahmeverfahren vorgeschädigt wird. Mit dem Bohrkernentnahmeverfahren hingegen kann weitgehend unbeschädigter Mörtel nachvollziehbar über die Mauerwerkstiefe entnommen werden. Von den Mauersteinen können meist nur Mauersteinstücke entnommen werden, wenn der Bohrkerndurchmesser nicht entsprechend angepasst wird und damit jedoch gleichzeitig der Entnahmeaufwand und Eingriff in die Bausubstanz vergrößert wird. Allerdings ist die Entnahme von Bindersteinen aus einem Mauerwerksverband mit diesem Verfahren meist nicht mölich, ohne einen sehr großen Bohrkerndurchmesser (z. B. etwa 30 cm) zu verwenden. In Bild 7 ist eine Problematik dargestellt, die sich aus der Entnahme von Mauersteinstücken von einem Einzelstein als Prüfkörper ergeben würde. Wenn beispielsweise an diesem Stein die Druckfestigkeit vom halben Mauerstein bestimmt und parallel dazu an einem würfelförmigen Prüfkörper, der aus dem Reststück dieses Steins planparallel geschnitten wurde, wären die ermittelten Druckfestigkeiten deutlich unterschiedlich und führten auch bei der Anwendung, der in den Regelwerken angegebenen Umrechnungsfaktoren nicht annähernd zu vergleichbaren Druckfestigkeitswerten. Somit können die Regelwerke zwar Hilfestellung zur Prüfung und Beurteilung von ermittelten Eigenschaftskennwerten geben. Sie allein reichen aber in der Regel zur Mauerwerksbeurteilung von vielen Bestandsbauten nicht aus. Bild 7: Probenzustand eines Mauerziegels: Prüfkörperauswahl für Druckfestigkeitsprüfung und Ergebnisse der Druckfestigkeitsprüfung an einem Mauerziegel Diese Ergebnisse spiegeln sich bei vielen Unter-suchungen an unterschiedlichen Bauwerken wider. Aus mehreren Bauwerken, aus denen Einzelsteine entnommen und im Labor würfelförmige und zylindrische Prüfkörper präpariert wurden, ergaben bei vergleichenden Untersuchungen ähnlich unterschiedliche Prüf-ergebnisse. In den Regelwerken (z. B.) EC 6 sind für die Prüfung der Fugendruckfestigkeit von Mauerwerk in Bestandsbauten 2 Prüfverfahren, die sogenannten Verfahren II und Verfahren III angegeben. Von einigen Prüfinstituten werden darüber hinaus im Wesentlichen noch zwei weitere Verfahren zur Prüfung der Fugendruckfestigkeit angegeben, die sich über Jahrzehnte als Prüfverfahren bewährt haben. Es handelt sich um das sogenannte Würfeldruckverfahren, welches an Prüfkörperwürfeln mit gleichlangen Kanten durchgeführt wird sowie um das sogenannte Sonderprüfverfahren „Kölner Sandwich-Druckprüfverfahren“ (KSD) (siehe Abschnitt 5.2.1). Viele eigene Untersuchen haben gezeigt, dass bereits die Entnahme und Präparation von Fugenmörtelproben für Prüfungen nach Verfahren I und II oft bei Bestandsbauten, die bis zur Jahrhundertwende des 19/ 20 Jh. erbaut wurden, nicht möglich ist. Darüber hinaus führten vergleichende Untersuchungen mit diesen Prüfverfahren an gleichen Mörtelproben nicht zu vergleichbaren Ergebnissen, obwohl dies nach den Normvorgaben der Fall sein sollte (siehe dazu die Untersuchungsergebnisse in den Bilder 8 und 9). Bild 8: Vergleichende Untersuchungen der Druck-festigkeit f C (β D ) eines untersuchten Mauermörtels,geprüft nach Norm und an unterschiedlich großen Prüfkörpern, die aus einem Mörtel-prisma herausgeschnitten wurden 576 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? Bild 9: Bestimmung der Norm- und Fugendruck-festigkeit f C,N (β D,N ) bzw. f C,F (β D,F ) eines,an Probeflächen applizierten- Mauermörtels, untersucht nach EN DIN 1015, DIN 18555-9 bzw. DIN 18580 im Verbund zum Mauerziegel (MZ) und zur Grauwacke (GW) Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die in der Norm angegeben Umrechnungsfaktoren zur Bestimmung der Fugendruckfestigkeit auf die Normdruckfestigkeit bei diesem untersuchten Mörtel nicht zutrifft. 4. Folgerung Aus diesen Kenntnissen heraus wurden an der TH Köln in Kooperation mit dem Kölner Institut Forschungen zu verschiedenen Prüfverfahren an Mörtel, Mauersteinen und Mauerwerkprüfkörpern durchgeführt. Die Untersuchungen mit einer Darstellung einzelner Ergebnisse werden nachfolgend auszugweise dargestellt. 5. Forschung 5.1 Versuchsbzw. Messprogramm (Prüfplan)mit verschiedenen Baustoffen Nachfolgend wird im Wesentlichen auf die unterschiedlichen Druckfestigkeitsprüfverfahren für Mauersteine und Mörtel eingegangen. Alle verwendeten Materialien (Mauersteinarten und Mörtelbestandteile) sind in Bild 10 angegeben. Bild 10: Verwendete Materialien Mauersteinarten und Mörtelbestandteile 5.2 Prüfarten 5.2.1 Mörtelprüfungen Für die Untersuchungen wurden als Mörtel Baustellenrezeptmörtel der Mörtelklasse M 2, 5 (Mörtelgruppe MG II) und Mörtelklasse M 5 (MG IIa) verwendet. Die Zusammensetzung der Mörtel wird in Bild 11 in Raumteilen nach DIN 18580 angegeben. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 577 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? Bild 11: Baustellenrezeptmörtel Für die Herstellung von Verbundprüfkörpern gemäß der in den Bildern 13 bis 15 dargestellten Prüf-verfahren wurden die in Bild 10 angegebenen Mauersteine verwendet. Zusätzlich wurden von jeder Mörtelmischung Normprismen (siehe Bild 12) hergestellt. Bild 12: Mörtelprüfungen nach Norm und in Anlehnung an die Norm an Mörtelprismen Die Fugendruckprüfverfahren werden in den Bildern 12 bis 17 dargestellt. Hinweis zum Verfahren I (siehe Bild 13): In der Untersuchungspraxis wird seit vielen Jahren die Fugendruckfestigkeit von Bestandsbauten an würfelförmigen Mörtelprüfkörpern mit gleichlangen Kanten geprüft. Die Kantenlänge entspricht dabei meist der Fugenhöhe. Dieses Würfeldruck-Prüfverfahren hat sich bewährt, wurde im Rahmen der hier dargestellten Untersuchungen aber nicht mit untersucht. Die ermittelten Druckfestigkeitswerte nach dem Verfahren I sind mit den Werten nach dem beschriebenem Würfeldruck-Prüfverfahren nicht vergleichbar, da es sich beim Verfahren I um Prüfkörper handelt, die zwar eine Höhe haben, welche der Fugenhöhe entspricht, in der Druckfläche aber normierte Maße 20 mm x 20 mm aufweisen. Bild 13: Fugendruckfestigkeit nach DIN 18555-9 Verfahren I (ibac-Vorlesungsfolie) 578 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? Bild 14: Fugendruckfestigkeit nach DIN 18555-9 Verfahren II (ibac-Vorlesungsfolie) Bild 15: Fugendruckfestigkeit nach DIN 18555-9Verfahren III (ibac-Prüfverfahren)(ibac-Vorlesungsfolie) Das Prüfverfahren III (ibac-Prüfverfahren) wurde sowohl durch planparalleles Abgleichen der Prüffläche des Fugenmörtelprüfkörpers mit Gips als auch durch die Anordnung einer Filzlage zwischen Prüfstempel und Fugenmörtelprüfkörper zur Bestimmung der Fugendruckfestigkeit angewendet. Für diese Arten der Prüfverfahren I bis III muss ein speziell konditionierter Kalksandstein als Referenzstein verwendet werden. Zwischen Mauerstein und Mörtel muss für die Prüfung ein Faservlies angeordnet werden. Dieses Prüfverfahren wurde für die Unter-suchungen so abgewandelt, dass die Mörtel in direktem Kontakt zu den verschiedenen in Bild 9 angegeben Mauersteinen stehen. Eigene Untersuchungen haben gezeigt, dass das Vlies einen erheblichen Einfluss auf die Eigenschaften der Mörtel hat [Do 01]. Alle untersuchten Prüfkörper (siehe Bild 18) wurden daher aus den Verbundprüfkörpern herausgeschnitten, bearbeitet und an das jeweilige Prüfverfahren angepasst. Diese Untersuchungsmethodik ist deutlich näher an den realen Verhältnissen im Mauerwerk und entspricht somit auch der Probenentnahmeart und Präparation von Bauwerksproben. Das Sonderprüfverfahren (KSD) (siehe Bild 16) erfolgt in der Form, dass Mörtelprüfkörper aus dem Mauerwerk bzw. dem Verbundprüfkörper entnommen und in Scheiben so aufeinander gelegt und im Paket ab-geglichen werden, dass ein Prüfkörper mit etwa den Maßen 40 x 40 x 40 mm³ entsteht. Der Prüfkörper entspricht von den Maßen her demnach etwa dem Normprismen-Prüfkörper, wie er in Bild 7 (mittlere Skizze) dargestellt wird. Bild 16: Fugendruckfestigkeitsuntersuchung Sonderprüfverfahren (KSD) Bild 17: Bestimmung der Fugendruckfestigkeit f C,N (β D,N ) bzw. f C,F (β D,F ) nach EN DIN 1015-10, DIN 18555-9 bzw. DIN 18580 , EC 6 und mittels des Sonderprüfverfahren KSD, verschiedenartige Prüfkörper Für die Untersuchungen wurden die Mauersteine, wie es an der Baustelle üblich ist von Maurern vermauert. Alle Mauersteine wurden vorgenässt, obwohl dies an der Baustelle meist nicht erfolgt und auch eine genaue Angabe für ein definiertes Vornässen der Mauersteine von keinem Produkthersteller gegeben wird. Die Kalksandsteinindustrie gibt zwar ein Vornässen an, gibt aber nicht die Vorgehensweise an. Das Übersichtsbild 18 zeigt beispielhaft die Anzahl der Prüfkörper, die im Rahmen von Forschungsaktivitäten untersucht wurden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 579 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? Bild 18: Mörtelprüfkörper: Prüfkörper geordnet nach den entsprechenden Prüfverfahren I, II, III und Sonderprüfverfahren KSD 5.2.2 Mauersteinprüfungen Grundsätzlich ist eine Beurteilung bzw. Klassifizierung der Mauersteine gemäß den aktuell vorliegenden Regelwerken (u. a. DIN EN 771-1, DIN EN 772-2) bei einem Bestandsbauwerk, welche bis unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg erbaut bzw. ergänzt und rekonstruiert wurde nur bedingt möglich, da die historischen Mauersteine einer Herstellungscharge bis zu dieser Epoche sehr unterschiedliche Eigenschaften aufweisen können. An größeren Bauwerken wie z. B. Brückenbauwerken haben zudem oft unterschiedliche Steinproduzenten Mauersteine geliefert. Darüber hinaus muss man sich bei einer Probenahme bewusst sein, dass im Prinzip jedes Bauteil mit anderen Materialien (Mörtel, Stein und Beton) errichtet worden sein kann. Man müsste also, um eine statistische Auswertung vornehmen zu können, aus jedem unter-schiedlichen Bauteil entsprechend viele Baustoff-proben entnehmen. Die DIN 105-6 gilt für Planziegel, die einer hohen Maßgenauigkeit bedürfen und kann somit auch nur bedingt für eine Beurteilung der Untersuchungs-ergebnisse herangezogen werden. Die Mauersteindruckfestigkeitsuntersuchungen wurden auch für die Kalksandsteine nach den, in den nach-folgenden Bildern dargestellten Prüfverfahren ver-gleichend untersucht, obwohl die Normen für Kalksandsteinprüfungen dies nicht vorgeben. Bild 19: Prüfkörper für Steindruckfestigkeit Die Mauersteine wurden als ganze Mauersteine planparallel geschliffen bzw. abgeglichen und zusätzlich so, wie in Bild 19 dargestellt auf Ihre Druckfestigkeit hin untersucht. Die unterschiedlichen Prüfergebnisse wurden nach Vorgabe der unterschiedlichen Regel-werke (siehe dazu die Bilder 20 bis 22) ausgewertet, um die normierte Steindruckfestigkeit zu bestimmen. Bild 20: Untersuchung von verschiedenartigen Prüf-körperarten: Steindruckfestigkeit nach DIN EN 772-1 Bild 21: Untersuchung von verschiedenartigen Prüf-körperarten: Steindruckfestigkeit nach DIN EN 772-1 580 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? Bild 22: Untersuchung von verschiedenartigen Prüfkörpern: Steindruckfestigkeit nach DIN 20000 5.2.3 Mauerwände und verschiedene Mauewerkprüfkörper Es wurden sowohl Mauerwerkswände (siehe Bild 23) als auch Mauerwerksprüfkörper hergestellt und vergleichend untersucht. Die dabei ermittelten Unter-suchungsergebnisse sind an dieser Stelle nicht dargestellt und in der dazu entsprechenden Veröffentlichung einsehbar. Bild 23: Herstellen von Mauerwerks-Prüfwänden (MWPK): Mauerziegelmauerwerk 5.3 Untersuchungsergebnisse 5.3.1 Mauersteinuntersuchungen In Bild 24 sind einige Untersuchungsergebnisse vergleichend dargestellt. Aus den Prüfergebnissen wurden entsprechend der Vorgaben der entsprechenden Norm die normierte Steindruckfestigkeit ermittelt. Es ergeben sich insbesondere für die Kalksandsteine und die Mauerziegel deutliche Unterschiede in der Druckfestigkeit. Für die geringer festen Porenbetonsteine ergaben sich keine großen Druckfestigkeits-unterschiede. Mit dieser Mauersteinart müssten ggf. noch weitere vergleichende Untersuchungen an höherfesten Steinen durchgeführt werden, um einen besseren Aufschluss zu den Ergebnissen zu erhalten. Bild 24: Untersuchung von verschiedenartigen Prüfkörperarten, Steindruckfestigkeit in Anlehnung an DIN 20 000 (M) und DIN EN 772-1 (S) 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 581 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? 5.3.2 Mauermörtel ohne und mit Verbund zu unterschiedlichen Mauersteinen Einige unterschiedlichen Prüfergebnisse sind in den Bildern 25 a bis 30 b über den ermittelten Druckfestigkeitswerten dargestellt. In Bild a ist die tatsächlich ermittelte Druckfestigkeit und in Bild b die normierte Druckfestigkeit nach Umrechnung der Ergebnisse mit dem entsprechenden Faktor dargestellt. Bei dem Prüfverfahren I und dem Sonderprüfverfahren soll die ermittelte Druck-festigkeit der normierten Druckfestigkeit entsprechen. Der Umrechnungsfaktor beträgt demnach 1. Bild 25 a: Vergleichsuntersuchungen: Mittelwerte derMörteldruckfestigkeiten, Mörtelklasse M 2,5 im Verbund zum Porenbeton (PP)ohne Berücksichtigung der entsprechendenNormfaktoren Bild 25 b: Vergleichsuntersuchungen: Mittelwerte derMörteldruckfestigkeiten, Mörtelklasse M 2,5 im Verbund zum Porenbeton (PP)mit Berücksichtigung der entsprechenden Normfaktoren 582 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? Bild 26 a: Vergleichsuntersuchungen: Mittelwerte der Mörteldruckfestigkeiten, Mörtelklasse M 5 im Verbund zum Porenbeton (PP)ohne Berücksichtigung der entsprechendenNormfaktoren Bild 26 b: Vergleichsuntersuchungen: Mittelwerte derMörteldruckfestigkeiten, Mörtelklasse M 5 im Verbund zum Porenbeton (PP)mit Berücksichtigung der entsprechendenFaktoren Bild 27 a: Vergleichsuntersuchungen: Mittelwerte derMörteldruckfestigkeiten, Mörtelklasse M 2,5 im Verbund zum Kalksandstein (KS)ohne Berücksichtigung der entsprechendenNormfaktoren 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 583 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? Bild 27 b: Vergleichsuntersuchungen: Mittelwerte derMörteldruckfestigkeiten, Mörtelklasse M 2,5 im Verbund zum Kalksandstein (KS)mit Berücksichtigung der entsprechendenNormfaktoren Bild 28 a: Vergleichsuntersuchungen: Mittelwerte derMörteldruckfestigkeiten, Mörtelklasse M 5 im Verbund zum Kalksandstein (KS)ohne Berücksichtigung der entsprechendenNormfaktoren Bild 28 b: Vergleichsuntersuchungen: Mittelwerte derMörteldruckfestigkeiten, Mörtelklasse M 5 im Verbund zum Kalksandstein (KS)mit Berücksichtigung der entsprechendenNormfaktoren 584 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? Bild 29 a: Vergleichsuntersuchungen: Mittelwerte der Mörteldruckfestigkeiten, Mörtelklasse M 2,5 im Verbund zum Mauerziegel (VMz)ohne Berücksichtigung der entsprechenden Normfaktoren Bild 29 b: Vergleichsuntersuchungen: Mittelwerte der Mörteldruckfestigkeiten, Mörtelklasse M 2,5 im Verbund zum Mauerziegel (VMz)mit Berücksichtigung des entsprechendenNormfaktors Bild 30 a: Vergleichsuntersuchungen: Mittelwerte der Mörteldruckfestigkeiten, Mörtelklasse M 5 im Verbund zum Mauerziegel (VMz)ohne Berücksichtigung des entsprechenden Normfaktors 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 585 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? Bild 30 b: Vergleichsuntersuchungen: Mittelwerte der Mörteldruckfestigkeiten, Mörtelklasse M 5 im Verbund zum Mauerziegel (VMz)mit Berücksichtigung des entsprechendenNormfaktors 5.4 Kurzbeurteilung der Untersuchungsergebnisse Die Untersuchungen zeigen sowohl für die Mauer-steine als auch für die Mörtel deutliche Unterschiede in Abhängigkeit vom angewendeten Prüfverfahren. Für die Bestimmung der Druckfestigkeitsklasse von Mauersteinen wurden weitere vergleichende Unter-suchungen mit unterschiedlichen Prüfverfahren durchgeführt. Die Untersuchungen ergaben, dass in Abhängigkeit von den Prüfverfahren teilweise extreme Unterschiede in den Druckfestigkeitsklassen festzustellen sind. Die Untersuchungsergebnisse für die im Verbund mit den Mauersteinen hergestellten Mörtel zeigen deutlich, dass die Umrechnungsfaktoren, die in den Regel-werken angegeben werden, nicht ohne weiteres für die Beurteilung eines Mörtels aus Bestandsmauerwerk angewendet werden sollten. Das Prüfverfahren III ergibt unserer Meinung, soweit aus Bestandsbauten entsprechende Prüfkörpergrößen präpariert werden können sinnvolle Ergebnisse. Die Zwischenlage zwischen Prüfstempel und Fugenprüfkörper sollte bei diesem Prüfverfahren aus Filz sein. Das Sonderprüfverfahren KSD ist in Ergänzung zu diesem Verfahren III eine gute Alternative, wenn auch hier entsprechende Probengrößen entnommen und auf die notwendige Prüfkörpergröße gebracht werden können. Sind die Proben minderfest und sollen kleine Prüfkörper hergestellt werden, so hat sich das seit vielen Jahren angewendete Würfelprüfverfahren gut bewährt. 6. Resumeè Fachplaner, welche Untersuchungen und Beurteilungen von Mauerwerk vornehmen, müssen sich darüber bewusst sein, dass Prüfverfahren wie sie z. B. in den Regelwerken und Merkblättern angegeben werden sowie Rechenprogramme oder statistische Aus-wertungen nur Hilfsmittel für die Beurteilung eines tragenden Bauteils, wie Mauerwerk sind. Literatur [Di 01] Diekamp, A.; Dominik, A.; Schubert, P.: Kriech- und Schwindverhalten von historischem „Kalk-Bimsstein“-Gewölbemauerwerk im Vergleich zu neuzeitlichem „Bimsstein“-Gewölbemauerwerk; - 15. Internationale Baustofftagung - ibausil, Bauhaus- Universität, Weimar, September 2003 [Do 01] Dominik, Axel: Dissertation in Bearbeitung [Do 02] Dominik, Axel., Schell. Andreas, Dominik, Pascale: Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? TAE: Kolloquium Erhaltung von Bauwerken am 19. und 20. Januar 2021, Ostfildern (In Bearbeitung) [Do 03] Dominik, Axel., Koch, Sabine: DBU, Die Wirkung eines Heizsystems („Temperierbzw. Konditioniersystem“) auf feuchte- und salzbelastetes Mauerwerk in einem temporär genutzten Gebäude, Abschlussbericht F 1006/ F-0E zu einem Forschungsprojekt gefördert unter dem Az: 20941 von der Deutschen Umweltstiftung (DBU) in Osnabrück, 08-2008 [Do 04] Dominik, A.: Vorlesung Schutz und Instandsetzung von Bauwerken, WS 2020/ 2021 [Do 05] Dominik, A.: Schubert, P.; Kroeff, A.; Koch, S.: Formänderungsverhalten von durch spezielle Tränkungen gesicherten, historischem „Kalk-Bimsstein-Gewölbemauerwerk“ - 16. Internationale Baustofftagung - ibausil, Bauhaus-Universität, Weimar, September 2006 586 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? [Do 06] Dominik, A.: Wengenroth, K.; Kroeff, A.: Zum Einfluss von unterschiedlichen Lagerungsbedingungen auf die Mörteleigenschaften. Tischvorlage zum Vortrag, Bauhaus-Universität, Weimar, 2000 [Do 07] Dominik, A.; Dominik, P.: Untersuchungen zur Sicherung eines Natursteinmauerwerks an einer denkmalgeschützten Autobahnbrücke. - In: Tagungsband Natursteinsanierung 2000; Seite 85-100; Karlsruhe, Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart, 2020 [Do 08] Dominik, A.; Koch, S.; Clasen, J.; Balau, J.; Zum Einfluss von unterschiedlichen Faserarten auf neuzeitliche Instandsetzungsmörtel für historisches Mauerwerk; In: Tagungshandbuch 2011; TAE, 1. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken, Esslingen, 2011 [Do 09] Dominik, A.; Koch, S.: Verfugen mit Trockenspritzmörtel - ein bewährtes Verfahren? - In: Bausubstanz, Zeitschrift für nachhaltiges Bauen, Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege, Fraunhofer IRB Verlag, Heft 3/ 2011; ISSN 2190-4278 [Do 10] Dominik, A.; Koch, S.; Bytyqi, V.; Dominik, P.: Und schon wieder Mörtel - NHL-Mörtel als Werktrockenmörtel beim Bauen im Bestand, TAE Technische Akademie Esslingen, 5. Kolloquim Erhalten von Bauwerken, Ostfildern 24./ 25.01.2017 [Do 11] Dominik, A.; Koch, S.; Klinkner, J.; von Krüdener, D.; Nocker, C.-M.; Zum Tragverhalten von historischem Grauwacke-Bruchsteinmauerwerk im Bestand“; TAE Technische Akademie Esslingen, 5. Kolloquim Erhalten von Bauwerken, Ostfildern, 24./ 25.01.2017 [Do 12] Dominik, A.; Koch, S.: Verfugmörtel „unter Druck“ - Welche Aussagekraft haben Eigenschaftsgrenzwerte? - Wissenschaft kontra Empirie? ; - In: Tagungshandbuch 2013; TAE, 3. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken, Esslingen, 2013 [Do 13] Dominik, A.; Koch, S.: Verfugen mit Trockenspritzmörtel - In: Bauhandwerk, Das Profimagazin für Ausbau, Neubau und Sanierung; Bauverlag BV GmbH, Güterloh, Heft 3/ 2013; ISSN 0173-5365 [Kn 01] Knöfel, D., Schubert, P.: Jahresberichte Steinzerfall - Steinkonservierung. Hrsg. R. Snethlage, Berlin 1992 [Ko 01] Koch, S.; Dominik, A.; Rankers, R.; Brameshuber, W.: Eigenschaftsveränderungen in Mörteln durch sulfatbedingte Reaktionen - Umwandlung leicht löslicher Sulfate in schwer löslichen Verbindungen. - 15. Internationale Baustofftagung - ibausil, Bauhaus- Universität, Weimar, September 2003 [Ko 02] Koch, S.; Dominik, A.; Klinkner, J.; Nocker, C. M.; von Krüdener, D.; Dominik, P.: Messtechnische und teilweise fotooptische Erfassung von Formänderungen an ertüchtigtem und nicht ertüchtigtem Bruchsteinmauerwerk unter Labor- und Praxisbedingungen - In Tagungsband 9. Symposium „Experimentelle Untersuchungen von Baukonstruktionen“, Seite 75-92, Dresden, 21-09-2017 [Ko 03] Koch, S.; Dominik, A.; Klinkner, J.; von Krüdener, D.; Nocker, C.-M.: Zum Tragverhalten von historischem Grauwacke-Bruchsteinmauerwerk im Bestand; - In Tagungsband, Natusteinsanierung Stuttgart 2017; Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart 17./ 18.03.2017 [Ra 01] Rankers, R.; Dominik, A.; Kubanek, T.; Paschmann, H.: Einfluss der Klimabedingungen auf den Salztransport im Gewölbemauerwerk; - 15. Internationale Baustofftagung - ibausil, Bauhaus-Universität, Weimar, September 2003 [Sch 01] Schell, A.: Anwendung unterschiedlicher Prüfverfahren zur Untersuchung von Mörtel im Verbund zu unterschiedlichen Mauersteinen, Bachelorarbeit an der TH Köln unter Leitung von Prof. Dr.-Ing R. Hoscheid | 2018 [WT 01] WTA-Arbeitskreis: Arbeitsfassung zu WTA Merkblatt 7-4 (Entwurf)Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk aus künstlichen kleinformatigen Steinen, 2020 Regelwerke [DIN 01] DIN EN 771-1: 2015-11 Festlegungen für Mauersteine - Teil 1: Mauerziegel; Deutsche Fassung EN 771-1: 2011+A1: 2015 [DIN 02] DIN EN 771-2; 2015-11 Prüfverfahren für Mauersteine - Teil 2: Kalksandsteine; Deutsche Fassung EN 772-2: 2011 + A1: 2015 [DIN 03] DIN EN 771-5: 2015-11, Festlegung für Mauersteine Teil 5: Betonsteine [DIN 04] DIN EN 771-6: 2015-11; Festlegung für Mauersteine Teil 6: Natursteine [DIN 05] DIN EN 772-1: 2016-05 Prüfverfahren für Mauersteine - Teil 1: Bestimmung der Druckfestigkeit; Deutsche und Englische Fassung EN 772-1: 2011+A1: 2015 [DIN 06] DIN EN 772-13; 2000-09 Prüfverfahren für Mauersteine - Teil 13: Bestimmung der Netto- und Brutto-Trockenrohdichte von Mauersteinen (außer Natursteinen); Deutsche Fassung EN 772-13: 2000 [DIN 07] DIN EN 998-02; 2017-02 Festlegung von- Mörtel im Mauerwerkbau - Teil 2: Mauermörtel; Deutsche Fassung EN 998-2: 2016 [DIN 08] DIN EN 1015-10; 2007-05 Prüfverfahren für Mörtel für Mauerwerk Teil 10: Bestimmung 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 587 Was verrät uns der Mörtel aus Bestandsbauten über seine Eigenschaften? der Trockenrohdichte von Festmörtel; Deutsche Fassung EN 1015-10: 1999+A1: 2006 [DIN 09] DIN EN 1015-11; 2020-01 Prüfverfahren für Mörtel für Mauerwerk Teil 11: Bestimmung der Biegezug- und Druckfestigkeit von Festmörtel; Deutsche und Englische Fassung prEN 1015-11: 2019 [DIN 10] DIN EN 1996-1-1; 2013-02 Eurocode 6: Bemessung und Konstruktion von Mauerwerksbauten - Teil 1-1: Allgemeine Regeln für bewehrtes und unbewehrtes Mauerwerk; Deutsche Fassung EN 1996-1-1: 2005+A1: 2012 [DIN 11] DIN EN 1996-1-1; 2019-09 Entwurf Eurocode 6: Bemessung und Konstruktion von Mauerwerksbauten - Teil 1-1: Allgemeine Regeln für bewehrtes und unbewehrtes Mauerwerk; Deutsche Fassung EN 1996-1-1: 2019 [DIN 12] DIN EN 1996-1-1/ NA; 2019-12 Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter Eurocode 6: Bemessung und Konstruktion von Mauerwerksbauten - Teil 1-1: Allgemeine Regeln für bewehrtes und unbewehrtes Mauerwerk [DIN 13] DIN EN 1996-1-1/ NA/ A1: 2014-03 Nationaler Anhang - National festgelegte Parameter Eurocode 6: Bemessung und Konstruktion von Mauerwerksbauten - Teil 1-1: Allgemeine Regeln für bewehrtes und unbewehrtes Mauerwerk; Änderung A1 [DIN 14] DIN 105-6: 2013-06 Mauerziegel - Teil 6: Planziegel [DIN 15] DIN 18555-9; 2019-04 Prüfung von Mörteln mit mineralischen Bindemitteln - Festmörtel- Teil 9: Bestimmung der Fugendruckfestigkeit [DIN 16] DIN V 18580; 2007-03 (zurückgezogen) Vornorm - Mauermörtel mit besonderen Eigenschaften [DIN 17] DIN 18580; 2019-06 Baustellenmauermörtel [DIN 18] DIN 20000-412; 2019-06 Anwendung von Bauprodukten in Bauwerken - Teil 412: Regeln für die Verwendung von Mauermörtel nach DIN EN 998-2: 2017-02 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 589 Bestandserkundungen als Basis für Sanierungen Dr.-Ing. Gabriele Patitz IGP Ingenieurbüro Bauwerksdiagnostik und Schadensgutachten, Karlsruhe Zusammenfassung Zahlreiche Wohnungsbaugesellschaften bewirtschaften und verwalten ein großes Potential an Bestandsbauten. Industriegebäude, Verwaltungsgebäude, Krankenhäuser und ähnliche große Komplexe werden oft von privaten Immobilienentwicklern gekauft und für neue Nutzungen umgeplant und umgebaut. Im Zentrum steht immer die Schaffung von neuem Wohnraum und neuen Lebensräumen, die den heutigen Anforderungen gerecht werden müssen. Diese Bauten sind um die Jahrhundertwende und - insbesondere die Geschosswohnungsbauten - nach dem zweiten Weltkrieg entstanden. In den meisten Fällen liegen keine oder nur unzureichende Unterlagen zur Baukonstruktion und den verwendeten Baustoffen vor. Umbauten und Eingriffe in die Originalsubstanz sind eher nicht dokumentiert. Die heute geltenden Anforderungen an das Tragwerk sowie hinsichtlich Schall- und Brandschutz müssen jedoch erfüllt werden. Daher ist es erforderlich, im Vorfeld der Umnutzungsplanungen möglichst vollumfangreich Informationen über den aktuellen Bauteilzustand zu erhalten. Das gibt Planungs- und Kostensicherheit. Bei den Geschosswohnungsbauten müssen die Bestandsuntersuchungen in der Regel unter aktueller Wohnungsnutzung erfolgen. Verständnis für Bauteilöffnungen lässt sich bei den Mietern nur schwer finden. Daher müssen Mittel und Wege gesucht werden, um mit zerstörungsfreien Verfahren in Kombination mit minimalen Eingriffen ausreichend Informationen zu erhalten. Im Folgenden wird der interdisziplinäre Einsatz des Bauradars von spezialisierter Bauingenieurin und Geophysiker an typischen Beispielen beschrieben. 1. Bauradar zur Bestandserkundung Der interdisziplinäre Einsatz von Bauradar zur Bestandserkundung gehört inzwischen zum Stand der Technik. Die heute vorliegenden Erfahrungen basieren auf einer jahrelangen Zusammenarbeit der Autorin als spezialisierte Bauingenieurin mit dem Geophysiker Markus Hübner der GGU mbH Karlsruhe. Typische Fragestellungen beim Bauen im Bestand sind beispielsweise: - Erkundung der Geschossdeckenart und Hauptträger - Ermittlung der Deckenspannrichtung mit Angabe des Bewehrungsgrades und Auskartierung von Bewehrungseisen zur gezielten Probenahme am Beton und der Bewehrung, - Erfassung von mehrlagiger Bewehrung an Wänden, Unterzügen und Stützen, - Erkundung des Aufbaus von Mauerwerkswänden, - Erfassen von Bauteildicken, Unterscheidung von Mauersteinen, - Ortung von Leitungen, Kanälen, Schächten. Aussagen zu den technischen Eigenschaften der vorhandenen Baustoffe sind mit dieser Technik nicht möglich. Allerdings können auf Basis der Radaruntersuchungen gezielte Öffnungs- und Beprobungsstellen angegeben werden. Dadurch reduziert sich zum einen die Anzahl der Öffnungen und zum anderen kann deren Position den örtlichen Gegebenheiten und der vorhandenen Nutzung gezielt angepasst werden. Mit den Radarsensoren wird zerstörungsfrei und rückstandslos an den Oberflächen entlanggefahren. Dabei werden elektromagnetische Wellen in das Bauteil gesendet. Die an Schicht-, Konstruktions- und Materialwechseln auftretenden charakteristischen Reflexionen werden in sogenannten Radargrammen (s. Beispiele) aufgezeichnet und können ggf. vor Ort bereits ausgewertet werden. Auf Basis von Erfahrungswerten werden die erfassten Reflexionen bewertet und interpretiert. Gelegentlich sind einige wenige kalibrierende kleinere Öffnungen erforderlich. 2. Erkundung von Geschossdecken Um den Zustand und die Leistungsfähigkeit von Geschossdecken zu beurteilen, müssen neben deren Bauteildicken die Konstruktionsart und deren Beschaffenheit bekannt sein. Vorhandene Nutzung, hochwertige Böden oder Verkleidungen verhindern oder erschweren detaillierte Erkundungen mittels Öffnungen. Hier kann der Einsatz des Bauradars Unterstützung bieten. Die Untersuchungen können während der laufenden Nutzung der Objekte erfolgen, da diese weder Lärm noch Schmutz verursachen. 590 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Bestandserkundungen als Basis für Sanierungen Die Zugänglichkeit an den Geschossdecken erfolgt wahlweise von der Ober- oder Unterseite, wobei lediglich Beleuchtungselemente, flächige Verkleidungen wie untergehängte Decken und Schallschutzelemente störend sind. Diese Bereiche müssen von den Messungen ausgeschlossen werden. Mit hochauflösenden Sensoren wird in einem der Fragestellung angepassten Messraster an den Deckenoberflächen und/ oder Untersichten entlanggefahren. Geschossdecken müssen aber nicht vollflächig erkundet werden. Ein ca. 1 m breiter Streifen über die gesamte Raumlänge oder Raumbreite ist meistens ausreichend. Auf Basis der vorhandenen Erfahrungen ist es inzwischen möglich, dass eine Dateninterpretation bereits vor Ort erfolgt. In vorhandene Grundrisspläne werden die Ergebnisse übernommen und stehen dem Auftraggeber bzw. Planungsbüro umgehend zur Verfügung. Dazu gehören folgende Fragestellungen: - Art und Lage von Stahlträgern - Hauptspannrichtung massiver Betondecken und abgeschätzte Betondeckung - Lage einzelner Bewehrungsstähle und Leitungen bzw. Kanäle - Wechsel in der Konstruktionsart, Bodenaufbau - Ortung von deckengleichen Unterzügen - Auskartierung von Bewehrung zur Bohrkernentnahme In den Bildern 1 bis 4 sind typische Datensätze verschiedener Geschossdecken und Konstruktionen exemplarisch dargestellt. Bild 1: Erfassung einer Kappendecke mit Stahlträgern Bild 2: Erfassung einer Massivdecke mit dreilagiger Bewehrung, Der Stabdurchmesser kann verfahrensbedingt nicht angegeben werden. Bild 3: Erfassung eines Konstruktionswechsels (KW) von einem Gewölbe links zu einer Massivdecke rechts Bild 4: typisches Radargramm für eine Rippendecke 3. Erkundung von Mauerwerk 3.1 Unterscheidung von Mauersteinen Bei Aufstockung von Geschosswohnungsbauten muss die Konstruktion und Leistungsfähigkeit des vorhandenen Mauerwerks beurteilt werden. Dazu gehören die Kenntnis der verbauten Mauersteine sowie Informationen zu eventuellen Konstruktionswechseln. Auch diese Fragestellungen werden über das Erarbeiten von Musterdatensätzen beantwortet, wofür lokal kalibrierende Öffnungen erforderlich sind (Bilder 5, 6). So können beispielsweise Trümmersplittsteine (TVG) mit großen Hohlkammern von Vollsteinen oder HLZ Steinen unterschieden werden. Das vorhandene WDVS beeinträchtigt die Datenqualität nicht. Die Bilder 7 bis 10 zeigen typische Datensätze von Mauersteinarten. Vor Ort wird mit dem Sensor in gut erreichbarer Höhe an der Gebäudeaußenseite oder innen an den Wohnungstrennwänden entlanggefahren. Ein horizontales Messprofil ist i.d.R. ausreichend. Unter dem Putz verborgene Materialwechsel können dort erfasst, direkt angezeichnet und ggf. durch Putzabnahmen verifiziert werden (Bild 10). Die Dateninterpretation erfolgt unmittelbar vor Ort im Zuge der Untersuchungen. Damit ist es möglich, in großen Wohnanlagen effektiv die Außenwände und an den nötigen Stellen in den genutzten Wohnungen ohne Eingriffe den vorhandenen Mauerwerkstyp zu identifizieren. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 591 Bestandserkundungen als Basis für Sanierungen Bild 5: Aufnahme eines horizontalen Messprofils Bild 6: Detailöffnung für das Erarbeiten von Musterdatensätzen je Mauersteintyp. Bild 7: Radardatensatz für ungefüllte Hohlkammersteine, Wanddicke ca. 22 cm aus Rückseitenreflexion. Bild 8: Radardatensatz für Vollziegel, Wanddicke ca. 26 cm aus Rückseitenreflexion. Bild 9: Radardatensatz für HLZ Mauersteine, Wanddicke aus Rückseitenreflexion nicht erkennbar. Bild 10: Radardatensatz für Wechsel der Mauersteinart, Wanddicke ca. 24 cm aus Rückseitenreflexion 592 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Bestandserkundungen als Basis für Sanierungen 3.2 Erkundung konstruktiver Besonderheiten Bei Geschosswohnungsbauten aus der Nachkriegszeit kann neben massivem Ziegelmauerwerk auch ein Hohlmauerwerk vorhanden sein. Dieser heute unübliche Wandaufbau muss bei den Überlegungen zur Lasterhöhung auf die Außenwände durch Aufstockungen bekannt sein. Im vorliegenden Beispiel waren das Erdgeschoss und 1. Obergeschoss mit Ziegeln durchgemauert. Ein dafür typischer Radardatensatz zeigt Bild 11. Die Gesamtwanddicke beträgt ca. 41 cm (Bild 12). Bild 11: Radardatensatz für eine durchgemauerte Wand Bild 12: Systembild Mauerwerk zum Radardatensatz in Bild 11 Im 2. Obergeschoss lag jedoch ein veränderter Wandquerschnitt bzw. ein anderes Konstruktionsprinzip vor. Erste Hinweise zeigten sich in den Radardaten (Bild 13). Bild 13: Radardatensatz für ein Hohlmauerwerk Kalibrierende Bohrungen in Kombination mit Endoskopie ergaben, dass hier nach ca. 12 cm (eine Steinlage) eine Strukturgrenze vorhanden ist. Im Anschluss an die erste Steinlage befand sich ein offener Spalt über ca. 6 cm, der auch stellenweise mit Mörtel und Steinresten verfüllt war (Bilder 14, 15). Bild 14: Systembild Hohlmauerwerk zum Radardatensatz in Bild 13 Bild 15: gezielte Endoskopie zur Kalibrierung der Radardaten. 4. Ortung von Kaminschächten und Leitungskanälen In den Wänden von alten Krankenhausbauten sind oftmals neben zugemauerten oder verblendeten ehemaligen Tür- und Fensteröffnungen zahlreiche alte Kaminschächte vorhanden. Die einzelnen Räume hatten früher jeweils einen eigenen Ofen mit Kaminanschluss. Diese gemauerten Schächte sind im Lauf der Zeit entweder für Leitungen umgenutzt, zugeschüttet oder noch offen in der Wand vorhanden. In Kombination mit kalibrierenden kleinen Bohrungen können hier ebenso Musterdatensätze für Kaminschächte erarbeitet werden (Bilder 16, 17). Im Objekt erfolgen zerstörungsfreie Wandscans, die auf der Basis der Musterdatensätze sofort ausgewertet wurden. Die Lage und Überdeckung der ehemaligen Öffnungen und Kaminschächte wurde direkt an den Wänden angetragen. Aufwändige und staubintensive Suchschlitze erübrigten sich. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 593 Bestandserkundungen als Basis für Sanierungen Bild 16: Ortung von Kaminschächten, Kalibrierung über kleine gezielte Vollbohrungen Bild 17: Erarbeitung von Musterdatensätzen für das Erkunden von Kaminschächten 5. Bewehrungserkundung an Wänden Im Zuge größerer Umbaumaßnahmen und Eingriffe muss das Vorhandensein der geplanten Bewehrung überprüft werden. Einfache Bewehrungssuchgeräte kommen meistens erfolgreich zum Einsatz, erreichen aber die Grenzen ihre Leistungsfähigkeit bei großen Betonüberdeckungen und Überlagerungen von Bewehrungseisen. Bei der hier beschriebenen tragenden und teilweise auskragenden Wand musste überprüft werden, ob die Zugeisen plankonform vorhanden sind. Verfahrensbedingt können keine Angaben zum Durchmesser und Korrosionszustand getroffen werden. Dank vorliegender Bewehrungspläne konnte eine gezielte und effektive Suche mit einem hochauflösenden Sensor erfolgen. Bild 18: Freilegung der auskarierten Zugeisen mit einer Betondeckung von ca. 12 cm. Die Datensätze wurden vor Ort ausgewertet und die Lage der vorhandenen Zugbewehrung an der Wand angezeichnet. Später wurde im Zuge der Rohbauarbeiten nur lokal die Bewehrung kontrollierend freigelegt. Die Betondeckung betrug ca. 12 cm (Bild 18). Das Bild 19 zeigt die fotografierte Ansicht der Messfläche mit den auskartierten Zugeisen (grün) und die Lage der Beispielradargramme (gelb) in Bild 21. Die mit Bauradar bestätigte und auskartierte Bewehrung ist im Bewehrungsplan in Bild 20 nachgezeichnet. 6. Fazit Die dargestellten Praxisbeispiele zeigen, dass das Bauradar ein effektiv einzusetzendes zerstörungsfreies Verfahren zur Bauteilerkundung ist. Aufgrund der inzwischen vorliegenden Erfahrungen und zahlreichen Referenzob- 594 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Bestandserkundungen als Basis für Sanierungen jekte ist es möglich, den Bestand auch ohne Beeinträchtigung der vorhandenen Nutzung zu erkunden und zu bewerten. Nur lokal und ganz gezielt sind einige wenige Öffnungen oder Bohrungen zu kalibrierenden Zwecken nötig, die auch umgehend wieder verschlossen werden können. Durch das objektbezogene Erarbeiten von Musterdatensätzen für Konstruktionsvarianten von Geschossdecken, Wandkonstruktionen und typischen Einbauten ist es möglich, eine Dateninterpretation bereits vor Ort im Rahmen der Radaruntersuchungen durchzuführen. Die Ergebnisse können sofort in vorhandene Planunterlagen eingetragen werden. Alternativ werden die Informationen an den Wänden oder Böden auskartiert, vermasst und fotografisch dokumentiert. Danach wird eine Kurzdokumentation im Büro angeschlossen. Diese Herangehensweise bietet sich im frühen Stadium der Nutzungs- und Entwurfsplanungen an. Durch die ausreichend genaue Kenntnis des vorhandenen Bestandes lassen sich effektiv verschiedene Nutzungs- und Sanierungsvarianten entwickeln und kalkulieren. Unliebsame Überraschungen beim späteren Bauen lassen sich nicht ganz vermeiden. Das bestandsorientierte Untersuchungskonzept kann aus Zeit- und Kostengründen nie vollumfänglich sein. Im Zuge des Projektverlaufes und Zugewinns an Informationen sollte das erstellte Untersuchungskonzept mit den projektbeteiligten Fachleuten regelmäßig auf den Prüfstand gestellt und weiterentwickelt werden. Das betrifft sowohl die Erkenntnis, dass manche Untersuchungen nicht mehr benötigt werden und andere dafür evtl. erforderlich werden. Durch eine auf Basis der Radardaten ausgewählte Anzahl an stichprobenartigen Bauteilöffnungen können i.d.R. ausreichende Informationen gewonnen werden. Literatur [1] Patitz, Gabriele: Altes Mauerwerk zerstörungsarm mit Radar und Ultraschall erkunden und bewerten. Bauphysik-Kalender 2012, Verlag Ernst & Sohn Berlin, S. 203 [2] Seibel, Mark; Zöllner Matthias (Hrsg.): Baurechtliche und -technische Themensammlung. Heft 7: Bauteiluntersuchung. Notwendigkeit und Grenzen. Stuttgart: Fraunhofer IRB Verlag, 2016 [3] Patitz, Gabriele; In unbekannte (Bauteil-)Tiefen schauen. B+B Bauen im Bestand Heft 7 / 2016 Seiten 24 - 29 [4] Patitz, Gabriele; Wellen in die Tiefe schicken. B+B Bauen im Bestand Heft 2 / 2021 Seiten 8 - 13 Bildquellen: Alle anderen Bilder sind von der Autorin und Markus Hübner GGUmbH Karlsruhe. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 595 Bestandserkundungen als Basis für Sanierungen Bild 19: Auf der Messfläche angezeichnete Zugeisen. Bild 20: Auszug aus dem Bewehrungsplan, mit Bauradar erfasste Eisen sind farbig markiert Bild 21: Beispielradargramm 1 (oben) und 2 (unten) Zusätzlich zur Mattenbewehrung sind die schrägen Zulagen wie im Plan in Bild 20 markiert erkennbar. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 597 Das Fugenbohrkernverfahren nach HELMERICH / HEIDEL bzw. UIC-Kodex 778-3 zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk Dipl.-Ing. Jonny Henkel AK Bauwerksdiagnostik, Ahrensfelde, Deutschland Dipl.-Ing. Claudia Neuwald-Burg Fraunhofer Informationszentrum Raum und Bau, Stuttgart Zusammenfassung Die Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk kann neben der Entnahme und Prüfung von Einzelprüfkörpern der Komponenten Stein und Mörtel auch an kleinen Verbundprüfkörpern ermittelt werden. Ein mögliches Verfahren ist hierbei die Entnahme von Fugenbohrkernen aus dem Mauerwerk, die in Einbaulage geprüft werden. Dieses Verfahren wurde von HELMERICH / HEIDEL entwickelt und fand später in spezifizierter Form Eingang in den Kodex 778-3 des Internationalen Eisenbahnverbandes. Beschrieben wird der historische Verlauf der Verfahrensentwicklung, nationale und internationale Forschungsergebnisse zu diesem Verfahren und es werden die Ergebnisse dieser Untersuchungen verglichen. Aus den vergleichenden Untersuchungen ergeben sich neue Hinweise zur Auswertung der Prüfergebnisse. Zudem wird eine Prüfanleitung für das Verfahren vorgestellt. 1. Einleitung Mit der Zunahme der Sanierung und Instandsetzung historischer Mauerwerkskonstruktionen zu Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts ergaben sich Fragestellungen zur Druckfestigkeit des Mauerwerks. Während ursprünglich die Festigkeitsabschätzung meist anhand von Erfahrungen der Mauermeister eher subjektiv erfolgte, setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr eine ingenieurtechnische Betrachtung durch, die sich an den Erkenntnissen für neu zu errichtendes Mauerwerk orientierte. Mit zunehmenden Forschungserkenntnissen zum Bruchverhalten und dem Trend zur höheren Auslastung von Tragreserven etablierte sich seit Beginn der 1980er Jahre die Prüfung der Mauerwerksdruckfestigkeit an genormten Verbundprüfkörpern. Diese sogenannte RILEM-Prüfung ist gegenwärtig in DIN EN 1052-1 [1] geregelt. Der für diese Prüfung notwendige Prüfkörper besitzt relativ große Abmessungen und eine hohe Masse, sodass solche Prüfkörper nicht ohne erheblichen Aufwand aus Bestandsmauerwerk entnommen werden können. Die Entnahme führt zudem zu einer starken Reduzierung der zu untersuchenden Bauteile. Aus diesem Grund wurde schon frühzeitig nach Verfahren gesucht, mit denen es möglich ist, handliche Mauerwerksverbundkörper zu entnehmen und zu testen. Für die Entnahme solcher Probekörper eignet sich das Kernbohrverfahren. Bohrkerne sind mit baustellenüblichen Kernbohrmaschinen leicht zu gewinnen und abhängig vom Durchmesser der Bohrung auch entsprechend handlich. Erste Untersuchungen zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Ziegelmauerwerk anhand von Bohrkernen wurden durch BERGER Mitte der 1980er Jahre durchgeführt [2]. Die Herangehensweise von BERGER basiert auf der Erkenntnis, dass sich die Spaltzugfestigkeit eines Ziegelbohrkerns ohne Fuge im Verhältnis zur Spaltzugfestigkeit eines Bohrkerns mit Fuge in demselben Maß abschwächt, wie die Druckfestigkeit des Mauerwerks im Vergleich zur Druckfestigkeit eines ganzen Ziegels. 2. Historische Entwicklung des Verfahrens Da das Verfahren von BERGER von relativ vielen Randfaktoren abhängig ist und zudem eine relativ hohe Zahl an Proben benötigt, gab es in der Bauakademie der DDR Überlegungen, die Mauerwerksfestigkeit direkt an größeren Fugenbohrkernen zu prüfen und in RILEM-Festigkeiten umzurechnen. Ein Problem dabei war die Prüfung der runden Bohrkerne in Einbaulage. Durch HELME- RICH entstand bereits um 1984 die Idee, spezielle, an den Bohrkern angepasste Lasteinleitungskalotten zu verwenden. Dieses Verfahren wurde nach wenigen Vorver- 598 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Das Fugenbohrkernverfahren nach HELMERICH / HEIDEL bzw. UIC-Kodex 778-3 zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk suchen 1985 durch HELMERICH, NIER, REISSENWE- BER und WEISHEIT als Patent angemeldet [3]. Abb. 1: Eine der beiden Vorrichtungsvarianten der Patentschrift mit einer Lagerfuge in der Mitte des Prüfkörpers [3] S. 3 Ab 1987 bis 1989 wurden durch HEIDEL an der TH Leipzig im Rahmen einer Dissertation umfangreiche Untersuchungen zu Randbedingungen und Anwendbarkeit des Verfahrens durchgeführt [4]. Aufgrund der Mangelwirtschaft in der ehemaligen DDR standen nur Bohrkronen mit einem Innendurchmesser d = 150 mm zur Verfügung, sodass alle Untersuchungsergebnisse sich auf diesen Durchmesser beziehen. Die Arbeit von HEI- DEL galt zugleich als Forschungsbericht SBI/ 130/ 3/ 54 der Bauakademie der DDR [4]. Ein Forschungspartner der Untersuchungen von HEI- DEL war die Deutsche Reichsbahn (Staatsbahn der DDR), Wissenschaftlich-technisches Zentrum für Eisenbahnanlagen und Baustofftechnologie Magdeburg (später Zentralstelle Bahnanlagen Magdeburg), die sich von den Forschungsergebnissen Hilfsmittel für die Untersuchung und Bewertung gemauerter Bogenbrücken erhoffte und somit ebenfalls den Forschungsbericht erhielt. Durch Mitarbeiter dieser Einrichtung fand das Verfahren in einer speziellen Form Eingang in den UIC-Codex 778- 3 des Internationalen Eisenbahnverbandes von 1995 [5], wobei die von HEIDEL ermittelten Umrechnungsfaktoren zur RILEM-Festigkeit verwendet wurden. Abb. 3: Prüfanordnung nach UIC-Codex von 1995 [5] S. 39 (Anhang 2) In der darauffolgenden Zeit wurde in Deutschland zunächst nur noch eine weiterführende Untersuchung zu diesem Prüfverfahren im Rahmen einer Diplomarbeit an der TU Dresden durchgeführt (KRÄMER, 1998) [8]. Aufgrund der Veröffentlichung des internationalen Eisenbahnverbandes wurde das Verfahren jedoch in mehreren Forschungsvorhaben außerhalb Deutschlands weiter untersucht, so z.B. von Bilello, Brencich, DiPaola und Sterpi in Italien (2006) [9] [10] [11], MATYSEK in Polen (2014) [12] sowie PELA, ROCA und BENEDETTI in Spanien (2016) [13]. Insbesondere die Ergebnisse der italienischen Forschergruppe führten in der 2. Auflage des UIC-Kodex 778-3 von 2011 [6] (ebenfalls bei der 3. Überarbeitung von 2017 [7]) zu einer Veränderung bei der vorgeschriebenen Lasteinleitung sowie zu einer deutlichen Erhöhung des Faktors zur Umrechnung in die RILEM-Festigkeit. Erst in jüngster Zeit wird das Verfahren auch wieder bei deutschen Forschungen mit bedacht und in verschiedenen Masterarbeiten aufgegriffen, namentlich von DÜR- KOP (2019)[15], WEYDERT (2020) [16] und WELKER (2020)[17]. Im Vergleich zu den umfangreichen systematischen Untersuchungen von HEIDEL stellen Untersuchungen nach dem Fugenbohrkernverfahren nach HEL- MERICH / HEIDEL in diesen Arbeiten nur Teilaspekte dar. Die Ergebnisse dieser Arbeiten geben aber wertvolle Hinweise darauf, welche Schwierigkeiten bei der Anwendung des Verfahrens auftreten können und was bei der Auswertung berücksichtigt werden muss. Abb. 2: Von HEIDEL untersuchte Fugenbilder [4] S. 171 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 599 Das Fugenbohrkernverfahren nach HELMERICH / HEIDEL bzw. UIC-Kodex 778-3 zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk Da sich die Prüfbedingungen der meisten bereits genannten Forschungsarbeiten deutlich unterscheiden, werden im Folgenden zunächst die wesentlichen Randbedingungen, wie Fugenbild, Lasteinleitung und Beschaffenheit der Vergleichsversuchskörper, aufgeführt. Es wird dann diskutiert, ob bzw. wie die Versuchsergebnisse gewertet werden können, um eine gemeinsame Auswertung aller vorliegenden Forschungsergebnisse zu ermöglichen. 3. Nationale und internationale Forschungsergebnisse 3.1 HEIDEL (1989, DDR) HEIDEL untersuchte die grundsätzliche Anwendbarkeit des Verfahrens und führte dazu zahlreiche Vorüberlegungen und spannungsoptische Untersuchungen durch. Als deren Ergebnis entstand die Form der angepassten Lasteinleitungskalotten (siehe Anhang, Bild A1). Des Weiteren ergab sich eine Spannungsverteilungskonstante k s = 1,3. Zudem stellte er bei ersten Versuchen fest, dass die in der Patentbeschreibung genannten Zwischenlagen Leder, Teflon oder Gewebe zu Spannungsspitzen und verfrühtem Bruch führten. Der Grund dafür sind unvermeidbare Unebenheiten der Bohrkernoberfläche beim Bohrvorgang, insbesondere infolge geringfügig abweichender Durchmesser von Bohrkern und Kalotten. Aus diesem Grund wurde Zementmörtel oder wegen der geringeren Erhärtungszeiten Gips zum Abgleich zwischen Bohrkern und Kalotte empfohlen und verwendet. Abb 4: Abdruck von Unebenheiten des Bohrkerns auf einem Stück des Abgleichgipses (eigene Versuche) Mit den genannten Prüfbedingungen führte HEIDEL 109 Versuche durch, bei denen verschiedene Fugenbilder (siehe Abb. 2), verschiedene Steine (Mauerziegel unterschiedlicher Festigkeiten, Klinker und Kalksandsteine) und verschiedene Mörtel (Kalk-, Kalkzement- und Zementmörtel) kombiniert wurden. In Auswertung seiner Ergebnisse wurde die Fugenbildform 1 (siehe Abb. 2; keine Stoßfuge im Querschnitt) aufgrund ihrer geringeren Ergebnisstreuungen als aussagekräftigste Prüfvariante hervorgehoben. Für das Fugenbild 2 (mittlere Stoßfuge) ergaben sich deutlich höhere Streuungen und durchschnittlich etwa um den Faktor 0,8 geringere Prüfwerte. Warum dieses Fugenbild 2 später als Standardvariante des UIC-Kodex verwendet wurde, kann jedoch nur spekuliert werden. Es ist zu vermuten, dass bei den nach UIC zu prüfenden Gewölbebrücken häufig keine Läufer auf der Mauerwerksoberfläche vorhanden sind, was die Einhaltung des Fugenbildes 1 unmöglich macht. Zur Kalibrierung der Versuchsergebnisse wurden für die 13 Stein-Mörtel-Kombinationen je drei bis sechs RILEM-Mauerwerksprüfkörper hergestellt und geprüft. Die Mauerwerksprüfkörper waren als Verbandsmauerwerk mit Abmessungen von ca. 24 cm Breite und 49 cm Länge sowie Höhen von 42 oder 58 cm ausgeführt. In Auswertung der Untersuchungsergebnisse ergab sich ein linearer Umrechnungsfaktor (Bohrkernfestigkeit in RILEM-Festigkeit) von k RILEM = 0,8 für Mauerziegel und k RILEM = 0,7 für höherfeste Klinker. Nach HEIDEL berechnet sich somit die Mauerwerksfestigkeit an einer Untersuchungsstelle nach Gleichung (1): f ma,i = k RILEM · k s · F max / A mid (1) mit f ma,i experimentell bestimmte Mauerwerksdruckfestigkeit k s = 1,3 Spannungsverteilungskonstante k RILEM = 0,8 (0,7) Faktor für Umrechnung Fugenbohrkern auf RILEM-Prüfkörper F max Bruchlast A mid Mittelfläche des Bohrkerns (Länge x Durchmesser) Somit ergibt sich ein Gesamtumrechnungsfaktor (Bohrkernfestigkeit in Mauerwerksfestigkeit) von k RILEM · k s = 1,04. 3.2 KRÄMER (1998, DE) KRÄMER [8] führte analog zu den Prüfbedingungen von HEIDEL 12 Versuche durchgeführt, wobei sechs Versuche an einem „schlechten Mauerwerk“ (MG I, SFK 12) und sechs Versuche an einem „guten Mauerwerk“ (MGIII, SFK 20) gemacht wurden. Als RILEM-Referenzkörper wurde Verbandsmauerwerk mit Abmessungen von ca. 24 cm Breite und 77 cm Länge sowie einer Höhe von 103 cm verwendet, wobei für jede Mauerwerksart zwei RILEM-Prüfkörper geprüft wurden. Als Fugenbild wurde die Variante 1 nach HEIDEL gewählt. KRÄMER stellte anhand seiner Untersuchungsergebnisse fest, dass die Auswertung nach HEIDEL für das geringfeste Mauerwerk gut übereinstimmte, dass der Auswertungsansatz das höherfeste Mauerwerk jedoch deutlich unterschätzte. 600 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Das Fugenbohrkernverfahren nach HELMERICH / HEIDEL bzw. UIC-Kodex 778-3 zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk 3.3 Bilello; Brencich; Corradi; Di Paola; Sterpi (2006-2007, IT) Die Wissenschaftler der Universitäten Genua und Palermo veröffentlichten 2006 und 2007 mehrere Aufsätze (u.a. [9][10][11]), die sich im Wesentlichen alle auf ein Untersuchungsprogramm beziehen. An drei Stein- Mörtelkombinationen (zwei Steinarten und drei unterschiedliche Mörtel) wurden je drei Bohrkerne und drei Referenzprüfkörper (24 cm x 24 cm x 40 cm) geprüft. Die Referenzprüfkörper sind im Verband gemauert und entsprechen aufgrund ihrer geringen Länge nicht den Anforderungen an RILEM-Prüfkörper. Die Prüfung erfolgte an Bohrkernen nach dem Fugenbild 2 (UIC-Kodex). Anhand der Fotodokumentation ist ersichtlich, dass eine Zwischenlage teilweise nicht verwendet wurde und teilweise Bleiplatten als Zwischenlage zur Anwendung kamen. Abb 5: Prüfkörper nach dem Bruch (als Zwischenlage Bleiplatten) [10] S. 951 Die Ergebnisse der Prüfungen, die durch FEM-Berechnungen ergänzt wurden, ergaben einen Gesamtumrechnungsfaktor (Bohrkernfestigkeit in Mauerwerksfestigkeit) von k RILEM · k s = 1,8. Dieser Wert wurde vermutlich bei der Überarbeitung des UIC-Kodex 778-3 2011 als neuer Umrechnungsfaktor verwandt. Gleichzeitig wurde im UIC-Kodex von 2011 auch das in der Version von 1995 geforderte Abgleichen mit Zementmörtel durch das Einlegen von Bleiplatten ersetzt. 3.4 MATYSEK (2014, PL) An der Universität Krakau wurden von MATYSEK Untersuchungen an einem relativ geringfesten Bestandmauerwerk eines historischen Gebäudes durchgeführt [12]. Es wurden 15 Bohrkerne aus zwei verschiedenen Bestandsmauerwerken mit dem Fugenbild 2 entnommen. Zur Kalibrierung wurden Mauerwerksprismen mit den Abmaßen von ca. 40 cm x 60 cm x 70 cm aus dem Bestandsmauerwerk herausgesägt. Die Prüfung der Bohrkerne erfolgte nach Angaben des Autors z.T. ohne Zwischenlage (siehe Abb. 6) und bei deutlichen Unebenheiten mit einer sehr dünnen Gipsabgleichschicht). Abb. 6: Prüfkörper nach dem Bruch ohne Zwischenlage [11] S. 95 Die Auswertung bestätigte in etwa die Ergebnisse von BRENCICH (siehe Abschnitt 3.3). Als Gesamtumrechnungsfaktor (Bohrkernfestigkeit in Mauerwerksfestigkeit) ergab sich ein Wert von k RILEM · k s = 1,75. 3.5 PELA; ROCA; BENEDETTI (2016, ES/ IT) Durch ein spanisch-italienisches Team wurde 2016 an einem Mauerwerk mit geringen Stein- und Mörtelfestigkeiten zwölf Versuche durchgeführt [13]. Dabei wurden sechs Fugenbohrkerne nach dem Fugenbild 2 (UIC) und sechs Fugenbohrkerne nach dem Fugenbild 1 (Empfehlung HEIDEL) entnommen. Während bei den bisher aufgeführten Untersuchungen vorwiegend normalformatige und reichsformatige Steine zu Anwendung kamen, wurden hier deutlich größere, flache Ziegel mit Abmaßen verwendet, die im Mittelmeerraum in historischem Mauerwerk häufig vorkommen (276 × 133 × 43). Um das Problem der Ankopplung der Bohrkerne an die Prüfkalotten zu umgehen, erfolgte ein Anbetonieren von Blöcken aus hochfestem Beton an die Bohrkerne (Bild 7). Grundlagen für diese Vorgehensweise wurden 2014 von SASSONI, MAZZOTTI und PAGLIAI an der Universität Bolognia erarbeitet, die mittels dieser Mörtelbzw. Betonkappen bereits Versuche an Mauerwerksbohrkernen mit einem Durchmesser von ca. 100 mm in Anlehnung an die UIC-Prüfung vornahmen [14]. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 601 Das Fugenbohrkernverfahren nach HELMERICH / HEIDEL bzw. UIC-Kodex 778-3 zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk Bild 7: Eingeschalter und fertiger Prüfkörper mit Betonkappen [12] S. 364 Kalibriert wurden die Ergebnisse an drei 5-Stein-Prüfkörpern mit den Abmaßen 28 cm x 13 cm x 34 cm. In Auswertung der Ergebnisse war festzustellen, dass die Bohrkerne mit dem Fugenbild 2 gegenüber dem Fugenbild 1 analog zu den Ergebnissen von HEIDEL ca. 80 % niedrigere Werte lieferten und die Ergebnisse stärker streuten. Im Verhältnis zum Prisma ergab sich beim Fugenbild 1 ein Gesamtumrechnungsfaktor (Bohrkernfestigkeit in Mauerwerksfestigkeit) von k RILEM · k s = 1,04, was den von HEIDEL ermittelten Umrechnungen entspricht. 3.6 DÜRKOP (2019, DE) 2019 wurden im Rahmen einer Masterarbeit an der TH Lübeck durch DÜRKOP [15] Vergleichsversuche zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Ziegelmauerwerk ausgeführt, u.a. auch zwölf Versuche an Fugenbohrkernen mit dem Fugenbild 2. Als Zwischenlage wurde bei neun Proben ein Kunststoffflies verwendet und bei drei Proben ein Zementmörtel. Als Referenzkörper wurden Einstein-RILEM-Prüfkörper mit den Abmaßen 51 cm x 12 cm x 40 cm verwendet. Der Gesamtumrechnungsfaktor lag bei den Untersuchungen deutlich unterhalb der Empfehlungen von HEIDEL. Zudem streuten die Ergebnisse sehr stark. 3.7 WEYDERT (2020, DE) Ebenfalls im Rahmen einer Masterarbeit führte WEY- DERT [16] 2020 in Karlsruhe Versuche zur Prüfung von Mauerwerkbauten im massiven Verkehrswasserbau durch. Da traditionell im Wasserbau Mauerwerk hoher Festigkeit ausgeführt wird, wurden hier auch Steine und Mörtel extrem hoher Festigkeit für die Versuche gewählt. Prüfungen an Fugenbohrkernen erfolgten am Fugenbild 1 (sechs Prüfkörper) und am Fugenbild 2 (sechs Prüfkörper). Als Zwischenlage kamen Bleiplatten zur Anwendung. Als Vergleichskörper wurden RILEM-Prüfkörper aus Verbandsmauerwerk mit den Abmessungen 49 cm x 24 cm x 40 cm verwendet. Die mittlere Festigkeit lag bei 54 N/ mm² und war damit im Vergleich zu Bestandsmauerwerk extrem hoch. WEYDERT stellte in Auswertung ihrer Untersuchungsergebnisse fest, dass die Auswertung nach HEIDEL das hochfeste Mauerwerk bei weitem unterschätzte. 3.8 WELKER (2020, DE) Ebenfalls an der TH Lübeck erfolgten 2020 durch WELKER [17] vergleichende Versuche an Kalksandstein-Mauerwerk im Rahmen einer Masterarbeit. Hierbei wurden wiederum zwölf Prüfungen an Fugenbohrkernen durchgeführt (neun Versuche mit dem Fugenbild 2, drei Versuche mit dem Fugenbild 1). Als Zwischenlage wurde analog zu dem Vorgehen von HEIDEL Gips verwendet. Als Referenzgröße wurden Einstein-RILEM-Prüfkörper mit den Abmaßen 49 cm x 12 cm x 40 cm hergestellt. Die Untersuchungen sind mit den Ergebnissen von HEI- DEL nur bedingt vergleichbar, weil HEIDEL Verbands- RILEM-Prüfkörper und WELKER Einstein-RILEM- Prüfkörper als Referenzgröße verwendete. Vermindert man die RILEM-Festigkeitswerte von WELKER aber mit dem Faktor 0,8, der nach DIN EN 1996-1-1 [18] für die Umrechnung von Einsteinzu Verbandsmauerwerk gilt, zeigt sich eine gute Entsprechung zu den Ergebnissen von HEIDEL. 3.9 GIGLA (2020, DE) Im Rahmen eines Forschungsprojekts zum Fugenbohrkernverfahren nach BERGER teste GIGLA drei Mauerwerksproben in Anlehnung an das Verfahren nach UIC 778-3 [19]. Die Lasteinleitung erfolgte auf der oberen Seite analog den Vorgaben von HEIDEL mit einer konkaven Lasteinleitungsplatte und einem dünnen Gipsabgleich, unten wurde die Lasteinleitungsplatte mit einer rechteckigen, mit Zementmörtel verfüllten Aussparung versehen, in die der Prüfkörper eingelegt wurde. Die Prüfung erfolgte an Mauerwerk mit sehr hoher Steinfestigkeit. Die in [19] lediglich qualitativ bewerteten Ergebnisse verweisen auf eine deutliche Unterschätzung der Mauerwerksfestigkeit durch die Bohrkernprüfung, was mit den Erkenntnissen von KRÄMER und WEYDERT bei höherfestem Mauerwerk übereinstimmt. 4. Vergleich der Forschungsergebnisse 4.1 Allgemeines Bei der Betrachtung der unterschiedlichen in- und ausländischen Forschungsergebnisse fällt auf, dass sich sowohl die Prüfungsdurchführung des Fugenbohrkernverfahrens als auch das Aussehen der Referenzprüfkörper z.T. deutlich unterscheiden und die Ergebnisse nur bedingt oder gar nicht verglichen werden können. Insbesondere scheinen 602 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Das Fugenbohrkernverfahren nach HELMERICH / HEIDEL bzw. UIC-Kodex 778-3 zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk die Ergebnisse beeinflusst von der Art der Zwischenlage sowie der Form des Referenzprüfkörpers zu sein. Zudem unterscheiden sich auch die verwendeten Fugenbilder der Bohrkerne (Fugenbild 1 und/ oder Fugenbild 2). Diese deutlichen Unterschiede in der Prüfungsausführung sind sicherlich den unterschiedlichen Vorgaben von HEIDEL bzw. des UIC-Kodex in seinen verschiedenen Ausgaben von 1995 und 2011 geschuldet. Sie sind jedoch auch durch fehlende Prüfanleitungen in all diesen Veröffentlichungen begründet. Eine solche Prüfanleitung wurde nun in Abstimmung mit HEIDEL erarbeitet. Sie ist als Anhang an den Merkblattentwurf WTA 7-4 „Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk aus künstlichen kleinformatigen Steinen“ vorgesehen und auch hier im Anhang unter Ergänzung einiger anschaulicher Praxisbilder (Bilder A4 bis A8) angefügt. 4.2 Fugenbild 1 Grundsätzlich müssen bei einem Vergleich der Forschungsergebnisse die untersuchten Fugenbilder getrennt voneinander betrachtet werden. Zum Fugenbild 1 liegen Ergebnisse von HEIDEL, KRÄMER, PELA, WEY- DERT und WELKER vor, die in Abb. 8 grafisch dargestellt sind. Zudem wurde der Gesamtumrechnungsfaktor von HEIDEL (k RILEM · k s = 1,04) mit in das Diagramm integriert. Aus der Grafik wird ersichtlich, dass im unteren Bereich der Mauerwerksfestigkeit eine nahezu lineare Tendenz vorhanden ist, die mit dem Faktor von HEIDEL gut übereinstimmt. Erst beim Mauerwerk höherer Festigkeit sind Werte vorhanden, die deutlich oberhalb der Umwertung von HEIDEL liegen, was von KRÄMER und WEY- DERT auch angemerkt wurde. Zugleich sind aber bei HEIDEL und PELA auch Werte vorhanden, die unterhalb der Geraden liegen. HEIDEL, KRÄMER und WELKER prüften die Fugenbohrkerne unter den gleichen Bedingungen (Eingipsen in Prüfkalotten). Lediglich bei den RILEM-Vergleichskörpern sind Unterschiede vorhanden. Da mit Ausnahme von WELKER alle Forschungen zum Fugenbild 1 an RILEM-Vergleichskörpern aus Verbandsmauerwerk gemacht wurden, werden die Ergebnisse von WELKER vereinfachend mit dem o.g. Faktor 0,8 von Einsteinmauerwerk in Verbandsmauerwerk umgerechnet. Somit sind diese drei Arbeiten vergleichbar. Abb 8: Alle vorliegenden Ergebnisse zum Fugenbild 1 PELA verwendet ein deutlich abgewandeltes Prüfverfahren mit angegossenen Betonblöcken, deren Abmaße zudem nicht den von HEIDEL entworfenen Prüfkalotten entsprechen. Somit werden die Ergebnisse von PELA in der weiteren Betrachtung nicht mehr mitberücksichtigt. WEYDERT verwendete im Unterschied zu HEIDEL als Zwischenlage Bleiplatten. Blei besitzt nach [20] eine Druckfestigkeit von 12,5-30 N/ mm². Geht man davon aus, dass zu einem guten Ausgleich der Bohrkernunebenheiten die Bleiplatten in einem nahezu plastischen Zustand vorliegen müssen, sollte die Druckfestigkeit des Bleis vor dem Versagen der Bohrkerne annähernd erreicht sein. Bei einer Kontaktfläche zum Bohrkern von ca. 240 mm x 75 mm ist dafür eine Kraft zwischen 225 und 540 kN notwendig, was bezogen auf die Mittelfläche des Bohrkerns zu Bohrkernfestigkeiten von 6,25 bis 15 N/ mm² führt. Auf der sicheren Seite liegend ist deshalb erst ab Bohrkernfestigkeiten von ca. 15 N/ mm² von einem guten Ausgleich der Bohrkernunebenheiten durch die Bleiplatten auszugehen. Da die Bohrkernfestigkeiten von WEYDERT aufgrund der extrem festen Komponenten jedoch oberhalb dieses Grenzwertes liegen (15,6- 20,7 N/ mm²), kann davon ausgegangen werden, dass die Bleiplatten hier einen guten Ausgleich bewirkt haben. Die Ergebnisse wurden deshalb zur Auswertung mit herangezogen. Letztendlich wurden im Rahmen der Vergleichbarkeit noch die verwendeten Ausgangstoffe, insbesondere die verwendeten Mauersteine, betrachtet. Die meisten Mau- 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 603 Das Fugenbohrkernverfahren nach HELMERICH / HEIDEL bzw. UIC-Kodex 778-3 zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk ersteine besitzen nur relativ geringe Druckfestigkeitsschwankungen mit Variationskoeffizienten von bis zu 25%. Bei HEIDEL wurden jedoch auch Klinker geprüft, deren stark streuende Qualität bereits damals bei der Auswertung der Ergebnisse auffiel. Die Klinkerdruckfestigkeiten besitzen Variationskoeffizienten von 38%, was sich auch bei den daraus hergestellten RILEM-Prüfkörper widerspiegelte (Festigkeitsstreuungen ebenfalls 38%). Aufgrund dieser großen Streuungen wurden die Ergebnisse dieses Klinkermauerwerks ebenfalls für die weitere Auswertung nicht mitberücksichtigt. Unter Verwendung der verbleibenden Werte ergibt sich ein eher exponentieller Verlauf der Beziehung zwischen der Bohrkernfestigkeit und der RILEM-Festigkeit (Abb. 9), dessen Regressionsfunktion (rote Linie) auch die Ergebnisse bei hohen Mauerwerksfestigkeiten berücksichtigt. Im Bereich kleinerer Mauerwerksfestigkeiten liegt die Funktion im Bereich des linearen HEIDELschen Umrechnungsfaktors. Abb. 9: Verbleibende Werte und Umrechnungsfunktionen zum Fugenbild 1 Die Umrechnung von der Bohrkernfestigkeit in die RI- LEM-Festigkeit ergibt sich unter Verwendung der Regressionsfunktion näherungsweise zu: f ma,i = 2,3 · e (0,165∙ Fmax/ Amid) (2) Vereinfachend kann auch bis zu einer Bohrkernfestigkeit von etwa 10 N/ mm² der lineare Faktor von HEIDEL (1,04) weiterverwendet werden und nur bei höheren Festigkeiten eine genauere Bewertung nach Gleichung (2) erfolgen. 4.3 Fugenbild 2 Schwieriger gestaltet sich der Ergebnisvergleich beim Fugenbild 2, da die Randbedingungen der vorliegenden Untersuchungsergebnisse noch stärker variieren und die Ergebnisse deutlich stärker streuen. In Abb. 10 sind alle vorliegenden Ergebnisse zum Fugenbild 2 grafisch aufbereitet. Zudem ist der für das Fugenbild 1 bekannte HEIDELsche Umrechnungsfaktor 1,04 durch 0,8 dividiert worden, da sich bei den Untersuchungen von HEIDEL und auch PELA gezeigt hatte, dass Bohrkerne mit dem Fugenbild 2 etwa 80% niedrigere Werte liefern, als Bohrkerne mit dem Fugenbild 1. Abb. 10: Alle vorliegenden Ergebnisse zum Fugenbild 2 Bei der Überlegung, welche Ergebnisse vergleichbar sind, entfallen die Untersuchungen von BILLELO, MA- TYSEK und ein Teil der Ergebnisse von DÜRKOP, weil eine abweichende Zwischenlage verwendet wurde. Die Ergebnisse von PELA können aufgrund der bereits bei Fugenbild 1 genannten Problematik nicht verwendet werden, ebenso wie die Ergebnisse von HEIDEL mit den stark streuenden Steineigenschaften und die Ergebnisse von WEYDERT mit Bohrkernfestigkeiten <15 N/ mm². Trotz der verbliebenen wenigen Werte ergibt ein ähnliches Bild wie beim Fugenbild 1 (Abb. 11). Erstellt man 604 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Das Fugenbohrkernverfahren nach HELMERICH / HEIDEL bzw. UIC-Kodex 778-3 zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk die Regressionsfunktion auf exponentieller Basis, ergibt sich eine Funktion, die sich von der Funktion beim Fugenbild 1 um den Faktor 1/ 0,77 unterscheidet. Damit bestätigen sich die Aussagen von HEIDEL und PELA, dass die Ergebnisse des Fugenbildes 2 ca. 80% niedriger liegen als beim Fugenbild 1. Die Umrechnung von der Bohrkernfestigkeit in die RI- LEM-Festigkeit ergibt sich unter Verwendung der Regressionsfunktion beim Fugenbild 2 in Näherung zu: f ma,i = 3,0 · e (0,165∙ Fmax/ Amid) (3) Für kleine Mauerwerksfestigkeiten mit Bohrkernfestigkeiten bis ca. 8 N/ mm² gilt weiterhin der lineare Ansatz nach Heidel (1,04/ 0,8). Abb. 11: Verbleibende Werte und Umrechnungsfunktionen zum Fugenbild 2 4.4 Anmerkungen zu Ergebnisstreuungen Bei der Betrachtung der Versuchsergebnisse fiel auf, dass die Streuungen (Variationskoeffizienten) der Bohrkernfestigkeiten bei Untersuchungen mit dem Fugenbild 1 in der Regel relativ gering und häufig kleiner als die Streuungen der Steinfestigkeiten sind. Um diese Beobachtung zu quantifizieren, wurden an den vorhandenen Datensätzen zum Fugenbild 1 die Streuungen der Festigkeit der verwendeten Steine und die Streuungen der Festigkeit der untersuchten Fugenbohrkerne gegenübergestellt (Abb. 12). Abb. 12: Vergleich der Variationskoeffizienten von Stein- und Bohrkernfestigkeiten beim Fugenbild 1 Bei den Datensätzen 1-10 handelt es sich um Ergebnisse von HEIDEL. Die relativ hohen Variationskoeffizienten der Steine sind vermutlich auf Qualitätsschwankungen der in der ehemaligen DDR hergestellten Materialien zurückzuführen. Bei den Reihen 1-3 handelt es sich um Kalksandsteine, die Reihen 4-10 gehören zu Ziegeln. Die Datensätze 11 und 12 stammen von KRÄMER (Ziegel), der Datensatz 13 von WEYDERT (Klinker) und der Datensatz 14 von WELKER (Kalksandsteine). Bei diesen letzten vier Serien, deren Materialien nach 1990 hergestellt wurden, liegen die Variationskoeffizienten der Steindruckfestigkeit durchschnittlich deutlich niedriger. Lediglich die Festigkeiten der Kalksandsteine der Serie 14 streuen etwas stärker. Vergleicht man den Variationskoeffizient der jeweiligen Steindruckfestigkeit mit dem Variationskoeffizient der Bohrkerndruckfestig, so ist festzustellen, dass bei 10 der 14 Serien tatsächlich die Streuung der Bohrkernfestigkeit geringer ist als beim Stein, der für die Herstellung des jeweiligen Mauerwerks verwendet wurde. An einem weiteren Datensatz (13) ist der Variationskoeffizient der Bohrkernfestigkeit mit V k = 12% sehr gering. Lediglich an drei Datensätzen (5, 7 und 11) ist die Streuung der Bohrkernfestigkeit deutlich größer als die Streuung der Steinfestigkeit und nur bei lediglich einer Prüfserie liegt der Variationskoeffizient oberhalb 25%. Diese Feststellung deckt sich mit Beobachtungen aus der Praxis. Bei der Prüfung von historischem und homogenem Mauerwerk aus einer Entstehungsphase steigen die Variationskoeffizienten der Bohrkernfestigkeit nur selten über 25% und liegen meist im Bereich von 10-20%. Ursache für diese Verhalten ist möglicherweise, dass sich in den Fugenbohrkernen größere und kleinere Ziegelfestigkeiten etwas gegeneinander ausgleichen, was zur Homogenisierung der Festigkeiten beiträgt. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 605 Das Fugenbohrkernverfahren nach HELMERICH / HEIDEL bzw. UIC-Kodex 778-3 zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk 5. Zusammenfassung Das in der ehemaligen DDR in den 1980er Jahren entwickelte Prüfverfahren an Fugenbohrkernen d = 150 mm zur Bestimmung der Mauerwerksdruckfestigkeit nach HELMERICH / HEIDEL wurde 1995 in abgewandelter Form Bestandteil des UIC-Kodex 778-3. Aufgrund dieser Konstellation sowie fehlender Prüfanleitungen in beiden Dokumenten gab es deutliche Unterschiede in der Prüfungsausführung bei nachfolgen Studien im Inland und europäischen Ausland. Im Rahmen dieser Veröffentlichung wurde versucht, alle wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse zu diesem Verfahren aufzuzeigen und zu vergleichen. Dabei zeigte sich, dass sowohl bei der Wahl des verwendeten Fugenbildes, bei der Durchführung der Prüfung (insbesondere bei der verwendeten Zwischenlage) als auch bei der Beschaffenheit der verwendeten Referenzprüfkörper zum Teil deutliche Unterschiede bestehen und die einzelnen Forschungsergebnisse nur bedingt vergleichbar sind. Nach der Überprüfung der Randbedingungen (verwendete Zwischenlage, Streuung der Steindruckfestigkeit, verwendete Referenzprüfkörper) ergaben sich jedoch für das Fugenbild 1 (ohne Vertikalfuge in der Mitte) eine ganze Anzahl und für das Fugenbild 2 (mit Vertikalfuge in der Mitte) zumindest einige vergleichbare Ergebnisse, an denen eine Auswertung durchgeführt werden konnte. Dabei zeigte sich, dass bei geringeren Bohrkernfestigkeiten bis ca. 8-10 N/ mm² der von HEIDEL entwickelte lineare Umrechnungsansatz Gültigkeit besitzt, dass er jedoch bei höheren Mauerwerksfestigkeiten zu einer Unterschätzung der tatsächlichen Mauerwerksfestigkeit führt. Aus diesem Grund wurde sowohl für das Fugenbild 1 als auch für das Fugenbild 2 eine Umrechnungsfunktion auf exponentieller Basis für die Umwertung aller im Versuch bestimmten Bohrkernfestigkeiten in die jeweilige korrespondierende Mauerwerksdruckfestigkeit bestimmt. Es ist jedoch anzumerken, dass besonders in Bereich größerer Mauerwerksfestigkeiten nur wenige Prüfwerte zur Auswertung zu Verfügung standen, sodass dieser Bereich bei weiteren Forschungsarbeiten zu diesem Thema besonders mitberücksichtigt werden sollte. Zudem wäre es wünschenswert, zu diesem Prüfverfahren koordinierte Ringversuche an verschiedenen Einrichtungen durchzuführen, um die bisherigen Erkenntnisse weiter zu vertiefen. Beim Vergleich der Untersuchungsergebnisse wurde festgestellt, dass sich die nach der 2. und 3. Ausgabe des UIC-Kodex 778-3 als Zwischenlage geforderten Bleiplatten nur bedingt eignen, da es erst bei sehr hohen Bohrkernfestigkeiten (>15 N/ mm²) zu einem guten Eindrücken der stets vorhandenen Unebenheiten des Bohrkerns in die Bleiplatte kommt. Auch der in der 2. und 3. Auflage des UIC-Kodex 778-3 genannte Umrechnungsfaktor von 1,8 bzw. 2,2 ist bei einer Prüfung nach den Vorgaben von HEIDEL (siehe Anhang) als kritisch und auf der unsicheren Seite liegend anzusehen. Das nach HEIDEL als günstigste Variante zu prüfende Fugenbild 1 führt hingegen bei sachgerechter Ausführung (Abgleich mit Gips) zu sehr homogenen Prüfergebnissen der Bohrkernfestigkeit, deren Festigkeitsstreuungen meist unter denen der Mauersteinfestigkeit des untersuchten Mauerwerks liegen. Da in den meisten untersuchten Arbeiten als Referenzprüfkörper Verbandsmauerwerk mit Fugen in Längsrichtung des Mauerwerks verwandt wurden, müssen die aus den Bohrkernfestigkeiten ermittelten Mauerwerksfestigkeiten nicht zusätzlich mit dem Faktor 0,8 für Verbandsmauerwerk abgemindert werden. Um eine Vereinheitlichung der Prüfungsdurchführung bei weiteren Versuchen zu ermöglichen, wurde eine ausführliche Prüfungsanleitung erstellt, die sich im Anhang dieses Artikels befindet. Literaturverzeichnis [1] DIN EN 1052-1: 1998-12 Prüfverfahren für Mauerwerk - Teil 1: Bestimmung der Druckfestigkeit; Deutsche Fassung EN 1052-1: 199 [2] Berger, F.: Zur nachträglichen Bestimmung der Druckfestigkeit von zentrisch gedrücktem Mauerwerk. In: Wenzel, F. (Hrsg.): Erhalten historisch bedeutsamer Bauwerke: Baugefüge, Konstruktionen, Werkstoffe. Jahrbuch 1986. Sonderforschungsbereich 315, Universität (TH) Karlsruhe. Berlin: Ernst und Sohn, 1987, S. 231-248 [3] Patentschrift DD 243987 A1, Amt für Patentwesen der deutschen demokratischen Republik, 1985 (heutiges Aktenzeichen: DE DD 2837574) [4] Heidel, R.: Ermittlung der Materialkennwerte von Mauerwerk als Grundlage zur Beurteilung der Tragfähigkeit von Mauerwerkskonstruktionen, Dissertation, TH Leipzig, 1989 [5] Empfehlungen für die Bewertung des Tragvermögens bestehender Gewölbebrücken aus Mauerwerk und Beton: UIC-Kodex; 778-3, 1. Ausgabe. Paris: Internationaler Eisenbahnverband (UIC), 1995 [6] Empfehlungen für die Inspektion, Bewertung und Instandhaltung von Gewölbebrücken aus Mauerwerk: UIC-Kodex 778-3, 2. Ausgabe. Paris: Internationaler Eisenbahnverband (UIC), 2011 [7] IRS 70778-3: Recommendations for the inspection, assessment and maintenance of masonry arch bridges, Paris: Internationaler Eisenbahnverband (UIC), 2017 [8] Krämer, A.: Beurteilung der Tragfähigkeit von bestehendem Mauerwerk, TU Dresden, 1998 (Diplomarbeit, unveröffentlicht) [9] Brencich, A., Corradi, C., Sterpi, E: Experimental approaches to the compressive response of solid clay brick masonry, 13th International Brick and Block Masonry Conference, Amsterdam, 2004 606 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Das Fugenbohrkernverfahren nach HELMERICH / HEIDEL bzw. UIC-Kodex 778-3 zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk [10] Bilello, C., Brencich, A., Di Paola, M., Sterpi, E.: Compressive Strength of Solid Clay Brickwork: Calibration of Experimental Tests, 2006 [11] Bilello, C., Brencich,A., Corradi, C., Di Paola, M., Sterpi, E.: Experimental Tests and Theoretical Issues for the Identification of Existing Brickwork, 10. North American Masonry Conference, St. Luis, USA, 2007 [12] Matysek, P.: Identification of compressive strength and deformability of brick masonry in existing buildings. Ed. Cracow University of Technology, 2014 [13] Pelà, L.; Roca, P.; Benedetti, A.: Mechanical Characterization of historical Masonry by Core Drilling and Testing of cylindrical samples. International Journal of Architectural Heritage 10 (2016), Nr. 2-3, S. 360-374 [14] Sassoni E., Mazzotti C., Pagliai G., Comparison between experimental methods for evaluating the compressive strength of existing masonry buildings, Construction and Building Materials 68 (2014), S. 206-219 [15] Dürkop, P.: Vergleichsversuche zur Ermittlung der Tragfähigkeit von vorhandenem Ziegelmauerwerk, TH Lübeck, 2019 (Masterarbeit, unveröffentlicht) [16] Weydert, C.: Nachrechnung von bestehenden Mauerwerksbauwerken im massiven Verkehrswasserbau, KIT Karlsruhe, 2020 (Masterarbeit, unveröffentlicht) [17] Welker, R.: Untersuchungen zur nachträglichen Ermittlung der Tragfähigkeit von Mauerwerk, TH Lübeck, 2020 (Masterarbeit, unveröffentlicht) [18] DIN EN 1996-1-1: 2013-02 Eurocode 6: Bemessung und Konstruktion von Mauerwerksbauten - Teil 1-1: Allgemeine Regeln für bewehrtes und unbewehrtes Mauerwerk; Deutsche Fassung EN 1996-1-1: 2005+A1: 2012 [19] Gigla, B. (2020) Bestimmung der Druckfestigkeit von vorhandenem Mauerwerk. Mauerwerk 24, H. 4, S. 215-226 [20] Bleich, F., Melan, J. (Hrsg.): Taschenbuch für Ingenieure und Architekten. Wien: Springer, 1926 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 607 Das Fugenbohrkernverfahren nach HELMERICH / HEIDEL bzw. UIC-Kodex 778-3 zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk Anhang Prüfanleitung zur experimentell bestimmten Mauerwerksdruckfestigkeit an Fugenbohrkernen nach HELMERICH / HEIDEL 1. Anwendungsbereich Diese Prüfanleitung legt ein Verfahren zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Mauerwerksverbundprüfkörpern aus Mauerwerk aus kleinformatigen Vollsteinen (Ziegel, Kalksandstein) fest. 2. Verweise auf andere Normen und Merkblätter Die folgenden zitierten Dokumente sind für die Anwendung dieses Dokuments erforderlich. • WTA Merkblatt 7-4: Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk aus künstlichen kleinformatigen Steinen, IRB-Verlag 2021 • IRS 70778-3: Recommendations for the inspection, assessment and maintenance of masonry arch bridges, Paris: Internationaler Eisenbahnverband (UIC), 2017 • DIN EN 772-1: 2016-05 Prüfverfahren für Mauersteine - Teil 1: Bestimmung der Druckfestigkeit • DIN EN ISO 6873: 2013-07 Zahnheilkunde - Gipse 3. Kurzbeschreibung Aus dem Bauwerk entnommen Fugenbohrkerne mit besonderem Fugenbild werden in spezielle Lasteinleitungskalotten eingegipst. Die Probekörper werden nach der Vorbereitung einzeln auf die Druckplatte einer Druckprüfmaschine aufgelegt und zentriert. Es wird eine gleichmäßig verteilte Last aufgebracht, die stetig bis zum Bruch erhöht wird. 4. Symbole f ma,i experimentell bestimmte Mauerwerksdruckfestigkeit k s Spannungsverteilungskonstante k RILEM Faktor für Umrechnung Fugenbohrkern auf RILEM-Prüfkörper F max Bruchlast A mid Mittelfläche des Bohrkerns (Länge x Durchmesser) 5. Hilfsmittel und Materialien Spezielle Lasteinleitungskalotten: 2 Stücke Formkörper aus Stahl mit dem in Bild 1 dargestellten Querschnitt und einer Mindestlänge von 240 mm Bild A1: Abmessungen einer Lasteintragungskalotte Abgleichmörtel (Gips): Superhartgips Typ IV oder V nach DIN EN ISO 6873: 2013-07 6. Prüfeinrichtung Für die Druckfestigkeitsprüfung ist eine Druckprüfmaschine nach DIN EN 772-1: 2016-05 zu verwenden. Zur Konditionierung der Probekörper ist eine Wägevorrichtung, die geeignet ist, die Masse der Probekörper auf 0,1 % zu bestimmen, einzusetzen. 7. Vorbereitung der Probekörper 7.1 Probenahme Die Probenahme erfolgt aus dem Bestandsmauerwerk mittels eines an einem Ständer befestigtem Kernbohrgerätes im Nassbohrverfahren mit Diamantbohrkrone. Der Innendurchmesser der Bohrkrone muss 150 mm ± 2 mm betragen. Bei dem Ansetzen der Bohrkrone auf dem Mauerwerk muss auf ein spezielles Fugenbild geachtet werden, so dass Bohrkerne nach Bild 2 (von HEIDEL empfohlenes Fugenbild 1) und falls dies der Mauerwerksverband nicht zulässt, nach Bild 3 (Fugenbild 2 nach IRS 70778-3) entnommen werden. Bild A2: Fugenbild 1 Bild A3: Fugenbild 2 608 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Das Fugenbohrkernverfahren nach HELMERICH / HEIDEL bzw. UIC-Kodex 778-3 zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk Die Bohrtiefe ist so zu wählen, dass ein Probekörper mit einer Länge von mindestens einer Steinlänge (ca. 25 cm) ohne Beschädigungen gewonnen werden kann. Die Bohrkerne sind vorsichtig zu entnehmen und für den Transport zum Labor zu sichern. Bild A4: Bohrkern zum Fugenbild 1 7.2 Zuschneiden Die Bohrkerne sind an beiden Enden (auch an der Mauerwerksoberfläche mindestens 0,5 cm) mittels einer Diamanttrennsäge im Nassverfahren gerade abzuschneiden, so dass eine ebene Seitenoberfläche entsteht. Die Prüfkörperlänge sollte etwa einer Steinlänge entsprechen. Wird bei einer Entnahme nach Bild 2 festgestellt, dass der Verband nach dem oberflächensichtigen Läufer wechselt und doch Vertikalfugen in Bohrkernlängsrichtung vorhanden sind, sind die Bohrkerne auf eine Steinbreite zu kürzen. Bild A5: Mauerwerksoberfläche vor und nach dem Zuschneiden 7.3 Konditionierung der Probekörper vor der Prüfung Die Probekörper sind auf den lufttrockenen Zustand nach den Varianten a) oder b) nach DIN EN 772-1: 2016-05, Abschnitt 7.3.2. zu konditionieren. 7.4 Bestimmung der Prüfkörpergeometrie Die Länge und der Durchmesser des Prüfkörpers sind vor dem Einbau in die Prüfmaschine zu bestimmen (auf mm genau). Die lufttrockene Masse des Prüfkörpers sollte ebenfalls bestimmt werden, um eine Fehlerbetrachtung anhand der errechneten Dichten zu ermöglichen. 7.5 Einbau der Probekörper in die Prüfmaschine Die untere Lasteintragungskalotte ist in der Prüfmaschine zu zentrieren. Anschließend wird der weichplastisch angerührte Gips in die Rundung der Kalotte eingestrichen und der Bohrkern analog seiner Einbaulage im Mauerwerk so eingedrückt, dass eine dünne Abgleichschicht aus Gips zwischen Kalotte und Bohrkern vorhanden ist (ca. 1-3 mm). Im Anschluss wird bei der zweiten Kalotte in die Rundung ebenfalls Gipsmörtel eingestrichen und 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 609 Das Fugenbohrkernverfahren nach HELMERICH / HEIDEL bzw. UIC-Kodex 778-3 zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk die Kalotte um 180° verdreht von oben auf den Bohrkern aufgedrückt, so dass eine Abgleichschicht analog zur unteren Kalotte entsteht. Beide Kalotten müssen in vertikaler Richtung direkt übereinanderstehen und die Flächen, die Kontakt zu den Druckplatten der Prüfmaschine haben, müssen annähernd planparallel sein. Nach der Kontrolle der Zentrierung des Prüfkörpers in der Prüfmaschine (beide Achsen) sind die Druckplatten der Prüfmaschine so an den Probekörper heranzufahren, dass ein leichtes Andrücken der Prüfkalotten gewährleistet ist, ohne den Bohrkern wesentlich zu belasten (max. 1 kN Druckkraft). Anschließend ist eine Zeitspanne bis zu einer ausreichenden Erhärtung des Gipses abzuwarten. Die Zeitdauer hängt von dem verwendeten Gips und von der zu erwartenden Festigkeit des Mauerwerks ab (Richtwert 0,5 h). Bild A6: Aufbringen der Gipsauflage auf die untere und die obere Prüfkalotte Bild A7: Eingelegte obere Prüfkalotte 8. Durchführung der Prüfung Zu Beginn der Prüfung ist eine angemessene Belastungsgeschwindigkeit zu wählen. Die Belastung sollte so aufgebracht werden, dass der Bruch der Probe nach frühestens 60 s eintritt. Die Bruchlast ist aufzuzeichnen. Bruchbilder sollten ebenfalls dokumentiert werden. Bild A8: Prüfkörper nach der Prüfung mit typischem Rissbild 610 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Das Fugenbohrkernverfahren nach HELMERICH / HEIDEL bzw. UIC-Kodex 778-3 zur Bestimmung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk 9. Berechnung und Darstellung der Ergebnisse Die Festigkeit jedes Probekörpers wird durch Einsetzen in Gleichung 1 oder Gleichung 2 berechnet. f ma,i = 2,3 · e (0,165∙ Fmax/ Amid) (1) für Prüfungen nach HEIDEL mit dem Fugenbild 1 f ma,i = 3,0 · e (0,165∙ Fmax/ Amid) (2) für Prüfungen nach UIC-Kodex mit dem Fugenbild 2 10. Auswertung der Ergebnisse Die Auswertung der Ergebnisse erfolgt nach den Vorgaben des WTA Merkblattes 7-4: Ermittlung der Druckfestigkeit von Bestandsmauerwerk aus künstlichen kleinformatigen Steinen. 11. Prüfbericht Der Prüfbericht muss folgende Angaben enthalten: • Hinweis auf diese Prüfanleitung • Name der durchführenden Stelle • Datum der Prüfung • Herkunft der Bohrkerne (Objekt, Bauteil, konkrete Bohrkernentnahmestelle) • Datum der Anlieferung der Bohrkerne bei der Prüfstelle • Foto der Probekörper • Bruchlast, in kN, sowie die Maße jedes Probekörpers, in mm • Druckfestigkeit der Probekörper in N/ mm², auf 0,1 N/ mm² gerundet gegebenenfalls Bemerkungen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 611 Nachträgliche Horizontalsperren und Feuchtetransportvorgänge Domenika von Kruedener ISOTEC GmbH, Kürten, Deutschland Axel Dominik Ingenieurbüro Dominik, Bornheim, TH-Köln Zusammenfassung An bestehenden, älteren Bauwerken aus Mauerwerk oder Magerbeton sind oft Auswirkungen von Feuchtigkeitsschäden in unterschiedlichem Ausmaß zu erkennen. Diese Feuchtigkeitsschäden können die unterschiedlichsten Ursachen haben. Aus diesem Grund ist eine sorgfältige Schadensanalyse notwendig, um die Ursache der Feuchte abzustellen und ein individuelles, stimmiges Sanierungskonzept zu erstellen. Bei älteren Gebäuden, insbesondere solche, die vor 1970 gebaut wurden stehen die Wände oft auf einem kapillaraktiven Streifenfundament oder die Mauerwerkssteine reichen gar bis ins Erdreich und haben direkten Kontakt mit der Feuchte im Erdboden. Bei einer fehlenden Horizontalsperre kann die Feuchte bzw. das Wasser ungehindert über die Kapillarporen entgegen der Schwerkraft nach oben steigen. Neben der aufsteigenden Feuchte gibt es noch weitere Schadensursachen, die hier nicht im Detail behandelt werden. Der Fokus liegt auf einer nachträglichen Horizontalsperre im Paraffininjektionsverfahren und ihrer Wirkungsweise. 1. Grundlagen der Feuchte an Gebäuden Neben seitlich eindringender Feuchte, Spritzwasser im Sockelbereich, Kondensation, Schlagregenbeanspruchung, Wasserschäden und Neubaufeuchte sind auch die hygroskopische Feuchte sowie kapillar aufsteigende Feuchte Ursachen für Feuchteschäden. Hier wird vornehmlich die kapillar aufsteigende Feuchte betrachtet, da diese Ursache durch eine nachträgliche Horizontalsperre abgestellt werden kann. Bild 1: Feuchteverteilung bei kapillar aufsteigender Feuchte - Prinzipskizze Durch das Abstellen der Feuchteursache kommt zumindest keine weitere Feuchtigkeit über Kapillartransport in die Baukonstruktion. Die Wandkonstruktion ist nicht mit sofortiger Wirkung trocken, die Dauer der Feuchteabgabe („Austrocknung“) findet i.d.R. über mehrere Jahre statt. Der Feuchtetransport findet vereinfacht über mehrere Phasen statt. In der ersten Phase wird das Wasser kapillar an die Konstruktionsober-fläche transportiert, an der es verdunstet. Diese Transportart findet im Vergleich zu den anderen Phasen schnell statt. In der zweiten Phase verlagert sich die Verdunstungszone vom oberflächennahen Bereich weiter ins Bauteilinnere. Im Inneren des Bauteilquerschnitts geht das flüssige Wasser in Dampfform über. Dieser „Wasserdampf“ gelangt durch Dampfdiffusionsprozesse aus dem Bauteil heraus. Der Prozess dauert deutlich länger als Phase 1. In der letzten und dritten Phase wird das Restwasser bzw. die Restfeuchte, kein flüssiges Wasser, ebenfalls über reine Dampfdiffusion aus dem Bauteil transportiert. Dieser Prozess dauert nochmals deutlich länger als in den zuvor genannten Phasen. Die Feuchteabgabedauer kann insgesamt mehrere Jahre dauern. 612 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Nachträgliche Horizontalsperren und Feuchtetransportvorgänge Bild 2: Phasen des Feuchtetransports während des Erreichens der Ausgleichsfeuchte Der Feuchtetransport führt dazu, dass evtl. im Bauwerk vorhandene oder eingetragene baustoffschädliche Salze insbesondere in der ersten Phase bis in den ober-flächennahen Bereich transportiert werden. In Ab-hängigkeit von der Art und Konzentration des baustoffschädlichen Salzes können diese auskristallisieren und u.a. durch eine Volumenzunahme die Baustoffe beanspruchen. Dies kann unter Umständen auch nach dem Einbau einer wirksamen Horizontalsperre oder anderen Feuchteschutzmaßnahmen zu weiteren Ab-platzungen z.B. des Putzes bzw. der Farbe führen. Um die an das betroffene Bauteil angrenzenden Räume zeitnah nach den durchgeführten Feuchteschutzmaßnahmen wieder nutzen zu können, kann zum Beispiel ein Sanierputzsystem auf der Wand aufgetragen werden. Ein Sanierputzsystem kann Salze bis zu einem gewissen Maße einlagern und gleichzeitig die Feuchteabgabe des Bauteils über Dampfdiffusionsprozesse zulassen. Die Dauerhaftigkeit eines Sanierputzsystems ist neben den Eigenschaften wie Zusammensetzung, Porosität und Dicke auch von der Art des Salzes sowie der Salzkonzentration abhängig. Darauf wird in diesem Rahmen jedoch nicht näher eingegangen. Durch eine Sanierung von Feuchteschäden kann maximal die Ausgleichsfeuchte des Baustoffs unter den vorliegenden raumklimatischen Bedingungen erreicht werden. Die Ausgleichsfeuchte beschreibt den Zustand bzw. den Feuchtegehalt eines Baustoffes, der sich einstellt, sobald der Gleichgewichtszustand zwischen der Umgebungsfeuchtigkeit und Feuchte im jeweiligen Baustoff erreicht ist. Bei der Ausgleichsfeuchte spielt die Salzbelastung des Baustoffs eine entscheidende Rolle. Unterschiedliche Salze haben die Eigenschaft, mehr oder weniger Wasser aus der Umgebungsluft aufzunehmen, demnach ändert sich auch salzbedingt der Ausgleichsfeuchtegehalt im Baustoff. Ein salz-haltiger Baustoff kann entsprechend einen hohen Feuchtegehalt aufweisen, obwohl alle Feuchteschutzmaßnahmen regelkonform ausgeführt wurden. Dieser Effekt wird hygroskopische („wasseranziehende“) Feuchte genannt. Bild 3: Kapillare Wasseraufnahme eines Fundamentmauerwerks mit einer oberflächennahen Verdunstungszone und bauschädlichen Salzen - Prinzipskizze Wie kapillaraktiv ein Baustoff ist, hängt u.a. von seinem Porengefüge (Porenart und Porengeometrie) ab. Die sogenannten Kapillarporen sind in der Lage, Wasser entgegen der Schwerkraft nach oben zu transportieren (kapillar aufsteigende Feuchte). Diese Fähigkeit ist abhängig von der Porengröße, Porenart und der Rauigkeit der Porenwandung. Der Durchmesser einer kapillaraktiven Baustoffpore liegt zwischen 10 -5 mm und 10 -2 mm. Zudem weist die innere Porenwandung eine gewisse Rauigkeit (Randwinkel < 90°) auf. Sie hat zudem hydrophile, wasserliebende Eigenschaften. Ist die Rauigkeit zu gering (Randwinkel > 90°), so kann ein kapillarer Wassertransport in Abhängigkeit von dem Randwinkel bedingt bis gar nicht stattfinden. Bei einer geringen Rauigkeit mit einem Randwinkel > 90° wird von einer hydrophoben Eigenschaft ge-sprochen. Bild 4: Kontaktwinkel < 90°, hydrophile Eigenschaften des Baustoffs - Prinzipskizze 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 613 Nachträgliche Horizontalsperren und Feuchtetransportvorgänge Bild 5: Kontaktwinkel > 90°, hydrophobe Eigenschaften des Baustoffs - Prinzipskizze 2. Grundlagen zur Anordnung einer nachträglichen Horizontalsperre Der Begriff „nachträgliche Horizontalsperre“ suggeriert die Funktion einer absolut feuchtedichten Sperre im Bauteil, was vielfach nicht der Realität entspricht. Grundsätzlich gibt es verschiedene Arten der nachträglichen Horizontalsperre, um die aufsteigende Feuchte in Baustoffen zu reduzieren bzw. vollkommen zu sperren. Neben dem mechanischen Horizontalsperrenverfahren sind die sogenannten Bohrlochinjektionsverfahren weit verbreitet, die teilweise auch als „chemische Horizontalsperren“ bezeichnet werden. Über definierte Bohrlöcher (Bohrlochlänge, Abstand der Bohrlöcher untereinander, Winkel bzw. Neigung der Bohrkanäle) werden sogenannte Injektionsstoffe in das Bauteil eingebracht. Über die Bohrkanalwandung dringt der Injektionsstoff kapillar in das Bauteil ein. Sobald der Injektionsstoff seine Wirksamkeit in den Kapillarporen ausbilden konnte, wird der kapillare Feuchtetransport in diesem Bereich durch unter-schiedliche Wirkungsweisen behindert bzw. gestoppt. Bei den Bohrlochinjektionsverfahren gibt es Unterschiede in der Ausführung sowie in den Wirkmechanismen der verschiedenen Produkte. Die fachgerechte Ausführung einer nachträglichen Horizontalsperre im Bohrlochinjektionsverfahren ist im WTA-Merkblatt 4-10 „Injektionsverfahren mit zertifizierten Injektionsstoffen gegen kapillaren Feuchtetransport“ geregelt. Darin enthalten ist eine schematische Darstellung der verschiedenen Wirkungsweisen. In diesem Beitrag wird vornehmlich auf das Bohrlochinjektionsverfahren im Zusammenhang mit dem Paraffininjektionsverfahren eingegangen. 2.1 Wirkungsweisen der verschiedenen Horizontalsperren Die Wirkungsweisen der verschiedenen Produkte gliedern sich in Kapillarporenverstopfung, Kapillarporenverengung, Poren-Hydrophobierung oder einer Kombination aus Kapillarporenverengung bzw. -verstopfung und Poren-Hydrophobierung. Das hier näher beschriebene drucklose Injektionsverfahren mittels Paraffin ist der Wirkungsweise der Kapillarporenverstopfung zuzuordnen. Bild 6: Wirkmechanismen verschiedener Injektionsstoffe in den Baustoffporen - Prinzipskizze Chemische Injektionen wirken meistens dadurch, dass sie eine Porenhydrophobierung hervorrufen. Dafür machen sich viele Produkte die vorhandene Feuchteverteilung im Baustoff zunutze. Dies bedeutet z.B., dass ein „wasserlöslicher Wirkstoff“ sich im vor-handenen Feuchtemilieu verteilt. Seitens des Produktherstellers wird eine Höchstgrenze für den im Bauteil vorhandenen Feuchtegehalt (Durchfeuchtungsgrad (DFG)) angegeben, bis zu denen der Injektionsstoff wirkt. Aus verschiedenen Untersuchungen ist bekannt, dass die Durchfeuchtungsgrade innerhalb eines Bauteils, z.B. bestimmt an mehreren Teilproben, die aus einem Bohrkern entnommen wurden, sehr unterschiedlich sein können. Im Rahmen eines Forschungsprojektes / 5,6/ konnte festgestellt werden, dass die Bestimmung des Durchfeuchtungsgrades an einer Mauerziegelwand große Unterschiede zwischen Mauerziegel und Mörtel (hergestellt aus Trassmehl, Kalkhydrat und Sand) vorhanden sind. Der DFG des Mauerziegels lag bei den Versuchen <20%, der des Fugenmörtels >60%, obwohl die beprobten Stellen direkt nebeneinander lagen. Somit ist Vorsicht geboten, wenn Durchfeuchtungs-grade als Wirkungsgrenze für Injektionsstoffe angegeben werden. 614 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Nachträgliche Horizontalsperren und Feuchtetransportvorgänge Bild 7: Feuchteverteilung über einen Mauerwerksquerschnitt, Vergleich der verschiedenen Durchfeuchtungsgrade in Mörtel und Mauerstein - Prinzipskizze Bild 8: Ergebnisse Feuchteverteilung zu Bild 7 Eine nachträgliche Horizontalsperre im Paraffin-injektionsverfahren ist von dem Durchfeuchtungsgrad des Baustoffs unabhängig. Vor der Injektion des Wirkstoffs Paraffin wird die Injektionszone mittels in die Bohrkanäle eingelegter Heizstäbe herunter getrocknet, damit das in den Poren befindliche Wasser verdunstet und die Poren „frei“ von Feuchtigkeit sind. Nachdem der Injektionsbereich heruntergetrocknet wurde und die Kapillarporen in diesem Bereich frei von flüssigem Wasser sind, kann das verflüssigte, erwärmte Paraffin in die Bohrkanäle eingebracht werden. Das Paraffin wird durch das Erwärmen in einem Paraffinschmelz-behälter so verflüssigt, dass es von den erwärmten Baustoffporen ebenso wie Wasser kapillar aufgenommen werden kann. Nachdem die Poren im Injektionsbereich (Feuchtesperrgürtel) mit Paraffin gesättigt sind und das Paraffin erhärtet ist, bildet sich ein ca. 15 cm hoher horizontaler Sperrgürtel aus. Durch diesen Sperrgürtel kann kein Wasser mehr durch Kapillarporen transportiert werden, da die Kapillarporen, kleinere Hohlräume und ggf. Risse mit Paraffin gefüllt sind. 3. Verfahrensablauf Zunächst wird für die nachträgliche Horizontalsperre, die Injektionsebene (-zone) festgelegt. Diese ist von der Gebäudekonstruktion und ggf. zusätzlichen Instandsetzungsmaßnahmen wie z. B. einer Vertikalabdichtung von außen oder innen abhängig. Sobald die Injektionsebene festgelegt wurde, werden die Bohrungen in einem Winkel von ca. 20° nach unten geneigt und einem Abstand von ca. 100 mm bis 125 mm in das Mauerwerk eingebracht. Aufgrund dieses Neigungswinkels wird bei der Bohrung auch eine Lagerfuge getroffen. Bild 9: Bohren der Bohrkanäle im Neigungswinkel ca. 20° Ggf. werden sehr klüftige Mauerwerke vor den nächsten Arbeitsschritten mit geeigneten Materialien verfüllt, damit der Injektionsstoff nicht „weglaufen“ kann. Kommt es zu einer Hohlraumverfüllung, werden die Bohrungen nach Erhärtung des Materials erneut gebohrt. Von dem Mauerwerk bleiben die hinteren 5 cm stehen, die Bohrlochlänge errechnet sich somit aus der Mauerwerksdicke und dem Neigungswinkel. Anschließend wird der angefallene Bohrstaub aus dem Bohrloch ausgesaugt, damit dieser die kapillare Saugfähigkeit des Mauerwerks nicht beeinflusst. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 615 Nachträgliche Horizontalsperren und Feuchtetransportvorgänge Bild 10: Ermittelte Bohrlochlänge, abhängig von der Bauteildicke, dem Neigungswinkel der Bohrung und 5 cm „unberührtem“ Bauteil - Prinzipskizze Im darauffolgenden Arbeitsschritt werden Spezialheizstäbe in die Bohrlöcher eingebracht. Die Länge der Heizstäbe richtet sich nach der Mauerwerksdicke. Die Injektionszone wird unter ständiger Beobachtung auf ca. 110°C aufgeheizt. Bei Erreichen dieser Temperatur befindet sich kein flüssiges Wasser mehr in den Kapillarporen. Zunächst steigt die Temperatur im Mauerwerk auf ca. 100°C und das flüssige Wasser in den Kapillarporen verdampft. Dieser physikalische Prozess benötigt einige Energie, somit steigt die Bauteiltemperatur während dieser Phase nicht weiter an. Erst wenn das freie Wasser verdampft ist, beginnt die Temperatur des Baustoffs weiter anzusteigen. Die Temperatur von 110°C ist ein Indikator dafür, dass die Poren des Baustoffs von Wasser befreit sind und das Spezialparaffin vollständig in die Kapillarporen eindringen kann. Bild 11: Anstieg der Bauteiltemperatur in der Injektionsebene während des Trocknungsprozesses Nach Erreichen der für die Injektion notwendigen Temperatur werden spezielle Vorratsbehälter in die Bohrlöcher gesteckt. In diese Vorratsbehälter wird das zuvor im Paraffinschmelzbehälter erhitzte, verflüssigte Paraffin eingefüllt und in die Wand injiziert. Bild 12: Anbringen der Vorratsbehälter Sowohl die Vorratsbehälter als auch die Bohrlöcher werden durch die Heizstäbe, welche durch die Vorratsbehälter hindurchgeführt wurden, auf Temperatur gehalten. Über die Behälter fließt nun das Paraffin in die Bohrkanäle und verteilt sich über die Bohrkanalwandung kapillar im Baustoff. Dieses Paraffin hat die Eigenschaft, dass es flüssiger ist als Wasser. Aus diesem Grund dringt es bis in sehr feine Baustoffporen vor. Bild 13: Paraffininjektion mittels Vorratsbehälter - Prinzipskizze Eine kapillare Sättigung bzw. das Ende der Injektion ist erreicht, sobald der Baustoff über einen längeren Zeitraum keine weitere Paraffinmenge mehr aufnimmt. Wenn dieser Zustand erreicht, ist werden die Heizstäbe und Vorratsbehälter entfernt. Durch das Abkühlen des Mauerwerks erstarrt das Paraffin und die mit Paraffin gefüllten Poren sind so geschlossen, dass kein Feuchtetransport über Kapillarporen mehr stattfinden kann. Durch diese Verfahrensweise entsteht ein voll-ständiger, ca. 15 cm hoher „Sperrgürtel“. Dieses Verfahren ist sowohl bei einem Mauerwerk aus künstlichen Steinen als auch bei einem Naturstein-mauerwerk, auch mit nicht kapillaraktiven Mauer-steinen anwendbar. Bei einem Natursteinmauerwerk bzw. Bruchsteinmauerwerk aus nicht bzw. schwach 616 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Nachträgliche Horizontalsperren und Feuchtetransportvorgänge saugenden Natursteinen erfolgt der wesentliche Feuchtetransport über das kapillaraktive Fugennetz. Durch die geneigten Bohrungen werden bei einem Bruchsteinmauerwerk meist mehrere Fugen getroffen. Diese können gut getrocknet werden und speziell formuliertes Paraffin kann sich gleichmäßig in den porösen getrockneten Baustoffen verteilen. Neben der direkten Wirkung gegen kapillar aufsteigendes Wasser hat das Spezialparaffin zudem noch verfestigende Eigenschaften. Gerade bei älteren Gebäuden, in denen die Fugen teilweise sandig sind, hat dies nochmals zusätzliche Vorteile. Versuche an Verbundproben aus Ziegelmaterial und Kalkmörtel haben gezeigt, dass der Baustoff nach einer Paraffininjektion eine ca. 35%-ige Steigerung der Druckfestigkeit aufweist. Die Bohrkanäle müssen anschließend immer mittels eines Spezialmörtels verschlossen werden. 4. Wirkung der Paraffininjektion Die Wirkung einer Paraffininjektion tritt sofort nach dem Erstarren des Paraffins ein. Sobald das Paraffin in den Baustoffporen aufgenommen wurde, sind diese Poren so geschlossen, dass kein Wasser mehr kapillar in bzw. durch diese Poren gelangen kann. Es stellt sich eine Feuchtesperrzone ein. Dieses Verfahren ist DFG-unabhängig, da vor der Injektion die Injektionsebene herunter getrocknet wird und das freie Wasser in den Kapillarporen verdunstet. Zusätzlich ist dieses Verfahren auch unabhängig von der im Bauteil vorhandenen Salzbelastung. Die Injektion, Verstopfung der Poren und Reaktion des Paraffins erfolgt rein physikalisch: Das flüssige Paraffin wird nach dem Trocknungsprozess in einen Baustoff mit einem leeren Porengefüge gegeben. In diesem Porengefüge wird das Paraffin durch physikalische Kapillarkräfte verteilt und erstarrt durch Abkühlen. Nach dem Erstarren ist ein sofortiger kapillarsperrender Effekt vorhanden. Bild 14: Benetzungsprobe und hydrophobe Eigenschaften eines Ziegelmauerwerks nach einer Paraffininjektion Ob dem Baustoff ausreichend viel Paraffin zum Verschluss der Poren hinzugefügt wurde, kann durch mehrere Faktoren festgestellt werden. Für diese Beurteilung spielen u.a. Mauerwerksart, Mauerwerksdicke, Klüftigkeit des Mauerwerks, verbrauchte Paraffin-menge pro lfm und die Injektionsdauer eine wesentliche Rolle. Der über der Horizontalsperre liegende Bereich trocknet mit der Zeit aus. Dies kann durch entsprechende Messungen geprüft werden. Dabei kann es, wie bereits beschrieben zu Salzausblühungen im oberflächennahen Bereich kommen. Diese können besonders in der Anfangsphase des „Austrocknungsprozesses“ zu deutlichen Beanspruchungen des Bauteils führen (z.B. Putzabplatzungen). Daher sind begleitende Maßnahmen notwendig. Damit der Raum nach der Sanierung direkt genutzt werden kann, empfiehlt es sich, den oberhalb der Horizontalsperre befindlichen Putz durch ein Sanierputzsystem zu ersetzen. 5. Prüfkriterien der WTA für Injektionsstoffe Für eine Prüfung nach WTA gemäß WTA-Merkblatt 4-10 „Injektionsverfahren mit zertifizierten Injektionsstoffen gegen kapillaren Feuchtetransport “ müssen drei Mauerwerksprüfkörper erstellt werden. Die Prüfung kann mit drei verschiedenen Durchfeuchtungsgraden (DFG) durchgeführt werden. Zur Wahl stehen ein DFG 60%, DFG 80% oder DFG 95%. Dabei bestimmt der Hersteller des Injektionsstoffes den (DFG), für den der Injektionsstoff geprüft werden soll. Die Einstellung des geforderten DFG erfolgt durch Abtrocknen, Befeuchten bis zur Massekonstanz, erneutes Herabtrocknen und entsprechende Wasser-zugabe bis zur Erreichung des jeweiligen DFG der Mauerwerksprüfkörper. Besteht ein Injektionsstoff die Prüfung eines höheren DFG von 80% oder 95%, so kann die Prüfung für einen geringeren DFG nach WTA-Merkblatt 4-10 entfallen. Zwei der drei Prüfkörper werden mit dem zu prüfenden Injektionsmaterial injiziert, der dritte Prüfkörper dient als Referenzprüfkörper. Der genaue Ablauf der Prüfung kann im WTA-Merkblatt 4-10 „Injektionsverfahren mit zertifizierten Injektionsstoffen gegen kapillaren Feuchtetransport“ aus Tabelle 1 entnommen werden. Zur Erfüllung der Prüfkriterien muss der Durchfeuchtungsgrad eines, mit Injektionsstoff behandelten Prüfkörpers lediglich um 50 % gesenkt werden. Zudem darf der DFG des injizierten Prüfkörpers nach 90 Tagen nicht wieder zunehmen. Aus den Prüfkriterien kann geschlossen werden, dass es bei den zertifizierten Injektionsstoffen sehr große Unterschiede in der Wirksamkeit und in der Geschwindigkeit des Wirksamkeitseintritts geben kann. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 617 Nachträgliche Horizontalsperren und Feuchtetransportvorgänge 6. Wahl des Injektionsstoffes Die Wahl der Injektionsstoffe ist neben den Prüf-kriterien nach dem WTA-Merkblatt 4-10 sehr stark von den am Bauteil gegebenen Feuchteverhältnissen, u. a. von bestimmten Durchfeuchtungsgraden abhängig. Wie im vorigen Abschnitt bereits erwähnt, können durch die niedrigen Anforderungen der Prüfkriterien für einen zertifizierten Injektionsstoff große Unterschiede in der Wirksamkeit vorkommen. Somit ist es für den Planer und für den Anwender schwierig, einen geeigneten Injektionsstoff unter den objektspezifischen Verhältnissen auszuwählen. Ins-besondere sollten neben der Feuchtegehaltbestimmung des Bauteils und der Bestimmung der baustoff-schädlichen Salzbelastung auch weitere bauphysikalische Verhältnisse sowie die Raumnutzungsklasse mit in die Planung einbezogen werden. Ziel sollte es sein, Injektionsstoffe zu verwenden die auch bei hohen Durchfeuchtungsgraden von DFG 95% wirksam sind. Quellen [1] WTA-Merkblatt 4-10 „Injektionsverfahren mit zertifizierten Injektionsstoffen gegen kapillaren Feuchtetransport “ [2] C.Hecht, J.Dreyer, G.Saulich: “Festigkeitseigenschaften von Verbundproben aus historischem Ziegel und Kalkmörtel nach der Injektion von Paraffin” - Technische Universität Wien, März 2002 [3] Yannick Bosbach: “Aufheizprozesse in Mauerwerken als Grundlage der Paraffin-Methode für die Horizontalabdichtung gegen aufsteigende Feuchte” - Bachelorarbeit Universität Wuppertal, November 2018 [4] ISOTEC GmbH: “ISOTEC-Architectus Ratgeber bei Feuchteschäden an Gebäuden” - 4. Ausgabe, Januar 2020 [5] Dominik, Axel; Koch, Sabine: “Die Wirkung eines Heizsystems (Temperierbzw. Konditioniersystem) auf feuchte- und salzbelastetes Mauerwerk in einem temporär genutzten Gebäude” - Abschlussbericht F1006/ F-0E zu einem Forschungsprojekt, gefördert unter dem Az 20941 von der Deutschen Stiftung Umwelt (DBU) in Osnabrück, August 2008 [6] Djahanschah, Sabine: (Herausgeber, Autor), & 10 mehr) „Erhalt temporär genutzter Gebäude (Initiativen zum Umweltschutz, Band 77, ISBN-13 : 978- 3503114634, Herausgeber : Erich Schmidt Verlag GmbH & Co, 2. Dezember 2009) [7] Weiß, G.: „Austrocknungsverhalten von Mauerwerk aus künstlichen und natürlichen Steinen“ - Aachen, Technische Hochschule, Fachbereich 3, Institut für Bauforschung, Studienarbeit, 1995 (unveröffentlicht) 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 619 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk Regelungen und Praxistipps Dr.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Jürgen H. R. Küenzlen, M. A., Adolf Würth GmbH & Co. KG, Künzelsau Dipl.-Ing. (FH) Eckehard Scheller, ISB Block und Becker - Beratende Ingenieure PartGmbB Dipl.-Ing. Rainer Becker, fobatec GmbH, Dortmund Dipl.-Ing. Thomas Kuhn, Adolf Würth GmbH & Co. KG, Künzelsau 1. Einleitung Im Verankerungsgrund Mauerwerk gibt es viele Befestigungsaufgaben zu lösen, sowohl für Planer, die die Dübel bemessen, als auch für Ausführende, die die Dübel montieren. Dazu gehören u.a. die Befestigung von: • Geländern • Markisen • Vordächern, Carports, Wintergärten, Balkonanlagen und Terrassenüberdachungen • Treppen • u. v. m. Diese Befestigungen erfordern • die Bemessung durch einen im Bereich der Befestigungstechnik erfahrenen (Bau-) Ingenieur und • die Montage durch geschultes Personal, da Einflüsse wie der Verankerungsgrund und bestimmte einzuhaltende Montageparameter die Tragfähigkeit von Dübeln wesentlich bestimmen. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit Metall-Injektionsankern zur Verankerung im Mauerwerk, die auch nur „Injektionsanker“ oder „Injektionssysteme“ genannt werden. Für den Verankerungsgrund Mauerwerk kann man auf Baustellen im Bestand auf eine große Vielzahl von unterschiedlichen Mauersteinen treffen. Durch stetig neue Entwicklungen (Stichwort „Energieeinsparung“) erhöht sich im Neubaubereich die Vielfalt der vorhandenen Steine in einem rasanten Tempo. Dabei unterscheiden sich die Mauersteine durch • den Baustoff (Mauerziegel, Kalksandstein, Leichtbeton, Porenbeton oder Normalbeton), • die Struktur (Vollsteine, Hohl- und Lochsteine mit oder ohne Dämmstoff-Füllung) • die Geometrie (Steinabmessungen, Loch- und Stegabmessungen) sowie vor allem durch • die Rohdichte und • die Druckfestigkeit. Diese Parameter haben in den meisten Fällen mehr oder weniger gravierende Einflüsse auf die Tragfähigkeit von zugelassenen Metall-Injektionsankern zur Verankerung in Mauerwerk. Im Rahmen der Zulassungsverfahren dieser Befestigungssysteme wird es für die Dübel-Hersteller aber immer nur möglich sein, einen kleinen Teil dieser Mauersteine als Verankerungsgrund in der jeweiligen Zulassung abzubilden. Häufig wird es daher vorkommen, dass das gewählte Dübel-System im Rahmen seines Zulassungsverfahrens nicht im tatsächlich vorhandenen „Baustellen-Verankerungsgrund“ geprüft wurde. Die hier beschriebenen „(Dübel-) Versuche am Bauwerk“ ermöglichen es dem Anwender dennoch zulassungskonform zu bemessen und zu montieren. Im Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) wurde dafür im Jahr 2015 ein Arbeitskreis „Versuche am Bau“ eingerichtet. Als Beratungsergebnis dieses Gremiums liegt nun - ergänzend zu den bis dahin vorliegenden europäischen Vorgaben - die überarbeitete Technische Regel „Durchführung und Auswertung von Versuchen am Bau für Injektionsankersysteme im Mauerwerk mit ETA nach ETAG 029 bzw. nach EAD 330076-00-0604“ [1] 620 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk vor. In der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB), Ausgabe 2019/ 1, Anhang 3 [2] steht dazu Folgendes: „Für Mauerwerk aus anderen, vergleichbaren Steinen darf die charakteristische Tragfähigkeit von Injektionsankersystemen mit ETA durch Baustellenversuche nach der Technischen Regel „Durchführung und Auswertung von Versuchen am Bau […]“ ermittelt werden. Nachfolgend erfolgt eine kurze Einführung in dieses Regelwerk , sowie Tipps für die Anwendung in der Praxis. Die am Bau Beteiligten können sich an den hier gemachten Erläuterungen orientieren, müssen sich aber immer wieder individuell zu ihrem jeweiligen Projekt „(Dübel-) Versuche am Bauwerk“ Gedanken machen und abstimmen. Dazu gehört es auch, sich im Detail mit den einzelnen Anforderungen der Technischen Regel [1] vertraut zu machen. 2. Grundlagen für Baustellenversuche im Verankerungsgrund Mauerwerk 2.1 Dübel-Systeme Bei den nachfolgend beschriebenen Metall-Injektionsankern zur Verankerung im Mauerwerk handelt es sich ausschließlich um „Dübel-Systeme“, die in Deutschland auf Grundlage einer „Zulassung“ eingebaut werden dürfen. Bei diesen Zulassungen wurde/ wird unterschieden in • Europäische Technische Zulassungen sowie • Europäische Technische Bewertungen, die jeweils mit „ETA“ abgekürzt werden. Die hier behandelten Injektionssysteme bestehen in den meisten Fällen aus den in Bild 1 dargestellten Komponenten, die in der Produktbeschreibung, in den Anhängen der jeweiligen europäischen Zulassung bzw. Bewertung, detailliert beschrieben werden. Gemäß [3], Abschnitt 4.1 gilt: „Einbau nur wie vom Hersteller geliefert, ohne Austausch der einzelnen Teile.“ Bild 1. Beispiel für zugelassenen Metall-Injektionsanker (Mörtelkartusche, Statikmischer, Ankerstange-Außengewinde/ Sechskantmutter/ Unterlegscheibe, Ankerstange- Innengewinde, Siebhülse), vgl. [4] 2.2 Europäische Zulassungen bzw. Bewertungen Europäische Technische Zulassungen für „Metall-Injektionsanker zur Verankerung im Mauerwerk“ wurden bis ins Jahr 2017 auf Grundlage der Bauproduktenrichtlinie [17] und ETAG 029 [11] erteilt. Heute werden Europäische Technische Bewertungen auf der Basis der Bauproduktenverordnung [19] und dem Europäischen Bewertungsdokument EAD 330076-00- 0604 [10] erteilt. Auf europäischer Ebene ist das Verfahren „Versuche am Bauwerk“ in der europäischen Leitlinie ETAG 029, Anhang B [12] bzw. im europäischen Technical Report TR 053 [14] festgelegt. 3. Verantwortlichkeiten In der Technischen Regel des DIBt [1] werden sehr differenziert die Verantwortlichkeiten bzw. Zuständigkeiten und deren erforderliche Qualifikationen für Baustellenversuche für Metall-Injektionsanker zur Verankerung in Mauerwerk angegeben. Dafür werden der „Fachplaner“, der „Versuchsleiter“ und das „sachkundige Personal“ definiert. Hierzu gibt die Tabelle 3.1 einen kurzen Überblick. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 621 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk Tabelle 3.1: Kurzübersicht zu den Verantwortlichkeiten bei Baustellenversuchen für Metall-Injektionsanker zur Verankerung im Mauerwerk nach [1] Verantwortlichkeiten Fachplaner - plant die Versuche und legt die Versuchsart fest (z. B. Zugversuche / Querlastversuche / Bruchversuche / Probebelastung / Abnahmeversuche) - Übernahme der Verantwortung für die statistische Auswertung und Ermittlung der charakteristischen Tragfähigkeiten und deren nachvollziehbare Dokumentation Versuchsleiter - Durchführung von Probebohrungen - Bedienung des Prüfgeräts / Durchführung der Versuche - okumentation der Versuchsergebnisse. sachkundiges Personal - führt die Arbeiten auf der Baustelle aus - setzt die Dübel für die Versuche - erfüllt die Anforderungen an Monteure gemäß dem DIBt Papier „Hinweise für die Montage von Dübelverankerungen“ [3] 4. Technische Regel Durchführung und Auswertung von Versuchen am Bau 4.1 Gliederung/ Allgemeines Die Technische Regel [1] „Durchführung und Auswertung von Versuchen am Bau für Injektionsankersysteme im Mauerwerk mit ETA nach ETAG 029 bzw. nach EAD 330076-00-0604“ ist in die folgenden vier Abschnitte gegliedert: 1. Anwendungsbereich 2. Versuche 3. Auswertung der Versuche 4. Angaben für die Bemessung Die erteilte, aktuelle ETA für einen zu verwendenden Metall-Injektionsanker zur Verankerung im Mauerwerk (vgl. Abschnitt 2.2) ist die Grundvoraussetzung für Baustellenversuche. Die Tragfähigkeit eines Injektionsankers kann dann durch Zugversuche (Bruchversuche, Probebelastungen oder Abnahmeversuche) und durch Querlastversuche am Rand (Bruchversuche oder Probebelastung) ermittelt werden (siehe Abschnitt 4.3). Für Metall-Injektionsanker zur Verankerung im Mauerwerk gilt, dass bei Bruchversuchen und Probebelastungen die geprüfte Befestigungsstelle und der geprüfte Dübel später nicht mehr für die eigentliche Ausführung der Befestigung/ Verankerung verwendet werden dürfen. Eine „Öffnungsklausel“ gibt es bei der Durchführung von „Abnahmeversuchen“. Eine Übersicht gibt hierzu Tabelle 4.1 (vgl. in [1], Abschnitt 1.1 mit Tabelle 1). Voraussetzung dafür, dass die geprüften Injektionsanker nach den Abnahmeversuchen für die geplante Befestigung/ Verankerung verwendet werden dürfen, ist allerdings, dass die Abnahmelast mindestens 1 Minute ohne sichtbare Verschiebung und ohne kritischen Lastabfall gehalten werden konnte. Für Einzelheiten siehe Abschnitt 4.3.4 (bzw. in [1], den Abschnitt 3.4). Tabelle 4.1: Übersicht über die Arten der Baustellenversuche Bruchversuche Probebelastungen Abnahmeversuche Siehe in diesem Beitrag Abschnitt … 4.3.2 4.3.3 4.3.4 Belastung der Injektionsanker beim Versuch N u und V u N pP und V p N u N pA Verwendung der geprüften Injektionsanker für die geplante Befestigung/ Verankerung nein nein nein ja mit: N u = Bruchlast bei Zugversuchen V u = Bruchlast bei Querlastversuchen N pP = Gewählte Last für Probebelastung für Zugversuche (Probelast) V p = Gewählte Last für Probebelastung für Querversuche (Probelast) N pA = Gewählte Last für Abnahmeversuche (Abnahmelast) 622 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk 4.2 Anwendungsbereiche für Injektionsanker 4.2.1 Mauerwerksgruppen Tabelle 4.2: Mauerwerksgruppen nach EAD 330076-00-0604, Abschnitt 1.2.1 in [10] Mauerwerksgruppe Verankerungsgrund b - Mauerwerk aus Vollsteinen nach DIN EN 771-1 [5], -2 [6], -3 [7] und -5 [9] (senkrechte Lochung bis maximal 15 % des Querschnitts sind zulässig, z. B. Grifflöcher oder Vertiefungen bis 20 % bezogen auf das Volumen des Steins) c - Mauerwerk aus Hohl- oder Lochsteinen nach DIN EN 771-1 [5], -2 [6], -3 [7] und -5 [9] d - Mauerwerk aus Porenbetonsteinen nach DIN EN 771-4 [8] mit einer Druckfestigkeit zwischen 1,8 ≤ f c,m ≤ 8 [N/ mm²] Für Metall-Injektionsanker zur Verankerung im Mauerwerk werden die Mauerwerksgruppen b, c und d nach [10] unterschieden, die in Tabelle 4.2 zusammengefasst dargestellt werden. Die in der Dübel-ETA für den Injektionsanker ausgewiesenen charakteristischen Tragfähigkeiten gelten nur, wenn auf der Baustelle der von seiner Beschaffenheit gleiche Verankerungsgrund vorliegt, wie der, der im Zulassungsverfahren mit dem Dübel geprüft wurde. In diesem Fall kann auf Versuche am Bauwerk verzichtet werden, vorausgesetzt, dass der Dübel entsprechend der ETA montiert wurde (vgl. Tabelle 4.5). Bei Lochsteinen ist zusätzlich die Setzrichtung des Dübelsystems zu beachten: Die in der ETA angegebenen Tragfähigkeiten gelten für rechtwinklig zur Wandebene gesetzte Injektionsanker (keine Setzposition in der Laibung), sofern nichts anderes in der ETA angegeben ist (vgl. in [1] den Abschnitt 1.3). Nur bei Vollsteinen können die charakteristischen Dübel-Tragfähigkeiten aus der ETA auf vergleichbare Vollsteine (aus demselben Baustoff) auf der Baustelle übertragen werden, wenn diese lediglich durch ein größeres Steinformat und/ oder durch eine höhere Druckfestigkeit sowie eine größere Rohdichte von den im Zulassungsverfahren geprüften Steinen abweichen (vgl. in [1] den Abschnitt 1.1). Ansonsten ist die charakteristische Tragfähigkeit eines Injektionsankers im bauaufsichtlich relevanten Bereich durch Versuche am Bauwerk zu ermitteln, wenn nur einer der folgenden Fälle vorhanden sein sollte (vgl. auch Tabelle 4.5 in Abschnitt 4.2.5): • Für den auf der Baustelle vorhandenen Verankerungsgrund sind keine charakteristischen Tragfähigkeiten in der Dübel-ETA angegeben; ein Stein vom gleichen Baustoff, von gleicher Struktur und vergleichbarer Geometrie (vgl. in [1] die Abschnitte 1.1 und 1.3) befindet sich jedoch in der Zulassung. • Der auf der Baustelle verbaute Vollstein hat ein kleineres Steinformat und/ oder eine niedrigere Druckfestigkeit sowie eine kleinere Rohdichte als der in der Dübel-ETA ausgewiesene Vollstein aus dem gleichen Baustoff. • Die Dübel werden für die spätere Montage tiefer gesetzt als sie im Zulassungsverfahren geprüft wurden; auch dieser Einfluss ist zu untersuchen: „Größere Verankerungstiefen als im Referenzstein in der ETA sind möglich, wenn diese Verankerungstiefe für einen Stein des gleichen Typs (Baustoff und Struktur) in der ETA angegeben ist und damit die prinzipielle Eignung der Montagetechnik in der ETA nachgewiesen ist.“ Bei diesen Versuchen muss die Dübel-ETA allerdings immer die entsprechende Mauerwerksgruppe nach Tabelle 4.2 abdecken, d. h., Versuche am Bauwerk in einem Lochstein „Z“ sind nur dann „zulässig“, wenn im Rahmen der Zulassungsverfahren bereits für einen anderen Lochstein „Z“ - dem sogenannten „Referenzstein“ mit gleichem Baustoff (Ziegel, Porenbeton, Kalksandstein, Leichtbeton oder Normalbeton) und gleicher Struktur (Vollstein, Hohl- oder Lochstein mit oder ohne Dämmstoff-Füllung) - die grundsätzliche Eignung für die Verankerung des Injektionsankers geprüft wurde und für diesen Stein charakteristische Tragfähigkeiten des Dübels in der ETA ausgewiesen werden. Deckt die Dübel-ETA in der Mauerwerksgruppe „c“ nur Hochlochziegel ab, so können für Lochsteine aus einem anderen Baustoff (z. B. einen Kalksand-Lochstein) keine charakteristischen Tragfähigkeiten durch Versuche am Bauwerk im Rahmen dieser ETA abgeleitet werden. Zu beachten ist, dass die Technische Regel [1] für Injektionsanker bezüglich Hohl- und Lochsteinen sehr restriktiv ist. Hierzu werden im Abschnitt 1.3 in [1] folgende Bedingungen für den Baustellen-Verankerungsgrund gemacht: 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 623 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk • „Vergleichbares Lochbild wie beim Referenzstein in der ETA, d. h. mindestens gleiche Anzahl und Dicke der Stege, die bei der Lasteinleitung aktiviert werden (siehe Anhang A).“ • „Eventuell vorhandene Füllung von Lochsteinen muss dem Füllmaterial des Referenzsteins in der ETA entsprechen.“ Das bedeutet zum Beispiel, dass keine charakteristischen Tragfähigkeiten durch Versuche am Bauwerk für einen Hochlochziegel mit Perlite-Füllung im Rahmen einer Dübel-ETA abgeleitet werden können, wenn in dieser Dübel-ETA in der Mauerwerksgruppe „c“ nur ein Hochlochziegel mit Mineralwolle-Füllung ausgewiesen ist. Für Injektionsanker wird im Anwendungsbereich in [1] nicht gesondert betont, dass der Einfluss eines Bohrverfahrens, das nicht in der Injektionsanker-ETA erfasst ist, zu untersuchen ist. In den ETAs wird das Bohrverfahren aber für die einzelnen geprüften Steinen ausgewiesen; dieses vorgegebene Bohrverfahren ist einzuhalten. Daher ist das bei den Baustellenversuchen angewandte Bohrverfahren auch im Versuchsbericht zu dokumentieren. 4.2.2 Temperaturbereiche Für Injektionsanker ist in Bezug auf den Temperatureinfluss Folgendes zu beachten: • Die Angaben für die Temperaturbereiche a, b und c zeigt Tabelle 4.3. • Auch wenn der Temperatureinfluss bei den Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern auf der Baustelle nicht untersucht werden kann, so sind gemäß [1], Abschnitt 2.3 - die Temperatur im Verankerungsgrund (Bauteiltemperatur) - die Lufttemperatur und - die Mörteltemperatur im Versuchsbericht zu dokumentieren. • Für Injektionsanker wird der Temperatureinfluss bei der Auswertung bzw. Ermittlung der charakteristischen Tragfähigkeit aus den Versuchen am Bauwerk (N Rk,1 , N Rk,2 oder N Rk,3 sowie V Rk,1 oder V Rk,2 ) pauschal über den produktabhängigen Abminderungsfaktor „β“ berücksichtigt. Dieser produktabhängige Abminderungsfaktor „β“ wurde im Zulassungsverfahren auf Grundlage der Laborversuche ermittelt und ist für den jeweiligen Injektionsanker in den Anhängen der zugehörigen ETA ausgewiesen. Für den anschließenden Abgleich der ermittelten Tragfähigkeiten mit dem „Referenzstein muss dann die charakteristische Tragfähigkeit aus der ETA (N RK,ETA / V RK,ETA ) angesetzt werden, die dem späteren Nutzungstemperaturbereich entspricht. Tabelle 4.3: Temperaturbereiche für Metall-Injektionsanker zur Verankerung im Mauerwerk nach [10] Temperatur-Bereich a b c maximale Kurzzeit-Temperatur 1) +40 °C +80 °C Festlegung durch Hersteller maximale Langzeit-Temperatur 2) +24 °C +50 °C niedrigste Nutzungstemperatur -40 °C Montagetemperatur Siehe Zulassung bzw. Hersteller-Empfehlung! 1) Temperatur innerhalb des Nutzungstemperaturbereichs, die in kurzen Zeiträumen variieren kann, z. B. in Tag-/ Nacht-Zyklen und Frost-/ Tau-Wechseln. 2) Temperatur innerhalb des Nutzungstemperaturbereichs, die über einen längeren Zeitraum annähernd konstant bleibt. Zu den Langzeit-Temperaturen gehören konstante oder nahezu konstante Temperaturen, wie sie in Kühlhäusern oder in der Nähe von Heizungsanlagen auftreten. 624 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk 4.2.3 Nutzungsbedingungen in Bezug auf Montage und Verwendung Tabelle 4.4: Nutzungsbedingungen in Bezug auf Montage und Verwendung nach [10] Nutzungsbedingung Beschreibung d/ d 1) - Montage und Verwendung in Bauteilen in trockenen Innenräumen w/ d - Montage in trockenem oder nassem Mauerwerk und Verwendung in Bauteilen in trockenen Innenräumen w/ w 2) - Montage und Verwendung in Bauteilen unter trockenen oder nassen Umweltbedingungen 1) d = dry (Englisch) = trocken 2) w = wet (Englisch) = feucht/ nass Das Bewertungsdokument EAD 330076-00-0604 [10], Abschnitt 1.2.1 unterscheidet zusätzlich zu Baustoff und Temperatur auch noch die Nutzungsbedingungen in Bezug auf Montage und Verwendung, die hier in Tabelle 4.4 dargestellt werden. Der Hintergrund für diese Differenzierung ist die (in vielen Fällen) reduzierte Tragfähigkeit, wenn ein Injektionsanker nicht in trockenes, sondern in nasses Mauerwerk eingebaut wird. Aufschluss darüber, ob das Mauerwerk trocken oder nass ist, gibt auch hier wieder die Probebohrung (vgl. Abschnitt 5.3.3 mit Tabelle 5.1), bzw. das Erstellen der Bohrlöcher für die Versuche am Bauwerk. Die Konsistenz des Bohrmehls sollte daher für Injektionsanker im Versuchsbericht unbedingt mit dokumentiert werden: • pulverförmiges Bohrmehl: ⇒ Das Mauerwerk ist trocken. • krümeliges Bohrmehl: ⇒ Das Mauerwerk ist feucht/ nass. Wie für die Berücksichtigung des Temperaturbereichs werden für Injektionsanker auch die „Nutzungsbedingungen in Bezug auf Montage und Verwendung“ pauschal über den Abminderungsfaktor „β“ berücksichtigt. Siehe dafür sinngemäß die Ausführungen in Abschnitt 4.2.2. 4.2.4 Bedingungen für Achs- und Randabstände Neu gegenüber [12] und [14] ist in [1], dass für Zug- und Querbeanspruchung Randabstände zwischen dem Mindestwert c min,ETA und dem charakteristischen Wert c cr,ETA des Referenzsteines gemäß ETA durch Baustellenversuche beurteilt werden dürfen. Dabei ist • c min,ETA der Minimale Randabstand des Injektionsankers für den Referenzstein in der ETA und • c cr,ETA der charakteristische Randabstand des Injektionsankers für den Referenzstein in der ETA. Ansonsten beachte hier in [1], den Abschnitt 1.3. 4.2.5 Handeln „im Rahmen der Zulassung“ „Zulässig“ (vgl. Abschnitt 4.2.1) bedeutet im Zusammenhang mit Versuchen am Bauwerk das Handeln „im Rahmen der Zulassung“ des Dübels i. d. R. der Dübel- ETA: • Wenn die grundsätzliche Eignung des Dübels in einem Verankerungsgrund der entsprechenden Mauerwerksgruppe nach Abschnitt 4.2.1, Tabelle 4.2 im Zulassungsverfahren nachgewiesen wurde und in der entsprechenden Dübel-ETA ausgewiesen ist, so kann in jedem vergleichbaren Verankerungsgrund - im Rahmen der Zulassung - gedübelt werden, vorausgesetzt, dass regelkonform Versuche am Bauwerk durchgeführt und entsprechend bewertet werden, wobei auch die Temperaturbereiche, Nutzungsbedingungen sowie Achs- und Randabstände zu berücksichtigen sind (Abschnitte 4.2.2, 4.2.3 und 4.2.4). • Wurde die grundsätzliche Eignung des Dübels in einem Verankerungsgrund nach Tabelle 4.2 im Zulassungsverfahren nicht nachgewiesen, d. h. sind keine Angaben in der entsprechenden Dübel-ETA enthalten, so kann in einem solchen Verankerungsgrund auf der Baustelle nicht - im Rahmen der ETA - verankert werden; der Anwender befindet sich dann rein formal außerhalb des Anwendungsbereichs der ETA und benötigt im bauaufsichtlich relevanten Bereich eine vorhabenbezogene Bauartgenehmigung. Bei diesem Verfahren können Versuche am Bauwerk eine Beurteilungsgrundlage sein. Für diesen Fall empfiehlt es sich allerdings immer, einen geeigneten Planer bzw. Sachverständigen für die Beurteilung der Verankerung einzuschalten, der über ausreichende Erfahrungen auf dem Gebiet der Verankerungen und des Mauerwerkbaus verfügt. In Tabelle 4.5 wird noch einmal zusammenfassend dargestellt, wann Versuche am Bauwerk mit Metall-Injektionsankern im Mauerwerk erforderlich sind. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 625 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk Tabelle 4.5: Erfordernis von Versuchen am Bauwerk mit Metall-Injektionsankern im Mauerwerk Versuche am Bauwerk mit Metall-Injektionsankern im Mauerwerk sind nach [1], [12] bzw. [14] … … nicht erforderlich, wenn … … erforderlich, wenn … - … der auf der Baustelle verwendete Mauerstein der gleiche ist wie einer der Verankerungsgründe, die in der ETA des verwendeten Dübels abgebildet sind. Bei der Montage wird die Setztiefe des Dübels (h ef ) gemäß den Vorgaben der Dübel-ETA eingehalten. Bei der Verankerung in Lochsteinen muss die Setzrichtung des Dübels der Setzrichtung im Referenzstein in der Dübel-ETA entsprechen. - … der auf der Baustelle verwendete Vollstein vom in der Dübel-ETA abgebildeten Vollstein lediglich abweicht durch • ein größeres Steinformat und/ oder • eine höhere Druckfestigkeit sowie eine höhere Rohdichte. - … der auf der Baustelle verwendete Mauerstein nicht in der ETA des verwendeten Dübels abgebildet ist. - In der Dübel-ETA ist aber ein Stein enthalten • aus dem gleichen Baustoff (Ziegel, Porenbeton, Kalksandstein, Leichtbeton oder Normalbeton), • mit der gleichen Struktur (Vollstein, Lochstein mit oder ohne Dämmstoff-Füllung) • mit einer vergleichbaren Geometrie (Steinabmessungen, Loch- und Stegabmessungen) - … der auf der Baustelle verbaute Vollstein ein kleineres Steinformat und/ oder eine niedrigere Druckfestigkeit sowie eine niedrigere Rohdichte hat als der in der Dübel- ETA ausgewiesene, ansonsten gleiche Vollstein. - … der Dübel tiefer gesetzt wird als in der Dübel-ETA vorgegeben, diese Verankerungstiefe aber für einen Stein des gleichen Typs (Baustoff und Struktur) in der ETA angegeben ist und damit die prinzipielle Eignung der Montagetechnik in der ETA nachgewiesen ist. 4.3 Versuche 4.3.1 Allgemeines Die Tragfähigkeit eines Injektionsankers kann nach [1] bei Versuchen am Bauwerk durch • Zugversuche (Bruchversuche, Probebelastungen, Abnahmeversuche) und durch • Querlastversuche (Bruchversuche am Rand oder Probebelastung am Rand) ermittelt werden. In [12] und [14] waren bisher keine Versuche mit Querlasten vorgesehen. Eine weitere Neuerung in [1] gegenüber [12] und [14] ist die Einführung des Reduktionsfaktors α dist zur Berücksichtigung von Abstützweiten a dist < 3·h ef , wenn der empfohlene lichte Abstand zwischen der Abstützung und dem Injektionsanker von mindestens l a = 1,5·h ef nicht eingehalten werden kann (vgl. Bild 5). Für Zugversuche dürfen für Verankerungstiefen bis h ef = 150 mm kleinere Abstützdurchmesser gewählt werden, wobei der Mindestabstützdurchmesser a dist,min = 1,5·h ef beträgt. Der Einfluss der kleineren Abstützdurchmesser wird durch den Reduktionsfaktor α dist bei der Auswertung der Versuche berücksichtigt und wie folgt ermittelt: α dist = 0,4 + (a dist / 5·h ef ) Gl. (1) mit: • α dist Reduktionsfaktor für Abstützweiten 1,5·h ef ≤ a dist < 3·h ef (siehe auch Bild 2) • a dist vorhandene Abstützweite (Abstützdurchmesser; vgl. auch Bild 5) • h ef effektive Verankerungstiefe ≤ 150 mm 626 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk Bild 2. Reduktionsfaktor α dist für Abstützdurchmesser nach [1] Für die Positionierung der Abstützung des mobilen Dübel-Prüfgeräts auf den Mauersteinen beachte Abschnitt 5.2 mit Bild 6. Bei unverputztem Mauerwerk und genauer Kenntnis der Steingeometrie von Hohl- und Lochsteinen kann eine angepasste Abstützweite gewählt werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Abstützung mindestens auf den tragfähigen Querstegen realisiert wird (siehe Bild 3). Dies ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Verformung in den aktivierten Horizontalstegen ungehindert einstellen kann. Eine wesentliche Neuerung in [1] gegenüber [12] und [14] ist die Differenzierung der Material-Teilsicherheitsbeiwerte (γ M ) für das Mauerwerk in Abhängigkeit der Art der durchgeführten Versuche und des Verankerungsgrunds. Diese Differenzierung ist in Tabelle 4.6 dargestellt. Bild 3. Abstützung auf tragfähigen Querstegen 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 627 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk Tabelle 4.6: Material-Teilsicherheitsbeiwerte γ M (gemäß [1], Abschnitt 4.3, Tabelle 4) Verankerungsgrund Art der durchgeführten Versuche am Bauwerk 15 Probebelastungen (vgl. Abschnitt 4.3.3) ≥ 5 Bruchversuche (vgl. Abschnitt 4.3.2) oder 15 Abnahmeversuche (vgl. Abschnitt 4.3.4) Alle Befestigungen geprüft durch Abnahmeversuche (vgl. Abschnitt 4.3.4) Mauerziegel, Kalksandsteine, Steine aus Leichtbeton und Normalbeton 2,50 2,25 1,95 Porenbetonsteine 2,00 1,80 1,56 4.3.2 Bruchversuche Bei Bruchversuchen wird der Injektionsanker bis zum Versagen belastet. Das bedeutet, dass die Last mit dem Dübel-Auszugsgerät so lange langsam und stetig gesteigert wird, bis keine Laststeigerung mehr möglich ist und die Verankerung oder der Verankerungsgrund versagt. Dabei darf die Bruchlast frühestens nach einer Minute erreicht werden. Die Bruchlast wird aufgezeichnet und ist Grundlage für die Auswertung der Versuche und die Ableitung einer charakteristischen Tragfähigkeit des Dübels im Baustellen-Verankerungsgrund. Die minimale Anzahl von Auszugsversuchen ist n = 5, wobei in [1] (siehe dort Abschnitt 3.2) nicht zwischen Querlastversuchen am Rand und Zugversuchen unterschieden wird und es auch keine Rolle spielt ob die Wand verputzt ist oder nicht. Die Injektionsanker/ Befestigungsstellen dürfen nach den Bruchversuchen nicht mehr für die geplante Befestigung/ Verankerung verwendet werden. 4.3.3 Probebelastungen Anders als in [12] und [14] geregelt, dürfen nach der Technischen Regel des DIBt Probebelastungen nicht nur für Zugversuche sondern auch für Querlastversuche am Rand durchgeführt werden (vgl. Abschnitt 3.3 in [1]). Dabei sind in beiden Fällen jeweils mindestens 15 Versuche durchzuführen. Die Festlegung der Probelast für Probebelastungen kann nur durch den Fachplaner (Abschnitt 3) festgelegt werden, da nur dieser Kenntnisse über die Gesamtstatik des Bauvorhabens - mit den Einwirkungen auf die geplanten Dübel-Befestigungen - haben kann. Die Lasten für eine Probebelastung werden nach den folgenden Gleichungen bestimmt. Für Zugversuche: N pP ≥ N Ed · γ M · 1 / β Gl. (2) ≤ N Rk,ETA / β Gl. (3) Für Querlastversuche: V p ≥ V Ed · γ M · 1 / β Gl. (4) ≤ V Rk,ETA / β Gl. (5) mit: • N pP gewählte Last für die Probebelastung für die Zugversuche • V p gewählte Last für die Probebelastung für die Querlastversuche • N Ed Bemessungswert der Einwirkung (N Ek · γ F ) Zuglast • V Ed Bemessungswert der Einwirkung (V Ek · γ F ) Querlast • γ M Teilsicherheitsbeiwert der Tragfähigkeit (vgl. Abschnitt 4.3.1) • β produktabhängiger Faktor zur Berücksichtigung verschiedener Einflüsse gemäß ETA für den verwendeten Injektionsanker (siehe hierfür auch die Ausführungen in den Abschnitten 4.2.2 und 4.2.3) • N Rk,ETA charakteristische Tragfähigkeit des Injektionsankers N Rk,b bzw. N Rk,p in der ETA für den Referenzstein • V Rk,ETA charakteristische Tragfähigkeit des Injektionsankers V Rk,c in der ETA für den Referenzstein Für die Probebelastungen mit Injektionsankern wird ein „kritischer Lastabfall“ definiert: 628 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk Für eine erfolgreiche Probebelastung muss für jeden der mindestens 15 Versuche die gewählte Probelast N pP bzw. V P für mindestens eine Minute gehalten werden. Dabei dürfen keine sichtbaren Verschiebungen auftreten. In der Regel wird man bei den Prüfungen auch hier immer einen Lastabfall infolge Relaxation („Entspannung“) feststellen. Geht diese Relaxation über 10 % der Probelast hinaus, so spricht [1] von einem kritischen Lastabfall. Wenn der o. g. Lastabfall den Grenzwert von 10% für den „kritischen Lastabfall“ überschreitet, ist es zulässig, die Lasthöhe einmalig auf den Ausgangswert N pP bzw. V p nachzustellen und diese mindestens 10 Minuten zu halten. Wenn während dieser Zeit keine sichtbare Verschiebung auftritt und der weitere Lastabfall maximal 5% der Probelast beträgt, so können die charakteristischen Tragfähigkeiten N Rk,2 bzw. V Rk,2 für den Injektionsanker nach den beiden folgenden Gleichungen ermittelt werden: N Rk2 = α dist · N pP · β ≤ N Rk,ETA Gl. (6) V Rk2 = V p · β ≤ V Rk,ETA Gl. (7) mit: • α dist Reduktionsfaktor für Abstützweiten a dist < 3·h ef nach Gleichung (1) • N pP , β, N Rk,ETA siehe Gl. (2) und (3) • V p , β, V Rk,ETA siehe Gl. (4) und (5) Aus Gründen der Übersicht wird für weitere Details auf den Abschnitt 3.3 in [1] verwiesen. Die Injektionsanker/ Befestigungsstellen dürfen nach den Probebelastungen nicht mehr für die geplante Befestigung/ Verankerung verwendet werden. Dies wird damit begründet, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zu Vorschädigungen der Verankerungen kam, auch wenn keine sichtbaren Bewegungen oder Verschiebungen bei sämtlichen geprüften Injektionsankern auftraten. 4.3.4 Abnahmeversuche Die Idee von Abnahmeversuchen (nur Zugversuchen) ist es, einen Teil oder alle der für die geplante Befestigung vorgesehenen Injektionsanker zu prüfen. Dabei ist die Abnahmelast (N pA ) für diese Versuche auf einem im Vergleich zur Tragfähigkeit niedrigeren Lastniveau. Vor der Durchführung der eigentlichen Abnahmeversuche muss auf der Baustelle zunächst • mindestens ein Bruchversuch bis zum Versagen oder • mindestens eine Probebelastung auf einem beliebigen Niveau durchgeführt werden. Sollte die Verankerung bei dieser „Probebelastung auf einem beliebigen Niveau“ versagen, dann kann dieser Versuch als Bruchversuch gewertet werden. Die Versagenslast aus einem Bruchversuch bzw. die Probelast der einen Probebelastung ist der Ausgangswert N u,1 für die Ermittlung der Abnahmelast (N pA ). Es können aber auch mehr Bruchversuche oder Probebelastungen durchgeführt werden, um ein Ergebnis mit einer besseren Aussagekraft zu erhalten: Werden • mindestens drei Bruchversuche oder • mindestens drei Probebelastungen auf einem beliebigen Niveau durchgeführt, so ergibt sich der Ausgangswert N u,m für die Ermittlung der Abnahmelast als Mittelwert der mindestens drei Bruchversuche oder Probebelastungen. Die so getesteten Injektionsanker/ Befestigungsstellen [Bruchversuch(e) oder Probebelastung(en)] dürfen nicht mehr für die geplante Befestigung/ Verankerung verwendet werden, da eine Vorschädigung des Steines durch diese Belastung(en) nicht ausgeschlossen werden kann. Für die Ermittlung der Abnahmelast N pA aus N u,1 oder N u,m ist - wie bei den Probebelastungen - der Fachplaner (Abschnitt 3) verantwortlich, da nur dieser Kenntnisse über die Gesamtstatik des Bauvorhabens - mit den Einwirkungen auf die geplanten Dübelverankerungen - haben kann. Wenn nicht alle der für die geplante Befestigung vorgesehenen Injektionsanker geprüft werden, sind mindestens 15 Abnahmeversuche mit der Abnahmelast N pA durchzuführen, die wie folgt zu ermitteln ist. Für nur einen Bruchversuch bzw. nur eine Probebelastung: N pA = α Probe · 0,5 · N u,1 ≤ α Probe · N Rk,ETA / β Gl. (8) N pA ≥ N Ed · γ M · 1/ β Gl. (9) Für mindestens drei Bruchversuche bzw. mindestens drei Probebelastung: N pA = α Probe · 0,7 · N u,m ≤ α Probe · N Rk,ETA / β Gl. (10) N pA ≥ N Ed · γ M · 1/ β Gl. (11) mit: • N pA Last für die Abnahmeversuche (Abnahmelast) • N u,1 in einem Versuch ermittelte Versagenslast/ Probebelastung Anmerkung: Annahme der Versagenslast/ Probebelastung als 95%-Quantilwert. Mit dem Faktor 0,5 ergibt sich der 5%-Quantilwert. • N u,m Mittelwert der Versagenslast/ Probebelastung aus mindestens drei Versuchen Anmerkung: Mit dem Faktor 0,7 ergibt sich der 5%-Quantilwert. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 629 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk • N Rk,ETA charakteristische Tragfähigkeit N Rk,b bzw. N Rk,p in der ETA für den Referenzstein • N Ed Bemessungswert der Einwirkung (N Ek · γ F ) • γ M Teilsicherheitsbeiwert für das Material, siehe Abschnitt 4.3.1 • β produktabhängiger Faktor zur Berücksichtigung verschiedener Einflüsse gemäß ETA • α Probe Faktor zur Vermeidung einer Vorschädigung = 0,90 Für erfolgreiche Abnahmeversuche muss für jeden der mindestens 15 Versuche die gewählte Abnahmelast N pA für mindestens eine Minute gehalten werden. Dabei dürfen keine sichtbaren Verschiebungen auftreten. Dies entspricht der Regelung für Probebelastungen in Abschnitt 4.3.3. So wird sinngemäß auch hier der „kritische Lastabfall“ definiert, wenn bei den Prüfungen der Lastabfall infolge Relaxation („Entspannung“) über 10 % der Abnahmelast hinausgeht (vgl. in [1] den Abschnitt 3.4). Wenn der Lastabfall den Grenzwert für den „kritischen Lastabfall“ von 10% überschreitet, ist es zulässig, die Lasthöhe einmalig auf den Ausgangswert N pA nachzustellen und diese mindestens 10 Minuten zu halten. Wenn während dieser Zeit keine sichtbare Verschiebung auftritt und der weitere Lastabfall maximal 5% der Abnahmelast beträgt, so kann die charakteristische Zugtragfähigkeit N Rk,3 des Injektionsankers nach der folgenden Gleichung ermittelt werden: N Rk3 = α dist · N pA · β ≤ N Rk,ETA Gl. (12) mit: • α dist Reduktionsfaktor für Abstützweiten a dist < 3·h ef nach Gleichung (1) • N pA , β, N Rk,ETA siehe Gl. (8), (9), (10) und (11) Aus Gründen der Übersicht wird für weitere Details auf den Abschnitt 3.4 in [1] verwiesen. Nur die Injektionsanker/ Befestigungsstellen, für die erfolgreiche Abnahmeversuche durchgeführt werden konnten (Aufbringen der Abnahmelast für mindestens eine Minute ohne sichtbare Verschiebungen und ohne kritischen Lastabfall), dürfen nach Abschluss der Abnahmeversuche für die geplante Befestigung/ Verankerung verwendet werden (vgl. hierzu Abschnitt 4.3.1 mit Tabelle 4.1). 4.4 Versuchsbericht Die Dokumentation der Versuche am Bauwerk für Metall-Injektionsanker zur Verankerung im Mauerwerk erfolgt durch den „Versuchsleiter“ in einem entsprechenden Versuchsbericht. Beachte hierzu in [1], Abschnitt 2.3 die Inhalte, die mindestens in einem solchen Versuchsbericht enthalten sein sollen. 5. Praxistipps 5.1 Ort der Prüfungen Der Ort, an dem die Prüfungen durchgeführt wurden, sollte möglichst präzise beschrieben werden, damit später nach Abschluss des eigentlichen Bauvorhabens immer noch genau nachvollzogen werden kann, wo tatsächlich die Versuche am Bauwerk durchgeführt wurden. Folgende Angaben können hilfreich sein: • Achskoordinaten aus vorliegenden Plänen (wenn vorhanden) • Innenraum oder Außenbereich • Geschoss/ Etage • Raum-Nummer • … • Bereits an diesem Punkt empfiehlt sich eine Dokumentation mit Hilfe von Fotos Mit Bezug auf die Technische Regel des DIBt (vgl. in [1]) sind die Setzstellen, an denen die Versuche am Bauwerk durchgeführt werden, durch den zuständigen Fachplaner festzulegen. Wenn eine Fassade bei einem Bauvorhaben im Bestand, an einem bereits vorhandenen, ggf. auch verputzten Mauerwerk verankert werden soll, gelten die z. B. nur an einer Außenwand des Bestandsgebäudes ermittelten Versuchsergebnisse nicht automatisch für alle Wände des gesamten Bauvorhabens. Für diesen Fall müsste sichergestellt werden, dass es sich bei allen Außenwänden um den gleichen Verankerungsgrund handelt, in den der Dübel später tatsächlich auch eingebaut wird. Der TR 053 [14] und ETAG 029, Anhang B [12] führen hierzu allgemein Folgendes aus: „Die Anzahl und Position der zu prüfenden Injektionsanker sind den jeweiligen speziellen Bedingungen des jeweiligen Bauwerks anzupassen und müssen z. B. im Fall von verdeckten und größeren Flächen erhöht werden, so dass zuverlässige Angaben über die charakteristische Tragfähigkeit der im jeweiligen Verankerungsgrund eingebetteten Injektionsankern abgeleitet werden können. Die Versuche sollten die ungünstigsten Bedingungen der praktischen Ausführung berücksichtigen.“ Bild 4 zeigt eine Baustelle, bei dem ein eingeschossiger Anbau nachträglich an einem bestehenden mehrgeschossigen Wohngebäude ergänzt wurde. Beim Einbau neuer Fenster und der Sanierung des Putzes werden hier im Bild mindestens drei verschiedene Mauersteinarten sichtbar: Ein Betonstein (Fensterbrüstung), ein Vollziegel (vorhandenes Hauptgebäude) und ein Hochlochziegel (Anbau bzw. Brüstung unter dem kleineren Fenster). 630 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk Bild 4. Unterschiedliches Mauerwerk in zwei unterschiedlichen Bauabschnitten (Foto: Küenzlen) Sollten an diesem Objekt Versuche am Bauwerk durchgeführt werden, so könnten die Ergebnisse nicht automatisch von einem auf die beiden anderen Mauersteine übertagen werden. Es wäre vielmehr vorab vom Fachplaner zu entscheiden, WO und WELCHE Mauersteinart geprüft werden soll. In einer solchen Situation kann es sinnvoll oder sogar erforderlich sein, die Anzahl der Versuche zu erhöhen d. h. in mehreren Wandbereichen und Steinen zu prüfen. Nach [1], Abschnitt 2.1 sind bei unregelmäßigem Mauerwerk (Mauerwerk aus verschiedenen Steinen) für jede Art des angetroffenen Verankerungsgrunds separate Versuche durchzuführen und getrennt auszuwerten. Alternativ könnte man hier (Bild 4) zunächst jeweils nur eine kleine Anzahl von Tastversuchen in den drei verschiedenen Steinarten und eine vollständige Anzahl von Versuchen nur in der „ungünstigsten“ Mauersteinart (in der bei den Tastversuchen die geringsten Lasten eingeleitet werden konnten) durchführen. Die dabei ermittelte Dübeltragfähigkeit könnte dann auf der sicheren Seite auf die beiden „günstigeren“ Steine übertragen werden. Ein solches Vorgehen wäre ein ingenieurmäßiger Ansatz, der durch den zuständigen Fachplaner festzulegen und zu verantworten ist. Baustellenversuche sind nicht zwingend am Bauwerk durchzuführen. Sind z. B. bei einer Neubau-Baustelle noch eine ausreichend große Anzahl von einzelnen, nicht verbauten Mauersteinen des tatsächlich vorhandenen Baustellen-Verankerungsgrundes vorhanden, können die Versuche nach [1], Abschnitt 2.2 auch „an nicht verbauten Einzelsteinen“ durchgeführt werden. Damit müssen die Versuche nicht zwingend auf dem Gerüst bzw. direkt am Bauwerk durchgeführt werden, was die Prüfung i. d. R. deutlich vereinfacht. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 631 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk Diese Vorgehensweise ist sowohl durch die Technische Regel des DIBt [1] als auch den TR 053 [14] abgedeckt, da in Prüfstellen im Rahmen eines Zulassungsverfahrens häufig auch nur an Einzelsteinen geprüft wird. 5.2 Prüfvorrichtung Mit „Prüfvorrichtung“ sind mobile Dübel-Auszugsgeräte gemeint, mit denen Baustellenversuche durchgeführt werden können. Bei diesen Geräten ist allgemein immer darauf zu achten, dass sie regelmäßig (je nach Herstellervorgabe i. d. R. einmal jährlich) kalibriert werden, vgl. in [1] den Abschnitt 2.2: „Die Prüfvorrichtung für die Versuche soll eine kontinuierliche Anzeige der aktuellen Kraft einschließlich der Erfassung des Spitzenwertes ermöglichen. Dieser Spitzenwert ist aufzuzeichnen. Die Kraft ist über eine kalibrierte Kraftmessdose (Genauigkeit ±5% auf den Messbereich) zu messen.“ Da hier eine kalibrierte Kraftmessdose gefordert wird, sollten die Geräte i. d. R. bei den Prüfgeräte-Herstellern entsprechend regelmäßig kalibriert und dort auch gleichzeitig gewartet werden. Wird ein Dübel-Auszugsgerät unsachgemäß behandelt, z. B. fällt ein Prüfgerät bei einem Versuch an einer Fassade auf das Gerüst oder sogar vom Gerüst auf den Boden, so ist das Gerät selbstverständlich außerhalb des vorgegebenen Wartungszyklus zu überprüfen und darf zunächst nicht mehr für weitere Versuche verwendet werden. Als lichter Abstand (l a ) zwischen der Abstützung des Prüfgeräts und dem zu prüfenden Injektionsanker wird für Zugversuche in [1] mindestens die 1,5-fache effektive Verankerungstiefe (l a = 1,5 ⋅ h ef ) empfohlen, woraus der Abstützdurchmesser (a dist = 3 ⋅ h ef ) nach Bild 5 resultiert. Dieser Abstand soll ein mögliches Ausbrechen des Mauerwerks während des Versuchs nicht behindern. Bild 5. Abstand zwischen Abstützung des Prüfgeräts und dem zu prüfenden Dübel 632 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk Nach der Technischen Regel des DIBt [1] kann durch die Berücksichtigung der Lage der Abstützung des Prüfgeräts bei kleinformatigen Steinen das Herausziehen der Steine bei der Prüfung am Bauwerk berücksichtigt werden [Bild 6a) zeigt die Lage der Abstützung außerhalb des Steins in dem der Dübel montiert ist]. Bei großformatigen Lochsteinen muss darauf geachtet werden, dass ein Aufspalten des Steins durch die Lage der Abstützung nicht behindert wird [Bild 6b)]. Bild 6. Lage der Abstützung a) bei kleinformatigen Steinen b) bei großformatigen Lochsteinen nach [1], Abschnitt 2.2 5.3 Verankerungsgrund 5.3.1 Allgemeines Die Bestimmung und Beschreibung des tatsächlich auf der Baustelle vorhandenen Verankerungsgrunds ist grundsätzlich einer der wichtigsten Punkte bei der Durchführung von Versuchen am Bauwerk, da der tatsächlich verbaute Mauerstein mit einem „äquivalenten Verankerungsgrund“ aus der ETA des verwendeten Dübelsystems verglichen werden muss. Die Dübel-Tragfähigkeit, die aus den Versuchen am Bauwerk ermittelt wird, muss mit der Tragfähigkeit des gleichen Dübels in einem vergleichbaren Verankerungsgrund bzw. Stein, der im Zulassungsverfahren geprüft und in der Dübel-ETA abgebildet ist, abgeglichen werden. Dieser vergleichbare Stein - bezüglich Baustoff, Struktur und Geometrie (vgl. Abschnitt 1) - wird in [1], Abschnitt 1.2 als „Referenzstein“ bezeichnet. Bei dem Abgleich mit dem Referenzstein ist der kleinere Wert, entweder das Ergebnis aus den Versuchen für den tatsächlich verbauten Stein (N Rk,1 , N Rk,2 oder N Rk,3 sowie V Rk,1 oder V Rk,2 ) oder der Wert aus der ETA für den Referenzstein (N RK,ETA oder V RK,ETA ), maßgebend. Dieser Abgleich wird i. d. R. umso verlässlicher, d. h. der Abgleich liegt zunehmend auf der sicheren Seite, je mehr unterschiedliche Steine einer Nutzungskategorie im Zulassungsverfahren eines Dübels geprüft wurden und in der der Dübel-ETA ausgewiesen sind. Wurde z. B. ein Dübel in mehreren unterschiedlichen Lochsteinen eines Baustoffs geprüft, so steigt mit jedem zusätzlich im Zulassungsverfahren geprüften Stein die Wahrscheinlichkeit, dass man in der Dübel-ETA tatsächlich einen vergleichbaren „Referenzstein“ für den auf der Baustelle verbauten Mauerstein findet. Unter „Zusätzliche Bedingungen bei Hohl- und Lochsteinen“ wird im Abschnitt 1.3 „Anwendungsbedingungen“ in der Technischen Regel des DIBt auf den Anhang A in [1] verwiesen, in dem Lochsteine in die Kategorien C1 bis C7 eingeteilt werden. Weiter heißt es, dass folgende Kriterien für die Auswahl des Referenzsteins herangezogen werden „können“: • Anzahl Stege und Stegdicken, • Abstand der Stege über die Setztiefe, • gefüllte oder ungefüllte Kammern, • Baustoff (Ziegel, Kalksandstein, Leichtbeton, Porenbeton, Normalbeton), • Druckfestigkeit, Rohdichte, • Lastniveau des vergleichbaren Steines der ETA. Prinzipiell sollten im Abschnitt „Verankerungsgrund“ des Versuchsberichts für (Dübel-) Versuche am Bauwerk so viele Informationen wie möglich zusammengetragen werden. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 633 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk 5.3.2 Bestimmung des Verankerungsgrunds bei einem Neubau Im Neubau kann der vorhandene Verankerungsrund mit wenig Aufwand häufig an auf der Baustelle noch vorhandenen, nicht verbauten Einzelsteinen bestimmt bzw. aus den Bauunterlagen wie z. B. Bauplänen, ggf. der Zulassung oder der Leistungserklärung des verbauten Mauersteins entnommen werden. 5.3.3 Bestimmung des Verankerungsgrunds bei einem Altbau Beim Bauen im Bestand ist es dagegen häufig sehr schwierig bis unmöglich den tatsächlich vorhandenen Verankerungsgrund zu definieren. Die Bauakten sind i. d. R. unvollständig und nicht so präzise wie bei heutigen Neubauten. Bei alten Mauerwerksbauten trifft man häufig auch auf verputztes Mauerwerk, was eine exakte Bestimmung des Verankerungsgrunds zusätzlich erschwert. Erste Hinweise auf den tatsächlich vorhandenen Verankerungsgrund gibt in diesen Fällen daher am besten eine Probebohrung direkt auf der Baustelle. Eine solche Probebohrung sowie generell Versuche am Bauwerk sollten vorzugsweise bereits in der Planungsphase einer Baumaßnahme durchgeführt werden, damit auf Grundlage einer Bemessung ein seriöses Angebot erstellt werden kann (Dübeltyp, Dübelabmessungen, Mengenermittlung) und die ausführende Firma am Tag der Montage bereits die richtigen Dübel in ausreichender Anzahl auf der Baustelle vorrätig hat. Erstellt man bei der Probebohrung im Drehgang ein Bohrloch (das Hammerbzw. Schlagwerk der Hammerbzw. Schlagbohrmaschine muss ausgeschaltet sein), so kann man auf Grundlage des vorhandenen Bohrmehls und des Bohrfortschritts bereits eine erste Abschätzung über den vorhandenen Verankerungsgrund bzw. den Baustoff treffen (vgl. Tabelle 5.1 und Bild 7). Dabei ist es sogar möglich, zu mindestens näherungsweise die Steg-Geometrie eines ggf. vorhandenen Lochsteins zu ermitteln, indem man beispielsweise mit einem Bohrer d 0 ≥ 18 mm im Drehgang wie folgt eine Probebohrung vornimmt: • Sobald man den Außensteg durchbohrt, die Bohrmaschine abgeschaltet und den Bohrer wieder aus dem Bohrloch herausgezogen hat, kann man die Dicke des Außenstegs und den Abstand von der Steinoberfläche bis zum ersten Innensteg messen. • Anschließend wird die Probebohrung sinngemäß fortgesetzt, der erste Innensteg durchbohrt und der Abstand von der Steinoberfläche bis zum zweiten Innensteg gemessen [Bild 7b)], usw.. • Dieser Vorgang wird mindestens so lange wiederholt, bis bei der Messung die spätere Einbindetiefe des verwendeten Dübelsystems erreicht wird. Das so grob ermittelte Lochbild sollte als Baustellen- Skizze oder Zeichnung in den Versuchsbericht für die Baustellenversuche integriert werden [Bild 7a)]. Auf dieser Grundlage kann später der vergleichbare „Referenzstein“ aus der Dübel-Zulassung herausgesucht werden. Tabelle 5.1: Ermittlung des Verankerungsgrunds durch Probebohrungen (vgl. z. B. in [18]) Bohrfortschritt (Drehbohren) Untergrund Farbe des Bohrmehls Wahrscheinlicher Verankerungsgrund/ Baustoff fortlaufend langsam Vollmaterial grau Beton, Betonstein rot Ziegel, Klinker weiß Kalksandstein fortlaufend schnell weiß Porenbeton ruckartig Hohlmauerwerk grau Hohlblockstein aus (Leicht-) Beton rot Hochlochziegel weiß Kalksand-Lochstein 634 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk a) Skizze für Versuchsbericht; b) Bohrung (rotes Bohrmehl, ruckartiger Maße in mm Bohrfortschritt; Foto: Scheller) Bild 7. Schematische Darstellung einer Probebohrung mit Ermittlung der Steg-Geometrie eines Lochsteins 5.4 Montage Die Montage der Injektionsanker für die Versuche wird durch das „sachkundige Personal“ gemäß Abschnitt 3 durchgeführt, das später auch die eigentliche Montage vornimmt. 5.5 Versuchsergebnisse Nach der Dokumentation der vorangegangenen Punkte (Abschnitt 5.1 bis 5.4) nach den Vorgaben in [1] können die vom Fachplaner geplanten Versuche durchgeführt und deren Ergebnisse entsprechend im Versuchsbericht dokumentiert werden. Gemäß der Technischen Regel des DIBt (vgl. in [1] den Abschnitt 2.2) gilt dabei Folgendes: „Die Versuche werden auf Basis der Vorgaben des Fachplaners unter Verantwortung des Versuchsleiters durchgeführt.“ Bei der Versuchsdurchführung nach [1] sind folgende Anforderung zu beachten: „Während der Bruchversuche ist die Last langsam und stetig zu steigern, so dass die erwartete Bruchlast nach nicht weniger als 1 Minute erreicht wird. Die Bruchlast ist aufzuzeichnen. Bei Probebelastungen und Abbruch der Versuche vor Erreichen der Bruchlast ist die Last so zu erhöhen, dass die Probelast bzw. die Last bei Abbruch des Versuches nach nicht weniger als 1 Minute erreicht wird und mindestens eine Minute gehalten wird. Diese Last ist aufzuzeichnen.“ Die Angabe der „Versuchsgeschwindigkeit“ mit „nach nicht weniger als ca. 1 Minute“ kann in der Baustellenpraxis nur ungefähr eingehalten werden, da insbesondere die Größe der Bruchlast für den jeweiligen Versuch ja vorher nicht bekannt ist. Vorausgesetzt, dass die Bruchlasten der einzelnen Versuche nicht zu stark voneinander abweichen, kann es auf der Baustelle im Prinzip immer nur ein „Herantasten“ an die „ca. 1 Minute“ geben, indem die Last auf der sicheren Seite nur sehr langsam gesteigert wird und parallel dazu die Zeit gemessen bzw. die Prüfdauer kontrolliert wird. 5.6 Aufgabentrennung Mit der Dokumentation der Versuchsergebnisse sind nach der Technischen Regel des DIBt [1] die Aufgaben des „Versuchsleiters“ gemäß Abschnitt 3 erfüllt: 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 635 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk „Der Versuchsbericht und gegebenenfalls Anmerkungen zu den Randbedingungen sind vom Versuchsleiter an den Fachplaner zu übergeben.“ Für die Auswertung der Versuchsergebnisse ist dann der „Fachplaner“ nach Abschnitt 3 zuständig, da nach [1] Folgendes gilt: „Die statistische Auswertung und die Ermittlung der charakteristischen Tragfähigkeit … werden in Verantwortung des Fachplaners erstellt und sind von ihm nachvollziehbar zu dokumentieren.“ Insbesondere die Auswahl des Referenzsteins und das Herauslesen der entsprechenden charakteristischen Tragfähigkeit (N Rk,ETA und V Rk,ETA ) aus der Zulassung des verwendeten Dübels ist eine Entscheidung, die final nur durch den zuständigen Fachplaner erfolgen kann, da nur dieser mit dem gesamten Bauvorhaben vertraut ist. Sowohl Zulassungen als auch Versuche am Bauwerk für Dübel erbringen immer nur den Nachweis der unmittelbaren örtlichen Krafteinleitung in den Verankerungsgrund; die Weiterleitung der mit den Dübeln zu verankernden Lasten im Bauteil und im Bauwerk (im Prinzip von der Einwirkungsstelle bis zur Gründungsebene) kann ebenfalls nur durch den zuständigen Fachplaner nachgewiesen werden. 6. Zusammenfassung Die hier dargestellte Durchführung von Baustellenversuchen zeigt deutlich, dass diese Versuche am Bauwerk für zugelassene Metall-Injektionsanker im Verankerungsgrund Mauerwerk immer wichtiger werden. Sowohl der vielfältige Verankerungsgrund Mauerwerk als auch die Montage der Dübel haben wesentliche Einflüsse auf die Tragfähigkeit dieser Befestigungssysteme, die nicht alle in den Europäischen Technischen Zulassungen/ Bewertungen (ETAs) für diese Dübel-Produkte abgebildet werden können. Versuche am Bauwerk (Bruchversuche, Probebelastungen und Abnahmeversuche) können den Anwendungsbereich dieser ETAs unter bestimmten Randbedingungen erweitern, sie müssen dafür aber in der täglichen Praxis für jedes neue Projekt - rechtzeitig VOR der eigentlichen Montage und unter Berücksichtigung der Verantwortlichkeiten (Fachplaner, Versuchsleiter, sachkundiges Personal) - immer wieder individuell geplant, durchgeführt und ausgewertet werden. Literatur [1] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Technische Regel Durchführung und Auswertung von Versuchen am Bau für Injektionsankersysteme im Mauerwerk mit ETA nach ETAG 029 bzw. nach EAD 330076-00-0604, Stand: September 2019 (Entwurf), URL: https: / / www.dibt.de/ fileadmin/ dibt-website/ Dokumente/ Referat/ I2/ Versucheam- Bau_Injektionsankersysteme_Mauerwerk.pdf (abgerufen am 19.10.2020) [2] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Amtliche Mitteilungen vom 15.01.2020: Veröffentlichung der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen Ausgabe 2019/ 1, URL: https: / / www. dibt.de/ fileadmin/ dibt-website/ Dokumente/ Referat/ P5/ Technische_Bestimmungen/ MVVTB_2019. pdf (abgerufen am 19.10.2020) [3] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Hinweise für die Montage von Dübelverankerungen, Oktober 2010, URL: https: / / www.dibt.de/ fileadmin/ dibt-website/ Dokumente/ Referat/ I2/ Duebel_Hinweise_Montage.pdf (abgerufen am 19.10.2020) [4] Deutsches Institut für Bautechnik (DIBt): Europäische Technische Bewertung ETA-13/ 1040 vom 13. Januar 2015 für Würth Injektionssystem WIT-VM 250 zur Verankerung im Mauerwerk, kostenlose Download-Möglichkeit z. B. unter www.dibt.de/ de/ service/ zulassungsdownload/ suche [5] DIN EN 771-1: 2015-11: Festlegungen für Mauersteine - Teil 1: Mauerziegel [6] DIN EN 771-2: 2015-11: Festlegungen für Mauersteine - Teil 2: Kalksandsteine [7] DIN EN 771-3: 2015-11: Festlegungen für Mauersteine - Teil 3: Mauersteine aus Beton (mit dichten und porigen Zuschlägen) [8] DIN EN 771-4: 2015-11: Festlegungen für Mauersteine - Teil 4: Porenbetonsteine [9] DIN EN 771-5: 2015-11: Festlegungen für Mauersteine - Teil 5: Betonwerksteine [10] EOTA: EAD 330076-00-0604, European Assessment Document Metal Injection Anchors for Use in Masonry, July 2014, © 2017, URL: https: / / www. eota.eu/ en-GB/ content/ eads/ 56/ , (abgerufen am 19.10.2020) [11] EOTA: ETAG 029, Guideline for European Technical Approval of Metal Injection Anchors for Use in Masonry, April 2013, Brüssel, https: / / www. eota.eu/ en-GB/ content/ etags/ 26/ , (abgerufen am 19.10.2020) [12] EOTA: ETAG 029, Annex B (informative), Recommendations for Tests to be carried out on Construction Works, April 2013, Brüssel, https: / / www. eota.eu/ en-GB/ content/ etags/ 26/ , (abgerufen am 19.10.2020) [13] EOTA: ETAG 029, Annex C: Design Methods for Anchorages, April 2013, Brüssel, https: / / www. eota.eu/ en-GB/ content/ etags/ 26/ , (abgerufen am 19.10.2020) [14] EOTA: Technical Report TR 053, Recommendations for Job Site Tests of Metal Injection Anchors for Use in Masonry, April 2016, URL: https: / / www. eota.eu/ en-GB/ content/ technical-reports/ 28/ , (abgerufen am 19.10.2020) 636 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Überblick zur Durchführung von Versuchen am Bauwerk mit Injektionsankern in Mauerwerk [15] EOTA: Technical Report TR 054, Design Methods for Anchorages with Metal Injection Anchors for Use in Masonry, April 2016, URL: https: / / www. eota.eu/ en-GB/ content/ technical-reports/ 28/ , (abgerufen am 19.10.2020) [16] Feistel, G.: Hinweise für die Montage von Dübelverankerungen, DIBt Mitteilungen, Heft 2, April 2011 [17] Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte (89/ 106/ EWG), zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/ 2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 [„Bauproduktenrichtlinie“ (BPR)] [18] Scheller, E., Küenzlen, J., Hrsg.: Handbuch der Dübeltechnik - Grundlagen, Anwendungen, Praxis, Swiridoff Verlag GmbH & Co. KG, Künzelsau 2013 [19] Verordnung (EU) Nr. 305/ 2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 89/ 106/ EWG des Rates [„Bauproduktenverordnung“], vgl. z. B. URL: https: / / www.dibt.de/ de/ service/ rechtsgrundlagen/ (abgerufen am 19.10.2020) Schadstoffe/ Gefahrstoffe 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 639 Gebäudeschadstoffe - Typische Einbausituationen und rechtssicherer Umgang bei Baumaßnahmen und Instandhaltung Diplom-Geoökologe Holger Andris SakostaCAU GmbH, Niederlassung Stuttgart, Deutschland Zusammenfassung Auch wenn mit dem 2015 publizierten Diskussionspapier des Vereins Deutscher Ingenieure und des Gesamtverbands Schadstoffsanierung „neue“ Gebäudeschadstoffe wie asbesthaltige Putze, Spachtelmassen und Fliesenkleber in den Fokus der (Fach-)Öffentlichkeit gerückt sind, wird die Thematik der Gebäudeschad-stoffe immer noch in vielen Bauprojekten unterschätzt. Gegliedert nach typischen Bauschäden werden im ersten Teil des Vortrags typische schadstoffhaltige Bauteile vorgestellt. Im zweiten Teil des Vortrags werden die rechtlichen Rahmenbedingungen erläutert. Während in der Vergangenheit die Planungsaufgabe vor allem darin bestand, einen sicheren Umgang mit Gefahrstoffen zu gewährleisten, ist aktuell vermehrt zu prüfen, ob Instandhaltungsarbeiten überhaupt gefahrstoffrechtlich zulässig sind. Hier wird insbesondere auf Diskussionen zum „Überdeckungsverbot“ von Asbestprodukten eingegangen. 1. Typische Schadensbilder/ Typische Gebäudeschadstoffe 1.1 Schäden an Beschichtungen Abb. 1: PCB-haltige Bodenbeschichtung (ca. 1.000 mg/ kg) in einer Technikzentrale (1971), Gefahrstoff, gefährlicher Abfall Abb. 2a: Asbesthaltige Sanierungs-Beschichtung (1980er Jahre) auf Plattform - Übersicht Abb. 2b: Asbesthaltige Sanierungs-Beschichtung (1980er Jahre) auf Plattform - Detail 640 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Gebäudeschadstoffe - Typische Einbausituationen und rechtssicherer Umgang bei Baumaßnahmen und Instandhaltung 1.2 Schäden an Außenwänden - Keller Abb. 3: Beschichtung festgebunden asbesthaltig (PAK um 200 mg/ kg) - Übersicht Abb. 4: Beschichtung festgebunden asbesthaltig (PAK um 200 mg/ kg) - Detail 1.3 Schäden an Außenwänden - Fassade Abb. 5: PCB-haltige Fugenmasse Abb. 6: asbesthaltiger Dünnbettmörtel an „Siporex“- Wandelementen Abb. 7: Fassadensystem aus Sandwich-Platten (außen jeweils Asbestzement / innen PU-Schaum) 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 641 Gebäudeschadstoffe - Typische Einbausituationen und rechtssicherer Umgang bei Baumaßnahmen und Instandhaltung 1.4 Schäden an Außenwänden - Wärmedämm-Verbundsysteme (WDVS) Abb. 8: WDVS auf asbesthaltigem Feinputz (/ Farbe) der ursprünglichen Bestandsfassade 1.5 Schäden an Außenwänden - Innenseite Abb. 9: Feuchteschaden mit Schimmelbildung in Kombination mit teerhaltigem Parkett-Kleber Abb. 10: Teerkork als Dämmung in Heizkörpernische Abb. 11: Asbesthaltige Klebebatzen an Polystyrol-Dämmung 1.6 Schäden an Fenstern, Türen, Toren Abb. 12: Asbesthaltiger Fensterkitt leinölartig 642 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Gebäudeschadstoffe - Typische Einbausituationen und rechtssicherer Umgang bei Baumaßnahmen und Instandhaltung Abb. 13: Asbesthaltiger Fensterkitt - hart, mineralisch - zudem: Altanstriche sind regelmäßig bleihaltig Abb. 14: Fensterbank aus Asbestzement Abb. 15: Asbesthaltiger Fensterkitt an Lamellenfenster - Übersicht Abb. 16: Asbesthaltiger Fensterkitt an Lamellenfenster - Detail Abb. 17: Brandschutztüren bis 1990 generell asbesthaltig - hier: zusätzlich asbesthaltige Dichtschnur in aufgedoppelter Zarge Abb. 18: Brandschutztür - in der Sanierungsphase 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 643 Gebäudeschadstoffe - Typische Einbausituationen und rechtssicherer Umgang bei Baumaßnahmen und Instandhaltung Abb. 19: Brandschutztür - ausgebaute schwach gebunden asbesthaltige Dichtschnüre 1.7 Schäden an Innenwänden Abb. 20: Feuchteschaden mit Schimmelbildung in Kombination mit alter Mineralwolle sowie potentiell asbesthaltigen Verspachtelungen der Gipskarton-Platten Abb. 21: „faserarmierte Leimfarbe, dick, z.T. mit gut ablesbarem Pinselduktus“ - asbesthaltig (Baujahr ca. 1955) Abb. 22: Leichtbauwand-System mit schwach gebunden asbesthaltigem Kern - Promabest - Konstruktion Abb. 23: Leichtbauwand-System mit schwach gebunden asbesthaltigem Kern - Promabest - vor Ort Abb. 24: asbesthaltiger Dünnbettmörtel an Gasbeton „Ytong“ 644 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Gebäudeschadstoffe - Typische Einbausituationen und rechtssicherer Umgang bei Baumaßnahmen und Instandhaltung Abb. 25: Patentschrift „Gipshaltige Spachtelmasse“, 1959 => bis zu 8 % Gewichtsprozent Asbest 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 645 Gebäudeschadstoffe - Typische Einbausituationen und rechtssicherer Umgang bei Baumaßnahmen und Instandhaltung Abb. 26: Asbesthaltiger Fliesenkleber - exemplarisch Auszug aus einer Patentschrift: „Mörtelmischung zum Verlegen von Fliesen und Kacheln im Dünnbettverfahren“, 1971 - ...0,5 bis 5 Gewichtsprozent, bezogen auf das Gesamtgewicht der trockenen Mischung, an Asbestfasern fördert die Elastizität des trockenen Mörtels. Auszug aus weiteren Patentschriften „Beschichtungs-, Spachtel- und Klebemassen auf Epoxidharzbasis“, 1974 Füllstoffe: Quarzsande, Quarzmehle, Schwerspat, Leichtspat, Kreide, Kaolin, Ruß, Graphit, Asbest, Pyrogene Kieselsäure Zwei-Komponenten-System => ergibt im Endprodukt ca. 0,5 - 1 % Asbest Abb. 27: Asbesthaltiger Fleckspachtel Abb. 28: Asbesthaltiger Wandputz - Übersicht Abb. 29: Asbesthaltiger Wandputz - Detail Abb. 30: schwach gebunden asbesthaltiger Cushion- Vinyl-Belag - typisch für Böden, als Wandfliesen-Imitat 1.8 Schäden an Decken Abb. 31: Spritzasbest an Decke - hier: Beschichtung Abb. 32: Spritzasbest an Decke - hier: Beschichtung geöffnet 646 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Gebäudeschadstoffe - Typische Einbausituationen und rechtssicherer Umgang bei Baumaßnahmen und Instandhaltung Abb. 33: Spritzasbest an Decke - Übersicht: Remy- Decke = „Eisenbetonrippendecke mit Füllkörper (Hohlsteine aus Bimsbeton)“ 1.9 Schäden an Treppen z.B. Sockelleisten aus Asbestzement Asbestverdächtige Putze an der Untersicht von Treppen Ausfachungen von Geländer aus Asbestzement Bleihaltige Anstriche an Geländern 1.10 Schäden an Böden Abb. 34: Fest gebunden asbesthaltige Floor-Flex-Platten - hier: zusätzlich mit schwach gebunden asbesthaltiger Ausgleichsschicht auf Holzdielenboden Abb. 35: Fest gebunden asbesthaltiges Fliesenbett Abb. 36: Bodenbelag in stark beanspruchtem Technikbereich - fest gebunden asbesthaltiger Fugenfüller Abb. 37: Raumluftmessung bzgl. leichtflüchtiger Komponenten (Naphthalin) in Teerkleber 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 647 Gebäudeschadstoffe - Typische Einbausituationen und rechtssicherer Umgang bei Baumaßnahmen und Instandhaltung Abb. 38: Teerhaltiger Parkett-Kleber - Detail Abb. 39: fest gebunden asbesthaltige Ausgleichsschicht über Steinholzestrich, Bauzeit 1912 - Sondierung in der Erkundungsphase Abb. 40: fest gebunden asbesthaltige Ausgleichsschicht über Steinholzestrich, Bauzeit 1912 - Sanierungsphase Abb. 41: fest gebunden asbesthaltiger Estrich, Bauzeit 1960 (sehr hart, sehr guter Haftverbund mit dem Untergrund) 1.11 Schäden an Balkonen, Terrassen, Eingängen / Abdichtungen allgemein Abb. 42: Kupferblech mit fest gebunden asbesthaltiger, bituminöser Abdichtungsmasse (hier WC-Bereiche) 1.12 Schäden an Flachdächern Abb. 43: Flachdach mit festgebunden asbesthaltiger Bahnware - Übersicht 648 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Gebäudeschadstoffe - Typische Einbausituationen und rechtssicherer Umgang bei Baumaßnahmen und Instandhaltung Abb.44: Flachdach mit festgebunden asbesthaltiger Bahnware - Detail Abb. 45: Dachdeckung aus Teerkork 1.13 Schäden an Steildächern Abb. 46: Teerhaltige Dichtungsbahn Abb. 47: Teerhaltige Dichtungsbahn in Dachgaube Abb. 48: Holzschutzmittel in Dachstuhl eines Mietshauses 1.14 Schäden an Außenanlagen z.B. Organische Holzschutzmittel an Tragkonstruktion PCB-haltige Anstriche Bleihaltige Anstriche 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 649 Gebäudeschadstoffe - Typische Einbausituationen und rechtssicherer Umgang bei Baumaßnahmen und Instandhaltung 2. Rechtliche Rahmenbedingungen Der Arbeitsschutz wird durch die • Gefahrstoffverordnung • Biostoffverordnung mit den untergeordneten • Technischen Regeln für Gefahrstoffe TRGS • Technischen Regeln für biologische Arbeitsstoffe TRBA geregelt. In Hinblick auf den Gesundheitsschutz in der Nutzungsphase sind die folgenden Vorgaben zu beachten: • Landesbauordnungen • § 3 Allgemeine Anforderungen • (1) Bauliche Anlagen sowie Grundstücke, andere Anlagen und Einrichtungen im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 sind so anzuordnen und zu errichten, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht bedroht werden und dass sie ihrem Zweck entsprechend ohne Missstände benutzbar sind • => z.B. • Asbestrichtlinie • PCB-Richtlinie • PCP-Richtlinie Prinzipiell ist in der Planungsphase zu prüfen, ob „nur“ der Schaden am Gebäude instand gesetzt werden soll oder ob im Zuge der Baumaßnahme Gebäudeschadstoffe umfassender saniert werden sollten oder müssen 1 . Während dies für viele Gebäudeschadstoffe eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung ist, bestehen für Asbest umfassende Regelungen, die im Einzelfall zu einer Komplettsanierung durch Entfernen führen. Auf diese Thematik wird im Folgenden eingegangen: 1 Dies kann der Fall sein, wenn Handlungsbedarf nach den Asbest-, PCB-, PCP-Richtlinien oder anderer einschlägiger Regelwerke besteht. Gemäß Nummer 1 Anhang II der Gefahrstoffverordnung sind Arbeiten an asbesthaltigen Teilen von Gebäuden, Geräten, Maschinen, Anlagen, Fahrzeugen und sonstigen Erzeugnissen verboten. Zunächst ist jeweils zu prüfen, ob im Zuge der Instandsetzung ein Umgang mit Asbestprodukten stattfindet => LASI - Leitsatz LV I4.5 „nicht bewegt, gelockert, angerührt“ „es liegt eine asbestfreie Schicht vor, die das Sehen des asbesthaltigen Materials verhindert“ Der Umgang ist Asbest ist erlaubt für • Abbrucharbeiten • Sanierungs-/ Instandhaltungsarbeiten - mit Ausnahme von Arbeiten, die zu einem Abtrag der Oberfläche von Asbestprodukten führen, - es sei denn, es handelt sich um emissionsarme Verfahren, die behördlich oder von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannt sind. Zu den Verfahren, die zum verbotenen Abtrag von asbesthaltigen Oberflächen führen, zählen insbesondere Abschleifen, Druckreinigen, Abbürsten und Bohren. • (Tätigkeiten mit messtechnischer Begleitung…um eine Anerkennung als emissionsarmes Verfahren zu erhalten) Abbruch / Sanierung durch Entfernen LASI - Leitsatz LV I.4.1 immer erlaubt vollständig! Instandhaltung LASI - Leitsatz LV I.4.2 Vorsicht => Schaden am Gebäude => „Nutzungsdauer abgelaufen? “ => Pflicht zum Ausbau nach Anhang XVII der EU-REACH-VO 650 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Gebäudeschadstoffe - Typische Einbausituationen und rechtssicherer Umgang bei Baumaßnahmen und Instandhaltung Wenn eine Instandhaltung bejaht werden kann => TRGS 519 Nummer 17 Einsatz von emissionsarmen Verfahren ist zu prüfen Wenn ein Abtrag von Material stattfindet => zwingend Einsatz von emissionsarmen Verfahren Kein Einsatz von schnell laufenden Maschinen (Schleif-, Bohrmaschinen) - Ausnahme emissionsarme Sonderverfahren nach DGUV 201-012 z.B. BT30 erlaubt Bohrlöcher bis 12 mm Durchmesser in asbesthaltige Bekleidungen Instandsetzung durch Beschichten? Ist das Verbot der Überdeckung einschlägig? LASI - Leitsatz LV I4.4 - Beispiele Erlaubt: • z.B. Putze, Estriche und Spachtelmassen => Tapezieren, Malen, Streichen Vorsicht bei Vorbehandlung von Oberflächen • z.B. Teppich lose auf asbesthaltige Bodenbeläge auflegen Verboten: • z.B. Asbesthaltige Fliesenimitate, Asbestzementplatten, Morinol- Fugenkitte überdecken Die Verhältnismäßigkeit darf betrachtet werden Hinweis: Das Beschichten von schwachgebunden asbesthaltigen Produkten (ehemals Abschnitt 4.3.3 der Asbestrichtlinie) ist nicht mehr zulässig - siehe Liste der Technischen Baubestimmungen Baden-Württem-berg sowie Deutsches Institut für Bautechnik - Veröffentlichung der Muster-Verwaltungsvorschrift technische Baubestimmungen - Ausgabe 2019/ 1 3. Literaturangaben [1] Typische Bauschäden im Bild - Ertl, Egenhofer, Hergenröder, Strunck; Rudolf Müller Verlag, 3. Auflage 2019 [2] Verordnung über Verbote und Beschränkungen des Inverkehrbringens gefährlicher Stoffe, Zubereitungen und Erzeugnisse nach dem Chemikaliengesetz (Chemikalien-Verbotsverordnung - Chem-VerbotsV) [3] Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (Gefahrstoffverordnung - GefStoffV [4] Verordnung über die Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Tätigkeiten mit Biologischen Arbeitsstoffen (Biostoffverordnung - BioStoffV). [5] TRGS 519: Technische Regeln für Gefahrstoffe, Asbest: Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten [6] DGUV Information 201-012 (bisher BGI 664): Verfahren mit geringer Exposition gegenüber Asbest bei Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten [7] Richtlinie für die Bewertung und Sanierung schwach gebundener Asbestprodukte in Gebäuden - Asbest-Richtlinie in der Fassung vom Januar 1996 (mit Bekanntmachung des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg vom 09.03.1995 als technische Baubestimmung nach § 3 Abs. 2 der Landesbauordnung (LBO) baurechtlich eingeführt mit GABl. 1997, Nr. 5, Seite 226, aktualisiert mit Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen VwV TB vom 20.12.2017) [8] Mitteilung der Bund/ Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) 23 - Vollzugshilfe zur Entsorgung asbesthaltiger Abfälle [9] Handlungsfelder: Asbesthaltige Putze, Spachtelmassen und Fliesenkleber in Gebäuden - Diskussionspapier zu Erkundung, Bewertung und Sanierung - des VDI, Verein Deutscher Ingenieure und des GVSS Gesamtverband Schadstoffsanierung vom Juni 2015 [10] Amtsblatt der Europäischen Union L 396/ 401 (Asbestprodukte verwenden bis zum Ablauf der Nutzungsdauer ist erlaubt) [11] Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik - Leitlinien zur Gefahrstoffverordnung, 3. Überarbeitete Auflage mit Ergänzung im Abschnitt I „Asbest“ - Oktober 2018 - LV45 [12] https: / / www.baua.de/ DE/ Angebote/ Publikationen/ Kooperation/ Asbesterkundung.html = Leitlinie für die Asbesterkundung zur Vorbereitung von Arbeiten in und an älteren Gebäuden - Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin / Umweltbundesamt / Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) - 1. Auflage 2020 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 651 Gesundheitsgefahren bei der Sanierung von Bauwerken Klaus Kersting Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft, Frankfurt, Deutschland Corinne Ziegler Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft, Berlin, Deutschland Sabrina Schatzinger Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA), Wien, Österreich Zusammenfassung Bei der Sanierung von Bauwerken werden immer wieder Gefahrstoffe angetroffen. Diese Gefahrstoffe stammen entweder aus dem zu sanierenden Gebäuden, weil dort gefährliche Stoffe eingebaut worden sind oder aus den bei der Sanierung verwendeten bauchemischen Produkten. Daraus ergeben sich Pflichten für den Auftraggeber, den Auftragnehmer und den Beschäftigten. Die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) und die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) geben den Betroffenen Hilfestellung und unterstützen sie bei der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen. 1. Einleitung Bei Instandsetzung von Bauwerken kann es zu einer Gefährdung der Beschäftigten durch Gefahrstoffe kommen. Dabei bestehen sowohl Gefahren beim Bearbeiten alter Baustoffe als auch beim Einsatz der Instandsetzungsprodukte. Es können gesundheitliche Schäden wie Atemwegserkrankungen, Verätzungen oder Reizungen, Allergien sowie Krebserkrankungen auftreten. Für die Tätigkeiten mit Gefahrstoffen gelten die Gefahrstoffverordnung und die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS), die die Gefahrstoffverordnung konkretisieren. In den Vorschriften werden die für den Arbeitsschutz wichtigsten Eigenschaften von Gefahrstoffen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen beschrieben. Darüber hinaus geben die Technischen Merkblättern der Hersteller, die Sicherheitsdatenblätter und die Schriften der Berufsgenossenschaften Hinweise auf den sicheren Umgang mit Gefahrstoffen. Der Arbeitgeber muss die Beschäftigten entsprechend der Gefahren unterweisen und über die Gefahren in einer Betriebsanweisung informieren sowie die notwendige Schutzausrüstung zur Verfügung stellen. 2. Gefahrstoffe Gefahrstoffe sind gefährliche Stoffe und Gemische, die ein oder mehrere Kriterien des Anhanges I Teil 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1272/ 2008 (CLP-Verordnung) erfüllen sowie Stoffe und Gemische, aus denen bei der Herstellung oder Verwendung Stoffe oder Gemische mit gefährlichen Eigenschaften entstehen oder freigesetzt werden können. Gefahrstoffe können im Allgemeinen an den Gefahrenpiktogrammen erkannt werden. Von den bei der Instandsetzung eingesetzten Produkten gehen dabei Brand- und Explosionsgefahren (z. B. Löse- und Reinigungsmittel), akute Gesundheitsgefahren wie Reizungen und Verätzungen (z. B. Zement und Härter von Epoxidharzen) und chronische Gesundheitsgefahren wie Allergien (z. B. Epoxidharze und Polyurethane) aus. Problemtisch ist das Erkennen von Gefahrstoffen beim Bauen im Bestand z. B. bei Instandsetzungsarbeiten. Bei diesen Arbeiten werden im Allgemeinen alte Baumaterialien angetroffen, die Gefahrstoffe wie Asbest, PCB oder Blei enthalten können. Von diesen Stoffen gehen akute und chronische Gesundheitsgefahren (z. B. Krebserkrankungen durch Asbest) aus. Da für Instandsetzungsmaßnahmen u.a. eine Vorbereitung des Untergrundes erforderlich ist, werden bei den Arbeiten die Gefahrstoffe freigesetzt. Besonders wichtig ist es daher, die in den alten Materialien enthaltenen Gefahrstoffe zu erkennen und die Maßnahmen auf den Baustellen anzupassen. 3. Pflichten der Beteiligten Die Notwendigkeit, Gefahrstoffe zu erkennen und die notwendigen Maßnahmen zu veranlassen, ergeben sich aus verschiedenen Aspekten. Dabei bestehen Pflichten für alle Beteiligten 652 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Gesundheitsgefahren bei der Sanierung von Bauwerken 3.1 Auftraggeber Entsprechen der VOB sind die besonderen Schutzmaßnahmen für Arbeiten in kontaminierten Bereichen ‚Besondere Leistungen‘. Die erforderlichen Maßnahmen für die im Bauwerk enthaltenen Gefahrstoffe müssen daher in der Leistungsbeschreibung zumindest umfassend beschrieben, besser noch in Einzelpositionen ausgeschrieben werden. Eine betreffende DIN ATV wird derzeit erarbeitet. Die TRGS 519 ‚Asbest, Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten‘, die TRGS 524 ‚Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten in kontaminierten Bereichen‘ und die DGUV-Regel 101-004 ‚Kontaminierte Bereiche‘ richten sich auch an den Auftraggeber, der den Auftragnehmer über die Gefahrstoffe in den Gebäuden informieren muss. Der Auftraggeber darf nur dafür qualifizierte Betriebe mit der Entfernung von in Gebäude enthaltenen Gefahrstoffen beauftragen. 3.2 Auftragnehmer Qualifikation Damit der Auftragnehmer entsprechende Aufträge überhaupt annehmen darf, muss er sich und seine Mitarbeiter vor der der Aufnahme der Tätigkeiten qualifizieren. Dies wird in der TRGS 519 und der DGUV-Regel 101-004 konkretisiert. In beiden Fällen ist die erfolgreiche Teilnahme an entsprechenden Lehrgängen erforderlich. Gefährdungsbeurteilung Vor der Aufnahme von Tätigkeiten mit Gefahrstoffen muss der Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung durchführen. Berücksichtigen muss er dabei • die gefährlichen Eigenschaften der Stoffe bzw. der Produkte, • die Informationen des Auftraggebers oder des Herstellers (z. B. Sicherheitsdatenblatt), • Ausmaß, Art und Dauer der Exposition unter Berücksichtigung der Aufnahme durch Einatmen und des Hautkontaktes, • physikalisch-chemische Wirkung der Produkte, • Möglichkeit von Ersatzprodukten, • Arbeitsbedingungen und Arbeitsverfahren einschließlich der Arbeitsmittel und Produktmenge, • Grenzwerte (Arbeitsplatzgrenzwerte, DNEL und biologische Grenzwerte), • Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen und • Ergebnisse durchgeführter arbeitsmedizinischer Vorsorge. Das Ergebnis seiner Gefährdungsbeurteilung muss er schriftlich festhalten. Arbeitsmedizinische Vorsorge Vor Aufnahme der Tätigkeiten und danach in regelmäßigen Abständen muss der Arbeitgeber für die Beschäftigten eine arbeitsmedizinische Vorsorge organisieren. Dabei unterscheidet man in Abhängigkeit von den Risiken zwischen Pflicht-, Angebots- und Wunschvorsorgen. Bei einer Pflichtvorsorge muss der Beschäftigte an der Vorsorge teilnehmen. Bei einer Angebotsvorsorge muss der Arbeitgeber die Vorsorge anbieten, der Beschäftigte kann aber selbst entscheiden, ob er daran teilnimmt. Bei einer Wunschvorsorge geht der Wunsch zur Vorsorge vom Beschäftigten aus. Eine Pflichtvorsorge besteht z.B. bei den folgenden Tätigkeiten: • Exposition gegenüber Isocyanaten bzw. Polyurethanen, bei denen ein regelmäßiger Hautkontakt nicht ausgeschlossen werden kann oder eine Luftkonzentration von 0,05 mg/ m³ überschritten wird, • dermale Gefährdung oder inhalative Exposition mit unausgehärteten Epoxidharzen, • krebserzeugende oder keimzellmutagene Stoffe der Kategorie 1A oder 1B wie Asbest oder PAK, • Tätigkeiten mit Exposition gegenüber Blei und anorganischen Bleiverbindungen bei Überschreitung einer Luftkonzentration von 0,075 Milligramm pro Kubikmeter, • Tätigkeiten, bei denen der Arbeitsplatzgrenzwert eines Gefahrstoffes nicht eingehalten wird. Der Arbeitgeber hat eine Vorsorgekartei zu führen, wann und aus welchen Anlässen die arbeitsmedizinische Vorsorge stattgefunden hat. In Österreich muss dies im Rahmen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) und der Verordnung zur Gesundheitsüberwachung am Arbeitsplatz (VGÜ) durchgeführt werden. Betriebsanweisung und Unterweisung Der Arbeitgeber hat eine arbeitsbereichs- und stoffbezogene Betriebsanweisung zu erstellen. Unter Berücksichtigung der mit den Tätigkeiten verbundenen Gefahren für Mensch und Umwelt müssen die erforderlichen Schutzmaßnahmen und Verhaltensregeln festgelegt, Anweisungen über das Verhalten im Gefahrfall und über die Erste Hilfe getroffen und auf die sachgerechte Entsorgung entstehender Abfälle hingewiesen werden. Die Betriebsanweisung ist in verständlicher Form und in der Sprache der Beschäftigten abzufassen und an geeigneter Stelle in der Arbeitsstätte bekanntzumachen. Arbeitnehmer, die Tätigkeiten mit Gefahrstoffen ausüben, müssen anhand der Betriebsanweisung über die auftretenden Gefahren sowie über die Schutzmaßnahmen unterwiesen werden. Die Unterweisung muss vor der Aufnahme der Tätigkeiten und danach mindestens einmal jährlich mündlich und arbeitsplatzbezogen erfolgen. Inhalt und Zeitpunkt der Unterweisungen sind schriftlich festzuhalten und von den Unterwiesenen durch Unterschrift zu bestätigen. Der Nachweis der Unterweisung ist zwei Jahre aufzubewahren. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 653 Gesundheitsgefahren bei der Sanierung von Bauwerken Schutzausrüstung Der Arbeitgeber muss mit geeigneten Mitteln die Gefährdung der Beschäftigten so gering wie möglich halten. Dabei gilt das Prinzip, dass die Belastung zuerst durch technische oder organisatorische Maßnahmen reduziert werden muss. So kann das Freisetzen von Staub z. B. durch den Anschluss von Entstaubern und Vorabscheidern an die Geräte reduziert werden. Außerdem ist die Zahl der exponierten Personen möglichst gering zu halten. Kann die Belastung trotz des Einsatzes von technischen Maßnahmen nicht unterhalb der Grenzwerte gesenkt werden oder besteht eine Gefährdung bei Hautkontakt, muss persönliche Schutzausrüstung eingesetzt werden. Ist der Einsatz persönlicher Schutzausrüstung erforderlich, muss der Arbeitgeber diese zur Verfügung stellen und dafür sorgen, dass die Schutzausrüstung sachgerecht aufbewahrt wird, vor Gebrauch geprüft und nach Gebrauch gereinigt und bei Schäden ausgetauscht wird. 3.3 Beschäftigte Der Beschäftigte muss an der Arbeitsmedizinischen Vorsorge teilnehmen. Verweigert er die Teilnahme an einer Pflichtvorsorge, darf er die Tätigkeiten nicht durchführen. Ist Schutzausrüstung erforderlich, muss der Beschäftigte die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Schutzausrüstung benutzen. 4. Hilfen durch die BG BAU und die AUVA 4.1 BG BAU (Deutschland) Die BG BAU bietet als gesetzliche Unfallversicherung den versicherten Betrieben umfangreiche Unterstützung bei der Umsetzung der Vorschriften für Gefahrstoffen an. Lehrgänge Die für die Arbeiten an mit Schadstoffen belasteten Bauwerken notwendige Sachkunde (DGUV-Regel 101-004) kann in Lehrgängen der BG BAU erworben werden. Medien Mit dem Programm WINGIS bietet die BG BAU eine Software zur Information über Gefahrstoffe und zur Unterstützung der Betriebe bei der Umsetzung des Gefahrstoffrechts an. In der Stoff- und Produktdatenbank werden die von den Gefahrstoffen ausgehenden Gesundheitsgefahren beschrieben und die notwendigen Schutzmaßnahmen benannt. Zudem erhält der Nutzer Informationen zu Ersatzprodukten, Grenzwerten, Beschäftigungsbeschränkungen, Arbeitsmedizinischer Vorsorge und Erster Hilfe. Darüber hinaus werden Angaben zum Transport, der Lagerung und der Entsorgung gemacht. Damit bildet die Information die Basis für die Gefährdungsbeurteilung. Ein weiteres Modul in WINGIS sind die Entwürfe der Betriebsanweisungen für die Gefahrstoffe in der Bauwirtschaft. Diese können anwendungsspezifisch in 16 Sprachen abgerufen werden und müssen vom Anwender nur noch durch baustellenspezifische Angaben ergänzt werden. WINGIS steht sowohl online (www.wingisonline.de) als auch als auf den Seiten der BG BAU (www.bgbau.de) als Download zur Verfügung. Neben WINGIS bietet die BG BAU Unterstützung zum sicheren Umgang mit Gefahrstoffen in Form von Broschüren und Bausteinen an. Arbeitsschutzprämien Für Anschaffungen wie Sicherheitstechniken, Zusatzausrüstungen oder die Organisation des Arbeitsschutzes zahlt die BG BAU den versicherten Betrieben Prämien (www.bgbau.de/ prämien/ arbeitsschutz). 4.2 AUVA (Österreich) Da international verschiedenste Gesetze und Verordnungen gelten, sollten sich die Unternehmen bei Arbeiten in Bereich der Bauwerksinstandsetzung immer vorab informieren, welche Regeln im jeweiligen Land zum Tragen kommen. Für Hilfen und Fragen im Rahmen des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit bei der Arbeit können sich Unternehmen in Österreich an den Unfallverhütungsdienst der für sie zuständigen AUVA-Landesstelle wenden. Informationen und Kontakte sind unter www.auva.at zu finden 5. Biostoffe Bei der Instandsetzung von Bauwerken können auch problematische Biostoffe wie Schimmelpilze oder Ausscheidungen von Schädlingen angetroffen werden. Auch hier ergeben sich Gefahren und Pflichten für die Beteiligten. Die BG BAU und die AUVA informieren auf ihren Seiten über die Gefahren und die notwendigen Schutzmaßnahmen. 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 655 Welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung im Straßenbau Dieter Licht m.i.k. IT GmbH, IT-/ Prozesslösungen für Bau- und Asphaltindustrie Müssen wir uns in der heutigen Zeit noch fragen, ob Digitalisierung benötigt wird? Wer diese Frage stellt, gehört zu den Verlierern in der Zukunft. Gerade unter den Einflüssen von „Corona“, sollte das Thema Digitalisierung in allen Unternehmen in den Focus rücken. Wer sich mit Digitalisierung beschäftigt, sollte dies nicht nebenbei machen, sondern ein Konzept haben, das folgende Fragen beantwortet: - Was will/ kann ich digitalisieren? - Welche Ressourcen stehen mir zur Verfügung? - Mit welchen Prozessen fange ich an? - Was kostet die Digitalisierung? Bereits durch kleine Veränderungen durch Digitalisierung und die damit verbundenen Prozessveränderungen können Verbesserungen erzielt werden. Wichtig ist, der Wille und die Überzeugung der Verantwortlichen, die Digitalisierung im Unternehmen zu etablieren. Aber wo und wie fange ich an und welche Ziele verfolge ich? Ziele der Digitalisierung können sein, - Die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen - Hohe Transparenz/ Effizienz der Prozesse - Schneller Informationsfluss - Weniger manuelle Abläufe - Fehlerminimierung und Vermeidung von Nacharbeiten - Standardisierung von Abläufen - Sicherheit in den Abläufen Diese Frage „wie fange ich an“, wird immer wieder gestellt und es gibt keine generelle Antwort darauf. Das Erkennen von Problemfeldern, sowie die damit verbundenen Prozessabläufe und das Bilden von Schwerpunkten ist dabei sehr wichtig. Grundsätzlich können in allen Bereichen eines Unternehmens Digitalisierungsprozesse eingesetzt werden. 656 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 Welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung im Straßenbau Dies sind im Einzelnen: Der Planungsprozess: - Einrichtung virtueller Baustellen und Geozonen - Mischgutbestellungen - Fahrzeugbestellung und Bestätigung - Digitale Informationen an Fahrer über Einsatzzeit und Ort Logistiksteuerung: - Berechnung optimaler Anzahl an Fahrzeugen - Fahrzeugrouting mit Stauerfassung - Digitale Lieferscheine Werkstatt / Lager: - Lagerpläne - Wartungsdokumentation - Inventur - Ein-/ Ausgabe von Werkzeug/ Maschinen - Bestellungen - Kostenverteilungen auf Kostenstellen - Info, wenn der Wartungszyklus erreicht ist Prozessdokumentationen: - Wetterdaten - Walzleistung - Einbautemperatur - Einbaumenge - Einbaugeschwindigkeit - Wartezeiten Mischanlage / Baustelle - Umlaufzeiten Hin-/ Rückfahrt - Bautagesbericht mit Textbausteine Administration: - Geräteverrechnung - Leistungsverrechnung - Digitale Bauakte - Dokumentenarchivierung - Mobiler Zugriff auf die Ablage - Rechnungsabwicklung Auf dem Weg zur Digitalisierung gibt es Grundvoraussetzungen die zu beachten sind. Offen für Veränderungen und das Einbinden der betroffenen Mitarbeiter durch die Geschäftsführung von Anfang an ist ein wichtiger Baustein für eine erfolgreiche Umsetzung. Die Bereitschaft, vorhandene Prozesse infrage zu stellen und die Bereitschaft zur Prozessveränderung muss gegeben sein. Auch ist zu beachten, vor dem Start zu prüfen, ob die eigenen Ressourcen ausreichen oder ob geeignete Lösungspartner hinzugezogen werden müssen. Erst wenn alle Fragen auf dem Weg zur Digitalisierung beantwortet sind, sollte eine Roadmap erstellt und gestartet werden. Allerdings gibt es die Digitalisierung nicht kostenlos. Neue Technologien erfordern Investitionen in Geld und Wissenstransfer für die Mitarbeiter. Fazit: Die Digitalisierung ist eine wichtige Basis und der Erfolgsfaktor für die Zukunft - Um Wettbewerbsvorteile zu generieren. - Um Kosten zu minimieren. - Um zukunftsfähig zu sein. - Um schneller zu werden - Um administrative Prozesse zu entschlacken. Spätestens, wenn Probleme auftauchen oder die Kosten aus dem Ruder laufen, werden Veränderungen erforderlich. Allerdings kann es dann schon zu spät sein. Anhang 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 659 Programmausschuss Der Programmausschuss für das Kolloquium Erhaltung von Bauwerken setzt sich aus anerkannten Experten aus Forschung und Entwicklung, Industrie und Praxis zusammen. Zu seinen Aufgaben gehören die Formulierung der Zielsetzung und Festlegung der Themenschwerpunkte der Fachtagung, die Begutachtung und Auswahl der eingereichten Vortragsvorschläge für das Tagungsprogramm und die fachliche Beratung des Veranstalters. Vorsitzende Prof. Dr.-Ing. Michael Raupach Institut für Bauforschung ibac RWTH Aachen Hon. Prof. Dr.-Ing. Bernd Schwamborn Ingenieurbüro Raupach, Bruns, Wolff, Aachen Dr.-Ing. Lars Wolff Ingenieurbüro Raupach, Bruns, Wolff, Aachen Mitglieder Dr. Michael Auras Institut für Steinkonservierunge.V., Mainz Dipl.-Ing. Heinrich Bastert Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein e. V., Berlin Dipl.-Ing. Siegfried Bepple GQ Quadflieg Bau GmbH, Würselen Prof. Dr.-Ing. Rolf Breitenbücher Ruhr-Universität Bochum Dr.-Ing. Till Büttner Massenberg GmbH, Essen Prof. Dr.-Ing. Christoph Dauberschmidt Hochschule München Dipl.-Ing. Heinz-Dieter Dickhaut Friedrichsdorf Dipl.-Ing. Axel Dominik Ingenieurbüro Dominik, Bornheim-Merten Dr.-Ing. Michael Fiebrich BauIngenieurSozietät (BIS) Sasse & Fiebrich, Aachen Dipl.-Ing. Georg Frings Wasserverband Eifel-Rur, Düren Prof. Dr.-Ing. Christoph Gehlen Technische Universität München Dipl.-Ing. Susanne Gieler-Breßmer IGF Ingenieur-Gesellschaft für Bauwerksinstandsetzung Gieler-Breßmer & Fahrenkamp GmbH, Süßen Dipl.-Ing. Torsten Göpfert TPA Gesellschaft für Qualitätssicherung und Innovation GmbH, Stuttgart Dr.-Ing. Peter Haardt Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch-Gladbach Dipl.-Chem. (FH) Frank Huppertz KIWA Bautest GmbH, Berlin Dipl.-Ing. Jürgen Krams Implenia Construction GmbH, Mannheim Dipl.-Ing. Eva-Maria Ladner Sika Deutschland GmbH, Stuttgart Dipl.-Ing. Ingo Lindemann Hochtief Engineering GmbH, Mörfelden Dr.-Ing. Martin Mangold IBB Mangold GmbH, Berlin Prof. Dr. Ivan Markovic Hochschule für Technik Rapperswil, Schweiz Prof. Dr. jur. Gerd Motzke Mering Dr. Turgay Öztürk StoCretec GmbH, Kriftel Dr.-Ing. Gabriele Patitz IGP Ingenieurbüro, Karlsruhe Dipl.-Ing. Andreas Westendarp Bundesanstalt für Wasserbau, Karlsruhe Dr.-Ing. Udo Wiens Deutscher Ausschuss für Stahlbeton e. V., Berlin 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 661 Autorenverzeichnis AAlonso Junghanns, Maria Teresa 307 Alquasem, Yasser 105 Andris, Holger 639 Appel, Bodo 223 Auras, Michael 69 BBastert, Heinrich 135 Becker, Rainer 619 Becker, Ralf 91 Berndt, Michael 367 Blankenbach, Jörg 91 Blut, Christoph 91 Braun, Rainer 197 Breitbach, Manfred 201 Bruns, Michael 419 Bürkle, Tobias 519 Büttner, Till 91 CCallsen, Björn 275 DDabringhaus, Sarah 105 Dawirs, Katharina 153 Dominik, Axel 25, 179, 571, 611 Dominik, Pascale 25, 571 Dommes, Christian 253, 351 EEgloffstein, Petra 559 Ehinger, Christian Kurt 55 Ehrhardt, Markus 363, 433 Eisenkrein-Kreksch, Helena 501 Elting, Sarah 377 Engelfried, Robert 501 Ersan, Sevket 101 Eßer, Angelika 217 FFaulhaber, Armin 481 GGerdes, Andreas 519 Gimeno, Patricia 497 Goedeke, Holle 115 Grohmann, Christopher 59 Gulikers, Joost 307 Gültner, Peter 441 Gutermann, Marc 43 HHaardt, Peter 105, 331 Haghsheno, Shervin 383 Hallmann, Jonas 285 Harnisch, Jörg 79 Hegger, Josef 253, 351 Helm, Christian 487 Henkel, Jonny 563, 597 Hindersmann, Iris 331 Hoepner, Sophie 171 Hofmann-Kuhnert, Annegret 433 Hofmann, Reiner 433 Hoppe, Anja 59 JJagfeld, Matthias 291 Jung, Andre 481 Jungermann, Bernwart 301 Jürgen, H.R. 619 KKaiser, Christian 283 Kämpfer, Wolfram 367 Kempkens, Eckhard 131 Kern, Olaf 363 Kersting, Klaus 651 Klinkner, Jessica 179 Knorrek, Christian 253, 351 König, Andreas 285 Krohn, Sebastian 153 Küenzlen, M.A. 619 Kuhn, Thomas 619 Kühner, Stefan 497, 515 LLa Spina, Sandro 515 Ladner, Eva-Maria 363, 497 Leicht, Anna 383 Lenting, Martin 463 Licht, Dieter 655 Liebl, Simon 275 Lierenfeld, Matthias Bernhard 317 Linsel, Stefan 361 Lücke, Sebastian 539 MMalgut, Werner 43 Marucha, Björn 363 May, Sebastian 243 Metthez, Nathan 317 Metzger, Wladislaus 437 Morales Cruz, Cynthia 249 Morgenstern, Hendrik 17, 455 NNeff, Dieter 361 Neumann, Sonja 105 Neuwald-Burg, Claudia 563, 597 Nyobeu Fangue, Franćois Marie 377 OOrlowsky, Jeanette 463 Özcan, Baris 91 PPatitz, Gabriele 29, 589 Petersen, Matthias 115 Pusel, Thomas 515 RRahimi, Amir 249 Raupach, Michael 17, 249, 455 Render, Robert 29 Röder, Jörg 339 SSchäfer, Georg 473 Schaller, Katharina 59 Schatzinger, Sabrina 651 Schell, Andreas 571 Scheller, Eckehard 619 Schladitz, Frank 243 Schmitz, Marc 383 Schnellenbach-Held, Martina 217 Schoch, Hjalmar 189 Schoster, Ralf 37 Schumann, Alexander 243 Seiffert, Annemarie 377 Spörel, Frank 403 Spreemann, Rolf 165 Stahl, Heiner 91 Stihl, Thomas 159 Stolz, Daniel 29 Sudermann, Peter 201 662 7. Kolloquium Erhaltung von Bauwerken - Juli 2021 TTan, Cher Sze 101 Tebbe, Holger 141, 437 Tintelnot, Götz 233, 551 Truffer, Philipp 261, 317 Vvon Kruedener, Domenika 611 WWaleczko, Dominik 383, 397 Weber, Lukas 377 Weichold, Oliver 481 Wessler, Tobias 455 Westendarp, Andreas 249, 383, 383 Wolff, Lars 419 Wollenberg, Raymond 91 ZZahn, Andreas 285 Ziegler, Corinne 651 Zollfrank, Cordt 171 BAUWESEN, ENERGIEEFFIZIENZ UND UMWELT Besuchen Sie unsere Seminare, Lehrgänge und Fachtagungen. Ein Großteil unserer Seminare wird unterstützt durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Profitieren Sie von der ESF-Fachkursförderung und sichern Sie sich bis zu 70 % Zuschuss auf Ihre Teilnahmegebühr. Alle Infos zur Förderfähigkeit unter www.tae.de/ foerdermoeglichkeiten Bis zu 70 % Förderung möglich! Geotechnik Verkehrswegebau und Wasserbau Konstruktiver Ingenieurbau Bautenschutz und Bausanierung Umwelt- und Gesundheitsschutz Energiee zienz Baubetrieb und Baurecht Facility Management SEMINARE, LEHRGÄNGE, FACHTAGUNGEN Infos und Anmeldung: www.tae.de www.tae.de Die Erhaltung von Bauwerken hat bereits in vielen Bereichen eine größere Bedeutung als der Neubau. Die Individualität der Bauwerke hinsichtlich Tragkonstruktion, Bausubstanz, Bauablauf, bauliches Umfeld und Einwirkungen über die Bauteillebensdauer erlaubt hierbei keine Standardlösung, sondern erfordert meist objektindividuelle Lösungen. Zudem sind die Aufgaben beim Bauen im Bestand vielfältig. Sie beinhalten die Bauwerksdiagnose, die Instandsetzungsplanung unter Berücksichtigung aktueller Regelwerke und Rechtsprechung, die Produktauswahl, die Ausführung und Qualitätssicherung sowie Aspekte des Bauwerksmanagements. Dies alles erfordert eine enge und frühzeitige Abstimmung zwischen Bauherren, Architekten, Fachplanern, Behörden und Bauunternehmen. Ziel der Fachtagung zum Bauen im Bestand ist der Austausch aktueller Erkenntnisse auf dem Gebiet der Erhaltung von Bauwerken. Dabei sollen sowohl die Erfahrungen bei der Planung und Umsetzung von Instandsetzungsmaßnahmen als auch der Kenntnisstand bei der Entwicklung neuer Verfahren, Materialien und Untersuchungsmethoden kommuniziert werden. Im Rahmen des 7. Kolloquiums „Erhaltung von Bauwerken“ werden etwa 80 Beiträge aus Forschung, Industrie und Praxis in vier parallelen Sessions präsentiert. Der Inhalt Bauwerksdiagnostik Denkmalpflege: Tragwerksplanung, Fassade, Mörtel, Fallbeispiele Ingenieurbauwerke: Brücken, Wasserbauwerke Digitalisierung und BIM Ausführung Textilbeton Betonersatz Mauerwerk Oberflächenschutz Rissbehandlung Schadstoffe/ Gefahrstoffe Dauerhaftigkeit Regelwerke Forschung und Entwicklung Die Zielgruppe Planer Ausführende (Bauleiter, Betreuer, Überwacher) Sachverständige Baubehörden Bauherren Baustoffhersteller Anbieter von Diagnoseverfahren Anbieter spezieller Instandsetzungsverfahren Forschungseinrichtungen Prüfinstitute ISBN 978-3-8169-3524-7